Handbuch der plastischen Chirurgie: Band 2 Spezielle plastische Chirurgie [Reprint 2011 ed.] 9783111578422, 9783110046496


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German Pages 3082 [3418] Year 1973

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Handbuch der plastischen Chirurgie: Band 2 Spezielle plastische Chirurgie [Reprint 2011 ed.]
 9783111578422, 9783110046496

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HANDBUCH DER PLASTISCHEN

CHIRURGIE

HANDBUCH DER PLASTISCHEN CHIRURGIE HERAUSGEGEBEN

VON

E R W I N G O H R B A N D T f J O A C H I M GABKA ALFRED B E R N D O R F E R

B A N D II · 1. T E I L SPEZIELLE PLASTISCHE

W G DE

CHIRURGIE

WALTER DE GRUYTER B E R L I N · NEW YORK 1973

PROF. DR. MED. Ε. GOHRBANDT ο. ö. Prof. emer. und ehem. Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Moabit, Berlin PROF. DR. DR. MED. J. GABKA Kiefer-und Gesichtschirurgische Abteilung des Städtischen Rudolf-Virchow-Krankenhauses, Berlin DR. MED. A. B E R N D O R F E R Chefarzt der Abteilung für angeborene Mißbildungen im Paul-Heim-Hospital, Budapest

ISBN 311004649 0 © Copyright 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., D-l Berlin 30. Alle Rechte, einschließlich der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbehalten. Satz und Druck: Walter de Gruyter, Berlin · New York Printed in Germany 1973

INHALTSANGABE Die Beiträge sind mit ihren Nummern (fett) sowie den Seitenzahlen in der Seitenüberschrift aufzusuchen. Vor jedem Beitrag befindet sich ein grünes Vorschaltblatt mit genauem Inhaltsverzeichnis. Das Sachregister für Band I und I I des Handbuches erscheint nach Abschluß des zweiten Bandes.

Band II, 1. Teil: Beitrag

1: Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie des knöchernen Hirnschädels (STRELI)

Beitrag 2: entfällt Beitrag 3: Seltene Mißbildungen im Bereich des Schädels, des Gesichtes und des Halses (BERNDORFER, GABKA)

Beitrag 4: Plastische Versorgung ausgedehnter elektrischer Verbrennung Bereiche des Schädels

im

(STRELI)

Beitrag 5: Ästhetische Chirurgie im Schädelbereich (STRELI)

Beitrag 6: Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (ESCHLER, FRIEDL)

Beitrag 7: Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts (GABKA)

Beitrag

8: Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter (NEUNER)

Beitrag 9: Sprach verbessernde Operationen nach funktionell unbefriedigender Gaumenplastik und Tonsillektomie (HERFERT)

Beitrag 10: Prothetische Maßnahmen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (BÖTTGER)

Beitrag 11: Muskelplastiken bei mandibulo-fazialen Dysplasien (ESCHLER)

Beitrag 12: Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts Teil I (ROSENTHAL)

Beitrag 13: Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts Teil I I ( K Ö L E , ZLSSER)

Beitrag 14: entfällt Beitrag 15: Der Lupus vulgaris faciei und seine Komplikationen (ROSENTHAL)

Beitrag 16: Versorgung von Verbrennungen im Bereiche des Kopfes, des Gesichts und des Halses (PONTEN)

Beitrag 17: Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im KopfHals-Bereich (GRIMM)

Beitrag 18: entfällt Beitrag 19: Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels (STELLMACH)

Beitrag 20: Hämangiome —• Lymphangiome (ZOLTÄN)

Beitrag 21: Die Chirurgie der Fazialislähmungen (MIEHLKE)

Band II, 2. Teil: Beitrag 22: Konservative und operative Behandlung von Gesichtsschädelfrakturen (NEUNEB)

Beitrag 23: Funktionelle und ästhetische Rehabilitation nach Tumor-Operationen im Kiefer-Gesichtsbereich (NEUNER)

Beitrag 24: Knochenplastiken im Gesichtsbereich (GABKA, SCHLEGEL)

Beitrag 25: Plastische Versorgung von Zertrümmerungen, Defektbildungen und Wachstumsstörungen im Bereich der Gesichtsknochen (NEUNER)

Beitrag 26: Ästhetische Operationen im Mund- und Kieferbereich (KÖLE)

Beitrag 27: Grundlagen der Profiloplastik (GONZALEZ-ULLOA)

Beitrag 28: Ästhetische Chirurgie des Gesichts (WEGENER)

Beitrag 29: Die Behandlung der Gesichtsrunzeln (MARINO)

Beitrag 30: Epithetik des Gesichtes (WEISKOPF)

Beitrag 31: Zahnärztlich-prothetische Behandlungen im Rahmen plastischchirurgischer Eingriffe (BÖTTGER)

Beitrag 32: Rhinologische Grundlagen und Indikationen für korrigierende Eingriffe im Nasenbereich (NAUMANN)

Beitrag 33: Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie der Nase (HAAS, MEYER)

Beitrag 34: Ästhetische Chirurgie der Nase (WALTER)

Beitrag 35: Epithetik der Nase (WEISKOPF)

Band II, 3. Teil: Beitrag 36: Plastische Chirurgie der Orbita (WALSER)

Beitrag 37: Epithetik der Orbita (WEISKOPF)

Beitrag 38: Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie des Ohres (MEYEK, SIEBER)

Beitrag 39: Epithetik des Ohres (WEISKOPF)

Beitrag 4 0 : Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie des Halses Teil I (HAYM)

Beitrag 41: Plastische und rekonstruktive Chirurgie des Halsbereichs Teil I I (DENECKE)

Beitrag 42: entfällt Beitrag 43: Ästhetische Chirurgie des Halses (WEGENER)

Beitrag 44: Seltene Mißbildungen im Bereich des Rumpfes (BERNDORFER)

Beitrag 45: Brust- und Bauchplastiken (ONDARZA)

Beitrag 46: Lappenplastiken im Stammbereich (ZOLTÄN)

Beitrag 47: entfällt Beitrag 48: Verbrennungen im Bereiche des Stammes (PONTEN)

Beitrag 49: entfällt Beitrag 50: Ästhetische Chirurgie im Stammbereich (WEGENER)

Band II, 4. Teil: Beitrag 51: Konstruktive, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie des männlichen Urogenitaltraktes (FARKAS)

Beitrag 52: entfällt Beitrag 53: Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie der oberen Extremitäten (RETTIG, EICHLER)

Beitrag 54: Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie der unteren Extremitäten (RETTIG,

EICHLER)

Beitrag 55: Verbrennungen der Extremitäten (PONTEN)

Beitrag 56: entfällt

Beitrag 57: Stumpf- und Fersenplastiken (unter besonderer Berücksichtigung der Spätergebnisse) (LANG)

Beitrag 58: Funktionelle und ästhetische Behandlung der Varizen im Bereich der unteren Extremitäten (JAEGER)

HANDBUCH D E R

PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHRBANDT

· J . GABKA

· A.

BERNDOBFEB

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

1. Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie des knöchernen Hirnschädels R.

STRELI,

Linz

Inhaltsübersicht 1

c) Freie Kalottenautoplastik

A. Einleitung

1

B . Cranium bifidum 1. Indikation 2. Operation

2 3 3

d) Frische autoplastische beintransplantation

C. Kongenitale Schädeldefekte

4

I . Konstruktive Chirurgie

I I . Rekonstruktive Chirurgie A. Einleitung B . Indikation zur Kranioplastik

. . . .

C. Allgemeines über die Wiederherstellung von Defekten des knöchernen Hirnschädels

5

23

2. Technik der Transplantation

24

8

3. Frische autoplastische Pfropfung von homoioplastischen Transplantaten

9 9 10 10

E . Kranioautoplastik 1. Transplantation frischer gespaltener autoplastischer Rippen . . . . a) Entnahme von Rippentransplantaten b) Technik der Rippentransplantation

11

Volhsfeststr. 1

22

5

D. Bedingungen für die Kranioplastik . 1. Zeitpunkt der Operation 2. Schnittführung 3. Präparation des Defektes

Linz/Österreich

22

1. Gewinnung der Kalottentransplantate und Konservierung

BASSETT

Dr. R. Streli

22

F . Kraniohomoioplastik

a) Methode

Anschrift des Verfassers:

19

Schien-

3. Knorpel

9

2. Andere Knochenautoplastiken. . . a) Darmbeinautoplastik b) Autoplastik mit dem Schädelknochen

. . .

von

b) Methode von

CAMPBELL

. . .

» 29

und 29

30

STBELI

4. Homoioplastischer Knorpel . . . . G. Kranioheteroplastik

32 32

H. Kranioalloplastik

33

11

1. Tantal-Kranioplastik

33

12

2. Kranioplastik mit rostfreien Stahlplatten

34

12

3. Kunststoffkranioplastik

35

16 17

I. Toter Raum unter der Kranioplastik .

38

K . Duraplastik

40

18

M. Infektion

L. Epilepsie und Kranioplastik

. . . .

41 42

1. Konstruktive und rekonstruktive Chirurgie des knöchernen Hirnschädels R.

STRELI

I. Konstruktive Chirurgie A. Einleitung Die konstruktive Chirurgie des knöchernen Hirnschädels umfaßt die angeborenen Defekte. Es ist verständlich, daß im Rahmen der plastischen Chirurgie nur diejenigen Defekte des Schädels behandelt werden, die das Leben nicht unmittelbar bedrohen. Schon E R N S T gab in der Morphologie der Mißbildungen des Menschen und der Tiere, herausgegeben von S C H W A L B E , eine genauere Aufgliederung der Defekte, die von der Kranioschisis bis zur Zephalozele und den Schädelspalten reichen. Er unterscheidet breite Öffnungen im Schädel, die das Leben auf Stunden oder Tage beschränken und engere Öffnungen im Schädelbereich. I n neuerer Zeit hat sich D E G E N H A R D T mit diesem Thema beschäftigt. I n der Humangenetik, herausgegeben von B E C K E R , finden wir unter dem Kapitel „Mißbildungen bei fehlendem oder mangelhaftem, Schluß des Neurairohrs" die verschiedenen Mißbildungstypen. Da uns in diesem Rahmen nur die kleineren Schädeldefekte interessieren, die allgemeinhin als Zephalozelen bezeichnet werden, soll hier eine kurze Einteilung nach H A L L E R VORDEN zitiert werden, die einen Überblick über die jeweiligen Defekte gibt. 1. Zephalozelen der Schädelkonvexität: C. occipitalis superior, C. occipitalis inferior, C. sagittalis, C. syncipitalis = interfrontalis, atypische Zephalozele, laterale Zephalozele. 2. Zephalozelen der Schädelbasis: C. frontoethmoidalis, C. nasofrontalis, C. nasoethmoidalis, C. nasoorbitalis = C. orbitalis anterior; C. sphenoorbitalis = C. orbitalis posterior, C. sphenomaxillaris, C. nasopharyngealis, C. transethmoidalis, C. sphenoethmoidalis, C. sphenopharyngealis.

Eine ähnliche, m, E. noch übersichtlichere Einteilung hat bereits S C H Ü L L E R in der EüLENBURGschen Realenzyklopädie der gesamten Heilkunde gegeben. E r schreibt: „Der Sitz dieser Zephalozelen findet sich meist an den Stellen, die den vorderen, hinteren unteren Hörnern des großen oder den Ventrikeln des kleinen Hirns entsprechen. Die durch die Zephalozele gebildete Geschwulst tritt am Vorderhaupt, an der Nasenwurzel, am unteren Teil der Stirnnaht oder an der Verbindung von Sieb- und Stirnbein hervor: Herniae syncipitales. J e nach der Richtung, die diese einschlagen, unterscheidet man Herniae nasofrontales, nasoethmoidales, nasoorbitales. An der Austrittstelle der Hernie zeigen die Schädelknochen einen Kanal oder auch ein Loch, begrenzt von den auseinander gedrängten meist auch mehr oder weniger mangelhaft gebildeten Knochenteilen des Siebbeins, des Nasenbeins, des Stirnbeins, der Tränenbeine, ja selbst der Nasenfortsätze der Oberkiefer. Häufiger als diese am Vorderhaupt vortretenden Herniae syncipitales sind die am Hinterhaupt hervortretenden Herniae occipitales. Hier kommen sie sowohl nahe an der Handb. Plast. Chir., Bd. I I

135

2 I 1

R. Streli, Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

kleinen Fontanelle als auch in dieser selbst vor, die man als Hernia occipitalis superioris von den unterhalb der Spina occipitalis hervortretenden unterschieden hat. Die Pforte dieser letzteren, der Herniae inferiores kann mit dem Foramen magnum zusammenfließen. Sehr viel seltener als die eben genannten sind die Gehirnbrüche an anderen Stellen, wie an der großen Fontanelle: Herniae sagittales; an der Sutura squamosa; Herniae laterales; an der Schädelbasis (Fissura orbitalis oder zwischen Sieb- und Keilbein: Herniae basales)." Nach der eingehenden kasuistischen Zusammenstellung von R E A L I N fanden sich unter 68 Zephalozelen 10 an der Nasenwurzel, 9 in der Stirnnaht, 5 an der kleinen Fontanelle und 22 am Hinterhauptbein; die übrigen zeigten sich vereinzelt an einer der anderen genannten Stellen. Nach einer Bearbeitung L A R G E R s gehörten von 8 5 genau beschriebenen Fällen 44 der okzipitalen, 41 der synzipitalen Region an. Die Zephalozelen sollen bei weiblichen Kindern etwas häufiger sein wie bei männlichen. Sie sind übrigens relativ seltene Mißbildungen. Nach H E I N E R E fand V I E N E S bei 5 0 0 0 Geburten nur 1 , T R E L A T bei 1 2 9 0 0 Geburten 3 Fälle von Zephalozelen. Angeborene Knochendefekte am Schädel werden jedoch auch ohne begleitende Mißbildung des Gehirns, der Hirnhäute oder der Kopf schwarte beobachtet. Campbell hat als erster einen angeborenen Knochendefekt am Schädel im Jahre 1826 beschrieben. Sein erster Fall war ein Säugling, der mit einem Kopfschwarten- und Schädeldefekt geboren wurde. Der Defekt im Bereiche des Bregma verursachte eine tödliche Blutung aus dem Sinus sagittalis anterior, an der das Kind acht Tage nach der Geburt ad exitum kam.

Es ist verständlich, daß das Bestreben, einen angeborenen Schädeldefekt zu verschließen besteht und daß dies möglichst frühzeitig durchgeführt werden sollte. Es besteht nach derzeitigen Erfahrungen auch keinerlei Zweifel, daß der Autoplastik der Vorzug gebührt. Der Verschluß solcher angeborener Schädellücken in der Jugend wird schon deshalb empfohlen, weil sich das Transplantat postoperativ dem wachsenden Schädel anpaßt und mitwächst. Hierzulande sind angeborene Schädeldefekte ziemlich selten. Irn Landeskinderkrankenhaus in Linz/Donau in Oberösterreich h a t H . H A R T L vor 10 Jahren die Leitung der Chirurgischen Abteilung mit 100 Betten übernommen. Er hatte bis zum heutigen Tag über 50 000 stationäre Patienten und 42 000 Operationen in diesem Zeitraum durchgeführt. E r beobachtete nur 7 angeborene Schädeldefekte. Neuerdings werden Versuche unternommen, statt der Autoplastik auch andere Materialien zur Deckung dieser angeborenen kindlichen Schädeldefekten zu verwenden. Unter der Leitung von H A R T L läuft eine Serie von Fällen, bei denen Kieler Knochenspäne zur Defektdeckung verwendet werden. Die Ergebnisse sind noch nicht abgeschlossen. Als allgemeine Richtlinie kann derzeit angenommen werden, daß kindliche Schädeldefekte frühzeitig verschlossen werden sollen, nach Möglichkeit im 1. Lebensjahr. Die meisten Autoren und auch H A R T L sind der Ansicht, daß dieser Eingriff nicht in den ersten 3 Monaten, sondern eher im 5. und 6. Monat durchgeführt werden sollte. (Vgl. auch B E R N D O R E E R und G A B K A , Seltene Mißbildungen im Bereich des Schädels, des Gesichts und des Halses, Band II.) B. Cranium bifidum Die Meningozele oder die Enzephalo-Meningozele kann an jedem beliebigen P u n k t im Bereiche des Scheitels oder der Schädelbasis entstehen. Da von außen nicht festgestellt werden kann, ob es sich nur um eine Meningozele oder eine Enzephalo-Meningozele handelt, werden diese Vorwölbungen unter dem Begriff Enzephalozele behandelt. Sie liegen gewöhnlich in der Mittellinie, am häufigsten okzipital und sind dann oft mit verschiedenen Mißbildungen des Hinterhirns kombiniert.

Konstruktive Chirurgie

1 I3

Die Diagnose wird meistens bei der Geburt gestellt. Lage und Aussehen der Vorwölbung genügen in der Regel, u m die Diagnose sicher zu stellen. Die Differentialdiagnose gegenüber einer Dermoidzyste oder einer Gefäßmißbildung der Kopfschwarte k a n n jedoch manchmal erst durch die Röntgenuntersuchung oder durch die Operation gestellt werden. Beim einseitigen Exophthalmus kann eine orbitale Enzephalozele vorliegen. Nasale u n d nasopharyngeale Enzephalozelen werden unter U m s t ä n d e n f ü r Nasenpolypen oder extrakranielle Tumoren, die die Luftwege einengen, gehalten. Enzephalozelen können gestielt oder breitbasig sein. Sie sind manchmal mit einem dünnen Epithel bedeckt. Manchmal sind sie mit normal dicker Kopfschwarte überzogen. Die großen Enzephalozelen, die die Größe des Säuglingskopfes erreichen, enthalten oft nur Flüssigkeit, während kleinere Enzephalozelen hauptsächlich Hirngewebe enthalten. Die Routineröntgenaufnahmen lassen Größe und Lage des Schädeldefektes erkennen. Durch die Ventrikulographie kann die Weite des Ventrikelsystems und die Beteiligung von Hirngewebe nachgewiesen werden. 1. Indikation Die Indikation zur Operation sollte großzügig gestellt werden, doch ist ein Eingriff bei schwer hirngeschädigten Kindern nicht angezeigt. Wenn die Enzephalozele von einem sehr dünnen Sack gebildet wird und die Zerreißung droht oder wenn es schon zur Zerreißung gekommen ist, d a n n soll die Operation sofort, sonst erst in den ersten Lebenswochen durchgeführt werden, wenn das Kind an Gewicht zuzunehmen beginnt. Durch die Frühoperation wird die schwierige Pflege umgangen und das psychische T r a u m a für die Eltern gemildert. 2. Operation Die Operation nach I N G R A H A M und M A T S O N besteht in der Abtragung des Sackes und dem dichten Verschluß durch Naht. Außerdem soll die H a u t zweischichtig genäht werden. I n der Regel wird eine quere elliptische Hautinzision verwendet, nur subkozipital ist eine Längsinzision besser. Die okzipitalen Knochendefekte werden nicht kranioplastisch versorgt. I n der Stirngegend ist jedoch die kranioplastische Versorgung angezeigt. Nach der Hautinzision wird bis zum Periost des Randes des Knochendefektes vorpräpariert, der Enzephalozelensack dargestellt, eröffnet, die Adhäsionen zum Hirngewebe hin gelöst u n d das Hirngewebe in das Schädelinnere zurückverlagert. Der Enzephalozelensack wird amputiert, wobei genügend Gewebe an der Basis zu belassen ist, u m einen wasserdichten Verschluß zu sichern. Zur Sicherung der Dichtigkeit des Verschlusses k a n n ein Periostlappen über die N a h t gesteppt werden. Bei Enzephalozelen an der Nasenwurzel und bei Enzephalozelen im Stirnbereich, im Bereiche der Orbita oder der Lamina cribriformis ist

Abb. 1. Schematische Darstellung der beidseitigen Entnahme von subtemporalen (unter dem M. temporalis gelegenen) Knochentransplantate. Diese werden zum Ersatz des Stirnbeines bei einer frontalen Enzephalozele mit Stirnbeindefekt verwendet. Die beiden Transplantate werden mit Drahtnähten am Rande des Defektes befestigt und auch miteinander durch Drahtnähte verbunden. 135*

4 I 1

R. STBELI, Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

es empfehlenswert, einen bikoronaren S-Schnitt durchzuführen und den frontalen Weichteillappen nach vorne umzuklappen. Die Versorgung der Knochenlücke geschieht nach I N G R A H A M und M A T S O N durch ein Tantalnetz oder durch Knochentransplantate. Als Knochentransplantate haben sich die Schläfenbeinanteile, die unter dem Temporalmuskel liegen, als geeignet erwiesen. Die temporalen Knochentransplantate können beidseitig gewonnen werden (Abb. 1). Es ist überflüssig, hier zu erwähnen, daß der Duradefekt im Bereiche der vorderen Schädelbasis in der üblichen Weise geschlossen werden soll, am besten mit einem gestielten Duralappen, wie dies später beschrieben wird. Wenn Knochentransplantate verwendet werden, ist es in Anbetracht der Dünne der Säuglingskalotte besser, Drahtnähte statt Bohrdrähte zur Fixation zu verwenden. In der postoperativen Periode ist es manchmal notwendig, den Ventrikeldruck durch intermittierende oder Dauerdrainage zu behandeln, bis die Wundheilung abgeschlossen ist (MAIER).

C. Kongenitale Schädeldefekte Angeborene Schädeldefekte kommen isoliert vor, also ohne Mißbildung der angrenzenden Weichteile nach innen oder nach außen. Die angeborenen Defekte liegen in der Mittellinie oder auch seitlich, sind von 1 cm Durchmesser bis zu 8 x 1 0 cm groß. Sie betreffen meistens nur Teile eines Schädelknochens. Persistente Schädeldefekte werden auch gelegentlich im Bereiche der parietalen Emissarien gesehen und sind dann gewöhnlich beidseits symmetrisch vorhanden. Gelegentlich werden solche persistierende Defekte in der Gegend der Emissarien des Mastoids gefunden. Das charakteristische dieser kongenitalen Schädeldefekte ist der Umstand, daß der spontane Verschluß im Rahmen des Knochenwachstums ausbleibt. Demgegenüber schließt sich ein traumatischer oder chirurgischer Knochendefekt des Schädeldaches bei Kindern oft spontan und rasch durch Knochenwachstum von den Rändern der Schädellücke oder, wie INGRAHAM und M A T S O X meinen, auch von der Dura her. Wenn die Schädeldefekte größer als 2—3 cm im Durchmesser sind, kann die Indikation zum kranioplastischem Verschluß gestellt werden. Da das Gehirn und damit der Schädel in den ersten 3—4 Lebensjahren rasch wächst, empfehle ich, mit der Kranioplastik bis zum 4. Lebensjahr zu warten. Die beste Methode zum Verschluß dieser kongenitalen Schädellücken ist die Plastik mit gespaltenen frischen autoplastischen Rippen. Fremdknochen werden bei Kindern oft rasch resorbiert. Metallprothesen passen sich dem wachsenden Schädel schlecht an. Sie können vom 3. Lebensjahr an verwendet werden. Bei wachsenden Kindern hat sich Methylmethakrylat nicht bewährt. Das kosmetische Resultat war unbefriedigend. Besteht neben dem Schädeldefekt gleichzeitig ein Kopfschwartendefekt, dann wird die Behandlung komplizierter. Bei intakter Dura epithelisieren oft große Knochenschwartendefekte rasch, wenn vom Anfang an die Infektion vermieden wird und der Defekt rein gehalten werden kann. Die Schädelplastik muß dann oder kann verzögert ausgeführt werden. Bei Defekten der Kopfschwarte in der Mittellinie ist es manchmal empfehlenswert, eine Z-Plastik der Kopfschwarte auszuführen oder einen gestielten Lappen über den Defekt zu verlagern, um eine rasche Deckung herbeizuführen. Bei angeborenen Kopfschwartendefekten, bei denen auch der darunter liegende Knochen fehlt und eine Kranioplastik voraussichtlich später durchgeführt werden soll, ist es zweckmäßig, zur Deckung nicht Spalthaut zu verwenden, sondern gestielte großflächige Lappen aus der Nachbarschaft (STRELI).

Es gibt auch Defekte der Kopfschwarte, des Knochens und der Dura im Bereiche des Scheitels. Entwicklungsstörungen des Gehirns müssen deshalb nicht gleichzeitig bestehen, jedoch sind diese angeborenen Defekte sehr gefährlich und müssen sorgfältig versorgt

Rekonstruktive Chirurgie

werden. Es bildet sich sehr rasch eine Kruste auf einer derartigen Wunde, die aber leicht bricht und dann eine tödliche Blutung zur Folge haben kann. In solchen Fällen sollte die Schorfbildung vermieden werden. Die Behandlung besteht in feuchten Verbänden bis die Epithelisierung vollständig ist oder in der plastischen Deckung. I N G R A H A M und M A T S O N zeigten in ihrem Buch den Fall eines 2 Wochen alten Kindes, das mit einem angeborenen Kopf schwarten- und Schädelknochendefekt und Defekt der Meningen über dem Vertex eine schwere Blutung erlitt. Die eingetrockneten Sekrete im Bereiche des Hautdefektes bildeten eine Kruste. Durch das Ablösen der Kruste kam es am hinteren Rand des Defektes in der Mittellinie 3 mal zu Gefäßeinrissen und lebensbedrohlichen Blutungen. Als das Kind 7 Monate alt war, hatte sich der Hautdefekt gänzlich epithelisiert. Es soll hier noch erwähnt werden, daß es auch angeborene Defekte des Keilbeines gibt. Angeborene Defekte des Keilbeines wurden zuerst von D A N D Y beschrieben. Der einseitige Keilbeindefekt kann den großen und kleinen Keilbeinflügel mit einschließen. Deshalb wird der Inhalt der gleichseitigen Orbita nach abwärts und vorwärts verschoben und ein Exophthalmus entsteht. Bei Bestehen eines pulsierenden Exophthalmus, der sich mit zunehmendem Alter des Kindes verschlechtert, ist die Deckung des Defektes des Orbitaldaches und der lateralen Wand der Orbita durch ein Knochentransplantat in Erwägung zu ziehen. Die lateralen Defekte des großen Keilbeinflügels sollen am besten mit gespaltenen Rippen geschlossen werden. B R A N D E S K I hat in der letzten Zeit angeborene Schädelknochendefekte bei Kindern mit Kieler Knochenspänen verschlossen. Die Beobachtungszeit ist zu kurz, um über den Wert dieser Technik zu urteilen. Das Gebiet der Kraniosynostosen fällt weitgehend in den Bereich der neuro- und kinderchirurgischen operativen Versorgung und wird daher hier nicht abgehandelt. (Vgl. B E R N D O R F E R und G A B K A , Seltene Mißbildungen im Bereich des Schädels, des Gesichts und des Halses, Band II.)

II. Rekonstruktive Chirurgie A. Einleitung Bei der rekonstruktiven Chirurgie des Hirnschädels handelt es sich im wesentlichen um Verformungen umschriebener Bezirke des Schädels oder des ganzen Schädels oder um Defekte, die durch die verschiedensten Ursachen zustande gekommen sein können. Die meisten Defekte der Kaivaria entstehen primär nach offenen Schädelfrakturen oder sekundär durch die Behandlung geschlossener oder offener Schädelbrüche. Auch durch die Entlastungstrepanation nach Schädelhirntraumen oder bei Kindern nach Bleivergiftung entstehen Defekte des Hirnschädels. Andere Gründe für Schädeldefekte sind Zustände nach operativer Behandlung osteomyelitischer Bezirke. Geschwülste können den Schädelknochen befallen und die Resektion von Kalottenteilen erforderlich machen. Dem Knochen benachbarte Geschwülste können ihn durchwachsen und zerstören und die Resektion notwendig machen. Von den Geschwülsten möchte ich die Osteome, die Osteosarkome, Haemangiome und die Meningiome erwähnen. Knochendefekte können auch an Epidermoid- und Dermoidzysten angrenzen. Auch durch metastatische Geschwülste können Defekte des Schädelknochens entstehen, zuweilen durch Druck auf den Schädelknochen, wie D A N D Y es beschrieben hat. In letzter Zeit hat das Eosinophile Granulom (Abb. 2) mehr Bedeutung erlangt, vor allem deshalb, weil es in der Hälfte der Fälle auf eine traumatische Ursache zurückgeführt wird. Weitere Ursachen für Schädeldefekte sind die sogenannten wachsenden Frakturen im Kindesalter. Hier kommt es zur Resorption im Bereiche des Bruches am Schädeldach, wobei der Defekt mit zunehmendem Wachstum an Größe zunimmt. Nach der Trennung von Kraniopagen sind ebenfalls Schädeldefekte der Einzelindividuen vorhanden, die eine Deckung verlangen.

R.

STRELI,

Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

Rekonstruktive Chirurgie

Die Osteome sind die bei weitem häufigsten Tumoren des knöchernen Schädels. Sie kommen lokalisiert aber auch diffus vor und können von jedem Schädelteil ausgehen. Jedoch ist die Kalotte bevorzugt. Osteome, die in der Sinusgegend sitzen, verursachen oft eine Proliferation von fibrösem Gewebe, weshalb D A N D Y diese Tumoren als Osteofibrome klassifiziert. Vorwölbungen am Knochen können durch Diploefibrome entstehen, aber auch durch intrakranielle Dermoidzysten. Kürzlich habe ich bei einem Fall ein mehr diffuses Osteom des rechten Stirnhöckers vermutet. Die Patientin kam wegen der Asymmetrie der Stirn und wegen der Prominenz der rechten Stirn und der daraus resultierenden kosmetischen Störung zur Operation. Es handelte sich aber nicht um ein Osteom, sondern um eine Wachstumsanomalie mit Prominenz des rechten Stirnhöckers. Die histologische Untersuchung des abgemeißelten Knochens ergab normale Struktur der Lamina externa und Diploe. Während die gutartigen Tumoren meistens eine Hypertrophie des Schädels verursachen, rufen die bösartigen Tumoren, nämlich die Sarkome und Osteosarkome eine Zerstörung hervor. Wenn die Destruktion des Knochens vollständig ist, dann sind die Hirnpulsationen im Defekt fühlbar. Die Entfernung dieser Malignome sollte weit im Gesunden erfolgen, jedoch nur dann, wenn es sich um einen Einzelherd handelt. Die Prognose ist in jedem Falle dubiös. Die metastatischen Tumoren des köchernen Schädels sind Karzinome und Sarkome. Während die ersteren meistens kleinere Defekte verursachen, die im Röntgenbild sichtbar sind, sind die metastatischen Sarkome seltener multipel und meist größer. Bei multiplen Schädeldefekten durch metastatische Tumoren ist ein operatives Eingreifen derzeit nichtindiziert. Vorwölbungen und Eindellungen vom Schädel können auch durch Frakturen, die mit Verwerfung oder Impression geheilt sind, vorkommen. Bei der fibrösen Dysplasie des Schädels wurde mit kosmetischer Indikation eine chirurgische Behandlung meines Wissens nicht durchgeführt. I N G R A H A M und M A T S O N haben ebenfalls noch keinen derartigen Fall operiert. Sie haben jedoch die Ansicht vertreten, daß bei besonders schwerer Deformation des Stirnbeines eine rekonstruktiv-plastische Operation in Frage käme. Summarisch betrachtet verbleiben der plastischen Wiederherstellung im wesentlichen die umschriebenen Deformationen des Hirnschädels, die zu einem geringen Prozentsatz in Eindellungen oder Vorwölbungen bestehen, zum überwiegenden Anteil aber Defekte des Hirnschädels sind. Abb. 2. Eosinophiles Granulom. R.F., 24 J., Schlosser, AZ.: J2656/59, Rö. 109970, wurde am 31.7.1959 von einem Seil am Kopf getroffen und erlitt eine Kopfprellung, als deren Folge eine oberflächliche Hautabschürfung von 2:1 cm Größe am linken Stirnhöcker entstand. 14 Monate später kam er neuerlich wegen Auftreten einer teigigen Schwellung in der Gegend des linken Stirnhöckers. Diese Schwellung war wulstförmig und eine 1 cm große Eindellung tastbar. Die Röntgenaufnahme (a) ergab eine rundliche Resorptionszone von 1 cm Durchmesser am linken Stirnhöcker. Von einem Schnitt hinter der Haarlinie wurde die Vorwölbung dargestellt, sie war stark vaskularisiert und der Knochen weich. Mit einem Kronenbohrer wurde mit dem veränderten Bezirk im Zentrum ein 3,5 cm im Durchmesser haltendes Schädelknochenstück ausgebohrt. Nach Entfernung des Knochens (b) war zu sehen, daß die Dura mit Granulationen bedeckt war. Sie wurden entfernt. Nach 5 Wochen wurde eine Schädelplastik mit kältekonserviertem Kalottenknochen ausgeführt, der gut einheilte (c). Im weiteren Verlauf kam es zu einer partiellen Resorption des Homoiotransplantates, im Verlaufe von vier Jahren. 1 % Jahr später, bei der Entfernung der Bohrdrähte, wurde das Knochentransplan tat revidiert, und gefunden, daß es gut eingeheilt und vaskularisiert war (d). Histologisch zeigte das Knochenstückchen eine dünne Wand, im Mark an einigen Stellen Fasermark mit Fibrozytenkernen und einigen Kapillaren. Osteoblasten waren nicht zu sehen, jedoch vereinzelt waren Osteoklasten nachweisbar.

8

I 1

R . STRELI,

Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

Unter den umschriebenen Deformationen habe ich besonders ausgeheilte, d. h. alte Impressionsfraktaren im Auge. Wenn die Deformität nicht zu ausgeprägt ist, das heißt, wenn die Impression nicht zu tief ist, kann erfolgreich nach dem Vorschlage von K L O S S , der deformierte Bezirk reseziert werden und verkehrt eingesetzt werden. Die YerWölbung richtet sich nun nicht mehr gegen das Zerebrum, sondern gegen die deckenden Weichteile des Schädels. Sind die Veränderungen aber stärker, dann entsteht nach der Resektion der Deformation ebenfalls ein Defekt, der unter Umständen durch Replantation des umgeformten Kalottenstückes geschlossen werden kann. B. Indikation zur Kranioplastik Es ist wohl bekannt, daß nach ausgedehnten osteoklastischen Kraniotomien Schädeldefekte verblieben sind, die dem Träger keine nennenswerten Beschwerden verursacht haben. Es gibt jedoch Gründe, die für den Verschluß einer Knochenlücke im Schädel sprechen. Zu diesen Gründen gehören: 1. Das Gehirn soll vor Verletzungen geschützt werden. Soviel mir bekannt ist, ist ein Soldat der Amerikanischen Armee nicht diensttauglich, wenn der Defekt eine bestimmte Größe hat, und zwar einen Durchmesser von etwa 4 cm. Der Grund ist unter anderem die Möglichkeit der Verletzung des Gehirns. Erst nach Verschluß des Defektes ist die Diensttauglichkeit gegeben. 2. Eine besondere Rolle spielen je nach ihrer Lokalisation die häßlichen Entstellungen, die nach traumatischen, einschließlich operativen, Schädeldefekten entstehen können. Das trifft besonders für den Stirnbereich zu. Ζ. B. besteht nach Resektion der Vorderwand des Sinus frontalis wegen eitriger Sinusitis meist ein häßlicher Gesichtsausdruck, der dem Träger den Stempel mangelnder Intelligenz aufprägt. Auch nach Stirnschädelbrüchen und operativer Versorgung entstehen mitunter Defekte im Stirnbereich von beträchtlicher Größe. Auch nach Knochenresektion in dem an die Stirn anschließenden Bereiche kann eine Entstellung erzeugt werden. Diese wird vermehrt, wenn durch Atrophie des darunterliegenden Gehirns der Defekt eingemuldet ist. Eine kosmetische Störung fällt weniger ins Gewicht oder überhaupt nicht ins Gewicht, wenn der Defekt von Muskelschichten bedeckt ist. Dies trifft für Knochendefekte zu, die imkaudalen Bereichen des Hinterhauptbeines oder unter dem Temporalmuskel liegen. Der psychologische Effekt der Entstellung erzeugt Komplexe und Minderwertigkeitsgefühle. Bei tiefen Einmuldungen gewinnt f ü r den Träger die Vorstellung Bedeutung, daß auch die Umgebung sehe, daß ihm ein Stück Hirn fehle. 3. Das Pulsieren des Hirns im Defekt wird vom Träger unangenehm empfunden. 4. Bei großen Defekten kommt es mitunter nach Lagewechsel, bei Anstrengung und Bücken zu Schwindelerscheinungen, weshalb der Träger des Schädeldefektes den Defekt geschlossen haben möchte. H E P P N E R äußerte dazu, daß die Geschlossenheit der Schädelkapsel für die Aufrechterhaltung normaler Druckverhältnisse im Hirn-Liquorbereich nur bedingt erforderlich sei, weil S C H A L T E N B R A N D und B A I L E Y schon vor 3 0 Jahren feststellten, daß sich die Luftdruckwerte auf das Schädelinnere auch bei intakter Schädelkapsel übertragen. 5. Manchmal ist der Rand der Knochenlücke am Schädel abnorm empfindlich. Da dieser Schmerz durch eine Kranioplastik beseitigt werden kann, ist ein solcher Zustand Indikation zur Plastik. 6. Der Einfluß auf die Epilepsie ist umstritten. Manchmal kommt es vor, daß nach der Plastik epileptische Anfälle aufhören. Mitunter treten aber auch solche nach der Plastik auf. Ein endgültiges Urteil darüber ist noch nicht gefällt.

R e k o n s t r u k t i v e Chirurgie

Der allgemeine Eindruck ist der, daß durch eine Schädelplastik eine Epilepsie nicht wesentlich beeinflußt wird und ferner, daß man ihr Auftreten nach der Kranioplastik nicht fürchten muß. 7. Die Erwerbsminderung durch einen Schädeldefekt wird verschieden eingeschätzt. I m Österreichischen Kriegsopferversorgungsgesetz wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 20 Prozent angegeben. Bei der Begutachtung herrschen aber keine einheitlichen Richtlinien, die den Prozentsatz der Erwerbsminderung mit der Größe des Schädeldefektes in einen abgegrenzten Zusammenhang bringen würden. C. Allgemeines über die Wiederherstellung von Defekten des knöchernen Hirnschädels Das Ziel einer rekonstruktiven Operation, also völlige Wiederherstellung, kann nur die Schaffung eines knöchernen Ersatzes sein, der im Bereiche des Defektes im richtigen Niveau hegt und genügend dick ist. Zur Schädelplastik stehen derzeit viele Materialien zur Verfügung. Es gibt kaum ein Gewebe bzw. ein zur Transplantation geeignetes Material, das nicht bereits empfohlen wurde. So werden Schädelplastiken mit Hilfe von autoplastischem Material, von homoioplastischem Material, von heteroplastischen Geweben und von alloplastischen Stoffen durchgeführt. Ich werde auf die verschiedenen Materialien und Techniken eingehen und auch zu dem Wert der einzelnen Materialien und Techniken Stellung nehmen. Da der Kalottenknochen nur bei jungen Individuen regeneriert, ζ. B. nach der Behandlung einer Kraniosynostose durch Resektion oder nach einer Osteomyelitis mit Entfernen des pathologisch veränderten Knochens, andererseits aber gerade bei jungen Individuen die sogenannte wachsende Schädelfraktur zustande kommen kann, wodurch ein Defekt entsteht, war die Behandlung von Schädeldefekten immer problematisch. Dies zeigt sich schon in den frühesten Aufzeichnungen, so ζ. B . im E B E R P A P Y R U S . Ferner deutet der prähistorische peruanische Schädel daraufhin. Bei diesem wurde ein frontaler Defekt mit einer gehämmerten Goldplatte verschlossen. Dies hat L O N G A C R E auf dem „Zweiten Internationalen Kongreß für plastische Chirurgie" in London 1 9 5 9 ausgeführt. R E E V E S berichtet, daß von einigen primitiven Stämmen der Südseeinseln gesagt wird, daß sie Trepanationsdefekte mit Kokosschalen geschlossen haben und darüber die Kopf schwarte legten. I m Jahre 1 6 7 0 wurde von VAN M E E K R E N eine erfolgreiche Kranioplastik ausgeführt. M E E K R E N verwendete Hundeknochen zur Wiederherstellung des Schädeldefektes eines Russen, der die Verletzung durch einen Schwerthieb erlitt. Die Kirche stellte sich zu diesem Vorgehen in Opposition und drohte mit Exkommunikation. Deshalb wurde damals das Transplantat wieder entfernt. Experimente mit Knochentransplantaten bei Tieren wurden von M E R R E M im Jahre 1 8 1 0 und später von O L L I E R im Jahre 1 8 5 9 ausgeführt. Diese Experimente waren die Grundlage für die klinische Anwendung. Im Jahre 1821 wurde eine Knochentransplantation von P H I L I P P VON W A L T E R ausgeführt. Im Jahre 1 8 7 3 ersetzte M A C E W E N Defekte durch Knochenfragmente, die er mit Quecksilber-bichlorat behandelte. Es handelte sich um Replantationen in Schädeldefekte. Im Jahre 1888 implantierte B U R R E L Knochenplomben in Trepanationslücken beim Menschen. Im selben Jahre führte G U E R I N ähnliche Eingriffe in Tierexperimenten durch. Die Arbeiten wurden fortgesetzt. Heute ist schon ein hoher Standard der Kranioplastik erreicht. D. Bedingungen zur Kranioplastik 1. Zeitpunkt der Operation Ganz allgemeine Voraussetzung zu einer Schädelplastik ist das Vorhandensein einer gut durchbluteten Kopfschwarte oder einer bereits durchgeführten gestielten Lappenplastik

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über dem Knochendefekt. Nach einer primär geheilten Wunde sollte mit der Kranioplastik in der Regel drei bis acht Wochen gewartet werden. Wenn eine Eiterung im Bereiche des Knochendefektes oder der unmittelbaren Umgebung desselben stattgefunden hat, dann darf heute empfohlen werden, mit dem Eingriff ein J a h r zu warten, obwohl aus der eigenen Erfahrung und auch aus der Erfahrung anderer bekannt ist, daß es unter Umständen schon früher möglich ist, einen rekonstruktiven Eingriff am Schädeldach mit Erfolg auszuführen. Das Risiko einer neuerlichen Infektion nimmt mit dem Zeitabstand, der vom Abklingen der Infektion an vergangen ist, ab. Zur Zeit der Operation sollen die Weichteile reaktionslos sein. Schwellungen, Verhärtungen oder Ödeme sollen nicht mehr nachweisbar sein. Wenn ein wiederherstellender Eingriff am Knochen nach einer Verletzung geplant ist, besonders wenn es sich um elektrothermische Verletzungen gehandelt hat, im Verlaufe derer es zu einem Knochendefekt gekommen ist, muß empfohlen werden, erst eine aktive Immunisierung gegen Tetanus auszuführen, wenn eine solche bisher unterlassen wurde.

2. Schnittführung Eine weitere allgemeine Grundregel betrifft die Schnittführung. Diese soll so angelegt werden, daß sie außerhalb der Knochenanastomose und außerhalb des Bereiches der Knochenplastik zu liegen kommt. Im Stirnbereich sollten überhaupt keine Inzisionen geführt werden, um Narben an der Stirne zu vermeiden. Der ganze Bereich der Stirne ist gut zugänglich, wenn man von einem bikoronaren Haarlinienschnitt, der etwa 1 cm hinter dem Haaransatz geführt wird, die Schädelweichteile nach vorne umklappt. Man kann dann im ganzen Stirnbereich einschließlich der Orbitalbögen und der vorderen Schädelbasis mit guter Übersicht operieren (Abb. 7).

3. Präparation des Defektes Zur Darstellung des Defektes ist es erforderlich, die Kopf schwarte oder unter Umständen eine Lappenplastik von der darunterliegenden Dura oder dem darunterliegenden Ersatzgewebe zu trennen. Zieht man bei der Präparation den umschnittenen Weichteillappen oder die Weichteile in die Höhe, dann kann man besonders bei Anwendung von Blutdrucksenkung beim Eingriff ein weißliches Feld sehen, das zwischen der Kopfschwarte und der Dura bzw. dem Duraersatz hegt. Es handelt sich dabei um Bindegewebe, in das durch den Hakenzug Luft eindringt. In dieser Schicht ist es mühelos und rasch möglich, mit dem Messer oder mit spreizenden Bewegungen einer Schere (etwa METZENBAUM-Schere oder DUPUYTBEN-Schere) die Kopfschwarte von der darunterliegenden Dura oder dem darunterliegenden Duraersatzgewebe zu trennen. Ich möchte gleich hier darauf aufmerksam machen, daß die Kopfschwarte von einem Durahomoiotransplantat leicht abpräpariert werden kann. Beim Ablösen der Kopfschwarte kommen auch die Ränder des Knochendefektes zur Darstellung. Sie sollen gut übersichtlich gemacht werden. Wird beabsichtigt, ein Knochentransplantat zu verwenden, das biologischen Anschluß finden soll, dann ist es erforderlich den sklerosierten Rand am Defekt zu entfernen. Nach unserer Erfahrung geschieht dies am besten mit einer Fräse, mit einer oszillierenden STRYKER-Säge oder der Η ALL-Fräse. Wir ziehen diese Technik der Verwendung eines Meißels vor. Beim Meißeln kommt es zu Erschütterungen, die vor allem den ästhetischen Eindruck der Operation stören. Ich füge hinzu, daß man das schräge oder stufenförmige Anfrischen des Knochens auch in vortrefflicher Weise mit einer Kreissäge ausführen kann. Die Präparation mit der oszillierenden Säge ist aber am raschesten, am genauesten und am sichersten. Wenn der Rand der Knochenlücke blutet, oder wenn die blutende Diploe zur Darstellung gekommen

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ist, dürfen wir annehmen, daß der implantierte Knochen Aussicht auf knöchernen Anschluß hat, wenn er mit stabiler Osteosynthese genau an den Rand des Defektes befestigt wird. I m Bereiche der Orbitalbögen muß bei der Ablösung der Weichteile besonders vorsichtig gearbeitet werden. Dem Defekt der oberen Orbitalränder und des Orbitaldaches ist der M. levator palpebrae superior eng benachbart. Er darf nicht verletzt werden. Außerdem müssen alle derben Narbenstränge entfernt werden, damit sich die Brauen und Weich teile der Glabella und des Nasensattels spannungslos über das Transplantat legen.

E. Kranioautoplastik 1. Transplantation frischer gespaltener autoplastischer Rippen Diese Methode hat große Vorteile und hat sich bewährt. Von den Rippen kann eine große Gesamtknochenfläche gewonnen werden und die Deckung großer Defekte ist daher, mit Rippen möglich. Außerdem regenerieren die Rippen relativ rasch und sicher (Abb. 3 b). Dabei ist es gleich, ob man den Periostschlauch im Bereiche der entfernten Rippenstücke schließt oder offen läßt. Die regenerierten Rippen können neuerlich als Transplantate bei einem späteren Eingriff verwendet werden. Der Brustkorb ist gleichsam eine unerschöpfliche autoplastische Knochenbank. Ein weiterer Vorteil der gespaltenen Rippentransplantate ist ihre Biegsamkeit und der Umstand, daß sie leicht und gut knöchernen Anschluß finden. I m Bereiche der transplantierten Rippenstücke bleiben Knochenzellen am Leben. Bei dieser Methode kann auch erwartet werden, daß der Spalt zwischen den Rippentransplantaten und dem Rande der Knochenlücke knöchern überbrückt wird und ferner, daß sich die Lücken zwischen den einzelnen Rippenspänen mit Knochen überbrücken. L O N G A C R E hat gefunden, daß es bei Infektionen nicht zwangsläufig zur Abstoßung der transplantierten Rippen kommt. Die tranplantierten Rippenstücke wachsen bei Jugendlichen

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Abb. 3 a. Frontaler Knochendefekt nach primärem osteoklastischen Vorgehen. Die Weichteihvunde ist gut verheilt, die Weichteile sind reaktionslos, der Defekt wirkt entstellend Abb.3b. Z. L., 12 J., Rö. 132720. Die vier zur Schädelplastik entnommenen Rippenteile sind y2 J a h r nach dem Eingriff regeneriert, aber leicht eingemuldet. Die Regeneration ist oft schon nach einigen Wochen nachweisbar

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mit der Größenzunahme des Schädels mit. L O N G A C R E hat überzeugende histologische Befunde veröffentlicht, die die Knochenneubildung auf dem Wege der Metaplasie zeigen. Es gelang ihm 75—80 Prozent des Schädeldaches durch Transplantation frischer, autoplastischer, gespaltener Rippen zu decken. a) Entnahme τοη Bippentransplantaten

Die Rippen haben eine große Fähigkeit zur Regeneration. Wird ein großes Rippenstück in voller Dicke entnommen, dann sieht man schon innerhalb von ein paar Wochen röntgenologisch Schattenbildung an der Entnahmestelle. Diese deutet auf die Regeneration der Rippen hin. Innerhalb kurzer Zeit wird eine vollständig neue Rippe bzw. ein neues Rippenstück gebildet, das etwas unregelmäßiger geformt ist als der entnommene Teil. Auch die regenerierte Rippe kann wieder verwendet werden. Es wurde aus demselben Rippenbett eine Rippe viermal zur Transplantation verwendet (LONGACRE). Außerdem ist es von großem Vorteil, daß nach Entnahme einer Rippe geringe Beschwerden auftreten. Im Vergleich dazu verursacht die Entnahme einer gleichen Knochenmenge vom Darmbein in der Regel ungleich größere Beschwerden. Es ist zweckmäßig, immer eine Rippe zu belassen und dann wiederum die nächste zu entfernen. Durch die alternierende Resektion wird das Einsinken der Brustkorbwand verhindert. Man kann vier Rippen in ganzer Länge von jeder Seite des Brustkorbes als Transplantate gewinnen. Dazu wird am besten ein schräger Schnitt entlang dem Verlauf einer Rippe angelegt. Von diesem Schnitt aus dringt man durch die Muskelschichten bis auf das Periost vor. Das Periost wird in der gewünschten Längenausdehnung in der Mitte der Rippe durchtrennt und mit einem möglichst scharfen Raspatorium zunächst an der Vorderseite und dann mit einem entsprechenden Rippenraspatorium (ζ. B . dem von P L E N K ) an der Hinterseite unter Schonung der Pleura abgelöst. L O N G A C R E hat das Rippenbett nach Rippenentnahme mit fortlaufender Naht geschlossen. Ich habe bei ein und demselben Individuum vier Rippenstücke von verschiedenen Rippen entnommen und bei zwei Rippenentnahmen den Periostschlauch durch Nähte dicht geschlossen, und bei den anderen beiden Rippen den Periostschlauch offen gelassen. Die Regeneration erfolgte in der selben Zeit bei allen vier Rippen und mit der gleichen Vollständigkeit, so daß der Schluß gezogen werden darf, daß eine Naht des Periostschlauches nicht notwendig ist. Die Weichteilwunde wird in Schichten geschlossen. Das Einlegen eines Drains ist nach sorgfältiger Blutstillung nicht erforderlich. Ein Heftpflasterverband für 24 Stunden genügt. Dann wird die Wunde mit Nobecutanspray bedeckt, wobei sich ein zusätzlicher Verband erübrigt. b) Technik der Bippentransplantation

Die Rippen werden in der Fläche gespalten. Dazu wird die Kortikalis an der oberen und unteren Kante mit einer Kreissäge oder einer oszillierenden Säge durchtrennt. Die Spaltung des spongiösen Anteiles kann dann mit einem Meißel mühelos vorgenommen werden, ohne Gefahr zu laufen, die Rippe zu brechen oder zu sprengen. Die Transplantate werden in der Länge zurechtgeschnitten und wegen der bestehenden Wölbung das einemal mit der Kortikalis nach oben, das anderemal mit der Markseite nach oben in den Defekt verpflanzt. Wenn der Defekt nicht sehr groß ist, können die Ränder der Rippen ein oder zwei Millimeter überlappen. Damit die Rippen am Rande des Defektes gut passen und nicht unter das Niveau des Schädels einsinken, werden sie abgeschrägt und dem abgeschrägten Rande des Knochendefektes genau angepaßt. L O N G A C R E legte die Rippen lediglich an den angefrischten Rand des Knochendefektes. Ich habe es für zweckmäßig gehalten, die Rippen stabil zu befestigen. Nach den Erfahrungen mit anderen Knochentransplantationen am Schädel ist dies zweckmäßiger. Es empfiehlt sich zur Fixation ganz dünne, schräg in die Diploe eingeführte Drähte zu verwenden, die einen Durchmesser von 0,8 mm haben und

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die dann im Kalottenniveau mit einer Diamantscheibe abgeschnitten werden. Diese Osteosynthese mit Bohrdrähten gibt genügende Stabilität. Falls dies nicht möglich ist, kann am Rande des Defektes und am Ende des Rippentransplantates je ein kleines Loch von ein bis zwei Millimeter Durchmesser angelegt werden und das Transplantat an einem und später am anderen Ende des Defektes mit einer dünnen Drahtnaht befestigt werden. Für diese Drahtnähte eignet sich ζ. B. sehr gut der Fager;?iadraht 5 X 008. Er läßt sich tadellos

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Abb. 3 c. Großer, entstellender Knochendefekt im Stirnbereich. Derartige Defekte sind nicht nur entstellend, sondern meist auch mit Beschwerden verbunden, besonders bei Lagewechsel. Abb. 3 d und e. Derselbe Fall nach der Kranioautoplastik.

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Abb. 3d. Normale .Stirnkonturen nach Kranioplastik.

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Abb. 3f u. g. Der Knochendefekt ist mit frischen, autoplastischen Rippen gedeckt, die zum Teil mit Bohrdrähten und zum Teil mit Drahtnähten befestigt wurden g

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Abb. 3 h u. i. 1 % Jahre später wurde eine bifrontale Kraniotomie ausgeführt und der bifrontale Knochenlappen als freies Knochenstück während der Operation replantiert. Dabei zeigte sich, daß die Rippentransplantate ebenso wie auf dem Röntgenbild voneinander nicht mehr differenziert werden konnten, weil sie mit dem Defekt und untereinander fest knöchern verbunden waren. Die Durchblutung der autoplastischen Rippen war gut. Rö. 1 J a h r später (Abb. 3e) i

knüpfen. Zur Befestigung benötigt man keine Spannzange. Dieser Draht liegt auch reaktionslos im Gewebe ( S t r e l i ) . Wenn die Diploe gut entwickelt ist, kann sie etwas modelliert werden, etwa zwei, drei oder vier Millimeter, so daß der zugeschnittene Rippenspan in die Diploe eingefalzt werden kann. Dies ist mitunter nur an einem Rande des Knochendefektes möglich, manchmal aber

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Abb. 3 j . Operationsbild nach Einsetzen der gespaltenen Rippen und Befestigung derselben am Rand der Schädellücke

Abb. 3 k. Der Verletzte erlitt später eine Frontobasalfraktur. Das Operationsbild zeigt die größtenteils miteinander in knöcherner Verbindung stehenden und gut durchbluteten Rippentransplantate (bei der bifrontalen Kraniotomie 1 % Jahre nach der Rippenautoplastik)

Abb. 31. Der bifrontale Knochenlappen ist temporär entfernt und von Blut gereinigt. Man sieht die gute Einheilung der Rippen am Rande des frontalen Knochendefektes und auch die knöcherne Überbrückung zwischen den Rippentransplantaten, nur ganz kleine Resorptionszonen im mittleren Abschnitt

an beiden. Nach genauer Blutstillung wird die Hautwunde geschlossen. Das Einlegen eines Drains ist nicht unbedingt erforderlich. Nur wenn die Blutung nach Entfernung von Narbengewebe stärker ist, wird für 24 Stunden ein Laschendrain oder für 48 Stunden eine Saugdrainage eingelegt (Abb. 3). Postoperativ wird ein Kompressionsverband angelegt, der am nächsten Tag durch eine elastische Binde ersetzt wird. Sollte nach Entfernung des Drains oder — falls kein Drain eingelegt war — beim Verbandwechsel eine Blutansammlung unter dem Weichteillappen festgestellt werden, ist es am einfachsten durch eine Punktion die Flüssigkeit zu entfernen, und anschließend wieder einen milden Kompressionsverband anzulegen. In der Regel kann der .Kompressionsverband schon nach drei bis fünf Tagen weggelassen werden. 2. Andere Knochenautoplastiken Aus technischen und auch aus anderen Gründen kann es mitunter notwendig oder vorteilhaft sein, die anderen autoplastischen Knochentransplantationen zu kennen, und ich möchte sie der Reihenfolge nach anführen und zwar geordnet und nach ihrer Zweckmäßig-

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Rekonstruktive Chirurgie a) Darmbeinautoplastik

Das Darmbein ist eine geeignete Spenderstelle, um genügend große Knochenstücke zur Transplantation von frischem autoplastischen Material in einem zu gewinnen. Mittelgroße Defekte können gut gedeckt werden. Die Methode wurde vielfach angewendet. Gute Erfahrungen machten M A C O M B E R , P I C K E R I L L , S C H Ö N B A U E R , W I N K L E R und andere. Wegen der Wölbung und der Entnahmemöglichkeit in einem Stück ist die Verwendung des inneren Anteiles der Darmbeinschaufel vorzuziehen. Man geht ähnlich wie bei den übrigen Knochentransplantationen vor, indem die Narbe am Schädel zunächst ausgeschnitten wird. Dann werden die Ränder des Knochendefektes freipräpariert. Nach Abschieben des Periostes wird der Rand des Knochens schräg oder stufenförmig angefrischt, bis gute Blutung aus dem Knochenrand nachweisbar ist oder bis die blutende Diploe zur Darstellung kommt. Dadurch ist nun der Defekt im Bereiche der Tabula interna kleiner als im Bereiche der Tabula externa. Das Operieren in Blutdrucksenkung erleichtert die Präparation. Eine Senkung des Blutdruckes auf Werte von 80 Millimeter Quecksilber systolisch ist nicht gefährlich. Wird der Blutdruck bis 60 gesenkt, steigt das Risiko des Eingriffes. Die Darmbeinschaufel wird von einem Schnitt zwischen den Axillarlinien längs des Darmbeinkammes dargestellt. Nach Inzision der Muskulatur und des Periostes in der Mitte des Darmbeinkammes in der Längsrichtung wird das Periost nach innen abgeschoben und die innere Kortikalis des Darmbeines vom Darmbeinkamm nach innen unten, längs einem Folienmuster mit einem Meißel umgrenzt. Nun wird die innere Kortikalis des Darmbeines mit anhegender Spongiosa in der gewünschten Größe mit einem breiten leicht gebogenen Meißel abgetragen. Verwendet man einen geraden Meißel, dann kann das Transplantat leicht brechen und es bereitet Schwierigkeiten dieses genau in den Defekt einzupassen. Außerdem ist es vorteilhaft, noch etwas Spongiosa vom Darmbein zu entnehmen, um kleine restliche Lücken und unter Umständen tote Räume oder Kontaktfugen, an denen das Transplantat nicht genau paßt, ausfüllen zu können. Die von P I C K E R I L L angegebenen in der Fläche gekrümmten Meißel sind zur Entnahme des Transplantates aus dem Darmbein zweckmäßig. Wenn die Spongiosa des Darmbeines stärker blutet, wird sie mit Knochenwachs abgeschmiert. Da Hämatome an der Entnahmestelle störend sind und vielleicht etwas mehr als an anderen Stellen zur Infektion neigen, wird besser eine Saugdrainage in die Wundhöhle eingelegt und dann das Periost und die Muskulatur im Bereiche des Darmbeinkammes mit mittelstarken Nähten geschlossen. Abschließend folgt die Hautnaht. Wenn der Darmbeinkamm wenigstens zu einem Teil in seiner Kontinuität erhalten bleibt, lassen die Beschwerden an der Entnahmestelle bald nach und dauernde Beschwerden sind nicht zu erwarten. Nun wird das große Transplantat in der Form dem Defekt noch genau angepaßt und mit einigen durchbohrten Drahtnähten am Rande des Defektes befestigt. Es genügt dazu der schon im vorigen Abschnitt erwähnte ganz dünne Stahldraht von Fagersta. Tantalumdraht ist genauso gut. Dann wird die Hautwunde am Schädel geschlossen, wobei es genügt, nur die Haut zu nähen. Wenn die Hautwunde nach der Transplantation des Knochens unter mäßiger Spannung steht, können Galeanähte zur Entlastung der Hautnaht im Abstände von 2 bis 3 cm angelegt werden. Nach genauer Blutstillung ist es meistens nicht notwendig, ein Drain einzulegen. Ein Wattekompressionsverband beschließt die Operation. Wie bei allen Kopfverbänden ist es zweckmäßig auf das Ohr und hinter das Ohr Watte zu legen, um den schmerzhaften Druck des Verbandes so zu vermeiden. Wir verwenden zum Verbinden nach der Wattepolsterung eine Mullbinde, die im Sinne eines Kapistrums angelegt wird. Der Originalverband nach C U S H I N G wird so ausgeführt, daß abschließend die Mullbinde mit Kleister bestrichen wird. Wir verwenden statt des Kleisters noch eine Lage Hanrtb. Plast. Chir.. Bd. I I

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Stärkebinden, um den Kopfverband zu stabilisieren und ein Rutschen zu vermeiden. Außerdem ziehen die Stärkebinden beim Trocknen etwas an, wodurch noch nachträglich eine gewisse zusätzliche Kompressionswirkung zustande kommt. Am nächsten Tag wird der Verband geöffnet und Flüssigkeits- oder Blutansammlung abpunktiert. Meistens ist das noch ein zweites Mal notwendig. Nach zwei bis fünf Tagen kann die Wunde verbandlos bleiben und in der Regel ist es möglich die Nähte nach acht Tagen zu entfernen. Das Resultat ist der Form nach meist gut, jedoch ist die Oberfläche oft unregelmäßig. Außerdem ist die Haut über dem mit der Spongiosaseite nach oben Hegenden Transplantat oft schlechter verschieblich, was dann stört, wenn das Transplantat in den Stirnbereich hineinreicht. b) Autoplastik mit dem Schädelknochen M Ü L L E R behandelte einen Schädeldefekt durch Verlagerung eines Knochenweichteillappens in den Defekt. Er umschnitt die Weichteile in der Nachbarschaft des Defektes in entsprechender Größe und meißelte in diesem Bereich ebenfalls in der notwendigen Größe die Tabula externa ab. Kurze Zeit darauf verbesserte K Ö N I G diese Methode dadurch, daß er die Kopfschwartenweichteile vom Defekt mobilisierte und mit dem Knochenhautlappen vertauschte. Die Basen dieser Austauschlappen liegen bei dieser Methode einander gegenüber (Abb. 4). Die Knochenperiostlappenplastik, die von D U R A N T E im Jahre 1900 das erste Mal angewendet wurde, wird auch noch als HACKER'sche Methode bezeichnet. Bei dieser wird ein großer Lappen umschnitten und abpräpariert. Dadurch wird der Defekt und ein entsprechend großes Stück der angrenzenden Kalotte freigelegt. Zur Defektdeckung wird ein

Abb. 4. Knochentansplantation

a) Schnittführung

c) Der zweite Austauschlappen mit dem Transplantat ist über dem Defekt vernäht

MÜLLER-KÖNIG

b) Die Lappen sind mobilisiert

d) Der Wundschluß ist beendet

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Abb. 5. Knochenautoplastik mit gestieltem KalvariaPeriostlappen nach DURANTE—VON HACKER

a) Der periostgestielte Tabula externa Lappen ist mobilisiert. Defekt und Spenderstelle sind durch einen großen Lappen freigelegt b) Der Periostknochenlappen ist mit dem Periost nach unten in den Defekt verlagert c) Der Periostknochenlappen ist mit dem Periost nach oben in den Defekt transplantiert

gestielter Knochenperiostlappen mit dem Periost nach oben oder der Knochenwundfläche nach oben in den Defekt rotiert (Abb. 5). Eine Modifikation dieser Methode ist die Verwendung von zwei Knochenperiostlappen, die an jeder Seite des Defektes gebildet werden und in Form einer Türflügelplastik in den Defekt verpflanzt werden. c) Freie Kalottenautoplastik hat gezeigt, daß Knochenstücke von der benachbarten Tabula externa frei in den Defekt des Knochens erfolgreich verpflanzt werden können. Der Autor hat schon im Jahre 1905 über rund bis 5 x 7 cm große Defekte erfolgreich mit dieser Methode gedeckt. Diese Methode ist deswegen nicht anzuraten, weil unter Umständen die Knochenstückchen einsinken. Außerdem kommen die einzelnen Knochenstücke unter Umständen nicht mitKEEN

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einander in knöcherne Verbindung. Außerdem ist die Methode kompliziert. Im Zusammenhang möchte ich auch noch die von Raaf angegebene Mosaikplastik erwähnen. Bei umschriebenen Trümmerfrakturen fehlen manchmal Teile des Knochens und es müssen einzelne Knochenstückchen weggegeben werden. Dann ist die anatomische Reposition und Hebung der Impressionsfraktur nicht mehr möglich. Die einzelnen Knochenstücke müssen dann neu eingelegt werden, um in möglichst zweckmäßiger Weise den Defekt im Bereiche der Impressionsfraktur zu überbrücken. Zur Osteosynthese empfahl Raaf seine Mosaikplastik. Weil es sich eigentlich auch um eine plastische Versorgung handelt, erwähne ich diese Methode hier. Raaf verbindet die einzelnen Knochenstücke mit Drahtnähten. Dadurch ist es wohl möglich in der Fläche eine entsprechende Neuordnung der Fragmente zu bekommen, so daß sie den Defekt gut oder entsprechend decken. Der Nachteil dieser Mosaikplastik ist jedoch die Schrumpfung des darunterliegenden Zerebrums, wie es nach einem Hirnödem so oft der Fall ist. Es kommt dann zu Einmuldungen der Mosaikplastik. Deshalb ist es in solchen Fällen wesentlich besser Bohrdrähte zur Fixierung der Replantate zu verwenden, die ganz dünn sein können. Durch die Bohrdrahtosteosynthese gelingt es, die Fragmente wie an Trägern in richtigem Niveau zu erhalten. Bei Kindern ist die Regenerationsfähigkeit des Schädelknochens im allgemeinen gut. Nach der operativen Hebung von Impressionsfrakturen und der Entfernung verschmutzter Fragmente können die sauberen kleineren Knochenfragmente sofort replantiert werden. Es besteht Aussicht, daß sie auch dann knöchernen Anschluß an den Rand des Defektes bekommen wenn sie diesem nicht anliegen. Brandesky stellte mir den in Abb. 6 gezeigten Fall zur Verfügung, der dies zeigt. Hier muß Brandesky zitiert werden, der nachgewiesen hat, daß traumatische Knochendefekte bei Kindern selten eine Kranioplastik benötigen. In der Kindheit ist die Knochenregeneration gut. Wenn keine knöcherne Überbrückung des Defektes stattfindet,

Abb. 6a—c. Bei Kindern kommt es oft zur spontanen Knochenregeneration, auch wenn nur kleine Knochenstücke replantiert werden oder wenn über den Knochendefekt ein Galeaperiostlappen transplantiert wurde

a) Offene Impressionsfraktur im rechten Scheitelbein bei einem 8 j. Knaben nach Fahrradsturz. Es bestand auch ein großer Durariß

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b) Bei der operativen Erstversorgung wurden einige isolierte Knochenstücke wieder eingesetzt

c) Elf Jahre später zeigte sich eine beachtliche Regeneration des Defektes. Die Knochenfragmente sind untereinander und mit dem Rande des Defektes in knöcherne Verbindung getreten. Klinisch war der Knochen fest

dann entsteht oft eine derbe Bindegewebsplatte im Defekt. I n Übereinstimmung mit B R U S H E und im Gegensatz zu W A L K E R ist B R A N D E S K Y der Ansicht, daß bei Kindern eine Kranioplastik erst nach Ablauf von 3 Jahren durchgeführt werden sollte und nur dann, wenn keine Zeichen einer spontanen Knochenregeneration nachweisbar sind. Eine weitere Möglichkeit frische, freie autoplastische Transplantate vom Schädelknochen zu verwenden, ist die Verlagerung eines Stückes von Tabula externa mit oder ohne Periost als freies Transplantat in den Knochendefekt. Das Transplantat k a n n aus der benachbarten Gegend oder auch von einer anderen Stelle des Schädels entnommen werden.

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Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

Besonders wenn ein größeres Transplantat verwendet werden soll, ist es zweckmäßig, das Periost am Knochen zu belassen, da die Tabula externa ohne diese Knochenhaut leicht brechen und auseinanderfallen kann. Das Periost hält die einzelnen Stücke zusammen und sichert zumindest die richtige Lage der einzelnen gebrochenen Stücke des Transplantates zueinander. Mit dieser periostalen Befestigung des Knochens ist es außerdem möglich, die Form des Transplantates etwas zu ändern und anzupassen. Das Periost kann zur Befestigung des Transplantates am Rande des Schädeldefektes verwendet werden. d) Frische, autoplastische Schienbeintransplantation

Schienbeintransplantate sind hauptsächlich für kleinere Defekte verwendbar. Dies ergibt sich aus der geringen Größe der Entnahmestelle und aus der fehlenden Wölbung des Schienbeins. Freie Knochenperiosttransplantate vom Schienbein heilen nach den Berichten von A X H A U S E N und D E L A N G E N I E R E angeblich gut ein. Es darf aber bei dieser Methode nicht vergessen werden, daß die Entnahmestelle aus dem Schienbein längere Zeit schmerzhaft bleiben kann und daß es nach Entnahme von Knochen in größerer Ausdehnung zur Fraktur an der Entnahmestelle kommen kann. Die Technik unterscheidet sich im wesentlichen nicht von anderen Knochenplastiken. Ergänzend zur Transplantation von frischem autoplastischen Knochenmaterial soll noch erwähnt werden, daß Rippen auch in voller Dicke als Transplantate verwendet wurden. Der Erste, der darüber berichtete, war K Ä P P I S , und zwar im Jahre 1915. Der Darmbeinkamm wurde schon 1914 von M A U C L A I R E frei in Schädeldefekte transplantiert. R O E P K E verwendete Transplantate von der Skapula und berichtete darüber 1912. Die Skapula ist sehr dünn und als Spenderknochen kaum noch zu empfehlen. Auch das Sternum wurde als Spenderknochen verwendet. Autoplastisches Knochenmaterial wurde auch verzögert transplantiert. W E S T E R M A N N kochte nach seinem Bericht aus dem Jahre 1916 Kalottenstücke, bevor er sie replantierte. Eine gute Idee stammt von K R E I D E R . Er konservierte temporär entnommene Schädelknochen in den Weichteilen der Bauchwand, bis er diese Schädelknochenstücke bei einer zweiten Operation replantierte. Ich habe größere autoplastische Rippenstücke in voller Dicke in einer Bauchhauttasche konserviert und die Schädelplastik erst später ausgeführt. Die histologische Untersuchung ergab, daß zur Zeit der Transplantation die Rippenstücke nur mehr zum Teil vital waren. ODOM fand, daß autoplastischer, steril kältekonservierter Knochen erfolgreich replantiert werden kann. Die eigenen Erfahrungen sprechen aber dafür, daß die Replantation autoplastischer Knochen nach steriler Kältekonservierung merkwürdigerweise keine sehr guten Resultate gibt. Allerdings wurden die zu konservierenden Knochenstücke zuerst bei Zimmertemperatur für 24 Stunden in ein Penicillin-Streptomycin-Bad gelegt. 3. Knorpel An autoplastischem Material wird ferner Knorpel verwendet. E r kann höchstens f ü r die Deckung von ganz kleinen Defekten, oder etwa von Defekten des Supraorbitalrandes empfohlen werden, hat aber ansonsten in der Kranioplastik keinen wesentlichen Eingang gefunden. Außer der Reliefbildung, die man durch Ausfüllen kleinerer oder unregelmäßiger Defekte erzielt, hat der Knorpel keine wesentliche Bedeutung. Sein großer Vorteil ist die rasche und vollkommene Formbarkeit mit einem ganz gewöhnlichen Messer. F. Kraniohomoioplastik Die Verwendung von homoioplastischen Knochentransplantaten ist nach Veröffentlichungen von S I C A R D , D A M B R I N und R O G E R wieder aufgegeben worden. Der Grund war die

Rekonstruktive Chirurgie

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Häufigkeit von postoperativen Infektionen und die Resorption oder das Auftreten beider Komplikationen. Die Leichenhomoiotransplantate wurden mit Natriumkarbonat, Hitze, Xylol, Alkohol und Äther sterilisiert. Dadurch wurde eine beträchtliche Dickenabnahme erreicht. Nach dem angegebenen Vorbereitungsverfahren wurde der Knochen mehrfach perforiert. Auch gekochte Homoiotransplantate der Kalotte wurden verwendet und zwar 1935 von Gurdjian und später an größeren Serien von Merrem. Nach den Ergebnissen von Busch im J a h r e 1947 stellt die Kältekonservierung bei —25° eine ausgezeichnete Konservierungsmethode dar, die günstige Voraussetzungen f ü r die Transplantation schafft. Die Kältekonservierung von homoioplastischen Knochen hat sich in der Extremitätenchirurgie gut bewährt und die Verwendung von homoioplastischen, kältekonservierten Knochen hat bei Spananlagerungen und anderen Knochenoperationen wesentliches geleistet. Reeves meinte jedoch, daß es zweifelhaft sei, daß solche homoioplastische Knochentransplantate größerer Ausdehnung am Schädel ein befriedigendes Resultat liefern würden. Er zweifelte an der Möglichkeit, größere Schädel-Knochendefekte durch solche kältekonservierte Homoiotransplantate erfolgreich decken zu können. E r erwähnte jedoch, daß weitere Experimente zur Beurteilung des Wertes in dieser Hinsicht von Interesse sein würden. Da es bestechend schien, Knochen von der gleichen Wölbung in einen Defekt zu verpflanzen, wurden Erfahrungen auf diesem Gebiete gesammelt. Besonders im Bereiche der Stirn, wo das komplizierte Relief der Glabella und der Orbitalränder zu rekonstruieren ist, ist es mit dieser Methode möglich, einen Defekt mit großer Genauigkeit durch Verwendung eines entsprechenden homoioplastischen Stirnbeins zu decken. Es wurden bis zu 1 8 x 1 2 cm große Defekte durch solche Homoioplastiken geschlossen. I n Österreich ist es durch ein Gesetz aus dem J a h r e 1886 erlaubt, von einem Frischverstorbenen Gewebe, das für wissenschaftliche oder klinische Zwecke benötigt wird, zu entnehmen. Die verwendeten Homoiotransplantate wurden ein bis drei Stunden nach dem Tode des Spenders gewonnen. Die Lyophilisierung bietet ähnlich günstige Voraussetzungen wie die Kältekonservierung, jedoch wurden hier lyophilisierte Transplantat-Serien nicht untersucht. Von Interesse und auch von Bedeutung wäre es, homoioplastischen, kältekonservierten und vielleicht auch lyophilisierten Knochen im Handel zu erhalten, doch sind die Wege dafür noch nicht geebnet.

1. Gewinnung der Kalottentransplantate und Konservierung Bei frischen Unfall-Leichen wird der Schädel ein bis drei Stunden nach dem Tode in einer Linie von einem Ohr zum anderen über den Scheitel in etwa 4 cm Breite rasiert und dann steril abgedeckt. Nun wird von Ohr zu Ohr über den Scheitel eine Inzision bis auf den Knochen geführt und dann die Wundränder abgedeckt. J e t z t wird der vordere Weichteillappen samt dem Periost nach vorne und der hintere Weichteillappen zusammen und mit dem Periost nach rückwärts umgeklappt. Dann wird die Kalotte entweder in vier Teilen entnommen (Stirnbein mit den Orbitalrändern, Glabella und dem Processus frontalis, die zwei Scheitelbeine mit dem anschließenden Teil der Schläfenbeine und Teile des Okzipitalknochens). Oder die Entnahme erfolgt in drei Teilen und zwar die Hälfte des Stirnbeines mit dem anschließenden Scheitelbein und Schläfenbein der einen Seite und in analoger Weise dieselben Knochenstücke auf der anderen Seite und des os occipitale bis zur Protuberantia occipitalis externa. Um den Knochendefekt bei der Leiche unsichtbar zu machen, werden große Tupfer, die in heißes flüssiges Parafin getaucht werden, unter die vorderen Anteile der Kopfschwarte geschoben. Vom entnommenen Stirnbein wird der hintere Teil des Sinus frontalis entfernt. Auch die Stirnhöhlenschleimhaut wird entfernt. Teile des

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R. Streli, Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

Knochens und der Schleimhaut werden zur aeroben und anaeroben Kultur eingesandt und auf Keimgehalt geprüft. Keimbeladene Knochenstücke werden nicht verwendet. Nach der Entnahme werden die Schädelknochenstücke in sterile Gläser gegeben, nachdem sie sorgfältig gereinigt wurden. Die Gläser werden verschlossen und beschriftet bezüglich des Zeitpunktes der Entnahme, des Spenders, des Ergebnisses der Kultur und der Größe und Art des Transplantates, das konserviert wird. Dies ist deshalb zweckmäßig, weil oft die Gläser bei der Kältekonservierung, die bei —28° erfolgt, innen beschlagen sind und dann von außen das Transplantat nicht genügend beurteilt werden kann. 2. Technik der Transplantation

Der Defekt wird in der üblichen Weise durch Zurückklappen des Weichteillappens dargestellt. In der Stirngegend wird eine koronarer, parallel dem Haaransatz und knapp hinter demselben geführter Schnitt angelegt. Schnittführung 1 bis 1 y2 cm hinter dem Haaransatz ist zweckmäßig. Dieser Schnitt biegt beiderseits in der Schläfengegend hinter dem Haaransatz Richtung Jochbogen ab (Abb. 7). Der Lappen wird zwischen Galea und Periost Abb. 7. Bikoronarer Haarlinienschnitt. Die Schnittführung verläuft 1 cm hinter dem vorderen Haaransatz und ist doppel-S-förmig gekrümmt. In der Mittellinie reicht der Schnitt etwas mehr stirnwärts nach vorne, dies erleichtert das nach vorne Umklappen des frontalen Hautgalealappens. Seitlich wird der Schnitt in die Schläfengegend bis zu der Höhe der Augenbrauen geführt und hier etwas nach vorne gezogen, ebenfalls um das Umklappen des Weichteillappens zu erleichtern. Die zarte Narbe hinter dem Haaransatz ist kaum sichtbar und garantiert ein kosmetisch einwandfreies Resultat. Selbst dann, wenn ein Augenbrauenschnitt bei einer früheren Operation verwendet wurde, kann bei der Reoperation ein Haarlinienschnitt verwendet werden, weil der frontale Galea Hautlappen von den seitlichen Anteilen genügend Ernährung hat. Die Erfahrung hat gezeigt, daß nie Komplikationen der Durchblutung vorgekommen sind. Einwände, daß diese Schnittführung bei Glatzenträgern wegen der Lage der Narbe unzweckmäßig ist oder daß beim späteren Auftreten einer Glatze die Narbe sichtbar wird, haben wenig Berechtigung, da die Narbe in der Regel ganz zart ist und keine Einziehungen oder Verziehungen aufweist. Bronson Ray hat mir einmal gesagt, daß das Tragen eines Hutes die Narbe in der Praxis sicher unsichtbar macht

mobilisiert. Dann wird das Periost am Rande des Defektes etwa 1 cm abpräpariert und umgeschlagen. Der Knochen wird schräg in einem Winkel von etwa 60 Grad angefrischt, um eine breite Berührungsfläche mit dem Transplantat zu gewährleisten. Der Knochen muß am Rande des Defektes so weit entfernt werden, bis der Rand gut durchblutet ist oder bis man die freiliegende Diploe sieht. Nach sorgfältiger Blutstillung wird ein durchsichtiges Folienstück auf den Defekt gelegt und entsprechend dem äußeren Rande des Defektes, also im Bereiche der Tabula externa, das Muster des Defektes ausgeschnitten. Wenn ein größeres gewölbtes Stück zu decken ist, wird vorher der Defekt mit Tupfern ausgefüllt, damit das Folienmuster nicht zu klein wird. Nun wird das von derselben Gegend stammende Transplantat aus dem konservierten Knochen ausgeschnitten (Abb. 8). Der Rand des Transplantates wird ebenfalls schief geschnitten und mit einer Raspel zurechtgefeilt, damit das Transplantat genau in den Defekt paßt und guten Kontakt mit den angefrischten Rändern der Knochenlücke hat. Die Fixation erfolgt am besten durch dünne Kirscnner-Drähte, die 0,8 mm stark sein sollen. Sie werden schräg in das Transplantat und vom Transplantat

Rekonstruktive Chirurgie

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Abb. 8. Transplantat mit der Kreissäge nach Folienmuster aus dem kältekonservierten homoioplastischen Kalottentransplantat ausgeschnitten (Stirnbein)

weiter in den Rand des Knochendefektes gebohrt. Es ist notwendig, den Bohrdraht zunächst senkrecht anzusetzen. Wenn er am Knochen Halt gewinnt, wird unter gleichzeitigem Bohren der Bohrdraht mit der Bohrmaschine gesenkt, damit er schräg in die Diploe des Knochendefektrandes eintritt. Für ein Transplantat genügen gewöhnlich drei oder vier Bohrdrähte, um eine stabile Fixation zu gewährleisten. Die Bohrdrähte werden dann mit einer Diamantscheibe im Niveau der Tabula externa abgetrennt (Abb. 9). Das Periost wird Abb. 9. Schema der Bohrdrahtosteosynthese. Zur Fixation eines Knochentransplantates genügen in der Regel 3 halbsteife KiESCHNERbohrdrähte von einer Stärke von 0,8 mm. Sie werden vom Transplantat oder vom Knochenlappen schräg in die Diploe des Randes der Knochenlücke vorgebohrt. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, daß der Bohrdraht ungefähr 1 cm vom Rand der Kontaktfuge senkrecht aufgesetzt wird und wenn die Spitze des Drahtes im Knochen Halt findet, wird der Desoutter mit dem Bohrdraht langsam gesenkt, so daß der Bohrdraht schräg in den Knochen eindringt und in die Diploe des Randes der Knochenlücke zu liegen kommt. Er wird etwa 1 cm weit in die Diploe des Empfängerknochens vorgeführt. Um Hitzeschäden zu vermeiden, ist es zweckmäßig, den Draht während des Einbohrens mit Kochsalzlösung zu kühlen. Der Draht wird dann im Kalottenniveau mit der in der Abbildung dargestellten Diamantscheibe abgeschnitten. Die Diamantscheibe wird ebenfalls vom Desoutter betrieben. In der Abbildung ist der umgekehrte Vorgang dargestellt, bei welchem der Draht vom Rande der Knochenlücke in die Diploe des Transplantates vorgeführt ist. Dies ist etwas schwieriger, aber im Bereiche stärkerer Wölbung des Knochens ohne weiteres durchführbar

über die Verbindungsstelle vom Transplantat zum Rande des Defektes gelegt oder besser noch an einigen Stellen mit Nähten am Transplantat fixiert. Wie wichtig das Vorhandensein der periostalen Deckung der Verbindungsstelle zwischen dem Empfängerknochen und Transplantat ist, kann noch nicht beurteilt werden. Wenn das Transplantat größer ist, werden mehrere ein bis zwei Millimeter große Bohrlöcher durch das Transplantat gelegt, um Flüssigkeitsansammlungen unter dem Transplantat zu vermeiden und um die Vaskularisation zu erleichtern. Nach genauer Blutstillung wird die Haut genäht. Es ist zweckmäßig, durchgreifende Nähte anzuwenden, die auch die Galea mitfassen. Eine Naht der Galea ist nicht erforderlich. Wenn im Bereiche der Knochentransplantation auch Muskelgewebe liegt, wird der Muskel über das Transplantat und über die Kontaktfuge der

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R.

STRELI,

Konstruktive u. rekonstruktive Chirurgie des Hirnschädels

Abb. 10. W. F., 42 J „ Angestellter, AZ: 3246/59, Rö. 82852. Wegen eitriger Sinusis frontalis von einem Haarlinienschnitt aus Resektion der Stirnhöhlenvorderwand und Entfernen der Stirnhöhlenschleimhaut

a a) Bild nach der Kollapsoperation. Entstellung

b) Normales

Stirnrelief nach transplantation

der

Knochen-

d c) Das Stirnrelief ist durch die Implantation eines kältekonservierten Kalottentransplantates wiederhergestellt. Die Schädelplastik wurde 2% Monate nach der Radikaloperation der Stirnhöhle gemacht

d) Sechs Jahre später zeigt sich der ideale Einund Umbau des Homoiotransplantates

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Ρ3 m . Fkiedl, Kieferorthopädiache Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

versucht wurde, die LKG-Spalten kieferorthopädisch zu behandeln. L E V R E T ( 1 7 7 2 ) und D E S A U L T ( 1 7 9 0 ) erkannten den Wert einer zusätzlichen extraoralen Kraft, wenn sie mit einem Leinenband den Kieferbogen auszurichten versuchten. B R U G G E B ( 1 8 9 5 ) fand, daß sich unter einem Obturator die Spalte verkleinerte. S N E L L beschreibt bereits 1 8 2 8 , daß sich zwei Restlöcher des Gaumens unter der Wirkung des Obturators verengten. R A M S T E D T ( 1 9 2 0 ) konnte durch wackelnde und drückende Bewegungen mit dem Daumen und Zeigefinger die Praemaxilla so weit in den Alveolarfortsatzbogen zurückdrängen, daß zur Vereinigung der Lippenstümpfe keine wesentliche Ablösung der Spaltränder vom Alveolarfortsatz nötig war. M I L S E R ( 1 9 2 2 ) erreichte dasselbe, indem er oberhalb der Mundwinkel zwei Metallplatten anbrachte, in die über die Praemaxilla eine Gummischnur gespannt wurde. Trotz dieser einzelnen günstigen Mitteilungen einer präoperativen kieferorthopädischen Behandlung vor dem chirurgischen Eingriff fanden erst die Berichte von M C N E I L größeres Interesse. M C N E I L ( 1 9 5 4 ) erweiterte die Behandlung aufgrund der guten Erfahrungen bei Restspalten im bezahnten Gebiß auf die Behandlung im Säuglingsalter. Aufgrund der Erfolge von M C N E I L befaßten sich bald auch andere Autoren mit der präoperativen Behandlung ( H O T Z , G R A F - P I N T H U S , D E R I C H S W E I L E R , H Ä U P L , STELLMACH). H Ä U P L konnte auch den Nachweis erbringen, daß durch den funktionellen Reiz der Platte tatsächlich ein Knochenwachstum im Spaltbereich eintritt.

3. Ziel und Indikation der präoperativen Behandlung Durch eine präoperative kieferorthopädische Behandlung soll das Wachstum der knöchernen Stümpfe angeregt und gelenkt werden. Dadurch werden breite Spalten verkleinert und gleichzeitig dislozierte Stümpfe, besonders die der Alveolarfortsätze, in einen normalen Bogen umgeformt und einreguliert. Daneben wird das Ziel verfolgt, günstigere Verhältnisse für den chirurgischen Eingriff zu schaffen, das Ausmaß desselben auf ein Minimum zu vermindern und die oft notwendigen umfangreiche^ Mobilisierungen der Weichgewebe auf ein Mindestmaß einzuschränken. Die präoperative kieferorthopädische Behandlung ist indiziert bei einseitigen und doppelseitigen Spalten, wenn: 1. breite Kieferspalten, 2. dislozierte Alveolarfortsätze, 3. dislozierte Zwischenkiefer, 4. breite Spalten im knöchernen Gaumen vorliegen (Abb. 7, 11).

Wenn ausschließlich Spalten in den Weichteilen (Lippenspalten) bestehen, ist eine kieferorthopädische Behandlung präoperativ zwecklos. Die Lippenstümpfe sind an der knöchernen Unterlage fixiert und wachsen mit dem Knochen mit. Auch ist ein Einfluß auf das Wachstum der Weichteile mit Apparaturen wohl kaum zu erzielen. Die präoperative kieferorthopädische Behandlung sollte dann einsetzen, wenn sich die Bildung der genannten Spaltarten oder Dislokationen der Spaltstümpfe anzeigt. Der früheste Zeitpunkt liegt wenige Tage nach der Geburt. Wenn zu dieser Zeit ein oder beide Alveolarfortsatzstümpfe des Oberkiefers oder der Zwischenkiefer disloziert sind, kann sofort nach der Geburt mit der kieferorthopädischen Behandlung begonnen werden, obwohl auch Fälle bekannt sind, bei denen sich solche Abweichungen durch das postnatale Wachstum ohne Behandlung korrigieren. Zwischen den beiden extremen Arten, den sehr breiten Spalten und stark dislozierten Stümpfen oder den Kombinationen von beiden einerseits und den schmalen Spalten und nicht dislozierten Stümpfen andererseits gibt es

Präoperative Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

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jedmögliche Variation, bei der man eventuell mit der kieferorthopädischen Behandlung abwartet. Im anderen Falle, wenn bei der Geburt keine der genannten Abnormitäten vorliegt, kann es jedoch auch durch das postnatale Wachstum der knöchernen Stümpfe und unter dem funktionellen Einfluß der Lippen und Wangen bis zum Zeitpunkt der Cheiloplastik, im allgemeinen im 5.—6. Monat, zu Verlagerungen kommen. Es ist deshalb eine ständige Überwachung der Spalt-Kinder in Intervallen von 2—4 Wochen empfehlenswert, um bei einer beginnenden Verlagerung mit einer kieferorthopädischen Behandlung einzugreifen. Im Gegensatz zu CRONIN, der schon mit der kieferorthopädischen Behandlung beginnt, wenn der Oberkieferbogen gegenüber der Mandibula zu groß ist, betrachten wir das ungünstige Größenverhältnis zwischen beiden Alveolarfortsätzen als einzige Indikation für die kieferorthopädische Behandlung als nicht ausreichend, da nach dem operativen Verschluß der Spalten der Oberkieferbogen in der Regel im Wachstum zurückbleibt und gegenüber dem Unterkieferbogen zu klein wird. Der Behandlungsbeginn kurz nach der Geburt ist auch deshalb sehr günstig, da sich die Kinder in diesem Alter sehr schnell an die kieferorthopädische Apparatur gewöhnen. Mit dieser frühzeitigen Behandlung der Kieferspalten kann auch gleichzeitig ein günstiger Einfluß auf die Gaumenspalte ausgeübt werden; zumindest wird durch die eingefügte Platte die in die Gaumenspalte sich einlagernde Zunge herausgedrängt und so ein bedeutendes mechanisches Hindernis für das Wachstum der gespaltenen Gaumenfortsätze beseitigt.

4. Methodik Für die präoperative kieferorthopädische Behandlung ist im allgemeinen keine stationäre Aufnahme nötig, außer wenn die Eltern weit entfernt wohnen oder bei schon etwas älteren Kindern, die sich nach unserer Erfahrung schlecht an die Apparatur gewöhnen. Als Apparaturen werden ausschließlich Platten im Oberkiefer oder Aktivatoren (STELLMACH) verwendet. Für die Herstellung dieser Apparate müssen Modelle angefertigt und zu diesem Zweck Abdrücke genommen werden. a) Abdrucknahme Zum Abdruck werden kleine Löffel aus Kunststoff verwendet. Hat man sie jedoch nicht zur Verfügung, wird eine weiche Stentsplatte in den Mund des Säuglings gebracht und aus ihr ein Löffel geformt, der zum Abdruck verwendet werden kann. Im allgemeinen benützt man das auf dem Stentslöffel hergestellte Modell für die Anfertigung eines Kunststofflöffels. Als Abdruckmaterial eignet sich jedes Alginat oder auch gummielastische Massen. Letztere haben den Vorteil, daß sie beim Entfernen des Abdruckes nicht abbrechen. Es empfiehlt sich, auf die Löffelränder und besonders am hinteren Löffelrand einen Wachsrand anzubringen und in den Löffelboden kleine Löcher zu bohren. Für die Abdrucknahme wird das Kind möglichst von einer Schwester oder einer anderen Hilfsperson in aufrechter Stellung gehalten. Das Alginat wird in warmem Wasser angerührt, der Löffel damit gefüllt und schnell in den Mund eingebracht, wobei zunächst der rückwärtige Teil des Löffels nach oben gedrückt wird, um zu verhindern, daß Abdruckmaterial in den Rachen fließt. Der mit Hartgips ausgegossene Abdruck dient als Modell, auf dem eine möglichst dünne Platte aus durchsichtigem Kunststoff hergestellt wird. Bei Neugeborenen oder jüngeren Säuglingen werden diese Platten mit einem medianen extra161*

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D.

FRIEDL,

Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Abb. 1. Stimulationsplatte nach M C N E I L . An der Palatinalfläche sind 2 federnde Segmente angebracht, die den Gaumenfortsätzen einen Wachstumsreiz geben sollen. Der mediale Fortsatz ragt zum Munde heraus und dient der Fixation

oralen Fortsatz versehen (Abb. 1), der die Alveolarf ortsätze vestibulär gut umfaßt und auch geringfügig in die Spalte hineinragt. Die Platte wird in den Mund eingesetzt und auf Druckstellen sowie auf gute Adaption geprüft. E s empfiehlt sich, die Palatinalfläche und die besonders belasteten Stellen der Platte mit weichbleibendem Kunststoff zu unterfüttern. b) Fixierung der Platte und Gewöhnung Nur sehr junge, wenige Tage alte Kinder gewöhnen sich sehr leicht an die Platte und empfinden sie nicht als Fremdkörper. Sie wird allein durch die Zunge am Platz gehalten. Bei älteren Kindern stößt man dagegen meist auf größere Schwierigkeiten. Die Platte wird ausgestoßen oder verrutscht leicht; es kann dann sogar eine der gewünschten Wirkungsrichtung antagonistische Wirkung entfaltet werden. U m diesen unliebsamen E f f e k t zu vermeiden, ist es empfehlenswert, Hilfsmittel an der Platte anzubringen, mit denen sie fixiert werden kann. Dafür eignen sich: 1. der schon genannte mediane extraorale Fortsatz (Abb. 1), 2. ein Schnuller (Abb. 2), 3. extraorale Metallbügel (Abb. 3). Die Wahl dieser Hilfsmittel hängt außer vom Alter und von der eventuellen Lutschgewohnheit vor allem von der Art der Platte, der Schnelligkeit der Gewöhnung bzw. der Einstellung des Kindes zur Platte und der Notwendigkeit der vollständigen Immobilisation der Platte ab. Denn häufig können die zarten und nur schwach ausgebildeten Alveolarfortsatzstümpfe schlecht gefaßt werden. Ein geringfügiges Verrutschen kann dann schon eine nicht erwünschte Wirkung auslösen. 1. Der mediane extraorale Kunststoffortsatz, mit einem Querriegel versehen, eignet sich schon sehr gut zur Fixierung der Platte, besonders bei einseitigen Spalten. An diesem Kunststoffschild können seitlich Bändchen angebracht werden, die am Hinterkopf verbunden werden. Besser eignet sich ein genau sitzendes Häubchen aus Leinen oder ein Stirnkreuzband, das unter dem Kinn gebunden wird. An dem Stirnband werden zwei kleine flache Knöpfe angenäht, an dem die Bänder befestigt werden. Der Zug soll nach oben und hinten gerichtet sein. 2. Der Schnuller bewährt sich bei Kindern, die bereits an den Schnuller oder an den Lutschfinger gewöhnt sind; er kann an der Platte angebracht werden ( E S C H L E R , F R I E D L ) (Abb. 2). E r eignet sich auch sehr gut für die präoperative Behandlung der Gaumenspalte nach der Cheiloplastik. F ü r das Anbringen eines Schnullers werden auf den die Kiefer-

Präoperative Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Abb. 3. Die Platte in situ mit extraoralen Bügeln und Stirn-Kreuzband

kämme bedeckenden Plattenteil je ein D r a h t (0,9 m m dick) eingelegt und an ihren vorderen Enden der Lippenschild des Schnullers befestigt. Um den Sauger zu fixieren, wird an der unteren Hälfte des Schildes ein kleiner Schlitz angebracht, in den der Sauger eingelegt wird. Der Schnuller regt zu Saugbewegungen an, wobei gleichzeitig die Platte intermittierend bewegt und gegen den Oberkiefer gedrückt wird. 3. Extraorale Metallbügel sind besonders bei älteren Kindern indiziert. Mittels der extraoralen Bügel wird die Platte mit Gummiringen oder Bändchen an einem KopfStirnband befestigt (Abb. 3). Als extraoraler Bügel wird ein 1,2 m m dicker, halbrunder Stahldraht verwendet, der in die Platte eingelassen, in Höhe der Mundwinkel umgebogen und etwa zweifingerbreit parallel der Wangenhaut in einem Abstand von 2—3 m m von ihr nach rückwärts geführt wird. Eine weitere Verlängerung des Metallbügels nach dorsal ist unzweckmäßig, da die Platte leicht verschoben wird, wenn der Säugling auf der Seite schläft. An den Metallbügeln — auch an ihren Enden — sind einige Kunststoff perlen angebracht, an denen zur Fixierung der Platte Bändchen befestigt werden. J e nach Spaltart und notwendiger Bewegung der Stümpfe wird in die Platte eine Schraube eingelegt. Bei Verwendung einer Schraube wird die Platte jedoch dicker und deshalb besonders von älteren Kindern häufig abgelehnt. Da die Säuglinge sofort auf die eingegliederte Platte beißen und die Kunststoffplatten häufig besonders im distalen Alveolarbereich Druckstellen und somit Schmerzen hervorrufen, werden an diesen Stellen weichbleibende Aufbißpolster angebracht. Auf diese Weise wird der Beißreflex gefördert und ein zusätzlicher funktioneller Reiz ausgelöst. Die Platten, die ständig getragen werden sollen, erleichtern dem Säugling die Nahrungsaufnahme (Abb. 4) und das Schlucken

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Abb. 4. Nahrungsaufnahme mit Platte

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Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Besserung seines Wohlbefindens. I m allgemeinen gewöhnen sich die Säuglinge sehr schnell so gut an die Platten, daß sie sich sie nur unter Protest entfernen lassen. Nach diesen allgemeinen Richtlinien für die Indikation und Methode soll in den folgenden Kapiteln das Vorgehen bei den einzelnen Spalten geschildert werden. 5. Einseitige Lippen-Kiefer- und Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten Indikation und Vorgehen Bei einseitigen Lippen-Kiefer-Spalten ist die präoperative kieferorthopädische Behandlung indiziert, wenn die Kieferspalte sehr breit ist oder einer oder beide Stümpfe der Alveolarfortsätze disloziert stehen. Die einzelnen dafür infrage kommenden Formen sind in Abb. 7 aufgeführt. Während eine schon bei der Geburt breite Spalte im postnatalen Zeitabschnitt bis zur Cheilognathoplastik sich kaum verschmälert und somit die Behandlung bald nach der Geburt einsetzen sollte, können dislozierte Stümpfe in diesem Zeitraum ihre Stellung verbessern oder verschlechtern. Deshalb ist eine dauernde Beobachtung erforderlich. Bei stärker disloziertem bzw. nach einwärts gekipptem Stumpf ist es empfehlenswert, mit der Behandlung gleich nach der Geburt zu beginnen. Das Ausmaß der Dislokation ist dafür maßgebend. Dabei wird es immer Fälle geben, bei denen man einige Wochen zu warten hat. An Hand von Modellen kann eine Verbesserung oder Verschlechterung leicht festgestellt werden und der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns in anfangs zweifelhaften Fällen festgelegt werden. Vorgehen: Das nach Abdruck gewonnene, mit Hartgips ausgegossene Modell wird auf einem mit Millimeterpapier beklebten Sockel mit zwei Metallstiften befestigt (Abb. 5). Die Stifte, die an der Unterseite des Oberkiefermodells in der Gegend der Tubera eingelassen sind, dienen als Drehpunkte. Die Konturen des Modells werden nun mit einem feinen Stift auf dem graduierten Papier nachgezogen, um so die Ausgangslage festhalten zu können. Das Modell wird im Spalten verlauf durchtrennt und in neuer Stellung ver-

Abb. 5. Modell und Platte auf einem mit Millimeterpapier versehenen Sockel und Führungsstiften. Die ursprüngliche Lage wird durch Umzeichen des Modells festgehalten. Die schwarze Linie in der Platte zeigt die Unterfütterungsstelle mit elastischem Material an

wachst (Abb. 6). I n 10—14tägigen Intervallen werden die Kieferstümpfe im Modell durch geringe Verschiebung von 1—2 mm im Sinne eines normalen Kieferbogens einander genähert. Dabei genügt manchmal nicht eine Rotation um die Tubergegend, es ist auch sehr oft eine Parallel Verschiebung nötig. Die Platte wird dem so veränderten Modell angepaßt, indem sie entweder im Spaltverlauf ebenso zersägt wird und dann mit autoperlymerisierendem Kunststoff die beiden Plattenteile wieder miteinander verbunden

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werden, oder die Innenseite der Platte ausgefräst und unterfüttert wird. Die Unterfütterung wird auf dem Modell an den Stellen mit weichbleibendem Kunststoff vorgenommen, wo die Platte besonderen Druck ausüben soll. In der Abb. 7 sind die häufig vorkommenden einseitigen Kieferspaltformen (senkrechte mittlere Reihe a) schematisch dargestellt. Die erste Querreihe zeigt die Darstellung der Spaltart, bei der infolge der Lage der Alveolarfortsatzstümpfe und der Breite der Spalte keine kieferorthopädische Behandlung notwendig ist. Der etwas nach außen rotierte Stumpf wird im allgemeinen durch den postoperativen Narbenzug in die normale Lage gebracht. In den folgenden Querreihen (2, 3, 4) sind Spaltarten wiedergegeben, die eine präoperative kieferorthopädische Behandlung als empfehlenswert erachten lassen. Die linke Reihe (b) zeigt meist nach der Spaltoperation auftretende Stellungen der Kieferstümpfe, wenn keine kieferorthopädische Behandlung durchgeführt wurde. Um diese postoperativen Fehlstellungen der Kieferstümpfe zu verhindern, werden durch eine kieferorthopädische Behandlung die in der rechten Reihe (c) aufgezeigten Stellungen der Kieferstümpfe zu erreichen versucht. Die Pfeile an den einzelnen Spaltarten der mittleren Reihe zeigen die Wirkungsrichtung der kieferorthopädischen Kräfte an. Ist der Stumpf einwärts gekippt (mittlere Zeichnung der zweiten Querreihe), so ergibt sich die Notwendigkeit einer Lageveränderung in Richtung der angegebenen Pfeile mit Hilfe einer kieferorthopädischen Apparatur (Abb. 8). Sie besteht in einer Platte, die in Abständen von 10—14 Tagen dem gewünschten Kieferbogen mittels Unterfütterung schrittweise angepaßt wird (Abb. 5 u. 9). Von der in der zweiten Querreihe dargestellten Spaltform kann es drei extreme Variationen geben, die einer besonderen Behandlung bedürfen. Bei einer ausgesprochenen Überlappung der Kieferfortsätze besteht die Möglichkeit, eine Fächerschraube in die Platte einzulegen und durch eine Dehnung im anterioren Bereich die beiden Stümpfe

Abb. 6. Im Spaltverlauf zersägtes und wieder verwachstes Modell, das stufenweise der gewünschten Form angepaßt wurde. Die einzelnen Striche geben die jeweilige Veränderung in Intervallen von 10 Tagen an

aneinander vorbeizuführen (Abb. 9) und dann mit Hilfe eines extraoralen Gummizuges die Praemaxilla einzuschwenken. Zur Reposition des stark nach lateral rotierten Zwischenkieferstumpfes werden elastische Züge in Form einer elastischen Binde aus Kofferdammgummi oder Konfektionsgummi verwendet; mit dem letzteren kann der stärkere Druck ausgeübt werden (Abb. 14 u. 15). Die elastische Binde wie auch der Kofferdammgummi, werden mit Bändchen und Klebeverbänden am Hinterkopf fixiert. Jedoch erweist sich hierzu ein genau angefertigtes

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Abb. 7. Die wichtigsten Formen der einseitigen Kieferspalten (mittlere Längsreihe a); linke Längsreihe(b): postoperative Stellung der Kieferstümpfe ohne kieferorthopädische Behandlung; rechte Längsreihe (c): Stellung der Kieferstümpfe nach präoperativer kieferorthopädischer Behandlung

Abb. 8. Modelle einer einseitigen Kiefer-Gaumen-Spalte: (a) vor Operation; (b) nach Operation; (c) nach präoperativer kieferorthopädischer Behandlung

Präoperative Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Leinenhäubchen am günstigsten. Als Gummi werden zwei schmale Streifen verwendet, die über dem Zwischenkiefer gekreuzt und hier zusammengenäht werden. Dem Gummi legt m a n ein Stück Schaumstoff oder einen Tupfer unter. An den am Häubchen angebrachten Knöpfen können die Gummi- Abb. 9. Platte mit Fächerschraube zur Dehnung bänder unter verschieden starker Span- im anterioren Bereich. Die Zeichnung zeigt die nung eingeknöpft werden. Die Kreuzung Stellung der Kieferstümpfe vor und nach der Behandlung der Gummibänder über der Praemaxilla wie auch der unterlegte Tupfer oder Stoff verhindern ein Abrutschen. Es ist darauf zu achten, daß kein zu starker Druck angewendet wird, denn sonst können Nekrosen am Philtrum oder an der Kieferschleimhaut entstehen, auch eine Verbiegung des Vomers k a n n eintreten. Unter Umständen sollen diese elastischen Gummibänder nur stundenweise getragen werden. Da jedoch meist mit der Einwärtsbewegung des Zwischenkieferstumpfes auch eine Auswärtsbewegung des kleineren Stumpfes auf der Seite der Spalte erreicht werden soll, darf der Gummizug nicht der Wange aufliegen, er würde sonst der Auswärtsbewegung des kleinen Stumpfes entgegenwirken. Es ist deshalb zweckmäßig, mit einer starren Drahtkonstruktion den elastischen Zug von der Wange abzuhalten. Erst im dorsalen Wangenbereich wird der elastische Zug in einer Öse an dem Bügel befestigt, der dann auf die übliche Weise an einem Häubchen oder nur mit Bändern und Heftpflaster am Hinterkopf fixiert wird. Bei einer übermäßig breiten Spalte (3. Querreihe) wird die Behandlung mit einer Platte durchgeführt (Abb. 10). Auch hier wird die Apparatur schrittweise einem normalen Bogen angeglichen, jedoch h a t hier die Veränderung im Sinne einer Verkleinerung entsprechend den Pfeilen stattzufinden.

Abb. 10. breite unilaterale Spalte vor (a), nach Operation ohne (b) und nach (c) präoperativer Behandlung

In der vierten Querreihe ist eine seltenere Erscheinungsform einer einseitigen Spalte aufgezeichnet. Die Enden der beiden Stümpfe befinden sich auf derselben Höhe. Der Lippendruck kann hier unter Umständen bewirken, daß der größere Stumpf an dem kleineren vorbeirutscht. In diesem Falle genügt es, eine P l a t t e einzugliedern, die eine Annäherung der Stümpfe bewirkt. Das Vorgehen ist ähnlich wie eingangs dieses Kapitels beschrieben.

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6. Doppelseitige Kiefer- und Kiefer-Gaumen-Spalten Indikation und Vorgehen Die Indikation der präoperativen kieferorthopädischen Behandlung einer doppelseitigen Kiefer- und Kiefer-Gaumen-Spalte ergibt sich aus dem Lage Verhältnis des verknöcherten medialen Nasenfortsatzes zu den beiden Alveolarfortsätzen des Oberkiefers. In der mittleren senkrechten Reihe (a) der Abb. 11 sind die wichtigsten doppelseitigen Kieferspaltarten dargestellt. Der mediale Nasenfortsatz (Zwischenkiefer) liegt meist mehr oder weniger ventral von den seitlichen Oberkiefer-Alveolarfortsätzen. Wenn diese seitlich eingedrückt sind, so daß der Nasenfortsatz nicht eingelagert werden kann oder die Spalten auf einer oder auf beiden Seiten sehr breit sind, so daß auch nach seiner Zurückdrängung ein Spalt bestehen bleibt, ist die kieferorthopädische Behandlung angezeigt. Ihr Ziel ist, die Spalten jederseits so zu erweitern oder zu verkleinern, daß der gleichzeitig zurückgedrängte Nasenfortsatz gut in die beiden Oberkiefer-Alveolarfortsätze paßt.

Abb. 11. Die wichtigsten Formen der doppelseitigen Kieferspalten (mittlere Längsreihe a); linke Längsreihe (b): postoperative Stellung der Kieferstümpfe ohne kieferorthopädische Behandlung; rechte Längsreihe (c): Stellung der Kieferstümpfe nach präoperativer kieferorthopädischer Behandlung

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Die linke Reihe (b) zeigt die möglichen postoperativen Spätergebnisse bezüglich der Stellung des Zwischenkiefers zu den seitlichen Alveolarfortsätzen auf, wenn die präoperative kieferorthopädische Behandlung unterlassen wird. Wird sie jedoch durchgeführt, sind die Kräfte in Richtung der Pfeile, wie in der mittleren Längsreihe angegeben, wirksam und es kann jeweils eine Stellung der drei Alveolarfortsatzstümpfe erzielt werden, die in der dritten Längsreihe (c) dargestellt ist. Diese kieferorthopädisch erreichten Stellungsverhältnisse der drei Alveolarfortsatzstümpfe bieten nicht nur bessere Voraussetzungen für den chirurgischen Eingriff, sie gewährleisten auch einen normalen Al veolarf ortsatz bogen. Vorgehen: Nach Abdrucknahme, Herstellung von Modellen — wie in Kap. 4 beschrieben — wird auf dem in der Mitte zersägten Modell eine Platte hergestellt. In der 1. Querreihe ist eine doppelseitige Spalte mit normal entwickelten seitlichen Kieferfortsätzen und nur gering vorstehendem Zwischenkiefer dargestellt. Hier erübrigt sich eine kieferorthopädische Vorbehandlung, da die geringe Spaltbreite einerseits keine sehr ausgeprägte Narbe erwarten läßt, andererseits die Funktion der Lippe für die Reposit i o n der P r a e m a x i l l a (ULLICK u. E . GABKA) a u s r e i c h e n d ist ( A b b . 12).

Abb. 12. Beispiele für die in der 2. Querreihe des Schemas dargestellte häufige Form der doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten nach der Geburt (a), nach der Cheiloplastik ohne Vorbehandlung (b) und mit Vorbehandlung (c)

In der 2. Querreihe ist in der Mitte die am häufigsten vorkommende Form der doppelseitigen Kiefer-Gaumen-Spalte dargestellt. Die Praemaxilla steht weit vor; die seitlichen Alveolarfortsatzstümpfe sind nach medial geklappt, so daß der Zwischenkiefer nicht mehr aufgenommen werden kann (linke Abbildung in der 2. Querreihe und Abb. 13). F ü r die kieferorthopädische Behandlung dieser Spaltform eignet sich eine Platte mit einer Transversalschraube oder einer Fächerschraube, die Kräfte wirksam werden läßt, die die Stümpfe nach außen bewegen. Gleichzeitig oder im Anschluß an die Dehnung wird der Zwischenkiefer durch einen elastischen Zug (Kofferdammgummi), wie schon oben beschrieben, retrudiert.

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Abb. 13. Elastischer Gummizug zur Reposition der Praemaxilla

Abb. 14. Kofferdammgummi-Streifen zur Reposition. Um ein Abrutschen zu verhindern, wird ein Tupfer auf das Philtrum unter den Gummi gelegt

In der 3. Querreihe ist eine sehr breite bilaterale Spalte mit weit vorstehender Praemaxilla dargestellt. Die Behandlung kann hier mit Hilfe eines extraoralen elastischen Zuges durchgeführt werden. Der Zug, der vom Philtrum über die Wangen zum Hinterkopf V e r l ä u f t , übt auch auf die seitlichen Alveolarfortsätze einen Druck im Sinne einer Verkleinerung der Spalte aus (Abb. 14, 15).

Abb. 15. Beispiel einer einseitig sehr breiten bilateralen Spalte mit Torsion der Praemaxilla unmittelbar nach der Geburt (a), nach der Cheiloplastik ohne Vorbehandlung (b) und mit Vorbehandlung (c)

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Die 4. Querreihe zeigt eine häufige Variation, nämlich eine einseitig — sehr breite, doppelseitige Spalte mit Torsion der Praemaxilla (Abb. 16). Da ein Gummizug in seiner Krafteinwirkung nicht so differenziert werden kann, daß neben einer Reposition auch noch eine wesentliche Rotation des Zwischenkiefers eintritt, verwenden wir eine Rotationsund Repositionsplatte, die wir in Anlehnung an OHLSON und N O R D I N modifizierten.

Körbchen mittlerer Nasenfortsatz

Gummizüge Gleitschiene Fächerschraube

Abb. 16. Rotations- und Repositionsplatte zur Rückverlagerung und gleichzeitiger Drehung der Praemaxilla mit Dehnung der seitlichen Kieferstümpfe

Es sollte die Möglichkeit gegeben sein, neben einer Dehnung der lateralen Kieferstümpfe den Zwischenkiefer gleichzeitig zu reponieren und zu korrigieren, ohne daß zu starke Kräfte angewendet werden müssen. Da hier die lateralen Segmente mit ihrem medialen Ende invertiert stehen, ist eine Plattenapparatur geeignet, in die eine Fächerschraube eingelassen ist, deren Drehpunkt möglichst weit dorsal liegt. Der Drehpunkt kann den Umständen entsprechend natürlich variiert werden. Die Platte wird auf die übliche Weise mit zwei extraoralen Bügeln und mittels Bändchen an einem genau angepaßten Stirnband befestigt. Um ein Abkippen der Platte zu vermeiden, soll der Bügel so weit wie möglich nach dorsal geführt werden. Es muß natürlich darauf geachtet werden, daß er bei der Seitenlage des Säuglings nicht störend wirkt. Der Zwischenkiefer wird mit einem Kunststoffdrahtgerüst umfaßt, und zwar so, daß dieses Gerüst dem knöchernen Teil fest aufsitzt und den Lippenstumpf nur elastisch umfaßt. An diesem „Körbchen" sind zwei nebenein anderlaufende Drähte angebracht, die als Schienen dienen und in zwei Kanäle der Platte laufen. Durch entsprechendes Biegen der Stifte und Vorbereitung der Kanäle kann die Richtung, in die die Praemaxilla geführt werden soll, vorbestimmt werden. An diesem Gerüst sind jeweils seitlich Häkchen und auch an der Platte auf jeder Seite vestibulär und palatinal zwei Häkchen angebracht, in die verschieden starke Gummizüge in die jeweils gewünschte Zugrichtung eingehängt werden können. Man kann so die Kräfte ziemlich genau dosieren. Wird gleichzeitig eine

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transversale Dehnung der lateralen Kieferstümpfe durchgeführt, müssen die Führungsstifte vorher durchgeglüht werden. Hier kann eine Rotation nur durch eine genaue Einstellung der Wirkungsrichtung der Gummizüge erreicht werden (Abb. 17). Damit die Platte durch die entstehende K r a f t Wirkung vor allem im dorsalen Bereich nicht abgehebelt wird, ist es wichtig, daß sie den Gaumen vestibulär umfaßt und unter Umständen geringfügig in den Spaltbereich hineinreicht. Zu diesem Zweck wird sie mit elastischem weichbleibendem Material unterfüttert. Der technische Vorgang bei der Herstellung der Apparatur ist folgender: Abb. 17. Plattengerät mit Dreiecksklammer und Zuerst wird ein Gerüst aus 0,8 mm starPelotten kem Draht hergestellt, das den Zwischenkiefer von unten her umfaßt, daran werden die beiden Gleitschienen und ebenso seitlich zwei Häkchen angelötet. Dieses Gerüst wird mit Kunststoff umgeben. I m vestibulären Teil erhält der Korb noch zwei Federn, die mit weichbleibendem Kunststoff umkleidet werden und den Lippenteil ohne zu starken Druck gut umfassen können. Für die Bedeckung der hinteren Kieferabschnitte und des Gaumens wird die übliche Platte, meist versehen mit einer Fächerschraube und extraoralen Bügeln, hergestellt. An die Platte werden die beiden Schienen des Korbes, die vorher entsprechend eingewachst wurden, angelegt; man läßt dann flüssiges Kunstharz darüberlaufen und erhält so zwei Gleittunnel. Die beiden Schienen werden anschließend gekürzt, um nach rückwärts gleiten zu können. Gemäß der gewünschten Wirkungsrichtung werden für die Befestigung der Gummizüge noch Häkchen in die Platte eingelassen. Zum Schluß wird die ganze Palatinalfläche der Apparatur mit weichbleibendem Material unterfüttert und an den Aufbißflächen werden Polster angebracht. Wenn der Zwischenkiefer sehr weit vorsteht und bei der Reposition eine Kippung nach kaudal befürchtet werden muß, kann man durch die Führungsstifte auch Kräfte im Sinne einer Intrusion auf ihn einwirken lassen. Diese Apparatur kann auch bei allen anderen oben angeführten Spaltformen verwendet werden, da eine Bewegung nach allen Richtungen möglich ist. Zur Verkleinerung wird lediglich statt der geschlossenen eine geöffnete Schraube eingearbeitet. 7. Behandlung der Gaumenspalte Da Gaumenspalten einseitig oder doppelseitig zusammen mit entsprechenden Kieferspalten oder auch isoliert vorkommen können, wird entweder schon bei der Behandlung der Kieferspalte ein Einfluß auf sie ausgeübt, oder sie wird nach der Cheiloplastik kieferorthopädisch behandelt. In beiden Fällen ist die präoperative Orthodontie, besonders bei breiten Gaumenspalten, indiziert. Das Ziel ist, das Wachstum der Gaumenplatte(n) anzuregen und so eine umfangreiche Ablösung der Gaumenschleimhaut zur operativen Deckung der Spalte zu vermeiden. Schon durch eine Behandlung der Spalten im Alveolarfortsatz (ein- oder beidseitig) mit aktiven Platten wird verhindert, daß sich die Zunge in die Spalte einlagern kann und dem Wachstum der Gaumenfortsätze hinderlich ist. Auf diese Art wird eine Verschmälerung der Gaumenspalte erreicht. Wenn es gelingt, bis zur Cheilognathoplastik die Gaumen-

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spalte so zu verkleinern, daß sich die Zunge nicht mehr einlegen kann, so kann nach dieser Operation zunächst abgewartet werden. Anhand eines Modells kann in regelmäßigen 2—4 monatigen Kontrollen eine eventuelle Verbreiterung der Gaumenspalte leicht festgestellt werden. Wenn eine solche auftritt, sollte jedoch die Behandlung einsetzen. Auch bei einer breiten isolierten Gaumenspalte ist es kurz nach der Geburt angezeigt, schon wegen der leichten Gewöhnung, mit der Plattenbehandlung zu beginnen. Im Falle einer Gaumenspaltenbehandlung im späteren Alter treten oft sehr große Schwierigkeiten auf. Die Kinder lehnen die Platte ab. Man wartet dann besser den Durchbruch der ersten Milchmolaren und der Eckzähne ab. Die Kinder sind in diesem Alter oder noch später meist verständiger und der Behandlung zugänglicher. Bei Lutsch- oder Schnullerkindern bringt man zur besseren Gewöhnung einen Schnuller an der Platte an (Abb. 3). Die Platten werden aus durchsichtigem Kunststoff oder am besten aus elastischem Material hergestellt. Zur Verstärkung wird ein Draht eingelegt, damit die Platten möglichst dünn gehalten werden können. Elastisches Material verhindert das Auftreten von Druckstellen. Es eignet sich auch deshalb sehr gut, da es bis zu einem gewissen Grade das in dieser Zeit verstärkte Transversal- und Sagittalwachstum der Kiefer zuläßt. Wenn die Platten zur Zeit des Durchbruches der Milchzähne benützt werden, müssen sie bei den Kontrollen an den Durchbruchstellen freigeschliffen werden. Als Halteelemente eignen sich am besten extraorale Drahtbügel. Im späteren Alter, wenn alle Milchzähne vorhanden sind, kann auf diese Drahtbügel verzichtet werden und an ihrer Stelle Haltedrähte und Pelotten angebracht werden (Abb. 17). Durch Einfügen von Dehnschrauben kann die eventuell durch den Narbenzug der operierten Lippe entstandene Kontraktion vor der Uranoplastik noch korrigiert werden. Zur verstärkten Anregung des Wachstums der Gaumenspaltränder werden verschiedene Hilfsmittel angebracht oder die Platte modifiziert. So befestigte M C N E I L an den Platten federnde Schildchen. Diese Kunststoff schildchen sind mit federndem Stahldraht an den Palatinalflächen der Platte fixiert (Abb. 18). Wegen der möglichen Bruchgefahr der Drähte werden stattdessen die Spaltränder auch durch sie berührende Drahtfortsätze zum Wachstum angeregt. Diese Drähte können auch einfacher verändert und aktiviert werden. Von M C N E I L und D E R I C H S W E I L E R wird empfohlen, Querrillen an der der Schleimhaut zugekehrten Plattenseite anzubringen, die sich über die ganze Gaumenfläche erstrek-

Abb. 1 8 . Stimulationsplatte nach M C N E I L von palatinal her gesehen (rechts). Die schraffierten Felder auf dem Modell (links) zeigen die Wirkungsstellen der an der Platte deutlich sichtbaren Stimulationsschildchen an

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ken. B A Y , H E R Z O G U. a. empfehlen, entlang des Spaltrandes weichbleibenden Kunststoff zu befestigen, eine Methode, die auch von uns mit Erfolg ausgeübt wird. Entsprechend dem Wachstum kann von dem Kunststoff abgenommen oder neuer hinzugefügt werden. Mit diesen Hilfsmitteln gelingt es, die Gaumenspalte oft so weit zu verkleinern, daß sich die Spaltränder berühren. Besonders im vorderen Drittel der Spalte kann diese Berührung der Schleimhautränder beobachtet werden. I m mittleren und hinteren Abschnitt werden die Spalten bis zu 2 / 3 verkleinert ( H O T Z ) . Zusammenfassend läßt sich über die beschriebenen Behandlungsmethoden prognostisch sagen: Die günstigsten Ergebnisse auch in bezug auf die spätere Entwicklung zeigt die Behandlung der doppelseitigen Spalte, bei der die Stellung der Praemaxilla korrigiert wurde. Die Vorbehandlung bringt eine wesentliche Verbesserung des funktionellen und kosmetischen Ergebnisses, wie der Vergleich mit nicht vorbehandelten Patienten zeigt. Gelegentlich läßt sich eine Abknickung an der knöchernen Grenze zum Vomer oder eine Verbiegung des Vomers feststellen. Dies ist wohl auf einen zu starken Labialdruck bzw. auf ein Vernachlässigen der Intrusionskräfte bei der Reposition des Zwischenkiefers zurückzuführen. Die Behandlung der verschiedenen einseitigen Spaltformen erweist sich als wesentlich mühsamer und der Erfolg ist im Vergleich zu den nicht vorbehandelten Fällen besonders, bei geringeren Abweichungen, nicht so effizient. Aus diesem Grunde erscheint es sinnvoll, die Behandlung im wesentlichen auf die extrem ausgebildeten Formen zu konzentrieren. Der Erfolg der Reizbehandlung der Gaumenspalte hängt im wesentlichen von der Mitarbeit des Kindes ab.

Β. Postoperative kieferorthopädische Behandlung Der operative Verschluß einer Gaumenspalte bringt erfahrungsgemäß unerwünschte Folgen mit sich (vgl. G A B K A , Versorgung der foetalen Gesichtsspalten; Band I I ) . Abhängig von der Operationsmethode bilden sich mehr oder weniger ausgeprägte Narbenplatten im Oberkieferbereich aus. Dieses minderwertige Gewebe wirkt auf das normale Wachstum der Maxiila wie eine Fessel: das Resultat ist eine Unterentwicklung in allen drei Dimensionen. Tierexperimentell konnte nachgewiesen werden, daß ein Entblößen des Knochens von Schleimhaut und Periost und der Unterbindung der Aa. palatinae schon in kurzer Zeit zu einer Unterentwicklung führt ( H E R F E R T , S C H I L L I - F R I E D L ) (Abb. 19), die sich um so stärker auswirkt, je früher der Eingriff vorgenommen wurde. Es zeigte sich auch, daß die hemmende Wirkung der Narben unmittelbar nach der Operation am größten war. Eine analoge Feststellung konnte am laufenden Patientengut gemacht werden. In den ersten beiden Jahren nach dem Eingriff war die Wachstumshemmung am stärksten ausgeprägt.

Abb. 19. Ein halbseitig von der Gaumenschleimhaut denudierter Oberkiefer einer jungen Ratte zeigt schon nach einigen Monaten auf Grund der Narbenbildung deutliche Wachstumsverzögerungen

I. Behandlung im Milchgebiß Aus diesem Grunde raten wir bei breiten Spalten, bei denen eine ausgedehnte Gewebsmobilisation nötig wurde, unmittelbar nach der Uranoplastik mit einer prophylaktischen kieferorthopädischen Behandlung zu beginnen. Dieser Behandlungsabschnitt im Milchgebiß erstreckt sich vom 3. bis zum 5. Lebensjahr, also etwa vom Durchbruch des letzten Milchmolaren bis zur beginnenden Resorption der Milchschneidezähne. Die verschiedenen Spaltformen erfordern auch unterschiedliche Behandlungsgeräte. I m allgemeinen kommen Plattengeräte zur Anwendung. Unmittelbar nach der Gaumenplastik werden postoperative Gaumenschutzplatten mit extraoralen Bügeln getragen, sogenannte Hirschgeweihe, die an einer Kopf gipskappe befestigt werden. Etwa nach drei Monaten sollten diese Behelfe durch einfache kieferorthopädische Platten ersetzt werden. Als Halteelemente können Dreiecksklammern dienen, die jedoch häufig Handb. Plast Chir. ,Bd. II

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ungenügend sind, da die Milchmolaren meist eine konische Form aufweisen und somit zu wenig Retentionsmöglichkeiten bieten. In diesem Fall empfiehlt es sich, zusätzlich Pelotten, die am Vestibulum angreifen, anzubringen (Abb. 20). Eine andere Möglichkeit der Retention bietet sich durch ein Übergreifenlassen des Kunststoffes über die Kauflächen in die bukkalen Interdentalräume. Bekanntlich macht die Breitenentwicklung der Kiefer im Alter von 3—5 Jahren nur sehr geringe Fortschritte, sie beträgt im Durchschnitt etwa 2 mm. Aus diesem Grund ist auch nur eine sehr geringe Dehnung notwendig. In erster Linie soll die Platte eine Kontraktion des Oberkiefers, d. h. eine Kippung der Alveolarfortsätze nach innen verhindern. Eine Medianschraube gestattet ein Nachstellen des Oberkiefers entsprechend dem Wachstum des Unterkiefers. Um das Gaumengewölbe noch weiter auszubilden und zu heben, werden Platten an der Gaumenseite spätestens alle zwei Monate mit gummielastischer Masse unterfüttert. Diese soll mit etwas Überschuß so aufgetragen werden, daß die Platte vom Gaumen abgedrängt wird und das Kind zum Zubeißen reizt. Somit wird die Platte wieder gegen das Gaumengewölbe gepreßt und es ergibt sich ein Wechselspiel, das zu einer Angleichung der Gaumenschleimhaut führt. Ist jedoch schon eine Kontraktur des Oberkiefers eingetreten, soll sie durch eine langsame aber stetige Erweiterung der Platte wieder rückgängig werden. Da sie sich meist im Eckzahnbereich als sogenannter Spaltkreuzbiß besonders ausgeprägt manifestiert, ist es ratsam, mit Hilfe einer Fächerschraube die Dehnung auf dieses Gebiet zu konzentrieren (Abb. 21). Die Behandlung hat sobald wie möglich zu erfolgen, und die Dehnung soll in diesem Falle einige Millimeter übertrieben werden, um ein mit Sicherheit zu erwartendes Rezidiv zu kompensieren. Bei doppelseitigen Spalten treffen wir nach der Gaumenplastik sehr unterschiedliche Erscheinungsbilder an. Handelte es sich ursprünglich um eine Spalte mit einem weit prominent stehenden Zwischenkiefer, so finden wir diesen häufig später sehr tiefstehend. Dieser Befund ist, wie schon im vorhergehenden Kapitel erwähnt, darauf zurückzuführen, daß die Praemaxilla durch den Druck der vereinigten und unter Spannung stehenden Lippenstümpfe oder auch durch eine vorangegangene präoperative kieferorthopädische Behandlung nach dorso-kaudal gebogen wurde. Die Behandlung in dieser Form bereitet große Schwierigkeiten. Wir verwenden hierzu den Aktivator. Er muß so eingeschliffen werden, daß alle Intrusionskräfte auf den Zwischenkiefer konzentriert werden. Als Folge unterschiedlicher Spaltbreiten links und rechts, die ihre Ursache in einer hypoplastischen Ausbildung der seitlichen Stümpfe oder auch der Praemaxilla haben, wurde ein verschieden starker Lippendruck, verbunden mit einem entsprechenden Narbenzug, nach der Cheiloplastik wirksam. Die verschiedenartige Krafteinwirkung bewirkt meist eine rotierte Stellung des Zwischenkiefers (Abb. 22). Die Behandlung dieser Form erfolgt am besten mit einer Oberkieferplatte. Die Platte besteht aus zwei Teilen, einem starren Teil, der sog. Grundplatte, die auf die übliche Weise am Gaumen und an den Zähnen befestigt wird, und einem beweglichen Teil, der den Zwischenkiefer ringsherum körbchenförmig unter Aussparung der Zähne umfaßt. Dieser Plattenteil wird mit einem Scharnier an der Grundplatte befestigt. Das Scharnier befindet sich an dem plattennahen Ende; auf der Gegenseite, meist an dem nach labial ragenden Teil, wird ein Häkchen angebracht, das einen Gummizug aufnehmen kann. Entsprechend der gewünschten Zugrichtung wird ebenso ein Häkchen an der Platte angebracht. Auf diese Weise ist eine Rotation möglich, wenn sie zeitig genug, d. h. spätestens nach der Uranoplastik (besser noch vorher), eingeleitet wird (Abb. 23). Eine weitere, für die Mittelgesichtsentwicklung sehr bedeutende Form ist die sagittale Unterentwicklung des Oberkiefers als Folge einer ausgeprägten Narbenbildung, ζ. B. nach

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Postoperative kieferorthopädische Behandlung

Abb. 20. Oberkiefer-Dehnplatte mit in die bukkalen Interdentalräume übergreifenden Aufbissen und vestibulären Pelotten zur besseren Retention

Abb. 22. Abdruck einer operierten doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, bei der der Zwikiefer einseitig labialwärts tordiert steht

Abb. 21. Oberkieferplatte mit Fächerschraube, die vor allem im anterioren Bereich eine Dehnung ermöglicht

Abb. 23. Apparatur zum Einrotieren der Praemaxilla

der Vereinigung der seitlichen Lippenstümpfe mit einem hypoplastischen Philtrum. Schon vor dem Abschluß der ersten Dentition kann, wenn kein genügender Überbiß im Frontzahngebiet gewährleistet ist, ein frontaler Kreuzbiß auftreten, der sobald wie möglich beseitigt werden muß, um eine weitere Ausbildung einer Progenie zu verhindern und das sagittale Wachstum, das nun zusätzlich von dem Unterkiefer gehemmt wird, nicht weiter zu beeinträchtigen. Als Behandlungsgeräte stehen uns hierbei bei vollem Zahnbestand zur Verfügung: 1. die Oberkieferplatte mit zwei Schrauben im Eckzahnbereich und Aufbißwällen zur Bißsperre im Seitenzahngebiet; 2. der ANDRESEN-HÄUPL-Apparat mit zwei Schrauben zur sagittalen Dehnung und einem bimaxillären Progeniedraht bei Mesialbiß bzw. progencm Zwangsbiß. Er findet in all den Fällen Anwendung, bei denen aus Gründen schlechter Bezahnung keine Plattengeräte fixiert werden können; 3. die Kombination des ANDRESEN-HÄUPL-Apparates mit einer Oberkieferplatte bei guter Bezahnung. 162*

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Besteht neben der sagittalen Verkürzung eine ausgeprägte transversale Wachstumshemmung, empfiehlt es sich, eine Platte anzuwenden, in die eine Medianfächerschraube zur transversalen Dehnung eingebaut ist, die sagittale Streckung aber mittels gekreuzter Pelotten durchgeführt wird, die sich bei einer Öffnung der Schraube selbsttätig aktivieren. Diese Konstruktion ist auch in all den 1 /TV ^ " ^ B f c , ^ ^ ΨΛ Fällen (in etwas abgeänderter Form) brauchK < ^ Τ apP^ ' - ' ' ^ 'X 1 bar, bei denen keine Bezahnung mehr am ^•ML , ^ Μ Ε ί Μ Μ Β Μ Β Μ ^ " jßfm Zwischenkiefer besteht (Abb. 24). Kann jedoch keine sagittale Unterentwicklung festgestellt werden, so ist nur bei Abb. 24. Transversale Dehnplatte mit Pelotten d e n Fällen, die keinen oder nur einen gezur Protrusion des Zwischenkiefers ringen frontalen Überbiß aufweisen, eine Präventivbehandlung angezeigt, um eine spätere Retrusionswirkung durch die Lippen zu vermeiden. Zur Verhinderung einer transversalen Entwicklungshemmung wird genauso wie bei den einseitigen Spalten vorgegangen. Ob eine Ausformung des Gaumengewölbes notwendig wird, ist von den anatomischen Gegebenheiten und dem daraus resultierenden Operationsergebnis abhängig. Sie kann durch Plattengeräte, wie beschrieben, oder mit dem Aktivator durchgeführt werden. G R O S S M A N N empfiehlt, schon im Milchgebiß mit Hilfe eines Vorhofschildes, das entweder separat getragen wird oder an dem Labialbogen der Platte befestigt wird, dem Narbendruck auf den Kiefer und die Vorderzähne entgegenzuwirken. Ähnliche Angaben macht B R Ü C K L . E r wendet bei schlechtem Zahnbestand im Oberkiefer eine Unterkieferplatte mit Gegenkieferpelotte an, die den Oberlippendruck auffangen soll.

II. Behandlung im Wechselgebiß 1. Stellungskorrektur einzelner Frontzähne während ihres Durchbruches Der Behandlung im Wechselgebiß kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Hierbei ist die erste Phase des Zahnwechsels, nämlich die des Frontzahndurchbruches, von großer Wichtigkeit. Fast regelmäßig ist als Operationsfolge mit Zahndrehungen oder -kippungen zu rechnen. Häufig sind Zahnkeime von vornherein als Folge des Wachstumsdefektes verlagert, doppelt angelegt oder hypoplastisch ausgebildet. Unabhängig davon, ob schon eine Behandlung im Milchgebiß stattgefunden hat, brechen die Frontzähne entsprechend der Narbenzüge häufig axial gekippt oder gedreht durch. Eine genaue Röntgenkontrolle muß darüber Auskunft geben, ob die Zähne ordnungsgemäß angelegt sind oder ob Verlagerungen oder überzählige Zahnkeime diese Fehlstellungen verursachen. Häufig findet sich auf der Spaltseite eine überzählige Ausbildung des seitlichen Schneidezahnes, wobei meist der eine im seitlichen Kieferstumpf und der andere im Zwischenkiefer liegt. Hier sollte in erster Linie festgestellt werden, ob ein Zahn hypoplastisch ausgebildet ist; sodann müssen die Platzverhältnisse abgewogen werden. Da von jedem Zahnkeim ein Wachstumsimpuls zu erwarten ist, soll der minderwertige Zahn oder der Zahn, der den geringsten Raum zur Entfaltung hat, erst dann entfernt werden, wenn er den Durchbruch der übrigen Zähne stark behindert. Bei einer doppelseitigen Spalte mit einem hypoplastisch ausgebildeten Zwischenkiefer behindern die seitlichen Schneidezähne häufig den regel-

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rechten Durchbrach der mittleren Inzisivi (Abb. 25). Ist dagegen der Zwischenkiefer breit genug und liegt ein überzähliger seitlicher Schneidezahn im Spaltgebiet, der später funktionslos im palatinalen Bereich durchbricht, ist er auf jeden Fall zu extrahieren. Wenn diese Frage geklärt ist, soll gleich bei Durchbruch eines dystopen Zahnes mit der Behandlung begonnen werden. Denn zu diesem Zeitpunkt ist noch mit einfachen Mitteln eine Korrektur zu erreichen ( K O R K H A U S , B R Ü C K L , P E T R I K , O P I T Z ) . Bei geringen Zahndrehungen kann der Aktivator zur Behandlung benützt werden ( H Ä U P L , P E T R I K ) . Entsprechend präparierte Schlifflächen und anliegende Fingerfedern bringen den Zahn während des Durchbruchs in die richtige Stellung.

Abb. 25. Hypoplastisch ausgebildete Praemaxilla, bei der auf Grund der Raumenge ein regelmäßiger Durchbruch der Inzisivi nicht möglich wird

Abb. 26. Oberkieferplatte mit Gegenkieferbügel als Hilfsmittel zur Behandlung des frontalen Kreuzbisses

Handelt es sich um Drehungen bei stark ausgeprägtem Narbengewebe, so ist eine Behandlung mit einer aktiven Platte indiziert ( B R Ü C K L , OPITZ). Die schräg durchbrechenden Zähne werden sobald wie möglich durch Protrusionsfedern und Labialbogen entsprechend belastet. Beträgt die Drehung mehr als 45°, bleibt ein Behandlungsversuch mit elastischen Federchen im allgemeinen ohne Erfolg. In diesem Fall muß der Zahn, wenn er genügend weit durchgebrochen ist, umbändert und entweder an einen Lingual- oder Labialbogen ligiert werden ( H O T Z , R I N D E R E R ) oder mit Gummizügen, die an einer Platte und an dem Band aufgehängt werden können, in die gewünschte Richtung gezogen werden. Hierbei ist darauf zu achten, daß die Führung durch die Platte gegeben ist oder aber, ζ. B. bei einer axialen Drehung, die Kraftwirkung im Sinne einer Torsion von zwei entgegengesetzten Punkten aus stattfindet. Häufig brechen bei doppelseitigen Spalten die mittleren Inzisivi palatinal von den Milchzähnen durch und geraten so in einen frontalen Kreuzbiß. Als Folge hiervon bildet sich leicht ein progener Zwangsbiß aus. Deshalb soll in solch einem Fall sofort eingegriffen werden, um eine weitere Manifestierung eines Zwangsbisses zu vermeiden. Bei guter Bezahnung kann man zur Überstellung eine Oberkieferplatte, entweder mit zwei Schrauben im Eckzahngebiet (Y-Platte) ( B R Ü C K L ) oder mit Protrusionsfedern und seitlichen Aufbissen zur Bißsperre verwenden. Besteht schon ein Mesialbiß, sollte man einen Gegenkieferbügel an die Platte anbringen (Abb. 26). Eine Zahnkeimentfernung im Unterkiefer als Ausgleichsmaßnahme zur sagittalen Fehlentwicklung im Oberkiefer hat sich als wirkungslos erwiesen ( D E R I C H S W E I L E R , K O R K HAUS, O H L E R u n d

SKOTNICKY).

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ESCHLER U.

D. FRIEDL, Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Im allgemeinen jedoch gestattet die Bezahnung in diesem Alter bei unseren Kindern keine gute Verankerung einer Oberkieferplatte . In diesem Fall ist am einfachsten der Aktivator mit zwei Schrauben im Eckzahngebiet zur sagittalen Streckung ( E S C H L E R , O H L E R U. S K O T N I C K Y ) ZU verwenden. Aber auch hier muß eine reziproke Abstützungsmöglichkeit gegeben sein, um ein Abrutschen des Apparates nach dorsal zu vermeiden. Der Einbiß wird im maximalen Rückbiß genommen. Als Labialdraht verAbb. 27. Aktivator mit bimaxillärem Progeniewenden wir den bimaxillären Progeniedraht draht nach ESCHLER (nach E S C H L E R ) , um einerseits die Oberlippe von der oberen Front abzuhalten und andererseits die von der Oberlippe ausgeübten Kräfte über den Draht auf den Unterkiefer zu übertragen (Abb. 27). Das in dem erwähnten Fall am schnellsten wirksame Behandlungsgerät ist die schiefe Ebene (OPITZ). Sie soll jedoch mit größter Vorsicht angewendet werden, um eine Lockerung der Zähne und somit eine Schädigung des Parodontiums zu vermeiden. Man verankert die aus Kunststoff hergestellte schiefe Ebene über alle unteren Frontzähne, einschließlich der Eckzähne, oder an einer Unterkieferplatte. Sie ist in einem Winkel von etwa 45° so hoch zu gestalten, daß das Kind nicht hinter die Ebene beißen kann. Das hat den Vorteil, daß die einzelnen Zähne nicht überbelastet werden können, da die Ebene sehr rasch an der Gaumenschleimhaut anstößt. Bei den alle 8 Tage erfolgenden Kontrollen wird jeweils die Ebene um einige Millimeter gekürzt, um durch die Verringerung der Bißsperre eine neue Belastung der Zähne zu erreichen. Diese Kürzung der Apparatur wird so oft durchgeführt, bis eine Überstellung der Schneidezähne erreicht ist. Die Überstellung der Frontzähne sollte während der ersten Phase des Wechselgebisses unbedingt angestrebt werden. 2. Dehnung und Bißverschiebung Der günstigste Zeitpunkt für eine transversale Dehnung ist der Beginn der zweiten Phase des Zahnwechsels, der mit dem Prämolaren-Durchbruch eingeleitet wird und mit einem starken Wachstumsschub einhergeht. Zu diesem Zeitpunkt wird am besten die Behandlung mit dem Aktivator, in dem eine Medianschraube eingebaut ist, begonnen. Nach dem Durchbruch der Prämolaren soll zusätzlich tagsüber eine aktive Platte zur verstärkten transversalen Dehnung getragen werden. Bei starker Narbenbildung am Gaumen ist ein rein aktives Vorgehen angezeigt, d. h. die Platte soll Tag und Nacht getragen werden (NORDEN, KORKHAUS, P E T I T e t

PSAUME).

Besteht eine so ausgeprägte transversale Entwicklungshemmung des Oberkiefers, daß die Gefahr einer Nonokklusion im Seitenzahngebiet gegeben ist oder der Platz für die Eckzähne trotz Dehnung oder evtl. Viererextraktion nicht geschaffen werden kann, so ist die forzierte Dehnung nach der Methode der Gaumennahterweiterung indiziert (DERICHSWEILER,

OHLER,

OPITZ,

HERMANN).

Die Behandlung wird am günstigsten nach dem Viererdurchbruch begonnen. Sie kann jedoch auch schon im frühen Wechselgebiß oder Milchgebiß durchgeführt werden (DER I C H S W E I L E R ) , was den Vorteil hat, daß der Durchbruch der bleibenden Zähne gleich in der richtigen Position erfolgt ( B R Ü C K L ) . E S werden zu diesem Zweck entweder auf jeder

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Postoperative kieferorthopädische Behandlung

Abb. 28

Abb.29

Abb. 28 u. 29. Platte mit zur Verankerung dienender Gußschiene für die forcierte Dehnung

Seite zwei Zähne (4er oder 6er) umbändert und diese Bänder in der Platte verankert, oder aber die Seitenzähne werden mit einer fortlaufenden Gußschiene versehen, an der die Platte befestigt ist. Die Platte wird festzementiert und die Schraube täglich um eine Viertelumdrehung geweitet (Abb. 28 u. 29). Die Dehnung wird so lange fortgeführt, bis die Zähne des Oberkiefers in einem richtigen Verhältnis zum Unterkiefer stehen. Bei sehr flachem Gaumengewölbe hat sich die Verwendung festsitzender Kappenschienen mit transversal verlöteter Schraube günstiger erwiesen, da hierbei eine Abhebelung durch den flachen Gaumen vermieden und eine Irritation des oft empflindlichen Narbengewebes ausgeschlossen wird (HÄUSER). Durch diese Behandlungsart wird eine Kippung der Alveolarfortsätze nach außen erreicht. TRACHTER konnte nachweisen, daß der Winkel der Alveolarfortsätze zur Kiefergrundebene nach der operativen Vereinigung im Verhältnis zu normalen Alveolarfortsätzen aufgrund der Kontraktur wesentlich steiler steht. Zur Bißeinstellung sind nach Abschluß der Zahnverschiebungen und Zahnbogenerweiterungen die üblichen funktionskieferorthopädischen Geräte zu empfehlen.

3. Lückenschluß und Einzelzahnbewegungen In manchen Fällen geht der Keim des seitlichen Schneidezahnes bei der Bildung des Nasenbodens und der Vereinigung der Kieferstümpfe verloren. I n selteneren Fällen ist er gar nicht angelegt. Hier erhebt sich die Frage, ob die Lücke kieferorthopädisch geschlossen werden kann oder später prothetisch versorgt werden soll. Wenn keine knöcherne Verbindung im Spaltbereich besteht, d. h. keine primäre Osteoplastik beim Kieferspaltverschluß oder nicht frühzeitig eine sekundäre Osteoplastik durchgeführt wurden, besteht keine Möglichkeit, daß der Eckzahn über den häutig vereinigten Spalt hin weg wandert. I n diesem Fall m u ß eine spätere prothetische Versorgung geplant werden (OHLER). Besteht eine knöcherne Verbindung, ist die erste Therapiemöglichkeit die systematische Milchzahnextraktion. Milch-V soll so f r ü h wie möglich entfernt werden, damit 6 nach mesial wandert und so eine sekundäre Keimenge im Prämolarengebiet verursacht. Sodann ist Milch-II zu extrahieren, um 3, der durch die entstehende Keimenge nach mesial gedrängt wird, leichter in die Lücke einwandern zu lassen; schließlich ist noch vor dem 4er-Durchbruch Milch-III zu extrahieren, um für 4 den Weg zu bahnen. Ist das zu überbrückende Diastema zu groß, genügt die systematische Milchzahnextraktion alleine nicht.

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ESCHLEE

U. D. FBIEDL, Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

Zur Unterstützung wird ein Aktivator getragen, an dem leicht Fingerfedern angebracht werden können, die auf die Seitenzähne während des Durchbruches einen Mesialschub ausüben. Ist die Interkuspitation sehr gut, so sollte zur Bißsperrung tagsüber im Unterkiefer eine Platte mit Aufbißwällen oder einer Aufbißschiene getragen werden. Die Anwendung offener Schrauben zur Mesialbewegung einzelner Zahngruppen, wie sie sonst vielfach üblich ist, ist hier nicht zu empfehlen, da eine Retrusionswirkung auf die Front und somit die Gefahr der Bildung eines progenen Kreuzbisses nicht auszuschließen Schließlich wäre noch die Möglichkeit der festsitzenden Bogenapparaturen zu erwähnen. Die Voraussetzung für die Verwendung aller festsitzenden Bogenapparaturen ist, daß sämtliche Zähne mit Ausnahme der 12-Jahrmolaren durchgebrochen sind, da ja die Zähne die einzigen Angriffsmöglichkeiten bieten (KORKHAUS, DERICHSWEILER, HOTZ, RINDERER, PETRIK, HÖSL).

Abb. 30

Abb. 31

Abb. 30 u. 31. Festsitzende starre Bogen zur Korrektur der Zahnstellung erscheinen besonders zur Überwindung ausgeprägter Narbenzüge geeignet

Die einfachste Art ist die des starren Außenbogens (0,6-1,0 mm harter oder federharter Stahldraht) oder die des halbelastischen Bogens (0,4—0,6 mm stark), an dem alle Zähne, die umbändert werden, ligiert sind (HOTZ, NORDIN, OLIN, RINDERER). Einzelne Zahngruppen werden untereinander zu einem Block verbunden und einzelne Zähne durch häufiges Nachstellen der Drahtligatur an die Zahngruppe langsam herangezogen. Zur Unterstützung kann ein Druck- oder Zugfederspirale am Bogen angebracht werden, die sich an einer Schraube, die am Bogen befestigt wird, abstützt. Der starre Bogen findet dort seinen Anwendungsbereich, wo mit relativ starken Kräften gearbeitet werden muß (HOTZ), wie ζ. B. in unserem Fall, wenn Zähne entlang des Bogens unter Überwandung der Narbenzüge verschoben werden sollen (Abb. 30 u. 31)! (HOTZ, NORDIN, OLIN, RINDERER). Der halbelastische Bogen ist weniger empfehlenswert, da er nicht nur rhythmisch über die Ligaturen seine Wirkung entfaltet, sondern aufgrund seiner Elastizität dem Zahnbogen in entsprechend überkompensierter Form angebogen wird und so eine dauernde Wirkung entfaltet. Abgesehen von der Gefahr der Überdosierung der Kräfte ergeben sich Schwierigkeiten, die aus der reziproken Kraftwirkung des Bogens auf bestimmte Zähne und der in unserem Fall ungünstigen Abstützungsmöglichkeit resultieren. Die kompliziertere, aber wesentlich gewebsschonendere Methode ist die des light wires (BEGG, JARABAK). Hierbei werden wesentlich geringere Kräfte wirksam. In einen hochelastischen, federharten 0,3—0,45 mm starken Draht werden Windungen, sogenannte

Postoperative kieferorthopädische Behandlung

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loops, hineingebogen, die schon der gewünschten Stellung der zu verschiebenden Zähne entsprechen; d. h. der Bogen entspricht der Idealform des Zahnbogens. Es wirkt also hier eine Dauerkraft, wobei der Bogen die aktive Kraft darstellt, im Gegensatz zum starren Bogen, bei dem die Ligatur aktiv angespannt wird. Beim Ligieren des Bogens deformieren sich diese Schlaufen, die mittels Drahtligaturen in den "bracketts" der Bänder befestigt werden und den Zahn kontinuierlich in die gewünschte Stellung federn (HÖSL). Diese Behandlungsmethode erfordert große Erfahrung. Der light wire (oder feinelastischer Bogen) entfaltet auf die einzelnen Zähne auch reziproke Kräfte, die schlecht zu kontrollieren sind. Aus diesem Grund muß mit sehr geringen Kräften gearbeitet werden. Je dünner der Draht gewählt wird, je mehr Schlaufen eingebogen werden, desto geringer wird die Kraftwirkung. Die Indikation erstreckt sich im wesentlichen auf intermaxilläre Veränderungen innerhalb des Zahnbogens, wie Kippungen, Rotationen und Lückenschluß oder -Öffnung. Zur Überwindung der Narbenzüge erwiesen sich diese Kräfte aber häufig als zu gering. Manchmal stößt man bei der — zu festsitzenden Apparaturen notwendigen — Bandanlage auf Schwierigkeiten, da die klinischen Kronen sowohl aufgrund einer verminderten Wachstumspotenz als auch wulstiger Narbenbildung verkürzt erscheinen. In diesen Fällen müssen die Bänder tief in die Gingivataschen versenkt werden, es kommt dann zur Reizung des Parodontiums im Bereich des Margo und einer eventuell folgenden Hyperplasie des Zahnfleisches. Eine sorgfältige Mundhygiene beherrscht die Situation. Bei kleineren Veränderungen wie ζ. B. einzelnen Zahndrehungen bei berufstätigen Patienten, kann aus kosmetischen Gründen auch ein starrer Innenbogen benutzt werden. An diesem Bogen, der nur an den Molaren verankert ist, können entsprechende Fingerfedern angelötet werden (KORKHAUS). Fehlt ein mittlerer Schneidezahn, der eine zu breite Lücke hinterläßt, um sie kieferorthopädisch schließen zu können, oder fehlen mehrere Zähne, sei es, daß sie bei der operativen Vereinigung der Kieferstümpfe entfernt wurden oder sei es, daß sie mißgebildet oder nicht angelegt sind, empfiehlt es sich, an der mit entsprechenden Behelfen versehenen kieferorthopädischen Platte (Fingerfedern und Dehnschrauben) die fehlenden Zähne zu ersetzen (MÜHLEMANN). Auf diese Weise wird die Lippenmuskulatur, die sich nicht mehr in den Spalt einlegt, an einen normalen Zahnbogen gewöhnt und das Profil korrigiert. Zum anderen reizt der kosmetische Effekt zum besseren Tragen der Apparatur (Abb.

Abb. 32 u. 33. Ein Spaltdefekt kann während der kieferorthopädischen Behandlung mittels an der Regulierungsplatte angebrachter Zähne mit funktionell kosmetisch und phonetisch vorteilhafter Wirkung überbrückt werden

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J · ESCHLEE U. D. FRIEDL, Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

32 u. 33). Sind ζ. B . ein oder beide mittleren Schneidezähne ersetzt, so tritt die Schwierigkeit auf, daß bei einer transversalen Dehnung ein Diastema entsteht, das sehr bald störend wirkt. Verankert man die Zähne mit langen, durchglühten, weichen Drähten im Kunststoff, so kann man, wenn die Lücke störend geworden ist, mit einem Fissurenbohrer sehr leicht den Zahn und einen Teil der Retention freilegen, ihn nach mesial verschieben und wieder mit autopolymerisierendem Kunststoff fixieren. Eine andere Möglichkeit, die Zähne am selben Ort zu behalten besteht darin, eine oder zwei Sektorenschubschrauben einzubauen, die gestatten, die Ersatzzähne wieder zur Mittellinie zurückzudrehen. Hier sei noch erwähnt, daß von B L A U der Aktivator als gymnastisches Gerät empfohlen wird, um die Sprachartikulation zu verbessern. Bei kurzem und straffen Gaumensegel soll die Gaumenpartie des Apparates weit nach hinten verlängert werden, um eine Stimulation des Velums zu erreichen ( G Ö T T E ) . III. Behandlung im bleibenden Gebiß Bei der Behandlung im bleibenden Gebiß, also nach dem Durchbruch der zweiten Molaren, müssen wir unterscheiden zwischen Fällen, die schon im Wechselgebiß behandelt wurden und bei denen nur mehr kleinere Korrekturen durchzuführen sind, und solchen Fällen, bei denen Kieferverkrüppelungen als Folge von operativen Eingriffen noch nicht behandelt wurden. In der ersten Gruppe, in der noch geringe Dehnungen durchzuführen sind, genügt im allgemeinen die Anwendung der Oberkieferplatte. Besteht noch ein größerer transversaler Engstand im Eckzahnbereich, so soll die Dehnung mit Hilfe einer Fächerschraube mehr auf den anterioren Bereich konzentriert werden (Abb. 21). Sind noch Bißverschiebungen durchzuführen, so eignet sich nach unserer Ansicht hierzu bei den Spaltenfällen am besten der Aktivator ( H Ä U P L , P E T R I K , E S C H L E R , S T E L L MACH), da er sich am Gaumen gut abstützt. Es muß jedoch darauf geachtet werden, daß tagsüber mit einer Platte eine starre transversale Abstützung gewahrt bleibt. Natürlich können auch die anderen bekannten Methoden zur Bißverschiebung Anwendung finden. Wird eine Dehnung größeren Ausmaßes erforderlich, kommt nur die forzierte Dehnung, wie sie von D E R I C H S W E I L E R propagiert wird, infrage. Nur sie ist in der Lage, die Narbenverspannungen zu überwinden. Peripher angreifende Apparaturen, das sind Apparate, die direkt über die Zähne wirksam werden ( D E R I C H S W E I L E R ) , führen sehr rasch zu Zahnkippungen. Die Technik der Behandlung wurde schon im vorhergehenden Kapitel besprochen. Die Verankerungsmöglichkeiten sind im bleibenden Gebiß natürlich wesentlich günstiger. Zur Stellungskorrektur einzelner Zähne sind Protrusionsfedern und Fingerfedern häufig unzureichend. Zu Labial- oder Bukkaibewegungen eignen sich starrere Kräfte, die durch kleine Gewindeschrauben (Liliputschrauben) ( H E N N I S ) oder durch von Segmentschrauben bewegte Plattensegmente ( B R Ü C K L ) übertragen werden (Abb. 34). Bei Zahnverschiebungen und -drehungen größeren Ausmaßes sind festsitzende Bogenkonstruktionen, wie sie oben erwähnt wurden, indiziert (HÖSL). Vor allem bei asymmetrischen Dehnungen, die mit Plattengeräten nur schwerlich durchzuführen sind, kann der Lingualbogen mit entsprechend angelöteten Federchen angewendet werden. Mit ihm sind auch alveoläre Einzelbewegungen möglich ( H A U S E R ) . Fehlen im Spaltgebiet Zähne, so sind diese aus phonetischen und kosmetischen Gründen zu ersetzen. Die Platte kann trotzdem, wie jede andere Dehnplatte, mit Schrauben, Fingerfedern und anderen Behelfen versehen werden (siehe Wechselgebiß Abb. 33). Für die Indikation der Apparate gelten sowohl bei den einseitigen wie bei den doppelseitigen Spalten dieselben Regeln.

Postoperative kieferorthopädisehe Behandlung

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Bei den doppelseitigen Spalten treffen wir häufig ein ausgeprägtes progenes Profil an, das auf eine starke sagittale Hemmung im Oberkiefer zurückzuführen ist. Die sagittale Nachentwicklung des Oberkiefers und Überstellung bereiten meist große Schwierigkeiten und sind in vielen Fällen nicht möglich. Meist findet man stark kollabierte seitliche Kieferstümpfe vor, denen der Zwischenkiefer aufsitzt. In diesen Fällen ist primär eine forzierte Dehnung mit Hilfe einer Gaumenplatte durchzuführen. In zweiter Linie soll nach der erfolgten Dehnung versucht werden, den Zwischenkiefer ζ. B. mit Hilfe einer Y-Platte überzustellen. Hierbei muß der Biß durch Aufbisse im Seitenzahngebiet desorientiert werden.

Abb. 34. Platte mit einer Segment- und einer Einzelschraube zur Bewegung einzelner Zahngruppen und Zähne

Abb. 35. Starrer Bogen zur Überstellung der Front in Verbindung mit einer UnterkieferAufbißplatte zur Desorientierung des Bisses

Die Anwendung eines starren Außenbogens wird vielfach empfohlen ( K O R K H A U S , muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß seine Anwendung nur bei einer geringen negativen Stufe indiziert ist, da sehr leicht Zahnkippungen und somit Fehlbelastungen mit einhergehender Lockerung eintreten. Die Bißsperrung erfolgt in diesem Fall mit einer Unterkieferaufbißplatte (Abb. 35). In den letzten Jahren hat sich jedoch die kieferorthopädische Behandlung mit festsitzenden Geräten wieder durchgesetzt. Diese zwar kostspielige, aber kurzdauernde Behandlung hat — wie H Ö S L berichten konnte — ausgezeichnete Resultate aufzu weisen. Bei einer größeren sagittalen Unterentwicklung führen wir eine kombinierte Behandlung mit Platten und dem Aktivator durch. Der Unterkiefer wird im Aktiva tor in maximalem Rückbiß eingestellt. Auf diese Art und Weise wird durch die natürliche Vorschubtendenz des Unterkiefers ein zusätzlicher Wachstumsimpuls auf den Oberkiefer übertragen (ESCHLER). Tagsüber muß der hemmende Gegenbiß des Unterkiefers wieder durch eine Bißsperre ausgeschaltet werden. Bei geringer Ausprägung der sagittalen Stufe genügt zur Überstellung entweder eine schiefe Ebene oder eine ganztägig zu tragende Oberkiefer-Y-Platte oder eine Platte mit Protrusionsfeder, verbunden mit einer Bißsperre. Naturgemäß spricht hierbei der durch eine Osteoplastik mit den seitlichen Stümpfen verbundene Zwischenkiefer auf den Versuch, eine Überstellung zu erreichen langsamer an, als die nur am Vomer fixierte, höchstens bindegewebig mit den seitlichen Kieferfortsätzen vereinigte Praemaxilla. Eine Überstellung der Zähne im Bereich des beweglichen Zwischenkiefers gelingt mit dem Aktivator allein meist nicht. H Ä U P L begründet dies damit, daß die Umbaureize verpuffen, daß sie sich nicht an dem paradentalen Knochengewebe auswirken können. Aus SCHWARZ, HOTZ, N O R D I N ) . E S

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E S C H L E R U. D . FRIEDL,

Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

diesem Grund empfahlen S C H M I D , J O H A N S O N , S C H R U D D E und STELLMACH die primäre Osteoplastik. Die Knochenanbau Vorgänge sollen durch eine anschließende Aktivator, behandlung, die auch gleichzeitig der Formung des Kieferbogens dient (STELLMACH), beschleunigt werden. Eine Überstellung, die mit Hilfe anderer Apparaturen erreicht wirdund die schon im Milchgebiß durchgeführt werden soll, ist sicherlich auf eine Ausbiegung des elastischen Zwischenkiefers zurückzuführen. Zur Festigung dieses Zustandes und um einem Rezidiv vorzubeugen, wird heute die sekundäre Osteoplastik nach kieferorthopädischer Behandlung mit Überstellung der Zähne empfohlen. K O R K H A U S versucht in Fällen besonders hochgradiger Entwicklungshemmung, den Oberkiefer in toto nach ventral zu entwickeln und zwar mit der von O P P E N H E I M angegebenen Kinnkappe mit vertikalen Stegen. Sie erlaubt mit Hilfe extraoraler und intraoraler Gummizüge, die durch einen Lingualbogen am Oberkiefer angreifen, auf den ganzen Kieferkörper im Sinne einer Längenentwicklung einzuwirken.

Abb. 36. Ausgeprägte Entwicklungshemmung des Oberkiefers, die lediglich eine achsengerechte Einstellung der Zähne, aber keine ausreichende Nachentwicklung zuläßt

Da in einem von Narbenzügen durchsetzten Kiefergebiet die Prognose für Zahnbewegungen nicht mit normalen Verhältnissen verglichen werden kann, sollte man sich bei ausgeprägten Fällen einer Oberkieferunterentwicklung (Abb. 36) von vornherein auf eine achsengerechte Einstellung der Frontzähne beschränken und auf eine Überstellung verzichten ( M Ü H L E M A N N ) . Ziel ist es, möglichst viele Zahneinheiten zur späteren prothetischen Versorgung tragfähig zu erhalten und sie nicht durch zu starke orthodontische Kräfte zu gefährden, denn auch die Inzisivi sollen später als Pfeilerzähne dienen. Man muß in diesem Fall durch präprothetische, kieferorthopädische Maßnahmen versuchen, statisch günstige Verhältnisse für einen prothetischen Ersatz zu schaffen, d. h. durch transversale Dehnung wenigstens eine partielle Abstützung im Gegenbiß zu erreichen. Da diese Patienten, die sich einer präprothetischen Behandlung unterziehen, vielfach schon im Berufsleben stehen, soll auch der ästhetisch kosmetische Gesichtspunkt berücksichtigt werden. Hier bietet sich uns eine abgewandelte Methode der Maskenprothese, des sogenannten Cover denture, an ( B Ö T T G E R G A B K A , M Ü H L E M A N N U. a.). Im Seitenzahngebiet werden alle Zähne mit kieferorthopädischen Halteelementen versehen. An der Platte werden künstliche Frontzähne angebracht, die zu der unteren Front auf Kopfbiß oder in natürlichem Überbiß gestellt werden. Hierbei liegen die in Nonokklusion stehenden Zähne im Innern der Platte (Abb. 37 u. 38). Mit Protrusionsfedern und Fingerfedern können die Zähne noch innerhalb der Platte nach entsprechendem Einschieifen verschoben werden. Die Zähne, die von Kunststoff völlig umfaßt sind, werden — je nach Lage der Achsen — bei einer Dehnung nach bukkal bewegt. Mit diesem Behandlungsgerät kann, wenn die Oberlippe nicht zu kurz ist, sofort

Postoperative kieferorthopädische Behandlung

A b b . 39

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A b b . 40

Abb. 37—40. Behandlungsapparatur des in Abb. 36 gezeigten Falles. Eine modifizierte Maskenprothese (cover denture) in Verbindung mit einer Oberkieferdehnplatte, die schon während der präprothetischen kieferorthopädischen Behandlung einen Profilausgleich herstellen soll

ein gerades Profil erreicht werden, zusätzlich erfährt die Oberlippe eine Dehnung. Ein Teil der die künstlichen Zähne tragenden Platte liegt im Vestibulum (Abb. 40 u. 41). Um Druckstellen zu vermeiden, werden die der Schleimhaut aufliegenden Teile mit elastischem Kunststoff unterfüttert (FRIEDL). Die Methode ist sowohl bei einseitigen wie auch doppelseitigen Spalten anwendbar. Wird eine transversale Dehnung durchgeführt, müssen die Frontzähne entweder mit einer gegenläufigen Schraube zusammengehalten oder von Zeit zu Zeit zurückgesetzt werden. 1. End Versteifung nach kieferorthopädischer Behandlung Der Oberkiefer besteht bei den Spaltträgern statisch aus 2 oder 3 Teilen. Eine Herstellung des muskulären funktionellen Gleichgewichts im Mundgebiet kann durch die Uranoplastik annähernd erreicht werden. Die fehlende Abstützung im medianen Gaumenbereich, wie eine partielle Unterbrechung des Basalbogens jedoch, bleiben bestehen, wenn auch eine gewisse Stabilität durch die Transplantation eines autoplastischen Knochenspans im Kieferspalt- oder Gaumenspaltgebiet erzielt werden kann. Die Reaktion eines normalen Oberkiefers auf die kieferorthopädische Behandlung, insbesondere die Dehnung, darf nicht mit der eines Spaltkiefers oder -gaumens verglichen werden. Die Gaumen-

30 I 6 J. E s c h l e r u . D . F r i e d l , Kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten

und Kieferteile setzen der orthopädisch einwirkenden Kraft nur flexiblen Widerstand entgegen (HERMANN), und es kommt im wesentlichen zu einer Aufbiegung an der schwächsten Stelle, nämlich in der Gegend des Wurzelgrundes. Auch S U B T E L N Y und B R O D I E konnten anhand von Schichtaufnahmen nachweisen, daß eine Weitung des Oberkiefers auf eine Auswärtsbewegung der Gaumenfortsätze zurückzuführen ist. Da die Kompressionswirkung der Narben dauernd wirksam ist, wird eine prothetische Versteifung des Behandlungserfolges unbedingt notwendig. Bei der Planung ist das Alter des Patienten zu berücksichtigen. Ist die kieferorthopädische Behandlung abgeschlossen und kann eine Endversorgung noch nicht durchgeführt werden, — die Patienten sollten 18 Jahre alt sein — muß eine Interimslösung gefunden werden. Die Abstützung kann vorübergehend mit einer Plattenprothese geschehen. Eine große Rolle spielen psychologische Gesichtspunkte. Da diese Patienten sich in einer Altersphase befinden, in der sie sich in die Gesellschaft und den Arbeitsprozeß eingliedern, ist die ästhetische Indikation keinesfalls zu vernachlässigen. Durch Bißerhöhung und Einfügen von Zähnen in das Spaltgebiet kann eine Verbesserung der phonetischen Situation und des Aussehens erreicht werden. Es besteht wieder die Möglichkeit, das progene Profil durch Vorsetzen künstlicher Zähne vor die eigene Zahnreihe auszugleichen (Cover denture). Dadurch wird die Oberlippe gestützt, und durch zusätzliches Anbringen von Pelotten mit weichen Auflagen kann die Oberlippe noch gedehnt und ihr Turgor verbessert werden (Abb. 3 9 ) ( M Ü H L E N M A N N , RITZE).

Nicht immer erlaubt die narbig veränderte Oberlippe ein genügendes Vorbauen der Zahnreihe. Sie muß dann, entsprechend der funktionellen Lockerung der Lippe, stufenweise vorversetzt werden, nachdem chirurgisch ein ausreichendes Vestibulum geschaffen wurde. Da an den von der Platte bedeckten Zähnen leicht Schmelzdefekte entstehen, ist sie nur bei solchen Patienten indiziert, bei denen eine gute Zahnhygiene gewährleistet ist. Zur endgültigen Versorgung sind alle zu bedeckenden Zähne mit Kronen zu versehen. Da die Zähne körperlich erfaßt und Kippbelastungen vermieden werden sollen, stellt die teleskopierende Verbindung mit der Prothese die günstigste Lösung dar ( H A Y M , L O E W E N STEIN, M Ü H L E M A N N U. SCHWEIZER, W A R R E N , G A B K A ) ( A b b . 42, 4 3 ) .

Im Seitenzahngebiet sollte vorher durch die kieferorthopädische Behandlung ein genügender Okklusionskontakt geschaffen worden sein. Die interdentale Versteifung gewährleistet eine Blockbildung, die die einwirkenden Kräfte gleichmäßig auf alle Parodontalfeider verteilt. Somit wird die Beanspruchungsgrenze der Zähne nicht zu leicht überschritten. M Ü H L E M A N N bedient sich bei der Konstruktionsplanung und Durchführung der Schulterstiftsverankerung nach STEIGER. Stehen Zähne im Frontgebiet einzeln, empfiehlt R I T Z E die Steggelenkverbindung nach D O L D E R . H U P F AUF, ebenso P F Ü T Z , geben eine modifizierte Form der Maskenprothese an, bei der durch ein skelettiertes Stahlgerüst der Gaumen weitgehendst freibleibt. Die zu bedeckenden Zähne werden mit Kronen versorgt, die von Klammern umfaßt werden. Diese verlaufen von approximal nach palatinal und schnappen in an den Kronen eingearbeiteten Retentionen ein. Die Ersatzzähne werden labial vor die Kronen gesetzt. Dadurch kann die Lautbildung verbessert werden, und der Gingivalrand ist von palatinal her der Selbstreinigung zugänglich. Auch durch eine abnehmbare, umfassende Brückenkonstruktion, die eine genügende Versteifung des Gebisses gewährleistet, kann man fehlende Zähne der Front gut ersetzen.

Postoperative kieferorthopädische Behandlung

Abb. 41

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Abb. 42

Abb. 41—43 Endversteifung mittels einer teleskopierenden abnehmbaren Prothese nach transversaler Dehnung zur Herstellung einer entsprechenden Okklusion Abb. 43

Die Indikation f ü r eine festsitzende Brücke ( N O R D I N , R O S T , G A B K A , SCHNEIDER) ist nur gegeben, wenn die Stellung der Oberlippe nicht korrigiert werden soll, n u r ein geringer Alveolarfortsatzdefekt besteht u n d die Zähne in normalem Bogen stehen. Meist jedoch erlauben zu ersetzende Alveolarfortsatzteile keine hygienische Ausgestaltung der Brückenbasis. Lediglich bei einseitigen Lippen-Kiefer-Spalten u n d geringfügigen Spalten im G a u m e n k a n n m a n auf eine Versteifung verzichten, wenn die Gefahr eines Rezidivs durch n u r geringe Narbenbildung nicht besteht. I n jedem Fall sollte aber die K o n t i n u i t ä t des Basalbogens durch eine Osteoplastik im Spaltgebiet gesichert sein. Eine Verbesserung des kosmetischen Bildes k a n n durch Eingliederung kleiner, festsitzender u n d a b n e h m b a r e r Brücken (BRÜCKL, S C H N E I D E R ) im Spaltbereich oder n u r d u r c h K o r r e k t u r einzelner hypoplastischer oder d y s t o p stehender Zähne auch zur Sicherung des Überbisses ( B R Ü C K L ) mittels Jacket- oder Verblendkronen erreicht werden. (Vgl. BÖTTGER, Prothetische Versorgung der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten-, Bd. II).

32 I 6 J ·

ESCHLER U.

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1β3·

HANDBUCH D E R P L A S T I S C H E N

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHKBANDT · J . GABKA · A. BEENDORFER

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

7. Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts JOACHIM GABKA

Inhaltsübersicht Einleitung

1

ALLGEMEINER T E I L

5

I. Häufigkeit II. Ätiologie der Gesichtsspalten A. Erblichkeit B. Dysplastische Momente C. Phänokopien α) Sauerstoffmangel ß) Infektionskrankheiten D. Psychische Traumen E. Seltene Schäden I I I . Morphogenese

5 17 24 28 32 34 35 37 39 40

IV. Die Erscheinungsformen der Gesichtsspalten 55 A. Häufig vorkommende Gesichtsspalten

55

1. Mikroformen 56 a) Die sogenannte intrauterin verheilte Spalte 56 b) Die Lippenrotkerbe . . . . 56 c) Kieferrandkerben 56 d) Verziehungen der Apertura piriformis 56 e) Nasenflügeleinziehungen . . 57 f) Uvula bifida 57 g) Okkulte Gaumenspalte . . . 57 h) Submuköse Gaumenspalte . . 57 2. Einseitige Spalten a) Lippenspalten et) Subtotale Lippenspalten . ß) Totale Lippenspalten . . y) Lippen-Kieferspalten . . 5) Lippen-Kieferspalten mit Weichteilbrücken . . . .

58 58 58 58 58 58

ε) Einseitige Lippen-KieferGaumenspalten 58 3. Doppelseitige Spalten

59

a) Doppelseitige subtotale Lippenspalten 59 b) Doppelseitige totale Lippenspalten 59 c) Doppelseitige asymmetrische Lippenspalten 60 d) Doppelseitige spalten

Lippen-Kiefer-

60

e) Doppelseitige asymmetrische Lippen-Kieferspalten . . . . 60 f) Doppelseitige Lippen-KieferGaumenspalte 60 α) Doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit normal liegender Prämaxiila . 60 ß) Doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit extrem prominenter Prämaxilla 60 γ) Asymmetrische doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte 61 4. Isolierte Gaumenspalten . . . . α) Mediane Gaumenspalte ß) Velumspalte y) Mikroformen

61 . 62 62 63

B. Selten vorkommende Gesichtsspalten 63 C. Mit Syndromen kombinierte Formen 67 V. Nomenklatur VI. Datenverarbeitung

68 74

Inhalteübersicht SPEZIELLES TEIL

79

I. Behandlungsziel und Behandlungsplan

79

Π . Frühkieferorthopädische Behandlung

81

Ι Π . Operationsalter

82

IV. Instrumentarium

86

V. Anästhesie und Operationen unter besonderen Umständen VI. Operationstechnik α) Operationsverfahren zum Verschluß einseitigei Lippenspalten ß) Operationsverfahren zum Verschluß doppelseitiger Lippenspalten y) Primäre und sekundäre Osteoplastiken 5) Verfahren zum Verschluß des Gaumens ε) Versorgung seltener Gesichtsspalten

90 00

91

147

B. Nasenkorrekturen

156

C. Verschluß von Gaumenrestlöchern und größeren Gaumendefekten . 1. Restdefekt im Bereich des harten Gaumens 2. Restlöcher am Übergang vom harten zum weichen Gaumen . 3. Restlöcher im Bereich des weichen Gaumens D. Pharyngoplastiken

101 121 130 146

Berlin

158 159 164 165 165

VIII. Die Pseudoprogenie und ihre Behandlung 171 IX. Ergebnisse

VII. Sekundäre Eingriffe zur funktionellen und ästhetischen Rehabilitierung anoperierter Lippen-Kiefer-Gaumenspalten 147 Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Dr. J. Gabka Rudolf Virchow Krankenhaus 1 ßerlin 65 Augustenburger Platz 1

A. Lippenkorrekturen

178

α) Operative Resultate . . 1 7 8 ß) Sprachresultate . . . . 184 X. Komplikationen

189

XI. Postoperative kieferorthopädische Behandlung 192 XII. Zahnärztliche Probleme trägern

bei

Spalt195

XIII. Fürsorgerische Maßnahmen einschließlich prophylaktischer Maßnahmen zur Verhinderung des Auftretens von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten 198

7. Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts JOACHIM

GABKA

Einleitung Die Gesichtsspalten zählen neben den Extremitätenmißbildungen — vor allem dem Klumpfuß — zu den häufigsten Mißbildungen. Eine schier unermeßliche Literatur hat sich mit dem Themenkomplex Lippen-Kiefer-Gaumenspalten beschäftigt. Es ist daher unerläßlich, eine gewisse Auswahl zu treffen, um diese Mißbildung abzuhandeln. Interessant ist, daß der Volksmund in fast jeder Sprache einen Ausdruck für diese Malformation geprägt hat, der in der Mehrzahl die Träger mit Tieren identifiziert, mit Hasen und Wölfen, so daß allein schon der Name „Hasenscharte" und „Wolfsrachen" dem Träger wie ein Makel anhängt. Eine etwas tolerantere Haltung nahm das Kulturvolk der Chinesen der östlichen CHIN-Dynastie ein, worüber K H O O B O O - C H A I 1 9 6 6 berichtete. Trotz unserer „modernen" Zeit und der vielen medizinischen Fortschritte werden jedoch auch heute noch die Träger dieser Mißbildungen häufig als minderwertige Subjekte betrachtet, werden sie wie Krüppel ausgeschlossen, ja, verspottet und verhöhnt. Diese Anschauung hängt mit der Wertigkeit verschiedener Krankheiten zusammen und ist in diesem Jahrhundert noch durch bestimmte Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses forziert worden. So ehrenvoll eine Kriegsverletzung betrachtet wird, so unangenehm beurteilt man eine venerische Infektion. Ebenso wird die Narbe auf der Oberlippe als Folge einer Hasenschartenoperation im Gegensatz zu Schnittverletzungen nach einem Verkehrsunfall grundsätzlich anders gewertet. Auf der einen Seite steht der Makel einer überkommenen Anschauung der Minderwertigkeit, ja der Heimtücke, auf der anderen Seite das Mitleid mit dem Verletzten, das Mitfühlen mit dem durch den Unfall Entstellten. Ein ins Auge springender Vergleich zur Wertigkeit von Gesichtsnarben liegt bei den Säbelverletzungen früherer Korpsstudenten vor, die absichtlich sekundäre Heilungen erzwangen, um ein ehrenvolles Erkennungszeichen zu besitzen. Auch C L I F F O R D (1967) bestätigt unsere Untersuchungen über die Wertigkeit verschiedener Erkrankungen und stellt mit Recht heraus, daß die Gaumenspalten als „günstigere" Fehlbildungen angesehen werden als die Lippenspalten. Ziel der gesamten Chirurgie der Gesichtsspalten muß also die Kaschierung der Mißbildung, zumindest aber die Transformation der angeborenen Deformierung in das Erscheinungsbild einer erworbenen Verletzungsfolge sein. Dieses Ziel muß allein schon aus psychologischen Gründen vorrangig sein, da der Betroffene nun im Glauben an einen Unfall, zunächst nicht in dem Maße Hemmungen ausgesetzt ist, wie der ,,erblich belastete" Hasenschartenträger. Wenn man die Literatur überblickt, so muß man mit Bedauern feststellen, daß vorwiegend Erfolge mit diesen oder jenen „neuen" Operationsmethoden oder Schnittführungen angegeben werden, die ihrerseits bereits in der älteren Literatur beschrieben wurden. Es sind fast immer nur die erfahrenen und älteren Spaltchirurgen, die das Grundsätzliche herausstellen und sich kritisch zu ihren eigenen Verfahren äußern. So schreibt Wolfgang R O S E N T H A L ( 1 9 4 9 ) : „Die anatomischen und funktionellen Erfolge der Cheilo- und Uranoplastik sind noch immer recht unvollkommen." R O S E N T H A L h a t an seinem Krankengut von Handb. Plast. Chir., Bd. II

194

J. GABKA, Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts

über 5000 Fällen beobachten müssen, daß als Folge der frühzeitigen Schleimhautperiostverschiebungen am Gaumendach bei den durchgehenden Spalten fast immer Oberkieferdeformierungen im Sinne einer Pseudoprogenie, ja einer Mittelgesichtsentstellung zurückbleiben. Wenn diese, 1949 gesprochenen Worte kaum an Aktualität eingebüßt haben — K o BERG und REHEMANN schilderten erst auf dem Hamburger Kongreß für Kiefer-Gesichtschirurgie (1970) die negativen Auswirkungen der primären Osteoplastik — so deutet das darauf hin, daß Fehlleistungen vor allem aufgrund eines falschen Operationstermins, einer fehlerhaften Technik oder einer ungeeigneten Nachbehandlung auftreten (ROSENTHAL und HEINER 1960). Darüberhinaus ist die chirurgische Leistung allein für das Endresultat nicht entscheidend. Vielmehr ist neben der Konstitution und dem Regenerationsvermögen auch die kieferorthopädische und abschließende prothetisch-zahnärztliche Behandlung sowie die logopädische Betreuung, die am besten nicht ambulant, sondern in der Klinik, also gewissermaßen unter den Augen des Operateurs erfolgen sollte, entscheidend! Die gleichen Grundgedanken vertritt auch der Altmeister der Spaltchirurgie in den Vereinigten Staaten, R. H. IVY (1966), der sich beinahe mit dem Problem der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten identifizierte und erst kürzlich persönliche Erfahrungen und historische Phasen in der Entwicklung einer solchen Teamarbeit bei der Behandlung von Lippen- und Gaumenspalten publizierte. Vier Hauptpunkte stellt IVY heraus, Punkte, ohne deren Beachtung auch der versierteste Spaltchirurg nur ein geschickter Handwerker, aber kein Arzt sei. So sollte jeder gute Spezialist orientiert sein über: 1. Die Ätiologie und Vorbeugungsmaßnahmen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten 2. Die Klassifikation der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten auf embryologischer Basis 2. Die Dokumentation der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und über 4. Das individuelle Teamworking in der vielfältigen Behandlung.

Kann man nach diesen eben dargestellten Kriterien das Ziel jener „ T r a n s f o r m a t i o n " erreichen ? Welche Voraussetzungen sind und welche Meilensteine in der Spaltchirurgie waren dazu notwendig ? Wenn wir davon ausgehen, daß die Gaumenplastik lediglich funktionelle und die Lippenplastik funktionelle und ästhetische Aufgaben hat, so sind es vor allem zwei Publikationen dieses Jahrhunderts, die jene von uns gewünschte Transformation möglich machen. 1924 veröffentlichte Wolfgang ROSENTHAL unabhängig von SCHÖNBORN (1876) die Pharyngoplastik und baute sie zu einer klinisch einfachen und brauchbaren Methode aus, so daß von nun an trotz mehrfach insuffizient voroperierter Gaumen eine sprachverbessernde Operation möglich wurde. Die Gaumenplastik mit ihrem manchmal nicht ausreichenden velo-pharyngealen Abschluß hatte also ihre funktionelle Ergänzung gefunden. Eine Normalsprache war nach dieser ScHÖNBORN-RosENTHALschen Plastik und ihren späteren M o d i f i k a t i o n e n v o n BTJRIAN (1954), SANVENERO-ROSSELLI (1936), H Y N E S (1950 bis

1951) u. a. im Verein mit systematischer logopädischer Behandlung ohne weiteres möglich. Eine zweite Publikation machte dann endgültig die von uns gewünschte Transformation möglich, nämlich die Angaben LE MESURIERS über seine Resultate mit der sogenannten quadrilateral flap-Methode im Jahre 1949. Die Veröffentlichung der LE MESijRiERschen Winkelschnittführung wurde gewissermaßen zur Geburtsstunde der gesamten modernen Lippenspalt Chirurgie. Aus diesem Verfahren und unabhängig davon entwickelten sich in rascher Folge moderne Lippenspaltoperationsverfahren, die erstmalig in der Geschichte der Medizin den Hasenschartenträger beinahe unkenntlich machten. Wenngleich überall verschiedene Methoden zur Anwendung kommen, so weiß man doch eines mit Sicherheit: „Viele Wege führen nach Rom", das Ziel ist also immer das gleiche: Eine unauffällige Oberlippe. Auch LORBER (1968) und besonders SCHRÖDER (1968) zeigen in ihren Grundsatzreferaten, daß nicht nur viele Ärztegenerationen, sondern auch die Entwicklung von Spe-

Einleitung

7 Ι3

zialfächern, besonders der Anästhesiologie, Anteil an dem Fortschritt haben, der den heutigen Spaltträgern zugute kommt. In ähnlicher Weise vergleicht P A V L I C E K ( 1 9 6 1 ) die Spaltchirurgie in den USA und in Europa. Er betont, daß ausgehend von den Klassikern wie v. L A N G E N B E C K und VEAXJ, vor allem unter den nordamerikanischen Methoden die Operationen nach D O R R A N C E durchgeführt wurden. In Europa herrschten zwei Schulen vor: Die durch VEATJ und D U F O U R M E N T E L begründete Schule mit ihren Schülern sowie die deutsche durch A X H A U S E N , E R N S T , W A S S MUND, L E X E R und ihren Freunden begründete. R O S E N T H A L vereinigte beide und nahm so das Beste: Die französische Genialität und die deutsche Gründlichkeit. Ähnlich gingen auch B U R I A N und L I M B E R G vor, deren Modifikationen, ebenso wie die von R O S E N T H A L , auch in den USA angewandt werden. Vergleicht man ganz allgemein die Operationsmethoden, dann zeichnet sich die amerikanische Auffassung ab, durch das Benutzen freier Hauttransplantate zur Herstellung der nasalen Epithelialbedeckung in Verbindung mit der Retroposition den Gaumen zu konstruieren (Push back). In Europa war dagegen die Pharyngoplastik nach direkter Vereinigung des Gaumens besonders im Gespräch (Stiellappen- und Brückenlappenplastik). Heute gibt es keine nationalen Methoden mehr. Die Wechselwirkung und die gegenseitige Befruchtung haben dazu geführt, daß jeder Spaltträger ganz individuell operiert wird, daß also der Chirurg einen Fecher von Methoden besitzt, der dem Patienten — je nach dem Grad seiner Deformierung — zugute kommt. Wie erfolgreich die Forderung der alten Spaltchirurgen, wie B U R I A N und R O S E N T H A L , I V Y und G I L L I E S erfüllt wurden, zeigen die Veröffentlichungen von SOIVIO aus Finnland, E N B O M aus Schweden, B Ö H N aus Norwegen, O R L I K - G R Z Y B O W S K A aus Polen, B E T H M A N N aus der DDR, G A B K A aus Berlin und ihre Wechselwirkung in alle Welt ( R Y D E N , C O O P E R , B E D E R , S H E P A R D , B L O C H ) . Vorbildlich ist die Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in Finnland und Dänemark. Seit 1936 ist die chirurgische Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in Finnland zentralisiert worden. Die persönlichen Eindrücke Soivios ( 1 9 5 7 ) sind so richtungweisend, daß sie in Stichworten wiedergegeben werden sollen. Er empfiehlt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Die Behandlung der Spaltträger zu zentralisieren. Den Dogmatismus der Methoden zu vermeiden. Stiellappenplastiken vor den Brückenlappenplastiken zu bevorzugen. Sekundäre Pharyngoplastiken nur durchzuführen, wenn es unbedingt notwendig ist. Dem Chirurgen mit den Sprachlehrern und Zahnärzten zusammenzuarbeiten. Keine Chirurgie für Kranke oder geistig Behinderte durchzuführen. Moderne Anästhesiemethoden anzuwenden und Antibiotika anzuwenden.

Seine chirurgischen Ergebnisse sind gut: ,,Meine letzten 500Gaumenspalten sind zu 95% anatomisch gut verheilt, das Ziel muß ein 100%iger Erfolg sein." Wie SOIVIO für Finnland und F O G H - A N D E R S O N für Dänemark die staatliche Unterstützung zur Bildung von Spaltchirurgenzentren gewonnen haben, so ist es auch den Schülern R A G N E L L S in Schweden gelungen, Zentren für Spaltchirurgie zu eröffnen, von denen wir nur N Y L E N in Stockholm, J O H A N S O N in Göteborg, H O G E M A N N in Malmö, abgesehen von der SKOOGschen Abteilung in Uppsala, nennen wollen. E N B O M berichtet darüber, daß Pläne vorliegen, die Behandlung in Schweden für das ganze Land zu zentralisieren, wobei der Staat die Kosten weitgehend zu übernehmen hätte. Das gleiche berichtet B Ö H N f ü r Norwegen, wo insbesondere S C H J E L D E R U P und seine Schüler international bekannt geworden sind. Auch in den USA haben sich viele Zentren etabliert, die wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der Spaltchirurgie zustandebrachten ( M I L L A R D , L O N G A C R E , C O N W A Y , C O N V E R S E U. a.). Außerordentlich fortschrittlich ist die RosENTHALsche Schule, über die B E T H M A N N mehrfach berichtet hat. Die Thallwitzer Behandlungsprinzipien ( K O C H , H O C H 194*

J.

GABKA,

Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts

STEIN, H U S C H K A ) bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind zweifellos inzwischen Allgemeingut aller Spaltchirurgen geworden und es ist besonders erfreulich, daß trotz Bildung verschiedener Spaltchirurgenzentren in der DDR — denken wir besonders an H E I N E R in Jena, an G R I M M in Halle und A N D R Ä in Rostock — B E T H M A N N erstmalig in Deutschland eine gesetzliche Meldepflicht der Gesichtsspaltbildungen durchgesetzt hat. Wir wissen gerade aus Dänemark und dem Stadtstaat Berlin, wie wichtig es ist, konkrete Zahlen über ein größeres Spaltpatientenmaterial zu erhalten. Denn eine von staatswegen geförderte Meldepflicht erleichtert die wissenschaftliche Forschung, was mit dem Grundsatz, die persönliche Freiheit des einzelnen nicht anzutasten, keinesfalls in Widerspruch steht. Autoren wie B E R N D O R F E R , C A H N , G I N E S T E T , F R E Z I E R E S , D U F U I S und P O N S , G R U B E R , HARVIN u n d H U L L , HUDDART, HUFFSTADT, KIRSCH, MANCHESTER, REHRMANN u n d BERG,

ROSENTHAL u n d

FLATH,

SCHUCHARDT u n d

PFEIFFER,

WIDMAIER

and

Ko-

SCHMID,

STELLMACH, U L L I K u. a. haben die moderne und komplexe Behandlung der Spaltträger hervorgehoben, die "current concepts" (GRUBER) oder die von M A N C H E S T E R angestrebte "integrated cleft lip and palate repair". Viel wichtiger ist, daß —• neben der Forderung nach Teamwork — B L O C H ( 1 9 6 7 ) die psychologischen Probleme der Spaltpatienten und ihrer Familien hervorhebt. Er empfiehlt zur Unterstützung der Behandlung des Patienten die Mithilfe der Familie bei der Therapieplanung heranzuziehen. Er charakterisiert den Spaltpatienten als einen Menschen, der nicht nur an einer „Verletzung" leidet, der vielmehr einen dynamischen Satz von Problemen mit sich trägt und er beweist, daß der Patient nicht allein durch Standardtechniken behandelt werden kann. Jeder Fall erfordert ein vorhergehendes Studium durch das Arbeitsteam, so daß jeder Spezialist zu gegebener Zeit weiß, welche Technik für welchen Patienten die beste ist. Auch hier klingt unser Ziel an, nämlich die Transformation von der Mißbildung zum unfallähnlichen Zustand; also die Befreiung des Makels und die Umwandlung des Spaltträgers in einen gesellschaftsfähigen Konkurrenten (BLOCH, GABKA, H A Y M , SCHLEGEL).

Die Einleitung abschließend soll noch die Forderung STELLMACHS ( 1 9 6 7 ) hervorgehoben werden, der eine generelle Röntgendokumentation einzuführen empfiehlt: „Die Röntgendokumentation in der Behandlung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten berücksichtigt bis jetzt nur die Phase der kief er orthopädischen Behandlung. Eine Einbeziehung der ersten Lebensjahre wird für notwendig gehalten, um den Einzelfall im Säuglingsalter zu erfassen und die Auswirkungen des chirurgischen Spaltverschlusses feststellen zu können. Es werden 4 Aufnahmezeitpunkte gewählt, die vor der Lippenplastik, vor der Gaumenplastik, am Beginn des Zahnwechsels und am Ende der Gebißentwicklung liegen. Dabei wird jeweils ein seitliches Fernröntgenbild, ein Zahnfilm der Kieferspaltregion und eine Panoramamixaufnahme des Oberkiefers hergestellt." Solche Dokumentation sollte also im Alter von 5—6 Monaten 2 1 / 2 Jahren 6 Jahren und 12 Jahren durchgeführt werden. Eine u. E. sehr wichtige Forderung, da die Durchführung allein schon einen Teil unserer komplexen Behandlung registriert und uns schon frühzeitig auf eventuell auftretende Mängel unserer Behandlung hinweist.

Häufigkeit

Allgemeiner Teil I. Häufigkeit Die Teratologie hat in den letzten 20 Jahren teils durch klinische Beobachtungen, teils durch tier experimentelle Studien bedeutende Fortschritte gemacht. Früher wurden fast alle Mißbildungen auf Genmutationen zurückgeführt, also für erblich und daher auch für unabwendbar gehalten. Jetzt hat man eine Reihe von Umweltfaktoren gefunden, die Mißbildungen verschiedener Art erzeugen können, doch ist für viele Mißbildungen, darunter auch die LK(G)-Spalten, eine genetische Basis (background) Voraussetzung. V. S C H U B E R T (1959) hat über die Mängel der Mißbildungsstatistiken aus geburtshilflichen Anstalten berichtet. Eine Arbeit, die gerade für dieses Kapitel von entscheidender Bedeutung ist, da ja die meisten Sammelstatistiken aufgrund der Geburtsjournale erstellt wurden. Mit Recht behauptet v. S C H U B E R T , daß die großen Statistiken der geburtshilflichen Anstalten für Mißbildungen bei Neugeborenen auf einem Standpunkt stehen geblieben seien, wie er schon vor hundert Jahren erreicht war. Es werden nur die äußerlich sichtbaren Mißbildungen erfaßt, wie sie im Kreißsaal beobachtet und in das Gebärbuch eingetragen worden sind. Durch diese Methode wird nur ein gewisser Teil aller Mißbildungen erfaßt. So ergibt eine Sammelstatistik (v. S C H U B E R T ) über 900000 solcher Beobachtungen aus neuerer Zeit (1959) eine durchschnittliche Häufigkeit von Neugeborenen mit Mißbildungen von7,2°/ 0 0 . Durch Verfolgung des Schicksals jedes einzelnen Kindes mit weiterer Nachforschung bei etwaiger Verlegung in eine Kinderklinik und grundsätzlicher Sektion aller vor, während und nach der Entbindung gestorbener Kinder konnten dagegen im eigenen Material unter 5314 Neugeborenen 112 Kinder mit Mißbildungen erfaßt werden, das sind 21 °/00, also dreimal so viel wie aus den Angaben der Gebärbücher zu entnehmen ist. Den noch viel höheren Prozentsatz von Mißbildungen findet man durch systematische Untersuchung eines jeden Neugeborenen mit den Hilfsmitteln der Klinik einschließlich der Röntgenaufnahmen und Wiederholung dieser Untersuchungen nach 6 und 12 Monaten, wie es schon lange B E R N D O R F E R (1959) gefordert und M C I N T O S H publiziert hat. M C I N T O S H hat 5739 Kinder untersucht und fand, daß 75°/ 00 aller Kinder Mißbildungen aufwiesen. Auch hier war die Sektion aller vor, während und nach der Entbindung verstorbener Kinder besonders aufschlußreich, da hierbei viszerale Mißbildungen in großer Zahl festgestellt wurden. Wir müssen uns also von der alten Vorstellung freimachen, daß nur 7,2°/00 der Neugeborenen mit Mißbildungen behaftet sind, zumal sich zu den 75°/00 noch die bei einem großen Teil der Frühaborte vorkommenden Mißbildungen addieren, die gewöhnlich der Beobachtung entgehen. Andererseits treten Mißbildungen oft erst während des späteren Lebens, zum Teil erst nach vielen Jahren in Erscheinung oder werden erst nach dem Tode bei der Autopsie entdeckt. Im ganzen muß man also mit mindestens 100°/oo Mißbildungen rechnen, also 14mal soviel, als die alten Statistiken angeben. Das gleiche bestätigt G O E R T T L E R (1964), der die Statistiken der letzten Jahre zusammenzog und dadurch über 1509454 Geburten mit 15094 Mißbildungen berichtete ( = 100°/oo). Während S C H U B E R T auf die Mängel der Statistiken aufmerksam macht, wollen wir über die Zunahme der allgemeinen Mißbildungshäufigkeit berichten. Während zuerst die folgende von uns und J Ö R G E N S E N ergänzte Statistik über die Häufigkeit der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gebracht wird, die allgemein bekannt ist, und bereits deutlich eine Häufigkeitssteigerung aufweist ( S T A R K , 1 9 5 2 ; B U R I A N , 1 9 6 4 ; u. a.), zeigen die folgenden Tabellen von A R E S I N und SOMMER ( 1 9 5 0 ) , K Ü H N E L T und R O T T E R - P O O L ( 1 9 5 5 ) sowie die Statistik von IVY eine von Jahr zu Jahr zunehmende Steigerung der allgemeinen Mißbildungsquote. Diese Statistiken werden durch Untersuchungen des Sektionsmaterials der Wiener, Buda-

6 I7

J. GABKA, Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts

pester und Kieler Kinderklinik durch FLEGENHEIMER (1956) und BERNDORFER sowie GOERTTLER ergänzt. Wenngleich die letzten Statistiken mit unseren Häufigkeitsübersichten nicht zu vergleichen sind —

BERNDORFER hat eine Abteilung für schwere, angeborene

Mißbildungen — so ist in jedem Falle die Steigerungsrate der Mißbildungen aus diesem Zahlenmaterial zu ersehen. Tabelle 1 Häufigkeit von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten in verschiedenen Populationen Population

Häufigkeit

Autor

Russen Engländer Amerikaner Franzosen Deutsche Deutsche Holländer Engländer Schweden Dänen Deutsche Japaner Schweizer US-Amerikaner Deutsche Schweden Tschechen Japaner Tschechen Polen Westindier Amerikaner Amerikaner Amerikaner (Montana) Polen Deutsche Deutsche Deutsche

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

FROBELIUS (1867) RISCHBIETH (1908) WARREN-DAVIS (1924) PERON-VEAU (1929) SCHRÖDER (1931) GÜNTHER-ROSENTHAL (1931) SANDERS (1924) MALPAS (1937) EDBERG (1939) FOGH-ANDERSEN (1939) SCHADE (1940) MITANI (1943) EHRAT (1948) LUCY (1949) HAYM (1950) BÖÖK (1951) BULATOWSKAJA (1955) NEEL (1958) JÄGER (1959) JANUSZEWSKA (1961) ROBERTSON (1962) DONAHUE (1965) GREENE et al. (1965) TRETSEN (1965) BARDACH et al. (1965) GABKA (1968) NEUMANN (1970) KOBERG-FRANK (1970)

1525 1742 915 942 1214 1000 954 821 960 665 440 528 677 787 935 573 1245 373 700 502 857 929 908 578 575 650 600 492

Tabelle 2 Statistik von AKESIN und SOMMER: Über das Auftreten von Mißbildungen (die Zahlen in % ) Jahr

Leipzig

München

1945 1946 1947 1948

1,24 1,15 0,89 0,33

1,52 1,40 1,36 —

Berlin —

1,66 2,35 2,41

KÜHNELT und ROTTER-POOL gaben die folgenden Zahlen aus der Berliner UniversitätsFrauenklinik an:

Häufigkeit Tabelle 3 Mißbildungssteigerung an der Berliner Universitäts Frauenklinik Jahr 1934 1940 1945 1950

bis bis bis bis

1939 1944 1949 1954

Geburten

Mißbildungen

%

15 774 13 541 5093 9879

119 143 66 185

0,70 1,05 1,29 1,87

Robert H . IVY (1957) gab eine Statistik aus Pennsylvania an. IVY zählte nur die lebensfähigen Kinder und berichtete, daß die Zahl der Mißbildungeη 0,81% sämtlicher Lebendgeborenen betrug. Tabelle 4 IvYsche Statistik über die Mißbildungsquote aller Lebendgeborenen in Pennsylvania Jahr

Geburtenzahl

davon Mißbildungen

0/ /o

1951 1952 1953 1954 1955

234694 239964 239206 245521 242591

1317 1474 1510 1549 1609

0,65 0,59 0,63 0,63 0,66

Tabelle 5 Erhebung über die Mißbildungsverteilung im Staate Pennsylvania (USA) IVY 1957 1,2 Mill. Neugeborene, darunter 9800 mißgebildete Kinder = 0,81% Aufgliederung nach der prozentualen Häufigkeit Klumpfuß LK(G)-Spalten Spina bifida Polydaktylie der H a n d Hypospadie angeborene Herzfehler sonstige Mißbildungen

18,5% 16,2% 7,3% 7,2% 5,9% 3,9% 41,0%

Nach KUCERA (1961) sowie KARFIK-CERVENKA (1968) stehen — ohne Erfassung der Extremitätenmißbildungen — die Lippen-Kiefer-Gaumenspalten an zweiter Stelle ihrer Häufigkeitsverteilung. Tabelle 6 Verbreitung der kongenitalen Anomalien in der CSR (KUCERA) Hypospadie LK(G)-Spalten Down- Sy ndr ο m Polydaktylie Anenzephalie Hydrozephalie Spina bifida

1 1 1 1 1 1 1

350—500 550 770 1000 2000 2000 2500

8 I 7

J · GABKA, Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts FLEGENHEIMER (1956) gibt aus dem Sektionsmaterial der Wiener Kinderklinik folgende

Zahlen an: Tabelle 7 Mißbildungsanteil am Sektionsgut der Wiener Kinderklinik Jahr

1925 bis 1935 1945 bis 1955

Zahl der Sektionen

27330 22 973

Mißbildungen in absoluten Zahlen 366 545

/O

7,04 15,53

Das Sektionsmaterial des Paul-Heim-Kinderspitals Budapest — einschließlich der aus ganz Ungarn eingewiesenen nicht oder kaum lebensfähigen Mißbildungen — gestaltet sich folgendermaßen: Tabelle 8 Mißbildungsanteil am Sektionsgut des Paul-Heim-Kinderspitals Budapest (BERNDORFER) Jahr

Zahl der Sektionen

Mißbildungen in absoluten Zahlen

/O

1954 1955 1956 1957 1958

152 151 117 131 124

27 35 28 32 42

17,7 23,2 23,9 24,4 33,8

Total in 5 Jahren

675

164

24,4

Die jüngste Sektionsstatistik über die Mißbildungsquote stammt von K. GOERTTLER. Er fand in der Zeit von 1957 bis 1961 bei 1 3 0 7 Obduktionen 3 4 5 Malformationen ( 7 , 7 % ) . Davon entfielen 20,3% = 266 Fälle der Gesamtobduktionen auf Individuen unter einem Jahr. Aus den Veröffentlichungen von v. SCHUBERT und GOERTTLER geht deutlich hervor, daß Sektionsstatistiken nur eine negative Auslese darstellen und daher wesentlich höhere Werte aufweisen. Zusammenfassend gibt HOPPE (1965) folgende Häufigkeitssteigerung der LippenKiefer-Gaumenspalten an: Vor 100 Jahren 0,5 Vor 50 Jahren 0,7 Jetzt 1,84

• Spaltbildungen auf 1000 Lebendgeborene

Im Zusammenhang mit diesen Feststellungen fragt BERNDORFER, welchen Grund man für diese Mißbildungs-Häufigkeitszunahme annehmen könnte. Er selbst glaubt, daß eventuell die Zunahme der Umweltverschmutzung und die radioaktiven Strahlen der Atombombenversuche hier eine wesentliche Rolle spielen. Wir können uns dieser Meinung nur bedingt anschließen. Wir nehmen vielmehr an, daß zwei entscheidende Gründe für die Steigerung der Frequenz der Mißbildungen vorhanden sind. Auf der einen Seite ist das die verringerte Säuglingssterblichkeit, die sich heute selbst bei umfangreicheren Mißbildungen manifestiert. Zum anderen sind es die Fortschritte der Chirurgie, die in der Mehrzahl der Fälle dazu führen, die Betroffenen gesellschaftsfähig und damit heiratsfähig zu machen, so daß sie die Anlage zur Mißbildung vererben können. Für diese Tatsache sprechen auch die beiden gro-

Häufigkeit

7 Ι 9

ßen Statistiken aus Berlin ( E I C H M A N N und G E S E N I U S , 1 9 5 2 ; G A B K A und W E I S S E N B O R N , 1 9 7 1 ) , die insgesamt über 6 0 0 0 0 0 Geburten auswerten. Während E I C H M A N N und G E S E N I U S aufgrund der in den Nachkriegsjahren auffallend hohen Mißbildungsfrequenz vor allem eine Steigerung der neuroektodermalen Mißgeburten zu verzeichnen hatten — die Gesichtsspalten hatten noch einen gleichbleibenden Index — können G A B K A und W E I S S E N B O R N schon eine Steigerung des Befalls an Lippen-Kiefer-Gaumenspalten feststellen, wenn auch, wie schon v. S C H U B E R T zu bedenken gibt, ein großer Teil der isolierten Gaumenspalten häufig übersehen wird. Da jedoch ein Überblick über ein relativ einheitliches Krankenmaterial interessant ist, sei im folgenden die Entwicklung der Mißbildungsfrequenz vom Jahre 1956 bis zum Jahre 1964 aus dem Berliner Raum graphisch dargestellt (Abb. 1). Abb. 1. Absolute und relative Mißbildungshäufigkeit in der Zeit von 1956—1964 im Raum Berlin. Zahl der Mißbildungen 10

cjeburter 104

/

2.5

-

J >'

/

/

/ / ι

r Γ Χ ^ Λ \ J

/

/

2.5

/

Mißbil jungen^

2.0

1.5

A -3.0

3.0

L

Μ

)

1.5

Κ^ή

1956

2.0

y^Gebi rten

58

60

62

64

Jahr

• Abb. l a

Zahl der Geburten (13329=1) Zahl der Mißbildungen(160=1)

i

1956

58

60

62

Jahr

64 ™

Abb. l b Abb. l a ) Die absolute Mißbildungshäufigkeit läßt gegenüber der Abb. l b ) mit der relativen Häufigkeit der Geburten und Mißbildungen nicht so deutlich den im Jahre 1961 festzustellenden Anstieg der Mißbildungsfrequenz durch das Dysmelie-Syndrom erkennen

10 I 7

J· GABKA, Versorgung von Spaltbildungen des Gesichts Abb. 2. Mißbildungshäufigkeit in Berlin von 1911—1964 in °/00 der Gesamtgeburten )der Ge!samtg

Ε-B ΞΙ

ARZT

Krankengeschichte

-> Strichmarkierung

Markierungsbeleg

I \

Marki e r u n g s l e s e r

Maschinelles

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1

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Abb. 18. Diagramm der automatischen Datenerfassung und elektronischen Datenverarbeitung (nach K O B E R G ) der für die Lippenspalte gewählten Methode des plastischen Verschlusses. Wenn keine Lippenspaltplastik durchgeführt wurde, wird der ganze, jeweils durch Rasterung abgehobene Block auf dem andersfarbigen Feld mit „nein" markiert. Es folgt die Angabe des Kieferspaltverschlusses ohne oder mit Vomorkipplappen, ohne oder mit primärer bzw. sekundärer Osteoplastik. Bei durchgeführter Osteoplastik wird differenziert nach dem Typ des Transplantates. In der Rubrik „Gaumenoperation" folgt die Markierung: totaler, nur harter oder nur weicher Gaumen. An typischen Operationen werden die Brücken- und Stiellappentechnik, die Methoden nach P I C H L E E und SCHWECKENDIEK und andere aufgezählt. Auf dem gleichen Rasterfeld wird eine eventuelle Tonsillektomie bei Gaumenspalte markiert. Die Angabe der Kolumellaverlängerung in der jeweiligen Technik schließt sich an.

Die Erscheinungsformen der Gesichtsspalten UNIVERSITÄT DÜSSELDORF

Klinik für Kiefer- u n d Gesichtschirurgie der S t ä d t Krankenanstalten, Moorenstr. 5 Direktor Prof. Dr. Dr. A. R e h r m e n n

Westdeutsche Kieferklinik

r lauai κ < * f 2 a 4 « ···*: (Ü 1: a & # β CT> 1 * β w T$llfc v 1 δ β 8; fr C C-C£n εsCD 1 * * =4» C Ί c2 age .-4s: 5:: 1 5 #: s 1« Άc •^tr. =*t Monet c Ε s«s "•Γ" ν. 22. 6. 1935, S. 1435. W A R K A N Y , J . : Etiology of congenital malformations. Adv. Pediatr. 2, 1 (1947). W A R N E K R O S , L.: Über die Ursache der Lippenund Gaumenspalte. Münch, med. Wochenschr. (1908) S. 1052. W A R N E K R O S , L.: Gaumenspalten. Arch. f. LarynN« gol. 21, 144 (1909). W A R R E N , D. W . : Die Größe der v e l o p h a r y n g e a l Öffnung und die Druck-Strom-Muster im Epipharynx bei der Gaumenspaltensprache: Ein vorläufiger Bericht. Plastic Surg., Baltimore 34, 15 (1964). W A R R E N , D. W . : A physiologic approach to cleft palate prosthesis. (Ein physiologischer Vorstoß zur Gaumenspaltenprothetik). J . Prosth. Dent. 15, 770 (1965). W A R R E N , D . W . : Nasal emission of air and velopharyngeal function. (Nasaler Luftdurchzug und velo-pharyngeale Funktion). Plast. & Reconstr. Surg. 40, 508 (1967); [Cleft Palate J . 4, 148 (1967)]. W A R R E N , D . W . U. W . E . R Y O N : Oral port constriction, nasal resistance, and respiratory aspects of cleft palate speech: an analog study. Cleft Palate J . 4, 38 (1967). WALKER,

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R.

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HANDBUCH D E R P L A S T I S C H E N

CHIRURGIE

Herausgegeben von Έ . GOHRBANDT · J . GABKA · A . BEKNDOBFEB

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

8. Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter OTTO NEUNEB,

Bern

Inhaltsübersicht 1. Einleitung

1

2. Operationen an der Nase 2 a) Operationen am knöchernen Nasengerüst 4 b) Operationen an der Nasenscheidewand und am Dreiecksknorpel 10 c) Operationen an der Nasenspitze und am Naseneingang 13 3. Operationen an der Lippe a) Operationen am Oberlippenweiß . . . b) Operationen am Oberlippenrot, einschließlich Vestibulumkorrekturen . . c) Operationen zum Relations-Ausgleich von Ober- und Unterlippe

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Otto Neuner Direktor der Univ.-Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie BernfSchweiz

d) Operationen zur Kontur-Verbesserung . 23 4. Operationen an den Kiefern

30

5. Operationen am harten Gaumen 43 a) Reoperation und Restlochverschluß . 43 b) Knochentransplantation zur Stumpfstabilieierung 44

23

6. Operationen am weichen Gaumen . . . . 44 a) Verlängerungs- und Tensor-Plastik . . 45 b) Levator-Plastik 47 c) Arcus-palato-pharyngicus-Plastik . . . 47 d) Arcus-palato-glossus-Plastik 51

23

Literatur

20 20

53

8. Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter OTTO

NEUNEB

1. Einleitung Obwohl in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Lippen-Kiefer-GaumenspaltenChirurgie wesentliche Fortschritte erzielt worden sind, werden trotz der nach allen Regeln der Kunst durchgeführten Primäroperationen fast immer spätere Korrekturoperationen notwendig. Zur chirurgischen tritt in den meisten Fällen auch "eine kieferorthopädische, prothetische und logopädische Behandlung. Während kieferorthopädische und prothetische Probleme im vorliegendem Beitrag nur am Rande berührt werden, gilt die Besprechung in erster Linie chirurgischen Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, um diesen meist sehr unglücklichen Menschen, bei denen Primäroperationen nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben, zu helfen (vgl. G A B K A , Versorgung fetaler Gesichtsspalten, Bd. II). Sekundäre Korrekturoperationen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Trägern können im Bereich der Nase, der Oberlippe und des Oberkieferknochens, sowie am harten und am weichen Gaumen notwendig werden. Dazu kommen manchmal Eingriffe am Unterkiefer und an der Unterlippe, die aufgrund ihres normalen Wachstums hypertrophisch erscheint. Die Korrekturen an der Nase werden eingeteilt in Operationen am knöchernen Nasengerüst und an der Nasenscheidewand und solchen an der Nasenspitze und Naseneingangsregion. Die an einem großen Operationsgut erzielten Erfahrungen zeigen, daß es sich fast in jedem Fall als günstiger erweist, die Korrektur der gesamten Nase durchzuführen, da dies befriedigendere Ergebnisse ermöglicht. In diesem Beitrag wird hauptsächlich über eigene Operationsmethoden berichtet, während G A B K A über die heute andernorts geübten Verfahren berichtet. Auch für die Korrektur der Lippe werden eigene Operationsverfahren gezeigt. Die beschriebenen Schnittführungen sind darauf ausgerichtet, quere Narben im unteren Lippenanteil zu vermeiden. Die Lippenreoperationsnarbe entspricht bei allen gezeigten Schnittführungen der Philtrumkante. Einige eigene Operationsmethoden zur Philtrumkonstruktion werden angegeben. Auch auf die Konturierung der Lippe, die Lippenrot-Gestaltung und den Relationsausgleich zwischen Ober- und Unterlippe wird besonderer Wert gelegt, da nach eigenen Erfahrungen speziell durch die richtige Konturierung der Lippe, sowie durch gleichmäßige Lippenrotprotrusion und durch Relationsausgleich beider Lippen die Möglichkeit gegeben ist, den für Spaltträger charakteristischen Gesichtsausdruck vollkommen auszumerzen. Dies ist sicher in den meisten Fällen von gleicher, wenn nicht sogar von übergeordneter Bedeutung, wie die Behebung der kau- und sprachfunktionellen Störungen. Bei der Besprechung der Operationen an den Kiefern zur Herstellung der Kaufähigkeit werden neben den bekannten Methoden der Osteotomie und Knochenspanimplantation einige Variationen der Osteotomieführung im Oberkiefer- und Mittelgesichtsbereich und ein neu entwickeltes Verfahren gezeigt, bei dem der Aufbau des atrophischen Oberkiefers durch eine vom Unterkiefer entnommene Knochenspange erfolgt. Auch die präprothetischen Maßnahmen werden kurz erörtert. Reoperation des Gaumens und doppelschichtiger Restlochverschluß als Voraussetzung für erfolgreiche Knochenimplantation zur StabiliHandb. Plast. Chir., Bd. II

172

Ο. NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

sierung der Reststümpfe und des Gaumengewölbes werden kurz besprochen. Zuletzt werden bei der Besprechung der sprachverbessernden Operationen im Bereich des weichen Gaumens einige neue vom Verfasser entwickelte und geübte Methoden gezeigt, bei denen zur Verlängerung und Aktivierung des atrophischen und inaktiven Velopharynxringes die Seitenwände des Pharynx verwendet werden, weiters eine eigene Methode der LevatorPlastik, eine Arcus-palato-pharyngicus- und eine Arcus-palato-glossus-Plastik. Durch die dabei erzielte hohe Velumaktivität konnten gute Sprachverbesserungen erreicht werden. (Vgl. H E K F E R T , Sprachverbessernde Operationen nach Gaumenplastiken und nach Tonsillektomien, Band II). Unsere eigenen Ausführungen werden durch den Handbuchartikel von G A B K A , Versorgung fetaler Gesichtsspalten ergänzt. 2. Operationen an der Nase Operationen an der Nase werden aus ästhetischen und funktionellen Gründen vorgenommen. Bei fast allen Formen der Lippenspalte, also von der reinen Lippenkerbe bis zur schwersten Spaltform der doppelseitig durchgehenden LKG-Spalte finden wir mehr oder minder starke Veränderungen der Nasenform. Bei einseitigen Lippenspalten steht im allgemeinen die Seitenabweichung der Nase und die Naseneingangsasymmetrie im Vordergrund der Störung. Der spaltseitige Nasenflügel ist abgeflacht, sein Ansatz steht zuweit nach dorsal und lateral und meist auch etwas tiefer (Abb. 1). Die Nasenspitze ist an der Spaltseite abgeflacht, da die Umbiegestelle des spaltseitigen Flügelknorpels weiter zurückliegt. Dadurch liegt auch das Nasenloch an der Spaltseite zurückverschoben. Die Kolumella steht schief mit der Basis zur gesunden Seite. Der vordere Septumanteil ist zur Spaltseite deviiert. Da das Nasenseptum im ganzen gesehen

Abb. 1. Nasendeformierung nach einer Operation einer einseitigen Spalte

Abb. 2. Nasendeformierung nach einer Operation einer doppelseitigen Spalte

Operationen an der Nase

immer zur gesunden Seite abweicht und im vorderen Anteil zur Spaltseite ausläuft, liegt in der Regel meist eine knorpelige, öfter auch eine knöcherne Schiefnase vor. Bei doppelseitigen Spaltbildungen ist das häutige Nasenseptum meist zu kurz, so daß die Nasenspitze stark nach abwärts zur Oberlippenbasis gezogen wird. Die Nasenflügel stehen zu weit nach lateral, die Nasenlöcher sind quergestellt. Da die Flügelknorpel an der Umbiegestelle abgeflacht sind, wirkt die Nasenspitze sehr breit (Abb. 2). Oft sieht man Wachstumsstörungen am knorpeligen und knöchernen Septum, wodurch die Nasenspitze unterentwickelt ist und manchmal eine knorpelige, evtl. sogar knöcherne Höckerbildung vorliegt. In sehr seltenen Fällen besteht ein Sattel. Fast immer jedoch ist die Nase im knöchernen Anteil ziemlich breit, liegt dagegen selten im Nasenwurzelbereich zu weit zurück. Bezüglich des Zeitpunktes von Operationen an der Nase ist zu sagen, daß im allgemeinen Eingriffe im Bereich des Naseneinganges in jedem Alter vorgenommen werden können, wogegen Operationen am knorpeligen, bzw. knöchernen Gerüst nur ausnahmsweise vor dem 15. bis 16. Lebensjahr durchgeführt werden sollen. Bei den Korrekturoperationen im Bereich der knöchernen Nase, wie Behebung der Schiefstellung, Verschmälerung der Breitnase, Korrektur einer Höcker- oder Sattelnase, sowie Eingriffen am Nasenseptum, handelt es sich teils um Routineoperationen, die nach den allgemeinen Richtlinien der Rhinoplastik durchgeführt werden, teils um spezielle, für die Spaltnase entwickelte Eingriffe. Auch die Operationen zur Formung der Nasenspitze und zur Verbesserung und Symmetrisierung des Naseneingangs sind im großen und ganzen für die Spaltchirurgie spezifische Operationen, die sowohl für die einseitige, wie auch für die doppelseitige Spaltform je nach vorliegender Störung verschieden sind. Korrekturoperationen

der Nase bei der einseitigen

Spaltform:

Knöchernes Gerüst a) Behebung der Schiefnase (quere, mediane und asymmetrisch laterale Osteotomien b) Evtl. Höckerabtragung mit anschließend querer und lateraler Osteotomie

[NEUNER])

Nasenscheidewand und Dreiecksknorpel a) Geradstellung des Septums und Verschmälerung des Dreiecksknorpels Nasenspitze und -eingang a) Modellierung und Reposition des spaltseits verlagerten Flügelknorpels b) Reduktion beider Flügelknorpel zur Verschmälerung und Spitzensymmetrisierung c) Anpassung des spaltseitigen Nasenloches zum gesunden durch entsprechende Haut- evtl. auch Knorpelexzisionen und Verschiebeplastiken zwischen äußerem und innerem Hautblatt d) Korrektur der Form, Stellung und Ansatz des spaltseitigen Flügels und Anpassung zur gesunden Seite (wird häufig gleichzeitig mit der Lippenkorrektur durchgeführt) Korrekturoperationen

der Nase bei der doppelseitigen

Spaltform:

Knöchernes Gerüst a) Bei Sattel- und Plattnasen Verschmälerung und Aufrichtung nach seitlicher, weit auf den Oberkiefer bogenförmig ausgedehnter Osteotomie ( N E U N E R ) b) Bei Breitnasen quere, mediane und laterale Osteotomien und mediane Knochenresektion c) Bei Höckerbildung Resektion des knöchernen und knorpeligen Höckers mit anschließenden queren und lateralen Osteotomien Nasenscheidewand und Dreiecksknorpel a) Evtl. Verlängerung der vorderen Septumkante nach vorn oder unten durch parallele Vorverschiebung eines freien oder gestielten knorpeligen Septumstreifens ( N E U N E R ) b) Implantation des Höckers in die Kolumella ( N E U N E R ) c) Einpflanzung eines geraden oder gewinkelten freien Knorpelspans ( S C H M I D , W I R T I I U. a.) d) Reduktion und Verschmälerung des Dreiecksknorpels 172*

4 I8

Ο. NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Nasenspitze und -eingang a) Verlängerung

des häutigen

Nasensteges

b) Hebung und Verschmälerung der Spitze durch Modellierung und Medialisierung der lateralen Flügelschenkel c) Reduktion d) Flügelform,

beider

Flügelknorpel

-Stellung und -ansatz w e r d e n bei d e n Opeartionen a — c w e i t g e h e n d mitverbessert,

jedoch Feinkorrekturen erst im Zuge der Lippenreoperation vorgenommen.

a) Operationen am knöchernen Nasengerüst Bei den Osteotomien im Bereich der knöchernen Nase verwenden wir seit Jahren eigene von uns entwickelte Techniken ( N E U N E R ) . Wir führen prinzipiell in jedem Fall eine quere Osteotomie im Nasenwurzelbereich durch. Wir benützen hierfür eine speziell für diesen Zweck konstruierte geschützte Kreissäge ( N E U N E R ) . Dieselbe wird durch die interkartilaginäre Inzision eingeschoben (Abb. 3a). Durch die vollkommene Lösung der Verbindung Nasenbein zum Stirnbein können wir die gewünschte Stellung der Nasenbeine erreichen. Für die laterale Osteotomie verwenden wir ebenfalls im allgemeinen rotierende Instrumente (Abb. 3b) und nur bei geradlinigem Verlauf der seitlichen Osteotomie nehmen wir die gerade Säge. Diese Instrumente werden von einem im oberen Mundhof gelegten Schleimhautschnitt eingeführt und ermöglichen die Durchführung verschiedener Osteotomien, so daß je nach vorliegender Störung die gewünschte Korrektur durch entsprechende Abänderung der Schilittführung erreicht werden kann.

a

b

Abb. 3. a) Schema für die quere Osteotomie an der Nasenwurzel (NEUNER) ; b) Schema für die laterale Osteotomie mit rotierenden Instrumenten (NEUNER)

Operationen an der Nase

c

d

Abb. 4. Schiefnasenkorrektur (NEUNER): a, b) Schema; c, d) Fall (Lippe noch nicht korrigiert)

6 I 8

0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

So wird bei der Schiefnasenkorrektur analog wie bei der Korrektur der traumatischen Schiefnase (vgl. N E U N E R , Konservative und operative Behandlung der Gesichtsschädelfrakturen, Bd. II) die laterale Osteotomie an der Schmalseite etwas weiter lateral angelegt, damit der schmalere Nasenrückenanteil besser aufgestellt werden kann. Meist muß der Schnitt nach lateral konvex bogenförmig gelegt werden, so daß das untere Ende des Osteotomiespaltes am Rande der Apertura piriformis in horizontaler Richtung höher zu liegen kommt. Es kann auf diese Weise bei der Aufrichtung des osteotomierten Fragmentes eine sichere Fixation desselben erreicht werden (Abb. 4). An der Breitseite müssen bei extremen Fällen manchmal zwei vertikale Osteotomien durchgeführt werden, was auch mit der geraden Säge vom Mundvorhof aus geschehen kann. Der eine Schnitt wird an der Basis, der andere einige Millimeter medial davon liegen. Die Entfernung eines vertikalen Fragmentes haben wir nie für nötig gefunden. Bei der Korrektur der Sattel- und Plattnase hat uns die Aufrichtung sowohl der Nasenwurzelgegend wie auch die des knöchernen Nasenrückens durch Einpflanzung eines Knorpeloder Knochentransplantates nie so ganz befriedigt. Wir sind daher dazu übergegangen, bei solchen Fällen eine seitliche Osteotomie vorzunehmen, die den vorderen Anteil der medialen Orbitawand mit einbezieht ( N E U N E R ) , SO daß bei der Medialisierung der abgetrennten Fragmente gleichzeitig eine Erhöhung des Nasenwurzelbereiches in sagittaler Dimension ermöglicht wird. Bei eingesattelten knöchernen Nasenrücken wird analog wie bei der Behandlung der traumatischen Sattelnase vorgegangen, indem wir die seitliche Osteotomie weit im konvexen Bogen auf die Vorderfläche des Oberkiefers ausdehnen und so die Medialisierung der abgetrennten Fragmente und gleichzeitig eine Erhöhung des Nasenrückens ermöglichen (NEUNEK), wodurch dann auf die doch mit gewissen Risiken verbundene Knorpelimplantation verzichtet werden kann (Abb. 5). Die Stabilisierung der verlagerten Fragmente erfolgt analog dem Vorgehen bei der Schmalseite der Schiefnase durch Verklemmung an der Apertura piriformis. Die mediane Osteotomie wird vom intrakartilaginären Schnitt aus beidseits der vorderen Septumansätze am Nasenbein mit gerader Säge und Führungsmeißel vorgenommen. Bei höhergradiger Breitnase werden nebst einer queren Osteotomie an der Nasenwurzel laterale Osteotomien je nach gewünschten Aufrichtungsbestrebungen angelegt. Median werden ebenfalls wie bei der Sattelnase erwähnt beidseits vom Septumansatz je zwei parallel verlaufende vertikale Schnitte mit der Säge angelegt. Das zwischen beiden Schnitten liegende Knochenfragment wird, wie dies A U F R I C H T und L E V I G N A C empfehlen, mit einer Spezial-Knochen-Zwick-Zange entfernt. Dadurch ist bei der Medialisierung auch eine Verschmälerung des Nasenrückens möglich (Abb. 6). Bei Höckernasen empfiehlt es sich, ähnlich wie bei der Planung ästhetischer Nasenkorrekturen präoperativ die neue Profillinie festzulegen. Zur Bestimmung der neuen Nasenform bedienen wir uns bei Spaltträgern in gleicher Weise wie bei ästhetischen Nasenkorrekturen im allgemeinen des folgenden Vorgehens: Auf einer, von einer seitlichen Schädelröntgenaufnahme mit Kontrastmittelanstrich des Profils abgenommenen Skizze wird die neue Nasenform entworfen. Diese Skizze wird auf das Profilphoto übertragen. Auf diese Weise können wir die mit großer Wahrscheinlichkeit für die Gesichtsproportionen günstigste Nasenform vorausbestimmen. Dieses Vorgehen hat sich für die Korrektur von Höckernasen bestens bewährt (vgl. G O N Z A L E Z - U L L O A , Profiloplastik, Bd. I I ) . Von Männern wird meist ein gerader, von Frauen häufig ein konkaver Nasenrückenverlauf gewünscht. Zur genauen Einhaltung der geplanten Nasenrückenlinie verwenden wir verschieden gekrümmte Zangen, mit denen der knöcherne und knorpelige Nasenrücken abgetragen wird (Abb. 7a, b). Die Verwendung von Sägen zur Höckerabtragung haben wir seit einiger Zeit aufgegeben, da sie uns ähnlich wie die Zange von K A Z A N J I A N nur gerade Schnittführungen ermöglicht und eine durch Feilen und Raspeln erzielte Kon-

Operationen an der Nase

Abb. 5. Sattelnasenkorrcktur (NEUNER): a, b) Schema; c, d) Fall

8 ι8

Ο. NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

c

d

Abb. 6. Breitnasenkorrektur (NEUNER): a, b) Schema; c, d) Fall

kavität nicht immer genau dem geplanten Verlauf entsprechen kann. Auch für die Abtragung kleiner Höckerbildungen bzw. feiner Profilkorrekturen, sind unsere Zangen sehr geeignet. Da fast alle Höckerabtragungen auch eine Verschmälerung im knöchernen und knorpeligen Anteil erfordern und durch die Aufstellung und Medialisierung der abgetrennten Knochen-Knorpel-Fragmente die Konkavität etwas reduziert wird, muß dies durch Verwendung der jeweils um eine Nuance stärker gekrümmten Zange vorausberechnet werden (Abb. 7 c, d). Bei diesem Vorgehen kann der knöcherne und knorpelige Höcker in einem Stück gewonnen werden, so daß er bei Bedarf zur Septum- bzw. Spitzenerhöhung als Transplantat verwendet werden kann (NEUNER) (siehe S. 13). Die seitliche Osteotomie und

Operationen an der Nase

8 | 9

Abb. 7. Höckernasenkorrektur: a, b) Entfernung des Höckers mit Spezialzangen (NEUNEB); C, d) Fall

die Abtrennung an der Nasenwurzel führen wir wie bei den Sattel- und Breitnasenoperationen mit rotierenden Instrumenten durch, und nur in seltenen Fällen wird für die laterale Osteotomie die gerade Säge von einem im Mundvorhof gelegten Schnitt aus verwendet.

10 [ 8

0 . NEUNEK, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

b) Operationen an der Nasenscheidewand und am Dreiecksknorpel Zuerst wird meist das vordere deviierte Septumstück im Bereich der Konvexität durch streifenförmige Knorpelexzisionen und evtl. zusätzliche Inzisionen entspannt und gerade gestellt. Dies erfolgt in ähnlicher Art und Weise, wie dies bei der Swinging-doorTechnik von S E L T Z E R geschieht. Anschließend werden die Dreiecksknorpel vom Septum abgetrennt und wenn nötig zur Symmetrisierung und Verschmälerung streifenförmige Exzisionen vorgenommen. Die Fixation erfolgt durch zwei versenkte, gekreuzte, wieder entfernbare Drahtnähte im Bereich der Kolumella. Wenn die ganze Scheidewand einschließlich des Vomer verlagert ist, erfolgt die Abtrennung des Septums am Nasenboden durch Abmeißelung, dann die Schwächung durch schräge Inzision im Bereich des rückwärtigen Septumanteils und Frakturierung der knöchernen Scheidewand. Daraufhin kann die ganze knorpelige und knöcherne Scheidewand gerade gestellt und in die Mitte verschoben werden (Abb. 8). Die Fixation erfolgt hier durch zum Eckzahn geführte Drahtschleifen (Liegedauer 6—8 Wochen). Bei sämtlichen Septumkorrekturen empfiehlt es sich, eine feste endonasale Tamponade für mindestens zwei, evtl. drei Wochen an der Deviationsseite durchzuführen.

Abb. 8. Schnittführung im Bereich der Nasenscheidewand zur Schwächung derselben und nachfolgender Einschwenkung sowie Geradstellung

Die Verlängerung der vorderen Septumkante nach vorn oder unten kann durch parallele Vorverlagerung eines freien oder besser noch schleimhautgestielten Knorpelstreif chens aus dem vorderen Septumanteil durchgeführt werden (NEUNER). Wir schieben dabei im Gegensatz zu G A L L O W A Y den Knorpelstreifen entweder parallel dem unteren Septumrand entlang nach oben-vorne (Abb. 9a, b), wenn nur eine reine Spitzenerhöhung erwünscht ist, oder schräg nach vorne-unten (Abb. 10a, b), wenn gleichzeitig mit der Erhöhung auch eine Verlängerung der Nasenspitze erfolgen soll. Die Knorpelinzision wird von der Transfixion aus vorgenommen. Das Mukoperichondrium muß meist im Bereich der Inzision tunnelförmig abgelöst werden. Bei diesem Vorgehen sind Spitzenerhöhungen bis zu 1 cm (Abb. 9c, d) und ebensolche Verlängerungen möglich (Abb. 10c, d). Auch bei starken Nasenverlängerungen kann durch Auffüllung des rückwärtigen Kolumella-Abschnittes mit Knorpelstückchen, die bei der Reduktion der Spitzenknorpel abfallen, eine unschöne Kantenbildung vermieden werden. Wenn die Dreiecksknorpel zu tief nach rückwärts liegen, werden sie vom Septumansatz abgetrennt und über der Septumkante vernäht.

8 | 11

Operationen a n der Nase

c

d

Abb. 9. Spitzenerhöhung durch parallele Vorverschiebung eines Septumsstreifens (NEUNER): a, b) S c h e m a ; c, d) Fall

Bei durch Abtragung gewonnenem Höcker kann nach entsprechender Modellierung derselbe an den unteren Septumrand angelagert werden. Die knöcherne Partie k o m m t dabei an die Spina zu liegen, der knorpelige Anteil wird zur Hebung der Spitze zwischen die beiden Flügelknorpel vorgeschoben (NEUNEB) (Abb. 11).

12 I 8

Ο.

NEUNER,

c

Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

d

Abb. 10. Spitzenverlängerung durch Verschiebung von Septumknorpel (NEUNER): a, b) Schema; c, d) Fall

Die Einpflanzung eines freien, sei es eines geraden oder gewinkelten Knorpelspans, der durch Resektion des rückwärtigen Septumanteiles gewonnen wurde ( S C H M I D , W I B T H u. a.) oder die freie Transplantation eines autoplastischen Rippenknorpels, bzw. eines homoioplastischen Knorpelspans, haben wir seit Jahren nicht mehr nötig gehabt.

8 | 13

Operationen an der Nase

c

d

Abb. 11. Höckerabtragung und Spitzenerhöhung durch Transplantation des Höckers in die Columella (NEUNEB): a, b) Schema; c, d) Fall

c ) Operationen an der Nasenspitze und am Naseneingang Zur Korrektur des vorderen Nasenlochanteils und der Spitze wird bei leichten und mittelschweren Fällen eine VY-Plastik an der Nasenflügelinnenseite (BROWN und Mc DOWELL) durchgeführt und dabei der gut mobilisierte und an der Außenseite der Umbiege-

14 Ι 8

0 . NEUNER, O p e r a t i o n e n bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Abb. 12. a, b) Schema der Schnittführung bei einseitiger Spaltform mit mittelgradiger Naseneingangsasymmetrie (NEUNER) ; c, d) dazugehöriger Fall

stelle durch Inzisionen entspannte Flügelknorpel spitzenwärts verschoben (Abb. 12a, b). Bei schlechter Lage kann eine Z-Plastik an der Innenseite des Nasenflügels ( T R A U N E B und W I R T H ) durchgeführt werden. Im allgemeinen ist damit jedoch keine absolute Symmetrie der Nasenlochumrandung zu erzielen, so daß noch eine spätere Korrektur vorgenommen werden muß. Bei der Vernähung besteht die Möglichkeit, die zu dicke oder überschüssige Haut am Nasenflügelrand zu verfeinern, einzurollen, bzw. etwas zu exzidieren. Gelingt es bei diesem Vorgehen nicht, nach Mobilisation des Flügelschenkels und Luxation desselben in die Nasenspitze sowie Vereinigung mit dem Flügelknorpel der gesunden Seite, die Nasenspitze einwandfrei zu symmetrisieren, kann zur Aufrichtung ein Knorpelspan verwendet werden, der unterhalb der Basis des Lippen-Schwenklappens eingeschoben wird. Dieser sitzt an der Spina spaltseitig vom Septum auf und endet unterhalb der Umbiegestelle des Flügelknorpels ( S C H M I D , N E U N E R ) (Abb. 12c, d). Bei zurückliegender Spitze wird er zwi-

8 | 15

Operationen an der Nase

c

d

Abb. 13. a, b) Schema der Schnittführung bei einseitiger Spaltform mit hochgradiger Naseneingangsasymmetrie (NEUNER) ; c, d) dazugehöriger Fall

sehen den medialen Flügelschenkelknorpeln vorgeschoben und dient zur Aufrichtung, bzw. Stabilisierung der Nasenspitze. Meistens können wir jedoch die beiden Flügelknorpel durch entsprechende versenkte, wieder entfernbare Drahthaltenähte (Liegedauer 4 Wochen) stabil zueinander fixieren. Bei schweren Fällen von Naseneingangsasymmetrien wird die Schnittführung folgendermaßen erweitert: der laterale Lappenschnitt läuft im Bereich des Naseneingangs als seitliche Vestibulum-Inzision bis zum vorderen Nasenlochwinkel weiter, wo ein halbmondförmiges Hautfeld umschnitten und exzidiert wird (NEUNER). E r zieht dann als Randinzision am lateralen Flügel nach hinten und streicht dort in die obere horizontale Inzision ein (Abb. 13a, b). Der Flügelknorpel liegt unterhalb des Schnittrandes in der Vestibulum-

16 I 8

0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Abb. 14. a, b) Schema der Schnittführung bei doppelseitiger Spaltform zur Nasensteg Verlängerung bis 9 mm; c) Operationsphoto; d, e) Fall

d

e

Schleimhaut und wird vom Septum und vom anderen Flügelknorpelschenkel über die Umbiegestelle und nach lateral rückwärts von der Haut mobilisiert. Der so vollkommen mobilisierte Flügelknorpel kann mit der anhaftenden Vestibulumschleimhaut in die Spitze verlagert und mit dem anderen Flügelknorpel vernäht werden (Abb. 13c, d). Diese Korrektur wird meist gleichzeitig mit der Lippenreoperation durchgeführt, so daß dann nach Schwenkung des labialen Lappens der obere Lappenanteil in die obere Querinzision eingenäht wird.

Operationen an der Nase

f

8 | 17

g

Abb. 15. a, b) Schema der Schnittführung zur Nasenstegverlängerung über 9 mm N E U N E R ) ; c, d, e) Operationsphoto; f, g) einschlägiger Fall Handb. Plast. Chir., B d . I I

(SCHMID, M I L L A R D ,

173

18 I 8

0 . Neunek, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Bei doppelseitigen Spalten beginnt die Therapie mit der Verlängerung des häutigen Nasensteges. Dazu kann man die Haut aus dem Mittelteil der Lippe ( L E X E R , B K O W N ) verwenden, oder eine VY-Plastik an der Nasenspitze (BLAIR) bzw. eine Z-Plastik am vorderen Nasenlochwinkel ( T R A U N E R und W I R T H , S T R A I H T a. u.) durchführen. Die Kolumella kann verlängert werden durch beidseitige Z-Plastiken am Naseneingang (TRATTNER, M A R K S , M E Y E R U. a.) oder durch ein Compositgraft ( S C H M I D , MEADE). Die meisten Eingriffe haben den Nachteil, daß nur geringe Kolumellaverlängerungen möglich sind oder zusätzlich Narben im Lippenmittelteil verbleiben. Wir verlängern die Kolumella in leichten Fällen, ähnlich wie B A R S K Y , CRONIN und K A Z A N J I A N , durch eine Medianverschiebung der vestibulären Schleimhaut (NEUNER). Unser Vorgehen ist in Abb. 14 dargestellt. Die zu verschiebende Vestibulumhaut wird streifenförmig umschnitten und von der Unterlage lateral bis unterhalb des Flügelansatzes mobilisiert, so daß die medialen Flügelschenkel, ähnlich wie dies M E Y E R bei der PoTTERschen Schnittführung empfiehlt, in dem zu verschiebenden Lappen bleiben.

c

d

e

Abb. 16. a, b) Schema der Schnittführung zur Abwärtsverlagerung der Kolumella durch Rotationsläppchen aus der Lippe (NEUNEB); C, d, e) Operationsphoto;

8 | 19

Operationen an der Nase

f

g

Abb. 16. f, g) entsprechender Fall, Zustand nach 1. Operations-Phase (Nasenkorrektur). Zusätzliche Lippenkorrektur vorgesehen

Der obere Schnitt wird also entlang der Septumkante bis zur Transfixion und darüber hinaus bis in die interkartilaginäre Inzision geführt (Abb. 14c). So können bei der Kolumellaverlängerung gleichzeitig die Spitzenknorpel im Lappen mobilisiert, evertiert und sozusagen retrograd modelliert werden. Meist wird die Schleimhaut in gleicher Art, wie bei der einseitigen Spalte beschrieben, mit dem lateralen Schenkel VY-artig verschoben vernäht (Abb. 14d, e). Da die Nasenspitze dabei immer zu plump wird, muß der verschobene Flügelknorpel mit demjenigen an der gesunden Seite gleichzeitig reduziert werden. Der vordere Septumwinkel kann bei starker Atrophie des Septums wie oben schon erwähnt, wenn nötig durch Parallelverschiebung des unteren abgetrennten Randes nach vorne aufgebaut werden (NEUNER), oder es wird der abgetrennte Höcker an die Kolumella transplantiert ( N E U N E B ) . Bei höhergradiger Kolumellaverlängerung, wobei Zirkumferenzzunahmen von über 9 mm erforderlich sind, verwenden wir die seitlichen Narbenfelder der Lippe zur Bildung des Nasenstegs ( S C H M I D , M I L L A R D , N E U N E R ) . E S wird hier analog zu dem oben angeführten Vorgehen die Schnittführung so angelegt, daß die medialen Flügelschenkel in der Kolumella verbleiben und somit die Spitze gleichzeitig korrigiert werden kann (Abb. 15). Bei dieser Operation kann die Lippe nicht immer sehr schön geformt werden, so daß zusätzlich manchmal eine Lippenreoperation (siehe später) angeschlossen werden muß. Um die Lippe nicht zu hoch zu bekommen und einen schönen Nasensteg-Oberlippenwinkel, sowie eine gut geformte Kolumellabasis zu erhalten, sollen nicht wie bei der Originalmethode ( M I L L A R D ) die Spitzen der ausgeschnittenen Narbenfelder direkt am Knick zwischen Kolumella und Lippe enden, sondern langsam in die vertikalen Narben einstreichen (Abb. 15f, g). Die Kolumellabasis kann so symmetrisch geformt und die Oberlippe gleichzeitig etwas erhöht und am Lippensaum etwas protrudiert werden. Die Flügel werden bei diesen Operationen bereits medial versetzt und müssen jedoch meist noch zu einem späteren Zeitpunkt bei 173*

20 I 8

0 . NEUNER,

Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

der Lippenoperation nachkorrigiert werden. Nur bei sehr breitem medianem Narbenfeld wird zur Steg Verlängerung der mittlere Lippenteil verwendet. Bei stark atrophischem Septum kann die Nase in ihrer Länge zu kurz sein. I n solchen Fällen kann ähnlich wie bei der Kolumella-Verlängerung die Kolumella nach unten versetzt werden, indem die beiden aus den seitlichen Narbenfeldern der Lippe gewonnenen Lappen an der Nasenschwelle gestielt, um 180° nach oben geklappt und in eine parallel der untern Kolumellakante verlaufende beidseitige Inzision eingenäht werden ( N E U N E R ) (Abb. 16). Wenn nötig kann zur Versteifung dieser neuen Kolumellapartie ein Knorpelspan eingelegt werden, jedoch ist dies meist gar nicht nötig, da j a die eingenähten Läppchen im subkutanen Bereich Narbengewebe enthalten und somit bei Anlagerung an die untere Septumkante die Kolumella selbst genügend versteifen.

3. Operationen an der Lippe Die häufigsten sekundären Störungen, die eine Reoperation der Lippe nötig machen, sind schlechte Narbenbildung, Verkürzung der Lippe im Bereich der Nahtstelle, fehlende oder insuffiziente Vereinigung der Lippenmuskulatur, unregelmäßiger Verlauf der Lippengrenze, zuwenig sichtbares Lippenrot und unschöne Philtrumform. Bei vielen Operationsmethoden wird Lippenreoperation und Naseneingangsformung im gleichen Operationsakt durchgeführt. Die Kolumella wird längs gespalten, der spaltseitige Anteil entsprechend rotiert und vernäht ( G I L L I E S , S H E E H A N , S C H J E L D E R U P U. a.) und die Lippe durch Läppchenaustausch im oberen ( T R A U N E R , U L L I K ) , im unteren ( L E M E S U R I E R u. a.) oder in kombinierter F o r m ( M E Y E R U. a.) gleichzeitig korrigiert. Manche Autoren ( E R I C H , P O T T E R , R E H R M A N N u. a.) nehmen die Korrektur der Nase nach entsprechender Aufklappung und Ablösen der Nasenspitzenhaut von den Flügelknorpeln unter Sicht des Auges vor, während die Lippe in einem eigenen Operationsgang korrigiert wird. Die verschiedenen Schnittführungen an der Lippe haben uns nie voll befriedigt, da auch bei bester Nahttechnik eine quere oder schräge Narbe störend in Erscheinung tritt. Wie schon oben erwähnt, führen wir ebenso wie G R I M M die Naseneingangsformung häufig gleichzeitig mit der Lippenreoperation durch. Dies trifft speziell für die einseitige Spaltform zu. a ) Operationen a m Oberlippenweiß Wir

(NEUNER)

gehen abweichend von vielen Autoren ( S T E L L M A C H , P F E I F E R , T R A U N E R , a.) bei der Operation der Lippe zur Lippenweißverbesserung folgen-

G A B K A , R E H R M A N N U.

b

a Abb. 17 a, b

8 | 21

Operationen an der Lippe

c

d

Abb. 17. a, b, c, d) Operationsphotos zur Lippenkorrektur bei einseitiger Spalte

dermaßen vor: Ein medial von der Kolumellabasis gestieltes Läppchen wird so umschnitten, daß das ganze Narbenfeld darin enthalten ist und seine Spitze bis zur Lippenrotgrenze reicht. Dasselbe wird nun um 90° nach lateral geschwenkt und in eine horizontale, entweder am Innenrand des Flügels bzw. unter dem Flügel angelegte Inzision eingenäht. Häufig ist es zweckmäßig, das Läppchen aufgestellt in beide Querinzisionen einzulegen (Abb. 12, 13, 17). Diese Schnittführung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der von M I L L A R D zur Primäroperation verwendeten, speziell dann, wenn der Horizontalschnitt unterhalb des Flügels gelegt wird. Der Unterschied liegt jedoch darin, daß medial der Schnitt nicht unter der Kolumella bis über die Mittellinie reicht, sondern einige Millimeter unterhalb des spaltseitigen Kolumella-Ansatzes endet, also genau der spaltseitigen Philtrumkante entspricht. Es besteht so die Möglichkeit, die Lippe im Spaltbereich um die Breite der Lappenbasis zu erhöhen und gleichzeitig den Kolumella-Ansatz symmetrisch zu gestalten. Die Nasenschwelle kann schön geformt und der abstehende Flügel entsprechend medial oder höher versetzt, bzw. rotiert werden. Zur Flügelformung wird derselbe von Haut und Schleimhaut kräftig mobilisiert, wenn nötig durch Inzisionen entspannt, oder durch längslaufende Keilexzision etwas verfeinert und durch Steppnähte in der neuen Stellung fixiert. Manchmal muß unter dem Flügelansatz ein Knorpelstückchen implantiert werden. Der basale Naseneingang kann bei diesem Vorgehen fast immer symmetrisiert werden. Bei den Lippenreoperationen wird die Lippe meist nicht durchgehend geöffnet, sondern nur bis auf die Schleimhaut eingeschnitten. Lediglich ein offener Nasenboden nötigt uns manchmal, die Lippe vollständig aufzutrennen. Nach unten reicht der Korrekturschnitt in der Regel bis zum Lippenrot, wo er genau im Bereich der spaltseitigen Philtrumkantenspitze auftrifft. Die Reliefgestaltung des Philtrums wird dadurch erreicht, daß ein Subkutis-Muskelläppchen vom medialen Schnitt aus unterhalb des Philtrumgrübchens so präpariert wird, daß es am Schnittrand gestielt bleibt. So kann es um 180° umgeklappt und in einen an der Lippenrotgrenze des lateralen Stumpfes geschaffenen Gewebstunnel eingenäht werden (NEUNER). Das Philtrumgrübchen wird auf diese Weise gut dargestellt

22 I 8

0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

und die Philtrumkante sowie die Lippenrotgrenzkante des Spaltstumpfes prominent gestaltet. Die Muskulatur der Lippe wird sorgfältig vereinigt. Bei Unterschuß von Lippenrot muß in einem späteren Eingriff dasselbe vom Mundvorhof durch entsprechende Verschiebung vorgerückt werden (siehe S. 23). Bei unschönem Amorbogen verlauf infolge schlecht

Abb. 18. a, b c, d)

Schema der Schnittführung zur Lippenkorrektur bei doppelseitiger Spaltform (NEUNER)

verheilter oder querer Narben muß manchmal eine Cupidus-bow-Korrektur vorgenommen werden. Am Nasenflügel ist öfters eine spätere Korrekturoperation, entweder Verlängerung oder Verkürzung, nötig. Bei der doppelseitigen Lippenspalte verwenden wir meistens die bei der einseitigen Spaltform beschriebene Schnittführung beidseits (NEUNER). Dabei lassen sich die bei der

Operationen an der Lippe

8

| 23

Stegverlängerung bereits etwas medial versetzten Nasenflügel entsprechend formen u n d rotieren (Abb. 18 a, b). Ist ein Flügel zu lang, wird er zu einem späteren Zeitpunkt durch Exzision eines sichelförmigen Keiles am Ansatz gekürzt, ist er zu kurz, durch Einsetzen eines mehrschichtigen Transplantates (KOENIG) aus der Ohrmuschel erweitert (JOSEPH, KAZANJIAN, SCHMID und WIDMAIER). ö f t e r müssen beide Flügel durch längsverlaufende, keilförmige Gewebsexzisionen verfeinert werden (NEUNER). Ein stark atrophischer Flügel wird durch das an der Innenseite eingeschlagene Lippenläppchen vergrößert ( N E U N E R ) . Bei breitem, medianem Narbenfeld wird dasselbe excidiert, wobei ein am Lippensaum gestieltes, dreieckiges Hautareal belassen wird. Der Defekt wird nach Umschneidung entlang des Nasenflügelansatzes und nach Rotationsplastik von der Seite her gedeckt (NEUNER) (Abb. 18 c, d). b) Operationen am Oberlippenrot, einschließlich Vestibulumkorrektoren Bei zuwenig sichtbarem Lippenrot wird, besonders wenn eine Auffüllung im medianen Anteil erwünscht wird, die Schleimhautvorwölbung aus dem Mundinneren nach AXHAUSEN durchgeführt (Abb. 19). Für Fälle, bei denen besonders im seitlichen Anteil eine Lippenrotunterentwicklung vorliegt, ist dagegen eine Erweiterung der Schnittführung dahingehend vorzunehmen, daß Parallelinzisionen vom innern Mundwinkel ins Vestibulum nach rückwärts angelegt werden (NEUNER) (Abb. 2 0 ) . Durch Vorvernähung eines abgetrennten Schleimhautlappens läßt sich meist die gewünschte Lippenrotvorwölbung erreichen. Bei speziellen Fällen mit narbig veränderter Vestibulumschleimhaut, die eine genügende Verschiebung nicht ermöglicht, führen wir (NEUNER) oft zusätzlich an der Innenseite der Oberlippe eine doppelte Z-Plastik durch. Dazu wird ein über die Umschlagfalte reichender Mukosa-Muskellappen im Ausmaß dem Philtrum entsprechend median umschnitten u n d in seitliche, horizontal von der Basis des Gewebskeils nach lateral ziehende Inzisionen eingenäht. Die Schleimhaut wird mobilisiert und in der Mittellinie vernäht (Abb. 21). c) Operationen zum Relations-Ausgleich von Ober- und Unterlippe Bei stärkerer Diskrepanz zwischen einer verkümmerten Oberlippe und einer hypertrophisch erscheinenden Unterlippe muß öfter neben der Operation an der Oberlippe entweder die Unterlippe durch Exzisionen reduziert werden, u m die richtige Oberlippen-UnterlippenRelation zu erreichen, oder es wird eine Visierlappenplastik von Unter- zu Oberlippe durchgeführt (NEUNER). Dabei wird ein Schleimhaut-Muskelkeil horizontal aus der Innenseite der Lippe entnommen und beidseitig am innern Mundwinkel gestielt in eine quere Inzision an der Oberlippe eingenäht (Abb. 22). Wir haben bei unseren Schnittführungen die Stiellappenplastik nach A B B E seit Jahren nicht mehr anwenden müssen. Trotz einer guten Lippenrotvorwölbung liegt bei einseitigen Spaltbildungen auf der Spaltseite der Mundwinkel manchmal zu tief. I n solchen Fällen nehmen wir eine Mundwinkelversetzung in Form einer Z-Plastik vor (Abb. 23), und dabei kann auch eine etwas zu kleine Mundspalte erweitert werden. Asymmetrien oder Unregelmäßigkeiten im Lippensaum verlauf werden durch entsprechende Hautexzisionen korrigiert. Der Schnitt verläuft hierzu zweckmäßig nicht an der Lippenrot-Weißgrenze, sondern etwa l 1 ^ m m parallel zur Lippenrotgrenze im Lippenweißbereich. d) Operationen zur Kontur-Verbesserung Von besonderer Bedeutung erscheint uns die Konturierung der Oberlippe im Philtrumbereich und an der Lippenrotgrenze, denn nur die einwandfreie Konstruktion des Philtrums

24 I 8

Ο. NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Abb. 19. a, b, c, d) Schematische Darstellung der Lippenprominierung nach AXHAUSEN; e) Operationsphoto; f, g) einschlägiger Fall

Operationen an der Lippe

8 | 25

Wbb. 20. a, b, c, d) Schematische Darstellung der Lippenrotprominierung nach NEUNEB; e, f, g) einschlägiger Fall

scheint unseres Erachtens imstande zu sein, den typischen, den Spaltträger charakterisierenden Mundausdruck zu verwischen, und dies ist ja das Ziel einer ästhetischen Vollrehabilitation. Wir führen daher heute in jedem Fall eine Philtrumkonstruktion durch. Bei muskelstarken Oberlippen wird dieselbe gleichzeitig mit der Amorbogenkorrektur vorgenommen. Dazu wird ein Subkutismuskellappen im Bereich des Philtrumgrübchens und -sulkus bis nahe an die Kolumella präpariert, median gespalten und je um 180° um-

Ο.

NEUNER,

Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

8 | 27

Operationen an der Lippe

c

d

e

f

g

Abb. 22. a, b, c, d) Schematische Darstellung des Relationsausgleichs zwischen Ober- und Unterlippe (Visierlappenplastik) (NEUNER); e, f, g) einschlägiger Fall

a

b

Abb. 23. a, b) Schematische Darstellung der Mundwinkelsymmetrisierung

28 I 8

0 . Neuner, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Abb. 24. a, b, c, d) Schematische Darstellung der Philtrumkonstruktion bei muskelstarken Oberlippen (Neuner) ; e, f, g) entsprechender Fall

Operationen an der Lippe

8 | 29

Abb. 25. a) Anthelixregion für die Gewinnung des Knorpels zur Philtrumgestaltung (NEUNER); b) präparierter Knorpel; c) nach Transplantation; d) Philtrumkonstruktion (NEUNER) bei doppelseitiger Spalte

geklappt und so vernäht (NEUNER) (Abb. 24a, b). Die Umschlagstelle wird somit zum First, der vom vorderen Philtrumkantenpol zum Tuberkulum zieht, während das Läppchen selbst die Kantenbildung von Lippenrot zu Lippenweiß bewirkt. Die Philtrumhaut wird in der Tiefe fixiert und verwächst muldenförmig. Manchmal wird zusätzlich eine Prominenzerhöhung der Lippenrotgrenzpartie durch eine Verschiebung der Lippenrotanteile notwendig sein (Abb. 24c, d). Dazu wird innerhalb des Lippenrots beidseits ein an der Lippenrotgrenze zwischen Philtrumkantenende und Philtrumspitze gestieltes Läppchen von ungefähr 1,5 cm Länge nach median verschoben und VY-artig vernäht (NEUNER). Das Oberlippenrelief kann so natürlich geformt werden und tritt bei Funktion (Mundspitzen, Pfeifen) verstärkt in Erscheinung (Abb. 24e—g). Bei muskelarmen Lippen erfolgt die Philtrumkonstruktion durch Transplantation eines Knorpelstückchens aus dem oberen Anthelixanteil, der sich infolge seiner Form speziell dafür eignet (NEUNER) (Abb. 25a). Das Knorpelstück wird von einer rückwärtigen Haut-

30 I 8

0 . NEUNEB, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

inzision am Ohr herauspräpariert, nach einer Schablone geformt und von einer Inzision im Lippenrot eingeschoben (Abb. 25b, c). Die Lippenhaut wird dann im Ausmaß des einzuschiebenden Knorpelstückchens tunnelartig von der Unterlage gelöst und nach Einschieben des Knorpels durch intrakutan gelegte, wieder entfernbare Haltenähte fixiert. Die dabei resultierende Lippenkontur ist äußerst befriedigend (Abb. 25 d). S C H M I D hat 1959 über Konturverbesserungen der Oberlippe durch Transplantationen von Knorpel aus der Koncha berichtet. Der Anthelixteil scheint uns jedoch formmäßig günstiger. Bei einseitiger Spaltform wird der Knorpel derselben Seite gewählt, damit die schärfere Crusanterior-Kante unter die Lippennarbe zu liegen kommt. Bei doppelseitigen Spalten muß der Knorpel symmetrisch modelliert werden. Die Entnahmestelle am Ohr ist durch formbeständige Verwachsung von vorderer und rückwärtiger Cutis später kaum feststellbar.

4. Operationen an den Kiefern Die Wiederherstellung des Kauorgans bei Spaltträgern wird meist als vorbereitende Operation für die Lippenkorrektur vorgenommen, um eine geeignete Operationsunterlage zu bekommen (vgl. K Ö L E , Ästhetische Chirurgie im Mund- und Kieferbereich, Bd. II). Bei durchgehenden Spaltbildungen besteht durch Fehlen des Alveolarknochens im Spaltbereich und durch Unterzahl der Zahnanlagen, bzw. bei doppelseitigen Spalten durch Unterentwicklung des Zwischenkiefers und sicher auch durch Narbenzüge oder evtl. durch Störung der Wachstumszonen durch die Primäroperation, fast immer eine Unterentwicklung in sagittaler (Pseudoprogenie) und transversaler, bzw. vertikaler (Mikrognathie) Richtung. Bei einseitigen Spalten ist der spaltseitige Stumpf nach medial geschwenkt und steht im Kreuz- bzw. verkehrten Überbiß (Abb. 26a). Bei beidseitig durchgehenden Spalten sind beide Kieferstümpfe nach medial geschwenkt, der Zwischenkiefer ist dabei nach vorne verlagert oder stark atrophisch, und es besteht meist keine knöcherne Verwachsung zwischen den lateralen Stümpfen und dem Zwischenkiefer (Abb. 27a, 28b). Ist die Verschiebung minimal, kann durch eine Brückenkonstruktion der Zahnbogen entsprechend aufgebaut und nach vorne gebracht werden (Abb. 26b). Zusätzlich wird dann meist eine Auffüllung des Knochenspaltes vorgenommen werden müssen. Bei stärkeren Medianverschiebungen der seitlichen Kieferstümpfe ist entweder auf orthopädischem oder chirurgisch-orthopädischem Wege die mediane Dislokation zu be-

a

b

Abb. 26. a, b) Kiefermodelle einer einseitigen Spalte nach zahnärztlicher — brückenprothetischer Versorgung

Operationen an den Kiefern

Abb. 27. a, b, c, d) Mundaufnahme einer doppelseitigen Spalte mit teleskop-prothetischer Versorgung

heben. Sagittale und vertikale Dislokationen müssen entweder chirurgisch behoben werden, oder es wird eine teleskop-prothetische Versorgung vorgenommen (Abb. 27b—d). Das chirurgische Vorgehen gestaltet sich folgendermaßen: Es wird eine beidseitige horizontale Oberkiefer-Osteotomie durchgeführt, die seitlichen Stümpfe ausgeschwenkt (Abb. 28a—c) und wenn nötig der ganze Oberkiefer nach vorne, bzw. vorne und unten, verlagert ( S C H M I D , R O W E , O B W E G E S E R υ. a.). Sur Sicherung des Behandlungserfolges und zur Stabilisierung der Stümpfe und des Zwischenkiefers wird ein Knochentransplantat im Bereich des Spaltes eingekeilt. Bei gleichzeitig notwendiger Abwärtsverlagerung der Oberkieferfragmente werden in den sich bildenden breiten Osteotomiespalt Knochenspäne eingekeilt. Den Osteotomiespalt legen wir je nach Notwendigkeit höher oder tiefer an. Ist lediglich der Zahnbogen, die Oberlippe und die Nasenbasis vorzuverlagern, verläuft der Schnitt entsprechend dem Frakturtyp L E F O R T I (Abb. 29). Ist jedoch die Infraorbitalund Wangenregion zurückliegend, verläuft der Osteotomiespalt unter Einbeziehung der Infraorbitalgegend, also im Sinne einer Fraktur L E F O R T II, allerdings besteht der Unterschied, daß die mediane Osteotomie nicht durch die Nasenwurzelgegend verläuft, da dieselbe beim Spaltträger fast nie zurückliegt, dagegen durch die processus frontales des Oberkiefers, wie bei der Frakturart nach W A S S M U N D (Abb. 3 0 ) . Im Bereich des Nasenseptums lassen wir in Fällen, in denen eine Nasenspitzenhebung nötig ist, die Osteotomie durch das knorpelige Septum ziehen, so daß der Großteil der knorpeligen Nasenscheidewand und das knorpelige Gerüst im unteren zu verschiebenden Fragment verbleibt (Abb. 3 1 ) . Die Osteotomie im Sinne L E F O R T I I I , wie sie von T E S S I E R , CON-

32 I 8

0 . NKUNKR, Operationen bei Spaltträgern im. Erwachsenenalter

Abb. 28. a, b, c) Modelle einer doppelseitigen Spalte vor und nach chirurgischer Ausschwenkung

a. zur Behebung der dish-face deformity oder bei Hyperteleorismus empfohlen wird, haben wir bisher bei Spaltträgern nur in einem Falle durchführen müssen und auch dabei die mediane Schnittführung nicht durch die Nasenwurzel, sondern durch die processus frontales gelegt. Manchmal ist es ζ. B. bei Teil- oder Unbezahnten notwendig, aus präprothetischen Gründen entweder den Alveolarfortsatz zu erhöhen, oder das Vestibulum oris zu vertiefen. Diese ersten, sogenannten absoluten Alveolar kammplastiken, führen wir im allgemeinen durch Transplantation eines vom unteren Kinnrand gewonnenen Knochenstückchens durch (siehe S. 37—39). Einige Monate nach diesem Eingriff muß jedoch immer eine vestibuläre Kammplastik durchgeführt werden. Diese sogenannten relativen Alveolarkammerhöhungen sind manchmal aus präprothetischen Gründen auch ohne Knochenimplantation nötig. Dazu wird eine mit T H I E R S C H - oder Spalthaut ausgekleidete Mundvorhoftasche gebildet, wie es auch sonst in der Kieferchirurgie aus präprothetischen Gründen üblich ist. Die Beweglichkeit der Lippen kann nach diesen Hauttransplantationen oft wesentlich verbessert werden. V E R S E , O B W E G E S E R U.

Häufig kommt es infolge der Oberkiefer-Atrophie zu einer kompensatorischen Hypertrophie des Unterkiefers und der Unterlippe, also zu einem progenen Erscheinungsbild. Ergibt nun die Schädel-, Gesichts- und Profilanalyse, daß eine Verkleinerung des überentwickelten Unterkiefers zusätzlich zur Behandlung im Oberkiefer zweckmäßig wäre, dann muß eine Progenieoperation durchgeführt (Abb. 30) und evtl. die Lippe operativ verkleinert werden. Häufiger aber wird es genügen, lediglich den Unterkiefer in eeiner Höhe zu kürzen. Dieser relativ einfache Eingriff gibt uns die Möglichkeit zur Gewinnung

a

Abb.

29.

a, b) Schema der Oberkieferosteotomie nach

H a n d b . Plast. Chir., Bd. I I

b

L E FORT I (AXHAUSEN)

; c, d) dazugehöriger Fall 174

34 I 8

0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

8 | 35

Operationen an den Kiefern

e

f

Abb. 30. e, f) Fall, Zustand nach 1. Operation (OK + U K — Osteotomie). Zusätzliche Lippenkorrektur vorgesehen

eines Knochenspans für den Aufbau des atrophischen Oberkiefers, ohne denselben vom Beckenkamm entnehmen zu müssen. Bei fehlenden Frontzähnen oder bei völliger Zahnlosigkeit wird der vom Kinnrand abgetragene Knochen direkt auf den Restalveolarfortsatz des Oberkiefers aufgesetzt ( N E U N E R ) (Abb. 32). Nach Einheilung des Transplantates wird eine vestibuläre Kammplastik durchgeführt und der Patient prothetiseh versorgt. Dieses Vorgehen hat uns sehr befriedigt, da wir mit der Knochenentnahme vom Kinn einserseits die X)berentwicklung des Unterkiefers beheben können, und andererseits einen Transplantatknochen zur Verfügung haben, der in Form und Krümmung dem Oberkieferzahnbogen weitgehend entspricht und nicht mehr viel modelliert werden muß. Die Knochenabtragung wird manchmal etwas problematisch, wenn ein ausgeprägter submentaler Fettkörper vorliegt. Es muß dann der Fettkörper exzidiert werden, was wir, wie sämtliche Eingriffe am Kinn, von intraoral, von einem im unteren Vestibulum gelegten Schnitt aus vornehmen (Abb. 33). In gewissen Fällen liegt das Kinn etwas zurück, so daß eine Prominenzerhöhung durch Vorverlagerung des einfach abgetrennten Kinnrandes ( H O F E R , C O N V E R S E , O B W E G E S E R ) indiziert ist. Manchmal muß sogar die doppelterrassenförmige Vorverschiebung ( N E U N E R ) durchgeführt werden. Auch diese Eingriffe werden nur intraoral vorgenommen. Grundsätzlich werden also alle reduzierenden und aufbauenden Kinnkorrekturen immer nur intraoral durchgeführt. Eine Fehlinterpretation in dem Sinne, daß bei der von uns verwendeten Methode der doppelstufenförmigen Vorverschiebung des Unterkieferrandes von extraoral operiert werde ( K Ö L E , Ästhetische Operationen im Mund- und Kieferbereich, Bd. I I ) , soll damit richtiggestellt werden. 174*

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0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Abb. 31. a, b) Schema der modifizierten Oberkieferosteotomie unter Einbeziehung der knorpeligen Nase (NEUNER); C, d) Fall: Zustand nach der 1. Operation: OK + U K — Osteotomie und Kinnabtragung ;

Operationen an den Kiefern

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Abb. 32. Oberkieferaufbau durch Transplantation der abgetragenen Unterkieferspange, a, b) Operationsphoto (NEUNER)

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Ο. N E U N E R , Operationen bei Spaltträgern im Envachscncnaltor

:nen Unterkieferspange, c—f) Fall

Operationen an den Kiefern

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Abb. :i2. Oberkieferaufbau durch Transplantation dor abgetragenen Unterkieferspange. g—h) Röntgenbilder

a Abb. 33. a) Entfernung des submentalen Fettpolsters von intraoral im Zuge der knöchernen Kinnkorrektur mit gleichzeitige!· Operation des „Offenen B i s s "

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0 . NEUNER.,

Operationen bei Spaltträgem im Erwachsenenalter

Abb. 33. b, c) Fall; d, e) Röntgenbilder

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Operationen an den Kiefern

c

d

Abb. 34. Patientin mit einseitiger Spalte vor und nach Korrektur (Nasen-, Lippenweiß- und Lippenrotkorrektur, sowie Philtrumkonstruktion)

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0 . N e u s e s , Operationen bei Spalt-trägem im Erwachsenen;!Itei

Abb. 35. Doppelseitige Spalte vor und nach Korrektur (Nasen-, Lippenweiß- und Lippeiii'otkorrcktur. Philtrumkonstruktion sowie brüekenprothetiseher Versorgung

Operationen am harten Gaumen

8 | 43

Neben diesen, dem Relationsausgleich dienenden Operationen im Unterkieferrand sind manchmal Korrekturen am Unterkieferkörper im Sinne einer Progenie- oder OffenenBiß-Operation notwendig (Abb. 30, 31, 33). Oft muß sowohl im Oberkiefer wie im Unterkiefer operiert werden, um das bestmöglichste ästhetische und funktionelle Ergebnis zu erzielen. E s kann in diesem Zusammenhang nicht auf diese Operationen eingegangen werden, da bereits in diesem Handbuch an anderer Stelle darüber berichtet wurde (vgl. K Ö L E , Ästhetische Operationen im Mund- und Kieferbereich, Bd. I I ) . Zur Illustration der obigen Ausführungen werden in den Abb. 34 und 35 zwei vollkommen abgeschlossene Fälle gezeigt.

5. Operationen am harten Gaumen Auf die Möglichkeiten und Vorteile der knöchernen Verriegelung des Spaltes wurde zuerst von S C H M I D und später von S C H R U D D E und S T E L L M A C H sowie von J O H A N S O N und O H L S S O N und in letzter Zeit von verschiedenen Chirurgen hingewiesen. Von W I D M A I E R stammt ein zweckmäßiger Vorschlag zur Nasenbodenbildung und Einkeilung des Transplantates. Nach entsprechender Einheilung erfolgt die platten- oder brückenprothetische Versorgung. Bei hochgradiger Median Verlagerung erscheint uns allerdings eine teleskopprothetische Versorgung manchmal günstiger und risikoloser. a ) Reoperation und Restlochverschluß Für die Knochentransplantation, die wir ( N E U N E R ) ebenso wie S C H M I D nicht nur im Bereich des Alveolarbogens, sondern auch am harten Gaumen vornehmen, ist der Verschluß von bestehenden Gaumenrestfisteln Voraussetzung. Große Gaumenlöcher können oft noch durch Schleimhautlappen aus der näheren Umgebung gedeckt werden. Manchmal ist allerdings eine komplette Reoperation nötig. Wenn nicht genügend Deckungsmaterial aas der näheren Umgebung gewonnen werden kann, müssen Fernlappen dazu verwendet wer-

Abb. 36. Lappenführung zum Verschluß großer Gaumenperforationen (nach NEUNER)

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0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

den. Zum Verschluß großer Gaumendefekte, die nicht mehr aus der direkten Umgebung gedeckt werden können, verwenden wir einen drei- bis vierzeitigen Eingriff, bei dem ein zerviko-fazialer Lappen durch die obere Zervikal-Gegend hinter und medial des aufsteigenden Unterkieferastes in die Mundhöhle geführt wird (NEUNER) (Abb. 36). Durch diesen rückwärtigen transkutanen Zugang wird die Kaufunktion nicht gestört und die Sprachfunktion nicht wesentlich beeinträchtigt. Kleine Restfisteln lassen sich erfolgreich mit dreischichtigen Compositgrafts aus der Ohrmuschel verschließen (SCHMID). Näheres zu diesem Thema vgl. GABKA, Versorgung fetaler Spaltbildungen, Bd. I I . b) Knochentransplantation zur Stumpfstabilisierung Bei fehlenden Frontzähnen und Zahnlosigkeit soll ebenfalls der Kiefer- und Gaumenspalt knöchern überbrückt werden, um ein belastbares Prothesenlager zu erhalten. Hier verwenden wir ebenfalls vorwiegend Knochenspäne, die bei einer eventuell notwendigen Kinnabtragung abfallen. Falls keine Kinnkürzung vorgenommen wird, verwenden wir autoplastische Transplantate aus der Rippe.

6. Operationen am weichen Gaumen Bei vielen Gaumenspaltenpatienten bleibt nach Verschluß der Spalte im harten und weichen Gaumen eine Sprachstörung zurück. Als Ursache dafür wird immer ein zu kurzes und zu wenig bewegliches Velum genannt. Es ist sicher richtig, daß ein allzu kurzes Gaumensegel, insbesondere, wenn dasselbe narbig eingezogen und daher kaum beweglich ist, eine Störung in der koordinierten, fein aufeinander abgestimmten Zusammenarbeit aller der am Sprechakt beteiligten Organe bringt. Trotzdem ist es verwunderlich, wie manche Patienten mit kurzem, wenig beweglichem Velum oft eine gute Sprachbildung beherrschen, während andere mit anatomisch wesentlich besseren Verhältnissen eine ausgesprochene Rhinolalia aperta zeigen. Daraus kann man ersehen, daß die Lautbildung, diese durch Übung erlernte Fähigkeit, das Ergebnnis einer funktionellen Zusammenarbeit aller Sprechorgane ist, und daß ζ. B . bei Hypofunktion eines Gliedes dieser Reihe mitunter so kompensiert werden kann, daß die funktionelle Einheit weitgehend erhalten bleibt. Ziel aller sprach verbessernden chirurgischen Eingriffe muß daher sein, nicht nur rein anatomisch eine Velumverlängerung, sondern einen voll funktionstüchtigen Velopharynxsphinkter zu erreichen. Dann erst besteht die Möglichkeit, durch eine postoperative Spracherziehung den vorliegenden Sprachfehler vollkommen zu beseitigen (vgl. H E R F E R T , Sprachverbessernde Operationen, Bd. II). Die bekannten sprach verbessernden Operationen sind entweder reine Velumverlängerungen, die durch reine Rückverschiebung erreicht werden ( E R N S T , DORRANCE und B R A N S E I E L D U. a.) oder Operationen, die eine Verengung des Velopharynxsphinkters bewirken ( T R A U N E R , H Y N E S ) , bzw. gleichzeitig durch eine Neurotisation der paretischen Velummuskulatur die Aktivität des Sphinkters verbessern ( R O S E N T H A L , SANVENEROR O S S E L L I , H E R F E R T , N Y L E N , SKOOG, ORTICOCHEA U. a . ) .

Nachdem schon an anderer Stelle in diesem Buch ausführlich über diese Operationen berichtet wurde (vgl. H E R F E R T , Sprachverbessernde Operationen, Bd. I I ) verweisen wir diesbezüglich auf diesen Abschnitt. Wir möchten in diesem Zusammenhang lediglich einige von uns in den letzten Jahren entwickelte und mit gutem Erfolg angewandte neuartige Techniken besprechen:

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Operationen am weichen Gaumen

a ) Verlängerungs- und Tensor-Plastik

(NEUNER)

Im Prinzip wird dabei aus der seitlichen, beidseits abgelösten Pharynxwand entweder hinter dem Velumrand, bzw. bei vereinigten Gaumenbögen hinter diesen ein neues Gaumengewölbe gebildet, das schräg nach hinten unten verläuft und den Velopharynxring so weit einengt, daß nur eine kleine Restlücke zurückbleibt. Da dieses neugeschaffene Gaumengewölbe hauptsächlich aus muskulären Elementen besteht, resultiert fast unmittelbar nach der Operation eine hochgradige Beweglichkeit des so neugeschaffenen Velopharynxringes. Unser Vorgehen ist folgendes: Nach Anfrischen des rückwärtigen Randes legt man an der Basis des vorhandenen Gaumendaches, also am Übergang von Velum, evtl. Gaumenbogen, in die seitliche Pharynxwand, das ist meist bei vorhandener Tonsille vor derselden vertikal, gewöhnlich eher etwas schräg nach oben-hinten verlaufend, einen etwa 1 — l ^ e m langen Schnitt durch Schleimhaut und seitliche Pharynxmuskulatur. In diesen Schnitt wird nun der Zeigefinger eingeführt und derselbe schräg nach rückwärts unten vorgeschoben (Abb. 37 a). Dabei wird die seitliche Pharynxmuskulatur bis in den Parapharynegalraum und darüber hinaus auch der rückwärtige Pharynxanteil prävertebral tunnelartig kräftig mobilisiert. Die Mobilisation wird beidseits soweit durchgeführt, bis sich die seitlichen Pharynxpartien vollkommen spannungsfrei in der Medianebene berühren. Manchmal kann die Mobilisation der rückwärtigen Pharynxwand von der fascia praevertebralis, besonders bei engen Raum Verhältnissen, mit dem Finger nicht ausgiebig genug durchgeführt werden, so daß besser ein stumpfes Elevatorium hierfür verwendet wird. Bei vorhandenen tief am Pharynx hinten unten inserierenden Gaumenbögen genügt es, den freien Rand bis zur Basis anzufrischen und von diesem Schnitt aus die Mobilisation vorzunehmen, ohne daß die oben erwähnte schräge Inzision angelegt wird. Über dem in die Schleimhauttasche eingeführten Zeigefinger wird bogenförmig an der Inzisionsstelle beginnend schräg nach rückwärts unten eingeschnitten, jedoch die Muskulatur nicht vollkommen durchtrennt (Abb. 37 b). Die Richtung des Schnittes ist wesentlich für die spätere Formgebung des neuen Gaumendaches. Die einzelnen Schnittränder werden nun schichtweise vernäht. Das nasale Blatt wird durch Vereinigung der oberen Schnittränder der schräg am seitlichen Pharynx nach rückwärts unten geführten Inzisionen in der Medianebene und anschließender Vernähung mit dem nasalen Velumblatt gebildet. Nun folgt die Vereinigung der Muskulatur mit Katgut, wobei wir zusätzlich immer zwei tief umgreifende Muskelentspannungsnähte legen. Dann erfolgt die Naht der noch verbleibenden Wundränder und somit die Bildung des oralen Blattes. Nach dem Nahtverschluß verbleiben keine freien Wundflächen (Abb. 37c). Das in der Mittellinie verbleibende Restloch zwischen Epi- und Mesopharynx ist bei Abschluß der Operation noch ungefähr fingerdick (Abb. 37d). Die Muskulatur ist einige Tage nach der Operation voll funktionstüchtig, so daß eine gute Beweglichkeit, in vielen Fällen sogar ein voll aktiver Verschluß des so neugeschaffenen Velopharynxringes zu beobachten ist. Diese für den Erfolg äußerst wichtige Tatsache erklären wir uns damit, daß bei diesem Vorgehen die bei LKG-Patienten meist bestehende hochaktive seitliche Pharynxmuskulatur nicht vollständig durchtrennt, sondern nur etwas eingeschnitten wird. In der Folgezeit wirkt sich die Narbenbildung noch eher günstig aus, da es im Gegensatz zu den meisten Velopharynxplastikmethoden normalerweise eher zu einer Verengung des Muskelringes kommt. Mit dieser Plastik erreichen wir immer eine Verlängerung des Velums, sowie einen funktionstüchtigen Velopharynxring, besonders, was die Funktion des M. tensor veli palatini betrifft (Abb. 3 7 e , f , g). Die Möglichkeit des Höhertretens des Velums, durch den M. levator veli ausgelöst, hängt weitgehend von der früheren, vor der Operation bestände-

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Ο. NEUSER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

MM

Abb. 37. Verlängerungs-und Tensorplastik (NEUNER); a, b, c) Schema; d) Operationsphoto; e) Velopharynxring vor Operation; f) nach der Operation; g) bei Tensorfunktion

Operationen a m weichen G a u m e n

8 | 47

nen Funktionsfähigkeit dieses Muskels ab. Bei fehlender oder sehr schwach ausgebildeter Levatorfunktion haben wir unsere Methode noch dahingehend erweitert, daß durch Transposition einer Muskelschlinge aus den beiden M. pteryg. medialis entweder im gleichen Operationsakt oder in einem eventuell späteren Eingriff die Levatorfunktion verbessert wird. b) Levator-PIastik (NEUNER) Von der seitlichen Inzisionsstelle aus wird der M. pteryg. medialis aufgesucht u n d stumpf bis in die Gegend des Kieferwinkels freigelegt (Abb. 38 a). Ein etwa 1 cm breites Muskelstück wird vom unteren Ansatz abgelöst und nach vorsichtiger Mobilisation gestielt nach oben geschlagen (Abb. 38b, d). Nach Abschluß der nasalen N a h t werden die beiden Muskelenden zu einer Schlinge vernäht und darüber die orale Schleimhautschicht verschlossen. Wird die Levatorplastik als eigener Eingriff vorgenommen, m u ß durch Mobilisation der Schleimhautblätter im Velum mit einer Schere ein entsprechender Gewebstunnel zur Einlagerung des Muskellappens geschaffen werden (Abb. 38c). Schon nach kurzer Zeit (etwa 2—4 Wochen) stellt sich nach der Operation bereits eine ausgezeichnete Levatorfunktion ein (Abb. 38e—h). Obwohl bei einem Großteil der Patienten nach dieser Velopharynxplastik, sei es mit oder ohne gleichzeitiger Levatorplastik, eine einwandfreie, zumindest rhinolalie-freie Sprache erreicht werden kann, beobachteten wir immer wieder Fälle, bei denen wohl postoperativ eine wesentliche Sprach Verbesserung eingetreten war, jedoch im Laufe der Zeit sich eine leichte Verschlechterung wieder einstellte. Da uns dieser Umstand nicht voll befriedigte, versuchten wir, durch genaue Vergleichs- und Funktionsanalysen hier weiterzukommen. Wir konnten feststellen, daß in allen Fällen eine Verlängerung des Gaumens erreicht worden war und eine gute Funktion des Velopharynxringes vorlag, jedoch die Konfiguration des Velums sich von der bei den übrigen Patienten mit guter Sprache dahingehend unterschied, daß 1. der rückwärtige Velumrand (Arcus palato-pharyngicus) sehr dünn, u n d 2. der vordere Anteil des Arcus palato-glossus nicht ausgebildet bzw. starr und narbig waren. Es scheinen also die Massivität des neuen Velumrandes einerseits, sowie die F o r m und Funktion der vorderen Gaumenbögen andererseits eine wichtige Rolle bei der Sprachbildung zu spielen. Unmittelbar nach der Operation waren diese beiden Umstände wohl infolge des Auftretens des postoperativen Ödems nicht in Erscheinung getreten.

c) Arcus palato-pharyngicus-PIastik (NEUNER) Zur Ausschaltung des ersten Umstandes haben wir den Velumrand durch submuköse Mobilisation, Raffung und Fixierung der beiden Schleimhautblätter durch Matratzennähte etwas voluminöser gestaltet. Es kann dies gleichzeitig bei der ersten Velopharynxplastik durchgeführt werden, oder als eigener Eingriff. Wird es gleichzeitig mit der ersten Operation durchgeführt, wird die Originalschnittführung folgendermaßen abgeändert: Die Inzision zur Mobilisation der seitlichen Pharynxwände wird V-förmig palatinal beidseits ungefähr 1—2 cm vom rückwärtigen Velumrand entfernt angelegt (Abb. 39a). Zur Mobilisation der seitlichen Pharynxwände wird ein Elevatorium verwendet. Anschließend werden die beiden Schleimhautblätter submukös ausgiebig voneinander mobilisiert, nach median geschoben und durch Matratzennähte a m Umbiegeteil wulstartig gestaltet (Abb. 39b—d). Der Velumrand wird nur retrouvulär auf eine kleine Distanz beidseits aufgespalten, soweit eben die Dorsalverlängerung möglich ist, bzw. dies erfordert (Abb. 39a). Die seitlichen Inzisionsstellen werden postoperativ für 14 Tage austamponiert,

Operationen am weichen Gaumen

f g Abb. 39. Arcus palato-pharyngicus-Plastik (NEUNER): a, b, c) Schema; d) Operationsphoto; e) Velopharynxring nach Operation; f) Velopharynxring nach Operation bei Tensorfunktion; g) bei Levatorfunktion

H a n d b . Plast. C'hir., Bd. I I

175

50 I 8

0 . NEUNER, Operationen bei Spaltträgern im Erwachsenenalter

Operationen am weichen Gaumen

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A b b . 40. Arcus palato-glossus-Plastik (NEUNER):

a, b, c) Schema; d, e, f) Operationsphoto; g) Velopharynxring vor Operation; h) Velopharynxring nach Operation; i) Velopharynxring nach Operation bei Tensorfunktion; j) Velopharynxring nach Operation bei Levatorfunktion

so daß sich das oft schwierige Anlegen der Muskelentspannungsnähte erübrigt. Abb. 39 e—g zeigen ein Velum nach der Operation, sowie bei den verschiedenen Bewegungen. d) Arcus palato-glossus-Plastik

(NEUNER)

Der Umstand 2, das Vorliegen eines atrophischen Palato-glossus-Bogens wird durch Transposition von gestielten Schleimhautmuskellappen aus den seitlichen Zungenanteilen ausgeschaltet (Abb. 40a, d). Der Entnahmedefekt an der Zunge kann primär vernäht werden. Die gestielten Zungenlappen (Abb. 40b, e) werden quer in die Inzision am Arcus palato-glossus eingenäht (Abb. 40c, f). Dadurch kann der dahinterliegende Anteil noch weiter nach dorsal geschoben werden, und andererseits resultiert durch die Muskeltransposition eine hochgradige Beweglichkeit des Gaumenbogens (Abb. 40g—j). Dieser Eingriff kann evtl. zusammen mit der Velopharynxplastik vorgenommen werden. Im allgemeinen ziehen wir es jedoch vor, diese Plastik im Bereich des Arcus palato-glossus als alleinige Operation vorzunehmen. Mit diesen hier angeführten plastischen Operationen ist es uns in jedem Fall gelungen, eine Funktionsverbesserung des Velopharynxringes zu erreichen und somit bei sämtlichen Patienten eine wesentliche Sprach Verbesserung zu erzielen. Die Indikation für diesen oder jenen Eingriff hängt von der jeweils vorliegenden Störung ab, und es muß in manchen Fällen eine Zweitoperation angeschlossen werden, um den bestmöglichen Erfolg zu erzielen. Trotz aller dieser operativen Möglichkeiten ist oftmals erst die postoperative logopädische Behandlung imstande, die langjährig angewöhnten Sprachfehler vollkommen auszumerzen. 175 :

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HANDBUCH D E R P L A S T I S C H E N

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHBBANDT · J . GABKA · A .

BAND I I

BERNDORFER

S P E Z I E L L E PLASTISCHE CHIRURGIE

9. Sprachverbessernde Operationen nach funktionell unbefriedigender Gaumenplastik und Tonsillektomie OSKAR HERFERT,

Inhaltsübersicht

I. Einleitung

1

I I . Stimmbildung und Lautbildung . . . .

3

I I I . Anatomie des Rachenraumes und des Velums

4

IV. „Über die Verschließung des Schlundes beim Sprechen"

7

V. Methodik und Technik der sprachverbessernden Operationen

12

VI. Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

14

A. Rachenverengende Operationen ohne Wulstbildung, ohne Lappenbildung und ohne Lappenüberbrückung . . 1. Rachenverengende Operation nach P A S S AVANT

15 15

2. Gaumenplastik nach E R N S T . . 3. Rücklagerungsoperation (Pushback operation) nach D O R R A N C E , LIMBERG u. a

16

17

Β. Rachenverengende Operationen mit Wulstbildung an der hinteren Rachenwand jedoch ohne Überbrückung

Anschrift des

Mainz

1. Durch Implantation von Fremdkörpermaterial a) Paraffininjektion ( E C K S T E I N ) . b) Kunststoffimplantation (BLOCKSMA)

C. Rachenverengende Operationen durch Überbrückung 1. Direkte Überbrückung a) Nach PASSAVANT und T R A U N E R b) Nach R E T H Y 2. Indirekte Überbrückung durch Stiellappen aus der Rachenwand. a) Nach S C H Ö N B O R N - R O S E N T H A L

18

Literatur

Verfassers:

Prof. Dr. Dr. med. Oskar Herfert Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Mainz, Saarstr. 19

Kieferkrankheiten

SANVENERO-ROSSELLI

18 18

2. Durch Implantation von körpereigenem Material a) Fett (v. GAZA) b) Knorpel ( H A G E R T Y ) 3. Durch ortsständige Lappenbildung und Lappenverschiebung . . . . a) Nach PASSAVANT b) Nach H Y N E S c) Nach M Ü N D N I C H

b) Nach

18

.

19 19 19

20 20 20 21

22 22 22 24

24 24 31

35

9. Sprachverbessernde Operationen nach funktionell unbefriedigender Gaumenplastik und Tonsillektomie OSKAR H E R F E R T ,

Mainz

I. Einleitung Ziel jeder Therapie bei einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist die Herstellung der durch die Spaltbildung gestörten Funktionen des Gesichts-Kieferapparates. Diese sind: 1. Die Normmaße des Mittelgesichts. Die Störung der Normmaße des Mittelgesichts (Oberüppe und Nase) bei einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte kann heute bei Anwendung der modernen Operationsmethoden der Lippen- und Nasenplastik auch bei hohen Ansprüchen praktisch immer behoben werden. 2. Die Funktion der Nase. Die gestörten Funktionen der Nase — optimales Riechen, Entstaubung, Entkeimung, Anwärmung und Anfeuchtung der Atemluft — können völlig normalisiert werden, wenn es gelingt, Mund- und Nasenhöhle durch operativen Verschluß der Spalte von der Lippe über den Alveolarfortsatz, den Gaumen bis zur Uvula hin lückenlos voneinander zu trennen, so daß wie beim Nichtmißbildeten eine Verbindung zwischen Mund- und Nasenhöhle nur über den mittleren-oberen Rachenraum möglich ist. Bei den einseitigen Spalten kommt es durch Schiefstand des Septums oft zur Verengung der Nase auf der nichtgespaltenen Seite. Die entsprechende nasenärztliche Operation in nicht zu frühem Lebensalter stellt die Luftdurchgängigkeit der Nase her. 3. Die Kaufunktion. Eine wesentliche Störung der Kaufunktion infolge Mißbildung des Oberkiefers und damit Inkongruenz von Ober- und Unterkiefer kann durch Wahl eines günstigen Operationstermines, durch gewebeschonende Lippen- und Gaumenspaltoperation weitestgehend vermieden, restierende Schäden können durch die modernen Methoden der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde insbesondere durch kieferorthopädische und prothetische Behandlung behoben werden. 4. Die Sprachfunktion. Die schwerwiegendste Störung bei Vorliegen einer LippenKiefer-Gaumenspalte ist in der Störung der Sprachfunktion zu erblicken. Lispeln (Sigmatismen), andere vielfältige Artikulationsstörungen, meist mit zentripetaler Laut Verlagerung, und vor allem offenes Näseln (Rhinolalia aperta) sind die pathologischen Hauptcharakteristika der Sprache bei Trägern einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Erst die vollkommene Sprache befähigt ja den modernen Menschen, sich sozial voll zu entwickeln, an den Errungenschaften von Kultur und Zivilisation uneingeschränkt teilzunehmen und in persönlicher direkter Kommunikation Reaktionsabläufe der Psyche und des Verstandes dem Anderen zu vermitteln und damit uneingeschränkt schöpferisch tätig zu sein. Die Sprache ist wohl als eine der edelsten der erworbenen Fähigkeiten des heutigen Menschen anzusehen. Zu erwähnen sind auch Störungen der Hörfähigkeit, die dadurch bedingt sind, daß Spaltträger im Säuglingsalter häufiger Erkrankungen des Mittelohres durchmachen als es bei Nichtmißbildeten der Fall ist ( L O R E N Z , M A S T E R S , S P R I E S T E R S B A C H ) . Die Wichtigkeit otologischer Therapie beim Spaltträger sei ausdrücklich betont. Handb. Plast. Chir., Bd. II

1

Ο. HERFEET, Sprach verbessernde Operationen

Wie schon oben angedeutet, besteht die auffälligste Störung der Sprache beim Träger einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in einer das ganze Sprachbild beherrschenden pathologischen Nasalität, also in einer Störung der Klangqualität von geringem bis zu stärkstem Grade, so daß in nicht wenigen Fällen die Sprache völlig verwaschen klingt und fast unverständlich wird (vgl. GUTZMANN). Bei intensiver Beschäftigung mit der Chirurgie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten muß man feststellen, daß es heute auf Grund moderner Methodik u n d ausgefeilter Technik ohne Schwierigkeit möglich ist, eine Gaumenspalte, sei es in einer Operation, sei es in zwei Operationsabschnitten (zweizeitige Gaumenspaltoperation nach S C H W E C K E N D I E K ) , lückenlos bis zur Uvula zu verschließen. Das operativ-technische Problem der Gaumenspaltoperation kann praktisch als gelöst gelten. Nicht befriedigend ist in einem bemerkenswerten Prozentsatz der operierten Fälle jedoch immer noch das sprachfunktionelle Ergebnis nach Gaumenspalt-Operationen, was dadurch bedingt ist, daß der Verschluß des mittleren Rachenraumes zum Epipharynx u n d zur Nase hin beim Anlauten nur ungenügend ist und damit die Sprache ihre fatale Nasalität beibehält ( A X H A U S E N , C O X und S I L V E R S T E I N , G A B K A , G L O V E R , R E I D Y , R O S E N T H A L , SULLIVAN U. a.). So ergibt sich die Notwendigkeit, auch nach anatomisch gelungener Gaumenspaltoperation weitere therapeutische Maßnahmen zu treffen, die ein schlechtes sprachfunktionelles Ergebnis noch zu bessern vermögen. Hier spielt zunächst die sprach-therapeutische Erziehung über eine längere Zeit durch einen speziell auf die Gaumenspaltsprache eingestellten Logopäden eine besondere Rolle (DAU, D O U B E C K , G A B K A , GUTZMANN, L U C H S I N G E R U. A R N O L D ,

MORLEY, NYLEN,

ROSENTHAL,

T R E N S C H E L , W U L F F U. a . ) .

Ist das Velum nach erfolgter Operation in Ruhelage noch zu gespannt und damit bei Innervation zu unbeweglich, so k a n n durch passive Dehnung (AXHAUSEN), durch Anwendung eines funktionellen Velumdehners (GÖTTE) und auch durch digitale Dehnung und Massage des Velums eine Besserung der Velumbeweglichkeit mit entsprechender Besserung der Sprache im Sinne der Verminderung der Nasalität erreicht werden. Führen diese Maßnahmen nicht zur Beseitigung der pathologischen Nasalität, so könnte die früher übliche primäre Behandlung von Gaumenspalten mit Obturatoren natürlich auch nach funktionell unbefriedigender Gaumenplastik zum Zwecke der Sprachverbesserung zur Anwendung kommen ( B E D E R , C O O P E R , H A R K I N S , L I M O L I , M A Z A H E R I , O L I N GER, PALMER,

SCHALIT).

Es muß jedoch gerade von Seiten des Fachgebietes der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ausdrücklich festgestellt werden, daß die Anwendung des Obturators in der Spalttherapie heute prinzipiell nicht mehr angezeigt ist. Ausnahmen bilden die seltenen Fälle, bei denen der Patient die Operation verweigert. Restspalten nach mehrmaliger mißglückter Spaltoperation mit rigiden, vernarbten Gaumenweichteilen, die früher auch die Indikation f ü r die Anwendung des Obturators abgaben, sollten nicht mehr vorkommen und kommen auch bei geübten Operateuren nicht mehr vor. Der Obturator zur Sprachverbesserung bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ist abzulehnen. E r alteriert als körperfremder Ersatz den schon wegen seiner Mißbildung gehemmten Patienten vom Psychischen her und ruiniert darüber hinaus die Zähne des Oberkiefers bis zum völligen Verlust der Zähne in frühem Lebensalter. Eine chronische Pharyngitis ist bei Tragen eines Obturators unausbleiblich; damit wird auch den Erkrankungen des Mittelohres, denen Spaltträger sowieso in starkem Maße ausgesetzt sind, weiter Vorschub geleistet ( L O R E N Z , M A S T E R S , S P R I E S T E R S B A C H ) . Die Therapie nach sprachfunktionell unbefriedigender Gaumenplastik zum Zwecke endgültiger Sprachverbesserung kann heute ebenso wie die Therapie der Spaltbildungen überhaupt nur eine operative sein. Temporäre Obturatoren können aber durchaus Verwendung finden ( S C H W E C K E N D I E K ) .

Stimmbildung und Lautbildung

Ehe auf die mannigfachen Vorschläge operativer Sprachverbesserung eingegangen werden kann, sind kurze Bemerkungen über Stimmbildung und Lautbildung und eine Darlegung der Anatomie und Funktion des Schiundkopfes und des weichen Gaumens notwendig; diese Kenntnisse sind unerläßlich, damit der Operateur diese oder jene Methode einer sprachverbessernden Operation beim einzelnen Fall elektiv zur Anwendung bringen kann.

II. Stimmbildung und Lautbildung Bei der Sprache müssen wir zwischen Stimmbildung und Lautbildung unterscheiden. Die Stimmlippen des Kehlkopfes, deren Spannung je nach motorischer Innervation variabel ist, geben beim Anblasen durch den aus dem Bronchial-Tracheal-Baum austretenden Luftstrom einen in Höhe und Stärke veränderlichen Ton (mit seinen Obertönen). Dieser Ton oder diese Stimme ist die Basis jeder Lautbildung. Ein Laut kommt dann durch Resonanz der Stimme in dem dem Kehlkopf aufsitzenden Ansatzrohr zustande, wobei wir unter Ansatzrohr den gesamten Pharynx, die Mundhöhle und die Nasenhöhle mit ihren Nebenhöhlen zu verstehen haben. Die große Variabilität der Größe und Form dieses Systems von Hohlräumen, insbesondere die Formveränderlichkeit der Mundhöhle, befähigt uns zur Bildung der verschiedensten Laute (Vokale und Konsonanten), wodurch uns überhaupt erst die Möglichkeit der Sprachbildung gegeben ist. Jede Störung, die im anatomischen Aufbau oder in der Funktion der Gewebe des Stimm- und Resonanzapparates auftritt, wird Stimm- und Sprachstörungen zur Folge haben. In groben Zügen stellen die Knochen des Gesichtsschädels die Umgrenzung dieser Höhlen dar. Die Weichteile, insbesondere die Muskulatur (und zwar die mimische Muskulatur, die Zunge, die Lippen, der Mundboden, das Velum, die gesamte Pharynxmuskulatur und auch die Weichteilbedeckung der Nasenwände und der Nasenmuscheln) schließen die Resonanzräume ab, kleiden sie aus und runden sie auch ab und machen sie so optimal resonanzfähig. Für die mannigfachen Form- und Größenveränderungen des Ansatzrohres sind vor allem die Lippen, die Wangen, die Zunge, das Velum und der Unterkiefer in seiner vielfältigen Beweglichkeit verantwortlich. Bei den sprachverbessernden Operationen spielt die Funktion von Velum- und Rachenmuskulatur eine besondere Rolle. Sie hat die Aufgabe, in blitzschnellem Wechsel die Nasenhöhle mit dem oberen Pharynx einerseits von der Mundhöhle mit dem mittleren-unteren Pharynx andererseits zu trennen bzw. die getrennten Räume bei Erschlaffung dieser Muskulatur wieder zur Kommunikation zu bringen. Bei fast allen Lauten ist diese Sperre vollständig; der Nasenraum wird damit als Schwingungsraum in die Lautbildung nicht einbezogen und die Laute bleiben frei von jedem nasalen Beiklang. Nur die Laute m, n, und η = ng erfordern einen freien Luftabstrom durch die Nase; der Nasenraum wird dadurch, daß das Velum erschlafft bleibt, in den Resonanzraum einbezogen und die Laute m, η und η = ng klingen somit nasal (physiologische Nasalität). Ist der Abschlußmechanismus zwischen dem mittleren und dem oberen Pharynx aus irgend einem Grunde (Gaumenspalte, erworbener Defekt im Bereich des Gaumens, Zustand nach Gaumenplastik, Gaumensegellähmung nach Diphtherie, Nervensystemerkrankungen, Narbenadhärenz der seitlichen Pharynxwände nach eingreifender Tonsillektomie oder auch bei psychischen und Intelligenz-Defekten) nicht intakt, besteht also eine velo-pharyngeale Insuffizienz, so ist dem gesamten Sprachbild ein nasaler Beiklang eigen und wir sprechen von einer pathologischen Nasalität. Durch dieses pathologische Näseln wird im Klangbild vor allem die Klangqualität der Vokale entstellt und man hat sich daran gewöhnt, da ja eine oberflächliche Prüfung durch Sprechen von Testworten leicht durchführbar ist, die Minderung des pathologischen Näseins nach Gaumenplastiken und sprachverbessernden Operationen als Erfolgskriterium für 1*

0 . HERFERT, Sprachverbessernde Operationen

die stattgehabte Operation zu verwerten. So mag es zu erklären sein, daß man der schallverändernden Artikulation (Vokale 1 und m, η, η = ng) im Rahmen der velopharyngeal Insuffizienz eine zu große Bedeutung zugemessen hat und die dabei auftretenden Störungen bei der geräuschbildenden Artikulation (alle übrigen Laute außer h) in ihrer Bedeutung für die Sprache vernachlässigt hat. Laute, die auf der Bildung eines Geräusches basieren, wie Explosivlaute und Reibelaute, entstehen ja dadurch, daß der Luftstrom zunächst unter Erhöhung des Binnendruckes durch Verschluß an bestimmter Stelle (ζ. BLippen, Gaumen, Pharynx) gestaut und dann plötzlich freigegeben wird ([p], [t], [k], [b], [d], [g]) oder auch dadurch, daß unter Einengung der Passage der Luftstrom ebenfalls unter Erhöhung des Binnendruckes beschleunigt durch die gebildete Enge geblasen wird (Friktivae und Affrikaten, also [s], [z], [ß] = sch, [ts], [9] = ch wie in „Ich", [x] = ch wie in ,,Ach", [f], [pf]). ( L U C H S I N G E R u. A R N O L D , M O R L E Y , G R I M M U. Mitarb.). Die Suffizienz des velo-pharyngealen Verschlusses mit der Möglichkeit der Steigerung des Binnendruckes ist also eine unabdingbare Voraussetzung für eine exakte Geräuschlautbildung. Ist dieser Mechanismus gestört, so kommt es unter Entweichen der Luft über die Nasenpassage nur zur Bildung von Rudimenten der angestrebten Geräuschlaute, zu pathologischen Ersatzlauten. Darüber hinaus wird die Geräuschlautbildung nach hinten-unten, also in den Hypopharynx und sogar in den Larynx verlagert („zentripetale Artikulationsverlagerung" s. L U C H S I N G E R U. A R N O L D ) . Bei der velo-pharyngealen Insuffizienz ist also die gesamte Lautbildung gestört. Ziel der sprachverbessernden Operation ist es, durch Herstellung eines funktionell normalen Velum-Rachenverschlusses die Voraussetzung für eine normale Lautbildung in den vorgesehenen Resonanzräumen und an den natürlichen Artikulationsstellen zu schaffen. Es ist leicht einzusehen, daß erst eine systematische, sehr fachkundige und langdauernde nachoperative Sprachtherapie das Endziel einer normalen Sprachbildung beim Spaltträger erreichen kann. (CALNAN, L U C H S I N G E R U. A R N O L D , M O R L E Y , N Y L E N , T R E N S C H E L , W U L F F , u. a.)

III. Anatomie des Rachenraumes und des Velums Der Rachenraum stellt einen etwa 14 cm langen Hohlschlauch mit muskulären Wänden dar. Er ist in seinem oberen Teil an der Unterseite des Keilbeines und an der pars basalis des Hinterhauptbeines aufgehängt und reicht herab bis zum Ösophagusmund in Höhe des Ringknorpels des Kehlkopfes entsprechend dem 6. Halswirbel. Der Muskelschlauch des Pharynx ist mit der Vorderfläche der Wirbelsäule (Ligamentum longitudinale ventralis) und den ihr anliegenden Längsmuskeln durch Vermittlung der Fascia colli propria (Fascia pharyngea) verschieblich verbunden. Dieser Gleitspalt (Spatium retro viscerale) wird von langen Verbindungsfasern durchsetzt, die bei Betätigung der Schiundheber dem Rachen, also dem Pharynxschlauch eine kranialwärts gerichtete Verschiebung um 1—2 Zentimeter gestatten. Der Rachenraum öffnet sich über die Choanen zum Nasenraum (Pars nasalis pharyngis = Epipharynx), über den Isthmus faucium zur Mundhöhle (Pars oralis pharyngis = Mesopharynx) und über den Aditus laryngis in den Kehlkopf (Pars laryngica pharyngis = Hypopharynx). Wir haben zwei Gruppen von Muskeln am Pharynx zu unterscheiden: Die Konstriktoren oder Schlundschnürer und die Levatoren oder Schiundheber. Die Abbildung 1 zeigt den Pharynxschlauch von hinten-außen nach Wegnahme der Wirbelsäule. Wir unterscheiden: 1. Den oberen Schlundschnürer (M. cephalopharyngicus oder M. constrictor pharyngis cran.).

Anatomie des Rachenraumes und des Velums

Tunica mucosa pharyngis Μ. cephalopharyngicus Μ. stylopharyngicus Μ. biventer, venter mastoideus Μ. hyopharyngicus

Pars basialis ossis occipitalis Proc. styloides M. biventer, venter mastoideus M. styloglossus Μ. stylohyoideus Μ. stylopharyngicus

lihaphe pharyngis llhaphe pharyngis

Cornu majus ossis hyoidis

M. laryngopharangicus

Glandula thyreoidea (Lobi laterales) Trachea Ösophagus

Abb. 1. Dorsalansicht des Pharynxschlauches mit der Konstriktorenmuskulatur

M. levator veli palatini Μ. tensor veli Pars pterygopharyngiea m. cephalopharyngici Pars

llhaphe bueipiiaryngiea

M. bueinator

111. Pars glossopharyngica in. cephalopharyngici

Corpus mandibulae

M. Pars ceratopharyngica in. hyopharyngici Cornu m a j u s ossis hyoidis

Pars mylopharyngica m. cephalopharyngici _ M. styloglossus Os hyoidcs

Pars thyrcopharyngica m. laryngopharyngici Pars cricopharyngica m. laryngopharyngici

Abb. 2. Muskuläre Wand des Schiundkopfes in der Ansicht von der rechten Seite

Er entspringt der medialen Lamelle des Processus pterygoideus, dem Hamulus pterygoideus, der sehnigen Verbindung vom Hamulus zum Unterkiefer (Raphe buci-pharyngica), an der vorne der M. bucinatorius ansetzt, schließlich vom Unterkiefer medial vom 3. Molaren und von der Zunge (Abb. 2). Die Fasern verlaufen nach hinten-oben und erreichen die Raphe pharyngis (Abb. 1). Innervation: N. glossopharyngicus.

0 . HERFERT,

Sprach verbessernde Operationen

2. Den mittleren Schlundschnürer (M. hyopharyngicus oder M. constrictor pharyngis medius). Er entspringt vom kleinen Zungenbeinhorn und vom Ende des großen Zungenbeinhornes. Von dieser relativ kleinen Basis strahlen die Muskelfasern fächerförmig nach hinten aus und erreichen die Raphe pharyngis. Der obere Teil überdeckt dabei den unteren Teil des oberen Schlundschnürers; der untere Teil, dessen Fasern mehr horizontal und sogar nach hinten absteigend verlaufen, wird seinerseits vom unteren Schlundschnürer überdeckt. Innervation: N. vagus (Abb. 1 u. 2).

3. Den unteren Schlundschnürer (M. laryngopharyngicus oder M. constrictor pharyngis caud.). Er entspringt vom Schild- und vom Ringknorpel. Die oberen Fasern steigen steil in die Höhe und können den Kehlkopf heben, die unteren Fasern verlaufen mehr quer. Innervation: N. vagus

Die eigentlichen Schiundheber sind: 1. Der M. stylopharyngicus. Er entspringt vom Processus styloides nahe seiner Wurzel und zieht schräg medianwärts zur Schiundwand, wo er zwischen oberen und mittleren Schlundschnürer eindringt. Die Fasern laufen als innere Längszüge an den oberen Rand des Schildknorpels und an den Kehldeckel. Sie strahlen auch in die Kapseln der Gaumenmandeln ein. Die Muskeln heben den Pharynx nach oben und entfalten ihn der Quere nach. Innervation: N. glosso-pharyngicus.

2. Der M. pharyngopalatinus (Abb. 3). Er ist der stärkste Längsmuskel der Pharynxwand und strahlt im Gegensatz zum M. stylopharyngicus von innen her in die dünne Faserschicht ein. Der Muskel, der zum größten Teil im hinteren Gaumenbogen liegt, entspringt von der Gaumenaponeurose, vom Tubenknorpel und vom Hamulus pterygoideus. Seine Fasern verlaufen in die Schiundwand hinein, überkreuzen sich teilweise und erreichen auch den hinteren Rand des Schildknorpels. Die innere Längsmuskelschicht des Pharynx bildet nur im mittleren Teil der hinteren Pharynxwand eine geschlossene Lage. Bei Kontraktion des M. pharyngopalatinus wird der Pharynx gehoben, vor allem wölbt sich aber die Seitenwand der Mittellinie entgegen und die hinteren Gaumenbögen springen ebenfalls zur Mitte hin ein. Innervation: N. vagus.

Eine wichtige Rolle für den Verschluß der naso-pharyngealen Passage beim Sprechen stellt die vom Tubenwulst (torus tubalis) in der lateralen Pharynxwand abwärts ziehende Plica pharyngotubalis dar, die ja den von lockerer Schleimhaut bedeckten M. pharyngotubalis (M. salpingo-pharyngicus) beinhaltet; diese ständig vorhandene SchleimhautMuskelfalte springt zur Mitte des Pharynx hin ein und trägt bei Innervation des M. pharyngo-tubalis zur Einengung des Pharynx an der für das Sprechen entscheidenden Stelle sicher mit bei. Damit unterstützt der M. pharyngo-tubalis den M. pharyngo-palatinus, dessen Aktion die laterale Pharynxwand ja ebenfalls zur Mitte hin einspringen läßt. Eine entscheidende Rolle für den Verschluß des Rachens beim Sprechen spielt die Muskulatur des weichen Gaumens. Folgende Muskeln sind dem weichen Gaumen zugehörig: 1. Der M. tensor veli palatini, der Gaumenspanner (Abb. 3). Er entspringt als platter Muskel in ausgedehnter Linie von der Schädelbasis (Spina ossis sphenoidis bis zur Wurzel des Flügelfortsatzes) und vom häutigen Teil der Tube; er steigt senkrecht abwärts und liegt dabei an der Innenfläche des M. pterygoideus medialis. Die Sehne biegt um den Hamulus pterygoideus und die zweite Portion des Muskels strahlt dann in fast horizontalem Verlauf in die Gaumenaponeurose ein bzw. verbindet sich mit dem Muskel der Gegenseite. Innervation: 3. Ast des N. trigeminus.

2. Der M. levator veli palatini, der Gaumenheber (Abb. 3).

,Über die Verschließung des Schlundes beim Sprechen" E r entspringt an der Schädelbasis (vor dem Foramen caroticum) und am Tubenknorpel und strahlt schräg in die Gaumenaponeurose ein oder verbindet sich mit dem Partner der Gegenseite. Innervation: N. glossopharyngicus N. vagus Ν. facialis.

3. Der M. uvulae, der Zäpfchenmuskel (Abb. 3). E r ist ein paariger Muskel, dessen Hälften von der Spina nasalis posterior kommen und in der Mitte des Velums sagittal bis in die Uvula verlaufen. Bei Innervation wird das Zäpfchen in sich verkürzt, dementsprechend aber auch verdickt. Innervation: N. vagus, seltener N. facialis.

S[. biventer, vent, mastoideus M. levator veli

Cartilago t u b a c M. stylohyoideus M. tensor veli palatini

M. pterygoideus medial. M. tensor veli palatini

M.

M. styloglossus

M. pharyngopalatinus Isthmus faucium

Hamulus pterygoideus Tendo m. tensoris veli palatini Μ. levator veli palatini Μ. uvulae Aditus laryngis

Epiglottis

Abb. 3. Muskulatur des Gaumensegels und des Isthmus faucium in Dorsalansicht

4. Der M. glossopalatinus, der Zungengaumenmuskel (Abb. 6). E r liegt als dünner Muskelzug im vorderen Gaumenbogen und strahlt am Seitenrand der Zunge in den M. transversus linguae ein. Innervation: Plexus pharyngicus.

5. Der M. pharyngopalatinus, der Schlundgaumenmuskel.

IV. „Über die Verschließung des Schlundes beim Sprechen" So überschrieb der Frankfurter Chirurg P A S S A V A N T zwei umfangreiche in den Jahren 1863 und 1869 erschienene Abhandlungen, die sich sehr eingehend mit der Anatomie und Physiologie des Schiundkopfes, insbesondere mit dem Mechanismus des velo-pharyngealen Verschlusses beim Sprechen befassen. P A S S A V A N T schrieb neben der Velummuskulatur dem M . cephalopharyngicus, dem oberen Schlundschnürer, eine entscheidende Bedeutung beim Verschluß der velo-pharyngealen Passage zu. Auf Grund seiner Beobachtungen an Patienten mit Lippen-KieferGaumenspalten stellte er fest, daß der vom Hamulus pterygoideus der einen Seite zum

0.

HERFERT,

Sprach verbessernde Operationen

Hamulus der anderen Seite zirkulär verlaufende Hauptanteil des oberen Schlundschnürers den oberen Rachen einenge und die hintere Rachenwand unter Bildung eines Wulstes einspringen lasse. Mit diesem Wulst nehme dann das Velum beim Sprechen Kontakt auf, wodurch der Yerschluß herbeigeführt werde. Schon damals widersprach der Anatom v. L U S C H K A der Auffassung P A S S A V A N T S von der besonderen Bedeutung der Funktion des oberen Schlundschnürers beim Sprechen und meinte, daß der Verschluß des oberen Pharynx außer durch die Funktion der Velummuskulatur vor allem durch das beim Anlauten erfolgende Einspringen der seitlichen Pharynxwände, und zwar durch den M. palato-pharyngicus (wesentlicher Anteil des hinteren Gaumenbogens) und den M. salpingo-pharyngicus bewirkt werde. Die Auffassung P A S S A V A N T S setzte sich jedoch allenthalben durch und der von ihm beim Sprechen als funktionelle Vorwölbung beobachtete Wulst an der hinteren Rachenwand ging als „PASSAVANTscher Wulst" in die Weltliteratur ein; seine funktionelle Formation wurde von P A S S A V A N T als für die Sprachbildung unabdingbar angesehen. Die verfeinerte operative Therapie, eine vor allem sprechfunktionelle Ausrichtung dieser Therapie und die starken Impulse von Seiten der modernen Sprachforschung und Sprachheilkunde waren der Anlaß, daß man sich dem für die periphere Sprachbildung besonders des wichtigen velo-pharyngealen Verschluß' beim Sprechen mit neuem Interesse und Kritik zuwandte. Es tauchten Zweifel an der Richtigkeit der PASSAVANTschen Konzeption auf. Kein Geringerer als V I C T O R V E A U schrieb im Jahre 1943: „Was tut der P A S S A V A N T S C I I C Wulst eigentlich, jene geheimnisvolle Bildung, die einem Frankfurter Chirurgen schon beinahe ein Jahrhundert lang Unsterblichkeit gebracht hat ? Wir haben einige Erfahrungen damit bei unseren 1700 Fällen. Er wird vielleicht beim Schlucken gebraucht: mit der Sprache hat er nichts zu tun." V B A T J stellte fest, daß der P A S S A V A N T S C H E Wulst, sofern er sich überhaupt darstellt, unveränderlich unterhalb der Stelle liegt, an der das Velum die Rachenwand zu erreichen sucht. Es ist in diesem Rahmen unmöglich, aus der Fülle spezieller Arbeiten die vollständig zu zitierten, die sich mit dem velo-pharyngealen Verschluß beim Sprechen seit 1930 in kritischer Weise auseinandergesetzt haben. Besonders hingewiesen sei auf das kleine Werk von M O R L E Y , auf die Arbeiten von C A L N A N und die Monographie von N Y L E N . Dem Verfasser stellt sich die Physiologie und der Verschluß des Rachens etwa so dar: a) Bei ruhiger Nasenatmung, wobei normalerweise die Lippen geschlossen sind, die Zunge wenigstens mit ihrem Rande dem Gaumen anliegt, die Zahnreihen des Ober- und Unterkiefers einen geringen Abstand voneinander halten (sog. Ruheschwebe des Unterkiefers), hängt das Velum völlig erschlafft herab. Diese Stellung ergibt sich aus der Schwere seiner Gewebe und dem Ruhetonus der dem Velum zugehörigen Muskeln. Der Pharynx ist dann am Ubergang vom Nasopharynx zum Mesopharynx optimal weitgestellt, damit ein ungestörtes Durchströmen der über die Nase eintretenden Luft möglich ist; er hat in dieser Höhe im Horizontalschnitt eine querovale Form und ist 2 bis 2,5 cm breit und ist 1 bis 1,5 cm tief (Abb. 4 a). Bei Mundatmung (forzierte Atmung bei großer körperlicher Anstrengung) ist die velopharyngeal Passage geschlossen, die Luft strömt nur vom Munde her in den mittleren-unteren Pharynx und von da in die Lungen ein. Gleichzeitiges Einatmen durch Nase und Mund kommt in wachem Zustande kaum vor; es ist aber im Schlaf bei Rückenlage durchaus gegeben und hat dann oft Schnarchen zur Folge. b) Beim velopharyngeal Verschluß (auch als nasopharyngealer Verschluß bezeichnet) muß streng zwischen dem Verschluß beim Sprechen und dem Verschluß beim Schlucken unterschieden werden.

„Über die Verschließung des Schlundes beim Sprechen"

9 |9

Wenn schon beim Anlauten der Vokale von der Nase her ein Druck von 30 bis 100 mm Hg ausgeübt werden muß, um den Widerstand des Velums zu überwinden, so ist die Sperre bei den Explosivlauten und den Reibelauten noch ungleich fester und erreicht beim Schlukken derben Speisebreies, beim Würgen und Erbrechen höchste Werte. Beim Schlucken erfahren die Schlundschnürer nacheinander von oben nach unten stärkste Innervierung. Während die Zunge den Bissen dem Isthmus faucium zu- und durch diesen schiebt, verstärkt der obere Schlundschnürer den velopharyngealen Abschluß durch maximale Kontraktion. Hierbei kommt es am ehesten zu einer Vorwölbung der hinteren-oberen Pharynxwand im Bereich des M. pterygo-pharyngicus (Teil des oberen Schlundschnürers), also zur funktionellen Ausbildung des PASSAVANTschen Wulstes. Selbstverständlich tritt dabei auch

a

b

Abb. 4 a u. 4 b. Querschnitt durch den Pharynx in Höhe des PASSAVANTSchen Wulstes bei völliger Entspannung (Abb. 4 a) und bei forcierter Phonation (Abb. 4 b)

die gesamte Muskulatur des Velums und des Rachens in Aktion. Während mittlerer und unterer Schlundschnürer den Speisebreikloß dem Ösophagus zuschieben, bleibt die Sperre zum Nasopharynx wie auch zur Mundhöhle hin (hier zur Mitte hin stark einspringende hintere Gaumenbögen und nach hinten-oben gepreßte Zunge) vollständig. Mit Recht weisen CALNAN und andere Autoren darauf hin, daß die Beobachtungen P A S S A V A N T S über den Verschluß des Rachens beim Sprechen bei Patienten mit Gaumenspalten keine sicheren physiologischen Ergebnisse zeitigen können, da beim Spaltgaumen die durchschnittlich abnorme Weite des Nasopharynx und Hypotrophie oder auch Hypertrophie der gespaltenen Velumhälften pathologische Zustände darstellen und dementsprechend die funktionellen Abläufe nicht mehr dem Normalen entsprechen. So sehen verschiedene Autoren den P A S S A V A N T s c h e n Wulst, der ja nur bei einem kleineren Teil der Patienten mit Gaumenspalten (auch bei den Erhebungen von P A S S A V A N T ) beim Sprechen beobachtet werden konnte, eher als eine kompensatorische Hypertrophie auf der Basis der oben genannten pathologischen Verhältnisse und nicht als eine regelmäßige funktionelle Bildung bei der Sprache des Nichtmißbildeten an. Zu dieser Auffassung haben Beobachtungen wesentlich beigetragen, die an operierten Tumorpatienten gemacht werden konnten, bei denen die Gebilde oberhalb des harten und weichen Gaumens wegen eines malignen Tumors entfernt worden waren, so daß Sprach- und Schluckfunktion differenziert unter für diese Funktionen normalen anatomisch-physiologischen Verhältnissen beobachtet werden konnten. Es wurde beobachtet, daß der PASSAVANTsche Wulst beim Sprechen nur in einem kleinen Teil der Fälle und auch dann nur angedeutet auftritt. Dagegen wird das Velum scharf nach hinten oben gezogen, die seitlichen Pharynxwände springen zur Mitte hin ein, der mittlere-untere Pharynx wird durch die Levatoren angehoben, wodurch es auch zur

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0 . HERFERT, Sprach verbessernde Operationen

Faltenbildung im Nasopharynx kommt und die Abdichtung vollständig wird (Abb. 4 b und Abb. 4 c). Als wesentlich konnte festgestellt und wieder bestätigt werden: Der Sprech Vorgang nimmt seinen Ausgang keinesfalls von dem Zustand völliger Ruhe und Entspannung von Velum- und Rachenmuskulatur, wie er bei der Ruheatmung, der Nasenatmung (s. oben) gegeben ist. Dem eigentlichen Vorgang des Sprechens geht die funktionelle Bereitstellung der Velum-Rachenmuskulatur, ein Zustand der Anspannung (englisch: „Ready position", „tension"), der koordinierten Tonussteigerung der Sprachmuskulatur voraus. Aus diesem Zustand der Bereitstellung, der „Tension" heraus startet der Sprech Vorgang; während des kontinuierlichen Sprechens wird dieser Zustand der Tension beibehalten, es sei denn, der

Abb. 4 c. Besonders vorspringender PASSAVANTscher Wulst bei insuffizientem Velum (vorop. re. Lippen-Kiefer-Gaumenspalte)

Sprechende atmet während des Sprechens durch die Nase ein; in diesem Falle erfolgt sofort völlige Entspannung. Soll dann das Sprechen fortgesetzt werden, so muß erst wieder der Zustand der Bereitstellung, der Anspannung (Tension) hergestellt werden. Vergleicht man damit den Schluckvorgang, so tritt nach jedem Hinabschlucken eines Nahrungskloßes wieder Entspannung ein, muß doch in der Zwischenpause durch die Nase geatmet und gleichzeitig der neue Bissen gekaut und zum nächsten eingespeichelten Nahrungskloß geformt werden. Der Verschluß der velo-pharyngealen Passage beim Sprechen stellt eine zweckmäßig aufeinander abgestimmte Leistung der Muskulatur des weichen Gaumens einschließlich des M. palato-glossus und des oberen Rachens dar: Diese Muskulatur nimmt vor dem eigentlichen Sprechakt also eine gewisse Bereitstellung ein: Der M. tensor veli palatini wird nur leicht angespannt, so daß er dem sich beiderseitig stark kontrahierenden M. levator veli palatini mit seinem palatinalen Anteil beim Zug nach hinten oben folgen kann; der weiche Gaumen erscheint im sagittalen Schnitt und von der Seite her betrachtet stark nach hinten gezogen und kurz vor der Uvula rechtwinklig abgeknickt (Abb. 5 a—c) und hat sich der oberen hinteren Pharynxwand schon sehr genähert. Der M. cephalo-pharyngicus, der obere Schlundschnürer, spannt sich ebenfalls an, wodurch der Rachen etwas unterhalb der Höhe, auf der dann bei voller Innervation der Velum-Rachenmuskulatur der Verschluß stattfindet, eingeengt und festgestellt wird.

„Uber die Verschließung des Schlundes beim Sprechen"

Abb. 5 a. Normaler velophar y n g e a l Abschluß

Abb. 5 b. Abschluß beim Jugendlichen auf adenoiden Vegetationen

M. levator veli palatini Hamulus pterygoideus Μ. tensor reli palatini

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Abb. 5 c. Abschluß beim Schlucken mit Hilfe des PASSAVANTschen Wulstes

glossopalatinus pkaryngopalatinus

Abb. 6. Schema der Muskeln des weichen Gaumens

Abb. 7. Aufblick auf den weichen Gaumen und den Rachenring vom Epipharynx her bei einem Kind von 2 Jahren mit Velumspalte

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Ο.

HERFERT,

Sprachverbessernde Operationen

Auch die seitlichen Pharynxwände werden während der Bereitstellung (,,ready position", „tension") bereits nach der Mitte zu geführt (M. pharyngopalatinus und wohl auch M. salpingo-pharyngicus). Dabei wird der Pharynx auch angehoben. In diesem Zustand der Bereitstellung ist die velo-pharyngeale Passage bereits weitgehend eingeengt, aber doch noch so weit offen, daß Laute, die einen Abstrom der Luft durch die Nase erfordern (m, n, ng), in dieser Bereitstellung mit der diesen Lauten eigenen nasalen Klangfarbe gebildet werden können. Andererseits erfolgt durch Verstärkung der Innervationsimpulse aus dieser Bereitstellung blitzschnell der Verschluß der velo-pharyngealen Passage. Die Öffnung dieses Verschlusses wieder bis in die Bereitstellung hinein ist dann der verstärkten Aktion (soweit für die Sprache notwendig) des M. tensor veli palatini und des M. palato-glossus zuzuschreiben, wobei die Verschlußmuskeln in ihrer Spannung wohl nachlassen aber nicht erschlaffen. c) Zusammenfassung: Der Verschluß ist also durch die Aktion folgender Muskelschlingen gegeben (Abb. 6 u. 7): 1. beiderseitiger M. levator veli palatini, 2. beiderseitiger M. palato-pharyngicus und M. salpingo-pharyngicus, 3. M. cephalo-pharyngicus.

Das dabei erfolgende Anheben des Pharynx führt knapp oberhalb der Enge zur Bildung von Schleimhautfalten (CALNAN), die ebenfalls zum Verschluß beitragen. Die Öffnung des Verschlusses und damit die Wiederherstellung der Bereitstellung (,,ready position") ist Aufgabe folgender Muskelschlingen: 1. beiderseitiger M. tensor veli palatini, 2. beiderseitiger M. palato-glossus.

Beim Sprechen „oszilliert" also, wenn man so sagen darf, die Velum-Pharynxmuskulatur zwischen dem Zustand der Bereitstellung („ready position", „tension") und dem Zustand des Verschlusses in blitzschnellem Wechsel hin und her. Der Zustand völliger Erschlaffung und weiter Öffnung der velo-pharyngealen Passage tritt nur ein, wenn der Sprechende innehält und zur Nasenatmung übergeht.

Y. Methodik und Technik der sprachverbessernden Operationen Ehe die verschiedenen Methoden der sprachverbessernden Operationen (Pharyngoplastiken und Velo-Pharyngoplastiken) in ihrer speziellen Indikation, Methodik und Technik zur Darstellung kommen, erscheinen einige Vorbemerkungen notwendig: Die allgemeine Indikation zur sprachverbessernden Operation ist dann gegeben, wenn nach lückenlosem Verschluß der Gaumenspalte mehrere Kurse eines qualifizierten speziellen Sprechunterrichtes absolviert worden sind, die Sprache ihre pathologische Nasalität aber noch nicht oder wenigstens nicht weitgehend verloren hat. Es wird natürlich Patienten geben, bei denen auch nach der Gaumenplastik die räumlichen Rachenverhältnisse in bezug auf den velo-pharyngealen Abschluß von vornherein so ungünstig sind (übergroßer Velumrand —• Rachenwandabstand, Straffheit und Unbeweglichkeit des Velums), daß Logopäden und Operateur bald übereinkommen, nicht nutzlos Zeit mit Sprechübungen zu vertun, sondern bald die sprachverbessernde Operation vorzunehmen. Ist sogar noch ein endständiger Velum-Restspalt mit rigiden, wulstigen Spalträndern zurückgeblieben, wobei der Pharynx dann oft sehr weit ist, oder liegt ein Fall von Starrheit und Unbeweglichkeit der seitlichen Pharynxwände nach tiefgreifender Tonsillektomie vor, so sollte man ebenfalls

Methodik und Technik der sprachverbessernden Operationen

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nicht zögern, eine sprach verbessernde Operation zur Anwendung zu bringen. Auch der Ausfall der Velumfunktion durch diphtherische Lähmung ist als Indikation für eine sprachverbessernde Operation anzusehen, wenn nach etwa 6 Monaten eine Erholung bis zur Wiederherstellung der Funktion noch nicht eingetreten ist; diese Fälle sind aber recht selten. Bei tiefgreifender Tonsillektomie, die zu starker flächenhafter Vernarbung, Adhärenz und damit zu Starrheit und Unbeweglichkeit der seitlichen Pharynxwände geführt hat, kann der velo-pharyngeale Abschluß ungenügend sein und die Sprache eine pathologisch nasale Klangfarbe annehmen. Die sprachverbessernde Velo-Pharyngoplastik oder eine alleinige Pharyngoplastik ist dann notwendig, um die Sprache wieder zu normalisieren. Zentrale Störungen in den Kerngebieten der die Velum- und Rachenmuskulatur versorgenden Hirnnerven (N. vagus, Ν. facialis, Ν. glossopharyngicus, 3. Ast des N. trigeminus) können dann Anlaß zu einer sprachverbessernden Operation sein, wenn es sich nur um partielle Ausfälle handelt und man nach sorgfältiger Überlegung zu dem Urteil gekommen ist, daß die Restfunktion der Velum-Rachenmuskulatur in Verbindung mit einer sprachverbessernden Operation doch eine normale Sprache oder annähernd normale Sprache erreichen lassen könnte. Totale Innervationsausfälle bei Nervensystemerkrankungen lassen natürlich eine sprach verbessernde Operation, die ja nur peripher angreift, nutzlos erscheinen. Haben Patienten, bei denen an und für sich die Indikation für eine sprach verbessernde Operation gegeben ist, einen geistigen Defekt mittleren bis schweren Grades, dann ist von einer solchen Operation wegen der ja vorhandenen Bildungsunfähigkeit abzusehen. Beratung mit dem Neurologen und Psychiater ist in solchen Fällen notwendig. Der Grad der velopharyngealen Insuffizienz („palatopharyngeal Inkompetenz" nach Calx an) läßt sich mit verschiedenen Verfahren der seitlichen Röntgenkonstrastaufnähme bildlich darstellen. Die komplizierten Methoden mit synkroner Aufzeichnung der Lautbilder (Nylen u. a.) haben wohl mehr für die Sprachforschung Bedeutung; für klinische Zwecke genügen die einfachen Methoden, bei denen die Benetzung der Schleimhautflächen von Velum und Rachen mit einem Röntgenkontrastmittel in Verbindung mit der in der Kieferorthopädie üblichen Methode der lateralen Fernröntgenaufnahme den velopharyngialen Verschluß bzw. seine Insuffizienz zur Darstellung kommen läßt (Bick u. Stell-

mach u. a.).

Ziel der sprach verbessernden Operationen ist die Herstellung der normalen Sprache als einer übergeordneten Funktion. Voraussetzung für ein Optimum dieser übergeordneten Funktion ist ein Optimum der Funktion und Koordination der Muskulatur des gesamten Sprechapparates; das bedeutet in bezug auf die physiologische Nasalität der Sprache, in bezug auf die Ausbildung aller Vokale und Konsonanten (außer m, n, ng), daß ein müheloser Verschluß zwischen Mesopharynx und Nasopharynx möglich sein muß. Diese Möglichkeit ist wiederum nur dann gegeben, wenn die Funktion des einzelnen Muskels ausreichend ist. Verkürzung dieser Muskeln, Verminderung ihrer Masse und damit ihres Querschnittes, Adhärenz dieser Muskeln durch flächenhafte Narben im Rachengebiet und auch Lähmungen werden eine solche optimale Funktion des Rachenverschlusses nicht zustande kommen lassen. Daraus ist zwangsläufig zu folgern, daß die voroperativ noch vorhandene Muskelfunktion, die zum Verschluß nicht ausreicht, durch den sprachverbessernden Eingriff keinesfalls weiter eingeschränkt und gestört werden darf. Also sollte der operative Eingriff (ζ. B. die Lappenbildung) nach Möglichkeit nur dort erfolgen, wo die muskuläre Funktion schon voroperativ schlecht ist. Stellt man ζ. B. voroperativ fest, daß die seitlichen Pharynxwände mit den hinteren Gaumenbögen beim Anlauten gut zur Mitte hin einspringen, so sollte man keinesfalls eine Lappenbildung in diesem Gebiet vornehmen, sondern zur Plastik

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Sprachverbessernde Operationen

das in den meisten Fällen straffgespannte und damit insuffiziente Velum in Verbindung mit der hinteren Rachenwand benutzen. Man findet da und dort im Schrifttum Bemerkungen, daß diese oder jene Methode einer sprach verbessernden Operation nicht „physiologisch" sei; es muß ganz allgemein festgestellt werden, daß, wenn man die Zartheit und Kleinheit des muskulären Apparates des Velums und des Rachens in Betracht zieht, keine dieser Methoden als „physiologisch" angesehen werden kann. Man kommt zu einer wesentlich klareren Einschätzung der Situation, wenn man in den sprachverbessernden Operationen operative Eingriffe sieht, die das Ziel haben, einen für die vorhandene muskuläre Rachenfunktion zu großen Rachenraum (Querschnitt in Verschlußhöhe) einzuengen, soweit einzuengen, daß die vorhandene und gegenüber dem voroperativen Zustand ja keinesfalls verbesserte Muskelfunktion ausreicht, um den jetzt verkleinerten Rachenquerschnitt zu verschließen und somit der Sprache ihre pathologische Nasalität zu nehmen. Macht man sich diese Auffassung zu eigen, was nicht schwer fallen sollte, so läßt sich leicht einsehen, daß von allen Operationsmethoden in einzelnen und auch mehreren Operationsfällen gute bis sehr gute sprachfunktionelle Operationsergebnisse berichtet werden: Gelingt es eben, gleich mit welcher Methode, den Querschnitt des Rachens in Höhe der Grenzfläche zwischen Meso- und Epipharynx soweit einzuengen, daß beim Anlauten der Verschluß zustande kommt, so ist die Sprache am ehesten frei von pathologischer Nasalität. Damit soll nicht behauptet werden, daß es beim einzelnen Behandlungsfall völlig gleichgültig ist, welche Operationsmethode zur Anwendung kommt. Die Differentialindikation soll jedoch bei der Besprechung der einzelnen Operationsmethoden erörtert werden. Natürlich wird der einzelne Operateur diese oder jene Methode auf Grund seiner Erfahrung bevorzugen, besonders dann, wenn er eine Methode selbst inauguriert hat. Es kann aber schon jetzt gesagt werden, daß bestimmte Methoden (s. weiter unten) objektiv den Vorzug verdienen ( G R I M M - M E I N H O L D - S U T T N E R , H E R F E R T U. a.). Wenn nachfolgend alle Methoden der sprachverbessernden Operationen abgehandelt werden, auch diejenigen, die nicht mehr gebräuchlich sind, so aus dem Grunde einer vollständigen Darstellung im medizinhistorischen Sinne wie aus dem Grunde, Anregung zu geben bzw. die Wiederholung nicht probater Methoden zu verhindern.

VI. Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen A. Rachenverengende Operationen ohne Wulstbildung, ohne Lappenbildung und ohne Lappenüberbrückung 1.

Rachenverengende Operationen nach

2.

Gaumenplastik nach H A L L E / E R N S T mit weitgehender Mobilisierung des Pharynxmuskelschlauches und Einengung des Rachenquerschnittes (VeloPharyngo-Constrictio),

3.

Rücklagerungsoperation (Push-back operation) nach u. a.

PASSAVANT,

DORRANCE,

LIMBERG

B. Rachenverengende Operationen mit Wulstbildung an der hinteren Rachenwand jedoch ohne Überbrückung 1. Durch Implantation von Fremdkörpermaterial a) Paraffininjektion ( E C K S T E I N ) b) Kunststoffimplantation (BLOCKSMA) 2. Durch Implantation von körpereigenem Material a) Fett (v. GAZA) b) Knorpel ( H A G E R T Y )

Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

9 | 15

3. Durch ortsständige Lappenbildung und Lappenverschiebung a) Nach PASSAVANT b) Nach H Y N E S c) Nach M U N D N I C H C. Rachenverengende Operationen durch Überbrückung 1. Direkte Überbrückung a) Nach PASSAVANT und b) Nach R E T H Y

TRAUNER

2. Indirekte Überbrückung durch Lappenbildung a) Nach SCHÖNBORN-ROSENTHAL b) Nach S A N V E N E R O - R O S S E L L I und S E R C E R .

A. Rachenverengende Operationen ohne Wulstbildung, ohne Lappenbildung und ohne Lappenüberbrückung 1. Rachenverengende Operation nach

PASSAVANT

Der Frankfurter Chirurg P A S S A V A N T , der weiter oben schon mehrfach zitiert wurde, hat sich nicht nur mit der Physiologie des Rachenverschlusses befaßt, wie man vielleicht aus dem Ausspruch von V I C T O R V E A U schließen könnte, sondern sich viel mehr mit der Chirurgie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und vor allem mit der sprechfunktionellen Insuffizienz nach Gaumenplastik beschäftigt. Daraus resultierte eine Reihe von Operationsvorschlägen, zu denen Verfasser entsprechende Operationszeichnungen entworfen hat. P A S S A -

a

Abb. 8a u. b. Vereinigung

b

der

hinteren Gaumenbögen zur Einengung des Mesopharynx nach PASSAVANT

schlug bei velopharyngealer Insuffizienz vor, die hinteren Gaumenbögen einzuschneiden (nicht etwa einschließlich der nasalen Schicht durchzuschneiden), die Weichteile durch Unterminierung zu lockern und die Ränder der Gaumenbögen kranial anzufrischen (Abb. 8 a); dann sollten die angefrischten Ränder der Gaumenbögen durch Naht vereinigt werden (Abb. 8 b). Erinnert man sich daran, daß die hinteren Gaumenbögen (M. palato-pharyngicus) eine wichtige Rolle beim velo-pharyngealen Abschluß spielen, so erscheint der Vorschlag P A S S A V A N T S begründet und einleuchtend. VANT

16 I 9

0 . HERFERT, Sprachverbessernde Operationen

In praxi ist jedoch der Pharynx beim Spaltträger weit, und die hinteren Gaumenbögen verlaufen mehr querab und nicht fast parallel wie in Abbildung 8 a dargestellt. Es wird also nur unter starker Spannung, wenn überhaupt, gelingen, die hinteren Gaumenbögen in ihrem kranialen Anteil, nahe der Uvula, zu vereinigen. Außerdem wird das beiderseitig lateral von der Naht liegende Wundbett nach Granulation narbig schrumpfen und das Velum noch härter und gespannter und damit insuffizienter werden lassen, als es vorher schon der Fall war. Diese Methode ist in den meisten Fällen gar nicht anwendbar und führt auch dann nicht zu dem angestrebten Erfolg der Sprachverbesserung. 2.

Gaumenplastik nach

ERNST

Im Jahre 1 9 2 5 veröffentlichte der bekannte Berliner Kieferchirurg E R N S T eine Arbeit, in der er die im vorhergehenden Jahre von R O S E N T H A L wiederempfohlene und verbesserte ScHÖNBORJsrsche Velo-Pharynxplastik ohne jede eigene Nachprüfung ablehnte. Er empfahl dagegen seine eigene Methode der Gaumenplastik in Form weitgehender Hoch- und Rück-

a

b

Abb. 9a u. b. Querschnitt durch den Kopf in Höhe des Mesopharynx vor und nach ERNSTscher Gaumen-Rachenplastik

Verlagerung der gesamten Gaumenweich teile in Verbindung mit der weitgehenden Mobilisierung — und das war das methodisch Neue — des Pharynxmuskelschlauches bis zur hinteren Rachen wand, also bis vor die Wirbelsäule. Die Methode ist besonders für mediane Gaumenspalten gedacht und soll eine starke Einengung des Rachens in Höhe des velop h a r y n g e a l Abschlusses zur Folge haben (Abb. 9a u. b). Die Abbildung 9 b zeigt, daß nach dem Vorschlage von E R N S T und H A L L E nicht nur — wie auch sonst bei Gaumenplastiken — die Weichteile vom knöchernen Gaumendach gelöst werden, sondern der Pharynxmuskelschlauch von Schnitten aus, die vom Hamulus pterygoideus weit abwärts in Richtung zum Trigonum retromolare reichen, in Höhe des Mesopharynx weitgehend bis zur Wirbelsäule hin mobilisiert wird. Außerdem wird die Aponeurose des weichen Gaumens vom hinteren Rand der knöchernen Gaumenplatte abgetrennt und die Hamuli werden osteotomiert. Die weitgehende Mobilisierung bringt eine beträchtliche Entspannung aller Weichteile des Mesopharynx, wodurch der operative Schluß der Spalte wesentlich erleichtert und der Mesopharynx stark eingeengt wird. In die umfangreichen parapharyngealen Wundspalten ergießen sich jedoch Blut und Serum, die organisiert werden und im Endstadium stärkste Narbenplatten entstehen lassen. Die im Mund vom Hamulus pterygoideus auf der Rhaphe bucipharyngicaweit abwärts geführten Schnitte, von denen aus E R N S T die Abschiebung des

Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

9 | 17

Pharynxmuskelschlauch.es vortrieb, bilden sich zu stärksten Narbensträngen um, die zu schwerer Kieferklemme und bei einseitiger Ausbildung zu Asymmetrie des Gesichtes und des Unterkiefers führen können, wie vom Verfasser einwandfrei beobachtet werden konnte. Auch ein kleiner Anteil von funktionell günstigen Operationsfällen nach der ERNSTSchen Methode kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es bei den meisten Fällen zur narbigen Fesselung der Pharynxwände und damit zur funktionellen Unbeweglichkeit kommt. Auf die Wichtigkeit des funktionellen Einspringens der lateralen Pharynxwände mit den hinteren Gaumenbögen wurde weiter oben bereits hingewiesen. Die ERNSTsche Methode nimmt darauf keinerlei Rücksicht. In der Chirurgie der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, die ja fast immer am wachsenden Organismus zur Anwendung kommt, hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, daß alle Eingriffe unter größter Schonung der am operativen Eingriff beteiligten Gewebe vorgenommen werden müssen. Die Methode von E R N S T mit der weitgehenden Mobilisierung des Pharynxmuskelschlauches zum Zwecke der Einengung des mittleren Rachens sollte in dieser exzessiven Form nicht mehr angewendet werden. 3. Rücklagerungsoperation (PusH-back operation) nach

DORRANCE, L I M B E R « , U.

a.

Diese Art der Operation (Abb. 10a u. b) stellt zunächst eine primäre Gaumenspaltoperation dar, die aber mit einer gleichzeitigen und ausgiebigen Rücklagerung der Gaumenweichteile verbunden ist, wodurch eine Entspannung der Velummuskulatur mit entspre-

a

b

Abb. 10a u. b. Primäre Rücklagerungsoperation

chender Verbesserung der Funktion des Velums und eine Einengung des Pharynx in Verschlußhöhe erreicht werden soll. Die Methode ist nicht nur bei medianen Gaumenspalten, wie aus der Abbildung 10a und b geschlossen werden könnte, sondern durchaus auch bei durchgehenden Gaumenspalten anwendbar. Bleibt bei diesen letzteren Spalten im vordersten Bereich nach Rücklagerung doch ein Restspalt zurück, zu dessen primärem Verschluß das Gewebsmaterial nicht ausreicht, so kann an dieser Stelle später ein sekundärer Verschluß erfolgen. Will man eine wirklich ausgiebige, lohnende Rücklagerung erreichen, so ist es notwendig, die Weichteile völlig vom knöchernen Gaumendach zu lösen, die Aponeurose am hinteren knöchernen Gaumenrand abzutrennen, die Hamuli zu osteotomieren und die Weichteile des weichen Gaumens von den bis zum Hamulus pterygoideus geführten Schnitten aus stumpf nach hinten zu drängen. Nicht notwendig ist es die Arteriae palatinae zu Handb. Plast. Chir., Bd. II

2

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0 . HERFERT, Sprach verbessernde Operationen

durchtrennen, da sie sich weit aus dem Knochenkanal herausziehen lassen. Man kann auch, wie L I M B E R G es vorschlägt, den Knochen hinter dem Foramen palatinum majus rinnenartig wegfräsen und es so der Arterie möglich machen, bei der Rückverlagerung der Weichteile nach hinten mitzugehen. Bei diesem Vorgehen entsteht aber auf der nasalen Seite der rückgelagerten Weichteile eine nicht gedeckte Wundfläche, die der Granulation und Schrumpfung unterliegt, wodurch die durch die Rücklagerung gewonnene Verlängerung des weichen Gaumens nach hinten zum Teil wieder rückgängig gemacht wird. Auch das Aufsteppen von Spalthaut auf die nasale Wundfläche, wie es von einigen Autoren geübt wird, kann diese Schrumpfung nicht unbedingt verhindern, mag aber in einigen Fällen einen kleinen Erfolg haben. Andererseits muß festgestellt werden, daß die narbige Schrumpfung des weichen Gaumens nach der Rücklagerungsoperation zum Teil durch die Funktion, auch durch digitale Massage wie auch durch Anwendung eines funktionellen Velumdehners (GÖTTE) wieder rückgängig gemacht werden kann. Die Rücklagerungsoperation kann nun auch nach schon früher erfolgtem Verschluß der Gaumenspalte als alleinige Operation im Sinne einer sprachverbessernden Operation zur Anwendung kommen. Nachoperative qualifizierte Spracherziehung und mechanische Velumdehnung sind dabei unabdingbar. Die Indikation zur Rücklagerungsoperation als alleiniger sprachverbessernder Operation nach schon früher erfolgtem Verschluß der Gaumenspalte ist aber nur in den Fällen gegeben, die ein kleines Defizit velopharyngealen Verschlusses verzeichnen, wo der Abstand zwischen Velumrand und Pharynxwand bei forzierter Phonation (Anlauten von i i) nicht mehr als höchstens 1,5 mm beträgt. Das festzustellen wird am besten mit der lateralen Röntgenkontrastauf nähme gelingen, wie sie in praktischer Art von B I C K und S T E L L MACH und auch anderen Autoren vorgeschlagen worden ist. B. Rachenverengende Operationen mit Wulstbildung an der hinteren Rachenwand jedoch ohne Überbriickung 1. Durch Implantation von Fremdkörpermaterial a) Paraffininjektion

(ECKSTEIN)

Im Jahre 1902 setzte, besonders propagiert durch E C K S T E I N die Ära der Injektion von durch Erwärmung verflüssigtem Hartparaffin an allen nur möglichen Körperstellen zumeist zum Zwecke kosmetischer Korrekturen ein. So wurden auch Paraffininjektionen an der hinteren Rachenwand zur Erzeugung eines PASSAVANTschen Pseudowulstes vorgenommen. Der im Spatium retroviscerale zwischen Pharynxmuskulatur und fascia colli propria liegende Paraffinkloß veränderte seine Lage, sank ab und wurde bisweilen sogar ausgestoßen.Die funktionellen Ergebnisse waren nicht lohnend. Riesenzellen-Granulationsgeschwülste mit Durchwachsen des Paraffins (Paraffinome) entstanden. Krebsige Tumoren sind beobachtet worden. Diese Methode ist abzulehnen. b) Kunstoffimplantation

(BLOCKSMA)

Es nimmt nicht wunder, daß Silikonkunststoffe (Silicone rubber), die in den letzten 10 Jahren vielfältige Verwendung als defektfüllendes Material in der plastischen Chirurgie gefunden haben, auch als Implantationsmaterial an der hinteren Rachenwand zum Zwecke der Sprachverbesserung bei Insuffizienz des velopharyngealen Verschlusses angewendet worden sind. BLOCKSMA verwendet die Silikone in fester Form als Einzelblock oder in multiplen Spänen, aber auch als flüssiges Material, dem ein Katalysator zugefügt ist und das durch

Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

9 | 19

I n j e k t i o n in den Gleitspalt zwischen P h a r y n x m u s k u l a t u r u n d der Fascia colli propria, u n d zwar kranial von der P r o t u b e r a n z des Atlas von einem kleinen etwas lateral gelegenen Schnitt aus injiziert wird; es k o m m t d a n n zur Verfestigung (Polymerisation). Die I m p l a n t a t i o n von festen Silikonen n i m m t BLOCKSMA von einem etwa 1V, cm langen, senkrechten Schnitt hinter dem hinteren Gaumenbogen nach Unterminierung der P h a r y n x m u s k u l a t u r oberhalb des Atlas vor. BLOCKSMA berichtet über 2 3 Operationsfälle bei einer längsten Beobachtungszeit von lVa J a h r e n . Mehrere I m p l a n t a t e wurden ausgestoßen. E s können auch n u r verhältnismäßig kleine A b s t ä n d e zwischen Velumrand u n d R a c h e n w a n d in funktionell befriedigender Weise eingeengt werden. BLOCKSMA selbst schließt seine Mitteilung m i t der Feststellung, d a ß „diese seine vorläufige Studie noch kein Freibrief f ü r eine extensive A n w e n d u n g der Silikone bei der Sprachkorrektur sei. Silastic (ein Silicone rubber) sei ein F r e m d k ö r p e r , wenn es auch noch so g u t toleriert werde."

E s ist nach diesem eigenen Urteil von BLOCKSMA k a u m anzunehmen, d a ß seine Methode sich u n t e r den sprachverbessernden Operationen einen bleibenden P l a t z sichern wird.

2. Durch Implantation von körpereigenem Material a) Fett (Τ. GAZA) I m J a h r e 1926 berichtete v. GAZA, Universitätschirurg in Göttingen, über 5 v o n i h m operierte Fälle, bei denen er durch Fettgewebsimplantation an der hinteren R a c h e n w a n d einen Wulst erzeugt h a t t e , der sich dem Velum entgegenwölben sollte. Selbstverständlich k o n n t e wegen der Gefahr der Infektion der Zugang nicht über die Mundhöhle genommen werden, v. GAZA ging von einem Schnitt im seitlichen Halsdreieck aus, b a h n t e sich einen Weg vorbei a n den großen Gefäßen u n d Nervensträngen u n d erreichte so das S p a t i u m retropharyngicum (Spatium retroviscerale), also den R a u m lockeren Bindegewebes hinter der Muskulatur der R a c h e n w a n d . I n einem Fall k a m es t r o t z d e m zur eitrigen Ausstoßung des I m p l a n t a t e s . Die sprachfunktionellen Erfolge waren minimal. Das implantierte Fettgewebe unterlag der S c h r u m p f u n g u n d veränderte auch seine Lage. Der Eingriff ist viel zu aufwendig u n d bedarf besonderer Kenntnisse u n d Fähigkeiten in der Chirurgie des Halses. Die Methode ist nicht mehr angewendet worden.

b) Knorpel (HAGERTI)

Bereits im J a h r e 1 9 1 2 berichtete P E R T H E S über die T r a n s p l a n t a t i o n von a u t o g e n e m Rippenknorpel hinter die P h a r y n x m u s k u l a t u r z u m Zwecke der Sprachverbesserung bei Spaltpatienten. U m jede Infektion zu vermeiden, schaffte er sich einen extraoralen Zugang vom lateralen Halsdreieck her, so wie es später v. GAZA bei der F e t t t r a n s p l a n t a t i o n durchf ü h r t e . Der Russe L A N D Ο transplantierte d a n n , wie seinem Bericht i m J a h r e 1 9 5 0 zu entnehmen ist, homogenen Knorpel auf transoralem Wege in die hintere R a c h e n w a n d ; dieses Vorgehen war damals auf G r u n d der Erkenntnisse der Gewebekonservierung u n d der Möglichkeit der I n f e k t a b w e h r mit Hilfe antibiotischer Substanzen bereits möglich. 1961 berichteten d a n n H A G E R T Y u n d H I L L über zwanzig Fälle homogener K n o r p e l t r a n s p l a n t a t i o n hinter die obere-hintere Rachenwand. Vier T r a n s p l a n t a t e wurden ausgestoßen. Bei den übrigen soll es zu einer Sprachverbesserung gekommen sein. Partielle Resorption des K n o r pels wurde beobachtet. Auch Krüger erwähnt im J a h r e 1963 die Möglichkeit der Knorpelt r a n s p l a n t a t i o n bei pharyngoplastischen Operationen. Wie bei allen nicht überbrückenden sprachverbessernden P h a r y n x o p e r a t i o n e n m u ß auch zur Methode der K n o r p e l t r a n s p l a n t a t i o n kritisch dahingehend Stellung genommen 2*

20 I 9

Ο . HERFERT,

Sprachverbessernde Operationen

werden, daß mit den an der Pharynxwand wulstbildenden Operationen nur ein kleines Defizit des velo-pharyngealen Rachenverschlusses ausgeglichen werden kann. Sichere und wirklich befriedigende Ergebnisse der Sprachverbesserung sind mit der Knorpelimplantation eigentlich nicht gegeben.

3. Durch ortsständige Lappenbildung und Lappenverschiebung a) Nach

PASSAVANT

(Abb.

IIA

und b)

Unter den vielfachen Operationsvorschlägen, die P A S S A V A N T zum Zwecke der Sprachverbesserung gemacht hat, ist auch der aus den Abbildungen I I a und I I b ersichtliche zu nennen. P A S S A V A N T selbst schreibt, daß der an der Rachenhinterwand durch Umschnei-

a

b

A b b . I I a u. b. Wulstbildung an der Rachenwand durch Raffung eines Pharynxlappens nach PASSAVANT

dung (Abb. I I a ) gebildete und dann durch entsprechende Naht geraffte Lappen der Schrumpfung unterliegt, womit der sprachverbessernde Effekt der Operation, wenn überhaupt zuerst vorhanden, einige Zeit nach dem Eingriff absolut in Frage gestellt ist. P A S S A V A N T selbst hat die Methode nach einigen Versuchen fallen lassen. b) Nach

HIKES

(Abb.

12

a—c)

I m Jahre 1950 und in den nachfolgenden Jahren erregten die Veröffentlichungen von über eine neue Methode der Pharyngoplastik durchaus das Interesse der Fachwelt. Aus Abbildung 12 a ist zu ersehen, daß an der Rachenwand etwas lateral aber hinter dem M. salpingo-pharyngicus zwei kranial gestielte knapp 1 cm breite Lappen umschnitten werden. Die medialen Schenkel dieser Lappen werden an ihrem Fuß durch einen Querschnitt verbunden. Die Lappen, die alle Schichten bis an die Fascia colli propria heran beinhalten, werden abgehoben und ihre Umgebung wird ausgiebig unterminiert, wodurch sich auch der angelegte Querschnitt zu einem Wundbett erweitert. Die Wundbetten, aus denen die Stielläppen entnommen worden sind, werden durch Naht geschlossen, wodurch eine wesentliche, der Breite der entnommenen Lappen entsprechende Einengung des Pharynx erreicht wird (Abb. 12b). Die Lappen werden dann zur Medianebene hin eingeschwenkt und, wie es die Abbildung 12 c zeigt, miteinander vereinigt, wobei sie gleichzeitig in das durch den oben dargestellten Querschnitt geschaffene Wundbett eingelagert werden. HYNES

Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

a

b Abb. 12a—c. Pharyngoplastik nach

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c HYNES

Wohl wird durch die Vereinigung der primären Lappenränder (Abb. 12a u. b) der Rachen im Bereich des Mesopharynx eingeengt; derjenige aber, der Erfahrung mit Rachenoperationen hat, weiß, daß diese Nähte wegen der unaufhörlichen, ja nicht zu unterdrückenden Rachenkontraktionen allzuoft durchschneiden. Eine gewisse Einengung des Pharynx durch die einsetzende Narbenkontraktion tritt aber auf jeden Fall ein. Außerdem kommt es durch die quere Vereinigung der beiden Stiellappen zur Wulstbildung an der Rachenwand unterhalb der Rachentonsille. Die Hoffnung, daß die an der Rachenwand quervereinigten Stiellappen ihre muskuläre Funktion beibehalten und bei Innervation eine funktionelle zirkuläre Racheneinengung herbeiführen würden, hat sich nach den Erfahrungen von H Y N E S selbst nur in einem Drittel der Fälle bewahrheitet. Die Pharyngoplastik nach H Y N E S hat sich als sprachverbessernde Operation bei Fällen mit einem kleineren Velumrand-Rachenwandabstand und leidlich erhaltener Velumfunktion bewährt. Bei starrem oder schon in Ruhelage straff gespanntem Velum, und bei größerem Velumrand-Rachenwandabstand ist sie nicht angezeigt. I n diesem Zusammenhang sei auch auf die neueren vergleichenden Untersuchungen über den Wert verschiedener Pharyngoplastiken von den Autoren GRIMM-MEINHOLD-SUTTNER verwiesen. c) Nach

MÜNDNICH

I m Jahre 1960 berichtete MÜNDNICH über eine Pharyngoplastik, die der von H Y N E S weitgehend entspricht. Anstatt jedoch die Pharynxlappen aus den seitlichen Partien der Rachenhinterwand zu entnehmen, benutzt er die hinteren Gaumenbögen, die den M. palato-pharyngicus beinhalten, als kranial gestielte Lappen und lagert sie nach dem Vorgehen von H Y N E S an der hinteren Rachenwand ein. Später bildete MÜNDNICH nach einem Vorschlage von HERRMANN, München, beiderseits einen kranial gestielten Lappen aus dem Bezirk zwischen den Gaumenbögen, wobei im freien Ende dieser Lappen auch die Gaumentonsillen enthalten sind. Er untertunnelte dann den hinteren Gaumenbogen, zog die beiden Stiellappen mit den Tonsillen an ihrem Ende durch den untertunnelnden Schlitz im Gaumenbogen und vereinigte die beiden Stiellappen (Tonsillen) durch Naht an der Pharynxhinterwand, die vorher ihres Epithels soweit entkleidet worden war, wie die wunden Seiten der Stiellappen auflagen. Es leuchtet ein, daß die beiden Tonsillen die Velum-Rachenpassage stark einengen und somit, wie MÜNDNICH mitteilt, eine bemerkenswerte Sprachverbesserung erreicht werden kann. Bedenklich erscheint es dem Verfasser, daß die Lappenbildung gerade in dieser Gegend erfolgt (Tonsillenbett und darüber und Untertunnelung des hinteren Gaumenbogens), in der

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0 . HERFERT, Sprach verbessernde Operationen

auf jeden Fall eine intakte Muskelfunktion (Einspringen der lateralen Pharynxwände und des M. palato-pharyngicus) auch beim Spaltträger noch vorhanden ist. Sicherlich kommt es zu einer guten Einengung des Rachens annähernd in Verschlußhöhe, jedoch mag der geschaffene Gewebsring auch recht starr sein. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die überbrückenden sprachverbessernden Operationen, die Velopharyngoplastiken, die größte Bedeutung haben, ist es doch mit ihrer Hilfe möglich, die Rachenweite in Verschlußhöhe auch bei einem maximalem Velum-Rachenwandabstand soweit einzuengen, daß die muskuläre Restfunktion genügt, durchaus befriedigende, ja gute, in einzelnen Fällen sehr gute Sprachverbesserungen zu erreichen. C. Rachenverengende Operationen durch Überbrückung 1. Direkte Überbrückung a) Nach PASSAVANT und TRAUNER (Abb. 13 a u. b) Während P A S S A V A N T bald die Unzweckmäßigkeit seiner weiter oben schon skizzierten Operationsvorschläge erkannte und sie wieder fallen ließ, erlangte seine Methode der direkten Gaumen-Schlundwandnaht größere Bedeutung. Wohl machte ihm die Nahttechnik noch Schwierigkeiten, andererseits konnte er aber über gute Erfolge berichten.

a

b

Abb. 13a u. b. Direkte Gaumen-Schlundwandnaht nach PASSAVANT

Ein quer durch die ganze Dicke des Velums geführter Schnitt bringt die Entspannung des Velums zustande. Der hintere Velumrand und die gegenüberliegende Stelle der Pharynxwand werden angefrischt und vernäht. Offen bleiben lediglich Schlitze an der seitlichen Pharynxwand hinter den Tonsillen. Die Wunde im Velum schließt sich durch Granulation oder wird sekundär gedeckt. Schwäche der Methode ist die relativ häufige Nahtdehiszenz durch starke Spannung, wie P A S S A V A N T selbst mitteilt; trotzdem ist die Methode (Abb. 13 a u. b) in ihrer Idee als die Grundlage aller späteren Methoden der überbrückenden Pharyngoplastik anzusehen. In einer im Frühjahr 1953 erschienenen Arbeit greift T R A U N E R die PASSAVANTsche Idee der direkten Gaumen-Schlundwandnaht wieder auf (Abb. 14a u. b). Während jedoch P A S S A V A N T Zugänge zum Epipharynx auf beiden Seiten hinter dem unteren Ende der hinteren Gaumenbögen offen läßt, bildet T R A U N E R den Zugang in der Mitte des Velumrandes, also an der Stelle, die der natürlichen Uvula entspricht (Abb. 15).

Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

Abb. 14a. Anfrischen und Aufspalten des weichen Gaumens an seinem hinteren Rande von einer Tonsille zur anderen. Bogenförmiger Schnitt in der hinteren Rachenwand. Die später anzulegenden tiefen Haltenähte, die den weichen Gaumen an die Pharynxwand heranziehen, sind schon eingezeichnet (nach T R A U N E B )

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Abb. 14 b. Der aufgespaltene hintere Rand des weichen Gaumens wird mit dem Pharynx zweischichtig vernäht. Und zwar wird das nasale Blatt des Velums mit dem oberen Rand der Pharynxwunde als nasale Schicht, das orale Blatt mit dem unteren Rande der Pharynxwunde als orale Schicht vernäht. Dazwischen liegt beiderseits eine tiefe Drahthaltenaht, die durch die Muskulatur des weichen Gaumens und hinter der Pharynxwand hindurchzieht und in der Rachenschleimhaut unterhalb des Schnittrandes geknüpft wird.

Abb. 15. Voroperierte rechtsseitige totale Lippen-Kiefer-Gaumenspalte nach der direkten Velo-Pharyngoplastik nach P A S S A V A N T - T R A U N E R . Relativ großer mittelständiger Zugang zum Epipharynx. Später hat T R A U N E R den beiderseitigen seitlichen Zugang bevorzugt

Es entsteht so ein vom Mesopharynx zum Epipharynx führender Zugang mit recht starren Rändern, der kaum durch Muskelfunktion verschlossen werden kann. Deshalb hat T R A U N E R später entsprechend dem Vorschlag von P A S S A V A N T beiderseitige Zugänge zum Epipharynx hinter dem unteren Ende der hinteren Gaumenbögen bevorzugt. Zunächst wird der hintere Velumrand bis hinein in die hinteren Gaumenbögen angefrischt und etwas aufgespalten, dann wird an der Pharynxwand und zwar dem hinteren Velumrand gegenüberliegend ein Querschnitt angelegt, der bis an die Fascia colli propria reicht und von dem aus die Pha-

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9

0 . HERFERT,

Sprach verbessernde Operationen

rynxmuskulatur ausgiebig unterminiert wird. Die N a h t erfolgt in doppelter Reihe; zwischen diesen beiden Reihen von Nähten liegt beiderseitig je eine die Nahtreihen entlastende Drahtverschnürung, wie sie V E A U in ähnlicherWeise bei der Velumplastik angegeben hat (Abb. 14a u. b). Mit dieser sicheren Nahttechnik konnten die Nachteile der PASSAVANTschen Velo-Pharynxplastik, nämlich die Randnekrose und Nahtinsuffizienz weitgehend vermieden werden und T R A U N E R berichtete schon 1953 über 34 gut gelungene Operationsfälle. Es ist leicht einzusehen, daß diese weitgehende Einengung der velo-pharyngealen Passage gute nach operative Sprachergebnisse zeitigen muß, genügt doch das funktionelle Einspringen der lateralen Pharynxwände ganz sicherlich, u m den kompletten Verschluß durch Verschließung der zum Epipharynx führenden seitlichen Schlitzöffnungen herbeizuführen. Die Velo-Pharyngoplastik nach P A S S A V A N T - T R A U N E R h a t sich einen bleibenden Platz unter den sprachverbessernden Operationen auf Grund der Bemühungen T R A U N E R S gesichert. b) Nach RETHY I m J a h r e 1 9 5 5 veröffentlichte R E T H Y eine Arbeit mit dem Titel „Beseitigung der Rhinolalia aperta durch künstliche Rachen Verengung." R E T H Y wendet eine Schnittführung und Lappenbildung an, die m a n als eine Kombination der PASSAVANT-TRAUNERschen und der ScHÖNBORN-RosENTHALschen Methode bezeichnen kann. E r verschließt die velo-pharyngeale Passage fast vollständig bis auf einen lateralen Zugang zum Epipharynx auf einer Seite. 2. Indirekte Überbrückung durch Stiellappen aus der Rachenwand Die überbrückenden sprachverbessernden Operationen, bei denen ein Stiellappen zur Anwendung kommt, werden sich in der Art der Herstellung des Wundbettes im Bereich des Velums, in das der pharyngeale Stiellappen zur Einlagerung kommt, unterscheiden, je nachdem, ob Restlöcher oder ein endständiger Restspalt im Bereich des weichen Gaumens vorhanden ist oder der weiche Gaumen völlig geschlossen, wenn auch insuffizient ist. a) Nach

SCHÖNBORN-ROSENTHAL

I m J a h r e 1876 führte S C H Ö N B O R N — damals Ordinarius f ü r Chirurgie in Königsberg — auf Grund einer Anregung seines Lehrers T R E N D E L E N B U R G erstmalig eine Velo-Pharyngoplastik mit Überbrückung der Pharynxweite durch einen aus der hinteren Rachenwand gebildeten, kaudal gestielten Lappen durch. E r stützte sich hierbei auf die einige J a h r e vorher veröffentlichten Operationsmethoden von P A S S A V A N T , die weiter oben bereits zur Darstellung gekommen sind. Die Methode wurde von S C H Ö N B O R N besonders bei Fällen mißglückter Gaumenplastik zur Anwendung gebracht, bei denen ein Restspalt am Velumende mit rigiden wulstigen Spalträndern übrig geblieben war. U n d zwar frischte er die Spaltränder an und nähte den mobilisierten Pharynxlappen zwischen die angefrischten Spaltränder. Damit blieb die gesamte hintere Fläche des Pharynxlappens unbedeckt und wund, der Lappen war allen Insulten ausgesetzt und es nimmt nicht wunder, daß die Nähte oft insuffizient wurden und der Lappen sich vom Velum löste. Die Methode wurde vergessen. Lediglich B A R D E N H E U E R , Chirurg in Köln, veröffentlichte 1892 in einer größeren Arbeit über Gesichtsplastik den Fall eines Kindes mit durchgehender Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, bei dem er die primäre Gaumenplastik sofort mit einer Pharynxplastik nach S C H Ö N B O R N kombinierte, S C H Ö N B O R N als Autor jedoch nicht erwähnte. Es ist ein besonderes Verdienst R O S E N T H A L S , die so segensreiche Methode der VeloPharyngoplastik neuentdeckt und ihre Methodik wesentlich verbessert zu haben, wo-

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Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

durch die Operationsergebnisse sowohl in bezug auf die Einheilung des Pharynxlappens wie auch in bezug auf das sprachfunktionelle Ergebnis entscheidend verbessert worden sind. „Nach mißlungenem ,Langenbeck' ist die Pharynxplastik ein wahrer Retter in der Not", schreibt P I C H L E R . Interessant ist eine persönliche Mitteilung R O S E N T H A L S über die Entstehung der Idee einer plastischen Verbindung zwischen Rachenwand und Velum. Er schreibt: „Ich möchte Ihnen darlegen, wie ich eigentlich zu der ersten Schiundwandplastik gekommen bin. Es handelte sich um einen Medizinstudenten mit erfolglos voroperierter medianer Gaumenspalte. Seine kümmerlichen Velumreste waren absolut unbeweglich, die Sprache so schlecht, daß S P A L T E HOLZ, der ihn mir schickte, ihm vom weiteren Medizinstudium abgeraten hatte. Ich arbeitete damals mit H E L D über die muskuläre Neurotisation und kam auf die Idee, eine Muskelanlage aus der hinteren Rachenwand mit den Gaumensegelhälften in Verbindung zu bringen, um von dort zunächst einen mechanischen, später vielleicht einen neuralen Effekt auszulösen. Ich hatte bei dem jungen Mann feststellen können, daß seine Schiundwandmuskulatur, in Sonderheit seine Schlundwandschnürer, funktionierten. Von Herrn PASSAVANT und anderen Leuten wußte ich damals überhaupt nichts. Erst später wurde ich darauf aufmerksam gemacht und erhielt u. a. nach meiner ersten Veröffentlichung im Zentralblatt für

d

e

f

Abb. 16a—f. Schema der Pharyngoplastik nach a) Schnittführung an der hinteren Rachenwand b) Der Pharynxlappen mit unten liegendem Lappenfuß ist abpräpariert c) Nach Unterminierung der seitlichen Pharynxwände ist die Pharynxwunde durch Knopfnähte geschlossen

SCHÖNBORN-ROSENTHAL

d) Auf dem Velum sind Inzisionen vorgenommen, die die Velumwunde begrenzen e) Durch Abtragen der oberen oralen Schichten ist die Velumwunde dargestellt f) Durch Knopfnähte ist der Pharynxlappen auf die Velumwunde aufgesteppt. Die Pharyngoplastik ist beendet

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0 . HERFERT,

Sprach verbessernde Operationen

Chirurgie einen sehr anerkennenden Brief von TRENDELENBURG. Er gratulierte mir dazu, daß ich die Idee der Schiundwandplastik endlich in die Tat umgesetzt habe. Ich habe dann die Technik so ausgebaut, daß außer der Anlage des Schiundwandlappens auch die von ERNST und HALLE angestrebte Schiundverengerung (Mesopharyngoconstrictio) eintrat."

veröffentlichte seine Methode (Abb. 1 6 a—f) im Jahre 1 9 2 4 und konnte über 8 von ihm mit bestem Erfolg operierte Patienten im Alter von 5 bis 21 Jahren berichten. Seine Methode unterschied sich von der ScHÖNBORNschen in zweifacher Hinsicht: 1. Die Entnahmestelle des Pharynxlappens an der Rachenwand wird nach Untermienierung durch Knopfnähte geschlossen. Damit kommt es zu einer wesentlichen Einengung des Pharynxschlauches, hat doch der Pharynxlappen eine Breite von mindestens 1 besser 2 cm. 2. Die Velumspaltränder (es handelte sich damals bei den anliegenden Fällen meist um endständige Restspalten bei mißglückter Gaumenspalt- bzw. Velumspaltoperation) werden flächenhaft so weit wund gemacht (Abb. 16e), wie der Breite des Pharynxlappens an seinem kranialen Ende entspricht. Auf diese oralwärts gerichtete Wundfläche wird dann der Pharynxlappen aufgesteppt. Es ist unbedingt als ein Vorteil gegenüber der ursprünglichen ScHÖNBORNschen Methode anzusehen, daß der Pharynxlappen zum Teil der angefrischten Fläche des Velums aufliegt. Sind die Ränder des Velumrestspaltes nicht zu rigide, so wird es sogar möglich sein, sie nasalwärts umzuschlagen und zu entfalten, durch Naht zu vereinigen und damit eine geschlossene Wundfläche als Auflage für den aufzusteppenden Pharynxlappen zu schaffen. Sofern ein solcher Pharynxlappen nicht unter zu starker Spannung steht, heilt er nach den Erfahrungen des Verfassers immer ein. Der genaue Operationsgang der Velo-Pharyngoplastik nach S C H Ö N B O R N - R O S E N T H A L ist den Abbildungen 16a—f und den zugehörigen Legenden zu entnehmen. Die Abbildung 17 a zeigt den Zustand nach Velo-Pharyngoplastik bei einem 22 jährigen Patienten, bei dem ein Velumrand-Pharynxwandabstand von 2,3 cm durch einen kaudal gestielten Pharynxlappen (Methode S C H Ö N B O R N - R O S E N T H A L ) überbrückt worden ist und die Sprache nach postoperativer Sprecherziehung völlig normalisiert werden konnte. Die Abbildung 17 b und c zeigen die Rachenverhältnisse beim gleichen Patienten, wie sie der Zeichner in völlig objektiverWeise dargestellt hat. In Abbildung 17 b ist der Rachen bei völliger Ruhe (Nasenatmung), in Abbildung 17 c bei forzierter Phonation (i. . . i . . . i) gezeichnet. Das maximale Einspringen der hinteren Gaumenbögen und der Rachentonsillen nach medial ist deutlich sichtbar; damit erklärt sich auch zwanglos die Normalisierung der Sprachfunktion. Nun muß aber festgestellt werden, daß Technik und Methodik der Chirurgie der LippenKiefer-Gaumenspalten in den letzten 20 Jahren solche Fortschritte gemacht haben, daß mit Restspalten kaum noch zu rechnen ist; dazu hat vor allem die Schonung der Arteriae palatinae, wie wir sie in jedem Falle üben, beigetragen. Es wurde ja weiter oben schon hervorgehoben, daß es immer möglich ist, die Arteriae palatinae so weit zu strecken und aus dem Knochenkanal heraus freizulegen, daß die Gaumenweichteile nach jeder Richtung hin frei bewegt werden können. Es handelt sich also heute bei den Fällen, die einer sprachverbessernden Operation bedürfen, fast ausschließlich um solche, bei denen das Velum bei der primären Gaumenspaltoperation lückenlos geschlossen werden konnte, die sprachfunktionelle Insuffizienz aber einen weiteren Eingriff erfordert. Diese Insuffizienz ist meistens dadurch bedingt, daß das operativ geschlossene Velum zu kurz, zu gespannt, wenig muskelerfüllt, bisweilen auch zu vernarbt ist. Es ist zweifellos ein Opfer und Risiko, ein früher mühevoll geschlossenes Velum sagittal wieder einzuschneiden und die Wundränder beiderseits in eine nasale und orale Lefze aufzuspalten. Nach Wiedervereinigung der nasalen Lefzen durch Knopfnähte wird dann der ROSENTHAL

Die verschiedenen sprachverbessernden Operationen

Abb. 17a. Pharyngoplastikoperiert nach Originalmethode SCHÖNBORN-ROSENTHAL b e i ei-

nem Velumrand-Rachenwandabstand von 2,3 cm

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Abb. 17 b u. c. Der gleiche Fall wie Abbildung 17 a. Der Zeichner hat die Rachenverhältnisse bei ruhiger Nasenatmung, also völliger Entspannung und bei forzierter Phonation dargestellt. Zu beachten ist das starke mediale Einspringen der hinteren Gaumenbögen und der Tonsillen

Pharynxlappen auf die geschaffene Wundfläche aufgesteppt. Die Einheilung des Pharynxlappens auf dieser aufgespaltenen, durch Naht gerade wieder vereinigten Unterlage, ist zweifellos unsicherer, als wenn die Wiederauftrennung des Velums unterbliebe. Auch die Aufspaltung der hinteren Gaumenbögen und ihre gegenseitige Vereinigung durch Naht zum. Zwecke der Herstellung einer Wundfläche als Unterlage für den P h a r y n x l a p p e n — diese Vereinigung der angefrischten hinteren Gaumenbögen zum Zwecke der Einengung des Mesopharynx wurde zuerst von PASSAVANT angegeben — führt wieder zur Entstehung einer relativ unsicheren nasalen Nahtreihe. Außerdem ist es oft gar nicht möglich, die aufgespaltenen hinteren Gaumenbögen gegenseitig zu vereinigen. Es sind die häufigen Fälle mit straff gespanntem Gaumensegel und fast querverlaufendem Velumrand, wo also die hinteren Gaumenbögen stark divergieren, beinahe einen gestreckten Winkel bilden (G ABKA) . Gerade solche Fälle haben zur Ausarbeitung einer modifierten Lappenbildung am Velum ( H E R F E R T ) bei der Pharyngoplastik nach SCHÖNBORN-ROSENTHAL geführt (Abb. 18a—e). Mit dieser neuen Technik können die Nachteile der S c H Ö N B O R N - R o s E N T H A L s c h e n Methode weitgehend vermieden werden: a) Die bei der Methode SCHÖNBORN-ROSENTHAL ungedeckte Wundfläche auf der Rückseite des Pharynxlappens wird durch den Velumlappen weitgehend gedeckt, wodurch starke Schrumpfung des Pharynxlappens am ehesten vermieden wird. b) Es ist oft schwer, mit der Methode SCHÖNBORN-ROSENTHAL (kaudaler Lappenfuß) einen Velumrand-Pharynxwandabstand von mehr als 1,5 cm zu überbrücken. Bei der neuen Technik kommt der Velumlappen dem Pharynxlappen entgegen und die Überbrückung ist leichter möglich, so daß Mißerfolge durch Abgehen des Pharynxlappens sicher vermieden werden. Andererseits hat nach Erfahrung des Verfassers die S c H Ö N B O R N - R o s E N T H A L s c h e Methode mit dem unten im Mesopharynx liegenden Lappenfuß den Vorteil, daß die Ränder des Pharynxlappens und die hinteren Gaumenbögen fast parallel laufen und beinahe in einer Ebene liegen. Hierdurch wird bei Phonation, wenn die Gaumenbögen und die laterale Pharynxwand zur Mitte einspringen, am ehesten ein guter Abschluß zum Nasopharynx erreicht. Veränderte Technik der Methode SCHÖNBORN-ROSENTHAL ( H E R F E R T ) . Nachdem im Bereich des Mesopharynx die üblichen beiden Schnitte zur seitlichen Begrenzung des Pha-

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0 . HERFERT,

Sprachverbessernde Operationen

Abb. 18a—e. Schema der Pharyngoplastik nach SCHÖNBOEN-ROSENTHAL in modifizierter Technik nach I I E R F E R T a) Seitliche Begrenzungsschnitte für den Pharynxläppen im Mesopharynx angelegt b) Velum durch stumpfe Haken nach vorn und oben gezogen. Rachentonsille sichtbar c) Die Pharynxwunde ist durch Knopfnaht geschlossen, der Pharynxlappen ist bereits mobilisiert. Die Schnittführung auf dem Velum ist bereits angedeutet

d) Der Lappen von % Velumdicke ist abpräpariert und nach hinten umgeschlagen; dadurch ist ein Wundbett in Rautenform für die Aufnahme des Pharynxlappens geschaffen e) Der Pharynxlappen ist auf die geschaffene Wunde aufgesteppt

rynxlappens in einem Abstand von 2—2,3 cm (nicht weniger) angelegt worden sind, die zwischen diesen Schnitten gelegene Schleimhaut-Muskelschicht unterminiert ist (Abb. 18a), zieht der Assistent den Velumrand mit zwei stumpfen, einzinkigen Haken kräftig nach vorn oben. Dadurch wird, wenn der Patient den Kopf gut in den Nacken nimmt und der Operateur von unten nach schräg oben in den Mund des Patienten sieht, der Einblick in den Epipharynx mindestens so weit frei, daß die untere Begrenzung der Rachentonsille sichtbar wird (Abb. 18b). So kann nach Verlängerung der beiden bereits angelegten Seitenschnitte nach oben hin der den Pharynxlappen endgültig freigebende Querschnitt direkt an der unteren Grenze der Tonsille unter Sicht des Auges angelegt werden, ohne daß das

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Velum irgendwie aufgespalten wird. Die Wunde an der Pharynxwand wird nach Unterminierung ihrer Ränder in üblicher Weise durch mehrfache Knopfnaht geschlossen (Abb. 18c). Durch seichten Schnitt (Schnittiefe % Gesamtdicke des Velums) wird ein Lappen auf der oralen Fläche des Velums umschnitten, wie aus Abbildung 18c ersichtlich ist; Basis des Lappens ist der hintere Velumrand. Dann wird der umschnittene Bezirk bis an den hinteren Velumrand als Lappen von '/2 Velumdicke abpräpariert und nach unten und hinten umgeschlagen. Dadurch entsteht eine Wundfläche von Rautenform (Abb. 18d). Der hintere bewegliche Teil dieser Rautenfigur, also der soeben vom Velum abpräparierte Lappen, wird nach dem Pharynx hin durch Zug der Pinzette ausgespannt und der Pharynxlappen mit dem freibeweglichen Velumlappen durch 3 bis 5 Steppnähte verbunden ; 5 bis 6 Randnähte adaptieren den Pharynxlappen auf Velumlappen und Velumwundfläche (Abb. 18e). Durch Präparation einer doppelt großen Wundfläche (gegenüber der Originalmethode SCHÖNBORN-ROSENTHAL), durch die Möglichkeit, damit den Zug des Pharynxlappens auf eine doppelte Anzahl von Nähten zu verteilen, ist die Gefahr der Nahtinsuffizienz und damit die Gefahr des Abgehens des Pharynxlappens vor seiner Einheilung weitgehend abgewendet; der Verfasser konnte ein Abgehen des Pharynxlappens in seinem Operationsgut niemals beobachten, obgleich Abstände bis 2 , 3 cm überbrückt wurden ( H E R F E R T ) . Fügt man als eine die Pharyngoplastik vorbereitende Operation, wenn möglich, noch die Rücklagerung der gesamten Gaumenweichteile hinzu, wodurch bereits eine Annäherung des Velums an die Rachenwand erfolgt, so entfallen nach den praktischen Erfahrungen des Verfassers eigentlich die Einwände, die gegen die Pharyngoplastik mit untenliegendem Lappenfuß (SCHÖNBORN-ROSENTHAL) erhoben werden. Die Rücklagerung kann gleichzeitig mit der Pharyngoplastik oder vielleicht 2—3 Wochen vorher vorgenommen werden. Schrumpfung des Pharynxlappens in seiner Breite bis zur Hälfte, wie sie GRIMM angibt, konnten vom Verfasser niemals beobachtet werden. Nur zu schmale, dürftige, lockere Lappen unterliegen der Schrumpfung. Wenn SCHWECKENDIEK, um der Schrumpfungsgefahr zu begegnen, den Pharynxlappen in seinem überbrückenden Teil durch Naht einrollt, so verzichtet er von vornherein auf eine gewisse Breite, ohne die Schrumpfung absolut verhindern zu können, da die im Lappen (jetzt Rundstiellappen) liegende verwundete Muskulatur ebenfalls der Schrumpfung unterliegt. Der Verfasser glaubt aber, durch leichte Spannung des Pharynxlappens und durch Aufsteppen des nach hinten umgeschlagenen Velumlappens auf den mittleren Teil des Pharynxlappens (die eigentliche Brücke) der Schrumpfungsgefahr am ehesten begegnen zu können. Die Idee für die eben geschilderte veränderte Methodik ist aus der Schwierigkeit eines klinischen Falles entstanden: im Juli 1953 stellte sich ein 14jähriger Patient mit voroperierter medianer Gaumenspalte vor. Es bestand ein markstückgroßes Restloch am Übergang vom harten zum weichen Gaumen (Abb. 19a). Das Velum war stark gespannt und dementsprechend funktionell insuffizient. Die gesamten Gaumenweichteile, und zwar in der Umgebung des Restloches wie auch im Bereich des Velums waren äußerst dünn, kaum von Muskulatur erfüllt; in manchen Bezirken fehlte die Muskulatur völlig, so daß dort orale Schleimhautschicht und nasale Schleimhautschicht ohne dazwischenliegende Muskelschicht fast aneinander lagen. Das erklärt auch, daß es trotz alio loco zweimalig vorgenommener Operation nicht gelungen war, den Gaumen völlig zu schließen. Die Ende Juli 1953 vorgenommene dritte Operation führte zum völligen Verschluß des Gaumenrestloches. Die dabei vorgenommene Rücklagerung der gesamten Gaumenbedeckung hatte auch bereits eine gewisse Entspannung des Gaumensegels und seine Annäherung an die Pharynxwand zur Folge (Abb. 19b). Wohl hatte sich durch diesen Operationserfolg die Sprache bereits bemerkenswert gebessert. Da der Patient jedoch in den nächsten Monaten in die Oberschule eintreten sollte, erschien eine weitere Sprachverbesserung notwendig. Nun wäre es nach den

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0 . HERFERT, Sprach verbessernde Operationen

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Abb. 19a. Fall eines 14jährigen Jungen mit medianer Gaumenspalte, der zweimal alio loco erfolglos voroperiert wurde. Großes ovaläres Restloch (s. auch Text) Abb. 19b. Restloch 8 Tage nach operativer Doppeldeckung unter gleichzeitiger Rücklagerung der Gaumenweichteile lückenlos geschlossen Abb. 19c. Zustand direkt vor Pharyngoplastik, 3 Monate nach Restlochoperation. Noch zu großer Velumrand-Rachenwandabstand von 1,8 cm Abb. 19d. Rachenverhältnisse einige Monate nach Pharyngoplastik Methode

SCHÖNBORN-ROSENTHAL-

HERFERT

Abb. 20. Pharyngoplastik. Operiert nach modifizierter Technik des Verfassers. Vorheriger Velumrand-Rachenwandabstand von 2,0 cm

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früheren Operationsmißerfolgen, die zweifellos auf die schlechten anatomischen Gegebenheiten zurückzuführen waren, mehr als leichtsinnig gewesen, dieses dünne Velum median wieder aufzuspalten, da ein Wiederzusammenheilen bei kaum vorhandener Muskulatur nicht zu erwarten war. Deshalb wurde bei diesem Patienten erstmalig die Pharyngoplastik nach der oben geschilderten Technik durchgeführt (s.Abb. 18a—e). Die Abbildung 19 c zeigt den Zustand direkt vor der Pharyngoplastik, etwa drei Monate nach Restlochoperation und Rücklagerung. Es bestand ein Velum-Rachenwandabstand von 1,8 cm. Die Abbildung 19 d gibt dann den Zustand drei Monate nach erfolgreicher Pharyngoplastik wieder. Der Lappen ist ausreichend breit. Der sprachfunktionelle Erfolg war sehr gut und konnte durch Vergleich laufend durchgeführter Tonbandaufnahmen objektiviert werden. Die Abbildung 20 zeigt eine weitere Pharyngoplastik nach der neuen Technik des Verfassers. Der Velum-Rachenwandabstand betrug voroperativ 2,0 cm. Der sprachfunktionelle Erfolg war nach Absolvierung eines qualifizierten Sprechunterrichtes sehr gut. Es kann also festgestellt werden, daß es bei Anwendung einer modifiziertem Operationstechnik möglich ist, die Nachteile der Methode S C H Ö N B O R N - R O S E N T H A L weitgehend auszumerzen und ihre Erfolgssicherheit zu erhöhen, so daß diese Methode der Pharyngoplastik auch heute noch als eine Standardmethode unter den sprachverbessernden Operationen nach funktionell unbefriedigender Gaumenplastik angesehen werden kann 1 ). b) nach SANVENERO-ROSSELI

Bei der Darstellung der Methode der Velo-Pharyngoplastik nach SCHORN B O R N - R O S E N wurde schon angedeutet, daß es schwierig sein kann, bei einer großen VelumrandRachenwanddistanz die sagittale Rachenweite mit einem unten gestielten Pharynxlappen ohne übermäßige Anspannung des Lappens zu überbrücken. Eine mäßige Spannung des Pharynxlappens ist notwendig, um die Schrumpfung des Lappens hintanzuhalten. Eine übermäßige, gewaltsame Anspannung beinhaltet jedoch die Gefahr der Nahtinsuffizienz und des Abgehens des Pharynxlappens. Der abgegangene Lappen schrumpft dann an der Pharynxwand zu einem kleinen, sprachfunktionell unbedeutenden Muskel-Narbenhöcker und die Velo-Pharyngoplastik läßt sich als überbrückende Operation nicht mehr wiederholen. Im Interesse des Patienten muß jedoch jedes Risiko, das das Endziel der optimalen oder annähernd optimalen sprachfunktionellen Herstellung des Patienten in Frage stellt, vermieden werden. Wohl sind dem Verfasser mit der Originalmethode nach S C H Ö N B O R N R O S E N T H A L keine Fehlleistungen passiert, es muß aber zugestanden werden, daß der Operateur die ersten sechs Tage nach der Operation seinen Patienten recht ängstlich beobachtete. So ist es gut zu verstehen, daß S A N V E N E R O - R O S S E L L I , Mailand, im Jahre 1934, fußend auf den Methoden von P A S S A V A N T , S C H Ö N B O R N und R O S E N T H A L seine Methode der VeloPharyngoplastik mit einem oben gestielten Pharynxlappen inaugurierte. Die Abbildung 21 und 22 zeigen die Anlage und Einpflanzung des oben gestielten Pharynxlappens. Die Wunde in der Rachenwand wird wie bei der Methode nach S C H Ö N B O R N R O S E N T H A L durch Knopfnähte geschlossen; die Spaltränder sind zur Aufnahme des Lappens bereits aufgespalten (Abb. 22). Aus dem Schema der Abbildung 21 ist gut zu ersehen, daß bei der Lappenanlage mit oben liegendem Lappenfuß unmittelbar unter der Rachentonsille der Pharynxlappen immer spannungsfrei auf der nasalen Seite des Velums eingenäht werden kann, da seine Länge durch Hinabführen der Seitenschnitte bis an die THAL

x

) Sieben Monate nach Veröffentlichung dieser neuen Technik erfuhr Verfasser durch Herrn POUL FOGH-AN D KRSEN, Kopenhagen, in persönlicher Rücksprache, daß dieser die Pharyngoplastik in ähnlicher Technik durchführt. Die entsprechende Arbeit in „Acta Chirurgica Scandinavica 1953" war dem Verfasser bis dahin unbekannt.

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Grenze zwischen Mesopharynx und Hypopharynx ausreichend variiert werden kann. gibt eine Länge des Lappens bis zu 5 cm bei einer Breite von 2 cm an.

SANVENERO-ROSSELLI

Er sieht in der Tatsache, daß der oben gestielte Pharynxlappen das Velum nach hinten, vielleicht auch bisweilen nach hinten oben zieht, einen Vorteil gegenüber dem unten gestielten Lappen, der das Velum nach hinten und schräg unten zieht. Er glaubt, daß mit der von ihm vorgeschlagenen Lappenbildung die restliche Velumfunktion — so weit vorhanden — besser zur Auswirkung kommt. Weiter oben wurde schon darauf hingewiesen, daß

Abb. 22. Schema der Pharynxlappenbildung mit kranialem Fuß und der Aufspaltung des Velums nach S A N V E N E R O - R O S S E L L I

Abb. 21. Schema der Pharynxlappeneinpflanzung auf die nasale Fläche des Velums nach SANVENEROR O S S E L L I (Schnitt in der Medianebene von der Seite betrachtet). Um den Lappen so weit nasalwärts einpflanzen zu können, ist natürlich die sagittale Inzision und die Aufspaltung des Velums erforderlich. Diese Art der Einpflanzung ist besonders bei gleichzeitiger Deckung von Restlöchern am Übergang vom harten zum weichen Gaumen bei endständigen Restspalten und bei Pharyngoplastiken in Verbindung mit der primären Veloplastik angezeigt

man in den sprachverbessernden Operationen Eingriffe sehen sollte, die die übermäßige Rachenweite einengen, so daß die vorhandene muskuläre Rachenfunktion dann ausreicht, den sprechfunktionellen Abschluß zwischen mittlerem Rachen und Nasenrachen zu bewirken. Die Erfahrung lehrt, daß die median gelegenen, oben oder unten gestielten Lappen sich zu derben Brücken umwandeln, wobei sie Velum und Rachenwand in starkem Grade einander nähern. Die Verschlußfunktion wird dann im wesentlichen von der seitlichen Pharynxwand einschließlich der hinteren Gaumenbögen ausgeübt. Die Indikation für die Anwendung des oben liegenden Lappenfußes ist in weitgehender Übereinstimmung mit S A N V E N E R O - R O S S E L L I folgende: 1. Bei der primären Gaumenspaltoperation in Fällen von besonders breiten Spalten mit Hypoplasie der Gaumensegelmuskulatur; vor allen Dingen bei Spalten, die noch durch abnorm große Breite und Tiefe des Pharynx kompliziert sind (Originalverfahren von BuRIAN).

2. Bei submukösen Spalten (LERMOYEZ-Syndrom); auch bei Fällen von angeborener, postdiphtherischer oder superbulbärer Lähmung des Gaumensegels.

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Abb. 23a. Zustand bei 24jähriger Patientin, die alio loco zweimal erfolglos wegen einer angeborenen medianen Gaumenspalte voroperiert wurde. Großes ovaläres Restloch. Velumrand-Rachenwandabstand von 2,0 cm

Abb. 23 b. Zustand 4 Monate nach Restlochoperation unter gleichzeitiger Rücklagerung der Gaumenweichteile

Abb. 23 c. Zustand 6 Monate nach Pharyngoplastik nach der Methode SANVENERO-ROSSELLI (Pharynxlapper initoben liegendem Lappenfuß), wobei aber das Velum nicht aufgespalten, sondern ein Velum läppen von der nasalen Seite des Velums nach der Technik des Verfassers gebildet wurde. Die Sprache konnte völlig normalisiert werden

3. Als Sekundäroperation bei Gaumenspaltfällen nach. Mißerfolg früherer Operationsversuche (Restlöcher im Velum). Gerade beim Restloch am Übergang vom harten zum weichen Gaumen, wenn die Weichteile narbig und rigide geworden sind, kann der oben gestielte, lange Pharynxlappen eine ganz entscheidende Hilfe darstellen, wenn man ihn gleichzeitig als nasale Schicht zum Verschluß des Restloches verwendet ( J O H A N S O N ) . Daß endständige Restspalten im Velum mit einem solchen Lappen mit Vorteil geschlossen werden können, versteht sich von selbst. 4. Ist bei operativ geschlossenem Velum der Velum-Rachenwandabstand größer als 1,8 cm, so sollte man immer den oben gestielten Lappen anwenden, da man so das Risiko, das man mit unten gestieltem Lappen wegen zu starker Lappenanspannung eingehen würde, sicher vermeiden kann. Bei einem Velum-Rachenwandabstand bis zu 1,8 cm ist sowohl die Methode S C H Ö N B O R N - R O S E N T H A L in der Technik des Verfassers, wie die Methode nach S A N V E N E R O R O S S E L L I angezeigt. 5. Bei Patienten, die infolge Krankheit oder Unfall ausgedehnte Zerstörungen des weichen Gaumens aufweisen, welche sich mit den üblichen für die angeborenen Gaumenspalten anzuwendenden Methoden operativ nicht behandeln lassen. Handb. Plast. Chir., Bd. I I

3

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9

0 . HERFERT, Sprachverbessernde Operationen

Die Abbildungen 23 a — c zeigen einen nach der Methode SANVENERO-ROSSELLI operierten Fall einer 24 jährigen Patientin: Trotz alio loco zweimal vorgenommener Gaumenspaltoperation war es nicht gelungen, die angeborene mediane Gaumenspalte restlos zu schließen. Es bestand ein großes, ovaläres Restloch in Höhe der Prämolaren; der Velumrand-Rachenwandabstand betrug 2,0 cm (Abb. 23a). Zunächst wurde die Restlochoperation unter gleichzeitiger Rücklagerung der gesamten Gaumenweichteile mit Erfolg durchgeführt (Abb. 23b). 4 Monate danach erfolgte die Velo-Pharyngoplastik nach SANVENERO-ROSSELLI. Die Abbildung 23 c zeigt den Zustand des Rachens 6 Monate nach der Pharyngoplastik. Nach Sprachtherapie war die Sprache praktisch normal. Die Abbildung 22 könnte vermuten lassen, daß bei der Methode SANVENERO-ROSELLI der weiche Gaumen — falls vorher schon geschlossen, was meistens der Fall sein wird — wieder aufgespalten werden müßte, um die nasalen und oralen Wundlefzen durch Aufspaltung der Ränder darstellen und den kranial gestielten Lappen einnähen zu können. Das ist durchaus nicht notwendig, kann man doch in diesen Fällen die modifizierte Technik des Verfassers, wie sie schon bei der Methode SCHÖNBORN-ROSENTHAL zur Darstellung kam, in sinngemäßer Weise auch bei der Methode SANVENERO-ROSSELLI zur Anwendung bringen. Durch den Zug zweier stumpfer Haken, die in den Velumrand eingesetzt werden, ist es möglich, die nasale Fläche des Velums nahe dem Velumrande nach oral umzukippen. Es gelingt dann, einen Velumlappen von der nasalen Seite des Velums zu präparieren, so wie es in Abbildung 18 d für die orale Seite dargestellt ist. Auch wenn es nicht möglich ist, den nasalen Velumlappen so groß zu präparieren, wie es auf der oralen Seite leicht gelingt, bedeutet es einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, wenn die sagittale Aufspaltung des in der primären Gaumenspalte geschlossenen Velums bei der Velo-Pharynxplastik unterbleiben kann. Während in Deutschland die sprachverbessernden Operationen mehr als nachsorgende Eingriffe bei sprachfunktionell schlechtem Ergebnis der primären Gaumenplastik zur Anwendung gebracht werden, verbindet der sehr bekannte und erfahrene Plastiker B U R I A N , Prag, die Velo-Pharyngoplastik, und zwar nach der Methode SANVENERO-ROSSELLI, bereits mit der primären Gaumenplastik in vielen Fällen und berichtet über beste Erfolge. Wichtig für eine Einschätzung der wichtigsten sprachverbessernden Operationen sind die Untersuchungen von GRIMM-MEINHOLD-SUTTNER, wenn sie auch an einem kleinen Patientengut gewonnen sind. Danach zeitigt die Methode von SANVENERO-ROSSELLI die besten sprachfunktionellen Ergebnisse, gefolgt von der Methode SCHÖNBORN-ROSENTHAL und der von H Y N E S (nur diese drei Methoden standen bei GRIMM zur Untersuchung an). Abschließend kann festgestellt werden, daß die direkte Gaumen-Schlundwandplastik nach P A S S A V A N T - T R A U N E R und die indirekte Gaumen-Schlundwandplastik nach a ) SCHÖNBORN-ROSENTHAL b)

und

SANVENERO-ROSSELLI

als Standardmethoden der sprach verbessernden Operationen anzusehen sind. Auch die Pharyngoplastik nach R E T H Y ist diesen Methoden zuzurechnen. Die Pharyngoplastik nach H Y N E S verspricht nur dann Erfolg, wenn die velopharyngeal Inkompetenz (Verschlußdefizit) gering ist. Die Anaesthesie bei den sprachverbessernden Operationen bedarf für den operativ Vorgebildeten keiner besonderen Besprechung. Die Operationen können in lokaler Betäubung aber auch in Intubationsnarkose bei oraler Intubation durchgeführt werden. Eine zweckmäßige Praemedikation sollte immer erfolgen. Dem Verfasser haben sich seit dem Jahre 1950 die Methoden von SCHÖNBORN-ROSENTHAL besonders in der veränderten Technik mit Bildung eines Velumlappens ( H E R F E R T ) und von SANVENRO-ROSSELLI besonders bewährt.

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HANDBUCH DER

PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHRBANDT · J . GABKA · A . BEKNDORFER

BAND II S P E Z I E L L E PLASTISCHE

CHIRURGIE

10. Prothetische Maßnahmen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten HERRMANN BÖTTGER, Düsseldorf

Inhaltsübersicht I. Prothetischer Ersatz nach Operationen von Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten . . . . 1 II. Die prothetische Behandlung der Spaltenbildungen 6 III. Die Obturatoren

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. H. Böttger 4 Düsseldorf Westdeutsche Kieferklinik

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10. Prothetische Maßnahmen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten HERMANN BÖTTGEE

— Düsseldorf

I. Prothetischer Ersatz nach Operationen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten Unter den verschiedenartigen Aufgaben, mit denen sich die zahnärztliche Prothetik zu beschäftigen hat, nimmt die prothetische Behandlung von operierten Lippen-KieferGaumenspalten eine Sonderstellung ein. Beim operierten Spaltpatienten stellen die prophetischen Maßnahmen lediglich einen Teil eines Behandlungskomplexes dar, da bei den Spaltträgern ein befriedigendes Behandlungsergebnis nur im Zusammenwirken von chirurgischen, orthopädischen und prothetischen Behandlungen erreicht werden kann. Da das Ergebnis der chirurgischen und orthopädischen Maßnahmen, also jener Maßnahmen, die vor den prothetischen Behandlungen erfolgen müssen, durchaus unterschiedlich sein kann, und das prothetische Vorgehen von diesem Ergebnis abhängig ist, stellt jeder einzelne Behandlungsfall den Behandler vor neue Aufgaben. In diesem Beitrag soll nur zu den prothetischen Problemen Stellung genommen werden. Zum besseren Verständnis seien aber ein paar kurze einleitende Bemerkungen zur Symptomatologie der Spaltpatienten vorausgeschickt. Bei der unoperierten Lippen-KieferGaumenspalte verläuft die Spalte im frontalen Kieferanteil an der Grenze zwischen Oberkieferfortsatz und Zwischenkiefer, d. h. entweder zwischen seitlichem Schneidezahn und Eckzahn oder mitten durch die Anlage des seitlichen Schneidezahnes hindurch. Der seitliche Schneidezahn ist meist nur verkümmert, ζ. B. in Form eines Zapfenzahnes, oder überhaupt nicht angelegt. Es kann aber auch zu einer Überzahl von Zähnen im Spaltbereich kommen. Bei der doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte steht der Zwischenkiefer nicht mehr unter Kontrolle der Oberkieferfortsätze, daher ist meist schon beim Neugeborenen ein ausgeprägtes Wachstum des Zwischenkieferbürzels nach vorn und aufwärts zu beobachten. Wesentlich anders sind die Verhältnisse beim operierten Fall. Beim operierten Spaltträger besteht häufig eine Unterentwicklung des Oberkiefers mit Palatinalstand der Zähne. Die Unterentwicklung der Maxiila und häufig auch des ganzen Mittelgesichtes ist besonders ausgeprägt bei doppelseitigen Spalten, wodurch meist ein Kreuzbiß bewirkt wird (unechte Progenie oder Pseudoprogenie). Die Entstehung solcher Dysgnathien erklärt sich einmal daraus, daß nach Vereinigung der gespaltenen Lippe ein verstärkter Zug der Lippenund Wangenmuskulatur ausgeübt wird ( R I T T E R , R O S E N T H A L , U L L I K , H A Y M , H E R F E R T , G A B K A ) . Daneben kommt es auch zu Oberkieferveränderungen durch die später durchgeführte Gaumenplastik bzw. die dadurch bedingten Narbenzüge wie auch überhaupt durch die Hemmungsbildung als solche. Nach den chirurgischen Maßnahmen wird deshalb in den meisten Fällen eine kieferorthopädische Behandlung notwendig. Diese ist oft außerordentlich schwierig, da einerseits die Zahnbewegung selbst sehr langsam abläuft und Wachstumsstörungen sich sehr stark bemerkbar machen und andererseits die Rückfallneigung außerordentlich groß ist. Man ist daher gezwungen, mit aktiven orthopädischen Geräten, und zwar festsitzenden Apparaturen oder herausnehmbaren Platten wie auch Kopf-KinnKappen solche Zahnbewegungen und Zahnbogenformungen durchzuführen und eine außerordentlich lange Retentionszeit folgen zu lassen, und zwar sehr oft bis zur Eingliederung der Prothese oder der Durchführung der prothetischen Maßnahmen. Auch an ausgleichende Handb. Plast. Chir., Bd. II

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Extraktionen im Unterkiefer muß bei solchen Fällen gedacht werden (vgl. ESCHLER, Präund postoperative kieferorthopädische Behandlung bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten). Nach den chirurgischen und kieferorthopädischen Maßnahmen ist im Einzelfall daran zu denken, daß prothetische Behelfe sehr gut, wenn nicht am besten geeignet sind, ein Rezidiv nach der kieferorthopädisehen Behandlung zu verhindern. In orthopädischer Beziehung soll das Kind zur Zeit des ersten Eingriffes, also bereits von den ersten Lebensmonaten an bis zur Vollendung des Zahndurchbruches bzw. bis zum Beginn der prothetischen Behandlung unter entsprechender Beobachtung sein, damit die für jeden Zeitpunkt zweckmäßige oder notwendige kieferorthopädische Behandlung vorgenommen werden kann. Aufgabe der prothetischen Behandlungsmaßnahmen ist es, nicht nur die fehlenden Zähne zu ersetzen und eine normale Sprach- und Kaufunktion zu ermöglichen, sondern insbesondere auch, die Ästhetik wesentlich zu verbessern. Es kommt darauf an, die Planung, den konstruktiven Aufbau sowie das eigentliche Vorgehen am Patienten so einzurichten, daß einerseits das orthopädische Behandlungsergebnis gesichert bleibt — also ein Rezidiv verhindert wird — (Schaffung eines tieferen, die Schlußbißstellung sichernden Frontzahnüberbisses und gute Seiten Verzahnung) und andererseits die vorhandenen Zähne möglichst lange erhalten bleiben, weil nach vollkommenem Zahnverlust der Halt einer oberen Vollprothese in diesen Fällen meistens auf außerordentlich große Schwierigkeiten stößt. Es kann dann nämlich kaum mit einer Saugwirkung gerechnet werden. Die prothetische Behandlung muß, wie schon angedeutet, ohne Zeitverlust im Anschluß an die orthopädischen Maßnahmen durchgeführt werden, weil ein Rezidiv sehr schnell klinisch in Erscheinung treten kann. Die prothetische Behandlung wird mit Ausnahme jener Fälle, in denen die Behandlung mit Kronen bzw. einer festsitzenden Brücke möglich ist, mit einem Ersatz durchgeführt, der über die Frontzähne geschoben, eine neue künstliche Zahnreihe weiter frontal trägt. Derartige Prothesen werden als Deckprothesen oder Coverdenture bezeichnet. Um die von der Platte bedeckten Zähne vor Karies zu schützen, muß man alle betreffenden Zähne Überkronen. Bei stark reduziertem Gebiß empfiehlt es sich, die Kronen mit Stegen zu einem Widerstandsblock zusammenzufassen. Die Deckprothese selbst wird über die Kronen geschoben. Man kann sie mit eingearbeiteten Klammern befestigen. Eine souveräne Befestigungseinrichtung stellt hier das Teleskopsystem dar. Unter Teleskopsystem versteht man die verschiedenen Anker zur Befestigung einer abnehmbaren Brücke oder Teilprothese. Zu den teleskopierenden Ankern zählen die Teleskopkrone, teleskopierende Fazettkronen, teleskopierende Ringstiftkronen, das Rillenschulter stiftgeschiebe und die verschiedenen Geschiebearten. Bei den teleskopierenden Ankern handelt es sich grundsätzlich um zwei Teile. Der eine Teil ist anatomisch korrekt ausgeformt und mit der Prothese verbunden. Er wird über eine auf dem Zahn festzementierte mit parallelen Wänden versehene Krone oder Teilkrone geschoben. Bei der Teleskopprothese wird der Stützzahn im Gegensatz zur Klammer allseitig gefaßt und ziehende Bewegungen, welche bei der Klammer auftreten können, fallen weg. Weiter bewirken die Teleskope einen eindeutigen und festen Sitz der Prothese. Die Beanspruchung des mit einer Teleskopkrone versehenen Zahnes wirkt sich außerordentlich günstig aus, da die funktionelle Inanspruchnahme weitgehend in axialer Richtung vor sich geht. Dadurch kann ein Gewebeumbau ausgelöst werden, in dessen Ablauf der Zahn, vor allem auch der lockere, intrudiert und das parodontale Gewebe in einen Zustand funktioneller Anpassung versetzt wird (BÖTTGER, HÄUPL). Das prothetische Vorgehen bei operierten Spaltträgern sei an Hand von vier einschlägigen Fällen demonstriert. Bei dem zunächst vorgeführten Fall (G. F.) war eine linksseitige Lippen-KieferGaumenspalte durch eine Reihe von chirurgischen Eingriffen geschlossen. Die Zähne / 12 3

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fehlten, die Zähne 4 3 2 1 / 4 5 standen palatinal. Im 20. Lebensjahr wurden diese Zähne mit Teleskopkronen überkront (Abb. 1). Am abnehmbaren Zahnersatz waren auf der einen Seite 4 und auf der anderen Seite 2 Außenteleskope miteinander verlötet und in eine kleine Kunststoffplatte eingearbeitet (Abb. 2). An dieser Kunststoffplatte waren die künstlichen

Abb. 1. Die Teleskopkronen im Munde zementiert

Abb. 2. Die Deckprothese von der Unterseite für den Patienten der Abbildung 1

Abb. 3. Die eingesetzte Prothese in Schlußbißstellung

Abb. 4. Operierte doppelseitige Lippen-KieferGaumenspalte vor der prothetischen Behandlung

Abb. 5. Die eingesetzte Deckprothese in Schlußbißstellung

Zähne vor der Vestibularfläche der Außenkronen angeordnet. Der Bereich des Gaumens ist von der Platte unbedeckt. Die Behandlung ermöglichte einerseits die Verbesserung der Kaufunktion und andererseits ein gutes ästhetisches Ergebnis (Abb. 3). In ähnlicher Weise wurde die Behandlung bei einer 24 jährigen Patientin mit einer operierten doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit Unterentwicklung des Oberkiefers und Fehlen der oberen Schneidezähne (Abb. 4) durchgeführt. Die Eckzähne und 85'

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Prämolaren wurden mit Teleskopkronen versehen, die zur Befestigung und Abstützung einer Deckprothese dienten. In der Schlußbißstellung (Abb. 5) ist mit Hilfe der künstlichen Zahnreihe ein ästhetisch befriedigender Frontzahnüberbiß erreicht. Bei dem nächsten Fall bestand ein Vorbiß mit ausgeprägtem Tiefbiß und Palatinalstand, der zum Kreuzbiß im Bereich der Front und Seitenzähne führte. Bei dieser Gebißfehlentwicklung ist der Oberkiefer in allen seinen Bereichen wesentlich unterentwickelt. Es hegt eine typische unechte Progenie vor (Abb. 6). Ursache dieser Gebißfehlentwicklung war eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte links, die in der Jugend operiert wurde.

Abb. 6. Typische Pseudoprogenie nach Operation einer linksseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte. Schlußbißstellung vor der Behandlung

Abb. 7. Eine Aufbißschiene ist auf die Zahnreihe des Unterkiefer aufgesetzt

Abb. 8. Mit Hilfe von Außenteleskopen ist im Oberkiefer eine herausnehmbare Brücke eingesetzt worden, die an den Molaren zusätzlich mit Klammern arretiert wurde

Abb. 9. Ansicht der kompletten Rehabilitation

Die prothetische Behandlung (RIEDEL) wurde zunächst mit einer Aufbißschiene nach eingeleitet, die, auf die Zahnreihe des Unterkiefers aufgelegt, die Aufgabe h a t t e , den Biß zu heben (Abb. 7). Danach wurden die Frontzähne und die ersten Prämolaren mit Teleskopkronen überkront. Die Außenteleskope wurden in Form einer abnehmbaren Brücke hergestellt, die an den Molaren zusätzlich mit Klammern arretiert war (Abb. 8). Mit Hilfe dieser Prothese und der Aufbißschiene konnten die Frontzähne in einem harmonischen Zahnbogen in Kopfbißstellung angeordnet werden (Abb. 9). Da die Unterkiefer aufbißschiene nur eine temporäre Maßnahme darstellt (BÖTTGER), wurde sie später durch Kronenverbände ersetzt. Die weitgehende Verbesserung der Ästhetik geht aus einem Vergleich mit dem Anfangsbefund deutlich hervor. Der letzte Fall demonstriert, wie durch ein gemeinsames kiefer chirurgisches, kieferorthopädisches und prothetisches Vorgehen ein optimales Behandlungsergebnis erzielt BÖTTGER

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werden kann. Es handelt sich um eine 28 jährige Patientin, die wegen einer doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte operiert war. Es bestand eine Pseudoprogenie mit einer Schneidezahnstufe von 25 mm (Abb. 10), sowie eine Deformation der Nase. Zunächst wurde eine Osteotomie beider aufsteigender Unterkieferäste vorgenommen (Op. Dr. H O L T R I C H TER) (Abb. 11). Einige Wochen später wurde chirurgisch die Nase korrigiert (Op. Prof. Dr. SCHRUDDE). Gleichzeitig wurde eine kieferorthopädische Nachbehandlung (Dr. T I E G E L KAMP) eingeleitet. Aufgabe dieser Behandlung war es, zu verhindern, daß nach der Operation ein Rückfall eintrat (Abb. 12).

Abb. 10. Gipsabgüsse vor der Behandlung von der rechten Seite. Schneidezahnstufe von 25 mm

Abb. 11. Gipsabgüsse nach der Progenieoperation

Abb. 12. Gipsabgüsse nach kieferorthopädischer Nachbehandlung

Abb. 13. Gipsabgüsse in Schlußbißstellung nach prothetischer Behandlung

Zu derartigen Behandlungen eignen sich funktionelle Maßnahmen mit einem Aktivator nach A N D R E S E N — H Ä U P L , wie sie von R E I C H E N B A C H und S C H R U D D E — W U N D E R E R empfohlen wurden. Auch bei diesem Fall wurde die Behandlung mit einem Aktivator durchgeführt. 8 Wochen nach der Osteotomie wurde mit der prothetischen Behandlung begonnen. Das Ziel war, einen neuen, harmonischen, regelmäßigen Frontzahnbogen zu schaffen, und durch eine eindeutige Verzahnung, bzw. durch einen betonten Frontzahnüberbiß die mittels chirurgischen und orthopädischen Maßnahmen eingestellte Unterkieferbißlage zu sichern (Abb. 13). Der Zahnersatz wurde mit Teleskopkronen auf den Eckzahn und ersten Prämolaren und mit Gußkronen auf dem überkronten zweiten Prämolaren (Abb. 14) befestigt. Der eingefügte Zahnersatz, mit einem die Schlußbißstellung sichernden Frontzahnüberbiß, ist auf Abbildung 15 zu erkennen. Im Vergleich zum Anfangsmodell (Abb. 10) mit den disharmonischen Zahnreihen zeigt das Abschlußmodell mit eingesetzter Teleskopprothese das

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günstige Behandlungsergebnis (Abb. 15). Besonders deutlich wird die Verbesserung des Aussehens, bei Betrachtung des Profils vor der Behandlung (Abb. 16), nach Abschluß der chirurgischen und orthopädischen Maßnahmen (Abb. 17) und nach dem Einsetzen des Zahnersatzes (Abb. 18). Durch die Prothese konnte nicht nur eine harmonisch wirkende Frontzahnreihe neu angeordnet, sondern auch die Oberlippe von innen gestützt werden.

Abb. 14. Die Innenteleskope und die Prämolarenkronen im Munde zementiert

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Abb. 15. Der eingegliederte Zahnersatz. Im Unterkiefer ist eine kleine Frontzahnbrücke eingesetzt

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Abb. 16. Profilansicht vor der Behandlung Abb. 17, Profilansicht nach den chirurgischen und orthopädischen Maßnahmen Abb. 18. Profilansicht nach Eingliederung des Zahnersatzes. Vollständige Rehabilitation

Dieser Behandlungsfall läßt in besonders schöner Weise erkennen, in welchem Ausmaß durch ein zweckmäßiges Zusammenwirken kieferchirurgischer-kieferorthopädischer-prothetischer Behandlunsmaßnahmen die Funktion und Ästhetik verbessert werden kann.

II. Die prothetische Behandlung der Spaltenbildungen Neben den im vorausgegangenen Kapitel erörterten prothetischen Behandlungen, die nach plastischer Deckung bei angeborenen Oberkieferdefekten notwendig werden können, wird in seltenen Fällen auch eine prothetische Versorgung bei angeborenen Defekten erforderlich, bei denen entweder den chirurgischen Maßnahmen der Erfolg versagt blieb, oder eine Operation bzw. Nachoperation abgelehnt wird. Die prothetische Versorgung angeborener Spaltenbildungen wird deshalb heute nur noch selten notwendig, weil mit den neuzeitlichen Operationsmethoden ausgezeichnete Ergebnisse erzielt werden. Lediglich bei Patienten, die trotz einer gründlichen Aufklärung über die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten

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einer Operation oder Nachoperation einen chirurgischen Eingriff ablehnen, wird eine prothetische Versorgung erforderlich. Meistens handelt es sich dabei um Patienten, die bereits prothetisch versorgt, und mit den Prothesen zufrieden waren ( R E I T H B R ) . Zum Unterschied von Defektprothesen, die bei einem erworbenen Defekt eingegliedert werden, spricht man bei denjenigen Prothesen, die dem Verschluß angeborener Defekte dienen, von Obturatoren bzw. Verschlußprothesen. Im Laufe der Zeit sind eine Vielzahl derartiger Verschlußprothesen beschrieben worden. Da eine zweckmäßige Herstellung eines Obturators ohne genaue Kenntnis der Anatomie und Physiologie des Spaltbereiches nicht möglich ist, seien zunächst einige Bemerkungen über die Anatomie des Gaumens vorausgeschickt. Bei einer Reihe von Lauten hebt sich der weiche Gaumen und berührt mehr oder weniger die hintere Rachenwand im Bereiche des PASSAVANTschen Wulstes, und schließt die Mundhöhle vom Nasenrachenraum

a b ( A b b . 19).

D u r c h ein V o r -

wölben des PASSAVANTSchen Wulstes wird die Berührung des weichen Gaumens unterstützt.

b b . 19. Form und Lage des Velums beim Anlauten (Umzeichnung nach H . SCHRÖDER)

A

Diese Berührung bzw. Anlagerung ist bei der Aussprache des Buchstabens a am geringsten, stärker bei ο und e und wird am ausgeprägtesten bei u und i. Bei Aussprache der Konsonanten m und η ist der Abschluß nicht vorhanden. Bei Personen mit Gaumenspalten ist der Abschluß der Mundhöhle vom Nasenrachenraum durch eine Anlagerung des weichen Gaumens nicht mehr möglich. Die Folge sind Sprechstörungen, die G U T Z M A N N als Rhinolalia aperta bezeichnet. Im Gegensatz hierzu

Passavantscher Wulst Abb. 20. Gaumendefekt in der Ruhelage (Umzeichnung nach H. SCHRÖDER)

Abb. 21. Gaumendefekt während des Anlautens (Umzeichnung nach H. SCHRÖDER)

δ

ι

ίο

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bezeichnet man Sprechstörungen infolge einer gestörten Nasendurchgängigkeit als Rhinolalia clausa. Beim Anlauten bewegen sich die beiden Ränder des Spaltes bogenartig nach außen und gleichzeitig nach oben (Abb. 20/21). Hierdurch erweitert sich der Spalt. Auf diese Tatsache muß bei der Anfertigung des Obturators Rücksicht genommen werden. Die Sprachstörung steht nicht in direktem Verhältnis zur Größe der Spalte ( H Ä U P L ) . Vielmehr spielt die Geschicklichkeit des Spaltträgers eine wichtige Rolle. Durch eine Hyperplasie der Nasenmuschel oder polypöse Wucherungen kann die Sprachstörung gemildert werden. Bei ausgeprägten Wucherungen entsteht eine dritte Form von Sprachstörung: die Rhinolalia mixta. Im einzelnen äußert sich H Ä U P L zur Lautbildung bei dem Bestehen von Gaumenspalten wie folgt: Die Buchstaben m und η können verständlich gesprochen werden, anstelle von m wird η gesprochen; die Konsonanten p, t und k werden entweder im Bereich der Lippen nach Art eines Schnalzlautes oder im Kehlkopf in Form eines Explosivlautes gebildet. Dabei wird die Stimmritze verengt. Dieser Verschluß wird dann plötzlich aufgehoben, eine Erscheinung, die als Stimmknall bezeichnet wird. Der Laut k kann dadurch geformt werden, daß der Zungengrund sich über den Kehlkopf bewegt, und so der ausströmenden Luft Widerstand entgegensetzt. Noch ausgeprägter ist der Stimmknall bei den Verschlußlauten b, d und g. Β und d können so undeutlich werden, daß sie wie ein m oder η sich anhören, während das g wie ein k klingen kann. Am meisten nasal klingt der Buchstabe s. Es kann dabei ein Schnüffelgeräusch zur Bildung kommen. Sch ist leichter zu bilden als s. Die Sprachbildung kann bei den Gaumenspaltträgern durch Stellungs- und Bißfehler noch weiterhin erschwert werden. Zur Untersuchung läßt man nach GUTZMANN die Vokale a und i mehrmals hintereinander aussprechen, und zwar abwechselnd bei geschlossener und bei offener Nase. Besteht eine Rhinolalia aperta, entsteht ein deutlicher Unterschied in der Klangfarbe. Bei geschlossener Nase klingen diese beiden Vokale auffallend resonierend, da der abgeschlossene Nasenrand mittönt. (Vgl. GUTZMANN, Phoniatrische Behandlung im Rahmen der plastischen Chirurgie, Band I.)

III. Die Obturatoren Nach dem Anteil der Obturatoren, der den Gaumenspalt verschließt, kann man verschiedene Gruppen unterscheiden. Bei der einen Gruppe wird versucht, ein künstliches, bewegliches Gaumensegel nachzubilden ( K I N G S L E Y ) . Das künstliche Velum besteht aus zwei Blättern, die meist aus wiechbleibendem Kunststoff geformt sind. Diese beiden Anteile sind mit einem Scharnier oder Kugelgelenk an einer Gaumenplatte befestigt, das sich unter der Funktion der Gaumenmuskulatur bewegt und so die Bewegungen der beiden Gaumenhälften beim Anlauten mitmacht (Abb. 22). Entweder umfassen die beiden Blätter die Reste des Gaumensegels oder liegen oralwärts auf ihnen ( E L F E R T , S Ö R U P u. a.). (Abb. 23). SCHUCHARDT gestaltet die Seitenfläche von oben außen nach unten innen. Entsprechend der Anlage des künstlichen Velums an den Gaumensegelresten unterscheidet B R I N K M A N N subvelare, intervelare und supravelare Gaumensegel. Die Erfahrungen mit den künstlichen Gaumensegeln sind außerordentlich unterschiedlich ( R E I C H E N B A C H ) . Während nach SCHUCHARDT die Spracherfolge mit beweglichen künstlichen Klößen am besten sind, ist R E I C H E N B A C H auf Grund umfangreicher Erfahrungen der Meinung, daß auch bei günstigen anatomischen Verhältnissen der Bewegungsmechanismus der künstlichen Segel meist zu schwerfällig ist und mit dem Ablauf der Bewegungen in den Velumresten nicht Schritt halten kann. Grund dafür dürfte in dem verschiedenartigen Verhalten der Muskulatur liegen. So können sich die Spaltränder in Form kleiner stummel-

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Abb. 22.

Obturator nach K I N G S L E Y

Abb. 23.

Obturator nach K I N G S L E Y eingesetzt

Abb. 24. Schematische Darstellung eines eingesetzten Obturators nach SUERENSEN. Der Rückwärtige Rand reicht fast bis zum PASSAVANTschen Wulst

Abb. 25. An einem Drahtbügel, der an einer Gaumenplatte befestigt ist, ist ein Kloß aus Wachs angebracht

artiger Gebilde (SÖRUP) nähern, sie können sich beim Anlauten aber auch bogenartig nach außen oben bewegen (vgl. Abb. 21), wodurch die Spaltränder den Kontakt zu den künstlichen Gaumensegeln verliegen. Die zweite Gruppe von Obturatoren wurde von S U E R E N S E N und W A R N E K R O S entwickelt. Im Gegensatz zu dem Prinzip von K I N G S L E Y wird die Tätigkeit des M . constrictor pharyngis sup. und des M. palatopharyngens also die Tatsache, daß der PASSAVANTsche Wulst an der hinteren Rachenwand sich vorwölben kann, ausgenutzt. Sie bestehen aus einer Platte, die dem harten Gaumen aufliegt und den Spalt abdeckt, ihn aber nicht ausHandb. Plast. Chir., Bd. I I

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füllt. An dieser Platte ist am rückwärtigen (velaren) Rand ein fester Kloß befestigt, der in horizontaler Richtung zwischen den Rändern der Spalte verläuft und fast bis zum P A S S A VANTschen Wulst reicht (Abb. 24). Der Abschluß des Nasenrachenraumes zur Mundhöhle wird durch ein Anlegen der Anteile des weichen Gaumens bei entsprechender Lautbildung an den im Defekt liegenden Kloß und besonders durch Kontraktion der Muskulatur im Bereiche des PASSAVANTschen Wulstes erreicht. In der Ruhe liegt der Kloß nicht direkt der Muskulatur an, so daß die Luft durchtreten und Nasallaute ungestört gebildet werden können. Während der von S U E R E N S E N angegebene Obturator außerordentlich voluminös war, hat W A R N E K R O S in verdienstvoller Weise den ursprünglich überdimensionierten Kloß so klein wie möglich geformt. Hierdurch kann die Entwicklung der Muskulatur angeregt werden. Um den Erfolg des Obturators nach S U E R E N S E N - W A R N E K R O S zu sichern, muß eine intensive sprachärztliche Übungsbehandlung durchgeführt werden ( R E I C H E N B A C H ) . Für die Herstellung eines Obturators nach S U E R E N S E N - W A R N E K R O S verschließt man die Spalte zur Nasenhöhle mit feuchter Gaze und nimmt anschließend mit einem Alginat einen Abdruck. Auf dem danach hergestellten Modell füllt man im Bereich des harten Gaumens die Spalte mit Gips aus und formt die Oberfläche entsprechend einer normalen Gaumenform. Ist die Spalte im Bereich des harten Gaumens sehr ausgeprägt, kann man zur guten Abdichtung die Spaltränder geringfügig einfassen. Danach führt man eine Bißnahme und Einprobe durch, bringt die Halteelemente an, soweit diese nicht schon vorbereitet sind (ζ. B. Teleskope) und stellt die Platte in Kunststoff fertig. Am rückwärtigen Rand wird im Verlauf der Spalte des weichen Gaumens ein Drahtbügel einpolymerisiert. Dieser Drahtbügel dient als Grundgerüst für die Abformung und Anbringung des Defektkloßes. Nach Fertigstellung der Platte wird an dem Drahtbügel ein Kloß aus Wachs unter Berücksichtigung des Spaltes und der Lage des PASSAVANTschen Randwulstes geformt und anschließend in Kunststoff überführt (Abb. 25). Man kann diesen Kloß auch direkt in einem Arbeitsgang mit der Gaumenplatte herstellen. Die endgültige Ausformung des Kloßes erfolgt am besten mit Hilfe der von S A U E R angegebenen schwarzen Guttapercha, der sogenannten Obturatorenguttapercha. Vor dem Auftragen der Guttapercha darf der Kloß weder die Spaltränder berühren noch an den PASSAVANTschen Wulst heranreichen. Die Unterfläche des Kloßes muß in der gleichen Höhe liegen wie das Gaumensegel bei Muskelkontraktion. Liegt die Fläche zu tief, kann ein Brechreiz ausgelöst werden, liegt sie zu hoch, so wird infolge einer mangelhaften Anlage der Zunge die Aussprache der Buchstaben g und k gestört. Hat der Kloß die richtige Form, so trägt man die in heißem Wasser entspannte Guttapercha auf, und setzt den Obturator in den Mund des Patienten ein. Danach muß der Patient Sprechübungen durchführen, wobei er besonders die Worte „anki" und ,,anku" sprechen soll. Bei Aussprache der Buchstaben i und u kontrahiert sich besonders der PASSAVANTsche Randwulst. Nach etwa einer halben Stunde entfernt man den Obturator und überprüft, ob die richtige Menge Guttapercha vorhanden ist und nimmt entsprechende Korrekturen vor. Zur endgültigen Ausformung des Guttaperchakloßes läßt man den Patienten den Obturator einige Tage tragen. Er soll während dieser Zeit die Sprechübungen fortsetzen, jedoch zum Essen die Platte ablegen. In der ersten Zeit wird die Formung des Kloßes täglich überprüft. Die endgültige Form ist als gelungen zu betrachten, wenn die Ränder im Seitenbereich glatt sind und rückwärts eine Eindellung durch den PASSAVANTschen Wulst zeigen. Die Oberfläche des Kloßes formt man mit einem heißen Wachsmesser aus. Zuviel Material an der Oberfläche kann die Bildung von Nasenlauten stören (Rhinolalia clausa). Nach endgültiger Aufformung des Kloßes überführt man das Abdruckmaterial in harten oder weichbleibenden Kunststoff. Ist der Kloß sehr groß, wird er hohl gestaltet. Die prothetische Behandlung bei einem Spaltenpatienten sei anhand des folgenden Falles erläutert (Abb. 26). Bei einem 26-jährigen Patienten mit Gaumenspalte, wurden zur

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Abb. 26. Die mit einem Steg verbundenen Eckzahnkronen und Innenteleskope

Abb. 27. Der Obturator mit den Innenteleskopen und Steckhülsen für den Behandlungsfall Abbildung 26

Abb. 28. Auf die inneren Anker (Abb. 26) ist ein Obturator eingesetzt

Abb. 29.

Der eingesetzte Obturator in Schlußbißstellung

Befestigung der Platte die beiden Eckzähne mit Fazettkronen überkront und mit einem kantigen Steg zu einem Widerstandsblock verbunden, sowie die ersten Molaren mit Teleskopkronen versehen. Den abnehmbaren Obturator mit den Außenteleskopen und Hülsen für die Stegverbindung und dem Kloß zeigt Abbildung 27. Der Kloß des eingesetzten Obturators (Abb. 28) in der ungefähren Form des angehobenen Velums liegt soweit den Spalträndern an, daß Luft durchtreten kann. Bei Kontraktion der Muskulatur legen sich die Anteile des weichen Gaumen den Seitenwänden des Kloßes an. Die gleichzeitige Verbesserung des Aussehens mit eingefügter Verschlußprothese geht aus Abbildung 29 hervor. 86

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Neben diesen beiden Gruppen von Obturatoren seien noch die Obturatoren nach und F R Ö S C H E L - S C H A L I T erwähnt. Der S C H I L T S K Y Obturator besteht ebenfalls aus einer Gaumenplatte, die an den Zähnen befestigt wird. Im Gegensatz zum Obturator nach S U E R E N S E N - W A R N E K R O S geht vom rückwärtigen Plattenrand ein Drahtstück oder eine Spiralfeder ab, die einen Kloß trägt (Abb. 30). Dieser Obturator ist besonders für jene Fälle geeignet, in denen nur im rückwärtigen Bereich des weichen Gaumens eine Spalte vorhanden ist. Der Meat-Obturator wurde von F R Ö S C H E L - S C H A L I T entwickelt auf der von G U T Z M A N N gemachten Beobachtung, daß die offen genäselten Vokale also das Näseln auf Resonanzerscheinungen im Nasenhöhlen-Nasenrachenraum zurückzuführen ist. F R Ö S C H E L sowie SCHILTSKY

Abb. 30. Obturator nach SCHILTSKY

Abb. 31.

Meat-Obturator

konnten experimentell beweisen, daß der Klang der Vokale sich sofort ändert, wenn man das Näseln verhindern kann, indem man die Nasengänge von pharyngeal abdeckt. Der Meat- Obturator trägt an einer Gaumenplatte eine nach senkrecht oben stehende Platte, die die hinteren Nasengänge abdeckt. Um eine Nasenatmung und die Aussprache der Nasallaute zu ermöglichen, kann die Abschlußplatte in der Mitte ein Loch haben (Abb. 3 1 ) . Der Meat-Obturator ist nach R E I C H E N B A C H angezeigt, wenn der SuERENSEN-Obturator kontraindiziert ist oder eine Sprachbehandlung nicht möglich ist. Bei sehr enger Spalte ist er kontraindiziert. Zur Herstellung bringt man an der fertiggestellten Platte unter Sichtkontrolle einen Wachskloß an, der einigermaßen die Nasengänge abdichtet. Nachdem dieser Kloß in Kunststoff überführt ist, erfolgt die genaue Anpassung mit Hilfe von Guttapercha oder einem anderen Abformmaterial, das man auf die Ränder legt. REICHENBACH

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HANDBUCH DER PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHKBANDT · J . GABKA · A . BERNDORFER

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

11. Muskelplastiken bei mandibulo-fazialen Dysplasien JOSEF ESCHLER,

Freiburg

Inhaltsübersicht I. Die wichtigsten Dysplasien und die Beteiligung von Muskeln II. Allgemeine Bemerkungen zur operativen Behandlung der wichtigsten Dysplasien III. Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien A. Die dorsale Massetertransposition bei Retrognathien mit und ohne Glossoptose 1. Indikation und Vorbereitung . . 2. Operations-Methodik B. Die Transposition des M. geniohyoideus in die Zunge bei Glossoptose ohne Retrognathie

1 4 7

7 7 8

11

1. Indikation und Vorbereitung . . 11 2. Operations-Methodik 11 C. Die Raffung des Periostes mit restlichen Masseterfasern bei Asymmetrien des Gesichtes, mit Verlagerung des Unterkiefers und Hypo- bzw. Aplasie des Jochbeines 13 1. Symptomatik 13 2. Operations-Methodik 13 D. Transposition des Platysmas bei Aplasie des Hyoids 14 1. Symptomatik 14 2. Operations-Methodik 15

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Dr. J. EscMer Freiburg/Breisgau Univ. Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten

11. Muskelplastiken bei mandibulo-fazialen Dysplasien JOSEF ESCHLER,

Freiburg

I. Die wichtigsten Dysplasien und die Beteiligung von Muskeln Im Kiefer-Gesichtsbereich sind außer den Lippen- Kiefer- Gaumenspalten eine Anzahl von Mißbildungen bekannt, an denen die einzelnen Teile des Gesichtes und Schädels mehr oder weniger beteiligt sind. Im allgemeinen werden sie in ihrer Gesamtheit als mandibulofaziale Dysplasien bezeichnet. In der Mehrzahl der Fälle sind aber neben dem Unterkiefer und mehreren Skeletteilen des Gesichtes oder des Schädels auch der Mund, die Ohren, die Augen und (oder) die Nase betroffen. Die Mißbildungen dieser Organe und Areale sind als wesentliche Sym- ptome der mandibulo-fazialen Dysplasien beschrieben. Sie überschreiten damit den mit dem Ausdruck mandibulo-fazialen „Dysplasien" umgrenzten Bereich des Unterkiefers und Gesichtes. Einige Autoren haben häufig miteinander auftretende Mißbildungen zu Syndromen zusammengefaßt. Sie werden meist mit den Autorennamen bezeichnet. Die wichtigsten dieser Syndrome sind: Das Pierre-Robin-Syndrom: mandibulare Mikrognathie (Hypoplasie), Glossoptose und Gaumenspalte. Das Franceschetti-Syndrom oder die Dysostosis mandibulo-fazialis: Schrägstellung der Augen mit antimongoloidem Lidachsenverlauf, Lidkolobom, Hypoplasie des Jochbeins, Makrostomie auf der stärker befallenen Seite, fistulöse Öffnungen des Ohres, hyperplastische präaurikulare Anhänge und Ohrmuschelmißbildungen, Hypoplasie der Mandibula mit offenem Biß und Kreuzbiß im Gebißsystem. Weiterhin haben N A G E R und DE R E Y N I E R eine Mißbildung der Mandibula in Form von Hypoplasie des Ramus ascendens und Aplasie des Kiefergelenkes als Dysostosis mandibularis und H A L L E R M A N N und S T R E I F E eine Mißbildungskombination beschrieben, bei der unter anderem eine extreme Mikrognathie besteht. Bei allen diesen Syndromen steht die Hypoplasie des Unterkiefers als wesentliches Symptom neben den Mißbildungen anderer Teile des Gesichtes im Vordergrund. Der Großteil der an diesen Mißbildungen beteiligten Skelettabschnitte, Unterkiefer, Hyoid und Gehörknöchelchen, weiterhin die Ohrmuscheln und die Haut des Gesichtes, entstehen aus dem ersten oder (und) zweiten Kiemenbogen. Hier entwickeln sich auch die Anlagen der Trigeminus- und Fazialismuskeln. Diese entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen sowie verschiedene Überlegungen und Operationsbefunde bei funktionellen Kiefergelenkstörungen führten zu der Annahme, daß bei diesen Syndromen auch Fehlbildungen von Muskeln beteiligt sein könnten. Über Aplasien bzw. Atrophien von einzelnen Kaumuskeln, allerdings ohne Zusammenhang mit den mandibulo-fazialen Dysplasien, haben S T U R S B E R G , K A L E N B O R N , O G S T O N , B Ü R G E R , A L T M A N N U. a. berichtet. P L O N E R fand bei einem Fall von Dysostosis mandibulo-fazialis eine Atrophie des M. masseter. Unsere Operationsbefunde bei den verschiedenen Mißbildungen im Kiefergesichtsbereich bestätigten die Vermutung, daß auch Defekte von Muskeln bei den Syndromen vorkommen. Auf Grund unseres KrankenHandb. Plast. Chir., Bd. II

9

2 I 11

J.

ESCHLEB,

Muskelplastiken

gutes von mehr als 20 Säuglingen, Kleinkindern und älteren Kindern gehen sogar die mandibulo-fazialen Dysplasien, einschließlich der Syndrome, regelmäßig mit Aplasien oder Hypoplasien bzw. Hypotrophien von Muskeln einher. Die Aplasien bzw. Hypoplasien von Muskeln oder Muskelabschnitten sind die eigentlichen und wesentlichen Mißbildungen bei den mandibulo-fazialen Dysplasien, und nicht die sog. Hypoplasien des Unterkiefers. Die Hypoplasie des Jochbeins ist wiederum als eine Hypotrophie zu werten. Die sog. Hypoplasie des Unterkiefers ist nur zum geringen Teil eine Hypotrophie, sondern vielmehr eine Fehllage, nämlich eine Rücklage desselben. Denn nach dem Ersatz fehlender Muskeln durch andere Muskulatur verändert der Unterkiefer nicht nur seine Lage, er entwickelt auch ein gewisses Größenwachstum. Die bei fast allen Syndromen erwähnte Hypoplasie des Unterkiefers ist als Fehllage ebensowenig eine Mißbildung des Unterkiefers an sich, wie es die Glossoptose für die Zunge ist. Die Fehllagen von Unterkiefer und Zunge sind vielmehr durch Mißbildungen ihrer Halteelemente, der Muskeln und Bänder verursacht. Jeder Muskel hat einen Antagonisten. Fehlt ein Muskel, so ist der Antagonist funktionell überwertig, der Knochen wird in der Wirkungsrichtung des vorhandenen Antagonisten verlagert. Die Bewegung des Knochens ist nur in der Wirkungsrichtung des Antagonisten möglich. Die in der Richtung des fehlenden Muskels verlaufenden Bänder sind folglich kurz und hyperplastisch. Diese Beziehungen zwischen der Fehllage eines Knochens und der an ihm ansetzenden Muskeln auf den Unterkiefer bezogen besagen, daß die sog. mandibulare Mikrognathie ihrem Wesen nach eine Rücklage ist und somit in erster Linie durch eine Aplasie oder Hypoplasie der auf den Unterkiefer protraktorisch wirkenden Muskeln bedingt ist. Da viele am Unterkiefer ansetzenden Muskeln eine protraktorische Wirkungskomponente entfalten, kann der Rücklage des Unterkiefers beim Neugeborenen ein sehr unterschiedlicher Schweregrad von Muskelmißbildungen zugrunde liegen. Es können alle oder nur einzelne Protraktoren aplastisch oder hypoplastisch sein. Die Rücklage der Zunge kann allein durch die Rücklage des Unterkiefers bedingt sein, es kann gleichzeitig der M. genioglossus a- oder hypoplastisch sein, oder sie kann auch ohne Unterkieferrücklage allein durch die Aplasie oder Hypoplasie des M. genioglossus verursacht sein.

Diese Erkenntnisse, die die Folgerungen der Operationsbefunde und -erfolge sind, wandeln die Beurteilung, Pathogenese und Therapie der mandibulo-fazialen Dysplasien. Ein kongenitaler Defekt eines Muskels kann durch die Aplasie der Muskelanlage entstanden sein, er kann aber auch sekundär durch eine Aplasie der zugehörigen motorischen Neurone oder durch eine Aplasie des knöchernen Ansatzareals verursacht sein. Alle drei Elemente, motorisches-Neuron, Muskelfasern und Knochen, werden unabhängig voneinander angelegt. Die Muskelfasern entfalten sogar nach ihrer Anlage zunächst eine autonome Tätigkeit. Jedoch müssen bald die Nervenfasern der zugehörigen motorischen Neurone einwachsen, wenn die Muskelanlage erhalten bleiben soll. Wenn diese Verbindung motorisches Neuron — Muskelanlage nicht zustande kommt, atrophiert letztere. In diesem Falle ist der Muskeldefekt keine Mißbildung, obzwar ein totaler Defekt bestehen kann. Der Muskel und das motorische Neuron atrophiert aber ebenso, wenn der Muskel infolge der Aplasie seines Ansatzgebietes seine Funktion nicht ausüben kann. Motorische Neurone, Muskeln und skelettale Ursprungs- oder Ansatzabschnitte bilden eine Trias; sie alle müssen vorhanden sein, damit der Muskel seine Funktion entwickeln kann. Während aber eine Aplasie der skelettalen Ansatzpunkte des Muskels eine vollständige Aplasie (Atrophie) der Muskeln mit seinen motorischen Neuronen verursacht, bleibt der skelettale Abschnitt bei primärer Aplasie von motorischen Neuronen oder Muskeln bestehen. Er besitzt ein gewisses autonomes Wachstum, ist aber hypotroph (funktionelle Hypotrophie). Seine mehr oder weniger normale Ausbildung hängt noch von anderen Bedingungen ab. Diese sind: 1. der skelettale Abschnitt, an dem ein defekter Muskel ansetzen sollte, ist nur ein kleiner Teil eines größeren Knochens, an dem noch andere Muskeln ansetzen. 2. schon in der Nähe oder auf der anderen Seite dieses skelettalen Abschnittes setzen andere, nicht defekte Muskeln an.

Hypoplasien (bzw. Hypotrophien) von Knochen oder Knochenabschnitten können die Folge von primären Aplasien von Muskeln oder motorischen Neuronen sein. Aplasien von Knochen gehen immer mit Aplasien — wenn auch sekundärer Art (Hypotrophien) — der an ihnen ansetzenden Muskeln mit den motorischen Neuronen einher. Daraus ergeben

Die wichtigsten Dysplasien und die Beteiligung von Muskeln

11 | 3

sich neue, bisher nicht bekannte Möglichkeiten der Therapie der mandibulo-fazialen Dysplasien, die in folgendem K a p i t e l abgehandelt werden. Unter Beachtung der Wirkungsrichtungen der an Unterkiefer, Zunge und Hyoid ansetzenden Muskeln kann aus der Fehllage auf die aplastischen Muskeln rückgeschlossen werden. Die Kenntnis der Wirkungsrichtungen der Muskeln ist deshalb für die Diagnose der Aplasie und auch für die Therapie die Voraussetzung. Die Wirkungsrichtungen der die Lage und die Bewegungen des Unterkiefers und der Zunge sowie die Hyoidlage bestimmenden Muskeln werden in den Tabellen 1, 2 und 3 wiedergegeben. Tab. 1. Wirkung der Kaumuskeln auf den Unterkiefer links: bei einseitiger Tätigkeit, rechts: bei Tätigkeit des bilateralen Muskelpaares kranial kranial kranial kranial kranial kranial ventral dorsal

M. mass, obliquus M. mass, vertical. Μ. temp, anterior. Μ. temp, medialis M. temp, posterior. M. pterygoid, med. Μ. pterygoid, lat. Mundbodenmuskel

ventral > kontrarotatorisch > dorsal E75 ipsirotatorisch ventral > kontrarotatorisch js> ventral > kontrarotatorisch > dorsal > ipsirotatorisch 'ρ- ventral > kontrarotatorisch kaudal < kontrarotatorisch W) kaudal > ipsirotatorisch

kranial kranial kranial kranial kranial kranial ventral dorsal

dorsal ventral ventral > dorsal > ventral ~t> kaudal F75 kaudal

Tab. 2. Wirkung der suprahyoidalen Muskeln Wirkung

Muskeln mit Wirkung auf die Zunge 1. M. genioglossus a) vordere, obere Portion

2. M. hyoglossus 3. M. styloglossus II.

. . .

b) untere Portion

kaudal-dorsal (nur Zungenspitze) ventral kaudal-dorsal dorsal

Muskeln mit Wirkung auf Unterkiefer oder Zungenbein Zungenbein 1. 2. 3. 4.

M. mylohyoideus . . . M. geniohyoideus . . . M. biventer M. stylohyoideus . . .

kranial ventral-kranial kranial kranial-dorsal

Unterkiefer kaudal kaudal-dorsal kaudal-dorsal —

Die Beziehungen zwischen den einzelnen Mißbildungen bzw. Fehllagen von Unterkiefer, Zunge und Hyoid und den Muskelmißbildungen werden im folgenden aufgeführt. 1. Die Hypoplasie bzw. die Rücklage des Unterkiefers ist die Folge der Aplasie von Muskeln mit ventraler Wirkungskomponente und somit von protraktorisch tätigen Muskeln. 2. Die Aplasie des Jochbeines und Jochbogens kann die Folge der Aplasie bzw. Hypotrophie des M. masseter sein (einzelne hypotrophe Muskelfasern sind dann meist noch vorhanden). 3. Bei Aplasie des aufsteigenden Unterkieferastes besteht auch eine Aplasie des M. pterygoideus lateralis, des M. temporalis und je nach Ausmaß auch eine mehr oder weniger ausgeprägte Aplasie der Portio superficialis des M. masseters. 4. Die Rücklage oder Hypoplasie der Zunge ist die Folge der Aplasie des auf sie protraktorisch wirkenden M. genioglossus. 9*

4 I 11

J.

ESCHLER,

Muskelplastiken

Tab. 3. Wirkung der infrahyoidalen Muskeln Wirkungsrichtung auf Zungenbein beidseitig M. sternohyoideus

kaudal

M. sternothyreoideus

kaudal

M. thyreohyoideus

kaudal

M. omohyoideus

kaudal dorsal

einseitig lateral kaudal lateral kaudal lateral kaudal lateral kaudal

Wirkungsrichtung auf Unterkiefer Platysma

kaudal

5. Bei kaudaler Lage des Hyoids bestehen Aplasien einzelner suprahyoidaler Muskeln. 6. Die Aplasie des Hyoids geht mit einer Aplasie aller an ihm ansetzenden Muskeln einher. Das Platysma dagegen kann hyperplastisch sein.

Fehllagen von Unterkiefer, Zunge oder Zungenbein können aber daneben auch die Folge von Hypoplasien oder funktioneller Unterwertigkeit der den Muskeln zugehörigen motorischen Neurone (funktionelle Hypovalenz) sein. Während bei Aplasien oder Hypoplasien von in einer bestimmten Richtung wirkenden Muskeln und auch bei Hypoplasien von ihnen zugehörigen motorischen Neuronen nicht mit einer Normaleinstellung des Unterkiefers, der Zunge oder des Hyoids gerechnet werden kann, bessert sich die Fehllage dieser Organe post partum bei funktioneller Hypovalenz der motorischen Neurone allmählich infolge der durch den Saugreflex und andere Reflexe ausgelösten Tätigkeit.

II. Allgemeine Bemerkungen zur operativen Behandlung der wichtigsten Dysplasien Infolge der Beziehungen der Fehllagen bzw. Hypoplasien des Unterkiefers, der Fehllage der Zunge und Hypoplasie des aufsteigenden Astes des Unterkiefers und der Fehllage des Hyoids mit Muskelmißbildungen und der Tatsache, daß diese Fehllagen durch die vorhandenen, antagonistischen Muskeln bedingt sind, können diese oder in der Nachbarschaft befindliche Muskeln zur Behandlung benützt werden. Ihre Wirkungsrichtung kann durch Transposition des Ansatzes in die der aplastischen Muskeln umgeändert werden. Für die Therapie der einzelnen Mißbildungssymptome, die durch Fehllagen, Hypooder Aplasien von Skeletteilen oder der Zunge gekennzeichnet sind, mittels Muskelplastiken ergeben sich somit folgende Möglichkeiten (s. Tab. 4): 1. Die Hypoplasie bzw. Rücklage des Unterkiefers kann durch Transposition des Ansatzes eines dorsal wirkenden Muskels in einen ventral wirkenden Muskel ausgeglichen werden. Dazu eignet sich ambesten der am horizontalen Unterkieferast ansetzende Masseterabschnitt, der auf den aufsteigenden Ast transponiert wird. Diese Operationsmethode wird als dorsale Massetertransposition bezeichnet (Tab. 4, Nr.l u. 2). 2. Bei der Glossoptose ohne Retrognathie wird ein Muskel, und zwar der M. geniohyoideus durch Loslösung von seinem Ansatz vom Hyoid und Verpflanzung in die Zunge zum Genioglossus gemacht (Geniohyoideus-Transposition,

Tab. 4, Nr. 3).

3. Bei der einseitigen Aplasie des M. masseter mit mehr oder weniger ausgeprägter Aplasie des aufsteigenden Astes wird durch Raffung des Periostes, in dem sich histologisch einige wenige vereinzelte

Allgemeine Bermerkungen zur operativen Behandlung

11 | 5

Tab. 4. Die wichtigsten mandibulo-fazialen Dysplasien und ihre Therapie Günstigster Zeitpunkt d. Operation

zusätzl. Therapie

Symptomatologie

Mißbildung

Therapie

1 Retrognathie mit Atmungs- u. Ernährungsschwierigkeiten

Aplasie aller Protraktoren mit evtl. Aplasie des unteren Anteiles des M. genioglossus

Dorsale Massetertransposition und evtl. Transposition des M. geniohyoideus in den Zungengrund

I n den ersten Lebenstagen oder Wochen

2 Retrognathie ohne Atmungs- u. Ernährungsschwierigkeiten

Aplasie oder Hypoplasie einzelner Protraktoren ohne Genioglossushypoplasie

Dorsale Massetertransposition

Nach Abstillen

3 Rücklage der Zunge ohne Retrognathie

Aplasie des M. genioglossus

Transposition der M. geniohyoideus in den Zungengrund

In den ersten Wochen oder Monaten

4 Lateralverlagerung d. U K mit Gesichtsasymmetrie, verbunden mit ausgeprägten Ohrmißbildungen

Aplasie des Masseters der hypoplastischen Seite m. unterschiedlicher Ausbildung des Ramus ascendens (Aplasie bis normale Entwicklung)

Raffung der restl. atrophischen Masseterfasern -1 Periost u. Transposition auf den aufsteigenden Ast

Möglichst frühzeitig in den ersten Lebenswochen oder Monaten

5 Antimongoloide Stellung der Augen

Aplasie oder Hypoplasie des Jochbeins

Auffüllung des Defektes durch Knochen oder Knorpel

Gegen Abschluß des Wachstums

Keine

6 Vogelgesicht bei normal entwickeltem Unterkiefer

Aplasie oids

Hy-

Versetzung d. Platysmas vom vord. Rand d. UK auf dorsal. Abschnitt d. horizont. Astes

In den ersten Lebensjahren

Keine

7 Kaudale Dystopie des Hyoids

Aplasie verschiedener suprahyoidaler Muskeln

Abtrennung infrahyoidaler Muskeln v.Zungenbein,evtl. Verdrahtung des Zungenbeins an den UK oder Transposition verwertbarer Muskeln an den Unterkiefer

In den ersten Lebensmonaten oder Jahren

Keine

8 Kombinationsmöglichkeiten der verschiedenen Mißbildungen von 1—7

J e nach Beteiligung der Symptome 1—6

Wie in 1—6 angeführt

J e nach Kombination und Lebensnotwendigkeit in den ersten Wochen und Monaten

Evtl. kieferorthop. Behandlung

des

Keine

Kieferorth. Therapie, wenn Op. nach dem 2. Lebensjahr durchgeführt wird. Keine

Gegen Ende des Wachstums Auffüllung des Defektes mit Kunststoff, Knochen oder Knorpel

6 I 11

J. ESCHLER, M u s k e l p l a s t i k e n

Muskelfasern nachweisen ließen, die Transposition des gerafften Periostes auf den aufsteigenden Ast vorgenommen. Die Verlagerung des Unterkiefers wird während des Wachstums beseitigt (Tab. 4, Nr. 4). 4. Bei Aplasie des Hyoids fehlen alle sonst an ihm ansetzenden Muskeln. Das hypertrophische Platysma zieht vom Unterkiefer unmittelbar zur Klavikula und Sternum; dadurch ist das Bild eines Vogelgesichtes bedingt, wobei der Unterkiefer normale Größe aufweisen kann. Das Vogelgesicht kann durch Lostrennung des Platysmas vom Kinn und vorderen Rand des Unterkiefers und Transposition auf den dorsalen Unterkieferabschnitt mit Spaltung des Platysmas in der Mitte verbessert werden (Tab. 5, Nr. 6). 5. Wenn das Zungenbein nach kaudal verlagert ist, ist sein Abstand vom Unterkieferrand sehr groß; es bestehen kurze aufsteigende Äste und ein langer Hals. Verschiedene suprahyoidale Muskeln sind a- oder hypoplastisch, dadurch überwiegen die infrahyoidalen Muskeln und ziehen das Zungenbein kaudalwärts. Das Gleichgewicht kann wieder hergestellt werden, indem man a) infrahyoidale Muskeln vom Zungenbein lostrennt, b) das Zungenbein mit Draht oder Kunststoff-Nahtmaterial an den Unterkiefer heranzieht, oder (und) c) eventuell verwertbare Muskeln, ζ. B. den vorderen Bauch des M. biventer, vom Kinn abtrennt und an den Unterkiefer fixiert, ihn dabei vielleicht etwas verkürzt. (Tab. 4, Nr. 4 u. 7).

Ähnliche Operationsmethoden, wie sie im folgenden aufgeführt werden, sind bisher nicht beschrieben worden. Die Therapie der mandibulo-fazialen Dysplasien wurde meist aufgeschoben und besteht in einer Auffüllung der hypo- oder aplastischen Knochendefekte durch Knochen, Knorpel oder Kunststoff. Lediglich bei lebensbedrohlichen Zuständen, die durch die Rücklage der Zunge beim sog. Pierre-Robin-Syndrom bedingt sind, wurde mittels verschiedener konservativer und chirurgischer Methoden und allerdings unterschiedlichen Ergebnissen versucht, den Unterkiefer nach vorn einzustellen und so die lebensbedrohlichen Zustände zu beseitigen. Die damit erreichten Erfolge und Mißerfolge sind durch den möglichen unterschiedlichen Schweregrad der Muskelmißbildung bedingt. Es kann nämlich nur ein Muskel aplastisch sein, oder es können mehrere oder sogar alle Muskeln mit protraktorischer Wirkungskomponente fehlen. Hinzu kommt noch die mögliche Variabilität des Innervationsaufwandes der einzelnen Muskeln. Von dem Ausmaß der von der Mißbildung betroffenen Muskeln hängt auch das mit den bisherigen Methoden erreichte Ergebnis ab. Als Methoden werden angegeben: 1. Konservative Methoden: Bauchlagerung, Fütterung bei nach vorngeneigtem Kopf und eventuell mit besonderer Flasche mit Schnuller (DAVIES U. DUNN), mit Kopfmieder (ELEY U. FARBER, MATHIS) oder mit funktionskieferorthopädischem Apparat (JUNG). 2. U m s c h l i n g u n g u n d E x t e n s i o n d e s U n t e r k i e f e r s (CALLISTER, STELLMACH, MATHIS U. FRENKEL). 3. V o r n ä h e n d e r Z u n g e (DOUGLAS, DUHAMEL). 4. T r a c h e o t o m i e

(WESEMANN).

5. Verschluß des weichen Gaumens (CHAMPION). 6. Tracheotomie und Verschluß des weichen Gaumens (PETTERSSON).

und F R E N K E L berichten, daß das Kind nach Weglassen der Extension ad exitum kam. Auch nach Vornähen der Zunge und Tracheotomie sind einige Kinder gestorben (DOUGLAS, WESEMANN). Alle diese Methoden können nur erfolgreich sein, wenn noch einige Muskeln mit protraktorischer Wirkungskomponente vorhanden sind. Wenn jedoch alle diese Muskeln aplastisch sind, fehlen damit auch die Elemente, die den Unterkiefer nach eventuell erfolgreicher Behandlung mit einer der genannten Methoden in der erreichten Ventrallage halten könnten. Der Unterkiefer sinkt nämlich dann wieder in seine Rücklage ab, wenn alle protraktorischen Muskeln fehlen. Einige Tage oder Wochen danach tritt der Exitus durch Asphyxie oder Aspirationspneumonie ein (STELLMACH, M A T H I S , DOUGLAS). Durch die Extension sind ausschließlich die Retraktoren, die den Unterkiefer in der Rücklage gehalten haben, gedehnt worden. Mit der Zeit nehmen sie ihre ursprüngliche Länge wieder an, ziehen Unterkiefer und Zunge wieder zurück, so daß ein Rezidiv die Folge ist. STELLMACH, MATHIS, MATHIS

Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien

11 | 7

Demgegenüber konnten alle bei uns eingelieferten Säuglinge, die meist mit einem Pierre-Robin-Syndrom schwersten Grades geboren waren, durch die dorsale Massetertransposition gerettet werden (ESCHLER). Die Schwierigkeiten der Atmung und der Nahrungsaufnahme waren nach 3—4 Wochen beseitigt, und die Kinder konnten in häusliche Pflege entlassen werden. Alle Säuglinge befanden sich in der Universitäts-Kinderklinik Freiburg i. Br., wo sie vor und nach dem operativen Eingriff gepflegt wurden. Im Vordergrunde steht die Beseitigung der Unterkieferrücklage. Liegt nämlich keine vollständige Aplasie des M. genioglossus vor, so wird mit der Ventralverlagerung des Unterkiefers durch die dorsale Massetertransposition auch die Zunge mit nach vorn verlagert. Nur bei Fällen mit (vollständiger) Aplasie des M. genioglossus wird die M. geniohyoideusTransposition angeschlossen, da trotz Verlagerung des Unterkiefers nach vorn nach der durchgeführten dorsalen Massetertransposition die Zunge in der Dorsallage verbleibt. Die Indikation dafür ergibt sich aus einer Glossoptose der Zunge trotz Ventraleinstellung des Unterkiefers, wobei die Zungenspitze meist dem Gaumen anliegt und auch nicht nach vorn gestreckt werden kann, wenn der Saugreflex ausgelöst wird; sie ist nach hinten oben umgeschlagen. Die Kinder besitzen einen Stridor inspiratorius und werden leicht asphyktisch und gedeihen schlecht.

III. Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien A. Die dorsale Massetertransposition bei Retrognathien mit und ohne Glossoptose 1. Indikation und Vorbereitung

Die Neugeborenen mit Retrognathie und Glossoptose, bei denen lebensbedrohliche Zustände auftreten, sollten so früh wie möglich der operativen Behandlung zugeführt werden. Der Eingriff wurde bisher bereits bei erst 2—6 Wochen alten Säuglingen oder später vorgenommen. Der Eingriff ist einfach, der Blutverlust ist unbedeutend und betrug bei Säuglingen bisher 7—12 ml Blut. Postoperativ traten bisher keine Komplikationen auf. Größere Schwierigkeiten bereitet nur die Einführung des Trachealtubus; mit Geduld lassen sich aber auch diese überwinden, wenn die Zunge nach vorn gezogen wird. Da sich diese Kinder auch leicht verschlucken und zyanotisch werden, sollte sofort eine Magendauersonde eingelegt werden. Dadurch wird das Verschlucken vermieden und die Zunge so weit von der hinteren Pharynxwand weggedrückt, daß die Atmung frei bleibt. Die Prämedikation wird bei den Säuglingen in üblicher Weise durchgeführt. Die Operation wird beidseitig in einer Sitzung vorgenommen, und zwar erst auf der einen Seite zu Ende geführt und gleich anschließend in derselben Weise auf der anderen Seite. Niemals war postoperativ eine Bluttransfusion notwendig. Bei allen Kindern konnte spätestens 3—4 Wochen nach der Operation auf die Dauersonde verzichtet werden. Der Unterkiefer war so weit nach ventral eingestellt, daß die Kinder die Nahrung auf natürlichem Wege einnehmen konnten. Die Atemschwierigkeiten waren nach dieser Zeit ebenso beseitigt. Die myogene Retrognathie (Aplasie der protraktorisch wirkenden Muskeln) kann auch noch von einer Hypervalenz der Retraktoren überlagert sein. In diesen Fällen ist überhaupt kein Saugreflex auslösbar, bzw. ist er in einen Schließungseffekt umgewandelt. Der Unterkiefer wird nur wenig geöffnet, und sobald man die Lippen berührt, schnappt der Unterkiefer zu und kann nicht mehr, auch unter größter Kraftanwendung, geöffnet werden. Bei einem Neugeborenen mit einem solchen hypervalenten Unterkiefer-Schließungsreflex hat sich die dorsale Massetertransposition ebenso bestens bewährt. Durch Änderung der Wirkungsrichtung des hypervalenten M. masseter verticalis war nun der Saugreflex auslösbar, der

8 Ι 11

J . ESCHLER,

Muskelplastiken

Unterkiefer konnte ohne Schwierigkeiten geöffnet werden, so daß die normale Flaschennahrung möglich war. Außer bei den Säuglingen mit Ernährungs- und Atemschwierigkeiten infolge der Retrognathie mit Glossoptose ist die dorsale Massetertransposition auch noch bei den Kindern indiziert, bei denen der Unterkiefer trotz Stillens oder Flaschenernährung sich innerhalb der ersten 6—8 Monate nicht nach ventral einstellt. Auch in diesen Fällen besteht eine mehr oder weniger ausgeprägte Aplasie oder Hypoplasie mehrerer Protraktoren. Bis zu einem Alter von etwa P/2 Jahren genügt meist die in derselben Weise wie bei den Säuglingen ausgeführte Massetertransposition. Die Ventraleinstellung des Unterkiefers dauert jedoch längere Zeit. Der Muskelzug genügt aber noch, um den Unterkiefer im Laufe von einigen Monaten nach ventral zu verlagern. Wird die Operation jedoch nach dem 2. Lebensjahr vorgenommen, so ist zusätzlich eine kieferorthopädische Behandlung angezeigt. Je später die dorsale Massetertransposition ausgeführt wird, desto geringer sind die Erfolge. 2. Operations-Methodik (Abb. 1—6) Nach einem in einem Abstand von 1—2 cm um den Kieferwinkel geführten etwa 3—4 cm langen Hautschnitt wird das Platysma und die Halsfaszie scharf durchtrennt. Der Kieferwinkel wird stumpf mit Raspatorium und Schere freigelegt. Das am Kieferwinkel ansetzende, meist stark ausgebildete Ligamentum stylomandibulare wird scharf abgetrennt. Die Weichteile werden vom Kieferwinkel nach oben vom aufsteigenden Ast, besonders von seinem hinteren Rand, möglichst hoch hinauf abgedrängt. Der am horizontalen Unterkieferast ansetzende Masseterabschnitt wird von rückwärts mit einem Raspatorium ent-

Abb. 1.

Säugling mit Pierre-Robin-Syndrom, Schnittführung

Abb. 2. Nach Freilegung des Kieferwinkels, DarStellung des M. masseter. Loslösung des M. masseter verticalis von der lateralen Unterkieferfläche mit dem Raspatorium

lang der lateralen Knochenoberfläche unterfahren, losgelöst und mit einer großen Nadel, in die ein 0,4 mm dicker, weicher Wipla-Draht eingefädelt ist, oder mit einer atraumatischen Nadel mit 0,4 mm dickem weichem Draht von ventral 2—3 mal gefaßt; statt des Drahtes kann auch ein starker Kunststoff-Faden verwendet werden. Der Muskelansatz wird vom Unterkieferrand scharf mit dem Skalpell abgeschnitten. Am hinteren Rand des aufsteigenden Astes wird vom Kieferwinkel aus das Periost geschlitzt und sowohl von seiner lateralen als auch von der medialen Knochenfläche mit einem kleinen Raspatorium leicht abgehoben. Am aufsteigenden Ast, und zwar möglichst hoch oben — mindestens P/2—2 cm oberhalb des Kieferwinkels —, werden mit einem dickeren Rosenbohrer oder dünnerem

Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien

11 | 9

Abb. 3. Umstechung des M. masseters nahe seinem Ansatzpunkt mit 0,4 mm dickem Wipladraht (s. Text)

Abb. 4. Kontrolle der Beweglichkeit und Mobilisation des Masseters. Nach Spaltung des Periostes am hinteren Rand des aufsteigenden Astes. Einführung eines kleinen Raspatoriums zwischen Periost und medialer Knochenfläche

Abb. 5. Bohrung von 2 Löchern unter Schutz des medial angelegten Raspatoriums

Abb. 6. Umlegung und Befestigung des Masseters am aufsteigenden Ast

Lindemannbohrer in einem Winkelstück im Abstand von etwa 3 mm vom hinteren Rand 1—2 Bohrlöcher unter Schutz eines medial subperiostal anliegenden Raspatorimus gebohrt. Der vom horizontalen Ast losgelöste Masseter wird nach oben gedreht, das am oberen Rand des Muskels herausragende Drahtende wird von lateral durch das obere Bohrloch hindurchgeführt und von medial sofort durch das untere Bohrloch nach lateral herausgezogen, der Draht fest angezogen und mit dem anderen Ende, das aus dem unteren Muskelrand herausragt, fest zusammengedreht. Kann man das obere Bohrloch nicht hoch hinauflegen, dann empfiehlt sich, nur 1 Bohrloch so hoch wie möglich zu bohren und das aus dem unteren Muskelrand herausragende Drahtende durch das Bohrloch von lateral nach medial hindurchzuführen, um den hinteren Rand des aufsteigenden Astes herumzuziehen und mit dem anderen Drahtende über dem hinteren Rand fest zusammenzudrehen. Dadurch gelingt es auch bei nicht so hoch gelegenem Bohrloch, den Muskel trotzdem etwas höher zu lagern und ihm eine entsprechende ventrale Wirkungskomponente zu verleihen. Dabei ist jedoch Vorsicht zu wahren, da der Knochen sehr weich ist und das Bohrloch leicht ausreißt. Es folgt die Faszien- und Subkutannaht. Die Haut wird mit einer Intrakutannaht verschlossen. Nach Verschluß der Haut auf der einen Seite wird sofort die Transposition auf der anderen Seite angeschlossen.

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J.

ESCHLER,

Muskelplastiken

Abb. 7. I., Doris, seitliche Aufnahme mit Dauersonde

Als Beispiel soll die K r a n k e n g e s c h i c h t e d e s K i n d e s I., Doris, a n g e f ü h r t w e r d e n , bei d e m z u m e r s t e n M a l die d o r s a l e M a s s e t e r t r a n s p o s i t i o n d u r c h g e f ü h r t w u r d e . I n w e n i g e n A b b i l d u n g e n soll a u c h d e r E r f o l g dieser O p e r a t i o n s m e t h o d e a n g e f ü h r t w e r d e n . Der Säugling I., Doris, geb. 5. 7. 1959, wurde am 9. Lebenstag mit einem Gewicht von 2150 g in die Universitäts-Kinderklinik Freiburg wegen ernstlicher asphyktischer Zustände, wobei das Kind stark zyanotisch wurde, eingeliefert. Es bestand eine Kieferkammstufe von 1,4 cm. Die Zunge lag weit zurück und fiel in die Spalte des weichen Gaumens. Durch Anlegen einer Polyvinyl-Dauersonde wurden die Füt-

Abb. 8. I., Doris, seitliche Röntgenaufnahme mit Dauersonde, der Pharynxschlauch ist bis auf Sondendicke eingeengt terungsschwierigkeiten und die erschwerte Atmung bei besonderer Lagerung, Freiluftbehandlung und häufiges Herumtragen, weitestgehend überwunden. Die Öffnung des Unterkiefers war auf etwa 2 cm Kieferkammdistanz eingeschränkt. Trotz der dauernden konservativen Maßnahmen, der Dauersonde

Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien

11 | 11

Bauchlagerung u. ä. m. gelang es nicht, den Unterkiefer dauerhaft nach vorn zu bewegen. Deshalb wurde am 30. Oktober 1959 die dorsale Massetertransposition durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß am aufsteigenden Ast und in dem Kieferwinkelbereich der M. masseter fehlte. Am 12. Tag nach dem Eingriff wurden die ersten Trinkversuche vorgenommen. Am 15. Tag post operationem wurde auf die Sondenernährung völlig verzichtet, da der Säugling nun die Nahrung bei Verabfolgung von 10 Mahlzeiten aus der Flasche trinken konnte. Das Saugvermögen besserte sich von Tag zu Tag. Drei Wochen nach der Operation konnte das Kind in häusliche Pflege entlassen werden (s. Abb. 7—10).

Inzwischen ist diese Operation bei 11 Säuglingen bzw. Neugeborenen wegen lebensbedrohlicher Zustände vorgenommen worden. Dabei gab es keinen Exitus post operationem. Bei einem Kind mußte nach etwa einem J a h r nach der dorsalen Massetertransposition noch

Abb. 9. I., Doris, seitliche Röntgenaufnahme ohne Dauersonde 3 Wochen nach der Operation. Der Pharynxschlauch ist auf das Doppelte verbreitert

Abb. 10. L, Doris, seitliche Röntgenaufnahme vom 25. 5. 1960. Der Pharynxschlauch ist fast kleinfingerdick weit, der Unterkiefer ist mehr als 1 cm nach vorn eingestellt

die Geniohyoideus-Transposition durchgeführt werden, da das Kind noch immer an einem Stridor inspiratorius litt, obzwar der Pharynxschlauch breit genug war. Die Zunge wurde nicht nach vorn gestreckt, sondern war nach hinten oben umgeschlagen. Bei allen anderen Kindern genügte allein die dorsale Massetertransposition.

B. Die Transposition des Musculus geniohyoideus in die Zunge bei Glossoptose ohne Retrognathie 1. Indikation und Vorbereitung Die Aplasie des M. genioglossus, dessen unterer Abschnitt vom Kinn in den Zungengrund einstrahlt, ist gekennzeichnet durch: normale Ausbildung des Unterkiefers und normales Profil. Dagegen liegt die Zunge weit rückwärts im Pharynx und kann auch bei Auslösung des Saugreflexes nicht nach vorn gestreckt werden. 2. Operations-Methodik (Abb. 11—15) In Intubationsnarkose wird in stark nach rückwärts geneigter Kopflage ein 4—5 cm langer Hautschnitt zwischen Hyoid und Kinn gelegt. Nach Trennung des Platysmas und der Faszie wird derM. biventer dargestellt, die Rhaphe des M. mylohyoideus durchschnitten und der M. geniohyoideus stumpf freipräpariert. Der M. genioglossus fehlt mindestens in

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J.

ESCHLEB,

Muskelplastiken

seinem rückwärtigen Abschnitt. Der M. geniohyoideus der einen Seite wird mit einer Nadel mit einem Supramidfaden mehrmals umschlungen, vom Hyoid scharf abgetrennt und in den Zungengrund eingenäht. Schließlich wird auch der andere M. geniohyoideus gefaßt, losgetrennt und in die Zunge eingenäht. Es ist kein Fehler, wenn man beide Muskeln faßt und zusammen in die Zunge einnäht. Darauf wird der M. mylohyoideus in der Mitte wieder vereinigt, Fasziennaht und Intrakutannaht. Anschließend ist eine Tracheotomie prophylak-

Abb. 11. Schnitt zwischen Kinn und Hyoid bei stark nach rückwärts geneigtem Kopf

Abb. 12. Darstellung der des Hyoids a) vorderer Bauch des M. biventer, b) Raphe des M. mylohoideus, c) Hyoid

Abb. 13. Nach DurcKtrennung des M. mylohyoideus in der Raphe wird der M. geniohyoideus (a) beidseitig dargestellt. Der rechte M. geniohyoideus ist mit einem »Supramidfaden gefaßt

Abb. 14. Der rechte Mfgeniohyoideus ist hochgehoben, der linke nach Durchtrennung noch in seiner Lage

tisch vorzunehmen, da es leicht zu einer starken Schwellung des Zungengrundes und zu zyanotischen Anfällen kommen kann. In einem Fall der Genioglossus-Aplasie bestand noch eine ausgeprägte Hypertrophie der Uvula, die in einem zweiten Operationsgang verkleinert wurde.

Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien

1 1 | 13

Zungengrund eingenäht

Abb. 15. Beide Mm. geniohyoidei

C. Die Raffung des Periostes mit restlichen Masseterfasern bei Asymmetrien des Gesichtes, mit Verlagerung des Unterkiefers und Hypo- bzw. Aplasie des Jochbeines 1. Symptomatik

Bei dieser sehr ausgeprägten Gesichtsasymmetrie besteht eine Aplasie des M. masseter und eine sehr auffallende, aber doch sehr unterschiedlich ausgeprägte Ohrmuschelmißbildung und eine sehr unterschiedliche Hypoplasie bzw. Aplasie des aufsteigenden Unterkieferastes. Die Unterkiefermitte ist nach der Mißbildungsseite verlagert. 2. Operations-Methodik (Abb. 16, 17)

Die Schnittführung ist dieselbe wie bei Abbildung 1, S. 8. Das weitere Vorgehen ist ähnlich wie bei der dorsalen Massetertransposition. Nach Freilegen des Kieferwinkels stellt sich jedoch der gesamte Masseter als ein ausgeprägter Defekt in Form eines dünnen, fast spinnwebartigen Fasergeflechts (At rophie) dar, oder der M. masseter ist im gesamten mehr oder weniger hypotrophisch. In jedem Fall wird das gesamte Gewebe im Bereich des Masseters mit einem Faden mehrmals umstochen, gerafft und, wie in Abbildung 5 und 6 gezeigt, auf den aufsteigenden Ast transponiert. — Die durch die Aplasie der Weichteile und vor

Abb. 16. Nach Spaltung des Periostes am aufsteigenden und horizontalen Ast Loslösung desselben mit dem Raspatorium

Abb. 17. Umstechung des Periostes nahe seinem Ansatz am Unterkieferrand

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J . ESCHLER, Muskelplastiken

Abb. 18. Querschnitt knapp hinter dem Kinn von Unterkieferrand zu Unterkieferrand

Abb. 19. Darstellung des Platysmas

allem des M. masseter bedingte Asymmetrie kann dadurch natürlich nicht beseitigt werden, jedoch hat sich ergeben, daß die bei Neugeborenen durchgeführte Operation in wenigen Monaten die Einstellung des Unterkiefers in die Mitte zur Folge hat.

D. Transposition des Platysmas bei Aplasie des Hyoids 1. Symptomatik Außer dem röntgenologischen Nachweis der Aplasie des Hyoids besteht klinisch das Bild eines ausgeprägten Vogelgesichts bei normal oder fast normal entwickeltem Unterkiefer. Dadurch, daß das Platysma am Hyoid keinen Ansatz findet, zieht es vom Kinn und von den vorderen Abschnitten des Unterkieferrandes direkt nach abwärts zur Klavikula und zum Brustbein: Die horizontalen Unterkieferäste werden dadurch verdeckt. Die Mikrognathie besteht nur scheinbar.

Abb. 20. Teüung des Platysmas in der Medianen, Umstechung desselben nahe am Unterkieferrand

Abb. 21. Loslösung des gefaßten Platysmas

Die Muskelplastiken bei den einzelnen Dysplasien

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2. Operations-Methodik (Abb. 18—22) In Intubationsnarkose wird bei stark rückwärts geneigtem Kopf ein Querschnitt, etwa 1—2 cm vom Kinn entfernt, vom rechten zum linken Unterkieferast geführt, die Haut bis zum Kinn nach vorn gezogen und der Platysmaansatz am Kinn und vorderen Bereich des Unterkiefers freigelegt. — Das Platysma wird in der Mitte gespalten, beide Hälften mit einer atraumatischen Nadel mit 0,4 mm dickem Wipla-Draht getrennt 2—3 mal umschlungen. Möglichst weit rückwärts werden am horizontalen Unterkieferast 1—2 Löcher

Abb. 22. Der gefaßte linke Abschnitt des Platysmas ist losgelöst, aber in ursprünglicher Lage: der rechte Abschnitt ist gerafft und in den Bohrlöchern am Unterkiefer befestigt

gebohrt, das Platysma vom Kinn und vorderen Bereich des Unterkiefers abgetrennt, die Drahtenden durch die Bohrlöcher gezogen und das Platysma fest angezogen. Die Wunde wird mit mehreren Subkutannähten und einer Intrakutannaht verschlossen. Neben dem schon genannten Mißbildungskomplex: Aplasie der Protraktoren des Unterkiefers und Aplasie des M. genioglossus konnten auch noch andere Mißbildungskombinationen, wie: Protraktorenaplasie und Aplasie des Hyoids mit der dann verbundenen Aplasie der gesamten Hyoidmuskulatur; Protraktorenaplasie und Aplasie der suprahyoidalen Muskeln, bereits operativ behandelt werden. Literatur F.: Zur Anatomie der formalen Genese der Atresia auris congenita. Mschr. Ohr.hkd. (Wien) 67, 765, 917, 1042 (1933). BÜRGER, 0 . : Über einen Fall seltener Mißbildung (Hemignathie), Arch. Gynäk. 68, 295 (1903). CALLISTER, A. C . : Hypoplasia of the Mandible (Micrognathy) with Cleft Palate (treatment in early infancy by skeletal traction), Amer. J . Dis. Child. 53, 1057 (1937). CHAMPION, R . : Treatment of Cleft Palate Associated with Micrognathia, Brit. J . Plast. Surg. 8, 265 (1956). D A V I E S , A. D . and R. D U N N : Micrognathia: Suggested Treatment for Correction, Amer. J . Dis. Child. 45, 799 (1933). DOUGLAS, B.: The Treatment of Micrognathia Associated with Obstruction, Plastic Surg. 1, 300 (1946). DOUGLAS, B.: A further Report on the Treatment of Micrognathia with Obstruction by a Plastic Procedure, Plastic Surg. 5, 113 (1950). DOUGLAS, B.: The Treatment of Micrognathia with Obstruction by a Plastic Operation, Lyon chir. 52, 420 (1956). ALTMANN,

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HANDBUCH D E R P L A S T I S C H E N

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHKBANDT · J . GABKA · A . B E R N D O R F E B

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

12. Rekonstruktive Chirurgie des Gesichte T E I L

I

WOLFGANG ROSENTHAL, B e r l i n

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Erste Maßnahmen III. Kieferfrakturen

1 1 3

IV. Läsionen des Mittelgesichts und der Stirn

4

V. Der Zahn im Bruchepalt . . . . . .

10

VI. Fragen der Schmerzbetäubung . . . VII. Plastische Maßnahmen A. Rhinoplastik B. Blepharoplastik, Orbitaplastik . . C. Cheilo-, Stomato-, Meloplastik . . D. Uranoplastik E. Osteoplastik

11 11 11 17 19 26 28

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Dr. h. c. W. Rosenthal Berlin- Wendenschloß Am Langen See 23

F. Plastiken im Bereich des aufsteigenden Unterkieferastes und des Gelonkfortsatzes VIII. Die Verletzungen der Gesichtsorgane . A. Gehirnnerven 1. Nervus olfactorius 2. Nervus trigeminus 3. Nervus facialis a) Die Therapie der bleibenden Fazialislähmung b) Der Fazialiskrampf . . . . 4. Nervus vagus und Nervus hypoglossals Β. Speicheldrüsen Literatur

32 34 34 35 35 35 37 39 39 39 40

12. Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts Teil I WOLFGANG ROSENTHAL,

Berlin

I. Einleitung Gesichts- und Kieferverletzungen nehmen im Rahmen der Traumatologie eine besondere Stellung ein. Nicht nur weil der Gesichtsschädel im hohen Grade frakt urempfindlich und der Unterkiefer infolge seiner exponierten Lage gegenüber äußeren Gewalten gefährdet ist, nicht weil es zahlreiche primäre Nebenverletzungen, insbesondere Schädelbrüche geben kann, sondern weil die Tätigkeit des Chirurgen auf diesem Gebiete der Unterstützung durch den Kieferorthopäden und in besonderen Fällen des Neurochirurgen, Ophthalmologen sowie des Rhinologen bedarf. Man hat aus diesem Grunde während der Weltkriege, dem Zugang von Verletzungen des Kiefer-Gesichts entsprechend, Speziallazarette eingerichtet, in denen die genannten Spezialisten den Verwundeten zur Verfügung standen. Da die Häufigkeit komplizierter Gesichtsverletzungen in der Nachkriegszeit durch die Zunahme der Verkehrs-, Betriebsund Sportunfälle eine beträchtliche Höhe behalten hat, ist, abgesehen von den Unfallkliniken, fast in allen größeren Krankenanstalten die erforderliche Teamversorgung ausführbar. G Ö G L E R hat am Krankengut der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg (1952 bis 1958) Verletzungen der Kopfregion bei Unfallereignissen in rund 60% aller Fälle ermittelt. Bei 269 tödlich verlaufenen Verkehrsunfällen sah er 189mal, d. h. in etwa 7 0 % auch eine Kopfverletzung. Gesichtsschädelfrakturen fanden sich in einer Gesamtzahl von 11050 Verletzten 406mal, also etwa in 4 % der Fälle. Obwohl die speziellen Probleme dieser Verletzten im Hinblick auf die Kieferfrakturen von W U N D E R E R und N E U N E R abgehandelt werden, muß der Fragenkomplex auch in Rahmen meines Themas berührt werden. Rekonstruktive Operationen nach Traumen der Gesichtsregion werden in ihrem Umfang nämlich sehr oft von der richtigen Erstversorgung des Verletzten mitbestimmt. Die Reposition des knöchernen Gesichtsschädels schafft außerdem häufig erst die Voraussetzungen für eine kosmetisch befriedigende Weichteilplastik.

I I . Erste Maßnahmen Die erste Hilfe bei Kiefer-Gesichtsverletzungen spielt nicht selten eine entscheidende Rolle für den weiteren Verlauf. Daß, wie bei jedem Unfall, ein bestehender Schockzustand nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt wird, daß man sich einer Asphyxie annimmt, eine spritzende Blutung gestillt wird und Anzeichen von Schädelbasisfraktur oder Gehirnkontusion beachtet werden, darf als selbstverständlich gelten. Keineswegs unterlasse man, sobald der Allgemeinzustand es erlaubt, eine Röntgenuntersuchung und evtl. Schichtaufnahmen. Die meist starke Verschwellung der Gesichtspartien Handb. Plast. Chir., Bd. I I

28

2 Ι 12

W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

macht die klinische Feststellung von Knochenbrüchen, besonders am Oberkiefer, meist erst nach Rückgang der Ödeme möglich. Dann aber ist es für eine Frühreposition, beispielsweise des Jochbeins, des Orbitalbodens oder von Kieferknochenfragmenten zu spät geworden. Nur wenn auf Grund des klinischen und Röntgenbefundes ein Vorliegen von Gesichts- und Kieferknochenbrüchen nicht anzunehmen ist, kann die Frühnaht bloßer Gesichtsweichteilwunden in Angriff genommen werden. Dies ist erforderlich, besonders im Bereiche der Nasenöffnungen, des Mundes, der Augenlider sowie am Ohr; natürlich auch bei sonstigen Lappenwunden, wie sie etwa durch Glassplitter zustande kommen. Notwendig ist die Frühnaht eines durchtrennten Ausführungsganges der Parotis sowie der Fazialis- und Trigeminusnervenfasern ( R O S E N T H A L , M I E H L K E ) . Eine enorale Durchtrennung des Parotisganges wird allerdings kaum Beschwerden verursachen und ist deshalb unerheblich, es sei denn, narbige Verwachsungen würden in der Folge den Sekretabfluß zeitweise behindern. Auch bei der Verletzung des N. trigeminus, die von uns ja im Zuge der Neuralgiebehandlung als Exhairese zielbewußt erfolgt, erleben wir sehr oft eine Reparation der Nervenleitfähigkeit ohne unser Dazutun. Allerdings muß man dann auch mit einem Fehlregenerat und dem Auftreten jener Schmerzen rechnen, die uns vom Amputationsneurom der Extremitätenchirurgie her bekannt sind. Auf die Wiederherstellung des N. facialis durch primäre Nervennaht näher einzugehen, erübrigt sich, da M I E H L K E hierüber berichtet. Die gute Blutversorgung der Gesichtsweichteile garantiert fast ausnahmslos eine glatte Heilung der Frühnaht. Es ist sogar eine Sekundärnaht der Weichteile möglich. Bei ihr hat man sich allerdings zur Vermeidung einer Dehiszens durchgreifender Situationsnähte mit feinen Metallfäden zu bedienen, die an Bleiplättchen oder ähnlichen Fixationspunkten verankert werden. Daß man bestrebt sein wird, durch Anwendung geeigneter Antibiotika die Ungestörtheit des Heilverlaufes zu sichern, ist selbstverständlich. Es sind freilich Stimmen laut geworden, aus denen hervorgeht, daß wir angesichts der zunehmenden Resistenz der Infektionserreger gerade im Mundgebiete uns in keiner viel besseren Lage mehr befinden, als in der vorantibiotischen Ära. P L I N E B . sah nach Traumen der Gesichtsknochen in Kombination mit Weichteilverletzungen früher Eiterungen der Wunden und Osteomyelitiden in rund 17%, aber unter Antibiotikaschutz nurmehr in 11% Weichteileiterungen und in 5% Osteomyelitiden. Im Kiefer-Gesichtsbereich hilft uns aber auch zusätzlich die gute Versorgung der Gewebe mit natürlichen Abwehrstoffen. Man braucht infolgedessen auch bei der primären Wundversorgung nur sicher nekrotische Gewebspartikel und völlig losgelöste Knochenteile sowie luxierte Zähne zu entfernen (wobei immer an die Möglichkeit einer Reimplantation gedacht werden sollte). Von einer Wunddrainage darf man keineswegs absehen. Was im übrigen die Nähte im Kiefer-Gesichtsbereich betrifft, so empfiehlt es sich, Material zu nehmen, das nicht quillt und sich nicht imhibiert. Die RoSENTHALschen Kliniken haben seit Jahren eine bakteriasstatische Wirkung von Nähten gesehen, die mit Pyoktanin imprägniert waren. Die Herstellung der Pyoktaninfäden geschieht auf folgende Weise: 1000 ml destilliertes Wasser wird mit einem Teelöffel Kochsalz gekocht. In die Kochlösung kommt 1 g Pyoktaninpulver. Nach weiteren 5 Minuten Kochen der nunmehr blauen Lösung wird die Seide eingelegt und darin weitere 15 Minuten gekocht. Man läßt das Nahtgut vor der gesamten Prozedur entweder im Knäuel oder zieht es auf Glasplatten auf, wobei es die nötige Länge und Streckung erhält. Nach Beendigung des Kochens in der Pyoktaninlösung werden die Nähte mit sterilen Instrumenten herausgenommen und gründlich klargespült. Das Spülwasser darf zuletzt keine Farbe mehr annehmen. Die Fäden selbst haben nunmehr die dunkle Farbe des Pyoktanins angenommen, die sie behalten. Man hebt sie trocken auf und braucht sie nicht wieder zu sterilisieren, vorausgesetzt, daß keine groben Verschmutzungen vorgekommen sind.

Kieferfrakturen

12 I 3

I I I . Kieferfrakturen Liegen klinisch und röntgenologisch wahrnehmbare Dislokationen vor, so ist Sofortrepositiori erforderlich. An manchen Stellen ζ. B. bei einem verlagerten Jochbeinbruch, genügt oft die bloße chirurgische Reposition des Fragmentes. Von einem kleinen Einschnitt

Abb. 1. Posttraumatische Plattnase verursacht durch zu festgeschnürte Nasenschleuder bei fehlender intranasaler Stütze 2

3

4

Abb. 2 bis 4. Deformation des Kinnteiles der Mandibula durch Kopfwickelverband ohne zahnärztliche Retentionsschiene 2S*

4 I

12

W . Rosenthal, R e k o n s t r u k t i v e Chirurgie des Gesichts

über dem Jochbein läßt sich der verlagerte Knochen mittels Hakenzug an seine Stelle bringen und dort auch ohne Naht oder Extension einfügen. Gelingt dies nicht, so wendet man eine Drahtextension von einer Kopf kappe aus an. Vorsicht ist geboten mit der gedankenlosen Anwendung bloßer äußerer Verbände. Die sog. „Nasenschleuder" (Abb. 1) kann bei Nasenbeinbrüchen zur Sattel- und Plattnase führen, die zu fest angezogene „Kinnschleuder" bei zahnärztlich nicht retinierter Unterkieferfraktur zur Kompression der Mandibula und Mikrogenie (Abb. 2, 3, 4). Die Versorgung der bloßen Kieferfrakturen der Mandibula wie der Maxiila wird in einem gesonderten Kapitel abgehandelt. ( W U N D E R E R U. N E U N E R ) . Unter den 3 2 6 9 Fällen von Kieferfrakturen, die in der Bukarester Klinik von VALERIAN POPESCU in der Zeit von 1945—1961 behandelt wurden, konnten 2245 = 85,6% durch bloße monomaxilläre Immobilisation oder interdentale Ligaturen zur glatten Heilung gebracht werden. Auch andere Stomatologen ( H O F E R , K L E E B E R G , KÖHLER, R H E I N W A L D , REICHENBACH, R E U M U T H , T R A U N E R U. WEISKOPF) sind mit der ausschließlich konservativen Kieferbruchbehandlung erfolgreich gewesen. Da diese in zahlreichen Lehrbuchteilen der Stomatologie und vor allem von W A S S M U N D und REICHENBACH in einem Leitfaden der Kieferbruchbehandlung niedergelegt sind, werden wir uns mit der Technik dieser Versorgung nicht befassen. Die äußere Reposition und Frakturruhigstellung nach R O G E R - A N D E R S E N , die übrigens schon vor Jahren in Berlin von SCHRÖDER ausgeführt wurde, kommt vor allem bei mehrfachen Unterkieferbrüchen, bei fraglicher Ruhigstellung infolge Zahnmangel sowie bei Defektkieferbrüchen in Frage (MATHIS, HARNISCH, GABKA, SCHULE). Eine generelle Anwendung der externen Reposition und Retention erscheint freilich nicht ratsam. Es bleiben bei ihr zwar kosmetisch kaum störende Hautnarben zurück, doch kann es in seltenen Fällen zur Osteomyelitis über die Schraubstellen kommen. Empfehlenswert ist die äußere Extension stark dislozierter Kinnfragmente, für die bei Asphyxie eine dringliche Indikation vorliegt.

IV. Die Läsionen des Mittelgesichts und der Stirn Das Gros der Mittelgesichtsverletzungen bilden die Oberkieferfrakturen (Abb. 5). Sie treten in Gestalt der LE FoRTSchen Bruchlinien, aber auch völlig unregelmäßig und nicht selten, infolge stumpfer Gewalteinwirkung, als Kompressionsbrüche auf. Das AntrumHighmori ist dann, evtl. beiderseits, durch den Einbruch seiner Wände zerstört (Abb. 6). Die Augen sind herabgesunken. Mitunter ist die gesamte Maxiila nach hinten verschoben, und es besteht eine scheinbare Progenie. Dieser Zustand kann durch die konservative Hebung und Protraktion der losgeschlagenen Maxilla allein nicht immer behoben werden. Sie erfolgt bekanntlich meist dadurch, daß man eine an den Oberkieferzähnen befestigte Gaumenplatte, die mit hirschgeweihähnlichen, seitlich aus dem Munde ragenden Fortsätzen versehen ist, zum Hebel auf den dislozierten Oberkiefer benutzt. Man redressiert von einer Kopfkappe aus mit Hilfe von Gummizügen allmählich bis zur Bißkorrektur. Neben dieser Reposition der Fragmente durch langsame Zugwirkung ist die blutige (operative) Reposition zu erwähnen. Jeder Chirurg wird aber versuchen mittels Fingerdruck primär die Kontinuität des gebrochenen Kieferknochens wiederherzustellen (manuelle Reposition). Diesem Vorgehen erwachsen aber erhebliche Schwierigkeiten, wenn der Bruch schon älter ist oder das Unfallereignis eine Verkeilung der Fragmente herbeiführte. Dann kann — wenn man sich nicht zum oben skizzierten Vorgehen entschließen will — die aktive Mobilisation der Fragmente mit Hilfe der „Rüttelung" nach OBWEGESER am Platze sein, ein Vorgehen, das in der anglo-amerikanischen Literatur MCINDOE, F R Y usw. zugeschrieben wird. In Kurznarkose werden zuerst Jochbein und Jochbogen reponiert, wobei man sich am einfachsten der bereits genannten Hakenzug-Methode bedient. Man muß aber auch manchmal von enoral (HOFRATH) oder perkutan operativ vorgehen ( H E I S S ) . Damit ist

Die Läsionen des Mittelgesichts und der Stirn

12 | 5

Abb. 5 a u. b. Oberkieferfraktur im Sinne der Bruchlinie nach Le Fort I. Reposition durch extra-orale Apparatur

Abb. 6a. Jochbein-Impressionsfraktur. Extraorale Drahtextension an Kopfkappe (Klinik Rostock, Prof. KEUMUTII)

Abb. 6b. Jochbeinregion nicht mehr eingesunken

praktisch die Verkeilung des abgerissenen Oberkiefers in Dorsalposition meist schon gelöst. J e t z t wird der Oberkieferkörper entweder mit der den Alveolarfortsatz packenden Faßzange M C I N D O E S oder — nach dem Vorschlag D U F O U R M E N T E L S — mittels Gummidrains, die durch die Nase eingeführt werden und in Richtung Rachenraum zur Mundhöhle herausgeleitet werden, durch ruckartige Bewegungen in die korrigierte Lage gebracht. Dadurch erreichen wir, daß nicht nur eine korrekte Okklusion, sondern auch eine befriedigende kosmetische K o n t u r des Mittelgesichts resultiert. Hierbei pflegen sich aber stark komprimierte Kieferhöhlen mit Depression des Infraorbitalknochens und Augenverlagerung nicht zu verändern. Man m u ß in solchen Fällen am besten vom Munde aus die Kieferhöhle eröffnen, um mit sanftem Fingerdruck die Kieferhöhlenwände zu entfalten, wobei vor allem der Orbitalboden gehoben werden muß. Das erzielte Ergebnis wird durch feste anti-

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Abb. 7 b. Stumpfe frontobasale Schädelverletzung (mit Meningitis) 24 Stunden nach dem Unfall. Freilegung des Trümmerfeldes der Stirnbeine vom Visierlappenschnitt nach U n t e r b e r g e r

Die Läsionen des Mittelgesichts und der Stirn

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septische Tamponade des Antrums oder durch Einfügung von Kunststoffpfeilern gehalten. Diese Stützen können lange Zeit belassen werden, wenn man für eine genügende Drainageöffnung zum Nasengang gesorgt hat. Außer dem Antrum maxillae können auch die übrigen Gesichtshöhlen frakturiert sein, was sich verhängnisvoll auswirkt bei gleichzeitigen Sprüngen in der Schädelbasis mit Verbindung zu den Meningen. Besonderer Beachtung und Behandlung wert sind die frontobasalen Schädelverletzungen, über die in letzter Zeit besonders M E N N I G berichtet hat. Es handelt sich dabei zum Teil um Oberkieferfrakturen vom Typ Le Fort I I und I I I in Verbindung mit Läsionen der Stirnhöhlen und der Schädelbasis, weiterhin um stumpfe Gewalteinwirkung auf das Orbitaldach ζ. B. durch den Skistock. Hierbei kann es über die Stirnhöhlen, das Siebbein und die Lamina cribriformis zum meningealen Infekt kommen. Handelt es sich um eine gedeckte Stirnfraktur, so ist dabei die Infektionsmöglichkeit nicht ausgeschlossen. Eine bei den Betreffenden eingeleitete antibiotische Behandlung kann das Bild verschleiern, das auch durch ein Röntgenbild nicht immer deutlich wird. M E N N I G empfiehlt Freilegung des Schädeldaches vom Visierlappenschnitt nach U N T E R B E R G E R , der innerhalb der Kopfbehaarung über den Scheitel von einem Ohrmuschelansatz zum anderen verläuft. (Abb. 7a) Hiernach wird die ganze Ausdehnung der oft sehr komplizierten Frakturlage klar. Für eine evtl. notwendige Duraplastik liefert der „Vorderskalp" genügend Material; Liquorfisteln können geschlossen werden. Wichtig ist die Drainage des Operationsgebietes nach Sanierung der Stirnhöhlen durch die Nasengänge! (Abb. 7b.). Neben oder anstelle der genannten Reposition und Retention des frakturierten Oberkiefers mit Bruchlinien nach Le Fort I und I I kann auch die Anwendung von Drahtverschnürungen vom maxillären Bruchstück etwa zum Jochbein oder anderen festen Punkten des Schädels in Frage kommen. Es erscheint jedoch ratsam, sich auf die Wirkung solcher

Abb. 8b. Spaltung und Spreizung des Oberkiefers

Abb. 8a. Verkehrsverletzung. Oberkieferfraktur nach Le Fort I I mit Bruch in der Mittellinie (Rostocker Klinik, Prof. REUMUTH)

Abb. 8 c. Palatinalplatte mit Fischerschraube und Dentalschienen angebracht

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Abb. 8d. Reposition der Oberkieferhälften durch Gummizug

Abb. 8 f. Zustand nach Abheilung vor Einschleiftherapie

Abb. 8g. Schlußbild des Patienten

Maßnahmen nicht allein zu verlassen, sondern sie zu unterstützen durch Eingliederung eines interdentalen Monoblocks mit Futterlücke, sowie einen extraoralen Schleuderverband. Auf diese Weise können, auch als Notbehelf und zur Extension des abgesunkenen Unterkiefermittelstücks, gleichzeitige Frakturen des Ober- und Unterkiefers versorgt werden (HEIDSIECK) ( A b b . 8 ) .

Die bloße Knochennaht von Unterkieferfragmenten, die wir auf Grund der Mißerfolge im ersten Weltkrieg schon aufgegeben hatten, weil es häufig umschriebene Ostitiden und Nekrosen gab (Abb. 9), wird jetzt unter dem Schutze der Antibiotika gern wieder aus-

Die Läsionen des Mittelgesichts und der Stirn

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Abb. 9. Mißerfolg einer Knochennaht bei Unterkieferfraktur. Umschriebene Nekrose, mangelhafte Fixation

geführt. Wir halten nicht viel davon. Beim Vorhandensein einer Dislokation ist die dentale Schienung ungleich genauer. Sie garantiert jedenfalls die Okklusion der Zähne. Auch ist zu bedenken, daß selbst eine feste Drahtverschnürung von Knochenbrüchen schon in kurzer Zeit illusorisch wird, da im Bereiche der angelegten Bohrlöcher durch die Drahtschlinge eine Usur eintritt, so daß sich die angezogene Schlinge im Knochen lockert. Eine dentale Retentionsschiene läßt sich sogar in einen Redressionsapparat umwandeln und zwar mit Hilfe einer schiefen Ebene oder von Gummizügen. Auch von der Anbringung von Metallklammern an den Kieferfragmenten vom Munde aus darf man nicht zu viel erwarten. Selbst wenn es Dank fehlender Keimresistenz und bei Anwendung geeigneter Antibiotika nicht zu einem Infekt kommt, pflegen diese Ruhigstellungsmittel auf die Dauer nicht in genügender Weise zu wirken, da sie dem beachtlichen Zug der Kaumuskeln nicht standhalten. Etwas anders liegen die Dinge bei der supraperiostalen, intraoralen Drahtumschlingung von Schrägfrakturen der Mandibula und beim Circumferential-wiring des gebrochenen kindlichen Unterkiefers, wobei man zweckentsprechend die Drahtschlinge über eine supradentale Aufbißschiene legt. Eine solche Frakturruhigstellung kann durchaus genügend sein und richtet auch keinen Schaden an, da sie sekundär entfernt wird ( G Ö T T E , G A B K A ) . Was die chemische Osteosynthese betrifft, die von GOLOVIN und N O V O J I L O W aus Leningrad sowie MANDARINO und S A L V A T O R E in Philadelphia empfohlen wurde, so soll es

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nicht bestritten werden, daß gewisse chemische Plaste zur Anregung der Kallusbildung dienen können (ähnliche Versuche wurden übrigens schon im 1. Weltkrieg an Kieferverletzten gemacht). Die Wirksamkeit aller Präparate, denen ein Einfluß auf die Kallusbildung zugesprochen wird, prüft man am besten mit dem Ziel heterotoper Knochenbildung, da man dann mit Sicherheit keiner Täuschung vom Eigenknochen her unterliegt. B L Ü M E L und P I Z A konnten erst kürzlich wieder zeigen, daß sog. Knochensalze keinerlei Einfluß haben, katabole Hormone die Osteogenese hemmen, aber alkalische Phosphate und Testosteron die Kallusbildung anregen. I m übrigen demonstrierte B O R N E M I S Z A im Tierversuch die Möglichkeit, durch Einbringen von Akrylatspüttern ins Kniegelenk von Hunden eine knöcherne Versteifung nach zusätzlicher Ruhigstellung im Gips zu erreichen. Er empfiehlt das Verfahren zur Arthrodese, und es wird verständlich, daß alle Kunststoffeinlagerungen bei der Arthroplastik zu Mißerfolgen und vermehrter Bewegungseinschränkung führen mußten. Auf die Stellung von Knochenfragmenten im repositorischen Sinne können solche Maßnahmen jedoch nicht einwirken. Es bleibt also auf dem Gebiete der Kieferknochenbehandlung als Methode der Wahl die konservative orthopädische Therapie (intermaxilläre Schienen).

V. Der Zahn im Bruchspalt Da der Kiefer gern an jenen Stellen frakturiert, an denen bleibende Zähne weit in seine Substanz hineinragen, spricht man hier von „Schwachpunkten" des Kiefers. Wir sehen demzufolge, mitunter auch nach geringer Gewalteinwirkung, Frakturen beiderseits in der Eckzahngegend des Unterkiefers oder auch in der Region der unteren Weisheitszähne, insbesondere bei Jugendlichen, bei denen der dens sapientiae noch tief im Knochen lagert. Es liegt auf der Hand, daß ein solcher parodontaler Bruchspalt sich sekundär vom Munde aus infizieren kann, örtliche Eiterungen, Sequestrierung, ja Pseudarthrosen haben sich entwickelt. Infolgedessen wird der Zahn im Bruchspalt gern prophylaktisch entfernt. Die Entscheidung hierüber möchten wir jedoch nicht verallgemeinern. Der mit der Versorgung eines solchen Falles Betraute hat von Fall zu Fall zu entscheiden, ob der betreffende Bruchspaltzahn etwa als Platzhalter oder, falls er nicht devital ist, auf die Dauer zu erhalten wäre. Mitunter kann ein solcher Zahn auch nur vorübergehend zur Festigung einer Dentalschiene benutzt werden und dadurch Wert gewinnen. Das Schicksal der im Bruchspalt belassenen Zähne ist unterschiedlich. In der Hälfte aller Fälle wurde später eine Wurzelbehandlung erforderlich, in etwa 55% aber fand S C H Ö N B E R G E R die Vitalität der Pulpen erhalten bzw. die Rückkehr der unmittelbar nach dem Trauma fehlenden vitalen Reaktion des Zahnes. Schon daraus geht hervor, daß mit der Wurzelbehandlung zugewartet werden sollte, bis der Pulpentod klinisch einwandfrei feststeht. Grundsätzlich gilt heute, daß die gezielte Chemotherapie dann den Versuch rechtfertigt, am Bruchspalt stehende Zähne zu erhalten, wenn diese a) prothetisch oder prothetisch-chirurgisch im Kronenteil aufbaufähig sind und vor dem Unfall vital waren, b) das Parodontium gesund ist, c) vital sind (Ausnahme: Weisheitszahn am Bruch bei vorliegender Tascheninfektion).

Die Rostocker Univ.klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten versuchte durch körperlich wirkende Schienenverbände allein und unter Verzicht auf alle Antibiotika am Bruch stehende Kaueinheiten zu erhalten und erzielte damit recht gute Ergebnisse. Trotzdem ist die Chemotherapie als Sicherheitsfaktor für derartige Fälle zu fordern. Muß in der

Plastische Maßnahmen

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Konsolidierungsphase wegen jetzt erst hinzutretender Infektion doch noch ein Zahn entfernt werden, so sollte auch dieses ,,Zusatz-Trauma" antibiotisch abgeschirmt werden (SCHLEGEL).

VI. Fragen der Schmerzbetäubung Obwohl man bei ängstlichen Patienten, insbesondere bei Kindern, selbst geringfügige Eingriffe im orofazialem Gebiet unter Allgemeinbetäubung ausführen wird, erscheint im allgemeinen sowohl die zahnärztliche Frakturversorgung wie die Ausführung kleiner Operationen an den Kiefern und im Gesicht in Leitungs- und Infiltrationsanaesthesie durchaus weiterhin vertretbar. Wir verfügen über wirksame und harmlose Sedative und Analgetika, unter deren Schutz sich eine örtliche Betäubung ausführen läßt und zwar eventuell so, daß ganze Gesichts- und Kieferteile anaesthetisch werden, ohne daß die Selbstbeweglichkeit des Kiefers, durch die das Arbeiten in der Mundhöhle wesentlich erleichtert wird, aufgehoben ist. Größere Eingriffe werden natürlich in üblicher Weise unter Endotrachealnarkose vorgenommen.

VII. Plastische Maßnahmen A. Rhinoplastik Es wurde schon darauf hingewiesen, daß unzweckmäßige Verbände zu späteren Entstellungen der Nase und der Kinngegend führen können. Eine Prophylaxe wird bei der frischen Behandlung einer Nasenbeinfraktur schon durch die in rhinologischen Kreisen übliche Einführung zweier Gummiröhrchen in die Nasengänge bis zum gewissen Grade erreicht. Bessere Dienste leistete mir der seinerzeit von meinem Mitarbeiter Richard S C H R E I TER nach meinen Angaben ausgeführte Retentions- und Redressionsapparat, dessen Gestalt und Wirkung aus der Abbildung ersichtlich ist (Abb. 10). Ein ähnlicher Redressionsapparat für Nasenbeinbrüche wurde von C L A U D E M A R T I N - S C H R Ö D E R angegeben (Abb. 1 1 ) . Die Korrektur der Stellung und Nasenform, die durch solche und ähnliche Apparate wie ζ. B. den Universainasenformer nach E R N S T erreicht werden soll, spielt eine entscheidende Rolle auch nach der späteren operativen Korrektur einer Schief- oder Plattnase, sei es, daß man dabei nach J O S E P H vorgeht oder die einfache Hebung der traumatischen Sattelnase durch freie Transplantation eines periostbedeckten Tibiaspans ausführen will. Man kann dann wählen zwischen der Spaneinführung vom Nasensteg bzw. der Nasenspitzenregion her oder über einen Schnitt an der Nasenwurzel. Technisch ist die Spaneinführung von kaudal einfacher, aber dafür das Risiko sekundärer Spanausstoßung größer. Man muß deshalb dann dafür sorgen, daß der Tibiaknochen ausreichend hoch eingeführt und in dieser Lage auch fixiert wird, damit er nicht der Schwerkraft folgend auf das sich erst bildende Granulationsgewebe des Einführungskanales drückt und sich nach außen durchstößt. Auch heute noch muß nämlich der so durchgetretene und damit infizierte Span so lange als verloren angesehen werden, solange er noch nicht wieder am Einpflanzungsort vaskularisiert ist und damit unserer Chemotherapie zugänglich wird. Die Spaneinbringung von der Nasenwurzel her stößt manchmal auf erhebliche Schwierigkeiten, wenn das narbig veränderte und eingesunkene Gewebe im Bereich des zu korrigierenden „Sattels" nicht ausreichend dehnbar ist. Es wird dann äußerst schwierig, den Knochenspan besonders bei tief liegender Nasenwurzel an den Ort der Not zu bringen. Durch Vordehnen des Gewebes mittels der aus der Gynäkologie her üblichen HEGAR-Stifte evtl. nach vorheriger Infiltration des Narbenbezirkes mittels Hyaluronidase kommt man manchmal doch noch zum Ziel. Man hat dann den Vorteil, daß gesundes Gewebe den Span in der „Wanderungsrichtung" abschließt und außerdem die Knochenanlage am knöchernen Gesichtsschädel (Nasenbeinresten oder os frontale) durch Wegpräparieren der deckenden Weichteile gut bewerkstelligt werden kann. Dieser Knochenkontakt schafft aber in der Folge die Voraussetzung für eine schleichende

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Abb. 10. Retentions- und bei Nasenbeinfraktur

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Repositionsapparat (ROSENTHAL)

Abb. 11. Selbsttätiger Repositionsapparat bei Dislokationsbruch der Nase nach C L A U D E M A R T I N - S C H R Ö D E R

Substitution des Spanknochens vom Knochenlager aus, fixiert den Span durch Kallusbildung und gewährleistet den besten Dauereffekt, obwohl das Frühresultat wegen der Abflachung der Nasenwurzeleinziehung oft weniger befriedigt. Neben der traumatischen Sattelnase spielt wohl die Unfall bedingte Schiefnase die praktisch wichtigste Rolle. Ihrer Korrektur sollte stets eine Septumresektion zur Normalisierung der gestörten Nasenatmung vorangehen. Die klassische Operationsmethode dieser Anomalie geht auf J O S E P H ( 1 9 0 7 ) zurück. Man geht von endonasal über einen vestibulären oder am Rande der Apertura piriformis liegenden Schnitt ein und beginnt dabei auf der breiteren Nasenseite. Ein dreieckiges Stück der lateralen Nasenwand wird unter Mitnahme der Schleimhaut exzidiert, wobei die Spitze des Dreiecks an der Nasenwurzel, die Basis an der Apertur liegt. Dann wird an der schmaleren Nasenseite von endonasal ein entsprechender Schnitt gelegt, Hautperiost und Schleimhautperiost von der lateralen Nasenwand abgehoben und nahe der Pyramidenbasis eine laterale Osteotomie bis zur Nasenwurzel durchgeführt. Der Nasenrücken wird nun aber nicht genau in der Medianen, sondern in überkorrigierter Stellung ruhiggehalten. Außerdem sorgt die in der Heilphase nachwirkende biologische Korrektur für den Erhalt des Resultates: Auf der schmalen Seite haben wir Schleimhaut und Periost geschont, die jetzt mit der Haut verkleben und so ein sekundäres Annähern der Knochenfragmente verhindern. Auf der ehemals breiteren Nasenseite aber wachsen Knochenfragmente und Schleimhaut zusammen und fixieren die neue Nasenlage (Abb. 12 a). Während also die Rhinoorthoplastik nach Gesichtsverletzungen aller Art eine große Rolle spielt, ist die totale Rhinoneoplastik verhältnismäßig selten auszuführen. Ein vollständiger Verlust der knorpeligen und knöchernen Nase im Anschluß an Friedenswie Kriegsverletzungen zählt zu den Seltenheiten. Die Verstümmelung des Gesichts durch Abschneidung von Nase und Oberlippenmitte, die früher als Gerichtsstrafe und auch bei Gefangenen ausgeführt wurde, war freilich noch im jetzigen Algier eine von Patrioten an

Plastische Maßnahmen

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Abb. 12b bis d. Rhinoneoplastik in Gestalt einer Profilnase

ihren eigenen Landsleuten ausgeführte Terrormaßnahme, die einem bekannten französischen Chirurgen reichlich Gelegenheit zu Nasen- und Oberlippenplastiken gab. Für mehr oder weniger vollständige Nasenverluste steht uns bekanntlich die frontale (indische) und die brachiale (italienische) Rhinoneoplastik zur Verfügung. Bei der ersteren können wir uns für die Herstellung eines Nasendaches oder für eine Profilnase entscheiden (Abb. 12). Wichtig ist es, daß, am besten aus der Gegend der Rhinolabialfalte an den Nasenflügel· Ansätzen, gestielte Wangenhautlappen um 180 Grad nach dem Naseninneren zu her-

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Abb. 13 u. 14. Totale Rhinoneoplastik mit Knorpel- und Knochenimplantation nach Gillies

Abb. 15 bis 21. Modifikation der Rhinoneoplastik nach Hitrov

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Abb. 15 u. 16. Rollappen wird an Stirnwurzel und Oberlippe fixiert. Bestehende Oberlippendefekte können dadurch gleichzeitig gedeckt werden

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Plastische Maßnahmen

Abb. 17. Rollappen ist in zwei Hälften geteilt. Untere Partie dient zur Deckung des Oberlippendefektes und zur Verkleinerung der Nasenöffnung

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Abb. 18. Stiellappen aus unterer Fläche der nasal verankerten Fernlappenhälfte bildet die Naseninnenhaut

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Abb. 19 u. 20. Rekonstruktion der inneren und äußeren Nasenbedeckung

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umgeschlagen werden. Dadurch wird das Naseninnere überhäutet und das neue Gebilde vor Schrumpfung bewahrt (Abb. 13, 14). Auf die mit der Stirnlappenbildung zusammen erfolgende Knochenentnahme kann man auch verzichten und zunächst eine bloße Hautnase entstehen lassen. Man hat dann später ein Nasengerüst aus Knochen einzufügen. Innere oder äußere Stützen sollten die Form des sich bildenden Organs bestimmen helfen. Will man eine totale Nasenplastik aus einem Rundstiellappen aus entfernterer Körpergegend ausführen, so besteht wiederum die Möglichkeit, die Nase an ihrem Ursprungsort, beispielsweise auf der Brust oder am Arm, bereits mit freiverpflanztem Knochen zu versehen ( L E X E R , SCHUCHARDT) oder den Weichteilklumpen über den Arm in den Abb. 21. Nasenprofil durch freie Knochenimplantation geformt

Gesichtsdefekt einzufügen, um ihm durch freie sekundäre Knochentransplantation Halt und Profil zu verleihen (Abb. 15—21). Die frontale Nasenplastik, die den Vorteil hat, sozusagen aus einem Guß einen Ersatz zu schaffen, bringt naturgemäß eine Entstellung der Stirn mit sich, auch fallen die Stirnnasen nicht selten zu klein aus. Daß es neben der indischen und italienischen Art der Nasenplastik ein sog. französisches Verfahren gibt, wobei Stücke der Wange zum Aufbau der Nase herangezogen werden, darf nicht unerwähnt bleiben, da wir uns dieses Vorgehens vor allem beim partiellen Nasenverlust bedienen (Abb. 22). So werden Defekte an den Nasenflügeln gern aus der Wange gebildet, ebenso der Ersatz des Nasenstegs, der Columella. Hierbei gibt es freilich verschiedene Varianten (Abb. 23), die D E N N E C K E und M E Y E R vollständig wiedergegeben haben. Nachträgliche Modellierungen der Nase sind sehr gefragt. Es gehört dazu nicht nur

Abb. 22a bis d. Verschiedene Möglichkeiten des Nasenflügelersatzes aus Wangenhaut oder der Nase selbst

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Plastische Maßnahmen

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Abb. 23a bis k. Verschiedene Plastiken für den Ersatz der Kolumella

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Abb. 24 a u. b. Rekonstruktion der Nasenspitze (unter Zuhilfenahme einer Kolumellaplastik)

plastisches Geschick von seiten des Operateurs, sondern auch Geduld den Ansprüchen des Patienten gegenüber (Abb. 24). B. Blepharoplastik, Orbitaplastik Mit der Wiederherstellungschirurgie der Augenumgebung im einzelnen wird sich auseinandersetzen, so daß ich mich auf Grundzüge beschränken kann.

WALSEK

Handb. Plast. Chir., Bd. I I

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

Abb. 25a u. b. Bildung der Konjunktivalhöhle für Prothese, Rekonstruktion der linken Schläfe und Infraorbitalgegend durch Fett- und Osteoplastik

Abb. 26a u. b. Unterlidplastik zur Einfügung einer Augenprothese

Ist das Auge erhalten geblieben, so handelt es sich vor allem um die Aufrichtung und den Ersatz der Lider sowie die Narbenbeseitigung. Hierfür steht eine Reihe bekannter Lappenplastiken sowie die freie Transplantation von Haut, Schleimhaut und Knorpel zur Verfügung (Abb. 25, 26). Bestehen Substanzverluste oberhalb oder unterhalb des Auges, so kommt die Knochentransplantation in Frage. Das Absinken des Bulbus mit Auftreten von Doppelbildern kann durch vorsichtiges Einschieben eines freien Knochenkeiles aus der

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Plastische Maßnahmen

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Tibia unter das Periost des Orbitalbodens behoben werden. Hierbei wird das Auge in die gewünschte Stellung gebracht. Augenbrauen ersetzt man durch eine Stiellappenplastik vom behaarten Kopf. Mehr Schwierigkeit verursacht der Aufbau der äußeren Orbitalwand. Hier kommt man jedoch mit Hilfe der freien Gewebsverpflanzungen zum Ziel. Bei Verlust eines Auges stehen wir früher oder später vor der Aufgabe, dem Verletzten eine Prothese einzusetzen. Hierzu sind verschiedene Maßnahmen nötig: 1. Erweiterung des geschrumpften Bindehautsackes, 2. Aufrichtung der völlig oder teilweise erhaltenen Lider, 3. Lidersatz 4 . vollständige plastische Neubildung der Orbita (WALSER).

Als Ergänzung des ursprünglichen Zustandes kommen bei der Rekonstruktion der Lider auch Einpflanzungen dünner Knorpelscheiben in Frage ( S C H M I D ) . Als Endziel unserer Behandlung hat die Anbringung eines gut sitzenden Kunstauges zu gelten, das auch beweglich ist. Wenn auf dieses Resultat von Anfang an Rücksicht genommen wird, kann man sicherer auf Erfolg rechnen. Man hat die Beweglichkeit der Augenprothese durch Einpflanzung einer Knochenkugel oder auch eines kleinen Rundkörpers aus indifferentem Kunststoff unter die TENONsche Kapsel zu erreichen versucht. Jedenfalls ist mit dem Einsetzen einer Interimsprothese nicht lange zu warten. Man kann hierzu evtl. Kautschuk, schwarze Guttapercha oder weichbleibenden Kunststoff gebrauchen ( W A L S E R ) . Bei der Blepharoplastik ist die Schaffung des Ersatzlides ausschlaggebend. Hierfür sind von chirurgischer und vor allem augenärztlicher Seite zahlreiche Vorschläge gemacht worden. Im allgemeinen werden Stiellappen aus der Stirn sowie aus der Wange gebildet. Um das nachträgliche Absinken des Unterlides zu verhüten, hat man auch eine Visierlappenplastik aus dem Oberlid vorgenommen. Bewährt haben sich Stützungen des Unterlides durch freie Knochenimplantation. Bei der totalen Unterlidplastik kann man entweder Innen- und Außenseite des Lides aus äußerer H a u t bilden (Verfahren nach J O E D A N ) oder besser (nach U T H O F E ) die Innenfläche mit Schleimhaut versehen, wofür auch ein Vorschlag, die ganze Wangendicke zur Defektdeckung am Unterlid zu brauchen, vorliegt. Mitunter wird der primäre schöne Erfolg einer Lidplastik mit Einfügung eines Kunstauges mit der Zeit durch Schrumpfungsprozesse gestört. Das Glasauge tritt mehr und mehr zutage und verliert schließlich seinen Halt. In solchen Fällen bleibt bisweilen nur die kosmetische Deckung der ausgeräumten Orbita nach B E R G M A N N - L E X E R übrig, worauf die Stelle des Auges durch ein dunkles Brillenglas getarnt wird. C. Cheilo-, Stomato-, Meloplastik Die Verschließung von posttraumatischen Lippendefekten muß im Hinblick auf die Ernährung, die Sprache und zur Vermeidung von Trockennekrosen des Kieferknochens sowie von Broncho-Pneumonien bald geschehen. Die Schwierigkeiten der Rekonstruktion können beträchtlich sein, doch besitzen wir auf dem Gebiete der Cheilo-Plastik eine Reihe guter Vorbilder. So hat B R U N S 1 8 5 9 über 5 0 verschiedene Lippen- und Wangenplastiken berichtet! Heute liegen noch weit mehr Vorschläge vor. Einige Plastiken haben sich gehalten, so die nach B R U N S , E S T L Ä N D E R , E S S E R , T R E N D E L E N B U R G und S Z Y M A N O W S K I (Abb. 27, 28). Bei den genannten Verfahren und manchen anderen wird meist die ganze Dicke entweder der Wangen oder der unteren Umschlagsfalte zur Rekonstruktion benutzt. Der Vorteil dieser plastischen Verschiebungen aus der Defektnähe Hegt darin, daß die Lappen im Zusammenhang mit den Gefäßen und Nerven bleiben, wodurch sie ernährt sind und beweglich bleiben. Die andere Methode, beispielsweise die sog. „Pistolenplastik" nach L E X E R , bei der entweder einseitig oder auch in Gestalt eines großen Visierlappens die 29*

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ganze Stirn- bzw. Scheitelhaut, von der A. temporalis ernährt, zum Ersatz der Oberlippe oder der Kinnpartie heruntergeschlagen wird, worauf später eine Rücklagerung der Ernährungsstiele erfolgt, ergibt ein unbeweglich bleibendes Deckmaterial. Bei der Scheitelhautverpflanzung wird außerdem sowohl an der Oberlippe wie am Kinn ein späterer Bartwuchs transplantiert, was das Verfahren bei Frauen ungeeignet erscheinen ließ, bis G I L L I E S den Stirn,,visierlappen" angab. Lappenbildungen aus der Nachbarschaft des Mundes besitzen noch den Vorzug, daß sich mit ihrer Hilfe durch Schleimhaut-Auskrempeln fast eine völlige Wiederherstellung der Lippen erzielen läßt, was beim Rundstiellappen nicht möglich ist. Man sollte also bei den Verletzungsdefekten an Mund und Wange von der Verschiebeplastik ausgiebig Gebrauch machen. Von besonderer Bedeutung bei allen rekonstruktiven Eingriffen im Mundbereich ist jedoch die Schaffung eines festen Widerlagers für unsere Weichteilplastiken. Man muß

Abb. 27a u. b. Totaler Unterlippendefekt. Rekonstruktion nach T R E N D E L E N B U R G . Schleimhautlappen muß etwas größer sein als der Hautlappen

Abb. 28a u. b. Unterlippenrekonstruktion nach SZYMANOWSKI evtl. über Zahnprothese auszuführen

Abb. 28c. Exzision der die Lippe verziehenden Narbe in V-Form und Verschluß des Defektes als Ypsilon

Plastische Maßnahmen

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Abb. 28d. Exzision einer breiten Narbenplatte und Defektdeckung durch Drehlappen vom Mentalbereich (Umzeichnung nach H. G A N Z E R „Die Kriegsverletzungen des Gesichts und des Gesichtsschädels", J. A. Barth, Leipzig [1943])

also bei Defekten, die neben der Weichteilentstellung auch Kiefer oder Zahnreihen zerstört haben, die verlorengegangenen Anteile des Gebißsystems durch prothetische Behelfe ersetzen und dann die Weichteilkorrektur erst vornehmen. Auf diese Weise kann man vielfach wiederholte Operationen vermeiden, da die Lappenschrumpfung wie auch die primäre Größe des eingelagerten Gewebsteiles besser zu berechnen sind. Aus der Fülle der rekonstruktiven Methoden im Mundbereich seien drei Verfahren skizziert, die das Grundsätzliche veranschaulichen können und deren Modifikation dann für den Spezialfall dem Plastik-Chirurgen überlassen bleiben muß. Wir meinen einmal die sehr häufige Verziehung des Lippenrotes nach UmgebungsVerletzungen. Hierbei hat sich uns eine Operation als geeignet erwiesen, die der LEXERschen Ypsilonplastik im Prinzip gleicht (Abb. 28 b). Die beiden Schenkel des durch verzogene Naht des V förmig geführten Schnittes entstandenen Ypsilon liegen in der Lippenweiß-Lippenrot-Grenze und sind somit praktisch unsichtbar (Abb. 28 c). Ist die zu korrigierende Narbe zu breit und eine Deckung durch Lappenverschiebung aus dem Schnittrand nicht möglich, so kann man einen Rotationslappen der Umgebung einlagern. In Form des Lappenaustausches kann so gleichzeitig auch ein verzogener Mundwinkel angehoben werden (Abb. 28 d).

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

Abb. 28 e. Stiellappenaustausch zur Anhebung eines narbig verzogenen Mundwinkels nach H .

GANZER

Abb, 28 f. Erweiterung des Mundes durch Exzision eines Dreiecklappens im Mundwinkelbereich und Streckung des M. orbicularis oris nach Η . G A N Z E R

Plastische Maßnahmen

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Abb. 28g. Meloplastik im unteren Gesichtsbereich durch Umkipplappen nach ISRAEL-v. HACKEE

Zum zweiten wird man immer wieder einmal vor die Aufgabe gestellt, eine durch Narbenzug usw. geschrumpfte Mundspalte zu erweitern. Auch hierfür eignet sich eine abwandlungsfähige Basismethode. Man verlängert die Mundspalte entweder einfach durch einen horizontalen Schnitt, der aber den M. orbicularis oris nicht zur Gänze durchtrennt, sondern den schleimhautnahen Teil des Ringmuskels erhält. Dann wird die Mundschleimhaut zur Auskleidung des neu geschaffenen Mundwinkels herausgenäht. Der geschwächte Ringmuskel findet durch die regelmäßige Beanspruchung bald wieder zur alten Form zurück. Ist die Mundspalte aber gleichzeitig verzogen, so empfehle ich, dem Vorschlag G A N Z E R S ZU folgen und das Lippenrot entsprechend Abbildung 28 e zu umschneiden (durchgehend), durch Horizontalschnitt lateral davon die Mundspalte zu erweitern (wobei man den Schnitt etwas nach kranial steigend führen kann, wenn der Mundwinkel nach kaudal verzogen war) und dann den Ringmuskel in den neuen Mundwinkel einzunähen. Eine sorgfältige Schichtnaht und die Eingliederung eines Dehnungsbehelfes, im Bau einem Mundspekulum ähnelnd, hilft das Ergebnis sichern. Was die totale Rekonstruktion eines Lippenwinkels angeht, so lassen wir uns auch da immer vom Wunsch nach Erhalt bzw. Schaffung eines zum Mundschluß brauchbaren Ringmuskels leiten. Eine schematische Zeichnung (Abb. 28f) erläutert das besser als viele Worte. Gerade bei letztgenanntem Vorgehen sei aber besonders auf die notwenige feste enorale Unterlage der sonst übermäßig schrumpfenden Plastik hingewiesen.

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

a) Wangen- und Oberlippendefekt. Schnittführung an der Stirnhaut

b) Unter der von der A. temporalis ernährten Hautdecke wird ein mit einem großen Dermatomlappen umhüllter Gummistoff eingelegt, blutige Hautschicht nach außen

d) Bei Eröffnung der Stirnwunde zeigt sich der doppelt epithelisierte dünnwandige Lappen, der zum Verschlusse eines großen Wangendefektes auch bei Nasenflügeln- und Oberlippenverlust dient

c) Stirnwunde mit versenktem doppeltem Hautlappen für 14 Tage geschlossen

e) Schlußbild nach Stirnlappeneinfügung

Abb. 29a bis e. Meloplastik aus doppelt epithelisierter Stirnhaut nach

ROSENTHAL

Plastische Maßnahmen

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Abb. 30a. Posttraumatische Narbenkontraktur der linken Wange. Schleimhaut und Muskelnarbe exidiert. Bildung eines gestielten Halslappens zum Ersatz des Wangeninneren Abb. 30b. Halslappen nach der Wangentasche umgeschlagen Abb. 30 c. Schlußbild der Plastik (in Anlehnung an I S R A E L und v. H A C K E R )

Die Mundwinkelanhebung wird aber auch erzielt, wenn wir einen Drehlappen aus der Nasolabialfalte mit kaudaler Basis so einlagern, daß sein kranialer Schnittrand in die untere Lippenweiß-Lippenrotgrenze zu liegen kommt. G A N Z E R hat erwähnt, daß dieses von mir E S S E R zugeschriebene Verfahren fast gleichzeitig und unabhängig auch von ihm in der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde Heft 7 (1917) veröffentlicht wurde. Bei der totalen Meloplastik, bei der wir die doppelwandige Wange mit ihrer relativen Schmächtigkeit ersetzen müssen, hat sich ein von R O S E N T H A L geübtes Verfahren bewährt (Abb. 29,30). Es wird dreizeitig vorgegangen, indem zunächst, je nach Defektgröße, die Stirnhaut über dem Periost vom Schnitt in der Haargrenze aus unterminiert wird. Man versenkt in die sich bildende große Hauttasche einen mit einem großen Dermatomlappen umhüllten, abgemessenen Gummistoff und zwar so, daß die wunde Hautschicht nach außen liegt. Die Wunde wird an der Schläfe für kurze Zeit drainiert, damit es keine Flüssigkeitsretention gibt. In zweiter Sitzung wird nach 10 bis 14 Tagen der Stirnhautschnitt geöffnet, wobei man einen großen Stirnlappen, von der Temporalarterie gut ernährt und beiderseits

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W. R o s e n t h a l , R e k o n s t r u k t i v e Chirurgie d e s Gesichts

überhäutet, vorfindet. Man kann ihn bis zum Mundwinkel und weiter herab umlegen und große Substanzverluste der Wange doppelt decken. Je nach der Einheilung wird nach 14 Tagen oder 3 Wochen der ernährende Lappenstiel kosmetisch nach der Schläfe zu zurückgelagert. Eine Meloplastik läßt sich auch aus einem großen Stiellappen vom seitlichen Halse über dem Kopfnicker ausführen. Sie wurde erstmalig durch v. H A C K E R beschrieben. Auch dieses Verfahren ist sehr verwendbar und weniger zeitraubend als die Fernlappenübertragung (Abb. 30). Liegt der Wangendefekt im unteren Drittel, so kann man mit Erfolg die I s R A E L s c h e Technik anwenden (Abb. 30), bei der die Halshaut durch Lappendrehung als Schleimhautersatz endoral eingenäht und der extraorale Defekt durch Lappenrotation aus der Umgebung mit Vernähen über dem nach enoral durchgezogenen Halslappen ersetzt wird. Auch in diesem Fall kann man aber den Halslappen durch die beschriebene Unterfütterung mit Dermatomhaut mittels einer Voroperation epithelisieren und dann auf die oft nicht mögliche Lappenrotation aus der Umgebung verzichten (Narbenhaut nach Verbrennungen usw.). D. Uranoplastik Posttraumatische oder spät-luetische Gaumendefekte sind zwar nicht häufig, aber mit unangenehmen Folgen für den Träger verknüpft. Ich erinnere nur an den Speisedurchtritt zur Nase, die unverständlich näselnde Sprache und den steten Abfluß von Nasensekret zur Mundhöhle. Hier müssen entweder prothetische Maßnahmen die Öffnung zwischen Mund und Nase verschließen, oder es muß eine Gaumenplastik durchgeführt werden. Die Ursache von Löchern im harten Gaumen, evtl. auch Zerfetzungen des weichen Gaumens sind Pfählungsverletzungen, Zertrümmerungen des Oberkiefers mit nachfolgender Nekrose am Gaumenbein oder Schußverletzungen, etwa von der Wange her quer durch den Oberkiefer. Falls am verletzten Velum eine einfache Naht oder plastische Verschiebung mit seitlicher Entspannung nicht genügt, muß man zu einer Velo-pharyngoplastik (nach R O S E N THAL bzw. S A N V E N E R O - R O S S E L L I ) greifen. Operationstechnische Einzelheiten bringt hierzu H E R F E R T (Bd. I I , Beitrag 9 ) . Bei frischen Verwundungen des harten Gaumens gilt es zunächst durch Naht zu retten, was möglich ist. Restieren Perforationen zur Nase und Kieferhöhle , so soll man nicht lange auf einen Spontanverschluß oder auf die Wirkung von Ätzmitteln warten. Meist läßt sich durch Umschlagen der Defektränder zur Nase oder zum Alveolarrand und Bildung eines ernährten Stiellappens aus der Gaumenbedeckung ein wasser- und luftdichter Verschluß erreichen. Die Abdeckung der frischen oralen Wundnaht durch eine Gaumenplatte kennen wir von der Spaltchirurgie her; sie sollte obligatorisch sein (Näheres bei GABKA) . Erinnert sei in dem Zusammenhang an die neuen Arbeiten SCHULTES, die exakte Auskunft über fibrinolytische und damit die Wundheilung praktisch beeinträchtigende Eigenschaften des Speichels geben. Bei breiter Eröffnung der Kieferhöhle empfiehlt es sich, gleichzeitig mit der Gaumenplastik das Antrum zu revidieren. Unter dem Schutze einer aus der Nase geleiteten Tamponade verläuft die Gaumenplastik gesicherter. Gaumendefekte im vorderen Quadranten kann man durch einen gestielten Lappen aus der Innenfläche der Oberlippe und der Wangenumschlagfalte verschließen ( R E G N O L I , R O S E U. D E L O R M E ) (Abb. 31). Große Defekte, bei denen etwa ein Zustand wie nach halbseitiger Oberkieferresektion besteht, schließt man durch Fernlappenplastik aus der Beugeseite des Oberarms und zwar mit doppelt epithelisiertem Hautlappen. Mit der Verwendung von Hautstiellappen bei der Verschließung von Gaumenspalten hatte R O S E N T H A L bereits 1916 völligen Erfolg. Defekte, die mehr in querer Richtung durch das Gaumengewölbe laufen, kann man bei Zahnlosigkeit durch einen Stiel-

Plastische Maßnahmen

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Palatinale L'efekt

Bukkale Schleimbaut

Abb. 31a u. b. Verschluß eines vorderen Defektes am Gaumen und Alveolarfortsatz durch Stiellappen aus der Oberlippeninnenseite nach DELORME

Abb.

32

a bis c. Verschluß eines Gaumendefektes durch Wangenstiellappen nach

THIEESCH

läppen aus der Wange (nach T H I E R S C H ) decken (Abb. 32, 33). Es empfiehlt sich aber, den in den Mund zu verpflanzenden Wangenbezirk vor der Operation elektrolytisch zu enthaaren, damit der betreffende Patient nicht später durch unangenehmen Haarwuchs im Munde gestört wird. Bei allen Gaumenverschlüssen muß eine absolute Dichte nach der Nase hin erzielt werden, da sonst keine Störungsfreiheit beim Trinken und beim Sprechen gewährleistet ist.

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

Abb. 33 a bis c. Verlauf der Wangenplastik nach T H I E R S C H bei Querdefekt am Gaumen. Wangenstiel wird sekundär reponiert

c

E. Osteoplastik Der osteoplastische Ersatz verlorengegangener Teile des knöchernen Gesichtsschädels, und zwar in Sonderheit des Unterkiefers wird in großem Umfange und mit bestem Erfolge vorgenommen (Abb. 34, 35). Während man früher der freien Knochentransplantation nicht so sicher war wie heute und daher die Periostknochenteile an Weichteilstielen oder -brücken an den Ort ihrer Bestimmung verschob, steht jetzt die freie Autoplastik an erster Stelle. Die ersten Versuche des Unterkieferersatzes gehen auf das J a h r 1 8 9 5 zurück, als G L U C K und unter dem Eindruck der aufstrebenden Prothetik bemüht waren, gleiche Werkstoffe ins Gewebe einzulagern. Sie verwandten Gold. Mit Stahl arbeitete G A R B E , mit Zelluloid B E R N D T und H E L F E R I C H , mit Horn R E H N , Elfenbein implantierten K Ö N I G , S Ü D E C K , S C H R Ö D E R , K L A P P , P I C H L E R U. a., Kautschuk S C H R Ö D E R und KLEITSTSCHMIDT (zit. n. C A V I N A ) ; obwohl die erzielten Ergebnisse nicht sehr ermutigten, erkannte man doch schon damals, daß derartige Endothesen in der Lage waren, den Abstand des Fragmente nach Unterkiefer-Kontinuitätsresektionen zu erhalten und gelegentlich sogar eine kosmetische und funktionelle Inanspruchnahme zu erlauben. Als Grundfehler erwies sich aber immer wieder, daß alle Fremdimplantate zu chronischen Entzündungen Anlaß gaben. Man entsann sich daher wieder des schon 1 8 9 1 von B A R D E N H E U E R beschrittenen Weges und suchte „gestielte" Eigenknochen in den Defekt einzulagern. Es bedeutete dann einen großen Fortschritt, als S Y K O F F 1 9 0 0 die erste freie Knochentransplantation zum Unterkieferersatz gelang. Allerdings gewann die Methode erst an Boden, als WARNEKROS

Plastische Maßnahmen

Abb. 34a. Schwere Gesichts- und Halsverletzung mit Defekt am horizontalen Kieferast

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Abb. 34b. Derselbe Fall nach Weichteilrekonstruktion und freier Knochenimplantation

L E X E R sie 1 9 0 7 aufgriff und bewies, daß man auch homoioplastisches Material — steril von der Leiche entnommen — zum Kieferersatz heranziehen kann. Die Erfolgsaussichten des Verfahrens beurteilte aber ERICH L E X E R selbst mit 66% sehr niedrig. Besonders unter dem Eindruck der Tierversuche AXHAUSENS entwickelte sich dann die ausschließliche Kieferdefektüberbrückung durch Eigenknochen zum Verfahren der Wahl. Weitere Einzelheiten hierzu bringt SCHLEGEL in seinem Abschnitt „Knochenplastiken im Kiefer Gesichtsbereich" (Bd. II).

Als Entnahmeort dient der Beckenkamm für die Biegung des Unterkiefers, die Tibiakante für das Nasenbein. Manche Autoren bevorzugen Rippenstücke (Abb. 36), was aber den Nachteil einer gewissen Umständlichkeit mit sich bringt; auch ist von Ungeübten bei der partiellen Rippenresektion schon ein Pneumothorax gesetzt worden. Einige Chirurgen haben sich der Verwendung konservierten Knochenmaterials oder von Fremdkörpern verschiedener Beschaffenheit zugewandt. Hierzu muß bemerkt werden, daß u. E. totes Ersatzmaterial niemals zur biologischen Einheilung kommt. Es handelt sich um eine bindegewebige Einschließung, im günstigen Falle um eine Bindegewebsdurchwachsung. Bei sekundärem Trauma oder Infekt kann Abstoßung erfolgen. Hierdurch aber werden unsere Kranken enttäuscht und weiteren plastischen Maßnahmen nicht zugänglich. Was für den Erfolg auch der freien Autoknochenplastik erforderlich ist, sei kurz genannt : 1. Völlige Entzündungsfreiheit des Implantations- und Entnahmegebietes. Es dürfen im ersteren Bereiche auch keine latenten Fremdkörper vorliegen (schlummernde Infektion!). 2. Vorbereitung der Fälle, wozu eine gute Ruhigstellung der Kieferteile im Falle einer Pseudarthrose oder eines Unterkieferdefektes gehört, sowie eine Sanierung der Mundhöhle. 3. Wichtig ist auch die sorgfältige Nachbehandlung, die Insulte und zu frühe stärkere Inanspruchnahme des wiederhergestellten Kiefers vermeidet. Von dem Ruhigstellungsapparat vor einer Unterkieferknochenplastik muß auch erwartet werden, daß er keine Dekubitalgeschwüre der Mundschleimhaut verursacht.

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

Abb. 35a. Fall 34a: Röntgenbild des Knochendefektes im Unterkiefer, durch dentogene Osteomylitis vergrößert

Daß die freie Knocheneinpflanzung streng aseptisch ausgeführt wird, ebenso natürlich die Entnahme des Knochenpfröpflings, ist selbstverständlich. Das Periost muß dem freien Knochenstück fest anliegend bleiben, da von ihm und zwar seiner Kambiumschicht die erwünschte Einheilung sowohl wie die Organisation des Knochenimplantates ausgeht. Daß man bei der Freilegung des Unterkieferdefektes nicht die Mundhöhle eröffnet, war früher absolute Forderung bei dieser Operation. Heutzutage vertrauen manche der Wirkung der Antibiotika und führen freie Knochentransplantationen auch bei Eröffnung der Mundhöhle aus. Da wir nie wissen können, ob bei dem betreffenden Patienten resistente Keime in der Mundhöhle vorhanden sind, dürfte es sich empfehlen, bei solcher Einstellung eine vorherige Keimtestung zu veranlassen und auch dafür zu sorgen, daß die jeweils wirksamen Antibiotika vorhanden sind. Immer aber stellt dieses Vorgehen ein Risiko dar. Auch hinsichtlich der Fixation des freien Knochenstückes im Defekt der Mandibula ist man sorgloser als früher. Ehedem strebte man danach, das freie Knochenimplantat durch Verzapfung oder Verzahnung ohne Knochendrahtnaht, also rein mechanisch, in den Kieferdefekt einzufügen. Hier befindet es sich unter dem funktionellen Druck der Fragmente, und es wirken sich die von Roux geforderten günstigen Bedingungen der funktionellen In-

Plastische Maßnahmen

12 | 3t

Abb. 35b. Nach Ausheilung der Ostitis erfolgreiche freie Knochenplastik. Wiederherstellung der Kieferkontinuität

anspruchnahme aus. Zugegeben, daß auch die bloße subperiostale Einfügung von Knochenpfröpflingen zum Erfolge führen kann, sollte man doch aus oben angegebenen Gründen auf eine Drahtfixation möglichst verzichten und lediglich das Periost des Knochenstücks mit dem der Kieferstümpfe vernähen. Danach gilt es, die Weichteile gut über der Einpflanzungsstelle zu verschließen. Besonders wichtig ist die intraorale Ruhigstellung der Unterkieferfragmente im Falle eines Knochendefektes in der Kinngegend. Sollten an den beiderseitigen Mandibulahälften nicht genügend oder keine Zähne zur Befestigung einer zahnärztlichen Retentionsschiene vorhanden sein, so muß man zu einer äußeren an den Knochenteilen verschraubten ruhigstellenden Apparatur imSinne von R O G E R - A N D E R S E N bzw. B E C K E R greifen ( G A B K A , S C H U L E ) . Die Befestigung des I m p l a n t a t s in der Kinngegend m u ß besonders zweckentsprechend unternommen werden.

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

Abb. 36a. Posttraumatischer Wangen- und Mandibuladefekt, durch Ostitis und Narbenschrumpfung vergrößert

Abb. 36b. Fall 36 b : Nach erfolgter Wiederherstellung der Unterlippe und Wange (nach Szymanowski)

F. Plastiken im Bereich des aufsteigenden Unterkieferastes und des Gelenkfortsatzes Was Pseudarthrosen oberhalb des Kieferwinkels betrifft, so kann es möglich sein, daß (abgesehen von einem Abweichen des Unterkiefers nach der Defektseite hin) eine Funktionsstörung kaum besteht, jedenfalls keine wesentliche Behinderung der Mundöffnung. Auch Defekte im Bereiche des Gelenkköpfchens können ohne Funktionsstörung ausheilen, wenn sich daselbst ein falsches Gelenk bildet. Es gibt aber in dieser Gegend nicht selten Vernarbungszustände, die eine sekundäre völlige Immobilisation der Mandibula zur Folge haben, so daß die Nahrungsaufnahme stark erschwert wird. Es liegt dann am Orte des Kiefergelenks eine ausgedehnte Ossifikation vor. Es kann auch der Processus muscularis mit dem Jochbein knöchern verwachsen sein. Nebenbei finden sich, vor allem nach Schußverletzungen oder Eiterungen, narbige Verlötungen der inneren Kaumuskeln und der Schleimhaut mit den Oberkieferknochen. Bei solchen Zuständen kann die Anlegung einer Nearthrose am Kiefergelenkort allein auch keine Beweglichkeit des Kiefers herbeiführen, sondern es müssen auch die Weichteile von ihren Verwachsungen befreit werden. Es hegt eine Verquickung von Kiefergelenkankylose und Kieferkontraktur vor. Die Mobilisierung einer knöchernen Ankylose des Kiefergelenkes strebte man ursprünglich immer am Gelenk selbst an, als dem Ort der Ersterkrankung. Jeder bindegewebigen oder knöchernen Versteifung des Gelenkes geht ja immer eine entzündliche oder traumatische Zerstörung des Gelenkknorpelüberzuges voraus. Auf diese Weise entstehen frakturähnliche Bedingungen mit Knochen-zu-Knochen-Kontakt. Während die Ankylosen entzündlicher Genese dank der Chemotherapie immer seltener werden, ist die Gruppe der traumatischen Gelenkversteifungen im Zunehmen. Schon vor dem 1. Weltkrieg traten im Erwachsenenalter ein Drittel aller Ankylosen als Unfallfolgen auf. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß ohnehin nur 5% der Kiefergelenkversteifungen jenseits des 20. Lebensjahres entstehen. Dabei kann manchmal eine einfache Gelenkkontusion als auslösendes Moment genügen. Bei Gelenkköpfchenfrakturen sollte man sich jedenfalls nie mit noch so

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Plastische Maßnahmen

bestechenden Frühergebnissen zufriedengeben, sondern berücksichtigen, daß auch noch nach Monaten das Gelenk versteifen kann. Schließlich gibt es auch angeborene Ankylosen des Kiefergelenkes, die aber äußerst selten sind. PERTHES hat wohl erstmalig 1907 eine solche kongenitale Periarthritis ossificans beschrieben. Er nahm eine Gelenkverletzung durch das Geburtstrauma als Ursache an. Damit waren derartige Bilder streng genommen der vorhin besprochenen Gruppe „Trauma" zuzurechnen. Die Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit erfolgt zweckmäßig vom Kieferwinkelschnitt her, da man dann mit absoluter Sicherheit Läsionen des N. facialis vermeidet. Auch hat es sich gezeigt, daß die Osteotomie keineswegs am Ort der Verknöcherung erfolgen muß, wo man oft eine sehr breite Knochenbrücke zur Schädelbasis hin findet und sich dadurch die Operation erschwert und außerdem wegen der verbleibenden breiten Knochenkontaktflächen die Rezidivgefahr erhöht. Wir halten daher die bogenförmige Osteotomie vom Kieferwinkel zur Incisura semilunaris verlaufend für zweckmäßiger. Der Operateur kann auf die Zwischenlagerung von Muskel- oder Fasziengewebe verzichten, wenn der Knochenspalt wenigstens 0,5—1,0 cm breit angelegt und sinnvoll kieferorthopädisch nachbehandelt wird. Die Einlage von Akrylaten wurde versucht (HEISS, TRAUNER), erwies sich aber als unzweckmäßig und begünstigte (BORNEMISZA) eher noch das Rezidiv. Erwähnt sei an dieser Stelle der Ersatz des zerstörten Kiefergelenkfortsatzes durch einen Mittelfußknochen (SCHMIEDEN). Die Opferung des 4. Metatarsalknochens pflegt

Abb. 37a. Fall 36: Ausdehnung des Unterkieferdefektes im Röntgenbild

llandb. l'last, Cllir., lid. IT

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

Abb. 37 b. Über die Hälfte des Unterkiefers ist durch freie Knochenimplantation eines 2 fach geknickten Rippenstückes ersetzt

wenig Beschwerden zu hinterlassen, wenn der Betreffende sofort mit einer orthopädischen Fußstütze nach Gipsabdruck versehen wird. Eine operative Intervention bei der einfachen Kiefergelenkfraktur wird heute in Europa äußerst selten vertreten, eigentlich nur bei 1. veralteten Luxationsbrüchen, die unbehandelt blieben und zu Beschwerden Anlaß geben, 2. Luxationsbrüchen mit Bewegungshemmung durch Fragmentv erklemmung, 3. Luxationsbrüchen in Kombination mit Unterkiefertrümmerbrüchen, wodurch eine regelrechte Bißeinstellung erschwert wird (HERFERT). S T E I N H A R D T wies aber darauf hin, daß die Amerikaner weniger konservativ eingestellt sind und bei langen Beobachtungszeiten doch ein besseres Ergebnis bei operativ gestellten Luxationsbrüchen sahen.

VIII. Die Verletzungen der Gesichtsorgane A. Gehirnnerven Die Läsionen der Gehirnnerven stehen an Häufigkeit denen der peripheren Nerven nicht nach; sie können durch intrazerebrale Schädigung, durch Schädelbruch, Eiterung oder Blutung und außerhalb des Zentralorgans hervorgerufen sein. Wir unterscheiden gänzliche und teilweise motorische Lähmungen und Krampfzustände, ferner mehr oder we-

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Die Verletzungen der Gesichtsorgane

niger vollständige Aufhebung der Sensibilität, Neuralgien, trophische Störungen sowie Funktionsausfälle von Sinnesorganen. Auf Grund exakter Untersuchung läßt sich der Ort der Nervenschädigung unschwer feststellen. Dies ist insbesondere bei den Läsionen des N. facialis erforderlich. J e nach den verschiedenen Funktionsausfällen läßt sich die Stelle der Leitungsunterbrechung des Nerven eruieren. 1. Nervus olfactorius Zu seiner Unterbrechung genügen mitunter geringe T r a u m e n : ein Schlag auf die Nasenwurzel, ein Fall auf den Hinterkopf, wobei der Bulbus olfactorius ein- oder beiderseits abreißt. Auch bei Erkrankungen des Siebbeins kann der Riechnerv leiden. Neben einer einoder doppelseitigen Anosmie kommt die weit schlimmere Parosmie in Frage, die E m p f i n dung eines ekelhaften Geruchs. Ferner kann die Geschmacksempfindung bei Olfaktoriuslähmung beeinträchtigt sein. Man kann sich vorstellen, welche Berufe durch Ausfall des Geruch- und Geschmackssinns besonders gestört sind. Therapeutisch kommt vorsichtige Aufrichtung des gebrochenen Nasenbeins in Frage. Bei Operationen am Siebbein, ja schon an der Nasenwurzel, gilt es vorsichtig zu sein. Stärkere Meißelschläge können zu einer Schädigung des Riechnerven führen. Die Verletzungen des N. opticus und Augenmuskellähmungen gehören nicht in unser Behandlungsgebiet, wohl aber der 2. Nervus trigeminus Die Lähmung des sensiblen Gesichtsnervs k a n n eine intrazerebrale oder basale Ursache haben. Sie beansprucht weniger Aufmerksamkeit als die Trigeminusneuralgie. Freilich besteht bei dem totalen Empfindungsverlust die Gefahr einer Ceratitis neuroparalytica. Es besteht ein Zustand wie nach Resektion des Ganglion Gasseri, dem m a n durch Verpassen eines Uhrglasverbandes begegnen muß. Bemerkt sei, daß es bei dauernder L ä h m u n g des N. infraorbitalis oder alveolaris zum Zahnausfall kommen k a n n (selten!), ferner wird Tränenträufeln beobachtet sowie Beeinträchtigung der Gaumensegelfunktion. Die motorische L ä h m u n g des dritten Trigeminusastes verursacht Störung der Kaufähigkeit. Da es sich aber meist u m einseitige Schädigung handelt, fällt dies weniger auf. Außerdem besitzt der N. trigeminus ja eine außerordentliche Regenerationsfähigkeit. Anders verhält es sich mit der Trigeminusneuralgie. H a t sie sich nach einem T r a u m a eingestellt, so ist unbedingt genau nachzuforschen, u n d zwar evtl. unter operativer Freilegung der betreffenden Austrittsstelle am Schädel, ob eine Quetschung durch Knochen oder durch Fremdkörper vorliegt. Auch der Kallus einer heilenden F r a k t u r k a n n sich verhängnisvoll auswirken. Erscheint der Nerv in Knochen oder Narben eingebettet und ist ein Rückfall zu fürchten, so kommt Einscheidung in F e t t oder Amnionhaut in Frage. K r a n k hafte Zähne u n d Empyeme sind zu behandeln. Gewarnt sei vor längerer bloßer medikamentöser Behandlung einer posttraumatischen Trigeminusneuralgie. L ä ß t sich an der Stelle der Verletzung keine Befreiung des Nervs erreichen, so empfiehlt sich die totale Unterbrechung der Nervenleitung evtl. mit sicherer Plombierung der Austrittsstelle. Es k a n n auch die Durchtrennung der sensiblen Fasern am Ganglion-Gasseri notwendig werden. Man vergesse nie, daß beim echten Neuralgiker die Gefahr eines Suizids besteht. 3. Nervus facialis (vgl.

MIEHLKE,

Chirurgie des N. facialis)

Bei Kopfverletzungen stellen sich nicht selten vollständige oder teilweise Lähmungen des mimischen Gesichtsnerven ein. Dies hängt mit der Lage des Fazialisrindengebietes unter dem Schädeldach, seiner Einschließung in einem Knochenkanal an der Schädelbasis sowie mit seinem unter der H a u t gelegenen peripheren Verzweigungsgebiete zusammen. 30*

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirm gie des Gesichts

Der Ort der Nervenläsion läßt sich beim N. facialis sehr genau feststellen. Wir unterscheiden 1. die kortikale Verletzung als häufige Begleiterscheinung eines Schädeldachbruchs oder einer Kontusion. Hierbei handelt es sich um die Verwundung des unteren Teils der vorderen Zentralwindung. Bei bloßer Kontusion gehen die Störungen am Nerven oft spurlos zurück. 2. Nukleare und faszikuläre Paresen sind meist mit Schädigungen weiterer Nervenbahnen vergesellschaftet. Es hängt dabei alles von der Ausdehnung der Zerstörung ab. 3. Basale Fazialislähmungen pflegen die typische Komplikation der Schädelbasisbrüche zu sein. Benachbarte Gehirnnerven, wie der N. acusticus und N. abducens, sind häufig mit geschädigt. Nicht selten wird der Nerv im Felsenbein lädiert, so auch bei der Radikaloperation des Felsenbeins. Hierbei tritt die Lähmumg sofort auf, während bei zentraler Kontusion oder Blutung eine Spätlähmung zustande kommt. Doppelseitige Paresen sind die Folge von Transversalbrüchen.

Die Stelle der Verletzung des Nervs auf seinem Wege durch den Canalis Falloppii läßt sich nach bestimmten Symptomen feststellen. Besteht außer der motorischen Lähmung nur eine Verminderung der Schweißabsonderung, so hegt die Verletzungsstelle peripher, jedenfalls unterhalb des Abganges der Chorda tympani. Sind Geschmacksempfindung und Speichelproduktion gestört, so liegt die Läsion zwischen dem Ganglion genikuli und dem Abgange der Chorda tympani, aber noch unterhalb der Abzweigung des Nervus stapedius, nach dessen Lähmung eine Hyperakusis beschrieben worden ist. Läßt sich ferner eine verminderte Tränenabsonderung beobachten, so liegt die Nervenschädigung in der Gegend des Ganglion genikuli, da die Tränenfasern sich im N. petrosus superficialis major vom N. facialis trennen. Auch Gaumensegellähmungen sind nach Gesichtsnervenverletzungen im Felsenbein beobachtet worden. Liegt eine Kombination zwischen Fazialislähmung und Taubheit vor, so ist der N. cochlearis mitverletzt. Auch periphere Fazialis-

Abb. 38a. Schwere Verletzung der Unterlippe und der linken Wange. Beiderseitige posttraumatische Unterkiefer-Defektpseudarthrose

Abb. 38b. Sekundärnaht der Weichteilwunden mit Bleiplättchen-Drahtnaht

Die Verletzungen der Gesichtsorgane

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Verletzungen kommen häufig vor. Gedacht sei noch der Schädigung der Fazialisnervenbahn durch akute und chronische Eiterungen im Felsenbein. Die Folgezustände der Fazialisparese sind alarmierend: Am störendsten ist die Unfähigkeit, das Auge zu schließen und den Mundwinkel zu heben. Gefährdung des Auges sowie Eß- und Sprachstörungen sind die Folge. Interessant ist im übrigen, daß wir willkürliche Gesichtsmuskelbewegungen von unwillkürlichen unterscheiden können; durch unsere plastischen Maßnahmen sowie durch Pfropfungen pflegen nur die willkürlichen wiederhergestellt zu werden. Daß die Selbstreinigung der Mundhöhle behindert ist und dadurch die Zähne gefährdet sind, daß in manchen Fällen auf der gelähmten Seite die Augenbrauen anders stehen wie auf der ungelähmten, sei nebenbei bemerkt. Die Prognose der Fazialisunterbrechung ist bei einer Verletzung im Felsenbein und nach Eiterungen daselbst schlecht. Hiernach ist die schwierige Naht dem geübten otologischen Operateur vorbehalten. Nach Durchtrennung peripherer Äste wird über sponAbb. 38c. Kosmetisch befriedigende Wiederherstellung tane Regeneration berichtet. In solchen Fällen gelingt auch die Nervennaht, vor allem die unter sorgfältiger Adaption der Nervenstümpfe im Polyaethylenzylinder (MIEHLKE) ausgeführte. Mit der Behandlung der bleibenden Fazialislähmung soll man nicht allzulange warten. Wenn Entartungsreaktion eingetreten ist, so sind die paretischen Gesichtsmuskeln durch eine direkte muskuläre Neurotisation schwerer wieder zu beleben. Man muß sich also nach dem Orte und der Art der vorausgegangenen Schädigung richten. Beim Vorliegen posttraumatischer oder postoperativer Defekte im Bereiche des N. facialis-Gezweigs kommt die freie autoplastische Nervenimplantation in Frage. Hierbei wird (nach MIEHLKE) am besten der N. auricularis magnus genommen, und zwar von der gesunden Halsseite. Dieser Nerv eignet sich mit seinen Verzweigungen am besten als Ersatz für die verlorengegangenen Fazialiszweige. Bei hochgradiger Erschlaffung der Gesichtshaut mit herabhängendem Mundwinkel und klaffendem Unterlid sind gleichzeitige Hautspannungen und Exzisionen ratsam. Es kann auch eine Kombination der Fazialisnervennaht und Nerventransplantation mit der LEXEB-RoSENTHALschen Muskelplastik aus dem M. temporalis und M. masseter unternommen werden (MIEHLKE). a) Die Therapie der bleibenden Fazialislähmung

Da eine nicht geringe Anzahl vollständiger ein- und doppelseitiger Fazialisparesen sich durch Nervennaht oder Transplantation nicht beeinflussen lassen, muß man diesen Patienten auf andere Art und Weise zu helfen suchen. Sie sind nicht nur kosmetisch beeinträchtigt, sondern durch den mangelnden Lidschluß in Gefahr, ein Auge einzubüßen und hinsichtlich der Sprache und Nahrungsaufnahme gestört. Ihre Berufstätigkeit ist beeinträchtigt. Am schlimmsten wirken sich doppelseitige seit der Geburt oder der früheren Kindheit bestehende Totallähmungen aus. Hierbei kommt es durch Ausfall der notwendigen muskulären Belastung der Frontzähne und der Mandibula zur Dysgnathie und mandibularen Protrusion. In diesen Fällen wirkt sich sowohl an den Augen wie im Mundbereich

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Abb. 38d. Darstellung der Situation am Unterkieferknochen bei Fall 38a. Beiderseits Unterkieferdefekt. Reposition und Ruhigstellung des zahnlosen Unterkiefermittelstückes durch äußeren Fixationsapparat. Unter diesem Schutz erfolgte beiderseits Knochenimplantation

die muskuläre Neurotisation günstig aus. Sie hat den Vorteil, daß sie nicht, wie die Pfropfung, mit dem Ausfall eines „Spenders" verknüpft ist. Bei der doppelseitigen bleibenden Fazialislähmung kommen Pfropfung und Anastomose sowieso nicht in Frage. Abgesehen von der Spenderschädigung gilt es auch zu überlegen, inwieweit sich der betreffende Patient durch die sich ergebenden Mitbewegungen seines Gesichts nach der Hypoglossus- oder Rekurrenspfropfung gestört fühlt. Ich lernte eine Patientin kennen, die nach Hypoglossos-Pfropfung ihre einseitigen Gesichtszuckungen beim Essen und Sprechen als außerordentlich lästig empfand. Daß es bei der Übertragung von innervierten Temporaiis- und Masseter-Muskellappen auf die gelähmte Schließmuskulatur des Auges und des Mundes neben der mechanischen Wirkung auch zu einer Neurotisation der mimischen Muskeln kommt, ist von F E L I X angezweifelt worden (s. Verhandlungen des Chirurgen-Kongresses München 1961). F E L I X stützte sich dabei auf post-operative Beobachtungen wie auch auf die tierexperimentellen Studien seines Schülers WEESE. Dieser konnte im Hundeversuch weder mittels Elektromyogramm noch histologisch nach 3 Monaten eine Myo-Neurotisation nachweisen.

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Dem stehen aber die klassischen Versuche E R L A C H E R S entgegen, die histologisch eine Neurotisation gelähmter Muskeln beim Meerschweinchen nach Anastomosierung mit gesunder Muskulatur belegten. Ich habe den Vorgang jedoch (zusammen mit dem Leipziger Anatomen H E L D ) nicht nur im Tierexperiment nachgewiesen, sondern auch an meinen Patienten einwandfrei erlebt. Freilich stellt sich bei dieser Neurotisation lediglich die willkürliche Muskeltätigkeit im Gesichtsbereich wieder ein. Für die Wiedergewinnung der unwillkürlichen mimischen Gesichtsbewegungen müßte sich (nach CLARA) ein neues Zentrum entwickeln. Dies erscheint nicht ausgeschlossen, kommt aber bestimmt nur nach intensiven und sytsematischen mimischen Übungen zustande. In verschiedenen Arbeiten konnte ich über 12 Fazialisplastiken durch „muskuläre Neurotisation" berichten, bei denen 9mal zumindest ein nervöser Teilerfolg zu verzeichnen war. Auch Erich L E X E R hat in Bruns'Beiträgen zur klinischen Chirurgie 1 4 , 4 3 6 ( 1 9 2 7 ) darauf hingewiesen, daß er mit der Muskelplastik in 5 0 % seiner Fälle eine gute Wiederherstellung der mimischen Funktion erreichen konnte. Damit ist die praktische Brauchbarkeit der Operationsmethode wohl erwiesen, und theoretische Spekulationen können sie so lange nicht entbehrlich machen, bis wir einen besseren Weg der Fazialisrekonstruktionen in Spätfällen vorliegen haben. b) Der Fnzialiskramplf Dieser kommt gelegentlich nach Verwundungen sowie nach Abzessen und Blutungen zwischen der Hirnrinde- und -Brücke vor, ferner nach Verletzungen und Erkrankungen im Felsenbein sowie endlich bei Trigeminusneuralgie. Ich sah einen einseitigen Spasmus des N. facialis nach Oberkieferbruch, und zwar durch die Reizung des N. infraorbitalis an seiner Austrittsstelle am Infraorbitalkanal. Wir mußten schließlich zur Neurexhairese greifen, worauf die Spasmen aufhörten. 4. Nervus vagus und Nervus hypoglossus Eine Vagusläsion, evtl. auch Fernschädigung, kann üble Kreislaufstörungen hervorrufen. Evtl. empfiehlt sich, besonders bei Narbenbildung am Hals, operative Freilegung und Isolierung. Bei der Hypoglossuslähmung ist ebenfalls Operation, Nervennaht mit Einscheidung ratsam. Schädigungen des N. glossopharyngicus, des N. lingualis und des N. mylohyoideus kommen bei schweren Gesichts-, Kiefer- und Halsverletzungen zustande, und zwar auch kombiniert. Auch der Sympathikus kann beteiligt sein. Eine isolierte Parese des N. accessorius kann sich bei einem Einschuß am Nacken ereignen. Sie macht sich bemerkbar durch die einseitige Scapula alata, das Abstehen des Schulterblattes. Auch hier ist an eine Freilegung, Narbenexzision und Nervennaht an der Verletzungsstelle zu denken. B. Speicheldrüsen Hier steht die Verletzung der Gl. Parotis obenan. Es kann zu einer Schädigung des Drüsenparenchyms und einzelner Speichelgänge kommen, ferner zur Läsion des Ausführungsganges. Es kann auch eine völlige Freüegung und Zerfetzung der Ohrspeicheldrüse vorliegen, verbunden mit Zerreißungen der Gesichtsnervenäste. Der Heilungsverlauf von Drüsensubstanzwunden ist im allgemeinen günstig. Es bedarf naturgemäß der Situationsnähte und vor allem der Hautbedeckung der Verletzungsstelle. Auch ist es ratsam, die Spei-

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W. Rosenthal, Rekonstruktive Chirurgie des Gesichts

chelsekretion durch entsprechende Medikamente vorübergehend herabzusetzen, damit eine bestehende Parenchymfistel, die in Wirklichkeit die eines kleinen Speiehelganges ist, versiegen kann. Kleine Speichelfisteln kann m a n durch Ätzung mit Cantharidentinktur und Druckverband zum Schluß bringen. Schwierigkeiten kann die Durchtrennung des Ductus Stenonianus bereiten. Am besten ist es, den etwa durch Glassplitter durchschnittenen Kanal von der Wange aus freizulegen und zu vernähen, wobei man vom Munde her in den Speichelgang einen K a t g u t - F a d e n in den Kanal einlegt, und zwar über die Nahtstelle hinaus. Dies dient zur Ableitung des Speichels. Einige Autoren haben auch dünne Röhrchen in den Ductus eingeführt. F ü r die sekundäre Beseitigung einer Speichelgangsfistel sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Erwähnt sei die einfache Methode von D E G U I S E und B O U R G E R Y , wobei man aus dem äußeren Fistelmaul ein inneres macht. Am günstigsten ist noch das intraorale Aufsuchen des Ausführungsganges und seine höhere Einpflanzung in die Mundschleimhaut. Bei Gangverlusten kann ein solcher aus der Mundschleimhaut gebildet und mit dem Rest des Ductus in Verbindung gebracht werden. Man h a t auch eine Speichelröhre aus einer frei verpflanzten Epithelrolle gemacht. Wird m a n mit einer extraoralen Speichelfistel absolut nicht fertig, so kann die Parenchymzerstörung der Drüse durch Röntgenbestrahlung Abhilfe schaffen. Läsionen der übrigen Speicheldrüsen und ihrer Ausführungsgänge sind selten; sie führen mitunter zu Entzündungen und Sekretionsstörungen. Bei der Submandibular drüse entsteht alsdann die typische Speicheldrüsengeschwulst, die schon K Ü T T N E R beschrieben und deren sorgfältige Entfernung er empfohlen hat. Auch bei posttraumatischen Veränderungen an der Sublingualdrüse empfiehlt sich nach H E I N E K E die Drüsenexstirpation vom Munde aus. Literatur G.: Die histologischen und klinischen Gesetze der freien Osteoplastik auf Grund von Tierversuchen, Arch. klin. Chir. 88, 23 (1909). A X H A U S E N , G.: Allgemeine Chirurgie, Hanser, München (1947). B A R D E N H E U E R , B . : Plastische Operationen zur Verhütung der Kieferklemme, Verh. Chir. Kongr. 5, 106 (1891). B L Ü M E L , G. U. F. P I Z A : Der Einfluß von Hormonen und Fermenten auf die Knochenentwicklung, Bruns' Beitr. klin. Chir. 201, 413 (1960). B O R N E M I S Z A , G.: Experimentelle Gelenk Versteifung mit Polymethacrylspänen, Bruns' Beitr. klin. Chir. 200, 116 (1960). B R U N S , L: zit. nach L E X E R , Wiederherstellungschirurgie, J . A. Barth, Leipzig (1931). C L A R A , M.: Das Nervensystem des Menschen, 2. Aufl., J . A. Barth, Leipzig (1950). C O N L E Y , J O H N , J . : Facial Nerve Rehabilitation, Proc. Can. Oto. Soc. (1961). E R N S T , F.: Universal-Nasenformen, siehe R O S E N THAL, Kriegsverletzungen des Gesichtes, Ergebnisse der Chir. und Orthopädie, SpringerVerlag, Berlin (1918). E S S E R , J . F . S . : Eigenartige Epidermisverwendung zur Plastik, Bruns' Beitr. klin. Chir. 103, 547 (1916). E S S E R , J . F . S . : Neue Wege für chirurgische Plastiken durch Heranziehung der zahnärztlichen Technik, Bruns' Beitr. klin. Chir. 108,547 (1916). F E L I X , W.: Beobachtungen bei operierten Fazialisparesen, Langenbeck's Arch. klin. Chir. 298, 940 (1961). AXHAUSEN,

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HANDBUCH D E R P L A S T I S C H E N

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHRBANDT · J . GABKA · A . BERNDORFER

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

13. Rekonstruktive Chirurgie des Gesichtes Teil Π HEINZ KÖLE und GERHARD ZISSER, Graz

Inhaltsübersicht I. Rekonstruktive Chirurgie an den Weichteilen

1

A. Einleitung

1

B. Eingriffe an den Wangenweichteilen

1

1. Schleimhautdefekte 2. Hautdefekte 3. Defekte der mittleren schicht

2 7 Wangen-

4. Durchgehende Wangendefekte a) Wangenplastik durch Verwendung eines Flachhautlappens . b) Wangenplastik durch Verwendung zweier getrennt angelegter Lappen c) Wangenplastik durch Verwendung von Rundstiellappen . .

26 28 30

d) Gestielte Hautlappen aus der Nasolabialregion

41

2. Hautdefekte a) Direktverschluß b) Freie Hauttransplantate . . . c) Gestielte Lappenplastik . . . .

42 42 43 43

3. Durchgehende Lippendefekte . . . a) Oberlippe b) Unterlippe c) Mundwinkelregion

45 46 50 60

D. Eingriffe an den Nasenweichteilen. . Einleitung

63 63

33

1. Defekte des Nasenrückens und der seitlichen Nasenwand 2. Kolumelladefekte 3. Defekte der Nasenspitze und Nasenflügel

Einleitung

33

a) Oberflächliche Defekte . . . .

78

1. Lippenrot-und Schleimhautdefekte a) Freie Schleimhauttransplantate b) Gestielte Lippenrot-Schleimhautlappen c) Gestielte Zungenlappen . . . .

37 37

b) Durchgehende Defekte . . . .

80

C. Eingriffe an den Lippen

32 33

37 39

I I . Rekonstruktive Chirurgie am Knochen A. Einleitung B . Eingriffe am Gesichtsskelett

65 71 78

91 91

. . . .

91

π

Inhaltsübersicht 1. Eingriffe bei Form Veränderungen a) Operationsmethoden bei Rücklage des Oberkiefers b) Operationsmethoden beim offenen Biß c) Operationsmethoden bei Estrogenic d) Operationsmethoden bei der Asymmetrie e) Operation bei Formfehlern des Jochbein-Orbitabereiches . . .

Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. H. Köle OA. Dr. G. Zisser Universitätsklinik für Zahnheilkunde und Kieferchirurgie Auenbruggerplatz 12 A - 8036 Graz

91 92 102 104 106 108

2. Eingriffe bei Defekten 111 a) Eingriffe bei Defekten am Unterkiefer 112

«c

60 Ν Ο

40

4

90

45

..........Mi« 1 2 Latenzzeit

in

100

Jahren

Abb. 6. Erscheinungsfreies Intervall (Latenzzeit) zwischen Bcstrahlungsabschluß und klinischem Beginn der infizierten Osteoradionekrose in 48 Fällen (GRIMM, 1971)

12 ! 17

G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Da sich bei oberflächlicher Bestrahlung der klinische Vergleich mit der Osteomyelitis aufdrängt, hat sich für dieses Zustandsbild der Begriff Strahlen- oder Radio-Osteomyelitis teilweise eingebürgert. Diese Bezeichnung hält einer strengen pathologisch-anatomischen Betrachtungsweise nicht stand; denn im Gegensatz zur herkömmlichen Osteomyelitis der Kiefer spielt sich der initiale Prozeß ausschließlich an der Oberfläche ab, nachdem der Knochen unter der Strahlennoxe seine Vitalität und Reaktionsfähigkeit völlig verloren hat. Kommt es zur Abstoßung von „Sequestern", so handelt es sich keineswegs um demarkierten toten Knochen, sondern in der Regel um Bruchstücke der Osteonekrose. So ist auch nachweislich der Übergang von nekrotischem zu gesundem Knochen unscharf und wird von einer Knochenzone mit herabgesetzter Vitalität gebildet, von der sich fortlaufend nekrotische Anteile abstoßen bzw. durch die anhaltende Eiterung auflösen (Abb. 7.).

Abb. 7. Disseminierte herdförmige Osteolyse einer Kieferhälfte bei 3,5 Jahre bestehender infizierter Osteoradionekrose

Das ausgesprochen ernste und hartnäckige Krankheitsbild tritt in erster Linie am Unterkiefer in Erscheinung. Es ist im Oberkieferbereich wesentlich seltener, läuft dort blander ab und neigt eher zur Abgrenzung wenn auch unter teilweise erheblichem Zeitaufwand. Fast stets ist die infizierte Osteoradionekrose von heftigen, neuralgieformen und nicht nachlassenden Schmerzen begleitet, die selbst auf höchste Dosen von Analgetika nur unzureichend ansprechen. Die Verabreichung von Opiaten, die ebenfalls nur wenig Linderung erwarten lassen, bedeutet eine ernste Gefahr für den Patienten. Im Bereich des nekrotischen Kieferanteils bilden sich Weichgewebsdefekte aus, unter denen der verwesende Knochen zur Mundhöhle und auch nach außen freiliegt (Abb. 8). Aus multiplen Fisteln fließt eitrig putrides Sekret ab, und mit fortschreitender Gewebseinschmelzung entstehen neben der sich ausbreitenden Knochennekrose durchgehende Weichteildefekte, durch die es zu anhaltenden Speichelverlusten kommt. Zusammen mit einem aashaften Foetor, der sich für den Patienten und seine Umgebung ins Unerträgliche steigern kann, ist der Patient gesellschafts- und berufsunfähig und in dauernder Abhängigkeit von ärztlicher Versorgung. Bei Lage der Erkrankung im unteren Seitenzahnbereich entwickelt sich eine muskuläre Kieferklemme, die sich bis zur totalen Unfähigkeit der Kieferöffnung steigern kann, was die Nahrungsaufnahme erheblich erschwert. Auf Grund des völligen Versagens der örtlichen körpereigenen Infektabwehr vermag auch die moderne Antibiotika- und Chemotherapie keine grundlegende Beeinflussung des Krankheitsprozesses zu erreichen. Durch diese qualvollen Krankheitserscheinungen in Verbindung mit hierdurch bedingter Inanition und Intoxikation kommt es in ausgeprägten Fällen zum rapiden Kräfteverfall, dem der Organismus im höheren Alter nicht lange gewachsen ist. Wenn man bedenkt, daß ein von seinem Karzinom befreiter Patient an den Folgen eines — vielfach vermeidbaren — Therapieschadens zugrunde gehen kann, dann wird die ganze Tragik des klinischen Problems offenbar. Strahlenschäden wird man in Kauf nehmen

Pathogenese der Strahlenschädigung

17 I 13

Abb. 8. Subtotale radiogene Unterkiefernekrose (rechtes Kiefergelenk bis linker Kieferwinkel) mit perforierendem submandibulärem Weichgevvebsdefekt rechts

müssen, wenn es sich dabei um die unabdingbaren Folgen einer richtig dosierten, zielbewußt und korrekt indizierten Therapie handelt. Nach dem heutigen Stand unseres Wissens und unserer Erfahrungen sind wir aber in der Lage, diese Komplikationsrate signifikant zu senken. Des weiteren sind wir in genauer Kenntnis und Abschätzung des ausgeprägten Krankheitsbildes in der Lage, durch rechtzeitige operative und operativplastische Maßnahmen dem Krankheitsbild sowie den resultierenden Defektzuständen wirksam zu begegnen.

4. Histopathologische Veränderungen α) Histopathologische Veränderungen an der bestrahlten Haut

Histologisch finden sich im Bereich der bestrahlten Haut multiple Degenerationszeichen. Atrophische Veränderungen zeigen sich im Bereich der Epidermis in Form eines Schwundes der Papillen (Abb. 9 und 10). GAHLEN beschreibt eine hydropische Degeneration der Zellen bis zur Epidermolyse, Inkontinenz der Melanozyten, aber auch Pseudo-Akanthose durch Volumenzunahme der Keratinozyten oder — trotz Mitosehemmung — durch Vermehrung infolge Retention (Abb. 11). Weiterhin lassen sich an der Epidermis Hyperkeratose und Parakeratose nachweisen, außerdem Epithelatypien mit Kernpolymorphie und Vielkernigkeit. An der extremen Verdünnung und Atrophie läßt sich gegebenenfalls die Chronizität des strahleninduzierten Prozesses und das Ausmaß des Strahlenschadens ablesen (HARTWELL). Es liegt ein Verlust der zwischen Dermis und Epidermis gelegenen regelrechten Zwischenschicht vor mit einem hyalinisierten kollagenen Stroma unterhalb der intakten Epidermis. Im kutanen Gewebe lassen sich nur noch spärlich Fibrozyten nachweisen, die kollagenen Fasern sind verdickt. Diese Zellpopulation des Bindegewebes in der Röntgenschwiele ist immer als eine irreversible numerische Minderung aufzufassen. Ebenso ist die neben einer Verdickung der kollagenen Fasern eintretende Hyalinisierung des Kollagens irreversibel, zumal die resorbierten Histiozyten und die produzierenden Fibroblasten rarefiziert sind (GAHLEN). Beweise für eine chronische Entzündung können in Form von

14 I 17

G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 9. Histologisches Bild des chronischen Strahlenschadens der H a u t zeigt eine ausgedehnte Koriumfibrose, atrophisches E p i t h e l m i t Papillenschwund, Degeneration der H a u t a n h a n g s g e b i l d e u n d Sklerosierung der G e f ä ß w a n d in der Röntgenschwiele bis zur Obliteration s u b k u t a n e r Gefäße

Abb. 10. I m Vergleich zur Abb. 9 noch ausgeprägtere E p i d e r m i s a t r o p h i e m i t völligem Verlust der subepidermalen S t r u k t u r e n u n d H y p e r k e r a t o s e . D i c h t hyalinisiertes kollagenes S t r o m a in der K u t i s , Schwund der H a u t a n h a n g s g e b i l d e . Zum Teil sind nach Verödung der Haarwurzelbereiche noch die musculi errectores e r k e n n b a r . — Teleangiektasie

ν·'* ΜΙ«»«; '

Abb. 11. H y d r o p i s c h e Zelldegeneration im Bereich der strahlengeschädigten Epidermis, Pseudo-Akanthose, Verlust der B a s a l m e m b r a n . D a r u n t e r dichte Kollagenstrukturen ohne Nachweis elastischer Fasern

Pathogenese der Strahlenschädigung

17 I 15

Rundzelleninfiltration in verschiedenen Arealen der Kutis vorliegen. Chronische Entzündungen in der Kutis spiegeln oftmals den Grad der Veränderungen wieder, der in der darüber liegenden Epidermis vorliegt. Die Hautanhangsgebilde sind meist in fortgeschrittenem Maße degeneriert oder zerstört. Dabei atrophieren die Talgdrüsen passager durch den unmittelbar erlittenen Strahlenschaden, progressiv und endgültig durch die spätere Entwicklung der Sklerosierung des Bindegewebes, als Röntgenschwiele. Das strahlenempfindlichste morphologische Bauelement der Blutgefäße sind die Gefäßendothelien, die als unmittelbare Veränderung Schwellung und Nekrose zeigen können. Wird das Endothel nicht vollkommen zerstört, so kommt es zur reaktiven Proliferation, die häufig bis zur Obliteration und zur Herabsetzung der Strömungsgeschwindigkeit in den Kapillaren führt. Dieser progressive Gefäßverschluß wird durch eine subintimale Sklerose nach Hyalinisierung des Gefäßwandkollagens, nach Degeneration der dortigen Elastika und nach Umwandlung selbst der Muskulatur der Gefäßwände begünstigt (s. Abb. 9), kann aber auch Folge einer Thrombosierung nach dem nekrotisierenden Endothelschaden sein (GAHLEN). Die für die chronische Strahlenhaut so kennzeichnende Weitstellung der subepidermalen Kapillaren, die wir als Teleangiektasie bezeichnen, beruht zum Teil auf regenerativer Kapillarneubildung, wird aber schon von U N N A als Folge der in den tieferen Etagen der Haut vorliegenden Endangiitis mit Obliteration und damit Sperrung des Kreislaufes interpretiert. Eine Analyse der histopathologischen Veränderungen, die als „Strahlenfolge" in Erscheinung treten, ist leicht zu den klinischen Problemen in Beziehung zu setzen. Der Ionisationseffekt auf das genetische Material innerhalb der Zellen beeinflußt unabänderlich die nachfolgenden Zellgenerationen in so unscheinbarer Weise, daß sie erst ganz allmählich augenscheinlich werden. Am Ende der sich selbst verstärkenden Progressivität der Sklerose steht der Gewebszerfall, das Spätulkus. Im Bereich der Zone frustraner Reepithelisation am Rande eines solchen Ulkus entwickelt sich leicht ein Karzinom. In sehr überzeugender Weise hat P I N K U S für die aktinische Präkanzerose den histologischen Nachweis führen können, daß sowohl Präkanzerose als auch Karzinom nicht von flächenhaften Zellkomplexen ihren Ausgang nehmen, sondern von einzelnen alterierten Zellen. Es gelang ihm, anläßlich von subtilen Untersuchungen von Frühstadien einzelne umgewandelte Keratinozyten mit hellerem, eosinophilem Protoplasma zu finden. Auffallend war, daß diese Einzelzellen durch rasche Vermehrung in der Basalzellschicht Inseln bilden, die nach der Oberfläche kegelförmig und ohne Bildung von Keratohyalinkörnchen zu umschriebener Parakeratose führen (Abb. 12). ,,Da diese in der Folge von Anaplasie

Abb. 12. Entwicklung einer radiogenen Keratose aus einer einzelnen Keimzelle der Basalzellschicht, welche den ersten Schritt zur malignen Entartung genommen hat (1). Diese Ursprungszelle produziert zunehmend maligne Basalzellen sowie Stachelzellen auf Grund einer höheren Mitoserate (2). Wenn die Stachelzellen die Oberfläche der Epidermis erreicht haben, kommt es zum klinisch erkennbaren Erscheinungsbild (3), weil sie parakeratotisch werden und eine Schuppe bilden. Krebszellen sind in der Darstellung dunkel umrandet (nach P I N K U S aus VAN D E R P L A A T S )

1 6 ' 17

CR. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

durch die angrenzenden normalen, epidermalen Zellen von Haarfollikeln und Schweißdrüsenführungsgängen nicht als ,selbst' erkannt werden und somit keine Kontaktinhibition herbeiführen, entstehen schirmartige, hyperplastische Regenerationsversuche, welche die anaplastischen Zellen nach unten verdrängen" (v. D. PLAATS). Die Invasion zwischen Follikeln und Schweißdrüsen oder entlang der Follikel wird hierdurch zweifellos erleichtert. „Zusätzlich bildet sich in der angrenzenden Papillarschicht durch Erkennen von ,fremd' eine entzündliche Gegenreaktion mit Lymphozyten, Plasmazellen und Eosinophilen" (v. D. PLAATS).

Auch für die aktinische Präkanzerose gilt, daß dem Begriff nur ein statistisch prospektiver Ausblick innewohnt, daß nach entsprechend großem Zeitintervall mit einer invasiven, später evtl. metastasierenden krebsigen Umwandlung zu rechnen ist. Weitgehend unbekannt sind dabei im einzelnen die Faktoren, die während der nach Strahleneinwirkung außerordentlich unterschiedlichen Inkubationszeit verantwortlich zeichnen. Die gerade am Spätulkus in der Röntgenschwiele sichtbar werdenden Störungen der Resorptionsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und Regenerationsfähigkeit des Gewebes befinden sich auf einer Ebene. Die Schwierigkeiten der Heilung von chirurgisch durchtrennten Geweben oder der H a f t u n g von verlagerten Gewebslappen bzw. freien Hauttransplantaten auf der gefäßgestörten Subkutis sind nach knapper Darlegung der histopathologischen Tatbestände verständlich. Es mag überraschend erscheinen, daß trotz alledem im Gefolge plastischer Maßnahmen regenerative Potenzen und Heilungsbestrebungen in Gang gesetzt werden können, die therapeutisch zu kalkulieren sind und letztlich den Beweis liefern, daß ein minimaler Anschluß an den Kreislauf erhalten und wirksam ist.

b) Histopathologische Veränderungen am bestrahlten Knochen

Im Vergleich zu den sehr gut untersuchten und bis ins kleinste Detail beschriebenen pathologischen Veränderungen, wie sie unter dem Einfluß ionisierender Strahlung am Hautorgan sich manifestieren, sind die radiogenen Knochenveränderungen spärlicher und widerspruchsvoller dokumentiert. Das h a t seinen Grund zum großen Teil in der Tatsache, daß sich histopathologischen Untersuchungen am Knochensystem erhebliche methodische Schwierigkeiten in den Weg stellen. Des weiteren erfährt die strahleninduzierte Schädigung gerade am Knochen auf Grund der überaus komplizierten Absorptionsvorgänge und unter dem weiteren Einfluß biologischer Faktoren eine ungemein reiche Nuanzierung und enorme Erschwernis ihrer Wertung. Dazu treten ferner die dynamische N a t u r des Knochens mit seinem steten Umbau, die eine Fülle der verschiedenen Bilder morphologischer Spätschäden setzt (ZOLLINGER), aber auch die schon angedeuteten technischen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung des Materials, wodurch die Beurteilung der durch ionisierende Strahlen ausgelösten Knochenveränderungen vielfältige Schwierigkeiten erfährt. Zu Recht betonen F E I N E und H U G , daß alle m i t den Methoden der Histologie und Zytologie erfaßbaren strahleninduzierten Gewebsveränderungen bereits Folgen der physikalisch-chemischen Primärereignisses bei der Absorption der Strahlenenergie sind, die sich erst im Ablauf der Lebensprozesse, zum Teil nach mehr oder weniger langer Latenzzeit einstellen. Sie sind somit sichtbarer Beleg der durch die Strahlenwirkung gestörten Lebensvorgänge. Die große Schwierigkeit, unmittelbar erzeugte Veränderungen morphologisch oder histochemisch faßbar zu machen, liegt vor allem darin begründet, daß es hierzu höchster Strahlendosen bedarf, wie sie zu therapeutischen Zwecken nicht zur Anwendung kommen, daß aber andererseits unmittelbar nach kurzfristiger Bestrahlung mit einigen 100 oder 1000 R die Gewebe noch unverändert erscheinen können. Erst unter dem weiteren Einfluß vitaler Reaktionen und Gegenreaktionen wachsen sich die primären Strahlenwirkungen an den Molekülen, die eine wesentliche Funktion der Zelle erfüllen, nach unter-

Pathogenese der Strahlenschädigung

17

I 17

schiedlich langen Zeitläufen zu Störungen aus, so daß sie sich mit Hilfe histologischer Untersuchungsmethoden reproduzieren lassen. Dabei führen vor allem Störungen des DNSund RNS-Stoffwechsels, der Bildung und Steuerung von Enzymen, der Membranen und der Transportvorgänge zwischen den einzelnen Zellteilen zur metabolischen Desintegration der Zelle und ihrem Untergang (SCHERER und STENDER). Immer aber können nur Momentbilder gewonnen werden, die die Dynamik des pathologischen Geschehens nur unvollkommen wiederzugeben vermögen. Das kommt deutlich zum Ausdruck bei der vergleichenden Bewertung histologischer Befunde, wie sie an Autopsiematerial erhoben wurden. Nicht zuletzt vergrößern sich die Schwierigkeiten, da häufig korrekte Angaben über Dosis-Effektbeziehungen höchst ungenau dokumentiert sind. Es ist aus alledem nicht verwunderlich, daß bis in jüngster Zeit die Frage nicht gültig geklärt war, ob der Knochenzettuntergang als direkte Schädigung durch die ionisierende Strahlung aufzufassen ist, ob er indirekt über eine Schädigung des versorgenden Gefäßapparates zustande kommt, oder ob beide gleichlaufend ineinandergreifen

(GRIMM, 1971).

Die Diskussion um die kausale Bedeutung der Zell- und Gefäßschädigung für die Entstehung der radiogenen Knochennekrosen ist seit den ersten Untersuchungen von DAHL und EWING noch bis in die Gegenwart im Fluß geblieben. Verständlicherweise war nur der systematische Tierversuch in der Lage, genügend beweiskräftige Unterlagen über den fortschreitenden Ablauf des strahleninduzierten Knochenschadens zu erstellen. Es ist BIRKNER und seinen Mitarbeitern gelungen, an Hand morphologischer Veränderungen am Femur des Meerschweinchens die primäre Rolle des Osteozytentodes recht eindeutig herauszustellen und den Ablauf der Frühveränderungen in seiner Dynamik zu erläutern. Aufbauend auf dem systematischen Modell dieser Versuche erbrachten eigene Bestrahlungsexperimente am Unterkiefer ausgewachsener Kaninchen wesentlich erweiterte Aussagen über die Pathogenese der radiogenen Knochenschädigung (GRIMM, 1969—1971). Diese Versuche zielten insbesondere darauf ab, den Einfluß der Strahlennoxe auf die zellulären Elemente, den Gefäßapparat und die Knochensubstanz durch morphologische und histochemische Befunde zu belegen und die Geschwindigkeit und Reihenfolge der Reaktion dieser Knochengewebselemente zu erfassen. Auf der Grundlage einer besonders schonenden präparativen Technik — speziell bei der Entkalkung des bestrahlen Knochens — wurde bei vorzüglich erhaltener Kernfärbbarkeit das sorgfältige Studium der strahleninduzierten Veränderungen an den zellulären Elementen des Knochens möglich. So ist es erstmals gelungen, den unmittelbar nach der Strahlenwirkung einsetzenden Osteozytenuntergang in seiner zeitlichen Abhängigkeit vom Strahleninsult quantitativ zu fassen. Um ein Bild vom Ausmaß des radiogenen Zerstörungsprozesses am Knochen zu machen, ist in Abb. 13 und 14 der vergleichende Befund eines unbestrahlten interdentalen Knochenseptums des Kaninchenkiefers dem unter Tiefentherapiebedingungen bestrahlten Tier gegenübergestellt. Während beim unbestrahlten Tier der architektonische Aufbau der Kompaktastrukturen klar zu verfolgen ist, die Osteozytenhöhlen besetzt sind und an den Knochenrändern dichte Osteoblastensäume vorliegen (Abb. 13), bietet der bestrahlte Knochen das trostlose Bild einer osteolytischen Trümmerzone. Sämtliche Osteozytenhöhlen sind leer und hinterlassen den Eindruck einer Ektasie. Wenn sieh auch offenbar frustane Versuche eines Knochenanbaues als schmale dunklere Randzonen zu erkennen geben, so überwiegen doch ganz einhellig die massiven resorptiven Vorgänge am total nekrotischen Knochen, der in ein fibrös umgewandeltes Mark eingebettet ist (Abb. 14). Histologisch ließ sich weiterhin nachweisen, daß das Absterben des Osteozyten in erster Linie über die Pyknose und — seltener — Karyorhexis erfolgt. Nach Verschwinden der basophilen Kernsubstanz verbleibt ein eosinophiler Zellrest, der verblaßt und schließlich eine leere Osteozytenhöhle hinterläßt (Abb. 15). Handb. Plast. Chir., Bd. I I

231

1 8 I 17

G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 13. Interdentales Knochenseptum vom unbes t r a f t e n Kaninchen-Unterkiefer (HE, 180fach). Osteozyten erhalten, an den Knochenrändern Osteoblastensäume

Abb. 14. Vergleichbares interdentales Knochenseptum vom bestrahlten Versuchstisr (5000 R OD, 180 kV, Filterung 0,5 mm Cu, 0,9 mm Cu Η WD) 112. Tag nach der Bestrahlung. Komplette Knochennekrose, leere Osteozytenhöhlen, massive Osteolyse mit schmalen (dunkleren) Zonen von Knochenanbau, Markfibrose

Abb. 15. Knochenpräparat vom bestrahlten Kaninchen-Unterkiefer (HE 1400fach), 16. Tag post radiationem. Bestrahlungsbedingungen wie in Abb. 14. Alle degenerativen Formen des Osteozytenunterganges sind erkennbar, verschiedene Stadien der Pyknose und Karyorhexis. Ein Teil der Osteozytenhöhlen enthält eosinophile Zellreste = x.

Mittels statistisch analytischer Auszählung unter Verwendung eines Okularnetzmikrometers konnte die fortlaufende Verminderung nicht pathologisch veränderter Osteozytenkerne bis zur vollständigen Osteoradionekrose und die gegensinnige Zunahme kernloser Osteozytenhöhlen ermittelt werden (Abb. 16). Für beide Phänomene ließ sich eine mathematische Abhängigkeit nachweisen, die auch statistisch zu sichern war. Gesetzmäßige Beziehungen konnten auch für die degenerativen Übergangsstadien aufgezeigt werden. Damit

17 | 19

Pathogenese der Strahlenschädigung 100 Λ %

0

4

7

10

13

16

19

22 25 28 Tags noch Bestrahlung

33

122

112

Abb. 16. Darstellung der prozentualen Abhängigkeit der Kernveränderungen in den Osteozytenhöhlen von den Tagen nach der Bestrahlung (Bestrahlungsbedingungen wie in Abb. 14). Die am interdentalen Knochenseptum und an der Unterkieferbasis ermittelten Werte erbrachten einen annähernd parallelen Kurvenverlauf

war nachgewiesen, daß sich innerhalb des auf die Bestrahlung folgenden Zeitraumes von 4 Wochen der Degenerationsprozeß an der Knochenzelle bis zum nahezu vollständigen Zelluntergang im Bestrahlungsbereich vollzieht. Im Vergleich zum protrahiert verlaufenden Degenerationsprozeß an den Osteozyten erledigt sich unter den gleichen Bestrahlungsbedingungen der Untergang der Osteoblasten innerhalb des kurzen Zeitraumes einer Woche. Erste Veränderungen hinsichtlich ihrer Lage und Anordnung sowie Abplattung der Zellkerne sind schon am 4. Tag post radiationem nachweisbar. Bereits am 10. Tag können Osteoblasten nicht mehr sicher bestimmt werden. An Hand ihres raschen Verschwindens dürfte aus den eigenen Versuchen die Berechtigung abzuleiten sein, den Osteoblasten mindestens die gleiche Strahlensensibilität zuzuerkennen wie den Osteozyten. Es ist nicht gelungen, während des zeitlichen Ablaufs des Osteozytenuntergangs so ausgedehnte Störungen der Gefäßversorgung nachzuweisen, daß sie kausale Bedeutung für den Osteozytentod hätten erlangen können. Insbesondere war es zu keinem Zeitpunkt innerhalb der ersten 4 Wochen möglich, irreversible Proliferationsvorgänge an der Gefäßintima zu entdecken, die infolge Obliteration des Gefäßvolumens zur Ischämie geführt hätten. Beachtung verdienen zwar die am eigenen Versuchsmaterial beobachteten hyalinen Kapillarihromben, die zwischen dem 4. und 16. Tag post radiationem festzustellen waren. Ihr Auftreten war aber nur sehr vereinzelt festzustellen und ein Befall größerer Gefäße nie zu beobachten. Aus Untersuchungen Rutishauser's und Mitarbeiter wissen wir aber, daß es einer sehr starken experimentellen Ischämie bedarf, um einige wenige Osteozytennekrosen zu erzeugen. Man ist daher nicht geneigt, diesen nur an wenigen Kapillargruppen festgestellten Thrombosierungserscheinungen eine tragende Rolle am Osteozytenuntergang zuzuschreiben, wenn auch beachtet werden muß, daß sie innerhalb eines Zeitraumes zu 231«

20

I

17

G. GRIMM,

Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

beobachten waren, in dem der steilste Abfall der morphologisch intakten Osteozytenkerne erfolgte. Das Auftreten der hyalinen Kapillarthromben darf sicher zu Recht als Ausdruck einer radiogenen Gefäßwandschädigung aufgefaßt werden. Wenn man die von K R O M P E C H E R festgestellten Beziehungen zwischen hypoxisch bedingter Nekrobiose und vermehrter Bildung saurer und neutraler Mukopolysaccharide auf die Verhältnisse am bestrahlten Knochen übertragen darf, so dürfte die durchblutungsabhängige Gewebshypoxie zu keinem Zeitpunkt nach der Bestrahlung einen solchen Grad erreicht haben, um diese Folgeerscheinungen zu zeigen. E s ließ sich nämlich in keinem Falle eine vermehrte Bildung saurer und neutraler Mukopolysaccharide am bestrahlten Tierkiefer im Vergleich mit unbestrahlten Kontrolltieren nachweisen. Überhaupt ist festzustellen, daß die bisher unternommenen Anstrengungen, mittels histochemischer Methoden zu einer Aussage über die Natur der radiogenen Knochenschädigung zu gelangen, keine wesentlichen Erkenntnisse gebracht haben ( F E I N E U. H U G , K O L Ä R , B A B I C K Y U. V R A B E C ) . Dennoch sind radiogene Veränderungen der Grundsubstanz — auch wenn sie noch nicht sicher bewiesen werden konnten — auf Grund klinischer und experimenteller Erfahrungen anzunehmen ( R U T I S H A U S E R U. M A J N O , U E B E R S C H Ä R ) . Auch die vom funktionellen Zustand des Gefäßsystems abhängige aktive Osteoklastentätigkeit ( B I R K N E R et. al.) ließ sich — wenn auch zum späten Zeitpunkt vermindert — so doch bis zum 4. Monat nach der Bestrahlung nachweisen (Abb. 17). Als weiterer deutlicher Ausdruck einer Restvitalität des Gefäßbindegewebes zeigt sich bei den am Ende des 4. Monats nach der Bestrahlung geopferten Versuchstieren eine Knochenneubildung, die in zwei Formen auftritt, einmal als herdförmig angelegtes irreguläres Osteoid, dann als Lamellenknochen, der direkt dem nekrotischen Knochen aufliegt (Abb. 18).

Abb. 17. Am 122. Tag nach der Bestrahlung noch Nachweis reger Osteoklastentätigkeit. Die Osteoklasten liegen in typischen Resorptionslakunen des total nekrotischen Knochens

Abb. 18. Am 112. Tag nach der Bestrahlung Nachweis beeteartiger osteoider Substanz mit rundlichen Kernen, dem nekrotischen Knochen in breiter Front anliegend, schmale konzentrische Zonen von lamellärem Knochenanbau in höhlenartig erweiterten HAVERschen Kanälen, keine Osteoblastensäume nachweisbar

Der Nachweis von Gefäßwandveränderungen im Sinne der Intimaproliferation und sich daraus ergebender Gefäßverschlüsse konnte bis zum 4. Monat nach der Bestrahlung nicht erbracht werden. E r s t nach einem Bestrahlungsabstand von 9—12 Monaten wurde an den Arteriolen sowie den kleineren und mittleren Gefäßen eine zunehmende Gefäßverschwielung deutlich, die sich nach 18 Monaten überzeugend manifestiert, wie der Vergleich mit un-

Pathogenese der Strahlenschädigung

17 | 21

bestrahlten Gefäßwandquerschnitten belegt (Abb. 19 und 20). Eine Lumeneinengung wird deutlich, und die auffällige Verminderung der Zahl der durchströmten Knochenkapillaren erlaubt den Schluß, daß auf diesem Wege ausgedehnte kapilläre Stromgebiete insuffizient geworden sind.

19

20

Abb. 19 und 20. Vergleichende Gegenüberstellung von Wandquerschnitten ossaler und parossaler Gefäße verschiedenen Kalibers vom unbestrahlten Kontrolltier und bestrahlten Tier, 18. Monat post radiationem (HE 450fach) Abb. 19. Knochenquerschnitte vom Unterkiefer eines nicht bestrahlten Tieres Abb. 20. Knochenquerschnitte vom Unterkiefer eines bestrahlten Tieres, 18. Monat post radiationem

22 I 17

Gr- GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Auch an den Weichgeweben des Knochens, dem Periost und Knochenmark zeigten sich entgegen herkömmlichen Auffassungen im Vergleich zum rapiden Osteozytenuntergang wesentlich langsamere Reaktionen auf den Strahleninsult. Bis zur Ausbildung der kompletten Markfibrose braucht es etwa des Zeitraumes von 4 Monaten. Die sehr lange nach der Bestrahlung erhaltene relative Leistungsfähigkeit des Gefäßsystems ist für die klinische Beurteilung bestrahlten Knochens bedeutungsvoll. Wie U E B E R S C H Ä R in Übereinstimmung mit klinischen Befunden für die unter aseptischen Bedingungen ablaufende Osteoradionekrose des Schenkelhalses feststellt, ist der Frakturreiz in der Lage, eine intensive Gefäßproliferation auszulösen, wonach die darniederliegenden Organisationsprozesse aus dem Stadium der Latenz heraustreten und Reparationsvorgängen mit ausreichender Kallusbildung Platz machen. Es findet damit die Heilungstendenz radiogener Frakturen ihre histologische Erklärung — allerdings unter der Voraussetzung, daß die Infektion des Bestrahlungsbereiches ausbleibt. Im Kieferbereich ist dies nicht der Fall. Hier entscheidet der Infekteintritt über das Schicksal des radiogen geschädigten Knochens. Ist schon im unmittelbaren Anschluß an die Bestrahlung auf Grund des frühen Osteozytentodes und der davon abhängigen Störung des Knochenstoffwechsels die fortschreitende Zerstörung des bestrahlten Knochens unter dem Krankheitsbild, ähnlich einer Osteomyelitis, die Folge, so wird zum späteren Zeitpunkt der Grad der Vulnerabilität des bestrahlten Kiefers zusätzlich durch das Ausmaß des radiogenen Gefäßschadens bestimmt. Auch die Dynamik des klinischen Ablaufs der infizierten Osteoradionekrose des Kiefers dürfte hierdurch weitgehend vorgezeichnet sein. Während also in der ersten Phase nach der Bestrahlung die unmittelbare Schädigung der Osteozyten und Osteoblasten zur Knochennekrose führt, wird der Endausgang der infizierten Osteoradionekrose weitgehend durch die erst viel später einsetzenden Gefäßveränderungen entschieden. Für die Bewertung der operativen Situation sind diese Tatsachen von tragender Bedeutung und sollten entsprechend beachtet werden.

C. Epidemiologie der Sirahlenschäden Bezüglich des Vorkommens und der Häufigkeit von Strahlenfolgen, die zum größten Teil den Charakter schwerer Schädigungen tragen, sind wir durch eine unübersehbare Fülle von Arbeiten informiert. Im deutschen Schrifttum betonen O E S E R und R Ü B E , daß der somatische Strahlenschaden als Folge einer ärztlichen Maßnahme heute noch keineswegs ein Kuriosum geworden ist. Nach ihrer Darstellung läßt die Geschichte der Strahlenheilkunde für das Auftreten von Strahlenschäden drei Gipfel erkennen: Der erste Gipfel liegt in der Frühzeit der Strahlenära und ist durch die damals mangelnde und fehlerhafte Dosierung verursacht. Den zweiten Gipfel bedingte die Einführung der einzeitigen Intensivbestrahlung nach S E I T Z und W I N T Z . Ein neuer Anstieg zu einem dritten Gipfel sei durch die therapeutische Anwendung der ultraharten Strahlung festzustellen. Gerade diese neue Welle von Strahlenschäden erfordere erhöhte Aufmerksamkeit, da durch Verlagerung des Dosismaximums zur Tiefe hin die oberflächlichen Hautveränderungen nicht mehr als Indikator für die Überschreitung der Gewebstoleranz benutzt werden könnten. Was die Häufigkeit von radiogenen Weichteilschäden anbetrifft, die vordergründig auf die Haut entfallen, sei vor allem auf die zusammenfassenden Arbeiten von S A U N D E R S U. M O N T G O M E R Y ( 1 9 3 8 ) , T E L O H U. Mitarb. ( 1 9 5 0 ) , K O L A R U. V R A B E C ( 1 9 6 0 ) , R O B I N S O N U. M A S T E R S ( 1 9 6 0 ) , H E L D ( 1 9 6 1 ) , CANNON U. M U R R A Y ( 1 9 6 4 ) u n d CONWAY U. H U G O ( 1 9 6 6 ) u . GABKA ( 1 9 7 1 )

verwiesen.

Epidemiologie der Strahlenschäden

17 | 2 3

Über die Epidemiologie der Strahlenfolgen am Knochen unterrichten in ausführlicher Form die monographischen Darstellungen von K O L A R , BABICICV U. V R A B E C ( 1 9 6 5 ) und GRIMM ( 1 9 7 1 ) .

Die akute Antwort auf einen Strahleninsult findet sich im allgemeinen auf der H a u t von Patienten, die wegen maligner Erkrankungen behandelt wurden. Mit Hilfe moderner Hochvoltstrahlungsquellen und geeigneter Filterung läßt sich heute eine akute Schädigung der Haut, die der konventionellen Strahlentherapie in der Vergangenheit immer wieder angelastet werden mußte, weitgehend vermeiden. Im allgemeinen sind die akuten Veränderungen einer Strahlenfolge, die bei der Planung radiologischer Maßnahmen zu kalkulieren sind, nur temporärer Natur. Während bei der einzeitigen Bestrahlung das Erythem der Haut die stärkste noch reversible Hautreaktion war, ist bei der im Regelfall heute angewandten fraktionierten Bestrahlung selbst die Blasenbildung und die Abstoßung der oberflächlichen Hautschichten noch als reversible Reaktion anzusehen. Diese Reaktionen heilen im allgemeinen innerhalb weniger Monate nach Beendigung bei relativ geringen Spätschäden, wie Pigmentierung, Trockenheit, gegebenenfalls Epilation und Teleangiektasien ab. Die chronische Radiodermatitis kann sich über eine Periode vieler Jahre entwickeln, während der wiederholte Strahlenexpositionen stattfinden oder auch nach einer akuten Schädigung, die auf eine Serie vorher erfolgter fraktionierter Bestrahlung einsetzt. Zu Recht wird daher immer wieder vor erneuter Bestrahlung eines bereits vorbelasteten Terrains gewarnt (CONWAY u. H U G O , G R I F F I T H , K A R C H E R U. G E H R I G , R E H R M A N N U. a.), was bereits 1 9 0 9 durch P O R T E R klar erkannt wurde. Des weiteren ist die Toleranz der Gewebe wesentlich herabgesetzt, wenn die Strahlung auf entzündlich verändertes Gewebe einfällt oder konstitutionell empfindliche Haut trifft, beispielsweise beim Vorliegen eines chronischen Ekzems oder einer Psoriasis. Die Grundlage für die Entstehung einer radiogenen Präkanzerose ist damit in gleicherweise geschaffen wie bei Hautatrophien nach hochdosierter Strahlenbelastung, bei Rhagaden, Pigmentierungen, Hyperkeratosen und anderen Differenzierungsstörungen. Das Auftreten von malignen Tumoren auf dem Boden dieser Präneoplasien ist hier oft nur eine Frage der Lebensdauer. Das damit gegebene Problem ist bei der Erwartung eines gesteigerten Auftretens von Strahlenschädigungen im Zeitalter der Atomspaltung sehr in den Vordergrund gerückt ( K A R C H E R U. G E H R I G ) . Akute Schäden, wie sie nach prolongierter Exposition oder dem Repositionsversuch von Frakturen auftraten ( K O L Ä R U. V R A B E C , 1 9 5 9 ) oder chronische Strahlenfolgen nach beruflicher Exposition ( P O R T E R , K R A U S E . L E D D Y u. R I G O S , S I R S A T ) sind durch strenge Strahlenschutzbestimmungen heute praktisch gebannt. Eine nicht unerhebliche Steigerung der Zahl behandlungsbedürftiger Röntgenulzera und -krebse war die Folge einer häufig kritiklosen Ausweitung der Indikation der Strahlenapplikation auch bei entzündlichen und degenerativen Prozessen, sowie bei gutartigen Tumoren ( C A N N O N et al., G R I F F I T H , M A L B E C et al., Z O L T A N u. a.). Des weiteren muß man auch die verlängerte Lebenszeit der Geschwulstträger unter dem Einfluß fortgeschrittener Behandlungsmethoden dafür verantwortlich machen. Ist es doch bekannt, daß schwere Schädigungen, insbesondere strahleninduzierte Tumoren (Latenzzeit nach B A U E R durchschnittlich 9—17 Jahre) häufig erst nach Jahren oder Jahrzehnten auftreten ( B O E T T E , CONWAY U. H U G O , E H R I N G U. H O N D A , G A B K A , G E I S S E N D Ö R F E R , N E U M A N e t a l . , Z O L T A N

u. a.). Nach H E L D beziffert sich die Rate der malignen Entartungen des Röntgenoderms auf 3 0 % . Weitere Angaben finden sich bei K O L A R , V R A B E C U. K R A L ( 3 5 0 chronische Röntgenulzera mit 2 2 % maligner Entartung) und bei S A U N D E R S U. M O N T G O M E R Y ( 2 7 Karzinome bei 2 5 9 Fällen = 1 0 , 4 % ) . Hinweise auf entsprechende Prozentsätze finden wir bei G H O R M L E Y u. F A I R C H I L D ( 2 0 Malignome unter 9 7 Fällen chronischer Strahlendermatitis = 2 0 , 6 % ) , ferner bei L E D D Y U. R I G O S ( 2 1 bei 8 0 Fällen = 2 6 , 2 % ) , T E L O H et al. ( 3 4 bei 1 2 1 Fällen =

24 I 1 7

G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

28,1%),

CASARETT

(39 bei 135 Fällen = 29%), K A R C H E R U . G E H R I G (12 bei 37 Fällen = et al. (36 bei 165 Fällen = 21,8%), R O B I N S O N U . M A S T E R S (31 bei 166 Fällen = 18,7%), C O N W A Y U . H U G O (26 bei 126 Fällen = 20,6%), T E X I E R (13 bei 41 Fällen = 31,7%) und bei unserem Beobachtungsgut sogar 48,6% (35 Malignome bei 72 Fällen mit chronischen Strahlenfolgen). Die unterschiedlichen Prozentzahlen dürften sich durch unterschiedliche Auswahl des Krankengutes erklären, wobei zu berücksichtigen ist, daß es sich bei dem, einem Chirurgen zugeführten Krankengut im allgemeinen um schwere klinische Folgezustände mit spontan oder durch konservative Maßnahmen nicht ausheilbaren Ulzerationen oder Tumoren handelt. Mit besonderem Nachdruck wird von den Autoren, die über ein größeres Material berichten, hervorgehoben, daß der überwiegende Anteil der Strahlenkarzinome sich auf einem Terrain entwickelte, das wegen primär gutartiger Erkrankungen einer ionisierenden Strahlung ausgesetzt worden war (s. Tab. 1). Vielfach handelte es sich hierbei um chronische Dermatosen, Warzen, Hypertrichosen, Fälle von Acne vulgaris, Folliculitis barbae und andere infektiöse Weichteil- und Knochenprozesse, die man heute nicht mehr als Indikation für eine Strahlentherapie anerkennt. 32,5%), CANNON

Tab. 1 Strahleninduzierte Tumoren bei Patienten, die wegen primär gutartiger Strahlung erhalten hatten

Autor

Jahr

Erkrankungen ionisierende

Strahlenschäden bei primär gutartigem Anz. d. Pat. mit Anz. d. Basaliom Malig. beob. Pat. Malign.

Prozeß Platt. Ep. ca.

SAUNDERS u . MONTGOMERY

1938

226

26

26

TELOH e t . a l .

1950

112

34

50

4

46

CANNON e t a l .

1959

137

36

36

14

22

ROBINSON u . MASTERS

1960

105

31

31

15

16

CONWAY U. HUGO

1966

63

23

60

36

24

MÜNZENBERG

1969

124

48

48

12

36

GRIMM

1973

28

19

19

9

10

26

Tab. 2 A n a l y s e v o n 3 0 0 P a t i e n t e n m i t R ö n t g e n g e s c h w ü r e n ( a u s KOLA ft u . VRABEC 1 9 6 0 )

Ursache

relative Häufigkeit

Anzahl der Fälle

davon Malignome

ionisierende Strahlung bei a) benigner b) maligner Primärerkrankung berufsbedingte Schädigung diagnostische Schädigung

244 125 119

41 25 16

31 25

24 1

77,4%

Summe

300

66

22%

16,8% 20% 13,4%

4%

17

Epidemiologie der Strahlenschäden

| 25

Interessante Aufschlüsse vermittelt unter diesem Aspekt auch die Tabelle, wie sie u. V R A B E C ( 1 9 6 0 ) auf Grund der Analyse von 3 0 0 Fällen mit Röntgengeschwüren der H a u t veröffentlichen (Tab. 2). Zur Epidemiologie der Strahlenfolgen an tieferliegenden Geweben interessieren in diesem Zusammenhang lediglich einige Hinweise zur Osteoradionekrose der Kiefer. Über die Häufigkeit ihres Vorkommens wurden bereits weiter oben (s. d.) Angaben gemacht. Was die Verteilung auf Ober- und Unterkiefer angeht, so ließ sich an dem eigenen Material von 48 Osteoradionekrosen der Kiefer die wiederholt hervorgehobene Tatsache bestätigen, daß der Unterkiefer wesentlich häufiger betroffen ist als der Oberkiefer (Abb. 21). Die Frage nach dem Sitz des Tumors, dessen Bestrahlung und Mitbestrahlung des regionären Lymphabflußgebietes Osteoradionekrosen zur Folge hatte, beantwortet das Diagramm der Abb. 22. Es ist daraus ersichtlich, daß die Komplikation in erster Linie nach Bestrahlung von Tumoren des Oberkiefers, Unterkiefers, der Wangenschleimhaut, Lippen und des Mundbodens aufgetreten ist. Nur in etwa 10% der Fälle war eine Bestrahlung von Tumoren der Submandibularloge, Zunge und Tonsillen vorausgegangen. Die Abb. 22 ermöglicht jedoch noch keine Aussage, ob bei bestimmter Tumorlokalisation eine besondere hohe Gefährdungsquote für die Kiefer gefolgert werden kann. Das heterogene Krankengut, in dem sich auch 17 Osteoradionekrosen aus unbekannten GrundKOLÄR

2,1 V. 2) '/. 6,3V,

10,4 V.

Tonsille Zunge

β,3 V.

Submandibularloge

Ulcus Haut

Mundboden

1^6V.

Lippen

20,β %

Wange

27,1%

Fortgelelt. Jnfekt aus Op. - Bereich

27,1'/.

Zahnextraktlon

37,5 %

Ulcus Schleimhaut

79.2 % Unterkiefer

20.8 %

20,6'/.

22,3 V.

Unterkiefer

Oberkiefer

Oberkiefer

Abb. 21

Abb. 22

Abb. 23

Abb. 21. Häufigkeitsverteilung von insgesamt 48 Osteoradionekrosen auf Ober- und Unterkiefer Abb. 22. Häufigkeitsverteilung von insgesamt 48 Osteoradionekrosen auf verschiedenen Sitz des bestrahlten Primärtumors Abb. 23. Auslösendes Moment für den Infekteintritt in den Kiefer bei 48 Osteoradionekrosen

26 I 17

G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

erkrankungen befinden, gestattet keinen Vergleich. Wohl läßt sich aber dieser Vergleich an den 31 Osteoradionekrosen herstellen, die aus 323 dokumentierten Bestrahlungsfällen stammen (Tab. 3). Tab. 3 Relative Häufigkeit des Auftretens von 31 Osteoradionekrosen bei 323 bestrahlten Mundhöhlentumoren in Abhängigkeit vom Tumorsitz Sitz des Primärtumors

0

10

Anzahl der Anzahl der aufgetretenen behandelten Osteoradionekrosen Fälle

Relative Häufigkeit

Oberkiefer Unterkiefer Wange Lippen Zunge Mundboden Submandibularloge

129 77 51 24 18 15 9

11 9 6 0 1 3 1

11,7% 11,8% 0% 5,6% 20,0%

Gesamtzahl

323

31

9,6%

20

30

8,5%

11,1%

von 129

Oberkiefertumoren

von

77

Unterkiefertumoren

von

51

Wangentumoren

von

24

Lippentumoren

von

18

Zungentumoren

von

15

Mundbodentumoren

von

9 Tumoren d. Submand. 40

50

60

löge 70

100%

Von klinischem Interesse ist schließlich noch die Frage nach der Eintrittspforte für den Infekt. Wie die Aufschlüsselung unseres Materials ergibt (Abb. 23) bildete in den meisten Fällen ein Schleimhautulkus die Eintrittspforte für den Infekt. Innerhalb dieser 18 Fälle war das Ulkus 12 mal die unmittelbare Folge der radiologischen Therapie, wobei der örtlichen Radiumapplikation die Hauptlast zufällt. Höhere Bedeutung kommt jedoch mechanischen Reizmomenten zu, die auf die Schleimhautoberfläche einwirken, vor allem Druckstellen unterer Prothesen, die schon bei oberflächlicher Epithelläsion den Infekteintritt ermöglichen. Als nahezu ausschließliche Strahlentherapiefolge waren die Röntgengeschwüre der äußeren Haut zu werten, wie sie nur in 4 Fällen auftraten. Hier bestätigte sich die Tatsache, daß nach bereits längerer Zeit vorausgegangener Strahlenbelastung die Haut· einem erneuten Strahleninsult nicht mehr gewachsen ist, bzw. daß auch die operativ vorgeschädigte Haut eine Entstehung von besonders tief reichenden Röntgengeschwüren begünstigt.

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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D. Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung 1. Allgemeine therapeutische Grundsätze

Wie schon ausgeführt unterscheiden wir zwischen den Früh- und Spätschäden bzw. den akuten und chronischen Strahlenschäden, die beide Indikationen für eine chirurgische Behandlung darstellen. Während der Frühschaden durch die Radiodermatitis ulcerosa mit überwiegend entzündlicher Reaktion gekennzeichnet ist, sind die Leitsymptome des chronischen Strahlenschadens die Atrophie der Haut mit sklerotischen Verhärtungen, irregulären Pigmentierungen und Teleangiektasien. Zu jeder Zeit ist auf diesem mangelhaft ernährten, schuppenden und hyperkeratotischen Terrain mit der Möglichkeit einer Strahlennekrose oder eines Strahlenmalignoms zu rechnen. Liegt ein Röntgengeschwür vor, sollte man keine Zeit mit konservativen Maßnahmen verschwenden, sondern die absolute Indikation zur operativen Entfernung und plastischen Defektdeckung anerkennen, weil nur auf diesem Wege eine Heilung möglich ist. Es besteht kein Zweifel, daß nur durch chirurgisches Eingreifen die oft ins Unerträgliche gesteigerten Schmerzen, die Funktionsstörung und die Gefahr der Malignisierung des röntgengeschädigten Gewebes beseitigt werden können. Da die operative Behandlung im strahlenveränderten Gewebe mit einer Reihe von Schwierigkeiten verknüpft ist, wird gelegentlich der negative Standpunkt vertreten, mehr konservative Methoden einzusetzen, um bei schwerer Röntgenschädigung eine möglicherwiese nicht lebensnotwendige Operation zu umgehen. Diese Meinung stützt sich auf die Tatsache, daß die strahlengeschädigte Haut nicht nur gegenüber weiterer Bestrahlung, sondern auch gegen alle anderen Eingriffe sehr empfindlich ist und sie schlecht erträgt (LACKNER). Dieser Auffassung ist energisch entgegenzutreten, weil die operative Behandlung zwar gewisse Schwierigkeiten aufwirft, aber doch durchführbar ist. Vor allem bietet sie die einzige Hoffnung auf Heilung (ZOLTAN). Um die Schwierigkeiten bei der chronischen Behandlung dieser pathologischen Gewebsveränderungen richtig verstehen zu können, sei an das histologische Bild der strahlenatrophischen Haut erinnert (s. S. 14). Die daraus resultierenden klinischen Auswirkungen, die bei einer operativen Therapie im strahlengeschädigten Gewebe zu berücksichtigen sind, bestehen einmal in der mangelhaften Durchblutung des strahlengeschädigten Gewebes mit schlechten Wundheilungstendenzen, zum anderen im völligen Darniederliegen des natürlichen Infektionsschutzes der Haut durch ihren Mangel an Schweiß- und Talgdrüsen. Die borkige und buchtige Oberflächenbeschaffenheit begünstigt weiterhin eine intensive Keimbesiedelung, weshalb die örtliche Infektion den Erfolg eines jeden Eingriffes ernsthaft zu gefährden vermag. Wichtig ist, daß wir die aufgezeigten Schwierigkeiten bereits bei der Planung des jeweiligen operativen Vorgehens berücksichtigen und ihnen in vorwiegend drei Punkten Rechnung tragen: 1. in der Vorbereitung auf die Operation, 2. in der operativen Technik und 3. in der Indikation des zu planenden plastischen Gewebsersatzes. Die Vorbereitung hat allgemeine und örtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Roborierende Maßnahmen, wie Ausgleich der Proteinverluste durch Plasma- und Bluttransfusionen, Vitamingaben und psychische Führung, stehen im Vordergrund. Die örtlichen Maßnahmen zielen vor allem auf die Infektabwehr. Zwar wird es wegen der hochgradigen Empfindlichkeit und Schmerzhaftigkeit des geschädigten Gewebes nicht möglich sein auf mechanischem oder desinfektorischem Wege die vorhandene Keimflora

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Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

zu beseitigen. Man wird sie aber durch vorausgehende Wundabstriche aus dem Strahlenulkus weitgehend diagnostizieren und durch mikrobiologische Resistenzbestimmung eine gezielte örtliche und allgemeine Antibiotikabehandlung vorbereiten können. Zu Recht verweisen K I M M I G und W I S K E M A N N auf den nicht selten zu beobachtenden Tatbestand, daß sich hierbei häufig eine Resistenz gegenüber dem einen oder anderen und sogar gegenüber sämtlichen getesteten Antibiotika ergibt. Von den zur Verfügung stehenden Antibiotika sollten vorwiegend Tetracyklin-, Neomycin- und Xanthocillinpräparate einer örtlichen Behandlung vorbehalten bleiben. Sie besitzen ein breites Wirkungsspektrum und sensibilisieren in geringem Maße. Besonders lästig und zeitraubend ist die Besiedlung eines Strahlenulkus mit Proteus vulgaris und Pseudomonas aeruginosa (Pyocyaneus). Hier wird der osmotische Effekt einer 40—50%-igen Traubenzuckerlösung oder reiner Traubenzucker mit Vorteil zur Wundreinigung genutzt. Auch das 2%-ige Borglycerin hat hier neben dem Einsatz von Antibiotika noch seine Berechtigung, während Sulfonamide in den Hintergrund getreten sind. Gegen Superinfektionen mit Hefen und Pilzen (Candidiasis) ist Nystantin (Moronal, Fungicidin) von zuverlässiger Wirkung. Eine weitere Möglichkeit lokaler Vorbehandlung ergibt sich durch den Einsatz milder antiphlogistischer Maßnahmen unter Verzicht auf Salbenanwendung. Cortisonshaltige Präparate wie das Terracortril haben sich hierbei bestens bewährt ( Z O L T Ä N ) . Mit vorbereitenden Maßnahmen kann man sich im allgemeinen nicht so lange aufhalten bis die Infektion und andere Begleiterscheinungen mit weitgehender Sicherheit in Schach gehalten sind. Der Zeitverlust wäre zu groß im Hinblick auf bestehende Beschwerden oder das vorhandene Malignom. Auch muß es immer wieder fraglich bleiben, ob eine parenterale antibiotische Therapie im Bereich des strahlengeschädigten Gewebes ausreichend hohe Wirkungsspiegel erreichen läßt. Sehr wichtig erscheint es uns jedoch, über das Resistenzverhalten der vorhandenen Keime mit möglichster Sicherheit orientiert zu sein, um während der postoperativen Phase den unerläßlichen Schutz gezielt wirksam werden zu lassen. Wir sind mit ZOLTÄN der Überzeugung, daß eine präoperative Probeexcision nicht erforderlich und auch nicht sinnvoll ist. Einmal ist ein zuverlässiges histologisches Ergebnis nur bei Entfernung und Bearbeitung des gesamten Geschwürs möglich; entscheidend ist jedoch, daß wir ein Röntgengeschwür, das ja in jedem Falle malignomverdächtig ist, ohnehin wie einen Tumor weit im Gesunden entfernen. Weiterhin müssen wir im Interesse der Einheilung des nachfolgenden Transplantates danach trachten, bei der Exzision möglichst in Bereiche zu gelangen, die frei von strahleninduzierten Gewebsschäden sind. G A B K A empfiehlt die unter der Radikaloperation anzufertigende Schnellschnittdiagnosen. Hierbei ist es ihm einmal möglich, sofort festzustellen, ob eine Malignisierung stattgefunden hat, zum anderen sind alle zu markierenden Schnittränder histologisch zu differenzieren. Somit weiß er, ob die großzügige Zirkumzision im Gesunden erfolgte. Während diesen Bestrebungen in der Oberflächenausdehnung kaum Hindernisse entgegenstehen, so können uns bei der Ausräumung nach der Tiefe zu im Hinblick auf die Radikalität Grenzen gesetzt sein. Die Rücksichtnahme auf Nerven und Gefäße oder andere möglichst zu schonenden Organe fordert die Entscheidung, ob fibröses Gewebe allenfalls zum Teil belassen werden kann oder ob fragliches Tumorgewebe kompromißlos zu opfern ist. In solchen Zwei felsfällen müssen wir unser Vorgehen wie G A B K A , der das in jedem Falle fordert, gelegentlich unter die Kontrolle der intraoperativen Schnellschnittdiagnose stellen. Besonders problematisch sind die Wundverhältnisse, wenn Sehnen, Knochen oder andere wichtige Gebilde freiliegen. Liegt die Radionekrose eines im Ulkusbereich liegenden Knochens vor, so ist sie in jedem Falle infiziert und muß nach den weiter unten darzulegenden Grundsätzen mit ausreichendem Abstand entfernt werden. Es kommt sonst mit

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Sicherheit zu Heilungsstörungen, deren Ausmaß nicht kalkuliert werden kann. Wertvolles plastisches Material kann hierbei nutzlos zugrunde gehen, das schwerlich wieder zu beschaffen ist. Was nun die operative Technik selbst betrifft, so ist die genügende Entfernung strahlengeschädigten Gewebes gleichbedeutend mit der Schaffung eines gut durchbluteten Aufnahmelagers für den plastischen Gewebsersatz. Ist das Röntgenoderm nur oberflächlich ausgedehnt, so soll man sich nicht nur darauf beschränken, präkanzerös und karzinomatös entartete Haut zu entfernen, sondern möglichst die gesamte strahlengeschädigte Haut, da in jedem Falle mit einer weiteren Malignisierung gerechnet werden muß, auch wenn dafür im Augenblick noch kein Anhalt gegeben ist. In vielen Fällen wird dieses Prinzip allerdings deshalb nicht einzuhalten sein, weil uns im Hinblick auf Alter und Allgemeinzustand des Kranken oder Ausdehnung des geschädigten Gewebsbezirkes gewisse Grenzen gesteckt sind. Grundsätzlich ist ein atraumatisches Operieren mit Messer und Schere zu fordern. Auf die Anwendung der Diathermie sollte bei der verminderten Vitalität der Gewebe nach Möglichkeit verzichtet werden (ROUTLEDGE). Das mag insbesondere bei der Blutstillung schwerfallen, die ohnehin Schwierigkeiten bereitet, da die kleineren Gefäße durch das umgebende Narbengewebe in ihrer Kontraktibilität behindert sind ( F I S C H E R , SCHUCHARDT). Man wird sich also bei entsprechender Geduld mit der Drucktamponade und lokaler Thrombinanwendung behelfen müssen. Wichtig erscheint der von ZOLTÄN gegebene Hinweis, daß eine diffuse Blutung, die zum Zeitpunkt der Exzision nicht sicher gestillt werden kann, für uns Anlaß sein muß, eine Defektdeckung mittels Spalthaut um etwa 48 Stunden zu verschieben. Zweckmäßigerweise wird hierbei das Hauttransplantat bei der ersten Operation mit entnommen und im Kühlschrank unter den üblichen Bedingungen konserviert (s. auch JACKSON sowie S T E L L U. BROWN). Oberstes Gesetz ist neben der atraumatischen Technik strengste Asepsis, die man in allen Einzelheiten nicht genug übertreiben kann. Denn wir haben trotz sorgfältiger Ausräumung in den Randbezirken des Wundgebietes mit einer Durchblutungs- und Resistenzverminderung zu rechnen, die auch ein gut durchbluteter Decklappen zunächst nicht schlagartig zu überwinden vermag (SCHUCHARDT).

Es ist somit von einer antibiotischen Prophylaxe nur ein begrenzter Effekt zu erwarten, da die Wirksamkeit des Antibiotikums am Ort bekanntlich von der Gewebsdurchblutung abhängig ist. Besondere Aufmerksamkeit gebührt auch der Nahttechnik. Knopf nähte halten in der geschädigten Haut schlecht und dürfen auch wegen der Gefahr des Infekteintritts von der Oberfläche her nicht zu lange belassen werden. Wir bevorzugen ausschließlich die intrakutane Nahttechnik, einmal schon aus Gründen der Ästhetik im Gesicht prinzipiell, — dann aber um lästige Stichkanaleiterungen zu umgehen. Eine intrakutane Naht kann darüber hinaus bei der herabgesetzten Heilungstendenz 10—14 Tage liegen gelassen werden, ohne daß hieraus Nachteile erwachsen. Zunehmend haben wir für die Intrakutannaht Katgut verwendet, das ohnehin liegenbleibt und auch in radiogen geschwächten Grenzbereichen eingesetzt werden kann. Vereinzelte stützende Kopf nähte mit dünnster Seide (5—0) können schon am 3. bis 5. postoperativen Tag entfernt werden. 2. Der plastische Ersatz radiogener Weichgewebsschädcn Bezüglich der Auswahl des plastischen Ersatzmaterials macht sich präoperativ eine sorgfältige Planung erforderlich, da wir den durch die Exzision entstandenen Defekt möglichst sofort zu decken beabsichtigen. Ist beispielsweise bei zu erwartendem profundem Defekt das Gewebe aus der Nachbarschaft nicht zu beschaffen, so daß wir auf die Fern-

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G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

lappenplastik angewiesen sind, dann muß dieser Gewebsersatz schon so vorbereitet sein, daß er zum Zeitpunkt der Radikaloperation für die Transplantation bereitsteht. Falls uns aus zwingenden Gründen dieser Vorlauf nicht gestattet ist, so muß im Sinne eines temporären Ersatzes das Wundgebiet zunächst mit einem Spalthauttransplantat ausgekleidet

Abb. 24. Lupuskarzinom auf Strahlenhaut. Als temporäre Maßnahme bis zur histologischen Diagnose und Vorbereitung der Fernplastik, plastische Defektdeckung mittels Spalthauttransplantates. Da vom Pathologen krebsfreie Absetzungsränder — vor allem nach der Tiefe — bestätigt wurden und das ästhetische Ergebnis befriedigte, wurde zunächst von einer Fernplastik Abstand genommen

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

17 ] 31

werden, damit inzwischen die Fernplastik vorbereitet werden k a n n (Abb. 24). Das Hauttransplantat sollte somit im vorliegenden Falle die Funktion eines Wundverbandes erfüllen. Zugleich wurde jedoch darauf geachtet, ein möglichst ausgedehntes Areal der oberflächlich strahlengeschädigten H a u t mit zu entfernen, um weiterer Malignisierungstendenz vorzubauen. Die Defektdeckung durch freie Hauttransplantation wird als Methode der Wahl bei der Behandlung akuter Weichteilschäden bezeichnet ( F U C H S u. K O N R A D , P E R U T Z ) . SCHMID u. W I D M A I E R betonen, daß bei der Radiodermatitis ulcerosa die Exzision des Ulkus mit anschließender Deckung des Defektes durch Hauttransplantation indiziert ist. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß das Röntgengeschwür, das schon wenige Wochen nach der Behandlung auftreten kann, J a h r e zum Abheilen benötigt und ein ständiger Störfaktor bleibt. Selbst wenn es kurzfristig abheilen sollte, bleibt eine sichtbare Narbe, der die Neigung zum Ulkusrezidiv innewohnt. Das freie Transplantat kann in geeigneten Fällen durchaus als definitiver Ersatz zu einwandfreien Ergebnissen führen, vor allem in Fällen, wenn noch keine tiefere Ulzeration und Infektion vorliegen und der Gewebsdefekt oberflächlich ist. Entgegen der von M E N N I G und GABKA vertretenen Ansicht, daß ein durch Strahlung alteriertes Aufnahmelager dem in Hinblick auf Ernährung anspruchsvollen freien Transplantat nicht gerecht werden könne, vermochten wir eine gute Einheilungstendenz zu konstatieren, vorausgesetzt, daß die Infektion fernzuhalten war. Auch der im Vergleich zur THIERSCH-Haut anspruchsvollere Vollhautlappen h a t gute Einheilungschancen und sollte im Gesicht vorrangig Anwendung finden ( F R I E D R I C H , DE STEFANO), ( A b b .

25).

c

Abb. 25. Chronische Radiodermatitis im Bereiche der Stirn mit multiplen Basaliomen. Der nach großzügiger Exzision entstandene Defekt wurde durch ein Vollhauttransplantat abgedeckt

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G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

SCHMID

u.

WIDMAIER

bevorzugen im Gesichtsbereich den Vollhautlappen aus folgenden

Gründen: 1. Vollhaut ist widerstandsfähiger. 2. Sie zeigt keine Schrumpfungstendenz wie THIERSCH-Haut. 3. Es treten bei geeigneten Entnahmestellen keine Färb- und Strukturveränderungen auf wie bei Spalthaut. 4. Es können die Entnahmestellen durch Mobilisation der umgebenden Haut primär geschlossen werden. Bei der Entnahme der Spalthautlappen sind immer breite, auffällig verfärbte Flächen sichtbar. Als Entnahmestellen für Vollhautlappen ist in erster Linie die retroaurikuläre und submentale Region zu bevorzugen. Bei Bedarf größerer Lappen ist auf die Supraklavikularregion zu verweisen. Da die Einheilung von Vollhauttransplantaten — insbesondere auf einem mangelhaft durchbluteten Terrain — mitunter erschwert sein kann, ist es nach der Empfehlung von KRÜGER zweckmäßiger, zunächst die Wundflächen der freien Granulation zu überlassen. Unter feuchten Verbänden wird abgewartet, bis sich ein dichter Granulationsrasen gebildet hat, auf den nach antibiotischer Vorbehandlung mit bedeutend größerer Erfolgssicherheit transplantiert werden kann. (persönliche Mitteilung) weist mit Nachdruck darauf hin, daß man auf die Pflege dieses Granulationsrasens die größte Sorgfalt verwenden soll. Neben der regelmäßigen Oberflächenbehandlung mit reinem Traubenzucker empfiehlt er, wenigstens zweimal in mehrtägigem Abstand mit dem stumpfen Messer oberflächlich abzuschaben, um schlaffe und funktionell minderwertige Anteile der Granulationen zu entfernen, ohne jedoch dabei Blutungen zu provozieren. Auf diese Weise wird der Granulationsrasen dichter und bessert sich die Aufnahmebereitschaft für das Transplantat. Als Transplantat schätzt er besonders den „intermediate graft", der noch einen Teil der im Hinblick auf die Einheilung günstigen Eigenschaften des THIERSCH-Lappens besitzt, aber funktionell weitgehend die an ein Vollhauttransplantat zu stellenden Ansprüche erfüllt. SCHUCHARDT

Für die Ruhigstellung und Adaption des Transplantates auf beweglichem Untergrund, wie beispielsweise der Wange, empfiehlt er eine den Defektabmessungen genau entsprechende Schablone aus dickem Bleiblech, die sich entsprechend dem unregelmäßigen Untergrund anbiegen läßt. Sie wird mit feuchtem, grobem Mull abgepolstert und durch die lang gelassenen Fäden unter vorsichtig dosiertem Druck adaptiert. Verständlicherweise ist die Verwendung des Freihauttransplantates begrenzt. Bereits wenn die Verschieblichkeit der Haut stark eingeschränkt ist — ein sichtbares Zeichen für die Beteiligung der tieferen Schichten — wird man nach Möglichkeiten suchen, den kalkulierten Defekt mittels eines gut durchbluteten Decklappens zu schließen. Diese Bedingungen erfüllen am besten die Nahlappen aus der unmittelbaren Defektumgebung. Die grundsätzlichen Vorteile des Nahlappens sind zur Genüge bekannt. Wegen der spezifischen Eigenschaften der Gesichtshaut bezüglich Dicke, Dehnbarkeit, Farbe und Behaarung ist ihre Bedeutung gerade für den Gesichtsbereich unübertroffen. Ideal ist ihre Durchblutung, wenn man sie in Form von breitbasigen Rotations- oder Transpositionslappen einsetzen kann, — allerdings unter der Bedingung, daß sie selbst keine oder nur minimale partielle radiogene Veränderungen auf weisen. SCHUCHARDT, ZOLTÄN U. a. betonen zu Recht, daß die Heranführung eines Hautlappens, der über eine eigene neurovaskuläre Versorgung verfügt, möglicherweise auch zur Verbesserung der Durchblutung und Vitalität in der weiteren Umgebung führt. Im Verein mit dem bestechenden Vorteil, in nur ein bis zwei Sitzungen eine deletäre Erkrankung er-

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folgreich behandeln zu können, kommt der Νahlappenplastik websschäden souveräne Bedeutung zu ( B E N N E T U. CARTER,

17 | 3 3

für den Ersatz radiogener GeH E L D , GABKA, GEORG, SCHU-

CHARDT u . a . ) .

Einige typische Beispiele sollen der Erläuterung dienen: Wenn man eine Lappenverschiebung, wie sie im Schema der Abb. 26 gezeigt ist, anwenden soll, so setzt dies voraus, daß die Strahlenschädigung der Haut ganz exakt abgegrenzt werden kann. Nur unter diesen Bedingungen kann mit einer glatten Wundheilung gerechnet werden, da bei Anwendung dieser Methode mit leichter Spannung im Bcreich der Vertikalnarbe bei größeren Defekten zu rechnen ist (Abb. 27). Für die Präaurikulärregion sowie den Bereich der Wange läßt sich die Rotation von Halshaut mit Vorteil einsetzen, wobei, insbesondere beim älteren Patienten, die Schlaffheit der Haut in diesem Bereich dem plastischen Vorhaben entgegenkommt (Abb. 28). Beson-

Abb. 26. S c h e m a Lappenverschiebung zur Deckung kreisförmiger Defekte

sd

Φ

Abb. 27. Strahlennarbe im Stirnbereich mit intermittierender Ulzerierung. Behandelt nach dem in Abb. 26 gezeigten Schema H a n d b . P l a s t . Chir., BEI. I I

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G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 28. Chronische Strahlennarbe mit karzinomatöser Entartung im peripheren Bereich präaurikular rechts. Nach Exzision Defektdeckung durch Halshautrotation

a

b

Abb. 29. Röntgenoderm der linken Wange nach 30 Jahre zurückliegender Bestrahlung eines Gesichtslupus. Deckung durch Halshautrotation entsprechend dem Schema der Abb. 30

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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ders deutlich belegt dies der in Abb. 29 gezeigte Fall, bei dem es sich um ein flächenhaftes Röntgenoderm der linken Wangenregion nach 30 Jahre zurückliegender Bestrahlung eines Gesichtslupus handelte. Wegen multipler Ulzerationsherde mit begründetem Malignomverdacht wurde der ausgedehnte Hautbezirk reseziert und der Defektersatz durch einen vorher autonomisierten Rotationslappen vom Hals erreicht (Abb. 30). Reichere Varianten in der Anwendung gestielter Gewebetransplantation aus der Nachbarschaft bieten die Verfahren der Lappentransposition, insbesondere für den Bereich der Nase.

In Abb. 31 ist der Fall eines vorbestrahlten Basaliomrezidivs dargestellt. Für die Defektdeckung bot sich reichlich Gewebe in der Nasolabialfalte (Abb. 32). Da ein sicheres Basaliomrezidiv auf einer unverschieblichen Strahlennarbe vorlag, mußte die Exzision bis auf die knöcherne Unterlage erfolgen, so daß eine Defektdeckung durch Freihauttransplantation nicht mehr in Frage kam. Für den Bereich des Nasenrückens empfiehlt sich meist die Lappenentnahme an der Stirn, wobei je nach Bedarf die Abdeckung der gesamten Nase ohne Schwierigkeit gelingt. Der Entnahmedefekt wird in Abhängigkeit von seiner Größe entweder primär verschlossen (s. Abb. 47) oder durch Spalthaut gedeckt (Abb. 33). Vielfältig sind die Möglichkeiten der Defektdeckung im Bereich der Stirn und des behaarten Kopfes, wenn es sich um größere Hautlücken nach Entfernung pathologisch veränderter Gewebsbezirke handelt. Nach einem Verfahren, wie es auch GABKA befürwortet, lassen sich derartige Defekte durch großzügig gestaltete und breitbasig gestielte Transpositionslappen decken (Abb. 34). Dabei müssen die Entnahmestellen durch Spalthaut verschlossen werden, die auf glatter Unterlage ja besonders gute Einheilungschancen hat. Die Verschiebung des Haaransatzes, die mitunter in Kauf genommen werden muß, fällt ästhetisch im allgemeinen wenig ins Gewicht. 232*

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I

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Abb. 31. Rezidiv eines vorbestrahlten Basalioms in einer Strahlennarbe am Nasenrücken rechts. Defektdeckung nach dem Schema in Abb. 32 durch Transpositionslappen

Abb. 32. Das in Abb. 31 angewandte Verfahren schematisch

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Abb. .'i.'i. StnihleimlkiiH am Nasenrücken nach Radiotherapie eines Basalioms. Rezidivverdacht bestätigt. Nach Exzision bis auf das Nasengerüst Defektdeckung durch Transpositionslappen von der Stirn. Sekundärdefekt durch Spalthaut abgedeckt

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G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 34. Tiefreichendes Strahlenulkus über dem rechten Stirnhöcker als Ausdruck eines akuten Strahlen schadens nach Röntgentherapie eines ausgedehnten Basalioms. Nach Exzision des Ulkus im Gesunden Defektdeckung durch Transpositionslappen. Der Entnahmedefekt wurde durch Spalthaut abgedeckt

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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c, d Abb. 35. Bilateraler Halshautlappen zur Abdeckung des unteren und mittleren Gesichtsdrittels. Verschluß des Sekundärdefektes mittels beidseitiger oberer horizontaler Brusthautlappen (35b und c). Eine weitere Möglichkeit des Sekundärdefektschlusses bietet sich durch Kranialverschiebung eines Brusthautbrückenlappens (35 d) nach C O N L E Y

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In der Regel lassen sich radikalchirurgische Maßnahmen, die eine flächenhafte Abtragung ausgedehnter Strahlennarben anstreben, nur dann durchführen, wenn man großzügige plastische Lösungswege parat hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang der von C O N L E Y empfohlene bilaterale Halshautlappen, der ohne Lappenvorbereitung in situ direkt für die Abdeckung des mittleren und unteren Gesichtsdrittels eingesetzt werden kann (Abb. 35). Für denVerschluß der Entnahmedefekte ist der beiderseitige obere horizontale Brustlappen geeignet (s. auch Abb. 36). Der danach entstehende tertiäre Defekt kann schließlich durch freie Lappenübertragung geschlossen werden. Eine andere Möglichkeit zum Verschluß des Sekundärdefektes bietet sich an durch Kranialverschiebung eines beiderseits gestielten Brusthautlappens, wobei bis in die Höhe der Brustwarze mobilisiert werden muß (Abb. 35d). Für die Deckung von Halshautdefekten wird neben dem horizontalen oberen Brustlappen vor allem der vertikal angelegte Brusthautlappen von C O N L E Y empfohlen, für dessen Anlage und Gewährleistung einer sicheren Durchblutung er genaue Maße angibt (Abb. 36).

Abb. 36. Anlage von Brusthautlappen zur Deckung von Defekten der Halshaut. (1) Vorderer vertikaler Brustlappen. (2) Vorderer oberer horizontaler Brustlappen aus CONLEY

Da jedoch häufig die Halshaut mitgeschädigt ist oder aber bei Vorliegen eines metastasierten Strahlenkarzinoms der Gesichtshaut die gleichzeitige Neck-dissection durchgeführt werden muß, ergeben sich besondere Probleme für den flächenhaften Sofortersatz ausgedehnter Gesichtshautareale. Entscheidend ist, daß bei vorliegendem Tumorleiden der erforderliche Fernlappen in möglichst kurzer Zeit vorbereitet werden kann. Einen praktischen Lösungsweg für diese Situation empfehlen P O L L O C K , B I T S E F F U. R Y A N , indem sie einen Brustwandlappen über einen akromiopektoralen Rundstiel an den Defekt heranführen (Abb. 37). Bedeutsam ist hierbei, daß für die Vorbereitung des Lappens der Zeitraum von nur 3 Wochen benötigt wird. Während des ersten Eingriffs wird der Rundstiel gebildet und die Unterminierung des Lappens, wie in Abb. 37 b gezeigt, vorgenommen. Bereits nach 10 Tagen wird der paddeiförmige Brustwandlappen zum Rundstiel verbunden und distal abgelöst. Weitere 10 Tage später — regelrechte Wundheilung vorausgesetzt •— ist der Brusthautlappen transplantationsfähig. Das Verfahren dürfte für die Versorgung von strahleninduzierten Gewebsschäden der Gesichtshaut eine wertvolle Bereicherung der verfügbaren Methoden darstellen. Durch den Ausbau der Verfahren der Nahlappenplastik hat zweifellos der Rundstiel an Bedeutung eingebüßt. Unter bestimmten Bedingungen ist er jedoch auch heute noch unentbehrlich ( B O G A T S K Y , K O L Ä R U. V R A B E C , SCHUCHARDT). Zur Fernplastik mittels Rundstiel greifen wir dann, wenn das Gewebe in der Nachbarschaft nicht ausreicht oder wenn man Gefahr läuft, die Gewebsentnahme mit untragbaren Opfern in der Spenderregion

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Abb. 37. Vorbereitung eines nach 3 Wochen transplantationsfähigen Brusthautlappens (Umzeichnung nach POLLOCK, B I T S E F F U. R Y A N ) , a) 1. Phase: Rundstielbildung und Lappenumschneidung. b) Zum gleichen Zeitpunkt erfolgt die Lappenunterminierung entsprechend dem schraffierten Areal, c) 10 Tage später Durchtrennung der verbliebenen Hautbrücken und erneute vorsichtige Unterminierung. d) Nach weiteren 10 Tagen Verpflanzung des vorbereiteten Lappens und Abdeckung der Entnahmestelle mit Spalthaut

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erkaufen zu müssen. Besonders bei jugendlichen Patienten wird diese Frage ernsthaft zu stellen sein, also bei Patienten, bei denen auf Grund von Entwicklungshemmungen substanzreiches Material herangebracht werden muß und zudem ausgiebiger Hautersatz vonnöten ist. Auch hierzu seien zwei Beispiele angeführt: In der Abb. 38 ist ein Lippen-Wangendefekt mit ausgedehnter Strahlenfibrose im Umgebungsbereich bei einem 17-jährigen Mädchen dargestellt. Er war die Folge eines in frühem Kindesalter hochdosiert bestrahlten Hämangioms. Die Rekonstruktion erfolgte in diesem Falle mittels eines Abdominalrundstiels, der über den linken Arm transportiert wurde. Damit gelang der Ersatz der gesamten strahlungsgeschädigten Gesichtshaut sowie die Rekonstruktion der Mundspalte (Abb. 38 c bis e).

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Abb. 38. Lippen-Wangendefekt und ausgedehnte Strahlenfibrose nach hochdosierter Strahlentherapie eines Hämangioms im Kindesalter (a,b). c) Zustand vor Implantation des 2. Lappenfußes in die Oberlippe. Geradstellung des linken Lippenstumpfes durch Kaudalrotation (analog dem Vorgehen von MILLARD). Abb. d) Zustand nach kompletter Implantation, e) Ergebnis der Plastik

Ebenfalls Bestrahlungsfolge bei frühkindlichem H ä m a n g i o m war der in Abb. 39 dargestellte keilförmige Unterlippendefekt, der mit lästiger Speichelinkontinenz einherging. Um hier unter allen U m s t ä n d e n Narben im Bereich der Unterlippe zu vermeiden, erschien die „spurlose" Auffüllung des Gewebedefektes mit Hilfe eines Rundstiels vom linken Oberarm als Methode der Wahl. Nach Ablösung der Mundschleimhaut im vestibulum oris u n t e r h a l b des Defektes u n d Verschiebung der Schleimhaut u n d Lippenmuskulatur in kranialer R i c h t u n g zum Defekt hin, wurde der vorbereitete Rundstiel in den freien Wundbezirk eingenäht (Abb. 39c). Das herangeführte Rundstielgewebe wurde nach Stieldurchtrennung so verteilt u n d reduziert, daß der narbenfreie Ausgleich des Keildefektes der Unterlippe möglich wurde (Abb. 39d). Wie wichtig es ist, sich über die Ausdehnung des strahlengeschädigten Gewebsbereiches sichere K e n n t n i s zu verschaffen u n d danach entsprechend radikal vorzugehen, lehrt der in Abb. 40 dargestellte Fall. Hier war nach zwei J a h r e n vorausgegangener radiologischer Intensivtherapie eines Spinaloms der Unterlippe mit einer Dosis von 14400 R / O ein dringend rezidivverdächtiges Ulkus im Lippenrotbereich aufgetreten. I n der H o f f n u n g , mit einem kleinen Eingriff auszukommen, wurde der verdächtige Bezirk in allen Schichten exzidiert und nach dem Buitowschen Prinzip ein völlig spannungsfreier Defektverschluß erzielt. Schon nach wenigen Tagen zerfiel das Lippengewebe im gesamten Nahtgebiet, so d a ß nach Abstoßung der Nekrose ein u n t r a g b a r e r keilförmiger Defekt mit außerordentlich lästiger Speichelinkontinenz resultierte (Abb. 40a). E r s t die Exzision der gesamten strahlengeschädigten Unterlippe u n d der Sofortersatz mit Hilfe des eigenen Verfahrens zum Ersatz totaler Unterlippendefekte (Abb. 4 0 b u n d 41) brachte einen Dauererfolg, der überzeugend belegt, wie entscheidend es ist, grundsätzlich alles strahlengeschädigte Gewebe kompromißlos zu entfernen.

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GL·· G R I M M ,

Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 39. a und b) Keilförmiger Unterlippendefekt nach Hämangiombestrahlung im Kindesalter, c) Nach Ablösung der Mundschleimhaut in der Tiefe des Vestibulum und Verschiebung in Richtung Lippenrot, Implantation des Rundstieles, d) Nach Auffüllung des Gewebsdefektes narbenfreier Ausgleich der Unterlippe

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Abb. 40. a) Mißlungene Unterlippenersatzplastik nach Teilresektion eines Spinaliomrezidivs im bestrahlten Bereich, b) Operationsplanung für den Totalersatz der gesamten strahlenbelasteten Unterlippe. c) Ergebnis der Lippenersatzplastik

Abb. 41. Technik des totalen Unterlippenersatzes mit Hilfe von Vollschichtlappen aus der Wangenregion (aus G R I M M , Zbl. Chir. 19ϋ(>)

46 I 17 G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich 3. Der plastische Ersatz bei radiogenen Knochenschäden

Grundsätzlich ist bei der Behandlung von Strahlenschäden die operative Problematik des Knochenersatzes nicht von der des Weichteilersatzes zu trennen. Denn nahezu immer ist ein strahlenbedingter Knochenverlust mit Zerstörung der darüberliegenden Weichteile verknüpft. Bei der infizierten Osteoradionekrose der Kiefer kommt den Weichgewebsdefekten sogar vordringliche Bedeutung zu, sind sie doch in den meisten Fällen perforierend, so daß im Bereich der Wangen und des Mundbodens mehr oder weniger ausgedehnte Verbindungen zwischen Mundhöhle und Außenwelt die Folge sind. Der Kranke ist hierdurch auf das schwerste funktionell und ästhetisch beeinträchtigt. Nahrungsaufnahme und Sprachlautbildung sind empfindlich gestört und durch anhaltenden Verlust des ohnehin spärlich fließenden Speichels trocknet die Mundhöhle zusätzlich aus. Auf der meist gleichzeitig strahlengeschädigten Haut unterhalb der Perforation lassen sich durch den ständigen Kontakt mit dem Speichel zur Superinfektion neigende Ekzeme oft nicht vermeiden. Nicht zuletzt ist der Patient durch diesen qualvollen Zustand weitgehend gesellschaftsunfähig und in seinem äußeren Erscheinungsbild entstellt. Es sind dies Gründe genug, um einen baldigen Defektschluß herbeizuführen. Die vielseitigen plastischen Verfahren, die uns hierbei zur Verfügung stehen, machen es uns auch leichter, bei der Resektion von tumorverdächtigen oder strahlengeschädigten Grenzzonen großzügig und radikal zu verfahren, zumal man immer wieder die Erfahrung machen muß, daß die Gewebsschädigung weiter geht, als man klinisch anzunehmen meint ( F R E I D E L e t a l . , H U N T U. BREIT,

WILFINGSEDER).

Leider ist das operativ-technisch Mögliche unter dieser Indikation häufig nicht identisch mit dem praktisch Durchführbaren; denn der oft sehr hinfällige Patient muß den Belastungen durch aufwendige rekonstruktive Maßnahmen gewachsen sein. Ferner setzt der plastische Defektverschluß voraus, daß die infektiöse Komplikation des Knochens und — davon abhängig — der Weichteile beseitigt ist. Außerdem muß das Operationsgebiet sicher tumorfrei sein. Um diese Voraussetzung möglichst bald erreichen zu können, sind wir—wi e G A B K Α und Z O L T Ä N — bei allen Weichteilkomplikationen strikte Verfechter des frühzeitig chirurgisch-aktiven Vorgehens bei der infizierten Osteoradionekrose der Kiefer. Ein Gewebsersatz durch abnehmbare Epithesen, wie er im Mittelgesichtsbereich in vielen Fällen durchaus möglich ist, läßt sich verständlicherweise im Bereich beweglicher und verschieblicher Weichgewebe nicht vornehmen, so daß uns nur die plastisch-rekonstruktive Lösung bleibt. Die Wahl des plastischen Verfahrens hat sich ganz der Forderung zu unterwerfen, den Defektverschluß auf kürzestem Wege zu erreichen. Leider verbietet sich meist die Verwendung von gestielten Nahlappen, die auch aus diesem Grunde am besten geeignet wären, vielfach deshalb, weil das benachbarte Terrain operativ oder strahlentherapeutisch vorgeschädigt ist. So läßt sich mit Hilfe von Rotations- oder Transpositionslappen das therapeutische Ziel nur bei relativ kleinen Defekten erreichen (Abb. 42). Die plastische Aufgabe wird ungleich schwieriger, wenn große Teile der Wange und der Mundspaltenumgebung zu rekonstruieren sind (Abb. 43). Besondere Sorgfalt ist hierbei auf die Schaffung einer völlig epithelisierten inneren und äußeren Lappenschicht zu verwenden. Unter dieser Indikation hat sich der doppelseitig epithelisierte Flachlappen vorzüglich bewährt, der im vorliegenden Fall am Rücken gebildet wurde und nach Verlängerung durch Rundstielbildung in den Defekt eingegliedert werden konnte. Es steht außer Frage, daß man Weichteildefekte auch unabhängig vom Alter des Patienten — wo immer nur möglich — plastisch verschließen soll. Diese Forderung kann für den Ersatz des verlorengegangenen Knochens nicht aufrecht erhalten werden, wenn auch

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

Abb. 42a—c. Infizierte Osteoradionekrose des rechten Unterkiefers nach Bestrahlung eines Tonsillenkarzinoms mit insgesamt 7500 R. Nach Entfernung des strahlengeschädigten Kieferabschnittes einschließlich der darüberliegenden Strahlen fibrose wurde der Hautdefekt durch Rotationsplastik vom dorsolateralen Halsgebiet geschlossen

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G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 43. a) Zustand nach Resektion einer kombinierten Weichteil-Knochennekrose mit Rezidiv eines strahlenresistenten Wangenkarzinoms, b) Ergebnis der Fernplastik mit doppelseitig epithelisierten Flachlappen vom Rücken 3 J a h r e nach Behandlungsabschluß

grundsätzlich eine osteoplastische Wiederherstellung im strahlengeschädigten Weichteillager möglich ist, wie es neben der klinischen Erfahrung (GABKA) das Tierexperiment bestätigt (COOLEY u. Goss). Trotz bestehender tragbarer Voraussetzung verfügen die Patienten nach Überstehen ihres Tumorleidens und des davon abhängigen Therapieschadens nur in wenigen Fällen noch über die physische und psychische Kraft, sich erneuten Operationen zu unterziehen, die unter Umständen einen längeren Klinikaufenthalt nochmals erforderlich machen. Dabei gilt zu berücksichtigen, da die erfolgreiche Einheilung eines Knochentransplantates ein gut durchblutetes Weichteilbett voraussetzt, das meist nicht mehr vorhanden ist. Durch eine in Schrumpfung übergehende Weichteilfibrose sowie den ausgedehnten Einschmelzungsprozeß ist in der Regel so viel an Weichgewebe verlorengegangen (Abb. 44); daß erst durch eine zeitlich aufwendige Ersatzplastik das unumgänglich notwendige Aufnahmelager für den knöchernen Ersatz hergestellt werden muß. Wir sind trotzdem nicht der von MILLER vertretenen Ansicht, daß man den plastischen Ersatz eines radiogenen Knochendefektes erst nach einem mehrjährigen Intervall vornehmen darf. Selbstverständlich ist bei begründeter Rezidivgefahr Zurückhaltung geboten. Im allgemeinen wird man aber die Osteoplastik ein halbes Jahr nach sicherem Abklingen des infektiösen Prozesses vornehmen können. Die Abschirmung durch ein Breitbandantibiotikum, die wir bei jeder Osteoplastik vornehmen, hat hier ihre ganz besondere Berechtigung. Sie wird 24 Stunden vor der Operation eingeleitet und bis zur Verheilung der Weichgewebsdeckschicht — im allgemeinen über 8 bis 1 0 Tage — aufrechterhalten. GABKA

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Abb. 44. Subtotaler Verlust des Unterkieferkörpers durch infizierte Osteoradionekrose von 45 bis 38 nach Strahlenbehandlung eines rechtsseitigen Zungenkarzinoms

empfiehlt in bestimmten Fällen sogar die primäre — in einer Sitzung durchzuführende Osteoplastik, wobei er Beckenkammspongiosa verwendet (vgl. G A B K A U. SCHLEGEL, Knochenplastiken im Gesichtsbereich, Bd. II). Als osteoplastisches Material kommt unter dieser Indikation nur lebend übertragenes frisches autogenes Gewebe in Frage. Wir bevorzugen den autogenen Span vom Beckenkamm, der sich nach den ausgedehnten Erfahrungen R E I C H E N B A C H S in unserer Klinik hervorragend bewährt hat. Eine Fixierung des Transplantates mittels feiner Drahtnähte (0,4—0,5 mm 0 ) einer korrisionssicheren Edelstahllegierung wird von den bedingt strahlengeschädigten Knochen an der Anlagerungsstelle toleriert (Abb. 45). Besonders sorgfältig

a

b

Abb. 45. a) Infizierte Osteoradionekrose im linken Molaren- und Prämolarenbereich des Unterkiefers 2 Monate vor E i n t r i t t der Spontanfraktur, b) Unterkieferlateralaufnahme in gleicher Projektionsrichtung 11 Monate nach osteoplastischer Überbrückung des Operationsdefektes durch

Beckenkamm-

transplantat Handb. Plast. Chir., Bd. II

233

50 [ 17 G·. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich ist bei der Operation auf allseitigen innigen Weichteilkontakt des Transplantates zu achten, u m der E n t s t e h u n g von H ä m a t o m e n vorzubeugen u n d den baldigen Anschluß des Transplantates an die E r n ä h r u n g zu sichern. Auch wenn kein perforierender Weichteildefekt vorgelegen h a t , sind oft die Weichteile, die das T r a n s p l a n t a t a u f n e h m e n sollen, durch den Bestrahlungseffekt d e r a r t atrophisch, d a ß sich die Anlagerung von gut durchbluteten Gewebe nicht umgehen läßt (IVY, KiEHN u. GLOVER). Wegen des kürzesten Transportweges ist hierfür der akromiopektorale Rundstiellappen besonders geeignet. Bei B R O M B E R G . W A L D E N U. R U B I N finden wir zwar den Hinweis, d a ß freie Knochent r a n s p l a n t a t e im Rundstielgewebe außerordentlich schlecht — wenn ü b e r h a u p t — einheilen. Dieser Meinung können wir uns auf G r u n d unserer E r f a h r u n g e n nicht vorbehaltlos anschließen, wenn m a n auch f ü r den Einzelfall berücksichtigen muß, d a ß selbst nach H e r a n f ü h r u n g von Rundstielgewebe im strahlenbelasteten Terrain die Einheilungsbedingungen ungünstiger sein müssen als im unbestrahlten Gewebe. Von Bedeutung ist natürlich auch die Größe des Transplantates, wobei die Regel gilt, d a ß die Einheilungschancen um so günstiger liegen, je kleiner das K n o c h e n t r a n s p l a n t a t ist. D a ß auch strahlenbelasteter Knochen zu vitalen Äußerungen in der Lage ist, wenn nur die Infektion während der Einheilungsphase in Schach gehalten werden kann, lehrt der in Abb. 46 dargestellte R ö n t g e n b e f u n d . N a c h d e m in diesem Falle ein freies T r a n s p l a n t a t zunächst nicht zur Einheilung gebracht werden konnte u n d der P a t i e n t i n eine nochmalige K n o c h e n e n t n a h m e a m Beckenkamm erspart werden sollte, f ü h r t e n wir die Verschiebeplastik nach P I C H L E R durch. Es wurde also in diesem Falle vom R a n d des Unterkieferkörpers ein Knochenstück in der Weise abgetrennt, das es — gestielt an den hinteren Anteilen des M. mylohyoideus — zur Überbrückung des Defektes nach dorsal verschoben werden konnte (Abb. 46a). Obgleich es sich bei diesem T r a n s p l a n t a t ebenfalls u m erheblich strahlenbelastetes Knochengewebe handelte, k a m es zur einwandfreien Konsolidierung der radiogenen D e f e k t f r a k t u r (Abb. 46b). Der Unterkiefer war in diesem Bereich m i t einer

a

b

Abb. 46. a) Unterkieferlateralaufnahme 2 Wochen nach Überbrückung eines radiogenen Unterkieferdefektes durch Verschiebeplastik (PICHLER) am rechten Kieferwinkel, b) Röntgenkontrolle 5 Jahre später zeigt einwandfreie osteoplastische Stabilisierung des Unterkiefers im rechten Kieferwinkelbereich Oberflächendosis von insgesamt 6500 R über zwi 8 X 10 Felder belastet worden. Dennoch ist die regeneratorische Potenz des geschädigten Knochens erstaunlich u n d zugleich ein Beleg f ü r die noch mögliche Proliferationsfähigkeit des Gefäßsystems, welches Organisationsprozesse u n d reparative Vorgänge m i t ausreichender Kallusbildung in diesem Stadium zu induzieren vermag.

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Im Bereich des übrigen Gesichtsschädels ist die Frage des osteoplastischen Ersatzes von untergeordneter Bedeutung. In der Regel wird man sich damit begnügen, die Radionekrose des Knochens bis an die Grenze zum sichtbar durchbluteten Knochengewebe abzutragen und nach Exzision des umgebenden infizierten Weichgewebsbezirkes die plastische Deckung durch gestieltes, funktionell hochwertiges Gewebe vorzunehmen (Abb. 47).

Abb. 47 a—c. Radionekrose von Gesichtshaut und Knochen über der Nasenwurzel nach wiederholter Strahlentherapie eines Basalioms. Der Defekt wurde nach Abtragung des strahlengeschädigten Knochen- und Hautbezirks durch Transpositionslappen von der Stirn gedeckt

2.'i:s*

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G.

GRIMM,

Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Anders verhält es sich mit den Osteoradionekrosen im Bereich des Schädeldaches. Daß radiogene Knochenschädigungen der Schädelknochen so relativ selten mitgeteilt werden, dürfte sicher mit der meist nur geringfügigen oder fehlenden Symptomatik in Zusammenhang stehen — vorausgesetzt, daß die darüberliegenden Weichteile unversehrt bleiben (CAMP U. MORETON, KOLÄR, BABICKV U. VRABEC). Kommt es aber zu tiefgehenden Ulzerationen der bedeckenden Weichteile und im Gefolge zu eitrigen Knochenkomplikationen, so sind tödliche Ausgänge nichts Ungewöhnliches (HAUBRICH U. BREUER, KOLÄR, BABICKV U. VRABEC). Letztere verweisen bei diesen Fällen besonders auf die zum Teil unüberwindlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der plastischen Versorgung im infizierten Milieu. DALAND macht mit Nachdruck darauf aufmerksam, daß die „Strahlenostitis" nicht das gleiche Problem wie die banale eitrige Osteomyelitis darstellt. Bei letzterer ist die Destruktion gewöhnlich auf die Tabula externa begrenzt. Wartet man eine angemessene Zeit ab, so kann die periostentblößte Tabula externa sich abgrenzen und abstoßen bzw. mit dem Meißel entfernt werden. Die Diploe verfügt über so ausreichende Blutversorgung, um in kurzer Zeit reichlich Granulation aufschießen zu lassen, die den spontanen Verschluß des Defektes einleiten. Anders ist das bei den Strahlennekrosen des Schädeldaches. Der mortifizierte Knochen zeigt sich völlig reaktionslos (Abb. 48a) und die Nekrose durchsetzt alle Schichten, so daß eine Abtrennung der Tabula externa unsinnig und unmöglich ist. Der Versuch durch Ansetzen von Bohrlöchern eine Blutung aus den Diploeräumen mit nachfolgender Granulationsbildung zu provozieren kann nur zum beschleunigten Zerfall und fortschreitender infizierter Radionekrose mit all ihren Gefahren führen (DALAND).

Abb. 48. a) Wie ausgestanzt erscheinender Weichgewebsdefekt über der rechten Stirn-Scheitelbeinregion mit Osteoradionekrose der gleichen Ausdehnung nach Oberflächentherapie unbekannter Dosis ( C H A O U L ) eines Basalioms, b) Zustand nach Resektion des strahlengeschädigten Knochens und osteoplastischen Ersatz sowie Rekonstruktion der Weichteile nach dem in Abb. 49 gezeigten Prinzip

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Es ergibt sich somit für den Operateur die zwingende Aufgabe, nicht nur die Knochennekrose restlos zu beseitigen, sondern darüber hinaus die plastische Versorgung eines Defektes des Schädeldaches von vornherein in den Operationsplan mit einzubeziehen, d. h. die offene Schädelwunde zu einer geschlossenen zu machen. Dazu bedarf es, wie G A B K A , SCHEUNEMANN U. a. gezeigt haben, nicht unbedingt des osteoplastischen Ersatzes der Knochenlücke. Insbesondere wenn noch Tumorgewebe mit der Radionekrose zu entfernen war, wird man sich mit der breitflächigen Abdeckung einer resultierenden Hirnwunde mittels eines gut durchbluteten Skalplappens begnügen. Auch wenn Anteile der Hirnhäute mit beseitigt werden mußten, ist eine solche Form der unmittelbaren Abdeckung erfolgreich ( S C H E U N E M A N N ) . Wo immer angängig sollte man nach unserer Meinung auch die Wiederherstellung des Kalottendefektes anstreben. Dies kann besonders für den Bereich in der Nähe der Stirnhöhle von großer Bedeutung sein. R E E S weist darauf hin, daß hier die Gefahr der aufsteigenden Infektion über den Ductus nasofrontalis droht, wenn eine Defektverbindung zur Stirnhöhle vorliegt. Es sei aus diesem Grunde nur das autogene Knochengewebe für die modellierende Defektauffüllung geeignet. Besonders gern wird hierfür Beckenkamm verwendet, aus dem sich eine abdeckende Kompaktplatte gewinnen läßt, während die tiefer liegenden Hohlräume mittels Kompaktastückchen (bone chips) aufgefüllt werden ( B L O C K E R u . W E I S S , CROUCH U. M A R K , G A B K A , K I E H N U. G R I N O , M C C L I N T O K U. D I N G M A N , MOWLEM).

Das bedeutet, daß nach Ausräumung des Sinus frontalis — auch seiner Schleimhaut — diese vorgebildete Knochenhöhle mit aufgefüllt wird (REES). In erster Linie gilt dies natürlich für traumatisch bedingte Defekte, die wesentlich häufiger sind. Bei radiogenen Knochendefekten ist die Situation nicht anders, nur ist hier die Forderung nach vitalem autoplastischen Transplantatmaterial absolut zu erfüllen. Liegt somit die Art des Gewebsersatzes außer Frage, so sollte man nach Möglichkeit bemüht sein, eine weitere Wunde für die Gewinnung des autogenen Knochenmaterials zu vermeiden. Als sehr brauchbar hat es sich uns erwiesen, in solchen Fällen das osteoplastische Material aus der benachbarten Schädelkalotte zu entnehmen, aus einem Bereich, der nach der Weichteilplastik vom Skalplappen sicher mit abgedeckt wird (Abb. 49). Wie in Abb. 49 dargestellt ist, entnimmt man ein der Größe des knöchernen Defektes entsprechendes Stück aus der Tabula externa, an dem unter allen Umständen das Periost verbleibt. Nach begrenzendem Umbohren des Transplantatumfangs wird der Kompaktdeckel vorsichtig mit einem breitflächigen Meißel abgetragen. Das in Verbindung belassene Periost sorgt dafür, daß nach möglichem Einbrechen der Kompakta die Knochenteile zusammengehalten werden. Dieses KompaktaPeriost-Transplantat wird in den Defekt eingefügt und mittels Periostnähten fixiert (Abb. 49). Es ist hervorzuheben, daß sich ein solches Transplantat durch seine gewölbte Form hervorragend den anatomischen Bedingungen anpaßt. Unsere Erfahrungen an 3 Fällen belegen, daß diese Form der Osteoplastik im strahlengeschädigten Bereich des Schädeldaches sehr erfolgreich eingesetzt werden kann, wobei die regenerative Tendenz der Dura, die der des Periostes nicht nachstehen soll ( E R T L ) , ZU kalkulieren ist (Abb. 48 bis 51). Sehr entscheidend für den Erfolg einer solchen Plastik ist die breite Abdeckung mittels Skalplappens, der für eine rasche und gute Vaskularisierung sorgt. Der Lappenentnahmedefekt kann entweder mit Spalthaut abgedeckt werden, oder aber — je nach Form und Größe — durch Skalprotation geschlossen werden (Abb. 50 und 51). Zu berücksichtigen gilt hierbei, daß die Skalprotation das aufwendigere und belastendere Verfahren darstellt, das allerdings den Vorteil bietet, daß die Wiederherstellung einer geschlossenen Haardecke möglich ist. Weitere Ausführungen über Osteoplastiken im Gesichts- und Schädelbereich finden wir im Handbuchartikel: G A B K A U. S C H L E G E L , Knochen'plastiken im Gesichtsbereich, Bd. I I .

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G. GRIMM, Die plastisch-chirurgische Versorgung von Strahlenfolgen im Kopf-Hals-Bereich

Abb. 49. Schematische Darstellung der osteoplastischen Rekonstruktion eines totalen kreisförmigen Hirnschädeldefektes mit Hilfe eines autogenen Transplantates aus der Schädelkalotte, das aus Tabula externa mit dem bedeckenden Periost besteht. Das Periost hält bei der Entnahme mit dem Meißel etwa einbrechende Kompakta zusammen und wird außerhalb der Peripherie des Defektes mit dem Schädelperiost durch Naht fixiert. Abdeckung des Operationsgebietes mit einem breitbasig angelegten Transpositionslappen, dessen Entnahmedefekt durch Spalthaut verschlossen wird

Abb. 50. a) 5. Rezidiv eines wiederholt bestrahlten Basalioms in der Stirn-Scheitelbeinregion. Zustand nach radiogenem Knochendefekt an der Stirn mit Verwachsung von Strahlenhaut und Dura mater. b) Zustand nach Radikaloperation des Tumorrezidivs, Duraplastik, osteoplastischem Verschluß der Knochenlücke wie in Abbildung 49 und Weichteilplastik gemäß dem Schema Abbildung 51

Die chirurgische Behandlung von Strahlenschäden und plastische Defektdeckung

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Abb. 51. Schematische Darstellung des Knochen- und Weichteildefektes nach Resektion sowie des Prinzips der Weichteilplastik mit Hilfe von Dehnungs- und Verschiebelappen. Der Sekundärdefekt wurde durch Skalprotationsplastik verschlossen

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Berichtigung zu Seite 21: Der untere Teil der Abbildung 19 und der obere Teil der Abbildung 20 stehen vertauscht!

HANDBUCH DER PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E. Gohrbandt · J. Gabka · A. B e e n d o r f b b BAND II S P E Z I E I L E PLASTISCHE CHIRURGIE

19. Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels R . S t e l l m a c h , Berlin

Inhaltsübersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

A. Allgemeines über Hämangiome der Knochen 1. Häufigkeit und Verteilung 2. Histologie 3. Histogenese 4. Diagnose und Differentialdiagnose a) Klinische Gesichtspunkte . . . . b) Röntgenologische Gesichtspunkte B. Die Behandlung der Knochenhämangiome 1. Chirurgische Therapie a) Indikation b) Operationsvorbereitung c) Operationsverfahren d) Blutstillung 2. Strahlentherapie a) Indikation b) Wirkungsmechanismus c) Methoden der Radiotherapie . . . 3. Kombinierte Chirurgische - und Strahlen Therapie 4. Sonstige Therapiemöglichkeiten . . . C. Klinik der Hämangiome des Gesichtsskelettes

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Dr. med. Rudolf Stellmach Direktor der Universitätsklinik für Kieferund plastische Gesichtschirurgie der FU Berlin Klinikum Steglitz 1000 Berlin

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Alters- und Geschlechtsverteilung . . Lokalisation im Gesichtsschädel . . . Auftretende Symptome Darstellung im Röntgenbild Angiographie Diagnosestellung Histologie Behandlungsverfahren a) Chirurgische Therapie b) Strahlentherapie c) Kombinierte Chirurgische- und Strahlen-Therapie 9. Letalität 10. Ausgewählte Fallberichte

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D. Diskussion 1. Diagnose 2. Therapie 3. Prognose

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Έ. Zusammenfassung

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Literatur

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19. Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels R.

STELLMACH

A. Allgemeines über Hämangiome der Knochen 1. Häufigkeit und Verteilung Hämangiome werden in den Knochen viel seltener beobachtet als in den Weichteilen. Da anscheinend nur ein kleiner Teil von ihnen klinische Symptome hervorruft, bedeutet dies jedoch nicht notwendigerweise, daß sie nur gelegentlich vorkommen. T Ö P F E R hat bei systematischer Untersuchung von 2154 Leichen in 257 Fällen Angiome in der Wirbelsäule gefunden ( 1 1 , 9 3 % ) , die alle symptomlos geblieben waren. B U C Y vermutet aus diesem Grund, daß bei sorgfältiger Untersuchung anderer Knochen eine entsprechende Frequenz wie in den Wirbelsäulen festgestellt werden könnte. Nächst den Wirbelkörpern treten die Knochenhämangiome in den Schädelknochen am häufigsten auf. Der Rest verteilt sich auf die übrigen Knochen. In den Kiefer- und Gesichtsknochen sind sie sehr selten. 2. Histologie Das histologische Bild der Knochenhämangiome entspricht dem der übrigen Hämangiome. Ihre histologische Besonderheit liegt im Knochenverhalten. Allen ossären Hämangiomen gemeinsam ist eine Destruktion des befallenen Knochens. Es findet jedoch in verschiedenem Ausmaß auch eine Knochenneubildung statt. Über die Beziehung dieser Knochenneubildung zum neoplastischen Prozeß bestehen unterschiedliche Meinungen. B U C Y und C A P P sehen im Knochenab- und -anbau nur sekundäre, reaktive Ereignisse. H E R Z O G dagegen hält die Knochenneubildung nicht nur für Stromagewebe des Tumors, sondern er führt sie darauf zurück, daß das primär gewucherte Geschwulstgewebe neben der Anlage zur Hämangiomentwicklung noch eine osteogenetische Potenz in sich trägt. Sie kann von Fall zu Fall verschieden stark ausgeprägt sein. 3. Histogenese In der amerikanischen Literatur wird entsprechend dem Ursprungsort in zentrale und periphere bzw. periostale Formen unterteilt. Vorherrschend ist die zentrale Form. H E R Z O G vermutet demgegenüber ausschließlich einen periostalen Entstehungsmodus. Seiner Ansicht nach entstehen die Knochenhämangiome aus primär indifferenten, genetisch mit der Periostschicht zusammenhängenden Geschwulstwucherungen. Die Knochendestruktion erfolgt entweder als Knochenabbau durch Osteoklasten oder durch Nekrose ( B E N J A M I N S ) . Direkter Knochenabbau durch Nekrose erfolgt nach H O L M E S , sobald die kavernösen Bluträume sich so stark erweitert haben, daß jedes Bindegewebe zwischen Gefäß und Knochen geschwunden ist. Die Knochenneubildung erfolgt entweder durch die Tätigkeit der Osteoblasten oder durch Umwandlung von Faserknorpel ( B U C Y ) . Handb. Plast. Chir., Bd. II

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R . STELLMACH, D i e K n o c h e n h ä m a n g i o m e d e s G e s i c h t s s c h ä d e l s

Das Ergebnis des gleichzeitigen Knochenabbaus und der Knochenneubildung ist eine Auflockerung der Knochenstruktur mit Entstehung grober Knochenbälkchen. Sie verlaufen meist senkrecht zur Oberfläche des befallenen Knochens, oder sie zeigen eine radiäre Strukturierung. Die Kortikalis des befallenen Knochens wird nach A N S P A C H nicht in einzelne Teile aufgelöst, sondern das Hämangiom ersetzt sie langsam und allmählich. H I T Z R O T nahm an, daß die Knochenhämangiome in enger Nachbarschaft zu den Epiphysenlinien und den anderen Ossifikationszentren sowie in der Nähe der Schädelnähte entstehen. Spätere Autoren haben diese Feststellungen bestätigt ( L E T Z E L U. a.).

4. Diagnose und Differentialdiagnose a) Klinische Gesichtspunkte Die Symptome der Knochenhämangiome sind wenig charakteristisch und treten erst in verhältnismäßig späten Stadien der Erkrankung in Erscheinung. Gewöhnlich ist eine harte, nicht druckschmerzhafte Knochenauftreibung festzustellen. Die Oberfläche ist meist unverändert. Die Fälle, bei denen die angiomatöse Natur deutlich zutage tritt, sind selten. Gelegentlich ist das Zentrum der Auf treibung im Knochen weich und pulsiert (BUCY). Ist es zu arterio-venösen Kurzschlüssen gekommen, kann man kompensatorische, unter Umständen pulsierende Venenerweiterungen feststellen. I n solchen Fällen ist auch ein Schwirren auffällig und sind Geräusche bei der Auskultation zu bemerken. Das Auftreten anderer Hämangiome kann bei der Diagnose unterstützend wirken. Wenn die Weichteilbedeckung über einem fraglichen Knochenprozeß angiomatös verändert ist, liegt der Verdacht nahe, daß auch innerhalb des Knochens ein Hämangiom vorliegt ( R E H R M A N N ) . Schmerzen werden nur selten angegeben. Sie sind bei Hämangiomen in Gelenknähe häufiger und dann meist mit Funktionsbehinderungen verbunden. Aufgrund der besonderen Verhältnisse in den Kieferknochen treten hier zusätzlich charakteristische Symptome auf, die den Verdacht auf das Vorliegen eines Hämangioms lenken. Es sind dies rezidivierende Blutungen aus der Gingiva und Zahnlockerungen in dem befallenen Kieferabschnitt. Nach der Extraktion eines gelockerten Zahnes kommt es zu einer stark spritzenden Blutung ebenso wie bei einer Probeexzision. Auch Nasenbluten ist ein Leitsymptom bei Hämangiomen des Oberkiefers. Manchmal kommt es zu vorzeitigem Ausfall der Milchzähne und vorzeitigem Durchbruch der bleibenden Zähne ( L A D O W ) . Da die klinischen Symptome der Knochenhämangiome nicht spezifisch und pathognomonisch sind, müssen differentialdiagnostisch alle harten Knochenauftreibungen berücksichtigt werden. I n Frage kommen Osteome, Chondrome, Fibrome, ossifizierende Fibrome, zentrale Riesenzellgeschwülste, Ameloblastome, Meningeome, die auf das Schädeldach übergegriffen haben, Zysten, traumatische Zysten, aneurysmatische Knochenzysten ( L I C H T E N S T E I N ) , osteoplastische Sarkome, EwiNG-Sarkome, Karzinom-Metastasen, Metastasen der Neuroblastome des Sympathikus ( K L E I N S A S S E R ) und die fibröse Knochendystrophie (RECKLINGHAUSEN) .

b) Röntgenologische Gesichtspunkte Die besondere Bedeutung der Röntgenologie im Hinblick auf Knochenhämangiome liegt darin, daß hierdurch eine frühzeitige Entdeckung der Geschwulst möglich wird, bevor es zu weitgehender Zerstörung des Knochens gekommen ist. Die Therapie wird dadurch wesentlich erleichtert. Eine Reihe von Hämangiomen sind nur zufällig bei routinemäßigen Untersuchungen entdeckt worden, ohne daß äußere Symptome bestanden hätten ( L U N D u n d DAHLIN, LINDSAY).

Allgemeines über H ä m a n g i o m e der K n o c h e n

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Beim Unterkiefer wird allgemein die extraorale Halbseitenaufnahme und die Panoramaaufnahme durchgeführt. Die Feinstruktur des Knochens wird jedoch durch eine Zahnfilmaufnahme mit isometrischer Abbildung besser dargestellt. Knochenauftreibungen, die zur Verdickung des Unterkiefers führen, werden auf okklusalen Aufnahmen besonders deutlich. Der Oberkiefer wird in sagittaler, lateraler oder schräglateraler Projektion des Schädels aufgenommen. Die Beurteilung wird hier durch die nasalen und paranasalen Hohlräume und die hineinprojizierten kranialen Strukturen erschwert (SMITH). Die Zahnfilmaufnahme bringt im Bereiche des Alveolarfortsatzes ein detailreicheres Bild, jedoch sind Oberkieferhämangiome am Beginn des Tumorwachstums wegen der lockeren Struktur der Spongiosa schwer erkennbar. Hämangiome der Nasenbeine und des Jochbeins sowie der Schädelknochen werden am besten in tangentialem Strahlengang abgebildet. S E E L A empfiehlt Tomogramme zur besseren Darstellung tiefer gelegener Hämangiome. Von großer Wichtigkeit ist die Zuhilfenahme von Kontrastmitteln. Sie können durch Angiographie der A. carotis externa (SCHEUNEMANN und S C H R U D D E , B R A U N ) , durch Herzkatheterisierung ( S H I R A und G U E R N S E Y ) oder durch direkte Injektion in den Tumor ( D E C H A U M E ) angewendet werden. Die angiographische Darstellung von Knochenhämangiomen gibt Aufschluß über die Ausdehnung des Prozesses und über die Verbindungen mit dem Gefäßsystem. H I T Z R O T veröffentlichte 1 9 1 7 das erste Röntgenbild eines Knochenhämangioms. Die erste Serie von Röntgenbildern, bei der bereits verschiedene Typen unterschieden werden konnten, wurde von B U C Y und C A P P veröffentlicht. Die Autoren nahmen an, daß die im Röntgenbild zu unterscheidenden Hämangiomtypen an eine bestimmte Form des Knochens gebunden sind. Nach B U C Y und C A P P tritt der eine Typ in den flachen Knochen, der andere in den langen Röhrenknochen auf. K O L J U unterscheidet außerdem zwei weitere Typen, die in den Wirbelkörpern und in den kleinen Knochen der Extremitäten vorkommen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß diese Zuordnung nicht zwingend ist und daß sie sich besonders auf die Kieferknochen nicht anwenden läßt. In vielen Fällen wurden außerdem gänzlich uncharakteristische röntgenologische Erscheinungsformen beobachtet. Typische Röntgenzeichen: Das am meisten charakteristische, wenn auch nicht das häufigste Bild wird in den flachen Knochen angetroffen, zu denen auch die Schädelknochen und die Kiefer zu rechnen sind. In einem Gebiet mit veränderter Röntgendurchlässigkeit sind die Knochenbälkchen in der Zahl vermindert, aber im einzelnen verdickt und strahlen von einem Zentrum nach allen Seiten aus. W O R T H vergleicht diese Struktur mit den Speichen eines Rades, G O S S E R E Z mit der Form eines Seeigels. Die Grenzen zum gesunden Knochen können mehr oder weniger deutlich sein. Besteht eine Knochenauftreibung, so fehlt die Kortikalis. Das Periost ist jedoch nicht durchbrochen, und eine dünne periostale Knochenlamelle ist meist sichtbar. In der amerikanischen Literatur wird diese Erscheinungsform als „sunray" bzw. „sunburst-appearance" bezeichnet. In den Wirbelkörpern ist diese Erscheinungsform dahingehend abgeändert, daß die verdickten Knochenbälkchen vertikal parallel zueinander verlaufen. Das häufigste, gleichwohl uncharakteristische Erscheinungsbild besteht in multilokularen Aufhellungen, wobei die Kortikalis durch Auftreibung des Knochens papierdünn werden kann. Ein feines Fachwerk faseriger Linien ist innerhalb der veränderten Struktur sichtbar ( B U C Y und C A P P ) . In der amerikanischen Literatur wird dieses Bild mit „soapbubble" oder „honeycomb effect" beschrieben. K O L J U beobachtete in den kleinen Extremitätenknochen multiple Aufhellungen von geringer Größe und rundlicher Form bei sonst wenig veränderter Knochenstruktur. GES C H I C K T E R und M A S E R I T Z sahen diese kleinen runden Transparenzen, die sie als ,, punched 179·

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I

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R · S T E L L M A C H , Die K n o c h e n h ä m a n g i o m e des Gesichtsschädels

out areas" bezeichnen, am Rande eines Hämangioms von multilokularem Typ und deuten sie als Zeichen besonders aktiven Wachstums. Nach W O R T H sind sie typisch für diffuse Hämangiome. Wir möchten darauf hinweisen, daß diese vier Erscheinungsformen auch zusammen auftreten können. Möglicherweise hängt die Art der Abbildung von der Projektionsrichtung der Röntgenstrahlen ab. Hierfür spricht die Feststellung von L A C H A R D , der bei schräglateraler Aufnahme und bei der Aufbißaufnahme desselben Unterkieferhämangioms differente Röntgenabbildungen gefunden hat. Viele Autoren konnten nur lediglich undeutliche Transparenzen beobachten ( L U N D und D A H L I N ) . Daneben traten völlig unterschiedliche Röntgenzeichen auf, die Erosion der Kortikalis, Zahnwurzelresorptionen, Verlust der lamina dura sowie auch die Erweiterung des Mandibularkanals oder die Aufhebung seiner Konturen. Phlebolithen sind im Knochen zwar selten, nach W O R T H aber für ein Hämangiom signifikante Röntgenzeichen. Im Oberkiefer kommt es bei fortschreitendem Hämangiombefall zu uncharakteristischen Verschattungen der Nebenhöhlen. Röntgenologische Differentialdiagnose: Einige Autoren sehen das Röntgenbild für charakteristisch und ausreichend für die Diagnosestellung an ( H E R R M A N N , H E L L N E R , K O L J X J , S E E L A , SCHINZ und U E H L I N G E R , Z I P P E L ) . Die meisten halten jedoch das Röntgenbild für zu vieldeutig. S H A R P , B U L L O C K und H A Z L E T ziehen für die Differentialdiagnose alle zentralen radioluzenten Defekte in Betracht. Es sind aber auch radio-opake Läsionen zu berücksichtigen, wie Osteome oder osteoplastische Sarkome. Die strahlenartige Struktur des ,,sunray"-Röntgentyps kommt auch bei Osteomen vor, wenn auch bei diesen eine stärkere Opazität vorherrscht. Sie wird ebenfalls bei osteoplastischen Sarkomen, bei Meningeomen, bei EwiNG-Sarkomen und bei Metastasen der Neuroblastome des Sympathicus ( K L E I N S A S S E R und A L B R E C H T ) beobachtet. Bei den Hämangiomen vom ,,soap-bubble"-Röntgentyp ist eine Unterscheidung von anderen Prozessen mit lokulären Aufhellungen wie Zysten verschiedener Herkunft, Ameloblastomen, zentralen Riesenzellengeschwülsten, Epidermoiden ( S H E R M A N ) und aneurysmatischen Knochenzysten oft nicht möglich. Besonders die aneurysmatische Knochenzyste wird häufig mit einem Knochenhämangiom verwechselt ( L I C H T E N S T E I N , S H K L A R und M E Y E R , BHASKAR, SHKLAR, SHIRA u n d

GUERNSEY).

Der ,,punched-out"-Röntgentyp ist sehr charakteristisch für das Hämangiom, sofern er deutlich ausgeprägt angetroffen wird. In manchen Fällen ist aus dem anamnestischen, klinischen und röntgenologischen Befund eine Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich ( R E H R M A N N , S H I R A und G U E R N S E Y ) ; zumeist ist jedoch eine histologische Untersuchung notwendig, um die Diagnose zu sichern. Histologische Gesichtspunkte: Wie bei allen Tumoren ist es wünschenswert, eine histologische Bestimmung durchzuführen, um die Natur des fraglichen Prozesses zu klären. Als Minimalforderung würde sich hieraus eine Schnellschnittuntersuchung intra operationem ergeben. Die Biopsie wird von verschiedenen Autoren verworfen, da sie wegen der großen Blutungsgefahr ein untragbares Risiko darstellt. C E R N E A hält das Risiko quoad vitam bei der Biopsie eines Hämangioms für ebenso groß, wie bei einem Melanom, so daß seine Feststellung einer Kontraindikation gleichkommt. D E C H A U M E und Mitarbeiter fordern beim Verdacht auf ein Hämangiom für die Biopsie ebenso umfassende Operationsvorbereitungen wie für die Tumoroperation. Da nach ihrer Ansicht die vaskuläre Natur des Prozesses bereits bei der chirurgischen Exploration erkennbar wird und das Blutungsrisiko bei dem Angehen eines Knochenhämangioms zur Probeentnahme erheblich größer ist als bei einer therapeutischen Blockresektion, halten sie den Wert der präoperativen Probeexzision für fraglich.

Die Behandlung der K n o c h e n h ä m a n g i o m e

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W E I N S T E I N empfiehlt eine Nadel-Biopsie, bevor eine Probeexzision vorgenommen wird, um die zu erwartende Blutungsstärke festzustellen. Intra operationem bleibt wegen der heftigen Blutung oft keine Zeit, um das Ergebnis der histologischen Untersuchung abzuwarten. Die meisten Autoren halten trotz der Schwierigkeiten ihrer Ausführung die Probeexzision vor der Operation zur exakten Diagnosestellung für unumgänglich notwendig ( M A R I E und B A R E T Y , S H A R P , A B E L , H O L M E S , B L O O M ) . Dieses Vorgehen kam in den meisten Fällen, die in der neueren Literatur beschrieben worden sind, zur Anwendung. Wir selbst teilen diesen Standpunkt, sind aber der Auffassung, daß unmittelbar zur Tumoroperation übergegangen werden sollte, wenn die Operationsblutung nach der Probeentnahme sehr massiv und schwer zu stillen ist. Auf alle Fälle muß gefordert werden, daß zumindest die histologische Untersuchung des Operationspräparates vorgenommen wird, um die Diagnose einwandfrei abzuklären, falls die präoperative Histologie nicht möglich war oder unterblieben ist. Histologische Besonderheiten der Knochenhämangiome: Ebenso wie in den Weichteilen sind die Hämangiome der Knochen meist kavernöser Natur. Kapilläre und raze.möse Formen sind selten beobachtet worden. Eingehende histologische Beschreibungen finden wir bei B U C Y , K E L E M E N und H O L M E S . T H O M A unterscheidet histologisch abgekapselte und diffuse Formen. Wie im Röntgenbild sind auch unter dem Mikroskop zumeist grobe Knochenbälkchen zu sehen mit Zeichen für Knochenan- und -abbau. Besteht eine starke Knochenneubildung, so spricht T H O M A von Osteo-Angiomen. Besonders zu beachten ist die beim Hämangiom immer vorhandene Endothelauskleidung. In manchen Fällen ist sie das einzige Zeichen, an dem man ein Hämangiom von einer aneurysmatischen Knochenzyste unterscheiden kann. Verbindung mit anderen Tumoren: W I L L I S weist auf die Tatsache hin, daß alle Tumoren auf eine Gefäßversorgung angewiesen sind und diese ein erhebliches Ausmaß annehmen kann. Ein Tumor mit starker Ausbildung des Gefäßstromas kann leicht als Angiom fehlgedeutet werden. In diesem Zusammenhang sind die sogenannten Hämangio-Ameloblastome besonders hervorzuheben ( K Ü H N , A I S E N B E R G , V I L L A ) . Diese stellen jedoch nach S H K L A R und M E Y E R ebenso wie die sogenannten Hämangio-Papillome lediglich Ameloblastome bzw. Papillome mit starker vaskulärer Komponente dar.

B. Die Behandlung der Knochenhämangiome Das Ziel der Therapie ist die Entfernung oder Zerstörung aller neugebildeten und zur Neubildung befähigten Blutgefäßzellen. Nach SONNTAG ist das auf direktem oder indirektem Wege erreichbar. Dem direkten Weg entspricht eine Entfernung der Geschwulst oder ihre Verödung durch Blutgerinnung, Entzündung oder Nekrose mit narbiger Schrumpfung. Indirekt ist ein Hämangiom durch Abschneiden der Blutzufuhr zu behandeln. R E H R M A N N weist darauf hin, daß dies im Knochen nicht durchführbar ist. 1. Chirurgische Therapie a) Indikation Die operative Entfernung wird in allen Fällen in Betracht kommen, in denen sie ohne wesentliche Funktionsausfälle, ohne Verstümmelung und ohne zu großes Operationsrisiko möglich erscheint ( B A U M E I S T E R , B U C Y und C A P P , H E R R M A N N , L I N D E M A N N , P H E M I S T E R , SCHINZ u n d U E H L I N G E R , S H A R P , B U L L O C K u n d H A Z L E T , SONNTAG, S T R I C K E R ) .

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R. STELLMACH, Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels

DECHAUME und LADOW machen die Indikation der Operation abhängig von der Wachstumsgeschwindigkeit des Hämangioms und der Gefahr spontaner Blutungen. Wenn derartige Erscheinungen beobachtet werden, sollte unverzüglich chirurgisch eingegriffen werden.

b) Operationsvorbereitung Der Blutungsgefahr kann durch verschiedene Maßnahmen begegnet werden; zur Transfusion sind genügende Blutmengen bereitzustellen. Besonders wichtig ist ein garantiert freier Zuführungsweg in das Venensystem, am besten durch Venaesectio an einer oder zwei Stellen. Die Operation von Knochenhämangiomen ist eine der Hauptindikationen für die künstliche Blutdrucksenkung, die erst bei systolischen Druckwerten zwischen 80 und 60 mm Quecksilber effektiv ist. Wir konnten zeigen, daß die gleichlaufende künstliche Hypothermie zweckmäßig ist (STELLMACH). Die Ligatur der direkt in das Tumorgebiet führenden Arterien erleichtert die Operationsführung, sie ist jedoch bei den Knochenhämangiomen des Kopfes und der Wirbelsäule zumeist nicht möglich. Dagegen bleibt die Ligatur der weiter entfernt liegenden Arterien gewöhnlich ohne Einfluß auf die Stärke der Operationsblutung. c) Operationsverfahren Häufig und mit Erfolg wird die Kürettage angewandt. Sie ist indiziert bei kleineren Prozessen, die erwarten lassen, daß die Blutung kontrollierbar bleibt (DAIILIN, ERICH, K A M P H U E S , SHARP, SHKLAR u n d M E Y E R ) .

Viele Autoren sprechen sich für eine Blockresektion aus, die den Tumor selbst nicht eröffnet, um die Blutungsgefahr gering zu halten (BATJMGARTL, HERRMANN, LADOW, L I N D E M A N N , R E H R M A N N , HOLMES). REHRMANN und STELLMACH sowie HOLMES haben herausgestellt, daß die Resektion im gesunden Knochen eine keine über das übliche Maß hinausgehende Operationsblutung bedingt, wenn man eine genügende Entfernung vom Hämangiom einhält und so seine feinen Ausläufer umgeht. In den Schädeldachknochen, im Nasen- und Jochbein sowie am Unterkiefer wurde diese Methode mit gutem Erfolg angewendet. Im Unterkiefer ist oft eine Kontinuitätsresektion notwendig. BAUMEISTER und D A VIES empfehlen, das Periost möglichst zu schonen, um eine spätere Regeneration des Knochens zu ermöglichen. Vor einem derartigen Vorgehen haben wir mit REHRMANN gewarnt, da die Freilegung der Kortikalis zu einer nur schwer zu beeinflussenden Blutung aus dem unbedeckten Knochen führen kann. Nach unserer Meinung soll das betroffene Knochenstück zusammen mit der umhüllenden Mukoperiostschicht reseziert werden, weil dann die Operationsblutung leichter zu stillen ist. In schwerer zugänglichen Knochen, wie sie die Wirbelkörper und der Oberkiefer darstellen, ist die Blockresektion eines Hämangioms nicht möglich, sondern nur eine schrittweise Entfernung. Da es hierbei stets zu massiven, lebensbedrohlichen Blutungen kommt, sehen STELLMACH und R E H R M A N N bei einem ausgedehnten Oberkieferhämangiom in der Resektion nur die ultima ratio, die erst dann in Betracht gezogen werden sollte, wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben. Eine Ligatur der zuführenden Arterie als ausschließliche Therapie ist stets ohne Dauererfolg geblieben. d) Blutstillung Bei profuser Blutung wird die Blutstillung auf verschiedene Art versucht. Die Kompression der blutenden Wunde stellt die einfachste Methode dar. Nicht erwartete Blutungen bei Knochenhämangiomen kommen vor allem beim Zahnarzt vor, der einen lockeren Zahn aus einem Hämangiombereich extrahiert. In derartigen Fällen ist die Methode der Wahl

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Die Behandlung der Knochenhämangiome

der Verschluß der Alveole mit dem Finger. E r muß so lange beibehalten werden, bis der Patient in chirurgische Fachbehandlung überführt worden ist. Neben dieser einfachen und wirkungsvollen Maßnahme haben alle Versuche, eine Extraktionswunde durch Tamponade, durch Einklemmen von Holzstäbchen oder Abdruckmassen abzudichten, wenig Aussicht auf Erfolg. Bei flächenhaften Wunden sind thrombingetränkte Gazetamponaden sowie in letzter Zeit Surgicel gebräuchlich, ein Präparat aus oxydierter Zellulose. Weniger massive Blutungen im Knochen können durch Applikation von Knochenwachs unter Druck in die blutenden Hohlräume zum Stillstand gebracht werden. Erfolgreich kann auch die Elektrokoagulation sein, jedoch ist ihr Wert bei hohem Blutdurchfluß limitiert.

2. Strahlentherapie a) Indikation Vor allem bei größerer Ausdehnung von Knochenhämangiomen empfehlen viele Autoren zur Vermeidung des großen Blutungsrisikos und einer möglichen Verstümmelung die Strahlenbehandlung ( A B E L , ANSPACH, B U C Y und CAPP, G E S C H I C K T E R und MASEEITZ, HELLNER,

LADOW,

MARIE

und

BARETY,

PACK u n d

MILLER,

PHEMISTER,

MEYERDING,

und TOPAZIAN halten die Radiotherapie für die Methode der Wahl, wenn keine akute Blutungsgefahr besteht. Aber gerade um Blutungen zu stillen, hält C E R N E A die Strahlentherapie für geeignet. SMITH, STONES, TOPAZIAN). SMITH

b) Wirkungsmechanismus K A M P H U E S beschreibt die Wirkung der ionisierenden Strahlen auf das Hämangiom so, daß die Intimazellen sich entzündlich verändern, degenerieren und in der Folge die Lichtung des Gefäßes obliterieren. Nach Z I P P E L reagieren die Endothelzellen besonders empfindlich auf Strahleneinwirkungen. Sie weisen im bestrahlten Gewebe die größten Schädigungen auf, was besonders bei Röntgenspätschäden zu finden ist. STONES schreibt den Knochenhämangiomen eine hohe Strahlensensibilität zu, die M A R I E und B A R E T Y , G E S C H I C K T E R und MASERITZ anhand klinisch belegter Heilungen bekräftigen. Andere Autoren wie M E Y E R D I N G , SCHINZ und U E H L I N G E R schreiben den Knochenhämangiomen nur eine mäßige Radiosensibilität zu. Sie halten die Bestrahlung für insofern wirksam, als sie einen Wachstumsstillstand und eine verstärkte Ossifikation bewirken kann. Negativ wird die Bestrahlung von D E C H A U M E und LACHARD kritisiert. Diese Autoren vertreten die Ansicht, eine Radiotherapie habe nur während aktiver Proliferation des Tumors einen Einfluß auf das Wachstum eines Hämangioms, ohne es jedoch definitiv zu heilen oder zu zerstören.

c) Methoden der Radiotherapie Zur therapeutischen Anwendung gelangen Röntgen- und Gammastrahlen, wobei Gammastrahlen wirksamer zu sein scheinen ( K A M P H U E S , S E E L A , Z I P P E L ) . Als Strahlenquelle für die Gammastrahlen werden Radium, Thorium X und Kobalt 60 genannt. Früher wurde Radium ausschließlich in Verbindung mit besonders konstruierten Trägern angewandt, die das radioaktive Material nahe an den zu bestrahlenden Prozeß brachten ( W A T S K Y , R E I C H E N B A C H ) , oder das Radium wurde auf dem Wege der Tumorspickung in Hohlnadeln unmittelbar in den Tumor eingebracht. Heute wird die Telekobaltbestrahlung vorgezogen.

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R . STELLMACH, D i e K n o c h e n h ä m a n g i o m e d e s Gesichtsschäclels

Die Angaben über die Höhe der applizierten Dosen sind sehr •unterschiedlich. Sie schwanken zwischen 5 0 0 rad ( H A N K E Y bei einem Kleinkind) und 5 4 0 0 rad ( J A M E S bei einem Unterkieferhämangiom am Erwachsenen). A B E L hält im allgemeinen 2 0 0 0 bis 3 0 0 0 r a d Herddosis für ausreichend. 3. Kombinierte Chirurgische- und Strahlen-Therapie Eine Vorbestrahlung vor der Operation ist nach M E Y E R D I N G selten angezeigt. Er läßt sie in den Fällen gelten, in denen der Tumor wegen seiner Lokalisation und Größe inoperabel ist und die präoperative Bestrahlung die Chance zu seiner Verkleinerung bietet, damit er anschließend chirurgisch entfernt werden kann. W A R D hingegen verwendet die Vorbestrahlung zur Sklerosierung der Gefäße vor der Operation. Über die systematische Vorbestrahlung von Knochenhämangiomen hat nur K Ü M M E L berichtet. In den anderen Fällen handelt es sich u m Patienten, bei denen eine Radiotherapie erfolglos geblieben oder ein Rezidiv aufgetreten ist, weshalb anschließend ein chirurgischer Eingriff unternommen werden mußte. Über systematische Nachbestrahlung im Anschluß an die Resektion oder Kürettage eines Knochenhämangioms ist nur bei Fällen mit Rezidiven berichtet worden. S C H L E G E L führt die Bestrahlung im Anschluß an die Ligatur der zuführenden Arterien mit Skelettierung der gesamten befallenen Knochenpartie an. Gelegentlich ist die Radiotherapie im Anschluß an Probeexzisionen oder die Extraktion von Zähnen vorgenommen worden.

4. Sonstige Therapiemöglichkeiten Therapeutische Methoden, die bei Weichteilhämangiomen gute Erfolge zeigen, sind bei den Knochenhämangiomen oft unsicher in der Wirkung oder wegen der gesteigerten Zirkulationsgeschwindigkeit des Blutes und fehlender Möglichkeit zur Drosselung des Blutstromes nicht anwendbar (REIIRMANN). Zu nennen ist hier die Injektion sklerosierender Mittel (5% Varicocid, Na-Morrhuat, 66% Dextrose), die Stichelung mit der Diathermienadel, Magnesiumspickung, Therm okauterisierung und Behandlung mit Kohlensäureschnee ( H A Y M , W U N D E R E R , U R B A N T S C H I T S C H ) . Aus der Literatur läßt sich ersehen, daß in manchen Fällen auf eine Therapie verzichtet wurde, wenn keines der bekannten Therapieverfahren Erfolg versprach oder sich das Hämangiom stationär verhielt. D E C H A U M E weist auf die zwingende Notwendigkeit hin, derartige unbehandelte Patienten ständig zu überwachen, um ggf. sofort eingreifen zu können. L U N D und D A H L I N haben ein Unterkieferhämangiom 1 4 Jahre lang beobachtet, ohne daß sich der Zustand verändert hat. Ebenfalls berichtet R I C H A R D über einen Fall von BROCA, bei dem sich ein Knochenhämangiom innerhalb von 3 5 Jahren nicht vergrößert hatte.

C. Klinik der H ä m a n g i o m e des Gesichtsskelettes 1. Alters- und Geschlechtsverteilung Eine Durchsicht der internationalen Literatur seit 1900 ergab, daß über insgesamt 111 Fälle von Knochenhämangiomen mit Sitz im Gesichtsskelett berichtet worden ist. Hierin sind 5 eigene Fälle enthalten, die an der Westdeutschen Kieferklinik Düsseldorf beobachtet wurden (STELLMACH und H A U S A M E N ) . Entsprechend dem seltenen Vorkommen der Knochenhämangiome überwiegen kasuistische Mitteilungen eines Falles. Über mehrere Beobachtungen verfügen nur wenige Autoren.

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Klinik der Hämangiome des Gesichtsskelettes

Die Angaben über das Alter, in dem die Patienten zur Untersuchung kamen, streuen breit. Der jüngste Patient war 3 Monate alt, der älteste 77 Jahre. Die größte Häufung des Auftretens liegt im zweiten Lebensjahrzehnt. Von den 111 erfaßten Patienten waren 71 weiblichen und 37 männlichen Geschlechts. In 3 Fällen war das Geschlecht der Patienten nicht angegeben. Das Verhältnis männlich: weiblich beträgt in dieser Übersicht 1:1,92. Damit wird eindeutig klargestellt, daß das weibliche Geschlecht bevorzugt befallen wird, wie es von den meisten Autoren angenommen wird. to

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Abb. 1. Alters- und Geschlechtsverteilung

m l Alter der Patienten in Jahren

2. Lokalisation im Gesichtsschädel 71mal war das Hämangiom im Unterkiefer lokalisiert, 30.mal im Oberkiefer, 8mal im Nasenbein und 3mal im Jochbein. Bei 2 Patienten waren sowohl der Ober- als auch der Unterkiefer vom Hämangiom befallen. In einem Fall fehlt die Angabe der genauen Lokalisation.

Abb. 2. Lokalisation der Hämangiome in den Gesichtsknochen Nasenbein: 8 Fälle Oberkiefer: 30 Fälle Alveolarfortsatz: 17 Fälle, davon 4 mit gleichzeitigem Befall des Gaumens. Facies anterior: 2 Fälle Eine gesamte OK-Hälfte: 6 Fälle OK und angrenzende Knochen: 2 Fälle Gaumen: 1 Fall KH-Wand: 1 Fall Alveolarfortsatz und Kieferhöhlenwand gemeinsam: 1 Fall Jochbein: 3 Fälle Unterkiefer: 71 Fälle Kinnregion: 6 Fälle Corpus und Kinnregion: 7 Fälle Corpus: 33 Fälle Corpus und Ramus: 14 Fälle Ramus: 2 Fälle Gelenkforts.: 3 Fälle Eine ganze UK-Hälfte: 3 Fälle Ohne genaue Lokalisation: 3 Fälle

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R.

STELLMACH,

Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels

3. Auftretende Symptome Das häufigste Symptom ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Schwellung, in der Konsistenz derb bis knochenhart. Bei den Kieferhämangiomen folgen mit abnehmender Häufigkeit spontane Blutungen, Zahnlockerung, Pulsation und Schwirren, Schmerzen und unerwartete Blutung nach Extraktion. Bei 14 Fällen waren außer dem Knochenhämangiom noch andere Hämangiome vorhanden. Die häufigste Kombination von Symptomen ist die Lockerung eines oder mehrerer Zähne mit spontanen Blutungen. 4. Darstellung im Röntgenbild Am häufigsten fand sich die wabige Zeichnung, vor allem am Unterkiefer (34 Fälle). Multilokuläre Aufhellungen ergeben ein seifenblasenähnliches Aussehen. Eine schwammartige Zeichnung bzw. kleine runde Transparenzen wurden in 12 Fällen beschrieben. Diese Struktur ist der wabigen Zeichnung vergleichbar mit jedoch nur sehr kleinen nebeneinanderliegenden Hohlräumen (Abb. 3, vorderer Randbezirk des Unterkieferhämangioms). Eine radiäre Strahlenzeichnung wurde bei 23 Fällen gefunden, überwiegend im Unterkiefer. Im Oberkiefer kam 7mal lediglich eine uncharakteristische Verschattung der Kieferhöhle zur Darstellung. Fast bei einem Drittel der Fälle (33 Patienten) fanden sich uncharakteristische, andere Prozesse nachahmende Abzeichnungsmuster. Aus den vielgestaltigen Erscheinungsformen kann gefolgert werden, daß die röntgenologische Bestimmung eines Hämangioms im Knochen schwierig ist und große Erfahrung verlangt.

Abb. 3. Halbseitenaufnähme des linken Unterkiefers zeigt ein kavernöses Hämangiom mit überwiegend großen multilokularen Aufhellungen im Bereiche des Kieferwinkels und des aufsteigenden Astes sowie mit kleinen runden, wie ausgestanzt abgezeichneten Transparenzen im vorderen linken Unterkiefer

Klinik der Hämangiome des Gesichtsskelettes

19 | 11

Abb. 4. Operationspräparat desselben Falles (aufgeschnitten), im Unterkiefer sind große und kleine kavernöse Hohlräume zu erkennen

Abb. 5. Zu Abb. 12, Fall 1 gehörig. Röntgenaufnahme des linken Unterkiefers; Seifenblasentyp eines kavernösen Hämangioms als Abbildungsmuster

5. Angiographie Die angiographische Darstellung von Knochenhämangiomen wurde in 12 Fällen vorgenommen (Abb. 6). Das Kontrastmittel wurde durch die A. carotis externa zugeführt. D E C H A U M E hat zusätzlich die intratumorale Injektion des Kontrastmittels angewandt. In 5 Fällen brachte die Angiographie wesentliche neue Erkenntnisse über Ausdehnung und Gefäßversorgung des Tumors. In 6 Fällen erhellte sie den Prozeß nur wenig oder gar nicht, da der Tumor nicht oder nur unvollständig mit Kontrastmittel gefüllt wurde. In 2 Fällen wurden arterio-venöse Kommunikationen entdeckt. Hierfür scheint die Methode hervorragend geeignet zu sein ( D A V I E S ) . S H I R A führte ein Arteriogramm auf dem Wege über eine Herzkatherisierung durch, um den Behandlungserfolg zu kontrollieren. Dieses Vorgehen ist ein Einzelfall. Für die Indikation lassen sich keine sinnvollen Gründe beibringen, da die Darstellung des Unterkiefers auf dem Wege über die Halsgefäße immer einfach und ohne besonderes Risiko möglich ist. S C H L E G E L entdeckte durch die Arteriographie ein atypisches Gefäß, daß in der Höhe des Collums von der A. carotis interna zum Unterkiefer hinzog. Möglicherweise handelte es sich um eine persistierende A. stapedia. Diese Arterie schien der Hauptzufluß zum Hämangiom zu sein. In dem von K I E H N mitgeteilten Falle wurde der Hauptzufluß in Gestalt einer erweiterten A. maxillaris interna aufgedeckt. Gemeinsam mit B R A D A C , B U N T E und S I M O N konnten wir kürzlich aufzeigen, daß die Arteriographie durch Herstellung von Serienaufnahmen im Ablauf des Fiillungs- und Ent-

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R . STELLMACH, Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels

Abb. 6. Nach Kontrastdarstellung der A. carotis externa; starke atypische Anfärbung des Unterkieferknochens im Angiogramm sowie atypische Gefäße im Mundboden

Abb. 7. Mazeriertes Operationspräparat des resezierten Unterkiefers; weitgehende Zerstörung des Unterkieferknochens mit Bildung von Hohlräumen und Kanälen, die mit hämangiomatösem Gewebe angefüllt waren

leerungsvorganges wesentlich verbessert werden kann, vor allem, wenn das Subtraktionsverfahren zur besseren Detailbestimmung verwendet wird. Diese diagnostische Möglichkeit sollte bei allen Hämangiomen im Gesichtsbereich die Grundlage für die operative Indikationsstellung sein. 6. Diagnosestellung Nur in 61 der 111 Fälle wurde vor der Therapie eine klare Diagnose gestellt. Bei den übrigen 50 Fällen war entweder eine Diagnose nicht möglich, oder in den Berichten fehlen die entsprechenden Angaben. Bei 40 Fällen wurde eine Biopsie durchgeführt; in der Mehrzahl der Fälle (54) wurde darauf verzichtet. Bei den restlichen 17 Fällen fanden sich keine Angaben zur Frage der Probeexzision. 49 Diagnosen waren zutreffend. 26 davon fußten auf einer histologischen Untersuchung, bei 16 weiteren konnte aus dem chirurgischen Erkrankungsbild geschlossen werden. 5 Diagnosen wurden röntgenologisch und 2 aufgrund des klinischen und röntgenologischen Befundes gestellt. 7. Histologie Die Auswertung der histologischen Ergebnisse führt zu 5 Erscheinungsformen der Knochenhämangiome. Es können ein kavernöser, ein kavernös-sklerosierender, ein kapillärer, ein kapillär-kavernöser und ein razemöser Typ unterschieden werden.

Klinik der Hämangiome des Gesichtsskelettes

Befallener Knochen: Kavernös: Kavernös-sklerosierend: Kapillär: Kapillär-kavernös: Razemös: Ungenaue Angaben: Keine Angaben: Nicht histologisch verifiziert:

OK

UK

9 3 2 3 2 8

26 1 9 4 5 13 3 11



4

Ν

19 | 13

1

6 —

Su.

J



1

1 —

— —

1



1 —

— —

42 4 12 8 7 22 4 15

Abb. 8. Verteilung der histologisch differenzierten Hämangiomtypen auf die verschiedenen Gesichtsknochen OK = Oberkiefer; UK = Unterkiefer; Ν = Nase; J = Jochbein; Sa. = Summe

Als Besonderheit ist zu nennen, daß in einem Fall (RICHTER) auch die Pulpagefäße von der angiomatösen Veränderung des Kieferknochen betroffen waren. 8. Behandlungsverfahren a) Chirurgische Therapie Eine chirurgische Therapie wurde in 74 Fällen durchgeführt, ζ. T. nach erfolgloser Strahlenbehandlung, und zwar bei 17 von 30 Fällen im Oberkiefer, bei 46 von 71 Fällen im Unterkiefer, bei 7 von 8 Fällen im Nasenbein und bei allen 3 Fällen im Jochbein.

Befallener Knochen: Kürettage: Schrittweise Resektion: Resektion en bloc: UK-Kontinuitätsresektion: Kondylektomie: Palliative Operation: Sonstige chir. Therapie:

OK

UK

10 6

1 5 6 18 3

— —



2 1

Ν

J

1 —

2 —

1

6 —













4





Su. 22 11 13 18 3 2 5

Abb. 9. Art und Häufigkeit chirurgischer Behandlungsverfahren

In 46 von 74 Fällen wurde die chirurgische Therapie als erfolgreich bezeichnet, in 9 Fällen als erfolglos. Bei den letzteren kam es 6mal zu Rezidiven. Bei 20 Fällen war eine Aussage über den Operationserfolg nicht angeführt. Die Operationsblutung wurde in 27 Fällen als normal beschrieben (5 Fälle Unterkiefer, 6 Fälle Nasenbein, 1 Fall Jochbein). Heftige Operationsblutung bestand in 8 Fällen (2 Fälle Oberkiefer, 6 Fälle Unterkiefer). I n 52 Fällen kam es zu einer extrem heftigen Blutung (17 Fälle Oberkiefer, 35 Fälle Unterkiefer). Bemerkenswert ist die große Blutungsstärke bei fast allen Fällen mit arterio-venösen Kurzschlüssen (17 von 21 Fällen).

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R. STELLMACH, Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels

Insgesamt kann festgestellt werden, daß die Operationsblutung in der größeren Zahl der Fälle weit über das normale Maß hinaus heftig ist. Blutstillung·. I m Hinblick auf die starke Operationsblutung kommt der Technik der Blutstillung und der Verminderung der Operationsblutung besondere Bedeutung zu. I n 37 Fällen wurde von einer Ligatur der A. carotis externa Gebrauch gemacht (8 Fälle von Oberkieferhämangiom, 29 Fälle von Unterkieferhämangiom). Der Erfolg der Karotis-Ligatur war nur gering. I n 3 Fällen wurde die Blutungsverminderung mit erheblich bezeichnet und in 5 Fällen als mäßig. Bei 26 Fällen hingegen war kein Einfluß auf die Stärke der Blutung bei der Karotis-Ligatur festzustellen. Bei diesem begrenzten Wert der Karotis-Ligatur verwundert es nicht, daß in 51 Fällen darauf von vornherein verzichtet wurde und daß bei 23 anderen Fällen diesbezügliche Angaben fehlen. Während der Operation wurde zur Blutungsverminderung in 10 Fällen das elektrochirurgische Verfahren benutzt (6 Fälle Oberkiefer, 4 Fälle Unterkiefer), in 4 Fällen die künstliche Hypotonie und in einem Fall die künstliche Hypothermie. An lokalen Hämostyptika wurden Knochenwachs, Gelatineschwämme und oxydierte Zellulose (Surgicel) verwendet. Von großer Bedeutung sind Tamponaden und Kompressionstamponaden (44 Fälle). Bei 6 Patienten wurde eine Tamponplatte oder ein Tamponadehalter benutzt mit Befestigung am Restgebiß. b) Strahlentherapie 24 Fälle von Knochenhämangiomen im Gesichtsbereich wurden einer Strahlentherapie unterzogen; 19 Fälle wurden mit Röntgenstrahlen und 5 Fälle mit Gammastrahlen behandelt. Bei den Gammastrahlen dienten als Strahlenquellen in 2 Fällen Radium und in 2 Fällen Kobalt 60. Bei 18 Fällen fanden sich Angaben zur Dosierung. Die durchschnittliche Applikation von Röntgenstrahlen betrug 2235 rad und bei Telekobaltbestrahlung 3376 rad. Bei der Anwendung von Radium wurden einmal 150 mgh, im andern Fall 530 gamma-rad aus 0,5 cm Entfernung verwendet. Die Strahlentherapie wurde in 10 Fällen als erfolgreich bezeichnet (7 Fälle von Röntgenbestrahlung, 1 Fall Radium- und 2 Fälle Telekobaltanwendung). I n 6 Fällen war der Erfolg der Bestrahlung nicht vermerkt. I n 8 Fällen war die Röntgentherapie und in einem Fall die kombinierte Anwendung von Röntgenstrahlen und Gammastrahlen erfolglos. 3mal kam es zu Rezidiven nach Röntgenbestrahlung. Nach erfolgloser Radiumtherapie und nach Rezidiven wurde einmal erneut bestrahlt, in 4 Fällen hingegen operiert. c) Kombinierte Chirurgische- und Strahlen-Therapie Eine von vornherein geplante kombinierte Behandlung von Operation und Bestrahlung wurde nur 2mal durchgeführt. K Ü M M E L und R O C K E M E B mußten mehrere Operationsversuche bei Oberkiefer- und Schädelbasishämangiomen wegen zu starker Blutung abbrechen. Sie applizierten daraufhin zunächst Radiumkapseln. Als diese Maßnahme jedoch keine Abnahme der Blutungsbereitschaft bewirkte, nahmen sie eine Serie von 10 Röntgenbestrahlungen vor. Danach gelang es, das Oberkieferhämangiom schrittweise zu verkochen und anschließend den Tumor in einer Anzahl größerer und kleinerer Sequester zu entfernen, ohne daß es dabei zu einer bedrohlichen Blutung kam.

K l i n i k der H ä m a n g i o m e des G e s i c h t s s k e l e t t e s

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SCHLEGEL reduzierte die Blutung aus einer Extraktionswunde dadurch, daß er zahlreiche in den Unterkiefer führende Gefäße abband und so das Hämangiom von seinen wesentlichen afferenten Gefäßen abschnürte. Danach gab er Röntgenbestrahlungen in der Dosis von 1500 rad. Der Erfolg dieser Methode war nach seinem Urteil gut.

9. Letalität Der Verblutungstod in tabula bei dem Versuch der operativen Behandlung eines Knochenhämangioms wird allgemein sehr gefürchtet, nach den hier zusammengetragenen Berichten jedoch überschätzt. Insgesamt sind 8 von den 111 zusammengestellten Fällen letal ausgegangen (SCHLAGENHAUFER, ETCHEPAREBORDA, K R O H , BRODERICK, STOY, L I N DEMANN, G A B K A [nicht in tabula], STRICKER). Bei 3 weiteren war die Prognose infaust ( R E H R M A N N , R I E M A N N , TRINH-VAN-TUAT).

Nur in einem einzigen letal ausgehenden Fall wurde die maligne Entartung eines ausgedehnten Knochenhämangioms einer Gesichts- und Schädelhälfte beobachtet ( G A B K A ) . 10. Ausgewählte Fallberichte Unterkieferhämangiome. Behandlung durch Unterkieferresektion. MORESTIN veröffentlicht 1909 den Fall einer 26jährigen Patientin, die drei Jahre vor der Untersuchung eine harte Schwellung am linken Unterkiefer bemerkte. Nach einem halben Jahr lockerte sich der zweite untere linke Molar; der Zahn wurde daraufhin extrahiert. Dabei trat eine sehr schwere Blutung auf, von deren Folgen sich die Patientin erst im Laufe einiger Monate erholte. Die Schwellung vergrößerte sich unterdessen weiter. Zwei Jahre später kam es zu einer Entzündung, verbunden mit einer Kieferklemme. Nach der daraufhin unternommenen Inzision in die Gingiva trat erneut eine schwere Blutung auf. Klinisch war eine walnußgroße, sehr harte, zentral jedoch weiche, fluktuierende und pulsierende Schwellung auffällig. Auskultatorisch waren Geräusche wie bei einem Aneurysma festzustellen. Intraoral fiel eine erhebliche Verbreiterung des linken Alveolarfortsatzes auf. Die Zähne 35—38 fehlten. Pulsation war spürbar. I m Unterlippen-Kinnbereich verspürte die Patientin neuralgiforme Schmerzen. Die Sensibilität des Nervus mentalis war normal. Die Patientin war im zweiten Monat schwanger. Die vorläufige Diagnose lautete auf Knochenaneurysma. Wegen der akuten Blutungsgefahr und der Tendenz zur Vergrößerung infolge der Schwangerschaft entschloß man sich zur Operation. Zunächst wurden die Arteriae carotis externa sinistra, thyreoidea superior, facialis und lingualis unterbunden. Daraufhin ging zwar die Stärke der Pulsation zurück, als jedoch der Knochen freigelegt und eröffnet wurde, trat sofort ein Blutstrom hervor, der nur schwer durch Kompressen kontrolliert werden konnte. Darauf wurde schnellstmöglich die linke Unterkieferhälfte reseziert. Der Blutstrom versiegte sofort, und die Wunde wurde tamponiert. Da die Patientin einen schweren Schock erlitten hatte, wurden Äther und Serum injiziert. Ihr Zustand besserte sich rasch. Nach einer weiteren Operation, in der der rechte Musculus digastricus vom Hyoid gelöst und zum Musculus sternocleidomastoideus verlegt wurde, um den Unterkiefer nach rechts zu ziehen, wurde vollständige Heilung festgestellt. Das resezierte Knochenstück machte den Eindruck eines steinernen Schwammes. Histologisch handelte es sich um ein Angioma simplex, das in der Tiefe kavernöser Natur war. Behandlung durch Röntgenbestrahlung: Bei der von SMITH beschriebenen 25jährigen Patientin waren in den 8 vorangegangenen Jahren mehrere zahnärztliche Operationen durchgeführt worden, bei denen es zu erheblichen, teilweise schwer stillbaren Blutungen gekommen war. Danach trat häufiges Zahnfleischbluten auf. I m letzten Jahr vor der Untersuchung kam ein Druckgefühl im Kieferwinkel und Hypästhesien in der Unterlippe hinzu.

16 I

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R. STELLMACH, Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels

Bei der Untersuchung fiel eine Auftreibung des Corpus und Ramus des linken Unterkiefers auf. Der Alveolarfortsatz war erhöht und verbreitert, so daß in Zentralokklusion fast kein Raum mehr zwischen den Zähnen des Oberkiefers und dem unteren Alveolarfortsatz blieb. Am Kieferwinkel und in der Umschlagfalte waren leicht erhabene Venen sichtbar. Im Röntgenbild zeigte sich eine multilokulare Zyste, die sich durch den ganzen linken Unterkiefer erstreckte, die Kortikalis war expandiert und ziemlich dünn. Die Begrenzung des Mandibularkanals war nicht zu sehen. Im distalen Anteil des Prozesses fielen mehrere kleine runde Transparenzen auf. Der Versuch einer Probeexzision wurde unternommen, mußte jedoch wegen einer heftigen, spritzenden Blutung (750 ml Blutverlust in wenigen Sekunden) unterbrochen werden. Kompression der Wunde und kleine feste Bällchen aus Gelatineschwamm, die in das Bohrloch gestopft wurden, brachten die Blutung zum Stillstand. Als Behandlung wurde eine Röntgenbestrahlung durchgeführt (2464 rad in 29 Tagen), die insofern erfolgreich war, als nach 8 Monaten die Gesichtsasymmetrie verschwunden war und die anderen Symptome stark zurückgegangen waren; das Röntgenbild zeigte in den Hohlräumen Knochenneubildung, die Hohlräume selbst hatten an Größe abgenommen, der Mandibularkanal war wieder sichtbar. Behandlung durch Kürettage: MOHNAC und SMITH beschreiben eine 23jährige Patientin, bei der noch fünf Jahre vor der Untersuchung einige Zähne im Unterkiefer ohne Komplikationen extrahiert worden waren. Im Anschluß an eine Schwangerschaft traten innerhalb kurzer Zeit Zahnschmerzen im rechten Unterkiefer auf, begleitet von einer Schwellung und später auch von Hypästhesien in der rechten Unterlippe. Klinisch war eine unempfindliche Knochenexpansion an der lateralen Fläche des rechten Unterkiefers unterhalb von 45 festzustellen. Im Röntgenbild fiel ein feinfaseriger, wie mottenzerfressender Defekt auf, der sich vom Caninus bis zum Sapiens erstreckte. Stellenweise waren kleine runde Transparenzen zu sehen. Trotz heftiger Blutung konnte ein Gewebsstück zur histologischen Untersuchung entnommen werden. Die Diagnose lautete: aktives Hämangiom. Das Hämangiom wurde nach umfassender Operationsvorbereitung in nasoendotrachealer Narkose kurettiert, und zwar hat man nach Entfernung der bukkalen Kortikalis und Extraktion der Zähne 43—45 und 48 zunächst den hinteren Anteil des Tumors mit,,Surgicel" tamponiert, um die Blutung zu reduzieren, und vorläufig nur den vorderen Anteil kurettiert; im zweiten Abschnitt der Operation wurde umgekehrt verfahren. Der Blutverlust betrug trotz der Vorsichtsmaßnahmen 1,5 Liter. Zwei Monate postoperativ sah man im Röntgenbild bereits eine leichte Auffüllung des Knochendefekts. Die histologische Untersuchung des Operationspräparates bestätigte die vorige Diagnose: aktives, kavernös-kapilläres Hämangiom des Unterkiefers. Exitus nach Zahnextraktion: KKOH beschreibt 1 9 2 5 einen Fall, bei dem es nach einer Zahnextraktion zum spontanen Verblutungstod kam. Die Anamnese des 12jährigen Patienten erbrachte Zahnschmerzen und häufige Blutungen aus dem Zahnfleisch. Wegen einer „Zahnfleischentzündung" war mehrmals inzidiert worden, jedoch kein Eiter gefunden worden, weshalb der Patient überwiesen wurde. Bei dem Patienten erschien die linke Wange leicht geschwollen, der Unterkiefer war links im Bereich des Kieferwinkels druckschmerzhaft. 37 war sehr stark gelockert, die Weichteile in seiner Umgebung leicht geschwollen, drei oberflächliche Schnittwunden waren zu sehen. Nach der Extraktion von 37 schoß sofort ein dicker Blutstrahl aus der Alveole. Als Sofortmaßnahme wurde der Zeigefinger in die Alveole eingeführt und so die Blutung reduziert. Der Zeigefinger konnte dabei einen großen Hohlraum im Knochen austasten. Dann wurde Narkose eingeleitet. Kompressionen der Arteria carotis communis und der zu-

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Klinik der Hämangiome des Gesichtsskelettes

und abführenden Gefäße am Foramen mandibulare blieben ohne Einfluß auf die Blutung. Nur die Tamponade mit einem großen Jodoformgazestreifen verringerte ihre Stärke etwas. Beim Versuch, die großen Halsgefäße zu unterbinden, verstarb der Patient. Die pathologische Untersuchung post mortem erbrachte eine Auftreibung des Unterkiefers in Höhe 37, deren orale Wand größtenteils papierdünn war. Im Knochen reichte der Hohlraum bis unter die Wurzel von 35. Der Knochen im betroffenen Gebiet war porös, wie wurmstichig. Die histologische Untersuchung führte zur Diagnose: kavernöses Hämangiom. Der Autor vermutete bei diesem Hämangiom einen venösen Zufluß, da mit der Arteria alveolar is inferior sicher keine Verbindung bestand. Oberkieferhämangiome. Behandlung durch Oberkieferresektion: Einen Eindruck, wie gefährlich Oberkieferhämangiome sein können, und wie schwierig ihre operative Entfernung werden kann, gibt der Bericht von R E H R M A N N und S T E L L M A C H (1956). Bei dem sieben Jahre alten Patienten wurde vier Wochen vor der Untersuchung erstmals eine Veränderung am Gaumen festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt kam es auch zum erstenmal zu einer Blutung. Seitdem traten mehrere schwache und eine heftige Blutung auf. Klinisch waren eine Verdickung des rechten Oberkiefers und eine livide Verfärbung in diesem Bereich auffällig. Die Grenzen der Verfärbung waren leidlich scharf, bis auf den dem weichen Gaumen benachbarten Anteil. Ferner waren am Oberkiefer und am weichen Gaumen teleangiektatische Veränderungen sichtbar. Das intraorale Röntgenbild zeigte eine vergrößerte Strahlendurchlässigkeit bei verwaschener Struktur des Knochens. Auf der Schädelaufnahme war eine Destruktion im Bereich der lateralen Oberkieferwand und eine geringe Verschattung der Kieferhöhle sichtbar. Eine Probeexzision wurde durchgeführt. Die folgende starke Blutung konnte durch Ligatur der A. carotis externa, Elektrokoagulation und Tamponade gestillt werden. Die histologische Diagnose lautete: kavernöses Hämangiom. Nach umfassender Vorbereitung wurde in orotrachealer Narkose nach Abklappung der Weichteile der Oberkiefer von außen und vom Gaumen her verkocht. Beim Versuch, die mutmaßlich tief verkochten Tumoranteile zu entfernen, schoß sofort ein fingerdicker, arterieller Blutstrahl hervor. Nach einer Tamponade wurde erneut verkocht, mit demselben Ergebnis. Kompression der kontralateralen A. carotis externa blieb unwirksam. Darauf wurde die Operation schrittweise mit der größtmöglichen Geschwindigkeit weitergeführt. Zwischenzeitlich wurde die Blutung dadurch reduziert, daß man Kompressen andrückte. Sobald der rechte Oberkiefer entfernt war, ließ die Blutung nach. Stricknadeldicke Knochengefäße in großer Zahl hatten über die knöcherne Gaumenplatte in den Tumor geführt. Intra operationem kam es zu einem schweren Entblutungszustand mit wiederholtem Volumenmangelkollaps, und die Operation mußte mehrmals unterbrochen werden. Aus diesem Grunde wurde künstliche Hypothermie (32° C) eingeleitet. Insgesamt wurden 2 1 Periston und 2,7 1 Blut transferiert. Abschließend wurden die noch blutenden Gefäße einzeln verkocht, die Wunde tamponiert und die vorbereitete Verbandplatte appliziert. Der postoperative Verlauf war normal, später wurde der Defekt prothetisch gedeckt. Dieser Fall ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert: in den ersten Jahren nach der Operation war der Patient rezidivfrei und zeigte eine günstige Entwicklung des restlichen Oberkiefers. In den folgenden Jahren erschien der Patient nicht mehr zur Kontrolle, bis er zwölf Jahre nach der Operation mit einem inoperablen Rezidiv wiederkam. Inzwischen hatte sich das Hämangiomrezidiv in die Orbita, Nasenhöhle und in das Jochbein ausgebreitet. Handb. Plast. Chir., Bd. II

180

18 I 19



STELLMACH,

Die Rnochenhämangiome des Gesichtsschädels

Abb. 10 u. 11. Spätrezidiv eines kavernösen Hämangioms des rechten Oberkiefers. Fall Nr. 5 der Tabelle Abb. 12

Abb. 10

Abb. 11

Abb. 10. 7 Jahre alter Junge; rechte Wange leicht angeschwollen; im Röntgenbild deutliche Zerstörung der Hinterwand der rechten Kieferhöhle (ausführlicher Fallbericht s. REHRMANN und STELLMACH 1956) Abb. 11. 12 Jahre post operationem inoperables Rezidiv mit Ausdehnung in die Orbita und Schädelbasis; wahrscheinlicher Beginn 1 Jahr vorher; Patient entzog sich der regelmäßigen Kontrolle. Das Auftreten und die Gefährlichkeit von Rezidiven verlangt eine regelmäßige Nachkontrolle im Rahmen der Tumorsprechstunde wie bei bösartigen Tumoren

Behandlung durch Kürettage: Im Falle von L U N D und D A H L I N war im Gegensatz zu dem eben geschilderten die Operation komplikationslos und führte zu vollständiger Heilung. Der achtjährige Patient hatte acht Monate vor der Untersuchung eine leichte Schwellung der rechten Oberkieferregion, die auf eine orthodontische Behandlung zurückgeführt wurde. Nach einem Trauma einen Monat vor der Einweisung, vergrößerte sich die Schwellung erheblich. Verdachtsdiagnose: dentogene Zyste. Eine chirurgische Exploration, verbunden mit einer Probeexzision, brachte die Diagnose Hämangiom. Die Blutung dabei war sehr heftig. Klinisch imponierte eine 2,5 cm durchmessende knochenharte Auftreibung seitlich vom rechten Nasenbein. Auf dem intraoralen Röntgenbild war eine Transparenz mit verdickten Trabeculae sichtbar, die sich vom mittleren Schneidezahn bis zum zweiten Prämolaren der rechten Seite erstreckte. Als Nebenbefund wurde ein verlagerter Zahn im Sinus maxillaris entdeckt. In Narkose wurde das Hämangiom kurettiert und gleichzeitig der verlagerte Zahn aus dem Sinus entfernt. Der postoperative Verlauf war gut. Mikroskopische Untersuchung des entfernten Gewebes bestätigte die vorher gestellte Diagnose auf ein Hämangiom.

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Klinik der Hämangiome des Gesichtsskelettes

Exitus nach Probeexzision (STOY): Die zwölfjährige Patientin hatte seit Monaten Blutungen aus der Gingiva, besonders nach dem Essen. Ihr Gesicht war auf der rechten Seite geschwollen. Der Klopfschall der rechten oberen Prämolaren war dumpfer als der der korrespondierenden Zähne der anderen Seite, sie erschienen leicht gelockert. Das intraorale Röntgenbild zeigte eine Transparenz bei Fehlen der Lamina dura und Verdrängung der Wurzeln der beiden Prämolaren. Die provisorische Diagnose lautete auf Ostitis fibrosa oder Myelom. Zur Biopsie wurde eine kleine Punktion durchgeführt, die aber wegen der exzessiven Blutung unterbrochen werden mußte. Tamponade mit x j 2 m Gazestreifen stillte die Blutung. Beim Tamponwechsel am nächsten Tag begann die Blutung erneut, und die Patientin verstarb. Die histologische Untersuchung post mortem ergab ein Hämangiom. Hämangiom des Nasenbeins: Der hier zitierte Fall wurde 1 9 5 6 von M O O R E und P E A R C E veröffentlicht. Er gibt ein Beispiel dafür, daß die chirurgische Therapie bei dieser Lokalisation erheblich leichter ist. In der Regel gelingt hier die Resektion en bloc ohne Komplikationen. Die 47jährige Patientin bemerkte seit zweieinhalb Jahren vor der Untersuchung eine langsam wachsende Geschwulst an der rechten Seite der Nase, die in der letzten Zeit schneller wuchs und schmerzempfindlich wurde. Der leicht druckempfindliche, harte Tumor über dem rechten Nasenbein erstreckte sich über die Mittellinie hinaus auf das mediane Drittel auch des linken Nasenbeins. Der Durchmesser betrug etwa 1,5 cm. Das Röntgenbild zeigte das typische strahlenartige Muster mit zahlreichen feinen Linien, die von einem gemeinsamen Zentrum ausgingen und im rechten Winkel zur Fläche des Nasenbeins standen. Die Ränder waren glatt. Das Hämangiom wurde mit einem angemessenen Rand gesunden Knochens entfernt. Die Blutung dabei war minimal. Der entstandene Defekt wurde mit einem Transplantat aus dem Septum gedeckt. Der postoperative Verlauf war gut. Eine histologische Untersuchung des entfernten Knochenstücks ergab die Diagnose: kavernöses Hämangiom. Hämangiom, des Jochbeins ( S C H O F I E L D ) : Auch dieses Hämangiom wurde ohne Komplikationen chirurgisch entfernt. Der Patient war 18 Monate alt. 6 Monate vor der Untersuchung wurde eine dunkelrote Verfärbung des rechten oberen und unteren Augenlides und eine Schwellung über dem Jochbein bemerkt. Die Verfärbung verschwand nach einigen Tagen, die Schwellung vergrößerte sich im Laufe der Zeit und trat bei Erkältungen besonders hervor. Bei der klinischen Untersuchung war die Haut über der festen, zystischen, unempfindlichen Schwellung unverändert. Die Geschwulst schien sich in einer Aushöhlung des vorderen seitlichen Bereichs des Jochbeins zu befinden. Im Röntgenbild war die Kortikalis des rechten Os cygomaticum aufgetrieben, der Infraorbitalrand war nach vorn und oben gedrängt. Im Körper des Jochbeins war ein unregelmäßiger Knochentumor zu sehen. Die vorläufige Diagnose lautete auf ein Osteochondrom oder ein Dermoid. Der abgekapselte Tumor von 2 cm Durchmesser wurde, ohne die Kapsel zu verletzen, mit etwas umgebendem Knochen entfernt. In dem resultierenden Hohlraum befanden sich drei runde Öffnungen, aus denen venöses Blut sickerte. Histologisch wurde ein Hämangiom diagnostiziert. Der Autor nimmt an, daß dieses Hämangiom subperiostalen Ursprungs war und seine Kapsel aus dem nichtdurchdrungenen Periost bestand. 180*

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R . STELLMACH,

Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels Statistik

eigener Fälle



S •43 «8

u ®

1 I. K. $

Ü S J3 -2 · ο -g

Größe Symptome

Rö-Befund

Behandlung

Ergebnis

Histologie

30 UK linke Verdickung, Seite Schmerzen, Hypästhesie der Lippe

unregelmäßige UK-Resektion Heilung Aufhellungs- Unterbindung Beobachtungszonen d.A. carot. dauer: ext. bds. 12 Jahre

kapilläres Hämangiom

2 R . S.

5 UK linke Schwellung Seite linke Wange, lebensbedrohliche Blutung nach Extraktion 6

wabige DeUK-Resektion 2 Jahre postop. struktion des Unterbindung Rezidiv am UK-Knochens A. carot. UK-Stumpf ext. Ii.

kavernöses Hämangiom

3 M. L. $

27 OK pflau- spontane Blumen- tungen, heftige groß Blutung nach Extraktion 7

verwaschene OK-Resektion Heilung KnochenstrukBeobachtungstur im dauer: Alveolarfort1 Jahr satz bei ,7

kavernöses Hämangiom

kleinporige Aufhellung des Alveolarfortsatzes bei III bis! IV

OK-Resektion, mehrmalige Nachresektion u. DiathermieStichelung

Heilung Beobachtungsdauer: 9 Jahre

gemischt kapillär kavernöses Hämangiom

verwaschene Knochenstruktur ohne größere Hohlraumbildung

OK-Resektion Unterbindung A. carot. ext. re.

12 Jahre postop. kavernöses inoperables Hämangiom Rezidiv m. Ausdehnung in die Orbita und Schädelbasis

s

4 R. M. cJ

4 OK walnußgroß

kleine Geschwulst zwischen II und III

5 D. H. Q

7 OK rechte mehrere Seite Blutungen aus der re. Gaumenhälfte

Abb. 12. Verlaufsbeobachtungen an der Westdeutschen Kieferklinik Düsseldorf Dir. Prof. R E H E M A N N (STELLMACH u n d H A U S A M E N )

D. Diskussion 1. Diagnose Das H a u p t p r o b l e m bei den Kieferknochenhämangiomen scheint die frühzeitige Diagnose zu sein. Klinisch ist eine frühzeitige Diagnose nicht möglich, d a eigentlich erst im fortgeschrittenen S t a d i u m S y m p t o m e auftreten, die überdies in vielen Fällen uncharakteristisch sind. Eine Diagnose allein aus dem röntgenologischen B e f u n d scheint auch nicht möglich: Einerseits ist n u r bei einem Drittel der R ö n t g e n b e f u n d e ein typisches (immer noch mehrdeutiges) Abzeichnungsmuster beschrieben, andererseits wurde n u r in 5 Fällen allein aus der röntgenologischen Erscheinung eine richtige Diagnose gestellt.

Diskussion

19 I 21

Abb. 13—15. Kavernöses Hämangiom des linken Oberkiefers (Fall Nr. 4 der Tabelle Abb. 12); Beobachtungsdauer 9 J a h r e

Abb. 13. Angiomatose Veränderung der Schleimh a u t des hinteren Oberkiefers und am Tuber; Naevus flammeus des linken weichen Gaumens; K i n d 4 J a h r e alt

Abb. 14. Zustand 5 J a h r e nach Resektion des linken Oberkiefers; einzelne Teleangiektasien im Operationsbereich

Abb. 15. Zustand 9 J a h r e nach Oberkieferresektion ; klinisch u n d röntgenologisch rezidivfrei

Die histologische Untersuchung ist die sicherste diagnostische Methode, aber auch hierbei sind Irrtümer möglich, was die Tatsache beweist, daß zwei der histologisch gestellten Diagnosen unrichtig und drei nicht eindeutig waren. Außerdem ist das Blutungsrisiko groß. Aus diesen Tatsachen ist zu folgern: Bei allen nicht sicher diagnostizierbaren röntgenologischen Veränderungen der Kieferknochen sollte man bei der Differentialdiagnose auch an ein Knochenhämangiom denken.

22 I 19

R.

STELLMACH,

Die Knochenhämangiome des Gesichtsschädels

Die einzige Möglichkeit, frühzeitig ein Kieferknochenhämangiom zu erkennen, scheint dadurch gegeben zu sein, daß man auch kleine, röntgenologisch sichtbare Veränderungen im Kieferknochen systematisch weiter untersucht, sei es auf dem Wege der chirurgischen Exploration, sei es auf dem Wege der histologischen Untersuchung.

2. Therapie Die chirurgische Therapie wurde am häufigsten angewandt und war auch die erfolg(62% der operierten Fälle). Zur Reduktion der Letalität bei chirurgischen Eingriffen an Knochenhämangiomen haben in erster Linie die heute gegenüber früher erheblich günstigeren Begleitumstände bei der Operation beigetragen; das Blutungs-Operationsrisiko ist durch umfassende Operationsvorbereitungen stark gesunken, wie Bereitstellung größerer Blutmengen und entsprechende Prämedikation, verfeinerte Narkosetechnik insbesondere Intubationsnarkose, künstliche Hypotonie und Hypothermie. Die Operationsmethoden selbst sind im wesentlichen gleichgeblieben. Die Erfolgsaussicht einer Operation ist umso größer, je kleiner das zu entfernende Hämangiom ist; das Blutungsrisiko ist relativ gering, wenn es gelingt, den Tumor zu entfernen, ohne ihn zu eröffnen. Dies setzt voraus, daß er möglichst frühzeitig erkannt und behandelt wird. Die Strahlenbehandlung war mit etwa 42% nicht in gleichem Maße erfolgreich. Es sei aber bemerkt, daß eine Radiotherapie vielfach in denjenigen Fällen durchgeführt wurde, in denen der Prozeß weiter fortgeschritten war und so die Erfolgsaussichten auch bei einer chirurgischen Therapie geringer gewesen wären. Außerdem scheint die Telekobaltbestrahlung günstigere Ergebnisse zu erzielen. Hier sind jedoch noch nicht genügend Erfahrungen gesammelt worden. Auch kombinierte Behandlungsmethoden, wie die von S C H L E G E L , scheinen gute Erfolge zu versprechen.

3. Prognose Als eines der wichtigsten Ergebnisse geht aus dieser Übersicht hervor, daß die Prognose der Kieferhämangiome nicht so ungünstig ist wie früher allgemein angenommen wurde. Die Letalität liegt bei 8 von 111 Fällen und hat in der jüngeren Vergangenheit noch abgenommen: Von den 28 Fällen, die bis 1950 veröffentlicht wurden, verliefen sechs letal. Seither sind nur noch zwei Patienten an den Folgen eines Kieferhämangioms verstorben, eine Tatsache, die sicher auf die verfeinerten Behandlungsmethoden zurückzuführen sein dürfte. Zum anderen sind einige Fälle berichtet worden, in denen sich das Hämangiom über lange Zeit stationär verhielt ( L U N D , R O U N D , H I E L S C H E R und R I C H A R D ) . Die Prognose eines Kieferknochenhämangiom s ist mithin abhängig von der Wachstumstendenz bzw. -geschwindigkeit, vom Zeitpunkt der Behandlung, von der eventuell auftretenden Malignisierung ( G A B K A ) und von der Beherrschung der modernen Operationstechniken. Der Verlauf der Hämangiome von Nasenbein und Jochbein war undramatisch, ihre Prognose erscheint günstiger als die der Kieferknochenhämangiome.

Zusammenfassung

19 Ι 23

Ε . Zusammenfassung Nach Darlegung der Charakteristika der Knochenhämangiome werden die Möglichkeiten ihrer Behandlung erörtert. Es bieten sich die operative Entfernung, die Strahlentherapie und die kombinierte chirurgische und radiologische Behandlung an. Zur Beurteilung des klinischen Verhaltens der Knochenhämangiome des Gesichtsskelettes werden sämtliche seit 1900 berichteten Fälle zusammengestellt. Die Zusammenstellung umfaßt 111 Fälle, die nach einheitlichen Kriterifen ausgewertet werden. Die Ergebnisse dieser Zusammenstellung sowie die Befunde von 5 eigenen Beobachtungen von Knochenhämangiomen im Gesichtsskelett führen zu dem Schluß, daß die Prognose dieser Erkrankung günstiger ist als früher allgemein angenommen. Eine möglichst frühzeitige Diagnose dürfte das Hauptproblem bei den Kieferknochenhämangiomen darstellen. Sie sind besonders gefährlich durch die Zähne, da bei einer Zahnextraktion ein nicht bekannter Hämangiombefund zum Verblutungstod führen kann. Die verschiedenen Therapiemöglichkeiten werden dargelegt, und die in der neueren Zeit günstige Prognose der chirurgischen Behandlung wird als Ergebnis der verfeinerten Operationstechnik und verbesserter Maßnahmen der Anästhesie, der Blutungsverminderung und des Blutersatzes herausgestellt.

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HANDBUCH DER PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHRBAOTT · J . GABKA · A . BERNDOKFEB

B A N D II

SPEZIELLE PLASTISCHE

CHIRURGIE

20. Hämangiome — Lymphangiome J A N O S ZOLTAN,

I. Hämangiome Die Klassifizierung der Hämangiome . .

Budapest b) Die Behandlungsformen der Hämangiome SPAULDING, Μ.

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HANDBUCH DER PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHKBANDT · J . GABKA · A . BEKNDOBFEB

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

53. Konstruktive und rekonetruktive Chirurgie der oberen Extremitäten H . RETTIG u n d

J . EICHLEB

Inhaltsübersicht Einleitung

1

I. Arm und Hand

2

A. Konstruktive Chirurgie — Versorgung angeborener Mißbildungen 1. Operationen bei Abweichungen der Skelettanlage a) Numerische Schwankungen . . Λ) Mehrfachbildungen der Gliedmaßen Doppel- und Mehrfachbildungen des Armes . . . Doppelhand und Verdoppelungen der Elle . . . . Polydaktylie ß) Rückläufige Extremitätenschwankungen Defektbildungen des gesamten Armes Defekte der Elle . . . . Speichendefekte γ) Klumphand Radio-ulnare Synostose . Daumenstrahldefekte . . Adaktylien b) Störungen der Epiphysenentwicklung α) Überschußformen Dreigliedriger Daumen . β) Rückläufige Formen . . . Brachydaktylie und Brachyphalangie Klinodaktylie Angeborene Daumenbeugekontraktur Symbrachydaktylie . . .

2 4 4 4 4

4 6 6 7 8 10 11 12 15

Akzessorische Skelettelemente c) Störungen der Gelenkentwicklung Angeborene Verrenkung des Schultergelenkes Angeborener Schulterblatthochstand Dysostosis cleido-cranialis . Angeborene Verrenkungen des Speichenköpfchens MADELUNGsche Deformität . Habituelle Subluxation der Elle Gelenkaplasien d) Angeborene Kontrakturen . . Arthrogryposis multiplex congenita Angeborene Klumphand . . Angeborene Windmühlenflügelfinger DupuYTRENsche Kontraktur Fingerknöchelpolster . . . .

20 20 20 21 23 23 23 24 26 26 26 27 28 29 29

17 18

2. Operationen bei Mißbildungen auf Grund von Störungen der primitiven Weichteilplatte a) Syndaktylien Löffelhand Spalthand b) Ringförmige Furchen c) Angeborener umschriebener Riesenwuchs

19 20

3. Abschließende Betrachtung der plastischen Versorgung angeborener Mißbildungen 40

16 16 16 17

32 33 33 37 38 39

Β. Rekonstruktive Chirurgie — Plastische Versorgung und Funktionswiederherstellung erworbener Schäden . . . . 1. Schäden an den Weichteilen

41

. .

41

a) Hautdefekte und Narben . . Decollement Flügelfell Narbenkeloid und Ulzeration Frische Hautverletzung. . . Veraltete Hautschäden und Narben Techniken der Hauttransplantation

41 41 42 42 43

b) Muskel- und Sehnenrupturen. .

Sehnenapparat, die Nerven, Gelenke und Knochen getroffen haben, erfordern ebenso sekundäre Maßnahmen, doch muß das Gebiet mit Haut, die ein Fettlager enthält, gedeckt werden. Man nimmt dazu einen gestielten Lappen vom Bauch oder vom Thorax. Um eine schmiegsame Haut, die sich dem Niveau der aufnehmenden Fläche anpaßt, zu erhalten, wird der Lappen getrimmt, damit keine unnötigen Fettmassen mitgebracht werden. Das Wesentliche ist, daß das subdermale Gefäßnetz intakt bleibt. Wenn der Lappen eingeheilt ist, bedarf es oft einer Periode heilgymnastischer Behandlung, bevor man die notwendigen handchirurgischen Maßnahmen (sekundäre Nerven- und Sehnennähte, Sehnentransplantationen usw.) ausführen kann. Bei schweren Verbrennungen entsteht nicht selten eine Fibrose der Gelenkkapsel der Metakarpophalangealgelenke. Sie tritt besonders bei Fällen auf, die inkorrekt bandagiert waren oder bei denen eine insuffiziente Bewegungsbehandlung angewandt wurde. Langdauernde heilgymnastische Behandlung, eventuell mit „dynamic splints" kombiniert, kann in vielen Fällen zu einem zufriedenstellenden Flexionsvermögen führen. Wenn eine solche Behandlung nicht erfolgreich ist, muß das Gelenk durch Kapsulotomie oder partielle Kapsulektomie mobilisiert werden, wobei die fibrotischen Seitenpartien der Gelenkskapsel entfernt werden. Dem Eingriff muß eine Bewegungsbehandlung folgen, mit der bereits einige Tage postoperativ begonnen wird. Die dünne Haut an den Dorsalseiten der Finger hat zur Folge, daß der Extensorenapparat, besonders über den proximalen Interphalangealgelenken, oft geschädigt wird. Dabei wird der zentrale Teil des Streckapparates zerstört. Die lateralen Teile gleiten beiderseits nach volar und funktionieren dann in ihrer neuen Lage als Beuger. Es entsteht die typische „buttonhole-deformation" mit Flexion des proximalen und Hyperextension des distalen Interphalangealgelenkes. Der Zustand ist wegen der Kapseldestruktion und

55 | 13

Chirurgische Spätbehandlung

a

b

Abb. 13. a) Nach einer tiefen Verbrennung, die beinahe die ganze Haut der Hand zerstörte, wurde die entstandene Wundfläche mit Spalthauttransplantaten gedeckt. Ausgedehnte Syndaktylien aller Finger. b) Nach mehreren Operationen mit weiterer Zufuhr von freien Hauttransplantaten haben die Finger wieder normale Bewegungsfreiheit

Fibrose schwer zu behandeln. Ist eine gute Beweglichkeit des Gelenkes für den Patienten von großer Bedeutung, so kann der Extensorenapparat mit einem Sehnentransplantat rekonstruiert werden, aber, wie oben erwähnt, erfordert dies, daß der Bereich zunächst mit Haut gedeckt wird, die subkutanes Fett enthält. Das Verfahren ist daher kompliziert und braucht eine lange Behandlungszeit. In den meisten Fällen ist es daher ratsam, eine Arthrodese vorzunehmen, die das Glied in Funktionsstellung hält. Wenn der volare Teil einer Fingerspitze mit einem dünnen Transplantat bekleidet ist, das nur geringe Mengen subkutanen Gewebes enthält, wird er oft wegen mangelhafter oder fehlender Sensibilität und unzureichender Stärke des Transplantates wertlos. Ein schmaler gestielter Lappen mit einer wohlabgewogenen Menge subkutanen Fettes kann eine normale Form der Fingerkuppe mit stabiler Haut ergeben, aber der Ausfall der Sensibilität bewirkt, daß die Funktion des Fingers weiterhin herabgesetzt bleibt. In diesen Fällen muß daher die Amputation erwogen werden: ein kürzerer Finger mit stabiler und sensibler Haut funktioniert besser als ein normallanger, dessen Haut an der Spitze von schlechter Qualität ist. Dies gilt jedoch nicht für den Daumen, bei dem jede Möglichkeit, seine ursprüngliche Länge zu erhalten, wahrgenommen werden muß. Ein volar nicht innerviertes Transplantat am Daumen kann mit einem Bereich von perfekter taktiler Funktion versehen werden, wenn man nach L I T T L E R (1960) einen neuro vaskulären Hautlappen von einem anderen Finger transponiert. 3. Fuß Die rekonstruktiven Betrachtungen, die für die Hand gelten, können auch für den Fuß angewandt werden. Narbenstränge sind relativ selten, können jedoch bei vernachlässigten Fällen auftreten und an der Dorsalseite die Zehen in die Höhe ziehen, so daß die Metatarsophalangealglieder in Subluxationsstellung stehen. Das hat zur Folge, daß der

14 I 55

Β . PONTEN, Verbrennungen der Extremitäten

Patient keine normalen Schuhe tragen kann. Wird das Narbengewebe radikal entfernt und der Defekt gedeckt, so stehen die Zehen in besserer Stellung. Hat die Kontraktur lange bestanden, muß man oft in mehreren Sitzungen Haut zuführen, ehe eine volle Restitution erzielt wird. Auf dem Fußrücken, um das Fußgelenk und medial unter dem Arkus kann ein Spalthautlappen vollkommen zufriedenstellend sein. Auf den Belastungsflächen der Fußsohle dagegen soll stabilere Haut angebracht werden. Das Gleiche gilt für das Gebiet der Ferse und der Achillessehne, die beide der Reibung durch die Schuhe ausgesetzt sind. Vollhautlappen können, wenigstens in kleineren Bereichen eine ausreichende Stabilität ergeben.

a

b

Abb. 14. α) Tiefe Verbrennung mit totaler Nekrose der drei medialen Zehen, die amputiert wurden. Proximal davon war die Haut, aber nicht das darunterliegende Gewebe geschädigt. Die Hautdeckung wurde mit einem abdominellen Rundstiellappen vorgenommen. (Ein gestielter Lappen vom anderen Unterschenkel konnte, da dort gleichzeitig ein Knieschaden bestand, nicht gebildet werden), b) Nach 2 Jahren. Der Patient hat keine Beschwerden, wenn er geht oder läuft und trägt gewöhnliche Schuhe

Diese Transplantate werden am besten von dem Grenzgebiet zwischen der Glutaelregion und dem proximalen Teil des Oberschenkels genommen. Die Haut ist dort kräftig und reichlich, so daß man den Defekt, auch wenn große Transplantate entnommen wurden, direkt vernähen kann. A V E L L A N & JOHANSSON (1963) berichten von guten Resultaten mit Vollhautlappen vom Fußrücken, aber diese Technik bringt es mit sich, daß der Fußrücken sekundär mit Spalthautlappen gedeckt werden muß. Oft muß ein gestielter Lappen vom anderen Bein verwendet werden. Liegt eine Kontraindikation vor, so wird ein Rundstiellappen, der in mehreren Sitzungen vom Bauche zum geschädigten Bereich wandern muß, benützt (Abb. 14). In Ausnahmefällen, ζ. B. bei einer kleinen Schädigung der Planta pedis oder des Gebietes über der Achillessehne, kann ein lokaler Rotationslappen angewendet werden.

55 I 15

Abschluß

IV. Abschluß Die größten Probleme bei der Behandlung von Verbrennungen der E x t r e m i t ä t e n betreffen die Hände. Hier führen auch kleine Defekte zu bedeutenden Funktionseinschränkungen. E s kommt daher oft zu zahlreichen und langdauernden operativen Behandlungen. Manchmal können auch relativ kleine Eingriffe zu erstaunlich guten Ergebnissen führen. Jeder einzelne Fall muß individuell behandelt werden unter Rücksichtnahme auf Beruf, Alter, Individualität usw. des Patienten. Das Endziel muß sein, ihn wieder auf seinen Platz in der menschlichen Gesellschaft zu stellen. Bei schwereren Schäden kann es jedoch vom Anfang an offenbar sein, daß er seine ursprüngliche Arbeit nicht wieder aufnehmen kann. Dann muß man den Patienten bei den Schwierigkeiten, die ein Berufswechsel und eine Umschulung usw. mit sich führen, zu unterstützen versuchen. Bei einem solchen Patienten ist die Behandlung keineswegs mit der letzten Operation abgeschlossen, sondern es ist unsere Aufgabe, ihm durch Rehabilitierungsmaßnahmen zu helfen, seine Wiederanpassungsprobleme zu lösen. Literatur M. U. J . S I E G R I S T : Verbrennungen. Springer-Verlag, BerIin~Göttingen~Heidelberg (1957). A R T Z , C . P. (Ed.): Research in burns. Proc. First Internat. Congr. on Res. in Burns. Amer. Inst. Biol. Sc., Washington and P. A. Davis Co., Philadelphia (1962). A R T Z , C. P. U. E. R E I S S : The treatment of burns. W. Β. Saunders Company, Philadelphia and London (1957). ASCHAN, P. E . : The reconstruction of severe injuries to the eyelids. Transact. Internat. Plast. Surg. 2, 394 (1960). A V E L L Ä N , L . U. B. J O H A N S O N : Full thickness skin graft from the dorsum of the foot to its weightbearing areas. Acta chir. Scand. 126,497 (1963). ALLGÖWER,

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HANDBUCH DER PLASTISCHEN

CHIRURGIE

Herausgegeben von E. GOHKBANDT · J. GABKA · A. BERNDOEFER BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

57. Stumpf- und Fersenplastiken

(unter besonderer Berücksichtigung der Spätergebnisse) KARL LANG, Markdorf/Baden

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Indikation und Kontraindikation . . III. Operationsmethode ·. . A. Allgemeine grundsätzliche Gesichtspunkte B. Operationstechnik der Vorfußplastik C. Operationstechnik der Fersenplastik D. Operationstechnik der Unterschenkelkurzstumpf plastik E. Durchtrennung des gestielten Hautlappens nach Einheilung . . . . IV. Doppelplastiken V. Komplikationen VI. Nachbehandlung VII. Reiiinervation VIII. Orthopädische Versorgung IX. Spätresultate X. Zusammenfassung Literatur

Anschrift des Verfassers: Dr. med. Karl Lang Markdorfj Baden Rebhalde

1 3 4 4 8 11 14 17 19 21 22 24 24 25 32 33

57. Stumpf- und Fersenplastiken K A R L LANG,

Markdorf/Baden

I . Einleitung I m vorliegenden Beitrag kommen Hautplastiken zur Darstellung, die starken direkten Belastungen ausgesetzt sind. Stumpf- und Fersenplastiken werden funktionell besonders beansprucht. Verschiedene mechanische Kräfte, wie Druck, Zug oder Reibung wirken beim Gehen ständig auf das Transplantat ein und erfordern dadurch eine ungewöhnlich hohe Widerstandsfähigkeit. Die freie Hautübertragung scheidet in diesen Fällen von vornherein aus, da sie einer solchen Beanspruchung nicht gewachsen ist. Nur eine gestielte Plastik mit möglichst widerstandsfähiger H a u t und genügendem Unterhautfettgewebe bietet die notwendigen Voraussetzungen. Durch meine Tätigkeit an einem Sonderlazarett für Hautplastiken im letzten Weltkrieg konnte ich auf diesem Gebiet besonders wertvolle Erfahrungen sammeln. Die zahllosen Erfrierungen 3. Grades als Folge des Ostfeldzuges stellten uns vor eine äußerst schwierige

Abb. 1. Typische Vorfußplastik nach Erfrierung 3. Grades, aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel entwickelt, nach 14jähr. Belastungszeit. Das Transplantat umgreift kappenförmig den Vorfuß und ist durch eine strichförmige Narbe deutlich abgesetzt

Abb. 2. Typische Fersenplastik nach Erfrierung 3. Grades, aus dem seitengleichen Gesäß entwickelt, nach 14jähr. Belastungszeit. Das Transplantat ist in den Hauptbelastungsbereich der Fußsohle miteinbezogen und hat sich der normalen Form unauffällig angepaßt

Aufgabe. Zunächst mußte im Bereich der Demarkationslinie amputiert werden, u m das nekrotisch gewordene Gewebe vom Gesunden zu trennen. Damit war jedoch noch kein belastungsfähiger Stumpf erzielt. Gewöhnlich folgte dann eine Nachamputation, der wertvolles funktionstüchtiges Stumpf material zum Opfer fallen mußte. Bei den Erfrierungen 3. Grades über der Ferse m u ß t e n große Weichteilnekrosen entfernt werden, die eine ausgedehnte Wundfläche hinterließen. Die Heilung per secundam f ü h r t e zu derben schwieligen Narben, wenn der Defekt überhaupt zur Abheilung gebracht werden konnte. Schon bei geringster Belastung brachen diese auf, es entstanden therapieresistente Narbenulzera. Handb. Plast. Chir., Bd. I I

60

2 I 57

Κ . LANG, Stumpf- und Fersenplastiken

In allen diesen Fällen bot sich die gestielte Hautplastik zwingend an. Gleichzeitig aber stellte sich die wichtige Frage, ob so ein Transplantat den funktionellen Anforderungen auf die Dauer gewachsen sein könnte. Das Schrifttum gab keine befriedigende Antwort. L E X E R hat in seiner „Wiederherstellungschirurgie" grundsätzliche Anregungen und wichtige Impulse gegeben. Hinweise über die Belastungsfähigkeit des funktionell direkt beanspruchten Hautersatzes auf die Dauer finden sich bei ihm nicht. Wir haben uns deshalb in der ersten Zeit nur zögernd und in einzelnen Fällen zu dieser Form der Wiederherstellung entschlossen. Die ersten Belastungsproben waren jedoch so ermutigend, daß die anfängliche Zurückhaltung bald aufgegeben wurde. Eine besonders ausgefeilte Operations- und Verbandstechnik mußte entwickelt werden, um dieser Operation den improvisierenden Charakter zu nehmen und alle möglichen Komplikationen auf ein Mindestmaß zu beschränken — eine entscheidende Voraussetzung dafür, das ungewöhnlich große Krankengut zu bewältigen. So entwickelte sich aus meiner Erfrierungsabteilung ein Sonderlazarett für gestielte Hautplastiken. Der Unterschenkelkurzstumpf war bei breiter Narben- oder Geschwürsbildung in der Versorgung ebenfalls problematisch. Die sogenannten zirkulären Amputationen, die bei schweren Zertrümmerungsbrüchen und ausgedehnten Weichteilverletzungen am Unterschenkel im letzten Krieg zeitweise empfohlen wurden, schafften Stumpf Verhältnisse, die jegliche orthopädische Versorgung blockierten. Die breiten, flächenhaften Narben, die mit der Unterlage fest verbacken und oftmals von Narbenulzera begleitet waren, verhinderten das Tragen einer gut sitzenden Prothese. Oft war eine Nachamputation nicht mehr möglich, ohne daß das Kniegelenk geopfert werden mußte. Durch die ersten Ergebnisse der Vorfuß- und Fersenplastiken ermutigt, entwickelten wir auch hier ein Operationsver-

Abb. 3. Typische Unterschenkelkurzstumpfplastik, aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel entwickelt, nach 14jähr. Belastungszeit. Durch die ausgedehnte haubenförmige Weichteilplastik wurde wertvolles Stumpfmaterial erhalten

fahren, das eine großflächige gestielte Hautplastik auch am Unterschenkelkurzstumpf ermöglichte. Von über 500 gestielten Hautplastiken an der unteren Extremität habe ich bereits in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren rund 300 funktionell besonders beanspruchte Hautübertragungen vorgenommen: 96 am Vorfußstumpf, 113 an der Ferse und 93 am Unterschenkelkurzstumpf. Da man — wie schon erwähnt — auf keinerlei Erfahrungsberichte zurückgreifen konnte, die die so wichtige Frage nach der Belastungsfähigkeit auf die Dauer beantwortet hätten, habe ich von Anfang an auf die genaue Überwachung und Nachprüfung der mit einer Plastik versorgten Patienten großen Wert gelegt. Es wurden ein zweites Krankenblatt und eine Sonderkartei mit Heimatanschrift angelegt. Höchste militär-ärztliche Dienst-

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Indikation und Kontraindikation

stellen veranlaßten und ermöglichten die notwendigen Nachuntersuchungen auch nach der Entlassung aus dem Lazarett. Die einzelnen orthopädischen Versorgungsstellen waren angewiesen, Erfahrungsberichte zu erstellen. Außerdem mußten sich die mit einer Plastik versorgten Patienten turnusmäßig bei mir einfinden, damit sie zusammen mit einem dafür beauftragten Orthopäden nachuntersucht werden konnten. Auf diese Weise war es möglich, das wichtige Stadium der Erstbelastung genau zu beobachten, Mängel in der orthopädischen Versorgung rechtzeitig abzustellen und die Patienten bei auftretenden Schwierigkeiten entsprechend zu beraten. In den letzten 20 Jahren wurden von mir eine große Anzahl dieser Stumpf- und Fersenplastiken wiederholt nachuntersucht und überprüft, so daß die so wichtigen Spätergebnisse über die Zweckmäßigkeit eines solchen Eingriffs gültig aussagen können.

II. Indikation und Kontraindikation Die Indikation zur Hautplastik an Vorfuß, Ferse und Unterschenkelkurzstumpf ist dann gegeben, wenn durch konservative Maßnahmen die Abheilung eines größeren Defektes nicht möglich ist. Eine Vorfußplastik soll nur dann durchgeführt werden, wenn durch eine Nachamputation die Funktionstüchtigkeit des Fußstumpfes erheblich herabgemindert wird. Da aber bei einer Erfrierung 3. Grades Weichteile und Knochen bis zur Demarkationsgrenze gleich-

Abb. 4. Erfrierung 3. Grades beider Fersen nach 15 Jahren. Rechts ausgedehnte Narbenbildung, mit der Unterlage fest verbacken. Links zweimarkstückgroße, tiefreichende Geschwürsbildung mit Knochenbeteiligung. Der Fersendefekt links kam seit der Erfrierung nie zur Abheilung und wurde deshalb nach 15 Jahren zur Plastik eingewiesen

Abb. 5. Seitliche Röntgenaufnahme der linken Ferse von Abb. 4. Der chronisch entzündliche Prozeß in den Randzonen des Kalkaneus sowie die exostosenartigen Knochenwucherungen (Osteophyten) im Belastungsbereich des Kalkaneus sind deutlich zu erkennen

mäßig geschädigt sind, ist es nicht immer möglich, durch eine Amputation eine ausreichende Stumpfdeckung zu erzielen, ohne wertvolle Knochenteile zu opfern. Man wird sich besonders dann leicht zur Vorfußplastik entschließen, wenn das andere Bein funktionell schwer beeinträchtigt ist (ζ. B. Vorfuß-, Unter- oder Oberschenkelamputation, Gelenkversteifung usw.). An der Ferse kann ein großer Haut- und Weichteildefekt nur selten zu einer befriedigenden Abheilung gebracht werden, da hier die mechanische Beanspruchung besonders stark ist (Abb. 4). Bei einer länger bestehenden Geschwürsbildung an der Ferse greift der entzündliche Prozeß fast immer auch auf den Kalkaneus über und führt hier zu einer schleichen60»

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den Osteomyelitis, besonders in den Randbezirken (Abb. 5). I n diesem Stadium sind alle konservativen Maßnahmen völlig aussichtslos. Außerdem entstehen häufig exostosenartige Knochenwucherungen (Osteophyten) auf dem Boden einer chronischen Entzündung. Werden diese bei Anlegen einer Plastik übersehen, ist das funktionelle Ergebnis in Frage gestellt. Röntgenaufnahmen in mehreren Ebenen sind in solchen Fällen dringend angezeigt, um das Ausmaß der Knochenbeteiligung zu erfassen. Ohne Abtragung dieser Nekrosen bzw. Exostosen ist die Einheilung einer Hautplastik nicht möglich. Bei einer schweren Erfrierung 3. Grades z . B . kann der Kalkaneus primär oder sekundär zur Teilnekrose verurteilt sein. Beim trophischen Geschwür und bei größeren Ablederungsdefekten mit oder ohne Beteiligung des Kalkaneus ist die Indikation zur Fersenplastik ebenfalls gegeben. Eine Unterschenkelkurzstumpfplastik soll dann ausgeführt werden, wenn durch eine Nachamputation kein belastungsfähiger Stumpf geformt werden kann. Diese Situation ist dann gegeben, wenn der Unterschenkel kniegelenksnah zirkulär amputiert wurde. (Am Anfang des Krieges sahen wir diese unphysiologische Amputationsform sehr häufig. Sie wurde im Fronteinsatz bei schweren Zertrümmerungsbrüchen mit ausgedehnten Weichteilverletzungen am Unterschenkel propagiert, um einem Gasbrand vorzubeugen.) Das Ergebnis der Heilung per secundam ist gewöhnlich eine breite, flächenhafte Narbe, die mit der Unterlage fest verbacken ist. Die Voraussetzung für einen prothesengerechten Stumpf ist damit nicht gegeben. Bei geringsten Belastungen brechen diese Narben auf und es bilden sich therapieresistente Narbenulzera. Durch Hautverschiebung aus der Umgebung können solche ausgedehnten Defekte nicht geschlossen werden. Man wird sich aber bei völlig intaktem Kniegelenk nur ungern zur Oberschenkelamputation entschließen. Eine zwingende Indikation zur Fernlappenplastik ist dann gegeben, wenn auch das andere Bein beschädigt ist oder gar eine Doppelamputation vorliegt. Die Kontraindikation soll hier nur kurz gestreift werden. Allgemeine medizinische Gesichtspunkte, die sich einer Operation entgegenstellen, haben auch hier ihre Gültigkeit. Nach dem 50. Lebensjahr sollte man zurückhaltend sein, hier entscheidet die körperliche und geistige Verfassung des Patienten. Bei Patienten über 60 Jahren wird man sich nur in Ausnahmefällen zu einem solchen Eingriff entschließen. Zurückhaltend ist die Indikation zu stellen bei generalisierten Hauterkrankungen, Herz- und Kreislaufstörungen, Fettsucht, bei stärkerer Varizenbildung, Arteriosklerose und sogenannten „Rentenneurotikern". Eine absolute Kontraindikation besteht bei Diabetes mellitus, Endangiitis obliterans und fortgeschrittener Arthrosis deformans der großen Gelenke der unteren Extremität.

III. Operationsmethode A. Allgemeine grundsätzliche Gesichtspunkte Nur eine ganz exakte Planung und bis ins kleinste durchdachte Operationsmethode f ü h r t zum Ziel, mit anderen Worten: es gilt, dieser Operation ihren improvisierenden Charakter zu nehmen. Viele Einzelforderungen sind dabei auf einen Nenner zu bringen, wobei an dieser Stelle nur die zwei wichtigsten herausgestellt werden sollen: 1. Der Hautersatz muß künftigen Anforderungen gewachsen sein und einen Dauererfolg weitgehend garantieren. Deshalb ist die anatomische Beschaffenheit des Transplantates von ausschlaggebender Bedeutung. 2. Alle Komplikationen, die während oder nach der Operation auftreten können, müssen auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden.

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An den verschiedenen Körperpartien ist die Haut in ihrer Grundstruktur sehr unterschiedlich aufgebaut. Das subkutane Fett- und Bindegewebe ist für die funktionell belastete Haut als Puffer und Gleitsubstanz von ausschlaggebender Bedeutung. Im Bereich der Hohlhand, der Fußsohle und des „Sitzknorrens" ziehen mächtige Bindegewebsbündel — retinacula cutis — von der Haut senkrecht zur Unterlage und durch-

Abb. 6. Typischer Gipsverband einer Fersenplastik aus dem seitengleichen Gesäß. Die korbförmig eingegipsten Aluminiumschienen ermöglichen die Freiluftbehandlung und erhöhen die Stabilität

Abb. 7. Typischer Gipsschienenverband einer Unterschenkelkurzstumpfplastik. Die groß angelegte Weichteilplastik stülpt sich in breiter Ausdehnung haubenförmig über den Unterschenkelstumpf

Abb. 8. Seitenansicht von Abb. 7. Der von distal entwickelte Hautlappen bedeckt zwei Drittel des Unterschenkelstumpfes. Der Defekt am Oberschenkel ist durch seitliche Situationsnähte wesentlich verkleinert, der Rest durch THIERSCHlappen gedeckt

Abb. 9. Andere Seitenansicht von Abb. 7. Der Gipsverband ist bereits aufgeschnitten (wie auch bei Abb. 7). Diese Bilder wurden unmittelbar vor der Durchtrennung des eingeheilten Hautlappens, vier Wochen nach Anlegung der Plastik, aufgenommen

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setzen den panniculus adiposus wie „Absteppungen einer Matratze" (SIEGLBAUER). Das so straff gefaßte Unterhautfettgewebe bietet demnach ideale Voraussetzungen für mechanische Belastungen. Außerdem ist die Haut über der Streckseite großer Gelenke besonders stabil, da hier im Korium zusätzlich zahlreiche elastische Fasern gitterförmig eingebaut sind. Hierdurch wird eine große Dehnbarkeit und Hautdichte erreicht. Auf Grund dieser anatomischen Verhältnisse ist die Gesäßhaut mit ihrem speziell geformten Unterhautfett- und Bindegewebe der beste Ersatz für die Sohlenhaut. Die Haut der Streckseite des Oberschenkels in Kniegelenksnähe bietet aus der gleichen Überlegung heraus ebenfalls einen sehr widerstandsfähigen Hautersatz. Durch den sehr ausgeprägten kollateralen Kreislauf in diesem Bereich sind außerdem die Durchblutungsverhältnisse äußerst günstig. Zudem laufen nur wenig Venen im subkutanen Fett- und Bindegewebe. Dadurch ist es möglich, die Hautplastik auch von unten (distal) zu stielen, ohne daß Durchblutungsstörungen und Nekrosen zu befürchten sind.

Abb. 10. Typischer Gipsschienenverband bei der sog. Vorfußplastik. Die Ruhigstellung wird in erster Linie durch die vorgefertigte Schiene erreicht. Der gepolsterte Gipsverband dient lediglich zur druckfreien Lagerung und als verbindendes Element zur Schiene. Die korbförmigen Aluminiumschienen über der Plastik ermöglichen die Freiluftbehandlung

Die Wadenhaut, die sich in manchen Fällen operationstechnisch einfacher anbietet, ist auf Grund meiner Untersuchungen weit weniger belastungsfähig. Außerdem laufen hier im Unterhautfettgewebe zahlreiche verzweigte Venen, die zum Einflußbereich der V. parva gehören und den Rückfluß des Blutes im Sinne eines Pumpsystems durch die Funktion der Wadenmuskulatur unterstützen sollen. Eine größere Hautentnahme am Unterschenkel kann deshalb zu Funktionsstörungen in den Blutumlauf Verhältnissen führen. Auch BÜKKLE DE LA CAMP lehnt eine gestielte Plastik aus diesem Bereich ab. In den anglo-amerikanischen Ländern wird jedoch vorwiegend aus der Wade der sogenannte ,,cross-leg flap" gewonnen und zur plastischen Deckung von Defekten an der Sohle und des Unterschenkels verwendet. Spätresultate über das funktionelle Ergebnis liegen nur vereinzelt vor. Darauf wird an anderer Stelle noch näher eingegangen werden. Die Bauchhaut ist meines Erachtens am wenigsten geeignet für einen stabilen Hautersatz, der funktionell direkt beansprucht wird. Die Kutis ist hier verhältnismäßig dünn und das Unterhautfettgewebe ist zwar meistens reichlich vorhanden, aber viel zu locker im Bindegewebe gefaßt. Die absolute R u h i g s t e l l u n g bei der gestielten Hautplastik ist eine Grundforderung und entscheidend für den komplikationslosen Heilverlauf.

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Die Voraussetzung dafür ist eine einwandfreie Verbandstechnik. Der Gipsverband allein als ruhigstellendes Element ist nach meiner Auffassung viel zu schwerfällig. Durch besonders konstruierte Stützschienen in Verbindung mit einem gepolsterten Gipsverband läßt sich dieser wesentlich vereinfachen. Der kombinierte Verband erlaubt auch, das Entnahmegebiet möglichst frei zugängig zu machen, da der Gips ohne Gefährdung seiner Stabilität beliebig weit ausgeschnitten werden kann. Grundsätzlich haben wir den Schienengipsverband einen Tag vor der Operation angelegt. Ich sehe gerade in diesem Vorgehen unschätzbare Vorteile: 1. Kann der zu deckende Defekt unter Mithilfe des Patienten mühelos an die Entnahmestelle herangeführt und die notwendige Zwangshaltung individuell eingestellt werden. Oft genügen nur kleinste Lage Veränderungen, um auftretende Schmerzen und Muskelverkrampfungen auszuschalten. Diese wichtige Korrektur kann in der Narkose nicht berücksichtigt werden. Als Folge werden überspitzte Fehlstellungen erzwungen, die oft zu unerträglichen Schmerzen während der Einheilungsphase führen. Außerdem wird so die Operationsund Narkosedauer erheblich herabgesetzt. 2. kommt es nicht zur Zerrung und Torquierung des gestielten Hautlappens, der unmittelbar nach der Operation darauf sehr empfindlich reagieren kann. 3. kann jede beliebige Änderung des Gipsverbandes vorgenommen werden, ohne daß man auf die bereits durchgeführte Operation Rücksicht nehmen muß. Druckstellen können auf diese Weise meist einfach und mit ziemlicher Sicherheit beseitigt werden. 4. hat der Patient die Möglichkeit, sich schon einen Tag vor der Operation an seine neue Zwangslage zu gewöhnen und eine bessere Einstellung zu finden — ohne Einfluß von Narkotika. Der operative Eingriff selbst wird dann Abb. 11. Die eingeheilte Vorfußplastik von Abb. 10, kurz vor der Durchtrennung leichter hingenommen und die Nachbehandlung wird entsprechend einfacher. Der ruhigstellende Gipsschienenverband — vor der O p e r a t i o n a n g e l e g t — ist das „Ei des Kolumbus" jeder gestielten Hautplastik an der unteren Extremität. Eine ganz entscheidende Voraussetzung f ü r den Erfolg einer gestielten Hautplastik ist außerdem die i n n e r e E i n s t e l l u n g des Patienten zu dieser Form der Wiederherstellung. Bevor überhaupt die Operation durchgeführt wird, ist deshalb eine eingehende Aussprache mit dem Patienten notwendig. Er muß mit dem Ziel der Behandlung vertraut gemacht werden. Die Opfer an Zeit und Geduld, die man von ihm fordert, sollen rückhaltlos besprochen werden. Der Patient muß unbedingt wissen, daß ohne seine Mitarbeit das Operationsziel nicht erreicht werden kann. Eine verstümmelnde Verletzung f ü h r t häufig auch zu einem psychischen Trauma, denn die eigene Machtlosigkeit gegenüber fremder Gewalteinwirkung wiegt dabei besonders schwer und wird oft nur ungenügend seelisch verarbeitet und ausgeglichen. Allzu leicht werden spätere Fehlschläge und Mißerfolge im Leben bewußt oder unbewußt auf die Verletzungsfolgen zurückgeführt und neurotisch beantwortet. Der Patient, der die Opfer einer gestielten Hautplastik auf sich nimmt, hat so die Möglichkeit, selbst dazu beizutragen, den erlittenen Schaden einigermaßen zu korrigieren. Der seelische Heilungs- und Umstimmungsprozeß kann dadurch entscheidend beeinflußt

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werden. Bei meinen Kriegsversehrten konnte ich diese Beobachtung immer wieder machen. Sie waren letzten Endes zu jedem Opfer bereit, wenn nur eine Amputation oder Nachamputation umgangen werden konnte. Auch der Doppel-Amputierte zum Beispiel, der vorher herumlag und mit seinem Schicksal haderte, faßte wieder Mut und Vertrauen zu sich selbst, nachdem durch s e i n e n Beitrag die Stumpfverhältnisse verbessert werden konnten. Hiermit wurde meines Erachtens die entscheidende Grundlage für die Rehabilitation im späteren Berufsleben gelegt. B. Operationstechnik der Vorfußplastik Am Tag vor der Operation wird der ruhigstellende Gipsschienenverband in folgender Weise angelegt: Zunächst erhält das Entnahmebein einen gut gepolsterten Oberschenkelgips. Die Beugeseite wird mit einer dicken Gipslonguette verstärkt. Das Kniegelenk befindet sich dabei in leichter Beugestellung (etwa 170 Grad). Über der Streckseite des Oberschenkels in Kniegelenksnähe wird ein breites Gipsfenster herausgeschnitten, so daß das vorgesehene Operationsfeld und der obere Rand der Kniescheibe frei liegt.

Abb. 12. Schematische Darstellung einer Vorfußplastik aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel, breit von distal gestielt

Man führt nun den zu deckenden Fußstumpf so nahe an die Entnahmestelle heran, daß sich Fußsohle und Oberschenkelhaut fast berühren und das Stumpfende etwa drei Finger breit oberhalb der Kniescheibe zu liegen kommt. Diese Höhe entspricht etwa der Basis des vorgesehenen Hautlappens. Damit ist die Grundstellung des zur Plastik vorgesehenen Beines im wesentlichen markiert. In dieser Stellung legt man zunächst einen ausgiebigen Wattepolsterverband an, wobei man Kniekehle und die angrenzenden Hälften der Beugeseite des Ober- und Unterschenkels freiläßt, da sich diese durch die starke Abbeugung im Kniegelenk praktisch berühren (Abb. 10 u. 14). Eine zusätzliche Watteschicht stülpt man haubenförmig über das Kniegelenk mit Verstärkung an der Außenseite. Eine kräftige Gipslonguette wird nun so angelegt, daß sie fingerbreit oberhalb der vorgesehenen Operationsnarbe am Fußstumpf beginnt, die ganze Streckseite des Beines umfaßt und etwa handbreit unterhalb der Leistenbeuge endet. Ähnlich wie beim Oberschenkelgips fixiert man diese Gipslonguette durch zirkuläre Gipsbinden, wobei man von der Mitte des Unterschenkels an die Gipstouren direkt zur Streckseite des Oberschenkels führt und so die kniegelenksnahen Hälften des Ober- und Unterschenkels auf der Beugeseite frei läßt. Dadurch wird das stark abgewinkelte Kniegelenk kappenförmig umschlossen. Es empfiehlt sich, die Außenseite dieser Gipskappe noch durch eine kleine Gipslonguette zu verstärken, besonders an der Stelle, wo die Fixation mit der Stützschiene vorgesehen ist. Der zur Plastik vorgesehene Fußstumpf wird nun in seine endgültige Lage gebracht und die Stützschiene angelegt. Diese Stützschiene kann in jeder beliebigen Werkstätte angefertigt werden. Sie besteht aus einem etwa 5 mm dicken Rundeisen. Der Grundriß

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entspricht einem langgestreckten, spitzwinkeligen Dreieck, dessen Basis bogenförmig der Gesäßhälfte des Plastikbeines ausweicht. Senkrecht auf die langschenkelige Außenseite der Grundschiene wird eine dünnere, bogenförmige Schiene aufgeschweißt, und zwar so, daß sie die Außenseite des abgewinkelten Kniegelenks erreicht und beliebig nach außen oder innen gebogen werden kann, entsprechend der notwendigen Lagerung des im Kniegelenk stark abgewinkelten Empfängerbeines (Abb. 13). Fehlen eigene Herstellungsmöglichkeiten, können diese Schienen bei der Firma Ulrich im Ulm bezogen werden. Die Kontaktpunkte werden mit Schusterspänen oder schmalen dünnen Brettchen unterlegt und mit lockeren Gipsbinden unterfüttert. Einige zirkuläre Gipstouren in diesem Bereich genügen zur Fixation.

Abb. 14. Schematische Darstellung des Gipsschienenverbandes der Vorfußplastik. Durch die Stützschiene ist die Statik des ruhigstellenden Verbandes gesichert und ein komplizierter Beckengips überflüssig

Damit ist die gewünschte Ruhigstellung erreicht und der zu deckende Fußstumpf so nahe an die Streckseite des gegenüberliegenden Oberschenkels herangeführt worden, daß man den vorgesehenen Hautlappen ohne allzu große Schwierigkeit entnehmen kann. Am nächsten Tag wird dann die Operation durchgeführt. Die Abdeckung mit sterilen Tüchern ist nicht immer einfach, da der bereits angelegte Verband sperrt. Diese Schwierigkeiten werden dadurch überbrückt, daß man kleine Tücher und sterile Binden zur Hilfe nimmt und erst dann das eigentliche Operationsfeld abdeckt. Zunächst wird der zu deckende Defekt im Gesunden umschnitten und das Narbengewebe sorgfältig entfernt. Ist der Defekt noch nicht ganz abgeheilt, wird dieser mit dem Thermokauter ausgiebig verschorft. Hierdurch wird einer Infektionsgefahr vorgebeugt. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der erheblichen Abkürzung der konservativen Vorbehandlung.

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Erst wenn der ganze zu deckende Defekt frei liegt, kann beurteilt werden, wie groß der zu entnehmende Hautlappen gewählt werden muß. Bei der Schnittführung ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Lappen nach seiner Entnahme fast um ein Drittel kleiner wird, wenn er aus seinem normalen Spannungsfeld herausgelöst ist. Dabei muß die Basis des Hautlappens in einem richtigen Verhältnis stehen zu seiner Länge. Bei der Vorfußplastik habe ich grundsätzlich von unten gestielt, d. h. die Basis des Hautlappens liegt distal, die bogenförmige Schnittführung liegt proximal. Die Gefäß Versorgung der Haut ist an der Streckseite des Oberschenkels in Kniegelenksnähe durch den ausgeprägten Kollateral-Kreislauf in diesem Bereich so angelegt, daß unbedenklich diese Form der Schnittführung gewählt werden kann. Ernährungsstörungen des Lappens oder venöse Abflußbehinderung sind nicht zu befürchten, wenn im wesentlichen folgende Formel berücksichtigt wird: Länge des Hautlappens Breite seiner Basis

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Der auf diese Weise entnommene Hautlappen läßt sich mühelos kappenförmig über den zu deckenden Defekt stülpen, so daß eine möglichst große Kontaktfläche erreicht wird (Abb. 12). Durch die Stielung von unten kommt man mit einem relativ kleinen Hautlappen aus, d. h. das entnommene Material ist im wesentlichen nur auf den zu deckenden Defekt beschränkt. Der Hautstiel als solcher kann optimal kurz gewählt werden.

Abb. 15. Sehematische Darstellung eines von distal gestielten Weichteillappens aus der Streckseite des Oberschenkels, bestehend aus Haut, Unterhautfettgewebe und Faszie

Bei richtig angelegter Schnittführung tritt auch keine Torquierung des Stieles auf, so daß die besten Voraussetzungen für einen normalen Rückfluß des Blutes geschaffen sind. Bekanntlich reagiert der venöse Abfluß auf geringste Störungen empfindlicher als der arterielle Zufluß. In den allermeisten Fällen ist es nicht die mangelhafte arterielle Durchblutung eines Hautlappens, die zur Nekrose führt, sondern der gestörte venöse Abfluß. Liegt nun der entnommene Hautlappen höher als seine Basis, so wird durch das natürliche Gefälle der venöse Abfluß erheblich unterstützt. Der entstandene Entnahmedefekt läßt sich durch seitüche Situationsnähte im allgemeinen wesentlich verkleinern und wird im gleichen Operationsgang mit THiERSCHlappen gedeckt. Man kann auch den freien Hautstiel mit THiERSCHlappen versorgen, um die Sekretabsonderung zu verhindern. Bei der konsequent durchgeführten Freiluftbehandlung kann aber darauf verzichtet werden. Nach meiner Erfahrung ist der nicht gedeckte Hautstiel widerstandsfähiger nach der Durchtrennung. Das Ablösen der THiERSCHlappen erfordert einen gewissen Substanzverlust des so wichtigen subkutanen Fettgewebes und erhöht die Infektionsbereitschaft beim Einnähen des durchtrennten Hautlappens.

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Es empfiehlt sich, vor dem Annähen des Transplantates die entsprechenden Hautränder am Fußstumpf auf ihrer Unterlage frei zu präparieren und zu mobilisieren. Damit wird eine bessere Verschieblichkeit der Operationsnarbe erreicht, was für die Nachbehandlung und spätere orthopädische Versorgung wichtig ist. Hierauf wird später noch näher eingegangen werden. Ist der zu deckende Defekt besonders ausgedehnt und erstreckt sich dieser weit über die Fußsohle, genügt es nicht, nur Haut und Unterhautfettgewebe gestielt zu übertragen. Ich habe dann die darunterliegende Faszie mit freipräpariert und so den Weichteillappen erheblich verstärkt, wenigstens in dem Bereich, der den stärksten Belastungen ausgesetzt ist (Fußsohle). Bei diesem Vorgehen kann man unbedenklich den gestielten Hautlappen länger wählen als üblich, weil die Gefäßversorgung durch die Faszie eine zusätzliche Sicherung erfährt. Nach abgeschlossener Operation hat man noch die Möglichkeit, den Abstand zwischen Stumpf und Oberschenkel etwas zu vergrößern oder zu verkleinern, indem man das abgewinkelte Kniegelenk ein- oder auswärts drückt. Die Schiene ist so konstruiert, daß diese Bewegungen möglich sind. Dadurch kann man evtl. auftretende Spannungen oder Einknickungen am Haustiel mühelos ausgleichen (Abb. 13 u. 14). War diese Korrektur notwendig, führt man einen Verbindungsstab vom Oberschenkelgips des Entnahmebeines oberhalb des Gipsfensters zum Kniegelenk des anderen Beines und fixiert diesen durch entsprechende Gipstouren. Durch Unterlegen kleiner passender Holzwürfel, die umgipst werden, wird der Abstand zwischen Fußstumpf und Oberschenkelgips überbrückt und so eine absolut sichere und äußerst stabile Ruhigstellung gewährleistet. Nun werden schmale Schienen korbförmig über das Operationsgebiet eingegipst und darüber ein Gazeschleier gespannt. Damit sind die Voraussetzungen für die Freiluftbehandlung und die unbehinderte Überwachung des Transplantates geschaffen (Abb. 10). Diese ist dringend notwendig, da kleinere Störungen oft mühelos beseitigt werden können, wenn sofort eingegriffen wird. Oft ist es eine seitliche Naht, die spannt und einen Teil des Lappens in Gefahr bringt — oder ein kleiner Knick kann durch eine Fehllagerung auftreten, der zu einer Stauung führen kann —• Komplikationen, die durch einfache Eingriffe beseitigt werden können. Man soll sich nicht scheuen, einen Faden zu lösen, selbst wenn ein kleinerer Bezirk dann nicht mehr gedeckt ist. Später ist es nach Einheilung der Plastik sehr einfach, diesen Bezirk zu korrigieren. Eine Teilnekrose der Plastik jedoch, die als Folge eines gestörten Ernährungsbezirks auftreten kann, ist wesentlich schwieriger zu beheben. Die Freiluftbehandlung hat auch den Vorteil, daß das Operationsergebnis durch keinen schnürenden Verband gefährdet wird.

C. Operationstechnik der Fersenplastik Der beste Hautersatz für die Sohlenhaut ist die Gesäßhaut. In diesem Bereich steht ein sehr tiefreichendes Fettpolster zur Verfügung. Selbst bei mageren Patienten im stark reduzierten Allgemeinzustand wird hier ein Fettdepot gefunden, das ausreichend ist für die notwendige Unterpolsterung an der Ferse. Auch bei der Fersenplastik legt man den ruhigstellenden Verband immer einen Tag vor der Operation an. Der Gipsverband ist hier nicht schwierig. Am besten kann dieser Verband angelegt werden, wenn der Patient auf dem gesunden Bein steht und sich mit beiden Händen an einer Haltevorrichtung, die über seinem Kopf angebracht ist, festhalten kann. (Es empfiehlt

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sich, daß der Patient auf einem Schemel steht, damit der Verband nicht in gebückter Stellung angelegt werden muß.) Die Ferse, die mit einer Hautplastik versorgt werden soll, wird dann an das seitengleiche Gesäß herangeführt. Das läßt sich im allgemeinen leichter erreichen, als man zunächst annehmen möchte. Der Oberschenkel ist dabei etwa um 45 Grad im Hüftgelenk nach vorn abgewinkelt, wenn man sich die Gerade als Fortsetzung des Rückens vorstellt. Das Kniegelenk muß dann nicht so stark gebeugt werden. Der Abstand zwischen Ferse und Gesäßhaut soll dabei etwa 5 bis 10 cm betragen. Damit ist die günstigste Stellung erreicht.

Abb. 16. Schematische Darstellung des gefensterten Gipsverbandes bei der Fersenplastik aus dem Gesäß

Bei jugendlichen Patienten ist die Abwinkelung im Hüftgelenk bei 30 Grad ausreichend. Die Lagerung im Bett wird dadurch einfacher. Es empfiehlt sich, daß eine Operationshilfe den Fuß in der o. a. Stellung hält. Beim Gipsverband der Fersenplastik ist auf eine sehr ausgiebige Wattepolsterung zu achten. Um das Becken wird eine kräftige Watteschicht ringförmig gelegt, wobei der Beckenkamm zusätzlich abgepolstert werden muß. Eine noch stärkere Watteschicht wird dann über der ganzen Streckseite des abgewinkelten Beines angelegt, wobei das Kniegelenk besonders berücksichtigt werden muß. Der Fuß wird bis auf die Zehen ganz in Watte gelegt, nur die Ferse bleibt frei. Die Watte wird dann durch Binden festgewickelt, und zwar so, daß diese von der Streckseite des Unterschenkels zur Streckseite des Oberschenkels geführt werden. Auch die Polsterung des Beckenringes wird eingewickelt. Man sollte dabei am Bauch ein kleines Kissen unter die Watte schieben, das nach dem Gipsverband wieder entfernt wird, um hier — ähnlich wie beim Beckengips — eine zu starke Einengung zu vermeiden. Bei diesem Gipsverband bleibt die ganze Beugeseite des Beines frei, eine Wattierung ist hier völlig überflüssig. Man legt zunächst einige Gipslonguetten um den gepolsterten Beckenring und von hier aus eine lange, kräftige Longuette über die ganze Streckseite des Beines bis zu den Zehengrundgelenken. Danach werden Gipsbinden zirkulär so angelegt, daß eine stabile Sicherung der gewünschten Stellung erreicht wird. Die einzelnen Gipstouren ziehen dann von Streckseite zu Streckseite des Beines. Der Fuß erhält seine gewünschte Ruhigstellung durch das An wickeln an die Gipslonguette. Einige Gipsbinden genügen hier, weil die wesentliche Fixierung durch den übrigen Modellverband erreicht ist. Man kann dann zusätzlich an den Seiten den Gips noch so ausschneiden, daß das Operationsgebiet frei zugängig ist.

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Bei Anlegen des Gipsverbandes in der angegebenen Weise werden Druckstellen mit Sicherheit vermieden. Die Operation wird dann — wie schon erwähnt — einen Tag später durchgeführt. Auch hier umschneidet man zunächst den zu deckenden Defekt im Gesunden und entfernt sorgfältig das alte Narbengewebe. Liegt ein Geschwür vor, wird auch hier mit dem Thermokauter verschorft. Knochennekrosen über dem Kalkaneus werden mit dem Meißel schalenförmig bis ins Gesunde abgetragen. (Vor jeder Fersenplastik soll grundsätzlich ein Röntgenbild des Kalkaneus in mehreren Ebenen angefertigt werden. Man wird überrascht sein, wie o f t eine Knochenbeteiligung bei einer länger dauernden Geschwürsbildung über der Ferse vorliegt). Anschließend werden die Hautränder mobilisiert, etwa 1 bis 2 cm tief, bis die umgebende H a u t überall f r e i beweglich ist. Nach sorgfältiger Blutstillung wird die Operationswunde mit Kochsalzkompressen abgedeckt und diese fest angewickelt. Kleinere diffuse Blutungen kommen hierdurch zum Stehen. Dann umschneidet man einen bogenförmigen Hautlappen über dem Gesäß, und zwar so, daß die B a s i s p r o x i m a l und der bogenförmige Lappen distal liegen. Durch die zahlreichen elastischen Fasern der Haut am Gesäß ist die Schrumpfung besonders ausgeprägt und kann zu großen Überraschungen führen. Es empfiehlt sich deshalb, mit einem Längsschnitt an der Innenseite des Gesäßes zu beginnen. Man kann dann leicht feststellen, wie weit die Haut zur Seite abweicht und legt dann parallel davon einen seitlichen Schnitt entsprechend weit außen. Nach dieser parallelen doppelten Schnittführung verbindet man diese durch einen halbkreisförmigen Bogen in gewünschter und notwendiger Ausdehnung.

Abb. 17. Schematische Darstellung der Schnittführung eines breit gestielten Weichteillappens mit Haut, Unterhautfettgewebe und Faszie aus dem Gefäß bei der Fersenplastik

Abb. 18. Schematische Darstellung einer Fersenplastik aus dem Gesäß mit ruhigstellendem Gipsverband

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Die Haut mit Unterhautfettgewebe wird dann von der Faszie abpräpariert. Um den Hautlappen nicht mit Pinzetten zu traumatisieren, legt man einige Haltenähte am Bogen der Schnittführung und benützt diese zum Hochziehen des Lappens beim Abpräparieren. Im allgemeinen genügt die Haut und das Unterhautfettgewebe zur Fersenplastik, wobei man grundsätzlich das gesamte Unterhautfettgewebe mitüberträgt, um eine möglichst ausgiebige Unterpolsterung zu erzielen. Ist eine Knochenabmeißelung am Kalkaneus notwendig, so empfiehlt sich, die Muskelfaszie gestielt mitzuübertragen, um einen Periostersatz zu schaffen. Die Blutung kommt dabei besser zum Stehen, störende Hämatome im Unterhautfettgewebe werden vermieden. Ist keine einwandfreie Blutstillung zu erzielen, so sollte man für die ersten Tage Gummilaschen oder dünne, weiche Gummidrains einlegen, um die Plastik nicht durch eine Sickerblutung in ihrer Ernährung zu gefährden. Dieses Vorgehen ist deshalb wichtig, weil im allgemeinen fast der ganze Fersendefekt mit dem gestielten Hautlappen gedeckt werden kann und nur über der Achillessehne ein relativ schmaler Bezirk frei bleibt. Nach Abschluß der Operation verstärkt ein korbförmiger Schienenverband die Stabilität des Gips Verbandes und ermöglicht die Freiluftbehandlung (Abb. 6). Die Lagerung des Patienten ist nicht ganz einfach. Die ersten Tage erfordern die Bauchlage. Es empfiehlt sich, den Korb elastisch an einem Galgen zu befestigen, damit seitliche Kippbewegungen des Gips Verbandes vermieden werden. In dieser Stellung ist auch die Stuhlentleerung möglich. Am besten eignet sich eine Nierenschale, die unterschoben wird, da diese nicht so sperrig ist wie die üblichen Bettschüsseln. Man läßt den Patienten ruhig ein- bis zweimal am Tag aufstehen. Er verfügt ja über ein gesundes Standbein. Natürlich muß der Pfleger den Gipsverband am Korb dabei abstützen. D. Operationstechnik der Unterschenkelkurzstumpfplastik Ähnlich wie bei der Vorfußplastik wird auch hier aus der Streckseite des gegenüberliegenden Oberschenkels in Kniegelenksnähe der Hautlappen entnommen und auch von unten gestielt. Aus diesem Grunde ist es notwendig, den Unterschenkelstumpf möglichst sicher über der Streckseite des gegenüberliegenden Oberschenkels zu fixieren. Man verwendet dabei wieder ein besonders geformtes Eisenstützgerät, das den ruhigstellenden Gipsverband vereinfacht. Gewöhnlich ist aber der Unterschenkelstumpf so kurz, daß die Ruhigstellung durch den Gipsschienen verband allein nicht möglich ist. Man legt deshalb durch die Tuberositas tibiae einen Kirschnerdraht, der in üblicher Weise in einen Spannbügel geschraubt wird, ähnlich wie bei der Drahtextension. Diesen Bügel gipst man dann an das Eisenstützgerät, das für diese Form der Plastiken eine querverlaufende Schiene trägt (Abb. 7, 8, 20). Die Stützschiene ist ähnlich konstruiert wie die der Vorfußplastik (Abb. 13). Es wird lediglich ein fast rechteckig geformtes Rundeisen auf die Außen- und Innenschiene vertikal aufgeschweißt, und zwar so, daß der Spannbügel für den Kirschnerdraht daran fixiert werden kann. Auch hier empfiehlt es sich, die Stärke des Rundeisens so zu wählen, daß dieses noch biegbar ist. Die Stabilität dieser biegbaren Schiene kann jederzeit durch Holzstäbe, die man in Richtung zur Außenschiene mit eingipst, gesichert werden. Dadurch wird eine sehr zuverlässige Ruhigstellung des Unterschenkelstumpfes erreicht. Ein zusätzlicher zirkulärer Gipsverband am Oberschenkel, der haubenförmig über das Kniegelenk und die Streckseite des Stumpfes zieht, entlastet den Spanndraht in seiner ruhigstellenden Funktion und erhöht die Stabilität. Damit sind die Voraussetzungen ge-

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Abb. 20. Schematische Darstellung einer Unterschenkelkurzstumpf plastik mit vorgefertigter Stütz schiene, Kirschnerdraht und Spannbügel

Abb. 21. Schematische Darstellung einer Unterschenkelkurzstumpfplastik mit gepolstertem Gipsverband ohne Eisenstützgerät zur besseren Ubersicht

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schaffen für die absolute Ruhigstellung, die bei der besonders ausgedehnten Lappenplastik notwendig ist. Der ruhigstellende Verband wird auch hier — wie bei Vorfuß- und Fersenplastik — einen Tag vor der Operation angelegt. Zunächst legt man einen gepolsterten Oberschenkelgips an dem Bein an, aus dem der Hautlappen entwickelt wird, und zwar in geringer Beugestellung des Kniegelenks (etwa 170 Grad). Anschließend wird in Lokalanaesthesie der Kirschnerdraht durch die vordere Schienbeinkante des Unterschenkelstumpfes gelegt — und zwar etwa in der Mitte zwischen Kniegelenk und Stumpf ende — und mit dem Spannbügel verschraubt. Nun verbindet man das Eisenstützgerät mit dem Oberschenkelgips, indem man zweckmäßigerweise Schusterspäne oder Holzbrettchen an den Berührungspunkten unterlegt, um Druckstellen zu vermeiden. Dann wird der Spannbügel an die vorgesehene Querschiene so angegipst, daß der Unterschenkelstumpf genau über die Streckseite des Oberschenkels in Kniegelenksnähe des Entnahmebeins zu liegen kommt. Der Abstand zwischen Stumpf und Entnahmestelle liegt im Durchschnitt bei 10 cm. Eigentlich ist damit die exakte Ruhigstellung im wesentlichen erreicht. Um aber den Kirschnerdraht in seiner ruhigstellenden Funktion zu entlasten, legt man eine Gipslonguette von der Streckseite des Unterschenkelstumpfes zur Streckseite des Oberschenkels und f ü h r t einige Gipstouren seitlich um das Kniegelenk, so daß dieses haubenförmig umschlossen ist. Die Beugeseite des Unterschenkelstumpfes und die Kniekehle bleiben dabei frei, am Oberschenkel werden die Gipsbinden zirkulär angelegt. Dieser Verband wird dann mit dem Eisenstützgerät in Verbindung gebracht. Damit ist die absolute Ruhigstellung gesichert. Der Gipsverband des Entnahmebeines wird dann breit ausgeschnitten, damit das Operationsgebiet frei zugängig ist. Am anderen Tag wird die Hautplastik durchgeführt. Die Narben des Unterschenkelstumpfes werden im Gesunden umschnitten und radikal entfernt. Liegt ein Narbengeschwür vor, wird dieses vorher mit dem Thermokauter ausgiebig verschorft. Die Hautränder, die mit dem gestielten Hautlappen in Verbindung gebracht werden sollen, werden von ihrer Unterlage gelöst und freipräpariert. Damit erreicht man von vornherein eine bessere Verschiebbarkeit der Operationsnarbe, was für die Nachbehandlung besonders wichtig ist. Nach exakter Blutstillung werden heiße Kochsalzkompressen auf das Wundgebiet aufgelegt. Anschließend wird dann der Hautlappen aus dem Oberschenkel entsprechend der Größe des zu deckenden Defektes entwickelt. Es empfiehlt sich, zwei parallel laufende Längsschnitte an der Innen- und Außenseite des Oberschenkels anzulegen und diese in ihrem proximalen Teil durch einen bogenförmigen Schnitt zu verbinden (Abb. 15). Nun präpariert man den Hautlappen mit seinem Unterhautfettgewebe von der Faszie ab. Wird ein sehr ausgedehnter Hautlappen benötigt, sollte man die Faszie im unteren Drittel bogenförmig durchtrennen und diese mit in den Hautstiel einbeziehen, um die Blutversorgung abzusichern. Wiederholt habe ich die ganze Faszie gestielt mitübertragen, besonders dann, wenn der Unterschenkelstumpf ohne jede Weichteildeckung war. Einige Haltefäden, die am Ende des Hautlappens angelegt werden, gewährleisten die atraumatische Behandlung der Plastik. Nachdem der Hautlappen mit Unterhautfettgewebe aus seiner Unterlage herausgelöst ist, wird dieser mit den Haltefäden an den zu deckenden Defekt herangeführt. Ist eine spannungsfreie Naht noch nicht möglich, kann man den bereits entwickelten Hautlappen durch seitliche Schnittführung kniewärts verlängern. Wurde die Faszie in den Hautstiel mit einbezogen, so kann der Hautlappen ruhig etwas länger wie üblich gewählt werden, ohne daß Ernährungsstörungen befürchtet werden müssen. Auf diese Weise erzielt man ausreichendes Material, u m praktisch jeden Defekt am Unterschenkelstumpf decken zu können.

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Operationsmethode

Nun wird der Hautlappen am Unterschenkelstumpf durch einige Situationsnähte fixiert. Ideale Verhältnisse sind dann gegeben, wenn man von vornherein den Hautlappen etwas größer gewählt hat. Nur so wird eine völlig spannungsfreie Naht erreicht und der Schrumpfungsprozeß während der Einheilung berücksichtigt. Sind die Situationsnähte gelegt und hat man sich von der richtigen, spannungsfreien Lage des Lappens überzeugt, erfolgt die Hautnaht, wobei nur die Beugeseite des Stumpfes frei bleibt. Der Defekt am Oberschenkel, der oft erschreckend groß sein kann, wird anschließend durch seitliche Hautnähte verkleinert, die man ruhig unter Spannung anlegen kann. Der Restdefekt wird dann durch THiERSCHlappen gedeckt. Damit ist der operative Eingriff abgeschlossen. Es werden dann Aluminiumschienen korbförmig über das Gebiet der Stielplastik eingegipst, um auch hier die Freiluftbehandlung durchführen zu können. Darüber werden große Gazeschleier gespannt, um einer Verschmutzung von außen vorzubeugen.

E. Durchtrennung des gestielten Hautlappens nach Einheilung

Im allgemeinen wird der gestielte Hautlappen vier Wochen nach Anlegung der Plastik durchtrennt. In einigen Fällen habe ich bereits nach drei Wochen diese Operation ausgeführt. Die Durchblutung ist aber zweifellos nach einer vierwöchigen Ruhigstellung gesicherter. Die Operationstechnik in dieser Phase weist bei Vorfuß-, Fersen- und Unterschenkelkurzstumpfplastik keine wesentlichen Unterschiede auf. In Allgemeinnarkose wird der Hautstiel nach gründlicher Reinigung mit Alkohol so durch trennt, daß genügend überschüssiges Material zur Vollendung der Plastik vorhanden ist. Nach Abdeckung der Wunden mit Kochsalzkompressen wird der Gipsschienenverband entfernt. Das in Beugestellung ruhiggestellte Kniegelenk sollte man unter Ausnützung der Narkose einige Male durchstrecken. So kann man auf einfache Weise evtl. unangenehme Nachwirkungen der Zwangshaltung dem Patienten ersparen. Beugekontrakturen treten nach dieser kurzen Zeit der Ruhigstellung nicht auf, auch nicht bei der Fersenplastik, obwohl hier eine extreme Beugung des Kniegelenks notwendig ist. Ein primär völlig gesundes und ungeschädigtes Gelenk versteift auch nach längerer Ruhigstellung nicht Nach gründlicher Desinfektion und Abdeckung des Operationsgebietes werden die überschüssigen Granulationen, die sich am eingeheilten Hautlappen und am umschnittenen Hautdefekt gebildet haben, scharf abgetragen und die noch freien Hautränder sparsam angefrischt. Auch hier empfiehlt es sich wieder, diese zu mobilisieren und von der Unterlage freizupräparieren. Bevor man nun das Transplantat endgültig einbettet, sind alle angrenzenden Narben zu entfernen, damit die Hautplastik überall an funktionstüchtiges Gewebe angrenzt. Die restliche Einheilung ist so gesicherter und spätere Komplikationen wie Auflaufen, Scheuerstellen usw. werden vermieden. Die überschüssige Haut des Hautlappens wird so entfernt, daß reichlich Material vorhanden bleibt zur endgültigen Modellierung der Hautplastik. Grundsätzlich wird bei dieser Sitzung der Defekt vollständig mit dem angeheilten Hautlappen geschlossen, lediglich einige dünne Drainageröhrchen werden zur sichereren Abheilung eingelegt, da ein absolut keimfreier Verschluß nicht möglich ist. Der entstandene Defekt an der Entnahmestelle kann meistens primär geschlossen werden. Das Granulationsgewebe am Lappenstiel wird abgetragen und die seitlichen Wundränder angefrischt. Auf diese Weise läßt sich der verbliebene Hautlappen leicht zurückH a n d b . P l a s t . Chir., B d . I I

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Κ.

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Stumpf- und Fersenplastiken

betten. Gelingt es nicht, den Defekt ganz zu schließen oder sind die THiERSCHlappen an der Entnahmestelle nicht vollständig angegangen, wird erneut eine freie Hautübertragung mit hauchdünnen Spalthautlappen durchgeführt. Die Freiluftbehandlung hat sich auch in diesem Stadium der Behandlung bewährt. Um aber die frisch eingebettete Hautplastik vor Druck und Stoß von außen zu schützen, legt man erneut einen Gipsverband so an, daß das Gebiet der Plastik frei bleibt und durch korbförmige Aluminiumschienen abgesichert wird. Die erneute Ruhigstellung im Gipsverband verhindert außerdem eine Spitzfußbildung. Bei der Fersenplastik wird ein Unterschenkelgips verwendet, bei dem die Ferse bzw. die Plastik völlig frei bleibt. Bei der Vorfußplastik wird ebenfalls ein Unterschenkelgips angelegt, wobei man auf eine gute und evtl. korrigierende Stellung des Vorfußstumpfes achten muß. Auch hier wird die Plastik freigelassen. Manchmal genügt aber auch eine BRAUNsche Schiene, auf der man Kra,merschienen korbförmig aufwickelt, besonders dann, wenn keine Spitzfußstellung zu befürchten ist. Bei der Unterschenkelkurzstumpfplastik umschließt ein zirkulärer Gips den Unterschenkelstumpf und den ganzen· Oberschenkel und läßt nur die Plastik frei.

Abb. 22. Gepolsterter Gipsschienenverband nach Durchtrennung des Hautstiels und Einbettung des Transplantates. Die korbförmig eingegipsten Aluminiumschienen ermöglichen die Freiluftbehandlung und schützen die Plastik vor mechanischer Einwirkung von außen

Abb. 23. BRAUNsche Schiene, die durch korbförmig aufgewickelte Kramerschienen ergänzt ist, zur Ruhigstellung nach Durchtrennung des Hautstiels und Einbettung des Transplantats bei der Vorfußplastik

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Doppelplastiken

Über die Hautplastik wird jeweils — wie oben schon erwähnt — ein Aluminiumschienenkorb eingegipst. Ein ausreichender Gazeschleier, der über jeden Korb gestülpt wird, schützt die Plastik vor Verschmutzung von außen. Außerdem kann man dadurch jederzeit die Plastik beobachten und Störungen im Heilverlauf rechtzeitig beseitigen (Sekretverhaltung usw.). Ein schnürender Verband könnte auch jetzt noch in diesem Stadium das Ergebnis der Hautplastik gefährden. Da ein keimfreier Verschluß nicht möglich ist, tritt manchmal eine entzündliche Reaktion im frisch eingebetteten Hautersatz ein. Durch Rötung und Schwellung ist dieser Vorgang leicht erkennbar. In solchen Fällen legt man feuchte Kochsalzkompressen locker auf das entzündete Gebiet und löst gegebenenfalls einige Hautnähte. Es kommt dann gewöhnlich nach Beseitigung einer Sekretstauung zu einer glatten Ab- und Einheilung. Kleinere Narbenkorrekturen können in einer späteren Sitzung bei der Heilung per sekundam korrigiert werden.

IV. Doppelplastiken Unter einer Doppelplastik verstehe ich zwei zu gleicher Zeit angelegte Fernlappenplastiken. Nach sehr schweren Erfrierungen oder Verletzungen habe ich mich zu dieser Form der Wiederherstellung wiederholt entschlossen. Der ruhigstellende Verband wurde dadurch zwar komplizierter, aber nur einmal notwendig. Die Behandlungszeit wurde außerdem auf die Hälfte herabgesetzt. In 8 Fällen habe ich so bei schwer erfrierungsgeschädigten Fersen beiderseits die Fersenplastik aus dem Gesäß zur gleichen Zeit durchgeführt.

Abb. 24. Doppelfersenplastik nach Erfrierung 3. Grades, aus dem Gesäß zu gleicher Zeit angelegt. Aufnahme nach 14jähr. Belastungszeit

Abb. 25. Entnahmestellen aus dem Gesäß der Doppelfersenplastik von Abb. 24, 14 Jahre nach der Operation. Die schmalen Narbenbildungen lassen erkennen, wie einfach der Entnahmedefekt zu schließen ist

Der ruhigstellende Verband hat hier etwas Groteskes an sich und kann nur einem jugendlichen Patienten zugemutet werden. Wenn man aber bedenkt, daß es sich damals um Soldaten handelte, die im Krieg sehr Schweres durchgemacht und oft ein ziemlich langes Krankenlager hinter sich hatten, mag es verständlich sein, daß die unbequeme Lagerung in Kauf genommen wurde, wenn damit die Behandlungszeit auf die Hälfte herabgesetzt werden konnte (vgl. J A E G E R , Verbandslehre). Natürlich ist die Pflege solcher Patienten nicht einfach. Aber in keinem Fall mußte die Behandlung abgebrochen werden wegen Unverträglichkeit der Lagerung oder wegen sonstiger Komplikationen. 61*

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Stumpf- und Fersenplastiken

Auf die Verbandstechnik sei hier nur kurz eingegangen. Das Anlegen des ruhigstellenden Verbandes war naturgemäß schwierig. Wir konstruierten dazu eine besondere Aufhängevorrichtung, in der der Patient in Bauchlage frei schwebend eingegipst wurde, wobei beide Fersen zur gleichen Zeit an die entsprechenden Gesäßhälften herangeführt wurden. Auf diese Weise ließ sich ein exakter Gips anmodellieren. Es war dann einfach, die seitlichen Eisenschienen der Halte Vorrichtung, die mit einem Spanntuch über dem Bauch verbunden waren, nach oben herauszuziehen, ohne daß der Gips beschädigt wurde. Eine Vorfuß- und Fersenplastik am gleichen Bein war wiederholt notwendig, wenn es galt, unter allen Umständen ein funktionstüchtiges Standbein zu erhalten. Dies war besonders dann der Fall, wenn auf der anderen Seite eine Unterschenkelamputation oder sonstige funktionelle Schädigung vorlag. Durch eine Doppelplastik konnte hier auf eine

Abb. 26. Doppelfersenplastik aus dem Gesäß nach Erfrierung 3. Grades und 14jähr. Belastungszeit. Der rechte Unterschenkel war durch eine Granatsplitterverletzung mit erheblichem Weichteilverlust vorgeschädigt

Abb. 27. Doppelfersenplastik aus dem Gesäß nach Erfrierung 3. Grades. Belstungszeit· 13 Jahre. Hier war die Unterpolsterung der Fersen durch extreme Abmagerung des Patienten erschwert

zweimalige Ruhigstellung von je 4 Wochen in der notwendigen Zwangshaltung verzichtet werden. Da es sich hier um Ausnahmefälle handelt, soll die Operationstechnik nur angedeutet werden: Zunächst wird ein ziemlich langer Rundstiel als Materialträger am seitengleichen Oberschenkel angelegt. Nach etwa 4 Wochen kann die Doppelplastik durchgeführt werden. Der Vorfuß wird dabei in üblicher Weise an den gegenüberliegenden Oberschenkel herangeführt und in einem hierfür besonders konstruierten Schienengipsverband absolut ruhiggestellt. Da das Plastikbein durch den Rundstiel nicht in gewohnter Weise eingegipst werden kann, empfiehlt es sich, einen Kirschnerdraht mit Spannbügel durch die Tuberositas tibiae zu legen und diesen am Stützgerät durch einige Gipsbinden zu fixieren (vgl. J A E G E R , Verbandslehre). Nach erfolgter Ruhigstellung wird die Vorfußplastik in typischer Weise angelegt. Das für die Ferse notwendige Haut- und Unterhautfettgewebe wird in Kniegelenksnähe entnommen und so der Rundstiel lediglich als Ernährungsträger benützt. Durch das im Kniegelenk stark abgewinkelte Bein ist die Überbrückung zwischen Oberschenkel und Ferse durch den langen Rundstiel möglich. Auf diese Weise gelingt es, Ferse und Vorfuß in einem Operationsgang plastisch zu decken.

Komplikationen

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Abb. 28. Ausgedehnte Hautplastik aus dem Gesäß über der Achillessehne rechts nach Granatsplitterverletzung. Kurzstumpfplastik links aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel. Diese Plastiken wurden nacheinander angelegt. Rechts wurde ein funktionstüchtiges Standbein durch die Plastik ermöglicht, links die Nachamputation vermieden. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation

Die Indikation zur Doppelplastik sollte individuell von Fall zu Fall gestellt werden. Maßgebend sind die Art der Verletzungsform, das Allgemeinbefinden des Patienten und die Möglichkeit, technische Schwierigkeiten zu überwinden.

V. Komplikationen Ernste Komplikationen habe ich trotz des umfangreichen Krankengutes nicht beobachtet. Ab und zu kann es trotz gewissenhafter Ruhigstellung zu Ernährungsstörungen des Hautlappens und zu Teilnekrosen im Randbezirk kommen. Diese können später korrigiert werden, wenn der Restlappen gut eingeheilt ist. Drohen größere Verluste des Hautlappens, entschließt man sich am besten sofort zur Nachkorrektur, indem man die ernährungsgestörten Bezirke entfernt und den Gipsverband entsprechend korrigiert, d. h. den Spielraum ausnützt, der immer einkalkuliert sein soll, um den mit einer Plastik zu versorgenden Defekt näher an die Entnahmestelle heranzubringen. Gelingt dies nicht, hat sich nach meiner Erfahrung folgendes Vorgehen bewährt: Der Hautlappen wird zurückgebettet und durch erweiterte Schnittführung die erforderliche Größe neu geformt. Anschließend wird dann der Gips entfernt. Die Operation wird später wiederholt, nachdem feststeht, daß die Durchblutungsverhältnisse im Restlappen einen ungestörten Heilverlauf erwarten lassen. Eine Durchblutungsstörung des Hautlappens kann schon in den ersten Stunden nach der Operation beobachtet und damit das Ausmaß der zu erwartenden Nekrose bestimmt werden. Der gefährdete Bezirk ist zunächst auffallend blaß und hebt sich deutlich von seiner Umgebung ab. Während der gut durchblutete Hautlappen auf Fingerdruck etwas abblaßt und sehr rasch wieder die Farbe der Umgebung annimmt, reagiert der nicht ausreichend durchblutete Hautbezirk darauf überhaupt nicht. Drei bis vier Stunden nach der Operation erkennt man in diesem blassen Hautbezirk einen lividen Schimmer. Bei genauer Betrachtung läßt sich schon jetzt eine Demarkationslinie zum normal durchbluteten Lappen hin feststellen. Oft gelingt es, diese Ernährungsstörung noch rechtzeitig zu beheben, wenn einige Nähte gelöst werden und der Hautstiel mit feuchter Wärme behandelt wird. Es werden nicht allzu heiße Kochsalzkompressen oberhalb der Basis aufgelegt, um eine lokale Hyperämie hervorzurufen. Auch das leichte Beklopfen des Hautstiels kann manchmal eine Wendung zum Besseren auslösen.

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Stumpf- und Fersenplastiken

Abb. 29. Ausgedehnte Weichteilplastik aus dem Gesäß über der rechten Ferse nach Granatsplitterverletzung mit Zweidrittelverlust des Kalkaneus und Versteifung im oberen Sprunggelenk. Hier kam es an der Außenseite zu einer größeren Randnekrose, die befriedigend korrigiert werden konnte. Aufnahme 13 Jahre nach der Operation

Abb. 30. Vorfußplastik nach Erfrierung 3. Grades aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel entwickelt. Hier kam es zu einer größeren Lappennekrose. Nach Zurückbettung des Restlappens konnte aus diesem einige Wochen später eine befriedigende Defektdeckung erreicht werden. Aufnahme 13 Jahre nach der Operation

Entscheidend ist, daß solche Maßnahmen schon in den ersten Stunden nach der Operation durchgeführt werden. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, wie vorteilhaft und wichtig es ist, daß der Hautlappen durch die oben beschriebene Verbandstechnik jederzeit beobachtet werden kann. Vor der Anwendung trockener Wärme (Heizkasten oder Bestrahlung) sei ausdrücklich gewarnt, da es dadurch zu einer empfindlichen Schädigung des ganzen Hautlappens kommen kann. Durch die zu stark forzierte Hyperämie kommt es leicht zu Ödembildung und so zur Abflußbehinderung im Hautstiel, die dann leicht zur Nekrose führen kann. Wie schon erwähnt, entschließt man sich zum sofortigen Eingriff dann, wenn mehr als ein Drittel des Hautlappens in seinem Randbezirk zur Nekrose verurteilt ist, auch wenn die Operation erst wenige Stunden zurückliegt. Man hat dann die Möglichkeit, den entstehenden Schaden zu begrenzen und praktisch am gleichen Operationstag zu beheben. Falls die Lappenlänge es zuläßt, trägt man den zur Nekrose verurteilten Teil des Hautlappens ab, korrigiert den Verband so, daß der zu deckende Defekt noch näher an den Hautstiel herangeführt wird und bettet den so korrigierten Hautlappen neu ein. Gefährlich kann auch ein Hämatom sein, das sich zwischen Plastik und zu deckendem Defekt ansammelt, besonders dann, wenn die Drainage unzureichend ist und eine arterielle Nachblutung vorliegt. Man sollte hier nicht lange warten, sondern sich gleich zu einer gründlichen Wundrevision entschließen, auch wenn der Hautlappen noch einmal oder ganz abgelöst werden muß. Ein solches Hämatom führt durch die dadurch gestörten Blutumlaufverhältnisse gewöhnlich zu einer ausgedehnten Nekrose des Lappens, die später nur schwer zu korrigieren ist. VI.

Nachbehandlung

Wie schon erwähnt, wird die gestielte Hautplastik gewöhnlich nach vier Wochen durchtrennt und die Plastik bei diesem Operationsgang geformt, d. h. der durchtrennte Lappen wird vollständig eingenäht, nachdem das Granulationsgewebe entfernt ist und die noch freien Hautränder des zu deckenden Defektes angefrischt sind. Oft ist es dabei notwendig, auch überschüssiges Unterhautfettgewebe besonders im Randbezirk der Plastik so weit

Nachbehandlung

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abzutragen, daß die gewünschte Form erreicht und die Verschlußnaht unauffällig durchgeführt werden kann. Man sollte darauf achten, daß der Hautersatz an der Nahtstelle sich nicht wulstig vorwölbt, da sonst bei späterer Belastung gerade hier ein Wundlaufen zu befürchten ist. Mit dieser Operation ist die Behandlung jedoch nicht abgeschlossen. Die vollständige und reizlose Einheilung der Hauptplastik benötigt von diesem Zeitpunkt an noch durchschnittlich vier bis sechs Wochen. Der schützende Gips verband kann gewöhnlich nach vier Wochen abgenommen werden. Sobald die Hautplastik reizlos eingeheilt ist, soll mit Narbenlockerungsübungen im Nahtbereich begonnen werden. Adhärente, mit der Unterlage fest verbackene Narben gefährden die Plastik, weil hier auf Druck oder Zug der Hautersatz nicht ausweichen kann. Gelingt es nicht, diese Operationsnarben von der Unterlage frei zu massieren,

Abb. 31. Große kappenförmige Vorfußplastik links nach Erfrierung 3. Grades über der Entnahmestelle des rechten Oberschenkels. Hier mußten umfangreiche, breitflächige Narben über dem Fußrücken abgetragen werden, um eine Einbettung im Gesunden zu ermöglichen. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation

Abb. 32. Seitenansicht von Abb. 31. Rechts wurde der Erfrierungsschaden durch Amputation korrigiert. Um so wichtiger war es hier, eine Unterschenkelamputation links durch die ausgedehnte Weichteilplastik zu verhindern. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation

sollten durch einen kleinen Eingriff diese Haftstellen vor der Belastung gelöst werden. Dieser Eingriff erübrigt sich jedoch meistens, wenn man die Hautränder des zu deckenden Defektes beim Anlegen der Plastik genügend frei präpariert hat. An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß eine gestielte Hautplastik nur an gesundes Gewebe angrenzen soll, d. h. daß das gesamte Narbengewebe in deren Umgebung entfernt werden muß. Grenzt eine Hautpl^stik an Narbengewebe an, ist ihre Verschieblichkeit nicht mehr gewährleistet. In diesem Bereich kommt es mit absoluter Sicherheit zu einem Narbenulkus, in das die Plastik mit einbezogen wird. Der Operateur darf sich aber auch mit dem besten Einheilungsergebnis und der gründlichsten Narbenlockerung nicht zufrieden geben. Er muß die anfängliche Belastung genau vorschreiben und sorgfältig überwachen. Es empfiehlt sich, die noch nicht abgehärtete Hautplastik anfänglich mit elastischen Binden zu bandagieren, um sie vor Überbeanspruchung nach außen abzuschirmen. Auf den guten Sitz des Schuhwerks und der Prothesen ist besonders zu achten. Für meine Vorfuß- und Fersenplastiken habe ich Filz-Gipsschuhe angefertigt, die dem Fuß genau anmodelliert waren, um so auch kleinste Druckstellen beim ersten Gehen zu vermeiden. Nach dem gleichen Prinzip wurden die Unterschenkelkurzstumpfplastiken mit

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Behelfsprothesen versorgt. (Anderes Material wie ζ. B. Schaumgummi stand uns damals nicht zur Verfügung.) Die endgültige orthopädische Versorgung sollte erst erfolgen, wenn die Plastik die erste Belastungszeit hinter sich hat. Man ist überrascht, wie verhältnismäßig rasch sich eine Vorfuß-, Fersen- oder Unterschenkelkurzstumpfplastik nach der ersten Belastungszeit neu formt und sich ihrer Umgebung unauffällig anpaßt. In den ersten Tagen sollte man nur dreimal eine halbe Stunde belasten lassen, um den Hautersatz an seine neue Aufgabe langsam zu gewöhnen. Man steigert individuell diese Belastungszeit und achtet besonders darauf, daß keine tiefer greifenden Scheuerstellen an der noch sehr empfindlichen Haut auftreten. Besonders zu empfehlen ist eine gleichzeitige Behandlung mit Unterwassermassage.

V I I . Reinnervation Die Reinnervation einer Hautplastik erfolgt vom Rand her zum Zentrum. Narbengewebe, das an die Plastik angrenzt, blockiert oder verzögert die vollständige Reinnervation. Empfindungen auf Druck und Berührung werden im allgemeinen nach sechs Wochen bis zu drei Monaten wahrgenommen. Die Wärmeempfindung erfolgt viel später und ist oft erst nach einigen Jahren wieder hergestellt. Nach MARIS, JUKKOVIC, KOHUT, SUCHANEK kann die vollständige Reinnervation der gestielten Hautplastik bis zu drei Jahren dauern. Solange noch keinerlei Empfindungen wahrgenommen werden, ist die Hautplastik besonders gefährdet und nur wenig widerstandsfähig. Schon geringste Belastungen führen zu Schädigungen der Epidermis und die Abheilung ist deutlich verzögert, da auch die vegetative Reinnervation noch nicht erfolgt ist. Dieses Bild ändert sich schlagartig, sobald die Berührungsempfindung sich eingestellt hat. Oft geht der Reinnervation eine Phase von Hyperästhesie voraus, d. h. schon die leichteste Berührung wird schmerzhaft empfunden. Auch im unbelasteten Zustand wird ein schmerzhaftes Kribbeln und „Ameisenlaufen" angegeben. Dieser Zustand dauert im allgemeinen nicht länger als zwei bis drei Wochen. Erklären läßt sich dieses Phänomen damit, daß beim zentripetalen Einwachsen der Nervenfasern vom Rand her zunächst die Achsenzylinder vorgeschoben werden ohne Perineurium und dieses erst später gebildet wird. V I I I . Orthopädische Versorgung Nach durchschnittlich vierwöchiger Belastungszeit kann die orthopädische Versorgung eingeleitet werden. Die enge Zusammenarbeit mit einem Orthopäden ist hier unerläßlich. Mit ihm sollen alle Probleme eingehend besprochen werden, um schon eine bestmögliche Erstversorgung zu erreichen. Gerade in der Anfangszeit können durch mangelhafte orthopädische Versorgung Schäden gesetzt werden, die den Erfolg der Plastik beeinträchtigen und sogar zur operativen Nachkorrektur zwingen können. Auch nach der orthopädischen Versorgung sollte man die Einlaufzeit streng überwachen und die Patienten entsprechend belehren, daß jedes Wundlaufen den Erfolg der Plastik gefährden kann. Schon bei den kleinsten Scheuerstellen muß auf jede Belastung verzichtet werden, bis diese restlos abgeheilt sind. Ist die Nachbehandlung sorgfältig durchgeführt und sind die Regeln der Anfangsbelastung beachtet worden, ist der Erfolg der Hautplastik gesichert.

Spätresultate

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IX. Spätresultate D i e e n t s c h e i d e n d e F r a g e n a c h d e r B e l a s t u n g s f ä h i g k e i t auf die D a u e r bei S t u m p f - u n d F e r s e n p l a s t i k e n k a n n h e u t e g ü l t i g b e a n t w o r t e t w e r d e n , d a u n s eine B e o b a c h t u n g s z e i t v o n ü b e r 20 J a h r e n z u r V e r f ü g u n g s t e h t .

Abb. 33. Handflächengroße Vorfußplastik nach Erfrierung 3. Grades aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation, Befund nach 23 Jahren unverändert. Beruf: Werkzeugmacher

Abb. 34. Entnahmestelle der Vorfußplastik aus Abb. 33, 14 Jahre nach der Operation. Der ausgedehnte Oberschenkeldefekt ist durch THIERSCHlappen gedeckt

Abb. 35. Fersenplastik aus dem Gesäß nach Erfrierung 3. Grades. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation. Nach 23 jähr. Belastungszeit Befund unverändert

Abb. 36. Unterschenkelkurzstumpfplastik aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel. Der Entnahmedefekt ist durch T H i E R S C H l a p p e n gedeckt. Die Hautplastik war notwendig, da der rechte Unterschenkel zirkulär abgesetzt wurde nach Granatsplitterverletzung und handflächengroße Narbenbildung über dem Stumpf jede orthopädische Versorgung blockierte. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation, Befund nach 23 Jahren unverändert

Bei K r i e g s e n d e 1945 l a g e n 83 o b j e k t i v e U n t e r s u c h u n g s b e f u n d e u n d B e u r t e i l u n g e n v o n d e n v e r s c h i e d e n e n o r t h o p ä d i s c h e n V e r s o r g u n g s s t e l l e n v o r . Sie g e b e n A u f s c h l u ß ü b e r die e r s t e B e l a s t u n g s z e i t d e r m i t einer P l a s t i k v e r s o r g t e n P a t i e n t e n n a c h l ä n g e r e r E n t l a s s u n g aus dem Lazarett.

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Stumpf- und Fersenplastiken

Der Erfolg der Plastik wurde in 81 Fällen mit „sehr gut", in 2 Fällen mit „gut" beurteilt. Gelenkschäden, die man von der Behandlungsform ableiten könnte, wurden nicht beobachtet. Ende 1946 habe ich erstmals Fragekarten an 215 Patienten verschickt, die eine mehrjährige Belastungszeit mit einer Plastik hinter sich hatten. Von 215 Karten kamen 161 beantwortet zurück, die übrigen Adressaten waren durch Kriegsereignisse nicht mehr erreichbar. Das Ergebnis war folgendes: Fragen:

Antworten:

1. Wie beurteilen Sie selbst den Erfolg Ihrer sehr gut: gut: mäßig: Plastik ? schlecht: sehr schlecht:

120 (74,5%) 37 (23%) 4 (2,5%) 0 0

2. Sind Sie schon orthopädisch versorgt?

Ja:

3. Ist Ihre Plastik vollkommen abgeheilt 1

J a : 159 (98,5%) Nein: 2 (1,5%) Scheuerstellen: 35, davon Vorfuß: 16 Ferse: 13 U. Sch. Stumpf: 6 durch schlechtes Schuhwerk: durch schlecht sitzende Prothesen: durch zu starke Belastung:

Inwieweit sind an Ihrer Plastik offene Wundstellen entstanden ?

Wenn ja, wodurch?

4. Wie groß ist Ihre durchschnittliche Gehleistung ? Bisherige Höchstleistung ?

5. Unter welchen Beschwerden haben Sie zu leiden, die mit der Plastik in Zusammenhang stehen können Ί

114, davon gut: mittel: schlecht: Nein: 47

71 33 10

14 7 14

4 bis 5 Kilometer 1 —10 km 1 1 - 2 0 km 2 1 - 3 0 km über 30 km:

94 36

20 11

Hornhautschwielen: Witterungswechsel: Fußanschwellungen: Gelenkbeschwerden:

4 6 5 2

Bei der Durchsicht der zahlreichen Briefe, die oftmals den Fragekarten beigefügt waren, werden die damaligen Nachkriegsverhältnisse deutlich. Aus ihnen erklärt sich die besondere Fragestellung im Hinblick auf die orthopädische Versorgung (s. Frage 2). Von 161 Patienten waren nur 114 orthopädisch versorgt und 47 überhaupt nicht. Aus diesem Ergebnis wird die mangelhafte Versorgung unmittelbar nach dem Krieg er-

Spätresultate

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sichtlich, zumal ein Großteil der Versehrten noch während des Krieges die orthopädischen Hilfsmittel erhalten hatte. Fersen- und Vorfußplastiken mußten sich oft mit gewöhnlichem, nicht immer passendem Schuh werk abfinden und wurden dadurch besonders beansprucht. Unterschenkelamputierte trugen immer noch Behelfs- oder schlecht sitzende Prothesen. Aber gerade die unzureichende orthopädische Versorgung stellte an die Hautplastik besonders große Anforderungen. Auch die damaligen allgemeinen Lebensverhältnisse waren ungewöhnlich. Viele Versehrte, die mit einer Hautplastik versorgt waren, kamen in Kriegsgefangenschaft und wurden mitunter großen Strapazen durch lange Fußmärsche bis zu 50 km am Tag ausgesetzt. Auch die unzureichenden Verkehrsverhältnisse der damaligen Zeit verlangten oft Gehleistungen aus der Not heraus, die für heutige Begriffe fast unwirklich erscheinen. Von den 114 orthopädisch Versorgten waren nur 71 so versorgt, daß sie keine Beanstandungen vorzubringen hatten. Das bedeutet, daß 56% orthopädisch gar nicht oder schlecht versorgt waren. Dieser Gesichtspunkt muß bei der Bewertung der übrigen Antworten berücksichtigt werden. 74,5% beurteilten den Erfolg ihrer Plastik mit „sehr gut", 23% mit „gut", 2,5% mit „mäßig", 0% „schlecht" oder „sehr schlecht". Bei 98,5% war die Plastik zum Zeitpunkt der Anfrage vollkommen abgeheilt, bei 1,5 % waren offene Wundstellen vorhanden. Von 161 Patienten traten bei 35 (21,7%) gelegentlich offene Wundstellen auf, davon 16 am Vorfuß, 13 an der Ferse und 6 am Unterschenkelkurzstumpf. 21 Versehrte (13%) führten dieses zeitweilige Wundlaufen auf unzureichende orthopädische Versorgung zurück und 14 (8,7%) auf zu starke Belastung. Die durchschnittliche Gehleistung lag bei vier bis fünf Kilometern. Als bisherige Höchstleistung waren 94 bis zu 10 Kilometern, 36 bis zu 20 Kilometern und 20 bis zu 30 Kilometern gelaufen. 11 Versehrte brachten es sogar zu einer Gehleistung über 30 Kilometer. Die aufgeschlüsselte Gehleistung mag besonders ins Gewicht fallen, wenn man die nicht ausreichende orthopädische Versorgung und den besonderen Grad der Versehrtheit berücksichtigt. 17 Versehrte (10,5%) klagten über verschiedene Beschwerden, die sie mit der Plastik in Zusammenhang brachten, 4 über Hornhautschwielen, 5 über Fußanschwellungen, 2 über Gelenkbeschwerden, 6 über Wetterfühligkeit. Die Auswertung dieser Umfrage von 1946 gibt Aufschluß über das Stadium der Frühbelastung. Die entscheidende Phase dieser Anfangsbelastung hat im Durchschnitt überraschend gute Ergebnisse gebracht, trotz der ungünstigen damaligen Zeit Verhältnisse. 1957 habe ich erneut Fragekarten an alle Kriegsversehrten verschickt, die ich im Krieg mit einer Plastik versorgt hatte. Diesen Fragekarten war eine Einladung zu einem Plastikertreffen am 4. 8. 1957 beigefügt. Von 103 Patienten, die meine Anfrage erreicht hat und die die Fragekarten beantwortet haben, sind allein 45 zu dieser Tagung aus allen Teilen der Bundesrepublik gekommen. Damit bot sich eine einmalige Gelegenheit der photographischen und filmischen Auswertung von Hautplastiken, die eine Belastungszeit von durchschnittlich 13 bis 14 Jahren hinter sich hatten. Ich hatte außerdem die Möglichkeit, neben dieser objektiven Dokumentation exakte Nachuntersuchungen persönlich durchzuführen und das Spätergebnis zu überprüfen. Das Resultat dieser Untersuchungen hat alle Erwartungen weit übertroffen. Besonders hervorstechend war das einwandfreie funktionelle Ergebnis. Morphologisch war äußerlich kein Strukturwandel zu erkennen, im Gegenteil, die Konturen der Plastik haben sich im Laufe der Zeit stärker an die Umgebung angepaßt.

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Abb. 37. Fersenplastik rechts aus dem Gesäß nach Erfrierung 3. Grades. Hier war die plastische Deckung besonders wichtig, da links eine Unterschenkelamputation vorlag. Die Plastik hat trotz verstärkter Beanspruchung des Standbeines allen Belastungen standgehalten. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation, Befund nach 23 Jahren unverändert

Abb. 38. Plastische Deckung eines extrem kurzen Fußstumpfes rechts aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel nach Minenverletzung. Durch die Hautplastik wurde eine Doppelunterschenkelamputation vermieden und ein wichtiges Standbein erhalten. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation

Abb. 39. Vorfußplastik rechts bei gleichzeitiger Unterschenkelamputation links nach Erfrierung 3. Grades. Die Belastungsfähigkeit einer gestielten Weichteilplastik aus Haut, Unterhautfettgewebe und Faszie wird hier besonders deutlich, da das Transplantat einen Hauptbelastungsbereich der Fußsohle des funktionall stark beanspruchten Standbeines deckt. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation

Abb. 40. Seitenansicht von Abb. 39

Das Transplantat hat im wesentlichen das äußere Erscheinungsbild des früheren Entnahmebezirks beibehalten. Natürlich fühlte sich dieses etwas derber an und war nur in einigen Fällen in der Farbtönung geringgradig dunkler. Eine stärkere Verhornung der Sohlenhaut im Randbezirk der Hautplastik wurde bei 3 Vorfuß- und bei 2 Fersenplastiken beobachtet. Berührungs-, Wärme- und Schmerzempfinden waren bei allen Patienten vorhanden. Neuro-vegetative Störungen im Plastikbereich wurden nicht beobachtet. Die Reinnervation war demnach überall vollständig erfolgt.

Spätresultate Abb. 41. Im vorliegenden Fall konnte durch eine groß angelegte Weichteilplastik aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel ein besonders ausgedehnter Erfrierungsschaden korrigiert werden. Die Plastik erstreckt sich nicht nur über den Vorfuß, sondern deckt auch den größten Teil des äußeren und inneren Fußrandes und greift von allen Seiten weit auf die Fußsohle über. Somit wurde ein wertvolles Standbein erhalten. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation. Beruf: Landwirt

Abb. 42. Extrem kurzer Fußstumpf rechts mit Weichteilplastik über der Entnahmestelle am Oberschenkel links nach Granatsplitterverletzung. Durch eine gut sitzende Fußprothese kann der Patient beschwerdefrei gehen. Aufnahme 14 Jahre nach der Operation. Befund nach 23 Jahren unverändert. Beruf: Finanzbeamter

Abb. 43. Seitenansicht von Abb. 42

Kein einziger dieser damals persönlich nachuntersuchten Patienten klagte über Gelenkbeschwerden, die mit der Plastik in Zusammenhang gebracht werden konnten. Ein Film, der bei der damaligen Nachuntersuchung gedreht wurde, läßt die einwandfreie Funktion der an der Ruhigstellung beteiligten Gelenke deutlich erkennen. Dieser Hinweis erscheint mir besonders wichtig, da mitunter Bedenken gegen Fixierungen in so extremer Beugestellung großer Gelenke geäußert werden (ζ. B. Kniegelenk bei der Fersenplastik aus dem Gesäß). Anfänglich habe ich die Fersenplastik aus dem Gesäß nur bei jugendlichen Patienten durchgeführt und Versehrte, die das 40. Lebensjahr überschritten hatten, mit einer Plastik aus dem Oberschenkel versorgt. Diese Zurückhaltung habe ich in den späteren J a h r e n aufgegeben. Unter diesen 45 persönlich nachuntersuchten Patienten waren nur 2, bei denen das Ergebnis nicht zufriedenstellend war: Eine sehr ausgedehnte Vorfußplastik bei einem Landwirt zeigte eine etwa erbsengroße offene Wundstelle im Bereich der Operationsnarbe an der Fußsohle. Die Narbe zwischen Plastik und Fußsohle war in Höhe des Metatarsale V adhärent und nur wenig verschieblich. Außerdem h a t t e sich hier ein tastbarer Knochensporn als Folge der Amputation nach Erfrierung gebildet. Bei diesem Patienten wurde eine operative Nachkorrektur vorgenommen, der vorspringende Knochensporn beseitigt und die etwas verbreiterte, adhärente Narbe entfernt. Seitdem ist dieser Patient beschwerdefrei.

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Κ.

LANG,

Stumpf- und Fersenplastiken

Bei dem zweiten Fall handelt es sich u m eine Unterschenkelkurzstumpfplastik, die vor J a h r e n anderen Ortes einmal inzidiert werden mußte, da sich ein Stumpfabszeß gebildet hatte. Diese Inzisionsnarbe war nicht mehr ganz belastungsfähig. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bestand ein etwa pfenniggroßes Narbenulkus. Auch hier wurde zur operativen Nachkorrektur geraten.

Abb. 44. Ausgedehnte Weichteilplastik am Unterschenkelkurzstumpf aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel nach Verwundung. Das Transplantat erstreckt sich weit über die Beugeseite des Unterschenkelstumpfes. Aufnahme 14 Jahre nach der^Operation. Gesamtbelastungszeit 23 Jahre

Abb. 45. Sehr kurzer Unterschenkelstumpf mit haubenförmiger Weichteilplastik aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel nach 13jähr. Belastungszeit

Abb. 46. Beugeseite der Abb. 45. Auf dieser Aufnähme wird deutlich, daß die Hautplastik fast bis zur Kniekehle reicht und in den Belastungsbereich des Prothesenschaftes einbezogen ist

Interessant ist auch der Werdegang der Patienten und die spätere Eingliederung in das Berufsleben. Von den 103 befragten Patienten (einschließlich der 45 persönlich nachuntersuchten) waren 5 3 % Schwerarbeiter (Landwirte, Fabrikarbeiter, Maurer, Handwerker), 13% Arbeiter für leichtere und mittlere Arbeiten, 34% Angestellte, Beamte und freiberuflich Tätige. Das Ergebnis der Fragekarten h a t meinen persönlich gewonnen Eindruck bestätigt (103 Patienten): Fragen:

Antworten:

1. Wie beurteilen Sie heute den Erfolg Ihrer Hautplastik ϊ

sehr gut: gut: mäßig: schlecht: sehr schlecht:

65 36 2 0 0

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Spätresultate

2. Hat Ihre Plastik den Belastungen bisher standgehalten ? a) gelegentliche Schürfungen ? b) größere Wundstellen ? c) war operative Nachkorrektur erforderlich?

J a : 102

Nein:

1

Ja: Ja: Ja:

43 7 2

Nein: 60 Nein: 96 Nein: 101

3. Ist Ihre Plastik völlig intakt?

Ja:

99

Nein:

4

4. Waren Sie bereits arbeitsunfähig infolge Ihrer Plastik?

Ja:

7

Nein:

96

5. Unter welchen Beschwerden haben Sie heute zu leiden, die mit der Plastik in Zusammenhang gebracht werden können ?

beschwerdefrei: 96 leichtere Beschwerden: 7 (Witterungswechsel, Hornhautschwielen, Frostbeulen usw.)

Vergleicht man die Ergebnisse der Umfragen von 1946 mit 1957, so zeichnet sich kein wesentlicher Unterschied ab. Der Erfolg der Plastik wurde beinahe uneingeschränkt als gut bis sehr gut beurteilt. Von den 103 im Jahre 1957 befragten Patienten bezeichnen nur 2 den Erfolg ihrer Hautplastik als mäßig, kein einziger als schlecht oder sehr schlecht. Nur ein Patient ist der Auffassung, daß seine Plastik den bisherigen Belastungen nicht standgehalten habe. Über gelegentliche Schürfungen hatten 43 Patienten zu klagen, größere Wundstellen wurden von 7 angegeben, bei 2 wurde eine operative Nachkorrektur erforderlich. Nur bei 4 Patienten war zum Zeitpunkt der Umfrage die Plastik nicht völlig intakt. 7 Versehrte waren wegen ihrer Plastik einmal arbeitsunfähig. 96 waren völlig beschwerdefrei und nur 7 klagten über leichtere Beschwerden wie Wetterfühligkeit, Hornhautschwielen, Frostbeulen. Die direkte gestielte Hautplastik in der oben beschriebenen Form hat sich also nach kritischer Überprüfung bewährt. Im anglo-amerikanischen Schrifttum wird vorwiegend der ,,cross-leg flap" aus der Wade des gegenüberliegenden Beines beschrieben. So berichten S E G E R S , K A M I N S K Y und V A L L S über 57 Fälle, in denen Defekte an der Sohlenhaut gedeckt wurden. Sie unterscheiden zwischen Zonen an der Sohlenhaut, die starken Belastungen ausgesetzt sind (weight bearing areas) und weniger beanspruchten Bezirken (silent zones). Sie entwickeln bei kleineren Defekten eine gestielte Hautplastik aus den silent zones und decken den dort entstandenen Defekt durch eine freie Hautübertragung aus dem Gesäß (MYR-Y-MYR-Technik). Größere Defekte an der Fußsohle werden durch eine gestielte Hautplastik aus dem gegenüberliegenden Unterschenkel (cross-leg flap) geschlossen, wobei sowohl der entstandene Defekt wie auch der freie Hautstiel primär mit dünnen freien Hautlappen gedeckt werden. Besonderer Wert wird auf die Entnahme des Hautlappens über größeren Muskelpartien gelegt, um seine Durchblutung nicht zu gefährden. Die Autoren geben der direkt gestielten Hautplastik im Sohlenbereich den Vorzug gegenüber dem Rundstiellappen (KARFIK). H A Y E S teilt Spätergebnisse von 2 2 Patienten mit, die mit einer gestielten Hautplastik aus dem gegenüberliegenden Unterschenkel an der Fußsohle versorgt wurden und zum Zeitpunkt der Operation bereits über 50 J a h r e alt waren. 8 Patienten weisen dabei eine Belastungszeit von 10—17 Jahren auf, 14 eine solche von 2—9 Jahren. I n keinem einzigen Fall wurden klinisch nachweisbare Gelenkschäden festgestellt, die auf die Ruhigstellung

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Stumpf- und Fersenplastiken

Abb. 47. Extrem kurzer Unterschenkelstumpf. Hier umfaßt die Hautplastik aus dem gegenüberliegenden Oberschenkel nicht nur den Stumpf, sondern reicht über die Kniekehle bis zur Beugeseite des Oberschenkels. Der Prothesenschaft sitzt direkt auf der Hautplastik auf, gut zu erkennen durch die etwas dunklere, bogenförmige Verfärbung auf der Beugeseite. Diese Aufnahme ist eine eindrucksvolle Dokumentation für die Belastungsfähigkeit einer gestielten Weichteilplastik. Aufnahme 13 Jahre nach der Operation. Beruf: Angestellter

Abb. 48. Doppelunterschenkelamputierter mit äußerst kurzen Unterschenkelstümpfen. Durch die ausgedehnte Weichteilplastik am linken Unterschenkelstumpf konnte eine Oberschenkelamputation umgangen werden. Rechts erkennt man die Entnahmestelle, die mit Spalthautlappen gedeckt wurde. Aufnahme 13 Jahre nach der Operation. Befund nach 23 Jahren unverändert. Beruf: Büroangestellter

zurückgeführt werden konnten. Es waren nur 3 Versager, einer wegen einer arteriosklerotischen Gangrän im postoperativen Verlauf und 2, weil die Osteomyelitis neu aufgeflammt war.

X . Zusammenfassung Stumpf- und Fersenplastiken erfordern einen Hautersatz, der stärksten direkten Belastungen standhält. Entscheidend für den Dauererfolg ist ein planmäßiges Vorgehen von Anfang an. Eine freie Hautübertragung scheidet in solchen Fällen aus. Nur eine gestielte Hautplastik mit H a u t und Unterhautfettgewebe ist einer solchen Aufgabe gewachsen. In manchen Fällen empfiehlt es sich, auch die darunter liegende Faszie gestielt ganz oder teilweise mitzuübertragen. Die richtige Wahl des Hautersatzes ist für den Dauererfolg entscheidend. Die Fernlappenplastiken aus dem Gesäß und der Streckseite des Oberschenkels bieten aus anatomischen Gegebenheiten die besten Voraussetzungen. Die Operationstechnik m u ß klar und ausgefeilt sein. Eine einwandfreie Verbandstechnik sichert den Erfolg. Das Prinzip des operativen Vorgehens und der Nachbehandlung kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: 1. Ein kombinierter Gipsschienenverband vereinfacht und garantiert die absolute Ruhigstellung. 2. Dieser Verband soll einen Tag vor der Operation angelegt werden, wobei der zu deckende Defekt möglichst nahe an die Entnahmestelle herangeführt wird. 3. Das Transplantat soll in gesunde Umgebung eingebettet werden, d. h. angrenzende Narben sind radikal zu entfernen und die Unterlage m u ß gründlich saniert werden.

Literatur

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4. An die Plastik angrenzende Hautränder sollen von der Unterlage freipräpariert werden, damit die Plastiknarbe später frei beweglich ist. 5. Auf die Freiluftbehandlung wird besonderer Wert gelegt, sowohl im Einheilungsstadium wie auch nach der Durchtrennung und Einbettung des Transplantates. 6. Die Nachbehandlung nach erfolgter Einheilung muß sorgfältig durchgeführt werden. Frühzeitige Narbenlockerungsübungen sollen erfolgen und mit der direkten Belastung darf nur langsam steigernd begonnen werden. 7. Bis zum Zeitpunkt der völligen Reinnervation muß auf Wund- und Scheuerstellen besonders geachtet werden. Es empfiehlt sich, die Plastik solange zu bandagieren. 8. Die orthopädische Erstversorgung muß sorgfältig überwacht werden. Spätergebnisse wurden durch wiederholte Nachuntersuchungen ermittelt. Nach über 20jähriger Beobachtungszeit kann festgestellt werden, daß eine richtig angelegte gestielte Hautplastik stärksten mechanischen Beanspruchungen standhält.

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HANDBUCH D E R P L A S T I S C H E N

CHIRURGIE

Herausgegeben von E . GOHRBANDT · J . GABKA · A . B E R N D O R F E R

BAND II SPEZIELLE PLASTISCHE CHIRURGIE

58. Funktionelle und aesthetische Behandlung der Varizen im Bereich der unteren Extremitäten F E L I X JAEGER,

Limburgerhof-Pfalz

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Klinik und Diagnostik der Krampfadern A. Primäre Krampfadern B. Sekundäre Krampfadern C. Das Ulcus cruris D. Phlebothrombose und Thrombophlebitis III. Die Behandlung der Krampfadern. . . A. Vorbeugende Behandlung B. Die Kompressionsverbände und die Gummistrümpfe 1. Die Kompressionsverbände . . 2. Die Gummistrümpfe C. Die Krampfaderverödung D. Die operative Krampfaderbehandlung E. Die konservative und operative Behandlung des Ulcus cruris F. Die Behandlung der Thrombophlebitis und der Phlebothrombose . . IV. Die Bedeutung der Phlebografie . . . V. Zusammenfasssung Literatur

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. F. Jaeger LimburgerhofI Pfalz Weinheimer Str. 26

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58. Funktionelle und aesthelische Behandlung der Varizen im Bereich der unteren Extremitäten Felix JAEGER, Limburgerhof-Pfalz

I. Einleitung Im Rahmen der plastischen wie der kosmetischen Chirurgie spielt das Krampfaderleiden eine große Rolle, nicht nur aus aesthetischen Gesichtspunkten, sondern auch deswegen, weil sich hinter dem Krampfaderleiden Gefahren verbergen, die bei Durchführung von Operationen oder auch schon bei langdauernder Bettruhe Gesundheit und Leben des Patienten in große Gefahr bringen können. Erkrankungen des Venensystems werden oft nicht ernst genommen, da ihre Behandlung nicht durch aufsehenerregende Erfolge glänzt. Dafür nehmen sie den traurigen Ruhm für sich in Anspruch, ein sehr häufiges Leiden darzustellen, das dazu noch gar nicht selten die Keimzelle für viele ζ. T. lebensbedrohende Komplikationen darstellt. Die Behandlung der Varizen hat sich nach dem objektiven Befunde und nach der Art der Beschwerden zu richten. Im allgemeinen werden wir die Behandlung als rein kosmetischen Eingriff ablehnen. Trotzdem wird es hier und da notwendig sein, nicht nur ausgedehnte Venenerweiterungen aus aesthetischen Gründen zu behandeln, zu veröden oder auszurotten, sondern auch eine Behandlung der kleinen „Besenreiser" an den Beinen durchzuführen. Wir wissen, daß es viele Krampfaderträger gibt, die keinerlei Beschwerden haben und ihre Varizen nur aus kosmetischen Gründen beseitigt haben wollen. In jedem Falle ist eine genaue Untersuchung des ganzen Menschen zur Stellung einer exakten Diagnose erforderlich. Eine rektale und u. U. gynäkologische Untersuchung kann zum Ausschluß von Tumoren im kleinen Becken notwendig sein. Das Wichtigste ist die Anamnese. Zu ihrer Erhebung gehört Zeit und Ruhe. Wir verstehen unter Krampfadern meist geschlängelte und erweiterte Gefäß bezirke, die vor allem der Vena saphena und parva mit ihren Nebenästen und ihrem Quellgebiet angehören und in denen das Blut bei aufrechter Körperhaltung streckenweise zentrifugal strömt. Es handelt sich also um mehr oder weniger funktionsuntüchtige kranke Gefäßbezirke, die dazu noch nicht unbeträchtliche Beschwerden verursachen. Krampfadern treten häufig auf im Verein mit statischen Beschwerden: X-Beinen und Knick-Senkfüßen, mit Schweißfüßen, Leistenbrüchen, Hämorrhoiden, also mit Erkrankungen auf dem Boden einer allgemeinen Bindegewebsschwäche. Das ganze Krankheitsgeschehen bei Venenerkrankungen beruht letztlich auf einer Stauung, auf einer Abflußbehinderung. Dieser funktionelle Oberbegriff gilt ganz allgemein, ob es sich nun um Abflußbehinderungen am Schädel (ζ. B. Hirntumor), am Hals (ζ. B. retrosternale Struma, Lungentumoren), um einen angeborenen Herzfehler (Morbus caeruleus), um Stauungszustände in den Armen, um eine Leberzirrhose, um Hämorrhoiden, Varikozelen oder um Varizen mit allen ihren Folgezuständen handelt. Das ,,A und 0 " unserer Therapie hat die Beseitigung der Stauung zu sein. Die Ursache der Stauung ist zu finden Handb. Plast. Chir., Bd. II

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2 I 58

F . JAEGEB, Funktionelle Behandlung der Varizen

und zu beheben. Genau so wie man eine venöse Einflußstauung am Hals infolge retrosternaler Struma nur durch operative Entfernung der Struma beheben kann, so kann man Stauungen im venösen System an anderen Körperstellen nur dann endgültig und dauernd beheben, wenn man in der Lage ist, die Ursache der örtlichen oder allgemeinen Blutstromverlangsamung zu beseitigen. Dieses ist leichter gesagt als getan, da wir die Ursache der Venenstauung oft nicht kennen. I n vielen Fällen ist sie jedoch feststellbar und hier hat nur eine kausale Therapie einen Sinn.

II. Klinik und Diagnostik der Krampfadern A. Primäre Krampfadern Wir unterscheiden primäre und sekundäre Varizen, bei primären Varizen ist die Ursache unbekannt. Man nimmt mit Recht eine angeborene oder erworbene Bindegewebsschwäche an (LEDDERHOSE, B I E R ) . Die zarte Venenwand ist dem hydrostatischen Druck mit seinen wechselvollen Belastungen nicht gewachsen und unterliegt mehr oder weniger rasch bei Beanspruchungen des täglichen Lebens (stehende Berufe, sportliche Uberbelastung, Schwangerschaft). Die zartwandigen oberflächlichen subkutanen Venen erliegen diesem Druck rascher als die tiefen Venen, die gemeinsam mit den Arterien in einer kräftigen Bindegewebshülle verlaufen und außerdem von allseitig umgebender kräftiger Muskulatur geschützt sind. Die Rolle der umgebenden Muskulatur für den Blutrückfluß ist allgemein bekannt und leicht experimentell zu beweisen (PERTHES). Die oberflächlichen und subkutanen Venen entbehren dieses schützenden Muskelmantels, ihre Wandung ist außerdem zart und nachgiebig. Der einzige Schutz gegen Rückstauung in den Venen unter der Haut sind die Venenklappen, die normalerweise dem Blutstrom nur die Richtung zum Herzen hin gestatten. Aber auch diese Klappen sind zart und längeren und schwereren Belastungen kaum gewachsen. Nimmt die Blutfülle zu (Schwangerschaft), so wird schon ein Höchstmaß an Kompensationsvermögen von den subkutanen Venen verlangt. Das gesunde Venensystem leistet diese Aufgabe, solange seine Wandung nicht eine besondere Labilität aufweist (angeborene oder ererbte Bindegewebsschwäche). Schon im Beginn der Schwangerschaft tritt eine vermehrte Blutfülle in allen Gefäßen in und um den Uterus ein. Die Ableitung des venösen Blutes erfolgt über die großen Beckenvenen. Unter normalen und gesunden Verhältnissen paßt sich das Venensystem dem „Hochwasser" an. Eine Rückstauung erfolgt zunächst nur in den zartwandigen und nachgiebigen Abflußgebieten der Vena saphena magna und parva mit ihren Nebenästen. Diese Venen erweitern sich, hier und da wird vielleicht auch eine Klappe undicht. Geht nach Beendigung der Schwangerschaft das „Hochwasser" zurück, so bilden sich auch die erweiterten Venen zurück, die Krampfadern verschwinden wieder. Varizen, die schon vor der Gravidität bestanden, erfahren meist in derselben Weise eine beträchtliche Erweiterung, die jedoch nach der Entbindung wieder zurückgeht ( J A E G E R ) . Bei der Schwangerschaft haben wir einen normalen, nicht krankhaften Lebensvorgang, der die Entstehung von Krampfadern gut beobachten läßt. Hat die Überdehnung umschriebener Venenabschnitte besonders starke Formen angenommen, so kann es zu bleibender Erweiterung kommen, zu Varixknoten. Die „Ausuferung" bleibt bestehen, obwohl große Venengebiete sich wieder voll zurückgebildet haben. Die Antwort der subkutanen Venen auf Rückstauungen irgendwelcher Ursache ist verschieden. Bei gleichen Druckverhältnissen erweitert sich ein Abschnitt, während unmittelbar daneben gesunde Venenbezirke voll funktionstüchtig bleiben und sich an der Erweiterung nicht beteiligen (Abb. 1), (MAGNUS, F I S C H E R ) . Wichtig sind hier die anatomischen Verhältnisse bzw. der Verlauf der Vena saphena magna und parva mit ihren Nebenästen und den in die Tiefe ziehenden Venae perforantes.

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In vielen Fällen wissen wir nichts über die eigentliche Ursache der Varizen. Wir beobachten sie nicht nur an den Beinen, sondern in seltenen Fällen auch an den Armen und an allen inneren Organen. Die Frage bleibt offen, ob nicht angeborene Mißbildungen im Gefäßsystem oder fehlende Anlage von Gefäßklappen ursächlich für die Krampfaderentstehung anzusehen sind. Vielleicht bringt hier eines Tages die Venografie ( B E R B E R I C H , H I R S C H 1923) neue Erkenntnisse. Bis dahin müssen wir eine Bindegewebsschwäche, eine vegetative Labilität bei Änderung der hormonalen Verhältnisse oder dgl. annehmen, da sonst jedes mechanische Geschehen die gleichen Folgen zeitigen würde ( J A E G E R , F I S C H E R ) .

B. Sekundäre Krampfadern Sekundäre Krampfadern sind solche, bei denen die Ursache der Venenrückstauung bekannt ist. Überlastungen des Kreislaufes durch zentral gelegene Ursachen sind auch sonst bekannt. Bei Krampfadern bietet der vermehrte Blutumlauf während der Schwangerschaft eine gute Beobachtungsmöglichkeit. Der starAbb. 1. Dickes Krampfaderpaket, ke Blutzufluß aus den großen Beckenvenen das einer nicht erweiterten Vene tumorartig anführt zu einer Rückstauung im ganzen venösen sitzt (Operationspräparat) Stromgebiet der unteren Extremitäten. Der Venenquerschnitt wird überdehnt, zunächst im Becken und am Ende der großen Beinvenen. Bei genügend großer Überbelastung wird die oberste Venenklappe mehr oder weniger rasch schlußunfähig. Nun setzt sich der Druck auf die nächste Klappe fort. Mit der Zeit kommen auch die Klappen der perforierenden Venen an die Reihe, die normalerweise dem Blutstrom nur die Richtung: „Oberfläche zur Tiefe" gestatten. Sind aber diese Klappen erst einmal insuffizient geworden, so kann es zur Ausbildung oberflächlicher Krampfadern kommen. Die subkutanen Venen leisten nicht den großen Widerstand wie die tiefen Venen, sie erliegen dem Druck der lastenden Blutsäule viel rascher als die tiefen, muskelgeschützten Gefäße ( H U N T E R , VIRCHOW). Selbstverständlich wehrt sich der Körper gegen diesen Vorgang. Er reagiert mit Schmerzen und zeigt dem Träger den besten Weg zur Abhilfe. Schon wenige Schritte oder Bewegungen der Beine im Bett beseitigen die Schmerzen und die Wadenkrämpfe. Die Venenwandungen selbst reagieren mit einer Vermehrung und Festigung ihrer bindegewebigen Substanz, sie arterialisieren soweit als möglich (JAEGER). Blutströmungsveränderungen bis Stillstand und Gefäßwandernährungsstörungen gehen Hand in Hand und leiten ihrerseits zu einem Circulus vitiosus über (MAGNUS, K L A P P , J A E G E R ) . Das Beispiel der Varizenentstehung bei der Schwangerschaft läßt sich ohne weiteres übertragen auf Krankheitszustände: Unterleibstumoren, Belastung des Pfortaderkreislaufes bei chronischer Obstipation u. ä., mangelnder Blutumlauf im Splanchnikusgebiet bei sitzender Lebensweise, Verstopfung des Venensystems selbst mit nachfolgender Insuffi18*

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JAEGER,

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zienz bei der tiefen Thrombose (Phlebothrombose). Zur Untersuchung auf Krampfadern gehört aus den oben erwähnten Gründen eine Untersuchung des ganzen Menschen. Eine Thrombose der tiefen Beinvenen kann unbemerkt verlaufen sein ( B A U E R , B I R G E R , H A L S E ) . E S ist darauf zu achten, wenn sich in der Vorgeschichte Frakturen des Beckens, der Wirbelsäule, der Ober- und Unterschenkel finden oder wenn Operationen unterhalb des Zwerchfells durchgemacht wurden. Entbindungen und das Wochenbett (wichtig sind auch die nachfolgenden Wochen!) sind zu berücksichtigen. Erkrankungen des Venensystems können schließlich reflektorisch-spastisch entstehen und akut und chronisch verlaufen. Vor allem die akuten Erkrankungen bereiten nicht selten große diagnostische Schwierigkeiten (ζ. B. die primär-spastische Venensperre an den oberen Extremitäten, C R U V E I L H I E R , P A G E T , S C H R O E T T E R ) . Wir kennen auch die symptomatische venöse Rückflußsperre und den traumatischen Achselvenenstau, bei dem es durch Sympathikuskrisen zu einem Mißverhältnis zwischen Zufluß in der Arterie und dem Abfluß in der Vene, also zu einem Mißverhältnis zwischen An- und Abtransport kommt. Hält der Kontraktionszustand der Gefäße lange genug an, so kommt es im Venensystem zur Stase mit allen ihren Folgen. Nach wenigen Stunden schon ist der Zustand irreparabel, es ist zur Thrombose in den tiefen Venen gekommen ( N O B L , Q U E N U , K A S H I M U R A ) . So zeigen sich uns die Venenerkrankungen nach sehr verschiedenen Ursachen primär und sekundär auftretend, wobei die Zahl der primären Venenerkrankungen durch die Forschungen der letzten Jahre immer kleiner wurde. Jede Diagnostik von Venenerkrankungen muß auf vorstehenden Überlegungen basieren und so klar als möglich herausgearbeitet werden. Hierbei steht die Funktionsprüfung der Venen (oberflächliche und tiefe Venen) im Vordergrund aller diagnostischen Notwendigkeiten. Von ihrem Ergebnis hängt es ab, welche therapeutischen Maßnahmen wir ergreifen. Mit dem T R E N D E L E N B U R G s c h e n Versuch kann man die Funktionsfähigkeit der oberflächlichen Venen feststellen und durch den PERTHESschen Versuch kann man sich leicht und rasch davon überzeugen, ob die tiefen Venen durchgängig sind. Wenn die tiefen Venen durchgängig und wenn sie funktionstüchtig sind, dann ist die Beseitigung der oberflächlichen Varizen durch irgendeine der bekannten Behandlungsmethoden möglich. Sind die tiefen Venen nicht durchgängig bzw. nicht genügend funktionstüchtig, dann bestehen meist Ödeme im Bereiche der Knöchel und des Fußrückens. Diese Ödeme müssen zuerst beseitigt werden, ehe eine Behandlung der oberflächlichen Krampfadern berechtigt ist. Vor jeder Krampfaderbehandlung sind also gründliche differentialdiagnostische Überlegungen anzustellen. Es ist bekannt, daß statische Veränderungen gleiche oder ähnliche Beschwerden hervorrufen können wie Varizen. Statische Beschwerden bedingen aber nicht nur am Unterschenkel und Fuß, sondern auch im Becken, in den Hüften und häufig im Rücken Beschwerden, so daß wir zur einwandfreien Diagnostik die gesamte statische Einheit berücksichtigen müssen. Es darf nicht vorkommen, daß bei Klagen im Fußgelenk nur der Fuß auf Knick-Senk-Fuß-Stellung untersucht wird. Die häufigsten Beschwerden werden allerdings hervorgerufen durch beginnende Knick-Senk-Füße, zu einem Zeitpunkt, an dem das Fußgewölbe meist noch nicht durchgesunken ist. Die Wölbung des Fußes unterliegt auch unter normalen Verhältnissen großen Schwankungen. Wir müssen alle Zwischenstufen vom Hohlfuß bis zum Plattfuß berücksichtigen. Tritt nun ein Mißverhältnis ein zwischen Leistungsfähigkeit des Stützgewebes und seiner Beanspruchung, dann treten Beschwerden statischer Art auf, die sich recht verschieden auswirken ( J A E G E R ) . Alle diese Beschwerden gleichen vollkommen denen, die zum Erscheinungsbild der Krampfadern gehören. Das nimmt nicht wunder, wenn man bedenkt, daß Varizen häufig vergesellschaftet sind mit einer allgemeinen Schwäche des Stützgewebes, mit Plattfüßen, X-Beinen, Varikozelen usw. (BIER). Vor Beginn einer jeden Behandlung ist also festzustellen, worauf die Beschwerden des Patienten zurückzuführen sind. Knick-Senk-Fuß-Be-

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schwerden behandelt man zunächst 2 bis 3 Tage mit elastischen Stütz verbänden. Lassen die Schmerzen hierauf nach, so lagen statische Beschwerden vor. Im anderen Falle wächst die Wahrscheinlichkeit, daß die Beschwerden durch Krampfadern bedingt sind (Abb. 2). Bei jeder Krampfaderbehandlung sollten wir versuchen, eine kausale Therapie zu treiben, d. h. die Ursache des Leidens zu eruieren und nach Möglichkeit zu beheben, denn eine rein symptomatische BeAbb. 2. Elastischer Verband bei Senkfuß handlung der Krampfadern wird immer nur eine Symptombeseitigung für kürzere oder längere Zeit sein. Das Krampfaderleiden führt häufig zu Komplikationen. Von größter Bedeutung sind hierbei die varikösen Beinödeme, die für den Untersucher das wichtigste Symptom zur Feststellung der venösen Kreislaufinsuffizienz sind. Meist besteht eine chronische, druckempfindliche Entzündung der tiefen Venen. Bisweilen verursachen oberflächliche Krampfadern keine Beschwerden, solange keine Ödeme und keine Entzündungen vorhanden sind. Erst bei Ödemen treten Krämpfe auf, kommt es zu Unterschenkelgeschwüren oder zu harten indurierten Knoten, die von kleinen Entzündungsherden ausgehen. Als weitere Komplikation können hartnäckige variköse Ekzeme hinzukommen. Zunächst treten dunkel pigmentierte Flecken auf. Nicht selten gehen die Ekzeme mit einer Fußmykose zwischen den Zehen einher. Nässende Beinekzeme können auf den ganzen Körper übergehen und oft jeglicher Behandlung trotzen.

C. Das Ulcus cruris Das Ulcus cruris, das Unterschenkelgeschwür, bedeutet eine schwere Komplikation beim Krampfaderleiden. Wir unterscheiden das Ulcus cruris varicosum vom Ulcus cruris postthromboticum. In jedem Falle beruht das Geschwür auf einer „Stauung", die Beseitigung dieser Stauung ist Aufgabe der Behandlung. Jede örtliche Geschwürsbehandlung ist von sekundärer Bedeutung. Das Ulcus cruris varicosum kann im Anschluß an eine leichte Verletzung des Krampfaderbeins auftreten, häufiger nach einer Thrombophlebitis. Die entzündete Krampfader bricht auf, die offene Stelle verheilt nicht, der Geschwürsgrund zerfällt gangraenös. Bei unsachgemäßer Behandlung können Ekzeme in der Umgebung des Geschwürs hinzu-, kommen. Das Blut in den Krampfadern, das infolge des umgekehrten Kreislaufs nicht mehr in der Lage ist, die Haut in der Umgebung des Ulcus genügend mit Sauerstoff zu versorgen kann den Heilungsprozeß nicht unterstützen (MAGNUS). Infolgedessen nimmt das Geschwür an Größe zu, wird tiefer, nekrotischer. Das Ulcus cruris postthromboticum ist die Folge einer überstandenen tiefen Thrombose, wenn die tiefen Venen wieder durchgängig geworden, aber funktionsuntüchtig geblieben sind und zum Bilde der sekundären Varizen geführt haben (s. dort). Diese Geschwüre gehen immer mit Ödemen einher und sitzen häufig in der Gegend des inneren Knöchels. Arteriell bedingte Geschwüre sitzen an ganz verschiedenen Stellen (Zehen, Fußrücken, Unterschenkel, Tibiakante) und zeigen meist keine Ödeme (BIRGER). Ein großer Teil der arteriell bedingten Geschwüre beruht auf Nikotinschäden (RATSCHOW). Tuberkulöse und luische Ulzera sind gegenüber den Stauungsgeschwüren des Unterschenkels ausgesprochen selten.

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F. JAEGER, Funktionelle Behandlung der Varizen D. Phlebothrombose und Thrombophlebitis

Sekundäre Krampfadern sind so gut wie immer die Folge einer durchgemachten tiefen Thrombose (Phlebothrombose) mit nachfolgender Klappeninsuffizienz in den tiefen und in den perforierenden Venen. Für die Praxis mag folgendes Unterscheidungsmerkmal genügen: Varizen ohne Ödeme sind meist primäre Varizen, Varizen mit Ödeme sind meist sekundäre Varizen. Wenn die sekundären Varizen so gut wie immer Folge einer durchgemachten tiefen Thrombose sind, so muß das Wesen der Thrombose kurz erläutert werden. In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts führte R U D O L F V I R C H O W aufgrund pathologisch-anatomischer und experimenteller Untersuchungen die Begriffe Thrombose und Embolie ein. Er schuf damit das Fundament für die Lehre von der intravasalen Blutgerinnung im lebenden Organismus. Ursächlich für die Entstehung einer Thrombose sehen wir auch heute noch die von V I R C H O W angegebene Trias an: Gefäßwandschädigung, Zirkulationsstörung und vermehrte Gerinnungsneigung. Wir haben also bei der Entstehung der Thrombose einen komplexen Vorgang vor uns, bei dem wir oft nicht wissen, welchem der einzelnen Faktoren die hauptsächlichste Schuld an der Entstehung eines Thrombus beizumessen ist. In den letzten Jahren hat man besonderen Wert auf die Betonung der Gefäßwandschädigung gelegt, nachdem man nach intravenösen Verabreichungen von Medikamenten oder nach stunden- oder tagelang laufenden intravenösen Infusionen gehäuft sog. Infusionsthrombophlebitiden gesehen hatte. Auf der anderen Seite unterliegt es keinem Zweifel, daß diejenigen Venen, in denen die Blutströmung verlangsamt ist, eine besondere Neigung und Affinität zur Entstehung von Thromben auf weisen. So finden wir in allen Krampfadern eine Veränderung der Strömungsgeschwindigkeit (BAUER). Schädigungen der Venen oder Gefäße ganz allgemein erleben wir nach allen Traumen (Gefäßzerreißungen und Gefäßquetschungen, bei Knochenbrüchen oder auch schon nach einfachen Blutergüssen). Wenn die Veränderung = Verlangsamung der Strömungsgeschwindigkeit eine so maßgebliche Rolle spielt, dann muß gefordert werden, daß wir die Bettruhe bei unseren Kranken auf ein Minimum beschränken. Patienten, die an Krampfadern leiden und aus irgendwelchen Gründen zur Bettruhe gezwungen sind, sind in Gefahr. So kommt es, daß nach plastischen Operationen, die eine wochen- oder monatelange Bettruhe erforderlich machen, die Gefahr einer Thrombose oder Thrombophlebitis bei Krampfaderträgern ungleich größer ist als bei sonst gesunden Menschen ( G O H R B A N D T , J A E G E R ) . Wenn die Phlebothrombose zur Ausheilung kommt, werden die thrombotischen Massen langsam aufgesaugt und organisiert. Es kommt zur mehr oder weniger weitgehenden Rekanalisation der verstopften Venen ( H U E C K , B Ü C H N E R ) . Der venöse Blutstrom kann also wieder den Weg durch das tiefe Venensystem nehmen. Die Passage ist frei. Die Funktion dieser tiefen Venen ist jedoch erheblich gestört, weil die Klappen sich nach der Rekanalisation nicht wieder erholen. Die zarten Venenklappen sind geschrumpft und werden nicht wieder funktionstüchtig. Dasselbe gilt von den Klappen, die sich am Übergang zwischen den Venae perforantes und den tiefen Venen finden und die normalerweise dem venösen Blutstrom nur die Möglichkeit geben, von der Oberfläche zur Tiefe hin zu gelangen. Wenn nun auch diese Klappen schlußunfähig geworden sind, so lastet beim stehenden oder gehenden Menschen die gesamte venöse Blutsäule vom Herzen bis zur Peripherie in den klappenlosen Venen (BAUER). Das Blut dringt von hier in die perforierenden Venen am Unter- und Oberschenkel ein und gelangt auf diese Weise in die subkutanen Venen. Hier kommt es zur Ausdehnung des Venensystem und zur Ausbildung von sekundären Krampfadern ( B A U E R , B I R G E R , H A L S E ) . Neben der Erweiterung der subkutanen Venen kommt es so gut wie immer zum ödem am Fuß und Unterschenkel und häufig früher oder später zum Auftreten variköser Unter-

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schenkelgeschwüre. Die meisten hartnäckigen und immer wieder rezidivierenden Ulcera cruris sind Folge einer tiefen Thrombose. Die Behandlung des postthrombotischen Syndroms und seiner Folgezustände ist undankbar (vgl. T E L L E R : Die plastische Versorgung des Ulcus cruris). Wir müssen deshalb alles daran setzen, eine auftretende Thrombose so frühzeitig wie möglich zu erkennen, um ihre Folgen zu vermeiden und das sekundär-thrombotische oder postthrombotische Syndrom gar nicht erst aufkommen zu lassen (Abb. 3). Die Frühdiagnostik der Thrombophlebitis und Phlebothrombose ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Bekämpfung nicht nur des thrombotischen Geschehens, sondern auch des sekundär- oder postthrombotischen Syndroms. Wir wissen, daß die Abscheidung von Thromben durch eine Schädigung der Gefäße, durch Alteration der Thrombozyten sowie durch eine Störung der Blutgerinnung verursacht wird. Diese Trias pathologischer Veränderungen wird durch die Strömungsverlangsamung infolge lokaler oder allgemeiner Kreislaufstörung maßgebend unterstützt. Die Verlangsamung der Blutströmung als Ursache für die Thrombenbildung erklärt auch die Häufigkeit der A b b 3 2 2 j ä h r i g e F r a u Z u s t a n d Thrombose in den abhängigen Körperpartien und die Be- n a c h durchgemachter Thrombose vorzugung der Venen gegenüber den Arterien. Aus im Wochenbett vor 4 Monaten den gleichen Gründen sind Varizen und Aneurysmen bevorzugte Stellen für die Entwicklung von Thromben. Schon lange ist bekannt, daß die Fernthrombose nicht in den großen Gefäßen der Beine ihren Ursprung nimmt, sondern fast immer in gestauten, schlecht durchbluteten Venenabschnitten der Fußsohle oder der Waden. Namentlich bei hegenden Patienten verursacht der Druck auf die Venae tibiales in diesen Gefäßgebieten Stauung mit anschließender Gefäßschädigung. Jeder Arzt kennt die Druckschmerzhaftigkeit an der Fußsohle und den Schmerz in der Wadenmuskulatur. Vor einigen Jahren hat K N I S E L Y darauf hingewiesen, daß sich an den Engpässen des Gefäßsystems, beim Übergang der Arteriolen in die Kapillaren, aber auch in der Nähe von Venenklappen und an Stellen von künstlicher Einengung bei Druck auf die Gefäße ein Schlammfang entwickelt. Diese „Sludge"-Bildung ist besonders häufig bei bettlägerigen Patienten, sobald die großen Venen längere Zeit in horizontaler Lage bleiben. Jeder Chirurg weiß, daß die Naht großer Venen wegen des verlangsamten Blutstromes gefährdet ist. Infolgedessen ist es bei Thrombosen im Venensystem sinnvoller, das thrombosierte Venenstück ganz zuentfernen, als den Versuch zu machen, die Vene nach Ausräumung des Thrombus durch Naht wieder zu verschließen. Grundsätzlich besteht kein Unterschied zwischen der ThromboEmbolie ohne und nach Operationen. Wenn wir wissen, daß die Thrombose irgendeine Bedeutung für die Entstehung des varikösen Symptomenkomplexes hat, so müssen wir unter allen Umständen versuchen, den verlangsamten Blutstrom im Venensystem zu beheben. Mit der Beseitigung der Stauung verschwinden nicht nur die Beschwerden, sondern auch die Folgen des Krampfaderleidens. Als vorbeugende Mittel gegen das Auftreten von Krampfadern sind alle Maßnahmen zu werten, die die venöse Stauung verhindern und die Durchblutung fördern, also Bewegungsübungen, Hochlagern der Beine. Das Muskelspiel übt einen steten Druck auf die Venen und auf die Blutzirkulation aus.

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Kommt es in diesen oberflächlichen Krampfadern zu entzündlichen Veränderungen, zur eigentlichen Thrombophlebitis, so ist die Diagnose nicht schwer. Ein mehr oder weniger langer Venenabschnitt ist gerötet, schmerzhaft, empfindlich, verdickt. Nicht selten kommt es zur Temperaturerhöhung. Die Thrombophlebitis kann schon nach wenigen Tagen spontan abklingen, um an anderer Stelle erneut aufzutreten (Thrombophlebitis migrans). Schwieriger ist die Diagnose der Phlebothrombose, die häufig in den Beckenvenen oder im Verlaufe der Vena femoralis oder tibialis sitzt. Wie erkennen wir nun eine tiefe Thrombose ? Wir müssen hier auf derbe Resistenzen und druckschmerzhafte Stellen an den Beinen achten. Jeder Kranke, der durch sein Grundleiden gezwungen ist, Bettruhe einzuhalten, ist täglich zu untersuchen auf initiale Ödeme an den Beinen und auf Schmerzen in der Wade, im Oberschenkel oder an der Fußsohle. Ungeklärte subfebrile Temperaturen ohne erkennbare Ursache müssen uns hellhörig machen. Sie können auf eine bis dahin unerkannte Venenentzündung hinweisen. Nach Möglichkeit sollte in einer Klinik jeder bettlägerige Kranke auf folgende Symptome täglich untersucht werden; 1. Druckschmerz auf der Fußsohle, am Unterschenkel, auf der Rückseite des Oberschenkels, an der Tibiakante, in der Kniekehle und im Adduktorenkanal. Häufig tastet man als erstes unterhalb des Leistenbandes geschwollene Drüsen. 2. Anschwellungen der Beine; Ödeme sind stets auf thrombotische Prozesse verdächtig. 3. Oberflächlich tastbare Venenstränge, die gerötet und druckschmerzhaft sind, sprechen immer für eine Phlebitis. 4. Puls, Temperatur und Blutsenkung sind zu beachten. 5. Nicht selten kommt es zu Blasen- und Darmspasmen. 6. Der Prothrombinspiegel ist oft erhöht. In späteren Fällen können erweiterte und sichtbare Kollateralvenen auf eine tiefe Thrombose hinweisen. Die Untersuchungsmethoden nach PERTHES und die Venografie können hier den Verdacht bestätigen.

Es ist bekannt und immer wieder bewiesen, daß die Phlebothrombose nur in seltenen Fällen ohne Spätfolgen abheilt. Nach Wochen und Monaten wird die verstopfte Vene langsam wieder durchgängig, die Thromben werden resorbiert, das Gefäß wird rekanalisiert. Aber die zarten Venenklappen sind durch den thrombotischen Vorgang geschrumpft, sie erholen sich nicht wieder, sie bleiben funktionsuntüchtig. Nun lastet die ganze venöse Blutsäule vom Herzen bis zur Peripherie auf diesen klappenlosen Gefäßen. Schließlich werden durch den ständigen Druck, durch die ständige Rückstauung auch die Venenklappen in Mitleidenschaft gezogen, die die Venae perforantes verschließen, um ihnen den Blutstrom nur von der Oberfläche nach der Tiefe zu gestatten. Sind aber auch diese Venen einmal schlufluni ähig geworden, so kommt es zum umgekehrten Blutstrom. Die venöse Blutsäule auf den tiefen Venen kann nur durch die Venae perforantes in die subkutanen Venen gelangen und führt hier zu einer Erweiterung der Venen im Unterhautfettgewebe. Es kommt zum Bilde der sekundären Varizen. Wir sehen also, daß die tiefe Thrombose die häufigste Ursache für das Auftreten sekundärer Varizen ist. Neben dem Auftreten sekundärer Varizen kommt es zu Ödemen am Fuß und Unterschenkel und gar nicht so selten zum Auftreten von varikösen Unterschenkelgeschwüren. Die meisten hartnäckigen und immer wieder rezidivierenden Ulcera cruris sind Folgen einer tiefen Thrombose. Das thrombotische Geschehen ist ein komplexer Vorgang. Auch bei genauer Untersuchung aller Kranken werden wir nicht jede Thrombose so rechtzeitig erkennen, daß nicht doch der eine oder andere Kranke plötzlich von einer tödlichen Lungenembolie überrascht wird

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III. Die Behandlung der Krampfadern A. Vorbeugende Behandlung Kein Arzt, der sich mit der Behandlung von Krampfadern befaßt, wird bestreiten, daß diese infolge von Störungen im physiologischen Zusammenklang der „neurozirkulatorischen Eutonie" auftreten, wenn das Gleichgewicht von Zu- und Abtransport des Blutes durch irgendwelche Momente gestört ist. (Veränderungen der Statik, Verletzungen und Verlegung von tiefen Gefäßen, Überdehnung und Degeneration von subkutanen Venen usw.) Vielfache Einzelfaktoren sind am Zustandekommen der Zirkulationsstörung beteiligt. Wir müssen versuchen, das komplexe Geschehen in jedem Falle zu analysieren, um die richtige Behandlung einleiten zu können. Wir sollten aber auch versuchen, schädliche äußere Einflüsse auszuschalten und unseren Kranken, ja auch der heranwachsenden noch gesunden Jugend prophylaktische Maßnahmen zu empfehlen. Da primäre Krampfadern auf der Grundlage einer angeborenen oder ererbten Bindegewebsschwäche entstehen, müssen wir Maßnahmen empfehlen, die dieser Erschlaffung des Bindegewebes entgegenarbeiten. Diese Maßnahmen lassen sich nur dann wirksam durchführen, wenn es gelingt, den Laien ganz allgemein, den für Venenerkrankungen Gefährdeten insbesondere, zur Mithilfe zu gewinnen (KRIEG). Eine wirksame Vorbeugung ist aber nur dann möglich, wenn man die Ursachen kennt, und das sind die Zivilisationsschäden unseres modernen Lebens und die familiäre Anlage und Vererbung. Die ersten Zeichen einer venösen Insuffizienz als Stauungsfolge in den Beinen sind Müdigkeit, Schweregefühl und später sichtbare Schwellungen. „Anfangs ist meist nur eine abendliche Verdickung der Knöchelgegend zu sehen, die über Nacht wieder verschwindet, bald aber erfaßt die Schwellung den ganzen Unterschenkel, und mit der Zeit ist auch trotz der Nachtruhe am Morgen immer noch eine Restschwellung nachzuweisen. In dieser Periode stellen sich Krampfschmerzen besonders während der Nacht ein und Krampfadern können sichtbar werden. Mit ihrem Erscheinen nimmt die Stauung meist einen raschen Fortgang" (KRIEG). Hauptursache der venösen Stauung in den Beinen sind Krampfadern, in zweiter Linie Zivilisationsschäden. Die meisten Menschen stehen und sitzen zu viel (in der Schule, im Auto, bei der Arbeit) und gehen zu wenig. Ungeeignetes Schuhzeug trägt dazu bei, die Füße und Beine zu übermüden. Spaziergänge in Wald und Feld, auf weichem Boden stellen den besten Ausgleich dar für unser durch Zivilisation ungesund gewordenes Leben und Hasten. Schwimmen, Massage, Gymnastik und Kneipp-Kuren sind als vorbeugende Maßnahmen gegen Krampfaderentstehung sehr wertvoll. Schon während der Schulzeit sollte sich der Hausarzt um Stellung und Funktion der Füße kümmern, rechtzeitig das Tragen von Einlagen oder Bandagen verordnen und die Durchführung seiner Anordnungen überwachen. Jeder Kranke, der aus irgendeinem Grunde längere Zeit das Bett hüten oder sich einer Operation unterziehen muß und der an Krampfadern leidet, muß entsprechend vorbereitet werden. Vor der Operation werden Kompressions verbände an beiden Beinen von den Grundgelenken der Zehen bis zur Leistenbeuge angelegt. Diese Verbände bleiben so lange liegen, bis der Kranke ohne Schwierigkeiten den ganzen Tag außer Bett sein kann. Die Behandlung des Krampfaderleidens muß sich, wenn Operationen eilig durchgeführt werden müssen, meist auf die Prophylaxe beschränken. Wir werden hierdurch die Widerstandskraft der Venenwandung stärken und eine Beschleunigung der Blutumlaufgeschwindigkeit erzielen. Bei allen an Krampfadern leidenden Patienten muß das Fußende des Bettes um 20 cm höher gestellt werden. Hierdurch wird der Blutumlauf beschleunigt. Gestattet es die Zeit, so sollen als prophylaktische Maßnahmen Hydrotherapie (STORCK) und medikamen-

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töse Behandlung ( J A E G E R ) hinzukommen. Führt diese Behandlung nicht zum Ziel oder ist das Krampfaderleiden schon so ausgeprägt, daß hydrotherapeutische Maßnahmen einen Erfolg nicht mehr versprechen, dann tritt die symptomatische Behandlung an den erweiterten funktionsuntüchtigen Venen in ihr Recht. Unter dieser symptomatischen Behandlung verstehen wir die Kompressionsverbände an den Beinen, die Krampfaderverödung und ihre operative Beseitigung. B. Die Kompressionsverbände und die Gummistrümpfe 1. Die Kompressionsverbände Die Technik der Kompressionsverbände will erlernt sein. Schlecht sitzende Verbände erfüllen ihren Zweck nicht und bringen das gute Verfahren unverdienter Weise in Mißkredit. Zum exakten Anlegen eines Kompressionsverbandes am Unterschenkel gehören 2 elastische Binden, zum Einwickeln des Oberschenkels ebenfalls zwei 10 bis 12 cm breite elastische Binden. Der Verband wird mit elastischen Binden (Ros-Elastikbinden) so angelegt, daß der innere Fußrand gehoben wird. Die Bindentouren decken sich zur Hälfte. Der Verband wird mit gleichmäßiger fester Kompression angelegt. Es ist darauf zu achten, daß die Bindentouren nicht schnüren. Handelt es sich um einen langen Kompressionsverband, d. h. um einen Verband um Ober- und Unterschenkel, so zieht man über den fertigen Verband einen Trikotschlauch, der mit Strumpfhaltern am Hüftgürtel befestigt wird und das Rutschen des Verbandes wie das Auftreten von Schnürfurchen vermeidet. Der Trikotschlauch sichert einen guten Sitz des Kompressionsverbandes ( J A E G E B ) . Der Kranke soll es möglichst bald erlernen, die Verbände selbst anzulegen. Sobald er sich von der heilsamen Wirkung der Kompression überzeugt hat, ist er selbst daran interessiert, die Verbandstechnik zu erlernen. Abends werden die Verbände abgenommen und morgens vor dem Aufstehen wieder ordnungsgemäß angelegt. Der gute Sitz der Verbände ist alle paar Tage vom Arzt zu kontrollieren. Grundsätzlich sind die Beine während der Nacht hochzulagern. Hierzu wird das Fußende des Bettes um 20 cm hochgestellt. Die Kompressionsverbände sollen rekalibrierend wirken, also eine passive Zirkulationstherapie mit der Wiederherstellung des Klappenschlußes erstreben ( S T O B C K ) . Der gehfähige Kranke soll mit dem Verband umhergehen. Der elastische Kompressionsverband bewirkt eine ständige Mikromassage der Haut. Er zwingt den Blutstrom, den Weg bevorzugt über das tiefe Venensystem zu nehmen. E r unterstützt also die Vis a tergo und stellt weitgehend die normalen Strömungsverhältnisse wieder her. Der Kompressionsverband beim Krampfaderleiden tritt nicht etwa an die Stelle der operativen oder der Verödungsbehandlung, er bildet vielmehr einen Teil der gesamten Therapie, j a sogar die Grundlage jeglicher vernünftigen Behandlung bei Krampfadern. Daher muß er auch neben jeder anderen Therapie noch zusätzlich angewendet werden. Nur der Kompressionsverband schafft wieder normale Zirkulationsverhältnisse und hilft dem Körper, sich nach Vornahme anderer Behandlungen wieder an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Finden sich neben Krampfadern noch Ödeme und Infiltrationen, so werden auch diese durch die Kompressionsverbände, vor allem nach vorausgegangener Massage, günstig beeinflußt und mit der Zeit beseitigt. Beim bettlägerigen Kranken sollen die Kompressions verbände so lange Tag und Nacht liegen bleiben, bis der Kranke mehrere Stunden am Tage außer B e t t sein kann. Auch dann ist es noch ratsam, die Kompressionsverbände vor dem Aufstehen wieder anzulegen, bis eine völlige Normalisierung des ganzen Kreislaufes eingetreten ist. Das ,,A und 0 " der Krampfaderbehandlung besteht in der Beseitigung der Stauung und der Ödeme. Infolgedessen ist eine sachgemäße Krampfaderbehandlung ohne Kompressionsverbände kaum denkbar (Abb. 4 u. 5).

Die Behandlung der Krampfadern

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Aus den Untersuchungen von K N I E S E L I ergibt sich, daß sich Blutstauungen vor allem an den Engpässen des Gefäßes bilden, also beim Übergang der Arteriolen in die Kapillaren und dann in der Nähe der Venenklappen und an Stellen von künstlicher Einengung durch Druck auf die Gefäße. Diese Engpässe sind besonders häufig bei bettlägerigen Kranken, sobald die großen Venen längere Zeit in horizontaler Lage bleiben. Wenn wir aber wissen, daß die Krampfadern eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entstehung von Thromben und für das Auftreten von Embolien sind, so haben wir die Pflicht, nicht nur in der Klinik, sondern auch in der Praxis die Krampfadern zu beseitigen und damit die Stauung im

Abb. 4. Lagerung des erkrankten Beines vor Anlegung eines Kompressionsverbandes auf ein Fußbänkchen. Salbenlappen, Rollzellstoff

Abb. 5. Das Ulkus mit mit Salbenlappen bedeckt, darüber Rollzellstoff. Die Trikotschlauchbinde oder die elastische Binde hebt den inneren Fußrand

Venensystem unmöglich zu machen. Neben dem Anlegen von Kompressionsverbänden spielt die Balneologie bei der Prophylaxe der Krampfaderbehandlung eine wichtige Rolle (STOBCK). Sie greift an dem System an, in welchem sich das pathologische Geschehen abspielt. Eine aktivierende Kapillarbehandlung ist in den Anfangsstadien von Durchblutungsstörungen angezeigt, also Kneipp-Therapie, daneben Bindegewebsmassage und Streichmassage. Wir müssen versuchen, das komplexe Geschehen beim Krampfaderleiden zu analysieren und die Behandlung individuell zu gestalten. An Medikamenten stehen zur Verfügung durch die Homöopathie: Aeskulus, Hypokastanum, Arnika, Hamamelis, Hydrastis u. a. Die Allopathie bietet uns an: Venostasin, Venoplant, Vasotonin, Vaskulat u. a. Venostasin wird sehr häufig verwendet und ist als intravenöse Gabe wirksamer als in Tropfenform. Bei drohender oder frischer Thrombophlebitis täglich 1 Inj. von 2 ccm, vom 3. Tage ab noch jeden 2 .Tag eine Inj. und nach 8 Tagen Umstellung auf 3 X tägl. 15 Trpf. Nach der langsam gegebenen Injektion i. v. empfiehlt sich 20 Minuten Ruhe. Butazolidin ist wegen seiner antiphlogistischen und analgetischen Eigenschaft bei entzündlichen Venenprozessen beliebt, auf die Blutgerinnung hat es keinen Einfluß (siehe auch Behandlung der Thrombose und Thrombophlebitis). Die Behandlung mit Antikoagulantien erübrigt sich bei prophylaktischen Maßnahmen wie auch bei der Behandlung des unkomplizierten Krampfaderleidens, sie ist jedoch unentbehrlich bei Behandlung der tiefen Thrombose (vgl. dort).

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F. JAEGER, Punktionelle Behandlung der Varizen

2.

Die Gummistrümpfe

Nach Abschluß der Kompressionsbehandlung werden gerne Gummistrümpfe verordnet und getragen. Ihren Zweck erfüllen aber nur gut sitzende Zweizugstrümpfe, die in Längs- und Querrichtung dehnbar sind und gut sitzen. Infolgedessen muß der Arzt den Strumpf je nach Erkrankungsart verordnen, das Tragen kontrollieren und die Wirkung überwachen. Beliebt sind hautfarbene Gummistrümpfe die unauffällig getragen werden können. C. Die Krampfaderverödung Die Varizenverödung ist gewissermaßen der Natur abgelauscht. Da Krampfadern häufig nach durchgemachten Thrombophlebitiden verschwinden, hat man versucht, solche Thrombosen künstlich durch chemische Mittel zu setzen (LINSER). Die theoretischen Überlegungen wurden durch die Praxis bestätigt. Bevor man jedoch Krampfadern verödet, muß man sich von der Durchgängigkeit der tiefen Venen durch den Versuch nach P E R T H E S überzeugen. Legt man bei einem solchen Kranken eine Staubinde unterhalb des Knies an und läßt den Kranken umhergehen, so werden die oberflächlichen Venen leergepumpt, wenn die tiefen Venen durchgängig und funktionstüchtig sind. Sind sie undurchgängig, so bleiben die oberflächlichen Venen gefüllt und der Kranke bekommt Schmerzen.

Die Einspritzung erfolgt in die nicht gestauten Venen des waagerecht gehaltenen Beines. Der Kranke sitzt auf dem Liegesofa und legt das Bein auf den Schoß des Arztes. Die Einstichstelle wird mit Alkohol gereinigt. Dann wird eine kurzgeschliffene Nadel in die am meisten erweiterte und gut zugängige Vene eingestochen. Liegt die Nadel einwandfrei in der Vene, was durch das Abtropfen des dunklen venösen Blutes sofort festzustellen ist, dann wird die Spritze mit dem Medikament aufgesetzt, die richtige Lage der Nadel nochmals durch Aspiration kontrolliert und nun werden l/o bis 1 ccm des Medikamentes eingespritzt. Die Einstichstelle wird mit einem trockenen Tupfer komprimiert, dann wird die Nadel herausgezogen. Der Kranke rutscht auf dem Sofa hinauf, so daß er liegen kann. Das Bein wird hochgelagert, während die Kompression der Einstichstelle noch andauert. Nun wird der oben erwähnte Kompressions verband angelegt. Das zur Zeit in Deutschland am meisten verwendete Medikament ist das Sotradecol, das in 1, 3 und 5proz. Lösung gebrauchsfertig im Handel ist, sowie das Medikament Olvidestal. Im allgemeinen wenden wir bei der Krampfaderverödung die Air block-Technik an, d. h. wir verwenden das Medikament mit Luft vermischt. 1 ccm Sotradecol oder Olvidestal wird in die Rekordspritze aspiriert, die Nadel bleibt auf der Spritze. Nun wird die Rekordspritze hin- und hergeschüttelt, so daß Luft in die Spritze angesaugt wird und das Medikament sich mit der Luft zu einem Schaum vermischt. Dieser Schaum wird eingespritzt. Die Gefahr einer Luftembolie ist hierbei nicht gegeben, im Gegenteil wir benötigen bei der Air block-Technik höchstens 1 / 3 des Medikamentes. Dadurch verringern wir die reaktiven Reizerscheinungen in dem verödeten Venenabschnitt und setzen die Gefahr einer Hautnekrose bei paravenöser Injektion auf ein Minimum herab. Nach jeder Varizenverödung wird ein Kompressionsverband angelegt, der eine Woche lang liegen bleibt. Der Kranke soll nach der Einspritzung seiner Arbeit nachgehen, er ist arbeitsfähig. Entfernt man den Verband nach 8 Tagen, so sieht man häufig einen dick geschwollenen, braunen, druckempfindlichen Strang. Nicht selten klagen die Kranken über ein Spannungsgefühl und Druckschmerz. In solchen Fällen wird die schmerzhafte Stelle durch eine kleine Stichinzision ohne Narkose eröffnet und der schwarze Veneninhalt herausgedrückt. Eine Naht ist überflüssig. Schutzverband und erneutes Anlegen eines Kompressionsverbandes, wiederum für 8 Tage. Reinjektionen nicht vor Ablauf von 14 Tagen. Mit 2 oder 3 Verödungen ist meistens die Behandlung auch bei ausgedehnten Krampfadern beendet ( J A E G E R ) .

Die Behandlung der Krampfadern

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Über die Gefahren der Varizenverödung ist viel geschrieben worden. Es erscheint sicher, daß es bei konstitutioneller oder erworbener Thrombosebereitschaft zu echten Thrombosen und zur Embolie kommen kann, wenn dieser Prozentsatz auch außerordentlich gering ist. Die praktische Erfahrung beweist jedenfalls, daß bei sachgemäß durchgeführter Varizenverödung die Gefahr einer Embolie gleich Null ist. Trotzdem wird vor allem von den chiurgisch interessierten Ärzten in Amerika u n d in den skandinavischen Ländern die Varizenverödung abgelehnt ( B A U E R , BIRGER). I n Deutschland, Frankreich und in der Schweiz spielt die Varizenverödung eine große Rolle (SIGG U. a.).

D. Die operative Krampfaderbehandlung Die Operationsmethoden bezwecken die Beseitigung der venösen Stauung durch Entfernung der Varizen. Bei positivem TRENDELENBURGschen Zeichen ist die Unterbindung der Vena saphena magna unmittelbar an ihrer Einmündung in die Vena femoralis angezeigt, evtl. mit Resektion eines Venenstückes (Abb. 6—8).

Abb. 6 . Operation nach T R E N D E L E N B U R G : Von einem Schrägschnitt handbreit unterhalb des Leistenbandes erfolgt Resektion der V. saphena magna nebst Unterbindung der Vene oben und unten sowie der Seitenäste

Abb. 7 . Operation nach M A D E L U N G : Von einem großen Längsschnitt unter Unterminierung der Haut erfolgt die vollständige Entfernung des Krampfaderhauptstammes und seiner erweiterten Seitenäste

Von den vielen im Laufe der letzten 70 J a h r e angegebenen operativen Verfahren haben sich eigentlich nur das Verfahren nach BABCOCK und die Exstirpation großer Krampfaderpakete durchgesetzt und bewährt (Abb. 7 u. 8). Bei dem Verfahren nach B A B C O C K wird die Vena saphena magna ganz oder teilweise auf eine Sonde aufgereiht, nachdem die Vene am oberen und unteren Ende freigelegt, unterbunden und durchtrennt

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wurde. Ein Stripper wird von distal in die Vene eingeführt und mit seinem Führungskopf aus dem proximalen Ende der Vene herausgeleitet. Das distale Venenende wird über dem Stripper ligiert, um den Blutverlust herabzusetzen. Langsam und stetig wird nun der Stripper kranialwärts gezogen. Die Vene schiebt sich im hohlen Zylinder zusammen, die Seitenwände reißen über der Kante des auf die Spitze des Strippers aufgeschraubten Zylinders ab. Wenn der Zug nicht zu rasch erfolgt, werden die einmündenden Gefäße in die Länge gezogen, die Elastica, die maximal gedehnt wurde, rollt sich nach dem Abreißen ein und verschließt das Gefäßlumen (Abb. 9).

Abb. 8. Operation nach NARATH: Resektion der erweiterten Venenstämme und -zweige von mehreren kleinen Längs-Schrägschnitten

Abb. 9. Schematische Darstellung der Operation nach B A B C O C K

Über die operative Entfernung ganzer Krampfaderkonvolute oder größerer Bezirke ist nicht viel zu sagen. Es müssen hierbei jedoch nicht nur die oberflächlich erkennbaren Venen entfernt werden, sondern darüber hinaus auch die Verbindungsvenen nach der Tiefe, die aufgesucht und sicher unterbunden werden müssen. Unsere Therapie richtet sich hierbei zunächst gegen die undicht gewordenen Venae perforantes. Diese Venen, deren Sitz und Verlauf genau bekannt sind, werden freipräpariert, unterbunden und durchtrennt. U. U. wird dann anschließend die kleine Faszienlücke mit ein paar Nähten verschlossen.

Die Behandlung der Krampfadem

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Durch die radikale Exstirpation der Varizen und durch die Unterbindung der insuffizienten Venae perforantes wird die Bildung von Unterschenkelgeschwüren verhindert, Rezidive des geheilten Geschwüres werden vermieden. Kombinationen zwischen operativer Krampfaderentfernung und Verödung kleiner stehengebliebener Krampfaderstücke hat man seit vielen Jahren geübt. Die Rolle der Venae perforantes wurde klar, als Dos SANTOS 1948 seine Befunde mitteilte, wonach zwar am Fuß das tiefe und oberflächliche Venensystem ein einheitliches, ohne Grenzen ineinander übergehendes Netz darstellt, daß aber am Bein die Faszie beide Systeme gleich einer starren Mauer trennt. Nur durch perforierte Faszienlücken treten die Venae perforantes durch und halten eine Verbindung zwischen beiden Systemen aufrecht, indem sie das Blut von den oberflächlichen Venen in die tiefen ableiten. Diese Strömungsrichtung wird durch Klappen in den Venae perforantes gesichert. Erst wenn diese insuffizient geworden sind, sei es durch konstitutionelle Klappenschwäche oder postthrombotisch, erst dann kann das Blut auch von der Tiefe an die Oberfläche fließen und — was noch bedeutsamer ist — eine Druckübertragung von den tiefen Venen zu den oberflächlichen ermöglichen. Die oberflächliche Vene erfährt darum an der Stelle der Einmündung der Venae perforans durch den sie dort treffenden höheren Druck häufig eine Ausbuchtung: Dowsches Zeichen (MAY). Die exakteste anatomische Darstellung der Venae perforantes stammt von RAIVIO. Das Studium seiner Monografie ist als Operationsunterlage fast unentbehrlich.

Alle Eingriffe an den erweiterten Venen selbst stellen eine symptomatische Behandlung dar, vor allem bei sekundären Krampfadern. Infolgedessen hat GUNST A R B A U E R 1 9 4 0 als sinnvolle Behandlung des postthrombotischen Syndroms die Resektion der rekanalisierten Vena poplitea vorgeschlagen. Später hat man auf den Vorschlag von H A L S E in München die Vena femoralis genommen. H A L S E konnte nachweisen, daß der venöse Rückstrom bei Obliteration der Vena femoralis nur wenig gestört ist. Bei rekanalisierten tiefen Blutleitern dagegen zeigen sich erhebliche Störungen, da hierbei der Abtansport des Blutes auch in den Umgehungsbahnen gehemmt ist. Er hat diese Situation mit Einflußstauung im Femoralgebiet bezeichnet. Hebt er diese Einflußstauung durch Unterbindung oder Resektion der Vena femoralis in geeigneter Höhe auf, so schafft er praktisch den gleichen Zustand wie bei der Obliteration der Vena femoralis. Dann erfolgt der Blutrücklauf nur über die Kollateralbahnen, und die Erfahrung lehrt, daß hierbei das postthrombotische Syndrom weniger in Erscheinung tritt. Vor der Unterbindung der Vena femoralis oder der Vena poplitea muß die Durchgängigkeit oder Undurchgängigkeit der tiefen Venen phlebografisch sichergestellt sein (HALSE). Die Phlebografie stellt heute ein modernes Diagnostikum beim Krampfaderleiden dar, ohne daß eine sachgemäße operative Behandlung beim postthrombotischen Syndrom nicht durchführbar ist (MAY u. N I S S L ) . Έ. Die konservative und operative Behandlung des Ulcus cruris Es war gesagt worden, daß die weitaus meisten Ulcera cruris Stauungsfolge sind. Infolgedessen besteht die Behandlung in der venösen Entstauung, alle örtlichen Anwendungen (Salben, Puder) sind von sekundärer Bedeutung. Viele Unterschenkelgeschwüre heilen bei sachgemäß durchgeführter Behandlung mit Kompressions verbänden ohne weitere Maßnahmen ab. Die Natur des Leidens bringt es mit sich, daß man neben dem Kompressionsverband, der die Stauung beseitigt, nicht selten Krampfaderverödungen vornimmt. Das Geschwür wird mit einer indifferenten Salbe (im Wechsel der Salbengrundlage liegt ein Geheimnis des Erfolges!) steril abgedeckt und bei Anlegen des Verbandes gleichmäßig komprimiert. Schaumgummiplatten könnten bei bestimmtem Geschwürssitz vorteilhaft verwendet werden. Der Verband, mit dem der Kranke umhergeht (er ist meistens arbeitsfähig), bleibt 2 Tage, später 3 Tage liegen, je nach Stärke der Geschwürssekretion. Zeigt das Geschwür die

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ersten Granulationen, so deckt man die Randpartien gerne mit Zinkpaste oder Zinköl ab. Nach Versiegen der Sekretion genügt ein Verbandwechsel alle 4—5 Tage, nach Abheilen des Geschwürs alle 8 Tage. Es ist darauf hinzuweisen, daß das Geschwür nur dann geheilt bleibt, wenn keine neue Schwellung hinzukommt. Um diese zu vermeiden, muß das Bein ständig gewickelt oder ein gut sitzender Gummistrumpf getragen werden. Handelt es sich um ein posthrombotisches Ulkus, so ist die Behandlung schwieriger, weil eine kausale Therapie (Beseitigung des postthrombotischen Syndroms) nicht oder nur ungenügend möglich ist. „Die Veränderungen im tiefen Venensystem sind gewissermaßen stabil verankert und nicht mehr zu ändern, zumal das postthrombotische Geschwür erst in einer späten Entwicklungsphase des Syndroms auftritt. Somit rückt die Verödung — beim varikösen Ulkus von großer Bedeutung — hier in den Hintergrund und kann höchstens als Hilfsmaßnahme gelten, sofern man bei Insuffizienz der tiefen Venen überhaupt eine Verödung konzedieren will." ( K R I E G ) . Beim postthrombotischen Ulkus bleibt als einzige Möglichkeit der Behandlung die Entstauung, also die Verbandbehandlung. Handelt es sich doch um eine langsam aber ständig zunehmende chronische venöse Stauung in der unteren Extremität als Folge abgelaufener thrombotischer Prozesse. Auf ihrem Boden entwickeln sich vor allem im unteren Unterschenkeldrittel irreversible Gewebsveränderungen, Mangelernährungen der Haut mit trockenen abschilfernden Partien, paketartige Indurationen, braune und bläuliche Pigmentationen und schließlich derbe Ödeme. Sekundäre, meist zarte Krampfadern kommen hinzu. Mit oder ohne äußere Ursache stellen sich häufig Unterschenkelgeschwüre ein, die nicht selten jeder Behandlung trotzen. Es kann nicht genug betont werden, daß die Behandlung des postthrombotischen Syndroms undankbar ist und daß der Arzt alles daran setzen muß, auftretende Thrombosen so rechtzeitig wie möglich zu erkennen und sofort sachgemäß zu behandeln, d. h. neben der erwähnten Verbandbehandlung die Anwendung von Antikoagulantien und Butazolidin (vgl. „Die Behandlung der Thrombophlebitis). Es ist erwiesen, daß die Erfolge mit Antikoagulantien bis heute durch nichts Besseres ersetzt sind. Unter den postthrombotischen Beingeschwüren trotzen einige der erwähnten Therapie, so daß hier die operative Behandlung erforderlich wird. Bewährt haben sich die Deckung des Geschwürs mit Reverdin-Läppchen nach vorhergehender völliger Reinigung des Geschwürsgrundes, die Umschneidung des Geschwürs in einem Abstand von 1 % bis 2 cm vom Ulkusrande. Man durchtrennt ringsherum die Haut und das Unterhautfettgewebe bis auf die Faszie, so daß jegliche Spannung der umgebenden Haut beseitigt wird. Nun wird das große Ulkus etwa zur Hälfte von der Unterlage freipräpariert und die insuffiziente Vena perforans aufgesucht, die so gut wie immer in das Ulkus mündet (evtl. vor der Operation Phlebografie!). Die Vene wird doppelt unterbunden und durch trennt. Nun wird der Ulkusgrund zurückgeklappt. Der Umschneidungswall wird austamponiert. Verbandwechsel nach 4—5 Tagen. Die Heilerfolge sind gut. Nach 4—5 Wochen ist das Ulkus mit stabiler Narbe abgeheilt. Da die eigentliche Ursache des Geschwürs das postthrombotische Syndrom bleibt, sind aber die Zirkulationsverhältnisse in dem befallenen Bein nicht gebessert. Ständige Behandlung mit Kompressionsverbänden ist weiterhin erforderlich. F. Die Behandlung der Thrombophlebitis und der Phlebothrombose Unter den Komplikationen, die beim Krampfaderleiden auftreten können, stehen die Thrombophlebitis und die Phlebothrombose an erster Stelle. Nicht selten kommt es infolge

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des verzögerten Blutumlaufes zur Bildung von Thromben und zur Embolie. In der Medizin gibt es kaum einen dramatischeren und niederschmetternderen Eindruck als den einer Lungenembolie. Wenn der Arzt nach hartem Ringen um seinen Patienten nach einer Operation, nach Entfernung einer Geschwulst oder auch während einer Krankheit, die zur Bettruhe zwang, eine Lungenembolie erlebt, so wird er immer wieder aufs tiefste erschüttert sein. Der Vorgang kann sich unerkannt und schleichend anbahnen, kann sich aber auch durch klinisch erkennbare Zeichen anmelden. Durch die Arbeiten von M O R R A W I T Z über den Vorgang der Blutgerinnung wissen wir vieles über den Ablauf der Thromboseentstehung. Beginnend mit der Agglutination und der Adhärenz der Plättchen an der geschädigten Gefäßwand und begünstigt durch eine Strömungsverlangsamung des Blutes entsteht zuerst ein sog. Plättchenthrombus, die Plättchenzerfallsstoffe setzen dann die Gerinnung in Gang und schließlich kommt es zur Bildung und Ablagerung von Fibrin: Es entsteht ein Gerinnungsthrombus und dieser pfropft sich gewissermaßen auf den Plättchenthrombus auf. Gefäß wandschädigung, Zirkulationsstörung und vermehrte Gerinnungsneigung im Sinne der V i R C H O W s c h e n Trias wirken im pathologischen Geschehen der Thromboseentstehung zusammen. Wir haben also bei der Entstehung der Thrombose einen komplexen Vorgang vor uns, wissen aber in den meisten Fällen nicht, welchem der einzelnen Faktoren die hauptsächlichste Schuld an der Entstehung des Thrombus beizumessen ist. In den letzten Jahren hat man besonderen Wert auf die Betonung der Gefäßwandschädigung gelegt. Die zweite Ursache: Veränderung der Strömungsgeschwindigkeit in den Venen hat eine ihrer Lieblingsursachen in der varikösen Veränderung der Venenwand. Beide aufgetretenen Schädigungen, Verletzungen der Gefäßwand und Verminderung der Strömungsgeschwindigkeit, spielen in der Praxis eine große Rolle. Das Wichtigste ist und bleibt die Früherkennung der Thrombose, wobei wir zunächst einmal eine begriffliche Unterscheidung machen müssen zwischen der Thrombose in den tiefen Venen, der sog. Phlebothrombose, und der Thrombose in den oberflächlichen Venen, der Thrombophlebitis ( J A E G E R ) . So wenig diagnostische Schwierigkeiten das voll ausgeprägte Bild der oberflächlichen wie auch der tiefen Thrombose bereitet, so schwierig ist die Frühdiagnostik. Auf der anderen Seite ist gerade die Frühdiagnostik wichtig und für den Erfolg der Behandlung entscheidend ( J A E G E R ) . Wenn die Veränderung = Verlangsamung der Strömungsgeschwindigkeit eine maßgebliche Rolle spielt, so muß gefordert werden, daß die Bettruhe bei unseren Kranken auf ein Minimum beschränkt wird. Patienten, die an Krampfadern leiden und aus irgendwelchen Gründen zur Bettruhe gezwungen sind, sind immer in Gefahr. Die Beseitigung dieser Gefahr ist leicht möglich durch das Anlegen von Kompressionsverbänden, die an den Grundgelenken der Zehen beginnend bis zum Leistenband hinauf anzulegen sind. Durch die sachgemäß angelegten Kompressionsverbände wird die Wandung der oberflächlichen Krampfadern einander näher gebracht, die Stauung im venösen Kreislauf, die Gefahr der Stagnation und der Thrombenbildung wird auf ein Minimum herabgesetzt. Wenn wir außerdem bei solchen Kranken das Fußende des Bettes um etwa 20 cm höher stellen, so bessert sich hierdurch die Umlaufgeschwindigkeit des Blutes. Das Hochstellen des Bettes ist viel richtiger als das Einlegen eines Keilkissens in das Fußende des Bettes. Hierdurch wird der Zweck, die Beschleunigung der Blutumlaufgeschwindigkeit zu erreichen, nicht herbeigeführt. Mit dem Anlegen von Kompressionsverbänden an den Beinen von Krampfaderträgern und mit dem Hochstellen des Fußendes des Bettes haben wir mit 90% Wahrscheinlichkeit die Oefahr der Thromboseentstehung in den Venen der unteren Extremität prophylaktisch beseitigt. Alle modernen Krankenhausbetten sind heute so eingerichtet, daß mit wenigen Handgriffen das Fußende des Bettes hochgedreht werden kann. Das Anlegen von Kompressionsverbänden vor der Operation oder auch auf inneren Abteilungen bei längerem Krankenlager ist heute Allgemeingut der Ärzteschaft geworden. Ist es trotzdem hier und da einmal zu einer Thrombose gekommen, dann gilt es, etwaige schmerzhafte Stellen an den Beinen Handb. Plast. Chir., Bd. II

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F . JAEGER, F u n k t i o n e l l e B e h a n d l u n g d e r V a r i z e n

richtig zu deuten, auf Ödeme zu achten sowie auf Schmerzen in der Wade, im Oberschenkel und auf der Fußsohle. Auch ungeklärte subfebrile Temperaturen ohne erkennbare Ursache können einen Hinweis geben auf eine bislang unerkannte Venenentzündung. Trotzdem erleben wir in der Klinik wie auch in der Praxis immer wieder einmal, daß ein plötzliches Stechen auf der Brust oder einzelne Blutspuren im Sputum das einzige Anzeichen einer Thrombose darstellen. Gerade die Thrombosen im Bauch- und Brustraum verlaufen ja leider oft fast ohne erkennbare Krankheitszeichen und ohne Beschwerden. Auf folgende Symptome muß daher unbedingt geachtet werden: Der Druckschmerz an der Fußsohle, am Unterschenkel, auf der Rückseite des Oberschenkels, schmerzhafte Druckpunkte an der Innenseite der Tibiakante oder in der Kniekehle oder im Adduktorenkanal. Auch der Kulissenschmerz nach BISGAARD beiderseits der Achillessehne kann einmal einen Hinweis geben. Hier und da sind als erstes erkennbares Zeichen die noch nicht geschwollenen Lymphdrüsen in der Inguinalgegend druckschmerzhaft. Schwellungen des Beines, ganz gleich an welcher Stelle, ob am Fußrücken oder an der Wade, sind immer auf thrombotische oder phlebitische Prozesse verdächtig. Tastbare gerötete und druckschmerzhafte Venenstränge beweisen geradezu eine Thrombophlebitis. Arterielle Begleitspasmen können sich einstellen und zu Beschwerden Anlaß geben. Puls, Temperatur und BKS sind meistens erhöht. Bei Thrombosen im Becken- oder Bauchraum geben Blasen- und Darmsymptome einen Hinweis dafür, daß sich im Beckenraum ein krankhafter Prozeß abspielt. Der Prothrombinspiegel ist häufig erhöht. Die Differentialdiagnose kann Schwierigkeiten machen. Bei leichteren, vor allem bei chronischen Fällen, kann auch die Unterscheidung zwischen arterillen und venösen Erkrankungen schwierig sein. Venöse Störungen verursachen Beschwerden meist nur im Stehen, während sie im Liegen und beim Gehen verschwinden. Arterielle Störungen dagegen schmerzen im Gehen und Stehen, häufig sogar nachts während der Ruhe. Hier können die Oszillografie (MAREY U. MOSSE), die Rheografie (POLZER U. SCHUHFRIED) und die Arteriografie (MONITZ, LOHR) näheren Aufschluß geben. Eine sichere Unterscheidung zwischen einer oberflächlichen und einer tiefen Thrombose ist in den ersten Stunden nur durch die Phlebografie möglich. Die Phlebothrombose kündigt sich im allgemeinen durch eine Anschwellung, mitunter durch eine Blässe des Beines an, während die Thrombophlebitis, also die oberflächliche Venenentzündung, sich durch einen geröteten, druckschmerzhaften Strang, meist im Verlauf der Vena saphena magna oder parva, zu erkennen gibt. Pathologisch-anatomisch gesehen sind beide Krankheitsbilder die gleichen. Sowohl in der tiefen als auch in der oberflächlichen Vene hat sich ein Thrombus gebildet, der die Blutströmung behindert. Nur ist die Gefahr des Losreißens eines Thrombus in der tiefen Vene ungleich größer als in den oberflächlichen Venen. Außerdem ist die Behandlung der oberflächlichen Thrombophlebitis viel leichter als die Behandlung der Phlebothrombose. Die oberflächliche Thrombose der unteren Extremität bedarf als Therapie eigentlich nur des Kompressions Verbandes soweit die Thrombose nach proximal abgrenzbar ist. Der Kompressionsverband muß die Thrombose wenigstens bis handbreit kranialwärts überragen. Der Patient soll wenn möglich mit dem Verband umhergehen. Unterstützt werden kann diese Therapie durch Butazolidin. Kann die oberflächliche Thrombose des Beines nach proximal nicht abgegrenzt werden, so kommt Antikoagulantientherapie in Frage. In geeigneten Fällen kann auch die operative Entfernung eines Thrombus aus den proximalen Teilen der Vena saphena magna und von dort aus der Vena femoralis bzw. iliaca vorgenommen werden. Daß für einen solchen Eingriff eine besondere Erfahrung Voraussetzung ist, ist selbstverständlich. Im Rahmen der plastischen Chirurgie muß darauf hingewiesen werden, daß das Anlegen von Kompressionsverbänden an den Beinen vor der Operation die wichtigste prophylaktische und therapeutische Maßnahme darstellt.

Die Behandlung der Krampfadern

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Die umschriebene oberflächliche Thrombophlebitis kann man chirurgisch sehr einfach durch eine Stichinzision in die entzündete Vene behandeln. Nach der Inzision wird der thrombosierte Inhalt aus der Vene herausgedrückt. Die Schmerzen lassen sofort nach, die Spannung hört auf. Ein kleiner Schutzverband verschließt die Stelle der Stichinzision. Anschließend wird ein Kompressionsverband am ganzen Bein angelegt. In gleicher Weise wird die septische Thrombophlebitis am besten operativ behandelt (Abb. 10).

Abb. 10a. Entzündeter Varixknoten an der Innenseite des Kniegelenks

Abb. 10b. Dieselbe Patientin, 14 Tage nach der Exstirpation des Varixknotens

Es ist bekannt und immer wieder bewiesen, daß die Phelobothrombose nur in seltenen Fällen ohne Spätfolgen abheilt. Nach Wochen und Monaten, bei denen auch der behandelnde Arzt nicht weiß, wann der Zeitpunkt des Aufstehens ohne Gefahr für den Kranken gekommen ist, werden die verstopften Venen langsam wieder durchgängig, die Thromben werden resorbiert, das Gefäß wird rekanalisiert (LERICHE 1 9 2 3 , CEDERMAK 1 9 4 6 , B A U E R 1 9 4 7 , L U K E 1 9 5 0 u. a.). Funktionsuntüchtig bleiben jedoch die zarten Venenklappen, die durch den thrombotischen Vorgang geschrumpft sind (HOMANS 1 9 1 6 , E D W A R D S u. E D WARDS 1 9 3 7 ) . Nun lastet die ganze venöse Blutsäule vom Herzen bis zur Peripherie auf den klappenlosen Gefäßen. Durch den ständigen Druck, durch die ständige Rückstauung werden nun auch die Venenklappen in Mitleidenschaft gezogen, die die Venae perforantes verschließen, um ihnen nur den Blutstrom von der Oberfläche nach der Tiefe zu gestatten. Sind aber auch diese Venenklappen schlußunfähig geworden, so kommt es zum umgekehrten Blutstrom in diesen Verbindungsvenen. Die venöse Blutsäule drückt sich durch diese Venen hindurch in die subkutanen Venen. Diese werden durch den ständigen Druck erweitert, es kommt zu sekundären Krampfadern ( B A U E R , H A L S E ) . Unsere Hauptaufgabe hat also darin zu bestehen, die Phlebothrombose (die tiefe Thrombose) sofort zu erkennen und sachgemäß zu behandeln, damit die Folgen der Thrombose vermieden werden. In der Praxis gestaltet sich die Behandlung der tiefen Thrombose mit Heparin folgendermaßen: Sofort nach Stellen der Diagnose werden intravenös 25000 Einh. Heparin (Liquemin) injiziert, gleichzeitig werden intramuskulär 3 ccm der 20proz. Lösung Butazolidin als Antiphlogisticum gegeben. Ein Kompressionsverband, der an den Grundgelenken der Zehen beginnt und bis zum Leistenband hinaufreicht, wird an beiden Beinen angelegt. 19*

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Wenn es die Grundkrankheit erlaubt, soll der Patient sofort nach der ersten Heparininjektion unter dem Schutz eines Kreislaufmittels nach 20 Minuten aufstehen und einige Schritte durch das Zimmer geführt werden. Das Liquemin wird während des Tages 6stdl. in einer Menge von je 15000 Einh. gegeben. Am folgenden Tag 3 X Liquemin, morgens 20000 Einh., mittags 15000 Einh., abends wieder 20000Einh. Nach 3 bis 4 Tagen kann man die Heparinmenge herabsetzen und 3 X tägl. 15000 Einh. geben. Nach 14 Tagen langsamer weiterer Rückgang mit dem Liquemin, noch 3 Tage 2 X tägl. 15000 Einh., dann 3 Tage 1 X 15000 Einh. und schließlich Aufhören mit den Heparingaben.

Die eben angeführte Behandlung kann unbedenklich ohne Gerinnungskontrolle durchgeführt werden. Werden höhere Heparindosen erforderlich, so sollte diese Behandlung grundsätzlich der Klinik vorbehalten werden, da alsdann ständige Gerinnungskontrollen unumgänglich notwendig sind. Mit dem angegebenen Schema ist es auch dem in der freien Praxis stehenden Arzt möglich, die gefährliche und gefürchtete Thromboemboliekrankheit kausal zu bekämpfen (HATTERT).

Ist es nach einer durchgemachten Phlebothrombose zu einem postthrombotischen Syndrom gekommen, so bleiben erhebliche Schwellungen der Beine infolge der Blutumlaufstörungen zurück. U. U. sind die Kranken gehbehindert. Ständiges Tragen gut sitzender, exakt angelegter Kompressionsverbände und später nach Maß gefertigter Zweizuggummistrümpfe ist unerläßlich.

IV. Die Bedeutung der Phlebografie Unter Phlebografie verstehen wir die Röntgendarstellung des oberflächlichen und des tiefen Venensystems ( R A T S C H O W 1 9 3 0 , L I N D B L O M 1 9 4 1 , B A U E R 1 9 4 2 ) . Wenn daneben noch die Arterien röntgenologisch dargestellt werden, so sprechen wir von Angiografie ( B A R B E Y und

BRECHT).

Nur durch eine sachgemäß durchgeführte Phlebografie besteht Aussicht, die heutigen noch verbesserungsbedürftigen Behandlungsmethoden aller Venenerkrankungen zu vervollkommnen. Für den Chirurgen ist es wichtig zu wissen, daß das venöse Blut der Beine durch zwei getrennte Systeme abgeleitet wird, das oberflächliche und das tiefe System. Beide sind durch eine feste Barriere, die Faszie, getrennt. Ein Austausch zwischen den beiden Systemen kommt nur zustande durch die sog. Venae perforantes, hier und da auch Venae communicantes genannt. Die Bezeichnung Venae perforantes trifft jedoch den Sinn und die Bedeutung dieser Venen besser. In den Venae perforantes sind die Klappen so angeordnet, daß die Blutströmung nur von der Oberfläche in die Tiefe möglich ist (BAUER). Bei primären Varizen werden diese Klappen durch anlagemäßige Minderwertigkeit des venösen Systems insuffizient. Nach überstandener tiefer Thrombose (Phlebothrombose) bleiben auch die Klappen der tiefen Venen schlußunfähig (BAUER). Der Blutstrom, der vom Herzen bis zur Peripherie auf diesen starren und nicht mehr funktionstüchtigen Venen lastet, muß entgegen der physiologischen Strömungsrichtung versuchen, das Hindernis der Klappen an der Einmündungsstelle der Venae perforantes zu überwinden, um sich den Weg von der Tiefe in das oberflächliche Venensystem zu erzwingen (BIRGER). An der Stelle der insuffizient bzw. leckgewordenen Venae perforantes entstehen so gut wie immer die varikösen Unterschenkelgeschwüre. Nur durch ein Phlebogramm können wir uns von dem Sitz dieser undicht gewordenen Venae perforantes überzeugen. Für den Chirurgen ist einzig wichtig die Frage, ist die perforierende Vene noch schlußfähig oder ist sie insuffizient ? Die Zahl der Venae perforantes ist sehr groß und unterliegt erheblichen Schwankungen. Für den Chirurgen am wichtigsten sind drei Venae perforantes oberhalb des medialen Knöchels. Hier entstehen die renitenten Ulcera cruris und hier eröffnet sich für den Chirurgen, der Krampfadern operativ behandeln will, ein weites und dankbares Feld der Betätigung (Abb. 11).

Die Bedeutung der Phlebografie

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Einzelheiten über die Technik der Phlebografie und über die Deutung der hierbei gewonnenen Bilder sind in der Fachliteratur nachzulesen (MAY U. NTSSL). Phlebografische Untersuchungen sind aber auch wichtig für die Durchführung der Varizenverödung. Es ist unverantwortlich, eine Varizenverödung an den Stellen vorzunehmen, an denen sich erfahrungsgemäß vermehrt Venae perforantes finden. Die Verödung oberflächlicher Krampfaderpakete beim waagerecht gehaltenen Bein ohne Anlegung eines Stauschlauches wird so gut wie niemals zu Schädigungen der Venae perforantes führen. Verödungen kleiner erweiterten Venenabschnitte oberhalb des medialen Knöchels führen leicht zur Verlegung oder zur Verödung dieser Venen und auf diesem Wege zur Verödung im tiefen Venensystem. Diese Patienten bekommen im Anschluß an die Varizenverödung bald Ödeme und erneute Beschwerden. Die genau erhobene Anamnese bei diesen Kranken läßt keinen Zweifel darüber, daß es sich hier um die Folgen der Varizenverödung handelt. Auch für die Begutachtung peripherer Durchblutungsstörungen spielt die Phlebografie eine große Rolle. Ihre große Bedeutung wird klar, wenn man berücksichtigt, daß man damit das gesamte thrombotische Geschehen vom allerersten Beginn bis zu den Spätfolgen verfolgen und überwachen kann. Man ist also in der Lage, auch die therapeutischen Maßnahmen zu kontrollieren. Die klinischen Symptome gestatten oft nicht, die sich entwickelnde und anbahnende Thrombose zu erkennen. Die Frühdiagnose ist in vielen Fällen Abb. ^ Mediale Gruppe nicht möglich. Solange nämlich der Thrombus frei im Gefäßlumen der perforierenden Venen flotiert — und nur dieser ist gefährlich — bleibt er klinisch fast am Unterschenkel stumm. Die progrediente Apposition erfolgt ursprünglich unabhängig von der Gefäßwand. Etwas weiteres kommt hinzu; die Schwellung des Beines ist kein Frühsymptom, sie tritt erst auf, wenn der Thrombus adhaerent geworden ist und das Gefäßlumen verlegt. Damit ist aber die wesentliche Emboliegefahr schon vorbei. Nach P I U L A C H S ist die erste Folge der Thrombose das subfasziale ödem, die Durchtränkung der tiefen Muskulatur, die dadurch druckschmerzhaft wird. Das epifasziale ödem, die Knöchel- und Beinschwellung ist bereits das 2. Stadium, als diagnostisches Frühzeichen kommt sie zu spät (Abb. 12). Die meisten Untersucher und parallel damit fast alle klinischen Teste zur Früherfassung der Thrombose gehen von der Annahme aus, die Mehrzahl der tiefen Thrombosen entstünde in den tiefen Wadenvenen. Diese Annahme ist falsch (MAY) (Abb. 13). Laborteste zur Früherkennung einer tiefen Thrombose sind unbrauchbar, die klinischen Teste versagen häufig gerade bei den allerersten unbestimmten Beinbeschwerden, bei unmotivierter Pulssteigerung, bevor ein ödem auftritt, also gerade zu dem Zeitpunkt, der zur Verhütung einer Lungenembolie und der Spätfolgen ausschlaggebend ist (MAY). Infolgedessen fordert MAY eindringlich, daß jeder Patient mit dem leisesten verdächtigen Symptom phlebografiert werden muß. Ein weiteres Indikationsgebiet der Phlebografie ist nach MAY die Feststellung des Grades des tiefen Venenschadens beim postthrombotischen Zustandsbild. Es ist wichtig festzustellen, ob vorhandene Schwellungen und Beschwerden wirklich von einer früheren Thrombose herrühren.

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Ϊ1. JAEGER, Funktionelle Behandlung der Varizen

Abb. 12. a) Thrombosebeginn 1. Stadium. Subfasziales ödem

b)

Thrombosebeginn

2. Stadium. ödem

Epifasziales

Seit Jahren schon begegnet man immer wieder Patienten, die irgendwann stationär als Pfi/ebographische Befunde thrombotisch behandelt wurden, die aber bei der 5% V. Hiaca Venografie völlig normale tiefe Venen auf52 % V. femora Iis weisen. Umgekehrt konnte man feststellen, 23 % V.poph'tea daß langdauernde Schwellungen nach Frak20 % Wadenvenen turen in 60% von klinisch unbemerkt geSerielle Μ; Pofho/ogk üascuhire, Poris, Masson 1952 bliebenen Begleitthrombosen herrühren. MAY Pathologische Befunde schreibt in der vorerwähnten Arbeit: „Wichtig V. femora/is ίη[6Ί· % der Primärsitz für die Varizenoperation ist die sorgfältige S.C. Paterson and 1 Mc. Lochiin Surg. Gyn. Obst. 19Ά. 98,1. Darstellung und Ligatur aller insuffizienten Venae perforantes. Wir konnten nachweisen, Abb. 13. Ursprungsorte der Thrombose daß die Mehrzahl der Rezidive von stehenge(nach MAY) bliebenen Venae perforantes herrührt. Durch ihre Ligatur konnten wir unsere guten Spätergebnisse von 56 auf 85% verbessern. Die Faszie trennt nämlich das oberflächliche und tiefe Venensystem gleich einer starren Mauer, durch die nur einzelne Venae perforantes in präformierten Faszienlücken durchtreten. Das Blut fließt in ihnen von der Oberfläche in die Tiefe. Nur bei Klappeninsuffizienz fließt es in der Gegenrichtung. Der venöse Druck wird so von der Tiefe auf die Oberfläche übertragen und fördert die Varizenbildung." Sitz

der Primärthrombose

in WO Fällen

Y. Zusammenfassung Im Rahmen der plastischen und kosmetischen Chirurgie nimmt das Krampfaderleiden eine hervorragende Rolle ein. Schon in der Prophylaxe erwachsen dem Arzt Aufgaben, zu helfen. Vorbeugen ist oft leichter als Heilen. Bei der Behandlung der Krampfadern stehen die Verödung und die operative Entfernung in Konkurrenz. Bei beiden Verfahren ist es notwendig, die nach der Tiefe ziehenden perforierenden Venen zu berücksichtigen und evtl. zu unterbinden.

Zusammenfassung

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Die Thrombose ist die gefährlichste Komplikation des Krampfaderleidens. Die Behandlung mit Antikoagulantien, mit Butazolidin und Magnesium hat viele Menschen gerettet, der Erfolg ist jedoch nicht absolut sicher. Infolgedessen muß versucht werden, Thromben zu vermeiden durch Verbesserung der ZirkulationsVerhältnisse an den Beinen. Dieses wird erreicht durch das Anlegen von Kompressionsverbänden, die die insuffizienten Venen komprimieren. Solche Verbände sollen auch vor jeder Operation angelegt werden. Sie gestatten frühzeitiges Aufstehen und Umhergehen nach jeder Operation wie auch nach der Verödung oder operativen Ausrottung von Krampfadern. Literatur und K . B E E C H T : Venentonus, Venenkapazität und ihre Messung, Med. Welt 727 (1965).

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