Opferterminologie im Psalter 9783161511424, 9783161504334

Die Opferterminologie im Psalter unterscheidet sich zum Teil wesentlich von der des priesterlichen Schrifttums und der p

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Forschungsüberblick
2.1 Aspekte der älteren Psalmenforschung
2.2 Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung
2.3 Weitere Vorgehensweise zur Erhellung der Opferterminologie im Psalter
3 Opferterminologie im Psalter – materiale Grundlagen
3.1 Opferarten
3.1.1 Das Dankopfer / Danklied – הרות
3.1.2 Das Schlachtopfer – חבז
3.1.3 Das Gelübde(opfer) – רדנ
3.1.4 Das Brandopfer – הלוע
3.1.5 Die Huldigungsgabe, das Speiseopfer – החנמ
3.1.6 Das freiwillige Opfer – הבדנ
3.1.7 Das Räucheropfer – חרטק
3.1.8 Das Sündopfer – תאטח
3.1.9 Das Ganzopfer – לילכ
3.1.10 Das Trankopfer – ךסנ
3.2 Darbringungsformen
3.2.1 Schlachten – חבז
3.2.2 Hinaufsteigen (lassen) – הלע
3.2.3 Nehmen – חקל
3.2.4 (Aus)gieβen – ךסנ
3.2.5 Machen, tun, bereiten – השׂע
3.2.6 Zurüsten – ןוכ
3.3 Anrechnungstermini
3.3.1 Gefallen haben – ץפח
3.3.2 Wohlgefällig annehmen – הצר
3.3.3 Gering schätzen – הוב
3.3.4 Fordern – לאשׁ
3.3.5 Für fett erklären – ןשׁד
3.3.6 Gedenken – רכז
3.4 Opfermaterie
3.4.1 Materielle Opfer
3.4.1.1 Der Bock – רותע
3.4.1.2 Der Widder – ליא
3.4.1.3 Das Rind – רקב
3.4.1.4 Das (Opfer)fleisch – רשׂב
3.4.1.5 Das Fettschaf – חמ
3.4.1.6 Der (Jung)stier – רפ
3.4.1.7 Der Stier – ריבא
3.4.1.8 Das Rind(vieh) – רושׁ
3.4.1.9 Das Blut – םד
3.4.2 Nicht-materielle Opfer
3.4.2.1 Der zerbrochene Geist – הרבשׁנ חור
3.4.2.2 Ein zerbrochenes und zerschlagenes Mundes – הכדנו רבשׁנ בל
3.4.2.3 Die freiwilligen Opfer meines Mundes – יפ חוברנ
3.4.2.4 Mein Gebet – יתלפת
3.4.2.5 Das Erheben meiner Hände – יפכ תאשׂמ
3.5 Ort des Opfers
3.5.1 Das Zelt – להא
3.5.2 Der Altar – חבומ
3.5.3 Das Haus – תיב
3.6 Zusammenfassung
4 Opferterminologie im Psalter – textliche Grundlagen
4.1 Die positive Bewertung von Opfern im Psalter
4.1.1 Psalm 20 – Zur Anerkennung materieller Opfer
4.1.2 Psalm 66 – Das Verhältnis von Gotteslob und materiellen Opfern
4.2 Opferkritische Passagen im Psalter
4.2.1 Psalm 16 – Fremdgötteropfer und der eine Gott YHWH
4.2.2 Psalm 50 – Götterspeisung und Gotteslob
4.3 Spiritualisierte Opfer im Psalter
4.3.1 Psalm 51 – Die Opfer des sünden behafteten Menschen
4.3.2 Psalm 141 – Gebet und Opfer
4.4 Zusammenfassung
5 Opferterminologie im Psalter – Auswertung und Ertrag
5.1 Auswertung: Spezifika der Opferterminologie im Psalter in Relation zu priesterlichem Schrifttum und prophetischer Kultkritik
5.1.1 Die besondere Rolle der
5.1.2 Die Bedeutung von
5.1.3 Opferkritische Aussagen
5.1.4 Spiritualisierte Opferaussagen
5.2 Ertrag
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Personenregister
Sachregister
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Opferterminologie im Psalter
 9783161511424, 9783161504334

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CHRISTIANE RADEBACH-HUONKER

Opferterminologie im Psalter

Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe 44

Mohr Siebeck

Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Edited by Bernd Janowski (Tübingen) . Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)

44

Christiane Radebach-Huonker

Opferterminologie im Psalter

Mohr Siebeck

CHRISTIANE RADEBAcH-HuoNKER, geboren 1971; Studium der ev. Theologie

an

der Uni­

versität Hamburg; 1998-2000 Prävikariat im Kirchenkreis Lübeck; 2000-2002 Mitarbei­ terin im DFG-Projekt "Theatralität, Kult lllld Rituale. Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften", Teilbereich "Transformationen kultischer Darstellllllgen" an der

Universität Münster; 1998-2006 Lehrauftrag BibelklllldeAltesTestament

an der

Universität Hamburg; 2009 Promotion.

e-ISBN PDP 978-3-16-151142-4 ISBN 978-3-16-150433-4 ISSN 1611-4914 (Forschllllgen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeiclmet diese Publikation in der Deutschen Na­ tionalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://

dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 Mohr Siebeck T übingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tllllg außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmllllg des Verlags unzulässig lllld strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset­ zungen, Mikroverfilmllllgen lllld die Einspeicherllllg lllld Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Gäbel in Nehren auf alterllllgbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt lllld von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebllllden.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Wintersemester 2009/20 10 als Dissertation angenommen und für den Druck leicht überarbeitet. An der Entstehung dieser Arbeit haben viele Menschen auf unter­ schiedliche Weise ihren Anteil. Vor allen anderen gilt mein Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann, der die Ent­ stehung der Arbeit überhaupt möglich gemacht hat und mir in der Zeit des Werdens und Fertigstellens stets ein geduldiger und humorvoller Weg­ begleiter gewesen ist. Er hat keinen Zweifel am Gelingen gelassen, stand mir mit konstruktiven Anregungen zur Seite und hat mir mit Langmut die nötige Zeit gegeben. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Reinhard Gregor Kratz für die Übernahme des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Hinweise. Neben Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann danke ich zudem Herrn Prof. Dr. Bernd Janowski, Herrn Prof. Dr. Mark S. Smith und dem Verlag Mohr Siebeck mr die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Forschun­ gen zum Alten Testament 2. Reihe. Herrn Dr. Henning Ziebritzki und dem Team von Mohr Sieb eck danke ich mr die reibungslose Zusammenarbeit und die zügige Publikation. Den Mitgliedern des Forschungskolloquiums der Universität Hamburg danke ich mr die Möglichkeit der Vorstellung meiner Thesen und die hilfreichen Denkanstöße. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Spieckermann und Herrn PD Dr. Thomas Podella danke ich für die Anstellung als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster im Forschungsprojekt "Transformationen kultischer Darstellungen im altisraelitischen Tempelritual", das mir wichtige Impulse für meine Arbeit gegeben hat. Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. Franziska Schütz für unsere wöchent­ lichen "Dissertationsessen" und guten Gespräche. Ganz wichtig war der Rückhalt durch meine Familie. Danken möchte ich vor allem meinen Eltern, die mich in all den Jahren unterstützt und er­ mutigt haben. Mein Mann, Dr. Ulrich Huonker, hat ebenfalls großen Anteil an der Entstehung dieser Arbeit. Ob Korrekturlesen, Computerprobleme

VI

Vorwort

lösen, das Anhören meiner Thesen oder die Betreuung unserer Kinder, er war mir stets eine große Hilfe. Ganz besonderer Dank gilt unseren Kindern Felicia und Karolina, die für mich immer wieder Wunder und Geschenk zugleich sind. Sie haben die Fertigstellung der Arbeit mit einer für ihr Alter hohen Toleranz ertragen, mich mit ihrer Fröhlichkeit und ihrem Humor immer wieder aus den Tiefen der Schreibtischarbeit in die Realität geholt und an ihrer kleinen Welt teilhaben lassen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Esslingen am Neckar, im Mai 20 1 0

Christiane Radebach-Huonker

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

.........................................................................................

2 Forschungsüberblick

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1 Aspekte der älteren Psalmenforschung

.........................................

2.2 Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

........................

2.3 Weitere Vorgehensweise zur Erhellung der Opferterminologie im Psalter

..................................................................................

3 Opferterminologie im Psalter - materiale Grundlagen

3.1 Opferarten 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3 . 1 .4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.1.9 3 . 1 . 10

.................................................................................

Das Dankopfer / Danklied - ;'i1n ....... ........... ................. Das Schlachtopfer - n::ll.. ................................................ Das Gelübde(opfer) - iil Das Brandopfer - ;,"111 ................................................... Die Huldigungsgabe, das Speiseopfer - ;,nm ................. Das freiwillige Opfer - ;'::lil Das Räucheropfer - ni�l� Das Sündopfer - nK�n. ................................................... Das Ganzopfer - ",,,:l Das Trankopfer - lO l ...................................................... ...............................................

..........................................

...............................................

.....................................................

3.2 Darbringungsformen 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6

..........

..................................................................

Schlachten - n::ll Hinaufsteigen (lassen) - ;'''11 .......................................... Nehmen - nl� " (Aus)gießen - lO l Machen, tun, bereiten - ;,iVl1 ........................................... Zurüsten - 11:l ................................................................. .............................................................

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1

5 5

20 31 33 33 34 37 39 43 49 54 56 59 62 63 66 66 67 68 68 70 70

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.3 Anrechnungstermini 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6

...................................................................

Gefallen haben - yDn ...................................................... Wohlgefallig annehmen - n;:1 ........................................ Gering schätzen - nl::l ..................................................... Fordern - "KI!i ................................................................ Für fett erklären - ll!ii ..................................................... Gedenken - 1:l1 ..............................................................

3.4 Opfermaterie

..............................................................................

3.4.1 Materielle Opfer .............................................................. 3.4. 1 . 1 Der Bock - i1nl1 ............................................... 3.4. 1 . 2 Der Widder - "'K .............................................. 3.4. 1 . 3 Das Rind - 11�::l ................................................. 3.4. 1 .4 Das (Opfer)fleisch - 11!i::l ................................... 3.4. 1 . 5 Das Fettschaf - n� ............................................ 3.4. 1 . 6 Der (Jung)stier - 1D .............. .................... ........ 3.4. 1 . 7 Der Stier - 1'::lK ................................................ 3 .4 . 1 . 8 Das Rind(vieh) - 111!i ......................................... 3.4. 1 . 9 Das Blut - Cli .................................................... 3.4.2 Nicht·materielle Opfer 3.4.2 . 1 Der zerbrochene Geist - n1::ll!il m1 ................. 3.4.2.2 Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz - n:lil1 1::ll!il ::l" ............................................. 3.4.2.3 Die freiwilligen Opfer meines Mundes - 'D n1::lil ........................................................ 3.4.2.4 Mein Gebet - 'n"Dn .......................................... 3.4.2.5 Das Erheben meiner Hände - 'D:l n KI!i� ........... ....................................................

3.5 Ort des Opfers

............................................................................

71 71 72 72 73 74 75 76 76 79 79 79 80 80 81 81 82 82 83 83 84 85 86 87 88

3 . 5 . 1 Das Zelt - "nK ................................................................ 89 3.5.2 Der Altar - n::lm ............................................................. 90 3.5.3 Das Haus - n'::l ............................................................... 91 3.6 Zusammenfassung

......................................................................

92

IX

Inhaltsverzeichnis 4 Opferterminologie im Psalter - textliche Grundlagen 4.1 Die positive Bewertung von Opfern im Psalter

...........

.........................

98 103

4 . 1 . 1 Psalm 20 - Zur Anerkennung materieller Opfer ............ 104 4 . 1 . 2 Psalm 6 6 - Das Verhältnis von Gotteslob und materiellen Opfern 119 ........................................................

4.2 Opferkritische Passagen im Psalter

..........................................

135

4.2.1 Psalm 16 - Fremdgötteropfer und der eine Gott YHWH 136 4.2.2 Psalm 50 - Götterspeisung und Gotteslob 161 .....................

4.3 Spiritualisierte Opfer im Psalter .............................................. 1 79 4.3 . 1 Psalm 5 1 - Die Opfer des sündenbehafteten Menschen . 1 8 8 4.3.2 Psalm l4l - Gebet und Opfer. ....................................... 204 4.4 Zusammenfassung . ................................................................... 2 1 5

5

Opferterminologie im Psalter - Auswertung und Ertrag

.....

218

5.1 Auswertung: Spezifika der Opferterminologie im Psalter

in Relation zu priesterlichem Schrifttum und prophetischer Kultkritik. ............................. ........... ............ 2 1 8 Die besondere Rolle der :1i1n ............. .......................... Die Bedeutung von iil ................................................. Opferkritische Aussagen ............................................... Spiritualisierte Opferaussagen .......................................

5.1.1 5.1.2 5.1.3 5 . 1 04

219 221 222 228

5.2 Ertrag ...................................................................................... 231 Literaturverzeichnis Stellenregister

......

......

....................... ....................... ......................... 239

............ ........... ........... ............ ........... ........... ............ 253

Personenregister................................................................................... 270 Sachregister

.........................................................................................

274

Kapitel

I

Einleitung

Du willst ein Opfer haben, hier bring ich meine Gaben: mein Weihrauch und mein Widder sind mein Gebet und Lieder. Paul Gerhardt, "Wach auf mein Herz und singe", Strophe 5, 1 647, EG 446

Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen Güter und Gaben; was wir nur haben, Alles sei Gotte zum Opfer gesetzt! Die besten Güter sind unsre Gemüter; dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder, an welchen er sich am meisten ergötzt. Paul Gerhardt, ,,Die güldne Sonne voll Freud und Wonne", Strophe 3, 1666, EG 449

Wenn wir im Gottesdienst die angeführten Liedstrophen von Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert singen, um Gott zu loben und zu danken, greifen wir auf eine Entwicklung zurück, deren Anfange bis weit in die vorchrist­ liche Zeit reichen: Gebet, Lieder, das Gemüt des einzelnen Menschen und der dankbare Gesang erscheinen hier als Opfergaben, die Gott wohlgefallig sind und die gleiche oder eine höhere Bedeutung haben wie Weihrauch und Widderl Dieses Verhältnis von materiellen zu nicht-materiellen Opfern hat seine zeit- und theologiegeschichtlichen Wurzeln im Alten Testament, genauer gesagt in den Psalmen. Die Verbindung von Gesang, Gotteslob und Opfer, auf die Paul Gerhardt zurückgreift, ist eines der zentralen Themen der Opfertenninologie im Psalter, die in dieser Arbeit untersucht werden soll. Wer etwas über Opfer und die Bedeutung von Opfern im Alten Testa­ ment erfahren möchte, dem fallt zunächst das priesterliche Schrifttum2 mit 1 Zur Bedeutung des Gotteslobes bei PAUL GERHARDT vgl. BUNNERS, Paul Gerhardt, S. 162.166; zu Ps 5 1 , 1 9 in EG 449,3 vgl. KÖHLER, Die biblischen Quellen der Lieder, S. 503f.; zu Ps 141,2 in EG 446,5 vgl. AUEUGIESECKE, Bibel im Kirchenlied, S. 56; zu Ps 141,2 in EG 449,3 vgl. ebd. 2 Die Bezeichnungen "Priesterliches Schrifttum" bzw. "Priesterliche Texte" dienen in dieser Arbeit zur Benennung all derjenigen Texte, die üblicherweise unter "Priester­ schrift" (po, ps) subsumiert werden.

2

Einleitung

semem detaillierten Ritualsystem ins Auge, eventuell noch die scharfe Opferkritik der Propheten, die quantitativ einen relativ kleinen Raum ein­ nimmt, jedoch eine große Wirkungsgeschichte gehabt hat. Die Psalmen dagegen lassen auf den ersten Blick keine enge Verbindung zum Opfer erkennen, obwohl eine Bindung an den (Jerusalerner) Tempelkult nicht zu leugnen ist. Daß die Psalmen einen Bezug zum Kult und zu kultischen Handlungen wie dem Opfer gehabt haben, wird zum einen in 2 ehr 7,4-7; 2 ehr 23, 18; 29,2lff. und Sir 50,13ff. deutlich: Mit den konkret darge­ brachten Opfern werden die Musik, der Gesang und die Lieder Davids3 erwähnt, welche die materiellen Opfer begleitet haben. Nach den beiden Chronikbüchem wird das Singen von Psalmen zu Anlässen erwähnt, die eine große Bedeutung im Kult gehabt haben, beispielsweise bei der Über­ führung der Lade nach Jerusalem in 1 ehr 15 oder bei der Einweihung des Tempels durch Salomo in 2 ehr 7. Der Bezug der Psalmen wird somit zum einen in Zusammenhang mit dem Kult der nachexilischen Zeit sichtbar. Zum anderen weisen die Tempelbezüge in über 120 Psalmen4, in denen direkt oder indirekt vom Tempel die Rede ist, auf die Bindung der Psalmen an den Kults . Angesichts dessen mag es verwundern, wie wenig die Psal­ men zum Thema "Opfer" zu sagen haben, wo doch der Tempel als Stätte kultischer Handlungen der Ort des Opfervollzugs ist. In 22 6 der 150 Psalmen ist in meist sehr knapp gehaltener Weise vom Opfer die Rede, wobei das Interesse der Psalmdichter an Beschreibungen von Opfervollzug, Opferritualen, Opfermaterie und Opfervorschriften gering ist. Es hat den Anschein, daß der Tempel als Ort des Opfervollzugs nicht im Zentrum der Psalmen steht. Wird im priesterlichen Schrifttum das Verständnis von Kult vor allem vom Opfer her bestimmt und viel Wert auf Ritualbeschreibungen gelegt, ist dies in den Psalmen nicht der Fall. Mög­ licherweise liegt hier auch eine Erklärung für das eher geringe wissen­ schaftliche Interesse an der Thematik "Psalmen und Opfer,,7 Da das Opfer vom quantitativen Aspekt her in den Psalmen eine eher untergeordnete Rolle spielt, ist die eigene theologische Schwerpunktsetzung in den Psal3 Vgl. 2 ehr 7,6: 1'�;' i�'i ;,t!il' ,iUx ;"'n;"'p '�iU; 2 ehr 23,18: i�'i �i� '1.' '�iU. 4 Vgl. DFG-PROJEKT, Datenbank Psalmen (RADEBACH-HuONKER, unpubliziert). 5 Zum bestehenden oder zumindest ursprünglichen Kultbezug der Psalmen vgl. die Kontroverse zwischen GUNKEL und MOWINCKEL, die beide als Ausgangspunkt ihrer Postulate die Psalmen aus kultischen Kontexten herleiten, jedoch anschließend sehr unterschiedliche Wege gehen, vgl. GUNKELIBEGRICH, Einleitung; GUNKEL, Die Psalmen HK 1112; MOWINCKEL, Psalmenstudien I-VI. 6 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4. 7 Vgl. die Ausführungen im Forschungsüberblick, S. 5ff. Ausführliche Arbeiten zu diesem Thema sind bisher nicht erschienen. Lediglich ROST hat 1968 in seinem Aufsatz "Ein Psalmenproblem" kurz auf die Thematik Opfer in den Psalmen hingewiesen, vgl. ebd., Sp. 245.

Einleitung

3

men bezüglich des Opfers, WIe SIe an emigen Stellen zum Ausdruck kommt, umso bemerkenswerter. Aufgabe und Ziel dieser Arbeit ist es, dieser eigenen theologischen Schwerpunktsetzung in den Psalmen nachzugehen und das Opferverständ­ nis, das in den Psalmen vorherrscht, ausfindig zu machen und gegenüber dem Opferverständnis des priesterlichen Schrifttums und Opferaussagen in den prophetischen Büchern abzugrenzen. Gemeinsamkeiten und Unter­ schiede bezüglich des Opferbegriffs in den Psalmen, den priesterlichen Texten und den prophetischen Schriften werden erörtert. Methodisch wird hierbei thematisch und exemplarisch vorgegangen: Nach einem For­ schungsüberblick findet zunächst eine thematische Annäherung in Form einer Materialsammlung statt, welche die Opfertenninologie im Psalter in­ ventarisiert, bevor in einem weiteren Schritt die Bedeutung der materialen Grundlagen durch die Analyse einzelner exemplarischer Psalmen erhellt wird. Aufgrund von Aufgabe, Ziel und Methode der Arbeit ergibt sich folgen­ der Aufbau: In Kapitel 2 wird in einem kurzen Forschungsüberblick die Entwicklung der Psalmenexegese seit H. Gunkel und S. Mowinckel unter besonderer Berücksichtigung des Themas "Psalmen und Opfer" dargestellt. Dabei werden zum einen die ältere Psalmenforschung und der Versuch der Rekonstruktion des Jerusalemer Tempelkultes in den Blick genommen. Zum anderen wird es im Hinblick auf die neuere Psalmenforschung um den Psalter als Ganzen und psalmentheologische Schwerpunktthemen gehen. Im Anschluß daran wird in Kapitel 3 ein Überblick über die Opfer­ terminologie im Psalter und ihre Verwendung gegeben. Opferarten, Darbringungsfonnen, Anrechnungstennini, Opfennaterie und der Ort des Opfers in den Psalmen werden zusammengestellt und geordnet. So werden die materialen Grundlagen für die Formulierung einer These bezüglich der Verwendung von Opfertermini im Psalter geschaffen. Diese These gewinnt im 4. Kapitel anhand der Exegese exemplarischer Texte Gestalt und erhellt die Frage nach dem Opferverständnis in den Psalmen. Dabei wird das Augenmerk auf konkrete, materielle Opfer, "ent­ materialisierte", "spiritualisierte" Opfer sowie auf die positive und negative Bewertung der einzelnen Opfer gerichtet. Im Zusammenhang mit "spiritua­ lisierten" Opferaussagen erfolgt, nach einem kurzen Forschungsüberblick zur Begriffsklärung, eine Definition des Tenninus "Spiritualisierung". Im 5. Kapitel werden der Ertrag des 4. Kapitels ausgewertet und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen der Opfertenninologie des priesterlichen Schrifttums und den kultkritischen Aussagen der prophe­ tischen Bücher herausgearbeitet. Zentrale Fragen sind dabei, ob und in­ wiefern das Opferverständnis in den Psalmen durch die prophetische

4

Einleitung

Kultkritik beeinflußt worden ist und inwieweit sich die Psalmdichter von den Opferbeschreibungen bzw. dem Opferverständnis im priesterlichen Schrifttum abgrenzen. In der Wahmehmung dieser Aspekte erhält so das Spezifische der Opferterminologie im Psalter Kontur. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Fragen: Welches sind die am häufigsten vorkom­ menden Opferarten, wie verhalten sich Opferkritik und positiv bewertete materielle Opfer zueinander, welche Bedeutung kommt spiritualisierten Opferaussagen zu? Abschließend werden das Opferverständnis in den Psalmen und seine Wirkungsgeschichte unter dem Aspekt der Frage nach Auswirkungen und Anknüpfungsmöglichkeiten der opfertheologischen Aussagen im Psalter zusammengefaßt.

Kapitel 2 Forschungsüberblick Grundlegend für die traditionelle Psalmenforschung und nicht ohne Ein­ fluß auf die neuere Psalmenforschung sind nach wie vor die Positionen von H. Gunkeil und seinem Schüler S. MowinckeP, die vielfach aufgenommen, präzisiert und kritisiert worden sind. Auch an dieser Stelle soll zunächst der Blick auf die Thesen H. GunkeIs und S . Mowinckels gerichtet werden, da beide auf den Zusammenhang zwischen Psalmen und Kult und damit nicht zuletzt auf die Thematik "Psalmen und Opfer" eingehen, jedoch vom seIben Ausgangspunkt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Im Anschluß daran geht es um die Nachwirkungen von H. GunkeIs und S. Mowinckels Standpunkten in der älteren Psalmenforschung, deren Ar­ beiten wie auch abschließend die der neueren Psalmenforschung unter dem Aspekt der Wahrnehmung des Opfers in den Blick genommen werden. 2 . 1 Aspekte der älteren Psalmenforschung Ziel von H. Gunkel war es, den seiner Meinung nach verstreut im Psalter stehenden Psalmen eine innere Ordnung abzuspüren, da es "ein unver­ brüchlicher Grundsatz der Wissenschaft ist, daß nichts ohne seinen Zusam­ menhang verstanden werden kann. Es wird demnach die eigentliche Auf­ gabe der Psalmenforschung sein, die Verbindungen zwischen den einzel­ nen Liedern wieder aufzufinden (... ),,3 Die mit dem Namen H. Gunkel ver­ bundene Gattungsforschung war für ihn eine grundlegende Arbeit, welche die Voraussetzung für die Auslegung der einzelnen Psalmen schaffte. Die Suche nach dem Sitz im Leben der von ihm entworfenen einzelnen Psal­ mengattungen führte H. Gunkel zunächst zum Kult: Er ging davon aus, daß Psalmen in Kreisen des Kultes entstanden sind, von Priestern schriftlich niedergelegt und als sogenannte Kultformulare verwendet worden sind. Die meisten der überlieferten Psalmen gehören laut H. Gunkel aber nicht 1 Vgl. GUNKELIBEGRICH, Einleitung in die Psalmen. Die Gattungen der religiösen Ly­ rik Israels. Zu Ende geführt von J. BEGRICH, mit einem Stellenregister von W. BEYERLIN, Göttingen (1 933) 19854 . 2 Vgl. MOWINCKEL, Psalmenstudien I-VI, Oslo 1921-1924. 3 GUNKELIBEGRICH, Einleitung, S. 3f.

6

Forschungsüberblick

zur Kultdichtung, da sie ihren Entstehungsort nicht im Kult haben, sondern aus ganz unterschiedlichen Situationen heraus entstandene, subjektive, individuelle Lieder sind. Zwar sind auf einer fruhen Stufe Psalmlieder im Kult gedichtet worden4, aber der größte Teil der vorliegenden Psalmen sind als "nichtkultische Texte, als geistliche Dichtungen"S zu bezeichnen. Die Loslösung vom Opferkult sowie das ausd liickliche Ablehnen von Opfern, wie es laut H. Gunkel in Ps 40,7; 50,14; 5 1 ,17f. und 69,13f. zum Ausdruck kommt, sind für ihn von "weltgeschichtlicher Bedeutung,,6 Die Psalmbeter haben - so H. Gunkel - von den Propheten gelernt, "den äuße­ ren Gottesdienst gering zu schätzen'.?, sie haben sich, beeinflußt durch die prophetische Opferkritik, vom Opferkult losgesagt, "die Seele tritt, von den Banden des Kultes befreit, vor ihren Gott"s . Dies ist zugleich auch von großer literaturgeschichtlicher Bedeutung, da aus dem Dankopferlied das geistliche Danklied entstanden ist, das möglicherweise erst noch am Heiligtum, dann im häuslichen Bereich, im Feuerofen (Dan 3) und sogar in einem Fisch gesungen werden konnte (Ion 2). Das Danklied wurde somit höher eingeschätzt als das Opfer, da ein Psalm "den geistlichen Gehalt und die seelische Stimmung des Sängers deutlicher als das Opfer ausspricht,,9 Im Gegensatz zu S. Mowinckel sieht H. Gunkel in der Ablehnung von Opfern etwas Grundsätzliches, das nicht ausschließlich durch die (kultlose) Exilszeit bedingt worden istl O . Die Psalmen hatten ihren ursprünglichen Sitz im Leben innerhalb des Kultes, haben sich aber von diesem losgelöst und sind jetzt geistliche Dichtungen von Laien, von Privatmenschen. Diesen Ausführungen H. Gunkels hat S. Mowinckel z. T. vehement widersprochen. Er sah die Psalmen nicht als geistliche, von Laien gedich­ tete Lieder ohne realen Bezug zum Tempel an, sondern ihrer "Hauptmasse nach als ( ... ) wirkliche, echte Kultlieder"ll S. Mowinckel geht nicht zuletzt wegen des engen Verhältnisses der Psalmbeter zum Tempel, das in 4 Ist bei einigen Psalmen der Bezug zum Tempel offensichtlich (z.B. Ps 68,25ff. Prozession zum Heiligtum; Ps 104,4 Einzug ins Heiligtum), läßt sich dieser Bezug zum Tempel in den jüngeren, freieren Dichtungen des Psalters nicht mehr finden. Die Mehr­ zahl der Lieder im Psalter enthält nach Gunkel wenige oder gar keine Anspielungen auf den Tempel, vgl. GUNKEUBEGRlCH, Einleitung, S. 1 8.443f. 5 GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 442. 6 GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 278. 7 GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 29f. 8 GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 279. 9 GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 277. 10 Vgl. GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 375, gegen MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 55 (vgl. DERS., Psalmenstudien I, S. 144). 11 MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 27f. Zur Auseinandersetzung von H. Gunkel und S. Mowinckel als Indiz für die Notwendigkeit der Unterscheidung "innerhalb der Einzelpsalmen zwischen ursprünglichem Text und späteren Bearbeitungen" vgl. KRATZ, Reste hebräischen Heidentums, S. 32.

2.1

Aspekte der älteren Psalmenforschung

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vielen Psalmen zum Ausdruck kommt (u.a. in Psalm 23; 26; 27; 65; 84), davon aus, daß die Psalmen zum größten Teil von Tempelangehörigen gedichtet worden sind12 Argumentiert H. Gunkel auch mit den opferkritischen Aussagen inner­ halb des Psalters für einen nicht-kultischen Sitz im Leben der meisten überlieferten Psalmen, so führt S. Mowinckel die opferkritischen Passagen innerhalb des Psalters als Argument für einen kultischen Sitz im Leben der meisten Psalmen an. Es geht laut S. Mowinckel nicht um eine grund­ sätzliche Verwerfung des Opfers, sondern "um eine Verschiebung in der Wertschätzung der einzelnen Elemente des Tempelkults,,13 Während die Opferpriester den Schwerpunkt auf das Opfer als dem wichtigsten Teil des Kultes legten, wie es in den priesterlichen Texten zum Ausdruck kommt, "so haben die Psalmisten häufig anders akzentuiert und das Hauptgewicht auf ein anderes Kultelernent, nämlich auf das Lied gelegt,,14 Das Lied, der Dankpsalm, wurde YHWH voll und ganz übereignet, demgegenüber wurde beim tl'?l/i -Opfer YHWH nur ein Anteil zuteil, während der Hauptteil des Opfers von den Anwesenden gegessen worden ist15. Nach S. Mowinckel wird das Tieropfer nicht verworfen, vielmehr können die etwas hart anmu­ tenden Aussagen in Ps 40,7f. und Ps 5 1, 1 8f. als "hyperbolische Formulie­ rungen,,16 angesehen werden, "die mit dem auch sonst zutage tretenden leidenschaftlichen, zu Übertreibungen und absolut klingenden Aussagen neigenden Temperament der Psalmisten zusammenhängen, und deren Zweck es ist, einen möglichst scharfen Ausdruck für den positiven Teil des Gedankens, die hohe Wertschätzung der frommen Gesinnung und des poetisch formulierten Gebets zu geben,,17 Betonen die Psalmdichter die Bedeutung des Psalms mehr als das Opfer, ist dies ein Indiz dafür, daß die Psalmdichter nicht unter den Priestern zu suchen sind, sondern unter den Tempelsängern, dem niederen Klerus: "Daß die verschiedenen Stände der Träger des Tempeldienstes eine bestimmte Neigung gehabt haben, je ihren besonderen Beruf und ihren Anteil an den Kulthandlungen als den wertvollsten und notwendigsten und Gott wohlgefälligsten zu beurteilen, ist nur menschlich und allzu leicht verständlich,,18 12 So MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 45ff. 1 3 MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 5 1 . 14 MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S . 5 1 . 1 5 Vgl. MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S . 52. 16 MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 54. 1 7 MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 54. Richtig ist, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, daß die opferkritischen Aussagen in den Psalmen keinen generellen Charakter haben. Die Ursache für die kritische Haltung materiellen Opfern gegenüber, die in einigen Psalmen zum Ausdruck kommt, liegt jedoch kaum in der Leidenschaft­ lichkeit der Psalmdichter begründet, vgl. S. 226f. dieser Arbeit. 18 MOWINCKEL, Psalmenstudien VI, S. 57.

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Forschungsüberblick

Die Psalmenforschung im Anschluß an H. Gunkel und S. Mowinckel hat sich an deren Positionen orientiert und diese zum einen positiv auf­ gegriffen und präzisiert. Zum anderen wurden die Ansichten H. GunkeIs und S. Mowinckels auch kritisiert und ihre Schwachstellen in der Argu­ mentation herausgearbeitet. Die von H. Gunkel aufgeworfene Frage nach dem Sitz im Leben der Psalmen, nach ihrem Entstehungsort und Verwendungszweck, ist im Anschluß an das von S. Mowinckel entworfene Thronbesteigungsfest mit verschiedenen Fest-Hypothesen beantwortet worden: ,,,Kult' hieß das Stichwort im Blick auf den realen Kontext der Psalmen, und das bedeutet: die großen Feste galten als Hintergrund für Entstehung und Verwendung fast aller Texte im Psalter (... ),, 19 So ist die Frage nach dem Sitz im Leben häufig mit der Rekonstruktion großer altisraelitischer Kultfeste wie auch weiterer kultischer Anlässe wie Asyl im Tempel, Anklage, Heilsorakel und sakrale Rechtssprechung beantwortet worden. Einen guten Überblick über die Publikationen im Anschluß an H. Gunkel und S. Mowinckel bieten K. Seybold und M. Oeming20 Hier soll auf einige der Rekonstruktionen kultischer Feste und Handlungen einge­ gangen werden, in deren Horizont die jeweiligen Ausleger auch die Opfer­ aussagen innerhalb der Psalmen deuten. Ausgangspunkt für H. Schmidt21 ist seine Annahme, es habe in Israel eine sakrale Rechtssprechung gegeben. Aus 1 Kön 8,30 gewinnt H. Schmidt die Erkenntnis, daß der Tempel der Ort eines Gerichtsverfahrens ist, der Ort eines Untersuchungsverfahrens, das er als "eine Art von Got­ tesgericht,,22 bezeichnet. Dtn 17,8; Ex 22,6ff.; Num S,llff. und Dtn 21,1-8 geben nach H. Schmidt ebenfalls Anhaltspunkte für Gerichtsverfahren am Heiligtum. Innerhalb des Psalters gibt es für H. Schmidt beispielsweise in den Psal­ men 107 und 118 Hinweise auf Angeklagte, welche die Zeit vor dem rechtssprechenden Urteil im Tempel verbracht haben. Diese sogenannte Inkubation (das Übernachten im Tempel) hatte die Funktion, den Ange­ klagten auf den sakralen Rechtsentscheid vorzubereiten. In Psalm 107 ist für H. Schmidt von in Haft Genommenen die Rede (V.6.10), die in ihrer 1 9 SEYBOLD, Art. Psalmen!Psalmenbuch I, TRE 27, S. 612. Vgl. auch BECKER, Psal­ menexegese, S. 1 8 : "Die kultische Psalmendeutung ist ein Kind der formgeschichtlichen Methode, sie bejaht begeistert deren Prinzip und kann als radikalisierende Weiterführung der Erkenntnisse Gunkels gewertet werden". MOWINCKEL geht in seinen Psalmenstudien VI davon aus, daß nur drei Psalmen als kultfrei gelten (ebd., S. 36), in den Psalmen­ studien 11 geht er immerhin von 12 kultfreien Psalmen aus (ebd., S. 104-114). 20 SEYBOLD, ThR 46, S. 1-18; DERS., Psalmen-Kommentare 1972 - 1 994, S. 1 1 3-130; ÜEMING, VuF 40, S. 28-5 1 ; vgl. auch GERSTENBERGER, VuF 17, S. 82-99. 21 SCHMIDT, Das Gebet der Angeklagten im Alten Testament, BZAW 49, Gießen 1928. 22 SCHMIDT, Das Gebet der Angeklagten, S. 2.

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Not zu YHWH geschrien haben. Thr Gerichtsverfahren ist noch nicht abge­ schlossen, da die Angeklagten zu diesem Zeitpunkt nicht verurteilt sind, sondern sich in Untersuchungshaft befinden. Noch deutlicher wird die Situation des Angeklagten in Ps 118,5: Er befindet sich als Gefangener in einem Kerker. Nach H. Schmidt wurden "Gefangene" in der alttestament­ lichen Wissenschaft meist nur mit den Exulanten identifiziert, er jedoch sieht in den Gefangenen der Psalmen Angeklagte, "die im Tempelgericht ihren Freispruch erfahren haben,,23. Anhand von weiteren Textbeispielen versucht H. Schmidt, seine These zu erhärten. In Ps 26,9 geht es laut H. Schmidt um einen Angeklagten im Tempel in Todesgefahr, der bezichtigt wird, sich mit Zauberern eingelassen zu haben. Die Prüfung der angeklag­ ten Beter geschieht durch Gott - so H. Schmidt - in der Nacht, die Urteils­ verkündigung erfolgt am Morgen'4 Ebenso wird für ihn in Psalm 17 die Situation des Angeklagten deutlich. V.15 "Ich werde satt beim Aufwachen an deinem Anblick" deutet H. Schmidt im Horizont der verbrachten Nacht im Tempel. Die Schwäche der Theorie H. Schmidts liegt darin, daß in den Psalm­ texten nicht explizit und konkret von den Vorgängen geschrieben wird, die H. Schmidt aus ihnen herausliest. So bleibt seine Theorie eine Hypothese, die sich durch die Analyse der in Frage kommenden Texte nicht plausibel machen läßt. Schon H. Schmidts Lehrer H. Gunkel hat die Hypothese seines Schülers kritisiert: "Eine bestimmte Lage des Beters wird aus den Schilderungen der Todesnot nicht deutlich. Dazu sind sie zu allgemein gehalten. Verhältnismäßig selten wird klar ausgesprochen, ob Krankheiten, Unglücksfälle oder feindliche Verfolgungen sie herbeiflihren. (...) Solche Beobachtungen müssen davor warnen, die einzelnen Bilder und Vor­ stellungen, in denen sich die Klage ergeht, in jedem Fall wirklich zu nehmen,,25. Auch die Aussagen über Opferhandlungen und Rekonstrnktionen von stattgefundenen Jahresopferfeiern, die H. Schmidt aus den Psalmen 26, 107 und 118 herausliest, erscheinen weit hergeholt: So sieht H. Schmidt in den angeführten Psalmen Hinweise auf eine jährlich wohl zum Herbstfest stattfindende Gelübdeopferfeier, zu der all diejenigen kommen, die im Laufe eines Jahres ein Gelübdeopfer zugesagt haben, um ihr Versprechen einzulösen. Die erfahrenen Wundertaten der verschiedenen Gruppen wer­ den jeweils von einem Gruppensprecher vorgetragen, es erfolgt ein Umzug um den Altar, und schließlich wird die Dankfeier mit einem fröhlichen 23 SCHMIDT, Das Gebet der Angeklagten, S. 8. 24 Vgl. SCHMIDT, Das Gebet der Angeklagten, S. 26: Psalm 3 blickt auf die Gebets­ erhörung am Morgen zurück. 25 GUNKELIBEGRlCH, Einleitung, S. 184. GUNKEL hat so die Hypothese SCHMIDT's abgelehnt (vgl. ebd., S. 252-254).

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Forschungsüberblick

Opferschmaus beschlossen26 Gerade in Psalm 118 ist das Vorhandensein von Opferaussagen nicht evident, in Ps 26,7 findet sich die Wendung n'1n '?11� lmlli'? parallel zum Verkünden der Wundertaten Gottes durch den Beter, so daß hier die Übersetzung von n'1n mit Danklied und nicht Dankopfer die wahrscheinlichere ist. Zwar kann n'1n das Dankopfer bezeichnen, doch ist im Kontext von Psalm 26 wohl an die Übersetzung mit Danklied27 (eine Differenzierung, die H. Schmidt nicht in Betracht zieht) zu denken, so daß nicht auf ein konkretes Opfer zu schließen ist. Einen ähnlichen Ansatz wie H. Schmidt vertreten W Beyerlin und L. Delekat, die jedoch auch andere Akzente setzen und zu differenzierteren Ergebnissen kommen. W Beyerlin28 geht von der Vorstellung eines Gottes­ gerichtsverfahrens aus, das den Angeklagten wie den Ankläger gleicher­ maßen trifft'''. Dabei wird das Gottesgericht nicht befürchtet, sondern als Schutz empfunden. Solange auf das Gottesgericht gewartet wurde, hielt sich der Angeklagte im Tempel auf, jedoch nicht als Gefangener (im Gegensatz zu H. Schmidt), sondern als Schutzsuchender. Anhand von Psalm 3, 4 und 5 versucht W. Beyerlin, die einzelnen Phasen des Gerichts­ verfahrens darzustellen. In Psalm 5 hat eine gerichtliche Voruntersuchung stattgefunden, die für den Beter gut verlaufen ist. Daher wurde ihm der Eintritt in den schützenden Bereich des Tempels ennäglicht. Dies wird vom Beter hervorgehoben (V.8): "Ich aber darf durch die Fülle deiner Huld dein Haus betreten". Die Entscheidung steht noch aus, der Beter wartet auf sie am Morgen (VAb), dem Zeitpunkt des Urteils. In Psalm 3 wird laut W. Beyerlin deutlich, daß der Beter die Nacht im Schutz Gottes sicher hat verbringen können30. Im Laufe des Psalms wird durch einen Gottesspruch das endgültige Urteil gesprochen (V.8b). Psalm 4 setzt das gesprochene Urteil bereits voraus, das von den Geg­ nern des Beters angezweifelt wird3l. Sie werden daher zurechtgewiesen, der Beter betont, daß er unter dem Schutz Gottes sicher liegt und schläft: 26 So die Rekonstruktion bei SCHMIDT, Das Gebet der Angeklagten, S. 7.8 . 1 5 . 27 Zur :1i,n vgl. die Ausführungen in Kapitel 3 . 1 . 1 und 4.2.2. 28 BEYERUN, Die Rettung der Bedrängten in den Feindpsalmen der Einzelnen auf ihre institutionellen Zusammenhänge untersucht, Göttingen 1970. 29 Vgl. BEYERLIN, Rettung, S. 74. 3 0 "Die Inschutznahme, die ein sicheres Verbringen der Nacht und eine entsprechende Furchtlosigkeit trotz aller Feinde ermöglicht, aber bei all dem doch keine Dauerlösung darstellt, sondern von der durchgreifenden Rettertat Gottes abgelöst werden will, versteht sich als Tempelschutz, der den Bedrängten bis zur Entscheidung des Gottesgerichtes dem Zugriff seiner Feinde entzieht", BEYERLIN, Rettung, S. 77. 3 1 "V.2-6 lassen erkennen, daß der Psalmist Jahwes rettendes Handeln schon erfahren hat, daß er gleichwohl aber noch unter der Nachstellung und Nachrede seiner Bedränger leidet ( . . .)", BEYERLIN, Rettung, S. 85.

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Nach den Ausflihnmgen von W. Beyerlin ist dies mäglichetweise ein Hin­ weis auf den Tempelschutz, der dem Beter gewährt wurde32. W. Beyerlin zieht eine gattungsgeschichtliche Folgerung aus seiner Untersuchung: Neben der Gattung des Klagelieds habe es in Israel auch die Gattung des Bittgebets gegeben (wobei jede Gattung Elemente der anderen aufnehmen konnte) sowie die Gattungsmischung der Feindpsalmen mit institutionsgebundenen Rettungsaussagen, die nicht für eine Lösung von ihrem ursprünglichen Sitz im Leben spricht33. Die Schwäche der These W. Beyerlins besteht in dem Hineinlesen von Beschreibungen kultischer Vorgänge in die Psalmen, die in diesen nicht direkt zu finden sind. So erscheint die Beschreibung der einzelnen Schritte des Gerichtsverfahrens zum Teil weit hergeholt. Dies wird insbesondere am Thema Opfer in Psalm 5 deutlich: In V.4 sieht W. Beyerlin den Hin­ weis auf ein am Morgen dargebrachtes Opfer, obwohl das Objekt zum Verb l111 fehlt und keineswegs sicher ist, daß es sich bei Ps 5,4 um eine Opferaussage handelt3 4 Dennoch manifestiert sich für W. Beyerlin "vollends in der jenem Zeitpunkt zugeordneten Opferhandlung, daß die in Psalm 5 erflehte Gerichtsentscheidung im Rahmen einer kultisch-sakralen Gerichtsinstitution erwartet worden ist,,35. L. Delekat36 betrachtet die individuellen Klagelieder weder als geistli­ che Dichtungen von Laien (nach H. Gunkel) noch als Kultformulare (nach S. Mowinckel) 37 Er geht davon aus, daß die Klagelieder des Einzelnen zunächst in Prosaform von Notleidenden gebetet und anschließend als poetische Klagen nachgedichtet worden sind. Ähnlich den ägyptischen Dankpsalmen, die im 13. und 12. Jh. v.ehr. in Stelen eingraviert worden sind38, sollen nach L. Delekat die Gebete Notleidender nachgedichtet worden sein, um sie als Gebetsinschriften bzw. V otivstelen aufzustellen39. Unterscheidet H. Schmidt zwischen Angeklagten- und Krankbeitspsalmen, 32 Vgl. BEYERLIN, Rettung, S. 88. 33 BEYERLIN argumentiert hier gegen GUNKEUBEGRICH, vgl. DERS., Rettung, S. 157. 34 Auch Begrich und Gerstenberger führen Ps 5,4 als Beispiel für ihre Theorien an (vgl. die weiteren Ausführungen), um diese zu untermauern. Daß in Ps 5,4 gar nicht von einem Opfer die Rede sein muß und die Argumentation mit dieser Belegstelle auf schwa­ chen Füssen steht, zeigen die weiteren Ausführungen in Kapitel 4, Anm. 2. 35 BEYERLIN, Rettung, S. 94. 3 6 DELEKAT, Asylie und Schutzorakel am Zionheiligtum. Eine Untersuchung zu den privaten Feindpsalmen. Mit zwei Exkursen, Leiden 1967. 37 "Dazu sind sie zu originell, zu sehr echte Poesie und vor allem zu existentiell. Andererseits sind sie mit dem Kult enger verbunden, als Gunkel wahrhaben wollte. Darin hat Mowinckel recht. ( . . . ) private Klagegebete hat es in Israel - vorsichtiger am Zion­ heiligtum - soviel sich erkennen lässt, nie anders als rein literarisch gegeben", DELEKAT, Asylie, S. 1 1 . 3 8 So DELEKAT, Asylie, S . 1 5 . 3 9 Vgl. die Ausführungen von DELEKAT, Asylie, S. 14-19.

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Forschungsüberblick

so differenziert L. Delekat zwischen Krankheits- und Feindklagepsalmen. Die Feindklagepsalmen sind aus der Asylsuche und Asylgewährung Verfolgter entstanden. Das Verbum ;"'Ton wird laut L. Delekat von Asyl­ suchenden verwendet, die möglicherweise zu Tempelsklaven wurden (vgl. Ps 16,2; 3 1 ,15; 61,5; 140,7 U.Ö.)40, eine Entscheidung, die nach Inkubation, Pfeilorakel oder Opfer4! getroffen worden ist. Die Fürbitte für den König, wie sie in Ps 6 1 ,7 und 84,10 zu finden ist, deutet L. Delekat ebenfalls im Horizont der Asylie. Ein Asylierter bittet für den König, von dessen W ohl­ ergehen auch sein eigenes Befinden abhing: War es doch der König als Kultherr, der ihm im Tempel Asyl gewährt hatte. Wie auch schon bei H. Schmidt liegt das Problem der Hypothesen W. Beyerlins und L. Delekats in den nicht eindeutigen textlichen Belegen in den Psalmen. Möglicherweise kann man aus den entsprechenden Psalmen kultische Vorgänge am Tempel in der beschriebenen Art herauslesen, jedoch gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür. Die Psalmen in der uns überlieferten Form geben kultische Vorgänge, wenn überhaupt, nur in Ansätzen und gebrochen wieder42, jedoch nicht deskriptiv und konkret. J. Becker schreibt über L. Delekat: "Es gibt fast nichts, was Delekat nicht mit Asylie in Verbindung brächte. Im Allgemeinen sind die Ausdeutungen weit hergeholt und phantastisch,,43 Auch die Deutung von Opfern findet bei L. Delekat in Zusammenhang mit dem Asylgedanken statt. So sieht er Opfer als Mittel "mit dem ein Verdächtiger demonstrieren konnte, daß er unter der göttlichen Gnade stand,,44. Den Opfern eines Asylsuchenden kommen dabei zwei Funktionen zu, die L. Delekat am Beispiel von Psalm 5 und 7 verdeutlicht. Zum einen soll das Opfer Gott im Fall einer unschuldigen Anklage zum fürsorglichen Handeln bewegen (so in Psalm 5 ), zum anderen erweist die Annahme eines Opfers durch Gott die Unschuld des Asylsuchenden, so tritt hier (in Psalm 7) die "Funktion des Opfers als Omen (. . . ) ganz in den Vorder­ grund,, 45 Opferaussagen (die in den Psalmen 5 und 7 zudem schwerlich zu finden sind, vgl. dazu die weiteren Ausführungen) ausschließlich im Rah­ men des Asylgedankens zu interpretieren, wird der Verschiedenheit der Aussagen über Opfer, die innerhalb der Psalmen in sehr unterschiedlichen Kontexten erscheinen, nicht gerecht: L. Delekat geht beispielsweise auf die 40 Vgl. DELEKAT, Asylie, S. 262.265. 4 1 Zur Inkubation vgl. DELEKAT, Asylie, S. 44ff. ; zum Pfeilorakel vgl. ebd., S. 67ff.; zum Opfer vgl. ebd., S. 57ff. 42 Auf diesen Umstand weist ZENGER, Heiligtum, S. 121, hin. 43 BECKER, Psalmenexegese, S. 36. 44 DELEKAT, Asylie, S. 57. 45 DELEKAT, Asylie, S. 6 1 ; zu Psalm 5 vgl. ebd., S. 59f.61, zu Psalm 7 vgl. ebd., S. 6 1 f.

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Opferaussagen i n Psalm 5 1 nicht ein, deutet dafür die Bitten um Waschen und Reinigen in VA sowie die Bitte um das Entsündigen durch YHWH mit Ysop in V.9 als Träume des Inkubanten im Kontext einer Hauterkrankung, die Bitte um Schaffung eines reinen Herzens in V.12 als "erste Wirkung des Inkubationstraumes, wenn er günstig verläuft,,46. Die Bitten um Ent­ sühnung und Neuschaffung sind in Psalm 5 1 jedoch in keiner Weise im Kontext von Traumdeutung zu sehen, sondern in Zusammenhang mit den Opferaussagen von Psalm 5 1 als hohe theologische Reflexion der Sünden­ behaftung des Menschen, die zu neuen opfertheologischen Aussagen führt 47 Im Anschluß an S. Mowinckel, der laut J. Becker "der eigentliche Bahn­ brecher der kultischen Psalmendeutung,,48 war, wurden kultische Großfeste entworfen und die Psalmen in diesem Horizont gedeutet. S. Mowinckel faßt die Lieder von der Thronbesteigung YHWHs als Lieder eines ent­ sprechenden, tatsächlich existierenden Festes von der Thronbesteigung YH\VHs auf. Bei seiner Deutung der Psalmen vom vorexilischen Kult her rekonstruiert S. Mowinckel den Jerusalemer Kult mit Hilfe des babyloni­ schen und ugaritischen Neujahrsfests. Seine kultische Deutung der Psal­ men hat nachhaltig weitergewirkt. A. Weiser49 hat eine Erklärung für den Deutungshorizont aller Psalmen gesucht und gefunden: Nicht im Neujahrsfest wie S. Mowinckel, sondern im jahwistischen Bundesfest. Dieses ist für A. Weiser das zentrale Kult­ geschehen in der Geschichte Israels, in das sich sowohl kollektive als auch individuelle Psalmen einordnen lassen5o. Dem Einzelnen als Mitglied der Gesellschaft wird die Zusage des Bundes zugesprochen. Besonders das Königtum und die Gebete für den König fügen sich in die Theorie von der Bundesfeier ein. Kritik läßt sich auch hier in der Hinsicht üben, daß von einer Voraussetzung ausgegangen wird, die sich den Texten nicht ein­ deutig entnehmen läßt, sondern in sie hineingelesen und hineininterpretiert wird. Wendungen wie "YHWHs Angesicht schauen" (Ps 1 1,7; 16,1; 17,15; 42,3), "erscheine" (ps 50,2; 80,2), "YHWH läßt sein Angesicht leuchten" (Ps 4,7), "sich bergen im Schatten seiner Flügel" (Ps 57,2) wertet A. Weiser als Hinweise auf die Theophanie YHWHs im Kult des Bundes­ festesSI Sie ist laut A. Weiser ein Abbild der Theophanie YHWHs am Sinai und Zeichen des Heilsgeschehens, das YHWH seinem Volk im 46 DELEKAT, Asylie, S. 5 1 ; vgl. ebd., S. 50. 47 Vgl. die Ausführungen zu Psalm 51 in Kapitel 4.3. 1 . 48 BECKER, Psalmenexegese, S . 19. 49 WEISER, Das Alte Testament Deutsch 14/15. Die Psalmen, Göttingen 1955. 50 ,,( ... ) so daß für den überwiegenden Teil der einzelnen Psalmen und ihrer Gattungen der Bundesfestkult als ihr Sitz im Leben anzunehmen ist", WEISER, Psalmen ATD, S. 22. 5 1 Vgl. WEISER, PsalmenATD, S. 25.

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Forschungsüberblick

Bundesschluß zuteil werden läßt52 Daß die Theophanie YHWHs am Sinai aber tatsächlich das zentrale Heilsgeschehen innerhalb der Geschichte Israels ist, so wie das Bundesfest kennzeichnend für das kultische Leben des Alten Israels war, ist angesichts der geringen Bedeutung von Sinai und Bund in den Psalmen unplausibel. Von einer solchen hypothetischen Voraussetzung auszugehen und alle Psalmen von diesem Ausgangspunkt her zu deuten, erscheint problematisch. Auch die Deutung der Opfer im Kontext des Bundesschlußfestes wirkt eindimensional und wird der Beson­ derheit der Opferaussagen innerhalb des Psalters nicht gerecht53. Den Stimmungsumschwung in den Psalmen kultisch als Folge eines Erhärungsorakels bzw. Heilsorakels zu erklären, hat schon S. Mowinckel untemonunen5 4. J. Begrichs55 Ausführungen über das priesterliche Heils­ orakel gehen noch einen Schritt weiter. Er vertrat die Meinung, daß dieses Heilsorakel seinen Platz zwischen Klage und Dank im Klagelied des Einzelnen gehabt und den Stimmungsumschwung herbeigeführt hat. J. Begrich geht zunächst davon aus, daß im Deuterojesajabuch die Form des Heilsorakels erkennbar ist (vgl. Jes 41,8-13.14-16; 43,1-3a.5; 44,2-5.8; 48,17-19; 49,7.14-15; 51,7-8.12; 54,4-8). Da die Sprache Deuterojesajas eng verbunden ist mit der Sprache der Psalmen, sieht J. Begrich den Sitz im Leben des Heilsorakels im kultischen Vorgang in den Psalmen, der den Klageliedern des Einzelnen zugrunde liegt. Die Gewißheit, daß Gott die Bitte eines Beters annimmt oder ablehnt, erhält der Betende wahrschein­ lich durch "besondere Beobachtungen beim Opfer,,56. Aus dem Zusammen­ hang von Opfer und Heilsorakel folgt für J. Begrich, daß das Orakel dem Betenden durch einen Priester mitgeteilt wird. Damit ist aber noch keines­ wegs erwiesen, daß das Heilsorakel für den Stimmungsumschwung ver52 So WEISER, PsalmenATD, S. 1 8 . 5 3 S o sieht WEISER, Psalmen ATD, S. 1 17, beispielsweise die Opferaussagen von Ps 16,4 im Kontext des Bundeskultes: In der Absage an fremde Götter "hat die ,Abrenuntia­ tion', die Bestandteil des Bundeskultes war ( . ), ihre innere, theologische Begründung". Die Forderung der :1i,n in Ps 50,14 und damit verbunden das Bekenntnis zu Gott und die Anerkennung der Macht Gottes ist für WEISER "der eigentliche Sinn des Bundeskultes", ebd., S. 268. 54 Vgl. MOWINCKEL, Psalmenstudien I, S. 145-157; DERS., Psalmenstudien 11, S. 30115. 55 BEGRICH, Das priesterliche Heilsorakel, ZAW 52 (1934), S. 8 1-92; vgl. besonders S. 8 1f. ; 9 1 f. 56 BEGRICH, Heilsorakel, S. 9 1 . BEGRlCH verweist an dieser Stelle auf GUNKEl! BEGRICH, Einleitung, S. 246, wo Ps 5,4 mit dem Zurüsten eines Opfers und dem Ausschauhalten nach YHWH als Beispiel für einen Zusammenhang zwischen Opfer und Orakel angeführt wird. Zugleich weisen GUNKELIBEGRICH selbst darauf hin, daß es sich bei Ps 5,4 um einen Einzelfall in den Psalmen handelt. Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, ist keineswegs gesichert, daß in Ps 5,4 überhaupt von einem Opfer die Rede ist, da das Objekt zu 1'1.' fehlt, vgl. Kapitel 4, Anm. 2. ..

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antwortlich ist und an der Stelle zwischen Klage- und Dankelement zu suchen ist. Vielmehr ist in den Psalmen, die vorliegen, kein einziges priesterliches Heilsorakel überliefert. Es fehlen textliche Grundlagen für eine solche Hypothese, wie sie in den Religionen der Umwelt Israels vorhanden sind57. Ein priesterliches Heilsorakel aus emer nicht vorhandenen textlichen Grundlage zu entwickeln, erscheint daher nicht plausibel und verbleibt im Bereich von Spekulationen58 Auch der Zusammenhang zwischen der Darbringung eines Opfers und eines (sich daran anschließenden) Orakels ist rein hypothetisch und hat mit dem Hinweis auf Ps 5,4, in dem weder eindeutig von einem Opfer, geschweige denn von einem Heilsorakel die Rede ist, eine nur dürftige textliche Basis und wird der theologischen Bedeutung der Opfer in den Psalmen nicht gerecht. E.s. Gerstenberger59 beurteilt im Gefolge S. Mowinckels die Indivi­ dualklagen als kultische Lieder, die nicht von Dichtem privat gedichtet wurden, sondern im Kult entstanden sind. Die Annahme H. Gunkels, daß es sich bei den meisten Psalmen um geistliche Dichtungen von Laien handelt, ist laut E.S. Gerstenberger bereits durch S. Mowinckel widerlegt worden 60. Um dem Sitz im Leben der Individualklagen näher zu kommen, mäch­ te er sozialwissenschaftliche Erkenntnisse für die Psalmenexegese nutzbar machen 61. Da die vorliegenden literarischen und archäologischen Zeugnis­ se die Gegebenheiten des altisraelitischen Kultes nicht getreu widerspie57 Vgl. GRESSMANN, AOT, S. 281-283; PFEIFFER, ANET Oracles, S. 449-450; BIGGS, ANET Literature, S. 605f. 58 Ebenso gibt es nicht-kultische Deutungen des Stimmungsumschwungs in den in­ dividuellen Klageliedern wie beispielsweise den innerseelischen Umschwung, der allein durch das Aussprechen der Not herbeigeführt wird, vgl. BAETHGEN, Die Psalmen HK 11/2 1892, S. 1 5 ; KNUTH, Auslegungsgeschichte, S. 17; LOHFINK, Beobachtungen, S. 279f. Möglich ist auch die Annahme einer Prolepse als Erklärung des Stimmungsumschwungs, vgl. zu Ps 13,6 DHANARAJ, Enemies, S. 74. Das Bekennen der Zuversicht in Ps 13,6 hat nach WEBER, Stimmungsumschwung, S. 129, eine "doppelte Zielsetzung", und zwar Gott aufgrund des geäußerten Vertrauens zum Handeln zu motivieren, ebenso wie die Stär­ kung des eigenen Vertrauens, vgl. auch ebd, S. 133. Die Ursache für die Zuversicht des Beters können zum einen persönliche Heilserfahrungen aus der Vergangenheit sein, die Prolepse der heilvollen Gegenwart Gottes oder auch der Bezug auf die Rettungserfahrun­ gen des Volkes Israel, vgl. ebd., S. 130. Zur Deutung des Stimmungsumschwunges vgl. zudem IRSIGLER, Psalm-Rede, S. 79ff; JANOWSKI, Das verborgene Angesicht, S. 45ff. 59 GERSTENBERGER, Der bittende Mensch. Bittritual und Klagelied des Einzelnen im Alten Testament, WMANT, Neukirchen-Vluyn 1980. 60 Vgl. GERSTENBERGER, Mensch, S. 3; ebd., S. 1 13, Anm. 1 : "Es ist unerfindlich, wie man persönliche Hingabe, Frömmigkeit usw. ( . . .) überhaupt in einem antiken Text nach­ weisen kann" (vgl. auch ebd., S. 1 34). 61 Vgl. GERSTENBERGER, Mensch, S. 4.

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Forschungsüberblick

geln, versucht E.S. Gerstenberger mit Hilfe einer literarisch und soziolo­ gisch orientierten Gattungsforschung "die Eigenarten israelitischen Lebens, Gottesdienstes und Jahweglaubens noch stärker herauszuarbeiten,,62. Dabei liefert ihm die Umwelt Israels Anregungen für Kultrekonstruktionen im Alten Israel. Das babylonische Bittgebet stellt für E.S. Gerstenberger eine Analogie zum israelitischen Bittgebet dar. Zwar sind die babylonischen und israelitischen Bittgebete nicht völlig identisch, doch Abweichungen finden sich nur in Einzelheiten63. Die Klagelieder des Einzelnen sind kultische Bittreden und haben ihren ursprünglichen Sitz im Leben im gottesdienstlichen Bittritual. Da für E.S. Gerstenberger die Indivi­ dualklagen eine ausgefeilte Sprache erkennen lassen und von Aufbau und Stil her planvoll komponiert sind, geht er davon aus, daß sie von Berufs­ schreibern und nicht von Privatleuten verfaßt worden sind64. Diese Berufs­ schreiber können dem Tempelpersonal entstammen oder von Kultinstitu­ tionen unabhängigen Sehern und Nabis65. Ein Experte leitet nach E.S. Gerstenberger auch das Bittritual; obwohl direkte Hinweise dafür im Alten Testament fehlen, werden sie von ihm aus den analogen babylonischen Bittgebeten erschlossen 66. Als wichtigste Handlung innerhalb der Bittzeremonie sieht E.S. Gerstenberger die Dar­ bringung von Opfern oder Gaben an und rekonstruiert den Ablauf einer Bittzeremonie folgendennaßen: Der Liturg, der Patient sowie möglicher­ weise Assistenten, Verwandte und Freunde bereiten Geräte und Gaben für die kultische Handlung vor, es erfolgen das Opfer (als Belegstellen führt E.S. Gerstenberger Ps 5,4 und 27,4 an), das Bittgebet sowie im Einzelfall eine Antwort in Form eines Heilsorakels, das Danklied des Erhörten, Segens- und Begleitworte67. Sinn und Ziel der Bittzeremonie ist die Rückkehr des Bittstellers in die Gruppe, seine Rehabilitation durch die kultische Handlung68 Die Schwäche dieser Hypothese liegt in der pauschalen Übertragung des babylonischen Beschwörungsrituals auf die israelitischen Bittgebete sowie die wenig differenzierte Betrachtung der Klagelieder des Einzelnen. Zu62 GERSTENBERGER, Mensch, S. 10. 63 So GERSTENBERGER, Mensch, S. 1 16. 64 Vgl. GERSTENBERGER, Mensch, S. 135. 65 Laut GERSTENBERGER, Mensch, S. 136, werden besonders Mose, Elia, Elisa und Jesaja häufig mit der Not Einzelner in Verbindung gebracht. 66 Vgl. GERSTENBERGER, Mensch, S. 137. 67 Vgl. GERSTENBERGER, Mensch, S. 1 50f. 68 "Die Bitte um die Rückkehr des heilen Zustandes schließt die Wiedergewinnung der Gruppensolidarität und die Sicherheit des Einzelnen in seiner Gruppe an erster Stelle mit ein", GERSTENBERGER, Mensch, S. 159. Die persönliche Frömmigkeit des Beters wird durch die Einbindung in den kultischen Handlungsrahmen und unter der fachlichen Leitung eines Ritualexperten erst möglich gemacht, so GERSTENBERGER, ebd., S. 168.

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Aspekte der älteren Psalmenforschung

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dem ist innerhalb der alttestamentlichen Schriften weder direkt von einem Kultexperten, der dieses Ritual geleitet haben soll, die Rede, noch ist die Darbringung eines Opfers (oder irgendwelcher Gaben) als Ritualschritt der Bittzeremonie eindeutig in den Psalmen bezeugt. Die von E.S. Gersten­ berger genannten Belegstellen Ps 5,4 und 27,4 (in Ps 4,6; 27,6; 40,7 und 5 1 , 1 8 sieht E.S. Gerstenberger die begleitende Opferhandlung indirekt bezeugt) lassen keineswegs den Rückschluß auf einen derartigen Ritual­ schritt zu, im Gegenteil ist mehr als fraglich, ob an diesen Stellen (Ps 5,4 und 27,4) überhaupt von einem Opfer die Rede ist69 Die Ausführungen über Opfer in den von E. S. Gerstenberger angeführten Psalmen 4, 27, 40 und 5 1 auf einen Ritualschritt innerhalb einer Bittzeremonie zu reduzieren, berücksichtigt zudem nicht die Differenziertheit der Opferaussagen. Lediglich auf die opferkritischen Aussagen der Psalmen 40, 50, 5 1 und 141 geht E.S. Gerstenberger am Rande ein und umreißt mit wenigen Sätzen seine Deutung der Opferkritik im Psalter70 K. Seybold71 wendet sich den sogenannten Krankheitspsalmen zu und ennittelt anhand von sprachlichen Kriterien Psalmen mit sicherem Bezug zu Krankheit oder Heilung des Beters (psalm 38; 4 1 ; 88; [[[72), Psalmen mit sehr wahrscheinlichem Bezug zu Krankheit und Heilung des Beters (Psalm 30; 39; 69; 102; 103; Jes 38,9-20) und Psalmen mit unsicherem Be­ zug zu Krankheit und Heilung des Beters (Psalm 6; 1 3 ; 32; 5 1 ; 91). Kenn­ zeichnend für die Krankheitspsalmen ist, daß sie im Leben des Einzelnen ihren Platz ebenso wie im Kult am Heiligtum haben. Diese "Bipolarität" ist für die Krankheitspsalmen "konstitutiv,,73 Dieser Beobachtung fügt K. Seybold eine weitere hinzu: Die meisten Krankheitspsalmen sind im Kontext von Bußritualen zu finden. Eine große Zahl der analysierten Krankengebete sind laut K. Seybold nicht als liturgische Formulare ver69 Bereits BEGRlCH hat bei seiner Argumentation auf Ps 5,4 verwiesen und so den Zu­ sammenhang zwischen Opfer und dem von ihm postulierten Heilsorakel hergestellt, vgl. S. 14, Anm. 56. Auch GERSTENBERGER dient Ps 5,4 der Untermauerung seiner Hypo­ these. Zu Ps 5,4 und der Frage nach der Relevanz für die Opferterminologie im Psalter vgl. Kapitel 4, Anm. 2. In Ps 27,4 sieht GERSTENBERGER "eventuell" wie in Ps 5,4 ein "Schauopfer" (Mensch, S. 150). Ps 27,4 läßt meiner Meinung nach nicht auf ein Opfer schließen, erst in Ps 27,6 werden mit ;'"T!,)" n �n:JT Opfer erwähnt. 70 Ganz richtig merkt GERS1ENBERGER an, daß in den Psalmen das Opfer an sich nicht generell verworfen, sondern dessen Bedeutung relativiert wird, vgl. Mensch, S. 150f. Auf weitere opferkritische oder relativierende Aussagen wie beispielsweise in Ps 16,4; 69,32; 106,28 .37.38 geht GERS1ENBERGER nicht ein. 7 1 SEYBOLD, Das Gebet des Kranken im Alten Testament. Untersuchungen zur Be­ stimmung und Zuordnung der Krankheits- und Heilungspsalmen, BWANT 19, Stuttgart u.a. 1973�1989. 72 Ps III meint den außerkanonischen Psalm Syr. 3 l l QPsa 155, vgl. SEYBOLD, Gebet des Kranken, S. 1 1 8 . 73 SEYBOLD, Gebet des Kranken, S . 172. =

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Forschungsüberblick

wendet worden oder als Gebetsvorlagen gedacht gewesen 74, da trotz "aller Typisierung der Krankenbußsituation und Stilisierung des Leidenszu­ standes der individuell bedingte aktuelle Hintergrund und Anlaß vor allem in den Bußpassagen erkennbar,,75 wird und der Rückblick auf vergangene eigene Erfahrungen einem Formularcharakter entgegensteht. Daher plädiert K. Seybold dafür, die Psalmtexte "als Selbstzeugnisse und darum wohl als Laiengebete,,76 anzusehen. Wie E.S. Gerstenberger an seinen Ausführungen erkennen läßt, daß er die Hypothese S. Mowinckels weiterführt, erweist sich K. Seybold als Vertreter der Gunkelschen Annahme der Psalmen als Laiengebete, die zu dokumentarischen Zwecken verschriftet worden sind77. Dennoch ist diese Vermutung wenig geeignet, die Opferaussagen im Psalter zu hinterfragen, da sich in ihnen auch Hinweise auf einen institutionalisierten Kult und in manchen Teilen eine Nähe zu priesterlichen Texten und der prophetischen Opferkritik konstatieren lassen (vgl. die weiteren Ausführungen). Eben­ sowenig wird die Fokussierung auf Krankheiten der Opferterminologie im Psalter gerecht, wie am Beispiel der Ausflihrungen K. Seybolds zu den Opferaussagen von Psalm 16 deutlich wird: Er bezeichnet sie als "medizinisch-magische Praktiken,,78, die als Hilfsangebot für den schwer­ erkrankten Beter gelten und geht auf das Thema Opfer für fremde Götter nicht näher ein79. Mit seiner Theologie der Psalmen nimmt H-J. Kraus8 0 den gesamten Psalter in den Blick und bestimmt dessen Mitte: Das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk Israel sowie die Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen in Israel. Dabei betont H.-I. Kraus das Dialogische dieser von Gott gestifteten Begegnung und Beziehung. An diesem Kern­ punkt einer Theologie der Psalmen orientiert sich auch der Aufbau seiner Arbeit: In den ersten Paragraphen geht es um den "Gott Israels", "Das Volk Gottes" sowie das Heiligtum und den Gottesdienst in Israel. In weiteren Abschnitten werden "Der König" und "Die feindlichen Mächte", welche die Beziehung zu Gott gefahrden, thematisiert. Schließlich wird das 74 Diese Auffassung vertritt SEYBOLD, Gebet des Kranken, S. 183, gegen GERSTENBERGER, Mensch, S. Hf. 75 SEYBOLD, Gebet des Kranken, S. 183. 76 SEYBOLD, Gebet des Kranken, S. 183. 77 Vgl. SEYBOLD, Gebet des Kranken, S. 183f. 78 SEYBOLD, Der Weg des Lebens, S. 127. Zu Psalm 1 6 vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.1 dieser Arbeit, zu der unwahrscheinlichen Annahme einer Erkrankung des Beters besonders S. 153ff. 79 Vgl. SEYBOLD, Der Weg des Lebens, S. 126f., insbesondere S. 127, Anm. 26, wo er lediglich von "Blutspendeopfer und Namensausrufung ( . ) in, allerdings unklarem Zu­ sammenhang mit numinosen Größen" spricht. 80 KRAUS, Theologie der Psalmen, BK XV/3, Neukirchen-Vluyn 1979. ..

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Aspekte der älteren Psalmenforschung

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Bild des Menschen in den Psalmen untersucht und mit dem Abschnitt "Der Mensch vor Gott" eine Anthropologie der Psalmen entwickelt. Abgeschlos­ sen wird die Theologie der Psalmen mit einem Blick auf die Aufnahme und Verwendung der Psalmen im Neuen Testament. Einen Aspekt des Gottesdienstes in Israel stellt das Thema Opfer dar, welches seinen Platz in dem Paragraphen "Das Heiligtum und sein Gottes­ dienst" findet. Ganz richtig weist H.-I. Kraus auf den Umstand hin, daß in den Psalmen wenig zum Thema Opfer zu finden ist und die Psalmen keine Rituale oder präzise Beschreibungen des Kultes enthaltensI . Auf die Opfer­ terminologie im Psalter und deren Besonderheiten geht H.-I. Kraus nur we­ nig ein. Er unterscheidet zwei Haupttypen des alttestamentlichen Opfers, das Schlachtopfer (n:ll), dessen Charakteristikum die durch den gemeinsa­ men Genuß entstehende Gemeinschaft ist, und das Gabeopfer (nnl�), das laut H.-I. Kraus immer mehr von der Darbringung der n'?1l1 bestimmt war 82. Über die weiteren vorkommenden Opferarten verlautet nichts, die Besonderheiten der Opferterminologie im Psalter, auch die gehäuften sin­ gulären Aussagen und die spiritualisierten Opfer werden nur am Rande er­ wähnt 83. Ein Aspekt, der von H.-I. Kraus besonders hervorgehoben wird, ist die "prophetische Durchdringung"S 4 der Psalmen, in denen opferkritische Aussagen laut werden. Ob und in welchem Umfang tatsächlich eine Beein­ flussung durch die opferkritischen Passagen in den prophetischen Büchern stattgefunden hat, bedarf einer näheren Untersuchung 85. Zwar finden sich Berührungspunkte zwischen einzelnen Psalmenaussagen und opferkriti­ schen Äußerungen in den Prophetenbüchern, doch entwickeln die Psalmen eine eigene Deutung des Opfers, häufig in einer eigenen Terminologie. 81 Zudem sind die enthaltenen Hinweise sehr allgemein gehalten, vgl. KRAus, Theo­ logie, S. 1 15 . 1 1 8 . 82 Vgl. KRAus, Theologie, S. 1 16f. Auf die Erwähnung des n:JT in Zusammenhang mit der :1i,n geht Kraus nur am Rande ein (ebd., S. 1 18), obwohl die :1i,n eine wichtige Rol­ le in den Psalmen spielt und ein Spezifikum der Opferterminologie im Psalter darstellt. 83 KRAUS äußert sich lediglich zu Ps 50,11-15, vgl. DERS., Theologie, S. 1 1 9, zu Ps 40,7 vgl. ebd., S. 1 19f., und zu Ps 5 1 , 17ff. vgl. ebd., S. 120f. Die Auffassung, Ps 5 1,21 sei eine "Korrektur" der Opferkritik der vorangegangen Verse 18 und 19, ist im Hinblick auf die Auslegung von Psalm 5 1 eher unwahrscheinlich, vgl. die Ausführungen zu Psalm 51 in Kapitel 4.3 . 1 dieser Arbeit. 84 KRAUS, Theologie, S. 1 19. In Ps 50,11-15 sieht KRAUS die Verkündigung eines prophetischen Sprechers (ebd.), in Ps 40,7 und 5 1,18 "die Auswirkung der prophetisch radikalisierten Opfertora auf ein Psalmlied" (ebd., S. 120). Insgesamt überschätzt KRAUS die Bedeutung der prophetischen Opferkritik für die opferkritischen Aussagen in den Psalmen, vgl. dazu die weiteren Ausführungen. 85 Auch die Schlußfolgerung, die Forderungen, die YHWH anstelle des konkreten, materiellen Opfers an die Israeliten stellt, wie dies beispielsweise in Ps 40,7 zum Aus­ druck kommt, seien Rezeptionen prophetischer Appelle (vgl. KRAus, Theologie, S. 120), wird den Besonderheiten der Opferterminologie in den Psalmen nicht gerecht.

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Forschungsüberblick 2.2 Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

In der neueren Psalmenforschung werden nach dem gescheiterten Versuch der Rekonstruktion des J erusalemer Kultes neue Wege gegangen. Nachdem erkannt worden war, daß derartige Kultrekonstruktionen zu hypothetisch sind und die Psalmen wenig oder keine Grundlage für solche Postulate bieten, sah man von der Rekonstruktion kultischer Feste oder kultischer Handlungen ab. Der Neueinsatz in der Psalmenforschung beginnt mit der Betrachtung der Endtextebene und dem Versuch, theologisch-inhaltliche Schwerpunkte innerhalb der Psalmen ausfindig zu machen86. Einige dieser neueren An­ sätze sollen hier herausgegriffen werden, da sie besondere Aufmerksamkeit erlangt und Diskussionen ausgelöst haben, zum Teil Aufschluß über den Sitz im Leben der Psalmen und des Psalmenbuches zu geben versuchen und der Bedeutung des Tempels (der nicht zuletzt auch Ort des Opfervoll­ zugs ist) in den Psalmen nachgehen. Zum einen wird in der neueren Psalmenforschung das Augenmerk ver­ stärkt auf die Entstehung des Psalters gerichtet, der in der uns überlieferten Form Wachstumsprozesse erfahren hat und nun in einer redaktionellen Endgestalt vorliegt. Der Psalter als Ganzer wird betrachtet und die An­ ordnung der Psalmen innerhalb des Psalters untersucht. Zum anderen gewinnen der Tempel und die tempeltheologischen Aspekte in den Psalmen an Bedeutung. F-L. Hass/eid und E. Zenger haben in ihren Psalmenkommentaren von 1993, 2000 und 2008 87 darauf verwiesen, daß die Psalmen nicht wahl- oder planlos aneinandergereiht worden sind im Sinne eines "Psalmen­ Archivs,,88, sondern innere Teilsammlungen innerhalb des Psalters mit jeweils einem Zentrum zu finden sind. Die Psalmen in diesen Teilsamm­ lungen sind unter verschiedenen Aspekten zusammengestellt worden. So gibt es Motivverknüpfungen, einzelne Psalmen sind durch Stichwort­ verbindungen miteinander verbunden. Des weiteren spielen redaktionelle Erweiterungen einzelner Psalmen durch die Endredaktion des Psalters eine Rolle bei der Zusammenstellung von Psalmengruppen. Dabei ist das Psalmenbuch laut F.-L. Hossfeld und E. Zenger nicht als Gesangbuch für den Zweiten Tempel konzipiert worden oder für die Teilnahme am Kult 86 Einen guten Überblick bietet ÜEMING, VuF 40, S. 28-5 1 ; vgl. auch SEYBOLD, Psalmen-Kommentare 1972-1994, S. 1 13-130; DERS., Psalmenforschung der jüngsten Zeit, S. 46-74; DERS., "PsalmenlPsalmenbuch I. Altes Testament", TRE 27, S. 610-624. 87 HOSSFELD/ZENGER, Die Psalmen I. Psalm 1-50, NEB 29, Würzburg 1993; DIES., Psalmen 51-100, HThKAT, Freiburg 2000; DIES., Psalmen 101-150, HThKAT, Freiburg 2008. 88 So HOSSFELD/ZENGER, Psalm 1-50, S. 7.

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Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

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entstanden, sondern dient der Deutung menschlicher Existenz vor Gott 89 und ist zugleich Antwort des Menschen auf Gottes Wirken und seine Präsenz in Israel und der ganzen Schöpfung90. Die Zusammenstellung einzelner Psalmen zu Psalmengruppen hat sicher ihre Berechtigung, nachdem schon H. Gunkel versucht hat, den seiner Meinung nach verstreut im Psalter stehenden Psalmen eine innere Ordnung abzuspüren91. Die Anordnung einzelner Psalmengruppen stellt sich aber nicht immer unproblematisch dar. So sehen F.-L. Hossfeld und E. Zenger beispielsweise in Psalm 15-24 eine Komposition, bei der Psalm 15 und 24 die Eckpfeiler bilden. Durch die Frage nach dem Zugang zum Heiligtum halten Psalm 15 und 24 die Psalmen 16-23 zusammen. Die Psalmen 16-23 sind laut F.-L. Hossfeld und E. Zenger konzentrisch um Psalm 19 angelegt: Psalm 18 und 20f. (zwei Königslieder) rahmen Psalm 19, Psalm 17 und 22 entsprechen sich als Klagelieder, Psalm 16 hat in dem Vertrauenslied Psalm 23 seine theologische Parallele92 Bereits M. Millard hat darauf auf­ merksam gemacht, daß sich die Chiasmusanordnung von Psalm 15-24 formgeschichtlich problemlos auch auf die Nachbarpsalmen ausdehnen läßt, so daß eine "gewisse Randunschärfe,,93 gegeben ist. Positiv hervorzuheben ist, daß F.-L. Hossfeld und E. Zenger im Gegen­ satz zu anderen Exegeten, die sich der Untersuchung des Psalters als Ganzem zugewendet haben wie beispielsweise M. Millard94, der Auslegung der einzelnen Psalmen eine höhere Bedeutung beimessen. Der einzelne Psalm ist ein abgeschlossener Text mit eigenem theologischem Profil, doch gleichzeitig offen für den Kontext, in dem er sich befindet95. In diesem Zusammenhang ist auch die Auslegung der Opferaussagen im Psal­ ter in den entsprechenden Kommentaren hilfreich. Problematisch stellt sich dennoch die Erfassung eines einheitlichen (religions- und zeitgeschichtlichen) Profils von Psalmengruppen dar, wie dies am Beispiel der von F.-L. Hossfeld und E. Zenger erwähnten ältesten Sammlung der Psalmen 51-100 deutlich wird: Die Psalmen 52-68 (Aus­ naInnen bilden Psalm 53 und 58) sind laut F.- L. Hossfeld und E. Zenger von Kriegsmetaphorik geprägt, zions- und tempeltheologisch orientiert, stark kultisch interessiert und enthalten ein bedeutendes Metaphemfeld, das YHWH als Wohnung und Zuflucht beschreibt. Dabei ist das Verhältnis zwischen YHWH und dem Beter durch eine auffallende "Innerlichkeits89 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalm 1-50, S. 7f. 90 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalm 1-50, S. 8. 9 1 Vgl. die Ausführungen bei GUNKEUBEGRlCH, Einleitung, S. 3f. 92 Zur Gruppe der Psalmen 1 5-24 vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalm 1-50, S. 109. 93 MILLARD, Komposition, S. 26. 94 Zu MILLARD, Komposition, vgl. die im Anschluß folgenden Ausführungen. 95 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51-100, S. 35.

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Forschungsüberblick

semantik,,96 gekennzeichnet. Die Sammlung Psalm 52-68 (mit Ausnahme von Psalm 53 und 58) sei wahrscheinlich in der exilischen Zeit ohne Tempel entstanden und ähnlich der persönlichen Frömmigkeit in Ägypten als eine Frömmigkeit des einzelnen, "die ihre erstrebte und erlebte Gottes­ umnittelbarkeit mit Tempelmetaphern ausdrückte,,97 (weil der reale Tempel nicht mehr existierte), zu beschreiben. Wie sich nun ein Psalm mit direkter Erwähnung positiv bewerteter materieller Opfer wie Psalm 66 in diese Sammlung einfügt, der zudem Kriegsmetaphern missen läßt, bleibt unbe­ antwortet98. Welche Bedeutung kommt den materiellen Opfern in Psalm 66 im Kontext der Sammlung Psalm 52-68 zu? Die Beziehungen zwischen Psalm 66 und dem nachfolgenden Psalm 67 werden nicht erörtert, lediglich der Bezug zum vorhergehenden Psalm 65 hergestellt. Als Gemeinsam­ keiten werden der universal ausgerichtete Lobpreis, die Bezüge zum Jeru­ salemer Kult sowie das Verhältnis zwischen Beter-Ich und Wir-Gruppe genannt99. Daß in Ps 66,13.15 im Gegensatz zu Ps 65,2 ausführlich von konkreten Opfern die Rede ist, wird beim Vergleich der beiden Psalmen unberücksichtigt gelassen. Die Schwäche der Erstellung eines einheitlichen Profils einer Psalmensammlung zeigt sich somit in der Nicht-Berück­ sichtigung der einzelnen Psalmen, die Ausnahmen bilden und sich nicht in dieses Profil einfligen. M Millard wendet sich in seiner Dissertation "Die Komposition des Psalters"I OO der Buchwerdung des Psalters zu und stellt fest, daß "die Buchwerdung des Psalters insgesamt ein Spätling der Exegese"I OI ist. M. Millard untersucht das Verhältnis von Psalmen und Psalter, wobei er vom Einzeltext ausgeht und von hier aus verschiedene Psalmengruppen aus­ findig macht, die folgendes formgeschichtliche Grundschema haben: Eine Folge von Klage-Orakel-Hymnus-Danklied. Anhand dieses Grundschemas entdeckt M. Millard 14 Kompositionsbögen innerhalb des Psalters. Die Frage, in welchem Zusammenhang der Psalter Verwendung gefun­ den hat, beantwortet M. Millard folgendermaßen: "Wir werden von einem

96 So HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 5 1-100, S. 29. 97 HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51-1 00, S. 29. 98 Die Psalmengruppe Psalm 52-68 wird mit 0« gekennzeichnet, was laut HOSSFEWI ZENGER bedeutet, daß nicht alle Psalmen, die sich in dieser Sammlung befinden, auch tatsächlich gemeint sind (dies wird in Bezug auf die Psalmengruppe 3-4 1 0« erläutert, vgl. HOSSFEWIZENGER, Psalmen 51-1 00, S. 26). In der Psalmengruppe 52-68 werden durch die Erwähnung von Psalm 52.54-57.61--68 als Ausnahmen Psalm 53 und 58 deutlich, vgl. ebd., S. 29. Psalm 66 wird als Ausnahme nicht erwähnt. 99 Vgl. HOSSFEwIZENGER, Psalmen 51-100, S. 227f. 100 MILLARD, Die Komposition des Psalters. Ein formgeschichtlicher Ansatz, Tübingen 1994. 101 MILLARD, Komposition, S. 2.

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Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

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Verwendungszusammenhang im häuslichen Gebet auszugehen haben,,102, der Psalter hat seine Verwendung nicht im kontinuierlichen Vortrag im jüdischen Gottesdienst gehabt 103, im Gegenteil, das Lesen des Psalters kann als eine Ersatzfunktion für den wirklichen Gottesdienst am Tempel im nachkultischen Raum angesehen werden: "Der Psalter als Lehrbuch des Gebetes hat eine textpragmatische Funktion (...). Er hilft dem klagenden Einzelnen zur Anrede Gottes in seiner Not, er erinnert an Nöte anderer und die vergangene Hilfe, er weckt damit die Hoffnung auf die Wendung auch der eigenen Not,,104. In akribischer Kleinarbeit zeichnet M. Millard die Entstehung und Kom­ position des Psalters nach, wobei er den Akzent nicht schwerpunktmäßig auf Stichwortverbindungen legt, da "die Psalmensprache in einem sehr hohen Grad traditionell geprägte Sprache ist, so daß auch jede vom Exegeten selbstgemachte Zusammenstellung von Psalmen viele solcher Stichwortverbindungen aufweisen würde"I05 Dennoch stellt sich bezüglich der formgeschichtlichen Betrachtung des gesamten Psalters die Frage nach den nicht wenigen Psalmen, die sich nicht in dieses Schema einfügen und von M. Millard als Ausnahmen bezeichnet werdenl O6. Eine weitere Schwierigkeit bietet die Erfassung des theologischen Profils einer Psalmengruppe ohne eine differenzierte Exegese der Einzel­ texte, die bei einer solchen Betrachtung zwangsläufig zu kurz kommt. Besonders deutlich wird dies in bezug auf die Opferaussagen der Psalmen, die an den Nahtstellen zwischen den Gruppen der Korach-, David- und Asafpsalmen (Psalm 49-52; 68-73) zu finden sind. Von den Psalmen 50 und 51 werden jeweils nur einzelne Verse ausgelegt. Die Verse 20f. in Psalm 51 sieht M. Millard als (historischen) Hinweis auf die Zerstörung Jerusalems, in denen es um den zukünftigen (konkreten) Opfergottesdienst geht. Daher datiert er diese Verse in die Zeit vor 515 v.Chr. Da der Tempelbau nicht unmittelbar bevorzustehen scheint, kommt auch eine Datierung in die Zeit vor 520 v.Chr. in Frage. Die Verse l8f. stehen für M. Millard nicht im Gegensatz zu den Versen 20 und 21, weil sie für ihn kein Ideal, sondern nur einen Zustand beschreibenl O7. Aufgrund der Position von Psalm 50 vor Psalm 51 und dem Umstand, daß Psalm 50 einen funk102 MILLARD, Komposition, S. 249. 103 Vgl. hierzu auch ZUBER, Ob im alttestamentlichen Kult wohl je ein Psalm gesungen wurde?, S. 99-109. 104 MILLARD, Komposition, S. 250. 105 MILLARD, Komposition, S. 25. 106 SPIECKERMANN, Psalmen und Psalter, S. 141, spricht in diesem Zusammenhang von einem "bedenklichen Verhältnis von Regel und Ausnahme". 107 MILLARD kritisiert das redaktionskritische (er nennt es literarkritische) Vorgehen einiger Exegeten, die Verse 20 und 2 1 als Ergänzungen anzusehen und verweist auf die protestantische Sicht, die Opferkritik als Ideal erachten, vgl. DERS., Komposition, S. 175.

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Forschungsüberblick

tionierenden Opferkult voraussetzt, datiert M. Millard Psalm 50 in die spätvorexilische Zeit und bezeichnet ihn als "eigenen exilischen Konunen­ tar"I08 zu Psalm 5 1 . Eine nähere Betrachtung der Psalmen 50 und 51 kann verdeutlichen, daß eine Datierung, die sich nur auf die Analyse einzelner Verse und die Stellung der Psalmen innerhalb des Psalters stotzt, nicht haltbar istl O9. Wenn auch die Datierung einzelner Psalmen nicht exakt möglich ist, so lassen sich den Psalmtexten Hinweise auf eine differen­ zierte Datierung entnehmen. Die opferkritischen Aussagen der Psalmen 50 und 5 1 wie auch die des 69. Psalms sieht M. Millard in der Zerstörung des Tempels begründet, die er bei den Nahtstellen Psalm 49-52 und 68-73 sowie zur Zeit der Kom­ position des Elohistischen Psalters voraussetzt: Die distanzierte Haltung zum Opfer, welche in diesen Psalmen zum Ausdruck kommt (sowie die Bitte um den Wiederaufbau Jerusalems), erklärt sich aus der Zerstörung des TempelsIl O Daß opferkritische Aussagen ihre Ursache im Nicht­ Vorhanden-Sein des Tempels haben, ist sicher möglich. Dennoch werden bei dieser Sicht der Opferaussagen andere Deutungsmäglichkeiten wie z.B. die Kritik an einem bestinunten Opferverständnis oder innerkultische Gewichtsverlagerungen von vornherein ausgeschlossenlll . Rückt zum einen der Psalter als Ganzer und die Frage nach seinem Sitz im Leben verstärkt in das Blickfeld der Psalmenexegese, widmet sich die neuere Psalmenforschung zum anderen der Bedeutung des (Jerusalerner) Tempels und der (Jerusalerner) Tempeltheologie in den Psalmen. H. Spieckermann l 12 hat sich der Frage nach einer Theologie der Psalmen zugewandt. Sein Ziel war es, "das theologische Zentrum der Psalmtheo­ logie, die den Psalmen ursprunglich eigentümliche Frömmigkeit und theologische Denkweise aufzuspüren"I13. In den ersten Kapiteln der "Heilsgegenwart" stellt H. Spieckermann fest, daß zur alten Psalm­ theologie weder die Vorstellung von YHWH als dem Schöpfer und 108 MILLARD, Komposition, S. 177. 109 Unter Berücksichtigung der in den Psalmen 50 und 5 1 enthaltenen Termini und Themen ist eine Datierung in die spätvorexilische bzw. exilische Zeit unwahrscheinlich, vgl. die Ausführungen zu Psalm 50 in Kapitel 4.2.2 dieser Arbeit, zu Psalm 5 1 in Kapitel 4.3 . l . ll O Vgl. Mn..LARD, Komposition, S. 179. 1 8 1 . III Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen zu Psalm 50, Kapitel 4.2.2 und die Aus­ führungen in Kapitel 5. Insgesamt kritisch sieht üEMING die Betrachtung des Psalters als Ganzem, der darauf hinweist, daß möglicherweise "der Tiefsinn, den die Redaktoren in die vielfach undurchsichtige Komposition gelegt haben sollen, insgesamt überschätzt" wird, DERS., VuF 40, S. 39 ; vgl. auch SEYBOLD, Psalmenauslegung, S. 73. ll2 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, FRLANT 148, Göttingen 1989. ll 3 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, S. 7.

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Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

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Erhalter der Schöpfung noch die traditionellen heilsgeschichtlichen Über­ lieferungen des Volkes Israel gehören (z.B. die Ladeüberlieferung). Die Suche nach dem theologischen Zentrum der Psalmen führt H. Spiecker­ mann schließlich zum (Jerusalerner) Tempel: Den Psalmen in ihrem Grund­ bestand liegt eine Theologie zugrunde, die sich "in einer bis in Israels frühe Königszeit zurückreichenden Form als Tempeltheologie,,114 darstellt. Diese Tempeltheologie ist zum Teil kanaanäisch geprägt, wie H. Spiecker­ mann am Beispiel von Psalm 29 verdeutlicht. Hier sind Vorstellungen aus der kanaanäischen Mythologie aufgenommen worden und auf YHWH umgedeutet 1l5. Die alte Psalmentheologie bzw. Tempeltheologie (gemeint ist die Psal­ mentheologie der vorexilischen Zeit) ist zudem geprägt von der Gegenwart YHWHs im Tempel und dem Tempel als Machtbereich YHWHs: Am Bei­ spiel von Psalm 22 macht H. Spieckermann deutlich, daß Gottesfeme den feindlichen Mächten Zugriffsmöglichkeiten auf den Beter gibt, während die Nähe Gottes im Tempel den Feinden ihre Macht nimmt1l6 Am bzw. im Tempel und über den Tempel hinaus konkretisiert sich die heilvolle Zuwendung Gottes zum Menschen sowie die Hinwendung des Menschen zu Gott. Der Tempel repräsentiert räumlich die heilvolle Nähe Gottes inmitten seines Volkes, die Heilsgegenwart, die für H. Spieckennann der Kern der Psalmentheologie ist. Wer diese heilvolle Gegenwart YHWHs sucht, dem wird Anteil gegeben an YHWHs "Güte und Huld im Heilsraum des Tempels auf Lebenszeit, Anteil an der Heilszeit, die des Menschen Zeit und jegliche Zeit sprengt"ll? Dies ist gemeint, wenn vom Wohnen des Beters im Tempel für die Länge der Tage die Rede ist (ps 23,6). Die Bedeutung des Tempels und der zahlreichen tempelbezogenen Tennini innerhalb des Psalters kann nicht überschätzt werden. Diesem Umstand trägt die Arbeit von H. Spieckermann umfassend Rechnung, wenn sie die hohe Relevanz des Tempels für eine Theologie der Psalmen herausstreicht und die verschiedenen Aspekte der Tempeltheologie in den Psalmen beleuchtet. In Zusammenhang mit der Frage nach einer Theologie der Psalmen wäre auch die Bedeutung des Opfers in den Psalmen virulent gewesen. Zur Erhellung der Theologie der Psalmen wird jedoch die Bedeutung von Opfern sowie ihre Relevanz innerhalb der Jerusalemer Tempeltheologie nicht herangezogenl18 114 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, S. 9f. 115 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, S. 165ff. Zur Unterscheidung von älterer und jüngerer Psalmentheologie vgl. u.a. auch KRATZ, Reste hebräischen Heidentums, S. 30--65. 116 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, S. 239ff. 117 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, S. 274. 118 Vgl. zu diesem Sachverhalt auch die Kritik bei ÜEMING, VuF 40, S. 46.

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Forschungsüberblick

In F. Lindsträms!! 9 Arbeit über Krankheit und Leiden in den Individual­ psalmen ist ebenfalls die Tempeltheologie konstitutiv: Die räumliche Konzeption der Jerusalemer Tempeltheologie, das Denken in zwei Sphären (der YHWHs und der ihm entgegengesetzten, der Sheol, in die YHWH nur begrenzte Zugriffsmöglichkeiten hat) bestimmen die Erklärungen über Krankheit in den Individualklagen. Krankheit ist laut F. Lindström nach der (vorexilischen) Jerusalemer Tempeltheologie keine Folge von Sünde oder Schuld, sondern die Konsequenz der Abwesenheit Gottes im Tempel. Menschliche Existenz ist nur dann möglich, wenn Gott sich dem Menschen amlim/vom Tempel her nähert, sich der Mensch in der Sphäre YHWHs befindet. Da F. Lindström in den Individualklagen die Jerusalemer Tempeltheo­ logie als zentrale Konstituente ansieht, welcher der Zusammenhang von Krankheit und Schuld fremd ist, erklärt er durch redaktionskritische Über­ legungen die Passagen, die von Sünde und Schuld handeln, als sekundär aufgrund der Exilserfahrung eingefügt! 20 Dies wirkt an manchen Stellen etwas gewollt und erzeugt den Eindruck, daß die Aussagen in den Psalmen, die sich nicht in F. Lindströms Schema finden, grundsätzlich als sekundär angesehen werden121. Zwar spielen der Tempel und die Jerusalemer Tem­ peltheologie eine entscheidende Rolle in F. Lindströms Ausführungen, Opfer und der Tempel als Ort des Opfervollzugs werden jedoch nur sehr peripher in Zusammenhang mit der Analyse einzelner Texte wie Psalm 51, 40 und 69 erwähnt! 22 MR. Hauge123 wendet sich in seiner Studie "Between sheol and temple" wie auch F. Lindström Individualpsalmen zu. Dabei wählt er keinen form­ geschichtlichen oder historischen Ansatz, sondern einen literaturwissen­ schaftlichen Zugang zu einzelnen Psalmen: Er sieht den Psalm als Text an, 11 9 LINDSTRÖM, Suffering and sin. Interpretations of illness in the individual complaint Psalms, CB.OTS 37, Stockholm 1994. 120 Vgl. LINDSTRÖM, Suffering and sin, S. 240-242 u.ö. 121 So sieht LINDS1RÖM beispielsweise Ps 6,2 aus metrischen und inhaltlichen Grün­ den für eine Erweiterung von Ps 6,3-11 an. V.2 fallt aber meiner Meinung nach nicht aus dem Rahmen der ohnehin nicht ganz einheitlichen metrischen Grundstruktur des Psalms. Zudem macht Lindström selbst auf die Gemeinsamkeiten von V.2 und V. l l aufmerksam. Weiterhin führt LINDSTRÖM als Argument an, die Verwendung der Verben n�� und '0\ die aus der Weisheitsliteratur stammen und für die Psalmensprache eher untypisch sind, sprächen für eine sekundäre Hinzufiigung von V.2. Diese Feststellung führt bei LINDSTRÖM jedoch nicht dazu, Ps 38,2 konsequenterweise auch als sekundäre Erweiterung des Psalms anzusehen: In Psalm 38 sieht er den nahezu identisch lauten­ den Vers als ursprünglich zum Psalm dazugehörig an, vgl. DERS., Suffering and sin, S. 1 32ff. l37.240ff 122 Vgl. LINDSTRÖM, Suffering and sin, S. 277.353. 123 HAUGE, Between Sheol and Temple. Motif Structure and Function of the I-Psalms, JSOT.S 178, Sheffie1d 1995.

2.2

Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

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als literarisches Gebilde. Historische Spekulationen sollen unterbleiben, der Text soll in seiner Gesamtheit gesehen werden. M.R. Hauge untersucht das Verhältnis der Aussagen in der 3. Person im Vergleich zu den Aus­ sagen in der 1. Person Singular. Die Aussagen in der 3. Person enthalten individuelle Erfahrungen, die literarisch gestaltet sind, sowie prinzipielle religiöse Aussagen. Die Aussagen der 1. Person Singular geben dem Beter die Möglichkeit, sich mit dem "Ich" zu identifizieren: "The relationship seems to represent an expression of paradigm and actualization. The situa­ tion of the I seems to represent a concrete application of the paradigmatic situation of the third-person statements,·124. M.R. Hauge macht deutlich, daß auch der literaturwissenschaftliche Zugang zu den Texten zu der im Psalter zentralen Konzeption der Tempel­ theologie führt: Die Tempelmotive in den Ich-Psalmen repräsentieren literarische Stereotypen für die Beschreibung einer biographischen Erfah­ rung, es handelt sich laut M.R. Hauge hierbei um eine sogenannte "meta­ language,,125. Die religiöse Topographie dieser meta-Ianguage ist durch drei Stationen konstituiert: Den Tempel, die Sheol und den dazwischen­ liegenden Weg. Der Tempel ist eine Metapher für Leben, Zuflucht und Mahl, so beispielsweise in Psalm 36 und 140. Weiterhin ist der Tempel eine Metapher mr Preisen und Freude (Psalm 42 und 43), Quelle des Lebens und Nähe Gottes. Die Sheol dagegen symbolisiert den Tod, das Böse, Frevel, Leiden, Feinde, Revolte, Niederlage. Es handelt sich also um zwei völlig gegensätzliche Sphären, die durch den dazwischenliegenden Weg miteinander verbunden sind. Je nachdem, in welcher Sphäre sich das "Ich" befindet, ist dies ein Spiegel des Befindens des "Ichs": "The mobilitiy of the I as outside and inside and on the way is given a parallel expression by references to emotional and mental experience,,126. Mit M.R. Hauges Arbeit liegt ein weiterer tempeltheologischer Zugang zu Indivi­ dualpsalmen vor, der jedoch auf die Bedeutung des Tempels im Hinblick auf Opfer nicht näher eingehtl27 E. Zenger128 hat 1998 einen neuen Ansatz zur Bedeutung des Tempels in den Psalmen vorgelegt: Der Psalter selbst wird als Heiligtum bezeich-

124 HAUGE, Sheol, S. 62, bezieht sich hier auf Psalm 140. 125 Vgl. HAUGE, Sheol, S. 23. 126 HAUGE, Sheol, S. 283.

m Auch bei der Analyse von Psalm 27 geht HAUGE auf die Opferthematik in V.6 nicht näher ein, vgl. DERS., Sheol, S. 122. 128 ZEN GER, Der Psalter als Buch. Beobachtungen zu seiner Entstehung, Komposition und Funktion, in: Der Psalter in Judentum und Christentum, HBS 18, hrsg. von E. ZENGER, Freiburg 1998, S. 1-57, besonders S. 35ff. Vgl. auch ZENGER, Der Psalter als Heiligtum, in: Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament,

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Forschungsüberblick

net, in dem der Beter Gott suchen und finden kann. Den originären Sitz im Leben des Psalters lokalisiert E. Zenger nicht im Kult, sondern in einer Kultunabhängigkeit. Zwei Argumente führt er zur Begründung an: Die Psalmenüberschriften mit Bezug auf die Biographie Davids widersprechen einer engen Bindung des Psalters an die Tempel- und Synagogenliteratur. Zudem spricht gegen die kultische Nähe der Psalterredaktion die weisheit­ liehe Imprägnierung des Psalters: Die Korachpsalmen 42-49 und 84-88 werden mit je einem Weisheitspsalm abgeschlossen, ebenso enden das drit­ te, vierte und fünfte Psalmenbuch (Psalm 73; 90-92; 107) mit einem weis­ heitlichen Psalm. "Alle diese weisheitlichen Psalmen haben den einzelnen Beter und seinen alltäglichen Lebensweg im Blick,,129, und es ist "sehr wahrscheinlich, daß der Psalter seine Endgestalt im Milieu jener Weis­ heitsschule erhalten hat, die in gewisser Distanz zur Tempelaristokratie und deren hellenisierenden Tendenzen stand (...)"130 E. Zenger betont ausdrücklich die Anbindung des Psalters an die Tempeltheologie, die jedoch nicht unmittelbar gegeben ist: So enthält eine große Anzahl von Psalmen zwar tempeltheologische Motive und Bezüge zum Tempel, wobei aber nicht das Interesse am Tempelkult und nicht der Opferkult im Mittelpunkt steht, sondern der Tempel als Ort des Erschei­ nens YH\VHs und als Versammlungsort bis hin zum reinen Metaphem­ gebrauch des Tempels als Ausdruck für die Geborgenheit und den Schutz, den YHWH den Psalmbetern bietet131 Dies macht E. Zenger an zwei Psalmen deutlich. In Ps 27,4 äußert der Beter den Wunsch, alle Tage seines Lebens im Hause YH\VHs wohnen zu dürfen. Dieser Wunsch ist nach E. Zenger als Metaphorisierung der Tempeltheologie zu verstehen: Jm und mit dem Rezitieren des Psalms ruft der Beter die Gotteswirklichkeit herbei, die im und vom Tempel erwartet wird,,132. Als zweites Beispiel führt E. Zenger Ps 91,lf. an: Der Beter, der zu YHWH sagt: "Meine Zu­ versicht und meine Burg bist du, mein Gott, auf den ich traue", wohnt im Schutz des Höchsten. Das Rezitieren von Psalmen kann die Gegenwart Gottes, die am Tempel erfahrbar ist, präsent machen133, auch fernab des Tempels. Wo immer ein Mensch sich aufbält, kann er gewiß sein, wenn er sich schutz suchend an YHWH wendet, wird sich dieser ihm als schützen­ des und rettendes Haus erweisen. antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 1 18, hrsg. von EGoILANGEIPn..HOFER, Tübingen 1999, s. 1 1 5-130. 129 So ZENGER, Buch, S. 44. 1 3 0 ZENGER, Buch, S. 45. ZENGER begründet dies mit poetischen Techniken, die im Psalter angewendet werden und weist zudem auf die Nähe von jüngsten Teilen des Psalmenbuches und der späten Weisheit hin. 1 3 1 Vgl. ZENGER, Buch, S. 4 1 f. 1 32 ZENGER, Buch, S. 42. 1 33 Vgl. ZENGER, Buch, S. 42.

2.2

Schwerpunkte in der neueren Psalmenforschung

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Wenn E. Zenger feststellt, daß der Tempelkult keine große Rolle in den Psalmen spielt, sondern die Bedeutung des Tempels als Ort der Präsenz YH\VHs und seiner Zuwendung zum Menschen herausstreicht, und wenn er den Psalter selbst als Heiligtum bezeichnet, geht es ihm nicht um eine Substituierung des Tempels oder des Tempelkultes. Der Psalter als Heilig­ tum "steht nach Meinung der Psalterredaktion nicht in Opposition zum Jerusalemer Tempel, sondern partizipiert an seinen Verheißungen,,13 4. Den Psalter selbst als Heiligtum zu bezeichnen ist für E. Zenger insofern konse­ quent, da er darauf hinweist, daß der Bezug der Psalmen zum Jerusalemer Tempel nur noch "gebrochen und transformiert,,135 wiedergegeben ist. Den Sitz im Leben des Psalters als Ganzem als kultunabhängig zu bezeichnen, erscheint angesichts der zahlreichen Tempelbezüge, die in den Psalmen zu finden sind, problematisch. Es ist richtig, daß weder in bezug auf den Tempelkult im Allgemeinen, noch auf den Opfervollzug im Beson­ deren konkrete Ritualbeschreibungen in den Psalmen überliefert sind. Dies liegt jedoch auch nicht im Interesse der Psalmdichter. Wünschenswert für die Frage, inwieweit der Tempel in den Psalmen nur metaphorisch oder real gemeint ist13 6, wäre eine Inventarisierung der vorkommenden Tempel­ termini und ihre Deutung anhand von konkreten Textanalysen13 7 Auch die Feststellung, "schon gar nicht der Opferkult,,138 stehe bei den zahlreichen tempel theologischen Bezügen der Psalmen im Mittelpunkt des Interesses, ist vom quantitativen Aspekt her sicherlich zutreffend. Dennoch stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Opferthematik nicht nur als Frage nach der Funktion von Opfern in den Psalmen in einem metaphorischen Heilig­ tum. Wie sind ganz konkrete Aussagen über materielle Opfer in diesem Kontext zu bewerten? Ist eine Aussage wie in Ps 27,6 "Ich werde opfern in seinem Zelt Jubelopfer" wirklich metaphorisch und transformiert zu ver­ stehen? Wie verhält es sich mit den opferkritischen Aussagen in Ps 51,18 im Verhältnis zu den Aussagen in V.2l? In neuester Zeit hat sich B. Janowski in seiner Anthropologie der Psalmen "Konfliktgespräche mit Gott,,! 39 im Rahmen von Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie im Allgemeinen und den Psalmen als anthropologischen Grundtexten im Speziellen kurz dem Thema Opfer zugewandt. Dabei beschreibt der erste Teil des Buches "Vom Leben zum 1 34 ZEN GER, Buch, S. 48. 1 35 ZEN GER, Buch, S. 4 1 . 1 36 Die Entwicklung des Tempelbegriffs zum reinen Metaphemgebrauch sowie die Metaphorisierung des Tempelbegriffs hat als Voraussetzung den realen Tempel. 1 37 ZENGER selbst verweist darauf, daß einzelne Psalmen ursprünglich durchaus als kultische Texte entstanden sind, vgl. DERS., Buch, S. 35, Anm. 88. 1 38 ZEN GER, Buch, S. 4 1 . 1 39 JANOWSKI, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, 3., durchgesehene und erweiterte Auflage, Neukirchen-Vluyn 2009.

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Forschungsüberblick

Tod" anhand von Psalmenbeispielen die Gottverlassenheit des Menschen (Psalm 13), der Anfeindungen erleidet (Psalm 59), verfolgt wird (Psalm 7) und unter schwerer Krankheit leidet (Psalm 41). Daß der Weg des Menschen nicht im Tod endet, thematisiert der zweite Teil mit dem Titel "Vom Tod zum Leben", der Todeserfahrungen der Psalmbeter (Psalm 88) ebenso schildert wie die Dankbarkeit der Geretteten (psalm 30) und den Weg zum Leben (Psalm 16) nachzeichnet. Das Thema Opfer findet seinen Platz in dem Kapitel über die Dankbar­ keit der Psalmbeter und wird allgemein beschrieben als "religiöse Hand­ lung, durch die der Mensch versucht, Beziehungen zur Welt der Götter/der Ahnen aufzunehmen, um deren Einwirkungen auf den menschlichen Be­ reich zu regulieren oder hervorzurufen,,1 40. Im Alten Testament erscheint Gott anläßlich eines Opfers, um sein Vülk zu segnen und ihm zu vergeben. Entscheidend ist die Begegnung des Volkes mit Gott, der sich im Opfer offenbart, weshalb die Opfertheologie als "eine Grundform von Theo­ logie," 4! bezeichnet werden kann. Unter dem anthropologischen Stichwort "Dankbarkeit" wendet sich B. Janowski der n'1n im Alten Testament zu und verweist auf den Zusammenhang zwischen Gelübdeeinlösung und Dankopfer als Antwort auf Gottes Heilstaten! 42 Besonders hervorgehoben wird der öffentliche Charakter des Lobens! 43 Die Begegnung mit Gott und die Beziehung zu ihm als zentrales Geschehen der Opferhandlung steht innerhalb der Opferthematik in den Psalmen tatsächlich im Mittelpunkt. Dabei stellt die n'1n, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, einen sehr wichtigen Aspekt der Opfertenninologie im Psalter dar, doch bei weitem nicht den einzigen. Infolgedessen kommen bei der ausschließlichen Betrachtung der n'1n innerhalb des Psalters die weiteren Gesichtspunkte des Opfers und damit der Gottesbegegnung in den Psalmen zu kurz.

140 JANOWSKI, Konfliktgespräche, S. 285. 14 1 JANOWSKI, Konfliktgespräche, S. 289. 142 So in Dankbarkeit, S. 98. Zu dieser Thematik vgl. die weiteren Ausführungen, be­ sonders Kapitel 3 . 1 .3 und Kapitel 3 . 1 . 1 . In diesem Zusammenhang bezeichnet JANOWSKI :1i,n als ,,Danklied", :1i,n n:JT und 1:l��'iU n:JT :1i,n als "Dankopfer", vgl. Dank­ barkeit, S. 98, vgl. auch DERS., Dankopfer, S. 52. Doch ist die ausschließliche Widergabe von :1i,n ohne das Substantiv n:JT mit "Danklied" nicht zwingend, sondern kann auch zur Bezeichnung des "Dankopfers" dienen Vgl. hierzu Kapitel 3 . 1 . 1 , besonders S. 35 und die Ausführungen zu Psalm 50 in Kapitel 4.2.2, vgl. auch JANOWSKI, Dankopfer, S. 64, wo Dankopfer mit :1i,n widergegeben wird. 143 Vgl. Dankbarkeit, S. 120f. 127.

2.3

Weitere Vorgehensweise zur Erhellung der Opjertenninologie im Psalter 2.3 Weitere Vorgehensweise

zur

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Erhellung der

Opferterrninologie im Psalter

Die neueren Tendenzen in der Psalmenforschung zeigen, daß zum einen die Frage nach dem Sitz im Leben des Psalters als Ganzem (ebenso wie die Frage nach dem Sitz im Leben einzelner Psalmen) weiterhin eine bedeuten­ de Rolle spielt. Dabei sind folgende Fragen virulent: Wo und zu welchem Zweck sind die Psalmen entstanden? Wo hat der Psalter innerhalb des alt­ testamentlichen Kultes Verwendung gefunden? Zum anderen wird deutlich, daß die Rolle des Tempels in den Psalmen und seine theologische Dimension eine zunehmend wichtige Bedeutung erhalten. Einerseits wird die Signifikanz der Theologie der Psalmen betont, die Wichtigkeit einzelner theologischer Themen herausgestrichen und die Bedeutung des Tempels hervorgehoben, andererseits fallt kaum ein Wort über den Tempel als Ort des Opfervollzugs und über die theologische Be­ deutung des Opfers in den Psalmen. In dieser Arbeit soll versucht werden, diese Lücke zu schließen und den verschiedenen theologischen Aspekten einer Tempeltheologie in den Psalmen einen weiteren hinzuzufügen: Die Opferterminologie im Psalter und das daraus resultierende Opferverständ­ nis in den Psalmen. Sicherlich kann der Tempel als Metapher für die Nähe Gottes angesehen werden, doch Ausgangspunkt für jegliche Metaphorisie­ rung ist der reale Tempel. Da der reale, architektonische Tempel ein Ort kultischer Handlungen und Rituale war, zu denen nicht zuletzt das Opfer zu rechnen ist, erscheint es lohnenswert, sich dem Aspekt "Der Tempel als Opferstätte" und somit dem Thema Opfertenninologie im Psalter zuzuwenden. Es soll Fragen nachgegangen werden, die nicht dazu dienen, kultische Handlungen zu rekonstruieren, sondern die theologische Bedeutung der Opfer in den Psalmen zu eruieren. Entwickeln die Psalmen eine eigene Opferterminologie? Mit welchen Termini werden Opfer(vorgänge) in den Psalmen beschrieben? Welche Opferarten finden Erwähnung, gibt es von Opfern unterschiedliche Darbringungsformen? Was erfahren wir über die dargebrachte Opfermaterie? Welche Orte werden erwähnt, an denen Opfer­ vorgänge stattfinden? Welche Anlässe und Motivationen für Opfer lassen die Psalmen erkennen? Welche Reaktionen YHWHs auf Opfer werden ge­ schildert? Inwieweit sind Opferhandlungen innerhalb des Psalters noch konkret im Kult verhaftet, und wo lassen sich Loslösungen vom materiel­ len Kult konstatieren (Stichworte "Spiritualisierung", "Entmaterialisie­ rung")? Gibt es das Opferverständnis in den Psalmen im Sinne eines sich einheitlich darstellenden Phänomens? Wo werden Unterschiede zum Op­ ferverständnis des priesterlichen Schrifttums deutlich? Wie verhalten sich Aussagen über Opfer im Psalter zu opferkritischen Passagen in den

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Forschungsüberblick

prophetischen Büchern? Die Untersuchungen werden durch eine Inventari­ sienmg der im Psalter gebrauchten Opferterminologie eingeleitet.

Kapitel 3

Opferterminologie im Psalter - materiale Grundlagen Die Opferterminologie im Psalter unterscheidet sich zum Teil erheblich von den im priesterlichen Schrifttum und anderen alttestamentlichen Texten gebräuchlichen Termini. Dennoch finden sich auch sprachliche Ge­ meinsamkeiten. Es ist auff