Handbuch PEN: Geschichte und Gegenwart der deutschsprachigen Zentren 9783110260687, 9783110260670

Founded in 1921, PEN – which stands for Poets, Essayists, Novelists – is the world's largest and best-known associa

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German Pages 625 [626] Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Zum Geleit
Statt eines Vorworts Ein Blick zurück nach vorn
Vorbemerkung der Herausgeber
I Der Internationale PEN und die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta
Der Internationale PEN Gründungsgeschichte und Struktur einer Schriftstellervereinigung
Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart
Das Writers for Peace-Committee
Das Writers in Exile-Programm
II PEN in Deutschland
Das Zentrum in der Weimarer Republik Von der Gründung bis zur Auflösung unter nationalsozialistischer Herrschaft (1923–1933)
Versuchte Gleichschaltung durch das NS-Regime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945)
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Wiederbegründung und Teilung des deutschen PEN als Folge des Kalten Krieges (1946–1951)
Im Machtbereich der SED-Diktatur PEN in der DDR – Ein politisches Instrument?
Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution Zur Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Auswirkungen auf die PEN-Zentren in Ost- und Westdeutschland (1989–1998)
Das PEN-Zentrum Deutschland Vom mühsamen Vereinigungsprozess bis zur Gegenwart
III PEN im Exil
PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland
Vom Exil-PEN-Club zum Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder 56 Jahre Engagement für emigrierte Autoren und Journalisten
IV Weitere deutschsprachige PEN-Zentren
Österreich
Der österreichische PEN-Club in den Jahren 1923–1955
Der Wiener PEN-Club vom Beginn des Kalten Krieges bis zur Ostöffnung (1947–1990)
Der lange Weg ins 21. Jahrhundert
Schweiz
Der PEN-Club in der Deutschschweiz
Liechtenstein
Der PEN-Club Liechtenstein Ein Präsident blickt zurück
Die Autorinnen und Autoren
Personenverzeichnis
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Handbuch PEN: Geschichte und Gegenwart der deutschsprachigen Zentren
 9783110260687, 9783110260670

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Handbuch PEN

Handbuch PEN

Geschichte und Gegenwart der deutschsprachigen Zentren Herausgegeben von Dorothée Bores und Sven Hanuschek

ISBN 978-3-11-026067-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-026068-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039558-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Abkürzungsverzeichnis  IX Josef Haslinger Zum Geleit  1 Herbert Wiesner Statt eines Vorworts Ein Blick zurück nach vorn  3 Dorothée Bores / Sven Hanuschek Vorbemerkung der Herausgeber  11

I Der Internationale PEN und die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta Dorothée Bores Der Internationale PEN Gründungsgeschichte und Struktur einer Schriftstellervereinigung  19 Sascha Feuchert Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart  34 Hans Thill Das Writers for Peace-Committee  53 Franziska Sperr Das Writers in Exile-Programm  59

II PEN in Deutschland Ernst Fischer Das Zentrum in der Weimarer Republik Von der Gründung bis zur Auflösung unter nationalsozialistischer Herrschaft (1923–1933)  71

VI 

 Inhalt

Helmut Peitsch Versuchte Gleichschaltung durch das NS-Regime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945)  133 Christine Malende Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Wiederbegründung und Teilung des deutschen PEN als Folge des Kalten Krieges (1946–1951)  168 Dorothée Bores Im Machtbereich der SED-Diktatur PEN in der DDR – Ein politisches Instrument?  223 Sven Hanuschek Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution Zur Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989  302 Dorothée Bores Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Auswirkungen auf die PEN-Zentren in Ost- und Westdeutschland (1989–1998)  362 Johano Strasser Das PEN-Zentrum Deutschland Vom mühsamen Vereinigungsprozess bis zur Gegenwart  397

III PEN im Exil Helmut Peitsch PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland  411 Wolfgang Schlott Vom Exil-PEN-Club zum Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder 56 Jahre Engagement für emigrierte Autoren und Journalisten  448

Inhalt 

IV Weitere deutschsprachige PEN-Zentren Österreich Klaus Amann Der österreichische PEN-Club in den Jahren 1923–1955  481 Ingrid Schramm Der Wiener PEN-Club vom Beginn des Kalten Krieges bis zur Ostöffnung (1947–1990)  533 Helmuth A. Niederle Der lange Weg ins 21. Jahrhundert  550

Schweiz Helen Münch-Küng Der PEN-Club in der Deutschschweiz  563

Liechtenstein Manfred Schlapp Der PEN-Club Liechtenstein Ein Präsident blickt zurück  585

Die Autorinnen und Autoren  593 Personenverzeichnis  597

 VII

Abkürzungsverzeichnis ABM Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Abt. Abteilung a. D. außer Dienst AdK Akademie der Künste ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst ai amnesty international AK Arbeiterkammer Wien, Dokumentation AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe Anm. Anmerkung ap Associated Press, Nachrichtenagentur mit Hauptsitz in New York City ASV Allgemeiner Schriftsteller-Verein BArch Bundesarchiv BBC bzw. B.B.C. British Broadcasting Corporation Bd. Band BDC Berlin Document Center Bl. Blatt BMG Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BStU Bundesbeauftragte[r] für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik BZ Berliner Zeitung bzw. beziehungsweise CDU Christlich-Demokratische Union CEJ Collegium Europaena Jenense CIA Central Intelligence Agency ČSR Tschechoslowakische Republik CSU Christlich-Soziale Union DA PEN-Archiv Darmstadt DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik DEA Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main DEFA Deutsche Film AG d. h. das heißt d. i. das ist DLA Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar DM Deutsche Mark DÖW Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien dpa Deutsche Presseagentur DST Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien DSV Deutscher Schriftstellerverband Ed. Edition ERC Emergency Rescue Committee ESV Europäische Schriftsteller-Vereinigung f. folgende (Seite) ff. folgende (Seiten)

X 

 Abkürzungsverzeichnis

FAM Free Austrian Movement FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDKB Freier Deutscher Kulturbund FDP Freie Demokratische Partei Ffo Frankfurt an der Oder FU Freie Universität GAWA German-American Writers Association Gestapo Geheime Staatspolizei GMS Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit GUDA Gruppe Unabhängiger Deutscher Autoren GV Generalversammlung HA Hauptabteilung Hrsg. Herausgeber, herausgegeben HRHRC Harry Ransom Humanities Research Center, The University of Texas at Austin HV Hauptverwaltung ICORN International Cities of Refuge Network IfZ Institut für Zeitgeschichte, München IM Inoffizieller Mitarbeiter IMS Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs JRBA Johannes R. Becher-Archiv KGB Komitee für Staatssicherheit (beim Ministerrat) der UdSSR kommunist. kommunistisch KP Kommunistische Partei KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPÖ Kommunistische Partei Österreichs KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KZ Konzentrationslager LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands MfAA Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten MfK Ministerium für Kultur MfS Ministerium für Staatssicherheit NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt-Organisation) NDR Norddeutscher Rundfunk NGO Non-governmental Organization (Nichtregierungsorganisation) N, NL Nachlass NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NTB Das Neue Tage-Buch NZZ Neue Zürcher Zeitung o. A. ohne Angabe bzw. ohne Autor o. D. ohne Datum o. O. ohne Ortsangabe o. V. ohne Verlagsangabe OV Operativer Vorgang ÖNB Österreichische Nationalbibliothek Wien, Handschriftensammlung ÖPC Archiv des Österreichischen PEN-Clubs, Wien ÖVP Österreichische Volkspartei

Abkürzungsverzeichnis 

 XI

PAL PEN-Archiv London PEN bzw. P.E.N. Poets/Playwrights, Editors/Essayists and Non-fiction-writer/Novelists polit. politisch Prof. Professor RAF Rote Armee Fraktion RAN Rapid Action Network RDS Reichsverband Deutscher Schriftsteller RIAS Rundfunk im amerikanischen Sektor RKK Reichskulturkammer RSK Reichsschrifttumskammer russ. russisch SA Sturmabteilung SALT Strategic Arms Limitation Talks SAPMO-BArch Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin SBBPK Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz SDA Schutzverband Deutscher Autoren SDR Süddeutscher Rundfunk SDS Schutzverband Deutscher Schriftsteller SED Sozialistische Einheitspartei SJ Societas Jesu (Ordenskürzel der Jesuiten) sog. sogenannte(r) Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPIO Spitzenorganisation der Filmwirtschaft TMG Thomas-Mann-Gruppe u. a. unter anderem, und andere UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UN United Nations UNESCO United Nations Educational, Scientific, Cultural Organization (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) US United States USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) Vf. Verfasser Vgl. Vergleiche VS Verband der Schriftsteller WB Weimarer Beiträge WDR Westdeutscher Rundfunk WDRC Women’s Defence Relief Corps WfPC Writers for Peace Committee WiE Writers in Exile WiPC Writers in Prison Committee ZA Zentralarchiv ZDF Zweites Deutsches Fernsehen ZK Zentralkomitee ZMA Zentrale Materialablage ZS Zentralsekretariat Zss. Zeitschriften z. B. zum Beispiel

Josef Haslinger

Zum Geleit „No politics under no circumstances!“ Dieses Diktum des ersten PEN-Präsidenten John Galsworthy ist längst selbst ein Dokument der politischen Zeitgeschichte geworden. Die Salongespräche darüber, ab welcher Zumutung man politische Stellungnahmen abgeben kann, endeten in der völligen nationalsozialistischen Unterwanderung des deutschen PEN-Zentrums. Sind die Gründungsmütter und -väter des Internationalen PEN zu naiv gewesen, um dieser Entwicklung zu begegnen? Bedenkt man die politische Lage Europas nach dem Ersten Weltkrieg, so verkörpert der Gründungsimpuls des Internationalen PEN ein erstaunliches Maß an Großherzigkeit. Es gab in Deutschland eine Generation von Schriftstellern, die 1914, nach den ersten von deutschen Soldaten verübten Gräueln, nun auch auf intellektuellem Feld zur Attacke bliesen. Beim Vormarsch nach Frankreich waren in Belgien gerade ein paar tausend Zivilisten umgebracht worden und die alte Universitätsbibliothek von Löwen stand in Flammen, aber 93 deutsche Schriftsteller fanden sich zusammen, um der Welt zu verkünden: „Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins.“ Darüber hinaus hatten sie noch ein weiteres Anliegen, das sie so ausdrückten: „Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.“ Geht’s noch schlimmer, möchte man fragen. Wir wissen, wer diesen Aufruf verfasst hat, es war Ludwig Fulda. Er wurde sechs Jahre nach dem Krieg, am 15. Dezember 1924, zum ersten deutschen PEN-Präsidenten gewählt. Zwei Jahre lang hatte man gestritten, ob man überhaupt einen PEN-Club gründen sollte und ob man nicht ein paar zusätzliche Paragraphen in die Charta aufnehmen müsste, damit nicht jeder dahergelaufene französische Schriftsteller als willkommener Gast begrüßt werden müsse. Einer der Unterzeichner dieses Aufrufs, dessen Geisteshaltung sich bald in Deutschland und Österreich durchsetzen sollte, war Gerhart Hauptmann, der zwei Jahre zuvor den Nobelpreis erhalten hatte. Bei einem Autor von dieser Bedeutung wiegt der politische und moralische Fehltritt umso schwerer. Kaum hatten diejenigen, die sich mit Russen, Serben, Mongolen und „Negern“ gemein gemacht hatten, den Sieg davon getragen, fand sich in London ein DinnerClub von Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusammen, der den Unterzeichnern solch markiger Sprüche die Hand reichte und Gerhart Hauptmann zu einem seiner Ehrenmitglieder ernannte. Eine wahrlich entwaffnende Geste. Ich habe diese Geschichte in dem Buch gelesen, das Sie gerade in den Händen halten. Sie wird im Beitrag von Ernst Fischer dargestellt. Dort ist auch nachzulesen, dass der Verfasser dieses Aufrufs, Ludwig Fulda, von den Geistern, die er einst mit entfachte, bald überholt wurde. Er war einer jener besonders patriotisch gesinnten

2 

 Josef Haslinger

Juden, denen das letztlich niemand gedankt hat. Nach der Reichspogromnacht, als es das deutsche PEN-Zentrum, dessen Mitbegründer er war, schon längst nicht mehr gab, bemühte er sich vergeblich um ein Ausreisevisum und ging schließlich in seiner Verzweiflung am 30. März 1939 in den Freitod. Dieses Buch erzählt, wie sich aus einem britischen Dining Club von Schöngeistern eine internationale Menschenrechtsorganisation entwickelt hat, und es informiert, was aus den deutschsprachigen PEN-Zentren geworden ist. Es ist eine spannende Lektüre. Denn im Auf und Ab der Entwicklung dieser Schriftstellerorganisation spiegelt sich die Weltgeschichte vom ersten Weltkrieg bis zum Ende des Kalten Krieges, und das ist die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts. Leipzig, Februar 2014

Herbert Wiesner

Statt eines Vorworts Ein Blick zurück nach vorn Das Jahr 2014, in dem dieses Handbuch über den PEN erscheint, ist das Jahr, in dem die Welt, ein Jahrhundert danach, des Ersten Weltkriegs gedenkt. Unter dem Eindruck dieses furchtbaren Krieges hat sich am 5. Oktober 1921, im Jahr nach der Gründung des Völkerbunds, drei Jahre nach Kriegsende, in London die Vereinigung von Poets, Essayists und Novelists, auch von Playwrights, Editors und Non Fiction Authors als ein geistiger Völkerbund der Schriftsteller konstituiert. Literaturkritiker, Journalisten, Übersetzer, Hörspielautoren, neuerdings auch Internet-Autoren zählen dazu. Im Zeichen des englischen Wortes für Feder (pen) oder Bleistift (pencil) ist aus einer Londoner Dinnergesellschaft die einzige wirklich internationale Autorenvereinigung erwachsen, die weltweit in zurzeit rund 145 Ländern, Exilen und Sprachen agiert. Rund 20  000 Mitglieder zwischen Afghanistan und Zypern haben die Charta des PEN unterzeichnet und sich verpflichtet, für die Menschenrechte und gegen Rassen-, Klassen- und Völkerhass einzutreten. 1924 ist dem Internationalen PEN ein erstes deutsches Zentrum beigetreten, das bald auf fast 200 Mitglieder anwuchs, aber nur bis 1933 Bestand hatte. Dem Gründungspräsidium, das sich im Dezember 1924 konstituierte, gehörten durchaus namhafte Autoren an, doch keiner von ihnen zählte zu den Schriftstellern, die mit ihren Werken die Literaturgeschichte der legendären 1920er Jahre geprägt haben. Erst die später zugewählten Mitglieder konnten diesen anfänglichen Mangel an zeitgenössischer literarischer Repräsentanz beheben. Dennoch schienen Sitz und Stimmen in der 1926 gegründeten Sektion für Dichtkunst der Preussischen Akademie der Künste den Zeitgenossen wie der Nachwelt bedeutsamer zu sein als die Aufnahme in den PEN. Kurt Tucholsky hatte seinen Spott immerhin über beide Institutionen ausgegossen. Noch die Akademie-Austritte und -Ausschlüsse um 1933 wurden bis heute stärker wahrgenommen als die ganz ähnlichen Auseinandersetzungen im PEN. Als dann kurz nach den deutschen Bücherverbrennungen, noch im Mai, der XI. Internationale PEN-Kongress in Ragusa (Dubrovnik) stattfand, stießen die bereits ins Exil geflohenen deutschen Autoren auf eine aus Deutschland angereiste Delegation, die kritische Fragen nicht hören wollte und schon nicht mehr bereit oder fähig war, den international gültigen Anspruch der PEN-Charta anzuerkennen. Erst seit November 1948 existierten wieder freie PEN-Zentren in Deutschland, die auch nach der Teilung des Landes unterschiedliche Grade des Getrenntseins aufwiesen. Es dauerte aber bis Oktober 1998, bis ein sorgfältig erarbeiteter „Verschmelzungsvertrag“ ein geeintes PEN-Zentrum Deutschland möglich machte. Es zählt heute rund

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 Herbert Wiesner

700 Mitglieder1, die jene weltweit tätige älteste den Menschenrechten verpflichtete Nicht-Regierungsorganisation (NGO) des Internationalen PEN mit tragen. Die Freiheit des Wortes ist eines der Rechte, die es zu verteidigen gilt. Die respektvolle Wahrung des Urheberrechts gehört dazu. Es geht dabei um angemessene Veröffentlichungshonorare für meist freiberuflich tätige Autoren, aber auch und erst recht um die Würde und die Unversehrtheit der Texte in allen Medien. Die Gedanken sind frei, aber nicht umsonst, besonders dann nicht, wenn ihnen ein Autor Form und Gestalt verliehen hat. Der PEN ist keine Standesvertretung, kein Berufsverband. Es gilt als Ehre, in den PEN gewählt zu werden. Man kann ihm nicht beitreten. Wenn dies ein Vorteil ist, dann ist es der einzige. Alles andere ist Verpflichtung: die Sorge um inhaftierte, gefolterte, mit dem Tode bedrohte oder auch nur an uneingeschränkter, nicht zensierter Publikation gehinderte Schriftsteller und Journalisten. Oft kann man nicht mehr tun, als ihnen einen Brief, einen Gruß aus der Freiheit in die Unfreiheit zu schicken. Namen und Adressen verbreitet die halbjährlich vom internationalen Writers in Prison Committee (WiPC) des PEN veröffentlichte „Case List“. Umgekehrt erreichen uns von außen die Kassiber der Verfolgten, die in Deutschland Zuflucht suchen. Acht Stipendiaten können wir jetzt in Berlin, in Hamburg, in Nürnberg, in München und auch in Darmstadt, dem Heimatort unserer Geschäftsstelle, beherbergen. Wir beraten sie in rechtlichen Fragen, geben ihnen und ihrer Familie bzw. ihrem Partner eine Wohnung, ebnen ihnen Wege zur Publikation2. Für das kleine Darmstädter Büro des PEN, in dem neben der Geschäftsführerin (bis 2007 Ursula Setzer, seitdem Claudia C. Krauße) drei Ganztagsangestellte und zwei Teilzeitkräfte arbeiten, bedeutet diese intensive Betreuung einen erheblichen Arbeitsaufwand, der natürlich auch von den dafür zuständigen ehrenamtlich tätigen Writers in Exile-Beauftragten (nach Christa Schuenke zurzeit Franziska Sperr) und den Generalsekretären oder der Generalsekretärin mitzutragen ist. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, ist für die Finanzierung dieses unter Michael Naumann 1999 eingerichteten Stipendienprogramms zuständig. Auch die Städte beteiligen sich. Damit sind in Kürze die beiden Säulen des PEN-Zentrums Deutschland beschrieben: das Writers in Prisonund das Writers in Exile-Programm.3 Wir arbeiten mit ICORN (International Cities of Refuge Network) oder zum Beispiel mit der Heinrich Böll-Stiftung zusammen. Leider existiert so etwas wie das Exil-Programm in diesem Umfang nur im deutschen PEN. Unser PEN leistet diese Arbeit auch, weil wir uns bei vielen Nationen dafür zu bedanken haben, dass deutschen Exilanten geholfen wurde, als sie vor dem Natio1 Bio-Bibliografisch aufgeführt in: PEN. A World Association of Writers. Deutsches Zentrum. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2012. 2 2000, 2005 und 2009 haben Elsbeth Wolffheim, Michael Klaus, Sigfrid Gauch und Claudia C. Krauße drei Anthologien mit Texten von Stipendiaten herausgegeben. Zuletzt erschienen: Christa Schuenke und Brigitte Struzyk (Hrsg.): Fremde Heimat. Texte aus dem Exil. Berlin: Matthes & Seitz 2013. 3 Vgl. Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee; Christa Schuenke: Das Writers-in-Exile-Programm. Beide Beiträge in: Autorenlexikon 2012/13 (Anm. 1).



Statt eines Vorworts 

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nalsozialismus fliehen mussten. Der deutsche PEN hat sich nach dem internationalen Kongress in Ragusa Ende Mai 1933 eine „völkische Sonderform gegeben“, wie die Neue Zürcher Zeitung dies am 15. 11. 1933 sehr zurückhaltend ausdrückte. Der XII. Internationale PEN-Kongress in Edinburgh und Glasgow beschloss im Juni 1934 die Löschung des deutschen PEN, den es rechtlich wie faktisch schon nicht mehr gab, und konnte bereits Rudolf Olden und Ernst Toller als Delegierte des in London neu gegründeten deutschen PEN-Clubs im Exil begrüßen. (Er besteht heute fort als PEN-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland.) Für Österreich sprach während des schottischen Kongresses Emil Ludwig, der Ernst Tollers Resolutionsantrag gegen die Schriftstellerverfolgungen in Deutschland unterstützte. Ein Peter Meyer bezeichnete als Berichterstatter der Neuen Zürcher Zeitung solche Verfolgungen, also die Haft Carl von Ossietzkys zum Beispiel, als eine „ausgesprochen innenpolitische Angelegenheit“4; in seiner Rolle als Delegierter der Schweiz, eigentlich wohl des PEN-Clubs Zürich, votierte jener „Unbekannte“, der damals Redakteur der schweizerischen Architekturund Kunstzeitschrift Das Werk gewesen ist, einsam gegen den Antrag des PEN-Clubs im Exil. Heute ist der PEN, ist insbesondere jedes deutschsprachige PEN-Mitglied der Geschichte und der Haltung dieses Exil-Clubs verpflichtet. Die beiden deutschen Delegierten haben ihr Exil nicht überlebt. Ernst Toller hat sich am 22. Mai 1939 im Hotel Mayflower in New York erhängt. Rudolf Olden, der erste Generalsekretär des PEN-Clubs im Exil, ist nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager auf der Isle of Man zusammen mit seiner Frau Ika und vielen anderen Flüchtlingen am 17. September 1940 beim Untergang der City of Benares ertrunken. Er war zu geschwächt, um sich zu retten; Monika Mann hat diesen Torpedoangriff eines deutschen U-Boots überlebt. Olden, so schrieb der Generalsekretär des Internationalen, dann des englischen PEN Hermon Ould in seinem schönen und würdigen Nachruf5, wäre als Anglophiler gerne britischer Staatsbürger geworden, aber er musste England verlassen. In New York wartete eine Professur an der New School for Social Research auf ihn. Dieser Hochschule wurde 1933 eine University in Exile eingegliedert; die Einladungsbriefe ihres Direktors Alvin Johnson galten, da sie eine Gehaltszusage enthielten, als Zugang für sogenannte Nonquota Visa. Alvin Johnson leitete auch den Senat der American Guild for German Cultural Freedom. Als Generalsekretär des Exil-PEN wie als Freund und Ratgeber von Hubertus Prinz zu Löwenstein unterhielt Olden aus dem englischen Exil heraus enge Beziehungen zur American Guild, und er gehörte dem Senat der Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften seit deren Gründung durch die Guild im Jahr  1937 an. 4 Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 111. – Zu Peter Meyer vgl. Helen Münch-Küng: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern: Peter Lang 2011, S. 193f. 5 Abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 355.

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 Herbert Wiesner

Rudolf Olden, als Mitarbeiter Theodor Wolffs am Berliner Tageblatt einer der bedeutendsten politischen Redakteure der Weimarer Republik, Autor wichtiger politischer Biographien und Strafverteidiger am Berliner Kammergericht (z. B. im Hochverratsprozess gegen Carl von Ossietzky) hat die Zusammenarbeit von PEN, American Guild und Deutscher Akademie nicht nur wegen der zu vergebenden Werkstipendien für deutsche und österreichische Schriftsteller gesucht. Er war mit Hubertus zu Löwenstein sowie mit Thomas Mann und Sigmund Freud, den Präsidenten der literarischen und wissenschaftlichen Klassen der Akademie, zu der Überzeugung gelangt, es sei der historische Auftrag der Emigranten, der Weltöffentlichkeit gegenüber ein „anderes“, ein „geistiges Deutschland“ zu repräsentieren. Volkmar Zühlsdorff, der engste Mitarbeiter des Prinzen zu Löwenstein, hat in seinem Buch Deutsche Akademie. Der vergessene Widerstand6 sehr einlässlich über Rudolf Olden, den PEN und jene amerikanischen Hilfsorganisationen geschrieben. Zwischen Thomas Mann und Löwenstein, der im März 1940 vor den „Gefahren der Vernichtungspolitik“ gewarnt hatte, war es im April zu einem schweren Zerwürfnis in der Einschätzung des alliierten Anti-Hitler-Krieges gekommen.7 Thomas Mann verließ die American Guild, und Hubertus zu Löwenstein trat von seinen Ämtern zurück. Die große Zahl der nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich gefährdeten Exilanten (aber nicht nur diese) war auf neue Hilfsprogramme jenseits der längst ausgeschöpften Quotenregelung angewiesen, auf Not-Visen und den Nachweis einer bezahlten Schiffspassage. Nutznießer einer Notfallregelung in den Jahren 1940/41 wurden insbesondere Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler, Politiker. Es bildete sich zur Umsetzung der direkt Präsident Roosevelt unterstellten Emergency-Visa-Aktion eine Vielzahl amerikanischer Komitees, die nun statt der bekannten finanziellen Affidavits (Bürgschaften) „affidavits of sponsorship“ und „moral affidavits“ (Leumundszeugnisse) zu beschaffen hatten, um eine neue Art von Besuchervisen zu beantragen. Eines dieser Komitees war das Emergency Rescue Committee (ERC), das von Frank Kingdon, dem Präsidenten der Universität Newark, mitbegründet wurde. Kingdon kannte Thomas Mann von anderen Projekten her und gewann diesen als Doyen für die kleine Gruppe der deutschen Berater, zu denen neben Erika Mann, Liesl Frank, Charlotte Dieterle vor allem Hermann Kesten gehörte. Kesten war im Mai 1940 mit einem Besuchervisum in die USA gekommen. Das ERC betreute wie fast alle diese Emergency-Committees Flüchtlinge aus vielerlei Ländern. Die deutsche Beratergruppe war also nur eines von mehreren Gremien, die Empfehlungslisten für Emergency Visa vorlegten und die dafür benötigten Unterlagen beschafften. Die gesammelten Dokumente mussten zunächst nach New York an das President’s Advisory Committee on Political Refugees geschickt werden, dann an das Justizministerium, von dort an 6 2. Auflage. Bonn: Edition Zeitgeschichte 2001, S. 105–119. 7 Die Debatte darüber ist dokumentiert in: Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild of German Cultural Freedom“. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. München u. a.: Saur 1993, S. 415ff.



Statt eines Vorworts 

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das State Department und schließlich an das für den Flüchtling zuständige amerikanische Konsulat, wo allzu häufig Visa-Anträge wieder aussortiert wurden, weil die Schiffspassage noch nicht hinreichend geklärt schien. Der Stützpunkt des ERC für die Frankreichflüchtlinge war das Büro von Varian Fry in Marseille; er verhandelte mit den Behörden des Vichy Regimes und organisierte die Flucht durch Spanien und Portugal, für die wiederum Transitvisa erforderlich waren. Der unglaublich komplizierte Hürdenparcours des schon am 1. Juli 1941 wieder eingestellten Verfahrens und die nationale Vielfalt der Hilfsbedürftigen zeigen, dass das ERC nicht „Tausende“ hat retten können, wie Hermann Kesten 1964 geschrieben hat, – und schon gar nicht tausende Deutsche. Hans-Albert Walter, der „Die SpecialEmergency-Visa-Aktion“ in seinem Werk Deutsche Exilliteratur 1933–1950. Bd.  2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis8 genauestens analysiert hat, listet auf, dass 1940 insgesamt 3268 Visa vom State Department zur Erteilung vorgelegt wurden, die letztlich entscheidenden „Konsuln aber nur 1263 tatsächlich bewilligt haben. 1941 kamen noch einmal rund 800 bewilligte Visa hinzu, so daß man insgesamt von wenig mehr als 2000 erteilten Einreisegenehmigungen im EmergencyVerfahren sprechen kann“.9 Walter betont, dass der Anteil deutscher Emigranten beträchtlich war, diese Zahlen jedoch für Flüchtlinge aus vielen Nationen gelten. Das Hilfsprogramm enthülle sich „bei näherer Betrachtung also als eine knickrig bemessene, widerwillig gewährte und in ihrer zweiten Phase schikanös verabreichte ‚Gnade‘ für eine verschwindende, vom Zufall und vom Glück begünstigte Minderheit“. HansAlbert Walter kann die meisten Geretteten namentlich aufzählen. Der Vorwurf trifft die damalige amerikanische Mehrheitshaltung gegenüber Einwanderern, nicht die zahlreichen gutwilligen Helfer, die opferbereiten Spender und natürlich nicht den unermüdlichen Hermann Kesten, der die Zahl der Glücklichen, wenn sie denn glücklich wurden, zweifellos überschätzt hat. Hermann Kesten, der nach dem Zweiten Weltkrieg nur besuchsweise, jedenfalls aber zu den PEN-Tagungen nach Deutschland zurückgekehrt ist, wurde, seltsam spät und nach Heinrich Böll erst, 1972 zum Präsidenten des deutschen PEN gewählt, allerdings hat man ihn 1974 wiedergewählt und danach zum Ehrenpräsidenten ernannt. Anlässlich seines 85. Geburtstages wurde 1985 mit der nach ihm benannten Medaille, dem späteren Hermann Kesten-Preis, eine auf die Charta des PEN bezogene Ehrung für Menschen geschaffen, die Verfolgten helfen und mitunter selbst zu Verfolgten wurden. Diese Fokussierung in zwei Richtungen entspricht vielleicht nicht ganz der ursprünglichen Definition des Preises, dafür aber der Lebenspraxis, in der nur zu oft diejenigen, die sich für die Freiheit anderer einsetzen, mundtot gemacht und verhaftet werden.

8 Hans-Albert Walther: Deutsche Exil-Literatur 1933–1950. Bd.  2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis. Stuttgart: Metzler 1984. 9 Ebd., S. 477.

8 

 Herbert Wiesner

Die Preisentscheidungen der letzten Jahre, etwa die für die Gruppe Memorial, für den kämpferischen, aber auch umstrittenen spanischen Untersuchungsrichter Baltasar Garzón, den zu hoher Haftstrafe verurteilen chinesischen Schriftsteller Liu Xiaobo, der den Kesten-Preis noch vor dem Friedensnobelpreis erhielt, beide Preise jedoch nicht entgegennehmen durfte, die Entscheidung für den Verleger der ägyptischen Revolution Mohamed Hashem, für die weißrussische Journalistin Irina Khalip oder jüngst für die Londoner Organisation Index on Censorship zeigen ganz deutlich das Bestreben, historische Erfahrungen, die deutsche Schriftsteller zu bestehen hatten, in eine auf Gegenwart und Internationalität gerichtete Haltung umzusetzen. Am zweiten Tag des Gedenkjahrs 2014 ist in Potsdam Dirk Sager gestorben. Von 2009 bis 2012 ist er als Vizepräsident und vor allem als Writers in Prison-Beauftragter im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland tätig gewesen. In der Nachfolge Gerhard Schoenberners (1931–2012), Saids oder Karin Clarks und Katja Behrens‘ hat sich Dirk Sager in enger Zusammenarbeit mit PEN International und Reporter-ohneGrenzen unermüdlich gegen die Verfolgung von Schriftstellern und Journalisten zu Wort gemeldet. Er stand damit auch in der Tradition Walter Kaufmanns, der sich in der Mitte der 1980er Jahre verstärkt für ein internationales Engagement des DDR-PEN eingesetzt hatte; auch Christa Wolf und Christoph Hein, der Präsident des ersten vereinigten deutschen Präsidiums 1998/1999, hatten sich schon im März  1989 für die Freilassung des im Januar erneut inhaftierten Václav Havel eingesetzt. Dirk Sager hat, wie dann auch sein Nachfolger Sascha Feuchert, das besondere Augenmerk auf die Maßregelung und Unterdrückung des freien Wortes in Belarus gerichtet. Es hat dazu eine Veranstaltung während der Frankfurter Buchmesse 2012 und im Rahmenprogramm der Ausstellung „Kassiber. Verbotenes Schreiben“ des Deutschen Literaturarchivs Marbach10 gegeben. Im Mittelpunkt des vom PEN kuratierten Teils jener Ausstellung standen aus dem Gefängnis geschmuggelte Handschriften des nach Berlin geflüchteten Autors Liao Yiwu. Der Autor dieses Textes hat in stetem Kontakt zu John Ralston Saul, dem Präsidenten von PEN International seit 2009, und dem Independent Chinese PEN Centre immer wieder versucht, auf diplomatischen Wegen die Lebenssituation von Schriftstellern und Künstlern in China zu bessern oder Verbesserungen wenigstens anzumahnen. Wirklich Einfluss zu nehmen, ist zurzeit noch nicht möglich. Überraschend ist das nicht. Warum sollte im Verhältnis zu China etwas gelingen, was nicht einmal gegenüber unseren europäischen Nachbarn in Ungarn möglich ist. Eine gemeinsame Ungarn-Konferenz des österreichischen, des deutsch-schweizerischen und des deutschen PEN, die im April 2013 in Wien stattgefunden hat, konnte auch nur 10 Marbacher Kataloge 65 (Hrsg. v. Heike Gfrereis). Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2012. Darin: fluxus 23, PEN. Writers in Prison – Writers in Exile, S. 304–375. Dieser Teil auch erhältlich als Sonderdruck für den PEN: Geschrieben gegen alle Verbote. Writers in Prison – Writers in Exile. Hrsg. und zusammengest. von Herbert Wiesner mit Sascha Feuchert, Julia Paganini, Dirk Sager, Gerhard Schoenberner und Christa Schuenke (2013).



Statt eines Vorworts 

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besorgniserregende demokratiefeindliche Entwicklungen analysieren, aber das Ohr des anwesenden ungarischen Botschafters haben wir ebenso wenig erreicht wie die Ohren unserer ungarischen PEN-Kollegen, die schon 2012 auf dem internationalen Kongress in Südkorea eine Ungarn-Resolution zu verhindern wussten. Erst im September 2013 konnte es dem inzwischen neu gewählten Präsidium mit Regula Venske als Generalsekretärin und Josef Haslinger als Präsidenten gelingen, eine kritische Ungarn-Resolution auf dem Kongress in Reykjavik durchzusetzen. Das Wissen um die Gefährlichkeit der Partei des nationalkonservativen Bürgerbunds Fidesz war auch im Internationalen PEN bis dahin nur wenig verbreitet. Das PEN-Zentrum Deutschland hat spätestens mit dem internationalen PEN-Kongress 2006 ein hohes Ansehen innerhalb der World Association of Writers gewonnen. Es war der erste Weltkongress, der nach achtzig Jahren wieder in Berlin stattfinden konnte, in der Mitte der Stadt. (Geplant haben ihn Johano Strasser als Präsident und Wilfried F.  Schoeller als Generalsekretär;11 Herbert Wiesner hat das Literaturprogramm erarbeitet, Hermann Schulz organisierte den Afrika-Schwerpunkt im Berliner Ensemble.) Das Kongress-Thema „Schreiben in friedloser Welt“ war auch ein Hinweis auf das außergewöhnlich umfangreiche internationale Literaturprogramm. Der Blick über den Tellerrand war nach den langen Jahren der deutschen Teilung dringend erforderlich. Immerhin hatte es noch fast ein Jahrzehnt gedauert, bis auch der PEN wieder zusammenwuchs. Das war ein langwieriger Prozess, der sich mit all seiner Vorsicht in seiner fast provokanten Langsamkeit letztlich als notwendig und angemessen erwiesen hat, aber in der Öffentlichkeit auch auf Ungeduld und Unverständnis gestoßen ist. Die beharrliche politische Arbeit des PEN, seine humanitären Hilfestellungen, seine Analysen und daraus resultierenden Proteste gegen Verletzungen der Menschenrechte an vielen Orten der Welt, dies alles scheint dazu beizutragen, dass die Stimmen der Schriftsteller auch im eigenen Land gehört werden. Schriftsteller verfügen dennoch nicht über besseres Wissen und tiefere Einsichten als andere Menschen. Es legitimiert sie nur ihre Literatur.12 Berlin, Januar 2014

11 Hermann-Anders Korte hatte als Schatzmeister die Finanzplanung übernommen. 12 19 Autorinnen und Autoren des PEN haben ihre Schreibhaltungen im Spannungsfeld von Politik und Ästhetik neu definiert und beschrieben in dem Band: Wilfried F.  Schoeller und Herbert Wiesner (Hrsg.): Widerstand des Textes. Politisch-ästhetische Ortsbestimmungen. Berlin: Matthes & Seitz 2009.

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 Herbert Wiesner

Literatur- und Quellenhinweise Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild of German Cultural Freedom“. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. München u. a.: Saur 1993. Marbacher Kataloge 65 (Hrsg. v. Heike Gfrereis). Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 2012. Darin: fluxus 23, PEN. Writers in Prison – Writers in Exile, S. 304–375. Dieser Teil auch erhältlich als Sonderdruck für den PEN: Geschrieben gegen alle Verbote. Writers in Prison – Writers in Exile. Hrsg. und zusammengest. von Herbert Wiesner mit Sascha Feuchert, Julia Paganini, Dirk Sager, Gerhard Schoenberner und Christa Schuenke (2013). Münch-Küng, Helen: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern: Peter Lang 2011. PEN. A World Association of Writers. Deutsches Zentrum. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2012. (Darin Beiträge von Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee; Christa Schuenke: Das Writers-inExile-Programm.) Schuenke, Christa und Brigitte Struzyk (Hrsg.): Fremde Heimat. Texte aus dem Exil. Berlin: Matthes & Seitz 2013. Hans-Albert Walther: Deutsche Exil-Literatur 1933–1950. Bd. 2: Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis. Stuttgart: Metzler 1984. Zühlsdorff, Volkmar: Deutsche Akademie. Der vergessene Widerstand. Bonn: Edition Zeitgeschichte 2 2001.

Dorothée Bores / Sven Hanuschek

Vorbemerkung der Herausgeber Der hundertprozentige Progressive ist, wie sein konservativer Bruder, ein Phantom. Wer seine eigene mentale politische Landkarte zu Gesicht bekäme, würde feststellen, daß sie scheckig ausfiele wie ein Flickenteppich. Hans Magnus Enzensberger1

Zusammenschlüsse von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die es in großer Zahl gab und gibt, sind häufig vor allem „zur Wahrung ihrer Standes- und Erwerbsinteressen“ da; eine deutsche Hauptvereinigung diente dazu, „die allgemeinen Interessen deutschen Schrifttums und deutscher Schriftsteller, wie im besondern die Berufsinteressen für Mitglieder wahrzunehmen und zu fördern“, außerdem konnte sie „Unterstützung bei Erwerbsunfähigkeit und im Alter und Fürsorge für die Hinterbliebenen“ leisten, sogar eine Möglichkeit zur Erholung im Schriftstellerhaus „Demmins Hort“ in Wiesbaden gab es. Hier ist natürlich nicht vom PEN die Rede, sondern vom Deutschen Schriftstellerverband (1887 in Dresden gegründet), die Zitate stammen aus Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1909.2 Das Singuläre am PEN, der 1921 in London gegründet wurde, zeigt sich gerade in der Gegenüberstellung mit anderen Zusammenschlüssen, ein weites und nur für einige wenige Exemplare gut erforschtes Feld; einige Beispiele seien bunt durch die Jahrhunderte herausgegriffen: Einige Zusammenschlüsse dienen tatsächlich der ständischen Interessenvertretung (wie heute der VS), andere werden durch ästhetische Prinzipien geeint (Oulipo, Gli Oplepiani, Wiener Gruppe); es gibt Generationen-Verbindungen (Generación del 27, Gruppe 47 etc.), zahllose regionale Vereinigungen, gesellige Zusammenschlüsse (Maikäferbund), solche zur Sprachreinigung oder -reform (Pegnesischer Blumenorden, Aufrichtige Tannen-Gesellschaft), politische Verbindungen aller Couleurs und schließlich auch Parodien von Schriftsteller-Zusammenschlüssen wie den Neuen Friedrichshagener Dichterkreis um Johannes Bobrowski und Manfred Bieler, die sich mit ihrer (zunächst) Zwei-PersonenGründung zu Präsidenten ernannten und in die Präambel schrieben, ihr Dichterkreis diene „der Beförderung der schönen Literatur und des schönen Trinkens“.3 Was den PEN-Club von all diesen mehr oder weniger gerichteten und spezifizierten Zusammenschlüssen unterscheidet, ist seine Internationalität – tatsächlich handelt 1 Hans Magnus Enzensberger: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013, S. 94. 2 Schriftstellervereine. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. 18. Bd.: Schöneberg bis Sternbedeckung. Neuer Abdruck. Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut 1909,S. 43. 3 Vgl. Johannes Bobrowski: Statuten des Friedrichshagener Dichterkreises. In: J. B.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Berlin: Union 1984, S. 328–331.

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es sich um die einzige weltweite Schriftstellervereinigung – und die vergleichsweise globale Ausrichtung seiner Ziele. Der Zusammenschluss der Poets, Essayists und Novelists sollte über nationalen und politischen Leidenschaften stehen, so war es von der Gründerin Catherine Amy Dawson Scott und dem ersten Internationalen Präsidenten John Galsworthy gedacht. Der Club setzt sich für die Rechte von Schriftstellerinnen und Schriftstellern ein, für das Ideal einer einigen, friedlichen Welt, für die freie Meinungsäußerung und für Kolleginnen und Kollegen, die wegen ihres Schreibens verfolgt werden. Diese Maximen werden in der Charta formuliert, jedes neue Mitglied unterschreibt sie nach der Annahme der Zuwahl in den Club (vgl. hierzu ausführlich den ersten Beitrag von Dorothée Bores über den Internationalen PEN). *** Das vorliegende Handbuch stellt umfassend die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta vor, Sascha Feuchert das Writers in Prison-Committee, Hans Thill das Writers for Peace-Committee, Franziska Sperr das Writers in Exile-Network. Die Arbeit dieser Komitees zeigt auch die konstante, oft erfolgreiche, manchmal scheiternde politische Arbeit der Schriftstellervereinigung, die hier nicht nur Öffentlichkeit schafft, sondern auch unmittelbare Unterstützung gefangener oder vertriebener Autorinnen und Autoren leistet. In der umfangreichsten Abteilung des Bandes werden Geschichte und Gegenwart der deutschen PEN-Zentren vorgestellt: Ernst Fischer rekonstruiert die Geschichte des ersten deutschen PEN-Zentrums in der Weimarer Republik. Die folgenden Beiträge zeigen den Einfluss der Diktaturen auf das Verhalten des Clubs mit den hehren Zielen: Helmut Peitsch stellt die versuchte Gleichschaltung im Nationalsozialismus dar, die mit der Auflösung des Zentrums und der Flucht der wichtigen Vertreter ins Exil endete; Christine Malende fasst die komplexe Wiedererrichtung und Teilung des deutschen PEN in den Nachkriegsjahren bis 1953 zusammen; Dorothée Bores zeigt den Kurs des DDR-Zentrums von der Abspaltung der bundesdeutschen Gruppe bis zum deutschen Einheitsprozess 1989. Sven Hanuschek führt die Geschichte des bundesdeutschen Zentrums vom Gründungs-Eklat 1951 bis 1989 vor Augen, von den fast privaten Anfängen bis zur großen politischen Institution; Dorothée Bores rekapituliert die Einigungsquerelen der beiden deutschen Clubs vom Fall der Mauer bis zur Wahl des ersten ‚gesamtdeutschen‘ PEN-Präsidenten Christoph Hein 1998. Johano Strasser, an der Seite von Hein der erste Gesamt-Generalsekretär und nach ihm langjähriger Präsident des Zentrums, schildert den mühsamen Vereinigungsprozess bis in die Gegenwart; so schwierig die politischen Einigungsprozesse waren, so lang anhaltend waren sie auch im PEN, trotz des gemeinsamen Daches. 1934 ist der deutsche Exil-PEN in Edinburgh gegründet worden, durch Vertriebene des nationalsozialistischen Regimes. Das Zentrum blieb auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestehen und heißt heute PEN-Zentrum deutschsprachiger



Vorbemerkung der Herausgeber 

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Autoren im Ausland; Helmut Peitsch stellt die Geschichte dieser Gruppe vor. Ein weiterer Exil-PEN unter umgekehrten Vorzeichen ist 1956 vom Internationalen PEN anerkannt worden, der Exil-PEN deutschsprachiger Länder – hier haben die Schweiz, Österreich und Deutschland also als Aufnahmeländer für Exilanten fungiert. Schon 1948 durch den spanischen Franco-Flüchtling Salvador de Madariaga y Rojo gegründet, nahm dieser Club vor allem Exilanten aus Ungarn 1956 und aus der Tschechoslowakei 1968 auf, auch andere Flüchtlinge aus Ländern des Warschauer Pakts. Wolfgang Schlott als Nachfolger des langjährigen Präsidenten Rudolf Ströbinger rekapituliert die Geschichte und Gegenwart dieses Zentrums. In der letzten umfangreichen Abteilung des vorliegenden Handbuchs findet sich die dreigeteilte Darstellung des österreichischen PEN: Klaus Amann rekonstruiert die Gründungsjahre bis 1955; Ingrid Schramm schildert die Geschichte des Clubs vom Beginn des Kalten Kriegs bis 1990. Helmuth  A.  Niederle schließlich analysiert als aktueller Präsident des österreichischen Zentrums (seit 2011) die Entwicklungen von 1990 bis zur Gegenwart. Helen Münch-Küng widmet sich dem deutschschweizerischen Zentrum von der Gründung bis 1979 – die Zeit nach 1979 ist als Forschungsdesiderat zu beschreiben; Manfred Schlapp informiert als derzeitiger Präsident über das vergleichsweise junge PEN-Zentrum Liechtenstein, das seit 1978 besteht. *** Der vorliegende Band liefert in erster Linie eine Institutionengeschichte der deutschsprachigen PEN-Zentren, diese verstanden als Teil einer umfassenden Kulturgeschichtsschreibung. Es geht auch um die Mentalitätsgeschichte eines wichtigen Bereichs im literarischen Leben, um die Geschichte der Intellektuellen und des intellektuellen Selbstverständnisses im 20. und frühen 21. Jahrhundert, das sich oft besonders elaboriert entlang politischer Einschnitte gezeigt hat und zeigt. En passant werden daher immer wieder auch vielstimmige und oft widersprüchliche Einschätzungen der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts in die Darstellungen hineingeholt. Die Idee des PEN reagiert ja bereits auf den Ersten Weltkrieg als frühe Katastrophe, der Catherine Amy Dawson Scott und die Gründergeneration eine Art Völkerbund der Schriftstellerinnen und Schriftsteller entgegensetzen wollten, ohne dabei tagespolitisch zu werden; ein Vorsatz, der nicht lange halten konnte. Gesellschaftliche und mentalitätsgeschichtliche Prozesse finden innerhalb eines kulturellen Kontextes statt; und der Mensch ist ein Wesen, „das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist“, wie der Ethnologe Clifford Geertz geschrieben hat, wobei er „Kultur als dieses Gewebe ansehe“. Die Literaturwissenschaft ist in der Beschreibung solcher Prozesse eine interpretierende Wissenschaft wie die Geertzsche Ethnologie, „die nach Bedeutungen sucht“, der es „um das Deuten gesellschaftli-

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 Dorothée Bores / Sven Hanuschek

cher Ausdrucksformen“ gehen muss, „die zunächst rätselhaft scheinen.“4 Jegliches Handeln auch im PEN-Zusammenhang ist Teil dieses kulturellen Gewebes und damit kontextabhängig; die Darstellungen des Bandes versuchen durchweg, diesen Kontexten gerecht zu werden und damit das kommunikative Handeln der Beteiligten verständlich zu machen. Gerade der Essay und publizistische Formen der Tagespresse, die hier die dominante Rolle spielen, sind schließlich die wohl am stärksten kontextabhängigen Äußerungen der Literatur. Besonders nötig scheint die Reflexion dieser Zusammenhänge für die Verhaltensweisen von Autorinnen und Autoren in der Diktatur; die aufgeregten Debatten um grundsätzliche Fragen, die insbesondere im Zuge der zunehmend ausgeprägten ideologisch basierten Teilung der Welt in zwei Machtblöcke nach dem Zweiten Weltkrieg stattfanden: Wie ist es um den Handlungsrahmen eines PEN-Zentrums in einem staatlichen Zwangssystem bestellt, dessen Organe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdrungen hatten? Können die Mitglieder überhaupt im Sinne der PEN-Charta agieren? Oder sind sie in einem diktatorischen System ‚Erfüllungsgehilfen einer hässlichen Diktatur‘, die sich von ihrer Staatsmacht instrumentalisieren lassen? Muss den PEN-Mitgliedern ein symptomatisches Versagen als Intellektuelle, ein Verrat an den moralischen Grundwerten vorgehalten werden, oder existieren doch Handlungsfreiräume? Der Internationale PEN antwortet auf diese Fragen seit Jahrzehnten mit einem Höchstmaß an Diplomatie, lässt sich leiten von der Hochachtung der Toleranz; er stellt die Aufrechterhaltung der Verbindung zu Mitgliedern in totalitären Systemen in der Regel über die kompromisslose Verurteilung von (potenziellen) Verstößen gegen die PEN-Charta. Es gilt bis heute als wesentlich, den unter den Bedingungen einer Diktatur lebenden Kolleginnen und Kollegen ein Fenster zur demokratischen Welt offen zu halten. Die Arbeit des PEN beruht zu einem Großteil auf dem Engagement der Mitglieder; die Zuwahl gilt zwar als Ehre, aber ebenso als Verpflichtung. Die Institutionengeschichte ist daher immer auch als Personengeschichte zu betrachten, einzelne Autorinnen und Autoren werden stärker profiliert werden, wie auch Nachlässe und Gespräche mit den Lebenden zentrale Quellen einer solchen Darstellung sind, weit über die kollektiveren Kommunikationsmittel wie Rundbriefe und Zeitschriften hinaus. Literaturwissenschaftler, -soziologen und Historiker verstehen sich als Vertreter kritischer Wissenschaften; so wenig Zweifel an der Singularität des Unternehmens PEN bestehen kann, so wenig handelt es sich um Hofberichterstattung. Auch die in unterschiedlichen PEN-Ämtern beteiligten Beiträger haben sich um einen resümierend-distanzierten Blick bemüht. Der Spott, den der PEN gelegentlich auf sich gezogen hat, wird nicht verschwiegen, etwa durch den Modus der Zuwahl, der den 4 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: C. G.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann. Frankfurt am Main 51998, S. 7–43, hier S. 9.



Vorbemerkung der Herausgeber 

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Vorwurf des Elitären erzeugt hat, oder durch den Ursprung der Schriftstellervereinigung als Dinner-Club. Solche Vorwürfe klingen in Friedrich Dürrenmatts Zuschreibung der PEN-Mitgliedschaft für eine seiner Figuren an: Der Alt-Kantonsrat schaute sich um, schritt dann gegen die Mitte des Speisesaales, wo an einem kleinen Tisch Professor Winter saß, mit einem Tournedos Rossini und einer Flasche Chambertin beschäftigt, zog einen Revolver hervor und schoß das Mitglied des PEN-Clubs nieder, nicht ohne vorher freundlich gegrüßt zu haben.5

Dürrenmatts Roman Justiz, 1985 erschienen, geht in den Vorarbeiten bis in die 1950er Jahre zurück, eine Zeit, in der der Club noch sehr viel mehr die gesellschaftliche Seite kultivierte; ein sozusagen gutbürgerlicher Mord, der hier satirisch inszeniert wird. Angesichts der vielen auch tagespolitisch gespeisten politischen Debatten könnte gelegentlich ein Mangel an sprezzatura eingeklagt werden, an müheloser Eleganz, und manche Verbissenheit im Kalten Krieg verträgt sich schlecht mit der Sehnsucht nach dem Ganzen Menschen, die Hans Magnus Enzensberger – übrigens kein PENMitglied – mit seinem Herrn Zett einklagt.6 Allerdings sei daran erinnert, dass Spott ex post meist billig ist; und dass die politische Arbeit, für die der PEN mit seinen Komitees und Protesten gegen heutige Diktaturen steht, Kritik dieser Art leicht als vorübergehende Oberflächenerscheinung vergessen lässt.

Literatur- und Quellenhinweise Bobrowski, Johannes: Statuten des Friedrichshagener Dichterkreises. In: J. B.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Berlin: Union 1984, S. 328–331. Dürrenmatt, Friedrich: Justiz. In: F. D.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Zürich: Diogenes 1996, S. 577–802. Enzensberger, Hans Magnus: Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: C. G.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 51998 (stw 696). Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. 18. Bd.: Schöneberg bis Sternbedeckung. Neuer Abdruck. Leipzig und Wien: Bibliographisches Institut 1909.

5 Friedrich Dürrenmatt: Justiz. In: F. D.: Gesammelte Werke. Bd. 4. Zürich: Diogenes 1996, S. 577–802, hier S. 591. 6 Vgl. das Motto dieser Vorbemerkung.

 I Der Internationale PEN und die wichtigsten Instrumentarien zur Umsetzung der PEN-Charta

Dorothée Bores

Der Internationale PEN Gründungsgeschichte und Struktur einer Schriftstellervereinigung „I’ve got an idea! A Dining Club – men and women of repute! Tuesdays for the Dinners – 8  p. m. the Florence Restaurant.“1 Dieser Gedankenblitz der heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Londoner Schriftstellerin Catherine Amy Dawson Scott zu Beginn der 1920er Jahre wirkte als Initialzündung zur Gründung einer Autorengemeinschaft, deren anfangs auf London begrenzter Wirkungsraum rasch Ausdehnung auf weltweiter Ebene fand. Unter dem Eindruck des zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieges und seiner weltpolitischen Folgen entwickelte Dawson Scott, die in den Londoner Literaturkreisen unter Berufung auf den Titel ihres Erstlingswerkes als ‚Sappho‘ bekannt geworden war, im Sommer 1921 die Idee einer Vereinigung von ausgewählten Angehörigen der Londoner Literaturszene, die als Anlaufstelle ausländischer, in London weilender Autoren dienen sollte. Doch es war ihr nicht nur um ein regelmäßiges Zusammentreffen von Gleichgesinnten auf nationaler Ebene zu tun mit einem gelegentlichen Hauch von Internationalität durch Besuche ausländischer Autoren. Die Ausdehnung des Clubs auf internationales Gebiet dachte Dawson Scott von Anfang an mit: „If we had an International Dinner Club, with centres in every capital city in the world, membership of one mean membership of all, we should have a meeting ground in the world.“2 Überall auf der Welt sollte das unproblematische Auffinden von Frauen und Männern der Literatur, ein ungestörter Gedanken- und Meinungsaustausch zwischen Literaten jeglicher Nationalität möglich sein. Dawson Scott schwebte ein Weltbund der Schriftsteller vor, der angesichts der Entzweiung der europäischen Staaten infolge des Ersten Weltkrieges zur neuerlichen Verständigung der Völker beitragen sollte: „Well the dinner club is more to draw the nations together – United States of Europe and America in literature. […] I want centres in Paris, New York …“3 Es war der Gründerin Dawson Scott also an der internationalen Freundschaft zwischen Autoren gelegen; sie sollten eine „Art Völkerbund der Literaten“ bilden, der das Zusammenwachsen der Nationen nach der Zersplitterung durch den Ersten Weltkrieg auf kulturellem Gebiet nachhaltig unterstützen konnte; es war der Versuch, die europäischen Intellektuellen zu vereinen: „Like many of her contemporaries she had been overwhelmed by the suffering, hate and misery generated during and after the first world war, and

1 Marjorie Watts: P.E.N. The Early Years 1921–1926. London: Archive Press 1971, S. 11. 2 Zitiert nach: ebd. 3 Zitiert nach: ebd., S. 13.

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shared in the prevailing conviction that the horrors of 1914–18 must not be repeated.“4 Catherine Amy Dawson Scott „muß mit Zuversicht und Energie unerschütterlich an die Kommunikationsfähigkeit des Menschen im allgemeinen und des Literaten im besonderen geglaubt haben. […] sie hat schlicht auf das Gute im Menschen vertraut.“5 Damit war die Begründung der Autorengemeinschaft PEN die Idee einer Frau, eine weibliche Idee. Eine Idee der gewaltfreien Kommunikation, der Vermittlung, der Versöhnung, aber auch der ‚Emanzipation‘ (von persönlichen, sozialen und professionellen Zwängen). Die Idee der Vereinigung geistiger Menschen beiderlei Geschlechts, die eine Leidenschaft, eine ‚Passion‘ […] gemeinsam hatten: das Schreiben – die Literatur. Es war ein wenig die Idee eines Salons, aber weil wir in England sind, wurde daraus ein Club. Doch wäre seine Entstehung nicht möglich gewesen ohne die stille Autorität einer Frau, der sich die Männer freiwillig unterwarfen […].6

Die erfolgreiche Umsetzung der Idee zur Gründung des PEN war, und hier ist Angelika Mechtel und ihrem Aufsatz „Nur sie hatte den Mut und die Kraft“ sicherlich zu folgen, nur möglich, weil Dawson Scott über ganz besondere, bemerkenswerte Charaktereigenschaften verfügte: Sie war „eine Frau mit Engagement, mit Mut, Zuversicht und Energie, mit Selbstvertrauen und einem respektablen Selbstbehauptungswillen. Diese Eigenschaften müssen ganz elementare Wesenszüge jener Autorin gewesen sein, die […] den P.E.N. gründete“.7 Die bis zum heutigen Tage gültige Bezeichnung der geplanten Gemeinschaft stand für Dawson Scott schon früh fest. Der Name war sozusagen Programm: „a dinner club for P.P.E.N. (Poet, Playwright, Editor, Novelist) people“.8 Aus P.P.E.N. wurde rasch P.E.N., später PEN – „[z]usammengenommen stehen die drei Buchstaben für die Feder des Schreibenden, einzeln kürzen sie in fast allen europäischen Sprachen die Begriffe ab, für die sie stehen, im Englischen“9: Poets/Playwrights, Editors/ Essayists und Novelist/Non-fiction-writers.

4 R. A.  Wilford: The PEN Club, 1930–50. In: Journal of Contemporary History (SAGE, London and Beverly Hills) 14 (1979), S. 99–116, hier S. 99. 5 Angelika Mechtel: Nur sie hatte den Mut und die Kraft. Anmerkungen zu Leben und Werk der Gründerin des P.E.N., Catherine Amy Dawson-Scott. In: Gerd E.  Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986, S. 14–18, hier S. 16. 6 Nicolaus Sombart: Buchstabe und Geist der Charta des P.E.N.-Clubs. Der Ort der Literatur in einer Gesellschaft im Wandel. Vortrag gehalten am 12. April 1996 auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland und des Literaturhauses Berlin. Typoskript, o. S. 7 Mechtel: Nur sie hatte den Mut, S. 14. 8 Catherine Amy Dawson Scott an Marjorie Watts [o. D., Sommer 1921]. Zitiert nach Marjorie Watts: Mrs Sappho. The Life of C. A. Dawson Scott. ‘Mother of International P.E.N.‘. With a foreword by Francis King. London: Duckworth 1987, S. 96. 9 Christa Dericum: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. A World Association of Writers. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 10–29, hier S. 10.



Der Internationale PEN 

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Die Initiative der passionierten Clubgründerin Catherine Amy Dawson Scott, die als „good organizer and […] admirable hostess, as well as […] indefatigable worker“10 schon 1914 den Women’s Defence Relief Corps (WDRC) und 1917 den To-Morrow Club zur Unterstützung junger Autorinnen und Autoren mit großem Erfolg gegründet hatte,11 stieß in weiten Teilen der Londoner Literaturszene auf positive Resonanz und ideelle Begleitung bei der Ausarbeitung der Clubstrukturen. So rasch und klar Dawson Scott über die geeignete Namensgebung für den Club befunden hatte, entschied sie auch über den grundsätzlichen Aufbau der Vereinigung. Man müsse einen Präsidenten haben, „‚and he must be big enough to act as a magnet to draw in all the rest. And there’s only one man can do that just now.‘“12 Den geeigneten Kandidaten hatte sie längst auserkoren: „‚But I do mean [John] Galsworthy. He was made for it. And everyone will come in like sheep following the shepard. He hasn’t an enemy. He is charming, delightful, a pleasant speaker, has infinite tact. And he’s a gentleman.‘“13 Und tatsächlich ließ sich Galsworthy, wie viele andere, für die Idee des PEN begeistern: „Galsworthy has joined and many, many others. A dinner about 40 on the 5th October [1921]…“.14 So trafen an diesem Tag 44 Schriftsteller und Journalisten als Gründungsmitglieder des PEN zusammen, darunter Louis Golding, C. S. Evans, Beverly Baxter, Rebecca West, Kate Douglas Wiggin, Stephen Southworld, May Sinclair, Violet Hunt, Austin Harrison, Marjorie Dawson Scott, Hermon Ould, W. L. George, Elizabeth Craig, Netta Syrett, Ethel Colborne Mayne, Fryn Tennyson Jesse, Sheila Kaye-Smith und John Galsworthy.15 Die Anwesenden bestimmten ein „Executive Committee“, bestehend aus Austin Harrison, L.  Rose McLeod, Rebecca West, Elizabeth Craig, Horace Shipp, C. S. Evans und Louis Golding. Als Schatzmeister wurde Austin Harrison eingesetzt. Dawson Scotts Tochter Marjorie übernahm das Amt des Generalsekretärs und John Galsworthy wurde als Präsident gewählt – ein Amt, das er bis zu seinem Tod im Januar 1933 bekleidete.16 Dawson Scott und Galsworthy arbeiteten für den PEN lange Jahre eng zusammen. Und obgleich beide sehr unterschiedliche Charaktere waren – „she gay, enthusastic and forthright, unconventional and wayward; J. G. shy, quiet and unhurried, wise and deliberate, unswayed by emotions, though often moved“17 –, verband beide „a deep belief in internationalism, a dislike of grandeur and show, snobbishness or racial prejudice, and they both loved the under-dog. In fact, also they are coming from such totally different backgrounds, they were of one mind to a surprising degree.“18 10 Watts: Mrs Sappho, S. 71. 11 Vgl. ebd., S. 70–75. 12 Ebd., S. 98. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 100. 15 Vgl. ebd., S. 102. 16 Vgl. ebd., S. 102f. 17 Ebd., S. 103. 18 Ebd.

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 Dorothée Bores

Den Gedanken der freundschaftlichen Verbindung zwischen Schriftstellern der ganzen Welt verfolgte man von Anfang an sehr beharrlich. Schon auf der ersten Vorstandssitzung am 12.  Oktober  1921 verständigten sich die Anwesenden darauf, dass man sich mit anderen Nationen in Verbindung setzen müsse. Und so wandte man sich an eine ganze Reihe von berühmten europäischen Schriftstellern mit der Anfrage, ob sie zur Übernahme einer Ehrenmitgliedschaft im Londoner Club bereit seien. Positiv beantworteten dieses Gesuch Romain Rolland, Georg Brandes, Anatole France, Hermann Sudermann, Gerhart Hauptmann, Maxim Gorki und Knut Hamsun. Sie alle zeigten Interesse an der Grundidee der Londoner Schriftsteller und wurden Ehrenmitglieder des englischen Clubs.19 Das Fundament einer internationalen Vereinigung war gelegt. Aufgrund des starken Interesses, das die Idee des PEN bereits kurz nach seiner Gründung in London auf internationaler Ebene hervorrief, war man in London gezwungen, sich Gedanken über die Funktion des englischen PEN-Zentrums zu machen. Zunächst beschloss man bereits im November 1921 die Bildung eines internationalen Executive Committees, das die Kontakte und Organisation der internationalen PEN-Gemeinschaft übernehmen sollte. Die Leitung des internationalen Komitees, das am 26. Januar 1922 zum ersten Mal zusammentrat, oblag Dawson Scott und Galsworthy; letzterer plädierte für die Eigenständigkeit der nationalen Zentren und legte damit den Grundstein für die noch heute geltende Struktur des Internationalen PEN: I have become convinced that the English Centre must only lead by example and cannot dictate what shall be the procedure of other centres in the matter of membership. We shall hit many snags if we try to and, further, we shall be going against the free spirit of friendliness which is the very base of the idea. Let us force nothing on anyone, and we may succeed. We will set example by (1) inviting as Hon. Members of our Centre the foreign writers we most admired in England, and, (2) by making the members of every other centre members of our. But there, I think we must stop.20

Die Ausweitung des Schriftstellerclubs auf internationaler Ebene nahm rasch Tempo auf. Schon im Januar 1922 wurde das erste Zentrum außerhalb Englands gegründet, in Frankreich – mit Anatole France als Präsident und Benjamin Crémieux als Generalsekretär. Es folgten Spanien (Barcelona), Belgien (Brüssel), Norwegen und die damalige Tschechoslowakei. Im Laufe des Jahres 1922 gesellten sich New York und Rom hinzu. Schon im November 1922 hatten Dawson Scott und Galsworthy beschlossen, ein Treffen aller Vertreter der neu gegründeten Sektionen zu organisieren. Ein halbes Jahr später, am 1. Mai 1923, fand im Londoner Hotel Cecil ein „special dinner“ statt, zu dem nicht nur die Ehrenmitglieder des englischen Zentrums, sondern auch zwei bis drei 19 Vgl. Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 12–18, hier S. 13. 20 John Galsworthy an Catherine Amy Dawson Scott (6. 12. 1921). Zitiert nach Watts: Mrs Sappho, S. 105.



Der Internationale PEN 

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Delegierte der neu gegründeten nationalen Zentren eingeladen worden waren. Die Resonanz auf die Einladung war überwiegend positiv: „164 Hon. Members, delegates and ordinary members were present“21, darunter die Delegierten von elf Zentren aus zehn Ländern (Barcelona (Spanien), Belgien, Tschechoslowakei, Dänemark, Frankreich, Italien, Madrid (Spanien), Norwegen, Rumänien, Schweden und USA).22 Für £  200 wurde den Teilnehmern, ganz im Sinne eines vornehmen Clubs, einiges geboten: „In addition to the dinner on 1st May, Mr Basil Dean had offered to entertain the whole gathering to a Gala Night at his new theatre, when two plays by Gordon Bottomley and Lascelles Abercrombie would be presented. There would also be a reception at the Suffolk Galleries, and an expedition to Stratford-at-Avon, when Violet Hunt and Rebecca West offered to be escorts.“23 Doch es gab, trotz des allgemein regen Zuspruchs hinsichtlich der Durchführung eines internationalen Kongresses, auch Schriftsteller, die deutliche Vorbehalte äußerten: „If they are all as hopeless at languages as I am, the babel will be hideous. I have tackled Hauptmann und Bojer, and Bojer, who knows English, came off the better. Give them both my love. Never heard of Nexo – sounds like a polish in an oil shop. G.[eorge] B.[ernard] S.[haw]“.24 Selbst Dawson Scotts Tochter Marjorie, die als Generalsekretärin des englischen Zentrums durch und durch für den internationalen Gedanken des PEN brannte, sah sich aufgrund der sprachlichen und kulturellen Vielfalt unter den Teilnehmern während des Kongresses in einen Zustand permanenter Anspannung versetzt: „In fact, my chief memory of that first Congress was of being in a constant state of sheer fright that something would go terribly wrong and that my inadequacy as a linguist in that multi-lingual crowd would let me down at some crucial point.“25 Das befürchtete Sprachgewirr blieb aus, am Ende überwog die positive Erinnerung, denn „in spite of all the difficulties, this first P.E.N. Congress was a huge success, immense enthusiasm was generated, and the pattern laid down for future congresses.“26 Weitere nationale Gründungen und internationale Kongresse folgten: In den Jahren 1922/1923 setzten in Deutschland und Österreich ebenfalls Bestrebungen zur Gründung nationaler Sektionen ein. Für das Jahr 1924 lud das amerikanische PEN-Zentrum nach New York ein; Frankreich erhielt für das darauf folgende Jahr den Zuschlag. Die Tradition, alljährlich einen internationalen PEN-Kongress an wechselndem Tagungsort durchzuführen, hat bis zum heutigen Tage Bestand (vgl. Anhang). Gab es 1931 bereits 34 Einzelzentren mit rund 3000 Mitgliedern, so wuchs deren Zahl bis 1976 auf stolze 76 Zentren mit etwa 8000 Mitgliedern in 58 Staaten heran. Im Jahr 1990 waren es 104 Zentren, verteilt auf 102 Staaten. Zum heutigen Tage existieren 21 Watts: Mrs Sappho, S. 114. 22 Vgl. die Angaben bei Yu Zhang: Founding History of PEN International. http://www.penchinese. org/english/founding-history-of-pen-international (Letzter Zugriff: 6. 6. 2013). 23 Watts: Mrs Sappho, S. 114. 24 Ebd., S. 115. 25 Ebd., S. 116. 26 Ebd.

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weltweit 144 Sektionen der Schriftstellervereinigung in 102 Ländern. Und so wurde der Gedanke einer international verbindenden Institution, wie ihn Catherine Amy Dawson Scott von Beginn an verfolgt hatte, rasch Realität. Die internationale Schriftstellervereinigung PEN mit Sitz in London blickt auf eine langjährige und wechselvolle Institutionengeschichte zurück. Die Organisationsform des Internationalen PEN hat sich im Grunde im Laufe der Jahrzehnte kaum verändert: Die Zentrale der internationalen Schriftstellervereinigung ist in London angesiedelt. Jedes nationale Zentrum genießt vollständige Autonomie. Ein national gewähltes Mitglied ist immer Mitglied des Internationalen PEN; diese Mitgliedschaft bleibt bestehen, auch wenn ein Mitglied beschließt, sein nationales Zentrum zu verlassen. Ihm steht die Möglichkeit offen, sich um Aufnahme in ein anderes Zentrum zu bemühen. Die nationalen Zentren zahlen für jedes Mitglied einen jährlichen Beitrag an die Londoner Zentrale. Jedes nationale Zentrum wird durch ein von den Mitgliedern gewähltes Präsidium geführt; dieses besteht in der Regel aus Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister sowie einem Beirat. Nationale Eigenheiten dieser Präsidiumsform sind möglich. Dem Präsidium zur Seite stehen meist auch Ehrenpräsidenten, deren Engagement hinsichtlich der Tagesgeschäfte allerdings stark variiert. Die Führung der internationalen Geschäfte obliegt dem Präsidium des Internationalen PEN, das sich wiederum aus internationalem Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister zusammensetzt. Auch hier ergänzt eine Reihe von internationalen Ehrenpräsidenten das internationale Präsidium. Die internationalen Führungskräfte werden durch das Exekutivkomitee des Internationalen PEN per Wahlverfahren bestimmt. Das Exekutivkomitee wiederum setzt sich aus den Delegierten der nationalen Zentren zusammen, die ein-, meist zweimal jährlich zusammentreten, um die inhaltlichen und organisatorischen Fragen der internationalen PEN-Arbeit zu besprechen. Die internationalen Kongresse, denen auch die literarischen Themen vorbehalten bleiben, stehen allen PEN-Mitgliedern offen. Zu parallelen Tagungen des Exekutivkomitees sind indes nur die im Vorfeld bestimmten Delegierten der jeweiligen nationalen Zentren zugelassen. Im Laufe der Zeit sind zu diesen zentralen Gremien des Internationalen PEN weitere Subkomitees hinzugekommen, die sich gezielt den einzelnen Anliegen des P.E.N. widmen: Writers in Prison, Writers in Exile, Writers for Peace u. a. (vgl. die Beiträge von Sascha Feuchert, Hans Thill und Franziska Sperr). Hervorzuheben ist, dass der PEN im Gegensatz zu regulären Schriftstellerverbänden nicht die typischen Aufgaben einer Gewerkschaft und eines Interessenverbandes übernimmt; „[e]r hat nur ein Interesse: Die Freundschaft der großen (und kleinen) Poeten aller Welt.“27 Diese Tatsache findet ihren Ausdruck schon in der Zuwahlpraxis 27 Hermann Kesten: P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1978, S. 9–11, hier S. 9. Vgl. auch Hanns Werner Schwarze: Unser P.E.N. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. München und Zürich: Piper 1988, S. 7–10, hier S. 8.



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der Vereinigung. Eine Autorin, ein Autor kann nicht selbst um Aufnahme in den Club ersuchen: Sie müssen die Zuwahl zu diesem vornehmsten Welt-Club der Autoren und die Zugehörigkeit als Freunde des P.E.N.-Clubs für eine Ehre ansehen, wie ihre Zugehörigkeit andererseits für den P.E.N. eine Ehre sein muß. Darum kann keiner ein Freund des P.E.N. werden, der nicht ausdrücklich vom P.E.N. vorgeschlagen und gewählt wird. Wie jeder Autor sein Publikum hat, das er verdient, so will auch der P.E.N. die Mitglieder haben, die zu ihm passen, und die Freunde des P.E.N., die er verdient und zu Freunden wählt, wie sie es verdienen, Freunde des P.E.N. zu heißen.28

Auch wenn dem PEN aufgrund seiner strikten Aufnahmekriterien und seines Clubcharakters seit jeher der Ruch einer elitären Gemeinschaft anhängt, zeichnet die Zugehörigkeit das Mitglied doch in besonderer Weise aus. Jedes neu gewählte Mitglied verpflichtet sich, die hohen ethisch-moralischen Grundsätze der Schriftstellervereinigung zu vertreten: [E]in Mitglied des P.E.N. zu sein, ist ein Verdienst. Es ist keine öffentliche Quittung für zweifelhafte literarische Meriten, sondern es bezeigt, daß man gegen den Chauvinismus auftritt, gegen die Zensur, gegen den Krieg, gegen alle nationalen Mauern, insbesondere gegen geistige Zollbehörden, gegen jede kulturelle Revolution, die eine Unterdrückung durch die andere ersetzt, aber für jede Revolution der Kunst und des Geistes, die zur Befreiung und friedlichen Vereinigung aller Menschen führt.29

Festgeschrieben ist diese Verpflichtung in einer Charta, die die ethisch und moralisch hoch stehenden Wertvorstellungen des Internationalen PEN zusammenfasst. Die humanitäre Zielsetzung der Charta, die jedes neues Mitglied bei Eintritt unterzeichnet, leitete den PEN von Beginn an. Verbindlich niedergelegt sind die Ideen und Grundsätze, die die konkrete Arbeit des PEN auf internationaler wie nationaler Ebene bestimmen, seit 1948:

28 Ebd., S. 11. 29 Ebd., S. 10.

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PEN Charta 1. 2. 3.

4.

Literatur kennt keine Landesgrenzen und muß auch in Zeiten innenpolitischer oder internationaler Erschütterungen eine allen Menschen gemeinsame Währung bleiben. Unter allen Umständen, und insbesondere auch im Krieg, sollen Werke der Kunst, der Erbbesitz der gesamten Menschheit, von nationalen und politischen Leidenschaften unangetastet bleiben. Mitglieder des PEN sollen jederzeit ihren ganzen Einfluß für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen. Sie verpflichten sich, mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken. Der PEN steht für den Grundsatz eines ungehinderten Gedankenaustauschs innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in ihrem Lande, in der Gemeinschaft, in der sie leben, und wo immer möglich auch weltweit entgegenzutreten. Der PEN erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft jede Form der Zensur. Er steht auf dem Standpunkt, daß der notwendige Fortschritt in der Welt hin zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordung eine freie Kritik gegenüber Regierungen, Verwaltungen und Institutionen zwingend erforderlich macht. Und da die Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlichen Fälschungen und Entstellungen von Tatsachen für politische und persönliche Ziele entgegenzuarbeiten.

Schon beim Lesen dieser hochgesteckten Zielsetzungen drängt sich der Gedanke auf, dass Anspruch und Einhaltung der PEN-Charta nicht ohne Probleme in Einklang zu bringen sind; dies gilt, wenn auch gemildert, unter den Bedingungen demokratischer Systeme, aber erst recht in Staaten unter diktatorischer Herrschaft. Denn dort waren und sind die Themen Zensur, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Verfolgung von Schriftstellern von besonderer Brisanz. Das zeigten schon ein Jahrzehnt nach der PEN-Gründung die (welt)politischen Entwicklungen in den 1930er Jahren, insbesondere in Deutschland nach 1933. Noch war keine PEN-Charta festgeschrieben. Aber der von John Galsworthy postulierte Grundsatz „No politics in the P.E.N. under no circumstances“ rieb sich an den realen Gegebenheiten und schon bald war der PEN gefordert, Stellung gegenüber den Verhältnissen von Schriftstellern in diktatorischen Systemen zu beziehen und über den Einsatz für unterdrückte Frauen und Männer des Wortes nachzudenken: „Wenn man will, kann man das Jahrzehnt der Präsidentschaft Galsworthys als einen ausgedehnten Kampf gegen das Eindringen der Politik in die Vereinigung sehen, ein Kampf, der sich auf lange Sicht als aussichtslos erweisen sollte.“30 Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die internationale Schriftstellervereinigung PEN aufgrund der weltpolitischen Situation in einer außerordentlich schwierigen Position: Das Phänomen des Kalten Krieges übte nachhalti30 Thomas von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): PEN International. München: Bertelsmann 1986, S. 19–27, hier S. 19.



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gen Einfluss auf die Konstellation des Internationalen PEN aus. Der Eiserne Vorhang trennte nicht nur die weltpolitischen Machtblöcke in Ost und West, sondern die Schriftsteller der ganzen Welt. Und die Demarkationslinie verlief quer durch Deutschland und die ehemalige Hauptstadt Berlin. Der Grundsatz „No politics at all!“ ließ sich unter diesen Bedingungen kaum konsequent durchhalten. Der Internationale PEN agierte in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Fall der Berliner Mauer immer wieder, mit mehr oder weniger großem Erfolg, als Mittler zwischen den teils liberal eingestellten, teils dogmatischen Anhängern der jeweiligen ideologischen Lager: „Man wollte weder völkisch gesotten noch marxistisch gebraten sein, sondern von einer unabhängigen Position her, die über den Parteien, über den nationalen Ausgrenzungen angesiedelt war, als geistige Instanz des Ausgleichs wirken.“31 Der Einsatz für verfolgte und drangsalierte Schriftsteller musste sorgfältig abgewogen werden. Vor diesem Hintergrund drängte die schwierige Frage, wie eng oder weit die Grundsätze der Charta auszulegen seien, häufig ins Zentrum des Meinungsaustausches zwischen den internationalen PEN-Mitgliedern. Dem entsprechend variiert, nicht zuletzt in Abhängigkeit von der kulturpolitischen Situation im eigenen Land und der personellen Zusammensetzung des Präsidiums, auch die Vielfalt der nationalen Zentren hinsichtlich ihrer ideellen Ausrichtung: „Der Bogen reicht von lose organisierten Clubs der Freunde über Zentren mit betont gesellschaftspolitischem Engagement bis hin zu jenen PEN-Zentren, die vor allem die Förderung der Literatur ihres Landes und die Förderung junger Autorinnen und Autoren in den Vordergrund stellen; dazwischen gibt es nahezu alle denkbare Mischformen.“32 Und auch heute birgt der hohe Anspruch der PEN-Charta aufgrund der kulturpolitischen Situation in vielen Ländern dieser Welt weiterhin Zündstoff – für literarische und intellektuelle Diskussion, substanzielle Auseinandersetzung und Anklage von Missständen, aber auch ganz konkretes Handeln der PEN-Mitglieder. Daher scheint es ratsam, das elementare Kernstück der internationalen PEN-Arbeit, die Charta, bei der Darstellung der Geschichte und Gegenwart des PEN im deutschsprachigen Raum nicht aus dem Blick zu nehmen. Es gilt, diese aus ihrer historischen Bedingtheit heraus zu begreifen und den ihr inne wohnenden Widerspruch zwischen „Geltung und Leistung, der Ideologie und der Wirklichkeit“33 verständlich und nachvollziehbar zu machen.

31 Sombart: Buchstabe und Geist, o. S. 32 Gerd E. Hoffmann: Einleitung. Viel habe ich dazu gelernt. In: G. H. (Hrsg): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986, S. 7–13, hier S. 8. 33 Walter Jens: Politik und Freundlichkeit. In: Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 45–48, hier S. 46.

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Literatur- und Quellenhinweise Dericum, Christa: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. A World Association of Writers. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 10–29. Gregor-Dellin, Martin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1978. Hoffmann, Gerd E. (Hrsg.): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986. Kesten, Hermann: P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Wilhelm Goldmann Verlag 1978, S. 9–11. Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland, S. 12–18. Mechtel, Angelika: Nur sie hatte den Mut und die Kraft. Anmerkungen zu Leben und Werk der Gründerin des P.E.N., Catherine Amy Dawson-Scott. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: Bertelsmann 1986, S. 14–18. P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon. München und Zürich: Piper 1988. P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009. Sombart, Nicolaus: Buchstabe und Geist der Charta des P.E.N.-Clubs. Der Ort der Literatur in einer Gesellschaft im Wandel. Vortrag gehalten am 12. April 1996 auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland und des Literaturhauses Berlin. Typoskript. Vegesack, Thomas von: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): PEN International. München: Bertelsmann 1986, S. 19–27. – : Die fordernde Meinung der Welt. 70 Jahre Internationaler P.E.N. In: P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Autorenlexikon 1996/97. Redaktion Bernard Fischer. Göttingen: Steidl 1996, S. 17–22. Watts, Marjorie: P.E.N. The Early Years 1921–1926. London: Archive Press 1971. – : Mrs Sappho. The Life of C. A. Dawson Scott. ‘Mother of International P.E.N.’ With a Foreword by Francis King. London: Duckworth 1987. Wilford, R. A.: The PEN Club, 1930–50. In: Journal of Contemporary History (SAGE, London and Beverly Hills) 14 (1979), S. 99–116. Zhang, Yu: Founding History of PEN International. Verfügbar unter URL: http://www.penchinese.org/ english/founding-history-of-pen-international (Letzter Zugriff: 6. 6. 2013).

Internationale Präsidenten 1921–1933 John Galsworthy 1933–1936 H. G. Wells 1936–1941 Jules Romains 1941–1947 Wartime International Presidental Committee Hu Shih Denis Saurat H. G. Wells (1941–1946) Hermon Ould Thornton Wilder E. M. Forster (1946–1947)



Internationale Schatzmeister 

François Mauriac (1946–1947) Ignazio Silone (1946–1947) 1947–1949 Maurice Maeterlinck 1949–1952 Benedetto Croce 1953–1956 Charles Morgan 1956–1959 André Chamson 1959–1962 Alberto Moravia 1962–1965 Victor Van Vriesland 1965–1969 Arthur Miller 1969–1971 Pierre Emmanuel 1971–1974 Heinrich Böll 1974–1976 V. S. Pritchett 1976–1979 Mario Vargas Llosa 1979–1985 Per Wästberg 1986–1989 Francis King 05–11/1989 René Tavernier 11/1989–05/1990 Per Wästberg 1990–1993 György Konrád 1993–1997 Ronald Harwood 1997–2003 Homero Aridijs 2003–2009 Jiri Grusa 2009 bis heute John Ralston Saul

Internationale Sekretäre 1921–1926 1926–1951 1951–1974 1974–1981 1981–1998 1998–2004 2004–2007 2007–2010 2010 bis heute

Marjorie Dawson Scott (Watts) Hermon Ould David Carver Peter Elstob Alexandre Blokh Terry Carlbom Joanne Leedom Ackerman Eugene Schoulgin Hori Takeaki

Internationale Schatzmeister 1974–1991 1991–1996 1996–1998 1998–2001 2001–2007 2007 bis heute

Thilo Koch Bill Barazetti Martyn Goff Jan Honout Britta Junge Pederson Eric Lax

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Internationale Kongresse1 1923 London 1924 New York 1925 Paris 1926 Berlin 1927 Brüssel 1928 Oslo 1929 Wien 1930 Warschau 1931 Amsterdam 1932 Budapest 1933 Dubrovnik 1934 Edinburgh 1935 Barcelona 1936 Buenos Aires 1937 Paris 1938 Prag 1939 – 1940 – 1941 London 1942 – 1943 – 1944 – 1945 – 1946 Stockholm 1947 Zürich 1948 Kopenhagen 1949 Venedig 1950 Edinburgh: Freedom of Theatricals and Novelists 1951 Lausanne: History and Literature 1952 Nizza: Youth and Literature 1953 Dublin: Literature of the Nations whose Languages are not widely used 1954 Amsterdam: Various Experiments in Contemporary Literature 1955 Wien: Theatricals as an Expression of the Present 1956 London: Authors and Readers 1957 Tokio: Mutual Influence of the Eastern and Western Literature 1958 – 1959 Frankfurt am Main: Literature in the Age of Science 1960 Rio de Janeiro: An Interchange of the Cultures East and West and of National and Universal Literature 1961 – 1962 – 1963 – 1964 Oslo: The Writers and Semantics 1965 Belgrad: The Writer and contemporary Society 1 Soweit feststellbar, erfolgt die Nennung des Hauptthemas für den jeweiligen Kongress im Anschluss an die Ortsangabe.



Internationale Kongresse 

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1966 New York: Essays on the Novelist as an Expression of a Spirit of Independance 1967 Abidjan: Legend and Mythology as the Source of Inspiration in Art and Literature 1968 – 1969 Menton: Literature in the Age of Leisure 1970 Seoul: Humour in Literature: the East and West 1971 Dún Laoghaire: Transition of Literature - Examination and Appreciation of the Developments in the Past 50 Years 1972 – 1973 Israel 1974 – 1975 Wien: The Significance of 30 Years’ Peace for Europe 1976 London Truth in Imagination 1977 Sydney: Literature, a Bridge Between Asia and European Cultures 1978 Stockholm: Literatur in Disguise 1979 Rio de Janeiro: Literary Expression and Mass Communication; Literature and the Child 1980 – 1981 Lyon: A Crisis-Ridden World, a Threat on Literature Poetry’s Challenge 1982 – 1983 Caracas: Trends of the Latin American Literature as the Cross Road of the New and the Old Cultural Exchange as the Source of Literary Inspiration and Style 1984 Tokio: Literature in the Nuclea Age – Why do we write? 1985 – 1986 New York (Januar); Hamburg: Contemporary History in International Literature; Unbeachtete Literaturen unserer Zeit 1987 Lugano 1988 Seoul 1989 Maastricht: The End of Ideologies 1990 Madeira 1991 Wien 1992 Barcelona/Rio de Janeiro 1993 Dubrovnik (April)/Santiago de Compostela (September): Auf den Wegen der Literatur 1994 Prag 1995 Freemantle 1996 Guadalajara 1997 Edinburgh 1998 Helsinki 1999 Warschau 2000 Moskau 2001 London 2002 Ohrid 2003 Mexico City: Kulturelle Vielfalt und Meinungsfreiheit 2004 Tromsö 2005 Bled 2006 Berlin: Schreiben in einer friedlosen Welt 2007 Dakar 2008 Bogotá: The role of the word 2009 Linz: Words, Words, nothing but words …? 2010 Tokio: Environment and Literature 2011 Belgrad: Literature – Language of the World

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2012 Gyeongju (Südkorea) 2013 Reykjavik: Digital Frontiers – Linguistic Rights and Freedom of Speech

Nationale PEN-Zentren Nähere Informationen zu den Zentren verfügbar unter URL: www.internationalpen.uk Afghanistan Ägypten Algerien Argentinien Argentinien (Salta) Armenien Aserbaidschan Äthiopien Australien (Melbourne Centre) Australien (Sydney Center) Bangladesch Belgien (flämisch) Belgien (französisch) Bolivien Bosnien-Herzegowina Brasilien Bulgarien Chile China (Beijing) China (Guangzhou) China (Shanghai) China (Taipei) China (Unabhängiges Zentrum) Chinesischsprachige Autoren im Ausland Dänemark Deutschland Deutschsprachige Autoren im Ausland Elfenbeinküste Esperanto Autoren im Exil, Deutsche Sektion Autoren im Exil, Londoner Sektion Autoren im Exil, Amerikanische Sektion Finnland Frankreich Frankreich (Langue d’oc) Georgien Ghana Griechenland Großbritannien (England)

Großbritannien (Schottland) Guatemala Guinea Haiti Hongkong (Chinesisch) Hongkong (Englisch) Indien Iranische Autoren im Exil Irland Island Israel Italien Italien (Sardinien) Italien (Triest) Jamaika Japan Jordanien Autoren des ehemaligen Jugoslawien Kamerun Kanada (Québec) Kanada (Toronto) Kasachstan Kenia Kirgistan Kolumbien Korea Kosovo Kroatien Kubanische Autoren im Exil Kurdischer P.E.N. Lettland Liechtenstein Litauen Malawi Marokko Mazedonien Mexiko Mexiko (Guadalajara) Mexiko (San Miguel de Allende)



Moldawien Monaco Mongolei Montenegro Nepal Neuseeland Nicaragua Niederlande Nigeria Norwegen Österreich Pakistan Palästinensischer P.E.N. Panama Paraguay Peru Philippinen Polen Portugal Puerto Rico Romani P.E.N.-Zentrum Rumänien Russland Russland (Tatarstan) Sambia Schweden Schweiz (deutsch-sprachig) Schweiz (italienisch und räto-romanisch) Schweiz (Suisse Romand)

Nationale PEN-Zentren 

Senegal Serbien Sierra Leone Simbabwe Slowakische Republik Slowenien Somalisch sprechende Autoren Spanien Spanien (Baskenland) Spanien (Galizien) Spanien (Katalonien) Südafrika Südafrika (Pretoria) Thailand Tibetische Autoren im Ausland Tschechische Republik Tschetschenische Autoren Türkei Uganda Uiguren-Zentrum Ukraine Ungarn Ungarische Autoren in Rumänien Uruguay USA USA (American Centre) Venezuela Vietnamesische Autoren im Ausland Weißrussland Zypern

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Sascha Feuchert

Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart Innere Spannungen, die eine Demokratie in ihrer Elastizität ohne Schaden erträgt, würden das starre System der Diktatur sofort sprengen. Dem Begriff des totalen Staates entspricht die totale Zustimmung; auch ein schmaler Sektor des Widerspruchs ist bereits eine Bresche im System. Was das Individuum denkt, läßt sich nicht kontrollieren, am wenigsten am Manometer erzwungener Abstimmungen; aber die Aeußerung der Gedanken und die Vereinigung der oppositionellen Meinungen mehrerer, somit den Schritt vom individuellen Gedanken zur politischen Wirklichkeit, kann ein unendlich gewaltiger und unendlich feiner Polizeiapparat verhindern. Das ist die Hysterie der Diktatur, daß sie nur vergnügte Gesichter um sich sehen kann und selbst vereinzelter Widerspruch sie in ihrem Wesen erschüttert. Der umfangreiche Apparat, den sie zur Bekämpfung dieses Widerspruchs aufbieten muß, machten offensichtlich, somit zugleich ihre Stärke und ihre Schwäche.1

Konrad Heiden, der diese klugen Bemerkungen 1937 zu Papier brachte, wusste, wovon er schrieb: Schon 1933 musste der erste Hitler-Biograph und oppositionelle Journalist Nazi-Deutschland verlassen. Bis heute hat sich an dieser Furcht der Diktaturen und anderer autoritärer Systeme vor dem freien (Wider-)Wort freilich nichts geändert: Noch immer werden jene, die dort ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, unnachgiebig verfolgt, zensiert, mit Geldstrafen belegt, inhaftiert oder gar ermordet. Um diesen Verstößen gegen ein fundamentales Grundrecht begegnen zu können und den betroffenen Schriftstellern und Autoren effektiver helfen zu können, gründete der Internationale PEN 1960 auf seinem Kongress in Rio de Janeiro das Writers in Prison-Committee (WiPC).

1 Anfänge Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass erst 1960 – also ganze 15 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und, vielleicht schwerwiegender noch, 27 Jahre nach der nationalsozialistischen ‚Machtergreifung‘ im Deutschen Reich – ein ständiges Komitee innerhalb der Schriftstellervereinigung gegründet wurde, das sich konkret mit dem Schicksal inhaftierter Autoren befasste und die Hilfsmaßnahmen 1 Konrad Heiden: Ein Mann gegen Europa. Zürich: Europa 1937, S. 147. Heiden war kein Mitglied des PEN – vielmehr ergab sich 1938 im Pariser Exil sogar ein kleiner Skandal, da er dem deutschen ExilPEN aufgrund einer sehr persönlichen Kontroverse mit Georg Bernhard nicht beitreten wollte. Vgl. dazu und zu Heidens Biographie das Nachwort von Markus Roth in: Konrad Heiden: Eine Nacht im November. Ein zeitgenössischer Bericht. Hrsg. von Markus Roth, Sascha Feuchert und Christiane Weber. Göttingen: Wallstein 2013, S. 135–172.



Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart 

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zentral koordinierte. Dies lag zunächst sicher an der Selbstbeschränkung, die sich der PEN in den Jahren nach seiner Gründung auferlegt hatte, als Gründerin Catherine Amy Dawson Scott und der erste Präsident John Galsworthy das bekannte und viel zitierte Motto „No politics, under no circumstances“ vehement verteidigten. Allerdings hieß das nicht, dass der PEN nicht die moralische Pflicht sah, gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu argumentieren und zu protestieren, wie Gerhard Schoenberner feststellt: Bereits zweieinhalb Jahre nach seiner Gründung, im März 1924, schlug die französische Sektion dem Londoner Sekretariat vor, beim spanischen Diktator Primo de Rivera gegen die Verbannung von Miguel de Unamuno zu protestieren. Gleichzeitig regte man an, ein Sonderkomitee zu bilden, das sich solcher und ähnlicher Fälle annehmen sollte. Aber in der Gründungszentrale war man damals noch der Auffassung, der Club solle sich aus politischen Fragen heraushalten, und vertagte die Angelegenheit.2

Die weiteren Ereignisse in Europa aber ließen offenbar werden, dass die in der Charta festgelegten Ziele „Toleranz, Freiheit, Frieden und Freundschaft“3 nur verteidigt werden konnten, wenn man sich einmischte – und zwar konkret. Obgleich Präsident John Galsworthy auf dem Kongress in Budapest 1932 noch ein letztes Mal vehement forderte, der PEN dürfe sich nicht politisch betätigen, engagierten sich die PEN-Zentren im selben Jahr erstmals öffentlich für zwei Schriftsteller, die im faschistischen Italien eingesperrt worden waren, und forderten deren Freilassung. Darüber hinaus erging ein Aufruf an die Regierungen in aller Welt, politische Gefangene freizulassen.4 Offenbar formierte sich auch innerhalb des Internationalen PEN zunehmend der Gedanke, die konkrete Arbeit für Autoren, die aufgrund ihrer schriftstellerischen Tätigkeit inhaftiert oder anders in Gefahr waren, über eine ständige Einrichtung zu organisieren. Zumindest schlug H. G. Wells als PEN-Präsident 1934 vor, einen Hilfsfonds für verfolgte Autoren aufzulegen; allerdings konnte er sich damit nicht durchsetzen.5 Wells dürfte durch den Kongress in Ragusa (Dubrovnik) im Jahr zuvor und den dortigen Beitrag von Ernst Toller nur allzu deutlich vor Augen gehabt haben, wie dringlich die organisierte Hilfe durch die Vereinigung tatsächlich war. Auch die Gründung des Exil-PENs im gleichen Jahr, dessen wichtigstes Anliegen die unmittelbare und sehr konkrete Hilfe für verfolgte Autoren in Nazi-Deutschland war, hat sicher dazu beigetragen. 1937 kam es schließlich zur ersten wirklich großen (und letztlich erfolgreichen) Kampagne – die freilich gleichzeitig auch eine der letzten für eine lange Zeit bleiben 2 Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Wuppertal: Peter Hammer 2012, S. 532–546, hier S. 536. 3 Christa Dericum: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. (Auszug). http://www.exilpen.de/Documents/history_pen_051216.html (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013) 4 Vgl. Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 536. 5 Vgl. ebd., S. 537.

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 Sascha Feuchert

sollte: die Bemühungen um die Freilassung Arthur Koestlers. Dieser gehörte im Spanischen Bürgerkrieg zu einer ganzen Reihe von Journalisten und Schriftstellern (darunter George Orwell, Ernest Hemingway, John Dos Passos), die entweder für die Republikaner kämpften oder in ihrem Sinne berichteten. Koestler, unlike these figures, was virtually unknown at the time, but he was the only writer to be captured and jailed, and apparently to face a death sentence. He was also one of the first writers to become the object of an international campaign (by PEN, among others) to free him, inspiring a wave of publicity, protests, petitions and back door negotiations unprecedented in their intensity, paving the way for the innumerable international protest campaigns that have been conducted ever since.6

Im selben Jahr verurteilte man auf dem Kongress in Paris noch scharf die Erschießung Federico García Lorcas in Spanien – doch dann überrannten auch den PEN die Ereignisse in Deutschland und der Welt und ließen ihn nahezu verstummen: „Der von Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg, in dessen Folge das bis dahin unbekannte und qualitativ neue Phänomen der kollektiven Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen auftrat, ließ Protestaktionen der bisherigen Art nicht nur sinnlos erscheinen, sondern machte sie auch technisch unmöglich.“7 Mochte es 1945 dann für eine kurze Zeit auch so ausgesehen haben, als habe das Ende des Krieges und des Hitler-Terrors auch die Situation von Autoren prinzipiell verbessern können, so wurde schnell klar, dass dies keineswegs so war: „Instead they ‚disappeared‘ or were arrested, in Czechoslovakia, Albania, Romania and Hungary, states in the grip of the Cold War. By 1959, the surge of optimism that inspired the first

6 Michael Scammell: Dialogue with Darkness. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 52–57, hier S. 54. Der Artikel berichtet auch kurz darüber, wie auf Koestler nach der Befreiung aus der spanischen Haft noch weitere Gefängnisaufenthalte (u. a. in England) warteten. 7 Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 537f. Das bedeutete freilich nicht, dass den Internationalen PEN die Ereignisse in Nazi-Deutschland nicht weiter beschäftigten. Nach 1938 fand der nächste Kongress vom 10. bis zum 13. September 1941 in London statt. Storm Jameson, die als Präsidentin des englischen PEN auch den Kongress leitete, bezeichnete die Tagung gar als die politischste überhaupt und hielt in ihrem Schlusswort fest: „I think we have here among us the most intense feeling that authors and writers to-day are united in a feeling of anti-Nazism, in a spirit against Nazidom, and that it is this spirit that will survive.“ (XVII International Congress of the P.E.N. Club. Under the Auspices of the English Centre. Summary of Proceedings. London 1941, S. 61). Immer wieder spielten die Schicksale der deutschen Autoren auf diesem Kongress eine zentrale Rolle. In einem Brief vom 19. September 1941 erinnert sich die englische Delegierte Dame Una Pope-Hennessy neben Arthur Koestler vor allem an einen „very pale young Jew, also a victim from Dachau“ (Schreiben im Privatbesitz des Autors), der offenbar über seine Erlebnisse erzählte. Wer der Genannte gewesen sein könnte, wird aus der Delegiertenliste leider nicht klar.



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PEN Congress after the war, in Zurich in 1947, had melted away as the Iron Curtain descended on Europe and critical voices were silenced.“8 Diesen weltweit unterdrückten Stimmen nahm sich der PEN nun deutlich an: Schon 1958 hatte der Generalsekretär des Internationalen PEN, David Carver, beim griechischen Präsidenten gegen die Inhaftierung des Publizisten und Politikers Manolis Glezos protestiert, der schließlich 1961 freigelassen wurde.9 Carver war es auch, der schließlich begeistert auf den Vorschlag des ungarischen Publizisten und Dramatikers Paul Tabori, dem damaligen Präsidenten des ungarischen Exil-PEN, reagierte, „ein Komitee zu gründen, das sich mit dem Problem inhaftierter Schriftsteller befasst und das Sekretariat des Internationalen PEN auf Einzelfälle aufmerksam macht – damit die einzelnen Clubs und Mitglieder tätig werden können.“10 Am 24. Juli 1960 war es schließlich auf dem Kongress in Rio de Janeiro soweit: Auf Antrag des französisch-schweizerischen PEN, der die Idee Taboris aufgenommen hatte, wurde das Writers in Prison-Committee (WiPC) gegründet: Nachdem sich in Rio erstmals der Umfang des Problems andeutete, wurde vom österreichischen Zentrum ein Manifest vorbereitet und mit großer Mehrheit verabschiedet, das schockiert über die Anzahl der Inhaftierten das Komitee zur Angelegenheit vitalen Interesses für den PEN erklärte […]. Die japanischen und polnischen Zentren enthielten sich der Stimme, Ungarn und das Zentrum ‚Deutschland Ost und West‘ stimmten dagegen, alle anderen dreißig anwesenden Zentren unterstützten das Manifest – und die dauerhafte Installierung des Komitees.11

Zunächst sollten ihm nur drei Schriftsteller angehören: Neben Carver waren dies Victor E.  van  Vriesland, der einige Jahre später Präsident des Internationalen PEN werden sollte, und Margaret Storm Jameson, die frühere Präsidentin des englischen PEN. Mit Storm Jameson gehörte eine erfahrene politische Kämpferin diesem ersten WiPC an: „In 1913, she had joined 50,000 suffragettes in the ‚women’s pilgrimage‘ to the House of Commons. Storm brought the same sense of outrage to PEN’s concern for those writers who found that the end of the Second World War did not bring the liberation from tyranny it promised.“12 Auf dem Kongress wurden bereits über 50 Fälle betroffener Autoren präsentiert, um deren Schicksal sich das neue Komitee nun 8 Carole Seymour-Jones: Power of the PEN. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 17–23, hier S. 20. Gerhard Schoenberner weist freilich zurecht darauf hin, dass der Kalte Krieg natürlich auch in den USA zu Kampagnen gerade gegen Schriftsteller führte und McCarthys „Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe“ nicht nur in dieser Hinsicht traurige Berühmtheit erlangte. Vgl. Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 538. 9 Vgl. Sven Hanuschek: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben (Katalog). Darmstadt 2011, S. 44–48, hier S. 44. 10 Ebd. 11 Ebd., S. 44f. 12 Seymour-Jones: Power of the PEN, S. 20. Welche Bedeutung der PEN für Storm Jameson hatte (aber auch umgekehrt) wird in der exzellenten Biographie von Jennifer Birkett (Margaret Storm Jameson. A Life. Oxford: University Press 2009) sehr deutlich.

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kümmern sollte. Vier Jahre später erhielt das WiPC auch seine erste eigene Vorsitzende: Rosamond Lehmann, die 1927 durch ihren Roman Dusty Answer und ihre bisexuelle Protagonistin Judith Earle berühmt geworden war. Diese ersten Jahre waren vor allem gekennzeichnet durch die schiere Erfassung der Fälle und durch diplomatische Tätigkeiten; der Weg in die Öffentlichkeit wurde damals nur selten gesucht. Zu den frühen Fällen gehörten Anatoly T. Marchenko und Ruth First, die beide letztlich leider nicht gut ausgingen: Der sowjetische Dissident Marchenko verstarb 1986 im Gefängnis, die südafrikanische Apartheidsgegnerin First wurde 1982 ermordet.13 Sven Hanuschek weist darauf hin, dass der Beginn der WiPC-Arbeit auch von inneren Konflikten bestimmt war: „Die kommenden Jahre waren durch Scharmützel mit den Clubs der betroffenen Länder geprägt; die ersten Abwehr-Mechanismen bestanden darin, nach Monaten des Stillschweigens die Listen für veraltet zu erklären – oder den Genannten die schriftstellerische Tätigkeit abzusprechen.“14

2 Professionalisierung und Neuausrichtung Von den bescheidenen Anfängen eines Dreier-Zirkels hat sich das WiPC in den letzten fünf Dekaden deutlich weiterentwickelt: Im Londoner Hauptquartier des Internationalen PEN gibt es mittlerweile eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich um die Writers in Prison-Belange kümmert. Insgesamt arbeiten sieben Mitarbeiter in Brownlow House, dem PEN-Hauptquartier, die spezialisiert sind auf einzelne Regionen der Welt und bestimmte Themen. Informationen zu den Fällen erhalten sie u. a. durch die systematische Auswertung der Presse, nationale PEN-Zentren, diplomatische Kreise oder durch andere NGOs, die den PEN alarmieren, sobald sie Kenntnis von einem bedrohten oder inhaftierten Autor erhalten.15 Von London aus werden auch die Maßnahmen mit weiteren Menschenrechtsorganisationen und den nationalen Zentren koordiniert.16 13 Zu diesen beiden sowie weiteren 48 Fällen, die stellvertretend für Hunderte andere Schicksale stehen, vgl. das Sonderheft von Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 122–222. Dort finden sich auch Auszüge aus Werken der betroffenen Schriftsteller. 14 Hanuschek: P.E.N., S. 45. 15 Vgl. dazu auch: A Guide to Defending Writers under Attack: The Writers in Prison Committee of International PEN. London 2010, S. 11. Das Handbuch ist online abrufbar unter: http://pen-international.org/campaigns/how-to-campaign/handbook/ (Letzter Zugriff: 1. 12. 2013). 16 Die Mitgliedschaft eines nationalen PEN im internationalen WiPC ist im Handbuch klar geregelt. Demnach muss ein PEN-Club ein eigenes WiPC gründen, mindestens aber einen Beauftragten benennen, aktiv an den Kampagnen teilnehmen (etwa dem Rapid Action Network) und sich mindestens zweier Autoren annehmen, die inhaftiert sind oder bedroht werden. Etwa die Hälfte aller rund 140 nationalen Zentren nimmt am WiPC des Internationalen PEN teil. Vgl. A Guide to Defending Writers



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Die ursprüngliche Konzentration auf inhaftierte Schriftsteller wurde mittlerweile aufgehoben und die Aufmerksamkeit auch auf anders bedrohte Autoren gerichtet. Die Kampagnen rufen deshalb heutzutage ebenso dazu auf, Schriftsteller zu unterstützen, die von der Mafia bedroht werden, die ins Exil flüchten müssen oder mit anderen Mitteln unter Druck gesetzt werden. Die Bedrohung des freien Wortes ist unvermindert hoch – die Methoden haben sich deutlich erweitert. Nicht zuletzt deshalb hat eines der größten PEN-Zentren der Welt bereits sein WiPC umbenannt: Im englischen PEN gibt es seit 2012 ein „Writers at Risk“-Programm.17 In seinem Handbuch definiert das WiPC sich und seine Aufgaben im Jahr 2010 folgendermaßen: Today, the Writers in Prison Committee of International PEN is staffed by a small team of professionals who monitor around 1,000 attacks on writers, journalists, editors, poets, publishers and others every year. These attacks include long prison terms, harassment, threats, and even murder. WiPC staff members work on international campaigns in defence of freedom of expression, write and publish special reports on specific issues, and ensure that the work of the WiPC is represented in other areas of International PEN such as literary events and PEN International magazine. They also work with the international programme team to enable long term change in civil society.18

Natürlich hat sich auch der Autorenbegriff im Laufe der Jahrzehnte deutlich verändert: Waren früher nur klassische ‚Schriftsteller‘ im Fokus, so traten schnell Journalisten, Übersetzer und Verleger hinzu und seit geraumer Zeit selbstverständlich auch Internetautoren, wie etwa Blogger. Gerade Letztere sind in den vergangenen Jahren in vielen Ländern furchtbaren Repressionen ausgesetzt.19 Der PEN hat dieser Tatsache Rechnung getragen und sie unter den Schutz des WiPC gestellt. Ganz ohne Diskussionen geht dieser Prozess innerhalb der Organisation freilich nicht ab: Auf dem Kongress in Gyeongju (Südkorea) 2012 und der WiP-Konferenz in Krakau 2013 wurde die neue PEN-Kampagne für „Digital Freedom“ immer wieder von zum Teil auch deutlichen Kontroversen um die Fragen begleitet, wer heutzutage als Autor gelten kann und wo die Grenzen für die Zuständigkeit des WiPC-Engagements liegen.20

under Attack, S. 13. Im Augenblick werden diese Mitgliedsregeln aber überprüft – ganz offenbar befindet sich auch das internationale WiPC in einer Phase der Neuorientierung (Mitteilung der Programmdirektorin Ann Harrison an den Verfasser, 2. 12. 2013). 17 Vgl. Mitteilung der Programmdirektorin Cat Lucas an den Verfasser vom 3. 12. 2013. Das neue Writers at Risk-Programme hat bereits eine eigene Facebook-Seite: https://www.facebook.com/pages/ English-PEN-Writers-at-Risk/78698626750 (Letzter Zugriff: 5. 12. 2013). 18 A Guide to Defending Writers under Attack, S. 8. 19 Vgl. dazu Ron Deibert: Blogging dangerously. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 88–92. 20 In Südkorea verabschiedeten die Delegierten eine Erklärung zur Meinungsfreiheit in digitalen Medien, die in den kommenden Jahren auch für die Arbeit des WiPC zentral werden dürfte. Eine deutsche Version findet sich auf der Website des Internationalen PEN: http://www.pen-international.org/

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Debatten um die Beschränkung der eigenen Arbeit ‚nur‘ auf Autoren hat es hingegen seit Gründung des WiPC immer wieder gegeben, freilich überwiegend außerhalb des PEN.21 Gerhard Schoenberner, der langjährige WiP-Beauftragte des deutschen PEN, hat die Argumente für diese ‚Beschränkung‘ zusammengetragen: Damit da kein Missverständnis bleibt: Jeder Mensch auf dieser Welt, der von der Polizei verfolgt wird, weil er freie Wahlen verlangt, oder von den Killertrupps der Latifundienbesitzer, weil er eine Landarbeiter-Gewerkschaft organisiert, verdient unseren Respekt, unsere Aufmerksamkeit, unsere Hilfe. Das Leben eines bolivianischen Mineros, einer indischen Landarbeiterin oder eines afrikanischen Lastenträgers ist uns nicht weniger kostbar und um nichts weniger teuer als das eines Schriftstellers. Die Beschränkung der Aktivitäten des PEN auf die Hilfe für bedrohte Kollegen, so natürlich sie für eine Vereinigung von Schriftstellern ist, hat nicht nur den ganz profanen Grund, dass unsere Mittel beschränkt sind und die Kräfte kaum ausreichen, auch nur diese begrenzte Aufgabe hinreichend zu erfüllen. Sie findet auch ihre sachliche Rechtfertigung, weil die kritische Intelligenz in vielen Ländern das einzige Sprachrohr derer ist, die ihre Lebensinteressen nicht selbst artikulieren und vertreten können.22

pen-declaration-on-digital-freedom/declaration-on-digital-freedom-german-pen-erklarung-ubermeinungsfreiheit-in-digitalen-medien/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 21 Beispielhaft mag das an Nelson Mandela deutlich werden, für den das WiPC des Internationalen PEN sich nicht engagierte, während er inhaftiert war. Zum einen weil Mandela in der Wahrnehmung des PEN nicht in erster Linie ein Autor, sondern Politiker war. Zum anderen unterstützen Mandela zahlreiche NGOs auf der ganzen Welt. Sara Whyatt, langjährige Programmkoordinatorin für das WiPC im Internationalen PEN begründete ihre Haltung in einer Mitteilung an den Verfasser vom 5. 12. 2013 so: „In my time at PEN, I saw it as essential that PEN focuses on writers, rather than dilute its mandate and indeed its capacity to act by broadening out. This in fact is what I believe has made PEN stronger, even though it has had at times resisted pressure to take up popular causes, such as Mandela’s, where there are/were anyway plenty of other support groups that PEN members as individuals could join. Indeed PEN Centres have always had the autonomy to ally themselves to any causes they feel strongly about, even if the PEN International office, abiding by its mandate as representative of all Centres and having to hold a generalist view, may not consider as falling into its remit. I do think that Centres did work for Mandela individually or alongside others, but don’t know which ones. You could argue that all politicians/activists are in some respect writers, given that most write articles and political treatises (or maybe their advisers draft them?), and PEN certainly couldn’t handle all of these while it has relatively small resources. So for me it was a matter of deciding a) that the weight of their work other than politics/activism was balanced towards writing rather than other activities, or b) was the person detained or attacked specifically for a particular piece of writing.  Examples of decisions I made under a) include taking up Aung San Suu Kyi of Burma, who had written a sizable number of books before she became a politician, and Ken Saro Wiwa, executed for his activism but a hugely prolific fiction writer before taking up politics.  Conversely, under b) I favoured a number of people at my time in PEN who were not writers nor considered themselves so, but who had written one article which led to their arrest. Take Alexandr Nikitin, Russian former-naval officer, who wrote one chapter of a Norwegian environmental report on the dumping of nuclear waste in the 1990s, his one and only piece of writing activity that nevertheless landed him in jail. […] PEN staged highly successful campaigns in Russia and Scandinavia on his behalf.“ 22 Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 544.



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Nicht zuletzt um auch dem perfiden Gegenargument vieler Regierungen, bei dem betroffenen Autor handele sich um keinen Schriftsteller bzw. nur um einen schlechten, gar nicht erst begegnen zu müssen, hat sich der PEN von Anfang an verpflichtet, den „großherzigste[n] Maßstab anzulegen, ‚we must go as far as we can to help anyone who wrote‘ (Robert Neumann)“.23 Für das Jahr 1962 dann kann Sven Hanuschek feststellen: „Das Komitee funktioniert ohne Anfechtungen aus dem Club selbst“,24 und seit dieser Zeit verschiebt sich die Tätigkeit zunehmend aus dem Bereich der stillen Diplomatie in die Öffentlichkeit: ‚Public awareness‘ wird zur zentralen Strategie des WiPC, denn die Überzeugung wächst, dass die Bekanntheit eines bedrohten Autors diesem als Schutz dienen kann.25 Staaten, die um ihr internationales Ansehen besorgt sind, werden – so die Hoffnung – von PEN-Aktivitäten und der Mitwirkung einer möglichst breiten Öffentlichkeit nicht gänzlich unberührt bleiben: „Natürlich gibt es keine überprüfbare Erfolgskontrolle, aber das ist auch ganz unwichtig. Der PEN kann nur versuchen, das Seine zu tun. Und wenn wir erfahren, dass dieser oder jener Gefangene, für den wir interveniert haben, Hafterleichterung erhalten hat oder sogar entlassen worden ist, sei es nun durch oder auch ohne unsere Hilfe, sind wir sehr froh.“26 Die Tätigkeiten des WiPC lassen sich heute daher unterteilen in direkte Hilfen für den betroffenen Autor und in öffentlichkeitswirksame Aktionen. Zentral für die Bemühungen des Komitees ist der unmittelbare Kontakt mit den Kollegen, damit sie nicht alleine sind in ihrem Kampf und ihr Schicksal wahrgenommen wird. Das WiPC fordert die nationalen Zentren, die an der Writers in Prison-Arbeit teilnehmen und über eine eigene WiP-Gruppe, mindestens aber über einen Beauftragten verfügen, auf, sich ebenfalls mit den bedrohten oder inhaftierten Autoren in Verbindung zu setzen. Jährlich werden auch „Seasons’ Greetings Lists“ an die nationalen PEN-Clubs verschickt, mit der Bitte, dass möglichst viele der Mitglieder Briefkontakt aufnehmen. Dabei kann natürlich nicht sichergestellt werden, dass die Briefe die Adressaten auch erreichen, geschweige denn, dass diese antworten können – und doch nehmen sie in der WiPC-Arbeit eine wichtige Rolle ein. Der nigerianische Autor Kunle Ajibade, der 1995 verhaftet und zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, aber nicht zuletzt aufgrund internationalen Drucks 1998 frei kam,27 berichtete vor PEN-Kollegen in London, wie wichtig diese Briefe waren: „Kunle explained […] how vital it was to be remembered by fellow writers at PEN. He told of how receiving letters from abroad increased his standing among the jailers, even though it was impossible to reply.“28 23 Hanuschek: P.E.N., S. 45. 24 Ebd., S. 46. 25 Zur heutigen Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit vgl. A Guide to Defending Writers under Attack, S. 41–45. 26 Schoenberner: Das Wort und die Macht, S. 540. 27 Zu Kunle Ajibade vgl. http://www.englishpen.org/kunle-ajibade/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 28 Anne Sebba: Surviving in Prison. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 41–46, hier S. 42.

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Der Kubaner Léster Luis González Pentón, der 2003 verhaftet worden war und nach seiner Freilassung 2010 umgehend ins Exil nach Spanien ausreisen musste,29 betont, dass die Schreiben noch immer eine große Rolle für ihn spielen: „I have brought all these cards and letters with me to Spain and they are guarded as closely as treasure. They are a wonderful memory I will never forget, given that they helped me to survive in the darkness of despair.“30 Welche Dimensionen solche Unterstützungskampagnen annehmen können, hat amnesty international am Fall des Schriftstellers José Gallardo Rodriguez verdeutlicht: „Er wurde zu 28 Jahren und 8 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er über die Situation indigener Soldaten in Mexiko berichtet hatte. Im Lauf seiner Haft erhielt er mehr als 35.000 Briefe aus aller Welt, die ihn ermutigten, unterstützten und deutlich machten, dass sein Schicksal der Welt nicht egal sei.“31 Doch auch die Absender der Briefe in den freien Ländern profitieren natürlich von diesem häufig nur einseitigen Kontakt: Er bietet die Möglichkeit, nicht tatenlos zu bleiben und – wenn vielleicht auch nur sehr begrenzt – Hilfe leisten zu können. Um für die betroffenen Autoren auch politisch Einfluss auszuüben, hat das WiPC mittlerweile gewisse Routinen etabliert, die bei den einzelnen Fällen durchlaufen werden: Zum einen werden Protestschreiben an die jeweilige Regierung gesandt, um direkt gegen die Inhaftierung oder die Bedrohung zu protestieren. Damit wird den jeweiligen Politikern auch mitgeteilt, dass der PEN den speziellen Fall intensiv verfolgt und der politische Druck nicht aufhören wird. Die kooperierenden Zentren werden ebenfalls um solche Briefe an die eigene Botschaft in dem jeweiligen Land und an den Botschafter des betroffenen Staates im Heimatland gebeten. Die Briefe sollen dabei auch veröffentlicht und ebenso der eigenen Regierung zur Kenntnis gebracht werden. In eiligen Fällen, bei denen befürchtet werden muss, dass ein Zögern die Situation des betroffenen Kollegen erheblich verschlechtert oder gar sein Leben in Gefahr bringt, startet der Internationale PEN sein „Rapid Action Network“ (RAN), mit dem die Maßnahmen sofort in Gang gesetzt werden sollen und nationale PEN-Clubs unmittelbar zur Reaktion aufgefordert werden.32 Die notwendige Schnelligkeit hat natürlich den Preis, dass die nationalen Zentren in der Regel keine Gelegenheit haben, eigene Recherchen zu den Fällen anzustellen, sondern sich komplett auf die Informationen aus London verlassen müssen. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen sowieso nur wenige Details zur Verfügung stehen.

29 Zu Léster Luis González Pentón vgl. http://www.pen.org/defending-writers/test-first-name-testmiddle-name-test-last-name/l%C3%A9ster-luis-gonz%C3%A1lez-pent%C3%B3n (Letzter Zugriff: 3. 12.  2013). 30 Léster Luis González Pentón: The Darkest of Places. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 119. 31 Aus einem Bericht zum Writers in Prison-Tag: http://redefreiheit.amnesty.de/kalender/2013-11-15 (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 32 Die aktuellen RANs finden sich in deutscher und englischer Sprache unter http://www.pendeutschland.de/de/themen/writers-in-prison/rapid-action-network/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013).



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Die nationalen Zentren können als weitere öffentlichkeitswirksame Maßnahme die verfolgten und bedrohten Autoren auch zu Ehrenmitgliedern ernennen, um auf ihr Schicksal besonders und auch langfristig aufmerksam zu machen. Der deutsche PEN hat in den vergangenen Jahrzehnten von dieser Möglichkeit schon bei nahezu 90 Schriftstellern Gebrauch gemacht, darunter äußerst prominente Kollegen wie Václav Havel oder Liu Xiaobo.33 Mit der Ernennung zum Ehrenmitglied geht der jeweilige Club eine besondere Verpflichtung dem Autor gegenüber ein: Die Maßnahmen zu seiner Sicherung müssen dauerhaft und intensiv sein. Mit solchen Ernennungen legen nationale WiPC auch fest, in welchen Regionen sie sich besonders engagieren. Den Unternehmungen sind natürlich Grenzen gesetzt: Nicht nur im Hinblick auf personelle Ressourcen, sondern auch auf Grund der vorhandenen Expertise. Maureen Freely hat deutlich gemacht, dass die Hilfen auch zu Problemen und Krisen führen können: At the worst of times, the prosecuted and persecuted writers will grow tired of always being at the receiving end of a helping hand. They will stop saying thank you. They will take offence at a remark that perhaps could have been phrased more thoughtfully. They will have one drink too many, and then they will accuse their foreign friends of being human rights tourists, of meddling in a country they do not begin to understand.34

Die erwähnten Ehrenmitgliedschaften werden in der „Caselist“ des Internationalen PEN veröffentlicht, die alle sechs Monate die Informationen zu den aktuellen Fällen bündeln und aktualisieren soll. Diese Liste wird damit zum zentralen Arbeitsinstrument des WiPC: Bislang wurde sie gedruckt vorgelegt, in Zukunft wird sie nur noch online verfügbar sein.35 Sie verdeutlicht eindringlich, wo das Recht auf Meinungsfreiheit zu einem gegebenen Zeitpunkt am meisten bedroht ist. Die aktuelle Liste etwa zeigt für das zweite Halbjahr des letzten Jahres [2012] über 590 Übergriffe auf Schriftsteller, Journalisten und Verleger weltweit […]. Im gesamten Jahr 2012 verzeichnete [sie] 14 getötete Schriftsteller, die ermordet wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen, bei 31 weiteren Todesfällen ist ein Zusammenhang mit dem Beruf der Autoren nicht ausgeschlossen. 157 Schriftsteller und Journalisten müssen zurzeit langjährige Haftstrafen absitzen, weil sie in Ländern wie etwa China, Vietnam, der Türkei, Eritrea und Usbekistan kritische Texte veröffent-

33 Eine Liste mit allen Ehrenmitgliedern des deutschen PEN findet sich auf http://www.pen-deutschland.de/de/themen/writers-in-prison/aktuelle-ehrenmitglieder/ (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013). Dort werden die aktuell gefährdeten Ehrenmitglieder Pinar Selek (Türkei), Mohammed Ibn al-Dheeb alAjami (Katar), Li Bifeng (China), Thich Quang Do (Vietnam), Ragip Zarakolu (Türkei), Dolma Kyab (Tibet), Shi Tao (China) und Liu Xiaobo (China) ausführlicher vorgestellt. 34 Maureen Freely: Two for the Road. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 27–40, hier S. 27. 35 Über das deutsche PEN-Zentrum in der jeweils aktuellen Form abrufbar unter http://www.pendeutschland.de/de/themen/writers-in-prison/ (Letzter Zugriff: 10. 11. 2013).

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lichten. 133 weitere Autoren werden durch Behörden festgehalten, 170 erwarten ein Urteil, ohne bislang im Gefängnis zu sein.36

Die „Caselist“ soll natürlich auch eine Grundlage für die Zentren darstellen, damit sie in den nationalen Medien Berichte über einzelne Schicksale initiieren können. Allerdings – und das gilt besonders für Deutschland – hat die Bereitschaft der klassischen Medien, über solche Fälle zu berichten, deutlich abgenommen. Es wird für das WiPC immer schwerer, mit diesen Nachrichten durchzudringen. Gezieltere Maßnahmen zur Herstellung von Öffentlichkeit spielen daher seit geraumer Zeit eine größere Rolle. Der wichtigste Anlass, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Fälle zu lenken, ist seit 1980 der „Day of the Imprisoned Writer“ („Tag des inhaftierten Schriftstellers“), der weltweit am 15. November begangen wird. Er bietet die Möglichkeit, regional unterschiedliche Schicksale zu fokussieren und Unterstützer ganz konkret zu mobilisieren. Auch das deutsche PEN-Zentrum hat diesen Termin fest im Jahreskalender eingeplant: Zum einen mit gezielten Veranstaltungen an diesem Tag selbst, besonders aber mit der Verleihung des Hermann-Kesten-Preises, die immer um dieses Datum in Darmstadt stattfindet. Dieser nach dem ehemaligen Ehrenpräsidenten des deutschen PEN benannte Preis „würdigt Persönlichkeiten, die sich im Sinne der internationalen PEN-Charta in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten einsetzen.“37 Natürlich verlagern sich auch die Aktivitäten des WiPC seit einiger Zeit zunehmend in das Internet. Neben den klassischen Homepages werden v. a. die „Rapid Actions“ und andere Kampagnen zu Einzelautoren in sozialen Netzwerken wie Facebook und über Nachrichtenkanäle wie Twitter lanciert. In Deutschland ist das erst seit 2012 der Fall – und auch das nur nach intensiven und zum Teil äußerst kontroversen Diskussionen auf allen Ebenen.38 Kritiker in den Reihen der Schriftstellervereinigung fürchteten, dass man mit der Nutzung dieser Plattformen unseriöse Wege gehe oder den Bezug zum eigentlichen ‚Kerngeschäft‘, der Literatur, verlöre. Besonders die letztere Befürchtung bleibt in diesem Zusammenhang mindestens nebulös,39 36 Aus einer Pressemitteilung des deutschen PEN zur Vorstellung der aktuellen „Caselist“: http:// www.pen-deutschland.de/de/2013/02/21/pressemitteilung-des-pen-zentrums-deutschland-im-zweiten-halbjahr-2012-uber-590-ubergriffe-auf-publizisten-weltweit/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 37 http://www.pen-deutschland.de/de/kesten-preis/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). Dort finden sich auch Informationen zu Hermann Kesten und eine Liste der bisherigen Preisträger. 38 Einher mit dieser neuen Nutzung ging auch eine komplette Neuausrichtung der Homepage des gesamten PEN im selben Jahr. 39 Allerdings ist sie auch das Echo der Befürchtung, die in den letzten Jahren immer öfter im Hinblick auf die Gesamtaktivitäten des Internationalen PEN geäußert wurde, dass der PEN nämlich zu einer – dann vielleicht sogar: beliebigen – NGO bzw. Menschrechtsorganisation würde, die ihr Hauptinteresse, die Literatur, ganz aus dem Blick verlöre. Um die Tatsache, dass es sich beim PEN in erster Linie um eine Schriftstellervereinigung handelt, deutlich zu machen, gibt es in einzelnen nationalen PENZentren die Bestrebung, der Literatur und dem literarischen Leben wieder deutlich mehr Gewicht zu verleihen. Klar erkennbar ist dies etwa beim französischen PEN, der als einen seiner drei Schwer-



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allerdings verkennt auch erstere die Vorteile der genannten Kanäle: Zum einen erreichen die Informationen durch die „Fan“- bzw. „Follower“-Funktionen gezielt jene Menschen, die sich für diese Nachrichten interessieren und potenziell auch bereit sind, die beschriebenen Kampagnen zu unterstützen. Zum anderen fällt die Filterfunktion traditioneller Medien weg: In diesen würden erfahrungsgemäß gerade die „Rapid Actions“ kaum noch Aufnahme finden. Diese neuen Medien, die so neu mittlerweile nicht mehr sind, ermöglichen eine schnelle und gezielte Information. Als Ersatz für traditionelle Bemühungen – das haben die oben gemachten Ausführungen gezeigt – sind sie nicht gedacht, wohl aber als notwendige Ergänzung. Allerdings, und das wurde bislang in der Diskussion weniger beachtet, bedeuten sie auch eine Verschiebung der WiPC-Kampagnentätigkeit von der Repräsentation zur Mitwirkung: Während bis vor kurzem v. a. darauf gesetzt wurde, dass die Schriftstellerorganisation für einen Autor repräsentative Maßnahmen ergreift (oft auch durch bekannte Schriftsteller), organisiert sie nun noch stärker als früher die Mitwirkung einer interessierten und engagierten Öffentlichkeit. Sie belässt es nun nicht mehr beim überwiegenden Protest durch eigene Mitglieder, sondern fordert zunehmend auch andere Interessierte dazu auf, sich für Autoren konkret einzusetzen.40 Der deutsche PEN ermöglicht dies im Rahmen seiner WiPC-Arbeit z. B. auch damit, dass er Musterbriefe an Botschafter oder Regierungen zur Verfügung stellt, die ein Engagement erleichtern, und Stichworte nennt, die in einem solchen Protestschreiben vorkommen können.41 Diese Tätigkeiten im Internet binden natürlich personelle Ressourcen im WiPC-Bereich, die dann für Anderes nicht zur Verfügung stehen. Allerdings erhöhen sie auch die Akzeptanz und die Reichweite der PEN-Arbeit und befriedigen auch ein seit Jahren ansteigendes Interesse von Nichtmitgliedern an einer Mitwirkung.42 Die Facebook-Präsenz punkte neben der WiPC-Arbeit und der allgemeinen Tätigkeit für die Freiheit des Wortes definiert: „La pensée, l’expression poétique, la langue française et la francophonie“. Dieser Schwerpunkt auf der (literarischen) Sprache wird im Präsidium auch personell abgebildet. Vgl. http://www.penclub. fr/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013) – Der Internationale PEN scheint ebenfalls gegenzusteuern: Der 2013 erstmals vergebene New Voices Award mag in dieser Hinsicht als Beleg gelten. Vgl. http://www.peninternational.org/pen-internationalnew-voices-award/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). 40 Natürlich hat es auch früher schon die Organisation etwa von Demonstrationen gegeben, aber hier geht es zunehmend um eine andere Art der Mitwirkung Außenstehender. 41 Ein Beispiel hierfür wäre die RAN zu Nguyen Van Hai unter: http://www.pen-deutschland.de/ de/2013/07/25/vietnam-sorgen-um-die-gesundheit-von-journalist-und-blogger-dieu-cay/ (Letzter Zugriff: 15. 11. 2013). 42 Das deutlich gestiegene Interesse an Partizipation ist nicht zuletzt auf die im Internet üblichen Enthierarchisierungsprozesse zurück zu führen. Natürlich ist es aber auch das Ergebnis der Internet­ aktivitäten des PEN selbst. Darüber hinaus hat es besonders im Zusammenhang mit dem „Tag des inhaftierten Schriftstellers“ in den letzten Jahren erfolgreiche Bemühungen gerade des deutschen PEN gegeben, auch lokale Organisationen, die nicht zum PEN gehören, zu aktivieren, um an diesem Tag für verfolgte Schriftsteller Aktionen zu starten. Ein gutes Beispiel dafür ist der 2008 entstandene Gießener Verein „Gefangenes Wort e. V.“, der u. a. in jedem Jahr einen großen Bücherflohmarkt zugunsten verfolgter Autoren durchführt und über eine enorme regionale Resonanz verfügt. Unterstützt wurde die Etablierung des Vereins, der aus einer studentischen Initiative hervorging, durch die

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des deutschen WiP-Beauftragten hat innerhalb der ersten 24 Monate immerhin mehr als 1140 Fans gewonnen und der Twitter-Account über 180. In bedeutenden oder dringlichen Fällen stellt das WiPC Öffentlichkeit auch durch „Fact Finding Missions“ her, bei denen meist prominente Schriftsteller bzw. hochrangige Vertreter des Internationalen PEN in betroffene Länder reisen, um vor Ort Informationen zur Situation der bedrohten bzw. inhaftierten Autoren zu bekommen und mit den Kollegen selbst oder deren Familien zu sprechen.43 Diese Missionen sind nicht immer ungefährlich und ihr Erfolg ist von vielen oft unkalkulierbaren Variablen abhängig: Sorgfältig muss beispielsweise abgewogen werden, ob ein Besuch dem bedrohten Schriftsteller nicht sogar eher schadet als nützt. Eine der wohl bekanntesten PEN-Missionen führte die beiden weltbekannten Dramatiker Harold Pinter und Arthur Miller 1985 in die Türkei, um sich u. a. für den Dramatiker Ali Taygun einzusetzen, der im Zuge der Prozesse gegen die Türkische Friedensgesellschaft (Bariš Derneği) im Gefängnis saß. Diese Mission hatte einen ungeplanten, wenngleich spektakulären und sehr öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt, als Pinter und Miller in Ankara aus der US-Botschaft geworfen wurden, nachdem sie sich mit dem US-Geschäftsträger über die Folter in türkischen Gefängnissen gestritten hatten.44 In den letzten Jahren geht das WiPC zusammen mit anderen PEN-Komitees auch dazu über, Kampagnen zu starten, die eher Regionen als ‚nur‘ Einzelschicksale in den Blick nehmen. Beispielhaft können dafür die Aktionen „Write against Impunity“ oder der „Day of the Dead“ gelten, die sich beide mit der mörderischen Situation für Autoren in Lateinamerika auseinandersetzen: On Day of the Dead 2011, PEN highlighted the situation in Mexico, and in 2012 we widened our focus to include Honduras and Brazil, in a literary protest resulting in the bilingual anthology ‚Write Against Impunity‘, which includes work by some of Latin America’s best known authors. On Day of the Dead 2013 we ask our Centres around the world to commemorate the lives of our fallen colleagues in Mexico, Honduras and Brazil using PEN’s recently passed resolution on violence against journalists and impunity in Latin America and the ‚Write Against Impunity‘ anthology.45

Auch wenn die Publikation von Anthologien zu den klassischen literarischen Verfahren zählt, Öffentlichkeit für die Anliegen des WiPC zu erzeugen, nehmen diese doch

jeweils amtierenden WiP-Beauftragten des deutschen PEN-Zentrums. Vgl. http://www.gefangeneswort.de/ (Letzter Zugriff: 15. 11. 2013). 43 Von einer dieser Missionen nach Belarus berichtet Seymour-Jones: Power of the PEN. 44 Vgl. dazu Freely: Two for the road, v. a. S. 34ff. 45 http://www.pen-international.org/newsitems/day-of-the-dead-2013/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). Die zweisprachige Anthologie ist unter dem Titel Escribe Contra La Imunidad / Write Against Impunity von Tamsin Mitchell und J. S. Tennant 2012 herausgegeben worden.



Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart 

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weniger Raum als früher ein, und auch traditionelle literarische Veranstaltungsformate – wie etwa Lesungen – werden international eher zurückgedrängt.46

3 Große Kampagnen: Chancen und Grenzen der WiPC-Arbeit Im Laufe seiner Geschichte hat das WiPC sich um einzelne Schriftsteller ganz besonders gekümmert und Kampagnen aufgelegt, die über das ‚normale‘ Maß hinausgingen. Dies hat zum einen mit der Bedrohung des jeweiligen Kollegen zu tun, zum anderen sicher auch mit der grundsätzlichen Relevanz des Falles. Eine der größten und längsten Aktionen galt – in Zusammenarbeit mit anderen Menschenrechtsorganisationen, wie etwa Article 19 – Salman Rushdie, der 1988 wegen seines Romans Die satanischen Verse islamistische Todesdrohungen erhielt und für fast ein Jahrzehnt untertauchen musste. Die öffentlichen Kampagnen für Rushdie, die immer wieder gegebenen Solidaritätsbekundungen und die vielen auch diplomatischen Aktionen, die vom PEN mit ausgingen, boten Rushdie einen – wenn auch äußerst fragilen – Schutz. Gleichwohl machte sich keiner der damals Beteiligten Illusionen darüber, dass all diese Aktionen ohne den enormen Aufwand, Rushdie untertauchen zu lassen, wohl wenig genutzt hätten. Rushdie und die ihn unterstützenden Organisationen machten seinen Fall auch zu einer Bewährungsprobe für die Meinungsfreiheit: Obgleich Rushdie mit seinem Roman nie einen Angriff auf den Islam oder seine Gläubigen intendiert hatte, beharrte er auf seinem Recht, seinen Roman unzensiert auf den Markt bringen zu können. Durch die Ausweitung der durch Khomeini ausgesprochenen Fatwa auf alle anderen am Herstellungs- und Verbreitungsprozess des Buches Beteiligten gerieten auch bei demokratischen Politikern offenbar Grundüberzeugungen zur Meinungsfreiheit ins Wanken. Der ‚Fall Rushdie‘ wurde damit auch zu einem enorm wichtigen Selbstverständigungsprozess in den westlichen Demokratien. Man darf Salman Rushdies Bereitschaft, zwischen 2004 und 2006 als Präsident des amerikanischen PEN zu fungieren, u. a. auch als Dankbarkeit gegenüber der WiPC-Arbeit verstehen.47 Noch während Salman Rushdie im Versteck leben musste, beanspruchte ein anderer Fall die volle Aufmerksamkeit nicht nur des WiPC, sondern vieler Menschen und Organisationen – er sollte gleichzeitig auf das Brutalste illustrieren, wo die 46 Dass das gelesene literarische Wort auf internationaler PEN-Bühne gelegentlich eher eine Rand­ existenz führt, mag aus dem manches Mal recht lustlos absolvierten Ritual der täglichen Lesung zu Beginn des jeweiligen Kongresstages exemplarisch hervorgehen. 47 Salman Rushdie hat eindrucksvoll die Jahre im Versteck, die vielen Auseinandersetzungen und Entbehrungen, aber auch die Hilfen und Unterstützungen in seiner Autobiographie geschildert: Joseph Anton. Die Autobiografie. München: C. Bertelsmann 2012. Zu Rushdie gibt es auch im Sonderheft von Index on Censorship eine kurze Information auf S. 168.

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 Sascha Feuchert

Grenzen von Kampagnen liegen können. Am Morgen des 10. November 1995 wurde mehr oder weniger vor den Augen der Weltöffentlichkeit der nigerianische Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist Ken Saro-Wiwa zusammen mit acht anderen Menschen hingerichtet. Saro-Wiwa hatte sich mit dem mächtigen Shell-Konzern und der korrupten Militärdiktatur angelegt und vor allem gegen die enormen Umweltzerstörungen durch den Öl-Multi protestiert. Dank einer enormen weltweiten Unterstützung sah es zunächst so aus, als könne man den Autor vor dem Schlimmsten bewahren, wie sich William Boyd erinnert: Ken was released on 22 July [1993], free to return to the UK. Many people were agitating for Ken’s release at the time and indeed it was the editorial teams at The Times and Today who decided to run the story that really swung things our way. The media events surrounding the case of Ken Saro-Wiwa in July 1993 have always seemed to me to illustrate the positive power of unwelcome publicity. If there’s a lesson to be learnt it is that the key media outlets in this and any other country – those with the highest profile and influence – have an additional responsibility in the field of human rights: they are not simply there to report. They would be astonished at the significant difference they can make.48

So sehr Boyds positive Feststellungen eigentlich den Kern gerade der WiPC- Öffentlichkeitsarbeit trifft, so brutal wurden diese Hoffnungen 1995 enttäuscht: Sani Abacha, der neue Militärmachthaber Nigerias – „whose cocaine-fuelled paranoia, fear and ignorance overrode all political pragmatism“49 – störte sich nicht an der internationalen Aufregung und ließ Saro-Wiwa töten. Damit hielt das Schicksal des nigerianischen Autors zwei Lehren für die Kampagnenführer bereit: Internationaler öffentlicher Druck kann die einzige Möglichkeit sein, ein derart bedrohtes Menschenleben zu retten – eine Garantie ist allerdings selbst der allergrößte Druck nicht. Auch wenn Ken Saro-Wiwas Fall tatsächlich „on everyone’s agenda by then“50 war, konnte die mediale Aufmerksamkeit letztlich seinen Tod nicht verhindern. Gerade in London, dem Sitz des englischen und des internationalen WiPC, löste Saro-Wiwas Ermordung großes Entsetzen aus, wie sich Moris Farhi, der damals Vorsitzender beider Komitees war, erinnert: „Both committees […] were in shock.“51 Die Situation wurde für alle Beteiligten noch schwerer, als das WiPC und seine nationalen Zentren 1995 erneut die Nachricht über ein grausames Urteil gegen einen Autor erreichte: Der Iraner Faraj Sarkohi wurde in Teheran mit dem Tod bedroht. Der 48 William Boyd: Eyewitness. On Ken Saro-Wiwa. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 93–96, hier S. 94. Ken Saro-Wiwas eigene Schilderung seiner Inhaftierung sowie Briefe, die aus seinem letzten Gefängnis geschmuggelt werden konnten, wurden 2005 erstmals in Großbritannien veröffentlicht: Ken Saro-Wiwa: A Month and a Day & Letters. Banbury: Ayebia 2005. 49 Boyd: Eyewitness, S. 96. 50 Ebd., S. 95f. 51 Moris Farhi: Eyewitness. On Faraj Sarkohi. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 24–26, hier S. 25.



Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart 

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Schriftsteller, der mit seinen Kurzgeschichten und Essays Ruhm erlangt hatte, war 1971 unter dem Schah-Regime erstmals verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden.52 1979 kam er zwar frei, allerdings wurde er wegen seines Kampfes für die Meinungsfreiheit nach der islamischen Revolution zwischen 1984 und 1996 erneut mehrfach verhaftet. 1996 schließlich wollte er nach Deutschland fliegen, um seine Frau zu besuchen – und ‚verschwand‘. 48 Tage später tauchte er wieder auf und wurde gezwungen, auszusagen, dass er in Deutschland gewesen sei. Was ihm tatsächlich widerfahren war, erzählte er in einem Brief, den er aus dem Iran schmuggeln konnte: Tagelang war er gefoltert und unter Druck gesetzt worden. Als dieser Brief 1997 im Westen veröffentlicht wurde, geriet Sarkohi erneut in Haft und wurde in einem geheimen Verfahren wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt. Dieser Richterspruch löste weltweites Entsetzen und großen Protest aus. Trotz des enormen Schocks in Folge der Hinrichtung Saro-Wiwas war es erneut das WiPC des englischen PEN, das wichtige Proteste initiierte: Suddenly confronted with yet another iniquitous execution, we at English PEN agreed to campaign as effectively as we could for Faraj’s release. We decided that the best means available to us was persistent demonstrations – at least once a week. So many of us – invariably bolstered by Iranian exiles – gathered every Monday outside the Iranian embassy in London.53

Dieses Mal zeigten die Proteste des PEN, vieler Regierungen und anderer Organisationen Wirkung: Die Todesstrafe wurde in einem weiteren Verfahren aufgehoben und die Anklage lautete nun auf „antistaatliche Propaganda“. Sarkohi wurde zu einem Jahr Haft verurteilt und konnte nach Verbüßung der Strafe nach Deutschland ausreisen. Dort fand er zunächst für ein Jahr im Projekt „Städte der Zuflucht“ Unterschlupf, ehe er sich zwischen 2000 und 2006 als Stipendiat des deutschen Writers in ExileProgramms (WiE) eine sichere Existenz in Deutschland aufbauen konnte.54 *** Alleine im Jahre 2013 lancierte der Internationale PEN über sein WiPC 32 Rapid Actions55 – 32 Fälle, in denen Menschen massiv bedroht waren und nicht selten ihr Leben in Gefahr geriet. Nicht für alle diese Kollegen können nationale Zentren gleich intensiv auftreten. Wenn sie sich entschließen, einen Autor zum Ehrenmitglied zu ernennen, bindet das, wie bereits verdeutlicht, auch Kräfte. In Deutschland etwa hat sich der PEN seit 2012 besonders für den katarischen Dichter Mohammed al-Adjami

52 Vgl. hierzu und dem Nachstehenden Farhi: Eyewitness, S. 24f. 53 Ebd., S. 25. 54 An Faraj Sarkohi, der zum Ehrenmitglied des deutschen PEN ernannt wurde, sieht man beispielhaft, wie die beiden Programme WiP und WiE im deutschen PEN ineinandergreifen können. 55 Der Stichtag ist hierfür der 3. Dezember 2013.

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stark gemacht, der offenbar wegen des nachstehenden Gedichts zunächst zu lebenslanger Haft und dann zu 15 Jahren Einzelhaft verurteilt wurde: We are all Tunisians (Tunisian Jasmine) Mr. Prime Minister Mohamed al-Ghannoushi You don’t hold constitutional power We don’t wax nostalgic for Ben Ali or his times For us that’s past history The dictatorship of a despotic and oppressive regime Against which the people have raised their revolutionary voice We only criticize the disgrace and the horror And when we praise somebody it’s only because of our personal convictions Oh revolutionary hail the struggle with the blood of the people Carve the value of rebellion in the soul of the free And tell those who are holding their shroud That every victory bears its ordeals Ah, when shall it be the turn of that country whose foolish king Believes he can rely on the American military Ah, when shall it be the turn of the country whose people are empty bellied While its government time and again praises the growth of finance? Ah, when shall it be the turn of the country where you go to sleep a citizen And you wake up stateless the next morning? Ah, when shall it be the turn of that repressive and hereditary regime? Until when shall you remain a slave to selfishness? Until when shall the people remain unaware of its value And fail to choose its own government? Enough with tyrannical regimes! Tell the one who torment his people That tomorrow someone else will take his place He should not rest assured that the country belongs to him or his offspring Because the country belongs to the people and so does glory Join your voices in a chorus for a single destiny We are all Tunisians in the face of repression Governments and Arab governments Are all – without exception A gang of thieves. And there is a question that rings obsessively in the minds of those who wonder But shall never be answered by the official sources: If we import all kinds of things from the West Why can’t we import freedom and the rule of law?56

Bislang konnte mit al-Adjami freilich kein direkter Kontakt hergestellt werden, alle Nachrichten über ihn wurden nur über die Medien bezogen, auch die katarische Botschaft reagierte auf kein Schreiben. Diplomatische Bemühungen sind im Gange: Der 56 Diese – bislang unautorisierte – englische Übersetzung des Gedichts findet sich unter http://foxchasereview.wordpress.com/tag/tunisian-jasmine-poem/ (Letzter Zugriff: 3. 12. 2013)



Das Writers in Prison-Committee in Geschichte und Gegenwart 

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deutsche PEN steht hier, wie üblich in solchen Fällen, mit der Bundesregierung in Kontakt. Neben anderen Organisationen unterstützt auch der amerikanische PEN alAdjami – bislang ebenso ohne direkten Erfolg. Hieran kann man ermessen, welch langen Atem solche Kampagnen verlangen und wie groß die Herausforderungen sind, wenn ein Engagement so lange möglicherweise resonanzlos bleibt.57

Literatur- und Quellenhinweise A Guide to Defending Writers under Attack: The Writers in Prison Committee of International PEN. London 2010. Verfügbar unter URL: http://pen-international.org/campaigns/how-to-campaign/ handbook/ (Letzter Zugriff: 1. 12. 2013). Birkett, Jennifer: Margaret Storm Jameson. A Life. Oxford: University Press 2009. Boyd, William: Eyewitness. On Ken Saro-Wiwa. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 93–96. Deibert, Ron: Blogging dangerously. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 88–92. Dericum, Christa: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. (Auszug). Veröffentlicht auf: http://www. exilpen.de/Documents/history_pen_051216.html (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013). Ehrenmitglieder des deutschen P.E.N. Verfügbar unter URL: http://www.pen-deutschland.de/de/ themen/writers-in-prison/aktuelle-ehrenmitglieder/ (Letzter Zugriff: 20. 11. 2013). Farhi, Moris: Eyewitness. On Faraj Sarkohi. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 24–26. Freely, Maureen: Two for the Road. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 27–40. González Pentón, Léster Luis: The Darkest of Places. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 119. Hanuschek, Sven: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben (Katalog). Darmstadt 2011. Heiden, Konrad: Ein Mann gegen Europa. Zürich: Europa 1937. – : Eine Nacht im November. Ein zeitgenössischer Bericht. Hrsg. v. Markus Roth, Sascha Feuchert und Christiane Weber. Göttingen: Wallstein 2013. XVII. International Congress of the P.E.N. Club. Under the Auspices of the English Centre. Summary of Proceedings. London: [o. V.] 1941. Mitchell, Tamsin und J. S. Tennant: Escibe Contra La Imunidad / Write Against Impunity. Latin American Authors Commemorate Their Murdered Colleagues. London: PEN International 2012. RANs. Verfügbar unter URL: http://www.pen-deutschland.de/de/themen/writers-in-prison/ rapid-action-network/ (Letzter Zugriff: 2. 12. 2013). Rushdie, Salman: Joseph Anton. Die Autobiografie. München: C. Bertelsmann 2012. Saro-Wiwa, Ken: A Month and a Day & Letters. Banbury: Ayebia 2005. Sebba, Anne: Surviving in Prison. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 41–46. Scammell, Michael: Dialogue with Darkness. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 52–57.

57 Stichtag für diese Informationen zu al-Adjami ist der 3. Dezember 2013.

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 Sascha Feuchert

Schoenberner, Gerhard: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison-Committee. In: P.E.N.Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Wuppertal: Peter Hammer 2013. Seymour-Jones, Carole: Power of the PEN. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 17–23.

Hans Thill

Das Writers for Peace-Committee Das Writers for Peace-Committee des Internationalen PEN (WfPC) ist eines der zahlreichen Komitees, die das Engagement von Mitgliedern des PEN bündeln und strukturieren. In der internationalen Autorenorganisation gehört es neben den Komitees für ‚Translation and Linguistic Rights‘, ‚Women Writers‘ und ‚Writers in Prison‘ zu den vier ‚programmatischen Komitees‘. Es ist eines der jüngeren Komitees des PEN-Clubs – begründet im Jahr 1984 beim Kongress in Tokio auf Initiative einiger im Slowenischen PEN-Zentrum organisierten regime-kritischen Intellektuellen um den Journalisten und Satiriker Miloš Mikeln. Die Gründung eines Friedenskomitees der Schriftsteller im damals noch bestehenden Staat Jugoslawien, tatsächlich durchaus im Rahmen von Titos’ Außenpolitik der ‚Blockfreien‘, spricht für Weitsicht und Mut einer kleinen Gruppe von Intellektuellen, die ihre aus der PEN-Charta erwachsende Verpflichtung ernst nahmen. Friedensarbeit ist ein zentrales Anliegen des Internationalen PEN: Angesichts der Tragik weltweit zunehmender Kriegsereignisse will das Writers-for-Peace-Committee dazu beitragen, diesen Anspruch in stärkerem Maße zu realisieren, als das einzelne Mitglied es vermag. Es geht darum, im Konfliktfall aktuell Position zu beziehen. Hierzu können Briefe dienen, adressiert an Machthaber beziehungsweise politische Entscheidungsträger, öffentliche Erklärungen sowie Resolutionen, die von der Delegiertenversammlung des Internationalen P.E.N. bestätigt werden […].1

Bis zum heutigen Tag trifft sich das Komitee einmal jährlich im Slowenischen Bled. Der Slowenische PEN-Club ist bis heute Organisator dieser Treffen und stellt traditionell auch den Präsidenten des Komitees. Auf Miloš Mikeln folgte unter anderen der Lyriker Veno Taufer und der Essayist sowie Übersetzer Boris A.  Novak. Der derzeitige Präsident, der Theologe Edvard Kovač, hat sich Ende des Jahres 2013 zurückgezogen. Insgesamt gehören dem Writers for Peace-Committee heute 35 der insgesamt 145 PEN-Zentren an. An den Zusammenkünften nehmen u. a. Delegierte aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Katalonien, Kroatien, Tschechien, Estland, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Israel, Italien, Kosovo, Kurdistan, Mazedonien, Portugal, Russland, Schottland, der Slowakei, Schweden und Slowenien, sowie Abgesandte der drei schweizer Zentren, des Esperanto-Zentrums, des Uiguren-Zentrums, des Vietnamese Writers abroad Centre und des Writers in Exile PEN Centre (American branch) teil. Das in einem europäischen Krisengebiet gegründete Friedenskomitee der Schriftsteller stand bald vor seiner ersten großen Herausforderung: Der Balkan-Krieg erforderte das Friedensengagement der Intellektuellen weltweit. In den 1990er Jahren 1 Gisela Kraft: Writers-for-Peace-Committee. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 51f., hier S. 51.

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 Hans Thill

wurden die Aktivitäten des Komitees in hohem Maße von den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Nationen Ex-Jugoslawiens in Anspruch genommen. Neben spektakulären Aktionen wie den Reisen von Veno Taufer, Drago Jančar, Niko Grafenauer und Boris A. Novak in den Jahren 1992 bis 1996 ins belagerte Sarajewo, fanden zahlreiche Treffen von Schriftstellern der verfeindeten Nationen statt. Die Tatsache, dass auch aus befreundeten Intellektuellen plötzlich Angehörige verfeindeter Nationen werden können, zeigt in kreativer Umkehrung durch die Begründer des Komitees das friedensstiftende Potenzial, das in den internationalen Beziehungen der PEN-Mitglieder untereinander schlummert. Bis heute folgt das Komitee dieser Idee. Das Writers for Peace-Committee hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch friedensstiftendes Eingreifen in Konflikte zu schlichten, bevor es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommt, und bereits ausgebrochene kriegerische Konfrontationen durch aktive Friedensarbeit zu entschärfen. Es versteht sich dabei als parteilich im Sinne der Stützung der Menschenrechte. Im Rahmen der Bleder Treffen haben Autorinnen und Autoren, deren Obrigkeiten einander bekämpfen, die Gelegenheit zu offenem Meinungsaustausch. So nutzen beispielsweise Mitglieder des Israelischen und Palästinensischen PEN die Mitarbeit im Writers for Peace-Committee zur aktiven Begegnung. Auch Delegierte aus neueren Konfliktgebieten nehmen die Treffen des Komitees wahr, etwa Vertreter der PEN-Zentren Somalia und Mexiko und des Uigurischen PEN-Zentrums. Waren die Bleder Treffen in den ersten Jahren nach der Gründung des Writers for Peace-Committees vor allem ein europäisches Friedenstreffen, so hat sich in den letzten Jahrzehnten der Radius des Friedenskomitees beträchtlich ausgeweitet. Delegierte aus der ganzen Welt reisen in den slowenischen Kurort, nicht zuletzt um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, die im Umkreis bewaffneter Konflikte begangen werden. Die Arbeit des Komitees geht jedoch weit über die praktische Friedensarbeit hinaus. Beim 40.  Friedenstreffen in Bled wurde eine Erklärung erarbeitet, die die Betätigungsfelder des Komitees absteckt. In mehreren Überarbeitungsschritten führte das Dokument aus der Feder des Franzosen Sylvestre Glancier zu einem Manifest des Writers for Peace-Committees, das von der Delegiertenversammlung auf dem 79. Internationalen Kongress im September 2013 in Reykjavik angenommen wurde und hier wiedergegeben werden soll: Bled Manifesto of the Writers for Peace Committee PEN International, the world’s leading association of writers, promotes a culture of peace based on freedom of expression, dialogue, and exchange. PEN is dedicated to linguistic and cultural diversity and to the vibrancy of languages and their cultures whether spoken by many or few. PEN International’s Writers for Peace Committee has therefore approved this Manifesto calling for the universal right to peace, based on the Lugano Declaration for Peace and Freedom (1987), the Appeal of Linz Protesting Against the Degradation of the Environment (2009) and the Belgrade Declaration (2011). It was adopted by the Assembly of Delegates at the 79th PEN International Congress in Reykjavik (September 2013).



Das Writers for Peace-Committee 

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1.

All individuals and peoples have a right to peace and this right should be recognised by the United Nations as a universal human right. 2. PEN promotes discussion and dialogue between writers from countries in conflict and across regions of the world where wounds are open and political will is unable to address tensions. 3. PEN seeks to bring together people from around the world through literature and discussion amongst writers and with the broad public. 4. PEN considers one of the world’s greatest challenges to be the transition from violence to debate, discussion and dialogue. We aim to be active participants in this process promoting where necessary the principles of international law. 5. In order to achieve the conditions for peace, freedom of expression and creativity in all its forms must be respected and protected as a fundamental right so long as it respects all other basic human rights in accordance with the principles of the Universal Declaration of Human Rights. 6. PEN acknowledges that it is of primary importance to be permanently committed to creating conditions that can lead to ending conflicts of all kinds. There is neither freedom without peace, nor peace without freedom; social and political justice is inaccessible without peace and freedom. 7. In order to achieve sustainable conditions for peace, PEN calls for the respect of the environment in conformity with the Rio Declaration on Environment and Development (1992). We condemn the excesses of technology and financial speculation that contribute to the impoverishment of a large part of the world’s population. 8. PEN respects and defends the dignity of all human beings. PEN opposes injustice and violence wherever they are found, including oppression, colonisation, illegal occupation and terrorism. 9. In accordance with the principles of freedom of expression and justice, every individual or group involved in conflict has the right to demand non-violent solutions to conflict and should be free to petition and appeal to international institutions and government authorities. 10. All children have the right to receive a comprehensive peace and human rights education. PEN promotes the implementation of this right.2

Diese Erklärung zeigt die Erweiterung reiner Friedenspolitik zu einer ganzheitlichen Menschenrechtspolitik, die ökologische Inhalte wie beispielsweise die Themenfelder ‚Erneuerbare Energien‘ und ‚Wasser‘ ebenso mit einschließt wie das grundlegende Recht auf Bildung. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf einen Internet-Blog: diesem kann man entnehmen, welche Krisengebiete in der Aktivität des Friedenskomitees eine große Rolle spielen.3 Der Konflikt zwischen Israel und Palästina hat mit zahlreichen Wortmeldungen der unterschiedlichsten Schriftsteller seine Spur hinterlassen. Neben Äußerungen von international prominenten Autoren wie Mahmoud Darwish und Amos Oz sind Beiträge des WfPC-Beauftragten der romanischen

2 Verfügbar unter: http://www.pen-international.org/wp-content/uploads/ 2014/01/ Bled-Manifesto. pdf (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). 3 Verfügbar unter http://permanentwhisper.penclubeportugues.org (letzter Zugriff 17. 9. 2013).

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 Hans Thill

Schweiz, Zeki Ergas, zu finden oder Berichte der Dichterin und Philologin Bluma Finkelstein über die alltägliche Diskriminierung arabischer Bürger in Israel. Doch auch auf die jüngsten Ereignisse im Bereich ökologischer Unglücksfälle von verheerendem Ausmaß reagierte das Writers for Peace-Commitee. Eine umfangreiche Erklärung vom 11. Mai 2011 bekundet Solidarität mit den Opfern der Reaktorkatastrophe in Japan: Déclaration du Comité des Écrivains pour la Paix du Pen International sur le problème nucléaire Nous exprimons notre grande solidarité avec le PEN japonais et tout le peuple japonais qui souffre des conséquences de la catastrophe de Fukushima, ainsi qu’au peuple russe et ukrainien qui souffrent encore des effets de Tchernobyl. L’information des citoyens sur les risques du nucléaire est capitale. Elle ne doit pas être confisquée par des experts oeuvrant pour une conception centralisatrice du pouvoir. La gestion du nucléaire ne doit pas être laissée de manière opaque à des sous-traitants. Il faut une transparence de débat au sein des parlements représentatifs. Des instances de réflexion sur le développement des énergies durables non productrices de CO2 doivent être constituées, auxquelles les citoyens seront associés.4

Wenige Tage später erschien eine Resolution, in der das Writers for Peace-Committee sich mit den türkischen Schriftstellerkollegen solidarisch erklärte. Die Erklärung vom 16. Mai 2011 protestiert gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheit in der Türkei: Statement of protest against the situation of the freedom of expression in Turkey Having observed with great anxiety the situation of the freedom of expression in Turkey, we, writers representing more than 30 PEN centres from all over the world, gathered at the General Assembly of the Writers for Peace Committee of International PEN, held on the 7th of May 2011 in Bled (Slovenia), strongly protest against measures infringing freedom of expression in Turkey and demand the immediate release of all detained journalists, writers and translators. Moreover, we emphasize that the internet is a major area for the freedom of expression and this freedom must not be censored.5

Die jährlichen Treffen in Bled haben den Charakter von literarischen Fachtagungen, aber auch von Initiativsitzungen eines Friedenskomitees. Den Tagungen wie der gesamten Arbeit der WfPC könnte man als Motto ein Zitat von Roland Barthes voranstellen: Guerre des langues, paix des textes – Krieg der Sprachen, Friede der Texte. Die Thesen und Überlegungen der Vorträge kreisen um die Idee, ein neues Verhältnis unter den Bewohnern der Welt sei vor allem kulturell zu formen, da die wirtschaftlichen und religiösen Beziehungen durch krasse Ungleichheit geprägt sind. Der Abstraktion der Zahlen die Konkretheiten menschlichen Lebens und die kulturelle Vielfalt der Völker entgegenzusetzen, ist das Programm der WfPC. 4 Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclubeportugues.org/2011/05/ declaration-du-comite-des-ecrivains.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). 5 Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclubeportugues.org/2011/05/ statement-of-protestagainst-situation.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014).



Das Writers for Peace-Committee 

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Zu den konkreten Initiativen des WfPC gehören die Teilnahme an zahlreichen Regionalkonferenzen, die Vorbereitung einer Charte sur le Developpement durable (Charta zur nachhaltigen Entwicklung) und verschiedene Friedensaktivitäten im Nahen Osten. Zahlreiche Petitionen, insgesamt bislang 32, die die Situation in verschiedenen Weltregionen wie etwa Columbien, China, Tibet, Burma, Korea, Iran und Russland betrafen, wurden vom WfPC verfasst und öffentlich gemacht. Das WfPC engagiert sich weiterhin für sprachliche Minderheiten in Österreich und hat verschiedene Projekte in Haifa, Triest und Fernost initiiert. Zu erwähnen ist auch der Okinawa Peace Price, der vom japanischen PEN vergeben wird. Die vielfältigen Aktivitäten des Writers for Peace-Commitees finden oft im Verborgenen statt. Das steht ursächlich in direktem Zusammenhang mit dem quasi-diplomatischen Charakter mancher Initiativen und der Tatsache, dass das Komitee meist dann tätig wird, wenn die großen Konflikte aus den Weltnachrichten schon wieder verschwunden sind. Allerdings wird es in der Zukunft auch darauf ankommen, dass die Tätigkeit des WfPC, die ja direkt in den Kernbereich des humanitären PEN-Engagements gehört, eine größere Öffentlichkeit findet.

Literatur- und Quellenhinweise Bled Manifesto of the Writers for Peace Committee. Verfügbar unter: http://www.pen-international. org/wp-content/uploads/ 2014/01/ Bled-Manifesto.pdf (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Déclaration du Comité des Écrivains pour la Paix du Pen International sur le problème nucléaire. Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclube portugues.org/2011/05/declaration-ducomite-des-ecrivains.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Kraft, Gisela: Writers-for-Peace-Committee. In: P.E.N.-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2009/2010. Redaktion: Jens Wonneberger. Wuppertal: Peter Hammer 2009, S. 51f. Statement of protest against the situation of the freedom of expression in Turkey. Verfügbar unter: http://permanentwhisper.penclubeportugues.org/2011/05/ statement-of-protest-againstsituation.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Thill, Hans: Writers for Peace Committee. In: PEN-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer 2012, S. 554f. Writers-for-Peace. Verfügbar unter: http://www.pen-deutschland.de/de/themen/ writers-for-peace/ (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Writers for Peace. Verfügbar unter: http://www.pen-international.org/who-we-are/writers for peace (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014).

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 Hans Thill

Präsidenten des WfPC 1984–1992:

Miloš Mikeln, Dramatiker, Journalist und Satiriker; Begründer des WfPC. Betrieb zusammen mit dem Vorstand des Slowenischen PEN aktive Friedenspolitik.

1994–2000: Boris A. Novak, Lyriker; engagierte sich vor allem für die Unterstützung der Schriftsteller des ehemaligen Jugoslawiens im Bürgerkrieg. 2000–2006: Veno Taufer, Lyriker und Journalist; Mitbegründer der dissidentischen Tageszeitung Nova revija. Seit 1987 Mitglied des ‚Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte‘. 2006–2013: Edvard Kovač Theologe, Philosoph Essayist, Spezialist für philosophische Anthropologie.

Vize-Präsidenten des WfPC 1992–1994: 2000–2003: 2003–2009: 2009– :

Hüseyin Erdem Musa Kaval Kjell Olaf Jensen; Norwegischer PEN Teresa Salema; Portugiesischer PEN

Franziska Sperr

Das Writers in Exile-Programm Exil – das ist ein Stück Lebenszeit, unfreiwillig verbracht in einem Land, das nicht die Heimat ist, mit Leuten die fremd, deren Sprache, Zeichen, Gesten, Mimik oft schwer oder gar nicht zu verstehen sind. Ein Alltag zwischen Zukunftsangst, Trauer und auch Dankbarkeit. In der Emigration während der Naziherrschaft, schreibt Thomas Mann über seine Schicksalsgenossen, sei einer nach dem anderen an überanstrengtem Herzen gestorben. Der Internationale PEN hatte sich längst vorher, nämlich bereits einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, 1921, in London gegründet. Unter dem Eindruck des Grauens, das der Krieg über die Menschen gebracht hatte, auch unter der Last des moralischen Versagens und bestürzt über die anfängliche Kriegslust und Unbekümmertheit, die auch viele Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler hoffnungsfroh und erhobenen Hauptes in den Krieg ziehen ließ. Die gewaltige Erschütterung, das nachbebende Entsetzen und schließlich die nicht wieder gut zu machenden Folgen waren der Boden für eine Charta, in der sich – bis heute – die Mitglieder verpflichten, „jeder Art der Unterdrückung, der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegen zu treten“ und sich „mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass“1 einzusetzen. Das Problem des Exils stand damals noch nicht auf der Agenda der poets, essayists and novelists. Dass das deutsche PEN-Zentrum in der Frage des Exils für verfolgte Schriftsteller besonders aktiv ist, erklärt sich auch aus der deutschen Vergangenheit. Als Michael Naumann, der damalige Kulturstaatsminister zusammen mit dem PEN das Programm Writers in Exile aus der Taufe hob, begründete er das besondere Engagement damit, dass es für uns in Deutschland eben auch darum gehe, einen Teil jener ‚Dankesschuld‘ abzutragen, die sich aus der Tatsache herleite, dass während der Nazi-Diktatur so viele deutsche Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler in anderen Ländern Aufnahme fanden. Das Programm wurde 1999 als Ergänzung zur Writers in Prison-Arbeit, für die viele Jahre lang Karin Clark, später Katja Behrens und Dirk Sager zuständig waren, ins Leben gerufen. Ausgeheckt hatte das Staatsminister Naumann zusammen mit Elsbeth Wolffheim, die in den folgenden zweieinhalb Jahren das Programm mit liebevoller Hartnäckigkeit, seelenvoll und mit vorbildlichem Feingefühl betreute. Was für ein Schock, als die geliebte und hoch geachtete Elsbeth während der Jahrestagung 2002 in Darmstadt völlig überraschend starb. Der Stipendienplatz für Exilautoren, den die Stadt Darmstadt im Jahr 2004 einrichtete, ist aus gutem Grund nach ihr benannt worden.

1 Die Charta des PEN International. In: PEN-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Redaktion: Rudi Schweikert. Wuppertal: Peter Hammer 2012, S. 9.

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So, wie die Zustände auf der Welt heute sind, ist die auf den Grundsätzen der PEN-Charta fußende Arbeit für verfolgte Schriftsteller, Journalisten und Verleger niemals getan, im Gegenteil, sie nimmt immer weiter zu, die „Fälle“ werden mehr und mehr, wie man aus der vom Londoner Büro des PEN halbjährlich versandten Case-list ersehen kann. Es ist eine mühevolle, zeitraubende und oft deprimierende Sisyphosarbeit. Von A bis Z, von Albanien bis Zimbabwe, sind in der Case-list in alphabetischer Reihenfolge der Länder die dem Writers in Prison-Komitee bekannt gewordenen Fälle von Bedrohung, Verfolgung, Folterung und Ermordung von Schriftstellern, Journalisten und Verlegern aufgeführt. Die „Fälle“, das sind Autoren, deren Meinungsäußerung den jeweiligen Herrschenden nicht passt, deren Texte zensiert werden, Menschen, die verhaftet, abgeurteilt und mit Publikationsverbot bestraft werden, wenn man ihnen nichts Schlimmeres antut. Die Mittel, mit denen Menschenrechtsorganisationen wie der PEN versuchen, den Verfolgten, Drangsalierten, mit Tod und Verbannung Bedrohten und ihren Familien zu helfen, mögen lächerlich erscheinen angesichts der Machtmittel, die den Verfolgern zur Verfügung stehen. Wir schreiben höfliche Briefe an Diktatoren, denen wir lieber unsere Empörung ins Gesicht schreien möchten; wir machen Eingaben bei den zuständigen Behörden; wir geben Außenministern, Kanzlern und Präsidenten Listen mit den Namen der Opfer mit ins Gepäck, wenn sie zu Staatsbesuchen in die entsprechenden Länder aufbrechen; wir setzen die uns zur Verfügung stehenden Mittel ein und versuchen, das, was die Täter lieber im Dunkeln bewahrt hätten, ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Manchmal, selten genug, haben wir Erfolg. Das sind dann die Sternstunden, die für alle Mühen und Enttäuschungen entschädigen. Aber gerade, wenn diese Arbeit erfolgreich ist, und bedrängte Schriftsteller ihren Verfolgern entkommen können, stellt sich bereits ein neues Problem: wie bekommen sie ein Dach über dem Kopf, wovon sollen sie und ihre Familien leben, wie können sie und ihre Familien ihre Traumata einigermaßen bewältigen, und last but not least: wie können sie als Schriftsteller überleben? Aus diesem Grund hat der deutsche PEN mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung das Writers in Exile-Programm ins Leben gerufen. In zunächst vier Städten wurden Wohnungen für Exilschriftsteller eingerichtet. Inzwischen ist das Programm auf acht Stipendienplätze erweitert worden. Die ausländischen Kollegen, die in diesem Exil-Programm Aufnahme finden, erhalten aus einem beim Staatsminister für Kultur und Medien angesiedelten Etat ein – zunächst auf ein Jahr befristetes – Stipendium, die Wohnung wird manchmal von der gastgebenden Gemeinde, manchmal ebenfalls aus dem Writers in Exile-Programm bezahlt und die Geschäftsstelle des PEN in Darmstadt sowie freiwillige Helfer aus den Reihen der PEN-Mitglieder oder des PEN-Freundeskreises sorgen dafür, dass den Stipendiaten bei den vielfältigen Problemen des Alltags geholfen wird. Gleichzeitig bemüht sich der PEN zusammen mit Universitäten und Sprachinstituten, für diese Autoren Kontakte zu Verlagen, Übersetzern und Redaktionen herzustellen, organisiert mit engagierten Studenten Lesun-



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gen und Diskussionsveranstaltungen, und sorgt dafür, dass Texte der Stipendiaten übersetzt werden und in Publikationen und Anthologien erscheinen können, um die in Deutschland oft völlig unbekannten Autoren mit ihrem Werk dem einheimischen Publikum vorzustellen. An die 50 Stipendiaten aus 16 Ländern konnten wir seit dem Start 1999 in unserem Programm aufnehmen. Schriftsteller aus Algerien, Bangladesch, Belarus, China, Iran, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nigeria, Russland, Serbien, Sierra Leone, Simbabwe, Sri Lanka, Syrien, Togo, Tschetschenien, der Türkei, Tunesien und Vietnam. Manche von ihnen kehrten in ihre Heimatländer zurück, weil sich die politische Lage dort inzwischen verbessert hatte und sie nicht mehr von Verfolgung bedroht wurden. Aber in den meisten Fällen trat eine solche für die Betroffenen glückliche Wende nicht ein. Gerade in der Arbeit und im Zusammenleben mit Menschen, die in unserem Land im Exil leben, kann man lernen, dass die Akzeptanz kultureller Verschiedenheit und die Vorstellung universell geltender Menschenrechte sich gegenseitig bedingen und nicht, wie oft behauptet wird, sich ausschließen. In unserer Zeit sind es in aller Regel die Unterdrücker, die Diktatoren, die selbsternannten Volkserzieher, die sich bei der Abwehr der Forderungen nach Menschenrechten und Demokratie auf unvereinbare kulturelle Identitäten berufen, während die Verfolgten, besonders die verfolgten Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, regelmäßig die immer gleiche Idee der Menschenrechte ins Feld führen, von der ihre Gegner behaupten, sie sei ein ihrer Kultur fremdes eurozentristisches Konstrukt. Die Schriftsteller, die zu uns ins Exil kommen, wollen als Künstler, nicht als bedauernswerte, arme Gestalten wahrgenommen werden. Sie wollen die wertvollen Traditionen ihrer Kultur mit den neuen Erfahrungen verknüpfen. „Da mögen verbohrte Politiker noch so arrogant von nützlichen und unnützen Immigranten reden. Der ‚Nutzen‘ eines interkulturellen Austausches ist nicht messbar nach Zahlen oder greifbarer Beschleunigung unserer wirtschaftlichen Entwicklung: Jede Nation profitiert vom Dialog mit Vertretern anderer Kulturkreise. Und wer wäre für diesen Dialog prädestinierter als die Intellektuellen?“2, schrieb Elsbeth Wolffheim im Nachwort der Anthologie Stimmen aus dem Exil. Viele derer, die bei uns Aufnahme finden, gehörten zu Hause zur geistigen Elite. Hier müssen sie ganz von vorne anfangen. Guten Tag. Danke. Bitte. Die Kollegen vom PEN-Zentrum und die ehrenamtlichen Helfer stoßen bei der Arbeit im Exilprogramm immer wieder auf unerwartete Probleme, auf Situationen, die man sich vorher nicht vorstellen konnte. Der tägliche Kampf mit den Ausländerbehörden und den Krankenkassen, die Suche nach geeigneten Instituten für den Sprachunterricht, die Begleitung bei Behördengängen und Arztbesuchen beanspruchen Kraft und Geduld. Dazu kommen die ganz praktischen Alltagsprobleme: Ein berühmter und gefeierter, nun aber verfolgter Dichter aus – sagen wir – Bangladesh 2 Elsbeth Wolffheim: Das Writers in Exile-Programm. In: E. W. (Hrsg.): Stimmen aus dem Exil. Darmstadt: P.E.N.-Zentrum Deutschland 2000, S. 118–120, hier S. 119.

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oder Togo oder …, der in seinem Land zur Oberschicht gehörte und noch nie einen Staubsauger in der Hand hatte, geschweige denn Mehl, Butter oder Reis in einem deutschen Supermarkt kaufen oder einen deutschen Handyvertrag abschließen musste, ist ohne Hilfe total aufgeschmissen. Eine Wohnung und monatliches Geld zum Leben, das ist das eine, aber die Handreichungen, die er für seinen Alltag hier braucht, müssen organisiert werden. Oft fühlen sich die Stipendiaten einsam, sie kommen aus ihrer düsteren Stimmung nicht allein heraus. Manchmal werden sie sogar aggressiv, oder sie lassen sich hängen und vergraben sich in ihrem Schmerz. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer wäre das Programm Writers in Exile gar nicht durchführbar. Wir legen unseren ausländischen Kollegen ans Herz, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen. Nicht, weil wir sie mit Haut und Haar an uns, unsere Kultur, unsere Traditionen anpassen wollen, sondern weil wir sie unterstützen möchten, so rasch wie möglich selbständig zu werden und sich – so weit möglich – hier ein wenig zu Hause zu fühlen. Häufig dauert es ein Jahr oder länger, bis ein Stipendiat sich die rudimentärsten Grundkenntnisse der deutschen Sprache aneignen kann. Natürlich hat es jemand, der aus einem afrikanischen Land kommt und ohnehin fließend Französisch oder Englisch spricht, in dieser Hinsicht leichter als jemand, der aus China oder Vietnam zu uns kommt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Schriftsteller sich oft besonders schwer tun, Deutsch zu lernen, weil sie sehr hohe Ansprüche an die eigene Ausdrucksfähigkeit haben und sich deswegen nicht mit der selben Unbekümmertheit in der fremden Sprache bewegen wie andere. Oft ist da der Einzelunterricht erfolgreicher als die üblichen Sprachkurse. Manche unserer hier angekommenen Kollegen sind persönlichen Lebensumständen entflohen, die schwerste Traumatisierung zur Folge haben. Nervenaufreibende Verfolgungen, oft über lange Zeit hinweg, Haft und Folter, viele werden das, was sie gerade erlebt haben, auch hier, wo sie sich in Sicherheit fühlen dürfen, noch lange nicht los. Hier ist die persönliche Betreuung, in schweren Fällen auch die professionelle Betreuung etwa durch das Berliner Traumazentrum lebensnotwendig. Und doch gibt es die Kollegen, die irgendwann fast trotzig einen Schlussstrich ziehen wollen unter ihr Leiden, wie etwa Faraj Sarkohi, der sich in einer Pressekonferenz in Berlin bei den Journalisten beklagte: „Fragt uns doch nicht immer nach den KerkerErfahrungen! Fragt uns nach unseren literarischen Plänen, nach unserer Arbeit!“ Das Einleben im Gastland, die Konzentration auf die eigenen Texte, Recherchen und die literarische Arbeit, oder gar die Lust auf eine neue Sprache sind oft erst nach sehr langer Zeit möglich. Vor allem für die, die das Writers in Exile-Programm nach einem, zwei oder drei Jahren verlassen und nicht in ihre Heimat zurückkehren können, sondern Asyl beantragen, ist das Erlernen der deutschen Sprache aber extrem wichtig. Ohne Deutschkenntnisse ist ein selbständiges Leben in Deutschland nicht möglich. Dabei sollte es nicht darum gehen, den bei uns im Exil Lebenden abzuverlangen, dass sie sich den Sitten und Gebräuchen des Gastlandes möglichst weitgehend anpassen und sich selbst zu Deutschen machen. Vielmehr kommt es darauf



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an, Bedingungen zu schaffen, unter denen sie – um ein Wort Adornos aufzugreifen – „ohne Angst“ und ohne Diskriminierung „verschieden sein können.“3 Ja, es ist Sisyphosarbeit, die da in den Writers in Prison-Comitees und im Writers in Exile-Programm des PEN, in den Arbeitsgruppen von amnesty international und in den zahlreichen anderen Non-Government- und Menschenrechtsorganisationen geleistet wird. Aber wenn man an die Kollegen denkt, denen geholfen werden konnte und kann, ihren Verfolgern zu entkommen, oder deren Los wir auch nur ein wenig erleichtern können, dann scheint die Passage am Ende des Essays von Albert Camus über den ‚Mythos von Sisyphos‘ wahrer denn je: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“4 Immer wieder kommt es vor, dass Journalisten oder Schriftsteller auch im Exil nicht vor Drohungen der Geheimdienste ihrer Länder, der Mafia oder anderer feindlicher (religiöser) Gruppen sicher sind. In manchen, gottlob seltenen, Fällen ist es nötig, polizeilichen Personenschutz anzufordern, Schlösser auszutauschen oder Wohnungen mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen auszustatten. Zwei Mal musste eine ganze Familie in eine andere Stadt umziehen, da sie von ihren Verfolgern gefunden und bedroht wurde. In solchen Fällen kann es lange dauern, bis die Atmosphäre aus Misstrauen und Angst überwunden wird – wenn das überhaupt gelingt. Die Betreuer, das Personal der Geschäftsstelle und nicht zuletzt die deutschen Kollegen und Helfer müssen mit Feingefühl und Behutsamkeit dafür sorgen, dass sich das Exil in Deutschland als sicherer Boden erweist, dass die Ängste in den Hintergrund treten und sich in den „überanstrengten Herzen“ ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit ausbreiten kann. Das deutsche PEN-Zentrum arbeitet seit vielen Jahren eng mit anderen PENZentren zusammen, die sich in der Exil-Arbeit engagieren. Das sind vor allem viele PEN-Zentren in Europa, das kanadische, die beiden US-amerikanischen, das japanische und die australischen PEN-Zentren. Darüber hinaus kooperieren wir eng mit dem Internationalen PEN in London und anderen Nicht-Regierungs- und Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, Reporter ohne Grenzen, Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, Heinrich-Böll-Stiftung oder Städte der Zuflucht und ICORN. Inzwischen ist ein solches Netzwerk und die darauf fußende gegenseitige Hilfe und Beratung aus der Arbeit für verfolgte Kollegen nicht mehr wegzudenken. Aber zu diesem Netzwerk gehören nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen wie z. B. Rechtsanwälte, Trauma-Psychotherapeuten, Ärzte oder hilfsbereite Studenten, Nachbarn und Privatleute, die manchmal zu Freunden werden. Der Nutzen dieses Netzwerks liegt vor allem im Austausch von Erfahrungen und Informationen. 3 Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Bd.  4. Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschädigten Leben. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, S. 116. 4 Albert Camus: Der Mythos Sisyphos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006, S. 160.

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Auch wenn es darauf ankommt, weltweite Kampagnen durchzuführen, wie das der Fall war für den nigerianischen Menschenrechtsaktivisten Ken Saro-Wiwa, den Schriftsteller Salman Rushdie oder den iranischen Autor und Verleger Faraj Sarkohi. Die Zusammenarbeit in einem solchen globalisierten Netz ist sinnvoll, nicht nur bei der Mobilisierung der Weltöffentlichkeit, sondern auch bei den vielfältigen Problemen des Exils in Deutschland. Sobald sich die politische Situation in den Herkunftsländern der Stipendiaten grundlegend verbessert, ihnen keine Verfolgung mehr droht und sie ihr Leben zusammen mit ihren Familien und Freunden in Sicherheit leben können, kehren die allermeisten in ihr Land, in ihr Sprachmilieu und zu ihrer Leserschaft zurück. Leider sind die Umstände zumeist nicht danach. Also müssen sie auf Dauer hier bleiben oder sich in einem anderen westlichen Land niederlassen. Unser PEN-Zentrum hilft in diesen Fällen den ehemaligen Stipendiaten dabei, in Deutschland oder in einem anderen Land einen sicheren Aufenthaltsstatus zu erlangen. Allen Stipendiaten ist gemein, dass sie gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Doch jedes Schicksal ist anders, jedes Schicksal ist ein ganz besonderes. Hinter jedem, der zu uns kommt, liegen schwere, oft für Leib und Leben extrem gefährliche Wochen, Monate oder Jahre. Manche sind körperlich misshandelt worden, vergewaltigt, bedroht und in Todesangst versetzt. Sie können, auch wenn sie ihr Leid und die Anstrengung mit Disziplin hinter gespielter Gleichmut verstecken, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und sich in den deutschen Alltag werfen. Manchmal kommt die Trauer erst an die Oberfläche, wenn die Aufregung der ersten Wochen nachgelassen hat, dann kommt das hoch, was sie mit der letzten Kraft niederzudrücken versucht haben. Bei anderen erkennt man bereits beim ersten Blickkontakt die schwere Traumatisierung, wie gravierend die totale psychische Entwurzelung ist, das komplette Herausgerissensein aus dem eigentlichen Leben: Für gerettete Verfolgte ist Heimat der Ort wo man geboren ist, lange gelebt hat und nicht mehr hin darf. Diese Heimat bleibt der intimste Feind, den man hat. Man hat alle, die man liebt, zurückgelassen. Und die sind weiter so ausgeliefert, wie man selber war. Über diesen Schmerz können wir kaum hinweghelfen, aber wir können denen zuhören, die darüber berichten.5

Die Arbeit im Exilprogramm des PEN ist anstrengend und manchmal ist auch der ein oder andere Ehrenamtliche überfordert. Es ist allerdings kaum zu beschreiben, wie bereichernd der Kontakt mit den Stipendiaten sein kann. Es gibt Menschen, die sind ein Häufchen Elend, wenn sie hier ankommen, deprimiert und auch mit liebevollen Gesten, Blicken und Handreichungen kaum zu erreichen. Sie sind mit sich und ihrem Unglück beschäftigt, oft dauert der Zustand lange an. Aber irgendwann 5 Herta Müller über Liao Yiwu. Diesseitige Wut, jenseitige Zärtlichkeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 8. 2011. Verfügbar unter: http://www.faz. net/aktuell/feuilleton/herta-mueller-ueber-liaoyiwu-diesseitige-wut-jenseitige-zaertlichkeiten-11126134-p4.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014).



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kommen die meisten wieder wenigstens ein bisschen auf die Beine. Und was für ein Glück es bedeutet, wenn die Versuche, jemanden aufzurichten, nicht umsonst waren, wenn sie ganz langsam wieder zu den Persönlichkeiten werden können, die sie wohl gewesen waren, bevor sie zu Hause ins Unglück gestürzt wurden: humorvoll, schlagfertig, mit blitzenden Augen und spitzbübischem Lachen. Wenn peu à peu ihre Klugheit und Intellektualität, die Fähigkeit zur Ironie und ihre Herzlichkeit und Wärme wieder ans Tageslicht kommen, oft nach monatelanger seelischer Düsternis. Solche Erfahrungen zu machen ist für unser Leben ein großes Glück. Es gibt Gespräche und Situationen, die man nie vergessen wird, es sind Glücksmomente, die man anderen kaum mitteilen kann. Etwa bei Faraj Sarkohi, den ich das erste Mal sah in einem Bus auf dem Weg in die KZ-Gedenkstelle Dachau. Die PEN-Jahrestagung fand in München statt, und als die Busfahrt als einer der Programmpunkte angeboten wurde, meldete sich Faraj sofort an. Er, der ein paar Tage zuvor in Deutschland gelandet war. Er war einem Schicksal entronnen, das dem der KZ-Insassen gleich kam. Wir alle versuchten, ihn abzuhalten, sich das nicht anzutun, aber er blieb stur. Er saß im Bus neben mir, zusammengesackt, dürr und klapprig, mit finsterer Mine, kettenrauchend. Noch unter dem Schah-Regime war er zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er kritisch war gegenüber der Regierung. Während der Revolution 1979 wurde er entlassen und gründete das Kulturmagazin Adineh. Bald war er einer der bekanntesten Schriftsteller und Intellektuellen des Iran, doch in den 1990er Jahren geriet er erneut in Konflikt – diesmal mit den Mullahs. Es folgten Gefängnis und Folter, in einem geheimen Strafverfahren wurde er zum Tode verurteilt. Aufgrund einer weltweiten Kampagne des PEN und anderer Menschenrechtsorganisationen und mit Hilfe der deutschen Diplomatie kam er frei und flog von Teheran nach München. Es dauerte lange, bis er sich einigermaßen erholte, das Writers in Exile-Programm bot ihm den Platz und die Ruhe, die er dringend brauchte. Heute, viele Jahre später, hat er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland, er schreibt – auf Deutsch – für etwa die FAZ über seine Heimat, hält Vorträge. Inzwischen lebt sein Sohn in Berlin, Faraj fühlt sich wohl in Deutschland und ist dem PEN weiter verbunden, er berät das Präsidium in Menschenrechtsfragen, engagiert sich in der Writers in Prison-Arbeit. Er ist mir ein Freund geworden, einer, mit dem ich oft und viel gelacht habe. Oder Mainat Kurbanova aus Tschetschenien. Sie arbeitete für verschiedene russische Zeitungen, dann berichtete sie immer häufiger über den Krieg und die unrühmlichen Taten des russischen Militärs und über die Gewalt in der Tschetschenischen Republik. Für ihre Reportagen wurde sie für den Andrej-Sacharov-Preis „Journalistik als Tat“ nominiert. Nach mehreren Morddrohungen verließ sie mit ihrer Tochter die Heimat. Als sie zu uns kam, sah sie unendlich traurig aus. In der Zeit, als sie Stipendiatin im Writers in Exile-Programm war, wurde ihre Kollegin bei der Novaja Gaseta, Anna Politkowskaja, im Flur ihres Hauses von hinten erschossen. Alles sah nach einem Auftragsmord aus. Der russische Präsident Putin, der am nächsten Tag in Berlin erwartet wurde, kündigte an, alles dafür zu tun, dass die Mörder gefasst

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würden. Anna Politkowskaja hatte sich in ihren Artikeln und Büchern mit der tschetschenischen Tragödie befasst und mit den mafiösen Machenschaften des russischen Militärs. Um den vom Deutschen PEN an sie verliehenen Hermann Kesten-Preis entgegen zu nehmen, war sie kurz vor ihrem Tod nach Darmstadt gereist. Zart und schmal, bescheiden und leise kam sie mir damals vor, als sie auf der Bühne stand mit dem großen Blumenstrauß. Als man sie fragte, ob sie denn keine Angst hätte, wenn sie jetzt wieder in die Heimat zurückkehrte, nach all den Todesdrohungen, da zuckte sie nur mit den Schultern, was wohl bedeutete, dass ihr keine Wahl blieb. „Mit beispielgebendem Mut hat sie sich um die Wahrheiten über den schmutzigen Krieg in Tschetschenien bemüht“ stand in der Todesanzeige, die der PEN in der Süddeutschen Zeitung und der FAZ platzierte.6 Der Mord an Anna Politkowskaja warf Mainat, die gerade ein bisschen Zutrauen zu ihrer Situation in Deutschland gewonnen hatte, wieder in die alte Angst zurück, die Angst, nicht nur um sich selbst, auch um ihre kleine Tochter. Heute, nach drei Jahren Writers in Exile-Stipendium, lebt sie in Wien, wo sie schreibt und veröffentlicht und viele Freunde hat. Ihre Tochter ist Klassenbeste, darauf ist sie zu Recht stolz. Oder Zhou Qing aus China, Schriftsteller und Spezialist für Oral History. Er beteiligte sich an der Demokratiebewegung und kam in Haft. Er weigerte sich, zu gestehen, was die Behörden ihm vorwarfen: Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Aufruf zum Umsturz. Die Haft wurde verlängert. Als er frei war, befasste er sich mit brennenden sozialen Problemen in China. Für seine Reportage über die Skandale der Lebensmittelwirtschaft, insbesondere über die verseuchte Babymilch erhielt er den Lettre Ulysses Award for the Art of Reportage. Mit seinen Büchern Krisen des Gesundheitswesens, Exil im Heimatland, Interviewanthologie mit Drogenabhängigen war er zu unbequem geworden, er musste fliehen. In ein Land, das ihm fremd war und dessen Sprache er nicht lernen konnte oder wollte – nach Deutschland. Oder Sergej Solowkin. Zweimal hat die russische Mafia versucht, ihn zu ermorden. Mit knapper Not sind er und seine Frau Emma den Anschlägen entronnen. Der russische Staat konnte oder wollte die beiden nicht schützen, weil der Mafiaboss, dem Sergej mit journalistischen Mitteln zusetzte, beste Beziehungen zum Kreml hatte. Sergej und Emma haben Asyl erhalten, sie leben, wenn auch finanziell kärglich von Sozialhilfe noch immer in München, trotzdem sind sie die großzügigsten Gastgeber. Ist man selbst mal schlechter Stimmung, dann muss man sich von Sergej und Emma in den Arm nehmen lassen und mit ihnen einen Wodka trinken. Die kernigen russischen Trinksprüche, die Sergej dann loslässt, verjagen jede schlechte Laune. Oder Hamid Skif, der in Algerien die erste freie Journalistengewerkschaft gründete und nach zwei zum Glück gescheiterten Attentaten auf ihn und seine Familie nach Deutschland fliehen konnte. Als französisch schreibender Autor schaffte er es, 6 Zitiert nach Wilfried F. Schoeller: Zum Gedenken an Anna Politkowskaja. Verfügbar unter: http:// www.pen-deutschland.de/de/2006/10/09/zum-gedenken-an-anna-politkowskaja-2/ (Letzter Zugriff: 12. 3. 2014).



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sich bald auch in Deutschland eine Leserschaft zu erobern. Ein charmanter Herr, mit dem man sich wunderbar über Gott und die Welt, Orient und Okzident unterhalten konnte. Als er das Exilprogramm schon wieder verlassen und sich in Hamburg gerade etabliert hatte, wurde er krank und starb bald darauf an einem Krebsleiden. Ein Verlust, der in allen, die ihn kennengelernt hatten, große Trauer auslöste. Oder Claudia Anthony aus Sierra Leone, die des „unverantwortlichen Journalismus“ bezichtigt wurde, und als sie weiter schrieb und recherchierte, stand eines Tages ihr Haus in Flammen. Oder Pinar Selek aus der Türkei oder Jorge Luis Arzola Benitez aus Kuba und Itai Mushekwe aus Simbabwe. Einige leben im europäischen Ausland, andere wollen nicht Asyl beantragen wenn ihr Stipendium endet, zu endgültig scheint ihnen damit die Abkehr von ihrem Land. Sie möchten mit dem Antrag auf Asyl nicht dokumentieren, dass sie keine Hoffnung mehr haben, dass sich die politischen Verhältnisse in ihrem Land bessern könnten, keine Hoffnung, dass die Verfolger ins Gefängnis gesperrt und unschädlich gemacht würden, keine Hoffnung mehr auf Frieden und Freiheit in ihrer Heimat. Was ist schlimmer, was ist am schlimmsten? Wenn man als Schriftsteller nicht mehr veröffentlichen darf? Wenn man unter Hausarrest steht? Wenn man Scheinerschießungen erleiden muss? Wenn man durchs Telefon bedroht und in Angst versetzt wird und nicht mehr wagt, die Wohnung zu verlassen? Wenn Freunde, Kollegen, Weggefährten ermordet werden? Eine Skala, ein Rating der Grausamkeiten kann es nicht geben. Was alle unsere Stipendiaten verbindet, egal woher sie kommen, ist, dass sie dazu verurteilt sind, dem Leben in ihrer vertrauten Heimat zu entfliehen und ins Exil zu gehen. Das ist ihr Schicksal, ihr gemeinsames Schicksal.

Literatur- und Quellenhinweise Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Bd. 4. Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschädigten Leben. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998. Camus, Albert: Der Mythos Sisyphos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006. Herta Müller über Liao Yiwu. Diesseitige Wut, jenseitige Zärtlichkeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. 8. 2011. Verfügbar unter: http://www.faz. net/aktuell/feuilleton/ herta-mueller-ueber-liao-yiwu-diesseitige-wut-jenseitige-zaertlichkeiten-11126134-p4.html (Letzter Zugriff: 13. 3. 2014). Schoeller, Wilfried F.: Zum Gedenken an Anna Politkowskaja. Verfügbar unter: http://www. pen-deutschland.de/de/2006/10/09/zum-gedenk en-an-anna-politkowskaja-2/ (Letzter Zugriff: 12. 3. 2014). Wolffheim, Elsbeth: Das Writers in Exile-Programm. In: E. W. (Hrsg.): Stimmen aus dem Exil. Darmstadt: P.E.N.-Zentrum Deutschland 2000, S. 118–120.

 II PEN in Deutschland

Ernst Fischer

Das Zentrum in der Weimarer Republik Von der Gründung bis zur Auflösung unter nationalsozialistischer Herrschaft (1923–1933)

1 Die Gründung und ihr (außen)politischer Kontext Als die englische Romancière Catharine Amy Dawson Scott im Oktober 1921 in London einen Schriftsteller-Club mit dem beziehungsvollen Namen PEN gründete, konnte sie nicht ahnen, welche Erfolgsgeschichte ihrer Initiative beschieden sein würde. Denn die zentrale Idee der Gründung – „ein Band der Freundschaft zwischen den Autorinnen und Autoren der Welt zu knüpfen, das dem Frieden und der Verständigung dienen soll“1 – war damals durchaus unzeitgemäß. Zwar hätte, nachdem sich im Ersten Weltkrieg die schwelenden nationalistischen Ressentiments zum Hass gesteigert hatten, allen Menschen guten Willens nichts wichtiger erscheinen müssen als das Bemühen, auf das zukünftige Zusammenleben der Völker befriedend einzuwirken. In Politik und Gesellschaft der vordem kriegsführenden Ländern war man aber weit davon entfernt, dem Gedanken an Versöhnung Raum zu geben, und zumal in Deutschland hatte sich mit dem Friedensdiktat von Versailles die Ausgangslage für solche Bestrebungen noch bedeutend verschlechtert: In den konservativen und rechtsgerichteten Kreisen hatte sich ob dieser Demütigung eine tiefe (und politisch folgenschwere) Verbitterung gegen die Siegermächte herausgebildet. Aber auch in England, Frankreich und anderen europäischen Ländern, die Opfer der vom Deutschen Kaiserreich ausgehenden Aggression geworden waren, herrschte politisch eine Stimmung vor, die auf eine Ausgrenzung Deutschlands aus der Familie der zivilisierten Völker gerichtet war. Ein Zusammenschluss von Schriftstellern, der den Teufelskreis aus Hass und Krieg aufsprengen wollte, lag im Grunde quer zur Zeitstimmung. Dass nun dieser PEN-Club, präsidiert von John Galsworthy, seiner internationalen Ausrichtung gemäß, auch auf die deutschen Schriftstellerkollegen zuging und sie ermunterte, sich der Gemeinschaft anzuschließen, setzte eine beachtliche Weitherzigkeit voraus. Umgekehrt war nicht zu erwarten, dass die deutsche Schriftstellerschaft, die sich im Rahmen der „Augustbegeisterung“ 1914 an die Spitze der Kriegshetzer und Militaristen gestellt hatte (wenn sie auch in weiten Teilen bald ernüchtert war), die großzügige Einladung ohne Weiteres annehmen würde. Eine Mischung von Scham und Stolz, Gekränktheit und Hochmut konnte hier ein ernstes Hindernis werden. 1 Angelika Mechtel: Nur sie hatte den Mut und die Kraft [Über Amy Dawson Scott]. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: C.  Bertelsmann 1986, S.  14–18, hier S.  16. – Vgl. den Beitrag von Dorothée Bores zur Gründungsgeschichte des Internationalen PEN in diesem Handbuch, S. 19–33.

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Es war dies auch ein Hindernis, aber kein unüberwindliches. Denn zwar nicht alle, aber doch einige der deutschen Literaten verstanden sofort, welche Chance sich für eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung bot, wenn es ihnen gelänge, Deutschland aus der Isolation zu führen und den ersten erfolgreichen Schritt zu setzen, der zur Wiederaufnahme ihres Landes in die Völkergemeinschaft führen würde. Es war im Grunde die gleiche Hoffnung im Spiel, die sie 1914 dazu getrieben hatte, als Kriegseinpeitscher aufzutreten (1915 lagen bereits 450 Bände und Anthologien mit Kriegsgedichten vor): die Hoffnung, sich als „geistige Führer“ an die Spitze der Nation setzen zu können und so die vielfältigen narzisstischen Kränkungen zu kompensieren, die seit dem ausgehenden 19.  Jahrhundert mit ihrem Abstieg zum lohnabhängigen Lieferanten der Kulturindustrie verbunden gewesen waren. Die ersten konkreten Vorbereitungsarbeiten zur Gründung eines deutschen PEN reichen in den Herbst  1922 zurück. Hermon Ould, nachmalig Generalsekretär des Internationalen PEN, war damals mit dem Auftrag nach Deutschland gereist, eine solche Gründung in die Wege zu leiten. Jahrzehnte später berichtete er in einer Rede in Berlin von den Schwierigkeiten, die dieser Auftrag mit sich gebracht hatte: Die zweite [Berührung mit Ihrem Land] war, glaube ich, 1922 oder 1923, als ich mit der festen Absicht herkam, den PEN-Club in Deutschland zu gründen. Zu jener Zeit erlebte er in verschiedenen Ländern Europas einen ziemlichen Aufschwung. Aber in Deutschland war es nicht möglich, die nötigen Kontakte herzustellen. Ich sah einige Ihrer Schriftsteller, leider sind mehrere von ihnen inzwischen tot, aber sie waren noch nicht bereit, in den PEN-Club einzutreten, wie ich es doch gehofft hatte. Ich erinnere mich besonders an Karl Federn, der später als bedeutender Mann nach England kam und dort starb. Karl Federn hatte starkes Interesse daran, daß der PENClub in Deutschland gegründet werden sollte, aber er nahm an, daß die Deutschen abgeneigt wären. Sie waren noch nicht dazu bereit gewesen, in den Staatenbund einzutreten.2

Zunächst galt es also, die Widerstände in der deutschen Schriftstellerschaft gegenüber einer von ehemaligen Feindländern ausgehenden Initiative zu überwinden. Seit September  1922 mühte sich eine Gruppe von Autoren um die Konstituierung eines Gründungsausschusses,3 und es weist auch alles darauf hin, dass es tatsächlich Karl 2 Hermon Ould: Rede auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress 1947. Abgedruckt in: Ursula Meinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongress 4.–8. Oktober 1947. Protokolle und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997, S. 129–130, hier S. 129. Es überrascht, dass Ould bereits Jahre vor dem Antritt seines Amts als Generalsekretär des Internationalen PEN in einer solchen Mission unterwegs gewesen sein soll. Indirekt findet die von London ausgehende Initiative aber eine Bestätigung durch eine Bemerkung Karl Federns: „Die englische Gruppe hatte sich sogleich auch nach Deutschland gewendet und ein vorbereitender Ausschuß trat in Berlin zusammen.“ Karl Federn: Der PEN-Klub. In: Die literarische Welt 2 (1926; Reprint Nendeln 1973) 20, S. 1. 3 Federn hierzu: „Die Verhältnisse lagen in unserem Lande besonders schwierig, und wie freundlich auch immer neue Aufforderungen und Einladungen aus den anderen Ländern kamen, es gelang erst Ende 1924 die Gruppe wirklich zu begründen.“ Karl Federn: Der PEN-Klub. In: Die literarische Welt 2 (1926; Reprint Nendeln 1973) 20, S. 1. Der Vorbereitungsgruppe gehörten insgesamt 20 Schriftsteller und Schriftstellerinnen an.



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Federn war, der in diesem Vorgang von Anfang an die zentrale Rolle gespielt hat. Aus seinen Briefen an Hermann Sudermann, einem zweiten wichtigen Proponenten, geht hervor, dass man sich über einzelne Formulierungen in der Satzung nicht einigen konnte. Es ging dabei um ein überaus sprechendes Detail, nämlich um die Möglichkeit, den unerwünschten Besuch einzelner ausländischer Autoren, insbesondere Franzosen, auf der Grundlage eines Satzungszusatzes ablehnen zu können.4 Sudermann hatte sich für einen solchen Zusatz ausgesprochen und damit ein Hindernis für die Annahme der Satzung geschaffen – Federn zufolge sogar die Gefahr einer Spaltung noch vor der offiziellen Gründung heraufbeschworen: Dieser Gegensatz, der ja im Grunde nur ein solcher der Taktik ist, zeigt nur wieder, in einer wie schwierigen Lage wir uns infolge all dieser bittern Verhältnisse befinden. Umso wichtiger scheint mir, dass wir uns die Schwierigkeiten nicht selbst verm[e]hren: wenn die Verbindung unserer Schriftsteller mit denen der ganzen Welt so zu stande [sic] kommt, wie wir es hoffen, werden wir in der Lage sein, unserm Lande grosse Dienste zu erweisen. Wir ringen nun schon elf Monate darnach uns überhaupt zu konstituiren [sic]; wenn wir uns jetzt nicht einigen, wird es nie gelingen.5

„Unserm Lande grosse Dienste zu erweisen“ – damit war ein Hauptmotiv der Schriftsteller, sich in dieser internationalen Vereinigung zu engagieren, offen ausgesprochen. Dass es Karl Federn war, der diesen Gedanken artikulierte, kam nicht von ungefähr: Der ursprünglich aus Wien stammende, nach kurzer Rechtsanwaltstätigkeit seit 1894 als freier Schriftsteller tätige Autor hatte sich, seit 1908 in Berlin lebend, mit Gedichten, Erzählungen und Novellen sowie Romanen und historischen Studien einen Namen gemacht, war im Ersten Weltkrieg als Sonderberichterstatter der Vossischen Zeitung in Lugano und 1919–1921 als Referent für italienische Angelegenheiten im Auswärtigen Amt tätig.6 Diese Tätigkeit dürfte ihn für Belange der deutschen Außenpolitik sensibilisiert haben – und der PEN hatte, wohl nicht nur für ihn sofort erkennbar, das Potenzial, als Instrument auswärtiger Politik eingesetzt zu werden. Übrigens trat Federn später, 1929, als Autor eines Weltkriegsromans (Hauptmann Latour) hervor, der ob seiner differenzierten und auch kritischen Darstellung im Dritten Reich verboten wurde. Er selbst, auch aufgrund seiner jüdischen Herkunft gefährdet, flüchtete 1933 nach Kopenhagen und ging anschließend ins Exil in London, wo er 1943 verstarb. Am 15. Dezember 1924 erfolgte nun die formelle Gründung der ersten deutschen PEN-Gruppe.7 Dem Gründungsausschuss gehörten damals an Ludwig Fulda, Karl 4 Karl Federn an Hermann Sudermann (23. 8. 1923). DLA, Cotta-Archiv, NL Sudermann, V 31, Bl. 11. 5 DLA, Cotta Archiv NL Hermann Sudermann V 31, Bl. 11. 6 Elsa Spreyermann-Griesser: „Federn, Karl“. In: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 44–45. Verfügbar unter URL: http://www.deutsche-biographie.depnd116427000.html (Letzter Zugriff: 30. 12. 2013). 7 Martin Gregor-Dellin zufolge hat sich das deutsche PEN-Zentrum bereits im Juni  1923, parallel zum österreichischen, gebildet und zwar aus „einer Reihe von Teilgründungen: in Berlin, Hamburg, München, Köln, Freiburg. Diese schlossen sich im Laufe der nächsten drei Jahre zu einem Zentrum zu-

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Federn, Marie von Bunsen, Harry Graf Kessler, Joachim Kühn, Walter von Molo, Albert Osterrieth, Rudolf Presber, Samuel Sänger, H. G.  Scheffauer, Hermann Sudermann sowie Fedor von Zobeltitz.8 Fulda wurde auf der Gründungssitzung zum ersten Präsidenten gewählt, Federn zum Sekretär, Elstner zum Schatzmeister und Osterrieth zum Schriftführer. Bemerkenswert erscheint die Berufung Ludwig Fuldas (1862–1939) an die Spitze des deutschen PEN-Zentrums. Qualifiziert hatte er sich für diese Position zweifellos in erster Linie durch den hohen Bekanntheitsgrad, den er sich als Lustspieldichter erworben hat; seine Stücke wurden um die Jahrhundertwende und bis 1932 auf hunderten von in- und ausländischen Bühnen gespielt. Auch als Übersetzer (aus sieben Sprachen) fand er Anerkennung – das ihm von Frankreich für seine Molière-Übertragungen verliehene Kreuz der Ehrenlegion war ihm allerdings 1914 wieder aberkannt worden. Damit ist bereits ein höchst bemerkenswerter Umstand angesprochen: Zum ersten Präsidenten dieser auf Versöhnung und Friedenspolitik ausgerichteten Vereinigung war in Deutschland ein bekennender Nationalist, ja Chauvinist berufen worden. Fulda war es gewesen, der zusammen mit dem befreundeten Hermann Sudermann und weiteren 91 Repräsentanten des Geisteslebens im Oktober 1914 den berüchtigten Aufruf an die Kulturwelt! (auch bekannt als Aufruf der 93) unterzeichnet hatte. Mehr noch, er hatte ihn in weiten Teilen selbst formuliert!9 Diese in aggressivem Ton gehaltene Propagandaschrift wies jede deutsche Schuld am Krieg zurück und glaubte, sammen.“ Diese Behauptung findet in den Quellen keinerlei Stütze; Gregor-Dellin projizierte hier die erst Jahre später erfolgte Errichtung lokaler Gruppen in die Entstehungszeit zurück. Die Darstellung ist auch sonst fehlerhaft. [Vgl.] Martin Gregor-Dellin: Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: M. G. D. (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Goldmann 1978, S. 14. – Ungefähr zur gleichen Zeit wurde in Österreich ein PEN-Zentrum errichtet; über dessen Geschichte informiert Roman Roček: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 2000. 8 Vgl. Ludwig Fulda: Briefwechsel 1882–1939. Zeugnisse des literarischen Lebens in Deutschland. Teil 2. Hrsg. von Bernhard Gajek und Wolfgang von Ungern-Sternberg. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 1988 (Regensburger Beiträge zur dt. Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe A/Quellen, Bd.  4), S. 908. 9 Vgl. Jürgen Ungern-Sternberg und Wolfgang von Ungern-Sternberg: Der Aufruf ‚An die Kulturwelt!‘ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Mit einer Dokumentation. Stuttgart: Steiner 1996. Vgl. ferner Fulda: Briefwechsel 1882–1939, Teil 2, S. 1023–1029; sowie Holger Dauer: Ludwig Fulda, Erfolgsschriftsteller. Eine mentalitätsgeschichtlich orientierte Interpretation populärdramatischer Texte. Tübingen: Niemeyer 1998 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 62), bes. S. 49f. – Dass Fulda den Basistext des Aufrufs verfasst hat, der dann von Sudermann bearbeitet und von dem Berliner Bürgermeister Georg Reicke in die endgültige Fassung gebracht wurde, ist auch das Ergebnis der Forschungen von Bernhard vom Brocke: ‚Wissenschaft und Militarismus‘. Der Aufruf der 93 ‚An die Kulturwelt!‘ und der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg. In: William Musgrave Calder, Hellmuth Flashar und Theo Lindken (Hrsg.): Wilamowitz nach 50 Jahren. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985, S. 649–719.



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auch den deutschen Überfall auf das neutrale Belgien rechtfertigen zu können: „Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten.“ Dass sich Fulda, der als Übersetzer zuvor noch wertvolle kulturelle Vermittlungsarbeit geleistet hatte, mit diesem schrillen Nationalismus persönlich vollkommen identifizierte, ergibt sich aus mancherlei sonstigen Äußerungen.10 Damit aber nicht genug: Während sich nach dem Krieg ein größerer Teil der Unterzeichner des „Aufrufs“ von ihrer damals eingenommenen Position distanzierte, lehnte Fulda dies ab.11 Bezeichnend – auch für spätere Debatten um das „Politische“ im PEN –, dass Fulda rückblickend auf sein Leben sich selbst zwar unverbrüchlichen Patriotismus bescheinigte, diesem aber keine politische Dimension zuschrieb: „Auch in der Nachkriegszeit habe ich meine Stimme immer nur im nationalen Sinn erhoben, bin niemals politisch hervorgetreten, habe in zahlreichen Ehrenämtern nur gemeinnützig und kulturell zu wirken versucht, namentlich für die Lebensinteressen meiner Berufsgenossen.“12 War Fulda mehr „Repräsentant oder Funktionär“?13 Tatsächlich war er an vielen „Fronten“ aktiv: Er war eine der treibenden Kräfte bei der Entstehung des Berliner Goethebundes 1900 (mit Hermann Sudermann); er gehörte zu den Begründern des bedeutenden Verbands der Deutschen Bühnenschriftsteller und war 20 Jahre lang dessen Vorsitzender; er wurde auch zum Vorsitzenden des ebenfalls bedeutenden Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (SDS) gewählt, konnte aber dieses Amt wegen seiner sonstigen Funktionärsbelastungen nicht annehmen. Schließlich gehörte Fulda 1926 – noch in seiner Amtszeit als PEN-Präsident – neben Arno Holz, Thomas Mann und Hermann Stehr zu den vier vom preußischen Kultusminister ernannten Gründungsmitgliedern der Sektion für Dichtkunst in der Preußischen 10 Maria Kühn-Ludewig: Erfolgreich – unter Feinden. Ludwig Fulda in seinem Briefwechsel 1882– 1939. In: Euphorion 85 (1991), S. 199–219, hier S. 208. Vgl. ferner Dauer: Ludwig, Erfolgsschriftsteller, S. 49f. und 51f. 11 Vgl. Ungern-Sternberg und Ungern-Sternberg: Der Aufruf, S. 61–80, und vor allem Brocke: ‚Wissenschaft und Militarismus‘, S. 661: Eine von dem Völkerrechtsexperten Hans Wehberg 1919 im Auftrag der Deutschen Liga für Völkerbund durchgeführte Umfrage ergab, dass 16 von 75 Befragten ohne Vorbehalt an dem Text des Aufrufs festhielten, unter ihnen Ludwig Fulda. 12 Fulda: Lebenslauf. In: Fulda: Briefwechsel 1882–1939, Bd. 2, S. 1034. In diesem 1933 geschriebenen Lebenslauf stand Fulda zu seiner „Propaganda-Tätigkeit für das Vaterland“ im Krieg, den er „wegen vorgerückten Alters“, als 53-Jähriger, nicht mit der Waffe in der Hand mitmachen konnte: „Ich habe längere Zeit im Aufklärungsdienst des Reichsmarine-Amtes gearbeitet, um den feindlichen Verleumdungen entgegenzutreten (vgl. den bekannten Aufruf der 93 an die Kulturwelt). Durch ungezählte Kriegsvorträge, Rezitationen, Broschüren und Kriegsgedichte (die vielfach in Anthologien übergegangen sind) trug ich nach besten Kräften dazu bei, die Stimmung in der Heimat zu heben. Lustspiele von mir wurden von fast allen Fronttheatern häufig gespielt.“ Fulda: Briefwechsel 1882–1939, Bd. 2, S. 1033. 13 Diese Frage wird von Maria Kühn-Ludewig aufgeworfen (Erfolgreich unter Feinden, S. 210).

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Akademie der Künste. Diese Ämterhäufung war kein Zufall; ein beträchtlicher Teil der Autorschaft fühlte sich von dem anhaltend erfolgreichen Theaterautor, der sich entschieden gegen jede Zensurbestrebung des Staates und tatkräftig für eine Stärkung des Urheberrechtes einsetzte, gut vertreten. Dies galt allerdings nicht für die jüngeren links bzw. linksbürgerlich orientierten Autoren: In einer von der Zeitschrift Die literarische Welt anlässlich der Akademiegründung veranstalteten Umfrage, wer die deutsche Literatur repräsentieren solle, erhielt Fulda nicht eine einzige Stimme, vielmehr wurde der Multifunktionär vom Herausgeber Willy Haas öffentlich attackiert: Wo es etwas Literarisches zu repräsentieren gibt, dem In- und Ausland gegenüber: da steht, aus einem rätselhaften Nebel von gesellschaftlichen Verbindungen und offiziellen Protektionen auftauchend, ausgerechnet dieser miserabelste Reimer der gesamten deutschen Literatur auf dem Podium. Damit müßte nun doch endlich einmal Schluß gemacht werden! Herr Fulda als Dichter existiert nicht; Herr Fulda als Privatperson ist sicher unantastbar; aber Herr Fulda als repräsentative Gesamterscheinung ist das Symbol einer Zeit- und Literaturstimmung, die in Grund und Boden vernichtet werden muß. Ein guter alter Onkel, ein brauchbarer Vorsitzender eines Kegelvereins hat nicht den deutschen Geist zu repräsentieren – heute nicht mehr! Damit ist es ein für allemal vorbei! Das möge sich das Kultusministerium, das durch diese Ernennung die ganze Institution von vorneherein auf das schwerste kompromittiert hat, gesagt sein lassen.14

Sicherlich war die (an französischen Vorbildern angelehnte!) Konfektionsarbeit, die Fulda für die Bühnen lieferte, nach 1918 nicht mehr das, wonach die Zeit verlangte.15 Doch hatte sich der Theaterdichter auch vielfältige berufspolitische Verdienste erworben. Nachdem sich der Jude Ludwig Fulda nach der Pogromnacht im November 1938 vergeblich um eine Ausreisevisum aus dem nationalsozialistischen Deutschland bemüht und schwerste Demütigungen erfahren hatte, beging er am 30.  März  1939 Selbstmord. In welchem Maße man Anfang der 1920er Jahre in London bereit war, über das rabiate Verhalten der deutschen Literaten im Krieg hinwegzusehen, belegt neben der vorbehaltlosen Akzeptanz von Fulda als Vorsitzendem auch die Tatsache, dass der englische Club bereits 1921 mit Hermann Sudermann und Gerhart Hauptmann zwei andere Unterzeichner des Aufrufs der 93 zu seinen Ehrenmitgliedern ernannt hatte.16 Diese Gesten der Versöhnung sollten strategisch den Weg frei machen für eine Ausweitung des PEN auf Deutschland. Dort hatte man in der Zusammenstellung des Gründungsausschusses offensichtlich auf den Grundcharakter des PEN Bedacht genommen, der in London als ein ‚dining club‘ entstanden und also auf gesellschaftliche Repräsentation abgestellt war. Deshalb wurden in der Hauptsache „salonfähige“ 14 Willy Haas: Meine Meinung. In: Die literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2. Auch in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918–1933. Mit einer Einleitung und Kommentaren hrsg. v. Anton Kaes. Stuttgart: Metzler 1983, S. 96. 15 Allerdings verzeichnete der Deutsche Bühnenspielplan noch für 1932 mehr als 400 Aufführungen; allein am Wiener Burgtheater wurden im Laufe der Zeit 15 seiner 38 Stücke aufgeführt. 16 [Gregor-Dellin:] Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N., S. 13.



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Vertreter der Schriftstellerschaft in die Gründungsvorbereitungen mit einbezogen. Ein Beispiel dafür liefert Marie von Bunsen, Tochter eines (liberalen) Reichstagsabgeordneten, Enkelin eines Diplomaten, Verfasserin von Biographien und Reiserzählungen, auch Aquarellistin, die ihre finanzielle Unabhängigkeit für ausgedehnte Reisen nutzte und in Berlin als Salonnière mit ausgewählten Gesellschaftskreisen in Verbindung stand. Ein anderes Beispiel ist Harry Graf Kessler, geboren 1868 in Paris; er hatte sich als adeliger Kosmopolit mit Lebensart für eine Mitwirkung im PEN zweifellos an vorderster Stelle empfohlen, in einem Club, in dem Weltläufigkeit mehr noch als literarische Reputation gefragt war. Zwar war Kessler auch als Verfasser biographischer und anderer Schriften hervorgetreten und hatte sich u. a. als Gründer der Cranach Presse oder als Direktor des Großherzoglichen Museums für Kunst und Kunstgewerbe in Weimar in Szene gesetzt. Vor allem aber hatte er im Ersten Weltkrieg sein politisches Engagement verstärkt: seit 1916 hatte er im Auftrag des Auswärtigen Amtes Verhandlungen mit französischen Delegierten geführt, war danach Botschafter in Polen und organisierte dort die Rückführung der deutschen Truppen; als Teilnehmer an den Konferenzen in Genua und Genf war er auf diplomatischer Ebene um eine Verständigung mit den Siegermächten bemüht. Das Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) war politisch und privat Walter Rathenau verbunden und hat dem 1922 ermordeten Politiker in einer Biographie ein Denkmal gesetzt. Graf Kessler hat sogar einen eigenen Völkerbundplan entworfen und lag damit ganz auf der Linie der Gründungsidee des PEN. Allerdings beobachtete er das Treiben in dem Klub mit einiger Distanz; bezeichnend dafür sind Tagebucheintragungen wie die vom Januar 1925 mit der Schilderung eines PEN-Abendessens: Als Anwesende nennt er u. a. Marie von Bunsen, Fulda, Federn, O. H. Schmitz – „meistenteils nur Fossilien“; es sei ein „trüber Abend“ gewesen.17 Der „rote Baron“, der mehrfach als Redner vor Gewerkschaftskongressen auftrat, scheint zum PEN innerlich Abstand gehalten zu haben. Die Zusammensetzung des Ausschusses zeigte somit eine weltanschauliche Gemengelage, bei einem Übergewicht konservativer Kräfte. Für letzteres sorgten neben einem Hermann Sudermann, der sich nach sozialkritischen Dramen immer stärker heimatverbundener Erzählliteratur zugewandt hatte, ein (damals vielgelesener) Rudolf Presber oder der in der Bibliophilenbewegung verankerte Fedor von Zobeltitz. Von besonderem Interesse ist die Beteiligung von Prof. Dr. Samuel Saenger, der zunächst Gymnasiallehrer war, bis 1907 für Maximilian Hardens Zeitschrift Zukunft schrieb und von 1908 bis 1933 als Redakteur der Zeitschrift des Verlags S. Fischer Die Rundschau tätig war. Gleichzeitig aber, von 1919 bis 1929, stand er als Diplomat in den Diensten des Auswärtigen Amtes – eine weitere Stärkung der Verbindungslinien zwischen deutschem PEN und deutscher Außenpolitik. Eine Betonung der internationalen Ausrichtung mag auch das Motiv für die Einbeziehung des deutschameri17 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918–1937. Hrsg. v.  Wolfgang Pfeiffer-Belli. Frankfurt am Main: Insel 1961, S. 409.

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kanischen, in San Francisco geborenen Schriftstellers Hermann George Scheffauer geliefert haben, der seit 1910 in Deutschland lebte und hier als Übersetzer von Werken Klabunds, Georg Kaisers und vor allem Thomas Manns, mit dem er auch in engerer Verbindung stand, hervorgetreten war. Insgesamt scheinen also literaturfremde Qualitäten und gerade auch eine Verbindung zur deutschen Außenpolitik für eine Berufung in den Gründungsausschuss eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Bezeichnend für diese enge Verbindung von Literatur und Außenpolitik ist der Bericht Hans Friedrich Bluncks, der 1925 von verschiedenen Seiten bestürmt wurde, als Repräsentant des deutschen PEN zum internationalen Kongress nach Paris zu fahren: Und der Vertreter unseres Auswärtigen Amtes mahnte, er berief sich, wie er behauptete, auf den Wunsch Stresemanns. ‚Sie müssen ertragen lernen, daß in drei oder vier Boulevardblättern wüste Karikaturen erscheinen, Sie müssen ertragen, daß Sie in Deutschland von der Linken als zu rechts, von der Rechten als zu links für Ihre Aufgabe angesprochen werden, daß Eifersüchtige und Enttäuschte Ihnen ein paar erbärmliche Buchkritiken schreiben. Nehmen Sie es auf sich und reisen Sie!‘18

Der österreichische Schriftsteller Robert Neumann, der in den Exiljahren und insbesondere nach 1945 eine wichtige (Vermittler-)Rolle zwischen Internationalem PEN und den deutschen PEN-Zentren spielte, kommentierte in seinen Erinnerungen19 nicht nur die PEN-Idee als solche,20 sondern auch die Bedeutung des personellen Aspekts: „Das Schicksal des PEN hat in jedem Land davon abgehangen, wer auf den ersten Trompetenstoß der Dawson Scott reagierte. In den europäischen Ländern waren es fast immer die richtigen.“ Ob Neumann zu den Ausnahmen auch Deutschland rechnete, muss offen bleiben, es ist allerdings nicht unwahrscheinlich. Denn schon sehr bald, im Zusammenhang mit dem 1926 in Berlin abgehaltenen internatio18 Hans Friedrich Blunck: Licht auf den Zügeln. Lebensbericht 1.  Bd. Mannheim: Kessler 1953, S. 394. – Blunck war zusammen mit Federn während des Kongresses beim deutschen Botschafter von Hoesch geladen; sie trafen dort auf Graf Coudenhove-Kalergi, den Gründer der Paneuropa-Bewegung, die ähnliche völkerversöhnende und friedensstiftende Ziele verfolgte wie der PEN. Vgl. Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 398. 19 Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar: Aufbau 1975 (maßgeblich ist hier die DDR-Ausgabe). 20 Die PEN-Idee charakterisierte er als eine im Wesen damenhafte; zu der „Romanstrickerin“ Dawson Scott bemerkte er etwas herablassend, es sei ihr nach dem Ersten Weltkrieg eingefallen, „es wäre doch eine nette Sache, wenn alle Schriftsteller der Welt sich verbrüderten“; sie habe aber – mit John Galsworthy – einen großen Bruder benötigt, „um diesem schönen, auf edelste Weise zeitgemäßen Einfall Lebensatem einzuhauchen“. Neumann: Ein leichtes Leben, S. 73. Neumanns Spott trifft auch Hermon Ould, mit dem der Typus des PEN-Funktionärs geschaffen worden sei (Neumann, S. 74f.), und die Begeisterung der Anfangsjahre: „Der erste Verbrüderungstaumel erfaßte alle Schriftsteller überall, man hatte den jungen PEN, und man hatte den jungen Völkerbund, man hielt Reden und glaubte tatsächlich an ihre Wirkung, man reiste von Kongreß zu Kongreß, man dichtete in langen und edlen Beratungen mit gedankenvoll gerunzelten Stirnen eine Charta, die mit dem Völkerbundstatut, was sage ich da, mit den zehn Geboten jederzeit konkurrieren kann.“ Ebd.



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nalen PEN-Kongress, geriet das deutsche PEN-Zentrum – hauptsächlich wegen seiner Mitglieder- und Funktionärsschaft – in die öffentliche Kritik.

2 Der 4. Internationale PEN-Kongress 1926 in Berlin Auf dem 3.  Internationalen PEN-Kongress 1925 in Paris war Deutschland mit acht Delegierten vertreten – erstmals durfte es an dieser Versammlung, die jährlich an einem jeweils neu festzusetzenden Ort stattfand, teilnehmen.21 Dass Heinrich Mann als Ehrengast der französischen Sektion geladen war, wurde – so der Schriftführer Prof. Albert Osterrieth gegenüber Wilhelm von Scholz – „allgemein als Rehabilitierung und erneute internationale Anerkennung der deutschen Literatur nach dem Ersten Weltkrieg angesehen“.22 Auch war es in Paris gelungen, die Zulassung der deutschen Sprache neben der englischen und französischen zu erreichen – nach dem Frieden von Versailles war von den Siegermächten die Verwendung der deutschen Sprache auf öffentlichen Tagungen verhindert worden. Dem Bericht Hans Friedrich Bluncks zufolge hätten er und Federn diesen „erste[n] Bruch mit der Vergangenheit“ geschafft: „Auf dem großen Bankett am Abend fielen, wie man mir in unserer Botschaft sagte, seit dem Weltkrieg die ersten deutschen Worte auf einem Kongreß in Paris.“23 Einen noch größeren Erfolg auf dieser Linie der internationalen Anerkennung verzeichnete die Delegation aber, als sie den PEN einlud, den Jahreskongress 1926 in Berlin abzuhalten. Rom und Basel zogen daraufhin ihre Einladungen zurück; man wünschte so zu dokumentieren, „daß nach der europäischen Zwietracht des großen Krieges nun die friedlichen Aufgaben für die Diener der Idee, für die Schriftsteller und Dichter in den Vordergrund zu treten hätten und daß es dabei keine Eifersüchteleien, keinen Streit und Kampf für die Geistigen geben dürfe“.24 Die Vorbereitung des Kongresses verlief in Berlin durchaus problematisch, denn unerwartet verstarb der bisherige Schriftführer des PEN, Prof. Albert Osterrieth.25 Nicht 21 Nach von Vegesack hatten sich noch auf dem ersten PEN-Kongress die belgischen Delegierten geweigert teilzunehmen, falls die deutschen Schriftsteller mit Gerhart Hauptmann an der Spitze eingeladen würden: „Grund dafür war Hauptmanns chauvinistisches Verhalten während des Kriegs“. Thomas von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In : Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International, S. 19–27, hier S. 19. 22 Fulda: Briefwechsel, S. 908, Anm. 1. 23 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 394f. – Vgl. auch S. 403: „Wir durften, wie Hoesch uns schrieb, ‚heimreisen im Gefühl, zum erstenmal seit Versailles auf einem großen Kongreß ohne Aufgabe der Würde als deutsche Vertreter die Lage gemeistert und die Gleichberechtigung gewonnen zu haben.‘“ 24 Werner Mahrholz in: Umfrage „Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs?“ In: Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2. 25 Werner Mahrholz an Marjorie Scott (21. 4. 1926). Harry Ransom Humanities Research Centers in Austin, Texas (in weiterer Folge abgekürzt als: HRHRC). Dort befindet sich ein (nicht mit Einzelsigna-

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nur dieser Todesfall erschwerte die Vorbereitung des Kongresses, sondern zusätzlich die „Trägheit“ der übrigen PEN-Gruppen, so dass Ende April „noch immer kein Überblick über die Zahl der Teilnehmer zu gewinnen“ war. „Einige Gruppen haben überhaupt noch nicht geantwortet, ob sie Delegierte zur Tagung senden werden.“26 Im Vorfeld des Berliner Kongresses notierte Harry Graf Kessler in sein Tagebuch: „Der Berliner Kongress lässt sich ziemlich mies an. Bisher haben aus dem Ausland nur Mediocritäten zugesagt; aus England blos [!] Galsworthy, aus Frankreich Niemand u.s.w. Auch haben sie kein Geld.27 Bis zum Beginn der Zusammenkunft nahm die Beteiligung aber noch deutlich zu; insgesamt versammelten sich am 16.–19. Mai 1926 mehr als 200 Teilnehmer aus 15 PEN-Zentren.28 Der 4. Internationale PEN-Kongress in Berlin, die erste große internationale Zusammenkunft in Deutschland überhaupt nach dem Ersten Weltkrieg, bedeutete für das Land einen wichtigen Schritt heraus aus der politischen Isolation. Die Anerkennung für die Schrittmacherdienste, die der PEN damit für die deutsche Außenpolitik leistete, blieb auch nicht aus: Reichspräsident Hindenburg empfing Ludwig Fulda und Hermann Sudermann anlässlich des Kongresses und verlieh der Veranstaltung somit höchsten Rang;29 er bestätigte damit auch die Funktion des deutschen PEN als verlängerter Arm der auswärtigen Politik des Deutschen Reiches, die damals nicht so viel Wirkungsmöglichkeiten hatte wie die internationale Vereinigung der Schriftsteller.30 turen versehener) Bestand von Dokumenten der Geschäftsstelle des Internationalen PEN, die früher im „Glebe House“ in Chelsea/London, dem Sitz des Londoner PEN, aufbewahrt worden waren. Diese Dokumente geben guten Einblick in die Tagesgeschäfte des deutschen Zentrums und seine Kontakte zur Londoner Zentrale. 26 Deutsche P.E.N.-Gruppe an sämtliche Gruppen des P.E.N.-Clubs (30. 4. 1926, Werner Mahrholz.) HRHRC. 27 Harry Graf Kessler: Tagebuchauszüge (11. 4. 1926). Archiv Freies Deutsches Hochstift. – Frankreich erlebte damals eine wirtschaftliche Krise durch Währungsverfall. 28 [Gregor-Dellin:] Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N., S.  15. – Auch Marjorie Scott, die Tochter der Gründerin des PEN-Clubs, hatte man zum Kongress nach Berlin eingeladen. Ludwig Fulda und Albert Osterrieth an Scott [Februar 1926]. HRHRC. Es hatte sich offensichtlich eine ganze Reihe englischer Mitglieder zur Teilnahme am Kongress angesagt, vgl. Werner Mahrholz an Scott (8. 5. 1926). HRHRC: „1. Wir danken Ihnen für die Unterstützung, die Sie uns bei der Vorbereitung durch Ihren Eilbrief an alle Gruppen zu Teil werden liessen. Die Antworten laufen jetzt allmählich ein. 2. Wir freuen uns ganz besonders, dass aus England eine so zahlreiche Beteiligung zu erwarten ist und hoffen nur, dass der Streik Sie nicht im letzten Augenblick hindert zu erscheinen; wir nehmen vorläufig als die Zahl von 24 Teilnehmern aus England an.“ 29 Der Empfang beim Reichspräsidenten wurde seitens der extremen Rechten attackiert: Nicht die Vertreter der deutschen Literatur seien empfangen worden, sondern „die Manufaktur des Berliner Geistes, verkörpert in den ehrwürdigen Erscheinungen der bekannten Firma Sudermann & Fulda.“ Vgl. Eugen Kalkschmidt: Auch die Literatur. In: Deutsches Volkstum (1925), H. 8, S. 633. Zitiert nach Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 88f. 30 Bezeichnend für die Instrumentalisierung des PEN seitens der deutschen Außenpolitik sind die Gründe, die Walter von Molo später (um 1930) für seinen Austritt aus der Vereinigung geltend machte: „Ich legte alle Ehren-Ämter nieder, wie ich bereits vor längerer Zeit aus dem ‚PEN-Club‘ ausgetreten war, weil er sich die Reisen seiner Mitglieder zu den ausländischen Kongressen vom Auswärtigen Amt



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Es gab neben den festlichen Empfängen, Fahrten über die Potsdamer Seen und verschiedenen Veranstaltungen – u. a. wurde für die ausländischen Gäste am Staatstheater Hebbels Gyges und sein Ring gezeigt31 und in der Oper Richard Strauss und Lortzing gegeben32 – wie stets auf diesen Kongressen auch ein Arbeitsprogramm, das an zwei Tagen (am ersten präsidierte John Galsworthy, am zweiten Jules Romains) Punkt für Punkt durchgezogen wurde.33 Auf der Tagesordnung standen Fragen des Urheberrechts und des Übersetzungswesens, auf Anregung der deutschen Delegation wurde aber auch die Durchführung eines internationalen Vortragsaustauschs beschlossen. Weitere Beschlüsse bezogen sich auf die Nichtaufnahme von Schriftstellern bzw. den rücksichtlosen Ausschluss von Mitgliedern, die sich durch unbefugte Aneignung von Rechten oder unerlaubten Nachdruck gegen das geistige Eigentum vergangen haben; es gelte, diese Praktiken „als das zu brandmarken, was sie sind: Diebstahl.“34 Die schon im Vorjahr diskutierte Aufstellung von Listen von zu übersetzenden Werken hatte sich als problematisch erwiesen; die Liste sollte jetzt nur noch empfehlenden Charakter haben. Der Vertreter Belgiens machte hierzu den Vorschlag, zunächst Listen der bereits übersetzten Werke anzulegen. Schließlich wurde Brüssel als nächster Konferenzort festgelegt. Im Übrigen hob der Berichterstatter Hans Jacob hervor, dass die deutsche Sprache als Konferenzsprache nicht nur zugelassen war, sondern dass sich einzelne ausländische Delegierte ihrer bedienten – eine Geste gegenüber dem Gastgeberland, die wieder als „außenpolitischer“ Erfolg betrachtet wurde. Über den Verlauf des Kongresses selbst gab Graf Kessler seine subjektiven Eindrücke in einem Stimmungsbild wieder: Vormittags in die Sitzung des Pen-Clubs. Jules Romains präsidierte; Fulda, Galsworthy, Piérard, Martin du Gard u. andre gesprochen. […] Abends Festbankett des Pen-Club im ‚Kaiserhof‘. Fulda präsidierte. Galsworthy redete deutsch und gut; sehr zu Herzen gehend auch der Schwede Björnsberg, dessen schöner Kopf und ganze Ausdrucksweise eine hart durchgekämpfte Existenz ahnen ließen. Fulda war trivial, wie kaum anders zu erwarten, Jules Romains amüsant ohne viel Tiefe oder Wärme. Ich saß zwischen Martin du Gard u. einem Monsieur Berge. Die vielen Reden und das lange Sitzen bis elfeinhalb ermüdend; aber die Stimmung war gut und harmonisch.35

bezahlen ließ und nicht selbst die Mittel dazu aufbrachte; ich wollte weiter ein ‚freier‘ Schriftsteller sein und kein Beamter des Auswärtigen Amtes.“ Walter von Molo: So wunderbar ist das Leben. Erinnerungen und Begegnungen. Stuttgart: Stuttgarter Hausbücherei 1957, S. 330. 31 Von Molo: So wunderbar ist das Leben, S. 267. Zum Kongress stellte Molo fest: „Zum ersten Male seit dem Zusammenbruch kamen Schriftsteller von Rang aus dem Ausland wieder zu uns.“ 32 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 467. 33 Hans Jacob: Bericht über die Arbeitssitzungen des 4. Internationalen Kongresses des PEN-Klubs zu Berlin 1926. In: Die literarische Welt 2 (1926) 23, S. 7. – Im Juni übersandte Mahrholz das Protokoll der Sitzungen an Scott und Ould, es ist jedoch in den Akten nicht enthalten. Vgl. Werner Mahrholz an Hermon Ould/Marjorie Scott (8. 6. 1926). HRHRC. 34 Jacob: Bericht, S. 7. 35 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918–1937, S. 477.

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Mit dem Berliner Kongress 1926 stieg die öffentliche Wahrnehmung des PEN auch innerhalb des deutschen Literaturbetriebs sprunghaft an.36 Willy Haas widmete dem Ereignis fast ein gesamtes Heft der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Literarische Welt. Karl Federn erhielt als 2. Vorsitzender die Gelegenheit, den Leitartikel zu präsentieren („Der PEN-Klub“), in welchem er die Entstehung des Londoner Klubs und die Ausbreitung über – bis dahin – 23 Länder rekapitulierte,37 dabei auch die Grundideen und ersten Ergebnisse der Arbeit des PEN (Steigerung des persönlichen und geistigen Verkehrs, literarischer Austausch durch Übersetzungen) zur Sprache brachte. Unter einem Bild von der ersten internationalen Zusammenkunft des PENClubs 1923 in London wurde die im Jahr darauf in New York gehaltene Rede des PEN-Präsidenten John Galsworthy abgedruckt, in welcher der Romancier dezidiert festhielt, was der PEN nicht sei: „It does not stand for any definite antagonism to national ideals; it does not concern itself with politics at all; and it does not meddle with people outside the literary profession.“38 Von einiger Brisanz waren aber die Ergebnisse einer von dem Blatt veranstalteten Rundfrage „Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs?“. Hier kamen auch Vertreter des PEN zu Wort: Werner Mahrholz hielt als Schriftführer ein Plädoyer für die im Klub gepflogene Form der „geselligen Beratung“, während Hermann George Scheffauer vollmundig auf die „ungewöhnliche Bedeutung“ dieser Zusammenkunft verwies, „ist es doch der erste internationale Kongreß, der in Deutschland seit dem Weltkriege stattfindet!“ Das offizielle und das künstlerische Berlin habe ihm auch bereits „seinen Segen erteilt“. Marie von Bunsen würzte ihre Ausführungen mit milder Ironie („Ich erwarte, daß man in ergiebigem Maße so tun wird, als habe man die Werke der Anwesenden gelesen. Ich erwarte, daß sich die Gesinnungen und Ausdrücke der kommenden Reden bereits heute genau vorhersagen ließen“), wollte es aber bereits als einen schönen Erfolg verbuchen, wenn „freundlich-menschliche Beziehungen sich zwischen uns und den Ausländern anknüpfen und befestigen“.

36 Werner Mahrholz teilte den Mitglieder hierzu in einem Rundschreiben mit: „Wie wir aus der Beobachtung der Presse ersehen, ist eine Fülle von Gruppenbildern und Artikeln publiziert worden. Sollten Sie dafür Interesse haben, so wollen wir Ihnen gerne eine Auswahl davon zusenden.“ Werner Mahrholz an alle Mitglieder (12. 6. 1926). HRHRC. – An eine unbekannte Adressatin übersandte Mahrholz im Oktober „die wichtigsten Pressestimmen zum P.E.N.-Club-Kongress in Berlin sowie einige Bilder – soweit sie uns noch zugänglich waren – […]“ und stellte noch einmal fest: „Wir dürfen sagen, dass die Beachtung, die der Kongress gefunden hat, sehr gross gewesen ist, insbesondere [sind] auch Bilder (Einzel- und Gruppenbilder) durch die ganze illustrierte Presse gelaufen. Bemerkenswert ist, dass auch die Provinzpresse in Artikeln und Notizen Kenntnis von der Tagung genommen hat.“ Werner Mahrholz an Hermon Ould (16. 10. 1926). HRHRC. 37 In anderen, jüngeren Quellen ist davon die Rede, dass 1926 die Zahl der PEN-Zentren bereits auf 34 angestiegen sei. Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch, da in einzelnen Ländern mehrere Gruppen existierten. Vgl. Wilhelm Sternfeld: Dreißig Jahre Internationaler PEN-Klub. In: Das Literarische Deutschland 1 (1951) 23, S. 2. 38 John Galsworthy: P.E.N. Club. From a Speech by J. G. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 1.



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Wesentlich mehr ins Auge fällt allerdings die z. T. sehr scharfe Kritik der jungen, progressiven Autorenschaft, die in dieser Umfrage prominent vertreten war. Insbesondere wurde der Anspruch des PEN auf Repräsentation der deutschen Literatur entschieden zurückgewiesen. Alfred Döblin stellte dazu ohne Umschweife fest: Ich erwarte von der Tagung des PEN-Klubs gar nichts. Die deutsche Gruppe führt die Öffentlichkeit des In- und Auslandes irre. Sie ist absolut nicht die Vertreterin der deutschen Geistigkeit, sondern sie ist eine Clique. Es ist die Clique des Herrn Fulda. Die kriegsgegnerische und junge Dichtergeneration ist nicht vertreten.39

Ganz unverblümt äußerte sich auch Bertolt Brecht: Ich glaube, daß die Tagung des Berliner PEN-Klubs unter dem Zeichen der Festessen stehen wird. Über das, was die alten Leute erreichen könnten, habe ich gar nicht erst nachgedacht. Sie haben so bewußt alles Junge ausgeschlossen, daß diese Tagung, jedenfalls was die deutsche Gruppe anbetrifft, absolut hoffnungslos überflüssig und schädlich ist.40

Walter Mehring lehnte den Vertretungsanspruch unter Hinweis auf die chauvinistischen Positionen der PEN-Funktionäre ab: Gegen diese Tagung ist zu protestieren. Die deutsche Gruppe weist auch nicht einen Namen der jungen Dichtergeneration auf. Die führenden Leute, wie Fulda, Presber, waren gestern noch Kriegshetzer. Ihnen fehlt jede Legitimation, sich heute als Völkerversöhner oder als Vertreter der deutschen Schriftsteller aufzuspielen. Namen wie Mann, Hauptmann benutzt man lediglich als Staffage. Der führende Geist ist der oben gekennzeichnete.41

Döblin, Brecht und Mehring brachten hier keine Einzelmeinungen zum Ausdruck; sie gehörten, wie auch Johannes R. Becher, Ernst Bloch, Max Brod, Hermann Kasack, Klabund oder Kurt Tucholsky der im Jahr zuvor entstandenen Gruppe 1925 an, die in ihrer Gesamtheit gegen den Vertretungsanspruch des PEN auftrat.42 Auch Willy Haas, selbst ein Mitglied dieser Gruppe, erkannte im deutschen PEN die „Ablehnung einer ganzen Geistesrichtung“ und den kompromisslosen Ausschluss vor allem der radikalen literarischen Jugend. In seiner Herausgeber-Rubrik „Meine Meinung“ stellte er die Frage:

39 Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs? Umfrage, veranstaltet von Hans Tasiemka. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2 (Hervorhebungen im Original). Die Umfrage ist auch abgedruckt in: Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 90f. 40 Ebd. (Hervorhebungen i. O.). 41 Ebd. (Hervorhebungen i. O.). 42 Vgl. Klaus Petersen: Die ‚Gruppe 1925‘. Geschichte, Soziologie einer Schriftstellervereinigung. Heidelberg: Winter 1981. – Petersen weist darauf hin, dass die gegen den PEN-Kongress gerichtete Erklärung die einzige öffentliche Aktion blieb, mit der sich die ‚Gruppe 1925‘ als eigenständige Vereinigung profilierte (S. 50).

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‚Bietet die Majorität der deutschen Sektion dieser internationalen literarischen Verständigungsgruppe eine ganz sichere Gewähr dafür, daß sie allen nationalistischen Verhetzungsversuchen, allen Lockungen des gesellschaftlichen und staatsoffiziösen Opportunismus, allen ästhetischen Reizen eines lebensentfremdeten, literatenhaften Pseudokonservativismus, das den Teufeln der nationalistischen Reaktion die Tore sperrangelweit öffnet – bietet diese Majorität eine sichere Gewähr dafür, daß sie allen diesen offenen und versteckten Feinden der geistigen Verständigung einen beharrlichen und festen Widerstand entgegensetzen wird?‘ – dann gibt es darauf nur eine Antwort: Nein, sie bietet keine Gewähr dafür.43

Ebenfalls in seiner Meinungs-Rubrik zitierte er eine kollektive Stellungnahme der geistesrevolutionären Gruppe: „Wir jüngeren Schriftsteller, die wir uns in der Gruppe 1925 zusammengeschlossen haben, müssen also dagegen protestieren, daß der willkürlich und einseitig zusammengesetzte PEN-Klub die Vertretung der deutschen Schriftsteller dem Auslande gegenüber usurpiert.“44 Haas hatte damals insbesondere den PEN-Vorsitzenden Ludwig Fulda aufs Korn genommen. Entsprechend seinem deklarierten Vorhaben, „in die Festesfreude ein paar tüchtige Eßlöffel Wermut zu mischen“, druckte er mitten auf der Umfrageseite ein Zitat Fuldas aus dessen im Ersten Weltkrieg erschienener Broschüre Deutsche Kultur und Ausländerei ab, in welcher der Theaterdichter und Shakespeare-Übersetzer die Forderung erhoben hatte, dass „falls es uns glückt, England niederzuzwingen“, der Friedensvertrag eine Klausel enthalten solle, „wonach Shakespeare auch formell an Deutschland abzutreten ist.“ Ohnehin wüssten die Engländer nichts Rechtes mit dem Dichter anzufangen, während dieser in Deutschland unvergleichlich besser gespielt und unvergleichlich besser verstanden werde.45 Mit einer solchen Erinnerung an Fuldas Scharfmacherei im Krieg hat Haas – sicherlich nicht ganz erfolglos – die Position des deutschen Vorsitzenden zu erschüttern gesucht. Bemerkenswert erscheint die – verspätet eingelangte und daher erst im nächsten Heft abgedruckte – differenzierte Stellungnahme Thomas Manns „Dem Kongreß“: Zwar sei er selbst „kein Kongreßfex und Verbandsbruder“, aber er denke gerne an die „gewinnendste Gastfreundschaft“, die er „in London, in Amsterdam, in Wien, in Paris, im Schoße des Weltklubs genossen“ habe. Der Pen-Klub sei letztlich aus der Idee „Europa“ hervorgegangen, die heute den Verzicht auf alle hegemonialen Träume in sich schließe, die sich in zahlreichen blutigen Versuchen ad absurdum geführt hätten. „Echtheit und Weltfreundlichkeit“ laute nun die Forderung des Tages; „Cha-

43 Willy Haas: Meine Meinung. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 1–2, hier S. 1. (Hervorhebung im Original). 44 Ebd., S. 2. 45 Ebd. – Haas druckte auch ein ironisierendes „Festgedicht“ von Herwarth Walden ab, das dieser „zu Ehren der Berliner Tagung“ verfasst bzw. aus Texten „der berühmten Lyriker Keller, Goethe, Hebbel, Fulda, Heine, Mörike, Uhland und [der] Botenfrau der Berliner Morgenzeitung“ montiert hatte, „um den Ausländern ein echt deutsches Stimmungsgedicht als Vorschmack des Festbanketts zu spenden.“ In: Die Literarische Welt 2 (1926), 20, S. 6.



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rakter und Mondänität“ könnte dementsprechend auch die Losung sein „für das Kameradschaftsfest der europäischen Schriftsteller“.46 Harsch fiel die Kritik am PEN naturgemäß von linksradikaler Seite aus. In der Zeitung Die Rote Fahne erschien ein Kommentar zum Berliner Kongress, der eine entschieden klassenkämpferische Note in die Debatte einbrachte. Charakteristisch für das Wesen des PEN sei schon „die Antwort, die er dem deutschen Dichter Alfred Döblin gegeben hat, als er sich außerstande erklärte, die hohen Beiträge und Festessen zu bezahlen: Er solle sich wieder melden, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse es zuließen.“47 Den Klub und seinen Kongress beurteilten die proletarisch-revolutionären Schriftsteller entsprechend negativ: Also: Ein Klub zahlungsfähiger Prominenter, die bei Festschmaus und geselligen Veranstaltungen sich gegenseitig beweihräuchern und unter der Hand Geschäfte miteinander abschließen. Ein Klub, bei dem es hoch hergeht und in dem von den ärgsten früheren Kriegshetzern pazifistische, ethische und andere Phrasen geflunkert werden, die mit der Wirklichkeit, die diese Schriftsteller repräsentieren, in krassem Widerspruch stehen.48

Nicht zuletzt scheint es damals auch im deutschen PEN selbst zu einer Fraktionenbildung gekommen zu sein; Blunck berichtet in seinen Lebenserinnerungen, die Jahrestagung sei zwar gelungen, aber sie war belastet durch den Gegensatz zwischen zwei örtlichen Gruppen, von denen die eine sich nicht beachtet glaubte und recht frostig verhielt, sie sammelte sich um das ‚Berliner Tageblatt‘. Die andere nahm alles ein wenig überschwenglich, es war der Kreis um Federn und Mahrholz von der ‚Vossischen Zeitung‘. Am unabhängigsten berichtete nach meiner Erinnerung die ‚Deutsche Allgemeine Zeitung‘. Sie stand außerhalb der Verfeindung und war, anders als die übrige Rechtspresse, so besonnen, die Tagung ernst zu nehmen.49

Die PEN-Mitgliederschaft war somit alles andere als homogen, wobei die unterschiedlichen Parteiungen auch von ihren Zugriffsmöglichkeiten auf die Tagespresse Gebrauch machten.

3 Organisatorische Entwicklung So holprig die Konstituierungsphase des deutschen PEN verlaufen war, so aufstrebend zeigte sich die Vereinigung seit Mitte der 1920er Jahre. Den Jahresberichten

46 Thomas Mann: Dem Kongreß. In: Die literarische Welt 2 (1926) 21–22, S. 1 und 4. 47 -ib-: Zur Tagung des Pen-Klubs. In: Die Rote Fahne 9 (1926), H. 113. 48 Ebd. 49 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 463.

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zufolge hielt der Club im März 1927 bei 200 Mitgliedern;50 bis Ende April 1928 hatte sich die Zahl mit 205 kaum, bis Ende April 1929 aber markant auf 270 erhöht.51 Ein Jahr später, im April 1930, wurde die Zahl der Mitglieder mit 340 angegeben; im April 1931 war sie auf unter 300 gesunken.52 Im April 1933 belief sie sich auf 320. Allerdings: Um die Aufnahme in den Klub konnte man sich nicht bewerben, mögliche Kandidaten mussten zunächst einmal von einem Mitglied vorgeschlagen werden. Es bedurfte dann einer Einladung durch den Ausschuss; jedes potenzielle Mitglied benötigte zwei Mitglieder als Paten und hatte sich der Ballotage zu stellen, die dann mit mindestens einer Zweidrittelmehrheit zugunsten des neuen Mitglieds ausgehen musste.53 Die formal restriktiven Aufnahmebedingungen förderten das Bild einer abgeschotteten, ‚geschlossenen Gesellschaft‘, die unwillkommene Neuzugänge jederzeit verhindern konnte und offenbar auch verhindert hat. Denn dass fast die gesamte jüngere Generation der im Expressionismus und in der Zeit der Weimarer Republik hervorgetretenen Schriftsteller in den Mitgliederlisten noch fehlte, wie anlässlich des PEN-Kongresses in Berlin zutreffend kritisiert wurde, war sicherlich kein Zufall; hier waren die weltanschaulichen Gräben kaum überbrückbar. Ernst Toller gehörte zu den ganz wenigen gesellschaftskritischen Autoren, denen das Eindringen in den PEN glückte. Immerhin gelang es der Vereinigung nach und nach, allererste Namen des aktuellen Literaturgeschehens an sich zu binden und damit dem Anspruch auf Repräsentanz der deutschen Literatur näherzukommen. Schon am 14. 2. 1925 dankte Thomas Mann dem Präsidenten Ludwig Fulda für die Einladung: „Ich trete natürlich gern in den Pen-Club ein und werde den Jahresbeitrag in den nächsten Tagen einzahlen.“54 Auch Ernst Bertram, Kasimir Edschmid, Fritz von Unruh, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Josef Ponten, Armin T. Wegner, Arnold Zweig, auch Döblin, Heinrich Mann oder Ricarda Huch traten dem PEN bei.55 Einige prominente Autoren behandelten ihre Mitgliedschaft recht diskret und nahmen an den Veranstaltungen faktisch nie teil; so etwa Gottfried Benn, der 1928 in den PEN aufgenommen worden ist.56 Mindestens phasenweise scheint die Aufnahmepolitik nicht nur auf Klasse, sondern auch auf Masse ausgelegt gewesen zu sein – dies war auch gedeckt durch 50 Werner Mahrholz an Hermon Ould (28. 3. 1927). HRHRC. Ould hatte sich bereits im Januar 1927 anerkennend über die Entwicklung des deutschen PEN geäußert: „From all accounts the German Centre is going ahead very strongly and is one of the most flourishing and influential of the P.E.N. Clubs.“ Hermon Ould an Werner Mahrholz (11. 1. 1927). HRHRC. 51 Vgl. Tätigkeitsbericht 1928–1929; Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1929/30. – HRHRC. 52 Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1930/31. HRHRC. 53 Der Schriftführer Werner Mahrholz weist in einem Brief vom 1. Dezember 1927 an Rudolf Pechel auf diese Voraussetzungen hin. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 54 Ludwig Fulda: Briefwechsel 1882–1939, S. 514. 55 Vgl. Mitglieder-Verzeichnis des P.E.N.-Clubs (Deutsche Gruppe) [undatiert; wohl nach 1929]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 56 Ebd.



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eine Satzungsbestimmung, wonach eine Mitgliedschaft jedem offen stand, „der deutsch schreibt oder Wertvolles für das geistige Leben der Nation leistet“. Diese nun doch sehr dehnbare (und durch das „oder“ nicht unkomisch klingende) Bedingung war leicht zu erfüllen und öffnete der Bildung von Seilschaften Tür und Tor. Hans Friedrich Blunck äußerte sich in seinen Erinnerungen zu dem 1925 erreichten Status quo noch eher abfällig: Nicht daß der deutsche Pen-Club damals schon viele ernsthafte Namen umschloß. Ich weiß, daß ich unter anderen dem Pastor Heinrich Seidel, Ina Seidels Mann, der über seine berühmte Frau oftmals zu Unrecht vergessen wird, an jenem Abend [Sinclair Lewis-Empfang im Berliner PEN] begegnete. […] Sonst war da viel Unzeug, Männer wie Hanns Heinz Ewers und eine Schar von Wichtigtuern.57

Hinsichtlich der Selektivität der Aufnahmepolitik ergibt sich eine aufschlussreiche Insiderperspektive aus einem in der Literarischen Welt veröffentlichten, mit 22. Mai 1926 datierten Brief an den Herausgeber Willy Haas, in welchem Josef Ponten ausdrücklich eine Kritik am deutschen PEN artikulierte, wie sie in der Umfrage zum Berliner PEN-Kongress nicht ausgesprochen worden sei.58 Auch Ponten wollte einen Repräsentativitätsanspruch des PEN erst akzeptieren, wenn ihm auch die jüngeren Autoren von Ruf angehörten; deshalb sei er in den PEN eingetreten und habe sogar ein Vorstandsamt angenommen, um von hier aus diese Verjüngung wirksamer betreiben zu können. Er erwähnt aber noch andere Schieflagen in der Mitgliederstruktur: Es seien verhältnismäßig zu viele „Publizisten“ und zu wenig „Dichter“ zu finden. Auch habe der Klub im Verhältnis die in Berlin ansässigen Autoren mehr zu sammeln gesucht als jene in der Provinz. Schließlich würden Schriftsteller von Rang, die man als „katholische“ kenne, vermisst. Ein Wandel in der Aufnahmepolitik zugunsten der jüngeren Schriftstellergeneration war in den folgenden Jahren tatsächlich zu beobachten. Eine Vorbedingung dafür mag auch in den Veränderungen in der Vorstandszusammensetzung gelegen haben. Die Ära Fulda ging im Herbst durch Amtsniederlegung zu Ende, zum neuen Vorsitzenden wurde Theodor Däubler gewählt.59 Der Wechsel hatte allerdings, wie Mahrholz ausdrücklich in einem „privaten“ Brief an Ould berichtete – eine Vorgeschichte: Nach Fuldas Amtsniederlegung wurde nämlich „Heinrich Mann […] nach vorheriger Verhandlung mit ihm im Herbst 1927 […] zu [Fuldas] Nachfolger als Vorsitzender des deutschen P.E.N.-Clubs gewählt […]. Als wir ihm dann die vollzogene Wahl 57 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 393. 58 Josef Ponten: Zuschrift [über den PEN]. In: Die literarische Welt 2 (1926)  24–25, S.  11. – Zu den Kritikpunkten Pontens gehörte auch, „daß zuviel Wert auf das Gesellschaftlich-Repräsentative gelegt werde.“ 59 Als stellvertretende Vorsitzende fungierten seit Anfang 1928 Leonhard Frank und Jakob Wassermann. Schriftführer blieb Mahrholz, Schatzmeister war weiterhin Elster. Vgl. Werner Mahrholz an Hermon Ould (21. 1. 1928). HRHRC, sowie: Theodor Däubler, Werner Mahrholz und Hanns Martin Elster an alle Mitglieder [Februar 1929]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64.

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mitteilten, an der u. a. auch Thomas Mann mitgewirkt hat und die einstimmig erfolgt war, lehnte Heinrich Mann ohne Angabe von Gründen die Annahme der Wahl ab.“60 Däubler verkörperte, verglichen mit Fulda, einen völlig konträren Typus: er war ein Dichter im Elfenbeinturm, der mit seinem Hauptwerk, dem Versepos Nordlicht (1910; neue Fassung 1921/22), einen großartigen Prestigeerfolg erzielte, in der Folgezeit aber mit seinen neoklassischen Dichtungen auf dem Buchmarkt nicht reüssierte und materiell eine Existenz am Rande der Verelendung führte. Er war daher auf mildtätige Zuwendungen angewiesen; 1924 wurde für den hochgeachteten Autor unter Mithilfe von Insel-Verleger Anton Kippenberg und Thomas Mann ein Däubler-Fonds eingerichtet.61 Eine ausgedehnte, durch Krankheit unterbrochene Reisetätigkeit führte ihn durch verschiedenste europäische Länder, und es mag für den so häufig abwesenden Autor selbst eine Überraschung gewesen sein, dass er am 28.  Dezember 1927 zum Präsidenten des deutschen PEN gewählt wurde, dem er seit Gründung angehört hat. Er wurde in den Folgejahren immer wieder in diesem Amt bestätigt. Der vielfach geehrte Däubler (auch er gehörte der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste an) vertrat das deutsche Zentrum auf den internationalen Kongressen in Oslo, Wien, Den Haag und Budapest. Blunck gab in seinen Erinnerungen eine kritische Sicht des Vorsitzenden: „Deutschland wurde durch den maßlos dicken Theodor Däubler geführt – das heißt nicht geführt. Dieser gütige Phantast des ‚Nordlichts‘, groß in der Lyrik, war dem Leben gegenüber ein Kind geblieben.“62 Däubler erkrankte am Beginn der 1930er Jahre schwer; ihm wurden daher 1931 Walter Bloem und 1932 Alfred Kerr als gleichberechtigte 1. Vorsitzende an die Seite gestellt. Däubler starb 1934. Wenn die Wahl Walter Bloems an die Spitze des PEN als ein Rechtsruck interpretiert werden kann, so wurde diese Tendenz 1932, als Bloem nicht wiedergewählt wurde (Walther von Hollander 60 Werner Mahrholz an Hermon Ould (21. 1. 1928). HRHRC. 61 Zu Däubler vgl. Theodor Däubler 1876–1934. Bearbeitet von Friedhelm Kemp und Friedrich Pfäfflin. Marbach am Neckar 1984 (Marbacher Magazin 30/1984). Vgl. etwa seine Briefe an Toni Sussmann von 1922, in denen es heißt: „[…] ich entbehre Kopfkissen, Bettbezug, Waschbecken, verschliessbare Fenster“. Theodor Däubler 1876–1934, S. 32. 62 Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 466. – Übrigens hat Blunck auch die beiden langjährigen PENFunktionäre Werner Mahrholz (Schriftführer) und Hanns Martin Elster (Schatzmeister) auf eine sehr persönliche Art charakterisiert: „Recht geschickt waren Federn und der Literarhistoriker Dr. Werner Mahrholz, der dem immer freundlich schmunzelnden Däubler beistand. Er hatte den Beinamen ‚Werner mit dem hängenden Hosenboden‘, weil er, ein Mann der frühen Jugendbewegung, gar zu wenig auf sein Äußeres gab. Aber er besaß ein blendendes Wissen, das er in einer kühn geschriebenen Literaturgeschichte festhielt. (Die spätere Bearbeitung zerstörte manches). Er war insbesondere unabhängig in seinem Denken und Handeln und war, wenn auch ein großer Dogmatiker, doch ein Mann, der die europäische Politik übersah und dem immer wachen Crémieux weder an Witz noch Verstand nachgab. Neben ihm hat sich Hanns Martin Elster in jenen Tagen opfervoll eingesetzt. Elster hatte den Fehler, daß er in Gesprächen gern ein wenig zynisch tat. Er war es durchaus nicht, er sehnte sich nach Überwindung und Berichtigung; aber er brauchte den Tonfall, um sich in der Berliner Umwelt seiner Haut zu wehren.“ Blunck: Licht auf den Zügeln, S. 466.



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legte deshalb sein Amt als Schriftführer nieder) deutlich revidiert, indem mit Alfred Kerr einer der engagiertesten Kämpfer gegen alle Einengungen der geistigen Freiheit zum Co-Vorsitzenden und das KP-Mitglied Herwarth Walden zum neuen Schriftführer gekürt wurden. Damit wies der deutsche PEN im Jahr vor dem politischen Umbruch eine bis dahin undenkbare „progressive“ Vorstandszusammensetzung auf. Zuvor aber musste das deutsche PEN-Zentrum erst noch eine innere Organisationskrise überwinden.

4 Zentrifugale Tendenzen im deutschen PEN: Die Bildung von „Kulturgruppen“ Bereits im Juni 1925 war der Ausschuss des PEN gezielt durch „Mitglieder aus den Gauen des Deutschen Reiches“ erweitert worden, mit Wilhelm von Scholz, Hans Friedrich Blunck, Max Halbe, Heinrich Mann und Josef Ponten. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der PEN nicht als rein Berlinische Veranstaltung gedacht war. Die auswärtigen Ausschussmitglieder waren nicht verpflichtet, aber eingeladen, an den Sitzungen teilzunehmen, konnten ihre Meinung und Vorschläge jedoch auch schriftlich mitteilen; letztlich sollten sie den Klub „durch das Gewicht ihres Namens unterstützen“.63 Ungeachtet dieser demonstrativen Geste gegenüber der „Provinz“ scheinen sich im Laufe der Jahre Widerstände gegenüber einer „Berlin-Lastigkeit“ des PEN herausgebildet zu haben. Der Vorstand selbst machte im Februar  1928 diese Unausgewogenheit für die damals registrierte Austrittswelle verantwortlich (die allerdings durch zahlreiche Neueintritte kompensiert werden konnte).64 Im darauffolgenden Jahr mahnte er zur Geduld: Manche ausserhalb von Berlin wohnende Schriftsteller scheinen den Eindruck zu haben, dass ihnen die Zugehörigkeit zum P.E.N.-Club keinen ausreichenden Vorteil bringe. Diese Kollegen, so glauben wir, vergessen bei ihrer Kritik, dass der P.E.N.-Club für Deutschland eine sehr junge Einrichtung ist, die erst seit wenigen Jahren besteht und nur allmählich durch das Anwachsen der Mitgliederzahl und durch ein immer lebhafteres Solidaritätsgefühl unter ihnen ihr Ziel voll erreichen kann.65

Das Protokoll der Generalversammlung am 10.  Mai  1929 vermerkt, dass das Vorhaben von Vorstandsmitglied Fedor von Zobeltitz, sich in der Münchener und Kölner Gegend um die Bildung von Ortsgruppen zu bemühen, mit Befriedigung zur Kenntnis 63 Albert Osterrieth an Wilhelm von Scholz (17. 6. 1925). DLA, NL Scholz 613498. 64 Rundschreiben vom Februar 1928. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 65 Theodor Däubler, Werner Mahrholz und Hanns Martin Elster an alle Mitglieder [Februar 1929]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64.

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genommen wurde.66 Der Aufbau einer Ortsgruppenstruktur schien das probate Mittel zu sein, um den PEN auf eine breitere Grundlage zu stellen. Nur wenige Wochen später wurde jedoch auf dem internationalen PEN-Kongress in Wien (24.–28.  Juni  1929) ein Beschluss mit weitreichenden Folgen gefasst. Das internationale Exekutivkomitee bekannte sich dazu, dass die Einteilung des PENClubs in Sektionen und das Recht auf Vertretung und Stimme auf den Kongressen sich nicht auf politische Ländergrenzen, sondern allein auf die kultursprachliche Selbständigkeit einer Literatur begründe; jedes Mitglied könne sich also der Kulturgruppe anschließen, der er sich geistig zugehörig fühlt.67 Dies erlaubte innerhalb eines Landes die Errichtung mehrerer, im Internationalen PEN stimmberechtigter Gruppierungen, wie sie sich in der Tat sehr rasch bildeten. Denn schon im März 1930 konstituierte sich in Hamburg ein „Hansischer Kreis“, der sich auf die Wiener Beschlüsse sowie auf das Faktum berief, dass es dort die deutsche Gruppe selbst gewesen sei, die den Anstoß dazu gegeben habe, mit der Forderung nämlich, das Exekutivkomitee möge zwei weitere Stimmen für zwei neue deutsche selbständige Kulturgruppen bewilligen – um so ein britisches Übergewicht auszugleichen, das durch die Existenz eines schottischen und irischen Zentrums entstanden war.68 In Berlin war man mit der Entstehung dieses nach den Statuten des Internationalen PEN tatsächlich als selbständig zu betrachtenden „Hansischen Kreises“, der im Wesentlichen die plattdeutsche Literatur vertrat, nun aber nicht glücklich; die Berliner Mitglieder wandten sich mit einem Rundschreiben im Januar 1931 gegen die Anerkennung einer Hansischen Kulturgruppe.69 66 Allerdings hatte Werner Mahrholz schon im Mai 1927 darauf hingewiesen, „dass sich in München [Josef Ponten] und Köln [Josef Winckler] inzwischen Sektionen des P.E.N.-Clubs gebildet haben.“ Werner Mahrholz an Hermon Ould [3. 5. 1927]. HRHRC. – Ould begrüßte damals diese Gründungen: „I have written to the secretaries and hope that these two branches will flourish like the others.“ [Hermon Ould] an Werner Mahrholz [5. 5. 1927]. HRHRC. Im Weiteren erwiesen sich diese beiden Ortsgruppen jedoch als Phantome; Generalsekretär Ould erkundigte sich noch 1930 ein ums andere Mal in der Berliner Zentrale nach deren tatsächlicher Existenz: „While I am on this subject may I say that I never hear from Dr. Winckler of Cologne, nor from Dr. Ponten of Munich, and I imagine that these Centres exist in theory only. I do no think that this makes for strength, and I should be obliged if you would write to them and ask them whether they really wish to maintain separate groups.“ Hermon Ould [?] an Walther von Hollander (23. 1. 1930); ähnlich ein Brief vom 10. 2. 1930. HRHRC. – Hollander bestätigte in einem späteren Schreiben, dass es sich nur um Sekretariate handle. Noch später wurden sie als inexistent bezeichnet. 67 Vgl. Hans Friedrich Blunck: Pen-Klub in tieferer Bedeutung. In: Die Literatur 33 (1930/31), S. 241f., hier S. 241. 68 Blunck nahm für sich persönlich in Anspruch, in Oslo und dann in Wien die entscheidenden Anstöße geliefert zu haben, vgl. Hans Friedrich Blunck: Unwegsame Zeiten. Lebensbericht 2. Bd. Mannheim: Kessler 1952, S. 92 und S. 96f.: „Ich meldete mich und […] verlangte, daß neben den Staaten die selbständigen, historisch gewachsenen Schrifttumsgruppen […] ihre Vertreter schicken dürften. […] In einer neuen Gesamtsitzung wurde unter brausendem Beifall beschlossen, daß die Literaturen und nicht die Staatsgrenzen das Stimmrecht im Pen-Club ausmachen sollten.“ 69 Vgl. Blunck: Unwegsame Zeiten, S. 92 und 96f.



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Im Gegenzug legte der Hansische Vorsitzende Max Alexander  Meumann (er wurde in dieser Funktion kurze Zeit später abgelöst von Hans Friedrich Blunck) in einem Rundschreiben an alle deutschsprachigen Mitglieder des PEN-Clubs die Sichtweise des Hansischen Kreises und dessen Ziele dar; es gehe nicht um eine Sprengung der „deutschen Einheit“, man lehne „mit Entschiedenheit jeden Separatismus“ ab und erstrebe „vielmehr die großdeutsche Einheit“: Dass aber diese Einheit aller deutschsprechenden Menschen in allen Kulturfragen und ohne Ansehung willkürlicher politischer Grenzen nur auf dem Boden der Gleichberechtigung aller Kulturgruppen herbeizuführen sei, dürfte jedem einsichtigen Zeitgenossen klar sein. Man müsse nun wählen: entweder einen deutschen PEN-Club-Torso unter faktisch alleiniger Führung von Berlin – oder einen wirklichen großdeutschen Zusammenschluss bei Gleichberechtigung aller Gruppen. Ein Kompromissvorschlag, die Bildung eines paritätisch beschickten „Vollzugsausschusses“ aller Gruppen, sei leider von Berlin nicht zur Kenntnis genommen worden.70 Letztlich entstand daraus ein veritabler Konflikt, der – wie der Jahresbericht 1930/31 bekundete –, die Arbeit sehr behindert hat, „dadurch, dass ein grosser Teil der Arbeitskräfte des Vorstandes durch die Streitigkeiten mit dem Hansischen Kreis aufgebraucht wurde.“ 71 Damit nicht genug, entstand – ebenfalls noch 1929 – nach dem nördlichen Ableger auch ein südlicher: In Freiburg konstituierte sich ein alemannischer Kreis, der unter der Führung vom Hermann Eris Busse stand. Dieser Kreis hatte erheblich mehr Mühe, sich zu etablieren und trat auch gegenüber dem Berliner Vorstand nicht so offensiv auf wie der Hansische Kreis, wurde aber von der Londoner Zentrale ebenso anerkannt wie dieser.72 Und sogar eine Rheinische Gruppe wollte sich im Frühjahr 1930 von Berlin absetzen, doch scheint diese Initiative nach den ersten Schritten wieder versandet zu sein.73 70 Rundschreiben des PEN-Club „Hansischer Kreis“ an alle deutschsprachigen Mitglieder des PENClubs [nach dem 22. 1. 1931]. DLA, NL Lehmann 685176/5. Dem Rundschreiben war auch eine Mitgliederliste des Hansischen Kreises beigegeben. Vgl. Jahresbericht über die Tätigkeit des PEN-Clubs 1929/30. HRHRC. 71 Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1930/31. [Walther von Hollander]. HRHRC. Dort heißt es auch: „Über die Streitigkeiten mit Hamburg unterrichtet ein ausführlicher Bericht, der in der Anlage beigelegt ist.“ Dieser Bericht hat sich in den Akten nicht erhalten. 72 Ould informierte den Berliner PEN: „You will have learned that the Committee decided to accept the applications from Hamburg and Freiburg for the establishments of the Niederdeutsche und Allemannische Centres.“ [Hermon Ould] an Walther von Hollander (10. 4. 1930). HRHRC. Vom 9. Internationalen PEN-Kongress Haag/Amsterdam, auf dem der Hansische Kreis bereits mit zwei offiziellen Delegierten (Johannes Tralow und Max Alexander Meumann) vertreten war, wurde der autonome Status bestätigt. 73 Der Jahresbericht 1929/30 verweist in Punkt VI. explizit auf die „Arbeit der Ortsgruppen“; dazu gehören neben der Niederdeutschen, sprich der Hamburger Ortsgruppe, die Alemannische Gruppe und die Rheinische Gruppe. Bei der Alemannischen Gruppe bestehe „ihre Hauptarbeit bisher in ihrer Konstituierung […], die sprachliche und grenzstaatliche Schwierigkeiten hat.“ Für die Rheinische Gruppe setzte sich Fedor von Zobeltitz auf einer vorbereitenden Aussprache in Köln ein; am 1. 5. 1930 wurde

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Im Juli 1930 versuchte das Ausschussmitglied Alfred Kuhn, die in London bestehenden Irritationen über die Strukturen des PEN-Clubs, Deutsche Gruppe, aufzuklären, und bat Generalsekretär Ould: Haben Sie die Güte, den Deutschen P.E.N.-Club in den P.E.N.-News in Zukunft in folgender Art zu drucken: Deutschland Hochdeutsche Hauptgruppe (Berlin .. .. Dr. Walther v. Hollander Büro: Berlin-Grunewald, Humboldtstr. 6a) Niederdeutsche Gruppe (Hamburg .. .. Dr. Hans Fr. Blunck Parkallee 35, Hamburg) Alemannische Gruppe (Freiburg i. Breisgau .. .. Hermann Eris Busse Hansjakobstr. 12). Offizielle Zentren München und Köln existieren nicht. Die dort bestehenden ‚Vertretungen‘ dienen rein gesellschaftlichen Zwecken. Ich bitte also, dieselben in den offiziellen P.E.N.-News nicht mehr aufzuführen.74

Mit der Konsolidierung dieser Ortsgruppenstruktur waren aber nun nicht etwa alle Probleme beseitigt, vielmehr waren neue Spannungen vorprogrammiert. Hans Friedrich Blunck deutete in einem Artikel an, dass es in bewegten Sitzungen immer wieder zu Auseinandersetzungen über den Autonomiestatus der einzelnen Gruppen kam.75 Als Vorsitzender der Hansischen Gruppe verwies er darauf, dass „wir […] draußen im Reich“ manche Fragen vielfach anders ansähen als Berlin. Man dürfe aber nicht Entscheidungen von europäischer Tragweite (dazu zählte er den PEN-Beschluss 1929 in Wien) zu rein innerdeutschen Angelegenheiten zerreden. Im März 1932 wurde schließlich unter der Leitung von Walter Bloem eine Diskussion zum Thema „Stadt und Land“ abgehalten, die „in gleicher Weise der Aktivierung des P.E.N.-Klubs wie dem Ausgleich des internen Zwists innerhalb der Gruppe diente“.76 In einem Bericht war von einer „Anti-Berlin-Bewegung“ die Rede, als deren Sprecher an diesem Abend der Alemanne Hermann Eris Busse aufgetreten sei. Zur Überbrückung der Gegensätze seien verschiedene Vorschläge gemacht worden; Walther von Hollander habe angeregt, statt solcher Scheinprobleme die eigentlichen Probleme der Zeit, die alle in gleicher Weise träfen – wie der ökonomische Druck, die „Übervölkerung“ oder „die Maschine“ – gemeinsam anzugehen. Wenig später, nach

die westdeutsche Gruppe dann tatsächlich dort gegründet, war aber offenbar nur kurze Zeit aktiv. Vorsitzender war D. H. Sarnetzki (Feuilletonleiter der Kölnischen Zeitung) und Schriftführer Dr. M. Rockenbach. Vgl. Jahresbericht über die Tätigkeit des PEN-Clubs 1929/30. HRHRC. 74 Alfred Kuhn an Hermon Ould (19. 7. 1930). HRHRC. 75 Hans Friedrich Blunck: Pen-Klub in tieferer Bedeutung. In: Die Literatur 33 (1930/31), S. 241f., hier S. 241. 76 L. W. (= Lutz Weltmann): Diskussion über Stadt und Land. In: Die Literatur 34 (1931/32), H. 6 (März 1931), S. 303f.



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der „Machtergreifung“ durch den Nationalsozialismus 1933, traten die Ortsgruppen des PEN in Deutschland nicht mehr in Erscheinung.77

5 Gesellschaftsleben im Berliner PEN Ein wichtiger Punkt in der Ausrichtung der deutschen PEN-Gruppe war von Anfang an die Entfaltung eines Gesellschaftslebens. Hierin war man am Vorbild Londons orientiert, auch wenn man dieses hinsichtlich kommunikativer Gewandtheit und unangestrengter Eleganz schwerlich erreichen konnte. Stellt man aber die Frage, worin der PEN institutionentypologisch seine Besonderheit gehabt hat, dann gewinnt dieser Punkt einige Bedeutung. Der PEN war weder eine staatliche Vertretung der Künstler und Schriftsteller (wie die Preußische Akademie), noch eine Vertretung der beruflich-ökonomischen Interessen der Autoren (wie der Schutzverband Deutscher Schriftsteller), auch kein weltanschauliches Gesinnungsbündnis (wie die – kurzlebige – ‚Gruppe 1925‘), er war in den ersten Jahren seines Bestehens auch kein Teil der Intellektuellenbewegung. Er verkörperte einen Typus von Schriftstellervereinigung, den es bis dahin noch nicht gab und der seine Rolle erst finden musste. Er verstand sich als Zusammenschluss einer geistigen Elite, schrieb die hohen Werte der Friedensstiftung und der Meinungsfreiheit auf seine Fahnen, im Übrigen aber legte er Wert darauf, „Berufs- und Standesfragen unerörtert [zu] lassen“.78 Walter von Molo sprach wie viele andere PEN-Funktionäre dem Moment des „Geselligen“ einen Eigenwert zu: „Es ist selbstverständlich, dass wir, trotzdem wir keine Fachorganisation sind, bei der Pflege geselliger Beziehungen, weil wir Schriftsteller sind, auch über Fachfragen, aber, und das ist das Wichtigste, gesellig beraten.“79 Damit stand der PEN in mehr als deutlichem Gegensatz vor allem zum Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS), der seine professionelle, gewerkschaftliche Ausrichtung stets durch eine Hintanstellung alles Geselligen zu unterstreichen und seinerseits die konkurrierenden Verbände wie den Deutschen Schriftstellerverband (DSV) oder den Allgemeinen Schriftsteller-Verein (ASV) ausdrücklich wegen ihrer Sektempfänge, Rheinfahrten etc. zu diskreditieren suchte. So wollte er die Entschlossenheit zum emanzipatorischen Kampf der als Arbeitnehmer verstandenen Autoren

77 Bezeichnend für das Verhalten der Ortsgruppen dürfte sein, was Johannes Tralow in einem Brief an Barbara Laspeyres vom 13. 4. 1960 über die Vorgänge 1933 mitteilte: „Der Hansesche[!] Kreis hatte meines Wissens überhaupt keine Juden, stellte sich aber vorsichtshalber aus Gründen des Nazigerimes[!] tod[!].“ SBBPK, NL Tralow, K 34 Konv.  Laspeyres. 78 Federn: Der PEN-Klub, S. 1. 79 Rundfrage der Literarischen Welt, S. 2.

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zu seinem Markenzeichen machen.80 Beim PEN aber hatte die Orientierung am gehobenen Gesellschaftsleben auch etwas in seiner Art Emanzipatorisches, insofern man alle Formen der Depravierung und materiellen Abhängigkeit, wie sie mit dem Schriftstellerberuf nur allzu oft verbunden war, durch demonstrativen gesellschaftlichen Glanz glaubte kompensieren zu können. Dieses kompensatorische Moment kommt nicht zuletzt auch in der Einladung gehobener nichtschriftstellerischer Kreise zu den Veranstaltungen zum Ausdruck, in der gesuchten Nähe zur politischen Klasse. Bereits vom 16. November 1925 stammte eine Satzungsänderung, der zufolge nun jedes Mitglied berechtigt war, zu den geselligen Zusammenkünften einen Gast einzuführen; „jedoch den gleichen Gast nicht mehr als dreimal im Jahr, sofern er nicht ein nahes Familienmitglied ist“.81 Daran wurde später, im Februar 1928, erinnert und betont, dass auch Nicht-Schriftsteller – „literarisch interessierte Damen und Herren der Gesellschaft“ – als Gäste sehr erwünscht seien.82 Ebenso war es erwünscht, „dass auch die Damen der Klubmitglieder an den Abenden teilnehmen, vor allem, da projektiert ist, dass inskünftig nach dem Souper getanzt werden soll.“83 Dass in solchen Mitteilungen grundsätzlich nur Männer angesprochen waren, obwohl der PEN ja doch auch weibliche Mitglieder zählte (in England allerdings bedeutend mehr als in Deutschland), ist dem Formenzwang jener Zeit geschuldet. So gut es ging, suchte also die deutsche PEN-Gruppe den ‚dining club‘-Stil des englischen Vorbilds zu kopieren und bei der Durchführung der Veranstaltungen auf Stil und Etikette zu achten, mithin die Sitten der gehobenen Gesellschaft zu imitieren. Die mit prätentiös-verschnörkelten Schriften gedruckten Einladungskarten waren daher regelmäßig mit Hinweisen zur Garderobe („Abendanzug“, „Frack oder Smoking“) oder zum Preis des „trockenen Gedecks“ ausgestattet. Es kann daher nicht überraschen, dass diese großbürgerliche Attitüde des PEN bald zur Zielscheibe von Spott und Hohn wurde. Den öffentlichen Attacken anlässlich des Berliner PEN-Kongresses folgten später noch manche andere Anfeindungen; so etwa griff die Berliner Ortsgruppe im Schutzverband Deutscher Schriftsteller den PEN als einen Club der ‚Fracks und Abendtoiletten‘ an, der überhaupt keine konkrete Funktion habe und sich lediglich aus repräsentativen Gründen treffe.84 Im Tätigkeitsbericht 1928–1929 heißt es: „Die Veranstaltungen des P.E.N.-Clubs waren im allgemeinen recht gut besucht, 80 Vgl. Ernst Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ 1909–1933. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980, bes. Sp. 62. 81 Albert Osterrieth an alle Mitglieder [Dezember 1925]. DLA, NL Scholz 613499/1. Rundschreiben vom 16. 2. 1928. BArch Koblenz, NL Pechel N III/64. – Rudolf Pechel, Herausgeber der Deutschen Rundschau, ist dem PEN 1928 beigetreten. Sein Nachlass enthält für die anschließenden Jahre wertvolles Material zur Geschichte des deutschen PEN-Zentrums. 82 Werner Mahrholz: Rundschreiben an alle Mitglieder (16. 2. 1928). BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 83 Ebd. 84 Jost Hermand: Die deutschen Dichterbünde von den Meistersingern bis zum PEN-Club. Köln: Böhlau 1998, S. 13.



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sodass man für eine gewöhnliche Veranstaltung mit einer Teilnehmerzahl von etwa 80 Personen rechnen konnte, eine Zahl, die sich bei etwas grösseren Festlichkeiten bis auf 120 vermehrte.“85 Neben den festlichen Abenden, die anlässlich des Besuchs ausländischer Schriftstellerkollegen stattfanden, und den sonstigen Abend- und Festessen wurden regelmäßig auch Bierabende sowie – bald traditionell gewordene – Sommerfeste am Wannsee veranstaltet. Damit bildete sich ein gesellschaftliches Leben heraus, dem auch Gäste aus den Nachbarbereichen der Kunst gerne folgten.86 Das PEN-Zentrum war darüber hinaus bestrebt, seinen Mitgliedern Vergünstigungen zu sichern. Im Juni 1929 wurde mitgeteilt, dass die Bemühungen um die Beschaffung von verbilligten Theaterkarten erfolgreich verlaufen seien; fast alle Berliner Theater seien bereit, den PEN-Mitgliedern und ihren Ehefrauen Ermäßigungen zu gewähren. Der damals annoncierte Plan, Mitglieder-Lichtbildausweise auszugeben, wurde schließlich doch nicht umgesetzt, ebenso wenig die von London aus angeregte Bildung eines Jugend-PEN-Clubs; ein solcher würde den hiesigen „besonderen Verhältnissen keine Rechnung tragen“.87 Es liegt die Annahme nahe, dass man der jungen Generation, die viel Unruhe in den bis dahin eher als Altherren-Club hervortretenden PEN tragen konnte, erst gar nicht die Türe aufmachen wollte. Auch der Beschluss zur Herausgabe eines Mitteilungsblattes, das viermal im Jahr erscheinen sollte, wurde nicht in die Tat umgesetzt. Das Geselligkeitskonzept hingegen wurde konsequent weiter verfolgt – nicht ohne hämische Kommentierung durch eine kritische literarische Öffentlichkeit. Eine Notiz der Weltbühne vom 28.  Januar  1930 berichtet von einem „Alpenball des Pen Klubs“ in höchst süffisantem Ton: Ein entzückender Kostümball vereinte gestern Literatur, Kunst, Wissenschaft und die verwandten Industrien bei Kroll. Man tanzte nach den Kapellen Etté und Rowohlt und sah eine Fülle bezaubernder Kostüme an sich vorbeiziehen: Walter von M… als Dichter; Arnolt Br… als ziemlicher Original-Faschist mit schwarzem Hemd und rituellem Monokel; Gerhart Hauptmann in vorzüglicher Maske als alter Gerhart Hauptmann; aus Paris zwei Damen: die Colette und Germaine André, und die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt, als Ernst Jünger und Kaplan Fahsel einen reizenden Philosophieplattler vorführten. Die Behäbigkeit und Stämmigkeit unserer Börsenmakler brachte die Tiroler Kostüme erst voll zur Geltung, ein Beweis, daß Natürlichkeit das Hübscheste ist und bleibt. Zum Schluß des Abends trat in der Kaffeepause, stürmisch akklamiert, Galsworthy für deutsch-französisch-englische Verständigung ein, womit sie ja nun wohl Tatsache sein dürfte. Die anwesenden Dichter gelobten, im Frieden Pazifisten zu sein und zu bleiben. Die moderne Literatur hat mit dieser Veranstaltung, der die Spitzen der Behörden und ein Kranz schöner Frauen beiwohnten, bewiesen, daß sie nun endlich repräsentativ geworden ist, ja wir dürfen getrost sagen: nichts als das.88 85 Tätigkeitsbericht 1928–1929. HRHRC. 86 Protokoll der Generalversammlung am 10. Mai 1929. DLA, NL Lehmann 685176/5. 87 Tätigkeitsbericht 1928–1929. HRHRC. 88 Kaspar Hauser [d. i. Kurt Tucholsky]: Alpenball des Pen-Club. In: Die Weltbühne 5 (28. 1. 1930). Der Artikel wurde in der Neuen Weltbühne 1 (1952), S. 9f. wieder abgedruckt. Vgl. auch K. T.: Berliner Ballberichte. In: K. T.: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Mi-

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Damals, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, verschlechterte sich die soziale Lage der Schriftsteller ganz beträchtlich (die deutsche PEN-Gruppe selbst geriet in Geldnöte). Diese Problematik blieb jedoch weitgehend ausgeblendet; auch die aus pekuniären Gründen erfolgenden Austritte (der Mitgliedsbeitrag betrug um 1930 jährlich 20 Mark) wurden zunächst ungerührt hingenommen. Allmählich musste man aber doch auf diese Negativentwicklung reagieren: die Zahl der Bankette und sonstigen Festivitäten wurde zurückgefahren – üppige Diners hätten als Provokation empfunden werden können. Im Jahresbericht 1930/31 hieß es dazu: „Die Wirtschaftskrise veranlasste uns, unsere Arbeit vom rein Repräsentativen mehr auf das Kulturpolitische zu verschieben. Wir haben im ersten Teil der Saison grössere gesellschaftliche Veranstaltungen vermieden.“89 Und auch nach London wurde damals gemeldet, „dass wir der unsicheren politischen Lage wegen und der steigenden Not weiter Kreise alle Diners bis Weihnachten abgesagt haben und uns mit Zusammenkünften in engem Kreise und bescheidener Form begnügen.“90 Eine ganz wichtige Aufgabe sah der PEN aber in dem, was mit einem modernen Begriff als transnationales ‚Networking‘ bezeichnet werden könnte. Dazu hieß es im Tätigkeitsbericht 1928–1929: „Bemerkt werden darf noch, dass der PEN-Club sich mehr und mehr als eine Auffangorganisation für in Deutschland reisende ausländische Kollegen betätigen wird. Eine seiner Aufgaben in dieser Beziehung ist, den Kollegen die Wege zu Behörden, anderen Kollegen, Zeitungen und Zeitschriften zu ebnen.“91 Umgekehrt war die Geschäftsstelle bereit, jedem ins Ausland reisenden Mitglied ein Empfehlungsschreiben mitzugeben, das ihm dort Tür und Tor öffnen sollte.92 So nebensächlich diese Betreuung ausländischer Gäste oder die Ausstellung von Empfehlungsbriefen erscheinen mag: Der Klub erhoffte sich die Erreichung seiner Ziele in allererster Linie von der Stärkung der individuellen Beziehungen unter den Schriftstellern aller Länder; gerade darin, dem „freundschaftlichen Verkehr und dem geistigen Austausch von Nation zu Nation zu dienen“,93 sah man den wirkungsvollsten Beitrag zur Friedensstiftung und -sicherung. So wollte der PEN, im Sinne der Gründerin Dawson Scott, ein „Völkerbund der Literaten“ werden. chael Hepp und Gerhard Kraiker. Bd. 13: Texte 1930. Hrsg. von Sascha Kiefer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2003, S. 33–39, hier S. 38. 89 Jahresbericht über die Tätigkeit des P.E.N.-Clubs 1930/31. [Walther von Hollander]. HRHRC. 90 Walther von Hollander an Hermon Ould (27. 10. 1930). HRHRC. 91 Tätigkeitsbericht 1928–1929, S. 2. HRHRC. – 1926 unterstellte Carl Sternheim in einem satirischen Artikel dem Präsidenten Galsworthy, dieser habe die Gründung von PEN-Gruppen in allen größeren Städten bloß „zu seiner größeren Bequemlichkeit auf Reisen“ veranlasst. Im Übrigen versprächen für ihn selbst Kongresse wie der in Berlin stattfindende, allen „feurigen Weinen“ zum Trotz, nichts als „krasse Gesellschaftskatastrophe, denkbar größte Langeweile“. Carl Sternheim: PEN-Klub, Deutsche Akademie der Dichtung und anderes neuzeitig geistiges deutsch-berlinisches Unterfangen. In: Der Querschnitt 6 (1926) 7, S. 548–550. Abgedruckt auch in Carl Sternheim: Zeitkritik. Gesamtwerk, Bd. 6. Neuwied: Luchterhand 1966. 92 Rundschreiben des Vorstands vom Februar 1929. BArch Koblenz, NL Pechel N III/64. 93 Federn: Der PEN-Klub, S. 1.



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6 Wandlungen einer Dinnergesellschaft: Politisierungstendenzen im deutschen PEN Zur Haltung der Schriftsteller in Friedens- und Kriegszeiten wurde 1927 auf dem PENKongress in Brüssel ein schon seit längerem diskutiertes, von Präsident Galsworthy propagiertes Grundsatzpapier angenommen, das die Grundlage für die spätere offizielle PEN-Charta darstellte. Hans Jacob referierte seinen Inhalt in einem Bericht aus Brüssel in der Literarischen Welt in zusammenfassender Form: 1.

2.

3.

Die Literatur kennt zwar Nationen, sie kennt aber keine Landesgrenzen. Der literarische Austausch muß stets unabhängig von den Zwischenfällen des politischen Lebens der Völker bleiben. Die Mitglieder des P.E.N.-Clubs sind der Überzeugung, daß die Achtung vor dem Kunstwerk, dem Allgemeingut der Menschheit, zu allen Zeiten, besonders zu Kriegszeiten, über den nationalen und politischen Leidenschaften stehen muß. Die Mitglieder des P.E.N werden stets den Einfluß, den ihre Persönlichkeit oder ihr Werk auszuüben vermag, für die gegenseitige [!] und die Verständigung zwischen den Völkern einsetzen.94

„Zu wenig. Aber doch etwas!“, kommentierte der Berichterstatter Jacob. Besonders der erste Satz, an dem Galsworthy besonders viel gelegen war, sollte in die PENCharta, wie sie nach 1945 formuliert wurde und bis heute Gültigkeit hat, fortwirken. Der PEN hält dort fest, dass er unter Verzicht auf jede politische Betätigung „dem Frieden dienen will und selbst im Krieg den Völkerhaß verwirft, unbehinderte Gedankenfreiheit und freien Austausch von Ideen innerhalb jedes Landes und zwischen den Sprachen und Völkern vertritt, jeden Angriff auf Meinungsfreiheit, Freiheit der Kunst und der Medien bekämpft, jede Zensur (und jeden Versuch einer Zensur) zurückweist […] und die Menschenrechte, wo immer sie bedroht, verteidigt.“95 Gegenläufig zu den vor allem von Galsworthy vorangetriebenen Bemühungen, den PEN auf Politikferne zu verpflichten, verlief allerdings die Entwicklung im deutschen Zentrum. Seit den späten 1920er Jahren trat dieses immer öfter in Resolutionen und Aktionen für die Wahrung der in anderen Ländern und dann auch im eigenen Land bedrohten Meinungsfreiheit ein. Zwar wurde entsprechend der bereits vom Internationalen PEN so nachdrücklich ausgegebenen Parole „No politics under no circumstances!“ auch im deutschen Klub jede Manifestation des Politischen ausdrücklich ausgeschlossen, doch lockerte sich diese Haltung allmählich. Wenn man

94 Hans Jacob: Zum IV. Internationalen Kongreß des PEN-Klubs in Brüssel. In: Die literarische Welt 3 (1927) 27, S. 8. 95 Martin Gregor-Dellin: Der PEN-Club. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Literaturbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland. Ein kritisches Handbuch. 2., völlig veränd. Aufl. München: Edition Text und Kritik 1981, S. 226.

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nach einem Anfangspunkt dieser Entwicklung sucht, so bietet sich dafür der „Fall Hatvany“ an. Im Frühjahr 1928 wurde im Berliner PEN der weltweit Aufsehen erregende Prozess gegen den kritischen Publizisten Lajos Hatvany in Ungarn diskutiert. Dieser war wegen angeblicher Beleidigung der ungarischen Nation zu sieben Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe verurteilt worden, ein klarer Fall von Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Es wurde eine öffentliche Protestveranstaltung erwogen, doch der PEN-Ausschuss entschied sich anders. In seinem Rundschreiben vom 22. März 1928 legte er noch größten Wert auf die Feststellung, dass es der PEN-Club grundsätzlich ablehne, sich in innerpolitische Streitigkeiten einzumischen. Trotzdem bat er alle Mitglieder, sich am Protest dahingehend zu beteiligen, dass sie – nach dem Vorbild Gerhart Hauptmanns – unter Hinweis auf den Fall Hatvany Einladungen ungarischer Organisationen ablehnten; dies sei wohl die „würdigste Form“, der Meinung über den Hatvany-Prozess Ausdruck zu geben.96 Den Hintergrund dieser noch recht vorsichtigen Vorgangsweise bildete eine Anfrage des PEN-Mitglieds Lion Feuchtwanger an Ould, ob für einen öffentlichen Protest die Unterstützung des Londoner Zentrums zu erlangen wäre. Diese Anfrage wurde in einem Schreiben Oulds an das Vorstandsmitglied Mahrholz wie folgt beantwortet: I have no doubt that individually all members of the London Committee would be willing to support such a protest but as we have made it one of the fundamental principles of the P.E.N. that we should not take any active part in politics it seems to me that we cannot, as a body, support the protest. If we did so we should be established a precedent which might prove to be very dangerous to the solidity of the P.E.N.. As the request comes from Dr. Feuchtwanger and not officially from you I am inclined to think that you share this point of view.97

Tatsächlich schloss sich Mahrholz der Sichtweise Oulds an, wenn auch nicht zur Gänze: „Im Fall Hatvany haben sich Ihre Gesichtspunkte, die auch die meinen sind, durchgesetzt. Trotzdem aber haben wir eine Aktion, die wir auch nachahmenswert glauben, beschlossen.“98 Zwar nicht der Reiseboykott der deutschen PEN-Mitglieder, aber die vehementen internationalen Proteste führten dazu, dass die Gefängnisstrafe für Hatvany auf 18 Monate verringert und de facto nach 9 Monaten aufgehoben wurde. Nächste Protestkonstellationen ergaben sich erst wieder zwei Jahre später. Auf dem 9.  Internationalen PEN-Kongress in Den Haag (1930) verlas Theodor Däubler, der sich selbst als einen völlig unpolitischen Menschen sah, mit dem „Appell an die Staatsregierungen der Welt“ eine gegen die Kriegspolitik gerichtete Protestresolution der französischen, polnischen und deutschen Sektion, nachdem die deutsche

96 Werner Mahrholz an alle Mitglieder (22. 3. 1928). BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 97 Hermon Ould an Werner Mahrholz (14. 2. 1928). HRHRC. 98 Werner Mahrholz an Hermon Ould (19. 3. 1928). HRHRC.



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Gruppe im Vorfeld sogar für eine Verschärfung des ursprünglichen Entwurfs eingetreten war.99 Wichtiger noch war aber die öffentliche Positionierung des Berliner PEN-Zentrums im Lande selbst, im Zusammenhang mit der Verfilmung von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Am 15. 12. 1930 wurde in einer Ausschuss-Sitzung ein Protest gegen das Verbot des Remarque-Films formuliert und beschlossen. Es handelt sich hier um das bemerkenswerte Dokument einer deutlichen Neuorientierung hinsichtlich des „Politikverbots“ im PEN und soll deshalb im vollen Wortlaut zitiert werden: Der P.E.N.-Club, Deutsche Gruppe, protestiert gegen das Verbot des Remarque-Films ‚Im Westen nichts Neues‘, weil dieses Verbot den Anschein erwecken muss, als ob in Deutschland eine freie Meinungsäusserung gegen den Krieg nicht mehr gestattet wird. Die Durchsetzung des Gedankens der Völkerversöhnung ist nach Ueberzeugung des P.E.N.-Clubs, Deutsche Gruppe, gerade heute die vornehmste Aufgabe überhaupt. Deshalb verlangt der P.E.N.-Club, Deutsche Gruppe, die Zurücknahme des Verbots und fordert hier wie für die Zukunft – in Abänderung der bisher geltenden Bestimmungen – für alle ähnlichen Fälle das letztentscheidende Mitwirken eines Gremiums, das aus den angesehensten Vertretern des geistigen Deutschlands von Fall zu Fall zu berufen ist. Über diesen Protest hat sich wiederum der schon übliche Streit erhoben, ob der P.E.N.-Club politisch sein dürfe oder nicht. Der Ausschuss des P.E.N.-Clubs hat sich mit dieser Frage ausführlich beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ziel des P.E.N.-Clubs im weitesten Sinne politisch ist, und dass man eine vollkommene politische Abstinenz nicht ausüben kann. Wenn es dem P.E.N.-Club gelingt, oberhalb aller Parteipolitik zu bleiben, wird er seine sehr wichtige Aufgabe endlich in vollem Umfang erfüllen können: Er wird für den Frieden unter den Völkern und für die Verständigung unter den Gutgesinnten wirken können. Erinnert werden muss hierbei an den Beschluss des Kongresses in Brüssel, der im Jahre 1927 angenommen wurde: ‚Members of the P.E.N. will at all times use what influence they have in favour of good understanding and mutual respect between the nations.‘ Auch dieser Beschluss ist – wenn man will – ein politischer Beschluss.100

Dieser Protest und seine Begründung können als programmatisch aufgefasst werden, denn wenige Wochen später101 trat der PEN mit einem für ihn neuen Veranstaltungstyp hervor, mit dem er den Anschluss an die kritischen Diskurse der Intellektuellenbewegung suchte. Am 25. Januar 1931 fand der „Erste Diskussionsabend“ im Haus der Presse zum Thema „Der Schriftsteller als Gewissen der Zeit“ statt. Die Leitung hatte 99 Theodor Däubler und Walther von Hollander an Hermon Ould (30. 5. 1931). HRHRC. 100 Diesen Protest übermittelte von Hollander auch an Ould, der sich bereits sehr viel früher für Remarque interessiert und auf dessen Besuch in England gedrängt hatte. Vgl. Walther von Hollander an Hermon Ould (17. 12. 1930). HRHRC. Ould bestätigte sein positives Interesse an dem Protest der deutschen Gruppe und versprach dessen Weitergabe an die Presse. Vgl. [Ould] an [Sekretärin] Mendelson (19. 12. 1930). HRHRC. 101 Schon für den Dezember 1930 war eine Veranstaltung unter dem Motto „Der Schriftsteller und der Staat“ geplant; man wollte sich „mit der gegenwärtig brennendsten Frage des Schrifttums prinzipiell auseinandersetzen“. Vgl. Walther von Hollander an Hermon Ould (27. 10. 1930). HRHRC. Eine PEN-Veranstaltung mit diesem Titel ist jedoch nicht nachzuweisen.

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Hanns Martin Elster, als Redner traten Walter Bloem, Peter Flamm [nome de plume für den Berliner Arzt, Psychoanalytiker und Schriftsteller Erich Mosse], Walther von Hollander und Pater Friedrich Muckermann SJ auf. Nach Angaben des Schriftführers Walther von Hollander waren an dem Abend 250 Personen anwesend.102 Einen Monat später, am 22.  Februar 1931, fand ein „Zweiter Diskussionsabend“ statt, diesmal zu „Der Schriftsteller und die Freiheit“, wieder unter Elsters Leitung. Als Redner wurden Paul Ernst, Alfons Paquet sowie Jakob Schaffner aufgeboten; 200 Personen waren gekommen. Der Londoner Zentrale gegenüber wurde diese Neuorientierung recht selbstbewusst vertreten; von Hollander schrieb im März 1931 an Ould: Wir haben in diesem Winter überhaupt versucht, aktiv zu den Fragen des Tages Stellung zu nehmen. Wir haben gegen das Verbot des Remarquefilms feierlich Protest erhoben, und wir haben in zwei grossen Diskussionsabenden versucht, die Stellung des Schriftstellers zu den Problemen von heute klarzulegen. […] Wir wollen noch einen Diskussionsabend veranstalten und dann über ‚Die Möglichkeit des Schriftstellers, in das öffentliche Leben formend einzugreifen‘ sprechen.103

Es verblüfft, wie sehr diese Themen jenen ähneln, die damals im linken Spektrum diskutiert wurden, z. B. in der Berliner Ortsgruppe des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, die zu einer Plattform der Opposition gegenüber dem Rechtsruck in der Gesellschaft und den autoritären Tendenzen des Staates geworden war.104 Nicht weniger verblüffend erscheint, wie hier eine alte Garde verdienter Autoren wie Paul Ernst, der publizistisch tätige Jesuit Friedrich Muckermann oder der selbst dem rechten Lager zuzuordnende, sich später rückhaltlos dem Nationalsozialismus anvertrauende Walter Bloem aufgeboten wurde, um nun vom PEN aus den Geist der Widerständigkeit zu verbreiten. Die Reden sind nicht überliefert, aber es wäre sicherlich aufschlussreich, die von den Rednern eingenommenen Positionen mit den typischen Diskursfiguren der Weimarer Intellektuellen zu vergleichen. Klassische Themen wie „Der Schriftsteller als Gewissen der Zeit“ und „Der Schriftsteller und die Freiheit“ eröffneten freilich die Möglichkeit, mit zeitaktuellen Bezügen auch abstrakte idealistische Ideen zu verknüpfen – und so mit dem PEN-Kurs einigermaßen konform zu bleiben. Der Einstieg des Berliner PEN in die politisch-engagierten Debatten der Zeit gewann eine internationale Dimension, als sich die Deutsche Gruppe des PEN-Clubs im Februar 1931 an einem Manifest von 199 Intellektuellen führend beteiligte, das als Antwort auf ein Manifest französischer Intellektueller entstanden war.105 Dieses war am 18. Januar 1931 in der von Jean Luchaire herausgegebenen Zeitschrift Notre Temps mit den Unterschriften von 186 Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern pub102 Walther von Hollander an Hermon Ould (18. 3. 1931). HRHRC. 103 Ebd. – Der angekündigte dritte Diskussionsabend hat offenbar nicht stattgefunden. 104 Vgl. Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“, Sp. 554–611. 105 Vgl. Walther von Hollander an Hermon Ould [Februar 1931]. HRHRC.



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liziert worden (danach kamen noch weitere 30 hinzu) und war gerichtet „contre les exces du nationalisme, pour l‘Europe et pour l‘entente franco-allemande“, gegen Kriegstreiberei und für eine Neuorganisation Europas.106 Mit dem französischen PEN hatte es nur insofern etwas zu tun, als dessen Spitzenfunktionäre Benjamin Crémieux und Jules Romains mitunterzeichnet hatten. Der deutsche PEN fühlte sich zu einer Reaktion aufgerufen und sammelte Unterschriften für das von ihm redigierte zustimmende Antwortmanifest, offenbar mit sehr guter Resonanz. Wie von Hollander an Ould berichtete, hatte auch Heinrich Mann in seiner Funktion als Präsident der Sektion Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste das deutsche Manifest unterzeichnet; er habe „dieser Bitte in der liebenswürdigsten Weise entsprochen, und so [sei] – in Zusammenarbeit mit ihm – das Manifest entstanden, das sowohl in Deutschland, wie auch in Frankreich grosse Aufmerksamkeit gefunden hat.“107 Heinrich Mann und die 198, vielfach ebenfalls höchst prominenten Mitunterzeichner (Georg Bernhard, Rudolf G.  Binding, Ernst Robert Curtius, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Walter Mehring, Rudolf Olden, Carl Sternheim, Jakob Wassermann, Ernst Wiechert, Carl Zuckmayer, Arnold Zweig u. v. a. m.) bekundeten ihre volle Solidarität mit der Elite des französischen Geisteslebens, akklamierten die vorgeschlagenen Schritte zu einer deutsch-französischen Annäherung und zur Schaffung eines neuen Europa, baten aber „um Verständnis dafür, daß die Friedensfreunde im Reich einen schweren Stand hätten: Außer der allgemeinen politischen Erregung und den Parolen der Ewiggestrigen dämpften besonders die Deutschland auferlegten moralischen und materiellen Folgelasten des Krieges, die als ungerecht und untragbar empfunden würden, die Versöhnungsbereitschaft.“108 Nicht minder bemerkenswert ist die Beteiligung des Berliner PEN an der breiten, auch im Ausland stark beachteten Protestbewegung gegen die Verurteilung Carl von Ossietzkys zu 18 Monaten Gefängnis wegen Spionage. Ihm wurde der Verrat militärischer Geheimnisse zur Last gelegt, weil er einen Artikel des Luftfahrtexperten Walter Kreiser in der Weltbühne veröffentlicht hatte, der den – nach den Bestimmungen des Friedensvertrags verbotenen – Aufbau einer Luftwaffe thematisierte. Walther von Hollander verlas auf einer großen, von der Liga für Menschenrechte organisierten Veranstaltung die Resolution des PEN, in der das Vorgehen gegen Ossietzky als krasser Fall politischer Justiz gebrandmarkt wurde:

106 Vgl. Roland Ray: Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? Otto Abetz und die deutsche Frankreichpolitik 1930–1942. München: Oldenbourg 2000, S. 56. 107 Walther von Hollander an Hermon Ould (18. 3. 1931). HRHRC. 108 Ray: Annäherung an Frankreich, S. 56f. – Von Ould kamen überraschend zustimmende Worte: „Thank you so much for your letter of the 18th, and for the information you gave me concerning the French Intellectuals’ Manifeste. This seems to me of great importance, and I am glad that the German P.E.N. Centre decided to give it serious attention. My only regret is that such a Manifesto should have been confined to Germany and France alone; something similar might be accomplished for the whole civilized world.“ Hermon Ould an Walther von Hollander (25. 3. 1931). HRHRC.

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Der P.E.N.-Club stellt fest, dass die verfassungsmässig gewährleistete Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung grundsätzlich unmöglich gemacht wird, wenn eine Kritik an öffentlich bekannten Tatsachen und Massnahmen mit entehrender Strafe belegt wird, noch dazu in einem nicht öffentlichen Verfahren.109

Der deutsche PEN ging jetzt bei allen sich bietenden Gelegenheiten in die Offensive. Im zeitlichen Vorfeld zum internationalen PEN-Kongress in Budapest 1932 regte von Hollander bei Ould an: „Es wäre zu erwägen, ob wir in Budapest die Frage behandeln wollen: Welche Massnahmen können die Schriftsteller gegen das Überhandnehmen der brutalen Strasseninstinkte in der Politik ergreifen?“110 Und im Juli  1932 schickten der Vorsitzende Alfred Kerr und Schriftführer H. M.  Elster ein Telegramm nach London: „Untersuchet bitte Angelegenheit Budapester Standgericht gegen Sallai Karikas Fuerst und Kilian und interveniert noetigenfalls.“111 Die genannten ungarischen Schriftsteller und Journalisten waren wegen Handlungen angeklagt, die bereits 14 Jahre zurücklagen, und von standrechtlicher Exekution bedroht. Es handelte sich durchwegs um Kommunisten und Sozialdemokraten. Dieser Umstand und die Tatsache, dass der PEN hier nicht auf eine Protestbewegung aufsprang, sondern eine solche zu initiieren suchte, lässt seinen Einsatz bemerkenswert erscheinen. Diesmal allerdings antwortete Ould nicht einfach zustimmend, sondern verwies wieder auf das Dilemma „PEN und Politik“: „This was clearly a political matter with which the P.E.N. Club as such could not deal, but Mr. Galsworthy wrote in his own name and not as President of the P.E.N. to von Horthy, and I hope had some influence with him. I hope that you will realise that although I did not answer your letter, I did all that was possible in the circumstances.“112 Wie der Vorstand des Berliner PEN sich in zunehmendem Maße von der No politics!-Linie entfernte, so gab es auch einzelne Mitglieder, die auf ihre Weise diesen Prozess voranzutreiben suchten. Als wichtigster Vorkämpfer einer forcierten Politisierung des PEN kann Ernst Toller gelten; sein legendärer Auftritt in Ragusa 1933 hat mithin eine Vorgeschichte. Tollers Name taucht erstmals 1929 in einem Vorstandsprotokoll auf, 1930 forderte er auf dem PEN-Kongress in Warschau: „Der Gedanke des PEN läuft sich tot, wenn ihm nicht neue Impulse zugeführt werden. Jenseits von Politik und sozialen Fragen tagen zu wollen, ist eine Illusion. Bei allen entscheidenden Fragen zeigt sich das nackte politische Gesicht.“113 109 Walther von Hollander an Hermon Ould (3. 12. 1931). HRHRC. 110 Walther von Hollander an Hermon Ould (23. 3. 1932). HRHRC. Anlass bot hier der Fall des Pazifisten Hans Hartmann, der in Brüssel nach einem Vortrag misshandelt worden war. Hier blieb es aber bei zwei Briefen an das belgische PEN-Zentrum. 111 Telegramm von Alfred Kerr und Hanns Martin Elster an Hermon Ould [Juli 1932]. HRHRC. In einem nachgesendeten Brief wurde Ould die Sachlage genau erörtert. Elster an Ould (28. 7. 1932). HRHRC. 112 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (23. 9. 1932). HRHRC. 113 Ernst Toller: PEN-Kongreß in Polen. In: Die Weltbühne 26 (1930) II, S. 49–51.



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1930 eckte Toller mit der Forderung nach einer grundsätzlichen Umorientierung der PEN-Linie noch an. Nicht mehrheitsfähig war damals auch sein auf internationaler Ebene vertretener Vorschlag, sowjetische Schriftsteller in den PEN aufzunehmen.114 Im August dieses Jahres erkundigte sich Hermon Ould besorgt bei Vorstandsmitglied Alfred Kuhn: „I rather saw a disquieting article in the Kattowitzer Zeitung about you and Toller. Is it a matter of importance, or can it be safely neglected?“115 Kuhn, der in dieser Frage als entschiedener Kontrahent Tollers aufgetreten war, suchte Ould zu beruhigen: Der Artikel in der Kattowitzer Zeitung geht auf einen Angriff Tollers in der ‚Weltbühne‘ zurück. Toller konnte es nicht verwinden, dass man ihm nicht gestattete, seinen Russenantrag im Namen der deutschen Gruppe einzubringen. Seine Eitelkeit hat ihn hier, wie so oft, zu Dingen verführt, die man im deutschen P.E.N.-Club jedoch nicht billigt. […] Mich persönlich haben weder der Aufsatz in der ‚Weltbühne‘ noch die Ausführungen in der Kattowitzer Zeitung in meiner Seelenruhe gestört.116

1932, auf dem Kongress in Budapest, trat Toller ein weiteres Mal als Störenfried auf. Zwar konnte John Galsworthy auf dem Kongress eine Fünf-Punkte-Proklamation durchsetzen, in der es im letzten Satz hieß: „[F]or the P.E.N. has nothing whatever to do with State or Party politics, and cannot be used to serve State or Party interests or conflicts.“117 Zugleich aber nahmen die Delegierten des Kongresses eine von Ernst Toller formulierte Protestnote an, die „gegen die wachsende Verfolgung von geistigen Arbeitern aus politischen und kulturpolitischen Gründen und die Unterdrückung ihrer Werke“ gerichtet war.118 Die wachsenden Widersprüche innerhalb des PEN in der Auffassung des Politischen waren also nicht zu übersehen. Entwicklungen, wie sie in Deutschland im folgenden Jahr Platz griffen, ließen aber die von der PEN-Spitze angestrebte Entkoppelung von Literatur und Politik dann aus ganz anderen Gründen als illusorisch erscheinen.

114 Näheres dazu bei von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs, S. 20f. 115 [Hermon Ould] an Alfred Kuhn (26. 8. 1930). HRHRC. Beigefügt war der Artikel aus der Kattowitzer Zeitung: K.  S.: Seltsames Echo der Warschauer Pen-Klub-Tagung. Ernst Toller contra Dr.  Alfred Kuhn. 116 Alfred Kuhn an Hermon Ould [3. 10. 1930]. HRHRC. 117 Zitiert nach von Vegesack: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs, S. 21. Vgl. auch S. 19: „Wenn man will, kann man das Jahrzehnt der Präsidentschaft Galsworthys als einen ausgedehnten Kampf gegen das Eindringen der Politik in die Vereinigung sehen, ein Kampf, der sich auf lange Sicht als aussichtslos erweisen sollte.“ 118 Ernst Toller: Rede in Budapest. In: Die Weltbühne 28 (1932) I, S. 853–855, hier S. 855. Vgl. auch Alexander Márai: Ungarische Antwort. In: Die Weltbühne 28 (1932) I , S. 855f., sowie Lutz Weltmann: P.E.N.-Klub.-Impressionen aus Budapest. In: Die Literatur 34 (1931–32), S. 541f.

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7 1933: Politische „Gleichschaltung“ des Berliner PEN Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Kanzler ernannt wurde, verstanden wache Beobachter, dass die Errichtung eines totalitären Regimes nicht lange auf sich warten lassen würde. Alfred Kerr, der erfuhr, dass ihm der Reisepass entzogen werden sollte, flüchtete bereits am 15. Februar außer Landes. Damit hatte der PEN, Deutsche Gruppe, bereits seinen Vorsitzenden verloren. Es war übrigens der gleiche Tag, an dem Hanns Johst in einem Artikel in der Zeitschrift Deutsche Kulturwacht erste namentliche Ächtungen aussprach: „Thomas Mann, Heinrich Mann, Werfel, Kellermann, Fulda, Döblin, Unruh usw. sind liberal-reaktionäre Schriftsteller, die mit dem deutschen Begriff Dichtung in amtlicher Eignung keineswegs mehr in Berührung zu kommen haben.“119 Die meisten der Genannten waren PEN-Mitglieder, und tatsächlich ging mit Heinrich Mann, zum Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste genötigt, bereits einige Tage später, am 21. Februar, ein weiteres prominentes Mitglied ins Exil. Eine Woche später, in der Nacht des Reichstagsbrandes, und in den darauf folgenden Tagen und Wochen lief die Hatz besonders auf die linken und liberalen Gegner des Regimes in Politik und Publizistik auf vollen Touren.120 In den nachfolgenden Wochen erfolgte die „Gleichschaltung“ der Schrifttumsorganisationen. Dabei sollte grundsätzlich der Anschein einer „inneren Erneuerung“ aus den eigenen Reihen heraus gewahrt bleiben – im Sinne des ‚Scheinlegalismus‘, der in dieser „revolutionären“ Phase ein bevorzugtes Verfahren der neuen Machthaber gewesen ist. Den Anfang machte die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, aus der neben Heinrich Mann zunächst alle politisch oder „rassisch“ untragbaren Dichter wie Alfred Döblin, Thomas Mann oder Leonhard Frank entfernt wurden, indem sie teils zum Austritt veranlasst oder eben ausgeschlossen wurden.121 119 Deutsche Kultur-Wacht 4 (15. 2. 1933), S. 13. Zitiert nach Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main: Ullstein 1983, S.  15. Wulfs Dokumentation enthält wertvolles Material zu den Vorgängen im PEN nach der NS-„Machtergreifung“. Die beste, aus den Quellen gearbeitete Darstellung zur „Gleichschaltung“ des PEN findet sich bei Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Überarbeitete und aktualisierte Ausgabe, München: dtv 1995, S. 80–88. Für die im Folgenden behandelten Vorgänge ist der Bestand im BArch Berlin, R 56 I/102 besonders relevant. Dieser Bestand ist bereits bei Barbian und in anderen Forschungsarbeiten ausgewertet worden; daher wird nachfolgend aus der leichter erreichbaren Forschungsliteratur zitiert. 120 Von 320 PEN-Mitgliedern (Stand April 1932) sind wenig mehr als achtzig emigriert, rund 50 noch im Jahr 1933; die überwiegende Anzahl blieb im Lande und passte sich den neuen Gegebenheiten an. Mindestens 40 PEN-Mitglieder haben sich aktiv als Nationalsozialisten betätigt. 121 Inge Jens: Dichter zwischen links und rechts. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste, dargestellt nach den Dokumenten. 2., erw. und verb. Aufl. Leipzig: Kiepenheuer 1994; Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen



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Sie wurden durch nationalsozialistische oder sogenannte „nationale“ Schriftsteller ersetzt, wie Werner Beumelburg, Hans Friedrich Blunck, Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer oder Will Vesper. Gleichgeschaltet wurde auch der SDS, den eine schon seit 1931 im Verband bestehende „Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftsteller“ am 12.  März 1933 im Handstreich eroberte und der dann am 9. Juni 1933 – gemeinsam mit dem Verband dt. Erzähler, dem Deutschen Schriftsteller-Verband (DSV) und dem Kartell lyrischer Autoren – in den „Reichsverband deutscher Schriftsteller“ (RDS) umgewandelt wurde.122 Als eine Art Dachverband diente der RDS dem Bestreben der NS-Behörden zur konsequenten Ausschaltung jüdischer und linksgerichteter Autoren aus dem Kulturleben. Die Mitgliedschaft in dem Verband war Voraussetzung jeglicher Publikationstätigkeit im Dritten Reich, die Aufnahme war aber gebunden an „deutschblütige Abstammung“ und „politisch einwandfreies“ Verhalten. In seiner Eigenschaft als Zwangsorganisation war der RDS Vorläufer der im November  1933 errichteten Reichsschrifttumskammer (RSK), der er als Fachverband mit rund 12 000 Mitgliedern angehörte, bis er Ende September 1935 aufgelöst und im Herbst 1936 in die „Gruppe Schriftsteller“ der RSK überführt wurde. Am dramatischsten und am wenigsten störungsfrei verlief die „Gleichschaltung“ des deutschen PEN-Klubs – schon aus dem Grunde, dass es sich nicht um eine rein nationale Institution, sondern um ein internationales Organisationsnetzwerk handelte. Den Anfang machte eine mit 16. März 1933 datierte Mitteilung an die Mitglieder des PEN, die darüber informierte, „daß Mitglieder, die kommunistische und ähnliche Anschauungen unterstützen, sich von den Rechten und Pflichten als Mitglieder des deutschen Zentrums entbunden sehen sollten.“123 Was war im Klub vor sich gegangen, von wem stammte diese Mitteilung, wer war dort an der Macht? Die Berichte, die Schatzmeister Hanns Martin Elster weiterhin an Hermon Ould lieferte, vermitteln kein zutreffendes Bild, denn er suchte jetzt durch Opportunismus seine Haut zu retten. Im Brief vom 7. März wird dies offenbar: [D]ie politischen Ereignisse haben natürlich auf den P.E.N.-Club ihre Rückwirkungen. Grade gestern hat der gesamte Vorstand seinen Rücktritt erklärt, und ich muss nun bis zur Generalversammlung allein die Geschäfte des deutschen P.E.N.-Clubs führen. Ich hoffe, dass die Generalversammlung auch mich in meiner bisherigen Arbeit bestätigt, dann gehöre ich gewiss zu denen, die nach Dubrovnik kommen. Die Schwierigkeiten gehen hier hauptsächlich von unserm alten Mitglied Alfred Kuhn aus, den Sie ja auch kennen, der sich aber leider wenig im Sinne Galsworthys betätigt, weil sein Ehrgeiz keine Grenzen kennt. Aber dies freundschaftlich unter uns.124 Deutschen. Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918 bis 1947. Berlin: Aufbau 1992, bes. S. 217–275; Barbian: Literaturpolitik, S. 71–79. 122 Vgl. Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller“, Sp. 611–636. 123 Werner Berthold: Die Repräsentanten der gleichgeschalteten deutschen Literatur auf dem PENKongreß in Dubrovnik. In: W. B.: Exilliteratur und Exilforschung. Ausgewählte Aufsätze, Vorträge und Rezensionen. Wiesbaden: Harrassowitz 1996, S. 135. 124 Hanns Martin Elster an Hermon Ould (8. 3. 1933). HRHRC.

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Von „Rückwirkungen“ der politischen Ereignisse zu sprechen, kann als Euphemismus gewertet werden; der PEN-Vorstand hat sich, am Tag nach den schon nicht mehr regulär zu nennenden Reichstagswahlen am 5. März (bei denen die NSDAP allerdings nur knapp 44 % der Stimmen erhielt), offenbar unter dem Zwang gesehen zu demissionieren. Alfred Kerr hatte aus dem Exil heraus keine Möglichkeit, dies zu verhindern. Es lag ihm aber daran, Ould eine Darstellung des Vorgangs aus seiner Sicht zu geben: Die deutsche Gruppe des PEN-CLUBS beschloss (in meiner Abwesenheit und ohne meine Stimme) im Hinblick auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten: dass der Vorstand und der Ausschuss zurücktreten. Ich erhob dagegen Einspruch: durch einen Brief vom 3. 4. an den sog. ‚kommissarischen Vorstand‘, zu Händen des Herrn Fedor v. Zobeltitz. Ich schrieb wörtlich ‚Ich erkläre mich nicht bereit zum Rücktritt; ich will abgesetzt werden‘. Hinzugefügt waren die folgenden Worte: ‚Der zum Staatsprinzip erhobene Rassenkrieg widerspricht den Grundzielen des PEN-CLUBS. Ich empfehle daher dem deutschen PEN-CLUB (dies ist mein letzter Rat): sich ehrlicherweise jetzt aufzulösen‘.

Diese Botschaft sei jedoch ignoriert worden. Zu der Frage, wie Intellektuelle in Deutschland behandelt würden, könne er sich selbst als Beispiel anführen: Ich erkläre auf Ehre und Gewissen folgendes: Es ist mir von der Behörde verboten worden in irgend einer deutschen Zeitung oder Zeitschrift irgendeinen Beitrag zu veröffentlichen. Auch unpolitische, harmlose nicht. Es ist den Zeitungen in Deutschland verboten irgend eine Zahlung an mich zu leisten. Sogar fälliges Gehalt für einen bereits vergangenen Monat darf nicht gezahlt werden. Der behördliche terminus technicus dafür lautet: ‚Zur deutschen Publizistik nicht zugelassen‘. Das ‚Berliner Tageblatt‘ wurde amtlich gezwungen, mich inmitten des Monats fristlos zu entlassen und auch das bereits verwirkte Gehalt nicht zu zahlen – bei Androhung des Verbots der Zeitung.125

Kerr, der in den vorangegangenen Jahren publizistisch die NS-Umtriebe mit besonderer Schärfe kritisiert hatte, repräsentierte zweifellos ein Feindbild erster Ordnung für die neuen Machthaber; sein Name stand im März 1933 auf der ersten Ausbürgerungsliste. Für den deutschen PEN war unter den aktuellen politischen Gegebenheiten – wie Carl Haensel, ein Herold der neuen Zeit, dies in einem Artikel „Für einen neuen deutschen PEN-Club“ in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 17. März 1933 zum Ausdruck brachte – jedenfalls „ein völliger Bruch mit der letzten Vergangenheit und den sie repräsentierenden Persönlichkeiten unvermeidlich“; die Neubesetzung des Vorstandes sollte mit Männern erfolgen, „die wissen, daß nur der ein Volk nach außen vertreten kann, der bis in die Tiefen mit dem eigenen Volkstum verwurzelt, durchdrungen und von seinen Säften bis in die letzte Pore durchzogen ist“.126 Zunächst aber stand nach dem Rücktritt des Vorstands der deutsche PEN ohne Führung da – bis auf Schatzmeister Elster, der seine Hauptaufgabe darin sah, London 125 Alfred Kerr [Schweiz] an Hermon Ould (3. 5. 1933). HRHRC. (Hervorhebungen im Original). 126 Carl Haensel: Für einen neuen deutschen PEN-Club. In: Deutsche Allgemeine Zeitung 129 (17. 3. 1933).



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zu beschwichtigen und die politischen Entwicklungen in Deutschland, die in der ausländischen Presse doch einigen Widerhall gefunden hatten, in einer schon perfide zu nennenden Weise zu verharmlosen. Am 24. März schrieb er an Ould: Als Mitglied des internationalen Exekutivkomitees möchte ich mir erlauben, Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen hierdurch zu versichern, dass die vielfachen Greuelnachrichten, die jetzt im Auslande teilweise über Deutschland verbreitet werden, in keiner Weise den Tatsachen entsprechen. Es geht in Deutschland durchaus nach Recht und Ordnung zu. Ich kenne zum Beispiel im gesamten Umkreise des deutschen Schrifttums nicht einen einzigen Fall, der auch nur im entferntesten das Recht gäbe, irgend eine auch noch so kleine Schreckensnachricht nach dem Ausland zu senden. Sie würden mich zu besonderem Dank verpflichten, wenn Sie auch in Ihrem Kreise dazu beitragen wollten, dass eine sachliche und gerechte Auffassung gegenüber Deutschland Platz greift.127

Der durch die Meldungen aus Deutschland sehr beunruhigte Ould, dem Nachrichten auch aus anderen Quellen zugegangen waren, hatte Zweifel an der Verlässlichkeit dieser Auskünfte; er hatte gehört, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Ernst Toller, Heinrich Mann und Thomas Mann „were unable to stay in Germany“ und verlangte eine Klärung der widersprüchlichen Meldungen: „It seems to me that the most satisfactory form of denial would be if you addressed an official statement that there is no truth in the reports concerning the persecution of these writers, signed by them.“128 Ein solches Statement konnte klarerweise nicht gegeben werden, zumal sich die Ereignisse nun überstürzten. Denn am 2., 9. und 23. April fanden in Berlin insgesamt drei Hauptversammlungen statt, mit denen die Umgestaltung des Zentrums etappenweise vorangetrieben wurde. Zu diesen Versammlungen hat ein Dokumentarist seine Erinnerungen an die einzelnen Stadien der „Gleichschaltung“ 23 Jahre später publik gemacht: der Schriftsteller Friedrich Märker. Zunächst berichtet er von einer Vorbesprechung, die im Hause Elsters abgehalten wurde, um die Wahl eines neuen PENVorstandes vorzubereiten: Die Mitglieder dieses Vorstandes sollten einerseits nicht antisemitisch, andrerseits aber nicht Juden sein. Wer Praesident werden sollte, weiss ich nicht mehr; jedenfalls wurde nicht Hanns Johst vorgeschlagen. Die Sitzung endete mit der Vereinbarung, dass die Autoren, auf die man sich geeinigt hatte, auf einer offiziellen Sitzung gewaehlt werden sollten.129

127 Hanns Martin Elster an Hermon Ould (24. 3. 1933). HRHRC. 128 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (29. 3. 1933). HRHRC. Gleich hinterher schickte er noch einmal eine kurze Note: „The present moment seems to be an extremely serious one for the P.E.N., and the principles for which we stand need to be more than ever emphasised.“ Mit dieser Notiz verband Ould eine Einladung des englischen PEN an alle nach Großbritannien reisenden deutschen Schriftsteller. Vgl. Ould an Elster (29. 3. 1933). HRHRC. Dies konnte als demonstrative Geste gegenüber den aus Deutschland flüchtenden Schriftstellern aufgefasst werden. 129 Friedrich Märker: Zeugen gesucht. Der Deutsche PEN-Club im Jahre 1933. In: Bericht vom PEN deutschsprachiger Autoren im Ausland, Mai 1962 [aus dem Mitteilungsblatt des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Bayern], S. 6f. Enthalten in DLA, NL Lehmann 685176/45.

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Die Hauptversammlung vom 2. April nahm aber offensichtlich nicht den geplanten Verlauf. Was Elster darüber nach London berichtete, klingt reichlich bizarr: Danach sei er selbst zum Gegenstand ehrverletzender Vorwürfe rund um das Tragen von Kriegsorden im PEN gemacht worden, die Sitzung sei abgebrochen worden.130 Viel folgenschwerer aber war, dass Hermon Ould von einem schon im März mit der Einladung zur Hauptversammlung versandten Rundschreiben Kenntnis erlangt hatte, in welchem der generelle Ausschluss kommunistischer oder ähnlich gesinnter Mitglieder verfügt wurde: Communications have come to my notice from members of the German P.E.N. who have received an announcement of a meeting which took place on 2nd April. In the third paragraph of the announcement appeared a statement to the effect that those members of the German P.E.N. Centre with Communistic or similar connections might regard themselves as relieved of their rights and duties in connection with the P.E.N. I cannot believe that such an announcement as this was sent out with your consent, as it violates the very first principle of the P.E.N. which is that we, as an association, stand apart from politics. I should be extremely grateful if you would let me have your explanation by return of post.131

In Berlin nahm man diese Aufforderung zur postwendenden Aufklärung nicht ernst und war auch bereits mit dem nächsten Schritt zur Neuwahl eines Vorstands beschäftigt; mit entsprechenden Winkelzügen sollte nun sichergestellt werden, dass der PEN ab sofort von politisch zuverlässigen Vertretern der „nationalen Erhebung“ geführt wird. Schon am 27. März hatte Walter Bloem in einem Gespräch mit Erich Kochanowski, dem Berliner Landesleiter des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, angeregt, „daß die Mitglieder des Kampfbundes für deutsche Kultur in den P.E.N.-Club hineingehen, um dort die Säuberungsaktion schleunigst durchführen zu können.“132 Der bisher als Deutschnationaler eingeschätzte Edgar von Schmidt-Pauli bewarb sich am 4.  April um die Mitgliedschaft im Kampfbund und stellte sich ab sofort voll in den Dienst der neuen Machthaber. Er empfahl Kochanowski, der bisher mit dem PEN nichts zu tun hatte, eine Liste mit nationalsozialistischen Schriftstellern aufzustellen. Zunächst aber wurde am 9. April in einer Ordentlichen Hauptversammlung ein „kommissarischer Vorstand“ gewählt, der noch keine dezidiert nationalsozialistische Ausrichtung hatte, denn über eine solche konnte – nach „teilweise scharfen Zusammenstößen“133 – vorerst keine Einigung herbeigeführt werden. Dieser kom130 Elster teilte Ould mit, die Sitzung sei „mit einem furchtbaren Kampf um meine Person vertagt worden. Es ist gegen mich der Vorwurf erhoben worden, ich wäre eigenmächtig dagegen aufgetreten, dass Kriegsorden im P.E.N.-Club getragen wurden.“ Gegen diesen Vorwurf wollte sich Elster mit einer offiziellen, eventuell sogar telegraphischen Bestätigung Oulds wehren, wonach ein entsprechender „Beschluss des internationalen Exekutivkomitees vorliegt und es nicht üblich, bzw. nicht Sitte gewesen ist, auch gegenwärtig noch nicht ist, im P.E.N.-Club Orden mit Einschluss der Kriegsorden zu tragen.“ Hanns Martin Elster an Hermon Ould (10. 4. 1933). HRHRC. 131 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (21. 4. 1933). HRHRC. 132 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 80. 133 So das Protokoll zur Hauptversammlung am 9. 4. 1933, zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 82.



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missarische Vorstand bestand aus Hanns Martin Elster, Fedor von Zobeltitz, Edgar von Schmidt-Pauli, Hans Richter und Werner Bergengruen. Welche Methoden aber in der Versammlung am 9. April angewandt wurden, um das gewünschte Resultat zu erzwingen, darüber informiert wieder der Zeitzeuge Friedrich Märker: Es waren meines Erinnerns auffallend viele juedische PEN-Club-Mitglieder anwesend. […] Wir warteten ziemlich lange auf XY’s [wohl: Elsters] Erscheinen. Viele wurden ungeduldig. Endlich ertoenten, sehr zu unserer Ueberraschung, die scharfen Tritte von Militaerstiefeln. Ein SchwarzUniformierter, ein SS-Mann, betrat den Sitzungsraum, ging zum Kopf des Tisches, setzte sich nicht und verkuendete, er spreche im Auftrag des Kulturbeauftragten Soundso [wohl: Hans Hinkel]. Der Deutsche PEN-Club habe Hanns Johst zum Praesidenten zu waehlen, oder er werde aufgeloest und sein Vermoegen beschlagnahmt. Ein Tumult der Empoerung erhob und entlud sich in Rufen wie ‚Verrat! Schurkerei!‘ Der SS-Mann blieb ruhig. Er sehe, sagte er, die PEN-ClubMitglieder seien ueberrascht. Er gebe ihnen Zeit zum Nachdenken. Sie wuerden zu einer neuen Sitzung eingeladen.134

Eine folgenschwere Entscheidung wurde auf der Sitzung aber doch gefällt, in Form einer Satzungsänderung: Ab sofort sollte es erlaubt sein, neue Mitglieder zu Beginn einer Sitzung hinzu zu wählen und ihnen sofortiges Stimmrecht zu gewähren. Davon wurde auch sogleich Gebrauch gemacht und Hanns Johst, Hans Grimm sowie als Vertreter des Kampfbundes Hans Hinkel und Alfred Rosenberg in den PEN aufgenommen. Auf diese Weise konnte sichergestellt werden, dass auf der nächsten Generalversammlung, die für den 23. April festgesetzt worden war, ein Vorstand gewählt würde, der „vollständig im Sinne unserer neuen Reichsregierung“ arbeitet. Für die praktische Umsetzung erhielt Alterspräsident Fedor von Zobeltitz den Auftrag, zusammen mit überwiegend nationalsozialistisch gesinnten Kollegen eine Vorschlagsliste zu erstellen, und zwar „nach Fühlungnahme mit den Regierungsstellen“.135 Die nicht-nationalsozialistischen PEN-Aktivisten leisteten nicht ernsthaft Widerstand gegen die Total-Gleichschaltung der Gruppe; letztlich nahm die Generalversammlung am 23. April den von den neuen Machthabern gewünschten Verlauf. Friedrich Märker erinnerte sich: Diese 3. Sitzung […] war – zunaechst! – sehr gut besucht. Fedor von Zobeltitz praesidierte. Er gab bekannt, der Deutsche PEN-Club habe Hanns Johst zum Praesidenten zu waehlen und zwar einstimmig; andernfalls werde er aufgeloest und sein Vermoegen beschlagnahmt. Zobeltitz unterbrach die Sitzung für fuenf Minuten. Die meisten Anwesenden verliessen den Saal und kehrten nicht zurueck. Als abgestimmt wurde, war nur ein kleines Haeuflein anwesend. Gegen den befohlenen Kandidaten stimmte nur einer. Und zwar ich, weil ich hoffte, durch die Aufloesung des Deutschen PEN-Clubs werde dem Ausland gezeigt, dass es in Deutschland noch immer ‚Andersdenkende‘ gibt. Warum der Deutsche PEN-Club trotz der von Zobeltitz bekanntgegebenen

134 Märker: Zeugen gesucht, S. 6f. 135 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 82. Zobeltitz stand damals im 76. Lebensjahr; er starb 1934.

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Drohung und trotz meiner Gegenstimme nicht aufgeloest worden ist, erfuhr ich erst 1946: Zobeltitz hatte eine einstimmige Wahl protokolliert.136

Ergänzend zu Märkers Bericht ist darauf zu verweisen, dass von der am 9.  April beschlossenen Satzungsergänzung hemmungslos Gebrauch gemacht wurde und 23 vom Kampfbund „durchgeprüfte“ Personen in den PEN aufgenommen wurden, unter ihnen die Redakteure des Völkischen Beobachters Götz Otto Stoffregen und Rainer Schlösser, der Verfasser der Hetzschrift Juden sehen dich an Johann von Leers, ebenso Kampfbundleiter Kochanowski sowie der Leiter des Nationalsozialistischen Studentenbundes Baldur von Schirach; denn wie es hieß, „die neue Lage berechtigt […], von Pedanterie abzusehen.“137 Der Wahl des Vorstands gingen allerdings heftige Debatten voraus. Der Vorschlag der nationalen Gruppe, Walter Bloem und von Zobeltitz zu Ehrenvorsitzenden mit erweiterten Befugnissen zu ernennen, wurde von Kochanowski zurückgewiesen; die (abwesenden) Herren Johst und Hinkel würden sich als Vorsitzende keinen Rat zumuten lassen. Vor allem aber: „Der PEN-Club ist ein wichtiges Instrument im Staatsgefüge. Und wenn hier ein neuer Vorstand gewählt wird, so ist es selbstverständlich, daß dieser es sich zur Pflicht macht, den PEN ganz besonders im Interesse des Staates zu verwalten.“138 Eine bemerkenswerte Aussage; dem PEN war es von seiner Grundidee her nicht in die Wiege gelegt, einmal als „wichtiges Instrument im Staatsgefüge“ angesehen zu werden. Hinsichtlich der Rolle Bloems und von Zobeltitz‘ wurde ein Kompromiss gefunden. Den entscheidenden Schritt setzte Schmidt-Pauli, der seinen „nationalen“ Kollegen in den Rücken fiel, indem er eine neue Vorstandsliste präsentierte; er machte jetzt auch seine Zugehörigkeit zum Kampfbund öffentlich. Kochanowski und seine Entourage stießen Drohungen aus: Komme über diesen Vorschlag keine Einigkeit zustande, so „haben die zu wählenden Vorsitzenden und alle Kampfbundmitglieder bis zu einer weiteren Mitgliederversammlung kein Interesse an den Vorgängen im P.E.N.-Club.“ Im Übrigen hätte „die deutsche P.E.N.-Gruppe im Falle der Nichtannahme der neuen Liste die Staatsführung nicht mehr hinter sich.“139 Die Drohworte zeigten Wirkung; ohnehin hätte es bei der Abstimmung gegen die neue Übermacht der Parteigänger des Nationalsozialismus kein Mittel gegeben. Die Nationalen verzichteten auf Vorstandsposten und kehrten nach einer (taktisch angesetzten) Sitzungspause nicht mehr in den Saal zurück. Der neue Vorstand wurde

136 Märker: Zeugen gesucht, S. 7. 137 So von Schmidt-Pauli. Vgl. Protokoll der Fortsetzung der ordentlichen Generalversammlung am 23. April 1933, gekürzt abgedruckt in: Wulf: Literatur und Dichtung, S. 69–74, hier S. 70. 138 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 71. 139 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 83.



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„durch Akklamation […] einstimmig angenommen“140 und hatte nun folgende Zusammensetzung: Vorsitzende: Hanns Johst, Hans Hinkel, Dr. Rainer Schloesser Schriftführer: Dr. Johannes von Leers, Dr. Edgar von Schmidt-Pauli Schatzmeister: Dr. Hanns Martin Elster, Erich Kochanowski Ehrenmitglieder: Walter Bloem, Theodor Däubler, Fedor von Zobeltitz

Damit hatte sich der deutsche PEN durch brachiale Vorgangsweise141 der Nationalsozialisten „selbsttätig erneuert“; nur Elster (und die im Alltagsgeschäft unbedeutenden Ehrenmitglieder) durften die Kontinuität wahren, wohl auch aus praktischen Erwägungen. Das Zentrum selbst war über die Dreierspitze und die meisten anderen Amtsinhaber nun vollständig in die NS-Schrifttumspolitik eingebunden. Am 29. April informierte Elster Ould über die personellen Änderungen;142 der Öffentlichkeit wurde in einer Pressenotiz gemeldet, der PEN habe in einer Generalversammlung „dem einmütigen Willen Ausdruck gegeben, fortan im Gleichklang mit der nationalen Erhebung zu arbeiten“.143

8 Der PEN-Kongress in Ragusa Der Konflikt mit der Londoner Zentrale war nun unausweichlich; Hermon Ould reagierte auf Elsters Versammlungsbericht mit der Ankündigung, dass auf dem herannahenden, für den 22.–28. Mai 1933 in Ragusa (Dubrovnik) anberaumten internationalen PEN-Kongress zweifellos eine Reihe unangenehmer Fragen gestellt werden würde: There was no indication in this latter letter that the persons elected were in any way connected with the P.E.N., but your letter confirms, what seems to be the fact, that they are the new Committee.

140 Protokoll der Hauptversammlung am 23. 4. 1933, zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 74. 141 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht eine Äußerung des PEN-Mitglieds Felix Langer in einem Brief an Rudolf Olden vom 12. Januar 1939: „Ich meldete meinen Austritt […] nach der letzten Generalversammlung im Jahre 33, der ich mit heimlichem Entsetzen beigewohnt hatte. Denn da ging es nicht mehr wie unter Schriftstellern zu, sondern wie bei einem Reserveoffiziersrat. […] Da schlich ich mich mit KZ-Angst im Herzen aus der Versammlung am Zoo, die diesmal ziemlich richtig am Ort war, und meldete schnell meinen Rücktritt an.“ Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek. Katalog: Werner Berthold und Britta Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichung der Deutschen Bibliothek 10), S. 11. 142 Hanns Martin Elster an Hermon Ould (29. 4. 1933). HRHRC. 143 Pressemeldung vom 24. 4. 1933, zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 10f.

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It would be disingenuous to pretend that the International Federation of the P.E.N. will accept this new German Centre without question. I act without official instructions, but think it my duty to inform you that the question of the constitution of the German Centre is bound to be raised very early in the course of the business of the Congress in Jugislavia, and the German delegates will certainly be asked whether they accept the chief principles of the P.E.N, viz: that it stands aside from politics; that it believes in the free interchange of literature; that the only qualification for membership is distinction in literature, irrespective of nationality, race or creed. Also, the German delegates will be asked to explain why distinguished writers like Heinrich and Thomas Mann, Fritz von Unruh, Doublin [sic], Arnold und Stefan Zweig, Else Lasker-Schuler [sic], Albert Ehrenstein, Jakob Wassermann, Remarque, and many others are not admitted to membership of the German P.E.N., and why your President, Alfred Kerr, should have been asked to resign.144

Die „neuen Herren“ in Berlin zeigten sich davon nicht überrascht; dass sie den PEN außenpolitisch zu instrumentalisieren gedachten, hatte sich ja bereits in einer Äußerung Erich Kochanowskis in der Generalversammlung vom 23.  April angekündigt: „Es geht beim P.E.N.-Club nicht um innerdeutsche Verhältnisse, sondern um unsere Weltgeltung.“145 Die Liste der nachfolgend für den Kongress in Ragusa nominierten Delegation spricht schon in ihrem Umfang dafür, dass sich das ‚neue Deutschland‘ dort selbstbewusst präsentieren wollte; sie umfasste Hanns Johst, Hans Hinkel, Rainer Schlösser, Erich Kochanowski, Edgar von Schmidt-Pauli, Friedrich Kurt Benndorf, Theodor Berkes, Ludwig Wolde und Hanns Martin Elster146 und wurde noch ergänzt um Fritz Otto Busch. Busch war Marineoffizier und Verfasser zahlreicher Seekriegsbücher (teilweise unter dem Pseudonym Peter Cornelissen erschienen), auch Hauptschriftleiter der Zeitschrift Die Kriegsmarine. Diese Zusammensetzung erregte Kritik, öffentliche und private. Will Vesper nahm sich in Die neue Literatur kein Blatt vor den Mund: Die deutsche Sektion des internationalen PEN-Clubs hat nun auch erfreulicherweise einen deutschen Vorstand bekommen, dem wir dringend zur nötigen Säuberung des Klubs die notwendige Entschlossenheit und die richtige Erfahrung wünschen! Wenig Vertrauen in dieser Hinsicht gibt leider die Tatsache, daß man als Vertreter des deutschen Schrifttums zur internationalen Tagung des Klubs in Ragusa ausgerechnet Hanns Martin Elster und Schmidt-Pauli – zwei Herren, die wir längst in anderen, ihnen mehr liegenden Branchen tätig sähen – und einen auch uns völlig unbekannten Herrn Fritz Otto Busch entsandt hat. Der PEN-Club ist ein internationaler, freier Schriftstellerbund. Wenn die deutschen Vertreter die deutschen Grenzen überschreiten, haben sie vor dem internationalen Forum allein die Autorität, die sie sich selbst durch überragende und allgemein anerkannte schriftstellerische Leistungen erworben haben – und gar keine andere!147 144 Hermon Ould an Hanns Martin Elster (9. 5. 1933). HRHRC. Abgedruckt auch in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 17. 145 Protokoll der Fortsetzung der ordentlichen Generalversammlung am 23. April 1933, zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 72. 146 So mitgeteilt von Hanns Martin Elster an Alfred Wolfenstein (8. 5. 1933). DLA, B. Hanns Martin Elster, mit der Bemerkung: „Ich hoffe, dass wir dort auch die letzten Unklarheiten über die Lage des Schriftstellers in Deutschland beseitigen.“ 147 Will Vesper in: Die neue Literatur 1933, S. 365f., zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 75f. NS-intern drückte sich Vesper noch drastischer aus: „Was macht Ihr denn mit dem PEN-Klub? Wie



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Nach den Vorstellungen Vespers hätten Rosenberg und Goebbels als Repräsentanten der Kulturpolitik und Stehr, Kolbenheyer und Grimm ihres dichterischen Rangs wegen nach Ragusa fahren sollen. Beim Vorbereitungskomitee offiziell angemeldet wurde von Elster aber nun die oben genannte Liste mit Delegierten, von denen viele bislang literarisch nicht hervorgetreten waren; der Nachweis ihrer Eignung sollte nachgereicht werden. Zudem verband Elster seine Nachricht mit einer Bitte: „Sollten deutsche Mitglieder unter Umgehung unserer Zentrale sich bei Ihnen unmittelbar angemeldet haben, so bitten wir Sie höflichst, uns diese Anmeldungen doch sofort bekannt zu geben, damit wir wissen, welche deutschen Mitglieder wir noch in Dubrovnik antreffen.“148 Man bereitete sich in Berlin also darauf vor, in Ragusa mit exilierten deutschen Schriftstellern konfrontiert zu werden. In einer Vorstandssitzung am 20.  Mai 1933 wurde, unmittelbar vor Abreise der Delegation, noch eine Kongressstrategie erarbeitet. Als offizielle Vertreter sollten Elster, Edgar von Schmidt-Pauli und Fritz Otto Busch auftreten und die Tagungsteilnehmer „in Gestalt einer grundsätzlichen Proklamation im Geist des neuen Deutschland unter seinem Führer Adolf Hitler über die nationale Revolution und ihr Wollen unterrichten und alle böswilligen Angriffe, vor allem aber die Greuelhetze einzelner zurückweisen“.149 Zu der Strategie gehörte ausdrücklich auch, die Tagungsteilnehmer durch betont höfliches Auftreten und demonstrative Bereitschaft zur sachlichen Zusammenarbeit für sich zu gewinnen. Dieser Plan schien zunächst aufzugehen. Erste Gelegenheiten zu seiner Umsetzung ergaben sich offenbar bereits bei der Anreise150, und am 26. Mai schrieb Busch nach Berlin: „Es herrschen die unglaublichsten Ansichten über unsere Bewegung, und ich denke, dass wir privatim und durch den Vortrag sehr gutes im Sinne unserer Bewegung werden leisten können. Mit Ruhe, Liebenswürdigkeit und unter Inne-

kann man Elster und Schmidt-Pauli – die man längst in anderen Branchen verwenden sollte – und einen völlig unbekannten Busch nach Ragusa schicken. Die Fahrt wird nichts als Peinlichkeiten bringen. Man konnte von Ragusa so gut fernbleiben, ebenso wie die Italiener. Inzwischen würden die Dinge in Deutschland etwas klarer und man konnte Leute von einiger Autorität ins Ausland schicken. […]. Wie kann man dem Ausland solche Nullen anbieten. Man macht es wirklich den Gegnern allzu leicht. Wenn es dann wenigstens rabiate Nationalsozialisten wären, kämpferische Jugend, die dort draussen etwas lernte, aber diese abgetakelten Gäule?“ Abschrift aus einem Brief von Will Vesper an Dr. [Bruno E. ?] Werner (20. 5. 1933). BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. 148 Hanns Martin Elster an das Comité préparatoire (3. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 75. 149 Protokollnotiz einer Vorstandssitzung, Berlin, 20. 5. 1933, abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 13. 150 Fritz Otto Busch, Edgar von Schmidt-Pauli und Hanns Martin Elster an Erich Kochanowski (24. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 80–82, hier S. 82: „Eines ist sicher: Wären wir nicht zum Kongreß erschienen und hätten wir nicht jede Gelegenheit an Bord des Schiffes ausnutzen können, so hätte sich der Kongreß zu einer einzigen schweren Anklage gegen Deutschland mit dem ganzen nach außen wirkenden Echo zusammengeballt.“

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haltung der besten Umgangsformen, die wir aufzuweisen haben, wird es bestimmt meiner Ansicht nach möglich sein, die meisten umzustimmen.“151 Tatsächlich wurden feindlich gestimmte Fragen an die deutsche Delegation vorerst nicht gestellt. Nur Frankreich und Belgien waren als entschiedene Gegner einzustufen; einige Delegationen wie die italienische (mit dem Delegationsleiter Marinetti), holländische und schweizerische waren ohnehin deutschfreundlich oder neutral eingestellt, die österreichische war gespalten, England und die USA suchten sich besonders fair oder jedenfalls abwartend zu verhalten. Eine von amerikanischer Seite (Henry Seidel Canby) am ersten Tag eingebrachte Resolution war in solcher Allgemeinheit gehalten, dass ihr auch von deutscher Seite zugestimmt werden konnte: We likewise call upon the International Congress to take definite steps to prevent the individual Centers of the PEN, founded for the purpose of fostering goodwill and understanding between races and nations, from being used as weapons of propaganda in the defense of persecutions inflicted in the name of nationalism, racial prejudice and political ill will.152

Seine Zustimmungserklärung zu diesen „hohen und schönen Zielen des PEN-Clubs“ begleitete Schmidt-Pauli mit dem Bemerken, die deutsche Delegation sei bereit, „auf sachliche Fragen zu antworten, soweit sie nicht auf politisches Gebiet hinüberspielten, denn das Abgleiten auf dieses Gebiet verbiete sich nach den Regeln des PEN-Clubs selbst.“153 Zutreffend bemerkt hierzu Werner Berthold, dass die deutschen Delegierten es auf zynische Weise verstanden, „die liberale PEN-Charta zu nutzen, um sich einer Debatte der humanitätsfeindlichen Politik ihrer Oberen zu entziehen.“154 Die dramatische Wende auf dem Kongress ist bereits oft dargestellt worden und kann hier in raschen Strichen in Erinnerung gerufen werden. Ausgelöst wurde sie von einer Resolution belgischer und französischer Autoren („Resolution René Lyr“), die sich nun explizit gegen die Kulturpolitik des nationalsozialistischen Deutschland richtete. Die deutsche Delegation drohte damit, die Sitzung zu verlassen, wenn dieser Antrag in dieser Form diskutiert würde, und konnte mit dieser Drohung sowie durch Absprachen hinter den Kulissen tatsächlich eine Abschwächung erreichen. Busch berichtete dazu am 27. Mai: Sodann gelang es, eine ganze Reihe von gefährlichen Punkten entweder zu streichen oder so zu verändern, daß die Spitzen gegen Deutschland abgebogen wurden, und die déclaration mehr 151 Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (26. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 83. – Der im Brief erwähnte Vortrag (teilabgedruckt in Wulf: Literatur und Dichtung) fand aufgrund der vorzeitigen Abreise der deutschen Gruppe nicht statt. 152 William M. Park: The first confrontation: Ernst Toller at Ragusa. In: Deutsche Exilliteratur. Literatur im Dritten Reich. Akten des II. Exilliteratur-Symposiums der University of South Carolina. Bern: Lang 1979, S. 142. 153 Bericht von Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (27. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 84–89, hier S. 87. 154 Berthold: Die Repräsentanten der gleichgeschalteten deutschen Literatur, S. 139.



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allgemeinen Charakter erhielt. Lediglich die Erwähnung der Bücherverbrennung und die Absetzung einiger Professoren und anderer Männer geistigen Berufes von Ämtern wurde gestreift und war nicht zu vermeiden.155

In der Hauptsache war die Delegation bemüht, eine öffentliche Debatte des Antrags zu verhindern. Trotz verschiedener Verabredungen mit den Antragstellern gelang dies aber nicht. H. G. Wells, der dem am 31. Januar 1933 verstorbenen John Galsworthy als Präsident des Internationalen PEN nachgefolgt war, zeigte sich fest entschlossen, eine Debatte zuzulassen, weil er, als Anwalt freier Meinungsäußerung, all jenen die Diskussion über die Situation in Deutschland nicht verwehren könne, die gerade deshalb nach Jugoslawien gekommen seien.156 Inzwischen war Ernst Toller erschienen und von „geradezu tosendem Beifall“ empfangen worden (so Fritz Otto Busch in seinem Bericht157). Toller zeigte sich allerdings bereit, seine angemeldete Rede erst nach Annahme der Resolution zu halten bzw. der deutschen Delegation am folgenden Tag Fragen zu stellen, wurde aber von Wells aufgefordert, sofort zu sprechen. Daraufhin spitzte sich die Situation zu: Busch erklärte, dass diese Vorgangsweise gegen alle zuletzt getroffenen Vereinbarungen verstoße; seine Delegation würde im Falle einer Rede Tollers den Saal verlassen. Mitten in diesen Disput hinein erteilte Wells dem Generalsekretär Hermon Ould das Wort, der nun ganz offiziell die entscheidenden Fragen stellte: Had the German P.E.N. Centre protested against the ill-treatment of German intellectuals and the burning of the books? Was it true that the Berlin Centre has issued a notice to its members depriving those of Communist or ‚similar‘ views of their rights of membership, thereby violating the first rule of the P.E.N. that it should stand aside from politics?158

Schmidt-Pauli protestierte namens der deutschen Gruppe sofort energisch „gegen diesen eklatanten Bruch der Geschäftsordnung“ und drohte erneut mit dem Verlas-

155 Bericht von Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (27. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 84–89, hier S. 88. 156 Vgl. hierzu auch Berthold: Die Repräsentanten der gleichgeschalteten deutschen Literatur, S. 140. 157 Bericht von Fritz Otto Busch an Erich Kochanowski (27. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 84–89, hier S. 88. 158 So in den P.E.N. News No. 56 (June 1933), S.  4f., zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S.  24. – Die deutsche Delegation übermittelte die Fragen in nicht ganz vollständiger Übersetzung nach Deutschland: „1) Hat der deutsche PEN-Club gegen die Bücherverbrennungen protestiert? 2) Ist es wahr, dass der deutsche PEN-Club in einem Rundschreiben eine Anzahl von Mitgliedern wegen ihrer Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei ausgeschlossen hat? Wenn das der Fall ist, würde der deutsche PEN-Club gegen die Regeln des PEN-Clubs verstoßen haben.“ Bericht von Fritz Otto Busch und Edgar von Schmidt-Pauli (27. und 28. 5. 1933), zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 22.

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sen der Sitzung.159 Wells, davon unbeeindruckt, gab Toller das Zeichen zum Beginn seiner Rede, woraufhin die deutsche Delegation in der zum Tumult gesteigerten Szene geschlossen abrückte, gefolgt von der österreichischen Delegierten Grete von Urbanitzky160, dem Schweizer Delegierten Emanuel Stickelberger und der holländischen Delegierten Johanna van Ammers-Küller. Toller sprach an diesem Tag nur kurz (er hätte es vorgezogen, unter Beisein der deutschen Delegation zu sprechen); die „Resolution René Lyr“ wurde mit 10 Stimmen bei 2 Gegenstimmen und 14 Enthaltungen angenommen; Deutschland wurde an diesem Tag trotz Abwesenheit wieder in das Exekutivkomitee gewählt.161 An der Sitzung des nächsten Tages und am offiziellen Festbankett hat die deutsche Delegation – allen Bemühungen der jugoslawischen Gastgeber zum Trotz – nicht mehr teilgenommen, sie hat sich aber in demonstrativ höflicher Form entschuldigt. Der letzte Bericht vermerkt lapidar, dass in der Schlusssitzung – neben Schalom Asch – Ernst Toller „eine kurze Rede“ gehalten habe.162 Tatsächlich aber kann seine große Rede als Höhepunkt des PEN-Kongresses betrachtet werden, insofern sie eine bemerkenswerte, auch nachhaltige Resonanz erzielt hat.163 Bei der von Toller formulierten Anklage handelte sich um den bis dahin und lange Zeit wirkungsvollsten Versuch der exilierten Schriftsteller, die Weltöffentlichkeit über die Vorgänge in Deutschland, über die Bücherverbrennungen, die Verfolgung und Vertreibung von Schriftstellern und Künstlern aus ihrer Heimat aufzuklären. In der Betrachtung ex post haben Toller und die Emigration somit recht eindeutig den „Sieg“ davongetragen. Umso mehr mag es überraschen, dass auch die deutsche Delegation mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen hoch zufrieden war: Man habe eine ganze Reihe von Erfolgen erzielt; so sei es nicht zu einer offiziellen Erklärung des Kongresses gekommen, „die irgend eine politische oder überhaupt beleidigende Äußerung gegen Deutschland“ enthalte, vor allem aber habe man „das Gesetz des Handelns in der Hand behalten und jede weitere Entscheidung im Dunkeln gelassen“.164 Tatsächlich

159 Bericht von Fritz Otto Busch und Edgar von Schmidt-Pauli (27. und 28. 5. 1933), zitiert nach Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 22. 160 Eine präzise Darstellung zu der ambivalenten Rolle des österreichischen PEN in Ragusa gibt Klaus Amann: P.E.N. Politik. Emigration. Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien: Böhlau 1984. Zur Rolle der Schweiz in diesen Vorgängen vgl. Helen Münch-Küng: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern u. a.: Lang 2011. 161 Fortsetzung des Berichts (28. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 91. Vgl. hierzu ferner: Die deutsche Delegation des PEN-Klubs verläßt den Internationalen Kongreß. In: Völkischer Beobachter 148/149 (28./29. 5. 1933). 162 Fortsetzung des Berichts (28. 5. 1933), zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 92. 163 Der erste Abdruck erfolgte in der in Prag erscheinenden Neuen Weltbühne: Ernst Toller: Rede auf dem Penklub-Kongreß. In: Die neue Weltbühne 2 (1933) 24 vom 15. 6. 1933, S. 741–744. Auszugsweise abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 27–30. 164 Fortsetzung des Berichts von Fritz Otto Busch und Edgar von Schmidt-Pauli, zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 23.



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hatte man sich die Möglichkeit einer weiteren Mitarbeit im Internationalen PEN offen halten können.

9 Entstehung des deutschen Exil-PEN und Austritt des deutschen PEN-Zentrums Die Behandlung der PEN-Problematik blieb auf deutscher Seite strategiegeprägt; dies zeigt das wieder betont höfliche Schreiben, das Edgar von Schmidt-Pauli anlässlich seiner in der Ausschusssitzung am 7. 7. 1933 erfolgten Wahl zum Delegierten für das Exekutivkomitee an Hermon Ould richtete und in welchem er seiner Hoffnung Ausdruck gab, „dass die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Exekutiv-Komitée [sic] den hohen Zielen des Klubs entsprechend im kameradschaftlichen Sinne fortgesetzt werden und gute Erfolge zeitigen wird.“ Er selbst werde jedenfalls bemüht sein, seinem ehrenvollen Auftrag gemäß in diesem Sinne zu wirken. Ould könne aus dieser Meldung ersehen, „dass die Deutsche Gruppe des P.E.N. Klubs durchaus gewillt ist, die Arbeit nach den Regeln des internationalen P.E.N. Klubs fortzusetzen.“165 Den Hintergrund dieser Nachricht bildete der in der Ausschusssitzung auf Vorschlag Hans Hinkels gefasste Beschluss, die deutsche PEN-Gruppe für auslandspropagandistische Zwecke zu nutzen; mittels intensivierter Pressearbeit, Aufrufen und Veranstaltungen sollte weiterhin für die nationale Politik des ‚neuen Deutschland‘ geworben werden.166 Ould bekundete nun zwar seine Freude über Schmidt-Paulis Teilnahme an der Sitzung des internationalen Exekutivkomitees,167 führte aber gleichzeitig Korrespondenz mit Vertretern des deutschsprachigen Exils. Denn schon lange vor Ragusa, am 16.  April  1933, hatte Herwarth Walden – vor der „Gleichschaltung“ Schriftführer des Berliner PEN-Zentrums – von Moskau aus bei ihm angefragt, ob die Bildung einer deutschen PEN-Gruppe im Ausland denkbar erscheine: Während des Ausbruchs der Barbarei in Deutschland, der sogenannten nationalen Revolution, befand ich mich in Moskau. Ich hatte hier seit einigen Monaten eine literar-wissenschaftliche Arbeit zu erledigen. Ich war also auch bei der Sitzung des P.E.N.-Clubs nicht anwesend, in der der Vorstand zurücktrat. Ich bitte Sie um Mitteilung, wie die Exekutive des P.E.N.-Clubs sich zu der ganzen Angelegenheit gestellt hat oder stellt. Soweit unsere Freunde nicht zufällig im Ausland waren oder das Land verlassen konnten, sind sie aufs äusserste bedrängt und in jeder Hinsicht gefährdet, soweit sie nicht bereits in Konzentrationslagern untergebracht sind. Also in lebenslänglicher Gefangenschaft. Nur dürfte das Leben dieser Regierung verrückter oder verrücktwerdender Kleinbürger nicht solange dauern. 165 Edgar von Schmidt-Pauli an Hermon Ould (8. 7. 1933). HRHRC. 166 Vgl. Barbian: Literaturpolitik, S. 86 (nach dem Protokoll der Ausschusssitzung vom 7. 7. 1933). 167 Vgl. Hermon Ould an Edgar von Schmidt-Pauli (13. 7. 1933). HRHRC.

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Wäre es möglich, den P.E.N.-Club Deutsche Gruppe im Ausland zu konstituieren. Das ist eine Anfrage meiner Initiative. Können Sie mir die Möglichkeit einer direkten Besprechung mit der Exekutive in London geben. Ich kann mich leider mit unseren deutschen Freunden nicht in Verbindung setzen, da jede Nachricht von Verfemten, zu denen ich gehöre, mit Lebensgefahr für die Briefempfänger verbunden ist.168

Da sich London, wohl mangels Überblick über die Lage, vorderhand bedeckt hielt, wiederholte Walden im August 1933 seine Anfrage: Ich bitte Sie um Auskunft, ob eine deutsche Gruppe des P.E.N., die im Ausland konstituiert würde, von der Internationale des P.E.N.-Clubs unter den üblichen Voraussetzungen, nämlich Anerkennung des Generalstatuts, bestätigt werden kann. Wie Sie wissen, sind die meisten Mitglieder von literarischer Bedeutung aus dem P.E.N.-Club ausgeschlossen, oder mussten emigrieren. Auch meine sämtlichen Bücher sind beschlagnahmt und eingezogen worden. Ich bitte Sie, eine offizielle Aeusserung der Exekutive über meine Anfrage herbeizuführen.169

Walden betrieb aber nicht nur die Gründung einer neuen Gruppe, sondern auch mit Nachdruck den Ausschluss des unter illegitimer Führung stehenden Berliner Zentrums. Anfang September wandte er sich in einem Schreiben an den Präsidenten H. G. Wells mit einer ausformulierten Beschlussvorlage: ‚Die Exekutive des P.E.N. wolle beschliessen, den P.E.N.-Club Deutsche Gruppe auszuschliessen, da die Zusammensetzung seines neuen Vorstands und Ausschusses nicht den Bestimmungen des Generalstatuts entspricht.‘ Begründung: Zahlreiche deutsche Mitglieder des P.E.N.-Clubs sind ohne jeden Rechtsgrund aus dem P.E.N.-Club Deutsche Gruppe ausgeschlossen worden. Schon das widerspricht dem Generalstatut. In dem neuen Vorstand befinden sich Personen, deren einzige schriftstellerische Tätigkeit darin besteht, dass sie sich Schriftsteller nennen. Die eigentliche Leitung liegt in den Händen eines nationalsozialistischen Beamten, wie offiziell in der deutschen Presse mitgeteilt wird. Unter den Ausschussmitgliedern sind zahlreiche Personen, die die Aufnahmebedingungen des Generalstatuts nicht erfüllt haben oder nicht erfüllen können.170 168 Herwarth Walden [Moskau] an Hermon Ould (16. 4. 1933). HRHRC. – Die in den PEN-Archivalien dokumentierten Interventionen Waldens finden in den Darstellungen zur Vorgeschichte des deutschen Exil-PEN bisher keine Erwähnung und sollen deshalb hier ausführlicher zitiert werden. 169 Herwarth Walden an Hermon Ould (14. 8. 1933). HRHRC. 170 Herwarth Walden an H. G.  Wells (6. 9. 1933). HRHRC. Nachfolgend zitiert Walden aus Rudolf G. Bindings offenem Brief an Rolland, um ein besonders abschreckendes Beispiel der Inhumanität zu geben, die die neue Führung des deutschen PEN kennzeichne: „Dieser Herr Binding schreibt in einem öffentlichen Brief an Romain Rolland unter anderem folgendes: ‚Wir geben zu, dass in Deutschland Menschenjagden veranstaltet werden auf solche Menschen, die wir für nichtdeutsch zu erklären uns anmassen. Wir bekennen und nehmen nicht zurück, dass um der Abkunft, des Glaubens, der Gesinnung und Meinung willen der Mensch verfemt, verunrechtet, ja gemartert und gemordet wird. Wir räumen ein, dass Deutschland keinen Raum hat für Marxisten, Juden, Pazifisten, H u m a n i s t e n und ähnliches Gelichter. Das wird schwer sein für die Opfer, aber Gottseidank, deutsche Seele, deutsches Blut ist in der Lage, die Leiden a n d e r e r heroisch zu ertragen. Und was besagen die Leiden einzelner Gruppen gegenüber der herrlichen Tatsache, dass unser Volk wieder Volk wurde, dass die



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Dass Ould auf diese Attacke gegen Berlin nur hinhaltend mit der Zusendung der P.E.N.-News an Walden reagierte, lässt die Unsicherheit erkennen, die in London in Bezug auf die Verhältnisse in Deutschland unter dem Nationalsozialismus herrschte. Walden aber ließ sich auf diese Weise nicht beruhigen; am 27. September schrieb er erneut an Ould und brachte weitere Argumente vor: Es ist mir und meine Freunden unverständlich, dass die Exekutive duldet, ihren Namen auf diese Weise missbrauchen zu lassen. Der Vorsitzende, der sogenannte ‚Staatskommissar‘ Hinkel, ist überhaupt kein Schriftsteller und einer der politischen Hauptagitatoren der Nazis. Die Exekutive kann sich doch unmöglich damit einverstanden erklären, dass alle führenden deutschen Schriftsteller emigrieren müssen, zum Teil die Staatsangehörigkeit verlieren oder in Konzentrationslagern untergebracht werden. Das ist auch mit Mitgliedern des PEN-Clubs geschehen. Die Tatsachen müssten der Exekutive natürlich schon aus der Weltpresse bekannt sein. Die gleichgeschalteten Schriftsteller in Deutschland mögen so viele Vereine bilden, wie die Nazis befehlen. Der PEN-Club ist es aber seiner Vergangenheit schuldig, sein Ansehen nicht so diskreditieren zu lassen. Das kollegiale Verhalten der Schriftsteller des PEN hat seine Grenzen, die Grenzen, die durch das Generalstatut als solche gekennzeichnet sind. Jedenfalls dürfen Schriftsteller nicht diesen plumpen Betrug mitmachen, dass Versicherungen als wahr angenommen werden, während die Handlungen genau das Gegenteil bewiesen haben und beweisen. […] Der PEN kann gar keine anderen Konsequenzen aus dem Verhalten der deutschen Gruppe ziehen.171

Am 30. September sandte Walden noch eine Information über Dr. Johann von Leers, dem aktuellen Sekretär des gleichgeschalteten PEN, hinterher: „Damit Sie sich eine Vorstellung von den ‚schriftstellerischen Qualitäten‘ des neuen Sekretärs und von seiner P.E.N.-Gesinnung machen können, überreiche ich Ihnen einen Ausschnitt aus seinem Buch ‚Juden sehen Dich an‘. Hiernach scheint mir der Ausschluss der deutschen Gruppe mehr als selbstverständlich.“172 Im November 1933 hatte Walden allerdings noch immer keine Nachricht von der Entscheidung der Exekutive.173

deutsche Seele Auferstehung, Neugeburt, vaterländischen Höhenflug feiert. W i r s i n d d e u t s c h, w a s b r a u c h e n w i r e d e l z u s e i n? [Sperrungen vom Autor].‘ Der P.E.N.-Club würde sich zum Mitschuldigen dieser menschlichen und geistigen Schmach machen, wenn er eine deutsche Sektion mit einem solchen Ausschussmitglied in seinen Reihen duldet.“ Dieser Wortlaut stimmt nicht mit den 1933 veröffentlichten, gemäßigten Versionen überein (Rudolf G. Binding: Antwort eines Deutschen an die Welt. Berlin: Rütten & Loening 1933; Sechs Bekenntnisse zum neuen Deutschland. Rudolf G. Binding, E. G.  Kolbenheyer [u. a.] antworten Romain Rolland. Hamburg: Hanseatische Verlags-Anstalt 1933), entspricht aber der Version, die 1935 in der Tarnschrift des „SDS im Exil“, Deutsch für Deutsche (Paris 1935; Reprint Zürich 1978), Verbreitung fand. Werner Mittenzwei hält diesen Wortlaut für eine Fälschung (Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie, S. 290f.), kennt allerdings Waldens Brief nicht. Entweder ist dieser Brief Ausgangspunkt der Fälschung oder es gab eine bisher nicht identifizierte Fassung von Bindings Brief, die von diesem selbst für die Verbreitung im Druck „entschärft“ wurde. 171 Herwarth Walden an Hermon Ould (27. 9. 1933). HRHRC. 172 Herwarth Walden an H. G. Wells (30. 9. 1933). HRHRC. 173 Herwarth Walden an Hermon Ould (2. 11. 1933). HRHRC.

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Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Berliner PEN bereits markant verändert: Am 14. Oktober 1933 hatte Adolf Hitler den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund verkünden lassen – Signal für einen neuen, aggressiven Kurs in der Außenpolitik, auf das der Vorstand des PEN denn auch sehr bald reagierte, am 1. November, mit einem „vor allen Schriftstellern der Welt“ geleisteten Bekenntnis „zum Führer des deutschen Volkes, Reichskanzler Adolf Hitler, in der Gewißheit, daß der wirkliche Friede und die wirkliche Völkerversöhnung allein unter seiner Führung geschaffen werden“.174 Auslösendes Moment dafür war ein vom Reichsverband deutscher Schriftsteller inszeniertes „Treuegelöbnis“ von 88 deutschen Schriftstellern, hinter dem der deutsche PEN nicht zurückstehen wollte.175 Am 8. November fand nun die Sitzung des PEN-Exekutivkomitees in London statt, auf der die Lage des deutschen Zentrums ausführlich diskutiert wurde. Schmidt-Pauli wurde zunächst die Frage gestellt, ob Mitglieder wegen ihrer politischen Ansichten ausgeschlossen worden seien. Dies verneinte er, gab aber zu, dass einigen die Mitgliedschaft entzogen worden sei, „because […] they had brought politics into the P.E.N.“176 Eine weitere Frage bezog sich darauf, ob das deutsche Zentrum tatsächlich allen Mitgliedern im März 1933 eine Mitteilung zugesandt habe, nach deren Punkt 3 alle, die kommunistischen oder ähnlichen Anschauungen anhingen, sich als ausgeschlossen betrachten sollten. Als Schmidt-Pauli hierzu kundgab, dass das deutsche Zentrum zu dieser Entscheidung stehe, und auf die Nachfrage, wie er „ähnliche Anschauungen“ definiere, verschiedene Erscheinungsformen des Liberalismus darunter fasste, nahm das Exekutivkomitee – bei nur einer Gegenstimme, jener SchmidtPaulis – eine von der PEN-Gründerin Dawson Scott selbst eingebrachte Resolution an: „That in the opinion of this Committee clause 3 of the communication to members of the German Centre dated 16th March, 1933, is incompatible with the general constitution of the P.E.N.“177 Daraufhin gab Schmidt-Pauli eine Erklärung ab, wonach er die Zusammenarbeit der deutschen Gruppe mit dem Internationalen PEN vorbehaltlich der Zustimmung seines Vorstands für beendet ansehen müsse: „Wir deutschen

174 Zitiert nach Barbian: Literaturpolitik, S. 86 (vgl. nähere Angaben zum Originaldokument). 175 Vgl. dazu die Schreiben von Hanns Martin Elster an Erich Kochanowski und an den Reichsverband deutscher Schriftsteller vom 27. 10. 1933 bzw. 28. 10. 1933, abgedruckt in Wulf: Literatur und Dichtung, S.  113f. In letzterem heißt es: „Die Veröffentlichung der 88 Namen wirkt insofern ungerecht, als sie den Eindruck erwecken kann, daß diejenigen Schriftsteller, die nicht in der Namensliste genannt sind, nicht zu dem Treuegelöbnis und zum Führer stehen.“ In ersterem Schreiben hatte Elster vorgeschlagen, innerhalb des PEN-Clubs eine entsprechende Aktion durchzuführen, sollte der Reichsverband den Antrag auf Erweiterung der Unterschriftenliste ablehnen. 176 P.E.N. News No. 59 (Nov. 1933), S. 3f., Protokoll der Sitzung des International Executive Committee of the P.E.N. (8. 11. 1933), zitiert nach dem Teilabdruck in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 36f., hier S. 36. 177 Ebd.



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Schriftsteller werden nach wie vor für den Frieden arbeiten, aber auf einem Weg, den wir für richtig und erfolgreich halten“.178 Nach Berlin zurückgekehrt, erstattete Schmidt-Pauli in einer Ausschuss-Sitzung am 18. November 1933 Bericht über die Vorgänge in London. Der Ausschuss billigte die Abgabe der Austrittserklärung und beschloss – auf Vorschlag Elsters – eine „Umgründung“ des Zentrums; dazu wurde auf Vorschlag von Leers’ eine Kommission eingesetzt, der neben Elster noch Hermann Eris Busse und von Schmidt-Pauli sowie Carl Haensel als juristischer Berater angehörte. Hans Hinkel, der diese Idee schon seit längerem verfolgt hatte,179 schlug vor, den Präsidenten der Reichskulturkammer (RKK) Hans Friedrich Blunck in den Vorstand des neuen Verbandes zu berufen und das Propagandaministerium über die Vorgänge zu informieren.180 Die Vorbereitungsarbeiten kamen offenbar rasch voran. Mit einem von Johann von Leers gezeichneten Rundschreiben am Jahresende für den 8. Januar 1934 zu einer Generalversammlung des deutschen PEN eingeladen, mit der gleichzeitig „die Gründungsversammlung des internationalen Schriftstellerverbandes ‚Union nationaler Schriftsteller‘“ abgehalten werden sollte. Hanns Johst habe sich bereit erklärt, den Vorsitz zu übernehmen; als Ausschussmitglieder seien u. a. RKK-Präsident Hans Friedrich Blunck, Gottfried Benn, Werner Beumelburg sowie Fritz Otto Busch vorgesehen.181 Am 8.  Januar 1934 kam es tatsächlich zu der Errichtung der Union Nationaler Schriftsteller. Sie trat – auch vermögensrechtlich – die Nachfolge des Berliner Zentrums an, dessen Mitglieder zum formellen Beitritt in die neue Organisation aufgefordert wurden. Johst wurde zum Präsidenten, Gottfried Benn182 zum Vizepräsiden178 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 37. – Vgl. auch: (anon.): Herr von Schmidt-Pauli in London. In: Die Sammlung 1 (1934) 4, S. 222. Hier wird berichtet, H. G. Wells habe den Vorschlag gemacht, „dass die deutschen Mitglieder des Clubs auf ihre Mitgliedschaft an der Internationalen Vereinigung verzichten sollten, bis sie wieder bereit wären, ein Mitglied aufzunehmen, ohne eine Rasse oder Gesinnung zur Bedingung zu machen.“ Dies habe den Beifall aller Anwesenden (mit Ausnahme SchmidtPaulis) gefunden. 179 Vgl. Barbian: Literaturpolitik, S. 87; danach hatte Hinkel bereits im Juli 1933 die Gründung eines „Verbands nationalbewußter Schriftsteller“ vorgeschlagen. 180 Protokoll der Ausschuss-Sitzung vom 18. 11. 1933 [Johann von Leers]. BArch Koblenz, NL Pechel N 1160 III/64. Als Teilnehmer werden dort genannt: „Barthel / v. Below / Binding / Busch / Busse / Elster / Ewers / Haensel / Hegeler / Hinkel / Hoecker / Kochanowski / v. Leers / Meyer / Müller-Jabusch / Pechel / Schauwecker / v. Schmidt-Pauli“. 181 Rundschreiben, abgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 38f. 182 Benn hatte sich bereits Ende Dezember in einem Brief an Blunck darüber beschwert, er sei gar nicht gefragt worden, ob er das Amt annehmen wolle: „Ich bin gar nicht im Penclub [Benn wurde seit 1928 als PEN-Mitglied geführt!], kenne die Leute gar nicht. – Abgesehen von dieser Ungezogenheit mit den Namen bin ich der Meinung, dass diese Gründung im Augenblick keinen Sinn hat. Der Aufruf ist kläglich, die Namen darunter für diesen Zweck ganz unmöglich.“ Gottfried Benn an Hans Friedrich Blunck (31. 12. 1933), zitiert nach Claudia Scheufele: Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung. Der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Hans Grimm in den Jahren 1933 bis 1935. In: Benn-Forum 2 (2010/2011), S. 79–104, hier S. 99. Benn unternahm allerdings auch nichts gegen seine

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ten gewählt; Schmidt-Pauli fungierte als Schriftführer, Elster und Kochanowski als Schatzmeister. Am 1.  März  1934 wurde im Völkischen Beobachter ein programmatischer Aufruf „An die Schriftsteller aller Länder!“ veröffentlicht, der zunächst noch einmal die Billigung des am 8.  November 1933 vollzogenen Austritts aus dem PEN durch die „gesamte deutsche Schriftstellerschaft“ unterstrich.183 Diese habe „mit äußerster Erbitterung“ davon Kenntnis genommen, dass das internationale Exekutivkomitee „von der deutschen Gruppe die Aufnahme kommunistischer Mitglieder verlangte in einem Augenblick, als die kommunistischen Literaten vom Ausland her eine fanatische Verleumdungspropaganda gegen das Deutsche Reich vor aller Welt entfesselten“. Die darauf folgenden gedanklichen Abstrusitäten des Aufrufs (die sehr deutlich an die Sprache Gottfried Benns erinnern)184 müssen hier nicht in extenso ausgebreitet werden; im Zentrum steht „der hohe Begriff des Vaterlandes“, aus dem die Verpflichtung zur „Sicherung aller der großen und kleinen Vaterländer nebeneinander“ abgeleitet wird, als Ausdruck einer Gesinnung, „die auf nichts weiter zielt als auf die vertiefte Ehre der Völker und die Sammlung zu einer neuen menschlichen Gemeinschaft.“ Der hohe Ton vermischt sich im Schlussappell dann mit weiteren Tiraden gegen die Exilanten: Die deutsche Schriftstellerschaft richtet daher an die Schriftsteller aller anderen Länder die Bitte, von nun an nicht mehr den Haßausbrüchen einer zum Absterben verurteilten Emigrantenliteratur zu glauben, sondern aus uns die Stimme der deutschen Geschichte zu vernehmen. Wir sind das Erbe und die Tradition jenes Reiches, das seit tausend Jahren den Begriff und die Leistung Europas kämpfend miterschuf. Wir sind die deutschen Schriftsteller. Und wir tun hiermit den Schritt, die Schriftsteller der anderen Länder aufzufordern, unsere Anschauungen nachzuprüfen und uns wissen zu lassen, ob sie bereit sind, mit uns an die Gründung der Union Nationaler Schriftsteller zu gehen. Wollen Sie mitarbeiten, so lautet unsere direkte Frage, am Aufbau einer neuen menschlichen Gemeinschaft aller unserer, von der äußeren wie inneren Auflösung gleichermaßen bedrohten Vaterländer? Auf dieser Grundlage werden Sie uns zu jeder Freundschaft bereit finden und zu jeder kameradschaftlichen Zusammenarbeit am Aufbau der Union.185

Wahl zum Vizepräsidenten, die ja erst auf der Generalversammlung am 8. 1. 1934 erfolgte. Aufgrund einer längeren Abwesenheit Johsts fungierte Benn im ersten Halbjahr 1934 sogar als Präsident der Union. 183 An die Schriftsteller aller Länder! Aufruf der ‚Union nationaler Schriftsteller‘. In: Völkischer Beobachter 60 (1. 3. 1934). Der Aufruf ist abgedruckt in Wulf: Literatur und Dichtung, S. 99–101. 184 So z. B. die Attacken auf die aus Deutschland geflüchteten Schriftsteller, „deren Beleidigungen, Haß und Lügen gegen ihr ehemaliges Vaterland notorisch“ seien und die vom Londoner PEN zu Ehrenmitgliedern gemacht worden seien: „Das heißt nach Auffassung der deutschen Schriftstellerschaft eine Gesinnung krönen, ja sie vor dem Forum der ganzen weißen Rasse feiern, die in ihren Folgen den Rang und die Zukunft dieser Rasse für immer vernichtet.“ Wulf: Literatur und Dichtung, S. 100 (Hervorhebung durch den Verfasser); Benn war geradezu fixiert auf diesen Begriff. 185 Zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung, S. 100f.



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Den Hintergrund dieser Gegenüberstellung von wahrhaft vaterländischer Gesinnung und den „Haßausbrüchen einer zum Absterben verurteilten Emigrantenliteratur“ bildete die Entstehung eines Exil-PEN, die parallel bzw. sogar noch vor Unionsgründung vonstatten ging. Denn das internationale Exekutivkomitee hatte auf der Sitzung am 8. 11. 1933 nicht nur die Resolution gefasst, die den deutschen PEN zur Austrittserklärung veranlasste; das Protokoll vermerkte außerdem: „The question of whether a Centre composed of those writers who have for various reasons left Germany should be formed was considered, and it was agreed that if a suggestion to this effect were made by any of the writers in question it would be handled according to the usual routine of the P.E.N.“.186 Dies war als eine Einladung an die exilierten Schriftsteller zur Gründung eines eigenen Zentrums zu verstehen, und tatsächlich traf bereits am 15. Dezember 1933 eine entsprechende „suggestion“ ein: Rudolf Olden, die treibende Kraft hinter diesen Sammlungsbestrebungen, beantragte gemeinsam mit Lion Feuchtwanger, Max Herrmann-Neiße und Ernst Toller die Anerkennung einer autonomen PEN-Gruppe der außerhalb Deutschlands lebenden Schriftsteller. Der deutsche PEN-Club im Exil wurde im Juni 1934 auf dem 12. Internationalen PENKongress in Edinburgh/Glasgow offiziell als Zentrum bestätigt. Während nun das von Heinrich Mann präsidierte und Rudolf Olden geleitete neue Zentrum in den folgenden Jahren mit einem Minimum an Organisation und einer über viele Länder zerstreuten Mitgliederschaft zu einer bedeutenden Stimme des deutschsprachigen Exils wurde, erwies sich die Union Nationaler Schriftsteller als Fehlschlag. Zwar konnte Gottfried Benn am 29.  März 1934 Filippo Tommaso Marinetti als Gast der Union in Berlin begrüßen und in einer Festrede den Vertreter des Futurismus, der „den Faschismus mit erschuf“, als einen Verbündeten und Verwandten im Geiste preisen,187 die Anwerbung von Mitgliedern im Ausland kam aber nicht voran.188 Die Union, die „alle Schriftsteller der Welt, die sich zu ihrem Volkstum und zur Gleichberechtigung der Völker untereinander bekennen, unmittelbar auf[nehmen] wollte“,189 186 P.E.N. News No. 59 (Nov. 1933), S. 3f., Protokoll der Sitzung des International Executive Committee of the P.E.N. vom 8. 11. 1933, teilabgedruckt in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 36f., hier S. 37. 187 Vgl. Rede auf Marinetti. In: Gottfried Benn: Essays, Reden, Vorträge. Gesammelte Werke in vier Bänden. Hrsg. von Dieter Wellershoff. Bd. 1, Wiesbaden: Limes 1959, S. 478–481. 188 Vgl. hierzu die exemplarisch fehlgeschlagenen Versuche von Hans Grimm, in Scheufele: Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung, S. 101f. 189 Hanns Martin Elster: Die Union nationaler Schriftsteller. In: Das Deutsche Wort. Die literarische Welt 10. Jg. (Neue Folge: 2. Jahr), Nr. 20 (11. 5. 1934), S. 8f. In seinem Artikel nahm Elster noch einmal Gelegenheit, die „Gleichschaltung“ des PEN und den Austritt aus der internationalen Vereinigung zu begründen: Vor 1933 sei der PEN-Club „immer mehr in die Hände fanatischer Parteipolitiker, insbesondere der Marxisten und Kommunisten und durch diese wieder in die Hände der Juden“ geraten. Gegen die Statuten des PEN sei dieser immer mehr politisiert worden, er sei immer mehr „zu einem Abbild der Völkerbundarbeit in Genf“ geworden, und: „Wie das neue Deutschland politisch nicht mehr mit dem Völkerbund, der keine Gleichberechtigung im wahren Sinne durchzuführen vermag, zusammenarbeiten konnte, so auch nicht mehr mit dem PEN-Klub, der sich ebenfalls als Instrument des Versailler Vertrages herausgestellt hatte.“

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also zunächst auf die Bildung von Landesgruppen oder Zentren verzichtete, hatte noch im Juni 1934 keine präzisere Zielsetzung als „die Verbindung mit dem ausländischen Schrifttum, soweit es unseren geistigen und nationalen Grundlagen entspricht, zu pflegen“.190 Dass zur gleichen Zeit auf dem internationalen PEN-Kongress in Schottland der Exil-PEN als die Vertretung des ‚anderen Deutschland‘ weltöffentliche Anerkennung fand, wird den Unionsbestrebungen ebenfalls nicht förderlich gewesen sein – abgesehen von den Vorgängen im Reich, die nun vom Ausland aus doch mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt wurden, und der Tatsache, dass sich Gottfried Benn auf dem Rückzug aus der NS-Schrifttumspolitik befand. Die nationalsozialistische Anti-PEN-Initiative schlief also ein, erlebte allerdings Jahre später eine Wiederbelebung in Gestalt einer „Europäischen Schriftsteller-Vereinigung“ (ESV), die aus den seit 1938 in Weimar abgehaltenen großdeutschen Dichtertagen und speziell einer im Herbst 1941 organisierten Deutschlandreise europäischer Schriftsteller herauswuchs und mit tatkräftiger, aber diskret gehaltener Unterstützung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda im Oktober 1941 unter dem Vorsitz Hans Carossas gegründet wurde.191 Wie sehr sich auch die Idee der ESV noch aus dem Hass gegen den Internationalen PEN nährte, geht u. a. aus Tagebucheintragungen Joseph Goebbels‘ hervor, der im Zusammenhang mit der Errichtung der ESV höhnisch vom „Penn-Klub“ spricht, „der nicht mehr das Recht habe, im Namen des intellektuellen Europa zu sprechen“.192 Die ESV sollte – hierin ein Gegenstück zum PEN – über den Aufbau von Ländergruppen für die im Zuge der militärischen Eroberungen entwickelte Europa-Politik und die Weltbeherrschungsphantasien des NS-Regimes instrumentalisiert werden. Für kurze Zeit gelang dies auch, indem Schriftsteller, Kritiker und wissenschaftliche Autoren aus 14 Ländern zum Eintritt in den Verband motiviert werden konnten; der Krieg setzte ab 1943 auch diesen Bestrebungen ein Ende. *** Es war somit ein weiter Bogen, den der deutsche PEN in nur zehn Jahren zurückgelegt hat: Anfänglich bedeutend als eine Plattform der Begegnung und Aussöhnung mit den Weltkriegsgegnern und in dieser Funktion ein Werkzeug des Auswärtigen Amtes; dann verspottet als „harmloser Geselligkeitsverein“ und als „eine Gesellschaft von schauerlicher Abseitigkeit“193, die sich in Frack und Smoking zu unzeitgemäßen Fest190 So das von Gottfried Benn verfasste Rundschreiben vom 9. 6. 1934, zitiert nach Scheufele: Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung, S. 100. 191 Eine ausführliche Darstellung dazu gibt Frank-Rutger Hausmann: „Dichte, Dichter, tage nicht!“ Die Europäische Schriftsteller-Vereinigung in Weimar 1941–1948. Frankfurt am Main: Klostermann 2004. 192 Zitiert nach Hausmann: „Dichte, Dichter, tage nicht!“, S. 52. 193 So Rudolf Olden über den deutschen PEN vor 1933, in einem Brief an Alfred Kantorowicz vom 5. 4. 1935, zitiert nach Walter Huder und Klaus Siebenhaar (Hrsg.): „Das war ein Vorspiel nur…“. Bü-



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diners versammelt; schließlich, nach Öffnung gegenüber einer jüngeren Generation und gegenüber weniger konservativen Positionen, die temporäre Mutation zu einer zeit- und gesellschaftskritischen Intellektuellenvereinigung, die den fatalen Entwicklungen hin zum Totalitarismus entgegentreten wollte; am Ende dann der Versuch einer Einverleibung des deutschen PEN in das System der nationalsozialistischen Literaturpolitik, der aber am Widerstand der internationalen PEN-Zentrale und an der Aufklärungsarbeit der sich sammelnden Exilschriftsteller scheiterte. Noch in den Versuchen einer Gegengründung war das NS-Regime, dessen auslandspropagandistische Ambitionen mit dem erzwungenen Austritt des deutschen Zentrums einen Schlag versetzt bekamen, negativ auf den PEN fixiert; gleichzeitig aber pervertierte es in diesen Gegengründungen dessen Friedens- und Freiheits-Idee, die mit jeder Form von Totalitarismus unvereinbar war und ist.

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 Ernst Fischer

Sternheim, Carl: PEN-Klub, Deutsche Akademie der Dichtung und anderes neuzeitig geistiges deutsch-berlinisches Unterfangen. In: Der Querschnitt 6 (1926) 7, S. 548–550. Abgedruckt auch in Carl Sternheim: Zeitkritik. Gesamtwerk, Bd. 6. Hrsg. von Wilhelm Emrich. Neuwied: Luchterhand 1966. Theodor Däubler 1876–1934. Bearbeitet von Friedhelm Kemp und Friedrich Pfäfflin. Marbach am Neckar 1984 (Marbacher Magazin 30/1984). Thomas Mann: Dem Kongreß. In: Die literarische Welt 2 (1926) 21–22, S. 1 und 4 (Reprint Nendeln 1973). Toller, Ernst: PEN-Kongreß in Polen. In: Die Weltbühne 26 (1930) II, S. 49–51. – : Rede auf dem Penklub-Kongreß. In: Die neue Weltbühne 2 (1933) 24 vom 15.6.1933, S. 741–744. – : Rede in Budapest. In: Die Weltbühne 28 (1932) I, S. 853–855. Ungern-Sternberg, Jürgen und Wolfgang von Ungern-Sternberg: Der Aufruf ‚An die Kulturwelt!‘ Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg. Mit einer Dokumentation. Stuttgart: Steiner 1996. Vegesack, Thomas: Aus der Geschichte des P.E.N.-Clubs. In: Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. München: C. Bertelsmann 1986, S. 19–27. Was erwarten Sie von der Berliner Tagung des PEN-Klubs? Umfrage, veranstaltet von Hans Tasiemka. In: Die Literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2. [Reprint Nendeln 1973] Die Umfrage ist auch abgedruckt in Anton Kaes (Hrsg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 90f. Weltmann, Lutz: P.E.N.-Klub.-Impressionen aus Budapest. In: Die Literatur 34 (1931–32), S. 541–542. Willy Haas: Meine Meinung. In: Die literarische Welt 2 (1926) 20, S. 2. [Reprint Nendeln 1973] Wulf, Joseph: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main: Ullstein 1983.

Anhang I Satzung der deutschen P.E.N.-Gruppe, Berlin: undatiert, ca. 1930. 1. Der P.E.N.-Club, Deutsche Gruppe, ist eine Vereinigung deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen, welche die Pflege geselliger Beziehungen mit in- und ausländischen Berufsgenossen für erstrebenswert halten. Politische Zwecke sind ausgeschlossen. 2. Sitz der Deutschen Gruppe ist Berlin. Mitglieder können anerkannte Schriftsteller und Schriftstellerinnen irgendeines Zweiges des Schrifttums werden, die deutsche Staatsangehörige sind oder in Deutschland wohnen. Außerhalb Berlins können Ortsgruppen gebildet werden, ohne daß dadurch die Verfassung und Leitung des Clubs geändert würden. 3. Zum Beitritt bedarf es einer Einladung durch den Ausschuß. Jedes Mitglied kann Vorschläge zur Einladung neuer Mitglieder machen. Zur Aufnahme bedarf es der Anwesenheit von mindestens 8 Ausschußmitgliedern. Sind 2 Stimmen gegen die Aufnahme, so ist der Vorschlag abgelehnt. 4. Jährlich findet eine allgemeine Mitglieder-Versammlung statt, die wenn möglich mit der ersten geselligen Vereinigung des Jahres zusammenfallen soll. Diese Mitglieder-Versammlung nimmt den Rechenschaftsbericht des Ausschusses entgegen und erteilt dem Ausschuß die Entlastung. An der allgemeinen Mitglieder-Versammlung können nur Mitglieder der deutschen Gruppe teilnehmen, es würde denn ein Mitglied einer anderen Gruppe durch besonderen Ausschußbeschluß eingeladen, doch dürften auf diese Weise eingeladene Gäste sich nie an einer Abstimmung beteiligen.

Anhang 

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5. Die Mitglieder-Versammlung wählt den Ausschuß, der aus mindestens 9 und höchstens 23 Mitgliedern bestehen soll. Mindestens ein Drittel des Ausschusses soll aus im Reich außerhalb Berlins wohnenden Mitgliedern bestehen und wenn möglich von jeder Ortsgruppe ein Mitglied dem Ausschuß angehören. Der erste Ausschuß besteht aus den gründenden Mitgliedern der Gesellschaft mit dem Recht der Zuwahl. Jedes Jahr scheidet ein Drittel der Ausschußmitglieder aus. Ihre Wiederwahl ist zulässig. 6. Der Ausschuß wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden, einen oder zwei stellvertretende Vorsitzende, einen Schatzmeister, einen Schriftführer und einen stellvertretenden Schriftführer. Die Vereinigung wird nach außen von dem Vorsitzenden vertreten. 7. Der Mindestbeitrag für das Clubjahr beträgt 12 Mark. Dieser Beitrag ist bis zum 1. Oktober jeden Jahres voll einzuzahlen; er kann vom Ausschuß ganz oder teilweise gestundet werden. 8. Die geselligen Zusammenkünfte finden in der Regel einmal im Monat statt. Der Tag wird vom Ausschuß bekanntgegeben. 9. Jedes Mitglied kann zu den geselligen Zusammenkünften einen Gast einführen; jedoch den gleichen Gast nicht mehr als dreimal im Jahr, sofern er nicht ein nahes Familienmitglied ist. 10. Die Mitgliedschaft erlischt durch freiwilligen Austritt, der durch schriftliche Mitteilung an den Schriftführer erfolgt. Ein Mitglied, das den Jahresbeitrag trotz Mahnung nicht bezahlt oder die Interessen des Clubs in gröblicher Weise schädigt, kann vom Ausschuß als ausgeschieden erklärt werden. Dieser Beschluß erfordert eine Mehrheit von zwei Dritteln des Ausschusses. 11. Die Mitglieder der anderen Landesgruppen des P.E.N.-Clubs gelten in geselliger Beziehung als Mitglieder der deutschen Gruppe. Ausländer, die in Deutschland wohnhaft sind, unterliegen wie die Inländer der Ballotierung. Quelle: DLA, NL [Wilhelm] Lehmann 68.5176/2–4, PEN-Club, Verschiedenes.

II Mitgliederverzeichnis des P.E.N.-Clubs (Deutsche Gruppe); undatiert (1931/32), 282 Mitglieder. Alsen, Ola Andersen-Nexö, Martin Angermayer, Fred Antoine Bab, Julius Bagier, Guido Behne, Adolf Benn, Gottfried Beradt, Martin Berend, Alice Bernhard, Georg Bernus, Alexander von Bertling, K. O. Bischoff, Fritz Walther Blaß, Ernst Blei, Franz Bloem, Walter Blunck, Hans Friedrich Böhlau, Helene (al Raschid) Bock, Alfred

Bonsels, Waldemar Bormann, Hans Heinrich Brandl, Alois Brennert, Hans Brentano, Bernard von Brües, Otto Bruns, Max Brust, Alfred Bulcke, Carl Bunsen, Marie von Burschell, Friedrich Busse, Hermann Eris Claudius, Hermann Curtius, Ernst Robert Däubler, Theodor Daudistel, Albert Dibelius, Wilhelm Diebold, Bernhard Dörfler, Peter

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 Ernst Fischer

Donath, Adolf Dresdner, Albert Drigalski, Liesbet von (Liesbet Dill) Dülberg, Franz Eckehard, Gabriele Ehrke, Hans Eisenlohr, Friedrich Elias, Julie Eloesser, Arthur Elster, Alexander Elster, Hanns Martin Emmel, Felix Engel, Georg Federn, Helene Federn, Karl Feist, Hans Feldmann, Siegmund Feuchtwanger, Lion Fischel, Oskar Fischer, Adolf Fischer, Kurt Forbes-Mosse, Irene Franck, Hans Frank, Bruno Frank, Leonhard Frey, Alexander Moriz Friedmann, Wilhelm Friedrich, Paul Frisch, Efraim Frobenius, Leo Fröschel, Georg Fulda, Ludwig Gerhard, Adele Godwin, Catharina (de Vargas S.) Goldstein, Ludwig Goetz, Wolfgang Goldschmidt-Faber, Hermann Gomoll, Wilhelm Conrad Grabowsky, Adolf Graf, Oskar Maria Grautoff, Otto Greeven, Erich August Guenther, Johannes von Hahn, Victor Halbe, Max Harich, Walther Hatzfeld, Adolf von Hauptmann, Gerhart Hausenstein, Wilhelm

Hefele, Hermann Hegeler, Wilhelm Heilborn, Ernst Heine, Anselma Heise, Carl Georg Hermann-Borchardt, Georg Herwig, Franz Hesse, Otto Ernst Heuß, Theodor Heynen, Walter Heynicke, Kurt Herrmann-Neiße, Max Hildenbrandt, Fred Hirsch, Julius Hirschfeld, Georg Hoechstetter, Sophie Höcker, Paul Oskar Holitscher, Arthur Holländer, Felix Hollander, Walther von Houben, H. H. Huch, Rudolf Huebner, F. M. Ihering, Herbert Ilgenstein, Heinrich Jacob, Hans Jacob, Heinrich Eduard Jacobs, Monty Jacques, Norbert Kamnitzer, Ernst Katz, Richard Kayssler, Friedrich Kellermann, Bernhard Kerr, Alfred Kesser, Hermann Keßler, Graf Harry Kippenberg, Anton Kircheisen, Friedrich M. Klatt, Fritz Klein, Fritz Klutmann, Rudolf Kneip, Jacob Knudsen, Hans Kober, A. H. Köster, Adolf Kolb, Annette Kuhn, Alfred Kühn, Joachim Kyser, Hans

Anhang 

Land, Hans Lange, Carl Lauckner, Rolf Lauret, René (Gast) Lehmann, Wilhelm Leip, Hans Leppmann, Franz Lersch, Heinrich Levin , Julius Lilienfein, Heinrich Lochmüller, Benedikt Loerke, Oskar Lübbe, Axel Mackowsky, Hans Magnus, Erwin Mahrholz, Werner Mann, Thomas Marcu, Valerie Matthias, Leo Mayer, Anton Meier-Gräfe, Julius Meumann, Max Alexander Meyer, Alfred Meyer-Eckhardt, Viktor Meyerfeld, Max Meyrink, Gustav Miegel, Agnes Molo, Walter von Montgelas, Graf Albrecht Moreck, Kurt Much, Hans Muckermann, Friedr. Müller, August Müller-Freienfels, Richard Müller-Jabusch, Maximilian Müller-Rastatt, Carl Muth, Carl Mutius, Gerhard von Nadel, Arno Nadler Josef Naval, Margret (Gast) Norden, Fritz Nostitz-Wallwitz, Helene von Nötzel, Karl Olden, Balder Olden, Rudolf Osborn, Max Ostwald, Hans Otten, Else

Palitzsch, Otto A. Pechel, Rudolf Petersen, Julius Peuckert, Will Erich Pinner, Rudolf Pinthus, Kurt Piper, Karl Anton Ponten, Josef Presber, Rudolf Reck-Malleczewen, Fritz Percy Reinacher, Eduard Reisiger, Hans Reuter, Gabriele Rickmers, C. Mabel Rockenbach, Martin Roda-Roda, Alexander Roeseler, Hans Roselius, Ludwig Roß, Colin Röttger, Carl Saenger, Samuel Sarnetzki, Dettmar Heinrich Seidel, Heinrich Wolfgang Seidel, Ina, Berlin Seidel, Willy Siemens, Kurt Speyer, Willy Spiero, Heinrich Südekum, Albert Schabbel, Otto Schaffner, Jakob Schäfer, Wilhelm Scharrelmann, Wilhelm Scheff, Werner Scheffler, Karl Schendell, Werner Schering, Emil Schickele, René Schmidt, Lothar Schmidtbonn, Wilhelm Schneider, Manfred Scholz, Wilhelm von Schönlank, Bruno Schreiber-Krieger, Adele Schulze, Hanns Schroeder, Rudolf Alexander Schumann, Wolfgang Schurek, Paul Stahl, Ernst Leopold

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 Ernst Fischer

Stehr, Hermann Sternberg, Leo Stolper, Gustav Strauß und Torney-Diederichs, Lulu von Strich, Fritz Stucken, Eduard Stutterheim, Kurt von Tagger, Theodor Talhoff, Albert Theile, Albert Toller, Ernst Ulitz, Arnold Ullmann, Regina Unger, Hellmutth Vallentin, Antonina Vershofen, Wilhelm Viebig, Clara Wach, Joachim Wagenfeld, Karl Walden, Herwarth Wassermann, Jakob

Wechsler, E. Wegner, Armin T. Weigand, Wilhelm Weisl, Wolfgang von Weismantel, Leo Weiß, Ernst Welk, Ehm Wendel, Hermann Werner, Bruno E. Wiechert, Ernst Winckler, Josef Wirz, Otto Wittmaack, Adolf Wolff, Theodor Wolfskehl, Karl Würzbach, Friedrich von Würzburger, Karl Zinn, Alexander Zobeltitz, Fedor von Zobeltitz, Martha von Zuckmayer, Carl Zweig, Arnold

Quelle: BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel N 1160 III/64.

Helmut Peitsch

Versuchte Gleichschaltung durch das NSRegime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945) 1 Unter nationalsozialistischer Herrschaft: Gleichschaltung und Auflösung des deutschen PEN-Clubs1 „Für einen neuen deutschen PEN-Club“ lautete die Überschrift eines programmatischen Artikels, den Carl Haensel am 17.  März  1933 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichte: Bei der außerordentlichen Bedeutung, die dem PEN-Club als Vertreter des deutschen Geistes gegenüber den führenden Schriftstellern der anderen Völker zukommt, ist ein völliger Bruch mit der letzten Vergangenheit und den sie repräsentierenden Persönlichkeiten unvermeidlich und eine Neubesetzung des gesamten Vorstandes mit Männern unerläßlich, die wissen, daß nur der ein Volk nach außen vertreten kann, der bis in die Tiefen, mit dem eigenen Volkstum verwurzelt, gedrungen und von seinen Säften bis in die letzte Pore durchzogen ist.2

Zwei Tage zuvor, am 15. März 1933, hatte der kommissarische preußische Kultusminister Bernhard Rust die ‚Säuberung‘ der Preußischen Akademie der Künste eingeleitet, ausgehend von Heinrich Manns und Käthe Kollwitz‘ Unterstützung des „Dringenden Appells“ des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, „unbeschadet von Prinzipiengegensätzen alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind“.3 Rust hatte insbesondere in Gottfried Benn ein Mitglied der Sektion für Dichtkunst gefunden, das die ‚Reinigung‘ vorantrieb, indem er betonte, „daß er weiterhin zu dem Dichter Heinrich Mann stehe“.4 Benn entwarf einen Revers, den zwei Drittel der verbliebenen Sektionsmitglieder unterschrieben (darunter Gerhart Hauptmann, Georg Kaiser, Leonhard Frank, Bernhard Kellermann, Fritz von Unruh, Alfred Mombert und

1 Vgl. die Ausführungen zur Gleichschaltung und Auflösung von Ernst Fischer im Beitrag zum PEN in der Weimarer Republik in diesem Handbuch, S. 71–132. 2 Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1966, S. 68f. 3 Hermann Haarmann u. a.: „Das war ein Vorspiel nur …“ Bücherverbrennung Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen. Berlin und Wien: Medusa 1983, S. 67. 4 Inge Jens: Dichter zwischen rechts und links. Die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste dargestellt nach Dokumenten. München: dtv 1979, S. 194. (Erstausgabe München: Piper 1971)

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 Helmut Peitsch

Franz Werfel, die aber – bis auf Hauptmann – trotzdem auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen wurden):5 Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Reichsregierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage.6

Rudolf G. Binding erklärte am 20. Februar 1933, „daß die Meinungsfreiheit, die uns vor allem wertvoll sein müsse, nicht in der politischen Betätigung liege“7, und Alfred Mombert schrieb am 18.  Februar  1933 der Akademie, „daß es für die meisten geradezu unbegreiflich ist, wie ein einsichtiger Geist sich heute vom Kommunismus die Rettung der deutschen Kultur erhofft“.8 Am 11. März 1933 hatten zwölf Mitglieder der seit 1933 innerhalb des Schutzverbands deutscher Schriftsteller (SDS) operierenden Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftsteller eine Sitzung des Vorstands gestürmt, diesen zum Rücktritt gezwungen, sich selbst zum neuen Vorstand ernannt und Mitglieder aus dem Verband ausgeschlossen, die sich „‚gegen deutsches Wesen, gegen nationales Gefühl“ vergangen hatten: „Diese Vermutung galt nicht automatisch für die jüdischen Autoren, die im SDS verbleiben konnten, soweit sie sich eben nicht politisch mißliebig gemacht hatten.“9 Auch im Fall des PEN Deutschland begann die ‚Reinigung‘ noch bevor die Deutsche Studentenschaft in Kooperation mit dem Propagandaministerium und den für die Bibliotheken zuständigen staatlichen, städtischen Stellen am 12.  April  1933 die Vorbereitungen für die Bücherverbrennungen „Wider den undeutschen Geist“ begann; diese verknüpfte sie mit dem so genannten Judenboykott vom 1. April 1933: „Öffentliche Verbrennung zersetzenden jüdischen Schrifttums durch die Studentenschaften aus Anlass der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.“10 Gerade die Bücherverbrennungen belegen, dass im Faschismus keine offene Politisierung der Künste stattfand. Auch die Faschisierung der Literaturverhältnisse erfolgte vielmehr im Namen der ‚gesunden‘ oder ‚reinen‘ Kunst, des ‚Ewigmenschlichen‘ und vor allem 5 Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen Deutschen. Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter auf die Preußische Akademie der Künste 1918 bis 1947. Berlin und Weimar: Aufbau 1992, S. 239. 6 Jan-Pieter Barbian: Nationalsozialismus und Literaturpolitik. In: Wilhelm Haefs (Hrsg.): Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2009 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 9.), S. 53–98, hier S. 56. 7 Jens: Dichter zwischen rechts und links, S. 193. 8 Ebd., S. 197. 9 Volker Dahm: Die nationalsozialistische Schrifttumspolitik nach dem 10. Mai 1933. In: Ulrich Walberer (Hrsg.): 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen. Frankfurt am Main: Fischer 1983, S. 36–83, hier S. 39. 10 Werner Treß: „Wider den undeutschen Geist“. Bücherverbrennung 1933. Berlin: Parthas 2003, S. 62f.



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des ‚Nationalen‘, das sich wirksam als ‚unpolitisch‘ darstellte. Im Parteiprogramm der NSDAP war nur von einer einzigen der Künste und zudem ausschließlich in negativer Weise die Rede; der „zersetzende […] Einfluß“ einer bestimmten Richtung der Literatur „auf unser Volksleben“ wurde beklagt.11 Die spektakulärste Aktion, mit der der pseudo-revolutionäre Bruch zwischen der Weimarer Republik und dem ‚Dritten Reich‘ der ‚nationalen Revolution‘ inszeniert wurde, betraf insofern nicht zufällig die Literatur. In den ‚Feuersprüchen‘, unter denen am 10. Mai 1933 vor allem, aber nicht nur in den Universitätsstädten die Bücher von Karl Marx und Karl Kautsky, von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Friedrich Wilhelm Foerster, Sigmund Freud, Emil Ludwig und Werner Hegemann, Theodor Wolff und Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky und vielen anderen verbrannt wurden, war nicht von Politik die Rede; im Namen ewiger Werte des Künstlerischen, des Menschlichen, des Deutschen wurde die Literatur der Arbeiterbewegung und der bürgerlichen Demokratie, sozialistische wie liberale kritische Literatur vernichtet. Die Werte – als Idealismus ausgegeben – wurden gegen die als ‚materialistisch‘, ‚jüdisch‘ und ‚undeutsch‘ denunzierten Interessen ausgespielt. Der erste gegen Marx und Kautsky gerichtete ‚Feuerspruch‘ fasste schon die Werte zusammen: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung“.12 Der ‚unpolitische‘ Idealismus der Bücherverbrennung meinte Unterwerfung unter eine nach innen wie außen militant eingesetzte Ordnung der ‚Volksgemeinschaft‘. Ihre Stichworte wurden jeweils im zweiten, positiven Teil der antithetisch gebauten ‚Feuersprüche‘ genannt (Nr.  2–9): „Zucht und Sitte“, „Hingabe an Volk und Staat“, „Adel der menschlichen Seele“, „Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit“, „verantwortungsbewußte Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus“, „Geist der Wehrhaftigkeit“, „Pflege“ „der deutschen Sprache“ als „des kostbarsten Gutes unseres Volkes“, „Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist“.13 Das ‚Undeutsche‘ dagegen wurde als Unwertes bestimmt: „moralische[r] Verfall“, „Verrat“, „Seelenzerfaserung“, „Verfälschung“, „Volksfremdheit“, „Dünkel“, „Frechheit und Anmaßung“.14 Getragen wurde die Aktion von der Deutschen Studentenschaft, die mit einem Rundschreiben vom 9.  Mai  1933 die 15 Autoren zusammen mit den ‚Feuersprüchen‘ für verbindlich erklärte, aber den örtlichen Studentenschaften ‚jegliche Freiheit‘ zur Erweiterung gab.15 11 Günter Hartung: Literatur und Ästhetik des deutschen Faschismus. Drei Studien. Berlin: Akademie 1983, S. 164. 12 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 49. 13 Ebd., S. 49f. 14 Ebd. 15 Werner Treß (Hrsg.): Verbrannte Bücher 1933. Mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 41. Widerlegt ist mittlerweile die seit dem 50. Jahrestag der Bücherverbrennungen (1983) allgemein akzeptierte These, dass es sich um eine spontane Aktion der Deutschen Studentenschaft gehandelt habe, wie es etwa noch in Volker Weidermanns „Das Buch der verbrannten Bücher“ (Köln: Kiepenheuer und Witsch 2008, S. 16) heißt: „Die ‚Deutsche Studen-

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 Helmut Peitsch

Bei den 15 landesweit obligatorischen Autoren wurde nur in jeweils zwei Fällen das antimarxistische, das antipazifistische und das antisemitische Leitmotiv angespielt; aber gerade die einzige ausdrückliche Erwähnung von ‚Jüdischem‘, nämlich im 6.  ‚Feuerspruch‘: „Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“,16 zeigt, wie der Antisemitismus mit anderen ‚Feindbestimmungen‘ verbunden wart. Zugespitzt gesagt (weil heutzutage im Feuilleton gelesen werden kann: die ‚jüdische Moderne‘ wäre verbrannt worden): Die jüdische Herkunft allein war kein Grund, ebenso ästhetische Modernität, Franz Kafka z. B. stand erst 1935 auf der ‚Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums‘, noch nicht auf denen von 1933 wie z. B. dem „Vorläufigen Halleschen Generalindex jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer volkszersetzender Schriften“.17 Auch im PEN erfolgte die ‚Reinigung‘ unter dem Schein einer ‚Reinigung‘ von Politik. Am 9.  April  1933 wurde auf einer Generalversammlung das Zentrum um Mitglieder des Rosenbergschen Kampfbunds für deutsche Kultur erweitert, der Vorstand (Hanns Martin Elster, Theodor Däubler, Herwarth Walden) – nach der Flucht des bisherigen Vorsitzenden Alfred Kerr schon am 15. Februar 193318 – zum Rücktritt veranlasst und das Zentrum ‚gereinigt‘: „Es sind etwa ⅓ der deutschen Mitglieder eingeschriebene Kommunisten, sehr viele Juden“, erklärte ein Kampfbund-Mitarbeiter.19 Zu Vorsitzenden gewählt wurden Hanns Johst sowie die Völkische Beobachter-Redakteure Hans Hinkel und (der spätere ‚Reichsdramaturg‘) Rainer Schlösser, in den Vorstand Edgar von Schmidt-Pauli, Verfasser von Die Männer um Hitler und Hitlers Kampf um die Macht, sowie Johann von Leers, Autor einer Hitler-Biographie, einer Geschichte der NSDAP und von Juden sehen dich an.20 Auf der Fortsetzung der Generalversammlung erklärte der Berliner Landesleiter des Kampfbunds für deutsche Kultur: „Wenn wir uns für den PENClub einsetzen, so geschieht das für Deutschland. Wir wollen gewiß keine eindeutig nationalsozialistische Liste durchbringen.“21 Der Herausgeber der Zeitschrift Die neue Literatur, Will Vesper, stimmte zwar der „dringend nötigen gründlichen Säuberung des Klubs“ zu, kritisierte aber nicht nur die Auswahl von Delegierten, sondern überhaupt die beabsichtigte Teilnahme am für den 25.–28. Mai 1933 anstehenden Kongress des Internationalen PEN in Dubrovnik/Ragusa: tenschaft‘ organisierte eigenmächtig eine ‚Reinigung‘ der Bibliotheken und Büchereien […]. Erst spät sprang Joseph Goebbels auf den fahrenden Zug auf.“ 16 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 50. 17 Treß: Verbrannte Bücher, S. 41. 18 Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950. Bd. 1: Bedrohung und Verfolgung bis 1933. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand 1972, S. 211. Vgl. die fiktionalisierte Darstellung des Verhaltens prominenter PEN-Mitglieder während der ersten Monate des Jahres 1933 in dem noch im selben Jahr entstandenen Roman von Balder Olden: Anbruch der Finsternis. Roman eines Nazi. Berlin: Rütten und Loening 1981, vor allem S. 108f., 117, 118–130. 19 Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. München: dtv 1995, S. 80, bringt leider nicht die Namen der Ausgeschlossenen. 20 Barbian: Literaturpolitik, S. 68–101. 21 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 72.



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„Es kämen […] als Vertreter Deutschlands nur […] in Frage […] Männer von höchster dichterischer Autorität, wie [Hermann] Stehr, [Erwin Guido] Kolbenheyer oder [Hans] Grimm“: „Nur die eigene Leistung, die auch den Gegner zwingt, in ihnen Ebenbürtige zu achten, kann ihnen Gehör und Wirkung verschaffen.“22 Entgegen einer heroischen Legende war es nicht erst das Auftreten Ernst Tollers auf dem Kongress des Internationalen PEN, das zur Gründung einer deutschen Gruppe außerhalb Nazideutschlands führte, sondern sie begann mit einer Initiative aus dem Internationalen PEN.23 Bereits einen Tag vor den Bücherverbrennungen erinnerte der Generalsekretär Hermon Ould in einem Schreiben an den von zwölf Mitgliedern mit „kommunistische[n] und ähnliche[n] Ideen“24 ‚gereinigten‘ deutschen PEN an die Prinzipien der Charta des Clubs: „that it stands aside from politics; that it believes in the free interchange of literature; that the only qualification for membership is distinction in literature, irrespective of nationality, race or creed“25. Der Übersetzer Klaus Manns und Tollers betonte nicht umsonst, dass er ohne „official instruction“26 handelte, denn der Verlauf des Kongresses bewies, dass die Anwendung dieser Prinzipien auf die nationalsozialistische Literaturpolitik nicht unumstritten war. Toller erhielt das Recht zu sprechen nur auf der Basis des Prinzips der Redefreiheit; der neu gewählte Präsident des Internationalen PEN, H.  G.  Wells, erklärte, „that the P.E.N. existed very largely to advocate freedom of expression“.27 Unmittelbar vor Tollers Rede stellte Ould als englischer Delegierter die Frage: „Was it true that the Berlin Centre had issued a notice to its members depriving those of Communist or ,similar‘ views of their rights of membership, thereby violating the first rule of the P.E.N. that it should stand aside from politics?“28 In der Konfrontation zwischen dem Internationalen PEN und dem nazifizierten deutschen Zentrum zeigte sich ein Paradox: Der internationale Sekretär Hermon Ould warf den Berlinern vor, durch die Ausschlüsse den ‚unpolitischen‘ Charakter des PEN 22 Ebd., S. 76. 23 Vgl. Egon Larsen: Die Welt der Gabriele Tergit. Aus dem Leben einer ewig jungen Berlinerin. München: Auerbach 1987, S. 39. Vgl. Brief von Gabriele Tergit an J. W. Brügel (27. 1. 1966). Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (im Folgenden DEA), EB 88/159. Vgl. auch den ersten Satz von Hans-Christian Oeser: Zur Gründungsgeschichte unseres Zentrums. In: PENinfo 2 (2005), S. 5–7, hier S. 5, sowie Sven Hanuschek: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben. Ausstellung und Katalog im Auftrag des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin: P.E.N.-Zentrum Deutschland 2011, S. 7. 24 Wilhelm Sternfeld: Wie es zum Austritt des ersten deutschen PEN-Klubs aus der Internationale und zur Gründung des Emigranten-Zentrums kam. In: Die Kultur 4 (1955/56) 56, S. 12. 25 Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: BuchhändlerVereinigung 1980 (Sonderveröffentlichung der Deutschen Bibliothek 10), S. 17. 26 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 17. 27 Ebd., S. 24. 28 Ebd.

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zu verletzen, der Delegierte Schmidt-Pauli verteidigte das Berliner Zentrum damit, den ‚unpolitischen‘ Charakter des PEN gerade durch die Ausschlüsse zu retten, denn die Ausgeschlossenen hätten den PEN politisiert. In der Diskussion des internationalen Exekutivkomitees am 8.  November  1933 versuchte der deutsche Vertreter Schmidt-Pauli, sich diesen ,unpolitischen‘ Grundsatz zunutze zu machen; er verteidigte die Ausschlüsse: „several members had been deprived of membership because […] they had brought politics into the P.E.N.“29 Wie im Fall der ,Reinigung‘ der Preußischen Akademie der Künste stellte sich die ,nationale Revolution‘ als ,unpolitisch‘ dar, um insbesondere kommunistischen Antifaschisten die Verletzung der Autonomie der Kunst und Literatur vorzuwerfen. Auch im Falle des PEN wurde diese Position vielfach von Konservativen akzeptiert. Die Times z. B., die über Wells’ Entscheidung, Toller reden zu lassen, äußerst distanziert berichtete, nannte Toller einen Kommunisten,30 und die Neue Zürcher Zeitung kommentierte: „[D]ie Aufnahme staatsfeindlicher Schriftsteller in den PEN-Klub würden auch wir unverständlich finden“.31 Zufrieden hatten die Nazi-Delegierten Fritz Otto Busch und Schmidt-Pauli nach Ragusa in ihrem Bericht als „Erfolg“ feststellen können: „So ist es nicht […] zu irgend welcher offiziellen Erklärung des Kongresses [gekommen], die irgend eine politische oder überhaupt beleidigende Äußerung gegen Deutschland enthält.“32 Tollers Anklage der faschistischen Politik und des nazifizierten deutschen PENZentrums wurde weder auf dem Kongress noch in der Presse diskutiert; der US-amerikanische Delegierte Henry Seidel Canby berichtete: „These Congresses, of which I have attended several, are ordinarily harmless and most delightful social gatherings […]. No issue of great importance has ever troubled the Conference“.33 Toller hatte in seiner Rede in drei Punkten Anklage gegen den deutschen Faschismus erhoben und jedes Mal gefragt: „Was hat der deutsche Pen-Klub [da]gegen […] getan?“34 Der erste Anklagepunkt lautete: „[D]ie deutschen Schriftsteller Ludwig Renn, Ossietzky, Mühsam, Duncker, Wittfogel, […] zehntausende deutsche Arbeiter [sind] ins Gefängnis gesperrt worden“;35 der zweite: „Am 10. Mai wurden die Werke der folgenden deutschen Schriftsteller verbrannt“ – Toller nannte 60 Namen, als erste zehn: Thomas und Heinrich Mann, Stefan und Arnold Zweig, Jakob Wassermann, Lion Feuchtwan-

29 Ebd., S. 36. 30 Ebd., S. 31. 31 Ebd., S. 40f. 32 Ebd., S. 23. 33 Helga Schreckenberger: Der Weltkongreß der Schriftsteller von 1939 im Spiegel der amerikanischen Presse. In: Dieter Sevin (Hrsg.): Die Resonanz des Exils. Gelungene und misslungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Amsterdam und Atlanta: Rodopi 1992, S. 10–21, hier S. 15. 34 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 28. 35 Ebd.



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ger, Kurt Tucholsky, Emil Ludwig, Theodor Wolff, Alfred Kerr;36 der dritte Anklagepunkt betraf „die schwarze Liste der Werke jener Schriftsteller, die heute nicht mehr in Deutschland gedruckt werden und nicht mehr in deutschen Buchhandlungen verkauft werden dürfen“.37 Weder von den Delegierten noch in der konservativ-liberalen Öffentlichkeit Europas wurde auf diese Punkte eingegangen. Die Enttäuschung Klaus Manns ist seinem Tagebuch zur Zeitungslektüre am 30. Mai 1933 zu entnehmen, wo er eintrug:„PEN-Club aufgeflogen“.38 Weil es in Ragusa zu keiner Verurteilung von Verhaftungen, Bücherverbrennungen und Verboten kam, erklärte Toller am 8. Juni 1933 in Sarajewo einem Interviewer:„Es war keine würdige Manifestation der Geistesarbeiter, dieser Kongreß“.39 Im internationalen Exekutivkomitee jedoch quittierte man Schmidt-Paulis Antwort auf die Frage, wie er den kommunistischen ,ähnliche‘ Ideen definiere: „that several shades of liberal opinion would come within the meaning of that term“40, mit der Entscheidung, dass der Ausschluss solcherart weit gefasster Kommunisten „incompatible with the general constitution of the P.E.N.“41 sei: „[A] Centre composed of those writers who have for various reasons left Germany should be formed“.42 Der Beschluss ließ dem Generalsekretär für das Procedere freie Hand. Ould selbst hat in seinem Nachruf auf Rudolf Olden diesen als den „treibende[n] Geist“43 der Gründung bezeichnet.44 Zusammen mit Lion Feuchtwanger, Max Herrmann-Neiße und Ernst Toller schrieb Olden am 15.  Dezember  1933, also noch bevor Hanns Johst, Gottfried Benn u. a. den Berliner PEN am 8. Januar 1934 in die kurzlebige Union Nationaler Schriftsteller transformierten, an Ould: „We the undersigned German writers living outside Germany wish to found an autonomous group of the PEN Club.“45 36 Michael Winkler (Hrsg.): Deutsche Literatur im Exil. Texte und Dokumente. Stuttgart: Reclam 1977, S. 160. 37 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 29. 38 Joachim Heimannsberg (Hrsg.): Klaus Mann. Tagebücher 1934 bis 1935. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995, S. 141. 39 Zitiert nach Maximilian Scheer: So war es in Paris. Erinnerungen. Berlin: Verlag der Nation 1972, S. 69. 40 Scheer: So war es in Paris, S. 36. 41 Ebd. 42 Ebd., S. 37. 43 Mitteilungsblatt 6 (April 1951), S. 1. 44 Dieselbe Position formulierte Ould 1935 gegenüber dem England bereisenden Hans Friedrich Blunck, der seinem Nachfolger als Präsident der Reichsschrifttumskammer, Hanns Johst, folgendermaßen am 30. Oktober über die mit „einer in England sonst ungewohnten Schärfe“ geführte Unterhaltung berichtete: „Ich warf ihm die Bildung deutscher Gruppen von Emigranten vor, er erwartete die Neugründung einer deutschen PEN-Gruppe im Reich unter Beachtung des Grundsatzes, dass Schriftsteller aller Richtungen aufgenommen werden können (also auch Emigranten). Ich antwortete mit grösster Schärfe und empfahl ihm, von jeder Hoffnung auf Neuausbau der Zusammenarbeit abzusehen.“ Haarmann: Vorspiel, S. 414. 45 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 46.

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Johst als Präsident und Benn als Vizepräsident erklärten zwei Monate nach der Gründung der Union in einem „Aufruf“ An die Schriftsteller aller Länder am 1. März 1934: „Die gesamte deutsche Schriftstellerschaft, ihre Standesorganisationen wie ihre geistige Repräsentanz, eingeschlossen die aus der zweihundertjährigen ruhmreichen Preußischen Akademie der Künste hervorgegangene Deutsche Akademie der Dichtung, billigt den am 8. November 1933 in London vollzogenen Austritt der Deutschen aus dem PENClub.“46 Nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund legte der PEN-Vorstand „in der Gewissheit, daß der wirkliche Friede und die wirkliche Völkerversöhnung allein unter seiner Führung geschaffen werden“, ein ‚Bekenntnis‘ zu Hitler ab. Dieses wurde von Johst und Benn in „äußerster Verbitterung“ über das internationale Exekutivkomitee, „das von der deutschen Gruppe die Aufnahme kommunistischer Mitglieder verlangte in einem Augenblick, als die kommunistischen Literaten vom Ausland her eine fanatische Verleumdungskampagne gegen das Deutsche Reich vor aller Welt entfesselten“, verschärft, indem sie ein maßgeblich von Benn geprägtes Bild des vom „geschichtsbildenden Instinkt „geleitet[en]“ „neuerwachten europäischen Formwillen[s“] entwarfen, das innenpolitische Repression und außenpolitische Aggression zusammenbrachte: Die deutsche Schriftstellerschaft ist der Meinung, daß in dem gefährdeten Zustand, in dem sich die abendländische Kultur befindet, keine geistige Neuordnung Europas sich verwirklichen, kein Stil sich bilden, keine Literatur so aufgelösten Elementen mehr entsteigen, ja überhaupt keine Geschichte diesem Erdteil mehr beschieden sein kann, wenn nicht der hohe Begriff des Vaterlandes als genealogischer Tatbestand, moralisches Erbe, sprachliches Mysterium den obersten verantwortungsfordernden Begriff der Zukunft bildet.47

Diese „Formulierungen“ nur als „aufgeblasen […] und teilweise unklar“ zu bezeichnen und aus ihnen auf „wenig Resonanz“ zu schließen, verkennt die Wirksamkeit einer weiterhin ‚unpolitisch‘ artikulierten Identifikation mit dem Faschismus an der Macht.48

2 Flucht aus Deutschland: Initiative zur Begründung einer autonomen deutschen Gruppe im Ausland Vor dem faschistischen Regime flohen aus Deutschland schon im Frühjahr 1933 vor allem, aber nicht nur parteipolitisch organisierte oder als Nazi-Gegner bekannte und deshalb durch den Terror unmittelbar gefährdete Autoren, insbesondere nach der Reichtagsbrand-Verordnung zum Schutze von Volk und Staat vom 28.  Februar, 46 Wulf: Literatur und Dichtung, S. 99f. 47 Ebd. 48 Barbian: Literaturpolitik, S. 88.



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dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das Linke und Juden vom öffentlichen Dienst ausschloss, vom 7. April, und dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933: „In den ersten Jahren (1933/34) war die politische Fluchtbewegung stärker als die jüdische“.49 Dabei gilt für die mindestens 2500 Schriftsteller:50 „Zahlenmäßig steht die Fluchtwelle von 1933 zu der der folgenden Jahre im Verhältnis 4:1.“51 Von damaligen und späteren Mitgliedern des PEN flohen außer Kerr noch vor dem Reichstagsbrand Heinrich Mann (21. 2.) und Walter Mehring (27. 2.), unmittelbar danach am 28. 2. Alfred Döblin, Ludwig Marcuse, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Kurt R. Grossmann, Bruno Frank, Karl Wolfskehl, am 1. 3. Rudolf Olden, Franz Pfemfert und Adrienne Thomas, am 2. 3. Max Herrmann-Neiße, am 3. 3. Friedrich Wolf, am 4. 3. Alfred Wolfenstein und Gabriele Tergit, am 5. 3. Theodor Lessing und Gustav Regler, am 10. 3. Leonhard Frank und Leopold Schwarzschild, am 12. 3. Alfred Kantorowicz und Erika Mann, am 13. 3. Klaus Mann, am 14. 3. Arnold Zweig, am 15. 3. Hermann Kesten; auch noch im März flohen Ferdinand Bruckner, Balder Olden, Hans Sahl, Wilhelm Sternfeld, Wieland Herzfelde und Heinrich Fischer, im April Hubertus Prinz zu Löwenstein, Hans José Rehfisch, Else Lasker-Schüler und Hermynia Zur Mühlen; bis Jahresende folgten wenigstens 80 weitere Autoren und Autorinnen, unter ihnen Walter A. Berendsohn, Ivan Heilbut, Manfred Georg, Hilde Walter, Paul Roubiczek, Peter de Mendelssohn, Alfred Neumann, Friedrich Burschell und Hans FleschBruningen. 1934 flohen Elisabeth Castonier, Grete Fischer, Karl Jakob Hirsch, Kurt Kersten und Johannes Wüsten. Einige Schriftsteller konnten 1933/34 Deutschland erst nach Haft oder Konzentrationslager verlassen, so 1933 Kurt Kläber, Otto LehmannRußbüldt, Will Schaber, Eduard Claudius und, befreit durch Protest ihrer Botschaften, weil sie oder der Ehepartner keine deutschen Staatsbürger waren, Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und Manès Sperber. Erst 1934 kamen Willi Bredel, Kurt Hiller, Wolfgang Langhoff, Julius Zerfass und Armin  T.  Wegner aus dem KZ frei zur Flucht, Ludwig Renn sogar erst 1936. Im Jahre 1935, als der Völkerbund-Hochkommissar die Zahlen der Flüchtlinge aus Deutschland nach politischer Orientierung schätzte und 8000 der KPD, 6000 der SPD und 5000 anderen Richtungen zuordnete,52 flohen Schriftsteller, die bisher illegal in Deutschland politisch gearbeitet hatten und der SPD (Walther Victor), KPD (Jan Petersen) oder den kleinen Parteien zwischen ihnen angehörten wie Eugen Brehm und Walter Fabian, aber auch der Konservative Karl Otto Paetel und

49 Walter: Exilliteratur, Bd. 1, S. 205. 50 Alexander Stephan: Die intellektuelle, literarische und künstlerische Emigration. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 30–46, hier Sp. 31. 51 Walter: Exilliteratur, S. 247. Walters Ermittlungen folgen auch die hier anschließend gegebenen Datierungen der Flucht. 52 Werner Röder: Die politische Emigration. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 16– 30, hier Sp. 21.

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Irmgard Keun, 1936 die bis dahin Illegalen Stephan Hermlin und Franz Jung, 1937 Kurt Pinthus. Die Fluchtbewegung vor dem faschistischen Rassismus, die 1933 in Reaktion auf den so genannten Judenboykott vom 1. April 37 000–38 000 Menschen umfasst hatte, sank zwischen 1934 und 1937 auf durchschnittlich 22  500 pro Jahr, um nach dem 9. November 1938 auf 33 000–40 000 noch bis Ende 1938 zu steigen und 1939 mit 75 000–80 000 ihren Höhepunkt zu erreichen; selbst nach Kriegsbeginn gelang 1940 15 000, 1941 8000 und in den Jahren 1942–1945 8500 Menschen die Flucht.53 Schriftsteller und spätere PEN-Mitglieder, die 1938 und 1939 aus dem rassistischen Deutschland flohen, waren Richard Friedenthal, Monty Jacobs, Edwin Maria Landau, Martin Beheim-Schwarzbach, Martin Beradt und Joachim Maass; 1940 floh Nelly Sachs. Die vier Autoren Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Max Herrmann-Neiße und Rudolf Olden, die am 15. Dezember 1933 für eine ‚autonome Gruppe des PEN‘ initiativ wurden, „representing free German literature in the spirit of the International PEN Club“,54 deckten die im Namen des PEN angespielte Vielfalt literarischer Gattungen repräsentativ ab – ein international renommierter Romancier, der im Ausland erfolgreichste deutsche Gegenwartsdramatiker, ein Lyriker sowie ein politischer Essayist, aber auch eine Spannweite politischer Positionen: Keiner war Kommunist, einer von ihnen, HerrmannNeiße, betonte öffentlich, nicht durch den Rassismus der Nazi-Regierung bedroht zu sein. In einem Brief an Hermann Kesten, in dem er am 17. Januar 1934 seine Absage an eine Anthologie jüdischer Autoren erläuterte und Kesten in die „in die Wege geleitet[e]“ „deutsche nazigegnerische PEN-Clubgruppe“ einlud, bestimmte er seine eigene Rolle als Repräsentant in der Gründungsinitiative: Man soll den Hitlerleuten nicht den Gefallen tun, immer nur von den Juden eine Gegenfront bilden zu lassen. In meinem speziellen Falle: Man soll der Welt zeigen, daß nicht nur jüdische Künstler, die als Juden dort verfemt waren, das toll gewordene Land verließen, nein, daß auch Dichter, die ihrer Abstammung nach ,rein deutsch‘ sind und deren Dichtung zum größten Teil aus der Verbundenheit mit deutscher Landschaft erblühte, das Nazideutschland angewidert ablehnten. Man sollte zeigen: Der Bestand der Literatur des Hitlergegnerischen Deutschland umfaßt neben episch gestaltenden, kritischen, großstädtischen Geistern auch die positive Lyrik, ,reine‘ Lyrik des schlesischen Kleinstädters Max Herrmann.55

Mit der Zusammensetzung der Initiatorengruppe konnte Vorbehalten begegnet werden, wie sie z. B. René Schickele artikulierte: Wo immer die ‚Emigrantenliteratur‘ den Anspruch erhebe, sie vertrete die deutsche Literatur, werde er dadurch widerlegt,

53 Wolfgang Benz: Die jüdische Emigration. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Sp. 5–16, hier Sp. 6. 54 Ebd., Sp. 6. 55 Klaus Völker: Max Herrmann-Neisse. Künstler, Kneipen, Kabaretts. Schlesien, Berlin, im Exil. Berlin: Edition Hentrich 1991, S. 171.



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daß die Sprecher entweder ‚alljüdisch‘ oder bolschewistisch seien.56 „Der ‚kombattante‘ Teil der deutschen Emigration“, teilte Schickele am 11. September 1934 Stefan Zweig mit, „besteht heute aus alljüdischen Eiferern, (mehr oder minder überzeugten) Bolschewiken, jedenfalls aus verkehrten Nazis.“57 An Schickele schrieb Annette Kolb am 24. Mai 1933, nachdem sie im Börsenblatt die „offiziell[e]“ Liste der Verbrannten und Verbotenen gesehen hatte: „Auf dem Index bist du nicht […]. Auch Thomas Mann nicht. Ausser Heinrich Mann ist kein Schriftsteller von Bedeutung darauf.“58 Emphatisch nannte Kolb ihren Briefpartner Schickele einen deutschen Dichter – und das erläuterte sie so: „weder Jude noch Parteimann“.59 Zugleich zeigte die um Olden zentrierte Vierergruppe auch eine Kontinuität zur letzten öffentlichen Manifestation deutscher Intellektueller gegen den Faschismus an der Macht vor dem Reichtagsbrand. Olden hatte zusammen mit Heinrich Mann zum Kongress ‚Das freie Wort‘ am 19. Februar 1933 aufgerufen und ihn für die Liga für Menschenrechte und den Berliner SDS im Bündnis mit der KPD nahe stehenden Organisationen durchgeführt, an dem sowohl einzelne Sozialdemokraten als auch Vertreter der ,demokratischen Mitte‘60 wie Georg Bernhard vom Berliner Tageblatt teilnahmen. Auf der ersten PEN-Mitgliederliste der „German Group […] outside Germany“61 vom März 1934 stand an erster Stelle der Name Georg Bernhards, und fast alle neuen Mitglieder hatten – außer dem damaligen KPD-Mitglied Bernard von Brentano – zum Initiativkomitee des ‚Freien Worts‘ gehört: Bruno Frank, Balder Olden und Arnold Zweig. Während Olden im britischen Exil weiterhin zur Leitung der Liga für Menschenrechte gehörte, setzte er das neue PEN-Zentrum, als dessen „temporary secretary“ ihn die PEN News vom März 1934 auswiesen, deutlich vom SDS ab. Denn der von Rudolf Leonhard, Alfred Kurella und David Luschnat in Paris KPD-nah geführte Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS) hatte sich mit einem Telegramm an den Kongress von Ragusa nicht nur gewissermaßen als „Gesamtorganisation der nicht-gleichgeschalteten deutschen Schriftsteller“62 konstitutiert, sondern auch einen Anspruch auf alleinige Repräsentanz der deutschen Literatur erhoben: 56 Vgl. Dieter Schiller: Der Pariser Schutzverband deutscher Schriftsteller. Eine antifaschistische Kulturorganisation im Exil. In: Exilforschung 6 (1988), S. 174–190, hier S. 182. 57 Zitiert nach Joachim W. Storck: René Schickele und Annette Kolb im Spannungsfeld des Exils. Bemerkungen zur Rezeption ihres Briefwechsels. In: Adrien Finck u. a. (Hrsg.): René Schickele aus neuer Sicht. Beiträge zur deutsch-französischen Kultur. Hildesheim u. a.: Olms 1991 (Auslandsdeutsche Literatur der Gegenwart 24), S. 254–265, hier S. 264. 58 Hans Bender (Hrsg.): Annette Kolb, René Schickele. Briefe im Exil 1933–1940. Mainz: von Hase und Koehler 1987, S. 60. 59 Ebd., S. 166. 60 Klaus Briegleb und Walter Uka: Zwanzig Jahre nach unserer Abreise … In: Exilforschung 1 (1983), S. 203–244, hier S. 232. 61 Völker: Max Herrmann-Neiße, S. 172. 62 Gegen-Angriff, 12. 11. 1933. Zitiert nach Schiller: Schutzverband, S.  177. Dieter Schiller stimmt diesem Anspruch zu, wenn er auch einschränkt, „daß der berechtigte Anspruch des Schutzverbandes in Paris, einzige legitime Vertretung des deutschen Schrifttums zu sein, nicht so verstanden werden

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Die in Ragusa vertretene Leitung des deutschen PEN-Klub ist unter dem Druck uniformierter SA-Leute (Nichtschriftsteller) eingesetzt worden. Sie hat in keiner Weise Befugnis, im Namen des deutschen Schrifttums aufzutreten […] Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller Ausland als nunmehr einzige legitime Vertretung des deutschen Schrifttums ersucht die in Ragusa anwesenden Vertreter des PEN-Klubs, ihren Landesorganisationen von diesem Sachverhalt Kenntnis zu geben.63

Als 1935 der damalige SDS-Generalsekretär Alfred Kantorowicz Olden verklausuliert zu „Gründung und […] Betrieb einer englischen Sektion des SDS“64 aufforderte, wie Olden in Klartext übersetzte, war diese Aufforderung mit der Behauptung einer Führungsrolle für den Pariser SDS verbunden: „Es ist uns gelungen, in der Tat hier das literarische Zentrum für die deutsche Emigration zu bilden“65. Olden wies die Zumutung verbindlich – unter Hinweis auf Gemeinsamkeiten in der „Taktik“66, aber entschieden zurück: Es sei „möglicherweise ratsam, wenn von einem Verein gesagt werden kann, daß er nicht unter kommunistischer Leitung steht. Sie wissen ja, daß es zahlreiche Leute in diesem Land und anderen Ländern gibt, die sich vor diesem Wort scheuen, und daß es sich empfiehlt, wenn die Emigration nicht mit der Kommunistischen Partei identifiziert werden kann.“67 Olden grenzte den PEN aber auch von der Gegenorganisation zum SDS ab, die der Herausgeber des Neuen Tage-Buchs (NTB), Leopold Schwarzschild, 1937 als Bund Freier Presse und Literatur gründete – nach Beginn der Moskauer Prozesse, Feuchtwangers Reise in die UdSSR und dem Streit um das Pariser Tageblatt. Der SDS war im ‚Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront‘ vertreten, der sich im Juni 1936 im Pariser Hotel Lutetia offiziell unter dem Präsidenten Heinrich Mann konstituiert hatte. Schwarzschild hingegen trat Ende 1936 mit der Begründung – publiziert als „Radeks Schicksal“ im Januar 1937 – aus, er sei „überzeugt, das [sic] ‚Rot‘ nicht besser als ‚Braun‘ sei. ‚Alle Argumentationen versagen vor diesem Parallelismus […] und die Überzeugung, daß die eine Diktatur der Zwillingsbruder der anderen ist, wird sich unter dem Eindruck solcher Schauspiele mit wachsender Geschwindigkeit in Europa ausbreiten.‘“68 Oldens Beteuerung gegenüber dem von Alfred Kantorowicz vertretenen SDS, der PEN sei „mehr eine Fiktion als eine rechtliche Gemeinschaft“,69 ist in der Literaturgeschichtsschreibung vielfach aus diesem Kontext herausgelöst und zu einem Eingedarf, als ob er auch schon alle antifaschistischen und hitlerfeindlichen Autoren und literarischen Institutionen tatsächlich in sich vereint hätte“ (Schiller: Schutzverband, S. 182). 63 Ebd., S. 176. 64 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 187. 65 Ebd., S. 185. 66 Ebd., S. 188. 67 Ebd., S. 189. 68 Zitiert nach David Pike: Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933–1945. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992, S. 254. 69 Ebd.



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ständnis von Wirkungslosigkeit verfälscht worden;70 Olden aber ging es einerseits um das Fehlen von Generalversammlungen und Vorstandssitzungen sowie Mitgliedsbeiträgen in der Arbeit der Gruppe, andererseits um die Sicherung der Repräsentativität der Gruppe. Sein Herunterspielen der deutschen Gruppe zur ,Fiktion‘ oder, in anderen Briefen, ,Illusion‘71 erfolgte jeweils gezielt gegen Vereinnahmungen; er verwies Kantorowicz auf die internationalen Kongresse, auf denen sich in seiner Sicht entscheide, wer die deutsche Literatur vertrete: „Wenigstens war der Verlauf des letzten Kongresses [Edinburgh/Glasgow] ein Erfolg. Und es wäre nicht unmöglich, daß auch der diesjährige [Barcelona] eine Demonstration gegen das Regime Hitler bringen könnte.“72 Zugespitzt ließe sich sagen, dass die mehr als 1500 Briefe Oldens, in denen es um Mitgliedschaft einerseits und Vertretung der Gruppe auf den internationalen Kongressen andererseits ging, von 1933 bis 1939/40 die ,Realität‘ des Londoner Zentrums darstellten; der Schwerpunkt der Arbeit lag auf dem Repräsentationsanspruch, der für die aus Deutschland geflohene Literatur auf den internationalen Kongressen angemeldet wurde. Aber obwohl dieser Schwerpunkt schon mit dem Schreiben an Ould vom 15. Dezember 1933 feststand, blieb die Frage, ob London oder Paris der Sitz des Zentrums der aus Deutschland vertriebenen deutschen Literatur sein solle. Auch auf der Ebene des Internationalen PEN war das Problem zunächst offen; Wells sprach auf dem internationalen Kongress in Edinburgh/Glasgow (17.–21. 6. 1934) von einem „temporary Centre, perhaps in London or Paris“73, und auch Oulds Antrag, das Oldensche Zentrum anzuerkennen, ließ beide Möglichkeiten offen; das einstimmig anerkannte „centre pro tem“ sollte als „German P.E.N. de facto in London or Paris“ fungieren „with a view to the final complete restoration of the German P.E.N. on German soil“.74 Das 1934 vom Internationalen PEN anerkannte, in London bis 2002 basierte Zentrum änderte seinen Namen in den folgenden Jahrzehnten dreimal: von Deutsche Gruppe des Internationalen PEN über German (Anti-Nazi) Group zu Centre of German Writers Abroad und schließlich Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Es wurde bei seiner Gründung also keineswegs, wie das Zentrum deutschsprachiger

70 William Abbey: ,Die Illusion genannt Deutscher PEN-Club‘. The PEN-German Group and the English Centre, 1933–45. In: W. A. u. a. (Hrsg.): Between Two Languages. German-speaking Exiles in Great Britain 1933–45. Stuttgart: Heinz 1995, S. 135–153. Vgl. auch Roman Roçek: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien u. a.: Böhlau 2000, S. 168: „eine Art von Schattendasein auf dem Papier“, oder die Einschätzung als im Vergleich mit dem SDS weniger bedeutend „für die Sammlung des literarischen Exils“ durch Ernst Fischer: Literarische Institutionen des Exils. In: Wilhelm Haefs (Hrsg.): Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2009 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 9.), S. 99–151, hier S. 102. 71 Vgl. Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 238. 72 Ebd., S. 187. 73 Ebd., S. 101f. 74 Ebd., S. 105.

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Autoren im Ausland auf seiner aktuellen Website behauptet, „damals ‚P.E.N.-Zentrum deutscher Autoren im Exil‘ genannt“.75 Die Beschränkung der Deutschen Gruppe auf die Repräsentation der deutschen Literatur auf den internationalen Kongressen erlaubte es, dass die Frage des Zentrumssitzes bis zum Kriegsbeginn nicht entschieden wurde. Am 24. Juli 1937 schrieb der 1934 zum Präsidenten des Zentrums ernannte Heinrich Mann an seinen Sekretär, er sei bereit, den „Vorsitz“ „auf eine, auch mir genehme Art“ abzugeben, „sobald London unser Hauptsitz wird […]. Im Fall der Verlegung nach London ergäbe es sich von selbst.“76 Unumwunden formulierte Olden in einem Brief an Walter Meckauer vom 9. Juni 1939: „[D]ie (emigrantische) deutsche Gruppe der internationalen PENAssociation […] hat natürlich nichts eigentliches mit England zu tun, sondern ihre Mitglieder wohnen in der ganzen Welt.“77

3 Die Deutsche PEN-Gruppe im Exil: Mitgliederstruktur und Funktion Im Briefwechsel des Sekretärs Olden mit dem Präsidenten Mann ging es um die Aufnahme von Mitgliedern mit sehr unterschiedlichen Erwartungen: Sie reichten von individueller Hilfe bis zum kollektiven Kampf, und die Eintritte erfolgten in deutlich unterscheidbaren Wellen. Schon die Antworten auf das Rundschreiben Feuchtwangers, Herrmann-Neißes, Oldens und Tollers vom 28.  Dezember  1933, in dem um „Zustimmungserklärungen“ gebeten wurde, die freie deutsche Literatur im Geist des internationalen PEN zu repräsentieren,78 rangierten zwischen Brentanos Meinung, seine Unterschrift „könnte der hiesigen [Schweizer] Polizei gegenüber nützlich“79 sein, und Oskar Maria Grafs Forderung, „eine wirkliche antifaschistische Front damit zu schaffen“.80 Erwartungen von Hilfe anderer Art wies Olden regelmäßig zurück. Elisabeth Castonier berichtete enttäuscht von einem Gespräch: „Ich hatte gehofft, daß Olden mir irgendwelche Winke geben oder eine Verbindung zu Verlegern verschaffen könnte.“81 Einen anderen Neuling 75 Homepage des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland: Hoppla, wir leben! Verfügbar unter URL: http://exilpen.net/start/ueber (Letzter Zugriff: 28. 2. 2013). Vgl. auch Hanuschek: Geschichte, S. 7: „In London gründen Toller, Lion Feuchtwanger, Max Herrmann-Neiße und Rudolf Olden den Exil-P.E.N, der bis heute Bestand hat.“ 76 AdK Berlin, Heinrich-Mann-Archiv SB 339/3. 77 AdK Berlin, Bestand Meckauer H 61 Dh pl. 78 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 46. 79 Ebd., S. 61. 80 Ebd., S. 62. 81 Elisabeth Castonier: Stürmisch bis heiter. Memoiren einer Außenseiterin. 8. Auflage. München: Nymphenburger 1964, S. 315.



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in London, Werner Ilberg, warnte Olden am 10. Dezember 1938: „Was das Kennen Lernen der englischen Schriftsteller angeht, so bin ich in den 5 Jahren, die ich hier lebe, darin noch nicht weit gediehen, was vielleicht an meiner Ungeschicklichkeit liegt. Infolge dessen werde ich kaum anderen dabei behilflich sein können.“82 Für die unmittelbare finanzielle Unterstützung, die z. B. Hermynia Zur Mühlen erwartete83, bildete sich eine gewisse Arbeitsteilung zwischen der PEN-Gruppe und Hubertus Prinz zu Löwensteins American Guild for German Cultural Freedom heraus. Olden gehörte nicht nur selbst zu den am stärksten durch Stipendien der Guild unterstützten Autoren, sondern er vermittelte solche auch vielen in Großbritannien exilierten PEN-Mitgliedern. Diese Zusammenarbeit basierte aber auf einer klaren Abgrenzung der praktischen Funktion der Guild von der repräsentativen Funktion des PEN-Zentrums.84 Olden versagte sich allen Initiativen Löwensteins, die diese Unterscheidung verwischten, wie etwa dem Vorschlag, den PEN als britische Parallele zur Guild zu betrachten.85 Arbeitsteilung praktizierte Olden aber auch innerhalb der PEN-Sektion. So verwies er diejenigen Autoren, die ein Vereinsleben erwarteten, auf den englischen Club. Auf die damit verbundene Kehrseite machte Olden 1938 die spätere langjährige Sekretärin Gabriele Tergit aufmerksam, der er vom Eintritt wegen des – für Exilierte hohen – Beitrags abriet: „Was wollen Sie im PEN? Der PEN ist eine Organisation, um Geld auszugeben, nicht, um es zu verdienen.“86 Der spätere Präsident Alfred Kerr war zunächst nur Mitglied des englischen Clubs und nicht der Deutschen Gruppe.87 In Eintrittswellen, die jeweils auf bestimmte Monate der Jahre 1935 und 1937–1939 zu datieren sind, veränderte sich die Mitgliedschaft der Deutschen Gruppe signifikant. Während die beiden ersten Wellen durch Kongresse in Frankreich bedingt waren, war die Expansion des faschistischen Deutschlands die Ursache der beiden letzten Eintrittswellen vor Kriegsbeginn. Im Vorfeld des Internationalen Kongresses zur Verteidigung der Kultur, der vom 21.–25.  Juni  1935 in Paris stattfand, meldeten sich nicht nur kommunistische Autoren wie Johannes R. Becher, Anna Seghers und Bertolt Brecht neu an; es entsprach der von den Kommunisten vollzogenen Wende zur Volksfrontpolitik auch außerhalb Frank-

82 Charmian Brinson und Marian Malet: Rudolf Olden in England. In: Sieglinde Bolbecher u. a. (Hrsg.): Zwischenwelt 4. Literatur und Kunst des Exils in Großbritannien. Wien: Theodor-Kramer-Gesellschaft 1994, S. 193–213, hier S. 208. 83 Beate Frakele: „Ich als Österreicherin...“ Hermynia Zur Mühlen (1883–1951). In: Johann Holzner (Hrsg.): Eine schwierige Heimkehr. Österreichische Literatur im Exil 1938–1945. Innsbruck: Institut für Germanistik 1991, S. 373–383, hier S. 379f. 84 Werner Berthold u. a.: Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die „American Guild for German Cultural Freedom“. München u. a.: Saur 1993, S. 64. 85 Ebd., S. 223. 86 Bericht Oktober 1981, S. 3. 87 Vgl. Herrmann-Neißes Bericht an Paul Zech über das Scheitern einer Feier für Kerr (24. 11. 1937). In: Völker: Herrmann-Neiße, S. 219.

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reichs und Spaniens, dass Wieland Herzfelde den Eintritt in die PEN-Gruppe zugleich für F. C. Weiskopf, Albert Ehrenstein und Kurt Kersten erklärte.88 Als 1937 der Internationale PEN in Paris tagte, wollte Egon Erwin Kisch von Olden am 22. Mai 1937 nicht nur eine offizielle Einladung des SDS zum Kongress, sondern auch die der Spanienkämpfer unter den deutschen Schriftstellern zur Mitgliedschaft: Ich möchte Sie fragen, ob nicht auch andere deutsche Schriftsteller Einladungen bekommen könnten, insbesondere die, die in Spanien an der Front stehen wie Ludwig Renn, Gustav Regler, Bodo Uhse, Hans Marchwitza, Alfred Kantorowicz, Theodor Balk, Kurt Stern, usw. Auch andere Schriftsteller von Namen wie Anna Seghers, F,C,Weiskopf [sic], Leonhard Frank, Rudolf Leonhard könnte man vielleicht einladen oder, wenn es ginge, zur Mitgliedschaft im PEN-Club auffordern.89

Als der ,Anschluss‘ Österreichs und von Teilen der Tschechoslowakei Schriftsteller zur weiteren Flucht vor Nazideutschland zwang, stellte Olden fest, wie er schon am 24. April 1938 Arnold Zweig schrieb, dass auch bisher kaum interessierte Schriftsteller die Aufnahme anstreben.90 In Reaktion auf die Fluchtwelle aus Österreich traf Olden eine der wichtigsten Entscheidungen, was die Mitgliedschaft in der Deutschen Gruppe betraf. Er widersprach Oulds Empfehlung, die österreichischen Autoren in die Deutsche Gruppe aufzunehmen: „As realists“, so Ould am 27. Oktober 1938, „ought one not to combine the ex-Austrian P.E.N. members with the German? I cannot hope that Austria will become independent again […] in our lifetime.“91 Olden erwiderte, wie er Heinrich Mann mitteilte: „Hitlers ,Anschluß‘ solle uns nicht zum gleichen Vorgehen veranlassen“;92 Mann stimmte zu: „Sie haben recht, der österreichische Club bleibt selbständig.“93 Olden gelang es, das internationale Exekutivkomitee von der „Neueröffnung des österreichischen PEN“94 zu überzeugen – mit Franz Werfel als Präsident und Robert Neumann als Sekretär.95 Der Name entsprach dem des deutschen Zentrums: Austrian Group.96 Schon in den ersten Wochen nach dem ,Anschluss‘ machte Oskar Maria Graf in einem Brief an Olden vom 13. April 1938 einen Vorschlag, der die Attraktivität der Mitgliedschaft deutlich erhöhte: Mitgliedsausweise97 einzuführen, die, wie Olden selbst 88 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 121. 89 AdK Berlin, Bestand Egon Erwin Kisch 56/38. 90 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 238. 91 Klaus Amann: P.E.N. Politik Emigration Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien u. a.: Böhlau 1984, S. 65. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 225. 95 Ebd., S. 227. 96 Vgl. den Beitrag zur Geschichte des österreichischen PEN von Klaus Amann in diesem Handbuch, S. 481–532. 97 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 247.



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dann wenig später Ernst Bloch schrieb, „nützlich bei Reiseschwierigkeiten“98 sein könnten. Während die Hilfe für die aus Österreich flüchtenden Schriftsteller gewissermaßen nachträglich war, also auf den ,Anschluss‘ folgte und vor allem vom englischen Club getragen wurde, versuchte die Deutsche Gruppe rechtzeitig den in der Tschechoslowakei seit dem Münchener Abkommen bedrohten Kollegen zu helfen. Im Ergebnis wurde London, wie einer der aus Prag durch den PEN Geretteten, Wieland Herzfelde, formulierte, zum Ersatz für Prag: „In England und Amerika hatten bis dahin verhältnismäßig wenige emigrierte Schriftsteller gelebt. Nun trat London an die Stelle von Prag und – mit dem Ausbruch des Krieges – New York und Mexico-City an die Stelle von Paris.“99 Oldens Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gruppen der in der Tschechoslowakei exilierten Autoren war ein Versuch, diesmal Hitler ,zuvorzukommen‘;100 Friedrich Burschell, für den von ihm administrierten ThomasMann-Fonds, und Wieland Herzfelde schlugen aus Prag Olden „eine Art Zwischenlösung“ auch für Nicht-Mitglieder des PEN vor: „Versuchen Sie, uns durch den PEN-Club die Einreise nach England, wenigstens für ein paar Wochen zu vermitteln. […] Wenn es auch nicht PEN-Club-Mitglieder sind, so verdienen doch auch sie, daß zum Schutz ihrer Köpfe alles geschieht, und zwar schnell, sonst ist es zu spät.“101 Olden gewann nicht nur die Zustimmung des englischen Clubs zu diesem Verfahren, sondern auch die Bereitstellung von Geldern, aus denen der Czech Refugee Trust Funds wurde.102 Die Kehrseite dieser PEN-Aktion war, dass die Begründungen der Hilfsbedürftigkeit gegenüber dem Home Office darauf abstellen mussten, dass es sich bei den jeweils aus Prag zu rettenden Autoren um, wie Olden am 28.  Oktober  1938 an das englische Club-Mitglied Wickham Steed schrieb, „the most harmless, innocent and unpolitical ones“ handelte.103 Im Konfliktfall wie z. B. bei der Zurückweisung Herzfeldes durch die britische Einwanderungsbehörde bei seiner Landung auf einem britischen Flughafen wurde die Fragwürdigkeit der ,unpolitischen‘ Begründung von Hilfsbedürftigkeit offenkundig; so schrieb Olden an Ould am 26. November 1938 nach Herzfeldes Abschiebung nach Paris:

98 Ebd., S. 245. 99 Wieland Herzfelde: Die deutsche Literatur im Exil. Antrittsvorlesung an der Universität Leipzig, Herbstsemester 1949. In: W. H.: Zur Sache geschrieben und gesprochen zwischen 18 und 80. Berlin, Weimar: Aufbau 1976, S. 189–213, hier S. 206. Schon am 8. Juni 1939 notierte Kantorowicz: „Es wird leer in Paris“, nach einer Auflistung derjenigen Schriftsteller, die „auf dem Weg“ nach New York seien. Ursula Büttner und Angelika Voß (Hrsg.): Alfred Kantorowicz. Nachtbücher. Aufzeichnungen im französischen Exil 1935 bis 1939. Hamburg: Christians 1995, S. 240f. 100 Amann: P.E.N., S. 65. 101 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 305 und 307. 102 Kurt Hiller: Rote Ritter. Erlebnisse mit deutschen Kommunisten. Mit einem Nachwort von Eugen M. Brehm. Berlin und Fürth: Mytze und Klaussner 1980, S. 94 (Erstausgabe Gelsenkirchen: RuhrVerlag 1951 (Schriften zum Zeitgeschehen Heft 3)). 103 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 338.

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What kind of political tendency do the British authorities expect of Refugees from Germany? Certainly not a Nazi tendency. Consequently there will always be ties to Communists. For the anti-Nazi opposition has the shape of the Popular Front. This is not our invention but it has been created by Herr Hitler himself who persecutes Communists, Socialists, and Liberals. […] Will the English Pen Club take any action in this case?104

Im Ergebnis kam es zur Erlaubnis eines dreimonatigen Aufenthalts für Herzfelde in Großbritannien. Mit der Ankunft der Flüchtlinge aus Prag in den Jahren 1938/39 wurde die Verwandlung der Deutschen Gruppe in eine Londoner Mitgliederorganisation möglich. Zur Realität aber wurde sie erst, als der Zweite Weltkrieg die Routine der internationalen Kongresse unterbrochen hatte und – noch entscheidender – in New York der Versuch gemacht worden war, unabhängig vom Londoner Exekutivkomitee und dem englischen Club ein Europäisches Zentrum zu schaffen. Bis zum – bei Anwesenheit der meisten Delegierten – abgesagten Kongress von Stockholm, geplant für den 3.–7. September 1939, bestimmte die Repräsentation der deutschen Literatur die Arbeit der Deutschen Gruppe. Weil diese Literatur aus dem faschistischen Deutschland vertrieben war, konnte diese Repräsentanz – so Olden und Heinrich Mann – nur Vertretung der deutschen Literatur als einer antifaschistischen meinen. In der Auswahl der Redner wurde von Olden und Heinrich Mann, so wie Ould es am 3. Mai 1934 nahe gelegt hatte, Repräsentation im Hinblick auf die internationalen Adressaten mit Prominenz gleichgesetzt: Ould betonte „the moral value of having a really distinguished German writer representing German literature“.105 Mit Toller (1934), Klaus Mann (1935), Emil Ludwig (1936), Feuchtwanger (1937) und Thomas Mann (1939) – den Olden von Anfang an im Blick gehabt hatte – wurden Mitglieder der Gruppe delegiert, die Spitzenplätze auf der von Walter A.  Berendsohn 1939 erstellten „Übersicht über die Verteilung der Übersetzungen“ der Jahre 1933–1938 einnahmen: Feuchtwanger führte mit 80 übersetzten Titeln vor Mann mit 74 und Ludwig mit 60;106 Berendsohns 1939 abgeschlossenes Buch,107 das die Prominenz der deutschen Redner auf den internationalen Kongressen des PEN belegte, sich aber keineswegs auf diese beschränkte, im Gegenteil, die ganze Breite der von den Prominenten nur repräsentierten Literatur sichtbar zu machen versuchte, bestimmte im letzten Absatz seinen idealen Leser als den Internationalen PEN: „Vielleicht mag dies Buch über die deutsche Emigranten-Literatur 104 Ebd., S. 314f. 105 Brief an Ika Olden (3. 5. 1934). Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 94. 106 Walter A. Berendsohn: Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur. Erster Teil: Von 1933 bis zum Kriegsausbruch 1939. Zürich: Europa 1946, S. 158. 107 Bei Werner Berthold: Exil-Literatur 1933–1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main (Sammlung Exil-Literatur). 2. Auflage. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1966 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 1), S.  164, heißt es ohne weiteren Hin- oder Nachweis: „Berendsohn wurde 1938 von einer englischen Stelle aufgefordert, einen Essay über die Literatur der deutschen Emigranten zu schreiben.“



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dem P.E.N.-Club und den nicht-deutschen Schriftstellern aller Kulturländer überhaupt den Beweis liefern, daß die deutschen landesflüchtigen Schriftsteller mit Fug und Recht an den internationalen Kongressen teilnahmen, daß hinter ihnen die repräsentative deutsche Literatur, das andere und wahre Deutschland stand.“108 Für die Frage, wer sprechen sollte, spielte neben der internationalen Prominenz aber auch das Verhältnis zwischen interner Repräsentativität – im Sinne des in der Gruppe vertretenen politischen Spektrums von liberal bis kommunistisch – und dem zu erwartenden externen Echo auf die internationalen Kongresse eine besondere Rolle. Hier zeigten sich die Probleme des Antifaschismus im liberalen Club. So begründete Olden den Wunsch, Klaus Mann auf den Kongress von Barcelona zu delegieren, am 6. März 1935 in der Form einer – auf Unkenntnis der jüdischen Herkunft des Adressaten beruhenden – Bitte um Hilfe: „Unter uns gesagt, die Emigration sollte doch nicht immer nur von Juden vertreten sein, es ermüdet. […] Können Sie nicht helfen?“109 Ebenso war Olden bemüht, die Gleichsetzung von Exilliteratur und KPD zu vermeiden, akzeptierte aber Herzfelde als Delegierten für Prag, den Bloch so vorgeschlagen hatte: „Er ist […] in kluger Konzilianz, konzilianter Festigkeit geübt, weltläufig, […] spricht englisch und französisch […]. Ein mögliches Hindernis: das KPhafte – tritt hier am wenigsten in Erscheinung“.110 Tollers Rede auf dem Kongress von 1934 in Edinburgh/Glasgow begründete einen Antrag, der gegen die Stimme des Schweizer Delegierten angenommen wurde: Er verlangte die Freilassung derjenigen deutschen Schriftsteller, die „have been imprisoned without trial and without having committed any offence against the laws of their land, for no other reason than that they had, under former governments, in former years written books the intellectual content of which was not to the taste of the present government“.111 Klaus Mann konzentrierte sich in seiner Rede in Barcelona 1935 auf „besonders krasse Fälle – zufällig herausgegriffen unter vielen – und betonte: „[I]ch bleibe in streng literarischer Sphäre“.112 Nachdem er über die Schicksale Ossietzkys, Renns, Felix Fechenbachs, Edgar J. Jungs (allerdings ohne den Namen dieses „konservative[n] Schriftsteller[s]“113 zu nennen) und Theodor Lessings gesprochen hatte, behandelte er besonders ausführlich die Entführung Berthold Jacobs; er nannte auch den Grund: Der allgemeine Protest ist eine Macht, das hat der Fall Jacob bewiesen: unser unglücklicher Kollege ist zwar noch nicht frei, aber unter dem Druck der Weltmeinung hat man doch gezögert, ihn einfach umzubringen. – Zu solchem Protest sind am meisten wir verpflichtet, die Schriftsteller: nicht nur, weil es sich um einen Berufskollegen, vor allem, weil es sich um die letzte Bewahrung von Idealen

108 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 182. 109 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 128. 110 Ebd., S. 273. 111 Ebd., S. 107. 112 Michel Grunewald (Hrsg.): Klaus Mann. Mit dem Blick nach Deutschland. Der Schriftsteller und das politische Engagement. München: edition spangenberg 1985, S. 60. 113 Ebd.

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handelt, die uns am teuersten sind. Protestieren wir gegen die Einkerkerung und Mißhandlung der Schriftsteller in Deutschland!114

Obwohl Mann die inhaftierten Schriftsteller umfassend als „Katholiken, Juden, Pazifisten und Sozialisten“115 charakterisierte, stimmte die niederländische Delegation gegen Manns Resolution, die die Freilassung aller inhaftierten Autoren forderte und die Namen Ossietzky, Renn und Jacob nannte, mit folgender Begründung: „their objection was not to the principle of the resolution, to which they agreed, but to the stating of names.“116 Auch in Emil Ludwigs Rede in Buenos Aires (1936) spielte der Name Ossietzky eine zentrale Rolle; Ossietzky, „den ein großer Teil der Weltmeinung für den Nobel-Preis vorgeschlagen hat“, belegte Ludwigs These: „Die Juden und Kommunisten bilden alles andere, nur nicht die Mehrheit derer, die ermordet und eingesperrt worden sind. Das gleiche Schicksal hat man den demokratischen ,Ariern‘ bereitet.“117 Ludwig legte keinen Antrag vor, so dass auf seine Rede nur der spontane Ausdruck von „sympathy and encouragement“118 für die exilierten deutschen Autoren folgte – in Form einer „Ovation […] auf Veranlassung des […] Belgiers [Louis] Piérard“.119 Obwohl Feuchtwanger auf dem internationalen Kongress 1937 in Paris heftigen Angriffen wegen seines Buches Moskau 1936 ausgesetzt war, führte seine Rede, die in einem Antrag zur Solidarität mit Ossietzky endete, zur Annahme dieser Resolution. Feuchtwanger bezog sich in seiner Rede auf „Statistiken“ zu „Auflagenhöhe“, „Quantität“ und „Intensität der Rezensionen“, um zu belegen, „daß von den rund hundert Schriftstellern, die innerhalb der deutschen Grenzen Geltung hatten, heute noch zwölf innerhalb dieser Grenzen leben […]. Von den Schriftstellern, die […] Weltgeltung haben, leben innerhalb der deutschen Reichsgrenzen noch nicht zwei“.120 Dementsprechend nannte die von Feuchtwanger eingebrachte Resolution den „Kampf“ der Nazi-Regierung gegen Ossietzky „eines Kulturstaates unwürdig“; die „Mißbilligung“ und der „Einspruch“ des Kongresses ging über den Fall des Nobelpreisträgers hinaus: „Unwürdig eines Kulturstaates sind weiter die Methoden, durch welche die gleiche Regierung eine Anzahl verdienter deutscher Schriftsteller, um ihrer Gesinnung willen, an der Ausübung ihres Werkes zu hindern versucht.“121

114 Ebd., S. 62. 115 Ebd., S. 60. 116 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 134. 117 Ebd., S. 149. 118 Ebd., S. 144. 119 Emil Ludwig: Epilog zum PEN-Kongress. In: Neue Weltbühne 44 (1936), S. 1374–1378, hier S. 1376. 120 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 169f. Feuchtwangers Rede wurde in der Pariser Tageszeitung als Aufmacher des Beitrags „Wie das Dritte Reich die Schriftsteller verfolgt“ gedruckt. In: Pariser Tageszeitung 376 (23.6.1937), S. 1. 121 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 172.



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In Prag brachte Wieland Herzfelde 1938 eine Gedenkresolution für Ossietzky zur Annahme, die den „großen Essayisten und Pamphletisten“ „die Verkörperung“ der PEN-Prinzipien und ein Vorbild von „Überzeugungstreue und tapfere[m] Einstehen“ für die „Idee des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern“ nannte.122 Der Erste Delegierte, den Heinrich Mann Olden mit der Begründung vorgeschlagen hatte, er „würde […] statt einer geistesscharfen eine kernige Sprache führen, und seine Erscheinung muss dem Kongress unbedingt vorgeführt werden. So sehen die volksfremden Intellektuellen aus“,123 half durch seine Kontroverse mit dem scheidenden Präsidenten Wells über die Stellung des PEN zum Antisemitismus eine – schließlich einstimmig angenommene – Resolution des Jiddischen Zentrums durchzusetzen. Thomas Manns Rede ‚Das Problem der Freiheit‘ war bereits im Satz, als der Stockholmer Kongress 1939 verschoben wurde. Die ungehaltene Rede basierte auf einem Vortrag, den er im Frühjahr 1939 in US-amerikanischen Städten gehalten hatte,124 „umgearbeitet, gekürzt und der Gelegenheit angepaßt“125, der, wie er im Tagebuch formulierte, „Übernahme der Vertretung der deutschen Gruppe in Stockholm“.126 Unter dem Titel ‚Das Problem der Freiheit‘ präsentierte Mann eine – erst im Verlaufe des Exils gewonnene – „Einsicht, welche dem auf seine Sonderkultur stolzen Individuum nicht eben leichtfällt“: daß eine rein individualistische, rein persönliche und geistige Humanität unvollständig und für die Kultur gefährlich ist; daß das Politische und Soziale Teilgebiete des Menschlichen sind, und daß es nicht möglich ist, sie vom Geistigen und Kulturellen reinlich zu trennen, sich auf dieses zurückzuziehen und zu erklären, daß man sich für jenes ‚nicht interessiere‘.127

4 Der Zweite Weltkrieg: Internierungswellen und deren Folgen für das Exil Mit Kriegsbeginn wurden wie in Frankreich auch in Großbritannien Deutsche, die vor der politischen und rassistischen Verfolgung durch den Faschismus geflohen waren, interniert: zuerst 1939 in kleinerer, dann 1940 – nachdem die Eroberung Norwegens in den Medien und von der Regierung als Ergebnis vorheriger Tätigkeit einer ,deut-

122 Ebd., S. 282. 123 Heinrich Mann an Rudolf Olden (28. 4. 1938). Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 269. 124 Peter de Mendelssohn (Hrsg.): Thomas Mann. Tagebücher 1937–1939. Frankfurt am Main: Fischer 1980, S. 760. 125 Ebd., S. 796. 126 Ebd., S. 440. 127 Thomas Mann: Das Problem der Freiheit. In: Hans Bürgin (Hrsg.) Thomas Mann. Das essayistische Werk in acht Bänden, Bd. 3. Frankfurt am Main: Fischer 1968, S. 65–80, hier S. 74.

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schen fünften Kolonne‘ präsentiert worden war –128 in größerer Zahl. Von den in Großbritannien lebenden Mitgliedern der Deutschen Gruppe, deren Namen sich auf der Mitgliederliste von 1939 fanden, wurde in der ersten Welle nur Kurt Karl Doberer129 interniert, in der zweiten dann aber auch Burschell,130 Friedenthal,131 Hiller,132 Dosio Koffler,133 Friedrich Walter Nielsen134 und vor allem Olden selbst;135 Herrmann-Neißes Abtransport ins Internierungslager wurde nur durch das Eingreifen eines Arztes „vorläufig“ ,ausgesetzt‘.136 Zu den Internierten zählten auch andere in Großbritannien exilierte Schriftsteller, die erst nach der Reaktivierung der PEN-Gruppe seit 1941 Mitglied wurden: Eugen M.  Brehm,137 Hans Flesch,138 Heinrich Fraenkel,139 Hans José Rehfisch140 und Max Zimmering.141 Die Internierung erfasste sogar solche PEN-Mitglieder, die sich bereits um Naturalisierung als britische Bürger bemüht oder der Regierung Hilfe bei ihrem ,war effort‘ angeboten hatten. Nicht betroffen von der Internierung waren solche PEN-Mitglieder von 1939, die bereits von britischen Regierungsstellen beschäftigt wurden wie Peter de Mendelssohn142 oder Karl Otten.143 Eine Möglichkeit

128 Peter und Leni Gillman: ‘Collar the Lot!’ How Britain Interned And Expelled Its Wartime Refugees. London, Melbourne und New York: Quartet Books 1980, S. 85. 129 Werner Röder und Herbert Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrees. Bd. 2, Teil 1. München u. a.: Saur 1983, S. 132. 130 Roland Krischke (Hrsg.): Friedrich Burschell. Erinnerungen 1889–1919. Ludwigshafen: Stadtarchiv 1997, S. 273. 131 Richard Friedenthal: Die Welt in der Nußschale. Roman. München: Piper 1956. 132 Hiller: Rote Ritter, S. 99. 133 Ebd., S. 100. 134 Werner Röder und Herbert Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrees. Bd. 2, Teil 2. München u. a.: Saur 1983, S. 86. Zu Walter Nissen in Picture Post vom 28. 9. 1940 vgl. Michael Seyfert: Im Niemandsland. Deutsche Exilliteratur in britischer Internierung. Ein unbekanntes Kapitel der Kulturgeschichte des Zweiten Weltkriegs. Berlin: Das Arsenal 1984, S. 122. 135 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 344. 136 Völker: Herrmann-Neiße, S. 230. 137 Karl Holl: Deutsche Pazifisten im britischen Exil. In: Charmian Brinson, Richard Dove u. a. (Hrsg.): „England? Aber wo liegt es?“: Deutsche und österreichische Emigranten in Großbritannien 1933–1945. München: Iudicium 1996, S. 71–85, hier S. 84. 138 Richard Dove: The Gift of Tongues. German-speaking Novelists Writing in English. In: William Abbey u. a. (Hrsg.): Between two Languages. German-speaking Exiles in Great Britain 1933–45. Stuttgart: Heinz 1995, S. 95–115, hier S. 99. 139 Seyfert: Im Niemandsland, S. 191. 140 AdK Berlin, Tagebuch, Bestand Hans José Rehfisch. 141 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 176. 142 Unterwegs. Peter de Mendelssohn zum 70. Geburtstag. Frankfurt am Main: Fischer 1978, S. 97. 143 Karl Otten: Geplante Illusionen. Eine Analyse des Faschismus. Frankfurt am Main: Luchterhand 1989, S. 361–365. Richard Dove: ,Marching on‘: Karl Otten at the BBC. In: Charmian Brinson, Richard Dove u. a. (Hrsg.): Keine Klage über England? Deutsche und österreichische Exilerfahrungen in Großbritannien 1933–1945. München: Iudicium 1998, S. 39–47, hier S. 39f.



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der Befreiung aus der Internierung war die Meldung zum Pioneer Corps144, eine Möglichkeit, die das Mitglied der Deutschen Gruppe Otto Zarek145 wahrnahm, aber auch später in das Zentrum eintretende wie Lutz Weltmann146 oder Arnold Bender.147 Wenn durch die „Vermittlung des englischen PEN-Clubs“148 auch nicht die ursprüngliche Internierung verhindert werden konnte, so begann sie in dem Maße eine immer wichtigere Rolle zu spielen, wie die britische liberale Öffentlichkeit die Regierung unter Druck setzte. Im September 1940 stellte die Präsidentin des englischen Clubs, Margaret Storm Jameson, fest: „This month […] the PEN was appointed by the Home Office to advise it on the standing, past life, and claims of every refugee writer who had been or might be interned, and on all appeals from ,men of letters‘ for release.“149 In den Fällen der erst spät und aus überseeischer, kanadischer oder australischer Internierung Entlassenen war der Internationale PEN entscheidend beteiligt, so an der Befreiung Zimmerings.150 Im Herbst 1941, konstatierte Storm Jameson, „all our interned Germans had been released“.151 Die Arbeit der Gruppe kam zum Erliegen – zunächst infolge Oldens eigener Internierung. Schließlich starben Olden und seine Frau Ika auf der Überfahrt in die USA bei der Torpedierung des Dampfers City of Benares am 17. September 1940. So lag die Befreiung internierter Autoren allein in der Hand des englischen Clubs, wie Storm Jameson berichtet: „Hermon and I laboured alone, to exhaustion, knowing to make only one mistake would compromise every refugee.“152 Die einzige Londoner kulturelle Organisation, die für einen gewissen Zusammenhalt der deutschen Exilierten sorgen konnte, der Freie Deutsche Kulturbund (FDKB), sah sich seit Kriegsbeginn einer Belastungsprobe ausgesetzt. In der im Dezember 1938 unter Beteiligung des PEN-Mitglieds Kerr153 gegründeten Organisation wurde seit dem ,Hitler-Stalin-Pakt‘ der Einfluss der KPD, der acht von 26 Vorstandsmitgliedern angehörten154, zum Problem. Von diesen stand nur John Heartfield in einer Beziehung zum PEN, insofern er auf Oldens Liste der aus Prag zu 144 Vgl. zur Rekrutierung Andreas Klugescheid: ′His Majesty’s Most Loyal Aliens′. Der Kampf deutsch-jüdischer Emigranten in den britischen Streitkräften. In: Exilforschung 19 (2001), S. 106–127, hier S. 108. 145 Röder und Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary, S. 1275. 146 Ebd., S. 1234. 147 Hans-Christian Müller (Hrsg.): „Kleines Leben in England“. Arnold Bender 1904–1978 – Ein Dortmunder Schriftsteller im Exil. Dortmund: Stadt- und Landesbibliothek Dortmund 1982, S. 38. 148 Klaus Piper (Hrsg.): Und unversehens ist es Abend: Von und über Richard Friedenthal. Essays, Gedichte, Fragmente, Würdigung, Autobiographisches. München, Zürich: Piper [1976], S. 54. 149 Abbey: ,Die Illusion‘, S. 147. 150 Röder und Strauss: Dictionary, S. 1229. 151 Abbey: ,Die Illusion‘, S. 148. 152 Ebd. 153 Ulla Hahn: Der Freie Deutsche Kulturbund in Großbritannien. Eine Skizze seiner Geschichte. In: Lutz Winckler (Hrsg.): Antifaschistische Literatur. Programme, Autoren, Werke. Bd. 2. Kronberg: Scriptor 1977, S. 131–195, hier S. 137. 154 Ebd., S. 137f.

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Rettenden gestanden hatte. Allerdings betätigten sich im FDKB in den Jahren 1939/40 viele Autoren, die nach 1941 zum PEN stießen: Rita Hausdorf,155 Berthold Viertel,156 Egon Larsen,157 Werner Ilberg, Freimut Schwarz, Lutz Weltmann158 und Hans José Rehfisch159. Im Gegensatz zur offiziellen KPD-Politik begrüßte der FDKB die britische Kriegserklärung „als Beitrag zur Vernichtung des Faschismus“160 und bemühte sich, seinen Mitgliedern Arbeitsplätze in der kriegswichtigen Industrie zu vermitteln. So wurde auf der einen Seite die Internierungszeit zur Blütezeit des FDKB:161 „Die Isolierung von der britischen Öffentlichkeit und das Bedürfnis nach Kontakt mögen wesentliche Gründe dafür gewesen sein, daß die Zahl der FDKB-Mitglieder bis zum Frühjahr 1940 auf 1500 stieg und in mehreren Städten Ortsgruppen gebildet wurden.“162 Auf der anderen Seite wuchs der Druck auf prominente Schriftsteller, sich vom kommunistisch beeinflussten FDKB zu distanzieren. Am 10. November 1939 trat der bisherige Präsident Kerr nicht nur zurück, sondern auch aus der Organisation aus, bestand aber darauf, dass öffentlich als Rückund Austrittsgrund nur „Meinungsverschiedenheiten mit dem [kommunistischen] Mitglied [Alfred] Meusel“163 genannt werden sollten. Zu Kurt Hillers Enttäuschung folgten nur „[s]ehr wenige“164 Kerrs „Beispiel“, aus dem FDKB auszutreten, und vor allem trat Kerr selbst nicht der GUDA bei165, der bereits im März 1939 erfolgten „Gegengründung“166 zum FDKB, der Gruppe Unabhängiger Deutscher Autoren, in der außer Hiller 1939 noch ein weiteres PEN-Mitglied war: Dosio Koffler. Doch traten andere GUDA-Mitglieder später in den PEN ein: Irmgard Litten, Heinrich Fischer und Hans Jaeger.167 Die Bedeutung des Wortes ,unabhängig‘ im Namen der Gruppe erläuterte Hiller auf eine Weise, die deutlich macht, warum sie eine ,Gegengründung‘ war: „Da in London niemand von Berlin abhängig war […], besagte ,unabhängig‘ im Titel der ,Gruppe‘: unabhängig von Moskau. Die ganz selbstverständliche Unabhängigkeit von unserer Sozialdemokratie und von den kleineren politischen Verbänden, die es gab, war mitgemeint.“168 Zu diesen ,mitgemeinten‘ Organisationen gehörte im London der Internierungszeit die Thomas-Mann-Gruppe (TMG) mit Burschell, der bereits PEN-Mitglied war, und 155 Ebd., S. 138. 156 Ebd., S. 144. 157 Ebd., S. 145. 158 Ebd., S. 188. 159 Ebd., S. 188. 160 Ebd., S. 146. 161 Heinrich Fraenkel: Lebewohl, Deutschland. Hannover: Literatur und Zeitgeschichte 1960, S. 62. Vgl. Max Zimmering: Der gekreuzigte Prometheus. Begegnungen mit Zeitgenossen. Rudolstadt: Greifenverlag 1969, S. 67f. 162 Hahn: Der Freie Deutsche Kulturbund, S. 148. 163 Ebd. 164 Ebd., S. 323. 165 Ebd., S. 324. 166 Ebd., S. 322. 167 Ebd. 168 Ebd.



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Sternfeld sowie Bernhard Menne, die auf PEN-Visen aus Prag entkommen waren169 und später dem PEN beitraten. Auch für die – wie Menne170 – der SPD angehörenden oder ihr in Opposition nahen Mitglieder der TMG war die Rolle der Kommunisten im FDKB der entscheidende Einwand gegen den umfassenden Anspruch der Organisation, alle deutschen Anti-Nazis auf dem Boden der demokratischen Traditionen deutscher Kultur zu vereinen. Die Szene des deutschen literarischen Exils der frühen 1940er Jahre in London differenzierte sich im Ergebnis der Internierungszeit klar in drei sich feindlich gegenüberstehende Gruppen, wie Fritz Beer in seinen Memoiren171, aber auch schon ein zeitgenössischer auswärtiger Beobachter wie Berendsohn172 feststellte: FDKB, GUDA und TMG. Die durch die Internierungszeit bedingte Verschärfung der wechselseitigen Verdächtigungen führte zu einer Umkehrung jener Vergleiche des ,friedlichen‘ Londoner Exils mit den anderen Zentren, die in den 1930er Jahren üblich gewesen waren; als Erika Mann 1940 zum ersten Mal nach London kam, erschienen ihr die deutschen Autoren dort „zerstrittener“ als in New York.173

5 Reaktivierungsbestrebungen der Deutschen PENGruppe in London Wenn die Differenzierung des deutschen literarischen Exils in London nach dem de facto-Ende der Deutschen Gruppe des PEN in den Jahren 1939/1940 auch eine Reaktion auf britische Politik war, so war die Reaktivierung der Gruppe definitiv das Ergebnis einer britischen Initiative. Denn Oldens Hinterlassenschaft war zweideutig in der Frage, wie die Arbeit fortgesetzt werden sollte. Einerseits schrieb er am 28. August 1940 an Burschell – und im gleichen Sinn am 31. August 1940 an Ould:174 „Jemand müsste die German Group of the International PEN Association hier fortführen, wenn ich weg bin. Wären Sie geneigt, die Sekretärsgeschäfte zu übernehmen?“175 Dass Burschell für die TMG ähnliche Arbeit geleistet hatte, war der Grund dieser Wahl.176 Andererseits teilte Olden am 6. September 1940 im Anschluss an die Bitte, „das Sekretariat 169 J. M. Ritchie: Willy Sternfeld and Exile Studies in Great Britain. In: Brinson, Dove u. a. (Hrsg.): Keine Klage, S. 263–275, hier S. 263. 170 Anthony Glees: Exile Politics during the Second World War. The German Social Democrats in Britain. Oxford: Clarendon Press 1982, S. 98. 171 Fritz Beer: Hast du auf Deutsche geschossen, Grandpa? Berlin und Weimar: Aufbau 1994, S. 480. 172 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 64. 173 Erika Mann: Briefe und Antworten. Bd. 1: 1922–1950. München: Ellermann 1984, S. 188. 174 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 349. 175 AdK Berlin, Bestand Friedrich Burschell 48/83 (Mappe mit Briefen). 176 Krischke (Hrsg.): Friedrich Burschell, S. 294.

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der deutschen Gruppe in Europa zu übernehmen“, Burschell mit: „Ich werde das Sekretariat in Amerika weiterführen, wo die German-American Writers Association verschwunden ist, gesprengt von Thomas Mann.“177 Es war die Gefahr, dass sich – wie im zweiten Brief vorgeschlagen – zwei konkurrierende deutsche Gruppen (und Sekretariate) im PEN bildeten statt der – im ersten Brief vorgesehenen – Kontinuität einer deutschen Vertretung in London, die den Internationalen PEN zum Eingreifen bewog. Eine US-amerikanische Konkurrenz hatte sich für London schon im Verlaufe des Jahres 1939 abgezeichnet: Der Pariser SDS hatte sich in New York in die German-American Writers Association (GAWA) transformiert und diese war, im Gegensatz zu Oldens Abgrenzungspolitik der früheren Jahre, „korporativ Mitglied“ des US-PEN geworden;178 dieser hatte in New York anlässlich der Weltausstellung im Mai 1939 einen World Congress of Writers als „special congress of the P.E.N.“179 organisiert, der mehr prominente deutsche Exilautoren angezogen hatte als irgendeiner der internationalen PEN-Kongresse der 1930er Jahre. Gäste waren u. a. Remarque, Kolb, Döblin, Zuckmayer und die Österreicher Auernheimer, Broch und Werfel.180 Neben Arnold Zweig, um den sich Olden vergeblich für Prag bemüht hatte, und drei Autoren, die vor und nach Prag PEN-Kongress-Redner waren, Toller, Klaus und Thomas Mann, trat Ferdinand Bruckner als Sprecher181 auf, den die Präsidentin des US-PEN, Dorothy Thompson, am 21. Januar 1939 als „special guest“ und „representative“ des deutschen „centre“ eingeladen hatte. Der Internationale PEN griff in diese „Wechselbeziehungen“182 ein, als Bruckner zusammen mit Leo Lania, der 1938 Mitglied der Deutschen Gruppe war, für das „projet“ eines European PEN in America183 die Unterstützung Romains‘ gewann, der immer noch Präsident des Internationalen PEN war. Ould protestierte am 20. Mai 1941 in scharfer Form184 gegen die am 15. Mai 1941 erfolgte Gründung eines European PEN in America, New York, an der – außer Romains und Bruckner – Undset, Maeterlinck, Sforza, Alvarez, Stefan Zweig und Fritz von Unruh teilgenommen hatten,185 und das Londoner Exekutivkomitee berief nun für September 1941 den nächsten internationalen Kongress nach London ein. Oulds Brief an Romains vom 20. Mai 1941 enthielt nicht nur den Einspruch gegen die New Yorker Gründung, sondern auch die – wenngleich nicht offen formulierte – 177 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 350. Vgl. Erika Mann: Briefe, S. 135. 178 Berendsohn: Die humanistische Front, S. 181. 179 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 288. 180 Schreckenberger: Der Weltkongreß, S. 13f. 181 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 294. 182 Carol Paul-Merritt: Die Rezeption deutscher Exilautoren durch die liberale amerikanische Presse während der Jahre 1933–1945. In: John Spalek und Joseph Strelka (Hrsg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Bd. 2: New York, Teil 2. Bern: Francke 1989, S. 1470–1492, hier S. 1478. 183 Jules Romains an Ferdinand Bruckner (14. 4. 1941). AdK Berlin, Bestand Ferdinand Bruckner 765. 184 Hermon Ould an Jules Romains (20. 5. 1941). AdK Berlin, Bestand Ferdinand Bruckner 765. 185 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 359.



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Ankündigung der Reaktivierung der Deutschen Gruppe; Ould unterstellte diese sogar als bereits geschehen, um die Legitimität der Romains’/Lania/Brucknerschen Konkurrenz zu bestreiten: It came as a great surprise that you did not consult any of the officials of the existing European centres […], but formally established ,The European P.E.N. in America’ as if a ,free‘ Europe no longer existed. This is far from the truth. Apart from the English, Scottish and Irish Centres, which are all very active, we have in England properly accredited Centres representing Poland, Czechoslovakia, Norway, Catalonia, as well as the Polish Centre of the Yiddish P.E.N. and the anti-Nazi Austrian and German Groups of the P.E.N. To them, and to us, it seems obvious that if there must be a ,European P.E.N.‘ so-called (and we do not, as a matter of fact, see any reason for this new classification), so its seat must be in England, which remains free and is, after all, Europe. To transfer the ,European P.E.N.‘ to America is a defeatist gesture for which it is hard to find any justification, and I must tell you that no little indignation was expressed by the European members when they […] found that their very active Centres here in England were referred to as ,the former P.E.N. Centres in Europe.‘186

Oulds Protest wies nicht nur einen US-amerikanischen Führungsanspruch zurück, sondern meldete zugleich – im Namen des internationalen Exekutivkomitees mit Sitz in London – den eigenen an, nämlich in England das freie literarische Europa zu repräsentieren. Auch klang erstmals der neue Name an, der an die Stelle des alten „Deutsche Gruppe“ treten sollte: „German (anti-Nazi) Group“. Dabei machte Ould klar, daß die GAWA nur als „associated with the New York Centre“, d. h. dem US-PEN, zu betrachten sei, und er verglich sie mit den „[m]any of those refugee writers in England who have not formed themselves into national groups“, sondern sich dem „London Centre“, d. h. dem englischen Club, angeschlossen haben.187 Kategorisch ausgeschlossen wurde die Repräsentation der deutschen Literatur (und der Literaturen der von den Nazis eroberten Länder) durch Zentren außerhalb Londons oder – wie Oldens Brief an Burschell angedeutet hatte – durch zwei Zentren oder Sekretariate, in London und New York. Aus der Abweisung des Anspruchs der New Yorker ergab sich die Notwendigkeit, zu beweisen, dass es eine ,Aktivität‘ der in England ,akkreditierten‘ Zentren bzw. Gruppen gab, oder, anders gesagt, dass es sich keineswegs um ,ehemalige‘ Zentren bzw. Gruppen handelte. Im Fall der Deutschen Gruppe bedeutete dies ihre Reaktivierung als German (anti-Nazi) Group. Vergleicht man die Namen der Autoren, die wenige Monate nach der Reaktivierung der Gruppe die deutsche Literatur auf dem internationalen Kongress in London ,Writers in Freedom‘ (10.–13. 9. 1941) repräsentierten, mit denen der Vorkriegskongresse, so fällt der Unterschied in der Prominenz auf: Abgesehen von Kerr selbst und – bedingt – von Erika Mann, waren weder Wilhelm Wolfgang Schütz noch Peter de Mendelssohn ,prominente‘ deutsche Autoren. 186 AdK Berlin, Bestand Ferdinand Bruckner 764. 187 Ebd.

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Ihre Rede ‚Die Zukunft Deutschlands‘ begann Erika Mann mit dem „Bild“ des internationalen PEN-Kongresses, das sie in den USA verbreiten werde: Sie habe „mit eigenen Augen gesehen […], daß Europa in London ist“.188 Sie begrenzte die Zuständigkeit der Schriftsteller, indem sie hervorhob, daß „die nach dem Krieg auf uns zukommenden großen politischen und wirtschaftlichen Probleme von den Berufspolitikern gelöst werden müssen und vor dem Ende des Krieges nicht in allen Details und offen erörtert werden können“; zuständig seien die Schriftsteller hingegen für „das Problem der Erziehung in Europa und vor allem der Umerziehung in Deutschland“.189 Gerade weil zwischen der politischen und wirtschaftlichen Verhinderung eines „weiteren Krieg[es]“ und der Umerziehung ein Zusammenhang bestand, konzentrierte sie sich auf „unsere Aufgabe“, „die Deutschen“ „von solchen Wünschen“, „einen weiteren Krieg vorzubereiten“, zu „befreien“.190 Auch wenn sie betonte, dass der „Schock“ der „Niederlage“ und das ‚Leiden‘ des „vollkommen besiegte[n] Deutschland[s]“191 auf „ein Volk […], das geisteskrank ist“192, „Wirkung“ haben werde, insofern ihm dadurch nämlich das „Gift des Nazismus […] zumindest teilweise ausgetrieben“193 werde, stellte sie die Aufgabe der Umerziehung durch „Bücher“, die „die deutsche Erziehung völlig neu […] gestalten“194, ins Zentrum: „[S]chon seit Generationen sind sie in hohem Maße falsch erzogen worden; ihr Verstand ist vergiftet, sie sind geistig krank.“195 Weil die Deutschen aber nicht „unheilbar“196 seien, schloss Erika Mann ihre Ansprache mit dem Appell: „Es wird an uns sein, die Köpfe und Herzen der Deutschen mit neuen Ideen, neuen Hoffnungen und einem besseren Glauben zu füllen.“197 Während Kerrs Rede im Tenor mit der Erika Manns übereinstimmte, wenn er aus der Unfähigkeit der Deutschen, Hitler zu stürzen, folgerte:198 „Consequently, as to literature after the war: first a great deal of educational work will have to be done“199, unterschieden sich die Schwerpunktsetzungen sowohl von Wilhelm Wolfgang Schütz als auch von Peter de Mendelssohn auf gegensätzliche Weise von der Sicht Kerrs und Manns. Während Mendelssohn dafür plädierte, dass die Flüchtlinge wirkliche Emig188 Erika Mann: Die Zukunft Deutschlands. Rede auf dem Internationalen PEN-Kongreß. In: Irmela von der Lühe und Uwe Naumann (Hrsg.): Erika Mann. Blitze überm Ozean. Aufsätze, Reden, Reportagen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000, S. 229–233, hier S. 229. 189 Ebd., S. 230. 190 Ebd. 191 Ebd., S. 232. 192 Ebd. 193 Ebd., S. 233. 194 Ebd., S. 232. 195 Ebd., S. 230. 196 Ebd. 197 Ebd., S. 233. 198 Hermon Ould (Hrsg.): Writers in Freedom. A Symposium. Based on the XVII.  International Congress of the P.E.N. Club Held in London in September, 1941. London, New York and Melbourne: Hutchinson 1941, S. 80. 199 Ebd.



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ranten würden: „An ‚émigré‘ is a man […] who refuses to spend years merely hoping for a chance to return“200, forderte Schütz die exilierten Schriftsteller auf, sich den Inneren Emigranten in Deutschland unterzuordnen: They have gone through a revolution and a war – and they have never had a spiritual country at home. Or, at least, their home has always stood under the shadow of torture and death. […] whoever talks to these exiles in their own country from abroad, be they speakers or writers, be it in publications or addresses – all these will have to be written in a spirit and based upon a language which those inside Nazi Germany will understand.201

Obwohl Schütz wie Mendelssohn letztlich jeweils eine Vermittlung zwischen außen und innen, dem Westen und Deutschland, einführten, die Idee der Freiheit, war der Gegensatz der Perspektiven deutlich. Im „Postscript“ des Herausgebers Hermon Ould wurden die Gegensätze zwischen den deutschsprachigen Rednern des Londoner Kongresses als exemplarisch hervorgehoben: „That some of the opinions expressed in this book are fundamentally opposed to one another is obvious. Dr. Alfred Kerr and Dr. W. W. Schuetz, for instance, would be ill-matched in double harness, and Robert Neumann has confessed his disagreement with Dr. Kerr’s point of view is one hundred per cent.“202 Im Unterschied zu Schütz argumentierte Neumann aber nicht im Namen der Inneren Emigranten, sondern der in Nazi-Deutschland Verfolgten. Zeitlich parallel zur Reaktion des Internationalen PEN auf die Initiative zur Gründung eines Europäischen PEN in Amerika liefen die Vorbereitungen zu einem nazistischen Gegen-PEN in einem deutsch beherrschten Europa. Keine vierzehn Tage vor dem Überfall auf die Sowjetunion, am 11. Juni 1941, schrieb der Geschäftsführer der Reichskulturkammer im Auftrag des Ministers Goebbels an eine Reihe von Experten, unter ihnen Hans Friedrich Blunck, über den Plan, „möglichst bald eine Gegenbewegung bzw. eine Vereinigung gegen den PEN-Club einzuleiten und einzurichten, d. h. zunächst auf europäischer Basis“.203 Statt des von Blunck vorgeschlagenenen „Freundschaftsclub[s] des Schrifttums“204 gründete das Propagandaministerium die Europäische Schriftsteller-Vereinigung, zu deren erster Jahrestagung im Oktober 1941 in Weimar Goebbels für seine Rede notierte: „Der PEN-Klub wird von mir als ‚Penn‘Klub gekennzeichnet, der nicht mehr das Recht habe, im Namen des intellektuellen Europa zu sprechen.“205 Unter Beteiligung von ausländischen Autoren wie Robert Brasillach, Marcel Jouhandeau, John Knittel und Pierre Drieu la Rochelle wurde Hans Carossa zum Präsidenten gewählt. 200 Ebd., S. 95. 201 Ebd., S. 90. 202 Ebd., S. 150. 203 Zitiert nach Frank-Rutger Hausmann: „Dichte, Dichter, tage nicht!“ Die Europäische Schriftstellervereinigung in Weimar 1941–1948. Frankfurt am Main: Klostermann 2004, S. 29. 204 Ebd., S. 30. 205 Ebd., S. 52.

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Zwei der Redner des Londoner PEN-Kongresses, Wilhelm Wolfgang Schütz und Peter de Mendelssohn, erscheinen auf einer der acht Listen, die Kerr, Burschell und Friedenthal im Laufe des Jahres 1942 erstellten, um sich über die Mitgliedschaft des Zentrums klar zu werden, als „Zwangsmitglieder“, mit dem erklärenden Zusatz „durch Ould“.206 Auf den Listen werden die Bezeichnungen „Deutscher PEN-Club“ (a, b, f, g, h), „Deutsche Gruppe (German Centre)“ (c) und „deutsche Sektion“ (e) nebeneinander verwendet, die alle den Vertretungsanspruch stärker hervorheben als die vorher übliche Rede von der „Gruppe“. In zwei Briefen hat Kerr den neuen Charakter der reaktivierten ,deutschen Gruppe‘ auf Formeln gebracht: „das Gesellige betonen“, hieß es in einem Brief an Friedenthal vom 1. Mai 1942,207 und am 2. Mai 1942 schrieb er Hiller: „ein harmloser Geselligkeitsverein, dessen Idealismus darin besteht, dass Antinazitum heute für die Mitgliedschaft Bedingung ist“; die Ursachen der Reaktivierung wurden deutlich, wenn Kerr die Geselligkeit auf das Verhältnis London – New York bezog: Es galt für uns nur ein festeres Angliedern des winzigen deutschen Beiwägelchens an die Mutterkutsche. […] In diesem (ja: möglichst freundschaftlichen) Club kann hohe literarische Leistung nicht verlangt werden – sonst müsste man die Bude sofort zumachen. Die namhafteren deutschen Schriftsteller sitzen halt in New York. Hier in England gilt es nur, für den (tunlich gesammelten) Rest einen Erholungs-, Beriechungs-, Anregungskreis zu ermöglichen.208

Um die Zusammensetzung des ,geselligen Kreises‘ kam es, noch bevor sich dieser sehr spät, nämlich am 4.  September 1942, erstmals zu einer Jahreshauptversammlung traf,209 zu heftigen Auseinandersetzungen. Vom Ergebnis des Auswahlprozesses her gesehen, spielte die Bindung an britische Dienste eine größere Rolle in der Mitgliedschaft des entstehenden ,geselligen Kreises‘ als die an Organisationen des deutschen literarischen und politischen Exils, mit denen Kerr durch die Berater Hiller und Menne verbunden war, wobei letzterer aber nicht nur zur TMG gehörte, sondern auch zur GUDA und zudem mit dem sozialdemokratischen Parteivorstand in Verbindung stand.210 Aus den über 100 Autoren und Autorinnen, deren Namen auf den acht Listen von 1942 standen, wurden 1943 37 Mitglieder. Von diesen waren acht bei der British Broadcast Corporation (BBC) und vierzehn bei der Zeitung beschäftigt, einem von der britischen Regierung herausgegebenen Organ; der GUDA gehörten fünf und der TMG 206 DEA, EB 75/177 D.I.4.a. Im Folgenden werden die Listen nach der Reihenfolge, in der sie hier vorhanden sind, unterschieden (a–h). Die handschriftlichen Zusätze von Alfred Kerr finden sich auf Liste c. 207 AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr H br D h pe. 208 AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr H br D h pe. Vgl. zur gegensätzlichen Beurteilung von Kerrs Präsidentschaft Thomas Koebner: Autoren im englischen Exil. In: Kunst im Exil in Großbritannien 1933–1945. Berlin: Frölich und Kaufmann 1986, S. 257–259, und Walther Huder: Alfred Kerr. Ein deutscher Kritiker im Exil. In: Sinn und Form 18 (1966), S. 1262–1279, hier S. 1276: „Er wollte als Präsident der deutschen PEN-Gruppe nicht ausschließlich repräsentieren, sondern vor allem als kritischer, ja regulativer Kopf der Gemeinschaft gelten.“ 209 Alfred Kerr an Hermon Ould (6. 9. 1942). AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr H br Dh pe. 210 Röder und Strauss: Dictionary, S. 489.



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zwei Mitglieder an; zwei waren Sozialdemokraten und einer möglicherweise Kommunist.211 Nur hinter zwei Namen, die 1943 nicht auf der Liste der Mitglieder standen, war zur Kennzeichnung ihrer ,Verbindung‘ „Kulturbund“ vermerkt: bei Rehfisch und Ernst Meyer (c). Die strukturelle Distanz der Mitgliedschaft gegenüber der SPD, deren Parteivorstand sich seit Anfang 1941 in London befand und die in der Stadt 160 Mitglieder hatte,212 sowie der KPD, die der Führung des FDKB verdächtigt wurde und 300 Mitglieder in London zählte213, entsprach der strukturellen Nähe zur Zeitung einerseits, zur BBC andererseits. Im Falle der Zeitung war es die SPD, die ihren Mitgliedern eine Mitarbeit bis Ende 1944 nicht „erlaubte“214; im Fall der BBC wurde eine führende Tätigkeit im Kulturbund als unvereinbar mit einer Beschäftigung gehandhabt. Die Streichungen, die Kerr auf den Listen von 1942 vornahm, legen insgesamt die Einschätzung nahe, dass er de facto die Oldensche Linie der doppelten Abgrenzung fortsetzte: einerseits gegen einen – kommunistischen – Führungsanspruch, andererseits gegen eine – meist auch antikommunistische, aber vor allem und im Kern nationalistische – Ausschlusspraxis. Kerrs doppelte Abgrenzung von Kommunismus und Nationalismus verschob die Basis der Abgrenzung von Oldens Volksfrontliberalismus zur Unterstützung des Antinazismus der Alliierten. Deshalb bestand er auch auf Distanz zum Club 1943, mit dessen Gründung nicht-kommunistische KulturbundMitglieder auf den Versuch reagierten, den FDKB in der britischen Öffentlichkeit auf die offensive Forderung der Eröffnung der ,Zweiten Front‘ festzulegen.

Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen AdK Berlin, Heinrich-Mann-Archiv; Bestand Ferdinand Bruckner; Bestand Friedrich Burschell; Bestand Alfred Kerr; Bestand Egon Erwin Kisch; Bestand Walter Meckauer; Bestand Hans José Rehfisch.

211 Zuordnung nach Berthold: Exil-Literatur; Lieselotte Maas: Handbuch der deutschen Exilpresse 1933–1945. Bd. 1. München und Wien: Hanser 1978; Conrad Pütter: Rundfunk gegen das ,Dritte Reich‘. München u. a.: Saur 1986; Röder und Strauss: Dictionary. 212 Glees: Exile Politics, S. 68–70. 213 Ebd., S. 216. 214 Volker Kaukoreit: Vom Exil bis zum Protest gegen den Krieg in Vietnam: Frühe Stationen des Lyrikers Erich Fried. Werk und Biographie 1938–1966. Darmstadt: Häusser 1991, S. 62.

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Versuchte Gleichschaltung durch das NS-Regime 

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Christine Malende

Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Wiederbegründung und Teilung des deutschen PEN als Folge des Kalten Krieges (1946–1951) Die Zeit der Wunder schwand. Die Jahre sind vertan. Stephan Hermlin1

Die ersten öffentlichen Bemühungen um die Wiederbegründung eines PEN-Zentrums in Deutschland gingen von der Londoner Deutschen Gruppe im Internationalen PEN aus. In ihrem Namen brachte Walter A. Berendsohn auf dem XVIII. Internationalen PEN-Kongress im Juni 1946 in Stockholm, dem ersten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, einen Resolutionsantrag ein, der die Bitte, „die Möglichkeiten einer Wiedererrichtung des deutschen PEN in Deutschland zu ergründen“, mit dem re-education-Gedanken verknüpfte, „die Einfuhr demokratischer Literatur nach Deutschland“ zu unterstützen.2 Gegen einen direkten „Antrag auf Wiedererrichtung des P.E.N. in Deutschland wäre wohl heftiger Widerstand entstanden“, wie Berendsohn nach London berichtete.3 Das zeigte sich im Jahr darauf in Zürich. Offenbar durch Nachrichten über die Stockholmer Tagung und Kontakte mit Exil-Autoren sahen sich Schriftsteller in den verschiedenen Besatzungszonen und in Berlin ermutigt, als einzelne oder gemeinsam Briefe an den Sekretär des Internationalen PEN Hermon Ould zu schreiben.4 Kleine Gruppen ehemaliger PEN-Mitglieder fanden sich in München, Hamburg und Berlin zusammen. In München gehörten – um hier nur die Beteiligten an der späteren Neugründung zu nennen – dazu: Erich Kästner, Ernst Penzoldt, Rudolf Schneider-Schelde und Johannes Tralow, der der rührigste Organisator, Listen- und Briefschreiber wurde. In Hamburg: Hans Leip, Martin Beheim-Schwarzbach, Hans Henny Jahnn, Axel Eggebrecht und Wilhelm Leh-

1 Aus dem Gedicht: Die Zeit der Wunder (1947). 2 Zitiert nach Übersetzung in: Der deutsche PEN-Club im Exil. 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 380, Dokument 527. 3 Walter A. Berendsohn an Alfred Kerr (5. 6. 1946). In: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 380, Dokument 528. 4 Hierzu und allem Folgenden vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121), besonders Kap. 2–4 (S. 50–227).



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mann.5 Aus Berlin nahm Johannes R. Becher im Namen von Herbert Eulenberg, Erich Kästner, Ilse Langner, Dr. Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Günther Weisenborn und Ernst Wiechert Kontakt zu Ould auf. Er schloss mit der Überzeugung, „daß im Interesse nicht nur unseres Volkes, sondern aller Völker eine internationale Verbindung des Schrifttums wieder angebahnt werden muß“.6 Die Namensliste lässt auf ein vorangegangenes Gespräch mit Kästner schließen.7 Antinazi- bzw. antifaschistische Grundhaltung, was seinerzeit noch unbefangen synonym gebraucht wurde, galt in München wie Hamburg und Berlin als selbstverständliche Voraussetzung. Die ‚Stildifferenz‘ zwischen dem Präsidenten des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und dem Münchner Kollegenkreis war anfangs nicht politisch konnotiert. Zu größtmöglicher Sorgfalt bei der Auswahl der Gründungsmitglieder mahnte Ould auch in seinem Antwortschreiben an Tralow, sie müssten für die anderen Zentren vertrauenswürdig (responsible) sein.8 PEN-Zugehörigkeit vor 1933 begründete ausdrücklich keine Ansprüche.9 Aus Londoner Sicht ging es im Gegenteil darum, „Anbiederungsversuche der Anderen“ abzuwehren, wie Robert Neumann, der wenig später einer der Vizepräsidenten des Internationalen PEN wurde, mit Bezug auf Hans Friedrich Blunck an Becher schrieb.10 Zum PEN-Kongress im Juni 1947 in Zürich waren auf Beschluss des internationalen Exekutivkomitees Kästner, Ernst Wiechert und Becher als Beobachter eingeladen.11 Kästner, zu dieser Zeit Feuilletonchef der Neuen Zeitung in München, genoss 5 Nach der Abschrift einer „Hamburger Liste für den P.E.N. Club von Hans Leip“ (5. 5. 1947). SBBPK, NL Tralow K 85 M 3. Von den 17 Genannten wurden nur 6 bis 1949 gewählt, Jahnn und Eggebrecht gehörten zur international bestätigten Gründergruppe. Laut Sonntag, Berlin, vom 1. Juni 1947 hatte sich in Hamburg eine „‚Sektion Nordwestdeutschland‘ des PEN-Clubs“ gegründet. 6 Johannes R. Becher an Hermon Ould (26. 7. 1946). AdK Berlin, JRBA 1210, englische Fassung unter der gleichen Signatur. Die Form der Adresse spricht für eine Übermittlung durch Boten. (Vgl. Anhang III.1) 7 Gelegenheit hierzu wäre u. a. bei Bechers München-Besuch im Mai 1946 gewesen. Vgl. Sven Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners. München und Wien: Hanser 1999, S. 351. 8 Hermon Ould an Johannes Tralow (6. 9. 1946), SBBPK, NL Tralow, beantwortet das Schreiben Tralows vom 9. 8. 1946, vorangegangene Briefe vom 27. 7. und 4. 8. 1946 hatten Ould offenbar nicht erreicht. 9 Hermon Ould an Johannes Tralow (18. 12. 1947). SBBPK, NL Tralow. 10 Robert Neumann an Johannes R. Becher (21. 9. 1946). AdK Berlin, JRBA 1202. Er zitierte Hans Friedrich Blunck, der geschrieben habe, „es sei nun wohl wieder an der Zeit, die kleinen Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit zu vergessen und die alte Freundschaft wiederaufzunehmen“. 11 Robert Neumann hatte Becher am 17. 12. 1946 avisiert, er werde auf der Sitzung des Exekutivkomitees am 23. 1. 1947 den Antrag stellen, die Genannten einzuladen. AdK Berlin, JRBA 1207, Bl.  2. Die gleichen Namen, dazu noch Weisenborn, enthielt auch ein Telegramm Heinrich Manns und Lion Feuchtwangers, in dem sie die Exekutive des Internationalen PEN ersuchten, die Genannten zur erwähnten Exekutivtagung einzuladen, vgl.: Vorstandssitzung des Deutschen PEN am 6. Januar 1947 […], Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (im Folgenden DEA), EB 77/27, 475 (1947 Januar–Mai); vgl. auch Wilhelm Sternfeld an Johannes Tralow (26. 1. 1947), SBBPK, NL Tralow, ders. an dens. (19. 2. 1947), ebd. (die Rolle Hermann Friedmanns, des

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besonders in London Sympathien als „unbescholtener Nicht-Emigrant“;12 der national-konservative Wiechert, damals noch ein viel gelesener Autor, war wegen seiner Widerstandshaltung und zeitweisen KZ-Haft – wenngleich nicht unbestritten13 – international angesehen; Becher war prominenter Remigrant und als „Vertreter des Kommunismus“ eingeladen.14 Bedenken gegen ihn gab es speziell unter Exilautoren,15 sie gründeten vermutlich zur Hauptsache in Erinnerungen an dessen Linksradikalismus während der Weimarer Republik. Über Persönliches hinaus galten sie der für Kommunisten verpflichtenden Priorität der Parteibindung.16 Die Vorbehalte richteten sich zu dieser Zeit nicht gegen eine Mitgliedschaft, doch entschieden gegen eine herausgehobene Stellung kommunistischer Autoren.17 Der Antrag auf Gründung eines Zentrums in Deutschland bei „genaue[r] Kontrolle der aufzunehmenden Mitglieder durch eine Spezialkommission und das Exekutivkomitee“, stieß auf Widerspruch bei Autoren aus den während des Krieges von deutschen Truppen besetzten Ländern.18 Besonders die belgischen Delegierten und der französische Résistance-Autor Vercors fanden die Zulassung eines deutschen Zentrums verfrüht bzw. hielten „erhebliche Restriktionen und Kontrollen“ für nötig.19 Thomas Mann, der als Ehrengast und amerikanischer Staatsbürger am Kongress teilnahm, bekundete Verständnis für diese Bedenken, trat aber für die „erhebliche Minorität“ ein, die „unter der Abgeschnittenheit von der übrigen Welt“ leide.20 Ernst Wiechert berief sich in seiner Wortmeldung auf allgemein-humanistische Ideale. Becher Vorsitzenden der Deutschen Gruppe, betonend). Friedmann hatte dem Exekutivkomitee mitgeteilt, dass die deutsche Gruppe „den dringenden Antrag stellen wolle: der XIX. Internationale Kongreß in Zürich möge beschließen, die Wiedereinrichtung eines PEN-Clubs in Deutschland nunmehr in die Wege zu leiten“. Zitiert nach: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 383. 12 Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht, S. 323. Kästner war auch schon nach Stockholm eingeladen gewesen, aber an den für Deutsche geltenden Reisebeschränkungen gescheitert, vgl. Erich Kästner an Pony Bouché (30. 10. 1946). In: Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! Ausgewählte Briefe von 1909 bis 1972. Hrsg. von Sven Hanuschek. Zürich: Atrium 2003, S. 93. 13 Einwände gab es von tschechischer Seite, sie wurden aber in London nicht akzeptiert, vgl. Protokolle der Mitgliederversammlung des deutschen P.E.N. vom 6. März und 3. April 1947. DEA, EB 77/27 517, S. 1; 531, S. 2. 14 Hermann Friedman lt. Protokoll der Mitgliederversammlung, 3. 4. 1947. DEA EB 77/27 531, S. 3. 15 Alfred Kerr an Walther A. Berendsohn (18. 4. 1946). In: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 378–379, Dokument 526. 16 Vgl. u. a. Vorstandssitzung des Deutschen PEN in London am 15. April 1947. DEA, EB 75/177 D.I.4.a, S. 1. 17 Ossip Kalenter an Wilhelm Sternfeld (17. 8. 1947). DEA, EB 75/177 A.I.3, S. 4, Sternfeld an Kalenter (25. 9. 1947), DEA, EB 75/177 A.II.3, S. 3. 18 b-i: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3  (1947)  7, S.  71. b-i steht für Günther Birkenfeld, vgl. Robert Neumann an Johannes R. Becher (15. 2.  1947), AdK Berlin, JRBA 1368, sowie Becher an Birkenfeld (20. 3. 1947), AdK Berlin, JRBA 865. 19 b-i: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 72. 20 Ebd.



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stimmte Vercors‘ Klage über das Leid in den okkupierten Ländern zu, warnte aber vor „Ressentiments“, denn die „ganze Wahrheit“ sei, „daß auch hunderttausende Deutsche dem Hitlerterror zum Opfer gefallen sind“, „die Welt“ müsse endlich zur Kenntnis nehmen, „daß es auch in Deutschland eine Resistance [sic] gab“.21 Nach längeren Debatten einigten sich die stimmberechtigten Delegierten auf die Installierung einer „Garantiekommission“. Sie sollte sich aus drei Vertretern der seinerzeit besetzten Länder, einem emigrierten und einem „zu-Hause-gebliebenen“ Deutschen sowie dem internationalen Generalsekretär zusammensetzen.22 Erich Kästner, der sich im Plenum auf die vorgesehene Rolle eines Beobachters beschränkt hatte, verbarg in seinem Bericht für die Neue Zeitung nicht seine Enttäuschung über diese Verlängerung der „faktische[n] und geistige[n] Quarantäne Deutschlands“ und äußerte Skepsis, ob eine solche Kommission „angesichts der vielen Grenzpfähle und Postschwierigkeiten überhaupt aktionsfähig“ sein würde.23 Ould nahm die übernommene Verpflichtung sehr ernst. Offenbar auf Einladung Bechers nahm er am 4.–8.  Oktober 1947 am 1.  Deutschen Schriftstellerkongress in Berlin teil.24 Die auf dem Kongress beobachteten Spannungen zwischen den ehemaligen Alliierten25 sowie den westlich oder östlich orientierten deutschen Gegnern der Nazi-Diktatur verstärkten offenbar den Wunsch, enger mit der Münchner Gruppe als mit Becher in Berlin zusammenzuwirken. Als Becher von der „vorbereitenden Gruppe in München“ um sein Einverständnis mit einer auf Veranlassung Oulds von ihr zusammengestellten Namensliste gebeten wurde,26 warnte er vor „Verwicklungen“,27 wenn 21 (Johannes R. Becher): Die ganze Wahrheit. In: Sonntag, 29. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 73, s. a.: Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Band 17: Publizistik III: 1946– 1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1979, S. 163–166. 22 b-i: Internationaler PEN-Kongress in Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung, 5. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 7, S. 73; Friedrich Burschell: Bericht über den zweiten internationalen Nachkriegskongreß des Pen-Clubs in Zürich. In: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 383–385. Ebd. ist hinsichtlich der Zusammensetzung der Garantiekommission die Rede von „einem Vertreter der Schriftsteller in Deutschland“, die Vertreter aus den besetzten Ländern kamen aus Polen, Dänemark und den Niederlanden. Näheres im Kapitel „Vorgeschichte (1946–1950)“ bei: Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 56–58. 23 Erich Kästner: Reise in die Gegenwart: In: Neue Zeitung (München), 23. 6. 1947, zitiert nach: Presseschau in: Aufbau 3 (1947) 8, S. 138–139 (u. d. T.: Die deutsche Frage). 24 Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.–8.  Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997, Oulds Beiträge S. 129–131 und S. 429–430. Aus der späteren Gründergruppe waren neben Becher anwesend: Elisabeth Langgässer, Birkenfeld, Friedrich Wolf, Eggebrecht, Weisenborn, Anna Seghers, Penzoldt und Tralow. 25 Vgl. die Wortmeldungen von Melvin J. Lasky und Valentin Katajew, in: Reinhold u. a. (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 295–301 und 336–337. 26 Johannes Tralow an Johannes R. Becher [13. 2. 1948]. AdK Berlin, JRBA-PEN 11544, abgedruckt in: Sonntag 3 (1948) 14 vom 11. April, S. 10. 27 Johannes R.  Becher an Johannes Tralow (13. 3. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11547, im gleichen Sinne schon am 23. 2. 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11545, beide Texte ebenfalls in: Sonntag 3 (1948) 14 vom 11. April, S. 10.

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eine solche Liste nur von einer Zone aus aufgestellt werde. Er nutzte die Gelegenheit, um wieder unmittelbar mit Ould in Kontakt zu kommen, dem er erklärte, „wir wollen doch den P.E.N.-Club für ganz Deutschland zulassen und nicht daraus eine einseitige Angelegenheit machen“.28 Bechers PEN-Bemühungen waren von Anfang an mit seinen in den Moskauer Exil-Erfahrungen wurzelnden Deutschland-Hoffnungen verknüpft sowie mit seiner Absicht, eine relativ eigenständige, überparteiliche „Intellektuellenarbeit“29 zu betreiben.30 Auch im Zusammenhang damit war ihm die künftige Mitgliedschaft in der einzigen internationalen Schriftstellerorganisation sehr wichtig. Dies umso mehr, als sein mit dem Kulturbund verfolgtes bündnispolitisches Konzept gerade nach dem Schriftstellerkongress von westlicher wie östlicher Seite in die Krise gebracht wurde.31 Die Wiederbegründung eines PEN-Zentrums in Deutschland hatte sich bis dahin nahezu abseits von dem im Umfeld in Gang kommenden Kalten Krieg vollzogen. Die erste öffentliche innerdeutsche Auseinandersetzung um das künftige PEN-Zentrum begann, als Friedmann Anfang April 1948 der Presse mitteilte, er habe „im Einverständnis mit der Erich-Kästner-Gruppe in München“32 in der Exekutivratssitzung des Internationalen PEN „die folgenden zehn deutschen Schriftsteller aus allen vier Besatzungszonen“ als „Neugründer des 1934 aufgelösten deutschen PEN-Clubs“ vorgeschlagen: Wiechert, Kästner, Tralow, Schneider-Schelde, Penzoldt, Eulenberg, Leip, Reinhold Schneider, Becher und Seghers.33 Der Tagesspiegel, die amerikanisch lizenzierte Berliner Tageszeitung, kommentierte am gleichen Tage: „Berlin ist in dem Kreis der Neugründer nicht vertreten.“ In einem Brief an Friedmann erklärten die Unterzeichner, zu denen auch Birkenfeld gehörte: „Wir Berliner Schriftsteller weigern uns, Johannes R. Becher und Anna Seghers als unsere Vertreter anzuerkennen.“ Denn die „Mehrzahl der Berli28 Johannes R. Becher an Hermon Ould (13. 3. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11548. 29 Johannes R.  Becher an das Sekretariat des Zentralvorstandes der SED (8. 12. 1947). In: Carsten Gansel (Hrsg.): Der gespaltene Dichter. Johannes R. Becher. Gedichte, Briefe, Dokumente 1945–1958. Berlin: Aufbau Taschenbuch 1991, S. 42. 30 Dies bestätigt für die ersten Nachkriegsjahre auch: Alexander Behrens: Johannes R. Becher. Eine politische Biographie. Köln, Weimar und Wien: Böhlau 2003, S. 225–228 und S. 236–240. Vgl. auch Magdalena Heider: Politik – Kultur – Kulturbund. Zur Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945–1954 in der SBZ/DDR. Köln: Wissenschaft und Politik 1993 sowie Ursula Heukenkamp: Becher fuhr nicht nach Wrocław. In: Sven Hanuschek, Therese Hörnigk und Christine Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen: Niemeyer 2000, S. 173–196. 31 Vgl. Behrens: Johannes R. Becher, S. 240 und 243–246. 32 Kästner, der auf energisches Zureden Bechers der innerdeutsche Vertreter in der Garantiekommission geworden war, hatte wegen Pass-Schwierigkeiten nicht nach London fahren können und seine Stimme Friedmann übertragen, Erich Kästner an Hermann Friedmann (19. 3. 1948), in: Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 389f. 33 DPD-Meldung in: Neue Zeitung, 3. 4. 1948. Die Namensliste stimmt überein mit einer nach Besatzungszonen geordneten undatierten Aufstellung Names and adresses of German Writers, proposed as the members of a new German P.E.N. Club by the German P.E.N. in London and by Mr. Erich Kaestner, Munich, member of the Preparatory Commission. SBBPK, NL Tralow K 85 M 3.



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ner Schriftsteller“ zähle „keineswegs zu den Anhängern des Kommunismus“.34 Becher reagierte im persönlichen Briefwechsel mit Birkenfeld und durch Veröffentlichung der Texte mit dem Hinweis auf seine Korrespondenz mit Tralow im Februar 1948,35 aus der hervorgehe, „dass ich von Anfang an für eine Berliner Vertretung eingetreten bin“.36 Auf seine Anregung hin suchte der Vorstand des seinerzeit noch gesamtberlinischen Schutzverbandes deutscher Autoren (SDA) nach einem Kompromiss und schlug Weisenborn und Hermann Kasack als Vertreter für Berlin vor. Am XX. Internationalen PEN-Kongress, der vom 31. Mai bis 5. Juni in Kopenhagen stattfand und die Wiederaufnahme eines innerdeutschen Zentrums akzeptierte, nahm aus Deutschland nur Becher teil.37 Die statutengemäß erforderliche 20-köpfige Gründerliste war im Exekutivkomitee mit dem „vorbereitenden Ausschuss“ (Garantiekommission), dem internationalen Generalsekretär, Friedmann und Friedenthal von der Londoner Deutschen Gruppe „unter Hinzuziehung“ Bechers und des „über die deutschen Verhältnisse orientierten“ Peter de Mendelssohn38 zusammengestellt worden. Verbliebenen Vorbehalten im Plenum kamen Becher und Friedmann durch den Vorschlag entgegen, den vorbereitenden Ausschuss noch bis zum nächsten Kongress bestehen zu lassen und bis dahin nur von der Gründergruppe einstimmig gewählte weitere Mitglieder aufzunehmen. Die Namensliste und die „Resolution über die Gründung einer innerdeutschen PENGruppe“ wurden „durch Akklamation“ bestätigt. Sie enthielt die „dauernde Bedingung“, „keinen Schriftsteller aufzunehmen, der zu irgendeiner Zeit in der Nazi-PropagandaOrganisation, insbesondere in einem der vormals von Deutschland besetzten Länder, beschäftigt gewesen ist“.39 Die Gründergruppe bildeten: Kästner, Becher, Seghers, Eulenberg, Tralow, Birkenfeld, Penzoldt, Schneider-Schelde, Reinhold Schneider, Weisenborn, Ludwig Renn, Plievier, Kasack, Langgässer, Jahnn, Eggebrecht, Dolf Sternberger, Paul Wiegler, Wolf und als Ehrenmitglied Friedmann. Sechs der Genannten waren aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt, vier von ihnen waren Kommunisten, drei wegen aktiven Widerstands verfolgt, die Übrigen waren als Gegner der Hitler-Diktatur in unter34 An den PEN-Club. In: Tagesspiegel, 3. 4. 1948. 35 Vgl. Anm. 27. 36 Johannes R. Becher an Günther Birkenfeld (5. 4. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11552. 37 Einsprüche des polnischen und jiddischen Zentrums gegen das Projekt eines deutschen PEN hatten Kästner bewogen, Anfang Mai in einem Brief an Ould seine Teilnahme abzusagen, nach: Johannes Tralow an Johannes R. Becher (7. 5. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11575. Im gleichen Brief schlug Tralow vor, „von uns aus“ Friedmann in „unsere Aufnahmegremien“ zu wählen. „Auf diese Weise wäre die deutsche Gruppe in London immer über unsere Absichten in bezug auf Neuwahlen unterrichtet, ohne daß wir uns etwas vergeben würden.“ 38 Peter de Mendelssohn war 1945–1948 „Presseberater der britischen Kontrollkommission in Berlin“. Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der deutschen Presse. Überarbeitete und erweiterte Aufl. Frankfurt am Main, Berlin und Wien: Ullstein 1982, S. 9 (Vorwort). 39 Hilde Spiel: Schriftsteller in Kopenhagen. In: Sie, 12. 6. 1948. – Zur Rolle des „Vorbereitenden Ausschusses“ und seines Weiterbestehens bis zum nächsten Internationalen PEN-Kongreß vgl. auch: Peter de Mendelssohn: Der PEN-Club. In: Tagesspiegel, 13. 6. 1948. (Vollständiger Resolutionstext in: Anhang III.2)

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schiedlichem Maße benachteiligt oder bedrängt worden, mindestens aber gezwungen gewesen, auf unverbindliche Unterhaltungsliteratur auszuweichen. Melvin Lasky, der schon auf dem 1.  Deutschen Schriftstellerkongress in einem Plädoyer für die „kulturelle Freiheit“ die „totalitäre Diktatur“ in der Sowjetunion zur Sprache gebracht hatte40 und 1950 Organisator des Kongresses für kulturelle Freiheit war, kommentierte die „Illusion des PEN-Clubs“: „das demokratische Deutschland“ habe zwar „einen seiner bedeutendsten internationalen Erfolge seit Kriegsende errungen“, aber: „Die kommunistische Frage, die ‚russische Frage‘, wurde eifrig vermieden. Was würde der treffliche, redegewandte Becher zum Beispiel tun, um die Bürgerrechte und die geistige Freiheit seiner schriftstellerischen Kollegen im Jahre 1948 zu verteidigen?“41 Dem internationalen Sekretariat des PEN hielt er vor, einen Protest gegen die Maßnahmen, „mit denen das neue Prager Regime die kulturelle Freiheit beseitigt hat“, aus intellektueller Bequemlichkeit abgelehnt zu haben. Argumente, die in den späteren Auseinandersetzungen um die Mitgliedschaft Bechers, kommunistischer Autoren überhaupt und um den PEN selbst vorgebracht wurden, waren hier schon einmal versammelt. Zunächst kam es aber zu einer Krise, die ein anderes Spannungsfeld erkennen ließ. Nach der Rückkehr aus Kopenhagen wurde Becher eine Literaturzeitschrift vom Oktober  1933 „überreicht“. Zu jener Zeit war der Vorstand des deutschen PEN schon von Nazi-Autoren okkupiert.42 Unter den Mitgliedern eines Ausschusses war Tralow genannt. Nach Abstimmung mit Mendelssohn,43 mit dem zusammen er sich „persönlich für die Integrität der […] Gründungsmitglieder verbürgt“ habe, forderte Becher Tralow auf, „im Interesse unter [unserer] gemeinsamen Sache hier die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen“.44 Abschriften der Meldung aus dem Jahre 1933 sandte er an Friedmann und Ould.45 Tralow setzte sich in zwei Rundbriefen an die übrigen Gründungsmitglieder vehement zur Wehr. Zur Sache selbst verwies er darauf, wie er sich Bemühungen von Nazi-Dienststellen um ihn entzogen habe.46 In 40 Ursula Reinhold und Dieter Schlenstedt: Vorgeschichte, Umfeld, Nachgeschichte des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses. In: Reinhold u. a. (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 48–51; Laskys Rede: S. 295–301. 41 Melvin J. Lasky: Illusion des PEN-Clubs. Die Tagung in Kopenhagen. In: Tagesspiegel, 8. 6. 1948. 42 Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde, 36 (Oktober 1933–September 1934) 1, S. 62, als Redaktionsschluss ist der 8. 9. 1933 angegeben. Als Vorstandsmitglieder sind genannt: Hanns Johst, Hans Hinkel, Rainer Schlösser, Johann von Leers, Edgar von Schmidt-Pauli, Hanns Martin Elster, Erich Kochanowski. 43 Vgl. S. 173 u. Anm. 38. 44 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (10. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11594, enthalten auch in SBBPK, NL Tralow. 45 Johannes R. Becher an Hermann Friedmann (10. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11593; Becher an Hermon Ould (11. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11595. 46 Johannes Tralow: An die Gründungsmitglieder der Deutschen Gruppe des Internationalen P.en. [sic]. Betr. Klage des Herrn Johannes R. Becher gegen Herrn Johannes Tralow (15. 6. 1948). SBBPK, NL Tralow K 86 M 50.



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seinem zweiten Schreiben empörte er sich über die „Diktatur Becher“, ihr Ziel sei: „Aus der Deutschen Gruppe soll eine SED Organisation werden.“47 Wie Tralow, der in seinem Kopenhagen-Kommentar, gegen Lasky gerichtet,48 die Überparteilichkeit des PEN betont hatte,49 in seinen Solidarisierung heischenden Rundbriefen und in der ausufernden Korrespondenz mit Friedmann50 zu antikommunistischen Klischees griff, sagt einiges über das politische Umfeld. Die Stiche gegen Becher deuten auch auf Spannungen zwischen in Deutschland gebliebenen und aus dem Exil zurückgekehrten Autoren. Schriftliche Reaktionen erhielt Tralow von Jahnn, Reinhold Schneider, Eulenberg und Eggebrecht. Sie bedauerten den Konflikt und rieten zu gütlicher Einigung.51 Friedmann ließ Becher nach Beratungen mit seinen Londoner Vorstandskollegen und Ould wissen, „dass die Sache nicht von der Art ist, dass eine Aufforderung an Tralow, aus der Gründerschaft auszuscheiden, statthaft wäre“.52 Vermutlich auf Veranlassung Bechers richteten die „in Berlin wohnhaften Mitglieder der deutschen PEN-Gruppe“ an Friedmann die Bitte, „bis zu unserer Gründungsversammlung Herrn Tralow nicht als Ihren Beauftragten zu betrachten“.53 Unterzeichner waren Wolf, Becher, Birkenfeld, Kasack, Wiegler und Weisenborn. Die gemeinsame Aktion von Autoren aus Ost- und West-Berlin ist insofern bemerkenswert, als sie trotz der seit dem 24. Juni 1948 bestehenden sowjetischen Berlin-Blockade zustande kam, die die Viersektorenstadt zwar nicht territorial, aber politisch tiefer spaltete. Es gab zu dieser Zeit anscheinend noch Reste einer „Wir Berliner“-Haltung im Spannungsverhältnis zur ‚Provinz‘, wie sie sich in der Pressekampagne nach der Veröffentlichung der ersten Zehnerliste im April gezeigt hatte.54 Tralow, dem es neben der Anti-Becher-Kampagne offenbar um die Verankerung des PEN-Zentrums im Westen Deutschlands ging, verstärkte daraufhin gegenüber 47 Johannes Tralow: Betrifft: Becher contra Tralow (17. 6. 1948). SBBPK, NL Tralow K 86 M 50. Beigefügt waren u. a. Abschriften des Becher-Briefes vom 10. 6. und Tralows Antwort darauf vom 15. 6. 1948 (AdK Berlin, JRBA-PEN 11598), adressiert war die Sendung an alle westdeutschen bzw. Westberliner Mitglieder außer Günther Weisenborn. 48 Vgl. S. 174 und Anm. 41. 49 Johannes Tralow: Die Lage des P.E.N. In: Welt und Wort 3 (1948), S. 242. 50 Aus der Zeit zwischen dem 15. Juni und 18. Oktober 1948 haben sich 31 Briefe an Friedmann, zwischen dem 3. Juni und 18. Oktober 1948 13 Nachrichten Friedmanns an Tralow erhalten. SBBPK, NL Tralow. 51 Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow (21. 6. 1948); Reinhold Schneider an Tralow (22. 6. 1948); Herbert Eulenberg an Tralow (18. u. 28. 6. 1948); Axel Eggebrecht an Tralow (16. 7. 1948). Alle SBBPK, NL Tralow. 52 Hermann Friedmann an Johannes R.  Becher (25. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11601. Im gleichen Sinne Hermon Ould an Becher (22. 7. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11617. 53 Johannes R. Becher an Hermann Friedmann (3. 7. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11610. Abschriften des Schreibens und des „beigefügten Briefwechsel[s] Becher – Tralow“ gingen an die dreizehn übrigen Mitglieder der Gruppe. Laut Friedmann an Tralow (22. 7. 1948), SBBPK, NL Tralow, wurde ihm die „gemeinsame Bitte“ durch Mendelssohn übermittelt. 54 Vgl. S. 172f., Anm. 34 und 36. Johannes Tralow an Hermann Friedmann (19. 7. 1948), SBBPK, NL Tralow, vermutet einen „Berlin-Komplex“.

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Friedmann seine Warnungen vor Berlin als Haupt- bzw. Sekretariatssitz und eventuellem Tagungsort.55 Das gemeinsame Schreiben der Berliner an Friedmann bewirkte, dass fortan Schneider-Schelde die Briefe zur Vorbereitung der konstituierenden Versammlung unterzeichnete.56 Die praktische Arbeit erledigte auf Bitten Friedmanns weiterhin Tralow.57 Die für Mitte August vorgesehene konstituierende Sitzung58 verzögerte sich infolge der Berlin-Blockade und der vorangegangenen Währungsreform. Vom 18. bis 21. November 1948 kamen fünfzehn der zwanzig international bestätigten Gründungsmitglieder zur Konstituierung des PEN-Centrums Deutschland in Göttingen zusammen. Aus Berlin fehlte nur Anna Seghers, außerdem Eulenberg, Langgässer, Renn und Plievier. Verglichen mit vorangegangenen Pressekontroversen und internen Misstrauensbekundungen fällt an dem 47-seitigen Stenographischen Protokoll der überwiegend gelassen kollegiale Umgang der Anwesenden miteinander in den z. T. langwierigen Diskussionen auf.59 Da man sich nicht mehr an den Alliierten Kontrollrat wenden konnte und eine Betonung des Zonenaspekts vermeiden wollte, einigte man sich, die einzelnen Besatzungsbehörden gleichzeitig von der Konstituierung der deutschen Sektion des Internationalen PEN-Clubs zu unterrichten. Die vorgesehene „Schlichtung“ der Becher-Tralow-Affäre bewerkstelligte Friedmann, indem er Bechers „Gewicht“ in Kopenhagen herausstellte und Tralow erklärte, das bloße Gewähltwerden in jenen Ausschuss sei kein Hinderungsgrund für seine Zugehörigkeit zur Gründergruppe, bei seiner Verteidigung aber habe er „unbesonnen gehandelt“, denn: „Das Schlimme ist, dass er sofort mit dem Vorwurf reagiert hat, ‚das sei Parteipolitik‘. Das durfte er nicht tun. Das richtete sich auch gegen unser ganzes P.E.N.Unternehmen. Solche Dinge dürfen bei uns nicht ausgesprochen werden.“ Friedmanns Versöhnungsformel – „Sie erkennen an, dass wir in einer menschlichen und

55 Johannes Tralow an Hermann Friedmann (5. und 19. 7., 9. und 12. 8. [der vollständige Text trägt das falsche, handschriftlich ergänzte Datum „12. 7. 48“, die Erwähnung von Göttingen bestätigt die richtige Datierung auf dem unvollständigen Text]); im gleichen Sinn schon am 30. Juni 1948, sämtlich SBBPK, NL Tralow. 56 Friedmann hatte Birkenfeld telegraphiert, dass Schneider-Schelde die organisatorischen Vorarbeiten übernehme, Birkenfeld teilte den Unterzeichnern und Anna Seghers mit, er habe Friedmann namens der Berliner via Peter de Mendelssohn gedankt (Günther Birkenfeld an Johannes R. Becher , Eingangsvermerk: 5. 8. 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11620). In dem Schreiben, das Friedmann erhalten hatte, stand Birkenfelds Name an der Spitze – vgl. Hermann Friedmann an Johannes Tralow (22. 7. 1948). SBBPK, NL Tralow. 57 Hermann Friedmann an Johannes Tralow (9. 8. 1948). SBBPK, NL Tralow. 58 Hermann Friedmann an Johannes R. Becher (25. 6. 1948). AdK Berlin, JRBA-PEN 11601. 59 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645. Die Nummerierung beginnt dreimal von vorn, eine Tageseinteilung ist nur indirekt zu erschließen.



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überparteilichen Verbundenheit zusammenarbeiten wollen“ – stimmten Tralow und Becher schließlich zu.60 Der Antrag der Münchner Gruppe, die „provisorische Leitung“ bis zur nächsten Generalversammlung bestehen zu lassen, die nach dem nächsten internationalen Kongress in Venedig einberufen werden sollte, und erst dann Neuwahlen vorzunehmen, wurde in der Diskussion verworfen.61 Eine solche Vorgehensweise hätte die Kopenhagener Einstimmigkeitsforderung und mögliche internationale Einsprüche umgangen und eine Dominanz der Münchner Gruppe gefestigt. Bechers Vorschlag, schon jetzt weitere Mitglieder zu wählen, fand Zustimmung. Auch konnte er die Anwesenden überzeugen, dass sich angesichts der politischen Lage für die Mitglieder in der „Ostzone“ Schwierigkeiten ergäben, wenn man einen Präsidenten wählte, der in London lebte.62 Den Vorschlag eines Dreiergremiums mit einem Vertreter für die „drei Westgebiete“, einem aus der Ostzone und Friedmann brachte Birkenfeld ein.63 Gegen verschiedene Einwände argumentierte Kasack mit positiven Erfahrungen im Berliner Schutzverband Deutscher Autoren.64 Hinsichtlich der Struktur des Vorstands und seines provisorischen Charakters einigte man sich auf die Formulierung: „Die Leitung des P.E.N.-Centrums Deutschland liegt in den Händen von 3 gleichberechtigten Mitgliedern, so lange, bis zu einem günstigeren Zeitpunkt ein Präsident gewählt wird.“65 Als erster wurde Friedmann durch Akklamation gewählt, die übrigen in geheimer Zettelwahl. Becher, vorgeschlagen durch Birkenfeld, mit 12 Stimmen, für die „Westgebiete“ Penzoldt mit 7 (Kästner erhielt 6 Stimmen, Schneider-Schelde und Sternberg je 1). Zu Sekretären wurden Kästner und Schneider-Schelde bestimmt, zum Sitz des Sekretariats München.66 Die Anwesenden wählten eine ungenannt bleibende Zahl Kollegen hinzu.67 60 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, [Teil I], S. 14–21 (S. 18 wurde offenbar als zu detailreich entfernt), hier S. 16 und 21. 61 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, II. Teil, S. 1. Siehe auch Anhang III.3. 62 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin JRBAPEN 11645, II. Teil, S. 3. 63 Ebd., S. 5. Die Anregung, ein Präsidium statt eines Präsidenten zu wählen, ging von Friedmann aus, der sie mit Becher besprochen habe. Vorstandssitzung des PEN Clubs Deutscher Autoren im Ausland bei Prof. Hermann Friedmann, am 2. Dezember 1948. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 2. 64 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, II. Teil, S. 8. 65 Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBAPEN 11645, III. Teil, S. 2. 66 Ebd., S. 2–5. 67 30 erreichten offenbar die nötige Zustimmung der abwesenden Mitglieder der Gründergruppe – vgl. Anhang I. P.E.N.-Club deutscher Autoren im Ausland (Sitz London): Mitteilungsblatt Nr. 2, S. 3, nennt die Zahl 34. Enthalten in SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. – Für Vorschläge, über die man sich nicht klar werden konnte, wurde auf Anregung Sternbergers eine Prüfungskommission bestellt, bestehend aus Sternberger, Birkenfeld, Weisenborn und Tralow (auf Vorschlag Friedmanns), undatierter „Privatbericht Prof. Friedmanns“ über Göttingen, offenbar für seine Londoner Vorstandskollegen, DEA,

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Standespolitische Resolutionen galten –– der Aufhebung der Preisstop-Verordnung und der Forderung nach „freie[m] Austausch der Druckwerke“, der „durch zonale Sperrungen und Verbote zur Zeit unmöglich gemacht“ werde,68 –– dem Projekt „Kulturpfennig“ (Einführung einer Abgabepflicht aus der Verwertung frei gewordener Urheberrechte zugunsten lebender Autoren, von Hinterbliebenen und literaturfördernden Kultureinrichtungen) –– dem „Recht auf Freizügigkeit“ („ausländische und deutsche Behörden“ sollten „den Mitgliedern des P.E.N.-Centrums Deutschland ohne weitere Nachprüfungen Visa, Pässe und andere benötigte Papiere ausstellen“).69 Die Präambel betonte im Anschluss an Punkt 3 und 4 der PEN-Charta die spezielle Verpflichtung deutscher Autoren, Antisemitismus zu bekämpfen. Sie schloss mit einem Aufruf zu Friedenspolitik im „Zeitalter der Atombombe“,70 den Friedmann rückblickend als „sehr stark de[n] russischen Gesichtspunkten Rechnung“ tragend kommentierte.71 Die Kompromissfähigkeit der Gründergruppe verdankte sich dem konsequenten Vermeiden jeder direkt politischen Diskussion, das dem PEN-Verständnis des designierten Präsidenten Friedmann entsprach, daneben den Kopenhagener Anforderungen72 und wahrscheinlich nicht zuletzt der angespannten weltpolitischen Situation, von der das Pathos der Friedenssehnsucht in der Präambel geprägt war. Zwei kleinere Mitgliedertagungen fanden am 12. April und vom 2. bis 4. Juni 1949 statt. In Hamburg kamen Friedmann und die drei Münchner Vorstandsmitglieder mit fünf weiteren Gründungsmitgliedern zusammen.73 Man besprach Organisations- und Statutfragen. Die Anwesenden einigten sich auf 22 Zuwahlvorschläge.74 Als Delegierte zum Internationalen PEN-Kongress im September 1949 in Venedig wurden Friedmann und Kästner gewählt. Am folgenreichsten war, dass Tralow zum Schatz-

EB 75/177 D.I.5.a, sowie: Vorstandssitzung des PEN Clubs Deutscher Autoren im Ausland bei Prof. Hermann Friedmann, am 2. Dezember 1948, DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 2. 68 Hans Henny Jahnn hatte berichtet, der Militärgouverneur von Hamburg habe „den Besitz und Erwerb von Druckwerken, hergestellt in der sowjetischen Zone, verboten“. Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, [Teil I], S. 13. 69 Anlage zum Stenographischen Protokoll. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, unpaginiert, Bl. 2 (vermutlich zur abschließenden Pressekonferenz verteilt, beginnt Bl. 1 mit „Präambel“). 70 Vgl. Anhang III.4. Die Präambel wurde von einer Redaktionskommission, bestehend aus Friedmann, Birkenfeld und Wolf, unter Mitwirkung von Jahnn, Kasack und Reinhold Schneider formuliert. Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, III, S. [11] (Paginierungsfehler, S. 10 doppelt). 71 Vorstandssitzung des PEN Clubs Deutscher Autoren im Ausland bei Prof. Hermann Friedmann, am 2. Dezember 1948. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 1. Den Text habe Friedrich Wolf mitgebracht. 72 Vgl. S. 173 und Anhang III.2. 73 Siehe Anhang II. 74 Siehe Anhang I.



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meister „bestellt“ wurde.75 In Bielefeld trafen sich Friedmann, Tralow und Birkenfeld mit den in Göttingen Gewählten Kasimir Edschmid, Horst Lange, Fritz Usinger und Alfred Kantorowicz (Ostberlin). Die Beratungen kreisten um Reiseschwierigkeiten und Vertriebsbeschränkungen für deutsche Bücher sowie das angesichts der vorläufig begrenzten Mitgliederzahl besonders prekäre Finanzierungsproblem.76 Vom 15. bis 18. November 1949 fand die fällige Jahresversammlung in München statt. Das deutsche Zentrum war seit dem internationalen PEN-Kongress in Venedig endgültig souverän, wenn auch Erich Kästner als deutscher Delegierter hatte erfahren müssen, dass „das Ressentiment noch ungeheuer“ war.77 In München kamen 14 bzw. 16 Mitglieder zusammen.78 An Diskussionen beteiligten sich Friedmann, Kästner, Tralow, Schneider-Schelde, Kasack, Weisenborn, Usinger und Birkenfeld, anwesend waren – wie aus Pressemitteilungen hervorgeht – auch Penzoldt, Wilhelm Hausenstein, Horst Lange, Hermann Kesten, Hanns Wilhelm Eppelsheimer und Martin Kessel.79 Aus dem Osten war niemand dabei, vermutlich waren so kurz nach Gründung der DDR die Aus- und Einreisemodalitäten ungeklärt.80 Weisenborn wirkte als Vertreter Bechers und der ostdeutschen Mitglieder.81 Wegen der „bestehenden Zonenverhältnisse“ blieb es ohne Einspruch bei einem 3-köpfigen Präsidium. Die anschließende geheime Wahl ergab lediglich eine Umgruppierung des Vorstandspersonals. Geschäftsführender Präsident: Friedmann, 1. weiterer Präsident: Becher, 2. weiterer Präsident: Kästner, Generalsekretär: Penzoldt, Schatzmeister: Tralow.82

75 Tagung des deutschen Zentrums des PEN-Clubs in Hamburg am 12. April 1949. SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. 76 PEN-Zentrum Deutschland. Tagung vom 2. bis 4. Juni 1949 in Bielefeld. SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. 77 Hermann Friedmann in: Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in München vom 15. 11.–18. 11. 1949. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll, S. 1. SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. Im Folgenden: Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). Detaillierter Richard Friedenthal in: Vorstandssitzung des Deutschen PEN am 19. 10. 49 bei Dr. Friedenthal. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 1. 78 Es existiert keine Anwesenheitsliste. Die Zahl 14 ergibt sich aus den Abstimmungsergebnissen in: Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. Hinzu kamen die erst in München selbst gewählten Oda Schaefer und Alfred Neumann. 79 Vgl. Am Rande PENdelnd. In: Süddeutsche Zeitung, 19./20. 11. 1949, S. 8; Tralow: Das Gesicht des deutschen PEN. In: Neue Zeitung (München), 21. 11. 1949, S. 3. 80 Noch am 2. November hatte Becher an Walter Bauer geschrieben, dass er am 14. November zur PEN-Tagung nach München komme (Johannes R.  Becher: Briefe 1909–1958. Hrsg. von Rolf Harder unter Mitarbeit von Sabine Wolf und Brigitte Zessin. Berlin und Weimar: Aufbau 1993, S. 392). Erst am 11. November hatte er in einem Telegramm an Kästner seine Teilnahme wegen der Vorbereitung des Kulturbundkongresses abgesagt (AdK Berlin, JRBA-PEN 11678). Das erklärte aber nicht das Fernbleiben der übrigen ostdeutschen Mitglieder. 81 Vgl. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37, S. 3 und 6. 82 Ebd., S. 2f.

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Die einstimmig angenommene Satzung83 bestätigte die Präsidiumskonstruktion (§ 6, ohne Hinweis auf den provisorischen Charakter84); sie legte u. a. fest, dass: mindestens einmal im Jahr eine Mitgliederversammlung zusammentritt (§ 4); Voraussetzung für die Aufnahme die „Veroeffentlichung hinreichend gewichtig befundener Literaturwerke in deutscher Sprache“ ist, der Antrag von zwei Mitgliedern schriftlich einzubringen ist, die Aufnahme durch Zweidrittelmehrheit einer Mitgliederversammlung erfolgt (§§ 2, 7, 8); der Vorstand ermächtigt ist, finanzielle Hilfe anzunehmen (§ 11);85 die „Bildung von Landesgruppen zur Foerderung der Ziele des PEN-Zentrums gestattet“ ist (§ 12). Einstimmig verabschiedet wurde auch die folgende Resolution: Das PEN-Zentrum Deutschland wendet sich mit Entschiedenheit gegen Massnahmen und Tendenzen in allen Teilen Deutschlands, die das freie literarische Schaffen beeinträchtigen. Die direkte oder indirekte Zensur widerspricht der internationalen PEN-Charter. Wir protestieren auch heute schon gegen die Einführung eines sog. Schmutz- und Schundgesetzes, weil wir seine missbräuchliche Anwendung kennen und fürchten.86

Die Münchner Kollegen des Vorstands, speziell Kästner, gingen energisch an die Umsetzung dieses Beschlusses und brachten in der Bundesrepublik die beabsichtigte öffentliche Kampagne in Gang.87 In München wurden die Namen der in Göttingen und Hamburg Gewählten bekannt gegeben.88 Auf der Tagung selbst wurden mit der von da an geltenden Zweidrittelmehrheit der Anwesenden weitere 42 Autoren hinzu gewählt.89 Es war die letzte Zuwahl vor der Teilung im Jahre 1951. Von den insgesamt 114 Gewählten nahmen 49 an wenigstens einer der sechs Tagungen teil, einige weitere traten als PEN-Mitglieder 83 Satzungen des PEN-Zentrums Deutschland, angenommen in der Mitgliederversammlung am 17. 11. 1949, Anlage zu: Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37. 84 Vgl. S. 177, Anm. 65. 85 In der Diskussion über das Finanzierungsproblem hatte Friedmann ausgeführt, damit „nicht der Wunsch nach Beiträgen am Ende das Niveau drücke“, brauche der PEN „Gönner und Freunde“, die ihn „aus idealistischen Gründen“ unterstützten, ohne seine „innere Freiheit […] zu lähmen“. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K 86 M 37, S. 2. 86 Ebd., S. 5. 87 Schon Anfang Februar 1950 hatten sich der Resolution „zwölf kulturelle Verbände angeschlossen“. Gegen das geplante Schund- und Schmutzgesetz. In: Neue Zeitung (München), 7. 2. 1950. 88 Auszug aus dem Sitzungsprotokoll (München). SBBPK, NL Tralow K  86 M  37, S.  1 und 3. Siehe Anhang I. 89 Bezüglich dieser 42 lässt sich nicht sicher feststellen, wer die Wahl angenommen hat. Belegt ist, dass Rudolf Hagelstange seine Ablehnung „mit der bisherigen Praxis, kommunistische Mitglieder zu akzeptieren“ begründete. Vgl. Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen. München: Oldenbourg 1998, S. 337. Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 399f., enthält eine Mitgliederliste vom 19. Juli 1950 mit 90 Namen, in ihr fehlen folgende noch im Exil lebende Autoren: Arnheim, Lichnowsky, Hardekopf, Heiden, Kracauer, Lion, Pinthus, von Radecki, Schoenberner, außerdem Georg Lukács. Den anschließenden Überlegungen ist die Zahl der Gewählten zugrunde gelegt.



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öffentlich in Erscheinung. Außer Hans Erich Nossack, Luise Rinser, Rudolf Hagelstange und Stephan Hermlin hatten alle schon in der Weimarer Republik – mindestens in Zeitschriften – publiziert. Entsprechend hoch war der Altersdurchschnitt. Nur etwa ein Drittel (32) war z. Z. der Münchner Tagung noch unter 50 Jahren, nur sechs unter 40. Exilerfahrung hatten 49 der Gewählten, in Nazideutschland gelebt hatten 65. Die meisten, soweit sie sich nicht als ‚unpolitisch‘ verstanden, wären wohl als liberal-konservativ bis linksdemokratisch zu charakterisieren. Zum Autorenkreis der Weltbühne hatten neun gehört,90 zur Gruppe 1925 elf,91 zum Kreis um die Zeitschrift Die Kolonne sechs,92 Mitglied im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller waren sechs.93 Allen gemeinsam aber war ein bürgerlicher Hintergrund. Andere kannten sich offenbar aus regionalen Zusammenhängen. Im ‚Osten‘ lebten 1949/50 vierzehn, davon neun in Berlin (Ost), aus Westberlin kamen ursprünglich ebenfalls neun. Der „Auszug aus dem Sitzungsprotokoll“ bot das Bild einer harmonischen Veranstaltung, Friedmann berichtete seinen Londoner Vorstandskollegen allerdings über „eine grosse Spannung zwischen Ost und West“, die jedoch überbrückt worden sei.94 Es war Birkenfeld, der diese öffentlich zu machen suchte. Sein Artikel „Die Gewissensfrage“ war der erste direkte Angriff eines PEN-Mitglieds gegen Kommunisten und deren Freunde im PEN-Zentrum Deutschland.95 Dabei nahm er Bezug auf die Forderung David Roussets, des Autors von L’Univers concentrationnaire, einer Kommission aus „ehemaligen französischen Opfern des deutschen KZ-Systems“ die „Besichtigung der russischen Zwangslager“ zu erlauben, und warf Becher, Wolf und Seghers, die die PEN-Charta unterzeichnet hätten, vor, sie sagten, obwohl sie es anders wüssten, „wenn sie überhaupt etwas sagen, daß nur Nazis in die (sogenannten) ‚Sicherungslager‘ kämen“. Speziell attackierte er Weisenborn. Dieser „Fellow-Traveller“ habe während eines abendlichen politischen Streits in München z. Z. der PEN-Tagung „angesichts eines unbestreitbaren Neo-Nazismus in Westdeutschland“ verkündet, es sei „ein Jammer, daß es nicht auch in den Westzonen Konzentrationslager gibt“.

90 Arnheim, Bloch, Eggebrecht, Feuchtwanger, Kästner, Leonhard, Mehring, Zuckmayer, Arnold Zweig. 91 Becher, Bloch, Brecht, Döblin, Haas, von Hollander, Kasack, Leonhard, Lion, Ludwig Marcuse, Mehring. 92 Belzner, Huchel, Kasack, Horst Lange, Langgässer, Oda Schaefer. 93 Becher, Brecht, Lukács, Renn, Seghers, Wolf. 94 Protokoll der Vorstandssitzung des PEN Club deutscher Autoren am 13. 12. 49 in der Wohnung Sternfelds. DEA, EB 75/177 D.I.4.b, S. 1. Vgl. auch Ernst Penzoldt und Erich Kästner an Johannes R. Becher (18. 11. 1939), AdK Berlin, JRBA-PEN 11680, die das Harmonische betonten, sowie Günther Weisenborn an Becher (21. 11. 1949), AdK Berlin, JRBA-PEN 11683, der als Konfliktpartner Birkenfeld und Kasack nannte. 95 Günther Birkenfeld: Die Gewissensfrage. In: Telegraf, 18. 12. 1949, S. 4 (d. h. im Teil Politik). Der Telegraf war eine von der britischen Militärverwaltung lizenzierte SPD-nahe Berliner Tageszeitung. Birkenfelds Angriff ist zugleich im Kampf der (Westberliner) SPD gegen die SED zu verorten.

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Weisenborn antwortete im Januar 1950 im Kurier.96 Er habe sich gegen Ende jenes „wirren Gesprächs […] mit aller Klarheit zu einer gerechten Justiz ohne Konzentrationslager“ bekannt. Gegen den von „Osten und Westen“ erhobenen Vorwurf der „Entscheidungslosigkeit“ erklärte er, sein „entscheidendes Grundprinzip“ sei der Frieden. Damit waren das zentrale Thema und das Argumentationsmuster der kommenden Auseinandersetzung innerhalb des deutschen PEN-Zentrums vorgezeichnet. Eröffnet wurde sie nicht zufällig in Berlin, wo die Gegensätze infolge des Zerfalls der Anti-Hitler-Koalition besonders ausgeprägt waren und die Beteiligten einander aus der hoffnungserfüllten frühen Nachkriegszeit persönlich kannten. Becher kommentierte den „hinterhältigen Angriff gegen Weisenborn […], ebenfalls wegen der sogenannten Konzentrationslager“ an zunächst verborgen bleibender Stelle, im Manuskript seines Tagebuchs 1950. Seine Erwägungen verraten – wahrscheinlich nicht unbeabsichtigt – ein Gefühl für die eigene prekäre Position.97 Die Tatsache des Stalinschen Lagersystems war für die kommunistischen Schriftsteller im PEN eine schwere Hypothek, zumal sie wie Becher und Wolf nicht ahnungslos waren, wenn ihnen auch das ganze Ausmaß der Katastrophe vielleicht wirklich nicht klar war. Bechers späteres Eingeständnis, man habe immer weniger über „gewisse Vorgänge“ gesprochen, die er „in der Sowjetunion erleben mußte“, bis man sogar den Monolog abbrach, im „nur allzu beflissene[n] Bestreben, das sozialistische Experiment, wie es sich in seiner aktuellen Wirklichkeit darbietet, mit einer Apologetik zu umgeben“,98 ist auch auf die frühen 1950er Jahre zu beziehen. Eine öffentliche Distanzierung wäre damals – im konkreten wie übertragenen Sinne – in einem Maße existenzgefährdend gewesen, wie es Schriftstellerkollegen, die aus einer ‚inneren Emigration‘ kamen, nicht erwarten konnten. In ihrer Mehrheit haben sie dies auch nicht getan. Birkenfelds Attacke gegen Weisenborn beschäftigte – ohne dass dabei auf die ‚einleitenden‘ Bemerkungen über Becher, Wolf und Seghers eingegangen wurde – die in München lebenden Mitglieder des Vorstands schon in ihrer ersten Sitzung am 3. Januar 1950.99

96 Grenzgänger der Humanität. In: Der Kurier, 23. 1. 1950, S. 3. Die redaktionelle Überschrift bezieht sich auf ein längeres Zitat aus „Birkenfelds Angriff“, „Weisenborns Antwort“ und das „Nachwort der Redaktion“. 97 Vgl. Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Bd. 12: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1969, S. 70 (Eintrag unter: 24. Januar, Dienstag). 98 Johannes R. Becher: Selbstzensur. In: Sinn und Form 40 (1988) 3, S. 543–551, hier S. 544, 546 und 550. Es handelt sich um Texte vom Juni 1956, die Becher 1957 aus den Druckfahnen des Poetischen Prinzips gestrichen hat, vgl. ebd., S. 679. 99 Protokoll der Vorstandssitzung des PEN-Zentrums Deutschland am 3.  Januar  50 [sic]. DEA, EB 75/177 D.I.5.e, S. 1.



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Vom 26. bis 30.  Juni 1950 fand in Berlin der 1.  Kongress für kulturelle Freiheit statt.100 Generalsekretär, d. h. praktischer Organisator des Kongresses war Melvin Lasky.101 Konzipiert als Gegenpol zu der sich antiimperialistisch definierenden und antiamerikanisch orientierten Weltfriedensbewegung suchte der Kongress gegen geistige Unfreiheit und Totalitarismus im sowjetischen Machtbereich liberale und konservative Intellektuelle, Sozialdemokraten, nichtkommunistische und antistalinistische Linke einschließlich prominenter Exkommunisten im antikommunistischen – und pro-amerikanischen – Sinne zu mobilisieren. Die Beteiligung der Letztgenannten gab den Gegenangriffen den Ton der Erbitterung. Am Kongress selbst nahmen aus dem PEN-Zentrum Deutschland Birkenfeld, Pechel, Plievier, Eugen Kogon, Hermann Kesten, Sternberger und Luise Rinser teil. Unter den Gästen waren Karl Friedrich Borée, Friedrich Luft und Walter Mehring. Ein Schriftstellerkongress in Ostberlin wurde eigens auf den 4. und 5. Juli 1950 verschoben, um ihn als Gegenveranstaltung zu inszenieren. Becher steigerte sich am Ende seines Schlusswortes in eine wüste Schmährede hinein, in der sich Versatzstücke aus dem Arsenal des Kalten Krieges häuften, vom „Spitzel- und Kriegsbrandstifterkongreß“ nach der Prawda bis zur Wendung, mit solchen Leuten müsse verfahren werden, „wie es Menschenfeinde verdienen und wie es Maxim Gorki in dem Satz ausgedrückt hat: ‚Wenn der Feind sich nicht ergibt, muß er vernichtet werden‘“. Das Gorki-Zitat war zugleich ein Stalin-Zitat.102 Eine peinliche Stalin-Apotheose bildete denn auch das Ende der Rede. Hinter den Tiraden ist durchaus noch Bechers seit der Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg bestehende Grundüberzeugung von der Friedensunfähigkeit des imperialistischen Systems auszumachen,103 deren Verschleierung er der Gegenseite vorwarf. In der Absicht, seinerseits das Verhältnis von Frieden und Freiheit zu bestimmen, verstieg er sich zu Ausbrüchen von der Art: „widerwärtig ist uns das Geschwätz dieser kriminellen Clique von der Freiheit der Persönlichkeit, hinter dem nichts anderes steckt als der Versuch, die Entfaltung der Persönlichkeit in 100 Zu Vorgeschichte, Intentionen und Verlauf sowie der Arbeit der gleichnamigen Institution: Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive?; zu personellen und finanziellen Verflechtungen der Institution vgl.: Frances Stonor Saunders: Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin: Siedler 2001; Kongressreferate, Teilnehmer- und Gästeverzeichnis in: Der Monat 22/23 (Juli/August 1950). 101 Vgl. Anm. 25 und S. 174, Anm. 40 und 41. 102 Johannes R. Becher: Schlußwort auf einem Schriftstellerkongreß. In: Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 348–358, die Angriffe gegen die Teilnehmer des Kongresses für kulturelle Freiheit: S. 354–358; Erstveröffentlichung unter dem Titel: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697–703. – Stalin hatte sich in einem Befehl vom 23. Februar 1942 auf Gorki (1930) bezogen, aus diesem Zusammenhang dürfte Becher das Zitat bekannt gewesen sein. 103 Vgl. Bechers Beitrag zur Neujahrsnummer 1950 der Täglichen Rundschau, in dem er als entscheidendes Lektüre-Erlebnis in der ersten Jahrhunderthälfte die Lenin-Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus nannte, unter dem Titel: Vom Geheimnis unseres Jahrhunderts oder Dank an ein Buch. In: Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 334–341.

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einem freien Volk zu verhindern und wieder Millionen von Persönlichkeiten auf den Schlachtfeldern den Heldentod der freien Persönlichkeit sterben zu lassen“.104 Dieser Auftritt Bechers diente als Anlass für den Versuch, die kommunistischen Autoren aus dem PEN-Zentrum auszuschließen. Trotz des ‚heißen Sommers‘ mit dem Kongress für kulturelle Freiheit und dem Ausbruch des Korea-Krieges scheinen Friedmann und die Münchner Vorstandskollegen, als sie Ende Oktober die Jahrestagung in Wiesbaden – statt Berlin, wie in München beschlossen – vorbereiteten, noch mit einer normalen Clubveranstaltung gerechnet zu haben. Zwei Mitgliedern aus dem Osten sollten die Rückfahrkosten und 25 D-Mark Tagegeld gezahlt werden. Die Tagesordnung enthielt u. a. den „sog. Fall Birkenfeld“ vom Dezember 1949.105 In Wiesbaden kamen vom 4. bis 7. Dezember 1950 24 Mitglieder zusammen, dabei zum ersten und einzigen Mal das dreiköpfige Präsidium. Zum Auftakt der Sacharbeit berichtete Kästner über die Anhörung „in Bonn“ zum Thema „Schund- und Schmutzgesetz“,106 die er „nicht befriedigend“ nannte, weil die Gesprächspartner nicht begriffen hätten, „weshalb der PEN sich wehrt“. Die Behandlung als „Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften“ hielt er für Tarnung.107 Zur immer wiederkehrenden Frage der Geldbeschaffung erklärte Friedmann, „man müsse sehr vorsichtig sein, wenn man Geld annehmen wolle, und sehr genau wissen von wem“.108 Ein Brief Pechels, Plieviers und Birkenfelds an das Präsidium wegen Bechers Attacke gegen die Teilnehmer des Kongresses für kulturelle Freiheit „überrascht[e] die Mehrzahl der Anwesenden“. In ihm beantragten sie die „Trennung von Becher und seinen Gesinnungsgenossen“, weil diese „als Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit und Unterdrückung, beständig und öffentlich im schroffen Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen PEN-CHARTA“ handelten.109 Eine Diskussion im Plenum wurde vermieden. Keiner der Ankläger war selbst gekommen. 104 Becher: Schlußwort auf einem Schriftstellerkongreß. In: Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 356. 105 Kurzer Bericht über die Vorstandssitzung des PEN-Zentrum Deutschland in München am 21. 10. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38 und AdK Berlin, JRBA-PEN 11720; zum „sog. Fall Birkenfeld“ vgl. S.185f., Anm. 95f. Auf der Tagung in Wiesbaden entschied man sich, ein Ehrengericht einzusetzen, Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 3. 106 Vgl. S. 180. 107 Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 1. Vgl. hierzu: Das drohende Schmutz- und Schundgesetz, darunter: Vortrag vor dem Bundestagsausschuss; Vier Gesichtspunkte; Erich Kästner: Ein paar Beispiele? Bitte sehr!; Stefan Andres: Die düsteren Perspektiven und Ein Sozialgesetz für die Jugend ist wichtiger. In: Das literarische Deutschland. Zeitung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 5. 12. 1950, S. 2. 108 Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 1. 109 Ebd., S. 3 und 2. Vgl. Anhang III.5.



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Dem Präsidium hatte nur eine ‚Blütenlese‘ vorgelegen, deren Quellenangabe überdies falsch war. Sie wurde nicht verlesen, um den Vorwurf zu vermeiden, der Tatbestand „sei nicht völlig und konkret dargestellt“. Becher versicherte, er habe keinen der Unterzeichner „gemeint oder genannt“. Friedmann schlug vor, den „ganzen Komplex“, weil er die „allgemeinen Prinzipien des PEN“ berühre, der „Exekutive des Internationalen PEN zur Beurteilung vorzulegen“. Dagegen stimmte nur BeheimSchwarzbach, weil so nur einer „effektiven Entscheidung aus dem Wege“ gegangen werde.110 Die Präsidiumsstruktur wurde einstimmig bestätigt, auch personell blieb es beim Alten. Gegen die Wiederwahl Bechers hatte sich Borée ausgesprochen, den Friedmann um Enthaltung bat. Tralow blieb Schatzmeister. Zum neuen Generalsekretär wurde Edschmid gewählt – als erstes Vorstandsmitglied, das nicht aus der Gründergruppe stammte. Am Rande der PEN-Tagung erklärte Becher vor Pressevertretern in Mainz auf die Frage nach Konzentrationslagern in der DDR: „Wir leugnen die Existenz dieser Lager keineswegs, doch befinden sich dort nur Kriegshetzer und Feinde der Sache des Friedens.“111 Das heißt, er reagierte nach dem Muster, das Birkenfeld schon ein Jahr zuvor den kommunistischen Autoren vorgehalten hatte.112 Pechel, Birkenfeld und Plievier gaben kurz nach der Wiesbadener Tagung bekannt, „sie haben dem Präsidium des deutschen Pen-Clubs mitgeteilt, daß sie den Sitzungen fernbleiben werden, solange der Präsident des kommunistischen Kulturbundes der Sowjetzone, Johannes R. Becher (SED) dem deutschen PEN-Club angehört“.113 Im Kongress für kulturelle Freiheit hatten die Protestierer für ihre aktive Nazigegnerschaft, zu der sie auch im Jahre 1950 Anlass sahen114 und die sich bei ihnen mit antikommunistischen bzw. antisowjetischen Überzeugungen verband, eine Identifikationsbasis gefunden, die auch kampagnefähig war. Im konkreten Fall war Birkenfelds Vorstoß aber gerade nicht von der Zentrale der noch im Aufbau befindlichen Organisation veranlasst.115 Die Wiederwahl Bechers ins Präsidium sowie dessen Äußerungen in Mainz und Frankfurt brachten dem PEN-Zentrum Deutschland eine Flut von Vorwürfen in der

110 Tagung des Internationalen P.E.N. Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38, S. 3. 111 [dpa]: Geist und Macht. In: Süddeutsche Zeitung 284 (1950), Ausriss in: DEA, EB 75/177 D.I.5.f. Vgl. Anm. 135 und 266. 112 Vgl. S. 181. 113 [ap]: Protest gegen PEN-Mitglied Joh. R. Becher, Ausriss in: DEA, EB 75/177 D.I.5.h (11. 12. 1950). 114 Vgl. S. 181. 115 Ein Solidaritätstelegramm des Amerikanischen Komitees für kulturelle Freiheit an das Berliner Büro des Kongresses (Von der schändlichen Führung Bechers lossagen. In: Neue Zeitung, 4. 2. 1951 und Nachdrucke) kam erst zustande, nachdem Lasky bei der Pariser Zentrale Unterstützung für Birkenfelds Initiative angefordert hatte. Vgl. Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive?, S. 340–342.

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Presse ein.116 Am lautesten war das Medien-Echo in Berlin. Neben Tagesspiegel, Neuer Zeitung und Monat, die Vorgänge im PEN regelmäßig beachteten, beteiligten sich daran speziell SPD-nahe Blätter. Hinzu kamen die einschlägigen RIAS-Sendungen Birkenfelds. In der gesamten Kampagne verflochten sich Becher-Verteufelung und PEN-Schelte. Diese lag auf der antineutralistischen Linie des Kongresses für kulturelle Freiheit. Aus der Mitgliedschaft meldeten sich neben den drei Protagonisten BeheimSchwarzbach, Borée, Sternberger, Otto Flake, Mehring, Stefan Andres und Hagelstange117 zu Wort. Im allgemeinen Presse-Echo hob sich der offene Briefwechsel zwischen Becher und Pechel118 von den schrillen Tönen des Kalten Krieges ab, die auch Pechel selbst an anderer Stelle119 und die Mehrheit der Genannten anschlugen. Beider Rückblick auf ihre Beziehung in der frühen Nachkriegszeit machte das Ausmaß der Entfremdung deutlich, die im Gefolge der Abgrenzung und der – speziell seit Mitte 1950 forcierten – Stalinisierung in der DDR120 zwischen engagierten Nazi-Gegnern unterschiedlicher geistiger Herkunft eingetreten war. Die sich ankündigenden ‚finsteren Zeiten‘ vertieften die Widersprüche in Bechers Verhalten: Stalin-Panegyrik in Vers und Prosa, aggressive Ausbrüche neben ernsthaftem Interesse an der weiteren Mitgliedschaft in der internationalen Schriftstellervereinigung für sich selbst und seine Kollegen in der DDR. Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Einschaltung Gerhart Pohls in den Fall der „kleinen katholischen Buchhändlerin“ Mocny ein, die wegen des Verkaufs von Schriften aus dem Westberliner Morus-Verlag zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Der Pressemeldung im Tag121 war ein persönlicher Brief an Becher vorausgegangen. Die Schilderung des Falles leitete Pohl mit der Bemerkung ein: „Worte über Sinn und Aufgaben des PEN-Zentrums Deutschland sind in den letzten Wochen wohl ausreichend gewechselt worden. Man sollte vom Deklamatorischen zum Konkreten gelangen.“ Er bezeichnete den Fall als „exemplarische Unterdrückung der Äusserungsfreiheit“ und forderte Becher auf, „das Recht wiederherzustellen oder eine Begnadigung zu bewirken oder im Falle einer Ablehnung beider Möglichkeiten durch den Staat öffentlich von dem Urteil abzurücken, in jedem Fall also der PEN-Charter zu genügen“.122 Pohl veran116 Näheres bei: Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 93–102. 117 Vgl. Anm. 89. 118 Johannes R.  Becher: Über das Persönliche hinaus … In: Sonntag 5  (1950)  52, 24. 12. 1950, S.  7; Rudolf Pechel: Antwort an Johannes R. Becher. In: Neue Zeitung (Berlin), 29. 12. 1950. Näheres vgl. Christine Malende: Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950. In: Hanuschek, Hörnigk und Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 197–234. 119 Rudolf Pechel: Opportunismus. In: Deutsche Rundschau 76 (1950) 12, S. 996. 120 Hermann Weber: Geschichte der DDR. München: dtv 1999, S. 136. 121 Gerhard [sic] Pohl gegen Becher. In: Der Tag, 18. 2. 1951. Der Tag war das Organ des Ostbüros der CDU. 122 Gerhart Pohl an Johannes R. Becher (15. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11787.



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lasste auch die seinerzeit prominenten katholischen Autoren Reinhold Schneider und Gertrud von le Fort, sich für Mocny einzusetzen.123 Becher wandte sich an Justizminister Fechner,124 der sein Ersuchen an die Berliner Justiz weiterleitete. Schließlich richtete Becher an den dafür zuständigen Generalstaatsanwalt ein Gnadengesuch, in dem er auf „die soziale Lage der Angeklagten“ abstellte, das am 25. März 1951 bewilligt wurde.125 Es blieb der einzige der Fälle, in denen Becher um Vermittlung gebeten wurde und in denen er wenigstens Auskunft zu erhalten suchte, der so positiv ausging.126 Im Unterschied zu den anderen lag hier das Urteil eines DDR-Gerichts vor. Mit unterschiedlicher Akzentsetzung bemühten sich Eggebrecht, Emil Belzner und Friedmann um Differenzierungen. Eggebrecht gab zu bedenken, dass es „auch drüben“ noch manchen „heimliche[n] Bruder im Geiste“ gebe.127 Friedmann führte aus: „Die allgemeine Sympathie für ein bestimmtes politisches System ist noch kein Beweis für die Solidarität mit diesem System in allen Dingen.“128 Auch Belzner bestand auf dem Nachweis einer persönlichen Schuld Bechers und hielt es – ähnlich wie Friedmann – für eine Aufgabe des PEN, „unpolitisch zu sein und selbst die gegensätzlichsten politischen Richtungen unter dem Signum der ‚Unteilbarkeit des Geistes‘ zu vereinigen“; dabei hielt er am Ideal einer deutschen Einheit fest.129 Edschmid schloss seinen Bericht über die PEN-Tagung, in dem er bei Erwähnung der Spannungen auf Namen und Polemik verzichtete: „Die PEN-Mitglieder in Wiesbaden, die zu vier Fünfteln aus dem Westen kamen, bekannten sich, getreu der Charta des Internationalen PEN zur Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands.“130 Ein Verweis auf die Brückenfunktion für eine Wiedervereinigung unterblieb. Edschmid 123 Reinhold Schneider an Johannes R. Becher (21. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11796; Gertrud von le Fort an Becher (25. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11800. 124 Johannes R. Becher an Minister Fechner (19. 2. 1951). AdK Berlin, JRBA 3768. 125 Bechers Schriftwechsel mit der Berliner Justiz. AdK Berlin, JRBA 3771–3774. 126 Vgl. Behrens: Johannes R. Becher, S. 269. 127 Axel Eggebrecht: Ich bleibe im PEN-Club! Eine Antwort an Theodor Plievier. In: Die Welt, 4. 1. 1951, Abdruck in: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: [o. V.] 1951, S. 22–24, hier S. 24. Eggebrecht dürfte vor allem an Kantorowicz gedacht haben, mit dem und Falk Harnack zusammen er seit 1949 am Projekt eines Ossietzky-Filmes bei der DEFA arbeitete. Vgl. Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch. Erster Teil. Berlin: Verlag Anpassung und Widerstand 1978, S. 416–419, Zitate aus Briefen Eggebrechts vom 8. 2. und 5. 10. 1950, S. 417–419. 128 Hermann Friedmann: „Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …?“ (zusammen mit einer Entgegnung Plieviers unter dem Obertitel: Um der notwendigen Klärung willen). In: Neue Zeitung (Berlin), 14. 1. 1951, S. 4. Abdruck beider Texte in: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 25–27 und S. 28–30. 129 [Emil Belzner]: Gegenseitige Achtung der Nationen. Die Erklärungen des deutschen PEN-Zentrums in Wiesbaden. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 12. 12. 1950. Vgl. (Emil Belzner): PEN/Becher. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 14. 12. 1950. 130 Kasimir Edschmid: „Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands“. Zur Wiesbadener Tagung des deutschen PEN-Zentrums. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 16./17. 12. 1950. Kursivierungen in der Quelle gesperrt.

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ging es darum, die Souveränität der internationalen Schriftstellerorganisation und ihrer deutschen Gruppe gegenüber tagespolitischen und ideologischen Forderungen zu betonen. Die Ostberliner Berichterstattung, die anscheinend erst auf Bechers Initiative in Gang kam, schnitt „das in Wiesbaden geführte Gespräch zwischen Ost und West“131 auf die aktuelle Deutschlandpolitik des östlichen Lagers zu, die angesichts der geplanten Wiederbewaffnung in Westdeutschland auf die Neutralisierung eines vereinigten Deutschlands zielte.132 Becher seinerseits benutzte die Wiesbadener Kompromisse mehrfach als Beispiel, um die Möglichkeit fruchtbarer Gespräche unter Deutschen zu demonstrieren.133 In diesem Sinne bezog sich auch der gemeinsame Brief von Becher, Brecht, Seghers und Arnold Zweig „An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes!“134 auf die Wiesbadener Tagung. Unausgesprochen reagierte er auch auf die PEN-Auseinandersetzungen, insofern er indirekt eine teilweise Abstandnahme von den Becherschen Rüpeleien andeutete. Die Verfasser fühlten sich gedrängt, vor aller Öffentlichkeit zu erklären, daß kein wie immer geartetes Ressentiment […] uns abhalten wird, jedem die Hand reichen, der ebenso aufrichtig wie wir den Frieden und die Einheit Deutschlands will. Der Wille zum Frieden ist für uns die oberste Instanz, der wir unsere Meinung, unsere Gefühle unterordnen.

Die drei Präsidenten und der neue Generalsekretär korrespondierten auch nach der Wiesbadener Tagung in sachlich-höflichem Ton miteinander. Edschmid musste Becher um den inkriminierten Aufbau-Artikel bitten, damit er ihn seinem Bericht an Ould beifügen konnte.135 Von Mitte Dezember 1950 bis Ende Februar 1951 beschäf131 Die deutsche Literatur ist unteilbar. Ergebnis der Tagung des deutschen PEN-Zentrums in Wiesbaden im Geist der Einheit und des Friedens. In: Neues Deutschland, 12. 12. 1950. Die erste Meldung hatte unter der Rubrik „Schriftsteller aus Ost und West an einem Tisch“ firmiert und die Tagung des PEN-Clubs nur nebenher erwähnt: Becher und Hermlin sprachen in Frankfurt (Main). In: Neues Deutschland, 10. 12. 1950. 132 In einem Brief vom 30. November hatte der DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl der Bundesregierung Besprechungen über die Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates vorgeschlagen. Der Brief folgte dem Beschluss der Prager Außenministerkonferenz vom 20./21. 10. 1950. Vgl. Deutschland im Kalten Krieg 1945–1963. Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum. Berlin: Argon 1992, S. 216. 133 Vgl. u. a. Die Position des Gegners ist schwach. Ein Interview des „Sonntag“ mit Johannes R. Becher. In: Sonntag 6 (1951) 6, 11. 2. 1951, S. 2. Es handelt sich vermutlich um ein Selbstinterview. 134 An alle deutschen Schriftsteller im Westen unseres Vaterlandes! In: Neues Deutschland, 11. 1. 1951, S. 3, zitiert nach Abdruck in: Sonntag, 14. 1. 1951. In diesem offenen Brief ist die Anregung zum Starnberger Schriftstellergespräch Ostern 1951 und zum ersten deutschen Kulturkongress im Mai 1951 in Leipzig zu sehen. 135 Kasimir Edschmid an Johannes R.  Becher (30. 12. 1950). AdK Berlin, JRBA-PEN 11757. Auf die Frage, was Becher in Mainz über „das System der Konzentrationslager“ wirklich gesagt habe, antwortete dieser gereizt, diese gebe es nicht, er habe sich „darüber ausgelassen, dass wir so human sind,



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tigten Tralow und Friedmann die übrigen Vorstandsmitglieder mit einer Privatfehde.136 Sie wurde zum einen der Anlass, dass sich zwischen dem Generalsekretär und Präsident Kästner eine intensive briefliche Zusammenarbeit einspielte. Zum anderen bot sie Tralow Gelegenheit, die Beziehung zu Becher wieder anzuknüpfen, der in der Ehrengerichtsfrage – wie Edschmid und Kästner – zur „möglichst anständigen und unskandalösen“ Bereinigung riet,137 im Übrigen aber gern Tralows Angebot annahm, ihn mit Pressestimmen aus München zu versorgen, und ihn im Weiteren als Stützpunkt nutzte. Vorstandsintern ging nach der Wiesbadener Wahl die Initiative an Edschmid und Kästner über. An sie wandten sich auch zwei Ratgeber aus der Londoner Exil-Gruppe, Wilhelm Sternfeld und Richard Friedenthal, die schon 1946/47 mit der Münchner Gruppe korrespondiert hatten.138 Sternfeld hatte als Gast an der Wiesbadener Tagung teilgenommen. Friedenthal, der Sekretär des PEN-Clubs Deutscher Autoren im Ausland, der 1951 Friedmann als dessen Präsident ablöste, war in Kopenhagen an der Auswahl der Gründergruppe beteiligt gewesen.139 Beide bemühten sich, Kästner und Edschmid die Interessenlage des Internationalen PEN und seines Generalsekretärs klarzumachen, die keine Forderung nach prinzipiellem Ausschluss von kommunistischen Autoren wünschten; diese seien in anderen Zentren normale Mitglieder, mit denen man per Geschäftsordnung fertig werde.140 Übereinstimmend missbilligten sie es, dass die Ankläger gegen Becher ihre Sache in Wiesbaden nicht persönlich vertreten hatten, und bedauerten deren Austritt und die öffentlichen Erklärungen.141 Die Ausdehnung der Ausschlussforderung „auf alle Autoren der Ostzone“ lehnten sie ab.142 Auch Friedmann erklärte zu dieser Zeit öffentlich, dass sie „von Anfang an nicht in Frage“ kam.143 Nach Kenntnis der Becherdiejenigen, die zum Krieg hetzen […] rechtzeitig zu verwahren um auf diese Weise Deutschland und darüber hinaus der ganzen Menschheit unsägliche blutige Verluste zu ersparen“. Becher an Edschmid (4. 1. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11762. Vgl. S. 185 und Anm. 266. 136 Hierzu wurde innerhalb des Vorstands (also einschließlich Tralows) fast ein halbes Hundert Briefe gewechselt. 137 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (6. 1. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11764 bzw. SBBPK, NL Tralow, auch 11. 1. 1951, AdK Berlin, JRBA-PEN 11768. 138 Vgl. SBBPK, NL Tralow. 139 Vgl. S. 172, sowie Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. Für die Mitteilung seiner Recherche-Ergebnisse aus dem Edschmid-Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach, auf die ich mich auch im Folgenden stütze, danke ich Herrn Prof. Dr. Sven Hanuschek. 140 Dieser Aspekt am deutlichsten bei Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (10. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 141 Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. und 15. 1. sowie  15. 2. 1951), Wilhelm Sternfeld an Edschmid (3., 10., 22., 24., 30. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 142 Vgl. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (15. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. 143 Hermann Friedmann: Informatorischer Zwischenbericht. In: Neue Zeitung (München), 14. 2. 1951, zitiert nach: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 31 (dort angeblich nach der Berliner Ausgabe).

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schen Äußerungen fanden Sternfeld und Friedenthal ihn zumindest in einer Präsidiumsfunktion nicht tragbar.144 Mehrfach gaben sie zu erwägen, statt Becher einen „weniger exponierten Repräsentanten der Ostzone“ ins Präsidium zu nehmen.145 Sternfeld dachte an Seghers, die allerdings im PEN-Zentrum noch nicht in Erscheinung getreten war.146 Der etwas später von Kästner geäußerte Gedanke, den hochbetagten Kellermann für diese Rolle vorzuschlagen, entsprach wohl dem Wunsch nach einer lediglich formalen Vertretung des Ost-Flügels im Präsidium.147 Die Idee einer mehr oder weniger einvernehmlichen Teilung des PEN-Zentrums Deutschland, die Sternfeld schon im Vorfeld der Wiesbadener Tagung geäußert hatte148 und die inzwischen auch Kästner zu überlegen gab, lehnte Friedenthal ab: „Ein Ost-PEN waere doch eine ganz eindeutig ‚ernannte‘ Affaire […]“.149 Auch Becher wäre zu dieser Zeit nicht im Geringsten an einer solchen Lösung interessiert gewesen.150 Am 5. April 1951 entschied das Exekutivkomitee des Internationalen PEN, nicht in die inneren Angelegenheiten des PEN-Zentrums Deutschland einzugreifen. Ihm hatten neben Edschmids und Friedmanns Darstellungen ein Brief der in der DDR lebenden Mitglieder vom 6. Februar 1951 an Ould und ein Schreiben des Zürcher PEN vorgelegen.151 Dessen „Begehren“, die „internationale Leitung des Pen“ müsse „sich mit den Zuständen im Deutschen Penclub befassen, da dessen Haltung infolge der Machtposition von Becher usw. den wichtigsten Grundsätzen unserer Institution zuwiderlaufe“,152 war möglicherweise ausschlaggebend, dass die Angelegenheit überhaupt auf die Tagesordnung kam, denn Ould hatte ursprünglich beabsichtigt, den Internationalen PEN nicht damit zu befasssen.153 Vermutlich in Absprache mit ihm empfahl Robert Neumann, zu dieser Zeit einer der internationalen Vizepräsiden144 Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (22., 24. 1. und 11. 2. 1951) (auch in der beigelegten Kopie eines undatierten Briefes an Kästner), vgl. auch Sternfeld an Edschmid (3., 10., 30. 1. 1951); Richard Friedenthal an Edschmid (8. 1. und 15. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. 145 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951), DLA, NL Edschmid, hier noch in rückblickenden Erwägungen zur Wiesbadener Tagung. 146 Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (3. und 22. 1. 1951), Sternfeld an Erich Kästner [o. D.] (beigelegt einem Brief an Edschmid vom 11. 2. 1951, hierin außerdem genannt: Brecht, Renn, Zweig). DLA, NL Edschmid. 147 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (20. 4. 1951; erster Brief von diesem Tage). DLA, NL Edschmid. 148 Wilhelm Sternfeld an Rudolf Pechel (29. 11. 1950). BArch Koblenz, N 1160 II/76 (NL Pechel); Sternfeld an Kasimir Edschmid (3. und 10. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 149 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951). Vgl. auch Friedenthal an Edschmid (15. 1. 1951). DLA, NL Edschmid. 150 Vgl. S. 192. So sah es auch Gerhart Pohl in einem Brief an Rudolf Pechel (1. 2. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 151 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (9. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. Aus Friedenthals Inhaltsangabe eines verlesenen Becher-Briefs geht hervor, dass es sich um o.  g. Schreiben handelte. AdK Berlin, JRBA-PEN 11777. 152 Vgl. Robert Faesi an Rudolf Pechel (17. 3. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 153 So übereinstimmend Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid (15. 2. 1951), Richard Friedenthal an Edschmid (15. 2. 1951), Erich Kästner an Edschmid (20. 2. 1951). DLA, NL Edschmid.



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ten, die Angelegenheit „als nicht fuer das Forum des Exekutiv-Komitees geeignet zu erklaeren“. Es blieb also bei einer Aussprache.154 Kästner zeigte sich verärgert über den Internationalen PEN und meinte: „Ohne eine Mitgliederversammlung einzuberaumen, könnte ja nur sehr wenig geschehen.“155 Edschmid war gegen eine Versammlung, denn „das gibt nur ein Zufallsergebnis!“ Er entwarf den Plan eines Rundschreibens an die Mitglieder etwa zu folgenden Fragen: „Sind Sie dafür, dass alles beim alten bleibt?/ Wünschen Sie eine Neuwahl des Präsidiums?/ Wünschen Sie, dass der PEN in Zwei Sektionen in Ost und West geteilt wird?/ Wünschen Sie anstelle Bechers einen anderen Vertreter der Ost-Zone usw.“156 In einem Brief an Kästner, zu dem nur die Antwort vorliegt, scheint er eine schriftliche Abstimmung über die Zusammensetzung des Präsidiums vorgeschlagen zu haben. Angesichts der Unsicherheit über die Stimmung in der Mitgliedschaft – „Laut geworden sind ja nur die Extremisten. Wie groß ist nun die Zahl der Vernünftigen?“ – riet Kästner, „die Umfrage […] nicht als endgültige Abstimmung, sondern als unerläßliche Informationsquelle“ vor dem internationalen Kongress in Lausanne hinzustellen.157 In einem Gespräch Kästners mit Friedmann, Tralow und Penzoldt über Edschmids Vorschlag entstand die Idee, „vorher Becher auf mehr oder weniger gütlichem Wege zum Rücktritt aus dem Vorstand zu bewegen“.158 Dazu zeigte sich Becher nicht bereit und verwies auf möglicherweise daraus folgende Austrittsabsichten seiner Kollegen.159 Über ein kurz danach stattfindendes Gespräch mit Becher im Hause Desch berichtete Kästner: „Gegenstände der Unterhaltung waren, recht freimütig von beiden Seiten, die Zensur der kulturellen Beiräte in der DDR, der Fall ‚Lucullus‘, das […] OstWestgespräch in Starnberg usw.“160 154 Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (9. 4. 1951). DLA, NL  Edschmid. Robert Neumann schrieb Kästner eine „vertrauliche Ergänzung“ des zu erwartenden offiziellen Briefs von Ould, hierin erwähnte er die Stellungnahme des „Amerikaners“, der fand, Becher „habe einfach einen starken Ausdruck gebraucht, wie das im politischen Leben gang und gäbe ist“, Abschrift des Briefes von Neumann vom 11. 4. 1951 als Anlage zu Kästner an Edschmid (14. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. Der Wortlaut von Oulds offizieller Mitteilung an Friedmann vom 13. 4. 1951 findet sich als Abschrift in der Anlage zu Robert Faesi an Rudolf Pechel (18. 4. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 155 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (14. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. 156 Kasimir Edschmid an Hermann Kasack (16. 4. 1951). Eine Kopie der Kopie dieses Briefes verdanke ich Professor Dr. Sven Hanuschek, der sie mir 1998 nach Recherchen im Nachlass Kästners zugänglich gemacht hat. Edschmids Brief an Kästner, dem die Kopie beigelegt war, liegt mir nicht vor. 157 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (17. 4. 1951). DLA, NL Edschmid. 158 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (20. 4. 1951, erster Brief von diesem Tag). DLA, NL Edschmid, s. a. S. 194, Anm. 147. Vgl. auch Hermann Friedmann an Johannes R. Becher (20. 4. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11825. Wilhelm Sternfeld hatte schon vor der Londoner Exekutivtagung ein „guetliches Arrangement mit Becher“ als „vorteilhafter“ zu bedenken gegeben. Sternfeld an Edschmid (11. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. 159 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (20. 4. 1951, zweiter Brief von diesem Tag). DLA, NL Edschmid. Vgl. auch Johannes R. Becher an Hermann Friedmann (28. 4. 1951). AdK, JRBA-PEN 11829. 160 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (27. 4. 1951). DLA, NL  Edschmid. An der Unterhaltung am 25. April waren auch Lilly Becher, Erich Wendt, der Leiter des Aufbau-Verlages Berlin, Walter Kolben-

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Ohne länger auf Becher Rücksicht zu nehmen, den Friedmann und Edschmid aber vorab in Kenntnis setzten, bat der Generalsekretär am 12. Mai 1951 alle Mitglieder des Zentrums, „die drei Mitglieder des Präsidiums neu zu wählen“. Er begründete diesen „in den Satzungen nicht vorgesehen[en]“ Schritt mit den „zahlreichen Missverständnissen, Diskussionen und Polemiken“ nach der Wiesbadener Tagung; man wolle auf diese Weise „endlich einmal […] die Stimme des gesamten Plenums […] hören und nicht nur die Ansicht einer sich aus dem häufig schwachen Besuch der Tagungen ergebenden Minderheit“.161 Am gleichen Tag meldete die Neue Zeitung: „Kaiser-Ministerium nimmt zu Becher und PEN-Club Stellung“162. Gemeint war die Broschüre Die Freiheit fordert klare Entscheidungen163, die um den 20. Mai – anscheinend selektiv – an westdeutsche PENMitglieder geschickt wurde.164 Kästner etwa musste sie sich zunächst von einem Münchner Kollegen borgen. Das Interesse des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen am PEN-Zentrum war Anfang Februar erwacht,165 vermutlich im Zusammenhang mit dem Telegramm des Amerikanischen Komitees für kulturelle Freiheit.166 Es handelte sich um eine Zusammenstellung zumeist gedruckter Texte der PEN-Kontroverse zwischen November 1950 und Februar 1951, hauptsächlich von Mitgliedern.167 hoff und Mitarbeiter des Desch-Verlages beteiligt. Zum „Fall Lucullus“ vgl. Joachim Lucchesi (Hrsg.): Das Verhör in der Oper. Die Debatte um die Aufführung „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau. Berlin: BasisDruck 1993. 161 Der Generalsekretär: An die Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland (12. 5. 1951). SBBPK, NL Tralow K 86 M 39 sowie AdK Berlin, JRBA-PEN 11836. 162 Kaiser-Ministerium nimmt zu Becher und PEN-Club Stellung. In: Neue Zeitung (Frankfurt am Main), 12. 5. 1951, S. 2. 163 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: [o. V.] 1951. AdK Berlin, JRBA-PEN 12042. 164 Die unvollständige Versendung hat möglicherweise ihre Ursache darin, dass Rudolf Pechel, der am 9. April seitens des Ministeriums gefragt worden war, „durch wen die Anschriften aller Mitglieder des Deutschen PEN-Zentrums zu erfahren sind“, am 12. April 1951 nicht auf den Generalsekretär oder Schatzmeister, sondern auf Birkenfeld oder Borée verwiesen hatte. Beide Briefe im BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel). 165 Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, ZA 3a an die Redaktion der Zeitschrift Deutsche Rundschau (6. 2. 1951), BArch Koblenz, N  1160 III/64 (NL Pechel), bittet um eine Abschrift von Bechers offenem Brief an Pechel vom Dezember 1950 (vgl. S. 188, Anm. 118). Von Präsident Friedmann versuchte das Ministerium über den Wiesbadener Oberbürgermeister eine Abschrift des vollständigen Protokolls der Wiesbadener Tagung zu erlangen, Hermann Friedmann an Kasimir Edschmid (11. und 15. 2. 1951). DLA, NL Edschmid. Dort findet sich auch Erich Kästners Kommentar an Edschmid (29. 2. 1951). Von Seiten des PEN-Vorstands gab es offenbar keine ‚Zuarbeit‘. 166 Vgl. Anm. 115. 167 Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Günther Birkenfeld: An das Präsidium des PEN-Centrum Deutschland (20. 11. 1950), vgl. S. 184 und Anhang III.5; offener Briefwechsel zwischen Becher und Pechel, vgl. S. 186 und Anm. 118; Theodor Plievier: „Ich trete aus dem PEN-Zentrum aus“, nach: Neue Zeitung (Berlin), 30. 12. 1950 (dort anderer Titel); Axel Eggebrecht: „Ich bleibe im PEN-Club“, nach: Die Welt, 4. 1. 1951, vgl. S. 187; Hermann Friedmann: „Was bleibt der deutschen PEN-Gruppe …?“, Theodor Plievier: Antwort an Hermann Friedmann, beide Texte nach: Neue Zeitung (Berlin), 14. 1. 1951, vgl.



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Die 3-seitige ungezeichnete Einleitung „Der Tatbestand“ schwankte zwischen Apodiktik und dem Gestus einer wohlmeinenden Handreichung zur Entscheidungsfindung. Man wünschte nichts Geringeres, als den „Standort des deutschen Geistes neu zu bestimmen“. Die durch den „Fall Becher“ aufgeworfene „eigentliche Frage“ sei, „wie weit die alte und bislang so selbstverständliche Vorstellung einer geistigen Einheit Deutschlands durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre erschüttert worden ist, weil eine echte Repräsentanz deutschen Schrifttums in der Sowjetzone nicht mehr zur Geltung kommt“.168 Die forcierte Bemühung der Adenauer-Regierung um die Westintegration und die Wiederbewaffnungskrise, die als Hintergrund all dieser Vorgänge zu bedenken sind, scheinen in diesem Trennungsgebot des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen am deutlichsten auf. Edschmid hatte in seinem Wiesbaden-Bericht noch vom Bekenntnis „zur Unteilbarkeit des geistigen Deutschlands“ geschrieben.169 Jetzt zeigte er sich über die regierungsamtliche Einmischung nicht erbaut, fand die Lage seines Vereins aber gar nicht so schlecht, da man mit der schriftlichen Wahl schon vorher begonnen habe.170 Diese war inzwischen ins Stocken geraten, da Kasack bei Edschmid formell Protest eingelegt hatte.171 Kästner und Edschmid einigten sich, die Aktion als „Wahl-Vorumfrage“ zu nutzen.172 Bis dahin hatte, wie Edschmid registrierte, „der Osten nicht protestiert“.173 Erst nach einer Meldung in der Welt, Borée habe vorgeschlagen, „drei Kandidaten zur Auswahl an seine Anschrift mitzuteilen“174, protestierte Becher gegen das schriftliche Wahlverfahren in Briefen an Friedmann, Edschmid und Ould sowie einem Rundschreiben „An die Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums“.175 Gleichzeitig organisierte er eine Kampagne im Sonntag.176 In seinem eigenen Beitrag war die Rede von „Schriftsätzen S. 187 und Anm. 128; Hermann Friedmann: Zwischenbericht vom 14. Februar, vgl. S. 189, Anm. 143; John T. Becher: Ein Sohn schreibt an seinen Vater und Rudolf Hagelstange: Der Verrat aus Furcht, beide nach: Der Monat 29 (Februar 1951) – zu Hagelstange vgl. Anm. 89. 168 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen, S. 5. AdK Berlin, JRBA-PEN 12042. 169 Vgl. S. 187, Anm. 130. 170 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (26. 5. 1951). DLA, NL Kästner. 171 Vgl. Kasimir Edschmid an Johannes Tralow (22. 5. 1951). SBBPK, NL Tralow, sowie Erich Kästner an Edschmid (22. 5. 1951). DLA, NL Edschmid. Laut Edschmid an Kästner (26. 5. 1951), DLA, NL Kästner, hatte Kasack ihm nun erklärt, er habe nur „gewarnt“. 172 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (26. 5. 1951). DLA, NL Kästner. 173 Ebd. Hierbei erwähnte er, dass Zweig und Welk für das „alte Präsidium“ gestimmt hatten. 174 Unter der Rubrik Kulturmeldungen in: Die Welt, 26. 5. 1951. 175 Johannes R. Becher an Hermann Friedmann, an Kasimir Edschmid (28. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11838, 11840; an Hermon Ould (29. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11843. Das dreieinhalbseitige Rundschreiben ist handschriftlich datiert „29. 5. 51“ und mit dem Faksimilestempel versehen. AdK Berlin, JRBA-PEN 11844, auch SBBPK, NL Tralow K 86 M 39. 176 Vgl. Sonntag 6 (1951) 22, 3. Juni, S. 2: STG: Was geht im deutschen PEN-Zentrum vor?; (Johannes R. Becher): Ohne jede rechtliche Grundlage. Erklärung; Undemokratisch und ungesetzlich. Offener Brief an das Präsidium des deutschen PEN-Zentrums (Hermann Friedmann), gez. Kellermann, Seghers und Huchel; (Stephan Hermlin): Eine ernste Belastungsprobe. Brief an Kasimir Edschmid.

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[…], deren Verwendung und Kontrolle undurchsichtig ist“. Schon am 30. Mai schrieb er an Edschmid, dass „eine Anzahl von Mitgliedern […] sich entschlossen hat, […] eine PEN-Gruppe der Deutschen Demokratischen Republik zu bilden“; dies sei nach „Punkt 12 der Satzungen […] zulässig“.177 Bechers Absicht war nicht eine Teilung des Zentrums, sondern die Möglichkeit, für eine solche Gruppe eine Vertretung im Vorstand zu beanspruchen.178 Außerdem bat er Tralow, von sich aus Mitglieder anzuschreiben, damit die erforderlichen fünfzehn Unterschriften zusammenkämen, um vom Vorstand die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen.179 Abweichend von dem „rauhen Ton im ‚Sonntag‘“180, machte Huchel am gleichen Tag in einem ganz unpolemischen Rundbrief den Vorschlag, „eine Mitgliederversammlung nach Punkt 4 der Satzung einzuberufen, die die Vorgänge im PEN-Zentrum kameradschaftlich zu klären hätte“.181 Tags darauf lud Becher die „PEN-Club-Mitglieder der Republik“ zu einer Sitzung am 6. Juni in Berlin,182 nach der er Edschmid mitteilen musste, dass die Gruppenbildung „von der Mehrheit […] vorerst nicht gutgeheissen wurde“.183 Als sicher gelten kann, dass jedenfalls Kantorowicz, Brecht, Zweig, Huchel, Mayer, Leonhard und Bloch – abseits von Bechers politischen und taktischen Interessen – an ihrer Mitgliedschaft in einer gesamtdeutschen und vor allem internationalen Schriftstellervereinigung lag. Präsident Friedmann hatte inzwischen den Abbruch der schriftlichen Wahl öffentlich gemacht.184 Auf das Rundschreiben vom 12. Mai185 hatte nur etwa die Hälfte der Mitglieder reagiert, mit Stimmabgabe oder Ablehnung des Wahlverfahrens. Außer Kästner und Friedmann, die mehrheitlich bestätigt wurden, habe kein anderer mehr als fünf Stimmen bekommen. Gerade „die Leute“ hatten nicht gewählt, „die sich stark gegen die Brücke nach Osten ausgesprochen haben“. Edschmid spekulierte: „Wenn Becher den Osten hätte wählen lassen, wären sie glänzend durchgekommen.“186 Die Becher-Gegner befürchteten gerade diesen Effekt und übten Wahlabstinenz bzw.

177 Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid (30. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11845. Zur Satzung vgl. S. 180. 178 Vgl. S. 196 und Anm. 196. 179 Johannes R. Becher an Johannes Tralow (30. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11852. 180 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. 181 Peter Huchel an Sehr geehrter Herr Kollege (30. 5. 1951). SBBPK, NL Tralow bzw. AdK Berlin, JRBA-PEN 11851. Huchel hatte Kopfbögen von Sinn und Form benutzt, dessen Chefredakteur er war. Ob und inwieweit das mit Becher abgestimmt war, ließ sich nicht klären. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951) vermutete einen Rat Arnold Zweigs. Jedenfalls dürfte die Initiative dazu nicht von Becher ausgegangen sein. 182 Telegramm (31. 5. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11854. 183 Johannes R. Becher an Kasimir Edschmid (6. 6. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11866. 184 (Hermann Friedmann): PEN/Einberufung einer Versammlung. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 4. 6. 1951. Ein Datum für die Tagung nannte er nicht, erklärte aber Berlin als Tagungsort für fraglich. 185 Vgl. S. 192, Anm. 161. 186 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner.



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wünschten den Abbruch der schriftlichen Wahl.187 Auffallend ist, wie wenig die Mitglieder im Jahre 1951 voneinander wussten, z. B. verstand Edschmid nicht, warum Borée in der Sonntag-Kampagne angegriffen wurde, weil er von dessen Sammlungsversuch, den die Welt gemeldet hatte,188 nichts wusste.189 Über ein Gespräch mit Friedmann in Berlin, das am 12. Juni stattfand, berichtete Becher, dieser habe versichert, „dass die Einheit des deutschen PEN-Zentrums, als Symbol der Unteilbarkeit der deutschen Literatur, ihm vor allem am Herzen liege“, und ihm zugesagt, er werde sofort nach dem internationalen PEN-Kongress oder schon während diesem, eine Vorstandssitzung einberufen.190 Vom 22. bis 28. Juni 1951 fand in Lausanne der 23. Internationale PEN-Kongress statt. Als Delegierte des deutschen Zentrums waren Friedmann und Kästner nominiert, Edschmid war eingeladen, aber ohne Stimmrecht, da generell „nur zwei Delegierte“ erlaubt seien.191 Aus der DDR waren Becher, Hermlin und Zweig via Prag angereist.192 Zu einer Aussprache aller zunächst anwesenden Vorstandsmitglieder kam es nicht, weil Friedmann nur zur Sitzung des Exekutivkomitees am Vortag der Kongresseröffnung gekommen war, von der er Kästner und Becher berichtete. Dort sei „einmütig zum Ausdruck“ gekommen, „es nicht zum Konflikt oder zum Bruch mit den Schriftstellern der DDR kommen zu lassen“.193

187 Vgl. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid (12. 7. 1951). DLA, NL Edschmid: „Wie sollte man denn wählen?! Wenn keine Liste da war, wenn man keine Zeit hatte, sich zu verabreden? […] Man konnte doch aber nicht ins Blaue hinein drei Kandidaten benennen, auf die Gefahr hin, daß die geschlossene Front der Östlichen dann [unleserlich] durchdrang. Man konnte einfach nichts anderes tun, als durch Schweigen die Wahl zu vereiteln.“ Sein Aufruf in der Presse zur Aufstellung einer Kandidatenliste, um „die Katastrophe“ (Borée an Edschmid DLA, NL Edschmid) zu verhindern, sei verhallt. Vgl. auch Günther Birkenfelds Bitte an Rudolf Pechel ( BArch Koblenz, N 1160 III/64, NL Pechel), er solle Kasack zu einem aufklärenden Schreiben „an die anderen westdeutschen Mitglieder“ veranlassen. Kasack hatte aber schon bei Edschmid interveniert (vgl. S.  193 und Anm. 174). 188 Vgl. S. 193, Anm. 174. 189 Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. Er bezog sich auf Friedmanns Tadel Borées in: Hermann Friedmann: PEN/Einberufung einer Versammlung. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 4. 6. 1951. 190 Johannes R. Becher: Bericht über die Unterredung mit Professor Hermann Friedmann, geschäftsführender Präsident des PEN-Clubs (13. 6. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11881. Der Tonfall des zweieinhalbseitigen „Berichts“ lässt auf eine Parteiinstanz als Adressaten schließen, vgl. auch Anm. 192. 191 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. 192 Zur Genehmigung der Reise vgl. Protokoll 75 der Sitzung des Sekretariats des ZK [der SED] am 7. Juni 1951, Punkt 19. SAPMO BArch DY 30/J IV 2/3/ 202. Rudolf Pechels Anfrage bei Robert Faesi, an dessen früheres Interventionsangebot er sich erinnerte (vgl. Faesi an Pechel , BArch Koblenz, N 1160 III/64, NL Pechel), „Es ist wohl nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz diese Gäste nicht mit einem Einreisevisum begnaden wird“ (Pechel an Faesi, 18. 6. 1951, BArch Koblenz, N 1160 III/64, NL Pechel) hatte offenbar keinen Erfolg gehabt. 193 [Johannes R. Becher]: Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Club in Lausanne, S. 1. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891. Die Tonlage des Ganzen lässt eine Parteiinstanz als Adressaten vermu-

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In mehreren Gesprächen Kästners und Edschmids mit Becher, an denen zeitweise Friedenthal und Peter de Mendelssohn sowie Hilde Spiel, Ossip Kalenter, die österreichischen Delegierten Franz Theodor Csokor und Erika Hahnel teilnahmen,194 wurde diesem „immer wieder nahegelegt“ zurückzutreten, was er „hartnäckig“ verweigerte.195 In diesen Gesprächen war Becher auf den Gedanken einer relativ eigenständigen Gruppe der in der DDR lebenden Mitglieder zurückgekommen.196 Zu einem neuen Konfliktpunkt wurde der Versuch, eine „Friedensresolution“ des Internationalen PEN durchzusetzen. Mit Hilfe Robert Neumanns hatten Becher und Hermlin die amerikanischen Delegierten Ben Lucien Burman und Marc Conelly dafür gewonnen, eine von ihnen entworfene Resolution vorzuschlagen.197 Als Gäste waren sie selbst nicht dazu berechtigt. Es kostete einige diplomatische Mühen, die Annahme des Textes, der auch nach dem Urteil eines aktiven Kontrahenten „unschuldig genug“ war,198 zu verhindern. Sie wäre – so Mendelssohn – „in der ganzen Welt als Billigung und Unterstützung des kommunistischen Stockholmer Friedensmanifestes199 aufgefaßt worden“ und hätte „den Internationalen PEN-Club sozusagen hinter seinem eigenen Rücken an diese sowjetische Propagandaaktion gefesselt“. Den rettenden Ausweg fand der in PEN-protokollarischen Dingen erfahrene Friedenthal. Er formulierte einen weiter gehenden und daher vor der Resolution zur Abstimmung stehenden Antrag: Der Kongress begrüße „zwar den Geist dieses Antrags“, doch er solle erst „den einzelnen Zentren zur Abstimmung vorgelegt werden“.200 Die Verschiebung kam einer Ablehnung gleich. Sie wurde mit nur 16 ten, ein Exemplar ging nachweislich am 12. Juli 1951 an den Leiter des Komitees der Kämpfer für den Frieden, Heinz Willmann. AdK Berlin, JRBA-PEN 11896. 194 Nach Richard Friedenthals Lausanne-Bericht in: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland/Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. III. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 195 Richard Friedenthal an Wilhelm Sternfeld (25. 6. 1951). DEA, EB 77/27 844 a. 196 Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner, auch Kästner an Johannes R. Becher (12. 1. 1952). AdK Berlin, JRBA-PEN 12053. Im Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Clubs in Lausanne (vgl. Anm. 193) erläuterte Becher dem bzw. den Adressaten seine Vorstellung von einer „geteilten Einheit“; diese solle der DDR-Gruppe die Möglichkeit geben, „ihre Mitglieder selber zuzuwählen“ und für die internationalen Kongresse „einen eigenen Delegierten“ zu wählen. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891, S. 8. Zur Gruppenbildung vgl. auch S. 194. 197 [Johannes R. Becher]: Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Club in Lausanne, S. 2. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891, Text siehe Anhang III.6. 198 Peter de Mendelssohn: Propaganda-Manöver auf dem PEN-Kongreß. Sowjetzonale Delegation wollte „Friedensresolution“ lancieren. In: Neue Zeitung (Frankfurt am Main), 2. 7. 1951. 199 Der Stockholmer Appell richtete sich jedoch ausschließlich gegen den Gebrauch von Atomwaffen, was ihn zum Hassobjekt des Kongresses für kulturelle Freiheit (als Bewegung) machte. Eine Verwandtschaft des Resolutionsentwurfs mit ihm bestand allerdings in dem Gestus, sich an unterschiedslos alle Regierungen zu wenden. 200 Richard Friedenthal in: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland/Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. IV. Vgl. auch: Aus der Debatte über die Abstimmung der Friedens-Resolution, S. 2f. AdK Berlin, JRBA-PEN 11887 (das Typoskript basiert offenbar auf einer Mitschrift während der Diskussion im Plenum); sinngemäß auch: Peter de Mendelssohn: Propaganda-Manöver auf dem



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gegen 15 Stimmen akzeptiert, den Ausschlag gab die Stimme des Tagungsleiters. Kästner, der sich als konsequenter Pazifist verstand, sah sich in einer „grotesken Situation“: Als Einzelperson und Schriftsteller bin ich natürlich für den Frieden als Punkt der Charter. Aber als Delegierter sehe ich mich ausserstande[,] ohne die Meinung meiner Schriftsteller-(Kollegen?) zu kennen, abzustimmen. Sonst kommt dabei heraus, dass das deutsche PEN-Zentrum zerbricht.201

Das Groteske der Situation nahm er den Initiatoren der ursprünglichen Resolution übel. Seine bis in die Zeit der schriftlichen Neuwahl wahrnehmbare Vermittlerhaltung war aufgebraucht. Becher fühlte sich angesichts der nur knappen Abstimmungsniederlage nicht ent­ mutigt. Nach seiner Rückkehr begann er mit dem Versuch, die Mehrheitsverhältnisse bei künftigen Abstimmungen dieser Art zu beeinflussen. Über persönliche Beziehungen und mit Hilfe des Weltfriedensrates setzte er sich für die Wiederbelebung der PENZentren in den ‚Volksdemokratien‘ ein.202 Seinen nicht für die Öffentlichkeit, auch nicht für die PEN-Mitglieder in der DDR bestimmten Lausanne-Bericht203 schickte er außer an Heinz Willmann vom Komitee der Kämpfer für den Frieden auch an Georg Lukács und Ernst Fischer, mit denen er das Moskauer Exil geteilt hatte, an Leon Kruczkowski, den Sekretär des polnischen Schriftstellerverbandes, und an Paul Reimann in Prag. Becher ersuchte sie „um Überprüfung zur PEN-Club-Angelegenheit“, weil „es vom Standpunkt des Friedenskampfes unerlässlich ist, innerhalb des PEN-Clubs ernsthaft zu arbeiten“.204 Nach dem Scheitern der schriftlichen Wahl und der fehlgeschlagenen Kompromisssuche übernahm Edschmid energisch die Initiative. Unmittelbar nach dem Lausanner Kongress wandte er sich an den Bundestagsabgeordneten (CDU) und Mäzen Dr. Günther Henle vom Klöckner-Konzern mit der Bitte um eine Finanzierungshilfe PEN-Kongreß, in: Neue Zeitung, 2. 7. 1951 sowie Kasimir Edschmid: Der PEN-Club in Lausanne. In: Das literarische Deutschland 2 (1951) 16, 20. 8. 1951, S. 2. 201 Zitiert nach: Aus der Debatte über die Abstimmung der Friedens-Resolution, S. 4f. AdK Berlin, JRBA-PEN 11887. 202 Laut Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid (8. 1. 1951), DLA, NL Edschmid, waren zu dieser Zeit die „PEN-Klubs der Oststaaten […] so gut wie tot“ und wurden „lediglich par courtoisie auf der Liste beibehalten“. 203 Vgl. Anm. 193. 204 Johannes R.  Becher an Georg Lukács (12. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11897; gleichlautend an die anderen Genannten, JRBA-PEN 11898–11900. Vgl. auch noch nach der Teilung: Becher an Jorge Amado, Weltfriedensrat (15. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11989 (vgl. Anm. 284); [Becher] an Conseil Mondial de la Paix, Secrétariat Géneral, Praha (4. 1. 1952), AdK Berlin, JRBA-PEN 12047, mit der Bitte, die PEN-Zentren Polens, der ČSR, Bulgariens, Rumäniens und Ungarn zu veranlassen, zur Lausanner Friedensresolution Stellung zu nehmen und sich „gegen die Zulassung einer spezifischen westdeutschen PEN-Club-Gruppe in Deutschland [zu] wenden“.

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von „3 bis 4000 DM“ für die nächste Mitgliederversammlung: „Denn die meisten sind zu arm, um die Reise und die Tagungskosten tragen zu können.“ Es hänge „natürlich alles daran, die Majorität vom Westen her zu bekommen“.205 Eine solche Bitte um Sponsorengelder war nichts Ungewöhnliches.206 Es galt das Prinzip der Staatsferne, an das sich Edschmid zunächst auch zu halten bemühte. Henle übergab Edschmids Bittschreiben an das Auswärtige Amt. Dieses reichte es an das Bundesministerium des Innern weiter, das sich mit dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen in Verbindung setzte, von dem schließlich 3000 DM gezahlt wurden.207 Um die gleiche Zeit hatte Edschmid auch den Oberbürgermeister von Düsseldorf um Unterstützung gebeten, der sich bereit erklärte, Gastgeber der PEN-Tagung zu sein.208 Gegenüber Kästner argumentierte Edschmid: „Wenn wir […] treugläubig die Tagung ansetzen und es kommen nicht genug Leute, die unseren Lausanner Standpunkt teilen, dann ist es aus.“ Der deutsche PEN müsse sich dann „wegen unlösbarer Schwierigkeiten suspendieren lassen oder auflösen“, um sich „später als West-PEN neu zu gründen“. Für den Versuch einer anderen Lösung wollte er Kästners Einverständnis mit seiner Geldbeschaffungsaktion erreichen. Die „Gegenseite“ werde alles tun, „um sich durchzusetzen“, und werde „bestimmt in jeder Weise finanziert“. „Ohne Geldzuschüsse in die Tagung zu gehen“, schien ihm „Selbstmord“. „Das Geld würde von der Industrie kommen […] und wir würden es natürlich nur verteilen müssen an Leute, die uns passen. Wenn die Industrie das Geld aus einem staatlichen Fonds nimmt, geht uns das ja schließlich nichts an.“209 Bei gleicher Gelegenheit erwähnte Edschmid das Kommen Borées; „wir werden dann weiter sehen, was die Berliner zu sagen haben“.210 Ungeachtet seiner Verärge205 Zitiert nach dem Auszug aus dem Brief Kasimir Edschmids an G[ünther] Henle (30. 6. 1951) in der Anlage eines Schreibens des Auswärtigen Amtes an das Bundesministerium des Innern (14. 8. 1951). BArch Koblenz, B 106/294, Bl. 296 und 294 (Mikrofilm). Der Vorgang firmierte als Betr.: Westdeutsche Gruppe des PEN. 206 Vgl. §  11 der Satzungen (S. 184, Anm.  85 und S. 188). Das Protokoll der Vorstandssitzung des PEN-Zentrums Deutschland am 3. Januar [19]50, DEA, EB 75/177 D.I.5.e, vermerkte die Annahme einer „Schenkung von DM 2.000 der AEG, Hamburg“, mit dem ausdrücklichen Hinweis, sie komme von einer Seite, „die in keiner Weise parteipolitisch gebunden ist“. 207 Vgl. BArch Koblenz, B 106/294, Bl. 301 (Mikrofilm). Das Blatt enthält u. a. eine handschriftliche Notiz über ein Telefonat mit Herrn von Wittgenstein im BMG und den Vermerk, die Tagung des PENClubs am 23.–25. Oktober sei „im gesamtdeutschen Interesse mit 3000,– finanziert worden, wodurch [?] die Angelegenheit hier als erledigt angesehen werden kann. Um vertrauliche Behandlung wird gebeten.“ 208 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (11. 7. 1951), DLA, NL Edschmid, erwähnt die für ihn überraschende Einladung der Stadt Düsseldorf. 209 Kasimir Edschmid an Erich Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner. 210 Borée engagierte sich seit der Wiesbadener Tagung in Artikeln und Memoranden vehement für die Trennung von den kommunistischen Mitgliedern und hatte sich nach Birkenfelds Austritt eine Sprecher-Rolle für die Westberliner Autoren, speziell die dem Kongress für kulturelle Freiheit nahestehenden, erarbeitet.



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rung über Borées Lausanne-Artikel211, vereinbarte Edschmid mit ihm eine Arbeitsteilung bei der Vergabe der aus Bonn zu erwartenden Geldsumme.212 Es hätte nicht zum Selbstverständnis des auf unbedingte formale Korrektheit bedachten Generalsekretärs gepasst, spezielle Einladungen mit dem Angebot finanzieller Unterstützung an einzelne Mitglieder zu schicken, von denen man ein bestimmtes Wahlverhalten erwartete. Auch sollten offenbar weder Präsident Friedmann noch Schatzmeister Tralow etwas von der Aktion erfahren. Die Vorstandsmitglieder unterrichtete Edschmid am 21. August 1951 von der Einladung der Stadt Düsseldorf.213 Den westdeutschen Mitgliedern versuchte Edschmid seine Position durch den eigenen Lausanne-Bericht in der ‚Hauszeitung‘ der Darmstädter Akademie, deren Vizepräsident er war, nahe zu bringen.214 So konnte er hoffen, relativ viele PENMitglieder zu erreichen, vor allem bot dieser Publikationsort Raum für eine gewisse Ausführlichkeit. Der PEN wolle und solle „unpolitisch sein in einer total politisierten Welt“. Am deutlichsten wirke sich dieses Dilemma „in der Situation des deutschen PEN“ aus, „dessen Gründungsmitglieder in einer Zeit gewählt wurden, als Deutschland noch in Zonen verwaltet wurde und noch nicht aus zwei ideologisch gänzlich verschieden eingestellten Teilen bestand“. Nach einer dramatisierenden Schilderung des Zustandekommens und der Verhinderung der Becher/Burmanschen Friedensresolution lenkte er auf die Frage hin, „ob es auch, bei noch so großer Neigung zahlreicher Mitglieder des PEN zu einer Demonstration der Einheit des deutschen Geistes, praktisch überhaupt möglich sein wird, in dieser Haltung zu verharren“. Entweder gelinge es, „ein Präsidium zu bilden, das homogen ist und damit auch legitime und nicht immer wieder angefochtene und angezweifelte Autorität besitzt – oder es werden zwei deutsche PEN gebildet“.215 Eine solche Möglichkeit, „die Becher bereits andeutete (oder androhte)“, besitze durchaus Realität, „da die ostdeutschen Schriftsteller ihrer Erklärung nach“ bereit seien, die Forderungen der PEN-Charta „in ihrem politischen Raum zu erfüllen“. Er setzte aber hinzu, inwieweit dies in der „Welt der Wirklichkeit, die ja eine andere ist als die der Schwüre, zu realisieren ist“, müsse das internationale Präsidium entscheiden. Edschmids Absicht war es, in einer regulären Mitgliederversammlung die Trennung von den ostdeutschen Mitgliedern oder 211 Karl Friedrich Borée: PEN-Club in der Entscheidung. In: Tagesspiegel vom 19. 7. 1951. Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner. Demnach war sein eigener LausanneBericht im Literarischen Deutschland aus dem abgewiesenen Versuch einer Richtigstellung im Tagesspiegel hervorgegangen; ihr polemischer Teil nannte aber weder Titel noch Namen. 212 Vgl. Karl Friedrich Borée an Kasimir Edschmid (15. 9. 1951, DLA, NL Edschmid), worin Borée die „Abrede“ erwähnt, sich „vertraulich mit gewissen Mitgliedern in Verbindung [zu ] setzen“. 213 Generalsekretariat des PEN-Zentrums Deutschland an die Herren des Praesidiums (Friedmann, Becher, Kästner, Tralow (21. 8. 1951), SBBPK, NL Tralow K 86 M 39, auch AdK Berlin, JRBA-PEN 11908. 214 Kasimir Edschmid: Der PEN-Club in Lausanne. In: Das literarische Deutschland 2  (1951)  16, 20. 8. 1951, S. 2. 215 Im Brief an Erich Kästner hatte er noch deutlicher ausgesprochen, dass er selbst die zweite Variante wünschte. Vgl. Kasimir Edschmid an Kästner (13. 8. 1951). DLA, NL Kästner.

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doch die unbestreitbare Dominanz des westdeutschen Flügels im Vorstand zu erreichen. Sein Ziel war ein funktionierendes, angesehenes Zentrum ohne ideologische Auseinandersetzungen, ohne leidige Pressepolemiken und mit der Möglichkeit, z. B. bei Fällen von Zensur bzw. einschlägigen Gesetzesvorhaben in der Bundesrepublik öffentlich gehört zu werden. Auf der „Gegenseite“ reagierte Becher auf Robert Neumanns Ratschläge zum weiteren Verfahren innerhalb des deutschen Zentrums mit der Absicht, „den Sommer ein wenig darüber hinweggehen“ zu lassen.216 Vermutlich wollte er die Reaktionen seiner ungarischen, polnischen und tschechischen Kollegen auf seine Anregungen abwarten,217 für die auch Entscheidungen von Regierungs- und Parteiinstanzen benötigt wurden.218 Die ostdeutschen Mitglieder informierte Becher über Edschmids Mitteilung,219 dass die Jahrestagung 1951 „am 23. und 24. evtl. 25. Oktober in Düsseldorf stattfindet“. „Termin und Mitgliederliste des deutschen PEN-Zentrums“ werde er auch den „entsprechenden Instanzen übersenden, damit sie ihrerseits die Vorbereitung treffen können für die Beteiligung unserer Freunde“.220 Edschmid ließ er mitteilen, er sei während des Urlaubs nicht erreichbar und werde erst Anfang Oktober zurück erwartet.221 Ende September veröffentlichte Brecht den „Offenen Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller“, aus dem meist nur die Sentenz von den drei Kriegen des „großen Carthago“ zitiert wurde. Anknüpfend an eine Rede Otto Grotewohls, des Ministerpräsidenten der DDR, erklärte er: Die Menschen aller Berufe, alle gleich bedroht, müssen dazu beitragen, die Spannungen zu beseitigen, die entstanden sind. Als Schriftsteller wende ich mich an die deutschen Schriftsteller und Künstler, ihre Volksvertretungen zu ersuchen, in einem frühen Stadium der erhofften Verhandlungen folgende Vorschläge zu besprechen: 1. völlige Freiheit des Buches, mit einer Einschränkung. [Gleichlautend für Theater, bildende Kunst, Musik, Film.] 216 Johannes R. Becher an Robert Neumann (13. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11901; Antwort auf einen Brief Neumanns vom 9. Juli 1951, AdK Berlin, JRBA-PEN 11895. 217 Vgl. S. 197 und Anm. 204. 218 Vgl. Georg Lukács an Johannes R. Becher (30. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11904: „[…] Unsere Teilnahme ist aber keine einfache Angelegenheit und geht über viele Instanzen.“ Via Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) der DDR hatte die ungarische Regierung um einen Bericht über Bechers „Erfahrungen auf dem Kongreß in Lausanne“ gebeten. Peter Florin (MfAA) an Becher (21. 7. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11903, Antwort Bechers, JRBA-PEN 11905. Ein Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees der SED, Becher zu beauftragen, einen Lausanne-Bericht „an die Schriftsteller-Organisationen bzw. bekannte Schriftsteller in den volksdemokratischen Ländern“ zu schicken, SAPMO BArch DY 30/ J IV 2/3A/ 203, Bl. 3, Punkt 1.9, datiert vom 2. 8. 1951, war also weniger Auftrag als nachträgliche Absegnung. 219 Vgl. S. 199, Anm. 213. 220 Johannes R. Becher an Lieber Freund! (28. 8. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11911. 221 Sekretariat Becher an Kasimir Edschmid (28. 8. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11910.



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Die Einschränkung: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke, welche den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen, und für solche, welche den Völkerhaß fördern. […]222

Im Gegensatz zu einem wohlmeinenden Appell an die Politiker, wie ihn der Resolutionsentwurf in Lausanne darstellte, hielt sich Brecht betont im Berufsspezifischen, wenn er die Frage künstlerischer Freiheit mit der des Friedens verknüpfte. Zum einen ließ sich so dem ritualisierten Prioritätenstreit um Frieden und Freiheit ausweichen, der inzwischen zum propagandistischen Schlagabtausch im Kalten Krieg gehörte. Zum anderen gab die Aufforderung an die Künstler, den „Volksvertretungen“ Vorschläge zu machen, Gelegenheit, von ‚seiner‘ Regierung, die er in der Frage Einheit und Frieden zu unterstützen wünschte, klar inhaltsbezogene Kriterien für Einschränkungen einer „völligen Freiheit“ der Künste einzufordern. Der Text als Ganzes stellte eine – für ihren Autor wie die DDR-Verhältnisse charakteristische – diplomatisch vorgebrachte, aber doch öffentliche Stellungnahme gegen Bevormundungen wie das Formalismus-Plenum223 dar, von dessen Verdikt der Librettist der Lukullus-Oper auch direkt betroffen war. Der Aufruf vertrat auf seine Art „die in der Charta des PEN niedergelegten Forderungen“ im eigenen „politischen Raum“.224 Kästner, dem „Brechts Rundschreiben“ persönlich zugeschickt worden war, kommentierte es Edschmid gegenüber nur mit „Na sowas“.225 Anscheinend rechnete er es umstandslos östlicher Friedensrhetorik zu, die er seit Lausanne nicht mehr hören mochte; dies stand einer differenzierteren Wahrnehmung entgegen. Mehr Sinn für das Ungewöhnliche zeigte Emil Belzner.226

222 Bertolt Brecht: Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller. In: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 23 (Schriften 3), Berlin: Aufbau, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 155f. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag. Veröffentlichung des laut Typoskript „26. September 1951“ (S. 495) datierten vollständigen Textes im Rahmen der Kampagne zum „Volkskammerappell für gesamtdeutsche Beratung zur Abhaltung freier, demokratischer Wahlen in ganz Deutschland“ in: Neues Deutschland, 27. 9. 1951, S. 1; u. d. T. Offener Brief Bertolt Brechts. Kulturelle Freiheit – Tagesordnungspunkt für die erhofften Verhandlungen, in: Berliner Zeitung, 27. 9. 1951, S. 1. 223 Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Referat, Diskussion und Entschließung von der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951. Berlin: Dietz 1951. 224 Vgl. Edschmids Formulierung, S. 199, Anm. 214. Brechts Forderung nach nur der „eine[n] Einschränkung“ geriet unter den Künstlern und Schriftstellern in der DDR nicht in Vergessenheit, vgl. z. B. Franz Fühmanns Wortmeldung auf der Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutsche Demokratische Republik am 22. Oktober 1975, Stenographisches Protokoll und auch in der fünfseitigen hektographierten Information für die Mitglieder, S. 3. AdK, PEN-Archiv (Ost). Zu Brechts Position in der DDR vgl. Werner Hecht: Die Mühen der Ebenen. Brecht und die DDR. Berlin: Aufbau 2013. 225 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (5. 10. 1951). DLA, NL Edschmid. 226 Vgl. Emil Belzner: Schlägt der Wind um? Zu einem Brief Bertolt Brechts. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 29./30. 9. 1951, S. 2.

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Mitte September lud Becher die in Ostberlin und der DDR lebenden PEN-Mitglieder für den 15. Oktober zu einer „Zusammenkunft“ ein, „in welcher die Jahres-Generalversammlung des PEN-Zentrums von unserer Seite aus vorbereitet werden soll“.227 Unabhängig davon wandte sich Tralow „An alle Kollegen in der DDR“, um sie für die Teilnahme in Düsseldorf zu gewinnen. Es komme „in diesem Augenblick doch nicht etwa auf den Tagungsort an, sondern auf die deutsche Einheit, und die Einheit des deutschen PEN-Zentrums ist ein Teil davon“. Er habe „unseren Kollegen“ Edschmid gebeten, sich bei der Stadt Düsseldorf um „Aufenthaltsgenehmigung“ zu bemühen.228 Die Einladung des Generalsekretärs an alle Mitglieder zur „Jahres-Generalversammlung“ erfolgte am 3. Oktober 1951.229 Sie enthielt neben der Tagesordnung230 die Mitteilung: „Hinsichtlich der aus dem Osten kommenden Mitglieder hat das Sekretariat die Behörden von Düsseldorf ersucht, sich um die Aufenthaltsbewilligung zu bemühen.“ Sie schloss mit der dringenden Mahnung: „Im Hinblick auf die ausserordentliche Wichtigkeit gerade dieser Tagung des P.E.N., Zentrum Deutschland, ersucht der Vorstand die Mitglieder zum Zeichen ihres wirklichen Interesses an dem Ziele und am Bestehen des P.E.N. dringend, an der Tagung teilzunehmen.“ Im Briefwechsel zwischen Becher und Edschmid ging es fortan um die Modalitäten der Aufenthaltsbewilligung.231 Eine gewisse atmosphärische Unsicherheit über die Einreisemöglichkeiten hatte sich vermutlich durch das am 31. August 1951 in Kraft getretene 1.  Strafrechtsänderungsgesetz mit dem Zweiten Abschnitt „Staatsgefährdung“ ergeben, auch wenn hierauf nicht ausdrücklich Bezug genommen wurde.232 Becher konnte schon einem Schreiben vom 6. Oktober entnehmen, wie zu verfahren war. Doch offenbar wollte er die Sache in die Länge ziehen, da erst am 15. Oktober 227 Johannes R. Becher an Lieber Freund (17. 9. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11915. 228 Johannes Tralow an alle Kollegen in der DDR (25. 9. 1951). SBBPK, NL Tralow K 86 M 39, auch AdK Berlin, JRBA-PEN 11918. 229 Vgl. AdK Berlin, JRBA-PEN 11923. 230 „1. Satzungsänderungen (Festsetzung eines Minimums von Anwesenden bei Beschlüssen und Wahlen und anderes Formelle)/ 2. Bericht Lausanne/ 3. Friedensresolution/ 4. Organisatorisches und Neuwahl des Präsidiums.“ 231 Vgl. Johannes R.  Becher an Kasimir Edschmid (3. 10. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11924; Kasimir Edschmid an Johannes R. Becher (6. 10. 1951), JRBA-PEN 11927; Becher an Edschmid (Telegramm, 15. 10. 1951), JRBA-PEN 11938; Edschmid an Becher (15. 10. 1951), JRBA-PEN 11937; Becher an Edschmid (17. 10. 1951), JRBA-PEN 11942; Becher an Edschmid (Telegramm, 18. 10. 1951), JRBA-PEN 11950 (darin genannt: Zweig, Hermlin, Mayer, Brecht, Huchel, Welk, Renn, Kantorowicz, Leonhard, Becher). Hinzu kamen noch zwei Briefe und ein Telegramm an den Düsseldorfer Oberbürgermeister am 9., 12. und 17. 10. 1951, JRBA-PEN 11929, 11931 und 11942. 232 Vgl. Kasimir Edschmid an Erich Kästner (25. 9. 1951), DLA, NL Kästner: „Ich kann mir hinreichend vorstellen, was Düsseldorf sagen wird, wenn ich als erste Heldentat Passage für 15 Kommunisten verlange. Immerhin möchte ich in jeder Hinsicht korrekt sein und werde […] anfragen, welche Formalitäten nötig seien, um unseren Ostmitgliedern – soweit sie sich für Düsseldorf anmelden, – die Aufenthaltserlaubnis zu beschaffen.“



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die Sitzung des Sekretariats des Zentralkomitees der SED stattfand, auf der über die Teilnahme der Mitglieder aus der DDR entschieden wurde.233 Davon hing neben allem anderen die ganz praktische Frage der Valuta ab. Becher wollte zweifellos vermeiden, auf die Abhängigkeit von Regierungs- und Parteistellen einzugehen. Die finanzielle Unterstützung aus Bonn muss Ende September fest zugesagt gewesen sein. Am 1.  Oktober schrieb Borée an Wilhelm Lehmann, es habe sich „jemand gefunden, der aus reinem persönlichen Idealismus eine beachtliche Summe spenden will, die zu Reisebeihilfen verwendet werden soll“. Tags darauf fragte er „in Eile und vertraulich“ an, ob Lehmann bereit sei, das Anschreiben zu beiliegender Denkschrift zu unterzeichnen.234 Es handelte sich um die Broschüre Über Toleranz und Geistesfreiheit.235 Weitere Unterzeichner waren Beheim-Schwarzbach, Kasack, Kreuder, Rudolf Alexander Schröder und Georg von der Vring. Wie schon in früheren Texten236 ging Borée davon aus, dass die beiden Gebote der Charta – Toleranz und „Verteidigung der Freiheit des Geistes“ – zueinander in Widerspruch geraten, wenn „die geistige Freiheit durch ein politisches System als solches […], das heißt durch dessen totalitäres Programm“ bedroht sei.237 Seine 8-seitige Aufzählung von Beispielen für den „Prozess der Totalisierung“ in der „deutschen Sowjetzone“ enthielt Fakten zur Verhaftung Andersdenkender, zur Benachteiligung privater Verleger durch das System der Druckgenehmigungen und Papierzuweisungen und zutreffende Beobachtungen zur „Freiheit der Meinungsäußerung“, die sich strikt auf „Fragen der Durchführung“ zu beschränken habe (S. 5) u. ä. In seinen Aussagen über Schulwesen, Wissenschaft und Universitätsleben vermischte sich Kritik an problematischen Erscheinungen mit solcher an Veränderungen in Bereichen, über die dieser unerschütterlich selbstgewisse Konservative feste Vorstellungen hegte, mit einfachen Fehlinformationen. Auch das Stereotyp „wie im Nationalsozialismus, nur in verstärktem Grade“ fehlte nicht. (S. 7) Zur Untermauerung der Grundthese, der „Kommunismus“ habe die Kultur „als das wirkungsvollste Massenerziehungsmittel erkannt […], als das Instrument, um den Staatsbürger ‚ideologisch umzuformen und zu erziehen‘“ 233 SAPMO BArch DY 30/ J IV 2/3/ 24, Sekretariat des ZK, 15. Oktober 1951, Protokoll Nr. 112, Bl. 10, Punkt 16. In der Aufzählung der Mitglieder fehlt nur Anna Seghers, die zu dieser Zeit auf einer ChinaReise war. 234 DLA, 68.3069/4 und 68.3069/5 NL Lehmann, nach: Helmut Peitsch: Vom Faschismus zum Kalten Krieg – auch eine deutsche Literaturgeschichte. Literaturverhältnisse, Genres, Themen. Berlin: Ed. Sigma 1996, S. 240. 235 Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin, Oktober 1951. SBBPK, NL Tralow K 86 M 51. 236 Vgl. u. a. Karl Friedrich Borée: PEN-Club vor der Entscheidung. In: Tagesspiegel, 12. 12. 1950; (Borée:) An das Generalsekretariat des Internationalen P.E.N.-Clubs in London, lt. Begleitschreiben an Rudolf Pechel (3. 1. 1951). BArch Koblenz, N 1160 III/64 (NL Pechel), Mitunterzeichner waren: Beheim-Schwarzbach, Flake, von der Vring, Birkenfeld und Gustav Regler (nach: Kasimir Edschmid an Erich Kästner (9. bzw. 22. 1. 1951, DLA, NL Kästner), vermutlich auch Pechel; Borée: PEN-Club in der Entscheidung. In: Tagesspiegel vom 19. 7. 1951, vgl. 197f. und Anm. 211. 237 Über Toleranz und Geistesfreiheit, S. 4. SBBPK, NL Tralow K 86 M 51.

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(S. 8), zitierte er mehrfach aus der damals in Berlin leicht zugänglichen Resolution des Formalismus-Plenums238, deren simplifizierendes Kunstverständnis mit dem Stalin-Zitat über die Schriftsteller als „Ingenieure der menschlichen Seele“ u. ä. ihm geradezu eine Steilvorlage geliefert hatte. Die in ihr auch enthaltenen durchgängigen Empfehlungen zum Studium des klassischen Erbes blieben säuberlich ausgeklammert, sie hätten schlecht zur Behauptung gepasst, „bestimmte [ungenannte – C. M.] Werke“ von Goethe, Schiller und Matthias Claudius seien verboten. (S. 10). An die „Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club“ richtete er am Schluss des allgemeinen Teils seiner Denkschrift die Mahnung: „In der Wahl, ob dem Gebote der politischen Toleranz oder der Verteidigung der geistigen Freiheit der Vorzug zu geben sei, kann gegenüber einem totalitären System kein Zweifel sein.“ (S. 12) Den „Mitgliedern des deutschen PEN-Zentrums“ könne er es nicht ersparen, „eine kurze Übersicht“ zu geben, „in welchem Maße einzelne deutsche PEN-Mitglieder, die in der sowjetischen Besatzungszone arbeiten, diesem System Vorschub geleistet haben“. (S. 13) Es folgten 12 Steckbriefe239 nach dem Muster: Bert [sic] Brecht: Neben Friedrich Wolf der meistgespielte Dramatiker in der Sowjetzone; Mitglied des „Deutschen Friedensrates“; Unterzeichner des „Stockholmer Friedensappells“, Verfasser des „Herrnburger Berichts“, einer eindeutig kommunistischen Propaganda- und Hetzdichtung; vom Zentralkomitee der SED im März 1951 ausdrücklich belobt. (S. 13)

Die abschließende Formel wird auch bei Becher, Kantorowicz, Kellermann, Seghers, Friedrich Wolf und Arnold Zweig verwendet. Eine so radikale Reduzierung auch international geachteter Autoren nicht einmal auf ihr Verhältnis zu den vom Verfasser verabscheuten politischen Instanzen, sondern umgekehrt auf deren Lob für sie, sollte wohl keinen Gedanken an Auseinandersetzungen aufkommen lassen, die vor, auf und nach dem ZKPlenum, auf das sich die Angabe „im März 1951“ bezieht, nicht zuletzt von den genannten Autoren geführt wurden. Sie dürften den radikalen Antikommunisten auch nicht interessiert haben, zumal sie sich in einer für ihn nicht ‚normalen‘ Form vollzogen.240 Der Versand von Über Toleranz und Geistesfreiheit erfolgte vermutlich Mitte Oktober, also kurz vor der Jahrestagung. Eine Stellungnahme Bechers, dem Tralow die Broschüre 238 Der Kampf gegen den Formalismus […] 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951, Berlin: Dietz 1951, vgl. Anm. 223. 239 Ernst Bloch und Ehm Welk hatte er vermutlich übersehen. Bei der Verwechslung des Leipziger Literaturwissenschaftlers Hans Mayer mit dem Ökonomen Georg Mayer, der „seinem geflüchteten Vorgänger im Rektorat“ folgte, hatten wahrscheinlich fehlendes Interesse an der Person und denunziatorische Absicht zusammengewirkt. 240 Vgl. S.  201 und Edschmids Bemerkung (S.  199). Der vollständige Wortlaut von Bechers und Zweigs Diskussionsbeiträgen auf dem ‚Formalismus-Plenum‘, der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951, ist nur im Typoskript der Mitschrift zu lesen, SAPMO BArch DY 30/ IV 2/1/ 93, im Falle Zweigs im Nachdruck aus dieser Quelle bei: Lucchesi (Hrsg.): Das Verhör in der Oper, S. 168–172. Bechers Beitrag war ein für ihn typisches ‚zustimmendes Widersprechen‘.



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vorsichtshalber durch einen Münchner Bekannten hatte zuschicken lassen,241 datiert vom 21. Oktober.242 Aus ihr geht hervor, dass „dieses Dokument“ den in der DDR lebenden PEN-Mitgliedern „bezeichnenderweise vorenthalten“ wurde. Es gehöre „zu jenen zahllosen Exzessen, wie sie seit Jahr und Tag in pamphletistischer Form gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik verübt werden“. Das war ein grober Keil auf einen groben Klotz. Entschieden zu weit aber ging die anschließende pauschale Zurückweisung: „Dieses ‚Tatsachenmaterial‘ enthält nicht eine einzige Tatsache, die einer wahrheitsgemässen sachlichen Prüfung standhält.“ Bechers erfolgreiches Gnadengesuch im Falle der bei Borée namenlosen „Buchhändlerin, die katholische Schriften verkauft hatte“ (S. 1),243 widerlegte nicht andere, zutreffende Beispiele für Unterdrückungsmechanismen im Kulturbereich. Borées Pamphlet wie Bechers Reaktion signalisierten, dass auf der bevorstehenden Zusammenkunft aufrichtige und sachlich-differenzierende Gespräche unter Kollegen kaum noch zu erwarten waren. Zur letzten Tagung des vier Jahre zuvor in Göttingen konstituierten PEN-Zentrums Deutschland trafen am 23. und 24. Oktober 1951 in Düsseldorf 23 Mitglieder zusammen.244 Das waren vom Vorstand Friedmann, Becher, Edschmid und Tralow. Kästner hatte „in letzter Minute krankheitshalber absagen müssen“.245 Von den Mitgliedern aus der Bundesrepublik kamen Emil Barth, Walter Bauer, Beheim-Schwarzbach, Borée, Hanns Braun, Hans Hennecke, Jahnn, Kasack, Lehmann, Martha Saalfeld, von der Vring, Weisenborn. Aus der DDR nahmen – neben Becher – Hermlin, Huchel, Leonhard, Mayer, Renn, Welk und Zweig teil. Sieben der Anwesenden hatten schon zu der in Kopenhagen bestätigten Gründungsgruppe gehört. Als Gäste geladen waren Franz Theodor Csokor, Präsident des österreichischen PEN, und Richard Friedenthal, Präsident des PEN-Clubs deutscher Autoren im Ausland. Beide hatten in Lausanne Edschmid und Kästner zur Seite gestanden.246

241 Erich Protz an Johannes R. Becher (18. 10. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11948. 242 AdK Berlin, JRBA-PEN 11958 [ohne Überschrift], diese Stellungnahme sandte Becher mit Anschreiben vom 22. Oktober 1951 an Karl Friedrich Borée, AdK Berlin, JRBA-PEN 11959, und die weiteren Unterzeichner, AdK Berlin, JRBA-PEN 11960–11965. 243 Vgl. S. 186f. 244 Vgl. Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 142–155; Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98), S. 31–43. 245 Protokoll anläßlich der Tagung des P.E.N.-Zentrums Deutschland in Düsseldorf (Kleiner Kongreßsaal, Ehrenhof 3) am 23. und 24. Oktober 1951, S. 1. SBBPK, NL Tralow K 86 M 39. Das Protokoll ist von Hildegard Finger, der von Generalsekretär Edschmid für seine PEN-Korrespondenz beschäftigten Sekretärin, unterzeichnet, die am Schluss ihres 12-seitigen Typoskripts „erklärt, das vorliegende Protokoll, fussend auf den während der Sitzungen gemachten Stenogramm-Aufzeichnungen, selbständig zusammengestellt zu haben“. Kästner hatte am 21. Oktober Edschmid telegraphiert, dass Luiselotte Enderle, seine Lebensgefährtin, „sehr krank“ sei. DLA, NL Edschmid. Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums, S. 31, verweist auf einen Brief vom gleichen Tage mit Details. 246 Vgl. S. 196.

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Kästners Befürchtung, dass trotz der Reisezuschüsse nur wenige der westdeutschen Mitglieder zur Jahrestagung kommen würden, bestätigte sich. Sehr wahrscheinlich traf auch seine Vermutung zu: „Es wäre ja auch möglich, daß eine gewisse Indolenz die wichtigere Ursache ist.“247 Im Vergleich zur vorangegangenen Tagung, an der 24 Mitglieder teilgenommen hatten, war die Zahl der Anwesenden nahezu gleich. Doch die Zahl der Teilnehmer aus Westdeutschland und Westberlin hatte sich von 22 auf 15 verringert. Anzunehmen ist, dass einige Mitglieder die absehbare Konfrontation meiden wollten (Belzner, Usinger, Schneider, Penzoldt?). Zur Eröffnung gedachte Friedmann des am 21.  September 1951 gestorbenen Hermon Ould.248 Der langjährige Generalsekretär des Internationalen PEN war entschiedener Befürworter eines einheitlichen deutschen Zentrums gewesen. Vor Beginn der Sachdiskussionen versicherte Becher, ihm und seinen Freunden liege „an der Einigung und Einheit des PEN“; sie seien bereit, dafür auch Opfer zu bringen. „Wir wünschen nur eines: dass man anständige Gespräche führen kann …“249 Hinsichtlich der „Festsetzung eines Minimums von Anwesenden bei Beschlüssen und Wahlen“250 einigte man sich letztlich relativ problemlos auf Bechers Kompromissvorschlag: „die feste Zahl 23“.251 In der vorangegangenen Debatte war das Problem des „wirtschaftliche[n] Unvermögen[s]“ zur Sprache gekommen. Edschmids Einwurf, die eingegangenen Entschuldigungen sprächen von Krankheit und anderen Gründen, nicht von Geldmangel, verkannte den Schamfaktor (die angebotenen Reisezuschüsse erwähnte er selbstverständlich nicht). Die Erfahrungen von Schatzmeister Tralow zeugten doch eher von Geldmangel bei vielen.252 Die Diskussion über die Lausanner Friedensresolution253 leitete Friedmann mit dem Verweis auf die beiden „fundamentale[n] Punkte“ der PEN-Charta ein: Frieden (Artikel 3) und Freiheit (Artikel 4). Sie bildeten „ein untrennbares Ganze[s]“. Dem von Borée vorgelesenen Lausanner Text stellte er die sogenannte Londoner Friedensresolution des PEN-Klubs deutscher Autoren im Ausland gegenüber und erklärte, er halte „diese Fassung für ein klassisches Dokument“.254 Ohne die unangemessene Vorbildbehauptung und den Forderungscharakter des Lausanner Textes brachte die 247 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (14. 8. 1951). DLA, NL Edschmid. Ein Anzeichen dafür war möglicherweise schon die schwache Beteiligung am Projekt schriftliche Neuwahl des Präsidiums, vgl. Edschmid an Kästner (4. 6. 1951). DLA, NL Kästner. 248 Protokoll […] Düsseldorf, S. 2. 249 Ebd.; über den Ansatz zur Polemik gegen „Dokumente […], strotzend von Entstellungen“ vermerkte die Protokollantin an dieser Stelle: „(es ist davon später noch die Rede)“. 250 Vgl. Anm. 230. 251 Protokoll […] Düsseldorf, S. 3. 252 Ebd.; vgl. auch Edschmids Argumentation gegenüber Henle, S. 201f. 253 Vgl. S. 196. Text s. Anhang III.6. 254 Protokoll […] Düsseldorf, S. 4 und 5. Text s. Anhang III.7. Text und Begründung der Londoner Fassung waren vor der PEN-Tagung veröffentlicht worden: (W. Sternfeld): Frieden und Freiheit. Neue Vorschläge zu einer Friedensresolution des PEN-Clubs. In: Das literarische Deutschland 2 (1951) 19, 5. 10. 1951, S. 8.



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Londoner Friedensresolution die Fahnenworte der beiden Weltlager in eine schlüssige Beziehung zueinander und zur Charta der eigenen Institution. Unverkennbar war aber auch ein polemischer Grundzug, der den Verfechtern des anderen Resolutionstextes „blosses Lippenbekenntnis“ unterstellte. Zunächst erinnerte Hans Mayer an Brechts Appell, „der im Prinzip für die Freiheit der Meinungsäusserung eintrete, mit der Einschränkung allerdings: keine Freiheit für Kriegshetzer“.255 Er plädierte für den Lausanner Text. Aus den „Debatten […] zur Klärung der Begriffe Frieden und Freiheit“ zitiert das Protokoll wörtlich Bechers Statement: „Wenn ich Frieden sage, wünsche ich auch Frieden gegenüber FrancoSpanien … ich bin für Frieden auch denjenigen gegenüber, die nicht den Begriff der sozialen Freiheit vertreten. Wir sind bedingungslos für Frieden“256 Borée lehnte den Lausanner Text ab; er schmecke „zu sehr nach Stockholmer Friedensappell“ und es fehle „dieser Resolution das ergänzende Moment der Freiheit“ Darin folgten ihm Hennecke, Braun, Beheim-Schwarzbach, Kasack, zuvor hatte sich schon Friedmann in diesem Sinne geäußert.257 Tralow erklärte sich dagegen, die Begriffe Freiheit und Frieden zu „verkoppeln“. Darin sei man doch einig: „keiner will Krieg!“258 Zur Vorrangigkeit der Friedensforderung bekannten sich auch Hermlin und Leonhard.259 Jahnn sprach sich – folgenlos – für die Formulierung eines neuen Textes aus.260 Im Verlauf der Diskussion richtete Friedmann – nach dem Protokoll zu schließen – in durchaus freundlichem Ton an Becher direkt jene Fragen, zu deren Formulierung er nach der Wiesbadener Tagung immer wieder aufgefordert worden war: „ob in Bechers Sphäre Dinge geschähen, die gegen den Freiheitsbegriff der Charta stünden, ob er, Becher, sie unterbinden könne, ja ob er überhaupt in der Lage sei, die Regeln der Charta einzuhalten“.261 Becher verwies auf „Dokumente, die er zur Entkräftung gewisser Anschuldigungen“ mitgebracht habe und schlug eine „Kommission zur Untersuchung gewisser Fälle“ vor.262 Borée behauptete, „er kenne die Verhältnisse besser“.263

255 Protokoll […] Düsseldorf, S. 5. Vgl. S. 200f., Anm. 222–224. 256 Ebd.; das lag geradezu erschreckend genau auf der damaligen Linie der Weltfriedensbewegung, deren Aufgabe neben der Propagierung des Friedenswillens der Sowjetunion es war, den Verzicht auf sozialrevolutionäre Parolen der westeuropäischen kommunistischen Parteien zu erreichen und zu signalisieren, vgl. Rüdiger Schlaga: Die Kommunisten in der Friedensbewegung – erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950–1979). Münster und Hamburg: Lit 1991 (Studien zur Friedensforschung 2), S. 64. 257 Protokoll […] Düsseldorf, S. 5, 6 und 7. 258 Ebd., S. 5. 259 Ebd., S. 7. 260 Ebd. 261 Ebd., S. 6. 262 Ebd., vgl. die Bemühungen um die Begnadigung der Buchhändlerin Mocny (S. 190f.). 263 Protokoll […] Düsseldorf, S. 6.

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Die Abstimmung über den Lausanner Text ergab 9 Ja- und 11 Nein-Stimmen sowie 2 Enthaltungen. Für die Londoner Friedensresolution wurden 23 Stimmen abgegeben (Lehmann war eingetroffen), dafür 11, dagegen 12. Becher diktierte für das Protokoll: „die Lausanner Friedensresolution wurde nach längerer und ausführlicher Erörterung mit 11/9 Stimmen (bei 2 Stimmenthaltungen) abgelehnt.“264 Vor der Neuwahl des Vorstands gab es über Borées Broschüre offenbar noch eine nicht protokollierbare heftige Auseinandersetzung, deren Wortführer Hermlin war. Becher wiederholte seine pauschale Zurückweisung und den Hinweis auf die Begnadigung der katholischen Buchhändlerin,265 außerdem forderte er „den Verfasser dieses Dokumentes“ auf, nach Buchenwald zu fahren und „sich dort die Verhältnisse in einem Umkreis von 50 km selbst anzusehen“.266 Die Vorstandswahlen fanden als „geheime Zettelwahl“ statt. Das Protokoll verzeichnet bei allen fünf Abstimmungen Kandidatenlisten, es lässt sich jedoch nicht nachvollziehen, wie sie aufgestellt wurden (Zuruf oder Zettel, zahlenmäßige Begrenzung?) Für die Funktion des Geschäftsführenden Präsidenten waren Friedmann, Kästner und Tralow nominiert. Von den 23 Wahlberechtigten erhielten Friedmann und Tralow je 11 Stimmen. Friedmann erklärte, er habe selbst nicht abgestimmt und trete zurück. Damit galt Tralow als gewählt. Von den 6 Kandidaten für das Amt des Zweiten Präsidenten erhielt Kästner 6, Becher 9, Edschmid 5 Stimmen, Bauer und Welk je 1 Stimme bei einer Enthaltung. Wären nicht Kästner und Edschmid nebeneinander aufgestellt worden, hätten 9 Stimmen nicht für Bechers Wiederwahl ausgereicht. Zum Dritten Präsidenten wurde aus 7 Kandidaten bei 9 Enthaltungen (von 22) Weisenborn mit 7 Stimmen gewählt. Zum Generalsekretär wurde Edschmid „per acclamation einstimmig wiedergewählt“; er nahm die Wahl nicht an, auch nicht, als er in geheimer Abstimmung die Stimmenmehrheit erhielt, nämlich 7 von 22 bei 10 Enthaltungen. Nach Zögern nahm Jahnn an, der im gleichen Wahlgang 5 Stimmen erhalten hatte. Edschmid begründete seine Weigerung mit der „Nicht-Wahl seiner Freunde Friedmann und Kästner“, denen hierdurch „ein Mißtrauen ausgesprochen worden sei“.267 Zum Schatzmeister wurde der abwesende Eggebrecht gewählt, mit 11 von 23 Stimmen, bei 8 Enthaltungen. Sieht man vom Sonderfall der offenen Abstimmung für Edschmid ab, hatte keiner außer Tralow und Eggebrecht auch nur annähernd 50  % der jeweils abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen können. Die vorauszusetzenden Absprachen der acht Mitglieder aus der DDR hatten anscheinend nur der Wahl Tralows und der Wiederwahl Bechers in seine bisherige Funktion gegolten.268 Auf der anderen Seite hatten 264 Ebd., S. 8. 265 Vgl. S. 205, außerdem S. 186f. 266 Protokoll […] Düsseldorf, S. 9. Das sowjetische Speziallager Nr. 2 in Buchenwald war seit Februar 1950 aufgelöst. 267 Ebd., S. 10. 268 Vgl. S. 202.



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offenbar auch die fünf anwesenden Unterzeichner des Begleitschreibens zu Über Toleranz und Geistesfreiheit, deren erklärtes Ziel „die klare Absetzung von den mit dem sowjetkommunistischen System sympathisierenden Kollegen“ war,269 über ihre Ablehnung Bechers hinaus keine gemeinsame Personalvorstellung. Nach dessen Wiederwahl gehörten sie vermutlich zum ‚harten Kern‘ derjenigen, die sich der Stimme enthielten. Wahlabstinenz hatten Borée und seine Gesinnungsfreunde schon bei der schriftlichen Neuwahl geübt, um der Wiederwahl Bechers vorzubeugen.270 Nachdem sich Edschmids Hoffnung, dass Becher auf Grund klarer Mehrheitsverhältnisse aus dem Vorstand ausscheiden werde, nicht erfüllt hatte, hatten offenbar auch er und die ihm nahe Stehenden271 diese Taktik eingeschlagen, um die sich abzeichnende Vorstandszusammensetzung prophylaktisch zu delegitimieren. Die Zahl der FürStimmen war – mit Ausnahme der Schatzmeisterwahl – von da an niedriger als die der Stimmenthaltungen.272 Aus dieser problematischen Wahl hatte sich folgende Vorstandsbesetzung ergeben: Tralow, Becher, Weisenborn, Jahnn und Eggebrecht. Alle fünf hatten schon zur Gründergruppe gehört. Gemeinsam war ihnen – bei unterschiedlichen Interessen und Akzenten – die Ablehnung einer Teilung der deutschen Literatur entlang des OstWest-Konflikts. Nach der Wahl verließ Edschmid bis gegen „Schluss der Sitzung“ den Raum und Borée folgte, nachdem er seinen Austritt in folgender Weise begründet hatte: man sei in der „einzigartigen Lage, […] die Charta bejahen [zu] müssen“, habe aber im deutschen Zentrum „Leute“, die „auf Grund ihrer totalisierten Ideologien nicht in der Lage sind, den entscheidenden Passus (die Freiheit betreffend) der Charta befolgen zu können, selbst wenn sie menschlich dies tun wollten“.273 Becher kam auf seinen Antrag zurück, eine Untersuchungskommission zu bilden,274 die – in Tralows Formulierung – „alle Fälle von Vergehen gegen die Menschlichkeit zu bearbeiten und darüber Informationen zu sammeln hat“.275 Es folgten höfliche Danksagungen: Tralow an Friedmann und Edschmid, Friedmann hob Kästners Verdienste um den deutschen PEN hervor und wehrte Bechers Anregung ab, ihn „per acclamation“ zum Ehrenpräsidenten zu wählen.

269 An die Mitglieder des Internationalen P.E.N. Clubs. Im Oktober 1951. SBBPK, NL Tralow K 86 M 51, vgl. auch S. 203f. 270 Vgl. S. 194f. und Anm. 187. 271 Vgl. die Diskussion um die Friedensresolutionen, S. 207. 272 Vgl. Hermann Friedmanns Feststellung in der Rhein-Neckar-Zeitung, 6. 11. 1951: „In Düsseldorf gab es weder eine ‚Wahlniederlage‘, noch einen ‚Wahlsieg‘. In fast allen Wahlgängen war der eigentliche Sieger – der weiße Zettel.“ 273 Protokoll […] Düsseldorf, S. 11. Die Protokollantin vermerkte vorab, diese Ausführungen seien „nicht absolut wörtlich“ wiedergegeben. 274 Vgl. S. 207. 275 Protokoll […] Düsseldorf, S. 12.

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Noch vor der geplanten Pressekonferenz des neuen Vorstands wurden „die Journalisten […] zu einer separaten Besprechung“ gebeten“,276 auf der ihnen die folgende Erklärung übergeben wurde: Die auf der Generalversammlung des PEN-Zentrums Deutschland in Düsseldorf anwesenden Mitglieder: der bisherige geschäftsführende Präsident Prof. Dr. Hermann Friedmann, der seitherige, durch Krankheit am Erscheinen verhinderte Präsident Dr. Erich Kästner, der bisherige Generalsekretär Kasimir Edschmid, sowie Emil Barth, Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Karl Friedrich Borée, Hanns Braun, Hans Hennecke, Hermann Kasack, Wilhelm Lehmann, Martha Saalfeld, Georg von der Vring erklären folgendes: Wir bedauern, dass von den etwa 50 westdeutschen Kollegen nur eine geringe Zahl erschienen ist, trotz des ausdrücklichen Hinweises auf die Bedeutung dieser Tagung, während aus dem Osten 8 von 14 Mitgliedern gekommen waren. Infolgedessen ergab sich für die westdeutschen Mitglieder eine Niederlage bei den Vorstandswahlen. Obwohl die vom Osten befürwortete Lausanner Friedensresolution von der Versammlung abgelehnt wurde, hat die Diskussion ergeben, dass zwischen den beiden Gruppen eine Verständigung über den Begriff Freiheit nicht möglich ist. Um die geistig schon längst bestehende Trennung auch organisatorisch zum Ausdruck zu bringen, werden die oben Genannten eine selbständige Gruppe innerhalb des internationalen PEN bilden.277

Auf der Pressekonferenz des neugewählten Präsidiums wurde der „Trennungsentschluß“ missbilligt. Jahnn sprach sich für eine „Verständigung mit den Freunden aus der DDR und einen geistig-menschlichen Austausch aus“. Weisenborn zeigte sich überzeugt, daß wohl die meisten Schriftsteller von Rang in Westdeutschland eine derartig scharfe Zurückweisung ihrer ostdeutschen Kollegen nicht anerkennen […] Ich werde mich für eine baldige neue Generalversammlung einsetzen, auf der nach diesem klärenden Gewitter endlich eine Arbeitsatmosphäre entstehen kann. Der PEN lebt in der Idee der Verständigung. Sowie dies Grundprinzip nicht mehr gewahrt und ein objektives Gleichgewicht der gesamtdeutschen Interessen nicht mehr gesichert ist, trete ich zurück. Bis dahin halte ich es für meine Pflicht zu bleiben und in völliger Unabhängigkeit der Bekämpfung des Hasses unter den Deutschen zu dienen.278

276 (Gerd Vielhaber:) Spaltung im deutschen PEN-Zentrum. Zwei Erklärungen auf der Düsseldorfer Generalversammlung. In: Weser-Kurier, 27. 10. 1951, S.  2. Diese relativ späte Quelle wurde herangezogen, weil aus ihr am klarsten die Abfolge der Pressekonferenzen zu belegen war. Ähnlich präzise, aber ohne den Text der Sezessionserklärung: Die Spaltung des Pen-Zentrums. Erklärungen west- und ostdeutscher Schriftsteller. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 10. 1951. 277 Zitiert nach: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland/Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. VI. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. Der vollständige Text, mit kleinen sprachlichen Abweichungen, findet sich auch im Weser-Kurier, 27. 10. 1951. 278 Zitiert nach (Gerd Vielhaber:) Spaltung im deutschen PEN-Zentrum. In: Weser-Kurier, 27. 10. 1951, S. 2.



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Der neue Vorstand war nicht arbeitsfähig. Becher erklärte wenig später auf einer weiteren Pressekonferenz in Düsseldorf: „Der neue Vorstand sei vollkommen legal“, somit „bestehe kein Grund, eine neue Hauptversammlung einzuberufen“. Er sei jedoch bereit, in Verhandlungen das Ergebnis der Vorstandswahl so zu korrigieren, „daß es auch der abgespaltenen westdeutschen Gruppe gerecht werde“, die Initiative müsse jedoch von „‚westdeutscher Seite‘“ ausgehen“.279 Eggebrecht nahm die Wahl zum Schatzmeister nicht an. Gemeinsam mit Hans Erich Nossack erklärte er, sie bedauerten beide die Spaltung und hofften, „daß die geplante neue gesamtdeutsche Hauptversammlung des PEN-Zentrums – ‚und nicht nur eine zufällig anwesende Minderheit‘ – eine redliche Klärung bringen möge. Bis dahin wollen sie sich jeder Stellungnahme enthalten.“280 Weisenborn trat Ende November von seinem Amt zurück, da ein für ihn „überraschend großer Teil“ der damals abwesenden Schriftsteller „sich inzwischen für die Spaltung“ entschieden habe, er aber „die Einheit des PEN befürwortete“.281 In der Zwischenzeit hatten die Hamburger PEN-Mitglieder in einem ausdrücklich privaten Brief Becher gebeten, im Interesse eines gesamtdeutschen PEN „vom Präsidium zurück[zu]treten zugunsten eines anderen Schriftstellers der DDR“.282 Anscheinend blieb die Bitte unbeantwortet.283 In dieser Zeit erinnerte Becher Jorge Amado vom Weltfriedensrat an „unsere Entschließung bezüglich der Arbeit im PEN-Club“.284 Jenseits aller Schuldzuweisungen, die es unter den Bedingungen des Kalten Krieges zuhauf gab, hatte Edschmid mit der Bemerkung recht, dass die Gründung aus einer Zeit, „als Deutschland noch in Zonen verwaltet wurde“, einer Situation, in

279 Zitiert nach: Becher gegen neue Versammlung des PEN-Clubs. Bewegte Pressekonferenz in Düsseldorf. In: Stuttgarter Nachrichten, 29. 10. 1951, S. 2. 280 Bis zur redlichen Klärung. Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack lehnen PEN-Wahl ab, nach Ausriss in: DEA, EB 75/177 D.I.5.g, vermutlich aus: Neue Zeitung, 1. 11. 1951, die dpa-Nachricht ist datiert „Frankfurt a. M., 31. Oktober“. Der oben zitierte Textanfang stimmt überein mit: Eggebrecht und Nossack zum deutschen PEN-Konflikt. In: Rhein-Neckar-Zeitung, 1. 11. 1951, S. 2. 281 (dpa): Weisenborn nicht mehr Mitpräsident des PEN. In: Stuttgarter Nachrichten, 26. 11. 1951, S. 2. Vgl. Weisenborn tritt als PEN-Präsident zurück. In: Neue Zeitung, [27./28. 11. 1951], nach Ausriss in DEA, EB 75/177 D.I.5.g, hier statt Spaltung: Sezession; außerdem enthält dieser längere Text eine Passage über den Dissens mit Becher hinsichtlich der Notwendigkeit einer neuen Hauptversammlung und neuen Wahl; diese Passage auch unter Kleine Kulturnachrichten. In: Süddeutsche Zeitung, 28. 11. 1951. 282 Axel Eggebrecht, Günther Weisenborn, Hans Erich Nossack, Martin Beheim-Schwarzbach, Hans Henny Jahnn an Johannes R. Becher (6. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11979, vgl. auch Jahnn an Becher vom gleichen Tag, JRBA-PEN 11978. 283 Im PEN-Material des Becher-Archivs befinden sich drei nicht abgeschickte Antwort-Entwürfe vom 12., 15. und 20. 11. 1951. AdK Berlin, JRBA-PEN 11985, 11988, 11993. 284 Johannes R. Becher an Jorge Amado, Weltfriedensrat (15. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 11989. Es ging darum, „die Freunde in Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei und Polen“ zu veranlassen, „vor dem internationalen PEN-Club-Kongress“ 1952 Fühlung mit Becher aufzunehmen; vgl. S. 197 und Anm. 204.

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der das Land „aus zwei ideologisch gänzlich verschiedenen Teilen bestand“285 nicht gewachsen sein konnte. Hoffnungen und Ansprüche aus der Anfangszeit waren verbraucht.286 Probleme wie Literaturaustausch über Grenzen hinweg, Reisemöglichkeiten für Schriftsteller u. ä. hatten sich unter den Bedingungen der verhärteten Teilung des Landes zwar verschärft, wurden aber im Rahmen des PEN nicht mehr Gegenstand prinzipieller Forderungen. Spätestens seit der Wiesbadener Tagung beschäftigte sich das PEN-Zentrum Deutschland ausschließlich mit den eigenen Problemen, die ihm durch den Kalten Krieg aufgedrängt waren. Das durch diesen gesetzte EntwederOder-Gebot, die damit einhergehende Reflexionsabwehr und die Wirkung als Disziplinierungsmechanismus unterbanden – besonders unter den unsicheren Bedingungen der späten Stalin-Jahre – weitgehend den individuellen Austausch zu politischen Fragen über die Grenzen hinweg. Beide deutsche Teilgruppen hatten nun das Problem zu lösen, den Internationalen PEN-Club von ihrer Existenzberechtigung zu überzeugen, dessen Zentren es weder schätzten, erneut mit deutschen Streitigkeiten befasst zu werden, noch gern ein weiteres deutsches Zentrum akzeptieren würden. Aus „führenden Kreisen des Internationalen PEN“ wurde umgehend erklärt, nur die Exekutivtagung „Anfang nächsten Jahres“ könne „zu der Frage einer Neugründung in der Bundesrepublik Stellung nehmen“.287 Zunächst musste die vorgeschriebene Gruppenstärke von 20 Mitgliedern gesichert werden. Das fiel der Gruppe um die bisherigen Vorstandsmitglieder Friedmann, Kästner und Edschmid zwar leichter, aber vollständig sicher war sie sich nicht, denn die relativ geringe Teilnahme westdeutscher Mitglieder an der Düsseldorfer Tagung hinterließ Unsicherheit über deren Interesse am PEN288 und den Auseinandersetzungen in und um ihn. Ende November hatten sich „33 westdeutsche Schriftsteller […] für die Bildung eines eigenen westdeutschen PEN-Zentrums entschieden“.289 Die Gründungsversammlung wurde für den 3./4.  Dezember 1951 in Darmstadt angekündigt.290 Das Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland, d. h. praktisch nur Tralow und Becher – Jahnn war ernsthaft krank und hatte um Urlaub

285 Vgl. S. 197 und Anm. 214. 286 Vgl. S. 167, 176 und Anm. 68–70. 287 Internationaler PEN zur Spaltung. In: Neue Zeitung, 27./28. 10. 1951, nach Ausriss in DEA, EB 75/177 D.I.5.h, wahrscheinlich aus der Frankfurter Ausgabe. 288 Kräftig ins Gewissen redete ihnen ein nach Position und Diktion von Friedenthal stammender Artikel: Die Sezession im deutschen PEN-Club. Eine kritische Würdigung. In: Neue Zeitung, 27./28. 10. 1951, Ausriss in DEA, EB 75/177 D.I.5.h. 289 Unter Notizen in: Das literarische Deutschland 2 (1951) 22, 25. 11. 1951, S. 6. Aus der Kopenhagener Liste fehlten von westdeutschen Autoren, abgesehen von Tralow, Weisenborn, Eggebrecht und Jahnn, die zu dieser Zeit noch – mehr oder weniger – an einem einheitlichen PEN-Zentrum Deutschland festhalten wollten, Penzoldt, Reinhold Schneider und Dolf Sternberger. 290 Unter der Spitzmarke Westdeutsche PEN-Gruppe in: Stuttgarter Nachrichten, 24. 11. 1951, S.  2; auch in: Das literarische Deutschland 2 (1951) 22, 25. 11. 1951, S. 8.



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gebeten, ohne sein Amt aufzugeben291 – berief für den 10. Dezember 1951 eine Versammlung nach Berlin ein.292 Auf beiden Veranstaltungen wurden neue Mitglieder hinzugewählt. In Darmstadt vorbehaltlich der Akzeptierung des neuen Zentrums durch den Internationalen PEN-Club. In Berlin, um die erforderlichen 20 zu erreichen und um den gesamtdeutschen Anspruch zu sichern, auf den sich die Legalitätsbehauptung gründete. Von den 31 Zugewählten lebten 16 in der DDR und Ostberlin, 25 in der Bundesrepublik und Westberlin.293 Der Internationale PEN-Club akzeptierte letztlich beide innerdeutschen Zentren, wohl gemäß einem Selbstverständnis, das Sternfeld anlässlich der „Einmischung der Amerikaner“,294 folgendermaßen umrissen hatte: „Trotz aller politischen Differenzen halte der PEN als unpolitische Organisation an dem Gedanken der Einheit fest und sei nicht bereit, sich in die Gefolgschaft einer politischen Richtung zu begeben.“295

Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen AdK Berlin, Johannes R. Becher-Archiv; PEN-Archiv (Ost) BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel N 1160 II/76 und N 1160 III/64; B 106/294 DEA, EB 77/27; EB 75/177 DLA Marbach am Neckar, NL Kasimir Edschmid; NL Erich Kästner; NL Wilhelm Lehmann SAPMO BArch Berlin, DY 30 o/J IV 2/3/ 202; DY 30/J IV 2/3A/ 203; DY 30/J IV 2/3/ 241; DY 30/ J IV 2/1/ 93. SBBPK (Potsdamer Straße), NL Johannes Tralow

291 Johannes Tralow an Johannes R.  Becher (29. 11. 1951). AdK Berlin, JRBA-PEN 12000. Ein Rücktrittsgesuch richtete er erst im Frühjahr 1952 an Tralow, vgl. Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998, S. 210f. 292 Tralows hektographierte Einladung zur Mitgliederversammlung am 10. Dezember 1951 in BerlinCharlottenburg. AdK Berlin, JRBA-PEN 11998; Bechers Mitteilung an die Mitglieder in der DDR vom 27. 11. 1951, AdK Berlin, JRBA-PEN 11997. 293 Vgl. Beschlußprotokoll von der Mitgliederversammlung des Deutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember  1951 in Berlin Charlottenburg, Schillerstr.  5, Weinstube Neumann, 10  Uhr, S.  1 und 2. AdK Berlin, JRBA-PEN 12018. 294 Vgl. Anm. 115 sowie S. 192. 295 Wilhelm Sternfeld an Kasimir Edschmid (11. 2. 1951), S. 2. DLA, NL Edschmid. Eine differenzierte Darstellung des schwierigen praktischen Weges dahin bietet Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951–1998, S. 156–253.

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Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Becher, Johannes R.: Gesammelte Werke, Bd. 12: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Eintragungen 1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1969. – : Gesammelte Werke, Bd. 17: Publizistik III: 1946–1951. Berlin und Weimar: Aufbau 1979. – : Briefe 1909–1958. Hrsg. von Rolf Harder unter Mitarbeit von Sabine Wolf und Brigitte Zessin. Berlin und Weimar: Aufbau 1993. Abdruck mit freundlicher Genehmigung © Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2014. Behrens, Alexander: Johannes R. Becher. Eine politische Biographie. Köln, Weimar und Wien: Böhlau 2003. Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 23 (Schriften 3), Berlin: Aufbau, Frankfurt am Main: Suhrkamp. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag. Bores, Dorothée: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: o.V.] 1951. Der deutsche PEN-Club im Exil. 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Referat, Diskussion und Entschließung von der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.–17. März 1951. Berlin: Dietz 1951. Gansel, Carsten (Hrsg.): Der gespaltene Dichter. Johannes R. Becher. Gedichte, Briefe, Dokumente 1945–1958. Berlin: Aufbau Taschenbuch 1991. Hanuschek, Sven: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98). – : Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners. München und Wien: Hanser 1999. – , Therese Hörnigk und Christine Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen: Niemeyer 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 73). Hecht, Werner: Die Mühen der Ebenen. Brecht und die DDR. Berlin: Aufbau 2013. Heider, Magdalena: Politik – Kultur – Kulturbund. Zur Gründungs- und Frühgeschichte des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 1945–1954 in der SBZ/DDR. Köln: Wissenschaft und Politik 1993. Heukenkamp, Ursula: Becher fuhr nicht nach Wrocław. In: Hanuschek, Hörnigk und Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 173–196. Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen. München: Oldenbourg 1998. Kantorowicz, Alfred: Deutsches Tagebuch. Erster Teil. Berlin: Verlag Anpassung und Widerstand 1978. Kästner, Erich: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! Ausgewählte Briefe von 1909 bis 1972. Hrsg. von Sven Hanuschek. Zürich: Atrium 2003. Lucchesi, Joachim (Hrsg.): Das Verhör in der Oper. Die Debatte um die Aufführung „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau. Berlin: BasisDruck 1993. Malende, Christine: Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950. In: Hanuschek, Hörnigk und Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle, S. 197–234. Peitsch, Helmut: Vom Faschismus zum Kalten Krieg – auch eine deutsche Literaturgeschichte. Literaturverhältnisse, Genres, Themen. Berlin: Ed. Sigma 1996.



Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft 

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Reinhold, Ursula, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.–8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997. Schlaga, Rüdiger: Die Kommunisten in der Friedensbewegung – erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950–1975). Münster und Hamburg: Lit 1991 (Studien zur Friedensforschung 2) Stonor Saunders, Frances: Wer die Zeche zahlt … Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin: Siedler 2001. Weber, Hermann: Geschichte der DDR. München: dtv 1999.

216 

 Christine Malende

Anhang I Mitglieder- bzw. Zuwahllisten Ab Kopenhagen 31. 5. – 5. 6. 1948 Erich Kästner (1899–1974) Johannes R. Becher (1891–1958) Anna Seghers (1900–1983) Herbert Eulenberg (1876–1949) (September) Johannes Tralow (1882–1968) Günther Birkenfeld (1901–1966) Ernst Penzoldt (1892–1955) Rudolf Schneider-Schelde (1890–1956) Reinhold Schneider (1903–1958) Günther Weisenborn (1902–1969) Ludwig Renn (1889–1979)

Theodor Plievier (1892–1955) Hermann Kasack (1896–1966) Elisabeth Langgässer (1899–1950) (Juli) Hans Henny Jahnn (1894–1959) Axel Eggebrecht (1899–1991) Dolf Sternberger (1907–1989) Paul Wiegler (1878–1949) (August) Friedrich Wolf (1888–1953) Hermann Friedmann (als Ehrenmitglied) (1873–1959)

Nach Göttinger Zuwahl (18. 11. 1948) und internationaler Bestätigung Stefan Andres (1906–1970) Walter Bauer (1904–1976) Martin Beheim-Schwarzbach (1900–1985) Emil Belzner (1901–1979) Bertolt Brecht (1898–1956) Alfred Döblin (1878–1957) Kasimir Edschmid (1890–1966) Hanns Wilhelm Eppelsheimer (1890–1972) Lion Feuchtwanger (1884–1958) Oskar Maria Graf (1894–1967) Willy Haas (1891–1973) Wilhelm Hausenstein (1882–1957) Alfred Kantorowicz (1899–1979) Marie Luise Kaschnitz (1901–1974) Bernhard Kellermann (1879–1951)

Martin Kessel (1901–1990) Eugen Kogon (1903–1987) Annette Kolb (1875–1967) Horst Lange (1904–1971) Hans Leip (1893–1971) Joachim Maass (1901–1972) Heinrich Mann (1871–1950) Rudolf Pechel (1882–1961) Hans Reisiger (1884–1968) Rudolf Alexander Schröder (1878–1962) Fritz Usinger (1895–1982) Ernst Wiechert (1887–1950) Leopold Ziegler (1881–1958) Karl Zuckmayer (1896–1977) Arnold Zweig (1887–1968)

„Hamburger Zuwahlliste“ (April 1949) Rudolf Arnheim (1904–2007) Emil Barth (1900–1958) Ernst Robert Curtius (1886–1956) Otto Flake (1880–1963) Alexander Moritz Frey (1881–1957)

Martin Gumpert (1897–1955) Walther von Hollander (1892–1973) Peter Huchel (1903–1981) Hermann Kesten (1900–1996) Editha Klipstein (1880–1953)

Anhang 

Ernst Kreuder (1903–1972) Wilhelm Lehmann (1882–1962) Rudolf Leonhard (1889–1953) Mechthilde von Lichnowsky (1879–1958) Hans Mayer (1907–2001) Karl August Meissinger (1883–1950)

Werner Milch (1903–1950) Hans Erich Nossack (1901–1977) Luise Rinser (1911–2002) Curt Thesing (1879–1956) Hermann Uhde-Bernays (1873–1965) Leo Weismantel (1888–1964)

In München (15. – 18. 11. 1949) mit Zweidrittelmehrheit gewählt Richard Benz (1884–1966) Werner Bergengruen (1892–1964) Ernst Bloch (1885–1977) Karl Friedrich Borée (1886–1964) Hanns Braun (1893–1966) Gunter Groll (1914–1982) Rudolf Hagelstange (1912–1984) Ferdinand Hardekopf (1876–1954) Adolf von Hatzfeld (1892–1957) Konrad Heiden (1901–1966) Hans Hennecke (1897–1977) Stephan Hermlin (1915–1997) Wilhelm Herzog (1884–1960) Irmgard Keun (1910–1982) Siegfried Kracauer (1889–1966) Ferdinand Lion (1883–1968) Friedrich Luft (1911–1990) Georg Lukács (1885–1971) Ludwig Marcuse (1894–1971) Walter Mehring (1896–1981) Alfred Neumann (1895–1952)

Kurt Pinthus (1886–1975) Gerhart Pohl (1902–1966) Sigismund von Radecki (1891–1970) Gustav Regler (1898–1963) Hans José Rehfisch (1891–1960) Erich Maria Remarque (1898–1970) Walter Riezler (1878–1965) Herbert Roch (1907–1978) Oda Schaefer (1900–1988) Martha von Scheidt-Saalfeld (1898–1976) Albrecht Schaeffer (1885–1950) Karl Scheffler (1869–1951) Wilhelm Schmidtbonn (1876–1952) Franz Schoenberner (1892–1970) Wilhelm Speyer (1887–1952) Fedor Stepun (1884–1965) Otto von Taube (1879–1973) Adrienne Thomas (1897–1980) Georg von der Vring (1889–1968) Armin T. Wegner (1886–1978) Ehm Welk (1884–1966)

II Anwesenheitslisten (alphabetisch) Göttingen, 18. – 21. 11. 1948 Johannes R. Becher Günther Birkenfeld Axel Eggebrecht Hermann Friedmann Hans Henny Jahnn Hermann Kasack Erich Kästner Ernst Penzoldt

Reinhold Schneider Rudolf Schneider-Schelde Dolf Sternberger Johannes Tralow Günther Weisenborn Paul Wiegler Friedrich Wolf

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Hamburg, 12. 4. 1949 Axel Eggebrecht Herbert Eulenberg Hermann Friedmann Hans Henny Jahnn Hermann Kasack

Erich Kästner Ernst Penzoldt Rudolf Schneider-Schelde Dolf Sternberger

Bielefeld, 2. – 4. 6. 1949 Günther Birkenfeld Kasimir Edschmid Hermann Friedmann Alfred Kantorowicz

Horst Lange Johannes Tralow Fritz Usinger

München, 15. – 18. 11. 1949 Günther Birkenfeld Hanns Wilhelm Eppelsheimer Hermann Friedmann Wilhelm Hausenstein Hermann Kasack Erich Kästner Martin Kessel Hermann Kesten

Horst Lange Alfred Neumann Ernst Penzoldt Oda Schaefer Rudolf Schneider-Schelde Johannes Tralow Fritz Usinger Günther Weisenborn

Wiesbaden, 4. – 7. 12. 1950 Johannes R. Becher Martin Beheim-Schwarzbach Emil Belzner Karl Friedrich Borée Hanns Braun Kasimir Edschmid Hermann Friedmann Adolf von Hatzfeld Hans Hennecke Stephan Hermlin Hans Henny Jahnn Hermann Kasack

Marie Luise Kaschnitz Erich Kästner Martin Kessel Ernst Kreuder Ernst Penzoldt Luise Rinser Curt Thesing Johannes Tralow Fritz Usinger Georg von der Vring Günther Weisenborn Leo Weismantel

Anhang 

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Düsseldorf, 23. – 24. 11. 1951 Emil Barth Walter Bauer Johannes R. Becher Martin Beheim-Schwarzbach Karl Friedrich Borée Hanns Braun Kasimir Edschmid Hermann Friedmann Hans Hennecke Stephan Hermlin Peter Huchel Hans Henny Jahnn

Hermann Kasack Wilhelm Lehmann Rudolf Leonhard Hans Mayer Ludwig Renn Martha von Scheidt-Saalfeld Johannes Tralow Georg von der Vring Günther Weisenborn Ehm Welk Arnold Zweig

III Dokumente 1 Johannes R. Becher an den Generalsekretär des Internationalen PEN-Club, Hermon Ould, London (26. 7. 1946). Sehr geehrter Herr Ould! Namens und im Auftrag der deutschen Schriftsteller Herbert Eulenberg, Erich Kästner, Ilse Langner, Dr. Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Günther Weisenborn, Ernst Wiechert erlaube ich mir, Ihnen die Frage vorzulegen, ob die deutsche Gruppe im PEN-Klub, der einige der Obengenannten angehörten, noch existiert, und ob der PEN-Klub die Absicht hat, diese Gruppe entweder neu zu gründen oder neu zu beleben. Wir würden es von jedem Standpunkt aus nur begrüßen, wenn diese Gruppe wieder aktiv arbeiten würde. Wir bitten Sie, diese Anfrage eventuell bei den Behörden zu unterstützen, da wir der Überzeugung sind, dass im Interesse nicht nur unseres Volkes, sondern aller Völker eine internationale Verbindung des Schrifttums wieder angebahnt werden muss. Quelle: AdK Berlin, JRBA 1210. 2 Resolution über die Gründung einer innerdeutschen PEN-Gruppe 1.  Der internationale PEN-Klub, der auf seinem vorjährigen Kongreß die Wiedererrichtung des deutschen PEN-Klubs beschlossen hatte, nimmt mit Genugtuung die Gründung der ersten Gruppe von 20 deutschen Schriftstellern zur Kenntnis, die laut dem Statut für die Errichtung eines autonomen deutschen PEN-Klubs erforderlich ist. Diese 20 Schriftsteller sind von der deutschen Auslandsgruppe in London und mit Zustimmung des in Zürich gewählten vorbereitenden Ausschusses designiert worden. 2. Der Kongreß nimmt mit Genugtuung davon Kenntnis, daß die deutschen Schriftsteller damit einverstanden sind, daß der vorbereitende Ausschuß bis zum nächsten Kongreß oder aber längstens ein Jahr weiter bestehen bleibt, um die ordnungsgemäße Durchführung des von den deutschen Schriftstellern zugestandenen Grundsatzes zu garantieren, nämlich, daß während dieser selben Zeitspanne alle weiteren und zukünftigen Mitglieder des deutschen PEN-Klubs von der Gründergruppe einstimmig aufgenommen werden müssen. 3.  Der Kongreß nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß der deutsche PEN-Klub als grundsätzlicher und dauernder Bedingung damit einverstanden ist, keinen Schriftsteller

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aufzunehmen, der zu irgendeiner Zeit in der Nazi-Propaganda-Organisation, insbesondere in einem der vormals von Deutschland besetzten Länder, beschäftigt gewesen ist. Quelle: Hilde Spiel: Schriftsteller in Kopenhagen. In: Sie, 12.6.1948. Mit orthographischen und geringen sprachlichen Abweichungen auch in: P.E.N.-Club deutscher Autoren im Ausland, Sitz London: Mitteilungsblatt [Nr. 1], S. 3. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 3 Münchner Antrag auf der Konstituierenden Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am 19. November 1948 in Göttingen In Anbetracht der bis zum nächsten Kongreß in Venedig eingeschränkten Souveränität des Centrums Deutschland beantragen wir, die unterzeichneten Gründungsmitglieder, die Gründungsversammlung vom 18.–20. 11. 1948 in Göttingen wolle folgendes beschließen: Die provisorische Leitung bleibt bis zu einer nach dem Kongreß in Venedig innerhalb von drei Monaten anzuberaumenden Generalversammlung bestehen. Bis zu dieser Versammlung, in der Neuwahlen vorgenommen werden müssen, ist Professor Dr. Hermann Friedmann in London provisorischer Vorsitzender. Herrn Friedmann bleibt es überlassen, einen Beauftragten in Deutschland zu bestellen. München, den 7. November 1948. Quelle: Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948, II. Teil, S. 1. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645. 4 Präambel Das P.E.N.-Centrum Deutschland wurde am 19. November 1948 in Göttingen durch die zwanzig international gewählten deutschen Schriftsteller konstituiert. In der von allen Mitgliedern unterschriebenen P.E.N.-Charter heisst es: „Mitglieder des P.E.N. sollen jederzeit ihren ganzen Einfluss für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen; sie verpflichten sich, für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass und für die Hochhaltung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äusserster Kraft zu wirken. Der P.E.N. steht zu dem Grundsatz des ungehinderten Gedankenaustausches innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art von Unterdrückung der Äusserungsfreiheit, in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegenzutreten. Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft Zensurwillkür (erst recht in Friedenszeiten). Er ist des Glaubens, dass der notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt.“ Daher haben die deutschen Autoren gerade jetzt die Aufgabe, jeden Gewissenszwang überhaupt, besonders aber durch Eid, jeden Glaubens-, Völker- und Rassenhass, wie den Antisemitismus, zu bekämpfen. In den heutigen Tagen – kaum drei Jahre nach Beendigung des letzten Völkermordens – beobachten wir deutschen Schriftsteller mit grösster Sorge, wie bereits wieder von einer Kriegsgefahr und einem Kriege als einer unvermeidlichen Tatsache geredet wird, wie auf diese Weise eine Kriegsstimmung als erste Phase eines Krieges geschaffen wird. Wir deutschen Schriftsteller fühlen uns mitverantwortlich für die vergangenen Ereignisse und das gegenwärtige Geschehen. Wir fühlen uns in besonderem Masse verantwortlich, im Sinne der Wiedergutmachung gegen jede Völkerverhetzung und für die Völkerverständigung zu wirken, für die Achtung alles dessen, was Menschenantlitz trägt. Im Zeitalter der Atombombe bekämpfen wir auf dem Gebiete des Geistes wie des gesamten öffentlichen Daseins die Neigung zur Zerstörung menschlichen und kreatürlichen Lebens. Wir sind der Überzeugung, dass die gewaltigen

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entfesselten kosmischen Kräfte nicht der Vernichtung, sondern der menschlichen Arbeit und der Erfüllung der menschlichen Bestimmung dienen sollen. Wir halten den Anspruch der Menschen auf Glück für unverletzbar. Wir stehen hier unter der Verpflichtung unseres Gewissens zu den Worten Goethes: Es gibt eine Ebene der Kultur, auf der man das Schicksal des anderen Volkes wie sein eigenes empfindet. Quelle: Anlage zum Stenographischen Protokoll der Tagung des P.E.N.-Centrums Deutschland am Freitag, dem 19. November 1948. AdK Berlin, JRBA-PEN 11645, S. 1. Das abschließende Goethe-Zitat ergänzt nach: P.E.N.-Club deutscher Autoren im Ausland. Sitz London: Mitteilungsblatt Nr. 2, S. 2. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 5 Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Günther Birkenfeld an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschland (20. 11. 1950). An das Präsidium des PEN-Centrum Deutschland zu Händen Herrn Erich Kästner. München 23, Fuchsstr. 2 Liebe Kollegen! Vom 26. bis 30.  Juni 1950 fand in Berlin der INTERNATIONALE KONGRESS FÜR KULTURELLE FREIHEIT statt, an dem die folgenden Mitglieder des deutschen PEN als Delegierte teilnahmen: Hermann Kesten, Eugen Kogon, Rudolf Pechel, Theodor Plievier, Dolf Sternberger und Günther Birkenfeld. Unter den ausländischen Delegierten aus zwanzig Staaten befanden sich gleichfalls zahlreiche Mitglieder des internationalen PEN. Einer der Präsidenten des deutschen PEN-Centrums, Johannes R. Becher, hat die ausländischen und deutschen Delegierten dieses Kulturkongresses auf das schwerste öffentlich geschmäht, so u. a. in Heft Nr.  5/1950 der Zeitschrift des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands „Aufbau“ (s.  Anlage). Es ist anzunehmen, dass einige weitere Mitglieder des deutschen PEN-Centrums diesen Auslassungen Bechers vorbehaltlos zugestimmt haben und zustimmen, so sicherlich Stefan [sic] Hermlin, Alfred Kantorowicz, Anna Seghers und Friedrich Wolff [sic]. Da Johannes R.  Becher sich mit den Teilnehmern des Kulturkongresses ‚im wörtlichen Sinne auseinandersetzen‘ will, kann es uns nicht zugemutet werden, dass wir uns mit ihm und seinen Gesinnungsgenossen im deutschen PEN-Centrum noch weiterhin zusammensetzen. Nicht nur die Selbstachtung macht uns das unmöglich, sondern auch die Rücksicht auf unsere ausländischen Kameraden, die an dem Kulturkongress teilnahmen. Johannes R. Becher hat die Neutralität, um die sich die anderen Präsidenten des deutschen PEN und die an den bisherigen Tagungen anwesenden Mitglieder so sehr bemühten, in einer Form öffentlich gebrochen, die nach unserer Überzeugung von dem deutschen Centrum nur noch mit der Trennung von Becher und seinen Gesinnungsgenossen beantwortet werden kann. Zudem handeln Becher und seine oben genannten Parteigänger, als Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit und Unterdrückung, beständig und öffentlich im schroffen Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen PEN-CHARTA. Eine gedeihliche Zusammenarbeit mit dieser Gruppe ist nicht mehr denkbar. Sollte die von uns hiermit beantragte Trennung von der Gruppe Becher nicht erfolgen, so würden die Unterzeichneten schweren Herzens ihren Austritt aus dem PEN-Centrum Deutschland unter Abgabe einer öffentlichen Erklärung vollziehen müssen. Mit kollegialem Gruß! gez. Dr. Rudolf Pechel gez. Theodor Plievier gez. Dr. Günther Birkenfeld Quelle: Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 4.–7. 12. 1950, S. 2. SBBPK, NL Tralow K 86 M 38.

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 Christine Malende

6 Text der Lausanner Friedensresolution Der P.E.N.-Club, der zu seiner internationalen Tagung in Lausanne, Schweiz, zusammentrat, und aus Schriftstellern aus allen Teilen der Welt, aus Männern und Frauen der verschiedensten Rassen und Kulturen besteht, hat anschaulich bewiesen, dass Menschen aller möglichen politischen Überzeugungen und Ideologien sich an einen Beratungstisch setzen, über ihre Meinungsverschiedenheiten und eine Lösung ihrer Probleme verhandeln können [,] ohne Gewalt anzuwenden. Wir – von denen viele in zwei Kriegen, die die Welt verwüstet haben, Soldaten gewesen sind – glauben, dass es auch für ihre Nationen möglich ist, das zu tun, was eine Gruppe von Menschen getan hat. Der 23. Internationale P.E.N.-Club-Kongress handelt nach dem Grundsatz der P.E.N.-Charte[r] und nach den Prinzipien der UN, indem er einen dringenden Appell an die Regierungen aller Länder richtet, den gleichen Geist der Duldsamkeit wie ihre Schriftsteller zu zeigen und jede ihnen mögliche Anstrengung zu machen[,] um den Weltfrieden zu bewahren. Quelle: Anlage zu: Aus der Debatte über die Abstimmung der Friedens-Resolution. AdK Berlin, JRBA-PEN 11887, unter der gleichen Signatur auch die englische und französische Fassung; gleichlautend (mit minimalen Abweichungen) in: [Johannes R. Becher]: Bericht über die 23. internationale Tagung des PEN-Club in Lausanne, S. 2f.. AdK Berlin, JRBA-PEN 11891; eine sinngleiche, sprachlich andere Fassung, vermutlich nach dem englischen Text, in: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland. Sitz London: Mitteilungsblatt Nr. 7 (Anfang November 1951), S. IV. SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. 7 Text der Londoner Friedensresolution Wir Mitglieder des PEN-Klubs wünschen ausdrücklich festzustellen, dass wir uns zum Gedanken des Friedens bekennen. Wir wollen im Interesse des Friedens mit jedem zusammenarbeiten, der nicht nur durch ein blosses Lippenbekenntnis, sondern durch die Tat zeigt, dass er sich für Frieden, Freiheit des Einzelnen, Freiheit der Meinungsäusserung und Verständigung der Völker einsetzt, wie dies auch die Charta des internationalen PEN-Klub zum Ausdruck bringt. Quelle: P.E.N.-Klub deutscher Autoren im Ausland. Sitz London, Mitteilungsblatt Nr. 7, S. IV, SBBPK, NL Tralow K 85 M 29. Text und Begründung auch abgedruckt bei: (W. Sternfeld): Frieden und Freiheit. Neue Vorschläge zu einer Friedensresolution des PEN-Clubs. In: Das literarische Deutschland, 2 (1951) 19, 5. Oktober 1951, S. 8.

Dorothée Bores

Im Machtbereich der SED-Diktatur PEN in der DDR – Ein politisches Instrument?1

Vorbemerkung Nach dem Fall der Berliner Mauer geriet die Vergangenheit des PEN-Clubs im Osten Deutschlands verstärkt in den Focus – nicht nur der deutschen PEN-Mitglieder, sondern auch der medialen Öffentlichkeit. Im Kern ging es bei der oftmals hitzigen, teils unsachlichen und vor allem aufgeregten Debatte um grundsätzliche Fragen, auf die insbesondere der Internationale PEN seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und im Zuge der zunehmend ausgeprägten ideologisch basierten Teilung der Welt in zwei Machtblöcke immer wieder Antworten suchen und finden musste: Wie ist es um den Handlungsrahmen eines PEN-Zentrums in einem staatlichen Zwangssystem bestellt, dessen Organe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen? Ist es dessen Mitgliedern überhaupt möglich im Rahmen des moralisch-ethischen Handlungsgerüstes, das die internationale PEN-Charta umschreibt, zu agieren? Oder sind die Autoren, die in einem diktatorischen System leben, nicht bloß „Erfüllungsgehilfen einer hässlichen Diktatur“?2 Ist ihr Zentrum von der Staatsmacht für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert? Muss den PEN-Mitgliedern ein symptomatisches Versagen als Intellektuelle, ein Verrat an den moralischen Grundwerten vorgehalten werden? Oder existieren doch Handlungsfreiräume? Der Internationale PEN antwortet auf diese Fragen seit Jahrzehnten mit einem Höchstmaß an Diplomatie, lässt sich leiten von der Hochachtung der Toleranz; er stellt die Aufrechterhaltung der Verbindung zu Mitgliedern in totalitären Systemen in der Regel über die kompromisslose Verurteilung von (potenziellen) Verstößen gegen die PEN-Charta. Es gilt bis heute als wesentlich, den unter den Bedingungen einer Diktatur lebenden Kollegen ein Fenster zur demokratischen Welt offen zu halten. Deshalb muss auch im Falle des DDR-PEN genau hingesehen werden, um Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die sich im Zusammenhang PEN und Diktatur stellen. Aufgrund der Anbindung an eine internationale Organisation ergibt sich ein dreifacher Bezugsrahmen für die Geschichte des PEN-Zentrums in der DDR, der zum einen die Stellung im Staatswesen der DDR erfasst, zugleich aber die Einbindung im Internationalen PEN beleuchtet und – aufgrund der besonderen Situation im zweigeteilten Deutschland – auch das Verhältnis 1 Die vorliegenden Ausführungen folgen der ausführlichen Darstellung der Verfasserin, vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: De Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). 2 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Kiepenheuer 1997, S. 14.

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 Dorothée Bores

zum bundesdeutschen PEN-Zentrum berücksichtigt. Da die Arbeit des PEN zu einem Großteil auf dem Eigenengagement der Mitglieder beruht, gilt es darüber hinaus, die Entwicklung der PEN-Sektion nicht als reine Institutionen-, sondern auch als Personengeschichte zu betrachten. Das Leben in einem diktatorischen Staat spielt sich oftmals zwischen gegensätzlichen Polen – „Verrat oder Widerstand, Lüge oder Wahrheit“ – ab. Es entsteht somit ein „Magnetfeld“, in dem sich jeder einzelne immer wieder neu positionieren muss.3 Nur unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann ein differenzierendes Bild der PEN-Geschichte im Osten Deutschlands gezeichnet werden.

1 Kampf um Anerkennung als gesamtdeutsches PEN-Zentrum Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die weltpolitische Atmosphäre durch eine zunehmende Blockbildung geprägt; deren deutlicher Ausdruck fand sich in der Zweistaatlichkeit Deutschlands. Die Abspaltung einer Gruppe westdeutscher Mitglieder vom bis dahin Schriftsteller aus Ost und West einenden PEN-Zentrum Deutschland anlässlich der Düsseldorfer Jahrestagung im Oktober 1951 belegt eindrücklich, dass die Auswirkungen der machtpolitischen Weltaufteilung längst das deutsche Kulturleben erreicht hatten. Während die Gruppe der Ausgetretenen durch die Ankündigung einer konstituierenden Versammlung eine eindeutige Stellungsnahme der gesamten deutschen PEN-Mitgliedschaft provozieren wollte – Mitgliedschaft Ost oder West als „Gewissensfrage“4 – und das Engagement hinsichtlich einer eigenständigen westlich orientierten Gruppierung intensivierte, hoffte der gerade erst ins Amt gehobene Vorstand des PEN-Zentrums Deutschland – bestehend aus Johannes Tralow, Johannes R. Becher, Günther Weisenborn und Hans Henny Jahnn – auf eine gütliche Regelung des Sachverhaltes und appellierte unter Verweis auf die Grundsätze der internationalen PEN-Charta gleichfalls an das Gewissen der Mitglieder. Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus: Während die einen der Haltung der Ausgetretenen beipflichteten, äußerten andere Enttäuschung und Bedauern über die Abspaltung und reagierten mit Rückzug. Grundsätzlich aber schien die PEN-Mitgliedschaft durch die jüngsten Entwicklungen aus ihrer mindestens z. T. spürbaren Lethargie erwacht. Schon wenige Tage nach der umstrittenen Vorstandswahl offenbarten sich die Schwierigkeiten einer Verständigung von West nach Ost: Toleranz gegenüber dem Osten wurde in der Bundesrepublik Deutschland nur allzu schnell als Kommunis3 Günther Rüther: Überzeugungen und Verführungen. Schriftsteller in der Diktatur. In: Deutsch­ landArchiv 37 (2004) 4, S. 602–611, hier S. 607f. 4 Hermann Kasack: Ja und Nein. Auf der Düsseldorfer PEN-Tagung. In: Stuttgarter Nachrichten, 27. 10. 1951.



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mussympathie gewertet. Zu spüren bekam dies sehr bald der neu ernannte Generalsekretär Hans Henny Jahnn (Hamburg), der sich am liebsten der quälenden Debatte entzogen hätte: „Ich kann jedenfalls nur sagen, daß mir die deutsche Nation wieder einmal zum Halse heraus hängt, und daß ich nichts sehnlicher wünsche, als wieder emigrieren zu können.“5 Der Druck von außen war groß, eine tolerante Haltung gegenüber der DDR – und sei es nur auf der Ebene der Kultur – wurde geahndet: „Es war eine große Torheit, mich zum Generalsekretär zu wählen, eine noch größere, daß ich mich überreden ließ, die Wahl anzunehmen. Ich werde kalt gestellt werden, ohne daß ich oder jemand sonst einen Gewinn davon hätte.“6 Dennoch bemühte sich Jahnn um eine vermittelnde Position; er appellierte an die westdeutschen Mitglieder Hans Erich Nossack und Wilhelm Lehmann, in ihrer Entscheidung hinsichtlich des PEN nichts zu übereilen, bat Peter Huchel um eine mäßigende Einwirkung auf die östlichen Kulturschaffenden und nahm auch Kontakt zum Internationalen PEN auf. Der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow zeigte sich demonstrativ zuversichtlich – „Solange das Triumvirat Weisenborn, Jahnn und Tralow zusammenhält, fürchte ich nichts.“7 – und plädierte, nachdem der Wille der Ausgetretenen zur Gründung einer eigenständigen westdeutschen PEN-Gruppe mehr als offensichtlich geworden war, vehement für eine rasche Schaffung klarer Verhältnisse. Die möglichst unbeschädigte Rekonstruktion der ursprünglichen Mitgliedschaft war damit aus dem Blickpunkt gerückt. Eine eiligst einberufene Mitgliederversammlung, zu der alle nicht ausdrücklich ausgetretenen Mitglieder geladen werden sollten, sollte den Fortbestand des PEN-Zentrums Deutschland sichern. Während die Vorbereitungen einer solchen Versammlung anliefen, kam von den Hamburgern Hans Erich Nossack und Axel Eggebrecht die Mitteilung, dass beide die auf der Düsseldorfer Generalversammlung im Oktober 1951 vorgenommene Wahl in den Vorstand ablehnten und starke Skepsis gegenüber der von Tralow geführten, gesamtdeutsch titulierten PEN-Gruppe hegten. Es handele sich vielmehr um eine „Rumpfgruppe“8, die sich zwar gesamtdeutsch nenne, de facto aber alle Ostmitglieder umfasse und damit keineswegs den realen Mehrheitsverhältnissen entspreche. Ungeachtet dieser Rückschläge setzte sich Tralow für den Fortbestand des PEN-Zentrums Deutschland ein. Das Problem der Ungleichgewichtigkeit zwischen Ost- und West-Mitgliedern, das enormen Sprengstoff barg, war ihm sehr bewusst: Der PEN dürfe kein kommunistisches Gesicht erhalten, stattdessen müsse insbesondere der unkommunistische West-Flügel durch Zuwahlen gestärkt werden. Zwischen Westund Ost-Mitgliedern sollte etwa ein 2:1-Verhältnis durchgesetzt werden – aber nicht 5 Hans Henny Jahnn an Han[n]s Ulbricht (28. 10. 1951). Personalakte der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Zitiert nach Bernd Goldmann (Hrsg.): Hans Henny Jahnn. Schriftsteller, Orgelbauer. 1894–1959. Eine Ausstellung. Wiesbaden: Steiner 1973, S. 129. 6 Hans Henny Jahnn an Peter Huchel [26. oder 27. 10. 1951]. In: Bernd Goldmann (Hrsg.): Hans Henny Jahnn. Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Mainz: Hase & Koehler 1959, S. 20–23, hier S. 21. 7 Johannes Tralow an Johannes R. Becher (28. 10. 1951). AdK Berlin, JRBA 11969. 8 Erklärung von Axel Eggebrecht und Hans Erich Nossack (31. 10. 1951). SBBPK, NL Tralow K 86 M 39.

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um jeden Preis: „Ich lehne ab, einen ganzen Stoß von Ostleuten hineinzunehmen, obwohl der Osten sehr schwach vertreten war, und ebenso lehne ich es ab, hier im Westen die Schriftsteller von den Wegrändern aufzusammeln. Lieber langsam. Vorerst gilt es, die Position zu stärken.“9 Nur wer sich ausdrücklich mit einem PENZentrum einverstanden erklärte, das Mitglieder aus Ost und West vereinte, sollte auf die Vorschlagsliste für die Zuwahlen gesetzt werden. Auch für die Besetzung des Vorstandes galt in Absprache mit Johannes R. Becher die Zielsetzung, dass der Westen dominieren sollte: Die besondere Lage des Zentrums bringt es mit sich, daß der Westen und der Osten durch je einen Präsidenten im Vorstand vertreten sind, und es ist ferner ein stillschweigendes Übereinkommen, daß der geschäftsführende Präsident immer ein Westler sein soll, ebenso wie der Generalsekretär und der Schatzmeister. Im Vorstand stehen also einer Stimme des Ostens vier Stimmen des Westens gegenüber.10

Becher und Tralow waren vom Fortbestand des PEN-Zentrums Deutschland überzeugt und hatten gemeinsam ein provisorisches Arbeitsprogramm vorgelegt, das auch dessen (inter)nationale Aktivität ankurbeln sollte. Der Termin für die geplante Mitgliederversammlung in Berlin war auf den 10. Dezember 1951 festgesetzt worden. In diese Atmosphäre produktiver Arbeitsamkeit platzte Ende November 1951 die Meldung vom Rücktritt Günther Weisenborns. Sein Amt als Mit-Präsident werde frei, weil er die „Einheit des PEN“ befürworte. Seine Forderung nach einer allgemeinen Hauptversammlung mit allen Mitgliedern des deutschen PEN, inklusive der Düsseldorfer Sezessionisten, sah er als nicht erfüllt an und erklärte seinen Rückzug: „Da mein Verhalten lediglich von meiner eigenen Meinung bestimmt wird, ziehe ich in aller Sauberkeit die fällige Konsequenz.“11 Beinahe zeitgleich erklärte der Generalsekretär Jahnn, dass er sein Amt aus gesundheitlichen Gründen „im Augenblick in keiner Weise ausfüllen“12 könne. Obgleich er sich in der westlichen Öffentlichkeit zahlreichen Verdächtigungen ausgesetzt sah, machte Jahnn deutlich, dass er nach wie vor ein Befürworter der Verständigung zwischen Ost und West, insbesondere der deutschen PEN-Mitglieder, war. Dass ihn seine gesundheitliche Verfassung längerfristig außer Gefecht setzen würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Aktiven Anteil konnte er daher an den Reorganisationsbestrebungen nicht nehmen. Gleichwohl war sein Interesse an den PEN-Belangen ungebrochen. Mindestens mit seinem Namen stand er für einen PEN mit Mitgliedern aus Ost und West ein. Unterdessen waren die Konstitutionsbestrebungen auf westdeutscher Seite, gelegentlichen Selbstzweifeln zum Trotz, weit vorangeschritten. So wurde unter Beteiligung der aus dem PEN-Zentrum Deutschland Ausgetretenen am 3./4. Dezember 1951 9 Johannes Tralow an Fritz Usinger (29. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 37 Konv. Usinger. 10 Johannes Tralow an Wilhelm von Scholz (26. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 36 Konv. Tralow. 11 [NZ]: Weisenborn tritt als PEN-Präsident zurück. In: Die Neue Zeitung, 28. 11. 1951. 12 Hans Henny Jahnn an Johannes Tralow (26. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 47 Konv. Jahnn.



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in Darmstadt das Deutsche PEN-Zentrum (Bundesrepublik) aus der Taufe gehoben. Insgesamt hatten sich 15 ehemalige Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland für die Teilnahme an der konstituierenden Sitzung entschieden, darunter die abgewählten Vorstandsmitglieder Hermann Friedmann, Erich Kästner und Kasimir Edschmid, sowie die Unterzeichner der Düsseldorfer Sezessionserklärung Walter Bauer, Martin Beheim-Schwarzbach, Wilhelm Lehmann, Georg von der Vring und Hermann Kasack. Hinzu kamen Rudolf Alexander Schröder, Curt Thesing, Marie Louise Kaschnitz, Martin Kessel, Oda Schaefer, Ernst Kreuder und Leo Weismantel. Neben weiteren 15 übertrittswilligen Mitgliedern ließen sich auch Hanns Braun, Emil Barth, Hans Hennecke, Martha Saalfeld und Karl Friedrich Borée durch Vollmachten vertreten. Der Gründungsversammlung wohnte als Gast der Präsident des PEN-Klubs deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, bei. Die Anwesenden wählten Erich Kästner zum Präsidenten des neu gegründeten deutschen PEN-Zentrums. Ihm zur Seite gestellt wurden Kasimir Edschmid als Generalsekretär und Walter Bauer im Amt des Schatzmeisters. Als Ehrenpräsident mit Sitz und Stimme im Vorstand bestimmte die Versammlung Hermann Friedmann. Das beratende Kollegium des Präsidiums setzte sich zusammen aus Rudolf Alexander Schröder, Hermann Kasack, Martin Kessel und Martin Beheim-Schwarzbach. Die junge PEN-Sektion erfreute sich raschen Zulaufs. Schon Mitte Dezember 1951 meldete die Presse Zahlen von mehr als 60 Mitgliedern. Dem Anschluss an die neu gebildete Sektion lagen überaus individuelle und häufig schwierige Entscheidungen zu Grunde. Es war durchaus eine Gewissensfrage, die von jedem Einzelnen im Hinblick auf die politische und weltanschauliche Überzeugung beantwortet werden musste. Indes spielte auch die Bedeutung persönlicher Bindungen eine nicht unerhebliche Rolle. So wurden gruppendynamische Prozesse in Gang gesetzt, die mit dem menschlichen Grundbedürfnis nach Vertrautheit und Kollegialität in Einklang standen. Der Vorstand des neu geschaffenen bundesdeutschen PEN-Zentrums zeigte sich nach dem erfolgreichen Verlauf der konstituierenden Sitzung und dem großen Anklang, den die neu gegründete Sektion fand, davon überzeugt, dass es gelungen sei, die Majorität der bisherigen deutschen PEN-Mitglieder unter dem Dach der Neugründung zu vereinigen. Der Fortführung des PEN-Zentrums Deutschland, dessen kommunistische Ausrichtung in der westlichen Presse als erwiesen dargestellt wurde, billigten die Vorstandsmitglieder keine großen Chancen zu; vielmehr sei die baldige Selbstauflösung zu erwarten. Interpretiert wurde die Bildung eines bundesdeutschen Zentrums in der Presse in der Regel als zwangsläufige Konsequenz der politischen Entwicklung. Vereinzelt wurde Enttäuschung darüber laut, dass die Schriftsteller daran gescheitert waren, die politische Teilung Deutschlands auf der Ebene des geschriebenen und gesprochenen Wortes zu überwinden. Ähnlich wie die bundesdeutschen Vorstandsmitglieder billigten auch die Vertreter des PEN-Zentrums Deutschland ihrem Gegenüber nur geringe Überlebens-

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chancen zu. Tralow sprach pejorativ von einem „Häuflein“13, dessen Existenz auf internationaler Ebene keineswegs bestätigt worden sei: „Es scheint mir nicht wahrscheinlich, dass der internationale PEN einer aggressiven politischen Kampfgruppe seinen Namen gibt, zumal der Missbrauch des PEN-Namens, wie er jetzt stattfindet, uebel vermerkt werden duerfte.“14 Tralow interpretierte die Vorgehensweise auf der Düsseldorfer Tagung als konzertierte Aktion gegen die PEN-Mitglieder aus der DDR, die auf Weisung „seitens des Kaiser-Ministeriums [d. i. das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen] bzw. amerikanischer Dienststellen ergangen“15 sei. Zielsetzung sei der Ausschluss der DDR-Autoren gewesen: „Die Spaltung war vorher kühl überlegt. Man will im Gegensatz zur Pen-Charter keinen einzigen Kommunisten im Zentrum Deutschland mehr dulden, und es ist nicht mehr zu leugnen, daß einige unserer Kollegen aus der DDR der SED angehören.“16 So sprachen sich beide PENGruppierungen gegenseitig die Existenzberechtigung ab und schielten nach dem Internationalen PEN, von dem sie eine Klärung der Sachlage erhofften. Die nächste Exekutivkomitee-Tagung war indes erst für März 1952 (Paris) angesetzt. Bis dahin blieb den Verantwortlichen im PEN-Zentrum Deutschland Zeit, auf die als unumstößlicher Fakt anzusehende Konstituierung der bundesdeutschen Gegen-Gruppierung zu reagieren und eine rege Aktivität zu entfalten. Am Beginn der Reorganisationsbestrebungen des PEN-Zentrums Deutschland stand die Vorbereitung und Durchführung der Mitgliederversammlung am 10. Dezember 1951. Im Vor- und Nachhinein war die Mitgliederversammlung von zahlreichen Presseartikeln begleitet worden. Während die antikommunistische Presse der Tagung den Anstrich einer hoch konspirativen Zusammenkunft östlicher Anhängerschaft verpasste, schürte die DDR-Presse ihrerseits ebenso propagandistisch das Misstrauen gegenüber dem Westen. Zielscheibe der westlichen Journalisten war vor allem Johannes R. Becher; er versuche unter allen Umständen „Söldlinge zu werben für sein mit literarischen Emblemen getarntes trojanisches Pferd“.17 Er sei indes gescheitert – die Haltung der westdeutschen Autoren habe seine Idee, das PEN-Zentrum „zur Propagierung kommunistischer Pseudo-Ideen zu nutzen“,18 längst zunichte gemacht. Tatsächlich waren kaum Mitglieder aus dem Westen für eine Teilnahme zu motivieren und so wohnten mit Ausnahme von Tralow und dem noch zu wählenden Mitglied Rüdiger Syberberg ausschließlich führende Schriftstellerpersönlichkeiten der DDR der Versammlung am 10. Dezember 1951 bei: Anna Seghers, Friedrich Wolf, Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Peter Huchel, Hans Mayer, Ehm Welk, Rudolf Leonhard, 13 [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 2. AdK Berlin, JRBA 12011. 14 Johannes Tralow an Ernst Glaeser (26. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 32 Konv. Glaeser. 15 [Johannes Tralow]: Die PEN-Spalter in Darmstadt und die Mitgliederversammlung des gesamtdeutschen PEN-Zentrums am 10. Dezember in Berlin, S. 1. AdK Berlin, JRBA 12011. 16 Johannes Tralow an Adolf von Hatzfeld (13. 11. 1951). SBBPK, NL Tralow K 32 Konv. v. Hatzfeld. 17 [o. V.]: Becher-Dämmerung. In: Die Neue Zeitung 259 (15. 12. 1951). 18 Ebd.



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Johannes R.  Becher und Alfred Kantorowicz. Der Vorwurf, dass das PEN-Zentrum Deutschland DDR-dominiert sei, war auf dieser Grundlage nicht zu entkräften. Umso erstaunlicher erscheint die Vehemenz mit der die alleinige Existenzberechtigung des Zentrums verteidigt wurde. Um die Daseinsberechtigung der vielfach als „Rumpf-P.E.N.“ bzw. „P.E.N.-Torso“19 bezeichneten Gruppierung zu bekräftigen, stand im Zentrum der Tagung die Zuwahl neuer Mitglieder. In der Tat wurden 31 neue Mitglieder aus Ost wie West zugewählt, deren Namen allerdings unter Verschluss gehalten wurden, weil sie der Wahl erst zustimmen mussten.20 Zur Stärkung des geschwächten Vorstands wählte man das gerade erst aufgenommene Mitglied Rüdiger Syberberg zum Mitpräsidenten und übertrug Tralow zusätzlich zum Amt des Präsidenten das des Schatzmeisters – Zugeständnisse an das selbst auferlegte Verhältnis im Präsidium von 3 (West) : 1 (Ost). Als offizielle Delegierte für den Kongress in Nizza (Juni 1951), der für die Entscheidung über die Anerkennung der deutschen Zentren von immenser Bedeutung werden sollte, nominierte man Becher und Tralow. Weitere Beschlüsse der Versammlung zielten auf die Intensivierung der Beziehungen zu den PEN-Zentren in den Ostblockstaaten Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei, um deren Inaktivität im Internationalen PEN zu beenden und mit Blick auf die Nizzaer Abstimmung positive Stimmen für das PEN-Zentrum Deutschland zu sichern. Zudem gelang es im Nachgang, eine von Tralow formulierte und von der Versammlung einstimmig angenommene Resolution öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, die noch einmal den Alleinvertretungsanspruch des PEN-Zentrums deutlich machte. Zwar zeigte man darin demonstrativ eine versöhnliche Haltung des PEN-Zentrums Deutschland und räumte den ‚Abtrünnigen‘ großmütig die Rückkehrmöglichkeit ein. Gleichwohl brandmarkte man die Mitglieder des neu gegründeten bundesdeutschen Zentrums als politische Störenfriede, die die Idee von der Bewahrung einer einheitlichen deutschen Kultur durch ihr Verhalten empfindlich störten.21 Wenig versöhnliche Worte fand Bertolt Brecht; er attackierte die westdeutschen Neugründer, deren Spaltungsbestrebungen er als Auftragsunternehmung derer charakterisierte, „die an Spaltung und kriegerischer Haltung inter-

19 [dpa]: PEN-Torso tagte unter Becher und Tralow. In: Die Neue Zeitung, 12. 12. 1951. 20 Zu den 31 Zugewählten zählten u. a. die DDR-Schriftsteller Wieland Herzfelde, Bodo Uhse, Willi Bredel und Stefan Heym. Aus dem Westen hatte man u. a. Wilhelm von Scholz, Herbert Burgmüller, Alexander Stenbock-Fermor, Karl Jakob Hirsch, Irma Loos, Rüdiger Syberberg, Walter von Molo und Wolfheinrich von der Mülbe gewählt. Aufgelistet wurden weiterhin Manfred Hausmann, Melchior Fischer, Walter Kolbenhoff, Marie-Luise Fleisser, Werner Ilberg, Herbert Ihering, Eduard Claudius, Alexander Abusch, Paul Rilla, Hans Marchwitza, Arno Peters, Richard Drews, Maximilian Scheer, Claus Herrmann, Ernst Niekisch, Victor Klemperer, Werner Krauß, Erich Weinert und Kuba (d. i. Kurt Barthels). 21 Vgl. Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland vom 10. 12. 1951. Zitiert nach: Gegen eine Bevormundung des PEN-Clubs. Eine Pressekonferenz seines „Deutschen Zentrums“ in der Akademie der Künste. In: Der Morgen (LDPD), 12. 12. 1951.

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essiert sind.“22 Damit waren die wechselseitigen Stellungen in der kulturpolitischen Auseinandersetzung klar bezogen. Für die Entscheidung des Internationalen PEN, wie mit der deutschen Situation umzugehen sei, schien es aus Sicht der Verantwortlichen im PEN-Zentrum Deutschland vordringlich, über eine gesunde Mischung von Mitgliedern aus Ost und West die eigene Legitimität zu untermauern. Die Mitgliederlage aber erscheint zu Beginn, und auch im weiteren Verlauf des Jahres undurchsichtig. Zwar liefen schleppend Abund Zusagen ein. Eindeutige Aussagen über die Mitgliedschaft zu treffen, fiel jedoch angesichts sich widersprechender Zuordnungen und fortdauernder Verschiebungen in den Mitgliederzahlen schwer. Nichtsdestotrotz war Tralow fortwährend bemüht, die Existenz des PEN-Zentrums Deutschland zu erhalten. Ein wenig glücklicher Versuch, durch Kontaktaufnahme mit der internationalen Zentrale direkte Gespräche einzuleiten, scheiterte; man war nicht gewillt, die deutsche Problematik vor der Pariser Exekutive im März 1952 auf die Agenda zu setzen. Untätigkeit war indes nicht Tralows Sache. In einem Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. startete er den Versuch, vor allem das widrige Verhalten der westdeutschen Spaltungsgruppierung aufzudecken, das wohl darauf abziele, „Staats- wie Parteipolitik in das Zentrum […] und offensichtlich in den gesamten Internationalen P.E.N. hineinzutragen“.23 Seiner Argumentation zupass kam die Zuwahl des Bundespräsidenten Theodor Heuss; diese zeige deutlich, dass sich die westdeutsche PEN-Sektion „zu einer politischen Kampfgruppe gegen den Osten“24 zusammengefunden habe. Selbst unter den Mitgliedern des Darmstädter PEN herrschte Skepsis hinsichtlich Heuss’ Zuwahl; diese sei ein „Schönheitsfehler“.25 Heuss selbst ging mit den Vorwürfen relativ gelassen um; er wünschte seine Mitgliedschaft zuallererst als literarische Angelegenheit verstanden zu wissen. Im Zusammenhang mit der Broschüre zur Situation im deutschen P.E.N., die übersetzt in mehrere Sprachen erschien, muss auf die Finanzierung und Organisation der Drucklegung durch den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands verwiesen werden, dessen Präsidentschaft Johannes R.  Becher innehatte. Schon unmittelbar nach der Abspaltung einer bundesdeutschen Sektion im Oktober 1951 hatte sich eine Annäherung des PEN-Zentrums Deutschland an den sowjetisch kontrollierten und daher im Westen handlungsunfähigen Kulturbund angebahnt; dieser vertrat eine „Konzeption der Erneuerung Deutschlands mit der Berufung auf die Einigungskraft der deutschen Kultur“26 und hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Sam22 Zitiert nach: Dichter und Drahtzieher. Zu Vorgängen um das deutsche PEN-Zentrum. In: NationalZeitung (Berlin/Ost), 14. 12. 1951. 23 Johannes Tralow: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. (20. 12. 1951), S.  2. SBBPK, NL Tralow K 86 M 39. 24 Ebd., S. 5. 25 Erich Kästner an Kasimir Edschmid (18. 12. 1951). DLA, N: Edschmid Konv. P.E.N. 26 Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945–2000. Berlin: AtV 2003, S. 33.



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melpunkt der gesamten deutschen Intelligenz zu werden. Das Interesse des Kulturbunds an einer verdeckten Indienstnahme des PEN-Zentrums Deutschland, einer der letzten gesamtdeutschen Vereinigungen, war demgemäß groß. In der Folgezeit wurden die Belange des PEN-Zentrums Deutschland in enger Kooperation mit dem Kulturbund verhandelt. Die Führungspersonen des Kulturbunds waren umfassend über die Unternehmungen des PEN informiert; Tralow war zum Rechenschaftsbericht verpflichtet. Eine direkte Einflussnahme von Seiten des Kulturbunds ist nur schwerlich nachzuweisen; Belege für die organisatorische und finanzielle Unterstützung finden sich indes: So erhielt Tralow unregelmäßige Zahlungen „für die Bestreitung der Organisationsauslagen“27 – im Durchschnitt 500,- DM monatlich. Für Tralow kam die finanzielle Unterstützung aufgrund seiner vielfach belegten, chronischen Geldnot zur rechten Zeit. Auch die Annehmlichkeiten, die sich durch die Verbindung mit dem Kulturbund eröffneten, etwa finanzierte Aufenthalte in der Künstlerkolonie Ahrenshoop, nahm Tralow gerne an. So wurde er im Grunde zu einem Wanderer zwischen zwei Welten – er wandelte zwischen Gauting und Berlin; er war kein überzeugter Kommunist, aber auch kein williger ‚Fellow-Traveller‘. Tralow hoffte nachhaltig auf die Überwindung des OstWestkonflikts. Die Lage von Neutralisten, die sich nicht recht für eine Seite entscheiden mochten, war aber gerade in der Bundesrepublik schwierig. In der DDR stand man den Befürwortern der deutschen Einheit Anfang der 1950er Jahre aufgrund der gemeinsamen Zielvorstellung etwas offener gegenüber. Die Gemengelage aus desolater Auftragslage in der Bundesrepublik, daraus resultierender schwieriger Finanzlage und der scheinbar übereinstimmenden Zielvorstellung trugen dazu bei, dass Tralow sich zur Zusammenarbeit mit einer kulturpolitischen Institution der DDR bereit fand. Dass er sich damit in Abhängigkeit einer staatlich kontrollierten Massenorganisation der DDR begab, dürfte Tralow sehr bewusst gewesen sein. Gleichwohl blieb er unbeirrt fixiert auf seine Zielvorstellung – ein gesamtdeutsches PEN-Zentrum. Auf der Exekutivkomitee-Tagung in Paris (März 1952) sollten die Vertreter der beiden deutschen Sektionen erstmals wieder aufeinander treffen – jeweils wohl beraten: So wie der internationale Vizepräsident Robert Neumann sich als verlässlicher Ratgeber des ursprünglichen PEN-Zentrums Deutschland betätigte, agierten als eifrige Fürsprecher der bundesdeutschen Neugründung der Präsident des PEN-Klubs Deutschsprachiger Autoren im Ausland, Richard Friedenthal, und auch Wilhelm Sternfeld. Schon im Vorfeld der Tagung hatten beide deutsche Sektionen sich bemüht, auf internationaler Ebene die Legitimität des eigenen Zentrums zu beschwören und die Existenzberechtigung des jeweiligen Gegenübers in Zweifel zu ziehen. Trotz Friedenthals scharfer Attacken, die auf die Schwachstellen des PEN-Zentrums Deutschland zielten, fällte die Pariser Exekutive nach Anhörung beider Kontrahenten ein diplomatisches Urteil: Beiden Gruppen wurde ihre vorläufige Existenzberechtigung zugesprochen. Die Nach- und Zuwahlen des PEN-Zentrums Deutschland 27 Carlfriedrich Wiese an Johannes Tralow (9. 6. 1952). SBBPK, NL Tralow K 58 Konv. Wiese.

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wurden anerkannt, dem neu gegründeten Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik) bewilligte man ein „‚Provisorium‘ bis 1953“.28 Mit dieser Abstimmung war allerdings keinerlei Klarheit über die genaue Benennung der beiden deutschen PEN-Zentren geschaffen worden. Eine deutliche Trennung gemäß einer geographischen Bezeichnung war nicht durchgesetzt worden. Während Tralow im Nachgang der Pariser Tagung mit dem Begriff ‚gesamtdeutsch‘ kokettierte, machte Friedenthal deutlich, dass in Paris in dieser Hinsicht keinerlei Entscheidung getroffen worden sei. Die endgültige Entscheidung über die ‚querelles allemandes‘ im Internationalen PEN fiel erst auf dem PEN-Kongress in Nizza, der im Juni 1952 tagte; dort wurde die Existenz zweier respektive dreier deutscher Zentren endgültig anerkannt: Das bundesdeutsche Zentrum wurde einstimmig von den Delegierten akzeptiert, das PEN-Zentrum Deutschland und der PEN-Klub Deutschsprachiger Autoren im Ausland bestätigt. Schon im Nachgang der Pariser Tagung, die ein grundsätzlich positives Signal für die Fortexistenz des PEN-Zentrums Deutschland gegeben hatte, gab es Veränderungen in dessen Vorstand: Jahnn zog sich endgültig aus dem Amt des Generalsekretärs zurück, und gab damit nicht nur dem wachsenden Druck nach, dem er aufgrund seiner exponierten Stellung als Generalsekretär des von DDR-Mitgliedern dominierten PEN-Zentrums Deutschland in der Bundesrepublik ausgesetzt war, sondern auch seinen Bedenken, dass sich mit der Anerkennung einer bundesdeutschen Sektion aus dem gesamtdeutschem Zentrum tatsächlich ein Ost-PEN entwickeln könnte. Eine solche Entwicklung schien er nicht mittragen zu wollen. Und auch ein anderer Protagonist zog sich mehr und mehr von der PEN-Bühne zurück. Nach der vollzogenen Trennung rührte Johannes R.  Becher sich „so gut wie gar nicht“.29 Als Ansprechpartner für Tralow fungierten in der DDR die Sekretäre des Kulturbunds Alexander Abusch, Carlfriedrich Wiese und Erich Wendt; diese vertraten die lenkende Kontrolle des PEN-Zentrums Deutschland durch den Kulturbund. Was folgte, war Tralows entschiedenes Ringen, der Zuordnung des PEN-Zentrums Deutschland zum östlichen Machtbereich durch die westdeutsche Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Tralow empfand die Berichterstattung im Nachgang des Nizzaer Kongresses als regelrechte Pressekampagne gegen das PEN-Zentrum Deutschland und erhob gezielt Anklage gegen verschiedene westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften. Die Auseinandersetzung mit der Süddeutschen Zeitung und deren Artikelschreiber Hanns Braun etwa führte bis zu einer Klage vor dem Landgericht München, die durch den Abdruck einer Berichtigung schließlich abgewendet werden konnte. Begleitet wurden die presserechtlichen Auseinandersetzungen durch die Meldungen von neuerlichen Aus- bzw. Rücktritten westdeutscher Mitglieder – namentlich Wilhelm von Scholz und Rüdiger Syberberg –, die selbstredend als neue Belege für das Bröckeln des 28 Johannes Tralow an Hans Henny Jahnn (17. 3. 1952). SBBPK, NL Tralow K 33 Konv. Jahnn. 29 Erich Kästner berichtete über Weisenborn, der im Gespräch mit Tralow diese Klage gehört hatte. Erich Kästner an Kasimir Edschmid (25. 4. 1952). DLA, N: Edschmid Konv. P.E.N.



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als Ost-PEN titulierten PEN-Zentrums Deutschland aufgegriffen wurden. Schädlich war im Falle von Scholz nicht unbedingt der eigentliche Austritt, sondern vielmehr dessen öffentlichkeitswirksamer Vollzug. Noch schwerer wog indessen der Rücktritt des amtierenden Präsidenten Rüdiger Syberberg, der wiederum öffentlich seine Kapitulation hinsichtlich des schwelenden Ost-West-Konfliktes bekannte: „Ich habe allen Widerständen zum Trotz einer Verständigung zwischen Ost und West zu dienen versucht – heute gestehe ich meinen Irrtum (um nicht zu sagen Konkurs) ein und verspüre keine weiteren Neigungen mehr zu solchen direkten Unternehmungen.“30 Inoffizieller Hintergrund seines Rücktrittes mögen aber auch interne Auseinandersetzungen um finanzielle Angelegenheiten gewesen sein, die nicht letztgültig aufgeklärt werden konnten. Nach Syberbergs Ausscheiden stand dem PEN-Zentrum Deutschland nurmehr ein regelrechtes ‚Rumpfpräsidium‘ vor, das aus Johannes Tralow als geschäftsführendem Präsidenten und Schatzmeister sowie Johannes R. Becher als zweitem Präsidenten bestand. Allen Rückschlägen zum Trotz stand Tralow weiterhin mit Vehemenz für seine Idee eines Ost- und West-Autoren vereinenden PEN-Zentrums Deutschland ein, dass es in seiner Existenz zu stärken und weiter aufzubauen galt. Einen nicht unerheblichen Unsicherheitsfaktor in dieser Hinsicht bildete die Frage, wie es tatsächlich um den Mitgliederstand bestellt war. Viele westdeutsche Mitglieder hatten zwar ihren Eintritt in das Deutsche PEN-Zentrum (Bundesrepublik) erklärt, aber nicht definitiv ihren Austritt vermeldet. Eine dezidierte Aufforderung, sich zu erklären, wurde nur von wenigen Mitgliedern überhaupt und wenn, dann abschlägig beantwortet. Ein positiver Kontakt nach Westdeutschland ergab sich durch die Verbindung zu dem in Düsseldorf ansässigen Redakteur Herbert Burgmüller, der 1951 ins PEN-Zentrum Deutschland gewählt und über die Mitarbeit an der Herausgabe eines Ost-West-Almanachs an die PEN-Arbeit herangeführt worden war. Deren Untiefen sollte er allerdings sehr bald kennen lernen. Die Schwierigkeiten, die die Organisation und die Durchführung einer ordnungsgemäßen Generalversammlung im Februar 1953 begleiteten, spiegelten die Realitäten im Verhältnis der beiden deutschen Staaten gleichsam wider. Alle politischen Bemühungen um eine Wiedervereinigung oder zumindest eine neuerliche Annäherung waren an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Kontrahenten gescheitert. Konrad Adenauers Politik, die die Integration der Bundesrepublik in das westliche Machtbündnis über die Verständigung bzw. Einheit mit dem ostdeutschen Staat stellte, war spätestens mit der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages besiegelt. Die deutliche Abgrenzungspolitik wurde nun auch vom Osten, der zuvor noch Vorschläge zur Abhaltung gesamtdeutscher Beratungen gemacht hatte, mit gezielten Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen Ost und West beantwortet: Die bislang noch durchlässige Zonengrenze wurde vollkommen abgeriegelt. Von Seiten 30 Rüdiger Syberberg schreibt uns. In: Die Literatur (Stuttgart), 1. 11. 1952. Enthalten in SBBPK, NL Tralow K 89 Konv. 1952.

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der DDR setzte man nicht länger auf eine gesamtdeutsche Politik, sondern auf die Verkündung des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus. Beide deutsche Staaten strebten in der Folge verstärkt danach, die Einbindung in den östlichen bzw. westlichen weltpolitischen Machtblock voranzutreiben. Die staats- und geopolitischen Gegebenheiten zeigten am Ende des Jahres 1952 deutliche Auswirkungen auf das PEN-Zentrum Deutschland, dessen gesamtdeutsche Ausrichtung den realpolitischen Verhältnissen im Grunde nicht länger entsprach. Die Verantwortlichen sahen sich vor die Frage gestellt, wie angesichts der strikten Zweistaatlichkeit zukünftig das Clubleben aussehen sollte. Zu den altbekannten finanziellen Engpässen, die schon früher die Teilnahme an Tagungen behindert hatten, kamen nun die Problematik des strikt reglementierten Interzonenverkehrs und die durchaus heikle Wahl des Tagungsortes hinzu. Als Veranstaltungsort für die Generalversammlung Ende Januar 1952 wählte man schließlich München. Diese Entscheidung erwies sich als problematisch: Die Ausstellung der Aufenthaltsgenehmigungen für die Mitglieder aus der DDR verzögerte sich, in der Folge wurde die Generalversammlung auf Anfang Februar verschoben. Die Ausgabe der Genehmigungen verzögerte sich weiter, schließlich zog das Bundes-Innenministerium gar die ursprüngliche Bewilligung der Mitgliederversammlung indirekt zurück; es empfehle sich nicht, „Mitglieder aus der DDR nach München einzuladen“,31 da „begründeter Anlaß zu der Annahme [bestehe], daß diese Schriftsteller ihre Anwesenheit im Bundesgebiet für die Propagierung sowjetischer Ideologien verwenden werden, die die Bevölkerung im Bundesgebiet ablehnt.“32 Letztlich wurden die Aufenthaltsgenehmigungen für die Mitglieder aus der DDR nicht erteilt; dies zwang das PEN-Zentrum Deutschland schon im Vorfeld der Tagung zur Aufgabe: Die Durchführung einer Versammlung auf bundesdeutschem Boden ohne die Autoren aus der DDR hätte die grundlegende Idee des Zentrums, Literaten aus Ost und West zusammenzubringen, ad absurdum geführt. Aus Sicht der DDR bot das faktische Verbot der Generalversammlung einen geeigneten Aufhänger für einen propagandistischen Feldzug gegen die Bundesrepublik und deren Staatssystem, in dem nicht nur die Verhinderung von „Veranstaltungen demokratischer Kräfte“33, sondern auch die aktuelle Deutschlandpolitik der bundesdeutschen Regierung angeprangert wurde. Gleichwohl war die Durchführung einer PEN-Veranstaltung in München schon im Ansatz gescheitert. In der Folge suchte Tralow verzweifelt nach einer Lösung und schlug gar die Durchführung einer schriftlichen Vorstandswahl durch. Nach der Debatte zahlreicher Lösungsansätze und möglicher Tagungsorte, in die sich die Sekretäre des Kulturbunds verstärkt einmischten, stand Ende April 1953 schließlich 31 Johannes Tralow an Herbert Burgmüller (28. 1. 1953). SBBPK, NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. 32 Brief des Bundes-Innenministeriums an Johannes Tralow (24. 1. 1953). Zitiert nach Dr. F. T.: „… es empfiehlt sich nicht!“ Generalversammlung des PEN-Clubs in München verboten. In: Der Sonntag 6 (8. 2. 1953). 33 Ebd.



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„Gross-Berlin“ als Ort der Generalversammlung fest. Durch den besonderen Einsatz des Bundessekretärs Carlfriedrich Wiese, der die Verhandlungen mit den parteipolitischen Instanzen der DDR übernommen hatte, standen der Veranstaltung keine bürokratischen Hinderungsgründe entgegen: Alle erforderlichen Genehmigungen waren erteilt und auch die Frage des Grenzübergangs von West nach Ost eindeutig geklärt. So konnte die Generalversammlung, die die Aufnahme regulärer Clubaktivität nach der internationalen Anerkennung ermöglichen sollte, planungsgemäß am 10.  Mai 1953 in Berlin zusammentreten.

2 „Wenn Du kein Spektakel machen kannst …“ – Die Ära Brecht (1953–1956) Die Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland, die im Mai 1953 in Berlin zusammentrat, markierte eine deutliche Zäsur in der Geschichte des Zentrums: Die direkte Konfrontation der PEN-Mitglieder in Deutschland kam zu einem gewissen Stillstand. In den Vordergrund rückte die Konzentration auf die Wiederherstellung der ‚normalen‘ Arbeitsaktivität, die vor allem auf eine bessere Akzeptanz auf internationaler wie nationaler Ebene abzielte. Eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels war die Wahl eines arbeitsfähigen und vor allem vollständigen Vorstands. Bevor es jedoch an die Neubesetzung der Vorstandsämter gehen konnte, verabschiedete das PEN-Zentrum Deutschland eine Resolution, die einerseits ein deutliches Bekenntnis zur internationalen PEN-Charta beinhaltete, andererseits den Wunsch nach einer Wiedervereinigung der deutschen PEN-Zentren deutlich zum Ausdruck brachte: „Die 5. Generalversammlung […] fordert alle PEN-Mitglieder auf, im Geiste der PEN-Charter dahin zu wirken, den jetzigen unnatürlichen Zustand zu überwinden.“34 Konkrete Vorschläge, wie eine Annäherung der beiden deutschen Zentren aussehen konnte, notierte das Protokoll der Generalversammlung indes nicht. Gleichwohl unterstrichen sowohl die Zuwahlen als auch die Vorstandswahlen das Bekenntnis zu einem gesamtdeutschen PEN: Acht der Neuzugänge stammten aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, sechs kamen aus der DDR und ein weiteres Neumitglied hatte seinen Wohnsitz in Paris. Eine im Anschluss vorgenommene Statutenänderung legte die Zusammensetzung des Vorstandes fest, der künftig aus „zwei bis drei gleichberechtigten Präsidenten, deren einer der geschäftsführende Präsident ist, sowie aus einem Generalsekretär und einem Schatzmeister“35 bestehen sollte. Einer der bisherigen Vertreter 34 Resolution des P.E.N.-Zentrums Deutschland vom 10. Mai 1953. Zitiert nach: Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland (10. 5. 1953). AdK Berlin, JRBA 12215, Bl. 13. 35 Statuten. Vollständig abgedruckt in Protokoll der Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Deutschland (10. 5. 1953). AdK Berlin, JRBA 12215, Bl. 13.

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des Ostens, Johannes R. Becher, machte einen für die weitere Entwicklung des PENZentrums Deutschlands entscheidenden Vorschlag. Der nicht unumstrittene Kulturfunktionär der DDR, auf dessen Person sich in den zurückliegenden Auseinandersetzungen vielfach geäußerter Argwohn konzentriert hatte, schlug die Einsetzung von Bertolt Brecht in das Präsidentenamt vor und kündigte damit de facto seinen eigenen Rückzug aus der PEN-Arbeit an, der längst schleichend begonnen hatte. Bechers Vorschlag wurde von den Anwesenden positiv aufgenommen und mit einer einstimmigen Wahl bestätigt: Brecht galt den meisten als prominente Integrationsfigur. Obgleich er 1949 seinen ständigen Wohnsitz nach Ostberlin verlegt hatte, vertrat Brecht doch weiterhin seine Vision einer gesamtdeutschen Literatur und den Wunsch nach einer friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Zwar war auch er aus westlicher Sicht mit politisch motivierten Vorbehalten belastet. Diese reichten aber längst nicht an das Misstrauen heran, das Becher auf sich gezogen hatte. So überwog die Hoffnung, dass mit Brecht als Präsident der Weg zur (inter)nationalen Konsolidierung mindestens geebnet sein würde. Zur Seite gestellt wurden ihm Johannes Tralow als geschäftsführender Präsident, Herbert Burgmüller als Generalsekretär und Stephan Hermlin als Schatzmeister. Die enge Verbindung zum Kulturbund wurde durch die Zuwahl der Bundessekretäre Erich Wendt und Carlfriedrich Wiese verfestigt, denen zudem die Kassenrevision übertragen wurde. Die klare Aufgabenverteilung, die durch die Ämterzuweisung auf der Generalversammlung vorgenommen worden war, ließ indes schon wenig später zu wünschen übrig: Burgmüller meldete sich nicht, die Kommunikation mit den DDR-Funktionären erwies sich nach wie vor als schwierig und Brecht beharrte auf seiner repräsentativen Funktion. Für die alltäglichen Dinge hatte Tralow zu sorgen; Brecht konzentrierte sich lediglich auf wenige Initiativen, die in erster Linie auf Öffentlichkeitswirksamkeit abzielten – gemäß Brechts Devise: „‚Wenn Du kein Spektakel, wenn Du keinen Skandal machen kannst, brauchste gar nichts machen!‘“36 Noch bevor das PEN-Zentrum Deutschland jedoch in die konkreten Arbeiten zur eigenen Konsolidierung eintreten konnte, sah es sich neuen Debatten um seine Existenzberechtigung ausgesetzt, die bereits im März 1953 auf einer internationalen Exekutivratssitzung ihren Anfang genommen hatten. Im Kern ging es – vor allem auf internationaler Ebene – um den „status of the German P.E.N.“.37 Der Leitung des Internationalen PEN war daran gelegen, eine eindeutige Lösung der innerdeutschen Zwistigkeiten herbeizuführen; David Carver, internationaler Generalsekretär, schlug zu diesem Zwecke eine territoriale Zuordnung der beiden deutschen Zentren vor. Dass eine solche gebietsmäßige Aufteilung de facto die Anlehnung an die staatspolitische Aufteilung Deutschlands bedeutet hätte und eine solche nicht der gesamtdeutschen Ausrichtung des PEN-Zentrums Deutschland entsprach, wurde bei der Propagierung dieser Idee wohl ‚vergessen‘. Auf dem internationalen Kongress in Dublin (Juni 1953) 36 Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. 37 David Carver an Johannes Tralow (17. 4. 1953). SBBPK, NL Tralow K 42 Konv. Carver.



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einigte man sich schließlich verbindlich auf die Bezeichnungen Deutsches PEN-Zentrum Ost und West (Sitz München) und Deutsches PEN-Zentrum (Bundesrepublik). Mit dieser Regelung konnte das ursprüngliche PEN-Zentrum Deutschland seinen Anspruch, Schriftsteller aus Ost und West zu einen, zumindest verteidigen. Daran änderte auch die festgeschriebene Forderung nach einem Revers, auf dem jedes einzelne Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West seine Kenntnis von der Existenz einer bundesdeutschen Sektion versichern musste, nichts oder nur wenig. Doch für Frieden zwischen den deutschen Kontrahenten sorgte die Dubliner Namensgebung nicht – vielmehr gab es öffentliches Gezänk um deren korrekte Interpretation, in die sich schließlich die internationale Zentrale einschaltete. Was folgte, war ein Schlagabtausch zwischen Tralow und David Carver. Der internationale Vizepräsident Robert Neumann war es schließlich, der Tralow riet, den „ganzen Hader aus der Welt [zu] schaffen“,38 den Dissens mit dem bundesdeutschen PEN beizulegen und endlich zu einer gedeihlichen Mitarbeit im Internationalen PEN zu gelangen: „[V]ersuchen Sie, Ihre Mitglieder zu einer Aufgabe ihrer emotionalen Fixierung gegenüber dem P.E.N. ‚Bundesrepublik‘ zu überreden, die Welt ist gross und es gibt für Sie alle eine ungeheure Anzahl ausserdeutscher Probleme, nehmen Sie doch direkte Verbindung mit anderen Zentren auf […].“39 Ein mögliches Arbeitsfeld sei die Aktivierung der Zusammenarbeit mit den Zentren östlich des Eisernen Vorhangs. Nur auf diese Weise sei der Kluft zwischen Ost und West entgegenzuwirken. Der Österreicher Robert Neumann, der weder Kommunist noch willfähriger ‚Fellow-Traveller‘ war, plädierte vehement für die Fortführung der Kommunikation nach Osten hin und sah offenkundig das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West als ein geeignetes Medium, um die Kluft zwischen den in konträren politisch-ideologischen Machtsphären angesiedelten PEN-Zentren zumindest zu überbrücken. Der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow folgte Neumanns Rat. Die Jahre 1953/54 zeigen sich geprägt von einer regen Aktivität, die insbesondere auf die Vorbereitung des internationalen Kongresses in Amsterdam (Juni 1954) fokussiert war. Das Bestreben, sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Angriffe auf das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West zur Wehr zu setzen, war abgeebbt. Das (re)etablierte Zentrum setzte alles daran, sich auf internationaler Ebene als aktive und funktionierende Sektion zu präsentieren. So gab es Bemühungen, Berlin auf dem Amsterdamer Kongress als Tagungsort für den internationalen PEN-Kongress des Jahres 1955 zu propagieren; diese versandeten zwar letztlich nicht zuletzt aufgrund der unschlüssigen Haltung der DDR-Regierung. Gleichwohl lässt sich daran ein erstarkendes Selbstbewusstsein ablesen. Oberstes Ziel war es indes, auf dem Amsterdamer Kongress mit einer repräsentativen Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West aufzulaufen. Eine starke Präsenz zu zeigen, war für die Positionierung im internationalen Raum von erheblicher Bedeutung. Dementsprechend wichtig schien es, prominente 38 Robert Neumann an Johannes Tralow (15. 9. 1953). SBBPK, NL Tralow K 51 Konv. Neumann. 39 Robert Neumann an Johannes Tralow (3. 12. 1953). SBBPK, NL Tralow K 51 Konv. Neumann.

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Autoren – insbesondere aus der DDR – zu einer Teilnahme zu bewegen. Es galt, auch die Integrationsfigur Bertolt Brecht zu mobilisieren: „Sie wissen wer Sie sind, und wir alle wissen es auch. Im Interesse unseres Zentrums wäre es mir schmerzlich, Sie in Amsterdam nicht zu sehen“40, schrieb Tralow. Letztlich waren die Anstrengungen von Erfolg gekrönt: Neben Bertolt Brecht und Johannes Tralow als offizielle Delegierte nahmen Anna Seghers als Ehrengast sowie als reguläre Teilnehmer Erich Arendt mit Frau, Stephan Hermlin mit Frau, Günter Hofé, Hans Mayer, Peter Huchel, Eugen Rugel, Hans Schwalm [d. i. Jan Petersen], Erwin Strittmatter und Arnold Zweig mit Frau Beatrice am Amsterdamer Kongress teil. Doch neben der Aktivierung der eigenen Mitglieder aus dem Osten setzte sich Tralow schon im Vorfeld des Kongresses – gemäß Neumanns Vorschlag – für die generelle Stärkung des östlichen Flügels im Internationalen PEN ein: So bemühte er sich um die Aktivierung der osteuropäischen Zentren (Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei) sowie die Neugründung einer chinesischen Sektion und arbeitete an der Vorbereitung der Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in die internationale Schriftstellerorganisation. In Amsterdam erschienen schließlich tatsächlich Vertreter des ungarischen, polnischen und tschechoslowakischen PENClubs – ein Teilerfolg für Tralow, der ihm auch vom internationalen PEN-Sekretär David Carver zugestanden wurde: „It was more truly international in character than often before in recent years in that East European centres sent delegates.“41 Im Rückblick auf den Amsterdamer Kongress werteten die Vorstandsmitglieder des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West die Teilnahme als großen Gewinn. Die Zielsetzung, die deutsch-deutschen Querelen hinter sich zu lassen, aktiv an der Arbeit des Internationalen PEN teilzuhaben und die eigene Position zu stärken, schien geglückt. Als greifbare Erfolge verbuchte man zum einen die interessierte Aufnahme des Almanachs Deutsches Wort in dieser Zeit, der nach vielen internen Schwierigkeiten zeitgleich zum Kongress mit Beiträgen von Schriftstellern aus beiden deutschen Staaten in der Verantwortung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West erschienen war, und zum anderen die Durchsetzung eines Resolutionstextes zur Thematik ‚Verbreitungsfreiheit‘: 1.

2.

The International P.E.N. Club demands freedom of circulation for all types of literature, while deploring works which serve the inflammation of national hatred, racial discrimination or militarism. The International P.E.N. Club declares that in particular every obstacle placed in the way of humanistic literature is an attack upon humanity, irrespective of whether this hindrance is imposed by private persons, authorities, governments or parliaments.42

40 Johannes Tralow an Bertolt Brecht (2. 10. 1953). SBBPK, NL Tralow K 29 Konv. Brecht. 41 David Carver: Report on the XXVIth International Congress June 20th–26th, 1954: Amsterdam. In: [o. A.], S. 11–18, hier S. 11. PEN-Archiv London, im Folgenden PAL. 42 Zitiert nach Minutes of the Meeting of the Executive Committee held at the Carlton Hotel, Amsterdam, Holland, at 2 p.m. on Sunday, June 20th 1954, S. 8. PAL.



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Der Versuch, für eine Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in die internationale Schriftstellervereinigung zu werben, wurde skeptisch aufgenommen. Brechts Plädoyer für die Integration der sowjetischen Autoren stieß auf kritische Kenntnisnahme. Eine endgültige Entscheidung aber fiel auf dem Kongress in Amsterdam nicht. Die Frage wurde vertagt. In der Folge setzte sich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West jahrelang für die Vermittlung ein. Die Mitgliedschaft der sowjetischen Kollegen war von Seiten des Internationalen PEN keineswegs unerwünscht; sie kam indes trotz vielfältiger Bemühungen von Johannes Tralow, Bertolt Brecht und Bodo Uhse bis in die 1960er Jahre hinein nicht zustande. Von den Vertretern des Deutschen PENZentrums Ost und West wurde die fehlende Vertretung osteuropäischer Staaten im Internationalen PEN als Zeichen einer einseitigen, antikommunistischen Ausrichtung interpretiert. Erst in den 1980er Jahren erfolgte schließlich die Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen PEN. Neben den Erfolgen von Amsterdam, die auch in der Öffentlichkeit durchaus zur Kenntnis genommen worden waren, muss indes die interne strukturbedingte Problemlage des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in den Jahren 1953/54 in den Blick genommen werden. Obgleich Johannes Tralow sich mit ganzer Kraft für ‚seine‘ Sektion verwandte, hatte er doch mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Noch während er mit Engagement die Teilnahme am Amsterdamer Kongress vorbereitete, war unter den Kulturfunktionären der DDR eine Diskussion um die organisatorische Zugehörigkeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West entbrannt. Innerhalb des Kulturbunds, in dessen Nähe das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West seit der Aufspaltung des deutschen PEN angesiedelt war, wurde schon im September 1953 „die Frage der Übergabe an den Schriftstellerverband“43 (DSV) erörtert. Die Initiative war offenbar vom Monopolverband der Schriftsteller ausgegangen; dessen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit hegte offenkundig besonderes Interesse. In diesen Prozess schien der Vorstand des PEN-Zentrums indes nicht aktiv integriert. Gleichwohl schien Tralow als geschäftsführender Präsident einer engeren Zusammenarbeit mit dem DSV nicht abgeneigt: „Wenn man es mit der gesamtdeutschen Arbeit ernst meint, so findet sich naturgemäß bei unserm P.E.N.-Zentrum die fruchtbarste Arbeit, die ich allein nicht bewältigen kann. Ich kann nur wiederholen, daß ich eine Zusammenarbeit sehr begrüßen würde, und ich bezweifle nicht, daß sich sachliche Erfolge in diesem Fall kaum vermeiden lassen.“44 In der Tat arbeitete der DSV und insbesondere dessen Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit, die wie eine dem ZK der SED nachgeordnete Abteilung funktionierte und dementsprechend parteipolitische Zielsetzungen verfolgte, intensiv daran, die meist sporadischen und persönlichen Kontakte zwischen Schriftstellern aus Ost und West zu 43 Beschlussprotokoll der Sekretariatssitzung (Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands) vom 8. September 1953. AdK Berlin, JRBA 7706. 44 Johannes Tralow an Toni Stemmler (DSV, Ref. Gesamtdeutsche Arbeit) (21. 11. 1953). SBBPK, NL Tralow K 30 Konv. Deutscher Schriftstellerverband.

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stärken und institutionell zu fixieren. Damit sollte dem Rückzug der Kulturschaffenden von gesamtdeutschen Veranstaltungen entgegengewirkt werden, der maßgeblich auf den Druck zurückzuführen war, dem die Befürworter der deutschen Einheit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ausgesetzt waren. Das Interesse an einer kontinuierlichen Einsicht und Einwirkung auf die Arbeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West erscheint konsequent, insofern das Referat Gesamtdeutsche Arbeit die Funktionalisierung der persönlichen Kontakte zwischen ost- und westdeutschen Autoren durch einen vorgegebenen und kontrollierten Briefwechsel, ausgewählte Dichterlesungen und den „Ausbau von ‚Stützpunkten‘ in Westdeutschland“45 plante. Wenn Tralow auch keine engere Anbindung an den DSV im Blick hatte, so sah er doch in der Verbindung eine Chance, die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern im Osten auf eine stabilere Grundlage stellen zu können. Zugleich hoffte er wohl, das Spannungsfeld entschärfen zu können, das sich seit Ende 1952 kontinuierlich zwischen den Sekretären des Kulturbundes und ihm aufgebaut hatte. Inhaltlich ging es dabei vor allem um die ausbleibende finanzielle Unterstützung der PEN-Unternehmung durch den Kulturbund, die nicht nur die Schwierigkeiten bei der Begleichung des offenen Mitgliedsbeitrages beim Internationalen PEN, sondern auch die Finanzierung eines deutsch-deutschen Almanach-Projektes betraf. Insbesondere in der Angelegenheit des Almanachs, für den zahlreiche Schriftsteller aus der DDR, aber auch der Bundesrepublik Beiträge in Aussicht gestellt hatten, suchte Tralow händeringend nach einer Finanzierungsmöglichkeit. Obgleich spätestens im Dezember 1953 die Einschaltung des Schriftstellerverbandes in die Arbeit des PEN-Zentrums spruchreif war und die Erledigung der Almanach-Angelegenheit zur vordringlichen Aufgabe erklärt worden war, kamen die Dinge nur langsam ins Rollen. Auch die Einwirkung der Abteilung Gesamtdeutsche Arbeit auf den Kulturbund war nur von geringem Erfolg gekrönt. Schlussendlich führte mutmaßlich eine Intervention des amtierenden PEN-Präsidenten Bertolt Brecht zu einem nicht völlig zu durchschauenden Händel, der die Lösung der finanziellen Schwierigkeiten, die Drucklegung des Almanachs Deutsches Wort in dieser Zeit und dessen Vorstellung auf dem Amsterdamer Kongress möglich machte. Im Hintergrund hatte sich indessen, was die organisatorischen und finanziellen Belange des PEN anlangte, einiges bewegt: In Kooperation mit der Abteilung Kultur und Literatur beim ZK der SED hatten die Verantwortlichen des Schriftstellerverbandes bei der Abteilung Finanzverwaltung und Parteibetriebe des ZK der SED darauf gedrungen, trotz der organisatorischen Anbindung an den DSV eine eigenständige Finanzierung für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West durchzusetzen. Organisatorisch funktionierte die breit aufgestellte Infrastruktur des Schriftstellerverbandes, etwa bei der Vorbereitung der PEN-Generalversammlung 1954 und auch im Hinblick auf die Unterstützung bei der Visa- und Devisenbeschaffung für Amsterdam, 45 Carsten Gansel: „Deutschland einig Vaterland“. Zur gesamtdeutschen Arbeit des DSV. In: C.  G. (Hrsg.): Parlament des Geistes. Literatur zwischen Hoffnung und Repression 1946–1961. Berlin: BasisDruck 1996, S. 209–240, hier S. 226.



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gut. Die finanzielle Verantwortung für den PEN blieb jedoch zunächst ungeklärt. Der DSV stellte dem Kulturbund gewisse Ausgaben für den PEN in Rechnung; das Konto, auf dem die Mitgliederbeiträge eingingen, führte der Kulturbund; benötigte Devisen wurden wiederum über den DSV bereit gestellt. Im Verlauf des Jahres 1954 wurden die strukturellen Veränderungen im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West fortgesetzt: Ein Versuch des auf der Generalversammlung 1954 neu ins Amt gehobenen Schatzmeisters Bodo Uhse, eine eigenständige Geschäftsführung durchzusetzen, scheiterte. Eine separate Aufnahme des Zentrums in den Haushaltsplan der DDR erfolgte auch für das Jahr 1955 nicht. Noch immer lag die finanzielle Verantwortung beim DSV, der über einen gesonderten „P.E.N.-Etat“46 verfügte. Nachweisbar ist zudem, dass dem PEN Gelder aus dem Kulturfonds der DDR zuflossen – „jeweils nach Bedarf und persönlicher Anweisung eines Gen. der Abt. [Kultur]“47; damit war das PEN-Zentrum der Anleitung durch die Abteilung Kultur beim ZK der SED unterstellt. Direkte Regulierungsmaßnahmen von dort sind jedoch Mitte der 1950er Jahre am Quellenmaterial nicht nachweisbar. Zu diesen organisatorischen Veränderungen, die die Einbindung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in die parteipolitischen und staatlichen Strukturen der DDR betrafen, kamen interne Neuerungen. Mit der Einrichtung eines Berliner Büros im November 1954 erwuchs Johannes Tralow, der bislang vornehmlich und vor allem eigenständig von München aus geschaltet und gewaltet hatte, ein starkes Gegengewicht. Mit der Sekretärin Ingeburg Kretzschmar, die von Uhse mit der Arbeit im Berliner Büro betraut wurde, war eine schillernde Persönlichkeit – „eine Kunstfigur zur dritten Potenz“48 – zum PEN gestoßen, die durch ihre redaktionelle Arbeit für die Tägliche Rundschau über weit reichende Kontakte in die Kulturszene der DDR verfügte. Der Konflikt zwischen Tralow im Westen und der aus dessen Sicht allzu selbstbewusst agierenden Kretzschmar im Osten schien vorprogrammiert. Tralow fühlte sich schlecht informiert, in wesentlichen Fragen ignoriert. Die Zusammenarbeit zwischen Ost und West funktionierte nur mäßig: „Nun haben wir ja […] ein Berliner Büro mit einer piekfeinen Dame. Ich bekam sie als vollzogene Tatsache serviert, und sie lässt mich deutlich merken, daß ich sie nicht bezahle.“49 Tralow erlitt im Verlaufe des Jahres 1955 einen zunehmenden Kontrollverlust. Das Berliner Büro agierte eigenständig und ohne Rücksprache mit München; dies gefährdete zunehmend das gesamtdeutsche Konzept, der Westen, insbesondere Tralow, sah sich ungebührlich zurückgesetzt: „Ich glaube, daß es nötig sein wird, über die Möglichkeit, unser Zentrum aufrecht zu erhalten, ernsthaft und aufrichtig […] zu sprechen. Ich habe nicht den 46 Bodo Uhse an DSV (14. 2 .1955). AdK Berlin, NL Bodo Uhse 681/37. 47 Arno Röder (Abt. Kultur beim ZK der SED) (14. 9. 1964). Betr.: Deutsches PEN-Zentrum Ost und West. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156. 48 Robert Neumann: Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem andern Jahr. München, Wien und Basel: Desch 1968, S. 104. 49 Johannes Tralow an Konrad Winkler (21. 6. 1955). SBBPK, NL Tralow K 38 Konv. Winkler.

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Eindruck, daß dem Osten und auch unseren Kollegen des Ostens an ihm etwas liegt. Warum sollen wir Westmitglieder so große ideelle Opfer bringen, wenn sie gar nicht verlangt werden.“50 Obgleich Tralow die Aufgabe seines Amtes erwogen hatte, nahm er die Wiederwahl auf der Generalversammlung im März 1955 an: „Sie können mich inkonsequent nennen; aber ich kann beim besten Willen keinen entdecken, der mich zur Zeit ersetzen könnte.“51 Zu Beginn des Jahres 1956 schien Tralows Abkopplung von der Arbeit des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West durch Vermittlung von Uhse der neuerlichen Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit gewichen. Doch schon im August 1956 musste sich der Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West mit einer erneuten Erschütterung auseinandersetzen: In der Nacht vom 14. auf den 15.  August verstarb der Präsident Bertolt Brecht völlig unerwartet. Sein Anteil an den beschriebenen organisatorischen Veränderungen im PEN-Zentrum war gering; er hatte in seiner kurzen Amtszeit maßgeblich die ureigenen Interessen in die PEN-Arbeit eingebracht und fungierte in erster Linie als Ideengeber. Ein kleines „Spektakel“ war ihm mit der Durchsetzung einer Anti-Atom-Resolution im Internationalen PEN geglückt. Die Frage der Auswirkungen von Atomenergie und Atomwaffenversuchen hatte die Arbeit des engagierten Friedensaktivisten und strikten Aufrüstungsgegners auf allen Ebenen geprägt – in seiner Dramatik (Leben des Galilei), in seinen politischen Verlautbarungen und in seiner Aktivität für den PEN-Club. Auf Brechts Drängen hin hatte das Präsidium schon 1955 beschlossen, auf die Herausgabe eines Almanachs zu verzichten und stattdessen eine Publikation mit dem Arbeitsthema Literatur und Wasserstoffbombe herauszubringen. Auch die Generalversammlung des Jahres 1955, die in Hamburg tagte, widmete sich der Bedrohung durch die atomare Energie. Dort wurde die Annahme einer von Brecht formulierten Resolution beschlossen, die auf die Gefährdung der Menschheit durch die Entwicklung der Atombombe nachdrücklich hinwies und dem Internationalen PEN zur Abstimmung vorgelegt werden sollte. Auf dem internationalen PEN-Kongress in Wien (1955), zu dem Uhse gereist war, stieß die Resolution indes auf starken Widerstand. Daran änderte auch die Überarbeitung des Textes durch eine internationale Kommission nichts. Der Resolutionsantrag scheiterte – nicht zuletzt aufgrund politisch gefärbter Bedenken. Doch Brecht gab nicht bei und trug Uhse auf, die abgelehnte Resolution im folgenden Jahr auf der Tagung der internationalen PEN-Exekutive in London erneut vorzulegen: „Nur keine falsche Scham. Die Sache ist gut. Also geniere ich mich gar nicht, selbst mit dem Hute in der Hand, immer wieder an die gleiche Tür zu klopfen. Damit vergebe ich mir nicht das geringste. Bleibt die Tür verschlossen, ist das keineswegs peinlich für mich, den

50 Johannes Tralow an Herbert Burgmüller (14. 4. 1955). SBBPK, NL Tralow K 29 Konv. Burgmüller. 51 Johannes Tralow an Robert Neumann (2. 4. 1955). SBBPK, NL Tralow K 35 Konv. Neumann.



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Bittsteller, wohl aber für den, der nicht öffnet.“52 Brechts Ahnung täuschte ihn nicht, in London gelang die Durchsetzung der Resolution in abgeschwächter Form. Als Uhse die Nachricht von der Annahme überbrachte lächelte Brecht, aber ohne alle Ironie. Zu Uhse sagte er: … man soll das nicht überschätzen. Aber etwas ist damit doch getan, nicht viel, eine Kleinigkeit. Die Resolution ist gut. Sie drückt aus, was die Menschen beschäftigt. Sie ist auch deshalb gut, weil sie Leute, die sonst nicht viel mitein­ ander zu tun haben, in dieser wichtigen Frage zusammengeführt hat. Ein Schritt vorwärts also. Wenn man weit zu gehen hat, braucht es vieler Schritte. Aber jeder ist wichtig, denn man kann bekanntlich den nächsten nicht ohne den vorhergegangenen Schritt tun.53

Nur wenig später musste das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West betroffen Abschied von seinem Präsidenten nehmen: „Brecht war ein Einmaliger und von ihm gilt nicht das Wort, daß jeder Mensch zu ersetzen sei.“54

3 Der PEN unter Arnold Zweig (1956/57–1968) Der plötzliche Verlust des Präsidenten Bertolt Brecht führte nicht unmittelbar zu Veränderungen im Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West. Da die alljährliche Jahresversammlung der Mitglieder bereits im März 1956 stattgefunden hatte, blieb das Amt des Präsidenten zunächst vakant. Das Tagesgeschäft lag nun in den Händen der Kontrahenten Johannes Tralow und Bodo Uhse; damit änderte sich im Grunde wenig, denn Brecht hatte in erster Linie die repräsentative Seite seines Amtes ausgefüllt und Organisatorisches getrost dem geschäftsführenden Präsidenten und Schatzmeister überlassen. Der Generalsekretär Herbert Burgmüller, der schon vor Brechts Tod kaum mehr in Erscheinung getreten war, füllte seine Funktion nicht mehr aus. Überdies wurden die Fragen zur personellen Besetzung des Vorstandes von den Unsicherheiten hinsichtlich der weltpolitischen Situation überlagert. Für die Entwicklung des Weltkommunismus muss das Jahr 1956 als entscheidende Zäsur markiert werden: Der XX. Parteitag der KPdSU hatte mit der Aussendung großenteils neuer Thesen des Kommunismus eine weit reichende Erschütterung der gesamten kommunistischen Welt ausgelöst. Zentrale Punkte betrafen die Vermeidbarkeit von Krieg, die friedliche Koexistenz von Ost und West sowie den Aufbau des Sozialismus auf friedlichem Wege. Besonders schwer wog zudem die von Nikita Chruschtschow geforderte Abschaffung des Personenkultes, die unmissverständlich auf die Distanzierung von Stalin und dessen Herrschaftsmethoden abzielte. Die hier 52 Zitiert nach Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder der Umgang mit den Welträtseln. Zweiter Bd. Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg 1986, S. 653. 53 Ebd. 54 Johannes Tralow und Bodo Uhse an alle Mitglieder (17. 8. 1956). AdK Berlin, NL Wieland Herzfelde 2155.

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eingeläutete ‚Entstalinisierung‘ hatte in allen Ländern innerhalb des sowjetischen Machtbereichs unterschiedliche Auswirkungen. In der DDR sorgten die Weisungen der KPdSU für Verwirrung und Unruhe. Ulbricht strebte eine Anpassung an die ausgegebene Linie an und rief zur Vermeidung jedweden Personenkults auf. Die Enthüllungen über Stalin und dessen Machtmethoden, die nur auf inoffizieller Ebene durchsickerten, versetzten sämtliche Schichten der Gesellschaft in Aufruhr und Entsetzen: „Selbst in Gremien, in denen bisher die Rituale streng eingehalten wurden, kam es zu eruptiven Ausbrüchen, offenbarten Menschen ihre Verzweiflung, als hätten sie einen Gott verloren. Die Wortführer waren verunsichert, verzweifelt oder blieben stumm.“55 Insbesondere die Schriftsteller, die Stalin oftmals verehrt und in ihren Werken gepriesen hatten, fühlten sich vor den Kopf geschlagen und begannen in der Folge, die ästhetische Indoktrination durch den Parteiapparat auf breiter Basis offen zu kritisieren. Um die heftige Auseinandersetzung einzudämmen, setzte die Parteispitze einen kurzfristigen Liberalisierungsprozess in Gang. Die ‚Tauwetter‘-Phase in der DDR, die jedoch keinesfalls die Richtigkeit der Generallinie in Frage zu stellen erlaubte, war begleitet von einer umfangreichen Amnestie zahlreicher Strafgefangener, darunter auch politischer Häftlinge. Auch in den anderen sozialistischen Staaten kam es zu heftigen Reaktionen der Bevölkerung auf das Signal des XX.  Parteitages der KPdSU. Während in Polen der Protest durch personelle Veränderungen abgefedert werden konnte, steigerte sich die Empörung der Massen im ohnehin destabilisierten Ungarn zu einem Volksaufstand, der mit Unterstützung der sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde. Tausende Arbeiter, Bauern und Intellektuelle, darunter auch die Schriftsteller Tibor Déry und Gyula Háy, wurden im Zuge einer Vergeltungsaktion der nach der Niederschlagung eingesetzten prosowjetischen Übergangsregierung inhaftiert und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die westliche Welt sah mit Entsetzen auf die Entwicklung und stilisierte Ungarn zu einem Symbol der Freiheit und der tragischen Niederlage. Die unter dem Eindruck des ungarischen Volksaufstandes erstarkende Oppositionsbewegung in der DDR, die maßgeblich von Intellektuellen getragen wurde und sich für Reformen im Sinne eines menschlichen Sozialismus einsetzte, geriet rasch in den Fokus der staatspolitischen Instanzen. Die scheinbare ‚Tauwetter‘-Periode, die nach dem XX.  Parteitag eingesetzt hatte, endete abrupt: Die Furcht der Machthaber vor einer ähnlichen Entwicklung wie in Ungarn, die das politische System massiv gefährdet hätte, mündete in einer Verschärfung der (kultur)politischen Situation. Verhaftungen, Schauprozesse und Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen standen nun täglich auf der Agenda. Obgleich das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West als Institution an den Entwicklungen innerhalb der DDR-Intelligenz keinen aktiven Anteil genommen hatte, geriet es in der Folge doch verstärkt in den Fokus der parteilichen und staatlichen Stellen. Schon Mitte 1955 hatte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Interesse an 55 Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 124f.



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der internationalen Tätigkeit des PEN gezeigt, auch die Abteilung Kultur beim ZK der SED erhielt diesbezügliche Informationen. Offenkundig fürchteten die Kulturfunktionäre eine Beeinflussung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West durch die Kontakte auf internationaler Ebene. Man verlangte nicht nur grundlegende Aufklärung über das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, sondern insbesondere auch über die Haltung des Internationalen PEN in der Ungarn-Frage. Eine offizielle Stellungnahme des Internationalen PEN gab es indes nicht. Gleichwohl hatte das internationale Sekretariat die nationalen Zentren aufgefordert, in Eigeninitiative Solidarität mit den inhaftierten ungarischen Kollegen zu bekunden. Eigenmächtig hatte der geschäftsführende Präsident Johannes Tralow eine Mitteilung an das Sekretariat des Internationalen PEN verfasst, die allerdings alles andere als eine Solidaritätsbekundung mit den ungarischen Kollegen war. Tralow zog die Informationen über die Lage der Schriftsteller in Ungarn in Zweifel und machte aus seiner latent prosowjetischen Haltung keinen Hehl: Wir wissen wohl, daß im Augenblick Bücher verbrannt werden und von wem und welche Bücher, wir wissen, daß Häuser angesteckt werden und von wem; wir wissen, daß Gesandschaften erstürmt und geplündert werden und von wem; wir wissen wohl, daß in Ungarn Streitigkeiten ausgebrochen sind, die zu beklagenswerten Kämpfen geführt haben, aber wir wissen nicht genau, wer wen bekämpft, und ich persönlich kann mir sehr wohl vorstellen, daß eine Besatzungsmacht die Verpflichtung in sich fühlte, diese Kämpfe, die zu Beginn ausschließlich Kämpfe von Ungarn gegen Ungarn waren, im Interesse des ungarischen Volkes zu unterbinden.56

Dieser Brief blieb zunächst die einzige offizielle Verlautbarung des Deutschen PENZentrums Ost und West zur Krise in Ungarn. Der Internationale PEN, dessen Solidaritätsaufruf in anderen Ländern auf fruchtbaren Boden gefallen war, strafte die Haltung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West im Jahresbericht 1956/57 ab: Die Verweigerung einer Solidaritätsbekundung sei „the only evidence of the activity of the Ost-and-West-Centre.“57 Wohl aber avancierte das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West zum Auffangbecken für vier österreichische PEN-Mitglieder, die der Kommunistischen Partei Österreichs angehörten; diese hatten die Unterzeichnung einer Protestresolution des österreichischen PEN gegen die sowjetische Invasion verweigert. In der Konsequenz war ihnen das Ausscheiden aus dem österreichischen PEN nahe gelegt worden. Ihre Aufnahme in das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West kann wiederum als eine Form der indirekten Befürwortung sowjetischer Machterhaltspolitik gedeutet werden.

56 Johannes Tralow an André Chamson und David Carver (8. 11. 1956). Zitiert nach Tralow: Gelebte Literatur. Autobiographische Skizze. In: J. T. (Hrsg.): Der Beginn. Berlin: Verlag der Nation 1958, S. 7–79, hier S. 75. 57 David Carver: International Secretary’s Annual Report 1956–57. AdK Berlin, NL Bodo Uhse 694/2, 2. Mappe.

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Erst im September 1957 ergab sich für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West die Notwendigkeit einer direkten Stellungnahme zu den Verhältnissen in Ungarn: Auf dem internationalen Kongress in Tokio stand die Mitgliedschaft des ungarischen PENZentrums zur Disposition, weil der Verdacht einer parteipolitischen Beeinflussung bei der Besetzung der Vorstandsämter ruchbar geworden war. Paul Tabori, Präsident der Writers in Exile-Sektion im Internationalen PEN hatte einen Antrag auf Suspendierung des ungarischen PEN formuliert. Bislang habe er gegen den Ausschluss von Zentren totalitärer Staaten votiert, „since he believed maintaining bridgeheads with their members was very important; but now in the case of Hungary it was only a bridgehead for tyranny and hypocrisis, an alien body within the PEN that could harm it greatly.“58 Auf dem Kongress wurde schließlich abgestimmt für die Einsetzung einer Untersuchungskommission, eine eindeutige Entscheidung hinsichtlich der Suspendierung gab es nicht. Obgleich Bodo Uhse als Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West versucht hatte, die ‚volksdemokratischen‘ Zentren zu einer geschlossenen Haltung zu bewegen, bezogen deren Delegierte durch Stimmenthaltung eine neutrale Position. Uhses Versuche, im Nachgang die Entscheidung der internationalen Exekutive durch den Hinweis auf Unregelmäßigkeiten am Rande der Sitzungen und in der Berichterstattung zu torpedieren, gingen letztlich ins Leere. Schon im März 1958 beschäftigten sich die PEN-Delegierten wiederum mit Ungarn und beschlossen die Einsetzung eines ‚Committee of five‘, das die Vorgänge im ungarischen PEN prüfen und darüber berichten sollte. Im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West sah man die Vorgänge mit Sorge, denn die Haltung gegenüber Ungarn stellte implizit auch die Mitgliedschaft der anderen Zentren aus dem sowjetischen Machtbereich in Frage. Eine endgültige Entscheidung im Fall Ungarn sollte schließlich der internationale Kongress in Frankfurt am Main im Mai 1959 bringen, zu dem eine stark besetzte Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West reiste. Deren DDR-Vertreter waren aufgrund der brisanten Thematik zuvor von den parteipolitischen Instanzen auf eine klare Haltung eingeschworen worden. Demgemäß stimmte das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West für die Aufhebung der Suspendierung des ungarischen PEN; diese wurde auf internationaler Ebene als integrative Maßnahme im Hinblick auf alle Ostblock-Zentren interpretiert: „[It] decided to recommand the readmission because it believed that the interests of writers in all Iron curtain countries […] would be best served by keeping open a line of communication“.59 In der DDR waren die Kulturfunktionäre indes mit dem Auftreten der Delegierten, die den Diskussionen in Frankfurt am Main eher passiv beigewohnt hatten, nicht zufrieden und erachteten eine nachfolgende Besprechung zum Ablauf des PEN-Kongresses als notwendig. Inaktives Verhalten konnte kaum zur Imageverbesserung des DDR-Staates beitragen und war daher nicht zu tolerieren. Gleichwohl spiegelt das 58 Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in the Sankei Hall in Tokyo, Japan, at 2.30 p.m. on September 1st, 1957, S. 11. PAL. 59 Stellungnahme von Margaret Storm Jameson (1. 11. 1959). AdK Berlin, NL Bodo Uhse 692/3.



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Interesse am PEN deutlich wider, dass man sich durch die internationale Vernetzung der PEN-Mitglieder einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung des DDR-Staates auf globaler Ebene erhoffte. Hinderlich war in dieser Hinsicht lediglich die unklare Zuständigkeit für die Anleitung und Kontrolle des Zentrums – Anfragen kamen mal vom ZK der SED, mal vom Ministerium für Kultur und dann wieder aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Doch Ende 1959 schien man von Seiten des Ministeriums für Kultur gewillt, die Fäden stärker in die Hand zu nehmen und ganz generell die Arbeit nationaler Zentren in internationalen Organisationen im Sinne der Parteipolitik zu verbessern. In der gesamten Debatte um die Ereignisse in Ungarn trat bezeichnenderweise eine Person nicht in Erscheinung; es war Arnold Zweig, der im März 1957 auf der Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West als Bertolt Brechts Nachfolger ins Amt des Präsidenten gewählt worden war. Gleichwohl war dieses Verhalten symptomatisch für die Weise, in der Arnold Zweig sein Amt ausübte. Tralow hatte Zweigs Nominierung kritisch gesehen, fürchtete er doch in der Folge eine stärkere kulturpolitische Einflussnahme, namentlich durch den seit 1954 als Minister für Kultur amtierenden Johannes R. Becher: „Nun stehe ich mich mit Zweig sehr gut, aber es ist nun einmal Tatsache, daß er alle seine eigenen Schritte von Becher abhängig macht.“60 Doch die Wahl war getroffen: Zweig wurde Präsident, Uhse im Amt bestätigt. Das Amt des Generalsekretärs übernahmen der West-Berliner Alexander Stenbock-Fermor und der Hamburger Heinrich Christian Meier. Letzterer war von Tralow protegiert worden, in der Hoffnung, die Koexistenz von Ost und West doch aufrecht erhalten zu können – „wenn wir vorsichtig vorgehen und unsern lieben Ostkollegen klar machen, daß Koexistenz gegenseitig sein muß.“61 Zu seiner eigenen Überraschung wurde Tralow, der auf der Generalversammlung gar nicht anwesend war, einstimmig als geschäftsführender Präsident wiedergewählt; er beschwor im Nachgang den „Eindruck einer großen Geschlossenheit unseres Zentrums“.62 Doch diese Einmütigkeit war schon ein Jahr später kaum mehr fassbar. Die so vehement beschworene Koexistenz war zum Mythos verkommen, die Realitäten im Umgang zwischen Ost und West sprachen eine andere Sprache. Mehr und mehr dominierten die DDR-Vertreter die Leitung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West – die immer stärkere Ausrichtung an den kulturpolitischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der DDR wurde augenfällig. Eine gleichberechtigte Aktivität westlicher Mitglieder schien kaum noch möglich und auch deren Bereitschaft zur Mitwirkung an einer östlich dominierten Organisation war im Schwinden begriffen – aus gutem Grund: Tralow hatte schon 1953 Hausdurchsuchungen erdulden müssen wegen des

60 Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier (9. 3. 1957). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meier. 61 Ebd. 62 Johannes Tralow an Arnold Zweig (13. 4. 1957). AdK Berlin, Arnold Zweig-Archiv Fiche 4226.

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„Verdachts der Förderung verfassungsfeindlicher Vereine“.63 1954 stand das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West als so genannte Tarnorganisation im Visier des bundesdeutschen Amtes für Verfassungsschutz und wurde 1956 gar in einem „System der kommunistischen Hilfsorganisationen“64 verortet. So wuchs berechtigterweise die Furcht vor repressiven Maßnahmen, etwa einem Verbot des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in der Bundesrepublik bzw. Sanktionen gegen dessen westdeutsche Mitglieder. Die Unterrepräsentation der westdeutschen Mitglieder im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West sah auch Heinrich Christian Meier mit Unbehagen. Seine Versuche, zu einer Verbesserung der „Beziehung zu den westlichen Mitgliedern“65 beizutragen, scheiterten an der Kooperationsunlust des Berliner PEN-Sekretariates. Weder Kretzschmar noch Uhse zeigten Interesse an den westlichen Befindlichkeiten. Meier urteilte über die Beziehungen von Ost nach West: „direkt fatal“.66 Und wirklich: Die Vorbehalte gegenüber den Ost-Vertretern bestätigten sich nur allzu rasch. Im Mai 1959 äußerte Zweig, aus dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West müsse eine „Ostzentrum“ gemacht werden. Tralow drohte sofort mit Rücktritt. Doch in der DDR wusste man, was man an ihm hatte und ruderte zurück; Tralow sollte für den PEN erhalten bleiben: „Man hat Tralow immer mit berechtigter Achtung behandelt, mit großer Vorsicht, um ihn nicht zu verknatzen und Tralow verstand, daraus das Beste zu machen. Er war […] eine sehr hilfreiche Figur. Im Hinblick auf die Etablierung des PEN war er ein führender Mann mit großem Geschick und diplomatischem Talent.“67 Doch Tralow, der sogleich über Maßnahmen zur Stärkung des westlichen Flügels nachdachte, wog sich in trügerischer Sicherheit. Schon im November 1959 spitzte sich die Situation erneut zu. Uhse schlug Veränderungen in der Vorstandszusammensetzung vor. Auf der kommenden Generalversammlung sollte Zweig zum alleinigen Präsidenten gewählt werden, dem dann drei Vizepräsidenten zur Seite gestellt werden sollten. Tralow verweigerte seine Zustimmung zu einer solchen Änderung, die die Ungleichgewichtigkeit zwischen Ost und West noch verstärkt und zugleich seine eigenen Einflussmöglichkeiten geschmälert hätte. In der Reaktion auf diese Verweigerung plädierte Zweig wiederum für die Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in eine reine DDR-Sektion: „[A]ngesichts der allgemeinen Verschärfung der politischen Lage“ sei es ohnehin unmöglich, dass die Westmitglieder im Zentrum verblieben.68 In Anbetracht dieser bedrohlichen Situation 63 Durchsuchungsanordnung im Ermittelungsverfahren gegen den Schriftsteller Johann [sic] Tralow von Gauting (14. 1. 1953; ausgestellt vom Amtsgericht Starnberg). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 64 Anlage „Zeichnung des ‚Systems der kommunistischen Hilfsorganisationen‘ nach dem Stand vom 1. 2. 1956“ zu einem Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz an den Bundesminister der Justiz, Bundesminister für Verteidigung und den Oberbundesanwalt (22. 3. 1956). BArch Koblenz, B 141 17821, Bl. 30. 65 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (8. 3. 1958). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 66 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (27. 2. 1959). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 67 Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. 68 Protokoll der Vorstandssitzung am 13. 11. 1959 (16. 11. 1959). SBBPK, NL Tralow K 86 M 46.



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zog Tralow alle Register und wandte sich an Erich Wendt, PEN-Mitglied und Minister für Kultur. Und nun wurde zum ersten Mal der direkte Zugriff ministerieller Institutionen der DDR auf personelle Entscheidungen im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West spürbar; PEN-Mitgliedschaft und ministerielles Amt vermischten sich in einer Weise, die eine klare Trennung nicht mehr erlaubte. Am Tag vor der geplanten Generalversammlung fand im Ministerium für Kultur ein Gespräch statt, an dem Alexander Abusch, ebenfalls PEN-Mitglied, Wendt, Uhse und der Leiter des Ministerbüros, Werner Baum, teilnahmen. Dort wurde beschlossen, Tralow in seiner Funktion zu belassen, während Heinrich Christian Meier nicht wieder gewählt werden sollte. Die Ergebnisse der Generalversammlung, die vom 26.–28. November 1959 in Berlin tagte, entsprachen der Unterredung im Ministerium. Tralow blieb zunächst – allen Zweifeln zum Trotz. Meiers Einsatz für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, das er als „geistige und literarische Klammer […] zwischen den beiden Teilen des Volkes“ begriff, die „mit Liebe und äusserster Delikatesse“ zu wahren sei,69 wurde indessen mit seiner Nichtwahl gnadenlos abgestraft. Doch auch Tralows Loslösung vom Deutschen PEN-Zentrum Ost und West hatte längst begonnen. Schon auf der besagten Generalversammlung setzte die „Abdrosselung des Westens auf kaltem Wege“70 mit einer perfiden Verhinderung der Zuwahl von West-Mitgliedern ein. Tralow resignierte: Es ist jedenfalls klar ersichtlich, daß man den Eintritt neuer Westmitglieder verhindern wollte, während man sich wohl der Hoffnung hingab, daß die anderen Westmitglieder sich damit begnügen würden, Mitläufer des Ostens zu sein oder sich überhaupt zu verkrümeln. Das aber entspricht nicht meiner Auffassung der von uns praktisch gelebten Koexistenz.71

Das Aushängeschild ‚Ost und West‘ war unansehnlich, nach Tralows Ansicht gar zu einer „falschen Flagge [geworden], unter der sich der Osten allein produzieren will“.72 Zum Jahreswechsel 1959/60 zog Tralow die längst fällige Konsequenz: „Es hat keinen Zweck mehr. […] Ich habe immerhin neun Jahre als Mauerhaken zwischen Ost und West gehalten und schließlich ermüdet jede Materie einmal.“73 Offiziell verkündete er seinen Rücktritt Ende März 1960 und fühlte sich „wie befreit“74 – obgleich ihn aufgrund seiner Absage an den Osten die Frage quälte, wie er wieder in der Bundesrepublik Fuß fassen konnte. Zwar blieb Tralow kritischer Beobachter der Entwicklungen um das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West. Doch er hielt größte Distanz. Seine einst freundliche Bereitschaft zur Koexistenz war einem bitteren Zynismus gegenüber den DDR-Kollegen gewichen. 69 Heinrich Christian Meier an das Präsidium und die Generalversammlung des Deutschen P.E.N.Zentrums Ost und West (20. 11. 1959). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 70 Johannes Tralow an Hanna Meuter (13. 4. 1960). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meuter. 71 Johannes Tralow an Richard Cahen (24. 4. 1960). SBBPK, NL Tralow K 30 Konv. Cahen. 72 Johannes Tralow an Richard Cahen (10. 1. 1960). SBBPK, NL Tralow K 30 Konv. Cahen. 73 Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier (1. 1. 1960). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meier. 74 Johannes Tralow an Hanna Meuter (13. 4. 1960). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meuter.

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Die Führungssituation im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West nach Tralows vorzeitigem Rücktritt ist nicht ganz durchsichtig. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass sich die strukturelle Zusammensetzung des Vorstands veränderte. Zwar blieb Zweig als Präsident im Amt und Kretzschmar führte weiterhin das Sekretariat, das nun engeren Kontakt mit der Abteilung Kultur des ZK der SED aufnahm. Gleichzeitig trat eine neue Figur auf den Plan, die über Jahrzehnte hinweg maßgeblich die Geschäfte des PEN in der DDR lenken sollte: Heinz Kamnitzer war 1958 als Mitglied zugewählt worden und übernahm, obgleich 1960 gar keine Präsidiumswahlen stattgefunden hatten, schon in diesem Jahr präsidiale Aufgaben. So reiste der enge Vertraute von Arnold Zweig schon 1960 ohne offiziellen Status mit diesem zu Gesprächen mit dem internationalen Generalsekretär nach London und blieb auch in der Folge Ansprechpartner für diesen. Die nächste reguläre Generalversammlung fand erst im Oktober 1962 statt; deren Protokoll vermerkt nur die Wiederwahl des bisherigen Vorstands. Eine Notiz vom November 1962 vermerkt als Präsidiumsmitglieder Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde und Heinz Kamnitzer. Stenbock-Fermor blieb zunächst noch im Amt, während sich der langjährige Schatzmeister Bodo Uhse bereits 1959 immer mehr aus der PEN-Arbeit herausgezogen hatte. Spätestens 1961 füllte er sein Amt nicht mehr aktiv aus. So lag die Führung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West großenteils in der Hand von DDR-Bürgern. Dem in der Bezeichnung erhobenen Anspruch ‚Ost und West‘ wurde man demgemäß kaum mehr gerecht. Die Mitglieder aus dem Westen fühlten sich mehr und mehr in die Passivität abgedrängt. Obgleich das Firmenschild Deutsches PEN-Zentrum Ost und West also im Verlauf des Jahres 1960 arge Risse bekommen hatte, wartete der Dezember mit überraschenden Entwicklungen auf: Um ein Zeichen einer reaktivierten Kooperationsbereitschaft von Ost nach West zu setzen, hatte der östlich gelenkte Vorstand beschlossen, vom 7. bis 9. Dezember 1960 in Hamburg eine Mitgliederversammlung mit breit angelegtem Programm durchzuführen. Tagungsorte sollten die Hamburger Universität und der Künstlerclub ‚die insel‘ sein. Doch der Versuch, die Koexistenz aufleben zu lassen, scheiterte: In Hamburg angekommen, sahen sich die Verantwortlichen des PEN mit dem kaum zu entkräftenden Vorwurf konfrontiert, eine kommunistisch gelenkte Organisation zu sein. Ungeniert wurde das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West mit der DDR und ihrer führenden Partei gleichgesetzt. Die angemieteten Veranstaltungslokalitäten stünden für politische Aktivitäten nicht zur Nutzung bereit; man habe, so die Welt, ein „Veto gegen die Veranstaltungen der SED in hamburgischen Hörsälen eingelegt“.75 Alle nach der Unterbindung der Generalversammlung unternommenen Versuche der Präsidiumsmitglieder, sich der Öffentlichkeit zu erklären, wurden von den Hamburger Behörden im Keim erstickt. Eine Abhaltung der Mitgliederversammlung war unter diesen Umständen unmöglich geworden.

75 W. G.: SED-Autoren wollen in Hamburg tagen. Versammlung des „Deutschen PEN-Zentrums Ost und West“. In: Die Welt, 7. 12. 1960.



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Gleichwohl sorgte der Boykott sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR für einen enormen medialen Widerhall. Die Meldung über die geplatzte Generalversammlung fand im Westen Eingang in jedes noch so kleine Blatt; hier war von der in letzter Minute geglückten Verhinderung einer „getarnte[n] kommunistische[n] Veranstaltung“76 die Rede. Einen scharfen Angriff formulierte Eugen Rühle: Hier wird mit falschen Karten gespielt. Hier kommen Schriftsteller, die sich dazu weiß Gott zu schade sein sollten, aufgezäumt als Trojanische Parade-Pferde über die Grenze! […] Die Tagesordnung, die Referate, die Resolutionen – das ist alles bis aufs i-Tüpfelchen im SED-Zentralkomitee und Ostberliner Kulturministerium abgesprochen worden. Keiner aus der Schar der Nationalpreisträger, der aus seinem Herzen nicht eine Mördergrube machte.77

Doch auch die Führungsspitze der SED registrierte die massiven Maßnahmen gegen das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West, die das Staatswesen der DDR indirekt torpedierten, und plante im Gegenzug einen breit angelegten Propaganda-Feldzug. Dessen Kernstück war die mediengerechte Aufarbeitung der Vorgänge in Hamburg und ein gezielter öffentlicher Protest. Zu diesem Zweck wurde u. a. eine internationale Pressekonferenz mit zahlreichen DDR-Vertretern des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West geplant und am 13. Dezember 1960 durchgeführt; diese diente einerseits der Anprangerung des geistigen Klimas in der Bundesrepublik, andererseits wurde inständig die Integrität des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West beschworen. Das Verbot sei ein Angriff auf den deutsch-deutschen geistigen Austausch; diesen Dialog wolle man indes ungeachtet aller Hindernisse auf PEN-Ebene fortsetzen.78 Während nach außen also deutsch-deutsche Einmütigkeit unter den Geistesschaffenden demonstriert wurde, gärte im Inneren die Unzufriedenheit hinsichtlich der deutlich spürbaren Ungleichbehandlung der westdeutschen PEN-Mitglieder durch die DDR-dominierte Führungsriege. Zwar gab es im Westen noch immer Vorkämpfer einer gleichberechtigten Ost-West-Zusammensetzung des Präsidiums. Die resignierte Haltung, wie sie auch Tralow als Beobachter aus der Ferne artikulierte, überwog jedoch: „Wie kann eine Organisation nach außen hin wirken, wenn sie innerlich gar nicht existiert?“79 Überlegungen hinsichtlich einer neuerlichen Sezession westdeutscher Mitglieder und der Begründung eines norddeutschen bzw. Hansischen Kreises blieben letztlich schiere Gedankenspiele. Zumindest aber zeigte der Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nach dem Hamburger Spektakulum ein gewisses Entgegenkommen

76 [AP]: Kommunistisches PEN-Zentrum wollte in Hamburg tagen. In: Badische Neueste Nachrichten (Karlsruhe), 9. 12. 1960. 77 Kommentar von Eugen Rühle im Rundfunksender SFB (10. 12. 1960). SAPMO-BArch DY 30/IV A2/2.026/38, Bl. 93–98, hier Bl. 96–98. 78 Vgl. [Protokoll zur] Pressekonferenz des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West am Dienstag, 13. Dezember 1960 im Deutschen Presseklub in Berlin [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 79 Johannes Tralow an Heinrich Christian Meier (8. 1. 1961). SBBPK, NL Tralow K 34 Konv. Meier.

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gegenüber den westdeutschen Mitgliedern und bemühte sich zur Demonstration einer paritätischen Ordnung um Stärkung des westdeutschen Flügels. Obgleich der öffentliche Nachhall der verbotenen Hamburger Generalversammlung von einem fahlen Beigeschmack begleitet war, folgte ihr eine Entwicklung auf dem Fuße, die der gescheiterten Veranstaltung aus Sicht der DDR-Verantwortlichen „ohne, daß sie stattfand, zu einem spektakulären Erfolg“80 verhalf. Die Wochenzeitschrift Die Zeit setzte sich in einem Artikel unter dem Titel „Die roten Dichter und Hamburgs Polizei“ differenziert mit den Vorgängen um die verbotene Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West auseinander und bot: eine polemische Klage über die vergebene Chance, mit den DDR-Autoren in Austausch zu treten; eine haarkleine Analyse der ideologischen Zusammensetzung der DDR-Delegation in Hamburg; eine deutliche Kritik am Verhalten der Hamburger Behörden, die lediglich Schwäche demonstriert und dem politischen Gegner Argumente frei Haus geliefert habe; eine kostenfreie Einladung der DDR-Vertreter in die Hamburger ZeitRedaktion zur Diskussion der ursprünglich geplanten Themen.81 Zweig nahm die Einladung „mit Dank“82 an und Gerd Bucerius, Verleger der Zeit, machte deutlich, worum es in den Gesprächen gehen sollte: „Wir haben kein unverbindliches Ost-WestVerbrüderungsgeschwätz zu bieten. Unsere Gäste sollten sich darauf vorbereiten, faire und präzise Fragen über die Verantwortung des Schriftstellers für das Volk und die Zukunft an uns zu stellen und uns zu beantworten.“83 Die Entscheidung für die Annahme der Einladung war ohne Rücksprache mit den PEN-Mitgliedern getroffen worden. Insbesondere die Mitglieder aus dem Westen fühlten sich erneut übergangen. Der Hamburger Heinrich Christian Meier etwa sah das Interesse der Zeit mit Misstrauen: „Der Zweck der Veröffentlichungen von Bucerius ist doch ganz klar, den Ost-West-PEN abzustempeln als reinen Club der SED, einen ‚sowjetzonalen PEN‘.“84 Er vermutete politisches Kalkül als Motiv: „[I]n der Operation des Dr. Bucerius [könne man] nur den Versuch sehen, den PEN endgültig als ‚ostzonal‘ abzustempeln und dabei der SPD einen Wischer zu erteilen. (Denn B. ist CDUabgeordneter.)“85 Ähnlich urteilte der staatlich gelenkte Nachrichtenmonopolist ADN, der Bucerius geschickte Wahlpropaganda unterstellte. Auch in der Öffentlichkeit rief das Gesprächsangebot geteilte Reaktionen zwischen Empörung und Zustimmung aus. Nichtsdestotrotz stieg man zu Beginn des Jahres 1961 in die Vorbereitung des Zusammentreffens ein und vereinbarte ein erstes Vorgespräch, zu dem die Zeit-Vertreter Gerd Bucerius und Marion Gräfin Dönhoff in Berlin erwartet wurden. In der DDR wurde die Zusammenkunft erwartungsgemäß parteipolitisch vorbereitet: Zu einem 80 Ingeburg Kretzschmar an Konrad Farner (3. 1. 1961). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 81 Vgl. Die Redaktion der Zeit: Die roten Dichter und die Polizei Hamburgs. In: Die Zeit 51 (16. 12. 1960). 82 Arnold Zweig an Redaktion Die Zeit (17. 12. 1960). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 83 Stellungnahme von Gerd Bucerius. Abgedruckt in: Die Antwort von Arnold Zweig. In: Die Zeit 52 (23. 12. 1960). 84 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (2. 1. 1960). SBBPK, NL Tralow K 50 Konv. Meier. 85 Heinrich Christian Meier an Johannes Tralow (11. 1. 1961). SBBPK NL Tralow, K 50 Konv. Meier.



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Treffen der Präsidiumsmitglieder kam ein Vertreter der Abteilung Kultur im ZK der SED hinzu und auch Alfred Kurella als Leiter der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED wurde einbezogen in die Überlegungen hinsichtlich der inhaltlichen Vorgaben und potenziellen Teilnehmer an den geplanten Veranstaltungen. Endlich waren die Rahmenbedingungen für das Aufeinandertreffen in Hamburg am 6./7. April 1961 geklärt. Das Programm ähnelte dem ursprünglich für die Generalversammlung geplanten sehr: Im Künstlerclub ‚die insel‘ lasen DDR-Autoren vor zahlreich erschienenem Publikum; in der Universität fanden zwei Gesprächsabende zu den Themenblöcken ‚Tolstoi und seine Wirkung auf die Gegenwart‘ und ‚Die Rolle des PEN-Clubs in unserer Zeit‘ statt. Dabei gab es keine einseitigen Vorträge, sondern „Rede und Gegenrede“, die einem fest gefügtem Regelwerk folgen sollte: Ein Podium, darauf ein Tisch, an dessen Mitte der Gesprächsleiter Platz nahm, der am ersten Abend vom ‚Osten‘, am zweiten vom ‚Westen‘ gestellt wurde. […] Zur Rechten des Diskussionsleiters saßen die von der Redaktion eingeladenen Gäste, drei an der Zahl, zur Linken drei Mitglieder der Ost-Delegation. Zum Anfang hielt, von einem Vortragspult aus, ein Sprecher jeder Seite ein kurzes Referat. Danach begann eine Diskussion, die sich zunächst auf die Teilnehmer am Podiumstisch erstreckte, dann aber ausgedehnt wurde auf eingeladene Gäste, die in den drei ersten Reihen des Publikums Platz genommen hatten.86

Zu Beginn legte Gerd Bucerius noch einmal dar, welche Beweggründe es für die Einladung der Ost-Kollegen gab: Wir wollten einfach wissen: wie setzen sich angesehene Dichter und Schriftsteller diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs mit dem System diesseits und jenseits – und unsere Neugier bezog sich natürlich vor allem auf das System jenseits –, mit dem totalitären System auseinander? Wie werden sie mit dem Kommunismus fertig, da wir doch glauben, daß die Freiheit die Voraussetzung für Dichtung sei? Auf diese Frage können wir aber natürlich nur Antworten bekommen, wenn wir uns mit Kennern und – ja, vor allem – mit Vertretern jener totalitären Weltanschauung auseinandersetzen, sie anhören.87

Der Einstieg in die Gespräche über die Thematik ‚Tolstoi‘ geriet relativ moderat. Erst die Thematik ‚PEN‘ steuerte auf die Kernfrage zu, welche Funktion dem Schriftsteller hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Position zukomme – insbesondere innerhalb eines totalitären Systems. An dieser Stelle sollen die einzelnen, z. T. hitzigen und aggressiven Diskussionsbeiträge nicht referiert werden, liegt doch das zeithistorische Protokoll Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager (1961) sowie die vor wenigen Jahren erschienene Dokumentation Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch

86 Josef Müller-Marein: Vorwort. In: J. Müller-Marein und Theo Sommer (Hrsg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Hamburg: Rütten & Loening 1961 (Das aktuelle Thema 7), S. 7–13, hier S. 12. 87 Müller-Marein und Sommer: Schriftsteller, S. 20.

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deutscher Autoren aus Ost und West 1961 (2011) zur Nachlese vor.88 Fokussiert werden soll hier nur auf die Essenz der Gespräche: Im Grunde hatte man wenig über die reale Situation der Schriftsteller hinter der deutsch-deutschen Demarkationslinie und ihr intellektuelles Selbstverständnis hinzugelernt. Harsche Angriffe auf die literaturpolitischen Zustände in der DDR waren – erwartungsgemäß – mit Verteidigung bzw. Gegenangriff beantwortet worden. Dies war wohl in erster Linie der Anlage der Gespräche geschuldet. In der Öffentlichkeit war ein ehrliches Bekenntnis zur schwierigen kulturpolitischen Situation von niemandem zu erwarten – weder von den kritischen, noch von den getreuen DDR-Vertretern: Mit Freunden der Unfreiheit ist kein Gespräch möglich, mit Leuten aber, die sich durch eine freie Meinungsäußerung selbst in höchste Gefahr bringen, sollte man kein öffentliches Gespräch veranstalten. Man stellt sie vor die Frage, zu heucheln oder sich selbst zu gefährden. Das ist eine unmenschliche Alternative zwischen Lüge und Selbstmord. Und darum war das Gespräch in Hamburg nicht nur unnötig, sondern auch unmenschlich.89

Doch eine geringe Chance bot das Treffen doch: Man konnte zu der Einsicht gelangen, dass durch persönliche Kontaktaufnahme und privates Gespräch individuelle Einblicke in die (kultur)politische Entwicklung des DDR-Staates möglich werden konnten. Immerhin bot der PEN in dieser Hinsicht gewisse Möglichkeiten. Mit dem deutschdeutschen Gespräch war demgemäß, bei aller Skepsis hinsichtlich seines direkten Ertrages, ein kleiner Grundstein der Annäherung von Ost nach West und umgekehrt gelegt. Auch die kulturpolitischen Verantwortungsträger der DDR forderten nach der Auswertung des Hamburger Gesprächs die Aufrechterhaltung und Stärkung der Kontakte des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu westdeutschen Schriftstellerkollegen. Diesem Ansinnen stand indes die deutsch-deutsche Politik der DDR-Regierung entgegen, die in Reaktion auf die innenpolitische Krise des totalitären SED-Staates eine dramatische Entwicklung nahm: Andauernde wirtschaftliche Schwierigkeiten, Missstände in der Versorgung der Bevölkerung und der harte Führungsstil der SED hatten die Zahlen der Flüchtlinge aus der DDR sprunghaft ansteigen lassen. Um ein Ausbluten des eigenen Staates durch die Flüchtlingsströme zu verhindern, die auch angesichts massiver Strafandrohungen kaum gestoppt als vielmehr gesteigert wurden, entschloss sich die Regierung zur strikten Abriegelung der Grenzen nach Westberlin und begann nach der Absegnung durch den Warschauer Pakt im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer. Wenige Tage nach der Errichtung folgte der Beschluss zur „Anwendung der Waffe“ an der Mauer. Der Weg von Ost nach West war verschlossen. Die DDR hatte ihr eigenes Volk eingesperrt und setzte damit ein Fanal ihrer harten und brutalen Politpraxis. 88 Vgl. Müller-Marein und Sommer (Hrsg.): Schriftsteller; Jens Thiel (Hrsg.): Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West 1961. Berlin: Aurora 2011. 89 Erich Naumann: Die armen Leute. In: Nürnberger Zeitung, 10. 4. 1961.



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Angesichts dieser drakonischen Maßnahme, die von der Weltöffentlichkeit aufmerksam beobachtet wurde, geriet auch das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West gegenüber dem Internationalen PEN verstärkt in Erklärungsnot: Die dem Mauerbau vorausgegangene drastische Verschärfung der kulturpolitischen Situation, die von zahlreichen Verhaftungen schreibender Intellektueller begleitet worden war, blieb der Außenwelt nicht verborgen. Kommunikationsversuche des vom Internationalen PEN 1960 neu begründeten Writers in Prison-Committee (WiPC), das sich verstärkt den Einzelschicksalen verfolgter Autoren widmete, richteten sich demgemäß auf genauere Auskunft über bekannt gewordene Fälle inhaftierter DDR-Schriftsteller. Schon Mitte 1961 sahen sich die Verantwortlichen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West mit Inhaftierten-Listen konfrontiert, über die die Zentrale des Internationalen PEN Informationen erbat. Zunächst entzog man sich, indem man keine Delegierten zu den Sitzungen des Exekutivkomitees entsandte. Für die Vorstandsmitglieder des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West war eine brisante Situation entstanden: Eine Verweigerung der Kooperation mit den internationalen PEN-Instanzen konnte die gerade einigermaßen gefestigte Position auf internationaler Ebene gefährden. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Schicksalen der auf den Listen geführten Autoren barg die Gefahr, sich in eine oppositionelle Position gegenüber der DDR-Regierung und ihrer fragwürdigen Strafrechtspraxis zu begeben. Was tun? Zweig ersuchte das ZK der SED um eine politisch korrekte Argumentationslinie – ohne Erfolg. So hüllte sich der Vorstand des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West gegenüber dem Internationalen PEN in Schweigen. Eine klärende Auseinandersetzung mit den Fällen, geschweige denn ein Einsatz für die inhaftierten Schriftsteller, deren Schicksale ungeklärt waren, blieb aus. Doch es gab neue Anfragen; so erbat im September 1961 das österreichische PENZentrum Informationen in der Angelegenheit der in der DDR inhaftierten Schriftsteller und Journalisten. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West indes schwieg weiter und folgte auch dem Rat des stets um Vermittlung bemühten internationalen Vizepräsidenten Robert Neumann nicht, der inständig darum bat, die „Liste der Inhaftierten jetzt tatsächlich zu behandeln und mit irgendwelchen positiven Ergebnissen [zur Exekutive] nach Rom [November 1961] zu kommen.“ Neumann warnte eindringlich: „Die Stimmung gegen Euch ist […] in einem Maße aufgepeitscht worden, daß eine freundliche Aussprache und die Erzielung irgendwelcher positiver Resultate von höchster Notwendigkeit sind.“90 Doch man folgte Neumanns Rat nicht und entsandte stattdessen in Zweigs Namen unmittelbar vor Beginn der Exekutivkomitee-Tagung im November 1961 ein Telegramm an den internationalen PEN-Präsidenten Alberto Moravia, in dem nicht nur das internationale Generalsekretariat scharf angegriffen, sondern auch die jüngsten Maßnahmen des SED-Regimes verteidigt wurden: „Neither the Rules of the International P.E.N., nor our own work, are in any way prejudiced by measures which the Government of the German Democratic Republic found necessary to take in order 90 Robert Neumann an Stephan Hermlin (4. 10. 1961). ÖNB HsSlg. Ser. N. 21.842.

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to guarantee its security and sovereignty.“91 Auch in der DDR-Presse waren positive Reaktionen von Mitgliedern des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West abgedruckt worden, die den Mauerbau ausdrücklich begrüßten. Derlei euphemistische Verlautbarungen hinsichtlich einer politischen Maßnahme, die gegen jedes Menschenrecht sprach, sorgten im Westen für Aufregung und führten zu demonstrativen Austritten aus dem Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik): „Mag mit Schriftstellern, deren oberster Grundsatz es ist, 16 Jahre nach Hitler wieder einer blutbedeckten deutschen Diktatur zu dienen, zusammen in einem Club, in einem Verband sein, wer will, ich will es nicht“92, so etwa Wolfdietrich Schnurre, der die tolerante Haltung des bundesdeutschen PEN-Vorstandes in dieser Angelegenheit aufs Schärfste verurteilte. Obgleich kein Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in Rom erschien, standen der Mauerbau und die Liste der in der DDR inhaftierten Kollegen auf der Agenda. Die bundesdeutsche Delegation legte dort, in Reaktion auf die interne Auseinandersetzung, ein ausführliches Memorandum zu den innerdeutschen Vorgängen vor und bat um Unterstützung des Internationalen PEN in dieser Problematik. Doch bei den internationalen Delegierten überwog die Unlust, „deutsche Sonderprobleme zu erörtern“.93 Hinsichtlich der in der DDR inhaftierten Schriftsteller beschloss die Exekutive, den Sachverhalt an das WiPC zu übergeben. Zugleich wurde Carver mit der Abfassung eines Briefes beauftragt, der die Position des Internationalen PEN darlegen sollte, ohne den klärenden Dialog mit dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West im Keim zu ersticken. So fragte er wiederum nach den Inhaftierten, verurteilte deutlich die Ergebenheitsadressen hinsichtlich des Mauerbaus und zog deren Vereinbarkeit mit der PEN-Charta in Zweifel. Carver machte deutlich, dass man in allen kritischen Punkten umgehend eine Antwort erwartete; diese blieb indes aus. Allerdings zeigte der Druck von außen im Inneren Wirkung: Zweig reagierte beunruhigt und kündigte mehrfach seinen Rücktritt vom Amt des Präsidenten an. Er hatte zu keinem Zeitpunkt seiner Präsidentschaft einen aktiven Part an der PENArbeit übernommen und fühlte sich von den politischen Fragen höchster Brisanz überfordert. Um den prominenten Präsidenten für den PEN zu erhalten, dessen plötzlicher Rückzug auf internationalem Terrain sicherlich für unangenehme Nachfragen gesorgt hätte, schaltete die Sekretärin Ingeburg Kretzschmar die parteipolitischen Instanzen ein. Dass ein weiteres Schweigen und erneutes Nichterscheinen auf der internationalen Bühne Schwierigkeiten mit sich bringen würde, schien den führenden Köpfen klar gewesen zu sein. So trat man die Flucht nach vorne an und setzte alle

91 Arnold Zweig an Alberto Moravia (o. D.). Zitiert nach P.E.N. International Executive Committee Meeting in the Palazzetto Venezia, Rome, at 10 a. m. on November 1, 1961, S. 13f. PAL. 92 Zitiert nach [o. V.]: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Zeitung, 13. 10. 1961. 93 Rundschreiben von Erich Kästner und Walter Schmiele an alle Mitglieder (15. 11. 1961). PEN-Archiv Darmstadt (im folgenden DA).



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Hebel in Bewegung, um die Teilnahme des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West an der nächsten internationalen Exekutivsitzung im Mai 1962 zu realisieren. In Absprache mit der Abteilung Kultur des ZK der SED reisten Ingeburg Kretzschmar und Stephan Hermlin nach Brüssel, um Kooperationsbereitschaft in allen Fragen zu signalisieren, die in Zusammenhang mit der Liste der Inhaftierten standen. Nur auf diese Weise konnte die Gefährdung der eigenen Position im Internationalen PEN abgewendet werden. Wer indes erwartet hatte, dass die Entsandten als reuige Sünder auftreten würden, sah sich enttäuscht. Der wortgewandte Redner Stephan Hermlin unternahm keinen Versuch, seine Äußerungen hinsichtlich des Mauerbaus zurückzunehmen und blieb loyal gegenüber der DDR-Regierung – so wie viele literarische und künstlerische Intellektuelle, die „von der Grenzschließung größere Freiheiten in der Meinungsbildung und in den Publikationen“94 erhofften. Eine Hoffnung, von der sich später herausstellen sollte, dass sie trog. Gleichwohl war Hermlin bestrebt, das beschädigte Verhältnis zwischen Internationalem PEN und Deutschem PEN-Zentrum Ost und West zu kitten und den Dialog wieder aufzunehmen. Das Kunststück gelang: Hermlin entschuldigte sich in aller Form für das lange Schweigen der eigenen Sektion und gab, durch die Abteilung Agitation im Ministerium für Staatssicherheit sehr gut vorbereitet, einen ausführlichen Bericht über die Nachforschungen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zur Liste der inhaftierten Autoren. Die Weitergabe der detaillierten Informationen wurde auf internationaler Ebene als partielle Kooperation aufgefasst und konnte die Vorbehalte gegenüber dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West mindestens mildern. Auf der Brüsseler Exekutive wurden keine konkreten Beschlüsse zur Unterstützung der in der DDR Inhaftierten gefasst. Doch das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West war damit keineswegs aus dem Blickpunkt gerückt. Der Internationale PEN zeigte sich in der Frage der inhaftierten Autoren mehr als hartnäckig. Da aufgrund der Visa-Problematik an der darauf folgenden Exekutive in London (Oktober 1962) kein Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West teilnehmen konnte, reiste Robert Neumann im November 1962 nach Ostberlin und wurde dort ohne Vorbehalte empfangen: „Er war uns bekannt als einer, der uns nichts vormachen würde, der uns nicht sozusagen ein Kuckucksei legen wollte.“95 Der versierte Mittler zwischen Ost und West, der auch den deutsch-deutschen Dialog forcierte, kam im Auftrag des internationalen Generalsekretärs mit „eine[r] nun sehr konkret gewordene[n] Frageliste bezüglich jener […] noch Inhaftierten“96 und der deutlichen Aufforderung, „für die Freilassung der einwandfrei zu Zuchthaus Verurteilten einzutreten, das Schicksal der Verschollenen und Umgekommenen aufzuklä94 Mittenzwei: Die Intellektuellen, S. 171. 95 „Post mortem“ – Prof. Heinz Kamnitzer im Gespräch mit Reinhard Hübsch zur Diskussion an der Humboldt-Universität Ost-Berlin. In: Reinhard Hübsch und Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.): „Operation Mauerdurchlöcherung“. Robert Neumann und der deutsch-deutsche Dialog. Mit Beiträgen von Robert Neumann, Wolfgang Abendroth u. a. Bonn: Pahl-Rugenstein 1994, S. 201–211, hier S. 203. 96 Robert Neumann an Ingeburg Kretzschmar (3. 11. 1962). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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ren und Akteneinsicht in die Fälle der Personen zu verschaffen, denen Spionage und Kriegsverbrechen vorgeworfen werden“.97 Neumann kam wider Erwarten zu einer positiven Einschätzung der DDR-Schriftsteller, um die es vom P.E.N.-Standpunkt […] viel besser steht, als wir je erwartet hätten: ihre Meinungen sind keineswegs uniform, ihre Bereitwilligkeit zu Interventionen reicht vom stursten ‚njet‘ bis zu wirklicher und aktiver Zivilcourage, das Spektrum dieser Zwischentöne ist keineswegs enger als das zwischen den kalten Kriegern und den Verständigungswilligen in Westdeutschland – und der Unterschied zwischen West und Ost liegt im Wesentlich nur darin, daß diese Leute […] viel eher bereit sind, etwas stumm zu tun, als es der westlichen Öffentlichkeit bekannt zu geben.98

So erwartete er positive Ergebnisse in der Frage der inhaftierten Autoren, obgleich die Vertreter des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West deutlich gemacht hatten, dass sie nur „zur Intervention für wirkliche Schriftsteller im Sinn der P.E.N.-Charta bereit seien“.99 Mit erhöhter Konzentration verfolgte Neumann während seines Berlin-Besuches die Aufklärung des Schicksals von Wolfgang Harich, der schon seit sieben Jahren in Bautzen inhaftiert war. Und erhielt Unterstützung von Arnold Zweig, der sich in diesem Fall an den stellvertretenden Justizminister, Ranke von Liebenstein, wandte – allerdings ohne Erfolg. Erst im Dezember 1964 wurde Harich aus der Haft entlassen. Welche Rolle dabei Neumanns über Jahre andauernde Aktivität spielte, ist nicht nachweisbar. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West jedenfalls lieferte weder 1961 noch zu einem späteren Zeitpunkt eine offizielle Intervention für die übrigen auf der Liste aufgeführten Inhaftierten oder auch nur Informationen über deren Schicksal. Alle Nachfragen wurden abgeschmettert: „Ergänzende Mitteilungen [zu dem in Brüssel erbrachten Bericht] sind nicht zu machen.“100 Notwendig wird es an dieser Stelle, die Einflussnahme der parteipolitischen Instanzen auf das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West in den 1960er Jahren einmal genauer zu betrachten. Beim wem lagen die Zuständigkeiten? Wann und wie wurde regulierend in die Arbeit des Zentrums eingegriffen? Aus den 1950er Jahren liegen kaum Belege für eine Anleitung des PEN-Zentrums vor. Erst zwischen 1959/60, nach dem Ausscheiden Uhses aus der aktiven PEN-Arbeit, lässt sich eine verstärkte Kontaktaufnahme der Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar101 mit dem ZK der SED feststellen. Dabei ging es vor allem um die Bewilligung von Aufgaben- und Arbeits97 Carry Hauser und Franz Theodor Csokor an Ingeburg Kretzschmar (6. 11. 1962). AdK Berlin, PENArchiv (Ost). 98 Robert Neumann an Kasimir Edschmid (3. 1. 1963). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 99 Ebd. 100 Ingeburg Kretzschmar an Carry Hauser (2. 3. 1963). ÖNB HsSlg. Ser. n. 21.842. 101 Zu welchem Zeitpunkt Ingeburg Kretzschmar von der Sekretärin zur Generalsekretärin avancierte, lässt sich nicht eindeutig klären. Es liegt nahe, den Amtswechsel in zeitlicher Nähe zu Uhses Rückzug zu vermuten. Schriftliche Belege für eine reguläre Wahl sind bislang nicht aufgefunden worden. Ähn-



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plänen des Zentrums. Ohne Zustimmung und Unterstützung der parteipolitisch Verantwortlichen waren die Vorhaben des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West schon wegen der Bewilligung von Visaanträgen und Valuta nicht durchführbar. So entwickelte sich im Laufe des Jahres 1961 eine engere Zusammenarbeit, die auf eine koordinierte PEN-Arbeit abzielte. Gleichwohl wurde eine direkte Konfrontation zwischen Parteifunktionären und Präsidiumsmitgliedern „sehr gemieden. Man hat höchstens den einen oder anderen unter den Präsidiumsmitgliedern zu Hause angerufen und ein paar Andeutungen gemacht. Man hat sich bei uns nicht blicken lassen. Diese Verquickung wollte man nicht manifestiert wissen. Das ging immer sozusagen hinter den Türen.“102 Schriftliche Belege aus dieser Zeit gibt es kaum: „Niemals etwas schriftlich, niemals per Telefon. Ich wurde hinzitiert, und es wurde mir mündlich mitgeteilt […]. Wir bekamen alles mündlich mitgeteilt – niemals mit einer schriftlichen Anweisung, damit man nichts in der Hand hatte. Das war eine Taktik.“103 Umgekehrt schien die Abteilung Kultur beim ZK der SED in den Jahren 1961–1964 durch Kretzschmars schriftliche Berichterstattungen über internationale Exekutiven und Kongresse, Kontaktaufnahmen mit anderen sozialistischen Zentren, Aktivitäten in Westdeutschland und laufende Anthologie-Projekte umfassend über die Aktivität des PEN-Zentrums informiert. Im Verlauf des Jahres 1964 gelangte man von Seiten der Abteilung Kultur beim ZK der SED indes zu der Einsicht, dass die Möglichkeiten des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West weder im Hinblick auf den Internationalen PEN noch auf die Arbeit nach Westdeutschland ausreichend ausgeschöpft worden seien. Eine lange Liste mit Kritikpunkten, die vor allem die interne Struktur des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West betrafen, wurde erstellt. In der Konsequenz wurden konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der parteipolitischen Anleitung beschlossen, die zu jahrelanger Routine wurden; so sollte künftig die Aktivierung der Parteigenossen unter den PENMitgliedern durch Zusammenkünfte mit Vertretern des ZK der SED erfolgen; die Teilnahme an Kongressen und Exekutiven musste fortan mittels Vorlage von Konzeptionen im Vorfeld ideologisch kontrolliert und abgesegnet werden. Angestoßen worden war diese Entwicklung durch die Weigerung des Kulturfonds der DDR, den PEN weiterhin finanziell zu unterstützen. Begründet wurde diese durch die als unzureichend empfundene Anleitung und Kontrolle des PEN-Zentrums. Erwogen wurde in der Folge die organisatorische und haushaltsmäßige Angliederung an den parteipolitisch verlässlichen DSV. Als kurzfristige Lösung für das Jahr 1965 wurde beschlossen, dem PEN über den DSV Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Langfristig wurden eigene Haushaltspläne für das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West erstellt. Verbindlich wurde festgelegt: „Für die Anleitung […] ist die Kulturabteilung des ZK der SED verantwortlich verhält es sich mit Kretzschmars Wahl in den PEN – ihre (Nicht)Mitgliedschaft ist nicht eindeutig zu klären. 102 Interview mit Ingeburg Kretzschmar, geführt am 21. 2. 2002 in Berlin. 103 Ebd.

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lich. Alle Auslandsvorhaben sind mit der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK abzustimmen, alle Vorhaben nach Westdeutschland mit der Abteilung 62.“104 Ein Novum in der Zusammensetzung des Präsidiums dürfte von den Parteifunktionären mit Zufriedenheit aufgenommen worden sein. Im Dezember 1964 war Heinz Kamnitzer in die neu geschaffene Position eines Vizepräsidenten gewählt worden – in Reaktion auf Arnold Zweigs Rückzugsgesuch, das maßgeblich durch seinen desolaten Gesundheitszustand begründet war. Um Zweig als präsidiale Figur für den PEN zu erhalten, entschied man sich, ihm einen Vizepräsidenten für die Erledigung des Tagesgeschäftes zur Seite zu stellen. Ob auch parteiinterne Einflussnahme diese Neuerung begünstigte, ist nicht belegbar. Die Parteiverantwortlichen dürften die Entwicklung indes begrüßt haben, besetzte nun doch mit Kamnitzer ein treuer Parteisoldat eine führende Position im Deutschen PEN-Zentrum Ost und West; er besaß überdies Zweigs vollständiges Vertrauen und übernahm dessen Aufgaben in einer Art schleichendem Prozess schließlich ganz und gar. Doch die Politik drang auch auf anderen Wegen mehr und mehr in den PEN ein: Schon Ende 1964 bzw. Anfang 1965 war eine Parteigruppe innerhalb des Präsidiums eingerichtet worden; diese bestand aus Heinz Kamnitzer, Wieland Herzfelde, Stephan Hermlin und Ingeburg Kretzschmar. In deren Anleitung durch das ZK der SED galt es sicherzustellen, „daß die Parteigruppe des Präsidiums die politisch richtige Durchführung aller vorgegebenen Maßnahmen sichert.“105 Indes ist die Aktivität der Gruppe nur sporadisch belegt. Ein Jahr später gab es einen weiteren Vorstoß aus den Reihen des Präsidiums, der die Gründung einer Parteigruppe befürwortete, die sich aus den Parteiangehörigen innerhalb der gesamten Mitgliedschaft zusammensetzen sollte. Diese Gruppierung trat auf so genannten Voraus-Versammlungen im Vorfeld der Generalversammlungen zusammen, um die Teilnehmer in Anwesenheit von ZKVertretern auf die aktuelle parteipolitische Linie einzuschwören und auf diese Weise Ablauf und Ergebnis der jeweiligen Tagung abzusichern. Sehr eindrückliche Belege für die Mitte der 1960er Jahre verschärfte Überwachung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West durch die kulturpolitischen Verantwortungsträger liefert das Quellenmaterial für das Jahr 1965. Ins Visier der Kulturfunktionäre gerieten mit Stefan Heym und Wolf Biermann zwei prominente Personen des DDR-Kulturbetriebs, deren Tun und Lassen aus nahezu paranoider Angst vor ihrem öffentlichen Auftreten mit vorbeugenden und nachregulierenden Maßnahmen belegt war. Im Falle von Stefan Heym, dessen jüngste Aussagen zu den Pflichten eines Schriftstellers als Kampfansage gegen den literaturpolitischen Kurs der Regierung gewertet wurden, nahm die Abteilung Kultur entscheidenden Einfluss auf die Planung einer 104 Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED (9. 3. 1965; erstellt von Ingeburg Kretzschmar). SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/156. 105 Stellungnahme zum vorliegenden Material des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West [o. D., vermutlich Anfang 1965; erstellt von Abt. Kultur beim ZK der SED]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.



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PEN-Veranstaltung. Zwar sollte der in Aussicht genommene Abend mit einem Vortrag über Heyms Werke nach dem Willen der Kulturfunktionäre stattfinden. Die Vorbereitung sollte indes eine kleinstmögliche Öffentlichkeit und die Verurteilung von Heyms „falsche[m] Verhalten gegenüber der DDR“106 durch die anwesenden Genossen garantieren. Ein Verwirrspiel um die Veranstaltung begann, in dem die Abteilung Kultur, die Ideologische Kommission beim Politbüro und auch das Ministerium für Kultur führende Rollen übernahmen. Am Ende fand die Veranstaltung in der vorgesehenen Weise niemals statt. Ein weiteres Ereignis sollte nicht nur einzelne PEN-Mitglieder, sondern auch die Verantwortlichen von ZK der SED und Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nachhaltig beschäftigen. Wolf Biermann, dessen Texte unverhohlen eine kritische Haltung gegenüber der DDR-Regierung demonstrierten, wurde auf der Generalversammlung im April 1965 in das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West gewählt – gemeinsam mit Hans-Joachim Bunge und Hartmut Lange. Eine Beeinflussung des Wahlverfahrens durch eine Absprache unter den anwesenden Parteigängern scheiterte aufgrund fehlender Majorität. Das missliebige Ergebnis versuchte man in der Folge durch mannigfaltige Maßnahmen zu manipulieren – ohne Erfolg. Weder ein Versuch, durch öffentliches Ausschweigen über die Wahl Biermanns dessen Eintritt in den PEN zu verhindern, noch Kretzschmars Informationspolitik gegenüber Biermann, die mehr einer Aus-, denn einer Einladung zur Mitgliedschaft im PEN glich, tat die gewünschte Wirkung. Frohgemut nahm Biermann die Wahl an: Ich sagte Ihnen schon am Telephon, daß es mir eine Ehre und ein Vergnügen ist, Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu sein. Daß meine Wahl mit nur einer Stimme Mehrheit zustande kam, ist mir ein Grund mehr, die Wahl anzunehmen, wird doch der nächste Kandidat meiner Spezies auf diese Weise mit wahrscheinlich zwei Stimmen Mehrheit gewählt werden.107

Die staatlichen Stellen, ZK der SED und MfS, waren mit dem leidigen Thema einige Zeit beschäftigt. An Biermanns Mitgliedschaft im PEN änderte sich nichts. Indes lässt sich in Reaktion auf Biermanns Zuwahl eine strikte Verschärfung in der parteilichen Anleitung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West dokumentieren. Unter dem Eindruck des 11. Plenums des ZK der SED (Dezember 1965), dessen scharfe Angriffe auf zahlreiche Kulturschaffende für enorme Unruhe innerhalb der künstlerischen Intelligenz der DDR gesorgt hatten, demonstrierten die Kulturfunktionäre ihren Willen, das PEN-Zentrum noch stärker als bislang unter Kontrolle zu bringen und die Sicherungssysteme, die offenkundig versagt hatten, weiter auszubauen. Die Angst vor dem Erstarken oppositioneller Kräfte, vor einer unkontrollierten Öffentlichkeit innerhalb des PEN war groß und demgemäß die Kritik an der Zuwahl von Personen wie Wolf Biermann sowie Hartmut Lange und Hans-Joachim Bunge, die beide ebenfalls 106 Information [zu Stefan] Heym am 15. 4. 1965. BStU, MfS, AP 4589/92, Bl. 18. 107 Wolf Biermann an Ingeburg Kretzschmar (7. 10. 1965). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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im Sinne der Partei negativ aufgefallen waren, groß. Zur Diskussion stand nun die Frage nach funktionierenden Sicherungsmechanismen bei künftigen Wahlen, aber auch nach Möglichkeiten, sich der unliebsamen Neumitglieder wieder zu entledigen. In der Konsequenz wurde die Arbeitsplanung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West einer noch massiveren Kontrolle von außen ausgesetzt und die Regulierung der internen Prozesse über eine Parteigruppe forciert. Wolf Biermann aber blieb über Jahre hinweg das ‚enfant terrible‘ des PEN – steter Kontrolle und Überwachung ausgesetzt.108 Die ‚Lösung‘ des Falles sollte Jahre später auf höchster staatlicher Ebene erfolgen. Wie sehr die Verantwortlichen des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West inzwischen unter der Anleitung und Kontrolle der parteistaatlichen Stellen standen, belegt auch die akribische Vor- und Nachbereitung der Teilnahme am internationalen PENKongress in New York (1966). Von den Delegierten Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde war nicht nur ein umfassender schriftlicher Bericht über den Verlauf des Kongresses vorzulegen. Auch auf einer Aussprache mit Vertretern aller kulturpolitisch wesentlichen Einrichtungen mussten die Kongressteilnehmer aus der DDR Rede und Antwort stehen. Deutlich spricht aus den Beiträgen der Delegierten, wie sehr sie im Vorfeld dazu angehalten worden waren, auf dem internationalen Parkett für die Belange der DDR einzutreten. Kamnitzer, Girnus und Herzfelde wurden nicht müde zu betonen, dass man klar und deutlich als Vertreter der DDR und des sozialistischen Standpunkts aufgetreten und auch als solche wahrgenommen worden sei. Die eigene Wirkung beurteilte man geradezu enthusiastisch: Die internationalen Pressestimmen, die sich mit dem New Yorker PEN-Kongreß befassen, vermerken – wenn einzelne Delegationen erwähnt werden – an erster, meist an einziger Stelle die DDR-Delegation […]. Aus der internationalen Presse geht hervor, daß die Delegation des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nicht nur als absolut gleichberechtigter Partner aufgetreten ist, sondern daß die DDR-Mitglieder in entscheidenden Verhandlungsfragen des Kongresses im Mittelpunkt des Interesses standen.109

Ob und welche Resonanz der Bericht über den Kongress letztlich erzielte, ist in den Quellen nicht belegt. In der vorliegenden Darstellung zur Geschichte des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in den 1960er Jahren ist bislang der Blick auf das deutsch-deutsche Verhältnis vernachlässigt worden. Doch es gab ab Mitte der 1960er Jahre durchaus Entwicklungen, die Erwähnung verdienen: Zwischen den beiden deutschen PEN-Zen108 Vgl. Dorothée Bores: „Wenn man ihn kalt stellt und isoliert“. Wolf Biermann als Mitglied des DDR-PEN. In: Susanne Muhle, Hedwig Richter und Juliane Schütterle (Hrsg.): Die DDR im Blick. Ein zeithistorisches Lesebuch. Berlin: Metropol 2008, S. 87–96. 109 Heinz Kamnitzer, Wilhelm Girnus und Wieland Herzfelde: Bericht über die Tätigkeit der Delegation des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West auf dem XXXIV. Internationalen P.E.N.-Kongress in New York vom 12. bis 19. Juni 1966 (19. 7. 1966), S. 7. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/156.



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tren kam es zu ersten Schritten einer verbindlicheren Annäherung, die sich schließlich in der Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses manifestierten. Dessen Arbeitsergebnisse sind – bis auf wenige Einzelereignisse – indes kaum fassbar; so ist Sven Hanuschek zu folgen, der den Ständigen Verbindungsausschuss als „missratene und weitgehend erfolglose Institution“110 bezeichnet. Resignierend urteilte auch Dolf Sternberger, Präsident des bundesdeutschen PEN, über die letztlich erfolglosen Bemühungen um Kooperation: „[D]ie Kommunikation mit dem PEN-Zentrum der DDR – […] – die unter internationalem Protektorat […] eingeleitet wurde, [hat sich] nur hingeschleppt, sie ist eigentlich doch immer am Rande eines Versandens entlang gelaufen. […] Wir hatten […] große Mühe, viel Geduld daran gewendet und doch nicht das erreicht, was wir erhofft hatten.“111 Angestoßen worden war die Annäherung zwischen dem Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik) und dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West durch den Internationalen PEN, der als Mittler zwischen Ost und West fungierte. Als Botschafter trat in dieser Angelegenheit auch Robert Neumann bei seiner Reise nach Ostberlin (1962) auf. Doch die Ostberliner PEN-Akteure zeigten wenig Kooperationsfreude. Zahlreiche Vermittlungsversuche von außen liefen weitestgehend ins Leere und zogen sich über Jahre hin. Erst im Oktober 1964 traten Vertreter beider deutscher Zentren unter Victor van Vrieslands Vorsitz in Budapest zusammen und einigten sich nun erstaunlich schnell auf die Bildung eines Ständigen Verbindungsausschusses, der mindestens zwei Mal im Jahr tagen sollte, um folgende Aufgaben zu koordinieren: 1. 2. 3. 4. 5.

Der Ausschuß soll den Austausch von Informationen und Publikationen veranlassen, die von der Tätigkeit der beiden Zentren Zeugnis ablegen. Der Ausschuß soll vereinbaren, daß gemeinsame literarische Veranstaltungen (Lesungen, Vorträge, Aussprachen) stattfinden. Der Ausschuß soll dafür Sorge tragen, daß die beiden deutschen Zentren sich gegenseitig zu ihren eigenen literarischen Veranstaltungen einladen. Der Ausschuß soll versuchen, Angelegenheiten, die zwischen den beiden Zentren strittig sind, zu schlichten. Der Ausschuß soll durch seine Tätigkeit ein enges Zusammengehen der beiden deutschen PEN-Clubs vorbereiten.112

Die Aktivität des Ständigen Verbindungsausschusses nahm sich gegenüber der langen Vorgeschichte relativ bescheiden aus. Obgleich der Ausschuss von 1964 bis 1968 existierte, traten dessen Mitglieder nur zwei Mal zusammen. Als konkretes Ergebnis dieser Beratungen wurden thematische Veranstaltungen geplant (Goethe 110 Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951–1990. Tübingen: Niemeyer 2003 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der deutschen Literatur 98), S. 263. 111 Begrüßungsrede von Dolf Sternberger (= Anlage 1 des Protokolls der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland am 16./17. 4. 1970). DA. 112 Vereinbarung zwischen dem Deutschen P.E.N.-Zentrum Ost und West und dem Deutschen P.E.N.Zentrum Bundesrepublik (14. 10. 1964). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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und seine Zeit; Thomas Mann und die Politik; Lesungen), die parallel in der Bundesrepublik und in der DDR durchgeführt wurden. Beide Seiten zeigten sich zufrieden mit dem Verlauf, insbesondere von Seiten der DDR gab es Zustimmung: „Man setzt sich zusammen, um sich auseinanderzusetzen; so kann man sich näher kommen.“113 Und auch der Internationale PEN zeigte sich glücklich, „that the bridge between the two Germanies was strengthened in this way.“114 Das bundesdeutsche PEN-Zentrum, dessen Blick auf die kulturpolitischen Maßregelungen der DDR-Schriftsteller durch die Annäherung keineswegs verstellt wurde, nutzte die Basis des Verbindungsausschusses, um vorsichtige Nachfragen zur Kulturpolitik der DDR zu stellen; diese blieben allerdings ohne konkrete Antwort. Stellungnahmen waren den Vertretern des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West nicht zu entlocken. Schon Ende 1966 schien das Verhältnis deutlich abgekühlt, die Beziehungen insbesondere von Ost nach West eingefroren. Während im Westen noch heiß diskutiert wurde, schien der Osten im April 1967 bereits abschließend zu bewerten. Eine ganz andere Frage hatte sich hier in den Vordergrund gedrängt, die gleichwohl auf die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses Einfluss nehmen sollte; es ging um das Für und Wider einer Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West in ein DDR-Zentrum. Auf das Drängen aus dem ZK der SED antworteten die Präsidiumsmitglieder mit einem thesenartigen Papier, das vor allem negative Folgen und deutliche Skepsis hinsichtlich einer Umbenennung formulierte. Zur Disposition stand im Zuge einer solchen Maßnahme zudem die Mitgliedschaft der westdeutschen Autoren. Auch gegen eine Liquidierung des Ständigen Verbindungsausschusses sprachen sich die PEN-Verantwortlichen aus: „Eine Tätigkeit unseres Zentrums in der Bundesrepublik ist nach Annullierung des [Budapester] Abkommens nicht mehr gegeben.“115 Doch die Argumentation zeigte keine Wirkung. Letztendlich sollte nach dem Willen der Kulturfunktionäre durch die Namensänderung den strukturellen Gegebenheiten innerhalb des Zentrums Rechnung getragen werden; das Gewicht liege seit Jahren eindeutig auf Seiten der DDR. Durch die veränderte Namensgebung sollte ein erstarktes Selbstbewusstsein innerhalb des Internationalen PEN zum Ausdruck kommen und die politischen Bestrebungen, die internationale Anerkennung der DDR als Staat durchzusetzen, sollten Unterstützung finden. Damit war die Aufrechterhaltung des Ständigen Verbindungsausschusses unmöglich geworden. Ein PEN-Zentrum DDR, das auf die Repräsentanz des eigenen Staates ausgerichtet war, musste aus Sicht der kulturpolitisch Verantwortlichen jede Verbindung zu einer bundesdeutschen Organisation abbrechen. Dies entsprach der offiziellen politischen Linie: Die 113 Günther Cwojdrak: PEN-Gespräch in München. In: Die Weltbühne 48 (30. 11. 1966), S. 1524f., hier S. 1525. 114 Zitiert nach Minutes. P.E.N. International Executive – English-Speaking Union 11 Charles Street London W1 at 10 – Wednesday 30. 3. 1966, S. 6. PAL. 115 [Darlegung zur Umwandlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West in ein P.E.N.-Zentrum DDR] (7. 2. 1967; erstellt vom Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums Ost und West). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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SED hatte Ende 1966 ihre Deutschlandpolitik radikal geändert. Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stand nicht länger auf der Agenda, alle gesamtdeutschen Bestrebungen waren obsolet. Damit war die Umbenennung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West beschlossene Sache, die auf der Generalversammlung im April 1967 endgültig besiegelt wurde. Den westdeutschen Mitgliedern wurde die Entscheidung, ob sie dem umbenannten PEN-Zentrum weiterhin angehören wollten, freigestellt. Auf internationaler Ebene wurde die Umbenennung unbeeindruckt registriert und die neue Bezeichnung stillschweigend übernommen. Für die Zukunft des Ständigen Verbindungsausschusses ergab sich kein klares Bild – die in dieser Frage uneinigen Kulturfunktionäre lösten ein uneindeutiges Hin und Her der Verantwortlichen im PEN-Zentrum DDR aus. Es fehlte eine klare Linie und so verfiel man von DDR-Seite in Schweigen. Alle Versuche des bundesdeutschen PEN-Zentrums, die Kommunikation wieder in Gang zu bringen, liefen ins Leere. Auf internationaler Ebene traf man im Oktober 1968 in Abwesenheit der DDR-Vertreter die Entscheidung, die Arbeit des Ständigen Verbindungsausschusses temporär ruhen zu lassen. In der Folgezeit trafen beide deutsche Zentren schließlich die Vereinbarung, dass Kontakte fortan „eine Angelegenheit von Fall zu Fall“116 seien, etwa in Form gelegentlicher „Lesungen hüben und drüben“.117 Damit war de facto die Inexistenz des Ständigen Verbindungsausschusses besiegelt. Gleichwohl wurde durch die Aussetzung der Ausschuss-Tätigkeit die Aufnahme loser, von keinem Regelwerk belasteter Gespräche möglich. Mit der Anerkennung der Umwandlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West veränderte sich das Selbstverständnis der führenden Köpfe im PEN-Zentrum DDR. Das erstarkte Selbstbewusstsein der DDR-Vertreter löste einen Prozess zunehmender Emanzipation aus. Man nahm mehr und mehr einen eigenen, betont sozialistischen Standpunkt ein: „Was wir in Wort und Schrift unterbreiten, erhält mehr als die übliche Aufmerksamkeit, obwohl wir nicht als Ja-Sager uns angenehm machen, sondern durch sachliche Entschiedenheit wirken.“118 Die Führung des DDR-PEN setzte sich bewusst in eine konfrontative Haltung gegenüber dem Internationalen PEN, dem sie eine antisozialistische Position vorwarf. Zur Zielscheibe wurde dabei insbesondere das WiPC, dessen Arbeit etwa in einem Memorandum (März 1968) scharf angegriffen wurde. Die DDR-Vertreter unterstellten darin, dass sich der Internationale PEN „auf eine koordinierte und ununterbrochene Kampagne nur dort [konzentriere], wo die Behörden der Sowjetunion einzubeziehen“ seien.119 Kritisiert wurde auch die Haltung 116 Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Internationalen Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. in London am 26. März 1969 (5. 5. 1969). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 117 Protokoll der Vorstandssitzung des Deutschen P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik vom 25. 4. 1969 (14. 5. 1969; erstellt von Hans Schwab-Felisch). DA. 118 Heinz Kamnitzer: Bericht zur Lage (Referat auf der Generalversammlung 1970), S.  3. SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. 119 Arnold Zweig, Heinz Kamnitzer, Günther Cwojdrak, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Hermann Kant, Maximilian Scheer und Christa Wolf: Botschaft an das Exekutivkomitee des

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des Internationalen PEN gegenüber den Schriftstellern der Sowjetunion, deren Integration sich trotz vielfältiger Bemühungen als sehr schwierig herausgestellt hatte. Daraus einen dezidiert antisowjetischen Kurs des Internationalen PEN herauslesen zu wollen, ging indes an der Wirklichkeit vorbei. Der internationale Generalsekretär nahm deutlich Stellung zu den großenteils haltlosen Vorwürfen aus der DDR und respektierte die darin vertretene politisch intendierte Haltung – ohne deshalb seine eigenen Überzeugungen zu verraten. Nach diesem Schlagabtausch schwiegen beide Seiten, ohne zu einem Ergebnis in der Auseinandersetzung gekommen zu sein. Zu einer erneuten Konfrontation kam es erst, als der Generalsekretär des Internationalen PEN in Reaktion auf die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings mit Beteiligung sowjetischer Truppen die PENZentren zum deutlichen Protest aufrief und die Einladung sowjetischer Beobachter zur Teilnahme an der Exekutivkomitee-Tagung im Oktober 1968 (Genf) widerrief. Die deutliche Positionierung gegenüber dem Aggressor Sowjetunion provozierte eine erneute Auseinandersetzung der kommunistischen und anti- bzw. nichtkommunistischen Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs. Mit einer moderat formulierten Stellungnahme, die die Aktivität des internationalen Generalsekretärs im Hinblick auf die Tschechoslowakei abstrafte, setzte sich der Konfrontationskurs des PEN-Zentrums DDR fort, der auch in den folgenden Jahren die Atmosphäre zwischen nationaler Sektion und internationaler Leitung bestimmen sollte. Im Inneren des PEN-Zentrums DDR brachte das Jahr 1968 indes die Unterbrechung einer jahrelangen Kontinuität: Unter fragwürdigen Umständen war im August 1968 die langjährige Generalsekretärin Ingeburg Kretzschmar, die seit den 1950er Jahren im Dienst des PEN gestanden hatte, aus ihrem Amt entlassen worden. Vorausgegangen war dieser Amtsenthebung ein langsam gärender Prozess, der hier nicht in seinen Facetten beleuchtet werden soll und durch viele Widersprüche im Quellenmaterial und der Selbsteinschätzung der Generalsekretärin nicht eindeutig geklärt werden kann. Kretzschmars Nachfolge übernahm Werner Ilberg; er gehörte zur Gruppe kommunistisch geprägter Exilanten, die 1933 Deutschland verlassen hatten. Im November 1968 sah sich der DDR-PEN mit einer weiteren Veränderung konfrontiert. Der seit langem kränkelnde Präsident Arnold Zweig, der lange Jahre eine repräsentative Funktion im PEN übernommen hatte, starb. Doch für die fortlaufenden Arbeiten des DDR-PEN bedeutete sein Tod keine tief greifende Zäsur. Das Tagesgeschäft übernahm nun kommissarisch der Vizepräsident Heinz Kamnitzer. Damit ergab sich keine spürbare Veränderung in der Führungspraxis, hatte Kamnitzer doch schon seit seiner Amtseinführung in Absprache mit dem ZK der SED faktisch die Geschicke des DDR-PEN geleitet.

Internationalen P.E.N., London 3. und 4. April 1968 (19. 3. 1968). SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.



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4 Verstärkte parteipolitische Einflussnahme im PENZentrum DDR (1968/69–1979) Zum Ende der 1960er Jahre dominierte im Auftreten des PEN-Zentrums DDR gegenüber der internationalen PEN-Zentrale weiterhin eine betont prosowjetische Haltung. Zwar war der DDR-PEN seit 1967 auf keiner internationalen Zusammenkunft des PEN aufgetreten, die Stoßrichtung seiner Wortmeldungen aber änderte sich nicht. Für das Frühjahr 1969 hatte man sich auf die Teilnahme an der Frühjahrs-Exekutive in Sofia (Bulgarien) eingerichtet. Aufgrund der Beteiligung bulgarischer Truppen an der Niederschlagung des Prager Frühlings war das internationale PEN-Sekretariat in Absprache mit dem bulgarischen PEN darin übereingekommen, die Exekutive von Sofia nach London zu verlegen, um mit Blick auf die sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei einen Boykott der Tagung durch die westlichen PEN-Zentren zu verhindern. Der DDR-PEN indes begriff den Vorgang als einen weiteren Beleg für den antisowjetischen Kurs des Internationalen PEN und startete den Versuch, alle PEN-Zentren im sowjetischen Machtbereich auf einen einheitlichen Standpunkt einzuschwören. In der Kürze der Zeit aber war wenig erreichbar und so machte das PEN-Zentrum DDR alleine Front gegen den Internationalen PEN. Unerwartete Unterstützung erhielt der DDR-PEN durch einen Resolutionsentwurf des amerikanischen PEN, der nicht nur die eigenmächtige Verlegung des Tagungsortes durch den internationalen Generalsekretär kritisierte, sondern auch die Haltung gegenüber den sowjetischen Schriftstellern. Eine Neufassung der Resolution, die von einem Subkomitee formuliert wurde, beschwor die absolute Autorität der internationalen Exekutive gegenüber dem Generalsekretär: jede Beschlussfassung bedurfte demnach der Bestätigung durch die nationalen PEN-Zentren – Kamnitzer triumphierte und wertete die Resolution als Niederlage des internationalen Generalsekretärs. Er sah seine Haltung als „richtig und erfolgreich“120 bestätigt und forcierte in der Folge eine Aussprache über die Haltung der sozialistischen Zentren, die auch der Vorbereitung der Herbsttagung 1969 in Menton (Frankreich) dienen sollte. Indes erwies sich die Schaffung einer geschlossenen sozialistischen Front als schwieriges Unterfangen. In die Vorbereitung für Menton platzte die Nachricht, dass der internationale PEN-Präsident Arthur Miller die Vorlage einer Resolution plante, die die Unterdrückung und Zensur liberaler Schriftsteller in der Sowjetunion zum Thema hatte. Diese Nachricht veranlasste die Abteilung Kultur des ZK der SED, die Teilnahme von DDR-Delegierten an der Exekutive in Zweifel zu ziehen. Dass auch wirtschaftliche Schwierigkeiten die Bereitstellung von Valuta und damit eine Teilnahme erschwerten, erwähnten die Kulturfunktionäre nur am Rande. Kamnitzer gelang es nicht, die Verantwortlichen vom Gegenteil zu überzeugen und versuchte im Gegenzug, alle sozialistischen Zentren auf eine geschlossene Nichtteil120 Heinz Kamnitzer: Bericht über die Tagung des Exekutiv-Komitees des Internationalen P.E.N. am 26./27. März 1969, London (5. 5. 1969). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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nahme einzuschwören. Dieser Versuch misslang: Am Ende war es nur der DDR-PEN, der nicht an der Tagung teilnahm. Eine sozialistische Verschwörung war gescheitert. Blickt man auf die Dokumentation der Mentoner Zusammenkunft, so erscheinen Kamnitzers Vorwürfe als völlig haltlos: Eine besondere Tendenz in der Arbeit des WiPC lässt sich nicht erkennen. Bis zur letzten Minute hatte man sich zudem für die Teilnahme einer sowjetischen Beobachterdelegation eingesetzt. Damit war der Angriff des PEN-Zentrums DDR abgeprallt. Das Feindbild des antisowjetisch eingestellten Westens mit dem impliziten Schreckgespenst des Kapitalismus wurde indes gepflegt – innerhalb der Führungs-, aber auch auf Mitgliederebene des DDR-PEN. Die strikte politisch-ideologische Anleitung des PEN-Zentrums DDR lässt sich an der akribischen Vorbereitung einer Generalversammlung zu Beginn der 1970er Jahre überdeutlich ablesen: Neben einer Beratung der Parteigruppe des Präsidiums, zwei vorbereitenden Gesprächen zwischen dem Vizepräsidenten Heinz Kamnitzer, dem Generalsekretär Werner Ilberg und der Abteilung Kultur hatte auch eine Zusammenkunft aller Genossen unter den anwesenden PEN-Mitgliedern unmittelbar vor Beginn der Generalversammlung stattgefunden. Darin verständigte man sich unter anderem auf die Kandidatur Kamnitzers für das Amt des Präsidenten. Die Präsidiumsmitglieder einigten sich in Absprache mit der Abteilung Kultur zudem darauf, Jeanne Stern und Henryk Keisch als neue Mitglieder zur Ergänzung des Präsidiums vorzuschlagen. Auch eine vom Präsidium vorgelegte Liste für die Neuwahlen wurde von den Kulturfunktionären abgesegnet. Alle diesbezüglichen Informationen erhielten im Vorfeld der Generalversammlung auch alle Parteigruppenmitglieder des PEN-Zentrums DDR in Form eines Materialblattes, versehen mit einer deutlichen Direktive: „Alle Genossen der Parteigruppe des PEN-Zentrums DDR werden aufgefordert, sich mit diesen Vorschlägen zu identifizieren [und sie im Wahlakt zu unterstützen].“121 Derlei vorbereitet war Kamnitzers Wahl zum Präsidenten des DDR-PEN eine reine Formsache. Kamnitzer hatte sich aus Sicht der Abteilung Kultur für den PEN unentbehrlich gemacht: Schon in den letzten Lebensjahren Arnold Zweigs hat Genosse Kamnitzer die Geschäfte des Präsidenten des PEN-Zentrums praktisch geführt. Seiner konsequenten Haltung und Aktivität ist es wesentlich zu verdanken, dass sich das internationale Ansehen des PEN-Zentrums DDR kontinuierlich erhöht hat. Genosse Kamnitzer bringt […] alle erforderlichen Voraussetzungen mit, die Arbeit und internationale Wirksamkeit des PEN-Zentrums DDR auf der Grundlage der Politik von Partei und Regierung weiter zu entfalten. Genosse Kamnitzer geniesst in den Reihen der progressiven Mitglieder des Internationalen PEN bedeutendes Ansehen.122

Die Kaderpolitik konnte ohne Probleme durchgesetzt werden. Jenseits der Einflussnahme auf die personelle Besetzung wichtiger Schlüsselpositionen forcierte die Abtei121 Material für die Parteigruppe GV 2. 4. 1970. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 122 Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED] und Werner Ilberg: Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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lung Kultur auch eine Funktionalisierung des PEN-Zentrums für die außenpolitischen Zielsetzungen des SED-Staates: „Das P.E.N.-Zentrum DDR soll mit allen Möglichkeiten die DDR vertreten.“123 Deren oberste Maxime war es, im Sinne der jüngsten Entwicklungen in der deutsch-deutschen Politik, für eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR einzutreten. Eine Verlautbarung, die von der Generalversammlung 1970 verabschiedet wurde, unterstützte die auf Abgrenzung der beiden deutschen Staaten ausgerichtete offizielle Deutschlandpolitik der DDR-Regierung unmissverständlich; „die vorbehaltlose Anerkennung der durch den Sieg der Antihitlerkoalition geschaffenen politischen Realitäten“124 sei nunmehr unverzichtbar. Anlass für eine weitere sozialistische Offensive bot das Vorhaben des Internationalen PEN, den nächsten Kongress auf politisch problematischem Terrain – im südkoreanischen Seoul – stattfinden zu lassen. Die Situation in Korea spiegelte, ähnlich wie in Deutschland, die politische Zweiteilung der Welt in Folge des Zweiten Weltkrieges wider. Während der Norden des geteilten Landes dem sowjetischen Kontrollbereich oblag, lehnte sich der Süden vor allem wirtschaftlich stark an die USA an. Kamnitzer empfand durch die Wahl des Tagungsortes einmal mehr die einseitige politische Orientierung des Internationalen PEN belegt und forderte „geschlossene[n] Protest der Mitglieder des PEN-Zentrums DDR gegen die imperialistische Manipulierung des Internationalen PEN im Dienst der psychologischen Kriegsführung gegen den Sozialismus“125, die er in Pierre Emmanuel, internationaler PEN-Präsident, personifiziert sah. Gleichwohl strebte Kamnitzer keine kommunistische Machtübernahme im PEN an. Zielvorgabe war vielmehr die Durchsetzung einer anerkannten und gleichberechtigten Existenz der sozialistischen Zentren innerhalb des internationalen PEN-Clubs. Wieder stand zur Debatte, wie einem wirkungsvollen Protest Ausdruck verliehen werden sollte – durch demonstratives Fernbleiben oder durch offensive Teilnahme. Eine zweiseitige Resolution, die die Wahl des Tagungsortes scharf verurteilte und die Situation der Schriftstellerkollegen in Südkorea erläuterte, wurde auf den Weg gebracht. Verhandelt wurde sie auf einer dem internationalen Kongress vorgeschalteten Exekutive in London – mit geringem Erfolg. Eine ganze Reihe von Delegierten wies die Klage des DDR-PEN zurück, die Resolution wurde zur Abstimmung gar nicht erst zugelassen. Damit war eine weitere Offensive des PEN-Zentrums DDR gescheitert. Der Kongress fand wie geplant statt. Kein DDR-Vertreter reiste nach Seoul. Immerhin war es gelungen, in diesem Punkt die Solidarität der PEN-Zentren in Ungarn, Bulgarien, Polen und der ČSSR zu erringen. Auch hier nahm kein Vertreter teil. So musste immerhin das Fehlen der sozialistischen Länder wahrgenommen werden. 123 Bericht zur Generalversammlung am 2. 4. 1970. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 124 Entschließung des P.E.N.-Zentrums Deutsche Demokratische Republik (2. 4. 1970). SAPMOBArch DY 30/IV A2/9.06/157. 125 Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.

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Doch schon mit Blick auf die folgende Exekutive im Oktober 1968 (Edinburgh) zeigte man sich von Seiten des DDR-PEN bereit, die gegen den internationalen PENPräsidenten Emmanuel und den internationalen Generalsekretär Carver gerichtete Politik persönlich fortzusetzen. Der Internationale PEN schien mehr denn je Austragungsort eines ideologischen Kleinkriegs zu sein. Denn die DDR-Vertreter planten nicht nur den Angriff, sondern fürchteten auch, selbst zur Zielscheibe der Kritik zu werden. Von der Generalversammlung 1970 waren zum Leidwesen der Verantwortlichen Informationen in die westdeutsche Öffentlichkeit getragen worden, die Attacken der internationalen Delegierten nicht unwahrscheinlich erscheinen ließen: Wolf Biermann hatte in der Zeitschrift Stern Auskunft gegeben über die gegen ihn gerichteten scharfen Angriffe, die das Erscheinen seiner provokativen Titel in der Bundesrepublik und deren inoffizielle Verbreitung in der DDR betrafen. Tatsächlich war Biermann harsch angegangen und schließlich ein Antrag verabschiedet worden, nach dem Biermanns Verhalten und dessen Vereinbarkeit mit der Mitgliedschaft im PEN-Zentrum DDR auf den Prüfstand gestellt werden sollte. De facto suchte man einen Weg, den missliebigen Biermann aus dem PEN auszuschließen. Biermanns Äußerungen wurden in der westdeutschen Öffentlichkeit mit Besorgnis aufgenommen und Heinrich Böll, der 1970 die Federführung im bundesdeutschen PEN übernommen hatte und an einem fruchtbaren Austausch mit allen DDR-Kollegen interessiert war, erkundigte sich nachdrücklich: „Sie können sich denken, daß die Nachricht über Biermann[ ] […] hier ziemliche Bestürzung ausgelöst hat und noch weitere auslösen wird. Die Mitglieder des Westdeutschen PEN werden Auskunft […] verlangen.“126 Insofern war die Furcht vor Kritik in Edinburgh keineswegs unbegründet. Der Fall Biermann kam indes auf der Exekutive gar nicht zum Tragen. Die DDRVertreter sahen sich unmittelbar vor deren Beginn mit einer Offensive des Internationalen PEN konfrontiert, die sie nicht vorhergesehen hatten: Das internationale PEN-Sekretariat hatte eine Anfrage an den Staatsratvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, gerichtet, die sich auf das Schicksal des seit Jahren politisch, literarisch und privat kalt gestellten Lyrikers Peter Huchel bezog. Als Huchels Fürsprecher war insbesondere das bundesdeutsche PEN-Zentrum in Erscheinung getreten. Alle Versuche, auf persönlicher Ebene mit den Mitgliedern des DDR-PEN in Kontakt zu treten, waren gescheitert. So entschied die internationale PEN-Führung gemeinsam mit den Mitgliedern Henry Miller, Graham Greene und Heinrich Böll eine direkte Anfrage an den politisch Verantwortlichen zu senden, die nach den Ursachen für die Restriktionen gegen Huchel fragte und zugleich den deutlichen Appell formulierte, die Lebensund Arbeitsbedingungen für Huchel zu verbessern. Die Empörung im DDR-PEN war groß. Kamnitzer interpretierte den Vorgang als weiteres Glied in der Kette vermeintlich antisozialistischer Aktivitäten innerhalb des Internationalen PEN-Clubs. Auf der Tagung des Exekutivkomitees sorgte Kamnitzer gemeinsam mit Hermlin für einen dramatischen Abgang von der PEN-Bühne: Die Exekutive werde vom internationalen 126 Heinrich Böll an Heinz Kamnitzer (4. 6. 1970). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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Generalsekretariat oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt; deshalb werde die DDRDelegation nurmehr an den literarischen Veranstaltungen, nicht aber an den Sitzungen des Exekutivkomitees teilnehmen. Sprach’s und ging. Eine Diskussion unter den übrigen Teilnehmern entbrannte, die die zwischen Ost und West bestehende Front innerhalb des Gremiums deutlich sichtbar werden ließ. Am Ende bat der internationale Generalsekretär den ungarischen Delegierten Tibor Kéry um Vermittlung, die schließlich erfolgreich war. Kamnitzer und Hermlin kehrten an den Verhandlungstisch zurück. Der Fall Huchel kam hier nicht mehr zur Sprache. Dennoch trat die DDR-Delegation mit der Vorlage von zwei Resolutionen wieder in die Debatte ein. Der Vorschlag, den PEN-Zentren die Möglichkeit regelmäßiger Berichte über ihre eigene Tätigkeit einzuräumen, wurde von der Mehrheit begrüßt. Ein weiterer Hieb gegen den Generalsekretär, der sich hinter der Forderung nach einer ausgewogenen Berichterstattung und fairer Reflexion verschiedener Standpunkte verbarg, wurde indes abgeschmettert und so eine Eskalation der Konfrontation mit Carver verhindert. Die Aktivität des bundesdeutschen PEN im Hinblick auf den Fall Huchel brachte zunächst eine Verschlechterung in den deutsch-deutschen Beziehungen mit sich. Heinrich Bölls Geschick als Verhandlungsführer muss es angerechnet werden, dass Dank seiner vorsichtigen Vorgehensweise in der Folge nicht nur Gespräche geführt wurden, sondern sogar eine freundschaftliche Annäherung zwischen beiden deutschen PEN-Präsidenten möglich wurde. Böll hatte begriffen, dass mit einer offensiven Einmischung und massivem Druck wenig zu erreichen war. Stattdessen schwor er einer direkten Anklageführung ab und stellte in Aussicht, künftig den Weg der mündlichen, inoffiziellen Nachfrage zu beschreiten. Gleichwohl kam in den Fall Huchel Bewegung. Im April 1971 durfte Peter Huchel die DDR verlassen. Einen Vorstoß mit Blick auf Wolf Biermann wagte der internationale Vizepräsident Robert Neumann im Mai 1971. Die Exekutive beauftragte in der Folge Carver mit der Informationsbeschaffung über Biermanns konkrete Position innerhalb der DDR. Eine Antwort auf die aus diesem Auftrag resultierende Nachfrage beim PEN-Zentrum DDR blieb, kaum verwunderlich, aus. Obgleich im Inneren der DDR nach dem Wechsel von Walter Ulbricht zu Erich Honecker im Mai 1971 eine kurze Phase der Liberalisierung auf kulturpolitischem Gebiet einsetzte, blieb das PEN-Zentrum DDR von dieser Entwicklung unberührt. Im Gegenteil: Das Verhältnis zwischen den Verantwortlichen des PEN und der Abteilung Kultur beim ZK der SED gestaltete sich umso enger. Deutlich wurde von Seiten der Kulturfunktionäre eine Intensivierung und Konzentration der Parteiarbeit gefordert. Ein Maßnahmenkatalog formulierte die wichtigsten Anforderungen an den PEN; so war es vordringlich a)

die Parteiarbeit im Präsidium und im Parteiaktiv des PEN-Zentrums wesentlich zu intensivieren und die Zeitabstände der Zusammenkünfte zu verkürzen;

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b)

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alle positiven Kräfte des PEN-Zentrums unter der Leitung des Präsidiums fest zu formieren, zu einer offensiven Arbeit auf der Grundlage der Politik von Partei und Regierung zu befähigen und sie damit zur Überwindung hemmender Auffassungen bei einigen Mitgliedern zu führen; neue Kräfte, die auf dem Boden der Kultur- und Kunstpolitik der Partei stehen, in das PEN-Zentrum zu drücken.127

Auch eine erhöhte Kontrolle der PEN-Arbeit ins Ausland wurde angestrebt. Gefordert wurde vom PEN die zielgerichtete, strategische Aufnahme von Verbindungen ins Ausland – der PEN als Türenöffner. Damit war die Indienstnahme des PEN, seine Funktionalisierung für die außenpolitischen Bestrebungen des SED-Staates installiert. Doch auch die innenpolitische Aktivität kam auf den Prüfstand: Welche Rolle sollte der PEN im Literaturbetrieb der DDR übernehmen? Diese Frage wurde ‚von oben‘ mit konkreten Arbeitsaufträgen beantwortet; dazu zählte die Durchführung regelmäßiger Clubabende, die Erstellung literaturpolitischer Analysen und die Vorstellung ausländischer Gäste im Rahmen der PEN-Arbeit. In der Folge änderte sich die Qualität der Zusammenarbeit zwischen PEN und der Abteilung Kultur: Waren es bislang meist Kamnitzer und Ilberg gewesen, die den Kontakt pflegten, wurde mit Beginn des Jahres 1972 die gesamte Parteigruppe des Präsidiums in die Zusammenarbeit einbezogen. Geplant war zudem, Heinz Kahlau als Parteigruppensekretär einzusetzen. Die Zielsetzungen blieben indes die gleichen: Stärkung der außenpolitischen Wirksamkeit und kontrollierte Aktivität im Inneren der DDR. Die erste gemeinsame Aussprache von Parteigruppe und Kulturfunktionären im Januar 1972 verlief jedoch in Teilen überraschend. Die Mitglieder des PEN-Präsidiums – Werner Ilberg, Heinz Kamnitzer, Wieland Herzfelde, Henryk Keisch, Jeanne Stern, Günther Cwojdrak, Stephan Hermlin und Christa Wolf – wagten vor dem Hintergrund der scheinbar kulturpolitischen Öffnung eine lebhafte Diskussion über grundsätzliche Probleme des strikt regulierten Literaturbetriebes, die nicht nur dessen starre Organisation, sondern schließlich auch die Ausreisepolitik der DDR zur Sprache brachte. Wie die Mitarbeiter der Abteilung Kultur auf die teils unverblümt vorgebrachten Kritikpunkte reagierten, bleibt in den Quellen undokumentiert. Lediglich Heinz Kahlaus Einsetzung als Parteigruppensekretär ist belegt; auf dessen Aktivität gibt es indessen kaum Hinweise. Während die Arbeit des PEN-Zentrums DDR im eigenen Lande zum Jahresende 1972 auf relativ niedrigem Niveau stagnierte, erscheint indes eine Initiative des PENPräsidiums für den Schriftstellerkollegen Stefan Heym zu Beginn des Jahres 1973 erwähnenswert. Der von den Zensurbehörden der DDR arg drangsalierte Heym hatte auf einer Präsidiumssitzung von den Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung seiner 127 Arno Hochmuth [Abt. Kultur beim ZK der SED]: Kurzbericht über die Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 2. 4. 1970 [o. D.]. SAPMO-BArch DY 30/IV A2/9.06/157.



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Arbeiten in der DDR berichtet und war damit auf offene Ohren gestoßen: „[Die Präsidiumsmitglieder] hätten sich alle an den Kopf gegriffen, wie so etwas überhaupt möglich gewesen sei. Es wäre einstimmig die Meinung vertreten worden, so könne man mit unseren Schriftstellern nicht umgehen, das schadet unserer Literatur, dagegen muß man unbedingt etwas unternehmen.“128 Im Namen des Präsidiums richtete Stephan Hermlin eine Mitteilung an den Minister für Kultur, Hans Joachim Hoffmann, in der „um eine schnelle Entscheidung in dem unserer Meinung nach einzig möglichen Sinn [gebeten wurde]: zugunsten der neuen Bücher eines Autors, der nicht nur bei uns, sondern allgemein zwischen Moskau und New York schon lange als ein repräsentativer Erzähler unseres Landes gilt.“129 Ob es nun der Brief des Präsidiums oder schlicht der bevorstehende runde Geburtstag des Autors war, der die Publikation von Heyms Werken in der DDR beförderte, bleibt letztlich ungewiss. Zu konstatieren ist jedenfalls für das Jahr 1973 eine bewusste Hervorhebung des so lange totgeschwiegenen Autors in der DDR-Presse und die Tatsache, dass das PENPräsidium endlich einmal für einen Autor im eigenen Lande eingetreten war – auch wenn es ‚nur‘ um die Aufhebung von Zensurmaßnahmen ging. Nach dieser bemerkenswerten Initiative für Stefan Heym kehrte zunächst Ruhe im PEN-Zentrum ein. Zu Beginn des Jahres 1974 führte eine personelle Neuerung im Generalsekretariat zu einer entscheidenden Veränderung in der Führungssituation des PEN-Zentrums DDR: Der politisch instinktlose Werner Ilberg, der bereits unmittelbar nach seiner Einsetzung in der Kritik gestanden hatte, wurde durch das Präsidiumsmitglied Henryk Keisch abgelöst. Mit der Einsetzung des freischaffenden Autors und Übersetzers war das System der politischen Selbstkontrolle im PEN-Zentrum DDR endgültig installiert. Keisch machte bald seine Position als harter und kompromissloser Vertreter des sozialistischen Gesellschaftssystems in aller Öffentlichkeit deutlich; er attackierte die aus seiner Sicht zahlreichen Versuche, „aus dem Internationalen P.E.N. ein Instrument des Kalten Krieges gegen die sozialistischen Länder zu machen“.130 Die Stoßrichtung war damit unmissverständlich deutlich geworden; man würde es künftig im Internationalen PEN mit einem politischen Hardliner als Vertreter des PEN-Zentrums DDR zu tun haben. Für Henryk Keisch stand im Rahmen seiner DDR-internen Arbeit zunächst die Vorbereitung der nächsten Generalversammlung im Vordergrund; diese zog sich indes ungebührlich in die Länge: Erst im Oktober 1975 trat das PEN-Zentrum DDR nach einer langen Phase intensiver Auseinandersetzung zwischen Parteigruppe, Führungsspitze und Kulturfunktionären zusammen. Zentraler Diskussionspunkt war 128 Rolf Pönig [Oberleutnant, Ministerium für Staatssicherheit, HA XX/7]: Treffbericht mit IMS ‚Dichter‘ am 9. 3. 1973 (19. 3. 1973). BStU, MfS, AIM 7781/83, Bd. II/1, Bl. 298–301, hier Bl. 299. 129 [Stephan Hermlin im Namen des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR] an Hans-Joachim Hoffmann [Minister für Kultur] (12. 2. 1973). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 130 Henryk Keisch: Die Schreibfeder – nicht nur ein Symbol. Bemerkungen zu einigen Fehlspekulationen um den P.E.N. In: Sonntag 35 (1. 9. 1974), S. 11.

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neben der Zuwahl neuer Mitglieder auch der Umgang mit dem „Problem der Mitgliedschaft Wolf Biermann“.131 Ein letzter Versuch, sich des missliebigen Mitglieds mit Verweis auf die jahrelange Nichtzahlung von Mitgliedsbeiträgen zu entledigen, scheiterte am Einspruch des Präsidiums; man war offenkundig nicht gewillt, Biermann in noch größere Isolation zu treiben. Oder war es doch die Furcht vor den Reaktionen auf internationaler Ebene, die schwerer wog als der aufrichtige Wille zur Unterstützung eines notorischen Systemkritikers? Auch für den Umgang mit Stefan Heym war von Seiten der Abteilung Kultur beim ZK der SED eine Sicherung erdacht worden; er „wurde als Mitglied des PEN ordnungsgemäß eingeladen. Wenn er auf der Generalversammlung seine bekannten Argumente vorbringt, werden diese in aller Form zurückgewiesen. […] Zur Formierung der Genossen des PEN-Zentrums wird mit Unterstützung der Abteilung eine Parteigruppensitzung durchgeführt.“132 Die Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung am 8. Januar 1975 nahm einen von den Verantwortlichen nicht vorhergesehenen Verlauf. Um die Frage, wie mit den Zuwahlen und Biermann umzugehen sei, entbrannte eine zum Teil heftige Auseinandersetzung. Der Versuch, die Genossen auf Zuwahlen einzuschwören, die die „führende Rolle der Partei“133 stärken konnten, scheiterte kläglich. Die PEN-Mitglieder wünschten aus eigener Überzeugung für oder gegen einen Kandidaten zu entscheiden; sie verweigerten eine blinde Gefolgschaft. Dabei stand nicht eine generelle Entscheidung für oder gegen die Parteilinie im Vordergrund; Maßgabe sollte das individuelle Urteil über Person und Werk sein. Der Plan der Abteilung Kultur, die Parteimitglieder auf ein einheitliches Abstimmungsvotum einzuschwören und damit massiv Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des PEN-Zentrums DDR zu nehmen, konnte nicht durchgesetzt werden. Die Parteigruppenversammlung wurde schließlich ergebnislos abgebrochen. Die „Aufregung über die erlebte Disziplinlosigkeit“134 war groß: Die Generalversammlung musste verschoben werden. In der Folgezeit drängten die verantwortlichen Kulturfunktionäre auf eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich des PEN-Zentrums und seiner personellen Besetzung. Offenkundig war man bestrebt, den DDR-PEN möglichst klein zu halten – aus vielfältigen Gründen: Angst vor einer Konkurrenz für den Schriftstellerverband; Furcht vor einem Sammelbecken oppositioneller Kräfte; wirtschaftsbedingte Devisenprobleme in Bezug auf die Zahlung der internationalen Mitgliedsbeiträge. Der kul-

131 Peter Heldt [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager (2. 1. 1975). SAPMO-BArch vorl. SED 18514. Zitiert nach Jochen Staadt: Ruhe im P.E.N.? In: Zeitschrift des Forschungsverbundes SEDStaat 3 (1997), S. 70–79, hier S. 73. 132 Ebd. 133 Peter Heldt [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED]: Information über eine Parteigruppensitzung zur Vorbereitung der Generalversammlung des PEN-Zentrums der DDR am 8. Januar 1975 (27. 1. 1975). SAPMO-BArch vorl. SED 18514. 134 Staadt: Ruhe im P.E.N., S. 74.



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turpolitischen Direktive, „die Zahl der Kandidaten unbedingt zu verringern“135, stand die Vorschlagsfreudigkeit der PEN-Mitglieder entgegen. Gegen eine eigenmächtige Streichung von Kandidaten durch das Präsidium stemmten sich einzelne Mitglieder. Die Debatte ging schließlich soweit, dass die Abteilung Kultur die Mitgliederzuwahl für das Jahr 1975 komplett streichen wollte. Nach mehrfachen Beratungen zwischen Kamnitzer, Keisch und der Abteilung Kultur und einer Parteigruppenversammlung unmittelbar vor der Generalversammlung, die am 22.  Oktober  1975 endlich tagte, erzielte man schließlich Einigkeit über eine reduzierte Liste für Neuaufnahmen. Die Generalversammlung verlief letztlich ohne besondere Zwischenfälle, obgleich einzelne Mitglieder deutliche Kritik gegenüber der PEN-Führung äußerten. So beklagte Jurek Becker die mangelnde Transparenz und Einbeziehung der Mitglieder; Wieland Herzfelde kritisierte die einseitige Auswahl der Delegierten für internationale Kongresse. Hinsichtlich der Zuwahlen gab es während der Tagung keine neuerliche Diskussion. Es war den Kulturfunktionären mindestens zum Teil gelungen, Einfluss auf den Wahlausgang zu nehmen. Eine völlige Kontrolle blieb ihnen indes, auch durch den deutlichen Widerstand der Parteigruppe, versagt. Blicken wir nun für die 1970er Jahre noch auf jenen zentralen Themenkomplex der internationalen PEN-Arbeit, der sich vor dem Hintergrund der sich in diesem Jahrzehnt akut verschärften kulturpolitischen Situation in der SED-Diktatur für die Bewertung des DDR-PEN von besonderem Interesse erweist: Wie war es um das humanitäre Engagement des PEN-Zentrums DDR in den schlimmsten Krisenzeiten bestellt? Gab es einen dezidierten Einsatz für verfolgte Intellektuelle und Künstler? Tatsächlich hielt sich die grundsätzliche Solidarität mit Schriftstellerkollegen, die in Konflikt mit der Obrigkeit geraten waren, bei den führenden Köpfen des PEN-Zentrums DDR in sehr engen Grenzen. Es gibt kaum Beispiele positiver Einflussnahme, namentlich Kamnitzer und Keisch konzentrierten sich, mit Blick auf den eigenen Staat, auf die Abwehr kritischer Nachfragen. Eine nachdrückliche Unterstützung verfolgter Autoren blieb weitestgehend aus. Aufforderungen des Internationalen PEN zur Solidarität mit Schriftstellern aus dem Machtbereich der Sowjetunion blieben erwartungsgemäß unbeantwortet. Ein jahrelanges Engagement zeigte der DDR-PEN indes im Fall von Chile; man verurteilte die fortgesetzte Verletzung der Menschenrechte in einem diktatorischen System immer wieder ganz entschieden. Dabei spielte sicherlich eine entscheidende Rolle, dass es sich beim Pinochet-Regime um eine, aus kommunistischer Sicht, ‚reaktionäre‘ Regierung handelte. Denn die Verantwortlichen des PEN-Zentrums DDR machten je nach politischer Ausrichtung der verantwortlichen Regierungen deutliche Unterschiede in der Beurteilung von Verstößen gegen die Menschenrechte. Eine entschlossene Verteidigung der menschlichen Grundrechte, mit besonderem Blick auf die Schriftsteller, eine generelle Verurteilung diktatorischer

135 Peter Heldt [Leiter der Abt. Kultur beim ZK der SED] an Kurt Hager (9. 1. 1975). SAPMO-BArch vorl. SED 18514.

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Staatssysteme, gleich welcher Couleur, leistete das PEN-Zentrum DDR in den 1970er Jahren nicht. In der DDR wurde in diesem Jahrzehnt, auch nach dem mit Hoffnung auf Liberalisierung verbundenen Wechsel von Ulbricht zu Honecker (1971), der Kurs rigider Regulierung auf dem Gebiet der Kunst und Kulturpolitik unvermindert fortgesetzt. Zwar gab es eine kurze Phase der Liberalisierung, die Entspannung versprach. Unterstützt durch die von Seiten der DDR-Regierung getätigte Unterzeichnung der KSZE-Akte (August 1975), die auch die Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte enthielt, wagten immer mehr Menschen, größere Freiheiten auf allen Gebieten einzufordern. Spätestens der November 1976 aber unterbrach diesen, schon zuvor immer wieder gebremsten Liberalisierungsprozess abrupt: Wie ein Fanal für das Ende der Phase relativer Freiheiten wirkte der Ausschluss des schon seit langem totgeschwiegenen Lyrikers Reiner Kunze aus dem Schriftstellerverband. Wenige Tage später erfolgte auf Anweisung von Erich Honecker die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, der nach einer Reise in die Bundesrepublik nicht mehr in die DDR zurückkehren durfte. Was von den Politfunktionären als Schlusspunkt einer jahrelangen Auseinandersetzung, „als Befreiungsschlag“ gedacht war, „schlug allerdings mit einer von SED und Ministerium für Staatssicherheit nicht vorhergesehenen Protestbewegung in der DDR auf die Urheber zurück und bestimmte wesentlich das kulturpolitische Klima der nächsten Jahre.“136 In Reaktion auf Biermanns Ausbürgerung hatte sich eine kleine Gruppe von 12 DDR-Schriftstellern, allesamt Mitglieder des PEN-Zentrums DDR, und einem Bildhauer unter Federführung von Stephan Hermlin zusammengefunden, um gegen die drakonische Maßnahme der DDR-Regierung zu protestieren. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten mehr als 100 Schriftsteller und Künstler die Petition, die mehr einer diplomatischen Note denn einem flammenden Protestaufruf glich. Die eigentliche Sensation war die Tatsache, dass eine Reihe von DDR-Bürgern, zudem zumeist Mitglieder der SED, ihren Einwand gegen eine Entscheidung des Regimes gezielt in die internationale Weltöffentlichkeit trug und damit von der üblichen Praxis der internen Problemlösung abrückte. Die westliche Welt nahm diesen Sachverhalt mit größtem Interesse zur Kenntnis; der gesamte Führungs- und Kontrollapparat der DDR indes war in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Auf das PEN-Zentrum DDR wirkten solche kulturpolitischen Ereignisse in verschiedener Hinsicht nach: Während der Mitgliedschaft des PEN-Zentrums DDR keinerlei Möglichkeit eingeräumt wurde, die Ereignisse des November 1976 zu diskutieren, liefen mit Beginn des Jahres 1977 Anfragen nationaler PEN-Zentren ein, die auf eine Stellungsnahme zu den jüngsten kulturpolitischen Entwicklungen in der DDR drängten. Die Antwort oblag allein den führenden Köpfen des DDR-PEN und fiel erwartungsgemäß aus: Kamnitzer und Keisch zeigten sich wenig kooperativ und signalisierten kei136 Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Links 1996 (Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten 6), S. 88.



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nerlei Bereitschaft zu einem ernsthaften Einsatz – weder für Biermann noch andere verfolgte oder inhaftierte Schriftstellerkollegen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Regime wurde verweigert, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit vollkommen negiert. Die Schuldigen im Konflikt zwischen Regierenden und Künstlern waren die Betroffenen: „Die Biermanns […] sind Gegner der real bestehenden, an ihrer steten Entwicklung und Vervollkommnung arbeitenden sozialistischen Staaten, und sie bekämpfen diese im Bündnis mit den offen antikommunistischen Kräften in aller Welt.“137 Insbesondere Wolf Biermann hatte gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen; er hatte seine Kritik am eigenen Staat nach außen getragen. Dass er dies tat, weil ihm im Inneren der DDR längst jegliche Möglichkeit einer Meinungsäußerung genommen war, blendete diese Darstellung vollkommen aus. Obgleich das PEN-Zentrum aufgrund seiner Mitgliedschaft im Internationalen PEN den Werten der Charta verpflichtet war, verweigerte es mit unfassbarer Härte einen Einsatz für Schriftstellerkollegen im eigenen Land. Es war ein wiederkehrendes, für die Position der führenden Köpfe symptomatisches Argumentationsschema, mit dem kritische, aber auch vorsichtige Nachfragen regelrecht abgeschmettert wurden: Immer ging es um die Abwehr der Kritik an der Regierungspolitik, die Ergründung des Sachverhaltes trat dahinter zurück. In Zweifel gezogen wurde meist die Glaubwürdigkeit der Quellen, aus denen sich die Anfragen speisten, in manchen Fällen gar die reine Existenz des von Verfolgung Betroffenen. Insbesondere der Generalsekretär Henryk Keisch zeigte sich als verblendeter, bedingungsloser Verteidiger eines inhumanen Regimes, der die Aktivität anderer nationaler Zentren bzw. des Internationalen PEN in Fällen inhaftierter Schriftsteller nur als einen Teil antisozialistischer, sprich gegen die DDR gerichteter Propaganda begriff. Er zeigte keinerlei Bereitschaft, in Fragen der Menschenrechtsverletzungen mit dem Internationalen PEN zu kooperieren. Gleichzeitig wurde in enger Abstimmung mit den kulturpolitischen Funktionären der DDR das Präsidium des PEN von den linientreuen Anhängern des SED-Regimes instrumentalisiert, um vermeintlich Abtrünnige oder Andersdenkende von ihrem ‚fehlerhaften‘ Verhalten zu überzeugen und Sicherungen gegen die Verbreitung oppositioneller Denkarten einzubauen. Am 29. November 1976 stand der Fall ‚Biermann‘, dessen PEN-Mitgliedschaft wieder und wieder diskutiert worden war, auf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums DDR ganz oben auf der Agenda. Sämtliche Versuche des Generalsekretärs Keisch, den Petenten bereits im Vorfeld zur Schadensbegrenzung eine linientreue Erklärung abzuringen, waren gescheitert. Und auch im Verlauf der Präsidiumssitzung wurde deutlich, dass es keinen gemeinsamen Standort der Präsidiumsmitglieder gab. Insbesondere Hermlin trug zum Scheitern dieses Vorhabens bei; er geißelte die Ausbürgerung als diktatorisches Vorgehen, das „beseitigt“ werden müsse – und sei es auf Kosten der Parteitreue: „Parteidisziplin gehört zum Parteimitglied. Aber ich sage jetzt offen, daß mir andere

137 Henryk Keisch an Ankie Peypers (18. 2. 1977). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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Werte höher sind.“138 Seinen unverrückbaren Standpunkt sicherte Hermlin mit einem geschickten Winkelzug: Ganz bewusst stellte er seine persönliche Bekanntschaft mit dem Regierungschef Honecker heraus, der ihm zugesichert habe, dass er mit keinerlei Repression zu rechnen habe. Nach dieser gescheiterten Einflussnahme wurde die Biermann-Affäre im PEN nicht mehr offen diskutiert. Aber die Angst der Kulturfunktionäre vor der Entwicklung des PEN-Zentrums zu einer Keimzelle konzertierten Protests war groß; man zog in Erwägung, alle Petenten von sämtlichen Vorstandsämtern im kulturellen Bereich zu entbinden. Auf diese Weise sollte die Dominanz linientreuer Anhänger der SED-Politik im Präsidium gesichert werden. Bis zur nächsten Generalversammlung hatte indes die allgemeine Aufregung nachgelassen. Nichtsdestotrotz wurde die Versammlung des Jahres 1978 akribisch vorbereitet. Es wurde alles daran gesetzt, die Position der Partei innerhalb des Zentrums zu stärken; dies galt mit Blick auf die Zuwahl neuer Mitglieder als auch auf die Zusammensetzung des Präsidiums: „Anliegen unserer Parteigruppe muß sein, daß es die richtigen sind“,139 die gewählt werden. Die Generalversammlung lief schließlich unter Einhaltung aller Vorgaben wie geplant ab und Kamnitzer zeigte sich zufrieden: „Wir wollen auch in Zukunft so harmonisch und fruchtbar wie möglich zusammenwirken.“140 So harmonisch, wie Kamnitzer den Verlauf der Generalversammlung beschrieb, stellte sich indes die Situation für die Unterzeichner der Biermann-Petition nicht dar. Alle Petenten waren gehörig unter Druck geraten: Die parteiliche Maßregelung reichte von Parteiausschluss bzw. -austritt (Jurek Becker, Gerhard Wolf, Sarah Kirsch) bis hin zur ‚strengen Rüge‘ im Falle von Stephan Hermlin und Christa Wolf. Die meisten parteilichen Disziplinierungsmaßnahmen erfolgten über den Schriftstellerverband; dazu liegt umfassende Literatur vor.141 Manche entzogen sich der Repression: Jurek Becker und Sarah Kirsch verließen im Verlauf des Jahres 1977 die DDR; viele weitere Künstler und Schriftsteller folgten ihnen. Nach den heftigen Reaktionen auf die Biermann-Ausbürgerung war die Angst der Regierenden vor einem Erstarken der oppositionellen Bewegung groß – umfassende Sicherungsmaßnahmen wurden in der Folge konzipiert und zur Anwendung gebracht; diese zielten vor allem darauf, den Bestrebungen des „Gegners“ entgegenzuwirken, „feindlich-negative Kräfte in den sozialistischen Ländern, insbesondere der DDR, noch stärker zu staatsfeindlichen Handlungen und Aktivitäten zu mobilisieren und mehr als bisher politisch nicht gefestigte, labile, schwankende Personen 138 Zitiert nach Roland Berbig u. a. (Hrsg.): In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen der Ausbürgerung. Berlin: Links 1994 (Armin Mitter und Stefan Wolle (Hrsg.): Forschungen zur DDR-Geschichte 2), S. 19 bzw. S. 172. 139 [Henryk Keisch] an Leo Sladczyk [Abt. Kultur beim ZK der SED] (9. 3. 1978). AdK Berlin, PENArchiv (Ost). 140 P.E.N.-Zentrum Deutsche Demokratische Republik. Generalversammlung am 5.  April  1978/Zusammenfassung [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 141 Vgl. vor allem Berbig u. a. (Hrsg.): In Sachen Biermann.



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in derartige Machenschaften einbeziehen zu können“.142 Die vom „Gegner verfolgten Ziele und Absichten zur Unterwanderung der DDR und zu ihrer Zersetzung von innen heraus, zur Schaffung und Aktivierung einer sogenannten inneren Opposition bzw. zur Forcierung der politischen Untergrundtätigkeit“,143 für die bestimmte Kräfte unter den Kulturschaffenden besonders anfällig seien, sollten ausgehebelt werden – mittels einer strikten Kaderpolitik, die die Durchsetzung der Beschlüsse von Partei und Regierung auf dem Gebiet der Kulturpolitik gewährleisten sollte. So geriet auch das PEN-Zentrum DDR ins Visier der parteipolitischen Analysten, die ihm das Fehlen einer klaren politischen Konzeption anlasteten. Die Befehle und Weisungen „zur allseitige[n] politisch-operative[n] Sicherung der sozialistischen […] Kultur“144 zielten insbesondere auf „Schriftsteller mit politisch-negativen Persönlichkeitsmerkmalen“145, darunter auch die Mitglieder des PEN-Zentrums DDR. Neue Operative Vorgänge (OV) wurden eingerichtet – OV ‚Zyniker‘ gegen Günter Kunert, OV ‚Filou‘ gegen Franz Fühmann, OV ‚Doppelzüngler‘ gegen Christa und Gerhard Wolf und OV ‚Leder‘ gegen Stephan Hermlin, OV ‚Germanist‘ gegen Rolf Schneider, OV ‚Milan‘ gegen Sarah Kirsch, OV ‚Dramatiker‘ gegen Ulrich Plenzdorf. Die Überwachung und Beeinflussung der Zielpersonen war so zu gestalten, dass –– –– ––

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die feindlichen Kräfte keinen einheitlichen konterrevolutionären Block bilden können keinen bedeutenden Einfluß zur Sammlung und Aktivierung feindlicher, negativer und politisch schwankender Kräfte auszuüben vermögen ihre feindlichen Pläne, Absichten und Verbindungen so wie Kanäle und Hintermänner aufgedeckt und beweismäßig gesichert werden, insbesondere zu feindlichen Zentren und Geheimdiensten wirksame Maßnahmen zur Zersetzung, Verunsicherung und des Herausbrechens einzelner Personen durchgesetzt werden, um die feindliche Wirksamkeit dieser Kräfte einzuschränken.146

Wer diese Aufgabe übernahm, geht aus dem Aktenmaterial nicht hervor. Die Überwachung konzentrierte sich indes vor allem auf die Aktivität des PEN-Zentrums DDR auf internationaler Ebene. Besonders scharfer Kontrolle unterlag dabei Stephan Hermlin: Er „ist Vizepräsident des Internationalen PEN und keiner DDR-Institution rechenschaftspflichtig“147 und wurde in den Folgejahren von verschiedenen IM, insbesondere auf Auslandsreisen, politisch-operativ ‚bearbeitet‘. Die reale Wirksamkeit der Überwachungsmaßnahmen ist nur schwer einzuschätzen. Nachweisbar ist indes, dass 142 Hinweise über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativen Aktivitäten von Personenkreisen auf dem Gebiet Kunst und Kultur (8. 1. 1977). BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 115–139, hier Bl. 115. 143 Ebd., Bl. 116. 144 Karl Brosche [Oberleutnant, MfS, HA XX/7]: Jahresarbeitsplan der Haupt abt. XX/7 für das Jahr 1977 (3. 1. 1977). BStU, MfS, HA XX 209, Bl. 196–242, hier Bl. 198. 145 Ebd., Bl. 211. 146 Ebd., Bl. 229. 147 Ebd., Bl. 231.

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sich Hermlin auch während der strikten Überwachung in einzelnen Fällen für weniger prominente Schriftsteller und Künstler, etwa im Fall von Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert oder Frank Schöne, verwendete. Auf seine Vermittlungsversuche bei Honecker hat Hermlin mehrfach hingewiesen; diese seien „ziemlich erfolgreich“ gewesen: „[E]r hat mich kaum einmal enttäuscht.“148 So nahm Hermlin am Ende der 1970er Jahre eine Sonderrolle unter den DDR-Autoren ein; er war zum direkten Ansprechpartner des WiPC-Beauftragten Michael Scammell geworden. Als Vizepräsident des Internationalen PEN war er den ethisch-moralischen Idealen der Schriftstellervereinigung ganz besonders verpflichtet; er besaß gute Kontakte in die obersten Regierungskreise der DDR und er war bereit, sich in den meisten Fällen mit verfolgten Schriftstellerkollegen solidarisch zu erklären – im Gegensatz zu Heinz Kamnitzer und Henryk Keisch, die als überzeugte Parteisoldaten die Linientreue über jegliche Moral stellten. Gleichwohl nahm sich der DDR-PEN auf internationaler Ebene in seiner Aktivität stark zurück und erschien im Jahr 1977 auf keiner internationalen Tagung. Insbesondere die von der Sektion Writers in Exile durchgeführte Tagung in Hamburg (Mai 1977), die kritische Nachfragen auf die repressive Kulturpolitik in Staaten des östlichen Machtbereichs erwarten ließ, wurde von den Verantwortlichen im DDR-PEN durch ein demonstratives Fernbleiben bewusst torpediert. Es gibt indes keinerlei Indizien dafür, dass das Fehlen der DDR-Sektion in der Öffentlichkeit als massive Demonstration gegen die Veranstalter wahrgenommen wurde. Und doch geriet das PEN-Zentrum DDR in Hamburg ins Kreuzfeuer der Kritik. Konkreter Anlass war ein ungeheuer zynisches, die Realitäten negierendes Schreiben, das Keisch auf eine Anfrage des schwedischen PEN-Zentrums hinsichtlich der Aktivitäten des DDR-PEN für die aus dem Lande ausgewiesenen bzw. dort in Haft befindlichen Schriftsteller an den Internationalen PEN gesandt hatte. Das „shocking document“149, das die rigiden Maßnahmen der SED-Diktatur schön redete, wurde von den Delegierten mit Entsetzen aufgenommen. Keisch zeigte sich von der Aufregung unbeeindruckt – wohl nicht zuletzt deshalb, weil keine konkreten Maßnahmen gegen den DDR-PEN folgten. Eine persönliche Aussprache über die Vorgänge in der DDR fand auch im weiteren Verlauf des Jahres nicht statt. So wagte sich der DDR-PEN im Jahr 1978 wieder aufs internationale Parkett – mit einer Eingabe, die die neu entbrannte, langwierige Diskussion um die Aufnahme der sowjetischen Schriftsteller in den Internationalen PEN betraf und die internationale PEN-Führung wegen vorgeblich antikommunistischer Positionen scharf attackierte. Das Schreiben des DDR-PEN wurde in Stockholm (Mai 1978) von den Delegierten rege diskutiert – ohne greifbares Ergebnis. Als Triumph wertete Keisch jedoch die Annahme einer von der DDR-Sektion vorgeschlagenen Resolution, die alle Regierungen der Welt zur Abrüstung und Ächtung der Neutronenwaffe 148 An Allem ist zu zweifeln. Gespräch mit Günter Kaindlstorfer. In: Stephan Hermlin: In den Kämpfen meiner Zeit. Berlin: Wagenbach 1995, S. 91–98, hier S. 94. 149 Minutes of the Meeting of the International Executive Committee of P.E.N. held in Hamburg on Tuesday, May 17th and Wednesday, May 18th 1977, S. 25. PAL.



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aufforderte. Man war auf internationaler Ebene wieder angekommen, ungeachtet des strikten Kurses, den Keisch in allen Fragen verfolgter und mit Repressionen belegter Schriftstellerkollegen beibehalten hatte – unbeeindruckt von aller Kritik, die auch aus den eigenen Reihen, in persona Stephan Hermlin, an ihn herangetragen wurde. Daran änderte auch die kulturpolitische Katastrophe des Jahres 1979 nichts. Die innenpolitische Situation in der DDR war nach der Biermann-Ausbürgerung angespannt: Schon im Laufe des Jahres 1977 hatten zahlreiche Schriftsteller, Künstler und Musiker die DDR verlassen – auf Zeit oder für immer –, weil sie aufgrund ihres Protestes gegen die Ausbürgerung massiven Gängeleien der Staatsmacht ausgesetzt waren. Andere blieben, legten aber wichtige öffentliche Ämter nieder. Die Repressionen der SED-Regierung gegenüber kritischen Geistern wurden ungeachtet dessen unvermindert fortgesetzt. Und auch das PEN-Zentrum DDR hielt an seiner regierungskonformen Haltung fest: Nachfragen und Mahnungen aus dem Internationalen PEN in Bezug auf die im eigenen Lande inhaftierten Kollegen wurden nach alt bekanntem Muster zurückgewiesen, so etwa im Fall von Rudolf Bahro; er sei kein Schriftsteller, sondern Ökonom. Die auf Betreiben des Internationalen PEN getätigten Anfragen seien Angriffe auf die Rechtssprechung der DDR und würden lediglich ausgenutzt im Rahmen der „permanente[n] Stimmungsmache gegen die DDR“.150 Insbesondere war es Keisch, der weiterhin jegliche Solidarität mit drangsalierten Schriftstellerkollegen verweigerte und die politische Strafverfolgung des SED-Regimes unterstützte. Unterdessen wurde die restriktive Kulturpolitik auch 1978 unvermindert fortgesetzt und auch der Exodus der kritischen Schriftsteller und Künstler ging weiter. Die ideologische Situation im Inneren der DDR verhärtete sich immer mehr. Das Jahr 1979 wurde schließlich zu einem der „finstersten Kapitel[ ] im kulturpolitischen Schwarzbuch der DDR-Geschichte“151, in dem auch das PEN-Zentrum keine positive Rolle übernahm. Mit dem tribunalartig inszenierten Ausschluss der Schriftsteller Jurek Becker, Klaus Poche, Erich Loest, Adolf Endler, Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Dieter Schubert und Martin Stade aus dem Schriftstellerverband am 7. Juni 1979 eskalierte die kulturpolitische Situation in der DDR. Im Mai 1979 hatten die Genannten in einem Brief an Erich Honecker gegen die massive und vor allem demonstrative Bestrafung und Kriminalisierung von Kollegen wie Stefan Heym, Robert Havemann und Wolfgang Hilbig protestiert, die unter Umgehung des Büros für Urheberrechte, also ohne amtliche Genehmigung, Werke im Westen publiziert hatten. Daraufhin setzte der Schriftstellerverband, der eine „unrühmliche, ja sogar die Staatsmacht sekundierende Rolle übernommen hatte“152, in enger Abstimmung mit der Abteilung Kultur des ZK der SED, der HV Verlage und Buchhandel und dem Ministerium für Staatssicherheit eine perfekte „Mischung 150 Henryk Keisch an Erik Vagn Jensen (1. 6. 1979). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 151 Joachim Walther u. a. (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991, S. 7. 152 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Gustav Kiepenheuer 1997, S. 259.

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aus Parteiverfahren und Schauprozeß“153 in Szene, um mit den Petenten des Protestbriefes und zugleich einigen anderen missliebigen Mitgliedern abzurechnen. Auf der Mitgliederversammlung wagte es nur Stephan Hermlin, sich gegen die drakonische Disziplinierungsmaßnahme auszusprechen, andere Widersacher erhielten erst gar kein Rederecht. Und Franz Fühmann urteilte noch am selben Tag resigniert: „Ich bin der tiefen Überzeugung, daß wir auf verlorenem Posten stehen; nun ja.“154 Gegen die Maßnahmen des Schriftstellerverbandes, der zum Instrument parteipolitischer Schikane geworden war, erhob sich vereinzelter Protest von Schriftstellerkollegen, etwa von den PEN-Mitgliedern Günter de Bruyn, Christa Wolf, Franz Fühmann, Ulrich Plenzdorf und Rainer Kirsch. Der PEN als Institution indes, der durch den Ausschluss der Mitglieder Stefan Heym, Rolf Schneider und Joachim Seyppel direkt betroffen war, meldete sich nicht zu Wort. Ein Vorstoß von Christa Wolf, die sich schon im Vorfeld der Ausschlüsse im Falle des wegen Devisenvergehens bestraften Stefan Heym in Sorge an den Generalsekretär des PEN-Zentrums DDR gewandt hatte, wurde von diesem harsch abgestraft. Keisch griff Wolf scharf an und unterstellte ihr Parteinahme für die falsche Seite. Ein kurzer Schlagabtausch folgte, der deutlich machte, dass vom PEN keine konzertierte Kritik an der Behandlung ‚unbequemer‘ Autoren zu erwarten war: Kritischen Geister sollte im PEN kein Raum gegeben werden. Der Protest wurde im Keim erstickt, der Druck erhöht, der Ausschluss vom Schriftstellerverband offiziell bestätigt und propagandistisch ausgeschöpft. Anfragen aus dem Ausland wiegelte Keisch wie gewohnt ab. Die Annahme, dass die Ausschlüsse in Zusammenhang mit der literarischen Arbeit der Betroffenen stünden, sei ein Irrtum. Bei der Auseinandersetzung „zwischen bestimmten DDRAutoren auf der einen, dem Großteil ihrer Kollegen sowie gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen auf der anderen Seite“ handele sich vielmehr um einen notwendigen und heilsamen „Prozess sachlicher Klärung“155, an dessen Ende die Distanzierung von jenen stünde, die sich nicht loyal zur DDR-Administration verhielten. Indiskutabel sei daher eine einvernehmliche Verständigung mit notorischen Kritikern des Systems, „die ihren Kollegen, der Gesellschaft der DDR und dem Staat Schwierigkeiten bereiten und sich dafür Kritik gefallen lassen müssen“.156 Wer der Parteilinie nicht folgen wolle, könne sich getrost distanzieren – gezwungen oder ungezwungen: Der Schriftstellerverband ist eine Organisation, keine Behörde. Er hat ein Statut, und er hat ein Programm. Aus dem Programm und dem Statut geht hervor, daß er eine Vereinigung von sozialistischen Schriftstellern ist, die auf ihre Weise und mit ihren Mitteln an der in der DDR herrschenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung mitwirken wollen. Wer dies nicht will, braucht nicht einzutreten, kann austreten und im Konfliktfall ausgeschlossen werden.157 153 Zitiert nach: Zu diesem Buch. In: Walther u. a. (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals, S. 2. 154 Franz Fühmann an Stephan Hermlin (23. 5. 1979). DLA, A: Stephan Hermlin, Briefe an Hermlin. 155 Henryk Keisch an Martin Gregor-Dellin (1. 6. 1979). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 156 Ebd. 157 Henry Keisch an Erik Vagn Jensen (9. 7. 1979). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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Dies galt für den Schriftstellerverband, ließ sich aber auch ohne Weiteres auf die Staatsbürgerschaft der DDR übertragen: „Wer Loyalität aufkündigt, kann in dieser Sache nicht unsere Solidarität haben.“158 Keisch demonstrierte mit dieser Haltung indirekt die Übereinstimmung mit dem „amtliche[n] Urteil über den bis 1979 erfolgten Künstlerexodus […], der an sich gesunde DDR-Volkskörper habe sich durch die ‚schmerzlose Amputation erkrankter Glieder‘ regeneriert.“159 Eine Einmischung in die Auseinandersetzung um den Schriftstellerverband lehnte Keisch strikt ab; er sah sich vielmehr dazu berufen, die repressive Politik des Staates vorbehaltlos zu bejahen und gegen jegliche Kritik von außen zu verteidigen. Doch auf der Ebene des Internationalen PEN sah sich der DDR-PEN mit einer scharfen Resolution konfrontiert, die das bundesdeutsche PEN-Zentrum im Juli 1979 auf dem Kongress in Rio de Janeiro durchsetzte. Darin wurde ganz allgemein die Situation der Menschenrechte in der DDR beklagt und deutlicher Protest zu den jüngsten kulturpolitischen Ereignissen erhoben. Die anwesenden DDR-Delegierten hatten dem wenig entgegenzusetzen. Deutlich wurde nur eins: Man war nicht bereit, auch nur „ein kleines bißchen Solidarität160“ für die mit Restriktionen belegten Schriftstellerkollegen im eigenen Lande aufzubringen. So zeigte sich das PEN-Zentrum DDR am Ende der 1970er Jahre, die kulturpolitisch besonders brisant waren, in einer staatskonformen Position erstarrt; es bot den Mitgliedern kein Forum der offenen Aussprache, Grundsatzdiskussionen waren unmöglich geworden, einen offiziellen Einsatz für Schriftstellerkollegen gab es nicht. Das Interesse der Mitglieder an der PEN-Arbeit war stark zurückgegangen, beklagt wurde die mangelnde Transparenz. Der kritische Geist hatte im PEN keine Heimstatt und der Massenexodus der Schriftsteller war auch im PEN spürbar geworden. Beherrscht wurde das PEN-Zentrum vom SED-konformen Führungsduo Kamnitzer–Keisch, das von getreuen Gefolgsleuten des MfS sekundiert wurde. Das Präsidium glich einem Rumpfkabinett, dessen Tun und Lassen in enger Abstimmung mit den kulturpolitischen Verantwortlichen gesteuert wurde. Die Teilnahme an den Präsidiumssitzungen konzentrierte sich im Wesentlichen auf Kamnitzer, Keisch und Paul Wiens, hinzu kam Stephan Hermlin. In diesem desolaten Zustand ging das PEN-Zentrum DDR in das letzte Jahrzehnt der SED-Diktatur, die ihrem Niedergang entgegensah.

158 Information über die Sitzung des Präsidiums des Schriftstellerverbandes der DDR am 23.  Mai 1979 in Berlin. Zitiert nach Walther u. a. (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals, S. 99f, hier S. 100. 159 Emmerich: Kleine Literaturgeschichte, S. 262. 160 Susanne Ulrici: Kulturexport nach Brasilien. Impressionen vom Internationalen PEN-Kongreß in Rio der Janeiro. In: Mainzer Allgemeine Zeitung, 31. 7. 1979.

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5 Innere Erstarrung, politische Willfährigkeit und partieller Neuanfang: Das PEN-Zentrum DDR in den 1980er Jahren (1979/80–1989) Obgleich das literaturpolitische Katastrophenjahr 1979 enorme Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Staat und Schriftstellern hatte, setzte die Führung des DDR-PEN weiterhin auf das Prinzip der Nichteinmischung als Mittel der Wahl. Hinsichtlich dieser Position gab es kaum Widerspruch aus den Reihen der Mitglieder. Lediglich einzelne Präsidiumsmitglieder entwickelten eine kritische Haltung, die zwar nicht zu einer offenen Auseinandersetzung führte. Gleichwohl manifestierte sich ein indirekter Protest im stummen Rückzug vom Präsidium: Christa Wolf und Jeanne Stern standen für die Präsidiumswahlen im Februar 1980 nicht mehr zur Verfügung. In der Folge begann die Suche nach geeigneten Kandidaten. Keisch sah darin die Chance, eine kadermäßige Besetzung des Präsidiums durchzusetzen, die einer „spürbare[n] Verbesserung der politischen Zusammensetzung“161 dienlich sein konnte. Gleichzeitig trieb Keisch bei der Vorbereitung der Generalversammlung die Furcht vor einem Konflikt innerhalb des PEN um. Er setzte auf eine Sicherung der Veranstaltung durch eine sorgfältige Vorbereitung der Parteigruppe, die auf absolute Disziplin hinsichtlich der ausgegebenen Zielsetzungen einzuschwören war. Im Zentrum stand dabei der Umgang mit den politischen ‚Sorgenkindern‘: Notwendig war es aus Keischs Sicht, jegliche gegnerische Auffassung zurückzuweisen und deutlich zu machen, dass eine Nutzung des PEN als Basis oppositioneller Handlungen aussichtslos sei. Auch das Zuwahlprozedere war in dieser Weise durch die Verpflichtung der SED-Mitglieder auf Parteidisziplin zu kontrollieren, um den PEN nicht zu einem Sammelbecken kritischer Geister werden zu lassen. Um diese Zielsetzungen zu erreichen, zog Keisch sich hinter die Parteiverantwortlichen zurück. Jedoch zeigte das ZK der SED kein übermäßiges Interesse und ließ auf eine Antwort warten. Aber das Ministerium für Staatssicherheit beobachtete die Veranstaltung; Paul Wiens, alias IM ‚Dichter‘, legte einen detailreichen Bericht vor. Im Visier der Staatssicherheit standen insbesondere Stephan Hermlin, Stefan Heym, Günter de Bruyn, Rainer Kirsch, Adolf Endler, Kurt und Jeanne Stern, Volker Braun, Christa und Gerhard Wolf, Franz Fühmann sowie Ulrich Plenzdorf. Die Brisanz der Generalversammlung im Februar 1980 blieb indes weit hinter den Befürchtungen zurück. Es gab keine scharfe oder auch nur kontroverse Diskussion über die einschneidenden Ereignisse in der kulturpolitischen Entwicklung der DDR. Ein Vorstoß kam lediglich von Stefan Heym, der die Unmöglichkeit eines öffentlichen Meinungsaustausches und die mangelnden Mitgestaltungsmöglichkeiten der Kulturschaffenden monierte; dieser blieb unbeantwortet. Der PEN schwieg, notorischer Dis161 Vorlage an das Sekretariat des ZK der SED [o. D.; erstellt von Henryk Keisch]. AdK Berlin, PENArchiv (Ost).



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kussionsmüdigkeit verfallen. Lediglich der Präsident Heinz Kamnitzer gab ein Signal der Gesprächsbereitschaft, um ein winziges Ventil für den sich aufbauenden Druck zu öffnen. Es gebe Gesprächsmöglichkeiten – aber „natürlich nicht, wo aus dem Fenster gesprochen werden kann.“162 In der Folge erfuhren Präsident und Generalsekretär wiederholte Bestätigung, das Präsidium wurde ergänzt durch die Zuwahl von Fritz Rudolf Fries, Paul Wiens und Rita Schober. Damit war die Durchsetzung der PENFührung mit Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS gestärkt worden: Als Zuträger arbeiteten nunmehr aktiv Fries, Wiens, Keisch und Kamnitzer. Kant hatte seine IM-Tätigkeit 1976 eingestellt. Etwas lebendiger zeigte sich die Generalversammlung im Jahr 1982, auf der Rainer Kirsch eine Debatte über die Behandlung kritischer Autoren in der DDR anstieß. Zwar wurde Kirschs Einwurf von Keisch scharf gekontert. Dennoch entspann sich ein Meinungsaustausch, an dem sich die anwesenden PEN-Mitglieder beteiligten: „Es zeigte sich […], daß man zum Gespräch bereit ist […]. Seit langem wurden wieder Standpunkte erklärt und bei allen Differenzen: Man sprach miteinander, auch gegeneinander.“163 So lebhaft sich die Generalversammlung des Jahres 1982 gestaltet hatte, so erstarrt zeigte sich das PEN-Zentrum DDR im Jahr 1985. Das Präsidium war in regelrechte Lethargie verfallen und eine solche spiegelte auch der Ablauf der Generalversammlung wider. Die Versammlung plätscherte mit unverfänglichen Themen vor sich hin, gefolgt von einem unspektakulären Wahlgang, der das Präsidium und das Führungsduo Kamnitzer–Keisch bestätigte. Auch die Vorschläge für die Zuwahl neuer Mitglieder wurden ohne Debatte angenommen. Insgesamt zeigte sich in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, dass der PEN im DDRInneren immer mehr an Bedeutung verlor und das Interesse vor allem auf die internationalen Wirkungsmöglichkeiten gerichtet war. Der kontinuierliche Rückgang des Interesses unter den Präsidiumsmitgliedern demonstrierte die Lethargie im Inneren, die möglicherweise aber mit der zunehmenden Dominanz von Präsident und Generalsekretär in Zusammenhang stand. Lediglich Stephan Hermlin mischte ab und an in der Führungsebene mit, insbesondere in der direkten Konfrontation mit Henryk Keisch. Die Präsidiumssitzungen waren schlecht besucht; es kam kaum mehr zu einem konstruktiven Austausch. Zwar gab es unter den wenigen Anwesenden ab und an hitzige Debatten, insgesamt aber herrschte eine allgemeine Lähmung vor. Davon zeugt auch die verschwindend geringe Zahl der in den Jahren 1980 bis 1985 durchgeführten Clubveranstaltungen, die kaum auf Außenwirkung ausgerichtet waren.

162 Stenographisches Protokoll der Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR am 17. 2. 1980 [o. D.], S. 38. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 163 Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Jahreshauptversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR [IM Pedro Hagen] (22. 11. 1982). BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 192f., hier Bl. 192.

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So erstaunt es nicht, dass das PEN-Zentrum DDR in diesen Jahren weiterhin wenig bzw. keinen Einsatz für drangsalierte Schriftstellerkollegen im eigenen Lande zeigte. Eine Auseinandersetzung mit einzelnen Fällen fand, wenn überhaupt, nur auf Anstoß von außen statt und blieb in der Regel folgenlos für die betroffenen Schriftsteller. Anfragen kamen häufig vom bundesdeutschen Pendant, aber auch aus der internationalen PEN-Zentrale bzw. von den WiPC-Beauftragten. Die Kooperationsbereitschaft der führenden Köpfe im PEN-Zentrum DDR, d. h. Kamnitzer und Keisch, nahm sich in dieser Hinsicht sehr bescheiden aus. Insbesondere Keisch verfolgte weiterhin einen harten Kurs; er wies jegliche kritische Frage nach dem immer gleichen Muster zurück: Kein Schriftsteller in der DDR sei wegen seiner Schriften inhaftiert; vielmehr liege ein Verstoß gegen die Gesetze der DDR vor. Kritische Nachfragen geißelte er als Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des SED-Staates; es seien „typische Aktivitäten [der] Gegner“.164 Auf internationaler Ebene verteidigte der DDR-PEN kompromisslos die Politik der SED-Regierung und wies alle Nachfragen mit Empörung zurück; es sei nicht wahrheitsgemäß, „daß sich auch nur ein Autor in der DDR in Haft befindet, daß der Staat mit Repression gegen Autoren vorgeht.“165 Vertreten wurde die irrwitzige Auffassung, der Exodus der Schriftsteller, der doch das Resultat einer diktatorischen Kulturpolitik war, sei als Zeichen der Liberalität des SED-Staates zu verstehen. Aber auch die direkten Hilferufe aus dem Inneren, etwa von Lutz Rathenow, der den Regulierungsmaßnahmen der SED-Organe gegenüber den Friedensaktivisten der DDR zum Opfer gefallen war, blieben ohne Resonanz des PEN-Zentrums oder wurden barsch zurückgewiesen. Jede Bitte um Unterstützung blieb folgenlos. Einziger Gegenspieler im PEN-Präsidium war Stephan Hermlin; er brach scharfe Auseinandersetzungen mit Keisch los und versuchte, den Widerspruch zwischen dem Einsatz für Kollegen und der Loyalität gegenüber dem eigenen Staat aufzulösen und die Ideale der PEN-Charta in Erinnerung zu bringen: Als Mitglieder des PEN sind wir verpflichtet, uns für solche Leute einzusetzen. Das bedeutet nicht, daß ich oder wir als PEN-Mitglieder nicht für die Einhaltung der Gesetze der DDR sind oder daß wir gegen unseren Staat und dessen Gesetze sind. Was wir können und müssen ist, die entsprechenden Stellen um Milde zu bitten. Wie dann individuell entsprechend der Sachlage von diesen Institutionen oder Verantwortlichen entschieden wird, ist eine ganz andere Frage.166

164 Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11.5.1980 in der jugoslawischen Stadt Bled (11. 4. 1980). BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 93. 165 Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. 9. bis 1. Oktober 1983 (II) (5. 10. 1983). BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 287–293, hier Bl. 292. 166 Information über eine Präsidiumstagung des PEN-Zentrums der DDR zu Problemen der Internationalen PEN-Tagung vom 6.–11.5.1980 in der jugoslawischen Stadt Bled (11. 4. 1980). BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/1, Bl. 92–95, hier Bl. 94.



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Demgemäß war es Hermlin, der in Einzelfällen nach Anfragen von außen im Inneren aktiv wurde – eigenmächtig, ohne Absprache mit dem Führungsduo Kamnitzer und Keisch. So nahm Hermlin etwa im Fall von Thomas Erwin und Frank-Wolf Matthies, die wegen des Vorwurfs ungesetzlicher Verbindungsaufnahme inhaftiert worden waren, direkten Kontakt mit Erich Honecker auf und vermeldete dem Präsidium wenig später: Er habe „diese Angelegenheit bereits geregelt und seinen ‚heißen Draht‘ benutzt, um darüber ausführlich mit seinem Freund, Genossen Honecker, zu beraten. […] Im Ergebnis seines Gespräches habe Genosse Honecker diese Angelegenheit sofort bereinigt […].“167 Im Präsidium löste Hermlins eigenmächtiges Handeln einen heftigen Meinungsstreit um den Einsatz des PEN für verfolgte Schriftsteller aus, der schließlich zwischen Hermlin und dem Hardliner Keisch zu eskalieren drohte. Lediglich Kamnitzers vermittelndes Eingreifen verhinderte, dass Hermlin von seiner Präsidiumstätigkeit zurücktrat. Indes handelte es sich bei Hermlins Einsätzen um Einzelaktionen; diese waren keineswegs die Regel. Die vehemente Verweigerung einer offiziellen Kooperation mit dem Internationalen PEN gipfelte im Jahr 1984 in einer scharfen Auseinandersetzung zwischen Keisch und dem WiPC-Beauftragten Michael Scammell, der einen wesentlichen Grund aufdeckte, warum die Zusammenarbeit zwischen WiPC und DDR-PEN nicht funktionierte. Die Verantwortlichen des PEN-Zentrums DDR, insbesondere Keisch, fassten jede Anfrage als Anklage auf; sie verstanden sich nicht als Anwalt der verfolgten Schriftsteller, sondern als Verteidiger der staatlichen Politik. Keisch begriff sich nicht als Kooperationspartner des WiPC, sondern sah den DDR-PEN als Opfer subversiver Bestrebungen, die im Einklang mit gegen die DDR gerichteten „Angriffe[n] auf politischer, ökonomischer, psychologischer, propagandistischer Ebene“168 standen. In der Beweispflicht sah Keisch den WiPC-Beauftragten; dieser habe stichhaltige Belege für seine Behauptungen zu erbringen. Eine konstruktive Zusammenarbeit war auf dieser Grundlage unmöglich. Das PEN-Zentrum DDR war Mitte der 1980er Jahre hinsichtlich seiner Positionierung innerhalb des Internationalen PEN in die Offensive gegangen. Das betraf die Arbeit des WiPC, die nicht nur ignoriert, sondern vielfach, insbesondere in der Person von Michael Scammell, torpediert wurde, aber auch alle anderen Bereiche auf internationaler Ebene. Auf der Grundlage geheimdienstlicher Überwachung ging es darum, die Möglichkeiten gezielter Einflussnahme ausfindig zu machen; „Vertreter im internationalen PEN zu ermitteln, die in positiver Weise beeinflusst und für die Zurückdrängung antisozialistischer Aktivitäten rechter Kräfte im internationalen PEN gewonnen werden können. Es sind offizielle Möglichkeiten und Kanäle zu ermitteln und zu nutzen, um antisozialistische und antisowjetische Kräfte im internationalen

167 Zwischenbericht zum OV ‚Leder‘ (23. 1. 1981). BStU, MfS, AOP 3706/87, Bd. V/18, Bl. 260–262, hier Bl. 261. 168 Henryk Keisch an Kathleen von Simson (20. 3. 1984). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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PEN öffentlich zu kompromittieren.“169 Demnach war es bei der Präsenz im internationalen Raum vordringlich daran gelegen, die eigene politische Linie deutlich zu machen und zugleich Angriffe auf das eigene Lager abzuwähren oder mindestens zu schwächen. Die Erfüllung dieser Zielsetzungen sollte durch den Einsatz geeigneter Kader gewährleistet werden. Eine operative Arbeitsvereinbarung von 1978 nennt „die IMS/GMS der HA XX/7 ‚Heinz‘ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR), ‚Henryk‘ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR), ‚Dichter‘, ‚Thomas‘, ‚Martin‘ (Präsidiumsmitglied im PEN-Zentrum DDR)“.170 Wie ein roter Faden durchziehen die MfS-Berichte der 1980er Jahre Klagen über antisozialistische Angriffe und Verleumdungen. Internationale PEN-Tagungen wurden akribisch vorbereitet. Ins Visier des Geheimdienstes gerieten dabei nicht nur der internationale WiPC-Beauftragte Michael Scammell, der längst den Status einer ‚Feindperson‘ erlangt hatte, und der internationale Generalsekretär Alexandre Blokh, sondern auch Stephan Hermlin, den es angesichts seiner herausgehobenen Stellung als internationaler Vize-Präsident von der Mitarbeit an ‚antisozialistischen‘ bzw. ‚antisowjetischen‘ Resolutionen abzuhalten galt. Er sollte vielmehr instrumentalisiert werden für die Durchsetzung von Resolutionen aus dem sozialistischen Lager, die man als adäquates Abwehrmittel von Kritik gegenüber dem sowjetischen Machtbereich begriff. In der Tat gab es von Seiten des Internationalen PEN immer wieder kritische Nachfragen hinsichtlich kulturpolitischer Entwicklungen in der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern; diese wurden indes nicht weniger sachlich und akzentuiert vorgebracht als die Erkundigungen hinsichtlich von Problemlagen in anderen Ländern. Letztere interpretierte Kamnitzer indes nur als Elemente einer Verschleierungstaktik, die von den vorgeblich konzertierten antisozialistischen Angriffen ablenken sollte. Auch Fritz Rudolf Fries, der als Delegierter am internationalen Kongress in Caracas (1983) teilnahm, spürte ein politisch-ideologisches Ungleichgewicht im Internationalen PEN, dessen Entscheidungen aufgrund der Minorität sozialistischer Staaten auffallend häufig gegen diese gerichtet seien. Man stehe einer „Mafia gegenüber“.171 Gleichwohl sah er die Wirkungsmöglichkeiten des Internationalen PEN sehr viel

169 BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 809. 170 BStU, MfS, ZA, HA XX, AKG 781, Bl. 369–373. Zitiert nach Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 810. – Die Identifizierung der IMS/GMS ist nicht eindeutig geklärt. ‚Dichter‘, ‚Thomas‘ und ‚Martin‘ sind identifiziert als Paul Wiens, Peter Edel und Hermann Kant. ‚Heinz‘ war vermutlich Heinz Kamnitzer, obgleich dieser eigentlich den Decknamen ‚Georg‘ trug. ‚Henryk‘ ist nicht entschlüsselt. Die Vermutung, dass es sich dabei um Henryk Keisch handelte, liegt nahe; eine Verifizierung des Klarnamens ist indes nicht gelungen. 171 Gerhard Hoffmann [Hauptmann, Bezirksverwaltung des MfS Frankfurt/Oder/Referat XX/7]: Bericht über den Kongreß des Internationalen P.E.N. in Caracas 25. September bis 1. Oktober 1983 (I) (5. 10. 1983). BStU, MfS, Ffo, V 1106/72, Bd. II/II, Bl. 284–286, hier Bl. 284.



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gelassener als sein Kollege Kamnitzer; der PEN gebärde sich zwar gewaltig, real löse er aber kaum umfassende Wirkungen aus. Bei vielen Resolutionsvorschlägen, die auf Vorgänge in sozialistischen Ländern Bezug nahmen, verfolgte der DDR-PEN die Strategie, durch Stimmenthaltung bzw. Gegenstimme die Annahme einer Eingabe zu verhindern. Auf dem Kongress in Tokio (1984) gewann die Auseinandersetzung jedoch an Schärfe; man ging in die Offensive. Zielscheibe des scharfen Angriffs war wiederum Michael Scammell; er wurde von Keisch heftig kritisiert. Scammell indes wehrte die Angriffe versiert ab und erinnerte an die Möglichkeit der aktiven Mitarbeit im WiPC. Keischs Attacke blieb so ohne jede Wirkung. Auch eine versuchte Einflussnahme auf den internationalen Generalsekretär Alexandre Blokh auf der Ebene des persönlichen Kontaktes zeigte keine erkennbare Wirkung. Das WiPC setzte seine Arbeit unbeirrt fort. Von Seiten des DDR-PEN besann man sich auf eine weitere Taktik, die man bereits in den 1970er Jahren von Zeit zu Zeit verfolgt hatte: Dabei ging es um die Reaktivierung einer engeren Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Zentren, die die „Abstimmung einer gemeinsamen offensiven Politik im Rahmen des Internationalen P.E.N.“172 in Aussicht nehmen sollten. Deren konsequente Umsetzung gestaltete sich indes schwierig, denn eine einheitliche Front der Zentren aus sozialistischen Ländern war kaum zu generieren: Das Zentrum der ČSSR war seit langem nicht mehr in Erscheinung getreten und während etwa die Ungarn in den Abstimmungen häufig eine eigenständige, prowestliche Position einnahmen, musste das polnische PENZentrum, das infolge der politischen Veränderungen in Polen 1983 in den ‚Ruhestand‘ versetzt worden war, erst einmal um seine Anerkennung auf internationaler Ebene kämpfen. Im Sommer 1980 hatte sich in Polen, ausgelöst durch landesweite Gewerkschaftsstreiks, eine Demokratiebewegung entwickelt, die erst 1981 durch die Einsetzung eines Militärrats zur Nationalen Rettung unter Kontrolle gebracht werden konnte. Die rigide Politik der Militäradministration, die zur Sicherung der Regierungsmacht beitragen sollte, traf auch die oppositionellen Schriftsteller. Das polnische PEN-Zentrum war suspendiert worden, 17 Mitglieder wurden inhaftiert. Diese Entwicklung wurde im Internationalen PEN mit größter Aufmerksamkeit beobachtet. Die internationale Führung propagierte die Unterstützung der polnischen Kollegen. Demgegenüber vertrat der DDR-PEN exakt die konträre Position und folgte damit der offiziellen Linie der SED, die die politischen Entwicklungen in Polen mit äußerster Sorge betrachtete und auch eine militärische Intervention nicht ausschloss. Der Druck auf die PEN-Mitglieder, sich stets konform zur politischen Administration zu verhalten, war enorm. Und so fuhren die Verantwortlichen des DDR-PEN den altbekannten Kurs: Jegliche Resolution, die den polnischen PEN betraf, wurde abgelehnt; die Vorgänge in Polen 172 Vgl. Information zu operativ interessierenden Fragen im Zusammenhang mit dem 47. Internationalen PEN-Kongreß im Mai 1984 in Tokio/Japan (23. 6. 1984). BStU, MfS, A 175/86, Bd. II/2, Bl. 557–564, hier Bl. 564.

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wurden als innere Angelegenheiten und legitime Maßnahmen zur Sicherung der Lage im Land interpretiert; der Einsatz für die polnischen Schriftsteller wurde demgemäß negiert. Für den polnischen PEN verschärfte sich indes die Lage immer mehr. Die Regierungspartei versuchte zunächst, regulierend auf die Zusammensetzung des Präsidiums einzuwirken und setzte schließlich im Juli 1983 ein neues, politisch akzeptables Präsidium ein; dieses wurde jedoch vom Internationalen PEN nicht anerkannt, die staatliche Regulierungsmaßnahme in einer Resolution deutlich kritisiert und das PEN-Zentrum in den ‚Ruhestand‘ versetzt. In dieser problematischen Lage nahm das PEN-Zentrum DDR direkten Kontakt mit den polnischen PEN-Kollegen auf, die den DDR-PEN um Unterstützung bei der Bildung eines neuen, regierungstreuen Präsidiums anriefen. Kamnitzer sicherte Unterstützung zu, machte aber zugleich deutlich: „Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen.“173 Offenbar sah man wenig Chancen, sich im Internationalen PEN erfolgreich für Polen zu verwenden, denn in der Folge hielt sich das PEN-Zentrum DDR in der Frage des polnischen PEN auf internationalem Terrain zurück. Erst 1988, nachdem die polnische Regierung freie Präsidiumswahlen gestattet hatte, konnte der polnische PEN nach jahrelanger Zwangspause seine Tätigkeit im Rahmen des Internationalen PEN wieder aufnehmen. Wie die vorausgegangenen Ausführungen zeigen, konzentrierte sich in den 1980er Jahren die Aktivität der DDR-Vertreter im Internationalen PEN auf die ideologisch geprägte Agitation im Sinne der Politik des SED-Regimes; dazu gehörte auch die Unterstützung des seit Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre stark propagierten ‚Friedenskampfes‘. Die Friedensthematik war durch das atomare Wettrüsten der beiden Weltmächte USA und UdSSR zu einer schwerwiegenden Problematik herangewachsen. Die weltpolitische Situation drohte in einer verhängnisvollen Konfrontation der beiden Machtsysteme, in einem Atomkrieg globalen Ausmaßes zu eskalieren. Deutschland war von dieser Konstellation in besonderer Weise betroffen: Hier standen sich die todbringenden Maschinerien direkt gegenüber. In dieser unmittelbaren Bedrohungssituation gehörten Rüstungsbegrenzung, -stopp oder gar Abrüstung zu den vordringlichen Themen – nicht nur in der Bundesrepublik, auch in der DDR sah man die Friedenssicherung als vorrangiges Ziel an. Entsprechend agierten auch die Verantwortlichen des PEN-Zentrums DDR. Die meisten Resolutionen, die das PEN-Zentrum DDR in den 1980er Jahren vor der internationalen Exekutive zur Diskussion stellte, betrafen die problematische Friedensthematik. Die auf Initiative des DDR-PEN verabschiedete Entschließung zum 35.  Jahrestag der Befreiung vom Faschismus (1980) beschwor „cooperation between the nations and the peoples in the service of peace.“174 Bei der Aktivität im Sinne des ‚Friedenskampfes‘ scheute der DDR-PEN auch eine Kooperation mit dem bundesdeutschen PEN nicht. 173 Marion Brandt: „Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen“. Dokumente zur Haltung des PEN-Zentrums DDR zu Polen (1981 bis 1988). In: DeutschlandArchiv 35 (2002) 4, S. 618–628, hier S. 618. 174 Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Bled, Yugoslavia, on 9th May, 1980, S. 40. PAL.



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So hatte das PEN-Zentrum DDR schon im Juli 1979 mit Unterstützung des PENZentrums Bundesrepublik Deutschland eine Resolution eingebracht, die sich auf die aktuellen Entwicklungen in der Nachrüstungsdiskussion (SALT II-Vertrag) bezog. In den Folgejahren intensivierte sich die Beziehung zwischen den beiden deutschen Zentren. Die Friedensproblematik bot einen Anknüpfungspunkt für gemeinsame Gespräche und die Verständigung von PEN zu PEN verbesserte sich. Dass einer Mehrzahl der bundesdeutschen PEN-Mitglieder an einer Verständigung mit dem ostdeutschen Pendant gelegen war, dokumentiert auch eine von der bundesdeutschen Jahresversammlung verabschiedete Aufforderung an die Bundesregierung vom Mai 1981; darin wurde die explizite Forderung eines Kulturabkommens mit der DDR formuliert – als Grundlage offizieller Kontakte zwischen den Kulturorganisationen beider Staaten. Auf bundesdeutscher Seite setzte sich insbesondere Ingeborg Drewitz für eine Kooperation ein; Ergebnis der Verhandlungen war eine Friedensresolution, die unmissverständlich auf die Einhaltung des „ideal of one humanity living in peace and freedom“175 und Abrüstung drang (1981). Diese freundschaftliche Annäherung auf der Ebene der deutsch-deutschen PEN-Politik entsprach der Entspannung der deutsch-deutschen Beziehungen auf höchster politischer Ebene, die durch den DDRBesuch des Bundeskanzlers Helmut Schmidt im Dezember 1981 angestoßen worden war. Als Vertreter der PEN-Zentren trafen im Sommer 1982 der bundesdeutsche Generalsekretär Hanns Werner Schwarze und das DDR-Führungsduo Kamnitzer–Keisch aufeinander und kamen überein, dass in Fragen von Friedenserhaltung und Abrüstung ein Kontakt von Fall zu Fall der gemeinsamen Sache dienlich sein konnte. Doch die Entzweiung der ohnehin anfälligen Allianz ließ nicht lange auf sich warten. Anlass war eine Entschließung des DDR-PEN, die vor der Gefahr eines weltumspannenden Krieges warnte und sich gegen das Fortschreiten der atomaren Aufrüstung in Ost und West richtete. Diese wurde nach kontroverser Debatte durch das internationale Exekutivkomitee im November 1982 angenommen, wohl auch durch die vermittelnde Fürsprache des internationalen Präsidenten. Zu den Delegierten, die sich bei der Abstimmung enthalten hatten, gehörte auch der bundesdeutsche Generalsekretär Hanns Werner Schwarze. Keisch quittierte dessen Abstimmungsverhalten mit einem scharf formulierten Brief, der Schwarzes Enthaltung als deutliche Distanzierung, als regelrechten Verrat an der gemeinsamen Sache interpretierte. Es folgte ein Schlagabtausch, den Schwarze im März 1983 mit einem Höchstmaß an Diplomatie und Kooperationsbereitschaft zu beenden suchte. Doch in dieser Konfliktphase löste ein über die bundesdeutsche Tagespresse lancierter Angriff auf führende DDR-Schriftsteller und das PEN-Zentrum DDR eine neuerliche Verkrampfung im Verhältnis der beiden deutschen Zentren aus. Das ehemalige Mitglied des DDR-PEN Joachim Seyppel, 1973 in die DDR übergesiedelt, im Dezember 1982 wieder ausgebürgert und ins bundesdeutsche Zentrum übernommen worden, attackierte in aller Schärfe Stephan Hermlin und Hermann Kant wegen getreuer 175 Zitiert nach Henryk Keisch an Ingeborg Drewitz (27. 7. 1981). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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Gefolgschaft des SED-Regimes und aktiver Mitarbeit an der Verfolgung missliebiger Regimekritiker. Und auch der DDR-PEN erntete scharfe Kritik. Angesichts der öffentlich erhobenen Vorwürfe war der Aufschrei in der Führungsetage des PEN-Zentrums DDR naturgemäß groß und man holte zum Gegenschlag aus. Im bundesdeutschen PEN reagierte man verhalten, betrachtete die ‚Affäre Seyppel‘ in erster Linie als Störfall und legte die Verantwortung für Seyppels Äußerungen in dessen Hände. Schließlich konnte der Internationale PEN auf einer Exekutivkomitee-Tagung im Mai 1983 vermittelnd einwirken. Dem DDR-PEN gelang es hier in Abstimmung mit der internationalen PEN-Führung zudem, eine neuerliche Resolution zum Thema Abrüstung anzustoßen, die schließlich mit großer Mehrheit angenommen wurde. Nach Venedig war es der beiderseitigen Diplomatie zu verdanken, dass die deutschen PEN-Zentren in Kontakt blieben. Ein Treffen zwischen Schwarze, Keisch und Kamnitzer im Juni 1983 rückte das Verhältnis gerade und man zeigte sich bestrebt, zu einem vernünftigen Nebeneinander zurückzukehren. Die Zusammenarbeit ging weiter; man war bereit, die gemeinsamen Initiativen für den Weltfrieden fortzusetzen und dabei über manche ideologisch begründete Meinungsverschiedenheit hinwegzusehen. Beide PEN-Sektionen schlossen sich einer Erklärung zum Jahrestag des Kriegsausbruchs am 1. September 1939 an, die die Vorstände des Schriftstellerverbandes der DDR und des Verbandes deutscher Schriftsteller in der BRD gemeinsam beraten und beschlossen hatten; sie appellierten an alle Bürger, die Friedensbewegung weiterhin einmütig zu unterstützen. Bedeutsam wurde die Kooperation der beiden deutschen PEN-Zentren auch im Rahmen des gerade erst auf internationaler Ebene begründeten Writers for Peace-Committees, das auf gemeinsamen Vorschlag der PEN-Zentren Bundesrepublik, DDR und Schweden auf dem internationalen Kongress in Tokio (1984) eine ‚Resolution zum Frieden‘ einbrachte, die nach Nachbesserungen schließlich verabschiedet wurde. Alle schienen mit dem Ergebnis zufrieden; Hanns Werner Schwarze lobte „jenes vernünftige Miteinander“ zwischen den beiden deutschen Zentren, „was zwischen den Regierenden noch nicht funktioniert.“176 Für Keisch gab es höchstes Lob aus dem Kulturministerium, Abteilung Internationale Beziehungen, für sein „großes Engagement bei der Propagierung und Realisierung der politischen und kulturpolitischen Prinzipien [der] Republik“.177 Auch die Mitwirkung an den friedenspolitischen Aktivitäten des Internationalen PEN wurde lobend anerkannt, gleichwohl konnte die DDR aufgrund der wirtschaftlichen Misslage den Jahresbeitrag für das Writers for Peace-Committee nicht aufbringen. Eine weitere Mitwirkung des DDR-PEN in diesem Gremium ist nicht belegt.

176 Hanns Werner Schwarze: Impressionen und Ergebnisse des Internationalen P.E.N.-Kongresses in Tokio vom 14.–18. Mai 1984 (20. 6. 1984). DA. 177 [?] Tautz [Ministerium für Kultur, HA Internationale Beziehungen] an Henryk Keisch (11. 9. 1984). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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Fortgesetzt wurde hingegen die davon los gelöste Zusammenarbeit der deutschen PEN-Zentren in Friedensfragen – weiterhin von Fall zu Fall, begleitet von Gleichklängen und Dissonanzen. Ungeachtet aller Misstöne war man bestrebt, „miteinander im Gespräch zu bleiben“.178 So unterstützte das bundesdeutsche PEN-Zentrum eine vom DDR-PEN auf internationaler Ebene vorlegte Resolution zum ‚40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus‘ (November 1984); führte mit dem DDR-PEN Unterredungen über „Grenzen und Möglichkeiten eines Kulturabkommens“179 beider deutscher Staaten; regte eine gemeinsame Resolution zum 8. Mai 1945 an, die mit ihrem Plädoyer für „Frieden, Abrüstung, Versöhnung und mehr Menschlichkeit“180 ein breites Medienecho anstieß. Auch wenn es immer wieder Wortmeldungen aus der DDR gab, die für Verärgerung bei den bundesdeutschen PEN-Kollegen sorgten, überwog auf deren Seite doch das Bestreben, die zaghafte Annäherung nicht aufs Spiel zu setzen. Denn trotz aller Rückschläge hatte es auch „Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung“ gegeben: Die DDR-Kollegen waren „beweglicher, kompromiss- und hilfsbereiter geworden“.181 Ein personeller Wechsel im Präsidium des DDR-PEN in der Mitte der 1980er Jahre schürte zudem die Hoffnungen auf eine kooperativere Haltung hinsichtlich der gemeinsamen Aufgaben des PEN-Clubs. Das Jahr 1985 brachte eine einschneidende Veränderung für das PEN-Zentrum DDR mit sich. Der gesundheitliche Zustand des Generalsekretärs Henryk Keisch, der stets als linientreuer Parteigänger die Kulturpolitik der SED-Regierung mitgetragen und verteidigt hatte, verschlechterte sich abrupt. Kamnitzer übernahm dessen Aufgaben, was Keisch indes nicht daran hinderte, auch vom Krankenbett aus in einzelnen Angelegenheiten tätig zu werden. So auch im Fall von Detlev Opitz, Autor der alternativen Literaturszene am Prenzlauer Berg, der nach seiner Verurteilung den DDR-PEN um Unterstützung angerufen hatte. Keisch reagierte in vorauseilendem Gehorsam gewohnt kompromisslos und undiplomatisch – ohne die Haltung der Kulturfunktionäre wirklich zu kennen. Seine eigenmächtige und zudem taktisch unkluge Reaktion auf Opitz’ Anliegen wurde schließlich den anleitenden Köpfen zu viel; diese entbanden Keisch aus seiner Funktion – zunächst ohne ihn zu informieren. Hermlin, der im Präsidium oft als stärkster Kontrahent von Keisch aufgetreten war und für diesen offensichtlich keine allzu freundschaftlichen Gefühle hegte, zeigte sich zustimmend. Im Amt folgte Walter Kaufmann dem wenig ehrenhaft ausgeschiedenen Keisch nach; er übernahm zunächst administrative Aufgaben und wurde im September 1985 offiziell berufen. Kaufmann selbst, der kein SED-Mitglied war, vermutete einen Irrtum: „Ich 178 Ingeborg Drewitz an Alfred Grosser. Zitiert nach Hanns Werner Schwarze: 11.  Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (20. 5. 1985). DA. 179 Hanns Werner Schwarze: 10.  Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (28. 2. 1985), S. 4. DA. 180 Zitiert nach: Deutsche Autoren mahnen zum Frieden. Gemeinsame Erklärung der PEN-Zentren aus Ost und West zum 8. Mai. In: Süddeutsche Zeitung 85 (12. 4. 1985), S. 8. 181 Hanns Werner Schwarze: Anlage, betr. Jahresversammlung in Saarbrücken (September 1985), zum 13. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschalnd (20. 12. 1985), S. 6. DA.

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glaube, es war sowieso ein Fehlentscheid oder ein Kurzschluß, daß ich es überhaupt zum Generalsekretär gebracht habe. Irgend jemand muß gedacht haben, daß ich in der Partei wäre, denn später war es offensichtlich ein Schock für [Ursula] Ragwitz in der ZK-Abteilung der SED. Aber, als sie das erfuhr, war es zu spät. Ich war nominiert und gewählt worden.“182 Kaufmanns Nominierung versetzte den DDR-PEN in eine besondere Situation. Zwischen dem Generalsekretär und dem ZK der SED beschränkte sich die Kommunikation auf das Nötigste. Der Kontakt war nach Kaufmanns Aussagen nur ganz gering, in meinem Fall von dem Moment an, als die Ragwitz erfuhr, daß ich nicht Mitglied der SED sei. Ich wurde nicht mehr zu den von ihr einberufenen Versammlungen eingeladen und sie siezte mich von einem Tag zum anderen wieder. Ich bin nur ein einziges Mal [bei ihr] gewesen und habe schon eine kräftige Einflussnahme gespürt. Der Mann, der vom ZK zu uns kam, war ein sehr bescheidener und zugänglicher Mensch, der uns wenig eingeredet hat und mit dem man auch ganz offen und verständnisvoll reden konnte und der ging dann wieder seiner Wege und gab uns grünes Licht für unsere Arbeit.183

In der Folgezeit gab es Veränderungen in der PEN-Arbeit. Zwar setzte Kaufmann keine grundlegenden Reformen in Gang und es gelang ihm auch nicht, den PEN aus der Lethargie zu befreien. Aber er setzte neue Akzente. Kaufmann bemühte sich, die Präsenz des DDR-PEN im eigenen Land zu stärken und investierte viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen. Die Lesungen und Vorträge von Schriftstellern und Wissenschaftlern der DDR plante er häufig in Kooperation mit anderen Institutionen: Partner waren wie schon zuvor der Schriftstellerverband der DDR, der Club der Kulturschaffenden und der Kulturbund. Gewicht erhielt aber auch der Austausch mit bundesdeutschen Kollegen. Kaufmanns Einladung folgten Gert von Paczensky, Wilhelm von Sternburg, Max von der Grün, Ralph Giordano und Günter Gaus. Letzterer wertete seine Einladung als Zeichen des Wandels: „[N]och vor wenigen Jahren habe er es für unmöglich gehalten, daß er vom PEN-Zentrum zu einer Lesung eingeladen werde. Die Tatsache allein, daß er hier lesen und diskutieren dürfe, spreche für gewisse Veränderungen zum Guten während der letzten 10 Jahre.“184 Dass die Freiräume tatsächlich größer wurden, belegt auch die Tatsache, dass das politische Sorgenkind Stefan Heym im PEN lesen durfte. Sogar Jurek Becker, der bereits Ende der 1970er Jahre das Land gen Westen verlassen hatte, durfte im Mai 1989 eine öffentliche Lesung bestreiten. Kaufmann indes gelang deren Durchsetzung ohne größere Probleme. Die Versuche des Generalsekretärs, innerhalb des PEN-Zentrums kulturpolitische Probleme zu diskutieren, wurden jedoch im Keim 182 Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995. 183 Ebd. 184 Information über eine Lesung des ehemaligen BRD-Politikers Günter Gaus am 11. 6. 1987 im Klub der Kulturschaffenden ‚Johannes R. Becher‘ in Berlin (12. 6. 1987). BStU, MfS, HA XX, ZMA 401, Bd. 1a, Bl. 130–133, hier Bl. 133.



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erstickt: Kamnitzer war ein nicht zu unterschätzender Gegenspieler, der versuchte, jede kritische Auseinandersetzung innerhalb des PEN zu unterbinden. Doch so sehr Kaufmann sich um die Aktivität im Landesinneren sorgte: Sein Blick richtete sich hinsichtlich der PEN-Arbeit verstärkt auf das internationale Feld und insbesondere auf die Kernarbeit der Schriftstellervereinigung – den Einsatz für verfolgte Schriftstellerkollegen. Ein Signal dieser Stoßrichtung setzte er auf der Generalversammlung 1987, dem ersten Markstein seiner Tätigkeit als Generalsekretär, mit der Verlesung der internationalen PEN-Charta vor den versammelten Mitgliedern – ein völliges Novum. Kaufmanns Tätigkeit gab dem internationalen Auftritt des DDR-PEN eine Prägung, die sich an den persönlichen Interessen des Generalsekretärs ausrichtete. Maßgeblich waren dabei zwei Faktoren: Zum einen dürfte der parteiliche Einfluss auf Kaufmann durch dessen fehlende Bindung an die Partei weniger nachhaltig gewirkt haben. Zum anderen spielte Kamnitzers sukzessiver Rückzug von der internationalen PEN-Arbeit eine Rolle; er ließ Kaufmann weitestgehend freie Hand. Kaufmann selbst war kein Freund von Resolutionen, die auf Geheiß der kulturpolitischen Funktionäre den sozialistischen Interessen dienen sollten. Gleichwohl war er kein stummer Vertreter der DDR. Er veränderte jedoch den Ton, trat ruhig und sachlich auf – nicht als Gegner des sozialistischen Regimes, aber auch nicht als blinder Verteidiger. Die kategorische Weigerung, die Verfolgung von Schriftstellerkollegen im eigenen Lande auch als solche zu benennen, wurde abgelöst von einem regen Interesse an der Arbeit des WiPC. Schon auf dem Kongress in New York (1986) demonstrierte Kaufmann seine Haltung gegenüber dem WiPC: „It was far more important that the work of the Writers in Prison Committee should continue unhampered.“185 Und auch in Hamburg wiederholte er sein Bekenntnis zum WiPC und sicherte dessen Tätigkeit Unterstützung zu. Die Entscheidung, den Weg entgegen der offiziellen Linie der Partei zu beschreiten, erwuchs aus den Gewissenskonflikte[n], wenn wir gegen Unrecht stimmten, das in der westlichen Welt stattfand und schwiegen oder uns enthielten, wenn es um sozialistische Länder ging. Da gab es für mich den entscheidenden Bruch mit dieser Art von Handhabung auf dem Kongreß in New York. Nachdem ich mich überzeugt hatte von der Wahrscheinlichkeit dieser Wahrheit, von der Richtigkeit konnte man sich ja nie überzeugen, in Bezug auf die Inhaftierung von sowjetischen Schriftstellern, wo Namen genannt wurden, Schriften, Beweise vorgetragen wurden, case histories publiziert wurden, daß ich nicht mehr wie früher nachfragte; ist das überhaupt ein Schriftsteller oder handelt es sich um einen kriminellen Fall. All diese Machenschaften habe ich dann nicht mehr mitgemacht und es ist mir nicht wohl dabei gewesen, aber ich habe sie nicht mehr mitgemacht. Und ich war froh, daß ich zum Hermlin gehen konnte und ihn um Rat bitten. Er hat mir gesagt: stimme nach deinem Gewissen ab. Ich war irgendwie froh, daß ich mit dieser Art der Abstimmung mit mir ins Reine gekommen bin.186 185 Minutes of the Assembly of the Delegates of International P.E.N. held in New York in 14th and 15th January, 1986, S. 65. PAL. 186 Therese Hörnigk: Unveröffentlichtes Interview mit Walter Kaufmann am 20. 10. 1995.

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Kaufmann war es gelungen, sich von der Indoktrination durch Kamnitzer, der insbesondere den WiPC-Beauftragten Michael Scammell stetig antisozialistischer und antisowjetischer Aktivitäten beschuldigte, zu befreien: Ich bin sehr stark von [Kamnitzer] beeinflusst worden mit Blick […] auf Scammell (…). Ich kam [Scammell] immer näher […]. Irgendwann dachte ich mir, […] alles, was er hier sagt, entspricht meinen eigenen Empfindungen, Gefühlen und Vermutungen. Es hat ein bis zwei Jahre gedauert, bis ich so dachte. Der Einfluß von hier war stark. Ich habe an den Versammlungen von Writers in Prison teilgenommen, ohne daß wir schon Mitglied waren.187

Durch die Anbindung an den Internationalen PEN und die Erfahrungen, die Kaufmann auf internationaler Ebene machte, war ein Entwicklungsprozess angestoßen worden, an dessen Ende die Emanzipierung des Generalsekretärs von den staatlichen Regulierungsbehörden stand: Der Einfluß auf unsere Arbeit […] war in der Wirklichkeit verschwindend klein. Man konnte frei entscheiden, ohne daß irgendwelche Repressalien zu befürchten gewesen wären. Bei all diesen Entscheidungen konnte man seinen Verstand und seinem Gewissen folgen, wenn es sich um Kongresse handelte, die außerhalb [der DDR] stattfanden. Das habe ich sehr schnell herausgefunden, aber nicht schnell genug. Ich wurde erst nach ein, zwei Jahren freier in meinen Entscheidungen, weil ich merkte: der PEN wird nicht angefasst, da halten sie doch noch Distanz. Wir hatten uns doch eine gewisse Unabhängigkeit erhalten. Das spürte man doch immer deutlicher.188

In diesem Wissen regte Kaufmann auf internationaler Ebene Kritik an den rigiden Disziplinierungsmaßnahmen der UdSSR, dem Mutterstaat der DDR, an – ein bis dahin undenkbarer Vorgang! Kaufmanns Öffnung hin zum Internationalen PEN und insbesondere zum WiPC hielt Kamnitzer indessen nicht davon ab, die jüngsten Verhaftungen in der DDR am 17.  Januar 1988, die Mitglieder der pazifistischen und ökologischen Alternativbewegung und der ihr nahe stehenden Literatur betrafen, mit kompromisslosen und staatskonformistischen Kommentaren zu verteidigen, die wiederum negativen Einfluss auf das Verhältnis zwischen den beiden deutschen PEN-Zentren nahmen. Gleichwohl stand Kamnitzer mit seiner engstirnigen Haltung im DDR-PEN einsam da. Die einzigen Präsidiumsmitglieder, die sich außer ihm für den PEN verwandten, waren Kaufmann und Hermlin; beide agierten auf eigene Verantwortung. Kaufmann stand in dieser Angelegenheit mit dem WiPC in Verbindung; Hermlin korrespondierte mit dem internationalen Generalsekretär Alexandre Blokh. Kaufmanns Bereitschaft zur Übernahme einer kooperativen Haltung gegenüber dem Internationalen PEN war es schließlich zu verdanken, dass die Diskussion der Vorgänge in der DDR auf der Exekutive im April 1988 (Cambridge) nicht eskalierte. Die Verantwortlichen des Inter187 Ebd. 188 Ebd.



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nationalen PEN erkannten, in welcher Lage sich der DDR-PEN befand und brachten ihn aus der Schusslinie der internationalen Delegierten. Kaufmann indes versuchte, auf Aufforderung und im engen Rahmen seiner Möglichkeiten, Informationen über die Situation der Inhaftierten in der DDR zu beschaffen und an das WiPC weiterzuleiten. Diese Arbeit war nicht gänzlich erfolglos: [I]ch wußte auch […], daß unter der Oberfläche eine ganze Menge getan wurde, um eine [längerfristige Inhaftierung eines Autors wegen seiner schriftstellerischen Arbeit] zu verhindern. Es ist auch immer sehr schnell Abhilfe geschaffen worden. Sobald über den Internationalen PEN ruchbar wurde, daß es in der DDR Schriftsteller gab, die inhaftiert worden sind wegen ihrer schriftstellerischen Arbeit oder aus welchen Gründen auch immer. Schon vor meiner Zeit, aber auch in meiner Zeit konnte man sich für solche Leute verwenden, und es hat nicht lange gedauert, dann war die Sache behoben. Manchmal auf eine Weise, die nicht immer die eleganteste war, aber meistens so, daß die Schriftsteller, um die es ging, des Landes verwiesen wurden, außer Landes gebracht wurden, oder die Möglichkeit hatten, die DDR zu verlassen. Eines haben wir immer geschafft: schnell raus aus dem Gefängnis, denn es sollte nie ruchbar werden, daß wir […] Schriftsteller im Gefängnis haben. Wir hatten dann ja auch international einen sehr guten Ruf. Man hätte uns vorwerfen können, ja Ihr holt die Leute raus und schiebt sie dann nach Westdeutschland ab, hat aber keiner gesagt. Es wurde so gehandhabt, weil wir diesen Druck ausgeübt haben, nicht daß die Leute in den Westen abgeschoben werden, sondern daß unser Ruf gewahrt bleibt als ein Land, wo keine Schriftsteller im Gefängnis sitzen.189

Auf internationaler Ebene trat das PEN-Zentrum DDR nach der Cambridger Exekutive im April 1988 kaum mehr in Erscheinung. Die Durchführung eines Kongresses in Seoul beantwortete man, ähnlich wie in den 1970er Jahren, mit demonstrativer Nichtteilnahme. Die politischen Umwälzungen in der DDR drängten die internationalen Bestrebungen mehr und mehr in den Hintergrund. In Maastricht (Mai 1989) erschien Kaufmann noch als Delegierter des DDR-PEN und stimmte einer Resolution zu, die die Regierung der SU aufforderte, „to respect the freedom of expression and the right to cultural heritage, values and language of all their subjects.“190 An der PEN-Tagung in Montréal und Toronto, die im September 1989 stattfand, nahm kein Vertreter des PENZentrums DDR teil – die Vorgänge im eigenen Lande beanspruchten volle Aufmerksamkeit. Die Schriftsteller beobachteten die demokratische Revolution in der DDR, die auch für das PEN-Zentrum weit reichende Veränderungen mit sich bringen sollte. *** Am Ende dieser historiographischen Betrachtung steht somit die Erkenntnis, dass das ostdeutsche PEN-Zentrum keine originäre DDR-Gründung war und in einem jahrelangen Prozess immer stärker unter die Ägide des politischen Systems geraten war; dass 189 Ebd. 190 Minutes of the Assembly of Delegates of International P.E.N. held in Maastricht, The Nederlands, May 9 and 10, 1989, S. 49 und 59f. PAL.

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 Dorothée Bores

die Qualität der PEN-Arbeit wesentlich von den Führungspersonen abhängig war; dass der PEN im Osten Deutschlands kein Hort des freien Wortes und keine Keimzelle des Widerstandes gewesen ist; dass der PEN vom DDR-System vor allem für außenpolitische, prosozialistische bzw. prosowjetische Interessen instrumentalisiert worden ist; dass der PEN sich dem Einsatz für verfolgte Autoren im eigenen Land und allen anderen, vor allem sozialistischen Ländern, weitgehend verschlossen hatte; dass das Engagement der Mitglieder des DDR-PEN auf anderen Ebenen zum Tragen kam und mehr auf einem persönlichen ethisch-moralischen Wertesystem basierte als auf den institutionalisierten Grundsätzen der PEN-Charta. Insbesondere das persönliche Engagement, das konkrete Handeln der Mitglieder im Sinne der Charta-Grundsätze erforderte vom Einzelnen viel – nicht nur das Erkennen des Unrechts, sondern auch ein Höchstmaß an charakterlicher Stärke, wie es nicht jedem gegeben war. Und so ist Christa Wolf zuzustimmen, wenn sie vermerkt: „Nicht zu viel – zu wenig haben wir gesagt, und das Wenige zu zaghaft und zu spät.“191

Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen AdK Berlin, Archive von Alexander Abusch, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, DSV, Wieland Herzfelde, Alfred Kurella, Bodo Uhse, Günther Weisenborn, Erich Wendt, Arnold Zweig; PEN-Archiv (Ost) BStU Berlin, Aktenmaterial zu Günter de Bruyn, Günther Cwojdrak, Günther Deicke, Fritz Rudolf Fries, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Heinz Kamnitzer, Hermann Kant, Walter Kaufmann, Rainer Kerndl, Ingeburg Kretzschmar, Dieter Noll, Paul Wiens, Christa Wolf, Arnold Zweig und Einzelakten. DLA, N: Kasimir Edschmid (Konv. P.E.N.), N: Stephan Hermlin ÖNB Wien, HsSlg. Ser. n. 21840 und 21.842 (Robert Neumann) SAPMO-BArch Berlin, Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Ministerium für Kultur, ZK der SED (Büro Hager und Abt. Kultur) SBBPK (Potsdamer Platz), NL Johannes Tralow; NL Heinz Kamnitzer PEN-Archiv (West), Darmstadt (DA) PEN-Archiv London (PAL) Interviews192 mit Günther Deicke*, Walter Kaufmann*, Rainer Kerndl*, Ingeburg Kretzschmar, Rita Schober* und Ernst Schumacher*.

191 Christa Wolf: Störfall. Nachrichten eines Tages. Berlin: Suhrkamp 2009, S. 68. 192 Die mit * versehenen Interviewpartner sind von Frau Therese Hörnigk befragt worden, die freundlicherweise die Typoskripte zur Auswertung überlassen hat.



Im Machtbereich der SED-Diktatur 

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Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Bogdal, Klaus Michael: Wer darf sprechen? Schriftsteller als moralische Instanz – Überlegungen zu einem Anfang und zu einem Ende. In: Weimarer Beiträge 37 (1994), S. 597–603. Bores, Dorothée: „Wenn man ihn kaltstellt und ihn echt isoliert“. Wolf Biermann als Mitglied des DDR-PEN. In: Susanne Muhle, Hedwig Richter und Juliane Schütterle (Hrsg.): Die DDR im Blick. Ein zeithistorisches Lesebuch. Berlin: Metropol 2008, S. 87–96. – : Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: De Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). Brandt, Marion: „Eure kulturpolitischen Probleme können wir nicht lösen“. Dokumente zur Haltung des PEN-Zentrums der DDR zu Polen (1981 bis 1988). In: Deutschland-Archiv 35 (2002) 4, S. 618–628. Bruyn, Günter de: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht. Frankfurt am Main: Fischer 1996. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der PEN-Club. Bonn: [o. V.] 1951. Burgmüller, Herbert (Hrsg.): Deutsches Wort in dieser Zeit. Ein Almanach des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West. München: Das Schiff 1954. Chotjewitz-Häfner, Renate und Carsten Gansel (Hrsg.): Verfeindete Einzelgänger. Schriftsteller streiten über Politik und Moral. Berlin: Aufbau 1997. Corino, Karl (Hrsg.): Die Akte Kant. IM „Martin“, die Stasi und die Literatur in Ost und West. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hrsg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart. Berlin: Klarsicht 1995. – (Hrsg.): Autorenlexikon. Zwischenbilanzen. Berlin: Klarsicht 1996. Deutsches P.E.N.-Zentrum Ost und West (Hrsg.): … aber die Welt ist verändert. Ein Almanach. Zusammengestellt und redigiert von Ingeburg Kretzschmar. Berlin: Verlag der Nation 1959. – (Hrsg.): … daß die Zeit sich wende! Ein Almanach. Berlin: Verlag der Nation 1957. Dieckmann, Friedrich: Der P.E.N., die Hochregale und die Utopie. Anmerkungen zu einem Schriftstellerclub. In: Freibeuter 45 (1990), S. 23–31. Erschienen auch in F. D. (Hrsg.): Glockenläuten und offene Fragen. Berichte und Diagnosen aus dem anderen Deutschland. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 246–265. – : Die jakobinische Krankheit. Anmerkungen zum deutschen PEN-Wesen. In: neue deutsche literatur 5 (1995), S. 176–181. – : PENNIANA SECRETA. Eine Akten-Lese. In: neue deutsche literatur 2 (1996), S. 173–201. Emmerich, Wolfgang: Zwischen Hypertrophie und Melancholie. Die literarische Intelligenz der DDR im historischen Kontext. In: Universitas 8 (1993), S. 778–792. – : Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Kiepenheuer 1997. – : Selbstbegründungsmythen der literarischen Intelligenz in Ost und West nach 1945. In: H. Hastedt, H. Lethen und Thomä (Hrsg.): Orientierung – Gesellschaft – Erinnerung. (Rostocker Philosophische Manuskripte. Neue Folge, Heft 4) Rostock 1997, S. 95–114. Verfügbar unter URL: http://www.deutschlandstudien.uni-bremen.de [Letzter Zugriff: 5. 12. 2013]. Erbe, Günter: Schriftsteller in der DDR. Eine soziologische Untersuchung der Herkunft, der Karrierewege und der Selbsteinschätzung der literarischen Intelligenz im Generationenvergleich. In: DeutschlandArchiv 20 (1987) 11, S. 1162–1172. Goldmann, Bernd (Hrsg.): Hans Henny Jahnn. Schriftsteller Orgelbauer. 1894. 1959. Eine Ausstellung. Wiesbaden: Franz Steiner 1973. – (Hrsg.): Hans Henny Jahnn Peter Huchel. Ein Briefwechsel 1951–1959. Mainz: Hase und Koehler 1974.

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 Dorothée Bores

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Im Machtbereich der SED-Diktatur 

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– : Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem andern Jahr. München, Wien und Basel: Kurt Desch 1968. [o. V.]: Über Toleranz und Geistesfreiheit an die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin: [o. V.] 1951. Pforte, Dietger: Unvereint – vereint. Literarisches Leben in Deutschland. In: neue deutsche literatur 1 (1996), S. 182–209. Rüther, Günther: Überzeugungen und Verführungen: Schriftsteller in der Diktatur. In: Deutschland Archiv 37 (2004), S. 602–611. Spiel, Hilde: Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946–1989. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992. Städtke, Klaus: Zwischen staatlicher Förderung und Lesererwartung. Hat die literarische Intelligenz in der DDR versagt? In: Neophilologus 3 (1993), S. 457–466. Stephan Hermlin. In den Kämpfen dieser Zeit. Berlin: Wagenbach 1995. Thiel, Jens (Hrsg.): Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Berlin: Aurora 2011. Tralow, Johannes: Bericht über die Situation im Deutschen P.E.N. München [und Berlin]: [o. V.] 1951. – : Gelebte Literatur. Autobiographische Skizze. In: J. T. (Hrsg.): Der Beginn. Berlin: Verlag der Nation 1958, S. 7–79. Walther, Joachim, Wolf Biermann, Günter de Bruyn, Jürgen Fuchs, Christoph Hein, Günter Kunert, Erich Loest, Hans-Joachim Schädlich und Christa Wolf (Hrsg.): Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991. Winkler, Lutz: Kulturnation DDR – Ein intellektueller Gründungsmythos. In: Argonautenschiff 1 (1992), S. 141–149. Zimmermann, Hans Dieter: Wozu Pen und Akademie? Die Spaltung nach der Einheit. In: H. D. Z. (Hrsg.): Literaturbetrieb Ost/West. Die Spaltung der deutschen Literatur von 1948 bis 1998. Stuttgart, Berlin und Köln: Kohlhammer 2000, S. 139–146.

Sven Hanuschek

Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution Zur Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989

1 Bemerkungen vorab Im PEN ist immer wieder die ‚Einigkeit der Einzelgänger‘ beschworen worden, die nie viel mehr sein konnte als ein frommer Wunsch (abgesehen von den Writers in PrisonAktionen seit den 1960er Jahren). Bestand diese Einigkeit mindestens auf dem Papier in der Unterzeichnung der Charta durch jedes zugewählte Mitglied, gab es doch zu allen Zeiten des bundesdeutschen Zentrums immer nur eine beschränkte Anzahl von Mitgliedern, die tatsächlich aktiv waren. Die Frequenz, in der sich der ‚Freundesclub‘ als Institution auch konstituierte, war niedrig; es gab nationale und internationale Jahresversammlungen, dazwischen rege Korrespondenzen und wenige Treffen der Mitglieder eines Präsidiums; zeitweilig könnte man aus den Archivunterlagen zumal der 1950er Jahre den Eindruck gewinnen, dass der Club zwischen den Versammlungen nur aus den Aktivitäten von Präsidenten, Generalsekretären und deren jeweiligen Sekretärinnen besteht bzw. bestand – die meisten Mitglieder sahen sich maximal einmal im Jahr. Im Folgenden wird die Entwicklung des bundesdeutschen PEN-Zentrums vom elitären ‚Wohnzimmerverein‘ der 1950er Jahre bis zum großen, repräsentativen Club der 1980er Jahre zusammengefasst, eine ausführliche Version mit der Nennung und Aufarbeitung aller Quellen und der jeweiligen Kontexte ist bereits vorgelegt worden.1 Nachdem es nicht nur um eine Institutionengeschichte geht, sondern auch um Mentalitätsgeschichte eines wichtigen Bereichs im literarischen Leben, um Intellektuellengeschichte und einen wohl singulären Versuch, schreibende Intellektuelle weltweit freundschaftlich zusammen zu bringen, müsste von kollektiven Selbstbildern und Selbsttäuschungen die Rede sein, angesichts des doch nur sehr temporären Kollektivs der Einzelgänger eine einigermaßen paradoxe Aufgabe. Oft müssen die Präsidenten, Generalsekretäre und Beiratsmitglieder als das Kollektiv genommen werden, für das sie doch nur bedingt standen; sichtbar wurde das immer besonders, wenn sie 1 Diese ist stets die Grundlage der hier vorliegenden Darstellung; vgl. Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98); als bebilderte Kurzfassung vgl. S. H.: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben. Ausstellung und Katalog. Darmstadt 2011. – Als Pendant für die ostdeutsche P.E.N.-Geschichte vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121).



Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution 

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unterschiedlichen Fraktionen angehörten und sich also schon untereinander einig werden mussten. Häufig sind Höhepunkte der Aktivitäten dieser Schriftstellervereinigung durch politische Ereignisse in der deutschen Geschichte oder der Geschichte der alten Bundesrepublik generiert worden; der Kalte Krieg wie der Mauerbau, die Spiegel-Affäre und 1968, auch der Prozess der deutschen Einheit beschäftigte den PEN intensiv, manchmal über die breite öffentliche Diskussion hinaus, mal vorpreschend, mal hinterherhinkend. Über den ganzen Zeitraum der knapp vier Jahrzehnte ist eine zunehmende Politisierung des deutschen PEN zu beobachten. Gesellschaftliche und mentalitätsgeschichtliche Prozesse finden innerhalb eines kulturellen Kontextes statt; und der Mensch ist ein Wesen, „das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe“. Auch im vorliegenden Band ist Literaturwissenschaft in der Beschreibung solcher Prozesse eine interpretierende Wissenschaft, ähnlich der Ethnologie Clifford Geertz’, „die nach Bedeutungen sucht“, der es „um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen“ gehen muss, „die zunächst rätselhaft scheinen.“2 Es mag zuerst etwas rätselhaft erscheinen, warum sich habituelle Einzelgänger in einer solchen Institution zusammenfinden, in der es gerade nicht um ständische Fragen geht wie im Verband deutscher Schriftsteller (VS). Und die Gründe werden nicht immer dieselben sein; auch sie sollen in der folgenden Darstellung wenigstens kursorisch thematisiert werden.

2 Von der Wiedererrichtung zur Spaltung Nach der Wiedererrichtung des deutschen PEN auf dem internationalen Kongress in Zürich 1947 wurden die Spaltungstendenzen des Kalten Krieges auch zwischen den Schriftstellern aus den ost- und westdeutschen Besatzungszonen schnell manifest, obwohl noch Einigkeit über die Notwendigkeit bestand, die Verantwortung auch von Literatur nach 12 Jahren NS-Diktatur aufzuarbeiten. Alle deutschen PEN-Mitglieder, in West und Ost, achteten bei den Zuwahlen neuer Mitglieder peinlich darauf, keine mit dem Nationalsozialismus verstrickten Schriftsteller aufzunehmen. Bis 1949 war das zu diesem Zeitpunkt noch gesamtdeutsche PEN-Zentrum auf 52 Mitglieder angewachsen, die auf ihrer Jahresversammlung in München weitere 42 hinzuwählten und sich eine Satzung gaben. Äußerer Anlass der Spaltung wurde eine umstrittene Rede von Johannes R. Becher, mit der er seinerseits auf den „Kongress für kulturelle Freiheit“ in Berlin reagierte. Der Kongress wurde tatsächlich, wie mittlerweile bekannt ist, vom CIA mitfinanziert, Arthur Koestler und James Burnham waren unter den 2 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: C. G.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Übersetzt von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 51998, S. 7–43, hier S. 9.

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Hauptrednern, auch einige deutsche PEN-Mitglieder nahmen teil (Günter Birkenfeld, Hermann Kesten, Eugen Kogon, Rudolf Pechel und Dolf Sternberger). Burnham bekannte in seiner Rede: Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich hinzufügen, daß ich nicht unter allen Umständen gegen Atombomben bin. Ich bin gegen die Bomben, die jetzt oder später in Sibirien oder im Kaukasus gestapelt werden, und die für die Zerstörung von Paris, London, Rom, Brüssel, Stockholm, New York, Chicago, Berlin und der westlichen Zivilisation im allgemeinen bestimmt sind. Aber ich bin […] für die in Los Alamos […] hergestellten Bomben, die irgendwo in den Bergen oder in den Wüsten Amerikas bewacht werden.3

Becher antwortete auf dem Deutschen Schriftstellerkongress in Ostberlin, der als Gegenveranstaltung gedacht war, womöglich noch harscher: Wenn solche Leute anläßlich des Spitzel- und Kriegsbrandstifter-Kongresses, wie er vor einiger Zeit in Berlin stattfand, an Arnold Zweig, Anna Seghers, Bertolt Brecht und mich die Aufforderung gerichtet haben, uns mit ihnen zusammenzusetzen und zu diskutieren, so antworten wir ihnen: Mit Spitzeln und Kriegsverbrechern gibt es keinerlei Art von Diskussion. Solche Leute sind für uns keine Gesprächspartner. Wir setzen uns mit ihnen so weit wie möglich auseinander, um nicht in Tuchfühlung mit ihnen zu geraten, die ja längst keine deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Schriftsteller mehr sind, sondern die sich längst als Handlanger der Kriegshetzer in eine Bande internationaler Hochstapler verwandelt haben, in literarisch getarnte Gangster.4

Die Injurien dieser ‚Wechselrede‘ legten den Ton für die kommenden Monate fest; Birkenfeld, Pechel und Plievier wandten sich in einem Rundschreiben gegen Bechers Wiederwahl ins PEN-Präsidium und verlangten die „Trennung von der Gruppe Becher“, gemeint war: von allen DDR-Autoren. Dennoch wählte die westdeutsche Mehrheit auf der Jahresversammlung in Wiesbaden (4.–7. 12. 1950) erneut Becher in den Vorstand, neben Erich Kästner und Hermann Friedmann; trotz der offenen Kontroverse um Becher als Vertreter des „ostzonalen Unterdrückungssystems“ wollte eine Mehrheit wenigstens den Zusammenhalt deutscher Schriftsteller erhalten, gerade gegen die Positionen auf dem ideologischen Kampffeld. Als Folge dieser Wahl traten Pechel, Plievier, Birkenfeld und einige andere aus dem Club aus. Die politische Sonderrolle, die der deutsche PEN zwischen den Fronten des Kalten Krieges spielen wollte, wurde in der Folge offen von politischen Institutionen torpediert, zuerst vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen unter Minister Jakob Kaiser: Es veröffentlichte die Broschüre Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R.  Becher und der P.E.N.-Club – ohne die Verfasser der nachgedruck-

3 James Burnham: Die Rhetorik des Friedens. In: Der Monat 2 (Juli/August 1950) 22/23, S. 448–455, hier S. 451f. 4 Johannes R. Becher: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697–703, hier S. 697.



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ten Zeitungsartikel aus der aktuellen Debatte um Bechers Rede zu fragen.5 Einer von ihnen, Axel Eggebrecht, erwog daraufhin eine Klage auf Verletzung des Urheberrechts. Keinen Monat später erschien eine Gegenbroschüre Standort des deutschen Geistes oder: Friede fordert Entscheidung. […] Eine Antwort, herausgegeben vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands.6 Nachdem die internationale PENZentrale den Becher-Konflikt weder schlichten noch entscheiden wollte, versuchte Kasimir Edschmid, durch eine geheime Briefwahl außerhalb der Satzung neue Fakten zu schaffen. Die Mitglieder sollten die drei Präsidenten neu wählen, „damit wir vor dem Kongress in Lausanne Bescheid wissen“. Der Plan schlug fehl. In Lausanne (22.– 27. 6. 1951) vermittelte Robert Neumann, dass eine von den anwesenden DDR-Autoren (Becher, Stephan Hermlin und Arnold Zweig) formulierte umstrittene Friedensresolution durch US-amerikanische Delegierte eingebracht wurde. Erich Kästner, der als stimmberechtigter Delegierter teilnahm, erreichte zusammen mit dem Emigranten Richard Friedenthal, dass die Resolution nicht beschlossen, sondern an die einzelnen Zentren zur Abstimmung verwiesen wurde. In der Bundesrepublik verschärften sich die Töne des Kalten Kriegs. Karl Friedrich Borée ließ im Oktober 1951 seine Kampfschrift Über Toleranz und Geistesfreiheit veröffentlichen, eine Broschüre, die in einer Art Schwarzer Liste die Biographien ostdeutscher Schriftsteller polemisch verzerrt; hier zwei der prominenten Namen als Auszug: BERT BRECHT: Neben Friedrich Wolf der meistgespielte Dramatiker in der Sowjetzone; Mitglied des ‚Deutschen Friedensrates‘; Unterzeichner des ‚Stockholmer Friedensappells‘, Verfasser des ‚Herrnburger Berichts‘, einer eindeutig kommunistischen Propaganda- und Hetzdichtung; vom Zentralkomitee der SED im März 1951 ausdrücklich belobigt. […] PETER HUCHEL: Vorsitzender des Schriftstellerverbandes im Sowjetsektor Berlins; Chefredakteur der staatlich finanzierten Zeitschrift ‚Sinn und Form‘, deren Aufgabe es ist, den intellektuellen Westen zu zersetzen.7

Die Spaltung wurde nach der vierten Jahrestagung des gesamtdeutschen PEN in Düsseldorf vollzogen (23.–25. 10. 1951). Verlief die Debatte über die Lausanner Friedensresolution noch recht konstruktiv, wurde trotz aller Vorgeschichten Johannes R. Becher erneut ins Präsidium gewählt, neben Johannes Tralow als geschäftsführenden Prä5 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der P.E.N.-Club. Bonn: [o. V.] 1951. 6 Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (Hrsg.): Standort des deutschen Geistes oder: Friede fordert Entscheidung. Johannes R. Becher und der P.E.N.-Club. Eine Antwort. [Berlin 1951]. 7 Karl Friedrich Borée: Über Toleranz und Geistesfreiheit. An die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin 1951, S. 13. – Gezeichnet ist die Broschüre zudem von Martin Beheim-Schwarzbach, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann, Rudolf Alexander Schröder und Georg von der Vring.

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sidenten und Günter Weisenborn zum dritten Präsidenten. Kasimir Edschmid wollte nicht Generalsekretär werden, an seiner Statt wurde daraufhin Hans Henny Jahnn gewählt. Aufgrund der „unüberbrückbaren Gegensätze“ – weil sie sich von der DDRMinderheit majorisiert fühlten, und weil demokratische Mittel nicht ausgereicht hatten – beschloss eine Gruppe von zwölf westdeutschen Autoren die Errichtung eines selbständigen PEN-Zentrums der Bundesrepublik. Axel Eggebrecht und HansErich Nossack, in Abwesenheit in den Vorstand gewählt, erklärten ihr Bedauern über die Spaltung und lehnten ihre Wahl in das „Präsidium der Rumpfgruppe“ ab. Die in Westdeutschland lebenden Noch-Mitglieder Eggebrecht, Weisenborn, Nossack, Beheim-Schwarzbach und Jahnn baten Becher brieflich, er möge im Interesse eines „gesamtdeutschen“ PEN aus dem Präsidium „zugunsten eines anderen Schriftstellers in der DDR“ zurücktreten; diese Aktion sollte der letzte Rettungsversuch bleiben. Die Spaltung war vollzogen, am 3./4. Dezember 1951 fand in Darmstadt die Gründungsversammlung des „Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik)“ statt; von 43 Mitgliedern waren 18 anwesend, im folgenden Jahr wurden auf einer Tagung des internationalen Exekutivkomitees in Paris vorläufig beide deutschen Zentren anerkannt. Die endgültige – vor allem auch gegenseitige – Anerkennung zog sich noch über Monate hin.

3 Als Wohnzimmerverein und Freundschaftsclub gegen den Kalten Krieg Auf der Gründungsversammlung im Dezember 1951 in Darmstadt wählten die Anwesenden Erich Kästner zum Präsidenten und Kasimir Edschmid zum Generalsekretär, Hermann Friedmann wurde Ehrenpräsident. Als Abspaltung des ursprünglich gesamtdeutschen Zentrums flossen nicht wenige Energien der kommenden Jahre in die Konstituierung und Darstellung des eigenen Zentrums vor dem Internationalen PEN, dem stets klar gemacht werden sollte, dass der ostdeutsche Club, der lange Zeit auch Westmitglieder hatte, sich nicht ‚gesamtdeutsch‘ nennen dürfe (obwohl dieser den Anspruch bis 1967 aufrecht erhielt). Gleichzeitig versuchten die Autorinnen und Autoren, sich vom Kalten Krieg nicht vereinnahmen und die Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen in der DDR nicht ganz einfrieren zu lassen – eine andere Quadratur des Kreises, gleichsam. Der „Freundschaftsclub“ bestand aus Davongekommenen, einem kleinen Grüppchen um Edschmid in Darmstadt, einem kleinen um Kästner in München (der gern vom ‚Stammtisch‘ sprach), vielen ‚inneren‘ Emigranten, durch persönliche Freundschaften auch einigen wirklichen Emigranten. Neben Friedmann sind vor allem Wilhelm Sternfeld und Richard Friedenthal zu nennen, der als Verlagsleiter von Droemer Knaur und als Emigrant, der weiterhin zwischen London und München pendelte, wichtige Vermittler-Aufgaben zwischen der Londoner Zentrale und den Bundes-



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deutschen übernahm, nicht ohne die Kollegen gelegentlich auch etwas zu dirigieren. Die Schnittmenge mit Autoren der ‚Gruppe 47‘ war durchaus vorhanden, aber einige Jahre lang sehr klein. Das Zentrum blieb einige Jahre relativ konstant bei etwa 120 Mitgliedern, die sich dank dieser Größe und den beiden starken regionalen Fraktionen tatsächlich noch freundschaftlich verbunden fühlen konnten und sich gegenseitig halfen, auch finanziell. Man kann sich das soziale Leben des Clubs in diesen Jahren wohl kaum klein genug vorstellen; eine Amtsübergabe etwa war denkbar schlicht, nachdem die ersten Generalsekretäre in ihren Darmstädter Privatwohnungen arbeiteten und zwar eine Sekretärin hatten, aber die Aufgaben der Geschäftsführung noch in Personalunion mit-erledigten, für die erst in den 1960er Jahren eine bezahlte Stelle geschaffen wurde. Edschmids PEN-Büro war ein Kämmerchen neben dem Wohnzimmer mit ein paar Regalen, Walter Schmieles sein Arbeitszimmer, Besucher wurden im Wohnzimmer empfangen. Die Übergabe von Schmiele an Rudolf Krämer-Badoni ging so vor sich, dass letzterer aus dem nahen Wiesbaden „mit dem Auto hier vorgefahren“ kam und „den P.E.N. in seinen Kofferraum geräumt [hat], dann war er weg“.8 Wie wichtig waren Jahresversammlungen und internationale Kongresse für die politische Meinungsbildung, für die Entschlussfassung? Die wichtigen Entscheidungen sind in den meisten Fällen auf Vorstands- bzw. Exekutivsitzungen gefallen, zumal die internationalen Treffen in erster Linie gesellschaftliche Ereignisse waren. Auch auf deutschen Jahresversammlungen wurde eher selten diskutiert und gestritten, der Vorstand brachte möglichst gut vorbereitete Entscheidungen zur Abstimmung. Die Veranstaltungen, für die der PEN die meiste öffentliche Beachtung fand, standen also in den 1950er Jahren noch am ehesten in der Tradition des ursprünglichen DinnerClubs, auch die Tagungsorte waren oft wegen geeigneter persönlicher Verbindungen ausgesucht worden. Richard Friedenthal beschrieb den Sinn von Tagungen als rein kommunikativ, er habe auf Kongressen „die reizendsten Bekanntschaften gemacht“, er habe „Freunde wiedergetroffen und neue gewonnen“. Kongresse seien „wandelnde Café-Häuser“, in denen freimütig erzählt werden könne – freimütiger, als man je schreiben würde. „Wir sind Menschen begegnet auf diesen Kongressen, an solchen Abenden. Das ist viel.“9 Das Büro verschickte Glückwunschtelegramme zu runden Geburtstagen, Beileidstelegramme an Hinterbliebene, Genesungswünsche in Krankenhäuser; auch international bedeutete der Begriff ‚Freundesclub‘, dass sich die Mitglieder im Büro vor Reisen erkundigen konnten, wen sie besuchen konnten, wo das dortige PEN-Büro sei und dergleichen mehr, umgekehrt meldeten sich ausländische Gäste im Darmstädter Büro. Auch Literaturpreise wurden als Freundschaftsdienste verstanden, Kästner z. B. verteilte sein Büchner-Preisgeld an Autorinnen und Autoren, die es gerade drin-

8 Gespräch des Verfassers mit Walter Schmiele am 3. 7. 1995. 9 Richard Friedenthal: Die Party bei Herrn Tokaido. Begegnungen im heutigen Japan. München: Piper 1958, S. 37f.

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gend brauchten.10 Zusammen mit Edschmid vermittelte er Legate für Hermann Friedmann, Martin Kessel, mehrfach auch Ernst Kreuder. Wie unter Schriftsteller- und Künstlerfreunden notorisch, konnten die Freundschaften freilich immer wieder zu Feindschaften verblassen, die sich in jahrelangen Intrigen und Animositäten äußerten; es ist ja auch nicht einzusehen, warum Schriftsteller ein weniger nachtragender Berufsstand sein sollte wie alle anderen. Edschmid beschrieb die Besonderheiten des PEN gegenüber der Vereinslandschaft der Zeit zusammenfassend damit, dass es sich eben um einen Club handle und nicht um einen Verein, dass seine Haltung durch die in der CHARTA niedergelegten Ideen bestimmt werde und dass der PEN, der natürlich geselliges und kameradschaftliches Leben pflegen wolle, in keiner Weise durch besonderes öffentliches Hervortreten im Wettstreit mit Gremien treten dürfe, die ihre Aufgabe in ‚Veranstaltungen‘ sähen. Die grosse Autorität des PEN bestehe in seiner internationalen Verflechtung und darin, dass man an seine innere Kraft glaube. So hatte der PEN-Club bei der den Künsten gewidmeten Tagung der UNESCO in Venedig so viele Stimmen wie ein einzelnes Land.11

Diese Einschätzung wurde auf der Münchner Jahresversammlung 1954 abgegeben, und einigen Mitgliedern scheint sie nicht ausgereicht zu haben; sie fragten nach, woher der PEN seine Autorität nehme, und wer warum an die Kraft des Clubs glaube. Edschmids Antworten blieben vage, sein Hauptargument, warum der PEN auch ohne Veranstaltungen angesehen sei, war die pure Zahl der Bewerber, die aufgenommen werden wollten. Einer der journalistischen Berichterstatter monierte, der „stille“ Club mache so gar keine Anstalten, wieder ein repräsentatives Forum zu werden, wie es in der Weimarer Republik die Berliner Akademie gewesen sei (der Weimarer PEN war allerdings auch keines gewesen).12 In der ersten Hälfte der 1950er Jahre war das Zentrum vor allem damit beschäftigt, Beziehungen zu anderen Clubs aufzubauen und selbst möglichst renommierte Autoren zu rekrutieren; die Verbindungen zum Internationalen PEN waren durch die Emigranten sozusagen kommunikativ gesichert, mit Kolleginnen und Kollegen des deutschschweizerischen und österreichischen Zentrums war man befreundet, Verbindungen zu den Clubs anderer Nationen waren eher zufällig auf internationalen Kongressen entstanden. Am sensibelsten wurde natürlich die Kommunikation mit dem Deutschen PEN-Zentrum Ost und West gehandhabt. Nach den Trennungsquerelen und den Versuchen, dem je anderen Club das Existenzrecht abzuerkennen, bemühte man sich etwa seit Mitte der 1950er Jahre um freundliche Distanz; man 10 Emil Barth, Werner Helwig, Martin Kessel, Oda Schaefer, Martha vom Scheidt-Saalfeld. 11 Protokoll Kasimir Edschmid, n. dat. (über das Jahr 1953, der Bericht dürfte aus dem ersten Quartal 1954 stammen), S. 1. DLA, NL Wilhelm Lehmann. 12 Kuckuck: Unser Literaturbummel. Der stille PEN-Club. In: Abendzeitung, 24. 4. 1954. – Zum Weimarer PEN vgl. Ernst Fischers Beitrag in diesem Handbuch, S. 71–132.



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kondolierte beim Tod früherer Präsidenten oder Ehren-Präsidenten, war sich einig in der Ablehnung der Hetztiraden des Kalten Kriegers William S. Schlamm13 und sprach sich gegen Zensur aus. Als das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West in Hamburg eine Jahresversammlung abhalten wollte, wurde das von der Polizei verhindert – mit der Folge, dass der Zeit-Verleger Gerd Bucerius die ostdeutschen Kollegen ein Jahr später zu einer Debatte über den „P.E.N. in unserer Zeit“ einlud. Allerdings diskutierten auf der westdeutschen Seite nicht Mitglieder des PEN, sondern von Bucerius geladene Vertreter (Hans Magnus Enzensberger, Martin Beheim-Schwarzbach und Marcel Reich-Ranicki) mit Wieland Herzfelde, Peter Hacks und Heinz Kamnitzer; die Debatte erschien danach als Taschenbuch und ist mittlerweile auch wissenschaftlich gut aufgearbeitet.14 Wenn man nachfragt, in welchen Aktionen die „durch die Charta niedergelegten Ideen“, von denen Edschmid sprach, sich denn geäußert haben, ist das Resultat in den Anfangsjahren recht bescheiden. Die ersten Präsidien bestanden auf dem ‚Club‘ und waren überzeugt von der Wirkungslosigkeit von Resolutionen; Walter Schmiele, Generalsekretär direkt nach Edschmid, hat erzählt, die Wirkung habe sich auf ein paar Pressemeldungen und Anrufe bei ihm im PEN-Büro (also: bei ihm zu Hause) beschränkt, „die Entscheidungen fallen anderswo“.15 Eigene Veranstaltungen gedachten der NS-Bücherverbrennung, die Proteste des Clubs betrafen vor allem Themen wie Buchzensur, das neue Jugendschutzgesetz und neonazistische Literatur. Mitte der 1950er Jahre beruhigte sich der Kalte Krieg etwas, der Londoner Kongress verlief unverhofft harmonisch; das hatte mit der Niederschlagung des ungarischen Aufstands 1956 durch sowjetische Truppen wieder ein Ende und in der Folge der zeitweiligen Suspendierung des ungarischen PEN-Zentrums. Der bundesdeutsche PEN beteiligte sich an Solidaritätsaktionen; westdeutsche Kollegen ‚adoptierten‘ einige der ungarischen Schriftsteller, das heißt, sie unterstützten sie auch materiell, schickten Pakete mit Lebensmitteln und Textilien oder sandten die entsprechenden Gelder an die Londoner Exekutive. Das Engagement war allerdings quantitativ geringfügig – nur vier Autoren übernahmen eine Patenschaft, einige weitere überwiesen Geld, „und man darf wohl sagen, dass die Bereitschaft Entschliessungen zu formulieren zu der Bereitschaft Pakete zu versenden sehr im Missverhältnis steht.“16 Wenige PEN-Mitglieder initiierten größere politische Aktionen außerhalb des Clubs; Ernst Kreuder beispielsweise setzte sich erfolgreich dafür ein, dass Jan Herchenröder aus einem sächsischen Zuchthaus entlassen wurde und die DDR verlassen konnte; und er initiierte die vielleicht bedeutendste Aktion gegen atomare Auf13 William S. Schlamm: Die Grenzen des Wunders. Ein Bericht über Deutschland. Zürich: Europ 1959. 14 Josef Müller-Marein und Theo Sommer (Hrsg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Hamburg: Rütten und Loenig 1961. – Vgl. jetzt die ausführliche Dokumentation von Jens Thiel (Hrsg.): Ja-Sager oder Nein-Sager. Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West 1961. Berlin: Aurora 2011. 15 Gespräch des Verfassers mit Walter Schmiele am 3. 7. 1995. 16 Walter Schmiele an Erich Kästner (13. 5. 1957). DLA, Slg. Erich Kästner.

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rüstung der Zeit. Sie war als Aufforderung an den damaligen Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Erich Ollenhauer (SPD) gerichtet; im Briefkopf wies Kreuder ausdrücklich auf seine PEN-Mitgliedschaft hin. Unter den mehr als 30 Unterzeichnern fanden sich PEN-Vorstände wie Mitglieder, auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Ilse Aichinger, Wolfgang Hildesheimer, Wolfgang Koeppen, Arno Schmidt, zum Teil nicht im PEN, die nicht gerade für ihre Freudigkeit bekannt waren, politische Resolutionen zu unterzeichnen. Der pathetische Aufruf an die SPD als stärkster Oppositionspartei trägt deutlich Kreuders Handschrift und spricht auch von einer „Lüge von der bevorstehenden Aggression der Sowjetunion“, die ebenso über die Folgen eines Angriffs mit thermonuklearen Waffen Bescheid wisse. Die Unterzeichner erwarteten vom kommenden Parteitag, dass die SPD-Politiker unerschrocken der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr, die wir für moralisch verwerflich und illegal halten, entgegentreten. Unerschrocken, unnachgiebig und unerbittlich. […] Atomwaffen in den Händen deutscher Militärs sind eine unverantwortliche und unzumutbare Bedrohung der Weltgegenwart. Ihre Anwendung bedeutet in jedem Falle die Zerstörung der abendländischen Kultur, die Vernichtung unseres Erdteiles. Allein der Gedanke an eine solche Anwendung ist satanisch, er steht in unbestreitbarem Widerspruch zu den religiösen Grundgesetzen jeder, nicht nur der christlichen Glaubensgemeinschaften. Den Namen eines Weltschöpfers mit dem Abwurf einer einzigen Atombombe in Verbindung zu bringen, ist ein geistiges Verbrechen. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie jeden erdenklichen Widerstand leisten gegen eine atomare Aufrüstung. Hierzu gehört auch die bedingungslose Ächtung der Atomwaffen. […] Wir sind die Davongekommenen des Hitlerschen Krieges und protestieren gegen jede Art von Kriegsvorbereitung, besonders auch der geistigen.17

Kreuders Appell ist auch deshalb interessant, weil ihm 1957 ein Brief Arnold Zweigs, des Präsidenten des PEN Ost und West, an das westdeutsche Zentrum vorausgegangen war. Zweig hatte als Geste der Annäherung eine gemeinsame Erklärung der beiden Zentren angeregt, in der „zur Göttinger Professoren-Resolution und zum Appell Albert Schweitzers gegen die Anwendung von Kernwaffen Stellung genommen werden soll“.18 Zweigs Geste wurde abgelehnt: Der PEN (Bundesrepublik) habe sich bereits im Februar  1957 zu der Londoner Erklärung gegen den Krieg mit Atomwaffen ausdrücklich bekannt und überdies bereits von sich aus mit einer Erklärung den Schweitzer-Appell unterstützt. So nachvollziehbar diese Entscheidung inhaltlich ist, ließe sich doch fragen, wie der PEN (Bundesrepublik) auf eine entsprechende Aufforderung etwa des schwedischen oder des österreichischen Zentrums reagiert hätte. Der größte diplomatische und politische Erfolg des PEN (Bundesrepublik) in den 1950er Jahren war sicher die Organisation des internationalen PEN-Kongresses 17 Ernst Kreuder an den Parteitag der SPD, z. Hd. Ernst Ollenhauer (Ende April 1958). DLA, NL Ernst Kreuder (samt Vorstufen erhalten). Erstdruck in E. K.: Die Gesellschaft vom Dachboden. Erzählungen, Essays, Selbstaussagen. Hrsg. von Peter-Alexander Fiedler. Berlin und Weimar: Aufbau 1990, S. 572–574. 18 Rundschreiben (künftig: Rs.) Walter Schmiele (August 1957), S. 3. DLA, NL Wilhelm Lehmann.



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1959 in Frankfurt am Main mit dem Thema „Schöne Literatur im Zeitalter der Wissenschaft“. Der Generalsekretär des Internationalen PEN, David Carver, hatte schon ein paar Jahre zuvor versucht, einen solchen Kongress in Deutschland zu lancieren, wo der letzte 1926 stattgefunden hatte. Die Blockbildung in Ost und West war ja Mitte der 1950er Jahre ans Ende gekommen, die deutsche Teilung stand ebenso fest wie die Westintegration der Bundesrepublik. In dieser Konstellation, stabil bis 1990, erschien Carver ein deutscher Kongress eine schöne Geste – präsidiert von André Chamson, der Präsident des Internationalen PEN war, ein französischer Essayist und Romancier, der in der Résistance gekämpft hatte und der die neue deutsch-französische Freundschaft gebührend würdigen könnte. Eröffnet wurde der Kongress in der Paulskirche, unter den Rednern war auch der deutsche Bundespräsident Theodor Heuss; zu den berühmtesten Besucherinnen bzw. Besuchern gehörten Alberto Moravia, Sarvepalli Radhakrishnan, Veronica Wedgwood und Thornton Wilder. Die Suspendierung des ungarischen Zentrums wurde nach langer Debatte wieder aufgehoben, sicher die wichtigste politische Entscheidung des Kongresses; Kästner wurde zu einem der internationalen Vizepräsidenten gewählt. Die Bundesrepublik und auch ihr PEN-Zentrum waren in der internationalen Staatengemeinschaft angekommen; da war es nur ein Schönheitsfehler, dass die deutschen Mitglieder sich in Frankfurt rar gemacht hatten und die kommende Jahresversammlung in Konstanz kaum besucht wurde: Ganze zehn Mitglieder waren gekommen, und der österreichische PEN-Präsident Franz Theodor Csokor. Das Modell des Freundschaftsclubs war offensichtlich mit dem Paukenschlag des Frankfurter Kongresses an sein Ende gekommen, sozusagen amtsmüde wie der Präsident Erich Kästner und der letzte Generalsekretär zu seiner Amtszeit, Walter Schmiele, der in einer Konstanzer Tageszeitung nochmals die Vitalität der PEN-Idee beschwor; er sei die einzige internationale Vereinigung schreibender Menschen in der Welt. Er ist kein Schutzverband. Er ist keine Fachorganisation. Er vertritt keine literarische Sonderrichtung. Wohl tritt er aktiv dafür ein, daß die Rechte von Autoren und Übersetzern in allen Staaten der Welt respektiert werden – denn noch ist das nicht der Fall –, aber da liegt das Geheimnis seiner Vitalität nicht. Der PEN ist eine moderne Gründung. Er beruft sich auf keine Tradition und keinen Mythos, die ihm sein Wesen diktieren. Das unterscheidet ihn wesentlich von den literarischen Zusammenschlüssen mit Akademiecharakter. Der PEN will keine Macht für sich und keine Macht für andere. Darum hat er keine Führer nötig, nur jeweils ein paar Männer, die ihm die Geschäfte führen, und von keinem Ministerium wird er etatisiert.19

19 Walter Schmiele: PEN vereint die Schriftsteller der Welt. Zur Tagung der westdeutschen Mitglieder des PEN-Clubs in Konstanz. In: Südkurier (Konstanz) 34 (15. 10. 1959), S. 3.

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4 Die 1960er Jahre: Diplomatische Politisierung Paul Schallück sah „[s]pätestens nach der zweiten Bundestagswahl“ einen Prozess der Versteinerung des Regierungssystems einsetzen; 1961 schien ihm „die Versteinerung nicht mehr zu übersehen“.20 Keine Regierung könne über drei Wahlperioden hinweg frisch und jugendlich bleiben, es sei ihr gutes Recht, zu verknöchern. Die Schriftsteller, die Generation der in den 1920er Jahren geborenen besonders, begannen um 1960, auch die Versteinerungen ihres eigenen Berufsstandes zu überwinden. Erst jetzt fand die Gruppe 47 allmählich ein breites Publikum.21 Der westdeutsche PEN stand am Anfang der 1960er Jahre noch quer zu diesen Entwicklungen, seine Politisierung fand sehr allmählich und zum Ende des Jahrzehnts statt, vielleicht mit Ausnahme des sensiblen Themas Antisemitismus in der Bundesrepublik, der nicht nur von Edschmid konstant beobachtet und kommentiert wurde. Unter dem 14.  Januar 1959 zählte er in seinem publizierten Tagebuch die antisemitischen Ereignisse einer Zeitungs-Tageslektüre auf: In Alsheim sei ein alter jüdischer Friedhof geschändet worden; in Herford gebe es bald einen Prozess gegen „einen Kaufmann, der die Vergasung der Juden gutgeheißen hatte“; in Wiesbaden sollen zwei junge Assessoren ähnliche Bemerkungen gemacht haben: Was heißt das alles? Bei 30 000 Juden, die von 600 000 übriggeblieben sind? Es heißt, abgesehen von der Schamlosigkeit und dem Skandalösen, noch etwas anderes: unsere Schuld. Schuld des Staates und der Privatperson. Was ist denn getan worden, nichtgeachtet einiger Empörungswellen und gelinder Strafen, um den Deutschen ein positives Bild des Judentums zu geben? Fast nichts. Was haben die Schulen getan? Nichts.22

Edschmids Vorschlag gegen den hartnäckig andauernden Antisemitismus war, es müsse auf Schulen und Universitäten das „Unrecht, das an den Juden begangen wurde, eindeutig verurteilt“ werden.23 Antisemitische Grabschändungen hatte es auch nach 1945 immer wieder gegeben,24 das Jahr 1959 brachte eine neuerliche Zunahme. Rudolf Pechel regte Resolutionen im Internationalen und im bundesdeutschen PEN an, „die [s]einer Ansicht nach gar nicht scharf genug sein“ konnten,25 Edschmid wie Heuss thematisierten den Antisemitismus auf der Eröffnungssitzung des internationalen Kongresses in der Paulskirche. Robert Neumann, stets in enger Verbindung mit dem bundesdeutschen PEN-Vorstand, hielt Rundfunkvorträge und veröffentlichte die Broschüre Ausflüchte unseres Gewissens. Dokumente zu Hitlers „Endlösung der Judenfrage“ mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation 20 Paul Schallück: Versteinerungen. In: Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung? Hrsg. von Martin Walser. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1961, S. 55–60, hier S. 56. 21 Vgl. Hermann Kinder: Der Mythos von der Gruppe 47. Eggingen: Edition Isele 1991, bes. S. 28–48. 22 Kasimir Edschmid: Tagebuch 1958–1960. Wien, München und Basel: Kurt Desch 1960, S. 68. 23 Ebd., S. 69; weitere Kommentare zu Antisemitismus s. S. 152f. und S. 341–345. 24 Vgl. Harry Pross: Memoiren eines Inländers. 1923–1993. München: Artemis & Winkler 1993, S. 224. 25 Rudolf Pechel an Walter Schmiele (14. 2. 1959). BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel.



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(1960). Auch Wolfdietrich Schnurre regte eine Aktion gegen die Friedhofsschmierereien an; Kästner als PEN-Präsident wollte mit einem Rundbriefverfahren eine möglichst einstimmige Resolution erreichen. Er war der Ansicht, eine bloße Verurteilung der Schmierereien sei zu wenig und zu selbstverständlich: „Ich bin nur für eine Resolution, wenn wir übers Redensartliche hinausgehen wollen. Wenn nicht, wäre es das Beste, die nächste Entwicklung präzise zu beobachten und im womöglich notwendigeren Zeitpunkt einzugreifen.“26 Die ausführlichen Antworten auf Kästners Rundschreiben an den Vorstand, Schnurre und Kühner-Wolfskehl mit der schlichten Frage „Was sollen wir tun?“27 reichten von ‚ignorieren‘ (Georg von der Vring) über ‚keine Resolution an die Öffentlichkeit, sondern an die Kultusministerkonferenz‘ (Rudolf Hagelstange, Hermann Kasack); ‚Geschichtsbücher revidieren‘ (Martin Kessel); ‚Selbstbesinnung‘ (Friedenthal); ‚keine Resolution, etwas wirklich Konkretes – etwa ein Vortrag Jaspers’ oder Bubers in der Paulskirche‘ (Schmiele); bis hin zu Schnurres Forderung nach einer „einstimmige[n] präzis formulierte[n] Resolution […], in der die antijüdischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik […] von allen Mitgliedern aufs schärfste gebrandmarkt und einhellig mißbilligt werden“.28 Passiert ist dann tatsächlich nichts, für Schnurre ein erster Grund, den PEN jämmerlich zu finden (sein Wort: „beschämend“); beim nächsten Ärger, der nur diplomatischen Reaktion auf den Mauerbau, wird er austreten.29 Die 1960er Jahre begannen im übrigen für den bundesdeutschen PEN friedlich, fast lethargisch, Kästner und Schmiele verabschiedeten sich über den kleinen Zwistigkeiten innerhalb des Clubs innerlich immer mehr von ihren Aufgaben, der Bau der Berliner Mauer traf auf kein sehr handlungsfähiges Zentrum. Seit 1949 wurden Statistiken über die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR gesammelt. Bis 1958 waren etwa 2 200 000 Menschen in den Westen geflohen, in den kommenden Jahren stiegen die jährlichen Flüchtlingsziffern eher noch an bis zur förmlichen Explosion im ersten Halbjahr 1961, wo mehr als 90 000 Menschen über die Sektorengrenze Berlins zogen.30 In der Nacht vom Samstag, dem 12., auf Sonntag, den 13.  August um 230 Uhr „riegelten die Ostdeutschen Westberlin ab. Sie ließen nur einige offizielle Übergangsstellen offen, an denen einzelne unter amtlicher Aufsicht hinüber- und herüberwechseln konnten. In der Nacht vom 17. auf den 18.  August begannen sie eine mit Stacheldraht gekrönte

26 Erich Kästner an Walter Schmiele (7. 1. 1960), S. 1f. DLA, Slg. Erich Kästner. 27 Rs. Erich Kästner (27. 1. 1960). DLA, Slg. Erich Kästner. 28 Wolfdietrich Schnurre an Erich Kästner (5. 1. 1960). DLA, Slg. Erich Kästner. 29 Vgl. seinen Aufsatz gegen die antisemitischen Ausschreitungen: Wolfdietrich Schnurre: Im Niemandsland. In: W. S.: Schreibtisch unter freiem Himmel. Polemik und Bekenntnis. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1964, S. 21–25 (Erstdruck in: Israel-Forum (Haifa), Februar 1960). 30 Die Journalistin Erika Hornstein hat sich Lebensläufe solcher Flüchtlinge in den westdeutschen Auffanglagern erzählen lassen: Ihre Flüchtlingsgeschichten erschienen zuerst 1960, erneut 1985 in H. M. Enzensbergers Anderer Bibliothek.

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Betonmauer zu bauen.“31 Die Dramatik des Mauerbaus für die Berliner selbst lässt sich heute am ehesten anhand der vor Zorn und Trauer förmlich bebenden Arbeiten Wolfdietrich Schnurres aus den Jahren 1961 bis 1964 nachvollziehen; anders als die stärker auf Dauer angelegten Romane Uwe Johnsons, der in den Literaturgeschichten das Thema der deutschen Teilung in erster Linie zugewiesen erhält, hat Schnurre Artikel und Aufsätze verfasst, Vorträge auf Tagungen und im Rundfunk gehalten, offene Briefe geschrieben und in zwei Bildbänden die Vorgänge während und unmittelbar nach dem Bau kommentiert, alles aus dem Tag heraus und für den Tag geschrieben.32 Auf das Argument, die Teilung Berlins sei längst vollzogen gewesen, antwortete Schnurre, man solle Spaltung und Teilung nicht verwechseln: „Siebzig Prozent aller Westberliner haben Verwandte im Ostsektor wohnen. Es gibt kaum einen Ostberliner, der nicht Arbeitskollegen, Bekannte und Freunde in Westberlin hätte.“33 63 000 Ostberliner arbeiteten im Westen, 12  000 Westberliner im Osten; S- und U-Bahnen ignorierten die Sektorengrenzen; noch im Juli überquerten sie „über fünfhunderttausend Menschen […] täglich nach beiden Seiten unkontrolliert“.34 Den Potsdamer Platz erklärte Schnurre für „die menschenleerste, schrecklichste Mondlandschaft, die sich je in einer bewohnten und nicht unter direktem Kriegseinfluß stehenden Großstadt aufgetan hat.“35 Schnurre und Günter Grass wollten den verbalen Protest gegen den Mauerbau nicht nur den Politikern und Journalisten überlassen, sie schrieben am 16. 8. 1961 einen offenen Brief an die Mitglieder des DDR-Schriftstellerverbandes. Sie wiesen die ostdeutschen Kollegen auf ihre Pflicht zum Protest hin, wie im Westen gegen den wegen seiner Tätigkeit im nationalsozialistischen Deutschland umstrittenen Hans Globke, geplante Notstandsgesetze und autoritären Klerikalismus protestiert werde: „Es gibt keine ‚Innere Emigration‘, auch zwischen 1933 und 1945 hat es keine gegeben. Wer schweigt, wird schuldig.“36 Sie bekamen Antworten, von Bruno Apitz, Stephan Hermlin, Erwin Strittmatter und Bodo Uhse, die alle die Mauer verteidigten. Hermlins Antwort sei als pars pro toto zitiert, sie war 1961 auch in der westdeutschen Zeitschrift konkret nachzulesen: 31 Louis J. Halle: Der Kalte Krieg. Ursachen, Verlauf, Abschluß. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Elfriede Burau. Frankfurt am Main: S. Fischer 1969, S. 388. Vgl. Hermann Weber: DDR. Grundriß der Geschichte 1945–1990. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuauflage. Hannover: Fackelträger 1991, S. 93–96. 32 Vgl. die Sammlung von Reden und Aufsätzen von Wolfdietrich Schnurre: Schreibtisch unter freiem Himmel. Polemik und Bekenntnis. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1964, S. 50–115. – Die Bildbände: W. S.: Berlin. Eine Stadt wird geteilt. Eine Bilddokumentation. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1962; W. S.: Die Mauer des 13. August. Berlin: Ernst Staneck 1962. 33 Schnurre: Berlin, S. 6. 34 Ebd., S. 8. 35 Wolfdietrich Schnurre: Mit der Mauer leben. In: Rudolf Hartung (Hrsg.): Hier schreibt Berlin heute. Eine Anthologie. München: List 1963, S. 37–44, hier S. 43. 36 Zit. nach Günter Grass: Werkausgabe in zehn Bänden. Hrsg. von Volker Neuhaus. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand 1987, Bd. IX, S. 35f.



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Wenn Sie, Schnurre und Grass, gegen Globke und Schröder auftreten, die Sie regieren, so bin ich keineswegs verpflichtet, gegen meine Regierung aufzutreten, die Globke und Schröder etwas nachdrücklicher bekämpft, als Sie beide es tun – das sei bei allem Respekt vor Ihrer Zivilcourage gesagt. […] Tatsächlich ist das, was Sie das Unrecht vom 13. August nennen, eine staatliche Aktion gegen die Globke-Schröder-Politik.37

Die Stadt sei nicht plötzlich „durch eine Gewalttat in zwei Teile auseinandergefallen“,38 sie sei bereits seit 1948 gespalten; die Mauer „war ein logischer Schritt in einer Entwicklung, die nicht von dieser Seite der Stadt eingeleitet wurde.“39 Ein Gran der Distanzierung findet sich in Hermlins Brief: Er gebe den Maßnahmen seiner Regierung seine „uneingeschränkte ernste Zustimmung“, heißt es, aber er habe ihr „kein Danktelegramm geschickt und ich würde meine innere Verfassung auch nicht als eine solche ‚freudige Zustimmung‘ […] definieren.“40 Hermlin war noch 1980 bereit, gegenüber Ulla Hahn seinen damaligen Standpunkt zu verteidigen, wegen der Feindseligkeit der alten Bundesrepublik gegenüber den östlichen Nachbarn: „Sie müssen bedenken, daß ich von dem Staat Adenauers rede, nicht von der Bundesrepublik, wie sie sich unter Willy Brandt und Helmut Schmidt entwickelte.“41 Schnurre hatte 1961 nicht nur an Kästner geschrieben, sondern seinen Brief in Abschrift an den ganzen Vorstand geschickt; ein emphatisch aufgeregtes Erinnern an die Charta des PEN, und Ausdruck seiner Beunruhigung über das Stillschweigen des PEN, auch angesichts der zustimmenden Reaktionen der DDR-Kollegen: Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen Konzentrationslager gut, von denen es inzwischen insgesamt 23 uns bekannte in der Zone gibt. Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen die Selbstmorde gut, deren Durchschnittsquote (nicht nur alte Menschen, auch junge) in der Zone zwischen 25 und 30 Leben am Tag beträgt seit Ulbrichts Terror neu angelaufen ist. Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen die Deportationsgesetze und die Terrorurteile gut, durch welche schuldlose Menschen verschickt und in Zuchthäuser geworfen werden. Das heißt, die ostdeutschen Schriftsteller heißen die Unmenschlichkeit und die Unterdrückung der Freien Meinung in der Zone gut. Wie darf der westdeutsche P.E.N. dazu schweigen? […] Ich beantrage, soweit ich das in meiner Eigenschaft als einfaches Mitglied darf, dringend, zumindest eine Entschließung zu fassen, die sich gegen das menschenunwürdige Verhalten der ostdeutschen Schriftsteller wendet. Es braucht ja keine im Leitartikelton verfaßte Beschimpfung zu sein. Aber man muß doch wohl einmal darauf hinweisen, was Aufgabe eines Schriftstellers ist. Und wie steht es mit dem 4. Grundsatz der Charta? ‚– … und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in

37 Stephan Hermlin: Traum der Gemeinsamkeit. Ein Lesebuch. Hrsg. von Klaus Wagenbach. Berlin: Wagenbach 1985, S. 112. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 113. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 114.

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der sie leben, entgegenzutreten.‘ […] Wo sind die Mitglieder, die dem Terror Ulbrichts entgegentreten? Ich sehe sie nicht.42

Offenbar hat niemand aus dem Präsidium Schnurre geantwortet, auch wenn intern mögliche Schritte eines Protestes gegen den Mauerbau überlegt worden sind. Schnurre erklärte daraufhin im Oktober 1961 mit einer Presseerklärung seinen Austritt: Er berief sich auf den §  4 der Charta; beide, das west- wie das ostdeutsche Zentrum, hätten „eklatant gegen die Charta verstoßen“.43 Mit Schriftstellern, die sechzehn Jahre nach Hitler wieder einem blutbefleckten Diktator dienten, könne er nicht mehr zusammen in einem Club sein, die Satzung des PEN sei entwertet. Erich Kästner hat Schnurre ebenfalls mit einer Presseerklärung geantwortet; er bedauerte den Austritt, mehr noch seine demonstrative Art. Er sei überzeugt, dass die 170 verbliebenen Kollegen wie Schnurre „die Vorgänge seit dem 13. 8. ablehnen und die Entwicklung mit äußerster Sorge beobachten“.44 Aber diese „vermutlich mehr oder weniger einhellige Meinung“ und ein öffentlicher Protest seien nicht dasselbe: Ost- wie Westzentrum gehörten einem internationalen Verband von mehr als sechzig Zentren aus beiden Hemisphären an, „und der Internationale PEN-Club sieht es nach wie vor als eine wichtige Aufgabe an, diesen Kontakt trotz aller Spannungen nicht zu unterbrechen.“ Zerreißproben gebe es immer wieder, zuletzt zur Ungarnfrage auf dem Internationalen Kongress in Frankfurt 1959. Der Vorstand habe sich wiederholt gefragt, „ob ein öffentlicher Protest, vom Grad seiner Wirksamkeit ganz abgesehen, angebracht sei“; nach dem Protest durch das Zentrum Writers in Exile sei man sich einig gewesen, „daß der nächste Schritt nicht weiterhin von einzelnen Zentren, sondern vom Internationalen PEN zu erfolgen habe.“45 Auf der nächsten Exekutivsitzung werde die Angelegenheit besprochen und ein internationaler Mehrheitsbeschluss gefasst, der dann freilich nicht die Meinung des westdeutschen Zentrums wiedergeben müsse, aber so sei das nun mit den „Spielregeln der Demokratie“.46 Auch aus Walter Schmieles Antwort wird deutlich, dass der Club die Gesprächsmöglichkeiten mit den Ost-Kollegen erhalten wollte und Schnurres Forderung für weltfremd hielt, ja unkollegial: Man „könne nicht erwarten, daß die Schriftsteller der Sowjetzone von selbst über die Klinge springen würden. Unter den augenblicklichen Umständen sei keine andere Antwort möglich gewesen“ als die apologetische von Hermlin, Seghers, Strittmatter und Wiens.47 Als notorischer Resolutionsgegner 42 Wolfdietrich Schnurre an Kasimir Edschmid (13. 9. 1961). DLA, NL Kasimir Edschmid. 43 Schnurres Erklärung, abgedruckt in Rs. Walter Schmiele (Oktober 1961), S. 2. DLA, NL Ernst Kreuder. 44 Erich Kästner im Rs. Walter Schmiele (Oktober 1961), S. 1. DLA, NL Ernst Kreuder. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 2. 47 Walter Schmiele: Streit im westdeutschen PEN-Zentrum. Können sowjetzonale Schriftsteller noch Mitglieder des Internationalen PEN-Clubs sein? In: Nürnberger Nachrichten, 13. 10. 1961; als Antwort Wolfdietrich Schnurre: Der Schriftsteller und die Mauer. Vortrag vom Februar 1962, abgedruckt in Schnurre: Schreibtisch, S. 62–95, zu Schmiele dort S. 82f.



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reagierte Schmiele auch noch 1996 gereizt auf eine entsprechende Nachfrage, unter Abstreitung einer besonderen Rolle der Intellektuellen: „Der Verein deutscher Kanarienzüchter kann sich dieselben Vorwürfe machen. Die haben auch ganz schwach reagiert damals! Was soll’s!?“48 Der Versuch von Schmiele und Friedenthal, im November 1961 auf einer Sitzung des internationalen Exekutivkomitees in Rom einen öffentlichen Protest auf dieser Ebene zustande zu bringen, scheiterte, wurde sogar als Versuch verstanden, deutsche Besonderheiten zu delegieren. Nachdem keine Vertreter des ostdeutschen Klubs gekommen waren, blieb es bei der Aufforderung Jean de Beers (Frankreich), das Zentrum Bundesrepublik „should make its own decisions in the matter“.49 Richard Friedenthal hatte in seinem Bericht vor übertriebenen Erwartungen gewarnt und den Stellenwert der Charta neu und sehr skeptisch eingeschätzt: Berufung auf den Wortlaut der Charta hilft da nicht viel mehr als bei größeren Weltorganisationen (UN), die auch alle ihre Charta haben. Der P.E.N. ist in mancher Beziehung zu groß geworden. […] Die Zusammensetzung des internationalen Gremiums wird immer bunter: es geht nicht nur um West und Ost. […] Es wird also immer wieder zu Kompromissen kommen, auch zum ‚Leisetreten‘, wenn man will. Es ist aber ebenso deutlich, daß eine solche Organisation doch eine moralische Macht darstellt und daß es sehr leichtherzig wäre, sie aufzugeben. Die Kleinarbeit, die das internationale Sekretariat geleistet hat und weiter leistet, ist höchst wertvoll. Und wenn auch nicht in allen Fällen etwas erreicht wird, so doch in vielen Fällen […]50

Das zehnjährige Jubiläum des westdeutschen PEN fand im Schatten der Ereignisse um die Berliner Mauer statt; lediglich Heinz Möhlmann schrieb einen Festartikel.51 In der Frage des Protests oder Nicht-Protests des westdeutschen PEN gegen den Mauerbau stellte sich Möhlmann eher auf die Seite Kästners und Schmieles, indem er die politische Machtlosigkeit des Clubs betonte. Auch Walter Schmiele schrieb, viel später, zwei sehr ähnliche Geburtstagsartikel für den PEN52 und nutzte die Gelegenheit zu einer Stellungnahme in der Frage des Mauerprotests. Es gebe zwei Meinungen über den Charakter des PEN: die einen hielten ihn „für das moralische Gewissen der Weltliteratur“, die anderen für ein „Institut zur diskreten Anbahnung internationaler Bekanntschaften“. Die eine Partei meine ein „Phantom“, die andere „den wirklichen PEN-Club“, und das habe sich auch nach dem 13. August gezeigt. Missverständnisse gebe es seit der dezidiert unpolitischen Gründung, die Charta sei kein Gründungstext, 48 Gespräch des Verfassers mit Walter Schmiele am 25. 6. 1995 in Darmstadt. 49 Ebd. 50 Richard Friedenthal in Rs. Erich Kästner und Walter Schmiele (15. 11. 1961), S. 2. DA. 51 Dieser wurde in sieben verschiedenen Zeitungen, auch in verschieden redigierten Fassungen abgedruckt. Vgl. z. B. Heinz Möhlmann: Völkerbund von Leuten der Feder. Zehn Jahre PEN-Zentrum der Bundesrepublik. In: Westfälische Zeitung, 30. 11. 1961. 52 Walter Schmiele: Der PEN-Club hat Geburtstag. Wie er entstand und warum er entstand. In: Heidelberger Tageblatt, 9. 12. 1961; W. S.: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel, 5. 4. 1962.

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keineswegs „eine Art Rütlischwur“, den seine Mitglieder zu leisten gehabt hätten, noch einmal eine Reminiszenz an den Freundesclub der 1950er Jahre: Die erste und vorerst einzige Weisung an die Mitglieder des Ur-PEN hatte folgenden Wortlaut: ‚Es wird von den Mitgliedern erwartet, daß sie die Frage des Abendanzugs nach eigenem Ermessen entscheiden. Es werden keine formellen Reden gehalten werden, und die Mitglieder des Clubs sollen sich in jeder Weise so bequem fühlen, als ob sie bei sich zuhause wären.‘53

Mit der Charta, 1927 in Brüssel von John Galsworthy entworfen, seien die abwechselnden Vorwürfe gekommen, der Club sei zu politisch oder zu unpolitisch. Der Ausschluss54 des deutschen PEN nach der Bücherverbrennung 1933 sei singulär geblieben, weder das faschistische italienische Zentrum von Ungarn 1956, Frankreich nach dem Algerienkrieg oder das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West nach dem Mauerbau seien ausgeschlossen worden. Warum nicht? Nicht weil die Charta aufgeweicht worden wäre […], sondern weil sich im weltweiten PEN mit seinen 7000 Schriftstellern aller Hautfarben, aller Sprachfamilien, aller Religionen der Welt die Meinung durchgesetzt hat, man müsse im Sinne der Charta tolerant auch gegen die Intoleranten sein. Gerade dies ist heute vielen von uns nicht begreiflich zu machen. Der PEN ist ein Club inclusive totalitärer Zentren: Ungarn, Bulgarien, die ‚DDR‘, die Tschechoslowakei, Polen, und wir glauben zu wissen, daß der PEN für viele Autoren dieser Länder das letzte Forum darstellt, auf dem die Praxis einer gemeinsamen poetischen Muttersprache noch geübt wird. Und bisher hat kein totalitäres Zentrum auf die PEN-Mitgliedschaft verzichtet, und keine totalitäre Regierung eines dieser Zentren aufgelöst!55

Schmieles Argumentation hat Brüche; welchen Sinn hatte es, der Charta-freien (unpolitischen) Zeit nachzutrauern, wenn es doch anscheinend eine zwangsläufige historische Entwicklung war, den Dinner-Club zugunsten des politischen aufzugeben? Schmiele bedachte das Schicksal von nicht systemgetreuen Kollegen, die durch den PEN eine Chance behielten, sich der ‚gemeinsamen poetischen Muttersprache‘ zu bedienen, auch, trivialer, ins Ausland zu reisen; aber wieso sollte das autoritäre Regime ein Interesse an der Aufrechterhaltung des eigenen Zentrums haben? Der langjährige Vizepräsident des Internationalen PEN Robert Neumann beschrieb die Entstehung der Charta in seiner Autobiographie ähnlich spöttisch und distanziert wie Schmiele,56 für die 1950er und 1960er Jahre schätzte er sie so ein: Die noble Charta bedeutet in jedem Land etwas anderes. Es ist nicht ein politisches Problem, sondern ein semantisches oder ein psychologisches oder ein moraltheologisches, daß jeder

53 Walter Schmiele: Der PEN-Club hat Geburtstag, 9. 12. 1961. 54 De facto ein Selbstausschluss, vgl. den Beitrag von Ernst Fischer in diesem Handbuch, S. 71–132. 55 Walter Schmiele: Der PEN-Club hat Geburtstag, 9. 12. 1961. 56 Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Berlin und Weimar: Aufbau 1975, S. 74f.



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in jedem Land guten Glaubens ist, er sei frei – und freier als sein Nachbar auf jeden Fall.57 Allerdings ist Neumanns Buch in der DDR erschienen und von seinem Autor gekürzt worden; es ist nicht einsehbar, dass die Frage der Charta keine politische Frage sein sollte, nachdem sie keine moraltheologischen, sondern durchaus politische Forderungen stellt.58 In seinem späteren Artikel – ursprünglich ein Kommentar für den Deutschlandfunk, ohne Wissen des Verfassers abgedruckt59 – beschrieb Schmiele konkreter das Scheitern der Versuche des PEN, eine gemeinsame literarische Plattform mit den Ostblockstaaten zu erhalten. Das Deutsche PEN-Zentrum Ost und West habe ungestört und ohne Zensur, wenn auch erst im zweiten Anlauf, seine Versammlung in Hamburg abhalten können,60 und das, „obschon sie dabei das PEN-Forum und die Literatur als propagandistische Mittel für die marxistische Lehre benutzten“;61 Schmiele musste diese Einschätzung aus der Presse beziehen, es war ja niemand vom westlichen PENVorstand in Hamburg gewesen. Umgekehrt hielt Schmiele eine westliche Mitgliederversammlung in Ostberlin für undenkbar (ohne den Ostvorstand dazu befragt zu haben). Trotz wiederholter Bemühungen sei es nicht möglich gewesen, eine Mitgliederliste des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West zu bekommen; der gute Umgang der Zentren untereinander werde so missachtet. Deshalb könne er leicht nachsehen, wer Mitglied im PEN von Los Angeles sei, im Falle der DDR sei ihm das unmöglich. Trotz aller Toleranz sei aber das Gespräch nach dem 13. August 1961 verstummt: Die Tatsache, daß Präsidialmitglieder des Zentrums der DDR die Errichtung der Mauer in allen ihren Konsequenzen zu rechtfertigen versuchten, hat innerhalb des Internationalen PEN Diskussionen darüber ausgelöst, ob dies nicht einen flagranten Verstoß gegen die Charta darstelle, und wenn man sie ernst nimmt, buchstäblich nimmt, dann ist gar kein Zweifel möglich, daß hier ein schwerer Verstoß vorliegt. Als man auf der letzten Exekutivsitzung des Internationalen PEN in Rom darüber eine Aussprache herbeiführen wollte – erschienen die Vertreter der DDR nicht. Die Diskussion unterblieb.62

Der PEN spiegele nur die zerrissene Weltlage wider, auch den Stand von Freiheit und Wahrheit auf der Welt. Schmieles befremdlicher, mindestens eurozentrischer Schluss sei nicht verschwiegen: Seit dem Tod der Gründerin habe sich vieles verändert am PEN; denn damals „waren ausschließlich Kulturnationen mit alten Literaturen im

57 Ebd., S. 79. 58 Zur DDR-Bearbeitung der Autobiographie vgl. Robert Neumann: Vielleicht das Heitere. Tagebuch aus einem andern Jahr. München: Kurt Desch 1968, S. 173f. 59 Lt. Walter Schmiele an Erich Kästner (3. 5. 1962). DLA, Slg. Erich Kästner. 60 Das anfängliche Verbot sei eine „Fehlsteuerung im örtlichen Polizeiapparat“ gewesen, so Walter Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer. In: Der Tagesspiegel, 5. 4. 1962. 61 Schmiele: Der PEN-Club und die Lobredner der Mauer, 5. 4. 1962. 62 Ebd.

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PEN vertreten. Heute schicken auch Negerstaaten Delegierte in den PEN, deren Großväter sich noch mit der Trommel verständigten. [!]“63 Auf der nächsten Exekutivversammlung des Internationalen PEN, am 3. Mai 1962 in Brüssel, entschärfte Stephan Hermlin eloquent und mit großer Verbindlichkeit die Vorwürfe des Gremiums: Zweig habe nicht geantwortet, weil er schwer krank gewesen sei; speziell die Writers in Prison-Liste sei wichtig gewesen und habe vieler Nachprüfungen bedurft. Er sprach ausdrücklich als Privatperson; sein Zentrum habe sich seit der „certain security precautions“ seiner Regierung nicht mehr treffen können.64 Die Vorwürfe des westdeutschen Zentrums wies er zurück: He felt every member had a right to express his individual views on any matter, political or otherwise, and felt it was not the business of the West German Centre to try and condemn a Centre on the basis of what individual members of it had written or said. Today there were two different Germanies – one could deplore the fact, but it was no use not acknowledging its reality.65

Dass ein Treffen von Präsidiumsmitgliedern beider Clubs bislang nicht stattfinden konnte, sei dem Umstand geschuldet – das Äußerste an Entgegenkommen Hermlins –, dass Kamnitzer ein solches Treffen „at a better time“ vereinbart habe, nämlich „before August 13, 1961“.66 Die Versammlung beschloss, ein neues Treffen der beiden deutschen PEN-Präsidien außerhalb Deutschlands zu arrangieren. Die Gesprächskrise innerhalb des PEN nach dem Mauerbau war also durch beiderseitiges Wohlverhalten beigelegt worden, es dauerte aber noch sehr viel länger, bis die deutschen Zentren mehr als nur formale Kontakte miteinander hatten und einen gemeinsamen Verbindungsausschuss gründen konnten. 1962 wurden Kästner und Schmiele abgelöst; durch die vielen Wechsel in den kommenden Jahren trat der Club nur selten in Erscheinung, er wurde von seinen Funktionären eher nebenbei betrieben. Auch Aktivierungs-Aufrufe blieben folgenlos, Rudolf Krämer-Badonis Rundschreiben als Generalsekretär nach einer bescheiden besuchten Jahresversammlung in Speyer (19 Mitglieder) bewirkte nur, dass die Schuldirektors-Allüren in der Presse attackiert wurden67 und Helmut Heißenbüttel und Wolfgang Hildesheimer austraten – es gebe „keinen plausiblen Grund, nicht auszutreten“.68 Eine erfolgreiche Änderung allerdings betraf die Position des Beirates; dessen Mitglieder mussten künftig zu den Sitzungen kommen und aktiv mitarbeiten, wenn sie etwas erreichen wollten, sie konnten nicht mehr nur brieflich reagieren.

63 Ebd. 64 Protokoll zum 3. 5. 1962, S. 3. PAL. 65 Ebd. 66 Ebd., S. 4. 67 Vgl. DW: Gründe. In: Die Welt, 1. 5. 1963. 68 Wolfgang Hildesheimer zit. n. Hans Werner Richter: Briefe. Hrsg. von Sabine Cofalla. München: Hanser 1997, S. 439.



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Ein Zentrum also in schweren Wassern, das auf die Spiegel-Affäre reagieren musste, ging es hier doch um die klassischen Themen der PEN-Charta, um die Freiheit des Wortes und um die Inhaftierung von Journalisten ohne rechtliche Grundlage. Die schiere Verrücktheit der Angelegenheit ließ Rudolf Augstein nach 15 Jahren Revue passieren; er hätte einen Menschen für „einseitig begabt“69 gehalten, der ihm 1961 gesagt hätte: binnen eines Jahres wirst nicht nur du im Gefängnis sitzen, der ja immerhin mit journalistischen Veröffentlichungen zu tun hatte, sondern auch der Rechtsanwalt, der Dich berät und verteidigt, der Verlagsdirektor, der für den Inhalt einer Veröffentlichung gar nicht zuständig ist, weiter ein Industriekaufmann, der mit dem Spiegel nicht mehr zu tun hatte als daß er ihn abonnierte; weiter ein BND-Mitarbeiter, der von Berufs wegen zu uns Kontakt hielt; weiter der BND-Chef Gehlen selbst – hier übertreibe ich, der hatte nur eine Stunde Stubenarrest, damit er dem Haftbefehl, den Konrad Adenauer vergeblich gegen ihn forderte, nicht entschlüpfen könne.70

Kanzler und Verteidigungsminister hatten gehandelt, ohne den allein zuständigen Justizminister einzuschalten. Conrad Ahlers, der Verfasser des inkriminierten bundeswehrkritischen Artikels, hatte vor der Veröffentlichung den Text gegenlesen lassen: von dem sozialdemokratischen Wehrexperten und damaligen Hamburger Innensenator Helmut Schmidt, und vom Bundesnachrichtendienst; dieser sah die Geheimhaltung an einer Stelle verletzt, die Ahlers daraufhin entfernte. Die Veröffentlichung enthielt keine Informationen, die nicht andernorts schon zu lesen gewesen waren. Ahlers wurde auf Veranlassung des Verteidigungsministers und „unter Bruch der Auslieferungsbedingungen aus dem diktatorischen Spanien herausgeholt“.71 Augstein bescheinigte der Justiz und den Politikern, sie hätten sich der Angelegenheit in achtbarer Weise entledigt, und zog das Fazit: „Seitdem, spätestens, ist die Bundesrepublik ein Rechtsstaat.“72 Die Gruppe 47 protestierte einen Tag nach der Aktion mit einer politischen Erklärung, in der sie sich mit Augstein „solidarisch“ erklärte: „In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie [die Unterzeichneten, S. H.] die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für 69 Rudolf Augstein: Muß soviel gehobelt werden? In: Walter Scheel (Hrsg.): Nach dreißig Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Stuttgart: Klett-Cotta 1979, S. 243–245, hier S. 245. 70 Ebd., S. 243. 71 Ebd., S. 245. 72 Ebd. – Die Spiegel-Affäre ist umfassend dokumentiert und kommentiert, vgl. Jürgen Seifert (Hrsg.): Die Spiegel-Affäre. Bd. I: Alfred Grosser, Jürgen Seifert: Die Staatsmacht und ihre Kontrolle. Bd. II: Thomas Ellwein, Manfred Liebel, Inge Negt: Die Reaktion der Öffentlichkeit. Olten und Freiburg i. Br.: Walter 1966; David Schoenbaum: Ein Abgrund von Landesverrat. Die Affäre um den „Spiegel“. Wien, München und Zürich: Molden 1968; in jüngster Zeit erschien Hans Joachim Schöps: „Ein Abgrund von Landesverrat“. Die SPIEGEL-Affäre und ihre Folgen für die Bundesrepublik. In: DER SPIEGEL. Sonderausgabe 1947–1997. Hamburg 1997, S. 56–81.

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eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden.“73 Als problematisch an dieser Erklärung wurde empfunden, dass der ‚Geheimnisverrat‘ zur sittlichen Pflicht erklärt wurde; der Skandal bestand ja in der Abstrusität des Vorwurfs und der abwegigen Handlungen, die auf die eben abstruse Annahme des ‚Landesverrats‘ folgten.74 Der PEN reagierte zunächst nicht öffentlich in Form einer Presseerklärung, sondern lediglich mit einem Telegramm Krämer-Badonis an den Bundesinnenminister (29. 10. 1962). Der Text ist in einem Rundbrief an die Mitglieder abgedruckt: Das Deutsche PEN-Zentrum der Bundesrepublik ist besorgt über die möglichen Folgen der Polizeiaktion gegen die Wochenzeitschrift Der Spiegel. Die Pressefreiheit ist ein so eminent wichtiges Grundrecht, dass der Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes (Beschränkung durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze usw.) nicht ohne dringende Not angewandt werden sollte. Liegt aber eine solche Not vor, so sollten die notwendigen Schritte mit einem Höchstmass an Öffentlichkeitsbewusstsein unternommen werden. Sollte es sich nämlich herausstellen, dass der Fall verhältnismässig harmlos war, so muss dieser spektakuläre Schritt dem Ansehen der Bundesrepublik als eines freiheitlichen Staates einen lang nachwirkenden Schaden zufügen.75

Der gesamte PEN-Vorstand ließ im Namen aller PEN-Mitglieder dem ersten ein dringlicheres Telegramm an Adenauer selbst folgen, das nun auch in mehreren Zeitungen veröffentlicht wurde.76 Die entscheidenden Passagen, hier zitiert nach der ausführlichsten – auch journalistisch kommentierten – Quelle: Fehlende, zu spät erfolgte und zumindest unzureichende Informierung der Öffentlichkeit über Maßnahmen, die nicht der Geheimhaltung bedürfen, unklare Äußerungen der Verantwortlichen und nicht zuletzt, Herr Bundeskanzler, Ihre eigenen Worte im Bundestag haben die Beunruhigung nach fast drei Wochen nicht vermindert, sondern wachsen lassen. Die im PEN-Zentrum Bundesrepublik vereinigten Schriftsteller des internationalen PEN halten es für ihre Pflicht, Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, zu bitten, eine Erklärung abzugeben, die die vielen noch im Zwielicht liegenden Hintergründe völlig klarstellt, die ankündigt, daß Personen, die ihre Kompetenzen überschritten haben, zur Rechenschaft gezogen werden, und die gleichzeitig ein Bekenntnis zu der im Grundgesetz verankerten Äußerungsfreiheit und Pressefreiheit ablegt.77

Krämer-Badoni mochte sich auch mit diesem Telegramm nicht begnügen, er fügte eine grimmige Erklärung „als Bürger der Bundesrepublik“ hinzu. Sie wurde zumeist nicht abgedruckt, allein in der Süddeutschen Zeitung; sie schien dem kommentierenden Journalisten bemerkenswert, weil Krämer-Badoni als „Rechter“ gelte. Gerade sein Aufruf beweise deshalb, dass es noch Schriftsteller gebe, die sich „nicht von 73 Seifert (Hrsg.): Die Spiegel-Affäre, Bd. II, S. 383. 74 Vgl. Helmut L. Müller: Die literarische Republik. Westdeutsche Schriftsteller und die Politik. Weinheim und Basel: Beltz 1982, S. 84f. 75 Rs. Rudolf Krämer-Badoni (1. 11. 1962). DLA, NL Ernst Kreuder; das Telegramm wurde am 29. 10. 1962 aufgegeben. 76 Seifert (Hrsg.): Die Spiegel-Affäre, Bd. II, S. 384f. 77 PEN an Bonn. In: Süddeutsche Zeitung, 16. 11. 1962.



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den Interessen einmal gewählter Gruppen lenken lassen“, womöglich stehe jetzt eine „heimatlose Rechte“ am Horizont. Deshalb sei Respekt vor Krämer-Badonis Courage angebracht, auch wenn man seinen Zorn nicht teile. Krämer-Badoni schrieb: Die Zirkuslaune im Bundestag […] hat gezeigt: kein beteiligter Minister wußte, was der andere unternommen hatte, keiner wußte, wo die Grenze zwischen Recht und Unrecht verlief, keiner war bereit, seine Handlungen mitzuteilen, außer er wurde in die Enge getrieben, und der Bundeskanzler selbst glaubte, die Dinge mit ein paar Witzen und der vorausgreifenden Anschuldigung des vollzogenen Landesverrates abtun zu können. Die Regierung bot nicht den Anblick einer Verschwörergruppe gegen den Spiegel. Wäre es so! Dann säßen in Bonn wenigstens Dämonen. Nein, es war so banal und armselig wie nur möglich. Es trat eine Gruppe planlos wurstelnder, des Ernstes der Sache völlig unbewußter Dilettanten auf, die nicht einmal ahnten, daß sie in einem Porzellanladen umhertaumelten. Und zwar im vornehmsten Porzellanladen der Demokratie, wo die besten Freiheitsrechte figurieren. Diese Herren haben angesichts der ernsten verfassungsrechtlichen Schwierigkeit erster Ordnung, die die Bundesrepublik erlebt hat, insgesamt versagt, weil sie diese Schwierigkeit erster Ordnung nicht einmal sahen. Sie haben nicht begriffen, daß sie vom ersten Augenblick an alles an Tatsachen und Wahrheiten zusammenraffen und der Öffentlichkeit mitteilen mußten, sie haben bis zur letzten Stunde Behauptungen aufgestellt und widerrufen, dummes Zeug geredet, selbst da, wo sie sich mit gescheiteren Gedanken hätten salvieren können. Nein, dieses Bild ist eine Katastrophe. Der Bundeskanzler, der Innenminister und der Verteidigungsminister sollen die Konsequenzen aus diesem erbarmungswürdigen Spektakel ziehen und ins Privatleben zurückkehren. Nur so geben sie dem deutschen Volk das Bewußtsein, daß die Dinge von höchstem Ernst mit höchstem Ernst behandelt werden.78

In Kurt Sontheimers Darstellung der „Adenauer-Ära“ fällt die Spiegel-Affäre unter das Kapitel „Bundeskanzler auf Abruf“; Adenauer hatte auch in den eigenen Reihen entschieden an Faszination verloren.79 Einigen PEN-Mitgliedern war auch der krasse Auftritt des Generalsekretärs noch nicht genug gewesen; Krämer-Badoni schrieb in seinem Nachruf auf Kästners Nachfolger Bruno E. Werner, dieser habe voll „himmlischer Geduld“ mit zwei Kollegen „wochenlang Briefe gewechselt und ihnen freundwillig zugeredet; ohne sie indes halten zu können.“80 Einer dieser Kollegen war Ernst Schnabel; Hans Werner Richter und er hatten die Reaktion des PEN für viel zu schwach gehalten, das erste Telegramm gar für „medioker und unannnehmbar“.81 Werner und auch sein Nachfolger als PEN-Präsident, der Politologe und Publizist Dolf Sternberger, versuchten, die Ost-West-Graben wieder ein bisschen zuzuschütten; nach der Spiegel-Affäre blieb das Verhältnis zum Deutschen PEN-Zentrum Ost und West das wichtigste Thema. Als großer öffentlicher Versuch fand am 9. Mai 1964 in der Akademie der Künste zu Westberlin eine Sitzung über die „Koexistenz verschie78 Krämer-Badoni zit. nach PEN an Bonn. In: Süddeutsche Zeitung, 16. 11. 1962. 79 Kurt Sontheimer: Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik. München: dtv 21996 (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit), S. 62ff. 80 Rs. Rudolf Krämer-Badoni (Februar 1964), S. 1. DLA, NL Ernst Kreuder. 81 Ernst Schnabel an Bruno E. Werner (8. 12. 1962), S. 2. DA. – Vgl. Richter: Briefe, S. 434–436.

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dener Freiheitsbegriffe“ statt; Krämer-Badoni als Diskussionsleiter beklagte sich, dass niemand den kommunistischen Freiheitsbegriff vertreten habe. Das Dutzend Geladener aus dem Osten hatte abgesagt, weil ihre Regierungen „das als Demonstration gegen ihre Berlin-Politik auffassen könnten“; Krämer-Badoni habe an dieses Handicap nicht gedacht.82 Das war wohl keine Pose; zwei Jahre nach dem Mauerbau hielten er und seine Vorstandskollegen Berlin wieder für alltags- und damit tagungsfähig, ein Irrtum. Berlin hatte für Westdeutsche als Ausland zu gelten, als Hauptstadt der DDR;83 die Schriftsteller aus den meisten Ostblockstaaten hatten tatsächlich ihre Teilnahme abgelehnt, „weil Berlin Tagungsort ist und sie politische Komplikationen für sich befürchten“.84 Speziell die ostdeutschen Geladenen kamen noch aus anderen Gründen nicht, wie Robert Neumann kolportiert hat. Er war einen Tag vorher zum Abendessen im Restaurant Moskwa in Ostberlin, wo ihm Zweig, Kretzschmar, Kamnitzer und Herzfelde erklärten, dass sie nicht hingehen würden, weil das Ganze offensichtlich als Provokation gemeint ist – ersichtlich daraus, daß die Einladung verletztenderweise adressiert worden sei an ‚Herrn Dr. Arnold Zweig‘!‘ Ich: ‚Nun – und?‘ Ingeburg [Kretzschmar]: ‚Nachtigall, ich höre dir trapsen. Das ist kein Zufall!‘ Ich aber, offenbar geistig minderbemittelt, verstehe noch immer nicht. Darauf Kamnitzer: ‚Arnold ist für die drüben kein ‚Dr.‘. Er ist Professor h. c., Doktor h. c. und Träger des Leninpreises. Das gehört auf den Briefumschlag!‘ Ich, meinen Ohren nicht trauend: ‚Legst du so einem Blödsinn Gewicht bei, Arnold?‘ Zweig, stimmschwach: ‚Ja, so haben wir das beschlossen.‘ […] Dazu nicken alle anderen gewichtig. Folgt, du lieber Gott, der Standard-Dialog über ‚Freiheit‘, Katalognummer 117b.85

Wenngleich Sternbergers Versuch hier also gescheitert ist, wurde doch auf Betreiben und Veranlassung des Internationalen PEN ein ständiger Verbindungsausschuss der beiden deutschen Zentren gegründet, der strittige Fragen verhandeln, gemeinsame Veranstaltungen organisieren und ein engeres Zusammengehen vorbereiten sollte. Einige Jahre hat er existiert, die Veranstaltungen lassen sich an einer Hand abzählen – Diskussionsabende über Goethe, Thomas Mann und die Politik (beide in West und Ost), Lesungen von Anna Seghers (in Heidelberg) und Erich Kästner (in Dresden) – , aber man war mit kleinen Schritten zufrieden. Sie waren wieder am Ende, als die Truppen des Warschauer Paktes 1968 in Prag einmarschierten; der PEN der Bundesrepublik beteiligte sich an den Protestaktionen des Internationalen Clubs, eine prompte 82 Rs. Rudolf Krämer-Badoni (Februar 1964), S. 2f. DLA, NL Ernst Kreuder. 83 Eine Lesart, die bis zu den Massenfluchten 1988 aufrecht erhalten wurde; Hermann Kinder erzählte von einem Seminarausflug nach Berlin, „der Hauptstadt, wie wir alle spotten, weil wir nie Berlin, gar Ost-Berlin, sondern nur die Hauptstadt sagen dürfen“. H. K.: Das war das Jahr 1988. In: Der Rabe. Magazin für jede Art von Literatur (Zürich) 42 (1995), S. 131–141, hier S. 136. 84 Jürgen Petersen: Doch die Verhältnisse … Generalversammlung des PEN-Zentrums. In: Christ und Welt, 21./22. 5. 1964. 85 Neumann: Vielleicht das Heitere, S. 257f.



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politische Aktion, mit der der PEN erstmals riskierte, ungenau informiert zu sein und über die Folgen der Proteste für die Schriftsteller in der Tschechoslowakei nur Mutmaßungen anstellen zu können. Im eigenen Staat appellierte der PEN an den Präsidenten des Bundestags und die drei Fraktionsvorsitzenden, die Regelung der Verjährungsfristen von Mordtaten zu überprüfen. Der Antrag auf einen solchen Appell kam von Ingeborg Drewitz und von Kurt Desch, Sternberger formulierte ihn, der Ehrenpräsident Edschmid und KrämerBadonis Nachfolger als Generalsekretär, der Darmstädter Politiker Heinz-Winfried Sabais, unterzeichneten ihn neben dem Präsidenten. Die Bitte zur Überprüfung der Fristenregelung wurde damit begründet, dass der gültige Mordparagraph ein „unzureichendes Mittel“ darstelle, „die Hauptverbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft rechtlich zu kennzeichnen“. Der organisierte Massenmord in Auschwitz und anderswo habe mit dem strafrechtlich gekennzeichneten Mord nur wenig gemein, ein Delikt wie „Crime against humanity“ gebe es im deutschen Recht nicht. Daher muß das ungeheuerliche System der administrativ und militärartig organisierten Menschenvernichtung, das Hitler aufgerichtet hat, im Nachhinein aus einer Summe individueller Akte des Mordes, der Anstiftung, Beihilfe und Mittäterschaft, in Bruchstücken rekonstruiert werden. Diese langwierige und komplizierte Aufgabe sollte nicht zusätzlich durch das Festhalten an einem Termin erschwert werden, der ohnehin nicht auf eindeutig zwingenden Gründen beruht.86

Das von Deutschen errichtete Mordsystem sollte von diesen nicht mit milderem Maß gemessen werden, als es die Regelungen anderer Länder zulassen; und ein Rechtsstaat müsse die Gefahr „lang andauernder Vergiftung des öffentlichen und privaten Lebens durch unerledigte Anklagen und unaufklärbare Vermutungen“ verhüten, zumal das „Bedürfnis nach Sühne […] immer und unvermeidlich unbefriedigt“ bleiben werde.87 Die einzige dokumentierte Reaktion auf diesen Appell stammt von Fritz Erler, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden; er schickte ein zustimmendes Schreiben. Neben den Teilnahmen einzelner Vertreter an internationalen PEN-Kongressen, die in den 1960er Jahren stark von Arthur Miller geprägt waren, gab es immer wieder Verbindungen mit einzelnen PEN-Zentren; nennenswert ist hier der kurze Briefwechsel im Juni  1967 mit dem israelischen Zentrum. Es hatte allen PEN-Clubs die aktuelle politische Situation Israels geschildert, nach dem Holocaust nun bedroht vom Genozid durch die umliegenden arabischen Staaten. Die Schutztruppen der UN waren von der Sinai-Halbinsel durch ägyptische Truppen vertrieben worden, der ägyptische Staatspräsident Nasser sammelte schwere Waffen an der israelischen Grenze. Die Schriftsteller in aller Welt sollten Partei für Israel ergreifen: „We call on you to let yourselves be heard! […] Throw your weight into the scales and rouse clear86 Zit. nach einem Durchschlag des Exemplars an Fritz Erler, Vorsitzender der SPD-Fraktion (5. 2. 1965). DA. 87 Ebd.

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sighted men and women everywhere! Sound the alarm and awaken the conscience of the world at this impeding danger!“88 Als Sternberger eine Woche später seinen Antwortbrief schrieb, stand der Sechstagekrieg bereits kurz vor seinem Ende; vom 5. bis zum 10. Juni 1967 besetzten israelische Streitkräfte gegen den Widerstand ägyptischer, jordanischer, syrischer und saudi-arabischer Truppen den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, Westjordanien und die Golanhöhen. Sternberger bat um konkrete Vorschläge, wie die PEN-Mitglieder Israel unterstützen könnten, und schrieb: We followed the events of the past three weeks with feelings of the deepest sympathy with the just cause of Israel. We admire the successes of the armed forces of Israel while at the same time mourn, with you, over all those, on both sides, who lost their lives during these four days of battles. We hope for a stable and definite peace settlement which will ensure both Israel’s integrity as a state recognized by all countries and the welfare of her people for all future time.89

Eine Antwort auf seinen Brief hat sich im PEN-Archiv nicht erhalten – die Israelis hatten sich selbst geholfen. Sabais sorgte in den zwei Jahren seines Generalsekretariats für die bessere institutionelle Verankerung des PEN in Darmstadt; der Club hatte nun ein funktionierendes Sekretariat in der Sandstraße 10, im Darmstädter Georg-Moller-Haus, „mietfrei, durch eine Spende eingerichtet, mit einem Jahreszuschuß der Stadt Darmstadt in Höhe von DM 3.600,-- versehen“,90 und mit Micheline Schöffler, der Frau des PENMitglieds Heinz Schöffler, als Sekretärin besetzt, der noch im selben Jahr Renate Steinmann nachfolgte. Sie blieb 16 Jahre, zunehmend wichtig als Geschäftsführerin des Büros. Das Haus mit der Freimaurerloge im ersten Stock blieb Domizil des PEN bis zum Sommer 1997. Der institutionalisierte Zuschuss wurde ganz selbstverständlich akzeptiert, nicht einmal eine Diskussion über eventuell sich daraus ergebende Abhängigkeiten fand statt. Um die literarische Repräsentanz des PEN deutlich zu machen, sah Sabais es als seine Aufgabe an, einen Almanach anstatt der bisher hergestellten Mitgliederverzeichnisse zu ermöglichen.91 Die Mittel konnte er bereitstellen: „Je DM 5.000,-- gaben das Bundesinnenministerium und das Hessische Kultusministerium, DM 2.500,-- ein freundlicher Spender, DM 1.600,-- die Stadt Darmstadt“.92 Die Herausgeber Wolfgang Weyrauch und Benno Reifenberg konnten mit ihrer Arbeit beginnen, ihr PEN-Almanach Federlese erschien im Herbst 1967 bei Desch.93 88 Brief der Hebrew Writers Association in Israel und des PEN Centre in Israel vom 30. 5. 1967, zit. n. Rs. Janheinz Jahn (Juni 1967), S. 11. DLA, NL Wilhelm Lehmann. 89 Dolf Sternberger (9. 6. 1967), zit. n. Rs. Janheinz Jahn (Juni 1967), S. 12. DLA, NL Wilhelm Lehmann. 90 Heinz Winfried Sabais im Rs. Janheinz Jahn (13. 6. 1966), S. 3. DA. 91 Das letzte war 1959 erschienen und nicht mehr aktuell. 92 Heinz Winfried Sabais im Rs. Janheinz Jahn (13. 6. 1966), S. 3. DA. 93 Die Manuskripte sollten „namenlos in doppelter Ausfertigung“ bis Ende 1966 „an das P.E.N.-Sekretariat in Darmstadt, Sandstr. 10, geschickt“ werden. „Der Sendung soll ein verschlossener Briefumschlag, der den Namen des Autors enthält, beigefügt sein.“ Rs. Janheinz Jahn (4. 12. 1966), S. 13. DA.



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Im Zuge der Debatte um die Notstandsgesetze stellten Erich Kästner und Hilde Domin den Antrag, eine Erklärung zu diesen aktuellen Fragen zu verabschieden; Domin stimmte dann als einzige gegen den Wortlaut der gefassten und veröffentlichten Resolution, in der der PEN an den Artikel 5 des Grundgesetzes erinnerte, der die Meinungsfreiheit als ein Grundrecht der Demokratie verbürgt. In der internationalen P.E.N.-Charta heißt es: ‚Der PEN erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft die Zensurwillkür überhaupt und erst recht in Friedenszeiten.‘ Das Deutsche P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik appelliert deshalb an die Parteien des Bundestages und die deutsche Öffentlichkeit, keinerlei Beschränkung der Meinungsfreiheit zuzulassen. Das Deutsche P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik wird sich mit Regierung und Parteien in Verbindung setzen, um zur erforderlichen Klärung beizutragen.94

Die Resolution wandte sich damit nur gegen einen Aspekt der ja sehr umfassend gedachten Notstandsgesetze, die Meinungsfreiheit, eines der durchgehenden Themen des PEN; in diesem Aspekt trafen sich der Schriftstellerclub und die studentische Protestbewegung der ausgehenden 1960er Jahre, bei aller Distanz zu den Protestformen und der neuen Jugendkultur. Die studentischen Forderungen zur Bildungsreform und gegen die Pressekonzentration wurden unterstützt, ohne dass der Name Springer erwähnt worden wäre; man erwarte von der Regierung „die Ausarbeitung und Verabschiedung geeigneter Gesetze“.95 Auch im Club selber hielten basisdemokratische Formen verstärkt Einzug; 1969 wurde erstmals das Thema einer Jahresversammlung nach einer Mitgliederbefragung ausgewählt, man entschied sich für „Die Autoren und die Meinungsfreiheit (Zwanzig Jahre Grundgesetz)“. Es trat eine allmähliche Verjüngung und Politisierung des PEN-Clubs ein; auf der Jahresversammlung 1969 war niemand mehr von der ‚alten Garde‘ dabei, die die 1950er und auch noch die frühen 1960er Jahre bestimmt hatte. Die Versammlung setzte auch noch „Beobachter in politicis“ ein, die „in Zusammenarbeit mit dem Präsidium politische Stellungnahmen ausarbeiten und die Verantwortung dafür übernehmen“ sollten, ohne ein offizielles Gremium zu bilden – anscheinend sollten die politischen Meinungsäußerungen nicht mehr allein dem Präsidium und den Beiräten überlassen werden.96

94 Rs. Janheinz Jahn (13. 6. 1966), S. 5. DA. 95 Zit. n. Rs. Hans Schwab-Felisch (Juni 1968), S. 7. DLA, NL Wilhelm Lehmann. 96 Rs. Hans Schwab-Felisch (Ende Juni 1969), S. 8. DA.

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5 Die 1970/1980er Jahre: Radikalität, Krisenmanagement, Routine Die späten 1960er und frühen 1970er Jahre standen politisch im Zeichen von Willy Brandts neuer Ostpolitik; der erste Vertrag mit der Sowjetunion (1970) ermöglichte weitere mit Polen, der DDR und der Tschechoslowakei. „Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir schlechte haben – und das ist ein Fortschritt“,97 erklärte Egon Bahr lapidar nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags, der die uneingeschränkte völkerrechtliche Anerkennung der DDR weiterhin verweigerte. Immerhin gab es geregelte Beziehungen zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Pakts, auch die KSZE-Verhandlungen in Helsinki wurden möglich. Brandts Charisma half entschieden bei der Durchsetzung der Entspannungspolitik, auch wenn die Machtblöcke damit nicht abgebaut wurden. Heinrich Bölls kurze Präsidentschaft im bundesdeutschen PEN, nur ein Jahr lang (1970/71), ist eine deutliche Markierung in der Geschichte des Clubs und gehört durchaus in den Zusammenhang der neuen Ostpolitik; er führte die Entspannungspolitik Arthur Millers im deutschen, dann auch im Internationalen PEN fort. Seine erste Protest-Erklärung wirkt freilich eher kurios; sie richtete sich gegen den (antisemitischen) Text der Oberammergauer Festspiele, ein „peinliches, religiös, theologisch und politisch anfechtbares Machwerk“.98 Der Club bewegte sich freilich auch auf anderen Ebenen: Der Fernsehjournalist und Feuilletonist Thilo Koch, neben dem Präsidenten Böll Generalsekretär des bundesdeutschen Zentrums, teilte der Londoner Exekutive mit, der PEN (Bundesrepublik) werde den internationalen Kongress in Seoul (Südkorea) boykottieren, „solange auch nur einer der aus der Bundesrepublik verschleppten Südkoreaner seine Freiheit noch nicht wiedererlangt habe“.99 Im April 1970 war von den 17 Entführten noch einer in Haft, die übrigen waren frei und durften zum Teil nach Deutschland zurückkehren; das Präsidium beschloss also definitiv den Boykott, solange auch dieser letzte Südkoreaner nicht frei war, und teilte diese Bedingung der koreanischen Botschaft in Bonn mit.100 Böll engagierte sich besonders für die verfolgten Schriftsteller in Osteuropa; er konnte Alexander Solschenizyn besuchen, ein mehrstündiges Gespräch mit ihm führen, und er schleuste das Manuskript von Die Eiche und das Kalb in den Westen, während der Reise stets überwacht vom KGB. Böll dürfte der am längsten und intensivsten von der DDR-Staatssicherheit beobachtete westdeutsche Autor überhaupt gewesen sein. Nach einer Behauptung in den Akten des Zentralarchivs 97 Zit. n. Rosemarie Wildermuth (Hrsg.): Heute – und die 30 Jahre davor. Erzählungen, Gedichte, Kommentare zu unserer Zeit (Deutschland seit 1949). München: dtv 1982. 98 Heinrich Böll: Absurdes Machwerk. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 25. 5. 1970. 99 Rs. Thilo Koch (22. 6. 1970), S. 3. DA. 100 Vgl. ebd., sowie u. a. dpa: Ohne deutsche Delegation. Internationaler PEN-Kongreß in Seoul. In: Darmstädter Echo, 30. 6. 1970.



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des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen „bestehen lose Verbindungen seit 1955“,101 das früheste datierte Dokument stammt von 1961. Die Figur Bölls, die aus diesen Akten entsteht, rundet sich nie so recht; die Mitarbeiter der Staatssicherheit wussten anscheinend nie, was sie von dieser observierten Person halten sollten. Er beschwerte sich über den Abdruck einer Satire im Sonntag, weil er die Erlaubnis dafür an die Bedingung geknüpft hatte, gleichzeitig eine Satire auf die Volksarmee zu veröffentlichen; überdies hatte er in der Welt geschrieben, er sei froh „über jeden, dem die Flucht gelingt“.102 Dennoch wollte man sich bei den Versuchen der Kontaktaufnahme nicht beirren lassen. Sie fanden weiterhin statt, wie auch Gespräche und Bespitzelung, aber anscheinend fast ausnahmslos zu Bölls Bedingungen. Er scheint meistens gewusst zu haben, ob er mit einem Angestellten der Stasi zu tun hatte oder nicht, was zu Einschätzungen wie der seiner „schwankenden Haltung“103 führte: Er stritt sich mit Hermlin, traf sich mit Biermann, polemisierte gegen David Carver und den antikommunistischen German Branch des Exil-PEN, er trat „scharf gegen die Maßnahmen der sozialistischen Länder gegenüber der CSSR auf“104 und verhinderte wie Arthur Miller eine kollektive Mitgliedschaft des sowjetischen Schriftstellerverbands im PEN. Die Staatssicherheit konnte schlechterdings die heftigen Kampagnen nicht übersehen, denen Böll in der Bundesrepublik ausgesetzt war, verzeichnete aber bis in die 1980er Jahre sorgfältig, wo er ‚operativ‘ mit „antisowjetischen und antisozialistischen Resolutionen, Appellen und anderen Handlungen in Erscheinung“105 getreten war. Durch Böll wurde der Club für jüngere Schriftstellerinnen und Schriftsteller geöffnet, auch sein lakonischer Moderationsstil wurde allgemein gerühmt. Symptomatisch für die Öffnung war die Debatte „‚Opas Verein‘ oder ‚Babys Kommune‘?“, die im Sommer 1970 in der Zeitschrift Publik geführt wurde und in der einige Mitglieder über neue Organisationsformen diskutierten, wenn auch ohne große Folgen – immerhin wurde das Amt eines Justiziars geschaffen, um die Resolutionspraxis besser abzusichern. Der Club wuchs rasant, bis in die frühen 1980er Jahre hatte er sich bis auf knapp unter 500 Mitglieder vergrößert. 1971 wurde Böll in Dublin zum Präsidenten des Internationalen PEN (1971–74) gewählt und sorgte auch hier für eine stärkere Politisierung, 1972 erhielt er den Nobelpreis – nicht zuletzt dank seiner nahm die Ausstrahlung des Clubs zu. Nachdem er nicht gleichzeitig deutscher PEN-Präsident bleiben und sich auch nicht zum Ehrenpräsidenten ernennen lassen wollte, ließ sich das Präsidium eine singuläre Regelung einfallen: Böll behielt auf Lebenszeit Sitz und Stimme im Präsidium, er hatte nichts dagegen, weiterhin dazuzugehören; der PEN hatte ihn auch in 101 BStU, MfS AP 2100/92 (Oktober 1961), S. 39. 102 Ebd. 103 BStU, MfS AP 2100/92 (8. 2. 1972), S. 180. 104 BStU, MfS AP 2100/92 (4. 6. 1969), S. 111. 105 BStU, MfS, HA XX/9 Nr. 1613 (9. 10. 1981), S. 39.

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einer der heftigsten Springer-Kampagnen öffentlich verteidigt.106 Mit seinem Nachfolger Hermann Kesten wurde erstmals ein Emigrant Präsident des westdeutschen Clubs, weiterhin an der Seite von Thilo Koch als Generalsekretär, der die Aktivitäten der kommenden Jahre koordinierte – Kesten lebte in Rom etwas abseits vom Tagesgeschäft und hielt den versöhnlich-freundschaftlichen Stil des Clubs aus früheren Zeiten am Leben, wenn auch nur auf den Versammlungen. Der PEN verabschiedete in diesen Jahren Resolutionen über Meinungsmonopole und Medienpolitik, unterstützte die amnesty international-Kampagne gegen Folter, sprach sich weiterhin für Brandts neue Ostpolitik aus, agierte gegen einzelne Zensurfälle, den Radikalenerlass, die Verurteilung Wladimir Bukowskis und Andrej Amalriks. Eine Presseerklärung gegen die Entlassung Arnfrid Astels als Redakteur des Saarländischen Rundfunks durch den Intendanten nach der Veröffentlichung eines umstrittenen Gedichts wurde nirgends vollständig veröffentlicht.107 Thilo Koch versuchte, den PEN auch organisatorisch zu reformieren, verhandelte (vergeblich) mit Bundesministerien wegen einer besseren institutionellen Förderung des Zentrums, wollte ein Jahrbuch initiieren (zwei Bände erschienen) und die Mitgliederzahl systematisch erhöhen. Verstärkt wurden Kinder- und Jugendbuchautoren, Wissenschaftler, Kritiker und Redakteure mitberücksichtigt; damit stiegen natürlich auch die Einnahmen des Zentrums, 1973 konnten erstmals Aufwandsentschädigungen für den Generalsekretär (1000  DM) und den Präsidenten (500  DM) bezahlt werden. Die Jahresversammlungen waren nicht mehr beschaulich-intim, sondern wurden stets von etwa 100 Mitgliedern besucht. Vor allem hatte Koch aber zusammen mit seinem Präsidenten Kesten die internen Streitigkeiten zu bewältigen, die sich mit der erstarkenden linken Fraktion – links von der SPD und links von Heinrich Böll – immer wieder ergaben; so opponierten einige Mitglieder gegen die Unterstützung des inhaftierten Andrej Amalrik. Aber auch die konservative Fraktion im Club blieb nicht untätig; es gab tatsächlich einen gleich wieder abgeschmetterten Versuch, den Radikalenerlass auch im PEN zu installieren sowie mehrfache Versuche, den amtierenden bayerischen Kultusminister und Politologen Hans Maier zuzuwählen, nachdem Gustav Heinemann und Willy Brandt 1974 zugewählt worden waren, beide allerdings nicht mehr im Amt. 1976 wurde Walter Jens Präsident, Martin Gregor-Dellin Generalsekretär des bundesdeutschen PEN, der während der kommenden Jahre das zuvor nie gekannte Bild eines funktionierenden Vereins bot. Nach einigen großen politischen Krisen zu Beginn gab es keine nennenswerten Konflikte, keine kommunikativen Reibungsverluste 106 Die Kontroverse, die sich nach Bölls Spiegel-Artikel über die RAF (10. 1. 1972) entspann, ist dokumentiert in Heinrich Böll: Freies Geleit für Ulrike Meinhof. Ein Artikel und seine Folgen. Zusammengestellt von Frank Grützbach. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972. 107 Vgl. Arnfrid Astel: Zwischen den Stühlen sitzt der Liberale auf seinem Sessel. Epigramme und Arbeitsgerichtsurteile. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand 1974. Heute ist das umstrittene Gedicht im Netz nachzulesen unter URL: http://www.zikaden.de/gedruckt/zwischen/Auto-mobil-machung. html (Letzter Zugriff: 29. 12. 2013).



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mehr. Auf den Versammlungen wurde wieder ziemlich häufig von dem geredet, was die Mitglieder ursprünglich einmal zusammengeführt hatte oder doch hätte zusammenführen sollen – Literatur. Der frisch gewählte Generalsekretär Martin Gregor-Dellin sah einen „recht großen Konsens“, in der ersten Sitzung nach der Mitgliederversammlung habe das Präsidium nur einstimmige Beschlüsse gefasst, man werde sich künftig an die vom „neugewählten Präsidenten Walter Jens […] vertretenen Prinzipien der Toleranz und Transparenz“ halten.108 Der „vielgescholtene Club“ sei „immer noch das einzige Forum“, in dem „notwendige Auseinandersetzungen in einem Klima des Vertrauens und der Freundschaft ausgetragen werden können.“109 Die Zahl der auch tagespolitischen Erklärungen stieg an, Gregor-Dellin setzte diese Praxis späterhin auch als Präsident fort (1982–88). Die Erklärungen betrafen nicht mehr nur literarische, medienpolitische oder kulturelle Fragen wie die Zensur oder die geplante Zerschlagung des NDR, sondern sie erstreckten sich auch auf Fragen des Datenschutzes, der Atom-, der Rüstungs- und der internationalen Politik: Die Haftbedingungen in deutschen Anstalten (Isolationshaft) sollten überprüft werden; die ökologische Katastrophe wurde kommentiert, ebenso die Kandidatur des ehemaligen NSDAPMitglieds Karl Carstens für das Bundespräsidentenamt, die Intellektuellenschelte des Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß (1980). Auch die Einschränkungen der Informations- und Meinungsfreiheit in der DDR wurden kritisiert, hier wurden weiterhin nichtöffentliche Wege gesucht; so protestierte das PEN-Präsidium konkret gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, die Haft Jürgen Fuchs’, den Hausarrest Robert Havemanns und die Schikanierung Reiner Kunzes, direkt bei Erich Honecker.110 Die wohl größte Krise seit der Gründung des Zentrums fand zu Beginn des hoffnungsvollen neuen Präsidiums statt: Wegen der Zuwahl des in Belgien lebenden marxistischen Wirtschaftswissenschaftlers Ernest Mandel traten im Juli 1977 31  Mitglieder aus, allesamt zum konservativen Flügel gehörig und mit wenigen Ausnahmen kaum noch aktiv; keiner von ihnen vertrat seine Kritik auch tatsächlich auf einer Jahresversammlung, der Club wurde mit dem Austrittsbrief schriftlich konfrontiert. Mit dem Ausscheiden dieser Gruppe ist der Club als elitäres Repräsentationsorgan und ‚Freundesclub‘ gestorben, obwohl Gregor-Dellin noch versuchte, das Gespräch aufrechtzuerhalten: Ihr Schritt sei zwar übereilt gewesen, es habe andere Möglichkeiten der Auseinandersetzung gegeben, das Unbehagen an der Entwicklung des Clubs hätte früher geäußert werden können; andererseits gestand er seine Unzufriedenheit über die Mitgliederversammlung, auf der über die Austritte gesprochen worden war. Es gelte, „einen Gesprächston wiederzugewinnen, der uns als Schriftsteller nicht geradezu blamiert, und gegensätzliche Auffassungen ohne persönliche Schärfe zu

108 Rs. Martin Gregor-Dellin (30. 6. 1976), S. 1. DA. 109 Ebd., S. 5. 110 Ein unveröffentlichter Brief des Präsidiums an Erich Honecker vom 3. 12. 1976 ist vervielfältigt im Rs. Martin Gregor-Dellin (20. 7. 1977), S. 16. DA.

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artikulieren.“111 Trotz der Austritte – und der Rücktritte des Ehrenpräsidenten Sternberger und des Vizepräsidenten Schwab-Felisch – sei der PEN aber in keiner „tiefgreifenden Existenzkrise“. Er leiste weiterhin kontinuierlich seine Arbeit für verfolgte Kollegen in aller Welt und arbeite für die „Ziele und Aktivitäten des internationalen P.E.N.“.112 Eine Konsequenz der Affäre blieb, dass die Jahresversammlungen seit 1977 auch für Journalisten geöffnet wurden, die keine PEN-Mitglieder waren; Walter Jens begrüßte sie „nicht als Klerus minor, sondern […] als Partner“.113 Neben der Politisierung bemühte sich das Präsidium in den späten 1970er Jahren auch wieder stärker um die Literatur, von einer ‚Reliterarisierung‘ war die Rede. Neben zahlreichen Lesungen im Umfeld der Mitgliederversammlungen wurde auf Podiumsdiskussionen über genuin literarische Themen wie aktuelle Tendenzen im Theater oder Literatur im Fernsehen debattiert; man veranstaltete zusätzliche literarische Tagungen zwischen den Jahresversammlungen, auf denen über Egon Erwin Kisch und seine journalistischen Erben oder über zeitgenössische Lyrik gesprochen wurde und man einschlägige Texte vortrug. Die Tagespresse über diese Zwischen-Veranstaltungen fiel allerdings überwiegend kritisch aus, während die Literarisierung der Jahresversammlungen sehr positiv aufgenommen wurde. Ein Höhepunkt war hier die Versammlung mit dem Schwerpunkt „Exilliteratur“, 1980 in Bremen. Schon in der Vorbereitungsphase erklärte das Präsidium den Kongress „für eine der wichtigsten literarischen Initiativen seiner Amtszeit“,114 die DDR-Staatssicherheit fürchtete, es könne auch über Exilliteratur von Schriftstellern gesprochen werden, „die in der DDR leben bzw. gelebt haben.“115 Es blieb dann doch bei den Exilanten des ‚Dritten Reichs‘; Walter Jens ging es nicht um große Namen, um die auch in ihren Gastländern wohlhabenden Emigranten wie Lion Feuchtwanger, Thomas Mann und Franz Werfel: „Wie es wirklich gewesen ist, was ein unbekannter Schriftsteller empfand, wie es ihm erging und unter welchen Zeichen er, wenn überhaupt, zurückkehren konnte: das wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, ist das erste Ziel der im Zeichen der Exilliteratur stehenden Tagung.“116 Das Exil-Thema wurde vielfältig aufbereitet, die Beiträge, Grußworte und ein kleiner Teil der Zeitungsberichte wurden in einem Taschenbuch dokumentiert.117 111 Ebd., S. 1. 112 Ebd., S. 2. 113 Walter Jens zit. n. Rs. Martin Gregor-Dellin (20. 7. 1977), S. 7. DA. 114 Rs. Martin Gregor-Dellin (25. 4. 1980), S. 1. DA. 115 BStU, MfS, HA XX ZMA 401 (Datum unleserlich), S. 65; als mögliche Redner für dieses Thema sind Günter Kunert und Martin Gregor-Dellin genannt. 116 Walter Jens zit. n. Peter Engel/dpa: Die Exilliteratur wieder im Blickfeld. In: Düsseldorfer Nachrichten, 16. 9. 1980. 117 Bernt Engelmann (Hrsg.): Literatur des Exils. Eine Dokumentation über die P.E.N.-Jahrestagung in Bremen vom 18. bis 20. September 1980. Im Auftrag des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland herausgegeben von B. E. Mit einem Verzeichnis der Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland. München: Goldmann 1981. – Die Dokumentation ist allerdings lückenhaft: Kritische Pressestimmen fehlen ebenso wie sämtliche wissenschaftliche Beiträge der Tagung.



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Gemeinsam mit der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main wurden Ausstellungen über Joseph Roth und über die Geschichte eines deutschen PEN-Clubs im Exil veranstaltet, auf drei Abendveranstaltungen sprachen, diskutierten und referierten Exilanten, Wissenschaftler und PEN-Autoren über das Exilthema, und sie lasen Werke von Exilautoren vor. Hans-Albert Walter, der einen maßgeblichen Anteil am zunehmend besseren Stand der Exilforschung hat, hatte die Symposien und Seminare zusammen mit dem PEN-Präsidium vorbereitet. Willy Brandt war einer der Hauptredner, dezidiert als PEN-Mitglied, als Journalist, nicht als Politiker – er berichtete von seinem eigenen Exil, von den Vorschlagsprozeduren für Carl von Ossietzky, der 1936 den Friedensnobelpreis erhielt; und von Heinrich Manns Rolle im französischen Exil.118 In der eigentlichen Mitgliederversammlung erinnerte Martin Gregor-Dellin in seinem Rechenschaftsbericht an die Aktualität der Themen Exil und Asyl – gerade der aktuelle Writers in Prison-Bericht zeichnete ein dramatisches Bild durch die Vorgänge in Argentinien, Vietnam und der Sowjetunion. In Argentinien waren in den vergangenen 10 Jahren allein 70 Schriftsteller „disappeared without trace“,119 30 saßen in Gefängnissen. Die Situation in Vietnam „ist nicht weniger bestürzend und verwirrend“, weil durch die Informationspolitik der Regierung nicht einmal Klarheit über die Zahl der seit 1975 inhaftierten oder verschwundenen Autoren bestand. In der Sowjetunion waren etwa 40 Autoren in Gefängnissen, Arbeitslagern oder psychiatrischen Kliniken. Der PEN der Bundesrepublik hatte zu dem inzwischen freigelassenen Kim Chi-Ha und Gabriel Superfin inzwischen auch Václav Havel zugewählt, der als Vertreter der Menschenrechtsbewegung Charta 77 im Jahr 1979 zu viereinhalb Jahren Haft und Schreibverbot verurteilt worden war. Angesichts dieser Schrecknisse relativiere sich die Situation in der Bundesrepublik, bemerkte Gregor-Dellin.120 Auch eine der in Bremen einstimmig verabschiedeten Resolutionen bezog sich auf die Aktualität des Kongressthemas: Das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland stellt besorgt fest, daß in unserem Land, geschürt durch unverantwortbare Parolen, Fremdenhaß um sich greift. Der P.E.N. erinnert daran, daß zahllose deutsche Demokraten auf das Asylrecht bei anderen Nationen angewiesen waren. Das im Grundgesetz verankerte Recht auf politisches Asyl darf nicht angetastet werden.121

Der PEN wollte auf dieser Versammlung erklärtermaßen „die Freiheit des Wortes verteidigen, ohne jedoch parteipolitisch Stellung zu beziehen“.122 Das ist schwer vorstell118 Engelmann (Hrsg.): Literatur des Exils, S. 164–171. 119 Rs. Martin Gregor-Dellin (17. 12. 1980), S. 5. DA. 120 Zit. n. Ursula Siefken-Schulte: Kampf für die Freiheit des Wortes. PEN-Mitglieder wehren sich gegen „diskriminierende Äußerungen“ von Franz Josef Strauß. In: Weser-Kurier, 20. 9. 1980; auch in: Engelmann (Hrsg.): Literatur des Exils, S. 198. 121 Rs. Martin Gregor-Dellin (17. 12. 1980), S. 7. DA. 122 AP/ddp: Jahrestagung des PEN-Zentrums begann. „Literatur des Exils“ als Teil deutscher Geschichte. In: Neue Westfälische Zeitung, 19. 9. 1980.

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bar, mitten im Bundestagswahlkampf, mit einer Rede Willy Brandts, einer Resolution gegen Strauß und einer – wenn auch nur verlesenen – Initiative gegen die SpringerPresse. Das mochte daran liegen, dass es „Rechtsintellektuelle“ in der Bundesrepublik in diesen Jahren „nun einmal nicht“ gab, wie Susanne Ulrici zu einer vorhergehenden Jahresversammlung geschrieben hat.123 Die Einigkeit der (auch politischen) Einzelgänger dürfte noch von der intellektuellenfreundlichen Aura Brandts herrühren, Günter Grass zog auch 1980 noch als Wahlkämpfer für die SPD durch die Lande. Die Bereitwilligkeit, mit der die PEN-Intellektuellen über den SPD-Radikalenerlass hinwegsahen, dürfte allein auf die Person des Kanzlerkandidaten der Unionsparteien zurückzuführen gewesen sein. So wichtig die Jahresversammlung 1980 gewesen war, eine Organisationsleistung in diesem Ausmaß war in den kommenden Jahren von Menschen nicht mehr zu leisten, die doch hauptsächlich aus anderen Gründen in den PEN gewählt worden (und gekommen) waren. Dementsprechend blieben die Programme in den kommenden Jahren bescheidener, auch etwas routinierter; der PEN gab ein stabiles Bild ab, er litt nicht an einer Krise, „sondern an einer Nichtkrise“. Ein Journalist wünschte ihm „eine kleine Krise, einen ständigen Schnupfen“, dann „wäre der Club gezwungen, sozusagen ans eigene Krankenbett zu eilen und grundsätzlicher über sich nachzudenken.“124 Auch das Darmstädter Büro funktionierte weiterhin hervorragend, nach der Pensionierung Renate Steinmanns zunächst mit Christa Scharf, dann seit Juni 1985 mit Ursula Setzer. Der amtsmüde Jens verlängerte seine Präsidentschaft nicht mehr, Gregor-Dellin wurde 1982 sein Nachfolger, der ZDF-Journalist und Moderator Hanns Werner Schwarze (Kennzeichen D) neuer Generalsekretär. Gregor-Dellin reflektierte die politische Praxis dieser Jahre: Es war das Prinzip […], uns 1.) politisch immer innerhalb der von der Charta deutlich abgegrenzten Aufgabenstellung zu äußern, also Allerweltserklärungen zu vermeiden; 2.) punktuell zu helfen oder zu protestieren, das heißt das Gewicht des P.E.N. mit Maß einzusetzen, es nicht durch inflatorische Quantitäten zu mindern; 3.) auf deklamatorische Erklärungen, wo immer es ging, zugunsten direkter, zum Teil auch nichtöffentlicher Interventionen zu verzichten.125

Die deklamatorischen Töne wurden zwar nicht immer vermieden, dennoch: Es wurden also sehr viel mehr Briefe und Telegramme unter Umgehung der Presse ver123 Susanne Ulrici: Erst Demokratie – dann Literatur. Autoren zu aktuellen Fragen – Bei der PENJahrestagung in Hannover. In: Saarbrücker Zeitung, 8. 5. 1979. 124 Wolfgang Ignée: Neunzig Wahrheiten. Anträge und Diskussionen auf der Stuttgarter PEN-Tagung. In: Stuttgarter Zeitung, 5. 4. 1982. 125 Martin Gregor-Dellin zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (5. 7. 1982), Anlage 1, S. 5. PEN-Unterlagen von Heinrich Schirmbeck (Darmstadt), künftig: HS.



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schickt als durch sie; von internen Krisen des Clubs war nicht mehr die Rede, stattdessen hatten sich politische Konstellationen verschärft. Der Writers in Prison-Bericht war 1982 besonders unerfreulich ausgefallen,126 auch die „politischen Krisenerscheinungen in der Bundesrepublik“127 nahmen eher zu – dieselben, die zu immer zahlreicheren Aktivitäten der europäischen Friedensbewegung geführt hatten. Zudem musste der doch stark sozialdemokratisch geprägte PEN mit dem Regierungswechsel im Herbst 1982 zurechtkommen; Helmut Kohl gelang es, Helmut Schmidt mit einem konstruktiven Misstrauensvotum abzulösen. Im November  1983 verfasste Martin Gregor-Dellin eine Erklärung zur innenpolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland, die die ersten bemerkbaren Veränderungen durch den Regierungswechsel vorführte; Schwarze fasste sie zusammen: Es gebe eine „zunehmende Vergiftung der politischen Auseinandersetzungen, Akte verbaler und administrativer Kulturfeindlichkeit, Diffamierungen von Künstlern und versuchte oder nachweisbare Einschränkungen von Informations- und Meinungsvielfalt“.128 Anlass für die Erklärung war die Beschlagnahmung von Herbert Achternbuschs Film Das Gespenst129 durch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft; der Film war insbesondere in katholischen Bundesländern großen Einschränkungen unterworfen. Dort konnte er außerhalb von Großstädten nicht gezeigt werden, wollten sich die regionalen Kinobesitzer nicht christlichen Demonstrationen und polizeilichen Repressionen aussetzen. Die Filmförderung wurde „immer häufiger von ideologischen Kriterien abhängig gemacht“,130 Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann kündigte eine Reform der Filmförderung „zugunsten einer Unterhaltung für alle auf Kosten filmischer Experimente“ an. Gregor-Dellin wies auf den zu befürchtenden Verlust „an Inhalt und Niveau“ hin, der zur „Schwächung der internationalen Konkurrenzfähigkeit des deutschen Films“ führen müsse.131 Besonders betroffen waren von dieser Reform die Regisseure des ‚jungen‘ deutschen Autorenfilms, die sich durchaus kampfesmutig gaben. Alexander Kluge schrieb zu seinem Film Die Macht der Gefühle: Als ich mit dem Film anfing, hatten wir die Regierung Schmidt. Jetzt haben wir die Wende. Eine Seitengruppe in dieser neuen Regierung probt in diesen Monaten, ob man den deutschen Auto126 Unter dem polnischen Militärregime fand der „zahlenmäßig gravierendste Fall von Massenverhaftungen Intellektueller“ statt (Gregor-Dellin zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (5. 7. 1982), Anlage 1, S. 8. HS); in vielen Ländern Mittel- und Südamerikas und in der Türkei wurden Andersdenkende systematisch verfolgt und auch gefoltert, Argentinien hatte die höchste Zahl verschwundener Publizisten aufzuweisen; die Verbindung nach Afghanistan war nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen vollständig abgerissen. Der Bericht führte mehr als 500 inhaftierte, internierte oder verbannte Schriftsteller auf, Gregor-Dellin sprach von einem „Schreckensbericht“. Vgl. dpa in Hessische Allgemeine, Badische Zeitung u. a., 2. 4. 1982. 127 Martin Gregor-Dellin zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (5. 7. 1982), Anlage 1, S. 6. HS. 128 Rs. Hanns Werner Schwarze (29. 11. 1983), S. 2. DA. 129 Herbert Achternbusch: Das Gespenst. Filmbuch. Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1983. 130 Martin Gregor-Dellin zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (29. 11. 1983), Anlage A, S. 4. DA. 131 Ebd., S. 5.

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renfilm nicht irgendwie aus der Welt schaffen kann. Das wird sich der Autorenfilm nicht gefallen lassen.132

À la longue war Zimmermann allerdings durchaus erfolgreich in seinen Abschaffungsbestrebungen. Die PEN-Erklärung kritisierte außerdem die zunehmende „Praxis der pauschalen und persönlichen Denunziation von Journalisten und Schriftstellern“,133 den „Mißbrauch des Pornographie-Paragraphen“,134 die Kürzungen der Bibliotheksetats und eine stärker werdende Vorzensur durch die Intendanten und Chefredakteure in Rundfunk- und Fernsehanstalten. Alle Punkte wiesen nach Gregor-Dellin auf eine politische Regression hin, die Liberalität und Pluralismus gefährdet. Einer solchen Entwicklung muß mit allen Kräften entgegengearbeitet werden, damit die deutsche Demokratie in einer Phase ihrer politischen Bewährung nicht durch einen Abbau von Grundrechten geschwächt wird.135

Die Adressaten der Erklärung reagierten allerdings fast durchweg wohlwollend. Bundespräsident Karl Carstens schrieb, Gregor-Dellin werde ihn „immer auf Ihrer Seite finden, wenn es um die Freiheit von Literatur, von Kunst und Wissenschaft geht“; es müsse aber eine Einschränkung zum Schutz der Jugend geben, er denke vor allem „an schaurige und sadistische Darstellungen von menschenverachtender Gewalt in Büchern und insbesondere in Filmen.“136 Die Vorsitzenden der Fraktionen von FDP, SPD und Grünen berichteten von ihrem Umgang mit den angesprochenen Themen, ähnlich Berlins Kultursenatorin und der nordrhein-westfälische Kultusminister bzw. ihre Ministerialen.137 Mehr als nur redensartlich reagierte der bayerische Kultusminister Hans Maier: Über die Punkte der Erklärung „kann man gewiß diskutieren“, die beschriebene Entwicklung des Bibliothekswesens sei in Bayern aber „keineswegs eingetreten“. Maier war noch vergrätzt wegen seiner abgelehnten Zuwahl: Im übrigen muß ich Ihnen das Recht bestreiten, namens des (deutschen) PEN als Warner vor einer ‚politischen Regression‘ aufzutreten, die ‚Liberalität und Pluralismus gefährdet‘. Gerade der PEN hat unter der Leitung seiner letzten drei Präsidenten dazu beigetragen, ‚unbequeme Meinungen fernzuhalten‘ und Pluralismus nach Kräften abzubauen. Ich habe es persönlich erfahren, als mir aus Kreisen des Vorstands bedeutet wurde, es sei zwar gegen mich ‚literarisch 132 Alexander Kluge: Die Macht der Gefühle. Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1984, S. 66. 133 Martin Gregor-Dellin zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (29. 11. 1983), Anlage A, S. 4. DA. – Anlass war die Beschimpfung Heinrich Bölls als Verantwortlichem für kriminelle Umtriebe in einem Vortrag Karl Steinbuchs; davor s. Gert Heidenreich: Die ungeliebten Dichter. Die Ratten- und SchmeißfliegenAffäre. Eine Dokumentation. Mit einem Nachwort von Bernt Engelmann. Frankfurt am Main: Eichborn 1981. 134 Martin Gregor-Dellin zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (29. 11. 1983), Anlage A, S. 4. DA. 135 Ebd., S. 5. 136 Karl Carstens an Martin Gregor-Dellin (1. 12. 1983). DA. 137 Briefe von Volker Hassemer, Anke Martiny, Wolfgang Mischnick, Hans-Jochen Vogel, PaulF. Pauly an Martin Gregor-Dellin in DA.



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nichts einzuwenden‘, aber natürlich komme ein CSU-Politiker für den PEN nicht in Frage. […] Bringen Sie also bitte erst das eigene Haus in Ordnung, ehe Sie anderen Zensuren erteilen. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt’s heraus […].138

Martin Gregor-Dellin nahm diesen Teil des Briefs mit „Befremden“ zur Kenntnis. Maier sei falsch unterrichtet, die Ablehnung aus anderen, vertraulichen Motiven erfolgt: „Erstaunlicherweise haben Sie sich ganz ähnlich sogar vor dem bayerischen Landtag geäußert. Im übrigen werden Sie dem damaligen Präsidenten Hermann Kesten wohl kaum Parteibuch-Entscheidungen oder mangelnde Liberalität unterstellen.“139 Maier beharrte auf seinem Standpunkt; durch die Aufnahme von Politikern „ausschließlich sozialliberaler Provenienz“ sei für ihn der PEN „als Anwalt politischer Toleranz unglaubwürdig geworden“.140 In den kommenden Jahren blieben die nationalsozialistischen Verbrechen und ihre Folgen für die Literatur im Blick, mehrfach wurde der Bücherverbrennung 1933 gedacht. Nachdem es dem Club nicht gelang, einen „Writers in Prison-Day“ jeweils am 15.  November durchzusetzen, hatte Ingeborg Drewitz angeregt, an diesem Tag eine Hermann Kesten-Medaille zu verleihen. Zum 85. Geburtstag des Ehrenpräsidenten im Januar 1985 wurde die Stiftung der Medaille beschlossen und bekanntgegeben: 1. Anlässlich der Vollendung des 85. Lebensjahres seines Ehrenpräsidenten Dr. h. c. Hermann Kesten am 28. 1. 1985 stiftet das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland eine HermannKesten-Medaille für besondere Verdienste um verfolgte Autoren im Sinne der Charta des Internationalen P.E.N.. 2.  Die Hermann-Kesten-Medaille wird alle zwei Jahre am ‚Internationalen Tag der verfolgten Autoren‘, dem 15. November, verliehen.141

Seit 1994 erfolgt die Vergabe jährlich, seit 2008 als „Hermann Kesten-Preis“. Er ist mit 10 000 Euro dotiert, je zur Hälfte getragen vom PEN-Zentrum Deutschland und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst; unter den Preisträgern sind nach dem evangelischen Theologen und zeitweiligen amnesty international-Generalsekretär Helmut Frenz (1985) u. a. Said (1997), Harold Pinter (2001), Anna Politkowskaja (2003) und Liu Xiaobo (2010). Die größte Veranstaltung nach der Bremer Jahresversammlung zur Exilliteratur war der erste internationale Kongress in Deutschland seit 1959, der 49.  Internationale PEN-Kongress in Hamburg (22. 6.–27. 6. 1986) zu den Themen „Zeitgeschichte im Spiegel internationaler Literatur“ und „Unbeachtete Literaturen unserer Zeit“. Nicht nur der westdeutsche, auch der Internationale PEN war seit den 1950er Jahren gewaltig gewachsen. Ein Kongress benötigte eine groß angelegte Vorbereitung, in sehr viel 138 Hans Maier an Martin Gregor-Dellin (13. 12. 1983). DA. 139 Martin Gregor-Dellin an Hans Maier (27. 2. 1984). DA. 140 Hans Maier an Martin Gregor-Dellin (5. 3. 1984). DA. 141 Rs. Hanns Werner Schwarze (28. 2. 1985), S. 1. DA.

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stärkerem Maß noch als der erste. Der PEN bildete ein eigenes Programmkomitee; der langjährige Schatzmeister Gerd E. Hoffmann wurde gebeten, die organisatorische Leitung zu übernehmen. Breite öffentliche Wahrnehmung schien gesichert: Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte zugesagt, auf der Eröffnungsveranstaltung zu sprechen. 1985 kulminierte die seit Ende der 1970er Jahre bestehende Dauerkrise der UNESCO, die auch Folgen für das Agieren des Internationalen PEN hatte. Die Länder der Dritten Welt waren mit der Informationspolitik der westlichen Staaten – insbesondere der USA – unzufrieden, die den Welt-Nachrichtenfluss monopolisierten; die Kritisierten verteidigten dagegen den Status Quo mit dem Argument der Nachrichten- und Informationsfreiheit. Außerdem griffen die westlichen Industriestaaten die UNESCO wegen ihrer fehlenden organisatorischen Effizienz und wegen der zunehmenden Politisierung an. Die USA, wie später auch Großbritannien, zogen sich aus der UNESCO mit dem 31.  Dezember 1984 zurück.142 Diesem Austritt folgten Austrittsdrohungen anderer westlicher Länder; der Internationale PEN fürchtete ernste Konsequenzen aus dieser Entwicklung, er sah in der UNESCO eine der bedeutendsten Institutionen für Völkerverständigung und internationale Zusammenarbeit.143 Die deutschen Delegierten des Exekutivtreffens, Ingeborg Drewitz und Helmut Hirsch, sahen durch diese Turbulenzen die Besucherzahlen des Kongresses in Hamburg gefährdet. Zwar fanden die vorgeschlagenen Themen eine „beeindruckend breite Zustimmung“.144 Aber der PEN-Kongress in New York, auf den November 1985 angesetzt, war „aus lokalen Gründen“ auf den Januar 1986 verschoben worden. Er sollte nicht ausfallen, um nicht auch noch im PEN (wie in der UNESCO) die USA zu verärgern; und in New York sollte ein neuer internationaler Präsident gewählt werden, der Schwede Per Wästberg stellte sich nicht mehr zur Verfügung. Im Internationalen PEN wurde sogar erwogen, einen Amerikaner zum Nachfolger Wästbergs zu wählen: „Dies könnte, so wurde argumentiert, den schweren Schlag für die internationale kulturelle Zusammenarbeit, den der Austritt der USA aus der UNESCO bedeutete, vielleicht psychologisch mildern und den Wiedereintritt erleichtern“.145 Es wurde dann doch der britische PEN-Präsident

142 Die offiziellen Dokumente zur Entscheidung der US-Regierung sind gesammelt in: U.S. Withdrawal from UNESCO. Report of a Staff Study Mission February 10–23, 1984 to the Committee on Foreign Affairs. Washington 1984, die Benachrichtigung des UNESCO-Generalsekretärs durch den USAußenminister George P. Shultz s. S. 50–53. – Zur UNESCO-Krise und dem Austritt der USA vgl. Peter Billing u. a.: State Properties and Foreign Policy. Industrialized Countries and the UNESCO Crisis. Tübingen: Universität Tübingen 1992; William Preston Jr., Edward S. Herman und Herbert I. Schiller: Hope & Folly. The United States and UNESCO 1945–1985. Minneapolis: University of Minnesota Press 1989, S. 148–188, 203–284; Volker Rittberger (Hrsg.): Anpassung oder Austritt: Industriestaaten in der UNESCO-Krise. Ein Beitrag zur vergleichenden Außenpolitikforschung. Berlin: Edition Sigma 1995. 143 Vgl. Rs. Hanns Werner Schwarze (28. 2. 1985), S. 5. DA. 144 Bericht von der Exekutive in London (2.–4. 11. 1984), zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (28. 2. 1985), S. 5. DA. 145 Rs. Hanns Werner Schwarze (28. 2. 1985), S. 6. DA.



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Francis King gewählt; seine offizielle Amtseinführung erfolgte erst in Hamburg, da sich die Suche seines britischen Nachfolgers hinauszögerte. Aufgrund der PEN-Erklärung zur Wichtigkeit der UNESCO hatte Hans-Dietrich Genscher das Präsidium zu einem Gespräch in das Außenministerium eingeladen. Die Hauptpunkte waren neben der Kooperation des Internationalen PEN mit der UNESCO und deren Situation: die Möglichkeiten des Außenministeriums, verfolgten Schriftstellern zu helfen; die „Unterstützung der New Yorker Deklaration für die Gleichstellung der Übersetzer“; das erwünschte Kulturabkommen mit der DDR; die Mitfinanzierung des Seminars über „Unbeachtete Literaturen“ in Hamburg; und die „Hilfestellung bei Ausreisewünschen von Schriftstellern bestimmter Staaten“.146 Die finanzielle Unterstützung wurde gegeben, Schwarze hatte überhaupt „den Eindruck grossen Interesses des Aussenministeriums an unserer Arbeit“ und empfahl den Mitgliedern, sich bei das Ausland betreffenden humanitären Fragen an das Auswärtige Amt zu wenden.147 Martin Gregor-Dellins Erklärung, mit dem New Yorker Kongress nicht konkurrieren zu wollen, wurde etwa einen Monat vorher gegenstandslos; Hanns Werner Schwarze vermeldete das als Erfolg im letzten Rundbrief vor der Tagung mit dem Hinweis, es seien noch weitere Anmeldungen und auch Lesungen möglich148 – die honoriert waren und damit die Kosten der teilnehmenden Autoren erheblich verringerten. Gerd E. Hoffmann berichtete im selben Rundschreiben, mehr als 50 Zentren mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus 60 Nationen nähmen teil; dies sei „nach Auskunft von London die höchste Beteiligung bei den Internationalen Kongressen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“.149 Unter den prominenten Gästen waren Margaret Atwood, Breyten Breytenbach, Alberto Moravia, Nathalie Sarraute und Susan Sontag. Bundespräsident Richard von Weizsäcker begrüßte in seinem Festvortrag zuerst die Delegation aus der DDR, „Wert und Ehre deutscher Sprache“ sei durch die Literatur der anderen deutschen Republik „gemehrt“ worden, querelles allemandes seien nicht zu erwarten. Vor allem aber beschrieb Weizsäcker die unterschiedlichen Rollen von Schriftstellern und Politikern. Letztere seien „auf das Handeln in der Welt angewiesen“, das sich stets auf „bestimmte, konkrete Sachlagen“ beziehe. Literatur dagegen sei das Werk „eines Kopfes und eines Gewissens“ und daher „frei, kompromißlos zu sein.“150 Günter Grass in seinem Festvortrag von Seiten des PEN, Als Schriftsteller immer auch Zeitgenosse, hoffte wie sein Vorredner Weizsäcker, dass „den ausländischen Gästen die deutsch-deutschen Querelen als Dauerthema […] erspart

146 Rs. Hanns Werner Schwarze (7. 5. 1986), S. 2. DA. 147 Ebd. – 1987 fand ein weiteres Gespräch statt, z. T. über dieselben Themen: Rs. Schwarze (5. 5. 1987), Anlage, S. 6f. DA. 148 Rs. Hanns Werner Schwarze (7. 5. 1986), S. 1. DA. 149 Gerd E. Hoffmann in Rs. Hanns Werner Schwarze (7. 5. 1986), S. [7]. DA. 150 Alle Zitate nach Richard von Weizsäcker: Reden und Interviews (2). 1. Juli 1985–30. Juni 1986. Bonn: Bonn Presse/Informationsamt der Bundesregierung 1986, S. 330–335.

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bleiben mögen.“151 Grass rühmte seine epischen Vorbilder, ‚der‘ Schriftsteller als wahrnehmender Zeitgenosse ordne den Geschichtsverlauf nicht, sondern erhalte ihm seine Absurdität. Für den Umgang „des Schriftstellers“ mit Geschichte fand Grass ein drastisches Bild: „Er will die Kehrseite ans Licht bringen. Er wühlt im Fluchtgepäck, er stochert im Kot der Mächtigen. Keine Leiche ist ihm erhaben genug: Er muß sie fleddern.“152 Das war manchen Berichterstattern, zumal in den konservativen Blättern,153 nicht fein genug, überhaupt wird seine Rede kaum erwähnt. Aus der DDR war eine vierzehnköpfige Delegation gekommen, die größte, die je zu einem internationalen Kongress erschienen war,154 nachdem kurz vorher noch ein Boykott drohte.155 Stephan Hermlin, internationaler Vizepräsident, wandelte das Kongressthema „für meine Zwecke“ ab und sprach „zur Frage, wie sich Zeitgeschichte in einem Schriftsteller widerspiegelt.“156 Seine im Ganzen autobiographische Rede hatte einige wenige polemische Spitzen, dem Stasi-Berichterstatter nach enthielt sie „klare Positionen im Sinne der Durchsetzung der Friedenspolitik der sozialistischen Staaten und zur Kulturpolitik unserer Partei.“157 Hermlin verteidigte den „höhnisch kommentierten Begriff des realen Sozialismus“, er verdiene keinen Hohn.158 Gegen Mario Vargas Llosas Unterteilung von sozialistischen Schriftstellern in Hofschranzen und Dissidenten verteidigte Hermlin sich und seine Kollegen: Unter den „zehn, fünfzehn bekanntesten Schriftsteller[n]“ der DDR befinde sich keine einzige Hofschranze, freilich auch keiner, den man als Dissidenten bezeichnen könnte, sie sind samt und sonders, zum Kummer mancher ihrer Landsleute, kritische, ihrem künstlerischen und philosophischen Gewissen folgende Schriftsteller, und ähnlich verhält es sich mit Schriftstellern anderer sozialistischer Länder […].159

Das mochten ihm Yaak Karsunke, Lew Kopelew und Ralph Giordano nicht glauben, sie fragten nach, ob es in der DDR nichts zu kritisieren gebe. Karsunke stellte fest, es gebe in der DDR keine Dissidenten mehr, weil diese allesamt des Landes verwie151 Grass: Werkausgabe, Bd. IX, S. 931. 152 Ebd., S. 928. 153 Z. B. Paul F. Reitze: Stochern im Kot. In: Die Welt, 28.6.1986. 154 Teilnehmer u. a.: Volker Braun, Fritz Rudolf Fries, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Heinz Kahlau, Heinz Kamnitzer, Hermann Kant, Heiner Müller, Christa Wolf. 155 Gregor-Dellin hatte als „Präsident des deutschen PEN-Zentrums“ gegenüber der dpa geäußert, die DDR werde von Christa Wolf vertreten. Diesen „Alleinvertretungsanspruch[..]“ und Wolfs Nennung wurde als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR betrachtet“, die Delegierten bestimme das DDR-Zentrum. BStU, MfS, HA XX/AKG/II (4. 4. 1986), S. 408f. (Quelle: IM „Georg“, d. i. Heinz Kamnitzer). 156 Stephan Hermlin: Meine Zeit. Rede vor dem PEN, Juni 1986. In: St. H.: In den Kämpfen dieser Zeit. Berlin: Wagenbach 1995, S. 62–70, hier S. 62. 157 BStU, MfS, ZAIG 362, S. 97–105, hier S. 102. 158 Hermlin: Meine Zeit, S. 69. 159 Ebd., S. 62.



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sen worden seien; es sei schade um ein Land, das keine Dissidenten mehr vorzuweisen habe. Bevor sich allerdings eine nun doch deutsch-deutsche Debatte entwickeln konnte, wurde sie von Francis King ausgebremst, der die politischen Attacken bedauerte und sich ein reines Literatur-Forum wünschte, eine „Insel der Seligen“;160 auch Gregor-Dellin monierte, die deutsch-deutsche Kontroverse werde „von den Schriftstellern aus außereuropäischen Ländern als langweilig und selbstbezogen kritisiert.“161 Zum ersten Mal war eine Writers in Prison-Veranstaltung „offizieller Bestandteil eines Internationalen P.E.N.-Kongresses“.162 Die „unbeachtete Literatur in unserer Zeit“ betraf die zeitgenössischen Literaturen Bulgariens, Islands, Malis, der Philippinen, des Senegal und Koreas. Deren Autorinnen und Autoren sollten Gelegenheit bekommen, ihre spezifischen (oft postkolonialistischen) Probleme vorzutragen und aus ihren Werken zu lesen. Wegen des mangelnden Interesses nicht nur der Hamburger Bevölkerung, sondern auch der PEN-Kollegen wurde die Zeit dieser Veranstaltung beschnitten; man habe „alles konzentriert in den Vormittag drängen können“, hieß das dann bei Gregor-Dellin. Bulgarien habe dem entstandenen Termindruck Widerstand geleistet, Island sei nur noch halb zum Zuge gekommen, […] ein tief gekränkter Filipino mußte erst mühsam überredet werden, wenigstens ein Bruchstück zu Gehör zu bringen. Ein Südkoreaner verweigerte sich unter diesen entwürdigenden Umständen ganz; er weinte. Ob uns nun auf diese Weise womöglich ein zweiter Balzac durch die Lappen gegangen ist?163

Die Fremdheit dieser literarischen Kulturen sei jedenfalls nicht geringer geworden, befand eine Berichterstatterin; die Veranstaltung über die unbeachtete Literatur blieb unbeachtet. Eine weitere Premiere betraf das bundesdeutsche Zentrum: Zum ersten Mal berichtete nicht einer der bundesdeutschen Delegierten oder der Generalsekretär den Zuhausgebliebenen; der Bericht des internationalen Generalsekretärs Alexandre Blokh an die Generalsekretäre aller Zentren wurde ins Deutsche übersetzt und als Anlage eines Rundschreibens von Hanns Werner Schwarze verschickt. Alle in Hamburg verabschiedeten Resolutionen wurden im Wortlaut angefügt, eine Resolution betraf die Bundesrepublik Deutschland: Die Delegierten des Internationalen P.E.N.-Kongresses appellieren an den Deutschen Bundestag, auf die geplanten Einschränkungen des in der deutschen Verfassung garantierten Asylrechts 160 Karena Niehoff: Boden unter den Füßen. Nachlese vom Internationalen PEN-Kongreß. In: Der Tagesspiegel, 29. 6. 1986; vgl. Rolf Michaelis: Rentner-PEN. Mühseliger Start einer Literatur-Tagung. In: Die Zeit, 4. 7. 1986. 161 Gregor-Dellin zit. n. Martin Oehlen: Internationaler PEN-Kongreß geht heute in Hamburg zuende. Kampf gegen den Drachen. Deutsch-deutsche Querelen langweilten. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 26. 6. 1986. 162 Angelika Mechtel in Rs. Hanns Werner Schwarze (7. 5. 1986), S. [7]. DA. 163 Niehoff: Boden unter den Füßen.

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zu verzichten. Seit ihrem Bestehen hat die Bundesrepublik Deutschland vielen tausend Opfern politischer Verfolgung, darunter vielen Schriftstellern, Asyl gewährt. Sie muß auch ferner der Zufluchtsort für Schriftsteller bleiben, die verfolgt werden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen.164

Bei den Teilnehmern fand der Kongress, dem berichtenden Rundschreiben nach zu urteilen, ein großes positives Echo. In Briefen an Gregor-Dellin, Mechtel, Hoffmann und andere „haben Vertreter fast aller Teilnehmerstaaten eindrucksvoll geschildert, dass sie den Kongress für interessant und gelungen, in jedem Fall aber für wichtig hielten und sich in Hamburg wohlgefühlt haben.“165 Einzelheiten des Programms, der Organisation und der Rahmenveranstaltungen seien gar als „beispielhaft für künftige internationale Kongresse“ bezeichnet worden. Francis King lobte den Kongress als „ very successful“;166 Alexandre Blokh schrieb in seinem Bericht, er erinnere sich „begeistert“ an den Kongress und gratuliere „unseren Freunden des P.E.N. der BRD“.167 Obendrein war zum Kongress ein eindrucksvoller Leinenband über den Internationalen PEN erschienen.168 Er hatte zwei literarische Teile mit „Gedichte[n] und erzählende[r] Prosa“ und „Essays“, einleitend standen kurze Aufsätze zum PEN: Angelika Mechtel schrieb über Leben und Werk von Catherine Amy Dawson Scott, Thomas von Vegesack über die Geschichte des PEN, Alexandre Blokh über den „Internationale[n] P.E.N. und sein Sekretariat“ und Michael Scammell über „Fünfundzwanzig Jahre des Internationalen P.E.N.-Komitees ‚Writers in Prison‘“. Der Band brachte alle Texte in Deutsch, Englisch und Französisch. Wie schon bei früheren Großereignissen folgte auch nach dem Hamburger Kongress eine gewisse Ermattung, die kommenden Veranstaltungen erlangten keine vergleichbare Öffentlichkeit und wurden auch von sehr viel weniger Mitgliedern besucht. 1988 starb Martin Gregor-Dellin, der 1974 kurz im Beirat gewesen war und dann seit 1976, seit seiner Wahl zum Generalsekretär, zwölf Jahre lang dem PEN entscheidend Profil verliehen hatte und wohl einer der ganz wenigen Autoren gewesen ist, die gerne Präsident des PEN waren und nicht nur unter der Arbeitslast stöhnten. Nur zu verständlich, dass Hanns Werner Schwarze einen halben Rundbrief nur Nachrufen auf

164 Zit. n. Alexandre Blokh in der Anlage zu Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 9. 1986), S. 10. DA. – Vorgeschlagen hatten diese Erklärung das PEN-Zentrum der Bundesrepublik, das schwedische Zentrum und das Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. 165 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 9. 1986), S. 2. DA. 166 Francis King zit. n. Minutes of the Meeting […] of International P.E.N. held in Lugano on 13th, 14th and 15th May 1987, S. 4. PAL. 167 Alexandre Blokh in der Anlage zu Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 9. 1986), S. 1. DA. 168 Gerd E. Hoffmann (Hrsg.): P.E.N. International. P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit Bertelsmann Stiftung. München: Bertelsmann 1986. – Im durchgängig dreisprachigen Anhang (S.  513–551) ist die Charta abgedruckt, Listen der vergangenen und gegenwärtigen internationalen Präsidien, der bisher veranstalteten Kongresse, die Adressen aller PEN-Zentren und Kurzbiographien der Autoren des Bandes.



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Gregor-Dellin widmete.169 Den ironischen Reflex des Verstorbenen auf die Resolutionsfluten des PEN erwähnte er nicht: Gregor-Dellin hatte in einem kurzen Prosastück einen „Resolutionskünstler“ imaginiert, der mit dem Slogan „Liefere zustimmungsfähige Texte jeder Länge und jeden Inhalts auf raschestem Wege“ inserierte und seither voll beschäftigt im Dienst von Parteien und Verbänden stand. Der Schluss des Textes, doch wohl eher ein Alptraum des Autors, war nicht ganz eingetroffen – er liefert Anträge und knappe Mitteilungen, Proteste und Verlautbarungen, er ist empört, betroffen, bestürzt und erbittert, verlangt Rechenschaft, äußert seine Absicht, betont, bekräftigt, wendet sich an, weist zurück, unterstützt, lehnt ab und fordert, begrüßt, distanziert sich, unterstreicht, war schon immer gegen oder für etwas, ruft auf, klagt an, ermahnt die Verantwortlichen oder stellt schlechthin fest. Die Zahl seiner gedruckten Texte wächst inzwischen ins Unermeßliche, er hat sich entschlossen, sie für eine Gesamtausgabe aufzubewahren und diese eines Tages zur Überraschung aller mit einer bindenden, nur von ihm selbst verabschiedeten Resolution aus dem Nachlaß zu vollenden: seinem letzten Willen.170

6 Zurückhaltung gegenüber der deutschen Einheit Carl Amery wurde als neuer Präsident des Clubs gewählt, und er stellte gleich nach seiner Wahl klar, dass er „sozusagen nur noch mit einem Bein in der littérature pure“ stehe und ein wachsender Anteil seiner Arbeitskraft der Sorge um die „zukünftige[ ] Bewohnbarkeit des Planeten“ gelte; er war einer der ersten ökologischen Vordenker, ohne nun den PEN zu einer „Art gehobene[m] Naturschutzbund“ machen zu wollen.171 Es störe ihn nicht, daß er „nicht der allerobersten Literatenschicht des Landes, ihrer akademischen Crème“172 angehöre, so seine kokette Selbsteinschätzung. Zumindest war Amery kein populärer Schriftsteller, gemessen an den zahlreichen Porträts, die anlässlich seiner Wahl erschienen – die Journalisten meinten, ihn

169 Rs. Hanns Werner Schwarze (19. 8. 1988), S. 1–6. DA. – Schwarze ließ die Grabrede Horst Bieneks und Walter Jens’ Nachruf auf Gregor-Dellin vervielfältigen, vgl. W. J.: Seine Sanftmut war konsequent. Zum Tode des Schriftstellers und PEN-Präsidenten Martin Gregor-Dellin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. 6. 1988. 170 Martin Gregor-Dellin: Eine Lebensaufgabe. In: Wolf Peter Schnetz und Inge Meidinger-Geise: Die Worte haben es schwer mit uns. Der P.E.N. in Erlangen 1984. München und Bad Windsheim: Delp 1985, S. 18f. 171 Carl Amery im Interview mit Ulrich Greiwe: Tendenzwende für die 90er Jahre. Carl Amery zu seiner PEN-Präsidentschaft. In: Abendzeitung, 24. 5. 1989. – Carl Amery befasst sich seit etwa 1970 mit Ökologie, seine ersten Bücher zur Begründung eines ‚ökologischen Materialismus‘ waren Natur als Politik (1976) und Energiepolitik ohne Basis (1978). 1978 hielt Amery erstmals Wahlreden für die Grünen; vgl. Joseph Kiermeier-Debre (Hrsg.): Carl Amery. „… ahnen, wie das alles gemeint war.“ Ausstellung eines Werkes. München und Leipzig: List 1996, S. 152, 159, 178–180, 194. 172 Carl Amery in Rs. Hanns Werner Schwarze (27. 7. 1989), S. 3. DA.

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vorstellen zu müssen.173 Zu Amerys „grosse[r] Erleichterung“ blieb die „Kontinuität […] gewahrt“174 durch die Wiederwahl des Generalsekretärs Hanns Werner Schwarze. Dass Amery frischen Wind in den Verein brachte, mochte an seiner Unbedarftheit in Sachen PEN liegen; auf die Frage nach der augenblicklichen Situation des Clubs sagte er in schöner Offenheit: „[I]ch bin wahrscheinlich der letzte, den Sie da fragen dürfen.“175 Amery war ein in politischen Zusammenhängen versierter Autor, der den Literaturfonds angeregt hatte, im Vorstand des VS gewesen war und zu den Gründervätern der Grünen gehörte. Deshalb wollte er den PEN nicht politisch „überfrachten“, als einen in erster Linie literarischen und wenigstens von seinem Anspruch her und durch den Zuwahlmodus elitären Club. Deshalb könne sich der PEN auch mit schlechten Lesungen blamieren, anders als der VS. Amerys (vor allem ökologische) Anliegen vertrat er als Essayist ebenso wie als Romancier; aber in seinem erzählerischen Werk wird nie gepredigt oder eine falsche Verständlichkeit angestrebt. In seinen PEN-Interviews ist plötzlich wie selbstverständlich immer wieder von Literatur die Rede, nicht mehr von Reliterarisierung; Amery war der Ansicht, dass die „richtige Gesinnung allein“176 nicht ausreiche, um Literatur zu schaffen. Ein weithin positiv wahrgenommenes Signal setzte das neue Präsidium mit einer Initiative, dem polnischen PEN-Club eine gemeinsame Erklärung zum 50. Jahrestag des 1. September 1939 vorzuschlagen, die zeigt, dass Amery keineswegs allein auf das ökologische Thema festgelegt war. Die polnischen Kollegen begrüßten den Vorschlag, die Erklärung wurde am 23. August in Polen und in Deutschland veröffentlicht. Sie bezeichnete es als wichtigste Aufgabe der deutschen und polnischen Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler, die durch den Zweiten Weltkrieg entstandene Teilung Europas überwinden zu helfen. Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, ohne Veränderung von Staatsgrenzen an die Stelle zweier Militärblöcke ein europäisches Haus zu setzen, dessen Bewohner gegenseitige Unangreifbarkeit, eine Sicherheitsgemeinschaft garantieren, Abbau von Massenvernichtungswaffen anstreben, und gemeinsam nicht nur zur Rettung der eigenen Umwelt, sondern zum ökologischen Überleben unseres Kontinents beitragen.177

Die PEN-Zentren verpflichteten sich, jede Art von Antisemitismus, Klassen- und Rassenhass zu bekämpfen sowie „gegen revisionistische, revanchistische und nationalistische Tendenzen einzutreten, die sich in ihren Staaten bemerkbar machen.“178 Diese 173 Dass diese Vorstellung so unnötig nicht war, zeigt z. B. der Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen, bei dem beharrlich von Améry die Rede ist. 174 Carl Amery in Rs. Hanns Werner Schwarze (27. 7. 1989), S. 2. DA. 175 Carl Amery im Interview mit Josef Singldinger in: die feder 7 (Juli 1990). 176 Ebd. 177 Zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 7. DA. – Vollständig abgedruckt in Frankfurter Rundschau und Stuttgarter Zeitung, 23. 8. 1989; Auszüge in Süddeutsche Zeitung, 23. 8. 1989. 178 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 7. DA.



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gemeinsame Erklärung zeigte die rasante Annäherung der vormals verfeindeten ideologischen Blöcke. Sie wurde auf dem internationalen Kongress in Toronto und Montreal179 zu einem eigenen Tagesordnungspunkt, Amery und der anwesende polnische PEN-Vizepräsident Artur Miedzyrzezki berichteten von der Aktion, der Internationale und französische PEN-Präsident René Tavernier und Alexandre Blokh „priesen und fanden Superlative wie ‚Musterbeispiel‘, dies sei bedeutend für Europa“.180 Mit Amery war seit langem wieder einmal ein bundesdeutscher PEN-Präsident auf einem internationalen Kongress; sein ökologisches Anliegen fand nicht in einer Resolution Ausdruck, sondern in einem „Auftrag an den Internationalen P.E.N. […], sich dieser Thematik auf nächsten internationalen Begegnungen anzunehmen.“181 Besondere Nähe bestand naturgemäß zwischen dem PEN-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen deutschsprachigen Zentren; die politisch markantesten Beziehungen bestanden zum PEN-Zentrum der DDR. Hier wurden bei jeder Gelegenheit die ideologischen Debatten der Zeit geführt, noch bei freundschaftlichem Austausch von Vorträgen, die seit dem Ende der 1960er Jahre wieder möglich waren. Heinrich Böll wie Martin Gregor-Dellin hatten sich immer wieder bemüht, über die ideologischen Gräben hinweg eine Annäherung der beiden deutschen Zentren zuwege zu bringen, immer wieder durch kleinere Konflikte torpediert. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Zentren war im Engagement für den Frieden möglich, zunehmend mit der Öffentlichkeit der westdeutschen Friedensbewegung. Hanns Werner Schwarze hob die Antikriegserklärung des VS und des DDR-Schriftstellerverbands zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hervor, dem sich der bundesdeutsche PEN angeschlossen hatte. Generell sei das Verhältnis zum PEN der DDR „genauso formal und noch genausowenig normal wie das Verhältnis der beiden deutschen Staaten“.182 Er habe den „Eindruck, daß vor allem Hermlin, aber auch Kamnitzer und Keisch, in Einzelfällen durchaus versuchen, bedrängten Kollegen zu helfen“, über Friedenserklärungen hinaus: „Punktuelle Zusammenarbeit bleibt also machbar, wenn man Gegensätze ausklammert, ohne Grundsätze zu verleugnen!“183 Mitte der 1980er Jahre normalisierte sich das Verhältnis zum DDR-PEN zunehmend. Die Kollegen, mit denen man sprechen konnte, waren nach Schwarze zwar eher „Konformisten ihrer Gesellschaftsordnung“ und nicht repräsentativ für „jenen Teil 179 Thema: „The Writer – Freedom and Power“; vom 23. 9.–1. 10. 1989. – Die bundesdeutschen Delegierten waren Amery und Schwarze; Angelika Mechtel nahm für Writers in Prison, Gerd E. Hoffmann für Writers for Peace teil. Der Kongress hatte 700 Teilnehmer aus mehr als 60 Ländern. 180 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 8. DA; vgl. Verhältnis zwischen West und Ost hat sich verbessert. In: Westfälische Rundschau, 30. 9. 1989. 181 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 6. DA; vgl. Appell für Umweltschutz. Der 54. PENWeltkongreß wurde in Toronto eröffnet. In: Nürnberger Zeitung, 25. 9. 1989. 182 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 11. 1984), Anlage, S. 7. DA. – Fünf Jahre vorher hatte das Zentrum der DDR eine vergleichbare Resolution auf einem internationalen Kongress vorgeschlagen, damals unterstützt vom französischen P.E.N., vgl. Protokoll vom 9. 5. 1980 (Bled), S. 39f. PAL. 183 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 11. 1984), Anlage, S. 7f. DA.

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des breiten Spektrums der DDR-Schriftsteller, der im eigenen Staat mundtot gemacht worden ist.“ Aber auch sie würden „in aller Stille“ dafür sorgen, dass es keine Writers in Prison in der DDR gebe. Alexander Richter sei frei und im Westen, und über neue Fälle könne man gegebenenfalls sicher mit Kamnitzer und Kaufmann reden – „noch vor einem Jahr hätte ich diesen Satz so noch nicht zu formulieren gewagt.“184 Immerhin war es gelungen, gemeinsam mit dem Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland und mit dem PEN der DDR eine gemeinsame Erklärung zum 8. Mai 1945 zu verabschieden; unabhängig „von allen gesellschaftspolitischen Differenzen“ gelte es, den „nun schon vierzigjährigen Frieden“ zu bewahren, die Unterzeichner erklärten sich gegen den „Wahnsinn des Wettrüstens“, Nuklearwaffen und andere Massenvernichtungsmittel und „eine Militarisierung des Weltraums.“185 Schwarze baute weiterhin den Kontakt zum DDR-Zentrum systematisch aus, sprach, telefonierte mit den Ostpräsiden, fuhr nach Ostberlin, gab sich Mühe, beiderseits Lesungen zu organisieren und doch bei aller Verständigungsbereitschaft stets heikle Fälle von Menschenrechtsverletzungen, Autorenverfolgungen oder -behinderungen offen zu kritisieren. Nicht nur mit Stephan Hermlin, auch mit dem Präsidenten Heinz Kamnitzer hatte er auf diese Weise ein Verhältnis gegenseitiger Akzeptanz erreicht, das auf die Probe gestellt wurde, als die Ereignisse in der DDR begannen, sich zu überstürzen. Am 17. Januar 1988 wurden in Ostberlin 120 Demonstranten nach einer offiziellen Demonstration zum Todestag Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs festgenommen, allesamt Anhänger der Friedensbewegung und der „Kirche von unten“; unter ihnen waren auch der Liedermacher Stephan Krawczyk und die Regisseurin Freya Klier, die gegen ihren Willen am 2. Februar des Landes verwiesen wurden. Die Demonstranten hatten sich auf Luxemburgs Dictum von der ‚Freiheit, die immer die Freiheit des Andersdenkenden‘ sei, berufen; Kamnitzer hatte in zwei Artikeln im Neuen Deutschland die Verhaftungen gerechtfertigt, mit der Folge eines konfliktuösen Wechsels von Briefen und Telefonaten zwischen Schwarze, Gregor-Dellin, Kamnitzer, Blokh und Tavernier. 1989 konnten die politischen Ereignisse nicht mehr so eingehend zwischen den Zentren verhandelt werden, sie nahmen noch weiter Fahrt auf. Nach der Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze gab es Massenfluchten ostdeutscher Urlauber über die grüne Grenze, am 11. September 1989 öffnete die ungarische Regierung entgegen den bestehenden Verträgen mit Ostberlin auch die Grenze zu Österreich. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher erwirkte eine Durchreisegenehmigung 184 Rs. Hanns Werner Schwarze (20. 12. 1985), Anlage 1, S. 6. DA. 185 Unterzeichner: Martin Gregor-Dellin, Hanns Werner Schwarze, Heinz Kamnitzer, Henryk Keisch, Arno Reinfrank. Vgl. dpa-Meldung 102103 (Sperrfrist 10. 4. 1985), (Teil-)Abdrucke in: Der Tagesspiegel, 11. 4. 1985, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung, Die Welt sowie etlichen Regionalblättern, alle 12. 4. 1985. Die Deutsche National-Zeitung, 17. 5. 1985, erregte sich über die Bezeichnung des 8. Mai als „Befreiung“ Deutschlands und bezeichnete Schwarze als „einstige[n] Wehrmacht-Leutnant, der 220mal das linke Politmagazin ‚Kennzeichen D‘ auf dem Bildschirm präsentiert hat“.



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für die 3500 Flüchtlinge in der Prager Botschaft der Bundesrepublik in Sonderzügen durch die DDR in die Bundesrepublik. Am 7.  Oktober konnten Erich Honecker und seine Regierung zum letzten Mal die Staatsgründung der DDR feiern, am 18. Oktober wurde Honecker durch das Politbüro der SED von allen Funktionen in Partei und Staat entbunden, im Dezember wurden er (und andere Politiker) aus der SED ausgeschlossen und Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs und Korruption gegen ihn aufgenommen. Am 4. November demonstrierten mehr als eine halbe Million Menschen für freie Wahlen und Demokratie, am 9. November öffnete sich die Mauer. Im Dezember einigten sich Kohl und der DDR-Ministerpräsident Hans Modrow in einem ersten Schritt auf eine Vertragsgemeinschaft der beiden deutschen Staaten. Schriftsteller reagierten auf die Wiedervereinigung zunächst nur spärlich. Niemand hatte sich den Vorgang in dieser Form und Geschwindigkeit vorgestellt. Der internationale Kongress 1989 in Maastricht verkündete allzu optimistisch The End of Ideologies;186 immerhin konnte sich das PEN-Präsidium über die Gewalt der Ereignisse äußern, wie distanziert auch immer. Carl Amery war nicht der Mann, großartige Empfänglichkeit oder gar das öffentlich zelebrierte Pathos für eine Vereinigung der beiden Länder aufzubringen. Einige Jahre nach dem Mauerfall zeigte er sich „empört über die Entwicklung des sogenannten Geistes seit 1989. Diese Nebenschauplätze! Vor der Erdgeschichte ist die Wiedervereinigung nur die Fusion zweier Fußball-Bundesligen.“187 Hanns Werner Schwarze schrieb, selten gebe es „politische Ereignisse, die einen im Sinne des Wortes sprachlos sein lassen.“188 Man wolle die Zahl gutgemeinter Ratschläge an die Kollegen im Osten nicht vergrößern, manche Kommentare würden ohnehin als Bevormundung empfunden. Wie schwer die Abschätzung der tatsächlichen Perspektiven noch im Dezember 1989 fiel, zeigen die Vorstellungen des Präsidiums zum Umgang mit dem anderen deutschen PEN. Nach dem Rücktritt Heinz Kamnitzers werde mit dem noch zu wählenden neuen Präsidium des DDR-PEN „über intensive Kooperation“ geredet werden, „die den Autoren und der Verbreitung ihrer Bücher in beiden deutschen Staaten dienen soll.“ Der Verzicht auf Einreiseverbote und Lesungen in der DDR seien selbstverständlich, ferner sei an „gemeinsame Veranstaltungen gedacht.“189 Amery und Schwarze forderten für ihre PEN-Mitglieder Erich Loest und Jürgen Fuchs, die in der DDR aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen hatten, die Rehabilitierung durch den Justizminister der DDR; ebenso forderten sie den sowjetischen Justizminister auf, Horst Bienek und Walter Kempowski zu rehabilitieren, die von sowjetischen Gerichten in der DDR verurteilt worden waren.190 Der Staatssekretär 186 Rudolf Geel und Hans van de Waarsenburg (Hrsg.): The End of Ideologies. La fin des idéologies. 53rd International PEN Congress. 7–12 May 1989. Maastricht, The Netherlands. 187 Carl Amery im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt, 21. 10. 1994, zit. n. Kiermeier-Debre: Carl Amery, S. 184. 188 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 1. DA. 189 Ebd., S. 2. 190 Vgl. die Meldungen in der Frankfurter Allgemeinen und der Stuttgarter Zeitung, 28. 11. 1989.

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des DDR-Justizministeriums antwortete, für Fuchs und Loest seien „Kassationsanträge“ gestellt, darüber hinaus sei ein allgemeines Rehabilitierungsgesetz in Vorbereitung.191 Carl Amery gab eine Erklärung zu den Vorgängen im ehemaligen Ostblock ab, die vor allem die Abstinenz permanenter Erklärungen begründete – wohl nicht zuletzt den eigenen PEN-Mitgliedern: Dem fast kläglichen Zusammenbruch einer nachstalinistischen Ordnung, der real-utopischen Möglichkeit eines brüderlichen Europa unter dem Banner von 1789, gingen Jahrzehnte voraus, in denen durch ideologische Irrgärten, durch Interdikt und Verbannung diese Europäer und vor allem ihre Literatur daran arbeiteten, die Real-Utopie der Freiheit am Leben zu halten. Das P.E.N.Zentrum Bundesrepublik Deutschland ist stolz darauf, nicht wenige solcher Frauen und Männer unter seinen Freunden zu wissen. Es ist nicht zuletzt ihr Ratschlag, der uns davon abhielt, diese Erklärung ständig kommentierend zu begleiten. […] Überall dort, wo unsere Solidarität erwartet wird, wird sie zur Verfügung stehen. Die Messlatte für freies Selbstbewusstsein, für verantwortungsvollen Einsatz für die Freiheit der Meinung und des Wortes wird heute von denen höher gelegt, die nicht wie wir jahrzehntelang in ihrem Genuss waren, und wir erkennen ihre Rolle voll Dankbarkeit an. Dies ist nicht der Zeitpunkt für Besserwisserei, für das arrogante Verlautbaren von Freiheitsrezepten; nicht für nationalen oder ideologischen Triumphalismus. […] Es gilt, die alten Feinde der Freiheit, Chauvinismen, Rassismen, Totalitarismen unter neuen Verkleidungen aufzuspüren und sie deutlich zu benennen, wie wir dies in Vergangenheit und Gegenwart stets versucht haben und versuchen. Dies ist der grösste Dienst, den wir unseren ost- und mitteleuropäischen Freunden nach ihrer Selbstbefreiung leisten können.192

Amery beschwor noch ungetrübt Freundschaft und Gemeinsamkeit der Schriftsteller in einer großen europäischen Gemeinschaft. Dass zumal innerhalb der abrupt zusammengerückten Deutschen oder gar innerhalb der beiden deutschen PENZentren Probleme auftreten könnten, schien nicht denkbar; sie holten die Autoren schnell ein. 1995 hat Amery in einem Interview die Frage nach seiner dramatischsten Fehlentscheidung spontan beantwortet: „Ha! Mich einmal zum PEN-Präsidenten wählen zu lassen.“193 Zu dieser Einschätzung dürfte die Jahresversammlung in Kiel (10.–12. 5. 1990) bzw. ihr polemischer Abschluss einiges beigetragen haben. Man hatte sich entschlossen, außer einer nicht presseöffentlichen Werkstattlesung neuer Mitglieder kein Thema anzusetzen; jede Planung schien unsinnig bei Ereignissen, die permanent die Situation veränderten. Schwarze hoffte immerhin auf eine „deutschdeutsche P.E.N.-Begegnung, wofür der DDR-P.E.N., dessen Präsidium im Januar neu gewählt wird, sich sehr engagieren müsste. Auch wir müssten das sehr wollen …“194

191 Rs. Hanns Werner Schwarze (14. 3. 1990), S. 5. DA. 192 Carl Amery in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 4f. DA. 193 Carl Amery in Die Woche, 11. 8. 1995, zit. n. Kiermeier-Debre: Carl Amery, S. 198. 194 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 12. 1989), S. 18f. DA.



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Schwarze nahm an der Mitgliederversammlung des DDR-PEN am 30. Januar 1990 teil und erklärte dort dem neu gewählten Präsidium195 die Haltung des bundesdeutschen PEN, ebenso Schwarze und Carola Stern in einem späteren Gespräch mit Heinz Knobloch: Demnach sollten „Veränderungen der gegenwärtigen Situation vor einer ‚Selbstfindung‘ der DDR-Kollegen von uns nicht angeregt werden.“196 Unter dieser Voraussetzung sei man aber zu jeder Hilfestellung bereit. Es wurden zwei Präsidiumsmitglieder nach Kiel geladen, dazu auch weitere DDR-Kolleginnen und Kollegen, „nicht nur P.E.N.-Mitglieder“.197 In der Kiel vorbereitenden Präsidiumssitzung im April  1990 sollte aufgrund einer Erklärung des DDR-PEN zum Abbau kultureller Positionen in der DDR beraten werden, „ob und in welchen Formen wir öffentlich oder nichtöffentlich den DDR-Kollegen helfen können“.198 Die öffentlichen Abendveranstaltungen in Kiel hießen dann recht allgemein „Deutsche Schriftsteller 1990 – Erfahrungen und Visionen“.199 Die Mitgliederversammlung diskutierte nach einem Kurzreferat des Journalisten, langjährigen Berlin-Korrespondenten des WDR und Ostpolitik-Spezialisten Peter Bender über „Europa und die Deutschen“.200 Am Schluss der Mitgliederversammlung verursachte vor allem Yaak Karsunke einen halbstündigen polemischen Schlagabtausch. In der Eröffnungsdiskussion war die Rolle des früheren stellvertretenden DDR-Kulturministers und PEN-Mitglieds Klaus Höpcke bei der Verfolgung von DDR-Schriftstellern angesprochen worden. Der Präsident des DDR-PEN Heinz Knobloch wollte zu dieser Rolle eine Erklärung abgeben, ließ sich aber (ungern) überzeugen, „seine Erklärung am nächsten Vormittag, weil er dann nicht mehr anwesend sein konnte, von einem anderen DDR-Kollegen verlesen zu lassen.“201 Am Morgen, vor dem Beginn des zweiten Teils der Mitgliederversammlung, hätten Schwarze Mitglieder des Präsidiums und Gäste aus der DDR vorgeschlagen, die Erklärung lediglich im Tagungsbüro auszulegen, um Peter Benders Vortrag nicht durch eine Auseinandersetzung um Höpcke zu schmälern. Dies war nach Schwarzes späterer Einsicht „eine Fehleinschätzung: weder die Mitglieder hätten dann auf den Text reagieren noch die Presse hätte 195 Zum neuen Präsidenten wurde Heinz Knobloch gewählt; Generalsekretär war Walter Kaufmann, Ehrenpräsident Stephan Hermlin. Im Vorstand ferner Günther Cwojdrak, Fritz Rudolf Fries, Helga Königsdorf, Werner Liersch und Jean Villain. – Vgl. Rs. Hanns Werner Schwarze (14. 3. 1990), S. 3. DA. 196 Rs. Hanns Werner Schwarze (14. 3. 1990), S. 3. DA. 197 Ebd. 198 Die Erklärung des DDR-PEN-Präsidiums erfolgte am 30. 1. 1990. Zit.: Rs. Hanns Werner Schwarze (14. 3. 1990), S. 3. DA. – Vgl. Walter Jens: Plädoyer gegen die Preisgabe der DDR-Kultur. Fünf Forderungen an die Intellektuellen im geeinten Deutschland. In: Süddeutsche Zeitung, 16./17. 6. 1990. 199 Carola Stern und Walter Jens diskutierten am 10. Mai mit Carl Amery, Jurek Becker, Christoph Hein, Helga Königsdorf, Günter Kunert, Sten Nadolny und Hans Joachim Schädlich; am 11. Mai lasen unter demselben Thema Katja Behrens, Wolfgang Hegewald, Wolfgang Hilbig, Sarah Kirsch, Uwe Kolbe, Peter Rühmkorf und Helga Schütz, Gert Heidenreich moderierte. 200 Vgl. Thomas Reschke: Uneins in die Einheit? Anmerkungen zum Jahreskongreß des PEN-Zentrums der BRD. In: Der Sonntag, 16. 6. 1990. 201 Rs. Hanns Werner Schwarze (22. 8. 1990), S. 7. DA.

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über die Reaktionen berichten können.“202 Die gefallenen „Anwürfe, Unterstellungen und Beschuldigungen, wie sie bisher unter den Freundinnen und Freunden des P.E.N. nicht üblich waren“, konnten die PEN-Mitglieder erfahren, indem sie ein Tonbandprotokoll der letzten 25  Minuten anforderten,203 im Rundbrief wurde auf eine ausführliche Darstellung verzichtet. In der Tat ging es hoch her, es fielen ‚Mauschelei‘Vorwürfe, die Erklärung wurde schließlich doch verlesen und führte zum Eklat. Die beiden deutschen Zentren konnten danach keine gemeinsame Resolution über Nationalismus, Neonazismus und Fremdenhass mehr verabschieden, weil es keine gemeinsame Sprache dafür gab. In den folgenden Jahren hatte der PEN ständig damit zu tun, journalistische oder kollegiale Unterstellungen und Interpretationen zurückzuweisen, schließlich auch innerhalb des Clubs. Die PEN-Geschichte fand einige Jahre lang nur noch in der differierenden Einschätzung intellektuellen Verhaltens von DDR-PEN-Mitgliedern vor 1989 statt. Der Club schien keine anderen Themen mehr zu kennen, sogar die Writers in Prison-Arbeit wurde zeitweilig an den Rand der Aufmerksamkeit gerückt. Die Fokussierung betraf dabei tatsächlich nur ostdeutsche Autoren –: Durch das DDR-Thema wurde der Diskurs über radikale Bestrebungen in der Bundesrepublik nach 1968 vollständig blockiert, dass sich auch westdeutsche Schriftsteller (darunter einige der schärfsten DDR-Kritiker von 1989) von der ostdeutschen Regierung hofieren ließen, wurde kaum einmal angesprochen.204 Erst dem 1996 zum Präsidenten gewählten Karl Otto Conrady gelang es allmählich, die Wogen zu glätten, das dialogische Prinzip wieder einkehren zu lassen und die Vereinigung der Zentren 1998 vorzubereiten.205 Schwarze und Amery wiederholten 1990 gegen Anwürfe vor allem aus der Zeit und der Frankfurter Allgemeinen immer nur, was sie vorher schon gesagt hatten und was verstümmelt oder gar nicht wiedergegeben worden war. Im Präsidium herrschte Einvernehmen, „dass ein Zusammenschluss der beiden PEN-Zentren in Deutschland von uns nicht gewünscht wird.“206 Falls die Mitglieder des PEN-Clubs DDR diesen Zusammenschluss wünschten,207 haben sie zunächst die schwierige Aufgabe zu lösen, akzeptable Voraussetzungen eines solchen Zusammenschlusses zu schaffen, der ohnehin die Zustimmung unserer Mitglieder sowie des internationalen P.E.N. bedürfte. […] Überlegungen zur Frage einer Selbstauflösung des DDR-P.E.N. 202 Ebd. 203 Ebd. – Nach Ursula Setzers Erinnerung hat dieses Protokoll nur ein PEN-Mitglied angefordert, Yaak Karsunke (lt. Telefonat des Verfassers mit Ursula Setzer am 9. 12. 1997). 204 Als eine Ausnahme: Margarete Hannsmann: Unteilbare Erinnerungen. In: Freitag 21 (19. 5. 1995), S. 9. 205 Das erste gesamtdeutsche PEN-Autorenlexikon: P.E.N. Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2000/2001. Red. Sven Hanuschek. Wuppertal 2000; dort zur Vereinigung besonders das Vorwort Christoph Heins (S. 9–11) und Christa Dericums Beitrag zur Geschichte des deutschen P.E.N. (S. 12–31, bes. S. 30f.). 206 Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), S. 1f. DA. 207 Ebd., S. 2.



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stehen zwar jedem frei, sind jedoch vor allem Sache des DDR-P.E.N. Unser Präsidium betrachtet es nicht als seine Aufgabe, dazu unerbetene Ratschläge zu geben.

Anlass dieser erneuten Klarstellung war „die gutgläubige Absicht des Präsidiums“ gewesen, „mit jenen unserer Mitglieder, die sich im weitesten Sinne als Opfer des Regimes in der früheren sowjetischen Zone sowie der DDR fühlen konnten, ein vertrauliches Gespräch zu führen.“208 Die politische Vereinigung war absehbar, die PENZentren würden sich dazu verhalten müssen. Das bundesdeutsche Präsidium musste mit Aufnahmeanträgen aus dem Osten rechnen und mit ihnen umgehen können, die Geschädigten waren die erste Instanz, die zu dieser Eventualität nach ihrer Meinung zu fragen war. Das Gespräch kam nicht zustande, von 29 Eingeladenen sagten nur drei zu. Die Folgen mochte Schwarze „subjektiv als ‚originell‘ bezeichnen“:209 Acht der Geladenen stellten Äußerungen ihrer Ablehnung einer PEN-Vereinigung der Frankfurter Allgemeinen zur Verfügung, die diese Stellungnahmen als eigene Umfrage ausgab. Der einleitende Journalist („JGJ“, wohl Jens Jessen) berichtete, „[e]inige“ der geladenen Gäste „fühlten sich an die Spruchkammerverfahren der Entnazifizierung erinnert“.210 Er zitierte aus dem (nicht vorliegenden) Einladungsschreiben, wonach die Gäste sich zu der Frage äußern sollten, „wer von den gegenwärtigen Mitgliedern des DDR-P.E.N. für Sie aus welchem Grund unzumutbar als Mitglied eines gemeinsamen P.E.N.-Zentrums ist“. Diese Formulierung wirkte denkbar unsensibel; Wolfram Schütte billigte dem Präsidium immerhin ein Problem zu: Mit Kollegen, die Zensurmaßnahmen gedeckt oder gefordert oder mit dem Staatssicherheitsdienst zusammenarbeitet hatten, könne niemandem zugemutet werden, die PEN-Mitgliedschaft zu teilen – „keinem, ob er aus der DDR vertrieben wurde oder von jeher in der Bundesrepublik lebte.“ Es sei eine delikate Entscheidung und Urteilsfindung, „delikat mehr für die ehemaligen ‚Opfer‘ als für die mutmaßlichen ehemaligen ‚Täter‘“: Es war deshalb so unsinnig und grotesk nicht, daß das westdeutsche PEN-Präsidium mit den 28 seiner Mitglieder, die aus der DDR kamen, darüber beraten wollte, wie da künftig zu verfahren sein sollte; und daß man das intern tun wollte, war schon gar nicht so ‚merkwürdig‘, wie das die FAZ fand. Denn wie man das Problem auch drehen und wenden mochte: Peinlich und peinsam würde es für jeden werden, der gezwungenermaßen daran beteiligt sein müßte, wenn ‚Roß und Reiter‘ identifiziert werden sollen.211

208 Ebd., S. 1. 209 Rs. Hanns Werner Schwarze (22. 8. 1990), S. 9. DA. 210 JGJ: Keine Wiedervereinigung. Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte. Eine Umfrage aus gegebenem Anlaß. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. 7. 1990; hier und im folgenden zit. nach dem Faks. in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage, S. 1. DA. 211 Wolfram Schütte: Mitempfindung und Fairneß. Zur Zukunft des deutschen PEN-Clubs. In: Frankfurter Rundschau, 4. 8. 1990.

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Schütte fand, dass es fraglich sei, ob die Befragten mit ihrer Öffentlichmachung vermieden haben, was sie „schon intern zu Recht als Zumutung empfunden hatten“;212 die Entwicklung der kommenden Jahre gab ihm recht. Es wurden in den Zeitungs-Statements nur selten Namen inkriminiert, häufiger wurde argumentiert. Sarah Kirsch fand das Ansinnen des westdeutschen Präsidiums unzumutbar: „Weil ich weder Gottvater noch für Selektionen zuständig bin.“ Man solle „zu keinem Zeitpunkt etwas zusammenführen“, das sich „trotz gleichklingenden Namens in keiner Weise entspricht.“ Die Mitglieder des DDR-PEN sollten ihren Club auflösen und nach den Satzungen des bundesdeutschen PEN diesem beitreten; die Gelegenheit, nicht zu fusionieren, gebe es nur einmal.213 Auch Hans Joachim Schädlich machte den „Vorschlag zur Güte“, das „DDR-PEN-Zentrum möge sich auflösen und seinen Mitgliedern anheimstellen, die Aufnahme in das bundesdeutsche PEN-Zentrum zu versuchen“, nach der dort gültigen Satzung.214 Guntram Vesper verlangte ausführliche Gespräche – auch nur die Frage nach einer Vereinigung der Clubs könne noch nicht gestellt werden, man müsse sich zuerst über die sozialistischen Tabus auseinandersetzen, und auch die West-Mitglieder hätten „Grund zum kritischen Rückblick“.215 Auch Loschütz’ Stellungnahme ging in diese Richtung: niemand zwinge den PEN, „das Tempo zu übernehmen, das der Kanzler eingeschlagen hat.“216 Allein Joachim Seyppel schlug ein großzügigeres Verfahren vor: Man solle alle DDRPEN-Mitglieder „als solche“ akzeptieren, sie dann „in Kenntnis ihres Gewissens und ihrer Kritikfähigkeit gegenüber sich selbst“ auffordern, „kritische Gewissensschau zu halten und selber zu befinden, ob sie nach Wissen um die DDR-Geschichte […] weiterhin PEN-Mitglied sein können, wollen oder dürfen“; im dritten Schritt solle man die bundesdeutschen Mitglieder zu einzelnen DDR-Mitgliedern hören, also das tun, was das bundesdeutsche Präsidium zuerst hatte ermöglichen wollen.217 Carola Stern und Gert Heidenreich antworteten als Mitglieder des Präsidiums auf die Stellungnahmen in der Frankfurter Allgemeinen. Stern wunderte sich über die Zeitung ebenso wie über die eingeladenen Autoren: Kollegen, die zu ihrem Bedauern verhindert gewesen seien, „ließen uns schriftlich ihre Meinung wissen (jetzt als F.A.Z.-Umfrage deklariert). Irgendwelche Bedenken gegen das Treffen wurden nicht

212 Ebd. 213 Sarah Kirsch zit. nach dem Faks. aus der FAZ in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage, S. 1. DA. 214 Hans Joachim Schädlich zit. nach dem Faks. aus der FAZ in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage, S. 2. DA. 215 Guntram Vesper zit. nach dem Faks. aus der FAZ in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage, S. 3. DA. 216 Gert Loschütz zit. nach dem Faks. aus der FAZ in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage, S. 4. DA. 217 Joachim Seyppel zit. nach dem Faks. aus der FAZ in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage, S. 3. DA.



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geäußert.“218 Als Kunert und Kirsch erfuhren, dass fast alle Kollegen verhindert waren, sagten auch sie ab, „Kunert mit einem Drei-Zeilen-Brief: ‚Mir ist bei dieser Angelegenheit immer unbehaglicher zumute geworden. Also orientiere ich mich an meiner ‚inneren Stimme‘.‘ Was ihm diese sagte, teilte er dem PEN-Präsidium nicht direkt, sondern über das Feuilleton der F.A.Z. mit.“219 Die Vorwürfe des Redakteurs empfand Carola Stern als Unterstellungen. Das Treffen sei vom Präsidium als „Akt der Fürsorge und der Fairneß gegenüber den früheren DDR-Autoren verstanden“ worden: Ist es eine Aufforderung zur Denunziation […], wenn wir einstige Opfer der Verfolger über ihre Erfahrungen mit diesen fragen wollen? Oder dient es der Gerechtigkeit? Wer um alles in der Welt hat denn ein Recht, anzuklagen, wenn nicht die, die widersprochen, Widerstand geleistet haben? Wie sollen wir in Gesprächen mit Kollegen in der DDR unseren Standpunkt denn begründen, wenn wir nur Unbehagen, Unwillen, allgemein gehaltene Anklagen erheben?220

Den Umgang mit Schuld und Verstrickung könne den Betroffenen niemand abnehmen, sie befürchte aber durch „[s]elbsternannte Staatsanwälte in bundesdeutschen Feuilletons“, dass sich die „Einsichtigen und die Uneinsichtigen unter den DDR-Autoren […] gegen bundesdeutsche Selbstgerechtigkeit“ zusammenschließen. Auf den Vorwurf, durch die Mitgliedschaft von Funktionären sei der DDR-PEN kein PEN-Club im Sinne der Charta, entgegnete Stern, der Internationale PEN unterscheide nicht zwischen ‚eigentlichen‘ und ‚uneigentlichen‘ Zentren, die ganze Clubgeschichte des Kalten Krieges sei ein Beleg dafür: Er hat der Gründung von PEN-Zentren zum Beispiel in Südafrika und in Bulgarien, in China und in Chile, auch in Nicaragua und Korea zugestimmt, wohl wissend, daß auch dort vorübergehend oder schon seit langem Autoren verfolgt und Meinungsfreiheit nicht gewährt worden ist. Doch es ging darum, Kollegen zu helfen, unter Berufung auf die Charta gegen Zensur zu klagen, ihnen wo nur möglich Schutz zu bieten und andere zu ermutigen, sich an Menschenrechten zu orientieren, die in Diktaturen außer Kraft gesetzt worden sind. Jetzt zu polemisieren, ob der PEN der DDR überhaupt ein PEN sein konnte, leuchtet mir nicht ein. Das hätte früher geschehen müssen.221

Stern plädierte für das westdeutsche PEN-Statut; ein ‚Anschluss‘ „à la Artikel 23 Grundgesetz“ und damit die „Übernahme der Verfahren westdeutscher Parteien“ sei für Schriftsteller zu einfach. Man könne nicht davon ausgehen, dass weithin anerkannte DDR-Autoren sich einem „derart entwürdigenden Verfahren“ unterwürfen – aber ohne etwa Volker Braun, Günter de Bruyn, Stefan Heym, Christoph Hein, Ulrich Plenzdorf, Gerhard und Christa Wolf könne sie sich einen einheitlichen deutschen 218 Carola Stern: Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. 8. 1990. 219 Ebd. 220 Ebd. 221 Ebd.

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PEN nicht denken. Daher müsse weiterhin über gangbare Wege nachgedacht und das besonnene Gespräch gesucht werden. Gert Heidenreich wiederholte den Standpunkt des Präsidiums: Eine Vereinigung sei nicht wünschenswert, zwei Zentren sollten so lange bestehen bleiben, wie der Internationale PEN dies gestatte. Auf der Tagesordnung der nächsten Kongresse in Delphi und Wien war das Thema „Zukunft des P.E.N. in Deutschland“ nicht vorgesehen; im Internationalen PEN herrschte die Ansicht vor, „die Deutschen mögen dies selbst regeln, wobei die weitere Existenz von zwei Zentren niemanden störe.“222 Man musste sich lediglich mit der Möglichkeit befassen, dass der PEN der DDR „aus finanziellen oder anderen Gründen, en bloc oder mittels Einzelanträgen“ um Aufnahme in das bundesdeutsche Zentrum bitten könnte.223 Nach den internationalen Gepflogenheiten hätten die Mitglieder des DDR-PEN diese Freiheit, und allein über diese Eventualität habe das Präsidium mit den geladenen Mitgliedern sprechen wollen – „bevor irgendwelche Gespräche mit dem DDR-P.E.N. – sei es auch nur über gemeinsame Resolutionen, etwa in der Frage des Hasses auf Ausländer – aufgenommen würden.“224 Das Präsidium sei also weit davon entfernt gewesen, eine Spruchkammer-Mentalität zu provozieren, verspüre aber weder Harmonie- noch Abrechnungsbedürfnisse. Es herrsche Konsens, dass „es im PEN der DDR Mitglieder gibt, deren Unterzeichnung der PEN-Charta einem Meineid gleichkommt.“ Die wirklich strittigen Fälle seien aber „die Gustaf-Gründgens- und die Gottfried-Benn-Verhaltensmuster“, bei denen erst einmal der DDR-PEN selbst wissen müsse, „ob er die Diskussion der Vergangenheit führen oder vermeiden will.“ Das bundesdeutsche PEN-Präsidium müsse davor bewahrt werden, Entscheidungsgremium für Aufnahmeanträge einzelner Autoren zu werden: „Binnen kurzem wäre dieses Präsidium in ebendem Status, den JGJ in der F.A.Z. so vehement beklagt: dem einer Spruchkammer.“225 Jutta Lehmer gab den Stand der Diskussion für die deutsche Presseagentur wieder und ergänzte den Standpunkt des PEN-Zentrums der DDR: Werner Liersch und Stephan Hermlin erklärten, der Verband habe nicht die Absicht, sich aufzulösen; zwei Zentren gebe es in vielen Ländern; über die Mitgliedschaft Belasteter könne nur der DDR-PEN entscheiden.226 Wenig später wurde auch Hans Mayers Einlassung zum Thema in einem Rundbrief des bundesdeutschen Generalsekretärs publik gemacht. 222 Rs. Hanns Werner Schwarze (27. 12. 1990), S. 5f. DA. 223 Gert Heidenreich: Es war doch noch gar nichts geplant. Das Präsidium des westdeutschen PEN äußert sich zur Frage einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. 8. 1990; hier und im Folgenden zit. nach der ungekürzten Version in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage 2, S. 2f. DA. 224 Gert Heidenreich in Rs. Hanns Werner Schwarze (2. 8. 1990), Anlage 2, S. 2. DA. 225 Ebd. 226 Jutta Lehmer: Die beiden deutschen PEN-Clubs vor massiven Problemen. Politische Altlasten verhindern Vereinigung. In: Berliner Morgenpost, 9. 8. 1990; vgl. Stephan Hermlin: „Eine perfide Kampagne“. St. H., 2. Vorsitzender des Internationalen PEN-Zentrums, über die Zukunft des DDR-PEN [Interview von André Meier]. In: die tageszeitung, 4. 8. 1990.



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Er hatte bereits im Juli, als Reaktion auf die Kieler Versammlung, einen Brief an Walter Jens geschrieben; er war der erste, der in der beginnenden Debatte an die Gründungsumstände, an historische Konstellationen – Gründung, Spaltung, Wiederannäherung – der deutschen Zentren erinnerte, auch an seine Aufnahme in den bundesdeutschen Club. Das damalige Präsidium hätte Ernst Bloch und ihn in den 1960er Jahren einfach fragen müssen, ob wir den Antrag stellen wollten, von nun an dem westdeutschen Zentrum anzugehören. Das tat man nicht. Man spielte die Komödie einer Neuwahl. Wir wurden also offiziell in einen Club gewählt, dem wir längst angehörten, ich selbst zumeist länger als diejenigen, die mich ‚gewählt‘ hatten. Diese Unverschämtheit und Torheit habe ich niemals verziehen.227

Mayer war erbost über „einige Kollegen des Zentrums“, die „wieder einmal die Komödie des Alleinvertretungsanspruchs“ spielten und das DDR-Zentrum nach dem Prinzip „Kaltes Buffet“ übernehmen wollten, „wo man sich aussucht, was man haben möchte.“ Er sehe nur die beiden Möglichkeiten, die Mitglieder beider Zentren zusammenzuschweißen – „[e]in grausiger Gedanke“ – oder das parallele Bestehen zweier Zentren zu akzeptieren: Die Mitglieder des Zentrums DDR sind und bleiben Mitglieder des Clubs. Sie werden nach Verschwinden ihres Staates DDR eine neue Titulatur finden müssen, worüber sie selbst zu entscheiden haben. Sie könnten sich, um einen Jux zu machen, einfach ‚PEN-Zentrum Potsdam‘ nennen. Das geht uns überhaupt nichts an. Was uns angeht, sind denunziatorische Versuche einzelner Mitglieder, als Saubermann oder Sauberfrau aufzutreten und darüber entscheiden zu wollen, ob ein Mitglied des PEN-Zentrums DDR dem Club angehören darf oder nicht. Ich gebe aber zu bedenken, dass ein solches Denunziantentum, wie es offenbar in Kiel sichtbar und hörbar wurde, einen Verstoss gegen die Charta des PEN-Clubs darstellt.228

Mayers humoristischer Vorschlag zur Namensgebung des DDR-Zentrums wurde von der Wirklichkeit eingeholt, in „Deutsches P.E.N.-Zentrum (Berlin)“ wollte sich der Club umtaufen. Das bundesdeutsche Präsidium bat um einen anderen Namen, „der falsche Eindrücke und zwangsläufig auftretende Kontroversen vermeidet, die sowohl uns als auch Ihnen und dem Ruf des Internationalen P.E.N. schaden würden.“229 Auch die 60 Westberliner PEN-Mitglieder wären von diesem Vorschlag betroffen gewesen. In der Darmstädter Präsidiumssitzung am 27. Juni 1990 war nicht nur die Organisation eines – dann gescheiterten – Berliner Treffens beschlossen worden, sondern auch der Stil bundesdeutscher Feuilletons im Umgang mit Christa Wolf, Heiner Müller und anderen nicht durchgängig oppositionellen Autoren der DDR scharf gerügt worden. Die Entschließung lautete: 227 Hans Mayer an Walter Jens (11. 7. 1990), faks. in Rs. Hanns Werner Schwarze (22. 8. 1990), S. 4. DA. 228 Ebd. 229 Rs. Hanns Werner Schwarze (27. 12. 1990), S. 2. DA.

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Das Präsidium des P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland begrüsst engagierte und scharfe Diskussionen unter den Schriftstellern beider deutscher Staaten, verwahrt sich aber zugleich gegen jene selbstgerechte moralische Abqualifizierung, die in zahlreichen Feuilletons mittlerweile modisch geworden ist als Spielart eines postmodernen McCarthyismus. Im Sinne seiner Charta verweist das P.E.N.-Zentrum darauf, dass leidenschaftliche Kritik und Toleranz, harte Sachdebatte und Urbanität einander nicht ausschliessen sondern bedingen.230

Friedrich Dieckmann und Werner Liersch vom DDR-PEN schlugen Schwarze und Heidenreich auf einem VS-Treffen die Bildung eines Koordinierungsausschusses vor, bestehend aus jeweils drei Mitgliedern und einem Vertreter der Präsidien. Dieser Ausschuss sollte nicht etwa die Vereinigung der beiden Clubs koordinieren, sondern eine fortlaufende Kommunikationsinstitution sein: „Zusammenarbeit statt Zusammenschluss!“231 Schwarze schrieb an die Mitglieder, solche Ausschüsse würden gebildet, „wenn man Auswege nicht weiss“, aber nach vier Jahrzehnten seien „weder Auswege noch Eile gefragt.“232 Das westdeutsche Präsidium sprach sich mehrheitlich für den Ausschuss aus, freilich nicht einstimmig; als „Minderheitsmeinung“ gab es auch im Präsidium die Vorstellung, der Ostclub solle sich selbst auflösen und solle dazu auch aufgefordert werden.233 Dieser erste Koordinierungsausschuss scheiterte wenig später; im Herbst 1990 waren alle Positionen bereits dargelegt, sie bildeten die Ausgangslage für die jahrelangen Querelen bis zur Vereinigung der Zentren 1998, in denen vielen Mitgliedern die Motivation verloren ging, weiterhin Mitglieder zu bleiben. Für die dominanten Positionen auf beiden Seiten war eine Generation von Schriftstellern zuständig, für die die deutsche Einheit neben der historischen noch eine gewisse persönliche Bedeutung hatte. Für die Jüngeren gilt Peter Benders Beschreibung der Situation: Man müsse über 60 sein, um von „Wiedervereinigung“ sprechen zu können. Die meisten Deutschen „stehen vor einer Vereinigung mit Menschen, die sie nicht oder nur flüchtig kennen, von denen sie wenig wissen und oft nicht das Richtige.“234 Der 1949 geborene Patrick Süskind hat das Unverständnis gegenüber der Vereinigung für seine Generation und aus westlicher Sicht am krassesten ausgedrückt. Aus Paris die Vorgänge über Fernsehen und Zeitungen beobachtend, beschrieb er durchaus selbstironisch Deutschland als „Midlife-crisis“.235 Das deutsche Thema sei ihm vor 1989 zum Hals herausgehangen, und man lebe nicht jahrzehntelang in einem Provisorium, Präambel hin oder her: 230 Zit. n. Rs. Hanns Werner Schwarze (22. 8. 1990), S. 9f. DA. 231 Rs. Hanns Werner Schwarze (27. 12. 1990), S. 3. DA. 232 Ebd. 233 Ebd., S. 4. 234 Peter Bender: Die einen: Wie? – und die anderen: Wozu? Wie die Deutschen voneinander lernen können. In: Frankfurter Rundschau, 30. 6. 1990. – Bender untersucht in seinem Vortrag die mentalitätsgeschichtlichen Gründe für das Auseinanderdriften der beiden deutschen Bevölkerungen. 235 Patrick Süskind: Deutschland, eine Midlife-crisis. In: Der Spiegel 38 (17. 9. 1990), S. 116–125.



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Nein, die Einheit der Nation war unsere Sache nicht. Wir hielten es für eine vollkommen überholte und von der Geschichte widerlegte Idee aus dem 19. Jahrhundert, auf die man getrost verzichten konnte. Ob die Deutschen in zwei, drei, vier oder einem Dutzend Staaten lebten, war uns schnuppe.236

Die südlichen oder westlichen Länder Europas, noch die äußeren Hebriden seien „unendlich viel näher“ gewesen „als so dubiose Ländereien wie Sachsen, Thüringen, Anhalt, Mecklen- oder Brandenburg“.237 Die euphorischen Sätze von Momper, Brandt und Kohl konnte er nur mit Verwirrung zur Kenntnis nehmen. Willy Brandt sei „das Idol meiner Jugend“ gewesen; über sein „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ schrieb Süskind: Senilität, denke ich. Ein klarer Fall von Alzheimer oder einer sonstigen altersbedingten Störung des Denk- und Urteilsvermögens. Denn was gehört denn da zusammen, bitte sehr? Gar nichts! Im Gegenteil: Nichts Unzusammenhängenderes läßt sich denken als DDR und BRD! Verschiedene Gesellschaften, verschiedene Regierungen, verschiedene Wirtschaftssysteme, verschiedene Erziehungssysteme, verschiedener Lebensstandard, verschiedene Blockzugehörigkeit, verschiedene Geschichte, verschiedene Promillegrenze – gar nichts wächst da zusammen, weil gar nichts zusammengehört. Schade um Willy Brandt, der sich doch wahrlich in Ehren aufs Altenteil zurückziehen könnte! Warum muß er sich exponieren und solchen Unsinn verzapfen und damit seinen guten Ruf aufs Spiel setzen? Und wieder liege ich falsch. Ebenso wie zuvor das Wort Mompers ist nun die Äußerung Brandts Parole des Tages, wird enthusiastisch beklatscht auf Massenkundgebungen in Ost und West, wird als Leitformel aufgegriffen, nicht nur von seiner eigenen Partei, sondern auch von den Regierungsparteien, ja sogar von den Grünen.238

Süskind stellte nur noch resigniert fest, die Metaphern dieser Jahre benutzend, dass die „darwinistisch gestimmte Geschichte mit einem großen Schritt über mich hinweggegangen“,239 dass ‚der Zug abgefahren‘ war – „und ein wenig traurig bin ich, wenn ich daran denke, daß es den faden, kleinen, ungeliebten, praktischen Staat Bundesrepublik Deutschland, in dem ich groß geworden bin, künftig nicht mehr geben wird.“240

236 Ebd., S. 123. 237 Ebd. 238 Ebd., S. 119. 239 Ebd., S. 121. 240 Ebd., S. 125.

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Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen DLA, Nachlässe Kasimir Edschmid, Ernst Kreuder, Wilhelm Lehmann; Sammlung Erich Kästner. PEN-Archiv Darmstadt (DA). PEN-Archiv des Internationalen PEN in London (PAL). PEN-Unterlagen von Heinrich Schirmbeck, Darmstadt (HS). BStU Berlin BArch Koblenz, NL Rudolf Pechel. Gespräche des Vf. mit Walter Schmiele in Darmstadt, 25. 6. 1995 und 3. 7. 1995; Telefonat mit Ursula Setzer (Darmstadt), 9. 12. 1997.

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Achternbusch, Herbert: Das Gespenst. Filmbuch. Frankfurt am Main: Zweitausendeins 1983. AP/ddp: Jahrestagung des PEN-Zentrums begann. „Literatur des Exils“ als Teil deutscher Geschichte. In: Neue Westfälische Zeitung, 19. 9. 1980. Appell für Umweltschutz. Der 54. PEN-Weltkongreß wurde in Toronto eröffnet. In: Nürnberger Zeitung, 25. 9. 1989. Astel, Arnfrid: Zwischen den Stühlen sitzt der Liberale auf seinem Sessel. Epigramme und Arbeitsgerichtsurteile. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand 1974. Augstein, Rudolf: Muß soviel gehobelt werden? In: Walter Scheel (Hrsg.): Nach dreißig Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Stuttgart: Klett-Cotta 1979, S. 243–245. Becher, Johannes R.: Die gleiche Sprache. In: Aufbau 6 (1950) 8, S. 697–703. Bender, Peter: Die einen: Wie? – und die anderen: Wozu? Wie die Deutschen voneinander lernen können. In: Frankfurter Rundschau, 30. 6. 1990. Billing, Peter u. a.: State Properties and Foreign Policy. Industrialized Countries and the UNESCO Crisis. Tübingen: Universität Tübingen 1992 Böll, Heinrich: Absurdes Machwerk. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 25. 5. 1970. – : Freies Geleit für Ulrike Meinhof. Ein Artikel und seine Folgen. Zusammengestellt von Frank Grützbach. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972. Bores, Dorothée: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). [Borée, Karl Friedrich:] Über Toleranz und Geistesfreiheit. An die Mitglieder des Internationalen P.E.N.-Club. Berlin: [o. V.] 1951. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (Hrsg.): Die Freiheit fordert klare Entscheidungen. Johannes R. Becher und der P.E.N.-Club. Bonn: [o. V.] 1951. Burnham, James: Die Rhetorik des Friedens. In: Der Monat 2 (Juli/August 1950) 22/23, S. 448–455. dpa: Ohne deutsche Delegation. Internationaler PEN-Kongreß in Seoul. In: Darmstädter Echo, 30. 6. 1970. DW: Gründe. In: Die Welt, 1. 5. 1963. Edschmid, Kasimir: Tagebuch 1958–1960. Wien, München und Basel: Kurt Desch 1960. Engel, Peter/dpa: Die Exilliteratur wieder im Blickfeld. In: Düsseldorfer Nachrichten, 16. 9. 1980. Engelmann, Bernt (Hrsg.): Literatur des Exils. Eine Dokumentation über die P.E.N.-Jahrestagung in Bremen vom 18. bis 20. September 1980. Im Auftrag des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik





Vom ‚Wohnzimmerverein‘ zur politischen Institution 

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 Sven Hanuschek

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Dorothée Bores

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Auswirkungen auf die PEN-Zentren in Ost- und Westdeutschland (1989–1998)

1 Am Vorabend des Mauerfalls und danach Die zunehmende Stagnation, die das Staatswesen und die gesamte Gesellschaft der DDR im Laufe der 1980er Jahre immer stärker dominierte, hatte auch vor dem PENZentrum DDR nicht Halt gemacht. Doch die aufkeimenden Reformbestrebungen des Sozialismus in Polen und der Sowjetunion, verknüpft mit den Begriffen Solidarność, Perestroika und Glasnost, wirkten auf das sozialistische Staatsgefüge der DDR ein und brachten Veränderungen, die in alle Gesellschaftsbereiche hinein wirkten. Die ablehnende Haltung der DDR-Führung gegenüber einer Liberalisierung des Systems löste nicht nur Unsicherheit unter den Parteifunktionären aus, sondern brachte auch das Volk gegen das Regime auf. In der Folge lässt sich eine Stärkung der Bürgerbewegungen feststellen, die verstärkten Zulauf genossen und Raum für offene Diskussionen, Kritik und Entwicklung von neuen Ideen boten. Im Schutzraum der Bürgerbewegungen, aber auch vieler anderer Institutionen entstand eine neue Form von „Diskussionskultur“, die nicht zuletzt als Ventil für die immer stärkeren Spannungen im Verhältnis zwischen den Herrschenden und der Bevölkerung diente: „Was auch verkündet wurde, nahm man nicht einfach hin. Die Mitglieder und Besucher zeigten sich selbstbewusst, widersprachen und kritisierten. […] In immer mehr Foren ging die Bevölkerung dazu über, ohne Scheu ihre vom offiziellen Meinungsmonopol abweichende Meinung auszusprechen, ihre Sorgen und Ängste vorzutragen.“1 Gleichwohl entfalteten diese im kleinen Kreis geführten Diskussionen zunächst keine übermäßige Wirkung nach außen hin – „undenkbar in den Zeitungen, in Rundfunk oder Fernsehen“ und wirkten auch in der ‚großen‘ Politik kaum nach.2 Dennoch wurde das veränderte Diskussionsklima immer spürbarer, auch in den Intellektuellenkreisen: Am Ende des Jahrzehnts konnte sich sogar das PEN-Zentrum DDR der zuletzt beinahe übermächtig gewordenen, allgemeinen Erstarrung entwinden. Symptomatisch für diese Entwicklung war die Generalversammlung des PENZentrums DDR im März 1989, die gemessen an zurückliegenden Tagungen relativ impulsiv geriet. Schon die Teilnahme von Mitgliedern wie etwa Christa Wolf, die sich nach den kulturpolitischen Tiefschlägen der 1970er Jahre konsequent aus dem PEN

1 Werner Mittenzwei: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 bis 2000. Berlin 2003, S. 352. 2 [Vgl.] ebd., S. 353.



Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 

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zurückgezogen hatten, deutete auf ein verändertes Klima hin. Im Laufe der Versammlung entspann sich in Anwesenheit führender Kulturfunktionäre wie Klaus Höpcke, stellvertretender Minister für Kultur und Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, eine ungewohnt offene Debatte, in der Missverhältnisse und strikte Reglementierungen des Literaturbetriebes durch direkte und indirekte Zensurmaßnahmen – z. B. mangelnde Papierqualität, -quantität und -knappheit, Reisebeschränkungen, Verhinderung von Druckauflagen in anderen europäischen Staaten etc. – für DDR-Verhältnisse schonungslos thematisiert wurden. Ein greifbares Ergebnis der Diskussion über die unbefriedigenden Rahmenbedingungen für die Literaturschaffenden der DDR gab es am Ende nicht – sie wurde „abgebrochen und die Revolution vertagt.“3 Der eigentliche „Paukenschlag“ aber war das Resultat der weiteren Besprechungen, die sich auf die jüngst bekannt gewordenen Bedrohungen der Schriftsteller Salman Rushdie und Václav Havel bezogen. Im Fall Rushdies, der durch das Rechtsurteil (Fatwa) des iranischen Staatsoberhauptes Ajatollah Khomeini mit dem Tode bedroht war, hatte sich das PEN-Zentrum schon vor der Generalversammlung mit einem Resolutionstext für den verfolgten Kollegen verwandt. Gleichwohl empfand Jürgen Rennert die Reaktion des Zentrums als verspätet und beklagte die Passivität des Präsidiums, dem „einige[ ] Schläfrigkeit“4 zu attestieren sei. Die nachfolgende Aussprache der Mitgliederversammlung, die sich zur generellen Kritik an der Menschenrechtssituation im Iran ausweitete, mündete schließlich in der Annahme einer Protestresolution, die um geeignete Maßnahmen der DDR-Führung und aller anderen Staaten der Welt zur Rettung des Lebens von Salman Rushdie nachsuchte. Auch im Fall von Václav Havel forderte eine Reihe von Tagungsteilnehmern vehement eine offizielle Stellungnahme des PEN-Zentrums DDR ein und beklagte die bisherige Inaktivität des Vorstandes in dieser Angelegenheit. Der bremsenden Haltung der führenden Präsidiumsmitglieder Heinz Kamnitzer, Walter Kaufmann und Stephan Hermlin, die zu Besonnenheit mahnten, stellten sich etliche Anwesende entgegen, darunter Rolf Schneider, Christa Wolf, Stefan Heym und Volker Braun. Es gehe darum, dass der DDR-PEN selbst sich äußere: „Hier und heute! Jetzt. Sofort!“5 Heym und Braun sahen in der Wortmeldung zum Fall Havel die Chance, auch Kritik am kulturpolitischen System der DDR zu üben: „Wir müssen uns vor Augen halten, daß wir damit auch einen eigenen Standpunkt zu unserer Kulturpolitik herbeiführen. Es muß eine Kundgabe sein, daß hier bei uns bestimmte Dinge unannehmbar sind.“6 Die dezidierten Forderungen lösten unter den Anwesenden große Unruhe, z. T. auch „tiefes 3 Jean Villain: Vineta 89 – Tagebuch einer Wende. [Rostock]: BS-Verlag 2001, S. 26. 4 Wortbeitrag von Jürgen Rennert. In: Protokoll der Generalversammlung (1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 5 Villain: Vineta 89, S. 26. 6 Wortbeitrag von Volker Braun. In: Protokoll der Generalversammlung (1. 3. 1989; erstellt von Waltraud Huck). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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Unbehagen“7 aus – das Ringen um geeignete Worte brach los. Obgleich Kamnitzer noch versuchte, mit Hinweisen auf die fehlenden Sachkenntnisse im Fall Havel den in Gang gesetzten Diskussionsprozess abzustoppen, spürte er wohl die Aufbruchsstimmung in den Reihen der PEN-Mitglieder und ließ schließlich die Bildung einer Redaktionskommission zur Formulierung eines Resolutionstextes zu. Der Textentwurf, den Christoph Hein, Christa Wolf, Peter Gosse und Wolfgang Kohlhaase der Mitgliederversammlung schließlich vorlegten, wurde ohne Gegenstimme angenommen und umgehend an den Internationalen PEN weitergeleitet: „Die Generalversammlung des P.E.N.-Zentrums DDR unterstützt Ihre Bemühungen um unseren tschechischen Kollegen Vaclav [sic] Havel. Frieden, Literatur, Sozialismus brauchen nach unserer Überzeugung das kontroverse öffentliche Gespräch. Das P.E.N.-Zentrum DDR setzt sich für die umgehende Entlassung von Vaclav [sic] Havel ein.“8 Zum ersten Mal nach langen Jahren der schweigenden Hinnahme setzte sich eine nicht geringe Anzahl von Mitgliedern des DDR-PEN gegen den Willen eines linientreuen Präsidenten mit Mut für ihre Überzeugung und einen freien Meinungsaustausch ein, an dessen Ende die direkte Einmischung in einem konkreten Fall und die unverblümte Kritik am eigenen System stand. Gleichwohl sollte die Havel-Resolution Folgen haben. Zwar fand der Text in den Medien der DDR erwartungsgemäß keine Erwähnung. Der Deutschlandfunk aber meldete die Verlautbarung. Im Westen reagierte man interessiert und überrascht. Mancher empfand die demonstrative Solidarität indes als „politisch gewagt“9, denn implizit sei eine deutliche Kritik am tschechoslowakischen Bruderstaat herauszulesen, zu dem die DDR doch beste Beziehungen unterhalte. In der Tat: Die Tschechoslowakei erwiderte die Verlautbarung des PEN auf höchster politischer Ebene – mit einschneidenden Folgen für Klaus Höpcke, der wie alle anderen der Resolution zugestimmt hatte; er musste sich für die politische Panne verantworten und verschwand für kurze Zeit aus seinem Amt. Auch das PEN-Präsidium sollte zur Verantwortung gezogen werden. Ein Abgesandter des ZK der SED stattete dem Präsidium einen Besuch ab, stieß aber auf eine wütende Phalanx, die nicht gewillt schien, sich parteipolitisch reglementieren zu lassen. Die Anwesenden beriefen sich auf ihre Existenz als unabhängige Schriftsteller, die allein der internationalen PEN-Charta verpflichtet seien. So blieb dem ungeliebten Besucher nichts anderes übrig, als seine Verständigungsbereitschaft zu signalisieren und den geordneten Rückzug anzutreten: „‚Not tut jetzt, zu lernen, was P.E.N. ist …‘“10 Im Verlauf des Jahres 1989 spitzte sich die Krisensituation in der DDR durch die massenhafte Fluchtbewegung und die fortgeschrittene Organisation der Opposition immer mehr zu. Die mangelhafte Staatsführung hatte dem indes wenig entgegen 7 Villain: Vineta 89, S. 27. 8 Resolution (1. 3. 1989). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 9 Hz: Kecke Literaten. In: Süddeutsche Zeitung 53 (4./5. 3. 1989), S. 4. 10 Villain: Vineta 89, S. 30.



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zu setzen: Statt Lob für die Regierung schien Kritik am Staatssystem angezeigt. Vor diesem Hintergrund polarisierte die anlässlich des 40.  Jahrestages der Staatsgründung formulierte öffentliche Erklärung des PEN, der in der jüngsten Vergangenheit durchaus Engagement entgegen der offiziellen Linie gezeigt hatte. Tatsächlich hatten die Präsidiumsmitglieder hart miteinander gerungen und in der Debatte Kamnitzers Entwurf im Stile der üblichen Ergebenheitsadressen zu Fall gebracht. Nach langwieriger Diskussion einigte sich das Präsidium schließlich auf Stephan Hermlins Entwurf: „Die Richtlinien des internationalen P.E.N. verlangen von uns, die Friedenspflicht der Staaten anzumahnen, sich gegen rassistische Vorurteile zu wenden, nationalen Größenwahn zurückzuweisen und die Freiheit des Wortes zu verteidigen. Wir haben die Deutsche Demokratische Republik immer als einen Ort angesehen, an dem sich unsere Grundsätze verwirklichen lassen.“11 Manchem Leser entging indes die kritische Nuance der scharfsinnig erdachten Formulierung und so hagelte es Kritik wegen des vermeintlichen Kniefalls vor der Regierung. Friedrich Dieckmann erläuterte im Nachgang die Aussageabsicht des Textes: „Daß diese Grundsätze in der DDR realisierbar seien (nicht, daß sie realisiert wären), war die Botschaft eines Textes, der auf genaue Leser rechnete“.12 Nicht unerheblich für die Lesart des Textes erscheint auch die Tatsache, dass dessen Erscheinen in den DDR-Medien unter Aussetzung der Sperrfrist in zeitliche Nähe mit der Veröffentlichung einer wesentlich radikaler formulierten Erklärung des Schriftstellerverbandes, Bezirksverband Berlin, zur aktuellen Lage zusammenfiel. Ob hier tatsächlich ein Fall politischer Instrumentalisierung vorlag, wie die Präsidiumsmitglieder Werner Liersch und Friedrich Dieckmann vermuteten, ist nur schwer nachweisbar: „Auch dieser Text [des Schriftstellerverbandes] ist an ADN gegeben worden, aber er wurde nicht veröffentlicht; als er acht Tage später im Westen ruchbar wurde, kamen Fernsehen und Presse der DDR anderntags in großer Aufmachung mit der JahrestagsErklärung des P.E.N.-Präsidiums heraus, gleichsam als wäre dies eine Erwiderung auf die unterschlagene Resolution des Bezirksverbands.“13 Der DDR-PEN erlag auch den Auswirkungen einer Zeit sich überschlagender Ereignisse, „[d]enn was [gerade] noch als vertretbar betrachtet und von einigen Leuten als ‚systemkritisch‘ übel genommen wurde, war [wenig später] zu fast schon beschämender Sanftheit abgewelkt.“14 In der Folge forderten Friedrich Dieckmann und Werner Liersch eine Sondersitzung des Präsidiums ein, auf der eine klärende Stellungnahme des DDR-PEN formuliert werden sollte. Das PEN-Zentrum der DDR musste nach ihrer Ansicht deutlich machen, dass es sich dem immer stärkeren Widerstand der Künstler und Intellektu11 Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR. Erklärung zum 40. Jahrestag der DDR. In: Neues Deutschland 224 (22. 9. 1989), S. 1. 12 Friedrich Dieckmann: Wo wir angekommen sind. Berliner Schriftstellerresolutionen im Vorfeld der DDR-Umwälzung. In: Freitag 4 (17. 1. 1997), S. 12f., hier S. 12. 13 Friedrich Dieckmann und Werner Liersch an Walter Kaufmann (7. 10. 1989). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 14 Jean Villain: Vineta 89, S. 69.

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ellen gegenüber den Verhältnissen in der DDR anschloss. Auf der „Krisensitzung“15, die am 26.  Oktober stattfand, legten Dieckmann und Liersch einen Briefentwurf vor, der an den nach Honeckers Rücktritt amtierenden Generalsekretär der SED, Egon Krenz, gerichtet war. Um diesen Entwurf entbrannte eine Debatte, die eine Bahn brechende Veränderung der personellen Struktur nach sich zog. Mitten in den „Wortklaubereien“16 im Ringen um eine Endfassung der Erklärung kapitulierte der Präsident Heinz Kamnitzer – angesichts der harschen Angriffe auf seine Person und seiner ergebnislosen Interventionsversuche, die Einmischung des PEN in die politischen Prozesse zu verhindern. Er sah sich außerstande, das Entstehende mit zu tragen; „[e]r brauche Bedenkzeit, habe Schwierigkeiten mit der Wende, könne nun mal nicht bis an die Grenze seiner Selbstverleugnung gehen. Unmöglich, 40 Jahre einfach durchzustreichen“.17 Kamnitzer verließ die Versammlung: „Grußlos, gramgebeugt.“18 Der von der Zeitgeschichte überrannte Präsident sollte nicht wiederkehren: Am nächsten Tag teilte Kamnitzer dem Generalsekretär seinen sofortigen und endgültigen Rückzug vom Präsidentenamt und jeglicher Aktivität für oder im PEN mit. Der Brief an Krenz indes, der nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme der explosiven Situation im Lande bot, sondern darüber hinaus einen detaillierten Forderungskatalog zu notwendigen Maßnahmen enthielt, um „das Verhältnis von Staat und Bürgern auf eine neue, wahrhaft demokratische Grundlage“19 zu stellen, erschien öffentlichkeitswirksam in den DDR-Medien – gepaart mit einer Erklärung von Kamnitzer, die nicht nur seinen Rücktritt thematisierte, sondern zugleich den Krenz-Brief als Verstoß gegen die Charta des Internationalen PEN wertete. Kamnitzer trug damit die Konfrontation zwischen dem Präsidium und ihm in den öffentlichen Raum und nutzte die Autorität des Internationalen PEN geschickt aus, um seine eigene Position zu stärken. Das eigentliche Interesse des PEN-Präsidiums, sich mit seiner Wortmeldung auf die Seite der Systemkritiker zu stellen, geriet dabei ein wenig ins Hintertreffen. Gleichwohl sprachen die ambivalenten Reaktionen durchaus dafür, dass der PEN gehört wurde: Während die einen dem Präsidium Lob für die deutlichen Worte zollten, lasen die anderen eine Sozialismus-Gegnerschaft daraus ab, die nicht zu billigen sei; es bedürfe „wirklich nicht des Mitgeheules des P.E.N.-Zentrums mit den Wölfen der Feinde des Sozialismus“,20 wichtiger sei die Unterstützung des 15 Ebd. 16 Rolf Pönig [Major, MfS, HA XX/7]: Information zu Aktivitäten des PEN-Zentrums der DDR (27. 10. 1989). BStU, MfS, HA XX Nr. 4813, Bl. 1f., hier Bl. 2. 17 Villain: Vineta 89, S. 71. 18 Ebd. 19 ADN: P.E.N.-Präsident stellt seine Tätigkeit ein. Auseinandersetzung um Erklärung von Präsidiumsmitgliedern des P.E.N.-Zentrums DDR an Egon Krenz. In: Neues Deutschland 254 (28./29. 10. 1989), S. 4. 20 Helmut Auerswald an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR (1. 11. 1989). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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Sozialismus durch die Schriftsteller: „Legen Sie Ihre Feder und Ihren Geist lieber in Produktivität für die Sache der Menschen in der DDR an. Für die Abgehauenen und die Dagebliebenen.“21 Schon hier deutete sich jener Zwiespalt an, der die Position der Schriftsteller während und nach dem Zusammenbruch des DDR-Staates in besonderer Weise betraf. Sie sahen sich einem Vorwurf ausgesetzt, der in den folgenden Jahren immer mehr Gewicht erhalten sollte: Vom Scheitern der Intellektuellen wurde gesprochen – in mehrfacher Hinsicht. Kritisch wurde ihr Verhältnis zum diktatorischen System gesehen – Staatsdichter und Untätige seien sie gewesen. Ihrer Rolle als Intellektuelle seien sie auch im Prozess der friedlichen Revolution nicht nachgekommen – von strikten Sozialismusbefürwortern wurde ihnen hingegen die Anbiederung an die westliche Deutungsart vorgeworfen. In der Tat kam die öffentliche Äußerung des PEN zu den Vorgängen im Land spät; man hatte des Massenprotestes bedurft, um sich zu Wort zu melden – der traditionell den Schriftstellern zugesprochenen Funktion als Gewissen der Nation hatten die PEN-Mitglieder nicht entsprochen; dies erscheint bedauerlich, um so mehr als die Reaktionen auf die Verlautbarung deutlich machen, dass der PEN als Institution wahrgenommen wurde und eine, wenn auch kleine Diskussion in Gang gesetzt hatte. Kamnitzers Rücktritt kann als tief greifende Zäsur für das PEN-Zentrum DDR gelesen werden, die eine jahrzehntelange Kontinuität unterbrach. In die notwendige Phase der Neuorientierung, nicht nur hinsichtlich der Besetzung des Präsidentenamtes, sondern auch der generellen Zielsetzungen, mischten sich die Veränderungen der äußeren Bedingungen. Die innenpolitische Krise des DDR-Staates spitzte sich immer weiter zu. Die Massenproteste setzten Entwicklungen in Gang, die bislang nicht möglich schienen. Die Großdemonstration der Künstler auf dem Berliner Alexanderplatz stand am Beginn der sich überstürzenden Ereignisse, die den November 1989 prägten. Während unter den Künstlern und Schriftstellern in der Hoffnung auf einen reformierten sozialistischen Staat Aufbruchsstimmung herrschte, waren es die massenhaft Flüchtenden – pro Tag 10 000 Menschen! –, die die Herrschenden dazu zwangen, das Ventil zu öffnen: Die Mauer, die Berlin teilte, fiel am 9. November 1989. Nach dem Mauerfall, der zunächst für freudige Emotionen gesorgt hatte, drängte sich alsbald die Sorge um die Zukunft des eigenen Landes in den Vordergrund. Die Meinungen über die künftige Entwicklung der DDR gingen weit auseinander: Die einen erhofften von einer schnellen Vereinigung mit der Bundesrepublik eine Gleichstellung mit dem Westen getreu der Losung ‚Wir sind ein Volk!‘; die anderen lehnten eine solche Lösung als „Verrat an der friedlichen Revolution“ vehement ab und hofften weiter auf ein reformiertes sozialistisches System in einem eigenständigen Staat. Der Schriftsteller Stefan Heym fand sich in einer regelrechten „Aschermittwochsstimmung“ wieder: „Aus dem Volk […], das sein Schicksal in die eigenen Hände genommen hatte und das soeben noch, edlen Blicks, einer verheißungsvollen Zukunft zuzustreben schien, wurde eine Horde von Wütigen, die, Rücken an Bauch gedrängt […] 21 Bernhardt André an P.E.N.-Zentrum der DDR (30. 10. 1989). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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mit kannibalischer Lust, in den Grabbeltischen von westlichen Krämern wühlten.“22 Während die deutsche Öffentlichkeit nach dem Fall der Mauer zunehmend mit der Suche nach der Haltung zum westlichen bzw. östlichen Gegenüber beschäftigt war, setzte diese für das PEN-Zentrum DDR erst mit zeitlicher Verzögerung ein. Drängender schien zunächst die notwendige Entscheidung über Kamnitzers Nachfolger im Präsidentenamt. Die erste Präsidiumssitzung ohne Präsident, die am 5. Dezember 1989 tagte, stand im Zeichen der Neuorientierung. Kamnitzers Rücktritt wurde ambivalent beurteilt und spaltete das Präsidium. Der Generalsekretär Walter Kaufmann bremste indes die schwelende Auseinandersetzung ab und erinnerte daran, dass es in der gegenwärtigen Situation notwendig sei, einen Präsidenten zu wählen und die Mitgliedschaft durch Zuwahl gründlich zu verjüngen. In der Folgezeit sammelte das Präsidium zahlreiche Vorschläge für Kamnitzers Nachfolge, unter den z. T. dankend ablehnenden Kandidaten fanden sich Günter de Bruyn, Friedrich Dieckmann, Stephan Hermlin, Stefan Heym und Eva Strittmatter. Konsensfähig erwies sich aber erst John Erpenbecks Empfehlung für den Feuilletonisten und Autor Heinz Knobloch; er sei der ideale Kandidat: Seine literarische Arbeit ist zweifellos von hohem Rang, er ist in der Bundesrepublik sehr und auch im angloamerikanischen Sprachraum leidlich bekannt, er ist ein weitgereister und weltgewandter Mann, ein sehr deutscher und zugleich jedem Nationalismus feindlich gesonnener Schriftsteller. Vor allem aber: Er ist in keine Parteiungen verwickelt, ist allen Polarisierungen abhold, wäre meiner Meinung nach, eine wirkliche Integrations-Persönlichkeit; andererseits ist er ein Mensch mit klaren Meinungen und erklärten Haltungen.23

Knobloch überzeugte die Mehrheit der PEN-Mitglieder und so wurde er auf der ersten Generalversammlung nach dem Zusammenbruch der DDR mehrheitlich zum Präsidenten gewählt. Das turnusgemäß zu wählende Präsidium bildeten schließlich die altbewährten Mitglieder Günther Cwojdrak, Günther Deicke, Friedrich Dieckmann, Fritz Rudolf Fries, Stephan Hermlin, Walter Kaufmann, Rainer Kerndl, Helga Königsdorf, Werner Liersch und Jean Villain. Die anvisierte Verjüngung des Mitgliedskreises misslang, da durch eine allzu große Zersplitterung der Stimmen nur Thomas Reschke als einziger genügend Stimmen erhielt. Dem PEN war es nicht gelungen, ein Signal des Aufbruchs zu setzen. Die Diskussion über die zukünftigen Aufgaben des PEN schleppte sich dahin: „Mühsam, temperamentlos und merkwürdig gedämpft, als stünden wir alle unter Faustan, kämpft sich die Versammlung weiter durch die Tagesordnung.“24 Am Ende ließen sich doch einige Wertmaßstäbe zusammentragen; man wünschte sich den PEN als Ort der Toleranz, des freien Meinungsaustausches

22 Stefan Heym. In: Der Spiegel 49 (1989), S. 55. 23 John Erpenbeck an Walter Kaufmann (24. 12. 1989). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 24 Villain: Vineta 89, S. 103.



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und als „moralische Instanz“25 – verknüpft mit der Forderung, endlich in das WiPC einzutreten. In diese generellen Überlegungen mischte sich der Anspruch, politische Aktivität zu demonstrieren. Ein erster Schritt in diese Richtung war ein Anfang Februar 1990 veröffentlichter Appell an alle politischen Parteien, konkrete Aussagen zu ihren kulturpolitischen Programmen zu formulieren; er enthielt gleichzeitig die Warnung vor dem drohenden „kulturelle[n] Kahlschlag“: „Hüten wir uns, das im Laufe vieler Jahre im Lande organische Gewachsene wegzuwerfen“.26 Mit Blick auf die Generalversammlung 1990 erscheint es wichtig, auf den Besuch des neu ernannten Ministers für Kultur, Dieter Keller hinzuweisen, der das PEN-Zentrum als „unabhängiges autonomes Organ“27 definitiv aus der Kontrolle des Ministeriums entließ und ihm indirekt vollste Souveränität zusprach: „Es wird ohne bestimmten Plan gearbeitet.“28 Bedeutsam erscheint auch der Besuch des bundesdeutschen PEN-Generalsekretärs Hanns Werner Schwarze, der schon vor dem Mauerfall den fairen Kontakt zum DDR-PEN gesucht hatte und nun eine Zusammenarbeit auf der Basis gegenseitiger Unterstützung vorschlug. Zurückhaltung war für ihn Programm – er sah sich weder als Ratgeber noch Richter der um Orientierung ringenden DDR-Autoren. Obgleich die Generalversammlung in der Hauptsache auf die Zukunft des DDR-PEN ausgerichtet war, klangen doch auch jene Aspekte der Vergangenheit an, die in den folgenden Monaten und Jahren zu zentralen Anklagepunkten werden sollten. In den Blickpunkt geriet dabei u. a. die Frage, ob nur linientreuen Schriftstellern die Mitgliedschaft im DDR-PEN vorbehalten und wie es um die Einhaltung der PEN-Charta bestellt gewesen sei. Diese und ähnliche Fragestellungen bildeten die Kernpunkte einer adäquaten Vergangenheitsaufarbeitung, die in Ost und West wieder und wieder auf der Agenda stehen sollte und das wechselseitige Verhältnis mitunter stark belastete. Eine erste Bewährungsprobe für den zuvor beschworenen behutsamen Umgang mit den ostdeutschen PEN-Kollegen bildete die Kieler Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland, die im Mai 1990 unter „möglichst großer Beteiligung von DDR-Autoren“29 tagen sollte. Die plakativen Überschrif-

25 Wortbeitrag von Helga Schubert. Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR am 30. 1. 1990 [o. D.; erstellt von Christina Knothe]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 26 [ADN]: P.E.N.-Zentrum DDR warnt vor kulturellem Abbau. In: Neues Deutschland 36 (12. 2. 1990), S. 4. Die ADN-Meldung erschien auch in Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Die Welt und Tagesspiegel. 27 Wortbeitrag von Dietmar Keller. In: Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D., erstellt von Christina Knothe]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 28 Protokoll der GV des P.E.N.-Zentrums DDR vom 30. 1. 1990 [o. D., erstellt von Christina Knothe]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 29 Kurzprotokoll der Präsidiumssitzung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (26./27. 2. 1990). PEN-Archiv Darmstadt, im Folgenden DA.

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ten der Berichterstattungen in der Tagespresse, von „Zündstoff“30, „Gewitter“31, „Dialogprobleme[n]“32 und „PEN-Eklat“33 war hier die Rede, lassen ahnen, dass nicht nur Behutsamkeit im Umgang zwischen Ost- und Westmitgliedern in Kiel an der Tagesordnung war. Gleichwohl begann die Tagung verhalten. Zwar stand das Thema ‚Vergangenheitsbewältigung‘ auf der Agenda. Von westdeutscher Seite zeigte man sich aber zunächst zurückhaltend. Eine zukünftige Zusammenführung der beiden deutschen Zentren beurteilte man abschlägig, im Vordergrund stehe gelebte Solidarität: „Zwischen den Zentren steht zur Zeit nicht Zusammenschluß auf der Tagesordnung, sondern Zusammenarbeit. Nicht Einheit, sondern Gemeinsamkeit. […] Wir wollen niemanden überrollen oder gar anschließen. Wir wollen dort helfen, wo unsere Hilfe gewünscht und möglich ist.“34 Eine durch eine Erklärung von Heinz Knobloch ausgelöste Debatte um die Rolle des einstigen ‚Oberzensors‘ Klaus Höpcke, der trotz seiner Position als Kulturminister eines diktatorischen Systems zum PENMitglied gewählt worden war, öffnete schließlich den vorhandenen Vorbehalten gegenüber den Schriftstellern aus der DDR Tür und Tor. Eine Grundsatzdebatte um das Verhältnis von PEN und Diktatur brach sich Bahn, die zwischen der Forderung nach einer adäquaten Vergangenheitsaufarbeitung, dem Vorwurf einer von Einzelnen vorangetriebenen „Harmonisierungspolitik“35 und den Warnungen vor einer eilfertigen Vorverurteilung aus dem „sicheren Port einer komfortablen Wohlstandsdemokratie“36 changierte. Doch auch im Inneren des bundesdeutschen PEN brachen Gräben auf – ausgelöst durch den Vorwurf, dass bedingungslose und unkritische Harmonisierungs- bzw. Einigungspolitik mit den ostdeutschen PEN-Mitgliedern betrieben werde. Ohne greifbares Ergebnis ging die Versammlung auseinander. In der Folgezeit zeigte man sich von Seiten des bundesdeutschen PEN zurückhaltend bzw. deutlich distanziert. Eine zuvor in Aussicht genommene, gemeinsame Resolution der beiden Zentren zu Antifaschismus, Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit wurde vom bundesdeutschen PEN zurückgestellt. Von Seiten des DDR-PEN zeigte man sich nach Westen hin zwar diplomatisch: „Ungeachtet aller Spannungen und Meinungsverschiedenheiten, die bei solcher ersten Begegnung nach vielen Jahren schwerwiegender persönlicher Erfahrungen wohl verständlich sind, geht es uns nach 30 Werner Lewerenz: Elegant durch die Tagesordnung, aber dann gab es noch Zündstoff. In: Kieler Nachrichten 111 (14. 5. 1990), S. 16. 31 Michael Scheffe: Gewitter. Beim Kieler P.E.N.-Treffen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 5. 1990. 32 Gerhard Schoenberner: Dialogprobleme. Nach dem deutschen P.E.N.-Eklat. In: Frankfurter Rundschau 114 (17. 5. 1990), S. 10. 33 Ebd. 34 Aussage von Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach [dpa]: Keine Einmischung. PEN zur Vergangenheitsbewältigung der DDR. In: Rheinische Post 110 (12. 5. 1990). 35 Wortbeitrag von Yaak Karsunke. In: Auszug aus dem Protokoll zur Mitgliederversammlung des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Kiel (12. 5. 1990; erstellt von Ursula Setzer). DA. 36 Günther Engels: Der PEN und die Waschaktion. In: Kölnische Rundschau, 15. 5. 1990.



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wie vor um das gute kollegiale Verhältnis und den anregenden Gedankenaustausch.“37 Im Inneren des DDR-PEN überwog freilich die Krisenstimmung: „Knoblochs missglückte Kieler Rede, der große Katzenjammer nach den Prügeln, die wir dort bezogen haben.“38 Auf einer „Krisensitzung“39 beriet das ostdeutsche Präsidium im Juni 1990 noch einmal die umstrittene Mitgliedschaft von Klaus Höpcke. Zu einem erkennbaren Ergebnis in dieser Frage und der Bestimmung einer klaren Marschrichtung gelangte man indes nicht. Ungeachtet dessen schien den beiden PEN-Zentren an einer internen Verständigung über die strittigen Punkte gelegen. Dem zuwider stand das ausgeprägte öffentliche Interesse an der Frage, wie mit der Vergangenheit der DDR im Allgemeinen und mit der Position der Schriftsteller im Staatssystem der DDR im Besonderen umzugehen sei. Die Diskussion um den PEN in Deutschland wurde begleitet und in ihrer Intensität durch die in der Tagespresse transportierten Anklagen und Degradierungen von prominenten, ehedem auch in der Bundesrepublik angesehenen DDR-Autoren, etwa Christa Wolf, extrem verschärft. Ein Versuch des bundesdeutschen Präsidiums, sich mit einer Presseerklärung für die kritische Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb der DDR auszusprechen und zugleich vor einer pauschalen Verurteilung der DDR-Autoren zu warnen, zog eine öffentliche ‚Ohrfeige‘ für das bundesdeutsche PEN-Zentrum nach sich, die den Medienrummel um die deutschen PEN-Zentren erst recht in Gang setzte. Nun geriet auch das Präsidium des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland ins Visier der Journalisten. Johannes Willms etwa griff in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die „Anwälte und Anhänger […] der DDR-Literatur“ an, zu denen er auch die bundesdeutschen Präsidiumsmitglieder des PEN zählte. Er stellte die Notwendigkeit einer „offene[n] und ohne falsche Rücksichten geführte[n] kritische[n] Auseinandersetzung mit der geistig-kulturellen Hinterlassenschaft der DDR“40 heraus. Die öffentliche Debatte um die Vergangenheit der ostdeutschen PEN-Mitglieder erreichte Mitte Juli 1990 einen weiteren Höhepunkt: Eine in ihrer Wortwahl ungeschickte Einladung des bundesdeutschen PEN-Präsidiums zum offenen Meinungsaustausch aller „Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten 45 Jahren Opfer des Besatzungs- oder DDR-Regimes“41 waren, bot den Auslöser einer regelrechten öffentlichen Deklamation. Geplant war eigentlich ein offenes Gespräch in vertraulicher Runde, das die Frage klären sollte, „wer von den gegenwärtigen Mitgliedern des DDRP.E.N. für Sie aus welchem Grund unzumutbar als Mitglied eines gemeinsamen P.E.N.37 Heinz Knobloch und Walter Kaufmann an das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutschland (23. 6. 1990). DA. 38 Villain: Vineta 89, S. 135. 39 Ebd. 40 Johannes Willms: Die maßlose Empörung. Im Streit um die DDR-Literatur meldet sich das deutsche PEN-Präsidium zu Wort. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 152 (4. 7. 1990), S. 29. 41 Hanns Werner Schwarze an alle Mitglieder des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Bundesrepublik) (2. 7. 1990). DA.

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Zentrums ist.“42 Die Zusammenkunft kam letztlich nicht zustande: Absagen häuften sich und das Unbehagen der Geladenen überwog. Einen Tag nach dem eigentlich geplanten Gesprächstermin veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der Überschrift Keine Vereinigung Stellungnahmen von ehemaligen DDR-Schriftstellern zur Fragestellung „Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte“.43 Neben Meinungsäußerungen von Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich, Joachim Seyppel, Walter Kempowski, Günter Kunert und Bernd Jentzsch wurden Wortmeldungen von Guntram Vesper und Gert Loschütz abgedruckt. Unklar bleibt, ob die Beiträge Reaktionen auf die Einladung des PEN-Präsidiums oder auf eine von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung angestoßene Umfrage waren. Der einleitende Artikel nahm jedenfalls Bezug auf die Einladung des bundesdeutschen Präsidiums und äußerte deutliche Kritik; man mute den Denunzierten von einst zu, zu Denunzianten von heute zu werden und schiebe „den früheren Verfolgten des DDR-Regimes den Schwarzen Peter der Vergangenheitsbewältigung zu[ ]“.44 Wieder wurde der Vorwurf laut, dass bundesdeutsche Präsidium hätte „den DDR-PEN gerne an sein weites Herz geschlossen und auf eine Diskussion der Vergangenheit verzichtet“.45 Eine gemeinsame Mitgliedschaft von den im DDR-PEN reichlich vorhandenen Funktionären und Zensoren, Verfolgern und Unterdrückern sei indes für die ehemaligen DDR-Autoren im bundesdeutschen PEN vollkommen inakzeptabel. Namentlich benannt wurde vom Verfasser des Begleitartikels wiederum Klaus Höpcke, darüber hinaus Hermann Kant als ehemaliger Vorsitzender des Schriftstellerverbandes, der Autor Max Walter Schulz und schließlich auch Stephan Hermlin. Die ehemaligen DDR-Autoren indes vermieden in ihren Beiträgen weitestgehend eine direkte Benennung missliebiger Mitglieder des PEN-Zentrums DDR. Sarah Kirsch etwa brachte ihr Unbehagen über dieses „unzumutbare[ ] Ansinnen“ zum Ausdruck: „Weil ich weder Gottvater noch für Selektionen zuständig bin“. Günter Kunert verstand die Fragestellung als Aufforderung der Opfer, eine Art ‚Spruchkammer‘ zu bilden; als „eine Einladung zum moralischen Suizid“, die letztlich die zu Richtern erhobenen einstigen Verfolgten den Verfolgern gleichstelle.46 Im Zentrum der Überlegungen stand auch die Frage, wie zukünftig das Verhältnis der beiden deutschen PEN-Zentren aussehen sollte: Als denkbare Lösung sahen viele der Befragten nur die Selbstauflösung des DDR-Zentrums, an die sich Einzelanträge der Mitglieder zur Aufnahme in das bundesdeutsche Zentrum anschließen 42 Ebd. 43 JGJ [d. i. Jens Jessen?]: Keine Vereinigung, Spitzel und Zensoren mit Schriftstellern traut vereint? – Warum der westdeutsche PEN nicht mit dem PEN-Zentrum der DDR zusammengehen sollte / Eine Umfrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 172 (27. 7. 1990). 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Ebd. Auch alle weiteren Zitate folgen dem Wortlaut der Dokumentation in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.



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sollten. Dabei sei die politisch-moralische Integrität der Antragsteller in jedem Fall sehr genau zu prüfen. Kunert erwartete bei dieser Vorgehensweise gar den Eintritt einer natürlichen Auslese: „Mitglieder des Ost-PEN, die es durch Willfährigkeit und Intrigantentum geworden sind, verschwinden vermutlich von selber aus diesem Zirkel, sobald ihr Verein sich aufgelöst hat und sie für ihren Beitritt in einen gesamtdeutschen späterhin Bürgen benötigen.“ Joachim Seyppel schlug eine Übernahme aller Mitglieder des DDR-PEN vor, der allerdings eine selbstkritische Gewissenserforschung folgen sollte. Alle sollten selbst „befinden, ob sie nach Wissen um die DDRGeschichte, um deren Opfer […], um das Zustandekommen ihrer PEN-Mitgliedschaft weiterhin PEN-Mitglied sein können, wollen oder dürfen“. Zudem seien die Einsprüche der bundesdeutschen Mitglieder zu hören. Aus allen Äußerungen lässt sich deutlich herauslesen, dass der DDR-PEN gegenüber dem bundesrepublikanischen PEN in der Debatte um die Zukunft der beiden Zentren keine gleichberechtigte Stellung einnahm. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit wurde von fast allen davon ausgegangen, dass der DDR-PEN in irgendeiner Weise an das bundesdeutsche Zentrum angeschlossen werden müsse. Die Mitglieder des DDR-Zentrums erschienen in der öffentlichen Debatte als moralisch fragwürdige Bittsteller. Selbst jene, die ein Nebeneinanderbestehen der beiden Zentren in Erwägung zogen, zeigten deutliche Vorbehalte gegenüber ihren ostdeutschen Kollegen und lehnten den Kontakt gänzlich ab: Der DDR-PEN könne „kein geeigneter Partner für Verhandlungen und Zusammenarbeit sein“. Versöhnlichere Anklänge kamen lediglich von Walter Kempowski und Bernd Jentzsch, die darauf verwiesen, dass man etliche Mitglieder des DDR-PEN doch freudig begrüße. Guntram Vesper demonstrierte eine wohltuend moderate und überlegte Position, die zwar die Notwendigkeit der Vergangenheitsaufarbeitung hervorhob. Dies gelte aber nicht nur für den DDR-PEN, sondern auch für den PEN der Bundesrepublik. Man trage die gemeinsame Verantwortung: „Unsere Zeitgeschichte ist so wenig teilbar wie unsere Geschichte überhaupt und die Zuständigkeit für sie. Wir alle, bis heute, sind Betroffene und dürfen reden.“ Erwartungsgemäß war das Medienecho auf die Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung groß. Von allen Seiten kamen die Wortmeldungen und jeder Beiträger glaubte, „das Problem der deutschen P.E.N.-Zentren erkannt, zutreffend bewertet und einen gangbaren Lösungsweg entworfen zu haben.“47 In der Sache kam man nicht wirklich weiter. Für den DDR-PEN aber folgte eine einschneidende Veränderung auf dem Fuße. Während mancher in der aufgeregten Debatte für die Zukunft nur potenzielles Verhalten aufzeigte, zog der Präsident des DDR-PEN, Heinz Knobloch, mit durchaus selbstkritischer Haltung eine direkte Konsequenz aus den harschen Angriffen auf seine Person. Er legte sein Amt angesichts des auf ihm lastenden Drucks im August 47 Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121), S. 876.

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1990 nieder; er hatte den psychischen Belastungen nicht länger standhalten können: „Mißverständliche und mißverstandene Äußerungen von mir haben zu weiteren Spannungen zwischen Autoren und den beiden deutschen P.E.N.-Zentren geführt. Deshalb trete ich als Präsident des P.E.N.-Zentrums DDR zurück. Ich bin nicht der Politiker, den dieses Amt wohl braucht.“48 Nach einigen Irritationen, wie auf formaler Ebene mit dem Rücktritt des Präsidenten umzugehen sei, einigte man sich darauf, dass das Präsidium die Aufgaben des Präsidenten bis zur Einberufung einer Mitgliederversammlung kollektiv weiterführen sollte. Zumindest die materielle Lage des PEN-Zentrums DDR hatte sich durch eine finanzielle Zuweisung des Ministeriums für Kultur kurzfristig entspannt. Gleichwohl war die Zukunft des Zentrums stetes Thema, über das die Meinungen unter den Präsidiumsmitgliedern weit auseinander gingen. Während Werner Liersch von der Fortführung eines eigenständigen und funktionierenden Zentrums überzeugt war, schien Jean Villain vollkommen resigniert: „‚Wir sind am Ende!‘ […] Das gilt wohl für unser P.E.N.-Zentrum.“49 Zu dieser resignativen Haltung beigetragen hatte einerseits die nach wie vor schwierige und vor allem ungewisse finanzielle Lage, andererseits die unmissverständliche Absage eines Zusammenschlusses der deutschen PEN-Zentren durch das Präsidium der bundesdeutschen Sektion: 1. 2.

3.

Im Präsidium besteht Einvernehmen darüber, dass ein Zusammenschluss der beiden deutschen P.E.N.-Zentren in Deutschland von uns nicht gewünscht wird. Falls die Mitglieder des DDR-P.E.N. von sich aus einen Zusammenschluss wünschen, haben sie zunächst die schwierige Aufgabe zu lösen, akzeptable Voraussetzungen eines solchen Zusammenschlusses zu schaffen, der ohnehin der Zustimmung unserer Mitglieder sowie des Internationalen P.E.N. bedürfte. Überlegungen zur Frage einer Selbstauflösung des DDR-P.E.N. stehen zwar jedem frei, sind jedoch vor allem Sache des DDR-P.E.N. Unser Präsidium betrachtet es nicht als seine Aufgabe, dazu unerbetene Ratschläge zu geben.50

Im Präsidium setzte sich schließlich die Auffassung durch, dass eine längerfristige autonome Existenz des PEN-Zentrums DDR ins Auge gefasst werden müsse. Dem impliziten Alleinvertretungsanspruch, den das PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland in seinen Kundgaben vertrat, wollte man sich nicht beugen. An eine Selbstauflösung war nicht gedacht. Die letzte Entscheidung über den zukünftigen Kurs legte man indes in die Verantwortung der Mitgliederversammlung 1991. In diesem Sinne formulierte das Präsidium, verbunden mit Nerven zehrenden „Wortklaubereien“51, eine entsprechende Verlautbarung:

48 Heinz Knobloch an die Präsidiumsmitglieder (22. 8. 1990). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 49 Villain: Vineta 89, S. 146. 50 Zitiert nach Villain: Vineta 89, S. 246, Anm. 42. 51 Ebd., S. 147.



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ERKLÄRUNG Das Präsidium des P.E.N.-Zentrums Deutsche Demokratische Republik, das sich auf seiner Zusammenkunft am 26. 09. 1990 mit der Situation dieser Vereinigung beschäftigte, kam darin überein, die Mitglieder über die zukünftige Arbeit auf einer für Januar einzuberufenden Generalversammlung befinden zu lassen. Auf dieser Zusammenkunft gedenkt das Präsidium den Fortbestand des DDR-P.E.N.-Zentrums, das künftig den Namen Deutsches P.E.N.-Zentrum (Berlin) tragen sollte, nahezulegen. Das Präsidium bedauert, daß Heinz Knobloch unter dem Eindruck von gegen ihn erhobenen Vorwürfen das Amt des Präsidenten niedergelegt hat; die Neuwahl erfolgt im Januar. Berlin, den 26. 09. 1990 Präsidium des P.E.N.-Zentrums DDR Walter Kaufmann, Generalsekretär Peter Gosse Stephan Hermlin Werner Liersch Helga Königsdorf Jean Villain52

Die Sorge um die Zukunft des PEN-Zentrums und die scharfen Angriffe auf die DDRAutoren machten den Betroffenen dennoch schwer zu schaffen. Ein Tagebucheintrag von Villain im Nachgang der Präsidiumssitzung belegt das eindrucksvoll: „Die nächtliche Nachhausefahrt schaffe ich zum ersten Mal nur mit Mühe. Ich fühle mich wie durchgekaut und ausgespuckt.“53

2 Die (Wieder)Vereinigung – Ein langwieriger und schwieriger Prozess Die Zusammenführung der beiden deutschen PEN-Zentren war nur über einen von notwendiger Neuorientierung und fortwährender Auseinandersetzung gekennzeichneten Weg möglich, der von der (medialen) Öffentlichkeit mit Argusaugen verfolgt wurde. Eine Etappe auf dieser langen und schwierigen Wegstrecke war nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten die erste Generalversammlung des ostdeutschen PEN-Zentrums, die am 1. Februar 1990 in Berlin zusammentrat. Zielpunkt der Versammlung war eine richtungsweisende Aussprache über die Zukunft des eigenen Zentrums. Der Generalsekretär Walter Kaufmann sprach sich mit Verweis auf die Position des Zentrums innerhalb des Internationalen PEN für ein Fortbestehen aus; „wir sind international zunehmend einbezogen worden, man rechnet mit uns und erwartet 52 Erklärung des Präsidiums des P.E.N.-Zentrums DDR (26. 9. 1990). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 53 Villain: Vineta 89, S. 147.

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künftig unsere Mitarbeit.“54 Ausschlaggebend dafür sei allerdings „der Wunsch und der Wille der Mitglieder.“55 Wo ein Wille sei, sei auch ein Weg. Werner Liersch sah die Gegenwart und die Zukunft des Zentrums eng gekoppelt an eine angemessene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, die von Seiten des Präsidiums bereits begonnen worden war. Die bis dato gewonnenen Erkenntnisse zeigten auf, dass das PEN-Zentrum der DDR angesichts des repressiven Staatssystems den Ansprüchen der Charta nicht im gebotenen Maße gerecht geworden und auch eine führende Rolle der Partei durch die Besetzung wichtiger Schlüsselpositionen gewährleistet gewesen sei. Gleichwohl habe die Wahrnehmung der Ämter in Abhängigkeit der einzelnen Personen stark variiert. Liersch empfand als richtige Perspektive für die Lösung des Konfliktes um die beiden deutschen PEN-Zentren die Neugründung eines deutschen PEN auf der Grundlage bestehender Mitgliedschaften und plädierte für eine Fortführung der Gespräche mit dem westdeutschen Präsidium. Auch der anwesende Generalsekretär des westdeutschen PEN, Hanns Werner Schwarze, demonstrierte Verständigungsbereitschaft und schlug die Schaffung eines Koordinierungsausschusses zwischen den beiden deutschen Zentren vor. Dieser Vorschlag wurde schließlich von der Versammlung mit eindeutigem Votum angenommen, nachdem auch Christa Wolf die Forderung nach aktivem Austausch und intensiver Diskussion mit dem westdeutschen PEN nachdrücklich aufgestellt hatte. Gleichwohl zeigte sich der Wille zur eigenständigen Fortexistenz eines ostdeutschen PEN-Zentrums ungebrochen. Das demonstrierten die intensiven Diskussionen um eine adäquate Namensgebung für das ehemalige PENZentrum DDR. Nach langwieriger Debatte zahlreicher Vorschläge, von denen einer auch aus der Darmstädter PEN-Zentrale kam, einigte sich die Versammlung schließlich auf die Annahme des „vorläufigen Namen ‚Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost)‘“.56 Damit war die Selbstdefinition ein Stück vorangekommen: Das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) beschrieb man als „eins der beiden P.E.N.-Zentren innerhalb des Staatsgebietes der BRD.“57 Zur Sicherung des eigenen Fortbestands setzte das Präsidium auf die Zuwahl neuer Mitglieder, um dem Zentrum ein „Reservoir neuer Kräfte zuzuführen“:58 „Es ist lange Jahre von uns allen versäumt worden, Autoren mittleren und jüngeren Alters in die PEN-Arbeit einzubeziehen. Aber auch vielen verdienten älteren Kollegen ist der Zugang zum PEN nicht eröffnet worden.“59 Das Protokoll verzeichnet die Zuwahl von 29 neuen Mitgliedern; dazu zählten u. a. Werner Heiduczek, Erich Köhler, Waldtraut 54 Wortbeitrag von Walter Kaufmann. In: Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 (5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 55 Ebd. 56 Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 (5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld). AdK Berlin, PENArchiv (Ost). 57 Ebd. 58 Wortbeitrag von Werner Liersch. Ebd. 59 Protokoll der Jahrestagung am 1. 2. 1991 (5. 3. 1991; erstellt von [?] Ihnenfeld). AdK Berlin, PENArchiv (Ost).



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Lewin, Rainer Schedlinski, Dieter Schlenstedt, Helga Schütz und B. K. Tragelehn. Auch die Verjüngung der Mitgliedschaft war mindestens partiell gelungen. Zu den Jüngeren zählten nun Daniela Dahn, Kerstin Hensel, Andrej Jandrusch, Christoph Links, Steffen Mensching, Jens Sparschuh und Hans-Eckardt Wenzel. Ungeachtet dieser positiven Entwicklungen leistete die Nichtwahl von Joachim Walther, einem freischaffenden Schriftsteller, der seit dem Ende der 1960er Jahre wiederholt mit den parteipolitischen Instanzen des DDR-Staates in Konflikt geraten war und nach dem Mauerfall die Aufarbeitung der begangenen Unrechtstaten beharrlich vorantrieb, den Vorbehalten gegenüber den Mitgliedern des ehemaligen DDR-PEN erneut Vorschub. Erich Loest, der seit langem in der Bundesrepublik Deutschland lebte und gemeinsam mit Walther zu den Herausgebern des Dokumentationsbandes Protokoll eines Tribunals (1991) über die Ausschlüsse aus dem Schriftstellerverband der DDR im Jahr 1979 zählte, vermutete gar einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen des Buches und der Nichtwahl von Walther in das Deutsche PENZentrum (Ost): Diese Veröffentlichung begegnete im Vorfeld wütenden Widerständen, auch juristischer Art. Einige von denen, die damals zum Sturm geblasen hatten, wollten ihre Reden als persönliches Eigentum gewertet wissen. […] Nun trifft ihn die Rache. In diesem PEN sitzt immer noch Klaus Höpcke, der oberste Zensor der DDR, eine der schwersten politischen Altlasten, […] und denkt nicht an Austritt, was am einfachsten wäre. Er ist dort nicht allein, mehr als zwei Drittel der PENMitglieder fühlen mit ihm und ließen Joachim Walther vor der Tür. Vor der werden sie nun zu kehren haben: in der Öffentlichkeit.60

Walther selbst hatte längst die Konsequenz gezogen; er stellte beim Generalsekretär des westdeutschen PEN-Zentrums Antrag auf Aufnahme, „weil [er] dem Zentrum Ost solange nicht angehören möchte, solange die Mehrheiten offenbar von Kollegen bestimmt sind, die eine Art sentimentalen Separatismus betreiben bzw. noch immer die Wahrheit über die vergangenen Jahrzehnte hierzulande behindern möchten.“61 Das Präsidium ließ sich auf die politisch motivierte Debatte nicht ein; man zog sich auf die demokratischen Wahlbedingungen zurück, denen zufolge weitere zehn Kollegen die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht hatten, und brachte sein Bedauern über Walthers Nichtwahl zum Ausdruck. Eine direkte Konsequenz zog Dieter Schubert, der zu jenen Autoren gehörte, die aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden waren; er erklärte mit Blick auf die „politische Entscheidung“62 gegen Walther seinen Austritt aus dem Deutschen PEN-Zentrum (Ost). Aus- und Übertritte waren auch schon zuvor zu verzeichnen 60 Erich Loest. Die Rache der Alten. Warum das PEN-Zentrum Ost Joachim Walther nicht haben will. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 32 (7. 2. 1991), S. 27. 61 Joachim Walther an Walter Kaufmann (7. 2. 1991). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 62 Zitiert nach [dpa]: Dieter Schubert. Austritt aus dem Deutschen P.E.N.-Zentrum (Ost). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 102 (3. 5. 1991), S. 36.

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gewesen – von Peter Hacks (März 1990), Günter de Bruyn (November 1990) und Heinz Czechowski (Januar 1991). Von Seiten der Kritiker waren die Anklagen gegen das Deutsche PEN-Zentrum (Ost), das als rechtliche Nachfolgeorganisation des DDR-PEN fungierte, klar formuliert: mangelnde Distanz zur SED-Diktatur; fortgesetzte Mitgliedschaft jener, die im DDR-Staat führende politische Positionen bekleidet hatten und nun noch immer ihren Einfluss auf wesentliche Entscheidungen geltend machten. Nicht wahrgenommen wurde der vorhandene Wille, sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen und die alten Strukturen zu verändern – obgleich die Generalversammlung im Februar 1991 diesbezüglich deutliche Signale ausgesendet hatte: Junge unbelastete Autoren waren in den PEN gewählt worden und die Notwendigkeit der Geschichtsaufarbeitung war deutlich hervorgehoben worden. Ungelöst geblieben war indes das Problem von Knoblochs Nachfolge. Die langwierige Suche nach einem geeigneten Kandidaten, die das Präsidium vor ernsthafte Schwierigkeiten stellte, löste sich erst auf der Generalversammlung im Oktober 1991. Nach langer Diskussion wurde Dieter Schlenstedt, der erst seit den Zuwahlen im Januar dem PEN angehörte, zum Präsidenten gewählt. Als Generalsekretär wurde ihm der in PEN-Dingen erfahrene Walter Kaufmann zur Seite gestellt. Das Präsidium erfuhr eine deutliche Verjüngung. Neben den erfahrenen Mitgliedern Joochen Laabs und Werner Liersch wurden Kerstin Hensel, Beate Morgenstern, Steffen Mensching, Brigitte Struzyk, B. K. Tragelehn und Christine Wolter berufen – allesamt Vertreter der im Februar 1991 Zugewählten. Das insgesamt erfreuliche Ergebnis wurde indes getrübt durch die Nichtwahl des verdienten Bürgerrechtlers und Friedensaktivisten Friedrich Schorlemmer. Angeheizt wurde die Enttäuschung und Empörung über das Wahlergebnis durch eine im Vorfeld getätigte Verlautbarung von Hermann Kant, die in Anbetracht des Wahlergebnisses als offenkundige Manipulation interpretiert wurde. Ein Nachweis der manipulativen Wirkung ist allerdings nicht zu führen. Schorlemmer selbst äußerte später, „daß [Kant] [s]eine Aufnahme in den P.E.N. nicht verhindert“63 habe. Gleichwohl war das mediale, aber auch interne Echo auf die Vorgänge um Schorlemmers Nichtwahl groß. Alle Versuche des Präsidiums, wenigstens Schadensbegrenzung zu betreiben, schlugen mehr oder minder fehl. Kant war als Schuldiger gefunden und trat noch 1991 aus dem Deutschen PEN-Zentrum (Ost) aus, „‚um die Situation zu entlasten‘“.64 Die Unsicherheiten im deutsch-deutschen Umgang dominierten weiterhin und wurden von starken Bedenken begleitet. Gleichwohl plädierte Schlenstedt für die Suche nach Wegen einer „[g]egenseitige[n] Verständigung über die Vergangenheit und Gegenwart“ sowie eine vorsichtige Annäherung und Kooperation mit dem 63 Zitiert nach Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hrsg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92. Dokumentation nach Tonbandkassetten. Berlin: Klarsicht 1993, S. 61. 64 Protokoll zur Präsidiumssitzung am 18. 11. 1991 (24. 11. 1991; erstellt von Andrea Doberenz). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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bundesdeutschen Gegenüber, die langfristig in eine Einigung der Zentren münden könnte: „Dazu ist ein bißchen Geduld und Zeit notwendig“.65 Das Zusammenspiel von internem Bestreben und äußerem Druck, die Geschichtsaufarbeitung voranzutreiben, hatte längst begonnen. Dass der eingeschlagene Weg keine einfache und schnell zurückzulegende Strecke sein würde, hatten schon die beiden Arbeitstagungen des deutsch-deutschen Koordinierungsausschusses im April und Juni 1991 demonstriert. Erstmals waren als Vertreter der ostdeutschen Sektion Walter Kaufmann, Peter Gosse, Werner Liersch und Andrea Doberenz als Sekretariatsmitarbeiterin mit Hanns Werner Schwarze, Gert Heidenreich, Adalbert Podlech und der Geschäftsführerin Ursula Setzer von westdeutscher Seite in Berlin zusammengekommen. Zwar hielt Fritz Beer, als Präsident des PEN-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland hinzugezogen, ein ausführliches und zum Nachdenken über das Verhältnis von Schriftstellern und Diktaturen anregendes Referat, das auch Maßgaben für den Umgang der ehemaligen DDR-Autoren mit ihrer Vergangenheit auszugeben versuchte. Greifbare Ergebnisse erbrachte die Zusammenkunft indes nicht: Die westdeutschen Teilnehmer zeigten sich zurückhaltend und mahnten im Grunde eine interne Auseinandersetzung des ostdeutschen PEN-Zentrums mit der eigenen Geschichte an – vermutlich um sich selbst nicht in die Rolle des ungefragten Ratgebers bzw. über Recht und Unrecht Richtenden zu manövrieren. Ohne Konkretisierung wurde von den Anwesenden schließlich eine behutsame Annäherung der ost- und westdeutschen PEN-Mitglieder auf der Ebene persönlicher Kontaktaufnahme ins Auge gefasst. Auch über Möglichkeiten, die Dokumentation bzw. wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte beider PEN-Zentren voranzutreiben, wurde diskutiert – allerdings ohne erkennbare Zielvereinbarung. Auch die zweite Tagung des Ausschusses verlief im Grunde unerquicklich und stärkte lediglich auf ostdeutscher Seite den Wunsch, das eigene Zentrum aktiv und lebendig zu halten. Zwar war man zur gemeinsamen Vergangenheitsaufarbeitung bereit. Eine Unterwerfung unter einen von außen auferlegten Rechtfertigungszwang lehnte man jedoch entschieden ab. Praktische Formen, die der Annäherung zwischen Ost und West dienen konnten, wurden nicht gefunden. Die Stagnation in der Beziehung der beiden PEN-Zentren lag nicht zuletzt auch in der Zurückhaltung der westdeutschen Sektion begründet. Doch die hatte eine klare Ursache: Der Umgang mit dem ehemaligen PEN-Zentrum DDR barg internen Sprengstoff. Das PEN-Zentrum Bundesrepublik Deutschland hatte vielen ehemaligen ‚Dissidenten‘ eine Heimat geboten. Eine Annäherung an das ostdeutsche Zentrum, so stand zu fürchten, würde demonstrative Austritte der aus der DDR geflüchteten Autoren nach sich ziehen. Und das galt es zu vermeiden. So endete die Tagung des Koordinierungsausschusses vage:

65 Katalog zur Vorgehensweise bei der Annäherung der beiden deutschen P.E.N.-Zentren (erstellt von Dieter Schlenstedt). Zitiert nach: Protokoll über die am 1. 10 1991 stattgefundene Generalversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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„Es besteht die Absicht, gemeinsam etwas zu veranstalten und jeder muß an seiner Tür kehren.“66 Mit dieser unbefriedigenden Bilanz endete im Grunde die Arbeit des gemeinsamen Koordinierungsausschusses. Einzelne Versuche, die Kooperation in diesem Rahmen erneut aufleben zu lassen, blieben erfolglos. Dies mag auch mit den personellen Veränderungen im westdeutschen PEN in Zusammenhang stehen: Auf der Jahrestagung im Oktober 1991 wurde Gert Heidenreich zum Präsident und Manfred Bissinger zum Generalsekretär berufen, nachdem Carl Amery und Hanns Werner Schwarze teils schon im Sommer ihre Ämter niedergelegt hatten. Schwarze hatte beim Abschied vom PEN zur Besonnenheit im Umgang mit den ostdeutschen Kollegen gemahnt: Gehen Sie den weiteren Weg ohne Hass. Niemand verlangt Verdrängung erlittenen Unrechts, Leidens. Niemand sollte auf Empörung über Versäumnisse verzichten. Aber dies muss in Formen geschehen, meine ich, ohne dass wir unsere häufig bekundete Selbstdarstellung, wir seien ein Kreis von Freunden und Freundinnen, der sich der Internationalen P.E.N.-Charta verpflichtet wisse, nicht schon dann über Bord werfen, wenn es überhaupt noch nicht um die wichtigen Argumente für die wichtigen Antworten geht.67

Der neu gewählte Präsident Heidenreich vertrat eine gemäßigte, gleichwohl klar definierte Linie, die von einem deutlichen Forderungskatalog gekennzeichnet war: „Keine überstürzte Vereinigung, freundliche Kooperation, keine Spruchkammer-Installation von westlicher Seite, wohl aber die dringende Bitte an den Ost-PEN, die eigenen Reihen zu ordnen und dort Konsequenzen zu ziehen, wo es im Hinblick auf die Charta notwendig ist.“68 Weitere Gespräche über die Vergangenheit sollten mit dem Deutschen PEN-Zentrum (Ost) geführt werden. In den Blickpunkt sollten jene Mitglieder gerückt werden, die aktiv an den Repressionen gegenüber ehemaligen DDR-Autoren beteiligt waren, die Aufnahme im bundesdeutschen PEN gefunden hatten. Auf ihr Handeln zu DDR-Zeiten sollte mit klarer Konsequenz reagiert werden; gefordert wurde der Ausschluss aus dem PEN-Club. Solidarität wolle man von westdeutscher Seite jenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern entgegenbringen, „die sich offensiv und kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen“69 würden. Diese sehr konkreten Forderungen stießen im ostdeutschen PEN indes nicht auf Gegenliebe: Die ostdeutschen Kollegen fühlten sich scharf angegriffen und ungebührlich unter Druck gesetzt. Die Hoffnung auf eine offenere Aufnahme durch die westdeutschen Kollegen war verronnen.

66 Wortbeitrag von Hanns Werner Schwarze. Zitiert nach: 31. Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (28. 8. 1991), S. 1–3, hier S. 3. DA. 67 Ebd. 68 Zitiert nach Jörg Magenau: Gegenwart ohne Literatur. In: Freitag 44 (25. 10. 1991), S. 17. 69 Resolution. Anlage 6 zum Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (16. 12. 1991). DA.



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Kurzzeitige Irritationen gab es auch hinsichtlich der in Aussicht genommenen, gemeinsamen Aufarbeitung der deutschen PEN-Geschichte: Im Januar 1992 teilte das westdeutsche PEN-Zentrum mit, dass die Geschichte des bundesdeutschen PEN an der Universität München wissenschaftlich aufgearbeitet werde. Von ostdeutscher Seite reagierte man mit Befremden, weil man die Chance zu gemeinsamer Arbeit vertan sah. Letztlich fand sich in dieser Angelegenheit ein alle Seiten befriedigender Kompromiss: Vereinbart wurde die Durchführung eines Parallelprojekts an der Berliner Humboldt-Universität – in Kooperation mit den Münchener Wissenschaftskollegen. Ansonsten aber verharrten die beiden PEN-Zentren hinsichtlich des beiderseitigen Verhältnisses in einer ‚Art Stillhalteabkommen‘; die Gespräche zwischen Ost und West ruhten weitestgehend. Nur jenseits der strittigen Fragen um eine adäquate Vergangenheitsaufarbeitung gab es gelegentliche Kooperationen in Form gemeinsamer Resolutionstexte. So verwandte man sich gemeinschaftlich für den noch immer mit dem Tode bedrohten Kollegen Salman Rushdie und brachte in Reaktion auf die besorgniserregende Welle der Gewalt gegen Ausländer, Aussiedler und Asylanten eine gemeinsame Erklärung für den Einsatz gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit und politische Gewalttätigkeit in Deutschland auf den Weg. Beide Zentren luden in Kooperation mit dem PEN-Zentrum der Roma und Sinti im Oktober 1992 zu einer „Veranstaltung im Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit“70 in die Berliner Akademie der Künste. Am Rande dieser Veranstaltung trafen die beiden PEN-Präsidien erstmals wieder zusammen, um die Frage des beiderseitigen Verhältnisses zu klären. Insgesamt schien man einander positiv zugetan und drang auf eine „intensivere Kommunikation“.71 Der ostdeutsche PEN signalisierte Gesprächsbereitschaft in den strittigen Punkten und verwies auf erste Erfolge bei der kritischen Betrachtung der eigenen Vergangenheit. In der Tat hatte das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) erste, selbst bestimmte Schritte in dieser Hinsicht unternommen. Im Rahmen der Gesprächsreihe Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 wurden insgesamt vier Rundtischdebatten geführt, „in denen Angehörige [des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost)] und Gäste aus den neuen und alten Bundesländern, Repräsentanten verschiedener Positionen Ansichten vortragen und eine zum größeren Kreis der Versammelten sich öffnende Diskussion beginnen“72 konnten. Unter dem Titel Gespräche zur Selbstaufklärung legte das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) eine vollständige Dokumentation der Gespräche nach Tonbandmitschnitten vor. Diskutiert wurde unter dem Titel Dageblieben – Weggegangen die Frage, ob „Recht und Unrecht im geschichtlichen Gang mit einem einfachen Spruch zuzuerken70 [BM und ADN]: Pen-Präsidien bei gemeinsamer Tagung in Berlin. In: Berliner Morgenpost, 20. 10. 1992. 71 [dpa]: Gemeinsamkeit im Doppel-PEN. In: Frankfurter Rundschau, 20. 10. 1992. 72 Dieter Schlenstedt: Gespräche zur Selbstaufklärung 1992 [o. D.]. Anlage 7 zu Manfred Bissinger: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (6. 4. 1992). DA.

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nen ist, nach dem Weggehen Widerstand und Dableiben Anpassung war“.73 In den Blickpunkt gerückt wurden auch die Voraussetzungen und Gegebenheiten des streng reglementierten Literaturbetriebs in der DDR, die Auseinandersetzung um Hermann Kant und Friedrich Schorlemmer sowie explizit die problematische Vergangenheit des PEN in der DDR unter dem Titel Widerspruchsgeschichte des P.E.N. (November 1992). Unter Moderation von Dieter Schlenstedt nahm an dem Gespräch über den PEN eine bunte Mischung von PEN-Mitgliedern teil: Günther Deicke, Stephan Hermlin, Heinz Kahlau, Walter Kaufmann als alt gediente Präsidiumsmitglieder; Kerstin Hensel, Steffen Mensching, Brigitte Struzyk und B. K. Tragelehn als Mitglieder des amtierenden Präsidiums. Die Teilnahme verweigert hatte der langjährige Präsident Heinz Kamnitzer. Ein einführendes Referat, das die gesamte Bandbreite der offenen Fragen hinsichtlich der Vergangenheit des PEN-Zentrums offen legte, hielt die Wissenschaftlerin Therese Hörnigk, die mit ihren Nachforschungen gerade begonnen hatte. Die Dokumentation des Gespräches belegt eindrücklich die Schwierigkeiten, eine hochkomplexe und umfassende historische Thematik in einem zeitlich limitierten Gespräch adäquat zu behandeln. Viele Fragen waren nur formuliert, in Ansätzen und unzureichend beantwortet worden. Immerhin war es gelungen, individuelle Schlaglichter auf die Geschichte des PEN-Zentrums in der SED-Diktatur zu werfen. Im Zentrum der Erläuterungen stand(en): Auswirkungen einzelner Ereignisse (Mauerbau, Niederschlagung des Prager Frühlings, Ausbürgerung von Wolf Biermann) auf die Situation im PEN; generelle Zusammenhänge hinsichtlich der Struktur des PEN im dikatorischen System; gesellschaftliche Bedeutung des PEN und dessen Engagement auf humanitärer Ebene. Naturgemäß überwogen in den Wortbeiträgen die individuellen Erfahrungen und Empfindungen der direkt Betroffenen gegenüber generelleren Aussagen hinsichtlich Funktion und Position des PEN in der DDR. Von den älteren Mitgliedern wurden vor allem die positiven Aspekte der PEN-Arbeit herausgestellt, von den jüngeren Autoren kamen die kritischen, mitunter unbeantworteten Fragen. Ausgeklammert blieb mit Bedacht beispielsweise die komplizierte Frage nach der Tätigkeit von PEN-Mitgliedern für den Staatssicherheitsdienst: „Zu groß schien das Risiko, dass ein Gespräch mit Betroffenen, Opfern und Tätern, in eine tribunalartige Situation umschlagen könnte. Zu gering schienen den Verantwortlichen der augenblickliche eigene Wissensstand und der zu erwartende Ertrag.“74 Von den Veranstaltern war keineswegs eine umfassende Klärung der PEN-Problematik intendiert. Das Ziel, ein Gespräch anzustoßen, offene Fragestellungen zu formulieren und neue Ansatzpunkte für die fortzuführende Debatte zu finden, hatte man indes sicherlich erfüllt. In der Diskussion war deutlich geworden, dass die Überschrift der Veranstaltung ihre Berechtigung hatte. Der Geschichte des PEN in der DDR war sich nur im Sinne einer ‚Widerspruchsgeschichte‘ zu nähern: Ein einfaches Urteil über den PEN in der DDR konnte es nicht geben. 73 Ebd. 74 Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum, S. 913.



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Die Gespräche zur Selbstaufklärung wurden nach der Veranstaltung zur Geschichte des PEN nicht fortgesetzt. Gleichwohl war der Vorstand des ostdeutschen PEN-Zentrums nicht erst seit 1991 kontinuierlich mit der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und insbesondere mit der Frage beschäftigt, wie mit mutmaßlichen und tatsächlichen Zuträgern der Staatssicherheit unter den PEN-Mitgliedern umzugehen sei. Zur Klärung der grundsätzlichen Fragen hinsichtlich der Verstrickung in staatssicherheitliche Zusammenhänge wurden indes verschiedene Wege beschritten. Bis zur Mitgliederversammlung im Januar 1992 war die Haltung des Präsidiums zu diesem Thema nicht klar formuliert worden. Nun aber ging man in die Offensive und legte eine Stellungnahme vor, die deutliche Kritik am eigenen Vorgehen äußerte; man habe in dieser Frage „zuviel Zeit […] verstreichen lassen.“75 Zugleich aber wies das Präsidium nachdrücklich darauf hin, dass man eine Art interne Spruchkammer, die nach Akteneinsicht ein Urteil aussprechen sollte, nach wie vor ablehne. Doch auch allein auf die Enthüllung von außen wolle man sich nicht verlassen. Die Mitglieder des Präsidiums hofften auf den eigenverantwortlichen Umgang der PEN-Mitglieder mit der persönlichen Vergangenheit: „Wir appellieren, bauend auf die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung, zur kritischen Lebensbilanz, bauend auf eine Kollegialität, die die Belange der anderen, die Interessen des Zentrums ins Auge zu fassen vermag, an eine kritische Selbstprüfung eines jeden […] und an selbst zu ziehende Konsequenzen.“76 Der Aufforderung zur eigenständigen Gewissensprüfung wurde das Angebot, bei Selbstzweifeln ein klärendes Gespräch mit einem ausgewählten Mitglied des Präsidiums zu führen, zur Seite gestellt. Obgleich es mancherlei Vorbehalte gegenüber dieser Vorgehensweise gab, wurde der Vorschlag des Präsidiums letztlich von der Mitgliederversammlung angenommen. Dass in Einzelfällen die kritische Selbstbetrachtung zu konkreten Konsequenzen führte, belegen die Austritte von Dieter Noll schon Ende 1991 und von Helmut Baierl im Juni 1993. Letzterer begründete seinen Austritt mit detaillierten Selbstanklagen. Er habe „einer guten Sache dienen woll[en], und habe aus dieser Haltung heraus, einer falsch verstandenen Parteidisziplin gehorchend und wohl auch aus Feigheit, Dinge getan, die [s]eine Seele belasten.“ Obgleich er begriff, dass er für den PEN als Mitglied nicht länger tragbar war, schmerzte ihn der Austritt sehr: „[Ich] muß diese Seite meiner Seele aus dem P.E.N. entfernen. Da ich aber nicht einfach mit dieser Seele weggehen und die andere, die faire und freundliche dalassen kann, muß ich mit beiden gehen. Ich trete aus dem P.E.N. aus. Das Programm des P.E.N. aber nehme ich mit für mein weiteres Leben.“77 75 Auszug aus dem Bericht des Präsidenten des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) auf der Mitgliederversammlung am 9.  Januar 1992. Anlage 8 zum Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (6. 4. 1992). DA. 76 Ebd. 77 Helmut Baierl an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) (28. 6. 1993). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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Obgleich die Aufforderung zur kritischen Selbstbetrachtung in Einzelfällen fruchtete, brachten Außenstehende, insbesondere aus dem Westen, deutliche Kritik an der Vorgehensweise des Präsidiums zum Ausdruck. Unter dem wachsenden Druck, der sich von außen aufbaute, entschloss sich das Präsidium schließlich, beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) eine Überprüfung der Präsidiumsmitglieder in Auftrag zu geben. Mit der Antragstellung im Februar 1992 kam die Aufarbeitung der Stasi-Vorwürfe quasi zum Erliegen. Bis zur Mitgliederversammlung im Januar 1993 hatte niemand vom Gesprächsangebot des Präsidiums Gebrauch gemacht. In der Folge erwog das Präsidium, neue Wege der Selbstaufklärung zu beschreiten und konkret jene Mitglieder, die durch Akteneinsicht anderer namhaft geworden waren, zum vertraulichen Gespräch ins Präsidium einzuladen. Den öffentlichen Rahmen lehnte man weiterhin entschieden ab. Vorerst aber geschah in dieser Hinsicht nichts. Erst als im Juni 1993 die ersten Ergebnisse zur Überprüfung des Präsidiums vorlagen, kam wieder Bewegung in die Angelegenheit PEN–Stasi. Von Brisanz war dabei die Auskunft über den Präsidenten Dieter Schlenstedt, der in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes erfasst war. Zwar stellte sich das Präsidium nach der Prüfung der Unterlagen hinter den Präsidenten; diesen aber stürzte das Ergebnis der Überprüfung in tiefe, quälende Selbstzweifel. Schlenstedt bangte um seine Glaubwürdigkeit und zeigte sich verstört über seine Erinnerungslücken: „Nichts kann ich heute mitteilen zu Begegnungen mit dem MfS, die über die hinausgingen, von denen ich erzählt habe – […]. […] ich habe diese Gespräche, falls es denn wirklich welche waren, völlig vergessen. Warum? Vielleicht, weil ich mich damals nicht klar artikulieren, sondern mich lediglich durchwursteln wollte und weil mir das im Grunde unangenehm war.“78 Sollte er als Präsident zurücktreten? Die Präsidiumsmitglieder lehnten diesen Schritt entschieden ab. Dass allerdings die Klärung der Stasi-Problematik verstärkt vorangetrieben werden musste, belegten auch die Anschuldigungen gegen einzelne PEN-Mitglieder, die sich bis zum Herbst 1993 häuften und zunehmend die Reputation des Vereins gefährdeten. Durch den öffentlichen Druck sah sich das Präsidium in die Offensive gedrängt. Als Ausweg wählte man nun das offene Gespräch mit den Betroffenen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Günther Rücker folgte der Einladung als erster. Er wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück. Eine Dokumentation des Gespräches war indes auf Rückers Wunsch unterblieben, sodass konkrete Ergebnisse nicht aktenkundig sind. Im Falle von Hans Marquardt wogen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe schwer und zeigten sich auch im Aktenmaterial des BStU dokumentiert. Gleichwohl bleiben die Hinweise auf Qualität und Quantität von Marquardts Zusammenarbeit mit dem MfS diffus. Eine klare Urteilsfindung fiel schwer, zumal Marquardt als Verlagsleiter immer wieder Titel durchgesetzt hatte, die den ideologischen Vorgaben nicht entsprachen. 78 Dieter Schlenstedt an das Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) (4. 6. 1993). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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Die Bewertung von Marquardts Kontakten zur Staatssicherheit stand infolgedessen wieder und wieder auf der Agenda des Deutschen PEN-Zentrums (Ost). Ein Zwischenergebnis in den Fällen Rücker und Marquardt formulierte das PEN-Zentrum auf der Mitgliederversammlung im Dezember 1993: Nach gegenwärtigem Kenntnisstand hätten beide nicht gegen die Regeln des PEN verstoßen. Für präsidiumsinternen ‚Sprengstoff‘ sorgte Klaus Höpcke, der infolge seiner langjährigen Funktion als Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, ergo der obersten Zensurbehörde der DDR, bereits 1991 zum Problemfall des PEN geworden war; er suchte im Dezember 1993 das Präsidium auf. An seinem Fall schieden sich die Geister. Während Walter Kaufmann dazu tendierte, Höpckes positive Initiativen im Bereich der Literatur gegen die negativen Entscheidungen aufzuwiegen und seine persönliche Entwicklung bis hin zur Unterzeichnung der Resolution für Havel zu berücksichtigen, stellten sich die übrigen Präsidiumsmitglieder entschieden entgegen. Aus ihrer Sicht könne man Höpckes Einsatz für die Förderung von Literatur nicht gegen die repressiven Maßnahmen in anderen Fällen aufwiegen; er sei Zensor gewesen: „Jeder Fall von Unterdrückung der Äußerungsfreiheit ist ein Verstoß gegen die Charta und zählt für sich.“ Kritisch bewerteten die Präsidiumsmitglieder aber auch das PEN-Zentrum selbst. Höpckes Mitgliedschaft im Nachhinein zu verurteilen, erfordere wenig Mut: „Courage hätte es verlangt, ihn 1987 nicht zu wählen.“79 Einen bindenden Entschluss fällte das Präsidium auch in Höpckes Fall letztlich nicht; Höpcke sollte eigenverantwortlich entscheiden und tat dies schließlich im Vorfeld der Mitgliederversammlung am 9. Dezember 1993: Obwohl ich mich nach wie vor mit vielen Mitgliedern des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) herzlich verbunden fühle und obwohl ich weiß, daß sie den Schritt, den ich jetzt tue, bedauern – wie ich ihn selber bedauere –, erkläre ich hiermit meinen Austritt aus dem P.E.N. Ich halte für denkbar, daß dadurch eine Versachlichung von Diskussionen über DDR-Literaturpolitik begünstigt wird. Der Streit um das Für und Wider dieser Politik kann so ohne den verengenden Blick auf die Frage nach der Mitgliedschaft im P.E.N. geführt werden. Vielleicht ermöglicht das auch, die Wechselwirkungen von individuellem Handeln und gesellschaftlichen Umständen in der DDR sowie Leistungen und Versagen bei der Wahrnehmung von persönlicher Verantwortung im Bereich der Kultur wirklichkeitsnah […] zu beurteilen.80

Sehr viel weniger uneigennützig setzte sich der Schriftsteller Erich Köhler mit seiner Vergangenheit auseinander. Seinen Kollege Klaus Schlesinger, der Köhler nach Einsicht seiner Stasiakten als IM ‚Heinrich‘ enttarnt zu haben glaubte und ihn öffentlich seiner Tätigkeit für das MfS angeklagt hatte, griff Köhler seinerseits harsch an: Die Welt geht aus den Fugen, aber dieser zurückhaltend aufgeregte Schriftsteller Klaus Schlesinger tingelt seit fast zwei Jahren landauf, landab, mit einer lächerlichen Lederjackenstory durch 79 Joochen Laabs: Rechenschaftsbericht. Enthalten in Protokoll der Jahresversammlung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) am 9. 12. 1993. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 80 Klaus Höpcke an Dieter Schlenstedt (8. 12. 1993). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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alle einschlägig interessierten, daher gut zahlenden Medien. […] Wenn ich ihm mit Interesse seines Œuvres über den bis zum Erbrechen wiedergekäuten Aktenfraß hinaus etwas Gutes antun kann, so diesen Rat, daß er unseren Briefwechsel ungekürzt veröffentlicht. Mangels anderweitiger Kreativität könnte er damit das Feuerchen seiner Öffentlichkeit noch ein wenig unterhalten.81

Von Köhler war kein klares Bekenntnis zu erwarten; er stellte sich auf den Standpunkt, dass man ihm seine IM-Tätigkeit erst einmal nachweisen müsse. Alle Klärungsversuche des Präsidiums scheiterten. Der Fall Köhler beschäftigte den PEN über viele Jahre hinweg und die Aufregung um ihn kam erst zum Erliegen, nachdem der inzwischen vereinte PEN im Jahr 2002 auf Grundlage einer dezidierten Aktenprüfung seinen Ausschluss beschlossen hatte. Die IM-Problematik dominierte immer wieder die Gespräche, die innerhalb des ostdeutschen PEN-Zentrums geführt wurden. Besonders eindrücklich und dynamisch entwickelte sich die Debatte auf der Mitgliederversammlung im Dezember 1993: Überdeutlich dokumentierte sich die verzweifelte Suche nach Orientierung und Wertmaßstäben in der Beurteilung vermeintlicher oder tatsächlicher Täterschaft, die die interne Diskussion bestimmte und zugleich durch den Druck von außen verstärkt wurde. Einen Lösungsansatz fand man indes auch hier nicht. Gleichwohl gab es für den Fortbestand des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) positive Signale: Dieter Schlenstedt wurde als Präsident bestätigt, B. K.  Tragelehn übernahm das Amt des Vizepräsidenten. Joochen Laabs wurde als Generalsekretär eingesetzt und Beate Morgenstern wurde Schatzmeisterin. Als weiterer Ehrenpräsident wurde Stefan Heym gewählt. Die Jungen dominierten den Beirat: Werner Creutziger, Christoph Dieckmann, Michael P. Hamburger, Kerstin Hensel, Sebastian Kleinschmidt, Steffen Mensching, Thomas Reschke, Brigitte Struzyk und KD Wolff arbeiteten fortan für das PEN-Zentrum. Das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) ging damit, trotz aller finanziellen Unsicherheiten, gestärkt in das neue Jahr. Ein weiteres Jahr verging, ehe den Mitgliedern des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) die Bildung einer Ehrenkommission vorgeschlagen wurde, die die offenen Fragen um die IM-Tätigkeit einzelner Mitglieder klären sollte. Schlenstedt hatte dazu klare Vorstellungen entwickelt: Die Ehrenkommission –– tritt nach begründetem Verlangen von Mitgliedern und/oder auf eigenen Beschluß in Aktion, –– strebt eine differenzierte Prüfung von Vorwürfen und Vorgängen an und erwirkt das Recht, dafür gegebenenfalls Akteneinsicht zu nehmen; –– rät Betroffenen zu Konsequenzen und veröffentlicht nach angemessener Zeit im Kreis des Zentrums ihre Schlussfolgerungen, sofern denen keine Beachtung gegeben wird.82

81 Erich Köhler an Dieter Schlenstedt (16. 11. 1993). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 82 Dieter Schlenstedt: Antrag zur Bildung einer Ehrenkommission [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).



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Auch der West-PEN war eingeladen, sich an der Aufklärung zu beteiligen und seinerseits ein Mitglied als Gast zu den Kommissionssitzungen zu entsenden. Das Präsidium des Ost-PEN erhoffte sich von der Bildung einer Ehrenkommission eine Stärkung der eigenen Glaubwürdigkeit und einen positiven Einfluss auf die öffentliche Position des Zentrums. Zudem sollte in den eigenen Reihen das Vertrauensverhältnis der Mitglieder untereinander bewahrt bzw. gefestigt werden. Im Februar 1995 konstituierte sich schließlich der Ehrenrat, bestehend aus den Mitgliedern Horst Drescher, Kerstin Hensel, Steffen Mensching, Thomas Reschke und dem auf der Jahresversammlung 1995 kooptierten Pfarrer Martin Weskott. Die Tätigkeit des Ehrenrates lief trotz festgeschriebener Arbeitsordnung nur sehr schleppend an, die Vorgehensweise bei der Klärung der Verdachtsfälle schien auch Mitte des Jahres 1995 immer noch nicht letztgültig geklärt. Neue Verdächtigungen richteten sich gegen Fritz Rudolf Fries und Waldtraut Lewin. Auf die vom Focus schon im April 1995 veröffentlichten Vorwürfe gegen den langjährigen PEN-Präsidenten Heinz Kamnitzer (IM ‚Georg‘) hatten Ehrenrat und Präsidium sehr rasch reagiert. Kamnitzer jedoch entzog sich einer klaren Stellungnahme und so distanzierte sich das Deutsche PENZentrum (Ost) unmissverständlich. Erst im Oktober 1995 bestand schließlich Klarheit über die Vorgehensweise bei der Aufklärung der Verdachtsfälle: Einsichtnahme in die BStU-Akten konnte nur in Verbindung mit einem klaren Forschungsauftrag, der wiederum an eine Publikation der Ergebnisse gebunden war, beantragt werden. So beschloss das Präsidium, diesen Weg in allen Verdachtsfällen – allerdings gekoppelt an das Einverständnis des Betroffenen – zu beschreiten. Die stockende Arbeit des Ehrenrates verquickte sich in der Folgezeit mehr und mehr mit den Bemühungen der beiden deutschen PEN-Zentren zu einer vorsichtigen Annäherung zu gelangen und so mündeten die Aufklärungsbemühungen schließlich in die Konstituierung eines gemeinsamen Ehrenrates zur Überprüfung jener Mitglieder, die im Verdacht standen, gegen die PEN-Charta verstoßen zu haben. Im westdeutschen PEN brach eine interne Kluft auf zwischen harschen Verweigerern jeglicher Einigung und gemäßigten Geistern. Deutliches Signal für die zunehmende Entzweiung war der entschlossene Rückzug von Gert Heidenreich; er hoffte, dass er mit seiner Entscheidung, nicht mehr für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, „zu einer besonnenen und von gegenseitiger Achtung getragenen Diskussion im P.E.N. beitragen“ würde. Aus seiner Sicht schienen „Versachlichung und Beruhigung dieser Debatte […] dringend nötig zu sein.“83 Ähnlich kritisch sah auch das Mitglied Klaus Staeck die Entwicklung im westdeutschen PEN – vor allem der „Alleinvertretungsanspruch eines ruhelosen Moral-Komitees aus eigener Gnade mit höchstrichterlicher Diskurshoheit“ war ihm unerträglich. Erschreckend empfand er

83 Der Streit um den PEN. Eine Erklärung von Gert Heidenreich. In: Süddeutsche Zeitung 44 (22. 2. 1995), S. 13.

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die „anschwellende Rigorosität [d]er ehemaligen DDR-Bürger unter den Anklägern“.84 Die von Denunziation und Verdächtigung aufgeladene Atmosphäre mache eine ernsthafte Auseinandersetzung unmöglich. Auch der Internationale PEN hatte sich in der Zwischenzeit zu Wort gemeldet und mahnte die deutschen Schriftsteller, trotz aller Konfliktpunkte zu einer Einigung zu gelangen. Aus London erinnerte man an das Gründungsprinzip des PEN, das als Richtung weisendes Ideal gelten müsse. Ein Weg hin zu Frieden und Versöhnung sei unerlässlich. Trotz aller Mahnungen verlief schon die Vorbereitung der Mitgliederversammlung des West-PEN unglücklich: Aus dem Osten war niemand eingeladen worden, um als Diskussionspartner hinsichtlich der geplanten Thematik ‚Die geteilte Erinnerung‘ teilzunehmen. Auch der Vorschlag des Ost-PEN, eine Art ‚Hearing‘ am Rande der Tagung anzubieten, bei dem ostdeutsche Schriftsteller Rede und Antwort stehen sollten, war nicht aufgegriffen worden. In der Folge sagten die Vertreter des Ost-PEN ihre Teilnahme ab, um eine Behinderung der notwendigen Selbstverständigung zu vermeiden: „Wir möchten zu der Beruhigung und Versachlichung beitragen, die im Interesse einer geistigen Kultur dringend geboten ist. Ohne sie werden Schriftsteller ihre Glaubwürdigkeit verlieren.“85 Dass der Absage der Vorwurf mangelnder Courage auf dem Fuße folgte, war abzusehen. Doch auch ohne die Teilnahme ostdeutscher Vertreter war für genügend Zündstoff auf der Tagung gesorgt. Schon im Vorfeld waren zahlreiche Anträge eingegangen, die sich mit dem Verhältnis der beiden deutschen PEN-Zentren befassten. Die Problemlösungsvorschläge reichten von der Aussetzung der Debatte über die konkrete Vorbereitung der Vereinigung bis hin zu Ansätzen, die eine Verständigung auf der Ebene der Mitglieder, etwa durch Organisation gemeinsamer Veranstaltungen, propagierten. Gert Heidenreich gemahnte in seiner Abschiedsrede die faire, offene Auseinandersetzung: „Ich halte vom Aussitzen, vom Stillhalten, Abwarten genauso wenig wie vom Verdrängen. Ich glaube auch nicht, daß es redlich ist, das heutige deutsche P.E.N.-Zentrum in Bausch und Bogen mit dem DDR-P.E.N. oder gar dem Zensursystem der DDR gleichzusetzen. […] Was mir sinnvoll zu sein scheint, ist eine kritische, den historischen Belegen verpflichtete Diskussion, deren Kriterien unsere Charta vorgibt.“86 Die Tagungsberichte indes zeugen von einer weniger verständigungsbereiten Szenerie: „Es gibt Anträge, Reden und Abstimmungen. Die Mikrophone piepen und rauschen. Der Kongreß tanzt. […] So geht das hin, so geht das her. Wo das hingeht, 84 Zitiert nach: Wie bei den Kaninchenzüchtern? Zwei Stellungnahmen zu den Vereinigungsquerelen in den deutschen PEN-Clubs. In: Süddeutsche Zeitung 46 (24. 2. 1995), S. 13. 85 Dieter Schlenstedt und Joochen Laabs: Gruß an die Jahrestagung ’95 des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (10. 5. 1995). Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (27. 7. 1995). DA. 86 Gert Heidenreich: Bericht vor der Mitgliederversammlung des P.E.N. in Mainz 1995. Anlage zum Rundbrief an die Mitglieder des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (17. 7. 1995). DA.



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weiß man nicht.“87 Am Ende kamen die Anträge, die eine gewisse Verständigungsbereitschaft signalisiert hatten, gar nicht zur Abstimmung; sie waren bereits im Vorfeld aufgrund der explosiven Stimmung zurückgezogen worden. Angenommen wurde schließlich ein Initiativ-Antrag von Yaak Karsunke, der den Ost-PEN als Rechtsnachfolger der DDR-PEN apostrophierte, ihn der Verstöße gegen die internationale PENCharta bezichtigte und eine baldige Vereinigung rigoros in Abrede stellte. Die Reaktion des Präsidiums, das auf Verständigung gesetzt hatte, war abzusehen; es stellte sich nicht zur Wiederwahl. Gewählt wurde schließlich Ingrid Bachér als neue Präsidentin, Manfred Schlösser übernahm das Amt des Generalsekretärs. Ihnen zur Seite standen als neue Präsidiumsmitglieder Eva Demski, Ralph Giordano, Wolfgang Hegewald, Urs Jaeggi, Lea Rosh, Said, Johano Strasser und Joachim Walther. Obgleich die neu gewählte Präsidentin Ingrid Bachér den beiden PEN-Zentren in Anbetracht der aktuellen Lage eine zweijährige Denkpause verordnet hatte, zog die Mitgliederversammlung ungeahnte Konsequenzen nach sich. Auf Veranlassung von Klaus Staeck und Uwe Wesel beantragten über sechzig Mitglieder des West-PEN, darunter Marion Gräfin Dönhoff, Günter Grass, Hildegard Hamm-Brücher, Walter Jens, Leonie Ossowski, Peter Rühmkorf, Friedrich Schorlemmer, Dorothee Sölle, Joseph von Westphalen und Ulrich Wickert, ihre zusätzliche Aufnahme in das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) und erklärten entschieden: „Wir treten ein für einen ebenso fairen wie konsequenten Selbstklärungs- und Entscheidungsprozeß, der das Ziel hat, daß überall nur jene Mitglieder im PEN sein können, die sich der Charta entsprechend verhalten oder verhalten haben.“88 Bei Bachér stieß dieser Versuch, Gesprächsbereitschaft zu demonstrieren, auf wenig Verständnis; er sei eine „große sentimentale Umarmung“89 des Deutschen PEN-Zentrums (Ost), eine „Demonstration des Unwillens einer auf dem PEN-Kongreß unterlegenen Minderheit“.90 Den Doppelmitgliedern sei eine gewisse Neigung zur „Einebnung“91 der Vergangenheit zu Eigen. Im Ost-PEN wurden die künftigen Doppelmitglieder freundlich empfangen; man erhoffte sich von deren produktiver Mitwirkung einen positiven Effekt: „Die Erweiterung der Mitgliedschaft wird als Chance zu einem größeren Gespräch gewertet. Sie wird die Auseinan-

87 Iris Radisch: Wieviel Moral braucht der Mensch? PEN-Tagung in Mainz. Kämpfe, Debatten, Wahlen, Erinnerungen. Das Präsidium hat sich erneuert. Die Vereinigung der beiden PEN-Zentren wurde vertagt. In: Die Zeit, 16. 5. 1995. 88 Zitiert nach [Manfred Bissinger]: Im deutschen Muspott. Gespräch mit Günter Grass über den Beschluß des West-PEN, sich nicht mit dem Ost-PEN zu vereinigen. In: Die Woche 23 (2. 6. 1995), S. 42. 89 Zitiert nach Jan R. Egel: Tolle Tage in Mainz. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 45 (7. 6. 1995), S. 8–14, hier S. 13. 90 Ingrid Bachér an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (14. 6. 1995). DA. 91 Ingrid Bachér: Rundbrief des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik DEutschland (8. 11. 1995), S. 1. DA.

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dersetzungen über die Geschichte und die Verständigung über künftige Wege des PEN in Deutschland beleben.“92 Unmittelbar nach der westdeutschen Mitgliederversammlung, die eine rigorose Abgrenzung als Direktive ausgegeben hatte, verschärfte sich der Ton zwischen Ost und West. Doch rasch wurde beiden Seiten klar, dass die strikte Abgrenzungspolitik einer anderen Vorgehensweise weichen musste. Beide Präsidien widmeten sich nun unabhängig voneinander der berechtigten Frage, wie das deutsch-deutsche Gespräch wieder in Gang zu setzen sei. Auf Führungsebene gab es aber zahlreiche Kommunikationsfehler – insbesondere Bachér und Schlösser agierten ungeschickt. Die gebotenen Chancen, zu einer Entspannung im Verhältnis zwischen den beiden Zentren beizutragen, waren vertan. Auch eine Veranstaltung des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland im November 1995, die zum internen und nicht öffentlichen Gespräch unter der Fragestellung ‚Wie gegenwärtig ist das Vergangene?‘ lud, entspannte die Situation nicht. Sie offenbarte vielmehr den inneren Zwist, der den WestPEN zunehmend spaltete: Grass’ Plädoyer für eine rasche Einigung, sein Verweis auf die gemeinsame Verantwortung für die historische Aufarbeitung ohne Abrechnung und Verurteilung, provozierte Bachér, die sich als Anwältin der ehemaligen DDR-Bürger im West-PEN begriff, zu massiven Angriffen auf dessen Person. Der Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen Kommission beider Zentren, die sich der Klärung strittiger Mitgliedsfälle in Ost und West annehmen sollte, ging im Nachhall der Debatte unter. Die Kommunikation zwischen Ost und West war am Ende des Jahres 1995 noch immer von Missverständnissen, Misstrauen und Vorbehalten geprägt. Anfang des Jahres 1996 legte Bachér dann einen ausgearbeiteten Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen Kommission vor, die gemäß der Devise „Einigung durch Reinigung“93 zeitlich begrenzt tätig werden sollte. Nach Fristablauf sei dann die Vergangenheitsarbeit abzuschließen und die Vorbereitung der Einigung aufzunehmen. Das Präsidium unter Schlenstedt indes plädierte, dem Votum der Mitgliederversammlung im Januar 1996 entsprechend für eine rasche Einigung; diese sollte von der Arbeit der Kommission begleitet werden – im Vertrauen auf eine „Reinigung durch Einigung“.94 Wieder traten die verschiedenen Auffassungen der Präsidien und deren Zögerlichkeit deutlich zutage. In der Basis aber regte sich zunehmend Unmut hinsichtlich der noch immer getrennten deutschen PEN-Mitglieder. Davon zeugen nicht nur die Anträge auf Doppelmitgliedschaft, die den Ost-PEN zu Beginn des Jahres erreichten. Es gab auch eine Offensive in umgekehrter Richtung. Im Mai 1996 musste sich der West-PEN mit einem gemeinsamen Antrag von zehn ostdeutschen PEN-Mitgliedern auf Doppelmitglied92 [Präsidium des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost): Presseerklärung zur Doppelmitgliedschaft] [o. D.]. Enthalten in Protokoll zur Präsidiumssitzung am 29.5.1995 [o. D.]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 93 Beschlußprotokoll der Präsidiumssitzung am 11. 1. 1996 [o. D.; erstellt von Andrea Doberenz]. AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 94 Ebd.



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schaft auseinandersetzen, die ihren Willen zur Einigung von unten bekundeten: „Uns erscheint die anhaltende Trennung des PENs als Relikt einer vorigen Zeit. Sie behindert die Zusammenschau deutscher Nachkriegsgeschichten. Sie fördert Selbstgerechtigkeit. […] Individuell möchten wir vorwegnehmen, was den beiden deutschen PENs noch nicht gelang. Mögen uns viele folgen.“95 Acht von ihnen – Brigitte Burmeister, Christoph Dieckmann, Horst Drescher, Christoph Hein, Sebastian Kleinschmidt, Christoph Links, Thomas Reschke und Brigitte Struzyk wurden sofort aufgenommen; Rolf Schneider und Michael P. Hamburger folgten im Verlauf des Jahres. Im Grunde war eine groteske Situation entstanden: Während die Präsidien nicht nur untereinander, sondern z. T. auch intern uneins waren, wuchs unter den ost- wie westdeutschen Mitgliedern die Bereitschaft, die Trennung endlich zu überwinden. Einen Wendepunkt in der festgefahrenen Debatte brachte ein Antrag, der begleitet von heftigen Debatten, auf der Heidelberger Mitgliederversammlung des westdeutschen PEN durchgesetzt werden konnte: Die ordnungsgemäße schriftliche Befragung der knapp 600 Mitglieder sollte Klarheit über den künftigen Kurs in der Vereinigungsfrage bringen. Zudem wurde der Einrichtung eines gesamtdeutschen Ehrenausschusses zugestimmt, der über etwaige Verstöße von Mitgliedern der deutschen PEN-Clubs befinden sollte. Diese nüchternen und sachlichen Ergebnisse sollen indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Heidelberger Tagung zu einer Wiederaufnahme des Stücks „Wiedervereinigung – Ein Dramolette“96 geriet, in dem Vereinigungsgegner wie -befürworter grandios in ihre Rollen zurückfanden und den Beobachtern ein „großes Tohuwabohu“97 boten. Im Grunde war es erstaunlich, dass am Ende der Heidelberger Streitigkeiten, die von Beleidigungen und Unterstellungen gekennzeichnet waren, ein klares Abstimmungsergebnis stand. Der West-PEN sah sich vor einer Zerreißprobe: Bachér fühlte sich „fortwährend ‚beleidigt‘, ‚angegriffen‘, von konspirativen ‚Kadern‘ aufs Korn genommen“98 und konterte entsprechend; Schlösser fiel vor allem durch inadäquates Verhalten auf und erklärte kurz nach der Versammlung seinen Rücktritt. Auf den Versuch einer demokratisch angelegten Kursklärung kamen rasch scharfe Reaktionen. Die ehemaligen DDR-Autoren Sarah Kirsch, Hans Joachim Schädlich und Richard Wagner erklärten ihren Austritt aus dem PEN, um ihre deutliche Ablehnung jeglichen Zusammenschlusses zu demonstrieren; dafür habe die Umfrage keine Möglichkeit offen gelassen. Es folgten Herta Müller und Bernd Jentzsch. Damit war eingetreten, was man eigentlich hatte verhindern wollen: 95 Brigitte Burmeister, Christoph Dieckmann, Horst Drescher, Michael P. Hamburger, Christoph Hein, Sebastian Kleinschmidt, Christoph Links, Thomas Reschke, Rolf Schneider und Brigitte Struzyk an Ingrid Bachér [o. D.]. Abgedruckt in [Die Zeit]: Tauben-Zentrum (Ost). In: Die Zeit 13 (22. 3. 1996), S. 57. 96 Jörg Magenau: Vereint im Streit. Zur Jahrestagung des westdeutschen PEN-Zentrums in Heidelberg. In: Wochenpost 21 (15. 5. 1996), S. 40. 97 Elisabeth Endres: Der Terror des Geschwätzes. Zur diesjährigen PEN-Tagung in Heidelberg. In: Süddeutsche Zeitung 110 (13. 5. 1996), S. 9. 98 Jens Balzer: Stirb langsam (West). Terror und Aktualität beim Treffen des West-PEN in Heidelberg. In: Die Zeit, 16. 5. 1995.

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Austritte ehemaliger DDR-Autoren, die in den Westen geflohen waren. Warnungen vor einem „dissidentenfreien PEN“ wurden laut. Mit dem Rückzug der Dissidenten, so warnte Lutz Rathenow, werde das weitere „Verschwinden ihrer Erfahrungen aus der öffentlichen Debatte“ eingeläutet.99 Die Mehrheit der Mitglieder, die sich an der Umfrage beteiligt hatten – knapp die Hälfte der gesamten Mitgliedschaft –, vertrat indes einen gemäßigten Standpunkt und befürwortete die Bildung einer paritätisch besetzten Kommission, die „eine Verständigung über die Modalitäten einer Vereinigung beider deutscher PEN-Zentren herbeizuführen versucht.“100 Das amtierende westdeutsche Präsidium, das noch immer Vorbehalte gegen eine nunmehr in Augenschein zu nehmende Vereinigung hegte, reagierte auf das deutliche Votum der Mitglieder erwartungsgemäß mit Zögern und verlagerte die Verantwortung für die Einberufung der Kommission auf das im folgenden Jahr neu zu wählende Präsidium. Mitte Oktober 1996 erklärte Bachér, angesichts ihrer kritischen Haltung gegenüber einer Vereinigung nicht ganz überraschend, gemeinsam mit fünf weiteren Mitgliedern ihren vorzeitigen Rücktritt. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung, die eilends für November 1996 nach Berlin einberufen worden war, wählte in einer unspektakulären Abstimmung den emeritierten Literaturprofessor Karl Otto Conrady zum neuen Präsidenten. Johano Strasser, der nach Schlössers Rücktritt bereits kommissarisch das Amt des Generalsekretärs übernommen hatte, wurde bestätigt. Fritz Deppert blieb Schatzmeister. Wend Kässens, Friedrich Schorlemmer und Elsbeth Wolffheim wurden als Vizepräsidenten gewählt und im Beirat saßen nun Christa Dericum, Jörg Drews, Hans-Georg Noack, Klaus Staeck und Herbert Wiesner. Zum Eklat kam es erst, als die Besetzung der paritätischen Kommission geklärt werden sollte. Nach scharfer Auseinandersetzung wurden schließlich Irina Liebmann und Adalbert Podlech als Vertreter des West-PEN gewählt. Der Konflikt im West-PEN erreichte eine neue Güte: Die Vereinigungsgegner warfen dem neu gewählten Präsidium „Scheinharmonie“101 vor. Befürchtet wurde eine allzu rasche, unkritische Zusammenführung der beiden Zentren, die die Vergangenheit der Ost-Autoren außer Acht lasse. Während Hans Christoph Buch schon auf der Mitgliederversammlung seinen Austritt erklärt hatte, verabschiedeten sich wenig später auch Lea Rosh, Eva Demski, Libuše Moniková, Karl Corino, Katja Lange-Müller, Adolf Endler, Oskar Pastior, Wolfgang Hegewald und Marcel Reich-Ranicki aus dem westdeutschen PEN-Zentrum. Damit waren seit 1996 im Zuge der Debatte um die Vereinigung der beiden Zentren mehr als fünfzig Mitglieder aus dem West-PEN ausgetreten. Dennoch reagierte Conrady, als „Friedensfürst“102 99 [dpa]: Lutz Rathenow fürchtet „dissidentenfreien PEN“. In: Süddeutsche Zeitung 179 (5. 8. 1996), S. 17. 100 Zitiert nach gs.: Zu früh. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 223 (24. 9. 1996), S. 35. 101 [dpa]: Scheinharmonie? Conrady neuer PEN-Präsident. In: Süddeutsche Zeitung 272 (25. 11. 1996), S. 13. 102 Elisabeth Endres: Ende der Rosenkriege? In Berlin tagte und wählte der PEN. In: Süddeutsche Zeitung 273 (26. 11. 1996), S. 13.



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gehandelt, gelassen. Zwar sei jeder Austritt ein Austritt zuviel. Gleichwohl arbeitete das Präsidium unter seiner Führung kontinuierlich auf eine Verständigung mit dem ostdeutschen Pendant hin, die in eine konstruktive Zusammenarbeit mündete. Die paritätische Kommission, die in erster Linie den juristisch notwendigen Verschmelzungsvertrag verhandeln musste, trat im Verlauf des Jahres 1997 mehrfach zusammen und war mit der Zusammenarbeit zufrieden. Auch die harmonisch verlaufende Jahrestagung des West-PEN, die in Quedlinburg zusammengetreten war, ließ keinen Zweifel daran, dass die deutschen PEN-Zentren auf Vereinigungskurs befanden. Während die Feuilletons die ungewohnte Harmonie in ihrer Berichterstattung wohlwollend zur Kenntnis nahmen, folgte ein neuerlicher westdeutscher Eklat der Tagung auf dem Fuße: Gefolgt von Ota Filip und Uwe Friesel erklärte Ralph Giordano in Reaktion auf die Quedlinburger Jahresversammlung, der er gar nicht beigewohnt hatte, öffentlichkeitswirksam seinen Austritt aus dem West-PEN und provozierte damit einen öffentlichen Schlagabtausch zwischen den Gegnern und Befürwortern der Vereinigung. Allen heftigen Auseinandersetzungen zum Trotz trieben die Verantwortlichen die Vorbereitungen zur Fusion unbeirrt voran. Lediglich die Arbeit des gemeinsamen Ehrenrates zur Aufklärung der IM-Verdachtsfälle blieb ein gewichtiger Streitpunkt. Ein erstes Treffen des gemeinsamen Ehrenrates hatte Mitte 1996 stattgefunden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte bereits eine Reihe von verdächtigten Mitgliedern in Reaktion auf die Untersuchungen durch den ostdeutschen Ehrenrat den PEN verlassen: Harry Thürk, Waldtraut Lewin, Fritz Rudolf Fries, Ernst Schwarz und Achim Roscher. Der Ex-Präsident Heinz Kamnitzer negierte seine Mitgliedschaft im Deutschen PEN-Zentrum (Ost). Im Zusammenhang mit dem Erscheinen von Joachim Walthers Forschungsarbeit Literatur und Staatssicherheit rückten erneut elf Mitglieder des Ost-PEN in den Blickpunkt. Nach eingehender Prüfung wurden die Vorbehalte gegenüber Jürgen Rennert, John Erpenbeck, Jürgen Engler, Jurij Koch, Rudi Strahl, Christa Wolf, Dieter Schlenstedt, Heinz Kahlau und Ruth Werner fallen gelassen. Der einzige Fall des West-PEN löste sich durch Austritt: Die ‚Dissidentin‘ Monika Maron verweigerte ein Gespräch und verließ das westdeutsche PEN-Zentrum. Ungelöst blieben nur die Verdächtigungen von Hans Marquardt und Erich Köhler. Ihre Mitgliedschaft wurde von den westdeutschen Vertretern als ‚fusionswidrig‘ betrachtet; man schätzte beide als eindeutig stasibelastet ein. Eine eindeutige Entscheidung, wie mit ihnen zu verfahren sei, wurde indes nicht getroffen und so bot ihre Mitgliedschaft weiterhin reichlich Konfliktstoff. Die im Oktober 1997 formulierte Forderung des westdeutschen Präsidiums, die beiden Fälle seien vor einer Vereinigung durch Austritt bzw. Ausschluss zu klären, löste im Ost-PEN Empörung aus; man sah sich ungebührlich unter Druck gesetzt: „Noch ein paar Kurven auf dieser Bahn, und wir werden das Bedauern hören, daß eine Vereinigung trotz aller Anstrengungen nicht möglich sei.“103 Offenkundig war man von Seiten des West-PEN bestrebt, ein Scheitern der Fusion beider 103 Dieter Schlenstedt an Karl Otto Conrady (11. 12 .1997). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost).

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Zentren zu vermeiden. Die Verantwortung für die Entscheidungen über die Fälle Köhler und Marquardt, die im ostdeutschen Ehrenrat intensiv bearbeitet wurden, legte man in die Verantwortung des Ost-PEN: „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als Eure Entscheidung abzuwarten.“104 Die Verknüpfung der Probleme um die Vergangenheit einzelner Mitglieder mit der Vereinigungsfrage lehnte das ostdeutsche PEN-Zentrum weiterhin ab; dies machte auch B. K. Tragelehn deutlich, der nach Schlenstedts gesundheitsbedingtem Rücktritt im Dezember 1997 das Amt des Präsidenten kommissarisch führte: „Das sind zwei Paar Schuhe. Im Namen sogenannter höherer Prinzipien sogenannte schwarze Schaffe zu opfern, das erinnert zu sehr an die Riten für Reinheit und Einheit.“105 Der Klärung der strittigen Fälle sei Sache des Ost-PEN – auch nach einer Fusion müsse der Ehrenrat fortbestehen. Die endgültige Klärung der Haltung zur Einheit erfolgte auf den Jahresversammlungen der beiden deutschen PEN-Zentren im darauf folgenden Jahr: Im April 1998 nahm das Deutsche PEN-Zentrum (Ost) auf seiner Mitgliederversammlung in Berlin den Verschmelzungsvertrag mit dem westdeutschen PEN-Zentrums und die künftige Satzung des neu zu schaffenden PEN-Zentrums Deutschland mit entschiedenen Mehrheiten an. Mit einer Mehrheit von 95 Prozent bestätigte schließlich einen Monat später auch der westdeutsche PEN in München die Vereinigung mit dem ostdeutschen Zentrum – ohne letztgültige Lösung in den Streitfällen Köhler und Marquardt. Laut vertraglicher Regel sollte Darmstadt aufgrund der praktischen und vor allem finanziellen Bedingungen zum Sitz des vereinten deutschen PEN-Zentrums werden. Auch an anderen Orten konnten Büros für regionale Tätigkeiten eröffnet werden. Für die Zuwahl der Mitglieder galt fortan die Regelung des ostdeutschen PEN: Vor dem eigentlichen Wahlgang musste jedes potenzielle neue Mitglied von mindestens zwei Mitgliedern vorgeschlagen und durch das Präsidium bestätigt werden. Die Weichen für die Verschmelzung waren gestellt: In Dresden (Oktober 1998) wurde dann nach einem acht Jahre währenden Dauerstreit der Vorgang formal-juristisch besiegelt – die ost- und westdeutschen PEN-Mitglieder stimmten noch einmal, jeweils für sich, dem Zusammenschluss mit breiten Mehrheiten zu. Ins Amt des Präsidenten erhob man den ostdeutschen Schriftsteller Christoph Hein, der gemeinhin als „moralisch integere Person“106 und geeignete Integrationsfigur galt. Zur Seite gestellt wurde ihm der PEN-erfahrene Johano Strasser als Generalsekretär und Sigfrid Gauch als Schatzmeister. Als Vizepräsidenten standen Elsbeth Wolffheim und Joochen Laabs zur Verfügung. Auch der Beirat demonstrierte in seiner Zusammensetzung eine sorgfältig zwischen Ost und West austarierte Mischung (Brigitte Burmeister, Jörg Drews, Michael P. Hamburger, Wend Kässens, Burkhard Spinnen, Herbert Wiesner und KD

104 Johano Strasser an Joochen Laabs (8. 2. 1998). AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). 105 Irmtraud Gutschke: Wird der PEN bald gesamtdeutsch? Nachgefragt bei B.  K  Tragelehn. In: Neues Deutschland, 3. 4. 1998. 106 Jörg Magenau: Von der Oder bis zur Saar. In: die tageszeitung 5675 (2. 11. 1998), S. 16.



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Wolff). Alle verfügten, wenn nicht über Präsidiums-, dann jedoch über mehrjährige Club-Erfahrung. Und so verband sich mit dem Ende der jahrelangen Vereinigungsstreitigkeiten die Hoffnung, dass der nunmehr geeinte deutsche PEN zu seiner eigentlichen Aufgabe, dem aktiven Einsatz für die Schriftsteller und die Literatur, zurückkehren könne. Es galt zudem, das durch den öffentlichen Widerstreit beschädigte Ansehen des PEN zu reparieren. Doch auch die problematische Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit sollte nicht zum Erliegen kommen, sondern im kritischen, auch streitbaren Dialog weitergeführt werden. Damit stand das PEN-Zentrum Deutschland, das künftig Autoren aus Ost und West unter einem Dach zusammenbrachte, vor vielfältigen Aufgaben, deren Bewältigung in engem Zusammenhang mit der Reputation der Vereinigung stand.

Literatur- und Quellenverzeichnis Ungedruckte Quellen AdK Berlin, PEN-Archiv (Ost). PEN-Archiv Darmstadt (DA).

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Bores, Dorothée: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: De Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). (Kap. 9 und 10) Der PEN-Streit. In: europäische ideen 104 (1997), S. 20–25. Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hrsg.): Gespräche zur Selbstaufklärung ’92. Dokumentation nach Tonbandkassetten. Berlin: Klarsicht 1993. – (Hrsg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart. Berlin: Klarsicht 1995. – (Hrsg.): Autorenlexikon. Zwischenbilanzen. Berlin: Klarsicht 1996. Günter Grass und der PEN. In: europäische ideen 97 (1996), S. 24–29. Kleinschmidt, Harald: Die unendliche Geschichte der PEN-Vereinigung. In: DeutschlandArchiv 31 (1998), S. 882–884. Luckscheiter, Roman: Intellektuelle nach 1989. In: Jutta Schlich (Hrsg.): Intellektuelle im 20. Jahrhundert in Deutschland. Tübingen: Niemeyer 2000 (11. Sonderheft IASL), S. 367–388. Mayer, Hans: Zum PEN (= Auszüge aus der (verlesenen) Eröffnungsrede zur Jahrestagung des Deutschen P.E.N.-Zentrums (Ost) im Januar 1997). In: europäische ideen 103 (1997), S. 28f. Mittenzwei, Werner: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945–2000. Berlin: Aufbau 2003. PEN-Stimmen. In: europäische ideen 95 (1995), S. 37–73. Pforte, Dieter: Unvereint – vereint. Literarisches Leben in Deutschland. In: neue deutsche literatur 1 (1996), S. 182–209.

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 Dorothée Bores

Schlenstedt, Dieter: Einheit der Kultur? Kultur der Einheit! Rede auf der Jahresversammlung des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) im Januar 1996. In: neue deutsche literatur 507 (1996), S. 189–200. – : Zur Einführung. In: Deutsches P.E.N.-Zentrum (Ost) (Hrsg.): Autorenlexikon. Geschichte und Gegenwart. Berlin: Klarsicht 1995, S. 7–26. Staadt, Jochen: Ruhe im P.E.N.? In: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 3 (1979), S. 70–79. Thörne, Dorothea: Vereinigung nach langer ideologischer Trennung. Schmerzhafter Prozess der Zusammenführung der deutschen PEN-Clubs. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 37/38 (2000). Villain, Jean: Vineta 89 – Tagebuch einer Wende. Rostock: BS-Verlag 2001. Wallmann, Jürgen P.: Die geteilte Erinnerung. Zur Jahrestagung des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland in Mainz. In: DeutschlandArchiv 29 (1995) 6, S. 566–568. Weskott, Martin: Hinter den Aktenbergen. Schriftsteller und Staatssicherheit am Beispiel Erich Köhler. Ein Forschungsbericht. Catlenburg: Edition Duhm 2002. Zimmermann, Hans Dieter: Wozu PEN und Akademie? Die Spaltung nach der Einheit. In: H. D. Z. (Hrsg.): Literaturbetrieb Ost/West. Die Spaltung der deutschen Literatur von 1948 bis 1998. Stuttgart, Berlin und Köln: Kohlhammer 2000, S. 139–146.

Johano Strasser

Das PEN-Zentrum Deutschland Vom mühsamen Vereinigungsprozess bis zur Gegenwart

1 Die Vereinigungsdebatte – ein Akt der Selbstverständigung Wenn man heute auf die heftigen Auseinandersetzungen zurückblickt, die in den 1990er Jahren innerhalb der beiden deutschen PEN-Zentren und zwischen ihnen stattfanden, mag mancher den Eindruck haben, dass man sich das alles hätte ersparen können. In der Tat gab es Eitelkeiten, Aufgeregtheiten, unbedachte Äußerungen, die besser vermieden worden wären. Aber die Auseinandersetzung hatte einen richtigen Kern, der durch die oftmals klein karierte und besserwisserische Art, wie sie geführt wurde, nicht an Bedeutung verliert. Es ging um das Selbstverständnis des PEN als einer Schriftstellervereinigung, die ausweislich ihrer Satzung allzeit für die Freiheit des Wortes, für Frieden und Menschenrechte und gegen alle Formen von Rassen- und Klassenhass einzutreten hat. Dass Selbstverständigungsdebatten dieser Art niemals frei von Selbstgerechtigkeit sind, dass aus ihrem Anlass zuweilen auch ganz andere Rechnungen beglichen werden, dass viele der Kontrahenten in ihrer Eitelkeit der Versuchung zu medienwirksamer Übertreibung nicht widerstehen können – all das ist bekannt, ändert aber nichts daran, dass solche Debatten gleichwohl dann und wann notwendig sind. Die seit Mitte der 1990er Jahre akuter werdenden Versuche, die beiden deutschen PEN-Zentren zusammenzuführen, boten einen Anlass zu einer solchen Selbstverständigungsdiskussion. Aus der Sicht einer großen Zahl von West-PEN-Mitgliedern – unter ihnen auch viele der aus der DDR ausgebürgerten Schriftsteller – lautete die alles entscheidende Frage: Darf der West-PEN sich mit dem Ost-PEN vereinigen, solange es im Ost-PEN eine ehrliche Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit des Clubs und einiger ihrer dem DDR-Regime einst enger verbundenen Mitglieder nicht gegeben hat? Nun war es keineswegs so, dass etwa das Präsidium des West-PEN, insbesondere dessen Präsident Gert Heidenreich, Verstöße gegen die Charta des PEN, sofern es sie im Ost-PEN oder bei einzelnen seiner Mitglieder gegeben hatte, auf die leichte Schulter nahm. Im Gegenteil hatte das Präsidium des West-PEN unter Heidenreich im Vorfeld der Mainzer Jahrestagung 1995 in einem Papier Bedingungen für die Vereinigung beider PEN-Zentren formuliert, die in diesem Punkt nichts zu wünschen übrig ließen. Es war also nicht richtig, wenn gelegentlich unterstellt wurde, dass die damalige Führung des West-PEN eine schnelle Vereinigung wollte und es in Kauf genommen hätte, belastete Autoren aus dem Ost-PEN zu übernehmen.

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Auch hatte der Ost-PEN erhebliche Anstrengungen unternommen, sich von Mitgliedern, die erwiesenermaßen gegen die Charta des PEN verstoßen hatten, zu trennen. Ein Ehrenrat, dem neben Thomas Reschke Horst Drescher, Kerstin Hensel, Steffen Mensching und Martin Weskott angehörten, leistete hervorragende Arbeit; fünfzehn Mitglieder verließen noch vor Eintritt in die konkreten Vereinigungsverhandlungen der beiden deutschen Zentren den Ost-PEN, weil sie vom Ehrenrat unmissverständlich dazu aufgefordert worden waren. Manchem im West-PEN war dies nicht genug. Vor allem, dass der Ost-PEN sich weigerte, Mitglieder auszuschließen, und stattdessen auf die Offenlegung von Verfehlungen und den dadurch bewirkten freiwilligen Rückzug aus der Vereinigung setzte, wurde als mangelnde Konsequenz in Menschenrechtsfragen gedeutet. Viele im Westen begriffen einfach nicht, dass das Verfahren des Ausschlusses für die meisten Mitglieder des Ost-PEN deswegen nicht in Frage kam, weil sie sich in den Zeiten der DDR erfolgreich gegen alle Forderungen von Regierungsseite gewehrt hatten, unliebsame Mitglieder auszuschließen. Natürlich hatten die Mitglieder des West-PEN es leicht, Kritik am DDR-PEN zu üben. Sie waren nicht wie die Mitglieder des Ost-PEN politischem Druck ausgesetzt gewesen, für sie war es relativ einfach gewesen, den Anforderungen der Charta zu genügen. Dagegen hatten die Mitglieder des Ost-PEN sich gegen politische Pressionen zur Wehr setzen müssen, und dies erforderte Mut, ein Mut, der im Westen den Schriftstellern in der Regel nicht abverlangt wurde, den freilich auch im Osten nicht alle aufbrachten, einige wohl auch nicht aufbringen wollten. Aus dieser Asymmetrie der Diskussion ergaben sich viele Misslichkeiten der Debatte. Viele Mitglieder des Ost-PEN empfanden es als ungerecht, dass von ihnen im Nachhinein Heldentaten eingefordert wurden, von denen anzunehmen ist, dass die Mehrheit der Mitglieder des West-PEN sie unter ähnlichen Bedingungen auch nicht vollbracht hätte. Manche Autoren im Westen und manche Vertreter der Medien stellten die Mitglieder des Ost-PEN unter einen Generalverdacht, während die WestAutoren, von denen durchaus der eine oder die andere zeitweilig Sympathien für die kommunistischen Systeme zu erkennen gegeben hatte, von vornherein als zuverlässig galten. Die Art und Weise, wie der Streit geführt wurde, war sicher kein Glanzstück, auch das sprachliche Niveau in diesem Streit war zum Teil erschreckend niedrig. Vor allem aber fehlte es auf westlicher Seite oft an der notwendigen Sachkenntnis, um Ostbiographien in ihrer ganzen Komplexität beurteilen zu können. Das Ergebnis von allem war, dass am Ende des Streits sich praktisch alle Exponenten in Schubladen befanden, in die sie eigentlich nicht gehörten. Erst im Jahr 1995, nämlich auf der Jahrestagung des West-PEN in Mainz, brach der Streit offen aus. Anlass war der Vorschlag des Präsidiums unter Gert Heidenreich, nunmehr in konkrete Verhandlungen mit dem Ost-PEN über die Vereinigung einzutreten. Hierzu gab es aus der Mitgliedschaft einen Gegenantrag, der Verhandlungen über die Vereinigung solange für unzulässig erklärte, solange der Ost-PEN die Aus-



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einandersetzung mit der Vergangenheit seiner belasteten Mitglieder nicht ernsthaft geführt habe. Gespräche mit dem Ost-PEN, so der Gegenantrag, seien zwar zu begrüßen. Allerdings solle es dabei nicht unmittelbar um die Vereinigung gehen, damit der Druck zur Selbstreinigung für den Ost-PEN aufrecht erhalten bleibe.1 Der Gegenantrag erhielt die Mehrheit der Stimmen, und auf der Basis dieser neuen Mehrheit wurde ein neues Präsidium des West-PEN unter der Präsidentin Ingrid Bachér gewählt. Was dabei zuweilen in der Öffentlichkeit übersehen wurde: So gut wie alle Mitglieder, ob sie nun den einen oder den anderen Antrag unterstützten, waren der Meinung, dass eine Organisation wie der PEN keinerlei Zweifel an ihrer Charta-Treue aufkommen lassen dürfe, wenn sie öffentlich wirksam für die Freiheit des Wortes und für verfolgte Autoren auftreten wolle. Da der PEN kein anderes Kapital zur Verfügung hat als das Renommee und die Prinzipientreue seiner Mitglieder, das war auch die Ansicht der Minderheit, sei es unbedingt notwendig, sich von Mitgliedern zu trennen, die schwerwiegend gegen die Charta verstoßen hätten. Allerdings wurde in der Folge durch die aufgeregte und zum Teil sehr irrationale Form der Diskussion ein Graben aufgerissen, der in der Sache gar nicht bestand. Auf dem Heidelberger Kongress des West-PEN 1996 wurde dann der Beschluss gefasst, zur Frage der Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren die Mitglieder zu befragen. Das Ergebnis war eindeutig: Dreiviertel der Mitglieder des West-PEN stimmten dafür, sofort in ernsthafte Verhandlungen über die Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren einzutreten, ein Viertel war dagegen. Als das eindeutige Ergebnis der Befragung vorlag, gaben Ingrid Bachér, der Schatzmeister des West-PEN Fritz Deppert und der Generalsekretär Johano Strasser eine gemeinsame Erklärung ab, die die Eindeutigkeit des Ergebnisses begrüßte und der Hoffnung Ausdruck gab, dass nun eine Befriedung des West-PEN eintreten würde. Leider trat dies dann aber doch nicht im gewünschten Umfang ein, weil Ingrid Bachér später von dieser Erklärung abrückte. Sie berief eine außerordentliche Mitgliederversammlung des WestPEN nach Berlin ein. Dort trat das amtierende Präsidium zurück, und es wurde ein neues Präsidium gewählt, dem Karl Otto Conrady als Präsident und als Generalsekretär wiederum Johano Strasser angehörten. Dieses neue Präsidium ging sofort daran, den Auftrag der Mitgliedschaft, Gespräche über die Vereinigung aufzunehmen, auszuführen. Mittlerweile hatte sich auch in der Öffentlichkeit weithin die Auffassung durchgesetzt, dass die Vereinigung überfällig sei. Es wurde eine Kommission aus beiden PEN-Zentren gebildet, die die Modalitäten der Vereinigung beraten und einen Vorschlag hierzu entwickeln sollte. Dieser Kommission gehörten an: vom Ost-PEN Joochen Laabs und Werner Liersch, vom West-PEN Irina Liebmann und Johano Strasser. Irina Liebmann wurde später auf eigenen Wunsch durch Christa Dericum ersetzt. Die juristische Seite der Vereinigung war schwierig. Es musste ein so genannter ‚Ver1 Vgl. Ingrid Bachér an alle Mitglieder und Freunde des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland (14. 6. 1995). PEN-Archiv Darmstadt.

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schmelzungsvertrag‘ ausgearbeitet werden. Zudem mussten sich beide Seiten auf eine gemeinsame Satzung einigen. Beide Dokumente mussten danach auf getrennten Versammlungen beider PEN-Zentren – in identischer Form – angenommen werden. Das bedeutete, dass die Mitglieder darauf verzichten mussten, Änderungen, auch geringfügige, an den Dokumenten zu beschließen, weil sonst die zeit- und wortgleiche Verabschiedung auf getrennten Versammlungen nicht hätte zustande kommen können. Das Verschmelzungsgesetz sah zudem vor, dass die Präsidien der beiden Zentren einen gemeinsamen Vorschlag für das Präsidium des geeinten PEN vorzulegen hatten. Auch bei diesem Vorschlag war vom Gesetzgeber nur Zustimmung durch die konstituierende Versammlung des geeinten PEN vorgesehen. Das alles war natürlich unter demokratischen Gesichtspunkten höchst unglücklich, ließ sich aber aufgrund der damaligen Rechtslage nicht vermeiden. Die Delegierten der konstituierenden Versammlung des deutschen PEN-Zentrums, die im Jahre 1998 in Dresden stattfand, sahen dies ein und stimmten – zähneknirschend – dem Verfahren zu. Zum ersten Präsidenten des geeinten PEN wurde auf diese Weise Christoph Hein gewählt, Johano Strasser wurde wieder Generalsekretär, der er auch im West-PEN gewesen war. Zu Vizepräsidenten wurden Elsbeth Wolffheim und Joochen Laabs gewählt, zum Schatzmeister Sigfrid Gauch. Als Beiräte saßen in diesem nun wieder gesamtdeutschen Präsidium: Brigitte Burmeister, Jörg Drews, Michael P. Hamburger, Wend Kässens, Burkhard Spinnen, Herbert Wiesner und KD Wolff. Zum Justitiar wurde Adalbert Podlech berufen; Ursula Setzer, die zuvor schon viele Jahre Geschäftsführerin des westdeutschen PEN gewesen war, führte dieses Amt nun im vereinigten PEN fort. Ihr folgte 2009 Claudia C. Krauße. Mit dem Kongress in Dresden waren die alten Streitereien zwar noch nicht vollständig überwunden, aber es stellte sich doch bald heraus, dass die von manchen geäußerte Befürchtung, dass der Charakter der Organisation sich nach der Vereinigung grundlegend wandeln werde, dass insbesondere das Engagement für die Menschenrechte taktischen Erwägungen geopfert werden würde, völlig unbegründet war. Vielmehr erwies es sich für beide Seiten als ein Gewinn, in der Arbeit des PEN mit den oft sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen in Ost und West konfrontiert zu werden. Was die notwendige Selbstreinigung des PEN anging, blieben zwei Fälle übrig, die durchaus unterschiedlich zu beurteilen waren. Im einen Fall war aufgrund der Aktenlage und den Aussagen von Zeugen schwer zu entscheiden, ob hier jemand mit der Stasi kooperiert hatte, um für sich und seine Autoren einen vom System der DDR eigentlich nicht geduldeten Freiraum zu erhalten, oder ob er (auch) indirekt Zensur ausgeübt und Publikationen aus politischen Gründen verhindert hatte. Es war dies der Fall des Verlegers Hans Marquardt. Der andere Fall war der eines Autors, der erst nach der Wende in den Ost-PEN aufgenommen worden war, dem aber – allerdings detailliert erst nach der Vereinigung – nachgewiesen werden konnte, dass er Spitzeldienste für die Stasi geleistet und in diesem Zusammenhang auch Autoren geschadet hatte. Der erste Fall löste sich schließlich dadurch, dass Marquardt freiwillig den PEN



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verließ. Im anderen Fall weigerte sich der belastete Autor, den PEN zu verlassen, und wurde auf der Jahresversammlung 2002 in Darmstadt mit der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit ausgeschlossen. Schon bald war für jedermann sichtbar, dass die Arbeit für verfolgte Schriftsteller in aller Welt im vereinten deutschen PEN nun erst recht im Mittelpunkt stand. Auch in kulturpolitischen Fragen erwies sich das PEN-Zentrum Deutschland bald als eine wichtige Instanz. Seit 1999 kam zu der Writers in Prison-Arbeit noch ein Hilfsprogramm für Exilschriftsteller hinzu, das der PEN mit Hilfe der rot-grünen Bundesregierung ins Leben rufen konnte: das Writers in Exile-Programm. Schon bald war auch das Renommee des PEN, das durch die internen Streitereien gelitten hatte, wieder so, dass seine Stimme in der Öffentlichkeit zählte. Unter den Präsidenten Christoph Hein, Said und Johano Strasser und den Generalsekretären Wilfried Schoeller und Herbert Wiesner wurden die kulturpolitische Aktivität und die Menschenrechtsarbeit kontinuierlich intensiviert. Insofern kann man heute sagen, dass die Vereinigung der beiden deutschen PEN-Zentren sich positiv ausgewirkt hat. Dennoch bleibt als Verlust zu verbuchen, dass einige wichtige Schriftsteller den deutschen PEN im Laufe der Auseinandersetzungen um die Vereinigung verlassen haben. Obwohl alle Präsidien seit 1998 Versuche unternommen haben, die Ausgetretenen zur Rückkehr in den PEN zu bewegen, hatte dies nicht in allen Fällen Erfolg. Die Auseinandersetzungen der Vergangenheit haben bei manchen offenbar Wunden hinterlassen, die so schnell nicht heilen. Allerdings ist es gelungen, die Kluft zwischen Ost und West, die in der Gesellschaft in den letzten Jahren kaum kleiner geworden ist, im PEN zu überbrücken.

2 Nach der Vereinigung: Das PEN-Zentrum Deutschland als wichtige (kultur)politische Instanz Heute gehört das PEN-Zentrum Deutschland zu den aktivsten der 145 PEN-Zentren in aller Welt. Im Rahmen seiner Writers in Prison-Arbeit2, für die viele Jahre lang Karin Clark, später Katja Behrens, Dirk Sager und Sascha Feuchert zuständig waren, setzt es sich zusammen mit anderen PEN-Zentren und anderen Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international und Reporter ohne Grenzen für verfolgte Schriftsteller und ihre Angehörigen ein, versucht mit ihnen Kontakt aufzunehmen und die Öffentlichkeit über ihr Schicksal zu informieren, organisiert öffentliche Kampagnen oder nutzt diplomatische Kanäle, um drangsalierten, gefolterten und mit dem Tod bedrohten Kollegen zu helfen und sie nach Möglichkeit dem Zugriff ihrer Häscher zu entziehen. Manchmal, leider nicht immer, mit Erfolg. Den Schriftsteller und Heraus2 Vgl. den Beitrag von Sascha Feuchert zur Arbeit des Writers in Prison-Committees in diesem Handbuch, S. 34–52.

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geber der Kulturzeitschrift Adineh, Faraj Sarkohi, hat der PEN mit Hilfe der deutschen Diplomatie aus der Todeszelle im Teheraner Evin-Gefängnis herausholen können. Bei Ken Saro-Wiwa, dem nigerianischen Schriftsteller und Umweltaktivisten, war der weltweite Protest nicht von Erfolg gekrönt. Die damals in Nigeria herrschende Militärclique hat ihn vor den Augen der Weltöffentlichkeit kaltblütig umbringen lassen. Lang ist die Reihe der verfolgten Autoren, für die sich der deutsche PEN in den letzten Jahrzehnten eingesetzt hat und die er, um ihnen einen gewissen Schutz zu gewähren, zu seinen Ehrenmitgliedern erklärt hat. Heute betreut das PEN-Zentrum vor allem Autoren, Journalisten und Verleger aus dem Iran, der Türkei, Algerien, Tunesien, Syrien, Weißrussland, China, Vietnam, Sri Lanka, Mexiko, Kuba und aus einigen Ländern Schwarzafrikas. Die Hoffnung, die nach 1989 viele beseelte, dass der Siegeszug der Freiheit nun nicht mehr aufzuhalten sein würde, hat sich trotz des arabischen Frühlings und trotz einiger Mut machender Veränderungen in Lateinamerika, trotz der sich schüchtern anbahnenden Liberalisierung in Myanmar, im ganzen leider bisher nicht bewahrheitet. Auch ist die Welt seitdem nicht wirklich ein friedlicherer Ort geworden. Sowohl im Irak als auch in Afghanistan ist von einer nachhaltigen Befriedung nichts zu erkennen, und die Lage im Nahen Osten hat sich nach der Ermordung Yizak Rabins und der extrem nationalistischen Wende in der israelischen Politik erheblich verschlechtert und ist heute, nicht zuletzt wegen des Bürgerkriegs in Syrien, hochexplosiv. Dazu kommt ein zunehmend aggressiver ausgetragener Wettlauf um knapper werdende Ressourcen, der jederzeit in offene Ressourcenkriege einmünden kann. Immer wieder hat der deutsche PEN in den letzten Jahren die Frankfurter Buchmesse als Forum für seine Menschenrechtsarbeit nutzen können. Das war besonders wichtig im Jahr 2009, als China Buchmessengast war und die chinesischen Behörden alles daran setzten, bei dieser Gelegenheit nur die dem Regime treu ergebenen Schriftsteller zu Wort kommen zu lassen. In einem mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels gemeinsam organisierten Vorkongress und in mehreren Veranstaltungen am Stand des PEN auf der Messe selbst wurde den anders denkenden Autoren eine Stimme gegeben, die im offiziellen Programm der Messe sonst nicht vorgekommen wären. Als Dank und Anerkennung für besondere Verdienste in der Arbeit für verfolgte Autoren verleiht das deutsche PEN-Zentrum, zusammen mit dem Land Hessen, jedes Jahr den Hermann-Kesten-Preis. Er ist benannt nach dem Autor Hermann Kesten, der zusammen mit Thomas Mann und vielen amerikanischen Kollegen im Emergency Rescue Committee viele von den Nazis verfolgte Autoren gerettet hat und von 1972 bis 1976 Präsident des westdeutschen PEN war. Zuletzt erhielten die seit dem Jahr 2000 mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung: 1999 der Generalsekretär des russischen PEN, Alexander Tkaschenko, der viele Jahre lang als Prozessbeobachter sich für Rechte russischer Dissidenten eingesetzt hat;



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2000 der kroatische Verleger Nenad Popovic, der in seinem Verlag auch während des Balkankrieges das literarische Gespräch zwischen Kroaten, Serben und Bosniern aufrecht erhielt; 2002 Gila Svirsky und Sumaya Farhat-Naser, die eine Israelin, die andere Palästinenserin, beide engagiert in der Friedensarbeit im Nahen Osten; 2003 Anna Politkowskaja, die mutige Journalistin, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung über den Tschetschenienkrieg kurz darauf ermordet wurde; 2007 Hrant Dink, der von einem türkischen Nationalisten auf offener Straße ermordet wurde, und die von ihm gegründete Zeitung Agos, die beharrlich für eine friedliche Koexistenz von Armeniern und Türken warb; 2009 Baltasar Garzón, der spanische Untersuchungsrichter, der sich nachdrücklich für eine Internationalisierung des Strafrechts eingesetzt hat und die Verhaftung des Diktators Pinochet durchsetzte; 2010 Liu Xiaobo, der zu elf Jahren Gefängnis verurteilte chinesische Schriftsteller und Bürgerrechtler (im übrigen, ein halbes Jahr, bevor ihm der Friedens-Nobelpreis zuerkannt wurde); 2011 Mohamed Hashem, ägyptischer Verleger und Menschenrechtsaktivist, der als Organisator im Hintergrund wesentlichen Anteil am Sturz Mubaraks hatte; 2012 schließlich Iryna Chalip, die mutige weißrussische Journalistin, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Gerade dann, wenn die Writers in Prison-Arbeit des PEN erfolgreich ist und verfolgte Schriftsteller in Deutschland Asyl erhalten, stellt sich aber ein neues Problem: Wie können die bei uns im Exil lebenden Schriftsteller als Schriftsteller überleben? Das vom PEN durchgeführte und von der Bundesregierung finanzierte Writers in ExileProgramm versucht, darauf eine Antwort zu geben.3 In mehreren deutschen Städten unterhält der PEN Wohnungen für Exilschriftsteller. Die dort untergebrachten ausländischen Kollegen erhalten aus einem beim Staatsminister für Kultur und Medien angesiedelten Etat ein Stipendium, und freiwillige Mitarbeiter des PEN und des PENFreundeskreises sorgen dafür, dass ihnen bei den vielfältigen Problemen des Alltags geholfen wird. Gleichzeitig bemüht sich der PEN, für diese Autoren Kontakte zu Verlagen, Übersetzern und Redaktionen herzustellen, organisiert Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, und publiziert Anthologien mit den Texten der Stipendiaten, um die in Deutschland oft völlig unbekannten Autoren mit ihrem Werk dem einheimischen Publikum vorzustellen. Vier Anthologien mit Texten von Stipendiaten des Exil-Programms erschienen bisher im Auftrag des PEN-Präsidiums: im Jahre 2000 eine von Elsbeth Wolffheim herausgegebene Anthologie unter dem Titel Stimmen aus dem Exil, 2005 eine weitere von Michael Klaus edierte unter dem Titel Die Zeit ist ein gieriger Hund, 2009 eine von Sigfrid Gauch und Claudia C. Krauße besorgte unter dem Titel Ein Regen von Kieseln wird fallen im Verlag Brandes & Apsel in Frankfurt und 2013 bei Matthes & Seitz in Berlin Texte aus dem Exil unter dem Titel Fremde Heimat, zusammengestellt und herausgegeben von Christa Schuenke und Brigitte Struzyk. Mit dem Writers in Exile-Programm tragen die deutschen Schriftsteller, in den Worten Michael Naumanns, des ersten Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, 3 Vgl. den Beitrag von Franziska Sperr zum Writers in Exile-Programms in diesem Handbuch, S. 59–67.

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nur einen Teil jener ‚Dankesschuld‘ ab, die sich aus der Tatsache herleitet, dass während der Nazi-Diktatur so viele deutsche Schriftsteller in anderen Ländern –in Großbritannien, den USA, in der Türkei, in Mexiko, einige sogar in Shanghai und in Australien – Aufnahme fanden. In der Tat ist diese Dankesschuld wohl einer der gewichtigsten und plausibelsten Gründe für ein solches Engagement, und vielleicht erklärt dies auch, warum es ein ähnliches Programm außer in Deutschland nur in wenigen anderen Ländern gibt. In den Ländern Skandinaviens haben die dortigen PEN-Zentren eine ähnliche Struktur aufgebaut, ebenso in Kanada und in den USA. Das europäische Netzwerk Städte der Zuflucht und die von Norwegen aus operierende, dem Internationalen PEN nahe stehende Organisation ICORN sind enge Kooperationspartner des PEN in der Exil-Arbeit. Seit der Gründung des Exil-Programms war Elsbeth Wolffheim im Präsidium des deutschen PEN dafür zuständig. Nach ihrem überraschenden Tod auf der Jahrestagung in Darmstadt 2002 folgte ihr in diesem Amt Detlev Michel, später dann Michael Klaus, Sigfrid Gauch, Christa Schuenke und Franziska Sperr. In den fünfzehn Jahren, in denen der deutsche PEN sein Exil-Programm betreibt, haben die daran aktiv Beteiligten nach dem Muster ‚learning by doing‘ Erfahrungen gesammelt. Die mit der Writers in Exile-Arbeit des PEN befassten Mitglieder des PEN und die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle mussten lernen, dass Schriftsteller, die lange in Einzelhaft gehalten und gefoltert wurden, oft einige Jahre brauchen, bis sie wieder konzentriert arbeiten können, und dass sie die erlittene Traumatisierung oft ohne professionelle Hilfe nicht verarbeiten können. In diesem Punkt erwies sich für den PEN die Zusammenarbeit mit dem Traumazentrum in Berlin als eine große Hilfe. Sie mussten auch lernen, wie schwer es ist, für Menschen, die durch Haft und Folter schwere Gesundheitsschäden erlitten haben, in der Bundesrepublik eine Krankenversicherung zu halbwegs erträglichen Beiträgen abzuschließen. Manchmal gelang es erst, wenn der PEN damit drohte, die wucherischen Praktiken der Versicherungskonzerne medienöffentlich zu machen. Sie mussten lernen, dass gerade Schriftsteller sich beim Erlernen einer fremden Sprache, in diesem Falle der deutschen, oft ausgesprochen schwer tun, weil sie besonders hohe Ansprüche an die eigene sprachliche Ausdrucksfähigkeit stellen und sich scheuen, Deutsch zu sprechen, wenn sie die Sprache noch nicht perfekt beherrschen. Und sie mussten lernen, dass Verfolgte nicht von vornherein und in jeder Hinsicht gute Menschen sind, die sich gegenüber ihren Gastgebern stets korrekt verhalten. Wenn sich die politische Situation in ihren Heimatländern so verändert, dass sie dort ohne Gefahr für Leib und Leben existieren können, kehren die Stipendiaten in aller Regel in ihre Herkunftsländer zurück, weil sie dort ihre Leser haben und auch, um beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mitzuwirken. Aber lang nicht alle erleben eine solch glückliche Wende ihres Schicksals. Da viele der Stipendiaten nach dem Ablauf ihres Stipendiums nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, bleibt oft nur der Weg ins Asylverfahren. Für die vielen komplizierten Rechtsfragen im Zusammenhang mit Aufenthaltgenehmigungen und der Anerkennung des Asylstatus



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ist der PEN auf die Expertise spezialisierter Rechtsanwälte wie den Frankfurter Menschenrechtsanwalt Victor Pfaff angewiesen. Ausländerämter sind, wie jeder weiß, der mit Asylproblemen zu tun hat, nicht immer besonders kooperativ, wenn es darum geht, verfolgten Menschen bei uns eine Chance zu einem Leben in Freiheit und Würde zu geben. Doch der PEN sorgt sich auch generell um Frieden und Völkerverständigung. So war der deutsche PEN beispielsweise im Jahr 2006 Gastgeber des Internationalen PEN-Kongresses unter dem Motto Die Rolle der Literatur in einer friedlosen Welt. Aus diesem Anlass kamen in Berlin 450 Schriftsteller aus 80 Ländern zusammen, um Erfahrungen auszutauschen, zu diskutieren und Beschlüsse zu fassen, aber auch um ein großes Fest der Literatur zu feiern. Bei der Eröffnung am 22. Mai 2006 sprachen der deutsche Bundespräsident als Schirmherr des Kongresses, Jiří Gruša als Präsident des Internationalen PEN, Günter Grass als Ehrenpräsident des deutschen PEN und Johano Strasser als Präsident des gastgebenden Zentrums. Ein die Tagung begleitendes anspruchsvolles literarisches Programm, mit dessen Konzeption das Präsidium Wilfried Schoeller und Herbert Wiesner, der eine als Generalsekretär, der andere als Beirat des Präsidiums, betraut hatte, präsentierte Autoren aller Kontinente mit ihren Texten, darunter Carmen Boullosa aus Mexiko, Bei Dao aus China, Mahmoud Darwish aus Palästina, Nadine Gordimer aus Südafrika, Drago Jančar aus Slowenien, Viktor Jerofejew und Ljudmila Ulitzkaja aus Russland, A. L.  Kennedy aus Großbritannien, György Konrád und Péter Nádas aus Ungarn, Adam Krzeminski und Adam Zagajewski aus Polen, Per Olov Enquist aus Schweden, Margriet de Moor aus den Niederlanden, Sergio Ramírez aus Nikaragua, Asher Reich und Uri Avneri aus Israel und Dubravka Ugrešić aus Kroatien. Eine Abendveranstaltung mit Nadine Gordimer, Meja Mwangi, Véronique Tadjo und Losogo Rampolokeng widmete sich speziell der facettenreichen, in Deutschland aber weitgehend unbekannten neueren Literatur aus Afrika; sie waren von Hermann Schulz vorgeschlagen worden. Schon auf dem internationalen PEN-Kongress im Mai 2000 in Moskau war es der Tschetschenien-Krieg, der den einhelligen Protest der versammelten Schriftsteller auslöste, fünf Jahre später auf dem internationalen Kongress im slowenischen Bled sprachen sich die Delegierten in großer Mehrheit für einen vom deutschen PEN eingebrachten Antrag gegen den Irak-Krieg aus. Seit vielen Jahren schon bemüht sich das Writers for Peace-Committee des Internationalen PEN, in dem auch das deutsche Zentrum aktiv mitarbeitet, den kulturellen Dialog zwischen Juden und Palästinensern und zwischen den verfeindeten Volksgruppen auf dem Balkan zu befördern.4 Während auf dem Balkan nicht unerhebliche Fortschritte erzielt werden konnten, ist eine wirkliche Annäherung zwischen den Schriftstellern der Konfliktparteien im Nahen Osten bisher ausgeblieben. Sorgen macht dem deutschen PEN seit vielen Jahren auch der beklagenswerte Zustand der Europäischen Union. Schon auf der Jahresversammlung des deutschen 4 Vgl. den Beitrag zum Writers for Peace-Committee von Hans Thill in diesem Handbuch, S. 53–58.

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PEN in Luxemburg im Jahre 2007 hatten die Delegierten sich diesem Thema gewidmet. In einer einstimmig angenommenen Resolution erklärten sie: Solange sich die Europäische Union in erster Linie als Wirtschaftsraum versteht und ihre Exekutiven sich vor allem als Agenten einer neoliberal geprägten Globalisierung gerieren, wird sie von immer mehr Menschen eher als Bedrohung denn als Fortschritt erlebt. Mit Sorge sehen wir, wie für die Mehrheit der Menschen die Lebensrisiken wachsen, wie die längst notwendige ökologische Richtungsänderung verschleppt wird, die Vielfalt der europäischen Kulturen unter einer kommerzialisierten Massenkultur verschüttet zu werden droht und Europa im Schlepptau der USA in immer neue kriegerische Abenteuer hineingezogen wird.

Auf dem internationalen PEN-Kongress in Belgrad 2011 wurde, ausgelöst durch die alarmierenden Entwicklungen in Ungarn, auf Antrag des deutschen Zentrums nahezu einstimmig eine Resolution verabschiedet, die sich kritisch mit der Menschenrechtssituation in einigen Ländern der EU auseinandersetzt. Diese Resolution wurde 2012 dem Präsidenten des Europaparlaments anlässlich einer vom deutschen PEN initiierten Diskussion mit Europaabgeordneten in Brüssel übergeben. Im April 2013 fand zudem speziell zur Menschenrechtslage in Ungarn eine Konferenz der drei deutschsprachigen PEN-Zentren, dem deutsch-schweizerischen, dem österreichischen und dem deutschen, auf Einladung des österreichischen PEN in Wien statt. Das Thema der Demokratieentwicklung in der EU ist für den deutschen PEN von besonderer Wichtigkeit, weil sein Einsatz für verfolgte Schriftsteller in aller Welt an Glaubwürdigkeit verlieren könnte, wenn in einigen Ländern Europas die Freiheit der Medien eingeschränkt wird, Rassismus wieder um sich greift und Minderheiten in ihren Rechten beschnitten werden. Neben der Arbeit für verfolgte Autoren und Völkerverständigung ist der PEN zudem in vielfältiger Weise kulturpolitisch aktiv. Dabei stehen für das deutsche PENZentrum die Erhaltung der Schrift- und Buchkultur, Fragen des Urheberrechts, vor allem im Zusammenhang mit den neuen Medien, aber auch konkrete Möglichkeiten der Literaturförderung durch Stipendien, Preise, Übersetzungsbeihilfen etc. im Vordergrund. Auf der Jahrestagung des Zentrums im thüringischen Rudolstadt 2012 lagen gleich zwei Anträge zur Sicherung des Urheberrechts angesichts der Möglichkeiten digitaler Verbreitung und des leichtfertigen Umgangs der Piratenpartei mit diesem Thema vor. Dort wurde beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die alle schon erarbeiteten Vorschläge zur Novellierung des Urheberrechts angesichts der Herausforderung durch die digitalen Medien sammeln und sichten sollte. Inzwischen ist auf der Jahresversammlung 2013 in Marburg ein Zwischenbericht der Arbeitsgruppe diskutiert worden. Zusammen mit dem Schriftstellerverband VS und der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) hat der PEN wiederholt das Gespräch mit jenen gesellschaftlichen Gruppen gesucht, die nicht erkannten, dass das Urheberrecht für Künstler, Schriftsteller, Musiker etc. nichts zu tun hat mit den Bestrebungen großer Konzerne, über die Sicherung von Patenten (etwa bei der Produktion von Lebensmitteln oder Saatgut) eine Monopolstellung zu etablieren, die dann für Millionen



Das PEN-Zentrum Deutschland 

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Menschen Benachteiligung, Hunger und gar Tod bedeuten kann. Das Urheberrecht im Bereich der Künste, so die Position des PEN, sichert Vielfalt, sperrt keinen Nutzer von den Schöpfungen der Kultur aus, ist aber unerlässlich, um den Schöpfern von Kunstwerken den Lebensunterhalt zu sichern. Durch die intensive Diskussion zum Urheberrecht ist es inzwischen gelungen, einen größeren Teil der Öffentlichkeit vom Wert der Kreativität und von der Notwendigkeit eines Schutzes kreativer Urheberleistungen zu überzeugen. Die konkrete Umsetzung in gesetzliche Regelungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene lässt aber noch auf sich warten. Ein besonders interessantes Projekt hat das deutsche PEN-Zentrum zum ersten Mal anlässlich von Ruhr 2010 durchgeführt: Schriftsteller verfassten zusammen mit Hauptschülern, Realschülern und Gymnasiasten in acht bis zehn Doppelstunden einen literarischen Text: einen Kurzroman, ein Hörspiel, ein Theaterstück. In den folgenden Jahren sind mehrere ähnliche Projekte vom PEN initiiert und durchgeführt worden. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind zusammen mit den Arbeitsjournalen der beteiligten Autoren in Büchern gesammelt worden: Die Ruhr fließt anders als der Bosporus und Klasse Geschichten.5 Durchgängig hat der PEN dabei die Erfahrung machen können, dass heute bei Schülern, auch bei Schülern aus so genannten bildungsfernen Haushalten, durchaus ein Interesse an Literatur und eine Lust am Lesen und Schreiben geweckt werden kann, wenn man den Kindern und Jugendlichen Mut macht, sich lesend und schreibend auszuprobieren, und wenn man ihnen dabei mehr zutraut, als dies heute im Bildungssystem zumeist der Fall ist.

3 Aktuelle Entwicklungen Das auf der Jahresversammlung 2013 in Marburg neu gewählte Präsidium mit dem Präsidenten Josef Haslinger und der Generalsekretärin Regula Venske an der Spitze hat die erfolgreiche Arbeit der letzten Jahre fortgesetzt, aber auch in einigen Bereichen andere Akzente gesetzt. Die Bereitschaft von Schriftstellern, sich im PEN zu engagieren, ist, wie sich bei den jährlichen Zuwahlen zeigt, in letzter Zeit wieder größer geworden – auch unter den jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Und das, obwohl die ökonomische Situation der Schriftsteller auch in unserem Land in aller Regel nicht einfach ist. Erfreulich ist auch, dass die Zahl der Mitglieder des Freundes- und Förderkreises des PEN in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Die ideelle und finanzielle Unterstützung von dieser Seite, besonders das Engagement von Jürgen Heckel und – seit 2013 – Christine Weiner, ist für die Arbeit des PEN unerlässlich.

5 Jürgen Baurmann und Hermann Schulz (Hrsg.): Die Ruhr fließt anders als der Bosporus. Demokratie leben. Autoren schreiben gemeinsam mit Schülern. Essen: Klarsicht-Verlagsgesellschaft 2010; Klasse Geschichten. Schüler und Autoren schreiben gemeinsam eine Geschichte. Frankfurt am Main: [o. V.] 2012.

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 Johano Strasser

Bei all den hier erwähnten Aktivitäten des PEN, seines Präsidiums, der Geschäftsstelle in Darmstadt, der vielen Einzelnen aus der Mitgliedschaft und aus dem Freundeskreis des PEN, sollte nicht übersehen werden, dass Schriftsteller in erster Linie Schreibtischmenschen sind. Sie schreiben Gedichte, Romane, Essays, Theaterstücke und Hörspiele – lauter luftige Gebilde, die in einer so ökonomistischen Gesellschaft wie der unseren von nicht wenigen als harmlose oder überflüssige Spielereien betrachtet werden. Aber so harmlos und so überflüssig, wie viele denken, sind die Produkte der Schriftsteller offenbar doch nicht. Die Diktatoren überall auf der Welt, die Zensur ausüben und Schriftsteller verfolgen, scheinen dies zu wissen. „Parmi les choses les plus nécessaires, il faut mettre au premier rang le superflu“, hat Voltaire einmal gesagt. Ein Satz, den sich alle Kulturpolitiker, besser noch die sie kontrollierenden und gängelnden Haushälter merken sollten. Freiheit fängt mit der Freiheit des Wortes, gerade auch des literarischen Wortes an. Sie endet nicht damit. Denn die Worte beleben die Phantasie, erweitern den individuellen und kollektiven Möglichkeitsraum, lassen denkbar erscheinen, was bisher undenkbar erschien. Und was denkbar ist, kann zu Taten inspirieren, auch zu Taten, die illegitimer Macht gefährlich werden können. Eine Gesellschaft, die nicht in Routine ersticken will, braucht die Impulse aus Kunst und Literatur ebenso nötig wie gute Ingenieure, tatkräftige Politiker und seriöse und gesetzestreue Verwalter. Es liegt im Interesse aller, nicht nur der Schriftsteller, dies nicht zu vergessen.

 III PEN im Exil

Helmut Peitsch

PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland 1 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Bestrebungen zur Aufrechterhaltung einer deutschen PEN-Sektion im Ausland „Niemand kann heute den Verlauf der Dinge in Deutschland voraussehen“, schrieb Wilhelm Sternfeld am 25. 9. 1947 in einem Brief an Ossip Kalenter in der Schweiz und erläuterte die „Notwendigkeit, auch nach Begruendung eines Zentrums in Deutschland selbst einen Emigranten-PEN aufrecht zu erhalten“: „Viele deutsche Schriftsteller in der Emigration – und nicht nur Juden – wuenschen nicht nach Deutschland zurueckzukehren“.1 Die „Doppelpräsidentschaft“2 von Hermann Friedmann, dem Nachfolger von Alfred Kerr als Präsident, die bis 1951 dauerte: in London und im „reichsdeutsche[n] Zentrum“3, kann als Indiz für die Zweideutigkeit der Re-education-Phase des Zentrums genommen werden, was Rückkehr nach Deutschland oder Bleiben in Großbritannien betraf. Aber schon unter seinem Vorgänger hatten die organisatorischen Vorbereitungen zur Fortführung der Londoner Gruppe begonnen. Die am 2. 6. 1946 auf dem Stockholmer Internationalen Kongress vorgelegte Resolution der Londoner Gruppe behandelte nicht nur die Frage des „re-establishing“, sondern auch die der Wirksamkeit der „democratic literature written by German refugees during their exile“.4 Seit November 19465 wurde von den Londoner Mitgliedern über eine neue Satzung und seit Januar 1947 über „Werbebriefe“6 diskutiert, die zur Erhöhung der Mitgliederzahl führen sollten. Bevor am 26. 8. 1948 die Umbenennung in „PEN-Club Deutscher Autoren im Ausland, Sitz London“7 erfolgte, betonte die Gruppe allerdings in auffälliger Weise einen bisher nicht benutzten Namen „Deutscher PEN-Club London“, den 1 Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (im Folgenden DEA), EB 75/177 A.II.3. 2 Protokoll der Vorstandssitzung vom 26. 5. 1951. DEA, EB 75/177 D.I.4.b. 3 Protokoll der Vorstandssitzung vom 13. 12. 1949. DEA, EB 75/177 D.I.4.b. 4 Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: BuchhändlerVereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 379. 5 Jahresversammlung vom 8. 11. 1946, vgl. Der deutsche PEN-Club im Exil,  S. 382. 6 Protokoll der Vorstandssitzung vom 16. 1. 1947. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. Vgl. auch die Protokolle vom 12. 3. und 22. 9. 1947. 7 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 392.

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sie auch in den „Kopf“ des „Mitteilungsblatts“ setzen wollte, das die Gruppe organisatorisch festigen sollte.8 Im Vorstand der Gruppe war zwar nicht umstritten, dass – wie es dann in der Satzung hieß – das Zentrum der „Sammelpunkt“ derer sein solle, „die nicht die Absicht haben, nach Deutschland zurückzukehren“,9 weil der „Wiederaufbau“ eines Zentrums in Deutschland die „Weiterarbeit“ der Londoner Gruppe „keineswegs überflüssig gemacht“ habe.10 Aber über die regionale Erweiterung über Großbritannien hinaus gab es Meinungsverschiedenheiten. Kerr opponierte der regionalen Pluralisierung auf der Vorstandssitzung vom 15. 4. 1947, indem er „dem Wunsch Ausdruck“ verlieh, „dass unsere Gruppe ihre Taetigkeit vornehmlich den kulturellen Aufgaben hier in London und der Wiedererrichtung eines Zentrums in Deutschland zuwenden moege und die Aktivitaet nicht zu sehr auf die Erweiterung der Gruppe durch Aufnahme von Schriftstellern in anderen Laendern einstellen solle“.11 Kerrs Kritik, „dass in letzter Zeit die kulturellen und ethischen Aufgaben gegenueber den organisatorischen in den Hintergrund getreten seien“, bezog sich deutlich zurück auf seine eigene Leitung der Gruppe als Mitgliederorganisation; Kerr wurde von Sternfeld widersprochen, der unter Hinweis auf die Zeit von Rudolf Oldens Sekretariat daran erinnerte, „dass die Gruppe 1934 als Gruppe aller emigrierter Schriftsteller anerkannt worden sei und wir nur als Sammelpunkt aller emigrierter Schriftsteller Existenzberechtigung haetten“.12 Dass diese Meinungsverschiedenheit unter den Londoner Mitgliedern bestehen blieb, belegt ein Bericht Sternfelds vom 23. 9. 1952, der „den hiesigen Freunden“ vorwarf, „das Thema der Aktivierung […] zu sehr vom lokalen Gesichtspunkt an[zu]fass[en]“: Die Zentren des P.E.N.-Klubs haben viel weniger die Aufgabe, Vortraege zu veranstalten und Bildung zu verbreiten, als freundschaftliche Beziehungen zu Schriftstellern in anderen Laendern zu pflegen, um auf diese Weise zur Völkerverständigung beizutragen. Wir selbst, d. h. unser Klub, ist durch eine Zusammensetzung eine kleine Internationale in der Internationale, in der durch gemeinsame Muttersprache und eine Aehnlichkeit unserer Schicksale die Voraussetzung fuer ein gedeihliches Zusammenwirken im Sinne der Charta in besonderem Masse gegeben sind [sic]. Wir sollten daher ein Hauptaugenmerk auf die Vergroesserung der Zahl der Mitglieder in den verschiedenen Laendern legen.13

Sternfelds Verweis auf „[z]umal“ die USA und die Schweiz, wo „noch zahlreiche angesehene Kollegen“ lebten, „die bisher unserm Kreise nicht angehoeren und die wir zu gewinnen versuchen sollten“14, entsprach nicht ganz den schon 1947 von ihm und Richard Friedenthal geschaffenen vollendeten Tatsachen. Der Unterschied der Briefe 8 Protokoll der Vorstandssitzung vom 21. 6. 1948. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 9 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 393f. 10 Ebd., S. 394. 11 Protokoll der Vorstandssitzung vom 15. 4. 1947. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 12 Ebd. 13 DEA, EB 75/177 D.I.4.b. 14 Ebd.



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Sternfelds und Friedenthals – geschrieben vor dem Vorstandsbeschluss – belegt, dass die Satzungsformel vom „Sammelpunkt“15 durchaus unterschiedlich verstanden werden konnte. Schon auf der zweiten Mitgliederliste von 194716 standen acht Mitglieder aus der Schweiz, unter ihnen Kalenter, 1948 wurden acht weitere aufgenommen; die ersten US-amerikanischen Mitglieder wurden am 22. 1. 1948 Hermann Broch, Joachim Maass und Max Barth. Doch auf der dritten, 1948 fortgeschriebenen Liste fanden sich auch neue Mitglieder aus anderen Ländern als den USA und der Schweiz: Max Brod wurde das erste Mitglied in Palästina (April 1948), und auf Walter Berendsohn (30. 7. 1948) folgte in Schweden bald Nelly Sachs (29. 9. 1948). Kalenter erhob Sternfeld gegenüber Einwände gegen Werner Bergengruens Mitgliedschaft in der „Londoner Emigrantengruppe“: „[...] der erst aus Deutschland emigrierte, nachdem dort Hitler nicht mehr da war und die Alliierten eingezogen waren? Ist das ein Emigrant?“17 Von Kalenter stammten die Vorschläge der anderen Neuaufnahmen, die auf „eine klare, saubere und allenfalls aktionsfähige Zusammengeschlossenheit“ zielten, „zu der wir die schweizerische Unterabteilung der Londoner German Emigrant Group des PEN machen möchten“;18 deshalb schloss er mit einem „PS.“ zu Sternfelds „Ansicht, dass die Gruppe nicht in ein radikales Fahrwasser kommen soll“.19 Er teile diese Ansicht und sei „durchaus nicht für Ausschluss, aber keineswegs für Dominieren der Kommunisten“; so berichtete Kalenter von seinem letzten Gespräch mit Rudolf Frank, von dem „allgemein bekannt“ sei, „dass er Parteimann ist“: Er habe dem entnommen, „dass er Becher als seinen Parteivorgesetzten betrachtet, dem er hier in Zürich sogar eine gewisse Rechenschaft gab. Dieses Rechenschaftgeben, d. h. diese Verpflichtung dazu, ist es übrigens, was mich an dieser Kategorie am meisten verdrießt.“20 Sternfelds Antwort schloss es „auf lange [S]icht“ aus, „sich lediglich auf politische Emigranten zu beschraenken, sondern deutschsprachige Schriftsteller im Auslande sollen das Recht haben, sich uns anzuschließen“.21 Das Problem der Mitgliedschaft von Kommunisten wie Frank ließ Sternfeld unbehandelt, aber ein Jahr später versicherte er einer New Yorker Emigrantin, der er „Orientierung“ gab, ohne sie zum Eintritt aufzufordern: „Die Gruppe umfasst heute 80 Mitglieder in England, der Schweiz, Amerika und Palaestina. Sie bleibt auch nach dem Ende der Emigration als Gruppe des deutschen Auslandsschrifttums anerkannt. Wir denken daran, sie weiter auszubauen. […] Die Leitung der hiesigen Gruppe ist eindeutig antikommunistisch und wird alles daransetzen, um jeden Einfluss der KP auf die Neu-

15 Der deutsche PEN-Club im Exil, S. 382. 16 DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 17 Ossip Kalenter an Wilhelm Sternfeld (17. 8. 1947), S. 3. DEA, EB 75/177 A.I.3. 18 Ebd, S. 4. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Wilhelm Sternfeld an Ossip Kalenter (25. 9. 1947). DEA, EB 75/177 A.II.3.

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gruendung zu erschweren“.22 In einem Artikel für Die Wandlung über die Geschichte des Internationalen PEN erteilte Sternfeld dem Kerrschen Konzept der „Geselligkeit“ eine Absage, um stattdessen die seit Ragusa „zur vornehmsten und seinem eigenen Wesen gemäßesten Aufgabe“ gewordene „Verteidigung der Gewissensfreiheit und des Rechts der freien Meinungsäußerung“ ins Zentrum zu stellen.23 Wie Sternfeld die Mitgliederwerbung in der Schweiz, so betrieb Friedenthal die in den USA. Erstes US-amerikanisches Mitglied wurde Friedenthals Mitredakteur an der Stockholmer Neuen Rundschau, Joachim Maass. Diesen forderte Friedenthal mit einer Darlegung der Geschichte und der gewandelten Funktion des Londoner Zentrums zum Beitritt auf: Wir halten jetzt den Augenblick fuer gekommen, unseren Kreis, der durch die Kriegsverhaeltnisse notgedrungen beschraenkt sein musste, zu erweitern und die Gruppe zum Zentrum aller deutschen oder deutschsprachigen Autoren in der Welt zu machen, die nicht die Absicht haben, nach Deutschland zurueckzukehren. Auf absehbare Zeit hinaus wird ein wesentlicher Teil der deutschen Literatur von Rang im Ausland vertreten sein. Fuer diese Schriftsteller, unbeschadet ihrer frueheren oder jetzigen Staatsangehoerigkeit, wollen wir als Sammelstelle und Vertretung dienen. Entscheidend fuer die Aufnahme ist lediglich die Qualifizierung als Autor von Ruf, wie sie dem Rahmen des internationalen PEN-Klubs entspricht.24

Einen gleich lautenden Brief schrieb Friedenthal am selben Tag an Kurt Pinthus25, der zum „Kreis der deutschsprachigen Emigrantenzeitschrift ,Aufbau‘“ gehörte.26 Als am 19. 10. 1949 auf einer Vorstandssitzung eine Liste aufgestellt wurde, wer in den USA zu werben sei, fielen drei Autoren mit insofern fadenscheiniger Begründung durch, als generell „Zugehoerigkeit zu beiden Organisationen“ – „londoner Klub[…] und […] Zentrum[…] Deutschland“ – „als statthaft angesehen“ wurde:27 „Auf Heinrich Mann, Feuchtwanger und Oskar Maria Graf wollen wir verzichten, da diese Mitglieder des PEN Zentrums Deutschland werden. Dagegen soll auch [neben dem zuvor nominierten Martin Gumpert] Kurt Kersten aufgefordert werden, Mitglied zu werden.“28 Auf der folgenden Sitzung wurde mit Kersten zugleich Hans Sahl aufgenommen, „der sich“ – so der von Friedmann verlesene Brief – „um Mitgliedschaft bei beiden PEN-Zentren bewirbt“.29 Die klare Favorisierung von Mitarbeitern des Aufbau gegenüber kommunistischer Sympathien verdächtigen prominenten Autoren illustriert das Spannungsverhältnis 22 Wilhelm Sternfeld an Hilde Walter (6. 6. 1948). DEA, EB 77/27 659. 23 Wilhelm Sternfeld: Der Internationale P.E.N.-Club. In: Die Wandlung 4 (1949), S.  669–677, hier S. 677. 24 Richard Friedenthal an Joachim Maass (2. 12. 1947). DLA, A: Maass 79.52/5. 25 DLA, A: Pinthus 71.2108. 26 Egon Larsen: Die Welt der Gabriele Tergit. Aus dem Leben einer ewig jungen Berlinerin. München: Auerbach 1987, S. 115. 27 Protokoll der Vorstandssitzung vom 13. 12. 1949. DEA, EB 75/177 D.I.4.b. 28 Protokoll der Vorstandssitzung vom 19. 10. 1949. DEA, EB 75/177 D.I.4.b. 29 Protokoll der Vorstandssitzung vom 13. 12. 1949. DEA, EB 75/177 D.I.4.b.



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zwischen den von Sternfeld einerseits und Friedenthal andererseits hervorgehobenen Auswahlprinzipien: ,antikommunistische‘ Gesinnung und literarischer ,Ruf‘.

2 Engagement im Sinne der Re-education Als der Philosoph Hermann Friedmann, der bisher kein Mitglied des PEN, sondern nur des Club 1943 gewesen war, dessen Präsident er 1946 gleichfalls wurde,30 Kerrs Nachfolger als Präsident der Deutschen Gruppe wurde, bezog er sich in einem Brief an Kerr vom 12. 11. 1946 auf dessen Literaturbegriff: Ihre kritische und darstellerische Leistung ist geradezu ein Element in meiner Bildungsgeschichte gewesen; ich habe Sie nicht bloss regelmässig ‚gelesen‘, sondern einer jeden Ihrer Verlautbarungen mit einer Selbstverständlichkeit entgegen gesehen, wie man es allen den Meistern gegenüber tut, zu denen man – aus freier geistiger Wahl – in die Lehre geht.31

In der Orientierung auf eine erzieherische Funktion der Literatur im Nachkriegsdeutschland lag eine deutliche Kontinuität zwischen dem von Kerr und dem von Friedmann geleiteten PEN-Zentrum. Auf einer Vorstandssitzung legte Friedmann die Hauptpunkte der Rede fest, die er auf einer Tagung des internationalen Exekutivkomitees zur Frage der Wiedergründung des PEN in Deutschland halten wollte; darin schrieb er zwei Positionen fort, die sich unter Kerr bereits abgezeichnet hatten: Er werde „auf die Notwendigkeit der Fortexistenz des Exilklubs hinweisen, da fuer viele exilierte Schriftsteller eine Rueckkehr in die Heimat nicht in Frage komme. In Bezug auf die Aufgaben des Exil-Clubs wird er auf unsere literarische Taetigkeit in demokratischem Sinne und auf unsere Verwendungsfaehigkeit bei Uebersetzungen aufmerksam machen.“32 Sternfeld erkannte in dieser Zeit Erika Mann das Verdienst zu, dass „sie 1941 auf dem PEN-Kongress als Erste ueberhaupt das Wort von re-education des deutschen Volkes in die Debatte warf“33, und Kerr wandte sich an einen anderen seiner damaligen Mitdelegierten, Peter de Mendelssohn, der auf dem Londoner Kongress jeden nach Großbritannien geflüchteten deutschen Schriftsteller, ob er heimkehren wolle oder ein Emigrant auf Dauer sei, „a rivet in the great bridge that will have to be erected

30 Vgl. Hermann Friedmann: Sinnvolle Odyssee. Geschichte eines Lebens und einer Zeit. 1873–1950. München: Beck 1950, S. 343; Jennifer Taylor: Dachshund or St. Bernard? The Contribution of Club 1943 to the History of German-speaking Exiles in Great Britain, 1943–1949. In: Sieglinde Bolbecher u. a. (Hrsg.): Zwischenwelt 4: Literatur und Kultur des Exils in Großbritannien. Wien: Theodor-Kramer-Gesellschaft 1994, S. 56–73, hier S. 72. 31 AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr, H br D h pe. 32 Protokoll der Vorstandssitzung vom 16. 1. 1947. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 33 Wilhelm Sternfeld an Ossip Kalenter (25. 12. 1948). DEA, EB 75/177 A.II.3.

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to […] reconnect the continents and their people“34 genannt hatte. Am 16. 8. 1945 schrieb Kerr an Mendelssohn, er habe gehört, dass Sie nach Berlin gegangen sind, um dort ein täglich erscheinendes Blatt zu leiten. Glauben Sie, dass ich (von hier) mitarbeiten kann? Ich denke nicht an gelegentliche Beiträge, sondern an ein festes Verhältnis. Ich würde gern dreimal wöchentlich die Menschen dort bissl auffrischen. Ich möchte zugleich vom Leben in London sprechen – und ihnen von englisch-ethischer Denkart unaufdringlich und unversehens etwas einflössen.35

Die Orientierung auf die Umerziehung zeigte sich auch in der Mitgliederentwicklung der Gruppe in London, denn nun beantragten auffällig viele in Großbritannien Exilierte die Aufnahme, die bisher aus unterschiedlichen Gründen auf Distanz zum PEN geblieben waren, sowohl Mitglieder des Freien Deutschen Kulturbunds (FDKB), darunter Kommunisten, als auch Angehörige des Club 1943. Auch Mitarbeiter der BBC und der Zeitung, die während des Krieges nicht PEN-Mitglieder geworden waren, traten nun ein: Heinrich Fischer36 vor Wolfgang von Einsiedel, Hans Flesch-Bruningen und Alexandra Wexler,37 Grete Fischer38 vor Fritz Beer,39 Friedrich Koffka40 vor Erich Fried.41 Als „Freunde“, die man aus der Arbeit in „Nachrichtenagenturen, Propagandastellen und Regierungsbüros“ kannte,42 beschreibt der neu aufgenommene Beer die Gruppe in seinen Memoiren. Re-education als „Kulturvermittlung“,43 ist nicht nur in der Erinnerungsliteratur, sondern auch in der Forschung als ,unpolitisch‘ dargestellt worden und der ,unpolitische‘ Charakter der Re-education im Dienst Großbritanniens nicht zuletzt als Grund dafür, dass es weder Loyalitätskonflikte gegeben habe noch Eingriffe und Direktiven belegbar seien.44 In den Briefen, die für Dienste der Re-education arbeitende PEN-Mitglieder an Autoren schrieben, wurde dieser ,unpolitische‘ Charakter der ,Kulturvermittlung‘ nicht nur vorgeschrieben, sondern auch – in einzelnen Fällen – die Grenze bestimmt, jenseits derer sozusagen ,die Politik‘ begänne. Heinrich Fischer, der schon 1942 den

34 Hermon Ould (Hrsg.): Writers in Freedom. A Symposium. Based on the XVII.  International Congress of the P.E.N. Club Held in London in September, 1941. London, New York and Melbourne: Hutchinson 1941, S. 98. 35 AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr, Hr br D h pe. 36 Liste 1947°. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 37 2. 12. 1947. Liste 1947b. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 38 16. 1. 1947. Liste 1947b. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 39 Liste 1947b. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 40 Liste 1947c (datiert vom 1. 7. 1947, aber weitergeführt bis 21. 10. 1948). DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 41 13. 1. 1948. Liste 1947c. DEA, EB 75/177 D.I.4.a. 42 Fritz Beer: Hast du auf Deutsche geschossen, Grandpa? Berlin und Weimar: Aufbau 1994, S. 511. 43 Volker Kaukoreit: Vom Exil bis zum Protest gegen den Krieg in Vietnam: Frühe Stationen des Lyrikers Erich Fried. Werk und Biographie 1938–1966. Darmstadt: Häusser 1991, hier S. 184. 44 Richard Löwenthal: Konflikte, Bündnisse und Resultate der deutschen politischen Emigration. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 39 (1991), S. 626–636, hier S. 634.



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Auftrag hatte, „bringing first-rate German writers […] in closer contact with the B.B.C.“,45 legte einem der Angeworbenen nicht nur dar, dass er sich „in einen Rahmen ein[zu] ordnen“ habe,46 sondern präzisierte, dass die Mitarbeit bei der BBC eine „Staatsanstellung“ sei, die den Mitarbeiter dem Foreign Office unterstelle;47 über den deutschen Dienst schrieb Fischer: Waehrend des Kriegs war es wesentlich ein Propagandadienst, jetzt dient er teils der Propaganda, mehr aber der re-education. Besonders die Hoerspielabteilung […] hat zum großen Teil kulturelle Absichten. Wir senden, in sehr gekuerzter Form, vor allem englische Theaterstuecke in deutscher Sprache, da unser gesamter Dienst die Aufgabe hat, eine ,projection of Britain‘ zu geben.48

Bruno Adler griff zum Bild von Schein und Sein: „Die Beiträge müssen sorgfältig den Eindruck vermeiden, dass sie Prpoaganda [sic] machen wollen oder eine erzieherische Tendenz verfolgen, und doch sollen sie dieses wie jenes tun.“49 Adler gegenüber merkte einer der angeworbenen Autoren zur Infragestellung der Umerziehung durch den Kalten Krieg an: Der Casus ,offene oder verborgene Propaganda‘ macht auch mir zu schaffen. Wenn Propaganda, dann sollte sie schon lieber offen sein […]. Auch mit Antisowjetpropaganda muss man vorsichtig sein. Erstens ist das hier ohnedies der Schlager der Saison, und jede Pointe bedeutet da eine Rechtfertigung der Nazi [sic]. Sie ahnen nicht, wie sehr der Konflikt zwischen West und Ost die Deutschen wieder demoralisiert hat, wie sehr er sie zurückwarf auf die Bahn des Bisherigen. Alles war da mit einem Schlag aus, die Denazifizierung sowohl als auch die Re-education.50

Der Mitarbeit an der Re-education kam eine Zwischenstellung zu in der Divergenz, die – so die historische Forschung – im Jahr 1945 die Haltungen der deutschen Flüchtlinge in Großbritannien markant scheidet: zwischen dem Wunsch zurückzukehren und der Distanzierung von Deutschland durch ein „here to stay“;51 auch in der Memoirenliteratur regiert ein ,Entweder/oder‘, das von den Haltungen, die die PENMitglieder zeigten, problematisiert wird. So einfach, wie z. B. Johann Fladung oder Werner Mosse behaupten, war es nicht: Fladung erzählt, in seinem „Bekanntenkreis 45 Heinrich Fischer an Berthold Viertel (4. 9. 1942). DLA, A: Viertel 69.2312/4. 46 Heinrich Fischer an Berthold Viertel (28. 6. 1947). DLA, A: Viertel 69.2312/5. 47 Oder – vgl. Erika Mann: Briefe und Antworten. Bd. 1: 1922–1950. München: Ellermann 1984, S. 114 – dem Ministry of Information. 48 Heinrich Fischer an Berthold Viertel (4. 7. 1947). DLA, A: Viertel 69.2312/6. – Vgl. zur Bedeutung des Konzepts in der britischen Kulturpolitik in Deutschland Gabriele Clemens: Die britische Kulturpolitik in Deutschland: Musik, Theater, Film und Literatur. In: G. C. (Hrsg.): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945–1949. Stuttgart: Steiner 1994, S. 200–218, hier S. 210–212. 49 Bruno Adler an Balder Olden (15. 5. 1947). DLA, A: Adler 74.6076/2. 50 Friedrich M. Reifferscheidt an Bruno Adler (2. 12. 1949). DLA, A: Adler 74.6260/2. 51 Marion Berghahn: Continental Britons: German-Jewish Refugees from Nazi Germany. 2. Aufl. Oxford, New York und Hamburg: Berg 1988, S. 157.

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gab es noch einige Juden, deren Familienschicksal grausam war, und die […] nicht dorthin zurückkonnten, wo sie eigentlich zu Hause waren“,52 Werner Mosse verallgemeinert: „After the end of the Hitler regime few indeed – other than those who owed a superior loyalty to Communism and the Soviet Union or who were committed Social Democrats – chose to return to Germany“53. Indem Mosse aber unter den jüdischen Flüchtlingen unterscheidet zwischen ,manchen‘, die „refused to have anything to do with Germany and Germans“, und ,anderen‘, die „became involved in ,re-education‘“, macht er auf die Zwischenstellung der Umerziehung aufmerksam, auch wenn er die Rolle, die jüdische Flüchtlinge als „,bridge-builders‘“ spielten, auf „a somewhat later stage“ datiert.54 Einer der von Marion Berghahn in ihrer Oral History der deutsch-jüdischen Immigration nach Großbritannien interviewten Schriftsteller beschrieb diese Rolle in einer Weise, die deutlich macht, dass die Fortsetzung der Kulturvermittlung über die Re-education der Nachkriegszeit hinaus auch bedeutete, nicht in Großbritannien ,heimisch‘ zu werden: „[H]e has accepted his homelessness and regards it as a positive gain in that it enabled him to take on what he considers his most important role what is that of a literary mediator between both countries“.55 In der Mitarbeit an der Umerziehung waren beide Optionen offen, die der Rückkehr und die des Bleibens, denn Teilnahme an der Re-education brachte sehr häufig eine Rückkehr auf Probe mit sich und war zugleich britischer Dienst. Wenn auch schließlich von den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland nur 3 bis 4 Prozent zurückkehrten, so lag doch in der Gruppe der Schriftsteller und Journalisten der Anteil der Rückkehrer deutlich höher: 20 bis 25 Prozent der deutschen Autoren jüdischer Herkunft kehrten aus dem Exil zurück.56 Von den Rückkehrern unter den PENMitgliedern waren die meisten Juden, aber keineswegs waren diese alle Kommunisten (wie Max Zimmering) oder Sozialdemokraten (wie Bernhard Menne und Wilhelm Necker). Martin Beheim-Schwarzbach und Werner Milch wirkten zunächst als britischer Zensor bzw. als Germanistik-Professor in Marburg in der US-amerikanischen Zone in der Re-education. Nicht nur die Erfahrung der Judenverfolgung und Judenvernichtung, sondern auch der Wunsch, eine Stellungnahme auf einer der beiden Seiten des Kalten Krieges zu vermeiden, konnte der Entscheidung gegen eine Rückkehr zugrunde liegen, ohne eine Mitarbeit an der Umerziehung auszuschließen. Freimut Schwarz, der mit Zimmering die Zeitschrift des FDKB redigiert hatte, reiste als Londoner Kulturkorrespondent der sowjetisch lizenzierten Weltbühne, an die ihn Jan Petersen vermittelt hatte,57 1948 nach Berlin. Seine „Eindrücke und Gedanken“ fasste er 52 Hans Fladung: Erfahrungen. Vom Kaiserreich zur Bundesrepublik. Frankfurt am Main: Röderberg 1986, S. 279. 53 Werner Mosse (Hrsg.): Second Chance: Two Centuries of German-speaking Jews in the United Kingdom. Tübingen: Mohr 1991, S. 621. 54 Ebd., S. 617. 55 Berghahn: Continental Britons, S. 101. 56 Jan Foitzik: Politische Probleme der Remigration. In: Exilforschung 9 (1991), S. 104–114, hier S. 107. 57 Jan Petersen an Freimut Schwarz (15. 2. 1947). Abgedruckt in: europäische ideen 93 (1995), S. 21.



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so zusammen: „Hat nicht jeder in dieser Stadt […], wie er zwei Währungen hat, auch zwei Worte, das eine, um nach links zu sprechen, das andere, um nach rechts zu sprechen, zwei Gesten, zwei Hüte. Und die Verzweiflung packt einen […]. Es ist nicht gut hier zu leben, gelockt von beiden Seiten, beschworen und umschmeichelt oder unter Druck gesetzt.“58 Seine Schlussfolgerung war, im Exil in London zu bleiben (wo er von der Literatur zur Fotografie wechselte): „Und doch müssen wir darauf bestehen, so schwach auch unser Argument im Anblick der uns entgegengestreckten Fäuste erscheint, daß es eine Alternative gibt. Nicht zu wählen, das ist auch eine Entscheidung – zur Versöhnung.“59 Aber auch ein ehemaliger Sozialdemokrat wie Heinrich Fraenkel entschied sich gegen die Rückkehr in ein vom Kalten Krieg gespaltenes Deutschland. Er hatte von der Labour-Politikerin Wilkinson einen „Auftrag“, als Journalist nach Deutschland zu reisen, in der Absicht angenommen, „die Übersiedlung meiner Familie vorzubereiten“;60 einer seiner „offiziellen Nebenaufträge“ auf der ersten Reise für den New Statesman stammte vom PEN, nämlich „würdig[e]“ Empfänger von CARE-Paketen unter deutschen Schriftstellern zu ermitteln.61 Nach seiner letzten Reise, die ihn „erregt“ miterleben ließ, wie dem KPD-Abgeordneten Max Reimann für seine „töricht[e]“ Rechtfertigung der Oder-Neiße-Grenze im Bundestag das Wort entzogen wurde,62 beschloss Fraenkel, sich „in England ein[zu]bürgern“; in dem „endgültigen Entschluß“ „bestärkten“ ihn deutsche Freunde: „[I]ch könnte durch schriftstellerische Arbeit von draußen der deutschen Sache besser dienen, als wenn ich mich in einen innerdeutschen politischen Kampf mischte, in dem ich offenbar mangels einer festen Parteizugehörigkeit nichts zu suchen hätte.“63

3 Kontroversen um die Existenzberechtigung des Londoner Zentrums In einer der ersten Londoner Vorstandssitzungen nach der Wiedererrichtung des Zentrums in Deutschland, am 13. 12. 1949, verwies Sternfeld auf die Initiative Hanns W. Eppelsheimers, des Direktors der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main, die „Werke der Emigration“ zu sammeln, und betonte dann in einem Leserbrief an die Neue Zeitung nicht nur, dass „[d]er Gedanke, eine solche Bibliothek zu schaffen, […]

58 Freimut Schwarz: Berlin: Eindrücke und Gedanken. In: europäische ideen 93 (1995), S. 6–8, hier S. 8. 59 Ebd. 60 Heinrich Fraenkel: Lebewohl, Deutschland. Hannover: Verlag für Literatur und Zeitgeschichte 1960, S. 77. 61 Ebd., S. 101. 62 Ebd., S. 215. 63 Ebd., S. 217.

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so alt wie die Emigration selbst“ sei, sondern auch die Notwendigkeit umfassenderer Archivierung, „um einmal die Geschichte der Emigration zu schreiben“.64 Es entsprach Sternfelds Orientierung auf die Dokumentation der Geschichte des Zentrums als Repräsentanten der Exilliteratur, wie er drei Jahre später – inzwischen Sekretär – auf den Antrag an den Internationalen PEN, das Londoner Zentrum aufzulösen, reagierte; Sternfeld schrieb Thomas Mann eine geschichtlich argumentierende Legitimation der Existenz des Zentrums, die dieser weitgehend in seinen Brief an das internationale Exekutivkomitee übernahm. Johannes Tralow, der Präsident des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West, das aus dem Zentrum Deutschland durch die Abspaltung einer Gruppe westdeutscher Mitglieder hervorgegangen war, hatte beantragt, das Londoner Zentrum, „das infolge der Wiederherstellung des Friedenszustandes der Voraussetzung entbehrt, aufzuloesen“ und seine Mitglieder „auf[zu]fordern, sich […] entweder dem englischen oder dem deutschen PEN-Zentrum anzuschliessen“.65 „Ihr Bruder Heinrich und Rudolf Olden“, so lautete das erste der „Argumente“, die Sternfeld als „die noetigen Grundlagen fuer eine solche Stellungnahme“ bezeichnete, hätten „zu den jaehrlichen Kongressen einen geeigneten Redner“ ,entsandt‘, „an das Gewissen der Menschheit“ zu ,appellieren‘, und sich zweitens bei der „Rettung der Kollegen“ aus Österreich und der CSR „unbestreitbare Verdienste erworben“; unter Kerr und Friedenthal sei, drittens, „geistiges Leben in die Organisation“ gekommen, deren nicht zurückkehrende Mitglieder, viertens, jetzt, in der Nachkriegszeit, eine „Intensivierung unserer Tätigkeit“, u. a. in Form der Mitteilungsblaetter, verlangten; fünftens habe das Zentrum bei der Neugründung des deutschen Zentrums „besonders darauf geachtet, dass wirklich nur politisch unbelastete Schriftsteller Aufnahme fanden“.66 Thomas Mann unterteilte in seinem Brief an den PEN vom 22. 2. 1952 die „Gründe“ für die Weiterexistenz des Londoner Zentrums in „negative“ und „positive“; positiv nannte er die historische Legitimation, negativ die Abgrenzung von den beiden deutschen Zentren sowie den 1951 entstandenen Writers in Exile. Während er den Wortlaut des Sternfeldschen Textes im Fall der deutschen Abgrenzung verschärfte, milderte er die vom „Exil-Pen“: Wir deutschen Autoren im Ausland bleiben deutsche Schriftsteller, wo immer wir uns aufhalten mögen, und während wir, in unserer Sprache schreibend, keinem andern PEN Zentrum je organisch angehören, sind wir doch auch den beiden deutschen Vereinigungen zu fremd, als dass wir uns dort je einzugliedern vermöchten. […] Mit den neuen Flüchtlingen aus den Ostgebieten

64 Leserbrief vom 25. 1. 1950. Abgedruckt in Brita Eckert: 35 Jahre Exilliteratur 1933–1945 in der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ein Beitrag zur Geschichte der Exilforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Für Werner Berthold zum 31. März 1984. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1984 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 13), S. 27. 65 Sven Hanuschek: Geschichte des bundesrepublikanischen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98), S. 114. 66 Wilhelm Sternfeld an Thomas Mann (22. 2. 1952). DEA, EB 77/27 928.



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(Polen, Tschechoslovaken [sic], Ungarn, Rumänen, Bulgaren, etc.) verbindet uns allzuwenig; allein die Sprachbarriere wäre unüberwindlich, – und, kurz, derlei Fusion ist kaum zu denken.67

Sternfeld hatte vorformuliert: „Unsere Mitglieder haben mit jenen weder Kontakt, noch sind ihnen ihre Probleme vertraut, wahrscheinlich stehen sogar viele unserer Freunde in heftiger Opposition zu den Ideen, die diese Menschen bewegen.“68 In einem Brief an H. G. Adler wurde Gabriele Tergit noch deutlicher, wenn sie die Writers in Exile als Versammlung von Antisemiten und Antikommunisten bezeichnete.69 Die Zusammenarbeit mit einer bundesrepublikanischen Institution auf dem Gebiet der ‚Sammlung der Werke des Exils‘ führte in den 1950er und 1960er Jahren zu zwei schweren Konflikten unter den Londoner Mitgliedern des PEN-Clubs. Einerseits trug der Anschluss an eine BRD-Institution nicht der Problemlage Rechnung, die das Verhältnis von jüdischen und nicht-jüdischen, linken wie nicht-linken Schriftstellern nicht nur zu Nachkriegsdeutschland, sondern auch zur Geschichte des Exils bestimmte, andererseits grenzte er frühere Initiativen zur ‚Sammlung der Exilliteratur‘ aus, wie sie von Alfred Kantorowicz,70 Walter Berendsohn71 und Kurt Pinthus auch nach 1945 fortgeführt wurden. „Es wird die Aufgabe von Herrn Sternfeld sein, die Materialien für eine künftige Literaturgeschichte der Emigration zu sammeln“, schrieb der Direktor der Deutschen Bibliothek am 13. 4. 1955 an Berendsohn.72 Pinthus, der in den Jahren 1945 bis 1947 F. C. Weiskopf bei der Arbeit an Unter fremden Himmeln unterstützte,73 publizierte am 22. 12. 1944 im New Yorker Aufbau einen Aufruf zur Sammlung der Literatur „der vertriebenen und ausgewanderten deutschschreibenden Schriftsteller“, „weil alle Bemühungen fehlschlugen, wie ich es seit 1937 bei mancherlei Institutionen angeregt hatte, genaue Listen der […] Schriftsteller, sowie ihrer Werke anzulegen“:74 „Das Ungewöhnliche in dieser ungeheuren 67 Mitteilungsblatt Nr. 8 [nach Juni 1952], S. 2. DEA, EB 77/27 999. 68 DEA, EB 77/27 928. 69 Gabriele Tergit an H. G. Adler (2. 8. 1979). DEA, EB 88/159 Akte Adler. Vgl. aber auch Gabriele Tergit an Hermann Kesten (6. 4. 1957), enthalten im DEA, EB 88/159: „Unter diesen sind eine Menge Juden z. B. der sehr gescheite Vorsitzende [Paul] Tabori, und eine Menge Sozialdemokraten aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei.“ 70 Zur Deutschen Freiheitsbibliothek des Pariser SDS vgl. Dieter Schiller: Der Traum von Hitlers Sturz. Studien zur deutschen Exilliteratur 1933–1945. Frankfurt am Main: Lang 2010, S. 105–125. Vgl. die Neuausgabe von Richard Drews und Alfred Kantorowicz (Hrsg.): Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt. Neu hrsg. mit einem Vorwort von Helmut Kindler und einem Nachwort von Walter Jens. München: Kindler 1983. 71 Vgl. Walter A. Berendsohn: Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur. Zweiter Teil: Vom Kriegsausbruch 1939 bis Ende 1946. Worms: Heintz 1978, S. 230. 72 Eckert: 35 Jahre, S. 68. 73 F. C. Weiskopf: Unter fremden Himmeln. Ein Abriß der deutschen Literatur im Exil 1933–1947. Berlin: Aufbau 1948. 74 Will Schaber (Hrsg.): Aufbau – Reconstruction. Dokumente einer Kultur im Exil. New York: The Overlook Press und Köln: Kiepenheuer und Witsch 1972, S. 283.

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Exil-Bewegung deutschschreibender Schriftsteller ist, dass sie fast alle entschlossen sind, nicht wieder in die deutschsprechenden Länder zurückzugehen – sie leben nicht mehr im Exil, sondern in einer neuen Heimat.“75 Der Streit im Londoner Zentrum, „der zwei Jahre und mehr die Atmosphaere vergiftet[e]“,76 wurde zwischen Wilhelm Unger, der ebenfalls in Zusammenarbeit mit bundesdeutschen Institutionen eine Deutsche Bibliothek aufbauen wollte und für den Anschluss des Zentrums an den bundesdeutschen PEN eintrat, und Sternfeld ausgetragen. Ungers Plan einer „Library of the German Language“ zielte auf die Darstellung der deutschen Literaturgeschichte in der westlichen Öffentlichkeit, ohne der Literatur der Exilierten einen herausragenden Stellenwert beizumessen. Obwohl er sich mit seinem Sammlungsplan am deutlichsten von der Exilliteratur abgrenzte, wurde er als kommunistischer Fellow-traveller ausgegrenzt und sein Projekt zum Scheitern gebracht.77 Die Vermutung, dass Antifaschismus kommunistisch sei, wurde auf der Mitgliederversammlung des Londoner Zentrums vom 7. 11. 1952 formuliert, als es um die Frage ging, ob an den 20.  Jahrestag der Bücherverbrennung erinnert und zum Jahrestag „in Anbetracht des Neo-Nazismus ein Bekenntnis unseres PEN zu unsern durch die Nazi [sic] direkt oder indirekt zu Tode gekommenen deutschen Schriftsteller“ abgelegt werden sollte, wie es das in der Schweiz lebende Mitglied David Luschnat beantragt hatte; Sternfeld begründete den Verzicht auf eine „Gedenkfeier“ mit einem Verweis auf deren mögliches Echo in der „deutschen, oesterreich. u. schweizer Presse“: „Bei dem heutigen Zustand der Presse sei nicht daran zu denken, dass ausser kommunistischen Blaettern eine Zeitung eine solche Notiz aufnehme.“78 Man gedachte nicht der Bücherverbrennung, sondern beschloss stattdessen, ein Jahr später den zwanzigsten Jahrestag des 20. Juli zu begehen: „Die Respektäusserung der Entkommenen für die ‚Nichtentkommenen.“79 Zehn Jahre später, als seine Bibliographie endlich erschien, musste sich Sternfeld, der 1952/53 den Vorwurf des Fellow-travellertums gegen Unger erhob, sich diesen von Gabriele Tergit, der damaligen Sekretärin des Londoner Zentrums, selbst gefallen lassen. Tergit, die 1960 an Sternfeld schrieb: „ich fühle mich recht schuldig, dass ich einfach Ihre Arbeit benutzt habe“,80 als sie zum ersten Mal eine Liste der Mitglieder 75 Ebd., S. 284. 76 Bericht des Sekretärs für 1952/53. DEA, EB 75/177, D.I.4.b. 77 Vgl. Wilhelm Ungers Schlussansprache auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress 1947: „Wenn wir an die vier Besatzungsmächte und die Zonen denken, sehen wir nur den Druck, der auf uns lastet. Wir sehen nicht die Möglichkeiten, die in einer solchen Konzentrierung ausländischer Geistesarten innerhalb Deutschlands liegen. Wir sehen nicht die Möglichkeiten, die zu einem neuen Weltbürgertum für uns Deutsche darin liegen, daß wir diese Berührung mit anderen Nationen haben.“ Zitiert nach Ursula Reinhold u. a. (Hrsg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß 4.–8.Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997, S. 428. 78 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 7. 11. 1952. DEA, EB 75/177, D.I.4.b. 79 Protokoll der Vorstandssitzung des Club 1943 vom 17. 12. 1953. DEA, EB 95/208. 80 Gabriele Tergit an Wilhelm Sternfeld (20. 7. 1960). DLA, A: Pinthus, 71.3485/19.



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des Londoner Zentrums veröffentlichte, der eine historische Einleitung vorangestellt war, die durch die drei folgenden Verzeichnisse von 1968, 1970 und 1982 unverändert bleiben sollte, warf Sternfelds mit Eva Tiedemann verfasster „Bio-Bibliographie“ Deutsche Exil-Literatur 1933–1945 vor,81 „ein völlig gefälschtes Bild“ zu bieten.82 In einer Vorlage für den PEN-Vorstand formulierte sie: „Der Vorstand nimmt keineswegs an, dass die Verfasser haben kommunistische Propaganda treiben wollen, aber […] die Fälschung bleibt bestehen.“83 Sie ergebe sich aus Weglassen bei nicht-kommunistischen und Ausführlichkeit bei kommunistischen Autoren: „[D]ie Verfasser haben – wie allgemein – von den kommunistischen Parteistellen das Material fertig zubereitet bekommen, während sie im Westen grosse Mühe damit hatten“.84 Gegen eine so fokussierte öffentliche Verurteilung von Sternfeld/Tiedemanns Buch in den „Mitteilungen“ des Zentrums protestierten in der folgenden Ausgabe Henry Alexander, Fritz Beer, Curt Geyer, Karl Gerold, Jonas Lesser und Paul Roubiczek; initiiert wurde die „Entgegnung“ von Beer:85 Nicht legitim ist es […], wenn Frau Tergit, weil sie den Gesichtspunkt der Verfasser nicht teilt, ihnen politische Motive ‚mannigfacher Art‘ unterschiebt und sie zwischen den Zeilen kommunistischer Sympathien oder einer Begünstigung kommunistischer Autoren beschuldigt. Wir hätten gedacht, dass PEN Mitglieder es unter ihrer Würde finden würden, in literarischen Fehden Anleihen bei den Kampfmethoden Senator McCarthys zu machen.86

Als die Deutsche Bibliothek drei Jahre nach Erscheinen der Bio-Bibliographie ihre erste Ausstellung zur Exilliteratur eröffnete, bat Sternfeld nicht das Londoner Zentrum, sondern z. B. am 12. 4. 1965 Manfred George um ein „Begrüssungstelegramm“: „Ähnliche Schreiben habe ich an die beiden Damen Mann, an den Schutzverband in Zürich, an Ossip Kalenter, an Arnold Zweig und Lilli [sic] Becher, Professor Ernst Bloch, den österreichischen PEN und die Wiener Library gerichtet.“87 Werner Berthold, der seit 1959 für die Exilsammlung der Deutschen Bibliothek verantwortlich war, bestimmte das Ziel der Ausstellung von 1965 auf eine ähnliche Weise, wie sie in der politische Exilierte und jüdische Emigranten,88 Ost und West verbindenden Einladung Sternfelds zu Grußworten zum Ausdruck kam: „Mit einer umfassen81 Wilhelm Sternfeld und Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. Mit einem Vorwort von Hanns W. Eppelsheimer. Heidelberg und Darmstadt: Lambert Schneider 1962 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 29). 82 Gabriele Tergit: Der Vorstand des PEN Klubs (masch. Typoskript o. T.), S. 1. DEA, EB 88/159. 83 Ebd. 84 Ebd. 85 Fritz Beer an Gabriele Tergit (18. 7. 1963). DEA, EB 88/159, Akte Adler. 86 Protest (masch. Typoskript o. D.). Anlage zu Gabriele Tergit an Kurt Pinthus (31. 7. 1963). DLA, A: Pinthus, 71.3537/5. 87 Wilhelm Sternfeld an Manfred George (12. 4. 1965). DLA, A: George, 75.4117/5. 88 Vgl. als zeitgenössische Quelle zu dieser Unterscheidung Hannah Arendt in: Auszug des Geistes. Bericht über eine Sendereihe. Bremen: Heye 1962, S. 14. Interviewt wurden für diese Sendereihe auch Kurt Pinthus (S. 23–26) und Walter A. Berendsohn (S. 97–100).

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den, alle Richtungen der Emigration repräsentierenden Ausstellung […] will man […] einer breiteren Öffentlichkeit ein vergessenes oder verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte möglichst differenziert vorstellen.“89 Über die Kooperation mit der Deutschen Bibliothek hinaus kann – im Gegensatz zur in der Forschung herrschenden Meinung, die Exilierten seien durch eine feindselige Öffentlichkeit ‚draußengehalten‘ worden –90 verallgemeinert werden, dass auf dreierlei Weise von der BRD eine offizielle Wertschätzung von Emigranten institutionalisiert wurde, die über die Anerkennung der Leistungen der Vergangenheit hinaus als Förderung des Rückkehrwunsches wirksam werden konnte: erstens durch Wiedergutmachung, zweitens durch die Verleihung von Auszeichnungen und drittens mittels auswärtiger Kulturpolitik. Bis Mitte der 1950er Jahre waren mit Friedrich Burschell, Hans Flesch, Richard Friedenthal, Hermann Friedmann und Wilhelm Unger – mit Ausnahme Sternfelds – alle ehemaligen Präsidenten und Sekretäre des Londoner Zentrums remigriert; sie wurden Mitglieder des bundesrepublikanischen Zentrums. Nicht wenige Rückwanderer übernahmen Funktionen, so Beheim-Schwarzbach (1951), Friedenthal (1952), Kesten (1963), Unger (1970) und Peter de Mendelssohn (1972). „Der Anwalt, der gerade eine Besprechung mit dem für mich zuständigen Berliner Entschädigungsamt hatte, schreibt mir“, berichtete Burschell am 7. 2. 1954 dem S.  Fischer-Lektor und Neue Rundschau-Herausgeber Rudolf Hirsch, „dass den amtlichen deutschen Stellen sehr daran liegt, emigrierte Schriftsteller von Rang wieder nach Deutschland zu ziehen und ihnen mit einem Darlehen in ‚ausreichender Höhe‘ den Aufbau einer Existenz in der alten Heimat zu ermöglichen“.91 In den frühen 1950er Jahren verteilte Sternfeld die „imposante Summe von DM 120 000“ an „notleidende“ Emigranten in Großbritannien – einen „Fonds des Stuttgarter Rundfunks für im Ausland lebende deutsche Schriftsteller“;92 er vermittelte nicht nur Gelder des SDR, sondern auch des Künstlerfonds des Bundespräsidialamtes, insgesamt 700 000 DM,93 und wurde von Theodor Heuss auch gehört, wenn es um die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes ging. 15 Prozent der Mitglieder des Londoner Zentrums erhielten es in den 1950er Jahren: 1953 Otto Lehmann-Rußbüldt und Ernesto Feder, 1956 Friedenthal, 1957 Heinrich Fischer, 1958 Peter de Mendelssohn und Sternfeld, 1959 Hans Jaeger und Hans Sahl.94 Erst in den 1960er und 1970er Jahren wuchs 89 Eckert: 35 Jahre, S. 93. 90 Vgl. z. B. Foitzik: Probleme, S. 113. 91 Roland Krischke (Hrsg.): Friedrich Burschell: Erinnerungen 1889–1919. Ludwigshafen: Stadtarchiv 1997, S. 286. 92 Harro Kieser: Wilhelm Sternfeld und seine Beziehungen zu Thomas Mann. In: Günther Pflug u. a. (Hrsg.): Bibliothek – Buch – Geschichte. Kurt Köster zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main: Klostermann 1977, S. 301–311, hier S. 309. 93 Kieser: Wilhelm Sternfeld, S. 303. 94 Angaben nach: Werner Röder und Herbert Strauss (Hrsg.): International Bio-graphical Dictionary of Central European Emigrees. Bd. 2, Teil 1.2. München u. a.: Saur 1983 (Ergänzung durch Recherchen des Verfassers).



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allerdings die Zahl der dauerhaft Emigrierten unter den geehrten Flüchtlingen; so wurden von Heuss‘ Nachfolgern ausgezeichnet: Rudolf Frank 1963, Heinrich Fraenkel 1967, Hubertus Prinz zu Löwenstein 1968, Gabriele Tergit 1969, Walter Mehring 1977 und Erich Heller 1978. „Wenn wir uns von der Botschaft ‚subventionieren‘ lassen (pardon!)“, schrieb Kalenter ein Jahr, bevor er Präsident des Zentrums wurde, an Unger, „sind wir allerdings nicht mehr ganz unabhängig und müssten Rücksichten üben, […] aus Taktgründen.“95 Kalenter wurde durch Sternfeld „eine wirtschaftliche Hilfe“ seitens der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung vermittelt, obwohl Kalenters Frau gebeten hatte, „‚sich bei niemandem zu bemühen‘“.96 Reisebeihilfen in erheblicher Höhe waren gebunden an Berichte – z. B. bewilligte das Auswärtige Amt Hans José Rehfisch „eine Beihilfe von DM 350,--“ für seine Reise zu Vorträgen vor dem „‚Deutschen PEN Zentrum in London‘“ und dem Club 1943 gebunden an einen „zweifachen Reisebericht“.97 Rehfischs Bericht über die Englandreise enthielt detaillierte politische Beurteilungen von Emigranten, aber auch von Briten – stets unter dem Aspekt der „Unterstützung für deutsche Kulturbestrebungen in England“ und im Fall der BBC „wechselseitiger Kulturpropaganda“.98 Die Vermittlung des Bildes eines gegen ‚totalitäres‘ Gift immunen liberalen, humanen Englands an westdeutsche Leser sicherte seit den 1950er Jahren den Lebensunterhalt vieler Mitglieder des Londoner Zentrums. Als Kulturkorrespondenten bundesrepublikanischer Presseorgane arbeiteten nicht nur Friedenthal – für Die Welt – und Robert Lucas – für Die Zeit; auch der deutschsprachige Dienst der BBC beschäftigte über die 1950er Jahre hinaus PEN-Mitglieder als professionelle Vermittler britischer Kultur, wie Erich Fried oder Fritz Beer. In Buchform vermittelten ein liberales Englandbild Peter de Mendelssohns Einhorn singt im Regen (1952), Friedenthals Die englische Kultur (1953), Arnold Benders Die Engländer (1971) und auch Werner Lansburghs Sprach-Bücher mit Dear Doosie (1977). Was Deutsche von England lernen könnten, brachte Mendelssohn in einer Erklärung der im Titel seines Englandbuches angespielten englischen Wappentiere auf den Punkt: Der Löwe stehe für „stark ausgebildete […] Moralbegriffe“ und das Einhorn für „Skepsis gegenüber jedem Dogma“.99

95 Ossip Kalenter an Wilhelm Unger (21. 6. 1956). DEA, EB 77/27, 1258. 96 Wilhelm Sternfeld an Manfred George (21. 3. 1965). DLA, A: George, 75.4117/4. 97 Dr. [?] Nolda (Auswärtiges Amt) an Hans José Rehfisch (28. 5. 1955). AdK Berlin, Bestand Hans José Rehfisch, 134/5. 98 Hans José Rehfisch an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes (2. 6. 1955). AdK Berlin, Bestand Hans José Rehfisch, 134/6–12, S. 3. 99 Peter de Mendelssohn: Der Geist in der Despotie. Versuche über die moralischen Möglichkeiten des Intellektuellen in der totalitären Gesellschaft. Berlin: Herbig 1953, S. 188.

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4 Dauerhafte Etablierung eines Zentrums im Ausland lebender deutschsprachiger Autoren mit kritischer Distanz zur Bundesrepublik Deutschland Am Ende der 1950er Jahre hatten sich in der Mitgliederentwicklung die Schweiz und die USA dauerhaft als Schwerpunkte herausgebildet, denn auch in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren übertraf die Zahl der Neueintritte in den USA und der Schweiz die in Israel, den Niederlanden und Schweden. 1959 lebten in Großbritannien 31 Mitglieder des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, in der Schweiz 18, in den USA 16 und je eins in Israel und den Niederlanden; die bis 1968 gewonnenen neuen Mitglieder verteilten sich auf Großbritannien (8), die Schweiz (8), die USA (11), die Niederlande (3) und Israel (2); auch die beiden Neuaufnahmen bis 1970 (je eine in den USA und Israel) belegen, dass seit 1960 die USA und seit 1970 Israel die Schweiz zu übertreffen beginnen; bis 1986 traten aus den USA 21 neue Mitglieder dem Zentrum bei, aus Israel und aus Großbritannien je 8, aus der Schweiz 5 und aus den Niederlanden eins.100 Die Frage der Vertretung der nicht in Großbritannien lebenden Mitglieder wurde unter dem für die London-Fixierung bezeichnenden Titel ‚ausländischer‘ Mitglieder vom Vorstand behandelt, als erstmals der Gedanke auftauchte, die Präsidentschaft nicht an London gebunden zu halten: „Wenn man an die Wahl eines Stellvertr.[sic] Vorsitzenden denke, so solle man ihn aus der Reihe unserer auslaend.[sic] Mitglieder waehlen.“101 Mit der Wahl Kalenters (aus der Schweiz) zum Präsidenten und der Wahl Will Schabers (aus den USA) zu seinem Nachfolger in diesem Amt wurde 1957 und 1967 deutlich gemacht, dass das Zentrum keine Londoner ‚Lokalangelegenheit‘ mehr sein sollte. Auch später folgte dem Londoner H. G. Adler (seit 1973) mit Hans Keilson (aus den Niederlanden) 1985 wieder ein ‚auswärtiges‘ Mitglied, das 1988 vom Londoner Beer abgelöst wurde. Allerdings blieb im gesamten Zeitraum bis 2002 das Sekretariat an London gebunden: Es wurde von 1957 bis 1979 von Gabriele Tergit geführt, auf die – nach einer komplizierten Übergangsphase – Arno Reinfrank folgte, der 1990 die Geschäfte an Uwe Westphal übergab. Nach der Auflösung des Londoner Zentrums durch Beer und Westphal wurde der in der BRD lebende, 1979 aus der DDR übergesiedelte Günter Kunert Präsident und der in Israel lebende, 1983 aus der DDR in die BRD übergesiedelte Chaim Noll Sekretär des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren 100 Angaben nach: P.E.N. Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland Sitz London: Autobiographien und Bibliographien. London: [o. V.] [1959]; International P.E.N. Centre of German-speaking Writers Abroad: Autobiographien. London: [o. V.] 1968; International P.E.N. Centre of German-speaking Writers Abroad: Autobiographien. London: [o. V.] 1970; Karin Reinfrank-Clark (Hrsg.): Ach, Sie schreiben deutsch? Biographien deutschsprachiger Schriftsteller des Auslands-PEN. Gerlingen: Bleicher 1986. 101 Protokoll der Vorstandssitzung vom 31. 10. 1953. DEA, EB 77/27, D.I.4.b.



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im Ausland, das sich in seinen Selbstdarstellungen als „Exil-P.E.N.“ zu bezeichnen pflegt. Beide Nachfolger von Noll als Sekretäre, Hans-Christian Oeser und Gabrielle Alioth, leben in Irland. Die bis 2002 dauernde Kontinuität des Londoner Sekretariats einerseits und die lokale Abwesenheit der externen Präsidenten andererseits – 1957–1973, 1985–1988 – stärkte die Stellung des Sekretariats. Tergit wandelte das sehr unregelmäßig erschienene Mitteilungsblatt des Zentrums in regelmäßigere Berichte um, die – wie Adler 1974 im Namen der Mitglieder schrieb – „wir […] vom ersten bis zum letzten Wort allein dem liebevollen Fleiss unserer Gabriele Tergit verdanken“,102 und schuf mit den erstmals 1959 herausgegebenen Autobiographien und Bibliographien (erneut 1968 und 1970) ein weiteres Mittel, um das Zentrum zum „Mittelpunkt einer menschlichen und literarischen Tradition“ zu machen, „die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte weitgehend unabhängig von Deutschland entwickelt hat“.103 Unter Tergits Sekretariat und den beiden ersten externen Präsidenten aus der Schweiz und den USA kam es seit den ausgehenden 1950er Jahren zum Ende der ‚Versuchung‘, das Londoner Zentrum auf die Bundesrepublik auszurichten. In dieser stärkeren Distanzierung waren sich Tergit, Kalenter und Schaber einig. Kalenter galt bei Mitgliedern des Zentrums als „Generalstaatsanwalt für Verhalten in der Nazizeit“, wie Kurt Kersten an Manfred George schrieb,104 oder als „Archiv“, an das man sich mit Fragen zur Nazi-Vergangenheit von Schriftstellern, Verlegern oder Wissenschaftlern wenden konnte.105 Kalenters Antworten stellten eine Beziehung zwischen Nazi-Vergangenheit und Nachkriegsgegenwart her, z. B. im Falle des Direktor des Frankfurter Goethehauses: Ernst Beutler habe „in Frankfurt unter den Nazis alle und jede Schweinerei mitgemacht […] (Goethejahrbuch mit Daten wie: ‚Sept. [sic] 1939, Ueberfall Polens auf Deutschland‘, aber auch Ärgeres noch). Beutler macht momentan in Zürich die Artemis-Goethe-Gesamtausgabe mit dem Geld des Oerlikoner Munitionsfabrikanten Buerle und musste auf Wunsch der Finanzleute (auch das Kloster Einsiedeln steckt dahinter) den ‚christlichen Goethe‘ entdecken“.106 Auch Will Schaber, Kalenters Nachfolger im Präsidentenamt, ließ in den 1950er Jahren keineswegs jene Bereitschaft zur Einbindung in bundesrepublikanische Kulturpolitik erkennen, die remigrationsbereite Präsidenten und Sekretäre gekennzeichnet hatte. Er übernahm die Präsidentschaft gleichzeitig mit der Position eines Redakteurs am New Yorker Aufbau, den Tergit – in ihrem Nachruf auf George – als epochemachend in der „deutsch-jüdischen Emigration“ bezeichnete: „ein Band der Verstreuten, ein Halt für die Entwurzelten, ein praktischer Führer für Immigranten“.107 102 Berichte 6 (1974), S. 7. 103 Ebd. 104 Kurt Kersten an Manfred George (20. 9. 1960). DLA, A: George, 75.3000/5. 105 Kurt Pinthus an Ossip Kalenter (18. 10. 1954). DLA, A: Pinthus, 71.4661/2. 106 Ossip Kalenter an Wilhelm Sternfeld (3. 10. 1947). DEA, EB 75/177, A.I.3. 107 Schreiben von Gabriele Tergit (7. 1. 1966). DLA, A: George, 75.6500/7.

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Die drei Leitmotive der Zeitschrift waren – wie in der von Schaber herausgegebenen Anthologie 1972 betont wurde – Loyalität zu den USA als neuer Heimat, jüdisches Selbstbewusstsein und Verbundenheit mit deutscher Kultur.108 Ein so geprägtes Weltbürgertum hatte Schaber schon im Exil publizistisch vertreten,109 und es bestimmte seine programmatischen Erklärungen als Präsident des Zentrums, die von dessen Funktionswandel ausgingen: Während der Hitler-Jahre repräsentierten wir das freie deutsche Wort. Jetzt hat sich der Akzent unserer Arbeit von Grund auf gewandelt. Der deutsche Schriftsteller im Ausland ist heute eine Art Weltbürger. Es ist seine ganz besondere Erfahrung in einem anderen Land, die seine Arbeit stimulieren und erhellen sollte. Der deutsche Schriftsteller im Ausland ist der ideale Mittler – ein Botschafter – keineswegs nur als Übersetzer, sondern auch als schöpferischer Beobachter von Leben, Ideen und Geschichte im Ausland.110

Eine Wende zu einer kritischeren Haltung von Emigranten zur BRD wurde 1964 in Beiträgen zu Hermann Kestens Anthologie Ich lebe nicht in der Bundesrepublik sichtbar,111 deren Zustandekommen allerdings zugleich ein in Westdeutschland gewachsenes Interesse am Exil beweist. Der Klappentext des List-Verlags nannte Rassismus, „Genickschuß, Gas, Folter“ beim Namen und warb bei den Lesern um Beherzigung dessen, was die Stimmen von draußen zu sagen hätten: „Daß sie uns kritischer sehen, daß sie den Kontakt mit uns nicht oder nur schwer finden – ja liegt es denn an ihnen? ‚Wir haben den ersten Stein geworfen‘, und an uns ist es, das Haus zu bestellen, damit die von uns Verratenen eine neue Bleibe haben. Aber ist das Haus schon bestellt?“112 Ebenso wie der Herausgeber stellte der Verlag eine Beziehung her zu Wolfgang Weyrauchs 1960 erschienener Anthologie Ich lebe in der Bundesrepublik, die die ‚Bestellung‘ des Hauses mit der ‚Bewältigung‘ der Nazi-Vergangenheit gleichgesetzt hatte.113 Kestens Einleitung schloss mit der autobiographisch begründeten Beschreibung des Exils als „eine[r] gute[n] Schule für Weltbürger“: „Wer sein Volk liebt, kritisiert es.“114 Entsprechend charakterisierte er das „intellektuelle und moralische Klima der Bundesrepublik Deutschland“ als „zwiespältig“115 und griff die der Demokratie widersprechenden personalpolitischen Kontinuitäten in Justiz, Regierung und Kultur scharf an. 108 Will Schaber: Aufbau. Reconstruction. Dokumente einer Kultur im Exil. Geleitwort von Hans Steinitz. Köln: Kiepenheuer und Witsch 1972, S. 13. Vgl. auch S. 17f. 109 Vgl. Will Schaber: Weltbürger – Bürgen der Welt. Eine kulturkritische Betrachtung. Wien: Saturn 1938. 110 Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe (17. 5. 1983), S. 1252. 111 Hermann Kesten (Hrsg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik. München: List 1964. Vgl. die gelungene Zusammenfassung von Peter Mertz: Und das wurde nicht ihr Staat. Erfahrungen emigrierter Schriftsteller mit Westdeutschland. München: Beck 1985, S. 216. 112 Kesten (Hrsg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 2. 113 Wolfgang Weyrauch (Hrsg.): Ich lebe in der Bundesrepublik. Fünfzehn Deutsche über Deutschland. München: List 1960. 114 Kesten (Hrsg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 28. 115 Ebd., S. 20.



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Eine öffentliche Autorisierung des Exils als moralische Instanz von Kritik lässt sich auch aus der Tatsache schließen, dass Ludwig Marcuse das Vorwort übertragen wurde, als Beiträge der 1966/67 im Merkur publizierten Serie „War ich ein Nazi?“ in Buchform herauskamen. Marcuses Einleitung argumentierte 1968 mit Alexander und Margarete Mitscherlich, deren Buch Die Unfähigkeit zu trauern ein Jahr zuvor erschienen war. Marcuses „Anleitung für Leser“ empfahl: „Der Leser muß hellhörig sein, aber auch vorsichtig. Er sollte seine Ohren einstimmen auf Alexander und Margarete Mitscherlichs Klage, daß ‚keine adäquate Trauerarbeit um die Menschen, die durch unsere Taten in Massen getötet wurden‘, erfolgte.“116 Marcuse legte nahe, die Texte solch prominenter Mitglieder des bundesrepublikanischen PEN, der Darmstädter oder anderer Akademien wie Joachim Günther, Hans Egon Holthusen, Rudolf KrämerBadoni oder Heinz Winfried Sabais auf Widersprüche und auf Fehlendes hin zu lesen: Auffällt in der gesamten Rückblicks-Literatur vor allem, daß unfeine Motive wie: Antisemitismus, Sadismus, Hoffnung auf Teilnahme an der eroberten Beute, vor allem der gewiß weit verbreitete Opportunismus kaum in Erscheinung treten. Aber: solange man glauben konnte, daß Deutschland siegen wird (und man konnte es sehr lange), war das Verhalten in jenen Jahren eng verknüpft mit den zukünftigen Chancen, mit der Karriere nach dem Krieg.117

In Kestens Anthologie kritisierten im Exil gebliebene Autoren, dass die BRD „noch nicht das andere, […] das erneuerte, geistig durchdrungene Deutschland repräsentiert“;118 die Kritik wurde in Abstufungen und in zwei Hauptvarianten formuliert; bezogen die einen die „Vergeßlichkeit“119 vor allem auf die Vergangenheit des „deutschen Volk[es]“, „daß nämlich von einer nicht zu unterschätzenden Masse seiner Angehörigen ein Massenmord in einem geschichtlich fast unbekannten Ausmaß begangen wurde“,120 so sahen die anderen die „Gefahr“ primär im Fortleben der Vergangenheit in der Gegenwart: „einer Grenzmark- und Wächterideologie“, von der diejenigen, „die schon halb und halb zur Reue und zum Umlernen bereit waren, […] wieder zur psychologisch sehr verständlichen Suche nach halben Rechtfertigungen, nach philosophischen Alibis und geschichtlicher Schicksalskontinuität, angespornt werden“.121 Wenn Kurt Grossmann Sternfeld zitierte: „‚Für keinen Juden ist es ratsam, seinen Wohnsitz wieder in Deutschland zu nehmen‘“,122 so warf Jakov Lind, 116 Ludwig Marcuse: Waren sie Nazis? Anleitung für Leser. In: War ich ein Nazi? Politik – Anfechtung des Gewissens. Mit Beiträgen von Joachim Günther, Hans Egon Holthusen, Hans Hellmut Kirst, Rudolf Krämer-Badoni, Alexander Lernet-Holenia, Jens Rehn, Heinz Winfried Sabais, Hermann Stahl, Wolfgang Weyrauch und mit einer Anleitung für den Leser von Ludwig Marcuse. München, Bern und Wien: Rütten und Loening Verlag in der Scherz Gruppe 1968, S. 5–12, hier S. 11. 117 Marcuse: Waren sie Nazis?, S. 11. 118 Kesten (Hrsg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 68. 119 Ebd., S. 102. 120 Ebd., S. 56. 121 Ebd., S. 46. 122 Ebd., S. 67.

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der zwar in London lebte, aber nicht dem Londoner Zentrum angehörte, den Bundesdeutschen, die linken eingeschlossen, vor, „sich mit Tatsachen nicht abfinden“ zu „wollen“: „Die Wiedervereinigung mit Ostdeutschland, die Nichtanerkennung der polnischen Grenze an der Oder, der Kampf gegen die Ulbricht-Mauer, das ist nebst Anti-Kommunismus die deutsche Ideologie der 1960er Jahre. Und in diesen Glaubensartikeln der neuen deutschen Religion werden die Deutschen von mächtigen, einflußreichen Freunden im Westen bekräftigt.“123 Unter den Bedingungen des Übergangs vom Kalten Krieg zu einer Entspannung, gegen die „störrischen Widerstand“ zu leisten nicht nur Fried „Bonn“ vorwarf,124 führte die jetzt einsetzende ‚Vergangenheitsbewältigung‘ einerseits zu einem erhöhten Interesse an Exilliteratur und Emigranten, anderseits zu einer Konkurrenz um literarische Anerkennung, die gerade durch die Gemeinsamkeit einer antifaschistischen Legitimation verschärft werden konnte. „Lieber Freund, schreiben Sie Ihre Erinnerungen! Es ist eine Hausse in Emigranten“, schrieb 1961 Tergit an Kesten. Ihre Einschätzung traf die Situation auf dem Feld der Autobiographik recht genau, denn in den 1950er Jahren waren es fast nur die Remigranten unter den Mitgliedern des Londoner Zentrums gewesen, die (nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik) Memoiren veröffentlichten. Von einer Welle autobiographischer Erinnerung von Londoner PEN-Mitgliedern kann aber nur hinsichtlich der 1960er Jahre gesprochen werden; ohne zurückzukehren, publizierten Memoiren: 1960 Heinrich Fraenkel (Lebewohl, Deutschland), Rudolf Frank (Spielzeit meines Lebens), Ludwig Marcuse (Mein 20. Jahrhundert) und Annette Kolb (Memento), 1961 Heinz Liepman (Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach), 1962 Vicki Baum (Es war alles ganz anders), 1963 Julius Berstl (Odyssee eines Theatermannes) und Egon Jameson (Wenn ich mich recht erinnere), 1964 Elisabeth Castonier (Stürmisch bis heiter), 1966 Grete Fischer (Dienstboten, Brecht und andere Zeitgenossen), 1967 Stephan Lackner (Ich erinnere mich gut an Max Beckmann), 1969 Carl Brinitzer (Hier spricht London) und Max Brod (Streitbares Leben 1884–1968). Eine der frühesten Kontroversen zwischen Exil- und ‚junger‘ Nachkriegsliteratur‘ fand 1959 zwischen Robert Neumann und Alfred Andersch in der Zeit statt. Neumann warf nicht nur Andersch einen formalen Radikalismus vor, den er als literarischen Traditionsbruch aus einem politischen ‚schlechten Gewissen‘ erklärte: Sie haßten die Verbrechen ihrer Väter, aber sie liebten die Amerikaner nicht und die Russen nicht und Bonn nicht und Pankow nicht. Es waren junge Menschen nach meinem Herzen; für das, was sie sich da an Gedankengut eroberten, hatte ich allerlei auf mich genommen, ein nicht immer ganz leichtes Leben lang, es stand in meinen Büchern, aber sie kannten die Bücher nicht. […] Nur hatten sie das schlechte Gewissen einer nicht vollzogenen Revolution, einer versagten Bewährung.

123 Ebd., S. 100. 124 Ebd., S. 46.



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Sie halfen sich und einander darüber hinweg, indem sie einen großen Strich machten gleich hinter ihren Fersen, quer durch die lebendige Welt, und verkündeten: Bei diesem Strich fängt es an; was vorher war, ist niemals gewesen; haben wir versagt, indem wir nicht unsere schuldigen Väter auf den Barrikaden erschlugen, so erschlagen wir in unseren Herzen die ganze Vergangenheit.125

Nach Robert Neumann waren Hermann Kesten und Hans Habe die Emigranten, die in den frühen 1960er Jahren die Kontroverse mit der – von Walter Jens so genannten – „jungen deutschen Literatur der Moderne“126 bestimmten. Wenn Neumann die Differenz als eine literarische markierte, ohne politische Gemeinsamkeit in Frage zu stellen, so stellte sich Habe, der erst 1965 Mitglied des Londoner PEN wurde, die politische Differenz als eine zwischen Deutschen und Juden dar,127 während Kesten, der zum BRD-Zentrum gehörte, die politische Kontroverse dadurch, dass er sie in den Vorstellungen des Antitotalitarismus austrug, wie eine zwischen Exilierten und Nazis erscheinen lassen konnte.128 Trotz dieser Kontroversen kam es 1966 auf dem internationalen PEN-Kongress in New York zu einer, nicht zuletzt durch die Zeitschrift Aufbau vermittelten, umfassenden Begegnung zwischen jüngeren westdeutschen Autoren und Exilschriftstellern, z. B. zwischen Ingeborg Drewitz und H. G. Adler, Tergit, Fried, Kesten, Hilde Spiel und Martin Beradt.129 Zugleich stellte der New Yorker Kongress unter dem neuen internationalen Präsidenten Arthur Miller einen umfassenden Durchbruch zur Entspannungspolitik im PEN dar.

5 Das Londoner Zentrum in der Isolation: Notwendigkeit einer Selbstverständigungsdebatte Unter dem internationalen Präsidenten Heinrich Böll sah sich das Londoner Zentrum Anfang der 1970er Jahre, in der entscheidenden Phase der Entspannungspolitik, vor eine Zerreißprobe gestellt: Die drei Autoren, die in den 1960er Jahren gegen die von Böll international auch nach deren Ende immer noch repräsentierte Gruppe 47 125 Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Wien, München und Basel: Desch 1963, S. 504. 126 Walter Jens: Deutsche Literatur der Gegenwart. Themen, Stile, Tendenzen. München: [o. V.] 1964, S. 129f. (Erstausgabe 1961). 127 Hans Habe: Leben für den Journalismus. Bd.  4. München und Zürich: Droemer Knaur 1976, S. 213f. 128 Vgl. Colin Riordan: Reifeprüfung 1961. Uwe Johnson and the Cold War. In: Rhys W. Williams u. a. (Hrsg.): German Writers and the Cold War. Manchester und New York: Manchester University Press 1992, S. 203–220. 129 Ingeborg Drewitz: Die zerstörte Kontinuität. Exilliteratur und Literatur des Widerstandes. Wien, München und Zürich: Europa 1981, S. 16.

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polemisiert hatten, nahmen am Anfang der 1970er Jahre gegenüber dem Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland gegensätzlichste Haltungen ein: Hans Habe strebte die Präsidentschaft an, Kesten ließ sich mit den Stimmen der Linken zum Präsidenten des bundesdeutschen Zentrums wählen, und Neumann schlug Böll in einem „Offenen Brief“ die Auflösung des Londoner Zentrums vor.130 Mit der Wendung gegen Kesten und den BRD-PEN sowie Neumann und den Internationalen PEN begab sich das Londoner Zentrum in eine Lage, die es isolierte. Zwar lehnten die Vorstandsmitglieder Habes Kandidatur ab (was zu seinem Austritt führte), aber die meisten stimmten mit ihm darin überein, Entspannungspolitik als prokommunistisch mit Antisemitismus gleichzusetzen; so fragte Tergit ursprünglich bei Habe an, was gegen Neumanns „Offenen Brief“ zu tun wäre: „Neumann springt auf den Bandwagon, antisemitisch pro Osten.“131 1973/74 kam es zu einem in der Geschichte des Zentrums einmaligen Ausschluss, der ein verändertes Selbstverständnis anzeigte. Wegen eines Artikels zum Attentat auf die israelische Olympia-Mannschaft in München (1972) wurde Charlotte Hoffmann-Luschnat, die erst 1973 Mitglied geworden war, mit folgender Begründung ausgeschlossen, ohne dass dieser Fall in der Satzung geregelt gewesen wäre: „Das P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, London setzt sich überwiegend aus rassisch verfolgten und darum exilierten Schriftstellern zusammen. Für diesen Kreis sind Sie durch Ihren Artikel im Zürcher AUFBAU untragbar geworden und Ihre Mitgliedschaft unzumutbar. Hätte Frau Tergit diesen Artikel gekannt, hätte sie Ihren Antrag [auf Mitgliedschaft] nie weitergeleitet.“132 Die von Tergit redigierten Berichte wurden in den 1970er Jahren von der Frontstellung gegen die Entspannungspolitik des Internationalen wie des bundesrepublikanischen PEN bestimmt, insbesondere von der Gleichsetzung von pro-kommunistisch, deutsch und antisemitisch. So besprach Tergit z. B., ohne bibliographische Angabe, Friedhelm Krölls 1977 in der „Sammlung Metzler“ erschienenen Band Gruppe 47: „Die Historiker der Welt raetseln weiter an der Frage: ‚Wie war Hitler moeglich?‘ Ich finde diese Geschichte einer Vereinigung der prominentesten deutschen Schriftsteller gibt mehr als einen Schluessel“, nämlich drei Anhaltspunkte für die Lösung des Rätsels: Richters „Absolutismus des 18. Jahrhunderts“ sei zugleich „seine Entartung, die moderne Diktatur“; Celan sei „einmal und nie wieder dabei“ gewesen; „86 % der deutschen Schriftsteller […] verliessen 1933 Deutschland. Die Gruppe 47 nahm nie davon Notiz.“133 Dass die in Tergits Berichten ‚formulierten und gedruckten‘ „Sätze“ „‚die Tage des kältesten Krieges wieder heraufbeschwören‘“, zitierte Hans Keilson, der als Delegier130 Robert Neumann: Offener Brief an Heinrich Böll. In: Die Zeit, 5. 11. 1971. Nachdruck in: Heinrich Böll: Essayistische Schriften und Reden. Bd. 2. Köln: Kiepenheuer und Witsch [o. J.], S. 636–639. 131 Gabriele Tergit an Hans Habe (5. 10. 1971). DEA, EB 88/159, Akte Habe. 132 Edwin M. Landaus an Charlotte Luschnat (20. 2. 1974). DEA, EB 88/159, Akte Luschnat. 133 Berichte 10 (1977), S. 6.



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ter 1976 am internationalen Kongress in Den Haag teilgenommen hatte, den internationalen Vizepräsidenten Stephan Hermlin, als er sich an Tergit vorbei an den Präsidenten des Zentrums, H. G. Adler, wandte: So wie bisher geht es meiner Ansicht nach nicht. Bereits nach dem ersten Konferenztag […] sagte ich meiner Frau, dass mir die ungeheure Diskrepanz zwischen der Art und Weise, wie man auf der Konferenz miteinander umging, und der Berichterstattung unseres Zentrums über die aktuellen Probleme aufgefallen sei. Ich möchte […] keine sozio-psychologische Analyse der Lage unseres Zentrums vornehmen. Aber wir sollten uns dessen bewusst sein, dass wir nicht eine fatale Rolle spielen dürfen, nur weil uns eine andere nicht zur Verfügung steht.134

Das veränderte Selbstverständnis der 1970er Jahre stand in einem Spannungsverhältnis zu den Versuchen, das Problem der altersmäßigen Zusammensetzung der Mitgliedschaft des Zentrums zu lösen, die für die 1980er Jahre bestimmend wurden. Denn 1979 wurde die Bestimmung, Mitglied könne sein, wer „wegen des Nationalsozialismus oder dessen Folgen ausgewandert“ sei, aus der Satzung gestrichen.135 In einer Befragung der Mitglieder fand die neue Festlegung Zustimmung: „Als Mitglieder können ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit deutschsprachige Schriftsteller im Ausland aufgenommen werden, die keine wie immer geartete nationalsozialistische Vergangenheit haben und deren Werke und Verhalten dem Geist der PEN-Charter [sic] nicht widersprechen.“136 Darüber hinaus beschloss aber die Mitgliederversammlung vom 30. 4. 1980: „Der Bewerber sollte kurz über die Entstehungsgeschichte unseres Zentrums als PEN-Gruppe der aus dem Machtbereich Hitlers geflüchteten Gegner des Nationalsozialismus informiert werden – eine Tradition, die in unserem Zentrum fortlebt.“137 Tergits Nachfolger als Sekretär, Arno Reinfrank, erläuterte die Satzungsänderung im Oktober 1981, indem er das Zentrum einerseits in der Tradition verankerte, andererseits „als ein[en] Begegnungsort für geistig arbeitende Menschen, die in der ganzen Welt ihr Recht auf Freiheit des Worts verteidigen“, doppelt als „weder eine Gewerkschaft noch eine literarische Agentur“ abgrenzte: „Unser Zentrum verdankt seine Existenz den deutschsprachigen Schriftstellern, die in den Dreissiger [sic] Jahren von Hitler aus ihrer Heimat vertrieben wurden.“138 1987 wurde der Bezug auf die Geschichte des Zentrums wiederum betont, als der Vorstand die Mitglieder um ihre Meinung bat, ob „unser Zentrum eine Namensänderung vornehmen [solle], um nicht, wie bisweilen geschehen, ‚auslandsdeutsch‘ genannt zu werden“; um „Distanz“ gegenüber dem Nazi-Sprachgebrauch zu „bekunden“, sei vorgeschlagen worden, einen „Namen […] voranzusetzen“, nämlich den

134 Hans Keilson an H. G. Adler (15. 5. 1976). DEA, EB 88/159, Akte Adler. 135 Berichte 2 (1979), S. 1. 136 Ebd. 137 Berichte 6 (1980), S. 3. 138 Berichte 10 (1981) (Beilage, nach S. 8).

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Heines oder Tollers oder Oldens.139 Die Mehrheit sprach sich allerdings dagegen aus.140 Dennoch spielte die Frage der Geschichte eine entscheidende Rolle in den Diskussionen über das Selbstverständnis des Zentrums, die durch den neuen Sekretär und später auch den neuen Präsidenten Hans Keilson angeregt wurden. Eingebettet waren sie in eine Verbesserung der Beziehungen zu den west- und ostdeutschen Zentren, z. B. durch ein Treffen aller deutschsprachigen Zentren im November 1982; Adler berichtete: „Es wurde allgemein versichert, daß seit vielen Jahren kein so harmonisches internationales PEN-Treffen stattgefunden habe. Zumindest hörte man sich aufmerksam entgegengesetzte Standpunkte an“.141 In einem Interview des Börsenblatts vermittelten Reinfrank, Adler und sein Vorgänger Schaber den Eindruck, das Zentrum sei in einer „noch ungewissen Metamorphose“, um „sein ganz besonderes Generationsproblem […] zu überwinden“; während Schaber die Aufgabe aktueller Kulturvermittlung betonte, stellte Adler auf historische Repräsentanz ab.142 Gegen beide Funktionsbestimmungen wandte sich der neue Präsident Keilson in seiner ersten programmatischen Erklärung am 29. 4. 1985: „[W]ir [können] uns nicht mehr als Vertreter des ‚anderen‘, des ‚besseren‘ Deutschland fühlen und präsentieren. Es scheint mir auch schwierig, die Rolle des ‚Kulturvermittlers‘ zu übernehmen. Diese Art von ‚Geschäftsführung ohne Auftrag‘ scheint mir auch nicht angemessen.“143 Keilson stellte die im Zentrum bestehende „gewisse Übereinkunft hinsichtlich der Verarbeitung der spezifischen historischen Vergangenheit“ in Frage,144 indem er den Rekurs auf „seine Entstehungsgeschichte“, die „[w]ir alle kennen“, „beinahe […] im Jargon meines Faches“, „das infantile Trauma“ nannte.145 Er lenkte die Aufmerksamkeit der Mitgliederversammlung auf den „Fortgang“ seit 1933/34, auf „Sequenzen und Konsequenzen“ der Verarbeitung;146 deshalb schlug er vor, über den spezifischen Beitrag zur deutschen Literatur nachzudenken, der sich aus der problematischen Identität der Mitglieder des Zentrums ergebe: [W]ir leben ja nicht mehr im ‚Exil‘ nach der Vertreibung, auch sind wir keine Auslandsdeutschen. […] für uns selbst scheint es oft nicht einfach uns zu identifizieren. Die Risse und Widersprüche in unserem Leben gehören zu unserer Identität, sie bestimmen die Erscheinungsform mit, in der wir uns der Umwelt präsentieren und in der wir Spannungen aushalten und Konflikte bestehen müssen, die zu uns gehören.147

139 Berichte 6 (1987), S. 1. 140 Berichte 9 (1987), S. 1f. 141 Berichte 1 (1983), S. 2. 142 Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe (17. 5. 1983), S. 1252. 143 Erklärung von Hans Keilson (29. 4. 1985), S. 5. DEA, EB 88/159. 144 Ebd., S. 4. 145 Ebd., S. 2. 146 Ebd., S. 2f. 147 Ebd., S. 3.



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Die von Keilson programmatisch vertretene Chance der Identitätsreflexion – „eingelassen in aber auch wiederum losgelöst von zeitgebundenen politischen und sociokulturellen [sic] Zwängen“ –148 wurde in den 1980er Jahren vom Zentrum verworfen: Letztlich setzte sich in der Selbstdarstellung eher eine Wendung zu Legende und Reprise durch. Allerdings kam es unter Reinfranks Sekretariat, das auf der Unterstützung durch Karin Reinfrank-Clark beruhte, zunächst in einer Reihe von Problemen zu organisatorischen Lösungen: So wurden die Berichte dadurch verbessert, dass kontroverse Berichte z. B. über die Konfrontation zwischen Saul Bellow und Günter Grass 1986 auf dem internationalen Kongress in New York möglich149 oder Provokationen des Internationalen PEN, z. B. durch die Art der Stellungnahme zu Hermlins Vizepräsidentschaft, unmöglich wurden.150 Zur positiven Mitgliederentwicklung gehörte vor allem, dass prominente neue Mitglieder gewonnen werden konnten, wie z. B. 1982 Michel  R.  Lang und 1986 dessen Mitherausgeber des 1980 erschienenen Bandes Fremd im eigenen Land – Juden in der BRD, Henryk M. Broder, der sich folgendermaßen präsentierte: „Seit Mitte der siebziger Jahre Konzentration auf Widersprüche im politisch-moralischen Gebäude der ‚Neuen Linken‘ (‚Linke Tabus‘, 1976), das deutschjüdische Verhältnis und neue, ‚honorige‘ Formen des Antisemitismus.“151 Fritz Beer, Keilsons Nachfolger seit 1988, führte sich als Präsident des Zentrums ein, indem er Literatur programmatisch als machtfeindlich bestimmte;152 er bestimmte die Machtfeindlichkeit näher, als er sich gegen „falsch verstandene […] Duldung totalitärer Ansichten“ aussprach – anlässlich des Skandals um Francis King, den internationalen Präsidenten des PEN, der zu einer Ehrung des Nazi-Autors Hans Friedrich Blunck beigetragen hatte.153 Unter Rückgriff auf die Geschichte des Zentrums deutete Beer – auf der Jahrestagung des BRD-PEN im Mai 1989 – das Exil als Bewahrung der Menschlichkeit gegen die Macht, um zu verallgemeinern: Es gehört zum Wesen der Macht, auch der gutwilligen, daß sie immer entartet, sich ihren Zielen entfremdet und niemals abtreten will. Deshalb unterdrückt sie immer, korrumpiert und lügt sie. Vor allem lügt sie. Sie bedroht damit den Kern unserer Existenz als Schriftsteller: das klare, unzweideutige, ehrliche Wort der Wahrheit. Es kann daher, so glaube ich, nur ein korrektes Verhältnis des Schriftstellers zur Macht geben: Gegnerschaft. In seiner wichtigsten Funktion ist der Schriftsteller die Gegenpartei der Macht, auch der Macht, deren Ziele er gutheißt.154

148 Ebd., S. 5. 149 Berichte 5 (1986), S. 1f. 150 Berichte 4 (1989), S. 7. Vgl. Therese Hörnigk: Interview mit Stephan Hermlin am 30. 9. 1995 über die Geschichte des PEN nach 1945. In: Zeitschrift für Germanistik 7 (1997), S. 140–154, hier S. 153. 151 Berichte 1 (1987), S. 9. 152 Berichte 9 (1989), S. 12. 153 Berichte 1 (1989), S. 2. 154 Berichte 9 (1989), S. 12.

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Auf derselben Seite der Berichte, die Beers Programm druckten, fand sich der Hinweis auf das neue Mitglied Uwe Westphal, der ein Jahr später Sekretär des Zentrums werden sollte. Der Journalist wurde nicht nur als Kulturvermittler, sondern auch als Unterstützer von Exilforschungsprojekten155 und als Opfer von Antisemitismus in der Bundesrepublik eingeführt: „Der Autor eines Buches über die ‚Arisierung‘ der deutschen, besonders der Berliner Textilindustrie […] wurde derart von anonymen Telephonanrufen bedroht, daß er sich entschloß, Westberlin zu verlassen.“156 Als Sekretär erklärte Westphal zum Selbstverständnis des Zentrums einerseits die Prägung des Zentrums durch eine „ununterbrochene Reihe von jüdischen Exilierten des Nationalsozialismus“, andererseits wandte er sich gegen die Dominanz des „Bezug[s] auf Vergangenheit“.157 Westphal existentialisierte das Exil zu einem multikulturellen Nonkonformismus: „das Zwischen-den-Stühlen-Sitzen [sei] zu einer eigenen Kultur mit mehr positiven Komponenten geworden“, das ideale Mitglied des Zentrums „ein intellektueller Heimatloser mit globalem Nichtwohnsitz“.158 In Beers Ausführungen im gemeinsam mit Westphal herausgegebenen Band zur Selbstdarstellung des Zentrums Exil ohne Ende wurde der Begriff Nonkonformismus, der mit grundsätzlicher Gegnerschaft zur Macht gleichgesetzt wurde, politisch aufgeladen, indem sich Beer gegen „Illusionen“ in der und „Legenden“ über die Geschichte des Zentrums wandte. Was er stattdessen als Tatsachen und Wahrheit bot, waren Bewertungen, die darauf zielten, dem Zentrum eine privilegierte moralische Legitimation zur „Bereinigung der Vergangenheit in der DDR“ zuzuschreiben:159 Der Begriff „Nonkonformismus“ zerlegte den Antifaschismus der 1930er Jahre in zwei feindliche Seiten einer „ideologischen Kluft“;160 die Teilnahme am Kalten Krieg verwandelte sich „in eine[ ] privilegierte[ ] Position für die Beobachtung und Beurteilung der Ereignisse“, die „nicht immer voll genutzt“ worden wäre, weil man „auf dem linken Auge […] blind“ „[ge]blieben“ wäre.161 Westphals multikulturell und Beers antitotalitär akzentuierter Nonkonformismus schrieb die beiden Varianten des Selbstverständnisses des Zentrums fort, die Kulturvermittlung wie die Repräsentanz, die Keilson 1985 problematisiert hatte, indem er auf die Reflexion von Identität in sich wandelnden historisch-gesellschaftlichen Kontexten orientiert hatte. Routine zeigte sich in den Formulierungen, als erstmals 1984 das eigene Jubiläum zum Gegenstand eines „press release“ gemacht wurde – den Anlass bot der interna-

155 Berichte 1 (1990), S. 7. 156 Berichte 4 (1989), S. 7. 157 Uwe Westphal und Fritz Beer (Hrsg.): Exil ohne Ende. Das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Essays Biographien Materialien. Gerlingen: Bleicher 1994, S. 40. 158 Westphal und Beer (Hrsg.): Exil ohne Ende, S. 66. 159 Ebd., S. 31. 160 Ebd., S. 27. 161 Ebd., S. 29.



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tionale Kongress in Tokio: „Our history is our message. And that message concerns us all. The same dark forces […] are at work again.“162 Die Förderung des Zentrums durch Institutionen der auswärtigen Kulturpolitik der BRD, das Goethe-Institut und das Deutsche Historische Institut, machte die Durchführung von zwei Tagungen zur Geschichte des Zentrums möglich, deren Symbolik durch die dritte Tagung, die 1997 in Jena stattfand, offenkundig wurde: Das Londoner Symposium von 1982 und das New Yorker von 1985 beglaubigten eine Verwestlichung deutscher Literatur, die 1997 in Jena als Zusammenschluss von DDR-Dissidenz und Exil-Nonkonformismus gefeiert werden konnte. Über das Jenaer Colloquium ‚Literatur und Diktatur‘ berichtete die Frankfurter Rundschau: Der zeremoniöse Auftakt galt einer unkonventionellen Persönlichkeit. Fritz Beer, langjähriger Präsident des deutschen Exil-PEN in London […], wurde zum Ehrenmitglied des ‚Collegium Europaeum Jenense‘ [CEJ] ernannt, einer nach der Wende gegründeten, universitätsnahen Vereinigung, hervorgegangen aus Widerstandszirkeln zu DDR-Zeiten […]. Seit 1993 veranstaltet das CEJ die internationalen Poetik-Vorlesungen ‚Literatur zur Beförderung der Humanität‘, die wiederum von der Heinrich-Böll-Stiftung finanziert werden. […] Es trafen sich in Jena […] die Gegner jener Vereinigungspolitik, die in beiden [west- und ostdeutschen] PENs und im VS mittlerweile eine Mehrheit hat.163

Der Londoner PEN, der „DDR-Exilierten und BRD-PEN-Verrätern Unterschlupf bietet“ und „der seinerseits noch vom Ruhm des Exil-PEN zehrt“, sei „zum erstenmal im Vaterland mit Nachdruck“ aufgetreten.164 Seit der Bindung des Zentrums an den Bleicher Verlag, Gerlingen, war die Häufigkeit, mit der Publikationen die Aktivität des Zentrums dokumentierten, stark angestiegen. Wenn zwischen Tergits „Autobiographien“ in der Regel Jahrzehnte gelegen hatten, so erschienen 1986, 1988, 1990 und 1994 in wesentlich rascherer Folge Selbstdarstellungen des Zentrums – nicht nur in autobiographisch-bibliographischer, sondern auch in Form von Anthologien. 1986 gab Karin Reinfrank-Clark die von Tergit begründete Form von Selbstdarstellungen unter dem Titel Ach, Sie schreiben deutsch? Biographien deutschsprachiger Schriftsteller des Auslands-PEN heraus; 1988 folgten Arno Reinfranks Anthologie von Gedichten Zehn Takte Weltmusik und 1990 Ilse R. Wolffs Prosaanthologie Doch die Sprache bleibt …; 1994 gaben Westphal und Beer Essays Biographien Materialien heraus. 1990 waren von den 45 Beiträgern der Prosaanthologie Ilse R. Wolffs 20 Prozent Germanistikprofessoren, die damit nach den fest angestellten Journalisten und vor den Verlegern und Lektoren eine der größten Berufsgruppen bildeten. Larsen beschreibt in seiner Tergit-Biographie die Entscheidung, unter den Auslandsgermanisten Mitglieder zu werben, als eine „neue Epoche“ des Zentrums: „Später entschloß 162 Egon Larsen: Textvorschlag für die Ansprache unseres Delegierten auf dem Kongress [1984]. DEA, EB 88/159. 163 Frankfurter Rundschau, 18. 11. 1997. 164 Ebd.

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man sich, […] aus den Reihen der zumeist jüngeren Germanisten, die starkes Interesse an deutscher Literatur hatten, neue Mitglieder aufzunehmen; Tergits eifrigster Helfer bei dieser Aktion – und schließlich ihr Nachfolger war der Pfälzer Dichter Arno Reinfrank, unterstützt von seiner Gattin Karin“.165 Der Vergleich des Anteils der Germanisten an der Mitgliedschaft über die Nachkriegsjahrzehnte erlaubt von einer de facto-Akademisierung des Zentrums zu sprechen, die in den 1970er Jahren mit vereinzelten Eintritten begann und in den 1980er Jahren zu einer Welle wurde. Wenn zwischen 1970 bis 1977 die folgenden Germanistikprofessoren eingetreten waren: Peter Demetz, Martha Mierendorff, Guy Stern, und Berendsohn als „Vater unserer Exilforschung“ 1972 Ehrenmitglied geworden war,166 so wuchs die Zahl der Germanisten bis 1986 erheblich: Peter Beicken, Edward Dvoretzky, Richard Exner, Uwe K. Faulhaber, Manfred Jurgensen, Lisa Kahn, Margarita Pazi, Helmut F. Pfanner, Joseph Strelka, Carsten Peter Thiede.

6 Beitrag zur Wiedervereinigungsdebatte der deutschen PEN-Zentren Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Jahre 1990 warf auch die Frage einer ‚Vereinigung‘ der beiden deutschen PEN-Zentren auf. In den heftigen Auseinandersetzungen, die dem ersten Kongress des „geeinten deutschen P.E.N.“167 im Oktober 1998 vorangingen, spielte das Londoner Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland eine Rolle, die sowohl sein zeitweiliges Ende, die Auflösung durch seinen Präsidenten Fritz Beer im Januar 2002, vorwegnahm als auch die Veränderungen, mit denen ein nicht mehr in London basiertes Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland vom Internationalen PEN im November 2003 wieder zugelassen wurde. Nachdem der Internationale PEN „gleich nach der staatlichen Vereinigung die beiden Gruppen in Deutschland aufgerufen hatte, ‚sich zu vereinigen‘“168, traf sich 1991 ein Koordinierungsausschuss der drei ‚deutschen‘ Zentren – ein Treffen, auf das keine weiteren folgten. Während der BRD-Generalsekretär Hanns Werner Schwarze für sein PEN-Zentrum erklärt hatte: „Der bundesdeutsche PEN dürfe weder ‚Spruchkammer noch Sittenrichter‘ werden. Marxisten und Kommunisten habe es immer gegeben im deutschen PEN, und der bundesdeutsche Club habe stets gegen einen Radikalenerlaß gekämpft“,169 hatte Beer von jedem ‚Marxisten und Kommunisten‘ 165 Larsen: Die Welt der Gabriele Tergit, S. 116. 166 Berichte 10 (1974), S. 2. 167 Christa Dericum: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. Zentrum Deutschland: Autorenlexikon 2000/2001. Redaktion Sven Hanuschek. Wuppertal: Peter Hammer 2000, S. 12–31, hier S. 31. 168 Dericum: Aus der Geschichte, S. 27. 169 Jutta Lemmer: Spitzel und Opfer unter einem Dach. In: Volksblatt (Berlin), 9. 6. 1990.



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gefordert, öffentlich mit der eigenen Vergangenheit abzurechnen: „Historische Irrtümer verjähren niemals. Sie können niemals gelöscht, nur durch eine neue Einsicht und Entwicklung überwunden werden.“170 Im Bericht des Londoner Zentrums über das Treffen des Koordinationsausschusses wurde behauptet, „Beers Diskussionsbeitrag wurde als eine Art Grundlagenprogramm fuer die Arbeit des Koordinierungsausschusses angenommen“,171 als aus der ‚Prägung‘ durch „zwei Lebenserfahrungen […]: der Vernichtung der Meinungsfreiheit unter dem Nazismus und Kommunismus“ folgende ‚Verpflichtung‘.172 Im Spiegel entdeckte Ralph Giordano „die trauerunfähige Linke“ als „ziemlich lebendig, eingenistet in mancherlei Organisationen, publizistischen und schriftstellerischen Verbänden, nicht zuletzt im PEN, Ost und West“,173 und wies seine „biographische Legitimation für diesen Kahlschlag wider die trauerunfähige Linke Deutschlands“174 vor, seinen Bruch mit dem eigenen Stalinismus, um sich zugleich „inmitten jener streitbaren Phalanx“ zu verorten, „in der ich auch Günter Kunert sehe und Wolf Biermann, Jürgen Fuchs, Freya Klier, Hans Joachim Schädlich, Erich Loest, Helga Schubert, Chaim Noll […] (und von denen etliche […] einst ebenfalls im Irrtum des Stalinismus verfangen waren). Das ist meine, Deutschlands trauerfähige Linke.“175 Chaim Noll war der erste aus dieser ‚streitbaren Phalanx‘, der Mitglied des Londoner Zentrums wurde. Beer hielt im Januar 1995 das Hauptreferat auf einer Tagung des (1992 gegründeten) „Autorenkreises“ bei der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema „Exilanten, Dissidenten und der deutsche Pragmatismus“. Der Berichterstatter des Tagesspiegel hielt fest, dass sich die Diskutanten an die von Beer „vorgegebene Linie“ „hielten“, als sie „zusammen[trugen], was sie als argumentatives Rüstzeug verwenden können bei der bevorstehenden Generalversammlung der verschiedenen PEN-Zentren im Mai, wenn über den Modus der Zusammenlegung von Ost- und West-PEN abgestimmt werden soll“.176 Beers Gleichsetzung von Exil aus Nazi-Deutschland und Übersiedlung von Dissidenten aus der DDR in die BRD begründete die „[e]inhellig[e]“ „Meinung, der Ost-P.E.N. als Institution eines totalitären Regimes dürfe keineswegs mir nichts, dir nichts in einen gesamtdeutschen PEN aufgenommen werden“.177 Die Autoren, mit denen der Präsident des Londoner Zentrums im Rahmen einer parteinahen Stiftung 170 Fritz Beer: Zur Debatte im Koordinationsausschuß West-Ost PEN ([29.]4. 1991) (Typoskript ohne Seitenzählung), [S. 4]. 171 Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland: Bericht Mai 1991, S. 3. 172 Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland: Bericht Mai 1991, S. 2f. Vgl. Dorothée Bores: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951–1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010, S. 897–899. 173 Ralph Giordano: Die trauerunfähige Linke. In: europäische ideen 127 (2003), S. 13. Zuerst erschienen in: Der Spiegel, 16. 3. 1992. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Tilman Krause: Pragmatisch gewitzt, exulantisch getrieben. Der „Autorenkreis“ beratschlagt über Verhinderung der PEN-Fusion. In: Der Tagesspiegel (Berlin), 24. 1. 1995. 177 Ebd.

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„über Verhinderung der PEN-Fusion“ „beratschlagt[e]“,178 gehörten zu den beiden Gruppen im BRD-Zentrum, deren Stimme von den Medien in den Monaten vor der Mainzer Tagung immer vernehmbarer gemacht wurde, um – so Iris Radisch in der Zeit – den Ost-PEN „dahin“ ‚verschwinden‘ zu lassen, „wohin er bis heute gehört: in den Orkus“:179 Hans Joachim Schädlich und Freya Klier zu den „ehemaligen Dissidenten der DDR“, Peter Schneider und F. C. Delius zu den „ehemalige[n] Linke[n]“ der BRD.180 Nachdem in Mainz ein „Abbruch der offiziellen Beziehungen zum PEN-Ost“ beschlossen worden war,181 zeigte sich eine Spaltung der Mitgliedschaft in Austritten aus dem BRD-Zentrum in zweierlei Richtung: Auf der einen Seite traten Autoren wie Reinhard Lettau aus „Protest gegen den im West-PEN verbreiteten Unwillen, die Frage der Vereinigung auch nur zu diskutieren“ in den Ost-PEN über,182 auf der anderen Seite eröffnete Jürgen Fuchs die Reihe derer, die dem – in diesen Debatten meist falsch, aber symbolisch korrekt „Exil-PEN“ genannten – Londoner Zentrum beitraten: Der Name „untermauert […] sinnfällig die symbolische Gleichsetzung der Opfer von einst und heute“.183 Ingrid Bachérs „Konfrontationskurs“ gegen „vereinigungssüchtige“ Mitglieder184 wurde von der überregionalen Presse durch den Abdruck von Artikeln der Ex-Dissidenten und Ex-Linksradikalen gestützt. Lutz Rathenow etwa erklärte den Ost-PEN für „unnütz“ und verwies stattdessen auf das Londoner Zentrum: „wenn es überhaupt um eine Vereinigung geht, […] müßte der Londoner Exil-PEN mit einbezogen werden, in dem sich momentan mehrere jüngere DDR-Autoren, auch andere, eingefunden haben, ehemalige Dissidenten, die gar nicht mehr bei den beiden deutschen PENs Mitglied sind“.185 In der Bertelsmann-Vortragsreihe „Zur Sache: Deutschland“ begründete Fritz Beer in Dresden im Februar 1996 seine Autorität in der Vereinigungsdebatte: Nach Kriegsende und nach der Wende wartete ich […] auf einen Prozeß der Läuterung und Sühne in dem Land, mit dem ich so untrennbar verstrickt bin. […] Ich habe einen Anspruch auf diesen Prozeß der Läuterung und Sühne in Deutschland. Denn ich habe als freiwilliger Soldat fünf Jahre lang ein Gewehr gegen das Dritte Reich getragen. Ich war ein winzig kleines Element in der Kraft,

178 Ebd. 179 Iris Radisch: Plem-PEN oder was? Deutsch-deutscher Kleinkrieg im Club der großen Geister. In: Die Zeit vom 19. 5. 1995. 180 Jörg Magenau: Das Wiederkäuen der Elche. Zur Jahrestagung des westdeutschen PEN-Zentrums in Mainz. In: Freitag, 26. 5. 1995. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Ebd. 184 Helmut Schmitz: Morgengabe im Abendlicht. Das Präsidium des westdeutschen PEN bringt ein Damenopfer. In: Frankfurter Rundschau, 15. 10. 1996. 185 Auszüge aus dem NDR III-„Talk vor Mitternacht“ am 25. 11. 1996 in: Zu Protokoll. In: Konkret 1 (1997), S. 51–53, hier S. 52. Teilnehmer waren außer Karl Otto Conrady u. a. Joachim Walther, Ralph Giordano und Lutz Rathenow.



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die Licht in die deutsche Nacht brachte. Das gab mir das Recht, auf einen neuen Tag in Deutschland zu hoffen.186

1997, als nach der Abwahl Bachérs und der Wahl Karl Otto Conradys, wie Ralph Giordano in einem Offenen Brief formulierte, nach „dem Wege zu einer möglichst schmerzlosen Vereinigung des PEN-West mit dem PEN-Ost“187 gesucht wurde, warf er dem BRD-Präsidium eine „feindselige Einstellung zu den DDR-Dissidenten“ vor: „Wie leichtfertig wird in diesem PEN eigentlich umgegangen mit den höchst bedenkenswerten Austrittsmotiven solcher einstigen Mitglieder wie Günter Kunert, Herta Müller, Hans Joachim Schädlich, Reiner Kunze, Sarah Kirsch“.188 Giordano stellte hierin „Deutschland[s] ungute Kontinuitäten“ fest, ein „unsägliche[s] Kondensat aus TäterAffinität bei gleichzeitig klar erkennbarer Sympathie- und Verständnisabstinenz gegenüber ihren Opfern“189, denen er das Londoner ‚Exil‘-Zentrum entgegensetzte: „Mit Gesinnungen wie diesen kann es Mitgliedschaft in einem PEN nicht mehr geben, es sei denn, ich verriete alle meine mühsam erkämpften und erlittenen Lebenskriterien. […] PEN-Mitglied bleibe ich aber auch weiterhin – unter dem ehrenvollen Dach des Londoner Exil-PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, mit seinem Präsidenten Fritz Beer.“190 Jürgen Fuchs schloss sich Giordanos Protest an, indem er dessen Autorität „als Holocaust-Überlebender und von stalinistischer Willkür Betroffener“ ausdrücklich benannte: „Was ist geschehen, daß ein solcher Schriftsteller […] so argumentieren muß?“191 Der Präsident und der Sekretär des Londoner Zentrums entsprachen der Hoffnung, die Fuchs formulierte: „Ein Glück, daß es noch das Londoner Zentrum gibt.“192 Beer und Westphal sagten nämlich die Teilnahme am BRD-PEN-Symposium über ‚Verlegen im Exil‘, zu dem sie nach Bremerhaven eingeladen waren, mit einer Begründung ab, die indirekt aus Giordanos Offenem Brief zitierte und die antitotalitaristische Argumentation von Fuchs unter Berufung auf die Geschichte des Londoner Zentrums verschärfte: Die infamen Anschuldigungen gegen die dissidenten DDR-Schriftsteller und die Verfälschung der literarischen Nachkriegsgeschichte in beiden Teilen Deutschlands drücken den gleichen Ungeist aus wie die Verfolgung und Vertreibung vieler unserer Vorkriegsmitglieder durch die

186 Fritz Beer: Heimat, Exil, Sprache. Ein Vortrag. Berlin: europäische ideen Sonderheft 10 (1996), S. 11f. 187 Ralph Giordano: Ich trete aus. In: europäische ideen 104 (1997), S. 20–25, hier S. 20. 188 Ebd. 189 Ebd. 190 Ebd., S. 21. 191 Jürgen Fuchs an Karl Otto Conrady. In: europäische ideen 104 (1997), S. 22. 192 Ebd.

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Nazis. Wer zu dieser Diffamierung und Schuldverdrängung schweigt, hat das moralische Recht verwirkt, sich zur deutschen Exilliteratur zu äußern.193

Als Beer 1997 in Jena geehrt wurde, lautete die Begründung: Während Ihrer Präsidentschaft, hochverehrter Fritz Beer, ist der ‚Internationale [sic] P.E.N. deutschsprachiger Autoren‘ [sic] seit 1994/95 […] zu einem Dach gemeinsamer Gesinnung für jene Schriftsteller geworden, die von der sozialistischen Diktatur, vor allem in der DDR der siebziger und achtziger Jahre, ausgestoßen wurden und welche mit gerechtem Zorn und mit Enttäuschung erleben mußten, […] welch merkwürdige, suspekte Ost-West-Kumpaneien quasikonspirativ – oder auch ganz offen – sich mit allen Mitteln gegen Vergangenheitsklärung und -bewältigung zur Wehr setzen. Was wir hier in Deutschland an Würdelosigkeit und Lüge in dieser Hinsicht seit längerem erleben müssen, ist ein schlimmer Beweis für das mentale Fortwirken der Diktatur mitten in einer durch Aushöhlung gefährdeten Demokratie.194

7 Neuorganisation des PEN-Zentrums im Ausland lebender deutscher Autoren   Nachdem – fast vier Jahre nach der nicht verhinderten Vereinigung der Zentren BRD und Ost – im Januar 2002 der Präsident und der Sekretär das Zentrum in London „aufgelöst“ hatten, mit der lapidaren Begründung: „eine Mitglieder-Befragung über das Weiterbestehen […] sei […] auf wenig Resonanz gestoßen“,195gewannen zwei in den USA lebende Mitglieder des letzten Vorstands, Erich Wolfgang Skwara und Aliana Brodmann von Richthofen, die Unterstützung weiterer Mitglieder, um beim Internationalen PEN zu erreichen, dass das Zentrum zunächst, im September 2002, für ruhend und dann vom internationalen Kongress in Mexiko City im November 2003 wieder für aktiv erklärt wurde; der Internationale PEN hatte „den im Ausland lebenden deutschen Autoren ein Jahr Zeit“ gegeben, „ihr Zentrum neu zu organisieren“.196 Nach heftigen Konflikten im Jahr 2004 über eine geplante Anthologie zum siebzigjährigen Bestehen des Zentrums – die erst im Dezember 2005 erscheinen sollte –197 und über Satzungsänderungen bis zu einem Prozess über die Wahl des Präsidenten wurde 193 Fritz Beer und Uwe Westphal: Erklärung des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, London. In: europäische ideen 104 (1997), S. 24. 194 Edwin Kratschmer (Hrsg.): Collegium Europaeum Jenense: Poesie und Erinnerung. Internationale Poetik-Vorlesungen „Zur Beförderung der Humanität“ 1993–1998. Jena: Palm und Enke 1998, S. 31. 195 Fachdienst Germanistik 3 (2002), S. 2. 196 Chaim Noll: Exil als geistige Dimension. Das P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Ein Essay. Verfügbar unter URL: http://www.exilpen.de/ Texte/noll_text.html (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013). 197 Chaim Noll (Hrsg.): Offene Fragen. 70 Jahre P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Eine Anthologie. Heidelberg: Synchron 2005.



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Günter Kunert im Oktober 2005 zum Präsidenten erklärt. Der Sekretär Chaim Noll bestimmte die Aufgabe des Zentrums, indem er den Präsidenten zitierte: „Gedächtnishilfe und Gedächtnisstütze“ solle das Zentrum sein, denn Kunert, der zweimal unter deutschen Diktaturen zu leiden hatte, als Sohn einer jüdischen Mutter in der NS-Zeit, als kritischer Schriftsteller in der DDR, empfindet ‚Gedächtnishilfe‘ nicht als Gefahr, sondern immer neuen Stimulus zum Schreiben. Hierin sind sich, trotz der geographischen Verstreuung über die Erdteile, auch die anderen Mitglieder des Zentrums einig. Erinnerung, Besinnung, Bewältigung verstehen wir als wesentliches Motiv literarischer Arbeit.198

Dem neuen Vorstand gehörte kein in Großbritannien, geschweige in London lebendes Mitglied mehr an: Der Präsident lebte in der BRD wie die Beisitzer Peter Finkelgruen und Freya Klier, der Sekretär Chaim Noll in Israel, Schatzmeister Fred Viebahn in den USA wie der Beisitzer Guy Stern, zwei weitere Beisitzer, Gabrielle Alioth und HansChristian Oeser, in Irland. Auf diese Länder verteilten sich auch die Mitglieder, unter denen die Germanisten die größte Gruppe ausmachten (sechs in den USA, zwei in Neuseeland und einer in der BRD). Sie übertraf numerisch sowohl die der aus der DDR in die BRD übergesiedelten Schriftsteller: Barbara Honigmann, Klier, Kunert, Noll, Rathenow, Dieter Schlesak, von denen die meisten (bis auf Honigmann und Noll) in der BRD lebten, als auch die der fest angestellten, leitenden Journalisten; zu dieser Gruppe gehörten der Spiegel-Mitarbeiter Broder, der Redakteur der ‚Deutschen Welle‘ Finkelgruen, der Feuilleton-Redakteur der Welt Lothar Schmidt-Mühlisch. Von den 36 Mitgliedern, die sich auf der im Dezember 2005 eingerichteten Website des Zentrums vorstellten,199 lebten nur zwei in Großbritannien. Das 2009 publizierte Verzeichnis der Mitglieder lokalisiert sie in vierzehn Ländern, von Neuseeland bis Jamaika, aber fast die Hälfte, nämlich 38 von 83, als in der BRD lebend; in Großbritannien nur noch eins, in der Schweiz drei, in Israel zwei und in den USA dreizehn.200 Der Name der Website „Exil-P.E.N.“ wurde in den folgenden Jahren, in denen die Mitgliederzahl im Jahr 2013 auf 90 stieg, in einer Weise gedeutet, die gegen den beibehaltenen offiziellen Namen ‚Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland‘ die Mitgliedschaft von in der BRD – und nicht im Ausland – lebenden Autoren ebenso legitimierte wie die im Wesentlichen Online-Existenz des Zentrums: „An Stelle einer 198 Chaim Noll: Exil als geistige Dimension. Das P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Ein Essay. Verfügbar unter URL: http://www.exilpen.de/ Texte/noll_text.html (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013). 199 Vgl. Mitgliederliste verfügbar unter URL: http://www.exilpen.net/index. php?id=220 (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013). Von ihnen waren 8 bereits 1986 Mitglied (Koschel, Niers, Scharpenberg, Schlesak, Schneeweiss, Stern, Viebahn, Weidenbaum) und 12 weitere wurden bis 1994 Mitglied (Alioth, Brodman, Finkelgruen, Stephen Frowen, Grimm, Honigmann, Leippi [Ps. Rachel Abraham], Marti, Noll, Oeser, Reiter, Schnauber). Vgl. Reinfrank-Clark (Hrsg.): Ach, Sie schreiben deutsch?; Westphal und Beer (Hrsg.): Exil ohne Ende. 200 Gabrielle Alioth und Hans-Christian Oeser (Hrsg.): Nachgetragenes. 75 Jahre PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Heidelberg: Synchron 2009, S. 249f.

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früher erzwungenen Lebensform Exil ist es in unserem Fall eine selbstgewählte Abwesenheit, der oftmals innere Entfremdung voranging, ein Gefühl der Unverträglichkeit, eine Abwendung. […] In einer mobilen, elektronisch vernetzten Welt wird Exil zu einer vielerorts denkbaren Lebensform“, zitierte 2006 Präsident Kunert den Sekretär Noll,201 der 2007 entsprechend begründete, weshalb der Vorstand die Satzungsbedingung ‚außerhalb Deutschland‘ „vor einiger Zeit fallen“ gelassen habe: „Wir fanden, daß es auch innerhalb Deutschlands Exil und Exil-Erfahrung gibt, zum Beispiel für Autoren, die aus der DDR in den Westen Deutschlands gingen oder aus Osteuropa nach Deutschland, auch bei ausländischen Immigranten, die nach Deutschland eingewandert sind und dort deutsch zu schreiben begannen.“202 Zugleich aber protestierte das Zentrum unter dem Namen „Exil-P.E.N.“ z. B. gegen die „Usurpatoren“, so die Presseerklärung Kunerts vom 21. 8. 2011, des PEN-Zentrums Deutschland, als dieses eine Ausstellung „P.E.N. – die internationale Schriftstellervereinigung, ihre deutsche Geschichte, ihre Aufgaben“ zeigte: „Der heutige Deutsche PEN ist eine Neugründung von 1948 und keineswegs der legitime Erbe des Exil-PEN. Im Namen dessen protestiere ich gegen die Enteignung unserer Geschichte und ihre Falsifizierung.“203 Der von Peter Finkelgruen in einem „Offenen Brief an den Generalsekretär des Deutschen PEN“ erhobene Vorwurf „eine[s] auffälligen Mangel[s] an Takt und Fingerspitzengefühl gegenüber Überlebenden der Verfolgung und des Exils“204 wurde in Ralph Giordanos „Stellungnahme zum Deutschen PEN“ begründet: „Kein Wunder, denn die im Exil-PEN zusammengeschlossenen Schriftsteller fordern eine tabulose Aufklärung des 1948 neu gegründeten deutschen PEN. Eine Forderung, die sich nicht vereinbaren läßt mit der Schmerzlosigkeit, mit der der bundesdeutsche PEN-West und der Ulbricht- und Honecker-hörige PEN-Ost 1998 zusammengeführt worden sind. Eine Schmusekursphilosophie, die zu einem wahren Exodus bekannter Schriftsteller aus dem amalgamierten Deutschen PEN führte.“205

201 PENinfo 2 (2007), S. 5. 202 Ebd., S. 9. 203 Günter Kunert: 22.  August 2011: Usurpatoren. Verfügbar unter URL: http://www.exilpen.net/ neuigkeiten/presse/110822-kunert.html (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013). 204 Peter Finkelgruen: Offener Brief an den Generalsekretär des Deutschen PEN. Verfügbar unter URL: http://www.exilpen.net/neuigkeiten/presse/ 110827_pf-an-hw.html (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013). 205 Ralph Giordano: Stellungnahme zum deutschen PEN. Verfügbar unter URL: http://www.exilpen. net/neuigkeiten/presse/110825-giordano.html (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013).



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Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen AdK Berlin, Bestand Alfred Kerr; Bestand Hans José Rehfisch. DEA, EB 75/177; EB 77/27; EB 88/159; EB 95/208. DLA, A: Adler; A: George; A: Maass; A: Pinthus; A: Viertel.

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Alioth, Gabrielle und Hans-Christian Oeser (Hrsg.): Nachgetragenes. 75 Jahre P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Heidelberg: Synchron 2009. Beer, Fritz: Hast du auf Deutsche geschossen, Grandpa? Berlin und Weimar: Aufbau 1994. – und Uwe Westphal: Erklärung des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, London. In: europäische ideen 104 (1997), S. 24. Berendsohn, Walter A.: Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur. Zweiter Teil: Vom Kriegsausbruch 1939 bis Ende 1946. Worms: Heintz 1978. Berghahn, Marion: Continental Britons: German-Jewish Refugees from Nazi Germany. 2. Aufl. Oxford, New York und Hamburg: Berg 1988. Bores, Dorothée: Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951–1998. Ein Werkzeug der Diktatur? Berlin und New York: de Gruyter 2010 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 121). Clemens, Gabriele: Die britische Kulturpolitik in Deutschland: Musik, Theater, Film und Literatur. In: G. C. (Hrsg.): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945–1949. Stuttgart: Steiner 1994, S. 200–218. Der deutsche PEN-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: BuchhändlerVereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Dericum, Christa: Aus der Geschichte des deutschen P.E.N. In: P.E.N. Zentrum Deutschland: Autorenlexikon 2000/2001. Redaktion Sven Hanuschek. Wuppertal: Peter Hammer 2000, S. 12–31. Drewitz, Ingeborg: Die zerstörte Kontinuität. Exilliteratur und Literatur des Widerstandes. Wien, München und Zürich: Europa 1981. Drews, Richard und Alfred Kantorowicz (Hrsg.): Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt. Neu hrsg. mit einem Vorwort von Helmut Kindler und einem Nachwort von Walter Jens. München: Kindler 1983. Eckert, Brita: 35 Jahre Exilliteratur 1933–1945 in der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ein Beitrag zur Geschichte der Exilforschung in der Bundesrepublik Deutschland. Für Werner Berthold zum 31. März 1984. Frankfurt am Main: Deutsche Bibliothek 1984 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 13). Finkelgruen, Peter: Offener Brief an den Generalsekretär des Deutschen PEN. Verfügbar unter URL: http://www.exilpen.net/neuigkeiten/presse/110827_pf-an-hw.html (Letzter Zugriff: 3. 5. 2013). Fladung, Hans: Erfahrungen. Vom Kaiserreich zur Bundesrepublik. Frankfurt am Main: Röderberg 1986. Foitzik, Jan: Politische Probleme der Remigration. In: Exilforschung 9 (1991), S. 104–114. Fraenkel, Heinrich: Lebewohl, Deutschland. Hannover: Verlag für Literatur und Zeitgeschichte 1960. Friedmann, Hermann: Sinnvolle Odyssee. Geschichte eines Lebens und einer Zeit. 1873–1950. München: Beck 1950.

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Wolfgang Schlott

Vom Exil-PEN-Club zum Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder1 56 Jahre Engagement für emigrierte Autoren und Journalisten

1 Zur Vorgeschichte des Zentrums Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder Zu Beginn der 1950er Jahre war nach heftigen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den Ost- und Westmitgliedern des PEN-Zentrums Deutschland auf der Düsseldorfer Tagung im Oktober 1951 die Trennung vollzogen worden. Die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen beiden Gruppen waren entstanden, weil sich auf bundesdeutscher Seite die Aktivitäten auf die schwierige Aufarbeitung des unheilvollen Erbes der nationalsozialistischen Herrschaft und die Herstellung von demokratischen Prinzipien konzentrierten. Im Unterschied zu diesen pluralistisch orientierten Bemühungen um rechtsstaatliche Rahmenbedingungen ihrer Schriftstellervereinigung litt die unter Aufsicht der SED tätige DDR-Gruppe unter den Auswirkungen der stalinistischen Kulturpolitik.2 Die voneinander getrennten PEN-Organisationen befanden sich in den frühen 1950er Jahren ständig unter dem Druck, sich innerhalb des Internationalen PEN demokratisch zu legitimieren.3 Während es in diesen Positionskämpfen bis 1951 vor allem um innerdeutsche, von der Politik der Besatzungsmächte beeinflusste Konflikte ging, zeichneten sich Ende des Jahres 1952 die ersten Spuren der mahnenden Erinnerung an jene Emigranten ab, die nach 1933 aus Deutschland flüchten mussten.4 Viele zwangsemigrierte Autoren hatten in dem 1933 in Edinburg gegründeten, im selben Jahr in London etablierten Deutschen PEN-Club im Ausland eine literarische Heimstätte gefunden. Dieses 1 Zwischen 1956 und 1998 existierte die Vereinigung des Exil-PEN-Clubs als Assoziation von Schriftstellern, die auf der Flucht vor kommunistischen Diktaturen in der Bundesrepublik Deutschland eine Heimstätte fanden. Mit der Annahme einer Satzung im Dezember 1998 erhielt der Exil-PEN-Club die offiziellen Bezeichnungen Internationaler PEN Zentrum Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder und Vereinigung der Freunde im PEN-Zentrum Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder. Anerkannt als gemeinnütziger Verein trägt er den Kurztitel Exil-PEN e. V. (Vgl. Anm. 29). 2 Vgl. Sven Hanuschek: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums von 1951 bis 1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98), S. 31–43. 3 Vgl. ebd., S. 74–86. 4 Vgl. Herbert Nette. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. 12. 1952 unter Verweis auf Hanuschek: Geschichte, S. 85.



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Zentrum spielte unter der Bezeichnung PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland in der Nachkriegszeit bis zu seiner Auflösung im Jahre 2002 eine bedeutende Rolle für die emigrierten Schriftsteller und Schriftstellerinnen.5 Während sich diese Vereinigung für deutschsprachige Autoren engagierte, fanden viele der vor allem nach 1948 aus kommunistischen Staaten geflüchteten Schriftsteller und Journalisten im Internationalen PEN-Club Zuflucht. Dort etablierte sich zu Beginn der 1950er Jahre eine Gruppe von Exil-Autoren. Es war eine Organisation von Autoren aus 14 Nationen Ostmitteleuropas und der Iberischen Halbinsel, die in London entstand. Eine ihrer Initiatoren im Rahmen des Internationalen PEN war die renommierte polnische Schriftstellerin Maria Kuncewiczowa, die damals in Großbritannien lebte. Aufgrund ihrer Bemühungen wie auch dem Engagement von Autoren aus Ungarn, der Tschechoslowakei und den baltischen Ländern entstand das Centre for Writers in Exile. Es wurde auf dem Kongress des Internationalen PEN, der vom 22.–27. Juni 1951 in Lausanne zusammentrat, ins Leben gerufen.6

2 Auf informellem Feld: Der Exil-PEN zwischen 1956 und 1968 Dieses Centre for Writers in Exile diente als Vorbild für den zunächst losen Zusammenschluss der aus kommunistischen Staaten geflüchteten Schriftsteller und Journalisten, die in der Bundesrepublik Deutschland für sich und ihre schriftstellerische Arbeit ein dauerhaftes Asyl suchten. Insbesondere nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands durch die sowjetische Armee stieg im Jahr 1956 die Zahl der nach Deutschland geflohenen Schriftsteller aus dem Ostblock sprunghaft an. Mit der Namensgebung PEN-Zentrum der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder knüpfte man auch an Zielsetzungen des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland an. Doch im Gegensatz zu der wachsenden Gruppe der meist aus Großbritannien nach Deutschland zurückkehrenden Autoren, die wieder ihre Muttersprache als Grundlage für Verlagsveröffentlichungen nutzen konnten, musste ein beträchtlicher Teil der aus Osteuropa in die Bundesrepublik Deutschland geflüchteten Schriftsteller und Journalisten die deutsche Sprache erst erlernen. Für den ersten Präsidenten des 5 Vgl. Helmut Peitsch: „No Politics“? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933– 2002. Göttingen: V&R unipress 2006 (Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs 20). 6 Vgl. Mirosław A. Supruniak: Literatura wielu emigracji. Wstęp [Schrifttum aus vielen Emigrationen. Einleitung]. In: Archivum emigracji. Studia-Szkice-Dokumenty [Studien, Skizzen, Dokumente]. Toruń Heft I (10) 2009. Die Ausführungen auf der Homepage des Exil-PEN e. V., verfügbar unter URL: http:// www.exil-pen.net (Letzter Zugriff: 7. 11. 2013), sind dahingehend zu korrigieren, als der dort genannte Salvador de Madariaga y Rojo ein Mit-Initiator der Gründung des Centre for Writers in Exile war, aber nicht der Gründer des Exil-PEN-Clubs. Vgl. Karl Dedecius (Hrsg.): Porträts. Stichwort Maria Kuncewiczowa. Zürich: Ammann Verlag 2000 (Panorama der polnischen Literatur, IV Porträts), S. 451.

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Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder, Kasimir Geza Werner, galt eine solche Einschränkung jedoch nicht. Ihm gelang aufgrund seiner Mehrsprachigkeit und seiner frühen Vertrautheit mit der deutschen Sprache sehr rasch der Einstieg in eine künstlerische und literarische Karriere. Der am 29. März 1900 in Pankota, einer Kleinstadt im ungarischen Teil des Banats, geborene Werner, stammte aus einer so genannten volksdeutschen Familie. Er besuchte in Temeswar und Budapest ungarische Schulen, studierte Medizin in Budapest, schrieb als Assistenzarzt erste Opernlibrettos und arbeitete in den frühen 1920er Jahren als Dramaturg und Regisseur an verschiedenen deutschen und ungarischen Theatern. Nach seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland gab er zwischen 1935 und 1939 in Budapest mehrere Zeitschriften heraus und veröffentlichte Erzählbände. Er war jüdischer Abstammung und entging 1944, verfolgt von den ungarischen „Pfeilkreuzlern“, einer 1939 in Ungarn gegründeten nationalsozialistischen Partei, nur knapp der Deportation nach Auschwitz. Nach dem Zweitem Weltkrieg verbrachte er zehn Jahre in Israel, kehrte 1955 mit seiner Ehefrau nach Berlin zurück und übersiedelte aus gesundheitlichen Gründen zunächst nach Bad Nauheim, 1968 dann nach Darmstadt. Von dort aus lenkte er die Geschicke des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder. Obwohl er bereits 1956 als Präsident dieses Exil-PEN-Clubs fungierte, gibt es widersprüchliche Angaben über den institutionalisierten Beginn der Tätigkeit dieser Vereinigung, die zunächst über keine amtlich bestätigte Satzung verfügte.7 Bei der Vierzigjahrfeier des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder im Jahre 1996 in Wesseling bei Bonn, ging man, wie der Chronist Josef Walter König schrieb, von einer Gründung im Jahr 1956 aus.8 Da über die ersten Jahre der Vereinigung keine archivalischen Bestände existieren, ist zu vermuten, dass sich der literarische Freundeskreis in der nicht dokumentierten Interims-Periode sporadisch traf. Ein besonders eindrucksvolles literarisches Dokument der Aktivitäten war die 1970 veröffentliche Anthologie Literatur ohne Heimat.9 Sie vereinte renommierte und in Deutschland noch unbekannte Autoren aus drei Emigrationswellen, zu denen auch die nach der Niederschlagung der reformsozialistischen Bemühungen im August 1968 in Westeuropa Asyl suchenden Schriftsteller und Journalisten aus der Tschechoslowakei gehörten. Diese vorwiegend sozialistisch orientierten Intellektuellen, der zweite ‚Zusammenflug‘ (tschech. slet) nach 1945, wie Franz Peter Künzel sie in einer Besprechung der

7 Die Grundlagen für einen von einem deutschen Amtsgericht bestätigten und bei einem Finanzamt angemeldeten Verein wurden erst im April 1998 auf der Tagung in Bad Zwischenahn gelegt. Die Vorarbeiten für die Gründung eines Exil-PEN-Freundeskreises unter der Bezeichnung Exil-PEN e. V. leistete Boris Schapiro. Vgl. Josef Walter König: 1956–2006. Fünfzig Jahre „Zentrum Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder“. Donauwörth 2006 (Unveröffentlichte Chronik), S. 22. 8 Vgl. König: 1956–2006. 50 Jahre, S. 22. 9 Dichter ohne Heimat. Band I: Tschechische und slowakische Exilschriftsteller. Ausgewählt und herausgegeben von Antonín Kratochvil. Internationaler PEN-Club. München: Logos Verlag 1970.



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Anthologie charakterisierte,10 spiegelten die literarischen Strömungen und politischästhetischen Orientierungen in der Nachkriegsliteratur der Tschechoslowakei wider. Unter den für den Sammelband ausgewählten Autoren überwogen die Vertreter des Vorkriegs-Exils, so dass kein repräsentatives literarisches Spektrum der experimentell aufgeladenen 1960er Jahre vertreten war. Nach Kasimir Geza Werners erneuter Wahl zum Präsidenten im Jahr 1974 setzte sich der Vorstand des PEN-Zentrums der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder aus folgenden Funktionsträgern zusammen: Antonín Kratochvil und Gyula Borbandi wurden Vizepräsidenten, als Generalsekretär verpflichtete man Rudolf Ströbinger. Während über die vereinsspezifischen Aktivitäten keine Unterlagen zur Verfügung stehen, sind die literarischen Werke und kulturpolitischen Engagements von Kasimir Gesa Werner dokumentiert. In dieser Zeit schrieb er „ein Theaterstück, Novellen, Aphorismen, Reden für Kongresse, Resolutionen und Romane“11, darunter den Roman Nie wieder gestern (1970) und einen Erzählband mit dem Titel Spätlese (1975). Werner war oft Gast auf den Jahresversammlungen des bundesdeutschen PEN-Zentrums und beteiligte sich dort an den Diskussionen.12 Auch sein Engagement für in zahlreichen Diktaturen eingekerkerte Schriftsteller zeichnete ihn aus. Er ließ auf internationalen Kongressen Resolutionen unterschreiben. Für sein vorbildliches öffentliches Engagement erhielt er von der Stadt Darmstadt 1970 die Johann-HeinrichMerck-Ehrung, 1976 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse wie auch das Diplom der von der Akademie Française geförderten Kultur-Institution Arts-Sciences-Lettres. Das Land Hessen dankte ihm 1980 für seine Verdienste mit der Goethe-Plakette. Seit 1969 gehörte er dem Vorschlagsgremium für den Literaturnobelpreis an, eine Würdigung seiner Verdienste um den internationalen Literaturbetrieb und ein Privileg, das der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder auch noch nach 2010 genießt. 1976 stellte Kasimir Geza Werner sein Amt zur Verfügung. Er wurde zum Ehrenpräsidenten der Vereinigung exilierter Schriftsteller und Journalisten gewählt, mit Sitz und Stimme im neuen Präsidium.

10 Vgl. Franz Peter Künzel: Literatur im Exil. Eine Anthologie tschechischer und slowakischer Autoren. In: Süddeutsche Zeitung, 4./5. 4. 1970. 11 „Ein Nachwort von Margot Werner“. In: Kasimir Geza Werner: Meine Lüge ist die Wahrheit. Eine Autobiographie. Darmstadt: Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde 1986, S.  168. Vgl. auch Elisabeth Römer: Das Leben von zehn Menschen gelebt. In: K. G. W.: Meine Lüge, S. 179. Die Verfasserin der Erinnerungen an Kasimir Geza Werner erwähnt, dass dieser erst 1964 vom Internationalen PEN beauftragt wurde, eine deutsche Sektion des Exil-PEN zu gründen. 12 Vgl. Hanuschek: Geschichte, S. 234, 242, 246, 248.

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3 Aktivitäten im Umkreis des Deutschen PEN und eigene Initiativen Als Gabriel Laub im Jahr 1976 – nach einer kurzen Amtszeit der aus Lettland stammenden Zeltite Hesse (1925–1982) – zum Präsidenten des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder gewählt wurde, hatte sich der Satiriker und Erzähler in der bundesdeutschen Literaturöffentlichkeit bereits ein hohes Renommee verschafft. Er war nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Warschauer Paktstaaten in die Bundesrepublik Deutschland emigriert, weil er als engagierter Journalist und als Verteidiger des kommunistischen Reformkurses von Berufsverbot bedroht war. Seit 1969 in Hamburg lebend, fand er bald, nicht zuletzt auch aufgrund seiner rasch erlernten neuen Arbeitssprache, den Zugang zu anerkannten bundesdeutschen Verlagen. Mit Titeln wie Enthüllung des nackten Kaisers (1970), Ur-Laub zum Denken (1972), Verärgerte Logik (1974), Alle Macht den Spionen (1978), Der leicht gestörte Frieden. Von der hohen Kunst, einander die Köpfe einzuschlagen (1981) hatte er nicht nur den Nerv der bundesrepublikanischen Gesellschaft getroffen, sondern ihr in seinem satirischen Spiegelkabinett auch ein Bündel an Lächerlichkeit, Starrsinn und Kurzsichtigkeit um die Ohren geschlagen. Dabei lieferte er sich als bitterböser Verfasser von Aphorismen einer Öffentlichkeit aus, die danach strebte, ihr immer noch vorhandenes Obrigkeitsdenken in demokratische Bahnen zu lenken. Dass sie dieses satirische und aphoristische Angebot annahm, gehört zu den bemerkenswerten Erscheinungen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Mehr noch: dass ein polnischer Jude, der in seiner Kindheit in den frühen 1930er Jahren mit dem polnischen Antijudaismus konfrontiert wurde, mit seinen Eltern 1939 vor dem NS-Terror in die Sowjetunion flüchtete und nach seiner Rückkehr nach Polen im Jahr 1946 in die Tschechoslowakei auswanderte, diesen Lernprozess beförderte, verweist auf den mentalen Wandel einer Öffentlichkeit, die bis dato auch den kritischen Stimmen aus den kommunistischen Ländern misstraute. Sicherlich verfestigte sich das vertrauensvolle Verhältnis zu dem engagierten Verteidiger der Bürger- und Menschenrechte Gabriel Laub, als dieser gemeinsam mit François Cavanna und Art Buchwald für Shut up (1977), eine Aufsehen erregende Publikation der Organisation amnesty international, das Geleitwort schrieb: „Der Kampf für die Menschenrechte anderer ist keine Wohltätigkeit. Es ist Selbstverteidigung.“13 Dass aus dieser Verteidigung in eigener Sache eine öffentliche Angelegenheit wurde, verdeutlichte Gabriel Laub bereits im Herbst 1976 unmittelbar nach seiner Wahl zum Präsidenten des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder: Er protestierte gemeinsam mit hunderten deutscher Bürger gegen die willkürliche Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR. Ein herausragendes Ereignis seiner

13 Vgl. amnesty international: Shut up! Cartoons for Amnesty. Fünfzig Beiträge zum Thema ‚Freiheit oder Unterdrückung‘. Mit Geleitworten von Gabriel Laub, François Cabanna und Art Buchwald. Oldenburg: Stalling 1978.



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Amtszeit war die Tagung der internationalen PEN-Exekutive im Mai 1977 in Hamburg, die vom deutschen Exil-PEN vorbereitet wurde, wobei „die Hauptlast der Organisationsarbeit von Gabriel Laub und seiner Generalsekretärin Bettina Vadasi-Flinker zu tragen war.“14 Aus Anlass der Wahl der lettischen Lyrikerin Zeltite Hesse-Avotina zur neuen Präsidentin des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder auf dessen Jahrestagung vom 23.–25. April 1982 würdigte die überregionale Presse die schwierige Rolle der Vereinigung in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit.15 Zeltite Hesse, am 8. Februar 1925 in Riga geboren, emigrierte 1940 nach der Besetzung Lettlands durch die Rote Armee, lebte bis 1971 in Ostfriesland, veröffentlichte ihren ersten Roman 1963 in London auf Lettisch. Sie publizierte seit den späten 1970er Jahren eine Reihe von Gedichtbänden in deutscher Sprache, nachdem sie nach Bonn übersiedelt war. Ihr unerwartetes frühes Ableben am 5. August 1982 rief in der lettischen und deutschen Exil-Szene tiefe Trauer hervor, die der Vizepräsident Antonín Kratochvil in seinem Nachruf so zum Ausdruck brachte: „Ihre dichterische Stimme ist uns geblieben in ihren zeitlos gültigen Gedichten. […] Zeltite war eine Ruferin in der Wüste. Und was hätten wir nötiger als solche Stimmen?“16

4 Rudolf Ströbinger – Ein Präsident mit einem großen Aktivitätspotenzial Zwischen 1983 und 2005 leitete und lenkte der aus Südmähren stammende Rudolf Ströbinger die Geschicke des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder. Am 5. März 1931 in Mikulov/Nikolsburg als Sohn eines Lehrers geboren, begann er nach bestandenem Abitur bereits 1949 mit einer journalistischen Tätigkeit in der Regionalredaktion der Lidová demokracie, Zentralorgan der christlich orientierten Tschechoslowakischen Volkspartei. Nachdem er in die Hauptredaktion der Zeitung nach Prag berufen wurde, studierte er neben seiner Berufstätigkeit an der Karls-Universität Geschichte und Philosophie. In seiner Funktion als stellvertretender Chefredakteur engagierte er sich während des ‚Prager Frühlings‘ so stark für den Sozialismus mit menschlichem Antlitz, dass er nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Armeen der Warschauer Paktstaaten mit sofortiger Wirkung von seinem Amt suspendiert wurde. Er verließ im November 1968 mit seiner Familie die Tschechoslowakei und arbeitete seit 1969 als Leiter der Tschechoslowakischen Redaktion beim Rundfunksender Deut14 König: 1956–2006, 50 Jahre, S. 16. 15 Vgl. Andreas Wild: Viel Beifall für die „Solidarität“. Tagung des Exil-PEN in Königswinter bei Bonn. In: Die Welt, 27. 4. 1982; Hans-Peter Riese: Literatur für eine Generation. Der Exil-PEN traf sich in Bonn. In: Die Zeit, 30. 4. 1982, S. 42. 16 Antonín Kratochvil: Unsere Zeltite – Zlatka … In: Informations-Bulletin des Exil-PEN 4 (1986), o. S.

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sche Welle in Köln. Parallel zu seiner journalistischen Tätigkeit veröffentlichte er zahlreiche Bücher über historisch bedeutende Persönlichkeiten und politische Ereignisse. Besondere Aufmerksamkeit erregten die Publikationen Das Rätsel Wallenberg, Stalin enthauptet die Rote Armee – der Fall Tukatschewsky wie auch Das Attentat von Prag – Reinhard Heydrich – Statthalter Hitlers. Aus gesundheitlichen Gründen trat Rudolf Ströbinger 1986 in den Ruhestand und widmete sich nunmehr verstärkt dem Exil-PEN Club deutschsprachiger Länder. Er wurde 1983 auf der Jahresmitgliederversammlung in Wesseling auf Schloss Eichholz zum Präsidenten gewählt. Vizepräsidentin wurde Alice Benedek (Wien), Generalsekretär Antonín Kratochvil (München), Schatzmeister Andrzej Chilecki (Köln). Ende September 1986 trafen sich die Mitglieder des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach zur erneuten Wahl des Vorstands. Rudolf Ströbinger und Alice Benedek wurden ebenso wie Antonín Kratochvil und Andrzej Chilecki in ihren Ämtern bestätigt. Ein Jahr später, auf der Tagung im Schloss Eichholz, einer Begegnungsstätte der Konrad-Adenauer-Stiftung, wurde der Vorstand erweitert. Gabriel Laub, Präsident des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder zwischen 1976 und 1982, wurde zum Ehrenpräsidenten ernannt und mit Christo Ognanoff (Salzburg) ein zweiter Vizepräsident gewählt. Die wachsende Bedeutung des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder im Hinblick auf seine literarische und kulturpolitische Aufgabenstellung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit verdeutlichte im April 1988 eine Tagung, die die Vereinigung gemeinsam mit dem Gesamteuropäischen Studienwerk e. V. in Vlotho veranstaltete. Dort referierten zum Thema ‚Integration als existentielles und literarisches Problem‘ Wolfgang Schlott (Fluch und Segen literarischer Emigration) und Alexander Đordević (Methoden sprachlicher Integration). Ewa Slaska präsentierte gemeinsam mit Grzegorz Ziętkiewicz die polnischsprachige, in Berlin erscheinende Exil-Zeitschrift Wyspa. Der aus der DDR emigrierte Schriftsteller Hans Joachim Schädlich las aus dem Buch Irgend etwas irgendwie. Vom 9.–11.  September  1988 organisierte der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mellrichstadt eine Fachtagung mit 50 Exil-Schriftstellern. Die Referate bekannter Politik- und Kulturwissenschaftler widmeten sich den Veränderungen in den kommunistischen Staaten, der Kulturpolitik in der DDR sowie den Perspektiven und Grenzen von Gorbatschows Reformpolitik. Die öffentliche Lesung aus Werken der eingeladenen Autoren fand ein lebhaftes Echo in mehreren Zeitungen des Main-Kreises.17 Die Jahrestagung vom 3.–6. Dezember 1989 fand an zwei Veranstaltungsorten, in Brüssel und auf Schloss 17 Vgl. Hoffnung auf Einheit Europas trotz Mauer und Grenzzaun. Seminar mit 50 Exilschriftstellern in Mellrichstadt. Fünf Schriftsteller lasen aus ihren Werken. Prager Frühling in Bildern verarbeitet. In: Mainpost, 12. 9. 1988; Exil-Schriftsteller in Mellrichstadt. Erfüllt von Trauer und Zuversicht. In: Rhön- und Streubote, 12. 9. 1988; Lesung osteuropäischer Autoren. Die Wahrheit wird siegen. Aber wann? In: Mainpost, 13. 9. 1988.



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Eichholz bei Bonn, statt und stand ganz im Zeichen der Solidarität mit inhaftierten Schriftstellern in Rumänien.18 Den verstärkten Bemühungen um die politische Einigung Europas war die Fachtagung ‚Die Bedeutung Weimars für die europäische Kultur vom 9.–11. Oktober 1990‘ im dortigen Hotel Elephant gewidmet. Im Zentrum der Referate und Diskussionen standen die nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen Literatur und deren Zukunft sowie die Rolle der Schriftsteller im europäischen Wandlungsprozess. In einem Interview mit der Korrespondentin der tschechoslowakischen Zeitung Naše rodina betonte der Präsident des Exil-PEN-Clubs Rudolf Ströbinger, dass es die Aufgabe der Exil-Schriftsteller sei, nach dem Zerfall des kommunistischen Systems beim Aufbau demokratischer Institutionen in den Ländern Osteuropas zu helfen.19 Die enge Zusammenarbeit zwischen tschechischen Exil-Schriftstellern, die nach der Niederschlagung des Prager Reformsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland Asyl fanden, und den Mitgliedern des Exil-PEN-Clubs schlug sich Anfang 1992 in einer gemeinsamen Fachtagung auf Schloss Dobriš bei Prag nieder. Organisiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung, eingeladen vom tschechischen als auch vom slowakischen PEN-Club, eingeleitet von Rudolf Ströbinger und Andreas von Below, setzten sich die Tagungsteilnehmer mit den Themen ‚Kulturelles Leben in Europa‘ und ‚Das kulturelle Leben in der ČSFR nach der Wende‘ auseinander. Unter Anwesenheit hoher Repräsentanten aus beiden Ländern und der Medien lief ein lebhafter Gedankenaustausch vor dem Hintergrund der finanziell bedrohlichen Situation im Kulturleben der ČSFR ab. Das Interesse der nationalen und internationalen Presse an dieser Tagung fand ihren Ausdruck in zahlreichen kritischen Beiträgen. Am Rande der Tagung wurde, angestoßen durch Ota Filip, auch über einen „Abschied auf böhmisch“20 nachgedacht. Der renommierte tschechische Autor, der zwei Jahrzehnte im deutschen Exil seine Romane auf Deutsch schrieb, kam zu dem Ergebnis, dass der Exil-PEN keine Zukunft mehr habe, dafür „eine Vergangenheit, auf die er stolz sein kann.“21

18 Vgl. DW: Journal. Solidarität. In: Die Welt, 23. 12. 1989. 19 Eva Jeníková: Poslání exilového PEN klubu (Botschaft des Exil-PEN-Clubs). In: Naše rodina 47 (1990). Vgl. auch Antonín Měšťan: Exilový Pen-klub jednal ve Výmaru (Der Exil-PEN-Club traf sich in Weimar). In: Lidova demokracie, 25. 10. 1990. 20 Ota Filip: Abschied auf böhmisch. Zitiert nach: Feindesland: Exil-PEN tagte auf Schloß Dobriš. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 1. 1992, S. 29. Vgl. Willi Müller: Der deutschsprachige Exil-PEN tagt in Prag. Wieder mehr Boden unter den Füßen. In: Die Welt, 16. 1. 1992, S. 19; Marie Fronková: Exilový PEN-klub tentokrát doma (Exil-PEN-Club diesmal zu Hause). In: Lidová demokracie, 13. 1. 1992; Antonín Kratochvil: Dožijeme se nové cenzury? (Erleben wir eine neue Zensur?). In: Novy život (Roma), März 1992, S. 41–43. 21 Ota Filip: Abschied auf böhmisch. Zitiert nach: Feindesland: Exil-PEN tagte auf Schloß Dobriš. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 1. 1992, S. 29.

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5 Der Exil-PEN – Nach dem Zerfall der kommunistischen Staaten eine „überflüssige“ Vereinigung? Schon auf der Tagung im Juli 1992 kam der erweiterte Vorstand des Exil-PEN-Clubs zu dem Entschluss, dass die Vereinigung der Exil-Autoren weiter existieren solle. Die Argumente für das Fortbestehen erwiesen sich als gewichtig: Der Exil-PEN sei als moralische Instanz für die Einhaltung der Menschenrechte in den entstehenden osteuropäischen Republiken unentbehrlich; er habe zudem eine wichtige Funktion bei der Herstellung von Kontakten mit den immer noch inhaftierten politischen Gefangenen und den nach 1990 neu etablierten Exil-PEN-Organisationen sowie im Rahmen der gegenseitigen Hilfe beim Aufbau neuer kultureller Institutionen in Ostmitteleuropa.22 Diese kulturpolitische Aufgabenstellung verfolgte auch die Fachtagung, die die Schriftstellervereinigung mit Förderung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Oldenburg (27.–29. Mai 1994) durchführte. Unter dem Tagungstitel ‚Kulturelle Zusammenarbeit in Europa‘ diskutierten niederländische Schriftsteller und Wissenschaftler, ostfriesische Autoren und Mitglieder des Exil-PEN über Themenfelder wie die ‚Wiedervereinigung der deutschen Sprache‘ (Wolfgang Bergsdorf), ‚Literatur und Kultur in den norddeutschen und niederländischen Regionen‘ (Alex Klugkist) sowie die Rolle des Exil-PEN in Deutschland (Rudolf Ströbinger).23 Den grenzüberschreitenden Literaturen in Europa eine Heimstätte zu gewähren – diese Aufgabenstellung verfolgte der Exil-PEN Zentrum der Schriftsteller und Schriftstellerinnen im Exil deutschsprachiger Länder auch in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Im April 1995 trafen sich 40 Schriftsteller und Publizisten aus Polen, Ungarn, der Russischen Föderation und der Tschechischen Republik in Rastede bei Oldenburg. Zu dieser Tagung, gefördert durch die Hermann Ehlers Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung, hatte der Exil-PEN Zentrum der Schriftsteller und Schriftstellerinnen im Exil deutschsprachiger Länder unter der Themenstellung ‚Die Grenzregionen: Wegbereiter des Vereinigten Europa – Kunst und Literatur als Vermittler der Einigungsidee‘ eingeladen. Die kontrovers geführte Diskussion legte die Schwierigkeiten des europäischen Integrationsprozesses offen, in dessen Verlauf nach Ansicht der Tagungsteilnehmer vor allem die Rolle der Kultur als Brückenbauer zwischen den einzelnen Nationen von wachsender Bedeutung sei.24

22 Antonín Kratochvil: Exilový PEN-club stále aktuální (Der Exil-PEN-Club existiert weiter). In: Lidová demokracie, 14. 7. 1992. 23 Martin Münzberger: „Nobelpreisträger sind auch lokale Autoren“. Zur kulturellen Zusammenarbeit in Europa – Eine Schriftsteller-Tagung in Oldenburg. In: Nordwest-Zeitung, 28. 5. 1994. 24 Vgl. Literarische Wegbereiter Europas. Rudolf Ströbinger bleibt Präsident des Exil PEN Clubs. In: Deutsche Tagespost, 30. 5. 1995.



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Der auf dieser Tagung in seinem Amt als Präsident bestätigte Rudolf Ströbinger verfolgte, gemeinsam mit den Vorstandsmitgliedern Antonín Kratochvil und Henrik Lungagnini, auch in den folgenden Jahren eine multifunktionale und transparente Vereinsarbeit. Auf der Herbsttagung 1995 im sauerländischen Arnsberg referierten Vertreter großer deutscher Verlage über die Zukunft des Buches und die Einwirkung der Computer-Technik auf Produktion und Rezeption der Ware ‚Buch‘.25 Der sorbischen Minderheit war die Tagung des Exil-PEN Zentrum der Schriftsteller und Schriftstellerinnen im Exil deutschsprachiger Länder im November 1996 gewidmet. Unter den Leitmotiven ‚Zuflucht haben. Identitätssuche unter erschwerten Bedingungen – Lausitzer Sorben als Minderheit in Deutschland‘ beschäftigten sich die Teilnehmer der Veranstaltung in Berlin und in Cottbus mit der Bedeutung der Minderheitenkultur für das geeinte Deutschland. Dabei ging es unter der Leitung von Jaroslaw Šonka um die Förderung der sorbischen Kultur, die Medienarbeit für ethnische Minderheiten und die Funktion der Slawen in Deutschland wie auch die der Slawisten. Die Besichtigung wichtiger Stätten niedersorbischer Kultur (Cottbus und der Spreewald) diente als Vorbereitung auf die abschließende Diskussion über die Rolle der Minderheiten in Europa. Ein außerordentliches Ereignis in der Vereinsgeschichte bildete der Festakt ‚40 Jahre Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder‘ im Bildungszentrum der Konrad-Adenauer-Stiftung, Schloss Eichholz in der Nähe von Bonn (11.–13. Dezember 1996). Die kulturpolitische Anerkennung der Vereinigung der Exil-Schriftsteller manifestierte sich in den Grußworten des Bundeskanzlers Helmut Kohl, der Staatspräsidenten der tschechischen und slowakischen Republik, Václav Havel und Michal Kovač, sowie des Kulturministers der Tschechischen Republik, Pavel Tigrid. Unter Teilnahme von Vertretern verschiedener PEN-Zentren setzte sich die Fachtagung mit der Funktion des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder an der Schwelle zum 21. Jahrhundert auseinander, beschäftigte sich mit der Unterwanderung der Literatur und Kunst durch den Staatssicherheitsdienst in der DDR und mit der Rolle der PDS in Deutschland. Die beiden Tagungen im Jahr 1997 in Cloppenburg (23.–25. Mai) und in Dresden (7.–9. November) setzten sich mit europäischen Problembereichen auseinander. Unter der Teilnahme von Journalisten und Medienredakteuren wurde in Cloppenburg die Frage nach den Chancen einer europäischen Integration aufgeworfen,26 während in Dresden renommierte Politiker aus der Tschechischen Republik gemeinsam mit Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder das kulturelle Erbe Europas erörterten. Das Jahr 1998 zeichnete sich in der Geschichte der deutschen Sektion des ExilPEN-Clubs deutschsprachiger Länder im Internationalen PEN durch drei, auch in 25 Rudolf Ströbinger: Hat das Buch noch eine Zukunft? Herbsttagung des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder. In: Luxemburger Wort, 21. 11. 1995. 26 Angelika Hauke: Schriftsteller des Exil-PEN-Clubs beschreiten „Europas Weg zur Integration“. Exil-Autoren tagen in Cloppenburg. In: Münsterländische Tageszeitung, 24. 5. 1997.

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den Medien häufig gewürdigte Veranstaltungen aus. Die Fachtagung vom 17.–19. April in Bad Zwischenahn, gefördert von der Konrad-Adenauer-Stiftung, war dem Thema ‚Schriftsteller und Publizisten im europäischen Einigungsprozess‘ gewidmet. Der Direktor des Hauses der Ungarischen Kultur, György Dalos, und der slowakische Kunsthistoriker Thomas Strauss referierten über ‚Mittel- und Osteuropa auf dem Weg in das vereinte Europa‘ bzw. ‚Globalisierung und die Literatur im vereinten Europa‘. Dass der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder ein weiteres Mal eine institutionelle Anerkennung in der Öffentlichkeit gefunden hatte, bestätigte ein Bericht des Bayernkurier, in dem die länderübergreifende Arbeit der Vereinigung gelobt wurde; „es gebe noch viele Länder, deren im deutschsprachigen Exil oder Skandinavien lebende Schriftsteller der Solidarität, Hilfe und Interessenvertretung bedürften.“27 Außerdem berichteten überregionale Tageszeitungen wie Die Welt, die Süddeutsche Zeitung und die Prager Tageszeitung Slovo über die Ergebnisse der Tagung.28 Auch die Pflege der Beziehungen zwischen dem Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder und der Europäischen Kommission bildete einen Teil der fachlichen Arbeit, der sich die Schriftstellervereinigung verschrieben hatte. Anfang November 1998 hielten sich sieben Mitglieder des Zentrums in Brüssel auf, um sich über die Institutionen der EU und die sich anbahnende Ost-Erweiterung zu unterrichten. Der Pflege der deutsch-tschechischen literarischen Beziehungen diente vom 24.–25. November 1998 eine Konferenz in Prag, die das PEN-Zentrum der Tschechischen Republik gemeinsam mit dem Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder veranstaltete. Auf einer Fachtagung für Schriftsteller, die der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder, gefördert durch die Konrad-Adenauer-Stiftung, vom 11.–13. Dezember 1998 im Bildungszentrum Schloss Eichholz in Wesseling durchführte, ging es um das Thema ‚Politische und kulturelle Veränderungen in Deutschland und Europa‘. Neben Vorträgen über ‚Die Unterwanderung der Literatur und Kunst durch den Staatssicherheitsdienst der DDR‘ (Joachim Walther) wie auch ‚Die PDS – postkommunistische Partei in Deutschland‘ (Thomas Schrapel) fand eine Führung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn statt. Auf dieser Tagung wurde auch die Satzung des seit 1998 eingetragenen Vereins mit dem doppelten Titel „Internationaler PEN Zentrum Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder“ und „Vereinigung der Freunde des PENZentrums Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder“, Kurztitel: Exil-PEN e. V., angenommen.29 Dr. Rudolf Ströbinger und Dr. Boris Schapiro fungierten als Gründungspräsident bzw. Gründungsvizepräsident. Im darauf folgenden Jahr tagte der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder vom 18.–21.  April  1999 im Bildungszentrum Schloss Wendgräben (Sachsen-Anhalt). Es referierten Julius Schoeps (Das Erbe des Antisemitismus in der DDR), Peter Schütt (Kulturpolitik der DDR und des Ostblocks) und Karl Wilhelm Fricke (Die Stasiakten 27 Helmut S. Ruppert: Exil-PEN. Notwendige Existenz. In: Bayernkurier, 2. 5. 1998. 28 Vgl. Informationen des Exil-P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Länder 2 (1998), S. 1. 29 Vgl. Satzung, Version 2, datiert 12. 12. 1998, Schloß Eichholz, Wesseling.



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und die Wahrheit). Außerdem stellte sich die Vereinigung vertriebener Autoren hinter den Vorschlag des Schriftstellers Erich Loest, einen internationalen SchriftstellerKongress in Berlin einzuberufen, um sich für das Ende des Krieges in Jugoslawien einzusetzen.30 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts beschäftigte sich der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder mit europäischer Militärgeschichte und deren literarischer Verarbeitung. Gemeinsam mit der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation veranstaltete er, initiiert durch Hans Lindemann, die Fachtagung ‚Marschälle und Generale in der Literatur des 20.  Jahrhunderts. Lebensbeschreibungen und heutige Wahrnehmungen‘ in Strausberg bei Berlin (2.–4. Februar 2000). Die Auswahl der Generale Michail Tuchatschewskij, Charles de Gaulle, Ludvik Svoboda wie auch General Maleter verdeutlichte die Akzentsetzung des Themas: Die vortragenden Militärhistoriker bezogen sich vor allem auf die historische Rolle von militärischen Persönlichkeiten, die zum Teil Opfer von Diktaturen wurden und deren Bewertung in den nationalen Geschichtsbüchern häufig ein hoher Symbolgehalt zukommt. Nur zwei Monate später, vom 31. März bis zum 2. April 2000, fand in Wesseling (Schloss Eichholz) eine weitere Tagung zum Thema ‚Gesellschaft und Literatur an der Schwelle des neuen Jahrhunderts‘ statt. Gefördert von der Konrad-Adenauer-Stiftung war sie der historischen Einschätzung der zukünftigen Rolle mittel- und osteuropäischer Staaten im vereinten Europa gewidmet. Auch die medialen Aufgaben im Zusammenhang mit der Rolle der ethnischen Minderheiten für die sich zusammenschließende Europäische Union wurden im Rahmen einer Besichtigung des Belgischen Rundfunks in Eupen (Belgien) erörtert. Der Höhepunkt der Tagung bestand jedoch in der Vergabe der Exil-PEN-Preise für ausgezeichnete historische und literarische Arbeiten an Boris Chasanow (München), Tomas Brod (Prag), Ivan Pfaff (Heidelberg) sowie Boris Schapiro (Berlin). Ein weiteres Ergebnis dieser Tagung bestand in einem Bittschreiben an den Intendanten des Mitteldeutschen Rundfunks, Udo Reiter, „sobald wie möglich für die 40.000 im Freistaat Sachsen lebenden Sorben sorbischsprachige Fernsehsendungen mit Regionalinformationen aufzunehmen.“31 Diese Forderung wurde im Januar 2001 mit der Einführung eines 30-minütigen FernsehWochenmagazins in obersorbischer Sprache erfüllt. ‚Literatur im Exil. Gegenwart und Zukunft‘ – so lautete das Thema der Fachtagung in Fröndenberg (22.–24. September 2000), veranstaltet vom Bildungswerk Dortmund der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wiederum konzentrierte sich das Programm auf eine historische Reflexion der Situation, der die Exil-PEN-Organisationen in Westeuropa bis ins Jahr 1990 ausgesetzt waren, nämlich ihrer Unterwanderung durch die Staatssicherheitsdienste der kommunistischen Länder. Die gegenwärtigen Aufgaben 30 Vgl. [dpa]: „Exil-PEN-Club für ‚Kriegskongreß‘“. In: Sächsische Zeitung, 22. 4. 1999. 31 Aus dem Brief des PEN-Zentrums der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder vom 10. 4. 2000 an den Intendanten des MDR. Archiv des PEN-Zentrums der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder.

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der Exil-Organisationen bildeten den Tenor in Referaten zu Aktivitäten im In- und Ausland sowie zur kulturpolitischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von Verlagswesen und Buchhandel. Im Folgejahr wurde die Tagung des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder, verbunden mit der Neuwahl des Präsidiums, im Bildungszentrum Eichholz (16.– 18. Februar 2001) veranstaltet. Der langjährige Präsident, Rudolf Ströbinger, wurde einstimmig wiedergewählt. Als Vizepräsidenten wurden der Münchner Historiker und Autor Bernd Rill und der in Berlin lebende Schriftsteller und Wissenschaftler Boris Schapiro bestimmt. Der Beschluss des neu installierten Präsidiums, sich an dem von der Else-Lasker-Schüler-Stiftung (Wuppertal) initiierten Projekt ‚ExilSchriftsteller im Internet‘ zu beteiligen, war für die internationale Vereinigung mit dem Eintritt in das digitale Zeitalter verbunden. Dieser Schritt konnte bereits 2001 mit der Erstellung einer eigenen Homepage, verfügbar unter www.exil-pen.de realisiert werden. Das Thema der Tagung war der ‚Kultur als Bindeglied eines demokratischen Europas‘ gewidmet.32 Im Rahmen einer Exkursion nach Maastricht und Aachen erläuterte der Publizist Heribert Korfmacher am Beispiel der beiden geschichtsträchtigen Städte die Rolle der ersten EU-Verträge. Außerdem referierte der Intendant der Deutschen Welle, Dieter Weirich, zum Thema ‚Medien der Zukunft – Zukunft der Medien‘. Zum Abschluss der Tagung wurden die Literaturpreise des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder für das Jahr 2001 an die sorbische Lyrikerin Róža Domašcyna, den Philosophen Karel Mácha und die Prosaautorin Margot Ehrich vergeben. Die zweite Tagung in diesem Jahr fand in Fröndenberg (21.–23.  Februar  2001) statt. Die Teilnehmer setzten sich mit der kulturpolitischen Dimension der EU-Osterweiterung auseinander. Dabei ging es um jene Schriftsteller und Publizisten, die nach den friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa geblieben waren und nun Deutschland aus einer doppelten Perspektive betrachteten. Dieser existentiellen Frage war eine öffentliche Lesung mit Boris Chasanow (Moskau/München), Ota Filip (Prag/Murnau), Rudolf Ströbinger (Prag/Hage) und Boris Schapiro (Moskau/Berlin) gewidmet. Mit dieser Problematik beschäftigte sich auch die bei dieser Gelegenheit vorgestellte Anthologie des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder mit dem Titel Das Feuer, das ewig brennt. Es gehört zu den besonderen Verdiensten des Exil-PEN-Präsidiums, dass es zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Reihe von aktuellen Problemfeldern der EU-Osterweiterung bearbeitete. Die vom 28.–30. November 2001 im Bildungszentrum Kloster Banz mit Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung durchgeführte Expertentagung ‚Aktuelle Perspektiven der europäischen Literatur‘ diente dieser Absicht. Die Frage nach der kulturellen Bedeutung Europas nach dem Zerfall der kommunistischen Staaten aufnehmend, gab Waldemar Weber (München) einen Überblick über die Rolle der Literatur nach dem Umbruch in Russland, Wolfgang Schlott (Bremen) setzte 32 Vgl. Für die Schwesterkunst. Exil-P.E.N. tagte bei Bonn. In: Augsburger Allgemeine, 19. 2. 2001; Rudolf Ströbinger: Exil-Pen-Club vergab Literaturpreise 2001. In: Luxemburger Wort, 6. 3. 2001.



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sich mit der Widerspiegelung der friedlichen Revolution in der polnischen Literatur auseinander und Peter J. Brenner (Köln) analysierte die deutsche Literatur der 1990er Jahre im Hinblick auf ihre politischen Implikationen. Auch die Tagung zum Thema ‚Geheimhaltung und Öffentlichkeit‘, die gemeinsam mit der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Straußberg im März 2002 durchgeführt wurde, diente der Aufklärung über Verfahrensweisen der ideologischen Beeinflussung westlicher Institutionen durch kommunistische Einrichtungen. Der Vortrag ‚Die Stasi und die Bekämpfung der Westmedien am Beispiel des Deutschlandfunks‘ (Karl Wilhelm Fricke, Köln) wie auch der von Hubertus Knabe über den ‚Umgang mit Informationen über die Staatssicherheit in Westeuropa‘ verdeutlichten die ideologische und militärische Unterwanderung Westeuropas. Andere Referate erfassten die historische Dimension der Desinformation am Beispiel der Invasion der ČSSR durch die sozialistischen „Bruderstaaten“ und der Inszenierung von Propagandalügen durch das Hitler-Regime während des Zweiten Weltkriegs. Im Frühjahr 2002 feierte Rudolf Ströbinger sein 20-jähriges Jubiläum als Präsident des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder. Pressereferent Hans Lindemann hob in seiner Laudatio auf die vielen erfolgreichen Aktivitäten von Rudolf Ströbinger vor allem die unermüdliche, grenzüberschreitende kulturpolitische Arbeit hervor, die in mehr als vierzig Tagungen der Exil-Vereinigung in Deutschland, Belgien, den Niederlanden wie auch in der Tschechischen Republik, vor allem nach 1990, ihren Ausdruck gefunden hatte.33 Diese in breite Kreise der bundesdeutschen Öffentlichkeit ausstrahlende Wirkung entfaltete sich gegen die landläufige Meinung der überregionalen deutschen Presse, die 1992 von der „Überflüssigkeit“ einer solchen Organisation nach dem Fall der Mauer sprach.34 Unter der Ägide von Rudolf Ströbinger hatte sich, oft mit der finanziellen Unterstützung der Konrad-Adenauer- und der Hanns Seidel-Stiftung, nunmehr ein funktionierendes Netzwerk entwickelt. Die beteiligten Institutionen und Persönlichkeiten trieben die besonders nach 1990 notwendig gewordene Zusammenarbeit mit den in Ostmitteleuropa entstehenden demokratischen Organisationen voran. Dazu gehörten auch die einmal pro Jahr vergebenen Literaturpreise, die in Deutschland lebenden Exil-Autoren in Anerkennung bedeutender Werke überreicht wurden. Nicht minder wichtig für die öffentliche Präsenz des ExilPEN e. V. waren auch die beiden Anthologien, die von Rudolf Ströbinger herausgegeben wurden: Exil in der Literatur – Literatur im Exil 1956–1996 (1997) zum 40-jährigen Bestehen des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder und der 2001 erschienene, bereits erwähnte Band Feuer, das ewig brennt.35 33 Hans Lindemann: Ein Jubiläum. Rudolf Ströbinger – seit 20 Jahren Exil-PEN Club-Präsident. In: P.E.N.-Zentrum der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder 1(2002), o. S. 34 Vgl. Ota Filip: Abschied auf böhmisch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 1. 1992, S. 29. 35 „Exil in der Literatur – Literatur im Exil. 1956–1996“. 40 Jahre EXIL PEN CLUB DEUTSCHSPRACHIGER LÄNDER. Norden: Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder 1997; Exil-PEN-Club (Hrsg.): Feuer, das ewig brennt. Schriftsteller im Exil stellen sich vor. Mit Grußworten von Václav Havel und Michal Kovač. Egelsbach, Frankfurt am Main, München und New York: Hänsel-Hohenhausen 2001.

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Auch aufgrund der häufigen, themenzentrierten Fachtagungen gewann der ExilPEN-Club deutschsprachiger Länder immer mehr an Attraktivität, die in der wachsenden Zahl neuer Mitglieder zum Ausdruck kam. Unter den Neuzugängen waren auch deutsche Exilschriftsteller, die sich nach der kurzzeitigen Auflösung des von Fritz Beer geleiteten PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (gegr.  1933) dem Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder anschlossen. Bereits im Mai 2002 kam es in Třebon (Tschechien) zu einer gemeinsamen Tagung deutscher und tschechischer Exil-Schriftsteller. Unter dem Leitgedanken ‚Brücken zum Nachbarn – Deutsche Literatur in Tschechien – Tschechische Literatur in der Bundesrepublik‘, begleitet durch Grußworte von Bundespräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Helmut Kohl und Václav Havel, Präsident der tschechischen Republik, erläuterte zunächst Pavel Dostal, Minister für Kultur der Tschechischen Republik, die wesentlichen Aufgaben der Kulturpolitik in seinem Land. Die literarische und literaturwissenschaftliche Ausgestaltung der Tagung bestand aus Lesungen von Ota Filip, Karel Trinkewitz sowie Vorträgen von Tomas Kafka und Christa Rothmeier, die sich mit der Kunst des Nachdichtens und Übersetzens aus dem Tschechischen auseinandersetzten. Auf dieser Tagung wurde auch der Prager Erzbischof Vladislav Vlk als Ehrenmitglied in den ExilPEN e. V. aufgenommen. In der vom 27.–29. September 2002 in Dortmund durchgeführten Tagung ging es unter dem Thema ‚Exilschriftsteller und ihre gegenwärtigen Aufgaben‘ um die Verteidigung der Freiheit des Wortes weltweit, wobei besonderes Augenmerk auf südamerikanische, afrikanische und asiatische Diktaturen gelegt wurde. Eine spezifische Bedeutung für die kulturpolitische Arbeit des Exil-PEN e. V. hatte dessen Informationsbesuch in Brüssel am 5./6.  November 2002. Die Delegation nahm, eingeladen von der Europäischen Kommission für Bildung und Kultur, zunächst an der Eröffnung der SAMIZDAT-Ausstellung über alternative Kulturen in Zentral- und Osteuropa (Forschungsstelle Osteuropa Bremen) im Zentralgebäude der EU (Salle Polyvalente) teil.36 Im Anschluss war sie Gast in Sitzungen über die EU-Erweiterung und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der EU – ein Aufgabenbereich, dem sich die ExilOrganisation seit den 1990er Jahren vornehmlich widmete. Dank der Initiative von Hans Lindemann und einer Einladung von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und Ehrenmitglied des Exil-PEN e. V., hielten die Delegationsmitglieder am 7. November in Schulen der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens in Eupen eine Reihe von Vorträgen über Euroregionen und die Rolle der sprachlichen Minderheiten in ostmitteleuropäischen Ländern. ‚Exil und Vertreibung in der Literatur‘ lautete das Thema der Frühjahrstagung 2003 vom 21.–23. März im Bildungszentrum Schloss Wendgräben (Konrad-Adenauer36 Vgl. Forschungsstelle Osteuropa (Hrsg.): SAMIZDAT. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa: Die 60er bis 80er Jahre. Bremen: Edition Temmen 2000 (Dokumentationen zur Kultur und Gesellschaft im östlichen Europa 8).



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Stiftung). An den Beispielen deutscher, ungarischer und tschechischer Literatur (Ottfried Pustejovski) wie auch der polnischen Literatur im Exil (Hans-Christian Trepte) sowie der Lesung von Jörg Bernig aus seinem Roman Niemandszeit (2002) wurden die kulturellen Vertreibungsprozesse nach 1945 erörtert. Im Anschluss an die Vorträge und die Lesung diskutierte der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder seine künftigen kulturpolitischen und literarischen Aufgaben. Dazu gehöre auch, so Präsident Ströbinger, die entschiedene Verurteilung der Ermordung von über 400 Journalisten und Schriftstellern im Irak und die Würdigung ihrer für den Kampf gegen das unmenschliche Hussein-Regime geleisteten Arbeit. Der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder intervenierte 2003 in einem Schreiben an den Botschafter Kubas in Berlin auch gegen die Verurteilung der kubanischen Bürgerrechtler José Daniel Ferrer, Raul Rivero und Marta Beatriz Roque zu langjährigen Gefängnisstrafen. Die wachsende Anerkennung der kulturpolitischen und literarischen Aktivitäten des Exil-PEN e. V. im nationalen und europäischen Rahmen kam nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Rudolf Ströbinger (2002) in einer weiteren hohen Auszeichnung zum Ausdruck. Samuel Beer, langjähriger Generalsekretär des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder und Direktor der Künstlergilde erhielt 2004 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die vielschichtigen Aktivitäten beider Präsidiumsmitglieder waren allerdings nur möglich, weil die kontinuierliche Pressearbeit von Hans Lindemann und das Engagement einer Reihe von Ehrenmitgliedern des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder diese Arbeit unterstützten und absicherten. Dazu gehörten vor allem Otto von Habsburg, Präsident der Paneuropa-Union, Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Petr Pithart, Präsident des Senats der Tschechischen Republik, wie auch Jiří Gruša, Präsident des Internationalen PEN und Direktor der Diplomatischen Akademie in Wien. Das Jahr 2005, über dem aufgrund der Erkrankung des Präsidenten bereits ein Schatten lag, war von der Organisation und Durchführung dreier Tagungen geprägt, deren Vorbereitung vorwiegend in den Händen von Hans Lindemann lag. Im Juni ging es in Wesseling um die ‚Aufgaben der Schriftsteller im vereinigten Europa‘, wobei der Tenor der Vorträge und Diskussionen auf dem Engagement für inhaftierte, zu langen Gefängnisstrafen verurteilte Schriftsteller und Journalisten in Kuba, der Türkei und Russland lag. Ende Oktober nahm eine größere Gruppe des Exil-PEN e. V. an einer Tagung in Eupen teil, auf der die Funktion der ‚Literatur und Verlage der Minderheiten in Europa‘ thematisiert wurde. Auf diesem Arbeitsfeld hatte sich der Verein bereits in den 1990er Jahren oftmals betätigt. Die Herbsttagung in Hejnice (Tschechien) beschäftigte sich mit den sorbisch-tschechischen literarischen Beziehungen im 20. Jahrhundert und der deutschsprachigen Literatur Böhmens und Mährens mit Fokus auf die Zwangsemigration deutscher Autoren in die Tschechoslowakische Republik nach 1933. In diesem Kontext ging es auch um die Ehrung des Schriftstellers František Xaver Šalda, der zwischen 1933 und 1937 die umfangreichste Hilfsaktion für die vor den Nationalsozialisten bzw. dem Dollfuß-Regime flüchtenden deutschen und

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österreichischen antifaschistischen Intellektuellen organisierte.37 Diese letzte Tagung unter Ströbingers Präsidentschaft wurde bereits von dem Pressereferenten Hans Lindemann, dem Generalsekretär Samuel Beer und der Schatzmeisterin Marina Michel vorbereitet und durchgeführt. Nur knapp zwei Monate später, am 1. Dezember 2005, erlag Rudolf Ströbinger seiner Krankheit. In Anerkennung seines schaffensreichen Lebens mit Tätigkeiten als Redakteur der Zeitung Lidová demokracie in der Tschechoslowakei bis 1968, als Leiter der tschechoslowakischen Redaktion bei der Deutschen Welle in Köln, als erfolgreicher Autor und Präsident des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder würdigte Hans Lindemann den Verstorbenen als „unverwechselbaren Kämpfer für Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit.“38 Aufgrund seiner zahlreichen Buchpublikationen hatte er zudem als politischer Publizist hohes Ansehen errungen. Das Jahr 2006 stand für den Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder im Zeichen seines 50-jährigen Jubiläums. Entstanden im Spätherbst 1956 aus einer seit 1948 in Westdeutschland existierenden lockeren Assoziation von Exil-Schriftstellern, unter ihnen Pavel Tigrid und Antonín Kratochvil, und zahlreichen ungarischen Intellektuellen, die nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands gegen die sowjetische Herrschaft im November 1956 nach Westeuropa flüchteten, bildete diese Gruppe den Kern der Exil-Vereinigung. Eine beträchtliche personelle Erweiterung erlebte das Zentrum im Herbst 1968, als zahlreiche Schriftsteller und Journalisten nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Warschauer Paktstaaten in der Bundesrepublik Deutschland Asyl fanden. 2006 brachte einen weiteren Verlust für die Geschichte der literarischen ExilBewegung: Am 2.  September starb der langjährige Präsident des P.E.N- Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland Fritz Beer im Alter von 95 Jahren. Unter derselben Namensbezeichnung wirkt auch die Autoren-Vereinigung, die sich im Jahr 2005 neu gründete39 und auch zahlreiche Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus der DDR aufnahm, die aus Protest gegen die Zusammenführung des ehemaligen PEN-Zentrums DDR, seit 1991 umbenannt in Deutsches PEN-Zentrum (Ost), dem bundesdeutschen PEN-Zentrum diesen Verein verließen. Als Präsident des PENZentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland fungiert seit 2005 der Schriftsteller Günter Kunert. Das Zentrum vereint überwiegend deutschsprachige Autoren, die gegen die Verschmelzung des ursprünglich bundesdeutschen PEN-Zentrums mit dem Deutschen PEN-Zentrum (Ost) protestierten. Das Zentrum der Schriftsteller im Exil

37 Vgl. Sorbisches in Böhmen. Schriftsteller-Verband Exil-P.E.N. trifft sich am Freitag in Hejnice. In: Sächsische Zeitung (Dresden), 10. 10. 2005. 38 Hans Lindemann: In memoriam. Dr.  phil.  Rudolf Ströbinger. In: Informationen des Exil-P.E.N. 1 (2006), S. 3. 39 Es handelt sich um die Wiederaufnahme der Tätigkeit des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, als dessen Präsident der Schriftsteller Günter Kunert im Oktober 2005 gewählt wurde. Vgl. Peitsch: „No Politics“?, S. 361–363.



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deutschsprachiger Länder kooperiert seit den späten 1990er eng und freundschaftlich mit dem PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland.

6 Auf zu neuen Zielen: Globalisierung des Exils. Der Exil-PEN e. V. nach 2006 Die Verdienste des langjährigen Präsidenten Rudolf Ströbinger um den Exil-PENClub deutschsprachiger Länder wurden auf der Herbsttagung 2006 in Hejnice, die dem 50-jährigen Jubiläum gewidmet war, noch einmal gewürdigt. Jan Schneider, ein langjähriger Freund des Präsidenten, erinnerte an ihn und den ebenfalls 2006 verstorbenen tschechischen Historiker Zdeněk F. Šedivý; beide bezeichnete er als unermüdliche, demokratisch gesinnte Aufklärer. Drei prominente Tagungsgäste gestalteten das Programm: die aus Brünn angereiste Dora Müller, Sozialdemokratin und Schriftstellerin, die in den 1930er Jahren mit umfassenden Hilfsaktionen die vor den Nazis geflohenen Schriftsteller unterstützte; der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Karl-Heinz Lambertz, Ehrenmitglied des Exil-PENClubs deutschsprachiger Länder, der über seine Tätigkeit als Berichterstatter beim Europarat berichtete; Michael Kretschmer, stellvertretender Vorsitzender der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, der über die Rolle der Kultur in Sachsen nach dem politischen Umbruch 1989 sprach. Auf dieser Tagung wurde der Literatur- und Kulturwissenschaftler Wolfgang Schlott zum neuen Präsidenten gewählt. Der Pressereferent Hans Lindemann stellte ihn in einem ausführlichen Porträt vor,40 wobei er sowohl Schlotts Herkunft aus der DDR als auch dessen berufliches Engagement auf dem Gebiet der Osteuropa- und Oppositionsforschung betonte. Er würdigte Schlotts Tätigkeit als Herausgeber literarischer Anthologien und verwies auf dessen Publikationen auf dem Gebiet der Lyrik und des Hörspiels. Per Wahlverfahren wurde auf dieser Tagung auch der nach dem Rücktritt von Samuel Beer vakant gewordene Posten des Generalsekretärs neu besetzt. Horst Samson, Journalist und renommierter Lyriker, aus dem Banat stammend, übernahm diese verantwortungsvolle Funktion. Sie war unter anderem mit der Aufgabe verbunden, die bereits vorbereitete Anthologie des Exil PEN e. V. zur Veröffentlichung zu bringen. Gemeinsam mit der ebenfalls 2006 gewählten Vizepräsidentin Urszula Usakowska-Wolff – Kunsthistorikerin, Journalistin, Lyrikerin und Lektorin – wurde diese Publikation zwei Jahre später unter dem Titel Zuhause nur im Wort fertig gestellt. Die Redaktion der Publikation lag in den Händen von Urszula Usakowska-Wolff.41 40 Vgl. Informationen des Exil-P.E.N. 1 (2007). 41 Zuhause nur im Wort. Eine Anthologie der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder. Mit einem Vorwort von Wolfgang Schlott. Ludwigsburg: Pop Verlag 2009.

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In seiner programmatischen Schrift Fünfzig Jahre ästhetischer und politischer Widerstand: der ‚Exil-P.E.N. deutschsprachiger Länder‘ im Lichte neuer Herausforderungen formulierte der neue Präsident Wolfgang Schlott sechzehn Jahre nach den meist friedlichen Revolutionen in Ost- und Zentraleuropa die neuen Ziele der Exil-Sektion im Internationalen PEN mit einer Frage: Woher nimmt der im Jahr 1956 gegründete Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder seine Legitimation, sich weiterhin für politisch verfolgte Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie auch für Journalisten und Journalistinnen einzusetzen, für die Durchsetzung des freien Wortes an den östlichen Randzonen Europas und in vielen Ländern der Welt zu kämpfen und die kulturelle Autonomie von ethnischen Minderheiten zu verteidigen? In seiner Antwort verwies er auf die in den vergangenen mehr als dreißig Jahren geleistete kulturpolitische Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland, das politische und literarische Engagement der Exil-PEN-Mitglieder bei der Durchführung von Tagungen, die Veröffentlichung von Petitionen für verfolgte Schriftsteller und Journalisten und die Buchpublikationen. Außerdem forderte er die Erweiterung der Netzwerke, innerhalb derer der Exil-PEN e. V. gemeinsam mit kulturellen Institutionen, Kulturwerken von Parteien und freien Initiativen sein Aktivitätspotenzial verstärken könne. Die Einlösung einiger dieser Forderungen erfolgte bereits im Jahr 2007. In Petitionen appellierte der Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder an die demokratisch gesinnte Öffentlichkeit in der Türkei nach der Ermordung des Journalisten Hrant Dink, sie möge sich gegen radikal-islamistische Kreise zur Wehr setzen. Er wandte sich an die Bundesregierung, um sich für den Asyl suchenden tschetschenischen Dichter Apti Bisultanov einzusetzen, und er schlug gemeinsam mit anderen PEN-Zentren die 2005 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja für den post-mortem zu verleihenden Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Jahr 2006 vor. Auch im Hinblick auf die Förderung der interkulturellen Literatur in Deutschland engagierte sich der Exil-PEN als Mitveranstalter der 2007 gemeinsam mit Radio Bremen initiierten Globale – Festival für grenzüberschreitende Literatur in Bremen. In diesem Zusammenhang verstärkte das Präsidium seine Bemühungen um die Werbung von in Deutschland lebenden Autoren aus Asien, Afrika und Mittelamerika. Dies geschah durch konkrete Unterstützung von Schriftstellern bei deren Suche nach Verlagen, durch die Abfassung von Vor- und Nachworten in ihren Publikationen und durch Besprechungen ihrer Bücher in Zeitschriften sowie durch die Organisation repräsentativer Lesungen in Literaturhäusern. Zudem galt die Aufmerksamkeit der Förderung von Lesungen im Rahmen von Salons, wie dem von Anna und Vadim Fadin in Berlin 2000 gegründeten Russischen Salon. Dort treffen sich regelmäßig in Deutschland und in Russland lebende Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Der Verstärkung der literarischen Aktivitäten diente die von Hans Lindemann vorbereitete Frühjahrstagung in Dresden (13.–16. Mai 2007), die sich aktuellen Problemen der mitteleuropäischen Literatur widmete. Sorbische Literatur als Bindeglied zwischen Deutschland, Polen und Tschechien (Benedikt Dyrlich), die Rolle des Georg von Sachsen als engagiertem Nazigegner (Hans Lindemann), die Bedeutung



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der Literaturzeitschrift Neue Literatur (Bukarest) als Förderer und Ideengeber der deutschsprachigen Literatur (Horst Samson) und eine Lesung des Exil-PEN-Mitglieds und Adalbert von Chamisso-Preisträgers Artur Becker im Kraszewski-Museum sowie zwei Lesungen mit den Exil-Autoren Boris Chasanow und Ota Filip im Erich-KästnerMuseum bildeten den Kern des belletristischen Programms. Es wurde durch zwei Referate über die polnische Gegenwartsliteratur (Wolfgang Schlott) und die übersetzte polnische Literatur auf dem deutschen Büchermarkt (Urszula UsakowskaWolff) ergänzt. Die Herbsttagung 2007 fand im Berghotel Friedrichroda vom 2. bis 4. November statt. Sie war im Zusammenhang mit der Ernennung von Hermannstadt (Rumänien, Kreis Sibiu) zur Kulturhauptstadt Europas thematisch der rumäniendeutschen Literatur gewidmet. Die Exil-PEN-Mitglieder Uwe-Erwin Engelmann, Hellmut Seiler, Ilse Hehn und Horst Samson lasen Gedichte. Ingmar Brantsch kommentierte die Literaturpolitik in Rumänien, von der die Förderung der Minderheitenkultur profitiere. Wolfgang Schlott hielt einen Vortrag über das epische und lyrische Werk von Dieter Schlesak und stellte das umfangreiche Prosawerk des tschechischen Kollegen und Vizepräsidenten, Jaroslav Marek-Vejvoda, in Auszügen vor. In einer Pressenotiz der Gothaer Tagespost über die Tagung ging es vor allem um das wachsende Desinteresse an Lyrik sowohl in Deutschland als auch in Rumänien, allerdings mit einem pekuniären Unterschied: im kommunistischen Rumänien gab es – nach der Freigabe der Texte durch den Zensor – zumindest ein stattliches Zeilenhonorar.42 Die Frühjahrstagung vom 13.–16. März 2008 im Internationalen Begegnungszentrum Ostritz-St. Marienthal stand unter der Schirmherrschaft des sächsischen Staatsministers für Kultur und war dem ‚Gemeinsamen Erinnern europäischer Zeitzeugen – Die Neiße als Schicksalsfluss für Deutsche, Polen, Griechen und Tschechen‘ gewidmet. Diese kulturpolitisch bedeutende, wiederum von Hans Lindemann vorbereitete Veranstaltung diente der Begegnung von und mit Zeitzeugen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Es handelte sich um zwangsumgesiedelte Bauern, Handwerker und Angestellte aus den polnischen Ostgebieten, die in Niederschlesien, westlich von Görlitz und Zittau, angesiedelt wurden. Auch griechische Bürger fanden dort 1949, nach der Niederschlagung des kommunistischen Aufstands in Griechenland, eine neue Heimat. Zu beiden Gruppen gesellten sich einige ehemalige Angehörige der Armija Krajowa, Überlebende des Warschauer Aufstands vom August 1944, die vom kommunistischen Regime verfolgt, in Polen lange Jahre illegal überlebten oder zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Auch tschechische und slowakische Bürger wurden nach 1945 in den ehemaligen sudetendeutschen Grenzgebieten angesiedelt, unter anderem auch südlich von Zittau. Die Berichte der Augenzeugen wurden von Vorträgen renommierter Historiker, Stefan Troebst aus Leipzig und Krzystof Ruchniewicz aus Wrocław, begleitet. Wie bedeutsam die Tagung 42 Lyrik kaum gefragt. Herbsttagung des Exil-P.E.N. Clubs im Friedrichrodaer Berghotel. In: Gothaer Tagespost, 5. 11. 2007.

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für die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte in den ostmitteleuropäischen Grenzregionen war, verdeutlichte die Anwesenheit von Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Er referierte in seiner Funktion als Generalberichterstatter des Europarats über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Euroregionen. Die spannungsgeladene Tagung, über die regionale Zeitungen und eine Reihe von überregionalen Rundfunkstationen ausführlich berichteten, hinterließ bei den über 100 Zuhörern eine bleibende Erinnerung. Sie fand ihren feierlichen Abschluss in der Nachricht, dass das langjährige Exil-PEN-Mitglied Karel Mácha am 11. Februar 2008 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden war. Die bittere Erfahrung von der Niederschlagung des ‚Prager Frühlings‘ vierzig Jahre danach – dies war das Thema der Dresdner Herbsttagung des Exil-PEN e. V. in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen PEN-Zentrum unter Mitwirkung des PENZentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. An der Vorbereitung dieser Veranstaltung, die ein großes mediales Interesse hervorrief, waren der Pressereferent Hans Lindemann und der Vizepräsident Jaroslav Marek Vejvoda maßgeblich beteiligt. Vom 4.–7.  September  2009 trafen sich im Dresdner Kulturrathaus unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Stanislaw Tillich, tschechische, slowakische, sorbische und deutsche Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker, um die Nachwirkungen der August-Invasion 1968 auf die Literatur und Kunst in Ostmitteleuropa zu erörtern. Im Verlauf der Tagung kamen ganz unterschiedliche Aspekte des Themas zum Tragen. So widmeten sich die Vorträge dem Werk der emigrierten Autorin Libuše Moniková; dem Manifest der 2000 Worte von Ludvík Vaculík; der Stimmung in der DDR und im Sorbenland im Herbst 1968; der Haltung der slowakischen Intellektuellen gegenüber dem Reformsozialismus; der vergleichenden Betrachtung der Menschenrechte in nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen (Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum). Die vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung geförderte Tagung war begleitet von Lesungen tschechischer und deutscher Autoren sowie einem musikalisch-literarischen Abend, auf dem unter anderem Gedichte von Ivan Blatný rezitiert und Erzählungen tschechischer Schriftsteller gelesen wurden. Im Jahr 2009 veranstaltete der Exil-PEN deutschsprachiger Länder, finanziell gefördert durch verschiedene Stiftungen und Institutionen der öffentlichen Hand drei größere Tagungen. Auf Einladung des Ministeriums der Deutschsprachigen Gesellschaft in Belgien war man an einer Veranstaltung beteiligt, die unter der Überschrift ‚Stille Retter – Menschen retten Menschen während der NS-Zeit und der Besatzung‘ vom 1.–4.  April  2009 in Eupen stattfand. Historiker referierten über die Verfolgung und Rettung von Juden und Widerstandskämpfern während des Zweiten Weltkriegs mit Fokus auf Belgien, Luxemburg, Frankreich und Schweiz. Die vergleichende Darstellung förderte die Diskussion, die durch thematisch orientierte Filmvorführungen und Lesungen intensiviert wurde.



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Ende Mai 2009 beteiligte sich der Exil-PEN e. V. an dem von der Bundeszentrale für Politische Bildung in der Humboldt-Universität Berlin veranstalteten ‚Geschichtsforum 1989–2009‘ mit drei Panels. Sechs Mitglieder der Schriftstellervereinigung referierten über vier friedliche Revolutionen in Ostmitteleuropa und die blutigen revolutionären Ereignisse in Rumänien. Diese Vorträge kommentierten Zeithistoriker der Universität Bremen und der Humboldt-Universität Berlin, indem sie den bedeutenden politischen Umbruch vergleichend in die europäische Geschichte einordneten. Auch die von Hans Lindemann vorbereitete Herbsttagung vom 3.–6.  September 2009 in Dresden widmete sich unter Beteiligung des tschechischen PEN-Zentrums dem Thema ‚Die samtenen Revolutionen und andere Revolutionen‘. Im Zentrum standen die Berichte von Zeitzeugen dieser Revolutionen, die ersten Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit tschechischen und polnischen Behörden in der Euroregion Zittau und eine Gedenkveranstaltung in Liberec (Tschechien) zur Erinnerung an die Opfer der Invasion der Tschechoslowakei durch die Warschauer Pakt-Staaten am 21./22. August 1968. Die auf der Tagung ebenfalls anwesenden zwölf tschechischen Schüler des Reichenberger F. X. Šalda-Gymnasiums, die an der Diskussion über die Ergebnisse der politischen Wende in den mitteleuropäischen Staaten in der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung teilnahmen, sollten im Hinblick auf die zukünftige Aufgabenstellung des Exil-PEN eine besondere Rolle spielen. Als Zielsetzung wurde formuliert, unter Anleitung erfahrener Mitglieder die Zusammenarbeit des Exil-PEN-Clubs mit der jungen Generation im Hinblick auf die Aufarbeitung der nationalsozialistischen und kommunistischen Verbrechen in Mitteleuropa zu intensivieren. Auf der Tagung in Dresden kam es zudem zu einem Wechsel im Präsidium: Aus Altersgründen schieden die verdienstvollen Mitglieder Istvan Romhányi, Helmut Ruppert und Hans Lindemann aus. An ihre Stelle wurden Timo Meškank und Konstantin Hermann gewählt. Im Jahr 2009 erschien nach längerer Vorbereitungszeit auch die Anthologie der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil Deutschsprachiger Länder – Zuhause nur im Wort.43 Die mehr als neunzig Beiträge aus Lyrik, Epik und Essay zeichneten sich durch einen Reichtum an Themen aus, in denen sich europäische und außereuropäische Lebensweisen eindrucksvoll widerspiegelten. In ihnen sind, wie Schlott in seinem Vorwort betonte, „tradierte Beschreibungen von Erfahrungen im Exil, die Chancengleichheit in der Demokratie […] oft durch neue Lebensmuster abgelöst worden.“44 Besonders spannend seien Kulturmuster, die aus den postsowjetischen und asiatischen Lebensräumen stammend, in der deutschen Sprache ihre markanten Spuren hinterlassen hätten. Die Präsentation der Anthologie und Lesung einzelner Beiträge fand, vorbereitet von der Vizepräsidentin Urszula Usakowska-Wolff, gefördert von der Botschaft des Königreich Belgiens, unter Anwesenheit des Ministerpräsidenten der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Karl-Heinz Lambertz, vor 43 Vgl. Anm. 41. 44 Vgl. Zuhause nur im Wort, S. 8.

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rund 100 Zuhörern am 24. März 2010 im Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße statt. Im Jahr 2010 feierte der Russische Literatursalon Bei Fadins, eine Assoziation des Exil-PEN e. V., sein zehnjähriges Jubiläum. Der in Berlin lebende Schriftsteller und Lyriker Vadim Fadin hatte gemeinsam mit seiner Frau Anna Pertschonok-Fadina in der Biesenthaler Straße im Berliner Stadtteil Alt-Hohenschönhausen zu Beginn des 21.  Jahrhunderts die gemeinsame Wohnung als Ort der Begegnung für in Deutschland lebende und aus Russland kommende russischsprachige Autoren zur Verfügung gestellt. Seit 2000 lasen in diesem Salon mehr als vierzig renommierte Schriftsteller und Schriftstellerinnen, darunter Viktor Jerofejew, Andrej Bitow, Ljudmila Ulitzkaja, Boris Chasanow, Wera Pawlowa und Anna Altschuk.45 Diese international anerkannte Begegnungsstätte leistet mit ihren Veranstaltungen einen wertvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Anerkennung des Zentrums der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder.46 Zwischen 2007 und 2010 verstärkte sich das kulturpolitische Engagement des ExilPEN-Clubs deutschsprachiger Länder. Den Kern dieser Aktivitäten bildeten mehrere Appelle an die in Deutschland akkreditierten Botschafter von Staaten, in denen es zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu gravierenden Verletzungen der Menschen- und Bürgerrechte kam (China, Russland, Myanmar, Belorussland), sowie Petitionen für die Freilassung inhaftierter Dissidenten in Kuba und Protestschreiben an Journalistenverbände in der Türkei wegen der wachsenden Zahl verhafteter Publizisten. Einem historischen Thema mit tragischen Aspekten war die Herbsttagung des Exil-PEN-Clubs deutschsprachiger Länder vom 22.–23. Oktober 2010 im Museum des Tschechischen und Slowakischen Exils in Brünn gewidmet. Unter dem Titel ‚Deutsche, Tschechen und Slowaken im Exil. Wechselseitige Erfahrungen in zwei Diktaturen (1933 bis 1989)‘ fand gemeinsam mit dem Magistrat der Stadt Brno und dem tschechischen PEN-Zentrum ein Treffen von Autoren und Wissenschaftlern statt. Schwerpunkte bildeten Vorträge über Milena Jesenská (Alena Wagnerova), Fritz Beer als Publizist und Präsident des Londoner Exil-PEN-Clubs, den slowakischen Dissidenten Dominik Tatarka (Maria Batorova), Gejza Vamos im chinesischen und brasilianischen Exil (Dušan Šimko), das schöpferische Werk von Bohuslav Martinů (Mikuláš Bek) sowie zwei Beiträge von deutschen Exil-PEN-Mitgliedern über Emigration nach China während des Zweiten Weltkriegs (Peter Finkelgruen, PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland) und Lehren aus der Zwangsemigration deutscher antifaschistischer und tschechischer Intellektueller zwischen 1933 und 1989 (Wolfgang Schlott). Die produktive Zusammenarbeit zwischen beiden PEN-Zentren kam auch in der Teilnahme von Jiří Gruša, dem ehemaligen Präsidenten des Internationalen PEN, zum Ausdruck. Gemeinsam mit Mojmír Jeřabek moderierte und kommen45 Vgl. Anna Pertschonok-Fadina und Vadim Fadin (Hrsg.): Zehn Jahre Russischer Literatursalon ‚Bei Fadins‘. Berlin und München: [o. V.] 2011 (Publikation in russischer Sprache). 46 Vgl. Homepage des Exil-PEN e. V. (Erstellung 2012). Verfügbar unter URL: http://www.exil-pen.de (Letzter Zugriff: 7. 11. 2013).



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tierte er die Mehrzahl der Vorträge, die vor allem in Brünner Universitätskreisen ein nachhaltiges Echo hinterließen.47 Das Jahr 2011 brachte personelle Veränderungen im Präsidium des Exil-PENClubs deutschsprachiger Länder. Auf der Frühjahrstagung in Friedrichroda (15.– 17.  April 2011) trat die Vizepräsidentin Urszula Usakowska-Wolff aus beruflichen Gründen zurück, während der tschechische Kollege Jaroslav Marek-Vejvoda aus Prag aufgrund gesundheitlicher Erwägungen auf sein Amt des Vizepräsidenten verzichten musste. Auch Schatzmeisterin Marina Michel bat aus Gründen beruflicher Entlastung um Entbindung von diesem Ehrenamt, das sie elf Jahre mit großem Engagement ausübte. In dieser Zeit war es ihr mehrfach gelungen, Fördergelder der Europäischen Union und anderer Stiftungen zu akquirieren. Ihr Amt übernahm Heidrun Hamersky. Die Tagung thematisierte ‚55 Jahre Exil-PEN – Ausblick und Rückblick‘; sie war vor allem der Europäischen Erinnerungskultur gewidmet. Zu diesem wichtigen Thema referierten Andreas Schönfelder (Leiter der Umweltbibliothek in Großhennersdorf) und Konrad Petter aus Liberec. Wolfgang Schlott gab einen Überblick über die Rolle des Exil-PEN e. V. in der kulturpolitischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland und entwickelte Ideen zur Zukunft der Vereinigung. Mit Verweis auf sechs neue Mitglieder aus dem rumäniendeutschen Literaturkreis, die alle der jüngeren Generation angehören, betonte er, dass auch die Werbung von Kandidaten aus den afrikanischen und asiatischen Kulturräumen vorangetrieben werde. Es gehört zu den bewährten Veranstaltungsformen, dass literarische Vereine ihre Mitglieder in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu Lesungen aus eigenen Werken einladen. Eine solche Werkstattlesung fand am 26./27.  November  2011 in der Internationalen Jugendherberge in Berlin statt. Moderiert von Präsidiumsmitgliedern lasen Autoren aus dem Iran, aus Rumänien, Russland, Usbekistan und Deutschland. Seit Dezember 2011 liefen auch die Vorbereitungen einer Tagung in Bad Kissingen (November 2012), deren Schwerpunkt auf der Rezeption der rumäniendeutschen Literatur in Deutschland lag. Unter dem Titel ‚Heimat – gerettete Zunge. Die rumäniendeutsche Literatur in der Bundesrepublik Deutschland‘ entwickelte der Präsident mit Unterstützung der aus Rumänien stammenden Exil-PEN-Mitglieder eine Tagungskonzeption, die zwecks Akquisition von Förderungsgeldern beim Referat 21 des Beauftragten der Bundesrepublik Deutschland für Medien und Kultur eingereicht wurde. Im Zeitraum Februar bis September 2012 organisierte der Exil-PEN, – oft gemeinsam mit amnesty international, Gruppe Bremen – Solidaritätsveranstaltungen für den zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilten chinesischen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, protestierte gegen die Kriminalisierung von türkischen Journalisten, engagierte sich für die Freilassung der Moskauer Pop-Gruppe ‚Pussy Riot‘, unterstützte die 47 Vgl. Tagungsbericht von Roman Kopřiva in: Germanoslavica (Prag), 23  (2012)  1, S.  134–137. Vgl. auch die Veröffentlichung des Tagungsbeitrags von Wolfgang Schlott: Deutsche, tschechische und slowakische Schriftsteller im Exil. Wechselseitige Erfahrungen mit zwei Diktaturen (1933–1989). In: Germanoslavica (Prag), 23 (2012) 1, S. 89–99.

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Durchführung einer Ausstellung und die Publikation von Katalogen über in Deutschland entstandene künstlerische Werke von Künstlern aus Russland und der Türkei. Im November 2012 beteiligte sich der Exil-PEN e. V. an dem seit sechs Jahren in Bremen und Bremerhaven stattfindenden Festival für grenzüberschreitende Literatur GLOBALE, das 2007 gemeinsam von Radio Bremen (Libuše Černá) und dem Präsidenten des Exil-PEN, Wolfgang Schlott, gegründet worden war. In der Funktion des Mit-Veranstalters lud Schlott 2011 den im deutschen Exil lebenden kurdischen Autor Helim Yusif, den aus Polen stammenden Prosaautor Artur Becker sowie zwei deutschsprachige, aus Rumänien stammende Autoren, Franz Hodjak und Hans Bergel, zu Lesungen ein und moderierte einige Veranstaltungen. Auf der Bad Kissinger Tagung vom 16.–18. November 2012 waren – parallel zu der von der UNESCO anerkannten interkulturellen Veranstaltung GLOBALE in Bremen – zwölf aus Rumänien stammende, renommierte deutschsprachige Autoren und Wissenschaftler Gast der Tagungsstätte Heiligenhof. Unter dem Motto ‚Heimat – gerettete Zunge. Die rumäniendeutsche Literatur in der Bundesrepublik Deutschland‘ lasen zehn Prosaautoren und eine Lyrikerin aus ihren Werken, deren Entstehung und Einordnung in der deutschen literarischen Öffentlichkeit in begleitenden Referaten erörtert wurden.48 In einer abschließenden Bewertung dieser themenorientierten Tagung sprach der Generalsekretär des Exil-PEN e. V., Horst Samson, von einer Zäsur, die mehr als zwanzig Jahre nach dem Abgesang auf die rumäniendeutsche Literatur zu Beginn der 1990er Jahre von einer vorsichtigen Hoffnung auf eine Renaissance gekennzeichnet sei. Wer die Initiatoren und Träger dieser Wiedergeburt sein werden, inwieweit sie sich auf dem deutschen Literaturmarkt durchsetzen werden und ob die Förderung der Nachwuchsautoren in Temeswar oder Klausenburg eine nachhaltige Wirkung zeigen wird, bleibt abzuwarten. Anzumerken ist, dass der Exil-PEN e. V. mit finanzieller Unterstützung des Referats 21 beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien in beide Richtungen eine Brückenfunktion erfüllt – als Impulsgeber für die in der Bundesrepublik Deutschland wirkenden Autoren aus dem Banat und Siebenbürgen sowie als Förderer des literarischen Nachwuchses, der über die rumänischen Grenzen hinaus nach Publikationsmöglichkeiten in der deutschen Verlagslandschaft sucht.49

48 Vgl. Balthasar Waitz: Schöne Mitteilungen aus der ‚Kampfzone‘ und kein Ende. Am Rande der Literaturtagung ‚Heimat – gerettete Zunge‘ in Bad Kissingen. In: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (Bukarest), 30. 11. 2012; Elke Sabiel: Fachtagung mit Lesungen und Vorträgen. In: Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien (Bukarest), 5. 12. 2012. 49 Vgl. Balthasar Waitz: Weitere Stafette-Autorin im Exil-P.E.N. Verstärkte ‚Fraktion‘ der Banater deutscher Autoren. In: Banater Zeitung, 19. 12. 2012.



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7 Schlussbemerkungen Mit Blick auf die sich wandelnden Aufgaben des PEN-Zentrums der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder im 21. Jahrhundert und im Rückblick auf 56  Jahre Vereinsgeschichte lässt sich eine Reihe von Erkenntnissen zusammentragen: Ungeachtet der wenigen schriftlichen Quellen aus der frühen Clubphase, die von wirksamen informellen, aber auch von nachhaltigen kulturpolitischen Aktivitäten gekennzeichnet war, ist festzuhalten, dass der Exil-PEN erst am Ende der 1990er Jahre ein von Finanzamt und Amtsgericht anerkannter Verein wurde. War die frühe Phase in den 1960er und 1970er Jahren von den individuellen Aktivitäten der renommierten Vereinsmitglieder geprägt, so setzte sich seit Anfang der 1980er Jahre der Führungsstil des langjährigen Präsidenten Rudolf Ströbinger durch. Er lenkte, gemeinsam mit seinem Pressereferenten Hans Lindemann und dem Generalsekretär Samuel Beer, die Geschicke des Vereins. Ihre unermüdliche, anregende Arbeit schlug sich in zahlreichen Tagungen nieder, die brennende kulturpolitische Themen ebenso wie spezifische literarische und kulturhistorische Fachprobleme behandelten. Sie fand ihre nachdrückliche Würdigung in der Tages- und Fachpresse wie auch in staatspolitischen Auszeichnungen. Zu Beginn der 1990er Jahre bestand die besondere politische Herausforderung für die weitere Vereinsexistenz darin, angesichts der optimistischen Prognosen vom Ende der Spannungen zwischen Ost und West und dem Herannahen von harmonischen Beziehungen zwischen den Kulturen zu warnen.50 Entgegen der Vorhersagen strömten im Laufe der 1990er Jahre wie auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin Schriftsteller und Journalisten aus zahlreichen europäischen und außereuropäischen Krisenherden nach Deutschland. Für mehr als zwei Dutzend unter ihnen bildete der Exil-PEN e. V. das Auffangbecken. Dieser Zustrom aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, aus der Russischen Föderativen Republik, aus Rumänien, aus dem Iran, Syrien, Kuba, Vietnam, der Türkei stellte das Zentrum der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder vor neue Aufgaben. Während die Tagungen und Lesungen in den Jahren 2000–2005 noch einen bestimmten postkommunistischen Nachhalleffekt aufwiesen, widmeten sich die Aktivitäten und Tagungen der Folgejahre vielmehr den globalen Auswirkungen der Konflikte einer medial gesteuerten Welt. Zudem verstärkte sich die Tendenz, interkulturelle Problemfelder aufzuarbeiten. Aufgrund dieses Wandels in der Vereinsarbeit drängt sich die Frage nach der bundesweiten Funktion einer Exil-Organisation auf: Soll sie sich in Kooperation mit bestehenden Kultureinrichtungen betätigen und in Anbindung an Literaturfestivals ihre exilspezifischen Aufgaben erfüllen? Soll sie sich noch intensiver auf dem Feld der Betreuung von inhaftierten Autoren weltweit engagieren? Dient die individuelle Förderung von exilierten Autoren der späteren Zusammenarbeit mit nationalen Literatureinrichtungen? Soll sie zum Sprachrohr von nationalen und ethnischen Minder50 Vgl. Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte – wo stehen wir? München: Kindler 1992.

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heiten werden, um deren emanzipatorische Bemühungen zu unterstützen? Der mit bescheidenen finanziellen Mitteln ausgestattete Verein verfolgte in den vergangenen sieben Jahren eine aus verschiedenen Aspekten gebündelte Aktivität. Sie bestand in der Veranstaltung von Tagungen und Lesungen in Deutschland und benachbarten Ländern, in der Mitverantwortung bei der Durchführung von Festivals, in der Betreuung von Autoren bei Buchveröffentlichungen in Form von Vor- und Nachworten wie auch in dem politischen und kulturellen Engagement für in Diktaturen verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten. Angespornt durch die ideelle und finanzielle Unterstützung durch Stiftungen, Fonds und sympathisierende Organisationen und Gruppierungen bemüht sich der Exil-PEN als ein eingetragener Verein, auch weiterhin die in Deutschland wirkenden und nach Deutschland immigrierten Schriftsteller und Journalisten im Rahmen seiner Möglichkeiten zu fördern und ihnen im Falle mangelnder Anerkennung jegliche Unterstützung zu gewähren.

Literatur- und Quellenhinweise amnesty international: Shut up! Cartoons for Amnesty. Fünfzig Beiträge zum Thema ‚Freiheit oder Unterdrückung‘. Mit Geleitworten von Gabriel Laub, François Cabanna und Art Buchwald. Oldenburg: Stalling 1978. Dichter ohne Heimat. Band I: Tschechische und slowakische Exilschriftsteller. Ausgewählt und herausgegeben von Antonín Kratochvil. Internationaler PEN-Club. München: Logos Verlag 1970. „Exil in der Literatur – Literatur im Exil. 1956–1996“. 40 Jahre EXIL PEN CLUB DEUTSCHSPRACHIGER LÄNDER. Norden: Exil-PEN-Club deutschsprachiger Länder 1997. Exil-PEN-Club (Hrsg.): Feuer, das ewig brennt. Schriftsteller im Exil stellen sich vor. Mit Grußworten von Václav Havel und Michal Kovač. Egelsbach, Frankfurt am Main, München und New York: Hänsel-Hohenhausen 2001. Forschungsstelle Osteuropa (Hrsg.): SAMIZDAT. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa: Die 60er bis 80er Jahre. Bremen: Edition Temmen 2000 (Dokumentationen zur Kultur und Gesellschaft im östlichen Europa 8). Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte – wo stehen wir? München: Kindler 1992. Hanuschek, Sven: Geschichte des bundesdeutschen PEN-Zentrums 1951–1990. Tübingen: Niemeyer 2004 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 98). König, Josef Walter: 1956–2006. 50 Jahre Zentrum „Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder“ im Internationalen P.E.N. Donauwörth 2006 (Unveröffentlichte Chronik). Kopřiva, Roman: (Tagungsbericht). In: Germanoslavica (Prag), 23 (2012) 1, S. 134–137. Mirosław A. Supruniak: Literatura wielu emigracji. Wstęp [Schrifttum aus vielen Emigrationen. Einleitung]. In: Archivum emigracji. Studia-Szkice-Dokumenty [Studien, Skizzen, Dokumente]. Toruń Heft I (10) 2009. Mitteilungen und Bulletins des Exil-PEN e. V. Peitsch, Helmut: „No Politics“? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933–2002. Göttingen: V&R unipress 2006 (Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs 20). Pertschonok-Fadina, Anna und Vadim Fadin (Hrsg.): Zehn Jahre Russischer Literatursalon ‚Bei Fadins‘. Berlin und München: [o. V.] 2011 (Publikation in russischer Sprache).



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Samson, Horst (Hrsg.): Heimat – gerettete Zunge. Visionen und Fiktionen deutschsprachiger Autoren aus Rumänien. Mit einem Vorwort von Wolfgang Schlott. Ludwigsburg: Pop-Verlag 2013. Schlott, Wolfgang: Deutsche, tschechische und slowakische Schriftsteller im Exil. Wechselseitige Erfahrungen mit zwei Diktaturen (1933–1989). In Germanoslavica (Prag), 23 (2012) 1, S. 89–99. Werner, Kasimir Geza: Meine Lüge ist die Wahrheit. Eine Autobiographie. Darmstadt: Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde 1986. Zuhause nur im Wort. Eine Anthologie der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder. Mit einem Vorwort von Wolfgang Schlott. Ludwigsburg: Pop Verlag 2009. Samson, Horst (Hrsg.): Heimat – gerettete Zunge. Visionen und Fiktionen deutschsprachiger Autoren aus Rumänien. Mit einem Vorwort von Wolfgang Schlott. Ludwigsburg: Pop-Verlag 2013. Der Autor dankt Josef Walter König, Hans Lindemann, Samuel Beer, Horst Samson, Peter Finkelgruen, Marina Michel und Urszula Usakowska-Wolff für die freundliche Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.

 IV Weitere deutschsprachige PEN-Zentren

 Österreich

Klaus Amann

Der österreichische PEN-Club in den Jahren 1923–1955 1 Gründung und erstes Jahrzehnt Die aus englischem Club-Geist und unter dem Schock des Ersten Weltkrieges erfolgte Gründung des Internationalen PEN im Oktober 1921 in London antwortete auf ein Bedürfnis der Zeit. In weniger als zwei Jahren etablierten sich europaweit rund ein Dutzend nationaler Zentren, die den Gründungsideen der Humanität, der Freiheit, des friedlichen Zusammenlebens der Nationen und des geselligen Verkehrs der Schriftsteller untereinander, wie sie die Satzung des PEN proklamiert, über die nationalen Grenzen hinweg Geltung und Raum verschaffen wollten. (Unterdessen marschierte Mussolini auf Rom und Hitler putschte in München.) Um die von der Gründerin, der Schriftstellerin Catherine Amy Dawson Scott, erhoffte Repräsentativität des PEN herzustellen, hatte der erste Präsident des Clubs, John Galsworthy, eine Anzahl berühmter europäischer Schriftsteller eingeladen, eine Ehrenmitgliedschaft zu übernehmen.1 Neben Romain Rolland, Georg Brandes, Anatole France, Gerhart Hauptmann, Maxim Gorki, Knut Hamsun, Thomas und Heinrich Mann hatte auch Arthur Schnitzler eine Einladung erhalten. Am 9. Dezember 1921 trat er diesem „ersten Versuch eines internationalen Zusammenschlusses [der Schriftsteller] mit hoffnungsvoller Freude“ bei.2 Mit seinem Schreiben nährte Schnitzler indirekt wohl auch die Erwartung, er werde die Gründung eines Wiener Zentrums in die Wege leiten, wozu ihn Heinrich Mann ermuntert hatte. Doch die Suche nach einem Präsidenten und willigen Funktionären gestaltete sich schwierig – bis die gesellschaftlich, politisch und auch literarisch ambitionierte, gerade erst dreißigjährige Schriftstellerin und Journalistin Grete von Urbanitzky aus Linz sich Schnitzler und der Londoner Zentrale in der Rolle als Gründerin andiente oder eher aufdrängte.3 Einem offenen Brief von Karl Kraus an Grete von Urbanitzky vom Oktober 1923, in dem er sich süffisant für die Einladung 1 Vgl. Klaus Amann: P.E.N. Politik · Emigration · Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1984, S. 9–15. 2 Vgl. das Faksimile seines Antwortbriefs bei Roman Roček: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines Clubs. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 2000, S. 24. Zum Folgenden vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 32ff. Die ausufernde, etwas egozentrische Darstellung von Roman Roček, der drei Jahrzehnte lang (bis 2000) Funktionen im Vorstand des österreichischen PEN bekleidete (Schatzmeister, Vizepräsident), ist reich an Material, irritiert aber immer wieder durch Ungenauigkeiten und schwer nachvollziehbare Wertungen. 3 In Schnitzlers Tagebuch taucht Urbanitzky zum ersten Mal am 26. 2. 1923 auf. Vgl. Arthur Schnitzler. Tagebuch 1923–1926. Hrsg. von der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth u. a. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1995, S. 28.

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‚bedankt‘, dem werdenden österreichischen Zentrum beizutreten, ist zu entnehmen, dass u. a. folgende Personen den Gründungs-„Ausschuß der österreichischen Sektion des Londoner P.E.N. Club“ in Wien gebildet haben: Raoul Auernheimer (Schriftsteller und Theaterkritiker der Neuen Freien Presse), Gisela von Berger (Schriftstellerin), Richard Kola (Vizepräsident der Britisch-Österreichischen Bank, Gründer des RikolaVerlags), Hans Müller (Bildhauer), Moritz Scheyer (Schriftsteller, Journalist bei der Arbeiter-Zeitung), Julian Sternberg (Journalist beim Wiener Tagblatt), Siegfried Trebitsch (Schriftsteller, Übersetzer von G. B.  Shaw), Grete von Urbanitzky und Berta Zuckerkandl (Journalistin bei der Wiener Allgemeinen Zeitung).4 Die großen literarischen Namen fehlten auf dieser Liste (noch), doch die Netzwerke der großen Tageszeitungen standen von links bis zur bürgerlichen Mitte über prominente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen einige auch bekannte Friedensaktivisten waren, parat. Dazu kamen Repräsentanten des Verlags- und des Geldwesen, sowie des (1918 angeblich abgeschafften) Adels. Taktisch gesehen keine schlechte Mischung. Aus Schnitzlers Tagebüchern erfahren wir, dass die erste große Abendveranstaltung der österreichischen Sektion mit einem Souper zu Ehren des französischen Schriftstellers und Trägers des Prix Goncourt von 1918, Georges Duhamel, am 8. Dezember 1923 vonstatten ging. Da existierte bereits ein eigenes ‚Club-Local‘ (mit Lesezimmer und einem Vortragssaal für 150 Personen) in den Räumen der während des Ersten Weltkrieges gegründeten pazifistisch orientierten ‚Österreichischen Politischen Gesellschaft‘ (Wien I., Annagasse 5; in unmittelbarer Nähe des Hotel ‚Sacher‘). Und die Funktionen waren auch schon verteilt. Grete von Urbanitzky, die nach einer süffisanten Bemerkung von Karl Kraus „neben Richard von Schaukal die einzige Bürgerliche [sei], deren Adel nicht abgeschafft wurde“5, amtierte als erste (General-) Sekretärin. Sich selber titulierte Schnitzler im Tagebuch als „Ehrenpraes. […] sehr contre cœur“.6 Er wollte sich der noblen Sache offenbar nicht verschließen, schalten und walten ließ er die anderen: Urbanitzky, die sich auf den offiziellen Papieren des Clubs als „Gründerin“ titulierte und seinen alten Freund Raoul Auernheimer, der zum geschäftsführenden Präsidenten gewählt worden war.7 Dass unter den Gästen des ersten Festabends, die Schnitzler erwähnt, u. a. der Präsident des Presseclubs ‚Concordia‘, der Eigentümer und Chefredakteur der Neuen Freien Presse und ein ehemali-

4 [Karl Kraus]: [Brief] An Frau Grete Urbanitzky. In: Die Fackel 640–649 (Mitte Januar 1924), S. 66–69, hier S. 68. Vgl. auch Roček: Glanz und Elend, S. 36f. 5 Die Fackel 657–667 (August 1924), S. 69. 6 Arthur Schnitzler. Tagebuch 1923–1926, S. 103 (8. 12. 1923). 7 Die Statuten wurden erst am 5. 7. 1924 der Vereinspolizei vorgelegt. Im Begleitschreiben charakterisierte Urbanitzky den neuen Verein folgendermaßen: „Der Wiener Penclub ist ein unpolitischer Verein, dessen Zweck es ist, die Freundschaft zwischen den Schriftstellern der ganzen Welt zu fördern und nach Wien kommenden ausländischen Schriftstellern gastliche Aufnahme zu gewähren, wie sie auch beruflich und kollegial zu unterstützen.“ Die Behörde genehmigte den „Wiener Penclub“ am 28. 7. 1924. Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 38 und S. 41 sowie S. 42 zum ‚Club-Local‘.



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ger (und künftiger) Finanzminister anzutreffen waren, kann durchaus als Vorschein des Kommenden gewertet werden. An gesellschaftlichem Glanz fehlte es den Veranstaltungen des Wiener PENClubs in der Folge nicht. Er entwickelte sich, dem englischen Vorbild folgend, für ein knappes Jahrzehnt zu einem erlesenen literarischen Geselligkeitsverein mit regelmäßigen gemeinsamen Abendessen, wöchentlichen Tee-Nachmittagen8 und, äußerst öffentlichkeitswirksam, zu einem repräsentativen literarischen Bankettveranstalter. Für die Idee der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben wirkte er vor allem mit der Ausrichtung großer Vortragsabende, ‚Diners‘ und ‚Meetings‘ für (meist) prominente Männer des Geistes und PEN-Mitglieder aus dem In- und Ausland. Mit glanzvollen Banketten und Empfängen wurden in den Jahren 1925 bis 1930 u. a. geehrt und hofiert: John Galsworthy, Thomas Mann, Georg Brandes, Colette, Jakob Wassermann, Edouard Herriot (franz. Unterrichtsminister), Alfred Kerr, Max Reinhardt, Schalom Asch, Anton Wildgans, Gerhart Hauptmann, aber auch, in Anwesenheit des diplomatischen Korps, der österreichische Bundespräsident Michael Hainisch, im Nebenberuf Verfasser von (Dialekt-)Gedichten und sozialpolitischen Werken. Auch ‚Damenkränzchen‘ und Wohltätigkeitsveranstaltungen, u. a. im Hotel ‚Imperial‘, standen auf dem Programm, bei denen, vom Bundeskanzler aufwärts die Reichen und Schönen mit „Tingeltangel“, Lotterie, „Glücksrad“ und Tanz sich zum Wohle der minderbemittelten Schreibenden ergötzten. Wem die Wohltaten zugute kamen, ist nicht bekannt.9 Es gibt Anzeichen dafür, dass ein schon länger schwelender Konflikt zwischen Grete von Urbanitzky und Raoul Auernheimer 1925 eskalierte. Zum einen hatte Urbanitzky, die offen mit den Nationalsozialisten sympathisierte, zunehmend völkische und auch nationalsozialistische Autoren als Mitglieder in den Club eingeschleust und damit ihre Hausmacht gegen Auernheimer, ein Neffe Theodor Herzls, gestärkt; andererseits dürfte ihr auf Pomp und gesellschaftliche Repräsentation gerichteter Veranstaltungsaktivismus auf Auernheimers (und nicht nur auf seinen) Widerstand gestoßen sein. Nur mit Mühe gelang es in der Vorstandssitzung vom 4. Januar 1926, Auernheimers Rücktritt abzuwenden. Er hielt noch ein Jahr durch, doch wurde in der Vorstandssitzung vom 13. Dezember 1926 ernsthaft darüber diskutiert, den Club aufzulösen.10 In der Generalversammlung vom 27. April 1927 trat Auernheimer dann zurück. Die Suche nach einem neuen Präsidenten gestaltete sich schwierig. Sogar der widerwillige Ehrenpräsident engagierte sich und versuchte, den Dramatiker und ehemaligen Burgtheaterdirektor Anton Wildgans zu gewinnen. Die Begründung Schnitzlers verrät auch seine Unzufriedenheit mit dem Status quo: „[Ich möchte] die Tätigkeit 8 Vgl. [Karl Kraus]: [Brief] An Frau Grete Urbanitzky. In: Die Fackel 640–649 (Mitte Januar 1924), S. 66–69, hier S. 67f. 9 Vgl. Festabend des Wiener P.E.N.-Klubs. Empfang im Hotel Imperial. In: Neue Freie Presse, 17. 5. 1933, S. 4. Abdruck bei Amann: P.E.N., S. 18f. 10 Vgl. Arthur Schnitzler. Tagebuch 1923–1926, S. 299 (14. 12. 1925); Roček: Glanz und Elend, S. 56.

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des Präsidenten und des Vorstandes weiterspannen, als es in der letzten Zeit der Fall gewesen ist. Der Präsident des Pen-Clubs könnte Gutes, Wichtiges leisten – nicht nur in leerem repräsentativem und gesellschaftlichem Sinn, sondern auch für den Stand der Schriftsteller als solchem, zur wirklichen Pflege der internationalen Beziehungen (nicht nur Veranstaltung von Banketten)“.11 Wildgans lehnte wegen Arbeitsüberlastung ab. Erst im Oktober 1927 gelang es, durchaus nicht konfliktfrei, den Wunschkandidaten Urbanitzkys, den Erfolgsautor und Feuilletonisten Felix Salten als neuen Präsidenten zu installieren. Schnitzler schätzte Salten als alten Bekannten, bei dem er allerdings, wie er im Tagebuch anmerkte, „auch immer Unverlässlichkeit im kleinen und im großen spüre“.12 In Saltens Präsidentschaft fallen Momente des stärksten öffentlichen Glanzes und der größten inneren Zwietracht in der Geschichte des Clubs. Für seinen VII. Jahreskongress 1929 hatte der internationale Verband Wien als Tagungsort auserkoren, was die Österreicher als unerwartete Auszeichnung begrüßten. Vom 24.–29. Juni tagte der Internationale PEN mit 160 Teilnehmern aus aller Welt in der Stadt. Ehrengäste und Delegierte logierten im ‚Imperial‘ und im ‚Grand Hotel‘. Die feierliche Eröffnung ging im Kuppelsaal des Belvedere über die Bühne: mit Mozart und Schubert, Bundespräsident Miklas und Bürgermeister Seitz. Felix Salten hob in seiner Begrüßungsrede den feinen Unterschied hervor, dass „der Bundespräsident unserer Republik das unpolitische [Hervorhebung des Verfassers] internationale Schrifttum durch seine Gegenwart bei unserer Feier [ehrt]“.13 Der Bundespräsident tat ein Übriges und ließ es sich nicht nehmen, vor diesem ‚Völkerbund des Geistes‘ eigenhändig über die österreichische Literatur zu referieren – angefangen bei Walther von der Vogelweide, der in Wien singen und sagen gelernt habe, bis zu Ferdinand Raimund und vielen anderen, „deren Namen momentan nicht alle zu nennen sind“.14 Es folgten Empfänge 11 Arthur Schnitzler an Anton Wildgans (17. 6. 1927). In: Lilly Wildgans (Hrsg.): Anton Wildgans. Ein Leben in Briefen. 3 Bde. Wien: Frick 1947, Bd. 3, S. 168f. 12 Arthur Schnitzler. Tagebuch 1927–1930. Hrsg. von der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth u. a. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1997, S. 190 (16. 9. 1928). Vgl. auch Roček: Glanz und Elend, S. 55–62. Ein Mitgliederverzeichnis des Wiener PEN (Stand Februar 1928) verzeichnet knapp 150 Namen. Die bekanntesten sind: Hermann Bahr, Béla Balázs, Richard Billinger, Franz Blei, Franz Theodor Csokor, Sigmund Freud, Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Julius Korngold, Alexander Lernet-Holenia, Alma Mahler, Ludwig Mises, Robert Musil, Robert Neumann, Rudolf Olden, Max Reinhardt, Arthur Schnitzler, Karl Schönherr, Julius Tandler, Ludwig Ullmann, Franz Werfel, Anton Wildgans, Paul von Zsolnay, Berta Zuckerkandl, Stefan Zweig. Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 78 und S. 608f. Der Anteil der völkisch- und/oder katholisch-Nationalen an der Gesamtzahl dürfte ca. 20–30 Prozent betragen haben. Im Vorstand waren sie Ende der 1920er bzw. Anfang 1930er Jahre bedeutend stärker vertreten. 13 Völkerbund des Geistes: Die Eröffnung. In: Neue Freie Presse, 25. 6. 1929, S. 8. 14 Vgl. Karl Kraus: Wenn das Wort ergriffen wird. In: Die Fackel 811–819 (Anfang August 1929), S. 112−120: „Daß der Bundespräsident Miklas so gesprochen hat, glaube ich der Zeitung aufs Wort. Nicht unbegreiflich ist, daß er die Namen momentan nicht alle nennen könnte. Aber zum Zentrum



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in Schönbrunn und im Rathaus, zwei Halbtagssitzungen im Niederösterreichischen Landhaus in der Herrengasse, weitere Empfänge und ein Abschiedsbankett im Hotel ‚Panhans‘ auf dem Semmering. Zwei Resolutionen (Verlängerung der Schutzfrist für Bücher von 30 auf 50 Jahre und gegen gesetzliche Verbreitungsbeschränkungen aus Gründen der ‚Sittlichkeit‘) wurden einstimmig angenommen.15 Einen größeren Bahnhof hat es weder vorher noch nachher für einen Schriftstellerkongress in Österreich gegeben. Die gerade zehn Jahre junge, wirtschaftlich desolate, politisch zerrissene, paramilitärisch aufgerüstete, gewalttätige und mit einem Heer von Arbeitslosen auf den Abgrund zusteuernde Republik, wo bei einer Demonstration vor dem Justizpalast keine zwei Jahre zuvor die Polizei das Feuer auf die Menge eröffnet hatte und 89 Menschen getötet worden waren, präsentierte sich der Welt als Hort der Literatur und spendables Land des Lächelns. Der Mörder des jüdischen Schriftstellers Hugo Bettauer, ein eingeschriebenes Mitglied der NSDAP, spazierte nach nur 18 Monaten Sicherheitsverwahrung in einer psychiatrischen Klinik als freier Mann in den Straßen Wiens herum. Und der österreichische PEN schritt von Bankett zu Buffet und agierte demonstrativ nach der Devise des ersten Präsidenten des Internationalen PEN, John Galsworthy, der die Parole ausgegeben hatte, ,No politics in the P.E.N. Club under any circumstances‘. Das liberale und menschenfreundliche Credo des Clubs16 musste jedoch früher oder später in Konflikt geraten mit den Umständen und Gegebenheiten der zeitgenössischen Politik und der zeitgenössischen Justiz.17 Etwa wenn die Freiheitsrechte von Schriftstellern, erst recht, wenn Leib und Leben auf dem Spiel standen. Da konnte auch der ‚unpolitische‘ PEN, der sich doch als eine internationale Republik der Schreibenden verstand, auf Dauer nicht die Augen verschließen. Bezeichnenderweise betrafen die ersten diesbezüglichen, z. T. noch durchaus ambivalenten und vom Geist der guten alten Gesellschaft geprägten Regungen des österreichischen PEN die öffentlichen Diskussionen und Interventionen rund um den ungarischen Publizisten Lajos Hatvany und den deutschen Schriftsteller und Journalisten Carl von Ossietzky (1928 und 1931). Beide waren wegen kritischer Veröffentlichungen in ihren Heimatländern zu Zuchthausstrafen verurteilt worden. Im Falle Ossietzkys schwangen Urbanitzky und Salten sich schließlich zu einem Telegramm an den deutschen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg auf, in dem sie um „Umwandlung der Kerkerstrafe in der Dichtkunst ist Wien erst durch seinen Vorgänger Hainisch geworden, dem er vermutlich auch die Information verdankt, daß hier außer diesem auch Walter von der Vogelweide singen und sagen gelernt hat.“ (S. 115). 15 Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 77ff. 16 Vgl. Punkt 3 der PEN-Charta: „Mitglieder des P.E.N. […] verpflichten sich, für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß und für die Hochachtung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit mit äußerster Kraft zu wirken.“ Zitiert nach: Österreichischer P.E.N. Bibliographie seiner Mitglieder. Bearbeitet von Johann Gunert. 2. verb. und erw. Aufl. Wien: [o. V.] [o. J.], S. 3. 17 Vgl. R. A. Wilford: The P.E.N. Club 1930–1950. In: Journal of Contemporary History 14 (1979), S. 99–116.

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ritterliche Festungshaft“ ersuchten.18 Diese zaghaften Ansätze einer politischen Bewusstwerdung des österreichischen Clubs im Gefolge von Diskussionen auf den internationalen Jahrestagungen fanden vor dem Hintergrund einer „schleichenden Machtergreifung“ von NS-Seite in den eigenen Reihen statt.19 Ein Indiz dafür ist auch Urbanitzkys Einladungspolitik. Seit dem Beginn der 1930er Jahre waren künftige Würdenträger und Profiteure der NS-Literaturpolitik auffallend häufig Gäste des österreichischen PEN, u. a. Wilhelm von Scholz, Paul Ernst, Hans Friedrich Blunck (Präsident der Reichsschrifttumskammer 1933−1935) und Hanns Martin Elster (ab 1933 in der Pressestelle der Reichsleitung der NSDAP) – ein Freund und Vertrauter Urbanitzkys. Das Jahr 1933, Hitlers Machtübernahme und die ‚Gleichschaltung‘ des literarischen Lebens in Deutschland stellten die österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller vor ähnliche existenzielle Entscheidungen wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Denn der politische Gesinnungsdruck wurde auch für österreichische Autoren, die von jeher auf den deutschen Markt angewiesen waren, durch wirtschaftliche Sanktionen des NS-Regimes zur existenzgefährdenden Bedrohung.20 Nicht nur, dass von den Bücherverbrennungen am 10.  Mai  1933 auch Werke österreichischer Autoren und PEN-Mitglieder (u. a. Arthur Schnitzler, Franz Werfel und Stefan Zweig) betroffen waren. Es gab eine ganze Reihe offizieller und inoffizieller Maßnahmen, die, gestützt auf die denunziatorische Mithilfe österreichischer NaziAutoren, zum Ziel hatten, jüdische und/oder politisch oppositionelle österreichische Autoren vom deutschen Buchmarkt auszuschließen. Der literarischen Öffentlichkeit wurde dieser Kampf um Verlagsverträge, Aufführungen und Lesereisen als ein Kampf der nationalen und völkischen Autoren gegen die ‚verjudete Wiener Literatur‘ vorgeführt. Das wichtigste Forum für diese Auseinandersetzung wurde der PEN-Club, der sich damit unversehens von einer literarischen Nachmittagsgesellschaft und einem Bankettveranstalter in eine politische Arena verwandelt sah, in der sich sichtbar – für alle Interessierten – die Spaltung der österreichischen Schriftsteller in Nutznießer und in Verfolgte des Dritten Reiches vollzog.21

2 1933 – Scheidung der Geister Den politischen Hintergrund, vor dem sich die Spaltung der österreichischen Literatur vollzog, bildete die im April und Mai 1933 im Dritten Reich durchgeführte ‚Aktion 18 Zu Hatvany vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 64 und Arthur Schnitzler. Tagebuch 1927–1930, S. 129f. (11. 2. 1928); zu Ossietzky vgl. Amann: P.E.N., S. 21. 19 Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 89f. und 95. 20 Vgl. Murray G.  Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938. 2  Bde. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1985, bes. Bd. 1, S. 125ff. 21 Vgl. Klaus Amann: Zahltag. Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich. 2. erw. Aufl. Bodenheim: Philo 1996.



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wider den undeutschen Geist‘. Sie endete keineswegs mit den spektakulären Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933. Das Autodafé war nur ein weithin sichtbarer, symbolischer Auftakt für die systematische Vernichtung Tausender wissenschaftlicher und intellektueller Existenzen.22 Während der Großteil der konservativen Presse in Österreich die Bücherverbrennung „im Namen deutscher Würde und Ehre wärmstens […] begrüßt[e]“23, sah man auf der linken Seite ganz klar, dass der Feldzug gegen den ,undeutschen Geist‘ in Wirklichkeit „gar kein geistiges, sondern nur ein sehr schäbiges materielles Motiv [hat]. Es ist in Wirklichkeit ein Teil jenes Stellungskrieges – sprich: Krieg um die Stellungen – auf welchen die ganze Hitlerei hinausläuft. Es sollen Plätze freigemacht werden für die Parteigenossen“.24 Das Verhalten österreichischer Autoren gegenüber den Vorgängen im Dritten Reich stand so von allem Anfang an unter dem Verdacht, sich am Kampf um die frei gewordenen Plätze zu beteiligen. Der erste in diese Richtung interpretierbare Fall war gegeben, als im April  1933 das erste, nationalsozialistisch ‚gleichgeschaltete‘ Heft der renommierten Zeitschrift Literarische Welt erschien. Zur Überraschung der österreichischen Leser hatten eine Reihe namhafter Autoren zum politischen Richtungswechsel ‚Geleitworte‘ geschickt, unter ihnen Bruno Brehm, Richard Billinger, Franz Karl Ginzkey, Max Mell, Josef Friedrich Perkonig und Josef Weinheber.25 Alle – mit Ausnahme Weinhebers – waren Mitglieder des PEN-Clubs. Für die Arbeiter-Zeitung war besonders schmerzlich, dass mit Billinger und Weinheber auch Autoren darunter waren, „die von der Sozialdemokratie gefördert wurden, als noch niemand von ihnen wußte.“ Die Zeitung nahm deshalb den Vorfall zum Anlass einer prinzipiellen Abrechnung mit der Parade der Überläufer. Der Artikel von Ernst Fischer, in dem er das Schule machende Wort von der ‚Scheidung der Geister‘ prägte, ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, was man im April  1933 über den Verrat der Intellektuellen wissen konnte – sofern man es wissen wollte.26 Vier Wochen später, beim XI.  Kongress des Internationalen PEN im Stadttheater von Ragusa/Dubrovnik (25.–28.  Mai  1933) fand – nicht nur für den österreichischen Club – die Probe aufs Exempel statt. Allgemein wurde erwartet, dass der Kongress sich mit der Verfolgung und Inhaftierung von Schriftstellern in Deutschland

22 Vgl. Julius Schoeps und Werner Treß (Hrsg.): Verfemt und Verboten. Vorgeschichte und Folgen der Bücherverbrennungen. Hildesheim, Zürich und New York: Olms 2010. 23 J. W. [d. i. Josefine Widmar]: Der nationale Index im Dritten Reich. In: Reichspost [Wien], 17. 5. 1933, S. 1f. Vgl. auch Klaus Amann: Im Schatten der Bücherverbrennung. In: K. A.: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918. Wien: Deuticke 1992, S. 60–73. 24 p. d. [d. i. Paul Deutsch]: Deutscher Kulturverfall. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 27. 4. 1933, S. 1. 25 Vgl. ,Die literarische Welt‘ in neuer Gestalt! In: Wiener Neueste Nachrichten, 25. 4. 1933, S. 3f. und Die ,literarische Welt‘ – gleichgeschaltet! In: Wiener Allgemeine Zeitung, 25. 4. 1933, S. 3. 26 e. f. [d. i. Ernst Fischer]: Das Dritte Reich braucht Lakaien. Die Parade der Überläufer. In: ArbeiterZeitung [Wien], 30. 4. 1933, S. 4. Vgl. auch Amann: P.E.N., S. 25.

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und mit den Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 beschäftigen werde.27 Von den österreichischen Autoren wurde als ein Beweis der Selbstachtung gefordert, dass sie, trotz der Tatsache, dass „jetzt so und so viele Konkurrenten im Bücherverkauf und in der Wettkriecherei um den Ruhm weniger sind“, Protest dagegen erheben, „daß der Rechtsstaat Deutschland nicht mehr existiert“ und „daß in jenem Lande, dessen Dichter Begriff und Wort der Gedankenfreiheit überhaupt erst geprägt hat, der Gedanke selbst geächtet und gebrandmarkt“ wird.28 Schon in seiner Eröffnungsansprache deutete der Vorsitzende des Kongresses, Galsworthys Nachfolger an der Spitze des internationalen Verbandes, der englische Schriftsteller H. G. Wells, ein „überaus wacher, streitbarer Mann“29, an, dass der Kongress auch Anlass gebe, zu überdenken, wofür der PEN-Club stehe. Die aktuelle Situation – wobei Wells nicht nur Hitler-Deutschland, sondern auch das faschistische Italien Mussolinis und das Russland Stalins im Auge hatte – zwinge den Club, „to make its laws and projects more comprehensive and more precise“.30 Diese Ankündigung signalisierte eindeutig die Abkehr vom alten Grundsatz ,No politics in the P.E.N.-Club under any circumstances‘: It has been the profession of the P.E.N. Club to keep out of politics, but can it keep out of politics, when things are in this state? It is impossible, to separate scientific and creative work from the education of the world community as a whole […]? It seems to me that the time has come for our federation of societies to choose definitely between making the world commonwealth the guiding conception of its organization or relapsing into a mere meeting-ground for mutual compliments […].31

Die Delegation des ‚gleichgeschalteten‘ deutschen PEN-Zentrums, die aus Kapitän a. D. Fritz Otto Busch, Hanns Martin Elster und dem Hitler-Biographen Edgar von Schmidt-Pauli bestand, war auf die angespannte Stimmung in Ragusa vorbereitet 27 Die Generalsekretärin des österreichischen PEN in den Jahren 1966–1971, Hilde Spiel, hat als erste auf die Bedeutung der Vorgänge in Ragusa für die österreichische Literatur verwiesen. Vgl. Hilde Spiel: Die österreichische Literatur nach 1945. Eine Einführung. In: Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945. 12 Bde. Aktualisierte Ausgabe. Frankfurt am Main: Fischer 1980, Bd. 5 (Hilde Spiel [Hrsg.]: Die zeitgenössische Literatur Österreichs I), S. 1–133, bes. S. 11–15. – Vgl. zu Ragusa die Ausführungen von Ernst Fischer im Beitrag zum PEN-Zentrum in der Weimarer Republik, in diesem Handbuch, S. 71–132. 28 Ludwig Ullmann: Die Tombola des Wiener P.E.N.-Klubs. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 19. 5. 1933, S. 5. 29 Robert Neumann: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Wien, München und Basel: Kurt Desch 1963, S. 35. John Galsworthy war am 31. 1. 1933 gestorben. H. G. Wells amtierte bis 1936. 30 Mr. Wells’s speech at the opening of the Jugo-Slav Congress. In: P.E.N. News 56 (Juni 1933), S. 1–3, hier S. 1. Ein vollständiges Exemplar der seltenen P.E.N. News der Jahre 1933–1945 befindet sich im Deutschen Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (DEA), EB kb 551. 31 Mr. Wells’s speech at the opening of the Jugo-Slav Congress. In: P.E.N. News 56 (Juni 1933), S. 1–3, hier S. 3. DEA, EB kb 551.



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und arbeitete mit allen Mitteln, um eine gegen Deutschland gerichtete Resolution zu verhindern. Eine solche war nämlich von französischen und belgischen Autoren eingebracht worden. Offenbar gelang es den Deutschen auch, Abschwächungen im Text zu erreichen und den direkten Bezug auf die Bücherverbrennungen zu verhindern. Unter der Bedingung, dass die entschärfte Fassung ohne weitere Diskussion angenommen würde, wollten sie sich der Stimme enthalten und einen Eklat vermeiden.32 Der Vorsitzende H. G. Wells ließ sich jedoch nicht erpressen und erteilte dem englischen Delegierten und Generalsekretär des Internationalen PEN, Hermon Ould, das Wort. Dieser hatte bereits Anfang Mai 1933, vierzehn Tage nach der ‚Gleichschaltung‘ des deutschen PEN-Zentrums, dem Vorstandsmitglied Hanns Martin Elster in einem vertraulichen Schreiben einige peinliche Fragen für Ragusa angekündigt. Diese richtete er mit Billigung von H. G. Wells nun öffentlich an die deutsche Delegation: „Hat das deutsche PEN-Zentrum gegen die Mißhandlung deutscher Intellektueller und die Bücherverbrennung protestiert? Stimmt es, daß das Berliner Zentrum seinen Mitgliedern eine Nachricht geschickt hat, die den Mitgliedern mit kommunistischen oder ‚ähnlichen‘ Ansichten ihre Mitgliederrechte entzieht, wodurch eine Grundregel des PEN, sich von Politik fernzuhalten, verletzt wird?“33 Die deutschen Delegierten verweigerten eine Antwort und verließen, als H.  G.  Wells auch Ernst Toller das Wort in dieser Sache erteilte, unter Protest den Saal. Damit hatte Ould eine Situation herbeigeführt, die später als „turning point“34 in der Geschichte des PEN angesehen wurde: als Umschwung von programmatischer politischer Abstinenz zur Anerkennung von politischer Verantwortung. Ould gab immerhin den Anstoß zum wahrscheinlich ersten Protest eines internationalen Gremiums gegen Unrechtspraktiken des Nationalsozialismus im Bereich der Kultur – wenngleich die Resolution, die der Internationale PEN, auch mit Unterstützung österreichischer Kongressteilnehmer (Franz Theodor Csokor, Oskar Maurus Fontana, Paul Frischauer, Hugo Sonnenschein [Sonka] u. a.), zustande brachte, sich darauf 32 Die Vorgänge hinter den Kulissen sind den Berichten der deutschen Delegation an die Vorsitzenden des deutschen PEN, Hanns Johst, Hans Hinkel und Rainer Schlösser, sowie an Goebbels und den Berliner Landesleiter des Rosenbergschen ,Kampfbundes für Deutsche Kultur‘, Erich Kochanowski, zu entnehmen. Eine Kopie der Berichte findet sich in der Akte Fb 215 des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Auszüge daraus wurden veröffentlicht in: Josef Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh: Sigbert Mohn 1963 und in: Der deutsche P.E.N.-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 18ff. 33 Report of the eleventh International Congress in Jugoslavia. In: P.E.N. News 56 (Juni 1933), S. 4–5. DEA, EB kb 551, sowie Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 16–25, hier S. 25 (Übersetzung). 34 Vgl. Commemorating the 1933 P.E.N. Club Congress in Dubrovnik. Commemorative Conference Dubrovnik 1963. Zagreb: Jugoslovenski PEN-Klub Centar 1965, S. 9. Die P.E.N. News urteilte: „It is the prevailing opinion that this year the P.E.N. has entered upon a new phase.“ Zitiert nach P.E.N. News 56 (Juni 1933), S. 6. DEA, EB kb 551. – Zur Rede von Ernst Toller vgl. die Ausführungen von Ernst Fischer im Beitrag über den Weimarer PEN, in diesem Handbuch, S. 71–132.

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beschränkte, angesichts der „Buchverfolgungen“ und der schweren Angriffe „auf die Freiheit der Schriftsteller“ an die Prinzipien des PEN zu erinnern.35 Den Höhepunkt des Protests gegen NS-Deutschland bildete der Auftritt Ernst Tollers, des einzigen vertriebenen deutschen Schriftstellers unter den Anwesenden. In seiner Rede vor den fast 400 Kongressteilnehmern aus 26 Ländern erhob er leidenschaftlich und präzise Anklage gegen das NS-Regime und gegen die Politik des Appeasements: „Millionen Menschen in Deutschland dürfen nicht frei reden und frei schreiben. Wenn ich hier spreche, spreche ich mit für diese Millionen, die heute keine Stimme haben.“36 Ragusa als denkwürdiges Datum in der Geschichte des Internationalen PEN wurde zugleich zu einem denkwürdigen Datum in der Geschichte der österreichischen Literatur. Denn wegen des Verhaltens der beiden österreichischen PEN-Delegierten Urbanitzky und Salten gab es ein heftiges Nachspiel in Wien, das mit der Spaltung des Wiener PEN und dem Bruch zwischen den liberalen und den völkisch-nationalen Schriftstellern endete. Damit präformierte sich bereits 1933 jene Schriftstellerclique, die fünf Jahre später im berüchtigten Bekenntnisbuch österreichischer Dichter dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler den vollzogenen ‚Anschluss‘ der österreichischen Literatur rapportieren konnte.37 Was war geschehen: Dem demonstrativen Exodus der Deutschen in Ragusa hatten sich einzelne Delegierte aus der deutschen Schweiz, aus Holland und auch die ‚Gründerin‘ des österreichischen PEN, Grete von Urbanitzky, angeschlossen. Salten war zwar im Saal geblieben, hatte aber vor und nach dem Kongress durch taktierendes Verhalten und mangelnde Klarheit bei vielen Mitgliedern Unmut erregt.38 Die Solidarisierung Urbanitzkys mit den Deutschen stand als eindeutige politische Parteinahme in krassem Widerspruch zur neutralen Haltung, zu der sich die österreichischen Delegierten laut Beschluss des Vorstandes des Wiener PEN verpflichtet hatten. In den „nicht immer ganz sanften Auseinandersetzungen“,39 die dem Kongress in Ragusa vorausgingen, war es innerhalb des Vorstandes des österreichischen PEN nämlich nicht gelungen, zur Bücherverbrennung und zu den undemokratischen Vorgängen im Nachbarland eindeutig Stellung zu beziehen. Die nationalen und die katholischen Schriftsteller hatten durch ihren Wortführer, das 35 Vgl. Neue Freie Presse [Wien], 31. 5. 1933, S. 3 und P.E.N. News 56 (Juni 1933), S. 4ff. DEA, EB kb 551. 36 Tollers Rede findet sich gekürzt in: Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 27–30, hier S. 29, vollständig wiedergegeben in: Die neue Weltbühne II (=29) 24 (15. 6. 1933), S.  741–744 und in: Ernst Toller. Gesammelte Werke. Hrsg. von John M. Spalek und Wolfgang Frühwald. 5 Bde. München: Hanser 1978, Bd. 1, S. 169–173. 37 Bund deutscher Schriftsteller Österreichs (Hrsg.): Bekenntnisbuch österreichischer Dichter. Wien: Krystall 1938. Vgl. Gerhard Renner: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus (1933–1940). Der ‚Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs‘ und der Aufbau der Reichsschrifttumskammer in der Ostmark. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1986 (Sonderdruck aus dem Archiv für Geschichte des Buchwesens 27); zur Spaltung des P.E.N. S. 205ff., zum ‚Bund‘ S. 252ff., zum Bekenntnisbuch S. 277f. 38 Vgl. Felix Salten: Die Wahrheit über den PEN-Klub-Kongress. In: Neue Freie Presse [Wien], 2. 6. 1933, S. 5. 39 Ludwig Ullmann: Es war also Frau Urbanitzky. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 1. 6. 1933, S. 5.



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Vorstandsmitglied Friedrich Schreyvogl, geschlossen den Austritt angedroht, sollte es zu einem kritischen Votum gegen Deutschland kommen. So war angesichts der „jahrhundertelange[n] Kulturverbindung zwischen Deutschland und Österreich“ – so die offizielle Erklärung des Vorstandes – nur die Kapitulation vor den NS-Sympathisanten geblieben: sich auf dem Kongress an einer allfälligen „Debatte gegen Deutschland“ nicht zu beteiligen.40 Die für Ragusa angemeldeten Mitglieder wurden „dringlich“ aufgefordert, sich entsprechend zu verhalten, andernfalls sei eine Teilnahme am Kongress nicht möglich. Opponierenden Mitgliedern wurde der Ausschluss angedroht. In der Presse war von „diktatorischen Methode[n]“ die Rede.41 Als einziger hatte sich Hugo Sonnenschein (Sonka) geweigert, den vom Vorstand verordneten Maulkorb zu akzeptieren. Er forderte in Ragusa dann auch eine „offene Solidaritätserklärung des Kongresses mit den verfolgten deutschen Kameraden“ und stellte – erfolglos – den Antrag, ein internationales Komitee für den „Existenzschutz und den Rechtsschutz der verfolgten deutschen Dichter“ zu gründen.42 Von der liberalen Presse wurde das Verhalten der österreichischen Delegierten, der „Penklubverräter“, als „Kulturschande“,43 als „Anschluß an die Literaturlakaien des deutschen Fascismus“44 und als „offener Abfall vom derzeit brennendsten österreichischen Gesamtinteresse“45 qualifiziert, wobei auch außenpolitische Gesichtspunkte geltend gemacht wurden. Die Wiener Allgemeine Zeitung berichtete, dass die österreichische Regierung explizit eine „selbständige Stellungnahme der [österreichischen] Delegation gegen die deutschen Ansprüche gewünscht hätte“.46 Immerhin war gerade erst, am 19. Juni 1933, mitten in der Diskussion um den Kniefall des PEN-Vorstandes vor den Nazikollegen, die NSDAP als Partei in Österreich verboten worden. Auslöser waren Sprengstoffanschläge durch NSDAP-Anhänger in Österreich, bei denen auch Tote und Verletzte zu beklagen waren. Presseberichten zufolge hatte auch der Präsident des Internationalen PEN, H. G.  Wells, „sein Befremden darüber aus[gedrückt], daß die Schriftsteller des Heimatlandes Arthur Schnitzlers in Ragusa das [durch die Bücherverbrennung] geschändete Andenken dieses großen 40 Schreiben des Vorstandes des Wiener P.E.N.-Clubs an die Mitglieder (23. 6. 1933). Arbeiterkammer Wien, Dokumentation (AK), NL Rudolf Jeremias Kreutz, Mappe P.E.N.-Club. Das Protokoll der dem Kongress in Ragusa vorausgegangenen Vorstandssitzung vom 21. 5. 1933 ist auszugsweise wiedergegeben bei Roček: Glanz und Elend, S. 117–121. Vgl. auch [o. A.]: Die österreichische Ragusa-Delegation verhält sich passiv. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 25. 5. 1933, S. 5. 41 Ludwig Ullmann: Antwort an Felix Salten. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 3. 6. 1933, S. 3. Vgl. auch Amann: P.E.N., S. 29ff. 42 Vgl. Sonka [d. i. Hugo Sonnenschein]: Mein Rechenschaftsbericht über den P.E.N.-Klub-Kongreß in Ragusa. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 3. 6. 1933, S. 5. Vgl. auch Renner: Österreichische Schriftsteller, S. 207f. 43 Vgl. Ludwig Ullmann: Abrechnung für Ragusa. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 30. 5. 1933, S. 3. 44 Vgl. Der gleichgeschaltete jüdische Literat. In: Arbeiter-Zeitung [Wien], 28. 5. 1933, S. 6. 45 Ludwig Ullmann: Abrechnung für Ragusa. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 30. 5. 1933, S. 3. 46 Heute nachmittag wird der Kopf der Frau Urbanitzky gefordert. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 28. 6. 1933, S. 5.

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und gütigen Kameraden nicht würdiger verteidigt hatten“.47 Für das Verhalten der österreichischen Delegation wurde öffentlich Rechenschaft gefordert. Den Ort dafür bot die eigens einberufene Generalversammlung des österreichischen PEN-Clubs am 28. Juni 1933 im Hotel ‚Imperial‘ in Wien. Eine Gruppe, die mit der „schwachmütigen Vertretung unseres Penklubs in Dubrovnik durch Salten“48 nicht einverstanden war, hatte für diese Generalversammlung eine Resolution vorbereitet, die nach sechseinhalbstündiger, heftiger Debatte (in der Salten sogar seine Demission angeboten hatte) mit 25 gegen 15 Stimmen angenommen wurde. Sie holte gewissermaßen den in Ragusa versäumten deutlichen Protest gegen die Verfolgung von Schriftstellern in Deutschland nach: Indem der österreichische Penklub den im heutigen Deutschland unterdrückten, ihrer Freiheit beraubten Männern und Frauen des Geisteslebens, ohne Unterschied ihrer Partei und Rasse, seine Grüße und Sympathien zum Ausdruck bringt und jener gedenkt, die ihr Eintreten für die Geistesfreiheit mit Gefängnis oder Emigration zu bezahlen haben, vertritt er die Meinung, daß die individuelle Freiheit unerläßliche Vorbedingung für jegliches geistige und künstlerische Schaffen ist. Die Unterwerfung der Presse, des Rundfunks und des Verlagswesens macht es jedem Autor, der im geringsten von der herrschenden Partei abweicht, unmöglich, auch nur eine gegnerische Zeile zu veröffentlichen. Der österreichische Penklub erhebt entschieden im Namen der deutschen Freiheit und der übernationalen Grundsätze des Penklubs Einspruch gegen die geistige Unterdrückung des Individuums. Mit dieser Haltung erfüllt der österreichische Penklub die besondere österreichische Aufgabe, die ihm im Bereich der gesamtdeutschen Kultur zukommt.49

Die Liste der 25 Unterzeichner, die die nationalsozialistische Deutschösterreichische Tages-Zeitung als „zu neunzig von Hundert aus Juden“ bestehend diffamierte,50 liest sich wie ein Vorausbericht zur österreichischen Emigration im Jahr 1938: Raoul Auernheimer, David Bach, Fritz Brügel, Franz Theodor Csokor, Oskar Maurus Fontana, Paul Frischauer, Hugo Glaser, Heinrich Glücksmann, Heinrich Eduard Jacob, Oskar Jellinek, Gina Kaus, Rudolf Jeremias Kreutz, Ernst Lissauer, Ernst Lothar, Rudolf Lothar, Emil Ludwig, Hans Müller, Robert Neumann, Leon Schalit, Moritz Scheyer, Maximilian Schreier, Paul Stefan, Friedrich Torberg, Auguste Wildbrandt-Baudius und Alma Wittlin-Frischauer.51

47 Ludwig Ullmann: Die schweigsamen Dichter und Denker. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 25. 6. 1933, S. 5. Arthur Schnitzler war am 21. 10. 1931 verstorben. 48 Rudolf Jeremias Kreutz an Franz Theodor Csokor (1. 10. 1948). AK, NL Kreutz, Mappe P.E.N.-Club. 49 Die gestern verlesene Protestresolution. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 29. 6. 1933, S. 6. Die Resolution wurde verfasst von Leon Schalit, Fritz Brügel und Rudolf Jeremias Kreutz. Vgl. Renner: Österreichische Schriftsteller, S. 210. 50 Wiener journalistische Organisationen gegen Deutschland. In: Deutschösterreichische TagesZeitung, 29. 6. 1933, S. 2. 51 Die gestrige Sitzung des Wiener Penklubs. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 29. 6. 1933, S. 5. Mehr als ein Dutzend Wiener Zeitungen berichteten über die Generalversammlung.



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Diese „berufsmoralisch unumgängliche Resolution“52, über die Csokor nach dem Krieg sagen wird, sie habe „die Ehre der [österreichischen] Schriftsteller“ gerettet,53 war – zu einer Zeit, da im größeren politischen Rahmen (des Völkerbundes und der europäischen Großmächte) dem Dritten Reich gegenüber große Zurückhaltung und eine unbegreifliche Toleranz geübt wurde – eine aufrechte und unmissverständliche Äußerung, die auch Österreichs Rolle und Selbstverständnis im ‚gesamtdeutschen‘ Rahmen völlig anders definierte als die Repräsentanten des austrofaschistischen Ständestaates.54 Die Resolution war der unmittelbare Anlass für den Protestaustritt der völkisch-nationalen und der katholischen Autoren aus dem österreichischen PEN-Club. Fünf als NS-Sympathisanten bekannte Schriftsteller erklärten noch während der Sitzung ihren Austritt: Egon Caesar Conte Corti, Mirko Jelusich, Wladimir von Hartlieb, Franz Spunda und Robert Hohlbaum. Grete von Urbanitzky schloss sich wenige Tage später an, zahlreiche weitere ‚Überläufer‘ folgten. Als Grund für den Exodus wurde die unter dem „Terror der Linksradikalen“ verabschiedete Resolution genannt, die den Satzungen des unpolitischen PEN-Clubs „ins Gesicht schlage“.55 Zum Teil wurden hinter den Austritten, nicht ganz unbegründet, auch andere Motive vermutet; etwa die demonstrative Anbiederung an die deutschen Literatur-Machthaber durch eine öffentliche politische Selbstdeklaration. So schrieb der über PENClub-Interna stets bestens informierte Chefredakteur der Wiener Allgemeinen Zeitung, Ludwig Ullmann, bei späterer Gelegenheit: „Dieser Austritt aus dem Wiener Penklub ist, nebenbei gesagt, jetzt schon ein ganz verständliches politisches Geschäft geworden. Er wird im Dritten Reich nicht ohne Wohlwollen vermerkt und der eigentlich unverhohlene Nazi-Penklub […] öffnete den Wiener Unzufriedenen bereits mit nicht mißzuverstehendem Wink die brüderlichen Arme.“56 52 Ludwig Ullmann: Wiener Penklub ohne Nazis. In: Wiener Allgemeine Zeitung, 29. 6. 1933, S. 5. 53 Franz Theodor Csokor: Die unbekannten Kriegsverbrecher. In: Österreichisches Tagebuch 2 (1947) 36, S. 5f., hier S. 5. Ein längerer Auszug ist wiedergegeben in Amann: P.E.N., S. 82f. 54 Eine Woche nach dem barbarischen Akt der Bücherverbrennung sprach z. B. Justizminister Kurt (von) Schuschnigg (von Juli 1934 bis März 1938 österreichischer Bundeskanzler) in einer Rundfunkrede über ‚Die deutsche Sendung Oesterreichs‘ von der „tiefinnere[n] Verbundenheit mit dem Reich“ und von der „zeitlose[n] Einheit der Kultur“, die nicht nur durch die gemeinsame Sprache, sondern auch durch die „auf weite Strecke hin […] gemeinsame Rechtsanschauung zum Ausdruck kommt“. Nur wenige Wochen nach Verabschiedung des Hitlerschen ‚Ermächtigungsgesetzes‘ vom 24.  März 1933, mit dem die Verfassung der Weimarer Republik ausgehebelt worden war, ein starkes Wort. Vgl. Die deutsche Sendung Oesterreichs. Ein Vortrag des Ministers Dr. Schuschnigg. In: Neue Freie Presse [Wien], 17. 5. 1933, S. 5. 55 Der Penklub gesprengt! In: Wiener Neueste Nachrichten, 29. 6. 1933, S.  2. Am 7. 7. 1933 wandten sich die unter Protest ausgetretenen „arischen Mitglieder“ in einem offenen Brief an Präsident Salten, in dem sie mit deutlich antisemitischen Untertönen jede Solidarisierung mit inhaftierten Autoren wie Erich Mühsam und Carl von Ossietzky, die „nicht Dichter, sondern politische Agitatoren“ seien, empört zurückwiesen und sich demonstrativ an die Seite „unserer deutschen Brudernation“ stellten. Vgl. Die Sprengung des Wiener Penklubs. In: Neues Wiener Tagblatt, 7. 7. 1933, S. 5. 56 Ludwig Ullmann: Unparteiischer Penklub – unmöglich! In: Wiener Allgemeine Zeitung, 21. 7. 1933, S. 5.

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3 Am Abgrund Die Hauptfigur in dem politischen Geschäft mit der österreichischen Literatur war die ‚Gründerin‘ des österreichischen PEN-Clubs, Grete von Urbanitzky. Einen Einblick in Urbanitzkys eifernde Bereitschaft, das nationalsozialistische Rettungswerk in Österreich zu unterstützen, gewährt u. a. ihr Brief vom 2. Juli 1933 an Fritz Otto Busch, einen der deutschen Delegierten in Ragusa. Sie übersandte Busch darin ein ausführliches Protokoll der Generalversammlung im Hotel ‚Imperial‘ und schilderte die „Hölle der augenblicklichen österreichischen Zustände“. Der „Terror“ gegen sie und ihre Kameraden habe solche Formen angenommen, dass sie von einem auf den anderen Tag nicht wüssten, ob sie im Lande bleiben könnten. Urbanitzky konzedierte, dass es ihr „aufrichtigen Spass“ gemacht habe, täglich ihren Namen in balkengroßen Lettern in den Zeitungen zu lesen: „Die Generalversammlung war aber wirklich kein Spass, denn am Präsidiumstisch zu sitzen und in hassverzerrte Gesichter von achtzig Schweinehunden hineinzusprechen […] war wirklich allerhand.“ Sie betonte ihre „seit langem bestehende Mitgliedschaft“ in der NSDAP und informierte, welche ihrer Kameraden „unsere Sache verteidigten“. Sie bat Busch – der im deutschen PEN die Pressearbeit betreute −, in den Berichten über die Generalversammlung des österreichischen PEN besonders Paul Frischauer (mit dem sie wegen Ragusa in einem Ehrenbeleidigungsprozess stand) und Heinrich Eduard Jacob (der in der Generalversammlung einer der Hauptredner gewesen war) als die Verantwortlichen für die „antideutsche[ ] Resolution“ herauszustellen. Die Strategie lieferte sie gleich mit: Meiner Meinung nach ist es ja überhaupt viel richtiger, die einzelnen Feinde Deutschlands in der Presse genau zu charakterisieren, als sie nur auf schwarze Listen zu setzen, wodurch sie leicht zur [sic] Märtyrern werden. Die Öffentlichkeit soll in jedem einzelnen Fall wissen, warum Deutschland von dem oder jenem nichts wissen will. Einen ersten Bogen der gewünschten Charakterisierungen lege ich bei, soweit es sich um die Unterzeichner der antideutschen Resolution handelt. Weitere werden folgen.57

Ihre ‚Charakterisierungen‘ sind auch in einen Artikel mit dem Titel Fünfundzwanzig suchen deutsche Leser eingegangen, in dem sie erstmals offen dazu aufforderte, die 25 Unterzeichner der Wiener PEN-Resolution in Deutschland als Autoren zu boykottieren. Um den deutschen Buchhändlern, Verlegern und Lesern die Arbeit zu erleichtern, versah sie ihre Proskriptionsliste mit einer Bibliographie (einschließlich Verlagsangaben) zu 17 der 25 Autoren.58 Die Berliner-Börsen-Zeitung verschärfte im November 1933, Urbanitzkys Argumente aufnehmend, den Ton und resümierte: „Fort mit ihnen aus Deutschland! Kein Deutscher darf sich hinfort noch mit ihnen abgeben.“ Der Artikel 57 Grete von Urbanitzky an Fritz Otto Busch (2. 7. 1933). IfZ München, Fb 215 (vgl. Anm. 32). 58 Undatierter Zeitungsausschnitt, nach Renner: Österreichische Schriftsteller, S.  215f. Dort auch weitere Details zu den denunziatorischen Aktivitäten von Urbanitzky und zu den deutschen Boykottdrohungen.



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wurde wenig später vom Börsenblatt für den deutschen Buchhandel übernommen.59 Der Erfolg der Denunziationen Urbanitzkys blieb nicht aus. 1935 standen 12 der genannten 17 Autoren mit „Sämtlichen Werken“ auf den offiziellen deutschen Verbotslisten, zwei weitere mit Einzelwerken. Sie selber war im Herbst 1933 nach Berlin übersiedelt und agitierte von dort weiter gegen den Wiener PEN. Während die im PEN Verbliebenen und jene, die sich in Ragusa und Wien den Resolutionen angeschlossen hatten, der Bannstrahl der Ächtung traf – sie kamen auf ,Schwarze Listen‘, erhielten Publikations-, Aufführungs- und Verbreitungsverbot in Deutschland – wurden die ‚Überläufer‘ zu Liebkindern der deutschen Literaturpolitik. Sie erhielten deutsche Verlags- und Aufführungsverträge, kamen auf Empfehlungslisten und wurden zu Lesungen ins ‚Reich‘ eingeladen. Während Franz Theodor Csokor schon am 1. Juni 1933, wenige Tage nach dem Kongress in Ragusa, feststellte: „Vorläufiges Ergebnis: Bücher und Stücke unserer Gruppe […] dürfen in Deutschland nicht mehr erscheinen, nicht mehr gespielt werden“60, sah sich der Überläufer Franz Nabl, der in der Zeit vor 1933 „sozusagen literarisch verschollen“ war,61 plötzlich in die 1933 von der Reichsschrifttumskammer edierte Empfehlungsliste für Büchereien aufgenommen und kurz später als „der [Hervorhebung des Verfassers] Epiker der Ostmark“ klassifiziert.62 Moralisch brachte Csokor die Situation auf den Punkt: „Man muß sich eben entscheiden: Gutes Geschäft – oder gutes Gewissen?“63 Aufgrund der sich stetig verschärfenden Boykottmaßnahmen des Dritten Reiches hielt die Austrittsbewegung aus dem Wiener PEN an. Der politische Anlass hatte eine ökonomische Begründung und Triftigkeit gewonnen. Es war in jeder Hinsicht besser, mit dem ‚verjudeten‘, ‚linken‘ Verein nicht (mehr) in Verbindung gebracht zu werden, wenn man seine Chancen auf dem deutschen Buchmarkt wahren wollte. Bis Dezember 1933 verließen ca. 50 Mitglieder, etwa ein Viertel der Gesamtzahl, den Club. Neben den bereits Genannten u. a. auch Hermann Bahr, Richard Billinger, Bruno Brehm, Egmont Colerus, Richard Coudenhove-Kalergi, Franz Karl Ginzkey, Paula Grogger, Hans von Hammerstein-Equord, Enrica von Handel-Mazzetti, Paul Kluckhohn, Rudolf List, Max Mell, Franz Nabl, Hans Nüchtern, Hermann Heinz Ortner, Josef Friedrich Perkonig, Karl Renner, Karl Schönherr, Friedrich Schreyvogl, Karl Hans Strobl und Paul von Zsolnay, der im Interesse seiner Autoren (viele der ‚Überläufer‘ waren in seinem Verlag) den Schritt getan hatte, da ihm signalisiert worden war, „dass die Werke meines Verlages in Deutschland nicht mehr vertrieben werden könnten, falls 59 Deutschfeindliche Schriftsteller in Österreich. In: Berliner Börsen-Zeitung, 10. 11. 1933. Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien (DST), NL Kreutz; sowie: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 267 (16. 11. 1933), S. 877. Vgl. auch Amann: P.E.N., S. 42–48. 60 Franz Theodor Csokor an Lina Loos (1. 6. 1933). Zitiert nach Franz Theodor Csokor: Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil 1933–1950. München und Wien: Langen-Müller 1964, S. 21. 61 Ernst Alker: Franz Nabl. In: Zeitschrift für deutsche Bildung 14 (1939), S. 521–529, hier S. 521. 62 Ebd. Vgl. auch Klaus Amann: Franz Nabl – Politischer Dichter wider Willen? Ein Kapitel Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. In: Amann: Dichter, S. 152–168. 63 Franz Theodor Csokor an Ferdinand Bruckner (19. 6. 1933). Zitiert nach Csokor: Zeuge, S. 24.

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ich meine Stelle im PEN weiter innehaben würde“.64 Bei einer außerordentlichen Generalversammlung am 18. Juli 1933 war der durch Austritte schon stark dezimierte Vorstand geschlossen zurückgetreten. Felix Salten wurde zum Vorsitzenden eines ‚Treuhandkomitees‘ gewählt, das einen „Neuaufbau“ des Wiener PEN durchführen sollte. Er sah sich allerdings vor die Situation gestellt, im Oktober H. G. Wells berichten zu müssen, der Versuch einer Reintegration der nationalen und der katholischen Autoren sei gescheitert, der Wiener PEN bestehe nur mehr aus Sozialisten, Kommunisten und Juden: „such a rump is no more the P.E.N.-Club.“65 Die Aktivitäten des Rumpf-Clubs kamen in den Jahren 1934/35 beinahe zum Erliegen. R. J. Kreutz sprach von einem „Dämmerdasein“.66 Die Rekonstruktionsbemühungen des PEN-Vorstandes, dem er jetzt u. a. mit Raoul Auernheimer und Leon Schalit angehörte, wurden einerseits durch den innenpolitischen Konfrontationskurs der Regierung Dollfuß erschwert, der darauf hinauslief, linke Kräfte systematisch aus dem politischen und kulturellen Leben zu entfernen. Andererseits versuchte die Regierung personell und politisch Einfluss auf den Club zu gewinnen. Dass die austrofaschistische Politik für den österreichischen PEN existenzbedrohende Folgen hatte, wurde auf dem XII.  Internationalen PEN-Kongress (17.–21. Juni 1934) in Edinburgh/Glasgow prominent thematisiert. H. G. Wells erwähnte in seiner Eröffnungsansprache neben dem italienischen ausdrücklich auch den Wiener PEN-Club als aktuellen Problemfall: In the past year there has been a real fight to keep the Vienna P.E.N. a genuine and open club. There have been the most persistent attempts to make that an exclusive club and to drive out or freeze out all members not in sympathy with the prevailing regime – all left-side thinkers, internationalists and the like. After a long and complicated struggle, the victory rests with the original P.E.N.67

64 Paul von Zsolnay an Alexander Sacher-Masoch (6. 5. und 23. 11. 1950). Archiv des Österreichischen PEN-Clubs, Ehemalige Mitglieder (ÖPC). Zsolnay, der ein bedeutender Mäzen des Clubs war, befand sich in einer besonders schwierigen Lage, da auch einige der Resolutions-Unterzeichner (und auch Repräsentanten des Internationalen PEN wie John Galsworthy und H. G. Wells) Autoren seines Verlags waren. Die PEN-Spaltung zerriss so auch den wichtigsten literarischen Verlag Österreichs. Vgl. Murray G. Hall: Der Paul Zsolnay Verlag. Von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem Exil. Tübingen: Niemeyer 1994 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 45). Datierte Namenslisten der Austritte aus dem PEN bei Renner: Österreichische Dichter, S. 292f. 65 Zitiert nach Renner: Österreichische Dichter, S. 213. 66 Rudolf Jeremias Kreutz an Hans von Hammerstein-Equord (29. 10. 1935). AK, NL Kreutz, Mappe P.E.N.-Club: „Der P.E.N.-Club hat, durch die Umstände gezwungen, seit 2 Jahren ein Dämmerdasein – sozusagen zwischen Leben und Sterben – geführt. Es ist uns aber immerhin gelungen, seine Auflösung zu verhindern, die das Ende dieser für die internationalen Beziehungen der geistigen Menschen unter allen Umständen wichtigen Vereinigung bedeutet hätte.“ 67 H. G. Wells: Presidential address at the Congress. In: P.E.N. News 65 (September 1934), S. 5–7, hier S. 5f. DEA, EB kb 551.



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H. G.  Wells wollte sich mit der bloßen Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung im Wiener PEN jedoch nicht zufrieden geben. Er präsentierte dem Kongress einen Brief des prominenten sozialdemokratischen Lyrikers und ehemaligen Leiters der sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Arbeiterkammer Wien, Fritz Brügel, den dieser aus dem Prager Exil an den Kongress gerichtet hatte. Brügels Aktion war zwar nicht mit den beiden offiziellen österreichischen Delegierten, Raoul Auernheimer und Emil Ludwig abgesprochen, doch indem Präsident Wells den Brief verlas und ausdrücklich zu einer Diskussion aufforderte, nahm er die Initiative Brügels zum Anlass, sozusagen ex cathedra an das Kardinalproblem des PEN zu erinnern, das seit Ragusa nicht mehr zu ignorieren war: „Can we fight and shall we fight on that issue – or shall we pass by on the other side?“68 Analog zur Rede des Emigranten Toller gegen den Nationalsozialismus in Ragusa beabsichtigte der Emigrant Brügel, der Mitunterzeichner der Wiener PEN-Resolution gegen NS-Deutschland, das Weltforum der Schriftsteller zu einer Stellungnahme gegen die repressiven Praktiken des österreichischen Faschismus zu bewegen. So unterschiedlich die Situation im Einzelnen war, bemerkenswert ist jedenfalls, dass auch im Falle Österreichs ein politischer Flüchtling die Aufmerksamkeit der literarischen Welt auf die Unterdrückung des Geistes im eigenen Lande richten musste, während die offiziellen Delegierten, die wohl um ihre Aufenthaltsgenehmigung in Österreich bangten, schwiegen. Brügel mag sich mit seinem Brief,69 der ein informiertes und authentisches Dokument zur Kulturpolitik der österreichischen Diktatur ist, einen deutlichen Appell des Kongresses an die österreichische Regierung erhofft haben. Zustande kam trotz der kämpferischen Einstellung des Präsidenten H. G. Wells schließlich nur eine allgemein gehaltene Resolution gegen die Unterdrückung des Geistes und gegen die Inhaftierung von Schriftstellern, der auch die beiden offiziellen österreichischen Delegierten problemlos zustimmen konnten. Mit dem Jahre 1934 und vor allem mit den politischen Säuberungs- und Unterdrückungsmaßnahmen, die dem Bürgerkrieg vom Februar 1934 folgten, bahnte sich für den Wiener PEN eine Entwicklung an, die tatsächlich einen Sieg brachte – allerdings für die Gegenseite. Die frei gewordenen Plätze so aktiver und dezidiert politisch denkender PEN-Mitglieder wie Fritz Brügel, Paul Frischauer, Robert Neumann, Hugo Sonnenschein und anderer, die Österreich nach dem Bürgerkrieg freiwillig oder gezwungenermaßen verließen, wurden von austrofaschistischen Funktionären besetzt. So vom Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Generalsekretär der ‚Vaterländischen Front‘, Guido Zernatto, der 1934 als Nachfolger von Felix Salten ins Präsidentenamt gehievt wurde, und von dem 1933 aus dem PEN ausgetretenen Sektionschef im Bundeskanzleramt, Hans von Hammerstein-Equord, der, „von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg ermuntert“, am 8. April 1936 Zernatto im Amt des PEN-Prä-

68 Ebd., S. 6. 69 Ebd. Zitiert bei Amann: P.E.N., S. 52f.

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sidenten nachfolgte.70 Hammerstein war während seiner PEN-Präsidentschaft zuerst Justizminister und dann ‚Bundeskommissar für Kulturpropaganda‘. Mit der Wahl Zernattos und Hammersteins lieferte der Wiener PEN sich letztlich dem System des Austrofaschismus aus. Er distanzierte sich damit de facto auch von seinem mutigen und aufrechten Verhalten im Anschluss an den Kongress in Ragusa, legte sich selber Maulkorb und Fesseln an. Unter den gegebenen politischen Verhältnissen war die Anbiederung an die Macht vermutlich die einzige Möglichkeit, einer Auflösung zu entgehen – doch um welchen Preis? Die Londoner Zentrale nahm daran 1936 – anders als H. G. Wells auf dem schottischen Kongress 1934 – keinen Anstoß mehr. Der Eintritt von Grafen und Baronen wurde als gesellschaftliches Ereignis gewürdigt: „We are very pleased to hear that two important writers have joined the Committee of the Vienna P.E.N. – Baron Hammerstein-Equord and Count Coudenhove Kalergi. The addition of these two striking personalities to the Executive of the Austrian Centre ought to do much to strengthen it.“71 Wie aus dem Bericht über die Generalversammlung im Jahre 1936 hervorgeht, befand sich der Club drei Jahre nach Einsetzung des Treuhandkomitees noch immer in der Phase der ‚Rekonstruktion‘. Und, ironisch genug, auf dem Punkt seiner absoluten Bedeutungslosigkeit beschloss er, die bis dahin gültige offizielle Bezeichnung ‚Wiener P.E.N.-Club‘ zu ändern in: ‚Österreichischer P.E.N.-Club‘ – vermutlich erhoffte man sich dadurch stärkeren (arischen) Zuspruch aus den Bundesländern.72 In den letzten beiden Jahren bis zum ‚Finis Austriae‘ im März 1938 kehrte der Club wieder zur Repräsentation zurück – diesmal unter der Regie von Regierungsmitgliedern. Mit der Beantwortung jener Frage, auf die H. G. Wells in Edinburgh die Philosophie des PEN verdichtet hatte – „Können wir unser Bankett abhalten und die Tatsache unbeachtet lassen, daß gefolterte Leiber auf der Schwelle liegen?“73 – hielt sich, so viel wir wissen, der österreichische PEN unter Zernatto und Hammerstein nicht weiter auf. Als Delegierter beim XIV. Internationalen Kongress des PEN (5.–16. 9. 1936) in Buenos Aires vertrat auf Hammersteins Wunsch Stefan Zweig, der nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 (und einer Hausdurchsuchung) emigriert war, den österreichischen Club. Indem Zweig dort dem scheidenden Präsidenten H. G. Wells öffentlich seine Bewunderung und seinen Respekt ausdrückte,74 sprach er wohl eher für die Unglücksschar der nach dem Bürgerkrieg vom Februar  1934 exilierten Österreicher als für den Wiener Club, dessen Präsident Justizminister war in einem Land mit abgeschafftem Parlament, ‚Anhaltelagern‘ für politische Gegner und Standgerichten. Zur 70 Hammersteins Ermunterung durch Schuschnig hat R. J. Kreutz überliefert. Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 155. 71 Vienna Centre. In: P.E.N. News 79 (April 1936), S. 3. DEA, EB kb 551. 72 Vgl. Tenth General Meeting of the Austrian P.E.N. Club. In: P.E.N. News 81 (Juni 1936), S. 3. DEA, EB kb 551. 73 H. G. Wells: Presidential address at the congress. In: P.E.N.-News 65 (September 1934). S. 5–7. Zitiert nach der Übersetzung in: Der Deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 102–104, hier S. 103. 74 Vgl. Der Deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 148.



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Jahrestagung  1937 in Paris (21.–24.  Juni) fuhr Hammerstein selber und verkündete, man weiß nicht recht, in welcher Rolle: „ […] jede Berührung mit dem politischen Gebiet [ist] zu vermeiden […]. Nur unter diesen Voraussetzungen werde und könne die österreichische Delegation […] Beschlüsse des Kongresses unterstützen“.75 Als Ehrengast hatte er zum Pariser Treffen Franz Werfel mitgenommen, der auf einer der Veranstaltungen Lion Feuchtwanger wegen seiner positiven Haltung zur Sowjetunion angriff76 und den Kongress mit einer Rede über ‚Reine Dichtung‘ beschloss. Mit beidem lief Werfel nicht Gefahr, Bundeskanzler Schuschnigg, der gern und häufig im Salon seiner Gattin Alma zu Gast war, politisch in die Quere zu kommen. Am 11. März 1938, am Tag, bevor Hitlers Truppen die Grenzen überschritten und Österreich ‚Heim ins Reich‘ holten, verabschiedete sich der Präsident des österreichischen PEN, Minister a. D. Baron von Hammerstein, brieflich vom Generalsekretär des Internationalen Verbandes, Hermon Ould, auf unbestimmte Zeit: Dear Mr. Ould, You will understand, that the situation of Austrian P.E.N.-Club by the last political events has not become less difficult. Under this circumstances it is shurly the best, the Austrian P.E.N.-Club gives no attention and await till there will be time. To the Congress in Prague of course will be send delegates. With best regards yours [Hammerstein]77

4 1938 – Exil in London Der österreichische PEN-Club wurde nach dem ‚Anschluss‘ liquidiert. Sein Vermögen und sein Archiv wurden von der Gestapo beschlagnahmt. Von seinen vier Präsidenten retteten sich zwei durch Flucht ins Exil (Felix Salten und Guido Zernatto), die anderen beiden, Raoul Auernheimer und Hans von Hammerstein, wurden in Konzentrationslager verschleppt – ein Schicksal, das wohl auch Arthur Schnitzler nicht erspart geblieben wäre, hätte er noch gelebt. Akute Gefahr drohte vor allem den Unterzeichnern der ‚antideutschen‘ Resolution aus dem Jahre 1933. Sofern sie nicht schon der Austrofaschismus vertrieben hatte, zerstreuten sie „die Iden des österreichischen März über die Welt“.78 Einem der Hauptakteure in jener Sturmsitzung des

75 Nach einem Bericht der Neuen Freien Presse [Wien], 27. 6. 1937. Zitiert nach Roček: Glanz und Elend, S. 164. 76 Vgl. Der Deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 176f. 77 Ein Faksimile des Schreibens findet sich bei Roček: Glanz und Elend, S. 165. 78 Franz Theodor Csokor an Ödön von Horváth (31. 5. 1938). Csokor: Zeuge einer Zeit, S. 184.

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Wiener PEN von 1933, Heinrich Eduard Jacob, gelang die Flucht nicht. Er teilte das Schicksal Auernheimers und Hammersteins.79 Das, wozu sich der Internationale PEN 1933 auf seinem Kongress in Ragusa noch nicht hatte entschließen können, nämlich der Anregung des österreichischen Lyrikers Hugo Sonnenschein (Sonka) zu folgen und ein internationales Komitee für den ,Existenzschutz und den Rechtsschutz der verfolgten deutschen Dichter‘ zu gründen, kam schließlich in anderer Form doch zustande. Nachdem 1934 auf dem Kongress von Edinburgh/Glasgow ein deutscher PEN-Club im Exil80 (mit Heinrich Mann als Präsident) anerkannt worden war, hat der Schriftsteller und Rechtsanwalt Rudolf Olden als Sekretär dieses deutschen Exil-PEN von Oxford aus (wo ein Freund ihm Unterschlupf gewährt hatte) ehrenamtlich eine humanitäre Rettungsaktion schier unvorstellbaren Ausmaßes für verfolgte Schriftsteller in die Wege geleitet. In Kooperation mit offiziellen englischen Stellen, mit karitativen Organisationen und mit dem englischen sowie dem Internationalen PEN hat Olden, unterstützt von seiner Frau Ika, deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Autorinnen und Autoren unschätzbare Hilfe geleistet: Visa, Bürgschaftserklärungen (Affidavits), Quartier, Essen, Geld beschafft, Berufsverbindungen und Arbeitsmöglichkeiten eröffnet, Zuspruch und psychische Unterstützung gegeben.81 Dieser neuen Funktion und Bedeutung des PEN-Clubs als „relief organisation“82 war sich der in England lebende österreichische Schriftsteller Paul Frischauer – er war bis zu seiner Emigration 1934 Vorstandsmitglied des Wiener PEN – gewiss bewusst, als er die Möglichkeit erhielt, am 5. April 1938 auf einem Dinner des englischen PEN für seine bedrohten Landsleute zu sprechen. Unter Hinweis auf den deutschen ExilPEN bat Frischauer, auch dem österreichischen PEN-Club ‚Asyl‘ zu gewähren: „Help us to maintain the Austrian P.E.N.-Club here. […] My aim in appealing to you, ladies and gentlemen, is not to ask for money. […] Offer them your hospitality: May every one of you help in saving the life of an author in providing him with a roof for two or three

79 Raoul Auernheimer und Heinrich Eduard Jacob waren am 1. April 1938 (mit dem sogenannten ‚Prominententransport‘) nach Dachau deportiert worden, Jacob anschließend nach Buchenwald. Beide kamen Ende 1938/Anfang 1939 frei und konnten in die USA emigrieren. Hans von Hammerstein wurde im Juli 1944 in Mauthausen interniert und erlebte am 5. 5. 1945 die Befreiung durch die US-Truppen. 80 Vgl. den Beitrag von Helmut Peitsch in diesem Handbuch: Versuchte Gleichschaltung durch das NS-Regime, die Auflösung und Flucht ins Exil (1933–1945), S. 133–167. 81 Die Dokumentation Der deutsche P.E.N.-Club im Exil ist ein würdiges Epitaph für diesen außergewöhnlichen Mann, der im September 1940 an Bord des englischen Passagierschiffes ,City of Benares‘, das auf der Überfahrt in die USA von einem deutschen U-Boot versenkt wurde, gemeinsam mit seiner Frau Ika den Tod fand. Vgl. Deutsche Nationalbibliothek (Hrsg.): Rudolf Olden. Journalist gegen Hitler – Anwalt der Republik. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek. Frankfurt am Main, 26.  März–28.  Juli 2010. Begleitbuch von Sylvia Asmus und Brita Eckert. Leipzig, Frankfurt am Main und Berlin: Deutsche Nationalbibliothek 2010. 82 Hermon Ould an Robert Neumann (13. 11. 1940). DST, NL Neumann.



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months.“83 Frischauers Appell traf bei den Engländern auf offene Ohren. Hermon Ould und die Präsidentin des englischen PEN, Margaret Storm Jameson, organisierten in Zusammenarbeit mit Rudolf Olden unmittelbar danach die Gründung eines Unterstützungsfonds für österreichische Schriftsteller und errichteten ein eigenes Sekretariat zur Koordination der Hilfsmaßnahmen. Am 16. Juni 1938 ging unter dem Briefkopf des Internationalen PEN folgendes Schreiben Oulds an PEN-Mitglieder und Förderer: Dear Fellow-Member, […] the position of many Austrian authors, members of the P.E.N. and others, has become extremely precarious. For political, racial, or religious reasons they are out of favour with the present regime and many of them have been deprived of the means of earning a living. Some of the most distinguished among them are in prison: others have committed suicide; others have been reduced to great poverty. […] The London Centre of the P.E.N. is starting a Fund to provide temporary hospitality for such Austrian writers, and you are invited to send a donation, however small, to help ameliorate the very serious and painful situation in which your colleagues find themselves.84

Innerhalb weniger Monate wurden mehr als 30 000 Pfund Sterling in den ‚P.E.N. Austrian Writers Fund‘ eingezahlt. Im Oktober 1938 veröffentlichten die P.E.N. News eine Liste der Spender, die belegt, dass prominente Autoren mit gutem Beispiel (und mit ansehnlichen Beträgen) vorangegangen waren, unter ihnen W. H. Auden, Somerset Maugham, Stefan Zweig und die Witwe des ersten PEN-Präsidenten Ada Galsworthy.85 Der Fonds versetzte den PEN in die Lage, den meisten der bedürftigen österreichischen Schriftsteller, die nach England kamen, aber auch solchen auf dem Kontinent, für die Dauer von vier bis acht Wochen (und in Ausnahmefällen auch länger) eine Unterstützung von, in der Regel, 3 Pfund wöchentlich zu gewähren.86 Dass dies manchem schlicht das Überleben sicherte, geht aus einem Brief des profiliertesten Kritikers des Wiener PEN des Jahres 1933, Ludwig Ullmann, hervor. Ullmann, der am 11. März 1938 (streckenweise zu Fuß) aus Österreich geflohen war, schrieb am 9. Juni 1939 aus dem Pariser Exil an Ould, der Scheck sei nicht eingetroffen und er fürchte, dass das Geld, mit dem er seine Miete bezahle, ihn eines Tages nicht mehr erreiche: „This would be a real catastrope [sic].“87 Nicht nur die umfangreichen Hilfsaktionen machten den PEN-Club für viele Autoren attraktiv. Besonders jene, die keiner der einflussreichen Exilgruppierungen 83 Austria. In: P.E.N. News 96 (April 1938), S. 6–7, hier S. 7. DEA, EB kb 551. Auszüge aus Frischauers Rede finden sich auch in Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 225f. 84 Zirkular von Hermon Ould (16. 6. 1938). DEA, EB 75/175/599. 85 Vgl. P.E.N. Austrian Writers’ Fund. In: P.E.N. News 99 (Oktober 1938), S. 13f. DEA, EB kb 551. Die Liste ist (auszugsweise) abgedruckt in Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 229. 86 Hermon Ould an Rudolf Olden (18. 11. 1938). DEA, EB 75/175/789. Nach der durch das ‚Münchener Abkommen‘ im September 1938 von Hitler erzwungenen Abtretung des Sudetenlandes wurden die Hilfsmaßnahmen auch auf die bedrohten tschechoslowakischen Schriftsteller ausgedehnt. 87 Ludwig Ullmann an Hermon Ould (9. 6. 1939). DST, NL Neumann.

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angehörten, konnten sich von einer so angesehenen und gut vernetzten Organisation Schutz und Rückhalt versprechen. Denn anders als bei den zahlreichen politisch gebundenen Emigrantenorganisationen war man im PEN-Club Mitglied eines internationalen Verbandes, den seine Charta zu ungeteilter Solidarität verpflichtete. Der internationale Mitgliedsausweis des PEN war ein begehrtes Dokument, das manche Türe öffnete und einzelnen Autoren sogar das Leben rettete.88 So wandten sich in den Monaten nach dem ‚Anschluss‘ zahlreiche österreichische Autorinnen und Autoren mit der Bitte um Aufnahme in den deutschen Exil-PEN an Rudolf Olden.89 Dies versetzte Olden in die Lage, die Frage Frischauers, ob und in welcher Form man dem österreichischen PEN ‚Asyl‘ gewähren könnte, zu seinem eigenen Anliegen zu machen. Am 22. Oktober 1938 schrieb er an Siegfried Trebitsch: Stefan Zweig, Franz Werfel, Joseph Roth, „von nicht wenigen anderen zu schweigen“, seien „jetzt ohne P.E.N.-Heimat. […] Sollte es sich da nicht lohnen, eine Gruppe zu gründen?“90 Die mit Olden in Kontakt stehenden Österreicher waren, in Kenntnis seiner Leistungen und Fähigkeiten, geneigt, ihm auch die Führung eines österreichischen Exil-PEN anzuvertrauen. Dies hätte allerdings eine Fusionierung der deutschen und der österreichischen Gruppen bedeutet. Siegfried Trebitsch antwortete in diesem Sinne auf den Brief Oldens: „Aber diese österreichische Gruppe sollen gerade Sie, dazu berufen, gründen, das meinen auch Frischauer und Ould, wir werden dann freudig zu ihrer Fahne schwören.“91 Oulds Fusionswunsch entsprang politischer Resignation angesichts der im Herbst 1938 manifesten Erfolge Hitler‘scher Machtpolitik: „As realists (?), ought one not to combine the ex-Austrian P.E.N. members with the German? I cannot hope that Austria will become independent again […] in our lifetime.“92 Olden war jedoch dafür, das Gesetz des Handelns selber in die Hand zu nehmen: „Hitlers ‚Anschluß‘ solle uns nicht zum gleichen Vorgehen veranlassen, nachdem wir ihm nicht zuvorgekommen waren“93 (womit er auf die auch in linken Kreisen weit verbreiteten Anschluss-Wünsche und Anschluss-Pläne in Österreich am Ende des Ersten Weltkrieges anspielte.) Diesen Standpunkt vertrat Olden auch in einer Sitzung des Exekutivkomitees des Internationalen PEN, das im Herbst  1938 in London tagte. Zusammenfassend berichtete er darüber Heinrich Mann: Der östreichische [sic] Club soll in der Emigration wieder auferstehen. Dieser Meinung war man schon früher. Dann tat niemand etwas, und es wurde mir vorgeschlagen, die Östreicher [sic] bei 88 Vgl. Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 238, 246f. und 278. 89 „… there is an increasing number of Austrian writers asking to be admitted as members to the German Group.“ Rudolf Olden an Hermon Ould (2. 8. 1938). DEA, EB 75/175/635. 90 Rudolf Olden an Siegfried Trebitsch (22. 10. 1938). DEA, EB 75/175/707. 91 Siegfried Trebitsch an Rudolf Olden (24. 10. 1938). DEA, EB 75/175/710. Olden hatte von 1919–1926 als Journalist und Redakteur in Wien gearbeitet (u. a. bei der Wochenschrift Der Friede und bei der Tageszeitung Der Neue Tag). In den 1920er Jahren wurde er in den Verzeichnissen des Wiener P.E.N. als Mitglied geführt. 92 Hermon Ould an Rudolf Olden (27. 10. 1938). DEA, EB 75/175/718. 93 Rudolf Olden an Heinrich Mann (2. 8. 1938). DEA, EB 75/175/633.



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uns aufzunehmen. Gewiss wäre das erwägenswert gewesen. Ich hielt dem aber entgegen, Hitlers ‚Anschluss‘ sei nicht die richtige Anregung für den der Schriftsteller. Das verstanden die Franzosen, und es wurde beschlossen, noch einmal an Östreicher [sic] deshalb heranzutreten.94

Der Präsident des deutschen Exil-PEN teilte die Meinung Oldens. Er antwortete am 24. November 1938 lakonisch: „Sie haben recht, der österreichische Club bleibt selbständig.“95 Schließlich folgte auch der Internationale PEN den Argumenten Oldens, vielleicht nicht unbeeinflusst davon, dass sich in der Zwischenzeit auch der „richtige Mann“ gefunden hatte, der den österreichischen Club aufbauen und vertreten konnte: Robert Neumann. Ihm bestätigte Hermon Ould am 22. Dezember 1938: „I think you would be the right person to start a Group for the Austrian emigrant writers, and I feel sure, that Werfel will become the President.“96 Seinen früher geäußerten politischen Pessimismus korrigierend betonte Ould bei späterer Gelegenheit, dass die Errichtung von Exil-Organisationen des PEN wie der ,Austrian Group‘97 nicht als Eingeständnis einer Niederlage gegenüber dem Nationalsozialismus gewertet werden dürfe, sondern Ausdruck der Überzeugung sei, „that sooner or later they will be absorbed into comprehensive centres functioning in a healthy and open fashion in their own countries.“98 Damit erhielten die Exil-Gruppen des PEN einen Status, der eine Perspektive auf die Rekonstruktion der nationalen PEN Zentren nach Beendigung des Krieges eröffnete. Im Januar  1939 begann die Exil-Gruppe des österreichischen PEN mit dem im amerikanischen Exil lebenden Franz Werfel als Präsident, dem im Februar 1934 nach England emigrierten Robert Neumann als geschäftsführendem Generalsekretär und mit dem ebenfalls im Londoner Exil lebenden – bereits schwerkranken – Sigmund Freud als Ehrenpräsident, offiziell zu arbeiten. Durch Aufrufe in verschiedenen Exil-Zeitschriften wurden die versprengten österreichischen Schriftsteller zur Mitgliedschaft eingeladen.99 Mit Genugtuung schrieb Ludwig Ullmann aus Paris: „Nun endlich kann der Penclub wiedererstehen […] wie er war – in seiner besten und mutigsten Zeit.“100 Wenige Tage später erinnerte auch Friedrich Torberg in einem Brief aus Zürich an die beste Zeit des Wiener PEN: „Wen würde da, in memoriam einer Sturmsitzung im ‚Blauen Saal‘ des Hotel Imperial, nicht augenblicklich tiefe 94 Rudolf Olden an Heinrich Mann (17. 11. 1938). DEA, EB 75/175/784. 95 Heinrich Mann an Rudolf Olden (24. 11. 1938). DEA, EB 75/175/802. 96 Hermon Ould an Robert Neumann (22. 12. 1938). DST, NL Neumann. 97 Bis Juni 1941 gewährte der englische PEN insgesamt sieben Exil-Gruppen Asyl: dem katalanischen, polnischen, tschechoslowakischen, norwegischen, jiddischen, deutschen und österreichischen PEN. Vgl. European Centres in London. In: P.E.N. News 119 (August 1941), S. 4–11. DEA, Eb kb 551. 98 Annual Report of the International Secretary. In: P.E.N. News 106 (Oktober 1939), S.  9–14, hier S. 10. DEA, EB kb 551. 99 So z. B. in der Pariser Tageszeitung vom 10. 1. 1939 und im Neuen Tage-Buch [Paris und Amsterdam] 7 (14. 1. 1939) 3, S. 71. 100 Ludwig Ullmann an Robert Neumann (11. 1. 1939). DST, NL Neumann.

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Wehmut beschleichen, sowie die Begier, sich raschest zur Stelle und Mitgliedschaft zu melden!“ Doch nicht nur Nostalgie veranlasste Torberg, sich raschest zu melden, sondern auch die praktisch-realistische Überlegung: „Es wäre mir […] aus behördlichaufenthaltstechnischen Gründen sehr lieb, so bald wie möglich eine Mitgliedskarte des P.E.N.-Club zu besitzen.“101 Der Filmtheoretiker Béla Balázs, Mitglied der österreichischen Sektion seit 1923, meldete sich bald darauf aus dem Moskauer Exil mit der Beteuerung, dass er „Gewicht darauf lege, Mitglied des P.E.N.-Clubs zu sein, zumal dieser sich auf sehr anständige Weise zu einem geistigen Organ, zu einer Tribüne der Humanität und dadurch unserer Volksfront entwickelt hat“.102 Exakt diese von Ullmann, Torberg und Balázs formulierten praktischen und politischen Motive sind die über den jeweiligen persönlichen Anlass hinaus gültigen Begründungen für die Attraktivität des österreichischen PEN-Clubs im Exil. Rudolf Olden bemerkte einmal Robert Neumann gegenüber, er sehe es als seine Pflicht an, die Kongresse des Internationalen PEN „mit Politik zu vergiften“103 – um den PEN so zu jener Tribüne der Humanität und zu einer geschlossenen Front gegen den Faschismus zu machen, die Balázs in ihm sah. Doch die Zeit zwischen den Kongressen war mit der öffentlich wenig spektakulären, aber mühsamen humanitären, karitativen und organisatorischen Arbeit im Kleinen ausgefüllt. Robert Neumann entfaltete dabei – begünstigt durch seine guten Verbindungen zu englischen Stellen und durch einen weit verzweigten Bekanntenkreis – eine ähnlich imponierende Tätigkeit wie Rudolf Olden, mit dem er auf das freundschaftlichste kooperierte. Den vertrauten Stil ihrer Zusammenarbeit illustriert ein Brief, den Neumann am 6. Juni 1939 an Olden schrieb: LRO, Zweig ist anschnorrbar at 49, Hallam Street, W 1 Tel. Langham 3693 […] Herzlichst Neumann104

101 Friedrich Torberg an Robert Neumann (21. 1. 1939). Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), NL Neumann, Ser.n. 22. 474. 102 Béla Balázs an Rudolf Olden (18. 6. [1939]). DEA, EB 75/175/1218. 103 Rudolf Olden an Robert Neumann (24. 6. 1939). In: Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 302. 104 Robert Neumann an Rudolf Olden (6. 6. 1939). DEA, EB 75/175/1185. Dass die Aktionen Neumanns und Oldens von Animositäten der Exilierten untereinander nicht unberührt blieben, belegt eine kuriose Notiz Oldens vom 12. 6. 1939: „Besprechung mit Neumann. Er erklärt, er könne sich nicht noch einmal wegen Robert Musil an Stefan Zweig wenden. Dieser habe erklärt, er könne nichts empfehlendes [sic] über Musil sagen, weil er mit Broch befreundet sei.“ (DEA, EB 75/175/1213). Oldens Bemühungen um Musil sind dokumentiert in Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 230–238 („Hilfsaktionen für Robert Musil“).



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Bereits einen Monat nach Gründung des österreichischen Exil-PEN organisierte Robert Neumann „eine Art Labour Exchange für die Refugees […] (Weiterleitung Ratbedürftiger an Verleger, Theater, Agenten, Zeitungen)“.105 Der internationale Sekretär würdigte in einem Bericht vom November 1939 die Effizienz der Einrichtung folgendermaßen: „This Bureau has been especially welcomed and valued; and each afternoon crowded with interviews“.106 Eine andere Tätigkeit, die den sozialen Fähigkeiten Neumanns große Entfaltungsmöglichkeiten bot, war die Hilfe bei der Beschaffung von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen für Emigranten. Im Juni 1939 konnte er Olden mitteilen: „Wir haben jetzt ein wirklich funktionierendes Visabüro im P.E.N.“.107 Die Tätigkeit Neumanns und Oldens bewegte sich ganz auf der taktischen Linie des englischen PEN, der trachtete, sich für die Regierung zu einer unentbehrlichen und unumgehbaren Beratungsinstanz zu machen. Da England nach Kriegsausbruch dazu überging, Emigranten aus jenen Ländern, mit denen es sich im Kriegszustand befand, als ,enemy aliens‘ (feindliche Ausländer) zu betrachten und etwa 30 000 in Internierungslagern festsetzte, war für zahlreiche Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler der Weg in die Freiheit nur über eine politische Bürgschaftserklärung des PEN möglich. Der englische PEN, der diese Fälle dem Home Office gegenüber vertrat, war dabei in erster Linie auf die Beurteilungen Neumanns und Oldens angewiesen. Hermon Ould skizzierte in Briefen an die beiden Generalsekretäre Absichten und taktische Linie des PEN: In der gegenwärtigen Notlage könnte der PEN-Club meiner Ansicht nach den Behörden beim Umgang mit den Fremden wirklich nützlich sein. Man kann, denke ich, voraussetzen, daß die Regierung wahrscheinlich keine Flüchtlinge internieren möchte, deren Vergangenheit zeigt, daß sie Opfer, nicht Anhänger des Nazi-Regimes gewesen sind. […] wir im PEN-Club sind sicherlich in der Lage, zuverlässige Informationen über die Person der geflüchteten Schriftsteller zu geben, die durch unsere Hände gegangen, oder über jene, über die Sie und unsere anderen Helfer genau unterrichtet sind. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie sich dem PEN-Club zu diesem Zweck zur Verfügung halten und alle geflüchteten Schriftsteller, für deren bona fides Sie sich verbürgen können, informieren würden, daß sie den englischen P.E.N.-Club als Referenz angeben sollen.108

Aufgrund solcher ‚bona fides‘-Erklärungen von Neumann und Olden gelang es dem englischen PEN in der Folgezeit, zahlreiche Schriftsteller zu befreien. Den Status, den der PEN in dieser Angelegenheit gegenüber den offiziellen Stellen nach und nach erlangte, beschrieb Hermon Ould Ende 1941 folgendermaßen: „Not at once, but after much persistance, it became evident that the P.E.N.-Club was the only body in this country competent to advise the Government on questions relating to the standing

105 Robert Neumann an Rudolf Olden (15. 2. 1939). DEA, EB 75/175/1113. 106 P.E.N. Refugee Writers’ Fund. In: P.E.N. News 104 (Juni 1939), S. 10–12, hier S. 11. DEA, EB kb 551. 107 Robert Neumann an Rudolf Olden (29. 6. 1939). DEA, EB 75/175/1269. 108 Hermon Ould an Rudolf Olden (5. 9. 1939). Zitiert nach Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 329 (Übersetzung).

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of foreign authors, and we were asked by the Home Office to set up an advisory committee.“109 Deutlicher vielleicht als die karitativen Aktivitäten im Zusammenhang mit der großen Emigrationswelle von 1938 zeigt diese politische Kleinarbeit, dass die beiden Londoner Gruppen des deutschen und des österreichischen PEN sehr schnell und wie selbstverständlich ein Selbstverständnis entwickelten, das der Mitgliedschaft beim PEN zum ersten Mal in seiner Geschichte eine präzise definierte politische Dimension verlieh. In einem gemeinsam verfassten Leserbrief, der sieben Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen im Manchester Guardian erschien, definierten Robert Neumann und Rudolf Olden als „hon. Secretaries“ öffentlich die politische ‚Exklusivität‘ ihrer PEN-Gruppen. Sie betonten, dass die emigrierten österreichischen und deutschen Autoren (von denen sie 25 prominente namentlich anführten), die sich einer der beiden Exil-PEN-Gruppen angeschlossen haben, „have thus testified that they cherish principles, which are irreconcilably opposed to the National-Socialist dictatorship“.110 Für die weitere Geschichte des österreichischen PEN-Clubs ist dieses öffentliche Bekenntnis zu antifaschistischen Prinzipien von allergrößter Bedeutung, weil es nicht nur die Voraussetzung, sondern zugleich auch das zentrale Postulat bei der Wiedererrichtung des österreichischen PEN-Clubs nach dem Kriege darstellen sollte. Die von Neumann im Namen des österreichischen PEN öffentlich zum Kriterium der Mitgliedschaft erklärte „unversöhnliche“ Gegnerschaft zum Nationalsozialismus schuf darüber hinaus die Voraussetzung einer engen Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen Exil-PEN und den beiden wichtigsten österreichischen Exilorganisationen: dem ,Austrian Centre‘ und dem ,Free Austrian Movement‘ (FAM), das seit Dezember 1941 mehr als ein Dutzend österreichischer Exilorganisationen unter einem Dach vereinigte. Der Beitrag, den diese beiden, von österreichischen Kommunisten dominierten Organisationen – gegen den vehementen und oft auch unfairen Widerstand sozialistischer Exilorganisationen – zur Propagierung der Eigenständigkeit der österreichischen Nation und des Selbstbestimmungsrechtes des österreichischen Volkes leisteten, ist unbestritten.111 109 [Bericht des Internationalen Sekretärs auf dem XVII.  P.E.N.-Club Kongress in London (10.– 13. 9. 1941)]. ÖNB, NL Neumann, Ser. n. 21. 798. Im Zuge der zweiten großen Internierungsphase Mitte des Jahres 1940, die im Zusammenhang mit der Abwehr einer befürchteten deutschen Invasion stand, wurden auch Neumann und Olden für mehrere Monate auf der Isle of Man gefangen gesetzt. 110 Robert Neumann und Rudolf Olden: Distinguished Germans in Exile. Irreconcilably opposed to the Nazi Regime. In: The Manchester Guardian, 24. 8. 1939, S. 14. (DEA, EB 75/175/1444). Eine Kopie des Artikels befindet sich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien (DÖW), NL Neumann. Vgl. auch Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 325f. (Auszüge). 111 Vgl. Helene Maimann: Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938– 1945. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1975 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 62) und Marietta Bearman, Charmian Brinson, Richard Dove, Anthony Grenville, Jennifer Taylor (Hrsg.): Wien – London, hin und retour. Das Austrian Centre in London 1939 bis 1947. Wien: Czernin 2004.



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Im Zusammenhang mit dem XVII. Internationalen PEN-Kongress (10.–13. 9. 1941) in London wurden im österreichischen Exil-PEN Neuwahlen durchgeführt. Da seit dem Tode Sigmund Freuds im September 1939 das Amt des Ehrenpräsidenten vakant war, wurde Franz Werfel zum Ehrenpräsidenten ‚befördert‘. Robert Neumann wurde als geschäftsführender Präsident installiert. Welches Gewicht und welchen Einfluss Neumann mittlerweile hatte, ist daran erkennbar, dass er mit seiner Rede auf dem Londoner Kongress den amtierenden Präsidenten des Internationalen PEN, den Franzosen Jules Romains, der als Nachfolger von H. G. Wells seit 1936 im Amt war, zu Fall brachte. Er warf ihm seine schwankende Haltung zum Nationalsozialismus und seine Treffen mit Nazi-Größen (u. a. mit Ribbentrop, Schirach, Goebbels) vor, was zur Folge hatte, dass er abgewählt und an seiner Stelle ein fünfköpfiges Präsidium (Wartime Presidential Committee) eingesetzt wurde, dem u. a. Thornton Wilder, François Mauriac, H. G. Wells und Hermon Ould angehörten.112 Der österreichische PEN-Club im Exil, hatte – mehr vielleicht als andere Organisationen – das Gewicht guter und bekannter Namen in die Waagschale zu werfen. Weder vorher noch nachher hatte der österreichische PEN so viele bedeutende Autoren und Autorinnen in seinen Reihen wie in den Jahren, da Österreich zu existieren aufgehört hatte. Unter den (knapp neunzig) Mitgliedern des ‚Free Austrian P.E.N.‘113 waren Raoul Auernheimer, David Bach, Béla Balázs, Vicki Baum, Felix Braun, Hermann Broch, Ferdinand Bruckner, Fritz Brügel, Elias Canetti, Franz Theodor Csokor, Otto Erich Deutsch, Anna Freud, Sigmund Freud, Hans Flesch-Bruningen, Erich Fried, Albert Fuchs, Arnold Hauser, Arthur Koestler, Theodor Kramer, Alma Mahler-Werfel, Karl Mannheim, Hermynia Zur Mühlen, Robert Musil, Otto Neurath, Hertha Pauli, Eva Priester, Wilhelm Reich, Theodor Reik, Arthur Roessler, Joseph Roth, Hilde Spiel, Josef Luitpold Stern, Friedrich Torberg, Ludwig Ullmann, Berthold Viertel, Franz Werfel, Berta Zuckerkandl und Stefan Zweig.114 Zwischen österreichischem PEN, ‚Austrian Centre‘ und FAM gab es enge personelle Verbindungen: Sigmund Freud war Ehrenpräsident des PEN und des ,Austrian Centre‘; der frühere Vizepräsident des ,Austrian Centre‘, der Historiker und Publizist Walter Hollitscher, wurde Ende 1942 Generalsekretär des österreichischen Exil-PEN und dessen Präsident Robert Neumann war zugleich auch Vorstandsmitglied des FAM. In seiner Autobiographie erinnerte er sich liebevoll-ironisch an seine „Freunde, die Kommunisten“.115

112 Vgl. Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 366f.; Hilde Spiel: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. München: List 1989, S. 190; Helmut Peitsch: „No Politics“? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933–2002. Göttingen: V&R unipress 2006 (Schriften des Erich Maria Remarque Archivs 20), S. 96f. 113 So lautete die offizielle Bezeichnung im Briefkopf des Clubs (zumindest) seit 1942. Aber auch die Bezeichnung ‚Austrian Centre‘ war weiterhin gebräuchlich. 114 Austrian P.E.N. Membership List [o. D.]. Archiv des Österreichischen P.E.N.-Clubs, Wien (ÖPC), Organisation I und Roček: Glanz und Elend, S. 611f. 115 Neumann: Ein leichtes Leben, S. 554ff.

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Am 15. Februar 1942 erbat Neumann vom Ehrenpräsidenten Franz Werfel und von den damaligen Vorstandsmitgliedern (Fritz Brügel, Joe Lederer, Arthur Koestler, Karl Mannheim, Leon Schalit, Stefan Zweig) die formelle Zustimmung zum Beitritt des PEN zum FAM. Dem österreichischen PEN sei im Rahmen der kulturellen Arbeit des FAM eine „führende Rolle zugedacht“.116 Erstes Ergebnis dieser Zusammenarbeit zwischen PEN und FAM war die Entwicklung eines Aktionsprogramms, über das Neumann am 20. Mai 1942 verschiedene österreichische Exil-Organisationen informierte: Der Oesterreichische P.E.N. Club hat es unternommen, in Zusammenarbeit mit dem Free Austrian Movement ein kulturelles Programm zu entwickeln. Geplant ist zunächst: a) die organisatorische Zusammenfassung der in Gross-Britannien lebenden oesterreichischen Schriftsteller und Kuenstler jeder Art, b) ihre Heranziehung zu kuenstlerischen und literarischen Veranstaltungen […] und c) die Schaffung einer Volkshochschule.

Es handle sich dabei um die „Pflege und Foerderung der oesterreichischen Kultur“ und es gehe darum, „diese Kultur der oesterreichischen Emigration und der englischen und alliierten Oeffentlichkeit zu vermitteln“.117 Zu diesem Zweck organisierte der österreichische PEN-Club vom 29.–30.  August  1942 eine Kulturkonferenz (‚Austrian Cultural Conference‘), die unter dem Vorsitz von Robert Neumann alle bedeutenden Exilorganisationen versammeln und deutlich machen sollte, dass sich die Kulturarbeit des PEN und des FAM auch als ein „Instrument psychologischer Kriegsführung“118 verstand. Themen der Arbeitssitzungen waren: „1)  Oesterreichische Kultur – ihre nationale und internationale Geltung. 2) Kulturelle Aufgaben der Emigration – Internationale Zusammenarbeit und Kampf gegen den Faschismus.“119 An der Veranstaltung nahmen rund 250 Schriftsteller und Künstler teil, Vortragende waren u. a.: Adolf Eisler, Albert Fuchs, Marie Jahoda, Georg Knepler, Oskar Kokoschka, Robert Neumann, Otto Neurath, Egon Wellesz.120 Ernst Fischer telegrafierte am 26. August 1942, drei Tage vor Beginn der Konferenz, eine Botschaft aus seinem Moskauer Exil, in der die Todesstunde Österreichs als die Geburtsstunde des (neuen) Nationalgefühls definiert wurde: „Dear friends and countrymen it is our loyalty to Austria that draws us together. Since Hitler erased this 116 Robert Neumann an Vorstandsmitglieder (15. 2. 1942). ÖNB, NL Neumann, Ser. n. 21. 495 c. 117 Zirkular von Robert Neumann (20. 5. 1942). ÖNB, NL Neumann, Ser. n. 21.495 c. 118 Vgl. Ulrich Weinzierl: Zur nationalen Frage – Literatur und Politik im österreichischen Exil. In: Heinrich Lutz und Helmut Rumpler (Hrsg.): Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Probleme der politisch-staatlichen und soziokulturellen Differenzierung im deutschen Mitteleuropa. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1982, S. 318–341, bes. S. 338. Im Rahmen dieser ,psychologischen Kriegsführung‘ war Robert Neumann ständiger Mitarbeiter an der Anti-Hitler-Rundfunkpropaganda der BBC. Im DÖW, NL Neumann, 7234/2, befindet sich ein umfangreiches Konvolut mit Sendemanuskripten aus den Jahren 1941–1945. 119 Zirkular von Robert Neumann (20. 5. 1942). ÖNB, NL Neumann, Ser. n. 21.495 c. 120 Faksimile des Programms abgedruckt bei Roček: Glanz und Elend, S. 226.



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thousand year old name from [the] map it [ha]s become more precious to us than ever before.“ Es sei die Pflicht der österreichischen Exilierten, dem Beispiel der im Lande tätigen Oppositionellen und Widerstandskämpfer zu folgen und einen Beitrag zu leisten zur Wiedererrichtung Österreichs „by setting [an] example of solidarity, of […] all Austrians regardless [of their] party affiliations, regardless [of] their world outlook […] what [is] needed is [a] strong, militant Austrian national conscience“.121 Dass im Rahmen der beschränkten politischen Betätigungsmöglichkeiten im Gastland England, das den Emigranten eine Mitsprache über den künftigen Status Österreichs verweigerte, vor allem die Erinnerung an das spezifische und eigenständige kulturelle Erbe Österreichs einen besonderen politischen Stellenwert erhielt, ist evident und erklärt die erstaunlich umfangreichen kulturellen Aktivitäten der österreichischen Emigration in England.122 Die vom österreichischen PEN einberufene und unter dem Vorsitz von Robert Neumann abgehaltene Kulturkonferenz, an der sich Vertreter aller weltanschaulichen und politischen Richtungen der österreichischen Emigration in Großbritannien beteiligten, erfüllte nicht nur die Solidaritätsforderung Ernst Fischers, sie war auch eine deutliche Manifestation des von Fischer geforderten „militanten“ österreichischen Nationalbewusstseins. Die Berufung auf die gemeinsame österreichische Kultur schuf so nicht nur die Voraussetzung einer Verständigung über die Parteigrenzen hinweg, sie ermöglichte auch die Werbung und Agitation für ein eigenständiges, politisch autonomes Österreich nach dem Ende des Krieges. Im Unterschied zum deutschen Exil-PEN in London, der nach dem tragischen Tod Rudolf Oldens und der Flucht Heinrich Manns aus Frankreich im Oktober 1940 stagnierte und an Anziehungskraft verlor,123 lässt sich die Geschichte des österreichischen PEN-Clubs im Exil als eine kontinuierliche und in sich stimmige Entwicklung begreifen. Der stark auf karitative Maßnahmen und Kollegenhilfe ausgerichteten ersten Phase folgte sehr bald eine durch die politische Situation und die persönlichen Erfahrungen der Emigranten bedingte (und durch Robert Neumann entschieden geförderte) Politisierung des Clubs. Sie wurde zur Voraussetzung für die kulturelle und politische Selbstbehauptung als Organisation. Die jährlichen Tätigkeits- und Rechenschaftsberichte sind beeindruckende Zeugnisse für den Umfang und die kulturpolitische Richtung der Aktivitäten des österreichischen PEN im Exil. Sie umfassten die traditionellen Dinners und Tea-Parties ebenso wie Theateraufführungen (u. a. mit dem österreichischen Exil-Theater ‚Laterndl‘), politische Vorträge und Diskussionen (meist in Kooperation mit dem ‚Austrian Centre‘ und dem FAM), die Organisation von Konzerten und Gedenkveranstaltungen für historische Persönlichkeiten und aktuell verstorbene österreichische Künstler und Wissenschaftler, die Organisation von Sym121 Ernst Fischer an Austrian Penclub (26. 8. 1942). DÖW, NL Neumann. 122 Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Österreicher im Exil. Großbritannien 1938–1945. Eine Dokumentation. Einleitungen, Auswahl und Bearbeitung: Wolfgang Muchitsch. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1992. 123 Vgl. Peitsch: „No politics“?, S. 76ff.

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posien und Konferenzen, literarische Lesungen, die Gründung einer Buchreihe etc. Besser und überzeugender als den politischen Emigrantenorganisationen, die sich häufig in ideologische Grabenkämpfe verstrickten, ist es offenbar den nach England emigrierten Künstlern und Schriftstellern gelungen, mit Theateraufführungen, Lesungen, Vorträgen, Konzerten und Publikationen die Eigenständigkeit der österreichischen Nation zu propagieren und ins Bewusstsein der Briten zu heben. An dieser Arbeit, die eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür war, Österreich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus als eigenständigen Staat zu denken, zu planen und anzustreben, haben Mitglieder des österreichischen PEN-Clubs einen entscheidenden Anteil gehabt.

5 1946 – Wiederaufbau in Wien Robert Neumann, Präsident des ‚Free Austrian P.E.N.‘ in London beauftragte zu Jahresbeginn 1946 seinen Generalsekretär Walter Hollitscher, nach Österreich zu reisen. Mit einem förmlichen Schreiben vom 23. Januar 1946 bevollmächtigte er ihn, „anlässlich Ihres bevorstehenden Aufenthaltes in Wien alle Schritte zu unternehmen, die Ihnen geeignet erscheinen, um eine Reorganisation des Oesterreichischen P.E.N in Wien in die Wege zu leiten“. Hollitscher sollte „eine Anzahl prominenter, einwandfrei antifaschistischer Schriftsteller ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit durch persönliche Einladungen zusammenrufen“ und über den österreichischen PEN-Club im Exil berichten. Die Bedingungen, die Neumann seinem Emissär für die Auswahl der Gesprächspartner stellte, finden ihre Entsprechung in den klaren Richtlinien für die mögliche Wiedererrichtung eines österreichischen PEN-Zentrums: Hollitscher und die österreichischen Proponenten müssten erklären, dass 1. ein Wiener P.E.N.-Zentrum unter völliger Unabhängigkeit von der Oesterreichischen Regierung und von den Alliierten Okkupationsbehörden und unter völliger Schreib-, Rede- und Versammlungsfreiheit arbeiten würde; 2. keinem alten Mitglied die Wiederaufnahme verwehrt wird, er [sic] habe denn der Gruppe der politischen oder Karriere-Dissidenten von 1933 angehört oder sich später faschistisch kompromittiert; 3. neue Mitglieder nur aufgenommen werden, wenn sowohl ihre literarische Qualifikation wie auch ihre einwandfreie antifaschistische Gesinnung von einem von hier [d. i. London] aus zu bestätigenden Tribunal oder Aufnahmekomitee untersucht und verbürgt werden.

Unter Berücksichtigung dieser Auflagen sollte Hollitscher eine Liste der provisorischen Mitglieder und eine Liste der vorgeschlagenen Funktionäre an Neumann übermitteln. Er werde dann beim internationalen Komitee des PEN die „Uebertragung der Affiliierungs-Lizenz von der Gruppe in der Emigration auf die Gruppe in Wien



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beantragen“.124 Damit hatte der österreichische PEN-Club im Exil auch die Frage der Legitimität eindeutig für sich entschieden; die Frage nämlich, ob die Wiedererrichtung des österreichischen Zentrums vielleicht auch von den im Lande befindlichen Schriftstellern ausgehen könnte – wozu es durchaus Ansätze gab125 – stellte sich Neumann überhaupt nicht. Er verlangte in seinem Brief, der das zentrale und zugleich brisanteste Dokument in der Geschichte des österreichischen PEN nach dem Zweiten Weltkrieg ist, nicht nur politische Offenheit, er konstruierte mit seiner Erinnerung an das Jahr 1933 zugleich eine Kontinuität vom alten zum neuen Wiener PEN, die dessen Schattenexistenz zwischen 1933 und 1938 und dessen Liquidierung nach dem ,Anschluß‘ nicht zur Kenntnis nimmt. Der zentrale Inhalt dieser Kontinuität ist die antifaschistische Orientierung der PEN-Mitglieder. Sie hatte nach Ragusa die ‚Scheidung der Geister‘ bewirkt, sie war der zentrale Punkt im Selbstverständnis des ‚Free Austrian P.E.N.‘ und sie sollte auch der Prüfstein für die Wiedererrichtung des Wiener Zentrums werden. Mit dieser klaren Traditionslinie vor Augen sprach Robert Neumann in seinem Brief deshalb folgerichtig nur von einer ‚Reorganisation‘ (und nicht von einer ‚Neugründung‘) des österreichischen PEN in Wien. Von den ‚Dagebliebenen‘ wurde diese Traditionslinie im Handumdrehen unter Kommunismusverdacht gestellt. Walter Hollitschers Mission war in der chaotischen, undurchschaubaren Situation des ersten Nachkriegsjahres in Österreich gewiss nicht einfach. Um Antifaschismus-Zertifikate wurde, so wie überall, auch unter Schriftstellern gefeilscht; mögen auch so spektakuläre ‚Konversionen‘ wie die eines Hermann Heinz Ortner eher die Ausnahme gewesen sein.126 Hollitscher gelang es jedoch innerhalb kurzer Zeit, einen repräsentativen Ausschuss für die Wiedererrichtung des PEN zu bilden, in dem Autoren aus allen politischen Lagern vertreten waren.127 Zum Teil musste allerdings erst mit Emigranten Kontakt aufgenommen werden, so mit Franz Theodor Csokor, 124 Robert Neumann an Walter Hollitscher (23. 1. 1946). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 125 Am 1. 2. 1946 schrieb der letzte Vorkriegs-Präsident des österreichischen PEN, Hans von Hammerstein, an Rudolf Jeremias Kreutz: „In den Zeitungen stand vor einiger Zeit zu lesen, dass Vereine unter gewissen Bedingungen wiederaufleben können, sofern sie von den Nazis stillgelegt oder aufgelöst worden waren. […] Wenn sich also mit dem P.E.N.-Club was tut, bitte ich Dich, in meinem Namen auch, das Nötige vorzukehren […]. [Ich] will aber nicht mehr Präsident sein oder höchstens bis zur ordnungsgemäßen Neuwahl, bei der ich keinesfalls mehr kandidiere […]. Darum möchte ich Dich in allen mit dem P.E.N.-Club zusammenhängenden Fragen bevollmächtigen. Den Akt betreffend die Vermögensbeschlagnahme durch die Gestapo habe ich hier, falls er benötigt würde.“ AK, NL Kreutz, Mappe P.E.N. 126 H. H.  Ortner, Parteigenosse seit Oktober 1933 und illegaler SA-Mann, neben Billinger, Brehm, Jelusich und Schreyvogl auch finanziell einer der größten österreichischen Profiteure des NS-Literaturbetriebs, versah kurz nach der Befreiung, durch Ausweis und Armbinde legitimiert, den „Posten eines Chef[s] der Widerstandsbewegung“ in Bad Kreuzen (Oberösterreich). DÖW, Personalakte Ortner. Vgl. Amann: Zahltag, S. 244f.; dort auch weitere ‚Karrieren‘ von 1933er PEN-‚Dissidenten‘. 127 An den vorbereitenden Sitzungen waren u. a. beteiligt: Ernst Fischer, Rudolf Henz, Oskar Maurus Fontana, Otto Koenig, Erika Mitterer, Paula von Preradović, Hugo Glaser, Edwin Rollett, Rudolf Jere-

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der von der Wiener Gruppe einmütig als Präsident gewünscht wurde. Csokor traf im April 1946 mit polnischem Pass, in der Uniform eines britischen Verbindungsoffiziers, aus dem römischen Exil in Wien ein. Als geschäftsführender Sekretär des geplanten Zentrums wurde Alexander Sacher-Masoch nominiert. Damit waren die Bedingungen Neumanns, zumindest was die beiden Leitungsfunktionen betraf, bestens erfüllt. Beide, Csokor und Sacher-Masoch, hatten aktiv am Widerstand in Jugoslawien und Italien teilgenommen und vor allem Csokor erinnerte, ganz im Sinne Neumanns, alsbald mit Artikeln in der Presse an die Resolution von 1933, die damals „die Ehre der Schriftsteller“ gerettet habe.128 Dennoch sollte es noch eines vollen Jahres und eines schwierigen, oft durch die Zensur behinderten und keineswegs immer spannungsfreien Briefverkehrs zwischen London und Wien bedürfen, ehe die Reaktivierung des österreichischen PEN-Clubs erfolgen konnte. Schon die provisorische (etwa 60 Namen umfassende) Mitgliederliste vom August 1946129 gab Neumann Anlass zu Rückfragen, die das Verhalten einzelner Autoren (z. B. O. M. Fontanas) gegenüber den „Nazis“ betrafen. Neumann erklärte unmissverständlich, dass die Einrichtung von PEN-Zentren in den ehemals deutsch besetzten Ländern ein „Kampf um die Denazifizierung“ sei.130 Nachdem in den 1930er Jahren die Versuche, ein sowjetisches PEN-Zentrum zu gründen, gescheitert waren,131 unternahm der Internationale PEN, dessen Exekutivkomitee Neumann angehörte, nach 1945 erneut Anstrengungen, auch die russischen Schriftsteller in den Verband zu integrieren. Vor dem Hintergrund dieser Absicht gewann die Frage der „Denazifizierung“ des neuen österreichischen Zentrums besondere Bedeutung. Etwas salopp formulierte Neumann, diese Frage sei von internationaler Wichtigkeit, „weil wir die Russen im PEN haben wollen, und sie nicht kriegen können, bevor wir alle ex-Nazi-Elemente entfernt haben“. Es sei deshalb nicht private Neugier, wenn er nach der politischen Vergangenheit einzelner Autoren frage, denn „ein einziger verdächtiger Name ‚schmeisst‘ eine ganze Liste, wie es jetzt ist“.132 Sacher-Masoch, dem die Aufgabe zukam, die Fragen Neumanns nach der Vergangenheit einzelner Autoren zu beantworten, agierte äußerst tolerant und verbindlich. Obwohl er aufgrund seines eigenen Schicksals allen Grund gehabt hätte, den ‚Überläufern‘ gram zu sein, versuchte er bei Neumann Verständnis zu wecken für die mias Kreutz, Alexander Lernet-Holenia, Franz Theodor Csokor und Alexander Sacher-Masoch. ÖPC, Vorstandsprotokolle. 128 Franz Theodor Csokor: Die unbekannten Kriegsverbrecher. In: Österreichisches Tagebuch 2 (1947) 36, S. 5f., hier S. 5. Ein längerer Auszug ist abgedruckt in Amann: P.E.N., S. 82f. 129 Edwin Rollett an Robert Neumann (2. 8. 1946). ÖPC, Mitglieder-Korrespondenz und Organisation I [‚Provisor. Mitgliederliste P.E.N.‘]. 130 Robert Neumann an Alexander Sacher-Masoch (20. 8. 1946). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 131 Vgl. Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): PEN Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Goldmann 1978, S. 12–18, bes. S. 14f. 132 Robert Neumann an Alexander Sacher-Masoch (20. 8. 1946). ÖPC, Korrespondenz Neumann.



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Zwänge, denen die im Lande gebliebenen Schriftsteller ausgeliefert waren. Wenn man sich auf den Standpunkt stelle, schrieb er im Jänner  1947 an Neumann, dass niemand, der während der Hitlerzeit eine Zeile geschrieben habe, für den österreichischen PEN in Frage komme, „dann wuerde es am Ende vermutlich so aussehen, daß Csokor und ich uns als alleinige Mitglieder praesentieren koennten, und das ist natuerlich nonsense. Für uns muß die Frage massgebend sein: ‚War der Betreffende ein ‚Nazi‘ oder nicht?‘“133 Die besonnenen, diplomatischen Briefe Sacher-Masochs an Robert Neumann, seine Dossiers über kompromittierte oder bei Neumann denunzierte Autoren134 vermochten die Londoner Zentrale jedoch nicht zu überzeugen. „They want much more satisfactory information than I could honestly offer regarding the denazification of Austrian litterary [sic] life in general and the proposed P.E.N. members in particular […]“. Das Exekutivkomitee des Internationalen PEN habe deshalb den Beschluss gefasst, die Entscheidung über den österreichischen Aufnahmeantrag bis zum internationalen PEN-Kongress in Zürich (2.–6.  Juni  1947) zu vertagen. Dorthin würden dann zwei Österreicher als Auskunftspersonen eingeladen.135 Die Haltung des Internationalen PEN erzeugte in Wien beträchtlichen Unmut. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die aus der Emigration zurückgekehrten Schriftsteller und jene, die unter dem Nationalsozialismus gelitten hatten, ein politisches Selbstbewusstsein entwickelt hatten, das notgedrungen in Widerspruch geraten musste zu der Siegerattitüde, die in manchen Briefen Neumanns und in den Stellungnahmen des Londoner Zentrums zuweilen mitklang. Dazu kam, dass die Alliierten mit den ersten freien Wahlen vom 25. November 1945 dem österreichischen Volk bereits Rechte eingeräumt hatten, die der Internationale PEN den österreichischen Schriftstellern noch vorenthielt. Brüskiert fühlten sich die österreichischen Autoren auch durch die Gleichbehandlung mit den deutschen Schriftstellern – über die Neuerrichtung des deutschen PEN-Zentrums sollte nämlich ebenfalls in Zürich diskutiert werden136 –, während auf der politischen Ebene die Alliierten klar zwischen Österreich und Deutschland unterschieden. Österreich wurde, gemäß der Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 als ‚erstes Opfer‘ Nazideutschlands, nicht als ‚besiegtes, sondern als ‚befreites‘ Land betrachtet. Deshalb liefen die Verwaltungs- und Kontrollmaßnahmen der Alliierten in Österreich deutlich auf eine ‚Besserstellung‘ hinaus. Sogar der immer konziliante und um Ausgleich bemühte Csokor wandte sich in einem Brief an Sacher-Masoch dagegen, dass von London aus die gleichen „Vorsichtskautelen“ angeordnet würden wie gegen den in Berlin neu entstehenden PENClub, „denn erstens hat die Majorität des Österreichischen Pen-Clubs 1933 protestiert, 133 Alexander Sacher-Masoch an Robert Neumann (29. 1. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 134 Z. B. Oskar Maurus Fontana und Rudolf Jeremias Kreutz, die einzigen Resolutionsunterzeichner von 1933, die während des Krieges in Österreich geblieben waren. Vgl. dazu Amann: P.E.N., S. 155f., Anm. 180 und 181. 135 Robert Neumann an Alexander Sacher-Masoch [o. D., Anfang 1947]. ÖPC, Korrespondenz Neumann. 136 Vgl. Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 383ff.

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während der Deutsche Pen-Club (was von ihm noch da war) Hitler gehorsam die Selbstauflösung verfügte und zweitens steht völkerrechtlich Österreich als ‚befreiter Staat‘ in einer anderen Beziehung zu den Alliierten […]“.137 Die größte Verstimmung bewirkte jedoch die Vorgangsweise Neumanns bei der Nominierung der österreichischen Vertreter für den Zürcher Kongress. Laut PEN-Statut hatte nur das ‚Austrian Centre‘ das Recht, zwei Delegierte zum Kongress zu entsenden, da das Wiener Zentrum noch nicht anerkannt worden war. Neumann schlug vor, Csokor als Delegierten der Londoner Gruppe zu entsenden, als zweiten hatte er den im britischen Exil lebenden Elias Canetti vorgesehen. Die beiden Auskunftspersonen aus Wien sollten der Präsident des ‚Verbandes demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs‘, Edwin Rollett, und der kommunistische Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka sein.138 Dass Neumann mit Viktor Matejka jemanden vorschlug, der nicht einmal im vorbereitenden Ausschuss vertreten war, mochte aus den politischen Rücksichten Neumanns immerhin noch erklärbar sein, dass er jedoch empfahl, der designierte Generalsekretär der Wiener Gruppe, Sacher-Masoch, möge als Privatmann auf eigene Kosten nach Zürich reisen, musste bei allem, was Sacher-Masoch für die Wiener Gruppe bis dahin geleistet hatte, als Affront aufgefasst werden. Dies empfand nicht nur Matejka so, der die Nominierung ablehnte und an seiner Stelle Sacher-Masoch vorschlug,139 sondern auch Csokor, der dezidiert erklärte, er wolle O. M. Fontana und Sacher-Masoch nach Zürich mitnehmen.140 Durch Vermittlung von Walter Hollitscher lenkte Neumann schließlich ein und teilte Sacher-Masoch mit: „In Zürich werden Sie die Reserve und das Mißtrauen der Nationen beseitigen müssen, die die Oesterreicher als Teilnehmer und Nutzniesser der Nazi-Okkupation kennengelernt haben.“141 Auch dagegen wandten sich die Proponenten des zukünftigen Wiener PEN, denn sie waren in der Mehrzahl sicher weder Teilnehmer noch Nutznießer der Nazi-Okkupation. Sie fühlten sich entmündigt und behandelt wie „Angehörige eines Feindstaates“142 oder ein „Kolonialvolk minderer Sorte“143. Andererseits dürften jedoch die Erwartungen, die man in London dem Auftritt der österreichischen Repräsentanten in Zürich beimaß, weit über den konkreten Anlass hinausgegangen sein und daher die Frage der Nominierungen stark belastet haben. Schon in dem Brief, mit dem Neumann Viktor Matejka nach Zürich einlud, hatte er den Rahmen dieser Erwartungen sehr weit gespannt: „Von dem, was Sie dem Kongress zu sagen haben, wird nicht nur die Neuerrichtung des österreichischen 137 Franz Theodor Csokor an Alexander Sacher-Masoch (1. 3. 1947). ÖPC, Ehemalige Mitglieder. 138 Robert Neumann an Alexander Sacher-Masoch [o. D., Anfang 1947]. ÖPC, Korrespondenz Neumann; Robert Neumann an Viktor Matejka (14. 2. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 139 Viktor Matejka an Robert Neumann (26. 3. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. Vgl. zu SacherMasochs Kriegsbiographie Amann: P.E.N., S. 157f., Anm. 189. 140 Franz Theodor Csokor an Robert Neumann (1. 3. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 141 Robert Neumann an Alexander Sacher-Masoch (12. 3. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 142 Edwin Rollett an Robert Neumann (10. 4. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 143 Rudolf Jeremias Kreutz an O. M. Fontana (8. 5. 1947). ÖPC, Ehemalige Mitglieder.



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P.E.N. abhängen, sondern andere und wichtigere Fragen der Einordnung Österreichs in das internationale Geistesleben […]. Das Mißtrauen aller Staaten, die von den Nazis besetzt waren, gegen das ihrer Auffassung nach bei weitem nicht genügend denazifizierte österreichische Geistesleben ist außerordentlich groß.“144 Trotz zeitweise tief greifender Verstimmung wurde schließlich eine Einigung erzielt, und Sacher-Masoch konnte in einem formellen Schreiben Robert Neumann ersuchen, den Antrag auf Wiedererrichtung des österreichischen PEN-Clubs mit Franz Theodor Csokor als Präsident, Edwin Rollett als Vizepräsident und Alexander Sacher-Masoch als Generalsekretär zu stellen. Gleichzeitig dankte er Neumann „auf das herzlichste für Ihre aufopfernde Tätigkeit […] im Dienste des österreichischen Emigranten-P.E.N. während der vergangenen dunklen Jahre […] [Ich] begrüße Sie als den künftigen Ehrenpräsidenten und als österreichisches Ehrenmitglied unserer Gruppe und in dieser Eigenschaft als Nachfolger Sigmund Freuds und Franz Werfels.“ Sacher-Masoch schlug auch einen Modus zur Feststellung der „P.E.N.-Club-Würdigkeit“ vor, d. h. ein Verfahren zur Feststellung der antifaschistischen Einstellungen neuer Mitglieder. Zur Beurteilung dieser Frage stehe „ausgezeichnetes Material“ zur Verfügung, nämlich die Liste jener PEN-Mitglieder, die im Jahre 1933 gegen die „Unterdrückung der Gewissensfreiheit im Dritten Reich“ protestiert hatten und – gleichsam als Negativliste – die Akten der Reichsschrifttumskammer, die von der Staatspolizei dem PEN zur Verfügung gestellt worden waren. „Dies bedeutet“, so Sacher-Masoch selbstbewusst, „daß wir tatsächlich in der Lage sind festzustellen, wer ein Nazi war und wer nicht.“145 Auf dieser Grundlage wurde auf dem Zürcher Kongress am 5. Juni 1947 das Wiener PEN-Zentrum mit den Stimmen der Delegierten aus 35 Ländern einstimmig wiedererrichtet. Die Tatsache, dass mit Csokor als designiertem Präsidenten ein Mann an der Spitze des Clubs stehen würde, der in seiner Haltung immer eindeutig war, der eine Flucht durch halb Europa hinter sich hatte und der am Schluss in die britische Armee eingetreten war, hat viel zur positiven Stimmung in Zürich beigetragen.146 In einer gesonderten Punktation wurden in leicht abgeänderter Form jene Bedingungen offiziell bestätigt, die Neumann eineinhalb Jahre zuvor seinem Emissär Walter Hollitscher mit auf den Weg gegeben hatte: a) Sämtliche Mitglieder des Austrian-London-P.E.N. werden automatisch Mitglieder des Wiener P.E.N. b) Die seinerzeit aus dem österreichischen P.E.N. aus politischen oder opportunistischen Gründen Ausgetretenen werden in den neuen österreichischen P.E.N. nicht wieder aufgenommen. […]147

144 Robert Neumann an Viktor Matejka (14. 2. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 145 Alexander Sacher-Masoch an Robert Neumann (4. 6. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 146 Vgl. Amann: P.E.N., S. 91. 147 Alexander Sacher-Masoch an Robert Neumann (26. 6. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann [Bestätigung der Punktation durch Sacher-Masoch].

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Wenn man berücksichtigt, wie kontrovers in Zürich der Antrag auf Wiedererrichtung des deutschen PEN-Zentrums behandelt wurde,148 dann sind der Stolz und die Freude der österreichischen Delegierten über ihren Erfolg verständlich. Sie fanden in der politisch bestimmten Atmosphäre des Kongresses die Prognose Neumanns bestätigt, dass Annahme oder Ablehnung des Antrages nicht nur als PEN-interne Frage zu werten sei. Die Österreicher maßen ihren Erfolg deshalb auch im politischen Rahmen. In der ersten Euphorie schrieb Sacher-Masoch an Rollett, dass „die widerspruchslose, ja beifaellige Aufnahme Oesterreichs in den internationalen PEN einer der ersten – wenn nicht ueberhaupt der erste – aussenpolitische Erfolg unseres Landes seit Kriegsende sein duerfte“.149 Dass gerade zu diesem Zeitpunkt der bald genährten, bald zerstörten Hoffnungen auf den Staatsvertrag150 die Anerkennung eines autonomen österreichischen PEN-Zentrums durch den internationalen Verband auch einen hohen politischen Stellenwert hatte, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch die offizielle österreichische Politik registrierte den Akt wohlgefällig. Unterrichtsminister Felix Hurdes richtete ein Anerkennungsschreiben an Robert Neumann, in dem es u. a. beziehungsreich hieß: „In ebenso grosszügigem wie warmherzigem Eintreten vor den Teilnehmern des Weltkongresses des PEN-Clubs in Zürich haben Sie, sehr geehrter Herr, Österreichs geistig Schaffenden entschieden den Weg erleichtert zum Anschluss an die geistige Welt, den Weg zum einzigen Anschluss, nach dem Österreich verlangt.“151 Auch Csokor selber sah den Zürcher Beschluss als den „vielleicht […] stärkste[n] diplomatische[n] Erfolg, den Oesterreich bisher errungen hat“152 und leitete daraus einen Auftrag ab, der im Grunde eine zentrale Komponente der österreichischen Kulturpolitik ab den 1960er Jahren antizipierte: „1)  Aufrechterhaltung der Verbindungen mit den Schriftstellern jener Länder, wo gegenwärtig die politischen Beziehungen nicht klaglos funktionieren, und die dennoch wirtschaftlich für uns von höchster Bedeutung sind. Das heisst: 2) Gute Beziehungen zum polnischen, zum ungarischen und zum tschechoslowakischen Penclub.“153 Diesbezügliche Vereinbarungen mit den Präsidenten dieser Clubs habe er in Zürich bereits getroffen; mit den Italienern wolle er demnächst Kontakt aufnehmen. Auch Jugoslawien und Deutschland sollten miteinbezogen werden, sobald sie wieder über eigene PEN-Zen148 Vgl. Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 383ff. Der Antrag wurde abgelehnt. Das deutsche PENZentrum wurde erst im folgenden Jahr, auf dem Kopenhagener Kongress, wiedererrichtet. 149 Alexander Sacher-Masoch an Edwin Rollett (21. 6. 1947). ÖPC, Mitglieder-Korrespondenz. Vgl. auch Alexander Sacher-Masoch: Die gemeinsame Sprache. Rückblick auf den PEN-Kongreß. In: Österreichisches Tagebuch 2 (1947) 28, S. 10. 150 Vgl. Gerald Stourzh: Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der OstWest-Besetzung Österreichs 1945–1955. 5. durchges. Aufl. Wien, Graz und Köln: Böhlau 2005. 151 Felix Hurdes an Robert Neumann (21. 7. 1947). ÖPC, Korrespondenz Neumann. Csokor und Sacher-Masoch erhielten ähnliche Dankschreiben. Vgl. ÖPC, Korrespondenz mit dem Unterrichtsministerium. 152 Franz Theodor Csokor an O. M. Fontana (9. 6. 1947). ÖNB, NL Csokor, Beilage ad Ser. n. 24. 379. 153 Franz Theodor Csokor an Alexander Sacher-Masoch [o. D.; wahrscheinlich kurz nach dem Zürcher Kongress]. ÖNB, NL Csokor, Ser. n. 24. 372.



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tren verfügten. Am 13. November 1947 fand die erste Generalversammlung des österreichischen PEN in Wien statt. Die Funktionen wurden so wie in Zürich besprochen besetzt. Nur eine Woche später bestätigte die Behörde die Wiedererrichtung des 1938 zwangsweise aufgehobenen PEN durch „Erneuerung der bereits vor 1938 erteilten Genehmigung“.154

6 Die Schatten der Vergangenheit Es wäre zweifellos lohnend, die kulturpolitischen und literarischen Aktivitäten des wiedererrichteten PEN in den späten 1940er und in der ersten Hälfte der 1950er Jahre detaillierter zu beschreiben. Dabei wäre vor allem die Entdeckung zu machen, dass Csokor und Sacher-Masoch unter großem persönlichem Einsatz versuchten, die zur Emigration gezwungenen bzw. im Exil gestorbenen österreichischen Schriftsteller (Franz Werfel, Ferdinand Bruckner, Stefan Zweig, Robert Musil, Hermann Broch, Raoul Auernheimer u. a.) sowie die im KZ umgekommenen und die von den Nationalsozialisten ermordeten Autorinnen und Autoren (Jura Soyfer, Karl Roman Scholz, Emil Alphons Rheinhardt, Alfred Grünwald, Alma Johanna Koenig, Max Fleischer, Felix Grafe u. a.) durch Gedenkfeiern und Lesungen wieder ins öffentliche Bewusstsein zu heben.155 Damit gaben sie wichtige Impulse, den durch die nationalsozialistische Okkupation gewaltsam unterbrochenen Zusammenhang mit der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit wieder herzustellen. Diese Bestrebungen liefen parallel zu den Anstrengungen Otto Basils, der vor allem mit seiner Zeitschrift PLAN (1945–1948) an verschüttete Traditionen der österreichischen Literatur (Karl Kraus, Franz Kafka, Georg Trakl) anzuknüpfen suchte. Auch die Aktionen von Hermann Hakel zur Förderung junger Autorinnen und Autoren, unter ihnen Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker, Reinhard Federmann und Gerhard Fritsch, wären zu nennen.156 Doch aufgrund der besonderen politischen Umstände und Auflagen, denen der österreichische PEN sein Wiedererstehen verdankte, muss das Augenmerk auf die institutionsgeschichtlichen Aspekte gerichtet bleiben. Speziell die Praxis der Handhabung jenes ‚Entnazifizierungsparagraphen‘, der dem PEN-Club – als einzigem österreichischem Schriftstellerverband – von einem internationalen Gremium auferlegt wurde, stellte das politische Selbstverständnis des Vorstandes und das einzelner Mitglieder in besonderer Weise auf die Probe. Zugleich wird deutlich, dass sich unter dem Einfluss der politischen Klimaänderung im Zuge der Verschärfung des Kalten 154 20. 11. 1947. ÖPC, Korrespondenz mit Behörden. 155 In den ‚Tätigkeits- und Rechenschaftsberichten‘ des Vorstandes, die der jährlichen Generalversammlung vorgelegt wurden, sind diese Aktivitäten dokumentiert. ÖPC, Organisation I. 156 Z. B. die Serie ‚Der P.E.N.-Club stellt vor‘ in österreichischen Tageszeitungen. Vgl. auch Roček: Glanz und Elend, S. 273f.

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Krieges das öffentliche Interesse am PEN-Club zunehmend an anderen Fragen entzündete. Kennzeichnend für die erste Periode nach der Wiedererrichtung ist eine auffällige Inkonsequenz im Umgang mit nationalsozialistisch kompromittierten Autoren. Dabei mögen persönliche Bekanntschaften und Rücksichten ebenso eine Rolle gespielt haben wie mangelnde Information. In manchen Fällen dürften ganz einfach die Unterlagen nicht ausgereicht haben, um Entscheidungen zu treffen, die den Auflagen des internationalen Verbandes adäquat und mit der Zürcher Punktation konform waren. So wurde schon in einer der ersten Vorstandssitzungen beschlossen, Franz Nabl zur Mitgliedschaft einzuladen. Nabl antwortete am 1. Januar 1948: „Da ich dem österreichischen P.E.N.-Club auch schon vor seiner Auflösung angehört hatte, stimme ich meiner Berufung gerne zu“.157 Nabl hatte dem PEN in der Tat angehört, aber doch nur bis 1933. Damals war er als Unterzeichner der Anti-PEN-Resolution unter Protest ausgetreten und gehörte in der Folge zum Kreis jener, die Neumann zu Recht als „Nutzniesser“ bezeichnet hatte. Aus welchen Gründen auch immer – der PEN-Vorstand verstieß hier, nur einen Monat nach seiner behördlichen Wiedererrichtung, massiv gegen die Zürcher Auflagen. Und er tat ein Übriges, als er im folgenden Jahr Nabl in den Vorstand wählte. Ähnlich rätselhaft ist das Verhalten des Vorstandes in der Frage der Wiederaufnahme Max Mells. Der eindeutig, und stärker als Nabl, nationalsozialistisch kompromittierte Mell,158 der ebenfalls im Jahre 1933 an der PEN-Spaltungsaktion beteiligt gewesen war, wurde im November 1949 als Mitglied aufgenommen.159 Diese Art von Aufnahmepolitik wurde verständlicherweise gerade von außen mit Befremden registriert. Stellvertretend sei Ludwig Ullmann zitiert. Er schrieb am 5. November 1948 resigniert aus dem New Yorker Exil an Csokor: Ich finde Namen im Mitglieder-Verzeichnis, die ich auch in Goebbels‘ ‚Reich‘ etc. … als Mitarbeiter las. Und ich finde etwa den Namen Polgars, Waldingers … nicht. Aber Ihr werdet ja wissen, was Ihr tut, und ich habe es aufgegeben, mich in dieser Hinsicht auseinanderzusetzen. Fontana schrieb mir kuerzlich –nicht unverbittert ueber seine persoenliche Lage –, dass der brave Zsolnay – Vota Goebbels schau oba – wieder den Reinalter [sic] herausgibt und dass Schreyvogel [sic] – Heil – einen Kritikerposten in Wien hat. Vivant sequentes … ! Nicht, dass mich dies sehr verwunderte … Es ist eine schoene Sache um das ‚Verzeihen‘ und – wie gesagt – lokal moegen andere Gesichtspunkte walten. Von hier aus und vom Standpunkt derer, denen das ‚Nichtvergastwordensein‘ offenbar eben nicht verziehen wird, sieht es wieder anders aus.160

Csokors Antwort an Ullmann ist eine Mischung aus Verteidigung und eingestandener Kapitulation vor der alliierten Einflussnahme (besonders der USA), vor politischen Lobbies und persönlichen Interventionen für belastete Autoren: „Gegen diese Dinge – die von der Gegend, in der Du wohnst, protegiert werden – anzukämpfen, fällt hier 157 Franz Nabl an Alexander Sacher-Masoch (1. 1. 1948). ÖPC, Mitglieder-Korrespondenz. 158 Vgl. Amann: P.E.N., S. 97–99 und Amann: Zahltag, passim. 159 ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzungen vom 7. 6., 7. 9. und 7. 11. 1949. 160 Ludwig Ullmann an Franz Theodor Csokor (5. 11. 1948). ÖPC, Ehemalige Mitglieder.



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allerdings nicht leicht. Ich kann Dir aber mitteilen, dass gerade für die Wiederaufnahme solcher Persönlichkeiten (unter denen sich zum Beispiel Max Mell befindet) von einer Seite eingetreten wurde, deren Schicksal das Vergastwerden war.“161 Die ungelöste Frage des Verhaltens gegenüber den belasteten Autoren wurde zwei Jahre später, als Friedrich Schreyvogl zur Aufnahme vorgeschlagen wurde, noch einmal virulent. Schreyvogl, der bei der nationalsozialistischen Unterwanderung der österreichischen Literatur eine der verhängnisvollsten Rollen gespielt hatte – als einer der Hauptakteure bei der Spaltung 1933 und als freiwilliger Spitzel und Informant der Reichsschrifttumskammer162 –, wurde zum Anlass, dass das Problem der kompromittierten Autoren schließlich beinahe zu einem Eklat geführt hätte. Als nämlich Robert Neumann aus den Vorstandsprotokollen des Jahres 1951 erfuhr, dass Schreyvogl zur Aufnahme anstehe, drohte er mit Hinweis auf die Bedingungen, unter denen die Anerkennung des österreichischen PEN auf dem Zürcher Kongress erfolgt war, das Ehrenpräsidentenamt zurückzulegen, weil die Aufnahme von Personen wie Schreyvogl eine Abkehr des österreichischen PEN von den Voraussetzungen seiner Wiedererrichtung bedeute.163 Diese Abkehr war zwar schon mit der Aufnahme Nabls und Mells vollzogen worden, offenbar wurde jedoch erst mit Schreyvogl eine kritische Grenze überschritten. Dabei hatte es sich der Vorstand bis zu diesem Zeitpunkt in der Frage der Aufnahme belasteter Autoren durchaus nicht leicht gemacht. Der Antrag, Heimito von Doderer aufzunehmen, der 1947 das erste Mal diskutiert wurde, fand jahrelang keine Mehrheit, obgleich bekannt gewesen sein dürfte, dass Doderer sich nach Kriegsbeginn vom Nationalsozialismus abgewandt hatte. Auch Franz Tumler und Arnolt Bronnen wurden nicht aufgenommen. Es hat den Anschein, als ob nach und nach die Argumente für Ablehnung oder Aufnahme eines Autors austauschbar wurden. Csokor suchte aus der verfahrenen Lage einen Ausweg und schlug im Jänner 1952 dem neuen Vorstand (dem jetzt u. a. Carry Hauser, Martina Wied, Felix Braun, Otto Basil und Rudolf Felmayer angehörten) vor, die bisherigen Ablehnungen, insbesondere Doderers, Bronnens und Schreyvogls, noch einmal zu überprüfen. Da bei den erneuten Abstimmungen keiner der drei die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhielt, wurde beschlossen, in der folgenden Sitzung die Aufnahme der drei Autoren noch einmal zu diskutieren und abzustimmen.164 Am 19.  Februar  1952 wurden Doderer und Schreyvogl aufgenommen, Bronnen jedoch wiederum abgelehnt. Robert Neumann behielt sein Amt als Ehrenpräsident. Wenngleich die ‚Klärung‘ des Verhältnisses zu den ‚belasteten‘ Autoren (bis 1952 wurden insgesamt 16 abgelehnt) im Hinblick auf die Gründungsbestimmungen des 161 Franz Theodor Csokor an Ludwig Ullmann (20. 11. 1948). ÖPC, Ehemalige Mitglieder. Csokor spielt im letzten Satz des Briefes vermutlich auf Hermann Hakel an, der sich für Mell eingesetzt hatte. Hakel, der als Jude 1938 emigrierte, war zeitweise in Konzentrationslagern in Italien interniert und entrann nur knapp dem Tod. Mell hatte Hakel 1934/1935 entdeckt und gefördert. 162 Vgl. Amann: Zahltag, passim, bes. S. 189ff. 163 Vorlage für den Vorstand (5. 8. 1951). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 164 ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 8. 1. 1952.

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Zürcher Kongresses von eminenter öffentlicher Bedeutung war, so wurde die Lösung des Problems doch in der Regel PEN-intern gesucht. Nur in zwei Fällen nahm eine größere Öffentlichkeit Anteil an dieser Frage: bei Josef Nadler und Heinz Kindermann. Ein interessantes Phänomen der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ im literarischen Feld ist dabei die Tatsache, dass den völkischen Germanistikprofessoren ein größeres Maß an öffentlichem Interesse zuteil wurde als den Schriftstellern selber. Gewiss waren die wenigen prominenten österreichischen Literaturideologen mit eindeutigen Urteilen und prägnanten Zitaten aus weit verbreiteten Literaturgeschichten und Anthologien leichter festzunageln als viele der Schriftsteller, doch es spricht aus dieser Verlagerung der Aufmerksamkeit vermutlich auch die besondere Enttäuschung über den pädagogischen und wissenschaftlichen Verrat. Der 1945 außer Dienst gestellte Wiener Ordinarius Josef Nadler konnte deshalb, wie es 1948 in einer Veröffentlichung hieß, „fast zu einem Prüfstein dafür werden, ob es in Österreich so etwas wie eine wirkliche innere Abkehr von den ‚geistigen‘ Nazigrößen gibt […]“.165 Als im Herbst  1948 Nadlers Literaturgeschichte Österreichs erschien, richteten 76 Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens eine Denkschrift an den Unterrichtsminister, in der vor dem Wiedereindringen ehemaliger Nationalsozialisten in das kulturelle Leben Österreichs gewarnt wurde. Die Denkschrift, die das Österreichische Tagebuch eine „Tat des österreichischen Patriotismus“ nannte,166 hatten u. a. unterzeichnet: O. Basil, H. Chr.  Broda, R.  Brunngraber, F. Th. Csokor, O. M. Fontana, F. Heer, F. Hochwälder, G. W. Pabst und F. Wotruba. Doch die ministerielle ‚Literaturreinigungskommission‘ (in der auch das PEN-Mitglied Rudolf Henz saß) entlastete und rehabilitierte Nadler, was wenige Monate vor der Nationalratswahl auch als wahltaktisches Manöver der ÖVP, die den Minister stellte, gedeutet werden konnte.167 Daraufhin beschloss der PEN-Vorstand am 8.  Februar  1949 einstimmig, sich der Denkschrift der 76 anzuschließen und in einem Rundschreiben alle PEN-Mitglieder zur Einverständniserklärung aufzufordern.168 Mit einer öffentlichen Stellungnahme zum Problem nationalsozialistisch belasteter Künstler, einer Stellungnahme, die nach den Umständen der Wiedererrichtung des österreichischen PEN als ein logisches und eigentlich längst fälliges Dokument seines Selbstverständnisses hätte gelten können, eckte der Vorstand allerdings bei einigen Mitgliedern an. Rudolf Henz, Alexander Lernet-Holenia und Franz Nabl lehnten es ab, sich der Resolution anzu165 Nadler und seinesgleichen. Eine Anfrage an den Herrn Bundesminister für Unterricht. In: Österreichisches Tagebuch 3 (1948) 19, S. 11. 166 Worauf wartet der Innenminister. In: Österreichisches Tagebuch 4 (1949) 2, S. 2. 167 Vgl. Ernst Fischer: Der Fall Nadler. In: Österreichisches Tagebuch 4  (1949)  3, S.  3–5. Den Höhepunkt dieser wahltaktischen Bestrebungen bildete das Treffen zwischen Spitzenpolitikern der ÖVP und ehemaligen Nationalsozialisten auf Schloss Oberweis bei Gmunden im Mai 1949. „Für die ÖVP ging es darum herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gab, die ehemaligen Nationalsozialisten […] in der ÖVP anzusiedeln.“ (Manfried Rauchensteiner: Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945–1955. Graz, Wien und Köln: Styria 1979, S. 266.) 168 ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 8. 2. 1949.



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schließen und distanzierten sich von der gemeinsamen Aktion.169 Das PEN-Mitglied Viktor Reimann eröffnete gegen die Denkschrift der 76 und gegen die PEN-Erklärung eine politisch-publizistische Kampagne, die aufgrund neonazistischer Tendenzen schließlich dessen Ausschluss aus dem PEN, den ersten und einzigen im gesamten dargestellten Zeitraum, nach sich zog.170 Bezeichnenderweise betraf der zweite, für den PEN noch bedeutsamere Fall, der als Endpunkt der Auseinandersetzung mit den ‚Belasteten‘ innerhalb des PEN gelten kann, ebenfalls einen Wissenschaftler: den Germanisten und Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann. Während es jedoch 1948/49 noch gelungen war, von den persönlichen Aspekten des Falles Nadler weitgehend abzusehen, und die Majorität des PENVorstandes aus grundsätzlichen politischen Erwägungen die Verpflichtung zur öffentlichen Stellungnahme ableitete, war fünf Jahre später ein gemeinsames, politisch begründetes Vorgehen nicht mehr möglich. Der Grund ist vermutlich darin zu sehen, dass parallel zu den Diskussionen im PEN (und nach bereits erfolgter Aufnahme) eine heftige politische Kontroverse darüber entstand, ob Heinz Kindermann wieder auf den Lehrstuhl für Theaterwissenschaft an der Universität Wien berufen werden sollte, den er schon 1943–1945 innegehabt hatte. Ein öffentliches Votum des PEN für oder gegen Kindermann wäre mit großer Wahrscheinlichkeit als politische Parteinahme in diesem Streit ausgelegt worden. Außerdem war acht Jahre nach Kriegsende innerhalb des PEN keine Einigkeit mehr darüber zu erzielen, ob ein ehemals sehr prominenter und sehr aktiver Nationalsozialist vom Lehramt ausgeschlossen bleiben sollte. Die Abstimmung fiel zu seinen Gunsten aus. Vier Autoren, unter ihnen Edwin Rollett, verließen daraufhin aus Protest den PEN. Das Problem selber wurde privatisiert. Kindermann wurde nahegelegt, freiwillig auf die bereits beschlossene Mitgliedschaft zu verzichten. Er entsprach diesem Wunsch, und ohne in der strittigen Frage selbst ein Ergebnis zu erzielen, wurde die seinerzeitige Abstimmung annulliert und der Verzicht Kindermanns angenommen.171 Zwar wurden auch in der Folgezeit einzelne Aufnahmeanträge abgelehnt oder vor der Abstimmung zurückgezogen (u. a. bei Karl Heinrich Waggerl172), doch insgesamt wurde der politische Auftrag, der dem österreichischen Club in Zürich gegeben worden war, nicht allzu eng ausgelegt. So enthält das Mitgliederverzeichnis von 1955 auch die Namen von zehn ehemaligen Beiträgern zum berüchtigten Bekenntnisbuch österreichischer Dichter von 1938, das – erschienen zur sogenannten ‚Volksabstimmung‘ am 10. April 1938 – ein einzigartiges Dokument kollektiver Unterwerfung und intellektueller Selbstaufgabe der beteiligten 71 österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller darstellt. Die zehn PEN-Mitglieder von 1955, die Beiträger des 169 ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 15. 3. 1949. 170 Vgl. Amann: P.E.N., S. 111–116. 171 ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 29. 10. 1953. Zur Affäre vgl. Amann: P.E.N., S. 116–118. 172 Karl Heinrich Waggerl, Mitglied der NSDAP, war während der NS-Zeit Landesleiter der Reichsschrifttumskammer im Gau Salzburg; ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 29. 10. 1953.

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Bekenntnisbuches waren, sind: Arthur Fischer-Colbrie, Siegfried Freiberg, Franz Karl Ginzkey, Paula Grogger, Ann Tizia Leitich, Max Mell, Robert Michel, Josef Friedrich Perkonig, Werner Riemerschmid und Friedrich Schreyvogl. Zumindest sieben davon waren auch ehemalige Mitglieder der NSDAP, sechs waren PEN-‚Überläufer‘ und „Karriere-Dissidenten“ (Robert Neumann) von 1933.173

7 Im Kalten Krieg Wenn man von der Auseinandersetzung um die beiden Literaturprofessoren Nadler und Kindermann absieht, war die Klärung des Verhältnisses zu den ‚Belasteten‘ in erster Linie eine interne, das Selbstverständnis des PEN betreffende Angelegenheit. Ganz anders verhielt es sich mit der dem PEN öffentlich zugeschriebenen kulturpolitischen Funktion. Die heftigen Diskussionen und Polemiken darüber sind ein repräsentativer Beleg für die zunehmende politische Polarisierung während der Besatzungszeit und ein genuines Dokument für den Kalten Krieg auf kulturellem Gebiet. Jede einzelne Wegmarke, die die breite Heerstraße des Kalten Krieges säumt, könnte als Beispiel herhalten. Dies gilt für die kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei (Februar  1948) und für den offenen Bruch zwischen Belgrad und Moskau (Juni  1948 und August 1949) ebenso wie für die Blockade Berlins und die Verfestigung der Teilung Deutschlands (Herbst  1949), für die Zündung der ersten russischen Atombombe (August 1949), die Errichtung der Volksrepublik China (September 1949) ebenso wie für die Unterzeichnung des Nordatlantikpakts (März 1949) und den Ausbruch des Koreakrieges (Juni 1950). Diese Ereignisse, die auch die um 1949 besonders hochfliegenden Hoffnungen auf den Staatsvertrag wieder zunichte machten, brachten für Österreich ab 1950 den Höhepunkt der politischen Westorientierung. Wer, wie einige der ehemaligen Emigranten und Widerstandskämpfer im PEN, sich in dieser Situation sein humanitäres und politisches Empfinden nicht von der gängigen Freund-Feind-Ideologie vernebeln ließ, lief leicht Gefahr, als Agent der Komintern oder als Kryptokommunist gebrandmarkt zu werden. Dazu eine bezeichnende Episode: Als Sacher-Masoch in der Vorstandssitzung vom Oktober 1947 über Schwierigkeiten nichtamerikanischer Autoren in Amerika berichtete (z. B. Bertolt Brechts, der vor McCarthys ‚Ausschuß für unamerikanische Umtriebe‘ zitiert worden war) und – auch im Namen Csokors – empfahl, den Internationalen PEN aufzufordern, für diese Autoren zu intervenieren, verzichtete man nach dem Hinweis Ernst Fischers, dass es mit Rücksicht auf die allgemeine politische Situation nicht ratsam sei, eine derartige Resolution gerade von Österreich aus einzubringen, auf den Appell an den Internationalen PEN-Club.174

173 Vgl. Bund deutscher Schriftsteller Österreichs (Hrsg.): Bekenntnisbuch und Amann: Zahltag, S. 218–223. 174 ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 7. 10. 1947.



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Ein Großteil der Angriffe und Diffamierungen, denen besonders Csokor ausgesetzt war, bezog sich auf sein Engagement in der ersten großen Friedensbewegung im Nachkriegsösterreich. Csokor war Ehrenpräsident der (1891 von Bertha von Suttner gegründeten) ‚Österreichischen Friedensgesellschaft‘, in der neben ihm auch Edwin Rollett und Ernst Fischer175 in leitenden Funktionen tätig waren. Es war deshalb ein Leichtes, von der als kommunistisch unterwandert diffamierten Friedensbewegung eine direkte Verbindung zum österreichischen PEN-Club herzustellen. Als der österreichische PEN im Jahre 1949 die Pariser Weltfriedenskonferenz, an der auch kommunistische Gruppen beteiligt waren, nicht nur mit einer Resolution unterstützte, sondern auch mit einer offiziellen Delegation daran teilnehmen wollte, schien für viele ein lang gehegter Verdacht die letzte Bestätigung erhalten zu haben. Hans Weigel, der 1948 unter Protest aus dem PEN ausgetreten war, und der ganz offensichtlich mit einigen Leuten im Vorstand noch eine Rechnung offen hatte, entwickelte in der Arbeiter-Zeitung seine Theorie der ,Kulturtarnung‘ und unterstellte dem PEN, als kommunistischer Brückenkopf und Trojanisches Pferd zu fungieren.176 Die kommunistische Strategie zur Erlangung der absoluten Macht im Staate sei bekannt, schrieb Weigel, aber zu wenig durchschaut werde „die Taktik der Infiltration in der kulturellen Sphäre […]. Wer sich aber von ihnen [den Kommunisten] in den Dienst dieses Kampfes stellen läßt, muß wissen, was er tut. Er muß sich über die Methode der Bildung von kommunistischen Brückenköpfen mit neutraler oder überparteilicher Tarnung klar sein.“ Seine zentrale Unterstellung kleidete Weigel in eine rhetorische Frage: „Wissen wir, daß die österreichische Sektion des PEN-Clubs ein solcher Brückenkopf ist?“ Die Bestätigung sah er in der Tatsache, dass diese Sektion, der auch „zahlreiche saubere und wahrhaft demokratische Mitglieder 175 Fischer hatte in der Provisorischen Staatsregierung von Karl Renner 1945 das Amt eines Staatssekretärs für Unterricht und Kunst inne und galt als der bedeutendste kommunistische Intellektuelle des Landes. 1968 wird er wegen seiner Kritik an der Niederschlagung des ‚Prager Frühlings‘ aus der KPÖ ausgeschlossen werden. 176 Weigel hatte den PEN verlassen, nachdem seinem Freund Viktor Frankl, für den er sich nachdrücklich eingesetzt hatte, die Aufnahme mit dem Argument verweigert worden war, er erfülle als Wissenschaftler die Aufnahmekriterien nicht. Vgl. Hans Weigel an Alexander Sacher-Masoch (7. 12. 1947); Sacher-Masoch an Weigel (12. 1. 1948); Weigel an Vorstand (16. 1. 1948). ÖPC, Ehemalige Mitglieder. Die dem Austritt folgenden jahrelangen Angriffe Weigels auf Repräsentanten des österreichischen PEN haben ehrabschneiderische Dimensionen. Weigel fand in Friedrich Torberg, der (ausstaffiert mit CIA-Geldern und Geheimdienstverbindungen) 1951 aus dem US-amerikanischen Exil nach Wien zurückkehrte, einen ihm an Bösartigkeit und denunziatorischer Energie noch überlegenen Partner. Beide haben gegen den PEN-Vorstand, verkörpert durch Csokor, Sacher-Masoch, Edwin Rollet und Ernst Fischer Krieg geführt mit einer Vehemenz, die hier nur angedeutet werden kann. Vgl. Amann: P.E.N., S. 122–136; Hilde Spiel: Welche Welt ist meine? Erinnerungen 1946–1989. München und Leipzig: List 1990, S. 145 und S. 195f.; Roček: Glanz und Elend, S. 279–280; Franz Stadler: ‚Wahlfeinde‘ des Kalten Krieges. Friedrich Torberg kontra Robert Neumann. In: Michael Hansel und Michael Rohrwasser (Hrsg.): Kalter Krieg in Österreich. Literatur – Kunst – Kultur. Wien: Zsolnay 2010 (Profile 17), S. 213–227. Zum Brecht-Boykott in Österreich, dem anderen großen gemeinsamen Projekt von Torberg und Weigel, vgl. Kurt Palm: Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich. Wien: Löcker Verlag 1983.

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angehören“, sich für den „kommunistischen Pariser Kongreß“ ausgesprochen habe: „Wie können dies die sozialistischen und katholischen Mitglieder vor ihrem Gewissen rechtfertigen?“ Weigel forderte deshalb Csokor, Rollett und Neumann namentlich auf, sich entweder eindeutig „zur Volksdemokratie [zu] bekennen oder schleunigst aus dem trojanischen Pferd aus[zu]steigen“.177 Robert Neumann wäre ein halbes Jahr später beinahe zu diesem Schritt bereit gewesen. Denn als das Wiener Zentrum für den PEN-Kongress 1949 in Venedig als Rahmenthema den Titel Der Schriftsteller als Anwalt des Friedens vorschlug, bekam auch Neumann, seinerzeit immerhin engagiertes Vorstandsmitglied der ‚British Society for cultural Relations with the Soviet Union‘, den Eindruck, der Wiener PEN sei kommunistisch „gesteuert“.178 Eine detaillierte Darstellung des politischen Konflikts zwischen Neumann und dem Wiener Vorstand würde den Rahmen sprengen. Jedenfalls aber wurde in Venedig nicht über das vom österreichischen PEN vorgeschlagene Thema diskutiert, sondern der österreichische PEN wurde in einem eigens dafür eingesetzten Komitee selbst zum Thema gemacht – konkret die kommunistische Parteimitgliedschaft von PEN-Mitgliedern.179 Als Resultat der vertraulichen Beratungen wurde den Österreichern vorgeschlagen, den Vorstand entsprechend den politischen Kräfteverhältnissen in Österreich zusammenzusetzen. Brieflich präzisierte Neumann diese politische Proporzempfehlung, die in eigenartigem Kontrast zu den Direktiven stand, die Neumann seinem Kurier Walter Hollitscher mitgegeben hatte: Wie wäre es, wenn Sie [i. e. Sacher-Masoch] für eine gewisse Zeitspanne – ‚um ein für allemal alle Gerüchte über einseitige politische Beeinflussung aus der Welt zu schaffen‘ – ein gemeinsames Präsidium von Czokor [sic] und (wohl am besten) Paula v. Preradovic und ein gemeinsames Sekretariat von Ihnen – und ja: wem? – arrangierten? Wenn Czokor nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wird er die Vorteile solch einer Lösung verstehen […]. Sie können darauf rechnen […], dass eine solche neue Kombination unsere sofortige und intensivste Unterstützung hätte. (Vorausgesetzt, dass die von Ihnen Gewählten wirklich die offizielle Unterstützung der Sozialdemokraten und/oder der Volkspartei haben – also nicht wieder in den Augen Ihrer öffentlichen Meinung ‚Getarnte‘ sind.) Nun, Sie sehen jetzt klar, hoffe ich.

177 Gegen die Kulturtarnung. Eine Warnung von Hans Weigel. In: Arbeiter-Zeitung, 3. 4. 1949, S. 5. Nachdem Hermon Ould, der internationale Sekretär, seinen Wiener Freunden empfohlen hatte, keine offiziellen Delegierten des Wiener PEN nach Paris zu entsenden, nahmen sie davon Abstand. Vgl. ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 5. 4. 1949. Sogar Bundeskanzler Leopold Figl suchte Kapital aus der Angelegenheit zu schlagen. Vor dem Landesparteitag der oberösterreichischen ÖVP erklärte er, es sei „unverständlich“, dass aus der österreichischen Intelligenz eine ganze Reihe von Persönlichkeiten den Pariser Kongress begrüßten: „Auf jeden Fall werden wir uns diese Leute gründlich anschauen.“ Vgl.: B. F. [d. i. Bruno Frei]: Der Kanzler droht. In: Österreichisches Tagebuch 4 (1949) 5, S. 8. Vgl. auch Ernst Fischer: Österreich und der Kampf um den Frieden. In: Österreichisches Tagebuch 4 (1949) 5, S. 4–6. 178 Robert Neumann an Franz Theodor Csokor (28. 6. 1949). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 179 Im 20-köpfigen Vorstand waren es exakt zwei: Fischer und Hollitscher.



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Wenn der Wiener PEN nicht bereit sei, sich gegen die kommunistische Fraktion zu wenden, schrieb Neumann weiter, „so wird mir das ein Beweis sein, dass Weigel recht hat – und wir werden hier erwägen, ob der Züricher Gründungsvertrag aufzulösen ist. Und geschieht es nicht, weil der Wiener PEN sich nicht zur Wehre [sic] setzen kann (‚weil die Russen im Lande sind‘), so wird es ebenfalls vielleicht besser sein, den Wiener P.E.N. zuzusperren […]“.180 Drei Jahre zuvor hatte Neumann, der mittlerweile einer der Vizepräsidenten des Internationalen PEN war, noch alles daran gesetzt, die Kommunisten, die er jetzt draußen haben wollte, in den österreichischen PEN hineinzukriegen. Eine große Chance, die angeschlagene Reputation wieder auszubessern, sah der österreichische PEN in dem von Hermon Ould in Venedig formulierten Angebot, den internationalen Kongress des PEN im Jahr 1951 in Wien auszurichten. Obwohl der österreichische PEN dafür das Interesse und die finanzielle Unterstützung des Unterrichtsministeriums fand und die Bundesregierung eine offizielle Einladung an den Internationalen PEN richtete, erhoben sich in der Öffentlichkeit prompt politisch motivierte Widerstände. Hans Weigel forderte in der Welt am Montag das Unterrichtsministerium auf, dafür zu sorgen, „daß einige prominente Wortführer des Wiener P.E.N.-Clubs Wien auf Kongreßdauer verlassen. Die Klubleitung ist nämlich politisch nicht ganz ausbalanciert.“ Der Wiener PEN habe „allen Ernstes das Recht verwirkt, als repräsentativ für das österreichische Geistesleben zu gelten“, und zwar durch die „skandalöse Begrüßung“ des „kommunistischen Friedenskongresses“ und durch „einseitig parteiliche Aufnahmen und Ablehnungen von Mitgliedern“.181 Die Exilierungsvorschläge Weigels,182 seine Angriffe und Polemiken waren durchaus nicht nur Ausdruck persönlicher Kränkungen und Animositäten. Sie waren in einer Zeit, da auch im österreichischen Nationalrat darüber diskutiert wurde, wie man kulturelle und wissenschaftliche Vereinigungen von Kommunisten säubern könnte, symptomatisch. In kongenialer Übereinstimmung mit Robert Neumann hatte nämlich der ehemalige Chef des Bundespressedienstes im austrofaschistischen ‚Ständestaat‘, der ÖVP-Abgeordnete Eduard Ludwig, im Budgetausschuss erklärt, man müsse an die Spitze solcher Organisationen wie des PEN, Persönlichkeiten stellen, die auch von den westlichen Ländern anerkannt würden. Und er forderte, nicht nur in den Gewerkschaften, sondern auch auf anderen Gebieten eine Säuberung von kommunistischen Elementen vorzunehmen. Der einzige Kommunist, der zu dieser Zeit noch im 180 Robert Neumann an Alexander Sacher-Masoch (17. 12. 1949). DÖW, NL Neumann. Auszüge aus dem Protokoll der Beratungen in Venedig bei Roček: Glanz und Elend, S. 294–297. 181 Ungezeichnete Glosse in der Welt am Montag, 2. 5. 1950, S. 5. Aus den Diskussionen innerhalb des Vorstandes lässt sich erschließen, dass sie von Hans Weigel stammt. ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 5. 5. 1950. 182 In einem Brief vom 15. 2. 1947 an Alexander Lernet-Holenia hatte Friedrich Torberg die Bemerkung gemacht, er wolle einen „Antrag auf Abtretung Csokors an Jugoslawien“ stellen. Nachzulesen bei Friedrich Torberg: In diesem Sinne. Briefe an Freunde und Zeitgenossen. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. München und Wien: Langen-Müller 1981, S. 213.

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PEN-Vorstand saß, Ernst Fischer, war seit 1945 Abgeordneter zum Nationalrat für die KPÖ, die 1949 bei den Parlamentswahlen 5,1 Prozent der Stimmen erzielt hatte. Er gab Ludwig in der Sitzung des Nationalrates vom 8. Dezember 1950 die Antwort auf seine öffentlich geäußerten Säuberungsfantasien. Fischer stellte die Angriffe auf den PEN in einen größeren Zusammenhang, indem er sie als ein Beispiel für das politische Klima in Österreich interpretierte: „Der Proporz ist aus der Politik auch in die Kultur eingebrochen. Jede freie Meinung gilt hier als verdächtig, wer nicht an die alleinseligmachende Regierung glaubt, wird sofort bei der Obrigkeit angeschwärzt. Daß man kulturell zusammenarbeiten kann und zusammenarbeiten muß, auch wenn man politisch verschiedener Auffassung ist […], dieser Grundsatz gilt in Österreich schon als eine Art Hochverrat.“ Direkt den Abgeordneten Ludwig adressierend, fuhr Fischer fort: Er wisse, dass Ludwig ein besonderer Fachmann für Säuberungen sei, „ich weiß, daß er als Pressediktator des Dollfuß- und Schuschnigg-Systems damals die Presse von Sozialdemokraten gesäubert hat“. Aber der PEN sei eben kein Regierungsinstitut, sondern eine demokratische Organisation, deshalb habe er kein Bedürfnis nach „solchen Säuberungspolitikern und solchen Abwaschweibern“. Fischer schloss mit einer Loyalitätserklärung für den PEN-Vorstand: Vor dessen Mitgliedern habe er, „auch wenn sie meine politischen Gegner sind“, so viel politische Achtung, dass er überzeugt sei, „sie werden auf die Stimme ihrer demokratischen Anständigkeit mehr hören als auf die Stimme des Herrn Abg. Ludwig“.183 Die Geschlossenheit und Einigkeit des Clubs, die Fischer im Nationalrat bekräftigte, vermochte schließlich aber nichts gegen die Uneinigkeit im Großen. Mit Rücksicht auf die angespannte Weltlage nach Ausbruch des Koreakrieges beschloss das Exekutivkomitee des Internationalen PEN nämlich, den Kongress nicht im besetzten Wien, sondern auf neutralem Boden, in der Schweiz (Lausanne), abzuhalten. Als Begründung für die Absage, die nicht nur vom österreichischen PEN, sondern auch von der einladenden Bundesregierung als Brüskierung aufgefasst wurde, war aus London zu erfahren, dass in Wien, das ja noch immer unter alliierter Kontrolle stand und in vier Besatzungszonen aufgeteilt war, nicht für die persönliche Sicherheit aller Delegierten garantiert werden könne. In einem langen Brief, in dem Neumann die Entscheidung der Londoner Exekutive rechtfertigte, fasste er den offiziellen Standpunkt folgendermaßen zusammen: „Wie diese temporäre Absage in einen Affront gegenüber der österreichischen Regierung umgedeutet werden konnte, ist uns unerfindlich. Es ist allenfalls ein Affront gegenüber Ihren Besatzungsbehörden und ein Ausdruck unserer Sympathie mit einer Regierung, die nicht Herr im eigenen Hause ist.“184 183 Stenographische Protokolle des Österreichischen Nationalrates. 38.  Sitzung vom 8. 12. 1950, S. 1510. Ernst Fischer als der Kommunist im Vorstand, wie es in den Vorstandsprotokollen heißt, bot verschiedentlich seinen Rücktritt an, um den PEN nicht mit seiner Person zu belasten, wurde jedoch von den Kollegen immer wieder gebeten, seine Funktion zu behalten. 1954 erklärte er, dass „der P.E.N. in Oesterreich praktisch die einzige noch vorhandene Gespraechsplattform“ darstelle. ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 2. 4. 1954. 184 Robert Neumann an Kurt Frieberger (27. 1. 1951). ÖPC, Korrespondenz Neumann.



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8 Ende eines Anfangs Der österreichische PEN war in den Jahren zwischen seiner Wiedererrichtung und dem Staatsvertrag (1955) keineswegs nur mit der Beilegung politischer Querelen beschäftigt. Während des ganzen Zeitraumes wurde unabhängig von politischen Tagesfragen mit bemerkenswertem Engagement individuelle und standespolitische Unterstützung geleistet. Das reichte von Interventionen und Hilfsaktionen für heimkehrwillige und heimgekehrte Emigranten (z.  B. Ernst Waldinger, Theodor Kramer) bis zu Anstrengungen, das Schaffen österreichischer Autorinnen und Autoren – auch international – angemessen zu präsentieren. Im Zeitraum Herbst 1947 bis Herbst 1953 fanden insgesamt 53 Veranstaltungen (Vorträge, Lesungen, Gedenkfeiern, Empfänge) statt; gewidmet waren sie u. a.: Raoul Auernheimer († 1948), Moscheh Ya’akov Ben-Gavriel (Eugen Hoeflich), Werner Bergengruen, Felix Braun, Max Brod, Ferdinand Bruckner, Elias Canetti, T. S.  Eliot, Alice Herdan-Zuckmayer, Fritz Hochwälder, Alma Holgersen, Erich Kästner, Lina Loos († 1950), Thomas Mann, Maurice Maeterlinck († 1949), Alma Mahler-Werfel, Robert Musil († 1942), Ernst Erich Noth, Hermon Ould († 1951), Leo Perutz, Paula von Preradović († 1951), Herbert Read, Hans Werner Richter, Annemarie Selinko, Dorothy Thompson, Berthold Viertel († 1953), Franz Werfel († 1945), Ernst Wiechert († 1950), Anton Wildgans († 1932), Nora Purtscher-Wydenbruck, Carl Zuckmayer und Stefan Zweig († 1942).185 Vor allem aber war der österreichische PEN für das Unterrichtsministerium die repräsentative Schriftstellervereinigung, die in Sachfragen gerne konsultiert wurde und deren Stellungnahmen durchaus Beachtung fanden. So waren etwa PEN-Mitglieder an den Beratungen über die Wiedereinrichtung der österreichischen Staatspreise für Literatur beteiligt. Und auch, als im Jahre 1950 das Nobelpreiskomitee Österreich im Wege der Schwedischen Botschaft vertraulich einlud, einen Kandidaten für den Literaturnobelpreis zu benennen, bekam der PEN-Club das Vorschlagsrecht.186 Die Beispiele, die belegen, welch wichtige Funktion der österreichische PEN im literarischen Leben des ersten Nachkriegsjahrzehnts hatte, könnten beträchtlich vermehrt werden. Auch deshalb war man im Internationalen PEN bestrebt, die Arbeit 185 Vgl. auch Roček: Glanz und Elend, S. 324. 186 In der entscheidenden Vorstandssitzung kam aufgrund der „schwierigen österreichischen Verhältnisse, […] die dazu führen, daß z. B. Dr. Nabl Hermann Broch nicht kennt“, kein Beschluss zustande. ÖPC, Vorstandsprotokolle, Sitzung vom 17. 1. 1950; Äußerung von Rudolf Brunngraber. (Nur am Rande sei erwähnt, dass der im Protokoll vermerkte Doktortitel von Franz Nabl ein Ehrendoktorat der Universität Graz aus dem Jahre 1943 war, zu dem Goebbels persönlich gratuliert hatte.) In der Folge wurde eine telefonische Umfrage durchgeführt, die folgendes Ergebnis brachte: Rudolf Kassner, Ferdinand Bruckner und Franz Theodor Csokor erhielten je eine Stimme, Enrica von Handel-Mazzetti: 5 Stimmen, Hermann Broch: 10 Stimmen. Er wurde schließlich auch nominiert, ging aber leer aus (Bertrand Russell erhielt den Preis), was jedoch seine Dankbarkeit gegenüber dem PEN keinen Abbruch tat. Denn er organisierte in der Folge eine Spendenaktion und verhalf damit dem Sekretariat des österreichischen PEN zu seiner ersten Schreibmaschine. Vgl. Amann: P.E.N., S. 132f.

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des österreichischen Zentrums durch die Abhaltung eines PEN-Kongresses international zu würdigen. Robert Neumann hatte in der entscheidenden Sitzung des Exekutivkomitees darauf gedrungen und auch erreicht, dass die Ablehnung nur für 1951 gelten und der geplante Kongress in Wien nachgeholt werden sollte, sobald die politische Lage es zulassen würde. Zwar verbreitete Hans Weigel weiterhin und mit wenig Sinn für Variation seine Idée fixe vom PEN als einer „getarnte[n] KP-Organisation mit ,demokratischer‘ Fassade“, machte dem Vorstand zum Vorwurf, dass er die angebotene Demission von Ernst Fischer nicht angenommen habe und forderte eine „kulturpolitische Flurbereinigung“, da eine „klare Scheidung der Geister“ [!] die „unerläßliche Voraussetzung für die Überwindung des geschickten und tückischen Gegners“ sei.187 Doch in London wurden die Dinge mittlerweile etwas nüchterner gesehen. Bereits 1951 hatte Neumann den Wiener Freunden bestätigt, dass das Misstrauen gegen das Wiener Zentrum und der seinerzeitige „starke Eindruck einer gewissen [kommunistischen] ‚Steuerung‘“ nicht mehr bestehe: „das gehört der Vergangenheit an und ich muß darauf nicht weiter eingehen“.188 Als deshalb im Juni 1954 der österreichische Ministerrat seine 1950 getroffene Entscheidung erneuerte und den Internationalen PEN zur Abhaltung seines XXVII. Jahreskongresses 1955 nach Wien einlud, nahm das Exekutivkomitee diese Einladung an. Noch einmal aktivierte Hans Weigel die taktischen Waffen des Kalten Krieges und prophezeite, dass der Kongress Peinlichkeit und Verwirrung über Österreich bringen werde: „Minister und Bürgermeister werden Begrüßungsreden halten und mit der ‚Elite der Literatur‘ auch Kreaturen à la Arnold Zweig und Johannes R. Becher als Gäste Österreichs willkommen heißen.“ Die Regierung möge, wenn sie das Unheil schon nicht mehr verhindern könne, wenigstens rechtzeitig bedenken, wie der Schaden einzudämmen sei; „alle miteinander“ müssten sehr wachsam sein, denn: „Der Kampf gegen den Kommunismus ist eine viel zu ernste Angelegenheit, als daß man ihn den Amerikanern allein überlassen könnte.“189 Die Verwirrung, die der Kongress schon vor seiner Eröffnung augenscheinlich bei manchen erzeugte, war darauf zurückzuführen, dass „for the first time since 1945, […] Communist writers will sit around a conference table with Non-communist ones and will have to be told that they are sitting there as w r i t e r s, not as agents of precisely that ideology against which the Pen Charter is directed.“190 Friedrich Torberg, der hier die auf Völkerverständigung abzielende PEN-Charta in einem ganz neuen 187 Hans Weigel: Ora et collabora. Oesterreichische Rückversicherung im Sektor ,Kulturleben‘. In: Salzburger Nachrichten, 14./15. 6. 1952, S. 12. 188 Robert Neumann an Friedrich Torberg (27. 1. 1951). ÖPC, Korrespondenz Neumann. 189 Hans Weigel: Taktlos gegen Deutschland. Mehr als taktlos gegen Oesterreich: Die Einladung des internationalen P.E.N.-Kongresses für 1955 nach Wien. In: Salzburger Nachrichten, 15. 7. 1954, S. 4. 190 Friedrich Torberg an Robert Neumann (19. 4. 1955). ÖNB, NL Neumann, Ser. n. 22.490. Torberg forderte in seinem Brief diese Klarstellung gegenüber den Schriftstellern aus dem Osten „von autoritativer P.E.N.-Seite“, nämlich von Neumann selber als Vizepräsident des Internationalen PEN. Neumann hatte für die politische ‚Haltung‘ seines (zeitweiligen) Freundes Torberg nur sehr bedingt



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Sinn – nämlich als speziell gegen den Kommunismus gerichtet – interpretierte, war offenbar bereit, die Kongressteilnehmer aus den kommunistisch regierten Ländern (Polen, Ungarn und Tschechoslowakei) pauschal mit den Untaten ihrer Regierungen zu identifizieren. Ebenso Hans Weigel: Er warf den PEN-Leuten vor, durch ihren fortgesetzten Kampf gegen den Faschismus Tote noch einmal zu töten, aber gleichzeitig „mit Mördern an einem Tisch“ zu sitzen.191 Es gab auch andere Stimmen. So schrieb beispielsweise das Neue Österreich: Der PEN-Kongress ehre die Stadt. „Wir sehen darin den Beweis, daß Wien wieder als eines der Weltzentren des Geistes, der Literatur, des freien Wortes gewertet wird“.192 Der Kongress mit mehr als 500 Teilnehmern aus aller Welt tagte vom 13.–18. Juni 1955, genau einen Monat nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags durch die Alliierten. Österreich war ‚frei‘ und völkerrechtlich als souveräner Staat wiederhergestellt. Auch das mag dazu beigetragen haben, dass die Veranstaltung im Geiste einer „family reunion“ verlief, wie ein Beobachter bemerkte.193 Zwar gab es durchaus ideologische Differenzen – wieder einmal über die Frage der Aufnahme eines sowjetischen Zentrums: In dieser Frage schieden sich etwa der internationale Präsident Charles Morgan und sein Vizepräsident Robert Neumann. Morgan nannte in seiner Eröffnungsrede die Schriftsteller des Ostens „Werkzeuge der Tyrannei“, die nicht „beanspruchen können, von uns aufgenommen zu werden“.194 Dagegen erklärte Neumann, der im neuen Klima der Entspannung wieder für das ‚Gespräch der Feinde‘195 eintrat, er hätte sich nicht an den Präsidiumstisch gesetzt, wenn er gewusst hätte, welche Rede Morgan zu halten beabsichtigte.196 Differenzen entstanden auch über eine von den DDR-Vertretern eingebrachte (und letztlich mit 18 gegen 15 Stimmen abgelehnte) Resolution gegen die Atombombe. Doch selbst diese Streitpunkte mochten den meisten als Familienzwistigkeiten erscheinen angesichts der Tatsache, dass neben den Berichten über den PEN-Kongress auf den Titelseiten der Zeitungen Schlagzeilen standen wie: „Moskau hat ratifiziert. Die Sowjetunion hat als erste der vier Besatzungsmächte in aller Form den [Staats-]Vertrag gebilligt“.197 Nicht ohne Pathos stellte ein Kommentator die Verbindung zwischen den beiden Ereignissen her: „Es mutet als erhebende symbolische Erfüllung an, daß die Träger und Pfleger von Schrift und Sprache aller Völker der Welt die ersten Gäste des nun souveränen Österreich sind.“198 Verständnis: „Ich fürchte er verspeiste zu jedem Frühstück einen Kommunisten wie andere Leute ein weiches Ei. Es ist leider ein akuter Fall von politischem Irresein.“ Neumann: Leichtes Leben, S. 425. 191 Hans Weigel: An die Delegierten des P.E.N.-Kongresses! In: Bild-Telegraph [Wien], 11. 6. 1955, S. 9. 192 O. B. [d. i. Otto Basil]: P.E.N. in Wien. In: Neues Österreich, 12. 6. 1955, S. 1f. 193 O. B. [d. i. Otto Basil]: Es kriselt im P.E.N. In: Neues Österreich, 21. 6. 1955, S. 1f. 194 Die Grenzen der Verständigung. In: Die Wochen-Presse [Wien], 25. 6. 1955, S. 10. 195 Vgl. Friedrich Heer: Gespräch der Feinde. Wien und Zürich: Europa-Verlag 1949. 196 Vgl. Kalte Schulter für die Kalten Krieger. In: Der Abend [Wien], 18. 6. 1955, S. 1f. 197 Neues Österreich, 12. 6. 1955, S. 1. 198 Rudolf Holzer: P.E.N.-Kongress 1955. In: Wiener Zeitung, 15. 6. 1955, S. 3.

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Vor den reich gedeckten Tischen des Festbanketts im Schloss Schönbrunn mag zwischen Emigranten und ‚Ehemaligen‘ zwar noch hie und da eine gewisse Anspannung zu spüren gewesen sein, doch war, was Dorothea Zeemann am Beispiel „des Prominenten S.“ noch als persönliche Irritation beschreibt,199 im Rahmen des Kongresses gelöst. Denn auch der NS-Spitzel und Denunziant Schreyvogl, dessentwegen knapp vier Jahre zuvor noch der Ehrenpräsident demissionieren wollte, hatte die Ehre, nun als Vizedirektor und Chefdramaturg des Burgtheaters, vor den versammelten Delegierten, von denen der eine oder andere auch an den Zürcher Beschlüssen mitgewirkt hatte, im Auditorium maximum der Wiener Universität über den ,Geist des Burgtheaters‘ zu referieren. Der Kongress bedeutete für den österreichischen PEN aus mehreren Gründen deshalb nicht nur den Höhepunkt seiner öffentlichen Anerkennung in der Zweiten Republik, er bildete auch eine deutlich erkennbare Zäsur und in gewisser Weise auch einen Endpunkt.

Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen Arbeiterkammer Wien, Dokumentation (AK) Berlin Document Center (BDC) Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main (DEA) Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien (DÖW) Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien (DST) Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ) Österreichische Nationalbibliothek Wien, Handschriftensammlung (ÖNB) Archiv des Österreichischen PEN-Clubs, Wien (ÖPC)

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Amann, Klaus: Die Dichter und die Politik. Essays zur österreichischen Literatur nach 1918. Wien: Deuticke 1992. – : P.E.N. Politik · Emigration · Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1984. – : Zahltag. Der Anschluß österreichischer Schriftsteller an das Dritte Reich. 2. erw. Aufl.. Bodenheim: Philo 1996. Arthur Schnitzler. Tagebuch 1923–1926. Hrsg. von der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth u. a. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1995.

199 Dorothea Zeemann: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, S. 45ff.



Der österreichische PEN-Club in den Jahren 1923–1955 

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Arthur Schnitzler. Tagebuch 1927–1930. Hrsg. von der Kommission für literarische Gebrauchsformen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth u. a. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1997. Bearman, Marietta, Charmian Brinson u. a. (Hrsg.): Wien – London, hin und retour. Das Austrian Centre in London 1939 bis 1947. Wien: Czernin 2004. Bund deutscher Schriftsteller Österreichs (Hrsg.): Bekenntnisbuch österreichischer Dichter. Wien: Krystall-Verlag 1938. Commemorating the 1933 P.E.N. Club Congress in Dubrovnik. Commemorative Conference Dubrovnik 1963. Zagreb: Jugoslovenski PEN-Klub Centar 1965. Csokor, Franz Theodor: Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil 1933–1950. München und Wien: Langen-Müller 1964. Der Deutsche P.E.N.-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Deutsche Nationalbibliothek (Hrsg.): Rudolf Olden. Journalist gegen Hitler – Anwalt der Republik. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek. Frankfurt am Main, 26. März–28. Juli 2010. Begleitbuch von Sylvia Asmus und Brita Eckert. Leipzig, Frankfurt am Main und Berlin: Deutsche Nationalbibliothek 2010. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Österreicher im Exil. Großbritannien 1938–1945. Eine Dokumentation. Einleitungen, Auswahl und Bearbeitung: Wolfgang Muchitsch. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1992. Hall, Murray G.: Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938. 2 Bde. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1985. – : Der Paul Zsolnay Verlag. Von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem Exil. Tübingen: Niemeyer 1994 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 45). Heer, Friedrich: Gespräch der Feinde. Wien und Zürich: Europa-Verlag 1949. Kraus, Karl: Die Fackel 640–649, 657–667, 811–819. Wien: Verlag die Fackel 1924 und 1929. Maimann, Helene: Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938–1945. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1975 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 62). Marginalien zur Geschichte des Internationalen P.E.N. In: Martin Gregor-Dellin (Hrsg.): P.E.N. Bundesrepublik Deutschland. Seine Mitglieder, seine Geschichte, seine Aufgaben. München: Goldmann 1978. Neumann, Robert: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Wien, München und Basel: Desch 1963. Österreichischer P.E.N.: Bibliographie seiner Mitglieder. Bearbeitet von Johann Gunert. 2. verb. und erw. Aufl. Wien: [o. V.][o. J.]. Palm, Kurt: Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich. Wien: Löcker 1983. Peitsch, Helmut: „No Politics“? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933–2002. Göttingen: V&R unipress 2006 (Schriften des Erich Maria Remarque – Archivs 20). Rauchensteiner, Manfried: Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945–1955. Graz, Wien und Köln: Styria 1979. Renner, Gerhard: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus (1933–1940). Der ‚Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs‘ und der Aufbau der Reichsschrifttumskammer in der Ostmark. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1986 (Sonderdruck aus dem Archiv für Geschichte des Buchwesens 27). Roček, Roman: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines Clubs. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 2000.

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 Klaus Amann

Schoeps, Julius und Werner Treß (Hrsg.): Verfemt und Verboten. Vorgeschichte und Folgen der Bücherverbrennungen. Hildesheim, Zürich und New York: Olms 2010. Spiel, Hilde: Die österreichische Literatur nach 1945. Eine Einführung. In: Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945. 12 Bde. (Aktualisierte Ausgabe). Frankfurt am Main: Fischer 1980, Bd. 5 (Hilde Spiel [Hrsg.]: Die zeitgenössische Literatur Österreichs I), S. 1–133. – : Welche Welt ist meine? Erinnerungen 1946–1989. München und Leipzig: List 1990. Stadler, Franz: ‚Wahlfeinde‘ des Kalten Krieges. Friedrich Torberg kontra Robert Neumann. In: Michael Hansel und Michael Rohrwasser (Hrsg.): Kalter Krieg in Österreich. Literatur – Kunst – Kultur. Wien: Zsolnay 2010 (Profile 17), S. 213–227. Stourzh, Gerald: Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-WestBesetzung Österreichs 1945–1955. 5. durchges. Aufl. Wien, Graz und Köln: Böhlau 2005. Torberg, Friedrich: In diesem Sinne. Briefe an Freunde und Zeitgenossen. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. München und Wien: Langen-Müller 1981. Weinzierl, Ulrich: Zur nationalen Frage – Literatur und Politik im österreichischen Exil. In: Heinrich Lutz und Helmut Rumpler (Hrsg.): Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Probleme der politisch-staatlichen und soziokulturellen Differenzierung im deutschen Mitteleuropa. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1982, S. 318–341. Wildgans, Lilly (Hrsg.): Anton Wildgans. Ein Leben in Briefen. 3 Bde. Wien: Frick 1947. Wilford, R. A.: The P.E.N. Club 1930–1950. In: Journal of Contemporary History 14 (1979), S. 99–116. Zeemann, Dorothea: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982.

Ingrid Schramm

Der Wiener PEN-Club vom Beginn des Kalten Krieges bis zur Ostöffnung (1947–1990) „No politics in the P.E.N. under any circumstances“. So lautete die legendäre Parole von John Galsworthy, des ersten Präsidenten des 1921 gegründeten Internationalen PEN-Clubs. Die Gründungsidee der Autorenvereinigung, aus englischem Club-Geist und unter dem Schock des Ersten Weltkrieges entstanden, basierte auf den Prinzipien der Humanität und des Friedens, der Verständigung der Völker untereinander, sowie auf der Freiheit der Meinung ohne Einschränkung der Zensur und ohne Verfolgung der Autoren. Galsworthys Rat an die Mitglieder des Clubs, sich von der Politik fernzuhalten, erwies sich jedoch im zeitgeschichtlichen Umfeld als unhaltbar. Die Politik erzwang sich Aufmerksamkeit. Auch im 1947 neu gegründeten Wiener Zentrum zeigte es sich, dass es nicht möglich war, sich aus der Politik herauszuhalten. Ein Artikel der Arbeiter-Zeitung am 3. April 1949 rückte den noch im Aufbau befindlichen Österreichischen PEN-Club ins politische Rampenlicht. Der bis dahin eher im Stillen agierende Club wurde beschuldigt als getarnter kommunistischer „Brückenkopf“ zu agieren. Der Verfasser dieses polemischen Artikels, Hans Weigel, war ein Jahr vorher aus Protest aus dem PENClub ausgetreten. Weigels Anschuldigungen, die Aktionen des PEN seien darauf ausgerichtet, heimtückisch bolschewistische Anschauungen in den österreichischen Kulturbetrieb zu infiltrieren, schlugen wie eine Bombe ein. Sie drangen auch bis in den Internationalen PEN vor und vergifteten das Klima zwischen Dachverband und österreichischer Sektion. Die Angriffe Weigels, vor allem gegen den PEN-Club-Präsidenten Franz Theodor Csokor, trafen die Autorengemeinschaft besonders hart, weil sie sich noch im Wiederaufbau befand. 1947, auf dem Gründungs-Kongress in Zürich, hatte Csokor als Garant dafür gegolten, dass der PEN-Club in Wien „im Geist seiner internationalen Prinzipien“ wieder auferstehen würde.1 Die politische Integrität Csokors, der 1933 leidenschaftlich gegen die Unmenschlichkeiten des Nazi-Regimes protestiert hatte und 1938 freiwillig ins Exil gegangen war, war den meisten Teilnehmern des Kongresses bekannt. Nach dem „Anschluss“ Österreichs war die Verbreitung seiner Werke verboten, denn Csokor hatte alle Annäherungsversuche des offiziellen deutschen Literaturbetriebes zurückgewiesen. Man müsse sich eben entscheiden: „Gutes Geschäft – oder gutes Gewissen. Ich bin für das zweite.“2

1 Zitiert in: Klaus Amann: P.E.N. Politik · Emigration · Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1984, S. 91. 2 Franz Theodor Csokor: Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil 1933 bis 1950. München und Wien: Langen Müller 1964, S. 24.

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 Ingrid Schramm

Trotz der politisch angespannten Lage durch die Besatzungsmächte ist es schwer nachvollziehbar, warum sich Weigels Denunziationen gegen Franz Theodor Csokor richteten, gegen einen Widerstandskämpfer, gefeierten Burgtheater-Dramatiker und Besitzer des Burgtheater-Ringes, dessen Meisterwerk Der dritte November 1918 vielfach als österreichisches Nationaldrama empfunden wurde. In seinen Beiträgen in der in- und ausländischen Presse verteufelte Weigel Csokor als „Kryptokommunisten, als Steigbügelhalter, ja selbst als trojanisches Pferd der Sowjets“3. Die heftige Attacke, die er gegen den Autorenverband und vor allem gegen dessen Präsidenten ritt, wäre allerdings nie so erfolgreich gewesen, wenn die Zeit nicht reif für die Polemik des Kalten Krieges gewesen wäre. Es war das Jahr des Berliner Mauerbaus, die Zeit, in der der vehement antikommunistische amerikanische Senator McCarthy seine Emissäre nach Europa schickte, um nach dem Rechten zu sehen. Für das besetzte Österreich stellte sich die Frage, ob es als einheitliches Staatsgebilde überleben oder ob es auf eine Teilung nach deutschem Muster hinauslaufen würde. Im September 1950 konnte zwar ein kommunistischer Staatsstreich in Österreich aus eigener Kraft und mit Unterstützung westalliierter (insbesondere amerikanischer) Abwehrmaßnahmen verhindert werden, aber die Angst vor einer Besetzung Österreichs durch die Sowjetunion blieb bis 1955, bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrags, bestehen. Im Gründungsjahr 1947 war der Internationale PEN-Club noch keineswegs sowjetfeindlich eingestellt gewesen. In dieser kurzen Zeit einer Ost-West-Entspannung waren sogar Bestrebungen im Gang, ein sowjetisches PEN-Zentrum zu gründen. Robert Neumann, der nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich in London den „Free Austrian P.E.N.-Club“ organisiert hatte, inzwischen Mitglied des Exekutivkomitees des Internationalen PEN und zugleich Vorstandsmitglied der „British Society für Cultural Relations with the Soviet Union“ war, hatte sich um ein gutes Verhältnis zu sowjetischen Schriftstellern bemüht und dieses Interesse auch in Wien durchklingen lassen. Doch im Zug der weltpolitischen Aufteilung in Ost- und Westmächte, war auch der Internationale PEN-Club in den Sog der Weltgeschichte geraten. Der Kalte Krieg löste eine Dynamik hinsichtlich der Polarisierung der politischen Gegensätze aus, die in krassem Widerspruch zu den Richtlinien der PEN-Charta stand. Bei der Reorganisation des Österreichischen PEN war es vordringlich, das 1947 neu gegründete Wiener Zentrum in völliger Unabhängigkeit von der österreichischen Regierung und von den Alliierten Okkupationsbehörden zu installieren. Wichtig war auch, die antifaschistische Gesinnung der künftigen Mitglieder zu überprüfen. Alexander Sacher-Masoch, 1945 aus dem Exil heimgekehrt, ein Widerstandskämpfer in Italien und Jugoslawien, kam die schwierige Aufgabe zu, Neumanns Fragen nach der Vergangenheit einiger Autoren zu beantworten. Als Verfechter einer möglichst raschen Unabhängigkeit des neuen PEN-Zentrums, äußerte er ob dieser Überprüfungspraxis in London in einem Brief an seinen Freund Csokor seine Bedenken: 3 Zitiert nach Roman Roček: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 2000, S. 278.



Der Wiener PEN-Club vom Beginn des Kalten Krieges bis zur Ostöffnung (1947–1990) 

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Damit werde auch nach dem Krieg, wenn auch unter geänderten Vorzeichen, eine gewisse Bereitschaft zur politischen Denunziation begünstigt werde.4 Im Nachhinein gesehen, eine fast prophetische Voraussicht kommender Entwicklungen. Obwohl er Neumann klar zu machen versuchte, dass unter allzu strengen Auflagen vermutlich nur mehr er selbst und Csokor als einzig politisch einwandfreie potenzielle Mitglieder für den PEN übrig bleiben würden, stieß er in London auf taube Ohren. Auch seine Warnung, ebenfalls Csokor gegenüber geäußert, dass „unseren lieben Kollegen im Lande“ nichts erwünschter sei, als gegen den einen oder anderen vermeintlichen Konkurrenten auftreten zu können, indem man ihm eine Nahbeziehung zur NS-Vergangenheit nachweisen konnte, wiesen unter geänderten Voraussetzungen bereits in die Zukunft.5 So notwendig es war, eine eindeutig antifaschistische Gesinnung festzustellen, was übrigens nicht wirklich gelang, da sehr bald auch einige eindeutig ns-belastete Schriftsteller aufgenommen wurden, so stellte sich bald heraus, dass Sacher-Masochs Warnung vor politischer Denunziation im PEN ernst zu nehmen war. Nur kurze Zeit später, als der Kalte Krieg begann, war es die kommunistische Gesinnung, die überprüft werden sollte. Welche Spannungen und Konsequenzen sich aus diesen Entscheidungsprozessen ergaben, zeigt die Reaktion Hans Weigels auf die Ablehnung der Aufnahme des Psychiaters und Sachbuchautors Viktor Frankl, den Weigel nachdrücklich empfohlen hatte. Obwohl Frankl aufgrund seiner im KZ verbrachten Jahre über jeden Verdacht erhaben war, ein Nazi zu sein, hatte sich der Vorstand gegen seine Aufnahme ausgesprochen, weil Frankl bis dahin nur wissenschaftliche Literatur verfasst hatte. Weigel hingegen stellte dessen Ablehnung als Politikum dar und trat aus Protest aus dem PEN-Club aus. Ähnlich dem Englischen PEN während der Kriegszeit setzte das neu gegründete Wiener Zentrum zahllose humanitäre Hilfsmaßnahmen ins Werk, von denen einige in der aufgeheizten Stimmung des Kalten Krieges gründlich missverstanden wurden. Ob Unterstützungsaktionen für heimkehrende Emigranten, soweit diese mit den äußerst beschränkten Mitteln des Clubs möglich waren, oder Interventionen für verfolgte Schriftsteller in aller Welt, jede dieser Handlungen lief potenziell Gefahr, Kontroversen auszulösen. Für sein Ziel, mit den PEN-Zentren der Oststaaten zusammenzuarbeiten, wurde Csokor noch 1947 auf dem internationalen PEN-Kongress in Zürich bejubelt. Einem kommunistenfeindlichen ‚Hardliner‘ wie Friedrich Torberg, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im amerikanischen Exil aufhielt, entlockte es die Pointe, er werde einen „Antrag auf Abtretung Csokors an Jugoslawien“ stellen.6

4 Alexander Sacher-Masoch an Franz Theodor Csokor (22. 1. 1947). Abgedruckt in: Amann: P.E.N., S. 155f. Vgl. auch S. 86. 5 Amann: P.E.N., S. 86. 6 Friedrich Torberg an Alexander Lernet-Holenia (5. 12. 51). Zitiert in: David Axmann, Marietta Torberg und Hans Weigel (Hrsg.): Friedrich Torberg. In diesem Sinne. Briefe an Freunde und Zeitgenossen. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. München und Wien: Langen Müller 1981 (Friedrich Torberg. Gesammelte Werke XII).

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Der Einsatz für Bertolt Brecht zeigt, wie sehr sich der Vorstand bereits in der Anfangszeit des PEN zu einem vorsichtigen Agieren genötigt fühlte. Brecht war im Oktober 1947 zu einem Verhör vor den „Ausschuss für un-amerikanische Aktivitäten“ zitiert worden. Durch geschicktes Agieren vor diesem Komitee amerikanischer Kommunistenjäger, das später der berüchtigte Senator Joseph McCarthy leiten sollte, gelang es Brecht, einer Verurteilung zu entgehen und damit ein Aufführverbot seiner Stücke in den USA zu verhindern. Ungeachtet der brisanten politischen Situation im besetzten Österreich plädierte Generalsekretär Sacher-Masoch in einer Vorstandssitzung, die Empfehlung einer Intervention für Bertolt Brecht an den Internationalen PEN abzuschicken. Diese Eingabe des Wiener Zentrums, die von Csokor mitgetragen wurde, ist aber nicht an die internationalen Stellen abgegangen. Verhindert hat dies kurioserweise ein Kommunist – Ernst Fischer, erster Staatssekretär für Unterricht der Zweiten Republik und langjähriger Parlamentsabgeordneter, der in dieser gespannten Situation zu politischer Raison riet. Weigels Kritik entzündete sich vor allem an Csokors Engagement in der Österreichischen Friedensgesellschaft, deren Ehrenpräsident er war. Er beschuldigte diese, als kommunistische Vorfeldorganisation zu agieren. Indizien dafür ortete er in der Besetzung leitender Funktionen durch Kommunisten, namentlich Edwin Rollett und Ernst Fischer. Beide waren auch im Vorstand des PEN vertreten, was Csokor ebenfalls zur Last gelegt wurde. Aus heutiger Sicht scheint Weigels Kritik an der Weltfriedensbewegung weit überzogen, zu deren öffentlichkeitswirksamsten Maßnahmen ein Appell gegen den Einsatz nuklearer Waffen im Jahr 1950 gehörte. Doch zur Zeit des Kalten Krieges erregte die breit angelegte Friedens- und Neutralitätskampagne der Weltfriedensbewegung den Unmut der westlich orientierten ‚Hardliner‘, weil ihre Ziele eng mit kommunistischen Propagandaaktivitäten verknüpft waren. Weigels antikommunistischer Pressefeldzug wurde eröffnet, als der Club 1949 einen offiziellen Delegierten zur Pariser Weltfriedenskonferenz schicken wollte. Das perfekte Timing für diesen Artikel in der Arbeiter-Zeitung am 3.  April  1949 ist wohl damit zu erklären, dass Weigel über die Vorgänge im Vorstand durch einen Informanten unterrichtet war: „[M]it nicht unbeträchtlichem Spürsinn für die Dramaturgie der Intrige, versteht er es, einen Artikel, erschienen zwei Tage vor der für 5. April anberaumten Sitzung des Vorstands, so anzulegen, daß sowohl die katholischen als auch alle jene Mitglieder zum Exodus gedrängt werden, die sich zum sozialistischen Lager bekennen. Exodus der einen Fraktion aber heißt hier so viel wie Spaltung des P.E.N.“.7 Auf dem internationalen PEN-Kongress in Venedig 1949 wurde im Hinblick auf die Wiener Situation diskutiert, inwieweit eine kommunistische Parteimitgliedschaft bei PEN-Angehörigen zulässig sei. Neumann, inzwischen Vizepräsident des Internationalen PEN, hatte ein Konvolut von Anklagen gegen das Wiener Zentrum von Hans Weigel erhalten und warf den Vertretern des Wiener Zentrums vor, dass die kommunistische Fraktion einen ungebührlichen Einfluss auf den Club ausübe. Csokor, der 7 Roček: Glanz und Elend, S. 288.



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sich genötigt sah, dem Druck nachzugeben, veranlasste die Entlassung dreier kommunistischer Mitglieder, darunter Walter Hollitscher, den Neumann selbst ein paar Jahre vorher mit der Wiedererrichtung des Wiener Zentrums beauftragt hatte.8 Der Höhepunkt der Kontroverse gipfelte in der Verhinderung des für 1951 geplanten internationalen PEN-Kongresses in Wien. Der Vorschlag, Wien als Kongress-Stadt zu wählen, wurde auf der Tagung in Venedig eingebracht. Als jedoch eine offizielle Einladung der Bundesregierung an den Internationalen PEN-Club ausgesprochen wurde, meldeten sich plötzlich von mehreren Seiten Bedenken. Als Csokor 1950 nach Schottland einreisen wollte, verweigerten ihm die Engländer zunächst ein Visum, persönlich eine herbe Enttäuschung für ihn, denn Csokor hatte während des Zweiten Weltkrieges auf der Seite der britischen Streitkräfte gekämpft. Durch sein verspätetes Eintreffen auf dem internationalen Kongress in Edinburgh konnte er, wie Weigel in der Welt am Montag vom 21. 8. 1950 bissig bemerkte, die Einladung der Bundesregierung für die kommende Tagung in Wien nicht rechtzeitig vorbringen, „da ihm die Einreise nach England verweigert wurde.“ Weigels Forderung nach einer „kulturpolitische[n] Flurbereinigung“ ist auch im Parlament aufgegriffen worden.9 Der Abgeordnete Eduard Ludwig richtete in einer Sitzung des Nationalrates eine Empfehlung an den PEN-Club, einen Wechsel an der Spitze des Clubs vorzunehmen durch die Wahl einer Persönlichkeit, die auch von den westlichen Ländern anerkannt werde. Der Appell, aus dem PEN auszuscheiden, ging insbesondere an die Adresse Ernst Fischers. Um den PEN von den Vorwürfen um seine Person zu entlasten, bot Fischer seinen Rücktritt an; dieser wurde jedoch nicht angenommen. Im Lauf des Jahres 1950 ging der Internationale PEN auf Distanz und entschloss sich schließlich zu einer Absage. Die Ablehnung wurde damit begründet, Wien könne als Kongress-Stadt den Teilnehmern keine Sicherheit bieten. Über Nacht könnten die Kommunisten einen Schlag gegen das Land verüben oder zumindest die Zufahrtswege östlich der Enns sperren. Als der für das Jahr 1951 abgesagte internationale PEN-Kongress 1955 ‚nachgeholt‘ wurde, fiel der Ton der Gegner noch um eine Nuance schärfer aus. Friedrich Torberg, der inzwischen aus dem amerikanischen Exil heimgekehrt war, stieß sich daran, dass hier erstmals seit 1945 kommunistische Schriftsteller mit Nicht-Kommunisten zusammenkommen würden,10 und Weigel überbot sich mit der spitzen Bemerkung, dass man mit Mördern an einem Tisch sitzen würde, wobei weder er noch andere Hardliner sich scheuten, die Kongressteilnehmer mit den Untaten ihrer Regierungen pauschal zu identifizieren.11 Die Tagung brachte neuerlich ideologische 8 Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 299. 9 Hans Weigel: Ora et collabora. Österreichische Rückversicherung im Sektor „Kulturleben“. In: Salzburger Nachrichten, 14./15. 6. 1952. 10 Vgl. Amann: P.E.N., S. 135. 11 Hans Weigel: Ora et collabora. Österreichische Rückversicherung im Sektor „Kulturleben“. In: Salzburger Nachrichten, 14./15. 6. 1952.

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Differenzen ans Licht, die sich an der Frage der Aufnahme eines sowjetischen Zentrums entzündeten. Die schärfste Bemerkung kam vom Präsidenten des Internationalen PEN, Charles Morgan, höchstpersönlich, der die Schriftsteller des Ostens in seiner Eröffnungsrede „Werkzeuge der Tyrannei“ nannte, die nicht beanspruchen könnten, aufgenommen zu werden. Vizepräsident Neumann legte heftigen Protest gegen diese überspitzte Darstellung ein. Er bezeichnete Morgans Ansicht als Bankrott-Erklärung des PEN.12 Ein Nebeneinander der politischen Kräfte im PEN war zu diesem Zeitpunkt weder international noch in Österreich möglich. Humanitäres Empfinden oder Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu zeigen, konnte in dieser spannungsgeladenen politischen Weltsituation leicht falsch interpretiert werden. „Es war damals und noch jahrelang schwer, sich der Militanz dieser Anti-Kommunisten und häufig Ex-Kommunisten zu versagen, [...] ohne in den Verdacht zu geraten, Sympathisant des Stalinregimes zu sein“, schrieb Hilde Spiel aus ihrem Vorrat an Erfahrungen, die sie bei internationalen PEN-Tagungen machen musste: „Wer es dennoch riskierte, lief Gefahr, als Kommunist oder ‚Mitläufer‘ gebrandmarkt zu werden.“13 Clubintern begann sich das Blatt Mitte der 1950er Jahre zu wenden, als nach der Ungarnkrise von 1956 die häufig geforderte „kulturpolitische Flurbereinigung“ umgesetzt wurde. Als der Architekt Fritz Wotruba seinen Protest über die verspätete Reaktion des Clubs auf den Einmarsch sowjetischer Truppen über eine Zeitungsveröffentlichung austrug, knüpfte er daran die Drohung, aus dem PEN auszutreten, wenn die kommunistischen Mitglieder nicht aus dem PEN ausscheiden würden.14 Diese inzwischen reichlich angemoderte Kampfansage führte zu einer Umfrageaktion, bei der die Mitglieder auf ihre Gesinnung gegenüber den Prinzipien der PEN-Charta überprüft werden sollten. Sie bot den Anlass, sich von den drei letzten verbliebenen Kommunisten zu trennen. Neben Ernst Fischer und Hugo Huppert fiel dieser „Säuberungswelle“ der kritische Journalist und Essayist Bruno Frei zum Opfer. In einem Brief hatte er dem Vorstand Einäugigkeit vorgeworfen. Man habe zwar gegen den Einmarsch der Sowjetstreitkräfte in Ungarn protestiert, nicht aber gegen das militärische Eingreifen Frankreichs und Englands in der Sinai-Krise.15 Inzwischen hatte die Polemik gegen das Wiener PEN-Zentrum eine gewisse Eigendynamik angenommen. Als Weigel Csokor anlässlich seines 70. Geburtstags in einem Artikel im Bild-Telegaf am 10.  September  1955 öffentlich verhöhnte, war dies wohl kaum mehr als politisch motivierte Sorge zu betrachten, denn die Besatzungsmächte hatten bereits das Land verlassen: Unter Ihrer Präsidentschaft hat der Österreichische P.E.N.-Club nicht nur im Frühjahr 1949 den Pariser Weltfriedenskongress begrüßt, unter Ihrer Präsidentschaft blieb auch unser Freund Ernst Fischer bis heute Vorstandsmitglied. […] Bei internationalen Kongressen und Tagungen wurden 12 Amann: P.E.N., S. 136. 13 Hilde Spiel: Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946–1989. München: List 1990, S. 124. 14 Roček: Glanz und Elend, S. 364. 15 Ebd., S. 368.



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Sie sehr oft ausersehen, Österreich zu vertreten, und auch das war wichtig für uns. Denn da traf die westliche Welt auf einen Sendboten Österreichs, der für – oder zumindest nicht gegen – den Osten war.

Diesmal war Weigel zu weit gegangen. Csokor reichte eine Klage gegen ihn ein. Trotz des Abzugs der Besatzungsmächte, stellte sich keine Beruhigung der Lage im Wiener Zentrum ein. Neue Grabenkämpfe brachen aus, die noch an Schärfe zunahmen. Als Streiter gegen Trojaner und „fellow travellers“ trat nun Friedrich Torberg auf den Plan. Torbergs Drängen, in den Vorstand aufgenommen zu werden, wurde mit der Begründung verhindert, dass er immer noch mit amerikanischem Pass reise. Seine aggressive Vorgehensweise und Forderungen führten Otto Basil dazu, mit Austritt aus dem PEN-Club zu drohen, im Falle, dass diesem „MacCarthysten“ [sic] nachgegeben werde.16 Die Grabenkämpfe im PEN-Club bekamen nach Csokors Tod im Jänner 1969 eine neue Dimension. Als Nachfolger stand im Grunde schon vor dem Wahlausgang Alexander Lernet-Holenia fest, ein exzentrischer Schriftsteller, der sich allen Klischees entzog. Er nahm die Habsburger ebenso gnadenlos ins Visier wie drei Jahre später den „Kommunisten“ Heinrich Böll. Trotz seines unberechenbaren Naturells fand seine Kandidatur eine breite Front der Unterstützung. Immer noch kursierte das von Hans Weigel im Jahr 1948 geprägte Bonmot: „Die Österreichische Literatur besteht derzeit aus zwei Autoren, aus dem Lernet und dem Holenia“, was ihn offenbar für viele wählbar machte.17 Für all jene, die darauf hofften, Lernet-Holenia würde die humanitäre Tradition Csokors fortsetzen, zerschlug dieser schon in seiner Antrittsrede jegliche Hoffnung. Kaum war er ins Amt berufen, gab Lernet-Holenia vor Presse und Rundfunk Erklärungen ab, die seine Wahlbefürworter erbitterten: Der PEN, erklärte er in einem Feuilleton der Presse vom 30. Jänner 1969, bestehe aus „Schreibenden“. Dies sei eigentlich ihre Hauptaufgabe, „und danach erst kommen Humanität, Kritik an mangelnder Völkerversöhnung, Proteste gegen kulturelle Barbarei und dergleichen mehr.“ Während seiner Amtszeit führte Hilde Spiel praktisch eine Schattenpräsidentschaft, zunächst in der Funktion einer Generalsekretärin, ab 1971 als Vizepräsidentin. Die in Wien geborene Romanautorin, Essayistin und Kulturkritikerin war 1963 nach beinahe drei Jahrzehnten, in denen sie in London gelebt hatte, nach Österreich heimgekehrt und kurz danach dem Wiener Zentrum beigetreten. Es war ihre aktivste Zeit im PEN, zumal Lernet-Holenia wenig Interesse an den Geschäften und Aufgaben des Vereins zeigte und ständig mit Rücktritt drohte, weil ihn von „fadenscheinigem Intellektualismus“ diktierte „überflüssige Protestaktionen des Penclubs, […] dessen 16 Ebd., S. 382. 17 Paul Kruntorad: Prosa in Österreich seit 1945. In: Die zeitgenössische Literatur Österreichs. Zürich und München: Kindler 1976 (Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart in Einzelbänden. Autoren. Werke. Themen. Tendenzen seit 1945, Bd. 3), S. 131–292, hier S. 153.

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Zwecke ohnedies mehr als problematisch geworden sind“18, störten, oder auch aus persönlichen Animositäten wie etwa gegen Herbert Eisenreich, den er aus dem PEN auszuschließen versuchte. Im März 1970 gab er in einem Rundbrief an den PEN-Club seinen Austritt bekannt. Als Präsident werde er aber nicht zurücktreten, „weil er verhindern möchte und es tatsächlich verhindert“, dass man Otto Habsburg als Mitglied wählt, aber den Club nicht mehr aufsuchen, bis diese Missstände bereinigt sind.19 Immer wieder betonte er sein grundsätzliches Desinteresse an der Literatur: „Schon Byron hätte jeden am liebsten getötet, der ihm sagte, er sei Autor.“20 Und nach seinem Rücktritt aus dem PEN schrieb er an Hilde Spiel: „Die Literatur erweist sich mehr und mehr als ein Brechmittel, und ich bin froh, nichts mehr mit ihr zu tun zu haben“.21 „Verheimliche also am besten, daß Du Schriftstellerin bist“, riet er ihr sogar einmal und teilte im gleichen Brief die Welt in Bolschewiken und Snobs ein: Und „wer keines von beiden ist, ist überhaupt nicht vorhanden. Ich bin jedenfalls lieber ein Snob als ein Bolschewik.“22 Dass er trotzdem bis zum 19.  September  1972 sein Amt behielt, trotz mehrerer zumindest halboffizieller Rücktrittserklärungen, scheint nicht zuletzt auf Hilde Spiels taktisches Einlenken zurückzuführen gewesen zu sein. Auswüchse gegen den „Bimm-Bamm-Bumm-Böll“23 oder gegen den „pathologisch lallende[n]“24 Thomas Bernhard sowie persönliche Angriffe wie diese: „Du überschätzt Deinen Beruf und die Schlawiner, mit denen Du im Rahmen Deines Berufes zu tun hast“25, überging sie. Im Sommer 1972 bahnte sich im Vorstand eine Krise an, in deren Verlauf die politischen Differenzen zwischen den linken und den inzwischen mehrheitlich konservativen Kräften offen zutage traten. Den Anlass bot eine Demonstration der Vietnamkrieg-Gegner am Salzburger Flughafen gegen den amerikanischen Präsidenten Richard Nixon, unter denen sich auch das PEN-Club-Mitglied Robert Jungk befand. Die Demonstranten waren auf das Flugfeld vorgedrungen und hatten eine Landung der Maschine verhindert. Robert Jungk, Atomkraftgegner, Pazifist und Sozialdemokrat, hatte an dieser Aktion teilgenommen und war von der Polizei zusammengeschlagen worden. In der Folge versuchten einige Vorstandsmitglieder des Wiener PEN-Zentrums, unter ihnen Vizepräsidentin Hilde Spiel, Carry Hauser und die Generalsekretärin Dorothea Zeemann, eine Solidaritätserklärung für Jungk zustande zu bringen. Friedrich Torberg protestierte in einem Brief vom 15. 7. 1972 an den PENClub, dass damit die politische Haltung Robert Jungks gutgeheißen werde. Torbergs Argumentation schloss sich auch der in Ungarn geborene Schriftsteller, Essayist und 18 Alexander Lernet-Holenia an den P.E.N.-Club (31. 8. 1968). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 19 Roček: Glanz und Elend, S. 445f. 20 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (22.  11.  1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 21 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (9. 11. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 22 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (22. 11. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 23 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (15. 6. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 24 Alexander Lernet-Holenia (25. 5. 1968). Literaturarchiv der ÖNB NL Hilde Spiel. 25 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (9. 11. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel.



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Kulturjournalist György Sebestyén an. 1956 aus Ungarn geflohen, trieben ihn seine Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime zu der überzogenen Warnung, sich nicht auf die Seite von Terroristen zu stellen. Er sprach von einer „Zerstörung der Demokratie“ durch eine „kleine antidemokratische Minderheit.“26 Während in Wien im Grunde nur mehr Scheingefechte im Vokabular des Kalten Krieges ausgetragen wurden, forderte Robert Neumann im Internationalen PENClub eine Neuorientierung des PEN gegen rechte Bestrebungen. 1971 initiierte er die Abwahl des damaligen internationalen PEN-Präsidenten Pierre Emmanuel und schlug die Kandidatur von Heinrich Böll vor, der in einer Kampfabstimmung schließlich gewählt wurde. Der „Burgfriede“, der sich danach einstellte, war nur von kurzer Dauer. Unbeabsichtigt wurde er durch einen Essay von Heinrich Böll mit dem Titel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ gestört, der am 10. Januar 1972 in der Zeitschrift Der Spiegel veröffentlicht wurde und in Deutschland einen innenpolitischen Skandal auslöste. Böll wandte sich in diesem Text gegen die Bildzeitung, der er vorwarf, durch ihre unseriöse Berichterstattung im Zusammenhang mit der Baader-Meinhof-Gruppe Lynch-Justiz zu betreiben. In der Folge wurde Böll beschuldigt, Sympathisant der Terroristen zu sein. Hilde Spiel, die mit Böll im Rahmen ihrer Aktivitäten im Writers in Prison-Komitee häufig zusammengearbeitet hatte, versuchte erfolglos, die im österreichischen PEN entfachte Diskussion zu entschärfen. Doch Bölls Ansuchen um freies Geleit für Ulrike Meinhof wurde im „vergreiste[n] Vorstand“ so gründlich missverstanden, dass er „zum Freund des Terrors und der Gewalt gestempelt wurde“.27 Spiels Versuch, klärend einzugreifen, versorgte vor allem Torberg mit Nährstoff für eine neuerliche Kampagne gegen sie als „linke Mitläuferin“. Wie er in einem Brief an Robert Neumann schrieb, war für ihn war der Terror des Kommunismus auf gleicher Ebene angesiedelt wie der Terror des Nationalsozialismus, nur mit anderen Vorzeichen.28 Hilde Spiel und Friedrich Torberg, die einander bereits seit der Kindheit kannten und deren literarische Laufbahn im Kreis des Café Herrenhof begonnen hatte, führten bereits seit Mitte der 1950er Jahre eine Literatenfehde, die in einen für beide Seiten existenzgefährdenden Reigen an Intrigen ausgeartet war. Torberg hatte Hilde Spiel in einem Brief an die Herausgeber der Zeitschrift Monat und der Neuen Zeitung als „fellow travellor“ denunziert.29 Hilde Spiel revanchierte sich mit dem Schlagwort „CIA-Agent“. Spiel und ihr Ehemann Peter de Mendelssohn hatten im Hintergrund mitgewirkt, als Torberg 1958 seine Stellung als Wiener Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung verlor. 26 György Sebestyén an den P.E.N.-Club (12. 9. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL György Sebestyén. 27 Spiel: Welche Welt, S. 255. 28 Zitiert in Frank Tichy: Friedrich Torberg. Ein Leben in Widersprüchen. Salzburg und Wien: Müller 1995, S. 271. 29 Dieser Brief wie auch der Antwortbrief Melvin Laskys und eine Reihe anderer Denunziationsbriefe Torbergs, wie z. B. der im folgenden Text zitierte an Eva Lernet-Holenia, finden sich als Kopie im Nachlass Hilde Spiel. Literaturarchiv der ÖNB, Konv. „Korrespondenzen zur Fehde Friedrich Torberg – Hilde Spiel“, Sign. 15/S25.

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Den entscheidenden und einzig erfolgreichen Schlag gegen Hilde Spiel führte Torberg im PEN-Club nach dem Rücktritt Lernet-Holenias. Lernet-Holenia hatte am 19. Oktober 1972 aus Protest gegen die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Heinrich Böll sein Präsidentenamt niedergelegt. Als seine Nachfolgerin schlug er Hilde Spiel vor. Trotz seiner Unterstützung stand Lernet-Holenia der Argumentationslinie ihrer Gegner, namentlich Torbergs, näher. So schrieb er in einen Brief vom 22. November 1972: „Ich habe mich die längste Zeit bemüht, den Penclub von dem kommunistischen Rufe, in dem er gestanden ist, zu reinigen.“ Hilde Spiel warf er vor, sie habe „den besonders unappetitlichen Bolschewiken Böll mit in den Sattel gesetzt.“30 Er fürchtete um die Zukunft des PEN: Alles mit Ruhe betrachtet, ist nämlich der Penclub zwar noch kein bolschewistischer Kegelklub geworden, aber er wird es werden. Mit dem Umstande, dass die Deutschen den Böll zum Präsidenten ihres Clubs gemacht und die gesamten Clubs ihn zum Präsidenten des Internationalen Pen gekrönt haben […], ist die – ohnedies zwecklos gewordene – Gründung Galsworthys in das schiefste Licht geraten.31

In ihrer Rede vor dem Vorstand gab Hilde Spiel als Ziel ihrer Präsidentschaft die „Verjüngung des P.E.N. ohne Gewaltakte und ohne Publikumsbeschimpfung“ an.32 Im Falle, dass sie nicht gewählt würde, kündigte sie ihren Rückzug vom Amt der Vizepräsidentin und aus dem Vorstand an. Torberg münzte ihre Aussage geschickt in Polemik um; er warf ihr vor, den PEN-Club mit der Drohung, bei Nichtwahl zurückzutreten, unter Druck zu setzen. Doch er spielte von Anfang an mit offenen Karten. In einem Brief an Erich Heller gab er zu, dass er gerade „heftigst“ gegen die „drohende Vereinnahmung der durch den Rücktritt Lernet-Holenias verwaisten Präsidentenstelle“ durch Hilde Spiel kämpfe, die er selbst, „Caesarn nicht vergleichbar, schon dreimal zurückgewiesen habe.“33 Ein paar Tage später kündigte er Hilde Spiel in einem Brief an, dass er ihrer Kandidatur die Zustimmung verweigern werde. Als Gegenkandidaten zu Hilde Spiel unterstützte er den ehemaligen ORF-Literaturchef Ernst Schönwiese. Roman Roček wurde beauftragt, innerhalb des PEN-Clubs Unterstützer für Torbergs Wahlvorschlag zu sammeln. Hilde Spiel versuchte nun ihrerseits an Terrain zu gewinnen, indem sie in einem Zeitungsinterview in der Wochenpresse vom 8. November 1972 ein streng gehütetes Vorstandsgeheimnis preisgab. Schönwiese habe seinerzeit mit einem Referat gegen die von Csokor befürwortete Aufnahme von Ingeborg Bachmann Stimmung gemacht, deren Antrag in der Folge abgelehnt worden war. „Das Interview schlägt ein wie eine

30 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (9. 11. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 31 Alexander Lernet-Holenia an Hilde Spiel (22. 11. 1972). Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 32 Hilde Spiels „Erklärung“ vor dem Österreichischen PEN anlässlich ihrer Kandidatur zur Präsidentin des Österreichischen PEN im Jahr 1972. Literaturarchiv der ÖNB, NL Hilde Spiel. 33 Tichy: Torberg, S. 284.



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Bombe“34, schreibt Roman Roček in seinem Buch Glanz und Elend des P.E.N. über die Reaktion des Vorstands. Man bezichtigte Hilde Spiel der Indiskretion und warf ihr vor, das Klima vergiftet, und aus rein taktischen Gründen Schönwiese als „Verhinderer der Jungen“ bloßgestellt zu haben.35 Hilde Spiels Hauptgegner kamen aus einem von ihr selbst gegründeten „Aktionskomitee“, von ihr scherzhaft ihre „Jungtürken“ genannt: Milo Dor, Herbert Eisenreich, Reinhard Federmann, Roman Roček, György Sebestyén und Peter von Tramin. Deren Namen fanden sich auf der Liste, die Ernst Schönwiese bei der Wahl am 18. Dezember 1972 erfolgreich unterstützte. In ihrer Autobiographie beschreibt Spiel ihre Niederlage mit Erbitterung: Torberg hat beschlossen, den endgültigen Schlag gegen die Verteidigerin Jungks, die Anhängerin Bölls, die seit der Jugend lästige Widersacherin zu führen. Seine Strategie ist brillant. Gegen meine Kandidatur für die Präsidentschaft […] führt er einen Anwärter ins Feld, der in derselben Freimaurerloge nicht nur mit den rührigsten meiner Jungtürken, sondern auch mit dem Unterrichtsminister Sinowatz sitzt. Alle ‚Brüder‘ werden vergattert. Der Männerbund taktiert mit gewohntem Geschick. Sein Kandidat siegt, der Minister schickt dem neuen Präsidenten ein Glückwunschtelegramm und verfünffacht die Jahressubvention des P.E.N.-Clubs.36

Schon die heftige Reaktion auf Hilde Spiels Wahlkampfstrategie der Verjüngung des PEN zeigt, dass sich die Fronten längst nach außen verlagert hatten. Die Scheingefechte im Stil des Kalten Krieges überlagerten im Grunde nur den eigentlichen Missstand des Wiener PEN-Zentrums, die abweisende Haltung Lernet-Holenias und einiger Vorstandsmitglieder bei der Aufnahme neuer Autoren und Autorinnen aus der literarischen Avantgarde. Hilde Spiel und Dorothea Zeemann hatten sich um eine Annäherung an die jüngere Generation bemüht. Auf Initiative der beiden Veranstalterinnen wurde seit 1969 eine Reihe von Autorinnen und Autoren zu Lesungen und Vorträgen in die Räume des PEN-Clubs eingeladen. Lernet-Holenia hatte den Vortragssaal während dieser Lesungen niemals betreten. Auch die meisten Vorstandsmitglieder blieben den Veranstaltungen fern. Im umgekehrten Fall war es aber auch nicht immer einfach gewesen, neue erfolgreiche Autoren für den PEN zu gewinnen. Als Hilde Spiel Thomas Bernhard im Anschluss an eine Lesung die Mitgliedschaft antrug, lehnte er ab. Bitter beklagte sie sie sich darüber bei Robert Neumann: „Der PEN hat an Ansehen verloren und von Thomas Bernhard mußten wir uns die Mitgliedschaft […] ins Gesicht schmeißen lassen.“37 Über der Präsidentschaft Ernst Schönwieses, der dieses Amt bis 1978 ausüben sollte, lag von Anfang an der Schatten der Spaltung der Literaturszene. Auf der einen Seite stand der Österreichische PEN-Club als anerkannte Institution – ein Eliteclub, 34 Roček: Glanz und Elend, S. 455. 35 Ebd., S. 455f. 36 Spiel: Welche Welt, S. 256. 37 Zitiert in: Hans A.  Neunzig (Hrsg): Hilde Spiel. Briefwechsel. München und Leipzig: List 1995, S. 242.

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der das literarische Leben weitgehend mitbestimmte. In den Schaltstellen der Literaturvermittlung, in den Medien, in den Theatern, Verlagen und Literaturzeitschriften, waren in den 1970er Jahren vielfach PEN-Mitglieder tätig. Viele von ihnen waren anerkannte, mit Literaturpreisen ausgezeichnete Autoren; dies stand auch in engem Zusammenhang mit der Mitwirkung des PEN-Clubs bei den Entscheidungen für die Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Literatur und anderer Preise. Auf der anderen Seite standen die Autoren der jüngeren Generation, die vom institutionellen Kulturgeschehen ausgeschlossen waren. Anfang der 1950er Jahre hatte sich die „Wiener Gruppe“ um H. C. Artmann und Gerhard Rühm gebildet, der auch Autoren wie Ernst Jandl und Friederike Mayröcker nahe standen. Am Ende der Dekade hatte sich das Grazer „Forum Stadtpark“ gebildet, in dem Wolfgang Bauer, Barbara Frischmuth, Peter Handke, Gert Jonke und Alfred Kolleritsch vertreten waren. Diese Literatenkreise schlossen sich 1973 gemeinsam mit der politisch engagierten Gruppe des „Neuen Forums“ mit Vertretern wie Günther Nenning, Heidi Pataki, Michael Scharang und einigen Aktionisten wie Otto Mühl oder Hermann Nitsch zur „Grazer Autorenversammlung“ (GAV) zusammen. Als pensionierter Programmdirektor der Abteilung Literatur, Hörspiel und Wissenschaft beim ORF und früherer Herausgeber der Literaturzeitschrift das silberboot repräsentierte Ernst Schönwiese all das, wovon die ‚hungrige‘ Avantgardeszene nur träumen konnte. Die meisten von ihnen waren nicht in der Lage, sich durch ihre literarische Tätigkeit eine Existenz aufzubauen. Für die junge Generation, die außerhalb des PEN-Clubs stand, wie Roland Innerhofer in seiner Geschichte der „Grazer Autorenversammlung“ schrieb, war es bereits ein paradoxes Phänomen, dass der „auffällig mit der offiziellen Kulturpolitik“ übereinstimmende PEN jemals in den Verdacht einer kommunistischen Unterwanderung geraten konnte.38 Im Jänner 1973 fand die erste Vorstandssitzung unter dem neuen Präsidenten Erich Schönwiese statt, der auf Erledigung dieser „leidige[n] Angelegenheit“ drängte.39 Der neu in den Vorstand gewählte Dramatiker Peter Turrini versuchte, den Generationenkonflikt zwischen den stark überalterten Mitgliedern des PEN und den im Schnitt wesentlich jüngeren Vertretern der verschiedenen Autorengruppierungen zu lösen, indem er vorschlug, einen Kontakt zu Ernst Jandl sowie zu drei weiteren Autoren, Alfred Kolleritsch, Michael Scharang und Peter Weibel, herzustellen und zu einem klärenden Gespräch einzuladen. Schönwiese schränkte ein, nicht der ganze Vorstand, sondern nur einige Mitglieder sollten bei diesem Gespräch anwesend sein. Turrini wurde beauftragt, Briefe an die genannten Autoren zu senden, die jedoch diese Einladung nicht annahmen, weil sie darauf bestanden, als Kollektiv aufzutreten. Ihr Sprecher Ernst Jandl wies darauf hin, dass dieses Gespräch nicht mit einzelnen Personen geführt werden sollte, sondern die Einladung an alle Autoren ergehen sollte. 38 Roland Innerhofer: Die Grazer Autorenversammlung (1973–1983). Zur Organisation einer „Avantgarde“. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1985, S. 16. 39 Roček: Glanz und Elend, S. 496.



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Kurz nach der Gründung der Grazer Autorenversammlung gab Gerhard Rühm in der Kronen-Zeitung vom 1.  März  1973 eine Erklärung ab, die GAV habe nicht die Absicht, eine Sektion des Österreichischen PEN-Clubs oder gar dessen Konkurrenz zu werden, sondern werde eine autonome Gruppe bleiben. Auch inhaltliche Unterschiede zwischen den Autoren des PEN-Clubs und der GAV waren dafür ausschlaggebend, dass die GAV einen Antrag auf Anerkennung als zweites autonomes PEN-Zentrum in Graz an den Internationalen Club stellte. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sich die Literatur in Österreich in zwei Richtungen entwickelt habe. Während für die PEN-Autoren die Zwischenkriegszeit und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg prägenden Einfluss ausübten, sah die Avantgarde den Schwerpunkt ihrer literarischen Auseinandersetzung in der Zeit nach 1945.40 Ermutigt wurde die GAV durch die Zusage einer Unterstützung durch den Präsidenten des Internationalen PEN-Clubs, Heinrich Böll, an den sich Ernst Jandl gewandt hatte. In einem Brief vom 2. März 1973 hatte Ernst Jandl ihm die tiefe Kluft geschildert, die sich zwischen den beiden Schriftstellervereinigungen gebildet hatte. Der PEN-Club habe durch „die Besetzung von Schlüsselstellen in den Massenmedien und durch die Einflussnahme auf die Vergabe von Subventionen und Preisen“ eine „möglichst lückenlose Kontrolle über die österreichische Gegenwartsliteratur“ erreicht.41 Bölls Antwort fiel positiv aus. Er könne sich vorstellen, dass es in Österreich nach dem Vorbild in der Schweiz „zwei Zentren innerhalb einer Sprachlichkeit“42 gäbe. Auch der Generalsekretär des Internationalen PEN, David Carver, reagierte, vermutlich auf Intervention Hilde Spiels, zunächst gesprächsbereit. Er lud einen Vertreter der GAV ein, auf dem nächsten internationalen PEN-Kongress in Stockholm im Mai 1973 einen entsprechenden Antrag zur Diskussion zu stellen. Der Wiener PEN-Club kämpfte vehement gegen die Gründung eines zweiten autonomen PEN-Zentrums in Graz. Ernst Schönwiese ließ in einem Brief vom 14. April 1973 an David Carver durchblicken, dass er über Geheimverhandlungen zwischen GAV und Internationalem PEN informiert sei und dass er diese als eine Verletzung des Vertrauensverhältnisses und der internationalen Solidarität betrachte. Man habe die Mitglieder der GAV wiederholt zu einem klärenden Gespräch eingeladen, diese hätten aber immer abgelehnt.43 Um den Grazer Antrag zu Fall zu bringen, begann der Wiener PEN-Club Subzentren in allen acht Bundesländern zu gründen. Zunächst wurde in Graz ein PEN-Zentrum gegründet, allerdings nicht nach den Vorstellungen der GAV als zweites autonomes Zentrum, sondern als regionaler Club. Das Grazer Beispiel machte sehr rasch Schule. 1974 schossen regionale Zentren in den Landeshauptstädten wie Pilze aus dem Boden. „Das zog den Grazern auch das letzte Argument unter 40 Undatiertes Memorandum an den Internationalen PEN. Abgedruckt in Innerhofer: Die Grazer Autorenversammlung, S. 14. 41 Innerhofer: Die Grazer Autorenversammlung, S. 32. 42 Ebd., S. 34. 43 Vgl. Roček: Glanz und Elend, S. 510.

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den Füßen weg“ und sicherte dem Wiener Zentrum „die bessere Ausgangsposition für weitere Verhandlungen.44 Aus dem Internationalen PEN stellte sich die erhoffte Reaktion ein. David Carver ordnete an, die Grazer Autorenversammlung sei bis zu einer Klärung in der Exekutivsitzung in Stockholm nicht befugt, den Namen PEN zu führen.45 Der Antrag der GAV wurde auf einer Exekutivratssitzung des Internationalen PEN im Mai 1973 in Stockholm zwar diskutiert. Eine Abstimmung darüber wurde aber auf die nächste Tagung des Internationalen PEN 1974 in Ohrid (Mazedonien) verschoben. Der Grund dafür war, dass der Antrag nicht fristgerecht eingereicht worden war und für eine erfolgreiche Abstimmung aufgrund des Formfehlers eine Zweidrittelmehrheit anstelle einer einfachen Mehrheit notwendig gewesen wäre. Aber auch auf dem internationalen Kongress in Ohrid war der Grazer Autorenversammlung kein Erfolg beschieden. Der Antrag auf Anerkennung als zweites autonomes PEN-Zentrum wurde abgelehnt. Peter Turrini war bereits im April 1973 aus dem PEN-Club ausgetreten, nachdem er die Vergeblichkeit seiner Bemühungen eingesehen hatte, „die Außenstehenden hineinzubringen und den Club von innen her [zu] ändern“46. Er wechselte zur GAV, nicht zuletzt auch deshalb, weil sein Vorschlag einer Statutenänderung gescheitert war. Vor allem das Wahlverfahren schien ihm undemokratisch und überaltert. Als eigentlich beschlussfähiges Organ sollte nach seinen Vorstellungen die Generalversammlung dienen, der Vorstand sollte verkleinert werden und die Mitglieder sollten an Funktionen gebunden werden. Turrinis Reform gelangte zwar nicht zur Durchführung, ein Teilerfolg war jedoch erreicht worden. Schönwiese war der letzte Präsident, der den Statuten gemäß, vom Vorstand gewählt wurde. Nach dieser kurzen Sturm- und Drang-Periode, ausgelöst und wieder beendet durch Peter Turrini, fiel der PEN-Club wieder in seinen alten Trott. Wie schon zur Amtszeit Lernet-Holenias wurden Themen des Literaturbetriebes, die Besetzungen von Ämtern und Funktionen vielfach bei Stammtischen und anderen privaten Treffen diskutiert, ebenso die Vergabe von Aufträgen, Empfehlungen und Ablehnungen. Hinzu kam, dass die Geschicke des Wiener Zentrums bis weit in die 1990er Jahre von den Wünschen der Freimaurer mitbestimmt wurden, denn auf Schönwiese folgten mehrere Präsidenten, namentlich György Sebestyén und Alexander Giese, die ebenfalls einer Loge angehörten. In den folgenden Jahren widmete sich der PEN-Club im Wesentlichen seinen zentralen Aufgaben. Unter Schönwieses Nachfolgern Fritz Habeck und Erik Wickenburg wurden zahlreiche Lesungen und Symposien abgehalten. Eines der spektakulärsten Kolloquien fand anlässlich der Uraufführung der Oper von Gottfried von Einems Jesu Hochzeit statt. Die Vorstellung im Theater an der Wien im Jahr 1980 war zu einem 44 Ebd., S. 511. 45 Ebd. 46 Innerhofer: Die Grazer Autorenversammlung, S. 59.



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Skandal ausgeartet und musste nach heftigem Protest des Publikums wegen des als blasphemisch empfundenen Librettos von Lotte Ingrisch abgebrochen werden. Als György Sebestyén 1988 als Nachfolger Erik Wickenburgs zum Präsidenten gewählt wurde, trat der Konflikt mit der GAV wieder offen zutage. Sebestyén betonte zwar seine Offenheit gegenüber den Autoren der Grazer Autorenversammlung. Es würde ihnen freistehen, dem PEN-Club beizutreten. Die Grazer sahen darin jedoch eine Aufforderung, „ihre Identität aufzugeben“ und blieben bei ihrer ablehnenden Haltung.47 Auch die Einladung Sebestyéns, am 1991 in Wien stattfindenden internationalen PEN-Kongress teilzunehmen, wurde von der GAV ausgeschlagen. Umgekehrt fand jedoch auch Sebestyén keine überzeugende Antwort, als er in einem Interview der Wochenpresse zu hören bekam, der Club werde als „biedere Vereinigung“, als „Club angepaßter Schriftsteller“48 gesehen. Bitter stellte er fest: Die Lieblosigkeit in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart besteht darin, daß wir einander nicht einmal mehr bekämpfen. Gruppen und Einzelgänger stehen nebeneinander, verfolgen ihre Ziele, formen ihre eigenen geschlossenen Welten. […] Die Literatur verästelt sich, erstarrt, […] wird dogmatisch, zerfällt in Sekten, gibt den Kontakt mit der Umwelt auf und begeht also geistigen Selbstmord.49

Dennoch war der PEN-Club als „eine Republik der Literatur“, die „keine Landesgrenzen kennt“, ein wichtiges Anliegen für Sebestyén. Schon in der Zeit, als er unter Erik Wickenburg weitgehend die Amtsgeschäfte führte, zuerst als Generalsekretär, ab 1981 als Vizepräsident, wusste er, dass der PEN-Club „jeweils nur das ist, was man daraus macht.“50 Eine positive Wende nahm das Thema der Ost-West-Beziehungen in seiner Amtszeit ein. Sebestyén versuchte, die in der PEN-Charta niedergelegte Grundidee einer völkerverbindenden Zusammenarbeit neu zu interpretieren. Die Auseinandersetzungen im Stile des Kalten Krieges waren bereits während der Präsidentschaft Schönwieses abgeebbt und spielten unter dessen Nachfolgern kaum mehr eine Rolle. Für Sebestyén war der Österreichische PEN-Club eine Plattform, um eine enge kulturelle Zusammenarbeit der mitteleuropäischen Donaustaaten zu realisieren. Sein Traum, eine Vereinigung der Donaustaaten ohne Grenzen und Beschränkungen, nahm schon in gewisser Weise den Gedanken der Europäischen Union vorweg. György Sebestyéns großes Vorbild war Franz Theodor Csokor. Ganz in dessen Tradition war es ihm vor allem wichtig, sich „immer wieder für Schriftsteller in diktatorischen Staaten ein[zu]setzen, Patenschaften für eingekerkerte Literaten [zu] übernehmen und Autoren auch wirklich frei[zu]bekommen.“51 Sebestyén, der selbst das 47 APA-Meldung, 23. 11. 1988. 48 Ich lasse mich gern konservativ schimpfen. Ein Interview mit György Sebestyén. In: Wochenpresse, 9. 12. 1988. 49 Warum ich für den PEN-Club bin. Ein Weltverband der Einsamkeiten. In: Die Furche 46 (15. 11. 1975). 50 Zitiert nach Helga Blaschek-Hahn: György Sebestyén. Leben und Werk. Graz: Styria 1990, S. 186. 51 Ich lasse mich gern konservativ schimpfen. Ein Interview mit György Sebestyén. In: Wochenpresse, 9. 12. 1988.

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Schicksal des Flüchtlings am eigenen Leib erlebt hatte, engagierte sich für die Freilassung Václav Havels und seiner Mitstreiter der Charta 77. Havel wurde als Ehrenmitglied in den Österreichischen PEN-Club aufgenommen. Auf einer von Sebestyén organisierten Regionalkonferenz in Wien wurde Havel auch für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Das in der PEN-Charta festgelegte Ideal des ungehinderten Gedankenaustausches über alle Grenzen wurde auch in der Schlussakte von Helsinki verankert. Der dafür verantwortliche Außenminister Alois Mock stand mit Sebestyén in regem Gedankenaustausch. Sebestyéns starker Persönlichkeit war es zu verdanken, dass der Österreichische PEN zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte den Auftrag erhielt, einen internationalen Kongress in Wien auszurichten. Dieser war für 1991 geplant, Sebestyén sollte ihn jedoch nicht mehr erleben. Seinem Konzept gemäß war dieser Kongress eine Chance, die kulturellen Nachbarbeziehungen zu den Autoren der Donaustaaten zu fördern. Sebestyén hatte dafür, bereits von der tödlichen Krebserkrankung geschwächt, alle Vorbereitungen getroffen. Den Erfolg dieses Großereignisses sollte jedoch sein Nachfolger Alexander Giese erleben. Obwohl Sebestyén den PEN-Club nur kurze Zeit führte, war seine Amtszeit für den Verein eine bedeutende Epoche. Durch sein Anknüpfen an die humanitäre Tradition Csokors und durch seine völkerverbindende Vision eines vereinten Mitteleuropas der Donaustaaten, war es ihm gelungen, das internationale Ansehen des Clubs nach dem Imageverlust Anfang der 1970er Jahre wieder zu stärken.

Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen Literaturarchiv der ÖNB, Konv. „Korrespondenzen zur Fehde Friedrich Torberg – Hilde Spiel“, Sign. 15/S25; NL György Sebestyén und NL Hilde Spiel.

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Amann, Klaus: P.E.N.: Politik. Emigration. Nationalsozialismus. Ein österreichischer Schriftstellerclub. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1984. Axmann, David, Marietta Torberg und Hans Weigel (Hrsg.): Friedrich Torberg. In diesem Sinne. Briefe an Freunde und Zeitgenossen. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. München und Wien: Langen Müller 1981 (Friedrich Torberg. Gesammelte Werke XII). Csokor, Franz Theodor: Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil 1933 bis 1950. München und Wien: Langen Müller 1964. Innerhofer, Roland: Die Grazer Autorenversammlung (1973–1983). Zur Organisation einer „Avantgarde“. Wien, Köln und Graz: Böhlau 1985. Neunzig, Hans A. (Hrsg.): Hilde Spiel – Briefwechsel. München: List 1995.



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Roček, Roman: Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs. Wien: Böhlau 2000. Schramm, Ingrid: Hilde Spiel, Alexander Lernet-Holenia, Friedrich Torberg und der Österreichische P.E.N. In: Patrice Blaser und Manfred Müller (Hrsg): Widerspiel. Wiener Schauplätze in Leben und Werk Alexander Lernet-Holenias. Wien: Österreichische Gesellschaft für Literatur 1997. – : Kalter (Schein-)Krieg im Österreichischen P.E.N.-Club. In: Michael Hansel und Michael Rohrwasser (Hrsg.): Kalter Krieg in Österreich: Literatur – Kunst – Kultur. Wien: Zsolnay 2010 (Profile 17). – : Ein Weltverband der Einsamkeiten. György Sebestyén und der P.E.N. In: I. S. und Anna Sebestyén (Hrsg.): György Sebestyén – der donauländische Kentaur: ein subjektives Porträt. Graz, Köln und Wien: Styria 2000. Spiel, Hilde: Die hellen und die finsteren Zeiten. Erinnerungen 1911–1946. München: List 1989. – : Welche Welt ist meine Welt? Erinnerungen 1946–1989. München: List 1990. Tichy, Frank: Friedrich Torberg. Ein Leben in Widersprüchen. Salzburg und Wien: Otto Müller 1995.

Helmuth A. Niederle

Der lange Weg ins 21. Jahrhundert 1 Vorbemerkung Zufällig fällt der 90. Jahrestag der Gründung des Österreichischen PEN mit dem neuerlichen Versuch einer historischen Darstellung der ältesten noch immer bestehenden Schriftstellervereinigung der Welt und auch Österreichs zusammen. Die Irrungen und Wirrungen der österreichischen Teilorganisation hat der 2013 verstorbene Roman Roček als titelgebend für seine historische Darstellung gewählt – Glanz und Elend des P.E.N. – und dadurch auf die Gratwanderung aufmerksam gemacht, die diese Organisation von Autorinnen und Autoren sowie Übersetzerinnen und Übersetzern von Anfang an bis heute zu bewältigen hat. Eine Organisation von Schreibenden zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Mitglieder durch ihre individuelle, selbst gewählte und selbst bestimmte Arbeit verändern. „Ein Schriftsteller ist ein Mensch, der sich durch sein Schreiben verändert“, beantwortete vor Jahren der deutsche Autor Martin Walser die Frage eines Jugendlichen, was denn einen Schriftsteller ausmache. Menschen, die sich durchs Schreiben verändern, sind daher per se vermutlich unverträglich, weil die Veränderungen, die das Schreiben bewirken, unvorhersehbar sind. So mancher Schreibende hat auf seinem literarischen Weg einige Volten und mehrere Saltos hingelegt, sodass die Frage gestellt werden musste: Befindet sich die Autorin oder der Autor überhaupt noch auf dem Feld, das durch die PEN-Charta für alle Mitglieder der weltweiten PENGemeinschaft verbindlich definiert ist? So gesehen ist der PEN eine Vereinigung der Unverträglichen und wird es vermutlich und hoffentlich auch bleiben. War die Gründung des Clubs in England im Jahr 1921 und deren diesem Vorbild folgende Schaffung des österreichischen Zentrums im Jahr 1923 dem Ziel gewidmet, durch Förderung des Dialogs zwischen den einzelnen Nationen Frieden und Völkerverständigung zu stärken, stand das Thema, welche unterstützende Maßnahmen der PEN für seine Mitglieder entwickeln sollte oder könnte, gar nicht erst zur Debatte. Die Mitglieder des PEN waren im Regelfall arriviert, wie die Namen des Ehrenpräsidenten Arthur Schnitzler und des ersten Präsidenten Raoul Auernheimer belegen, oder wussten, woher sie die Mittel zur Bestreitung ihrer Lebenshaltungskosten beziehen konnten. Ein Blick ins Mitgliederverzeichnis des Jahres 1928 zeigt, dass viele der Aufgenommenen außerordentlich bekannt waren, u. a. Hermann Bahr, Oskar Maurus Fontana, Sigmund Freud, Egon Friedell, Rosa Mayreder, Felix Salten, Franz Werfel, Berta Zuckerkandl, Stefan Zweig. Die genannten Persönlichkeiten gehörten ganz gewiss nicht zu denen, die am untersten Rand der Gesellschaft ihr Leben fristeten.



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Auch wenn die Praxis nicht immer ganz streng eingehalten wurde: Aufgenommen werden konnte nur, wer aus den Reihen der Mitglieder für eine Zuwahl vorgeschlagen wurde. Diese Verfahrensweise verhinderte, dass „Habenichtse“ in den PEN gelangten. Außerdem sollte der Vorschlag für eine Neuaufnahme von mindestens zwei Bürgen getragen werden. Eigenbewerbungen galten eher als verpönt. Autorinnen und Autoren stellten sich in den Dienst der Ideen des PEN und erwarteten sich ihrerseits keine wie immer gearteten Gegenleistungen. All das muss in dieser Klarheit ausgeführt werden, weil das für den Österreichischen PEN des 21. Jahrhunderts in dieser Weise kaum oder gar nicht mehr zutrifft. Doch auch in den anderen PEN-Zentren sind diese aus der Gründerzeit bekannten Haltungen weitgehend verschwunden. Schreibende organisieren sich, um in den Zeiten der ansteigenden medialen Konzentration und der schärfer werdenden Marktbedingungen sowie deren Auswirkungen auf die literarischen Übungen in einer Weise reagieren zu können, die ihnen das Überleben als Schreibende gestattet. Anders gesagt: der PEN (sowie andere Schriftstellerorganisationen) helfen mit, die selbst bestimmte Literatur überleben zu lassen, die sonst noch mehr marginalisiert werden würde.

2 Geschichte 1988–2013 Eine Weichenstellung zu einer Neuorientierung des Österreichischen PEN-Clubs versuchte György Sebestyén, der das Amt des Präsidenten während der Jahre 1988 bis 1990 innehatte. Schon mehrere Jahre zuvor hatte er begonnen, vielfache Kontakte zu verschiedenen Literatur- und Kulturzeitschriften zu pflegen sowie selbst welche zu gründen, wie Pannonia. Magazin für Mitteleuropa (ab 1972), morgen. Kulturzeitschrift aus Niederösterreich (ab 1977). Er war mit Verlegern, Malern, Fotografen und Schauspielern befreundet und betrieb das, was man später Networking bezeichnete. Seine Arbeit in den verschiedenen Netzwerken reichte von der katholischen Wochenzeitung Die Furche bis zum Bürgermeister von Wien, Helmut Zilk (SPÖ) und den Landeshauptleuten von Niederösterreich Andreas Mauer und Siegfried Ludwig (beide ÖVP) sowie dem Landeshauptmann des Burgenlandes Theodor Kery (SPÖ). Eine Vielzahl von Personen, die sich in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen sowohl in Wirtschaft und Kultur sowie in der Politik befanden und auch verschiedenen ideologischen Richtungen angehörten, vermochte Sebestyén so einzubinden, dass sie sich von seinen Ideen entzünden ließen und sei es nur, um sich ihrerseits mit einem kulturellen Federchen ein wenig zu schmücken. Unermüdlich besuchte er Ateliers und zeigte sich bei allen Veranstaltungen, die im weitesten Sinn mit Kultur etwas zu tun hatten. Stets trug er seinen Notizblock bei sich und vermittelte Kontakte. Schriftsteller, die Illustratoren für ihre Texte suchten, wurden ebenso kontaktiert, wie Maler, die für ihre Kataloge Verfasser von Geleitworten brauchten. Bei allen Einwendungen,

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die man gegen ihn haben konnte bzw. kann – man sagte, er habe Defizite, was die demokratische Praxis betrifft (Roček) –, bleibt doch eines festzuhalten; er verstand, dass Mitglieder des PEN ihren Lebensunterhalt am liebsten durch ihre schriftstellerische Arbeit bestreiten. Aus diesem Grund erfand er Posten und Pöstchen und vergab eine Unzahl von kleineren und größeren Aufträgen, die zu Loyalität verpflichteten. Die Grenze seiner Hilfsbereitschaft endete dort, wo er seine eigene ideologische Linie verraten fühlte. Sebestyén, der nach der aktiven Teilnahme am Ungarnaufstand 1956 geflüchtet war, war ein in der Wolle tief eingefärbter Antikommunist. Wo immer er vermutete, dass seine Aufträge an Kolleginnen und Kollegen gehen konnten, die ein nahes Verhältnis zu den Kommunisten pflegten, brach er den Kontakt ab. Was er auch nicht ertragen konnte, waren Angriffe auf die Menschen, mit denen er arbeitete; da verhielt er sich absolut loyal. Peter Paul Wiplinger hat György Sebestyén treffend folgendermaßen charakterisiert: Ihm ging es „stets um die Frage der Humanität im weitesten und doch zugleich treffendsten Sinn des Wortes, des Begriffes. Menschsein als etwas Ganzheitliches zu erkennen, zu sehen, zu denken, zu berücksichtigen, einzufordern, einzumahnen. Das war Sebestyéns Anliegen, das waren sein Ich und seine Welt.“1 Wie sehr ihm die Humanität ein Anliegen war, belegt die Ausrichtung des Symposions „Die dunkle Zeit. Das Bild der Jahre 1938–1945 in der Literatur“. Zeugenschaft bleibe für Autoren eine moralische Pflicht. Deren Stimme könne „auch für die Verfolgten, für die Toten sprechen, die ihre Stimme verloren haben. Wo die Mörder gewaltsam Leben vernichten, vermag das Wort einiges: der Leerraum wird mit der sprachlichen Gestalt der Opfer ausgefüllt.“ Damit sei für die Toten wenig getan, meinte Sebestyén, doch „für die Lebenden viel gewonnen.“2 Das Symposion, das eine klare antifaschistische Standortbestimmung des Österreichischen PEN darstellt, ist leider nie im Druck erschienen, obwohl die Pläne dazu gegeben waren. Doch nicht der Mangel an finanzieller Bedeckung ließ dieses Vorhaben scheitern, sondern die Säumigkeit mancher Referenten trotz mehrmaliger dringender auf die Notwendigkeit solch einer Publikation hinweisender Bitten, druckfähige Manuskripte abzuliefern. Sebestyén, der vermutlich in der Lage gewesen wäre, die Nachlässigkeit durch Zureden aufzuweichen, war schon mit dem Entwickeln weiterer Pläne für den PEN beschäftigt, widmete sich den Vorbereitungsarbeiten zum geplanten Weltkongress 1991 und erkrankte tödlich. Hätte es diese Mischung an unterschiedlichen Verpflichtungen nicht gegeben und wäre vor allem die Erkrankung nicht hinzugetreten, verfügte der Österreichische PEN über ein gewichtiges Dokument mit internationaler Beteiligung (u. a. Harry Zohn), das seine klare politische Haltung im Bezug auf die 1 Peter Paul Wiplinger: György Sebéstyen zum Gedenken (75. Geburtstag). Ein Beitrag zu Koschere Melange. Das Blog des Österreichischen Jüdischen Museums (15. 7. 2013). Verfügbar unter URL: http:// www.ojm.at/blog/2010/ 06/10/gyoergy-sebestyen/#comments [Letzter Zugriff: 7. 11. 2013]. 2 Unveröffentlichtes Manuskript zum Symposium „Die dunkle Zeit. Das Bild der Jahre 1938–1945 in der Literatur“.



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Zeit des Nationalsozialismus belegt. Die immer wieder erhobenen Vorwürfe, der PEN habe bis ins 21. Jahrhundert hinein relativiert, erwiese sich als absolut unhaltbar. Versuche zur Vergangenheitsbewältigung sind charakteristisch für den Österreichischen PEN als Institution. In dem oben angesprochenen Vorwurf, György Sebestyén habe Defizite in der demokratischen Praxis gehabt, steckt vermutlich mehr als ein Körnchen Wahrheit und zwar eine Notwendigkeit. Der Österreichische PEN hatte riesige Vorstände, die äußerst schwer zu klaren Entscheidungen zu bewegen waren. Eine Vereinigung, die jedoch nicht entscheiden kann, gilt als handlungsunfähig. So ließ Sebestyén diskutieren und argumentieren, veranlasste die entsprechenden Aktennotizen und Niederschriften, um diese dann allesamt zu ,schubladisieren‘, wenn Handlungsbedarf gegeben war. Die riesigen Vorstände abzuschaffen, hätte nicht nur einer inneren Einigkeit bedurft, sondern auch der Einsicht, dass eine Reform überfällig war und darüber hinaus eine Anwesenheit der Mitglieder in einer Größenordnung, wie sie nie bei Generalversammlungen gegeben ist. Zweifellos war es Sebestyéns Verdienst, den PEN aus der gemütlichen, aber gar nicht mehr zeitgemäßen Atmosphäre zu führen, die unter dem Vorgänger Erik G. Wickenburg gegeben war, in dem er sich über Regeln und Statuten hinwegsetzte. Ihm blieb es versagt, Kongress-Präsident zu werden. Eine qualvolle Erkrankung setzte seinem Leben ein Ende. Sein Nachfolger wurde Alexander Giese, der von 1990 bis 1997 die Geschicke des Österreichischen PEN leitete. Inmitten der Vorbereitungen für den Weltkongress übernahm Giese das Amt des Präsidenten. Die Vorbereitungsarbeiten waren bereits so weit vorangeschritten, dass eine Absage nicht mehr in Frage kam. Unter dem Thema ‚Neue Strukturen der Freiheit‘ fand der 56. Weltkongress in Wien statt. Seit sich im Jahr 1989 das PEN-Zentrum in Wien darum bemüht hatte, die Weltkonferenz ausrichten zu können, war es zu gewaltigen politischen Veränderungen gekommen. Kaum jemand hatte mit dem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks gerechnet und die daraufhin einsetzende Euphorie, nun werde innerhalb kürzester Zeit eine Periode der ungehemmten Freiheit des Wortes einsetzen, hatte sich als trügerisch erwiesen. Alexander Giese schrieb im Vorfeld des Kongresses in der Kulturzeitschrift morgen 78/91: Die Ereignisse der letzten Monate könnten es als angemessen erscheinen zu lassen, jene Hochstimmung der beiden letztvergangenen Jahre als voreilig erscheinen lassen. Die anvisierten neuen Strukturen entwickeln sich jedoch langsamer, als vorauszusehen war, und mancherorts müssen diese Strukturen der Freiheit erst erkämpft werden, und das ist nicht allein an den Kampfhandlungen in Slowenien und Kroatien ersichtlich. Zonen der Unruhe, des Terrors, kriegerische Kampfhandlungen, gibt es an zahlreichen Orten der Welt. Das Bemühen um demokratische Freiheiten ist weltweit im Gange und hat auf jedem Kontinent sein eigenes Schicksal.

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Nicht wenige der Autoren, die zum 56. Weltkongress nach Wien kommen, stammen aus Gebieten, die seit Jahren nicht die Wohltat des ungeteilten Friedens erleben durften, deren Bevölkerungen in einem Zustand der Unfreiheit zu leben gezwungen sind. Die Maximen des P.E.N. sind für sie wie für alle Teilnehmer des Kongresses verbindlich.

Alexander Giese unterschied sich in seinem Wesen und seinem Charakter deutlich von György Sebestyén, der, wie man in Wien zu sagen pflegt, ein ‚Macher‘ war. Giese war eher ein Mann der Nachdenklichkeit, zupackende Entschlüsse waren ihm fremd. Das bedeutete, er wickelte den Kongress ordentlich ab, doch für den heimischen PEN ergab sich kein Innovationsschub. Obwohl in Wien das Frauenkomitee des Internationalen PEN gegründet wurde, das in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wegen menschenrechtlicher und geschlechtsdiskriminierender Fragestellungen in Zusammenhang mit fundamentalistischen Tendenzen unterschiedlicher Richtungen immer wichtiger werden sollte, und weil sich auch weltweit die Erkenntnis durchsetzte, dass Entwicklungen nur dann tatsächlich nachhaltig durchzusetzen sind, wenn sie von Frauen getragen werden, wurde die Tätigkeit des neuen Komitees kaum bemerkt. Auswirkungen auf das Leben im Club gab es keine, und Versuche, sich international in Frauenfragen zu engagieren, waren nicht einmal bescheidene Routineübungen. Und die emanzipatorisch engagierten Autorinnen innerhalb des Österreichischen PEN verstanden ihre außereuropäischen Kolleginnen überhaupt nicht. Sie hatten keine Ahnung von deren kulturellen Sozialisation und – was noch schlimmer war – sie ignorierten deren Literatur völlig. In einer Nebenbemerkung sei festgehalten: die männlichen Kollegen waren auch nicht besser. Außereuropäische Literaturen (mit Ausnahme mancher asiatischer Länder wie Japan) wurden eher als eine verlängerte Werkbank der europäischen Literaturen betrachtet (Lateinamerika) und Literaturen, die in indigenen Sprachen verfasst wurden, nicht wahrgenommen. Alexander Giese schrieb vor dem Kongress mit offenem Blick auf die Unterschiede, die in der Welt auszumachen sind im morgen 78/91: Die Teilnahme von Japanern, Nord- und Südamerikanern, Afrikanern, Australiern, Asiaten, von Autoren, deren Lebens- und Arbeitsinteressen sich auf so viele Teile unserer Erde gründen und beziehen, verspricht eine weltweite Diskussion: Erwarten wir doch Menschen, die sich der Dichtung, der Literatur verpflichtet haben. Es wird sich herausstellen, ob sie tatsächlich in gleichen Kategorien denken und nur in verschiedenden Sprachen sprechen.

Diese Fragen wurden nach dem Kongress im Club nicht weitergeführt. Dafür wurden seine Kräfte in den großen Vorständen verschlissen, die sich, wie schon gesagt, nur schwer einigen konnten. Alexander Giese war ein Präsident, der genau wusste, dass Literatur im Regelfall zu den schwer absetzbaren Waren gehört, dass das, was Autorinnen und Autoren schaffen, vielleicht erst in der nächsten oder übernächsten Generation wahrgenommen wird. Ihm war aber auch klar, dass manches verschwindet und trotzdem von Belang ist, weil es gleichsam den Humus bildet, den Boden für Veränderung schafft. Das Fortschreiten der Kultur, der lite-



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rarischen Entwicklung findet nicht ausschließlich in Höhepunkten statt. Auch das Übersehene und in der Geschichte nicht Wahrgenommene trägt zum Entstehen eines geistigen Klimas bei, welches das Neue erst ermöglicht. 1997 endete die Amtszeit von Alexander Giese. Die Spannungen innerhalb des Clubs waren gewaltig. Einerseits nicht ausgetragene Diskussionen, schwelende Konflikte zwischen einzelnen Personen und Gruppen, andrerseits die Vorahnung, dass eine elektronische Veränderung kommen werde, deren Größe und Bedeutung nur wenigen klar war. Legendär war der Vortrag von Roman Roček, in dem er von einer neuen Welt sprach, an die sich Autorinnen und Autoren anzupassen hätten, wollten sie vom Schreiben leben. Er entwarf das Bild einer Medienlandschaft mit schneller Datenübertragung, in der Computer, Telefon, Fernseher und Radio zu einer Einheit verschmelzen würden. Zeitungen und Zeitschriften würden durch den Computer aufrufbar werden und man werde nur die Seiten lesen, die einen tatsächlich interessieren. Nebst mehreren Aspiranten auf das Amt des Präsidenten zeigte auch Roman Roček sein Interesse. Doch er galt – war er doch stets streitbar, diskussionswürdig und diskussionsfähig – als schwierig und nicht mehrheitsfähig. Gesucht wurde ein Kompromisskandidat, der niemandem weh tat und an den man die Hoffnung knüpfen konnte, dass er sich in die Richtung entwickelte, die man selbst für die beste hielt. Das sind nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, ein Präsidentenamt anzutreten. Der 1933 in Wien geborene Wolfgang Georg Fischer wurde 1998 Nachfolger von Alexander Giese. Fischer war der Sohn eines Kunsthändlers, dessen Familie 1938 nach Jugoslawien emigrierte, wo sie bis 1940 in Zagreb lebte. Wolfgang Georg Fischer kehrte mit seiner Mutter nach Wien zurück, während der Vater weiter nach Großbritannien floh. Nach Absolvierung des Realgymnasiums studierte er Kunstgeschichte und Archäologie in Wien, Freiburg im Breisgau und Paris. Dieses Studium schloss er 1961 ab. Es folgte eine Lehrtätigkeit in den USA. Ab 1963 lebte Fischer in Großbritannien, wo er Mitbegründer und -betreiber der Londoner Galerie ‚Marlborough Fine Art‘ war. Ab 1972 leitete er die Galerie ‚Fischer Fine Art‘. Daneben veröffentlichte er die Romane Wohnungen (1969) und Möblierte Zimmer (1972), die im renommierten Hanser Verlag erschienen. Seit 1995 lebte Fischer wieder in Wien. Anhand des Lebenslaufs wird deutlich, wie unvertraut Fischer eigentlich mit den Verhältnissen in den österreichischen Literatenkreisen im Allgemeinen und denen in Wien im Besonderen war. Die Streitereien und das jahrzehntelange Geplänkel zwischen den einzelnen Schriftstellerorganisationen, diese Übungen in Zank und Hader, die schon jenseits der österreichischen Grenzen niemand ernsthaft interessieren, sind in London von einem Schriftsteller, der im Brotberuf Kunsthändler ist, so gut wie nicht wahrnehmbar. Doch darüber hinaus sind diese Querelen, die von manchem so intensiv gepflegt wurden, auch nicht ernsthaft nachzuerzählen. Der Inhalt verhält sich umgekehrt proportional zum Aufwand des Raufens. Wolfgang Georg Fischer konnte nicht erahnen, welche Erbpacht an Krach er mitbekommen hatte, doch auch die Fraktionen innerhalb des PEN kannte er nicht. Während seiner dreijährigen Amtszeit versuchte er, ein Clubleben nach englischem

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Vorbild aufzuziehen, übersah aber völlig, dass die Mitglieder des Vereins, dem er vorstand, häufig nicht wussten, wovon sie ihren Unterhalt bestreiten sollten. Von den Überlegungen, die Roman Roček angestellt hatte, dass eine elektronische Welt die Schreibgewohnheiten verändern würde, verstand Wolfgang Georg Fischer leider nichts. Sein Clubleben erschien wie eine Volkshochschule, in der Kurzweil und Information einander wohltuend ergänzen, doch für die Lebensbewältigung war nichts darunter. Fischer organisierte Besuche in Zeitungsredaktionen und dergleichen. Das Sekretariat, in dem eine ganztags Angestellte arbeitete, gewann im zunehmenden Maße ein Übergewicht. Vorstandstätigkeit ist ex lege ehrenamtlich, sodass nur die Personen tätig werden können, die es sich leisten können, Arbeit zu verschenken, oder die ihren Namen hergeben, doch keine weitere Aktivität entfalten. Man entschloss sich zu einer Radikalkur: Verkleinerung des Vorstands, um leichter beschlussfähig zu sein. Die Amtszeit von Wolfgang Georg Fischer endete 2001. Das Ende war nicht ein in Ehren Entlassen eines verdienten Präsidenten, sondern glich eher eine Verstoßung eines Ungeliebten. Der Nachfolger wurde Wolfgang Greisenegger, der bis 2011 das Amt innehatte. Auch Greisenegger war ein Kompromisskandidat. An den Spannungen im Club hatte sich nichts geändert. Die Konflikte waren nicht beseitigt, die notwendigen Diskussionen nicht geführt wurden. Man konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass bewusst ein Präsident gesucht und gefunden worden war, der nicht wie György Sebestyén den Club umkrempeln wollte, sondern einer, der niemand ernsthaft zu nahe kommen sollte. Es war auch keine Persönlichkeit wie Alexander Giese gesucht worden, die durch kontrollierte Nachdenklichkeit den PEN gestalten sollte. Wolfgang Greisenegger war ein Theaterwissenschaftler, der 1998/99 Rektor der Universität Wien gewesen war. Zweifellos handelt es sich um eine honorige Persönlichkeit, doch deren Stärke war nicht die Kenntnis des Literaturbetriebs, an dessen Streitereien bereits Fischer gescheitert war. Greiseneggers Stärke war auch nicht das Wissen, wovon die Schriftstellerinnen und Schriftsteller leben und wie der rasante Wandel plötzlich Einkommensverhältnisse in einem unvorhersehbaren Ausmaß verändert. Ein Universitätsprofessor kann sich meist nur schwer vorstellen, wie eine Lyrikerin oder ein Lyriker lebt, die bzw. der auf Lesungen angewiesen ist und deren bzw. dessen Buchverkäufe sich auf wenige hundert Exemplare beschränken, die in mehreren Jahren von Lesern erworben werden. Es verwundert daher nicht weiter, dass Wolfgang Greisenegger eine Art Vakuum erzeugte. Das wäre weiter nicht schlimm gewesen. Ein Universitätsprofessor, der als „guter Geist über den Wassern schwebt und seinen Namen hergibt“ und im Gegenzug von einem fähigen Sekretariat getragen wird, könnte eine treffliche Kombination sein. Doch dem war leider nicht so. Das Sekretariat zog die Statutenänderung endgültig durch. Aus dem großen Vorstand wurde ein achtköpfiges Gremium. Zahlreiche kritische Stimmen wurden geschickt erst an den Rand manövriert und schließlich jeglicher Funktion entkleidet.



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In die Statuten wurde eine Geschäftsführung eingefügt – so etwas hatte es im PEN noch nie zuvor gegeben. Nach mehreren Neubestellungen des Vorstands hatte sich die Geschäftsführung durchgesetzt. Der Vorstand war entmachtet und mit ihm der Präsident. Vorschläge, die von der Basis des Clubs kamen, wurden ebenso in den Wind geschlagen, wie Überlegungen der Vorständler. Der absolute Höhepunkt der Machtkonzentration durch die Geschäftsführerin, Rosl Merdinger, wurde erreicht, als diverse Familienmitglieder stunden-, tage- und wochenweise aushalfen und ihr Sohn zum Festivaldirektor des in Österreich stattfindenden Events ‚International PEN Literary Festival – Free the World!‘ wurde. Am Abend des 22. Oktober 2009 hätte das Fest für die Literatur beginnen sollen. Im Laufe der drei folgenden Tage sollten viele in- und ausländische Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet werden können, die eine Verbindung zwischen Literatur und Themen wie Politik oder auch Religion herstellten. Unter ihnen der frankolibanesische Schriftsteller Amin Maalouf, der Vorarlberger Robert Schneider, Karl Markus Gauß oder der serbische Autor und Botschafter Dragan Velikić. Carl Djerassi, der „Vater der Antibabypille“ und Stefan Klein, Autor des Bestsellers Die Glücksformel, sollten sich des Themas ‚Literatur und Wissenschaft‘ annehmen, während der Japanische PEN in die Manga-Kultur einführen sollte. Vieles von den angekündigten Vorhaben konnte nicht durchgeführt werden, weil der in Linz stattfindende internationale PEN-Kongress des Jahres 2009 organisatorisch völlig aus dem Ruder lief. Man möge die Kürze und die kursorische Darstellung als Versuch verstehen, einerseits nichts unerwähnt zu lassen, andrerseits Abstand zu gewinnen und als Möglichkeit für einen Lernprozess zu erkennen. Die gerichtlichen Entscheidungen sind zu frisch, die Nachbeben dieser Katastrophe noch nicht in allen Einzelheiten überwunden und die handelnden Personen sind bei allen Einwendungen, die man gegen sie vorbringen kann, in ihrer persönlichen Würde unangetastet zu lassen. Daher nur so viel: Die Geschäftsführerin stellte nicht alle Ansuchen an die subventionsgebenden Stellen, vermischte Kongresskosten mit den Aufwendungen für das Festival. Außerdem erkrankte sie schwer. Von Oktober 2009, also nach Kongressende bis zum Rücktritt des Präsidenten Wolfgang Greisenegger im Jahr 2011 hatte der Österreichische PEN alle Mühe, das finanzielle Debakel zu beseitigen. In diesem Zeitraum wurde trotz aller Mühen der zweite Teil des Literaturfestivals ‚Free the World‘ im Jahr 2010 durchgeführt. Seit Juli 2011 bekleide ich das Amt des Präsidenten des Österreichischen PENClubs. Mir ist völlig bewusst, dass dies einem Neustart gleichkam. Es galt und gilt, Bewährtes weiter zu entwickeln und sich den unterschiedlichen Anforderungen zu stellen: 1. Die schleichende Verarmung der Kollegenschaft verursacht durch sinkende Honorare sowie die Verringerung der Publikationsorgane. Eine Reihe von Literatur- und Kulturzeitschriften zahlt überhaupt nicht für den Abdruck der Beiträge.

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 Helmuth A. Niederle

2. Dem forcierten Versuch nur „Junge“ zu fördern, was dazu führt, dass der Einstieg ins literarische Leben zwar leichter fällt, doch nach Erreichen eines bestimmten Alters die Publikationsmöglichkeiten nachlassen, Alternativen entgegenzusetzen. 3. Werke von Autorinnen und Autoren, die den wesentlichen Stimmen in Österreich zuzurechnen sind und die bedroht sind, in Vergessenheit zu geraten, zu veröffentlichen. 4. Autorinnen und Autoren, die literarisch Widerstand geleistet haben und die Leben und Schreiben radikal eng führen und dadurch Gefahr laufen, Opfer von Repression, Diffamierung, Gefängnis und Folter zu werden sowie ins Exil getrieben zu werden, die Stimme zu geben, die sie in Österreich hörbar macht. 5. Menschen, die aus verschiedenen Ländern in Österreich eine (temporäre) Heimat gefunden haben, den Weg in die Öffentlichkeit finden zu lassen und damit die Bedeutung der Interkulturalität zu fördern. 6. Den besonders marginalisierten Gruppen der Roma und Sinti jene Aufmerksamkeit zu schenken, die sie als gleichberechtigte Träger von Kultur wahrnehmbar macht, indem im Abstand von drei Jahren der ‚Roma-Literaturpreis des Österreichischen PEN‘ im Gedenken an Ceija Stojka (1933–2013) verliehen wird. 7. Eine Symposionsreihe, die sich dem Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften sowie der Literatur widmet. 8. Errichtung der Buchreihe „edition pen“ mit einem professionell geführten Verlag sowie einer Reihe von „Dokumenten“, das sind einfach gemachte Bücher, die einem aktuellen Thema gewidmet sind. 9. Nachhaltige Betonung der Bedeutung des Frauenthemas. Der erste Band liegt unter dem Titel Time to Say: NO! vor. 10. Lesungen und Diskussionen, Buchpräsentationen, die honoriert werden. 11. Stärkung und Ausbau der einzelnen Zentren in den Bundesländern. 12. Alljährlich ein gemeinsames Buchprojekt, das der Förderung der Identität des Clubs dient. 13. Regelmäßige Clubveranstaltungen, zu denen nicht nur Mitglieder, sondern auch Freundinnen und Freunde sowie Interessierte geladen sind.

3 Schlussbemerkung Ein PEN-Zentrum, das sich nicht als Serviceunternehmen für seine Mitglieder versteht, wird nicht überleben können. Die Zeit, in der man gemeinsam schöne Ideen wälzte und anregende Pläne schmiedete, ist vorbei. Ohne gemeinsame Arbeit wird es keine Zukunft geben. Das bedeutet, dass die Gründungsidee nur dann weitergetragen werden kann, wenn auch für den einzelnen die eine oder andere Wohltat abfällt.



Der lange Weg ins 21. Jahrhundert 

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Darüber hinaus werden sich die Autorinnen und Autoren der europäischen Zentren und damit auch im österreichischen PEN mit Fragestellungen auseinandersetzen müssen, die vor neunzig Jahren nicht vorhanden, wahrscheinlich nicht einmal denkbar waren. Für die in den (Post-) Demokratien Europas lebenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller bildet das Diktat permanenten und grenzenlosen Wachstums und maximalen Profitstrebens einen bestimmenden Bezugsrahmen. Gegen diesen gilt es literarisch Widerstand zu leisten, indem beispielsweise die Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise beschrieben werden, beispielsweise die Privatisierung der Gewinne und die Verstaatlichung der Verluste, die dazu führt, dass Sozialprogramme zurückgefahren werden. Simplifizierende Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind nicht gefragt, sondern Darstellungen, die ins Systemische geleiten und den strukturellen Wahnsinn porträtieren. Anders gesagt: Eines der Hauptthemen der Autorinnen und Autoren des Nordens ist es, den neoliberalen Finanzkapitalismus zu analysieren. Dieses Thema ist vielen außereuropäischen Kolleginnen und Kollegen in dieser Form nicht eigen, wenn auch sie Opfer des Marktes und dessen Mechanismen sind. Die Verflechtung Literatur und Leben ist bei ihnen so eng, dass eine falsche Bemerkung, ein falsches Wort und ein falscher Satz zur Unzeit gesagt oder geschrieben, Verfolgung und Tod bringen können. Diese schreibenden Freundinnen und Freunde sind in die bestehenden literarischen Szenen des Nordens zu integrieren. Nicht im Sinne von exotistischen Vorstellungen, sondern als Beitragende im umfassenden Sinn: Resonanzkörper und Ideenbringer, als Licht und als Licht im Spiegel. Anders gesagt: als vollständige Dialogpartner, von denen man viel lernen kann. Wir können einander im Widerständigen unserer Texte begegnen, in der prinzipiellen literarischen Möglichkeit, eine andere (den Herrschaftsdiskurs unterlaufende und entlarvende) Sprache zu entwickeln und damit Geschichte(n) anders zu erzählen. Vielleicht lakonisch, nicht dogmatisch und nicht dogmatisierend, nicht artifiziell-hermetisch, nicht selbstbezüglich bis zum Exzess. Man mag erstaunt sein, in wie vielen Formen, Varianten und Schattierungen, mit wie viel Behutsamkeit und in welch literarischer Genauigkeit Texte die Grundbedingung des Humanen als Horizont und zum Subtext haben: die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen. Und gewahrt werden kann diese Würde, auch das vermittelt Literatur in allen Schattierungen unabhängig ob sie von Nord, Süd, Ost oder West stammt, unmissverständlich, nur in Frei- und Selbstbestimmtheit. Dies zu ermöglichen und nach Kräften zu fördern, sind Aufgaben des PEN – ohne Wenn und Aber, uneingeschränkt und den Widerspruch bewusst suchend.

 Schweiz

Helen Münch-Küng

Der PEN-Club in der Deutschschweiz1 1 Gründungsinitiativen In den 1920er Jahren wandten sich englische und vor allem deutsche Vertreter des PEN-Clubs an literarische Persönlichkeiten in der Schweiz wie Eduard Korrodi, Robert Faesi oder Emanuel Stickelberger, um sie zur Gründung eines Deutschschweizer PENZentrums zu animieren. Es gab schon ein PEN-Zentrum in der Schweiz: 1926 hatten Bernard Bouvier und sein Sohn August eine PEN-Gruppe in Genf gegründet, sie existierte aber nur auf dem Papier. Im November 1929 erhielt Eduard Korrodi eine Einladung nach Berlin, um im Rahmen eines PEN-Club-Abends einen Vortrag zu halten. Begrüßt wurde er von keinem Geringeren als von Alfred Kerr; anwesend waren prominente deutsche Politiker und der Schweizer Botschafter; es wurde diniert im Bankettsaal des Zoologischen Gartens, am darauf folgenden Abend gab es zu Korrodis Ehren einen Empfang in der schweizerischen Gesandtschaft. Soviel Glanz und Ehre behagte dem Gast aus der Schweiz, und das Interesse am Beitritt zum Internationalen PEN wuchs. Korrodi scharte in Zürich eine Gruppe Interessierter um sich, bildete einen Vorstand und wollte die Gründung auf dem IX. Internationalen PEN-Kongress in Holland im Juni 1931 verkünden lassen. Begleitet zum Kongress in Holland wurde er von Emanuel Stickelberger aus Basel. Beide waren fasziniert vom internationalen Flair des Anlasses und von der Persönlichkeit von John Galsworthy, der einen Besuch in Zürich versprach. Neben vier lobenden Reportagen für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) über seine Erlebnisse in der anregenden Atmosphäre der 350 Delegierten aus aller Welt berichtete Eduard Korrodi stolz aus Scheveningen: „Mit Einstimmigkeit hat das Exekutivkomitee der Versammlung die offizielle Anerkennung eines autonomen deutsch-schweizerischen PEN-Clubs empfohlen. Dr. Eduard Korrodi dankte herzlich unter dem Beifall der Versammlung. Somit besitzt die Schweiz zwei PEN-Zentren in Genf und in Zürich.“2 Einige Anmerkungen zu den Hauptakteuren: Eduard Korrodi (1885–1955) war von 1915 bis 1950 zuerst Feuilletonredaktor, dann Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, und allein schon durch seine lange Amtszeit von 35 Jahren zu einer bedeutenden Instanz in der schweizerischen und europäischen Literaturlandschaft geworden. Max Frisch nannte ihn einmal „das literarische Bundesgericht“3. Und der vielfach abgewiesene Robert Walser verballhornte ihn in seinen Mikrogrammen als 1 Vgl. die ausführliche Darstellung von Helen Münch-Küng: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern: Lang 2011. 2 Neue Zürcher Zeitung 1200 (23. 6. 1931). 3 Max Frisch: Partei ergriffen. In: Nationalzeitung (Beilage „nz am Wochenende“), 11. 11. 1972.

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„Krokodilödeli der Neuen Höseli- oder Zürcher Zeitung“.4 Kein Schweizer Autor kam an Korrodi vorbei, der Erfolg einer literarischen Arbeit war von einer Rezension von Eduard Korrodi nicht unmaßgeblich abhängig. Korrodi erlangte seine Bedeutung aber nicht nur durch seine lange Amtszeit, er war auch in den meisten literarischen Kommissionen und Institutionen der damaligen Zeit vertreten, die Preise verliehen. Dazu kam die Bedeutung der Neuen Zürcher Zeitung mit ihren drei Ausgaben pro Tag und der Umstand, dass die Zeitung im aufkommenden Nationalsozialismus bald zu einem der bedeutendsten unabhängigen Organe der deutschsprachigen Presse wurde. Präsident des Zürcher PEN-Clubs war Korrodi von 1931 bis 1942. Emanuel Stickelberger (1884–1962) stammte aus einer der ältesten Basler Familien. Sein Interesse galt schon früh der Theologie und der Geschichte. Auf Wunsch seines Vaters war er jedoch zunächst in der chemischen Industrie tätig. 1910 machte er sich selbständig und gründete zwei chemische Werke in Basel und Haltingen. Seit 1903 wandte er sich der Schriftstellerei zu und verfasste im Laufe seines Lebens eine Vielzahl von historischen Romanen und Novellen. Für sein schriftstellerisches Werk erhielt er 1957 den Johann Peter Hebel-Preis. Präsident des Basler PEN-Clubs war Stickelberger von 1932 bis 1955. Diese beiden starken Persönlichkeiten kämpften in der Folge um die Vorherrschaft und die Präsidentschaft im Deutschschweizer PEN-Club. Kurz nach dem Kongress in Holland berief man ein Komitee aus Zürchern, Baslern und Bernern und traf sich in Olten. Man beabsichtigte, einen Deutschschweizer PEN-Club unter dem Präsidium von Zürich zu gründen. Der Vorstand sollte von je zwei Vertretern aus Zürich, Basel und Bern gebildet werden. Zürich sollte durch Eduard Korrodi und Robert Faesi vertreten werden, Basel durch Emanuel Stickelberger und Otto Kleiber und Bern durch Hugo Marti und Fritz Strich. Diese Lösung konnte sich aber nicht durchsetzen. Ein Jahr später konstituierten sich Basel und Zürich unter einem Zürcher Vorstand; aber auch diese Form hatte keinen Bestand. Schließlich kam es zum Bruch zwischen Basel und Zürich: Zürich bildete 1931 einen eigenen PEN-Club unter dem Präsidium von Eduard Korrodi, Basel folgte 1932 mit einer Gründung unter der Führung von Emanuel Stickelberger, der sich auch die Berner anschlossen. Und es sollten 47 Jahre vergehen, bis sich Zürich und Basel einigen konnten, fusionierten und im Jahre 1979 e i n e n deutschschweizerischen PEN-Club bildeten. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde der Grundstein gelegt zum Deutschschweizer PEN-Zentrum (DSPZ) wie es heute besteht. Was die Schweizer da konstruiert hatten, war zwar erlaubt, denn jedes Land konnte bis zu fünf Zentren bilden. International aber war das Konstrukt eine Ausnahme: Zürich und Basel beanspruchten auf den internationalen Kongressen zwei Stimmen bei den Abstimmungen. Als 1949 ein Westschweizer PEN-Zentrum hinzukam, 1959 zusätzlich das PEN-Zentrum der italienischen und rätoromanischen Schweiz, erlebte die internationale PEN-Gemeinschaft das einzigartige Phänomen, 4 Zitiert nach Werner Morlang: Robert Walsers „Mikrogramme“. In: Tages-Anzeiger (Kulturspiegel), 28. 4. 1984, S. 57f.



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dass die kleine Schweiz bei den internationalen Kongressen über vier Stimmen verfügte. Das war allerdings nur theoretisch der Fall, weil die PEN-Zentren der Schweiz in den 1960er und 1970er Jahren so inaktiv waren, dass nie alle vier Delegierten zu den Kongressen erschienen. Die Leitung des Internationalen PEN entschied, alle PENZentren, die sich nicht mehr aktiv am Geschehen beteiligten und keine Mitgliederbeiträge mehr bezahlten, für ‚dormant‘, also ‚schlafend‘ zu erklären; d. h. sie waren nicht berechtigt, an den Abstimmungen teilzunehmen. Auf dem Kongress in Tel Aviv, im Jahre 1974, wurden gleich drei der vier schweizerischen PEN-Zentren vom wichtigsten Geschäft, nämlich von der Wahl des Generalsekretärs, ausgeschlossen; nur das westschweizerische Zentrum hatte sich diese Ehre verdient. Dass den Deutschschweizern zwei Stimmen für die Abstimmungen der Kongresse zugesprochen wurden, war nur der Großzügigkeit des Generalsekretärs Hermon Ould (1886–1951) zu verdanken. Er war von 1926 bis 1951 die ‚gute Seele‘ des Internationalen PEN und hatte besonders für die Zürcher PEN-Präsidenten Heinrich Straumann und Robert Faesi große Sympathien entwickelt, was sich in zahlreichen persönlichen Briefen und Besuchen äußerte. Nach den Statuten des Internationalen PEN war es erlaubt, in einem zwei- oder mehrsprachigen Land wie Belgien, Spanien oder eben der Schweiz, zwei oder mehrere Stimmen an den Kongressen zu erhalten, denn nicht die einzelnen nationalen Zentren sollten vertreten sein, sondern die Literaturen eines Landes. Dass aber Basel und Zürich, die ja bekanntlich beide zur Deutschschweiz gehören, zwei Stimmen gewährt wurden, war eine viel diskutierte Ausnahme. Doch Emanuel Stickelberger ließ sich seine Privilegien bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1955 nicht nehmen. Basel war unter dem Präsidium von Emanuel Stickelberger immer aktiv, und er präsidierte den Basler Club von 1932 bis 1955, also 23 Jahre lang. Seine Veranstaltungen waren vom Feinsten. Sein ganzer Stolz waren die Jahresberichte, die er den Mitgliedern gedruckt zukommen ließ. Zu den Mitgliedern zählten heute noch bekannte Schriftsteller und Autorinnen wie Lisa Wenger, Siegfried Lang, Cecil Ines Loos, Albert Steffen und Ruth Waldstetter. Stickelberger engagierte während seiner Amtszeit über 100 Schweizer und international bekannte Schriftsteller und Literaturwissenschaftler für einen PEN-Abend mit Vortrag. Um den Abenden besonderen Glanz zu verleihen, gründete er den Verein ‚Freunde des PEN-Clubs Basel‘, in dem sich vor allem Mitglieder der Basler ‚High Society‘, des Basler Deiggs, mit ihrem Beitrag engagierten. Sie zahlten einen wesentlich höheren Jahresbeitrag als die Schriftsteller. Man gastierte im vornehmsten Haus der Stadt, im Hotel Drei Könige, die Damen im Abendkleid, die Herren im Smoking. Es gab immer genügend Geld, um ein gutes Essen, ein erlesenes Orchester oder andere Annehmlichkeiten genießen zu können. Problematisch war allerdings, dass Stickelberger dem rechtsnationalen Hermann Burte aus Lörrach von Anfang an in seinem PEN-Vorstand einen Platz bot. Erst zum Kriegsbeginn 1939 trat Burte aus dem Vorstand aus. Burte (1879–1960) war Dichter, Schriftsteller und Maler; er hatte 1912 einen Roman mit dem Titel Wiltfeber, der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers verfasst, der bereits unverkennbar von der völkischen Ideologie

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geprägt war. In den Jahren 1924 bis 1932 war er Mitherausgeber und maßgeblicher Mitarbeiter der in Lörrach erscheinenden deutschnational-völkischen Zeitschrift Der Markgräfler. Er war also alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Dass auch Emanuel Stickelberger dem nationalsozialistischen Gedankengut nicht abgeneigt war, sollte sich an seinem Verhalten auf den PEN-Kongressen zeigen. Auch für Eduard Korrodi in Zürich, der mit vielen berühmten Autoren seiner Zeit persönlich bekannt war, wäre es ein Leichtes gewesen, eine ganze Reihe brillanter Abende zu gestalten. Immerhin tagte man auch hier in einem Zunfthaus, im Zunfthaus zur Saffran am Limmatquai. Sein Vorstand war geprägt durch Hochschulprofessoren und Literaturwissenschaftler wie Robert Faesi, Fritz Ernst und Max Rychner. Aber auch unter den Mitgliedern gab es Hochschullehrer: Bernhard Fehr, Ernst Howald, Theophil Spoerri und Heinrich Wölfflin. Unter den Schriftstellern findet man Max Geilinger, John Knittel, Cécile Lauber, Felix Moeschlin, Max Pulver, S. D. Steinberg, Maria Waser, Otto Wirz, Ernst Zahn und Traugott Vogel. Auch der Psychiater C. G. Jung war von der ersten Zeit an dabei, desgleichen Hans Bodmer, der Begründer des Lesezirkels Hottingen, und sein Namensvetter Martin Bodmer, der Gründer der gleichnamigen Stiftung. Trotz der vielen Prominenz waren die Veranstaltungen von geringer Qualität. Eduard Korrodi war kein guter Organisator, und schon gar keiner, der eine vereinsmäßige Organisation zu leiten im Stande war. Robert Faesi beschreibt diesen Umstand in seinen Memoiren: Der Aufgabe, ein[ ] [nationales Zentrum des P.E.N.-Clubs] in Zürich zu gründen, hatte sich Eduard Korrodi nicht entwinden können. Doch er löste sie nach seiner Fasson, will sagen denkbar unsystematisch als gesellschaftliche Improvisation, so wie man es eher einem weiblichen Wesen zugetraut hätte, ohne Statuten, Sitzungen, Vorstand; kaum wussten manche der nach wechselnder Laune Geladenen, ob sie eigentlich als Mitglieder galten.5

2 No politics – under no circumstances Bereits 1932 verlor Korrodi sein Interesse an der Sache, vor allem am Internationalen PEN, da ihm die Sache zu politisch wurde. Schon auf dem Budapester Kongress im Jahr 1932 hatte man es mit Zensur und Bücherverboten zu tun. Als der von Korrodi bewunderte John Galsworthy am 31.  Januar  1933 starb, schien er das Interesse am PEN-Club ganz verloren zu haben. Galsworthy und seine Devise ‚No politics, under no circumstances‘ war für ihn der Garant, dass die Politik keinen Einzug hielt in den PENClub. Das einzige, was Korrodi von einem Kongress erwartete, war, den Glanz und die Gesellschaft berühmter Persönlichkeiten aus der literarischen Welt zu genießen. Dies war ja in der Tat die Idee von Catharine Amy Dawson Scott, die nach dem schlimmen Erlebnis des Ersten Weltkrieges mit zehn Millionen Toten und zwanzig Millionen Ver5 Robert Faesi: Erlebnisse – Ergebnisse. Erinnerungen an Robert Faesi. Zürich: Atlantis 1963, S. 326.



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wundeten und Invaliden eine Schriftstellervereinigung gründen wollte, mit dem Ziel, im persönlichen Gespräch und im geselligen Zusammensein Bekanntschaften und Freundschaften auf nationaler und internationaler Ebene zu pflegen, um dadurch eine Völker verbindende Rolle in Europa und in der ganzen Welt zu spielen. Mit Stolz benutzte Korrodi das Briefpapier des Internationalen PEN, auf dem die glanzvolle Reihe der PEN-Ehrenmitglieder aufgelistet war – von Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Romain Rolland, Paul Valéry, Benedetto Croce bis zu William Butler Yeats, Knut Hamsun und Selma Lagerlöf. Mit dem aufkommenden Nationalsozialismus aber wurde die Politik zum wiederkehrenden Thema der PEN-Kongresse. Dabei spielte es keine Rolle, ob man sich der Politik-Abstinenz verschrieb und versicherte, man werde sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen, wie die Schweizer Delegierten es taten. Die Politik wurde durch die Beteiligung der nationalsozialistisch geprägten Delegierten der deutschen Sektion in den PEN-Club getragen; dies erforderte eine Reaktion, umso mehr als auch die deutschen Delegierten vom PEN-Club erwarteten, dass man sie gewähren ließ, indem man die Politik ausklammerte. Ernst Toller formulierte dieses Paradoxon auf dem Kongress in Ragusa klar und deutlich.6 Der internationale Kongress in Ragusa, dem heutigen Dubrovnik in Kroatien, fand 1933 statt, und Emanuel Stickelberger nahm als Schweizer Delegierter daran teil. Schon auf der Reise nach Dubrovnik versuchte die deutsche Delegation, die Delegierten anderer Länder auf ihre Seite zu ziehen und drohte, bei deutschfeindlichen Anträgen den Sitzungssaal zu verlassen. Sie erreichten sogar, dass der internationale Präsident H. G. Wells einwilligte, alle politischen Punkte wie die Bücherverbrennungen oder die ‚Judenfrage‘ auszuklammern. Als sich dann herumsprach, dass sich Ernst Toller, ein bereits im Exil lebender deutscher Schriftsteller, und Schalom Asch, der Vertreter des jüdischen PEN-Zentrums, als Redner angemeldet hatten, kam es zur großen Aufregung und zu einem Meinungsumschwung bei H. G. Wells. Er wollte sich nicht von den Deutschen erpressen lassen, er wollte die Reden zulassen und eine offene Diskussion ermöglichen. In der Folge gebärdeten sich die Mitglieder der deutschen Delegation wie nationalsozialistische Funktionäre: Sie lehnten die angekündigten Reden von Ernst Toller und Schalom Asch sowie jegliche freie Diskussion ab, unter der Drohung, den Saal zu verlassen. Daraufhin sah sich der Generalsekretär des Internationalen PEN, Hermon Ould, gezwungen, sie darauf hinzuweisen, dass sie bereits vor dem Kongress gegen die Prinzipien des PEN-Clubs verstoßen hatten, indem sie Andersdenkende aus dem deutschen PEN-Club ausgeschlossen und gegen die Bücherverbrennungen, die 1933 in zahlreichen deutschen Städten stattfanden, nicht protestiert hatten. Wer entscheidende Regeln der Charta missachte, dem drohe der Ausschluss aus der PEN-Gemeinschaft. Die deutsche Delegation bestritt sämtliche Vorwürfe und verließ den Kongresssaal unter Protest. In Begleitung von Otto 6 Vgl. zu Ragusa die Ausführungen in den Beiträgen von Ernst Fischer und Helmut Peitsch in diesem Handbuch, S. 111–117 sowie S. 136–139.

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Wirz und dem Vorstandsmitglied Hermann Burte verließ auch Emanuel Stickelberger den Saal, nachdem er den versammelten PEN-Mitgliedern mitgeteilt hatte, dass er es, getreu den Satzungen des PEN-Clubs, ablehne, sich an politischen Streitigkeiten zu beteiligen, und die Versammlung warne, sich in irgendeiner Form in die inneren Verhältnisse anderer Länder einzumischen. Durch derlei Einmischungen entstünden Spaltungen, die für die Weiterentwicklung des PEN-Clubs und dessen Völker verbindende Sendung verhängnisvoll werden könnten.7 Am nächsten Tag konnte Ernst Toller seine Rede dann doch halten, allerdings in Abwesenheit der deutschen Delegation, und stellte in einer begeisternden und von tosendem Beifall begleiteten Ansprache die verzweifelte Situation der deutschen Schriftsteller, Künstler und Schauspieler dar, die vom Staat am Arbeiten gehindert, verfolgt, verjagt oder eingesperrt wurden. Das deutsche PEN-Zentrum hatte nichts getan, um dies zu verhindern. Allein zehn Schriftsteller waren aus dem deutschen PEN-Club ausgeschlossen worden wegen kommunistischer oder ähnlicher Gesinnung. Unter ähnlicher Gesinnung waren Liberale jeglicher Schattierung gemeint. Toller warf der deutschen Delegation vor, dass mit dem aufgrund ideologischer Vorbehalte betriebenem Ausschluss von Schriftstellern die Politik Einzug im deutschen PEN gehalten habe. Gleichzeitig aber wolle man der internationalen PEN-Gemeinschaft verbieten, über Politik zu reden, wenn diese dem Vorwurf einer parteipolitischen Verstrickung des deutschen PEN-Clubs nachgehen wolle. Noch im gleichen Jahr wurden die deutschen PEN-Delegierten nach London vor das Exekutivkomitee des PEN-Clubs zitiert und befragt. Und weil sie zugeben mussten, dass die Anklagepunkte unbestritten waren, traten sie selbst aus der PENGemeinschaft aus. Im Jahr darauf begründeten deutsche Schriftsteller, die sich vom Nationalsozialismus distanzierten, eine neue Organisation, den deutschen PEN-Club im Exil. Auch Eduard Korrodi und Robert Faesi vom Züricher PEN-Zweig wollten sich nicht in die Politik einmischen; sie nahmen an den folgenden Kongressen nicht mehr teil, sondern schickten instruierte Stellvertreter. Der Kongress in Budapest von 1932 war also der zweite und letzte Kongress, an dem Eduard Korrodi teilnahm.

3 Verhöhnung der Opfer 1934 schickten die Schweizer den Architekturprofessor Peter Meyer (1894–1984), der bekannt war für seine polemische Zunge, zum Kongress in Edinburgh und Glasgow. Hermon Ould konnte, wie er Eduard Korrodi mitteilte, nicht begreifen, wie man einen Architekten, der in keiner Weise die schweizerische Literatur repräsentierte, als Delegierten auf einen PEN-Kongress schicken konnte. 7 Münch-Küng: Gründungsgeschichte, S. 190f.



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Auch auf dem Kongress in Glasgow tat sich Ernst Toller als Redner hervor. Er schilderte die Machenschaften der deutschen Regierung, die seit Monaten viele deutsche Schriftsteller ihrer Gesinnung wegen in Gefängnisse gesteckt hatte, darunter Carl von Ossietzky, Ludwig Renn, Fritz Gerlich, Fritz Küster, Werner Hirsch, Klaus Neukrantz, Carl Mierendorff und Willi Bredel; darüber hinaus bedrohte das deutsche Regime aber auch die Schriftsteller und Verleger im Ausland, indem es deren Auslieferung nach Deutschland forderte, und wenn diese nicht zu erreichen war, von den Zufluchtsländern die Ausweisung verlangte, nachdem die Kulturschaffenden zuvor zu Gefängnisstrafen verurteilt und ihre Schriften verboten worden waren. Tollers Resolution lautete: Der XII.  Internationale PEN-Kongress erklärt, dass Schriftsteller seit der Machtergreifung der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland ohne Prozess und ohne den geringsten Ver­ stoss gegen die Gesetze ihre Landes eingekerkert worden sind, und zwar aus keinem anderen Grund, als dass sie, unter früheren Regierungen, in vergangenen Jahren, Bücher geschrieben hatten, deren geistiger Gehalt nicht dem Geschmack des gegenwärtigen Regimes entspricht. Der Kongress fordert die Freilassung dieser Männer, die auf diese Weise ihrer Freiheit beraubt worden sind.8

Der Kongress stimmte dieser Resolution unisono zu, mit einer einzigen Ausnahme. Und diese Ausnahme war Peter Meyer aus der Schweiz. Als Peter Meyer das Wort ergriff, machte er sich lustig über Ernst Toller, der durch „die rührende Rolle des Flüchtlings“ Eindruck mache und „wegen seiner schönen Stimme und ausdrucksvollen Augen ein Liebling der Damen, ausserdem ein besonderer Freund des Vorsitzenden Wells“ sei.9 Er griff Toller persönlich an und nannte die Gefangenschaft „einer Anzahl namentlich genannter pazifistischer oder links gerichteter Schriftsteller“ eine „ausgesprochen innenpolitische Angelegenheit“, „über die [Toller] schlechterdings keine fundierte Meinung haben kann, und schon gar nicht, ohne die Gegenseite gehört zu haben.“10 Zynisch stellte Meyer dar, dass die Unterdrückung des Schriftstellers durch den Staat eher ein Ansporn zu überragenden Leistungen sei, als ein Hindernis zu schreiben. Seiner Meinung nach wäre die Divina Commedia von Dante ohne Exil nie geschrieben worden. Im gleichen Artikel in der NZZ maßte er sich sogar an, das künftige Existenzrecht des PEN-Clubs in Frage zu stellen: „Für den PEN-Club ist es eine Lebensfrage, ob er sich von dieser leichtfertigen Art von deklamatorischem Pazifismus freimachen kann, der über die Probleme hinredet, ohne sich die Mühe zu nehmen, sich mit ihnen

8 Der deutsche P.E.N.-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10), S. 107f. 9 Peter Meyer: Bericht aus Schottland II. In: Neue Zürcher Zeitung 1179 (30. 6. 1934). 10 Ebd.

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auseinanderzusetzen, oder ob er weiterhin sich als Klagemauer für gescheiterte Ideologien missbrauchen lässt.“11 H. G. Wells beschrieb in seiner Kongressrede das Dilemma, in dem sich der PENClub befand: Wenn wir könnten, würden wir alle die Politik meiden. Aber was tun, wenn Politik und Politiker und Polizei und Militär usw. sich erheben und wagen, Hand an die Literatur und Wissenschaft zu legen? Was tun, wenn sie Bücher angreifen? Was, wenn sie die freie Tätigkeit des menschlichen Geistes, die wir Wissenschaft nennen, angreifen? Was dann? Kann der PEN-Club dann noch gelassen bleiben und sagen, dass er nichts mit Politik zu tun habe? […] Wenn und wann immer Nationalsozialismus oder Faschismus in die Freiheit des Geistes und der Literatur eindringen, muss der PEN Nationalsozialismus oder Faschismus bekämpfen.12

Am übernächsten Kongress, 1936 in Buenos Aires, Argentinien, nahm wieder Emanuel Stickelberger aus Basel teil. Auch hier stieß ihm auf, dass man das Politische nicht aus den Verhandlungen fern halten konnte. Stickelberger konnte es immer noch nicht verwinden, dass Nazi-Deutschland nicht mehr auf den PEN-Kongressen vertreten war und dass es nun offiziell einen deutschen Exil-PEN gab, der die deutschen Schriftsteller repräsentierte. Der aus Breslau stammende Jude Emil Ludwig vertrat die deutschen Emigranten in einer Rede; er war bereits 1906 in die Schweiz übersiedelt und besaß seit 1932 das Schweizer Bürgerrecht. Wie Stickelberger in seinem Jahresbericht schreibt, ‚erdreistete‘ sich dieser Emil Ludwig, „wieder bei der Bücherverbrennung von 1933 auszuholen und dann weidlich auf die Regierung seines früheren Vaterlandes zu schimpfen“.13 Stickelberger sah sich in seiner ablehnenden Haltung gegenüber Emil Ludwig in guter Gesellschaft mit dem Präsidenten des argentinischen PEN-Clubs, Carlos Ibarguren, der nach den ersten Worten Emil Ludwigs die Rundfunkübertragung selbstherrlich abgebrochen hatte. Stickelberger fühlte sich verpflichtet, eine Stellungnahme in verschiedene argentinische Tageszeitungen zu setzen. Darin bekannte er, dass er nach der Rede Emil Ludwigs nicht applaudiert habe, und er nicht der einzige gewesen sei, der sich dem Applaus für die Rede Ludwigs enthalten habe. Es sei nicht so, dass die geistigen Vertreter von 56 Nationen auf dem Kongress dem Redner in einer einheitlichen Kundgebung und Akklamation Anerkennung gezollt hätten, wie es im Argentinischen Tageblatt beschrieben wurde. Geschmacklos war, dass Stickelberger seine Haltung mit der Berufung auf die Neutralität der Schweiz begründete.

11 Ebd. 12 H. G. Wells: Presidential adress at the Congress. In: P.E.N. News London 65, S. 5–7. Zitiert nach Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 100. 13 Emanuel Stickelberger: Bericht über den P.E.N.-Kongress in Buenos-Aires vom 5. bis 16. September 1936, Jahresbericht des P.E.N.-Clubs Basel 1935/36.



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Immerhin wurde Stickelberger von der National-Zeitung in Basel für seine Haltung in Argentinien gerügt.14 Während die Basler also sehr aktiv waren, und ihr Präsident, Emanuel Stickelberger, zwar Politikabstinenz propagierte, seine politische Meinung aber deutlich zum Ausdruck kam, wurde es in Zürich immer stiller, besonders während der Kriegszeit zwischen 1939 und 1945. Dass die Inaktivität des Zürcher PEN-Clubs einzig mit Eduard Korrodi und nicht mit den schweizerischen Verhältnissen während des Krieges zu tun hatte, beweist ein Vergleich zwischen London und Zürich. Das Londoner PEN-Zentrum war seit dem Bürgerkrieg in Spanien und seit der Nazi-Herrschaft in Deutschland damit beschäftigt, die Exil-PEN-Gruppen zu unterstützen. Zuerst waren es Katalanen, Deutsche und Österreicher, die vor ihren Regimen flüchteten, dann ging es den Tschechen und Polen ebenso. Viele Schriftsteller flohen zuerst nach Frankreich, in Paris zum Beispiel funktionierte das Maison Internationale des französischen PEN-Clubs als Auffanglager, als kurzzeitiger Zufluchtsort für Exilanten. Später, als auch Frankreich von den Deutschen überfallen wurde, konnten sich die Flüchtenden nur noch nach England oder nach Nord- und Südamerika retten. Das englische PEN-Zentrum in London übernahm in vorbildlicher Weise die Aufgabe, den Aufbau der ausländischen PEN-Zentren in London finanziell, logistisch aber auch moralisch zu unterstützen. Es wurde Geld gesammelt, um den Exilanten Unterkunft, Verpflegung sowie Arbeitsgelegenheiten zu verschaffen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, war dies eine gewaltige Aufgabe: das polnische Exil-Zentrum hatte 57 Mitglieder, das österreichische fast 90, das deutsche 42, das ungarische 32 Exilanten, und dann gab es noch eine kleine norwegische und eine belgische Gruppe. Das englische PEN-Zentrum wuchs während des Krieges auf über 700 Mitglieder an und übernahm viele Aufgaben, die sonst dem Internationalen PEN zufielen. Auch während der Luftangriffe auf London wurde mindestens ein offizielles Meeting pro Monat abgehalten. Auch andere Veranstaltungen in London fanden nach wie vor statt; man eröffnete den Nightlight-Club, der sich aus Sicherheitsgründen in einem Untergeschoss befand, in dem regelmäßig Veranstaltungen stattfanden, bei denen sich die kriegsmüden Menschen entspannen konnten. Um dem Fliegeralarm zu umgehen, wenn die Leute zu Hause sein mussten, organisierte man anstelle von Dinners nun informelle Lunches am Mittag. Da der Sitz des Generalsekretariats und der Londoner Hauptsitz 1941 bombardiert worden war, verlegte man sie aufs Land. Trotz der äußerlichen Not und des großen Engagements sind aus den Briefen des Generalsekretärs Ould englisches Understatement und Optimismus herauszulesen. Man war abgeschnitten von Freunden auf dem Kontinent, man wusste nicht, ob die Post noch funktionierte, aber jedes Lebenszeichen war willkommen. Das intellektuelle Leben litt nicht; die Leute beschäftigten sich trotz der misslichen Lage mit den Problemen der Zukunft.

14 Münch-Küng: Gründungsgeschichte, S. 203f.

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Im September 1941, also mitten im Krieg, wurde in London der 17. Internationale PEN-Kongress abgehalten, an dem Delegierte aus über 30 Ländern teilnahmen. Man stelle sich vor, mit welchen Reiseschwierigkeiten da zu rechnen war. Im November 1942 hielt man eine eintägige Konferenz zum Thema ‚The PEN of the Future‘ ab, an dem sich ebenfalls viele internationale Vertreter beteiligten. Und im August 1944 tagte ein 5-tägiges Symposium, an dem es um ein Haar zur Katastrophe gekommen wäre. Am Tage der Eröffnung, während führende britische Wissenschaftler diskutierten, wurde die Konferenzhalle durch einen Bombenangriff empfindlich zerstört; da zum Glück keine weitere Bombe fiel, setzte man die Tagung fort, sodass die Vorträge schließlich in einem Buch mit dem Titel Freedom of Expression publiziert werden konnten. Während der elfjährigen Amtszeit von Eduard Korrodi war die Situation in Zürich dagegen bestimmt von Inaktivität, Improvisation und Klagen über zu wenig vorhandenes Geld. Dabei ging es um nicht mehr und nicht weniger, als vier bis sechs Veranstaltungen pro Winterhalbjahr zu arrangieren. Es konnte aber vorkommen, dass Korrodi am Tag vor dem PEN-Abend noch nichts und niemanden organisiert hatte und einen seiner Freunde mit einer kurzen Notiz per Post aufforderte, doch schnell etwas zu improvisieren. Manchmal gelang es ihm, einen ausländischen Schriftsteller, der ihn auf der Durchreise in der Feuilletonredaktion der NZZ besuchte, spontan für einen PENAbend zu gewinnen. Während des Krieges, als die Grenzen mehr oder weniger geschlossen waren, wurde die Sache schwieriger, und selbst Emanuel Stickelberger klagte darüber, dass man sich nun auf einheimische Schriftsteller als Vortragende beschränken musste. Die beiden PEN-Präsidenten hätten die Möglichkeit gehabt, ihre Veranstaltungsreihe mit Gästen aus der Emigration zu bereichern. Zwischen 1933 und 1945 hielten sich 120 bis 150 deutsche und österreichische Schriftsteller in der Schweiz auf. Auch am Schauspielhaus in Zürich gab es interessante Leute, die mit ihren Erzählungen ganze Abende hätten gestalten können. Aber Korrodis Vorbehalte gegenüber den Emigranten hinderten ihn daran, diese der ausgewählten gutbürgerlichen Gesellschaft im edlen Zunfthaus zur Saffran zuzumuten. Kämpfende, politische Dichter und Schriftsteller waren ihm ein Gräuel. Der Begriff ‚Emigranten‘ war für ihn ein Schimpfwort, für ihn waren diese Menschen Kommunisten und Juden, die sich anmaßten, im Ausland über ihre Heimat zu schimpfen. Diese Heimat aber konnte seines Erachtens nicht so schlecht sein, da sie große Dichter und Denker hervorgebracht hatte. Dass Hitler-Deutschland mit jenem Deutschland der großen Dichter und Denker nichts mehr zu tun hatte, wollte er sich nicht eingestehen. Seiner Meinung nach sollten die Exilanten schreiben und schweigen, auch wenn sie litten. Er solidarisierte sich mit Thomas Mann, der immer noch in Deutschland lebte und schrieb, und versuchte in seinem Artikel ‚Deutsche Literatur im Emigrantenspiegel‘ einen Keil zwischen Thomas Mann und die Emigranten in Frankreich und Holland zu treiben, indem er behauptete, dass der Dichter der



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Buddenbrooks doch wohl diese Emigrantensprache als eine Unverschämtheit empfinde. Er provozierte so stark, dass sich Thomas Mann schließlich in einem Offenen Brief in der NZZ vom 3. Februar 1936 für die Emigration und gegen Nazideutschland aussprach.15 Dies wiederum bewirkte, dass Thomas Mann, seiner Frau und seinen Kindern, die noch in Deutschland geblieben waren, die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde und alle in die Schweiz emigrieren mussten. Noch aufschlussreicher als die öffentliche Stellungnahme Korrodis gegenüber Emigranten ist ein Brief, den er am 9.  Februar  1936 an Hermann Hesse im Tessin schrieb. Emotionsgeladen brach es aus ihm heraus: „Ich sage Ihnen in der Offenheit, die uns verbindet, was mich selbst betrifft, ekeln mich alle diese Linksemigranten an.“16 In völliger Fehleinschätzung Hesses macht er diesen zum Sympathisanten gegen ‚Linksemigranten‘ und Juden. So schrieb er: „Sie werden zweifellos spüren, dass etwas nicht stimmt, wenn plötzlich die Schweiz durch einen Zudrang befremdender und anationaler Talente in eine Gefährdung kommt, wo wir denn lieber auf die Literatur als auf unsere helvetische Konstitution verzichten möchten.“17 Er hatte Angst vor einer Überfremdung (er gebrauchte dieses Wort also schon vor James Schwarzenbach, der es in den 1970er Jahren in der Schweiz bekannt und geläufig machte); er war der Meinung, dass z. B. ein jüdischer Verlag in Zürich eine wahre Gefahr sei und war auch in die Auseinandersetzung um die Niederlassung des Bermann Fischer Verlags in Zürich direkt involviert. Unverhohlen schrieb er an Hesse: Wie! wenn ich nun einmal konsequent wäre und all den Juden, die bei uns antichambrieren, sagen würde: Geht in die Zeitungen, die sich nicht aus der nationalen Substanz nähren! Wohin kämen wir! O bitte! Ich hätte Franzosen, Engländer und Italiener und Spanier! Und wir werden sehen, ob wir nicht eines der originellsten Feuilletons der Welt zustande bringen!18

Was Korrodi hier an Hermann Hesse schrieb, hatte er in seinem NZZ-Feuilleton zwischen 1933 und 1945 eigentlich schon verwirklicht; er hatte die von Nazideutschland verfolgten Emigranten nicht eben großzügig behandelt, um nicht zu sagen, fast negiert: Zwischen 1933 und 1945 schrieb er fünf Beiträge zu Veröffentlichungen von Ernst Wiechert, eine Besprechung von Remarques Drei Kameraden (1938), eine Rezension zu Alfred Polgars Sekundenzeiger (1937) und die Besprechung von Ignazio Silones Brot und Wein im Jahre 1936. Drei Rezensionen und einen Bericht erhielt Ernst Glaeser, ebenfalls drei Rezensionen bekamen Beiträge von Bernard von Brentano, letztere gehörten zu seinen ‚sympathischen‘ und bevorzugten Emigranten.19

15 Vgl. Münch-Küng: Gründungsgeschichte, S. 58–60. 16 Eduard Korrodi an Hermann Hesse (9. 2. 1936). Schweizerisches Literaturarchiv Bern, NL Hesse. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Vgl. Münch-Küng: Gründungsgeschichte, S. 61f.

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4 Hoffnungsvolles Intermezzo Bereits seit 1939 wurde Heinrich Straumann von Eduard Korrodi bedrängt, das Präsidium des Zürcher PEN-Clubs zu übernehmen. Straumann war bereits damals der wichtigste Mann im Zürcher Zentrum, fungierte als Verbindungsmann zwischen Zürich und London, war Dolmetscher für Korrodi, der des Englischen nicht mächtig war, und seit Jahren mit Hermon Ould persönlich bekannt und befreundet. Heinrich Straumann (1902–1991) hatte Germanistik, Englisch und Musikwissenschaft an den Universitäten Zürich, Berlin und Aberdeen studiert. 1928 bis 1938 war er Gymnasiallehrer für Englisch und Deutsch an der Kantonsschule in Aarau. 1933 habilitierte er mit seiner Studie Newspaper Headlines. A Study in Linguistic Method und wurde 1939 ordentlicher Professor für englische Philologie an der Universität Zürich. Er war in den Jahren 1943 bis 1946 Präsident des Zürcher PEN-Clubs. Straumann meisterte die schwierige Aufgabe, zwischen London und Zürich zu vermitteln, das mangelnde Engagement in Zürich immer wieder entschuldigend eingestehen zu müssen, und die Freundschaft zu Hermon Ould nicht zu gefährden, brillant. Für Ould war er der einzige Ansprechpartner, da dieser weder vom Präsidenten noch vom Sekretär in Zürich je etwas hörte. Ould war deshalb hoch erfreut, als Straumann im Jahre 1942 das Präsidium in Zürich übernahm. Die Veranstaltungen gewannen unter Straumanns umsichtiger Planung sowohl an Qualität als auch an Quantität; er machte im März 1945 den Vorschlag, in der Schweiz einen internationalen PEN-Kongress abzuhalten. Ebenfalls 1945 reiste er nach England, mit dem Ziel, kulturelle Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu knüpfen und insbesondere voranzutreiben, dass Schweizer Institutionen britische Schriftsteller, Philosophen und Studierende für Vorträge in die Schweiz einluden, und ein Studentenaustausch zwischen der Schweiz und England ermöglicht wurde. Bereits im März 1946 aber kündigte Straumann an, dass er als Präsident des Zürcher PEN den Stuhl räumen werde, weil er bei der Gründung der British-SwissSociety mithelfen wollte. Der parallelen Wahrnehmung beider Aufgaben sah er sich nicht gewachsen, denn es wurde nun immer wahrscheinlicher, dass 1947 ein internationaler PEN-Kongress in Zürich stattfinden würde. Auf Straumanns Präsidentschaft folgte die Amtszeit von Robert Faesi, die als Höhepunkt in der Geschichte des Zürcher PEN-Clubs bezeichnet werden kann. Robert Faesi (1883–1972) stammte aus einer alten Stadtzürcher Familie, studierte in Zürich und Berlin, habilitierte 1911 in Zürich, wurde Privatdozent und später ordentlicher Professor für neue deutsche und schweizerische Literatur an der Universität Zürich. Er war in zahlreichen literarischen Kommissionen und Vereinen tätig und hinterließ ein großes dichterisches Werk, darunter die Trilogie über seine Vaterstadt Zürich mit den Titeln Stadt meiner Väter (1941), Stadt der Freiheit (1944) und Stadt des Friedens (1952). 1943 erhielt er den Gottfried Keller-Preis der Martin Bodmer-Stiftung und 1945 den Literaturpreis der Stadt Zürich. Seine Präsidentschaft im Zürcher PENClub dauerte von 1946 bis 1951.



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Robert Faesi machte aus dem Zürcher PEN-Club endlich einen richtigen Verein, warb um Mitglieder und gründete nach dem Vorbild Basels einen Verein ‚Freunde des PEN-Clubs Zürich‘. Ihm gelang es, über 100 Mitglieder und 50 Freunde zu gewinnen und er brachte es fertig, im Jahr 1947 die PEN-Weltgemeinschaft nach Zürich zu holen und vom 2. bis 6. Juni einen glanzvollen Kongress abzuhalten. Zum Kongress kamen über 350 PEN-Mitglieder aus 50 Ländern. Und die kriegsmüden Leute, vor allem aus dem zerstörten Europa, waren wahrscheinlich erstaunt, wie viel Schönes und Unversehrtes es in der Schweiz zu sehen gab. Thomas Mann war eigens aus den USA eingereist, um die Eröffnungsrede zu halten, man konnte im Dolder-Hotel dinieren und an einer Schiffsreise auf die Halbinsel Au teilnehmen. Auch politisch war der Kongress in Zürich ein Erfolg. Deutschland wurde gestattet, neue PEN-Zentren zu gründen, allerdings unter Aufsicht einer Kontrollkommission, die über die Aufnahme der einzelnen deutschen Autoren entschied. Das Misstrauen jener Länder, die von den deutschen Truppen überfallen und besetzt worden waren, war noch groß. Auch Österreich durfte wieder PEN-Zentren gründen. Dieser Beschluss wurde von den Delegierten einstimmig beschlossen – in Basel, das die Kongressteilnehmer auf einem Tagesausflug besuchten. Während der Kongresszeit in Zürich brachte Faesi dem deutschen PräsidentenTrio Ernst Wiechert, Erich Kästner und Johannes R. Becher viel Sympathie entgegen, sprach ihnen Takt und Geschick zu, während er bei der Kontrollkommission übertriebenes Misstrauen feststellte und dieser ‚peinliches Feilschen‘ attestierte. Bereits 1948 reagierte er in diesem Punkt aber ganz anders.

5 Kommunismusdebatte Hermon Ould hatte jeder PEN-Sektion nach dem Krieg eine neu gedruckte Charta zugeschickt, um alle daran zu erinnern, was die Weltgemeinschaft einte. Faesi befand nun, dass vor allem die Delegierten der kommunistisch regierten Länder nicht berechtigt waren, diese Charta zu unterzeichnen, also nicht das Recht hatten, dem PEN-Club anzugehören. Kurz vor dem Kongress in Kopenhagen im Jahre 1948 schrieb er in einem Brief an Max Rychner: Dagegen sollten wir wohl einigermassen festlegen, welche Position wir beziehen, wenn die polit. Fragen wieder auftreten. Wahrscheinlich wird die Grenzziehung gegenüber dem kommunist. Totalitarismus akut. M. E. ist sie säuberlich gemäss der Charter des PEN vorzunehmen. Wer sich nicht zu ihr bekannt [sic], gehört nicht dazu. Besondre Verlegenheit wird wohl der deutsche PEN der russ. Zone bereiten. Russland selbst noch einzuladen wie bisher fällt hoffentlich niemandem ein.20

20 Robert Faesi an Max Rychner (12. 3. 1948). Zentralbibliothek Zürich, NL Faesi 10.7.

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Die Kontrollkommission hatte sich inzwischen für 20 Autoren entschieden, die dem deutschen PEN-Club beitreten konnten. Dazu gehörten: Erich Kästner, Johannes R. Becher, Anna Seghers, Herbert Eulenberg, Johannes Tralow, Günther Birkenfeld, Ernst Penzoldt, Rudolf Schneider-Schelde, Reinhold Schneider, Günther Weisenborn, Ludwig Renn, Theodor Plievier, Hermann Kasack, Elisabeth Langgässer, Hans Henny Jahnn, Axel Eggebrecht, Dolf Sternberger, Paul Wiegler, Friedrich Wolf und Hermann Friedmann. Obwohl diese Leute unbescholten waren, und vor allem auch keine Nazi-Vergangenheit hatten, beschloss man auf dem Kongress in Kopenhagen im Jahr 1948, dass die Kontrollkommission ihre Arbeit fortsetzen sollte.21 Faesi fand die Liste der zum deutschen PEN-Club zugelassenen Autoren sehr einseitig – er hätte z. B. gerne Hans Carossa dabei gehabt – und rügte in einem langen Brief an Hermon Ould die politische Einstellung des Internationalen PEN; dieser erschien ihm zu linkslastig, wenn er zuließ, dass Vertreter totalitärer Staaten die Charta des PEN unterzeichnen konnten, und ein Mann wie Johannes R. Becher, der sich anerkanntermaßen zu Moskau bekannte, sogar in den Vorstand des deutschen PEN gewählt werden konnte: Ich hielt es für eine sehr glückliche Idee, dass man die Centers auf [sic] Charter des Internationalen P.E.N. verpflichtet hat und nehme sogar an, dass sozusagen alle Centers diese Charter unterschrieben haben. Vermutlich auch die der totalitär regierten Staaten. Das konnten sie allerdings nicht mit gutem Gewissen, denn der Totalitarismus mit seiner Unterdrückung der Freiheit des Gedankens und Wortes ist ja unvereinbar mit dem Geist und Wortlaut unserer Satzungen. Aber die Taktik der Satelliten Russlands ist ja gerade, diese Unterdrückung zu leugnen und zu tun als ob alles in Ordnung wäre. […] (F)aktisch scheint mir der Internationale PEN doch zu stark unter dem Einfluss links gerichteter Anschauungen zu stehen.22

Seiner Meinung nach war man auf einem Auge blind: Es wird mit ungleichem Mass gemessen. Ich finde es sehr richtig, dass man faschistisch und nationalsozialistisch eingestellte Autoren ablehnt. Aber das geschieht oft gerade von Leuten, die dazu gar kein Recht haben und sich als Vertreter der Geistesfreiheit bloss aufspielen, im Grunde aber eine Diktatur nach russischem Muster ganz nach ihrem Geschmack finden würden.23

Das traf aus seiner Sicht auch auf die Liste der „neuen deutschen Autoren“ zu: So scheint mir auch die Liste der zum neuen Deutschen P.E.N.-Club zugelassenen Autoren sehr einseitig ausgefallen zu sein. Auf der einen Seite fehlen hochbegabte Schriftsteller einer mehr konservativen oder traditionalistischen Einstellung, die sich keineswegs durch den Nationalsozialismus kompromittiert haben. Auf der andern über [sic] Johannes Becher einen massgebenden Einfluss aus, ein Mann, der sich anerkannter Massen zu Moskau bekennt, und ohne Zweifel 21 Zur Wiederbegründung eines deutschen PEN nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vgl. den Beitrag von Christine Malende in diesem Handbuch, S. 168–222. 22 Robert Faesi an Hermon Ould (24. 7. 1948). Zentralbibliothek Zürich, NL Faesi 11.1. 23 Ebd.



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für Moskau in Deutschland arbeitet. Wenn man Schriftsteller im P.E.N. verurteilt, die Hitler besungen haben, sollte man auch solche verurteilen, die Stalin besingen. Und dass Becher das getan hat, davon habe ich mich selber schwarz auf weiss überzeugt.24

Abschließend zeigte er Hermon Ould auf, was die Konsequenz einer seiner Überzeugungen zuwider laufenden Politik sein könnte: „Ich bin nicht derjenige, der dem Internationalen Vorstand seine äusserst delikate Arbeit erschweren möchte, aber ich bitte Sie, lieber Herr Ould, doch zu bedenken, dass ein Ueberhandnehmen links revolutionärer Sympathien zu einer Reaktion oder zur Abwanderung der anders eingestellten Elemente führen könnte.“25 Hermon Ould nahm die Sache gelassen: er konnte auch ein paar Kommunisten im PEN tolerieren, solange sie die Charta akzeptierten und befolgten: I don’t think, however, that there is anything to be done at the present stage about extreme Left writers. It is a matter that could only be dealt with as circumstances arise. In the English Centre we have no difficulty at all in incorporating in our membership certain Communist writers; they sign the Charter and have never shown any inclination to disregard its principles. There are very few Communist members, but such as there are seem to me quite correct in their behaviour.26

1951 schrieb Faesi wiederum an den internationalen Generalsekretär Hermon Ould und brachte sein Unbehagen gegenüber dem deutschen PEN-Club zum Ausdruck, insbesondere gegenüber dessen Wortführer, Johannes R. Becher. Was Robert Faesi besonders beunruhigte, war eine Auseinandersetzung zwischen Becher und Rudolf Pechel, dem Herausgeber der Deutschen Rundschau. Dieser Konflikt führte dazu, dass Pechel aus dem deutschen PEN-Club austrat; dies bedauerte Faesi, der in intensivem brieflichem Kontakt mit Pechel stand, sehr. Gegenüber Ould führte Faesi Bechers begeisterte Gedichte über Josef Stalin an, die ihm bewiesen, wie totalitär Becher denke. Er beklagte, dass nicht mehr Leute, auch auf deutscher Seite, den Mut hätten, Becher deutlich entgegenzutreten, und hoffte auf Interventionen des Internationalen PEN-Clubs. Er wünschte sich, dass jenen PEN-Zentren, die seiner Meinung nach unter dem Druck eines totalitären Staates, etwa der Sowjetunion, keine unabhängige Stellung beziehen könnten, eine Teilnahme an den Kongressen verweigert werden würde. Ein Jahr zuvor hatte er Heinrich Straumann dazu aufgefordert, am Vormeeting des Kongresses von 1950 damit zu drohen, dass das Zürcher PEN-Center sich vom PEN abwenden könnte, wenn das ‚Liebäugeln‘ mit dem Totalitarismus nicht aufhöre.27 Am 2. April 1951 verfasste Faesi einen Resolutionsentwurf für das Londoner Vormeeting zum Kongress in Lausanne und schickte es an J. E. Chable, der daran teilnehmen sollte. Darin forderte er mit ausdrücklichem Verweis auf Johannes R. Becher, 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Hermon Ould an Robert Faesi (27. 10. 1948). Zentralbibliothek Zürich, NL Faesi 11.1. 27 Vgl. Münch-Küng: Gründungsgeschichte, S. 126f.

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dass der deutsche PEN-Club Mitglieder ausschließen solle, die in ihrem Denken und Handeln der Charta des Internationalen PEN nicht entsprächen oder deren Grundsätzen zuwider handelten: Das Executive Committee hat mit Befremden davon Kenntnis genommen, dass wichtige Mitglieder des Deutschen Pen sich veranlasst gesehen haben ihren Austritt zu erklären, weil Herr J. Becher eine Haltung einnimmt, die nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Geist des Penclubs. Der Deutsche Penclub wird aufgefordert, Mitglieder zum Austritt zu veranlassen oder auszuschliessen, welche die Charter des Internat. P.E.N. nicht anerkennen oder ihr praktisch im Interesse einer totalitären diktatorischen Macht entgegenarbeiten, welche der Geistesfreiheit feindlich gesinnt ist.28

Hermon Ould reagierte wiederum gelassen auf die Resolution und gab an, das Thema auf die Agenda zu setzen. Nach eingehender Beratung kam man aber schließlich zu der Auffassung, dass es sich um die interne Affäre des deutschen PEN-Zentrums handle und man deshalb nichts tun könne. Dass Johannes R.  Becher Kommunist und ein Bewunderer Stalins war, steht außer Zweifel. Auch dass er scharfe Worte im Hinblick auf seine ideologischen Kontrahenten im Munde führte, ist unbestritten. Als er im Jahre 1950 einen Kongress in Ostberlin organisierte, bezeichnete er seine Diskussionsgegner aus dem Westen als Spitzel, Kriegsverbrecher, internationale Hochstapler, literarisch getarnte Gangster und antibolschewistisches Gesindel, und zitierte Maxim Gorki mit der Aussage: „Wenn der Feind sich nicht ergibt, muss er vernichtet werden.“29 Was Robert Faesi aber vergaß, und das ist für die Bewertung durch den Internationalen PEN entscheidend: Johannes R.  Becher war in einem demokratischen Verfahren in das Präsidenten-Trio des deutschen PEN gewählt worden. Es oblag also nicht dem Generalsekretär oder dem Exekutivkomitee in London, sich in diese Sache einzumischen. Höhepunkt von Faesis Bekenntnis zum Antikommunismus bildete sein in der NZZ veröffentlichter Aufsatz ‚PEN-Club und Politik‘, den er anlässlich des XXIII. Internationalen Kongresses in Lausanne vom 22. bis 28. Juni 1951 verfasste.30 Faesi hätte dem erst 1949 gegründeten Centre Suisse Romand und seinem Präsidenten J. E.  Chable gewünscht, dass die gut organisierte Tagung harmonisch verlaufen und nicht durch politische Zusammenstöße getrübt würde. Aber ausgerechnet an der Schlusssitzung kam der schon lange aufgestaute Unmut zwischen den Lagern zur Explosion. Während für Faesi allein schon das Erscheinen Johannes R. Bechers in Begleitung von Arnold Zweig und Stephan Hermlin eine Provokation bedeutete, führte die von einem in Deutschland lebenden amerikanischen Delegierten vorgetragene Resolution zum Eklat. Faesi attestierte dem Amerikaner Ben Lucien Burman, dass dessen 28 Robert Faesi an J. E. Chable (2. 4. 1951). Zentralbibliothek Zürich, NL Faesi 12.1. 29 Zitiert nach Robert Faesi: PEN-Club und Politik. In: Neue Zürcher Zeitung 1518 (12. 7. 1951). 30 Zitiert nach ebd.



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Resolution zwar naiv, aber ein doch wohlgemeintes Unterfangen gewesen sei, dessen Gelingen aber „dem Kommunismus nur eine wirkungsvolle Propagandaplattform gesichert hätte“.31 Faesi war hellhörig und übervorsichtig, wenn das Wort Toleranz im Spiel war und kommentierte: Im Wortlaut war die vorgeschlagene Resolution allerdings unanfechtbar wie irgendeine der östlich inspirierten Friedenskundgebungen. Der PEN-Kongress habe ein lebendiges Beispiel dafür geliefert, dass Leute jedes politischen Glaubens und jeder Ideologie am Konferenztisch ihre Gegensätze und deren Lösung, ohne zu Gewalt zu greifen, diskutieren können. Der Kongress richte einen Appell an die Regierungen aller Länder, den Beweis für denselben Geist der Toleranz zu geben wie ihre Schriftsteller und alle erdenklichen Anstrengungen zur Erhaltung des Weltfriedens zu machen.32

Widerstand gegen die Resolution kam vor allem von Seiten der westdeutschen Delegierten, die die Worte „Toleranz“ und „Weltfrieden“ von ihren Kollegen aus der Ostzone missbraucht sahen. Faesi begrüßte die Ablehnung des Resolutionsvorschlags, denn auch er vermisste neben der Berufung auf die Toleranz eine solche auf die Freiheit des Geistes und Wortes, die er in der kommunistischen Welt unterdrückt sah. Er schloss mit den Worten: Der Sinn dieses Entscheides ist unverkennbar. Er ist ein indirektes Misstrauensvotum gegenüber dem Liebäugeln mit dem diktatorischen Osten. Die Bedeutung des Kongresses liegt darin, dass auf ihm zum erstenmal das Kind beim Namen genannt und die Frage offen gestellt wurde, ob sich überhaupt der kommunistische Totalitarismus mit dem Geist des PEN-Clubs vereinigen lasse. Wir verneinen sie rundweg, diese Frage. Dem deutschen PEN ist allerdings noch nicht aus seinen Nöten geholfen, aber eine Rückenstärkung hat er einstweilen erfahren.33

Während Faesi seine politischen Ansichten offen darlegte und sich zu seinem Antikommunismus bekannte, unterstellte Emanuel Stickelberger, dem Faesi offensichtlich Kopien seiner Korrespondenz mit Hermon Ould zukommen ließ, dem Generalsekretär hinter seinem Rücken eine ideologische Nähe zur politischen Linken: Ihren Brief an Ould kann ich Wort für Wort unterschreiben. Doch wird, seit Galsworthy nicht mehr da ist, die Mittelmässigkeit im Internationalen Pen-Club immer obenaus schwingen und wirklich berufene Kollegen oft fernhalten. Abgesehen davon halte ich – unter uns gesagt – O. selbst für sehr stark nach links gerichtet, so dass Ihre notwendige Gewissensschärfung hier wohl auf steinigen Boden fallen wird.34

Faesi blieb immer fair und betrachtete Hermon Ould als einen guten Freund. Das kommt in seinem Abschiedsbrief nach London zum Ausdruck, als er den plötzlichen 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Zitiert nach ebd. 34 Emanuel Stickelberger an Robert Faesi (4. 8. 1948). Zentralbibliothek Zürich, NL Faesi 10.7.

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Tod von Hermon Ould beklagte und ihn als „unersetzbar“ und als „die Seele“ des Internationalen PEN-Clubs bezeichnete. Er rühmte seine Umsicht, seine Selbstbeherrschung, seine Ruhe, seine Toleranz und die seltene Mischung von Ehrlichkeit und Diplomatie.35 Gleichzeitig gab er seinen Rücktritt als Präsident des Zürcher PEN-Zentrums bekannt. Er war durch die Arbeit an der Universität sehr belastet, wollte sich dem Abschluss seines großen historischen Romans widmen, und hatte außerdem gesundheitliche Probleme, die ihn zur Schonung zwangen.

6 Rückzug ins Unbedeutende und Neuanfang Nachfolger im Präsidium des Zürcher PEN-Clubs wurde Werner Weber (1919–2005); er war seit 1946 Feuilletonredaktor der NZZ, und von 1951 bis 1973 als Nachfolger von Eduard Korrodi Leiter des Ressorts Literatur, Kunst und Wissenschaft. Danach wurde er als Ordinarius ad personam für Literaturkritik an die Universität Zürich berufen und erfüllte dieses Amt bis 1987, als er wegen Erreichens der Altersgrenze zurücktrat. Er war von 1952 bis 1979 Präsident des Zürcher PEN-Clubs. Das bedeutendste Dokument seiner 27-jährigen Amtszeit ist sein Rücktrittsschreiben, das er dem Vorstand zwei Jahre nach seiner Amtseinführung zukommen ließ. Dies ist symptomatisch für ein Präsidium, das von Mitgliederschwund, mangelndem Interesse an den Veranstaltungen, Schweigen und fehlendem Echo geprägt war. Von diesen Dingen ist jedenfalls die Rede in seinem Rücktrittsgesuch. Dass er trotzdem sein Amt so lange bekleidete, ist wohl auf sein Pflichtgefühl, auch gegenüber London, und die langjährige Unterstützung durch seinen Vorgänger Robert Faesi zurückzuführen. Seine Aktivitäten fanden keinen Niederschlag in seinem Nachlass, keine einzige Aktennotiz schien ihm aufbewahrungswürdig. Symptomatisch für diese Periode des Zürcher PEN-Clubs ist auch der Umstand, dass auf dem Kongress in Tel Aviv, im Dezember 1974, drei der vier Schweizer PENZentren vom wichtigsten Geschäft, nämlich von der Wahl des Generalsekretärs, ausgeschlossen waren. Grund dafür war, dass die Zentren inaktiv waren und ihre Mitgliederbeiträge nicht zahlten. Man erklärte sie für ‚dormant‘ und entzog ihnen zeitweise das Stimmrecht in der Vollversammlung. 1979 war dann endlich ein erfreulicher Neuanfang zu verzeichnen. Nach jahrelangen zähen Verhandlungen zwischen dem damaligen Generalsekretär Peter Elstob in London und dem Präsidenten des Basler Zentrums, Dieter Fringeli, lösten sich die beiden Zentren Basel und Zürich auf und fusionierten danach zu einem einzigen Deutschschweizer PEN-Zentrum, dem DSPZ, wie es heute besteht. Am 20.  Novem-

35 Robert Faesi an C. V. Wedgwood (4. 10. 1951). Zentralbibliothek Zürich, NL Faesi 12.1.



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ber 1979 wurde das DSPZ in den Internationalen PEN mit Sitz in London aufgenommen. Die Geschichte des DSPZ nach 1979 ist als Forschungsdesiderat zu beschreiben. Einen groben, wenig substanziellen Überblick bietet eine Chronik auf der Homepage des Deutschschweizer PEN, der sich eine Übersicht zur personellen Besetzung der zentralen Ämter (Präsident, Generalsekretariat und Vorstand) anschließt. Das inventarisierte Archiv des DSPZ im Schweizerischen Literaturarchiv Bern bietet umfangreiches Quellenmaterial für die noch ausstehende Aufarbeitung, die im Rahmen des vorliegenden Handbuches nicht vorgenommen werden konnte.36

Literatur- und Quellenhinweise Ungedruckte Quellen Zentralbibliothek Zürich, NL Robert Faesi; NL Heinrich Straumann. Schweizerisches Literaturarchiv Bern, NL Hermann Hesse.

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Der deutsche P.E.N.-Club im Exil 1933–1948. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Werner Berthold und Brita Eckert. Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 1980 (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 10). Faesi, Robert: PEN-Club und Politik. In: Neue Zürcher Zeitung 1518 (12. 7. 1951). Faesi, Robert: Erlebnisse – Ergebnisse. Erinnerungen an Robert Faesi. Zürich: Atlantis 1963. Frisch, Max: Partei ergriffen. In: Nationalzeitung (Beilage „nz am Wochenende“), 11. 11. 1972. Meyer, Peter: Bericht aus Schottland II. In: Neue Zürcher Zeitung 1179 (30. 6. 1934). Morlang, Werner: Robert Walsers „Mikrogramme“. In: Tages-Anzeiger (Kulturspiegel), 28. 4. 1984, S. 57f. Münch-Küng, Helen: Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz. Bern: Lang 2011. Stickelberger, Emanuel: Bericht über den P.E.N.-Kongress in Buenos-Aires vom 5. bis 16. September 1936, Jahresbericht des P.E.N.-Clubs Basel 1935/36. Wells, H. G. : Presidential adress at the Congress. In: P.E.N. News London 65, S. 5–7. Abgedruckt in: Der deutsche P.E.N.-Club im Exil, S. 100.

36 Vgl. Deutschschweizer PEN-Zentrum (DSPZ). Inventar des Archivs im Schweizerischen Literaturarchiv. Erstellt von Lukas Dettiler und Cyril Werndli. Verfügbar unter http://ead.nb.admin.ch/html/ pen.html (Letzter Zugriff: 20. 3. 2014).

 Liechtenstein

Manfred Schlapp

Der PEN-Club Liechtenstein Ein Präsident blickt zurück Offiziell beginnt die Geschichte des PEN-Clubs Liechtenstein am 1.  April  1978. Die Anfänge dieser Geschichte sind jedoch gut vier Jahre älter. Ende 1973 wurde Manfred Schlapp eingeladen, dem Österreichischen PEN-Club beizutreten. Gleichzeitig nahm Ernst Schönwiese, der damalige Präsident des Österreichischen PEN-Clubs, Kontakt mit ihm auf und bat ihn, die Präsidentschaft für eine PEN-Sektion Vorarlberg zu übernehmen, falls eine solche zustande käme. Nach dem föderalistischen Prinzip teilte Ernst Schönwiese den Österreichischen PEN-Club in neun Sektionen auf, entsprechend den neun Bundesländern. Gemeinsam mit Leonhard Paulmichl und Elmar Vogt, der leider schon bald tödlich verunglücken sollte, hob Manfred Schlapp im Mai 1974 die PEN-Sektion Vorarlberg aus der Taufe und ging als dessen Präsident mit jugendlichem Elan ans Werk: Er brachte drei Literatur-Wettbewerbe zur Ausschreibung, etablierte eine literarische Schriften-Reihe namens Zifferblatt und veranstaltete ein dreitägiges Symposion zum Thema ‚Literatur als Schnittpunkt von Individuum und Gesellschaft‘.1 Schon bald kamen Leonhard Paulmichl und Manfred Schlapp überein, die PENSektion Vorarlberg zu Grabe zu tragen und an ihrer Statt in Liechtenstein einen autonomen PEN-Club ins Leben zu rufen. Den letzten ‚Kick‘ zur Gründung des PEN-Clubs Liechtenstein gab Paul Watzlawick. Anfang 1977 lernte Manfred Schlapp anlässlich einer Zugfahrt Paul Watzlawick persönlich kennen. Beide waren Mitglieder des Österreichischen PEN-Clubs. Im Laufe des Gesprächs fragte Paul Watzlawick, ob es einen liechtensteinischen PEN-Club gebe. „Leider nein.“ – „Dann gründen Sie doch einen!“ Zunächst galt es, eine repräsentative Gründergruppe von mindestens 20 Mitgliedern auf die Beine zu stellen, die möglichst bereits dem PEN-Club, will heißen: irgendeinem PEN-Zentrum angehörten. Denn: Zu jener Zeit herrschte noch der Kalte Krieg, der auch den Internationalen PEN-Club in zwei Lager spaltete: in jene PENZentren, die dem westlichen Lager zugezählt wurden, und in jene PEN-Zentren, die den so genannten Osten (= das sowjetische Imperium) repräsentierten. Damals war der Internationale PEN-Club eine hochpolitische Vereinigung. Neugründungen mussten (und müssen) auf den internationalen PEN-Kongressen, die jährlich stattfinden, sanktioniert werden. Die damaligen Abstimmungen verliefen nach dem Motto ‚Pro oder contra West bzw. Ost‘. Und so kam es, dass just zu jener Zeit die Gründung eines Luxemburger PEN-Clubs, der die Stimme des Westens 1 Vgl. P.E.N.-Club Voralberg (Hrsg.): Zifferblatt. Zeitschrift für Literatur 1–4 (1977/1978); Freunde des P.E.N. (Hrsg.): Zifferblatt. Zeitschrift für Literatur 5 (1978); P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt 6 (1978).

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verstärkt hätte, von den Ost-PEN-Zentren verhindert wurde, und zwar mit der Begründung, dass die Luxemburger Gründungsmitglieder literarisch unbedeutend seien und nicht den hohen Ansprüchen der PEN-Normen gerecht würden. Um solchen Argumentationen a priori den Wind aus den Segeln zu nehmen, galt es, eine Gründer-Crew zu präsentieren, die unanfechtbar war, eine Crew, deren Mitglieder mehrheitlich bereits einem PEN-Zentrum angehörten, wie Leonhard Paulmichl und Paul Watzlawick. Als nächsten Mitstreiter gewann Manfred Schlapp seinen damaligen Nachbarn Hans Hass und den Verleger Heinrich Ellermann. Hans Hass seinerseits lud Irenäus Eibl-Eibesfeldt zum Mitmachen ein und Heinrich Ellermann seinen Nachbarn, den Verleger Henry Goverts. Manfred Schlapp scharte weitere 14 Beitrittswillige um sich, die mit wenigen Ausnahmen dem österreichischen, dem bundesdeutschen oder dem Schweizer PEN-Club angehörten. Im Herbst 1977 konnte er dem Internationalen PEN in London eine Liste von 21 namhaften, sieben Nationen repräsentierenden Schriftstellern und Verlegern vorlegen, mit der Bitte, der Gründung eines PEN-Clubs Liechtenstein die Zustimmung zu erteilen. Diese Liste umfasste folgende Namen: Roberto Altmann, C. C.  Bergius, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Heinrich Ellermann, Henry Goverts, Otto Grünmandl, Rolf Hädrich, Heinrich Harrer, Hans Hass, Werner Helwig, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Hans H. Kirst, Salcia Landmann, Thomas Luckmann, Valerie von Martens-Goetz, Adrian Martin, Leonhard Paulmichl, Manfred Schlapp, Luis S.  Stecher, Jürgen Thorwald und Paul Watzlawick. Die Gründung eines PEN-Zentrums in Liechtenstein stand auf der Traktandenliste des internationalen PEN-Kongresses, der im Dezember 1977 in Sydney stattfand. Mit überwältigender Mehrheit stimmte der Kongress dem Gesuch aus Vaduz zu und gab grünes Licht zur Gründung des PEN-Clubs Liechtenstein. Im Januar 1978 trafen die ‚good news‘ aus Sydney ein, und am 1. April 1978 wurde der PEN-Club Liechtenstein im Zentrum für Kunst zu Vaduz begründet. Bei dieser Gründungssitzung wurde Hans Hass zum Präsidenten, Heinrich Ellermann zum Vize-Präsidenten und Manfred Schlapp zum Sekretär bestellt. Bekanntlich ist die PEN-Charta der Kompass, der allen PEN-Clubs dieser Welt die Richtung weist, so auch dem PEN-Club Liechtenstein. In Artikel 2 seiner Statuten heißt es: „Der Zweck des Vereins besteht in der Erfüllung der Internationalen P.E.N.Charta. Darüber hinaus ist es Ziel des P.E.N.-Clubs Liechtenstein, gemäss der internationalen Orientierung und Lage des Fürstentums Liechtenstein über die Grenzen hinaus als Katalysator literarischer Entwicklungen zu wirken.“ Literatur ist nach den Worten der PEN-Charta eine Währung, die keine Grenzen kennt. Literarische Botschaften sind Klopfzeichen, die die Wände durchdringen, die Menschen unter und gegen sich aufrichten. Solche Klopfzeichen über die Grenzen hinaus hörbar zu machen, bemüht sich der PEN-Club Liechtenstein seit seiner Gründung. Dies tut er, indem er alle zwei Jahre den ‚Liechtenstein-Preis‘ verleiht. Dieser Literaturpreis, der schon längst internationale Beachtung genießt, führt die Tradition fort, die in der ‚Vorarlberg-Ära‘ begründet worden ist.



Der PEN-Club Liechtenstein 

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Der Liechtenstein-Preis hat drei Entwicklungsschritte durchlaufen. In einem ersten Schritt wurde er 1979 und 1981 als ‚Liechtenstein-Preis zur Förderung junger Talente‘ ausgeschrieben, und zwar anhand eines Konzepts, das sich der Gründungspräsident Hans Hass ausgedacht hat. Der Text der Ausschreibung lautete: Der P.E.N.-Club Liechtenstein setzt für Jugendliche im Alter von 15 bis 23 Jahren Preise in Höhe von je 3000 Franken aus. Prämiert werden die besten Gedichte, Kurzgeschichten und Essais. Der Umfang der Gedichte ist auf 60 Zeilen, der Umfang der Kurzgeschichten und Essais auf 210 Zeilen begrenzt. Ausgeschrieben wird der Wettbewerb in Liechtenstein, in der Schweiz, in Österreich und in Südtirol, in der BRD und in der DDR. Die Einsendungen sind an die nachfolgend angeführten Kulturbehörden zu richten. Diese entscheiden, ob sie sich dem Wettbewerb anschliessen, und sind gebeten, in ihrem Zuständigkeitsbereich die Besten zu ermitteln. In der Schweiz sind es die kantonalen Erziehungs- und Kulturdepartements, in Österreich und Südtirol die Kulturreferate der Landesregierungen, in der BRD die elf Kultusministerien und in der DDR das Ministerium für Kultur. Und in Liechtenstein ist es der P.E.N.-Club Liechtenstein. Aus den Arbeiten, die in den teilnehmenden Ländern als preiswürdig erachtet worden sind, wählt der P.E.N.-Club Liechtenstein je drei Landesbeste. Diese (maximal) 18 Landesbesten werden nach Vaduz eingeladen und erwählen aus ihrem Kreis in Form eines Konklaves die Gewinner des Liechtenstein-Preises.

Die Reaktionen waren überwältigend. Alle angeschriebenen Länder machten mit. Nur die DDR hüllte sich in Schweigen. Abgedruckt sind die Ergebnisse der ersten zwei Ausschreibungen in der literarischen Schriftenreihe Zifferblatt.2 Leider hatte sich von Anfang an eine Korrespondenz entwickelt, deren Ausmaße für einen kleinen Club nicht mehr zu bewältigen waren. Eine Revision tat not. In einem zweiten Schritt erfuhr der ‚Liechtenstein-Preis zur Förderung junger Talente‘ eine dreifache Korrektur: Der Preis kam nicht mehr über die Kulturreferate zur Ausschreibung, sondern über die Medien. Die Alterslimite wurde auf Empfehlung von Heinrich Ellermann, dem bedeutenden Lyrik-Verleger, auf 35 Jahre angehoben. Zu Recht monierte er, dass es nicht Aufgabe eines PEN-Clubs sei, „kurzbehoste Lyrik“ zu fördern. Und fortan hieß der Preis ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘. Hervorzuheben ist der ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘ des Jahres 1991.3 Aus über 3000 Einsendungen ermittelte eine PEN-Jury vier Preisträger: Der erste Preis ging nach Berlin an Mario Wirz, der zweite Preis an Antje Ippensen und zwei dritte Preise an Andreas Dehne und Wolfgang Ratz. Auch der im Jahr 1995 ausgeschriebene ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘ ist dokumentiert.4 Diesmal ermittelte die PEN-Jury aus Tausenden von Einsendungen als einzigen Preisträger den Münchner Dichter Albert Ostermaier. Nachdem bei einer weiteren Preis-Runde sogar die BILD-Zeitung die Ausschreibung aufgegriffen hatte, wurde der PEN-Club mit Einsendungen förmlich überflutet, 2 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 7 (1980) und 9 (1982). 3 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 14 (1992). 4 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 16 (1996).

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 Manfred Schlapp

mit Gedichten, die zu keinem geringen Teil in die Herz-Schmerz-Schublade abzulegen waren. Eine dritte Revision wurde notwendig. Man beschloss, den ‚LiechtensteinPreis für Lyrik‘ nicht länger über die Medien auszuschreiben, sondern die Preisträger mit Hilfe des Netzwerks zu ermitteln, über das der PEN-Club verfügt. Außerdem wurde die Alterslimite definitiv aufgehoben. Gerne sei daran erinnert, dass der ‚Liechtenstein-Preis‘ des Jahres 2000 nicht der Lyrik gewidmet war, sondern im Zeichen der zeitgenössischen Dramatik stand. Der Preis ging an den mittlerweile berühmt geworden Dramatiker Moritz Rinke. Es blieb bei diesem einmaligen Ausflug in die Welt der dramatischen Literatur. 2002 wurde der ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘, der bereits zu Beginn der 1990er Jahre im gesamten deutschen Sprachraum einen hohen Prestigewert erreicht hatte, dem Kärntner Janko Ferk und dem Russland-Deutschen Waldemar Weber zugesprochen.5 Im Jahre 2004 stiftete Paul Flora für den Dichter Michael Guttenbrunner den ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘. Im Jahr 2006 wurde der ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘ an den Tübinger Schriftsteller Nico Bleutge verliehen, Michael Donhauser war Preisträger des Jahres 2008.6 Und 2011, nach einer Pause von drei Jahren, hieß es von neuem: poetam habemus! Diesen ‚Liechtenstein-Preis für Lyrik‘ überreichte der PEN-Club Liechtenstein der in Berlin lebenden Dichterin Marica Bodrozic. Die Preisverleihung war ein poetisches Fest. Die seelenvolle Laudatio auf die gebürtige Kroatin hielt das PENMitglied Widmar Puhl. Voll Poesie war die Rede, mit der sich Marica Bodrozic für die Auszeichnung bedankte.7 Ende der 1990er Jahre etablierte der PEN-Club Liechtenstein einen weiteren Preis, der dem Andenken an das Mitglied Ernst Steiger alias Peter Hirsch alias Peter Surava gewidmet ist, nämlich: den Peter-Surava-Preis. Am 29. November 1995 hatte Manfred Schlapp an die PEN-Mitglieder ein Rundschreiben folgenden Inhalts verschickt: Nach Erhalt der Einladung zur Herbstsitzung hat mich Ernst Steiger alias Peter Hirsch alias Peter Surava angerufen und gesagt: ‚Manfred, es geht mit mir zu Ende. Ich mag auch nicht mehr. Grüsse mir unsere Freunde! Ich werde sie nicht mehr sehen!‘ Grenzenlos ist meine Bewunderung für Peter Hirsch, für diesen unbeugsamen und aufrechten Schweizer, der zeitlebens gegen Rassismus und politische Niedertracht, gegen soziales Unrecht und Diskriminierung von Minderheiten und Aussenseitern angeschrieben hat. Berühmt geworden ist er unter dem Namen ‚Peter Surava‘. Unter diesem Namen verfasste er zur Kriegszeit – allen Bedrohungen zum Trotz – Woche für Woche in der Zeitschrift NATION Artikel gegen die braune Brut. Grausam und auf perfide Weise rächte sich – nach Ende der NS-Zeit! – das politische Establishment: Man hat ihn entehrt und eingesperrt, man hat ihm den Namen genommen, man hat seine Existenz vernichtet, man

5 Ihre preisgekrönten Arbeiten sind nachzulesen in: P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 22 (2002). 6 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 26 (2007) und 29 (2009). 7 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 33 (2011).



Der PEN-Club Liechtenstein 

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hat ihn jahrzehntelang wie einen Schwerverbrecher bespitzelt. Fortan schrieb er unter Pseudonymen. Sein bekanntestes war Ernst Steiger. Als Ernst Steiger kam er 1981 zum P.E.N.-Club Liechtenstein. 1991, fast 80jährig, veröffentlichte er endlich seine Autobiografie ‚Er nannte sich Peter Surava‘. Ein erschütterndes Zeitdokument! Unter dem gleichen Titel wurde seine Lebensgeschichte in einem Film dokumentiert. Ehrung folgte auf Ehrung. Peter nahm es gelassen hin. Nachdem zu guter Letzt auch die offizielle Schweiz ein Wort des Bedauerns gefunden und ihm seinen Namen zurückgegeben hatte, nahm er für immer Abschied.

Diesem couragierten Mann zu Ehren hat der PEN-Club-Liechtenstein 1998 den PeterSurava-Preis ins Leben gerufen. In Artikel 2 der Preisstatuten heißt es: „Der Preis wird in memoriam Peter Surava verliehen, mit dem Ziel, dessen Andenken zu bewahren und Menschen auszuzeichnen, die sich so wie er für Verfolgte, Entrechtete und Ausgebeutete einsetzen. Der Preis soll die Geehrten ermutigen und all jene anspornen, die im Geiste von Peter Surava tätig sind.“ Bislang ist der mit 25 000 Franken dotierte Preis vier Mal verliehen worden: 1999 an das Writers in Prison-Committee in London, 2001 an Rupert Neudeck vom Komitee Cap Anamur, 2003, zum 25. Jubiläum des PEN-Clubs Liechtenstein, an die unerschrockene Publizistin Siba Shakib und 2005 an das Dritte Welt-Projekt ‚Helfen berührt‘ des Feldkircher Arztes Martin Dünser. Dann folgte aufgrund finanzieller Engpässe eine Pause. 2012 wurde aus Anlass des 100. Geburtstages von Peter Surava beschlossen, den Preis, der seinen Namen trägt, ein letztes Mal zu verleihen, und zwar Ende Juni 2013 in Glurns, der Geburtsstadt von Paul Flora. Der Preis wurde dem Verein Nudos zugesprochen, einer Gruppe von Studenten, die in Argentinien und Bolivien zum Wohle von Straßenkindern und jungen Menschen mit Behinderungen Großartiges leistet.8 Für den PEN-Club Liechtenstein war das Jahr 2012 in doppelter Hinsicht ein Gedenkjahr. Der Club ehrte nicht nur Peter Surava, der allen Schlägen der politischen Macht trotzte und ein Leben in Armut faulen Kompromissen vorzog. Der Club gedachte auch seines verstorbenen Ehrenpräsidenten Paul Flora, der im Jahr 2012 90 Jahre alt geworden wäre. Gemeinsam mit der Südtiroler Stadt Glurns, in der Paul Flora das Licht der Welt erblickte, veranstaltete der PEN-Club Liechtenstein eine Gedenkfeier. Dazu ein Auszug aus der Rede von Manfred Schlapp: 1999 hatte ich die Ehre, im Montafoner Vandans die Vernissage-Rede in einer neu eröffneten Galerie zu halten, die Paul Flora ausstellte. Es war zu jener Zeit, in der Paul Mitglied des P.E.N.-Clubs Liechtenstein wurde. Diese Mitgliedschaft hat unserem kleinen, aber feinen Club neuen Glanz verliehen. Und dem Club wurde die Krone aufgesetzt, als sich Paul zum Präsidenten wählen liess. Die Jahre, in denen Paul den P.E.N.-Club Liechtenstein präsidierte, gingen als goldene Jahre in die Annalen unseres Clubs ein. Und für immer unvergessen bleibt, dass uns Paul Flora den Weg nach Glurns geebnet hat. Jahr für Jahr hielten wir unter seiner Ägide die Frühjahrssitzung in der Glurnser ‚Post‘ ab, also in greifbarer Nähe zu seinem Geburtshaus – übergossen aus seinem Füllhorn. ‚Übergossen‘ im wörtlichen Sinn: Was immer wir an köstlichen

8 Vgl. Informationen zum Verein verfügbar unter URL: www.nudos.li (Letzter Zugriff: 7. 11. 2013).

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Weinen konsumierten, ging auf seine Rechnung. Grenzenlos war Pauls Gastfreundschaft. Aber er labte uns nicht nur mit edlen Gewächsen. Er führte uns auch Jahr für Jahr die kulturellen Perlen rund um Glurns vor, wo seine Seele zu Hause war.

Höhepunkt der Gedenkfeier für Paul Flora waren die Vorträge der Mitglieder Ernst Peter Fischer und Bazon Brock und des „ZEIT“-Zeugen Haug von Kuenheim, der jener Jahre gedachte, in der Paul Flora Woche für Woche für die Wochenzeitung DIE ZEIT eine politische Karikatur gezeichnet hat.9 Bis zum heutigen Tag dient das Zifferblatt, das Manfred Schlapp seit der Vorarlberger Zeit redigiert, als Sprachrohr des Clubs. Und wie bereits zur ‚Vorarlberg-Ära‘ sind auch vom PEN-Club Liechtenstein Symposien veranstaltet worden, bei denen Referenten von internationalem Ruf mitgewirkt haben: 1987 fand im ORF-Studio Vorarlberg ein Symposion statt, das dem Thema ‚Versuchskaninchen Mensch – Die ethischen Grenzen der medizinischen und biologischen Forschung‘ gewidmet war.10 Ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem ORF Landesstudio Vorarlberg wurde zwei Jahre später das Thema ‚Das verratene Gewissen – Unser Tun und Lassen wider besseres Wissen‘ abgehandelt.11 Im Liechtensteiner Theater am Kirchplatz trafen sich 1994 Teilnehmer aus aller Welt zum mehrtägigen Symposion ‚Wege aus dem Hass – DIE europäische Aufgabe!‘.12 Für Schlagzeilen sorgte zwei Jahre später auch die Veranstaltung ‚Österreich von aussen – Symposion des PEN-Clubs Liechtenstein aus Anlass des Millennium Austriacum‘.13 Zu den routinemäßigen Aktivitäten des PEN-Clubs Liechtenstein zählen die Lesungen, die im Vaduzer Schlössle-Keller über die Bühne gehen. In diesem ‚Keller‘, der von Mathias Ospelt, dem heutigen Clubsekretär geleitet wird, feiert die so genannte Klein-Kunst ihre Triumphe. Mathias Ospelt ist es auch, der sich seit Jahr und Tag im Writers in Prison-Committee engagiert und sich im Sinne der PEN-Charta für verfolgte Kollegen einsetzt. Zu den jüngsten Errungenschaften des Clubs zählt das Heinrich-Ellermann-Stipendium, das Antje Landshoff-Ellermann 2007 in Gedenken an ihren Vater gestiftet und eingerichtet hat. Heinrich Ellermann, der einen Ehrenplatz unter den Verlegern des 20. Jahrhunderts einnimmt, war ein Freund der Musen, der sein Leben lang mit stiller Hand Musiker, Künstler und Dichter förderte. Den PEN-Club Liechtenstein hat er bis zu seinem Tod als Vize-Präsident begleitet. Das Stipendium, das in seinem Namen gewährt wird, richtet der Club bevorzugt an ältere Schriftsteller aus, mit dem

9 Vgl. IN MEMORIAM PAUL FLORA – Eine Gedenkfeier des PEN-Clubs Liechtenstein und der Stadt Glurns. In: P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 34 (2012). 10 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 11 (1986). 11 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 12 (1989). 12 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 15 (1994). 13 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 17 (1997).



Der PEN-Club Liechtenstein 

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Ziel, ihnen die Möglichkeit und die Chance zu bieten, noch einmal in aller Ruhe durchzustarten – ohne zeitlichen Druck und frei von existentiellen Sorgen. Als erste Stipendiatin erhielt diese Chance die Dichterin und Übersetzerin Christine Koschel, deren poetisches Erstlingswerk Den Windschädel tragen 1961 von Heinrich Ellermann verlegt worden ist. Frau Koschel, die 2008 in Liechtenstein weilte, hinterließ als literarisches Gastgeschenk eine Sammlung von Gedichten. Diese Gedichte für Liechtenstein sind eine noble Hinterlassenschaft.14 Als zweiter Stipendiat kam mit Jahresbeginn 2009 der mit dem Goethe-Preis ausgezeichnete Romancier Peter Kurzeck nach Vaduz. Unermüdlich saß er am Schreibtisch, um während seiner Zeit in Liechtenstein große Teile seines Opus magnum fertig zu stellen, den 1000seitigen Roman Vorabend.15 Als vorläufig letzter Stipendiat trat der Maler und Schriftsteller Constantin Hahm mit Jahresbeginn 2010 das Heinrich-Ellermann-Stipendium an. Er hinterließ unter dem Titel Am Besten ist immer der Anfang eine Reihe skurril-heiterer Kurzgeschichten.16 Last, but not least sei das Mitglied Valentin Landmann bedankt; er hat sich wiederholt um den Club verdient gemacht, zumal als der PEN-Club Liechtenstein zum Ziel infamer Attacken wurde. Dank seiner Scharfsicht und seinem Scharfsinn blieben die Drahtzieher solcher Attacken auf der Strecke. Zur Zeit der Drucklegung dieser Zeilen gehörten die folgenden Mitglieder dem Club an (unter ihnen sind noch sechs aus der Riege der Gründergruppe): Marica Bodrozic, Bazon Brock, Patrick Boltshauser, Irene Dische, Michael Donhauser, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Antje Landshoff-Ellermann, Ernst Peter Fischer, Janko Ferk, Peter Gilgen, Hans Hass, Inga Hosp, Rolf Hochhuth, Thomas Hürlimann, Evi Kliemand, Valentin Landmann, Thomas Luckmann, Adrian Martin, Mathias Ospelt, Elisabeth Plessen, Widmar Puhl, Leonhard Paulmichl, HansJörg Rheinberger, Manfred Schlapp, Stefan M.  Seydel, Siba Shakib, Luis S.  Stecher, Henning von Vogelsang, Mario Wirz, Najem Wali und Albert am Zehnhoff. Den Club repräsentieren zurzeit Antje Landshoff-Ellermann als Präsidentin, Stefan M.  Seydel als Vize-Präsident, Mathias Ospelt als Sekretär und Patrick Boltshauser als Schatzmeister. Manfred Schlapp, dem die Ehrenpräsidentschaft übertragen wurde, verabschiedet sich mit diesem Beitrag vom aktiven Dienst am PEN-Club Liechtenstein.

14 Vgl. P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 28 (2008). 15 Vgl. den Romanauszug unter dem Titel Alte Kaufläden. In: P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 30 (2009). 16 Vgl. den Abdruck der Kurzgeschichten in: P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 31 (2010).

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 Manfred Schlapp

Literatur- und Quellenhinweise P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 7– (1980– ). Zur Geschichte des PEN-Clubs Liechtenstein vgl. insbesondere: P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): 25 Jahre P.E.N.-Club Liechtenstein. Rückblick – Ausblick. Vaduz: (o. V.) 2003 (Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 23); P.E.N.-Club Liechtenstein (Hrsg.): 30 Jahre P.E.N.-Club Liechtenstein. Vaduz (o. V.) 2007 (Zifferblatt. Literarische Schriftenreihe 27). P.E.N.-Club Vorarlberg (Hrsg.): Zifferblatt. Zeitschrift für Literatur 1–5 (1976– 1978).

Die Autorinnen und Autoren Klaus Amann, geb. 1949, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Leiter des Robert MusilInstituts für Literaturforschung an der Universität Klagenfurt sowie des Kärtner Literaturarchivs. Zahlreiche Veröffentlichungen und Herausgeberschaften vor allem zur österreichischen Literatur des 19.  und 20. Jahrhunderts, zur Geschichte literarischer Institutionen sowie zur Gegenwartsliteratur. Herausgeber (u. a.) der Gesamtausgaben von Robert Musil und Christine Lavant. Dorothée Bores, geb. 1973 in Trier, Studium der Buchwissenschaft, Deutschen  Philologie und Kunstgeschichte in Mainz. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Buchwissenschaft (Mainz); Dissertation über den PEN in der DDR, erschienen unter dem Titel Das ostdeutsche P.E.N.-Zentrum 1951 bis 1998. Ein Werkzeug der Diktatur? (2010). Freiberufliche Autorin und Herausgeberin. Publikationen zu Exil (Die Deutsche Freiheitsbibliothek), DDR und Buch(umschlag)gestaltung im 20. Jahrhundert. Sascha Feuchert, geb. 1971, seit 2008 Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der JustusLiebig-Universität Gießen, seit 2009 außerdem Honorarprofessor an der Eastern Michigan University (Ypsilanti, Michigan). Seit 2012 als Nachfolger von Dirk Sager Vizepräsident des deutschen PEN und Writers in Prison-Beauftragter. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literaturgeschichte und Literaturdidaktik, außerdem Herausgeberschaften, zuletzt ,Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne‘. Die Tagebücher Friedrich Kellers 1939–1945 (zusammen mit E. Leibfried, M. Roth, J. Riecke und R. M. S. Kellner). Ernst Fischer, geb. 1951 in Wien. Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Wien, 1978 Promotion mit einer Dissertation über den Schutzverband Deutscher Schriftsteller 1909–1933, 1979–83 Tätigkeit am Institut für Deutsche Philologie der LMU München, 1989 Habilitation, 1989–93 Privatdozent in München. Seit 1993 Professor für Buchwissenschaft an der Johannes GutenbergUniversität Mainz. Zahlreiche Publikationen zur Literatur-, Buchhandels- und Mediengeschichte des 18.–20.  Jahrhunderts, u. a. Mitverfasser einer Geschichte des Buchhandels in Österreich, Mitherausgeber der Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert (Bd. 2 u. 3), Verfasser des Biographischen Handbuchs zur Emigration der Verleger, Buchhändler und Antiquare aus Deutschland und Österreich nach 1933 (2011). Sven Hanuschek, geb. 1964 in Essen, Prof. Dr., Germanist und Publizist, lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der LMU München. Seit 2000 Mitglied des PEN, Vorsitzender der KipphardtGesellschaft. Arbeitsschwerpunkte: Deutsche Literatur des 19.–21.  Jahrhunderts, Literatur und Sozialpsychologie, Ethnologie, Film, Biographie. Publikationen über Elias Canetti, Heinrich Heine, Uwe Johnson, Erich Kästner, Heinar Kipphardt, Laurel & Hardy, eine Geschichte des bundesdeutschen PEN bis 1989; Herausgeberschaften, Rezensionen, Editionen, zuletzt Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde (2013) und Bernard v. Brentano: Theodor Chindler (2014). Josef Haslinger, geb. 1955 in Zwettl, Niederösterreich. Seit 1996 Professor am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. Seit 2013 Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Veröffentlichte u. a. die Romane Opernball (1995), Das Vaterspiel (2000) und Jáchymov (2011). Christine Malende, geb. 1938, Studium der Germanistik an der Humbuldt-Univ. Berlin. 1961–91 Lektorin Rütten & Loening und Aufbau-Verlag. 1992 und 1993/94 ABM-Stelle beim Deutschen PEN-Zentrum (Ost). 1995–97 Mitarbeit am DFG-Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte der deutschen PEN-Zentren (1947–). Veröffentlichungen: Register zu den fotomech. Nachdrucken der Exil-Zss. Das Wort (1968) und Neue Deutsche Blätter (1974); Internationales wissenschaftliches Kolloquuim Georg Büchner – 1988. In: WB 35 (1988) 11; Wege zu Georg Büchner: Internationales Kolloquium der Akademie der Wissenschaften (Berlin-Ost). Hrsg. von Henri Poschmann unter Mitarbeit von C. M. Bern

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 Die Autorinnen und Autoren

u. a. (1992); Aufsätze zum PEN in Deutschland in: Zeitschrift für Germanistik NF V (1995) 1; Ursula Heukenkamp (Hrsg.): Unterm Notdach. Nachkriegsliteratur 1945–1949 (1996); Sven Hanuschek, Therese Hörnigk und Christine Malende (Hrsg.): Schriftsteller als Intellektuelle (2000). Helen Münch-Küng, geb. 1951, studierte Germanistik, Geschichte und Anglistik an der Universität Zürich, wurde promoviert mit der Dissertation Der Literaturkritiker Eduard Korrodi (1885–1955). Bern u. a. 1989 (Zürcher Germanistische Studien 18), und ist Herausgeberin der Anthologie Eduard Korrodi, Ausgewählte Feuilletons. Zürich 1995 (Schweizer Texte, Neue Folge 4). 2011 erschien Die Gründungsgeschichte des PEN-Clubs in der Schweiz bei Peter Lang. Helmuth A. Niederle, geb. 1949 in Wien, Dr. Phil, ist als Autor, Übersetzer und Herausgeber tätig. Seit 2011 ist er Präsident des Österreichischen PEN. Zahlreiche Buchpublikationen und Beiträge in Zss., Büchern und im ORF. Helmut Peitsch, geb. 1948. Wissenschaftlicher Assistent und Privatdozent am Fachbereich Germanistik der FU Berlin, Lecturer in Leeds und Swansea, Professor an der New York University und an der University of Wales, Cardiff. Seit 2001 in Potsdam Professor für Neuere deutsche Literatur. Forschungsschwerpunkte: Reisebeschreibungen um 1800, Stadtbeschreibungen im 19. Jahrhundert, ,,Vergangenheitsbewältigung‘ in der Nachkriegsliteratur. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. mit Helen Thein): Walter Boehlich. Die Antwort ist das Unglück der Frage. Ausgewählte Schriften. Frankfurt am Main 2011; Walther Boehlich – Kritiker. Berlin 2011; Nachkriegsliteratur 1945–1989. Göttingen 2009; „No Politics“? Die Geschichte des deutschen PEN-Zentrums in London 1933–2002. Göttingen 2006. Manfred Schlapp, geb. 1943 in Innsbruck, Studium der Philosophie und Altphilologie. Lehrer für Latein und Philosophie im Fürstentum Liechtenstein; 1988 dreimonatige Wanderung durch Tibet, im Anschluss kulturphilosophische Vorlesungen im Königreich Tonga; Professor für Philosophie an der Universität für Humanwissenschaften und an der Hochschule Liechtenstein. Gastvorlesungen in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland, zumal an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung (2009–12). 2006/07 Studium des Koran-Arabisch in Paris und Berlin. Seit seinem Studium publizistische und literarische Tätigkeit. 1974 Aufnahme in den Internationalen PEN, dessen Ehrenpräsident er ist. Für Publikationen und TV-Dokumentationen über seine Wahlheimat Liechtenstein Auszeichnung mit dem Joseph von Rheinberger-Kulturpreis. Wolfgang Schlott, geb. 1941, Studium der Slavistik, Anglistik und Soziologie. Zwischen 1984 und 2006 Literatur- und Kulturwissenschaftler an der Universität Bremen. 2006 Präsident des Exil-PEN deutschsprachiger Länder. Mitveranstalter von literarischen Festivals. Wissenschaftliche, literarische und essayistische Publikationen. Zuletzt erschienen Galaktisches Gewitter (Lyrik), Leben in Zeiten der Revolte (Prosa). Ingrid Schramm, geb. in Wien, Studium der Theaterwissenschaft (Abschluss mit Doktorat an der Universität Wien), Rechtswissenschaft und Graphik. Noch während ihres Studiums begann ihre Laufbahn als Journalistin, u. a. beim Kurier, bei Die ganze Woche und ORF. Seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Österreichischen Literaturarchivs. Mehrere Veröffentlichungen zur Literatur des 20. Jahrhunderts; Mitherausgeberin von Büchern zu Hilde Spiel, György Sebestyén und Axel Corti; Romanautorin – Die Traumspur (2002), Die Liebespriesterin (2009) – und Malerin. Franziska Sperr, Studium der Politischen Wissenschaft, Philosophie und Amerikanistik an der LMU München, zweijähriger Aufenthalt in Paris; 1980–87 Redakteurin der politisch-literarischen Zeitschrift L’80. Seit 2001 freiberufliche Autorin, Journalistin und Übersetzerin. Lebt in Starnberg am See. Seit 2005 Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums, seit 2013 Writers in Exile-Beauftragte des Deutschen PEN-Zentrums und Vizepräsidentin. Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen, Kurzgeschichten in Anthologien und Zss.; Hörspiel Ich will allen gehören oder keinem. Szenen aus



Die Autorinnen und Autoren 

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dem Leben der Franziska zu Reventlow (Deutschlandradio 2007); Filmtreatment Bloody Mary (PEG Development); Rezensionen für die Süddeutsche Zeitung; Bücher: Die kleinste Fessel drückt mich unerträglich. Das Leben der Franziska zu Reventlow. Romanbiographie (1995); Stumm vor Glück. Erzählungen (2005); Das Revier der Amsel. Roman (2008); München: Eine Stadt in Biographien (2012). Johano Strasser, geb. 1939 in Leeuwarden (Niederlande), lebt in Berg am Starnberger See. Promotion in Philosophie 1967, Habilitation in Politikwissenschaft. Von 1980–88 Redakteur und Mitherausgeber der politisch-literarischen Zs. L’80. Seit 1983 freier Schriftsteller, von 2002–13 Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. Veröffentlichung zahlreicher Sachbücher, Romane, Hörspiele, Theaterstücke, Gedichte. Zuletzt erschienen Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes (2001); Kopf oder Zahl. Die Intellektuellen vor der Entscheidung (2005); Canossa. Eine Katharsis. Theaterstück (2005); Als wir noch Götter waren im Mai. Erinnerungen. (2007); Bossa Nova. Ein Provinzroman (2008); Labile Hanglage. Gedichte (2010); Kolumbus kam nur bis Hannibal. 14 subversive Geschichten (2010); Die schönste Zeit des Lebens. Roman (2012); Gesellschaft in Angst. Sicherheitswahn und Freiheit (2013). Preis des politischen Buches 1983 zusammen mit Klaus Traube für das Buch Die Zukunft des Fortschritts; Gerty-SpiesLiteraturpreis des Landes Rheinland-Pfalz 2002. Hans Thill, geb. 1954 in Baden-Baden, lebt seit 1974 in Heidelberg. Lyriker und Übersetzer. Mitbegründer des Verlags Das Wunderhorn. Leiter des Künstlerhauses Edenkoben und der Übersetzerwerkstatt Poesie der Nachbarn – Dichter übersetzen Dichter. Erhielt für den Gedichtband Kühle Religionen (2003) den Peter-Huchel-Preis 2004. Zuletzt erschienen: Museum der Ungeduld (2010). Seit 2009 Writers for Peace-Beauftragter im Präsidium des deutschen PEN-Zentrums. Thills Gedichte wurden in viele Sprachen übersetzt, u. a. Englisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch, Kroatisch, Bulgarisch, Ukrainisch, Russisch und Ungarisch. Herbert Wiesner, geb.  1937, aufgewachsen in Düsseldorf. Literaturkritiker, Literaturvermittler, Lexikograph, Kurator zahlreicher Ausstellungen (zuletzt Mitarbeit an der Marbacher Ausstellung Kassiber. Verbotenes Schreiben, 2012), Autor literarischer Fernsehdokumentationen. Nach dem Studium (Literatur- und Kunstwissenschaft) Aufnahme einer germanistischen Lehrtätigkeit, dann freier Autor, Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung in München. 1985–2003 Gründer und Leiter des Literaturhauses Berlin (Texte aus dem Literaturhaus Berlin, 14 Bde., 1987ff.). Seit 1996 Beirat im Präsidium des deutschen PEN-Zentrums, 2009–13 Generalsekretär. Mitglied des Berliner Forums Zukunft Kultur. 2005 Bundesverdienstkreuz. Lebt in Berlin, schreibt u. a. für die Literarische Welt.

Personenverzeichnis Abacha, Sani 48 Abusch, Alexander 229, 232, 249 Achternbusch, Herbert 335 Adenauer, Konrad 233, 315, 321 Adler, Bruno 417 Adler, H. G. 421, 426, 427, 431, 434 Adorno, Theodor W. 63 Ahlers, Conrad 321 Aichinger, Ilse 310 Ajibade, Kunle 41 al-Adjami, Mohammed 49, 50, 51 Alexander, Henry 423 Alioth, Gabrielle 427, 443 Altmann, Roberto 586 Altschuk, Anna 470 Amado, Jorge 211 Amalrik, Andrej 330 Amery, Carl 343, 344, 345, 347, 348, 349, 350, 380 Ammers-Küller, Johanna van 116 Andersch, Alfred 430 André, Germaine 95 Andres, Stefan 186 Anthony, Claudia 67 Apitz, Bruno 314 Arendt, Erich 238 Artmann, H. J. 544 Arzola Benitez, Jorge Luis 67 Asch, Schalom 116, 483, 567 Astel, Arnfrid 330 Atwood, Margaret 339 Auden, W. H. 501 Auernheimer, Raoul 158, 482, 483, 492, 496, 497, 499, 500, 507, 517, 527, 550 Augstein, Rudolf 321 Austin Harrison 21 Avneri, Uri 405 Bach, David 492, 507 Bachér, Ingrid 389, 390, 391, 392, 399, 440, 441 Bachmann, Ingeborg 517, 542 Bahr, Egon 328 Bahr, Hermann 484, 495, 550 Bahro, Rudolf 281 Baierl, Helmut 383 Balázs, Béla 484, 504, 507

Balk, Theodor 148 Barthel, Kurt 229 Barth, Emil 205, 210, 227, 308 Barthes, Roland 56 Barth, Max 413 Bartsch, Kurt 281 Basil, Otto 517, 519, 520, 539 Batorova, Maria 470 Bauer, Emil 208 Bauer, Walter 179, 205, 210, 227 Bauer, Wolfgang 544 Baum, Gerhart 468 Baum, Vicki 430, 507 Baum, Werner 249 Baxter, Beverly 21 Becher, Johannes R. 83, 141, 147, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 179, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 200, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 211, 212, 221, 224, 226, 228, 229, 230, 232, 233, 236, 247, 303, 304, 305, 306, 413, 528, 575, 576, 577, 578 Becher, Lilly 191, 423 Becker, Artur 467, 472 Becker, Jurek 275, 278, 281, 294, 349 Beer, Fritz 157, 379, 416, 423, 425, 426, 435, 436, 437, 438, 439, 440, 441, 442, 462, 464, 470 Beer, Jean de 317 Beer, Samuel 463, 464, 465, 473 Beheim-Schwarzbach, Martin 142, 168, 185, 186, 203, 205, 207, 210, 227, 305, 306, 309, 418, 424 Behrens, Katja 8, 59, 349, 401 Beicken, Peter 438 Bellow, Saul 435 Below, Andreas von 455 Belzner, Emil 187, 201, 206 Bender, Arnold 155, 425 Bender, Peter 349 Benedek, Alice 454 Ben-Gavriel, Moscheh Ya‘akov d. i. Eugen Hoeflich 527 Benndorf, Friedrich Kurt 112 Benn, Gottfried 86, 121, 122, 123, 124, 133, 139, 140

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 Personenverzeichnis

Beradt, Martin 142, 431 Berendsohn, Walter A. 141, 150, 157, 168, 413, 421, 438 Bergel, Hans 472 Bergengruen, Werner 109, 413, 527 Berger, Gisela von 482 Bergius, C. C. 586 Bergsdorf, Wolfgang 456 Berkes, Theodor 112 Bernhard, Georg 34, 101, 135, 143 Bernhard, Thomas 540, 543 Bernig, Jörg 463 Berstl, Julius 430 Berthold, Werner 423 Bertram, Ernst 86 Bettauer, Hugo 485 Beumelburg, Werner 105, 121 Beutler, Ernst 427 Bienek, Horst 343, 347 Biermann, Wolf 260, 261, 262, 270, 271, 274, 276, 277, 278, 281, 329, 331, 382, 439, 452 Billinger, Richard 484, 487, 495 Binding, Rudolf G. 101, 118, 119, 134 Birkenfeld, Günther 171, 172, 173, 175, 176, 177, 178, 179, 181, 183, 184, 185, 186, 192, 203, 221, 304, 576 Bissinger, Manfred 380 Bisultanov, Apti 466 Bitow, Andrej 470 Blatný, Ivan 468 Blei, Franz 484 Bloch, Ernst 83, 149, 151, 194, 355, 423 Bloem, Walter 88, 92, 100, 108, 110, 111 Blokh, Alexandre 288, 289, 296, 341, 342, 345, 346 Blunck, Hans Friedrich 78, 79, 85, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 105, 121, 139, 161, 169, 435, 486 Bodmer, Hans 566 Bodmer, Martin 566 Bodrozic, Marica 588, 591 Böll, Heinrich 4, 7, 29, 270, 271, 328, 329, 330, 345, 431, 432, 437, 539, 540, 541, 542, 543, 545 Boltshauser, Patrick 591 Borbandi, Gyula 451 Borée, Karl Friedrich 183, 185, 186, 192, 193, 195, 198, 203, 205, 206, 207, 209, 210, 227, 305 Boullosa, Carmen 405

Bouvier, August 563 Bouvier, Bernard 563 Boyd, William 48 Brandes, Georg 22, 481, 483 Brandt, Willy 315, 328, 330, 333, 334, 357 Brantsch, Ingmar 467 Brasillach, Robert 161 Braun, Felix 507, 519, 527 Braun, Hanns 205, 207, 210, 227, 232 Braun, Volker 284, 340, 353, 363 Brecht, Bertolt 83, 86, 141, 147, 188, 194, 200, 201, 202, 204, 207, 228, 229, 235, 236, 238, 239, 240, 242, 243, 304, 305, 430, 522, 523, 536 Bredel, Willi 141, 229, 569 Brehm, Bruno 487, 495 Brehm, Eugen M. 141, 154 Brenner, Peter J. 461 Brentano, Bernard (von) 143, 146, 573 Breytenbach, Breyten 339 Brinitzer, Carl 430 Broch, Hermann 158, 413, 507, 517, 527 Brock, Bazon 590, 591 Broda, Hans Christian 520 Broder, Henryk M. 435, 443 Brodmann von Richthofen, Aliana 442 Brod, Max 83, 413, 430, 527 Brod, Tomas 459 Bronnen, Arnolt 95, 519 Bruckner, Ferdinand 141, 158, 507, 517, 527 Brügel, Fritz 492, 497, 507, 508 Brunngraber, Rudolf 520 Bruyn, Günter de 282, 284, 353, 368, 378 Buber, Martin 313 Bucerius, Gerd 252, 253, 309 Buch, Hans Christoph 392 Buchwald, Art 452 Bukowski, Wladimir 330 Bunge, Hans-Joachim 261 Bunsen, Marie von 74, 77, 82 Burgmüller, Herbert 229, 233, 236, 243 Burman, Ben Lucien 196, 578 Burmeister, Brigitte 391, 394, 400 Burnham, James 303, 304 Burschell, Friedrich 129, 141, 149, 154, 156, 157, 158, 159, 162, 424 Burte, Hermann 565, 568 Busch, Fritz Otto 112, 113, 115, 121, 138, 488, 494

Personenverzeichnis  Busse, Hermann Eris 91, 92, 121 Butler Yeats, William 567 Camus, Albert 63 Canetti, Elias 507, 514, 527 Carossa, Hans 124, 161, 576 Carstens, Karl 331, 336 Carver, David 37, 236, 237, 238, 256, 270, 271, 311, 329, 545, 546 Castonier, Elisabeth 141, 146, 430 Cavanna, François 452 Chable, J. E. 577, 578 Chalip, Iryna 403 Chamson, André 29, 311 Chasanow, Boris 459, 460, 467, 470 Chi-Ha, Kim 333 Chilecki, Andrzej 454 Chruschtschow, Nikita 243 Clark, Karin 8, 59, 401, 435, 437, 438 Claudius, Eduard 141, 229 Colborne Mayne, Ethel 21 Colerus, Egmont 495 Colette, Sidonie-Gabrielle Claudine 95, 483 Conelly, Marc 196 Conrady, Karl Otto 350, 392, 399, 440, 441 Corino, Karl 392 Cornelissen, Peter.  Siehe Busch, Fritz Otto Corti, Egon Caesar Conte 493 Coudenhove-Kalergi, Richard 495 Craig, Elizabeth 21 Crémieux, Benjamin 22, 88, 101 Creutziger, Werner 386 Croce, Benedetto 567 Csokor, Franz Theodor 196, 205, 311, 484, 489, 492, 493, 495, 507, 511, 512, 513, 514, 515, 516, 517, 518, 519, 520, 522, 523, 524, 527, 533, 534, 535, 536, 537, 538, 539, 542, 547 Curtius, Ernst Robert 101 Cwojdrak, Günther 272, 349, 368 Czechowski, Heinz 378 Dahn, Daniela 377 Dalos, György 458 Dao, Bei 405 Darwish, Mahmoud 55, 405 Däubler, Theodor 87, 88, 98, 111, 136 Dawson Scott, Catherine Amy 19, 20, 21, 22, 24, 35, 71, 78, 96, 120, 342, 481, 566 Dawson Scott, Marjorie 21 Dehne, Andreas 587

 599

Deicke, Günther 368, 382 Delius, F. C. 440 Demetz, Peter 438 Demski, Eva 389, 392 Deppert, Fritz 392, 399 Dericum, Christa 392, 399 Déry, Tibor 244 Desch, Kurt 325 Deutsch, Otto Erich 507 Dieckmann, Christoph 386, 391 Dieckmann, Friedrich 356, 365, 366, 368 Dieterle, Charlotte 6 Dink, Hrant 403, 466 Dische, Irene 591 Djerassi, Carl 557 Doberenz, Andrea 379 Doberer, Kurt Karl 154 Döblin, Alfred 83, 85, 86, 101, 104, 112, 141, 158 Doderer, Heimito von 519 Domašcyna, Róža 460 Domin, Hilde 327 Donhauser, Michael 591 Dönhoff, Marion Gräfin 252, 389 Đordević, Alexander 454 Dor, Milo 543 Dos Passos, John 36 Dostal, Pavel 462 Douglas Wiggin, Kate 21 Drescher, Horst 387, 391, 398 Drewitz, Ingeborg 291, 325, 337, 338, 431 Drews, Jörg 392, 394, 400 Drews, Richard 229 Drieu la Rochelle, Pierre 161 Duhamel, Georges 482 Duncker, Hermann 138 Dünser, Martin 589 Dvoretzky, Edward 438 Dyrlich, Benedikt 466 Edschmid, Kasimir 86, 179, 185, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 205, 206, 208, 209, 210, 211, 212, 227, 305, 306, 307, 308, 309, 312, 325 Eggebrecht, Axel 168, 169, 171, 173, 175, 187, 208, 209, 211, 212, 225, 305, 306, 576 Ehrenstein, Albert 112, 148 Ehrich, Margot 460 Eibl-Eibesfeldt, Irenäus 586, 591

600 

 Personenverzeichnis

Einem, Gottfried von 546 Einsiedel, Wolfgang von 416 Eisenreich, Herbert 543 Eisler, Adolf 508 Eliot, T. S. 527 Ellermann, Heinrich 586, 587, 590, 591 Elster, Hanns Martin 87, 88, 100, 102, 105, 106, 107, 108, 109, 111, 112, 113, 120, 121, 122, 123, 136, 174, 486, 488, 489 Elstob, Peter 580 Emmanuel, Pierre 29, 269, 270, 541 Endler, Adolf 281, 284, 392 Engelmann, Uwe-Erwin 467 Engler, Jürgen 393 Enquist, Per Olov 405 Enzensberger, Hans Magnus 309 Eppelsheimer, Hanns Wilhelm 179, 419 Erdem, Hüseyin 58 Ergas, Zeki 56 Erler, Fritz 325 Ernst, Fritz 566 Ernst, Paul 100, 486 Erpenbeck, John 368, 393 Erwin, Thomas 287 Eulenberg, Herbert 169, 172, 173, 175, 176, 219, 576 Evans, C. S. 21 Ewers, Hanns Heinz 87 Exner, Richard 438 Fabian, Walter 141 Fadin, Anna 466, 470 Fadin, Vadim 466, 470 Faesi, Robert 563, 564, 565, 566, 568, 574, 575, 576, 577, 578, 579, 580 Fahsel, Helmut 95 Farhat-Naser, Sumaya 403 Farhi, Moris 48 Faulhaber, Uwe K. 438 Fechenbach, Felix 151 Feder, Ernesto 424 Federmann, Reinhard 517, 543 Federn, Karl 72, 73, 74, 77, 78, 79, 82, 85, 88 Fehr, Bernhard 566 Felmayer, Rudolf 519 Ferk, Janko 588, 591 Ferrer, José Daniel 463 Feuchert, Sascha 8, 401

Feuchtwanger, Lion 86, 98, 101, 107, 123, 139, 142, 144, 146, 150, 152, 332, 414, 499 Figl, Leopold 524 Filip, Ota 393, 455, 460, 462, 467 Finkelgruen, Peter 443, 444, 470 Finkelstein, Bluma 56 First, Ruth 38 Fischer-Colbrie, Arthur 522 Fischer, Ernst 197, 487, 508, 509, 511, 522, 523, 524, 526, 528, 536, 537, 538 Fischer, Ernst Peter 590, 591 Fischer, Grete 141, 416, 430 Fischer, Heinrich 141, 156, 416, 417, 424 Fischer, Melchior 229 Fischer, Wolfgang Georg 555, 556 Fladung, Johann 417 Flake, Otto 186, 203 Flamm, Peter.  Siehe Mosse, Erich Fleischer, Max 517 Fleisser, Marie-Luise 229 Flesch-Bruningen, Hans 141, 154, 416, 424, 507 Flora, Paul 588, 589, 590 Foerster, Friedrich Wilhelm 135 Fontana, Oskar Maurus 489, 492, 511, 512, 514, 518, 520, 550 Forster, E. M 28 Fort, Gertrud von 187 Fraenkel, Heinrich 154, 419, 425, 430 France, Anatole 22, 101, 481 Frank, Bruno 141, 143 Frank Leonhard 87 Frank, Leonhard 104, 133, 141, 148 Frank, Liesl 6 Frankl, Viktor 535 Frank, Rudolf 413, 425, 430 Freely, Maureen 43 Freiberg, Siegfried 522 Frei, Bruno 538 Frenz, Helmut 337 Freud, Anna 507 Freud, Sigmund 6, 135, 484, 503, 507, 515, 550 Fricke, Karl Wilhelm 458, 461 Friedell, Egon 484, 550 Friedenthal, Richard 142, 154, 162, 173, 189, 190, 196, 205, 227, 231, 232, 305, 306, 307, 313, 317, 412, 413, 414, 415, 420, 424, 425 Fried, Erich 416, 425, 430, 431, 507 Friedmann, Hermann 170, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 184, 185, 187,

Personenverzeichnis 



189, 191, 192, 193, 194, 195, 199, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 212, 220, 227, 304, 306, 308, 411, 414, 415, 424, 576 Friesel, Uwe 393 Fries, Fritz Rudolf 285, 288, 340, 349, 368, 387, 393 Fringeli, Dieter 580 Frischauer, Paul 489, 492, 494, 497, 500, 502 Frisch, Max 563 Frischmuth, Barbara 544 Fritsch, Gerhard 517 Fry, Varian 7 Fuchs, Albert 507, 508 Fuchs, Jürgen 280, 331, 347, 348, 439, 440, 441 Fühmann, Franz 279, 282, 284 Fulda, Ludwig 73, 74, 75, 76, 77, 80, 81, 83, 84, 86, 87, 88, 104 Galsworthy, Ada 501 Galsworthy, John 21, 22, 26, 28, 35, 71, 78, 80, 81, 82, 95, 96, 97, 102, 103, 105, 115, 318, 481, 483, 485, 488, 496, 533, 542, 563, 566, 579 Gard, Martin du 81 Garzón, Baltasar 8, 403 Gauch, Sigfrid 394, 400, 403, 404 Gaus, Günter 294 Gauß, Karl Markus 557 Gehlen, Reinhard 321 Geilinger, Max 566 Genscher, Hans-Dietrich 339, 346 Georg(e), Manfred 141, 423, 427 George, W. L. 21 Gerlich, Fritz 569 Gerold, Karl 423 Geyer, Curt 423 Giese, Alexander 546, 548, 553, 554, 555, 556 Gilgen, Peter 591 Ginzkey, Franz Karl 487, 495, 522 Giordano, Ralph 294, 340, 389, 393, 439, 440, 441, 444 Girnus, Wilhelm 262 Glaeser, Ernst 135, 573 Glaser, Hugo 492, 511 Glezos, Manolis 37 Globke, Hans 314, 315 Glücksmann, Heinrich 492 Goebbels, Joseph 113, 124, 161, 507 Golding, Louis 21

 601

González Pentón, Léster Luis 42 Gordimer, Nadine 405 Gorki, Maxim 22, 183, 481, 578 Gosse, Peter 364, 375, 379 Goverts, Henry 586 Grafe, Felix 517 Grafenauer, Niko 54 Graf, Oskar Maria 146, 148, 414 Grass, Günter 314, 315, 334, 339, 340, 389, 390, 405, 435 Greene, Graham 270 Gregor-Dellin, Martin 73, 74, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336, 337, 339, 340, 341, 342, 343, 345, 346 Greisenegger, Wolfgang 556, 557 Grimm, Hans 109, 113, 137 Grogger, Paula 495, 522 Grossmann, Kurt R. 141, 429 Grotewohl, Otto 200 Grünmandl, Otto 586 Grün, Max von der 294 Grünwald, Alfred 517 Gruša, Jiří 405, 463, 470 Grütters, Monika 4 Günther, Joachim 429 Guttenbrunner, Michael 588 Haas, Willy 76, 82, 83, 84, 87 Habeck, Fritz 546 Habe, Hans 431, 432 Habsburg, Otto von 463, 540 Hacks, Peter 309, 378 Hädrich, Rolf 586 Haensel, Carl 106, 121, 133 Hagelstange, Rudolf 180, 181, 186, 313 Hahm, Constantin 591 Hahnel, Erika 196 Hahn, Ulla 315 Hainisch, Michael 483 Hakel, Hermann 517 Halbe, Max 89 Hamburger, Michael P. 386, 391, 394, 400 Hamersky, Heidrun 471 Hamm-Brücher, Hildegard 389 Hammerstein-Equord, Hans von 495, 497, 498, 499, 500, 511 Hamsun, Knut 22, 481, 567 Handel-Mazzetti, Enrica von 495, 527 Handke, Peter 544

602 

 Personenverzeichnis

Harden, Maximilian 77 Harich, Wolfgang 258 Harrer, Heinrich 586 Harrison, Ann 39 Harrison, Austin 21 Hartlieb, Wladimir 493 Hartmann, Hans 102 Hashem, Mohamed 8, 403 Haslinger, Josef 9, 407 Hassemer, Volker 336 Hass, Hans 586, 587, 591 Hatvany, Lajos 485 Hauptmann, Gerhart 22, 76, 79, 95, 98, 133, 481, 483, 567 Hausdorf, Rita 156 Hausenstein, Wilhelm 179 Hauser, Arnold 507 Hauser, Carry 519, 540 Haushofer, Marlen 517 Hausmann, Manfred 229 Havel, Václav 8, 43, 333, 363, 364, 385, 457, 462, 548 Havemann, Robert 281, 331 Háy, Gyala 244 Heartfield, John 155 Heckel, Jürgen 407 Heer, Friedrich 520 Hegemann, Werner 135 Hegewald, Wolfgang 349, 389, 392 Hehn, Ilse 467 Heiden, Konrad 34 Heidenreich, Gert 349, 352, 354, 356, 379, 380, 387, 388, 397, 398 Heiduczek, Werner 376 Heilbut, Ivan 141 Hein, Christoph 8, 349, 353, 364, 391, 394, 400, 401 Heine, Heinrich 434 Heinemann, Gustav 330 Heißenbüttel, Helmut 320 Heller, Erich 425, 542 Helwig, Werner 308, 586 Hemingway, Ernest 36 Henle, Günther 197, 198 Hennecke, Hans 205, 207, 210, 227 Hensel, Kerstin 377, 378, 382, 386, 387, 398 Henz, Rudolf 511, 520 Herdan-Zuckmayer, Alice 527 Hermann, Konstantin 469

Hermlin, Stephan 142, 181, 195, 196, 202, 205, 207, 208, 221, 236, 238, 250, 257, 260, 270, 271, 272, 273, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 291, 293, 295, 296, 305, 314, 315, 316, 320, 329, 340, 345, 346, 349, 354, 363, 365, 368, 372, 375, 382, 433, 435, 578 Herriot, Edouard 483 Herrmann, Claus 229 Herrmann, Max 142 Herrmann-Neiße, Max 123, 139, 141, 142, 146, 154 Herzfelde, Wieland 141, 148, 149, 150, 151, 153, 229, 250, 260, 262, 272, 275, 309, 324 Herzl, Theodor 483 Hesse, Hermann 573 Hesse, Zeltite 452, 453 Heuss, Theodor 230, 311, 312, 424, 425 Heym, Stefan 229, 260, 272, 273, 274, 281, 282, 284, 294, 340, 353, 363, 367, 368, 386 Hilbig, Wolfgang 281, 349 Hildesheimer, Wolfgang 310, 320 Hiller, Kurt 141, 154, 156, 162 Hindenburg, Paul von 80, 104, 485 Hinkel, Hans 109, 110, 111, 112, 117, 119, 121, 136, 174 Hirsch, Helmut 338 Hirsch, Karl Jakob 141, 229 Hirsch, Rudolf 424 Hirsch, Werner 569 Hitler, Adolf 6, 34, 36, 104, 113, 120, 136, 145, 149, 150, 155, 160, 173, 182, 256, 316, 325, 413, 418, 428, 432, 433, 461, 481, 508, 514, 577 Hochhuth, Rolf 591 Hochwälder, Fritz 520, 527 Hodjak, Franz 472 Hofé, Günter 238 Hoffmann, Gerd E. 338, 339, 342, 345 Hoffmann, Hans Joachim 273 Hoffmann-Luschnat, Charlotte 432 Hofmannsthal, Hugo von 484 Hohlbaum, Robert 493 Holgersen, Alma 527 Hollander, Walther von 88, 90, 91, 92, 99, 100, 101, 102 Hollitscher, Walter 507, 510, 511, 514, 515, 524, 537 Holthusen, Hans Egon 429

Personenverzeichnis 

Holz, Arno 75 Honecker, Erich 271, 276, 278, 280, 281, 287, 331, 347, 366 Honigmann, Barbara 443 Höpcke, Klaus 349, 363, 364, 370, 371, 372, 377, 385 Hörnigk, Therese 382 Hosp, Inga 591 Howald, Ernst 566 Huchel, Peter 194, 202, 205, 225, 228, 238, 270, 271, 305 Huch, Ricarda 86 Hunt, Violet 21, 23 Huppert, Hugo 538 Hurdes, Felix 516 Hürlimann, Thomas 591 Ibarguren, Carlos 570 Ihering, Herbert 229 Ilberg, Werner 147, 156, 229, 266, 268, 272, 273 Ingrisch, Lotte 547 Ippensen, Antje 587 Jacob, Berthold 151, 152 Jacob, Hans 81, 97 Jacob, Heinrich Eduard 492, 494, 500 Jacobs, Monty 142 Jaeger, Hans 156, 424 Jaeggi, Urs 389 Jahnn, Hans Henny 168, 169, 173, 175, 178, 205, 207, 208, 209, 210, 212, 224, 225, 226, 232, 306, 576 Jahoda, Marie 508 Jameson, Egon 430 Jančar, Drago 54, 405 Jandl, Ernst 544, 545 Jandrusch, Andrej 377 Jellinek, Oskar 492 Jelusich, Mirko 493 Jensen, Kjell Olaf 58 Jens, Walter 53, 57, 330, 331, 332, 334, 343, 349, 355, 389, 431 Jentzsch, Bernd 372, 373, 391 Jeřabek, Mojmír 470 Jerofejew, Viktor 405, 470 Jessen, Jens 351 Johnson, Alvin 5 Johnson, Uwe 314

 603

Johst, Hanns 104, 105, 107, 109, 110, 111, 112, 121, 136, 139, 140, 174, 489 Jonke, Gert 544 Jouhandeau, Marcel 161 Jung, C. G. 566 Jung, Edgar J. 151 Jünger, Ernst 95 Jung, Franz 142 Jungk, Robert 540 Jurgensen, Manfred 438 Kafka, Franz 136, 517 Kafka, Tomas 462 Kahlau, Heinz 272, 340, 382, 393 Kahn, Lisa 438 Kaiser, Georg 78, 133 Kaiser, Jakob 304 Kalenter, Ossip 196, 411, 413, 423, 425, 426, 427 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus 586 Kamnitzer, Heinz 250, 260, 262, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 275, 276, 278, 280, 283, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 295, 296, 309, 320, 324, 340, 345, 346, 347, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 382, 387, 393 Kant, Hermann 285, 340, 372, 378, 382 Kantorowicz, Alfred 141, 144, 145, 148, 149, 179, 194, 202, 204, 221, 229, 421 Karsunke, Yaak 340, 349, 350, 389 Kasack, Hermann 83, 173, 175, 177, 178, 179, 193, 203, 205, 207, 210, 227, 305, 313, 576 Kaschnitz, Marie Louise 227 Kässens, Wend 392, 394, 400 Kassner, Rudolf 527 Kästner, Erich 135, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 177, 178, 179, 180, 184, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 197, 198, 201, 203, 205, 206, 208, 209, 210, 212, 219, 221, 227, 232, 304, 305, 306, 307, 311, 313, 315, 316, 320, 323, 324, 327, 527, 575, 576 Kaufmann, Walter 8, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 346, 349, 363, 368, 375, 378, 379, 382, 385 Kaus, Gina 492 Kautsky, Karl 135 Kaval, Musa 58 Kaye-Smith, Sheila 21 Keilson, Hans 426, 432, 434, 435, 436

604 

 Personenverzeichnis

Keisch, Henryk 268, 272, 273, 275, 276, 277, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 289, 291, 292, 293, 345, 346 Keller, Dieter 369 Kellermann, Bernhard 104, 133, 190 Kempowski, Walter 347, 372, 373 Kennedy, A. L. 405 Kerndl, Rainer 298, 368 Kerr, Alfred 88, 89, 102, 104, 106, 112, 135, 136, 139, 141, 147, 155, 156, 159, 160, 161, 162, 163, 411, 412, 415, 416, 420, 483, 563 Kersten, Kurt 141, 148, 414, 427, 430 Kery, Theodor 551 Kéry, Tibor 271 Kessel, Martin 179, 227, 308, 313 Kessler, Harry Graf 74, 77, 80, 81 Kesten, Hermann 6, 7, 8, 44, 141, 142, 179, 183, 221, 304, 330, 337, 402, 424, 428, 429, 431, 432 Keun, Irmgard 142 Khalip, Irina 8 Khomeini, Ajatollah 47, 363 Kindermann, Heinz 520, 521, 522 Kingdon, Frank 6 King, Francis 339, 341, 342, 435 Kippenberg, Anton 88 Kirsch, Rainer 282, 284, 285 Kirsch, Sarah 278, 279, 349, 352, 353, 372, 391, 441 Kirst, Hans H. 586 Kisch, Egon Erwin 141, 148, 332 Kläber, Kurt 141 Klabund 78, 83 Klaus, Michael 403, 404 Kleiber, Otto 564 Kleinschmidt, Sebastian 386, 391 Klein, Stefan 557 Klemperer, Victor 229 Kliemand, Evi 591 Klier, Freya 346, 439, 440, 443 Kluckhohn, Paul 495 Kluge, Alexander 335 Klugkist, Alexander 456 Knabe, Hubertus 461 Knepler, Georg 508 Knittel, John 161, 566 Knobloch, Heinz 349, 368, 370, 371, 373, 375, 378

Kochanowski, Erich 108, 110, 111, 112, 122, 174, 489 Koch, Jurij 393 Koch, Thilo 328, 330 Koenig, Alma Johanna 517 Koenig, Otto 511 Koeppen, Wolfgang 310 Koestler, Arthur 36, 303, 507, 508 Koffka, Friedrich 416 Koffler, Dosio 154, 156 Kogon, Eugen 183, 221, 304 Köhler, Erich 376, 385, 386, 393, 394 Kohlhaase, Wolfgang 364 Kohl, Helmut 335, 357, 457, 462 Kokoschka, Oskar 508 Kola, Richard 482 Kolb, Annette 143, 430 Kolbenheyer, Erwin Guido 105, 113, 137 Kolbenhoff, Walter 192, 229 Kolbe, Uwe 349 Kolleritsch, Alfred 544 Kollwitz, Käthe 133 König, Josef Walter 450 Königsdorf, Helga 349, 368, 375 Konrád, György 405 Kopelew, Lew 340 Korfmacher, Heribert 460 Korngold, Julius 484 Korrodi, Eduard 563, 564, 566, 567, 568, 571, 572, 573, 574, 580 Koschel, Christine 591 Kovač, Edvard 53, 58 Kovač, Michal 457 Krämer-Badoni, Rudolf 307, 320, 322, 323, 324, 325, 429 Kramer, Theodor 507, 527 Kratochvil, Antonín 451, 453, 454, 457, 464 Kraus, Karl 481, 482, 517 Krauße, Claudia C. 4, 400, 403 Krauß, Werner 229 Krawczyk, Stephan 346 Kreiser, Walter 101 Krenz, Egon 366 Kretschmer, Michael 465 Kretzschmar, Ingeburg 241, 248, 250, 256, 257, 258, 260, 261, 266, 298, 324 Kreuder, Ernst 203, 227, 305, 309, 310 Kreutz, Rudolf Jeremias 492, 496, 512 Kröll, Friedhelm 432

Personenverzeichnis 

Kruczkowski, Leon 197 Krzeminski, Adam 405 Kuba.  Siehe Barthel, Kurt Kuenheim, Haug von 590 Kuhn, Alfred 92, 103 Kühner-Wolfskehl, Hans 313 Kühn, Joachim 74 Kunert, Christian 280 Kunert, Günter 279, 332, 349, 353, 372, 373, 426, 439, 441, 443, 444, 464 Kunze, Reiner 276, 331, 441 Kurbanova, Mainat 65, 66 Kurella, Alfred 143, 253 Kurzeck, Peter 591 Küster, Fritz 569 Laabs, Joochen 378, 386, 394, 399, 400 Lackner, Stephan 430 Lagerlöf, Selma 567 Lambertz, Karl-Heinz 462, 463, 465, 468, 469 Landau, Edwin Maria 142 Landmann, Salcia 586 Landmann, Valentin 591 Landshoff-Ellermann, Antje 590, 591 Lange, Hartmut 261 Lange, Horst 179 Lange-Müller, Katja 392 Langer, Felix 111 Langgässer, Elisabeth 171, 173, 176, 576 Langhoff, Wolfgang 141 Lang, Michael R. 435 Langner, Ilse 169 Lang, Siegfried 565 Lania, Leo 158 Lansburgh, Werner 425 Larsen, Egon 156 Lasker-Schüler, Else 112, 141 Lasky, Melvin 174, 175, 183 Laspeyres, Barbara 93 Lauber, Cécile 566 Laub, Gabriel 452, 453, 454 Lederer, Joe 508 Leers, Johann von 110, 111, 119, 121, 136, 174 Lehmann, Rosamond 38 Lehmann-Rußbüldt, Otto 141, 424 Lehmann, Wilhelm 169, 205, 208, 210, 225, 227, 305 Leip, Hans 168, 172 Leitich, Ann Tizia 522

 605

Leonhard, Rudolf 143, 148, 228 Leonhard, Wolfgang 194, 205, 207 Lernet-Holenia, Alexander 484, 512, 520, 525, 539, 542, 543, 546 Lernet-Holenia, Eva 541 Lesser, Jonas 423 Lessing, Theodor 141, 151 Lettau, Reinhard 440 Lewin, Waldtraut 377, 387, 393 Liao Yiwu 8 Liebenstein, Ranke von 258 Liebmann, Irina 392, 399 Liepman, Heinz 430 Liersch, Werner 349, 354, 356, 365, 366, 368, 374, 375, 376, 378, 379, 399 Lindemann, Hans 459, 461, 462, 463, 464, 465, 466, 467, 468, 469, 473 Lind, Jakov 429 Links, Christoph 377, 391 Lissauer, Ernst 492 List, Rudolf 495 Litten, Irmgard 156 Liu Xiaobo 8, 43, 337, 403, 471 Loest, Erich 281, 347, 348, 377, 439, 459 Loos, Cecil Ines 565 Loos, Irma 229 Loos, Lina 527 Loschütz, Gert 352, 372 Lothar, Ernst 492 Lothar, Rudolf 492 Löwenstein, Hubertus Prinz zu 5, 6, 141, 147, 425 Lucas, Robert 425 Luchaire, Jean 100 Luckmann, Thomas 586, 591 Ludwig, Eduard 525, 526, 537 Ludwig, Emil 135, 139, 150, 152, 492, 497, 570 Ludwig, Siegfried 551 Luft, Friedrich 183 Lukács, Georg 197 Lungagnini, Henrik 457 Luschnat, David 143, 422 Lyr, René 114, 116 Maalouf, Amin 557 Maass, Joachim 142, 413 Mácha, Karel 460, 468 Maeterlinck, Maurice 158, 527 Mahler-Werfel, Alma 484, 499, 507, 527

606 

 Personenverzeichnis

Mahrholz, Werner 81, 82, 85, 86, 87, 88, 90, 98 Maier, Hans 330, 336, 337 Mandela, Nelsen 40 Mandel, Ernest 331 Mann, Erika 6, 141, 157, 159, 160, 415 Mannheim, Karl 507, 508 Mann, Heinrich 79, 86, 87, 89, 101, 104, 107, 112, 123, 133, 135, 138, 141, 143, 144, 146, 148, 150, 153, 333, 414, 481, 500, 502, 509 Mann, Klaus 137, 139, 141, 150, 151, 152, 158 Mann, Monika 5 Mann, Thomas 6, 59, 75, 78, 84, 86, 88, 101, 104, 107, 112, 138, 143, 149, 150, 153, 158, 170, 332, 402, 420, 481, 483, 527, 567, 572, 573, 575 Marchenko, Anatoly T. 38 Marchwitza, Hans 148, 229 Marcuse, Ludwig 141, 429, 430 Marek-Vejvoda, Jaroslav 471 Marinetti, Filippo Tommaso 123 Märker, Friedrich 107, 109, 110 Maron, Monika 393 Marquardt, Hans 384, 385, 393, 394, 400 Martens-Goetz, Valerie von 586 Marti, Hugo 564 Martin, Adrian 586, 591 Martiny, Anke 336 Marx, Karl 135 Matejka, Viktor 514 Matthies, Frank-Wolf 287 Mauer, Andreas 551 Maugham, Somerset 501 Mauriac, François 29, 507 Mayer, Hans 194, 202, 205, 207, 228, 238, 354, 355 Mayreder, Rosa 550 Mayröcker, Friederike 517, 544 McLeod, L. Rose 21 Mechtel, Angelika 342, 345 Meckauer, Walter 146 Mehring, Walter 83, 101, 141, 183, 186, 425 Meier, Heinrich Christian 247, 248, 249 Meinhof, Ulrike 541 Mell, Max 487, 495, 518, 519, 522 Mendelssohn, Peter de 141, 154, 159, 160, 161, 162, 173, 174, 176, 196, 415, 416, 424, 425, 541 Menne, Bernhard 157, 162, 418

Mensching, Steffen 377, 378, 382, 386, 387, 398 Merdinger, Rosl 557 Meškank, Timo 469 Meumann, Max Alexander 91 Meusel, Alfred 156 Meyer, Ernst 163 Meyer, Peter 5, 568, 569 Michel, Detlev 404 Michel, Marina 464, 471 Michel, Robert 522 Miedzyrzezki, Artur 345 Mierendorff, Carl 569 Mierendorff, Martha 438 Mikeln, Miloš 53, 58 Miklas, Wilhelm 484 Milch, Werner 418 Miller, Arthur 46, 267, 325, 328, 329, 431 Miller, Henry 270 Mischnick, Wolfgang 336 Mises, Ludwig 484 Mitscherlich, Alexander 429 Mitscherlich, Margarete 429 Mitterer, Erika 511 Mock, Alois 548 Modrow, Hans 347 Moeschlin, Felix 566 Möhlmann, Heinz 317 Molo, Walter von 74, 93, 95, 229 Mombert, Alfred 133, 134 Momper, Walter 357 Moniková, Libuše 392, 468 Moor, Margriet de 405 Moravia, Alberto 29, 255, 311, 339 Morgan, Charles 529, 538 Morgenstern, Beate 378, 386 Mosse, Erich Pseud. Peter Flamm 100 Mosse, Werner 417, 418 Muckermann, Friedrich 100 Mühlen, Hermynia Zur 141, 147, 507 Mühl, Otto 544 Mühsam, Erich 138, 493 Mülbe, Wolfheinrich von der 229 Müller, Dora 465 Müller, Hans 482, 492 Müller, Heiner 340, 355 Müller, Herta 391, 441 Mushekwe, Itai 67

Personenverzeichnis 

Musil, Robert 484, 507, 517, 527 Mwangi, Meja 405 Nabl, Franz 495, 518, 519, 520 Nádas, Péter 405 Nadler, Josef 520, 521, 522 Nadolny, Sten 349 Naumann, Brigitte 403 Naumann, Michael 4, 59 Necker, Wilhelm 418 Nenning, Günther 544 Neudeck, Rupert 589 Neukrantz, Klaus 569 Neumann, Alfred 141, 179 Neumann, Robert 41, 78, 148, 161, 169, 190, 196, 200, 231, 237, 255, 257, 263, 271, 305, 312, 318, 319, 324, 430, 431, 432, 484, 492, 497, 503, 504, 505, 506, 507, 508, 509, 510, 511, 512, 513, 514, 515, 516, 518, 519, 522, 524, 525, 528, 529, 534, 535, 536, 537, 538, 541, 543 Neurath, Otto 507, 508 Niekisch, Ernst 229 Nielsen, Friedrich Walter 154 Nitsch, Hermann 544 Nixon, Richard 540 Noack, Hans-Georg 392 Noll, Chaim 426, 427, 439, 443, 444 Noll, Dieter 383 Nossack, Hans Erich 181, 211, 225, 306 Noth, Ernst Erich 527 Novak, Boris A. 53, 54, 58 Nüchtern, Hans 495 Oeser, Hans-Christian 427, 443 Ognanoff, Christo 454 Olden, Balder 141, 143 Olden, Ika 5, 155, 500 Olden, Rudolf 5, 6, 101, 111, 123, 139, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 153, 154, 155, 158, 159, 412, 420, 434, 484, 500, 501, 502, 503, 504, 505, 506, 509 Ollenhauer, Erich 310 Opitz, Detlev 293 Ortner, Hermann Heinz 495, 511 Orwell, George 36 Ospelt, Mathias 590, 591 Ossietzky, Carl von 5, 6, 101, 135, 138, 151, 152, 153, 333, 485, 493, 569

 607

Ossowski, Leonie 389 Ostermaier, Albert 587 Osterrieth, Albert 74, 79 Otten, Karl 154 Ould, Hermon 5, 21, 28, 72, 78, 81, 86, 87, 90, 91, 92, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 106, 107, 108, 111, 115, 117, 119, 137, 139, 145, 148, 149, 150, 155, 157, 158, 159, 161, 162, 168, 169, 171, 172, 173, 174, 175, 188, 190, 193, 206, 219, 489, 499, 501, 502, 503, 505, 507, 524, 525, 527, 565, 567, 568, 571, 574, 575, 576, 577, 578, 579, 580 Oz, Amos 55 Pabst, Georg Wilhelm 520 Paczensky, Gert von 294 Paetel, Karl Otto 141 Pannach, Gerulf 280 Paquet, Alfons 100 Pastior, Oskar 392 Pataki, Heidi 544 Pauli, Hertha 507 Paulmichl, Leonhard 585, 586, 591 Pauly, Paul-F. 336 Pawlowa, Wera 470 Pazi, Margarita 438 Pechel, Rudolf 86, 94, 169, 183, 184, 185, 186, 192, 219, 221, 304, 312, 577 Penzoldt, Ernst 168, 171, 172, 173, 177, 179, 191, 206, 212, 576 Perkonig, Josef Friedrich 487, 495, 522 Perutz, Leo 527 Peters, Arno 229 Petersen, Jan 141, 238, 418 Petter, Konrad 471 Pfaff, Ivan 459 Pfaff, Victor 405 Pfanner, Helmut F. 438 Pfemfert, Franz 141 Piérard, Louis 81, 152 Pinter, Harold 46, 337 Pinthus, Kurt 142, 414, 421 Pithart, Petr 463 Plenzdorf, Ulrich 279, 282, 284, 353 Plessen, Elisabeth 591 Plievier, Theodor 169, 173, 176, 183, 184, 185, 219, 221, 304, 576 Poche, Klaus 281 Podlech, Adalbert 379, 392, 400

608 

 Personenverzeichnis

Pohl, Gerhard 186 Polgar, Alfred 518, 573 Politkowskaja, Anna 65, 66, 337, 403, 466 Ponten, Josef 86, 87, 89, 90 Pope-Hennessy, Una 36 Popovic, Nenad 403 Preradović, Paula von 511, 524, 527 Presber, Rudolf 74, 77 Priester, Eva 507 Puhl, Widmar 588, 591 Pulver, Max 566 Purtscher-Wydenbruck, Nora 527 Pustejovski, Ottfried 463 Qing, Zhou 66 Radhakrishnan, Sarvepalli 311 Ragwitz, Ursula 294 Ralston Saul, John 8 Ramírez, Sergio 405 Rampolokeng, Losogo 405 Rathenau, Walter 77 Rathenow, Lutz 392, 440, 443 Ratz, Wolfgang 587 Rau, Johannes 462 Read, Herbert 527 Regler, Gustav 141, 148 Rehfisch, Hans José 141, 154, 156, 163, 425 Reich, Asher 405 Reich-Ranicki, Marcel 309, 392 Reich, Wilhelm 507 Reicke, Georg 74 Reifenberg, Benno 326 Reik, Theodor 507 Reimann, Max 419 Reimann, Paul 197 Reimann, Viktor 521 Reinfrank, Arno 346, 426, 433, 434, 435, 437, 438 Reinhardt, Max 483, 484 Reiter, Udo 459 Remarque, Erich Maria 99, 100, 112, 135, 158 Renner, Karl 495 Rennert, Jürgen 363, 393 Renn, Ludwig 138, 141, 148, 151, 152, 173, 176, 202, 205, 569, 576 Reschke, Thomas 368, 386, 387, 391, 398 Rheinberger, Hans-Jörg 591 Rheinhardt, Emil Alphons 517

Ribbentrop, Joachim von 507 Richter, Alexander 346 Richter, Hans 109 Richter, Hans Werner 323, 527 Riemerschmid, Werner 522 Rilla, Paul 229 Rill, Bernd 460 Rinke, Moritz 588 Rinser, Luise 181, 183 Rivero, Raul 463 Roček, Roman 542, 543, 550, 555, 556 Rodriguez, Jose Gallardo 42 Roessler, Arthur 507 Rolland, Romain 22, 118, 119, 481, 567 Rollett, Edwin 511, 514, 515, 516, 521, 523, 524, 536 Romains, Jules 28, 81, 101, 158, 159, 507 Romhányi, Istavan 469 Roosevelt, Franklin D. 6 Roque, Maria Beatriz 463 Roscher, Achim 393 Rosenberg, Alfred 109, 113, 136 Rosh, Lea 389, 392 Roth, Joseph 333, 502, 507 Rothmeier, Christa 462 Roubiczek, Paul 141, 423 Rousset, David 181 Rowohlt, Ernst 95 Ruchniewicz, Krzystof 467 Rücker, Günther 384, 385 Rugel, Eugen 238 Rühm, Gerhard 544, 545 Rühmkorf, Peter 349, 389 Ruppert, Helmut 469 Rushdie, Salman 47, 64, 363, 381 Russell, Bertrand 527 Rust, Bernhard 133 Rychner, Max 566, 575 Saalfeld, Martha 205, 210, 227, 308 Sabais, Heinz-Winfried 325, 326, 429 Sacher-Masoch, Alexander 512, 513, 514, 515, 516, 517, 522, 523, 524, 534, 535, 536 Sachs, Nelly 142, 413 Saenger, Samuel 77 Sager, Dirk 8, 59, 401 Sahl, Hans 141, 414, 424 Said 8, 337, 389, 401 Šalda, František Xaver 463

Personenverzeichnis 

Salema, Teresa 58 Salten, Felix 484, 485, 490, 492, 493, 496, 497, 499, 550 Samson, Horst 465, 467, 472 Sänger, Samuel 74 Sarkohi, Faraj 48, 49, 62, 64, 65, 402 Saro-Wiwa, Ken 48, 49, 64, 402 Sarraute, Nathalie 339 Scammell, Michael 280, 287, 288, 289, 296, 342 Schaber, Will 141, 427, 428, 434 Schädlich, Hans Joachim 349, 352, 372, 391, 439, 440, 441, 454 Schaefer, Oda 179, 227, 308 Schaffner, Jakob 100 Schalit, Leon 492, 496, 508 Schallück, Paul 312 Schapiro, Boris 450, 458, 459, 460 Scharang, Michael 544 Scharf, Christa 334 Schaukal, Richard von 482 Schedlinski, Rainer 377 Scheer, Maximilian 229 Scheffauer, Hermann George 74, 78, 82 Scheyer, Moritz 482, 492 Schickele, René 142, 143 Schirach, Baldur von 110, 507 Schlamm, William S. 309 Schlapp, Manfred 585, 586, 588, 589, 590, 591 Schlenstedt, Dieter 377, 378, 382, 384, 386, 390, 393 Schlesak, Dieter 443 Schlesinger, Klaus 281, 385 Schlösser, Manfred 389, 390, 391, 392 Schlösser, Rainer 110, 111, 112, 136, 174 Schlott, Wolfgang 454, 460, 465, 466, 467, 469, 470, 471, 472 Schmidt, Arno 310 Schmidt, Helmut 291, 315, 321, 335 Schmidt-Mühlisch, Lothar 443 Schmidt-Pauli, Edgar von 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 120, 121, 122, 136, 138, 139, 174, 488 Schmiele, Walter 307, 309, 311, 313, 316, 317, 318, 319, 320 Schmitz, O. H. 77 Schnabel, Ernst 323 Schneider, Jan 465 Schneider, Peter 440

 609

Schneider, Reinhold 172, 173, 175, 178, 187, 206, 212, 576 Schneider, Robert 557 Schneider, Rolf 279, 282, 363, 391 Schneider-Schelde, Rudolf 168, 172, 173, 176, 177, 179, 576 Schnitzler, Arthur 481, 482, 483, 484, 486, 491, 492, 499, 550, 567 Schnurre, Wolfdietrich 256, 313, 314, 315, 316 Schober, Rita 285, 298 Schoeller, Wilfried F. 9, 401, 405 Schoenberner, Gerhard 8, 40 Schoeps, Julius 458 Schöffler, Heinz 326 Schöffler, Micheline 326 Scholz, Karl Roman 517 Scholz, Wilhelm von 89, 229, 232, 486 Schönfelder, Andreas 471 Schönherr, Karl 484, 495 Schönwiese, Ernst 542, 543, 544, 545, 546, 547, 585 Schorlemmer, Friedrich 378, 382, 389, 392 Schrapel, Thomas 458 Schreier, Maximilian 492 Schreyvogl, Friedrich 491, 495, 518, 519, 522, 530 Schröder, Gerhard 315 Schröder, Rudolf Alexander 203, 227, 305 Schubert, Dieter 281, 377 Schubert, Helga 439 Schuenke, Christa 4, 403, 404 Schulz, Hermann 9 Schulz, Max Walter 372 Schumacher, Ernst 298 Schuschnigg, Kurt 493, 497, 499 Schütt, Peter 458 Schütz, Helga 349, 377 Schütz, Wilhelm Wolfgang 159, 160, 161, 162 Schwab-Felisch, Hans 332 Schwarze, Hanns Werner 291, 292, 334, 335, 339, 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 356, 369, 376, 379, 380, 438 Schwarz, Ernst 393 Schwarz, Freimut 156, 418 Schwarzschild, Leopold 141, 144 Schweitzer, Albert 310 Scott, Marjorie 81

610 

 Personenverzeichnis

Sebestyén, György 541, 543, 546, 547, 548, 551, 552, 553, 554, 556 Šedivý, Zdeněk F. 465 Seghers, Anna 141, 147, 148, 171, 172, 173, 176, 181, 182, 188, 190, 204, 221, 228, 238, 304, 316, 324, 576 Seidel Canby, Henry 114, 138 Seiler, Hellmut 467 Seitz, Karl 484 Selek, Pinar 67 Selinko, Annemarie 527 Setzer, Ursula 4, 334, 350, 379, 400 Seydel, Stefan M. 591 Seyppel, Joachim 282, 291, 292, 352, 372, 373 Shakib, Siba 589, 591 Shaw, George Bernhard 23, 482 Shipp, Horace 21 Silone, Ignazio 29, 573 Šimko, Dušan 470 Sinclair, May 21 Skif, Hamid 66 Skwara, Erich Wolfgang 442 Slaska, Ewa 454 Sölle, Dorothee 389 Solowkin, Emma 66 Solowkin, Sergej 66 Solschenizyn, Alexander 328 Šonka, Jaroslaw 457 Sonnenschein, Hugo 489, 491, 497, 500 Sontag, Susan 339 Sontheimer, Kurt 323 Southworld, Stephen 21 Soyfer, Jura 517 Sparschuh, Jens 377 Sperber, Manès 141 Sperr, Franziska 4, 404 Spiel, Hilde 196, 431, 488, 507, 538, 539, 540, 541, 542, 543, 545 Spinnen, Burkhard 394, 400 Spoerri, Theophil 566 Spunda, Franz 493 Stade, Martin 281 Staeck, Klaus 387, 389, 392 Stecher, Luis S. 586, 591 Steed, Wickham 149 Stefan, Paul 492 Steffen, Albert 565 Stehr, Hermann 75, 113, 137 Steinberg, S. D. 566

Steinmann, Renate 334 Stenbock-Fermor, Alexander 229, 247, 250 Stern, Carola 349, 352, 353 Stern, Guy 438, 443 Stern, Jeanne 268, 272, 284 Stern, Josef Luitpold 507 Stern, Kurt 148, 284 Sternberg, Dolf 177 Sternberger, Dolf 173, 177, 183, 186, 212, 221, 263, 304, 323, 324, 325, 326, 332, 576 Sternberg, Julian 482 Sternburg, Wilhelm von 294 Sternfeld, Wilhelm 141, 157, 189, 190, 191, 213, 222, 231, 306, 411, 412, 413, 414, 415, 419, 420, 421, 422, 423, 424, 425, 429 Sternheim, Carl 96, 101 Stickelberger, Emanuel 116, 563, 564, 565, 566, 567, 570, 571, 572, 579 Stoffregen, Götz Otto 110 Storm Jameson, Margaret 36, 37, 155, 501 Strahl, Rudi 393 Strasser, Johano 9, 389, 392, 394, 399, 400, 401, 405 Straumann, Heinrich 565, 574, 577 Strauß, Franz Josef 331, 334 Strauss, Thomas 458 Strelka, Joseph 438 Stresemann, Gustav 78 Strich, Fritz 564 Strittmatter, Erwin 238, 314, 316 Strittmatter, Eva 368 Ströbinger, Rudolf 451, 453, 454, 455, 456, 457, 458, 460, 461, 463, 464, 465, 473 Strobl, Karl Hans 495 Struzyk, Brigitte 378, 382, 386, 391, 403 Sudermann, Hermann 22, 73, 74, 75, 76, 77, 80 Superfin, Gabriel 333 Surava, Peter 588, 589 Süskind, Patrick 356, 357 Sussmann, Toni 88 Suttner, Bertha von 523 Svirsky, Gila 403 Syberberg, Rüdiger 228, 229, 232, 233 Syrett, Netta 21 Tabori, Paul 37 Tadjo, Véronique 405 Tandler, Julius 484 Taufer, Veno 53, 54, 58

Personenverzeichnis 

Tavernier, René 29, 345, 346 Taygun, Ali 46 Tennyson Jesse, Fryn 21 Tergit, Gabriele 141, 147, 421, 422, 423, 425, 426, 427, 430, 431, 432, 433, 437, 438 Thesing, Curt 227 Thiede, Carsten Peter 438 Thomas, Adrienne 141 Thompson, Dorothy 158, 527 Thorwald, Jürgen 586 Thürk, Harry 393 Tiedemann, Eva 423 Tigrid, Pavel 457, 464 Tillich, Stanislaw 468 Tkaschenko, Alexander 402 Toller, Ernst 5, 35, 86, 102, 103, 107, 115, 116, 123, 137, 138, 139, 142, 146, 150, 151, 158, 434, 489, 490, 497, 567, 568, 569 Torberg, Friedrich 492, 503, 504, 507, 523, 525, 528, 535, 537, 539, 540, 541, 542, 543 Tragelehn, B. K. 377, 378, 382, 386, 394 Trakl, Georg 517 Tralow, Johannes 91, 93, 168, 169, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 185, 189, 191, 194, 199, 202, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 212, 224, 225, 226, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 245, 247, 248, 249, 251, 305, 420, 576 Tramin, Peter von 543 Trebitsch, Siegfried 482, 502 Trepte, Hans-Christian 463 Trinkewitz, Karel 462 Troebst, Stefan 467 Tucholsky, Kurt 83, 135, 139 Tumler, Franz 519 Turrini, Peter 544, 546 Ugrešić, Dubravka 405 Uhse, Bodo 148, 229, 239, 241, 242, 243, 246, 247, 248, 249, 250, 258, 314 Ulbricht, Walter 244, 270, 271, 276, 316 Ulitzkaja, Ljudmila 405, 470 Ullmann, Ludwig 484, 493, 501, 503, 504, 507, 518 Unamuno, Miguel de 35 Undset, Sigrid 158 Unger, Wilhelm 422, 424 Unruh, Fritz von 86, 104, 112, 133, 158

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Urbanitzky, Grete von 116, 481, 482, 483, 484, 485, 486, 490, 493, 494, 495 Usakowska-Wolff, Urzula 465, 467, 469, 471 Usinger, Fritz 179, 206 Vaculík, Ludvík 468 Vadasi-Flinker, Bettina 453 Valéry, Paul 567 Vargas Llosa, Mario 340 Vegesack, Thomas von 342 Vejvoda, Jaroslav Marek 468 Velikić, Dragan 557 Venske, Regula 9, 407 Vercors d. i. Jean Marcel Bruller 170, 171 Vesper, Guntram 373 Vesper, Will 105, 112, 113, 136, 352, 372 Victor, Walther 141 Viebahn, Fred 443 Viertel, Berthold 156, 507, 527 Villain, Jean 349, 368, 374, 375 Vlk, Vladislav 462 Vogel, Hans-Jochen 336 Vogelsang, Henning von 591 Vogel, Traugott 566 Vogt, Elmar 585 Vriesland, Victor E. van 37 Vring, Georg von der 203, 205, 210, 227, 305, 313 Waggerl, Karl Heinrich 521 Wagnerova, Alena 470 Wagner, Richard 391 Walden, Herwarth 84, 89, 117, 118, 119, 136 Waldinger, Ernst 518, 527 Waldstetter, Ruth 565 Wali, Najem 591 Walser, Robert 563 Walter, Hans-Albert 333 Walter, Hilde 141 Walther, Joachim 377, 389, 393, 440, 458 Waser, Maria 566 Wassermann, Jakob 87, 101, 112, 138, 483 Wästberg, Per 338 Watts, Marjorie 23 Watzlawick, Paul 585, 586 Weber, Waldemar 460, 588 Weber, Werner 580 Wedgwood, Veronica 311 Wegner, Armin T. 86, 141

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 Personenverzeichnis

Weibel, Peter 544 Weigel, Hans 523, 524, 525, 528, 529, 533, 534, 535, 536, 537, 538, 539 Weiner, Christine 407 Weinert, Erich 229 Weinheber, Josef 487 Weirich, Dieter 460 Weisenborn, Günther 169, 171, 173, 175, 177, 179, 181, 182, 205, 208, 209, 210, 211, 212, 219, 224, 225, 226, 232, 306, 576 Weiskopf, F. C. 148, 421 Weismantel, Leo 227 Weizsäcker, Richard von 338, 339 Welk, Ehm 193, 202, 205, 208, 228 Wellesz, Egon 508 Wells, H. G. 28, 35, 115, 116, 118, 121, 137, 138, 145, 153, 488, 489, 491, 496, 497, 498, 507, 567, 569, 570 Weltmann, Lutz 155, 156 Wendt, Erich 191, 232, 236, 249 Wenger, Lisa 565 Wenzel, Hans-Eckardt 377 Werfel, Franz 104, 134, 148, 158, 332, 484, 486, 499, 502, 503, 507, 508, 515, 517, 527, 550 Werner, Bruno E. 323 Werner, Kasimir Geza 450, 451 Werner, Ruth 393 Wesel, Uwe 389 Weskott, Martin 387, 398 Westphalen, Joseph von 389 Westphal, Uwe 426, 436, 437, 441 West, Rebecca 21, 23 Wexler, Alexandra 416 Weyrauch, Wolfgang 326, 428 Wickenburg, Erik 546, 547, 553 Wickert, Ulrich 389 Wiechert, Ernst 101, 169, 170, 172, 219, 527, 573, 575 Wied, Martina 519 Wiegler, Paul 173, 175, 576 Wiens, Paul 283, 284, 285, 316 Wiese, Carlfriedrich 232, 235, 236 Wiesner, Herbert 9, 392, 394, 400, 401, 405 Wildbrandt-Baudius, Auguste 492 Wilder, Thornton 28, 311, 507 Wildgans, Anton 483, 484, 527 Willmann, Heinz 197 Willms, Johannes 371 Winckler, Josef 90

Wiplinger, Peter Paul 552 Wirz, Mario 587, 591 Wirz, Otto 566, 568 Wittfogel, Karl August 138 Wittlin-Frischauer, Alma 492 Wolde, Ludwig 112 Wolf, Christa 8, 272, 278, 279, 282, 284, 340, 353, 355, 362, 363, 364, 371, 376, 393 Wolf, Friedrich 141, 171, 173, 175, 178, 181, 182, 204, 228, 305, 576 Wolf, Gerhard 278, 279, 284, 353 Wolfenstein, Alfred 141 Wolff, Ilse R. 437 Wolff, KD 386, 395, 400 Wolff, Theodor 135, 139 Wolffheim, Elsbeth 59, 61, 392, 394, 400, 403, 404 Wölfflin, Heinrich 566 Wolfskehl, Karl 141 Wolter, Christine 378 Wotruba, Fritz 520, 538 Wüsten, Johannes 141 Wyatt, Sara 40 Yusif, Helim 472 Zagajewski, Adam 405 Zahn, Ernst 566 Zarek, Otto 155 Zeemann, Dorothea 530, 540, 543 Zehnhoff, Albert am 591 Zerfass, Julius 141 Zernatto, Guido 497, 498, 499 Ziętkiewicz, Grzegorz 454 Zilk, Helmut 551 Zimmering, Max 154, 418 Zimmermann, Friedrich 335, 336 Zobeltitz, Fedor von 74, 77, 89, 91, 106, 109, 110, 111 Zohn, Harry 552 Zsolnay, Paul 484, 495, 496, 518 Zuckerkandl, Berta 482, 484, 507, 550 Zuckmayer, Carl 101, 158, 527 Zühlsdorff, Volkmar 6 Zweig, Arnold 86, 101, 112, 138, 141, 143, 148, 158, 188, 193, 194, 195, 202, 204, 205, 228, 238, 243, 247, 248, 250, 252, 255, 256, 258, 260, 266, 268, 304, 305, 310, 320, 324, 423, 528, 578

Personenverzeichnis 

Zweig, Beatrice 238 Zweig, Stefan 107, 112, 138, 143, 158, 484, 486, 498, 501, 502, 507, 508, 517, 527, 550

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