Gottes Macht im Psalter: Dissertationsschrift 9783161545702, 3161545702

Judith Krawelitzki zeigt in dieser Studie, dass die explizite Rede von Gottes Macht im Psalter nicht nur ihren Schwerpun

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Inhalt
Einleitung
Forschungsgeschichtlicher Überblick
Sachregister
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Gottes Macht im Psalter: Dissertationsschrift
 9783161545702, 3161545702

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Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen)

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Judith Krawelitzki

Gottes Macht im Psalter

Mohr Siebeck

Judith Krawelitzki, geb. 1982; 2001–2009 Studium der Ev. Theologie, Latinistik und Italianistik; 2012–2015 wiss. Mitarbeiterin an der Georg-August-Universität Göttingen; 2015 Promotion; 2015–2017 Referendariat; derzeit Habilitationsprojekt in der Religionspädagogik.

ISBN 978-3-16-154570-2 ISSN 1611-4914 (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meinem Vater und dem Gedenken meiner Mutter

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2015/16 an der Theologischen Fakultät der Georg#August#Universität Göttingen als Dissertation angenom# men, verteidigt und für den Druck geringfügig überarbeitet worden. Am Entstehen dieser Studie haben viele Menschen Anteil gehabt, nur we# nige können hier genannt werden. Mein herzlicher Dank gilt zu allererst Prof. Dr. Dr. h. c. Hermann Spieckermann. Er hat nicht nur mein Interesse für die Psalmen geweckt und mich zur Beschäftigung mit Gottes Macht im Psalter angeregt, sondern vor allem als Erstbetreuer das Entstehen dieser Arbeit wie kein zweiter begleitet und gefördert: mit fachlichem Rat, vielen Gesprächen, großer Geduld, der Ermutigung und Freiheit meinen eigenen Weg zu gehen, aber auch durch das Schreiben von Gutachten für Stipendien und die An# stellung am Lehrstuhl. Ihm verdanke ich in fachlicher wie menschlicher Hin# sicht viel. Prof. Dr. Reinhard Gregor Kratz danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens, seine konstruktive Kritik und Begleitung während der Pro# motion. PD Dr. Christoph Berner gilt mein Dank für sein Mitwirken in der Prüfungskommission sowie für seine Anregungen zur Überarbeitung der Untersuchung für die Publikation. Den Herausgebern der Forschungen zum Alten Testament danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die 2. Reihe und dem Verlag Mohr Siebeck, vor allem Dr. Henning Ziebritzki und Klaus Hermannstädter, für die hervor# ragende verlegerische Betreuung. PD Dr. Christoph Berner, Moritz Emmel# mann, Dr. Tanja Pilger#Janßen und Dr. Mareike Rake gilt mein herzlicher Dank für ihren Einsatz beim Korrekturlesen. Danken möchte ich auch der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die Gewährung eines Promotionsstipendiums, der Graduiertenschule für Geistes# wissenschaften Göttingen für die Bewilligung eines Abschlussstipendiums, dem Princeton Theological Seminary für ein Stipendium im Rahmen des Doctoral Research Student Program während meines ersten, dem DAAD für die Kostenübernahme des zweiten Forschungsaufenthaltes in Princeton, NJ. Ich habe dort viele wertvolle Erfahrungen sammeln dürfen. Dies verdanke ich vor allem Prof. Dr. Choon#Leong Seow und Prof. Dr. Ross Wagner, die mei# ner Arbeit neue Impulse verliehen und mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Beiden gilt mein herzlicher Dank.

VIII

Vorwort

Nicht zuletzt danke ich meinem Vater für seine Unterstützung während der Zeit der Promotion wie in den Jahren zuvor. Ihm und meiner verstorbenen Mutter sei die Arbeit gewidmet. Göttingen, im August 2017

Judith Krawelitzki

Inhalt Vorwort ...................................................................................................... VII

Kapitel 1: Einleitung ............................................................................... 1 Kapitel 2: Forschungsgeschichtlicher Überblick ............................. 4 2.1 Gottes Macht in den historisch!theologischen Enzyklopädien ................. 4 2.2 Gottes Macht in den systematisch!theologischen Enzyklopädien ............17 2.3 Gottes Macht in Darstellungen der Religionsgeschichte Israels und der Theologie des Alten Testaments .......................................................25 2.4 Die Entdeckung der Macht Gottes in den Bibelwissenschaften ...............30

Kapitel 3: Die Rede von Gottes Macht im Psalter ..........................36 3.1 Machtbereiche und Grenzen ...................................................................36 3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen .........................................................42 3.2.1 Gliederung des Befundes ...............................................................42 3.2.2 Manifestationen von Gottes Macht ................................................42 3.2.3 Metaphern für Gottes Macht ..........................................................53 3.2.4 Macht in Gottes Namen und Epitheta.............................................56 3.2.5 Macht Gottes in Termini und verwandten Bildungen .....................58

Kapitel 4: Das Wortfeld Macht im Psalter .......................................63 4.1 Ein Überblick .........................................................................................63 4.2 Die vier zentralen Machttermini .............................................................70 4.2.1 Kōa ..............................................................................................70 4.2.2 ayil..............................................................................................75 4.2.3 Gĕbûrâ...........................................................................................80 4.2.4 Ōz .................................................................................................94 4.3 Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht ................................ 115

X

Inhalt

Kapitel 5: Die Machtaspekte in exemplarischen Texten ............. 122 5.1 Macht als Eigenschaft Gottes................................................................ 122 5.1.1 Psalm 21: Gottes Lebens! und Rettungsmacht ............................. 122 5.1.1.1 Übersetzung ..................................................................... 122 5.1.1.2 Beobachtungen zur Kohärenz .......................................... 125 5.1.1.3 Textrekonstruktion........................................................... 134 5.1.1.4 Gliederung ....................................................................... 134 5.1.1.5 Theologisches Profil ........................................................ 137 5.1.2 Psalm 63: Gottesschau, Macht und Herrlichkeit........................... 149 5.1.2.1 Übersetzung ..................................................................... 149 5.1.2.2 Beobachtungen zur Kohärenz .......................................... 153 5.1.2.3 Textrekonstruktion........................................................... 158 5.1.2.4 Gliederung ....................................................................... 158 5.1.2.5 Theologisches Profil ........................................................ 160 5.2 Macht als Anteilgabe ............................................................................ 171 5.2.1 Psalm 59: Jhwh – meine Stärke.................................................... 171 5.2.1.1 Übersetzung ..................................................................... 171 5.2.1.2 Beobachtungen zur Kohärenz .......................................... 176 5.2.1.3 Textrekonstruktion........................................................... 190 5.2.1.4 Gliederung ....................................................................... 191 5.2.1.5 Theologisches Profil ........................................................ 193 5.2.2 Psalm 84: Von Kraft zu Kraft ...................................................... 207 5.2.2.1 Übersetzung ..................................................................... 207 5.2.2.2 Beobachtungen zur Kohärenz .......................................... 212 5.2.2.3 Textrekonstruktion........................................................... 217 5.2.2.4 Gliederung ....................................................................... 218 5.2.2.5 Theologisches Profil ........................................................ 220 5.2.2.6 Exkurs: Solarisierung Jhwhs? .......................................... 234 5.3 Macht im Handeln Gottes ..................................................................... 239 5.3.1 Psalm 108: Gottes Rettungstaten in der Not ................................. 239 5.3.1.1 Übersetzung ..................................................................... 239 5.3.1.2 Beobachtungen zur Kohärenz .......................................... 243 5.3.1.3 Gliederung ....................................................................... 246 5.3.1.4 Theologisches Profil ........................................................ 247 5.3.2 Psalm 145: Lob der universalen Machttaten Gottes...................... 261 5.3.2.1 Übersetzung ..................................................................... 261 5.3.2.2 Beobachtungen zur Kohärenz .......................................... 265 5.3.2.3 Gliederung ....................................................................... 268 5.3.2.4 Theologisches Profil ........................................................ 270

Inhalt

XI

Kapitel 6: Fazit ...................................................................................... 279 Literatur ..................................................................................................... 289 Stellenregister............................................................................................. 305 Sachregister ................................................................................................ 315

Kapitel 1

Einleitung Dass der jüdisch christliche Gott Macht hat, ist kein Diskutandum. Ein Gott ohne Macht ist in keiner Religion zu denken. Und auch Religionen, die kei nen persönlichen Gott oder ein Götterpantheon kennen, basieren auf Macht verhältnissen, in denen sich der Mensch von höheren Mächten als abhängig wahrnimmt.1 Im Zentrum dieser Untersuchung soll nicht Gottes Macht in allgemeiner Hinsicht oder in den Erscheinungsformen stehen, die für alle Religionen als konstitutiv gelten dürfen. Vielmehr geht es um die Macht Gottes, wie sie in der Gebetsliteratur des Alten Testaments Gestalt gewonnen hat. Gewiss kann man auch die alttestamentlichen Psalmen mit ihren Vorstellungen von einem mächtigen Gott im Rahmen einer allgemeinen Religionsphänomenologie oder in einer Geschichte der benachbarten altorientalischen Religionen verorten. Die Erforschung der Religionen des Alten Orients hat bereits hinreichend an den Tag gebracht, wie eng die alttestamentliche Gebetsliteratur mit der Welt des Betens in den Nachbarkulturen verflochten ist.2 Hier wie dort gehört göttliche Macht unabdingbar zum Vorstellungsrepertoire des Betens. Die Stellung der alttestamentlichen Psalmen in diesem Kontext bedürfte einer eigenen Studie. In der vorliegenden Untersuchung steht die Frage im Zentrum, welche spezifischen Inhalte mit der Macht Gottes in den Psalmen verbunden werden. Bisher sind die Aussagen über Gottes Macht im Alten Testament noch nicht eingehend exegetisch erschlossen worden. So gibt es auch für den Psalter keine umfassende terminologische und semantische Untersuchung, geschwei ge denn Einzelanalysen von Gebeten, die für Gottes Macht signifikant sind. Beides, die semantische Untersuchung und die Analyse zentraler Gebete, ist aber unabdingbar, will man ein Bild von der Vorstellung von Gottes Macht und ihrem im Psalter dokumentierten theologischen Wandel gewinnen. Nur auf den ersten Blick mag verwundern, wieso dieses Desiderat der For schung bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit in der alttestamentlichen Bibelwissenschaft gefunden hat. Der Forschungsüberblick wird erweisen, welch unterschiedliche Einflüsse die Erforschung der Machtvorstellung ob 1 Vgl. SÖDERBLOM, Werden, 33–113; HEILER, Gebet, 131–135.198f.; VAN DER LEEUW, Phänomenologie, 1–201. 2 Vgl. CASTELLINO, Lamentazioni; BARUCQ, L’expression; MAYER, Untersuchungen; ZGOLL, Kunst.

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Einleitung

struiert haben: ein bestimmtes Vorverständnis der christlichen Dogmatik über Jahrhunderte hin, das Aufkommen der Religionswissenschaft um die vorletz te Jahrhundertwende und schließlich die unselige Ergreifung der Machtfrage durch den Nationalsozialismus im letzten Jahrhundert. Dieses in sich un stimmige Gemisch hat die Beschäftigung mit Gottes Macht im Alten Testa ment nachhaltig verhindert (2. Kapitel). Die Forschungslücke gilt es zu schließen. Angesichts der Fülle an Aussa gen über Gottes Macht im Psalter ist es sachgemäß, genau dieses literarische Korpus ins Zentrum der Untersuchung zu stellen. Betrachtet man allein die Aussagen über Gottes Macht, die mit den vier zentralen hebräischen Macht termini gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz getroffen werden, so finden sich davon im Psalter fast genauso viele Belege wie in allen anderen Schriften des Alten Testaments zusammen. Dieser Befund spricht für sich. Dass Machttermini bei der Wahrnehmung von Gottes Macht eine wichtige Rolle spielen, überrascht nicht. Bedeutung und Gewicht göttlicher Machter fahrung und die sich daraus bildenden Vorstellungen verlangen nach begriff licher Verdichtung. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich die Vielzahl weiterer Aussagen über Gottes Macht im Psalter zu diesen Begriffsbildungen verhält. Die Untersuchung wird zeigen, dass sich entsprechend der Art und Weise, wie Gottes Macht artikuliert wird, Gruppen unterscheiden lassen, die wie konzentrische Kreise die Machttermini umgeben. Es empfiehlt sich, in der Untersuchung vom äußeren Kreis die Annäherung an das Zentrum zu unternehmen. Zum äußeren Kreis gehören Manifestationen von Gottes Macht, worunter sprachliche Konventionen verstanden werden, die sich für Gottes machtvolles Wesen und Wirken etabliert haben. Den nächstengeren Kreis bilden machthaltige Metaphern. Darauf folgen Namen Gottes, die se mantisch das Element der Macht enthalten. Im Zentrum stehen die Machtter mini und verwandte Wortbildungen, die in der Regel von denselben hebrä ischen Wurzeln abgeleitet sind wie die Machttermini (3. Kapitel). Ziel ist es, die verschiedenen Redeweisen von Gottes Macht im Psalter so umfassend und vollständig wie möglich zu erfassen und ihren Stellenwert für die Wahr nehmung von Gottes Macht zu bestimmen. Die Machttermini und verwandte Bildungen werden sich dabei als entscheidend erweisen. Daraus ergibt sich der nächste Schritt: die genaue Analyse der einzelnen Worte, die den innersten Kreis der Machtvorstellung bilden, um ihr je eigenes semantisches Profil zu ermitteln. Dabei bleibt die Untersuchung nicht allein auf den Psalter beschränkt. Es wird stets der Gesamtbefund im Alten Testa ment in den Blick genommen, um mögliche psalterspezifische Gebrauchswei sen der einzelnen Worte zu erfassen. Die sich dabei ergebenden Beobachtun gen, wie Gottes Macht im Psalter profiliert wird, werden im Folgenden zu sammengefasst. Es werden drei eng miteinander verbundene Aspekte sein, die die Aussagen über Gottes Macht im Psalter prägen: Macht als Eigenschaft

Einleitung

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Gottes, Macht als Anteilgabe Gottes an seiner eigenen Macht, Macht im Handeln Gottes (4. Kapitel). Unterscheidung, Konturierung und Zusammenspiel dieser Aspekte werden durch die Auslegung einschlägiger Texte weiter fundiert. Dadurch soll deut lich werden, dass die gefundene Ordnung der Dinge kein über den Texten schwebendes theoretisches Konstrukt, sondern aus den konkreten Texten und ihrer jeweiligen Individualität gewonnenes Resultat ist. Jeder der drei Macht aspekte soll durch die exemplarische Auslegung von je zwei Psalmen Tiefen schärfe erhalten. Für die Gott selbst charakterisierende Macht werden dies die Auslegungen von Ps 21 und 63 leisten. Der Aspekt, dass Gott dem Einzelnen wie dem Volk Anteil an seiner Macht gewährt, wird anhand von Ps 59 und 84 expliziert. Schließlich werden Ps 108 und 145 zeigen, wie sich Gottes Macht in seinem Handeln in der Welt und am Menschen von den beiden erstgenann ten Aspekten her und über diese hinaus manifestiert (5. Kapitel). Die gewonnenen Ergebnisse werden abschließend mit dem Ziel gebündelt, die ermittelte Theologiegeschichte der Macht Gottes im Psalter noch einmal konzentriert und prägnant vor Augen zu führen. Dadurch wird zugleich deut lich, was durch die Untersuchung für das Alte Testament insgesamt geleistet worden ist und wo noch weitere Aufgaben auf künftige Erforschung harren (6. Kapitel).

Kapitel 2

Forschungsgeschichtlicher Überblick 2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien In der Einleitung ist bereits das Desiderat an einschlägigen Arbeiten zum Thema benannt worden. Es verwundert daher nicht, dass im Rahmen dieser Untersuchung kein forschungsgeschichtlicher Überblick im üblichen Sinne geboten werden kann. Stattdessen soll einzufangen versucht werden, wie Gottes Macht seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Theologie wahrgenom men worden ist. Dazu bieten sich die großen theologischen Lexika sowie die Darstellungen der Religionsgeschichte Israels und der Theologie des Alten Testaments an. Lexika sind dabei wegen ihres umfassenden Interesses an den biblischen Gottesvorstellungen und deren Gebrauch in anderen theologischen Disziplinen, vor allem der Systematik, von Bedeutung. Mit den Darstellungen der Religionsgeschichte Israels und der Theologie des Alten Testaments soll ferner der Binnendiskurs der Disziplin erfasst werden, soweit dieser versucht, aus einschlägigen biblischen Texten eine kohärente Vorstellung von Gottes Macht zu gewinnen. Der Einstieg in die Forschungsgeschichte erfolgt über die Real Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (RE). In allen drei Auflagen bedarf es der Geduld, die knappen Ausführungen über Gottes Macht aufzuspüren. Der Konzeption des Werkes entsprechend gibt es in kei ner Auflage einen Eintrag „Macht“, ebenso wenig einen Artikel „Allmacht“ oder „Eigenschaften Gottes“. „Eigenschaften Gottes“ dient in allen drei Auf lagen als Verweisstichwort auf den Artikel „Gott“. Dies ist auch bei „All macht“ in der 1. und 2. Auflage der Fall. Es ist erstaunlich, dass in allen Auflagen der RE ein so zentraler Begriff wie Macht nicht einmal als Verweisstichwort aufgenommen worden ist. Zu dem fällt auf, dass den Herausgebern der ersten beiden Auflagen in Bezug auf Gott nicht Macht, sondern Allmacht das entscheidende Charakteristikum gewesen zu sein scheint, die jedoch in der letzten Auflage nicht mehr eigens als Verweisstichwort aufgeführt wird. Was in den jeweiligen Artikeln unter dem Lemma „Gott“ über dessen Macht ausgesagt wird und auf welche Weise dies geschieht, soll im Folgen den kurz dargelegt werden. Aufbau, Inhalt und Umfang des Artikels ändern sich lediglich von der 1. zur 2. Auflage grundlegend. In der 3. Auflage wird

2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien

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J. Köstlins Artikel aus der vorherigen Ausgabe in fast identischem Wortlaut abgedruckt. Die 1. Auflage enthält unter dem Lemma „Gott“ einen dreiteiligen Artikel (1856), der von K. Nitzsch stammt. Gleich zu Beginn bekundet er, dass es nicht nur sein erklärtes Ziel sei, den Artikel auf Grundlage des biblischen Befundes zu verfassen, sondern vielmehr Verpflichtung der Theologie, sich „über die Erkennbarkeit, über den Begriff, über die Eigenschaften Gottes nach Maßgabe der aus der heil. Schrift gewonnenen Ergebnisse auszuspre chen.“1 Die Rückbindung der Aussagen über Gott an die biblischen Texte wird jedoch nicht lange durchgehalten. Nach zunächst deutlich biblisch theologischer Ausrichtung des Artikels mit zahlreichen Schriftbelegen gerät der Verfasser schnell in dogmatisches Fahrwasser, das er bis zum Ende nicht mehr verlässt. So verwundert es nicht, dass der dritte Teil des Artikels, der sich Gottes Eigenschaften widmet und der im Hinblick auf Gottes Macht allein aussagekräftig ist, ganz in der Tradition der in der Dogmatik geführten Diskussion der Eigenschaftslehre steht. Darin findet sich eine längere, durch erläuternde Passagen unterbrochene Auflistung göttlicher Eigenschaften, die der Verfasser nach eigener Angabe auf Grundlage der biblischen Überliefe rung zusammengestellt hat. Da er – von einer Ausnahme abgesehen – zum Beleg seiner Aussagen lediglich auf dogmatische Werke oder die Kirchenvä ter verweist, ist für den Leser nicht ersichtlich, welche biblischen Texte als Grundlage seiner Ausführungen gedient haben. Macht wird im Rahmen die ser Auflistung als eine göttliche Eigenschaft unter vielen angeführt. Dabei wird sie nie allein, sondern stets in Verbindung mit Weisheit oder Güte ge nannt. Eine erkenntnisfördernde Analyse dieses Befundes bleibt der Verfasser schuldig.2 Erst gegen Ende des dritten Teils kommt er noch einmal auf Gottes Macht zu sprechen, indem er mit Verweis auf Arbeiten von E. Elwert und A. Twesten Macht und Liebe, die er mitunter durch Weisheit und Güte er gänzt, zu zwei Haupteigenschaften Gottes erklärt. Jede dieser primären göttli chen Eigenschaften müsse noch näher spezifiziert werden. So sei es im Fall von Gottes Macht erforderlich, zwischen seiner Allmacht, jener ordnenden und jede weltliche Kraft erst ermöglichenden Macht, und seiner geordneten, innerweltlich wirkenden Macht zu unterscheiden. An dieser Stelle befindet sich K. Nitzsch bereits in der rein dogmatisch geprägten Schlusspassage sei nes Artikels. Wie schon zuvor apostrophiert er hier, dass Gott allmächtig sei, indem er, F. Schleiermacher aufnehmend, argumentiert, dass aus „dem all

1 2

NITZSCH, Gott, 257. Vgl. NITZSCH, Gott, 262f.

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

gemeinen Bewußtsein der Abhängigkeit von Gott“3 auf dessen Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwärtigkeit geschlossen werden müsse.4 Es ist evident, dass in dem Artikel die Vorstellung der Allmacht Gottes gegenüber der Charakterisierung Gottes als mächtig präferiert und theolo gisch zu plausibilisieren versucht wird. Dies dürfte neben der Entscheidung der Herausgeber der RE für die Verbindung von Gott und Allmacht vor allem an der dogmatischen Ausrichtung des Artikels und der in der Dogmatik vor herrschenden Rede von der Allmacht Gottes liegen. Denn an den wenigen Stellen, an denen K. Nitzsch sich auf den biblischen Befund bezieht, spricht er bezeichnender Weise von Gottes Macht – nicht von seiner Allmacht. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass eine genaue Wahrnehmung der biblischen Texte zum Nachdenken über tradierte Machtvorstellungen anregen kann. K. Nitzsch tut dies freilich noch nicht. Er bleibt in seinem Denken und seiner Sprache der Dogmatik verhaftet. Ebenfalls dogmatisch ausgerichtet ist der dreiteilige Artikel „Gott“ in der 2. Auflage der RE (1879), den J. Köstlin verfasst hat. Ihm gelingt es jedoch deutlich besser als K. Nitzsch in der 1. Auflage, zwischen biblisch theologischen und dogmatischen Gottesaussagen zu unterscheiden und dem biblischen Befund einen größeren Stellenwert einzuräumen. Dies zeigt bereits die Gliederung des Artikels. Nach allgemeinen Ausführungen zum Gottesbe griff wird die Darstellung im zweiten Teil auf Aussagen über den biblischen Gott konzentriert. Der Artikel endet mit Erwägungen über Gott in der christ lichen Theologie, dem Inhalt nach eine umfassende dogmengeschichtliche Entfaltung, die mehr als Dreiviertel des Gesamtartikels umfasst. Im Blick auf Gottes Macht ist der erste Teil von besonderem Interesse. Dort folgen auf eine kurze dogmatische Einleitung erstmals religionswissen schaftliche Überlegungen, welche Merkmale für einen Gott in jeder Religion konstitutiv sind. Macht über Mensch und Natur sowie die Fähigkeit, mit pro videntieller Macht das, was dem Menschen begegnet, zu lenken, werden als die wesentlichen Charakteristika einer jeden Gottheit benannt. In höher ent wickelten Religionen, in denen der Mensch über ein klares religiöses Be wusstsein verfüge, führe dies dazu, dass eine Gottheit nicht nur als mächtig angesehen, sondern ihr ein allmächtiger Wille zugesprochen werde, mit dem sie die Welt erschaffen habe und beherrsche. Das Spezifikum des jüdisch christlichen Gottes liege darin, dass dieser Wille gut sei und Gott folglich seine Macht dazu einsetze, die Entwicklung der Welt zum Guten zu beein flussen.5 Als Beleg der zuvor dargelegten Elemente eines allgemein religiösen Be wusstseins werden die semitischen Gottesnamen !ēl und !ĕlōhîm angeführt, 3

NITZSCH, Gott, 264. Vgl. NITZSCH, Gott, 264f. 5 Vgl. KÖSTLIN, Gott, 289f. 4

2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien

7

auf deren bereits vormosaische Verwendung hingewiesen wird. Mit Hilfe einer semantischen Analyse soll gezeigt werden, dass der hebräische Gottes name !ēl Macht ausdrückt, Hĕlōhîm dagegen Gott als Quelle der Furcht und des Schreckens charakterisiert. Diese heute – und für manche Exegeten schon 1879 – anachronistisch anmutenden Herleitungen, die vom Verfasser selbst in der 3. Auflage der RE eine begrenzte, jedoch keine grundsätzliche Korrektur erfahren, dienen als Überleitung zum zweiten Teil, in dem die Annäherung an den „Gott der biblischen Offenbarung“6 erfolgt. Dabei werden die Ausfüh rungen, die auf dem Alten Testament basieren, streng von jenen getrennt, die dem Neuen Testament entnommen sind. Die einzelnen Aussagen werden ausschließlich durch Bibelzitate belegt; dogmatische Erwägungen fehlen in diesem Artikelteil fast vollständig. „Der alttestamentlichen Offenbarung aber ist nun das eigen, daß sie den Gott, der die Macht hat und Gegenstand der Scheu ist, von Anfang an und durchweg in seiner ethischen Beziehung zur Menschheit und Welt und zu nächst zu seinem Volk Israel auffaßt.“7 Mit diesen Worten beginnt J. Köstlin den zweiten Teil seines Artikels, in dem er sich der biblischen Gottesvorstel lung widmet. Macht wird hier als erstes und zugleich einziges Attribut Gottes benannt. Dies zeigt den hohen Stellenwert, den der Verfasser der Macht bei misst. Zugleich wird man in diesem Eröffnungssatz die Kernaussage des gesamten Artikels erkennen dürfen, der im Folgenden ausgelegt wird. Hin sichtlich der Macht Gottes bleibt J. Köstlin auf den ersten Blick auffallend zurückhaltend. Im Unterschied zu den übrigen Eigenschaften, die er Gott zuspricht – Heiligkeit, Geist, Lebensfülle und Einheit –, findet sich keine Passage über Gottes Macht. Dies hätte sich gerade vor dem Hintergrund der religionswissenschaftlichen Erwägungen im ersten Teil angeboten, um Über einstimmungen mit und Unterschiede zu der Macht des jüdisch christlichen Gottes klar zu benennen. Doch J. Köstlin geht einen anderen Weg. Er bringt bei seinen Ausführungen zu den oben genannten Eigenschaften Gottes die Macht immer wieder zur Sprache. Auf diese Weise zieht sich die Machtfrage durch den ganzen Artikel. J. Köstlin will zunächst zeigen, dass Gott keine Naturmacht, sondern dem Wesen nach „persönlicher Geist“8 sei. Als solcher gehe er in die Welt ein und erweise seine unerschöpfliche Lebensfülle in seinen Macht und Willensof fenbarungen. Fülle und Einheit Gottes stehen dabei nicht im Widerspruch zueinander, so dass J. Köstlin abschließend resümieren kann: „Dieser Eine hat Macht über alles und fürt, über alle anderen Mächte siegreich, seinen heiligen Willen durch.“9 Auffällig ist, dass er Gott hier Macht zuspricht, den 6

KÖSTLIN, Gott, 290. KÖSTLIN, Gott, 290. 8 KÖSTLIN, Gott, 291. 9 KÖSTLIN, Gott, 291. 7

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

Terminus Allmacht, der sich im Duktus der Aussage durchaus nahegelegt hätte, jedoch vermeidet. Dies deutet auf eine bewusste Entscheidung des Verfassers gegen die Charakterisierung Gottes als allmächtig hin. Da er be reits zu Beginn des Artikels das Adjektiv „allmächtig“ in Bezug auf Gott nur in Anführungszeichen gebraucht hat, ist dies konsequent, freilich der Sache nach nicht selbstevident, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Heraus geber der 2. Auflage Gott durch den Begriff der Allmacht am treffendsten charakterisiert sehen. Den zweiseitigen Ausführungen zum alttestamentlichen Gottesverständnis folgt ein längerer Passus über Gott im Neuen Testament, in dem seine Macht nicht noch einmal eigens zur Sprache kommt,10 bevor der Artikel mit einem ausführlichen historisch dogmatischen Schlussteil endet, überschrieben mit „Gott in der christlichen Theologie“. In ihm finden sich die einzigen Abwei chungen zwischen der 2. und 3. Auflage. Dort werden vor allem kritische Anfragen an die Lehre von Gott ausführlicher behandelt, als dies in der 2. Auflage der Fall ist, gelegentlich unterstützt durch Rekurs auf den bibli schen Befund.11 Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die Artikel über Gott in allen drei Auflagen der RE sind dogmatisch ausgerichtet. Die biblische Fundierung wird zunehmend ernst genommen, ohne dass die entsprechenden Ausführun gen exegetisch ertragreich wären und gerade im Blick auf das Alte Testament über die Feststellung hinauskämen, dass Gott Macht hat. Vier Jahre vor Komplettierung der 3. und letzten Auflage der RE ist im Jahre 1909 der erste Band des Lexikons „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG1) erschienen, ein fünfbändiges Werk, dem in den folgen den hundert Jahren noch drei weitere Auflagen mit wachsendem Umfang gefolgt sind. Mit Ausnahme der 1. Auflage findet sich in jeder Auflage ein Artikel zum Thema Macht, gleichwohl mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung. Wahrscheinlich im Gefolge der RE wird in der 1. Auflage „Allmacht“ als Verweisstichwort auf den Artikel „Gott“ aufgeführt. In RGG2 und RGG3 fehlt dieser Eintrag. Erst die 4. Auflage enthält einen eigenen Ar tikel zum Thema Allmacht. In der 3. und 4. Auflage findet sich zudem eine Abhandlung zu „Eigenschaften Gottes“, in der 1. Auflage lediglich ein Ver weisstichwort auf den Artikel „Gott“. Abgesehen von der 2. Auflage gibt es in jeder Auflage auch einen Artikel über Gott, der in unterschiedlicher Aus führlichkeit seine Macht thematisiert.

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Vgl. KÖSTLIN, Gott, 292–296. Für J. Köstlin scheint die Machtfrage mit seinen Aus führungen zum Alten Testament geklärt zu sein. Für ihn ist evident, dass Gott Macht hat, die sich unter anderem in den Schöpfungswerken erweist, wie er gegen Ende seiner neu testamentlichen Abhandlung resümiert (vgl. DERS., Gott, 296). 11 Vgl. KÖSTLIN, Gott (RE2), 296–312; DERS., Gott (RE3), 786–802.

2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien

9

In der 1. Auflage der RGG enthält der Artikel über Gott (1910) Annähe rungen an sein Thema aus vier unterschiedlichen Perspektiven, die jeweils von einem eigenen Verfasser behandelt werden. Für die Wahrnehmung von Gottes Macht aus biblisch theologischer Perspektive ist allein der erste Teil des Artikels von Interesse, der sich dem Gottesbegriff im Alten Testament widmet und von H. Gunkel stammt.12 Er gliedert seine Ausführungen in vier Abschnitte. Sie verfolgen die Wandlung des Gottesbegriffs von der ältesten Zeit über die Propheten bis zum Judentum. Vorangestellt ist eine kurze Dar stellung dessen, was alle Götter des Alten Orients verbindet. Macht wird als das entscheidende, wenn auch nicht als das alleinige Merkmal einer jeden Gottheit genannt. Göttliche Macht zeichne sich dadurch aus, dass sie auf Grund ihrer Dimension Entsetzen bei den Menschen hervorrufe.13 Nachdem die basalen Kriterien benannt sind, die ein Wesen erfüllen muss, um als Gottheit zu gelten, werden im zweiten Abschnitt die Spezifika Jhwhs dargelegt. Konstituierend für ihn sei vor allem seine Stellung als National gott. Als Israels Gott liegt ihm das Wohlergehen seines Volkes am Herzen. Daher streitet er als Krieger für die Seinen und bietet als Jhwh Zebaoth sein himmlisches Heer gegen die Feinde seines Volkes auf. Er spricht Recht und wird höchster Richter Israels genannt. Er ist Herrscher über die Naturgewal ten und gilt als Schöpfer der Welt und aller Menschen. Dabei ist er ein eifer süchtiger Gott, der keine anderen Götter neben sich duldet. Wie hätte Israel ihn nicht als den mächtigsten der Götter ansehen können?14 Der Gottesbegriff der Propheten, so betont H. Gunkel im dritten Abschnitt, sei kein anderer als der in ältester Zeit.15 Das Charakteristische der Propheten liege vielmehr darin, dass sie durch die Verkündigung dieses Gottes das Volk zur Umkehr bewegen wollen. Die politischen Ereignisse führten dazu, dass Israel im Zeitalter der Propheten stärker als zuvor in die Geschehnisse der Welt einbezogen war. So konnte der Jhwhglaube, wollte er überleben, nicht mehr allein auf Israel und Kanaan beschränkt bleiben. Dies hat dazu geführt, dass Jhwh der Herr der Völkerwelt geworden ist. Vor diesem Hintergrund, so H. Gunkel, wird verständlich, warum sich viele direkte Aussagen über Gottes 12 Der neutestamentlich ausgerichtete Teil des Artikels, der mit „Der Gottesbegriff im Christentum“ überschrieben ist, trägt für die Frage nach Gottes Macht nichts aus und wird daher im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter behandelt (vgl. MEYER, Gott, 1545– 1550). 13 Vgl. GUNKEL, Gott, 1530–1532. 14 Vgl. GUNKEL, Gott, 1532–1537. 15 Will man H. Gunkels Sicht des Gottesverständnisses der Propheten forschungsge schichtlich einordnen, wird man auf der einen Seite die Nachwirkung von B. Duhm, „Die Theologie der Propheten als Grundlage für die innere Entwicklungsgeschichte der israeliti schen Religion“ aus dem Jahre 1875 und auf der anderen Seite die neuen Impulse durch die 1905 erschienene Arbeit von H. Gressmann „Der Ursprung der israelitisch jüdischen Eschatologie“ im Blick haben müssen.

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

Macht bei den Propheten finden. Sie beschreiben die Fremdvölker als Werk zeuge in der Hand Gottes, dem sich nichts und niemand dauerhaft wider setzen kann. Jhwh sei „die einzige Macht, der alles Vertrauen und alle Ehr furcht zukommt“16 – von Seiten der Menschen und der anderen Götter. Die Weltherrschaft, so schränken die Propheten ein, halte Jhwh noch nicht in den Händen; sie sei jedoch nicht fern. Deuterojesaja verbinde schließlich die Vorstellung von Jhwh als Herrn der Völker mit seiner Verehrung als Schöpf er aller Kreaturen. Ihm, „der die Welt erschaffen hat, sind auch Recht und Macht zu eigen, diese zu lenken.“17 Deshalb werde ihm früher oder später die Herrschaft über die ganze Welt zukommen. Damit beendet H. Gunkel seine Ausführungen zum Gottesbegriff der Propheten, in denen Gottes Macht ein bestimmendes Motiv für die Entwicklung der israelitisch jüdischen Religion ist. Mit dem babylonischen Exil tritt sie in ein neues Zeitalter, in dem der Gott der Propheten den entscheidenden Sieg über den Volksgott der Israeliten errungen hat. Der Monotheismus der Propheten und ihre Zurückweisung der Mythen bestimmt fortan das Judentum. Nun wird Gott primär als Schöpfer und Richter der Welt verehrt.18 H. Gunkel gibt Gottes Macht in seinem Teilartikel viel Raum. Offenkundig gilt ihm Macht als eine wesentliche Eigenschaft Gottes. Der Leser gewinnt durch seine Darstellung einen vergleichsweise guten Überblick über die Fülle der Ausdrucksformen göttlicher Macht im Alten Testament und einen ersten Eindruck ihrer inhaltlichen Bestimmung, auch wenn H. Gunkel dabei die Stellung der Propheten überbewertet. Entscheidend ist vielmehr, dass er die Vorstellung von Gottes Macht nicht mit dessen Gerichts und Vernichtungs handeln an seinem Volk verbindet. Dafür gebraucht er – wie die alttestament lichen Texte – die Terminologie des Zornes19 oder Bilder wie das der Feinde als Werkzeuge in der Hand Gottes. Die Terminologie der Macht ist stets posi tiv konnotiert, ohne dass H. Gunkel dies erläutert oder daraus konzeptionelle Konsequenzen für die Wahrnehmung von Macht im Alten Testament zieht. Auffällig ist überdies, dass er an keiner Stelle seiner Ausführungen Gott als allmächtig bezeichnet, wenngleich die Vorstellung allumfassender Macht in seinen Beschreibungen anklingt. In der neutestamentlich geprägten Abhand lung zum Gottesbegriff im Christentum wird hingegen Gottes Macht gar nicht thematisiert.20 Anders im dogmatisch ausgerichteten Schlussteil, den P. Kal weit verfasst hat. Dort wird Gott häufig und ausschließlich „allmächtig“ ge nannt. Auch in Schilderungen, dass er „alles kann, was er tun will“21 oder 16

GUNKEL, Gott, 1540. GUNKEL, Gott, 1541. 18 Vgl. GUNKEL, Gott, 1538–1544. 19 Vgl. GUNKEL, Gott, 1532.1534. 20 Vgl. MEYER, Gott, 1545–1550. 21 KALWEIT, Gott, 1554. 17

2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien

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dass „es für Gott keine Macht geben kann, der er nicht überlegen wäre“22, spiegelt sich deutlich die Vorstellung von Gottes Allmacht wider. Eine inhalt liche Konkretion dessen, was Gottes Allmacht auszeichnet, bleibt der Verfas ser schuldig. Er begründet dies damit, dass tiefere Einsicht in Gottes All macht nicht auf sprachlich abstrakter Ebene erlangt werden könne, sondern sie sich – wie alle göttlichen Eigenschaften – allein in Gottes weltlichem Handeln erkennen lasse. Gottes Wesenseigenschaften definieren sich in sei ner Beziehung zum Menschen – eine Beobachtung, die bei der Wahrnehmung von Gottes Macht im Rahmen dieser Untersuchung noch von Bedeutung sein wird. P. Kalweit gilt Liebe als primäre Eigenschaft Gottes. Dadurch stellt sich für ihn die Frage, wie angesichts von Leiderfahrungen Gottes Allmacht und Liebe zusammenzudenken sind. Er hält an beiden und der sich daraus erge benden Spannung fest.23 In der 2. Auflage der RGG gibt es erstmals einen Artikel „Macht“ (1929), dessen erster von zwei Teilen von N. Söderblom stammt. Er ist geprägt von der neuen Perspektive, die der Verfasser in seinem Werk „Das Werden des Gottesglaubens. Untersuchungen über die Anfänge der Religion“ entwickelt hat.24 Der Teilartikel enthält eine kompakte Darstellung der Forschungslage zur Machtfrage in der Religionswissenschaft, geprägt von der Grundan nahme, dass göttliche Machterfahrungen und deren Vermittlung in Kult und Ritual für alle Religionen konstitutiv seien.25 Im zweiten Artikelteil widmet sich P. Althaus dem Thema aus ethischer Perspektive. Er betont, dass Macht nach christlichem Verständnis per se nichts Böses sei, da sie Gott zu eigen ist und ihm zur Durchsetzung seines heiligen Willens diene, auf den P. Althaus sich so selbstverständlich beruft wie J. Köstlin, obwohl es dafür im Alten und Neuen Testament kein sprach liches Äquivalent gibt. Gott gewährt aber auch den Menschen Anteil an sei ner Macht. Dies ist Ausdruck seiner Liebe und ermöglicht, dass sie in ihrem eigenen Handeln an seiner Macht partizipieren können, um so ein gottgefälli ges Leben zu führen. Diese Erkenntnis, so P. Althaus, bewahre Christen vor zwei grundlegenden Fehleinschätzungen: einerseits der Missbilligung von Macht überhaupt und andererseits ihrer Vergötterung, losgelöst von ihrer Bindung an Gottes Willen.26 Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen rechtfertigt P. Althaus den Ein satz von Macht als notwendiges Instrument menschlicher Herrschaft und 22

KALWEIT, Gott, 1554. Vgl. KALWEIT, Gott, 1550–1558, insb. 1553–1555. 24 Vgl. SÖDERBLOM, Werden, 33–113; zum Alten Testament vgl. 297–323 („Die Gott heit als Wille“). N. Söderbloms Werk, gepaart mit weiteren Einflüssen, hat auch auf R. Otto, „Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen“ gewirkt, vgl. 13–30, zum Alten Testament vgl. 97–108. 25 Vgl. SÖDERBLOM, Macht, 1811–1815. 26 Vgl. ALTHAUS, Macht, 1815f. 23

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

Ordnung in der Welt. Dazu sei sie dem Menschen von Gott gegeben worden, freilich in der Verantwortung, sie zum Wohle der Mitmenschen einzusetzen. Im Reich Gottes hingegen werde es keine Macht mehr geben, die Unterord nung fordert, da alle Menschen in Gottes Liebe eingeschlossen sind.27 Die Beiträge von N. Söderblom und P. Althaus zeigen, wie wichtig der Machtaspekt für die Gotteswahrnehmung geworden ist. Dies ist vor allem den neuen Erkenntnissen der Religionswissenschaft geschuldet, welche in der Dogmatik gerne aufgenommen worden sind. Dass sich diese Neuorientierung dann mit zwielichtigen geistigen und politischen Entwicklungen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen verbunden hat, ist dieser positiven Ent deckung göttlicher Macht nicht anzulasten.28 Gleichwohl bleibt festzustellen, dass – biblisch gesehen – Gottes Macht durch diesen Neuansatz kein zentraler Gegenstand theologischer Forschung geworden ist. In der 3. Auflage der RGG gibt es ebenfalls einen Artikel zum Thema Macht (1960), dessen Gliederung – I. Macht religionswissenschaftlich, II. Macht im Urchristentum, III. Macht ethisch, IV. Macht und Herrschaft soziologisch – bereits erkennen lässt, dass auch hier biblisch theologische Aussagen keine wesentliche Rolle spielen.29 Unter dem ersten Gliederungs 27

Vgl. ALTHAUS, Macht, 1816. 1931, zwei Jahre nach dem Erscheinen von P. Althaus’ Artikel in der RGG2, hat P. Tillich einen Beitrag unter dem Titel „Das Problem der Macht. Versuch einer philoso phischen Grundlegung“ in der Zeitschrift „Neue Blätter für den Sozialismus“ publiziert (vgl. TILLICH, Problem, 251–268). Es handelt sich dabei um eine sozialphilosophische Analyse des Sozialismus und des Nationalsozialismus unter dem Aspekt der ontologischen Spannung zwischen Mächtigkeit als „Sein überhaupt“ und Macht als „gesellschaftliches Sein überhaupt“. Nur unter der Frage des Verzichtes auf Macht kommt Religion in den Blick: „Der eindeutige positive Verzicht auf Macht müßte aus der Fülle, nicht aus der Erschöpfung entspringen. Er wäre dann Ausdruck nicht von Ohnmacht, sondern von höchster Mächtigkeit. Gäbe es eine solche Möglichkeit, so hätte durch sie das Problem der Macht eine neue Dimension bekommen. Religionen wie Christentum und Buddhismus setzen diese Dimension, d. h. den positiven Sinn von Verzicht auf Macht voraus.“ (260); vgl. auch DERS., Totalitarian State, 421–443; DERS., Love, 583–650. 29 So auch im Artikel „Macht“ in der 1. und dem unveränderten Nachdruck in der 2. Auflage des Evangelischen Kirchenlexikons (EKL; 1958/62), der sich dem Thema aus religionsgeschichtlicher und politisch ethischer Perspektive widmet. Viele Grundinforma tionen des Machtartikels aus der RGG3 finden sich auch in den Artikeln des EKL. Positiv hervorzuheben ist, dass H. Bardtke, der Verfasser des religionsgeschichtlichen Teilartikels im EKL1 2, am Ende seines informativen Forschungsüberblicks kurz darzulegen versucht, wie sich die Wahrnehmung von Gottes Macht im Alten Testament gewandelt hat. Ver gleichbares wird in keinem anderen religionsgeschichtlichen Artikel geboten, auch wenn der von H. Bardtke gespannte Bogen von der Überwindung des Polytheismus durch Jhwh als den alleinigen Urheber und Lenker aller, auch der dämonischen Mächte hin zu ethisch en Machtvorstellungen bei den Propheten etwas schematisch und anachronistisch ist (vgl. BARDTKE, Macht, 1205–1207). Der Artikelteil über Macht aus politisch ethischer Sicht von H. D. Wendland bietet im Wesentlichen dieselben Informationen wie die entsprechen 28

2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien

13

punkt findet sich der mit einer kurzen Einleitung versehene Nachdruck von N. Söderbloms Artikel aus der 2. Auflage der RGG. Der folgende, nur wenige Sätze umfassende Teilartikel über Macht im Urchristentum bemüht sich um die Rekonstruktion des Verständnisses des Terminus „Macht“ bei den ersten Christen auf der Basis einiger neutestamentlicher Texte.30 Im Zent rum des dritten, von K. Løgstrup verfassten Abschnitts stehen ethische Erwä gungen zu Macht und Machtausübung. Dabei wird ein sehr weit gefasstes Machtverständnis zu Grunde gelegt, das nicht nur Macht im politischen und öffentlichen Bereich, sondern auch in zwischenmenschlichen Beziehungen einschließt. Jede Form weltlicher Macht müsse, so K. Løgstrup, nach theolo gischem Verständnis positiv beurteilt werden, da sie Gabe Gottes an den Menschen sei. Möglicher Machtmissbrauch ist dadurch nicht ausgeschlossen und eine entsprechende Sanktionierung notwendig. Anders haben dies M. Luther und J. Calvin gesehen, die aus christlicher Überzeugung den Wi derstand gegen weltliche Autoritäten, die sie als Teil eines komplexen, von Gott gegebenen Machtgefüges begreifen, ablehnt haben. Mit dem Verweis auf die gänzlich auf ethische Werte verzichtende Machtauffassung Machia vellis, dessen oberste Maxime Machterwerb um der Macht willen ist, beendet

den Teilartikel in der RGG3. H. D. Wendland akzentuiert jedoch die Notwendigkeit der Begrenzung menschlicher Macht – persönlich wie institutionell – noch stärker, als dies in der RGG3 geschieht. Er spricht sich dabei nicht für eine Gesellschaft ohne Machtstrukturen aus, wohl aber für politische Machtausübung, die Freiheit und Gerechtigkeit der Gesell schaft bewahrt (vgl. WENDLAND, Macht, 1207f.). Im Artikel „Macht“ in der 3. Auflage des EKL (1992), der in Aufbau und Inhalt den Machtartikel in der 3. Auflage des LThK (1997) entschieden beeinflusst hat, sind W. Hubers Ausführungen zur Macht im systematisch theologischen Teilartikel positiv hervorzuheben. Ausgehend von politischer Macht legt W. Huber die Ambivalenz des Phänomens Macht dar. Anders als üblich konzentriert er sich nicht auf theoretische Erwägungen zur Legitimation von Machtausübung, sondern bejaht gerade die der Macht eigene Ambivalenz und stellt sie ins Zentrum seiner theologi schen Reflexion. Dazu gehört im Folgenden auch die kritische Darstellung des biblischen Befundes. W. Hubers Beobachtung, dass Macht im Alten Testament primär mit Gott ver bunden wird, ist weniger banal, als es auf den ersten Blick erscheint. Das Alte Testament schildert ausführlich, wie Gott seine Macht in Schöpfung und Geschichte zum Wohle seines Volkes einsetzt. Aber er überträgt seine Macht auch den Menschen. Solange der Mensch Macht gemäß der göttlichen Intention zum Erhalt des Zusammenlebens einsetzt, ist sie legitim. Doch die Menschen lehnen sich gegen Gott auf und missachten die gesetz ten Grenzen der Machtausübung. W. Huber benennt die Sünde des Menschen als Quelle der Perversion von Macht. Dies wird in keinem anderen Nachschlagewerk so deutlich artikuliert. Die wissenschaftliche Theologie hat nach dem Zweiten Weltkrieg offenkundig Jahrzehnte gebraucht, bis die Machtthematik wieder theologisch programmfähig gewesen ist und mit der umfassend diskutierten Schuldfrage in Beziehung gesetzt werden konnte (vgl. HUBER, Macht, 237–241; zum soziologischen Teil des Artikels vgl. LIPP, Macht, 233–237, zum ekklesiologischen vgl. STOBBE, Macht, 241–244). 30 Vgl. GEORGI, Macht, 567.

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

K. Løgstrup seine Ausführungen.31 Ein Überblick über das Verständnis von Macht und Herrschaft aus soziologischer Sicht beschließt den gesamten Arti kel.32 Stand im Artikel „Macht“ in der 2. Auflage der RGG (1929) die Rechtfer tigung menschlicher Machtausübungen im Vordergrund, so wird in der 3. Auflage (1960) wohl auf dem Hintergrund der zurückliegenden Epoche der deutschen Geschichte besonders die Gefahr des Machtmissbrauches in den Blick genommen. Eine umfassende, auch die biblischen Befunde berücksich tigende Darstellung und Bewertung der Machtthematik ist weder dort noch im Artikel „Eigenschaften Gottes“ in der RGG3 zu finden, wo die klassischen Topoi der Eigenschaftslehre von der Antike bis zur Gegenwart behandelt werden, ohne dass dabei auf Gottes Macht eingegangen wird.33 Ähnlich verhält es sich in dem der Gliederung nach vielversprechenden Artikel „Eigenschaften Gottes“ in der 4. Auflage der RGG (1999), in dem nach religionswissenschaftlichen und religionsphilosophischen Erwägungen Teilartikel aus biblischer, jüdischer, christlicher und islamischer Perspektive folgen. Im biblischen Teil, der aus einem alt und neutestamentlichen Ab schnitt besteht,34 wird Gottes Macht nicht thematisiert,35 während im Teilarti kel zum Christentum allein die Vorstellung der göttlichen Allmacht kritisch diskutiert wird. Da die Gotteserfahrungen der Menschen vielfältig, mitunter auch gegensätzlich sind, stellt sich die Frage, wie die Rede von Gottes All macht zu verstehen sei. Allmacht bezeichne, so der Verfasser, in sensu stricto keine göttliche Eigenschaft, sondern der Terminus fungiere als „mehrdeutiges Metaprädikat“36. Als solches sei es zwar unverzichtbar, seine inhaltliche Bestimmung erhalte die Allmacht aber erst durch die Verbindung mit einer beliebigen göttlichen Eigenschaft, also nicht in Rückbindung an die bib lischen Aussagen zur Macht Gottes.37 Das sich hier dokumentierende geringe Interesse an Gottes Macht aus bib lisch theologischer Perspektive in der 4. Auflage der RGG ist auch im Artikel „Macht“ (2002) erkennbar. Auf philosophische Reflexionen zur Macht folgen dogmatische, ethische und praktisch theologische Erwägungen.38 Allein im dogmatischen Teil, der von G. van den Brink verfasst ist, sind biblische Aussagen integraler Bestandteil der Ausführungen. Macht sei aus 31

Vgl. LØGSTRUP, Macht, 567–569. Vgl. DAHRENDORF, Macht, 569–572. 33 Vgl. PHILIPP, Eigenschaften, 357–362. 34 Der alttestamentliche Teil über die Eigenschaften Gottes ist eine komprimierte Wie dergabe der entsprechenden Ausführungen in der TRE (vgl. SCHMIDT, Gott, 616–618). 35 Vgl. SCHMIDT, Eigenschaften, 1135–1137; KLAUCK, Eigenschaften, 1137f. 36 BAYER, Eigenschaften, 1141. 37 Vgl. BAYER, Eigenschaften, 1141. 38 Vgl. ZENKERT, Macht, 640f.; VAN DEN BRINK, Macht, 641f.; HERMS, Macht, 642f.; SEIFERLEIN, Macht, 644. 32

2.1 Gottes Macht in den historisch theologischen Enzyklopädien

15

theologischer Perspektive primär wegen ihrer Ambivalenz von Interesse, die bereits in der Bibel selbst angelegt sei, so das nicht weiter begründete Urteil des Verfassers. Vielmehr bleibt er bei allgemeinen Aussagen über Gottes Macht, die im Blick auf den biblischen Befund unspezifisch sind, etwa Macht als unverzichtbarer Bestandteil der göttlichen Schöpfungsordnung und dem zufolge als Gabe Gottes an den Menschen. Dies schließe auch weltliche Re genten und politische Ordnungen ein. Darüber hinaus betont G. van den Brink, dass in der Bibel Gott „primärer Ort der Macht“39 sei. Ihm werden viele Prädikate zugeschrieben, die auf seine Macht verweisen. Entscheidend sei jedoch, dass Gottes Macht nicht für sich allein stehen könne, sondern stets untrennbar mit seinen anderen Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Liebe und Weisheit verbunden sei. Dies verhindert freilich nicht, dass Menschen ihre von Gott gegebene Macht missbrauchen. Juden und Christen haben jedoch das Potential, Machtmissbrauch zu erkennen und Widerstand zu leisten. Die „Dialektik der Macht“40 könne nicht aufgelöst werden. Jeder Einzelne muss sich mit dem Phänomen Macht und allen damit verbundenen Ambivalenzen auseinandersetzen und zugleich versuchen, „ihre ursprüngliche Einheit mit Gerechtigkeit und Liebe so weit wie möglich wieder herzustellen.“41 Die biblische Fundierung dieser Sicht scheint keiner Erläuterung zu bedürfen. Neben dem Artikel „Macht“ gibt es in der 4. Auflage der RGG erstmals auch einen kurzen Artikel zum Thema Allmacht (1998), der ebenfalls von G. van den Brink stammt und trotz seiner historisch dogmatischen Ausrich tung nicht unwesentlich zum Verständnis von Gottes Macht aus biblischer Perspektive beiträgt. G. van den Brink betont hier, dass der Terminus „All macht“ primär keine göttliche Eigenschaft zum Ausdruck bringe, sondern vielmehr eine Vorstellung, die ihren Ursprung im hellenistischen Judentum habe. In christlicher Tradition sei Gott über Jahrhunderte ganz selbstverständ lich als „allmächtig“ bezeichnet worden, wie die Glaubensbekenntnisse do kumentieren. Dort werde Allmacht sogar als einzige göttliche Eigenschaft aufgeführt. Doch erst durch die Septuaginta habe die Vorstellung von Gottes allumfassender Macht Einzug in die jüdisch christliche Theologie gefunden, indem Jhwhs Titel, die Macht zum Ausdruck bringen, häufig mit dem Sub stantiv „Allmächtiger“ wiedergegeben worden seien. Im Neu en Testament werde dies weitergeführt, nun aber ausschließ lich zur Bezeichnung von Gottes universaler Macht gebraucht. Unter sto ischem Einfluss habe Gottes Allmacht bei den lateinischen Kirchenvätern als omnipotentia, die Fähigkeit, seine Macht zu jeder Zeit und Tätigkeit einset zen zu können, weitergelebt. Dies habe die Frage hervorgerufen, ob Gottes Vermögen, alles tun zu können, was er wolle, auch einschließe, tun zu kön 39

641. 642. 41 VAN DEN BRINK, Macht, 642; vgl. ferner DERS., Macht, 641f. 40

VAN DEN BRINK, Macht, VAN DEN BRINK, Macht,

16

2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

nen, was er nicht wolle. Diese Fragestellung habe das gesamte Mittelalter bewegt und verschiedene Erklärungsmodelle hervorgebracht. Heute werden im Zusammenhang mit der Vorstellung der Allmacht Gottes hauptsächlich zwei Aspekte thematisiert: zum einen die Frage, welche Konsequenzen Got tes Allmacht für die menschliche Freiheit hat, zum anderen, wie im Lichte der göttlichen Allmacht Leid und Unrecht in der Welt erklärt werden können. Trotz mitunter deutlicher Kritik am Gebrauch des Terminus angesichts der Schrecken des 20. Jahrhunderts werde auch heute noch häufig argumentiert, dass Gott in jüdischer und christlicher Tradition ohne dieses Prädikat nicht angemessen charakterisiert werden könne.42 Aus biblischer Perspektive liegt die Stärke des Artikels darin, dass die Herkunft der Vorstellung der Allmacht Gottes aus dem hellenistischen Juden tum klar benannt wird. Auch wenn bereits in jungen Texten des Alten Testa ments die Vorstellung von Gottes Allmacht anklingt, wird sie terminologisch erst in der Septuaginta greifbar. Von dort hat sie ihre prägende Wirkung über das Neue Testament bis in die Gegenwart entfaltet. Die Septuaginta stellt somit das Bindeglied zwischen jüdischer und christlicher Tradition dar, wo bei die Unterschiede im Gottesbild der Septuaginta und dem Neuen Testa ment vom Verfasser überzeichnet werden. Überdies ist die Entwicklung von Gottes Macht im Alten Testament zu einem Nebeneinander von göttlicher Macht und Allmacht im Neuen Testament nicht so geradlinig verlaufen und die Abgrenzung beider Vorstellungen nicht so schematisch möglich, wie es im Artikel – vielleicht wegen der erforderlichen Kürze – erscheint. Die wahr genommenen Differenzen bei der Charakterisierung von Gottes Macht in den beiden Testamenten entsprechen jedoch tendenziell dem biblischen Befund. Es verwundert daher, dass in vielen Lexikonartikeln zum Thema Macht biblische Aussagen als homogene Größe angesehen und trotz der Unterschie de bei der Wahrnehmung Gottes in alt und neutestamentlichen Texten belie big miteinander kombiniert werden. Dabei wird häufig nicht einmal kenntlich gemacht, worauf sich angeblich biblisch fundierte Aussagen stützen. Zudem gibt es kaum Darstellungen, in denen Macht und Allmacht nicht nahezu sy nonym gebraucht werden, mit dem Ergebnis, dass letztlich nur noch von Gottes Allmacht die Rede ist. Dieses problematische Vorgehen ist bereits im Artikel „Gott“ in der 1. Auflage der RE (1856) angeklungen, aber weder dort noch durch alle Auflagen von RE, EKL und RGG hindurch verändert worden. Auch im Folgenden wird sich zeigen, dass zwischen Macht und Allmacht Differenzierungsbedarf besteht. Es spricht daher viel dafür, Gottes Allmacht nicht vorschnell als konsequente Weiterführung des Machtgedankens zu be urteilen, sondern zunächst die jeweilige Eigenart der Vorstellung in den Blick zu nehmen.

42

Vgl. VAN DEN BRINK, Allmacht, 319f.

2.2 Gottes Macht in den systematisch theologischen Enzyklopädien

17

Hinsichtlich der Darstellung von Gottes Macht in allen vier Auflagen der RGG lässt sich zusammenfassend feststellen: In den drei Artikeln zum Thema Macht in der RGG2–4 wird Gottes Macht aus exegetischer Perspektive nicht explizit thematisiert. Biblische Aussagen werden angeführt, um dogmatische, ethische oder praktisch theologische Positionen argumentativ zu untermau ern. Dabei erfolgt ein äußerst selektiver Umfang mit dem biblischen Befund; alt und neutestamentliche Aussagen werden nach Gutdünken miteinander kombiniert. Nur selten wird überhaupt kenntlich gemacht, dass eine bestimm te Aussage auf biblischen Befunden beruht. Ein angemessenes Bild von Got tes Macht nach biblischem Zeugnis lässt sich keinem der Artikel entnehmen. Den größten Erkenntnisgewinn aus biblischer Perspektive bieten H. Gunkels Ausführungen im Artikel „Gott“ in der 1. Auflage der RGG (1910). Er trifft grundlegende Aussagen zur Vorstellung von Gottes Macht im Alten Testa ment, die klar am biblischen Befund orientiert und durch Angabe von Bele gen für den Leser nachvollziehbar sind. Inwieweit das von H. Gunkel skiz zierte Bild zutreffend ist, wird die weitere Untersuchung erweisen müssen.

2.2 Gottes Macht in den systematisch theologischen Enzyklopädien Mit der Etablierung der Religionswissenschaft um die vorletzte Jahrhundert wende, die Macht als entscheidendes Charakteristikum von Religion heraus gestellt hat, kommen die Bemühungen der Bibelwissenschaften zu diesem Thema zum Erliegen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch wenig später im Blick auf die ethische Diskussion von Macht, welche im 20. Jahrhundert an Bedeutung gewinnt. In keinem der beiden Fälle sieht sich die Theologie dazu veranlasst, ihre eigene biblische Grundlage der Macht Gottes einer genauen Prüfung zu unterziehen. Gerade in der Auseinandersetzung mit der Reli gionswissenschaft hätte sich für die biblische Theologie die Chance geboten, durch eingehende exegetische Forschung das Spezifische von Gottes Macht in der jüdisch christlichen Tradition herauszuarbeiten und eigene theolo gische Akzente zu setzen. Dies geschah jedoch nicht. Man begnügte sich damit, Macht als konstitutives Element einer jeden Religion anzusehen und den jüdisch christlichen Gott durch andere Eigenschaften zu profilieren. Si cherlich haben auch die Erfahrungen der beiden Weltkriege dazu beitragen, dass Macht zunehmend als ein problematischer Wesenszug Gottes empfun den worden ist. Dies zeigt sich deutlich in den Artikeln, die jeweils in der Zeit unmittelbar nach den Weltkriegen geschrieben worden sind. In ihnen treten ethische und praktisch theologische Aspekte so weit in den Vorder grund, dass die Artikel stark apologetischen Charakter annehmen und durch den damit verbundenen selektiven Umgang mit dem biblischen Befund kaum

18

2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

als aussagekräftige Darstellungen von Gottes Macht im jüdisch christlichen Horizont angesehen werden können. Diese Tendenz ist auch noch im Artikel „Macht“ (1991) in der Theolo gischen Realenenzyklopädie (TRE) erkennbar. Dort wird das Thema zunächst aus philosophischer, dann aus ethischer Perspektive betrachtet, wobei jeweils biblisch theologische Aspekte zur Sprache kommen. Die philosophische Diskussion habe, so V. Gerhardt im ersten Teilartikel, durch die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten neue Impulse erhal ten. Insbesondere die Vorstellung von Jhwh als persönlichem Gott, der all mächtig ist und dem Menschen Anteil an seiner Macht gewährt, habe die Philosophie maßgeblich beeinflusst. Augustin habe auf dieser Grundlage die christliche Machtkonzeption präzisiert. Dabei hebt der Kirchenvater hervor, dass Gottes Macht nicht von seinen anderen Eigenschaften, vor allem seinem Willen, seiner Liebe und Gerechtigkeit getrennt werden dürfe, wodurch zu gleich ein Maßstab für menschliche Machtausübung gesetzt werde.43 Der von H. H. Schrey verfasste ethische Teilartikel beschäftigt sich im ers ten Abschnitt mit Gottes Macht aus alt und neutestamentlicher Perspektive. Im Wesentlichen werden drei Aspekte angesprochen, in denen sich nach Ansicht des Verfassers im Alten Testament göttliche Macht zeige. Neben Gottes Namen verweisen hauptsächlich die Schöpfung und sein geschicht liches Handeln auf seine Macht, die stets untrennbar mit seiner Liebe zu sei nem Volk verbunden ist. Sind diese Informationen – abgesehen von der Er wähnung der Liebe – häufig zu finden, kommt als bisher nicht artikulierte Vorstellung hinzu, Schöpfung und Exodus, im soteriologischen Sinne der deuterojesajanischen Texte verstanden, zusammenzuschauen und beides als Ausdruck der Macht Gottes über die Chaosmächte zu deuten. Es folgt eine stichwortartige Auflistung von Aspekten, die in verschiedenen alttestament lichen Schriften explizit mit Gottes Macht verbunden werden: Macht und Schöpfung, Macht und Erlösung, Macht und Gerechtigkeit sowie Macht und Vergebung. Eine Erläuterung wird diesen Begriffspaaren ebenso wenig bei gestellt wie den vorangegangenen Aussagen. Es erfolgt vielmehr der direkte Übergang zum neutestamentlichen Befund, in dem der Schwerpunkt auf dem Wirken von Gottes Macht in Jesu Leben liegt. Dabei werden auch Konflikte benannt, die sich beim Aufeinandertreffen von religiösen und weltlichen Machtansprüchen in neutestamentlicher Zeit ergeben haben. Daran schließt sich ein kirchengeschichtlicher Überblick über den Umgang mit dem Thema Macht vom 2.–19. Jahrhundert an, bevor der Artikel mit theologischen Refle xionen zur Macht, dem Inhalt nach eine Rechtfertigung der monarchischen Tradition des Abendlandes („von Gottes Gnaden“), sowie neueren theolo

43

Vgl. GERHARDT, Macht, 649f.

2.2 Gottes Macht in den systematisch theologischen Enzyklopädien

19

gischen Entwürfen, die Macht in modernen Staatswesen kritisch hinterfragen, endet.44 Beide Teilartikel enden mit der Legitimation von Macht: im ersten Teil von menschlicher, im zweiten von institutioneller Macht. Die wenigen Aus sagen, die im gesamten Artikel über die Macht des jüdisch christlichen Got tes getroffen werden, sind zwar – je für sich genommen – informativ, doch ihre Auswahl sowie die Art und Weise ihrer Dokumentation und Darstellung nicht unproblematisch. Kann die selektive Wahrnehmung von Gottes Macht aus biblischer Perspektive im ersten Teil noch durch den philosophischen Schwerpunkt gerechtfertigt werden, ist im theologisch ausgerichteten zweiten Teil die durchaus beabsichtigte Rückbindung der Darstellung an den bib lischen Befund gerade im Blick auf die alttestamentlichen Ausführungen recht defizitär. Vor allem fällt auf, dass die entscheidenden Erkenntnisse anhand von drei Psalmen entfaltet werden, unter denen Ps 136 als Hauptquel le gilt. Dies ist sachlich kaum zu rechtfertigen. Wenig erhellend ist überdies die bloße Auflistung von Wortfeldern, die in den biblischen Texten im Um feld von Gottes Macht bezeugt sind. Ohne spezifische Bezugnahme auf die hebräische und auch griechische Vorstellungswelt bleibt der Erkenntnisge winn begrenzt. Dasselbe gilt für die neutestamentlichen Ausführungen, so dass auch der Machtartikel in der TRE biblisch theologisch gesehen wenig aufschlussreich ist. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich in dem Artikel „Gott“ in der TRE (1984). Im alttestamentlichen Teil, der von W. H. Schmidt stammt, wird Gottes Macht auf neunzehn Seiten nur einmal explizit erwähnt, und zwar im Unterkapitel: „Der Schöpfer und der König“. Israel habe die Vorstellung von Jhwh als königlichem Herrscher an der Spitze eines Pantheons aus dem Alten Orient übernommen und ihm durch die Verleihung des Königstitels universa le Macht zugesprochen.45 Das folgende Unterkapitel widmet sich der Be schreibung von Gottes Wesen.46 Im Zentrum steht eine mehr oder weniger ausführliche Auflistung göttlicher Eigenschaften, unter denen Macht nicht eigens genannt wird. Vorangestellt werden grundsätzliche Überlegungen zur Charakterisierung Gottes im Alten Testament. W. H. Schmidt weist darauf hin, dass der im Alten Orient reiche Gebrauch von Attributen zur Charakteri sierung einer Gottheit im Alten Testament sehr zurückhaltend eingesetzt wird. Abgesehen vom Königstitel oder der Bezeichnung Jhwhs als „Herr“ werden ihm selten Attribute beigefügt, die seine Eigenschaften oder We

44

Vgl. SCHREY, Macht, 652–657. Vgl. SCHMIDT, Gott, 614–616. 46 „Eigenschaften Gottes“ ist nicht einmal als Verweisstichwort zum Artikel „Gott“ aufgenommen worden. 45

20

2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

sensmerkmale zum Ausdruck bringen. Im Alten Testament gehe es primär um den Aufweis, wie Gott wirkt, nicht so sehr, wie er ist.47 Auch wenn in diesem Artikel der biblische Befund sehr sachgemäß und viel detaillierter als üblich dokumentiert wird, ist es erstaunlich, wie marginal Gottes Macht bleibt und wie deutlich vermieden wird, Gott explizit Macht zuzusprechen. Dies zeigt sich auch im Artikel „Eigenschaften Gottes“ in der 4. Auflage der RGG, der ebenfalls von W. H. Schmidt verfasst worden ist. Der Artikel enthält eine komprimierte Fassung seines Teilartikels „Eigen schaften Gottes“ unter dem Lemma „Gott“ für die TRE, welcher bereits 1974 einen Vorläufer unter dem Lemma „Gott“ im Historischen Wörterbuch der Philosophie gehabt hat. Im Blick auf Gottes Macht ist lediglich ein Aspekt von Bedeutung. W. H. Schmidt bewertet die prophetische Überzeugung, dass sich Gottes Macht seinem Volk auch in Momenten größter Not erweist, als Grundvoraussetzung für den Fortbestand des Jhwhglaubens in der Exilszeit wie auch in vielen späteren Krisen.48 Abschließend soll die Behandlung von Gottes Macht im Lexikon für Theo logie und Kirche (LThK), dem bedeutendsten wissenschaftlichen Nachschla gewerk der katholischen Theologie, geprüft werden. In allen drei Auflagen, die zwischen 1930 und 2001 erschienen sind, gibt es einen Artikel „Allmacht (Gottes)“. In der 3. Auflage wird dem Lemma „Macht“ zudem ein eigener Artikel gewidmet. Als Verweisstichwort zum Artikel „Allmacht“ kommt die Wortverbindung „Macht Gottes“ bereits in der 2. Auflage vor. Dort gibt es überdies einen Artikel, der sich dem Machtglauben49 sowie Gewalten und Mächten50 widmet. Letzterer findet sich in der 3. Auflage mit fast iden tischem Inhalt unter dem Lemma „Mächte und Gewalten“. Das LThK setzt somit einen anderen Schwerpunkt als alle zuvor behandel ten Lexika. Gott und Allmacht, nicht Gott und Macht gehören für die Heraus geber zusammen. Wie sich dies in den jeweiligen Artikeln inhaltlich aus wirkt, soll im Folgenden kurz dargestellt werden. In der 1. Auflage gibt es einen kurzen Artikel (1930), der nicht viel mehr als eine Definition dessen enthält, was unter Gottes Allmacht zu verstehen ist. Demnach bezeichne sie „das Vermögen Gottes, alles innerlich Mögliche … nach außen zu verwirklichen, und zwar einzig durch sich selbst, …, durch einen bloßen Befehl seines Willens, unbeschränkt durch das Naturgesetz.“51 47

Vgl. SCHMIDT, Gott, 616–618. Vgl. SCHMIDT, Gott, 727. 49 Im Artikel „Machtglaube“ wird die in der Religionswissenschaft geführte Diskussion um Macht als allgemein religiöses Phänomen nachgezeichnet (vgl. SCHROEDER, Macht glaube, 1259f.). 50 Im Artikel „Gewalten und Mächte“, der rein neutestamentlich ausgerichtet ist, wird dargelegt, dass es sich dabei um böse, gottesfeindliche Mächte handelt (vgl. SCHLIER, Gewalten, 849f.). 51 FECKES, Allmacht, 284. 48

2.2 Gottes Macht in den systematisch theologischen Enzyklopädien

21

Gott selbst habe jedoch seiner Allmacht eine Grenze gesetzt, so dass ihm manches unmöglich ist, wozu er an sich im Stande wäre. Gleichwohl könne der Stellenwert dieser göttlichen Eigenschaft – wie Bibel und Glaubensbe kenntnisse bezeugen – nicht hoch genug eingeschätzt werden.52 Dieser rein dogmatisch ausgerichtete Artikel ist inhaltlich nahezu identisch mit dem Artikel „Allmacht“ von J. Sachs im Kirchlichen Handlexikon (1907), aus dem das LThK im Jahre 1930 hervorgegangen ist.53 Demgegen über ist der Artikel „Allmacht Gottes“ in der 2. Auflage (1957) deutlich um fangreicher. K. Rahner nimmt dabei drei Bereiche in den Blick: I. Lehre der Kirche, II. Schrift, III. Systematik. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Feststellung, dass Allmacht die einzige göttliche Eigenschaft ist, die im Glaubensbekenntnis explizit ge nannt wird. Da das Credo nicht näher spezifiziert, was unter Gottes Allmacht zu verstehen sei, müsse die biblische Grundlage befragt werden, wie dies auch die Verbindung von Allmacht und Schöpfung im Credo nahe lege. Da mit rückt das Alte Testament als Primärquelle für die Bestimmung der All macht als charakteristischer Eigenschaft Gottes in den Blick. Ihm gilt bei der Darstellung des biblischen Befundes im zweiten Teil des Artikels bisher nicht gekannte Aufmerksamkeit. Bereits im ersten Satz gibt der Verfasser jedoch zu bedenken, dass All macht als im Christentum selbstverständlich gewordene Charakterisierung kein notwendiger Wesenszug Gottes sei. Sie sei im ältesten Textbestand des Alten Testaments nicht belegt, sondern habe sich erst im Zuge vertiefter theo logischer Reflexion entwickelt. Zunächst zeige sich Gottes überlegene Macht in seinem geschichtsmächtigen Handeln zu Gunsten seines Volkes. Dies habe dazu geführt, dass ihm Beinamen wie „Starker Jakobs“ oder „Fels“ gegeben worden seien. Durch die Erfahrung, dass Gott nichts entgegenstehen kann, werde er als „reine Macht“54 erkannt. Von dort sei der Schritt nicht weit, Gott uneingeschränkte Macht über die Natur zuzusprechen. Die Wahrnehmung von Gottes unbegrenzter Macht in Geschichte und Natur führe dazu, dass er als allmächtig erfahren wird. Allmacht sei ferner das entscheidende Charakte ristikum, das ihn von allen anderen Göttern unterscheide. Dies zeige sich bereits an den ältesten Gottesnamen !ēl šadday sowie !ēl, die „auf Gott als den ungehemmt Mächtigen“55 verweisen, und spiegele sich nicht zuletzt auch in der Wiedergabe von šadday mit „Allmächtiger“ in der Sep tuaginta wider. Mit dem Verweis darauf, dass im Alten Testament auch stär ker abstrahierende Aussagen über Gottes Allmacht nicht fehlen – wie etwa „dass er alles vermag, was er will“ (Ps 115; 135) –, enden die Ausführungen 52

Vgl. FECKES, Allmacht, 284f. Vgl. SACHS, Allmacht, 147f. 54 RAHNER, Allmacht, 353. 55 RAHNER, Allmacht, 353. 53

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

zum Alten Testament. Dem Neuen Testament wird auffallend wenig Raum gewährt. K. Rahner weist lediglich darauf hin, dass Gott dort nicht primär als „Allmächtiger“ bezeichnet wird, sondern sich den Menschen Gottes „Macht und Göttlichkeit“ in seinem Handeln erschließe.56 Den Abschluss des Artikels bilden systematisch theologische Erwägungen zur Allmacht. Im Wesentlichen werden dort zwei Probleme angesprochen, die sich nach Ansicht des Verfassers aus dem biblischen Be fund für die systematische Theologie ergeben. Zum einen verlöre der bib lische Begriff der Allmacht in dem Moment seine Exklusivität, wenn weitere göttliche Eigenschaften in den Blick genommen würden. Zum anderen müsse dafür Sorge getragen werden, dass Allmacht nicht im Sinne einer Alleinwirk samkeit Gottes verstanden werde. Vielmehr sei der Mensch von Gott dazu ermächtigt, seine Macht in freier Verantwortung einzusetzen und darin den Gottesbezug menschlicher Existenz zu bestätigen.57 So sehr das Bemühen um biblische Fundierung hervorzuheben ist, so we nig steht in Frage, dass der Argumentationsduktus des gesamten Artikels systematisch theologisch geprägt ist. Die im zweiten Teil angeführten Bibel stellen sind so gewählt, dass anhand von drei Beleggruppen – Gottes Beina men, Gottes Namen, abstrakte Aussagen über Gottes Allmacht – die Entste hung der im Glaubensbekenntnis verankerten Prädikation Gottes als „All mächtiger“ aus dem Alten Testament heraus plausibilisiert werden soll. Die jeweiligen Bibeltexte haben dabei für den Verfasser keinen Eigenwert, son dern dienen als disponibles Material für die systematischen Erwägungen zur Allmacht, so sehr sich der Verfasser auch bemüht, seine eigenen Reflexionen so zu präsentieren, als ob sie sich konsequent aus den biblischen Aussagen ergäben. Aus Sicht eines Dogmatikers mag dieses Vorgehen legitim sein, aus exe getischer Perspektive ist es nicht unproblematisch. Es erfolgt ein recht selek tiver Umgang mit der biblischen Überlieferung, der die Gefahr inhaltlicher Verzerrungen ahnen lässt. Zudem ist die Darstellungsweise des biblischen Befundes mitunter missverständlich. So enthalten beispielsweise die vom Verfasser angeführten göttlichen Epitheta semantisch zwar eine Macht komponente, welche jedoch die Vorstellung der Allmacht weder präfiguriert noch induziert. Noch problematischer sind die Ausführungen zu den Gottes namen !ēl šadday und !ēl, die nach Ansicht des Verfassers bereits in ältester Zeit auf Gottes Allmacht verweisen. Dies ist extrem hypothetisch und auch nach damaliger exegetischer Erkenntnis kaum stichhaltig zu begründen. Fer ner spricht der Verfasser vom „bibl. Begriff der A.[llmacht] G.[ottes]“58, ohne dass es einen solchen überhaupt gibt. Die Kritik soll jedoch nicht den Blick 56

Vgl. RAHNER, Allmacht, 353f. Vgl. RAHNER, Allmacht, 354f. 58 RAHNER, Allmacht, 354.

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2.2 Gottes Macht in den systematisch theologischen Enzyklopädien

23

dafür verstellen, dass dem biblischen Befund hier erstmals als Quelle für die Vorstellung von Gottes Allmacht entscheidende Bedeutung zuerkannt wird. Biblische Aussagen – zwar im Dienste der Dogmatik gebraucht – stehen im Zentrum der Ausführungen, flankiert von systematisch theologischen Refle xionen, die sich als Hinführung zum und Konsequenz aus dem biblischen Befund verstehen. Einen anderen Aufbau hat der Artikel „Allmacht Gottes“ in der 3. Auflage des LThk (1993). T. Pröpper nähert sich dem Thema zunächst aus biblischer Perspektive. Es folgen historisch theologische und schließlich systematisch theologische Erwägungen. Auch wenn der Verfasser beim biblischen Befund ansetzt, strebt er keine exegetische Erschließung der Vorstellung an. Der Artikel ist auf den systematisch theologischen Teil ausgerichtet, der Gottes Allmacht in den Glaubenssymbolen und den sich daraus ergebenden Konse quenzen für die christliche Lebensführung erörtert. Diese inhaltliche Verdich tung von der biblischen Grundlage her verstehbar zu machen, ist Aufgabe des ersten Teils. Der zweite Teil zeichnet die Entwicklung der Vorstellung der Allmacht Gottes von der frühen Kirche bis zur Gegenwart nach. Der biblische Befund und der dogmengeschichtliche Diskurs werden als tragende Grundla ge der systematischen Erwägungen verstanden. Gegenüber dem Artikel in der vorherigen Auflage wird nunmehr klar be nannt, dass die Vorstellung der Allmacht Gottes im Alten Testament begriff lich nicht realisiert worden ist. Auf diesem Hintergrund gelingt es dem Ver fasser, das Aufkommen der göttlichen Allmachtsvorstellung im Alten Testa ment in ihren Grundzügen textlich fundiert herauszuarbeiten. Israel habe seinen Gott zunächst in seinem machtvollen Handeln in der Geschichte erfah ren, wie die ihm zugesprochenen Attribute „Starker Jakobs“, „Fels Israels“ und „Schild“ erweisen, die primär seine verlässliche Rettungsmacht hervor heben. Die Rede von Gottes Allmacht sei erst möglich geworden, als Jhwh seine Macht über die Grenzen des eigenen Landes ausgeweitet habe. In Ver bindung mit der zunehmenden Alleinverehrung Jhwhs sei seine universale und uneingeschränkte Wirkmacht immer stärker in den Mittelpunkt gerückt. Dies habe sich literarisch weniger in Gottes Namen als in reflektierten Schil derungen seines Handelns niedergeschlagen. Entscheidend sei zudem, dass Gottes Allmacht stets untrennbar mit seiner Güte verbunden ist. Sind negative göttliche Machterfahrungen auch nicht ausgeschlossen, so habe die Gewiss heit, in persönlichen und geschichtlichen Krisen von Gottes Güte umfangen zu sein, den Glauben an den Allmächtigen bewahrt und befördert. Dies ist die Grundlage für das Neue Testament, das den alttestamentlichen Glauben an die göttliche Allmacht voraussetzt.59 In der 3. Auflage des LThK findet sich zudem ein Artikel „Macht“ (1997), in dem das Thema unter religionsgeschichtlichen, soziologischen, theolo 59

Vgl. PRÖPPER, Allmacht, 412–417.

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

gisch ethischen und praktisch theologischen Gesichtspunkten betrachtet wird. Gottes Macht wird hier nicht eigens thematisiert, sondern es erfolgt ein Ver weis auf den Artikel „Allmacht“.60 Die drei Artikel über Allmacht in den verschiedenen Auflagen des LThK verbindet, dass sie jeweils von einem Autor verfasst worden sind, dessen Forschungsschwerpunkt in der Dogmatik liegt. Damit ist natürlich das Risiko gegeben, dass die systematische Perspektive dominiert. Gibt es dafür durch aus Anzeichen, ist noch einmal zu würdigen, wie sehr die Artikel im LThK um die Wahrnehmung der biblischen Grundlage bemüht sind. Der problema tischste Faktor ist wahrscheinlich darin zu erkennen, dass alle Aspekte gött licher Macht unter dem Begriff „Allmacht“ subsumiert werden. Dies mag zwei Gründe haben. Zum einen ist Gott in christlicher Tradition – wie das Credo bezeugt – früh „Allmächtiger“ genannt worden. Zum anderen wird in den jeweiligen Artikeln Allmacht als uneingeschränkt gut dargestellt, wohin gegen Macht auch negativ besetzt sein kann. Vor dem Hintergrund der Machterfahrungen im letzten Jahrhundert wird verständlich, warum die Ver bindung von Gott und Macht im LThK gänzlich vermieden wird. Erst in der 3. Auflage (1997) wagen die Herausgeber eine Annäherung an die Macht thematik, freilich derart, dass der biblische Befund und die systematische Reflexion ausgespart werden.61 60 Lediglich als Ausgangspunkt der ethischen und praktisch theologischen Erwägungen wird noch einmal in Erinnerung gerufen, dass Gott Macht hat bzw. allmächtig ist. In bei den Teilartikeln geht es primär um die innerweltlichen Erscheinungsformen von Macht. Im ethischen Teil steht dabei der Aspekt der Machtrelativierung und Machtkritik im Vorder grund (vgl. EBERTZ, Macht, 1168f.); im praktisch theologischen Teilartikel der kirchliche Umgang mit Macht (vgl. JOSUTTIS, Macht, 1169f.). Den theologischen Erwägungen vo rangestellt sind ein forschungsgeschichtlicher Überblick zur Wahrnehmung von Macht in der Religionswissenschaft sowie ein soziologischer Teilartikel. Ausgehend von der in der Soziologie üblichen Unterscheidung zwischen Macht (jedes Relationsgefüge) und Herr schaft (mit Legitimation) werden dort Quellen, Chancen und Wirkungsfelder von Macht sowie Probleme, die durch sie entstehen können, thematisiert (vgl. BÜRKLE, Macht, 1166f.; EBERTZ, Macht, 1167f.). 61 Keine weiteren Erkenntnisse über Gottes Macht vermitteln die übrigen Artikel in theologischen Nachschlagewerken, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die selektive Wahrnehmung des biblischen Befundes führt dort zu allgemeinen Aussagen, wie sie in vielen Publikationen zu finden sind und in diesem Kapitel bereits Erwähnung gefunden haben. Für die biblisch theologische Erschließung der Vorstellung von Gottes Macht bieten sie keine neuen Impulse: FERRIES, Power, 29f.; THIMME, Allmacht, 19f.; MORRI SON, Macht, 1120f.; LEWIS, Power, 830–832; MILLER, Power, 467–476; MARTIN, Power, 704; VORLÄNDER, Allmacht, 77f.; ARNOLD, Power, 444–446; LILLIE, Almighty, 160; ZMIJEWSKI, Kraft, 540–542; NIXON, Power, 945f.; BETZ, Dynamis, 267–270; FAIRCHILD, Power, 1075f.; DIETZFELBINGER, Macht, 856; KEARNS, Allmacht, 67; SEOW, Almighty, 105; JANOWSKI/SCHOLTISSEK, Macht, 311–313; ASKEW, Strength, 386; REASONER, Power, 576f.; SPIECKERMANN, Almighty, 817f. Positiv hervorzuheben ist allein der Artikel „Power; Might“ in The International Standard Bible Encyclopedia (1986). Der Verfasser

2.3 Gottes Macht in Religionsgeschichte Israels und Theologie des AT

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2.3 Gottes Macht in Darstellungen der Religionsgeschichte Israels und der Theologie des Alten Testaments Eine ähnliche Zurückhaltung gegenüber der Beschäftigung mit Gottes Macht zeigt sich auch in den Darstellungen der Religionsgeschichte Israels sowie der Theologie des Alten Testaments. Trotz der Fülle an Publikationen, die in den vergangenen 120 Jahren erschienen sind, finden sich nur wenige Werke, in denen Gottes Macht explizit thematisiert wird. Es handelt sich dabei um Entwürfe, die sehr unterschiedlichen Herausforderungen zu begegnen ver suchen. B. Stade (gestorben 1906) hat nur den ersten Band seiner „Biblisch en Theologie des Alten Testaments“ (1905) vollenden können. Das Werk ist durch einen zweiten Band von A. Bertholet fertiggestellt worden (1911). Der erste Band, der dem verfolgten Programm gemäß den Untertitel „Die Reli gion Israels und die Entstehung des Judentums“ trägt, widmet sich dem The ma im dritten Kapitel unter dem Titel „Der vorprophetische Glaube und die vorprophetische Gottesverehrung“. Gottes Macht wird dort im Unterkapitel „Jahve der Volksgott“ behandelt. In wenigen Sätzen beschreibt B. Stade, dass es in Gottes Machtbereich nichts gebe, was über ihm steht. Er könne daher auch als „allmächtig“ bezeichnet werden. Dieses Verständnis von Allmacht dürfe jedoch keinesfalls mit dem christlichen gleichgesetzt werden, welches impliziert, dass Jhwh nicht allein Volksgott, sondern der Gott der ganzen Welt sei. Entscheidend sei zudem, Gottes Macht nicht in Analogie zu menschlicher Macht und Kraftausübung zu verstehen. Vielmehr sei sie die Summe aller Manifestation von Kraft in Israel, die nicht auf Menschen zu rückgeführt werden können. Gottes Macht zeige sich in Wundern, aber auch in Naturkatastrophen, Krankheiten und anderen Gefährdungen des Lebens. Deshalb werde sie nicht selten als beängstigend empfunden. Dieser bedroh liche Aspekt göttlicher Macht präge das Gottesbild in vorprophetischer Zeit, das noch nicht von der Gewissheit getragen wird, dass Gott seine Macht aus schließlich zum Erreichen „der höchsten und vollkommensten Ziele“62 ein setzt.63 B. Stades Ausführungen sind durch die für seine Forschergeneration nicht unübliche Geringschätzung der vorprophetischen Religion Israels bestimmt. Es seien allererst die Propheten gewesen, die das Judentum zu einer sittlich benennt dort anhand der zentralen hebräischen Machttermini verschiedene Facetten von Gottes Macht, die er als „saving power“ charakterisiert, wobei er deutlich auf die entspre chenden Artikel in ThWAT zurückgreift (vgl. LAARMAN, Power, 926f.). Keine Erwähnung findet Gottes Macht dagegen im umfangreichsten französischen Bibellexikon, Dictionnaire de la Bible Supplément (vgl. CAMBE, Puissance, 336–381). 62 STADE, Theologie, 87. 63 Vgl. STADE, Theologie, 86f.

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

anspruchsvollen Religion gemacht und damit eine wichtige Vorstufe geschaf fen haben, die im Christentum zur Vollendung gelangt ist. Nur vor diesem Hintergrund wird überhaupt verständlich, warum B. Stade ohne jede Be gründung einen Wendepunkt bei der Wahrnehmung von primär ambivalenten Erfahrungen mit Gottes Macht zu stärker positiven Erfahrungen mit dem Auftreten der Propheten gegeben sieht und vor allem negative göttliche Machterfahrungen mit früheren, religiös entwicklungsbedürftigen Zeiten verbindet. Damit wird er – wie der biblische Befund zeigt – weder der Vor stellung von Gottes Macht in älterer Epoche, geschweige denn dem Gesamt befund im Alten Testament gerecht. Umfangreicher und sachdienlicher ist W. Eichrodts Darstellung in seiner Theologie des Alten Testaments, deren erster Teil im Jahre 1933 erschienen ist. In § 7 „Das Wesen des Bundesgottes: Aussagen über das göttliche Han deln“ thematisiert er Gottes Macht unter der gleichlautenden Überschrift und ist damit der einzige Verfasser einer einflussreichen Theologie, dem Gottes Macht ein eigenes Teilkapitel wert ist. W. Eichrodt hebt gleich zu Beginn hervor, dass für Israel nicht Gottes We sen, sondern die konkrete Erfahrung seines Wirkens entscheidend gewesen sei. Die größte Bedeutung kommt dabei seinem kriegerischen Handeln zu, in dem seine Macht für die Menschen am deutlichsten und sinnfälligsten erfah ren worden ist. Deshalb wird Jhwh häufig als Kriegsheld gepriesen und ihm der Beiname „Jhwh Zebaoth“ verliehen, der wie kein zweiter auf seine krie gerische Potenz verweist. Ferner zeichnet Gottes Macht aus, dass sie nie als willkürlich, sondern stets als Mittel zur Durchsetzung seines „personhaften Willens“64 erlebt wird. Ambivalente Erfahrungen mit der Macht Gottes sind dadurch freilich nicht ausgeschlossen. Doch die Menschen verzweifeln ange sichts von Gottes bedrohlichem Handeln nicht, sondern halten an der Ge wissheit fest, dass sein Wesen durch Güte und Treue bestimmt ist. Darin liegt nach W. Eichrodt der dominierende Akzent der alttestamentlichen Schriften, wenn sie auf Gottes Macht Bezug nehmen. Sie wollen die Erinnerung wach halten, dass Jhwh eingedenk seines Bundesschlusses mit Israel seinen Macht erweis zum Zeichen werden lässt, dass er sich für sein Volk einsetzt. Neben göttlichen Machterweisen im kriegerischen Bereich finden sich im Alten Testament aber auch zahlreiche Texte, die den lebensspendenden und lebenserhaltenden Charakter von Gottes Macht in den Blick nehmen, wie er sich besonders im kontinuierlichen Walten Gottes in der Natur zeigt. Wo dieser Aspekt seiner Macht ihren Ursprung hat, ist schwer zu ergründen. W. Eichrodt erkennt die Voraussetzung in Gottes Bundesschluss mit Israel, der die Gabe des Landes und auch die Gaben des Landes wie überhaupt Got tes Verfügungsgewalt über die gesamte Natur zum Wohle der Seinen ein schließt. Darin sei zugleich die unmittelbare Abhängigkeit des Menschen von 64

EICHRODT, Theologie, 115.

2.3 Gottes Macht in Religionsgeschichte Israels und Theologie des AT

27

Gott eingeschlossen, auch diese getragen von der Gewissheit, dass Gottes Handeln nie willkürlich ist. Die Vielfalt der Aussagen über Gottes „Wundermacht“ im Alten Testa ment gewinne nur vor dem theologischen Horizont Kontur, dass Jhwh der Bundesgott Israels ist. Dass die einzelnen Aussagen trotz dieses verbindenden Elements mitunter zusammenhangslos wirken, sei allein der Tatsache ge schuldet, dass der „israelitische Geist“ so angelegt sei, „sich dem Einzelein druck und Einzelbild jeweils mit voller Ausschließlichkeit hinzugeben und dabei das Ganze, zu dem er gehört, und dessen Zeugnis er ist, gegenwärtig zu haben“. Dieses befremdende Phänomen, das W. Eichrodt in Anlehnung an J. Hempel als „Impressionismus israelitischen Denkens“ bezeichnet, erforde re vom zeitgenössischen Leser, die hinter den einzelnen Aussagen stehende „Grundstimmung“, die durch die göttliche Bundeszusage getragen wird, zu erfassen. Fehlt hingegen diese Bereitschaft und Sensibilität, bestehe die Ge fahr, die göttlichen Machtaussagen „lehrhaft auszumünzen“.65 E. Sellin fasst sich in seinem ebenfalls 1933 erschienenen zweibändigen Werk „Alttestamentliche Theologie auf religionsgeschichtlicher Grundlage“ deutlich kürzer. Er behandelt Gottes Macht im ersten Kapitel des zweiten Teils, das der „Lehre des Alten Testaments von Gott und seinem Verhältnis zur Welt“ gewidmet ist. Allmacht wird dort als eine Eigenschaft Gottes unter vielen aufgeführt.66 Da Gott nichts unmöglich sei, wird er im Alten Testa ment von jeher allmächtig genannt. Seine Allmacht zeige sich hauptsächlich in der Schöpfung, Natur und Geschichte. Gerade diese ist „eine einzige Kette seiner Machterweisungen und Wunder.“67 Der Gegensatz zwischen W. Eichrodt und E. Sellin könnte kaum deutlicher zum Ausdruck kommen. Die bei W. Eichrodt nicht unmittelbar einleuchtende dezidierte Verbindung der Macht mit der Bundeszusage an Israel hat 1933 den Charakter eines Bekenntnisses und impliziert zugleich die Zurückwei sung anderer Machtansprüche.68 In W. Eichrodts Konzeption wäre die The 65

Alle Zitate bei EICHRODT, Theologie, 116; vgl. ferner DERS., Theologie, 114–116. E. Sellin differenziert zwischen Gottes metaphysischen Eigenschaften, zu denen er neben Allmacht auch Erhabenheit, Ewigkeit, Allgegenwart, Allwissenheit und Weisheit zählt und den ethischen Eigenschaften wie Güte, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit (vgl. SELLIN, Theologie, 23–30). 67 SELLIN, Theologie, 24; vgl. ferner DERS., Theologie, 23f. 68 Nicht weniger deutlich positioniert sich der katholische Alttestamentler P. Heinisch in seiner 1940 erschienenen Theologie des Alten Testaments. Er sieht Allmacht als wesent liche Eigenschaft Gottes an. Dabei betont er, dass Gottes Macht tatsächlich keine Grenzen habe, so dass dieser tun könne, was immer er wolle. Gott, der Allmächtige (Šadday), er weise seine Macht in Schöpfung und Erhaltung der Welt sowie in seiner Führung Israels im Sinne seines heilsgeschichtlichen Willens. Gottes Allmacht habe aber auch bedroh lichen Charakter für den Menschen, da er wie alle Schöpfungswerke ganz von ihr abhängig sei. Zu fürchten hätten dies aber nur Israels Feinde, wie die Geschichte zeige. P. Heinisch erinnert dabei vor allem an die Vernichtung der Ägypter beim Exodus und der Assyrer in 66

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

matisierung der Macht nicht unbedingt zu erwarten gewesen, wohl aber bei E. Sellin, der seine Theologie des Alten Testaments eng mit der Religionsge schichte Israels verbindet. In diesem Raum ist die Machtfrage durch die Reli gionsgeschichtliche Schule beheimatet worden. Dass E. Sellin sie mit weni gen pauschalen Sätzen theologisch marginalisiert, kann nur als eine Vermei dung des Themas gewertet werden, dessen sich bereits andere bemächtigt hatten, mit denen E. Sellin nicht in Konflikt geraten wollte. Ganz anders ist die Zurückhaltung gegenüber dem Machtthema in G. von Rads zweibändiger Theologie des Alten Testaments zu bewerten (1957 und 1960).69 Es ist ein heilsgeschichtlicher Entwurf, in den das Thema der Macht Gottes leicht zu integrieren gewesen wäre. Doch die Erfahrung des religiösen und politischen Missbrauchs der Macht in seiner eigenen Lebenszeit halten G. von Rad offensichtlich davon ab, der Macht Gottes in seinem Entwurf einen konzeptionellen Stellenwert zu geben. Zwar spricht G. von Rad in ver schiedenen Kontexten von Jhwhs machtvollem Handeln in Schöpfung und Geschichte,70 ebenso von der Macht des göttlichen Wortes,71 doch nirgendwo gewinnt die Vorstellung theologisches Gewicht. Vielmehr gibt es immer auch die nicht selten mit mythischem Denken verbundenen Mächte, die der Macht Jhwhs entgegenstehen.72 O. Kaiser thematisiert in seiner dreibändigen Theologie des Alten Testa ments Gottes Macht im sechsten Kapitel des zweiten Bandes „Jahwe, der ferne und der nahe Gott“, genauer im Unterkapitel, das „Jahwes Allwissen heit, Vorsehung und Allmacht“ überschrieben ist. Die Machtthematik wird dort nicht um ihrer selbst willen behandelt, sondern dient lediglich zur Expli kation der beiden zuvor genannten Aspekte. Gott habe die Welt so eingerich tet, dass es ihm jederzeit möglich sei, an den Menschen in Entsprechung zu ihrem Verhalten zu handeln. Auf Grund seiner Allgegenwart und Allwissen heit bleibt Gott nichts auf der Erde verborgen; auf Grund seiner Stellung als der höchste Gott ist ihm nichts unmöglich. Primär liegt ihm das Wohlergehen späterer Zeit. Solche Machterweise seien für Jhwh wie auch die Rückführung seines Vol kes aus dem Exil „spielend leicht“ (HEINISCH, Theologie, 48). Nichts könne ihn aufhalten – weder weltliche Machthaber noch heidnische Götter oder Götzen. Dies muss sich 1940 für Juden und Christen, die auf Gott vertrauen, als Hoffnungsperspektive gelesen haben und für das Naziregime und seine Sympathisanten zugleich als Warnung gemeint gewesen sein, dass Gott seine Macht an ihnen erweisen wird, wenn sie nicht dem die Ehre geben, dem sie gebührt. Und so kann man den Aufruf des Psalmbeters in Ps 66,3–4, sich Jhwhs Macht zu unterwerfen und ihn und seine Machttaten zu loben, den P. Heinisch anführt, auch als Mahnung an die Welt inmitten des Zweiten Weltkrieges verstehen, umzukehren und in das Gotteslob einzustimmen (vgl. DERS., Theologie, 14.47–49). 69 Vgl. VON RAD, Theologie 1–2. 70 Vgl. VON RAD, Theologie 1, 150f.252f.401–403; Gottes „absolute Macht“ im Hiob und Koheletbuch, vgl. DERS., Theologie 1, 425.467f. 71 Vgl. VON RAD, Theologie 2, 94–102. 72 Vgl. VON RAD, Theologie 1, 47f.231; DERS., Theologie 2, 90–92.120.361f.370f.

2.3 Gottes Macht in Religionsgeschichte Israels und Theologie des AT

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der Seinen am Herzen, denen er mit seiner Macht beistehen will. Gottes Macht zu retten, habe keine Grenzen. Doch auch wenn sich Gottes Allmacht in konkreten Rettungstaten oder der guten Ordnung der Schöpfung zeige, könne der Mensch sie letztlich nicht begreifen.73 Obwohl O. Kaiser seinen Entwurf der Theologie des Alten Testaments erst um die letzte Jahrhundert wende publiziert hat, ist die Nähe seines Zugangs zu älteren Positionen, die G. von Rads Theologie vorausgehen, unverkennbar. Kritisch anzumerken ist, dass O. Kaisers Ausführungen fast ausschließlich auf dem Buch Jesus Sirach beruhen. Ließe sich dies bei der Erschließung der Vorstellung von Gottes Allwissenheit und Vorsehung durch die zentrale Rolle, die beide bei Jesus Sirach spielen, noch rechtfertigen, – auch wenn ein Verweis auf Ps 139 und die Sapientia Salomonis (17–19) zu erwarten gewesen wäre – ist die selektive Textauswahl im Blick auf Gottes Macht verzeichnend. O. Kaiser weist zu Recht darauf hin, dass Jesus Sirach Aussagen über Gottes Handeln in der Welt und an den Menschen „zuende gedacht“74 hat. Dies geht mit begriff lichen Verdichtungen einher. Über die Entwicklung dieser Vorstellungen und die Ausprägung entsprechender Terminologie im Alten Testament äußert er sich jedoch nicht. Gerade bei der Rede von Gottes Allmacht wäre dies ange sichts des biblischen Befundes geboten gewesen. Doch damit stellt O. Kaiser, wie der forschungsgeschichtliche Überblick erwiesen hat, keine Ausnahme dar. Der Durchgang durch die Lexika, die Darstellungen der Religionsge schichte Israels und der Theologie des Alten Testaments hat gezeigt, dass es aus biblisch theologischer Perspektive geboten ist, zwischen der Vorstellung der Macht und der Allmacht Gottes zu unterscheiden. Dies geschieht in den meisten Darstellungen nicht und erweist ex negativo die Notwendigkeit umso dringlicher. Nur die selektive Wahrnehmung des biblischen Befundes ermög licht es überhaupt, diese Unterscheidung zu umgehen. In den Nachschlage werken ist dies nicht allein den jeweiligen Verfassern anzulasten. Der bib lische Befund ist von hoher Komplexität und harrt nach wie vor der Erfor schung. Dies kann in Nachschlagewerken nicht geleistet werden. Gottes Macht ist lange primär Thema der Dogmatik gewesen. Im Zuge der negativen Machterfahrungen in und zwischen den beiden Weltkriegen ist Macht zu nehmend auch für die Ethik zum unausweichlichen Thema geworden, wäh rend dadurch der Bibelwissenschaft offenkundig die Gelegenheit gegeben worden ist, das Thema zu umgehen. In den großen religionswissenschaftlich ausgerichteten Nachschlagewer ken der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts – Encyclopedia of Religion and Ethics (1955)75, The Encyclopedia of Religion (1987; 22005)76, Handbuch 73

Vgl. KAISER, Gott 2, 142–146. KAISER, Gott 2, 146. 75 Vgl. STOKES, Power, 143–146. 74

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (1998)77 – wird die Macht Gottes in Judentum und Christentum gar nicht, in The Encyclopedia of Religion nur marginal erwähnt. Die Bibelwissenschaft hat es der Religionswissenschaft durch weitgehende Ausklammerung des Themas aus der exegetischen For schung leicht gemacht, die jüdisch christliche Überlieferung – wenn über haupt – nur am Rande wahrzunehmen. Es wird aber auch in Rechnung ge stellt werden müssen, dass G. van der Leeuw in seiner „Phänomenologie der Religionen“, Tübingen 1933, publiziert in der von R. Bultmann herausgege benen Reihe „Neue Theologische Grundrisse“, gleich im ersten Teil, betitelt „Das Objekt der Religion“, die Macht in ihren verschiedenen Konkretionen so sehr zum Thema der Religionswissenschaft gemacht hat, dass dadurch die Machtvorstellung nach breitem Konsens – unter Einschluss der Theologie – den Ort gefunden hatte, wo sie sachgemäß erforscht wurde.

2.4 Die Entdeckung der Macht Gottes in den Bibelwissenschaften Die Bibelwissenschaft hat sich der Machtthematik erst Anfang der sechziger Jahre angenähert. Dies erfolgt in zwei Schritten, die dem Zugang nach unter schiedlicher kaum sein könnten. In der ersten Phase erscheinen drei exege tische Arbeiten, deren erklärtes Ziel es ist, die Wahrnehmung von Gottes Macht im Alten und Neuen Testament zu erfassen. Es geschieht nahezu paral lel zur Publikation der Theologie von G. von Rad, deren skeptische Zurück haltung gegenüber der Machtthematik gerade skizziert worden ist. Den Anfang macht P. Biard mit seiner Arbeit „La puissance de dieu“ (1960). Er wählt einen systematisch theologischen Zugang zum Thema, wel cher die Berücksichtigung der zu seiner Zeit vorherrschenden heilsgeschicht lichen Interpretation des Alten Testaments erlaubt. Zu Beginn nennt P. Biard zwar verschiedene hebräische und griechische Worte, die Gottes Macht zum Ausdruck bringen, doch diese sprachlichen Beobachtungen bestimmen den Aufbau seiner Arbeit nicht. Vielmehr wird dem Exodusgeschehen als Gottes machtvollem Handeln an Israel in der Geschichte die initiatorische Funktion zugesprochen. Das hier erfahrene Gotteshandeln ist für Israel in seiner Ge schichte paradigmatisch geworden. Mit diesem Zugang nimmt P. Biard die heilsgeschichtliche Deutung auf, die im letzten Jahrhundert wesentlich durch M. Noth und G. von Rad geprägt worden ist, wobei für die prominente Posi tionierung des Exodus H. Gressmann nicht vergessen werden sollte.78 Nur aus der partikular heilsgeschichtlichen Perspektive können die universalen Aus 76

Vgl. MILLER, Power, 467–476. Vgl. GLADIGOW, Macht, 68–77. 78 Vgl. GRESSMANN, Mose, 345–480.

77

2.4 Die Entdeckung der Macht Gottes in den Bibelwissenschaften

31

sagen über Gottes Macht verstanden werden, wie sie in seiner Schöpfung und der Erhaltung der Welt Gestalt finden. Dieses Handeln macht zugleich deut lich, dass es im Kern auf die heilvolle Transformation des Menschen im Sin ne des göttlichen Heilshandelns zielt. Auch dabei kommt der Machtvorstel lung eine wichtige Funktion zu. P. Biard gehört zu den Bibelwissenschaftlern, die in diesem Zusammenhang erkannt haben, „que l’homme participe à la puissance divine au point de pouvoir l’appeler „sa force“ (]uzzī), cette force étant d’ailleurs explicitement reconnue comme puissance de salut“79. Gleich wohl erweist sich die Subordination der exegetischen Einsichten unter die gewählte systematische Perspektive als problematisch, weil sich dadurch andere Schwerpunktsetzungen ergeben, als sie der alttestamentliche Befund bietet. So widmet P. Biard der Darstellung von Gottes Macht im Psalter le diglich fünf Seiten. Dies wird dem hohen Stellenwert, die Gottes Macht in den Psalmen zukommt, nicht gerecht. Zwei Jahre später erscheint T. Blatters Dissertation „Macht und Herrschaft Gottes. Eine bibeltheologische Studie“ (1962). Es ist eine primär deskriptive Arbeit, in der in den ersten fünf Kapiteln zwar umfassend, aber keineswegs vollständig, Ausdrucksmöglichkeiten und Darstellungsweisen von Gottes Macht in der Bibel listenartig aufgeführt werden. In den verbleibenden zwei Kapiteln wird der biblische Befund mit grundlegenden theologischen Themen in Beziehung gesetzt, wobei die Darstellung nicht über elementare Beobach tungen hinausgeht. Seine Untersuchung ist damit spiegelbildlich zu P. Biards angelegt, der der Machtterminologie wenig und den theologischen Themen viel Raum gibt. Die methodischen und exegetischen Defizite von T. Blatters Arbeit sind darin begründet, dass er weder durch Wortuntersuchungen inner halb der biblischen Schriften einem denkbaren Wandel mit Gott verbundener Machtvorstellungen nachgeht noch das Thema durch kritische Textanalysen erschließt. Gleichwohl ist es verdienstvoll, dass sich die beiden katholischen Theolo gen P. Biard und T. Blatter kurz vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und in einer Zeit, in der in der deutschen Exegese wenig oder gar nicht über das Thema Macht geforscht worden ist, der biblischen Darstellung göttlicher Macht angenommen haben. Sie haben dabei den theologischen Diskurs in bewusster Abgrenzung zur Religionswissenschaft geführt, in der eine umfas sende und damit wenig spezifische Machtvorstellung den Diskurs über das Phänomen Macht beherrscht hat. Der Beweggrund, sich dieser Thematik anzunehmen, ist bei P. Biard primär aus exegetischem Interesse erwachsen, bei T. Blatter dagegen aus der Absicht, Gottes Macht innerhalb der Dogmatik einen größeren Stellenwert einzuräumen. Seine Untersuchung kann daher am

79

BIARD, Puissance, 82.

32

2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

ehesten als eine Art bibeltheologisches Propädeutikum für die Dogmatik charakterisiert werden.80 Zuletzt verdient in diesem Zusammenhang C. Powells neutestamentliche Dissertation „The Biblical Concept of Power“ aus dem Jahre 1963 Erwäh nung. Dem Titel der Arbeit entsprechend legt auch sie einen Entwurf zu Got tes Macht vor, der Altes und Neues Testament umfasst. Dem Vorhaben wird sie weniger gerecht als ihre beiden Vorgänger. Die Ausführungen zum Alten Testament sind nach Umfang und Inhalt wenig ertragreich. Dies liegt vor allem daran, dass C. Powell bei ihrer Untersuchung nicht von Vorstellungen ausgeht, die im Alten Testament explizit mit Macht verbunden werden, son dern die traditionell als Machterweis Gottes gelten (Exodus, Bundesschluss, Exil), um dann unter der Überschrift „Aspects of his power“ Gottes Macht näher zu charakterisieren. Die Aspekte, die sie anführt, ergeben sich aber weder organisch aus ihren vorangegangen Beobachtungen, noch erschließt sich, warum die Verfasserin ausgerechnet Königsherrschaft, Heiligkeit, Zorn sowie göttliche Offenbarung und Kommunikation thematisiert. Auffallend häufig fehlt ihren Ausführungen ein direkter Bezug zur Macht. In der ab schließenden Bündelung, wie sich Gottes Macht für den Menschen im Alten Testament manifestiert, erkennt sie zwar die Vorstellung, dass Gott den Men schen an seiner Macht teilhaben lässt und dadurch Leben bewahrt, als zentral, doch reicht ihre Darstellung an Struktur, Klarheit und Umfang bei weitem nicht an P. Biards Überlegungen zur Anteilhabe des Menschen an Gottes Macht heran und bietet folglich keine Basis für weitere Arbeiten zum Thema. Insgesamt vermitteln ihre Ausführungen auf Grund ihres eklektischen Cha rakters nur ein fragmentarisches Bild von Gottes Macht im Alten Testament. Es verwundert daher nicht, dass ihre Arbeit in der alttestamentlichen Wissen schaft kaum rezipiert worden ist.

80

Auch in jüngeren dogmatischen Arbeiten, die klar bibeltheologische Themen behan deln, wird der biblische Befund meist nicht systematisch erfasst. Eine positive Ausnahme bildet J. Bauke Rueggs Dissertation „Die Allmacht Gottes. Systematisch theologische Erwägungen zwischen Metaphysik, Postmoderne und Poesie“. In § 7 „Entdeckungen: Beobachtungen zur Entstehung und Entfaltung der Vorstellung von der Allmacht Gottes (in Schrift und Tradition)“ versucht er durch Aufarbeitung der umfangreichen Literatur zum Verständnis von (!ēl) šādday, Yhwh 8ĕbā!ôt und eine begründete Aus sage darüber zu treffen, wie es zur Ausbildung der Vorstellung der Allmacht Gottes ge kommen ist. Dies ist verdienstvoll, doch erzielt J. Bauke Ruegg keine neuen Erkenntnisse, abgesehen davon, dass er H. Hommels Untersuchung zum Begriff aufneh mend resümiert: „Gott ist einerseits der ‚Allherrscher‘, andererseits aber der ‚Allerhalter‘. Beide Aspekte streichen dabei die aktuale Ausrichtung von heraus: Gott beherrscht und erhält die Welt unaufhörlich. Seine (All)Macht ist so immer schon seine Treue, Beständigkeit und Geduld (378).“ Im Blick auf die Wahrnehmung von Gottes Macht im Alten Testament bringen seine Ausführungen keinen Erkenntnisfortschritt (vgl. DERS., Allmacht, 313–378).

2.4 Die Entdeckung der Macht Gottes in den Bibelwissenschaften

33

Nach dem Erscheinen dieser drei biblisch theologisch ausgerichteten Ar beiten zwischen 1960 und 1963 bleibt es in der kritischen Bibelwissenschaft lange still um die Macht Gottes. Erst in den vergangenen zwanzig Jahren ist das Thema wiederentdeckt worden, ohne direkt an die bereits erschienenen Arbeiten anzuknüpfen. Die ersten neueren Arbeiten nähern sich der Thematik über Gott als den Allmächtigen ( ). Die philologisch semantisch ausgerichteten Arbeiten von H. Hommel (1953/54)81, O. Montevecchi (1957)82 und C. Capizzi (1964)83 zum Begriff sowie die entsprechenden Artikel in ThWNT84, EWNT85 und PRE86 bilden dabei den Ausgangspunkt für die bibelwissenschaftlichen Arbeiten zur Macht und Allmacht Gottes, die von R. Feldmeier (1997),87 W. Dietrich/C. Link (1999)88 und M. Bachmann (2002) stammen89. Die Arbeiten von R. Feldmeier und M. Bachmann eint, dass sie mit der Septuaginta einsetzen und von dort ausgehend die Vorstellung der Allmacht Gottes im hellenistischen Judentum und im Neuen Testament nachzuzeichnen versuchen. Dies ist entsprechend ihrer Fragestellung sachgemäß. Die Wahr nehmung von Gottes Macht im hebräischen Alten Testament gerät dabei nur peripher in den Blick. W. Dietrich/C. Link setzen im zweiten Band ihres Werkes „Die dunklen Seiten Gottes“, tituliert „Allmacht und Ohnmacht“, einen anderen Schwer punkt. Ihnen geht es allein um den alttestamentlichen Befund. Ähnlich wie P. Biard – nur deutlich kürzer und selektiver – beleuchten sie Ereignisse in der Geschichte Israels, in der sich Gottes „All Macht“90 erweist. Sie wählen dafür aus den Hauptteilen des hebräischen Kanons je einen Beispieltext, um dadurch die positiven und negativen Erfahrungen des Volkes mit Gottes Macht in den Blick zu nehmen, schließlich auch das Ausbleiben des erwarte ten göttlichen Machterweises. Die auf diese Weise sichtbar werdende Ambi valenz in der Erfahrung der Macht Gottes sei nicht aufzulösen, jedoch vor dem Hintergrund der Gewissheit tragbar, dass Gottes letztes Wort nicht Un heil, sondern Heil sei. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Autoren mit ihrer Untersuchung Gottes Macht gerecht werden. Mit gutem Grund wei 81

Vgl. HOMMEL, Pantokrator, 322–378. Vgl. MONTEVECCHI, Pantokrator, 401–432. 83 Vgl. CAPIZZI, ! . 84 Vgl. MICHAELIS, " 913f. 85 Vgl. LANGKAMMER, " 25–27. 86 Vgl. KRUSE, Pantokrator, 829f. 87 Vgl. FELDMEIER, Übermacht, 13–42. Einen guten Überblick bietet auch sein bereits 1995 erschienen Artikel zur Allmacht im DDD (vgl. DERS., Almighty, 35–41). 88 Vgl. DIETRICH/LINK, Seiten 2. 89 Vgl. BACHMANN, Allmacht. 90 DIETRICH/LINK, Seiten 2, 23. 82

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2. Kapitel: Forschungsgeschichtlicher Überblick

sen sie eingangs auf die geringe Bedeutung der Vorstellung der Allmacht und demgegenüber auf das umfangreiche Machtvokabular in der Bibel hin. Doch bei der Auslegung der Texte verlieren sie die Machtterminologie zunehmend aus dem Blick und deuten jedes Handeln Gottes als Ausdruck seiner Macht. Dies verhindert eine präzise Wahrnehmung von Gottes Macht im Alten Tes tament, sofern man von der Voraussetzung ausgeht, dass biblische Textbe funde in der Differenziertheit gedeutet werden sollten, die sie selber bieten. Da dies nicht geschieht, verwundert es nicht, dass die Untersuchung keine weiterführenden exegetischen und konzeptionellen Beobachtungen zur Macht bietet. Freilich ist dies ist auch nicht das erklärte Ziel des Autorenpaares; sie lassen sich primär von Ansichten und Problemen leiten, die gegenwärtig in Verbindung mit Gottes Macht kursieren, vor allem von einer verbreiteten Wahrnehmung des Theodizeeproblems. Demgegenüber unternehmen R. Feldmeier und H. Spieckermann in ihrer 2011 publizierten biblischen Gotteslehre „Der Gott der Lebendigen“ den Versuch, das Zeugnis der christlichen Bibel von Gott auf der Basis der hebrä ischen und griechischen Tradition unter Einschluss der Septuaginta sowie der relevanten altorientalischen und antiken religionsgeschichtlichen Kontexte zu analysieren. Sie stufen die Macht unter die Themen ein, die zu den grundle genden Profilierungen des jüdisch christlichen Gottes gehören. Unter der Überschrift „Der Allmächtige“ widmen sie dem Thema ein ausführliches Kapitel, in welchem sie den unterschiedlichen Aspekten der Macht, wie sie die komplexe biblische Überlieferung bezeugt, gerecht zu werden versu chen.91 Dazu gehört vor allem die Unterscheidung zwischen den Manifestati onen göttlicher Macht einerseits und der erst in der Septuaginta und im helle nistischen Judentum aufkommenden Rede vom Allmächtigen andererseits. Bei der Charakterisierung Gottes als allmächtig handelt es sich nach Auffas sung der beiden Autoren um eine spezifische, mit bestimmten Leidenssituati onen verbundene Ausformung der Machtvorstellung, die in ihrer begrenzten Verwendung und in ihrer spezifischen Absicht wahrgenommen werden muss. Sie ruht auf einer breiten Bezeugung von Vorstellungen göttlicher Macht im Alten Testament auf, die, vor allem vermittelt durch die Septuaginta, die neutestamentlichen Schriften stark beeinflusst haben. Dabei werden auch die im Psalter bezeugten Machtvorstellungen ansatzweise berücksichtigt. Daran kann die vorliegende Untersuchung anknüpfen. Darüber hinaus sind es die theologischen Wörterbücher und verwandte Werke, in denen wertvolle Vorarbeit für das ins Auge gefasste Unternehmen geleistet worden ist.92 Die in diesem Kapitel präsentierte Forschungsge 91

Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 149–202. Hier ist vor allem an die Artikel zu :ōz, gĕbûrâ, kōă>, >ayil in THAT (vgl. KÜHLE WEIN, gbr, 398–402; VAN DER WOUDE, kōă>, 823–825; DERS., :zz, 252–256), ThWAT (vgl. KOSMALA, gābar, 901–919; EISING, >ayil, 902–911; RINGGREN, kōă>, 130–137; 92

2.4 Die Entdeckung der Macht Gottes in den Bibelwissenschaften

35

schichte zeichnet sich aufs Ganze gesehen jedoch eher dadurch aus, dass das Thema göttlicher Macht im Vollzug der universitären Etablierung der Reli gionswissenschaft auch in der Theologie entdeckt, dann aber angesichts des ideologischen Abusus der Macht im letzten Jahrhundert bald wieder margina lisiert worden ist. Der durchaus übliche dogmatische und ethische Rückbezug auf die biblischen Grundlagen leidet darunter, dass in den Bibelwissenschaf ten die notwendige Forschung bisher nicht erbracht worden ist. Die neutesta mentliche Wissenschaft ist in dieser Hinsicht erheblich weiter als die alt testamentliche. Diese hat die zu leistende Arbeit bis auf wenige gute Ansätze noch vor sich. Auf Grund des komplexen Befundes kann sie nicht durch eine Untersuchung allein geleistet werden. Das hier ins Auge gefasste Projekt unternimmt den Versuch, ins Zentrum des alttestamentlichen Befundes vor zustoßen: in den Psalter. Hier liegt die größte Konzentration der Vorstellun gen über göttliche Macht vor – quantitativ und im Blick auf die theologische Durchdringung auch qualitativ. Beide Aspekte sollen in den folgenden Kapi teln zur Geltung kommen.

WAGNER, :zz, 1–14) und NIDOTTE (vgl. WAKELY, gbr, 806–816; DERS., >ayil, 116–126; DERS., kōa>, 621–631; DERS., :zz, 365–377) zu denken.

Kapitel 3

Die Rede von Gottes Macht im Psalter 3.1 Machtbereiche und Grenzen Im Psalter wird in vielerlei Wort und Gestalt von Gottes Macht gesprochen. Neben Aussagen, die durch einen Machtterminus oder eine Machtmetapher getroffen werden, stehen Schilderungen seines Wesens und Wirkens, in de' nen sich seine Macht manifestiert. Auch Gottes Namen, Titel und Epitheta sowie sein erweiterter Eigenname Jhwh Zebaoth verweisen auf seine Macht. Die in der jüdisch'christlichen Tradition übliche Verbindung von Gottes Macht mit der Vorstellung seiner Allmacht ist im Blick auf das Alte Testa' ment jedoch irreführend. Es ist zwar richtig, dass sich auch im Psalter einige wenige Formulierungen finden, die – für sich betrachtet – dahingehend ver' standen werden können, dass Gottes Macht unbegrenzt sei.1 Doch im Kontext des jeweiligen Psalms und allemal des gesamten Psalters wird deutlich, dass es Mächte gibt, die Jhwh entgegenstehen: andere Götter, das Chaos sowie der Tod mit seinen zahlreichen Handlangern mitten im Leben. Handelt es sich bei Göttern und Chaos um eine Konkurrenz, die Jhwh zumindest in der Welt der Psalmen weitgehend ausgeschaltet hat,2 kommt dem Tod eine andere Stellung zu. Dieser Machtbereich konfrontiert Jhwh bleibend mit den Grenzen seiner eigenen Macht. 1

Hier ist vor allem an Ps 115,3; 135,6 und 139 zu denken. Es gibt kaum einen Beitrag zu Macht und Allmacht Gottes, in dem nicht auf diese drei Texte verwiesen, ihnen oftmals sogar der höchste Stellenwert beigemessen wird. Bei jeder Untersuchung besteht aber die Gefahr, durch die vorgenommene Textauswahl dem Thema nicht gerecht zu werden. Diese Gefahr steigt, wenn der Bereich bisher noch nicht umfassend erschlossen worden ist. Gerade bei der Vorstellung von Gottes Macht im Alten Testament zeigt sich, wie der selektive Umgang mit dem biblischen Befund zu Aussagen führt, die der Gesamtthese des jeweiligen Verfassers dienlich sind, aber den einzelnen Texten und den übergreifenden Kontexten nicht gerecht werden. 2 Auch wenn Jhwh die Chaosmächte bereits bezwungen hat, können sie sich situativ immer wieder zu Wort melden. Als prinzipiell begrenzte Mächte sind sie dann jedoch keine unkalkulierbare Bedrohung mehr, da außer Frage steht, dass Jhwh letztlich die Ober' hand behalten wird (vgl. Ps 89,9–13; 93; 104,5–9). Dass andere Götter eine Jhwh unterge' ordnete Stellung haben, zeigen Ps 29,1–2, wo die Götter, durch Jhwh selbst dazu ermäch' tigt, das Gotteslob darbringen, und Ps 82, wo Jhwh inmitten der Götterversammlung Recht spricht.

3.1 Machtbereiche und Grenzen

37

Die Aussagen, die sich im Psalter über den Tod (māwet) und das Toten' reich (šĕ ôl) finden, sind nicht homogen. Die šĕ ôl gilt zunächst als der Ort, in den die Menschen nach ihrem physischen Tod eingehen. Der Tod markiert den Übergang von Gottes Machtbereich in den Einflussbereich der šĕ ôl. Sie wird unterhalb der Erde lokalisiert3 und als Ort der Stille,4 der Dunkelheit und des Vergessens5 charakterisiert. Es ist ein lebensfeindlicher Ort, an dem sich die Toten in veränderter und geminderter Daseinsform aufhalten und an dem keine Gottesbeziehung mehr möglich ist.6 Zwischen der Sphäre des Lebens und der Unterwelt liegt ein nicht klar ab' gegrenzter Übergangsbereich. Befindet sich der Beter in Todesnähe, von „Stricken des Todes umfangen“ oder „in den Toren des Todes“,7 aber noch nicht in der Unterwelt, so ist es Gott noch möglich, den vom Tod bedrohten Menschen in den Bereich des Lebens und der schützenden Gottesnähe zu' rückzuholen. Ist der Mensch jedoch erst einmal in das Reich des Todes einge' treten, ist Gottes Rettungswille so gut wie machtlos. Nur in Ps 30,4; 49,16 und 86,13 wird davon gesprochen, dass es Gott gelingt, einen Menschen aus dem Reich des Todes zu retten.8 In allen anderen Texten wird deutlich, dass 3 Vgl. Ps 9,14 „Du hebst mich empor (rwm Pol.) aus den Toren des Todes.“, Ps 30,4 „Du hast mich heraufgeholt ( lh Hi.) aus dem Totenreich.“ und Ps 86,13, wo sich die šĕ ôl nach unten (ta tî) ausdehnt. Inwieweit Ps 139,8 Rückschlüsse auf die Lokalisierung der šĕ ôl zulässt, ist schwer zu sagen. Im essaq šāmayim šām attâ wĕ a##î â šĕ ôl hinnekkā „Stiege ich hinauf zum Himmel, du bist dort, und schlüge ich mein Lager im Totenreich auf, siehe, du bist da.“ Šĕ ôl „Totenreich“ und šāmayim „Himmel“ stehen hier parallel. Damit benennt der Beter die beiden äußersten Pole „seines“ Kosmos, wo Gott (noch) gegenwärtig ist. Es geht in Ps 139,8 somit nicht um die geographische Verortung des Totenreiches, sondern um den Versuch, Gottes Allgegenwart in Worte zu fassen; vgl. BARTH, Errettung, 76–91. 4 Vgl. Ps 94,17; 115,17; ferner Ps 31,18–19. 5 Vgl. Ps 49,20; 88,13. 6 Vgl. LIESS, Weg, 294f. 7 Vgl. Ps 9,14; 18,5.6; 88,4; 116,3. 8 Dies ist freilich nicht im Sinne einer Totenauferweckung zu verstehen. Die Texte spiegeln vielmehr ein weitgefasstes Todesverständnis. So können im Psalter Bedrohungs' situationen als Todeserfahrung verstanden werden. Dahinter steht die Vorstellung, dass die šĕ ôl z. B. in Form von Krankheit, Gefangenschaft oder Anfeindung ins Leben hineinrei' chen kann. Der auf diese Weise Bedrängte gerät in Todesnähe, kann sogar – mitten im Leben – als tot gelten, sofern die lebensstiftende Gottesbeziehung aufgehoben ist (vgl. BARTH, Errettung, 91–122; ähnlich auch GERLEMAN, šĕ ôl, 840f. Barths Ergebnisse auf' nehmend, folgert er, dass „Jahwes Allmacht auch über die šeLōl noch mächtig ist“ (841). Diese Einschätzung überzeugt im Blick auf den Psalter nicht. Auch erscheint es auf Grund von Form und Funktion der Psalmen fraglich, ob oder inwieweit der Befund im Psalter für die These einer zunehmenden Kompetenzausweitung Jhwhs bis ins Totenreich, wie sie Eberhardt, Liess, Janowski und viele andere mit unterschiedlicher zeitlicher und inhalt' licher Bestimmung vertreten, den Texten gerecht wird (vgl. EBERHARDT, JHWH, insb. 3– 34.222–242.393–401; LIESS, Weg, 293–322; JANOWSKI, JHWH, 447–477). Es ist evident,

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

Gott hier an die Grenzen seiner Macht stößt: Derjenigen, die in die Unterwelt eingegangen sind, gedenkt Gott nicht mehr (Ps 88,6), gleichbedeutend damit, dass er keine Wunder an ihnen tun kann (Ps 88,11), also Rettung ausge' schlossen ist. Ebenso wenig ist es den Toten möglich, in der šĕ ôl ihres Got' tes zu gedenken und ihn durch Kult und Gebet zu verehren.9 Im Totenreich zu sein, heißt in den allermeisten Fällen, sich außerhalb von Gottes Machtbereich zu befinden, von seiner Hand abgeschnitten zu sein (Ps 88,6). Dabei ist die Metapher der Hand Gottes (yād) im Alten Testament keinesfalls immer positiv besetzt. Sie ist vielmehr Sinnbild der Verfügungs' gewalt Gottes über den Menschen, primär rettend, aber auch richtend.10 So' lange der Mensch in der Hand Gottes ist, kann Gott seine Macht an ihm er' weisen. Im Totenreich hingegen ist Gott weitgehend machtlos. Von Gottes Hand abgeschnitten zu sein, hat das Ende der Gottesbeziehung zur Folge. Dies ist Zeichen äußerster Lebensbedrohung, wenn nicht bereits Signum des Todes. Es ist gewiss kein Zufall, dass die Macht des Todes weitgehend nicht per' sonifiziert wird, Gottes Macht dagegen häufig durch Attribute aus der Le' benswelt des Menschen zum Ausdruck gebracht wird. Gott wird als starker Krieger, als Held beschrieben, der mit mächtiger Hand oder erhobener Rech' ter Israel zum Sieg führt.11 Er wird als König12 oder Herrscher über ein gro' ßes Heer charakterisiert, der für sein Volk in den Krieg zieht.13 Seine Finger haben die Welt geschaffen (Ps 8,4), und in seiner Hand liegt das Leben eines jeden Menschen (Ps 31,16). Bis auf wenige Ausnahmen ist die Personifikation von Gottes Macht im Psalter positiv konnotiert. Allein Gottes Hand (yād) kann sich gelegentlich gegen das eigene Volk oder den Einzelnen richten. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle, in denen Machtmetaphern gebraucht werden, steht jedoch – wie auch sonst – Gottes machtvolles Wesen und Wirken zu Gunsten der Seinen im Zentrum. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der metaphorische Gebrauch von Körperteilen zur Charakterisierung einer Macht, die Gottes Einflussbereich begrenzt, fast gänzlich vermieden wird. Die Personifikation anderer Mächte findet sich überdies nur in Kontexten, in denen es nicht um die Begrenzung von Gottes Macht geht. So soll in dass Jhwh immer entschiedener als Herr des Lebens gerade auch im Blick auf das Todes' geschick wahrgenommen wird. Wieweit man daraus Schlussfolgerungen für seine Herr' schaft auch über das Totenreich ziehen kann, bleibt unter dem Aspekt der Rekonstruktion der Kompetenzerweiterung Jhwhs Gegenstand der Spekulation. 9 Vgl. Ps 6,6; 30,10; 88,11–12; 115,17. 10 Siehe unten Kapitel 3.2.3. 11 Vgl. Ps 17,7; 18,36; 20,7; 24,8; 44,4; 60,7; 78,54; 108,7; 136,12 u. ö. 12 Vgl. Ps 5,3; 10,16; 24,7–10; 29,10; 44,5; 47,3.7–9; 48,3; 68,25; 74,12; 84,4; 93,1; 95,3; 96,10; 97,1; 98,6; 99,1; 145,1; 146,10; 149,2 u. ö. 13 Vgl. Ps 24,10; 46,8.12; 59,6 u. ö.

3.1 Machtbereiche und Grenzen

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Ps 89,49 dem Beter durch die rhetorische Frage: Mî geber Yhwh wĕlō yir eh māwet yĕmallē2 napšô mîyad šĕ ôl „Wo ist einer, der lebt und den Tod nicht schaut, der sein Leben rettet aus der Hand des Totenreiches?“ seine eigene Sterblichkeit ins Bewusstsein gerufen und nicht Gottes Einfluss im Reich des Todes thematisiert werden. Ebenso wenig nimmt der Beter in Ps 49,16 die Begrenzung von Gottes Macht(bereich) in den Blick, wenn er seiner Gewiss' heit Ausdruck verleiht, dass ihn Gott aus der Hand des Totenreiches (mîyad3 šĕ ôl) aufnehmen wird. Er stellt nicht in Frage, dass Gott seine rettende Macht auch im Reich des Todes zu Gunsten der Seinen einsetzen kann und wird. In beiden Fällen wird mit yād „Hand“ die Metapher gebraucht, die so eng mit der Vorstellung der Macht verbunden ist, dass sie fast zu einem Synonym für Macht geworden ist. Es scheint in den Texten weniger um Personifikation pars pro toto als um Explikation zu gehen. So auch in Ps 141,7, wo sich die Gebeine Israels im Rachen der Scheol (pî šĕ ôl) befinden. Hier soll vermut' lich mit Hilfe der aus dem Baal'Yamm'Môt'Mythos entlehnten Vorstellung vom Rachen des Môt als Baals Aufenthaltsort der Zustand im Totenreich verdeutlicht werden.14 Im Psalter ist die Vermeidung der Personifikation von Tod, Totenreich und Unterwelt dominant. Dies könnte als Abwertung der Macht des Todes ver' standen werden, die die Inkommensurabilität Gottes mit diesem Bereich un' terstreicht. Metaphern, die Gottes Macht veranschaulichen, kommen vermut' lich wegen ihrer engen Verbindung mit Gott nicht zur näheren Bestimmung der Todesmacht in Frage. Das gilt in noch höherem Maße für die Machtter' mini. Auch wenn deutlich ist, dass Tod und Unterwelt eine Gegenmacht zu Gottes Macht darstellen, werden sie in den Psalmen nie durch Machttermini charakterisiert. Macht ist im Psalter so evident Gottes Rettungsmacht, die dem Leben dient, dass die Machtterminologie allein an diese positiv konno' tierte Machtvorstellung gebunden ist. Hinter der durchgängigen Exklusion des Todes aus der konzeptualisierenden Sprache der Macht wird eine bewuss' te Entscheidung stehen. Oft ist im Psalter von Feinden ( ôyĕbîm, #ārîm/#ōrĕrîm, śōnĕ îm/ mĕśannĕ îm), Frevlern (rĕšā îm) oder wilden Tieren die Rede, die versuchen, Betende in den Tod, das Totenreich oder das Grab zu bringen.15 Sie sind „Agenten des Todes“16 in der Welt. Am häufigsten wird in den Psalmen von den Feinden gesprochen. Sie sind eine beständige Bedrohung im Leben der

14

Darauf deutet auch die Parallelstellung vom Pflügen und Aufreißen der Erde (pōlēa ûbōqē a bā āre#) zum Liegen der Gebeine im Rachen des Todesreiches (nipzĕrû ă#āmênû lĕpî šĕ ôl) hin. 15 Zur Feindmetaphorik im Psalter vgl. RIEDE, Netz. 16 SPIECKERMANN, Gott, 196.

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

Betenden. Es verwundert daher nicht, dass vielfach Gottes Hilfe im Angesicht der Feinde erbeten oder für erfahrene Rettung gedankt wird. Beter wie Frevler finden sich nach ihrem Ableben im Totenreich wieder (Ps 9,18; 31,18); gleichwohl ist der Tod eines Frommen „teurer“ als der eines Frevlers (Ps 116,15). Wo sich hingegen die Feinde nach ihrer Vernichtung aufhalten, wird im Psalter nicht thematisiert. Art und Weise ihrer Ausrottung wird häufig und wortreich geschildert und nicht weniger selten das Faktum ihrer Vernichtung konstatiert.17 Es wäre zu erwarten, dass auch sie in die Unterwelt, den Machtbereich, den sie in einem weiten Sinne repräsentieren, eingehen bzw. „zurückkehren“. Doch darüber ist nichts zu erfahren. Es ist deutlich, dass die Feinde im Psalter nur so lange von Interesse sind, wie sie im Leben ihr Unwesen treiben. Die Personifikation der Macht des Todes in den Feinden und Frevlern mag trotz aller Ernsthaftigkeit der Bedrohung auch eine polemische Spitze enthal' ten. Feinde und Frevler leben im durch sie bedrohten Machtbereich Gottes und unterstehen damit potentiell seinem Willen. So kann Gott sich ihrer be' mächtigen und sie als Werkzeug seines Willens gebrauchen, indem er Sünder durch sie züchtigen oder töten lässt.18 Noch häufiger gibt er sie selbst der Vernichtung preis, um sein Volk oder den Einzelnen vor ihnen zu retten.19 Aber auch in diesem Zusammenhang ist ihr Verbleib nach der Vernichtung den Psalmbetern kein Wort wert. Gott hat zwar nur eingeschränkte Macht im Reich des Todes, aber Leben und Tod der Menschen liegen in seiner Entscheidung. Die Lebensdauer eines Menschen hängt dabei nicht immer von seinem Verhalten ab. Auch Feinden und Frevlern kann ein langes Leben beschieden sein.20 Hohes Lebensalter, im Alten Testament gewöhnlich Indiz für ein von Gott gesegnetes Leben, lässt im Psalter keinen Rückschluss auf Gottesfurcht zu. Die in diesem Umfeld gemachten Beobachtungen können bei Betern Irritationen an Gottes Ge' brauch seiner Macht auslösen. Aufs Ganze gesehen lassen die Psalmen jedoch keinen Zweifel aufkom' men, dass Gott große Macht hat, die er so gebraucht, dass sie in der Not hilft und ihr entsprechender Dank im Gotteslob gebührt. Doch als allmächtig wird Gott weder implizit charakterisiert noch explizit benannt. Es gibt im bib' lischen Hebräisch nicht einmal ein Äquivalent für Allmacht. So ist auch die in deutschen Psalterübersetzungen gewählte Wiedergabe von Šadday mit

17

Zur Vernichtung der Feinde oder zur Bitte um ihre Vernichtung vgl. Ps 8,3; 9,4.7; 21,9; 27,2; 37,20; 81,15; 110,1; 143,12 u. ö.; zur Art und Weise ihrer Vernichtung vgl. Ps 45,6; 68,22.24; 78,53; 89,11 u. ö. 18 Vgl. Ps 7,6; 80,7; 89,43; 106,41. 19 Vgl. Ps 3,8; 9,6.7; 18,1.18.41; 44,8; 45,6; 60,14; 68,22; 75,11; 89,24 u. ö. 20 Vgl. Ps 73,3–5.12–13; 94,3.

3.1 Machtbereiche und Grenzen

41

„Allmächtiger“21 weniger Übersetzung als hypothetische Interpretation, die keine solide philologische und semantische Grundlage hat und auch nicht aus der Vorstellungswelt des Psalters begründet werden kann. Der Septuagintapsalter bezeichnet Jhwh in diesen Fällen als Gott des Himmels, eine aus dem Persischen übernommene Vorstellung, die im Alten Testament erstmals in Esr 5,11 greifbar wird und sich gut in den Kontext von Ps 68 und 91 einfügt. Wie exakt die Septuaginta dabei mit „Himmlischer“ (Ps 68,15) bzw. „Gott des Himmels“ (Ps 91,1) die Bedeutung von Šadday erfasst, ist schwer zu beurteilen. Die Etymologie dieses 48'mal im Alten Testament belegten Epithetons ist un' sicher.22 Die Übersetzer der Psalmen vermeiden offensichtlich bewusst die Wieder' gabe von Šadday und Yhwh 9ĕbā ôt mit „Allmächtiger“, wie dies für Šadday im Hiobbuch fast ausnahmslos der Fall ist und für Yhwh 9ĕbā ôt im Zwölfprophetenbuch. Und auch sonst findet sich keiner der 173 Belege von im Septuagintapsalter. Dieser Befund muss ernst genommen werden. Erst die jüngeren Bibelübersetzungen tragen mit der Verwendung des Sub' stantivs „Allmächtiger“ die Frage nach Gottes Machtumfang in den Psalter ein. Die Texte selbst betrachten Gottes Machtpotential nicht unter diesem Aspekt. Sie haben eine andere Perspektive. Dies zeigt sich auch in Ps 115; 135 und 139, die häufig als Beleg für Gottes Allmacht angeführt werden. In diesen nachexilischen Gebeten geht es nicht um Spekulation über Gottes Allmacht, sondern darum, wieweit Gottes soteriologische Macht reicht. Der Psalter hat allein Interesse daran, Gottes Macht in Relation zum Menschen darzustellen, nicht theoretisch über sie zu reflektieren. Seine Perspektive geht vom Menschen aus und ist zugleich auf ihn ausgerichtet.23 In der Vorstellungswelt der Psalmen schmälert die fehlende Begriffsbil' dung „Allmacht“ Gottes Machtpotential nicht. Davon zeugen neben Gottes Namen, Titeln und Epitheta eine Vielzahl von Worten und Metaphern, die seine Macht zum Ausdruck bringen, sowie Schilderungen seines Wesen und Wirkens, in denen sich seine Macht manifestiert. Die Frage, ob Gott allmächtig ist, wird in den Psalmen nicht gestellt. Ent' scheidend ist nicht der Geltungsbereich von Gottes Macht, sondern das Spezi' 21 Martin Luther von 1545; Unrevidierte Elberfelder (1905); Schlachter'Bibel (1951/2000); Einheitsübersetzung (1974/1980); Revidierte Lutherbibel (1984/2017); Revi' dierte Elberfelder (1993); Zürcher Bibel (2007) u. a. In englischsprachigen Übersetzungen findet sich entsprechend fast immer „almighty“, selten auch „most high“ (King James [1611/1769]; The Bible in Basic English [1949/1964]) oder „mighty“ (Young Literal Translation [1862/1899]). 22 Vgl. NIEHR/STEINS, šaddaj, 1078–1104; WEIPPERT, Jahwe, 143; DERS., Erwägungen, 42–62. 23 Vgl. KRAWELITZKI, God, 434–444.

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

fische ihres Wesen und ihrer Wirkung. Dies herauszustellen, ist Anliegen des Psalters, was sich deutlich in den Redeweisen von Gottes Macht widerspie' gelt.

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen 3.2.1 Gliederung des Befundes Das große Spektrum der Redeweise von Gottes Macht und die hohe Beleg' frequenz dieser Aussagen lassen darauf schließen, dass Macht ein entschei' dender Aspekt von Gottes Wesen und zugleich ein zentrales Thema des Psal' ters ist. Es verwundert daher nicht, dass es kaum einen Psalm gibt, der keinen Verweis auf Gottes Macht enthält.24 Insgesamt finden sich im Psalter unter den hier getroffenen Voraussetzungen 1369 Belege für Gottes Macht. Darin sind unspezifische Aussagen über Gottes Macht, die im Psalter zu keiner geprägten Vorstellung geführt haben, nicht eingerechnet.25 Da fast jede Aussage des Psalters mit Gottes Macht in Verbindung ge' bracht werden kann, ist es notwendig, Kriterien herauszuarbeiten, die eine angemessene Charakterisierung seiner Macht erlauben. Im Rahmen dieser Untersuchung erfolgt daher eine Konzentration auf die Vorstellungen, die als semantische und begriffliche Verdichtungen bezeichnet werden können. Wel' che dies sind, soll im Folgenden dargelegt werden. 3.2.2 Manifestationen von Gottes Macht Mit Abstand am häufigsten finden sich im Psalter Manifestationen von Gottes Macht (1150 Belege). Darunter werden alle Worte verstanden, die Gottes Wesen und Wirken beschreiben und dabei seine Macht zum Ausdruck brin' gen. Manifestationen bilden sprachlich ab, wie Gottes Macht für den Men' schen erfahrbar wird. Dabei ist es unerheblich, ob die jeweilige Manifestation konstatiert oder allererst erbeten wird. Beide Sprechakte geben gleicherma' ßen Aufschluss über Gottes Macht, da jede Bitte in der Gewissheit formuliert 24

Eine Ausnahme bilden lediglich Ps 15; 122; 131 und 137. Darunter fallen viele Verben, die im Psalter ein singuläres Tun Gottes in den Blick nehmen, beispielsweise, dass er Bogen zerbricht und Speere zerschlägt (Ps 46,10), Getrei' de bereitet (Ps 65,10), Flüsse in Blut verwandelt (Ps 78,44), ebenso Verben, die ein wenig konkretes Handeln zur Sprache bringen, wie zum Beispiel, dass Gott etwas sieht, macht, aufsteht etc. Bei der Auslegung der Texte werden diese unspezifischen Redeweisen von Gottes Macht gleichwohl fast alle Berücksichtigung finden, da sie – abgesehen von hlk Hi. „dahinfahren lassen, vertilgen“ in Ps 125,5 und bnh Qal „bauen“, šmr Qal „bewachen, erhalten“, ntn Qal „geben“ in Ps 127,1–2 – in Psalmen vorkommen, in denen mindestens eine weitere spezifische Aussage über Gottes Macht getroffen wird. Es besteht somit keine Gefahr, durch ihren Ausschluss einen Aspekt von Gottes Macht zu übergehen. 25

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

43

wird, dass Gott das Erbetene auch zu vollbringen vermag. Entscheidendes Kriterium, ein Wort als Manifestation von Gottes Macht anzusehen, ist allein die Frage, ob es in den einzelnen Texten expressis verbis mit Macht verbun' den wird. Dies wird dann als gegeben betrachtet, wenn das entsprechende Wort mindestens in einem Psalm zusammen mit Machtterminologie auftritt. Die Manifestationen sind somit nicht nach externen Kriterien ausgewählt worden, sondern die Zuordnung ist den Texten selbst entnommen. Um die Darstellung möglichst übersichtlich zu halten, werden die Manifes' tationen von Gottes Macht thematisch geordnet und entsprechend ihrer Be' legfrequenz angeführt. RETTUNG UND HILFE:26 g l Qal „erlösen, befreien, erretten“27, yš Hi. „ret' ten, helfen“28, Nif. „gerettet werden“29, yĕšû â „Hilfe“30, yeša „Hilfe, Ret' tung“31, tĕšû â „Hilfe, Rettung“32, ml2 Nif. „gerettet werden“33, Pi. „retten“34, n#l Hi. „entreißen, retten“35, Ni. „gerettet werden“36, zr Qal „jemandem bei' stehen, helfen“37, Nif. „Hilfe erhalten“38, Wēzer „Hilfe“39, ezrâ „Hilfe“40, pdh Qal „erlösen, befreien, erretten“41, pĕdût „Erlösung“42, pl2 Pi. „in Sicherheit 26

Insgesamt 264 Belege, in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. 11 Belege: Ps 19,15; 69,19; 72,14; 74,2; 77,16; 78,35; 103,4; 106,10; 107,2(bis); 119,154. 28 47 Belege: Ps 3,8; 6,5; 7,2.11; 12,2; 17,7; 18,28.42; 20,7.10; 22,22; 28,9; 31,3.17; 34,7.19; 36,7; 37,40; 44,8; 54,3; 55,17; 57,4; 59,3; 60,7; 69,2.36; 71,2.3; 76,10; 86,2.16; 98,1; 106,8.10.21.47; 107,13.19; 108,7; 109,26.31; 116,6; 118,25; 119,94.146; 138,7; 145,19. 29 5 Belege: Ps 18,4; 80,4.8.20; 119,117. 30 43 Belege: Ps 3,3.9; 9,15; 13,6; 14,7; 18,51; 20,6; 21,2.6; 22,2; 28,8; 35,3.9; 42,6.12; 43,5; 44,5; 53,7; 62,2.3.7; 67,3; 68,20; 69,30; 70,5; 74,12; 78,22; 80,3; 88,2; 89,27; 91,16; 96,2; 98,2.3; 106,4; 118,14.21; 119,123.155.166.174; 140,8; 149,4. 31 19 Belege: Ps 12,6; 18,3.36.47; 20,7; 24,5; 25,5; 27,1.9; 50,23; 51,14; 62,8; 65,6; 69,14; 79,9; 85,5.8.10; 95,1. 32 9 Belege: Ps 37,39; 38,23; 40,11.17; 51,16; 71,15; 119,41.81; 144,10. 33 3 Belege: Ps 22,6; 124,7(bis). 34 3 Belege: Ps 41,2; 107,20; 116,4. 35 42 Belege: Ps 7,2.3; 18,1.18.49; 22,9.21; 25,20; 31,3.16; 33,19; 34,5.18.20; 35,10; 39,9; 40,14; 50,22; 51,16; 54,9; 56,14; 59,2.3; 69,15(bis); 70,2; 71,2.11; 72,12; 79,9; 86,13; 91,3; 97,10; 106,43; 107,6; 109,21; 119,170; 120,2; 142,7; 143,9; 144,7.11. 36 1 Beleg: Ps 69,15. 37 13 Belege: Ps 10,14; 30,11; 37,40; 46,6; 54,6; 79,9; 86,17; 109,26; 118,7.13; 119,86. 173.175. 38 1 Beleg: Ps 28,7. 39 11 Belege: Ps 20,3; 33,20; 70,6; 89,20; 115,9.10.11; 121,1.2; 124,8; 146,5. 40 14 Belege: Ps 22,20; 27,9; 35,2; 38,23; 40,14.18; 44,27; 46,2; 60,13 = 108,13; 63,8; 70,2; 71,12; 94,17. 41 12 Belege: Ps 25,22; 26,11; 31,6; 34,23; 44,27; 49,16; 55,19; 69,19; 71,23; 78,42; 119,134; 130,8. 42 2 Belege: Ps 111,9; 130,7. 27

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

bringen, retten“43, r b Hi. „weit machen, retten“44, rp Qal „heilen“45, tô#ā ôt „Rettung“46; GÜTE UND GNADE:47 erek appayim „langsam zum Zorn“48, nn Qal „gnädig sein“49, hannûn „gnädig“50, ēn „Gnade“51, esed „Güte, Liebe, Gnade“52, ra ûm „barmherzig“53, ra ămîm „Barmherzigkeit“54, rā#ôn „Wohlgefallen, Gunst“55; SCHUTZ UND ZUFLUCHT:56 sh Qal „sich bergen, Zuflucht suchen“57, kānāp „Flügel“58, migdāl „Turm“59, māgēn „Schild“60, ma seh „Zuflucht, Zufluchtsort“61, mānôs „Zuflucht“62, mĕ#ûdâ „Zufluchts' ort, Burg, Schutz“63, miśgāb „Burgfeste, Zuflucht“64, sela „Fels“65, str Hi. „verbergen“66, sēter „Versteck, Schutz“67, #wr Qal „umschließen“68, #ûr 43

18 Belege: Ps 17,13; 18,3.44.49; 22,5.9; 31,2; 32,7; 37,40(bis); 40,18; 43,1; 70,6; 71,2.4; 82,4; 91,14; 144,2. 44 2 Belege: Ps 4,2; 18,37. 45 7 Belege: Ps 6,3; 30,3; 41,5; 60,4; 103,3; 107,20; 147,3. 46 1 Beleg: Ps 68,21. 47 Insgesamt 189 Belege. 48 3 Belege: Ps 86,15; 103,8; 145,8. 49 26 Belege: Ps 4,2; 6,3; 9,14; 25,16; 26,11; 27,7; 30,11; 31,10; 37,26; 41,5.11; 51,3; 56,2; 57,2(bis); 59,6; 67,2; 86,3.16; 102,14; 119,29.58.132; 123,2.3(bis). 50 5 Belege: Ps 86,15; 103,8; 111,4; 116,5; 145,8. 51 1 Beleg: Ps 84,12. 52 127 Belege: Ps 5,8; 6,5; 13,6; 17,7; 18,26.51; 21,8; 23,6; 25,6.7.10; 26,3; 31,8.17.22; 32,10; 33,5.18.22; 36,6.8.11; 40,11.12; 42,9; 44,27; 48,10; 51,3; 52,3.10; 57,4.11; 59,11.17.18; 61,8; 62,13; 63,4; 66,20; 69,14.17; 77,9; 85,8.11; 86,5.13.15; 88,12; 89,2.3.15.25.29.34.50; 90,14; 92,3; 94,18; 98,3; 100,5; 101,1; 103,4.8.11.17; 106,1.7.45; 107,1.8.15.21.31.43; 108,5; 109,12.16.21.26; 115,1; 117,2; 118,1.2.3.4.29; 119,41.64.76. 88.124.149.159; 130,7; 136,1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18; 136,19.20.21.22. 23.24.25.26; 138,2.8; 143,8.12; 144,2; 145,8; 147,11. 53 5 Belege: Ps 78,38; 86,15; 103,8; 111,4; 145,8. 54 11 Belege: Ps 25,6; 40,12; 51,3; 69,17; 77,10; 79,8; 103,4; 106,46; 119,77.156; 145,9. 55 11 Belege: Ps 5,13; 30,6.8; 40,9; 51,20; 69,14; 89,18; 103,21; 106,4; 143,10; 145,16. 56 Insgesamt 143 Belege. 57 25 Belege: Ps 2,12; 5,12; 7,2; 11,1; 16,1; 17,7; 18,3.31; 25,20; 31,2.20; 34,9.23; 36,8; 37,40; 57,2(bis); 61,5; 64,11; 71,1; 91,4; 118,8.9; 141,8; 144,2. 58 6 Belege: Ps 17,8; 36,8; 57,2; 61,5; 63,8; 91,4. 59 1 Beleg: Ps 61,4. 60 15 Belege: Ps 3,4; 7,11; 18,3.31.36; 28,7; 33,20; 59,12; 84,10.12; 115,9.10.11; 119,114; 144,2. 61 11 Belege: Ps 14,6; 46,2; 61,4; 62,8.9; 71,7; 73,28; 91,2.9; 94,22; 142,6. 62 1 Beleg: Ps 59,17. 63 6 Belege: Ps 18,3; 31,3.4; 71,3; 91,2; 144,2. 64 13 Belege: Ps 9,10(bis); 18,3; 46,8.12; 48,4; 59,10.17.18; 62,3.7; 94,22; 144,2. 65 4 Belege: Ps 18,3; 31,4; 42,10; 71,3. 66 4 Belege: Ps 17,8; 27,5; 31,21; 64,3. 67 7 Belege: Ps 18,12; 27,5; 31,21; 32,7; 61,5; 91,1; 119,114. 68 1 Beleg: Ps 139,5.

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

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„Fels, Zufluchtsort“69, #ēl „Schatten“70, śgb Pi. „schützen, retten“71, šmr Qal „behüten, bewahren“72, Nif. „behütet werden“73; HERRLICHKEIT UND HO' 74 75 HEIT: gdl Qal „groß werden, sich groß zeigen“ , Hi. „groß machen, Größe 76 77 entfalten“ , gādôl „groß“ , gĕdûlâ „Großtat“78, gōdel „Größe“79, hādār „Herrlichkeit, Hoheit“80, hôd „Hoheit, Majestät“81, kābôd „Herrlichkeit, Eh' re“82, tip eret „Herrlichkeit, Ehre“83; GERECHTIGKEIT:84 yāšār „geradsinnig, redlich, gerecht“85, mêšārîm „Gerechtigkeit“86, #addîq „gerecht“87, #edeq „Gerechtigkeit“88, #ĕdāqâ „Gerechtigkeit“89; VERNICHTUNG:90 bd Qal „zu Grunde gehen“91, Pi. „zu Grunde gehen, ausrotten“92, Hi. „vernichten“93, bws Qal „niedertreten“94, bzr Pi. „zerstreuen“95, dk Pi. „zerschlagen“96, hrg Qal 69 17 Belege: Ps 18,3.32.47; 19,15; 28,1; 31,3; 62,3.7.8; 71,3; 73,26; 78,35; 89,27; 92,16; 94,22; 95,1; 144,1. 70 6 Belege: Ps 17,8; 36,8; 57,2; 63,8; 91,1; 121,5. 71 5 Belege: Ps 20,2; 59,2; 69,30; 91,14; 107,41. 72 20 Belege: Ps 16,1; 17,8; 25,20; 34,21; 41,3; 86,2; 89,29; 97,10; 116,6; 121,3.4.5. 7(bis).8; 140,5; 141,9; 145,20; 146,6.9. 73 1 Beleg: Ps 37,28. 74 Insgesamt 102 Belege. 75 5 Belege: Ps 35,27; 40,17; 70,5; 92,6; 104,1. 76 3 Belege: Ps 126,2.3; 138,3. 77 22 Belege: Ps 47,3; 48,2; 57,11; 71,19; 76,2; 77,14; 86,10.13; 95,3(bis); 96,4; 99,2.3; 106,21; 108,5; 111,2; 135,5; 136,4; 138,5; 145,3.8; 147,5. 78 2 Belege: Ps 145,3.6. 79 2 Belege: Ps 79,11; 150,2. 80 11 Belege: Ps 8,6; 21,6; 29,4; 90,16; 96,6; 104,1; 110,3; 111,3; 145,5.12; 149,9. 81 7 Belege: Ps 8,2; 21,6; 96,6; 104,1; 111,3; 145,5; 148,13. 82 46 Belege: Ps 3,4; 8,6; 19,2; 21,6; 24,7.8.9.10(bis); 26,8; 29,1.2.3.9; 30,13; 57,6.9.12; 62,8; 63,3; 66,2(bis); 72,19(bis); 73,24; 79,9; 84,12; 85,10; 96,3.7.8; 97,6; 102,16.17; 104,31; 106,20; 108,2.6; 112,9; 113,4; 115,1; 138,5; 145,5.11.12; 149,5. 83 4 Belege: Ps 71,8; 78,61; 89,18; 96,6. 84 Insgesamt 89 Belege. 85 6 Belege: Ps 19,9; 25,8; 33,4; 92,16; 111,8; 119,137. 86 6 Belege: Ps 9,9; 17,2; 75,3; 96,10; 98,9; 99,4. 87 7 Belege: Ps 7,10.12; 11,7; 116,5; 119,137; 129,4; 145,17. 88 38 Belege: Ps 4,2; 7,18; 9,5.9; 17,1(Apparat).15; 35,24.27.28; 40,10; 45,5.8; 48,11; 50,6; 65,6; 72,2; 85,11.12.14; 89,15; 94,15; 96,13; 97,2.6; 98,9; 118,19; 119,7.62.75.106. 123.138.142.144.160.164.172; 132,9. 89 32 Belege: Ps 5,9; 11,7; 22,32; 24,5; 31,2; 33,5; 36,7.11; 40,11; 51,16; 69,28; 71,2.15.16.19.24; 72,1.3; 88,13; 89,17; 98,2; 99,4; 103,6.17; 111,3; 112,3.9; 119,40.142; 143,1.11; 145,7. 90 Insgesamt 87 Belege. 91 13 Belege: Ps 1,6; 9,4.7; 10,16; 37,20; 49,11; 68,3; 73,27; 80,17; 83,18; 92,10; 102,27; 112,10. 92 3 Belege: Ps 5,7; 9,6; 21,11. 93 2 Belege: Ps 143,12; 146,4. 94 2 Belege: Ps 60,14 = 108,14.

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

„töten“97, hrs Qal „niederreißen, vernichten“98, zrh Pi. „zerstreuen“99, klh Qal „zu Grunde gehen“100, Pi. „erschöpfen, tilgen“101, kr Hi. „in die Knie zwin' gen“102, krt Nif. „vertilgt/ausgerottet werden“103, Hi. „ausrotten“104, ktt Qal „zerstoßen“105, mwt Hi. „töten“106, Pol. „töten, umbringen“107, m # Qal „zer' schlagen“108, nkh Hi. „schlagen“109, Ho. „erschlagen werden“110, npl Hi. „zu Fall bringen, stürzen“111, nt# Qal „zerschlagen“112, rp# Hitp. „niedertreten“113, šmd Nif. „vertilgt/ausgerottet werden“114, Hi. „ausrotten“115, š t Hi. „zerstö' ren, vernichten“116; RECHT UND HERRSCHAFT:117 dyn Qal „richten“118, dîn „das Richten, Recht, Rechtsspruch“119, dāyyān „Richter“120, mlk Qal „König sein“121, melek „König“122, malkût „Königsherrschaft, Königreich“123, mšl Qal „herrschen“124, memšālâ „Herrschaft“125, šp2 Qal „richten“126, Nif. „rechten,

95

1 Beleg: Ps 68,31. 1 Beleg: Ps 89,11. 97 6 Belege: Ps 44,23; 78,31.34.47; 135,10; 136,18. 98 2 Belege: Ps 28,5; 58,7. 99 2 Belege: Ps 44,12; 106,27. 100 3 Belege: Ps 37,20; 39,11; 90,7. 101 5 Belege: Ps 59,14(bis); 74,11; 78,33; 90,9. 102 3 Belege: Ps 17,13; 18,40; 78,31. 103 5 Belege: Ps 37,9.22.28.34.38. 104 5 Belege: Ps 12,4; 34,17; 101,8; 109,13.15. 105 1 Beleg: Ps 89,24. 106 2 Belege: Ps 37,32; 105,29. 107 1 Beleg: Ps 34,22. 108 3 Belege: Ps 68,22; 110,5.6. 109 11 Belege: Ps 3,8; 69,27; 78,20.51.66; 105,33.36; 135,8.10; 136,10.17. 110 1 Beleg: Ps 102,5. 111 3 Belege: Ps 73,18; 106,26.27. 112 1 Beleg: Ps 52,7. 113 1 Beleg: Ps 68,31. 114 3 Belege: Ps 37,38; 83,11; 92,8. 115 1 Beleg: Ps 145,20. 116 6 Belege: Ps 57,1; 58,1; 59,1; 75,1; 78,38; 106,23. 117 Insgesamt 77 Belege. 118 7 Belege: Ps 7,9; 9,9; 50,4; 54,3; 96,10; 110,6; 135,14. 119 3 Belege: Ps 9,5; 76,9; 140,13. 120 1 Beleg: Ps 68,6. 121 6 Belege: Ps 47,9; 93,1; 96,10; 97,1; 99,1; 146,10. 122 20 Belege: Ps 5,3; 10,16; 24,7.8.9.10(bis); 29,10; 44,5; 47,3.7.8; 48,3; 68,25; 74,12; 84,4; 95,3; 98,6; 145,1; 149,2. 123 6 Belege: Ps 45,7; 103,19; 145,11.12.13(bis). 124 5 Belege: Ps 22,29; 59,14; 66,7; 89,10; 103,19. 125 3 Belege: Ps 103,22; 114,2; 145,3. 126 23 Belege: Ps 7,9.12; 9,5.9; 10,18; 26,1; 35,24; 43,1; 50,6; 51,6; 58,12; 67,5; 72,4; 75,3.8; 82,1.8; 94,2; 96,13(bis); 98,9(bis); 109,31. 96

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

47

gerichtet werden“127; ZORN UND STRAFE:128 ap „Zorn“129, np Qal „zür' nen“130, gĕ ārâ „Drohen“131, z m Qal „zürnen“132, za am „Zorn“133, ēmâ „Zorn“134, rh Qal „vor Zorn brennen“135, yk Hi. „zurechtweisen, strafen“136, ysr Qal „unterweisen“137, Pi. „züchtigen, zurechtweisen“138, br Hitp. „zür' nen“139, pqd Qal „heimsuchen“140, q#p Hi. „zürnen“141, qe#ep „Zorn“142; WUNDER UND ZEICHEN:143 ôt „Zeichen“144, môpēt „Wunder“145, pl Nif. „au' ßerordentlich/ wunderbar sein“146, Hi. „wunderbar machen“147, niplā ôt „Wunder“148, pele „Wunder“149, nôrā „Ehrfurcht erheischend“150, nôrā ôt „Ehrfurcht erregende Taten“151; SEGEN:152 brk Pi. „segnen“153, Pu. „gesegnet werden“154, Hitp. „sich Segen wünschen“155, bĕrākâ „Segen“156; SCHÖP' 157 FUNG: br Qal „schaffen“158, Nif. „geschaffen werden“159, yld Qal „gebä' 127

3 Belege: Ps 9,20; 37,33; 109,7. Insgesamt 72 Belege. 129 25 Belege: Ps 2,5.12; 6,2; 7,7; 18,16; 21,10; 27,9; 30,6; 56,8; 69,25; 74,1; 76,8; 77,10; 78,21.31.38.49.50; 85,4.6; 90,7.11; 95,11; 106,40; 110,5. 130 4 Belege: Ps 2,12; 60,3; 79,5; 85,6. 131 4 Belege: Ps 18,16; 76,7; 80,17; 104,7. 132 1 Beleg: Ps 7,12. 133 4 Belege: Ps 38,4; 69,25; 78,49; 102,11. 134 10 Belege: Ps 6,2; 38,2; 59,14; 76,11; 78,38; 79,6; 88,8; 89,47; 90,7; 106,23. 135 2 Belege: Ps 18,8; 106,40. 136 6 Belege: Ps 6,2; 38,2; 50,8.21; 94,10; 105,14. 137 1 Beleg: Ps 94,10. 138 6 Belege: Ps 6,2; 38,2; 39,12; 94,12; 118,18(bis). 139 4 Belege: Ps 78,21.59.62; 89,39. 140 2 Belege: Ps 59,6; 89,33. 141 1 Beleg: Ps 106,32. 142 2 Belege: Ps 38,2; 102,11. 143 Insgesamt 61 Belege. 144 6 Belege: Ps 65,9; 74,9; 78,43; 86,17; 105,27; 135,9. 145 4 Belege: Ps 78,43; 105,5.27; 135,9. 146 2 Belege: Ps 118,23; 139,14. 147 1 Beleg: Ps 31,22. 148 26 Belege: Ps 9,2; 26,7; 40,6; 71,17; 72,18; 75,2; 78,4.11.32; 86,10; 96,3; 98,1; 105,2.5; 106,7.22; 107,8.15.21.24.31; 111,4; 119,18.27; 136,4; 145,5. 149 7 Belege: Ps 77,12.15; 78,12; 88,11.13; 89,6; 119,129. 150 11 Belege: Ps 47,3; 66,3.5; 68,36; 76,8.13; 89,8; 96,4; 99,3; 111,9; 139,14. 151 4 Belege: Ps 45,5; 65,6; 106,22; 145,6. 152 Insgesamt 36 Belege. 153 24 Belege: Ps 5,13; 28,9; 29,11; 45,3; 65,11; 67,2.7.8; 72,15; 107,38; 109,28; 115,12(ter).13.15; 118,26(bis); 128,5; 129,8; 132,15(bis); 134,3; 147,13. 154 3 Belege: Ps 37,22; 112,2; 128,4. 155 1 Beleg: Ps 72,17. 156 8 Belege: Ps 3,9; 21,4.7; 24,5; 37,26; 109,17; 129,8; 133,3. 157 Insgesamt 30 Belege. 158 1 Beleg: Ps 89,13. 128

48

3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

ren“160, Pu. „geboren werden“161, kwn Hi. „gründen, schaffen“162, Pol. „befes' tigen, gründen“163, śh Qal „machen“164, Nif. „gemacht werden“165, Pu. „ge' macht/geschaffen werden“.166 Diese Zusammenstellung mag auf den ersten Blick verwundern. Worte aus den Wortfeldern „Herrlichkeit und Hoheit“ sowie „Güte und Gnade“ mögen nicht unbedingt unter den Manifestationen von Gottes Macht erwartet wer' den. Doch gerade sie treten in den Texten besonders häufig zusammen mit Machtterminologie auf. Etwa jede zweite Aussage über Gottes Güte und Gnade wird im Psalter expressis verbis mit Gottes Macht verbunden; beim Wortfeld „Herrlichkeit und Hoheit“ geschieht es sogar in gut 60 Prozent der Belege. Häufiger kommt dies nur noch vor, wenn von Gottes Wundertaten gesprochen wird. Dann findet sich in knapp Zweidrittel aller Fälle in demsel' ben Text auch ein Wort aus dem Wortfeld „Macht“. Da einige dieser Psalmen Gottes Macht über die Naturgewalten in den Blick nehmen, scheint der Über' gang zu Schöpfungsaussagen nicht weit zu sein. Gemeinhin bilden Schöpfung und Macht eine gedankliche Einheit. Doch im Psalter wird Gottes Schöp' fungshandeln äußerst selten mit Machtterminologie verbunden. Lediglich bei einem Drittel der Schöpfungsbelege findet sich in demselben Psalm auch eine direkte Aussage über Gottes Macht. Seltener ist dies nur noch beim Wortfeld „Gerechtigkeit“ der Fall, wo ein Viertel der Belege explizit mit Gottes Macht verbunden wird. Beides ist unerwartet. Es stellt sich die Frage, warum Gottes Schöpfungshandeln in den Texten sprachlich nicht enger an seine Macht gebunden wird. Ebenso muss ergründet werden, wie sich Gottes Macht und seine Gerechtigkeit zueinander verhalten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Gottes Straf' und Vernichtungshandeln im Psalter oft zusammen mit Machtterminologie auftritt.167 Antwort auf diese Fragen wird die Interpreta'

159

1 Beleg: Ps 148,5. 1 Beleg: Ps 2,7. 161 4 Belege: Ps 87,4.5.6; 90,2. 162 2 Belege: Ps 65,7; 74,16. 163 3 Belege: Ps 8,4; 24,2; 119,73. 164 16 Belege: Ps 86,9; 95,5.6; 96,5; 100,3; 104,19.24; 115,15; 119,73; 121,2; 124,8; 134,3; 136,5.7; 146,6; 149,2. 165 1 Beleg: Ps 33,6. 166 1 Beleg: Ps 139,15. 167 Worte aus dem Wortfeld „Vernichtung“ werden in 58 Prozent aller Fälle explizit mit Machtterminologie verbunden, beim Wortfeld „Zorn und Strafe“ liegt das Zusammentref' fen bei 53 Prozent. Die verbleibenden Wortfelder zeigen nur geringe Abweichungen im Blick auf die Häufigkeit, mit der in demselben Text auch expressis verbis von Gottes Macht gesprochen wird. Die Schnittmenge liegt – je nach Themenbereich – bei 45 bis 36 Prozent. Im Einzelnen ergeben sich folgende Verteilungsverhältnisse: Schutz und Zu' flucht (45 Prozent), Rettung und Hilfe (44 Prozent), Recht und Herrschaft (40 Prozent), Segen (36 Prozent). 160

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

49

tion der Psalmen ergeben müssen, vor allem der Psalmen, in denen Schöp' fung und Gerechtigkeit zum Thema werden.168 Als Kriterium, ein Wort als Manifestation von Gottes Macht anzusehen, war festgelegt worden, dass es mindestens in einem Text expressis verbis mit Macht verbunden wird. Der Befund zeigt jedoch, dass alle auf diese Weise ermittelten Manifestationen von Gottes Macht deutlich häufiger zusammen mit Machtterminologie auftreten. Selbst bei den Manifestationen aus dem Wortfeld „Gerechtigkeit“, die am seltensten explizit mit Macht verbunden werden, ist dies noch bei jedem vierten Beleg der Fall. Die Ermittlung der Manifestationen unter diesem Kriterium hat sich damit als sachgemäß erwie' sen. Im Folgenden soll versucht werden, anhand der Manifestationen erste Er' kenntnisse über den Charakter von Gottes Macht zu gewinnen. Blickt man auf die einzelnen Wortfelder, so ist zunächst ihr unterschiedlich großer Um' fang unverkennbar.169 Die mit Abstand größte Gruppe innerhalb der Manifes' tationen bildet mit 23 Prozent aller Belege das Wortfeld „Rettung und Hilfe“, gefolgt von „Güte und Gnade“ (16 Prozent) und „Schutz und Zuflucht“ (12 Prozent). Die verbleibenden Manifestationen bilden acht kleinere Wort' felder, von denen keines zehn Prozent übersteigt. Eine besonders geringe Belegfrequenz weisen darunter mit weniger als drei Prozent die Schöpfungs' aussagen auf.170 Die Häufigkeit, mit der die einzelnen Wortfelder auftreten, spiegelt die thematischen Schwerpunkte des Psalters wider. Die klare Dominanz der Wortfelder „Rettung und Hilfe“ sowie „Schutz und Zuflucht“ – zusammen umfassen sie mehr als ein Drittel aller Manifestationen – entspricht den Situa' tionen, für die die große Mehrheit der Psalmen formuliert ist. Der Einzelne wie auch das Volk wenden sich in der Not an Gott. Sie bitten ihn ebenso um Rettung oder Schutz, wie sie ihm nach erfolgter Hilfe für sein Eingreifen danken. Psalmen sind Formulartexte, die nicht für das spezielle Anliegen eines Einzelnen oder eine konkrete Bedrohungssituation des Volkes konzi' piert worden sind. Bei ihrer Formulierung sind daher bewusst Worte gewählt worden, die einen breiten Assoziationshorizont bieten, damit diese Texte möglichst vielen Menschen zu allen Zeiten als Gebete dienen konnten. Das Vokabular der Rettung und Hilfe bietet sich dafür besonders an. 168

Siehe unten Kapitel 4.2.1; 4.2.4 und 5.3.2. Einige Wortfelder bestehen dabei aus vielen verschiedenen Worten, andere dagegen aus wenigen. Ein Kausalnexus zwischen der Größe des Wortfeldes und der Anzahl an Einzelworten ist nicht erkennbar. So umfasst das Wortfeld „Gerechtigkeit“ bei 89 Belegen fünf Worte, und damit ebenso viele wie das Wortfeld „Schöpfung“, das lediglich 30 Belege aufweist. 170 „Herrlichkeit und Hoheit“ (9 Prozent), „Gerechtigkeit“ (8 Prozent), „Vernichtung“ (8 Prozent), „Recht und Herrschaft“ (7 Prozent), „Zorn und Strafe“ (6 Prozent), „Wunder und Zeichen“ (5 Prozent), „Segen“ (3 Prozent), „Schöpfung“ (3 Prozent). 169

50

3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

Die thematischen Bereiche, die nur geringe Belegfrequenzen aufweisen, sind dem Psalter dagegen aus anderen theologischen Traditionen zugewach' sen. So gehören schöpfungstheologische Aussagen allenfalls zum festen In' ventar der hymnischen Dichtung, die primär die Schöpfung preist, aber kaum ihre Konstitution thematisiert. Trotz der häufigen Bitten um Gottes gnädige Zuwendung wird im Psalter selten von Gottes Segen gesprochen, weil Segen primär zum priesterlichen Handeln im offiziellen Kult gehört und daher nicht in Formularen für das Gebet des Einzelnen seinen ursprünglichen Ort hat. Die thematischen Schwerpunkte des Psalters dürften somit eine Erklärung dafür bieten, warum einige Wortfelder unter den Manifestationen höhere Belegfrequenzen aufweisen als andere. Gleichwohl kann es für das Wesen von Gottes Macht nicht ohne Bedeutung sein, welche Wortfelder unter den Manifestationen am häufigsten auftreten. In den Manifestationen konkreti' siert sich Gottes Macht. Wenn also im Psalter Gottes rettende und schützende Zuwendung zum Menschen nicht nur einen breiten Raum einnimmt, sondern dies in den Texten auch explizit mit Macht verbunden wird, liegt die Vermu' tung nahe, dass Gottes Macht über die Erfordernisse der Gebetspraxis hinaus primär soteriologischen Charakter hat. Dafür spricht ferner, dass in den Psalmen, die Gottes Macht explizit the' matisieren, in fast 75 Prozent der Fälle auch von Gottes Rettungshandeln gesprochen wird. Mit anderen Worten: In Dreiviertel aller Texte, die direkt von Gottes Macht sprechen, sei es durch einen Machtterminus oder ein ande' res Wort aus dem Wortfeld „Macht“, wird Gottes Macht durch seine rettende und helfende Zuwendung zu den Menschen konkretisiert. Dieser Befund kann nicht leicht überschätzt werden, zumal kein anderes Wortfeld häufiger in den Psalmen belegt ist, die Gottes Macht terminologisch verdichten. Es kommt noch hinzu, dass jedes Wortfeld innerhalb der Manifestationen am häufigsten zusammen mit dem Wortfeld „Rettung und Hilfe“ auftritt. Je nach Wortfeld liegt die Wahrscheinlichkeit, dass neben einer beliebigen Manifestation in demselben Text auch ein Wort aus dem Wortfeld „Rettung und Hilfe“ auftritt, bei 57–78 Prozent.171 Dieser Befund kann kaum anders gedeutet werden, als dass sich in Gottes Rettungshandeln nicht nur ein, sondern das entscheidende Charakteristikum seiner Macht manifestiert. Ein Hinweis darauf, wie Gottes Rettung bringende Zuwendung zum Menschen zu verstehen ist, kann ebenfalls dem Zusammen' spiel der Manifestationen in den Texten entnommen werden. Das Wortfeld 171 Im Folgenden wird angeführt, in wieviel Prozent der Fälle in einem Psalm, in dem eine Manifestation aus dem entsprechenden Wortfeld belegt ist, auch ein Wort aus dem Wortfeld „Rettung und Hilfe“ vorkommt: „Schutz und Zuflucht“ (78 Prozent), „Güte und Gnade“ (77 Prozent), „Zorn und Strafe“ (77 Prozent), „Gerechtigkeit“ (74 Prozent), „Wunder und Zeichen“ (74 Prozent), „Recht und Herrschaft“ (70 Prozent), „Herrlichkeit und Hoheit“ (59 Prozent), „Segen“ (59 Prozent), „Schöpfung“ (58 Prozent) sowie „Ver' nichtung“ (57 Prozent).

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

51

„Rettung und Hilfe“ tritt am häufigsten zusammen mit dem Wortfeld „Güte und Gnade“ auf,172 das seinerseits zusammen mit fast allen anderen Manifes' tationen am zweithäufigsten vorkommt.173 Ist diese Verteilung schon aussa' gekräftig, so erweist sich für die Frage, wie sich Güte und Gnade zu Gottes Macht verhalten, als noch erhellender, dass in mehr als der Hälfte der Psal' men, die explizit von Gottes Macht sprechen, auch eine Aussage über seine Güte und Gnade zu finden ist. Damit legt sich nahe, dass Gottes Rettungshandeln am Menschen als Aus' druck seiner Güte und Gnade verstanden wird. Beide Manifestationen kon' kretisieren den Charakter von Gottes Macht und nehmen dabei zwei unter' schiedliche Seiten seiner Macht in den Blick. Fängt das Wortfeld „Rettung und Hilfe“ primär Gottes Wirken, seine Macht im Vollzug ein, zielt das Wortfeld „Güte und Gnade“ stärker auf die Beschreibung von Gottes Wesen und stellt den Charakter seiner Macht genau in dieses Licht. Beide Wortfelder explizieren Gottes Macht komplementär. Rettung und Güte scheinen die beiden zentralen Charakteristika seiner Macht zu sein, in deren Licht alle anderen Machtanteile, die die verbleiben' den Wortfelder repräsentieren, zu verstehen sind. Gottes Rettungshandeln umschließt im Psalter offensichtlich all sein Wirken; nichts vermag sein Han' deln treffender zu charakterisieren. Gottes Rettungstaten kann man vielleicht seine opera ad extra nennen, die ihren Grund in seiner Selbstbestimmung zur Güte als seinem wesentlichen Charakteristikum ad intra haben. Alle übrigen Manifestationen von Gottes Macht haben ihre Stellung immer in Relation zu seinem Rettungshandeln und seiner Güte. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass auch Gottes Macht primär durch den Konnex seines rettenden Han' delns mit seinem gütig'gnädigen Wesen geprägt wird. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, welchen Stellenwert Gottes Straf' und Vernichtungshandeln einnimmt. Wird in einem Text davon ge' sprochen, dass Gott straft, findet sich in der Hälfte der Fälle in demselben 172

Wird in einem Psalm von Gottes Rettungshandeln gesprochen, findet sich in mehr als der Hälfte der Texte auch ein Verweis auf Gottes Güte und Gnade, im umgekehrten Fall ist dies sogar in Dreiviertel der Texte der Fall. 173 Die einzigen Ausnahmen bilden die Wortfelder „Recht und Herrschaft“ und „Schöp' fung“. Auf Grund des inhaltlichen Fokus verwundert es nicht, dass beim Wortfeld „Recht und Herrschaft“ am zweithäufigsten Aussagen über Gottes Gerechtigkeit zu finden sind, bei den Schöpfungsaussagen ist dies ein Verweis auf Gottes Hoheit und Herrlichkeit. Bei den noch verbleibenden Wortfeldern ergibt sich im Einzelnen folgende Verteilung, wobei angeführt wird, in wieviel Prozent der Fälle in einem Psalm, in dem eine Manifestation aus dem jeweiligen Wortfeld belegt ist, auch ein Wort aus dem Wortfeld „Güte und Gnade“ vorkommt: „Zorn und Strafe“ (63 Prozent), „Gerechtigkeit“ (61 Prozent), „Wunder und Zeichen“ (58 Prozent), „Rettung und Hilfe“ (55 Prozent), „Herrlichkeit und Hoheit“ (53 Prozent), „Schutz und Zuflucht“ (51 Prozent), „Vernichtung“ (50 Prozent), „Segen“ (41 Prozent), „Recht und Herrschaft“ (35 Prozent), „Schöpfung“ (33 Prozent).

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

Text auch eine Aussage über Gottes Vernichtungshandeln, im umgekehrten Fall liegt das Zusammentreffen beider lediglich bei einem Drittel. Auf Grund der inhaltlichen Nähe der Wortfelder „Zorn und Strafe“ und „Vernichtung“ wäre ein häufigeres Zusammentreffen zu erwarten gewesen.174 Doch der Psal' ter setzt einen anderen Schwerpunkt. In Zweidrittel aller Texte, in denen davon gesprochen wird, dass Gott straft oder vernichtet, haben Manifestati' onen aus dem Wortfeld „Rettung und Hilfe“ sowie „Güte und Gnade“ Ge' wicht. Die bedrohliche Seite von Gottes Macht hat nicht das letzte Wort. Sie bekommt in den allermeisten Fällen ihren relativen Stellenwert durch Gottes rettendes Eingreifen als Ausdruck seiner Güte. Abgesehen von Ps 39 und 95 endet kein Text im Psalter mit Gottes Straf' oder Vernichtungshandeln. Es folgt vielmehr noch mindestens eine Manifestation von Gottes Macht, die positiv konnotiert ist. Dies kann kein Zufall sein. Auch wenn sich Gottes Macht als vernichtend erweist, wird sie dominant von Gottes Willen zur Ret' tung und sein Zorn von seiner Güte umfangen. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die Wortfelder „Vernichtung“ sowie „Zorn und Strafe“ in mehr als einem Viertel der Texte mit dem Wortfeld „Recht und Herrschaft“ oder „Gerechtigkeit“ verbunden werden. Dadurch ergibt sich eine weitere Relativierung der negativen Potenz von Gottes Macht. Dies gilt cum grano salis auch für die verbleibenden Machtaspekte, die sich in den übrigen Wortfeldern manifestieren. In ihrer Summe umfassen die Manifestationen mit Abstand die meisten Aussagen über Gottes Macht. Fast in jedem Text des Psalters ist mindestens eine zu finden. Dies verwundert nicht. Wer im Tempel beten will, braucht Texte, die nicht nur sein Anliegen artikulieren, sondern dies mit Worten tun, die den individuellen Anlass zum Gebet in einen größeren Kontext stellen. Dies gelingt, wenn in den Texten beschreibende Passagen überwiegen, in denen in prägnanten und eindringlichen Worten verdichtete Gotteserfahrung vieler zum Ausdruck gebracht wird. Nicht nur Lob', Dank' oder Klagepsal' men haben diese Struktur. Auch in Hymnen wird Gottes Lobpreis umfassend entfaltet. Neben zahlreichen Manifestationen seiner Macht stehen dabei se' mantische und terminologische Verdichtungen. Lediglich beim Mischungs' verhältnis der Ausdrucksweisen liegt der Schwerpunkt im Psalter auf be' schreibenden Passagen. Statistisch gesehen müssten in jedem der 143 Psalmen, in denen Manifes' tationen von Gottes Macht auftreten, acht belegt sein. Dies entspricht jedoch nicht der Verteilungsrealität. Wie viele Manifestationen in einem Psalm vor' 174

Hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Wortfeldern „Rettung und Hilfe“ so' wie „Schutz und Zuflucht“. Auf Grund ihrer semantischen Nähe wäre zu erwarten gewe' sen, dass sie in den einzelnen Psalmen am häufigsten miteinander verbunden werden. Doch in den Texten tritt jedes der beiden Wortfeld in den allermeisten Fällen zusammen mit Manifestationen aus dem Wortfeld „Güte und Gnade“ auf.

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

53

kommen, ist nicht primär vom Umfang des Psalms abhängig. So finden sich in Ps 86, der siebzehn Verse umfasst, achtzehn Manifestationen, wohingegen in Ps 49 bei einer Länge von einundzwanzig Versen lediglich zwei Manifes' tationen auftreten. Dabei wird in Ps 49 – wie in jedem vierten Psalm – Gottes Macht allein durch Manifestationen zum Ausdruck gebracht.175 Dies deutet darauf hin, dass es inhaltliche Gründe für die Häufung der Manifestationen in einzelnen Psalmen gibt. Sie stehen eher selten in Zusammenhang mit explizi' ten Äußerungen über Gottes Macht. Alle Manifestationen eint, dass sie auf indirekte Art und Weise Gottes Macht zum Ausdruck bringen. Sie setzen in den Texten Gottes Wesen und Wirken ins Zentrum, in denen seine Macht für den Menschen erkenn' und erfahrbar wird. Primäres Anliegen der Manifestationen ist die situationsbezo' gene Verbalisierung von Israels Erfahrungen mit seinem Gott. Indem sie diese sprachlich bündeln und in einem gewissen Grade generalisieren, treffen sie zugleich indirekte Aussagen über Gottes Macht. Bei den Machttermini zeigt sich genau das umgekehrte Bild: Sie wollen Gottes Macht in einem Begriff sprachlich verdichten. Die hinter den einzelnen Machttermini stehen' den Gotteserfahrungen sind dabei nicht mehr unmittelbar greifbar. Haben diese auch zur Begriffsbildung beigetragen, gilt gleichwohl, dass es nicht möglich ist, ein adäquates Verständnis von Gottes Macht allein über die Ma' nifestationen zu gewinnen. Dazu ist es erforderlich, alle, vor allem die direk' ten Aussagen über Gottes Macht, die Machttermini, heranzuziehen und in ihrem Kontext zu betrachten. Bevor dies geschieht, muss jedoch der Stellen' wert der Machtmetaphern und der Gottesnamen untersucht werden. 3.2.3 Metaphern für Gottes Macht Folgende Worte der Körpersprache sind, auf Gott appliziert, in den Psalmen als Machtmetaphern zu klassifizieren: e#ba „Finger“176, zĕrô a „Arm“177, yād „Hand“178, yāmîn „rechte Hand“179, kap „Hand“180, qeren „Horn“181 und

175

In folgenden 58 Psalmen finden sich ausschließlich Manifestation von Gottes Macht: Ps 1; 2; 3; 4; 5; 6; 9; 11; 12; 13; 14; 23; 25; 26; 33; 34; 35; 36; 40; 41; 42; 45; 49; 51; 53; 55; 56; 58; 64; 67; 70; 72; 85; 94; 100; 101; 103; 112; 113; 114; 115; 116; 117; 120; 121; 122; 123; 124; 126; 128; 129; 130; 133; 134; 135; 141; 146; 148; 149. 176 1 Beleg: Ps 8,4. 177 9 Belege: Ps 44,4; 71,18; 77,16; 79,11; 89,11.14.22; 98,1; 136,12. 178 39 Belege: Ps 8,7; 10,12.14; 17,14; 19,2; 28,5; 31,6.16; 32,4; 37,33; 38,3; 39,11; 44,3; 74,11; 75,9; 78,42; 80,18; 81,15; 88,6; 89,14.22; 92,5; 95,4.5.7; 102,26; 104,28; 106,26; 109,27; 111,7; 119,73.173; 136,12; 138,7.8; 139,10; 143,5; 144,7; 145,16. 179 23 Belege: Ps 16,11; 17,7; 18,36; 20,7; 44,4; 48,11; 60,7; 63,9; 74,11; 77,11; 78,54; 80,16.18; 89,14; 98,1; 108,7; 110,1; 118,15.16(bis); 138,7; 139,10; 142,5. 180 1 Beleg: Ps 139,5. 181 1 Beleg: Ps 18,3.

54

3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

regel „Fuß“.182 Mit 77 Belegen in 48 Einzeltexten bilden sie im Psalter die drittgrößte Gruppe der Redeweisen von Gottes Macht. Es ist evident, dass im Psalter ausschließlich Körperteile, die physische Kraftausübung ermöglichen, als Machtmetaphern gebraucht werden. Unter ihnen kommt yād „Hand“ besondere Bedeutung zu. Yād ist nicht nur im Psal' ter, sondern auch darüber hinaus die Machtmetapher, die am häufigsten mit Gott verbunden wird, insgesamt 239'mal.183 Damit gibt es im Alten Testa' ment mehr Belege für Gottes yād „Hand“ als für die vier zentralen Machtter' mini gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz zusammen, die 150'mal in Verbindung mit Gottes auftreten. Dies zeigt, dass yād bei der Wahrnehmung von Gottes Macht im Alten Testament eine wichtige Rolle spielt. So auch im Psalter. Doch anders als in den übrigen Schriften des Alten Testaments kommt dort den Machttermini eine noch größere Bedeutung zu. Davon zeugen 73 Aussagen über Gottes Macht, die durch einen der vier zentralen Macht' termini getroffen werden, gegenüber 39 Belegen für Gottes yād „Hand“. Dass yād im Alten Testament die am häufigsten belegte Machtmetapher ist, verwundert nicht. Mit der Hand können viele verschiedene Handlungen ausgeführt werden, die Macht symbolisieren und in denen sich Macht mani' festiert. Als Metapher gebraucht, steht die Hand für eine unspezifische Macht' und Kraftfülle, bleibt aber zugleich transparent für eine Vielzahl kon' kreter Handlungen, die mit ihr ausgeübt werden können. Dies verleiht der Metapher größtmögliche Anschaulichkeit. Primär steht yād im Alten Testament für die Hand bzw. Macht des Men' schen, häufig auch der Feinde, Fremdvölker oder ihrer Könige. Doch knapp 240'mal wird im Alten Testament auch von Gottes Hand gesprochen. Auf den ersten Blick scheinen Machttermini und die Hand in den Texten nahezu synonym gebraucht zu werden. Genaue Analyse beider Ausdrucksweisen 182

3 Belege: Ps 18,10; 99,5; 132,7. Vgl. Gen 49,24; Ex 3,20; 6,8; 7,4.5; 9,3.15; 13,3.9.14.16; 14,31; 15,17; 16,3; 24,11; 32,11; Num 11,23; 14,30; Dtn 2,15; 3,24; 4,34; 5,15; 6,21; 7,8.19; 9,26; 11,2; 26,8; 32,39.40.41; 33,3; Jos 4,24; 22,31; Ri 2,15; 1 Sam 4,8; 5,6.7.9.11; 6,3.5.9; 7,13; 12,15; 2 Sam 24,14.17; 1 Kön 8,15.24.42; 18,46; 2 Kön 3,15; Jes 1,25; 5,12.25(bis); 8,11; 9,11.16.20; 10,4.32; 11,11.15; 14,26.27; 19,16.25; 23,11; 25,10.11; 26,11; 29,23; 31,3; 34,17; 40,2; 41,20; 43,13; 45,11.12; 48,13; 49,2.22; 50,2.11; 51,16.17; 59,1; 60,21; 62,3; 64,7; 65,2; 66,2.14; Jer 1,9; 6,9.12; 15,6.17; 16,21; 18,6; 21,5; 25,15.17; 32,21; 51,7.25; Ez 1,3; 2,9; 3,14.22; 6,14; 8,1.3; 13,9; 14,9.13; 16,27; 20,5(bis).6.15.22.23.28.33.34.42; 21,16; 25,7.13.16; 33,22; 35,3; 36,7; 37,1.19; 39,21; 40,1; 44,12; 47,14; Hos 2,12; Am 1,8; 7,7; 9,2; Mi 5,8; Hab 3,4; Zeph 1,4; 2,13; Sach 13,7; Ps 8,7; 10,12.14; 17,14; 19,2; 28,5; 31,6.16; 32,4; 37,33; 38,3; 39,11; 44,3; 74,11; 75,9; 78,42; 80,18; 81,15; 88,6; 89,14.22; 92,5; 95,4.5.7; 102,26; 104,28; 106,26; 109,27; 111,7; 119,73.173; 136,12; 138,7.8; 139,10; 143,5; 144,7; 145,16; Prov 21,1; Hi 1,11; 2,5; 5,18; 6,9; 10,7.8; 12,9.10; 14,15; 19,21; 23,2; 26,13; 27,11.22; 30,21; 34,19; Ruth 1,13; Klgl 1,14; 2,8; 3,3; Koh 2,24; 9,1; Dan 9,15; 10,10; Esr 7,6.9.28; 8,18.22.31; Neh 1,10; 2,8.18; 1 Chr 4,10; 21,13.17; 28,19; 29,12(bis).14.16; 2 Chr 6,4.15.32; 20,6; 29,25; 30,12. 183

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

55

lässt jedoch einen erheblichen Unterschied zwischen der Identifikation von Gottes Macht durch einen Machtterminus oder die Metapher der Hand erken' nen. Ist im ersten Fall Gottes Macht bis auf wenige Ausnahmen Rettungs' macht für den Einzelnen oder das Volk, kann sich Gottes Hand auch gegen die Seinen richten. Diese negative Potenz der Macht Gottes, die für Israel nicht nur bedrohlich, sondern auch vernichtend sein kann, wird im Alten Testament bei etwas weniger als einem Fünftel der Belege von Gottes yād in den Blick genommen.184 Die Aussagen sind nicht gleichmäßig über das Alte Testament verteilt. Es zeigen sich vielmehr deutliche Schwerpunkte im Jesa' ja', Ezechiel' und Hiobbuch. Im Psalter richtet sich Gottes yād dagegen sehr selten, insgesamt nur viermal, gegen den Einzelnen oder das Volk.185 In der großen Mehrheit der Belege ist Gottes Hand – wie auch die übrigen Macht' metaphern und Machttermini186 – positiv konnotiert. Dies ist, abgesehen von yād „Hand“, auch bei allen anderen Metaphern der Fall, die außerhalb des Psalters für Gottes Macht stehen. In 103 der insgesamt 109 Belege für Gottes e#ba „Finger“,187 zĕrô a „Arm“,188 yāmîn „rechte Hand“,189 kap „Hand“,190 qeren „Horn“191 und regel „Fuß“192 im Alten Tes' tament wird geschildert, dass er seine Macht zu Gunsten der Seinen ein' setzt.193 Durch die genannten Machtmetaphern – und grosso modo durch fast alle Machttermini194 – wird somit auch außerhalb des Psalters eine für das 184 Vgl. Ex 16,3; Jos 22,31; Ri 2,15; 1 Sam 12,15; 2 Sam 24,17; Jes 1,25; 5,25(bis); 9,11.16.20; 10,4.32; 31,3; 40,2; 50,11; 51,17; Jer 6,9.12; 15,6.17; 18,6; 21,5; Ez 6,14; 13,9; 14,9.13; 16,27; 20,15.23.33.34; 21,16; 44,12; Hos 2,12; Am 7,7; 9,2; Zeph 1,4; Ps 32,4; 38,3; 39,11; 106,24; Hi 1,11; 2,5; 6,9; 10,7; 19,21; 23,2; 30,21; Ruth 1,13; Klgl 1,14; 2,8; 3,3; 1 Chr 21,17. 185 Vgl. Ps 32,4; 38,3; 39,11; 106,26. 186 Die einzige Ausnahme bildet ōz „Macht“ in Ps 90,11. 187 Vgl. Ps 8,6. 188 Vgl. Ex 6,6; 15,16; Dtn 4,34; 5,15; 7,19; 9,29; 11,2; 26,8; 33,27; 1 Kön 8,42; 2 Kön 17,36; Jes 30,30; 33,2; 40,10.11; 48,14; 51,5(bis).9; 52,10; 53,1; 59,16; 62,8; 63,5.12; Jer 21,5; 27,5; 32,17; Ez 20,33.34; Hos 11,3; Ps 44,4; 71,18; 77,16; 79,11; 89,11.14.22; 98,1; 136,12; 2 Chr 6,32. 189 Vgl. Ex 15,6(bis).12; Dtn 33,2; 1 Kön 22,19; Jes 41,10.13; 48,13; 62,8; 63,12; Jer 22,24; Ps 16,11; 17,7; 18,36; 20,7; 44,4; 48,11; 60,7; 63,9; 74,11; 77,11; 78,54; 80,16.18; 89,14; 98,1; 108,7; 110,1; 118,15.16(bis); 138,7; 139,10; 142,5; Kl 2,3.4; 2 Chr 18,18. 190 Vgl. Ex 33,22.23; Jes 49,16; 62,3; Ez 21,22; 22,13; Ps 139,5; Hi 10,3; 13,21; 22,30; 36,32; Esr 8,31. 191 Vgl. 2 Sam 22,3; Hab 3,4; Ps 18,3. 192 Vgl. Ex 24,10; Dtn 33,3; 2 Sam 22,10; 1 Kön 5,17; Jes 41,2.3; 66,1; Ez 43,7; Nah 1,3; Sach 14,4; Ps 18,10; 99,5; 132,7; Klgl 2,1; 1 Chr 28,2; 2 Chr 33,8. 193 Vgl. zu den sechs Ausnahmen Jer 21,5 (zĕrô a „Arm“); Hi 13,21; Ez 21,22; 22,13 (kap „Hand“); Ps 77,11; Klgl 2,4 (yāmîn „rechte Hand“). 194 Lediglich in elf der insgesamt 198 Belege für Gottes Macht, die durch ein Wort aus dem Wortfeld „Macht“ getroffen werden, wird diese vom Volk oder dem Einzelnen als

56

3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

Volk oder den Einzelnen positive Potenz artikuliert. Mag diese Beobachtung auf den ersten Blick banal erscheinen, ist sie in ihrer Tragweite kaum zu überschätzen. Sie weist deutlich darauf hin, dass Gottes Macht dem Wesen nach Rettungsmacht ist. Dies deckt sich im Psalter mit dem Befund der Manifestationen von Gottes Macht. In fast 90 Prozent der 1150 Belege manifestiert sich Gottes Macht als eine dem Menschen dienende Potenz, die Leben ermöglicht und bewahrt, was sich vor allem in Rettung und Schutz konkretisiert. Musste bei den Manifes' tationen noch aus der jeweiligen Verbalisierung auf Gottes Macht geschlos' sen werden, so gilt für die Metaphern, dass sie Gottes Macht nachgerade verkörpern. Sie eröffnen sprachlich einen direkteren Zugang zu Gottes Macht als die Manifestationen, die einen indirekten gewähren. 3.2.4 Macht in Gottes Namen und Epitheta Nicht weniger deutlich ist der Machtaspekt vor allen in den Gottesnamen erkennbar, die semantisch oder metaphorisch das Element der Macht beinhal' ten. Im Psalter handelt es sich dabei um ābbîr Ya ăqōb „Starker Jakobs“195, Yhwh 9ĕbā ôt „Jhwh Zebaoth“196 sowie elyôn „Höchster“197. Zusammen sind sie 38'mal im Psalter belegt und bilden damit die kleinste Wortgruppe, die Gottes Macht zum Ausdruck bringt.198 Die Bedeutung der Gottesnamen ist für die Wahrnehmung von Gottes Macht ein kom' plexes Feld. Das trifft vor allem für den Eigennamen Jhwh und seine Repräsentation durch šēm „Name“ zu.199 Beide haben theologisch die gleiche Valenz, so dass sie in den Psalmen ambivalent oder bedrohlich empfunden (vgl. Jes 33,13; Ps 90,11; Hi 9,4.19; 12,13.16; 16,14; 26,14; 30,18; Esr 8,22; 2 Chr 25,8). 195 2 Belege: Ps 132,2.5. 196 15 Belege: Ps 24,10; 46,8.12; 48,9; 59,6; 69,7; 80,5.8.15.20; 84,2.4.9.13; 89,9, ein' schließlich Yhwh ( ĕlōhîm) 9ĕbā ôt. 197 21 Belege: Ps 7,18; 9,3; 18,14; 21,8; 46,5; 47,3; 50,14; 57,3; 73,11; 77,11; 78,17. 35.56; 82,6; 83,19; 87,5; 91,1.9; 92,2; 97,9; 107,11. 198 Der kaum zu übersetzende Gottesname ( ēl) Šadday, der in der Kurzform auch zweimal im Psalter belegt ist (Ps 68,15; 91,1), wird dagegen nicht mit in die Untersuchung einbezogen. Bisher ist noch keine überzeugende Etymologie für Šadday vorgelegt worden, so dass sich nicht entscheiden lässt, ob oder inwieweit das Element der Macht in diesem Gottesnamen enthalten ist. Auch die Septuaginta kann hier keine Klarheit schaffen. Die fast durchgängige Wiedergabe von Šadday mit „Allmächtiger“ im Hiobbuch ist weniger Übersetzung als Ausdruck des Ringens um ein angemessenes Gottesverständnis im Angesicht von Hiobs Leid. Zu den Versuchen, ēl Šadday etymologisch zu bestimmen, vgl. die Auflistung bei WEIPPERT, Šaddaj, 873–881, die einen guten Überblick bis 1976 bietet; für neuere Ansätze vgl. KNAUF, El Šaddai, 85; NIEHR/STEIN, šaddaj, 1078–1104; ferner den Artikel von KNAUF, Shadday, 749–753. 199 Von den 109 Belegen für šēm „Name“ im Psalter beziehen sich 103 Belege auf Gott: Ps 5,12; 7,18; 8,2.10; 9,3.11; 18,50; 20,2.6.8; 22,23; 23,3; 25,11; 29,2; 31,4; 33,21; 34,4; 41,6; 44,6.9.21; 45,18; 48,11; 52,11; 54,3.8; 61,6.9; 63,5; 66,2.4; 68,5(bis); 69,31.37;

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

57

ex aequo zur Anrufung Gottes gebraucht werden können.200 Gottes Beziehungswille zum Menschen manifestiert sich in seinem Namen. Die Kenntnis des Gottesnamens ist Voraus' setzung dafür, dass sich der Einzelne wie das Volk im Gebet an seinen Gott wenden kann. Im Psalter werden ganz unterschiedliche Aspekte mit Gottes šēm „Namen“ verbun' den.201 Am häufigsten ist das Gotteslob durch den Preis seines Namens bezeugt.202 Dies ist eng mit dem Aspekt der Manifestation von Gottes Präsenz verknüpft, besonders deutlich in Ps 29,2; 96,8 ebenso in der Bitte um die rettende Gegenwart Gottes durch Anrufung des Namens203. Es zeigt sich, dass šēm „Name“ offensichtlich mehr auf die Artikulation der Gegenwart Gottes zielt als auf seine Macht. Sachtheologisch wäre die Untersuchung von Jhwh und šēm „Name“ in diesem Zusammenhang naheliegend, da auch hier Machtaspekte artikuliert sein können. Dies ist jedoch schwer zu verifizieren und auf Grund der Belegfülle in dieser Untersuchung ohnehin nicht zu leisten. Im Blick auf die Frage, inwieweit der Machtaspekt an Gottes Eigennamen Jhwh gebun' den ist, sei Millards These erwähnt, die er im Rahmen seiner Erklärung für das vermehrte Auftreten von ĕlōhîm im sogenannten Elohistischen Psalter (Ps 42–83) aufstellt: „Das Zurücktreten des Gottesnamens ist die Darstellung seiner gegenwärtigen Machtlosigkeit, das Aussprechen des Gottesnamens erwartet Gottes künftige Macht.“204 Geht man davon aus, dass Gottes Macht am direktesten durch Machtterminologie zum Ausdruck gebracht wird, so sind hier zwei Aspekte von Bedeutung. Zunächst fällt auf, dass im Elohistischen Psalter auffällig viele Worte aus dem Wortfeld „Macht“ vorkommen. Jeder zweite Beleg von absolut gebrauchtem ĕlōhîm im Elohistischen Psalter tritt dabei in einem Psalm auf, in dem Gottes Macht auch terminologisch verdichtet wird, und somit häufiger, als dies bei Jhwh/Jh der Fall ist, wo es nur 46 Prozent sind. Im Blick auf den gesamten Psalter ergibt sich ein ähnliches Verteilungsverhältnis: In 46 Prozent aller Fälle wird bei absolut gebrauchtem ĕlōhîm in demselben Text Gottes Macht auch terminolo' gisch verdichtet, wohingegen dies bei Jhwh/Jh nur in 35 Prozent der Fälle geschieht. Es stellt sich daher die Frage, ob man den statistischen Befund in Millards Sinne deuten mag oder es nicht eher geboten erscheint, der vorgeschlagenen engen Verknüpfung von Macht und Eigennamen im Elohistischen Psalter mit Skepsis zu begegnen.

Unter den für die Untersuchung relevanten Gottesnamen kommt dem erwei' tertem Eigenamen Yhwh 9ĕbā ôt besondere Bedeutung zu. Die übliche Über' setzung mit „Herr der Heerscharen“ ist vom hebräischen Befund her nicht unproblematisch, da ein Eigenname als Regens nicht in eine Constructus' verbindung eintreten kann. Gleichwohl ist 9ĕbā ôt Plural des Substantivs #ābā „Heer“, das dem Eigennamen Jhwh beigestellt worden ist. Şābā 72,17(bis).19; 74,7.10.18.21; 75,2; 76,2; 79,6.9(bis); 80,19; 83,17.19; 86,9.11.12; 89,13. 17.25; 91,14; 92,2; 96,2.8; 99,3.6; 100,4; 102,16.22; 103,1; 105,1.3; 106,8.47; 109,21; 111,9; 113,1.2.3; 115,1; 116,4.13.17; 118,10.11.12.26; 119,55.132; 122,4; 124,8; 129,8; 135,1.3.13; 138,2(bis); 140,14; 142,8; 143,11; 145,1.2.21; 148,5.13(bis); 149,3. 200 Dies zeigt sich besonders deutlich dort, wo Yhwh und šēm in einem Bikolon parallel stehen: Ps, 9,11; 18,50; 20,2; 34,4; 92,2; 96,2; 99,6; 103,1; 105,1.3; 135,3; 145,21. 201 Vgl. FABRY, šēm, 122–176. 202 Vgl. Ps 8,2.10; 18,50; 22,24; 34,4; 54,8; 61,9; 66,4; 68,5; 89,17; 92,2; 96,2; 99,3; 102,22 u. ö. 203 Vgl. Ps 20,2; 54,3; 109,24; 116,4; 118,10.11.12.26. 204 MILLARD, Problem, 93.

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3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

„Heer“ scheint als Bestandteil von Gottes Eigennamen aufgefasst worden zu sein. Hier zeigt sich vielleicht am deutlichsten, wie Macht – ausgehend von der vergleichsweise konkreten Vorstellung der Heeresmacht – in den Eigen' namen eingezeichnet worden ist. Die griechischen Übersetzungen steuern dafür Evidenz und weitergehende Vorstellungen bei: „Herr der (Streit')Mächte“ im Psalter, ( / „(Herr/ Gott) Allmächtiger“ im Dodekapropheton und Yhwh „Jhwh Zeba' oth“ im Jesajabuch. Die verschiedenen Machtvorstellungen, die die Überset' zer in den jeweiligen Schriften akzentuiert haben, sind unverkennbar. Im Psalter steht Yhwh 9ĕbā ôt für Gottes Machtfülle, die sich in seiner Überlegenheit gegenüber mythisch'kosmischer Bedrohung wie in konkreten Rettungstaten für den Einzelnen und das Volk manifestiert.205 Für diejenigen, die in Jhwhs Machtbereich leben und sich im Gebet an ihn wenden, ist das Machtpotential, das der erweiterte Eigenname birgt, vor allem unter dem Aspekt von Interesse, dass es Jhwh dazu befähigt, zu retten und Schutz zu gewähren, in Jerusalem, der Gottesstadt (Ps 48,9), darüber hinaus aber auch überall dort, wo Menschen ihr Vertrauen auf ihn setzten (Ps 46,8.12; 84,4). Als Yhwh 9ĕbā ôt wird er gepriesen (Ps 24,10; 48,9; 84,13; 89,9), angerufen (Ps 59,6; 69,7; 80,5; 84,2.9) und in großer Not geradezu litaneiartig herbeige' fleht (Ps 80,4.8.15.20).206 Ob diese Befunde über die häufig erkennbare Nähe zum Tempel und zur Stadt Jerusalem hinaus noch eine spezifischere religionsgeschichtliche Kon' textualisierung erlauben, ist fraglich. Die These von Taylor, dass Jhwh Zeba' oth am besten mit der Solarisierung Jhwhs in Zusammenhang zu bringen sei – „‚Yahweh Host Sublime‘ denoted Yahweh as the pre'eminent member of the Host of Heaven (that is, the sun)“207 – entbehrt jedenfalls im Psalter, wenn nicht überhaupt der Evidenz. Sie ist eher einer gegenwärtigen Tendenz der Forschung geschuldet, die in positiver Voreingenommenheit das solare Ele' ment Jhwhs kombinationsfreudig auch da findet, wo keine Sonne scheint.208 3.2.5 Macht Gottes in Termini und verwandten Bildungen Die höchste sprachliche Verdichtung von Macht findet sich in den Machtter' mini und verwandten Bildungen:209 addîr „mächtig, gewaltig, herrlich“210, 205 Jhwhs Überlegenheit gegen die Chaosmächte zeigt sich in Ps 24; 46 und 89, wobei in Ps 46 und 89 auch seine Dominanz gegen weltliche Könige und Nationen in den Blick genommen wird. Gottes rettendes Eingreifen im Krieg wird in Ps 59 und 80 erbeten, in Ps 48 gepriesen. 206 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 153–175. 207 TAYLOR, Yahweh, 260. 208 Zur Solarisierungsdebatte vgl. den Exkurs im Anschluss an Ps 84 in Kapitel 5.2.2.6. 209 Insgesamt 104 Belege. 210 4 Belege: Ps 8,2.10; 76,5; 93,4.

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

59

ĕyālût „Kraft“211, m# Pi. „stark machen, großziehen“212, gibbôr „Held“213, gĕbûrâ „Macht, Kraft, Stärke“214, zq Pi. „kräftigen, stark machen“215, āzāq „stark, mächtig“216, ēzeq „Stärke“217, ayil „Kraft, Stärke“218, ăsîn „stark“219, kōa „Kraft, Stärke“220, zz Qal „stark sein, sich mächtig erwei' sen“221, mā ôz „(Berg')Feste, Schutz, Zuflucht“222, ōz/ ôz „Stärke, Macht, Kraft223, izzûz „stark“224, ĕzûz „Macht“225, #m Hi. „stark machen“226 und ta ă#ūmôt „Stärke, Kräftigkeit“227. Sie bilden mit 104 Belegen in 51 Texten die zweitgrößte Gruppe im Psalter, repräsentieren aber das Wortfeld „Macht“ in sensu stricto und stellen damit für diese Untersuchung die wichtigsten Aussagen über Gottes Macht dar. Die Machttermini und verwandte Bildungen zeichnet aus, dass sie seman' tisch Eigenschaften und Handlungsoptionen bündeln, die jemandem zu Gebo' ten stehen, der Macht besitzt. Darunter kommt den Machttermini die größte Bedeutung zu. Sie umfassen Dreiviertel aller Belege dieser Wortgruppe. Der Gebrauch eines Machtterminus setzt in der Regel eine handelnde Person voraus. Wird Macht mit apersonalen Entitäten, etwa der Weisheit, verbunden, handelt es sich um metaphorischen Gebrauch eines Machtterminus.228 Dies geschieht im Alten Testament äußerst selten. Im Psalter, wo der Schwerpunkt

211

1 Beleg: Ps 22,20. 3 Belege: Ps 80,16.18; 89,22. 213 3 Belege: Ps 24,8(bis); 78,65. 214 15 Belege: Ps 20,7; 21,14; 54,3; 65,7; 71,8.16; 80,3; 89,14; 106,2.8; 145,4.11.12; 150,2. 215 1 Beleg: Ps 147,13. 216 1 Beleg: Ps 136,2. 217 1 Beleg: Ps 18,2. 218 10 Belege: Ps 18,33.40; 59,12; 60,14; 84,8(bis); 108,14; 110,3; 118,15.16. 219 1 Beleg: Ps 89,9. 220 4 Belege: Ps 29,4; 65,7; 111,6; 147,5. 221 2 Belege: Ps 68,29; 89,14. 222 9 Belege: Ps 27,1; 28,8; 31,3.5; 37,39; 43,2; 52,9; 60,9; 108,9. 223 44 Belege: Ps 8,3; 21,2.14; 28,7.8; 29,1.11; 30,8; 46,2; 59,10.17.18; 61,4; 62,12; 63,6; 66,3; 68,8.29.34.35(bis).36; 71,7; 74,13; 77,15; 78,26.61; 81,2; 84,6; 86,16; 89,11.18; 90,11; 93,1; 96,6.7; 99,4; 105,4; 110,2; 118,14; 132,8; 138,3; 140,8; 150,1. 224 1 Beleg: Ps 24,8. 225 2 Belege: Ps 78,4; 145,6. 226 1 Beleg: Ps 105,24. 227 1 Beleg: Ps 68,36. 228 Die Charakterisierung des Gebrauchs der Machttermini als metaphorisch, wenn sie mit einer apersonalen Entität verbunden werden, soll anzeigen, dass eine Entlehnung der Machttermini aus dem Vorstellungsbereich erfolgt ist, an den sie primär gebunden sind. 212

60

3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

der Rede von Gottes Macht liegt, findet sich dafür bezeichnenderweise nur ein Beleg.229 Alle Redeweisen von Gottes Macht verbindet, dass hinter ihnen eine per' sonale, meistens anthropomorph geprägte Gottesvorstellung steht. Die Mani' festationen beschreiben Gottes machtvolles Wesen und Wirken in Analogie zum Menschen, ebenso die Machtmetaphern, die Körperteile bezeichnen. Auch Gottesname wie ābbîr Ya ăqōb „Starker Jakobs“ oder seine Prädikati' on als izzûz „Starker“ spiegeln eine personale Gottesvorstellung wider. Wie eng die Redeweisen von Gottes Macht überdies zusammenhängen, zeigt sich daran, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Wortgruppen fließend sind. So können bestimmte Redeweisen gelegentlich zwei verschie' denen Gruppen zugeordnet werden, abhängig vom Gebrauch in den jeweili' gen Texten. Ōz ist beispielsweise per definitionem ein Machtterminus. Preist der Beter Gott jedoch mit der Charakterisierung uzzî „meine Stärke“, liegt metaphorischer Gebrauch eines Machtterminus vor.230 So wird in einer Grup' pe mitunter der Überschritt zur nächsten vollzogen. Noch deutlicher zeigt sich die Überschneidung der Wortgruppen bei mā ôz „(Berg')Feste, Schutz, Zuflucht“. Als Derivat der Wurzel zz gehört mā ôz semantisch zum Wortfeld „Macht“, ist aber auch als Manifestation von Gottes Macht zu verstehen. Ähnliches gilt für die Nominalbildung izzûz „Starker“, die als Derivat der Wurzel zz ebenfalls zum Wortfeld „Macht“ zählt und als Gottesname ge' braucht werden kann. Ferner gibt es eine Reihe von Psalmen, in denen mindestens drei der vier in diesem Kapitel benannten Redeweisen von Gottes Macht vorkommen.231 Es liegt nahe, dass aus ihrem Zusammenspiel in den einzelnen Texten Rück' schlüsse auf den Charakter von Gottes Macht gezogen werden können. So dürften die Manifestationen von Gottes Macht einen Anhaltspunkt zum Ver' ständnis der Machtterminologie geben, da – abgesehen von Ps 81 – in jedem Psalm, in dem ein Wort aus dem Wortfeld „Macht“ auftritt, auch mindestens eine Manifestation von Gottes Macht zu finden ist. Dabei sind den Kombina' tionsmöglichkeiten innerhalb der einzelnen Psalmen kaum Grenzen gesetzt. Neben dem wechselnden Gebrauch von Machtterminologie und Manifesta' tionen, wobei auf ein Wort aus dem Wortfeld „Macht“ auch mehrere Mani'

229

Vgl. Ri 5,31 (Kraft der Sonne); Jes 11,2 (Kraft des Geistes); Ps 90,11 (Macht des Zorns); Prov 4,18 (Macht der Weisheit); Hi 6,12 (Kraft des Steins); 36,5 (Macht des Her' zens); 37,6 (Regen mit Macht). 230 Vgl. Ps 28,7; 59,10.18. 231 Zu den Psalmen, in denen Gottes Macht durch drei verschiedene Redeweisen zum Ausdruck gebracht wird, gehören Ps 8; 21; 24; 28; 31; 37; 46; 48; 59; 60; 63; 71; 74; 84; 92; 106; 108; 110; 111; 118; 136; 138; 145; zu den Psalmen, in denen alle vier Redeweisen belegt sind, vgl. Ps 18; 77; 78; 80; 89; 132.

3.2 Redeweisen und Ausdrucksformen

61

festationen folgen können,232 findet sich die Rahmung eines Wortes aus dem Wortfeld „Macht“ durch zwei oder mehrere Manifestationen.233 Zudem fin' den sich auch unterschiedlich viele Manifestationen, die auf ein Wort aus dem Wortfeld „Macht“ folgen234. Dass es nach mehreren Manifestationen erst am Ende des Psalms – offensichtlich zur Bündelung der vorangegangenen Aussagen über Gottes Macht – zu einer terminologischen Verdichtung kommt, ist dagegen nur in zwei Texten belegt.235 Dieser vielschichtige Befund darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass die Positionierung der Machttermini bei einer Reihe von Psalmen auffäl' lig ist. So wird in zehn Psalmen die Rede von Gottes Macht durch einen Machtterminus eröffnet und in sechs Texten durch einen Machtterminus be' schlossen.236 In zwei weiteren Psalmen findet sich ein Machtterminus sowohl zu Beginn als auch gegen Ende des Psalms.237 Somit steht in gut einem Drit' tel aller Psalmen, in denen Gottes Macht terminologisch verdichtet wird, ein Machtterminus entweder in Anfangs' und/oder Endposition. Dies wird kein Zufall sein, sondern die wichtige Funktion der Termini für Gottes Macht zu erkennen geben. Das Mit' und Ineinander der Redeweisen von Gottes Macht legt die Ver' mutung nahe, dass viele von ihnen zu allen Zeiten nebeneinander gebraucht worden sind. Man kann also nicht – wie man auf den ersten Blick vielleicht annehmen könnte – sagen, dass die Manifestationen die ältesten Redeweisen von Gottes Macht darstellen und die Machtterminologie erst im Laufe von Reformulierungs' oder Überarbeitungsprozessen der Einzeltexte – einherge' hend mit intensivierter Reflexion oder durch später entstandene Psalmen – Einzug in den Psalter gehalten hätte. Dies schließt jedoch ein gewisses Nach' einander der präferierten Terminologie in den einzelnen Gruppen nicht aus. So ist ōz beispielsweise ein bereits vorexilisch bezeugter Machtterminus, gĕbûrâ hingegen ein Terminus, der erst in späterer Zeit im Psalter theologisch Bedeutung gewonnen hat. 232 Zum wechselnden Gebrauch von Machttermini und Manifestationen vgl. Ps 28; 31; 66; 68; 71; 89; 96; 105; 118; 145; 147; 150; darunter sind zwei oder mehr Machttermini, auf die eine Manifestation folgt, selten (vgl. Ps 28; 68; 145; 150). 233 Die Rahmung eines Machtterminus durch zwei oder mehr Manifestationen findet sich in Ps 20; 22; 24; 30; 52; 61; 65; 74; 76; 77; 84; 90; 99; 111; 118; 132; 136; 138; 140; darunter ist die Rahmung von zwei aufeinanderfolgenden Machttermini selten (vgl. Ps 24; 84; 65). 234 Vgl. Ps 8; 18; 21; 27; 29; 46; 54; 63; 78; 80; 106; 110; 150. 235 Vgl. Ps 37; 86. In allen anderen Psalmen, in denen ein Wort aus dem Wortfeld „Macht“ den Schlusspunkt setzt, ist bereits zuvor im Text mindestens eines belegt (vgl. Ps 59; 60; 62; 68; 108). 236 Für die Psalmen, in denen die Rede von Gottes Macht durch einen Machtterminus eröffnet wird, vgl. Ps 8; 18; 46; 63; 78; 80; 93; 106; 110; 150; für die Endposition vgl. Ps 59; 60; 62; 68; 86; 108. 237 Vgl. Ps 21; 29.

62

3. Kapitel: Die Rede von Gottes Macht im Psalter

Die Machttermini und verwandte Bildungen stehen nicht auf Grund ihrer Quantität im Zentrum dieser Untersuchung, sondern wegen der hohen Aussa' gekraft, die sie für Gottes Macht haben. In ihnen werden die unterschied' lichen Aspekte von Gottes Macht brennpunktartig gebündelt. Zudem handelt es sich bei den Begriffen um Worte, die im Psalter entweder ausschließlich – wie im Falle von ōz – oder zumindest hauptsächlich zur Bezeichnung von Gottes Macht gebraucht werden. Sie sollen im Folgenden analysiert werden.

Kapitel 4

Das Wortfeld Macht im Psalter 4.1 Ein Überblick Im Psalter wird das Wortfeld „Macht“1 im Wesentlichen durch die vier Sub$ stantive gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz abgedeckt. Im Alten Testament kommen noch einige mehr oder weniger häufig verwendete Worte hinzu, die sich mit$ unter auch im Psalter finden. Auf Grund der begrifflichen Vielfalt, mit der im Alten Testament von Macht gesprochen wird, werden im Rahmen dieser Untersuchung nur jene Worte näher betrachtet, die semantisch Anteil am Wortfeld „Macht“ haben und im Psalter mindestens einmal in Bezug auf Gott gebraucht werden. Dies sind neben den vier zentralen Machttermini gĕbûrâ „Macht, Kraft, Stärke“, ayil „Kraft, Stärke“, kōa „Kraft, Stärke“ und ōz/ ôz „Stärke, Macht, Kraft“, vor allem gibbôr „Starker, Held“, mā ôz „(Berg$)Feste, Schutz, Zu$ flucht“, zz Qal „stark sein, sich mächtig erweisen“, izzûz „stark“ und ĕzûz „Stärke, Macht“. Hinzu kommen noch addîr „mächtig, gewaltig, herrlich“, ĕyālût „Kraft“, m Qal „stark, kräftig, mächtig sein“, zq Qal „stark sein, stark werden“, āzāq „stark, mächtig“, ēzeq „Stärke“, ăsîn „stark“, m Qal „stark, mächtig sein, zahlreich sein“ und ta ă ūmôt „Stärke, Kräftigkeit“. Sie alle werden im Folgenden einzeln semantisch analysiert und auf ihre Aussa$ gekraft im Blick auf Gottes Macht untersucht. Nicht weiter berücksichtigt werden dagegen ôn „Kraft, Vermögen“, ammî / ammī „stark“, am â „Stärke“, gbr Pi. „stärker machen“, Hitp. „sich überheben“, ōzeq „Stärke, Gewalt“, ezqâ „Erstarkung“, ĕsēn „Kraft, Stär$ ke“, kabbîr „stark, gewaltig“, ā ûm „mächtig“, ō em „Stärke, Macht“, o mâ „Stärke“, ārî „gewaltig, mächtig“, qšr Pt. Qal pass./Pt. Pu. „stark“, rĕbû „Macht, Größe“, rabrĕbānîn „Macht, Größe“, šol$ān „Macht, Herr$ schaft“, šallî$ „mächtig“, taqqîp „stark, mächtig“ sowie tōqep/tĕqap/tĕqōp „Macht, Kraft, Gewalt“, die nur außerhalb des Psalters zur Bezeichnung von Gottes Macht verwendet werden. Auf den ersten Blick erscheint diese Zu$ sammenstellung umfangreich. Doch viele Worte werden nur ein$ oder zwei$ mal in Bezug auf Gott gebraucht, so dass die Gesamtzahl der Belege nicht 1

Das Wortfeld „Macht“ umfasst auch die Äquivalente Stärke und Kraft sowie die je$ weiligen Ableitungen, d. h. Macht, Mächtiger, mächtig, Macht haben; Stärke, Starker, stark, stark machen etc.

64

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

sonderlich hoch ist.2 Zudem handelt es sich bei mehr als der Hälfte um Deri$ vate von Wurzeln, die auch im Psalter von Gottes Macht sprechen; die noch verbleibenden Worte finden sich ausschließlich im aramäischen Teil des Danielbuches. Gottes Macht ist im Danielbuch angesichts der apokalyp$ tischen Dimension der Endgestalt des Buches ein wichtiges Thema. Die da$ mit verbundenen neuen theologischen Herausforderungen haben offensicht$ lich zur Ausbildung einer eigenen Machtterminologie geführt, ohne dass dabei jedoch andere Machtaspekte in den Blick genommen werden als bei den vier zentralen hebräischen Machttermini gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz. Diese Beobachtung zusammen mit der Tatsache, dass es auch sonst im Alten Testament keine vom Psalter unterschiedene Terminologie für die Rede von Gottes Macht gibt, berechtigt zur Konzentration der Untersuchung auf den Befund im Psalter. Schließlich seien noch die Worte aus dem Wortfeld „Macht“ genannt, die im Alten Testament nie mit Gott verbunden werden: abbîr „stark, gewaltig“, ōme „Stärke“, āzēq „stark“, ozqâ „Stärke, Gewalt“, āsōn „stark“, ma ămā „Stärke“, šl$ Pe. „Macht über etwas haben, sich jemandes bemäch$ tigen“, Haf. „jemanden als Machthaber einsetzen“, šil$ôn „mächtig“ und az „stark“.3 Es stellt sich die Frage, warum gerade sie keine Verwendung für Aussagen über Gottes Macht gefunden haben. Zwei Aspekte dürften hier von Bedeutung sein. Zum einen handelt es sich bei vielen Worten um weitere Derivate von Wurzeln, die im Alten Testament primär für die Artikulation von Gottes Macht gebraucht werden. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Wurzel zz Qal „stark sein“. Das Substantiv ōz „Stärke, Macht, Kraft“ wird im Psalter ausschließlich und in den übrigen Schriften des Alten Testaments signifikant häufig zur Bezeichnung von Gottes Macht verwendet. Durch die enge Bindung von ōz an die positiv konnotierte Machtvorstellung Gottes 2 Mit den achtzehn Worten wird 45$mal von Gottes Macht gesprochen. Zu ôn vgl. Jes 40,26; zu ammî / ammī vgl. Jes 28,2; 40,26; Hi 9,4.19; zu am â vgl. Sach 12,5; zu gbr vgl. Jes 42,13; Sach 10,6.12; zu ōzeq vgl. Ex 13,3.14.16; zu ezqâ vgl. Jes 8,11; zu ōsen/ ĕsēn vgl. Dan 2,37; 4,37; zu kabbîr vgl. Hi 34,17; 36,5(bis); zu ā ûm vgl. Gen 18,18; Num 14,12; Dtn 9,14; Jes 60,22; Joel 2,11; Mi 4,7; zu ō em vgl. Hi 30,21; zu o mâ vgl. Jes 40,29; zu ārî vgl. Jer 20,11; zu qšr vgl. Gen 30,41.42; zu rĕbû vgl. Dan 4,33; 5,18.19; 7,27; zu rabrĕbānîn vgl. Dan 4,33; zu šol$ān vgl. Dan 3,33; 4,31; 6,27; 7,27(bis); zu šāllî$ vgl. Dan 4,14.22.23.29; 5,21; zu taqqîp vgl. Dan 2,20; zu tĕqōp vgl. Dan 2,37. 3 Zu abbîr vgl. Ri 5,22; 1 Sam 21,8; Jes 10,13; 34,7; 46,12; Jer 8,16; 46,15; 47,3; 50,11; Ps 22,13; 50,13; 68,31; 78,6.25; Hi 24,22; 34,20; Klgl 1,15; zu ōme vgl. Hi 17,9; zu āzēq vgl. Ex 19,19; 2 Sam 3,1; zu ozqâ vgl. Ri 4,3; 8,1; 1 Sam 2,16; Ez 34,4; Jon 3,8; zu āsōn vgl. Jes 1,31; Am 2,9; zu šl$ vgl. Dan 2,38.39; 5,7.16; 3,27; 6,25; zu ma ămā , nur in der Verbindung ma ăma ê3kōa „Kraftanstrengungen“ belegt, vgl. Hi 36,19; zu šil$ôn vgl. Koh 8,4.8; zu az vgl. Gen 49,7; Ex 14,21; Num 13,28; 21,14; Dtn 28,50; Ri 14,14.18; Jes 19,4; 25,3; 43,16; 56,11; Ez 7,24; Am 5,9; Ps 18,18 = 2 Sam 22,18; 59,4; Prov 18,23; 21,14; 30,25; Cant 8,6; Dan 8,23; Neh 9,11.

4.1 Ein Überblick

65

stand das Wort offensichtlich für die Charakterisierung anderer Mächte und Kräfte kaum mehr zur Verfügung. Dafür hat sich das Adjektiv az „stark“ herausgebildet, das nie mit Gott verbunden wird.4 Dies deutet auf eine be$ wusste Entscheidung hin, Gottes Macht und andere Mächte sprachlich vonei$ nander abzuheben.5 Zum anderen zeigt sich, dass Machtbegriffe, deren Semantik in den Be$ reich der Gewalt übergeht, nicht für Gott gebraucht werden. Dabei ist es of$ fenbar bereits ausreichend, wenn das Element der Gewalt in der Semantik eines Wortes enthalten ist, um nicht mehr mit Gott in Verbindung gebracht zu werden. Es verwundert daher nicht, dass alle Worte, bei denen das Element der Gewalt im Zentrum steht, allein zur Charakterisierung von Menschen, Feinden oder Naturgewalten dienen. Hier ist im Psalter vor allem an āmās „Gewalt(tat)“, ômē „Gewalttäter“, pārî „gewalttätig“, šōd „Gewalttätig$ keit, Unterdrückung“, šdd Qal „gewalttätig sein, verheeren“ und tōk „Gewalt$ tätigkeit, Unterdrückung“ zu denken. Es kann kein Zufall sein, dass Worte, die das Element der Gewalt beinhalten, nie mit Gott verbunden werden. Es liegt vielmehr die Vermutung nahe, dass der Aspekt der Gewalt nicht mit dem Wesen von Gottes Macht vereinbar ist oder ihm sogar entgegensteht. Inwieweit diese Annahme zutrifft, wird die Analyse der vier zentralen Macht$ termini gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz zeigen müssen. Zuvor soll der Blick noch auf addîr, ĕyālût, m , zq, āzāq, ēzeq, ăsîn, m und ta ă ūmôt gerichtet werden. Zusammen bezeichnen diese neun Worte in den Psalmen lediglich 14$mal Gottes Macht. Es liegt nahe, dass ihnen bei der Wahrnehmung von Gottes Macht im Psalter eine geringe Be$ deutung zukommt. Gleichwohl sollen auch sie genauer betrachtet werden, um nicht durch vorschnelle Engführung des Befundes einen Aspekt von Gottes Macht auszublenden. Ziel ist es, so exakt wie möglich die Semantik der ein$ zelnen Worte zu eruieren und aufzuzeigen, welche Aspekte von Gottes Macht durch sie erfasst werden. Dabei bleibt die Untersuchung nicht allein auf den Psalter beschränkt. Es wird stets der Gesamtbefund im Alten Testament be$ trachtet, um mögliche psalterspezifische Besonderheiten bei der Verwendung der Worte zu ermitteln. Da sich bei addîr, ĕyālût, m , zq, āzāq, ēzeq, ăsîn, m und ta ă ūmôt keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich ihrer Aussagekraft über Gottes Macht erkennen lassen, werden sie im Folgenden in alphabetischer Reihenfolge behandelt.

4

Siehe dazu auch unten die Ausführungen zu az „stark“ in Kapitel 4.2.4. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, warum ōme „Stärke“, āzēq „stark“ und ma ămā „Stärke“ nie zur Bezeichnung von Gottes Macht gebraucht werden, die auf die$ selben Wurzeln zurückgehenden Worte am â „Stärke“ bzw. ēzeq „Stärke“ dagegen ausschließlich sowie ammî / ammī „stark“ und ōzeq „Stärke, Gewalt“ – von je einer Ausnahme abgesehen – immer Gottes Macht zum Ausdruck bringen. 5

66

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Das Adjektiv addîr gehört zu einer Gruppe von Worten, die sowohl den Aspekt der Macht als auch des Glanzes und der Pracht zum Ausdruck bringen. Es ist daher mit mächtig, gewaltig oder herrlich wiederzugeben. Ist die Verbindung von Macht und Glanz im Alten Testament wie im Alten Orient zwar in erster Linie Signum des Göttlichen, kann addîr aber auch für analoge Phänomene bei Menschen oder in der Natur gebraucht werden. Addîr ist 27$mal im Alten Testament belegt. Mehr als die Hälfte der Belege entfällt auf den Psalter sowie das Jesaja$ und Jeremiabuch.6 Insgesamt werden mit dem Adjektiv 20$ mal Menschen, Gegenstände oder mythisch bedrohliche Wassermassen näher beschrieben7; siebenmal werden Gott oder sein Namen mächtig oder herrlich genannt8. Am häufigsten wird addîr im Psalter zur Charakterisierung Gottes verwendet. Zweimal wird er als mächtig bzw. mächtiger als andere Gewalten bezeichnet (Ps 76,5; 93,4), zwei$ mal wird sein Namen als herrlich gepriesen (Ps 8,2.10). Beides geschieht in Kontexten, die auf Gottes Schöpfungshandeln bzw. seine Souveränität über die Welt und andere Mächte verweisen und Gottes Wesen durch addîr als machtvoll$herrlich charakterisieren. Dies ist auch bei den drei Belegen der Fall, die sich außerhalb des Psalters auf Gott beziehen.9 Das Substantiv ĕyālût in Ps 22,20 ist Hapaxlegomenon. Seine Bedeutung – Stärke – kann jedoch relativ sicher aus dem Kontext sowie seiner semantischen Nähe zu ayil „Widder“ erschlossen werden.10 Ěyālûtî „meine Stärke“ in Ps 22,20 ist Invocatio und Ausdruck des Vertrauens, dass sich Gott dem Beter in großer Not als Hilfe erweisen wird. Es wird mit ĕyālûtî „meine Stärke“ die Vorstellung der Anteilhabe des Menschen an Gottes Rettungsmacht zum Ausdruck gebracht, hier als Vertrauensaussage des Beters. Dafür finden sich im Psalter noch weitere Belege, vor allem Aussagen, die durch die be$ deutungsgleiche Formulierung uzzî „meine Stärke“ getroffen werden.11 Beim Verb m ist in allen Stämmen das Element der Stärke deutlich erkennbar: Qal „stark/kräftig/mächtig sein“, Pi. „festigen, stärken“, Hi. „stark sein“, Hitp. „sich stark erweisen“. Insgesamt kommt das Verb 41$mal im Alten Testament vor. Acht Belege spre$ chen von Gottes Handeln oder seiner stärkenden Zuwendung zum Menschen; 33$mal wird von der Stärke des Menschen, der Feinde, des Tempels oder eines Baumes gesprochen, ohne dass ein direkter Gottesbezug erkennbar ist.12 Im Psalter ist m siebenmal belegt: Dreimal wird in den Blick genommen, dass Gott den Menschen durch die Anteilgabe an seiner Macht stärkt, und je zweimal konstatiert, 6 Addîr ist in diesen drei Büchern 15$mal belegt. Davon entfallen sieben Belege auf den Psalter (Ps 8,2.10; 16,3; 76,5; 93,4[bis]; 136,18), fünf auf das Jeremiabuch (Jer 14,3; 25,34.35.36; 30,21) sowie drei auf das Jesajabuch (Jes 10,34; 33,21[bis]). 7 Davon bezieht sich addîr 14$mal auf einen Menschen (Ri 5,13; Jer 14,3; 25,34.35.36; 30,21; Ez 32,18; Nah 2,6; 3,18; Ps 16,3; 136,18; Neh 3,5; 10,30; 2 Chr 23,20), viermal auf Gegenstände (Ri 5,25; Jes 33,21; Ez 17,23; Sach 11,2) sowie zweimal auf mythische Was$ sermassen (Ex 15,10; Ps 93,4). 8 Vgl. 1 Sam 4,8; Jes 10,34; 33,21; Ps 8,2.10; 76,5; 93,4. 9 Vgl. 1 Sam 4,8; Jes 10,34; 33,21. 10 Septuaginta und Vulgata akzentuieren dagegen stärker das Element der Rettung, in$ dem sie ĕyālût mit bzw. auxilium „Hilfe“ wiedergegeben. 11 Vgl. Ps 59,10.18; ferner siehe unten Kapitel 4.2.4. 12 Zu den Belegen mit klarem Gottesbezug vgl. Dtn 2,30; Jes 41,10; Ps 80,16.18; 89,22; Prov 8,28; 2 Chr 13,18; 36,13; zur Stärke von Menschen, Feinden, des Tempels oder Bäu$ men vgl. Gen 25,23; Dtn 3,28; 15,7; 31,6.7.23; Jos 1,6.7.9.18; 10,25; 1 Kön 12,18; Jes 35,3; 44,14; Am 2,14; Nah 2,2; Ps 18,18 = 2 Sam 18,18; 27,14; 31,25; 142,7; Prov 24,5; 31,17; Hi 4,4; 16,5; Ruth 1,8; 1 Chr 22,13; 28,20; 2 Chr 10,18; 11,17; 13,7; 24,13; 32,7.

4.1 Ein Überblick

67

dass Menschen sowie Feinde stark sind. In Ps 80,16.18 und Ps 89,22, die den zuerst ge$ nannten Aspekt artikulieren, ist der König, ein Mensch mit herausgehobener Position und besonderer Gottesbeziehung, Empfänger der stärkenden Zuwendung Gottes. Es geht dabei um eine umfassende Machtbegabung des Regenten durch Jhwh, die alle Aspekte seiner Herrschaft – von der Legitimation bis zur Ausübung – einschließt. In den beiden Psalmen, die von der Stärke des Menschen sprechen, ergeht an den Ein$ zelnen wie die Frommen der Zuspruch: Qawwēh el3Yhwh ăzaq wĕya ămē libbekā wĕqawwēh el3Yhwh „Hoffe auf Jhwh; sei stark, dein Herz sei unverzagt; hoffe auf Jhwh“ (Ps 27,14) bzw. >izqû wĕya ămē lĕbabkem kol3hammĕya ălîm lĕYhwh „Seid stark, euer Herz sei unverzagt, alle die ihr auf Jhwh vertraut“ (Ps 31,25). Die Angesprochenen werden dazu ermutigt, ihr Vertrauen in Gott zu setzen. Die Formulierungen klingen wie eine Adap$ tion von Jhwhs Zuspruch an Josua, dass er – mit Jhwh an seiner Seite – die Landnahme erfolgreich realisieren werde (vgl. ăzaq we ĕmā „sei stark und unverzagt“ in Dtn 31,23; vgl. Jos 1,6.7.9.18). In diesem Kontext wird die Bekräftigungsformel auch durch Mose an Josua sowie das Volk gerichtet (Dtn 3,28; 31,6.7; Jos 10,25). In der Chronik erfolgt ihre Applikation auf David und seinen Sohn Salomo. Durch ăzaq we ĕmā „sei stark und unverzagt“ soll ihnen die Zuversicht vermittelt werden, dass es ihnen mit Gottes Hilfe gelingen wird, den geplanten Tempelbau zu realisieren (1 Chr 22,13; 28,20). Auch der König richtet sich mit diesen Worten an seine Soldaten, um sie vor Beginn des Kampfes daran zu erinnern, dass sie durch Jhwhs Hilfe siegreich sein werden (2 Chr 32,7). Die beiden oben zitierten Verse aus Ps 27 und 31 dokumentieren eine Weitung der Formulie$ rung auf alle, die ihr Vertrauen in Jhwh setzen.13 So deutlich in den Texten Jhwhs machtvolles Wesen und Wirken im Hintergrund steht, so klar zielen die Imperative bzw. Jussive von m und zq darauf, den Einzelnen wie das Volk dazu aufzufordern, die eigene Stärke zu mobilisieren und selbst zum Gelingen beizu$ tragen. Dies ist freilich nicht im Sinne der Selbstermächtigung des Menschen zu verstehen, sondern die Worte ergehen an den Menschen, der in der Gottesbeziehung steht. Stark und mutig zu sein, ist ein Appell, Jhwh als die eigene Stärke anzuerkennen. In den noch verbleibenden zwei Aussagen wird durch m die Stärke bzw. Überlegen$ heit der Feinde artikuliert. Im Angesicht der Feindbedrohung erhebt sich die Rettungsbitte. Der Beter weiß, dass allein Gott die übermächtigen Feinde bezwingen kann. Somit zeugen beide Belege indirekt ebenfalls von Gottes Macht, auch wenn das Verb selbst keine Aussa$ ge über Gottes Macht enthält (Ps 18,18 = 2 Sam 22,18; Ps 142,7). Nach Schreiner geht m – nicht nur im Psalter – eine enge Verbindung mit Gott ein. Er resümiert deshalb: „Aufs Ganze gesehen ist der theologische Gehalt von m ein offener oder verborgener Lobpreis Gottes, der allein stark ist.“14 Damit überschätzt Schreiner die Bedeutung, die m bei der Wahrnehmung von Gottes Macht zukommt. Wollte man ihm zustimmen, müsste man letztlich alles, was in der Welt geschieht, als Ausdruck von Gottes Macht und Stärke ansehen. Ein signifikant häufiger Gebrauch von m für Aussagen über Gottes Macht ist jedoch nicht erkennbar.

13

Noch zwei weitere Texte sprechen im Alten Testament davon, dass Gott dem Men$ schen Anteil an seiner Macht und Stärke gewährt: Jes 14,10 (Volk) und 2 Chr 13,18 (Judä$ er). Ist im Psalter allein der Aspekt der Anteilgabe an Gottes Macht belegt, wird in Prov 8,28 überdies Gottes Macht und Stärke in seinem Schöpfungshandeln in den Blick genommen. 14 SCHREINER, āma , 352.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Noch seltener wird das Verb zq Qal „stark sein, stark werden“, Pi. „stärken“, Hitp. „sich stark erweisen, mächtig werden“ in Verbindung mit Gott gebraucht. Lediglich 20 der insgesamt 290 Belege im Alten Testament sprechen von Gottes Macht.15 >zq findet sich überwiegend in der späteren, vor allem der chronistischen Literatur, oh$ ne im frühen Schrifttum ganz zu fehlen. Im Psalter ist das Verb fünfmal belegt. Nur Ps 147,13 enthält eine Aussage über Gottes Macht. Sie ist eingebettet in die Aufforderung an Jerusalem, Jhwh ein Loblied zu singen, da er die Tore Jerusalems fest gemacht habe. Gott gewährt als Bau$ und Schutzherr die Beständigkeit der Stadt. Seine Macht erweist sich in seinem konkreten Handeln für die Seinen.16 So auch in Ps 136,12, wo Gottes Wirken bĕyād ăzāqâ „mit starker Hand“ beim Exodus als göttlicher Machterweis besungen wird. Der Psalm partizipiert damit nicht nur an der Artikulation des Machtaspekts, der im Alten Testament am häufigsten durch das Adjektiv āzāq „stark“ artikuliert wird,17 sondern er übernimmt mit den Worten bĕyād ăzāqâ „mit starker Hand“ auch eine Formulierung, die in der deuteronomistischen Literatur für Gottes Rettungshandeln beim Exodusgeschehen geprägt worden ist. Insgesamt tritt sie 18$mal im Alten Testament auf.18 Hinzu kommen noch wenige Stellen, in denen bĕyād ăzāqâ „mit starker Hand“ ohne Bezug zum Exodus gebraucht wird.19 Dies ist vor allem im Jeremia$ und Ezechielbuch der Fall. Dort erhebt sich Gottes starke Hand zum Gericht gegen die Seinen. Hier liegt offensichtlich eine Umprägung der positiv konnotierten Vorstellung von Gottes Handeln bĕyād ăzāqâ „mit starker Hand“ vor.20 15 Vgl. Ri 3,12; 7,11; 16,28; 1 Sam 30,6; 1 Kön 20,23; Jes 41,13; 42,6; 45,1; Jer 20,7; Ez 30,24.25; 34,16; Hos 7,15; Ps 147,13; Hi 8,20; Dan 11,32; Esr 7,28; Neh 6,9; 1 Chr 29,12; 2 Chr 16,9. 16 Dass sich Gottes Macht im Handeln zu Gunsten der Seinen zeigt, wird durch zq nur noch in 2 Chr 16,9 zum Ausdruck gebracht. Dort ist die Aussage im Blick auf die Anteil$ gabe deutlich allgemeiner gehalten. Der Seher Chanani weissagt König Asa, dass Gott sich all denen als mächtig erweisen wird, die auf ihn vertrauen. In den weitaus meisten Fällen wird mit zq jedoch die Vorstellung artikuliert, dass der Einzelne oder das Volk Anteil an Gottes Stärke hat. Der Vollzug der Stärkung wird häufig als Festigung der Hand/Hände oder Arme durch Gott konkretisiert (vgl. Ri 3,12 [Moabiterkönig]; 7,11 [Gideon]; Jes 41,13 [Israel]; 42,6 [Gottesknecht]; 45,1 [Kyros]; Ez 30,24.25 [König von Babel]; Hos 7,15; Hi 8,20 [Übeltäter, denen Gott die stärkende Zuwendung vorenthält]; Neh 6,9); in den anderen Texten ist die Formulierung der Anteilgabe offener gehalten (vgl. Ri 16,28 [Simson]; 1 Sam 30,6 [David]; 1 Kön 20,23 [Israel]; Ez 34,16; Esr 7,28; Dan 11,32 [die, die Gott kennen]; 1 Chr 29,12; 2 Chr 16,9). Dass Gottes Wesen Macht zu eigen ist, wird dagegen nur in Jer 20,7 explizit gesagt. 17 Dass sich Gottes Macht in seinem Handeln zeigt, wird 27$mal durch ăzāq „stark“ zum Ausdruck gebracht (Ex 3,19; 6,1[bis]; 13,9; 32,11; Dtn 4,34; 5,15; 6,21; 7,8.19; 9,26; 11,2; 26,8; Jos 4,24; 1 Kön 8,42 = 2 Chr 6,32; Jer 21,5; 32,21; Ez 3,8[bis].9.14; 20,33.34; Ps 136,12; Dan 9,15; Neh 1,10). Hinzu kommen vier Belege, in denen Macht als Wesens$ eigenschaft Gottes in den Blick genommen wird (Dtn 3,24; Jes 40,10; Jer 50,34; Prov 23,11), sowie drei Belege, die artikulieren, dass der Mensch durch Gott stark ist (Dtn 34,12; Jes 27,1; 28,2). Insgesamt wird in 34 der 57 Belege von ăzāq im Alten Tes$ tament von Gottes Stärke und Macht gesprochen. 18 Vgl. Ex 3,19; 6,1(bis); 13,9; 32,11; Dtn 4,34; 5,15; 6,21; 7,8.19; 9,26; 11,2; 26,8; Jos 4,24; Jer 32,21; Ps 136,12; Dan 9,15; Neh 1,10; SCHULMEISTER, Befreiung, 160–166. 19 Vgl. 1 Kön 8,42 = 2 Chr 6,32; Jer 21,5; Ez 3,14; 20,33.34. 20 Vgl. Jer 21,5; Ez 3,14; 20,33.34; ferner Ez 3,8(bis).9.

4.1 Ein Überblick

69

Der einzige Beleg für das Substantiv ēzeq „Stärke“ im Alten Testament findet sich in Ps 18, einem Dankgebet des Einzelnen, vermutlich des Königs, in dem er Jhwh für erfah$ rene kriegerische Hilfe preist. Der Beter ruft Jhwh in V. 2 mit dem Epitheton izqî „meine Stärke“ an. Neben Gottes rettendem Eingreifen zu Gunsten seines Volkes, das den gesam$ ten Psalm thematisch umspannt, steht in V. 2 die Vorstellung der Anteilhabe des Menschen bzw. des Königs an Gottes Stärke im Vordergrund. Das Adjektiv ăsîn „stark“ in Ps 89,9 ist Hapaxlegomenon. Als aramäisches Lehnwort kann seine Bedeutung über ĕsēn (Aram.) „Stärke“ jedoch relativ sicher erschlossen wer$ den (vgl. ferner: ōsen [Hebr.] „Stärke“). Ps 89 setzt wie ein Hymnus ein. Der Beter be$ kundet, Gottes Gnadentaten ( asdê Yhwh, V. 2) besingen zu wollen, die Taten des Gottes, der ohne seinesgleichen unter den Göttern ist. Jhwh Zebaoth wird er genannt, als stark ( ăsîn) und treu ( ĕmûnâ „Treue“) gepriesen (V. 9). Stärke und Treue werden hier als zentrale Wesenseigenschaft Gottes in den Blick genommen, die sich in Gottes Überlegen$ heit gegenüber den Chaosmächten (V. 10–11), in seinen Schöpfungswerken (V. 12–13) sowie seiner beständigen Zuwendung zu David und seinem Volk manifestiert (V. 14–38). Noch ein weiteres Verb verweist im Psalter auf Gottes Macht: m Qal „stark, mächtig sein, zahlreich sein“, Hi. „stärker machen“. Bestimmend für die Semantik von m ist, dass sich die Grundbedeutung des Verbs „zahlreich sein“ allmählich hin zu „stark, mächtig sein“ entwickelt hat. Das Element der Vielheit ist dabei erhalten geblieben. Dies ist nicht allein Charakteristikum des Verbs, sondern auch bei den Derivaten von m der Fall. Loh$ finks These, dass Worte aus dem Wortfeld m nie für direkte Aussagen über Gott verwen$ det werden, weil der Glaube an den einen Gott eine direkte Charakterisierung Gottes durch das Wortfeld m, das so eng mit dem Element der Vielheit verbunden ist, unmöglich gemacht habe, ist kaum nachvollziehbar. Zutreffend ist jedoch seine Beobachtung, dass diese Worte im Alten Testament nur ganz selten für Aussagen über Gottes Macht ge$ braucht werden.21 Dies gilt auch für das Verb m. Insgesamt ist es – ohne Jer 50,17 und die Konjektur in Dan 11,4 – 17$mal belegt, sechsmal davon im Psalter. Dreimal ist Gott bzw. sind seine Gedanken oder Wunder Subjekt von m.22 Im Blick auf Gottes Macht ist nur Ps 105,24 von Bedeutung: Wayyeper et3 ammô mĕ ōd wayya ă imēhû mi ārāyw „Und er machte sein Volk sehr fruchtbar, machte es stärker als seine Feinde.“ Gottes Zuwendung zu seinem Volk steht hier im Zentrum. Er gibt den Seinen Anteil an seiner Stärke, damit sie den Feinden widerstehen können. Dieser Aspekt findet sich auch in Ps 68,36, wo Gott seinem Volk neben ōz „Kraft“ auch ta ă umôt „Stärke“23 zuteilwerden lässt.

Alle zuvor behandelten Worte sind nur selten im Psalter belegt. Keines wird mehr als viermal in Bezug auf Gott gebraucht. Folglich können die Aussagen, die mit ihnen über Gottes Macht getroffen werden, nicht als repräsentativ angesehen werden. Gleichwohl fällt auf, dass durch addîr, ĕyālût, m , zq, āzāq, ēzeq, ăsîn, m, und ta ă ūmôt drei verschiedene Aspekte von Gottes Macht arti$ kuliert werden. Gottes Macht wird zunächst in seinem Handeln in der Welt 21

Vgl. LOHFINK, ā am, 318. Vgl. Ps 40,6; 105,24; 139,17. 23 Das Substantiv ta ă umôt ist Hapaxlegomenon. Als Derivat der Wurzel m sowie durch die Parallelstellung zu ōz lässt sich seine Bedeutung jedoch relativ sicher erschlie$ ßen. 22

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

und am Menschen angezeigt. Überdies wird zum Ausdruck gebracht, dass Gott dem Einzelnen wie dem Volk Anteil an seiner Macht gewährt. Schließ$ lich wird Macht als Wesenseigenschaft Gottes in den Blick genommen. Hier ist eine Spur erkennbar, die bei der Untersuchung der vier zentralen Macht$ termini gĕbûrâ, ayil, kōa , ōz und ihres Umfeldes noch deutlichere Kontu$ ren bekommt. Im Folgenden werden sie semantisch analysiert, beginnend mit kōa , dem Machtterminus, der im Psalter am seltensten von den vier genann$ ten mit Gott verbunden wird.

4.2 Die vier zentralen Machttermini 4.2.1 Kōa Das Substantiv kōa „Kraft, Stärke“ ist 125$mal im Alten Testament belegt, elfmal davon im Psalter. Es wird häufig zusammen mit oder parallel zu Substantiven mit ähnlicher semantischer Konnotation gebraucht.24 Kōa bezeichnet im Alten Testament vorzugsweise die physischen Kraft eines Einzelnen,25 eines Volkes26 oder Tieres.27 Insgesamt 55$mal wird mit kōa von der Körperkraft eines Lebewesens gesprochen.28 Dies zeigt, wie zentral der Aspekt der physischen Kraft für diesen Machtterminus ist. Dabei wird durch kōa wesentlich seltener die Aussage getroffen, dass ein Mensch Kraft besitzt29, als dass ihm Kraft fehlt30 oder diese im Vergleich mit Gottes Kraft unzulänglich ist31. Dem entsprechen Situationen, in denen

24

Eine Auflistung aller Wortverbindungen findet sich bei RINGGREN, kōa , 131. Vgl. Lev 26,20; Jos 14,11(bis); Ri 16,5.6.9.15.17.19.30; 1 Sam 2,9; 28,20.22; 30,4; 1 Kön 19,8; 2 Kön 19,3; Jes 10,13; 37,3; 44,12(bis); 49,4; Jer 48,45; Am 2,14; Hab 1,11; Sach 4,6; Ps 22,16; 31,11; 33,16; 38,11; 71,9; 102,24; Prov 20,29; 24,10; Hi 3,17; 6,11.12; 26,2; 30,2; 36,19; Klgl 1,6.14; Dan 10,8(bis); 11,15; Neh 4,4; 2 Chr 14,10; 20,12. 26 Vgl. Jos 17,17; Jes 41,1; Hos 7,9. In Jos 17,17 könnte mit kōa auch ein etwas um$ fassenderes Potential in den Blick genommen werden, das sich nicht in der Körperkraft von Joseph, Ephraim und Manasse erschöpft: Am3rab attâ wĕkōa gādôl lāk lō 3yihyeh lĕkā gôrāl e ād „Du bist ein zahlreiches Volk und du bist groß an Kraft; du sollst nicht nur ein Los bekommen.“ Ebenso ist es möglich, dass bei kōa in Hos 7,9 die militärischen und wirtschaftlichen Reserven Ephraims mitgedacht werden sollen. 27 Vgl. Prov 14,4; Hi 39,11.21; 40,16; Dan 8,6.7. 28 In eine ähnliche Richtung weist auch der Gebrauch von kōa zur Bezeichnung der Kraft eines Steines (Hi 6,12), der Kraft der Erde (Gen 4,12; Hi 31,39) sowie der Kraft der Stimme Zions (Jes 40,9). 29 Vgl. Jos 14(bis); Ri 16,5.6.9.15; Jes 10,13; 44,12; Prov 20,29. 30 Vgl. 1 Sam 28,20; 30,4; 2 Kön 19,3; Jes 10,13; 44,12; 49,4; Jer 48,45; Am 2,14; Ps 22,16; 31,11; 38,11; Prov 24,10; Hi 3,17; 26,2; 30,2; Klgl 1,6.14; Dan 10,8(bis); 11,15; Neh 4,4; 2 Chr 14,10; 20,12. 31 Vgl. Lev 26,20; 1 Sam 2,9; Sach 4,6; Ps 33,16; 102,24; Hi 36,19. 25

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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der Mensch überzeugt ist, aus eigenem kōa zu handeln, es aber nicht selten Gott selbst ist, der die Geschicke mit seiner Kraft lenkt.32 Auch wenn kōa primär die Körperkraft eines Menschen bezeichnet, ist das Substantiv offen für die Aufnahme weiterer Aspekte menschlicher Kraft und Stärke, die am ehesten als geistige Fähigkeiten zu beschreiben sind. So kann kōa neben der physischen Kraft auch die Kompetenzen eines Men$ schen in den Blick nehmen, die für die Ausübung der täglichen Arbeit (Gen 31,6; Dtn 8,17), für die Kriegsführung (Prov 24,5), die Errichtung des Tempels (2 Chr 2,5) oder das Ausschöpfen aller Handlungsmöglichkeiten im Leben erforderlich sind (Koh 9,10). Schließlich bezeichnet kōa die vom Vater an den Erstgeborenen weitergegebene Kraft (Gen 49,3). Ausgehend von der konkreten Vorstellung der physischen Kraft eines Kriegers hat sich das Bedeutungsspektrum von kōa ferner dahingehend entwickelt, dass es militärische und politische Kraft in einem umfassenden Sinn bezeichnen kann, die neben dem Heer auch die weiteren militärischen und wirtschaftlichen Ressourcen eines Herrschers sowie seine Amts$ und Befehlsgewalt einschließt.33 Singulär ist dagegen die Entwicklung des Sprachgebrauchs von kōa in Koh 4,1, wo die Bedeutung „Gewalt“ vorliegt: Die Unterdrückten erleiden von der Hand (mîyad) der Unterdrücker kōa . Darüber hinaus wird kōa in Prov 5,10; Hi 6,22 und Esr 2,69 in Kontexten gebraucht, die nahe legen, dass es sich hier weniger um Kraft, sondern viel$ mehr um das durch Kraft Erworbene – Besitz, Vermögen oder Reichtum – handelt.34 In jüngeren Texten des Alten Testaments lässt sich feststellen, dass kōa eine eher unspezifische Kraftvorstellung zum Ausdruck bringt. Der Aspekt der Körperkraft tritt dabei ganz in den Hintergrund. Kōa bezeichnet in die$ sen Fällen entweder die Eignung zur Ausübungen einer bestimmten Tätigkeit (Torwächter am Tempel, Diener am königlichen Hof)35 oder beschreibt die Fähigkeit des Einzelnen wie des Volkes, Geld für die Errichtung des Jerusa$ lemer Tempels aufzubringen36. In eine ähnliche Richtung weist auch der Gebrauch von kōa in Esr 10,13, wo eine Gruppe von Männern nicht in der Lage ist, „im Freien zu stehen“. 32

So ruft der Assyrerkönig im Glauben an die Wirksamkeit seiner eigenen Kraft und Stärke aus: Bĕkōa yādî āśîtî „Durch die Kraft meiner Hand habe ich es getan“ (Jes 10,13), nichtahnend, von Jhwh als „Strafwerkzeug“ gebraucht worden zu sein, ebenso Israel, das versucht ist, in Zeiten des Wohlstandes zu vergessen, was es Gott verdankt, und in seinem Herzen denkt: Kō î wĕ ō em yādî āśâ lî et3ha ayil hazzeh „Meine Kraft und die Stärke meiner Hand haben mir diesen Reichtum erworben“ (Dtn 8,17). 33 Vgl. Nah 2,2; Dan 8,22.24(bis); 11,6.25; 2 Chr 13,20; 22,9; 26,13. 34 Deutlich häufiger dient im Alten Testament jedoch ayil dazu, um von dem zu spre$ chen, was durch Kraft erworben worden ist (siehe unten Kapitel 4.2.2). 35 Vgl. Dan 1,4; 1 Chr 26,8. 36 Vgl. 1 Chr 29,2.14.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Der Gebrauch von kōa bleibt im Alten Testament keineswegs auf Mensch und Welt beschränkt. In knapp einem Drittel der Fälle bezeichnet kōa Gottes Kraft und Stärke. Die Aussagen lassen sich primär zwei Gruppen zuordnen. Zur ersten gehört die Charakterisierung von Gottes Macht durch vorwiegend allgemein gehaltene Formulierungen, die entweder ihn,37 seine Hand,38 Rech$ te,39 Stimme40 oder sein Herz41 stark oder kräftig nennen. Nur selten wird dabei ein bestimmter Aspekt göttlicher Stärke akzentuiert, etwa in Jes 40,26, wo durch kōa Gottes Fähigkeit zur Bewahrung und Erhaltung der Schöpfung in den Blick genommen wird, oder in Ex 15,6, wo kōa für Gottes Rettungs$ macht beim Exodus steht. Auffällig ist, dass in fast allen Texten, in denen Gott mit diesem Substantiv Macht als Wesenseigenschaft zuerkannt wird, kōa entweder durch gādôl „groß“ oder rab „viel“, selten auch durch addîr „groß, herrlich“ oder ammî „stark“ gesteigert wird. Dies ist umso bemer$ kenswerter, da alle anderen Machttermini, die im Alten Testament von Gottes Macht sprechen, fast in keinem Text durch ein Adjektiv näher bestimmt wer$ den. Kōa scheint hingegen nicht ohne weitere Spezifizierung zur Charakteri$ sierung von Gottes machtvollen Wesen als angemessen erachtet worden zu sein. Dies mag mit der bleibenden Dominanz der Körperkraft als Grundbe$ deutung von kōa zusammenhängen. Ausgehend von der Denkfigur a minore ad maius liegt es nahe, dass Gottes Kraft der menschlichen überlegen sein muss und sich daher Formulierungen durchgesetzt haben, die von seiner gro$ ßen Kraft sprechen. Auffällig ist zudem, dass mehr als die Hälfte aller Bele$ ge, in denen kōa als Wesenseigenschaft Gottes in den Blick genommen wird, im Hiobbuch zu finden sind.42 Gottes Macht ist dort zentrales Thema und bedrängendes Problem zugleich. Hiob leidet an seiner Gotteserfahrung. Er nimmt Gottes Handeln als ambivalent, häufig sogar als eindeutig gegen ihn gerichtet wahr. Sprachlich werden diese negativen Gotteserfahrungen selten durch Machttermini zum Ausdruck gebracht. Dies liegt vor allem da$ ran, dass Gottes Macht im Alten Testament so dominant dem Leben des Ein$ zelnen wie des Volkes dient und diese positiv konnotierte Machtvorstellung ganz eng an die entsprechende Machtterminologie gebunden ist. Kōa ist der Machtterminus, der am ehesten offen dafür gewesen ist, die negative Seite von Gottes Wesen und Wirken einzufangen. Doch selbst im Hiobbuch ge$ schieht dies nur mit großer Zurückhaltung.43 In den meisten Fällen, in denen Gottes Handeln als bedrängend erfahren wird, ist es Gottes Hand (yād), die 37

Vgl. Jes 40,26; Nah 1,3; Ps 147,5; Hi 9,4.19; 23,6; 24,22; 30,18; 36,22; 37,23. Vgl. 1 Chr 29,12; 2 Chr 20,6. 39 Vgl. Ex 15,6. 40 Vgl. Ps 29,4. 41 Vgl. Hi 36,5. 42 Vgl. Hi 9,4.19; 23,6; 24,22; 30,18; 36,5.22; 37,23. 43 Vgl. Hi 9,4.19; 23,6; 24,22; 30,18; ferner 2 Chr 25,8 sowie gĕbûrâ in Jes 33,13; Hi 12,13; 26,14 und ōz in Ps 90,11; Hi 12,16; Esr 8,22. 38

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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Hiob zu spüren bekommt. Hiobs Leiden sind auch an seine körperliche Ver$ sehrtheit gebunden. Dies könnte ein weiterer Grund dafür sein, warum gerade kōa , der Machtterminus, der am engsten mit dem Aspekt der Körperkraft verbunden ist, im Hiobbuch Gottes bedrohliche Potenz zum Ausdruck bringt. Fast ebenso häufig, wie kōa im Alten Testament als Wesenseigenschaft Gottes in den Blick genommen wird, sind Belege, die von Gottes kōa im Zusammenhang mit seinem konkreten Handeln in der Welt und am Menschen sprechen. Sie bilden die zweite Gruppe. In den meisten Fällen beziehen sich die Aussagen auf die Befreiung seines Volkes aus Ägypten (10$mal)44 oder die Erschaffung und Erhaltung der Welt (6$mal)45. Dies geschieht primär in formelhaften Wendungen. Bei der Rede vom Exodusgeschehen kommt es zur Adaption der in deuteronomistischer Tradition geprägten Formulierung bĕyād ăzāqâ ûbizrôa nĕ$ûyâ „mit starker Hand und ausgestrecktem Arm“,46 die auf Gottes machtvolles Wirken beim Auszug aus Ägypten verweist. Dabei wird entweder yād „Hand“ oder zĕrôa „Arm“ durch kōă gādôl „große Kraft“ ersetzt. Möglicherweise ist das Auftreten von zwei nahezu synonymen Machtmetaphern als Doppelung empfunden worden. Das Ersetzen einer der beiden Metaphern durch kōă ist naheliegend, weil kōă unter den Machtter$ mini am engsten mit dem Aspekt der Körperkraft verbunden ist. Zugleich könnte dadurch eine Weitung des Blickes auf das hinter den konkreten Ein$ zeltaten stehende Machtpotential Gottes intendiert sein. Vielleicht soll auf diese Weise das Exodusgeschehen auf künftiges Handeln Gottes an seinem Volk oder bereits erfahrene andere Machterweise transparent werden.47 Macht und Schöpfung werden im Alten Testament selten miteinander ver$ bunden. In den Schöpfungsberichten der Genesis wird nicht expressis verbis von Gottes Macht gesprochen. Im Jesaja$ und Jeremiabuch sowie im Psalter wird mit kōă jedoch wenige Male die Vorstellung artikuliert, dass sich Got$ tes Macht in seinem Schöpfungshandeln manifestiert.48 Kōă hat sich auf Grund der Semantik, die alle Aspekte von Schaffenskraft umfasst, dafür be$ sonders angeboten. In Jer 10,12 = 51,15 und 27,5 = 32,17 wird die Konstituti$ on der Welt durch Gottes kōă ausgedrückt, in Jes 40,26 und Ps 65,7 ihre Erhaltung. In Jer 27,5 = 32,17 wird Gottes Schöpfungshandeln mit der Exo$ dustradition verbunden, indem sein Machterweis bei der Erschaffung von Welt und Mensch mit derselben Formulierung artikuliert wird wie sein machtvolles Handeln beim Exodus: bĕkō î haggādôl ûbizrô î hannĕ$ûyâ „mit meiner großen Kraft und mit meinem ausgestreckten Arm“ (Jer 27,5 = 32,17; 44 Vgl. Ex 9,15; 15,6; 32,11; Num 14,13.17; Dtn 4,37; 9,29; 2 Kön 17,36; Ps 111,6; Neh 1,10. 45 Vgl. Jer 10,2; 27,5; 32,17; 51,15; Ps 65,7; Hi 26,12. 46 Vgl. Dtn 4,34; 5,15; 7,19; 11,2; 26,8; 1 Kön 8,42; Ez 20,33.34; Ps 136,12; 2 Chr 6,32; ähnlich auch Jer 21,5. 47 Vgl. Ex 32,11; Dtn 4,37; 9,29; 2 Kön 17,36; Neh 1,10; ferner Num 14,13. 48 Vgl. Jes 40,26; Jer 10,12 = 51,15; 27,5 = 32,17; Ps 65,7.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

vgl. Dtn 9,29). Hier werden Heilsgeschichte und Schöpfung in einem Kontext verbunden, der Gottes Macht gegenüber anderen Völkern betonen soll. Gottes Schöpfungshandeln wird dabei in die Vorstellungswelt der Macht Gottes hineingenommen, die schon früher mit der Heilsgeschichte verbunden wor$ den ist. Darüber hinaus manifestiert sich in vier weiteren Texten Gottes kōa in seinem Rettungshandeln an seinem Volk.49 Nimmt man alle Belege, in denen im Alten Testament Gottes Handeln in der Welt und am Menschen als Aus$ druck seines kōa verstanden wird, zusammen in den Blick, fällt auf, dass kōa nie Machterweis für den Einzelnen ist, sondern sich stets in größeren Dimensionen erweist. Ganz vereinzelt wird kōa überdies dazu verwendet, Gottes Kraft dem Menschen zuteilwerden zu lassen.50 Es verwundert nicht, dass der Aspekt der Anteilgabe von Gottes Macht an den Menschen nur sehr selten durch kōa zum Ausdruck gebracht wird. Das Substantiv steht in allen Schriften des Alten Testaments primär für menschliche Kraft und Stärke. Werden – wie hier – Gott und Mensch aufs engste zusammen in den Blick genommen, liegt es nahe, eher einen Terminus zu verwenden, der deutlicher mit Gottes Macht verbunden ist, um so der Gefahr zu entgehen, den Wesens$ unterschied göttlicher und menschlicher Macht zu verwischen. Im Psalter bezeichnet kōa viermal Gottes Stärke und Macht, sechsmal die Kraft des Menschen. In Ps 103,20 dient kōa ferner zur näheren Charakteri$ sierung der göttlichen Boten. Die Aussagen, die im Psalter über menschliche Kraft getroffen werden, entsprechen dem Befund in den übrigen Schriften des Alten Testaments: Immer steht der Mangel und die Wirkungslosigkeit der Kraft des Menschen im Zentrum. In fünf Psalmen beklagt der Beter Schwin$ den, Verlust oder Unzulänglichkeit seiner Kräfte.51 Das Fehlen der Kraft beklagt der Beter in der Not. Die getroffenen Aussagen beabsichtigen folglich nicht, etwas Allgemeingültiges über den menschlichen kōa zu sagen, son$ dern sie sind situationsbezogen zu verstehen. Anders ist dies in Ps 33. Dort erfolgt in V. 16–17 eine grundsätzliche Reflexion über die Kraft des Men$ schen, die zu einem generellen Urteil über die Wertlosigkeit des mensch$ lichen kōa führt.52 Die Radikalität, mit der in Ps 33 von der Unzulänglich$ keit menschlicher Kraft gesprochen wird, ist zwar singulär, spitzt aber durch$ aus die im Alten Testament schon beobachtete Tendenz zu, dass der kōa des Menschen als defizitär gilt, vor allem in seinem Verhältnis zu Gott. Auch wenn kōa im Psalter fast ebenso häufig zur Bezeichnung göttlicher wie menschlicher Kraft gebraucht wird, ist der qualitative Unterschied unver$ 49

Vgl. Jes 50,2; 63,1; Ps 111,7; 2 Chr 25,8. Vgl. Dtn 8,18; Ri 6,14; Jes 40,29.31; Mi 3,8. 51 Vgl. Ps 22,16; 31,11; 38,11; 71,9; 102,4. 52 Vgl. Ps 33,16; siehe ferner unten die Ausführungen zu ayil in Ps 33,16–17 in Kapi$ tel 4.2.2. 50

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kennbar: Wirkmächtigen kōa hat im Psalter allein Gott.53 Er ist seinem We$ sen (Ps 147,5) wie auch seiner Stimme (Ps 29,4) zu eigen und zeigt sich in seinem Handeln. Gott erweist seinen kōa auch hier ausschließlich zum Woh$ le seines Volkes: beim Exodus und der anschließenden Gabe des Landes (Ps 111,6) sowie bei der Bewahrung der Schöpfung als Lebensraum für alle Menschen (Ps 65,7). Auch wenn sich im Blick auf die semantische Konnotation von kōa kein signifikanter Unterschied beim Gebrauch des Terminus in und außerhalb des Psalters zeigt, fällt auf, dass die Vorstellung der Anteilgabe von Gottes Macht an den Menschen in den Psalmen nie durch kōa zum Ausdruck gebracht wird. Dies könnte daran liegen, dass die Rede von Gottes Macht ihren Schwerpunkt im Psalter hat und es daher in der Gebetssprache eine schärfere Wahrnehmung für den im Kontext „passenden“ Terminus für Gottes Macht gibt. Kōa bietet sich schon allein wegen seiner Semantik nicht besonders dafür an, Gottes Wesen zu charakterisieren oder von seinem Wirken zu spre$ chen, geschweige denn für die Artikulation der Anteilgabe seiner Macht an den Menschen. Es liegt nahe, dass vor allem deshalb der zuletzt genannte Aspekt im Psalter nicht durch kōa ausgedrückt wird und auch die anderen beiden Aspekte zusammen nur viermal auftreten. 4.2.2 >ayil Das Substantiv ayil ist 251$mal im Alten Testament belegt, 18$mal davon im Psalter.54 Es findet sich weitaus häufiger in jüngeren als in älteren Texten. Auffallend frequent tritt ayil im Jeremiabuch und der Chronik auf.55 Die Grundbedeutung des Substantivs ist Kraft und Stärke. Bisweilen nimmt es auch die Bedeutung Tüchtigkeit oder Tugend (virtus) an. Ebenso bezeichnet ayil das durch Kraft Erworbene: Reichtum, Vermögen oder Be$ sitz. In den weitaus meisten Fällen dient ayil jedoch wie das akkadische Pendant emūqu56 zur Bezeichnung des Heeres. Im Rahmen der Grundbedeutung werden durch ayil zunächst die phy$ sische Kraft oder geschlechtliche Potenz eines Menschen oder Tieres sowie

53

So können die göttlichen Boten in Ps 103,20 als Künder des göttlichen kōa zwar mit dem Attribut gibbōrê kōa „Helden der Kraft“ versehen werden, doch Gottes Kraft wird auch ihnen nicht als eigene Qualität zugesprochen. 54 Neben dem Substantiv ayil finden sich im Alten Testament auch zwei Belege für das Verb yl Qal „kräftig sein, Bestand haben“. In Hi 20,21 hat das Gut des Gottlosen keinen Bestand (lō 3yā îl $ûbô); in Ps 10,5 haben die Wege der Frevler allezeit Bestand (yā îlû dĕrākāw bĕkol3 ēt). Beide Texte geben somit keinen Aufschluss über Gottes Macht. 55 Die hohen Belegzahlen von ayil im Jeremiabuch (29 Belege) und in der Chronik (28 bzw. 27 Belege) ergeben sich durch Berichte über das Heer, ihre Anführer sowie Schilde$ rungen von Kampfhandlungen. 56 Vgl. CAD E, 157–161, s. v. emūqu.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

die vegetative Fruchtbarkeit in den Blick genommen.57 Weitaus häufiger bezeichnet ayil jedoch menschliche Kraft im kriegerischen Bereich. In die$ sen Fällen tritt zu ayil fast immer dessen Träger, etwa gibbôr „(geübter) Krieger, Held“ oder îš „Mann“ hinzu.58 Durch ayil können unterschiedliche Aspekte menschlicher Kraft, die in kriegerischen Auseinandersetzungen von Bedeutung sind, zum Ausdruck gebracht werden. Ausgehend von der vergleichsweise konkreten Vorstel$ lung der physischen Kraft eines Menschen kommt es auch zu umfassende$ ren Aussagen, bei denen strategische Fähigkeiten und/oder tugendhaftes Verhalten des Einzelnen eingeschlossen sind, mitunter sogar im Zentrum stehen. Das breite Bedeutungsspektrums von ayil ermöglicht es, mensch$ liche Kraft und Stärke in kriegerischen Kontexten sehr differenziert zu artikulieren. Der Übergang zwischen den einzelnen Bedeutungsnuancen ist fließend. So ist es mitunter nicht leicht, zu entscheiden, ob in der entspre$ chenden Aussage der Akzent eher auf der physischen Beschaffenheit des Einzelnen oder seinen darüber hinausgehenden Fähigkeiten und Eigenschaf$ ten liegt, die für eine erfolgreiche Kriegsführung dienlich sind. Trotz der deutlichen Präferenz bei der Verwendung von ayil zur nähe$ ren Charakterisierung von Menschen im kriegerischen Bereich bezeichnet ayil auch 20$mal Tüchtigkeit und Tugendhaftigkeit in anderen Kontexten. >ayil verweist dann auf besondere Kompetenz und charakterliche Stärke, wie sie sich bei Aufsehern,59 Torhütern am Tempel,60 Männern in Leitungs$ positionen,61 Familienoberhäuptern,62 Priestern,63 Gottesfürchtigen,64 keu$ schen und sittsamen Frauen65 sowie Frauen in Wahrnehmung ihrer Verant$ wortung zeigen.66 Selten steht ayil auch für Gottes Kraft und Stärke.67 Werden im Alten Testament Mensch, Tier und Vegetation ayil als Wesenseigenschaft zuge$ 57

Vgl. Joel 2,22; Ps 33,16.17; Prov 31,3; Koh 10,10; 12,3. Neben Num 24,18; 1 Sam 14,48; 2 Sam 22,40; Ps 18,40; 60,14; 108,14; 118,15.16, wo ayil auch ohne die Zufügung eines Beiwortes kriegerisch konnotiert ist, finden sich im Alten Testament noch etwa 60 Belegstellen, in denen der Aspekt der Kriegskraft durch ein individualisierendes Beiwort verstärkt wird. Im Einzelnen sind dies: gibbôr „(geübter) Krieger“ (38$mal); îš „Mann“ (13$mal); bēn „Sohn“ (8$mal) sowie einmal die Kombina$ tion ben3 îš. 59 Vgl. Gen 47,6; Ex 18,21.25. 60 Vgl. 1 Chr 26,7.8.9. 61 Vgl. Neh 3,34; 11,6; 1 Chr 26,30. 62 Vgl. 1 Chr 26,32. 63 Vgl. 1 Chr 9,13; 2 Chr 26,17. 64 Vgl. 2 Sam 2,7; 1 Kön 1,42.52; 2 Kön 2,16. 65 Vgl. Ruth 3,11. 66 Vgl. Prov 12,4; 31,10.29. 67 Vgl. Num 24,18; 1 Sam 2,4; Hab 3,19; Ps 18,33.40 = 2 Sam 22,33.40; 59,12; 60,14 = 108,14; 84,8(bis); 110,3; 118,15.16. 58

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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sprochen, so finden sich in Bezug auf Gott keine vergleichbaren Aussa$ gen.68 Was jedoch über Gott bzw. seinen ayil ausgesagt werden kann, ist zweierlei: Zum einen lässt Gott den Menschen seinen ayil zuteilwerden;69 zum anderen zeigt sich Gottes ayil in seinem machtvollen Handeln in der Welt.70 Findet sich die Vorstellung der Teilhabe des Menschen an Gottes Macht in der Mehrzahl der Belege, verteilt über verschiedene Schriften des Alten Testaments, so sind Aussagen über Gottes Wirken in der Welt und am Menschen allein auf den Psalter beschränkt. Nimmt man alle Aussagen über Gottes ayil zusammen in den Blick, ist ihre Konzentration im Psalter unverkennbar. Dort finden sich zehn der ins$ gesamt fünfzehn Belege. Der Befund ist sogar noch eindeutiger, da 2 Sam 22,33.40 wörtliche Übernahme aus Ps 18,33.40 ist.71 Die drei noch verbleibenden Belege finden sich in Kontexten, die eine deutliche Nähe zu Sprache und Gedankenwelt des Psalters aufweisen und ebenfalls Gebete (1 Sam 2,4; Hab 3,19) bzw. vermittelte Gottesrede (Num 24,18) sind. Dies könnte, zusammen mit der Beobachtung, dass mit ayil im Psalter zwei komplementäre Aspekte von Gottes Macht in den Blick genommen werden, außerhalb dagegen nur einer der beiden, darauf hindeuten, dass sich der Gebrauch von ayil zur Bezeichnung von Gottes Kraft im Psalter entwickelt hat. In den weitaus meisten Fällen hat ayil im Alten Testament die Bedeu$ tung „Heer“. >ayil steht sowohl für das Heer der Könige Israels wie das anderer Herrscher, schließlich auch dreimal für Gottes Heer. Mehrheitlich dient es zur Bezeichnung von Fremdheeren.72 Da in einigen Texten neben ayil auch von Reitern gesprochen wird, scheint sich ayil im engeren Sin$ ne auf das Fußvolk und den Tross zu beziehen.73 In gut einem Siebtel aller Belege ist ayil der Besitz, das Vermögen oder der Reichtum eines Menschen. In den meisten Aussagen ist ayil dabei negativ konnotiert. Gegenüber dem Besitz wird eine gewisse Zurückhaltung 68 Anders EISING, ayil, 911, der unter Verweis auf Ps 59,12 Gott ayil als Wesensei$ genschaft zuspricht. 69 Vgl. Num 24,18; 1 Sam 2,4; Hab 3,19; Ps 18,33.40 = 2 Sam 22,33.40; 84,8(bis); 110,3. 70 Vgl. Ps 59,12; 60,14 = 108,14; 118,15.16. 71 Dass Ps 18 sekundär in das 2. Buch Samuel eingefügt worden ist, wird nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt (vgl. SCHMUTTERMAYR, Psalm 18). 72 111$mal wird ayil zur Bezeichnung eines Heeres gebraucht. Dabei ist 35$mal – je nach zeitgeschichtlicher Situation – das Heer des gesamtisraelitischen Königs oder desje$ nigen des Nord$ oder Südreiches gemeint, 13$mal das Heer des Pharaos, 48$mal das Heer eines Fremdherrschers sowie dreimal Gottes Heer (Joel 2,11.25; Dan 4,32). Hinzu kommen noch zwei Belege, in denen ayil nicht das konkrete Heer eines bestimmten Herrschers bezeichnet, sondern das Heer als größere Gruppe bewaffneter Männer unter gemeinsamem Oberbefehl in den Blick nimmt. 73 Vgl. Ex 14,9; 1 Kön 20,1.25; 2 Kön 6,14.15; Jes 43,17; Esr 8,22.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

oder Skepsis geäußert.74 Reichtum wie Kriegsbeute können aber auch als Gottesgeschenk verstanden werden,75 während der Reichtum der Frevler zur Anfechtung werden kann.76 Doch denen, die keine bzw. keine intakte Got$ tesbeziehung haben, bleibt ihr Vermögen nicht dauerhaft erhalten oder bringt ihnen zumindest kein Lebensglück.77 Einen Hinweis darauf, was unter Besitz und Vermögen zu verstehen ist, bietet Num 31,9. Dort werden neben ayil noch Frauen, Kinder und Vieh als Kriegsbeute genannt. Sie scheinen vom ayil ausgeschlossen zu sein, welcher somit aus unbeweg$ lichem Eigentum und erwirtschafteten Gütern und Werten bestanden haben dürfte. Dies deckt sich mit Sach 14,14, wo Gold, Silber und Kleidung als Bestandteile von ayil angeführt werden.78 Im Psalter ist ayil 18$mal belegt. Zwölfmal nimmt das Substantiv die Bedeutung Kraft und Stärke an, viermal bezeichnet es Vermögen, Besitz oder Reichtum, zweimal das Heer. Im Bereich von Vermögen und Reichtum ist der Befund eindeutig. Alle Aussagen sind besitzkritisch. Frevler und Feinde werden als Besitzer von Reichtum genannt (Ps 49,7; Ps 73,12), begleitet durch den Verweis, dass Besitz letztlich nichtig sei (Ps 49,11; Ps 62,11). Ferner bezeichnet ayil im Psalter das Heer des Königs (Ps 33,16) sowie des Pharaos (Ps 136,15). Beide Belege stehen im Kontext des Versagens menschlicher Kraft in Kampf. Ebenso kann mit ayil, wenn es die Bedeu$ tung Kraft und Stärke annimmt, die Unwirksamkeit der physischen Kraft des Menschen (Ps 76,6) oder des Pferdes (Ps 33,17) in kriegerischen Ausei$ nandersetzungen konstatiert werden. Es ist offensichtlich, dass mit ayil – wie auch mit kōa – im Psalter kei$ ne positiven Aussagen über die Kraft des Menschen oder des Tieres getrof$ fen werden. Wie grundsätzlich beiden ihre Wirksamkeit abgesprochen wird, zeigt sich besonders deutlich in Ps 33. Es ist ein hymnischer Text, der sich in V. 16–17 gegen weltliche Mächte richtet: Ên3hammelek nôšā bĕrob3 āyil gibbôr lō 3yinnā ēl bĕrob3kōa šeqer hassûs litšû â ûbĕrōb êlô lō yĕmallē$ „Nicht wird der König gerettet durch die Größe des Heeres; der Held wird nicht gerettet durch die Größe der Kraft. Trügerisch ist das Pferd in Bezug auf Hilfe, durch die Größe seiner Stärke rettet es nicht.“ Hier wird Machtkritik geäußert, die die Stärke des Königs nicht marginalisiert. Sofort fällt die Steigerung von kōa und āyil durch rōb „Größe“ ins Auge. Machttermini werden im Psalter fast nie durch ein Beiwort verstärkt, und 74 Mehr als die Hälfte aller Aussagen ist besitzkritisch: Jes 8,4; 10,14; 30,6; Jer 15,13; 17,3; Ez 26,12; 28,4.5(bis); Ps 49,7.11; 62,11; 73,12; Prov 13,22; Hi 5,5; 15,29; 20,15.18; 31,25. 75 Vgl. Dtn 8,17; Num 31,9; Jes 61,6. 76 Vgl. Ps 73,12; Hi 21,7. 77 Vgl. Jes 10,14; Jer 15,13; Ps 49,11; 62,11; Prov 13,22; Hi 15,29; 20,15.18. 78 Vgl. EISING, ayil, 908f.

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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wenn dies der Fall ist, nur bei Aussagen über Gottes Macht.79 Hier wird offenbar bewusst die Stärke des Königs, des Helden und des Pferdes stark gemacht; nicht um sie zu preisen, sondern um zur Gottesfurcht zu ermah$ nen. Denn so groß menschliche Macht auch sein mag, sie kann keine Ret$ tung bringen. Das Bild eines Heeres mit Soldaten und Pferden, das bereit ist, mit dem König in die Schlacht zu ziehen, dabei aber unfähig, zu retten, weist über sich hinaus. Es geht nicht um Rettung im Krieg, sondern um die Rettung des Lebens in einem umfassenden Sinn, die allein bei Gott liegt. Dies zeigen V. 18–22 deutlich. Gottes Wille zur Rettung liegt in seiner Güte ( esed) begründet. Der Beter soll daher seine Hoffnung auf Gottes Güte und nicht auf andere Kräfte und Mächte setzen. Von Gottes Macht spricht Ps 33 nicht. Offensichtlich wird hier weltlichen Mächten bewusst nicht Gottes Macht, sondern seine Güte entgegengestellt, die Rettung be$ wirkt. Auf diese Weise tritt Gottes Wesen und das Charakteristische seiner Zuwendung zum Menschen besonders deutlich hervor. Gottes esed „Güte“ und sein ōz „Macht“ stehen im Psalter mitunter dicht zusammen, am engs$ ten in Ps 62,12c–13a, wo beide inhaltlich fast identisch zu sein scheinen.80 Im Licht dieser engen Beziehung dürfte esed hier gesetzt worden sein, so dass in esed Gottes Rettungsmacht erkennbar ist. Wird im Psalter explizit von Gottes ayil gesprochen, geschieht dies mit Ausnahme von Ps 84 in kriegerischem Bereich. >ayil wird dabei als Gabe Gottes an den Menschen verstanden, die ihn stärkt und es ihm ermöglicht, im Kampf zu bestehen. Wird dies in Ps 18,33.40 = 2 Sam 22,33.40 im Bild vom Krieger eingefangen, der umgürtet ist mit Kraft (vgl. 1 Sam 2,4), fin$ det sich in Ps 110,3 eine offene und unspezifische Formulierung der Anteil$ gabe (vgl. Num 24,18).81 Unabhängig davon, wie die Vorstellung der dem Menschen gewährten Partizipation an Gottes ayil zum Ausdruck gebracht wird, ist deutlich, dass der derart begabte Mensch mehr leisten oder etwas erlangen kann, wozu er aus eigener Kraft nicht im Stande gewesen wäre. Menschliche Kraft vermag im Kampf gegen die Feinde letztlich nichts aus$ zurichten. Es ist Gottes ayil, den der Einzelnen im Kampf erbitten kann, so dass von Gott Rettung und Sieg kommen. Auch in Ps 84,8 wird von der Anteilgabe göttlicher Macht an den Menschen gesprochen. Dort kommt jedoch eine andere Facette seiner Kraft in den Blick. Gottes ayil lässt den 79

Vgl. Ps 66,3 (rōb ōz); Ps 147,5 (rob3kōa ). Siehe unten Kapitel 4.2.4. 81 Noch ein weiteres Mal wird durch ayil außerhalb des Psalters die Vorstellung der Partizipation des Menschen an Gottes Macht zum Ausdruck gebracht. In Hab 3,19 erkennt der Prophet Gott im Gebet als seine Stärke an (vgl. êlî „meine Stärke“), im Vertrauen darauf, dass er dadurch im Kampf bestehen kann. Erinnert êlî „meine Stärke“ an bedeu$ tungsgleiche Formulierung wie uzzî (Ps 59,10.18) oder ĕyālûtî (Ps 22,20), ähneln Inhalt und Bildsprache auffällig Ps 18,33–34 = 2 Sam 22,33–34. Dies deutet darauf hin, dass der Verfasser von Hab 3,19 auf im Psalter elaborierte Machtvorstellungen zurückgegriffen hat. 80

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Menschen geistlich wachsen und führt ihn dadurch in seine Nähe. Mag in der Formulierung yēlĕkû mē ayil el3 ayil „sie gehen von Kraft zu Kraft“, die mit der Schilderung eines (imaginierten) Aufstiegs zum Zion verbunden ist, auch die Vorstellung von körperlicher Stärkung mitschwingen, so ist dies hier deutlich nachgeordnet und allemal nicht im Sinne kriegerischer Kraft zu verstehen. In der singulären Formulierung von Ps 84,8 geht es primär um eine andere Kraft.82 Schließlich wird im Psalter noch davon gesprochen, dass sich Gottes ayil in seinem Handeln in der Welt manifestiert.83 Wird Jhwh in Ps 59,13 dazu aufgefordert, seine Macht gegen die Feinde zu erheben, um sie zu vernichten, so wird in den anderen Texten stärker das Resultat seines machtvollen Wirkens in den Blick genommen. Dabei fällt auf, dass Gott seinen ayil nie gegen, sondern ausschließlich zu Gunsten seines Volkes einsetzt. Unabhängig davon, welcher der beiden Aspekte von Gottes Macht mit ayil in den Blick genommen wird, ist die Präponderanz der Kriegskraft unverkennbar. Handelt Gott selbst durch ayil, so stets in kriegerischen Situationen. Auch wo davon die Rede ist, dass Gott dem Menschen seinen ayil zuteilwerden lässt, bestätigt sich diese Tendenz. Daran ändert auch Ps 84,8 nichts, wo Gottes Kraft als geistliche Gabe verstanden wird. Das Substantiv ayil ist deutlich kriegerisch konnotiert. Man kann erwägen, ob nicht deshalb eine zu große Nähe zu Gott im Sinne einer göttlichen Eigen$ schaft bewusst vermieden worden ist. 4.2.3 Gĕbûrâ Die Wortgruppe um gĕbûrâ „Macht, Kraft, Stärke“ umfasst neben dem Substantiv noch das Adjektiv gibbôr (heb.)/gibbār (aram.) „stark“ sowie das Verb gbr Qal „stark sein“. Zusammen sind diese vier Worte 249$mal im Alten Testament belegt, 33$mal davon im Psalter.84 Am engsten wird das Substantiv gĕbûrâ mit Gott verbunden. So auch im Psalter, wo sich überdies die mit Abstand meisten Belege für Gottes gĕbûrâ finden. 15$mal wird dort mit diesem Terminus von Gottes Macht gespro$ chen und damit ebenso häufig wie in allen übrigen Schriften des Alten Tes$ taments zusammen. Der Psalter ist somit deutlicher Schwerpunkt der Rede von Gottes gĕbûrâ. Hinzu kommen noch wenige Belege, in denen Gott als

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Siehe dazu unten die Auslegung von Ps 84 in Kapitel 5.2.2.5. Vgl. Ps 59,12; 60,14 = 108,14; 118,15.16. 84 Die meisten Belege entfallen im Alten Testament auf das Adjektiv gibbôr/gibbār (161$mal). Das Substantiv gĕbûrâ ist 63$mal belegt, das Verb gbr 25$mal. Im Psalter finden sich dagegen nur 12 Belege für gibbôr, dafür aber 30 Belege für gĕbûrâ sowie vier Belege für gbr. 83

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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gibbôr charakterisiert wird. Mit dem Verb gbr werden im Psalter hingegen keine Aussagen über Gottes Macht getroffen.85 Zunächst soll der Befund für gibbôr in den Blick genommen werden. Im Psalter finden sich drei der insgesamt zwölf Belege, in denen Gott im Alten Testament als gibbôr bezeichnet wird.86 Es kommt somit äußerst selten zu einer Charakterisierung Gottes durch gibbôr. Dies ist angesichts von 161 Belegen im Alten Testament bemerkenswert. Die Aussagen, die mit gibbôr in Bezug auf Gott getroffen werden, variie$ ren hinsichtlich der sprachlichen Offenheit, mit der in ihnen Gottes Kraft artikuliert wird. Einen vergleichsweise weiten Assoziationsrahmen bieten die vier eher allgemein gehaltenen Formulierungen in Dtn 10,17; Jes 10,21; Jer 20,11 und Neh 9,32, wo Gott als gibbôr „stark“ gepriesen wird. Dies geschieht – mit Ausnahme von Jes 10,21 – in formelhafter Sprache. Gibbôr ist dabei neben gādôl und nôrâ nur ein Element der Charakterisierung Got$ tes: hā ēl haggādōl haggibbôr wĕhannôrâ „der große, starke und Ehrfurcht gebietende Gott“ (Dtn 10,17; Neh 9,32). In Jer 32,18 wird das letzte Glied der Aufzählung (nôrâ) durch Yhwh Eĕbā ôt ersetzt, wodurch die Konnota$ tion von gibbôr im Sinne kriegerischer Kraft unterstrichen wird. Mit aller gebotenen Vorsicht dürfte hier die Grundbedeutung von gibbôr vorliegen: stark (im kriegerischen Bereich), kampftüchtig bzw. (geübter) Krieger oder Held. Fast immer nimmt gibbôr im Alten Testament eine dieser Bedeutun$ gen an, wobei es vorzugsweise substantiviert gebraucht wird. So verwun$ 85 Gbr ist 25$mal im Alten Testament belegt, viermal davon im Psalter. Die Grundbe$ deutung des Verbs ist im Qal „stark sein, überlegen sein“. Das Element der Stärke und Überlegenheit ist auch in allen abgeleiteten Stämmen deutlich enthalten: Pi. „stark machen, Kraft aufwenden“, Hi. „sich stark zeigen, stark sein“, Hitp. „sich überlegen zeigen, sich überheben“. Das Verb gbr bringt im Alten Testament primär menschliches Handeln zum Ausdruck. Dabei enthält es immer eine qualifizierende Wesensbeschreibung, die auf die Stärke des jeweils Benannten verweist (vgl. Ex 17,11[bis]; 1 Sam 2,9; 2 Sam 1,23; 11,23; Jer 9,2; Hi 15,25; 21,7; 36,9; Klgl 1,16; Koh 10,10; Dan 9,27). Darüber hinaus kann gbr auch das Überheben menschlichen Redens (Ps 12,5), die Last von Vergehen (Ps 65,4), die Stärke von Jakobs Segnungen (Gen 49,26) sowie das Ansteigen der Wassermassen in der Sint$ flutgeschichte zum Ausdruck bringen (Gen 7,18.19.20.24). Neben der Verwendung von gbr zur Bezeichnung weltlicher Kraftverhältnisse finden sich auch drei Belege, in denen von Gottes Stärke gesprochen wird. In Jes 42,13 erweist sich Gott seinen Feinden überlegen. Ebenso kann sich das Volk im Kampf behaupten, wenn es von Gott stark gemacht worden ist (Sach 10,6.12). Im Psalter wird mit gbr zudem der Gewissheit Ausdruck verliehen, dass Gottes esed „Güte, Liebe“ stark sei. Dies ist als Zusage formuliert, dass Gott den Gottesfürchtigen (Ps 103,11) wie auch dem Volk (Ps 117,2) beständig seine Güte erweisen werde. In beiden Texten geht es somit weniger um Gottes Stärke als um seine immer währende Güte, der durch gbr Beständigkeit zuge$ schrieben wird. 86 Vgl. Dtn 10,17; Jes 10,21; 42,13; Jer 14,9; 20,11; 32,18; Zeph 3,17; Ps 24,8(bis); 78,65; Hi 16,14; Neh 9,32.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

dert es nicht, dass in den verbleibenden acht Aussagen Gott in Analogie zu einem Menschen, der sich im Kampf als stark erweist, Krieger bzw. Held genannt wird. Am häufigsten geschieht dies in Form eines Vergleiches, dass Gott kĕgibbôr „wie ein Held“ sei oder handle.87 Die Zurückhaltung, Jhwh gibbôr „Held“ als Epitheton zuzusprechen, lässt sich mit Blick auf Israels Nachbarreligionen erklären. Dort ist Held häufig Attribut der Götter.88 Dies dürfte der Grund dafür sein, warum Jhwh im Alten Testament so selten als gibbôr „Held“ bezeichnet wird. In den wenigen Fällen, wo dies doch geschieht, ist kaum zu entscheiden, ob die Prädikation Gottes als gibbôr stärker darauf zielt, sein Wesen zu charakterisieren oder sein Wirken in den Blick zu nehmen. Charakterisie$ rung des Wesens und Beschreibung des Wirkens fallen bei dem Nominalty$ pus von gibbôr praktisch zusammen.89 Wird von Jhwh als Held gesprochen, ist gibbôr immer kriegerisch konnotiert.90 Jhwh erweist sich – von Hi 16,14 abgesehen – als Retter für sein Volk. In Ps 24 hat Gottes Rettungshandeln kosmische Dimension. Der Gott$König Jhwh wird bei seinem Einzug in den Tempel als izzûz wĕgibbôr „Starker und Held“ und gibbôr mil āmâ „Held im Kampf“ gepriesen (V. 8). Die ersten Verse des Psalms machen deutlich, dass es bei dem hier inszenierten Einzug Jhwhs in den Tempel nicht um die Rückkehr aus dem Kampf gegen weltliche Feinde handelt, sondern gegen die Chaosmächte (V. 1–2). Jhwh als Herr über die Urgewalten schafft Le$ bensraum; er spendet Segen (bĕrākâ) und bringt Hilfe (yēša ) all denen, die ihn suchen (V. 5–6). Das Bild von Jhwh, der als Kriegsheld in den Tempel zurückkehrt, wobei sich die Tore vor ihm in Ehrfurcht weit auftun, hat Stärke und Strahlkraft. Dies ist auch bei den anderen Belegen der Fall, in denen Gott zusammen mit oder für die Seinen als gibbôr in den Kampf zieht oder durch seine Präsenz Rettung und Schutz gewährt. In Jer 14,9 wird das Bild von Jhwh, dem Helden, als Anklage gegen ihn gewendet. Das Volk fordert in der Not, dass er doch endlich seinem Wesen gemäß handeln und sich für die Seinen als gibbôr erweisen möge, indem er Rettung und Sieg im Kampf bringt. Ganz vereinzelt finden sich auch Texte, die davon sprechen, dass Jhwh das Volk bzw. einen Teil des Volkes mit seiner Stärke begabt, wodurch sie selbst zu Helden werden. In Sach 10,5.7 lässt Jhwh Ephraim und Juda er$ starken, so dass sie im Kampf bestehen können. In Jes 13,3 sind es Krieger, die, durch Jhwh ermächtigt, das Gottesgericht an Babel vollziehen. Singulär ist dagegen der Gebrauch von gibbôr in Jes 9,5. In der Weissagung des 87

Vgl. Jes 42,13; Jer 14,9; 20,11; Ps 78,65; Hi 16,14. Vgl. CAD Q, 312–315, s. v. qurādu; SEUX, Épithètes, 229–231, s. v. qarrādu. 89 Hier besteht eine Nähe zu den Nominalbildungen vom Typ qattāl, vielleicht zu den nomina opificum; vgl. GK § 84b b.e; GBH § 88H. 90 Vgl. Jes 42,13; Jer 14,9; 20,11; Zeph 3,17; Ps 24,8(bis); 78,65; Hi 16,14. 88

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kommenden Herrschers werden dem Kind mit pele yô ē ēl gibbôr ăbî ad śar3šālôm „Wunder$Rat, Gott$Held, Vater der Ewigkeit, Fürst des Frie$ dens“ Namen beigegeben, die für ein Kind eigentlich nicht geboten sind. Es wird eine neue Wirklichkeit in den Blick genommen. Die Tradition legt nahe, dass gibbôr auch hier kriegerisch konnotiert ist, doch ist dies kaum zu entscheiden und wegen der Kindschaft des Namensträgers nicht einmal naheliegend. Möglicherweise liegt an dieser Stelle ein singulärer kontrafak$ tischer Gebrauch von gibbôr vor. Die noch verbleibenden knapp 150 Belege für gibbôr im Alten Testa$ ment bezeichnen bis auf wenige Ausnahmen Krieger. Dabei wird gibbôr entweder als generelle Bezeichnung für einen Mann im Kriegsdienst ver$ wendet oder – was weitaus häufiger der Fall ist – für einen kampferprobten Krieger, der sich durch besondere Taten als Held erwiesen hat. Da gibbôr im Alten Testament jedoch die gesamte Spannbreite von Männern im Kriegsdienst bezeichnet, ist es oft schwierig, zu entscheiden, wie gibbôr im Einzelfall semantisch konnotiert ist. Tendenziell scheint ein gibbôr jedoch mehr als ein einfacher Krieger zu sein. Dafür spricht zum einen die Wort$ verbindung gibbôr ayil, die im Unterschied zum Gebrauch von îš/ben3 ayil oder îš mil āmâ offensichtlich zur näheren Spezifizierung besonders tüchtiger Männer im Kriegsdienst gedient hat. Zudem lassen sich unter den gibbôrîm zwei Personengruppen identifizieren, die eine exponierte Stellung am Hof von David91 eingenommen haben: seine Leibwache sowie die Drei$ ßig. Die königliche Leibwache hat nach 2 Sam 8,18; 15,18 und 23,23 aus besonders kräftigen und trainierten Söldnern bestanden, auch Krethi und Plethi genannt. Sie sind im bêt haggibbōrîm „Haus der Helden“ unterge$ bracht (Neh 3,16) und fungieren im Kriegsfall als eine Art Elitetruppe (2 Sam 10,7). Bei den Dreißig handelt es ebenfalls um eine Gruppe inner$ halb von Davids „Starken“, bei denen die Bezeichnung gibbôrîm einem Titel oder Rang gleichzukommen scheint. Namentlich werden sie in 2 Sam 23,24–3992 aufgeführt; in 2 Sam 23,8–12.18–23 wird auf die Helden$ taten Einzelner verwiesen. Die Dreißig dürften somit ebenfalls eine Art Eliteeinheit gewesen sein (1 Kön 1,8.10; 1 Chr 29,24).93 Es ist evident, dass gibbôr in den meisten Fällen kriegerisch konnotiert ist und gerade diese Belege im Hintergrund der Bezeichnung Gottes als Held oder seiner Charakterisierung als stark stehen. Vereinzelt werden aber auch Mensch oder Tier in anderen Kontexten durch gibbôr als stark charakteri$ 91

Vgl. Cant 3,7, wo davon gesprochen wird, dass König Salomo 60 gibbôrîm direkt un$ terstehen. 92 Die Liste der Dreißig umfasst in 2 Sam 23,24–39 einunddreißig Namen und sollte nach der Abschlussnotiz in V. 39 sogar siebenunddreißig aufweisen; vgl. ferner 1 Chr 11,10–47; 27,6 (abweichende Angaben). 93 Vgl. KOSMALA, gābar, 910f.

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siert.94 Singulär ist hingegen der Gebrauch von gibbôr zur Bezeichnung der „Kinder von Göttersöhnen und Menschentöchtern“ (Gen 6,4) sowie der gött$ lichen Boten als gibbōrê kōa „starker Helden“ (Ps 103,20). Beide werden durch die Bildung des Namens ēl gibbôr „Gott Held“ in Jes 9,5 für einen neu geborenen Verheißungsträger, ausgezeichnet durch diesen wie auch weitere Namen, die exklusive Gottesnähe signalisieren, überboten. Darüber hinaus dient gibbôr in Verbindung mit ayil als eine Art Berufsbezeichnung für die Torhüter oder Priester am Zweiten Tempel (1 Chr 9,13.26; 26,6). Auch ein vermögender Mann wird gelegentlich gibbôr ayil genannt.95 In späterer Zeit hat sich das Bedeutungsspektrum von gibbôr dahingehend geweitet, dass es zur Bezeichnung eines in jedweder Hinsicht tüchtigen Mannes gebraucht werden konnte.96 Das Substantiv gĕbûrâ ist ein umfassender Machtterminus, mit dem ganz verschiedene Facetten göttlicher und menschlicher Stärke und Macht in den Blick genommen werden. Er ist 63$mal im Alten Testament belegt, 17$mal davon im Psalter. Entsprechend der Grundbedeutung des Verbs gbr Qal „stark sein“ hat das von ihm abgeleitete Substantiv gĕbûrâ zunächst die Bedeutung Kraft oder Stärke. Ferner bezeichnet es die Macht des Königs. In diesen Fällen dient gĕbûrâ als Kollektivbegriff für das, was der König während seiner Regent$ schaft geleistet hat. Singulär ist dagegen der Gebrauch von gĕbûrâ, um Män$ ner als Krieger auszuweisen97 oder die militärische Macht eines Volkes zu erfassen, die sich in seinem Heer konkretisiert.98 In Mi 7,16 wird gĕbûrâ überdies dazu verwendet, auf die Macht einer Nation in einem sehr umfas$ senden Sinn zu verweisen,99 in Ex 32,18 auf den Sieg im Kampf.100 Schließ$ lich spricht gĕbûrâ auch 30$mal von Gottes Macht oder seinen Machttaten. 94 Vgl. Gen 10,9 (Jäger); Jes 5,22 (Mann, der gern und häufig dem Wein zuspricht); Ps 52,3 (Gewalttäter); Ps 112,2 (Nachkommen); Prov 30,30 (Löwe). 95 Vgl. 1 Sam 9,1; 2 Kön 15,20; Ruth 2,1. 96 Vgl. 1 Kön 11,28; 2 Kön 5,1; Esr 7,28. 97 In Jes 3,25 wird ein Teil der Bevölkerung Jerusalems als gĕbûrâ bezeichnet. Der Kontext legt nahe, dass dies weniger im Sinne einer sozialen Differenzierung zu verstehen ist, sondern dass die so benannten Männer in ihrer Funktion als Krieger in den Blick ge$ nommen werden. 98 Die kriegerische Macht eines Volkes konkretisiert sich im Heer. Daher kann gĕbûrâ in Jer 49,35 auch für das Heer bzw. als Synekdoche für die Krieger stehen. Dies stellt jedoch gegenüber dem profilierten Gebrauch von îš mil āmâ, îš/ben3 ayil oder gibbôr für diese Personengruppe bzw. ābā oder ayil zur Bezeichnung des Heeres die Ausnahme dar. 99 Der Kontext von Mi 7,16 legt nahe, dass die Bedeutung von gĕbûrâ hier nicht – wie in Jer 49,35 – allein die militärische Stärke eines Volkes bezeichnet, sondern in einem nachgerade existenziellen Sinn zu verstehen ist. 100 Die Parallelstellung von gĕbûrâ in V. 18a zu ălûšâ „Niederlage“ in V. 18b sowie der Kontext sprechen für die Wiedergabe von gĕbûrâ mit „Sieg“.

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Damit wird das Substantiv fast genauso häufig in Bezug auf Gott wie zur Bezeichnung anderer Kräfte und Mächte gebraucht.101 Bemerkenswert ist, dass sich für die Rede von Gottes Machttaten der Plural gĕbûrôt etabliert hat.102 Gĕbûrâ ist damit der einzige Machtterminus, der auch im Plural belegt ist. Die große Bandbreite an Kräften und Mächten, die mit gĕbûrâ zum Aus$ druck gebracht werden, verbunden mit der weit gefächerten Semantik des Substantivs, erweist, dass es sich um einen zentralen Machtterminus handelt. Die unterschiedlichen semantischen Konnotationen, die gĕbûrâ innerhalb der einzelnen Bedeutungsbereiche haben kann, machen eine kategoriale Erfas$ sung des Befunds nicht leicht. Zunächst soll der Blick auf die Belege von gĕbûrâ gerichtet werden, in de$ nen nicht von Gottes Macht oder seinen machtvollen Taten gesprochen wird. Am eindeutigsten ist der Befund, wenn gĕbûrâ die Taten des Königs bezeich$ net. Insgesamt 12$mal wird auf diese Weise von den Leistungen eines Königs während seiner Regentschaft gesprochen.103 Alle Aussage verbindet, dass sie jeweils den Bericht über die Regentschaft des Königs abschließen und auf eine ausführliche Darstellung seiner Taten in den Annalen verweisen. Dabei fällt auf, dass die Formulierung – unabhängig davon, um welchen König es geht oder wie ausführlich die vorangegangene Beschreibung ausfällt – bis auf kleine kontextbedingte Abweichungen identisch ist.104 Es handelt sich offen$ kundig um eine formelhafte Wendung, bei der durch gĕbûrâ auf die Taten des Königs verwiesen wird. Ein Interesse an den Einzeltaten des Regenten ist nicht erkennbar. Es wird vielmehr der Blick auf die Gesamtheit dessen ge$ richtet, was der König geleistet hat. Gĕbûrâ dient hier als Kollektivbegriff für die Taten des Königs. 101 Im Alten Testament dienen 30 Belege von gĕbûrâ der Bezeichnung von Gottes Macht (Dtn 3,24; Jes 11,2; 28,6; 33,13; 63,15; Jer 10,6; 16,21; Mi 3,8; Ps 20,7; 21,14; 54,3; 65,7; 66,7; 71,16.18; 80,3; 89,14; 106,2.8; 145,4.11.12; 150,2; Hi 12,13; 26,14[Ketib]; Dan 2,20.23; 1 Chr 29,11.12; 2 Chr 20,6), während 33 Belege von anderen Kräften und Mächten sprechen (Ex 32,18; Ri 5,31; 8,21; 1 Kön 15,23; 16,5.27; 22,46; 2 Kön 10,34; 13,8.12; 14,15.28; 18,20; 20,20; Jes 3,25; 30,15; 36,5; Jer 9,22; 23,10; 49,35; 51,30; Ez 32,29.30; Mi 7,16; Ps 90,10; 147,10; Prov 8,14; Hi 39,19; 41,4; Koh 9,16; 10,17; Est 10,2; 1 Chr 29,30). 102 Vgl. Ps 20,7; 21,14(Apparat); 71,16; 106,2; 145,4.12; 150,2. Hinzu kommen noch zwei Belege, in denen es sich bei gĕbûrôt nicht um Gottes Machttaten handelt. In Ps 90,10 bezeichnet der Plural die Lebenskraft des Menschen, in Hi 41,4 die Kraft des Leviathan. In beiden Fällen handelt es sich um junge Texte, in denen gĕbûrôt Intensivplural ist. 103 Vgl. 1 Kön 15,23; 16,5.27; 22,46; 2 Kön 10,34; 13,8.12; 14,15.28; 20,20; Est 10,2; 1 Chr 29,30. 104 Abgesehen von der unvermeidlichen Varianz beim Namen und dem damit verbunde$ nen Hinweis auf eine detaillierte Schilderung der Königstaten in der Chronik der Könige von Israel oder Juda weisen lediglich 1 Chr 29,30 kleinere und Est 10,2 etwas größere Abweichungen im Wortlaut auf. Der formalhafte Charakter bleibt gleichwohl erhalten.

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Einen Hinweis darauf, welchen Charakter die mit gĕbûrâ bezeichneten Ta$ ten haben, bietet die formelhafte Wendung, in der von ihnen gesprochen wird. Sie tritt ausschließlich in den Königsannalen auf. Dies legt die Vermutung nahe, dass unter gĕbûrâ allein die Taten zu verstehen sind, die dem Regenten zu Ruhm und Ehre gereichen. Dabei ist vor allem an erfolgreiche Feldzüge und Bauprojekte zu denken. Annalisten obliegt es, durch ihr Werk den König in einem möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen. Neben der Schilde$ rung von Einzeltaten gibt es auch Notizen, die die Taten summarisch in den Blick nehmen, ganz im Sinne der Apostrophierung von Glanz und Ruhm des Königs. In dieser Funktion wird der Terminus gĕbûrâ auch in der alttesta$ mentlichen Annalistik gebraucht. Die positive Konnotation von gĕbûrâ verwundert mit Blick auf die Texte, in denen das Substantiv gebraucht wird. Fast alle Belege finden sich in den Königebüchern und somit im deuteronomistischen Geschichtswerk.105 Die Deuteronomisten haben eine durchaus königskritische Haltung, wie sich bei$ spielhaft an ihrem Urteil zeigt, dass alle Regenten außer David, Hiskia und Josia das in den Augen Jhwhs Böse getan hätten.106 Gerade von den Deutero$ nomisten ist somit nicht zu erwarten, dass sie von der gĕbûrâ eines Königs berichten. Diese positiv konnotierte Rede von den Taten eines Königs kann ihren Ort daher nur in den vorexilischen Hofannalen gehabt haben, die von den Deuteronomisten gebraucht worden sind. Sie werden dort gĕbûrâ als Terminus technicus für die königlichen Großtaten vorgefunden und über$ nommen haben. Dafür spricht auch, dass gĕbûrâ im Alten Testament nur dort die Taten des Königs bezeichnet, wo explizit auf die Königsannalen verwie$ sen wird. In diesem Zusammenhang sei ferner an die sprachliche Nähe von gĕbûrâ zum positiv konnotierten Titel gĕbîrâ für die Mutter des Königs erin$ nert,107 der auf ihre Funktion als stellvertretende Herrscherin im Todesfall des Regenten und beim Fehlen eines volljährigen Thronerbens hindeutet. Es deu$ tet somit viel darauf hin, dass sich der Gebrauch von gĕbûrâ zur Bezeichnung der Taten des Königs am Hof entwickelt hat und dann in der Annalistik des Königshofes zum Terminus technicus für das vom König während seiner Regentschaft Geleistete geworden ist. Über die Annalistik ist er in die großen alttestamentlichen Geschichtswerke eingegangen und hat sich dort bis in 105 Für die Bewertung des Gebrauchs von gĕbûrâ für die Taten eines Königs ist die komplizierte Entstehung des Deuteronomistischen Geschichtswerkes nicht von Belang. Die Verse, in denen mittels gĕbûrâ von den Taten des Königs gesprochen wird, schließen immer den Bericht über den König ab. Es liegt nahe, dass der Abschluss in Analogie zur Einleitung des Berichts über den jeweiligen König formuliert worden ist, beide dem Stil, nicht jedoch dem ganzen Inhalt nach deuteronomistischen Ursprungs. 106 Vgl. 1 Kön 11,6; 15,26.34; 16,19.25.30; 21,20.25; 2 Kön 3,2; 8,18.27; 13,2.11; 14,24 u. ö. 107 Vgl. 1 Kön 15,13 = 2 Chr 15,16; 2 Kön 10,13; Jer 13,18; 29,2. In 1 Kön 11,19 wird dagegen die Frau des Pharaos als gĕbîrâ bezeichnet.

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jüngste Texte erhalten, wie die beiden Belege in der Chronik und im Buch Esther zeigen. Deutlich weniger homogen stellt sich der Befund dar, wenn gĕbûrâ die Bedeutung von Kraft, Macht oder Stärke annimmt. Wird davon gesprochen, dass ein Lebewesen gĕbûrâ hat, ist immer der Aspekt der physischen Kraft im Blick. Dies ist als Basiskonnotation von gĕbûrâ anzusehen, die durch weitere Bedeutungsaspekte angereichert werden kann. Neben Aussagen, in denen gĕbûrâ ausschließlich die physischen Kraft eines Menschen, Pferdes oder des Leviathan bezeichnet,108 finden sich auch Schilderungen, in denen gĕbûrâ Fähigkeiten und Kompetenzen einschließt, die für eine erfolgreiche Kriegsführung notwendig sind.109 Ferner kann bei gĕbûrâ der Aspekt von Glanz und Pracht als eine mögliche Außenwirkung von Kraft und Stärke mitschwingen. Dies ist in Ps 147,10 und Ri 5,13 der Fall, wo von der gĕbûrâ eines Pferdes bzw. der Sonne gesprochen wird. Darüber hinaus finden sich zwei Texte, in denen gĕbûrâ neben der physischen Kraft beide zuvor genann$ ten Aspekte – kriegerische Fähigkeiten (virtus) und Glanz – umfasst.110 Nicht zuletzt wird mit gĕbûrâ dreimal auch ein sehr weitgefasstes Machtverständnis zum Ausdruck gebracht, das sich jeder kategorialen Erfassung entzieht. So wird in Prov 8,14 konstatiert, dass die Weisheit Macht hat, und in Jes 30,15 darauf verwiesen, dass die Stärke des Menschen in Stille und Vertrauen auf Gott liegt. In Jer 23,10 ist gĕbûrâ negativ konnotiert. Gott fällt das ernüch$ ternde Urteil, dass die Stärke seines Volkes nicht rechtens sei (lō 3kēn). Ebenso komplex ist der Befund, wenn von Gottes gĕbûrâ „Macht, Kraft, Stärke“ oder von seinen gĕbûrôt „Machttaten“ gesprochen wird. In knapp Zweidrittel aller Fälle wird gĕbûrâ als Wesenseigenschaft Gottes in den Blick genommen.111 Dabei werden ganz unterschiedliche Facetten seiner Macht akzentuiert. Nur selten ist gĕbûrâ semantisch so eindeutig konnotiert wie in Jes 63,15; Ps 71,18 und 80,3. Dort wird Jhwh durch gĕbûrâ die Potenz zum Retten zuerkannt, auch dann, wenn seine Rettungsmacht vermisst wird. Die Texte halten daran fest, dass Gott seinem Wesen gemäß retten und seinen Rettungswillen seinem Volk zu Gute kommen lassen will. Dieses Vertrauen führt den Beter in Ps 71,18 zum Gotteslob, in dem Gottes Rettungsmacht eng an seine Gerechtigkeit gebunden wird, aber auch zur Bitte des Volkes, Gott möge seine gĕbûrâ zur Rettung der Seinen im Krieg erweisen (Ps 80,3), und 108 Vgl. Ri 8,21; Jer 9,22; 51,30; Ps 90,10; Hi 39,19 (Pferd); 41,4 (Leviathan); Koh 9,16. 109 Vgl. 2 Kön 18,20 = Jes 36,5. In Koh 10,17 hat gĕbûrâ dagegen einen noch stärker kognitiven Anteil. Auch geht es dort nicht um Stärke im Krieg, sondern um die Fähigkeit der Fürsten zur Selbstbeherrschung beim Essen, was als Zeichen intakter Königsherrschaft gewertet wird. 110 Vgl. Ez 32,29.30. 111 Vgl. Dtn 3,24; Jes 11,2; 33,13; 63,15; Jer 10,6; Ps 65,7; 66,7; 71,18; 80,3; 89,14; 106,8; 145,11; Hi 12,13; Dan 2,20; 1 Chr 29,11.12; 2 Chr 20,6.

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schließlich zum Einklagen seines Rettungshandeln, wenn es in der Not aus$ bleibt (Jes 63,15). Darüber hinaus finden sich fünf Texte, in denen Gottes Macht durch gĕbûrâ in einem ganz umfassenden Sinn in den Blick kommt, wobei jedoch jeweils mindestens ein Charakteristikum seiner Macht eigens akzentuiert wird. Dies zeigt sich am deutlichsten in Ps 106,8. Gottes šēm „Name“ und seine gĕbûrâ „Macht“ werden dort gleichwertig nebeneinander gestellt und mit seinem Rettungshandeln an seinem Volk verbunden. Wie der Name steht hier auch gĕbûrâ für Gott selbst. Es liegt in Ps 106,8 zweifelsoh$ ne ein ganz umfassendes Machtverständnis zu Grunde. Zugleich erhält Gottes Macht durch den Verweis auf die Potenz, zu retten, ihre spezifische Bestim$ mung. Eine Reihe weiterer Charakteristika von Gottes Macht werden in ande$ ren Texten apostrophiert, in denen mit gĕbûrâ umfassend von Gottes Wesen gesprochen wird: Gottes Machterweis im Kampf gegen die Chaosmächte (Ps 65,7), Gottes Herrschermacht über die Völker und die sich daraus ergebe$ nen soteriologischen Konsequenzen für sein Volk (Ps 66,7), Gottes universale Königsherrschaft, die sich in seinen Rettungstaten manifestiert (Ps 145,11), sowie Gottes Schöpfermacht, verbunden mit Recht und Gerechtigkeit, die die Wohlordnung in der Welt bewahren (Ps 89,14). In den meisten Fällen wird durch gĕbûrâ Gottes Macht jedoch so umfassend in den Blick genommen, dass einzelne Facetten seiner Macht nicht mehr erkennbar sind. Gĕbûrâ steht dann für Gottes Machtfülle. Dies geschieht in verschiedenen Kontexten. In Dtn 3,24 und Jer 10,6 steht die Unvergleichlichkeit Jhwhs im Zentrum, die durch den Lobpreis von Gottes Größe und Macht gerahmt wird. Gōdel/gādôl „Größe/groß“ und gĕbûrâ „Macht“ haben bündelnde Funktion. In ihnen wird sprachlich verdichtet, wodurch sich Jhwh anderen Göttern gegenüber aus$ zeichnet. Hymnisch ist der Ton auch in 1 Chr 29,11–12. Der Lobpreis zielt dort auf Gottes Königsherrschaft, welche die Fülle ihrer Macht in der Erhal$ tung des Kosmos erweist. Gĕbûrâ kommt dabei besondere Bedeutung zu. Einleitend werden Gottes Macht (gĕbûrâ) und Größe (gĕdûllâ) mit Glanzphä$ nomenen verbunden, die Gottes königliche Präsenz anzeigen (V. 11). Nach$ dem die Wohltaten der Gegenwart des Gottkönigs Jhwh in Form von Reich$ tum und Herrlichkeit benannt worden sind, wird abschließend die Machtfülle noch einmal auf neue Weise betont. Die Hand Gottes (yād) als Ausdruck seiner Verfügungsgewalt über Mensch und Welt wird zweimal verwendet, einmal in Verbindung mit dem Begriffspaar kōa und gĕbûrâ, das andere Mal mit den Infinitiven „groß machen“ (gdl Pi.) und „stark machen“ ( zq Pi., V. 12). Auf diese Weise umspannen Macht und Größe den Lobpreis der Kö$ nigsherrschaft Gottes. Die zweimalige Verwendung des Begriffs gĕbûrâ zeigt an, dass Gottes Macht als die Wesenseigenschaft herausgestellt werden soll, die ihn zur Ausübung seiner umfassenden Königsherrschaft befähigt. Gottes herausgehobene Stellung wird auch in 2 Chr 20,6 in den Blick ge$ nommen, indem seine Machtfülle als Verfügung über alle Königreiche der Völker konkretisiert wird. Wiederum ist es die Verbindung von Hand (yād),

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Kraft (kōa ) und Macht (gĕbûrâ), durch die Gottes Wesen gepriesen wird. Dabei kommt auch hier dem Begriff gĕbûrâ das größte Gewicht zu. Dem derart mächtigen Gott vermag nichts zu widerstehen (V. 6b). In Jes 11,2, Teil der nachexilischen Verheißung eines Herrschers in Jes 11,1–5, ist Gottes Macht anders kontextualisiert. Dort ist es Gottes Geist, der sein weisheitliches Erkenntnispotential entfaltet.112 Gĕbûrâ ist integraler Bestand dieser Charakterisierung. Sie ist von menschlicher Machtausübung dadurch klar unterschieden, dass dem Gewaltmonopol kontrafaktisch die Macht des Wortes und des Geistes entgegengesetzt wird (V. 2–4). Auch jede weitere „Rüstung“ gewinnt in Gerechtigkeit ( edeq) und Wahrheit ( ĕmûnâ) Gestalt (V. 5). Es ist evident, dass die Verheißung dieser Herrschergestalt Gegenentwurf zu erfahrbarer Machtausübung weltlicher Herrschaft ist. In Dan 2,20, einem der jüngsten Texte des Alten Testaments, steht aber$ mals Gottes Lobpreis im Zentrum. Daniel ruft zum ewigen Lob von Gottes Namen (šēm) auf, weil ihm Weisheit ( okmâ) und Macht (gĕbûrâ) zu eigen seien. Es ist evident, dass mit beiden Begriffen Gottes Wesen zu erfassen versucht wird.113 Gottes Machtfülle erweist sich jedoch nicht wie in der chro$ 112 Die seltene Verbindung von Geist und Weisheit, wie in der Formulierung rûa okmâ „Geist der Weisheit“ bezeugt, könnte ihren Ursprung im Umkreis der priesterlichen Literatur haben (vgl. Ex 28,3; 31,3; 35,31; Dtn 34,9). 113 Auch in Hi 12,13a sind Weisheit ( okmâ) und Macht (gĕbûrâ) zentrale Wesensei$ genschaften Gottes. V. 13 nimmt durch Macht (gĕbûrâ) das Lob Gottes als Schöpfer und Erhalter allen Lebens aus V. 9–12 auf. Gĕbûrâ steht auch hier für ein umfassendes Macht$ potential Gottes. Der Ton ist hymnisch. Die Verbindung von Macht (gĕbûrâ) und Weisheit ( okmâ) unterstützt das vom Kontext her naheliegende und in der Semantik von gĕbûrâ angelegte positive Machtverständnis. Doch im Folgenden zeigt sich, dass Gottes gĕbûrâ nicht nur eine dem Leben dienende Kraft ist. In V. 14–25 erscheint Jhwh, dessen gĕbûrâ in V. 13 gepriesen wird, als unberechenbar und bedrohlich. Er bringt Vernichtung über sein Volk (V. 14), ruft Naturkatastrophen hervor (V. 15), demütigt Ratgeber und Priester und verwirrt diejenigen, die Recht sprechen, um die innerweltliche Ordnung zu bewahren (V. 17.19–20). Auch lässt er Völker erstarken, um sie sogleich wieder untergehen zu lassen – ganz wie es ihm beliebt (V. 23). Vor diesem Hintergrund erscheint die Zuerkennung von gĕbûrâ an Gott in V. 13 in einem anderen Licht: Gottes gĕbûrâ ist dort eine ambivalente Potenz, die auch Vernichtung bringen kann. Dasselbe gilt für Gottes ōz „Macht“ in V. 16. Dies verwundert im Kontext von V. 14–25 nicht, jedoch mit Blick auf die Semantik und Verwendung von ōz im Alten Testament. Der Terminus bezeichnet ganz dominant Gottes Rettungsmacht für die Seinen. Demgegenüber wird ōz zusammen mit tûšîyâ „Umsicht“ in V. 16 zur Charakterisierung Gottes gebraucht, wobei der Terminus einen negativen Bei$ klang hat (vgl. Ps 90,11; Esr 8,22). Diese bedrohliche Seite von Gottes Macht zeigt sich auch in Hi 26,14. Im Anschluss an die Schilderung von Gottes Handeln in der Natur und am Menschen sowie seiner Verfü$ gung über die Naturgewalten und Chaosmächte ergeht die rhetorische Frage, wer den Donner (ra am) von Gottes Macht begreifen könne. Die Frage soll das Ende der Weisheit vor Augen führen. Niemand ist in der Lage, Gottes machtvolles Handeln, hier auf den Terminus gĕbûrâ verdichtet, zu verstehen. Auch in Hi 26,14 ist die Ambivalenz von Gottes

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nistischen Theologie darin, dass er über alle Könige herrscht, sondern dass er das Weltgeschehen insgesamt lenkt und auserwählten Personen Anteil an seiner Weisheit (V. 21–22), Daniel sogar an seiner Weisheit und Macht, ge$ währt (V. 23). Dadurch wird Daniel in Stand gesetzt, alles, was in der Welt geschieht, als Gottes machtvolles und planvolles Wirken zu deuten. Dieser Akt ist in seiner Bedeutung nicht leicht zu überschätzen. Daniel wird durch die Anteilgabe an Gottes gĕbûrâ eine ganz besondere Gottesnähe zuteil. Gĕbûrâ steht so sehr für Gottes Wesen und die ihm eigene Machtfülle, dass es nur äußerst selten und nur bei ganz besonderen Personen zur Anteilgabe kommt. So auch in Mi 3, einem Text, der Dan 2 vorausgeht, aber bereits in das Prophetenbild der nachexilischen Zeit gehört. In Mi 3,8 ist es der Pro$ phet, dem in der Grundfassung des Textes Macht (kōa , gĕbûrâ) und Recht (mišpā$) zuteilwerden, im Laufe der Buchwerdung noch erweitert durch den Geist Gottes (rûa ). Einer späteren Hand erschien offenbar Michas doppelte Machtbegabung durch kōa und gĕbûrâ der Erklärung bedürftig, so dass der erst genannte Machtterminus im Sinne der prophetischen Ausstattung mit Geist expliziert worden ist: Wĕ ûlām ānōkî mālē tî kōa et3rûa ûmišpā$ ûgĕbûrâ „Ich aber bin voll Kraft, (mit) Geist, und Recht und Macht“ (V. 8a– b). Diese Geistbegabung legt jedoch weder die Semantik von kōa noch der Kontext nahe. Kōa ist etablierter Terminus zur Bezeichnung von Gottes Macht. Davon zeugen fast 40 Belege im Alten Testament. Zugleich ist kōa aber auch der Machtterminus, der am engsten mit der Vorstellung der Kör$ perkraft verbunden ist. Im Blick auf Gott wird er häufig gebraucht, um von konkreten Machttaten Gottes zu sprechen oder davon, dass Gott dem Einzel$ nen oder dem Volk Anteil an seiner Macht gewährt, um sie zu einer bestimm$ ten Tätigkeit zu ermächtigen. Soll dagegen mit diesem Terminus ein umfas$ senderes Machtverständnis zum Ausdruck gebracht werden, wird kōa meis$ tens ein Attribut – gādôl „groß“, rab „viel“, selten auch addîr „groß, herr$ lich“ oder ammî „stark“ – beigestellt, gelegentlich wird kōa auch mit

Macht unverkennbar (etwas anders akzentuiert bei BROWN, Vision, 185–188). Noch einen Schritt weiter geht Jes 33,13. Dort steht gĕbûrâ für Gottes Zornesmacht, die er im Gericht gegen Sünder ( a$$ā îm) und Gottlose ( ănēpîm) in seinem Volk erhebt. Gottes gĕbûrâ wird zur Vernichtungsmacht für einen Teil des Volkes. Dies ist im Alten Testament ebenso singulär wie die in Hi 12,13 und 26,14 belegte Ambivalenz von Gottes gĕbûrâ, die im Alten Testament sonst dem Wesen nach zutiefst gut ist – in all ihren Facetten wie in ihrer Machtfülle. Vielleicht ist die Wahl von gĕbûrâ in Jes 33,13 Ausdruck eines Festhaltens an Gottes Rettungsmacht beim göttlichen Gericht, indem der so klar positiv konnotierte Machtterminus auf „ein gutes Ende“ für die Gottesfürchtigen verweisen soll. Eine ähnliche Funktion könnte auch der Gebrauch von gĕbûrâ in den beiden Hiobtexten haben: das Starkmachen des soteriologischen Charakters der Macht Gottes in der Ambivalenzerfah$ rung. Freilich ist auch nicht auszuschließen, dass gĕbûrâ dort gerade die Krise dokumentie$ ren soll, in die das Vertrauen in Gottes Macht geraten ist und die überkommene positive Vorstellungen nicht ohne weiteres aufzufangen vermögen.

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gĕbûrâ „Macht, Kraft, Stärke“114 verbunden. Auf Grund der Semantik von kōa verwundert dies nicht; ebenso wenig, dass kōa der Machtterminus ist, der am häufigsten durch Attribute ergänzt wird, um den besonderen Charak$ ter göttlicher Macht anzuzeigen. Dies dürfte auch der Grund für das Auftreten von kōa und gĕbûrâ in Mi 3,8 sein. Gĕbûrâ steht dort – wie in Dan 2,23 – für eine umfassende Machtbegabung des Propheten, sicher nicht zufällig klimaktisch an das Ende der Aufzählung gesetzt. Gĕbûrâ nimmt kōa und mišpā$ auf, weitet und verstärkt die von Gott gewährte Anteilgabe durch die Zuspitzung auf die Machtbegabung des Propheten. Auf diese Weise wird angezeigt, dass Micha – wie später Daniel – eine ganz besondere Gottesnähe hat. Sie befähigt ihn zur Anklage der Mächtigen in Israel, die das Recht per$ vertieren (Mi 3,8–11). In Jes 28,6 wird den noch verbleibenden Kriegern Israels die Anteilgabe an Gottes gĕbûrâ zugesagt. Dies geschieht im Rahmen der Heilsweissagung an den „Rest seines Volkes“ (šĕ ār ammô), den Jhwh bestehen lassen wird (V. 5–6). Jhwh will für diesen „Rest“ prunkvolle Krone ( ă$eret ĕbî)115 sein, Zeichen der Hoffnung für den souveränen und glanzvollen Bestand des Vol$ kes, den Jhwh – an der Spitze stehend – selbst verbürgt (V. 5). Konkret mani$ festiert sich dies darin, dass Jhwh denen, die im Volk Recht sprechen, den Geist des Rechtes (rûa mišpā$) und den Kämpfenden die Kraft (gĕbûrâ) gibt, den Feind zurückzudrängen. Damit werden ihnen die entscheidenden Gaben zuteil, um den Fortbestand des Volkes zu sichern. Bei gĕbûrâ handelt es sich hier ohne Frage um Kraft im militärischen Bereich. Das ist im Alten Testament singulär. Diese Facette von Gottes Macht wird sonst durch ayil oder kōa zum Ausdruck gebracht. Gĕbûrâ kann zwar auch für einzelne Fa$ cetten göttlicher Macht stehen, doch ist in den meisten Fällen mit dem Ter$ minus ein umfassendes Machtpotential verbunden – je jünger die Texte desto intensiver. Der Gebrauch von gĕbûrâ mit spezifisch kriegerischer Konnota$ tion und die Machtbegabung der Kämpfenden als Gruppe, wobei die durch gĕbûrâ verbürgte exklusive und besondere Gottesnähe weniger deutlich her$ vor tritt als bei einzelnen Propheten, könnten dafür sprechen, dass es sich bei Jes 28,6 um den ältesten der drei Belege für die Anteilgabe von Gottes gĕbûrâ an den Menschen handelt. Nicht zuletzt wird in einem Drittel der Belege von Gottes machtvollem Handeln in der Welt und am Menschen gesprochen. Darunter kommt der Rede von Gottes Machttaten (gĕbûrôt) das größte Gewicht zu.116 Alle Belege 114

Vgl. Ps 65,7; Mi 3,8; 1 Chr 29,12; 2 Chr 20,6. Vgl. auch das parallel stehende und bedeutungsgleiche ĕpîrāt tip ārâ „prächtiger Kranz“. 116 Vgl. Ps 20,7; 21,14 (Plural nach LXX); 71,16; 106,2; 145,4.12; 150,2. Zudem wird die Vorstellung, dass Gottes Handeln in der Welt und am Menschen Ausdruck seiner Macht ist, dreimal mit dem Singular gĕbûrâ artikuliert (vgl. Jer 16,21; Ps 54,3; Hi 26,14). 115

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

finden sich in vergleichsweise jungen Texten des Psalters. Dies deutet auf ein zunehmendes Interesse an der Konkretion von Gottes Macht in der Gebets$ literatur der nachexilischen Zeit hin. Anders als bei den Manifestationen von Gottes Macht, die ein spezifisches Handeln Gottes in den Blick nehmen, wird bei den gĕbûrôt der Fokus auf die Gesamtheit von Gottes Wirken und die dahinter stehende Macht gerichtet. Der Terminus gĕbûrôt ist immer positiv konnotiert. Er steht für Gottes Machttaten, die seinem Volk zum Guten gerei$ chen. Dies erinnert an die summarischen Notizen über die Machttaten der Könige, die über die Annalistik Einzug in das Alte Testament gefunden ha$ ben. Von den Königstaten wird im Singular gesprochen, wohingegen Gottes Machttaten im Plural stehen. Die klare Unterscheidung der Numeri soll deut$ lich machen: Gottes Machttaten sind nicht in Analogie zu den Taten des Kö$ nigs zu verstehen, auch nicht als Potenzierung menschlicher Machtausübung. Sie haben ihren ganz eigenen Charakter. Sie sind dem Wesen nach Rettungs$ taten. In Ps 20,7 und 21,14 sind Gottes gĕbûrôt Rettungstaten für König und Volk im Kampf gegen Feinde, die besungen bzw. erwartet werden.117 Ein weiter gefasstes Verständnis von Rettung liegt Ps 71 zu Grunde, wo das Ver$ trauen auf Jhwhs rettende Gerechtigkeit, die Leben ermöglicht und bewahrt, zentrales Thema ist. In Gottes gĕbûrôt „Machttaten“ gewinnt seine Gerech$ tigkeit Gestalt (V. 16). Sie sind in einem umfassenden Sinn lebensspendend wie seine niplā ôt „Wunder“ (V. 17) und gĕdōlôt „Großtaten“ (V. 19), Be$ zeichnungen, die ebenfalls abzubilden versuchen, wie sich Gottes rettende Gerechtigkeit in seinem Handeln manifestiert. Auch in Ps 106,2 wird Gottes Rettungsmacht für sein Volk durch den Plu$ ral gĕbûrôt „Machttaten“ ganz umfassend in den Blick genommen und im Weiteren durch niplā ôt „Wunder“ (V. 7.22), gĕdōlôt „Großtaten“ (V. 21) und nôrā ôt „Ehrfurcht erregende Taten“ (V. 22) expliziert. Die Häufung von Termini, die in sprachlicher Variation von Kollektivbegriffen ein inhaltlich fast identisches Handeln Gottes zum Ausdruck bringen, wirkt wie der Ver$ such einer umkreisenden Annäherung an ein sachlich komplexes Phänomen. Ebenso werden in Ps 145 Gottes gĕbûrôt in einen größeren Kontext gestellt. Der Psalm ist ein Hymnus auf die universale Königsherrschaft Gottes. Wel$ che Funktion Jhwhs gĕbûrôt in V. 4 dabei zukommt, wird noch zu untersu$

117 Vgl. Ps 54,3, wo der Beter den Erweis von Gottes Rettungsmacht (gĕbûrâ) erbittet: Ĕlōhîm (ursprünglich: Yhwh) bĕšimkā hôšî ēnî ûbigbûrātĕkā tĕdînēnî „Jhwh, in deinem Namen hilf mir, und in deiner Macht schaffe mir Recht.“ Gottes šēm und seine gĕbûrâ stehen parallel und gleichwertig nebeneinander (vgl. Jer 10,6; 16,21; Ps 106,8). Die Identi$ fikation von Gottes Namen und seiner Macht zeigt, dass gĕbûrâ hier für Gott in seiner Selbstbestimmung und in seinem Willen, zu retten, steht. Darauf weist auch die Verbin$ dung mit der Rettungsbitte hin.

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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chen sein.118 Es ist aber deutlich: Je jünger die Texte sind, desto stärker wird der Weltbezug von Gottes machtvollem Handeln apostrophiert. Anders als in Dan 2 zielt die Ausweitung im Psalter jedoch nicht auf die Ermächtigung zur autoritativen Deutung der Weltgeschichte, sondern auf die weltweite, ja kos$ mische Teilnahme am Gotteslob, wie Ps 150 zeigt.119 Die Bildung des Kollektivplurals gĕbûrôt könnte aus dem Bedürfnis ent$ standen sein, einzelne Taten sowie die Summe von Gottes Machterweisen in einem Ausdruck zu konzentrieren. Dafür gab es im Psalter einerseits die Vor$ gabe der verdichtenden Termini gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz im Singular, andererseits die Kollektivbegriffe ōtôt „Zeichen“, môpĕtîm „(Wunder$) Zei$ chen“, niplā ôt „Wunder“ und nôrā ôt „Ehrfurcht erregende Taten“, schließ$ lich gĕdullôt „Großtaten“. Sie haben zumeist einen Traditionsvorlauf, der sie primär mit bestimmten Machterweisen in der Geschichte – vor allem dem Exodus – verbindet.120 Bei gĕbûrâ ist im Psalter offensichtlich die Chance erkannt worden, dem Singular mit der bekannten konzentrierenden Funktion den Plural beizugesellen, der Einzeltaten sowie die Gesamtheit von Gottes Machterweisen komplementär zum singularischen Gebrauch ausdrücken soll. Gĕbûrâ hat sich für die Pluralbildung angeboten. Der Terminus weist – an$ ders als kōa und ayil, die auch bei der Rede von Gottes Macht noch eng an das konkrete semantische Profil der Grundbedeutung („Körperkraft“ bzw. „Kriegskraft“) gebunden sind – eine große semantische Offenheit auf. Daher war es möglich, dass der Terminus zugleich im Singular ein umfassendes Machtpotential Gottes zum Ausdruck bringt und im Plural Gottes konkrete Taten im Sinne eines universal transparenten Kollektivbegriffs bündelt. Mit der Ergänzung von gĕbûrâ durch gĕbûrôt wird im Psalter ein Bindeglied geschaffen zwischen Gottes umfassendem Machtpotential und seinen konkre$ ten Taten, die in gĕbûrôt freilich nicht addiert, sondern verdichtet werden. Gottes Macht wird hinter und in den Taten transparent. Dass es dabei nicht um die Taten für einen Einzelnen geht, liegt auf der Hand. Hier wird Jahr$ hunderte währende Glaubenserfahrung theologisch begrifflich zu fassen ver$ sucht. Mit Blick auf den Psalter lassen sich nun die Aussagen über Gottes gĕbûrâ zusammenfassen. Im Psalter finden sich nicht nur die meisten Belege für Gottes gĕbûrâ, sondern auch alle übrigen Belege, die im Alten Testament 118 Siehe unten die Ausführungen zu ĕzûz „Stärke, Macht“ in Kapitel 4.2.4 sowie die theologische Profilierung von Ps 145 in Kapitel 5.3.2.3. 119 In das Umfeld von Ps 145 und 150 gehört auch Jer 16,21. Jhwh erweist vor den Na$ tionen seine gĕbûrâ, um ihnen durch sein machtvolles Handeln sein Wesen zu offenbaren und sie dadurch zur Erkenntnis zu führen, dass allein er wahrer Gott ist, der Leben ermög$ licht und bewahrt (V. 19–21). Die universale Perspektive von Gottes Machterweis ist unverkennbar. 120 Vgl. HELFMEYER, ôt, 185–195; MOSIS, gādal, 938.944–956; FUHS, yārē, 881–883; WAGNER, môpēt, 750–759; CONRAD, pl , 576–580.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

einen Gottesbezug haben, treten primär in Gebeten oder ihnen verwandten Texten wie Prophetenworten oder Gottesrede auf. Dies deutet auf die Entste$ hung der Rede von Gottes gĕbûrâ in der Gebetssprache, vielleicht sogar im Psalter hin. Im Psalter werden zwei unterschiedliche Aspekte von Gottes Macht akzen$ tuiert. Am häufigsten wird Gottes Handeln in der Welt und am Menschen als Ausdruck seiner Macht in den Blick genommen, verbunden mit der Ausbil$ dung des Plurals gĕbûrôt für Gottes Machttaten, der nur in den Psalmen auf$ tritt;121 etwas seltener wird von Gottes gĕbûrâ als Wesenseigenschaft gespro$ chen. Das Verteilungsverhältnis auf die beiden Aspekte ist damit gegenläufig zu den übrigen Schriften des Alten Testaments, wo Aussagen über Gottes Wesen dominieren. Die Vorstellung, dass Gott dem Menschen seine gĕbûrâ zuteil werden lässt, findet sich dagegen nicht im Psalmenkorpus. Alle Belege im Psalter eint, dass Gottes gĕbûrâ oder gĕbûrôt immer den Seinen zu Gute kommen. Dies ist zwar auch außerhalb des Psalters fast im$ mer der Fall, doch finden sich dort auch drei Texte, in denen die bedrohliche Seite Gottes durch gĕbûrâ zur Sprache gebracht wird.122 Ferner fällt auf, dass – abgesehen von Jes 63,15 – gĕbûrâ in den Texten, in denen Gott außerhalb des Psalters Macht als Wesenseigenschaft zuerkannt wird, immer für ein umfassendes und zugleich nicht näher bestimmtes Machtpotential steht. Kein derartiger Beleg findet sich im Psalter. Dort wird immer mindestens ein Spe$ zifikum von Gottes Macht hervorgehoben. Diese Beobachtung ist nicht leicht zu überschätzen. Es geht in den Psalmen offensichtlich nie darum, neutral von Gottes Macht zu sprechen oder allein seine Machtfülle in den Blick zu nehmen, sondern immer um Charakterisierung und Wertung seiner Macht in Beziehung zu Mensch und Welt. In fast allen Texten ist Gottes gĕbûrâ Ret$ tungsmacht für die Seinen.123 4.2.4 Ōz Die Wortgruppe um ōz umfasst im Alten Testament sechs Worte mit insge$ samt 168 Belegen, wovon sich 62 im Psalter finden. Darunter sind die Sub$ stantive ōz „Stärke, Macht, Kraft“ und mā ôz „(Berg$)Feste, Schutz, Zu$ flucht“ am häufigsten belegt und zugleich am engsten mit Gott verbunden. Hinzu kommen noch az „stark“, zz Qal „stark sein, sich stark erweisen“, izzûz „stark“ und ĕzûz „Stärke, Macht“.124 121 In Ps 90,10 und Hi 41,4 bezeichnet der Plural gĕbûrôt nicht Gottes Machttaten, son$ dern die Kraft des Menschen bzw. des Leviathan. In beiden Fällen handelt es sich um nachexilische Texte, in denen gĕbûrôt Intensivplural ist. 122 Vgl. Jes 33,13; Hi 12,13; 26,14. 123 Vgl. Ps 20,7; 21,14; 54,3; 66,7; 71,16.18; 80,3; 106,2.8; 145,4.11.12; 150,2. 124 Im Einzelnen ergibt sich folgende Verteilung, wobei sich die erste Angabe auf die Anzahl der Belege im Alten Testament bezieht, die zweite auf den Psalter: mā ôz (36 bzw.

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Das Adjektiv az ist 22$mal im Alten Testament belegt, zweimal davon im Psalter. Es ist das einzige Wort der Wortgruppe um ōz, mit dem nie von Gottes Macht gesprochen wird. Dies ist umso bemerkenswerter, da alle ande$ ren Worte – insbesondere ōz – hauptsächlich zur Bezeichnung von Gottes Macht verwendet werden. Offensichtlich sind Mächte und Kräfte wahrge$ nommen worden, die bewusst von Gottes Macht unterschieden werden soll$ ten. Ein Blick in die Texte bestätigt die Annahme: Wird mit allen anderen Worten der Wortgruppe um ōz primär Gottes machtvolles Wesen und Wir$ ken zu Gunsten der Seinen zum Ausdruck gebracht, so spiegelt sich im Ad$ jektiv az die ganze Ambivalenz von Macht und Stärke wider. Meistens tritt dabei der Aspekt der Bedrohung deutlich hervor. Dies zeigt sich vor allem, wenn die Feinde des Beters,125 Menschen, die sich gegen Gott erheben,126 oder die Gewalt der Naturelemente127 durch az charakterisiert werden, wie auch in der Bedrohung, die von einem Einzelnen, einem Volk oder seiner Grenzbefestigung ausgehen kann.128 In all diesen Fällen wird mit az auf Mächte und Kräfte verwiesen, deren negative Potenz offenkundig ist.129 Das Verb zz Qal „stark sein“, Hi. „stark machen“ kommt elfmal im Alten Testament vor. Vier Belege finden sich im Psalter. Zz tritt fast ausschließlich in nachexilischen Texten auf und bringt dort in Verbindung mit verschiede$ nen Substantiven meist Kraft und Stärke im kriegerischen Kontext zum Aus$ druck, die bei Menschen durch Gewalt und Unterdrückung gekennzeichnet sind,130 im Zusammenhang mit Gott von seiner Rettungsmacht zeugen131. In Ps 89,14 und Prov 8,28 wird mit zz zudem von Gottes Schöpfungshandeln gesprochen.132 Alle Belege haben einen engen Gottesbezug. Entweder ist Gott selbst han$ delndes Subjekt von zz (Ps 68,29; 89,14; Prov 8,28), oder es wird geschil$ dert, dass ein Einzelner durch Gott stark wird (Ri 3,10; 6,2). Auch der Weise erhält seine Stärke nicht aus eigenem Vermögen, sondern durch die Weisheit, Mittlerin der Kraft Gottes (Koh 7,19). Wird dagegen von menschlicher Stärke gesprochen, ist evident, dass sie negativ konnotiert, unzulänglich (Ps 52,9; Dan 11,12) und Gottes Stärke unterlegen ist (Ps 9,20).

9 Belege), ōz (94 bzw. 44 Belege), az (22 bzw. 2 Belege), zz (11 bzw. 4 Belege), (2 bzw. 1 Beleg), ĕzûz (3 bzw. 2 Belege). 125 Vgl. Ps 18,18 = 2 Sam 22,18; Ps 59,4. 126 Vgl. Ez 7,24; Am 5,9. 127 Vgl. Ex 14,21; Jes 43,16; Neh 9,11. 128 Vgl. Gen 49,7; Num 13,28; 21,24; Dtn 28,50; Jes 19,4; Dan 8,23. 129 Siehe dazu unten die Auslegung von Ps 59 in Kapitel 5.2.1.5. 130 Vgl. Ps 9,20; 52,9; Dan 11,12. 131 Vgl. Ri 3,10; 6,2; Ps 68,29; 89,14. 132 Nicht weiter berücksichtigt werden hier Prov 7,13 und 21,29, wo zz die Bedeutung „frech bzw. trotzig sein“ annimmt (vgl. HAHAT 946).

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Wahre Stärke und Macht liegen allein bei Gott. Sie sind seinem Wesen zu eigen (Ps 89,14) und erweisen sich in seinem Schöpfungs$ und Rettungshan$ deln (Ps 68,29; Prov 8,28). Im Richterbuch ermächtigt Gott überdies einzelne Führungspersonen, so dass sie durch die Teilhabe an seiner Kraft „stark wer$ den“. Dies kann Israel zur Rettung gereichen (Ri 3,10), aber auch vernichtend sein, wenn Gott den feindlichen Midianiterkönig stark macht, um sein Volk zu strafen (Ri 6,2). Das Adjektiv izzûz „stark“ ist lediglich zweimal im Alten Testament be$ legt, einmal davon im Psalter.133 In Ps 24 wird Jhwh im Rahmen der imagi$ nierten Einzugsliturgie in den Tempel in Jerusalem in V. 8 als izzûz wĕgibbôr „Starker und Held“ und gibbôr mil āmâ „Held im Kampf“ geprie$ sen. Der Psalm charakterisiert Jhwh als Gott$König, der nach dem Sieg über die Chaosmächte in den Tempel zurückkehrt. Es ist unverkennbar, dass hier durch izzûz Jhwhs kriegerische Potenz in den Blick genommen wird. Zu$ gleich verweist das substantivierte Adjektiv aber auch auf das Resultat seines kosmischen Machterweises: die Schaffung und Bewahrung der Ordnung, die Leben ermöglicht (V. 1–2.5–6). Durch die Prädikation Jhwhs als izzûz „Star$ ker“ wird ihm somit nicht allein kriegerische Stärke in kosmischer Dimension zugesprochen, sondern sie impliziert auch seinen Willen, sie zum Wohle der Seinen einzusetzen. Es ist evident, dass die Charakterisierung von Gottes Wesen hier – wie bei der Bezeichnung Jhwhs als gibbôr – ganz eng an sein Wirken gebunden ist.134 In Jes 43,17 wird mit izzûz dagegen von der Stärke der ägyptischen Solda$ ten gesprochen, die beim Durchzug durch das Schilfmeer ihr Ende finden. Auch hier ist das Adjektiv izzûz kriegerisch konnotiert, doch bezeichnet es in diesem Fall die bedrohliche Potenz der Ägypter, die die fliehenden Israeliten zu vernichten suchen. Durch izzûz wird – wie bei az – die Stärke der Feinde ernst genommen. Sie erscheinen als Gegenmacht zu Gottes ōz „Macht“. Nur Gott kann Einhalt gebieten und die Seinen vor den feindlichen Mächten ret$ ten.135 Das Substantiv ĕzûz „Stärke, Macht“ ist dreimal im Alten Testament be$ legt: Jes 42,25; Ps 78,4; 145,6. Im Psalter wird mit ĕzûz von Gottes Stärke und Macht gesprochen, die sich in seinem Geschichtshandeln manifestiert (Ps 145,6) bzw. eng an sein geschichtliches Handeln zum Wohle seines Vol$ kes gebunden ist (Ps 78,4). Die Aussagen, die in beiden Psalmen mit ĕzûz getroffen werden, sind inhaltlich sehr ähnlich. Eine direkte Abhängigkeit ist jedoch nicht erkennbar. Die sprachlichen Gemeinsamkeiten weisen lediglich darauf hin, dass es sich jeweils um nachexilische Texte handelt. Ps 78 ist der ältere der beiden. Die Sprache ist von spätdeuteronomistischer Theologie 133

Vgl. Ps 24,8; Jes 43,17. Siehe dazu oben die Ausführungen zu gibbôr in Kapitel 4.2.3. 135 Vgl. Jes 43,17; Ps 18,18 = 2 Sam 22,18; Ps 59,4. 134

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geprägt. Er setzt mit der Aufforderung an Israel ein, die Erinnerung an Gottes heilsgeschichtliches Handeln durch die Weitergabe an die nächste Generation wachzuhalten. Was es zu tradieren gilt, wird gleich zu Beginn kurz und präg$ nant gesagt: Tĕhillôt Yhwh we ĕzûzô wĕniplĕ ôtāyw ăšer āśâ „Jhwhs Ruh$ mestaten und seine Stärke und seine Wunder, die er getan hat“ (V. 4). Hier geht es nicht um die Akzentuierung einzelner Machterweise, sondern mit tĕhillôt und niplā ôt werden Gottes Rettungs$ und Machttaten in ihrer Summe in den Blick genommen. Dazwischen steht Gottes Stärke ( ĕzûz). Sie ist die einzige Wesenseigenschaft, die in dieser kurzen Formel gegen das Vergessen genannt wird. Eine nähere Charakterisierung von ĕzûz kann daher nur über das Resultat seines machtvollen Tuns erfolgen, das sich in seinen tĕhillôt „Ruhmestaten“ und niplā ôt „Wundertaten“ manifestiert. Einzelne Wunder$ und Ruhmestaten werden im Folgenden exemplarisch genannt: die Gabe des (Sinai$)Gesetzes (V. 5), der Exodus (V. 13), Leitung und Speisung der Israe$ liten in der Wüste (V. 14–29), die Plagen in Ägypten (V. 43–51), Gabe des Landes (V. 55) sowie Israels Befreiung von der Bedrohung durch Feinde (V. 65–66). Die Erwähnung so vieler verschiedener Taten deutet darauf hin, dass hier durch ĕzûz nicht eine bestimmte Facette von Gottes Macht beson$ ders akzentuiert werden soll, sondern das Substantiv für ein umfassendes Machtpotential Gottes zur Rettung der Seinen steht. Doch Ps 78 spricht nicht allein von Jhwhs Heilshandeln an Israel. Er nimmt auch das Unheil in den Blick, das Israel auf Grund seines Fehlverhaltens widerfährt. Gott richtet sich gegen sein Volk; er straft und tötet (V. 21.31.33–34.59–64). Sein Vernich$ tungshandeln an Israel wird jedoch hier – wie auch sonst im Psalter136 – nie als Ausdruck seiner Macht, sondern als Manifestation seines Zornes verstan$ den. Gottes Macht ist Rettungsmacht für das Volk. Sie wird in Ps 78 durch ĕzûz ganz umfassend in den Blick genommen.137 Ähnlich ist der Gebrauch von ĕzûz in Ps 145. Im Gegensatz zu Ps 78, der allein das eigene Volk anspricht, hat Ps 145 als Gotteslob, in das kol3bāśār „alles Fleisch“ einzustimmen aufgefordert wird (V. 21), eine universale Per$ spektive. Das Substantiv ĕzûz findet sich im zweiten Teil des Psalms (V. 3– 9), der ganz im Zeichen des hymnischen Preises von Gottes Größe und Macht steht. Terminologisch variiert, inhaltlich aber nahezu deckungsgleich, wird in V. 4–6 mit ma ăśîm „Werke“, gĕbûrōt „Machttaten“ (V. 4), niplā ôt „Wun$ dertaten“ (V. 5) und nôrā ōt „Ehrfurcht erregende Taten“ (V. 6) Gottes machtvolles Wirken in der Welt und am Menschen zu erfassen versucht. Es ist offensichtlich, dass es auch hier um Gottes Handeln in umfassender Per$ spektive geht. Anders als in Ps 78, wo es zu einer Konkretion von Gottes 136 Die einzige Ausnahme findet sich in Ps 90,11, wo Gottes Macht ( ōz) und sein Zorn ( ap) miteinander verbunden werden. 137 Zur Auslegung von Ps 78 vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 133–150; GÄRT$ NER, Geschichtspsalmen, 36–134; KLEIN, Geschichte, 80–138.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Rettungstaten durch den Verweis auf seine großen Taten in der Geschichte kommt, werden diese in Ps 145 nicht explizit genannt. Gleichwohl dürften auch sie im Hintergrund der oben genannten Machttaten Gottes stehen. Doch die Rede von Jhwhs Wunder$ und Machttaten in V. 4–6 erschöpft sich nicht darin. Sie ist transparent auf die konkreten Rettungstaten Gottes für alle Men$ schen (V. 14–20). Durch ĕzûz in V. 6 erhalten Gottes nôrā ōt „Ehrfurcht erregende Taten“ stellvertretend für die zuvor genannten Taten und Werke eine Interpretationshilfe. Gottes nôrā ōt „Ehrfurcht erregende Taten“ sind – wie auch seine ma ăśîm „Werke“, niplā ôt „Wundertaten“ und natürlich seine gĕbûrōt „Machttaten“ – Manifestationen seiner Macht, die sich durch den Willen zur Rettung aller auszeichnet.138 Ein ganz anderes Machtverständnis zeigt sich in Jes 42,25. Dort wird mit ĕzûz von der Gewalt des Krieges gesprochen, der Gott sein Volk aus Zorn preisgibt. Es ist evident, dass ĕzûz hier negativ konnotiert ist und, wenn auch nicht direkt mit Gott verbunden, so doch einen engen Gottesbezug hat. Abge$ sehen von Ps 90,11 und Esr 8,22, wo Jhwhs ōz „Macht“ und sein Zorn ( ap) eng zusammenstehen, finden sich mit Jes 33,13; Hi 12,13.16 und 26,14 nur noch drei weitere Texte im Alten Testament, in denen explizit gesagt wird, dass Gottes Macht und Stärke sich gegen die Seinen richten.139 Die genannten Texte bestätigen durch ihren Ausnahmecharakter, dass Gottes Macht dem Wesen nach Rettungsmacht für sein Volk ist. Die zweithöchste Belegzahl in der Wortgruppe um ōz entfällt auf das Substantiv mā ôz „(Berg$)Feste, Schutz, Zuflucht“. Es ist 36$mal im Alten Testament belegt, neunmal davon im Psalter. Mehr als die Hälfte aller Belege wird mit Gott verbunden. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt im Psalter. Dort ist immer Gott mā ôz für den Beter oder die Betenden.140 Dem Substantiv mā ôz kommt als Derivat des Verbs zz im Kern die Be$ deutung „Ort der Stärke“ zu. Diese hat sich semantisch in zwei leicht variie$ rende Richtungen entwickelt. Zum einen hat sich die konkrete Vorstellung der Bergfeste oder Burg etabliert, zum anderen der metonymische Gebrauch „Schutz, Zuflucht“ herausgebildet. Durch mā ôz wird zunächst ein Ort als Bergfeste oder Burg bezeichnet, der durch seine Bauweise oder Beschaffenheit Festigkeit, Beständigkeit und Stärke gewährleistet, unabhängig davon, ob es sich um eine reale Burg oder Festung,141 eine Stadt142 oder einen Hafen143 handelt. Dieses konkrete Ver$ 138

Siehe dazu unten die theologische Profilierung von Ps 145 in Kapitel 5.3.2.4. Siehe zu Jes 33,13; Hi 12,13.16; 26,14 oben A. 113; zu Esr 8,22 unten A. 163; zu Ps 90,11 unten A. 178. 140 Vgl. 2 Sam 22,33; Jes 17,10; 25,4(bis); 27,5; Jer 16,19; Ez 24,25; Joel 4,16; Nah 1,7; Ps 27,1; 28,8; 31,3.5; 37,39; 43,2; 52,9; 60,9 = 108,9; Prov 10,29; Dan 11,1; Neh 8,10. 141 Ri 6,26; Jes 17,9 ( ārê mā uzzôt „befestigte Städte“); 23,11; Dan 11,7.10.19.31. 38.39 (mib ĕrê mā uzzîm „starke Festungen“). 142 Jes 23,4; Ez 24,25; 30,15. 139

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ständnis von mā ôz findet sich bereits in den ältesten Texten des Alten Tes$ taments und zieht sich bis in die jüngsten hindurch. Darüber hinaus wird mā ôz metonymisch für Schutz und Zuflucht gebraucht. Diese sind, von Men$ schen gewährt, trügerisch, wie Israel erfahren muss, das beim Pharao Zu$ flucht sucht (Jes 30,2.3), oder die Bewohner Ninives angesichts des Feindes, der in Jhwhs Auftrag die Stadt vernichten wird (Nah 3,11). In den meisten Fällen wird das Substantiv mā ôz aber, positiv verstanden, auf Jhwh bezogen. Es wird in der Bedeutung „Feste, Burg“ metaphorisch für Jhwh gebraucht,144 weitaus häufiger jedoch metonymisch als „Schutz, Zu$ flucht“.145 Der Übergang zwischen beiden Bedeutungen ist naturgemäß flie$ ßend und im Einzelfall mitunter schwer zu Gunsten der einen oder anderen Option zu entscheiden. Alle Belege eint, dass hier von der von Gott gewähr$ ten Anteilgabe an seiner Stärke gesprochen wird. Dabei steht das Vertrauen im Zentrum, dass Gott selbst die Stärke der Seinen ist. Bildsprache und Kon$ text erweisen die durch mā ôz verbürgte Stärke als Raum, der Schutz und Zuflucht gewährt und dadurch Leben ermöglicht und bewahrt. Dies ist zu$ nächst ganz grundsätzlich zu verstehen – als Zueignung der Lebenskraft an den Einzelnen.146 Mā ôz rückt dann inhaltlich dicht an ōz „Stärke, Macht, Kraft“ heran. Bisweilen werden beide auch direkt miteinander verbunden wie in Jer 16,19: „Du bist meine Stärke ( uzzî) und meine Feste (mā uzzî) und meine Zuflucht (mĕnûsî) am Tag der Not.“147 Ōz und mā ôz stehen in V. 19a gleichwertig und parallel nebeneinander. Durch die Metapher der Feste (mā ôz) erfährt ōz eine Konkretisierung als Rettungsmacht. Hier geht es jedoch nicht um Rettung aus der Not, sondern ums Ganze: die Existenz des Beters, dessen Lebenskraft in Gott liegt. Erst durch mĕnûsî bĕyôm ārâ wird Gottes Macht in V. 19b auf den Aspekt der Zuflucht in der Not gedeutet, verstanden als eine Manifestation von Gottes ōz und mā ôz. Beide – ōz und mā ôz – treten oft im Kontext der Bedrohung des Lebens durch Feinde oder durch andere Umstände auf. Mā ôz nimmt in diesen Fällen meistens die Be$ deutung „Zuflucht“ an, wodurch der Aspekt der Rettungsmacht deutlich ak$ zentuiert wird. Gottes Macht und Stärke manifestieren sich sowohl in seiner Fähigkeit, seinem Volk als auch dem Einzelnen Schutz und Zuflucht zu ge$ währen, ohne dass dabei der Konkretisierung besondere Beachtung gewidmet würde. Mā ôz ist offen für die Machtbegabung des Einzelnen wie des Volkes in vielen Notlagen.

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Jes 23,14. Jer 16,19; Joel 4,16; Nah 1,7; Ps 27,1; Prov 10,29; Dan 11,1; Neh 8,10. 145 2 Sam 22,33; Jes 17,10; 25,4; 27,5; Ps 28,8; 31,3.5; 37,39; 43,2; 52,9; 60,9 = 108,9 (Schutz). 146 Vgl. Jer 16,19; Ps 27,1; Prov 10,29. 147 Zur Verbindung von ōz und mā ôz vgl. ferner Joel 4,16; Ps 28,8. 144

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Der Mensch vermag nicht aus eigener Kraft zu leben und sein Leben zu bewahren. Er ist des mā ôz bedürftig. Das Bild von der Feste wie auch die metonymische Rede von Schutz und Zuflucht, die Gott gewährt, fangen dies ein. Sie verweisen darauf, dass der Mensch seine Stärke nur außerhalb seiner selbst finden kann. Die Texte zeugen vom Vertrauen, dass die Stärke des Lebens in Gott liegt und dieser zur Anteilgabe daran bereit ist. Es kann kein Zufall sein, dass sich im Alten Testament nur einmal die Bitte findet, Gott möge sich als Feste oder Zuflucht für die Seinen erweisen.148 In allen anderen Texten wird konstatiert, dass Gott mā ôz für den Einzelnen wie das Volk ist. Dies geschieht – nicht nur im Psalter – entweder in direkter Rede, wodurch die entsprechende Aussage zugleich Bekenntnischarakter hat, oder als Ver$ trauensaussage in der dritten Person Singular oder Plural. Die einzige Aus$ nahme bildet Jes 27,5. Dort ergeht an Israel die Aufforderung, seine Zuflucht in Gott zu suchen. Doch in Jes 27,5 ist es Gott selbst, der sein Volk ermahnt, nicht zu vergessen, dass allein bei ihm wahre Stärke ist, die Schutz und Ret$ tung gewährt. Von dieser Gewissheit zeugen auch Jes 17,10 und Ps 52,9, die darauf verweisen, dass es die Preisgabe an den Tod bedeutet, seine Zuflucht nicht in Gott zu suchen. Die Stärke, die Leben ermöglicht und bewahrt, ist Gott bereit, nicht nur dem Einzelnen aus seinem Volk zu gewähren, sondern allen Menschen, die erkennen, dass allein Jhwh „wahrer“ Gott ist (Jer 16,19– 21). Die mit Abstand meisten Belege innerhalb dieser Wortgruppe entfallen auf das Substantiv ōz. Es ist 94$mal im Alten Testament belegt, 44$mal davon im Psalter. Ōz kommt für die Vorstellung von Gottes Macht große Bedeu$ tung zu. Es ist der Terminus, mit dem im Alten Testament am häufigsten von Gottes Stärke und Macht gesprochen wird, insgesamt 64$mal. Der Schwer$ punkt liegt im Psalter. Dort beziehen sich alle 44 Belege von ōz auf Gott. Entsprechend der Grundbedeutung des Verbs zz Qal „stark sein“ ist das von ihm abgeleitete Substantiv ōz ganz auf die Bedeutung „Stärke, Macht, Kraft“ konzentriert.149 148

Vgl. Ps 31,3c–d: Hĕyēh lî lĕ ûr3mā ôz lĕbêt mĕ ûdôt lĕhôšî ēnî „Sei mir Fels der Zu$ flucht, ein Haus der Feste, um mich zu retten.“ 149 Anders der Neue Gesenius, der die Semantik von ōz weiter differenziert. Neben „Stärke, Macht, Kraft“ werden dort noch „Schutz, Sicherheit, Zuflucht“, „Festigkeit, Wehranlage, Bollwerke“ sowie „Verherrlichung, Lobpreis, Ruhm“ als Übersetzung von ōz angegeben (vgl. HAHAT 941f.). Es ist evident, dass es sich dabei teilweise um deutlich interpretierende Wiedergaben von ōz handelt. Die Herausgeber des Neuen Gesenius grei$ fen hier offensichtlich auf den Artikel zu ōz im THAT zurück, der genau dieses breite semantische Profil darbietet (vgl. VAN DER WOUDE, zz, 252–256). Hinzu kommen andere Wörterbücher, die ebenfalls für ōz über „Stärke, Macht, Kraft“ hinausgehende Bedeutun$ gen anführen. Im ThWAT sind dies „Schutz, Zuflucht“ (vgl. WAGNER, zz, 5–11), im „alten“ Gesenius „Lobpreis, Verherrlichung“ (vgl. GB 575f.), im HAL „Wehranlage, Bollwerk“, zudem – wenig überzeugend – ergänzt um ein ōz II mit der Bedeutung „Zu$

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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Diese eindeutige semantische Konnotation von ōz wird auf eine Vielzahl von Gegenstandsbereichen appliziert. Ōz dient zunächst zur näheren Charak$ terisierung des Menschen. Nur zweimal wird das Substantiv dabei im Sinne von bloßer Körperkraft gebraucht. In Hi 26,2 geht es um das Fehlen der Kraft des Menschen, während in Hi 41,14 mit ōz die Stärke des Nackens des Un$ geheuers Leviathan apostrophiert wird. In Prov 31,17.25 ist ōz Merkmal der kompetenten Hausherrin ( ēšet3 ayil). Mit einem aus dem militärischen Bereich entlehnten Bild wird be$ schrieben, wie sie sich einem Krieger gleich, der sich mit Waffen zum Kampf rüstet, mit ōz umgürtet.150 Dadurch soll veranschaulicht werden, wie kompe$ tent und effizient sie ihre Aufgaben wahrzunehmen vermag. Die für ihr Han$ deln konstitutive Funktion von ōz wird in V. 25 noch einmal mit anderer Akzentuierung und Bildsprache in den Blick genommen. Die Rede vom Ge$ wand der Hausherrin, das aus Macht ( ōz) und Pracht (hādār) besteht, weckt Assoziationen an den Mantel des Königs, der ihm bei der Investitur als Zei$ chen seiner Macht umgelegt wird, sowie an die Übertragung des Bildes auf Jhwh, dem als Gottkönig ōz und hādār oder vergleichbare Glanzphänomene als Zeichen seiner Macht zugeeignet werden.151 Demgegenüber ist das Bild vom Gewand in Prov 31,25 nicht im Sinne der Erhöhung oder gar Vergött$ lichung der Hausherrin zu verstehen, sondern verweist auf die vitale Funkti$ on, die ōz und hādār für ihr vorbildliches Handeln haben. Die so ausgestatte$ te Frau lebt in der Zuversicht, dass sie all ihren Aufgaben gewachsen sein flucht, Schutz“ (vgl. HAL 761f.). Der Neue Gesenius dokumentiert das im letzten Jahr$ hundert erarbeitete Bedeutungsspektrum von ōz, präsentiert es aber als praktikable seman$ tische Aufschlüsselung, der die jeweiligen Belege zugewiesen werden können. Dies ist jedoch nicht unproblematisch. Die stark spezifizierenden Wiedergaben nehmen ōz die semantische Offenheit, die für das Substantiv konstitutiv ist. So führt beispielsweise die Übersetzung von ōz mit „Bollwerk“ in Ps 8,3 zu einem Machtverständnis, dass nicht intendiert sein dürfte. Es geht an dieser Stelle nicht um die Schutzfunktion göttlicher Macht, sondern um die kosmische Funktion des Gotteslobes der Kinder, das allein Gott durch seinen Gründungsakt ermöglicht. Nicht minder problematisch ist die Wiedergabe von ōz mit „Ruhm“ in Ps 29,1; 96,7 = 1 Chr 16,28 bzw. „Lobpreis“ in Ps 68,35. Hier wird ein mit ōz angedeuteter komplexer Vorgang semantisch unangemessen vereindeutigt. Zweifelsohne geht es in allen Texten um das Gotteslob, jedoch im Sinne der Rückgabe der zuvor von Gott an den Menschen gegebenen Macht im Gotteslob. Dahinter steht die Vor$ stellung der Machtbegabung des Menschen durch Gott, die im Lob zurückerstattet wird, freilich ohne dass sich dabei der Mensch dieser lebensspendenden Gabe beraubt oder sich ihrer selbst rühmen dürfte. Dies wird in Übersetzungen „Lobpreis, Ruhm“ nicht mehr deutlich. Man wird an der Wiedergabe von ōz mit „Macht“ festhalten müssen, damit die ausgelöste Irritation zur Erkenntnis der theologischen Tiefendimension herausfordert. 150 Zum Umgürten des Kriegers ( gr Qal) vgl. Dtn 1,41; Ri 3,16; 18,11.16.17; 1 Sam 17,39; 25,13; 2 Sam 20,8; 21,16; 2 Kön 3,21; Ps 45,4. 151 Zum Mantel des Königs vgl. Ps 45,9 und WEIPPERT, Textilproduktion, 136–142; GRAFF/BAUTCH/ERICKSON, Dress I–II, 1–8; zu Gottes Gewand vgl. Ps 93,1; 104,1–2; ferner PODELLA, Lichtkleid JHWHs, 83–163.226–240.

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

wird. Die durch ōz in den Blick genommene Stärke hat in Prov 31,17.25 auch, aber sicher nicht allein eine körperliche Komponente. Woher die Haus$ herrin ihre Stärke nimmt oder bekommt, wird nicht thematisiert. Vielleicht ist hier die Weisheit im Spiel, ein naheliegender Gedanke, wenn man von der Lektüre des Proverbienbuches herkommt. Dafür könnte auch Prov 24,5 sprechen, wo die Weisheit Stärke des Men$ schen ist. Dort geht es – wie V. 6 zeigt – bei ōz um Stärke, die im Kampf Sieg und Rettung (tĕšû â) bringt. Die Rede von tĕšû â, Inbegriff für Gottes Rettungshandeln am Menschen,152 weist jedoch über die Bewahrung im Krieg hinaus auf die grundsätzliche Rettung des Lebens, die allein bei Gott liegt. Es ist evident, dass der Mensch in Prov 24,5 seine Kraft und Stärke nicht aus sich selbst heraus hat, sondern der Weisheit verdankt. Vor diesem Hinter$ grund erschließt sich auch die Aussage in Koh 8,1. Ōz ist dort nicht – wie gemeinhin angenommen – als negative Charakterisierung des Gesichts des Menschen zu verstehen, sondern in Koh 8,1b–c wird in zwei parallel gebau$ ten Kola von der positiven Kraft der Weisheit gesprochen: >okmat ādām tā îr pānāyw wĕ ōz pānāyw yĕšunne „Die Weisheit eines Menschen lässt sein Gesicht leuchten, und die Kraft verändert sein Gesicht.“153 Hier geht es nicht um Weisheit, die der Mensch aus sich selbst heraus gewinnen kann, sondern um Gabe Gottes, wie sich an der Wirkung der Weisheit erkennen lässt. Das Bild vom Leuchten des Angesichtes steht – außer in Prov 16,15, wo Gott das Gesicht des Königs, seines Mandatars auf Erden, leuchten lässt – im Alten Testament immer für Gottes lebensspendende Gegenwart.154 Koh 8,1 deutet die Begabung des Menschen mit Weisheit als Kraft. Die enge Verbindung der Weisheit und der ihr innewohnenden Kraft mit Gott verweist auf eine umfassende Veränderung des derart ausgestatteten Menschen. Es wird über das Motiv der Begabung des Menschen mit Weisheit die Vorstel$ lung artikuliert, dass Gott den Menschen mit dem zum Leben Notwendigen 152

Vgl. Ri 15,18; 1 Sam 11,9.13; 19,5; 2 Sam 23,10.12; 2 Kön 5,1; 13,17(bis); Jes 45,17; 46,13(bis); Jer 3,23; Ps 37,39; 38,23; 40,11.17; 51,16; 71,15; 119,41.81; 144,10; Prov 21,31; Klgl 3,26; 1 Chr 11,14; 2 Chr 6,41. 153 Vokalisierung des Verbs šn’ nach Vulgata im PiWel und nicht nach MT im PuWal; vgl. Sir 12,18 und vor allem 13,25. 154 Vgl. Num 6,25; Ps 4,7; 31,17; 44,4; 56,14; 67,2; 80,4.8.20; 89,16; 119,135; Dan 9,17. Singulär und zugleich textlich wie auch inhaltlich schwierig zu deuten ist die Selbstaussage Hiobs vom Leuchten seines Angesichtes in Hi 29,24: Eś aq ălēhem lō ya ămînû wĕ ôr pānay lō yapîlûn „Lache ich (spöttisch) über sie, glauben sie mir nicht; aber das Leuchten meines Angesichtes lassen sie nicht fallen.“ Hiob spricht diese Worte bei seiner abschließenden Verteidigung, dem Reinigungseid, der seine Unschuld erweisen soll (Hi 29–31). Die Menschen in seiner Umgebung bringen ihm nach V. 24b Vertrauen entgegen. Die Formulierung ist gewagt. Sie ist sicher durch die Rede angeregt worden, dass Jhwh sein Angesicht über den Menschen leuchten lässt. Doch Hi 29,24 hat keinen Gottesbezug. Das Bild von Hiobs leuchtendem Angesicht steht für seine eigene Glaubwür$ digkeit.

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ausstattet. Dieser Aspekt ist – wie sich im Folgenden zeigen wird – vor allem im Blick auf Gottes Macht von großer Bedeutung. Keinen direkten Gottesbezug hat dagegen ōz im Rahmen von Deborahs Selbstbestärkung in der Schlacht (Ri 5,21). Deborah sucht durch ihre Selbst$ aufforderung: Tidrĕkî napšî ōz „Tritt auf, meine Seele, mit Kraft.“ all ihre Ressourcen geistiger wie körperlicher Natur zu mobilisieren, um im Kampf zu bestehen. Ōz wird hier in einem umfassenden Sinn gebraucht. Ein ähnlich holistisches Verständnis von Stärke und Kraft liegt auch 2 Sam 6,14 und 1 Chr 13,8 zu Grunde, wo es um das Tanzen vor Jhwh bĕkol ōz „mit ganzer Kraft“ geht. In einigen Texten droht Jhwh Israel oder Ägypten, ihnen im Gericht ihren starken Hochmut (gĕ ôn ôz) zu nehmen. Hier bewirkt ōz eine Verstärkung der schon vorhandenen negativen Haltung. Dieser pejorative Gebrauch von ōz ist selten und für das mit ihm verbundene Verständnis von Macht und Stärke unspezifisch.155 Ferner dient ōz dazu, die Stärke und Macht einer Stadt ( îr, qiryâ), eines Turms (migdāl) oder Massebe (ma ēbâ) hervorzuheben.156 Dabei wird durch ōz die Beständigkeit, Stärke oder Schutzfunktion, die den genannten Objek$ ten durch ihre Bauweise oder Beschaffenheit ohnehin zu eigen ist, verstärkt, unabhängig davon, ob es sich um die Charakterisierung eines Ortes, Bau$ werks bzw. Kultbildes im Sinne einer Sachbeschreibung oder in metapho$ rischer Rede handelt. So wird zum einen konkret von der Stärke eines Turmes gesprochen, der Schutz vor dem Feind bietet (Ri 9,51), von der trügerischen Stärke der Göt$ terbilder in Tyrus, deren Vernichtung durch Nebukadnezar geweissagt wird (Ez 26,11), sowie von der baulichen und militärischen Stärke der Stadt der Helden ( îr gibbōrîm), auf deren Wehrhaftigkeit ihre Bewohner vertraut ha$ ben, die nun aber durch den Weisen ( ākām) zu Fall gebracht wird (Prov 21,22). Hinzu kommen zwei Texte, in denen ein deutlich umfassende$ res Verständnis von Stärke und Macht zu Grunde liegt, das neben der bau$ lichen Stärke der Stadt bzw. des Landes auch ihre militärische, politische und wirtschaftliche Kraft einschließt. In diesem Sinne bezieht sich ōz in Am 3,11 und Jer 48,17 auf die Macht Samarias und Moabs, die dem Gericht nicht entgehen wird.157

155

Vgl. Lev 26,19; Ez 24,21; 30,6.18; 33,18. In diesen Umkreis gehört auch die singuläre Formulierung mĕrôm ūzzāh in Jer 51,53. In Anspielung auf Gen 11,1–9 erweist Babel seinen Hochmut darin, dass es in den Himmel steigen und dort die „Höhe seiner Macht“ befestigen will. Ōz hat hier stei$ gernde Funktion im Sinne von „äußerster Höhe“. Jhwhs Gericht wird diesem Hochmut ein Ende setzen. 157 Vgl. Gen 49,3, wo Ruben durch ōz die Vormachtstellung als Erstgeborenem zuer$ kannt wird. Der Gebrauch von ōz in Gen 49,3 ist singulär, hat jedoch eine gewisse Nähe zu den Aussagen über die Prädominanz einer Stadt oder eines Landes in Jer 48,17; 156

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Zum anderen dient die Rede vom starken, festen Turm oder der Stärke der Stadt als Vergleich für Gott oder Mensch.158 So wird ein getäuschter Bruder unzugänglicher als eine starke, gut befestigte Stadt genannt (Prov 18,19). Trügerisch ist ferner der Besitz des Reichen, der ihm als feste Stadt gilt (Prov 10,15; 18,11). Wahre Stärke liegt allein bei Gott. In Prov 18,10 wird dies mit dem Bild vom starken Turm (migdal3 ōz) ausgedrückt, als der sich Jhwh für den Gerechten ( addîq) erweist, der bei ihm Zuflucht sucht. Auch die in Jes 26,1 besungene Stärke der Stadt geht auf Jhwh zurück. Er ist es, der für ihren Schutz und ihren Bestand Sorge trägt (V. 1–4). Der auf diese Weise als präsent erfahrene Gott fordert Vertrauen (V. 4a). Wie berechtigt dies ist, unterstreicht der folgende kî „denn“$Satz: kî Yhwh ûr ôlāmîm159 „denn Jhwh ist ewiger Fels“. Mit dem im Psalter gut bezeugten Bild von Gott als Fels160 wird hier durch die singuläre Verbindung von ûr „Fels“ mit ôlām „Ewig$ keit“ Jhwhs Verlässlichkeit besonders akzentuiert.161 Vor allem wird aber mit ōz 64$mal direkt von Gottes Stärke, Macht und Kraft gesprochen. Am eindeutigsten ist der Befund, wenn mit ōz Gottes machtvolles Handeln in der Welt und am Menschen in den Blick genommen wird. Dies geschieht im Alten Testament vergleichsweise selten.162 Alle Be$ lege – mit Ausnahme von Esr 8,22163 – eint, dass Gottes Machterweise stets Am 3,11 und Prov 21,22. Diese Belege könnten im Hintergrund der in Gen 49,3 ins Positi$ ve gewendeten Formulierung von Rubens Vorrangstellung stehen. 158 In diesen Kontext gehört auch die Rede von den kräftigen Ranken (ma$$ôt ōz), die in Ez 19 ein Bild für Israels Vitalität und Macht sind (Ez 19,11), aber keinen Bestand haben werden (Ez 19,12.14). 159 Wahrscheinlich ist bĕYāh, das im Masoretischen Text zwischen kî und Yhwh steht, auf Textkorruption zurückzuführen, die durch die Konstruktion b$ bĕ „vertrauen auf“ in V. 4a ausgelöst worden ist. 160 Vgl. Ps 18,3.32.47; 19,15; 28,1; 31,3; 62,3.7.8; 71,3; 73,26; 78,35; 89,27; 92,16; 94,22; 95,1; 144,1. 161 Hinzu kommt noch ein Beleg in 2 Chr 30,21, der auf Grund seiner textlichen Un$ sicherheit und Unverständlichkeit nicht zugeordnet werden kann. 162 Vgl. Ex 15,13; Jes 62,8; Ps 68,29; 74,13; 77,15; 78,26; 89,11; Esr 8,22. 163 In Esr 8,22 wird dagegen von Gottes Macht ( ōz) und seinem Zorn ( ap) gesprochen, gerichtet gegen alle, die ihn verlassen ( zb Qal). Hier wird zusammengebracht, was im Alten Testament eigentlich nicht zusammengehört. Gottes ōz ist dem Wesen nach Ret$ tungsmacht für den Einzelnen und das Volk. Esr 8,22 lässt mit der Verbindung von Gottes Macht und seinem Zorn jedoch keinen Zweifel daran aufkommen, dass ōz hier als bedroh$ liche und vernichtende Potenz in den Blick genommen wird, wie es sonst im Alten Testa$ ment nur noch in Ps 90,11 ( ôz appekā „Macht deines Zornes“) der Fall ist (vgl. ferner Hi 12,16; dort nur ōz). In Esr 8,22 stehen ōz „Macht“ und ap „Zorn“ parallel zu Gottes Hand (yād), die über allen zum Guten ist ($ôb), die ihn suchen (bqš Pi.). Gottes Macht und Zorn sind Gegenbild der schützenden Hand Gottes. Offensichtlich kombiniert der Verfasser überkommene Vorstellungen von Gottes Zorn mit seiner dominant positiv konnotierten Macht sowie seiner Hand, die zwar primär für Rettungshandeln steht, sich aber auch als vernichtend erweisen kann. Hier wird yād jedoch

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Rettungstaten für sein Volk sind, wobei Rettung in einem umfassenden Sinn zu verstehen ist: als Manifestation von Gottes lebensspendendem und lebens$ erhaltendem ōz. Dies zeigt, wie konstitutiv Gottes machtvolles Wirken für Israel ist. Seine Macht erweist sich in unterschiedlichen Bereichen. In Ps 74,13 und 89,11 wird Jhwhs Überlegenheit gegenüber den Chaosmächten in den Blick genommen. Ps 74, in V. 1–11 deutlich von der Klage bestimmt, legt in V. 12–17 mit dem Vertrauensbekenntnis zu Gott als König und der Erinnerung an seine Rettungstaten (yĕšû ôt) in der Vorzeit Grund für zukünf$ tige Hoffnung. Unter Verwendung von ōz wird dabei in V. 13 von Gottes Machterweis gegen die Chaosmächte gesprochen. Diese kosmisch$ bewahrende Funktion von Gottes Macht ist auch in den anderen Heilstaten, die in V. 14–17 angeführt werden, erkennbar. Sie eint, dass es sich um Taten handelt, die die Welt und ihre gute Ordnung gründen und bewahren. In Ps 89 wird Gottes Machterweis über die Chaosmächte in einen ähnlich weiten Kon$ text gestellt und zudem mit der Prädikation seiner Unvergleichlichkeit ver$ bunden. Die rhetorische Frage in V. 9a: Yhwh Eĕbā ôt mî kāmôkā164 „Jhwh Zebaoth, wer ist wie du?“, erhält als Antwort den Verweis auf Gottes Stark$ sein ( ăsîn) und seine Beständigkeit ( ĕmûnâ). Sie manifestieren sich in V. 10–11 in seiner Überlegenheit gegenüber Chaosmonstern und $mächten sowie numinos$mythischen Feinden, die durch seinen starken Arm (vgl. zĕrô a uzzĕkâ „dein starker Arm“) ihr Ende finden. Durch die Verbindung von ōz mit zĕrô a kommt es zu einer Veranschaulichung des göttlichen Machterweises, ohne dass die Metapher des Arms, die das Bild von Gott als Krieger evoziert, die durch ōz in den Blick genommenen Macht Gottes be$ grenzt.165 Es ist evident, dass es hier um die Wahrung der kosmischen Ord$ mit $ôb verbunden (vgl. Hi 21,16; Esr 7,9; 8,18; Neh 2,8.18), so dass keine Unklarheit darüber besteht, wie die Metapher in Esr 8,22 zu verstehen ist. Der Grund für diese unge$ wöhnliche Zusammenstellung, vor allem für die Wahl von ōz, könnte darin liegen, dass auf diese Weise in Gottes antizipiertem Zorneshandeln sein wesensgemäßer Wille zur Rettung der Seinen durchscheint – nicht im Sinne einer Relativierung seines Zornes, son$ dern als ein Festhalten an seinem Willen zur Rettung selbst beim Erweis seines Vernich$ tungshandelns. Gottes Zorn hätte damit nicht das letztes Wort, sondern ōz wäre transpa$ rent auf die Hoffnung auf die Erfahrung seiner Rettungsmacht, die hier – wie auch in V. 18.31 – durch die Metapher der Hand Gottes präsent ist, indem sie Schutz und Rettung für alle verbürgt, die Gott suchen (vgl. dazu den Gebrauch von ōz in Hi 12,16 sowie von gĕbûrâ in Hi 12,13; 26,14; siehe ferner oben die entsprechenden Ausführungen zu den Belegen im Hiobbuch in A. 113). 164 Ĕlōhê, das im Masoretischen Text zwischen Yhwh und Eĕbā ôt steht, dürfte Nach$ wirkung der elohistischen Redaktion sein und nicht zur Grundfassung von V. 9a gehören. 165 Vgl. Jes 51,9; 62,8; Ps 77,15–16; ferner die Verbindung von zĕrô a und gĕbûrâ in Ps 71,18; 89,14 mit derselben Funktion. Es fällt auf, dass zĕrô a „Arm“ anders als yād „Hand“ oder yāmîn „Rechte“ – abgesehen vom Jesajabuch – nie allein zur Charakterisie$ rung von Gottes Wesen und Wirken dient. Wird zĕrô a nicht wie hier zur Veranschau$ lichung eines Machtterminus gebraucht, tritt zu dem Substantiv immer ein Attribut wie

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

nung geht, die Jhwh durch seine umfassende Rettungsmacht verbürgt, und die im Folgenden, noch durch Eigentums$ und Schöpfungsaussagen erweitert (V. 12–14.), im Preis der Königsherrschaft Gottes mündet (V. 15). Ferner wird in Ex 15,13 und Ps 77,15 mit ōz von Gottes Rettungshandeln im Licht des Exodusgeschehens gesprochen. Ex 15,1–18 ist ein elaborierter Hymnus, der das zuvor in Prosa erzählte Exodusereignis poetisch reformu$ liert.166 Gottes Rettungstat wird in Ex 15,1–18 als Machterweis gegen die Chaosmächte inszeniert. Das Rettungshandeln am Schilfmeer wird so im mythischen Gewand präsentiert, dass die einstige Rettungstat paradigmatisch für Gottes Handeln an Israel überhaupt steht. Wie Gott Israel am Schilfmeer gerettet und zu seinem Tempelberg als Wohnsitz geführt hat, wird er sein Volk immer wieder bewahren. Dabei kommen Gottes esed „Güte, Liebe“ und ōz „Macht“ besondere Bedeutung zu (V. 13). Beide stehen parallel und gleichwertig nebeneinander. Indem Gott seine Macht und Liebe zur Rettung der Seinen einsetzt, handelt er seinem Wesen gemäß. In esed und ōz wird hier wie in Ps 59,17–18 und 62,12–13 auf den Punkt gebracht, was Jhwh gegenüber anderen Göttern unvergleichlich macht. Dies geschieht unter Nen$ nung weiterer Charakteristika von Jhwhs Wesen und Wirken, die alle in die$ selbe Richtung weisen (V. 11). Die Unvergleichlichkeitsaussagen deuten darauf hin, dass Exodus und Wohnungnahme auf dem Tempelberg transpa$ rent für andere Rettungstaten Gottes in Vergangenheit und Zukunft sind. Es ist offenkundig, dass ōz in diesem Kontext in ganz umfassendem Sinn Gottes Rettungsmacht für sein Volk ist. So auch in Ps 77. Dort wird die mythisch konfigurierte Exodustat in einer Volksklage reminisziert, um Hoffnung auf einen erneuten Machterweis Got$ tes zu stiften. Die Handlungssequenz von Ex 15,1–18 wird in Ps 77,14–21 allerdings variiert. In entgegengesetzter Richtung nimmt Gott seinen Weg vom Heiligtum aus zu seinem bedrängten Volk (V. 14) und bahnt den Weg im mythisch bedrohlichen Meer (V. 20a–b), so dass sein Volk zwar von Mose und Aaron wie eine behütete Herde hindurch geführt (V. 21), aber Gottes Spuren im Meer nicht erkannt werden können (V. 20c). Gottes Machterweis bedarf nicht der mythischen Konkretion, wie es das bedrohliche Chaoswasser nötig hat. Um Gottes machtvolles Handeln an seinem Volk in der Geschichte geht es auch in Ps 68. Der Psalm ist für die Wahrnehmung von Gottes Macht von besonderem Interesse. Allein in den letzten acht Versen wird unter Gebrauch

gādôl „groß“ (Ex 15,16; Ps 79,11), qōdeš „Heiligkeit“ (Jes 52,10; Ps 98,1) oder ôlām „Ewigkeit“ (Dtn 33,27) hinzu, um das Spezifische von Gottes Wesen oder Wirken deutlich hervortreten zu lassen. 166 Zu Deutung und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Ex 15 vgl. SPIECKER$ MANN, Heilsgegenwart, 96–115; KLEIN, Geschichte, 15–49; zur Datierung vgl. BERNER, Exoduserzählung, 389–400.

4.2 Die vier zentralen Machttermini

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verschiedener Machttermini mehrfach an Schlüsselstellen explizit auf seine Macht verwiesen. Dabei wird Gottes Rettungshandeln für sein Volk ebenso in den Blick genommen wie die Prädikation Gottes als mächtig (V. 29[bis] bzw. V. 34.35) und die Anteilgabe, die Gott den Menschen an seiner Macht ge$ währt (V. 35.36[bis]). In Ps 68 lässt sich exemplarisch zeigen, wie die einzel$ nen Aspekte göttlicher Macht miteinander zusammenhängen, so dass der Psalm bei den konzeptuellen Beobachtungen zur Rede von Gottes Macht im Psalter, die das Kapitel abschließen, ausführlich behandelt wird. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass in V. 29 an Gott die Aufforderung ergeht, seinen ōz zu erweisen, womit die Aktualisierung des zuvor ausführlich gepriesenen Handelns Gottes in der Geschichte gemeint ist. Gott soll sich wieder als so mächtig zeigen, dass die Könige der Völker Gaben bringen (V. 30) und alle Nationen in sein Lob einstimmen (V. 33–36). In den weiteren Umkreis dieser Belege gehört auch Ps 78,26, wo daran erinnert wird, das Jhwh seine Macht während der auf den Exodus folgenden Wüstenwanderung erwiesen hat, in$ dem er in seiner Kraft (bĕ uzzô) den Südwind gelenkt und dadurch sein Volk vor dem Hungertod bewahrt hat. Ōz steht hier für Gottes Macht über die Naturgewalten, die er zur Rettung der Seinen aufbietet.167 Alle Aussagen, die mit ōz im Alten Testament über Gottes Wirken in der Welt und am Menschen getroffen werden, verbindet, dass sie ausschließlich in poetischen Texten oder in Prosa mit hymnischem Duktus auftreten. Erfolgt ein Rückbezug auf Gottes Handeln in der Geschichte wie dem Exodusge$ schehen, fällt auf, dass Machtterminologie gebraucht wird, die sich in den entsprechenden erzählenden Texten nicht findet (vgl. Ex 14). Die Machtter$ mini dienen in den poetischen Texten der Deutung von Gottes Handeln in der Geschichte als Machterweis zur Rettung der Seinen, nicht allein im Sinne der bleibend bedeutsamen Erinnerung, sondern als paradigmatische Rettungstat Gottes, die sein Volk jederzeit wieder von ihm erhoffen darf. Mit dieser poe$ tischen Mythisierung der eigenen Geschichte ist die Vorstellung von Gottes Macht aufs engste verbunden.168

167 Hinzu kommt mit Jes 62,8 noch ein weiterer Text, in dem Gott seine Macht in sei$ nem Handeln erweist. Durch ōz soll hervorgehoben werden, dass der Schwur, den Jhwh seinem Volk gegenüber geleistet hat, Bestand haben wird. Sein starker Arm (zĕrô a uzzô) verbürgt Schutz vor dem Feind und damit den Fortbestand Israels – hier konkretisiert in der Bewahrung der Ernte vor den Feinden (siehe dazu auch oben A. 165). 168 Dies gilt cum grano salis auch für Gottes Schöpfungshandeln, das die Schöpfungs$ berichte der Genesis (Gen 1,1–2,4a; 2,4b–3,24) nicht expressis verbis mit Gottes Macht verbinden, wohingegen es in der Gebetssprache mitunter als Machterweis Gottes erinnert bzw. gedeutet und entsprechend mit Machttermini, vor allem kōa „Kraft, Stärke“, ver$ knüpft wird (siehe oben Kapitel 4.2.1).

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Im Folgenden sollen die Aussagen näher betrachtet werden, in denen ōz primär als Wesenseigenschaft Gottes in den Blick genommen wird.169 Auch hier legt sich eine Annäherung an den Befund über den Psalter nahe, da sich dort mehr als Zweidrittel der Belege finden.170 Was es mit Gottes Wesen auf sich hat, enthüllt der Zahlenspruch in Ps 62,12–13a171: A at dibber ĕlōhîm šĕttayim3zû šāma tî. Kî ōz lē lōhîm ûlĕkā3 ădōnāy esed „Eines hat Gott geredet, zwei Dinge sind es, die ich gehört habe: Bei Gott ist die Macht, und bei dir, Herr, ist Güte.“172 Macht und Güte werden hier als die zentralen Cha$ rakteristika Gottes benannt. Mehr noch: Gottes Macht wird in das Licht sei$ ner Güte gestellt. Dieses ursprüngliche Ende von Ps 62 will den vorherge$ henden Wägeakt (V. 10–11) in den größeren Rahmen der machtvollen, güti$ gen Zuwendung Gottes stellen, wie sie für die Theologie der Psalmen typisch ist. Es ist offenkundig, dass ōz hier als Macht erkannt wird, die allererst Leben ermöglicht, indem sie den Menschen ganz existenziell zu einem Leben aus der Güte Gottes befreit. Nicht von ungefähr ist Ps 63 angeschlossen, wo in V. 3 die Gottesschau im Tempel in der Erfahrung göttlicher Macht ( ōz) und Herrlichkeit (kābôd) ihr Zentrum findet. Gottes ōz steht dabei seinem kābôd sogar voran, obwohl die Herrlichkeit die häufiger bezeugte Manifestation Gottes im Heiligtum ist. Die Voranstellung von Gottes Macht vor seiner Herrlichkeit wird in V. 4 ergänzt durch seinen esed „Güte, Liebe“. In Rückbindung an Ps 62,12–13a scheint hier die Intention verfolgt zu werden, gerade in ōz und esed zwei Schlüs$ selvorstellungen von Gottes Wesen zu erkennen, die die überkommene Vor$ stellung seiner Herrlichkeit zu konkretisieren vermögen. Das in Ps 63,3–4 durch diese Trias identifizierte Wesen Gottes wird sofort in seiner Wirkung 169

Vgl. Jes 51,9; Hab 3,4; Ps 21,14; 59,17; 62,12; 63,3; 66,3; 68,34.35; 90,11; 93,1; 96,6; 105,4 = 1 Chr 16,11; Hi 12,16; 1 Chr 16,27. 170 Der Befund ist sogar noch eindeutiger, wenn man berücksichtigt, dass 1 Chr 16,11 wörtliche Übernahme aus Ps 105,4 ist und 1 Chr 16,27 – von einer Wortänderung abgese$ hen – auf Ps 96,6 zurückgeht. Die noch verbleibenden drei Belege außerhalb des Psalters finden sich überdies ebenfalls in Gebeten (Hab 3,4; Jes 51,9) bzw. in Hiobs Antwort auf Zofars Rede, die Gebetscharakter hat (Hi 12,16), und weisen eine deutliche Nähe zur Sprache der Psalmen und den dort bezeugten Machtvorstellungen auf. Dies deutet darauf hin, dass auch die Prädikation Gottes als mächtig durch den Terminus ōz im Psalter ihren Ursprung hat. 171 V. 13b–c: kî attâ tĕšallēm lĕ îš kĕma ăśēhû „denn du vergiltst einem jeden nach seinem Tun“ ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Zusatz. Die beiden kî „denn“$Sätze am Ende des Psalms sind inhaltlich widersprüchlich. Während V. 12–13a auf eine korrigieren$ de Einordnung des vorhergehenden Wägeaktes in V. 10–11 zielen, kann der zweite kî$Satz in V. 13b–c nur als erneute Affirmation des Wägeaktes verstanden werden. Letztes legt sich im Duktus der Grundfassung des Psalms, der so nachdrücklich zum Vertrauen auf Gott und die von ihm verbürgte Rettung und Hilfe auffordert, nicht nahe. 172 Bei lĕ in V. 12c und V. 13a handelt es sich jeweils um die nota dativi (vgl. GK § 119s Anmerkung 1).

4.2 Die vier zentralen Machttermini

109

für den Menschen expliziert, der den Tempel aufsucht. Dass Gottes esed besser als Leben sei, soll gewiss nicht Gottes esed als Überbietung des Le$ bens apostrophieren, sondern den esed als Gottes gute, gründende Gabe für das Leben benennen. Anders wäre nicht zu verstehen, dass der Beter in V. 4b das gefällte Urteil in ein Lobversprechen münden lässt, das in V. 5 weiterge$ führt wird.173 Ōz lässt sich durch die enge Verbindung mit esed auch hier als Macht identifizieren, die sich als Liebe zum Menschen erweist. Der deutlich jüngere Ps 96 will ebenfalls Gottes Gegenwart im Tempel charakterisieren und bedient sich dazu etablierter Vorstellungen. Dies gilt für hôd „Hoheit“ und hādār „Pracht“ in V. 6a174 wie für die Herrlichkeits$ und Machtterminologie in der Aufforderung zum Gotteslob an alle Völker in V. 7–8, welche eine Reformulierung von Ps 29,1–2 sind. Neben ōz wird in V. 6b tip eret „Herrlichkeit“ als eine weitere Charakterisierung von Gottes Wesen im Tempel gebraucht, ein Begriff, der vor allem im wachsenden Groß$ jesajabuch Verwendung findet.175 In Ps 96 ist auffällig, dass der Terminus ōz sowohl in den gebrauchten Traditionsvorgaben beim Gotteslob als auch in der Neuakzentuierung der machtvollen Gegenwart Gottes unverzichtbar ist. Auf diese Weise wird ōz in Ps 96,6–7176 in doppelter Hinsicht gebraucht: als Charakterisierung der machtvollen Gegenwart Gottes im Tempel und als Ausdruck des Gotteslobes, welches allererst durch die nicht expressis verbis genannte Anteilgabe an Gottes Macht möglich wird.177

173 In Hab 3,4c wird dagegen von der Verborgenheit von Gottes Macht ( ōz) gespro$ chen. Dabei dürfte es sich um einen Zusatz handeln (vgl. WILKE, Gebete, 359), dessen Intention sich nicht unmittelbar erschließt. Im Kontext von V. 4a–b, wo von Gottes Hand lichtgleicher Glanz (nōgah kā ôr) und Strahlen (qarnayim) ausgehen, kann die Rede von der Verborgenheit von Gottes ōz in seiner Hand in V. 4c nicht negativ konnotiert sein. Vielleicht hat ein späterer Redaktor Glanz und Strahlen als Manifestation von Gottes Macht verstanden und einen erklärenden Hinweis hinzugefügt, in dem er Gott nicht nur als Besitzer der Macht benennen, sondern zugleich verdeutlichen will, dass diese nur dann für den Menschen erfahrbar wird, wenn Gott selbst sie erweist. 174 Vgl. Ps 21,6; 45,5 (beide Male Anteilgabe an den König); 104,1; 111,3; 145,5; 1 Chr 27,11; ferner Hi 40,10, wo ex negativo erwiesen wird, dass hôd „Hoheit“ und hādār „Pracht“ Epitheta Gottes sind, die niemand aus eigenem Vermögen besitzen oder erlangen kann. 175 Vgl. Jes 28,5; 46,13; 52,1; 60,7.19; 62,3; 63,12.14.15; 64,10, allesamt exilisch$ nachexilische Belege. 176 Vgl. 1 Chr 16,27–28, wo abgesehen vom Gebrauch von edwâ „Freude“ in V. 27 an$ stelle von tip eret „Herrlichkeit“ in Ps 96,6 Wortlaut und Aussage beider Verse identisch sind. 177 In ähnlicher Konstellation wird der Terminus ōz in Ps 68,34–36 gebraucht, wo er in V. 34–35 ebenfalls zur Charakterisierung von Gottes Wesen und in V. 35 zum Verweis auf die von Gott gewährte Anteilgabe seiner Macht an alle Königreiche der Erde dient, zu dessen Rückgabe im Gotteslob die Beschenkten aufgefordert werden. Zur Vorstellung der Rückgabe von Gottes Macht im Gotteslob in Ps 96,7 = 1Chr 16,28 und Ps 68,35 siehe unten

110

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

In Ps 105,4 = 1 Chr 16,11 erfolgt eine enge Verbindung von Jhwhs Macht, seiner Gegenwart und seinen Wundertaten. Der Psalm setzt mit der Aufforde$ rung zum Lob von Jhwh, seinem Namen (šēm) und seinen Taten ( ălîlôt) ein, die in V. 2–3 in Variation wiederholt und in V. 4 durch den Aspekt der Macht ( ōz) und Gegenwart Gottes, artikuliert durch die Metapher des Angesichtes (pānîm), erweitert wird. Das Volk wird aufgefordert, Jhwhs machtvolle Ge$ genwart zu suchen (V. 4), die sich in seinen Wundern (niplā ôt), Zeichen (mōpĕtîm) und Urteilen seines Mundes (mišpĕ$ê3pîw) manifestiert (V. 5). Gottes Macht und sein Angesicht stehen in V. 4 parallel und sind nachgerade gegeneinander austauschbar. Gottes Wesen ist Macht und wirkt Machttaten. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Wer Gottes machtvolle Ge$ genwart zu ergründen sucht, darf darauf vertrauen, dass Gott präsent ist und sein Machterweis nicht ausbleiben wird, denn Jhwh gedenkt ewig des Bun$ des, den er mit seinem Volk geschlossen hat (V. 8).178 Ōz wird in den Psalmen aber nicht nur im Zusammenhang der Aktualisie$ rung der Gegenwartsvorstellungen Gottes im Tempel gebraucht, sondern das Wort hat selbst eine alte Tradition in der Psalmentheologie, wie die Verwen$ dung in Ps 93,1 erweist. Hier gürtet sich Jhwh mit Macht, weil mit seiner an dieser Stelle zwar noch nicht genannten, aber vorauszusetzenden Gegenwart im Tempel die kosmische Dimension der Welterhaltung gegen bedrohliche mythische Mächte (Chaoswasser) verbunden wird. Dieses Motiv ist in exi$ lisch$nachexilischer Zeit bereitwillig aufgenommen und soteriologisch poin$ tiert worden, wie Jes 51,9 zu entnehmen ist.179 Vor allem im Psalter steht aber ōz schon seit jeher für Gottes Rettungs$ macht. In Ps 59, dem Grundbestand nach wohl ein vorexilischer Klagepsalm, erhebt sich in V. 17 aus der Not das Gotteslob des Beters. Dabei wird nicht Gott selbst als Empfänger des Lobes genannt, sondern es werden uzzekā „deine Macht“ und asdekā „deine Güte“ als Adressat des Lobes prädiziert. Gottes Macht und Güte rücken hier in die Position ein, die normalerweise

die Ausführungen zum Aspekt der Anteilgabe von Gottes ōz „Stärke, Macht, Kraft“ an den Menschen. 178 Aus nachexilischer Zeit ist die Ps 105,4 strikt zuwiderlaufende Äußerung bekannt, dass Gott aus Zorn unsere Sünden in das Licht seines Angesichtes stellt (Ps 90,8). In tie$ fem Erschrecken ruft der Beter aus: „Wer kennt die Macht deines Zornes ( ôz appekā)!“ (V. 11). Die Verbindung von Gottes Macht und seinem Zorn ist im Alten Testament singu$ lär (vgl. allenfalls Esr 8,22 sowie den negativ konnotierten Gebrauch von ōz in Hi 12,16; siehe oben A. 113 bzw. 163). Sie steht der gut bezeugten Bedeutung von ōz im Sinne von Gottes Rettungsmacht diametral entgegen. Gottes Zorn wird in Ps 90 als Wurzel der Ver$ gänglichkeit des menschlichen Lebens benannt, bewirkt durch die Schuld des Menschen. Der Zorn wird zum Inbegriff des von Gott verhängten Seins zum Tod. 179 Das Bezwingen der mythischen Chaosmächte sowie der Exodus werden in Jes 51,9– 11 als paradigmatische Rettungstaten Gottes erinnert und – wie es häufiger der Fall ist – als Machterweis Gottes gedeutet, hier über die Prädikation Gottes als mächtig (V. 9).

4.2 Die vier zentralen Machttermini

111

Gott selber als Empfänger des Lobversprechens einnimmt. Deutlicher kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass ōz und esed inhaltlich mit Gott identisch sind. Der Lobpreis von Gottes machtvollem Wesen antizipiert in Ps 59 den Erweis seiner Macht in der Rettung vor den Feinden.180 In Ps 21,14, dem sekundär erweiterten Ende von Ps 21, wird Gottes Ret$ tungsmacht erbeten.181 Der Psalm preist in seinem vorexilischen Grundbe$ stand die Machtbegabung des Königs durch Gott. Daran knüpft V. 14 in nachexilischer Zeit an, wo das Volk in dürftiger Zeit die Rolle des Königs für sich beansprucht und Gott auf Grund seiner Rettungsmacht ( ōz) in die Pflicht nimmt, erneut seine Macht zu erweisen, gefolgt vom Lobverspechen für die erwarteten Machttaten (gĕbûrōt). Hier zeigt sich besonders deutlich, was auch sonst gilt: Gottes ōz ist nie eine abstrakte Größe, sondern sein machtvolles Wesen wird in seiner Wirkung für Mensch und Welt erfahrbar. Ps 66 hebt mit einem universalen Lobpreis an. Darin sind auch die Feinde eingeschlossen, da sie sich der Machtfülle (rōb ôz) Gottes beugen müssen. Diese erweist sich in den konkreten Taten Gottes an den Menschen (V. 3 in Korrespondenz mit V. 5), in seinem Rettungshandeln im Exodus (V. 6) und schließlich in seiner machtvollen Herrschaft, der sich Völker und Aufständi$ sche nicht nur fügen (V. 7), sondern sogar in das Lob „unseres Gottes“ ein$ stimmen müssen (V. 8). Die singuläre Formulierung rōb ôz in V. 3 erfährt auf diese Weise reiche Konkretisierung mit einer anaphorisch$klimaktischen Pointe in Form einer Lobaufforderung an alle Völker in V. 8. Man wird in rōb ôz einen Versuch erkennen können, Gottes universale Macht unter Wah$ rung ihres Israel$spezifischen soteriologischen Charakters zum Ausdruck zu bringen. Die betrachteten Texte machen deutlich, dass ōz ein, wenn nicht sogar das entscheidende Wesensmerkmal Gottes ist, in dem die Psalmen den ihm eige$ nen Charakter erkennen. Zugleich wird evident, dass es Gott dazu drängt, seine Macht zu erweisen, um Leben zu ermöglichen und zu bewahren, und dies nicht – wie sich im Folgenden zeigen wird – primär durch eigenes machtvolles Handeln zur Rettung der Seinen, sondern durch die direkte Machtbegabung von Mensch und Welt. Insgesamt 40$mal wird im Alten Testament davon gesprochen, dass Gott Anteil an seinem ōz gewährt. Dies ist unter den Belegen von ōz die mit Abstand am häufigsten bezeugte Rede$ weise von Gottes Macht. Der Befund ist komplex. Dies liegt weniger an der semantischen Konnota$ tion von ōz, die auch in diesen Texten vor allem Gottes lebensgründende und lebensbewahrende Potenz zur Sprache bringt, je nach Kontext in unterschied$ lich grundsätzlicher Weise. Entscheidend sind vielmehr die verschiedenen Formen der Anteilgabe an Gottes Macht, die bezeugt sind. Da sie für die 180 181

Zu Analyse und theologischem Profil von Ps 59 siehe unten Kapitel 5.2.1. Zu Analyse und theologischem Profil von Ps 21 siehe unten Kapitel 5.1.1.

112

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Wahrnehmung von Gottes Macht insgesamt von Bedeutung sind, werden sie bei den konzeptuellen Beobachtungen am Ende dieses Kapitels eingehend behandelt. Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, das semantische Pro$ fil von ōz in den einzelnen Texten so exakt wie möglich zu erfassen. Dabei erfolgt die Annäherung an den Befund über die unterschiedlichen Empfänger von Gottes Macht. Eine umfassende Machtbegabung wird dem König zuteil.182 Ōz steht in diesen Fällen für Gottes Macht und Stärke, die das Leben des Königs grün$ det, ihn zur Herrschaft ermächtigt und für ihre Bewahrung Sorge trägt. Gott setzt den König als seinen Mandatar auf Erden ein, um die von ihm etablierte Ordnung in seinem Volk, aber darüber hinaus auch in der Welt zu erhalten. Die göttliche Machtbegabung ist für Bestand und Gelingen königlicher Herr$ schaft konstitutiv. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der König jedweder Selbsttätigkeit enthoben wäre. Für ihn gilt, dass er Gottes Recht lieben und zur Geltung bringen soll (Ps 99,4), damit er sich wie sein Volk in Gottes Macht freuen kann (Ps 21,2). Gottes ōz begründet für König und Volk eine Machtsphäre, die Leben ermöglicht. Eine ebenso umfassende Machtbegabung wie dem König wird in nachexi$ lischer Zeit auch dem künftigen Herrscher verheißen (Mi 5,3). Das Bild vom Regenten, der das Volk in der von Gott verliehenen Macht weidet, veran$ schaulicht die sorgsame Wahrnehmung der anvertrauten Macht. Wie Gott durch die Anteilgabe an seiner Macht sich dem Herrscher in besonderer Wei$ se zuwendet, so hat dieser für sein Volk zu sorgen. In Aufnahme der in Jes 51,9 an Jhwh gerichteten Aufforderung, aufzuwa$ chen, seinen Arm mit Kraft ( ōz) zu kleiden und an die Machttaten der Vor$ zeit anzuknüpfen, indem er sein Volk in seiner Macht aus dem Exil zurück zum Zion führt, ergeht in Jes 52,1 der Weckruf an Zion, sich mit ōz „Stärke, Macht“ und tip eret „Herrlichkeit“ zu kleiden. Zion soll sich für die Rück$ kehr Jhwhs und der Exilierten bereit machen und zeigen, was ihn als Gottes Wohnstatt auszeichnet: ōz „Macht“ und tip eret „Herrlichkeit“. Dadurch wird Jhwhs Einzug und seine künftige, restituierte Präsenz auf dem Zion, verbürgt durch seine eigene und die dem Zion verliehene Macht, antizipiert. Im Hintergrund steht wahrscheinlich das Bild vom Mantel des Königs, der ihm bei der Inthronisation als Signum seiner Macht angelegt wird. Gottes ōz ist auch hier in einem umfassenden Sinn Rettungsmacht für die Seinen, und zwar die Kraft und Macht, die die Exilierten zusammen mit Jhwh nach Jeru$ salem zurückführt (V. 10), so dass Zion/Jerusalem als Zentrum göttlicher Gegenwart wieder zum Wohn$ und Zufluchtsort des Volkes werden kann. Gott gewährt aber nicht nur dem König als seinem Mandatar auf Erden o$ der dem Zion als seiner Wohnstatt Anteil an seiner Macht. In den allermeis$ ten Fällen ist ōz Gabe Gottes an den Menschen: den Einzelnen wie das 182

Vgl. 1 Sam 2,10; Ps 21,2; 99,4; 110,2.

4.2 Die vier zentralen Machttermini

113

Volk.183 Alle Belege eint, dass ōz zu allererst als die das Leben des Men$ schen konstituierende Kraft, Macht und Stärke zu verstehen ist. Je nach Kon$ text wird dieser Aspekt entweder – wie in Ps 84,6 – in seiner theologisch grundsätzlichen Dimension verstärkt,184 oder er erfährt eine Pointierung als Rettungsmacht, die Schutz zu gewähren vermag185. Die Texte zeigen deutlich, dass der Mensch seinen ōz allein in Gott hat. Dies gilt sowohl im Blick auf die das Leben gründende Macht als auch für die Kraft und Stärke, in Bedro$ hung bestehen zu können. Vor diesem Hintergrund entfalten die gut bezeugte Formulierung von Jhwh als uzzî „meine Stärke“186 sowie die singuläre Variante ûzzēnû „unsere Stärke“187 erst ihre Tiefendimension. Der Beter erkennt in Jhwh allererst die grundlegende Stärke seines Lebens, die in der Not Rettung bewirkt. Die Wor$ te haben den Charakter eines Bekenntnisses, das oft direkt in den Lobpreis übergeht.188 Die erfahrene Machtbegabung in der Not ermächtigt zum Gottes$ lob. Nichts anderes ist mit der Aufforderung an Götter wie Völker gemeint, Jhwh Ehre (kābôd) und Macht ( ōz) zu geben.189 Von den Angesprochenen wird nicht die Darbringung der eigenen Macht gefordert, sondern die Rück$ gabe der zuvor von Jhwh erhaltenen Macht im Gotteslob, ohne dass sie dadurch die lebensspendende Gabe verlieren. Es geht dabei um die lobende Anerkennung der für das Leben konstitutiven Gabe Gottes durch die auf diese Weise Beschenkten. Die ōz$Bedürftigkeit alles Lebens und die damit ver$ bundene Abhängigkeit von ihrer Gewährung durch Gott sind offenkundig. Ps 8 illustriert dies in eindrücklicher Bildsprache: Mippî ôlĕlîm wĕyōnĕqîm yissadtā ōz lĕma an ôrĕrêkā lĕhašbît ôyēb ûmitnaqqēm „Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht errichtet um deiner Gegner willen, um Feind und Widersacher ein Ende zu machen“ (V. 3). Der Psalm macht deutlich, dass der Mensch nichts zu seinem ōz beizutragen und nicht über ihn zu verfügen vermag. Kinder und Säuglinge sind hier bewusst als 183

Vgl. Ex 15,2; Jes 12,2; 45,24; 49,5; Jer 16,19; Ps 28,7.8; 29,11; 46,2; 59,10.18; 62,8; 68,36; 81,2; 84,6; 86,16; 89,18; 118,14; 140,8; Prov 14,26. 184 Vgl. Jes 45,24; 49,5; Jer 16,19; Prov 14,26 u. ö. 185 Vgl. Ex 15,2; Jes 12,2; Ps 28,7.8; 59,10.18; 86,16; 118,14; 140,8 u. ö. 186 Vgl. Ex 15,2; Jes 12,2; 49,5; Jer 16,19; Ps 28,7; 59,10.18; 118,14; siehe ferner unten die weiteren Ausführungen zu Bedeutung und theologiegeschichtlicher Entwicklung von uzzî im Rahmen der theologischen Profilierung von Ps 59 (Kapitel 5.2.1.5) sowie im Fazit in Kapitel 6. 187 Vgl. Ps 81,2. Dass ōz mit Pronominalsuffix in der 1. Person Plural nur einmal im Alten Testament belegt ist, verwundert nicht. Uzzî „meine Stärke“ erzeugt sprachlich eine so große und exklusive Nähe zwischen Beter und Gott, dass sich eine analoge Bildung für eine größere Gruppe von Menschen nicht nahegelegt hat. Dafür haben sich die fast bedeu$ tungsgleichen Formulierungen etabliert, dass Jhwh Stärke für (lĕ) uns/sein Volk ist (Ps 28,7; 46,2; 89,18). 188 Vgl. Ex 15,2; Jes 12,2; Ps 28,7; 59,18; 81,2; 118,14. 189 Vgl. Ps 29,1; 68,35; 96,7 = 1 Chr 16,28.

114

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Paradigma gewählt, weil mit ihnen noch kein selbstherrlicher Machtanspruch verbunden wird. Diese scheinbar Machtlosen sind die beispielhaft Machtbe$ gabten, deren Gotteslob eine nachgerade kosmische Macht ist (ysd PiWel), die die Feinde Gottes und der Menschen zu entmachten imstande ist.190 Dasselbe gilt für die Jhwh$Furcht. Sie wird in Prov 14,26 als Folge der Machtbegabung des Menschen genannt. Jhwh$Furcht wie ōz sind somit beide Gabe Gottes, die das Leben gründen und bewahren (Prov 14,26–27). Damit ist evident, dass es die Preisgabe des Volkes an die Feinde bedeutet, wenn Gott seine Macht ( ōz) in Gefangenschaft und seine Herrlichkeit (tip eret) in die Hand des Feindes gibt (Ps 78,61 im Kontext von V. 59–64). Ps 78 lässt aus nachexilischer Perspektive keinen Zweifel daran, dass Israel Jhwh durch seine beständige Untreue und seinen Ungehorsam zu diesem Schritt gereizt hat (V. 56–58). Doch Gottes Selbstentmachtung hat in Ps 78 nicht das letzte Wort. Der aus seinem Vernichtungsrausch erwachte gibbôr „Held“ setzt den Feinden ein Ende (V. 65–66), verwirft das ehemalige Nord$ reich und seine Nachkommen (V. 67) und erwählt Juda und Zion, identisch mit dem wahren Jakob und dem wahren Israel, geführt durch seinen Knecht David, einem Hirten, der dem vorexilischen Königsideal des von Gott er$ mächtigten Herrschers entspricht (V. 68–72). Von Davids Machtbegabung wird offensichtlich bewusst nicht mehr gesprochen, weil das Volk seit exili$ scher Zeit die einstigen Davididen im Blick auf die von Gott gewährte An$ teilgabe an seiner Macht beerbt hat (V. 61). Dies wird in Ps 78 auch bei der erwarteten Neuordnung nicht zurückgenommen.191 Gottes Rettungswille sowie die Konkretion in Form der Anteilgabe an sei$ ner Macht sind im Alten Testament allenthalben präsent. Dies zeigt sich auch daran, dass Gott über unbelebte Objekte wie die Berge verfügen kann, damit sie den Seinen in der Not zur Rettung dienen (Ps 30,8). Es ist evident, dass hier durch ōz nicht die den Bergen eigene Stärke in den Blick genommen wird, sondern Gottes Macht, die er den Bergen verliehen hat, um ihnen die Potenz zu geben, den Beter in der Not zu bewahren.192 Aber auch Gott selbst kann sich zur Rettung der Seinen als starker Turm, Fels oder starke Zuflucht erweisen.193 Nicht zuletzt wird in Ps 132,8 = 2 Chr 6,41 über den Aspekt der Anteilgabe von ōz Gottes Gegenwart prägnant zum Ausdruck gebracht. So wird an Gott die Bitte gerichtet, er selbst und die Lade seiner Macht (vgl. ărôn uzzekā „Lade deiner Macht“) sollen in den Tempel, seine Wohnstatt auf Erden, zurückkehren. Hier wird über den Aspekt der Anteilgabe von Got$ 190

Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 232f. Vgl. GÄRTNER, Geschichtspsalmen, 36–110, insb. 94–99. 192 Demgegenüber ist der Gebrauch von ōz in Hi 37,6 vergleichsweise unspezifisch. Dort wird davon gesprochen, dass Gott durch seinen ōz die Intensität des Regens ver$ stärkt. Das Hiobbuch ist nicht der rechte Ort zur Entfaltung der Rettungs$ und Bewah$ rungstheologie, für die ōz im Psalter – aber auch darüber hinaus – steht. 193 Vgl. Ps 61,4; 62,8; 71,7; Prov 18,10. 191

4.3 Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht

115

tes Macht an die Lade seine Präsenz im Sinne seines erneut erhofften macht$ vollen Wirkens in den Blick genommen. Vom Tempel spricht auch Ps 150,1. Dort ergeht die Aufforderung zum Lobpreis Gottes in seinem Heiligtum, der „Feste seiner Macht“ (rāqî a uzzô). Der Tempel ist Abbild des Kosmos, deshalb die Parallelität von Heiligtum (qōdeš) und Firmament/Feste (rāqî a). Im Heiligtum bildet sich Gottes Schöpfungsmacht ab. Die Schöpfung ist gleichsam die Welt gewordene Manifestation seiner Gegenwart im Zentrum der Welt, seinem Heiligtum. Die religionsgeschichtlich gut bekannte Ompha$ losvorstellung hat hier in der Verbindung von Heiligtum, göttlicher Macht und Schöpfung einen spezifischen theologischen Ausdruck gefunden. Der Befund zeigt, dass ōz im Psalter der zentrale Terminus für die Rede von Gottes Macht ist. 44$mal wird mit ihm von Gottes Macht gesprochen und damit deutlich häufiger als mit allen Belegen von gĕbûrâ, ayil und kōa zusammen. Ferner ist ōz der einzige Terminus, mit dem im Psalter alle drei bisher benannten Aspekte von Gottes Macht artikuliert werden. Dabei ist ōz trotz der hohen Anzahl an Belegen semantisch erstaunlich eindeutig konno$ tiert. Ōz steht ganz dominant für Gottes Rettungsmacht, oft zugespitzt auf den Aspekt der Rettung in der Not. Damit dürfte auch die Beobachtung zu$ sammenhängen, dass ōz noch konsequenter als alle anderen Machttermini personal und relational gedacht wird. Es verwundert daher nicht, dass mit ōz am häufigsten der Aspekt der Anteilgabe von Gottes Macht artikuliert wird und sich überdies auch insgesamt die meisten Belege für Gottes ōz in den Psalmen finden – in Texten, die per definitionem auf Relationalität angelegt sind. In den übrigen Schriften des Alten Testaments werden dieselben Aspek$ te der Machtvorstellung wie im Psalter artikuliert. Die Verteilungsverhältnis$ se auf die einzelnen Aspekte entsprechen dabei fast denen im Psalter: 28 Belege im Psalter gegenüber 12 in den übrigen Schriften des Alten Testa$ ments beim Aspekt der Anteilgabe; 11 zu 5 bei der Wesensbestimmung; 5 zu 3 beim Wirken. Die meisten Belege außerhalb des Psalters finden sich eben$ falls in Gebeten, Prophetenworten oder ihnen nahestehenden Texten. All dies deutet darauf hin, dass der Gebrauch von ōz im Psalter entstanden ist und von dort – meistens über die Gebetssprache – Einzug in die übrigen Schriften des Alten Testaments gefunden hat.

4.3 Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht Die Untersuchung hat ergeben, dass der Schwerpunkt der Rede von Gottes Macht quantitativ und qualitativ im Psalter liegt. Dort konzentriert sich die Vorstellung in den vier Machttermini gĕbûrâ, ayil, kōa und ōz, zu denen jeweils ein lexikalisches und semantisches Umfeld gehört. Die besondere Bedeutung, die den vier genannten Termini zukommt, ist nicht nur für den Psalter charakteristisch, sondern auch für alle anderen Schriften des Alten

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4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Testaments, in denen direkt von Gottes Macht gesprochen wird.194 Doch die Ausbildung der mit den Termini verbundenen Machtvorstellungen liegt – wie die Analyse der Wortfelder erwiesen hat – mit hoher Evidenz im Psalter, während die übrigen Schriften des Alten Testament die dort elaborierte Theo$ logie der Macht Gottes rezipieren. Ferner hat sich gezeigt, dass hinter den vier zentralen Machttermini und den zugehörigen Wortfeldern ein Vorstellungszusammenhang steht, der sich aus den unterschiedlichen Gebrauchsweisen der einzelnen Worte rekonstruie$ ren lässt. Gottes Macht wird mit ihnen unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Die in den Blick genommenen Aspekte sind dabei keine isolierten Größen, sondern nur dann angemessen zu verstehen, wenn man ihr theolo$ gisches Zusammenspiel erkannt hat. Bewusst ist hier der Begriff „Aspekt“ für die unterschiedlichen Wahrneh$ mungen von Gottes Macht gewählt worden. Er ist besonders geeignet, um einerseits die Diversität der Handlungen und Zuschreibungen von Macht zu erfassen und andererseits anzuzeigen, dass diese Unterschiede an ein und demselben Phänomen wahrgenommen werden. Dies ist freilich erst dann erkennbar, wenn es gelungen ist, den Zusammenhang der Aspekte herauszu$ arbeiten. Im Psalter erschließt sich Gottes Macht unter drei Aspekten. Am häufigs$ ten wird in den Blick genommen, dass Gott dem Menschen an seiner Macht Anteil gibt. Deutlich seltener wird Macht als Eigenschaft Gottes herausge$ stellt. Mit vergleichbarer Belegfrequenz wird davon gesprochen, dass sich Gottes Macht in seinem Handeln in der Welt und am Menschen erweist. Die$ se drei Aspekte bestimmen alle Aussagen über Gottes Macht, die mit dem hier behandelten Wortfeld im Psalter, aber darüber hinaus auch in den übri$ gen Schriften getroffen werden, unabhängig von den gewählten literarischen Formen und der Entstehungszeit der jeweiligen Texte.195 Im Psalter wird in knapp einem Drittel der Belege Macht als Wesenseigen$ schaft Gottes apostrophiert.196 Dies geschieht hauptsächlich über die Termini gĕbûrâ und ōz, während ayil weder im Psalter noch in den übrigen Schrif$

194

Dieses Urteil wird auch nicht durch die gut belegte deuteronomistische Redeweise von Gottes Handeln bĕyād ăzāqâ „mit starker Hand“ in Frage gestellt. Diese standardi$ sierte Formel suggeriert auf Grund ihrer Quantität ein größeres Gewicht in der erzählenden Literatur, als ihr tatsächlich zukommt (siehe oben die Ausführungen zu āzāq in Kapitel 4.1). 195 Es ist bemerkenswert, dass sich alle Belege im Alten Testament einem der drei As$ pekte zuordnen lassen. Nur in ganz wenigen Fällen werden in einem Beleg zwei Aspekte fast gleichermaßen in den Blick genommen, so dass die Zuordnung zum „Hauptaspekt“ notwendig ist. 196 Vgl. Ps 8,2.10; 21,14; 24,8(ter); 29,4; 59,17; 62,12; 63,3; 65,7; 66,3.7; 68,34.35; 71,18; 76,5; 78,4.65; 80,3; 89,9.14(bis); 90,11; 93,1.4; 96,6; 105,4; 106,8; 145,11; 147,5.

4.3 Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht

117

ten des Alten Testaments diesen Aspekt artikuliert.197 Dabei fällt auf, dass es nie um eine Charakterisierung Gottes intra se ipsum geht. Selbst dort, wo Macht als zentrale Eigenschaft und Präsenzanzeige Gottes im Tempel her$ ausgestellt wird (Ps 63,3), kommt es nicht zu einer absoluten Bestimmung von Gottes Wesen, sondern zu einer Charakterisierung Gottes in Relation zum Menschen. Gottes machtvolles Wesen zielt auf die Neubestimmung des Menschen durch die Schau von Gottes ōz „Macht“ und kābôd „Herrlichkeit“. Es ist evident, dass hier – wie auch in allen anderen Aussagen, die Macht als Eigenschaft Gottes in den Blick nehmen – Gott seine Macht nicht um seiner selbst willen hat. Es drängt ihn vielmehr dazu, sie zu Gunsten der Seinen zu erweisen – durch sein eigenes machtvolles Walten sowie die Machtbegabung des Menschen. Von Gottes machtvollem Wirken in der Welt und am Menschen wird in etwas weniger als einem Viertel der Belege im Psalter gesprochen.198 Es ist der einzige Aspekt, der durch alle vier zentralen Machttermini artikuliert wird. Alle Aussagen verbindet, dass Gott seine Macht fast ausnahmslos zum Wohle der Seinen aufbietet. Er vollbringt Rettungstaten für den Einzelnen wie das Volk. Sie qualifizieren nicht nur sein Handeln, sondern sind auch transparent auf sein Wesen, das allererst in seinem Wirken erkennbar wird. In den allermeisten Fällen wird im Psalter jedoch zum Ausdruck gebracht, dass Gott dem Menschen, aber auch Göttern, der Welt und unbelebten Objek$ ten Anteil an seiner Macht gewährt.199 Dies geschieht hier – wie auch sonst im Alten Testament – fast ausschließlich über den Terminus ōz und das ihm zugehörige Wortfeld. Die Vorstellung der Anteilgabe ist ein komplexes Phä$ nomen, das sprachlich in vielerlei Gestalt zu erfassen versucht wird. Alle Aussagen zeugen von der Hinwendung Gottes zu Mensch und Welt, wobei für beide die Gabe von Gottes Macht konstitutiv ist. Formulierungen, die die direkte Anteilgabe von Gottes Macht an den Menschen oder die Hineinnahme in die Machtsphäre Gottes zum Ausdruck bringen, sind am häufigsten belegt, ohne dass die Texte dabei konkret würden, wie man sich dies vorzustellen habe. Die Offenheit ist gewollt, damit viele Beter in ganz unterschiedlichen Situationen sich der lebensstiftenden und $bewahrenden Gabe Gottes in Lob oder Bitte vergewissern können. Sprachlich in dichtester Form wird die Parti$ zipation des Menschen an Gottes Macht im Bekenntnis des Beters zum Gott 197 Außerhalb des Psalters dominieren dagegen gĕbûrâ und kōa bei der Artikulation von Gottes Macht als Wesenseigenschaft, während ōz, der Schlüsselterminus des Psalters, mit nur fünf Belegen eine untergeordnete Rolle spielt. 198 Vgl. Ps 20,7; 21,14; 54,3; 59,12; 60,14 = 108,14; 65,7; 68,29(bis); 71,16; 74,13; 77,15; 78,26; 89,11; 106,2; 111,6; 118,15.16; 136,12; 145,4.6.12; 147,13; 150,2. 199 Vgl. Ps 8,3; 18,2.33.40; 21,2; 22,20; 27,1; 28,7.8(bis); 29,1.11; 30,8; 31,3.5; 37,39; 43,2; 46,2; 52,9; 59,10.18; 60,9 = 108,9; 61,4; 62,8; 68,35.36(bis); 71,7; 78,61; 80,16.18; 81,2; 84,6.8(bis); 86,16; 89,18.22; 96,7; 99,4; 105,24; 110,2.3; 118,14; 132,8; 138,3; 140,8; 150,1.

118

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

seiner Stärke ausgedrückt (vgl. uzzî/ ĕyālûtî/ izqî „meine Stärke“), nämlich der ihm von Gott gewährten Stärke. In uzzî „meine Stärke“ und synonymen Bildungen zeigt sich beispielhaft, was die Anteilhabe an Gottes Macht be$ wirkt: die Konstitution des Lebens durch und die grundsätzliche Ausrichtung des Lebens auf Gott sowie die Befähigung, in der Feindbedrohung bestehen zu können. Für Gottes Rettungsmacht, die Schutz gewährt, hat sich vor allem die metaphorische Rede von Gott als mā ôz „(Berg$)Feste“ etabliert. Gott nimmt die Seinen in die durch ihn verbürgte Schutzmacht hinein. Nicht zuletzt wird im Psalter auch von der Rückgabe der Macht Gottes im Gotteslob gesprochen. Der Akt der Machtbegabung wird in den Texten nicht direkt erwähnt, sondern allein die Rückgabe im Lobpreis artikuliert. Wer auf diese Weise Gott die Ehre gibt, entäußert sich der von Gott erhaltenen Gabe nicht, sondern verinnerlicht im Gotteslob, dass Gott sein Leben durch die Anteilgabe an seiner Macht gerade zum Gotteslob bestimmt hat. So klar sich die drei Aspekte von Gottes Macht unterscheiden, so evident ist ihre Verbindung untereinander. Dies zeigt sich auch daran, dass in vielen Psalmen zwei, mitunter auch alle drei der hier benannten Aspekte von Gottes Macht zur Sprache gebracht werden. Ps 68,29–36 ist für die gezielt eingesetz$ te Kohärenz ein gutes Beispiel. Nachdem bereits in V. 29 zweimal die Bitte an Gott ergangen ist, er möge seine Macht erweisen, sprechen V. 33–36 – Ps 29 pointiert variierend – in dreifacher Hinsicht von der „Gabe“ (dreimal ntn Qal „geben“) seiner Macht: in V. 34 von der Gabe seiner machtvollen Stimme, in V. 35 von der Aufforderung (doch wohl an die Königreiche aus V. 33), Jhwh die Macht im Gotteslob zurückzugeben, dessen Hoheit über Israel und dessen Macht (bis) in den Wolken ist, aber, wie V. 36 klimaktisch festhält, in besonderer Weise Gabe seiner Macht an sein Volk ist. Hier wird versucht – wie es auch in anderen Texten zu beobachten ist –, das komplexe Phänomen der Macht Gottes von verschiedenen Seiten zu beleuchten, um auf diese Weise ein möglichst adäquates Bild von dem zu vermitteln, was theolo$ gisch zusammengehört, sich aber sprachlich nur über die Aspekte sagen lässt. Bei der Artikulation der einzelnen Aspekte zeigen sich mitunter deutliche Präferenzen hinsichtlich der verwendeten Worte. Dies gilt nicht nur für den Psalter, wo vor allem der Terminus ōz mit zugehörigem Wortfeld für den Aspekt der Anteilgabe steht, gĕbûrâ und ōz für die beiden anderen Aspekte, sondern auch für die übrigen Schriften des Alten Testaments. Dort ist jedoch für die Rede von Gottes machtvollem Handeln kōa zentral, für die Prädika$ tion Gottes als mächtig gĕbûrâ und kōa . Bei den Verteilungsverhältnissen der Belege auf die einzelnen Aspekte ist – abgesehen von einer stärkeren Konzentration auf den Aspekt der Anteilgabe im Psalter – hingegen kein großer Unterschied zu den anderen Schriften erkennbar, wie die folgende Übersicht veranschaulicht, die den Befund für die vier zentralen Machttermi$ ni und ihre Wortfelder zusammenfasst.

4.3 Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht

119

Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht im Psalter kōa

ayil

gĕbûrâ mit Wortfeld

Ps 18,33.40 84,8(bis) 110,3

Macht als Anteilgabe

Macht als Eigenschaft Gottes

Ps 29,4 147,5

Macht im Handeln Gottes

Ps 65,7 111,6

Ps 24,8(bis) 65,7 66,7 71,18 78,65 80,3 89,14 106,8 145,11

Ps 59,12 60,14 = 108,14 118,15.16

Ps 20,7 21,14 54,3 71,16 106,2 145,4.12 150,2

ōz mit Wortfeld Ps 8,3 21,2 27,1 28,7.8(bis) 29,1.11 30,8 31,3.5 37,39 43,2 46,2 52,9 59,10.18 60,9 = 108,9 61,4 62,8 68,35.36 71,7 78,61 81,2 84,6 86,16 89,18 96,7 99,4 110,2 118,14 132,8 138,3 140,8 150,1 Ps 21,14 24,8 59,17 62,12 63,3 66,3 68,34.35 78,4 89,14 90,11 93,1 96,6 105,4 Ps 68,29(bis) 74,13 77,15 78,26 89,11 145,6

120

4. Kapitel: Das Wortfeld Macht im Psalter

Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht außerhalb des Psalters kōa Macht als Anteilgabe

Dtn 8,18 Ri 6,14 Jes 40,29.31 Mi 3,8

Macht als Eigenschaft Gottes

Nah 1,3 Hi 9,4.19 23,6 24,22 30,18 36,5.22 37,23 1 Chr 29,12 2 Chr 20,6

Macht im Handeln Gottes

Ex 9,16 15,16 32,11 Num 14,13.17 Dtn 4,37 9,29 2 Kön 17,36 Jes 40,26 50,2; 63,1 Jer 10,12 27,5 32,17 51,15 Hi 26,12 Neh 1,10 2 Chr 25,8

ayil Num 24,18 1 Sam 2,4 2 Sam 22,33.40 Hab 3,19

gĕbûrâ mit Wortfeld Jes 9,5 13,3 28,6 Mi 3,8 Sach 10,5.6.7.12 Dan 2,23

Dtn 3,24 10,17 Jes 10,21 11,2 33,13 42,13 63,15 Jer 10,6 14,9 20,11 32,18 Zeph 3,17 Hi 12,13 16,14 Dan 2,20 Neh 9,32 1 Chr 29,11.12 2 Chr 20,6 Jes 42,13 Jer 16,21 Hi 26,14

ōz mit Wortfeld Ex 15,2 Ri 3,10 6,2 1 Sam 2,10 2 Sam 22,33 Jes 12,2 17,10 25,4(bis) 27,5 45,24 49,5; 52,1 Jer 16,19(bis) Joel 4,16 Mi 5,3 Nah 1,7 Prov 10,29 14,26 Hi 37,6 Dan 11,1 Neh 8,10 1 Chr 16,28 2 Chr 6,41 Jes 51,9 Hab 3,4 Hi 12,16 1 Chr 16,11.27

Ex 15,13 Jes 62,8 Prov 8,28 Esr 8,22

4.3 Die drei grundlegenden Aspekte göttlicher Macht

121

Welche theologischen Implikationen sich beim und aus dem Zusammenspiel der einzelnen Aspekte ergeben, muss durch die Interpretation einschlägiger Psalmen herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden für jeden der drei Aspekte zwei Psalmen exemplarisch ausgelegt: für Macht als Eigenschaft Gottes Ps 21 und 63, für die Vorstellung der Anteilgabe von Gottes Macht an den Menschen Ps 59 und 84 sowie Ps 108 und 145 als Beispiele dafür, wie sich Gottes Macht in seinem Handeln in der Welt und am Menschen erweist.

Kapitel 5

Die Machtaspekte in exemplarischen Texten 5.1 Macht als Eigenschaft Gottes 5.1.1 Psalm 21: Gottes Lebens und Rettungsmacht 5.1.1.1 Übersetzung 1 2

1

Für den Chormeister. Ein Psalm. Von David.1 Jhwh, in deiner Macht freut sich der König, und in deiner Hilfe – wie jubelt2 er laut.

Die Wiedergabe von lĕDāwid mit „von David“ ist hier – wie in allen Psalmenüber0 schriften – nicht als Autorenangabe, sondern als Zuschreibung des Textes zu David zu verstehen. LĕDāwid kann am besten als „Gütesiegel“ bezeichnet werden (RÖSEL, Redak0 tion, 185). Die so überschriebenen Psalmen erfuhren eine Bedeutungssteigerung. Dies sicherte jedem einzelnen Text die weitere Überlieferung, wie sich an Ps 14 und 53 zeigt, die trotz identischen Wortlauts beide tradiert worden sind. Dass die Angabe lĕDāwid im Laufe des Überlieferungsprozesses auch als Registraturangabe (zur Davidsammlung gehö0 rig) verstanden worden ist, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit. Entscheidend ist jedoch, dass sich die Angabe darin nicht erschöpft. Die teilweise Erweiterung der Überschriften dieser Psalmen durch biographisch geprägte Situationsangaben aus dem Leben Davids zeigt, dass David ab einem gewissen Zeitpunkt als Beter der mit lĕDāwid überschriebenen Psalmen angesehen worden ist (vgl. Ps 3; 7; 18; 34; 51; 52; 54; 56; 57; 59; 60; 63; 142). Er wird zum betenden Vorbild für alle, die diese Psalmen in seiner Nachfolge sprechen. Eine kon0 kretere Verortung der Psalmen in Davids Leben war dafür nicht erforderlich, dürfte es dem Beter aber erleichtert haben, sich mit David zu identifizieren. Im Verlauf der Rezeptions0 geschichte wird David dann nicht mehr ausschließlich als Beter, sondern auch als Verfas0 ser der Psalmen angesehen. Zur Entwicklung der Davidtradition im Psalter vgl. KLEER, Sänger, 78–86.126; RÖSEL, Redaktion, 158–192; SÜSSENBACH, Psalter, 66–75. 2 Der Kontext legt nahe, dass hier mit dem Ketīb der Imperfekt Indikativ yāgîl und nicht nach dem Qere der Jussiv yāgēl/yāgel zu lesen ist. In V. 2a wird die Freude des Königs über Gottes Zuwendung zum Ausdruck gebracht, die auch in V. 2b Thema ist. Beide Kola weisen eine ähnliche Grundstruktur auf. Einem Verb, das die Freude des Königs artiku0 liert, geht die Angabe des Raumes voraus, der die Freude des Königs ermöglicht, wobei dieser Raum jeweils durch die Präposition bĕ angezeigt wird. Es ist wenig plausibel, das Verb im zweiten Kolon (gyl Qal „jubeln“) als Aufforderung an den König zu verstehen, wenn im ersten Kolon durch śm' im Imperfekt Qal die andauernde Freude des Königs zum Ausdruck gebracht wird. Es liegt vielmehr nahe, den durativ0frequentativen Aspekt auch im zweiten, durch wĕ „und“ angefügten Kolon weitergeführt zu sehen und beide Verben als Imperfekte aufzufassen.

5.1 Macht als Eigenschaft Gottes

3 4 5 6 7

123

Den Wunsch seines Herzens hast du ihm erfüllt, und das Begehren3 seiner Lippen hast du nicht verweigert. Denn du kommst ihm mit Segnungen an Gutem entgegen; du setzt seinem Haupt eine goldene Krone auf. Leben erbat er von dir; du hast es ihm gegeben; Länge der Tage für immer und ewig. Groß ist seine Ehre durch deine Hilfe; Hoheit und Pracht legst du ihm an. Denn du machst ihn zum Segen4 für immer; du erfreust ihn mit Freude nahe bei5 deinem Angesicht.

3 Das Substantiv +ărešet ist Hapaxlegomenon. Seine Bedeutung kann jedoch über akk. erištu „Begehren“ sowie die Parallelstellung zu ta+ăwâ „Wunsch, Begehren“ in V. 3a sicher erschlossen werden. Eine Konjektur von +ărešet „Begehren“ zu yĕruššâ „Erbteil“, wie sie von vielen Kommentatoren mit Verweis auf Ps 61,6 vorgenommen wird, ist weder notwendig noch gerechtfertigt. 4 Bei bĕrākôt handelt es sich um einen Amplifikativplural (vgl. GK § 124e; anders Joüon/Muraoka, die bĕrākôt für einen Abstraktplural halten, vgl. GBH § 136g). 5 Die Formulierung +et pānêkā ist ungewöhnlich und hat dazu geführt, den Text nach dem Targum in mē+ēt pānêkā „von deinem Angesicht her“ zu ändern (vgl. KRAUS, Psal0 men 1, 315; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 209 u. a.). Die Textänderung ist nicht not0 wendig, sondern deutlich lectio facilior und deshalb eher verdächtig. Es ist zwar richtig, dass sich die übliche Wiedergabe von +et pānêkā mit „vor deinem Angesicht“ vom Maso0 retischen Text her nicht rechtfertigen lässt und auch zu kurz greift, da „das Moment der Verursachung nicht zum Ausdruck kommt“ (DERS., Heilsgegenwart, 209), das für das Verständnis des Psalms bzw. des Verhältnisses von König und Gott in Ps 21 konstitutiv ist. Doch ist dafür keine Textänderung, sondern nur ein anderes Verständnis der Präposition +ēt erforderlich. Der Kontext zeigt, dass durch +ēt in V. 7b räumliche Nähe zum Ausdruck gebracht wird und die Wendung +et pānêkā dementsprechend mit „nahe bei deinem Ange0 sicht, in der Nähe deines Angesichts, in deiner Gegenwart“ wiederzugeben ist (bezogen auf Jhwh vgl. Gen 19,13.27; Ex 34,23.24; Lev 4,6.17; Dtn 16,16; 31,11; 1 Sam 1,22; 2,17.18; Ps 16,11; 140,14; bezogen auf Menschen vgl. 1 Sam 2,11; 22,4; 1 Kön 12,6; Prov 17,24; Est 1,10 sowie DCH 1, 452a). Auf diese Weise wird abermals auf einen „Raum“ der Got0 tesnähe verwiesen, in dem Jhwh zum Wohle des Königs handelt und ihn durch die Teilha0 be an dem, was sein Wesen auszeichnet, begünstigt. Die Besonderheit liegt allein darin, dass dieser „Raum“ nicht wie sonst in Ps 21 durch die Präposition bĕ angezeigt wird (V. 2a.6b.8b.14b), sondern durch die Präposition +ēt. Dass Gott, in V. 7b repräsentiert durch sein Angesicht, die Freude des Königs ermöglicht und diese von ihm ausgeht, wird durch +ēt hinreichend deutlich. Eine Textänderung nach dem Targum ist, um diesen Aspekt erfasst zu sehen, nicht notwendig, würde die Aussage sogar abschwächen, da durch mē+ēt „von … her“ die Nähe zwischen Jhwh und dem König nicht mehr so deutlich zum Aus0 druck käme. Doch gerade sie ist in Ps 21 entscheidend. Es spricht somit viel dafür, dass die seltene Formulierung +et pānêkā hier bewusst gewählt und entsprechend mit „nahe bei deinem Angesicht“ wiederzugeben ist. Ähnlich sieht dies REINDL, Angesicht, 48f., der in V. 7b für eine Übersetzung von +et pānêkā mit „bei Jhwh“ plädiert. Sein Urteil, dass die Wendung +et pānîm, wenn sie in Bezug auf Jhwh gebraucht wird, auch als Synonym für lipnê „vor“ gebraucht worden sei und daher an anderen Stellen im Alten Testament mit

124 8 9 10

11 12 13 14

5. Kapitel: Die Machtaspekte in exemplarischen Texten

Denn der König vertraut auf Jhwh, und in der Güte des Höchsten wird er nicht ins Wanken gebracht. Deine Hand wird alle deine Feinde finden; deine Rechte wird finden, die dich hassen. Du wirst sie einem Feuerofen gleich machen; wenn du erscheinst,6 wird Jhwh sie in seinem Zorn verschlingen und7 wirst du sie mit Feuer verzehren. Ihre Frucht wirst du von der Erde vertilgen, ihren Samen aus dem Menschengeschlecht. Wenn sie (auch) Böses gegen dich gewendet, einen bösen Plan ersonnen haben – sie werden nichts erreichen. Denn du wirst sie fliehen machen,8 mit deinen Bogensehnen wirst du auf ihr Angesicht zielen. Erhebe dich, Jhwh, in deiner Macht; (dann) wollen wir singen und spielen deinen Machttaten.9

„vor seinem/deinem/Jhwhs Angesicht“ oder einfach mit „vor Jhwh“ wiedergegeben wer0 den könne, ist hingegen kaum sachgemäß. Es findet sich im Alten Testament kein Beleg – weder für Jhwh noch für sonst jemanden –, wo lipnê und +et pānîm parallel gestellt sind, so dass eine entsprechende Übersetzung nicht gerechtfertigt scheint. 6 Wörtlich: „zur Zeit deines Angesichts“. 7 Folgt man dem Endtext, so ist V. 10d zu übersetzen: „und Feuer wird sie verzehren“ (wĕtō+kĕlēm: 3. Pers. fem. Sg. Waw0Ipf. Qal mit Objektsuffix 3. Pers. mask. Pl.; Subjekt: +ēš „Feuer“). Ursprünglich dürfte V. 10d jedoch direkt an V. 10b angeschlossen und gelau0 tet haben: „wirst du sie mit Feuer verzehren“ (tō+kĕlēm 2. Pers. mask. Sg. Ipf. Qal mit Objektsuffix 3. Pers. mask. Pl.; +ēš „Feuer“: zweiter Akkusativ [+kl wird hier mit doppel0 tem Akkusativ konstruiert]; Subjekt: weiterhin der bereits in V. 10a angesprochene König). Für eine ausführliche Erläuterung dieser textkritischen Entscheidung einschließlich der Umvokalisierung von wĕt+ōkĕlēm siehe unten die Beobachtungen zur Kohärenz in Kapi0 tel 5.1.1.2. 8 Wörtlich: „du wirst sie zur Schulter machen“ (šyt mit doppeltem Akkusativ). 9 Hier wird mit einem Fragment aus der Kairoer Geniza, einigen Handschriften sowie der Septuaginta der Plural gĕbûrātêkā „deine Machttaten“ gelesen (vgl. SAUR, Kö0 nigspsalmen, 97), da V. 14b nur sinnvoll als Konkretion des in V. 14a erbetenen Machter0 weises: Rûmâ Yhwh bĕ9uzzekā „Erhebe dich, Jhwh, in deiner Macht.“ verstanden werden kann. In Analogie zur Zusage siegreicher Taten an den König (V. 9–13*), die allein in seiner Machtbegabung durch Jhwh ihren Grund haben (V. 2a), werden mit dem Plural gĕbûrōt in V. 14b Jhwhs Rettungstaten für sein Volk als sichtbares Zeichen seines Machterweises antizipiert. Zur literargeschichtlichen Einordnung von V. 14 sowie seiner Auslegung siehe unten die Beobachtungen zur Kohärenz.

5.1 Macht als Eigenschaft Gottes

125

5.1.1.2 Beobachtungen zur Kohärenz Ps 21 erscheint auf den ersten Blick als geschlossener und kohärenter Text. Er ist durchgängig in Bikola komponiert und weist keine offensichtlichen inhaltlichen Brüche auf. Er vermittelt den Eindruck, ein Ganzes zu sein. Dies bedeutet aber nicht, dass End0 und Grundfassung des Psalms identisch sind. Auch Ps 21 ist überarbeitet worden. Bei der Rekonstruktion des Grundbe0 standes herrscht in der neueren Psalmenforschung eine für textkritische Fra0 gen seltene Einigkeit, an welchen Stellen in den Text eingegriffen worden ist: V. 8.10.14.10 Die Meinungen gehen jedoch dahingehend auseinander, welche 10

Vgl. SAUR, Königspsalmen, 99–101.105–110. Diese Einigkeit ist im Wesentlichen Spieckermanns Analyse von Ps 21 zu verdanken (vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 210–212). Er geht aber noch davon aus, dass neben der späteren Hinzufügung von V. 8.14 und der sekundären Erweiterung von V. 10 auch V. 13 nicht zum Grundbestand von Ps 21 gehört. Spieckermann benennt für die Aussonderung von V. 13 inhaltliche Gründe, indem er darauf verweist, dass die Schilderung einer konkreten Kampfhandlung des Königs im Anschluss an V. 12, der im Blick auf V. 9–11* eine bündelnde und die Szenerie abschlie0 ßende Funktion hat, deplatziert wirke. Doch wird in V. 12 tatsächlich nur gebündelt, was bereits zuvor gesagt worden ist? Dies scheint nicht der Fall zu sein. Es wird in V. 12 viel0 mehr gegen Ende des zweiten Teils die Feindbedrohung bewusst noch einmal stark ge0 macht, bevor in V. 13 der Vernichtungsgewissheit der Feinde durch den König abermals Raum gegeben wird. Der König ist – abgesehen von V. 12 – in jedem Vers des zweiten Teils handelndes Subjekt. Ihm wird zugesagt, dass er den Feinden ein Ende setzen werde. In V. 12 stehen allein die Feinde und die von ihnen ausgehende Gefahr im Zentrum. Die Feinde sind handelndes Subjekt. Die Überlegenheit des Königs wird nur indirekt durch die Aussage, dass die Feinde nicht erfolgreich sein werden, angezeigt. Doch für den zweiten Teil ist gerade die direkte Zusage an den König, dass er – durch Gott ermächtigt – die Feinde niederschlagen werde, konstitutiv. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass der zweite Teil bereits in der Grundfassung genau damit endet und V. 13 zum Grundbestand von Ps 21 zu rechnen ist. Der Vers fügt sich auch formal, inhaltlich und im Blick auf die verwendete Bildsprache gut an V. 12 an und in den Kontext ein. Der Einwand, dass eine abermalige Schilderung konkreter Kampfhandlungen des Königs im Anschluss an die Zusicherung, dass die Feinde nichts erreichen werden, deplatziert wirke, lässt sich leicht entkräften. Es geht im zweiten Teil nicht darum, den exakten Ablauf einer Schlacht nach0 zuzeichnen, sondern um die Zusage an den König, dass er die Feinde vollständig vernich0 ten werde. Jedes einzelne Bikolon soll genau dies zum Ausdruck bringen. Die dabei ge0 wählten Bilder variieren. Sie eint jedoch, dass sie alle Szenen vor Augen führen, die sich im Rahmen einer Schlacht abspielen. Dies trifft auch auf die in V. 13 geschilderte Aktion zu, so dass nichts dagegen spricht, den Vers zum Grundbestand zu rechnen. Auch Spieckermanns Erklärung, wie es zu einem Nachtrag von V. 13 gekommen sein könnte, vermag diese Einschätzung nicht zu revidieren. Es ist wenig wahrscheinlich, dass eine spätere Hand V. 13 allein aus formalen Gründen angefügt hat, um auf diese Weise den zweiten Teil (V. 9–12*) in Analogie zum ersten, bereits um V. 8 erweiterten Teil (V. 2–8) mit einem doppelten kî „denn“0Satz enden zu lassen, zumal die beiden kî „denn“0Sätze am Ende des zweiten Teils ebenso gut demjenigen, der V. 8 hinzugefügt hat, als Vorlage gedient haben könnten. Es ist vielmehr auch aus formalen Gründen geboten, V. 13 zum Grundbestand von Ps 21 zu rechnen, da sich auf diese Weise ein ausgewogeneres Verhält0

126

5. Kapitel: Die Machtaspekte in exemplarischen Texten

Funktion die jeweiligen Texterweiterungen haben. Dies hängt – wie sich noch zeigen wird – eng mit der Frage zusammen, wer im Psalm direkt angespro0 chen wird: Ist es durchgängig Jhwh (V. 2–14), oder erfolgt in V. 9 ein Wech0 sel zur direkten Anrede des Königs (V. 9–13)? Es wird im Folgenden somit nicht allein darum gehen, die Texterweiterun0 gen auszuweisen, sondern auch aufzuzeigen, welche Intention hinter ihnen steht und welche neuen theologischen Akzente der Psalm durch sie erhält. Dabei ist zugleich die Frage nach einem möglichen Wechsel bei der direkten Anrede zu klären. Der Psalm beginnt mit der Invocatio Jhwhs in V. 2a. Noch in demselben Kolon wird mit dem König auch der zweite Protagonist des Psalms einge0 führt. Er ist hier – wie in V. 2b – handelndes Subjekt, aber nicht derjenige, der direkt angesprochen wird, wie seine Nennung in der 3. Person Singular anzeigt. In den folgenden fünf Bikola (V. 3–7) sind der König und Jhwh wechselweise Subjekt oder Objekt, wobei die direkte Anrede Jhwhs aus0 nahmslos beibehalten wird. Dies legt nahe, dass es sich um ein Gebet für den König handelt, das – vermutlich in Anwesenheit des Königs – von einem Priester im Tempel gesprochen worden ist.11 Die Bikola sind ebenmäßig gebaut und fügen sich auch inhaltlich gut aneinander. Man könnte allenfalls einwenden, dass V. 3–7 eine gewisse Redundanz aufweisen. Doch die Wie0 deraufnahme von inhaltlichen Aspekten allein ist kein hinreichendes Kriteri0 um, Verse auszuscheiden. Viele Psalmen „leben“ gerade von der Variation zentraler Inhalte und Motive. Dies dürfte auch bei Ps 21 der Fall sein, wie V. 9–13* zeigen, die ebenfalls entsprechend gestaltet sind. Welche Funktion die inhaltlichen und sprachlichen Doppelungen in Ps 21 haben, gilt es in der theologischen Profilierung herauszuarbeiten. Entscheidend ist an dieser Stelle zunächst, dass es keine triftigen Argumente gibt, V. 2–7 nicht zum Grundbe0 stand zu rechnen.12 Anders ist dies bei V. 8. Er lässt sich leicht als redaktioneller Einschub er0 kennen.13 Zunächst fällt auf, dass in V. 8 nicht mehr wie bisher Jhwh direkt angesprochen, sondern auf ihn und den König in der 3. Person Singular Be0 zug genommen wird. In hymnischen Texten ist der Wechsel von der direkten Anrede in die 3. Person Singular oder Plural nicht ungewöhnlich, so dass diese Beobachtung allein nicht ausreicht, den Vers als sekundär auszuweisen. Doch hier kommen weitere formale und inhaltliche Aspekte hinzu. V. 8a ist der einzige Vers im gesamten Psalm, der ein Partizip (bō