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German Pages 439 [454] Year 2012
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Judith Gärtner
Die Geschichtspsalmen Eine Studie zu den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter
Mohr Siebeck
Judith Gärtner, geboren 1972; Studium der Evangelischen Theologie in Münster, Jerusalem und Marburg; 2005 Promotion im Alten Testament; seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen; 2011 Habilitation an der Universität München.
e-ISBN 978-3-16-152126-3 ISBN 978-3-16-151903-1 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Für Anna und Jonas
Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2011/2012 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift angenommen. Für die Drucklegung ist sie geringfügig überarbeitet worden. In ihrem Entstehungsprozess habe ich vielfältige Unterstützung erfahren. Mein erster Dank gilt Prof. Dr. Friedhelm Hartenstein für seine wertschätzende Begleitung und Förderung meiner Arbeit an den Geschichtspsalmen sowie für die Übernahme des Erstgutachtens. Seine wertvollen Anregungen, der intensive fachliche Austausch sowie sein kritisches Mitdenken haben die Arbeit sehr bereichert und ihr Profil geschärft. Prof. Dr. Christoph Levin, Prof. Dr. Gunther Wenz sowie Prof. Dr. Frank-Lothar Hossfeld danke ich für die Übernahme der Gutachten mit ihren konstruktiven Hinweisen und Denkanstößen. Prof. Dr. Bernd Janowski, Prof. Dr. Mark S. Smith und Prof. Dr. Hermann Spieckermann sowie dem Verlag Mohr Siebeck sei für die Aufnahme der Studie in die Reihe ›Forschungen zum Alten Testament‹ gedankt. Darüber hinaus verdanke ich dem Hamburger Forschungskolloquium lebendige Diskussionen über die Geschichtspsalmen und manch weiterführende Anregung. Dr. Christina Ehring, Nico Lühmann und Dr. Ute Neumann-Gorsolke danke ich für das umsichtige und kritische Korrekturlesen. In den unterschiedlichen Entstehungsphasen meiner Arbeit hat mir Prof. Dr. Barbara Schmitz durch geduldiges Zuhören und kreatives Mitdenken freundschaftlich zur Seite gestanden. Meine Eltern Juliane und Wolfgang Gärtner haben immer wieder die Kinderbetreuung übernommen und mich auch darüber hinaus vielfach unterstützt. Mein besonderer Dank aber gilt meinem Ehemann Dr. Tim Bürger, der sich mit mir auf das Habilitationsprojekt eingelassen und mich tatkräftig und liebevoll begleitet hat. Darmstadt, im Juni 2012
Judith Gärtner
Inhalt Vorwort ................................................................................................ VII Kapitel 1: Einleitung ................................................................................. 1 A. »Geschichte« in den Psalmen – ein Problemaufriss .......................... 1 B. Zum Stand der Forschung ................................................................ 3 C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen ......................... 9 1. Geschichte als paradigmatische Geschichte nach Eric Voegelin .................................................................... 11 2. Die kulturwissenschaftliche Debatte um das kollektive Gedächtnis .......................................................... 16 a) Der Erinnerungsprozess ............................................................... 20 b) Die Ordnungsschemata ................................................................ 22 c) Der Zeithorizont .......................................................................... 22 3. Das kollektive Gedächtnis als Deutehorizont für die Geschichtspsalmen ......................................................... 24 D. Vom Einzelpsalm zur Psalterkomposition – psalterkompositorische und psalterredaktionelle Vorüberlegungen ........... 29 E. Vorgehensweise ............................................................................. 34 Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Psalm 78 .................................................... 36 A. Der Text – Psalm 78 ....................................................................... 40 B. Struktur von Psalm 78 .................................................................... 46 Skizze zu Psalm 78................................................................................ 48 C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte – Komposition und literarische Genese von Psalm 78 ....................... 50 1. Proömium V. 1–11 ..................................................................... 50 2. Der erste Reflexionsgang: Die Barmherzigkeit des Schöpfers und die Fehlbarkeit seiner Geschöpfe (V. 12–39) ....................... 61 a) Die Wundertaten des Schöpfers in der Wüste (V. 12–16)........... 62 b) Die Versuchung Gottes durch die Wüstengeneration und die Reaktion Jhwhs (V. 17–31) ............................................ 66 c) Die Verfehlungen der Geschöpfe und das Erbarmen und der Zorn des Schöpfers (V. 32–39)....................................... 73 1
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Inhalt
3. Der zweite Reflexionsgang: Die Barmherzigkeit des Weltenherrschers und die Abtrünnigkeit seines Volkes (V. 40–72) ....... 79 a) Die Wundertaten des Weltenherrschers in Ägypten und in der Wüste (V. 40–43.44–56) ............................................ 79 Exkurs: Die Plagen in Ps 78,44–51 und in Ex 7–12 ........................ 81 b) Die Versuchung Gottes durch die Wüstengeneration und die Reaktion Jhwhs (V. 56–64) ............................................ 89 c) Die Verfehlungen des Volkes und die Erwählung und Verwerfung des Weltenherrschers (V. 65–72) ..................... 94 4. Fazit .......................................................................................... 99 D. Psalm 78 als Reflexionstext der Asafsammlung – eine psalterkompositorische Einordnung ...................................... 102 1. Psalm 78 im Kontext seiner Nachbarpsalmen 77 und 79 .......... 104 a) Die Wunder der Vorzeit in Psalm 77 und Psalm 78 .................. 104 b) Die Barmherzigkeit des Richters in Psalm 79 und die Barmherzigkeit des Schöpfers in Psalm 78 .................. 110 2. Die Barmherzigkeit des Schöpfers – Psalm 78 als Mitte der Asafsammlung ..................................... 116 a) Die Klage um das zerstörte Heiligtum in Psalm 74................... 116 b) Das Eingreifen des gerechten Richters in Psalm 75 .................. 120 c) Die Herrschaft Jhwhs vom Zion in Psalm 76 ............................ 122 d) Die Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs in Psalm 77 .... 126 e) Die Rätsel der Vorzeit in Psalm 78 ........................................... 127 f) Die erneute Klage um das zerstörte Heiligtum in Psalm 79 ...... 130 3. Fazit ........................................................................................ 132 2
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Kapitel 3: Der große Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Psalm 105 und Psalm 106 ................................................................... 135 A. Die Bundestreue Jhwhs in der Geschichte mit seinem Volk – Psalm 105 .................................................................................... 136 1. Der Text – Psalm 105 .............................................................. 136 2. Struktur und Einheitlichkeit von Psalm 105 ............................. 140 Skizze zu Psalm 105 ....................................................................... 143 3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 105 – Die Bundestreue Jhwhs als Paradigma der Heilsgeschichte ...... 145 a) Die Aufforderung zum Lob als Hinführung zur Geschichtsreflexion (V. 1–6) ............................................... 145 b) Die Bundestreue Jhwhs als Paradigma der Heilsgeschichte (V. 7.8–11) ................................................ 149 c) Der Reflexionsgang durch die Geschichte (V. 12–41) .............. 160 aa) Die Zeit der Erzeltern (V. 12–15) ....................................... 160 Exkurs zu 1Chr 16,8–22........................................................... 163 4
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bb) Die Zeit von Josef in Ägypten (V. 16–23) .......................... 164 cc) Die Zeit Israels in Ägypten – Plagen und Auszug (V. 24–38) ........................................................................... 169 Exkurs: Die Plagen in Ps 105,28–36 und in Ex 7–12 ........... 171 dd) Die Zeit in der Wüste (V. 39–41) ........................................ 176 d) Das heilsgeschichtliche Fazit (V. 42.43–45) ............................. 179 4. Fazit ........................................................................................ 182 B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – die Konstruktion der Schuldgeschichte in Psalm 106 .................... 184 1. Der Text – Psalm 106 .............................................................. 184 2. Struktur und literarische Einheitlichkeit von Psalm 106 ........... 188 Skizze zu Psalm 106 ................................................................ 190 3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 106 – Jhwhs Güte und Israels Vergessen als Paradigmen der Heilsgeschichte ............. 192 a) Die Hinführung zur Geschichtsreflexion (V. 1–5) ................ 192 b) Das Schuldbekenntnis (V. 6)................................................ 197 c) Der Reflexionsgang durch die Geschichte ........................... 199 aa) Die Rettung am Schilfmeer als Paradigma der Heilsgeschichte (V. 7–12) ........................................ 199 bb) Die Gier in der Wüste (V. 13–15) .................................. 206 cc) Der Aufstand gegen Mose und Aaron im Lager (V. 16–18) ..................................................................... 208 dd) Moses Intervention am Horeb (V. 19–23) – die paradigmatische Begrenzung des göttlichen Zorns ... 210 ee) Die Verschmähung des Landes – Jhwh erhebt seine Hand (V. 24–27) ............................... 216 ff) Der Abfall zum Baal Peor und Pinchas’ Intervention (V. 28–31) ..................................................................... 219 gg) Moses Verwobenheit mit der Schuld Israels (V. 32f) ..... 222 hh) Die Verschuldungen der Vorfahren in staatlicher Zeit bis zum Exil (V. 34–42)................................................. 225 d) Jhwhs Handeln in der Geschichte – eine abschließende Reflexion (V. 43.44–46) ........................ 229 e) Die abschließende Bitte um erneute Rettung wie am Schilfmeer (V. 47) ................................................... 234 f) Schlussdoxologie (V. 48) ..................................................... 235 4. Fazit ........................................................................................ 241 C. Der große Parallelismus der Heilsgeschichte in Psalm 105 und Psalm 106 am Ende des vierten Psalmenbuches ..................... 244 1. Das ›geschichtliche Credo‹ von Psalm 105 und Psalm 106 am Ende des vierten Psalmenbuches ........................................ 244
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Inhalt
2. Gnädig und barmherzig ist Jhwh – die psalterkompositorische Bedeutung der Gnadenformel am Ende des vierten Psalmenbuches ........................................ 259 a) Psalm 103 – Der Lobpreis der göttlichen Güte ..................... 260 b) Die Güte und Barmherzigkeit Jhwhs – die anthropologische Grundlegung in Psalm 103 und die geschichtstheologische Auslegung in Psalm 106 ..... 269 3. Der Heilsbund Jhwhs mit seinem Volk in Psalm 105 und Psalm 103 .................................................... 273 4. Der Lobpreis des Schöpfers in Psalm 104 und Psalm 105 ........ 275 5. Die Bitte um Rettung in Psalm 106 und der Dank über die erfahrene Rettung in Psalm 107 .................................. 284 6. Die Neuakzentuierung der Komposition Psalm 103–106 durch die Über- bzw. Unterschriften ........................................ 288 7. Fazit ........................................................................................ 289 5
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart in Psalm 135 und Psalm 136 .... 291 A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Psalm 136 ................................................................................ 293 1. Der Text – Psalm 136 .............................................................. 293 2. Struktur und literarische Einheitlichkeit von Psalm 136 ........... 294 Skizze zu Psalm 136 ................................................................ 298 3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 136 – Die Güte Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart ...... 299 a) Der Lobpreis des einen Gottes (V. 1–3) ............................... 299 b) Die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart (V. 4–25) ..................................................... 300 aa) Der allein große Wunder tut (V. 4) ................................ 300 bb) Jhwh als Schöpfer (V. 5–9) ............................................ 301 cc) Jhwh als Herr der Geschichte (V. 10–22) ....................... 304 dd) Die Wundertaten Jhwhs in der Gegenwart der Beter (V. 23f.25) ..................................................... 310 c) Der Lobpreis des Himmelsgottes (V. 26) ............................. 314 4. Fazit ........................................................................................ 315 B. Das Bekenntnis zu Jahwh als dem einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart – Psalm 135 als eine Variation zu Psalm 136................................... 318 1. Der Text – Psalm 135 .............................................................. 318 2. Struktur und literarische Einheitlichkeit von Psalm 135 ........... 320 Skizze zu Psalm 135 ................................................................ 322 7
Inhalt
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3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 135 – Die Exklusivität Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart ..................... 323 a) Der Lobpreis des Namens Jhwhs als Hinführung zur Entfaltung des monotheistischen Bekenntnisses (V. 1–3.4) .. 323 b) Jhwh als alleiniger Gott im Himmel und auf Erden (V. 5–18) ............................................................................. 326 aa) Das Bekenntnis zu Jhwh als Gott der Götter (V. 5) ........ 326 bb) Jhwh als Schöpfer (V. 6f) .............................................. 328 cc) Jhwh als Herr der Geschichte (V. 8 f.10–12) .................. 331 dd) Das Bekenntnis der Knechte Jhwhs zu seinem Namen (V. 13f) ............................................. 334 ee) Die Ohnmacht der Götterbilder (V. 15–18) .................... 335 c) Die Aufforderung zum Lobpreis (KNUE) Jhwhs (V. 19–21) ... 336 4. Fazit – Das Bekenntnis zu Jhwh als dem Gott der Götter in Psalm 135 ............................................................................ 340 Skizze zu Psalm 135 ................................................................ 341 C. Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott in Psalm 135 und Psalm 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters? ................. 344 1. Psalm 135 als redaktioneller Brückentext im fünften Psalmenbuch........................................................... 344 a) Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott – Psalm 135 als Variante von Psalm 136 ................................ 348 b) Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott in Psalm 115 und Psalm 135 ................................................ 352 c) Fazit .................................................................................... 362 2. Psalm 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters? ................... 362 3. Fazit ........................................................................................ 371 8
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Kapitel 5: Ertrag: Die Geschichtspsalmen als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter ......................................................................... 373 A. Geschichte als Paradigma ............................................................ 374 1. Die Güte Jhwhs als Gott der Götter (Psalm 136) ...................... 375 2. Jhwh als Herr in Schöpfung und Geschichte (Psalm 135) ......... 376 3. Die Barmherzigkeit Jhwhs in der Geschichte (Psalm 78; 105 f) 376 a) Die Barmherzigkeit des Schöpfers und die Verfehlung des Volkes in Psalm 78 ......................... 377 b) Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – der große Parallelismus der Heilsgeschichte in Psalm 105 f ........ 379 B. Die Geschichtspsalmen als Paradigma kollektiver Gedächtnisse .. 382 C. Die Geschichtspsalmen als psalterkompositorisches und psalterredaktionelles Paradigma ................................................... 384 D. Ausblick ...................................................................................... 389 10
XIV
Inhalt
Literaturverzeichnis .............................................................................. 393 Bibelstellenverzeichnis ......................................................................... 425 Namen- und Sachverzeichnis ................................................................ 435
Kapitel 1
Einleitung A. »Geschichte« in den Psalmen – ein Problemaufriss In der Theologie der späten Psalmen sammeln sich wie in einem Brennspiegel die großen Linien alttestamentlicher Theologie. Eine entscheidende Perspektive ist dabei die Frage nach der eigenen Geschichte und ihrer Bedeutung für die Psalmenbeter. Diese Frage ist das Thema der in der Forschung als »Geschichtspsalmen« klassifizierten Psalmen: Ps 78, 105, 106, 135 und 136. Sie greifen in signifikanter Weise auf die Erinnerungen der »heilvollen Urzeit« von Exodus und Landnahme zurück, wie sie in den großen Erzählzusammenhängen der Hebräischen Bibel zu finden sind. Dabei kommt der fundierenden Heilsgeschichte die Funktion zu, die eigene Gegenwart im Lichte der Psalmen neu zu deuten. Dadurch entsteht eine relecture der Tora in poetischer Form.1 Damit stellen die Geschichtspsalmen weit mehr als eine bloße Nacherzählung der Tora dar. Ihnen liegt eine je eigene Geschichtshermeneutik zugrunde, nach der verschiedene Ereignisse aus dem Erzählzusammenhang des Pentateuchs ausgewählt und jeweils unterschiedlich gedeutet werden. Dadurch »konturieren [die Geschichtsspsalmen] … diese identitätsstiftende Großerzählung zu einem je neuen Relief«. 2 Dies bedeutet, dass sie bestimmte Ereignisse der Frühgeschichte Israels in besonderer Weise hervorheben, wie z. B. die Versorgung in der Wüste in Ps 78 (vgl. Kapitel 2 C.), der Väterbund in Ps 105 (vgl. Kapitel 3 A.3.) oder die Rettung am Schilfmeer in Ps 106 (vgl. Kapitel 3 B.3.). Diesen für die jeweilige Konstruktion von Geschichte bedeutsamen Ereignissen kommt paradigmatischer Charakter zu.3 Die Ereignisse werden in Ps 78,4.11.12, 105,2.5, 106,7.12 und 136,4 unter dem Begriff der ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) Jhwhs zusammengefasst,4 derer man gedenken soll und die man, so vor allem Ps 78, der nächs1
So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 335–349, insbesondere 335. HARTENSTEIN, Bedeutung, 336. 3 Zur paradigmatischen Bedeutung der geschichtlichen Ereignisse vgl. Kapitel 1 C. (S. 9 ff). 4 Zum Begriff der Wundertaten ( WZDOSQ) vgl. CONRAD, Art. DOS , 569–583 und weiter die Ausführungen zu Ps 136 in Kapitel 4 A.3. (S. 299 ff). 2
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Kapitel 1: Einleitung
ten Generation ›weitererzählen soll‹ (USV Piel). Zudem setzt die Interpretation der Frühgeschichte Israels eine gezielte Auswahl aus den im Pentateuch erzählten Ereignissen voraus.5 So ist allen Psalmen gemeinsam, dass die Offenbarung der Tora am Sinai nicht erwähnt wird.6 Dieses sogenannte ›Sinaischweigen‹ ist aber nicht im Sinne von v. Rad überlieferungsgeschichtlich zu erklären.7 Vielmehr hängt der auffällige Befund, wie die folgende Untersuchung zeigen wird, mit der den einzelnen Psalmen zugrunde liegenden Geschichtshermeneutik zusammen, anhand derer die Psalmen aus den Ereignissen der Frühgeschichte Israels auswählen und sie in ihrem Sinn aktualisieren. Die konzeptionelle Verschiedenheit der Geschichtspsalmen ist auch in ihrer formalen Ausgestaltung sichtbar. Während die Geschichtssummarien Ps 78, 105 und 106 eine narrativ entfaltete Reflexion der Geschichte vom Exodus bis zur Landnahme und zum Exil bieten, verdichten Ps 135 und 136 ihre Geschichtsreflexionen zu einem bekenntnisartigen Lobpreis des einen Gottes in Schöpfung und Geschichte. Somit entfalten sie durch ihre relecture der Tora eine eigene Theologie der Geschichte Israels in Miniatur. Im Einzelnen werden recht unterschiedliche Bilder von der Frühgeschichte Israels dargestellt (vgl. z. B. Ps 106 und Ps 136). Dabei sind die im Folgenden skizzierten konzeptionellen und theologischen Differenzen in der Forschung bisher nur unzureichend berücksichtigt worden. Sie werden den ersten Schwerpunkt der folgenden Untersuchungen ausmachen (vgl. Kapitel 2 C.; Kapitel 3 A. und B.; Kapitel 4 A.), um die den Psalmen im Einzelnen zugrunde liegenden Konstruktionen von Geschichte angemessen zu profilieren. Darüber hinaus werden sich die Geschichtspsalmen als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter erweisen, die in ihrer kompositorischen und redaktionellen Bedeutung relevant für eine Theologie des Psalters sind (vgl. Kapitel 2 D.; Kapitel 3 C.; Kapitel 4 C.). Es ist in besonderer Weise signifikant, dass jeder dieser Psalmen an einem für die literarische Entstehung 5
Vgl. hierzu auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 336. Allerdings finden sich indirekte Anspielungen auf die Sinaioffenbarung. So spricht Ps 78,5 vom Aufrichten des Zeugnisses für Jakob, Ps 78,52–56 von der Führung Israels zu Jhwhs heiligem Berg, Ps 105,10.45 vom Aufstellen und Bewahren der Ordnungen, Satzungen und Weisungen, und Ps 106,19–23 nimmt den Abfall am Horeb auf. So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 336 Anm. 6. Anders verhält es sich in dem Bußgebet Neh 9,13 f, in dem die Gabe der Tora am Sinai sowie ihre Nichteinhaltung eine für die Geschichtshermeneutik des Gebets zentrale Bedeutung innehat. Zu Neh 9 vgl. die ausführliche Exegese bei BODA, Praying, und PRÖBSTL, Rezeption, 7–105. 7 Vgl. hierzu V. RAD, Problem, 11–18, der in den Ereignissen am Sinai eine eigenständige Tradition sieht, die sich erst sehr spät (mit Neh 9) mit dem von ihm ausgemachten heilsgeschichtlichen Schema verbunden hat, zu dem im Kern Schilfmeerwunder, Wüstenzug und Landnahme gehören. 6
B. Zum Stand der Forschung
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des Psalters redaktionell entscheidenden Ort platziert worden ist. So bildet Ps 78 die kompositionelle Mitte der Asafsammlung (Ps 73–83),8 aus der er durch seine umfassende Darstellung der Geschichte in zwei Reflexionsgängen (Ps 78,12–39.40–72) allein schon durch seine Länge herausragt. Ps 105 und Ps 106, die vermutlich als Paar in Bezug zueinander entstanden sind, bilden den Abschluss des vierten Psalmenbuches, und Ps 135 und Ps 136 stehen am Übergang zur letzten Davidsammlung (Ps 138–146), die in das große Schlusshallel (Ps 147–150) mündet. Bereits aufgrund dieses Befundes wird sich die psalterkompositorische Fragestellung der neueren Forschung für die Geschichtspsalmen in besonderer Weise als ertragreich erweisen. Sie bildet den zweiten Schwerpunkt der folgenden Untersuchung.
B. Zum Stand der Forschung Die Zusammenstellung der Ps 78, 105 und 106 zu einer Gruppe von Psalmen, zu der auch im weitesten Sinn Ps 135 und 136 gehören, geht auf die formgeschichtliche Einordnung von Hermann Gunkel und Joachim Begrich zurück, die aufgrund des ausgestalteten Rückblicks auf die Frühgeschichte Israels diese Psalmen als »Legenden« klassifizierten.9 Zugleich betonten Gunkel und Begrich, dass diese »Legenden« keine eigenständige poetische Gattung darstellen, sondern in übergeordnete Gattungen wie z. B. Hymnus und Klagelieder des Volkes eingebunden sind.10 Dabei kristallisierten sich bereits bei Gunkel und Begrich die beiden grundlegenden Problemfelder heraus, die die Forschung im Hinblick auf die Geschichtspsalmen seither beschäftigt hat. Dies ist zum einen die sich aus einer solchen relecture der Tora ergebende Frage nach der theologischen Bedeutung von Geschichte sowie nach ihrer identitätsstiftenden Funktion für Israel als Volk Gottes. Zum anderen hängt diese für eine Theologie der Psalmen entscheidende Fragestellung mit der unterschiedlichen Einschätzung der theologischen Eigenständigkeit im Umgang mit den Geschichtstraditionen zusammen. Der Frage nach der Herkunft der in den Psalmen verarbeiteten Geschichtsmotive ist Johannes Kühlewein in seiner Arbeit »Geschichte in den Psalmen« von 1973 nachgegangen.11 Dabei konnte Kühlewein bereits auf 8 In seinen Untersuchungen zu den Asafpsalmen geht Weber darüber hinaus und versucht Ps 78 als Mitte des gesamten Psalters zu profilieren; vgl. hierzu W EBER, Psalm 78 (2007), 305–325. Dabei bleiben die von Weber genannten sprachlichen Bezüge aber zu schematisch, um eine solch weitreichende These umfassend begründen zu können. Insofern wird sich die psalterkompositorische Einordnung von Ps 78 in der folgenden Studie auf die Verortung in der Asafsammlung beschränken. 9 Vgl. GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 323–327. 10 Vgl. GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 325 f. 11 Vgl. J. KÜHLEWEIN, Geschichte in den Psalmen, CThM.A2, Stuttgart 1973.
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Kapitel 1: Einleitung
die Arbeit von Aarre Lauha zurückgreifen, der schon 1945 die Geschichtstraditionen in den Psalmen untersucht hat.12 Wie Lauha isolierte auch Kühlewein die einzelnen Geschichtstraditionen in den Psalmen und befragte sie traditionsgeschichtlich nach ihrer Herkunft. Bei Kühlewein geschah dies aber – im Unterschied zu Lauha – entsprechend einer zuvor vorgenommenen formgeschichtlichen Einteilung der Psalmen in Hymnen, Volksklage und gemischte Formen. Da diese Vorgehensweise vor allem dazu führte, die Differenzen zwischen den in den Psalmen aufgenommenen Geschichtstraditionen und der geschichtlichen Überlieferung im Pentateuch herauszustellen, kam er zu dem Ergebnis, dass die in den Psalmen aufgenommenen Geschichtstraditionen eine vom Pentateuch unabhängige Überlieferung darstellen müssen.13 Auf diese Weise beschrieb er das Phänomen der inhaltlichen Differenzen zwischen den Geschichtsreflexionen im Psalter und der Geschichtsdarstellung im Pentateuch überlieferungsgeschichtlich, ohne die Möglichkeit einer Rezeption und Interpretation der Geschichtsüberlieferungen in den Psalmen in Erwägung zu ziehen. Da seine Fragestellung vor allem auf die Herkunft der Geschichtsmotive zielte, wurde das in den Psalmen entworfene Gesamtbild von Geschichte von Kühlewein nicht in den Blick genommen. Insofern bleiben die grundlegenden Problemstellungen im Hinblick auf die Geschichtspsalmen nach der Arbeit von Kühlewein noch weitgehend offen.14 Auf Kühlewein folgten zwei weitere Monographien, die die Geschichtspsalmen im Rahmen einer übergreifenden Fragestellung behandelten, so dass sich thematische Überschneidungen ergaben. Hierbei handelt es sich zum einen um die Habilitationsschrift von Siegfried Kreuzer »Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments«15
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Vgl. A. LAUHA, Die Geschichtsmotive in den alttestamentlichen Psalmen, AASF.B LVI.1, Helsinki 1945. 13 So fasst KÜHLEWEIN, Geschichte, 146 sein Ergebnis mit einem Zitat aus der Arbeit von ANTON J IRKU, Die älteste Geschichte Israels im Rahmen lehrhafter Darstellungen, Leipzig 1917 zusammen, »daß die lehrhaften Darstellungen (also Texte wie Ps 78; 105; 106; 135; 136; 114; Neh 9; Jos 24 u. a.) inhaltlich nicht vom Pentateuch abhängig sein können; daß sie vielmehr ebenso wie der Tetrateuch ihrer eigenen Überlieferung gefolgt sein werden …« (J IRKU, Geschichte, 159). 14 ERIK HAGLUND in seiner Arbeit »Historical Motifs in the Psalms«, CB.OT 23, Uppsala 1984 nimmt den Ansatz Kühleweins auf, geht aber wenig über diesen hinaus. So setzt er wie bereits Kühlewein bei einer formgeschichtlichen Analyse der Psalmen an und untersucht in einem zweiten Schritt die in ihnen enthaltenen Geschichtsmotive, die nach Geschichtstraditionen klassifiziert und analysiert werden. 15 S. KREUZER, Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments, BZAW 178, Berlin u. a. 1989.
B. Zum Stand der Forschung
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von 1989 und zum anderen um die Habilitationsschrift von Hans-Peter Mathys »Dichter und Beter«16 von 1994. Die Studie von Siegfried Kreuzer zielte darauf, einen bestimmten Ausschnitt aus der alttestamentlichen Geschichtsüberlieferung »im Blick auf ihre Aussagen und Bedeutung und im Blick auf ihre Tragfähigkeit für bestimmte Theorien über die alttestamentliche Geschichtsentwicklung und den Pentateuch zu untersuchen«. 17 Dazu setzte er bei den von Gerhard v. Rad als Credotexte qualifizierten Texten an, die den heilsgeschichtlichen Grundbestand der alttestamentlichen Überlieferung bekenntnisartig festhalten.18 Aufgrund dessen ist ihnen seit v. Rad in der Forschung immer wieder ein hohes Alter zugeschrieben worden. Neben dem bekanntesten Beispiel, dem kleinen geschichtlichen Credo in Dtn 26,5b–9, untersuchte Kreuzer daher vorrangig Gen 15,3–16, Ex 3, Num 20,15f, Dtn 6,20–25 und Jos 24,2–13, um zum einen die in den Texten enthaltene Geschichtsauffassung und -darstellung herauszuarbeiten und zum anderen auf dieser Basis die Frage nach dem Alter dieser heilsgeschichtlichen Bekenntnisse erneut zu stellen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass es in den Credotexten bzw. Geschichtssummarien immer darum gehe, die Frühgeschichte Israels in ihrer Gegenwartsrelevanz darzustellen. Somit handelte es sich bei den Geschichtsdarstellungen nie nur um Geschichte an sich. »Die frühere Geschichte Israels ist dabei immer die jeweils neu rezipierte Geschichte, die in dieser Rezeption ihren Sinn und ihre Bedeutung erhält.«19 Dadurch haben sich die Texte nicht, wie von v. Rad behauptet, als besonders alte Texte erwiesen, die der Pentateuchentwicklung vorausgegangen sind. Gleichwohl widersprechen sie aber auch nicht der Behauptung eines vorexilischen Gesamtbildes der Geschichte Israels, das sich von der Väterzeit bis zur Landnahme erstreckt.20 Insofern entsprechen sie dem Geschichtsbild des Hexateuchs, so dass Kreuzer von einem Nebeneinander der Pentateuchentwicklung und den von ihm untersuchten Credotexten ausgeht. Die Geschichtspsalmen (Ps 77; 78; 105; 106; 135; 136 und Ex 15,1–18), die jeweils in ihrer Intention kurz skizziert werden, wie auch die prophetischen Traditionen Amos’, Michas, Jesajas und Hoseas sind im letzten Teil der Untersuchung als Beispiele herangezogen worden, um die Geschichtsauffassung der Geschichtssummarien in einem größeren Rahmen alttestamentlicher Überlieferung zu
16 H.-P. MATHYS, Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit, OBO 132, Freiburg (Schweiz) u. a. 1994. 17 KREUZER, Frühgeschichte, 1. 18 Vgl. hierzu V. RAD, Problem, 2–11 und weiter die Auseinandersetzung KREUZERs, Frühgeschichte, 19–34. 19 KREUZER, Frühgeschichte, 256; Hervorhebung von J. G. 20 Vgl. hierzu KREUZER, Frühgeschichte, 257.
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Kapitel 1: Einleitung
verorten. Dabei galten nach Kreuzer die Geschichtspsalmen als junge Rezeptionen des heilsgeschichtlichen Bekenntnisses der Frühzeit Israels. Die Arbeit von Hans-Peter Mathys untersuchte Gebetstexte, Doxologien und Psalmen aus der Spätzeit des Alten Testaments, um aufzuzeigen, wie in diesen Texten »alttestamentliches Glaubensgut systematisiert wird, und wie ihre Verfasser mittels dieser Gattungen zum Teil ganze Bücher auslegen«. 21 Dabei kam diesen spät in ihren literarischen Zusammenhang eingefügten Gebeten und Doxologien (wie z. B. Jes 12, 2Sam 22 oder Jes 38,9– 20) eine aktualisierende Funktion zu, indem die in den jeweiligen Schriften ausgesagten Gotteserfahrungen für die Gegenwart bestätigt und modifiziert worden sind. Zugleich sind die Gebete und die Doxologien so angelegt, dass Israel/der Mensch dankend auf das auch in der Gegenwart heilvoll erfahrbare Handeln Jhwhs antwortet. Durch ihre Antwortstruktur, ihre Interpretation der ihnen vorliegenden Gotteserfahrungen, ihre Verallgemeinerungen und Zusammenfassungen haben sie sich so als Orte systematisierender Theologie im Alten Testament erwiesen.22 Die im Rahmen dieser Fragestellung behandelten Geschichtspsalmen 135 und 136 dienten Mathys als Beispiel dafür, dass das Geschichtshandeln Gottes in seiner immer gültigen Bedeutung für das Volk und den Einzelnen in Gegenwart und Zukunft profiliert wird und die Beter aufgrund dessen zur Gott lobenden und dankenden Antwort aufgerufen werden.23 In den 1990er Jahren sind zwei weitere Dissertationen zu den Geschichtspsalmen entstanden: Erstens erschien die Arbeit von Dietmar Mathias »Die Geschichtstheologie der Geschichtssummarien in den Psalmen«24 und zweitens die Untersuchung von Volker Pröbstl »Nehemia 9, Psalm 106 und Psalm 136 und die Rezeption des Pentateuchs«:25 Dietmar Mathias ging in seiner Habilitionsschrift der Frage nach der theologischen Relevanz der Geschichtssummarien nach. Wie schon Kreuzer setzte auch Mathias bei den von v. Rad als ›geschichtliches Credo‹ klassifizierten Texten an und fragte, ob die in den Geschichtssummarien Ps 78, 105 und 106 dargestellte Geschichte im Sinne von v. Rads als Heilsgeschichte verstanden werden kann. Darunter versteht er, dass die Geschichtsdarstellungen in den Geschichtssummarien als Heilsgeschichte im Sinne einer zeitlich begrenzten Geschichte göttlicher Heilserweise verstanden werden
21
MATHYS, Dichter, 1; Hervorhebung von J. G. Vgl. MATHYS, Dichter, 318. 23 Vgl. MATHYS, Dichter, 320. 24 D. MATHIAS, Die Geschichtstheologie der Geschichtssummarien in den Psalmen, BEATAJ 35, Frankfurt a. M. 1993. 25 Vgl. V. PRÖBSTL, Nehemia 9, Psalm 106 und Psalm 136 und die Rezeption des Pentateuchs, Göttingen 1997. 22
B. Zum Stand der Forschung
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kann, die im Credo rekapituliert wird.26 Darüber hinaus fasste er formal die Geschichtsdarstellungen in Ps 78, 105 und 106 unter dem Begriff der Geschichtssummarien zusammen, die er als Summierung der Geschichte unter dem Abrufschema ›Taten Gottes‹ in Form bestimmter geschichtstheologischer Termini in argumentativer Funktion definierte, in der eine gezielte Vermittlung dieser Geschichtsargumentation sichtbar würde.27 Dazu untersuchte er die Psalmen zunächst hinsichtlich ihrer Kolometrie und wertete diese Ergebnisse literarhistorisch aus, um in einem zweiten Schritt auf dieser Grundlage die Geschichtstheologie in Ps 78, 105 und 106 herauszustellen. Diese zeigte sich in übergeordneten Verstehensmodellen wie dem Modell »Not – Hilfe«, dem Modell »Huld – Schuld«, dem Modell »Verheißung – Erfüllung« oder dem Modell »Befreiung aus der Sklaverei«, mit denen Mathias die geschichtstheologische Bedeutung der Psalmen profilierte. Damit konzentrierte sich Mathias auf die theologische Intention der Geschichtssummarien und berücksichtigte die den Geschichtssummarien zugrunde liegenden Rezeptionsprozesse nur sekundär. Mit dieser Kritik knüpfte die Dissertation von Volker Pröbstl an die Arbeit von Mathias an und legte den Schwerpunkt bewusst auf die den Psalmen zugrunde liegenden Rezeptionsprozesse, aus denen er die Konstruktion von Geschichte in den einzelnen Psalmen herausarbeitete. Als Ergebnis seiner Arbeit ist vor allem die Darstellung der komplexen terminologischen Bezüge aus dem Pentateuch und den Geschichtsbüchern in den Geschichtsdarstellungen der Psalmen und Neh 9 anzusehen.28 Dadurch wird die in der Forschung weitgehend etablierte Einsicht materialreich bestätigt, dass es sich bei den Rezeptionsprozessen in den Geschichtspsalmen um ein schriftliches Phänomen handelt und die Psalmen somit einen weithin fortgeschrittenen Pentateuch voraussetzen. Beiden in den 1990er Jahren entstandenen Dissertationen ist gemeinsam, dass sie jeweils aus der Gruppe der Geschichtspsalmen bestimmte Psalmen für ihre Untersuchung auswählen. Während sich Mathias auf die Geschichtssummarien Ps 78, 105 und 106 konzentriert, wählt Pröbstl exemplarisch das Geschichtssummarium im Rahmen der Volksklage Ps 106, den Hymnus Ps 136 sowie das außerhalb des Psalters belegte Bußgebet Neh 9 aus. Aus dem bisher skizzierten Problemhorizont ergeben sich vier für ein weiterführendes Verständnis der Geschichtspsalmen zentrale Fragestellungen: 26 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 47. Zur Auseinandersetzung Mathias’ mit v. Rad vgl. weiter MATHIAS, Geschichtstheologie, 19–34. 27 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 34. 28 Vgl. hier z. B. die Zusammenstellung der Ps 136 zugrunde liegenden Rezeptionen des Pentateuchs bei MATHIAS, Geschichtstheologie, 192–200.
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Kapitel 1: Einleitung
1. Die theologische Bedeutung der Geschichtspsalmen ist sowohl im Hinblick auf die Geschichtstheologie des einzelnen Psalms selbst als auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für eine Theologie der Psalmen in der bisherigen Forschung noch nicht angemessen bearbeitet worden. Ist sie bei Kühlewein nahezu vollständig ausgeblendet worden, wurde sie bei Pröbstl dem Fokus auf die Rezeptionsprozesse untergeordnet. Die Arbeit von Mathias, die sich zwar auf die theologische Relevanz der Geschichtssummarien konzentrierte, bleibt zum einen auf die Geschichtssummarien (Ps 78; 105; 106) beschränkt.29 Zum anderen zielt sie auf geschichtstheologische Schemata, denen das Spezifische der einzelnen Geschichtspsalmen untergeordnet wird. Demgegenüber entfalten die Geschichtspsalmen aber selbst jeweils so unterschiedliche Interpretationen der Frühgeschichte Israels und deuten diese auf ihre Gegenwartsrelevanz hin, dass der Frage nach der spezifischen theologischen Relevanz der einzelnen Geschichtspsalmen eigens nachzugehen ist. Da die Geschichtspsalmen, wie sich in der folgenden Untersuchung bestätigen wird, ihre Geschichtsdeutungen aus der Interpretation eines nahezu vollständigen Pentateuchs gewinnen, wird sich diese Fragestellung nicht nur für die Theologie der Psalmen, sondern insgesamt für eine alttestamentliche Theologie als zentral erweisen. Voraussetzung für diese Fragestellung ist aber zunächst eine vorläufige Klärung des Geschichtsbegriffs in den untersuchten Psalmen, um die Bedeutung für die Intention von Geschichte und um ihre hermeneutische Funktion innerhalb der einzelnen Psalmen überhaupt angemessen beschreiben zu können. 2. Dieser Fragehorizont knüpft an die breite Debatte der Erinnerungsthematik in den Kulturwissenschaften30 an, die bisher für die identitätsbildende Funktion der Geschichtspsalmen nicht fruchtbar gemacht worden ist. Denn die Geschichtspsalmen selbst, deren Medium des Erinnerns das Gebet darstellt, bieten eine ausgefeilte Begrifflichkeit für den Vorgang des Erinnerns (z. B. Ps 105,2.4 f; 106,2.13; 136,4). Darüber hinaus enthält Ps 78,1–11 eine ausformulierte Hermeneutik der Traditionsweitergabe von Generation zu Generation, durch die die kollektive Identität auf der Basis fundierender Geschichte über Generationen gewährleistet werden soll. Damit kann dieser Vorgang einerseits in dem Kontext der kulturwissenschaftlichen Debatte differenzierter betrachtet werden. 29 In diesem Zusammenhang ist die Studie von Kreuzer herauszustellen, die aber ihren Schwerpunkt nicht auf die Analyse der Geschichtspsalmen setzt, sondern diese nur als Vergleichstexte heranzieht, um die in den erzählenden Büchern gewonnenen Einsichten in einen größeren Zusammenhang alttestamentlicher Überlieferung einzuordnen. 30 Aus der Fülle der neueren Publikationen ist hier exemplarisch auf ERLL, Gedächtnis, 156–185 und insbesondere zum Verhältnis von Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung RÜSEN, Geschichte im Kulturprozess, zu verweisen.
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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Andererseits können die Psalmen selbst einen Beitrag zum Verständnis der medialen Dimension des kollektiven Gedächtnisses leisten.31 3. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Zuordnung der im Einzelnen so unterschiedlichen Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 zu einer Gruppe der Geschichtspsalmen neu zu stellen. Die Problematik dieser rein inhaltlich vorgenommenen Klassifizierung war schon Gunkel bewusst, der die als Legenden beschriebenen Psalmen 78, 105 und 106 unterschiedlichen Gattungen zugeordnet hat. In diesem Sinn ist auch das seine Analyse von Ps 106 abschließende Votum Beyerlins zu verstehen »… es sei, denn man gibt sich mit der stofflich orientierten Charakterisierung ›Geschichtspsalm‹ zufrieden, die aber über Sinn und Zweck des Psalmtexts nicht das mindeste aussagt«. 32 Auch der Forschungsstand weist auf die Schwierigkeit der Klassifizierung der Psalmen als Geschichtspsalmen hin. Dies wird besonders deutlich an der unterschiedlich getroffenen Auswahl der untersuchten Psalmen. So konzentriert sich Pröbstl auf Ps 106; 136 und nimmt als Geschichtspsalm außerhalb des Psalters Neh 9 hinzu, während sich Mathias ganz auf die Geschichtssummarien im Psalter konzentriert und Kreuzer Ps 77, 78, 105, 106, 135 und 136 als Geschichtspsalmen klassifiziert. Demgegenüber untersucht Kühlewein allgemein die Geschichtsmotive in den Psalmen. Von daher soll die folgende Klärung des Geschichtsbegriffs auch dazu dienen, die in dieser Untersuchung vorgenommene Textauswahl zu begründen und das Verständnis der Psalmen als Geschichtspsalmen in einem tieferen Sinn aufzuzeigen. 4. In der bisherigen Forschung sind die Geschichtspsalmen ausschließlich als Einzeltexte wahrgenommen worden. Damit ist die in der neueren Psalmenforschung zentrale Fragestellung nach der Komposition des Psalters und seiner literarhistorischen Genese noch gar nicht im Zusammenhang mit den Geschichtspsalmen gestellt worden. Dies ist aufgrund der oben benannten psalterkompositorisch relevanten Positionierungen der Geschichtspsalmen als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter in besonderer Weise auffällig. Um dieses Forschungsdesiderat aufzuarbeiten, wird die Frage nach der psalterkompositorischen Einordnung der Geschichtspsalmen von zentraler Bedeutung sein.
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen Ausgangspunkt der Vorklärung des Verständnisses von Geschichte in den Geschichtspsalmen ist die Beobachtung, dass die in den Psalmen 78, 105, 31 32
Vgl. hierzu besonders ERLL, Gedächtnis, 177. BEYERLIN, Der nervus rerum, 64.
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Kapitel 1: Einleitung
106, 135 und 136 zugrunde liegende relecture der Tora dazu dient, auf dem Hintergrund des Erzählzusammenhangs des Pentateuchs einen eigenen, aktualisierenden und identitätsstiftenden Erzählzusammenhang zu schaffen. Damit weisen die den Psalmen zugrunde liegenden Konzeptionen von Geschichte keine Distanz zu dem Erzählten auf, sondern arbeiten den Gegenwartsbezug der fundierenden Ereignisse heraus, die für die Identitätsbildung des Kollektivs von Bedeutung sind. Dieses Verständnis von Geschichte in den Psalmen sowie die damit zusammenhängende identitätsvergewissernde Funktion von Geschichte kann im Kontext der kulturwissenschaftlichen Erinnerungsdebatte vertieft werden. Dazu knüpfen die folgenden Überlegungen zunächst an die von Eric Voegelin bereits in den 1956/57er Jahren in die Debatte eingeführte Unterscheidung von pragmatischer und paradigmatischer Geschichte an, die er in Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Ordnung des antiken Israels entwickelt hat. Seine Unterscheidung in einen pragmatischen Umgang mit Geschichte im Sinn eines historisch wissenschaftlichen Zugangs und in einen paradigmatischen Umgang mit Geschichte im Sinn von identitätsformierenden und identitätsvergewissernden Erinnerungen hat von der Sache her in der heutigen kulturwissenschaftlichen Debatte um Geschichte und Erinnerung eine neue Aktualität gewonnen. Allerdings wird Voegelin in diesem Zusammenhang nicht zitiert, obwohl er, wie unten deutlich wird, auf die entscheidenden Aspekte für das Verständnis von Geschichte und Erinnerung bei seiner Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Ordnungssystemen des antiken Israels bereits aufmerksam gemacht hat. Die interdisziplinär sehr breit geführte kulturwissenschaftliche Debatte um Geschichte und Erinnerung33 ist von der von Aleida und Jan Assmann entwickelten Konzeption eines ›kulturellen Gedächtnisses‹ geprägt.34 Dabei sind die grundlegenden Einsichten Voegelins in die Entstehung paradigmatischer Geschichte in vielerlei Hinsicht ausdifferenziert und modifiziert worden. Für das Verständnis der Geschichtspsalmen von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang die Frage nach der Entstehung paradigmatischer Geschichte sowie die Frage nach den ihr zugrunde liegenden Interpretations- und Rezeptionsprozessen. Sie werden im Folgenden auf der Grundlage der neueren kulturwissenschaftlichen Ansätze von Marcus Sandl, Astrid Erll, Wulf Kansteiner und Günther Lottes disku33 Aus der Fülle der Literatur vgl. hierzu z. B. den von O ESTERLE herausgegebenen Band des Gießener Sonderforschungsbereichs: Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, Göttingen 2005 sowie den die Debatte um das kollektive Gedächtnis in weiten Teilen nachzeichnenden und zusammenfassenden Artikel von ERLL, Gedächtnis, 156–185. 34 Vgl. hierzu J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, und A. ASSMANN, Erinnerungsräume.
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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tiert.35 Dabei werden neben dem Aspekt der Interpretations- und Rezeptionsprozesse paradigmatischer Geschichte ihre Ordnungsschemata sowie die bei ihrer Vergegenwärtigung geschehene Verschränkung der Zeitebenen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Blick genommen, da sich insbesondere diese drei Aspekte für das Verständnis der Geschichtspsalmen als weiterführend erweisen werden. Aufgrund der skizzierten Problemlage wird also unter 1. zunächst das Geschichtsverständnis Voegelins mit seiner Unterscheidung in pragmatische und paradigmatische Geschichte dargestellt und diskutiert werden. Unter 2. wird dies aus der Sicht der aktuellen kulturwissenschaftlichen Debatte weitergeführt und unter 3. schließlich im Hinblick auf die Geschichtspsalmen fruchtbar gemacht werden. 1. Geschichte als paradigmatische Geschichte nach Eric Voegelin In seinem mehrbändigen Werk »Ordnung und Geschichte« entwickelt Eric Voegelin eine Geschichte der gesellschaftlichen Ordnungen, indem er die Symbolik ihrer Weltverständnisse darstellt. Er setzt bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Ordnungskonzeptionen im Alten Orient an und entfaltet diese bis in die Neuzeit hinein. Dabei stellt die Entstehung des Geschichtsbewusstseins der Menschheit einen entscheidenden Einschnitt in seiner Darstellung dar. Damit ist bei Voegelin aber keine höhere Entwicklungsstufe in einer Ideengeschichte gemeint. »Stattdessen suchte er in der Analyse vorfindlicher kultureller Symbole die darin zum Ausdruck gebrachten Erfahrungen zu erheben.«36 Leitend für ihn ist in diesem Zusammenhang die Grundeinsicht, dass die Entstehung des Geschichtsbegriffs selbst nur aus der Geschichte heraus verstanden werden kann. Diesen Entwicklungsprozess zeichnet er im Übergang von den kosmologischen Reichen Ägyptens und Mesopotamiens zur Epoche des antiken Israels nach. Daher kommt der Beschäftigung mit dem antiken Israel eine herausgehobene Bedeutung zu, da sich in der spezifisch israelitischen symbolischen Ordnung das erste Mal ein Geschichtsbewusstsein herauskristallisiert. Denn das Weltverständnis Ägyptens und Mesopotamiens war durch kosmologische Ordnungsprinzipien bestimmt, in denen Geschichte einen integrativen Teil der Schöpfungsmythen darstellte. Der kosmogonische Prozess setzt sich in die Geschichte hinein fort, so dass sich die Könige »als Nachfolger, Statthalter und Söhne des Schöpfergottes«37 verstehen. Demgegenüber werden in der alttestamentlichen Überlieferung der Exodus aus 35 Vgl. hierzu SANDL, Historizität, 89–119; ERLL, Gedächtnis, 156–185; K ANSTEINER, Historismus, 119–139; LOTTES, Erinnerungskulturen, 163–184. 36 HARTENSTEIN/J EREMIAS in ihrem Vorwort zu VOEGELIN, Israel, 12. 37 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 184 in seiner Auseinandersetzung mit Voegelin.
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dem Reich der Knechtschaft, die nach Voegelin eine Metapher für die Scheol darstellt, und der Aufenthalt in der Wüste zur neuen Symbolik des Ordnungsverständnisses Israels.38 Daraus folgt ein Weltverständnis, in dem die Schöpfung deutlich von der Geschichte getrennt wird und das ›Davor‹ des Exodus darstellt. So ist sie nicht mehr an der Immanenz der Welt wie in den altorientalischen Mythen orientiert, sondern an der Transzendenz des göttlichen Seinsgrunds,39 der sich in aller Deutlichkeit im Bundesschluss am Sinai offenbart hat. Durch diese das Weltverständnis Israels ordnende Symbolik entsteht das Bewusstsein einer geschichtlichen Existenz, das nicht mehr integraler Bestandteil der Schöpfungsmythen ist, sondern die Geschichte selbst zur entscheidenden Daseinskategorie erhebt. Aufgrund dessen spricht Voegelin davon, dass die »Idee der Geschichte ihren Ursprung im Bund hat«,40 auch wenn er sich dessen bewusst ist, dass das antike Israel selbst keine theoretische Begrifflichkeit von Geschichte ausgebildet hat. Denn die »kompakte mosaische Symbolik einer gemeinsamen Existenz unter dem Willen Gottes, wie sie in seinen Weisungen offenbart wurde, hat im Verlauf der israelitischen, jüdischen und christlichen Geschichte einen kontinuierlichen Artikulationsprozeß durchlaufen, aus dem unter anderem die Idee der Geschichte hervorging«. 41 Zur näheren Beschreibung des aus der Symbolik von Exodus und Bund entstandenen Geschichtsbewusstseins führt Voegelin seine grundlegende Unterscheidung zwischen pragmatischer und paradigmatischer Geschichte ein. Unter pragmatischer Geschichte versteht er eine kritische Geschichtsdarstellung, die er als ›history‹ bezeichnet. Diese hebt er von einer paradigmatischen Darstellung der Geschichte, der ›story‹, ab.42 Die paradigmatische Geschichtsdarstellung versteht Geschichte als sinnstiftende Geschichte, in der die historischen Geschehnisse in einem transzendenten Bezugsrahmen gedeutet werden. Daher zielt die paradigmatische Geschichte darauf, die geschichtlichen Ereignisse als »Akte des Gehorsams gegenüber oder des Abfalls von einem offenbarten Willen Gottes«43 zu verstehen und damit die Abfolge der Ereignisse als ›heilige Geschichte‹ zu umschreiben. Seinen ersten Zugang zur Entfaltung dieses Geschichtsverständnisses stellt der Geschichtspsalm 136 dar, an dem er exemplarisch das für das paradigmatische Verständnis von Geschichte charakteristische Moment der Sinnstiftung aufzeigt. Denn in Ps 136 wird der große Bogen alttestament38
Vgl. VOEGELIN, Israel, 25–30. So HARTENSTEIN und JEREMIAS in ihrem Vorwort zu VOEGELIN, Israel, 11 f. 40 VOEGELIN, Israel, 86. 41 VOEGELIN, Israel, 86. Zum Begriff der Kompaktheit vgl. das Vorwort von H ARTENSTEIN und J EREMIAS zu V OEGELIN, Israel, 12 f. 42 Vgl. VOEGELIN, Israel, 37–39. 43 VOEGELIN, Israel, 37. 39
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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licher (Geschichts-)Erzählung nachgezeichnet, der in seiner Kompaktheit die historische Symbolik Israels von Schöpfung der Welt, Rettung aus Ägypten und Landnahme als fundierende Geschichte entfaltet.44 Daher ist für das Verständnis der Geschichtskonstruktionen in den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 von besonderer Relevanz, dass Voegelin seine entscheidenden geschichtshermeneutischen Kategorien nicht nur auf der Grundlage der alttestamentlichen Überlieferungen im Allgemeinen gewonnen hat, sondern an einem Geschichtspsalm spezifiziert hat.45 Blickt man nun auf die Subjekte, die Geschichte erinnern, impliziert dies, dass diejenigen, die Geschichte als paradigmatisch erfahren, »den Sinn [ihres] individuellen und sozialen Tuns in dessen Erfülltsein mit den Plänen Gottes für die Menschheit finden«.46 Damit aber enthält der Begriff der paradigmatischen Geschichte immer auch ein identitätsstiftendes Moment, da sich – in unserem Fall – die Beter der Psalmen in den größeren Zusammenhang des offenbarten Willen Gottes mit den Menschen stellen. Auf diese Weise erscheinen die »einzelnen Geschehnisse als Paradigmen für Gottes Weg mit den Menschen in dieser Welt«.47 Zugleich geht das Verständnis von paradigmatischer Geschichte von einem anderen Wahrheitsverständnis als dem der pragmatischen Geschichte aus, das sich einer möglichst detaillierten Beschreibung von Zeit, Ort, teilnehmenden Personen, deren Handlungen und deren Äußerungen verpflichtet weiß. Im Unterschied dazu gilt eine Schilderung eines paradigmatischen 44
Zu Ps 136 siehe unter Kapitel 4 A. (S. 293ff). In ganz ähnlicher Weise wie Voegelin von paradigmatischer Geschichte spricht Gerhard v. Rad von Heilsgeschichte. Auch nach V. RAD, Problem, 2 ist das, was von der Erschaffung der Welt bzw. der Berufung Abrahams bis zu dem Vollzug der Landnahme unter Josua berichtet wird – und damit im Prinzip der gesamte Hexateuch –, als Heilsgeschichte zu verstehen; »man könnte es auch ein Credo nennen, das die Hauptdaten der Heilsgeschichte rekapituliert« (V. RAD, Problem, 2). Dabei geht v. Rad aber im Unterschied zu Voegelin von einem alten, stabilen Grundbestand der Heilsgeschichte aus, der die Unscheinbarkeit der Anfänge Israels in der Väterzeit, die Bedrückung in Ägypten sowie die Führung ins gelobte Land umfasst und seinen ältesten Ausdruck in dem von ihm so bezeichneten ›kleinen geschichtlichen Credo‹ in Dtn 26,5b–9 findet. Dieses Credo, das es von den ältesten Zeiten an gegeben hat, wird in seinem Grundbestand keiner Wandlung unterworfen. Variabel aber sind die Ausformung und die äußere Gestalt, wie sich dies nach v. Rad z. B. in den Geschichtspsalmen Ps 78, 105 und 136 zeigt. Vgl. hierzu weiter V. RAD, Problem, 8–11. Zum Verhältnis von Voegelin und v. Rad vgl. die Ausführungen bei HARTENSTEIN/J EREMIAS im Nachwort zum Israelband, 206–208. Allerdings hat die Forschung zu Dtn 26,5b–9 nach v. Rad schon bald deutlich gemacht, dass es sich bei dem kleinen geschichtlichen Credo nicht um ein altes Bekenntnis, sondern um ein späteres Resümee handelt. Vgl. hierzu exemplarisch die bei K. SCHMID, Erzväter, 10 Anm. 45 angegebene Literatur sowie seine Auseinandersetzung mit v. Rad in K. SCHMID, Geschichte, 132–137 und MATHIAS, Geschichtstheologien, 25–29. 46 VOEGELIN, Israel, 37. 47 VOEGELIN, Israel, 38. 45
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Ereignisses dann als wahrheitsgetreu, wenn es in seiner für die Gegenwart identitätsstiftenden Bedeutung dargestellt wird.48 »Denn ein Ereignis, in seiner Beziehung auf den Willen Gottes erfahren, wird dann wahrheitsgetreu berichtet, wenn sein Wesen als Paradigma sorgfältig herausgearbeitet wird.«49 Dieses Verständnis paradigmatischer Geschichte impliziert auch, dass die einzelnen als paradigmatische Geschehnisse verstandenen Ereignisse dann überarbeitet werden, wenn sich ihre paradigmatische Bedeutung vom Standpunkt der Erinnerungsgemeinschaft verändert. Dies kann zu Modifikationen, Erweiterungen oder einer anderen Akzentsetzung führen. »Darüber hinaus kann eine ursprüngliche Schilderung, wenn sie einmal in den Strom mündlicher Überlieferung eingebunden ist, mit der Absicht überarbeitet werden, die paradigmatische Essenz noch zu verstärken … Ein pragmatischer Historiker wird solche Umformungen sicher als Verfälschung von Quellen bedauern, aber der Verfasser heiliger Geschichte wird sie als einen Zuwachs an Wahrheit verstehen.«50
Insofern impliziert die paradigmatische Darstellung der Geschichte bereits nach Voegelin die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer ständigen Neuinterpretation, da die paradigmatische Essenz der Ereignisse nur von einem gegenwärtigen Standpunkt aus bestimmt und nur für diesen ausgesagt werden kann. Die von Voegelin 1956/57 in die Diskussion eingebrachte Unterscheidung von pragmatischer und paradigmatischer Geschichte erweist sich auch in der aktuellen Debatte um Geschichte und Erinnerung als sehr ertragreich, obwohl Voegelin in diesem Zusammenhang nicht rezipiert worden ist. Da Voegelin seinen Begriff einer paradigmatischen Geschichte zudem an der alttestamentlichen Überlieferung gewonnen und an einem der Geschichtspsalmen, an Ps 136, spezifiziert hat, wird dieser sich als grundlegend für ein weiterführendes Verständnis von Geschichte in Ps 78, 105, 106, 135 und 136 erweisen. Das betrifft vor allem vier entscheidende Aspekte für die Konstruktion von Geschichte in den Geschichtspsalmen: 1. Es handelt sich bei der paradigmatischen Geschichte um einen Interpretationsvorgang, bei dem die Geschehnisse aus der Vergangenheit einer den Psalmen zugrunde liegenden Hermeneutik entsprechend gedeutet werden. 2. Dies impliziert eine bewusste Auswahl aus den Ereignissen der Vergangenheit. Damit ist paradigmatische Geschichte also sowohl rekonstruktiv als auch selektiv.51
48
Vgl. VOEGELIN, Israel, 38.83. VOEGELIN, Israel, 38, Hervorhebung von J. G.. 50 VOEGELIN, Israel, 38. 51 So auch LOTTES, Erinnerungskulturen, 181. 49
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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3. Die auf diese Weise gedeutete Geschichte hat für diejenigen, die sie erinnern, fundierende Bedeutung, so dass ihr eine identitätsstiftende Funktion zukommt. 4. Dadurch entsteht ein Interpretationsrahmen, der von der gegenwärtigen Situation der Erinnerungsgemeinschaft abhängig ist. Ändert sich die Vergegenwärtigungssituation, verändert sich auch die Deutung der Ereignisse aus der Vergangenheit. Daher kann die paradigmatische Essenz der geschichtlichen Geschehnisse nur gegenwartsrelevant ausgesagt werden, so dass die Möglichkeit und die Notwendigkeit zur ständigen Modifikation angelegt sind. Somit beschreibt das Verständnis von ›paradigmatischer Geschichte‹ weniger einen Zustand, sondern vielmehr einen Prozess historischer Deutungen. In diesem Sinn wird in der folgenden Untersuchung der Begriff der paradigmatischen Geschichte im Anschluss an Voegelin verwendet, und die fundierenden Ereignisse der Frühgeschichte werden mit den Worten Voegelins als Paradigmen des Weges Gottes mit den Menschen in der Welt verstanden.52 Die Unterscheidung zwischen pragmatischer und paradigmatischer Geschichte ist in der breiten kulturwissenschaftlichen Debatte um das kollektive Gedächtnis wieder aktuell geworden und findet sich von der Sache her in der Unterscheidung von Geschichte und Erinnerung wieder. So unterscheiden A. und J. Assmann beispielsweise, ohne diesbezüglich auf Voegelin zu verweisen, zwischen einer Vergangenheit als solcher und einer Vergangenheit, wie sie erinnert wird.53 Dabei kommt der Erinnerung bzw. der Vergangenheit, wie sie erinnert wird, der Stellenwert des Paradigmatischen zu. Die Frage nach den Rezeptions- und Interpretationsprozessen erinnerter Geschichte nimmt innerhalb dieser Debatte einen breiten Raum ein. Sie wird sowohl aus historischer und psychoanalytischer als auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive diskutiert.54 Für die Geschichtspsalmen wird sich dieser Fragehorizont als von besonderer Relevanz erweisen, da in ihnen der Erinnerungsprozess paradigmatischer Geschichte explizit reflektiert wird, wie Voegelin dies bereits an dem Geschichtspsalm 136 verdeutlicht hat. Daher ist im folgenden Kapitel auf den Aspekt der Rezeptionsund Interpretationsprozesse, wie er in der kulturwissenschaftlichen Debatte geführt wird, näher einzugehen, um den Ertrag für ein weiterführendes Verständnis der Geschichtskonstruktion in den Geschichtspsalmen fruchtbar machen zu können. 52
So VOEGELIN, Israel, 37 f. Vgl. J. ASSMANN, Moses, 26 f. 54 Aus der Fülle an Literatur ist hier beispielhaft auf den Überblick bei ERLL, Gedächtnis, 156–185, KANSTEINER, Historismus 119–139, W ELZER, Gedächtnis und Erinnerung, 155–174 oder ERDHEIM, Das Unbewusste, 92–108 zu verweisen. 53
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2. Die kulturwissenschaftliche Debatte um das kollektive Gedächtnis Die von Voegelin angestoßene Frage nach der Entstehung paradigmatischer Geschichte sowie die Fokussierung ihrer Interpretations- und Rezeptionsprozesse gehört in der neueren kulturwissenschaftlichen Debatte um das kollektive Gedächtnis zu einer zentralen Fragestellung, die interdisziplinär in der psychologischen Traumaforschung55 ebenso wie in den historischen Wissenschaften und den Sozialwissenschaften bearbeitet wird.56 Dadurch wird die Frage nach der Bedeutung von identitätsstiftender Erinnerung neu gestellt. Der Grund für das aufkommende Interesse an der Erinnerungsthematik könnte zum großen Teil in den besonderen Schwierigkeiten des Erinnerns der Shoa liegen.57 Dies ist insofern derzeit besonders virulent, als mit dem langsamen Sterben derjenigen Generation, die die Shoa und den Zweiten Weltkrieg als Augenzeuge miterlebt hat, auch die mündliche Überlieferung von Lebenserfahrungen abbricht.58 Aber »ohne Zeitzeugen ist die Gesellschaft auf zwei andere Modi des Vergangenheitsbezugs verwiesen, auf die wissenschaftlich-historische Forschung und auf das mediengestützte ›kulturelle Gedächtnis‹«. 59 Hinzu kommen die Schwierigkeit vor allem in westlichen Kulturen, ihre identitätsstiftende Erinnerung lebendig zu halten, sowie Veränderungen auf dem Gebiet der Medien des kollektiven Gedächtnisses.60 In diese Situation hinein führen Aleida und Jan Assmann Ende der 1980er Jahre ihre Konzeption des kollektiven Gedächtnisses ein.61 Sie basiert auf der Theorie von Maurice Halbwachs zum kollektiven Gedächtnis (mémoire collective), der die sozialen Rahmenbedingungen (cadres sociaux) als Voraussetzungen kollektiver Erinnerung beschreibt.62 Dazu unterschei55 Vgl. hierzu die beiden Überblicksdarstellungen bei ERDHEIM, Das Unbewusste, 92– 108 und WELZER, Gedächtnis und Erinnerung, 155–174. 56 Zur Auseinandersetzung der historischen Wissenschaften mit der Erinnerungsthematik vgl. den umfangreichen Entwurf zur Historisierung der Gedächtnisphänomene des französischen Historikers NORA, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, und weiter B ERGENTHUM, Geschichtswissenschaft, 121–162. Vgl. darüber hinaus den Überblick bei KANSTEINER, Historismus, 119–139. 57 So GRUND, Motive, 40. Vgl. hier z. B. BERG, Shoa, oder ZUCKERMANN, Gedenken. 58 So ERLL, Gedächtnis, 156. 59 ERLL, Gedächtnis, 156. 60 Vgl. hierzu weiter GRUND, Motive, 40 und ERLL, Gedächtnis, 156 f, die vor allem auf die rapide Entwicklung der Computertechnik aufmerksam macht, die neue Möglichkeiten der Speicherung von Wissen mit sich bringt. 61 Vgl. die Zusammenfassung des Konzepts z. B. in A. ASSMANN/J. ASSMANN, Gestern, 114–140. 62 Vgl. hierzu HALBWACHS, Das kollektive Gedächtnis, 55–66 und die Zusammenfassung seiner Theorie bei ERLL, Gedächtnis, 158–161.171. Zur wissenssoziologischen Debatte vgl. BERGER/LUCKMANN, Konstruktion.
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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det er zwischen einem kollektiven Gedächtnis, das auf Alltagskommunikation basiert, und einem kollektiven Gedächtnis, das auf symbolträchtigen kulturellen Objektivationen beruht. Diese Differenzierung nehmen Jan und Aleida Assmann in ihrer Unterscheidung zwischen zwei Gedächtnisrahmen, dem ›kommunikativen Gedächtnis‹ und dem ›kulturellen Gedächtnis‹, auf. Das ›kommunikative Gedächtnis‹ umfasst hierbei die zeitgenössische Geschichtserfahrung. Es entsteht durch Alltagsinteraktion, ist dementsprechend wenig geformt und auf drei bis vier Generationen begrenzt.63 Diesem auf der Alltagskommunikation beruhenden Aspekt des ›kollektiven Gedächtnisses‹ als ›kommunikativem Gedächtnis‹ wird das ›kulturelle Gedächtnis‹ gegenübergestellt: »Unter dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten zusammen, in deren ›Pflege‹ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt.«64
Somit handelt es sich bei dem ›kulturellen Gedächtnis‹ um eine an feste Objektivationen gebundene und gestiftete zeremonielle Kommunikation. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie in der kulturellen Zeitdimension des Festes vergegenwärtigte Erinnerung darstellt65 und Ereignisse umfasst, die die Gemeinschaft als fundierende und identitätsstiftende Ereignisse aus der Vergangenheit interpretiert.66 Diese stark pointierte Differenzierung des kollektiven Gedächtnisses in das ›kommunikative Gedächtnis‹ einerseits und das ›kulturelle Gedächtnis‹ andererseits ist in der neueren Gedächtnisforschung modifiziert worden. Statt einer starken Abgrenzung der schon von Halbwachs beobachteten Gedächtnisrahmen, einem auf Alltagskommunikation basierenden Gedächtnis und einem auf kulturellen symbolträchtigen Objektivationen beruhenden Gedächtnis, haben die neueren Ansätze gemeinsam,67 dass sie die Übergänge zwischen den beiden Formen des Gedächtnisses herausstellen. Dadurch 63
So J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 56. Vgl. in diesem Zusammenhang weiter die Untersuchungen von VANSINA, Oral Tradition, 23 f, zum ›floating gap‹ in mündlichen Überlieferungsprozessen. Mit dem ›floating gap‹ beschreibt Vansina das Phänomen, dass das historische Bewusstsein einer Gruppe detaillierte Erinnerungen der Ursprungszeit ebenso wie der jüngsten Vergangenheit aufweist, während die Zeit dazwischen durch eine fließende Lücke ›floating gap‹ gekennzeichnet ist. 64 J. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis, 15. 65 Zur Debatte über das Fest und die im Fest inszenierte Vergegenwärtigung kollektiver Erinnerung vgl. den von J. Assmann herausgegebenen Band »Das Fest und das Heilige« sowie die im Jahrbuch für Biblische Theologie »Das Fest: Jenseits des Alltags« (Bd. 18) zusammengestellten Artikel. 66 Vgl. J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis, 56. 67 Vgl. hierzu die Literaturhinweise in Anm. 33 und Anm. 54.
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werden sie in ihrer gegenseitigen Bezogenheit aufeinander wahrgenommen, so dass die Frage nach ihrer Entstehung eine deutlich über A. und J. Assmann hinausgehende Differenzierung erfährt. Insbesondere Marcus Sandl hat in seiner Auseinandersetzung mit A. und J. Assmann herausgestellt, dass das Verhältnis von Erinnerung und Geschichte neu zu bestimmen ist.68 Dazu ist nach Sandl eine Historisierung der Erinnerung notwendig, durch die der Ort, von dem aus der Gegenstand beschrieben wird, selbst Teil des Interpretationszusammenhangs wird. Dies verweist dann aber auch umgekehrt auf »die Reflexivität des Historischen und damit auf die Grundlage des eigenen Fragens, Verstehens und des Umgangs mit den Quellen«. 69 Ausdruck einer solchen Differenzierung ist die unterschiedliche Begrifflichkeit, mit der die in der Terminologie A. und J. Assmanns beschriebenen Phänomene des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses bzw. einzelne Aspekte dieser Gedächtnisse bezeichnet werden. Dabei ist signifikant, dass sich die von A. und J. Assmann in die Debatte eingeführte Terminologie nicht durchgesetzt hat, sondern die einzelnen Teildisziplinen ihre jeweilige Begrifflichkeit in die Debatte eingetragen haben, um damit ihren eigenen Fokus zu profilieren. So wird vor allem in den Sozialwissenschaften wieder der allgemeinere Begriff des ›kollektiven‹ oder ›sozialen Gedächtnisses‹ verwendet. Zugleich wird aber der Interpretationszusammenhang, in dem das Gedächtnis formiert wird, spezifiziert. Dadurch dient der Begriff des kollektiven oder sozialen Gedächtnisses als Rahmen, in dem die Erinnerungsprozesse erfasst werden. Daher schlägt Kansteiner vor, den Begriff im Plural zu verwenden und von ›kollektiven Gedächtnissen‹ zu sprechen.70 Damit verbinden sich zwei Grundannahmen: – Erstens verweist der Plural auf die zentrale Grundannahme, dass es in einer Gesellschaft nie nur ein kollektives Gedächtnis gibt, sondern stets von pluralen Phänomenen auszugehen ist.71 Denn der Einzelne ist nie 68 Ähnlich bereits schon RÜSEN, Aufklärung, 15–58 und KANSTEINER, Historismus, 123. Vgl. weiter die Verhältnisbestimmung von Geschichtswissenschaft und Erinnerungskulturen, die BERGENTHUM, Geschichtswissenschaft, 121–162 vornimmt. Wie Sandl fordert auch B ERGENTHUM, Geschichtswissenschaft, 161 f, die erinnerungskulturelle Bedingtheit der Geschichtswissenschaft zu untersuchen und zu bestimmen. Dazu nennt er vier Aspekte, die eine von Erinnerungskulturen bedingte Geschichtswissenschaft zu berücksichtigen hat: Erstens soll sie sich ihrer pluralen, fragmentarischen und kulturbedingten Perspektivität bewusst sein. Zweitens soll sie die Konstruktivität ihrer Kategorien anerkennen. Drittens soll sie ihre sprachliche, lebensweltliche und institutionalisierte Bedingtheit reflektieren und viertens all diese Aspekte konsequent historisieren. 69 SANDL, Historizität, 99. 70 Vgl. hierzu KANSTEINER, Historismus, 119–139 und E RLL, Gedächtnis, 156–185. 71 Zur Einführung des Begriffs der Erinnerungskulturen vgl. weiter ERLL, Gedächtnis, 176 und SANDL, Historizität, 99 f.
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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nur Teilhaber einer, sondern immer mehrerer Erinnerungsgemeinschaften.72 – Zweitens impliziert der Begriff der kollektiven Gedächtnisse, dass diese auch in diachroner Hinsicht Veränderungsprozessen unterliegen. Im Rahmen des Gießener Sonderforschungsbereichs hingegen ist der Begriff der Erinnerungskulturen in den verschiedenen Disziplinen eingeführt worden.73 Die Bezeichnung beschreibt die Manifestationen des kollektiven Gedächtnisses, indem die diesen Prozess charakterisierenden Aspekte (mentale, materiale, soziale und mediale) mit einbezogen werden.74 Dabei wird der Begriff der Erinnerungskulturen gegenüber dem des Kollektiven insofern favorisiert, als »das wissenschaftliche Konstrukt ›kollektives Gedächtnis‹ erst in seiner Aktualisierung durch einzelne kollektive Erinnerungsakte tatsächlich beobachtbar und kulturwissenschaftlich analysierbar wird«.75 In den Geschichtswissenschaften wird hingegen häufiger der Begriff der ›Erinnerung‹ verwendet. So differenziert Lottes die Terminologie A. und J. Assmanns, indem er zwischen pragmatischer und programmatischer Erinnerung unterscheidet. Unter pragmatischer Erinnerung versteht er die alltägliche Daseinsbewältigung »durch den Abruf von Wissen, Erfahrungen und Fertigkeiten aus dem Gedächtnis«.76 Demgegenüber dient programmatische Erinnerung der Identitätsformierung und Identitätsvergewisserung.77 Die beschriebene terminologische Vielfalt geht aber zugleich mit einer gewissen Unschärfe in der Debatte einher.78 Angesichts der Begriffsvielfalt wird im Folgenden die Bezeichnung des ›kollektiven Gedächtnisses‹ bzw. der Plural ›kollektive Gedächtnisse‹ verwendet. Dies entspricht nicht nur dem Halbwachs entnommenen terminologischen Ausgangspunkt der Begrifflichkeit der ›mémoire collective‹, sondern stellt darüber hinaus den kleinsten gemeinsamen Nenner in der vielfältigen Debatte dar. Zudem wird auch der Begriff der Erinnerung verwendet, mit dem die Inhalte kollektiver 72
Vgl. hierzu auch die Definition des Begriffs ›Erinnerungskulturen‹ bei ERLL, Gedächtnis, 176. 73 Vgl. hierzu z. B. SANDL, Historizität, 100, der programmatisch formuliert, dass an die Stelle einer Definition des kulturellen Gedächtnisses eine Topologie der Erinnerungskulturen tritt. Vgl. weiter die Beiträge von LOTTES, Erinnerungskulturen, 163–184 und B ERGENTHUM, Geschichtswissenschaft, 121–162. 74 Vgl. zur Verwendung dieser Begriffe z. B. KANSTEINER, Historismus, 119–136, ERLL, Gedächtnis, 176–179 und GRUND, Motive, 41–46. 75 ERLL, Gedächtnis, 176. Auch nach SANDL, Historizität, 99 f lässt sich Erinnerung in ihrer Historizität nur als diskursives Phänomen fassen, während der Begriff der Erinnerungskulturen in einem theoretisch reflektierten Sinn verwendet werden kann. 76 LOTTES, Erinnerungskulturen, 181 f. 77 Vgl. weiter LOTTES, Erinnerungskulturen, 182. 78 Vgl. hierzu auch die Kritik von KANSTEINER, Historismus, 121, der von einem terminologischen Überfluss spricht.
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Gedächtnisse beschrieben werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die individuellen Gedächtnisprozesse nicht eins zu eins auf kollektive Erinnerungsprozesse übertragen werden können. Stattdessen ist ihre Eigenheit als kollektive Erinnerungsprozesse zu profilieren.79 Dazu werden im Folgenden drei Aspekte fokussiert: Erstens wird der Erinnerungsprozess selbst, der Interpretationsvorgang, in den Blick genommen, um die Entstehung von kollektiven Gedächtnissen zu beschreiben. Zweitens wird das Ordnungsmuster dieser identitätsstiftenden Erinnerungen skizziert. Drittens werden diese Erinnerungen im Hinblick auf ihren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft übergreifenden Zeithorizont zu befragen sein. a) Der Erinnerungsprozess Nach Kansteiner ist die Entstehung kollektiver Gedächtnisse als ein Rezeptionsprozess zwischen dem Individuum, dem Kollektiv und den Darstellungen der Vergangenheit zu beschreiben. Dabei zeichnen sich die Darstellungen der Vergangenheit dadurch aus, dass die entsprechenden Ereignisse in einen narrativen Sinnzusammenhang gebracht werden und als kulturell geprägte Schemata oder kollektive Codes verstanden werden. Als solche narrativen Systeme ermöglichen und prägen sie die symbolische Vermittlung.80 Sie erhalten innerhalb des Rezeptionsprozesses einen verbindlichen Charakter, so dass sie identitätsformierend und identitätsvergewissernd auf das rezipierende Individuum wirken. Zugleich ist das rezipierende Individuum stets als Teil des Kollektivs bzw. der Erinnerungsgemeinschaft zu verstehen. Daher interpretiert es die Darstellungen der Vergangenheit so, dass sie identitätsstiftend im Hinblick auf das Kollektiv wirken und seine Zugehörigkeit zur Erinnerungsgemeinschaft legitimieren. Nach Kansteiner entstehen kollektive Gedächtnisse, indem sich die Perspektive des Individuums mit der des Kollektivs und den narrativ geformten Darstellungen der Vergangenheit im Prozess der Rezeption treffen. Ein derart beschriebener Interpretationsprozess geht mit einer Auswahl aus der Fülle von standardisierten Vergangenheitsdarstellungen81 einher. Dabei unterscheidet Kansteiner in Anlehnung an A. Assmann zwischen dem potenziellen kollektiven Gedächtnis, in dem die Darstellungen der Ver79 In diesem Zusammenhang ist auf die von KANSTEINER, Historismus, 120.124 f grundlegend formulierte Kritik an der Gedächtnisforschung hinzuweisen, die das Kollektivgedächtnis bisher noch nicht ausreichend als eigenen Untersuchungsgegenstand konzipiert hat. »Infolgedessen werden kollektive Erinnerungsprozesse oft auf individuelle Gedächtnisprozesse reduziert und durch einen unreflektierten Gebrauch psychoanalytischer und psychologischer Methoden verzeichnet« (K ANSTEINER, Historismus, 120). Vgl. hierzu weiter LOTTES, Erinnerungskulturen, 175. 80 So ERLL, Gedächtnis, 177 und KANSTEINER, Historismus, 136. Vgl. dazu weiter die umfassende Darstellung dieses Zusammenhangs in RICŒUR, Zeit und Erzählung, Bd. 1–3. 81 Vgl. zum Prozess der bewusst gestalteten Reduktion RICŒUR, Gedächtnis, 433–454.
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gangenheit gesammelt sind, und dem aktuellen kollektiven Gedächtnis.82 Dem Einzelnen steht im Interpretationsprozess ein großer Vorrat standardisierter Vergangenheitsgeschichten zur Verfügung. Indem bestimmte daraus ausgewählt werden, werden sie aus dem potenziellen in das aktuelle Gedächtnis gehoben. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Erinnerungen, die das aktuelle kollektive Gedächtnis ausmachen, kommunizierbar bleiben.83 Dadurch erhalten diese Ereignisse den Rang fundierender Ereignisse, auf denen die Identität der Erinnerungsgemeinschaft basiert. Können sie nicht mehr kommuniziert werden, rutschen sie ins Vergessen ab und verlieren ihre identitätsstiftende Bedeutung. Die Auswahl wiederum ist keine zufällige, sondern ist von der Vergegenwärtigungssituation der Erinnerungsgemeinschaft sowie von dem Einzelnen, der Teil der Erinnerungsgemeinschaft ist, abhängig. Daher bestimmt die Situation des Einzelnen als Teil des Kollektivs die Auswahl aus den Darstellungen der Vergangenheit und legt somit den historischen Horizont der Interpretation fest. Zugleich aber deutet die ausgewählte Darstellung die spezifische Situation des Kollektivs und stabilisiert durch ihre identitätsformierende Funktion die Erinnerungsgemeinschaft. In diesem Sinn entsteht im Prozess der reziproken Rezeption, in dem sich die Perspektive des Individuums mit der des Kollektivs und den standardisierten Darstellungen der Vergangenheit treffen, ein für die Gegenwart relevanter historischer Interpretationsrahmen, der als Manifestation des kollektiven Gedächtnisses bezeichnet werden kann. Repräsentationen der Vergangenheit
Rezeption Individuum
Kollektiv
Im Rezeptionsprozess treffen sich die Perspektiven des Individuums und des Kollektivs mit den Repräsentationen der Vergangenheit, so dass in dem Rezeptionsvorgang selbst das kollektive Gedächtnis formiert wird. 82 Vgl. KANSTEINER, Historismus, 136. Diese Unterscheidung ist vor allem von A. Assmann mit der Differenzierung in das Speichergedächtnis und in das Funktionsgedächtnis in die Diskussion eingeführt worden. Nach A. ASSMANN, Erinnerungsräume, 130–142 enthält das Speichergedächtnis das identitätsabstrakte Sachwissen, während es sich beim Funktionsgedächtnis um ein angeeignetes Gedächtnis handelt, das auf dem Prozess der Auswahl, der Deutung und der Sinnstiftung basiert. Insofern stellt das Speichergedächtnis nach Assmann das ›Reservoir‹ des Funktionsgedächtnisses dar, indem es als Ressource ständiger Erneuerung des kulturellen Wissens dient. 83 Vgl. LOTTES, Erinnerungskulturen, 183.
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b) Die Ordnungsschemata Der zweite Aspekt betrifft das Ordnungsschema, dessen sich die identitätsformierenden Darstellungen der Vergangenheit bedienen. Kansteiner spricht in diesem Zusammenhang von narrativen Systemen.84 Diese narrativen Systeme haben die historischen Wissenschaften sowie die narrative Psychologie von ihren unterschiedlichen Ausgangspunkten her bestätigt, so dass das Erzählen als Grundform der identitätsstiftenden Erinnerung herausgestellt werden kann.85 Allerdings ist die Narrativität nicht auf die paradigmatische Darstellung der Geschichte beschränkt. Sie liegt auch der pragmatischen, der historisch-kritischen, Geschichtsdarstellung zugrunde. Diese ist sich aber ihrer narrativen Konstruktion bewusst. Demgegenüber zeichnen sich die paradigmatischen Repräsentationen der Vergangenheit dadurch aus, dass sie auf keiner vollkommen reflektierten Rekonstruktion basiert, sondern die Ereignisse aus der Vergangenheit vielmehr refiguriert werden.86 In der Refiguration werden die vergangenen Ereignisse zu sinnstiftenden Erzählungen zusammengefügt, die in ihrer Vergegenwärtigung auf den Einzelnen eine identitätsformierende und identitätsvergewissernde Funktion haben. So ist es nach Lottes der »Zwang zum Plot, … der qualitativ auseinanderdividiert und in der Vielfalt der Erfahrungswelt Sinngebungen entdeckt und Kausalzusammenhänge stiftet, derer das sich erinnernde Individuum erst retrospektiv inne wird«.87 c) Der Zeithorizont Drittens ist neben der narrativen Grundstruktur von identitätsstiftenden Darstellungen der Vergangenheit auch die Verschränkung der drei Zeithorizonte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft charakteristisch für die Ausdrucksformen kollektiver Gedächtnisse. Dabei wird im Prozess der Vergegenwärtigung die Vergangenheit selbst zum Ausdruck gebracht, indem über sie erzählt wird. Diese Erzählungen über die Vergangenheit werden als solche wahrgenommen und zugleich in ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Situation der erinnernden Subjekte erneut real erfahrbar. Dadurch entsteht eine Situation, in der die erinnernden Subjekte an den Ereignissen paradigmatischer Geschichte partizipieren und ihnen zugleich 84
So KANSTEINER, Historismus, 136. Vgl. hierzu die Herausstellung der Bearbeitungstechniken zur Herstellung von Erzählzusammenhängen, bei P OLKINGHORNE, Narrative Psychologie, 12–45 oder CARR, Time. 86 Vgl. hierzu auch LOTTES, Erinnerungskulturen, 102–184, der ebenso das unbewusste bzw. intentionale Moment paradigmatischer Erinnerungen herausstellt. Vgl. weiter R ICŒUR, Zeit und historische Erzählung, sowie die Ausführungen bei SANDL, Historizität, 95–99.111–119. 87 LOTTES, Erinnerungskulturen, 183. 85
C. Hermeneutische und methodische Vorüberlegungen
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bewusst ist, dass es sich hierbei um Erfahrungen der Ursprungszeit und nicht um Erfahrungen ihrer Gegenwart handelt. Durch diese Art der Partizipation bei gleichzeitigem Bewusstsein der Differenz wird die Perspektive der Gegenwart, der Standpunkt, von dem aus ein Individuum als Angehöriger einer Erinnerungsgemeinschaft bzw. eines Kollektivs sich mit der Darstellung der Vergangenheit identifiziert, mit der Vergangenheit verschränkt.88 Die Perspektive der Zukunft ist schließlich dadurch präsent, dass sich der Prozess der Rezeption und Interpretation auf die Kohärenz der Erinnerungsgemeinschaft richtet und auch im Hinblick auf die Zukunft des Kollektivs identitätsstiftend wirkt. Insofern entsteht in der Rezeption und Interpretation paradigmatischer Geschichte eine Kopräsenz der drei Zeithorizonte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dem Zeithorizont der Gegenwart bzw. der Vergegenwärtigungssituation des erinnernden Subjekts als Teil des Kollektivs kommt dabei eine Scharnierfunktion zu. Denn wenn sich diese ändert, hat das Auswirkungen auf den gesamten Rezeptionsprozess,89 da die Rezeption der paradigmatischen Ereignisse sich entsprechend der veränderten Gegenwart verschiebt und damit auch die auf die Zukunft des Kollektivs hin identitätsformierenden Erinnerungen anders nuanciert. Von daher ist der gegenwärtige Standpunkt des Kollektivs entscheidend für den Inhalt und die äußere Form des kollektiven Gedächtnisses. Insofern lässt sich der unter a) bis c) dargestellte Rezeptions- und Interpretationsprozess zur Entstehung von kollektiven Gedächtnissen folgendermaßen zusammen: Zunächst müssen sich die Repräsentationen der Vergangenheit, die Perspektive des Kollektivs und die des Individuums treffen. Weil das Individuum nie nur Teil einer Erinnerungsgemeinschaft ist, ist von einer grundsätzlichen Vielfalt kollektiver Gedächtnisse auszugehen. Zugleich sind aber die Darstellungen der Vergangenheit als narrative Systeme definiert, die die Ereignisse der Vergangenheit in einer identitätsformierenden und identitätsvergewissernden Weise deuten und darstellen. Dabei entsteht eine Verschränkung der Zeitebenen, der Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, da das Erzählte aus der Vergangenheit von der Vergegenwärtigungssituation der Gruppe abhängt und zugleich dazu dient, die Identität des Kollektivs auf die Zukunft hin zu gewährleisten. So ist der Rezeptionsprozess paradigmatischer Ereignisse abhängig von der 88 Die beschriebenen Verschränkungen der Zeitebenen sind vor allem im Zusammenhang des Festes untersucht worden. Dabei gilt das Fest als eine Inszenierung einer anderen Zeit, in der eine Kopräsenz der Zeitebenen entsteht, die zur Vergegenwärtigung der eine Gesellschaft fundierenden Ereignisse führt. Vgl. hierzu aus der Fülle der Literatur ELIADE, Das Heilige, 63–99, J. ASSMANN, Der zweidimensionale Mensch, 13–30 sowie den Forschungsüberblick von BERLEJUNG, Heilige Zeiten, 3–61. 89 Vgl. hierzu WELZER, Gedächtnis und Erinnerung, 171.
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jeweiligen Vergegenwärtigungssituation des Individuums und unterliegt damit einer ständigen Wandelbarkeit und Modifikation. Damit ist aber keine Beliebigkeit der Deutungen paradigmatischer Ereignisse verbunden. Denn ihr Interpretationsrahmen wird sowohl durch die Tradition, wie sie sich in den Überlieferungen bzw. im Hinblick auf die biblische Tradition in den kanonisierten Texten findet, als auch durch die eine gesellschaftliche Gruppierung prägenden sozialen Wertvorstellungen und Normen begrenzt. Dadurch erhalten sie einen auf die Vergegenwärtigungssituation bezogenen verbindlichen Charakter. Diese drei Aspekte, erstens der Rezeptions- und Interpretationsprozess, der zur Entstehung kollektiver Gedächtnisse führt, zweitens die narrative Grundstruktur dieser identitätsstiftenden Erinnerungen sowie drittens das Bewusstsein der Kopräsenz der Zeitebenen, eröffnen einen Horizont, in dem die Frage nach den Geschichtskonstruktionen in den Psalmen neu zu stellen ist. 3. Das kollektive Gedächtnis als Deutehorizont für die Geschichtspsalmen Der von Voegelin eingeführte Begriff der paradigmatischen Geschichte in seiner Spezifizierung durch Kansteiners Entstehungsmodell kollektiver Gedächtnisse kann einen Deutehorizont für die Art und Weise eröffnen, wie in den Geschichtspsalmen Geschichte konstruiert wird. Die zunächst auffälligste Verbindung zwischen den Psalmen allgemein und der oben dargestellten Debatte um das kollektive Gedächtnis ist der Befund, dass sich die Kategorie des Erinnerns (UN]) auch in der Quellensprache des Alten Testaments findet und insbesondere in den Psalmen von großer Relevanz ist.90 Subjekte des Gedenkens im Alten Testament können sowohl der Mensch/Israel als auch Gott sein. Charakteristisch in beiden Fällen aber ist, dass der Vorgang des Gedenkens nicht nur das Zur-Kenntnis-Nehmen einer Person oder eines Sachverhaltes meint, sondern mit einer »tiefen Anteilnahme dessen [verbunden ist], der gedenkt«. 91 Insbesondere in den Fällen, in denen Jhwh Subjekt des Gedenkens ist,92 impliziert dies nach 90 Zum Gedenken im Alten Testament vgl. vor allem SCHOTTROFF, »Gedenken«, und weiter DERS., Art. UN], 507–518, EISING, Art. UN], 571–593, GRUND, Motive, 41–62 sowie die im Hinblick auf die Psalmen weiterführenden Ausführungen bei J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 172–198. 91 J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 197. 92 ›UN]‹ (gedenken) mit Subjekt Jhwh wird, so J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 173–175.197 f im Anschluss an Schottroff, im Alten Testament unterschiedlich verwendet: a) mit Personalobjekt (Akkusativ der Person; vgl. Gen 8,1a; Ps 8,5); b) mit O der Person oder mit O der Person und Akkusativ der Sache (vgl. Ps 25,6; 132,1; 136,23), mit Sachobjekten wie Bund (Gen 9,15; Ex 2,24; 6,5; Ps 105,8; 106,45), Huld und Erbarmen (Ps 25,6; 98,3), mit dem Objekt von Tatbeständen (Ps 78,39; 103,14).
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Schottroff »ein tathaftes Eingehen der Gottheit auf den Menschen, der sich in Not befindet. Inhalt eines solchen Gedenkens ist Segen und Heil.«93 Dabei zeigt Janowski anhand der zu UN] verwendeten synonymen und antonymen (Tat-)Verben, dass der mit UN] beschriebene Vorgang aber noch nicht den Handlungsvollzug der heilvollen Zuwendung impliziert, sondern eine Mittelstellung zwischen einem rein noetischen Erkenntnisprozess und einer aus der Anteilnahme hervorgehenden göttlichen Handlung darstellt.94 Er bezeichnet ein »›Denken-an‹ im Sinn einer gewollten inneren Zuwendung und Anteilnahme, welche die Bereitschaft einschließt, handelnd/ helfend tätig zu werden«. 95 Auf ein solches göttliches Gedenken wiederum, in dem die volle Heilszuwendung Jhwhs enthalten ist, antworten die Beter der Psalmen ihrerseits mit einem Gott preisenden Gedenken. In der Klage ist das Gedenken der Beter mit der Hoffnung verbunden, dass sie die im Gedenken Jhwhs enthaltene Heilszuwendung aufs Neue erfahren (vgl. z. B. Ps 74,1f). Im Hymnus zielt das Gedenken der Beter auf die Vergegenwärtigung von bereits erfahrenen Heilszuwendungen Jhwhs, die sich unter anderem in seinen Wundertaten manifestiert haben (vgl. z. B. Ps 105,5).96 Zugleich handelt es sich bei dem Ich der Beter in Klage und Dank um ein zu verallgemeinerndes Ich, das im Rezeptionsprozess des Gebets durchlässig für die Identifikation eines Kollektivs ist. In den Geschichtspsalmen, die von vornherein eine kollektive Perspektive einnehmen, basiert der Prozess des Erinnerns auf den für das Kollektiv fundierenden heilvollen Vorerfahrungen mit Gott aus der Frühgeschichte Israels, mit denen sich der einzelne Beter identifizieren kann. Auf diese Weise werden in den Erinnerungsprozessen der Psalmen die kollektive und die individuelle Perspektive so ineinander gespiegelt, dass die kollektive Perspektive durchlässig ist für die individuelle und die individuelle für die kollektive.97 Damit ist deutlich geworden, dass in den Psalmen der Prozess des Erinnerns (UN]) stets im Hinblick auf das Gottesverhältnis qualifiziert ist. Es beschreibt einen reziproken Vorgang, indem das Gedenken der Beter das göttliche Gedenken immer schon voraussetzt und als Antwort darauf
93
SCHOTTROFF, »Gedenken«, 201. So JANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 198. 95 SCHNIERINGER, Psalm 8, 224, zitiert nach J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 198. Dies zeigt sich z. B. in Ps 98,3, wo sich Jhwhs Gedenken auf seine ›Güte‹ (GV[) und seine ›Treue‹ (KQZPD) bezieht und damit auf zwei Qualitäten Jhwhs, die mit heilvollen Handlungsoptionen Jhwhs verbunden sind. Ähnliches findet sich auch in Ps 115,12, wo das Gedenken Jhwhs mit seinem Segen einhergeht. Vgl. hierzu weiter EISING, Art. UN], 579 f. 96 Zur Struktur von Danklied und Klage des Einzelnen vgl. J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 36–52. 97 Vgl. hierzu auch J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 36–52.368–372. 94
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verstanden werden will.98 Dabei bezieht sich der Inhalt des Gedenkens auf die die Traditionsgemeinschaft fundierenden Wundertaten Gottes. Diese werden im Prozess des Gedenkens vergegenwärtigt, so dass sich die Beter in eine Linie mit der Traditionsgemeinschaft des Gottesvolkes stellen und sich auf diese Weise ihrer Zugehörigkeit vergewissern. Das bedeutet, dass die Quellensprache der Psalmen mit der Terminologie des Erinnerns (UN]) in allgemeiner Weise ein Äquivalent zu dem in der kulturwissenschaftlichen Beschreibungssprache erläuterten Rezeptionsprozess der paradigmatischen Geschichte bietet. Dieses aufgrund der Terminologie des Erinnerns den Psalmen allgemein zugrunde liegende Äquivalent erhält in den Geschichtspsalmen eine inhaltliche Spezifizierung, indem das Erinnern (UN]) paradigmatischer Ereignisse selbst zum Thema erhoben wird. Dadurch ist in ihnen der Prozess der Rezeption nicht nur, wie in den Psalmen allgemein, impliziert, sondern er wird explizit reflektiert. So illustriert der in der Quellensprache der Geschichtspsalmen lautende Aufruf zum ›Gedenken der Wundertaten Jhwhs‹ (vgl. Ps 78,4; 105,2.5; 136,4) einschließlich der darauf folgenden Darstellungen paradigmatischer Geschichte (vgl. Ps 78,12–72; 105,12–45; 136,5–22) den in der kulturwissenschaftlichen Beschreibungssprache von Kansteiner beschriebenen Entstehungsprozess kollektiver Gedächtnisse. Denn in den Geschichtspsalmen werden die oben beschriebenen drei Aspekte Entstehungsprozess, narratives Ordnungsschema sowie Kopräsenz der Zeithorizonte in der Sprache der Geschichtspsalmen umgesetzt. Insofern erheben die Geschichtspsalmen in ihrer spezifischen Quellensprache das Paradigmatische der fundierenden Ereignisse selbst zum Thema und bilden mit ihrem Inhalt den Entstehungsprozess kollektiver Gedächtnisse ab. Daher zielt das Gedenken in den Geschichtspsalmen darauf, Geschichte so zu erinnern, dass sie den Gegenwartsbezug der fundierenden Geschichte herausarbeitet, der für die Identitätsbildung des Kollektivs von Bedeutung ist. In diesem Prozess erfährt sich der einzelne Beter als Teil des Kollektivs und vergewissert sich durch die Reflexion der Geschichtstaten Jhwhs seiner Zugehörigkeit zu der Erinnerungsgemeinschaft des Gottesvolkes. Auch die in dem identitätsformierenden Prozess des Erinnerns enthaltene Vielfalt an Deutungen spiegelt sich in der Verschiedenheit der Konstruktionen von Geschichte in den zu untersuchenden Psalmen wider. Sie stimmen teils überein99 und konkurrieren teils miteinander.100 Aufgrund dessen 98
Vgl. hierzu im Besonderen Ps 111,4, wonach Jhwh als derjenige verstanden wird, der das Gedenken für seine Wundertaten selbst schafft. Dies bedeutet aber, dass Jhwh nicht nur als Subjekt der Wundertaten verstanden wird, sondern auch als derjenige, der ihre Vergegenwärtigung erst ermöglicht. Vgl. hierzu weiter G RUND, Motive, 52. 99 Vgl. die Bedeutung der Versorgung in der Wüste in Ps 78,15–16 und 105,39–41 oder Ps 78,17–31 und 106,13–15.
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wird es im Folgenden darum gehen, diese Vielfalt der Ausdrucksformen für den einen Typ von paradigmatischer Erinnerung wahrzunehmen und sie im Hinblick auf ihre Vergegenwärtigungssituation bzw. Intention zu befragen. Dass es sich bei dem Phänomen der Vielfalt aber nicht um eine beliebige Pluralität handelt, hängt zum einen mit dem verbindlichen Charakter kollektiver Erinnerungen zusammen.101 Zum anderen werden in den Geschichtspsalmen vorrangig die im Pentateuch geschilderten paradigmatischen Ereignisse der Frühgeschichte Israels reflektiert. Darin liegt eine weitere Besonderheit der Geschichtspsalmen. Denn indem sie die Darstellungen der Frühgeschichte aus dem Pentateuch aufnehmen und in ihrem Sinn modifizieren, greifen sie auf Geschehnisse zurück, denen bereits der Status des Paradigmatischen zukommt. Sie formieren damit bereits Paradigmatisches neu. Auf diese Weise sind sie Ausdruck der den kollektiven Gedächtnissen zugrunde liegenden ständigen Modifikationsprozesse. Mit einem solchen Erinnerungsprozess geht eine bewusst gestaltete Auswahl aus der Fülle der geschichtlichen Ereignisse einher, indem nur die Geschehnisse aufgenommen werden, die für die gegenwärtige Identitätsformierung und -vergewisserung des Kollektivs von Bedeutung sind. Zu welcher Bedeutung eine solche bewusst gestaltete Auswahl zu spezifischen Ausdrucksformen kollektiver Gedächtnisse in den einzelnen Psalmen führt, wird von daher in der folgenden Untersuchung besonders zu berücksichtigen sein, zumal den Geschichtspsalmen selbst die Auswahl der paradigmatischen Ereignisse bewusst ist. In diesem Zusammenhang thematisieren sie das Vergessen bestimmter paradigmatischer Ereignisse, indem sie gegen das Vergessen zu ihrem Gedenken aufrufen (vgl. z. B. Ps 78,1–11). Betrachtet man nun das die Darstellungen der Vergangenheit auszeichnende narrative Ordnungsschema der fundierenden Ereignisse, wie es kollektiven Gedächtnissen zugrunde liegt, fallen wiederum deutliche Analogien zu den Geschichtspsalmen auf. So stellen die Geschichtspsalmen die fundierenden Ereignisse der Vergangenheit in einem narrativen Sinnzusammenhang dar, den sich die Beter im Durchlaufen der Erzählung aufs Neue vergegenwärtigen. Dabei geben die Psalmen Auskunft über ihre kollektiven Codes, die gemeinsames Erinnern durch symbolische Vermittlung ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird von Bedeutung sein, dass es sich bei den Psalmen nicht um Narrationen im engeren Sinn handelt, sondern um Erzählzusammenhänge in poetischer Form im Rahmen einer Gebetspragmatik, in denen der aus der Tora entnommene Plot paradigmatischer Erzählung wie ein Leitthema in den einzelnen Geschichtspsalmen
100 Vgl. die Bedeutung des Väterbundes, die nur in Ps 105,8–11 belegt ist, oder die Bedeutung der anfänglichen Schöpfung in Ps 136,5–9. 101 Siehe oben C.2. (S. 16ff).
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variiert wird. Daher wird die Frage nach der Gestaltung des narrativen Sinnzusammenhangs von besonderem Interesse sein. Zugleich zeigt sich in der Darstellung des Erinnerungsprozesses in den Psalmen auch die mit kulturwissenschaftlicher Beschreibungssprache bezeichnete Kopräsenz der Zeithorizonte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Daraus ergibt sich für die Psalmen die Frage nach der Art und Weise der Vergegenwärtigung im Rahmen des in den Texten vorausgesetzten kultischen Zusammenhangs.102 Da es sich bei den Geschichtspsalmen aber – wie in der folgenden Untersuchung deutlich wird – um späte Psalmen handelt, die nicht mehr für den kultischen Gebrauch, sondern als literarische Texte für ihren Buchkontext konzipiert worden sind, verändert sich auch ihre Rezeptionspraxis. Durch die Form der Texte als Psalmengebete wird zwar ihr kultischer Primärzusammenhang beibehalten, ohne dass sie aber einen real vollzogenen Tempelkult voraussetzen. Vielmehr wird der Tempelkult zum Basissymbol der Texte und stellt den metaphorischen Bezugsrahmen dar,103 in dem die in den Geschichtspsalmen skizzierte Erinnerungspraxis gedanklich vollzogen wird.104 Aufgrund ihres literarischen Charakters als Gebetstexte werden die Geschichtspsalmen aus dem Kommunikationszusammenhang begrenzter und vergänglicher sozialer Gruppen gelöst, über raum-zeitliche Grenzen hinaus gespeichert und schließlich wieder aufgenommen.105 Zugespitzt wird dieser Prozess durch ihre Kanonisierung, wodurch ihr Status als Verschriftlichung kulturell relevanter 102 Zur Bedeutung des Festes für die Vergegenwärtigung paradigmatischer Geschichte siehe oben Anm. 65 und 88. Nach GRUND, Motive, 53 war ein entscheidender Schritt in der Intensivierung von Israels Erinnerungsarbeit gewiss die bislang meist als ›Historisierung agrarischer Feste‹ bezeichnete Indienstnahme der bäuerlichen Feste für die Vergegenwärtigung der fundierenden Vergangenheit, vor allem des Exodus. Diese wird nach Grund von der genauso grundlegenden Speicherung der Überlieferung im Medium der Schrift begleitet. 103 Vgl. hierzu auch J ANOWSKI, Tempel aus Worten, 279–306, der in diesem Zusammenhang vom Psalter als Tempel aus Worten spricht. 104 Ein ganz ähnliches Phänomen stellen die spätprophetischen Texte dar, die auch ihren Primärzusammenhang, die Form prophetischer Überlieferung, wahren und zugleich aus diesem herausgelöst sind, da es sich um literarische, für den Zusammenhang des Prophetenbuches geschaffene Konstruktionen handelt. Vgl. zur literarischen Funktion spätprophetischer Texte STECK, Abschluss der Prophetie, und G ÄRTNER, Jesaja 66, 311– 331. 105 So ERLL, Gedächtnis, 177. A. ASSMANN, Texte, 241–243 spricht in diesem Zusammenhang von einem kulturellen Text, den sie von literarischen Texten abhebt. Unter kulturellen Texten versteht sie Texte mit einem Anspruch auf eine verbindliche, unhintergehbare und zeitliche Wahrheit. Adressaten kultureller Texte sind Repräsentanten eines Kollektivs, die durch die Rezeption des Textes ihre Zugehörigkeit zur Traditionsgemeinschaft bestätigen. Demgegenüber handelt es sich bei literarischen Texten um Texte, die an das autonome Subjekt gerichtet sind und keinerlei Anspruch auf einen überzeitlichen Wahrheitsanspruch haben.
D. Vom Einzelpsalm zur Psalterkomposition
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Erinnerungen über die Zeiten hinweg in unterschiedlichen Aktualisierungen erhalten bleibt. Indem die Geschichtspsalmen auf diese Weise den Erinnerungsprozess paradigmatischer Geschichte selbst zum Thema erheben, werden sie ihrerseits zum Paradigma kollektiver Gedächtnisse. Daher weisen sie in ihren psalmenspezifischen Beschreibungen des Erinnerungsprozesses signifikante Übereinstimmungen mit zentralen Aspekten des von Kansteiner herausgestellten Rezeptionsprozesses zur Entstehung kollektiver Gedächtnisse auf. Somit entsteht ein aus der kulturwissenschaftlichen Debatte genommener hermeneutischer Horizont, der zum vertieften Verständnis der Geschichtskonstruktionen in den Geschichtspsalmen führen kann. Dabei wird aber in der Analyse der Psalmen jeweils neu zu fragen sein, auf welche Weise die aus der kulturwissenschaftlichen Debatte aufgenommenen Kategorien im Einzelnen ein vertieftes Verständnis der Geschichtskonstruktion in den Geschichtspsalmen ermöglichen und inwiefern der in ihnen beschriebene Erinnerungsprozess selbst einen Beitrag zur Entstehung von kollektiven Gedächtnissen leisten kann. Daher wird sich der Fokus der folgenden Untersuchung auf die Reflexions- und Interpretationsprozesse der fundierenden und gleichsam identitätsstiftenden Geschichtskonstruktionen richten und vor allem ihre Variationen und ihre Wandelbarkeit in den Blick nehmen.
D. Vom Einzelpsalm zur Psalterkomposition – psalterkompositorische und psalterredaktionelle Vorüberlegungen Bei den Geschichtspsalmen handelt es sich, wie bereits oben angeklungen, um späte Psalmen. Diese sind nicht mehr für ihren Primärzusammenhang, den kultischen Gebrauch am Tempel, geschaffen worden und setzen dementsprechend auch keinen real vollzogenen Tempelkult mehr voraus. Stattdessen sind sie als literarische Texte für den jetzigen Buchkontext konzipiert worden.106 Allerdings ist durch die Form der Texte als Psalmengebete ihr kultischer Primärzusammenhang beibehalten worden. Zugleich aber verändert sich ihre Rezeptionspraxis, weil diese Psalmen als Teil eines größeren literarischen Kontextes, wie z. B. als Teil von Psalmensammlungen (vgl. z. B. Ps 78 als Teil der Asafsammlung), wahrgenommen werden. Dadurch gewinnt der Psalm als Einzeltext seinen ihm zugeschriebenen Sinnzusammenhang nicht mehr ausschließlich aus sich selbst heraus, sondern erhält durch seinen literarischen Kontext einen Zuwachs an Sinn, der den
106
Vgl. hierzu J ANOWSKI, Tempel aus Worten, 279–306.
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Kapitel 1: Einleitung
Einzeltext übersteigt.107 So ist mit Michael D. Goulder zu urteilen: »The oldest commentary on the meaning of the psalms is the manner of their arrangement in the Psalter«. 108 Versteht man die Geschichtspsalmen darüber hinaus als Ausdrucksformen kollektiver Gedächtnisse (vgl. Abschnitt C.), hat der literarische Charakter der Psalmen und der damit einhergehende Zuwachs an Sinn Auswirkungen auf deren Entstehungsprozess. Denn der Rezeptionsprozess zwischen den Repräsentationen von Vergangenheit, Kollektiv und Individuum bleibt nicht nur auf den Einzeltext als Interpretation der Vergangenheit beschränkt. Er ist vielmehr auf das Phänomen der kontextgebundenen literarischen Repräsentationen auszuweiten. Dadurch entsteht eine zweifache Rezeptionsmöglichkeit des Psalms, die erstens auf der Ebene des Einzeltextes und zweitens auf der Ebene seines literarischen Zusammenhangs ansetzt. Insofern stellen die mit dem literarischen Charakter der Psalmen als Teil einer Sammlung verbundenen Rezeptionsprozesse ein weiteres Indiz für die kontextgebundene Interpretation kollektiver Gedächtnisse dar.109 Das Verständnis der Geschichtspsalmen als später literarischer Produkte ist daher mit der Grundannahme einer gezielt gestalteten Zusammenstellung der Psalmen zu größeren literarischen Zusammenhängen verbunden, die schließlich zur Entstehung des Psalters als Buch führt. Dadurch entsteht auf der Ebene des Endtextes eine redaktionell intendierte Abfolge der Psalmen, die im Sinne einer Ablauflesung oder lectio continua rezipiert werden kann und den betenden Leser zu den einzelpsalmübergreifenden Perspektiven führt.110 Hermeneutisch ist damit vorausgesetzt, »daß für jede Psalmengruppe, aufsteigend auf die Ebene größerer Kompositionen bis hin zum Psalter, eine lineare Leseabfolge intendiert ist. Man widmet sich also nacheinander den … Einzeltexten und realisiert dabei übergreifende Zusammenhänge«. 111 Dies geschieht, indem durch die leseleitenden makrostrukturellen Merkmale bestimmte Konzeptionen als Deutehorizont für die Sammlung herausgestellt werden. Dadurch ist der Rezeptionsprozess, wie beim Entstehungsprozess kollektiver Erinnerungen, mit einer Auswahl und Profilierung von Themenschwerpunkten verbunden und damit zugleich Ausdruck einer durch die Komposition gezielt gesetzten Perspektive.112 Angestoßen wurde diese Perspektive auf die Buchkomposition des Psalters vor allem durch Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger, die in ihren 107
Vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 31–40. GOULDER, The Psalms of the Sons of Korah, 1. 109 Vgl. hierzu vor allem Kapitel 1 C.2.a) (S. 20ff). 110 Zum Begriff der Ablauflesung sowie der Problematik einer ausschließlich auf den Endtext bezogenen Lektüre des Psalters, vgl. L EUENBERGER, Konzeptionen, 4 f.22–24 und weiter ZENGER, Psalmenexegese, 30. 111 HARTENSTEIN, Schaffe, 230. Vgl. weiter ZENGER, Psalmenexegese, 29–31. 112 Vgl. HARTENSTEIN, Schaffe, 231. 108
D. Vom Einzelpsalm zur Psalterkomposition
31
zahlreichen Forschungen eine methodische Neuorientierung von der Psalmenexegese zur Psalterexegese entfalten113 und diese in ihren Kommentaren zu den Psalmen umgesetzt haben.114 Dabei haben sie stets in der Rekonstruktion von Textabfolgen methodisch ein besonderes Augenmerk auf die strukturgebenden und leseleitenden Merkmale innerhalb von zusammenhängenden Psalmengruppen gelegt. Darunter sind nach Zenger als wichtigste Techniken gezielt gesetzte redaktionelle Stichwort- und Motivverkettungen (concatenatio) sowie bestimmte thematische Konzeptionen (iuxtapositio) zu verstehen, durch die Nachbarpsalmen bzw. Psalmensammlungen miteinander verbunden und hintereinander angeordnet werden.115 Zudem treten auf einer buchübergreifenden Ebene z. B. Psalmenüberschriften, durch die Psalmen, wie z. B. die Wallfahrtspsalmen 120–134, zu einer Psalmengruppe zusammengestellt werden, ebenso hinzu wie die Schlussdoxologien (Ps 41,14; 72,18 f; 89,53; 106,48).116 Durch die strukturgebenden Merkmale kristallisieren sich im Leseprozess einzelne Themen und Motive aus der Abfolge der Einzelpsalmen heraus und bilden einen übergeordneten Verstehenshorizont. Dies geht einher mit der Profilierung einzelner Psalmen innerhalb einer solchen Sammlung, die aufgrund der leseleitenden Merkmale aus der Textabfolge hervortreten. Ein Beispiel hierfür stellen die eine Psalmengruppe rahmenden Psalmen dar. Aber auch Scharnier- bzw. Reflexionstexte innerhalb einer Sammlung werden in gleicher Weise profiliert.117 Friedhelm Hartenstein spricht in diesem Zusammenhang von einem Relief, das durch die Wahrnehmung makrostruktureller und thematischer Profile aus der Zweidimensionalität der Textabfolge herausgehoben wird.118 113 So ZENGER, Psalmenexegese, 17–65, der in einem programmatischen Artikel die Notwendigkeit einer Doppelperspektive von Einzelpsalmexegese und Psalterkomposition darlegt. Vgl. weiter z. B. HOSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 237–257; ZENGER, Die Psalmen im Psalter, 443–456; ZENGER, Psalter als Buch, 1–57. 114 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150. Über Hossfeld/Zenger hinaus sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen zur Psalterkomposition erschienen. Im Hinblick auf das vierte und fünfte Psalmenbuch, das vier der fünf Geschichtspsalmen umfasst, sind folgende zu nennen: AUWERS, Psautier, 67–89; B ALLHORN, Telos; GOULDER, The Psalms of the Return; KOENEN, Jahwe; KRATZ, Tora, 1–34; DERS., Sch ema c, 623–638; LEUENBERGER, Konzeptionen; LEVIN, Büchereinteilung, 83–90; DERS., Psalm 136, 17–27; MCCANN, The Shape and Shaping of the Psalter; K. SCHMID, Innerbiblische Schriftauslegung, 19. Vgl. darüber hinaus die umfangreiche Zusammenstellung der Literatur bei ZENGER, Psalmenexegese, 24 f Anm. 19 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 31 Anm. 104. 115 Vgl. ZENGER, Psalmenexegese, 31. 116 Vgl. hierzu ZENGER, Einleitung, 351–356 sowie DERS., Psalmenexegese, 31–65 und die dort jeweils ausgeführten Beispiele. Ähnlich auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 32–40. 117 Vgl. HARTENSTEIN, Schaffe, 231. 118 Vgl. hierzu HARTENSTEIN, Schaffe, 231.
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Kapitel 1: Einleitung
Insbesondere die durch Stichwort- und Motivverkettungen entstandenen Verbindungen zwischen Psalmen sind aber nicht nur vorbehaltlos als Signale einer Psalterkomposition zu verstehen. Denn die Psalmen, auch in ihrer späten literarischen Form, bleiben ihrem Primärzusammenhang, dem Jerusalemer Tempelkult, verbunden und weisen damit einen gemeinsamen Vorstellungszusammenhang auf.119 Deswegen können die die Psalmen verbindenden Motive und Konzeptionen ebenso auf ihren gemeinsamen Traditionshintergrund des Jerusalemer Tempelkults zurückgehen, ohne dass ihnen darüber hinaus eine psalterkompositorische Bedeutung zukommen muss. Aufgrund dieser Tatsache wird in der folgenden Untersuchung möglichst genau zwischen den auf einen gemeinsamen Vorstellungshintergrund zurückgehenden Verbindungen und den kompositorisch intendierten konzeptionellen und terminologischen Bezugnahmen zu unterscheiden sein.120 Darüber hinaus ist mit Hartenstein zu berücksichtigen, dass eine solche buchübergreifende Leseperspektive keine außerbiblischen Parallelen aufweist und weder in den textgeschichtlichen Befunden in Qumran noch in der rabbinischen Psalmenauslegung im Midrasch Tehillim belegt ist.121 Innerbiblisch lassen sich aber Analogien vor allem in den Redaktionsprozessen zum Zwölfprophetenbuch finden.122 Denn diese weisen, wie die jüngere Forschung zum Zwölfprophetenbuch herausgestellt hat,123 eine dem Psalter ähnlich gestaltete Doppelperspektive auf: So bleiben die einzelnen Prophetenbücher in den Redaktionsprozessen als solche erkennbar. Zugleich werden aber buchübergreifende Strukturmerkmale gesetzt, durch die eine Rezeption von zwölf Prophetenbüchern zu einem Zwölfprophetenbuch ermöglicht wird. Trotz der redaktionellen Bezogenheit der zwölf Prophetenbücher aufeinander bleibt ihre Eigenständigkeit als Sammlung von Einzelbüchern gewahrt. Sie ist allerdings auf einer makrostrukturellen Ebene in vielfältiger Weise und mit unterschiedlichen Techniken miteinander verzahnt. Ein analoges Phänomen liegt auch den Kompositions- und 119
Hierauf verweist auch HARTENSTEIN, Schaffe, 233 f. Vgl. weiter HARTENSTEIN, Schaffe, 234, der eine solche methodisch reflektierte Unterscheidung zwischen traditionsförmigen Rekurrenzen zwischen Psalmen und kompositorisch bewusst gesetzten Verbindungen ebenfalls einfordert. 121 Vgl. HARTENSTEIN, Schaffe, 231. Vgl. zu diesem Problemfeld weiter die von HARTENSTEIN, Schaffe, 231 Anm. 8 und 232 f Anm. 12 zusammengestellte Literatur zu Qumran sowie zur rabbinischen Psalmenauslegung im Midrasch Tehillim. 122 Auf diese Analogie verweist bereits STECK, Abschluss, 151–166. Vgl. weiter H ARTENSTEIN, Schaffe, 233 f und ZENGER, Psalmenexegese 27 f. 123 Vgl. hierzu die grundlegenden Ausführungen von STECK, Abschluss, 73–126. Vgl. weiter B OSSHARD-NEPUSTIL/KRATZ, Maleachi im Zwölfprophetenbuch, 27–46; GÄRTNER , Jesaja 66, 135–220; N OGALSKI, Redactional Processes; S CHART, Die Entstehung des Zwölfprophetenbuchs; W ÖHRLE, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches; DERS., Abschluss des Zwölfprophetenbuches. 120
D. Vom Einzelpsalm zur Psalterkomposition
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Redaktionsprozessen im Psalter zugrunde. Auch in der Genese des Psalters bleibt der Eindruck einer Sammlung unterschiedlicher Einzeltexte bestehen, die doch zugleich auf einer makrostrukturellen Ebene aufeinander bezogen sein wollen. Die im Psalter wie im Zwölfprophetenbuch beobachtbare makrostrukturelle Profilierung bestimmter Konzeptionen weist nicht nur, wie schon angeklungen, in synchroner Hinsicht auf eine kompositorische Intention hin, sondern setzt auch in diachroner Hinsicht eine redaktionelle Bearbeitung der Psalmengruppen bzw. der Prophetenbücher voraus. Die Notwendigkeit, die psalterkompositorische mit der psalterredaktionellen Fragestellung zu verbinden, ist abgesehen von den Arbeiten von Hossfeld/Zenger und Hartenstein124 insbesondere durch Martin Leuenberger in seiner Dissertation zu den »Konzeptionen des Königtums Gottes im Psalter« methodisch reflektiert und in seiner Durchführung im vierten und fünften Psalmenbuch umgesetzt worden.125 Dazu greift er auf das von Odil Hannes Steck an den Prophetenbüchern entwickelte Modell einer ›historischen Synchronlesung‹126 zurück, um die psalterkompositorischen Motivverkettungen zwischen den Psalmen in ihrer Genese zu untersuchen. Er setzt auf der Ebene des Endtextes an und analysiert in einem ersten Schritt die einzelnen Psalmen im Sinne einer Ablauflesung in synchroner und diachroner Perspektive, um auf dieser Grundlage psalmenübergreifende Konzeptionen zu profilieren. In einem zweiten Schritt werden die psalmenübergreifenden Konzeptionen, insbesondere die zentrale Konzeption vom Königtum Gottes, im Zusammenhang mit den formativen Redaktionen im vierten und fünften Psalmenbuch ausgewertet.127 Mit der Verbindung des psalterkompositorischen und des psalterredaktionellen Aspekts der makrostrukturellen Bezugnahmen ist methodisch die entscheidende Zugangsweise der folgenden Untersuchung formuliert. Denn diese doppelte Betrachtung ermöglicht nicht nur eine vom Endtext ausgehende Analyse der Psalterkomposition, sondern verbindet sie mit der literarhistorischen Frage nach ihrer Entstehung.128 Dadurch wird der Blick über die Komposition von Teilsammlungen und Buchzusammenhängen im Psalter hinaus zugleich auch auf ihre literarische Genese gerichtet. 124
Vgl. vor allem HOSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 237.248, ZENPsalmenexegese, 17–65 und auch HARTENSTEIN, Schaffe, 229–258. 125 Vgl. hierzu LEUENBERGER, Konzeptionen. 126 Vgl. hierzu STECK, Prophetenbücher, 11.22 f.33–44 und DERS., Gott, 161–197. 127 Leuenberger spricht in diesem Zusammenhang davon, »die historische Synchronlesung im Rahmen eines buchspezifischen Redaktionsmodells zu vollziehen, das in der Lage ist, die theologische Sachbewegung sowohl in synchroner, jede Ebene als Ganze für sich betrachtender Hinsicht wie in diachroner, die verschiedenen Ebenen verbindender Perspektive zu erfassen« (LEUENBERGER, Konzeptionen, 23). 128 Vgl. weiter LEUENBERGER, Konzeptionen, 24–31. GER ,
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Kapitel 1: Einleitung
E. Vorgehensweise Aus den unter Abschnitt C. und D. herausgestellten hermeneutischen Einsichten ergibt sich das Programm der folgenden Untersuchungen: Erstens werden die Geschichtspsalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als Paradigmen kollektiver Gedächtnisse verstanden, so dass der Fokus auf der Rekonstruktion der ihnen zugrunde liegenden Konzeption von Geschichte liegt. Zweitens werden die dort profilierten Konzeptionen in psalterkompositorischer und psalterredaktioneller Hinsicht ausgewertet, um die Geschichtspsalmen 78, 105, 106, 135 und 136, die als späte literarische Texte entstanden sind, im Entstehungsprozess des Psalters zu verorten. Dazu werden die gezielt gestalteten terminologischen Bezugnahmen zwischen Psalmen in einem ersten Schritt im Hinblick auf ihre psalterkompositorische Bedeutung auszuwerten sein, durch die sie als makrostrukturelle Konzeptionen aus der Textfolge heraustreten und eine entsprechende Rezeption der Psalmengruppe profilieren.129 Die auf der Ebene des Endtextes gezielt gesetzte Leseleitung ist in einem zweiten Schritt durch eine redaktionskritische Betrachtung der kompositorischen Bezugnahmen gegenzulesen, um sie im Hinblick auf die Psaltergenese auszuwerten.130 Dabei ist zu beachten, dass aufgrund des gemeinsamen Traditionshintergrundes der Jerusalemer Tempeltheologie einerseits sowie der Tatsache, dass insbesondere die Geschichtspsalmen im Zusammenhang der Psaltergenese zu den späten Texten zu rechnen sind, eine exakte historische Verortung erschwert wird. Daher werden die fol-
129
Diese Konzentration auf den Psalter bringt es mit sich, dass die Geschichtspsalmen außerhalb des Psalters, wie vor allem Neh 9, im Rahmen dieser Untersuchung nicht eigens berücksichtigt werden können. Vgl. zu Neh 9 P RÖBSTL, Rezeption, 7–105. Gleiches gilt aber auch für die mit den Geschichtspsalmen verwandten Texte wie das Schilfmeerlied in Ex 15,1–18 sowie die Volksklage in Jes 63,7–64,11. Zu Ex 15 vgl. z. B. BRENNER, Song, G. FISCHER, Schilfmeerlied, 32–47, J EREMIAS, Königtum, 93–106, SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 96–115 und ZENGER, Tradition, 452–485. Zu Jes 63,7– 64,11 vgl. z. B. B ERGES, Komposition, 485–497, EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 261– 289, I. FISCHER, Volksklagelied, GÄRTNER, Jesaja 66, 222–272, GOLDENSTEIN, Gebet, und STECK, Studien, 221–225.233–242. 130 Die Notwendigkeit, die psalterkompositorisch bewusst gesetzten Verbindungslinien redaktionskritisch gegenzulesen und sie redaktionellen Entstehungsstadien der Psaltergenese zuzuordnen, betont auch HARTENSTEIN, Schaffe, 234 f. Dabei spricht er in diesem Zusammenhang von einer methodischen Kontrolle durch die redaktionskritische Perspektive. Sie soll der Gefahr der Eintragung einer modernen Leseperspektive durch eine ausschließlich auf der Endtextebene erarbeitete Kompositionsanalyse entgegentreten. Vgl. hierzu auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 35–40.
E. Vorgehensweise
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genden redaktionskritischen Zuordnungen vor allem auf eine relative Chronologie der redaktionellen Ebenen zueinander hinauslaufen.131 In diesem Sinn wird die bereits in Abschnitt A. skizzierte relecture der Tora in den Geschichtspsalmen in psalterkompositorischer und psalterredaktioneller Hinsicht ausgewertet. Dabei wird an den Geschichtspsalmen nicht nur ihre hermeneutisch vielfältig und verschiedenartig gestaltete identitätsformierende und identitätsvergewissernde Rezeption der Frühgeschichte Israels deutlich werden (vgl. Kapitel 2 C.; Kapitel 3 A. und B. und Kapitel 4 A. und B.). Darüber hinaus werden sich die Geschichtspsalmen in besonderer Weise als Beispiele für die mannigfaltige und auch uneinheitliche kompositorische und redaktionelle Arbeit am Psalter bzw. an seinen Teilsammlungen erweisen (vgl. Kapitel 2 D.; Kapitel 3 C. und Kapitel 4 C.).132 In dieser doppelten Perspektive werden sich die Geschichtspsalmen – wie die folgende Untersuchung zeigen wird – als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter erweisen, die nicht nur als Paradigma kollektiver Gedächtnisse zu verstehen sind, sondern in gleicher Weise die vielschichtige redaktionelle Arbeit am Psalter in einer späten Phase seiner formativen Genese paradigmatisch abbilden.
131 132
Vgl. hierzu auch HARTENSTEIN, Schaffe, 235. Vgl. den Problemaufriss in Abschnitt A. (S. 1 ff).
11
Kapitel 2
Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Psalm 78 Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78 Der große Geschichtspsalm 78 entfaltet in 72 Versen das Handeln Jhwhs in Schöpfung und Geschichte, wie es die Israeliten zur Zeit der Wüste bis zur Einsetzung des davidischen Königtums erfahren haben. Dabei stehen die Wundertaten Jhwhs, in denen sich die vollkommene Heilszuwendung Jhwhs zu seinem Volk zeigt, im Kontrast zum Verhalten des Volkes, das sich durch seine Verschuldungen auszeichnet. Dieses Spannungsfeld zwischen der heilvollen Zuwendung Jhwhs einerseits und der bereits in den Anfängen der Geschichte verankerten Verschuldung des Volkes andererseits bestimmt den Fokus des Psalms auf seine Deutung der Frühgeschichte Israels.1 Abgesehen von seinem Umfang, durch den der Psalm aus seinem literarischen Kontext der Asafsammlung (Ps 73–83) herausragt, kommt ihm durch seinen geschichtshermeneutischen Prolog in V. 1–11 über die identitätsstiftende Weitergabe der Wundertaten Jhwhs von Generation zu Generation eine Sonderstellung unter den Geschichtspsalmen zu. Denn während die Geschichtspsalmen 105; 106; 135 und 136 in einen hymnischen Rahmen eingebunden sind, wird Ps 78,1–11 mit der Aufforderung zur Traditionsweitergabe eröffnet, die vor weisheitlichem Hintergrund betrachtet dem Psalm die Gestalt eines ›Lehrgedichts‹ gibt.2 Zugleich hebt sich der Psalm durch seinen komplexen Aufbau, in dem Jhwhs Wundertaten in Schöpfung und Geschichte in zwei Durchgängen (V. 12–39 und V. 40–72) entfaltet werden,3 von den anderen Geschichtspsalmen ab, die jeweils die Reflexion der Frühgeschichte nur in einem Reflexionsgang betrachten.
1
Vgl. hierzu auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 140, der zu Recht die »eigentümliche Gestaltung und Gewichtung der Schuldfrage im Spannungsfeld von Heils- und Unheilsgeschichte« in seiner Untersuchung zu Ps 78 besonders berücksichtigt. 2 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 419 f. 3 Die Zweiteilung der Geschichtsdarstellung betonen auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 341–344, W ITTE, Exodus, 30–37, während FÜGLISTER, Rätsel, 274–276 und dessen Ansatz modifizierend WEBER, Psalm 78 (2000), 194–198 eher eine konzentrische Struktur herausarbeiten.
Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
37
Die komplexe Textstruktur des Psalms, bestehend aus der Geschichtsdarstellung in zwei Durchgängen einschließlich des didaktisch geprägten Proömiums, stellt den ersten Problemhorizont des Psalms dar. Sie ist in der Forschung häufig literarkritisch erklärt und der Psalm somit als mehrstufig gewachsener Text verstanden worden.4 Diesen zum Teil stark divergierenden literarkritischen Optionen ist ein an der Komposition des Endtextes 4 Zum Überblick der literarkritischen Positionen vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 340 Anm. 22 f. Dabei hat sich die literarkritische Analyse SPIECKERMANNs, Heilsgegenwart, 133–139 als Grundlage erwiesen, die insbesondere von H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 51– 100, 421–425 mit leichten Veränderungen weitergeführt und von WITTE, Exodus, 22–24 eingehend diskutiert und modifiziert worden ist. Spieckermann geht von einem Grundpsalm mit drei Fortschreibungen aus. Die erste Fortschreibung enthalte die Verse 3.4a.9– 11, die sich durch ihren lockeren Anschluss an ihren Kontext ausweisen und inhaltlich herausstreichen, dass das Wir der Sprecher nicht zu den Ungehorsamen, den Efraimiten, gehöre. Hinzu komme, dass sie stärker psalterkompositorisch im Hinblick auf die ersten drei Psalmenbücher ausgerichtet sei und mit V. 3 das Zitat aus Ps 44,2 in Ps 78 einschreibe. Die zweite Fortschreibung ergänze V. 21.28.30 f.40–49a.50aDbf.55b.59. Ihre Intention ist mit HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 425 folgendermaßen zusammenzufassen: 1. ergänze sie eine Anbindung an die vornehmlich priesterliche Überlieferung des Pentateuchs, 2. bringe sie die Konzeption vom Zorn Gottes als unmittelbare Strafaktion auf die vorgängige Sünde ein, und 3. sei sie am Verhalten Gesamtisraels orientiert. Die dritte Fortschreibung schließlich bestehe aus einzelnen Glossen: V. 19aC.49b.50aC.71aC. W ITTE, Exodus, 22–24 modifiziert die literarkritische Analyse Spieckermanns dahingehend, dass er von zwei Fortschreibungen ausgeht. Der Prolog V. 1–11 gehört für ihn abgesehen von den Efraimversen 9–11 zum Grundpsalm. Die Einschreibung dieser Verse macht seine erste Fortschreibung aus. Die zweite Fortschreibung bestehe aus der Redeeinleitung in V. 19a und der Ausformulierung der wörtlichen Rede in V. 20–21 sowie aus V. 28.30–31 und gestalte somit die Manna-Wachtel-Episode aus. Ähnlich sei ihr auch der Einschub der Plagenreihe zu verdanken (V. 43–51), durch die Jhwhs Machterweise in Ägypten ausgestaltet werden. Hinzu komme aus metrischen Gründen V. 55b und die Glosse in V. 71aC. SEYBOLD, Psalmen (HAT), 309 geht wiederum von einem dreistufigen Wachstum des Textes aus. Die Grundstufe enthalte eine epische Dichtung aus vorexilischer Zeit, deren Intention eine Ätiologie des Untergangs des Heiligtums im efraimitischen Schilo darstelle. Diese Dichtung sei in der Exilszeit deuteronomistisch überarbeitet und zu einem Klagelied der Gemeinde umgestaltet worden. Dazu wurden V. 10.11.17.22.32.42.56 eingefügt, durch die der Psalm kehrversartig in Strophen gegliedert werde (allerdings fehlt der Kehrvers nach V. 51.64). Hinzu komme die Vertauschung von V. 43–51 und V. 5–11, so dass die Perikope von Gesetzgebung und Bundesschluss zum Gebot der Verkündigung der Taten Jhwhs werde. In einer dritten Bearbeitung werde die deuteronomistische Klage von einem Weisheitslehrer aufgenommen, die Lehreröffnung in V. 1 f ergänzt und somit zu einer öffentlichen Lehrrede umgestaltet. Auf die gleiche Hand gehe vermutlich auch die Ergänzung der vorexilischen Dichtung um die judäische Perspektive aus V. 65–72 zurück. Vgl. dazu auch ausführlicher SEYBOLD, Poetik der Psalmen, 221– 226. Ähnlich auch SCHREINER, Geschichte, 312–326, der von einem Hymnus der Heilstaten Jhwhs in der Geschichte (V. 12.44–51.13–16.23–28.54 f.68–72) ausgeht, der durch die Einfügung der Verschuldung des Volkes (V. 17–22.30–42.56–67 sowie die überleitenden Verse 29.43) einschließlich des Proömiums in V. 1–11 ausgebaut worden sei.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
orientierter Ansatz gegenübergestellt worden, dessen Fokus auf der Integrität des komplexen Textgefüges liegt, um die Intention des Gesamtpsalms herauszustellen.5 Der zweite Problemhorizont des Psalms hängt mit dem zweifachen Durchgang durch die Geschichte von der Wüstenzeit bis zur Einsetzung Davids zusammen, der die Datierung des Psalms betrifft und von einer vorexilischen Ansetzung bis zu einer spätnachexilischen Verortung des Psalms reicht.6 Ps 78 endet mit der Erwählung Judas, Zions und Davids (V. 65–72) als göttlicher Mandatar, die der Verwerfung Efraims bzw. Josefs gegenübergestellt wird. Mit diesem Davidbild endet die Reflexion der Geschichte. Gleichzeitig wird das babylonische Exil nicht explizit erwähnt. Sieht man nun in der Verwerfung Efraims und in der Erwählung Davids die hermeneutische Schlüsselkategorie des Psalms, sind dies Indizien für eine vorexilische Ansetzung des Psalms in die Zeit Hiskias oder Josias, d. h. kurz nach dem Untergang des Nordreichs. In diesem Fall dient die Erwählung Davids und Zions zur Neukonstituierung des Volkes nach der Katastrophe.7 Weist man aber diesen Ereignissen keine Schlüsselstellung zu und verweist stattdessen auf die Parallelen des Davidbilds zur Chronik sowie auf die umfangreichen Bezugstexte aus dem Pentateuch, wird der Psalm in die spätnachexilische Zeit datiert.8 5 Vgl. hier vor allem FÜGLISTER, Rätsel, 270–276, der den Text mit Ausnahme von V. 9 als kunstvoll gestaltete Einheit beschreibt, der eine konzentrische Struktur zugrunde liegt: V. 1–2: Lehreröffnung – A (V. 3–7) – B (V. 8.10–16) – C (17–31) – D (V. 32–39) – C´ (V. 40–55) – B´ (V. 56–64) – A´ (V. 65–72). Vor dem Hintergrund dieser Struktur folgert er: »Diese kunstvoll angelegte konzentrisch-spiegelbildliche Struktur kann nicht durch Zufall entstanden sein, und jede literarkritische Operation, die ihr nicht gerecht wird, ist ein Attentat.« (FÜGLISTER, Rätsel, 274) Ähnlich auch W EBER, Psalm 78 (2000), 194–198, der den Psalm als literarische Einheit betrachtet. Dabei geht er von zwei dreistrophigen Erzählbögen aus (V. 9–16; V. 17–23; V. 24–31 // V. 40–48; V. 49–55; 56–64), die durch drei Strophen unterbrochen werden: V. 1–4b; V. 32–39; V. 65–72. V. 1–4a rechnet er als Proömium. Ähnlich auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 48–69, der nach einer ausführlichen kolometrischen und literarkritischen Untersuchung des Psalms von einer »erweiterten Einheit« ausgeht, wobei die Erweiterungen in V. 5.7c.9–11 und in einer Glosse in V. 55 (›Stämme Israel‹ [ODUI\ \MEY]) bestehe. 6 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung der Positionen bei TATE, Psalms, 284–287. 7 So vor allem mit Nachdruck WEBER, Psalm 78 (2000), 209–214, der den Psalm zur Zeit Hiskias datiert mit der Intention einer Legitimation der David-Linie für die Nordreichflüchtlinge. So auch CLIFFORD, Zion, 137. FÜGLISTER, Rätsel, 293–297 datiert den Psalm in die vorexilische Zeit, in die Zeit Josias, und begründet dies mit der Konzentration auf den Zion bzw. den Tempel in Jerusalem sowie mit der Nähe zur hoseanischen Tradition (vgl. insbesondere Hos 3,5). SCHREINER, Geschichte, 317 und SEYBOLD, Psalmen, 307 setzen ihren jeweiligen Grundpsalm vorexilisch an. 8 Zur spätnachexilischen Datierung vgl. z. B. WITTE, Exodus, 37–39, SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 146–149, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 428–430, KRAUS, Psalmen I, 540 f, GUNKEL, Psalmen, 342, MATHIAS, Geschichtstheologie, 70 und KREUZER,
Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
39
Der dritte Problemhorizont betrifft den Umgang mit den in Ps 78 verarbeiteten Traditionen und Bezugstexten aus dem Pentateuch, deren Zuordnung eng mit der Frage des literarischen Wachstums des Textes sowie seiner Datierung zusammenhängt. Zu klären ist, ob Ps 78 bereits auf den gesamten nahezu vollständigen Pentateuch zurückgreifen konnte oder ob er, wie vor allem von Füglister herausgestellt, ausschließlich dem Jahwisten verpflichtet ist, während er das priesterschriftliche Material nicht aufnimmt.9 Darüber hinaus wird dem Psalm in seiner Endgestalt eine deuteronomistische und weisheitliche Prägung zugeschrieben.10 Diesen Zuschreibungen steht allerdings, wie sich in der folgenden Analyse zeigen wird, ein recht freier Umgang mit den Traditionen und Bezugstexten entgegen, durch den auf der Ebene des Endtextes ein umfassendes Gesamtbild des Handelns Jhwhs in Schöpfung und Geschichte gezeichnet wird.11 Der vierte Problemhorizont betrifft die psalterkompositorische Verortung von Ps 78 im Kontext der Asafpsalmen. Ps 78 ragt schon allein aufgrund seines Umfangs aus seinem literarischen Kontext heraus und ist von denjenigen, die die Asafsammlung zusammengestellt haben, ins Zentrum der Sammlung platziert worden, so dass ihm für das psalterkompositorische Verständnis der Asafpsalmen eine Schlüsselstellung zukommt. Dabei werden mit der Darstellung Jhwhs als Herr der Gesamtwirklichkeit von Schöpfung und Geschichte in Ps 78 die Geschichtsreflexionen, wie sie für die Asafpsalmen typisch sind und wie sie sich vor allem in Ps 74 und Ps 77, aber auch in Ps 80; 81; 83 finden, gebündelt und allein schon aufgrund ihrer Ausführlichkeit in dessen Mitte in besonderer Weise profiliert. Diese psalterkompositorische Fragestellung wird im letzten Teil des zweiten Kapitels untersucht werden.
Frühgeschichte, 236 f und aus formgeschichtlichen Erwägungen auch schon KÜHLEWEIN, Geschichte, 99. 9 Vgl. FÜGLISTER, Rätsel, 276–284. 10 Vgl. zur Diskussion HARTENSTEIN, Bedeutung, 340, insbesondere Anm. 23; vgl. weiter W ITTE, Exodus, 22–24 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 424–426. 11 So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 340 f, der im Hinblick auf deuteronomistische und weisheitliche Zuschreibungen von Ps 78 zu Recht betont: »Wichtiger als eine solche Zuschreibung erscheint mir jedoch für ein Verständnis der auf der Ebene der Endkomposition entfalteten Geschichtsschau die Frage nach übergreifenden Perspektiven in Ps 78 selbst.«
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
A. Der Text – Psalm 78 1 Ein Maskil. Von Asaf. Höre, mein Volk meine Weisung/Lehre, neigt euer Ohr den Worten meines Mundes! 2 Ich will öffnen meinen Mund mit einem (Mahn-) Spruch, ich will verkünden Rätsel aus (der) Vorzeit, 3 die wir gehört haben und verstanden und (die) unsere Väter uns erzählt haben. 4 (Sie) wollen wir nicht vor ihren Kindern verbergen, einer nachkommenden Generation erzählen: die Ruhmestaten Jhwhs und seine Macht und seine Wundertaten, die er getan hat. 5 Und er stellte ein Zeugnis auf in Jakob, und eine Weisung/Gesetz hat er in Israel eingesetzt, die/das er befohlen hat unseren Vätern, damit sie (unsere Väter) ihren Kindern bekanntmachen, 6 auf dass eine nachkommende Generation erkenne, Kinder – sie werden (erst) geboren – aufstehen12 und (sie/es) ihren Kindern erzählen 7 und auf Gott ihre Zuversicht setzen und die Taten Gottes nicht vergessen und seine Gebote bewahren 8 und nicht werden wie ihre Väter, eine widerspenstige und aufrührerische Generation, eine Generation, die ihr Herz nicht gefestigt hat und deren Geist Gott nicht treu gewesen ist. 9 Die Efraimiter, gerüstete Bogenschützen,13 haben sich umgewendet am Tag der Schlacht!
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LXX sowie die Peschitta vereinfachen die komplizierte Satzkonstruktion, indem sie statt durch ein ›waw‹ vor ›aufstehen‹ (ZPT\) den Atnach der Masoreten unterstreichen und mit ›und sie stehen auf‹ (ZPT\Z) einen neuen Satz beginnen lassen. Vgl. hierzu HIEKE, Weitergabe, 49. 13 Zu dem doppelten Status constructus der beiden Partzipien ›sich wappnen‹ (TYQ ) und ›schießen‹ (KPU) vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 418. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 134 Anm. 2 versteht ›sich wappnen‹ (TYQ) als erläuternde Glosse. Zur Bedeutung von ›sich wappnen‹ (TYQ) vgl. auch SEYBOLD, Psalmen, 307.
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A. Der Text – Psalm 78 10 Sie hatten den Bund Gottes nicht gehalten und weigerten sich, in seiner Weisung/Gesetz zu gehen. 11 Und sie vergaßen seine Taten und seine Wundertaten, die er ihnen gezeigt hatte. 12 Vor ihren Vätern hatte er Wunderbares getan im Land Ägypten, (im) Gefilde von Zoan. 13 Er spaltete (das) Meer und ließ sie hindurchziehen und stellte (die) Wasser hin wie einen Haufen/Wall. 14 Und er leitete sie in der Wolke am Tag und die ganze Nacht im Feuerschein. 15 Er spaltete Felsen in der Wüste und tränkte (sie) reichlich wie (mit) (Ur-) Fluten. 16 Und er ließ Bäche aus (dem) Fels herauskommen und ließ wie Ströme Wasser herabfließen. 17 Sie aber fuhren weiter fort, sich an ihm zu versündigen, sich aufzulehnen gegen den Höchsten im dürren Land. 18 Und sie versuchten Gott in ihrem Herzen, indem sie Speise forderten für ihr Leben. 19 Und sie redeten gegen Gott, sie sagten: »Vermag es Gott denn, einen Tisch zu bereiten in der Wüste? 20 Siehe, er hat einen Felsen geschlagen, so dass Wasser flossen und Bäche strömten. Aber vermag er auch Brot zu geben? (Und) ob er seinem Volk Fleisch zubereiten kann?« 21 Deshalb: Als Jhwh (das) gehört hatte, wurde er zornig, und Feuer war entbrannt gegen Jakob und auch Zorn war aufgestiegen gegen Israel. 22 Denn sie hatten sich nicht an Gott festgemacht/geglaubt, und sie hatten nicht auf seine Rettungstat vertraut. 23 Und er gebot Wolken droben (am Himmel), und Himmelstüren hat er geöffnet 24 und ließ über sie Manna regnen, um (es) zu essen, und Himmelskorn hat er ihnen gegeben.
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14 Die LXX verstärkt diese Intention des Textes, indem sie in V. 25 nicht ›Brot der Starken‹ (a\U\EDa[O), sondern ›Engelsbrot‹ liest und damit erneut die himmlische Herkunft der Speise hervorhebt. 15 LXX Symmachus und Hieronymus deuten die auffällige Ortsangabe ›am/im Himmel‹ (a\PYE) in das üblichere ›vom Himmel‹ um. Vgl. hierzu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 418. 16 LXX, Symmachus und Peschitta verändern das Suffix der dritten Person Singular in MT (sein Lager), das sich auf das Kollektiv Israels bezieht, in das Suffix der dritten Person Plural (ihr Lager), so dass das Volk gemeint ist und gleichzeitig ein Bezug auf Jhwh grammatisch ausgeschlossen ist. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 418.
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A. Der Text – Psalm 78 36 Und sie betrogen ihn mit ihrem Mund, und mit ihrer Zunge belogen sie ihn (immer wieder). 37 Ihr Herz aber war nicht fest bei ihm und in seinem Bund waren sie nicht treu. 38 Er aber (ist) barmherzig, er deckt (immer wieder) Schuld zu und er verdirbt/vernichtet nicht und vielfach hat er seinen Zorn ab-/umgewendet und nicht erregt seinen ganzen Grimm. 39 Und er dachte (daran), dass sie Fleisch (sind), Windhauch/Lebensatem, der dahingeht und nicht zurückkehrt. 40 Wie oft lehnten sie sich gegen ihn auf in der Wüste, erzürnten ihn in (der) Ödnis. 41 Und immer wieder versuchten sie Gott, und den Heiligen Israels kränkten sie. 42 Nicht haben sie seiner Hand gedacht, (des) Tags, an dem er sie vom Bedränger/Feind befreit hat, 43 an dem er in Ägypten seine Zeichen gesetzt hat, und seine Machterweise im Gefilde von Zoan. 44 Und er wandelte um zu Blut ihre Nilarme und ihre Bäche, dass sie nicht mehr (aus ihnen) trinken konnten. 45 Er sandte gegen sie Ungeziefer, und das fraß sie, und Frösche, die sie verdarben. 46 Und er gab (dem) Fresser ihren Ertrag und ihre Mühe/Ernte an (die) Heuschrecke. 47 Er erschlug durch den Hagel ihren Weinstock und ihre Maulbeerbäume durch den Frost/Schauer (?). 48 Und er lieferte aus dem Hagel17 ihr Vieh und ihre Herden den Blitzen.
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V. 52: Auszug: Der Hirte lässt die Herde aufbrechen V. 53: Leitung der Herde in der Wüste und Rettung vor den Feinden am Schilfmeer (!) (Ex 14,28; 15,9 f) V. 54: Einsetzung des Volkes als Kultgemeinde (Ex 15,17) V. 55: Landnahme und Landgabe (Ex 15,16) V. 56–64: Die Reaktion der Väter auf die Wundertaten und der Zorn Gottes V. 56: Scharniervers: KVQ (V. 41.18); KUP (V. 40.17.8); Z\O> (V. 35.17) V. 57 f: Die Versuchung der Väter im Land: Höhenkult und Bilderdienst V. 59: Zorn Gottes (>PY) V. 60 f: Verstoßen des eigenen Residenzortes unter den Menschen in Schilo V. 62–64: Auswirkungen des Zorns auf das Volk: Vernichtung durch das Schwert, so dass die gesellschaftlichen Grundordnungen zerstört werden V. 65–72: Verfehlung des Volkes – Erwählung und Verwerfung des Weltenherrschers V. 65 f: Aufwachen des Kriegers, der seine Bedränger (! anders V. 42) schlägt V. 67: Auswirkungen des Zorns auf das eigene Volk: Verwerfung Josefs, Nichterwählung Efraims V. 68–72: Das dreifache Erwählungshandeln Gottes V. 68a: Juda V. 68b–69: Zion und Gründung seines Heiligtums, das festgegründet ist wie Himmel und Erde V. 70–72: Erwählung und Einsetzung Davids als göttlicher Mandatar; Gott überträgt David die Leitung seines Volkes (Hirtenbild!); damit umfasst die Erwählung Davids wiederum das gesamte Volk und begrenzt die Verwerfung Efraims.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte – Komposition und literarische Genese von Psalm 78 1. Proömium V. 1–11 Das Proömium in V. 1–11 dient dazu, dass sich die Beter vor dem eigentlichen Durchgang durch die Geschichte der identitätsstiftenden Bedeutung der Geschichtstaten Jhwhs bewusst werden und ein vertiefendes Verständnis von Geschichte erlangen.27 Dabei basiert die Bedeutung von Geschichte darauf, dass Israel von Generation zu Generation der Wundertaten Jhwhs in der Geschichte gedenkt, diese weitergibt und somit die Grundlage für das heilvolle Gottesverhältnis jeder Generation legt. Dieses Phänomen einer geschichtstheologischen Reflexion am Beginn eines Psalms ist singulär und hebt Ps 78 schon von daher aus der Gruppe der Geschichtspsalmen hervor. Während die anderen Geschichtspsalmen Ps 105; 106 und Ps 135; 136 ihren Reflexionsgang durch die Geschichte hymnisch mit einem Aufruf zum Gotteslob beginnen, stehen in Ps 78 der Höraufruf und die didaktische Funktion des Proömiums im Vordergrund, in dem der Sprecher seinem Volk die Rätsel aus der heilvollen ›Vorzeit‹ (aGT\QP) verkünden will. Diese im Proömium entfaltete Weitergabe der Tradition wird anhand der vor allem im Danklied des Einzelnen bezeugten Kategorie des lobenden Weitererzählens (USV Piel) der Wunder- und Rettungstaten Jhwhs entfaltet (V. 3.4.6).28 In den Dankliedern des Einzelnen ist mit dem lobenden Weitererzählen (USV Piel) die Vergegenwärtigung der konkreten Rettungserfahrung des Einzelnen verbunden, die dieser vor der Gemeinde veröffentlicht (vgl. Ps 22,23; 107,17–22). Durch den Akt der Veröffentlichung im kultischen Rahmen des Dankes wird die individuelle Rettungserfahrung des Einzelnen paradigmatisch und in das kollektive Heilswissen der Gemeinde integriert.29 »Dieser Zusammenhang von göttlichem Machterweis und öffentlichem Bekenntnis hat den Sinn, das ›Wunder‹ der Rettung, das dem Beter widerfahren ist, als Paradigma der rettenden Macht JHWHs darzustellen und vor der Öffentlichkeit der Gemeinde, des Volkes und der ganzen Welt zu verkünden«. 30 Insofern ist in dem lobenden Weitererzählen (USV Piel) die von Janowski an Ps 30 entfaltete Theologie der Dankbarkeit 27 So auch W ITTE, Exodus, 26, der auf die paradigmatische Funktion der als Parabel entfalteten Geschichte aufmerksam macht. 28 Vgl. z. B. Ps 9,2.15; 22,23; 26,7; 107,22 und zu den weiteren Belegen CONRAD, Art. USV, 915 f. So auch FÜGLISTER, Rätsel, 286. 29 Vgl. hierzu J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 245 und H ARDMEIER, Tod, 305–307. 30 J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 304. Vgl. hierzu besonders Ps 22, in dem der Lobpreis des Geretteten (Ps 22,23–32) auf drei Klagegänge (V. 2–6.7–12.13–22) folgt, weil Jhwh den Armen ›gehört‹ hat. So JANOWSKI, Konfliktgespräche, 352 f. Damit wird diese Erhörung des Armen zur paradigmatischen Rettungserfahrung des Kollektivs.
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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enthalten. Sie besteht aus der Öffentlichkeit des Danks (vgl. Ps 30,2–6) und aus der Wende des Lebens (vgl. Ps 30,3 f.7–13), die durch die Vergegenwärtigung der Rettungserfahrung zum Ausdruck gebracht wird. Zudem enthält sie eine Zukunftsperspektive für den Beter (vgl. Ps 30,5 f.13), da die Erfahrung und Veröffentlichung der Rettung den Beter zur ständigen Dankbarkeit führt, sein Vertrauen auf Gott auf Dauer festigt und sich im Gotteslob manifestiert.31 In diesem Sinn ist das lobende Weitererzählen (USV Piel) in Ps 78,1–11 als Ausdruck des kultischen Danks zu verstehen. Zugleich wird es im Rahmen des Geschichtspsalms in dreifacher Hinsicht modifiziert. Erstens handelt es sich im Unterschied zum Danklied des Einzelnen in Ps 78 um die Vergegenwärtigung und Veröffentlichung kollektiver Rettungserfahrung, die als paradigmatische Rettungserfahrungen die Gottesbeziehung einer jeden Generation aufs Neue festigen sollen (Ps 78,7). Damit hängt zweitens zusammen, dass es nicht um Rettungserfahrung der jüngsten Vergangenheit geht, sondern, wie die Reflexionsgänge durch die Geschichte zeigen (V. 12–39.40–72), um die paradigmatischen Rettungstaten Jhwhs der Frühzeit. Drittens wird die Weitergabe der Rettungstaten Jhwhs generationenübergreifend ausgeweitet.32 Jeder Generation sind sie aufs Neue zu erzählen, um die Traditionsgemeinschaft Israels als Volk Jhwhs jeweils neu zu begründen. Insofern wird das aus der Toda übernommene Muster des lobenden Weitererzählens (USV Piel) der Rettungstaten Jhwhs in die Perspektive des Erzählens transformiert und ist durch die Versprachlichung, Vergegenwärtigung und Veröffentlichung der Rettungstaten Jhwhs identitätsstiftend für die vergangenen, die gegenwärtige und die zukünftigen Generationen Israels als Volk Jhwhs. Vor dem Hintergrund der Toda entwickelt Ps 78,1–11 also eine psalmenspezifische Geschichtshermeneutik, die als Anleitung zum Gotteslob zu verstehen ist.33 31
Vgl. zur Theologie der Dankbarkeit ausführlich J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 278–294. Vgl. in diesem Zusammenhang auch weiter die Ausführungen Janowskis zu Ps 116 in DERS., Dankbarkeit, 274–287. 32 So auch schon in dem eschatologisch ausgerichteten Schluss von Ps 22, vgl. bes. V. 31. 33 Ungeachtet des im Psalter behafteten ›lobenden Weitererzählens‹ (USV Piel), das sich in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur nicht findet, wird die Traditionsweitergabe häufig als deuteronomisch-deuteronomistische Erinnerungskultur beschrieben, so z. B. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 433. Stattdessen wird im Deuteronomium die Weitergabe der Tradition als ›lernen/lehren‹ ( GPO) beschrieben (vgl. Dtn 4,10; 5,1.31; 6,1; 11,19; 31,13.19.22). Eine nähere Analogie zur Traditionsweitergabe in Ps 78 findet sich in Joel 1,2 f. Auch Joel 1,2 f beginnt mit einem Höraufruf, der an die Ältesten gerichtet ist und in die Aufforderung zum ›lobenden Weitererzählen‹ (USV Piel) mündet. Erzählt werden soll, so J EREMIAS, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, 12, nicht nur die schreckliche Erfahrung der Heuschreckenplagen, sondern ihre Transparenz auf den ›Tag Jhwhs‹ hin und vor allem die Art und Weise ihrer glücklichen Überwindung. Dies bedeutet, so Jeremias, dass das Erzählen unabdingbar ist, weil es zur rettenden
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
Der Höraufruf in V. 1 beginnt mit zwei Imperativen, mit denen ein Sprecher ›mein Volk‹ (\P>) zum Hören auf ›meine Weisung‹ (\WUZW) und auf die ›Worte meines Mundes‹ (\S\UPD) aufruft. Dabei ist sowohl die herausgehobene Rolle des Sprechers, der das Volk als sein Volk anspricht, auffällig als auch die Aufforderung, auf die Weisung des Sprechers zu hören. In V. 2 wird der Höraufruf ausgestaltet, indem der Sprecher mit zwei Kohortativen in der ersten Person Singular den Aufruf zum Hören begründet, der in der Verkündigung eines ›(Mahn-)Spruchs‹ (OYP)34 sowie in der Verkündigung der Rätsel aus der Vorzeit (aGT\QP WZG\[) besteht. Dabei verweist der Begriff der Vorzeit (aGT)35 auf die heilvolle fundierende Frühgeschichte Israels, so dass bereits der Höraufruf die geschichtstheologische Perspektive eröffnet. Dass der Sprecher diese Taten Jhwhs als ›Rätsel‹ (WZG\[) bezeichnet, bedeutet zunächst, dass es um Ereignisse geht, die sich für die Beter nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch mittelbar durch die Verkündigung des Sprechers erschließen, wie diese im Zuge der Geschichtsreflexion entschlüsselt werden. Der Höraufruf steht im Zusammenhang verschiedener Vorstellungskomplexe und Bezugstexte. Es gibt sprachliche Parallelen zu Ps 49,2.5, zum Moselied in Dtn 32,1, zur prophetischen Literatur in Jes 1,2 und Jes 55,3 sowie zur späten Weisheit (Prov 3,1; 4,1f), so dass schon am Anfang des Psalms der freie Umgang mit dem Traditionsmaterial sowie dessen Kombination ins Gewicht fällt und sich eine eindeutige Zuordnung des Höraufrufs als weisheitliche Rede, als Prophetenrede oder als deuteronomistisch geprägte Rede als schwierig erweist.36 Der Psalm lässt dies bewusst in der Schwebe und eröffnet stattdessen durch seine vielfältigen Traditionsbezüge einen weiten Horizont, in dem die folgende Deutung der Wundertaten Jhwhs in der Geschichte verstanden werden soll. Dadurch changiert allerdings auch die Rolle des Sprechers, der zwar eindeutig aus dem Volk hervorgehoben ist, sich aber einer eindeutigen Zuordnung als Weisheitslehrer entzieht.37 ›Erkenntnis Jahwes‹ führen kann. Insbesondere dieser Aspekt findet sich auch in Ps 78, da hier das Erzählen der Wundertaten Jhwhs einschließlich des Vergessens der Väter zur Überwindung des Vergessens und zur Gotteserkenntnis führt. 34 Zum Begriff ›(Mahn-) Spruch‹ (OYP) vgl. WEBER, Psalm 78 (2000), 199, der dies auf die folgende Entfaltung der Geschichte bezieht und diese als Vergleichserzählung versteht (vgl. auch Ez 17,2; Hab 2,6; Sir 39,3). Ähnlich auch W ITTE, Exodus, 26. 35 Zu aGT vgl. KOCH, Qädäm, 254–259, der die durch den Begriff als heilvoll qualifizierte mythische Urzeit herausstellt. 36 So auch WEBER, Psalm 78 (2000), 199 f. 37 Anders W ITTE, Exodus, 25, insbesondere Anm. 12, der aufgrund der sprachlichen Überschneidungen mit der weisheitlichen Literatur in Ps 78 den weisheitlichen Traditionshintergrund als ausschlaggebend ansieht und den Sprecher als Weisheitslehrer bezeichnet. Vgl. zur weisheitlich-didaktischen Ausrichtung von Ps 78,1 f weiter BRIGGS/B RIGGS,
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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Aufgrund großer sprachlicher Übereinstimmungen stehen vor allem drei Bezugstexte im Vordergrund. Erstens ist im literarischen Zusammenhang des Psalters die sprachliche Übereinstimmung zum Höraufruf in Ps 49,2–5 auffällig. Doch während der Höraufruf in Ps 49,2 f an alle Bewohner des Erdkreises adressiert ist und während sich das Rätsel (KG\[ Singular!) und der (Mahn-)Spruch (OYP) in Ps 49,5 auf die anthropologische Dimension von Leben und Tod beziehen, die der Sprecher auflösen will, wird in Ps 78,2 mit den Rätseln der Vorzeit die geschichtstheologische Perspektive des folgenden Psalms eröffnet.38 Zweitens dürfte die Eröffnung des Moseliedes in Dtn 32,1 im Hintergrund von Ps 78,1 gestanden haben. Diese beginnt wie Ps 78,1 mit dem Imperativ Hifil von ›hören‹ (]D) und weist als Objekt ebenfalls die ›Worte meines Mundes‹ (\S\UPD) auf. Doch im Unterschied zu Ps 78,1 ist der Höraufruf des Moseliedes nicht an das Volk, sondern an Himmel und Erde als Adressaten gerichtet. Dennoch stellt sich der Sprecher durch die sprachlichen Bezüge zu Dtn 32,1 in die Tradition des Mose.39 Drittens weist Ps 78,1 eine Nähe zu Texten aus der späten Weisheit (Prov 3,1; 4,2) auf, da sich nur dort die Bezeichnung ›meine Tora‹ (\WUZW) nicht auf Gott, sondern auf einen Weisheitslehrer bezogen findet, der seine Weisung an seine Söhne/Schüler weitergibt. In diesem Sinn enthält der Höraufruf weisheitliche, prophetische, deuteronomisch-deuteronomistische sowie psalminterne Bezüge und eröffnet somit den Blick auf die gesamte Tradition, vor deren Hintergrund die folgende Reflexion über Geschichte (V. 3–12) sowie ihre Durchführung (V. 12–39.40–72) als (Mahn-)Spruch und Rätsel aus der Vorzeit entfaltet wird.40 V. 3 knüpft mit der Relativpartikel (UYD) an den Höraufruf an und kann sowohl auf die Rätsel aus der Vorzeit als auch kataphorisch auf die Beschreibung des Inhalts bezogen sein.41 Der Vers zielt auf die Legitimation Psalms II, 178, W EISER, Psalmen, 366, GUNKEL, Psalmen, 340, KITTEL, Psalmen, 263, C LIFFORD, Zion, 137 f, SCHREINER, Geschichte, 321 f, K ÜHLEWEIN, Geschichte, 89, SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 140, MATHIAS, Geschichtstheologie, 73–76 und HIEKE, Weitergabe, 57. 38 Vgl. dazu auch W ITTE, Exodus, 25. 39 W EBER, Psalm 78 (2000), 200.208 f geht noch einen Schritt weiter, indem er in Mose die autoritative Gestalt sieht, »in deren ›Sukzession‹, Autorität und Autorisierung diese ›Volkspredigt‹ als Parabel und Rätselrede ergeht« (W EBER, Psalm 78 [2000], 200). Diese Autorität Moses wird dann am Schluss des Psalms auf David übertragen. Anders W ITTE, Exodus, 25, der als Sprecher in Ps 78,1 einen Weisheitslehrer annimmt, der sich aufgrund des Zitats aus Dtn 32,1 in eine Linie mit Mose stellt, aber zugleich aufgrund von Dtn 18,15–21 nicht mehr direkt, sondern nur noch indirekt Gotteswort verkündigt. Vgl. weiter CLIFFORD, Zion, 130 f. 40 Vgl. hierzu weiter KRAUS, Psalmen I, 542. 41 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 421. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 134 Anm. 2 sieht die Relativpartikel nur locker in ihrem Kontext verankert und führt dies
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
des Sprechers, indem sich dieser in eine Linie mit den Vätern stellt, die ihm die Rätsel der Vorzeit weitererzählt haben, so dass die Gruppe, der der Sprecher angehört, diese verstanden hat. Mit dem ›lobenden Weitererzählen‹ (USV Piel) wird der geschichtstheologische Schlüsselbegriff für die Weitergabe der Tradition eingeführt, der zugleich das Verstehen der Rätsel der Vorzeit impliziert. Besonders signifikant ist der Subjektwechsel von der ersten Person Singular zur ersten Person Plural, durch die sich der Sprecher einem Kollektiv zuordnet, ohne dass das Kollektiv selbst näher beschrieben wird.42 Daher kann es sich bei ›unseren Vätern‹ (ZQ\WZEDZ) um eine Gruppe von Traditionsverständigen innerhalb des Volkes handeln, der der Sprecher angehört.43 Sie sind von ›unseren Vätern‹ (ZQ\WZEDZ) in V. 5 zu unterscheiden, mit denen die Generation des Anfangs gemeint ist. Für diese Annahme spricht, dass der Sprecher im Höraufruf aus dem Volk hervorgehoben ist und diesem gegenübertritt. Grammatisch denkbar ist aber auch die zweite Möglichkeit, nach der das Wir sowie die Bezeichnung ›unsere Väter‹ das gesamte Volk meint und sich der Sprecher mit dem Volk in eine Traditionslinie stellt, dessen Inhalt er den Betern weitergeben will. Eine eindeutige Zuordnung lässt der Psalm offen. Aus dem Gehörten erwächst die Aufgabe und Funktion dieser Gruppe von Traditionsverständigen in V. 4a, die darin besteht, das von den Vätern Gehörte ›ihren Kindern‹ (aK\QE) weiterzugeben. Wiederum ist die Traditionsweitergabe mit dem Begriff aus der Toda, dem ›lobenden Weitererzählen‹ (USVPiel), qualifiziert. Als Adressaten der Traditionsweitergabe werden ›ihre Kinder‹ (aK\QE) und im Parallelismus die ›künftige Generation‹ genannt, so dass das Volk als Ganzes in den Blick kommt. Dabei ist das in V. 1 angeredete Volk als ›mein Volk‹ (\P>) identisch mit den Adressaten der Traditionsweitergabe. Insbesondere durch das Suffix in der dritten Person Plural (›ihre Kinder‹ [ aK\QE]) wird erneut deutlich, dass sich die Gruppe, zu der sich der Sprecher zählt, als Gegenüber zum Volk versteht und als Mittler zwischen Gott und Volk steht.44 »Mit deren Aufgabe der Einschärfung der Überlieferungen kommt sowohl Autorität als Verpflichtung zum Ausdruck«. 45 darauf zurück, dass der Einschub durch den Begriff ›Vorzeit‹ ( aGT) auf eine Assoziation von Ps 44,2 zurückgeht. 42 Insbesondere dieser Subjektwechsel einschließlich der Rede von ›ihren Kindern‹ in V. 4b gilt bei SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 134 Anm. 2 und bei HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 421 f als Indiz für eine redaktionelle Bearbeitung der Verse 3–4a. 43 Vgl. hierzu auch die bei SEYBOLD, »Wir«, 231–243 aufgeführten Wir-Aussagen in den Asafpsalmen; vgl. weiter W EBER, Psalm 78 (2000), 201 und HIEKE, Weitergabe, 48 f. 44 Wenn mit dem Wir das Volk gemeint wäre, bliebe vor allen Dingen ungeklärt, warum dieses Volk in V. 1 zum Hören aufgerufen wird, wenn es doch in V. 3 f bereits gehört und verstanden hat. Vgl. hierzu auch WEBER, Psalm 78 (2000), 201. 45 W EBER, Psalm 78 (2000), 201.
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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In V. 4b wird der Inhalt des zu Erzählenden genannt. Erzählwürdig sind die ›Ruhmestaten Jhwhs‹ (KZK\ WZOKW), ›seine Macht‹ (Z]Z]>) und ›seine Wundertaten, die er getan hat‹ (KI>UYDZ\WZDOSQ). Dabei implizieren insbesondere die Wundertaten Jhwhs seine Heilstaten in der Geschichte, so dass die in V. 1 durch den Begriff der ›Rätsel aus der Vorzeit‹ (aGT\QPWZG\[) eröffnete Perspektive in V. 4b konkretisiert wird. Von daher wird in V. 3 f aus der Perspektive des Sprecher-Wir der ideale Vermittlungsprozess als Veröffentlichung und Vergegenwärtigung der Heilstaten Jhwhs nachgezeichnet, der von den Vätern über die Gruppe des Sprechers zum Volk bzw. zur zukünftigen Generation verläuft. Verbunden wird das aus dem Danklied übernommene Muster des Weitererzählens der Rettungstaten mit dem deuteronomisch-deuteronomistischen Ideal der Erinnerungskultur über drei Generationen (vgl. Dtn 4,9.25; 6,2), das in V. 5 f wiederholt wird.46 In V. 5–11 wird die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart und der damit zusammenhängenden Weitergabe der Überlieferung ausgeführt. Bei dieser Entfaltung in V. 5–11 handelt es sich genau genommen um eine geschichtstheologische Begründung, die die in V. 1–4 vorherrschende Perspektive des Sprechers verlässt.47 V. 5 setzt mit Jhwhs Handeln in der dritten Person Singular im Narrativ ein und beschreibt den von ihm gesetzten Beginn der Traditionsvermittlung in Jakob und Israel. Dabei stehen Jakob und Israel als Synonyme für das gesamte Volk. Entscheidend ist, dass in V. 5 nicht die Wundertaten oder Ruhmestaten aus V. 4 aufgegriffen werden, sondern diese durch ›Ordnung‹ (WZG>) und ›Weisung‹ (KUZW) konkretisiert werden. Dabei wird durch die Setzung der ›Ordnung‹ (WZG>), die priesterschriftlichen Hintergrund verrät,48 sowie durch die Setzung der ›Weisung‹ (KUZW), die auf deuteronomisch-deuteronomistische Literatur anspielt,49 indirekt auf die Sinaigesetzgebung Bezug genommen,50 die somit den Beginn der Traditionsweitergabe markiert. Diese Weisung und Ordnung hat Jhwh in V. 5 ›unseren Vätern‹ (ZQ\WZEDZ) befohlen, wobei 46 Zur Aufnahme des Drei-Generationen-Modells aus der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 433. 47 Anders WEBER, Psalm 78 (2000), der mit dieser Formulierung V. 4cd die erste Strophe beginnen lässt, dieser aber propädeutische Funktion für das Nachfolgende zuschreibt. 48 Vgl. Ex 25,16.21; 31,7.18; 32,15; 34,29; 40,20, vgl. hierzu weiter W ITTE, Exodus, 26. 49 Vgl. Dtn 1,5; 4,5.8.44; 17,18 f; vgl. weiter W ITTE, Exodus, 26. 50 Sprachliche Bezüge über die beiden Stichworte ›Ordnung‹ (WZG>) und ›Weisung‹ (KUZW) zur Sinaigesetzgebung finden sich z. B. in Ex 24,12; 25,16.21 f; 31,18; 32,15; 34,29 und Dtn 4,5. Dabei ist der priesterschriftliche Gebrauch, nach dem mit ›Ordnung‹ (WZG>) die Bundesbestimmungen bezeichnet werden, auffallend und unterstützt die indirekte Anspielung auf die Gesetzesoffenbarung am Sinai. Vgl. hierzu auch H ARTENSTEIN, Bedeutung, 336 Anm. 6. Zur Verwendung des Lexems ›Ordnung‹ (WZG>) vgl. SIMIANYOFRE, Art. GZ>, 1125–1128.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
diese Bezeichnung auf ›unsere Väter‹ (ZQ\WZEDZ) in V. 3 zurückweist. Zugleich aber wird durch den folgenden Kontext deutlich, dass die Väter in V. 3 und V. 5 nicht identisch sind. Handelte es sich in V. 3 um die Vätergeneration des Sprechers, handelt es sich in V. 5 nun um die Vätergeneration des Anfangs, denen Jhwh seine Tora und Weisung gegeben hat. Dass in V. 5 trotz der Differenz dennoch von ›unseren Vätern‹ (ZQ\WZEDZ) die Rede ist, hat seinen Grund darin, dass sich sowohl das Sprecher-Wir als auch die Beter mit den Vätern der ersten Generation identifizieren und sich als ihre Nachkommen verstehen.51 Die Anordnung der Tora impliziert auch ihre Weitergabe an die nächste Generation (aK\QE). Diese wird wie in V. 3 in einem Relativsatz bekräftigt, so dass auch syntaktisch ein Rückbezug auf V. 3 f hergestellt wird. Insofern wird in V. 5 einerseits der Beginn der Initiative Jhwhs mit seinem Volk in Bezug zur Sinaigesetzgebung beschrieben. Andererseits aber wird durch den terminologischen Rückbezug zu V. 3 f deutlich, dass Wundertaten und Ruhmestaten Jhwhs sowie seine Ordnung und Weisung keine sich ausschließenden Alternativen, sondern zwei Aspekte seines Handelns darstellen, die eng miteinander verwoben sind. In diesem Sinn ist die Tora durchlässig für die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte und umgekehrt weisen diese auf die Tora.52 Mit einem Finalsatz (>PO) in V. 6 f werden Sinn und Bedeutung von Jhwhs anfänglicher Tora-Setzung ausgeführt. Sie zielt nicht nur auf die Weitergabe von den Vätern an die Kinder, sondern erweist ihre Gültigkeit in der Weitergabe von Generation zu Generation (V. 6). Voraussetzung einer erfolgreichen Weitergabe der Überlieferung ist, dass die nachfolgende Generation die Bedeutung der Weisung für ihre eigene Generation ›erkennt‹ (>G\ Qal).53 Über die Wurzel ›>G\‹ wird ein Bogen zum ›Bekanntmachen‹ (>G\ Hif.) der Weisung in V. 5 sowie zum ›Verstehen‹ (>G\ Nif.) der Rätsel aus der Vorzeit in V. 3 geschlagen, so dass mit diesen drei Aspekten der Wurzel ›>G\‹ ›erkennen – bekanntmachen – verstehen‹ der mit der Traditionsweitergabe einhergehende Erkenntnisprozess nachgezeichnet wird: Die Väter verstehen die Wundertaten bzw. die Weisung Jhwhs (V. 3), machen sie ihren Kindern bekannt (V. 5), so dass diese wiederum die Bedeutung der Überlieferung für ihr eigenes Gottesverhältnis verstehen (V. 6). Die Weitergabe der Überlieferung selbst wird wie in V. 3 f mit dem aus der Toda übernommenem Muster des ›lobenden Weitererzählens‹ (USV Piel) qualifiziert. Die Veröffentlichung und Vergegenwärtigung der Rettungstaten Jhwhs führt zur Neubegründung der Traditionsgemeinschaft Israels als Volk Jhwhs, in dem eine jede Generation das Gehörte verstehend und zustimmend aufnimmt. Insofern wird die Weitergabe der Ret51
Vgl. WEBER, Psalm 78 (2000), 202. So auch WITTE, Exodus, 26 f. 53 So auch KÜHLEWEIN, Geschichte, 89 f. 52
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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tungstaten Jhwhs generationenübergreifend ausgeweitet, so dass auch die Kinder und Kindeskinder befähigt werden, auf Gott ihre Zuversicht zu setzen, seine Taten nicht zu vergessen und seine Gebote zu bewahren (V. 7). Dabei werden die ›Taten‹ (OO>P) Jhwhs und seine ›Gebote‹ (Z\WZFP) im Parallelismus verwendet und erweisen sich wie im Übergang von V. 4 zu V. 5 als zwei Aspekte des göttlichen Handelns, wobei die Taten Jhwhs seinen Geboten vorgeschaltet werden. Dies bedeutet, dass der Vergegenwärtigung und Veröffentlichung der Rettungstaten Jhwhs eine identitätsstiftende Bedeutung zukommt, durch die die Gottesbeziehung zwischen Jhwh und seinem Volk über die Generationen hinweg aufrechterhalten wird.54 Wenn dieses Ideal der Vergegenwärtigung und Veröffentlichung der Rettungstaten Jhwhs von Generation zu Generation außer Kraft gesetzt wird und die Rettungstaten Jhwhs vergessen werden, ist dies der Ausstieg aus dem kultischen Dank. Dieser Zusammenhang wird nun im Kontrast zu V. 7 in V. 8–11 entfaltet. Signifikant ist wiederum der Personenwechsel. Haben sich die Psalmenbeter im Zusammenhang der idealen Vermittlung der Überlieferung in die Kontinuität mit ihren Vätern gestellt und dies mit dem Suffix der ersten Person Plural (›unsere Väter‹) hervorgehoben, distanzieren sie sich in V. 8 von den Vätern und unterstreichen dies mit dem Suffix der dritten Person Plural (›ihre Väter‹), obwohl in V. 8 wie in V. 5 die Väter der ersten Generation gemeint sind. Durch diese Distanzierung wird die in V. 5f beschriebene Kontinuität von den Vätern des Sprecher-Wir mit den Vätern der Wüstengeneration gebrochen und dem in V. 5–7 beschriebenen Ideal die in der Überlieferung festgehaltene Ablehnung der Wüstengeneration entgegengestellt, indem diese als ›widerspenstige und aufrührerische‹ Generation (KUPZ UUZV UZG)55 bezeichnet wird (V. 8). Dadurch wird die Möglichkeit des Scheiterns und des Sichverfehlens einer Generation in den Beginn der Geschichte Jhwhs mit seinem Volk integriert und in den folgenden zwei Reflexionsgängen durch die Geschichte ausgeführt. Sie zeigen unmissverständlich auf, dass es sich bei den Vorfahren in der Wüste um eine gerade nicht dem Ideal entsprechende Generation handelt, die sich trotz der erfahrenen Wundertaten immer wieder an Gott verschuldet und seine Wundertaten vergisst. Zugleich zeigen die beiden Reflexionsgänge durch die Geschichte aber auch, dass die Verfehlungen der Väter zum integrativen Bestandteil der Gottesbeziehung werden, auf die Jhwh als Schöpfer von Himmel und Erde immer wieder mit seiner Barmherzigkeit reagiert (V. 38 f). Sprachlich und konzeptionell 54
Vgl. hierzu W ITTE, Exodus, 28 f. Die Bezeichnung der ›widerspenstigen und aufrührerischen‹ Generation ( UUZV UZG KUPZ) findet sich in der prophetischen Tradition in Jes 1,23; 30,1; 65,2; Jer 5,23; Hos 4,16; 9,12 sowie in dem Abschnitt über den widerspenstigen Sohn in Dtn 21,18.20. 55
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
sind V. 7 und V. 8.10 f aufeinander bezogen, indem das in V. 7 hervorgehobene Verhalten der glaubenden Väter mit dem Verhalten der schuldig gewordenen Väter in V. 8.10 f kontrastiert wird: ›unsere Väter‹ V. 7aC: Zuversicht auf Gott setzen (OVNa\I) V. 7aD: Taten Gottes (OD\OO>P) nicht vergessen ([NYDO) V. 7b: Gebote bewahren (Z\WZFPUFQ)
›ihre Väter‹ V. 8b: Gott/El nicht treu sein (PDDO) V. 11: seine Taten (Z\WZO\O>) und Wundertaten (Z\WZDOSQ) vergessen ([NY) V. 10: Bund nicht wahren (W\UEUPYDO) und Weisung nicht halten (KUZWEWNOODP)
Die Tabelle macht deutlich, dass das in V. 7 in dreierlei Hinsicht entfaltete Ideal jeweils mit einem Vers kontrastiert wird. Die auf Gott gesetzte Zuversicht (V. 7aC) wird durch die Untreue gegenüber Gottes Geist kontrastiert (V. 8b). Dem Nichtvergessen der Taten Jhwhs (V. 7aD) steht das Vergessen seiner Taten gegenüber (V. 11). Die Untreue der Väter gegenüber Gott wird mit den anthropologischen Kategorien von ›Geist‹ ([ZU) und ›Herz‹ (EO) beschrieben, die wie in Ps 51,12 »das gesamte intentionale Personenzentrum: Willen, Verstand und Gefühl«56 umfassen. Dabei werden die Kategorien von Herz und Verstand, die in Ps 51,12 auf die Verfasstheit des Einzelnen zielen,57 in Ps 78,8 auf das Kollektiv des Gottesvolkes ausgeweitet und bereiten die Reflexion über die Geschöpflichkeit des Menschen in V. 38 f vor. Diese Haltung der Väter, die in V. 8 als ›widerspenstig‹ (KUP)58 und ›nicht treu sein‹ (PD)59 beschrieben wird, wird in der Entfaltung der Geschichte 56 HARTENSTEIN, Gott als Horizont, 509. Vgl. weiter W ITTE, Exodus, 29. Zur ausführlichen Exegese von Ps 51 vgl. P FEIFFER, Herz, 293–311 und zu dem anthropologischen Begriff des Herzens JANOWSKI, Konfliktgespräche, 167–170. 57 Zu den im Hintergrund von Ps 51,12 stehenden prophetischen Reflexionstexten Jer 31,31–34 sowie Ez 26 f und der damit verbundenen Aufnahme und Aktualisierung prophetischer Anthropologie in Ps 51 vgl. P FEIFFER, Herz, 302–306. 58 Der Begriff ›widerspenstig sein‹ (KUP) ist ein Topos prophetischer Gerichtsrede, die sich bei Hos 14,1; Jes 1,20; 3,8; 50,5; 63,10; Jer 4,17; 5,23 findet. Im Geschichtsrückblick in Ez 20,8.13.21 kommt er gehäuft vor und dient als Interpretament der Verfehlungen der jeweiligen Generation. Zugleich handelt es sich bei ›widerspenstig sein‹ (KUP ) aber auch um eine Kategorie aus den deuteronomisch-deuteronomistischen Geschichtsrückblicken (Dtn 1,26.43; 9,7.23 f; 31,27). Ähnlich wie im Geschichtsrückblick in Ez 20 wird ›widerspenstig sein‹ (KUP) auch in den beiden Geschichtspsalmen Ps 78,8.17.40.56 und Ps 106,7.33.43 aufgenommen und als Deutekategorie für die Verschuldung des Volkes verwendet. 59 Der Begriff ›treu sein‹ ( PD im Hif.) ist, wenn er auf Gott bezogen ist, mit der Vorstellung eines absoluten Zutrauens verbunden, an dem die Existenz der Betroffenen hängt. Ein solches Zutrauen ist Gott vorbehalten. Denn wenn der Begriff im zwischen-
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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in V. 12–72 als strukturgebendes Leitwort immer wieder aufgenommen (V. 8.17.40.56 // V. 8.22.32.37), um das schuldige Verhalten der Väter zu benennen und dies damit auf das Proömium zurückzubeziehen.60 Dadurch werden diese beiden Kategorien zu geschichtstheologischen Schlüsselkategorien, mit denen das Verhalten der Väter in beiden Durchgängen durch die Geschichte bewertet wird. Insofern ist der Abschnitt V. 5–11 strukturell betrachtet noch einmal unterteilt. Auf die Heilssetzung Jhwhs folgt in V. 5–7 die ideale Weitergabe der Überlieferung als ›lobendes Weitererzählen‹ (USV Piel) und in V. 8.10–11 die Ablehnung dieses Prozesses durch die Väter. Das Proömium endet in V. 11b mit der Formulierung ›Wundertaten, die er sie sehen ließ‹ (aDUKUYDZ\WZDOSQ) und schlägt dadurch kompositorisch einen Bogen zurück zu V. 4b (›seine Wundertaten, die er getan hat‹ [KI>UYDZ\WZDOSQ]), so dass die Heilssetzung Jhwhs durch Tora und Ordnung in V. 5 sowie die daran anschließende Entfaltung der Traditionsweitergabe durch die Wundertaten Jhwhs gerahmt wird. Unterstrichen wird diese kompositorische Beobachtung dadurch, dass das für den Psalm elementare ›vergessen‹ bzw. ›nicht vergessen‹ auf die Taten Jhwhs in V. 7 und V. 11 und nicht auf seine Gebote bezogen ist, so dass wie in V. 5 Wundertaten Jhwhs der Tora und Weisung sprachlich und sachlich vorgeordnet sind. Daraus folgt der Anspruch, die Wundertaten Jhwhs nicht zu vergessen und dem möglichen Ausstieg aus dem kultischen Dank mit Gedenken und Weitergabe der paradigmatischen Rettungstaten Jhwhs entgegenzuwirken. Von daher muss das Proömium die Möglichkeit des Vergessens der Taten Jhwhs in grundsätzlicher Weise reflektieren und im Durchgang durch die Geschichte vom Vergessen der Väter erzählen (V. 17–31.56–64), um jede Generation aufs Neue zu ermahnen, nicht zu vergessen, sondern sich die Rettungstaten Jhwhs zu vergegenwärtigen. Aufgrund dieser oben beschriebenen dem Proömium zugrunde liegenden Komposition sind größere literarkritische Optionen auszuschließen.61 Gestützt wird die sprachliche Struktur durch ein Leitwortsystem, das vor allem V. 3–11 miteinander verbindet. Die beiden wichtigsten Leitworte sind ›das lobende Weitererzählen‹ (USV Piel) in V. 3.4.6 und die Wurzel menschlichen Bereich verwendet wird, hat er einen negativen Beigeschmack. Häufig findet er sich im Hifil in der erzählenden Literatur im Zusammenhang mit den Wundertaten Jhwhs (Ex 4,1; 14,31; 19,9; Num 14,11; Dtn 1,32; 9,23, siehe weiter Ps 106,12.24) sowie in der Weisheit. Im Nifal wird die Wurzel in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, zumeist aber in Bezug auf Personen und meint ›zuverlässig und beständig sein‹. Vgl. dazu weiter JEPSEN, Art.PD, 313–348. In Ps 78,22.32 wird ›treu sein‹ ( PD im Hif.) ebenso wie ›widerspenstig sein‹ ( KUP ) als strukturgebendes Leitwort verwendet, durch das die Schuld des Volkes zum Ausdruck gebracht wird. 60 Zur Darstellung der Leitworte in Ps 78 vgl. FÜGLISTER, Rätsel, 274–276. 61 Zu den literarkritischen Vorschlägen siehe oben Anm. 4.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
›>G\‹ (erkennen) in V. 3.5.6. Darüber hinaus ist das Proömium durch das Leitwort der Väter durchzogen, die in ihren unterschiedlichen Facetten geschildert werden (V. 3.5.8). Auch syntaktisch betrachtet erweist sich das Proömium als kohärent, indem die mit der Relativpartikel UYD eingeleiteten Sätze eine gleiche Funktion aufweisen: In V. 3.5 leiten sie den Vermittlungsprozess ein und in V. 4.11 rahmen sie den zweiten Abschnitt des Proömiums. Literarkritisch sind vor allem V. 3–4a und V. 9–11 aus dem Proömium herausgelöst worden.62 Doch die oben beschriebene Verknüpfung von V. 3f und V. 5–11 einerseits sowie die dargestellte Verbindung der Verse 7 und 8.10 f andererseits sprechen gegen diese literarkritische Option. Darüber hinaus sprechen vor allem die Verbindung durch das Stichwort ›vergessen‹ ([NY) in V. 7 und V. 11, das Stichwort ›Weisung‹ (KUZW) in V. 7 und V. 5 sowie die Wiederaufnahme des Bundes in V. 3763 für die Zugehörigkeit der Verse 8.10.11 zur Komposition.64 Dass das Vergessen der Väter ausführlicher als das Vertrauen der Väter auf die Wundertaten Jhwhs entfaltet wird, entspricht der folgenden Reflexion der Geschichte, die ganz unter dem Fokus der immer wieder schuldig gewordenen Vätergeneration steht, so dass in der Durchführung der Geschichte gerade nicht das ›lobende Weitererzählen‹ (USV Piel), und damit das Ideal, realisiert wird. Allein V. 9 fällt aus diesem syntaktisch und sprachlich beschriebenen Zusammenhang heraus und erweist sich insofern als eine Ergänzung, als dass die Generation der schuldig gewordenen Väter auf die Efraimiten, d. h. auf das Nordreich/Samaria, beschränkt wird.65 Dadurch erfahren die Beter vor der Reflexion ihrer Frühgeschichte, dass sich die dort beschriebene Schuldgeschichte auf die Geschichte des Nordreichs beschränkt, der die Erwählung Zions, Judas und Davids (V. 67–72) gegenübersteht. Damit entsteht an dieser Stelle eine Reduktion, die weder im Proömium in V. 1–11
62 So z. B. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 134 Anm. 2, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 424 f und W ITTE, Exodus, 23 f, der lediglich V. 9–11 als Fortschreibung betrachtet. 63 Vgl. zu V. 37 die Auslegung unter C.2.c) (S. 73ff). 64 Anders HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 422.425, die zwar einerseits betonen, dass V. 10 f Sprachmaterial aus der Grundschicht (V. 4d.5.7) aufnehmen. Andererseits dienen die Verse aber dazu, das Verhalten der Efraimiten zu beschreiben, und gehören demnach mit V. 9 zur ersten redaktionellen Bearbeitung des Psalms. Dadurch wird der Zusammenhang von V. 8 und V. 12 profiliert, durch den das in V. 8 beschriebene widerspenstige Verhalten der Väter narrativ ausgeführt wird. 65 So auch schon KITTEL, Psalmen, 263 f. Zur Literarkritik vgl. auch FÜGLISTER, Rätsel, 270, der nur V. 9 als Ergänzung betrachtet. Dass diese Ergänzung durch das samaritanische Schisma motiviert worden ist, ist möglich, kann aber nicht mit Sicherheit ausgesagt werden, vgl. dazu W ITTE, Exodus, 39.
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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angelegt ist noch sich in der folgenden Darstellung der Geschichte bestätigen lässt.66 Im Hinblick auf die im Proömium aufgenommenen Traditionen sind sowohl die Vielfalt des aufgenommenen Materials als auch der sehr freie Umgang mit ihr aufgefallen. Der Psalm greift bereits im Höraufruf auf deuteronomisch-deuteronomistische Literatur (vgl. Dtn 32,1), weisheitliche Literatur (Prov 3,1; 4,2), die Psalmen (Ps 44,2) und auf prophetische Traditionen (vgl. Jes 1,2; 55,3) zurück. Diese Traditionsvielfalt lässt sich auch im weiteren Verlauf des Proömiums beobachten. Mit der Schlüsselkategorie des ›lobenden Weitererzählens‹ (USV Piel) wird ein Topos aus dem Danklied des Einzelnen übernommen und auf die kollektiv erfahrenen Rettungstaten Jhwhs übertragen. Diese paradigmatischen Rettungserfahrungen sollen generationenübergreifend öffentlich vergegenwärtigt werden und dienen als identitätsstiftendes Fundament der Traditionsgemeinschaft. In diesen Rahmen des kultischen Dankes wird auch die aus der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur sowie aus der weisheitlichen Literatur bekannte Weitergabe der Tradition von den Eltern zu den Kindern integriert. Während die deuteronomisch-deuteronomistische Literatur die Vermittlung der Tradition aber vor dem Hintergrund der Sippe von Eltern zu Kindern entfaltet und in der Weisheit das Verhältnis von Lehrer und Schüler im Vordergrund steht, betrifft die Traditionsweitergabe in Ps 78 das gesamte Kollektiv. Diese zeichnet sich aber nicht nur durch das Gotteslob über die erfahrenen Rettungserfahrungen aus, sondern geht mit dem Wahren der Gebote einher. Insofern entwickelt Ps 78,1–11 eine von der Toda herkommende psalmenspezifische Geschichtshermeneutik, in der der kollektive Dank in die Perspektive des Erzählens transformiert wird. 2. Der erste Reflexionsgang: Die Barmherzigkeit des Schöpfers und die Fehlbarkeit seiner Geschöpfe (V. 12–39) Der erste Reflexionsgang entfaltet das Handeln des Schöpfers in der Geschichte und ist in drei Abschnitte untergliedert: Der erste Abschnitt in V. 12–16 beschreibt die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte. Der zweite Abschnitt in V. 17–31 fügt die ablehnende Reaktion des Volkes hinzu und der dritte Abschnitt in V. 32–39 bietet eine beide Abschnitte zusammenfassende Reflexion über die Fehlbarkeit der Geschöpfe und die Barmherzigkeit des Schöpfers.67
66 67
Siehe zur Auslegung von V. 67–72 C.3.c) (S. 94 ff). Zur Gliederung vgl. auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 109.
62
Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
a) Die Wundertaten des Schöpfers in der Wüste (V. 12–16) Der Reflexionsgang durch die Geschichte setzt die Beschreibung der schuldig gewordenen Wüstengeneration in V. 8 fort, indem er mit dem Stichwort ›ihre Väter‹ (aWZED) in V. 12 die in V. 8 benannten Väter aufnimmt. Zugleich wird durch die Formulierung ›er hat Wunderbares getan‹ (DOSKI>) ein weiterer Bogen zurück in das Proömium zu V. 4b geschlagen und signalisiert, dass die in V. 4b erwähnten Wundertaten im Folgenden entfaltet werden.68 Mit den beiden Ortsangaben ›Ägypten‹ (a\UFP) und dem ›Gefilde Zoan‹ (>FKGI)69 wird die geschichtstheologische Perspektive dann explizit eröffnet und der Blick auf die Anfänge der Heilsgeschichte Jhwhs mit seinem Volk gerichtet. In V. 13–16 werden diese Wundertaten Jhwhs in zweifacher Hinsicht beschrieben, wobei jeder Abschnitt in V. 13 und V. 15 mit dem Stichwort ›spalten‹ (>TE) eingeleitet wird. Dadurch werden zwei Aspekte des fürsorgenden Schöpfungshandelns Jhwhs zum Ausdruck gebracht.70 Der erste Abschnitt beginnt in V. 13 mit der Spaltung des Meeres, dem Durchzug der Israeliten und dem damit zusammenhängenden Begleitschutz durch Wolke und Feuerschein,71 so dass dieser Abschnitt in besonderer Weise den Aspekt des Schutzes und der Bewahrung vor Gefahr in den Vordergrund stellt. Der zweite Abschnitt in V. 15 f hingegen steht unter dem Aspekt der Fürsorge und des Versorgens des Schöpfergottes. Dies wird an der Überlieferung der Versorgung mit Wasser aus dem Felsen transparent. Die Rettung am Schilfmeer in V. 13a setzt mit der Überlegenheit Jhwhs über die Wasser ein, indem nahezu nüchtern das Spalten des Meeres sowie der Durchzug der Israeliten durch das Meer beschrieben werden. Dazu nimmt das Stichwort ›spalten‹ (>TE) im Zusammenhang mit der Rettung am Schilfmeer zunächst die priesterschriftliche Schilfmeererzählung aus Ex 14,16.21 auf.72 Dabei steht das Spalten des Meeres in Ex 14,16 im 68
Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 141. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 434 beziehen die Wundertaten nicht auf die folgenden Wundertaten, sondern auf die Plagen, die allerdings erst im zweiten Durchgang durch die Geschichte entfaltet werden (vgl. V. 43–51). Anders SEYBOLD, Psalmen, 310, DELITZSCH, Psalmen, 560 und HUPFELD, Psalmen II, 268 f, die die Wundertaten auf V. 13–16 beziehen. 69 Zur Ortsangabe vgl. DELITZSCH, Psalmen, 560 und HUPFELD, Psalmen II, 268. 70 Zum zweifachen ›spalten‹ (>TE) vgl. weiter KRAUS, Psalmen II, 544 f. 71 Zur Überlieferung von Wolke und Feuerschein in Ex 13,21 f vgl. T. KRÜGER, Meerwundererzählung, 519–533; B LUM , Feuersäule, 117–137; W. GROSS, Wolkensäule, 97– 122; WEIMAR, Meerwundererzählung, 148–164; HOUTMAN, Exodus, 253–256; G. FISCHER , Exodus, 151–153; DURHAM, Exodus, 182–187. 72 Zur redaktionskritischen Betrachtung von Ex 13,17–14,31 vgl. T. KRÜGER, Meerwundererzählung, 532. Vgl. weiter L. SCHMIDT, Studien, 19–33; JACOB, Exodus, 373–426; SCHARBERT, Exodus, 57–62; B LUM, Feuersäule, 117–137; DERS., Pentateuch, 256–262; W. GROSS, Wolkensäule, 97–122; LEVIN, Jahwist, 341–347; HOUTMAN, Exodus, 249–277;
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C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
Zusammenhang mit der Handlung Moses, der auf Geheiß Jhwhs seinen Stab hebt, um das Meer zu spalten. Ps 78,13 greift also auf die Spaltung des Meeres aus der Schilfmeererzählung zurück, nennt aber zugleich Jhwh als das eigentliche Subjekt der Handlung, während Mose im gesamten Psalm keine Bedeutung zukommt. So nimmt Ps 78,13 das Stichwort ›spalten‹ (>TE) aus der Exodusvorlage auf und versteht es als Schlüsselkategorie des Schilfmeerwunders, da sich im Spalten des Meeres die Herrschaft Jhwhs über die Wasser zeigt. Diese für Ps 78 charakteristische Zuspitzung des Schilfmeerwunders findet sich in ähnlicher Weise auch in der Volksklage in Ps 74,15.73 Ps 74,15 Du hast gespalten Quelle und Bach, du hast ausgetrocknet (die) immerfließenden Ströme.
Ps 78,13a
7 >TEº K7 ¼D O[QZ\½>P 7 YE$KÏK7 ÆD CW \DHW$UÇK@Q
a\>TE
Im Unterschied zu Ps 78,13 steht das Spalten des Meeres in Ps 74,15 aber ganz im Zeichen des Chaoskampfes,74 in dem sich Jhwh als Herr der chaotischen Elemente, der Wasser, erweist.75 Der endgültige Sieg Jhwhs FRETHEIM , Exodus, 146–161; G. FISCHER, Exodus, 144–165; DURHAM, Exodus, 182– 198; HYATT, Exodus, 147–162; CHILDS, Exodus, 215–239; BRUCKNER, Exodus, 128–136. 73 Vgl. darüber hinaus aber den Geschichtsrückblick in Jes 63,12 f, in dem ebenso wie in Ps 78,13 Jhwh Subjekt des Wasserspaltens und des folgenden Durchzugs ist. 74 Zum Vorstellungshintergrund des Chaoskampfes vgl. die religionsgeschichtliche Studie von PODELLA, »Chaoskampfmythos«, 283–329. Diese zielt auf den Nachweis, dass die Weltschöpfung nicht als Folge oder Resultat des Chaoskampfes verstanden werden kann. Vielmehr steht die Vorstellung vom Chaoskampf ganz im Dienst der Entfaltung der Königstitulatur Jhwhs. Dies bedeutet einerseits, dass sich die Weltschöpfung keinem Kampfgeschehen verdankt. Andererseits zielt die Verwendung des Chaoskampfes darauf, die Gewissheit des Königtums Jhwhs hervorzuheben, der auch den chaotischen Elementen überlegen ist (vgl. besonders den späten Ps 104). Insofern wird mit der Vorstellung des Chaoskampfes das welterhaltende und fürsorgende Handeln Jhwhs beschrieben. Ähnlich auch VOSBERG, Studien, 46–50. Zugleich differenziert Podella den Erhaltungsaspekt. Erhaltung im Normalfall bedeutet Regen, Ernte, Fruchtbarkeit; Erhaltung in der Krise bedeutet Chaoskampf. Deswegen werden die den Zion bedrohenden Völker auch mit Chaoskampfreminiszenzen charakterisiert (vgl. z. B. Jes 17,12–14; Ps 46,7). Vgl. zum Verhältnis von Schöpfung und Chaoskampf weiter Podealla, »Chaoskampfmythos«, 301–318. 75 So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 130, der von der Exodusthematik im mythischen Gewande spricht. Anders jüngst JANOWSKI, Doppelgesicht, 92 f, der das Spalten in Ps 74,15 nicht vor dem Hintergrund der Exodusthematik versteht, sondern schöpfungstheologisch. Nach Janowski geht es in Ps 74,15 zum einen um die Bewässerung der Erde durch Quellen und Bäche und zum anderen um die Trockenlegung der
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
über die chaotischen Elemente ist Ausdruck seines von Urzeiten an gegründeten Königtums (Ps 74,12), das durch das einmal besiegte Chaos auf ewig festgegründet ist und dessen Macht sich in den Heilstaten Jhwhs auf der Erde zeigt. Auch wenn in Ps 78,13 kaum Chaoskampfreminiszenzen enthalten sind, so zielen beide Psalmen doch darauf, die uneingeschränkte Herrschaft Jhwhs über die chaotischen Elemente herauszustellen. Geschieht dies in Ps 74,13–15 durch eine Aufzählung verschiedener chaotischer Elemente, wird in Ps 78,13 auf die Darstellung des Kampfes verzichtet und stattdessen die Tatsache der Herrschaft Jhwhs über die Wasser nüchtern festgestellt. Allein Ps 78,13b hält implizit die Vorstellung des Meeres als bedrohendes Element wach, indem Jhwh die Wasser wie einen Wall aufstellt. Mit diesem Motiv greift der Psalm auf Ex 15,8 zurück. Ex 15,8 Und durch den Wind deines Schnaubens haben sich Wasser aufgetürmt haben sich aufgestellt wie ein Wall von Strömen…
Ps 78,13b
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Von daher liegen Ps 74,13–1576 und Ps 78,13 f in ihrer Deutung des Schilfmeerliedes aus Ex 15 auf einer Linie,77 indem sie den Fokus ganz auf den Erweis der Herrschaft Jhwhs über das Chaotische richten, aber den in der Exodusüberlieferung zentralen Aspekt der Rettung vor den Feinden nicht explizit ausführen.78 Vielmehr ist die Rettung vor den Feinden aus der in Ps 74 und Ps 78 ausgeführten Herrschaft über die chaotischen Elemente ableitbar und bedarf daher keiner weiteren Explikation. Diese Herrschaft über die Wasser erweist sich für die Vorfahren als Schutz, wie dies anhand der Überlieferung von Wolke und Feuerschein in der Wüste rekapituliert wird (Ps 78,14).79 Chaoswasser, so dass die Umwandlung der chaotischen in die lebensförderlichen Wasser beschrieben wird. 76 Zum Zusammenhang von Ex 15 und Ps 74 siehe unten D.2.a) (S. 116 ff). 77 Zu den weiteren Bezügen zum Schilfmeerlied vgl. im Detail CLIFFORD, Zion, 129. 133–135, CAMPBELL, Psalm 78, 64 f, SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 141 Anm. 18 und FÜGLISTER, Rätsel, 281 f, der allerdings eine literarische Abhängigkeit von der priesterschriftlichen Schilfmeerzählung ablehnt. 78 So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 341. Nach Hartenstein wird durch die fehlenden Hinweise auf die feindlichen Ägypter die Manifestation von Jhwhs Dominanz über das Meer besonders profiliert. 79 Sprachliche Anklänge an Ex 13,21 sind vor allen Dingen dadurch gegeben, dass die Führung durch die Wolke in Ps 78,14 und Ex 13,21 mit ›führen‹ ( K[Q ) beschrieben wird. Vgl. weiter HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 434.
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Mit dem erneuten ›Spalten‹ (>TE) der Felsen80 beginnt in V. 15 der zweite Abschnitt, in dem die Versorgung mit Wasser aus dem Felsen parallel zum Schilfmeerwunder beschrieben wird. Wie bereits im Hinblick auf die Deutung des Schilfmeerwunders wird auch die Überlieferung von der Versorgung in der Wüste ganz auf die Wundertat Jhwhs selbst reduziert. Zunächst kommt die in der Überlieferung in Ex 17 enthaltene Untreue des Volkes noch nicht in den Blick. In V. 15 wird die Deutung der Versorgung mit Wasser aus dem Felsen als Parallele zum Schilfmeerwunder besonders deutlich, indem nicht nur die Handlung Jhwhs, das ›Spalten‹ (>TE), identisch ist – sich in V. 15 allerdings auf den Fels bezieht –, sondern indem auch das aus dem Felsen heraustretende Wasser als ›Urfluten‹ (WZPKW) bezeichnet wird. Durch diesen Vergleich wird zum einen die unbeschreibliche Fülle der Wasser zum Ausdruck gebracht, zum anderen aber wird der bedrohliche Charakter der Wasser festgehalten. Dieser bedrohliche Aspekt ist aufgrund der in V. 13 beschriebenen Herrschaft Jhwhs über die Wasser verlorengegangen. In V. 16 wird die Fülle der Wasser weiter ausgeführt, die dem lebensfeindlichen Ort der Wüste entgegenstehen.81 Somit werden die ersten beiden Wundertaten Jhwhs, die Rettung am Schilfmeer und die Versorgung mit Wasser aus dem Felsen in Ps 78,12–16, als Taten des Schöpfergottes gedeutet, in denen sich Jhwh als Herr der Wasser erweist.
80 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 141 Anm. 18 deutet den Plural von ›Fels‹ (UZF ) in Ps 78,15 als bewusste Distanz zur Erzählung in Ex 17,1–7, die weder sprachlich noch konzeptionell aufgenommen wird. Allerdings klingt über den Begriff ›Fels‹ (>OV) die Überlieferung aus Num 20 an (vgl. Num 20,8.10 f). 81 Vgl. zu dem Zusammenhang der chaotischen Wasser und ihrer Einbeziehung in die Versorgung der Erde Ps 104,10–18. Dieser in Ps 78 nur implizit zum Ausdruck gebrachte Zusammenhang wird in Ps 104 dahingehend expliziert, dass Jhwh den chaotischen Wassern einen Platz innerhalb seiner Schöpfung zuweist, sie damit in die Schöpfung integriert und zu lebenspendenden Wassern transformiert. Zu Ps 104 vgl. T. KRÜGER, »Kosmotheologie«, 55–57 f.61–69, JEREMIAS, Königtum, 45–50, K ÖCKERT, Beobachtungen, 264– 271.275–279 und R. MÜLLER, Wettergott, 213–235. Über die Verwendung des Stichworts ›spalten‹ in V. 15 wird, neben Ex 14,16.21 und Ps 74,15, mit Jes 48,21 ein dritter Traditionszusammenhang aufgenommen, vor dessen Hintergrund die Überlieferung des Wasserwunders in Ps 78,15 f gedeutet wird. In beiden Texten wird das Spalten des Felsens (UZF>TE; Plural in Ps 78,16) identisch beschrieben. Erstens liegt in Ps 78,15 wie in Jes 48,21 der Fokus allein auf der heilvollen Wundertat Jhwhs. Dies führt zweitens zu einer reichlichen Versorgung mit Wasser in der Wüste, als dem lebensfeindlichen Ort schlechthin, so dass das Volk keinen Durst leiden muss. Allerdings greift Ps 78 den für Deuterojesaja typischen Vorstellungszusammenhang des zweiten Exodus nicht auf. Anders FÜGLISTER, Rätsel, 282 f, der zwar auch eine konzeptionelle Nähe zwischen Ps 78,15 f und Jes 43,21 feststellt, allerdings, wenn überhaupt, von einer literarischen Beeinflussung umgekehrt davon ausgeht, dass Deuterojesaja von Ps 78 beeinflusst worden ist.
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b) Die Versuchung Gottes durch die Wüstengeneration und die Reaktion Jhwhs (V. 17–31) Der Abschnitt V. 17–31 beschreibt die ablehnende Reaktion der Väter auf die in V. 12–16 dargestellten Wundertaten Jhwhs. Dazu knüpft V. 17 über das Stichwort ›sich auflehnen‹ (KUP)82 an das Proömium in V. 8 an und bindet als Scharniervers den folgenden Abschnitt an das Proömium zurück. So wird die in V. 8 beschriebene Widerspenstigkeit der Wüstengeneration in V. 17 fortgesetzt, so dass die Wundertaten Jhwhs ohne Auswirkungen auf das Verhalten der Väter geblieben sind.83 Auch der syrische Göttername ›Höchster‹ (Z\O>) in V. 17b, stellt in konzeptioneller Hinsicht ein Scharnier dar, durch das V. 12–16 mit dem folgenden Abschnitt verbunden wird. Denn der Gottesname ›Höchster‹ (Z\O>) ist traditionsgeschichtlich mit dem Himmelsgott und Herrn des gesamten Kosmos verbunden, wie dies im Hinblick auf die Herrschaft über die Wasser in V. 12–16 ausgeführt worden ist: Die Bezeichnung des höchsten Gottes impliziert ein Pantheon, dem der Gott El als höchster Gott vorsitzt.84 Damit klingt nicht nur ein kosmologischer, sondern auch ein tempeltheologischer Aspekt an, der den gesamten folgenden Abschnitt durchzieht. In V. 18–20 wird die Verfehlung der Väter ausgeführt. Dazu wird in V. 18 die Schuld der Väter überschriftartig zusammengefasst, so dass dem Vers die Funktion einer Exposition für die folgenden Ausführungen in V. 19–31 zukommt.85 Diese Exposition enthält zwei Teile: In V. 18a wird das Verhalten der Väter zuerst im Zusammenhang des Psalms als Versuchung gegen Gott gedeutet. Damit wird mit dem Begriff des ›Versuchens‹ (KVQ)86 neben ›widerspenstig sein‹ (KUP, V. 8.17) eine weitere geschichtstheologische Schlüsselkategorie eingeführt (vgl. auch V. 41.56), mit der
Die Bezeichnung des Volkes als widerspenstig (KUP) findet sich vor allem in den deuteronomisch-deuteronomistischen Geschichtsreflexionen, vgl. Dtn 1,26.43; 9,7.23 f und Dtn 31,27 sowie darüber hinaus in der Überlieferung vom Wasser aus dem Felsen in Num 20,10.24 und im Rückblick auf das Haderwasser in Num 27,14. 83 Vgl. HUPFELD, Psalmen II, 269 f und DELITZSCH, Psalmen, 561. Zum Bezug von V. 17 zum Prolog vgl. W ITTE, Exodus, 31. 84 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der mit El und Eljon verbundenen Konzeptionen des Königsgottes vgl. W. H. SCHMIDT, Königtum, 23–28.58–64 und weiter HARTENSTEIN, Namen, 81–86, DERS., Bedeutung, 338–340, JEREMIAS, Königtum, 15–50 und J ANOWSKI, Heilige Wohnung, 35–45. 85 So auch schon DELITZSCH, Psalmen, 562. 86 Die Vorstellung, dass das Volk Gott versucht (KVQ), ist eng mit der Erzählung über die Wasser von Meriba in Ex 17,2.7 verbunden. Vgl. weiter die deuteronomisch-deuteronomistische Reflexion in Dtn 6,16 und Ps 95,8 f; vgl. darüber hinaus Num 14,22. Vgl. hierzu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 434. 82
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das Verhalten der Wüstengeneration gedeutet wird.87 Wie in V. 8 wird auch die Versuchung Gottes durch die Väter auf einer anthropologischen Ebene reflektiert und betrifft, wie es mit der Bezeichnung ›Herz‹ (EO) festgehalten wird, den Kern der Person. Der zweite Teil der Exposition in V. 18b benennt konkret, worin die Versuchung besteht. Die Väter in der Wüste versuchen Jhwh, indem sie trotz der bereits erfahrenen Wundertaten Speise für ihr Leben fordern. Mit dem Stichwort ›Essen/Speise‹ (OND) ist das Leitthema des folgenden Abschnitts genannt. Dabei wird unter Rückgriff auf die Überlieferung von Manna und Wachteln aus Ex 16 und Num 11 wie bei der bereits erfahrenen Wundertat, der Versorgung mit Wasser aus dem Felsen, die fürsorgende und lebenserhaltende Funktion des Schöpfergottes herausgefordert. Allerdings geschieht dies nun im Unterschied zu V. 12–16 vor dem Hintergrund der schuldig gewordenen Väter. In V. 19–20 stellen die Vorfahren die Handlungsfähigkeit Jhwhs grundsätzlich in Frage. Sie zweifeln seine Wirkmacht mit einer rhetorischen Frage an, ob Jhwh es vermag, einen Tisch zu decken. Diese wird in V. 20 weiter ausgestaltet, indem der Vers das Wasserwunder aus V. 15 f aufnimmt und daraus die Frage ableitet, ob Jhwh, der Wasser aus dem Felsen fließen lassen kann, sein Volk auch in der Wüste mit Brot und Fleisch versorgen kann. Damit stellen die Vorfahren die Handlungsfähigkeit Jhwhs grundsätzlich in Frage. Im Hinblick auf die Komposition des Psalms sind in V. 19–20 drei Aspekte relevant: Erstens impliziert die rhetorische Frage der Vorfahren, ob Jhwh es vermag, ihnen in der Wüste den Tisch zu decken, die Metaphorik eines königlichen Mahls im Tempel, das der königliche Tempelherr Jhwh den Vorfahren bereitet (vgl. Ps 23,5).88 »Mit der Tischgemeinschaft beim Königsgott JHWH verbindet sich die Erfahrung einer Überfülle an Gutem und dauerhafter Lebensintensität.«89 Aus der die Wüstenzeit deutenden späten Perspektive des Psalms wird dieser Vorstellungszusammenhang der Mahlgemeinschaft mit dem Königsgott und die damit einhergehende Intensität der Gottesnähe auf die Situation der Wüstengeneration übertragen. Dies impliziert eine ins Kosmische entgrenzte Tempeltheolo-
87
Vgl. W ITTE, Exodus, 31 f, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 434, HUPFELD, Psalmen II, 270 und SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 142. 88 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der (Gast-) Mahlsymbolik sowie der damit verbundenen Theorie des Schaubrotrituals (Lev 24,5–9), wonach die jeden Sabbat erneuerten Brote als Anteil Israels am Tisch des Königsgottes durch die Priester verzehrt wurden, vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 342 und DERS., »Brote«, 110–119, besonders 118 f. 89 HARTENSTEIN, »Brote«, 119.
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gie,90 die bereits in V. 17 über den Gottesnamen ›Höchster‹ (Z\O>) angeklungen ist. Um ihre Forderung zu untermauern, nehmen die Vorfahren in V. 20 zweitens Bezug auf die Versorgung mit Wasser aus den Felsen aus V. 15 f und fordern die dort bereits erfahrene Fürsorge des Schöpfergottes erneut heraus. Signifikanterweise wird in V. 20 mit der Formulierung ›er schlug den Fels‹ (UZFKNK) sprachlich auf Ex 17,6 zurückgegriffen.91 Dadurch wird unterstrichen, dass der Fokus nun nicht mehr wie in Ps 78,15f allein auf den Wundertaten Jhwhs liegt, sondern auf dem Verhalten der Vorfahren, das bereits in Ex 17,6 durch Untreue zu Jhwh gezeichnet ist. Drittens ist die Forderung in V. 20 zweigeteilt. Diese zweifache Forderung nach Brot und Fleisch92 bildet sich in der in V. 23–29 beschriebenen Reaktion Jhwhs ab, der zuerst Himmelskorn regnen lässt (V. 23–25) und danach einen Fleischregen veranlasst (V. 26–29). Durch die aufeinander bezogenen Partikel ›deshalb‹ (NO) in V. 21 und ›ja/denn‹ (\N) in V. 22 wird der Erzählfaden aus V. 18–20 zunächst unterbrochen, um die Reaktion Jhwhs auf die Infragestellung seiner Handlungsfähigkeit zu schildern. Die an Jhwh gerichtete und von ihm gehörte rhetorische Frage löst seinen Zorn aus, der das gesamte Volk, Jakob und Israel, in Form seines Strafhandelns trifft.93 Mit der Begründungspartikel ›ja/denn‹ eingeleitet gibt V. 22 den Grund für das göttliche Zorneshandeln an, indem das Verhalten der Vorfahren in grundsätzlicher Weise als mangelndes Vertrauen auf seine Rettungstat gewertet wird. Durch die in V. 22a verwendete Wurzel ›PD‹ wird ein Bogen zur Untreue der Väter in V. 8 geschlagen. 90 Dies gilt auch für die spätpriesterschriftlich überarbeitete Erzählung in Ex 16, in der das Brot dem Rhythmus der siebentägigen Woche angepasst wird, indem es an sechs Tagen vom Himmel fällt und der siebte Tag ausgespart bleibt. Hinzu kommt, dass Mose Aaron anweist, Reste des Manna in einen Krug zu sammeln, um die zukünftige Generation an die Versorgung mit Manna zu erinnern. Vgl. hierzu auch weiter HARTENSTEIN, Bedeutung, 342. 91 Zur Überlieferung vom Wasser aus dem Felsen in Ex 17,1–7 vgl. J ACOB, Exodus, 490–494; SCHARBERT, Exodus, 72–74; LEVIN, Jahwist, 356–358; H OUTMAN, Exodus, 355–368; FRETHEIM , Exodus, 187–189; G. FISCHER, Exodus, 193–195; DURHAM, Exodus, 228–232; BRUCKNER, Exodus, 156–162.179–182. 92 Für Fleisch wird hier das seltene Wort › UDY‹ statt das in der Vorlage in Ex 16,3.8.12 und Num 11,4.13.18.21.33 üblichere ›UIE‹ verwendet. Der Grund hierfür liegt darin, dass ›UIE‹ im Zusammenhang der schöpfungstheologischen Reflexion in V. 32–39 für die Geschöpflichkeit des Menschen verwendet wird und von daher von der Nahrung durch Fleisch begrifflich unterschieden wird. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 435. 93 So auch JEREMIAS, Zorn, 76. Mit Jeremias ist festzuhalten, dass in Ps 78,21 zwar mit ›UE>‹ (Zorn), ›YD‹ (Glut/Feuer) und ›#D‹ (Zornesschnauben) sprachlich drei unterschiedliche Begriffe für Zorn verwendet werden, diese aber im Hinblick auf Bedeutungsnuancen des Zorneshandelns keine Differenzierungen aufweisen.
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Das Parallelglied V. 22b hingegen verankert die Schuld des Volkes in dem Zusammenhang der Wundertaten, die nicht zum Vertrauen des Volkes gegenüber Gott geführt haben, sondern im Gegenteil dazu, dass das Volk Jhwh mit der Forderung nach Brot und Fleisch erneut herausfordert. Für den Fortgang des Abschnitts bedeutet dies, dass durch die Aufnahme der Manna- und Wachtelüberlieferung das Folgende als Zorneshandeln Jhwhs gedeutet wird und sich damit von den in V. 12–16 entfalteten heilvollen Wundertaten unterscheidet. Sprachlich wird dies auch dadurch hervorgehoben, dass in V. 31 der Zorn Jhwhs erneut aufgegriffen wird und die Strafhandlung Jhwhs auslöst, so dass der Zorn Jhwhs den Interpretationsrahmen vorgibt, in dem die Forderung nach Brot und Fleisch sowie ihre Erfüllung gedeutet werden. Mit dieser Deutung greift Ps 78,21–31 vermutlich auf das bereits in Num 11,1–3 vorgefundene Zorneshandeln in Tabera zurück.94 Denn wie in Num 11,1–3 Jhwh die Klage des Volkes hört, die seinen Zorn auslöst, so hört Jhwh in Ps 78,21 die Forderung nach Brot und Fleisch, die sein Zorneshandeln auslöst. Diese ist allerdings im Unterschied zu Num 11 leitend für das gesamte Verständnis der Manna- und Wachtelüberlieferung.95 Unter den Vorgaben des Zorns Jhwhs sowie der Vorstellung des Kosmos als Tempel führen die Verse 23–31 nun die Gabe von Manna und Wachteln aus. Der Eljon als Herr des Himmels versorgt sein Volk und lässt sowohl Manna (V. 23–25) als auch Fleisch (V. 26–29) regnen.96 In V. 23 erweist sich Jhwh als Herr des Himmels und des Wetters, indem er den Wolken97 gebietet und die Himmelstüren öffnet (vgl. Gen 7,11; Mal 3,10), aus denen er Himmelskorn als Nahrung für sein Volk regnen lässt (V. 24). Dieser Brotregen steht im Kontrast zur Dürre der Wüste und verweist auf die vom Herrn des Himmels gewährte Lebensfülle, die sich in der Sättigung in Fülle ausdrückt (V. 25, vgl. Ex 16,8.12). Insbesondere die Vorstellung des Mannaregens ist eng an der Überlieferung aus Ex 16,4 orientiert, in der Jhwh ebenfalls Brot vom Himmel ›regnen 94
So auch HUPFELD, Psalmen II, 270; DELITZSCH, Psalmen, 561 und FÜGLISTER, Rätsel, 279. Zu Num 11,1–34 vgl. SCHARBERT, Numeri, 46–54. 95 Zu vermuten ist auch, dass Ps 78,20 ebenfalls auf Num 11,10 anspielt, da auch dort inmitten der Erzählung Jhwhs Zorn bereits aufkommt, seine Vollstreckung aber erst am Ende der Erzählung geschildert wird, so dass eine strukturelle Parallele zu Ps 78,21 vorliegt. 96 So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 19. Vgl. zu ›regnen lassen‹ (UMP Hif.) Gen 2,5; 7,4; 19,24; Ex 9,18.23; 16,4; Hiob 20,23; 38,26; Ps 11,6; 78,24.27; Jes 5,6; Ez 38,22; Am 4,7. 97 Das Stichwort ›Wolke‹ (T[Y) findet sich in der Mehrzahl seiner Belege in einem schöpfungstheologischen Zusammenhang oder verweist auf Jhwh als Herrn des Wetters, vgl. z. B. Dtn 33,26; Hiob 37,18.21; 38,37; Ps 18,12; 68,35; 77,18; 89,7; Prov 3,20; 8,28; Jes 45,8.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
lässt‹ (UMP Hif.).98 Die in Ps 78,24 als ›Himmelskorn‹ (a\PYJG) und in Ex 16,4 als ›Brot vom Himmel‹ (a\PYKP a[O, vgl. auch Ps 105,40; Neh 9,15) beschriebene Speise nimmt die Metaphorik der Tischgemeinschaft mit Jhwh aus V. 19 f wieder auf. Denn wie Jhwh im Tempel »Nahrung allem Fleisch gibt« (vgl. Ps 104,14 f.27 f; 136,25; 145,15 f; 147,7–9),99 »so kann er umgekehrt in der Welt als seinem Herrschersitz wie im Tempel Anteil an seiner Lebenssphäre gewähren«, 100 indem der Herr des Himmels dieser Forderung nachkommt und seinem Volk wie im Tempel in der Wüste Anteil an seiner himmlischen Speise und damit an seiner heilvollen Gottesnähe gibt. Damit erweist er sich wie in Ps 78,12–16 erneut als Herr des gesamten Kosmos, der den lebensfeindlichen Ort der Wüste in einen Ort der Lebensfülle und Gottespräsenz wandeln kann. In Entsprechung zur Sättigung mit Himmelsbrot wird auch die Sättigung mit Fleisch ausgeführt. Wie in V. 25 erweist sich Jhwh auch in V. 26 als Herr des Wetters, indem er diesmal einen starken Ost- und Südwind herbeiruft, durch den er Fleisch wie Staub und ›Vögel‹ wie Meeressand auf sein Volk regnen lässt (V. 27). Die Bezeichnung ›geflügelte Vögel‹ (#QN #Z>) nimmt die nur noch in Gen 1,21 belegte Formulierung auf und verweist damit auf das Schöpferhandeln Jhwhs, das sich in der Versorgung der Seinen durch Himmelsbrot und Fleisch zeigt. Der Fleischregen fällt inmitten des Lagers, rings um ›seine Wohnungen‹ (Z\WQNYP). Dies impliziert eine konzentrische Heiligtumsstruktur, nach der sich die Wohnungen Jhwhs im Zentrum des Lagers befinden.101 Auf diese Weise wird erneut die tempeltheologische Metaphorik des königlichen Gastmahls aus V. 20 aufgenommen. Der als Schöpfergott handelnde Herr des Wetters versorgt nach V. 28 sein Volk an seinem heiligen Ort, der dadurch für Israel zum Ort der Lebensfülle wird. Im Unterschied zum Mannaregen in V. 24f, der vor allem auf die Entgrenzung der mit dem Tempel verbundenen Gastmahl-Metaphorik zielte, ergänzt die Versorgung mit Fleisch die Notwendigkeit des heiligen Ortes, an dem Israel aber gerade die fürsorgende Nähe 98
Anders SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 143 Anm. 22, der eine Abhängigkeit von Ex 16,4 von Ps 78,24 vermutet. Zur Diskussion der Manna- und Wachtelerzählung in Ex 16,1–36 vgl. L. SCHMIDT, Priesterschrift, 483–498; HARTENSTEIN, »Brote«, 116–120; J ACOB, Exodus, 454–490; L. SCHMIDT, Studien, 36–45; SCHARBERT, Exodus, 68–72; LEVIN, Jahwist, 352–355; RUPRECHT, Stellung, 269–307; G. FISCHER, Exodus, 181–193; HOUTMAN, Exodus, 316–355; FRETHEIM , Exodus, 181–187; DURHAM, Exodus, 215–228; HYATT, Exodus, 173–179; BRUCKNER, Exodus, 148–155. 99 Zum Motiv »der Nahrung gibt allem Fleisch« vgl. Metzger, Nahrung, 98–111 und weiter Kratz, Gnade, 1–40. 100 HARTENSTEIN, Bedeutung, 342. 101 Vgl. hierzu die Parallelität mit dem Zionspsalm Ps 46,5 f. Anders H OSSFELD/ZENGER , Psalmen 51–100, 418, die das Suffix wie in Num 11 auf Israel beziehen und vom Lager des Volkes ausgehen.
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des Herrn des Kosmos erfährt.102 In diesem Sinn verändert der Psalm auch seine Vorlage in Num 11 in dreifacher Hinsicht.103 Erstens ist in Ps 78,26 Jhwh Herr des Windes und der Fleischregen folgerichtig ein Machterweis des Schöpfergottes. In der Vorlage in Num 11,31 hingegen findet sich eine passive Formulierung, nach der ein starker Wind das Fleisch in das Lager trägt. Zweitens ist in Ps 78,28 nicht wie in Num 11,1.9.26f.30–32 vom Lager Israels, sondern vermutlich vom Lager Jhwhs die Rede, so dass die tempeltheologische Vorstellung in den Vordergrund rückt und die Erfahrung des fürsorgenden und versorgenden Schöpfergottes im Bereich seines heiligen Ortes liegt. Damit zusammenhängend fällt das Fleisch drittens direkt in das Lager Jhwhs und um seine Wohnungen herum und wird nicht wie in Num 11,31 vom Wind eine Tagesreise vom Lager entfernt getragen.104 In V. 29a wird entsprechend zum Mannaregen in V. 25 die ›Sättigung in Fülle‹ ergänzt. Diese wird aber in V. 29b negativ als Sättigung der Gier des Volkes gedeutet.105 Über das Stichwort ›Gier‹ (KZDW), das auch in der Erzählung in Num 11,4.34 den Interpretationsrahmen um die Versorgung mit Fleisch bildet, wird der zunächst heilvollen Sättigung in Ps 78,25 die schuldhafte Haltung der Väter hinzugefügt, wodurch der Zusammenhang aus V. 17–22 wieder aufgenommen wird. Dies bedeutet aber, dass die Verse 23–29a zunächst in Entsprechung zur Versorgung mit Wasser aus dem Felsen die Versorgung mit Himmelsbrot und Fleisch als heilvolle Wundertat des Schöpfergottes verstehen,106 die allerdings aufgrund der Verfehlungen des Volkes eine andere Wendung erfährt (vgl. V. 30). Kompositorisch ist auffällig, dass die Versorgung mit Brot und Fleisch in V. 23–29a parallel zueinander entfaltet wird.
102 Die Bedeutung des heiligen Ortes bzw. des Tempels bei gleichzeitiger Entgrenzung der mit dem Tempel verbundenen Präsenzvorstellungen Jhwhs wird am Ende des Psalms in der Erwählung des Heiligtums, dessen Gründung an der Schöpfung orientiert ist, wieder aufgenommen (vgl. Ps 78,69). 103 Zur Überlieferung von der Forderung nach Fleisch in der Wüste in Num 11,1–34 vgl. SCHARBERT, Numeri, 46–54; SEEBASS, Numeri II, 20–56; NOTH, Numeri, 73–81; M ILGROM, Numbers, 82–93; RUPRECHT, Stellung, 269–307; KNIERIM , Numbers, 170– 178; COATS, Rebellion, 96–115; LEVINE, Numbers 1–20, 319–328.337 f; B UDD, Numbers, 117–131; ASHLEY, Numbers, 200–220; SNAITH, Leviticus and Numbers, 226–234; LEVIN, Jahwist, 374 f; ACHENBACH, Vollendung, 203–266; L. SCHMIDT, Numeri, 17–28. 104 Zur unterschiedlichen Formulierung in Num 11,31 f und Ps 78,26–28 vgl. FÜGLISTER , Rätsel, 280; vgl. weiter H UPFELD, Psalmen II, 271 f. 105 So auch in Ps 106,14 f, der, ohne das Objekt der Begierde, das Fleisch, zu nennen, die Überlieferung aus Num 11 ganz vor dem Hintergrund der Gier des Volkes versteht. Vgl. hierzu die Auslegung in Kapitel 3 B.3.c)bb) (S. 206 ff). 106 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 142, der ebenso hervorhebt, dass Gott trotz der auflehnenden Haltung unbeirrbar gnädig mit Speisungswundern reagiert, die dem Wasserwunder in nichts zurückstehen.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
Mannaregen (V. 23–25) V. 23: Jhwh als Herr des Himmels und des Wetters gebietet den Wolken und öffnet die Himmelstüren. V. 24: Jhwh lässt in der Wüste (!) Manna, das Himmelskorn, regnen (vgl. Ex 16,4).
V. 25: Der Herr des Himmels sättigt sein Volk in Fülle (Ex 16,8.12) und gibt ihm durch die himmlische Speise Anteil an seiner heilvollen Präsenz (V. 23).
Fleischregen (V. 26–29) V. 26: Jhwh als Herr des Wetters lässt den Ost- und Südwind aufkommen. V. 27: Jhwh lässt Fleisch in Fülle regnen. V. 28: Jhwh lässt das Fleisch inmitten seines Lagers und seiner Wohnungen fallen, so dass die Vorstellungen des Mahls im Tempel aus V. 20 wieder aufgenommen werden. V. 29a: Jhwh sättigt sein Volk in Fülle.
V. 30 knüpft über das Stichwort ›Gier‹ (KZDW) an V. 29b an und bestätigt, dass die Gier des Volkes der heilvollen Sättigung entgegensteht. Denn obwohl Jhwh ihnen entsprechend ihrer Forderung gegeben hat, hat sich das Volk nicht von seiner Gier entfernt. Dies führt zur Vollstreckung des Zorns, der die jungen und kräftigen Männer aus dem Volk tödlich trifft (V. 31). Dabei steht wie schon in V. 26–29 auch in V. 30 f Num 11,33 im Hintergrund. Auch in Num 11,33 wird beschrieben, dass das Volk von seiner Gier getrieben noch Speise zwischen seinen Zähnen hatte, wodurch der Zorn Gottes ausgelöst wird und er das Volk mit einer Plage straft. Diesbezüglich kann vermutet werden, dass die in Ps 78,31 beschriebene Strafe Jhwhs die Ausformulierung der in Num 11,33 genannten großen Plagen ist.107 Im Hinblick auf den in V. 21 bereits genannten Zorn bedeutet dies, dass das Volk den Zorn Gottes in Form seines Strafhandelns erfährt.108 Diese vor dem Hintergrund des königlichen Gastmahls gedeutete Versorgung in der Wüste mit Manna und Fleisch (Ex 16 und Num 11) impliziert die tempeltheologischen Konnotationen eines Opfermahls. Dementsprechend erweist sich Jhwh als Schöpfergott, der Nahrung ›allem Fleisch‹ überschüssig gibt, so dass ›alles Fleisch‹ Jhwh darauf mit entsprechenden Gaben und Lob und Dank antwortet. Dieser Zusammenhang wird aber durch die Gier der Vorfahren in der Wüste durchbrochen, so dass Jhwh mit seinem Zorn bzw. einer Plage strafend reagiert.109 107 Vgl. HUPFELD, Psalmen II, 272 und DELITZSCH, Psalmen, 562. An diesem Punkt unterscheidet sich die Deutung von Num 11 in Ps 106,14 f, die an einer narrativen Ausgestaltung kein Interesse hat, sondern die gesamte Überlieferung auf die Haltung der Gier reduziert, vgl. Kapitel 3 B.3.c)bb) (S. 206 ff). 108 So JEREMIAS, Zorn, 76. 109 Vgl. zur Bedeutung des Opfermahls H ARTENSTEIN, »Brote«, 110–120 und J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 284–294.
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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An den Zusammenhang der Verfehlungen des Volkes als Geschöpfe ihrem Schöpfer gegenüber einerseits und dessen Zuwendung zu seinen Geschöpfen andererseits knüpft der folgende Abschnitt an und bietet eine schöpfungstheologische Reflexion dieses Zusammenhangs. c) Die Verfehlungen der Geschöpfe und das Erbarmen und der Zorn des Schöpfers (V. 32–39) Der Abschnitt V. 32–39 setzt wie der vorherige mit einem Scharniervers in V. 32 ein und bindet das schuldhafte Verhalten der Wüstengeneration über V. 17 an V. 8 zurück. Dabei ist die Formulierung in V. 32a ›bei all dem sündigten sie noch/weiter‹ (GZ>ZDM[) sprachlich eng an V. 17a angelehnt und weist über die Begriffe ›noch/weiter‹ (GZ>) und ›sündigen‹ (DM[) Überschneidungen auf.110 In V. 32b wird der Unglauben der Väter den Wundertaten Jhwhs gegenüber bestätigt, indem über die Formulierung ›nicht glauben‹ (PDDO Hif.) ein Bogen zu V. 22 geschlagen und indem darüber hinaus über die ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) der Bezug zu V. 4.11 und zu den in V. 12 ausgeführten Wundern Jhwhs hergestellt wird.111 Insofern dienen die beiden Scharnierverse in V. 17 und V. 32 dazu, die Kontinuität der Schuld der Wüstengeneration herauszustellen. Wie sich die Väter in V. 17 trotz seiner Wundertaten weiter gegen Jhwh versündigen, so entspricht dies auch ihrer Reaktion in V. 32. Denn trotz der Versorgung mit Himmelsbrot und Fleisch und der damit aufgrund ihrer Gier einhergehenden Zornesstrafe ändern sie ihr Verhalten nicht und verfehlen sich weiter. So wird durch die Aufnahme der zentralen Kategorien ›sündigen‹ (DM[) und ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) aus den vorherigen Abschnitten das Bisherige zusammenfassend gedeutet: Es geht um die Verfehlungen der Väter im Angesicht der Wundertaten Gottes. In V. 33 wird vor weisheitlichem Hintergrund die Konsequenz der Verfehlungen als Minderung der Lebensqualität beschrieben, die eine Umkehrung des weisheitlichen Ideals eines erfüllten Lebens darstellt (vgl. Hiob 21,13; 36,11).112 Zugleich ist in dem durch den göttlichen Schrecken ver110 Mit W ITTE, Exodus, 33 ist zudem hervorzuheben, dass das in den Versen zuvor entfaltete frevelhafte Verhalten der Vorfahren in V. 17 und V. 32 mit der Formulierung ›sie sündigten weiter‹ (DM[ GZ>) zusammengefasst wird. Vgl. zum deuteronomistischen Sprachgebrauch in V. 32.39 M ATHIAS, Geschichtstheologie, 87 f. 111 Zu den von V. 32 ausgehenden sprachlichen Bezügen in den Psalm hinein vgl. auch W EBER, Psalm 78 (2000), 204 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 436 f und FÜGLISTER, Rätsel, 273 f. 112 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 436. Vgl. weiter Ps 37,20; 90,9; 102,4 und Hiob 7,7. In der späten Weisheit bei Kohelet wird der zentrale Begriff der ›Nichtigkeit‹ (OEK) aus der Perspektive des Menschen entfaltet und steht nach KRÜGER, Kohelet, 14 f zum einen für die Vergänglichkeit des Lebens und zum anderen damit zusammenhängend für die Nichtigkeit und Unsinnigkeit bestimmter Überzeugungen und
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
kürzten Leben auch ein schöpfungstheologischer Aspekt enthalten. Da Jhwhs Wirkmacht Leben und Tod umfasst, kann er durch den tödlichen Schrecken und das Nichts der Tage das Leben seiner Geschöpfe zurücknehmen (vgl. Ps 104,29). Dies bedeutet, dass die Gottesferne, wie sie das schuldhafte Verhalten der Vorfahren prägt, zur Rücknahme des Lebens führt. Mit V. 33 wird die schöpfungstheologische Reflexionsebene verlassen und erst wieder in V. 39 eingenommen. Die folgenden V. 34–38 beschreiben die Auswirkungen der Vergänglichkeit des Menschen auf der Ebene ihres geschichtlichen Handelns. Dazu wird in V. 34 der aus dem sogenannten Richterschema bekannte Zusammenhang von Strafe Gottes und Umkehr des Volkes aufgegriffen und sprachlich frei gestaltet.113 Die Fehlbarkeit der Geschöpfe und damit die geschichtlich konkret gewordenen Verfehlungen der Väter, wie sie anhand der Forderung nach Brot und Fleisch in V. 17–31 deutlich geworden sind, werden vorausgesetzt. Um dies zu untermauern, wird über die göttliche Strafe des Tötens (JUK) die Plage aus V. 31 wieder aufgenommen und nun die darauf folgende Umkehr des Volkes ergänzt, indem eine dreifache Hinwendung zu Jhwh beschrieben wird: Auf das Fragen nach Jhwh (YUG), das vermutlich impliziert, sich in der Klage erneut an Jhwh zu wenden,114 folgt zweitens die Umkehr (EZY) und drittens das Suchen (U[Y)115 im Sinne eines Anhangens an Jhwh. Diese erneute Hinwendung zu Jhwh führt in V. 35 zum Gedenken Jhwhs (UN]), d. h. zu einem umfassenden Bekenntnis zu Jhwh als dem Gott Israels. Dazu werden drei zentrale Bekenntnisaussagen aus der Tradition miteinander kombiniert: Erstens gedenken die Väter Gottes als ihres Felsens (UZF). Hierbei handelt es sich um eine
Wünsche des Menschen. Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit/Nichtigkeit führt den Menschen aber zur größeren Wertschätzung von Freude und Genuss in seiner Gegenwart (vgl. die Rahmung in Koh 1,2 und Koh 12,8). Im Unterschied dazu liegt in Ps 78,32 eine theozentrische Perspektive vor, durch die die Abhängigkeit des Lebens von der Schöpfermacht Jhwhs reflektiert wird. 113 So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 143 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 436 und HUPFELD, Psalmen II, 273. Zudem ist hervorzuheben, dass das Richterschema im Ganzen, das die Abfolge von ›Schuld – Strafe – Umkehr – Zuwendung Gottes‹ enthält, nicht aufgenommen wird. 114 Mit ›suchen/fragen‹ (YUG) wird der Begriff aus der prophetischen Gottesbefragung (vgl. z. B. 1Sam 9,9; 1Kön 22,7 f) aufgenommen, der aber ab der exilischen Zeit sowohl im Zusammenhang der Klage als ›sich in der Not an Jhwh wenden‹ (vgl. z. B. Ps 22,27; 34,5; 69,33) als auch im ganz umfassenden Sinn als ›Jhwh-Verehrung‹ im Unterschied zum Götzendienst (vgl. Jes 65,1.10; Mi 6,8; Ps 24,6) verwendet wird. Vgl. dazu GERLEMAN/RUPRECHT, Art. YUG , 460–467 und weiter ADAM , Unterwelt, 103–120. 115 Zum Begriff ›suchen/sehen nach‹ ( U[Y) vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 436, die vor allem den Aspekt des religiösen Anhangens herausstellen (vgl. z. B. Ps 63,2; Prov 11,27; Jes 26,9; Hos 5,15).
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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Vorstellung, die in den Bereich der Jerusalemer Kulttheologie gehört.116 Im Vordergrund steht der von Gott ausgehende Schutz. Zweitens gedenken sie Gottes als Eljon (Z\O>OD), womit die Vorstellung des höchsten Gottes, des Weltenherrschers und Schöpfers, angesprochen wird, die ebenso in der Jerusalemer Kulttheologie verankert ist.117 Und drittens gedenken sie Gottes als Lösers (ODJ). Diese Vorstellung gehört ursprünglich in einen familienrechtlichen Zusammenhang und setzt eine Blutsverwandtschaft zwischen Löser und dem zu Lösenden voraus. Von daher steht im Hintergrund der Einrichtung des Lösers die Pflicht zur verwandtschaftlichen Solidarität, indem der Löser für den wirtschaftlich in Not geratenen Verwandten eintritt.118 In Ps 78,35 besteht die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Gott und seinem Volk im Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf, wie sie in V. 38 f explizit ausgeführt wird. Von daher impliziert das Bekenntnis zu Gott als Löser das solidarische Eintreten des Schöpfers für seine Geschöpfe.119 Insofern führt die Umkehr also zu einem Gedenken, das auf den Schutz des Schöpfers seinen Geschöpfen gegenüber zielt.120 Dieses Gedenken (UN]) erweist sich allerdings in V. 36f als kein wahres Gedenken im Sinne des Bekenntnisses, sondern als dessen Perversion. Denn in V. 36 wird deutlich, dass es sich nur um ein Lippenbekenntnis handelt, bei dem die Vorfahren Gott mit ihrem Mund betrügen und mit ihrer Zunge belügen.121 Dieser aus der prophetischen Gerichtsrede in Jes 29,13 f und Jer 12,2 bekannte Vorwurf eines Lippenbekenntnisses, dem keine auf Gott vertrauende Haltung folgt,122 wird in V. 37 mit den Deutekategorien des Psalms weiter ausgeführt. Denn das Lippenbekenntnis in Vgl. dazu weiter VAN DER WOUDE, Art. UZF , 538–543. Zum Vorstellungshintergrund des höchsten Gottes (Z\O> OD) siehe die Auslegung zu V. 17 in C.2.b) (S. 66 ff). 118 Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund der Einrichtung des Lösers vgl. KESSLER, Erlöser, 194–197. 119 Diese verwandtschaftliche Beziehung von Schöpfer und Geschöpf, die das Eintreten des Schöpfers für seine Geschöpfe voraussetzt, steht auch im Hintergrund von Hiob 19,25 sowie von Jes 35,9; 41,14; 43,1.14; 44,6.22–24; 47,4; 48,17.20; 49,7.26; 51,10; 52,3.9; 54,5.8. Aus sozialgeschichtlicher Sicht zeigt KESSLER, Erlöser, 200–205 auf, dass Hiob, indem er Gott als seinen Löser rekrutiert, eine neue Gottesbeziehung konstituiert, die auf der Pflicht des mächtigeren Lösers zur Solidarität mit dem zu Lösenden beruht. Damit durchkreuzt Hiob die vom Satan gestellte Alternative der Gottesbeziehung, die entweder auf Haut um Haut basiert (Hiob 2,4.7) oder die Angewiesenheit des Ohnmächtigen auf den Mächtigen voraussetzt. 120 Aufgrund dieses Gedenkens beschreibt W ITTE, Exodus, 32 V. 35 »as a key verse for understanding the history and the theology of Ps 78«. 121 So auch schon GUNKEL, Psalmen, 341.345 und KITTEL, Psalmen, 265. 122 Vgl. dazu die Verheißung für den geretteten Rest Israels in Zef 3,13, der sich gerade dadurch auszeichnet, dass man unter ihm keine Lügenrede ( ZYOE]N in Zef 3,13 und Ps 78,36) mehr findet. 116 117
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V. 36 bedeutet letztlich nichts anderes, als dass die Vorfahren nicht fest bei Gott sind und seinem Bund nicht treu sind.123 Über diese Formulierungen ›ihr Herz war nicht fest bei Gott‹ (ZP>ZNQDOaEO) und ›dem Bund nicht treu sein‹ (ZW\UEE ZQPDQ DO) wird wieder die Beschreibung der Wüstengeneration aus V. 8 aufgenommen, die sich dadurch auszeichnet, dass sie ›ihr Herz nicht gefestigt hat‹ (ZEO\NKDO), ihr Geist ›Gott nicht treu war‹ (ODWDKQPDQDO) und sie in V. 11 den ›Bund‹ (W\UE) Gottes nicht gehalten hat. Insofern kommt V. 37 die gleiche Funktion wie den Scharnierversen in V. 17 und V. 32 zu, die ebenfalls auf die Beschreibung der Wüstengeneration in V. 8 als Gott gegenüber untreue Generation des Anfangs zurückgreifen, um deren Schuldverstrickung in der Frühgeschichte in verschiedenen Facetten zum Ausdruck zu bringen. Im Hinblick auf V. 37 zeigt sich darin, dass ein wahres Bekenntnis zu Jhwh als Fels, Eljon und Löser zum Bewusstsein der eigenen Geschöpflichkeit und zu einer Neuausrichtung zu Jhwh führen könnte, während die Perversion des Gedenkens, das Lippenbekenntnis, eine noch tiefere Verstrickung in die eigene Schuld nach sich zieht. Dies bedeutet, dass sich die Vorfahren weder ihrer eigenen Geschöpflichkeit und der damit zusammenhängenden Fehlbarkeit noch ihrer Schuldverstrickung bewusst sind. Dabei wird die anthropologische Dimension des mangelnden Bewusstseins der eigenen Geschöpflichkeit anhand der Kategorie des Herzens (EO) zum Ausdruck gebracht, während sich ihre in der Geschichte manifestierenden Auswirkungen durch die Untreue dem Bund Gottes gegenüber zeigen: Trotz Wundertaten und Zornesstrafe gibt es keine wirkliche Umkehr, kein wahres Gedenken, da die Verfehlungen zur Geschöpflichkeit und damit zur Geschichtlichkeit des Menschen gehören und Bestandteil der göttlichen Schöpfung sind. Insofern wird die Schuld der Vorfahren in V. 37 auf einer anthropologischen sowie geschichtstheologischen Ebene reflektiert, die beide in der Reaktion Jhwhs auf die Schuld seines Volkes in V. 38 f aufgenommen werden. Dazu wird auf der Ebene der Komposition das Gedenken der Vorfahren als Pseudogedenken entlarvt und mit dem wahren Gedenken Jhwhs in V. 39 kontrastiert. In V. 39 wird das Gedenken Jhwhs, in dem sich die Barmherzigkeit des Schöpfers zeigt (V. 38), zu seinem Zorn ins Verhältnis gesetzt.124 Dies geschieht in Anlehnung an die Gnadenformel aus Ex 34,6f, mit der »die
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So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 143, der hervorhebt, dass die erneute Hinwendung zu Jhwh bereits den Keim der Lüge in sich hat, vgl. weiter HUPFELD, Psalmen II, 272 f und MATHIAS, Geschichtstheologie, 88. 124 Auch J EREMIAS, Zorn, 76 betont, dass das Gottesvolk davon lebt, dass Gott seinen Zorn immer wieder zurückgehalten hat: »– ohne diesen Durchbruch des göttlichen Erbarmens wäre es längst verloren gewesen«. Vgl. zur Bedeutung von Jhwhs Zorn und seiner Güte ausführlich B ERGES, Zorn, 305–330, insbes. 321–325. Allgemein zum Zorn Gottes im Alten Testament vgl. W. GROSS, Zorn, 57–74.
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Prärogative der Barmherzigkeit Gottes vor seinem Zorn betont«125 wird. Allerdings wird in Ps 78,38 ausschließlich die ›Barmherzigkeit‹ (aZ[U) Jhwhs aufgenommen und nicht die gesamte Formulierung, die neben der Barmherzigkeit auch die ›Güte‹ (GV[) und seine ›Gnade‹ (ZQ[) nennt. Dieser Fokus zeigt sich auch in der weiteren Entfaltung der Barmherzigkeit Jhwhs, die nicht die göttliche Güte thematisiert, sondern in vierfacher Hinsicht die Begrenzung des göttlichen Zorns ausführt.126 Zunächst deckt Jhwh die Schuld zu (Z>USN). Hierbei handelt es sich um einen Terminus aus der prophetischen Gerichtsrede (vgl. Jes 22,14; 27,9; Jer 18,23), der die Vergebung Jhwhs beschreibt, ohne dass eine Umkehr des Volkes vorausgesetzt wird.127 Darüber hinaus wirkt sich der durch die göttliche Barmherzigkeit gebremste Zorn so aus, dass Jhwh sein Volk letztlich nicht vernichten wird (vgl. Dtn 4,31). Daraus folgt, dass Jhwh seinen Zorn immer wieder abwendet und dass er nicht seine ganze Zornesglut erregt. Insofern wird der in der Gnadenformel in Ex 34,6 f enthaltene Zorn Jhwhs in V. 38 paraphrasiert, indem betont wird, dass Jhwh zwar einerseits durch Zorn straft, wie die Vorfahren dies aufgrund der Gier nach Fleisch erfahren haben (V. 31), dass dieser Zorn aber andererseits durch seine umfassende Barmherzigkeit stets begrenzt ist und mit der Vergebung der Schuld einhergeht. Die geschichtstheologisch reflektierte Erfahrung der Barmherzigkeit Jhwhs in V. 38 wird im folgenden Vers schöpfungstheologisch vertieft. Dazu setzt V. 39 mit dem Gedenken (UN]) des Schöpfers ein, in dem seine volle Heilszuwendung enthalten ist.128 Der Schöpfer gedenkt der Vergänglichkeit des Menschen, der als sein Geschöpf auf ihn verwiesen ist, da er seinen Lebensatem nehmen und geben kann (Ps 104,27–30).129 Dies bedeutet aber, dass die Fehlbarkeit und damit auch die Geschichtlichkeit des 125
SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 143. Vgl. weiter Dtn 4,31 und Num 14,18–20. Darüber hinaus steht laut SEYBOLD, Psalmen, 311, HUPFELD, Psalmen II, 272 f, DELITZSCH, Psalmen, 562 und H OSSFELD/ZENGER , Psalmen 51–100, 436 f die Kundschaftererzählung aus Num 13 f im Hintergrund von Ps 78,32–39. 126 Mit ähnlicher Intention wird auch in Ps 106 auf die Gnadenformel Bezug genommen, indem sich der Langmut des göttlichen Zorns in der Kette der Verfehlungen in der Geschichte zeigt (vgl. Ps 106,13–42) und durch die Güte Jhwhs stets begrenzt wird (vgl. Ps 106,45). Eine andere Interpretation der Gnadenformel liegt demgegenüber in Ps 103 vor, in dem vor allem die Güte Jhwhs, die die Vergebung der Schuld impliziert, entfaltet wird. Siehe zu Ps 106 und zu Ps 103 Kapitel 3 C.2. (S. 259 ff). 127 Vgl. zu dem Terminus ›die Schuld zudecken‹ (Z> USN) J ANOWSKI, Sühne, 133– 137. Es geht nach Janowski nicht um eine rituelle Handlung. Das Sühnehandeln beziehe sich jeweils auf eine exzeptionell kritische Situation, in der es nicht um einen Teilaspekt des menschlichen Seins, sondern um das Sein des Menschen selbst gehe. 128 Vgl. zu diesem theologisch qualifizierten Gedenken Gottes J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 173–181. 129 Vgl. weiter Hos 6,4; 13,3; Hiob 7,9 f; 10,21.
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Menschen als anthropologisch verankerter Aspekt des Menschseins in sein Handeln als Schöpfer integriert ist, das folglich immer schon den Menschen als sich verfehlenden im Blick hat. Aufgrund dieses schöpfungstheologischen Begründungszusammenhangs können die Beter auf der geschichtstheologischen Ebene der Reflexion die Begrenzung des göttlichen Zorns durch seine Barmherzigkeit erfahren, die sich in der ständigen Versorgung seiner Geschöpfe trotz deren Verfehlung zeigt (V. 17–32). Von daher erweist sich das Gedenken des Schöpfers als eigentlicher Begründungszusammenhang für sein Handeln in der Geschichte.130 Denn an der Barmherzigkeit Jhwhs können die Beter den Schöpfer erkennen (vgl. Ps 103,14–16; Jes 57,14–21).131 So liegt in der auf die schöpfungstheologische Reflexion zulaufenden Begründung in V. 39 die »Schlüsselstelle für das Verständnis des Gesamtgeschehens«132 in Ps 78 vor. Dies hat sich im ersten Reflexionsgang in der Fürsorge des Schöpfers für die Seinen trotz der Verfehlungen seiner Geschöpfe gezeigt und wird im zweiten Reflexionsgang im Handeln des Weltenherrschers transparent.
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So auch schon DELITZSCH, Psalmen, 563. Auch in Ps 90 und Ps 103 wird der Zusammenhang der Vergänglichkeit des Menschen und der aufgrund dessen ihm zuteil werdenden göttlichen Güte bzw. Vergebung reflektiert, zu Ps 103 siehe Kapitel 3 C.2.a) (S. 259 ff). Darüber hinaus wird das Verhältnis von Zorn und Barmherzigkeit Jhwhs auch in dem spätjesajanischen Text Jes 57,14–21 schöpfungstheologisch begründet. In diesem Text wird noch deutlicher, dass das Zulassen des göttlichen Zorns die vollständige Vernichtung der Geschöpfe bedeuten würde und damit den Schöpfer selbst träfe. Zu Jes 57,14–21 vgl. weiter G ÄRTNER, Jesaja 66, 244– 262. Ein ähnlicher theologischer Zusammenhang findet sich in der Ergänzung Jer 33,25 f. In Jer 33,25 f werden die Barmherzigkeit Jhwhs und die Zuwendung zu seinem Volk (Verwerfung bzw. Exil aufheben, bestätigen der Daviddynastie) mit der Macht des Schöpfers begründet. Damit liegt der Fokus bei Jeremia im Unterschied zu Ps 78,38 f aber stärker auf der Bekräftigung der vom Schöpfer ausgehenden Macht und Herrschaft in der Geschichte. 132 HARTENSTEIN, Bedeutung, 342 f und besonders Anm. 27 (Hervorhebung von J. G.). Dabei ist V. 39 stets in Verbindung zu V. 38 zu sehen, da im Verhältnis dieser beiden Verse der Zusammenhang der geschichtstheologischen und schöpfungstheologischen Begründung des Handelns dargelegt wird, wie es in den beiden Reflexionsgängen durch die Geschichte entfaltet wird. Ähnlich auch schon KREUZER, Frühgeschichte, 237 und W ITTE , Exodus, 32. Witte sieht allerdings die theologische Schlüsselstelle in V. 35, versteht diesen Vers aber im engen konzeptionellen Zusammenhang mit V. 38 f: »If the theological perspective secures the knowledge and acknowledgement of God as the cornerstone of life and one’s own survival (v. 35), then the anthropological perspective secures the acknowledgement of one’s own status of creature (v. 39). The two perspectives are based on a common conception: that human beings are historically related to God.« (WITTE, Exodus, 32) Hinter dieser in V. 32–39 entfalteten Abhängigkeit des Menschen von der göttlichen Gnade steht nach Witte weisheitliche und spätdeuteronomistische Theologie. »The real mystery of history, which the psalmist proclaims in v. 2, is the mystery of God’s mercy« (W ITTE, Exodus, 33). 131
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3. Der zweite Reflexionsgang: Die Barmherzigkeit des Weltenherrschers und die Abtrünnigkeit seines Volkes (V. 40–72) Der zweite Reflexionsgang entfaltet nun das Handeln des Weltenherrschers an seinem Volk. Er ist parallel zum ersten Durchgang durch die Geschichte strukturiert. Der Abschnitt beginnt mit einem Übergang in den Versen 40– 43, die durch sprachliche Aufnahmen auf die vorherigen Abschnitte rückbezogen sind. Kompositionell besonders auffallend ist der Übergangsvers V. 43. Dieser nimmt die seltene Bezeichnung ›Gefilde Zoan‹ (>FKGI) und die Ortsangabe ›Ägypten‹ (a\UFP) aus V. 12 auf, so dass die Beter nun ein zweites Mal an den Beginn der Heilsgeschichte zurückversetzt werden.133 Diesem Übergang folgt wie im ersten Durchgang eine Dreiteilung: Der erste Abschnitt in V. 40–55 beschreibt das Befreiungshandeln Gottes. Dies zeigt sich zum einen in den Plagen als Zorneshandeln gegenüber den Bedrängern Israels (V. 44–51) und zum anderen in der Führung des Gottesvolkes durch die Wüste bis zur Landnahme (V. 52–55). Wie im ersten Reflexionsgang folgt auf die Wundertaten die ablehnende Reaktion des Volkes (V. 56–64). Dieser Abschnitt wird wie V. 17–31 mit einem Scharniervers in V. 56 eingeleitet. Der dritte Abschnitt schließlich enthält eine geschichtstheologische Reflexion, in der das Verhältnis von göttlichem Zorn und göttlichem Erwählungshandeln austariert wird, mit dem der Psalm schließt. a) Die Wundertaten des Weltenherrschers in Ägypten und in der Wüste (V. 40–43.44–56) Die Übergangsverse V. 40–43 fassen wie bereits die anderen Scharnierstellen (V. 17.32) das frevelhafte Verhalten der Väter zusammen und beziehen sich auf V. 8 zurück, so dass wiederum eine eindeutige Kontinuität zu der Generation des Anfangs hergestellt wird. Diese wird in V. 40a wie in V. 8 und V. 17 als ›widerspenstig/sich gegen Jhwh auflehnend‹ (KUP) beschrieben und knüpft somit an die Schuld der Vorfahren an. Auch die folgende Ortsangabe ›Wüste‹ (UEGP) weist in den Psalm zurück und verweist auf das Wasserwunder in V. 15 und auf die Forderung nach Speise in V. 19, so dass den Betern die ersten beiden Abschnitte des ersten Reflexionsgangs in Erinnerung gerufen werden. Das Parallelglied in V. 40b hingegen ist ohne Bezüge zum Vorherigen formuliert und modifiziert die Haltung der Vorfahren im Hinblick auf den folgenden Reflexionsgang, indem das Erzürnen Gottes sprachlich bereits das im Folgenden entfaltete Zorneshandeln Jhwhs anklingen lässt (V. 43–51.56–64).
133 Zur Markierung der zweifachen Geschichtsdarstellung durch die Ortsangaben ›Ägypten‹ und ›Gefilde Zoan‹ vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 341.
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In gleicher Weise ist auch V. 41 angelegt. In V. 41a wird die geschichtstheologisch entscheidende Kategorie der Versuchung Gottes (ODKVQ) aus V. 18 aufgenommen und wie in V. 40a betont, dass es sich auch hierbei nicht um einen einmaligen, sondern um einen sich ständig wiederholenden Vorgang handelt. Mit der Formulierung ›Gott versuchen‹ (ODKVQ) wird die zweite wichtige Deutekategeorie für das schuldhafte Verhalten der Vorfahren rekapituliert. V. 41b hingegen konkretisiert die Versuchung Gottes im Hinblick auf den folgenden Geschichtsdurchgang. Das Auflehnen der Väter bedeutet, dass sie den ›Heiligen Israels‹ (ODUI\ YZGT) kränken.134 Das Stichwort heilig (YZGT) wird im Folgenden in V. 54 im Zusammenhang mit dem Wohnort Jhwhs aufgenommen, so dass mit dieser Bezeichnung in V. 41b bereits eine kultische und eine auf den Kultort bzw. Residenzort Gottes bezogene Kategorie anklingt, durch die der Weltenherrrscher und sein Residenzort in den Vordergrund gestellt werden. Diese Tendenz setzt sich in V. 42 fort. Dabei wird in V. 42 zunächst auf das ›Nichtgedenken‹ (UN]DO) bzw. auf das ›Vergessen ([NY) der Vorfahren‹ in V. 11 und das Lippenbekenntnis in V. 35–37 Bezug genommen, das durch das heilvolle Gedenken Jhwhs in V. 39 kontrastiert worden ist. Gegenstand des Nichtgedenkens der Vorfahren sind aber nicht mehr das schöpferisch ordnende Handeln Jhwhs wie die Umgestaltung des Meeres und die ständige Versorgung der Seinen, sondern die Befreiungstaten Gottes. Diese haben die Vorfahren an dem Tag erfahren, an dem Jhwh sein Volk aus der Hand seiner Bedränger ›loskaufte‹ (KGS) und zugleich Zeichen und Machterweise in Ägypten (a\UFP) und im Gefilde Zoan (>FKGI) setzte. Beide Aspekte, die Befreiung aus der Gefangenschaft Ägyptens sowie die zu dieser Befreiung führenden Plagen, werden im folgenden Abschnitt V. 44–55 ausgeführt. Damit ist der Übergang vom ersten Reflexionsgang durch die Geschichte zum zweiten vollzogen, in dem nicht mehr der Schöpfer, sondern der Weltenherrscher, der die Geschicke seines Volkes lenkt, im Vordergrund steht. Zugleich aber wird durch die Rückbezüge zum ersten Reflexionsgang die Kontinuität im Hinblick auf die Schuld der Vorfahren deutlich, die sich gegen die ständige Versorgung des Schöpfers aufgelehnt haben und dies nun in gleicher Weise gegenüber den Befreiungstaten des Weltenherrschers tun. So wird die Schuldkontinuität der Vorfahren herausgestellt, auf die bereits das Proömium in V. 8.10 f zuläuft und die den ersten Reflexionsgang durch die Geschichte geprägt hat.
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HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 437.
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In V. 44–51 werden die in V. 43 erwähnten ›Zeichen‹ (WZD) und ›Machterweise‹ (WSZP) Jhwhs als Plagen ausformuliert.135 Dazu werden aus der Exodusvorlage sieben Plagen – die Umwandlung des Nilwassers in Blut, die Stechmücken, die Frösche, die Heuschrecken, der Hagel, die Pest und die Tötung der Erstgeburt – übernommen, die als Zorngericht Jhwhs an den Ägyptern, den Bedrängern Israels, gedeutet werden.136 Diese Deutung der Plagen wird durch drei Merkmale unterstrichen: Erstens wird durch die Häufung der Suffixe in der dritten Person Plural in V. 44–51 bei jeder Plage betont, dass sich diese gegen die Ägypter richtet und ihnen Schaden zufügt. Zweitens wird die Plagenreihe in V. 49 f unterbrochen, indem explizit das Handeln Gottes als Zorneshandeln qualifiziert wird. Wie in dem Versen 21 f, die den Erzählfluss unterbrechen und den Zorn Jhwhs als Interpretament einfügen, werden auch in V. 49f verschiedene Ausdrücke für den ›Zorn‹ (#DZU[, KUE>, a>]) zusammengestellt, um die nicht mehr zu steigernde Intensität des göttlichen Handelns herauszustellen. Drittens sind die Plagen so angeordnet, dass sie auf den Ausbruch des göttlichen Zorns zulaufen. Während die ersten fünf Plagen nur die Lebensgrundlage der Ägypter zerstören und ihre Lebensqualität mindern, bedrohen die sechste und siebte Plage (V. 50 f), die Pest und die Tötung der Erstgeburt, nach dem Ausbruch des göttlichen Zorns in V. 49 das Leben der Ägypter und treffen es vernichtend. Insbesondere diese letzten beiden Plagen erweisen sich als Ausdruck des vernichtenden göttlichen Zorns. Insofern deutet Ps 78 die Plagen als Demonstration der Gerichtsmacht Jhwhs, die zunächst die Ägypter trifft, die aber in den Versen 56–64 auf Israel übertragen wird. Exkurs: Die Plagen in Ps 78,44–51 und in Ex 7–12 In Ps 78,44–51 werden sieben der in der Exodusvorlage überlieferten zehn Plagen genannt (vgl. Ex 7–12).137 Die erste Plage, das Umwandeln von Nilwasser in Blut, ist sprachlich in deutlicher Anlehnung an die Exodustradition formuliert worden und bildet in beiden Plagenreihen den Anfang (vgl. Ex 7,14–25). Zugespitzt wird die Auswirkung der Plage 135 Zur Bezeichnung der Plagen als ›Zeichen‹ (WZD) und ›Machterweise‹ ( WSZP) vgl. Ex 7,3; Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8; 34,11; Ps 105,27; 135,9; Neh 9,10. Vgl. weiter TATE, Psalms, 292 f. 136 Vgl. auch JEREMIAS, Zorn, 76. Dies ist im Unterschied zur Plagenreihe in Ps 105,27–38, die als lokale Rücknahme der Schöpfungsordnung für Ägypten gedeutet wird, hervorzuheben. Vgl. zu Ps 105,27–38 Kapitel 3 A.3.c)cc) (S. 169 ff). 137 Zum Vergleich der Plagenreihe in Ps 78,44–50 und der Exodusvorlage vgl. L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 86–90; LEE, Context, 83–89; CLIFFORD, Zion, 134 und CAMPBELL, Psalm 78, 68–70. Zur Überlieferung der Plagen in Ex 7–12 vgl. weiter HOUTMAN, Exodus, 1–136, G. FISCHER , Exodus, 99–129, D URHAM, Exodus, 89–168, HYATT, Exodus, 96–139, CHILDS, Exodus, 121–177 und BRUCKNER, Exodus, 70–116.
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auf die Ungenießbarkeit des Wassers, wodurch den Ägyptern diese Lebensgrundlage genommen wird. Das Fischsterben wird nicht erwähnt. Damit steht das Verderben des Wassers im Kontrast zur Versorgung Israels in der Wüste mit Wasser in Fülle. In V. 45 werden mit der Stechmückenplage und der Froschplage zwei Plagen genannt, die im Unterschied zur Exodusvorlage in Ex 7,26–8,16 auf die Schädigung der Ägypter selbst zielen. Mit der zweiten Plage, den Stechmücken, die in Ex 8,16–28 die vierte Plage darstellt, wird die Reihenfolge aus der Vorlage variiert. Bei der Formulierung, dass die Ägypter von den Stechmücken gefressen (OND) werden, handelt es sich um eine Eigenformulierung des Psalms,138 durch die die weitere Einschränkung ihres Lebens herausgestellt wird. Auch die folgende dritte Plage der Frösche, die in der Exodusvorlage die zweite Plage darstellt (Ex 7,26–8,11), zielt auf eine Beeinträchtigung des Lebens der Ägypter. Im Unterschied zur Exodusvorlage wird hervorgehoben, dass die Frösche nicht nur Land und Leute bedecken, sondern die Ägypter vertilgen.139 Eingeleitet werden die zweite und dritte Plage in Ps 78,45 mit dem Stichwort ›senden/schicken‹ ([OY), wodurch ein Bezug zum Zorn Jhwhs in V. 49 entsteht, der ebenfalls mit ›senden/schicken‹ ([OY) eingeleitet wird. Da dieses Stichwort nicht aus der Exodusvorlage entnommen worden ist, handelt es sich wiederum um eine psalmspezifische Deutung dieser beiden Plagen. Gemeinsam ist den Plagen in V. 45 und dem Zorn Gottes in V. 49, dass sie das Leben der Ägypter selbst betreffen, während die anderen vor dem Ausbruch des göttlichen Zorns genannten Plagen nur die Lebensgrundlage der Ägypter zerstören. Von daher verweist die zweite Plage bereits auf die vernichtende Auswirkung des Zorngerichts an den Ägyptern, auf die die Plagenreihe durch die Pest und die Tötung der Erstgeburt in V. 50 f zuläuft. Im Hinblick auf die Vorlage handelt es sich damit um eine Verschärfung des Verständnisses der Frosch- und Stechmückenplagen, da sie sich in der Exodustradition in erster Linie auf die Schädigung von Land und Vieh und nicht auf die Schädigung des Menschen beziehen. In V. 46 folgt die vierte Plage, die Heuschreckenplage, die in der Exodusvorlage die achte Plage bildet (Ex 10,1–20). Sprachlich weist der Vers kaum Übereinstimmung mit Ex 10,1–20 auf. Dies betrifft sowohl das seltene Wort für ›Heuschrecken‹ ( O\V[, vgl. Joel 1,4; 2,25) sowie die ›Mühe/Ernte‹ (>\J\) und den ›Ertrag‹ (OZE\), die durch die Heuschrecken zerstört werden. Die Begriffe sind abstrakter als in der Exodusvorlage, in der sehr konkret ausgemalt wird, dass die Heuschrecken den vom Hagel geretteten Bestand des Landes und die Bäume fressen, das Land bedecken, so dass man es nicht mehr sieht, und die Häuser der Ägypter füllen (vgl. Ex 10,5 f). Diese Ausführungen werden in Ps 78,46 mit den Begriffen ›Ertrag‹ (OZE\) und ›Mühe/Ernte‹ (>\J\) zusammengefasst. Zudem wird die Heuschreckenplage in Ps 78,46 vor der Hagelplage genannt, während sie in der Exodusvorlage auf diese folgt und die Vernichtung der Lebensgrundlage fortsetzt.140
138 Das Stichwort ›essen/fressen‹ ( OND) findet sich in der Exodusvorlage im Zusammenhang der Heuschreckenplage in Ex 10,5.12.15. 139 Anders L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 89, nach dessen Zählung in V. 45 »die Stechfliegen und Frösche zu einer Plage des Ungeziefers zusammengezogen [werden], so daß die Ägypter nun durch die Fliegen gleichsam von oben und durch die Frösche, die an ihnen heraufkriechen, von unten belästigt werden«. Um dennoch auf sieben Plagen zu kommen, geht Schmidt in V. 48 nicht von der Hagelplage, sondern von der Viehpest aus. 140 Dass der Psalmist im Unterschied zur Exodusvorlage zuerst die Heuschreckenplage vor der Hagelplage erwähnt, ist nach L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 90 darauf zurückzu-
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In V. 47 f wird über zwei Verse die fünfte Plage, die Hagelplage, die nach der Zählung der Exodusvorlage die siebte Plage darstellt (Ex 9,13–35), entfaltet. Der Hagel zerstört wie in der Exodusvorlage Weinstock und Vieh. Darüber hinaus ist die sprachliche Gestaltung recht frei. Problematisch ist das Verständnis von › OPQ[‹, bei dem es sich um ein Hapax Legomenon handelt. Es wird von vielen Auslegern mit ›Frost/Schauer‹ (?) übersetzt und als Begleiterscheinung des Hagels verstanden.141 In V. 48 wird die Hagelplage mit demselben Begriff für Hagel ( GUE)142 aus V. 47 fortgesetzt und betrifft nun den Viehbestand der Ägypter. Vom Verständnis her mehrdeutig ist wie schon in V. 47 die zweite Vershälfte, da der seltene Begriff für ›Feuer/Feuerglut‹ ( #YU) in Dtn 32,24 und Hab 3,5 in Verbindung mit ›Fieberglut‹ sowie ›Pest und Seuche‹ steht, so dass man in V. 48 häufig keine Fortsetzung der Hagelplage, sondern die Plage der Viehpest annimmt.143 Dies wird durch den sprachlichen Konnex über das Stichwort ›ausliefern‹ (UJV), mit dem in V. 48 die Hagelplage eingeleitet wird und mit dem in V. 50b die Pestplage abgeschlossen wird, gestützt, da durch diese beiden Plagen eine Inklusion um den in V. 49 f beschriebenen Ausbruch des göttlichen Zorns entsteht. In diesem Sinn erweisen sich Hagel und Pest in besonders radikaler Weise als Realisierungen des göttlichen Zorns, durch die die Existenzgrundlage und das Leben der Ägypter vernichtet werden. Hingegen verweist die eindeutige Bezeichnung für Hagel in V. 48a darauf, auch in V. 48b Auswirkungen der Hagelplage auf das Vieh zu vermuten (vgl. Ex 9,1–7). In diesem Fall ist #YU als ›Feuerfunke‹ zu verstehen (vgl. Hiob 5,7; Ps 76,4; SapSal 8,6), der eine Begleiterscheinung des Hagelunwetters darstellt. Durch diese mehrdeutige Gestaltung von V. 48b werden Hagel und Pest als tödliche Folgen des göttlichen Zorns aufeinander bezogen. Durch die Ausgestaltung der Hagelplage über zwei Verse kommt ihr innerhalb der Plagenreihe ein besonderes Gewicht zu. Dieses besteht darin, dass sich im Hagel Jhwh erneut als Herr des Wetters zeigt, der im Unterschied zu V. 23 f.26 f kein Himmelsbrot und Fleisch regnen lässt, um sein Volk in der Wüste zu versorgen, sondern Hagel, durch dessen Gewalt der Ertrag des Kulturlandes (V. 47) und der Viehzucht (V. 48) der Ägypter vernichtet wird, so dass ihre gesamte Lebensgrundlage zerstört ist. Durch die Wettergottattribute, Hagel und Blitz als Waffen des Wettergottes, wird der Ausbruch des göttlichen Zorns in V. 49–50a bereits vorbereitet.144 Um die Fülle des Zorns auszudrücken, werden verschiedene Zornestermini miteinander kombiniert. In V. 49 wird die ›Glut des Zorns‹ (#DZU[) durch ›Wut‹ (KUE>), ›Grimm‹ (a>]) und ›Drangsal‹ (KUF) sowie eine ›Gesandtschaft von Unheilsboten‹ ( a\>U \NDOP W[OYP)145 näher bestimmt.
führen, dass es nach dem Hagel eigentlich keine Pflanzen mehr geben dürfte, die von der Heuschrecke gefressen werden könnten. 141 So DELITZSCH, Psalmen, 564, HUPFELD, Psalmen II, 275, SEYBOLD, Psalmen, 311 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 417. 142 ›GUE‹ bezeichnet eindeutig Hagel im Zusammenhang von Unwettern, vgl. z. B. Jos 10,11; Ps 18,13 f; 105,32; 148,8; Jes 28,2.17; 30,30. Anders FÜGLISTER, Rätsel, 277 f, der statt ›Hagel‹ (GUE) die Lesart ›Pest‹ (UEG) in V. 48 voraussetzt. 143 So L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 88–90; H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 437. 144 Anders L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 87 f, der V. 49 zur Pestplage zählt, die dadurch in besonders ausführlicher Weise ausgestaltet wird. Demgegenüber unterbricht aber V. 49 f die Plagenreihe und ergänzt den göttlichen Zorn als Verstehensschlüssel des göttlichen Handelns in V. 44.51 insgesamt, vgl. auch die Funktion von V. 21 f. 145 Die Deutungen der Gesandtschaft von Unheilsboten gehen hier auseinander. Manche sehen darin den Verderber aus Ex 11,4 und 12,13.22 f oder den Pestboten aus 2Sam
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V. 50 setzt die Beschreibung des göttlichen Zorns fort, der sich seine Bahn ebnet146 und das Leben nicht vom Tod zurückhält. Dieser Zorn Gottes ist tödlich, wie sich dies anhand der sechsten Plage, der ›Pest‹ (UEG), zeigt, die das gesamte Volk der Ägypter trifft und keinen verschont.147 Im Unterschied zur fünften Plage in Ex 9,1–7 trifft die Pest nicht nur das Vieh, sondern die Ägypter selbst, während die Ägypter in Ex 9,8–12 nur durch die sechste Plage, die Geschwüre, getroffen werden.148 Damit variiert Ps 78,50 die Exodusvorlage, in der die Pest als eigene Plage dargestellt wird.149 Anknüpfungspunkt aus der Exodusvorlage ist vermutlich die in der Gottesrede in Ex 9,15 f angedrohte Pestplage. Dort droht Jhwh dem Pharao im Zusammenhang der Ankündigung der Hagelplage, dass er den Pharao, wenn er gewollt hätte, schon längst mit der ›Pest‹ (UEG, Ex 9,15; Ps 78,50) hätte vernichten können, dass er ihn aber allein aus dem Grund der Gotteserkenntnis und der Anerkenntnis seiner Macht verschont habe. Dieser Deutung der Plagen als Machterweise Jhwhs, die auf die Anerkenntnis Gottes durch die Ägypter zielen, setzt der Psalm nun explizit seine eigene Deutung der Plagen als vernichtendes Zorngericht entgegen, indem er gerade die Stelle, an der in Ex 9,15 f über die Intention der Plagen reflektiert wird, aufnimmt und sie in seinem Sinn neu deutet. Denn das Zorngericht Jhwhs in Ps 78,44–51 kennt keine Verschonung und zielt auch nicht auf die Anerkenntnis der Macht Gottes durch die Ägypter, sondern auf deren Vernichtung. In Ps 78 wird die in der Exodusvorlage nur als weitere Machtdemonstration angedrohte Pestplage realisiert und in der psalmspezifischen Interpretation der Plagen als vernichtendes Zorngericht profiliert.150 Nach der bereits tödlichen Pest folgt die siebte Plage, die Tötung der Erstgeburt,151 mit der die Plagenreihe wie die Vorlage schließt. Damit wird der mit der Pest bereits er-
24,16; vgl. hierzu SEYBOLD, Psalmen, 311; DELITZSCH, Psalmen, 565; H UPFELD, Psalmen II, 275 f. 146 Sprachlich ist diese Formulierung eigen. Der Begriff ›Pfad/Bahn‹ ( E\WQ) kommt aus der weisheitlichen Tradition (Hiob 18,10; 28,7; 41,24; Ps 119,35). Auch das Verb ›bahnbrechen‹ (VOS) ist selten belegt (Ps 58,3; Prov 4,26; 5,6; 5,21; Jes 26,11) und wird über Ps 78,50 hinaus kein einziges Mal im Zusammenhang mit göttlichem Zorn erwähnt. 147 So auch JEREMIAS, Zorn, 76. 148 Nach L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 88 f dienten Viehpest und Geschwürplage als Vorlage für die Pestplage in Ps 78,50. Indem der Psalmist somit das priesterschriftliche Schauwunder der Geschwüre voraussetzt, ist nach Schmidt der Nachweis erbracht, dass dem Psalmist die Fassung der Plagenerzählung des Endredaktors bekannt war. Auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 437 gehen davon aus, dass dem Psalmist ein weit angewachsener Plagenbericht bekannt war. 149 So auch L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 87, der dies durch den Gebrauch der Tempora unterstreicht. Während in V. 44.46.48 die Plagen im Narrativ stehen, werden sie in V. 45.47.49.(50) in der Präformativkonjugation beschrieben. Durch den Wechsel der Verbformen werden die ersten sechs Plagen in drei Paare gegliedert. 150 In diesem Sinn ist mit W ITTE, Exodus, 34 zu urteilen: »The plagues are understood, above all, as mighty acts of Israel’s God and as God’s punishment. The theological interpretation of the plagues in vv. 49–50 has no correspondence to Exod 7–12, but rather sees the plagues as the consequence of God’s wrath.« 151 Auch die Plagenreihe in Ps 105,36 nennt die Tötung der Erstgeburt als letzte Plage; in Ps 135,8 und Ps 136,10 steht die Tötung der Erstgeburt für die gesamte Reihe.
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reichte Höhepunkt der Plagenreihe, der als Zorngericht das Leben der Ägypter vernichtet, verstärkt.152
Der folgende Abschnitt in V. 52–55 schildert die bewahrende Führung Israels in der Wüste, die mit der Rettung vor seinen Bedrängern einhergeht. Dazu wird die in Ex 15,1–18 enthaltene Deutung des Schilfmeerwunders aufgenommen und im Kontext von Ps 78 neu gedeutet, indem die Stationen von Auszug, Schilfmeer, Einsetzung Israels als Kultgemeinde, Landnahme und Landgabe wie in Ex 15,1–18 beschrieben werden.153 V. 52 beginnt mit dem Auszug: Jhwh als Hirte lässt seine Herde aufbrechen und ›führt‹ (JKQ) sie in der Wüste.154 V. 53 ergänzt die ›sichere Führung und Leitung‹, so dass sich das Gottesvolk in der Wüste nicht fürchtet. Dabei wird sprachlich über das Stichwort ›führen/leiten‹ (K[Q) auf Ex 15,13 angespielt und die gütige Führung Jhwhs und die Erlösung seines Volkes in Erinnerung gerufen.155 Dennoch ist die Führung in der Wüste in Ps 78,52f im Unterschied zu Ex 15,6–18 nicht durch die Darstellung Jhwhs als königlichem Kämpfer geprägt. Im Vordergrund steht das königliche Hirtenbild und damit wie im ersten Reflexionsgang in V. 13–16 die Fürsorge und der Schutz in der Wüste. Dieser zeichnet sich durch die sichere 152 So auch L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 90. Drei Plagen, die Plage der Finsternis (Ex 10,21–29), die Mückenplage (Ex 8,12–15), die Plage der Geschwüre an Mensch und Tier (Ex 9,8–12), werden in Ps 78,44–50 komplett ausgeblendet, da sie der Komposition der Plagen in Ps 74,44–50 entgegenstehen. Am deutlichsten ist dies im Hinblick auf die Plage der Finsternis zu zeigen (Ex 10,21–29), die in der Plagenreihe in Ex 7–12 die vorletzte Plage darstellt. Denn bei dieser Plage handelt es sich um ein kosmisches Phänomen, das weniger deutlich das die Ägypter treffende Zorneshandeln Jhwhs ausdrückt, sondern vielmehr Jhwh als Herr des gesamten Kosmos, einschließlich seiner chaotischen Elemente, herausstellt. Dafür spricht auch der Umgang von Ps 105,28 mit dieser Plage, die als erste Plage erwähnt wird und mit der Tötung der Erstgeburt einen Rahmen um die Plagen bildet. Denn die Plagen in Ps 105,28–36 dienen aufgrund ihrer Bezüge zu Gen 1 gerade dazu aufzuzeigen, dass Jhwh für Ägypten lokal seine gute Schöpfungsordnung zurücknimmt. Die Mückenplage, die in der Exodusvorlage die dritte Plage darstellt (Ex 8,12–15), könnte mit der Ungezieferplage in Ps 78,45a zusammengefasst worden sein. Die fehlende Plage der Geschwüre an Mensch und Tier aus Ex 9,8–12 musste durch die Ausweitung der Pestplage weggelassen werden. Die Orientierung an der Siebenzahl der Plagen geht nach L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 89 gegen den Endredaktor auf die jehowistische Überlieferung von sieben Plagen zurück. 153 Zur Diskussion des Schilfmeerlieds in Ex 15 vgl. JEREMIAS, Königtum, 93–106; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 96–115; vgl. weiter die Monographie von BRENNER, The Song of the Sea; LEVIN, Jahwist, 341–347; J ACOB, Exodus, 426–448; SCHARBERT, Exodus, 63–66; CRÜSEMANN, Formgeschichte, 191–199; FRETHEIM , Exodus, 161–170; HOUTMAN, Exodus, 240–248.277–295; G. FISCHER, Exodus, 165–175; ZENGER, Tradition und Interpretation, 452–483; DURHAM, Exodus, 198–210; HYATT, Exodus, 162–170; CHILDS, Exodus, 240–253; BRUCKNER, Exodus, 137–143. 154 Vgl. auch Jes 49,10; 63,14. 155 Vgl. weiter Dtn 32,12; Jes 57,18; 58,11.
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Führung und die Rettung vor den Feinden aus. Dazu wird wiederum auf die Wundertat am Schilfmeer Bezug genommen und nur noch das Resultat des in Ex 15,6–12 beschriebenen Kampfes genannt: ›ihre Feinde bedeckte das Meer‹ (a\KKVNaKE\ZDWDZ, Ps 78,53, vgl. weiter Ex 14,28; 15,10).156 Insofern tritt gerade in dieser Reduktion des Schilfmeerwunders auf die Rettung vor den Feinden, in der sich die Erwählung Israels zeigt,157 die Akzentuierung im Hinblick auf die Fürsorge und den Schutz des Weltenherrschers besonders hervor.158 Zudem wird die in Ps 78,13 geschilderte Episode von der Spaltung des Meeres um das Handeln des Weltenherrschers ergänzt. Denn wie sich der Schöpfer als Herr des Wassers erweist, so erweist sich der Weltenherrscher als Herr über die Feinde seines Volkes. Beide Abschnitte Ps 78,13 f und Ps 78,52 f haben einen ähnlichen Umgang mit der Schilfmeerüberlieferung, indem sie das Ereignis nüchtern und jeweils auf den für sie zentralen Aspekt des Versorgens bzw. der Rettung vor den Feinden zuspitzen, so dass der traditionsgeschichtlich im Hintergrund stehende Chaoskampf nur noch zu erahnen ist. In V. 54 wird unter Aufnahme von Ex 15,17 die Einsetzung Israels als Kultgemeinde Jhwhs beschrieben. Jhwh bringt (DZE Hif. Ex 15,17; Ps 78,54) sein Volk zu seinem heiligen Gebiet, dem Berg, den er erworben hat. Dabei liegt die Betonung auf dem von Jhwh erworbenen heiligen Gebiet, das den Residenzort des Weltenherrschers darstellt. In Ex 15,17 wird hingegen noch deutlicher hervorgehoben, dass es sich bei dem Berg um das von Jhwh selbst gegründete Heiligtum handelt, das Fundament seines Thronens. So stellt Ps 78,54 vor dem Hintergrund von Ex 15,17 heraus, dass sich die Herrschaft des Herrn des Kosmos an dem von ihm erwählten Ort manifestiert, ohne diesen wie in Ex 15,17 eindeutig mit dem Tempel in Jerusalem zu identifizieren. So enthalten die Beschreibungen des Bergs in Ps 78,54 zwar eindeutig tempeltheologische Implikationen und verweisen vermutlich auch auf den in Ps 78,68 erwählten Zion. Dennoch bleibt der Text aber an dieser Stelle durchlässig für Anspielungen auf den Berg Sinai und die Gesetzgebung.159 Diese Durchlässigkeit entspricht der späten tempeltheologischen Perspektive von Ps 78, in der die Bedeutung des Gottesbergs als Residenzort sowie als Ort der Gesetzgebung zur paradigmatischen Frühgeschichte gehört. 156 Vgl. zur Stelle auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 144, der die Exoduserinnerung im Zusammenhang mit der Landnahme hervorhebt. 157 So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 343. 158 Vgl. hierzu auch CLIFFORD, Zion, 133. 159 SEYBOLD, Psalmen, 311 geht an dieser Stelle eindeutig vom Bundesschluss am Gottesberg aus und betont die Verbindung zur von Jhwh gesetzten Ordnung in Ps 78,5.7.10 und identifiziert ›das Gebiet seines Heiligtums‹ und ›diese Gebirge‹ in V. 54 mit Schilo als dem alten efraimitischen Stammesheiligtum. Vgl. hierzu weiter DELITZSCH, Psalmen, 565; H UPFELD, Psalmen II, 277.
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Für das Geschichtsbild von Ps 78 ist entscheidend, dass es sich um den von seiner Rechten erworbenen Berg handelt. Mit dem Stichwort der ›Rechten‹ (\P\) Jhwhs greift Ps 78,54 wiederum auf eine für Ex 15 entscheidende Kategorie zurück, durch die in Ex 15,6.12 die Überlegenheit Jhwhs über die Feinde zum Ausdruck gebracht wird. Da der für Ex 15 wichtige Aspekt der Überlegenheit des Königsgottes Jhwh im Kampf keine Rolle spielt, ist die mit der Rechten Jhwhs ausgedrückte Handlungsvollmacht im Hinblick auf das von ihm erworbene Heiligtum bezogen. Dadurch schlägt sich auch in der Verwendung der Rechten Jhwhs in Ps 78,54 die Deutung des Schilfmeerliedes aus Ex 15 nieder. Zudem betont der letzte von Ps 78,54 ausgehende Rückgriff die Akzentuierung auf den Residenzort des Weltenherrschers, indem das Stichwort ›erwerben‹ (KQT) in Ps 78,54 auf den Residenzort bezogen ist, während es sich in Ex 15,16 f dabei um die Kultgemeinde handelt, die von Jhwh erworben wird.160 In V. 55 wird wiederum unter Rückgriff auf Ex 15 die Landnahme und Landgabe ergänzt. Während Jhwh in Ex 15,14–16 sein Volk durch das Gebiet fremder Völker sicher führt, ist in Ps 78,54 von Vertreibung der fremden Völker die Rede, deren Gebiet Israel als zugemessener ›Erbbesitz‹ (KO[Q)161 zugeteilt wird.162 Im Unterschied zu Ex 15,17 läuft die Landnahme aber nicht mehr auf die Einsetzung Israels als Kultgemeinde und das Jerusalemer Heiligtum zu, sondern über Ex 15 hinausgehend auf die Aufteilung des von den Völkern besessenen Landes als Erbbesitz Israels.163 Somit greift Ps 78,52–55 in vielfacher Hinsicht auf Ex 15 zurück und akzentuiert das Schilfmeerlied neu, indem Jhwh nicht wie in Ex 15 als Kämpfer, sondern als fürsorgender Weltenherrscher sein Volk sicher durch die Wüste führt, es als seine Kultgemeinde einsetzt und ihm das Land der Völker als zugemessenen Erbbesitz erteilt. So erweist sich das in Ps 78 aufgenommene Exodusgeschehen als Ursprungssituation, in der Israel zum Gottesvolk wird und den Weltenherrscher in seiner Geschichtsmächtigkeit erfährt.
160 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 145 sieht hierin eine exilisch-deuteronomisch bedingte Aufwertung des Landes. Vgl. weiter HUPFELD, Psalmen II, 277. 161 Im Unterschied dazu bezieht sich der Erbbesitz (KO[Q) in Ps 74,2 auf das Volk Israel, siehe dazu weiter unter D.2.a) (S. 116 ff). 162 Vgl. dazu auch die Darstellungen der Landgabe in Ps 135,10–12; 136,17–22, die wie in Ps 78,55 das deuteronomisch-deuteronomistische Konzept der Landnahme durch die Vertreibung der Urbevölkerung voraussetzen, so auch H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 438. Darüber hinaus findet sich die Vertreibung fremder Völker ( YUJ, vgl. Ps 78,55) noch in Ex 33,2; 34,11; Dtn 33,27; 1Chr 17,21. 163 So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 145.
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Ex 15,10 Du hast geblasen mit deinem Wind, (das) Meer hat sie bedeckt , sie sind versunken wie Blei in gewaltigen Wassern.
Ps 78,52–55
A·[@:UE7 SYÆQ a\ $P6 ¼.L WUSÂ$>.l:OO@F Ca\U, \',Da\,P·%
(E\ZD)
V. 53
a\KVN
Ex 15,13 Du hast geführt durch deine Güte dieses Volk, das du erlöst hast, geleitet hast durch deine Macht zur Aue deines Heiligtums .
Ps 78,52–55
A·'!V[E W \[LÆQ 7 OD B*:]¾a> A·=!> E7 OKÆQ( CAYG T! KZ(QÇ !OD
K[Q ZYGTOZEJ
V. 53
V. 54
Ex 15,16b bis hindurchziehen wird dein Volk, Jhwh, bis hindurchziehen wird das Volk, das du erworben hast .
Ps 78,52–55
UERµ>@\G> KZÃK\!lA0> UER¸>@\G> CW \Q, T :]Èa>
KQT
V. 54
Ex 15,17
Ps 78,52–55
und einpflanzen auf dem Berg deines Erbbesitzes ,
$PDHEL7 l$P>Hm- WLZ! AÂWO [@QUK½%
der Stätte deines Thronens, die du gemacht hast, ein Heiligtum, Herr, das deine Hände gegründet haben.
A7EYOL $NÌP KZK\!7 O>¶3 \Q·GRD@YG4PL CA\G\:QÈQ!$.
Du wirst sie hineinbringen
V. 54
(Hif.)DZE
V. 54 V. 55
KQT+ UK KO[Q
Der Interpretation des Schilfmeerwunders, das in den beiden Reflexionsgängen in unterschiedlicher Akzentuierung aufgenommen wird, kommt für die Konstruktion der Geschichte in Ps 78 eine herausgehobene Bedeutung zu. Im ersten Reflexionsgang (V. 13–16) steht es für Schutz und Versorgung durch den Schöpfer in der Wüste, während im zweiten Reflexionsgang (V. 52–58) am Schilfmeer das rettende Handeln des Weltenherrschers in paradigmatischer Weise sichtbar wird. Durch diese zweifache Deutung der Rettung am Schilfmeer erkennen die Beter des Psalms, dass beides, Versorgung und Leitung/Herrschaft, das geschichtstheologische Handeln Gottes ausmacht und unlösbar zusammengehört. Insofern handelt es sich
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hierbei um zwei Seiten einer Medaille, die auf die Exklusivität Jhwhs als Herr des gesamten Kosmos verweisen. Dass aber das Handeln des Schöpfers dem des Weltenherrschers sachlich vorgeordnet und diese Reihenfolge nicht umkehrbar ist, macht der Psalm durch seine Übergänge, insbesondere der Bezüge von V. 40–42 zu den Versen 8–11.17–39, deutlich. Das Schöpfungshandeln ist das umfassendere, da hierin die Geschichtlichtkeit der Geschöpfe und die Geschichtsmächtigkeit Gottes begründet liegt (V. 32– 39), die wiederum die Voraussetzungen für das Handeln des Weltenherrschers darstellen. Insofern ist es folgerichtig, dass die Väter auf das Handeln des Weltenherrschers ebenso mit Verfehlung und Ablehnung reagieren wie auf sein Handeln als Schöpfer (Ps 78,17.56). b) Die Versuchung Gottes durch die Wüstengeneration und die Reaktion Jhwhs (V. 56–64) Wie im ersten Reflexionsgang (V. 12–39) folgt auch im zweiten Durchgang durch die Geschichte auf die Wundertaten Jhwhs (Ps 78,12–16.43– 55) die ablehnende Reaktion der Väter. Auf diese Weise kommt in der Komposition des Psalms den Abschnitten Ps 78,12–16 // Ps 78,43–55 sowie den Abschnitten Ps 78,17–31 // Ps 78,56–64 die gleiche Funktion zu. Der Abschnitt beginnt, wie auch die vorherigen, mit einem Scharniervers, durch den ein Bogen zu den vorherigen Scharnierversen V. 17.40 f geschlagen wird, so dass die Verfehlungen der Väter mit den in V. 8 beschriebenen Verfehlungen der ersten Generation in einer Kontinuität stehen. Wie in V. 8.17.40 reagieren die Väter in V. 56a nicht mit Gotteslob auf die erfahrene Rettung vor den Feinden, sondern lehnen sich gegen Jhwh auf (KUP) und versuchen Jhwh (KVQ) (vgl. V. 18.41). Darüber hinaus wird in V. 56a die in V. 17 eingeführte und im Bekenntnis in V. 35 wieder aufgenommene Gottesbezeichnung des ›Höchsten‹ (Z\O>) aufgenommen und somit erneut die Exklusivität Jhwhs als des Himmelsgottes festgehalten. Das Auflehnen der Väter gegen Jhwh besteht aber in V. 56 darin, dass sie die von Jhwh als Weltenherrscher gegebenen ›Ordnungen‹ (WZG>) nicht wahren.164 Kompositorisch haben die Verse 57 f dieselbe Funktion wie V. 19 f, indem sie wie V. 19 f ausführen, worin die Versuchung jeweils besteht. In V. 57 wird zuerst die Treulosigkeit Israels in staatlicher Zeit benannt. Durch den Vergleich ›wie ihre Väter‹ wird die Generation einerseits von den Vätern der Wüstengeneration unterschieden und steht doch andererseits in einer Schuldkontinuität mit ihnen.165 Die Abtrünnigkeit der Väter
164 165
158 f.
Zum Begriff der ›Ordnungen‹ (WZG>) vgl. SIMIAN-YOFRE, Art. WZG>, 1127 f. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 438 und B IBERGER, Unsere Väter,
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wird in Anlehnung an die hoseanische Tradition mit der Metapher vom schlaffen Bogen umschrieben (vgl. Hos 7,16).166 Im Zusammenhang des Psalms verweist die Metapher auf V. 9 zurück, ohne dabei aber die Reduktion auf Efraim in V. 9 zu übernehmen. So betrifft das Bild vom schlaffen Bogen in V. 57 das gesamte Volk, während in V. 9 die erst in V. 65 ff entfaltete Differenzierung von Verwerfung Efraims und Erwählung Judas vorausgesetzt wird. Von daher ist im Hinblick auf V. 9, der zudem aus dem Leitwortsystem des Proömiums herausfällt, von einer nachträglichen Ergänzung auszugehen, die die schuldgeprägte Generation der Väter auf Efraim beschränkt.167 In V. 58 wird benannt, worin die Verfehlungen in staatlicher Zeit bestehen: im ›Höhenkult‹ (KPE) und in ›Kultbildern‹ (O\VS), mit denen sie Jhwh ›verärgern‹ (V>N) und seine ›Eifersucht erregen‹ (DQT).168 Dies führt in V. 59 zum Ausbruch des göttlichen Zorns und zur ›Verwerfung‹ (VDP) Israels. Dazu nimmt Ps 78,58 f sprachlich die deuteronomistische Reflexion aus 2Kön 17,7–23 auf, in der die Verfehlungen Israels, die vor allem in Götzendienst bestehen, zur Verwerfung des Nordreichs führen. Dabei wird in Ps 78,58 der in 2Kön 17,7–23 entfaltete Katalog der Verfehlungen auf den Höhen zugespitzt, durch die Israel Jhwh wie in 2 Kön 17,11 (KPE + V>N) verärgert. Über 2Kön 17,7–23 hinaus führen die beiden Stichworte ›Höhe‹ (KPE) und ›verärgern‹ (V>N) zu der Darstellung der josianischen Reform in 2Kön 23,1–30, die in großen Teilen in der Entweihung der Kulthöhen in Jerusalem und in Bet El besteht (2Kön 23,8 f.13.15.19 f.26). Aufschlussreich für Ps 78,58f ist, dass die in 2Kön 23,1–30 beschriebene Entweihung der Höhen durch Josia nicht dazu führt, den durch die Verfehlungen Manasses hervorgerufenen Zorn Jhwhs abzuwenden (vgl. 2Kön 23,26 f ›verärgern‹
Zu dem Bild vom schlaffen Bogen ( K\PUWYT) vgl. das Strafgericht an Efraim in Hos 7,16. Das Gegenbild findet sich im Zusammenhang des Jakobssegens, in dem Josefs Bogen als ein starker und fester verheißen wird (vgl. Gen 49,23 f). 167 Siehe dazu C.1. (S. 50 ff). 168 Vgl. hierzu SEYBOLD, Psalmen, 312 und W ITTE, Exodus, 34, die in den Höhen und Kultbildern den für die staatliche Zeit charakteristischen Abfall von Jhwh sehen. Dies bestätigt auch der Konkordanzbefund. Die ›Höhen‹ ( KPE) und ›Kultbilder‹ ( O\VS) stehen in den meisten Fällen im Zusammenhang mit Götzendienst. Zum Höhenkult vgl. z. B. Lev 26,30; 1Kön 13,2.32 f; 15,14; 22,44; 2Kön 12,4; 14,4; 15,4.35; 16,4; 17,9.11.29.32; 18,4.22; 21,3; 23,5.8 f.13.15.19 f; Jer 7,31; 17,3; 19,5; 48,35; Hos 10,8; Am 7,9. Zur Kritik an den Kultbildern (O\VS ) vgl. z. B. Dtn 7,5.25; 12,3; 2Kön 17,41; 2Chr 33,19.22; 34,3 f.7; Jes 21,9; 30,22; 42,8; Jer 8,19; 50,38; 51,47.52; Hos 11,2; Mi 1,7; 5,12. Das Kultbild (OVS ) selbst allerdings ist von Haus aus ein neutraler Begriff, durch den der handwerkliche Prozess bzw. die äußere Gestalt ( OVS = das rundplastische Kultbild) hervorgehoben wird, so ZENGER, Götter- und Götterbildpolemik, 241 Anm. 28. 166
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[V>N]). Dieser hatte den Zorn Jhwhs durch einen ganzen Katalog von Freveltaten hervorgerufen (2Kön 21,1–18), deren erste der Wiederaufbau der Kulthöhen war, die sein Vater Hiskia zerstört hatte (2Kön 21,3). Insofern greift die Bewertung Manasses auf die Grundsünde der Höhenkulte zurück, die dadurch sowohl den seit Jerobeam begonnen Abfall des Nordreichs als auch den Abfall Judas charakterisieren. Auf diese Weise kommt in Ps 78,58 f das gesamte Volk in den Blick.169 Im Hinblick auf die Komposition des Psalms kommt V. 59 dieselbe Funktion zu wie V. 21. Beide Verse werden mit dem Hören Gottes (>PY) eingeleitet, auf das der göttliche Zorn (UE>) folgt, so dass V. 59 V. 21 auch sprachlich aufnimmt.170 Im Unterschied zu V. 59 aber ist das göttliche Hören in V. 21 gut in den Zusammenhang eingebunden und bietet die Antwort auf die direkte Rede der Väter in V. 18–20. Im Kontext von V. 59 hingegen fehlt eine direkte Rede, so dass das Hören Jhwhs keinerlei Anknüpfungspunkte im unmittelbaren Kontext hat und dazu dient, die beiden Abschnitte V. 17–31 und V. 56–64 sprachlich zu verbinden. Die Entfaltung des Zorns ist in V. 59 von V. 21 unterschieden, da sich der göttliche Zorn in V. 59 in der Verwerfung Israels zeigt, während er sich in V. 31 als tödliche Plage auswirkt. In dieser Differenz zeigt sich erneut die den zweiten Reflexionsgang prägende Darstellung Jhwhs als Weltenherrscher, der sein Volk verwirft, während der Zorn des Schöpfers im ersten Reflexionsgang im Zusammenhang mit der Versorgung des Gottesvolkes in der Wüste steht. Insofern trifft der Zorn des Weltenherrschers in V. 59 Israel in seiner staatlichen Verfasstheit. In V. 60–64 folgen weitere Ausführungen des göttlichen Zorns, die aber sprachlich nicht mehr an den Abschnitt V. 17–31 zurückgebunden sind, sondern den sich in staatlicher Zeit entzündenden Zorn Jhwhs darstellen. Im Hinblick auf die Gesamtkomposition des Psalms zeigt sich aber insofern eine strukturelle Parallelität zwischen V. 60–64 und V. 23–31, als in beiden Abschnitten der göttliche Zorn begrenzt und nicht das Volk in seiner Gesamtheit vernichtet wird. Dies geschieht in V. 23–31 anhand der Plage, die die jungen und kräftigen Männer trifft. In V. 60–64 zeigt sich
Vgl. weiter die Formulierung des Bilderverbots in Dtn 4,25 ( V>N + OVS ), in der die Herstellung und Verehrung von anthropomorphen und theriomorphen Jhwh-Bildern im Hintergrund steht, die in den Reflexionen über den Staatskult des Nordreichs und seines Untergangs (vgl. Ex 32) von entscheidender Bedeutung sind. Vgl. hierzu H ARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 69 f. Vgl. weiter W ITTE, Exodus, 35, der als Bezugspunkt das deuteronomisch-deuteronomistische Bilderverbot im Hintergrund herausstellt. 170 Zur Parallelität von V. 59 und V. 21 vgl. auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 95 f. 169
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die Begrenzung des Zorns insofern, als er nicht zur Verwerfung des gesamten Volkes, sondern nur zur Verwerfung des Nordreichs führt. Dadurch wird signifikanterweise in der Reflexion die Geschichte des Nordreichs einschließlich seines Untergangs zu einem Beispiel des von vornherein durch göttliche Güte (vgl. V. 38 f) begrenzten Zorns. Dies wird besonders in der Verwerfung Schilos, Jhwhs Wohnort unter den Menschen (V. 60 f), deutlich, mit der die Entfaltung des Zorneshandelns Jhwhs in V. 60–64 beginnt. Denn mit Schilo als Residenzort Gottes ist die Geschichte des Nordreichs sowie sein Untergang präsent, wie sie bereits durch den Rückgriff auf 2Kön 17,7–23 in Ps 78,58 f transparent geworden ist. So ist der in V. 59 beschriebene Zorn insofern begrenzt, als er nur das Nordreich vernichtend trifft und das Südreich verschont. Diese heilsgeschichtliche Differenz zwischen Schilo und Jerusalem spiegelt sich auch in der Beschreibung des Heiligtums selbst wider. Handelt es sich bei Schilo um ein Zelt Jhwhs, in dem er unter den Menschen Wohnung genommen hat (V. 60), ist das Heiligtum in Jerusalem wie die Himmelshöhen fest gegründet und dadurch unlöslich mit der Schöpfung Jhwhs verbunden (Ps 78,69). Im Hinblick auf die Konstruktion von Geschichte in Ps 78 wird durch die Differenz zwischen dem Heiligtum in Schilo und dem in Jerusalem deutlich, dass die beiden Heiligtümer heilsgeschichtlich nicht auf einer Ebene liegen. Mit der Verwerfung Schilos wird dasjenige Heiligtum preisgegeben, das nicht konstitutiv mit der Schöpfung Jhwhs verbunden, sondern als Zelt im Vergleich mit dem Heiligtum in Jerusalem von vornherein nur für eine gewisse Zeit bzw. einen Übergang konzipiert worden ist. Stehen also die Erschaffung und Erwählung des Jerusalemer Heiligtums für die unbegrenzte Güte Jhwhs, die bis in alle Zeiten Bestand hat, steht die Verwerfung Schilos für den durch seine Güte begrenzten Zorn Jhwhs. Darüber hinaus entsteht aber durch die sprachlichen Anklänge an die Tempelrede Jeremias (Jer 7,12.14) eine Durchlässigkeit auf das Geschick Judas hin, da Jeremia aufgrund der Verfehlungen Judas für Jerusalem dasselbe Schicksal ausmalt, das Schilo bereits ereilt hat.171 Zugleich kom-
171 Zur Bedeutung der Tempelrede Jeremias in Ps 78,60 vgl. HAAG, Zion, 85–115. Nach Haag liegt in der Grundschicht des Psalms (V. 1–4a.6a.7aDb.40–49a.50a.51–55a. 56.58–70a.71aDb), in der der Kontrast zwischen der Verwerfung Efraims und der Erwählung Judas auf die heilstheologische Deutung der Bewahrung Jerusalems 701 v. Chr. zurückgeführt wird, die heilstheologische Vorlage für die Tempelrede Jeremias vor. Vgl. weiter HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 438. Nach B ERLIN, Psalms, 80–84 dient der Bezug zur Tempelrede Jeremias in Ps 78,60 gerade dazu, die Differenz zwischen der Verwerfung Efraims und der Erwählung Judas vorzubereiten. Während Jeremia den Jerusalemern aufzeigt, dass ihre Vergehen denen des Nordreichs entsprechen und sie aufgrund dessen dasselbe Schicksal befürchten müssen, kontrastiert der Psalm die Schuld
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men mit der Tempelrede Jeremias im Hintergrund die das gesamte Gottesvolk betreffenden Verfehlungen aus Ps 78,56–58 wieder in den Blick. Die Verwerfung des Heiligtums in Ps 78,61 bedeutet, dass Jhwh seine ›Macht‹ (]>) und ›Pracht‹ (WUDSW) in Gefangenschaft gibt. Macht und Pracht stellen wie in Ps 96,6 personifizierte Attribute der göttlichen Präsenz und Herrschaft dar und erscheinen als Hypostase Jhwhs im Heiligtum.172 Indem Jhwh gerade diese Hypostasen seiner Herrschaft in Gefangenschaft gibt, wird das Heiligtum in Schilo, von dem einst die Wirkmacht Jhwhs ausging, zu einem von Jhwhs Macht verlassenen, ›gottlosen‹ Ort, an dem Israel jede Möglichkeit des Gotteskontaktes genommen ist und die in V. 52–55 beschriebene Einsetzung Israels als Kultgemeinde an Gottes heiligem Ort keine Gültigkeit mehr besitzt. Dies wird in den folgenden Versen 62–64 weiter ausgeführt, die die Auswirkungen des göttlichen Zorns für Israel als Volk und Erbbesitz des Weltenherrschers ergänzen. Dazu wird mit dem Stichwort ›ausliefern‹ (UJV) das göttliche Zorneshandeln im Zusammenhang der Plagen aufgenommen. Denn wie Jhwh die Ägypter dem Hagel und der Pest ausliefert (UJV, V. 48.50), so liefert er in V. 62 sein Volk dem Schwert aus, das Israel wie die Pest die Ägypter vernichtend trifft. In kompositioneller Hinsicht weisen die Verse 62–64 wiederum eine Strukturparallelität zum Zorneshandeln Jhwhs in V. 30 f auf. In beiden Abschnitten gilt der Zorn prinzipiell dem gesamten Volk, das in V. 30 durch seine Gier den Zorn des Schöpfers und in V. 58 durch Höhen und Kultbilder den Zorn des königlichen Weltenherrschers hervorgerufen hat. Die Auswirkungen des göttlichen Zorns sind jedoch inhaltlich verschieden: Efraims mit der Erwählung des Zion und begründet so die Hoffnung auf Restitution. Von daher handelt es sich nach Berlin auch um einen exilischen Psalm. 172 Im Hintergrund der mit diesen Hypostasen verbundenen Gotteskonzeption des Königsgottes steht die Vorstellung vom Hofstaat Jhwhs, wie er in der Jerusalemer Kulttradition beheimatet ist. Mit H ARTENSTEIN, Namen, 83–86 ist hervorzuheben, dass sich mit dem Hofstaat zum einen die soziomorphe Ausprägung einer Götterversammlung und zum anderen ein Feld von verkörperten Abstrakta verbindet, wie dies in Ps 89,7–10.15 in besonderer Weise deutlich wird. So ist Jhwh in Ps 89,7–10.15 nicht nur von soziomorphen ›Göttersöhnen‹ umgeben, sondern auch von abstrakt erscheinenden Wirkgrößen wie ›Recht und Gerechtigkeit‹ und ›Treue und Güte‹. Demgegenüber betonen die meisten Ausleger die Anspielung in Ps 78,50 f auf die Erzählung vom Philistersieg und dem Verlust der Lade (1Sam 4.6), vgl. z. B. SCHREINER, Geschichte, 319 f; CLIFFORD, Zion, 136; DELITZSCH, Psalmen, 566; KITTEL, Psalmen, 265; GUNKEL, Psalmen, 346; HUPFELD, Psalmen II, 277 f; TATE , Psalms, 294; SEYBOLD, Psalmen, 312; KRAUS, Psalmen I, 547; WEBER, Psalm 78 (2000), 206. Zwar ist der Aufenthaltsort der Lade in Schilo belegt (vgl. z. B. Jos 18,1; 19,51; 1Sam 4,3 f), allerdings fehlen darüber hinaus jegliche sprachlichen Anknüpfungspunkte an die Erzählung, während die Bezüge zu Ps 96,6 und Jer 7,12.14 sprachlich gedeckt sind. Zur Diskussion vgl. weiter HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 438.
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Drückt sich in der Plage der Zorn des Schöpfers aus, der die zuvor gewährte Versorgung zurücknimmt, zeigt sich im Zorneshandeln in V. 62–64 der Weltenherrscher, der die von ihm garantierte Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung des Gottesvolkes gefährdet. Dennoch ist der göttliche Zorn in den beiden Abschnitten dadurch begrenzt, dass er nicht das gesamte Volk vernichtend trifft, sondern zunächst die jungen Männer genannt werden (a\UZ[E, V. 31.63).173 Dies bedeutet für V. 62–64, dass die vom königlichen Weltenherrscher garantierte gesellschaftliche Stabilität aus dem Gleichgewicht gerät. Indem die jungen Männer getötet werden, fehlt den jungen Frauen der Bräutigam, so dass man sie nicht mehr, wie es üblich war, bei ihrer Hochzeit besingt. Darüber hinaus trifft der Zorn auch die Priester, die wie die jungen Männer durch das Schwert fallen, so dass der Kult als Grundkonstante der gesellschaftlichen Ordnung nicht mehr möglich ist. In besonderer Schärfe zeigt sich dies daran, dass die rituell korrekte Totenklage nicht mehr gewährleistet werden kann, so dass es das Klageweinen der Witwen nicht mehr geben wird (vgl. Hiob 27,15; Jer 22,18; Ez 24,23). Dabei projizieren die im Hintergrund stehenden Texte auf den Untergang des Nordreichs zurück, da die in V. 62–64 beschriebenen Konsequenzen des göttlichen Zorns eine sachliche Parallele zur Klage über den Untergang Jerusalems aufweisen (Klgl 1,4–6.18 f; 2,9–11.20; 5,11–14).174 Insoweit ist die Komposition der beiden Reflexionsgänge in V. 12–31 und V. 40–64 parallel konzipiert und durch die Scharnierverse in V. 17f. 32.40–42.56 explizit miteinander verzahnt. Auf die Wundertaten Gottes in der Geschichte, durch die er seine Macht als Schöpfer (V. 12–16) und Weltenherrscher (V. 43–55) manifestiert, reagieren die Väter, indem sie sich gegen Gott auflehnen (V. 17–20.56–58). Dies führt wiederum zum Ausbruch des göttlichen Zorns, der im ersten Reflexionsgang vor dem Hintergrund der Manna- und Wachteltradition (V. 21–31) und im zweiten Reflexionsgang als Verwerfung Israels und Schilos (V. 59–64) entfaltet wird. c) Die Verfehlungen des Volkes und die Erwählung und Verwerfung des Weltenherrschers (V. 65–72) Der Abschnitt beginnt mit der Metaphorik des erwachenden Herrn und markiert damit einen Wendepunkt gegenüber dem in V. 56–64 beschriebenen Zorngericht Jhwhs. Zeichnete sich die Verwerfung Schilos dadurch aus, dass Jhwh seine Macht und Pracht in Gefangenschaft gegeben hat, so dass der einstige Residenzort des Weltenherrschers zu einem verlassenen 173
So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 439, die betonen, dass es sich in V. 62–64 nicht um ein Totalgericht handelt. 174 Zur im Hintergrund stehenden Klage über die Zerstörung Jerusalems vgl. W ITTE, Exodus, 35. Vgl. weiter DELITZSCH, Psalmen, 567; GUNKEL, Psalmen, 346 f.
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Ort der Machtlosigkeit wurde, setzt das Erwachen Jhwhs dazu einen Kontrapunkt und hebt die Bereitschaft Jhwhs, erneut für sein Volk einzutreten, hervor. Dazu wird Jhwhs Eingreifen in V. 65b mit dem eines Kriegers verglichen (vgl. Jes 42,13). Aufgrund des in seiner Bedeutung nicht eindeutigen Hapax Legomenon ›betäubt sein‹ oder ›jubelnd‹ (QZUWP, Partizip Hitpol. von ZU) bleibt aber unklar, ob es sich um den Siegesrausch eines Kriegers oder um den Wein als »Enthemmungsdroge« vor der Schlacht handelt.175 Das erneute Eingreifen Jhwhs für sein Volk zeigt sich in V. 66 in der endgültigen Vernichtung seiner Bedränger, womit die Rettungserfahrung am Schilfmeer in V. 53 anklingt, die ebenfalls in der Rettung vor den Feinden bestand, so dass Israel wie einst am Schilfmeer als Volk des Weltenherrschers dessen allumfassende Wirkmacht erfährt.176 Im Unterschied zur Reflexion des Schilfmeeres folgt in V. 67–72 aber eine Ausführung über das Erwählungs- und Verwerfungshandeln Jhwhs. Für sein Volk bedeutet diese neue Machtdemonstration die Verwerfung des Zeltes Josefs. Bekräftigt wird dies im Parallelismus membrorum in V. 67b, der die Nichterwählung Efraims enthält, so dass die Verwerfung die Kehrseite der Erwählung darstellt.177 Die Verwerfung des Zeltes Josefs nimmt die in V. 60–64 geschilderte Verwerfung Schilos und den damit verbundenen Untergang des Nordreichs wieder auf 178 und knüpft über ›verwerfen‹ (VDP) zugleich an das Zorneshandeln aus V. 59 an. Zugleich verbindet die Formulierung ›Zelt Josefs‹ (#VZ\ OKD) sowie ›Stamm Efraims‹ (a\USD MEY) V. 67 mit der Einsetzung Israels als Kultgemeinde nach der Errettung am Schilfmeer, bei der Jhwh die ›Stämme Israels in ihren Zelten‹ wohnen lässt (V. 55). Damit nimmt die Verwerfung eines Teils des Gottesvolkes gerade auf die Episode der Konstitution des Gottesvolkes Bezug, in der Josef bzw. Efraim noch Teil des Volkes sind. Zugleich wird so der Zorn Jhwhs, der aufgrund der Verfehlungen des Gottesvolkes dem gesamten Volk gilt, von vornherein begrenzt. 175
SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 147 verbindet die beiden Bilder und geht davon aus, dass Gott mit einem Helden verglichen wird, den nach unmäßigem Weingenuss der Schlaf bezwungen hat. Spieckermann spricht hier von einer nur im Bild erträglichen theologischen Grenzaussage, »daß die Realisierung von Gottes Zorn am ganzen eigenen Volke nur als Tat im destruktiven Rausch, gleichsam im Zustand verminderter Schuldfähigkeit verständlich ist« (SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 147). Ähnlich auch SEYBOLD, Psalmen, 312. Vgl. zur Metaphorik in V. 65 weiter W EBER , Psalm 78 (2000), 206 f; DAHOOD, Psalms II, 247; TATE, Psalms, 294 und BRIGGS /BRIGGS, Psalms II, 190. Anders HUPFELD, Psalmen II, 279, der vor allem den Aufschrei des Kriegshelden, nachdem er lange an sich gehalten hat, betont. 176 Anders DELITZSCH, Psalmen, 567, der hier in der Chronologie des Geschichtsrückblicks an die Siege Samuels, Sauls und Davids denkt. So auch HUPFELD, Psalmen II, 279 f, HIRSCH, Psalmen, 429, KITTEL, Psalmen, 265 und GUNKEL, Psalmen, 347. 177 Siehe dazu SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 148. 178 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 438 f.
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Das wird in den folgenden Versen um so deutlicher, als der Verwerfung der Nordstämme ein dreifaches Erwählungshandeln Jhwhs entgegengestellt wird (V. 68–72). Zuerst wird die Erwählung Judas genannt (V. 68a), so dass nach der Verwerfung der Nordstämme, die sich historisch im Untergang des Nordreichs realisiert hat, Juda der Status des Gottesvolkes trotz seiner Verschuldungen voraussetzungslos zugesprochen wird.179 Der Erwählung Judas folgt zweitens die Erwählung des Bergs Zion (V. 68), der als Berg, den Jhwh ›liebt‹ (EKD), qualifiziert wird.180 Sie beinhaltet die Gründung eines Heiligtums, eines Residenzortes (V. 69), wie er in V. 54 bereits in der für das Gottesvolk fundierenden Zeit der Wüste verankert ist (V. 54).181 Dieser in V. 54 nicht näher bestimmte Berg wird in V. 68 eindeutig mit dem Zion identifiziert, so dass es sich bei dem von Jhwh gegründeten Heiligtum um den Jerusalemer Tempel handelt. Diesem werden kosmische Qualitäten zugeschrieben, da er wie Himmelshöhen gebaut ist und sein Fundament der Erde gleicht, die Jhwh für fernste Zeit gegründet hat.182 Von daher verweist die irdische Residenz des Weltenherrschers auf seine himmlische, der »ein zeitliches und qualitatives Prä vor allen Einrichtungen der Menschenwelt«183 zukommt. Durch diese symbolische Verbindung ist in der irdischen Residenz des Weltenherrschers zugleich der Schöpfer von Himmel und Erde präsent, so dass sich nicht nur im Handeln des Schöpfers seine Geschichtsmächtigkeit zeigt (V. 12–39), sondern auch im Handeln des Weltenherrschers der Schöpfer präsent ist. Zugleich wird die Schöpfung der Geschichte sachlich vorgeordnet, da die Gründung des Heiligtums der Gründung der Himmelshöhen und der Erde entspricht und dem Heiligtum vorausgeht. Damit bildet sich in der Gründung des Heiligtums die Reihenfolge der beiden Reflexionsgänge durch die
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Die Erwählung des Stammes Judas ist auffällig, da es nur noch eine weitere Stelle in 1Chr 28,4 gibt, in der das Erwählungshandeln Jhwhs auf Juda bezogen ist. An allen anderen Stellen sind David, Jerusalem oder die Patriarchen Adressaten der Erwählung. 180 Die Formulierung, dass Jhwh den Zion ›liebt‹ (EKD), ist wie die Erwählung Judas ungewöhnlich und findet sich im Psalter nur noch in Ps 87,2 und darüber hinaus in Mal 2,11, wo die Liebe Jhwhs seinem Heiligtum gilt. 181 SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 148 f weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Erwählung des Heiligtums von der Erwählung Judas und Davids gerahmt wird. So wie der Gottesthron in Ps 93,1 f die Achse der Welt darstellt, gilt dies in nationaler Perspektive in Ps 78 für den Tempel in Jerusalem. Anders WEBER, Psalm 78 (2000), 207, der gegen die Annahme einer konzentrischen Struktur zu Recht das Achtergewicht bei der Erwählung Davids sieht. Vgl. hierzu weiter TATE, Psalms, 294 f. 182 Vgl. weiter Ex 15,17; Jes 66,1; Ps 24,1; 89,3.5; 102,17; 104,1–5; 127,1; 147,2. Vgl. auch DELITZSCH, Psalmen, 567; HUPFELD, Psalmen II, 280; GUNKEL, Psalmen, 347; DAHOOD, Psalms II, 247 f; KRAUS, Psalmen I, 547; SEYBOLD, Psalmen, 312 f; HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen 51–100, 440; H ARTENSTEIN, Bedeutung, 343. 183 HARTENSTEIN, Wolkendunkel, 166.
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Geschichte ab, die ebenso das Handeln Jhwhs als Schöpfer seinem Handeln als Weltenherrscher vorordnet. Als drittes folgt abschließend die Erwählung Davids. Dieser kommt schon allein dadurch eine herausgehobene Stellung zu, als David das einzige mit Namen genannte Individuum des Psalms darstellt. Sprachlich und kompositionell knüpft die Erwählung Davids an die Einsetzung Israels als Kultgemeinde in V. 52–54 an, wodurch Jhwh die Führung seines Volkes in staatlicher Zeit auf David überträgt und ihn als göttlichen Mandatar einsetzt.184 Dazu wird die für die Asafpsalmen typische Metapher des königlichen Hirten (vgl. Ps 74,1; 77,21; 79,13; 80,2), mit dem die Führung Jhwhs in der Wüste qualifiziert worden ist (V. 52 f), auf David übertragen, 184
W EBER, Psalm 78 (2000), 208 sieht aufgrund des asafitischen Hirtenbildes und der in den nach Weber in den Asafpsalmen verbreiteten Nordreichtradition hintergründig eine Anspielung auf die Mose-Traditionen, durch die die Autorität des Mose auf David übertragen und David für Juda zum ›neuen Mose‹ wird. Ähnlich auch W ITTE, Exodus, 38, der diese Tendenz vor dem Hintergrund des chronistischen Asafbilds herausstellt (vgl. 1Chr 16,15 ff; 2Chr 24,20; Neh 12,46). Demgegenüber steht aber die Erwählung Davids, dem die göttlichen Führungsqualitäten direkt übertragen werden, wie dies durch die sprachlichen und strukturellen Analogien von V. 52–54 und V. 70–72 profiliert wird, während Mose im gesamten Psalm keine explizite Bedeutung zukommt. Anders liegt diesbezüglich der Akzent im Nachbarpsalm Ps 77,21, in dem Jhwh seine Herde durch Mose und Aaron leitet. Vielmehr weist das in Ps 78,70–72 gezeichnete Davidbild Parallelen zur Chronik auf. So auch H ARTENSTEIN, Bedeutung, 343 Anm. 31. Zum Davidbild in der Chronik vgl. insbesondere W ILLI, Königtum, 76–83 und DERS., Völkerwelt, 450 f. Dabei werden nach Willi innerhalb der Herrschaftskonzeption der Chronik, die vor dem Hintergrund der universalen persischen Weltreichsidee entworfen ist und wie diese die Weltherrschaft des Königsgottes voraussetzt, David und Salomo als göttlicher Mandatar eingesetzt. Sie werden von Jhwh auf seinen Thron gesetzt (vgl. 1Chr 29,23; 2Chr 9,8), um das irdische Regiment des göttlichen Weltenherrschers auszuführen. So hat sich »im Königtum Davids und seiner Nachkommen … die KZK\WZNOP (1Chr 28,5) erstmalig und prototypisch manifestiert« (W ILLI, Königtum, 81). Im Unterschied aber zur Herrschaftskonzeption der Chronik ist die universalistische Tendenz des davidischen Königtums der Chronik in Ps 78 nicht ausgeprägt. Obwohl die Gotteskonzeption in Ps 78 auch von der Exklusivität und Universalität des Königsgottes ausgeht, wird diese doch ausschließlich im Hinblick auf die Geschichte des Gottesvolkes entfaltet, während die Völkerwelt anders als in der Chronik nicht in den Blick gerät. Vgl. zur Bedeutung der Völkerwelt für die Herrschaftskonzeption des ›Gottesregiments‹ in der Chronik weiter W ILLI, Völkerwelt, 435–451. Einen anderen Schwerpunkt setzt diesbezüglich Ps 105, der zwar nicht das chronistische Davidbild übernimmt, dafür aber den mit der Weltherrschaft des Königsgottes verbundenen Universalismus mit der Chronik teilt und in den Lobaufruf in Ps 105,1 die Völkerwelt einschließt. Einen anderen Akzent setzt hier SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 149, der in dem hier erwählten David den David redivivus der spätnachexilischen Zeit sieht, auf den die ganze Hoffnung des Gottesvolkes gerichtet ist. So auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 99–103. Dagegen betont W ITTE, Exodus, 39 zu Recht, dass in dem gesamten Psalm wie in der Chronik keinerlei eschatologische Tendenz enthalten ist und von daher das Davidbild in Ps 78 eine größere Nähe zur Chronik aufweist.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
der als realer Hirte Kleinvieh weidet und von Gott dazu erwählt wird, nun Israel, seinen Erbbesitz, zu weiden (70–72).185 Darüber hinaus wird die Herrschaft Davids in zweierlei Hinsicht charakterisiert. Erstens wird David in V. 70 als Knecht Jhwhs aus dem Volk herausgehoben (vgl. 2Sam 7,5; 1Kön 3,6; Ps 89,4), wodurch er in besonderer Nähe zu Jhwh steht. Dabei ist auffallend, dass die mit der Erwählung verbundene Dynastiezusage, die in den Bezugstexten von großer Relevanz ist (vgl. 2Sam 7,1–16), nicht übernommen wird. Auf diese Weise wird die paradigmatische Bedeutung der Erwählung Davids für die Heilsgeschichte Israels hervorgehoben. Sie setzt sich nicht in der Dynastie fort, sondern gehört durch die Vergegenwärtigung in jeder Generation zum identitätsstiftenden Fundament der Traditionsgemeinschaft.186 Zweitens ist die Ausübung seiner Herrschaft an weisheitlichen Idealen orientiert. Die ›Redlichkeit des Herzens‹ (EEOaW V. 72)187 steht im Kontrast zum Herz der Väter, das nicht fest bei Jhwh gegründet war (V. 8.37). Auch die Einsicht der Hände, nach der David das Volk leitet (K[Q), verweist auf einen weisheitlichen Vorstellungszusammenhang. Zugleich schließt sie das gesamte Volk mit ein.188 Dies zeigt sich zum einen daran, dass Israel und Juda genannt werden (V. 71). Zum anderen werden Israel und Juda als ›sein Volk‹ (ZP>) und ›sein Erbbesitz‹ (ZWO[Q) bezeichnet, wie es auch im Zusammenhang der Einsetzung des Gottesvolkes als Kultgemeinde der Fall ist (vgl. V. 52.55). Damit ist die nicht chronologische Verbindung von David und Nordreich nur eine scheinbare. Denn das Erwählungshandeln Jhwhs geht hinter die Verwerfung Efraims und Josefs zurück und setzt dem auf das Nordreich begrenzten Zorn die unbegrenzte Erwählung des gesamten Volkes voraus. Im Hinblick auf die Komposition des Psalms bedeutet dies, dass das Erwählungshandeln des Weltenherrschers wie die Barmherzigkeit des Schöpfergottes (V. 38 f) den göttlichen Zorn umschließt und das Handeln Gottes in der Geschichte prägt, so dass der Zorn nie in 185
Sprachlich ist die Erwählung Davids in Anlehnung an die Nathanverheißung in 2Sam 7,7 f und 1Chr 17,7 formuliert. So auch GUNKEL, Psalmen, 347. Vgl. darüber hinaus 1Sam 16,11; 2Sam 5,2; 6,21; 7,5; 1Kön 3,6; 8,16; 9,4; Ps 89,4.30; 2 Chr 6,5 f. Zu weiteren Bezugstexten vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 440. 186 Anders SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 149 f, der das Fehlen des Königstitels mit der Nähe des Psalms zur deuteronomistischen Theologie erklärt. Vgl. dazu weiter FÜGLISTER , Rätsel, 284. 187 Als Parallele zu Ps 78,72 vgl. vor allem die Verheißung Jhwhs an Salomo nach der Fertigstellung des Tempels in 1Kön 9,1–9. In diesem Zusammenhang wird die Herrschaft Davids durch die ›Redlichkeit seines Herzens‹ ( EEOaW) qualifiziert. Vgl. darüber hinaus zu diesem weisheitlich geprägten Ideal Hiob 1,8; 2,3 und Ps 101,2 und zur Darstellung Davids als idealer Herrscher WITTE, Exodus, 36. 188 Dass das gesamte Volk in die Erwählung Davids einbezogen ist, betonen auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 343 f, MATHIAS, Geschichtstheologie, 102 und W ITTE, Exodus, 36.
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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Gänze ausbrechen kann. Mit dieser Erwählung Davids als göttlicher Mandatar, in die das gesamte Volk mit eingeschlossen ist, schließt der Psalm. Diese den letzten Abschnitt prägende Zions-/Jerusalem- bzw. Davidzentrierung, die durch die dreifache Erwählung zur Grundlage des Volkes Israel wird, zeichnet diesen Geschichtspsalm aus, da sich Vergleichbares in den anderen Geschichtspsalmen (105; 106; 135; 136) nicht mehr finden wird. 4. Fazit Der Durchgang durch den Text hat die in vielerlei Hinsicht bewusst gestaltete Komposition des Psalms mit seinen drei großen Abschnitten, dem Proömium (V. 1–11) sowie den beiden Durchgängen durch die Heilsgeschichte Israels (V. 12–39.40–72), profilieren können. Die beiden Durchgänge durch die Geschichte sind in struktureller und konzeptioneller Analogie gestaltet und durch die Scharniervierse (V. 17.32.40–42.56) sprachlich eng miteinander verzahnt.189 Beide Geschichtsreflexionen beginnen mit einer Darstellung der Wundertaten Jhwhs, durch die das Gottesvolk Fürsorge und Schutz des Schöpfers (V. 12–16) und die bewahrende Führung des Weltenherrschers (V. 40–55) erfährt. Auf die Wundertaten folgt jeweils eine ablehnende Reaktion der Väter, die zum Ausbruch des göttlichen Zorns und zum Strafhandeln Jhwhs führt (V. 17–31/56–64). Allerdings ist der göttliche Zorn in beiden Fällen von vornherein begrenzt und trifft nur einen Teil des Volkes, wodurch ein Fortgang der Geschichte ermöglicht wird. Diese Begrenzung des göttlichen Zorns erkennen die Beter in der Reflexion der Geschichte im Ausbruch der Plage aufgrund der Gier der Väter in der Wüste (V. 31) sowie im Untergang des Nordreichs aufgrund des Götzendienstes der Väter in staatlicher Zeit (V. 60–64). Daraufhin wird im letzten Abschnitt der beiden Durchgänge die Barmherzigkeit Jhwhs zu seinem Zorn ins rechte Verhältnis gesetzt (V. 38 f.67–72). Dies geschieht im ersten Durchgang durch eine schöpfungstheologische Reflexion der Fehlbarkeit des Menschen. Es ist die Barmherzigkeit des Schöpfergottes, aufgrund derer er der Fehlbarkeit seiner Geschöpfe immer wieder gedenkt, so dass sein Zorn von vornherein begrenzt ist (V. 38 f) und seine Barmherzigkeit so zum Fundament seines heilsgeschichtlichen Han189 Vgl. hierzu MATHIAS, Geschichtstheologie, 108, der in ähnlicher Weise von einer viergliedrigen Struktur ausgeht, wobei im ersten Glied die bedingungslosen Heilstaten Gottes, im zweiten Glied die Schuld der Väter, im dritten Glied die Strafe und im vierten Glied das erneute Erbarmen Gottes genannt werden. Diese Struktur spiegele das dem Psalm zugrunde liegende Modell von Sünde – Strafe – Vergebung wider, das der Psalm aus der deuteronomistischen Geschichtstheologie übernommen und abgewandelt habe. Ähnlich auch schon KÜHLEWEIN, Geschichte, 87 f. Dabei bleibt bei diesem Modell allerdings das für den Psalm zentrale theologische Thema der Verhältnisbestimmung der göttlichen Barmherzigkeit zu seinem Zorn unberücksichtigt.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
delns wird. Dadurch wird die Fehlbarkeit des Menschen, die unlösbar zu seiner Geschöpflichkeit gehört, zu einer anthropologischen Kategorie, die das Handeln des Menschen in der Geschichte prägt. Im zweiten Durchgang wird diese den Zorn umfassende göttliche Barmherzigkeit auf der Ebene des geschichtlichen Handelns des Weltenherrschers anhand der Kategorien von Erwählung und Verwerfung erneut entfaltet. Dabei geht das Erwählungshandeln Jhwhs hinter die Verwerfung Efraims zurück, indem die Erwählung Davids das gesamte Volk umfasst (V. 70–72). So erkennen die Beter in der Reflexion ihrer Geschichte den Untergang des Nordreichs im Nachhinein als Begrenzung des göttlichen Zorneshandelns.190 Dieser Horizont von Schuld und göttlicher Barmherzigkeit prägt beide Durchgänge durch die Heilsgeschichte und ist bereits durch die Schuld der Väter in der geschichtshermeneutischen Reflexion des Proömiums konstitutiv verankert. Denn bei den Vätern des Anfangs handelt es sich um eine Generation, die sich bereits gegen Jhwh verschuldet hat (V. 8) und deren Schuldkontinuität bis zu den Betern reicht, wie es durch die Scharnierverse deutlich wird (V. 17.18a.32.40–43.56). Auf diese Weise entsteht eine bewusst gestaltete Komposition, die – abgesehen von V. 9 – keinen Anlass für größere literarkritische Operationen bietet. In den beiden Reflexionsgängen durch die Geschichte in V. 12–39 und V. 40–72 werden jeweils unterschiedliche Aspekte der paradigmatischen Heilsgeschichte entfaltet. So steht der erste Reflexionsgang in V. 12–39 unter dem Fokus, Jhwhs Handeln als Schöpfer in der Geschichte aufzuzeigen, der sich seinen Geschöpfen fürsorglich und versorgend zuwendet. Im zweiten Reflexionsgang V. 40–72 wird die Heilsgeschichte unter der Perspektive des Weltenherrschers dargestellt, der sein Volk in der Geschichte führt. Dabei sind beide Handlungsweisen jeweils durchlässig füreinander und erweisen sich letztlich als zwei Seiten einer Medaille. Diese Durchlässigkeit wird in zweierlei Hinsicht erreicht: Erstens sind die beiden Durchgänge durch die Heilsgeschichte auf der Ebene der Komposition eng miteinander verzahnt, indem insbesondere den Übergangs- bzw. Scharnierversen (V. 17.18a.32.40–43.56) die Funktion zukommt, die Abschnitte untereinander zu verbinden und gegenseitig aufeinander zu beziehen. Dies geschieht vor allem dadurch, dass die für den 190 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 150, der in diesem Zusammenhang vom »Triumph der Gnade« spricht, die durch keine Schuldenlast zunichte gemacht werden kann. Vgl. weiter SCHREINER, Geschichte, 326 und MATHIAS, Geschichtstheologie, 107– 109, die ebenfalls die Prävalenz der Güte Jhwhs hervorheben. Allerdings berücksichtigt Mathias bei seinem Modell nicht, dass der Psalm nicht einfach die Prävalenz der Gnade setzt, sondern das Verhältnis von göttlicher Güte und göttlichem Zorn in der Geschichte Israels als Gottesvolk austariert.
C. Die Konstruktion der Heilsgeschichte
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Psalm entscheidenden geschichtstheologischen Deutekategorien, ›sündigen‹ (DM[), ›sich auflehnen/widerspenstig sein‹ (KUP), ›versuchen‹ (KVQ), am Anfang der einzelnen Abschnitte wieder aufgenommen werden. Daher sind die folgenden Darstellungen der Geschichte von diesen Kategorien her zu verstehen. Auf diese Weise entsteht ein Deutehorizont, der den Psalm wie ein roter Faden durchzieht. Inhaltlich heben die Scharnierverse hervor, dass die Wüstengeneration sowie die Generation der staatlichen Zeit in einer Schuldkontinuität mit der im Proömium in V. 8 als ›widerspenstige Väter‹ charakterisierten Wüstengeneration stehen, so dass die Dimension der Schuld in den Anfängen der Geschichte als Gottesvolk verankert ist. Zweitens sind über diese formale Ebene der Komposition hinaus die Reflexionsgänge auf der Ebene der Konzeption von Geschichte miteinander verbunden. So zeigt sich im fürsorgenden und bewahrenden Handeln des Schöpfers (V. 13–16.23–30) seine Geschichtsmächtigkeit. Zugleich ist das Handeln des Weltenherrschers im zweiten Reflexionsgang (V. 40–72) durchlässig für den Schöpfer, der bei den Plagen in V. 44–51 als Herr der Elemente sichtbar wird. Noch deutlicher aber zeigt sich diese Transparenz darin, dass das Schöpfungshandeln Jhwhs als Vergleichsgröße für das irdische Heiligtum herangezogen wird, da der Weltenherrscher seinen irdischen Residenzort wie die Himmelshöhen und die Erde fest gegründet hat. Aufgrund dieser Durchlässigkeit wird die Geschichte zum Handlungsort des Schöpfers, wie auch der Residenzort des Weltenherrschers auf den Schöpfer verweist. Dabei ist die Reihenfolge der Reflexionsgänge nicht umkehrbar. Der zuerst entfaltete schöpfungstheologische Zusammenhang stellt den Begründungszusammenhang für den in der Geschichte handelnden Weltenherrscher dar. Dabei ist es für die Geschichtstheologie des Psalms von Bedeutung, dass die Präsenz des in der Geschichte handelnden Weltenherrschers vom Zion ausgeht und der Zion bzw. Jerusalem Residenzort des Schöpfers ist. In diesem Sinn ist die in Ps 78 begründete Exklusivität Jhwhs zionstheologisch bzw. von einer David-Königstheologie geprägt. So deutet der Psalm letztlich die Geschichte Jhwhs mit seinem Volk als eine Geschichte der göttlichen Barmherzigkeit. Um dies zu erkennen und um mit ›lobendem Weitererzählen‹ (USVPiel) auf die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte zu reagieren, ist den beiden Durchgängen eine geschichtshermeneutische Reflexion über die Vermittlung der Tradition von Generation zu Generation durch Traditionskundige (V. 1–11) vorgeschaltet. Sie nimmt das vor allem in der Toda des Einzelnen geprägte Muster der Vergegenwärtigung und Veröffentlichung der Rettungstaten (USV Piel) Jhwhs auf und transformiert es in die Perspektive des Erzählens kollektiver Rettungstaten. Die im Rahmen des kultischen Danks vergegenwärtigten Rettungstaten erhalten so einen paradigmatischen Charakter und werden zum identitätsstiftenden Fundament der Traditionsgemeinschaft. Dieses
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
zeichnet sich neben dem Gotteslob auch durch das Wahren der Gebote als einer weiteren Antwort auf die Rettungstaten Jhwhs aus. Zu dem Erinnern der Rettungstaten gehört auch die Erinnerung des Vergessens der Väter, das die Geschichte des Gottesvolkes von den Anfängen her geprägt hat und zum Ausstieg aus dem kultischen Dank führte. Allerdings dient die Vergegenwärtigung des Vergessens gerade dazu, sich seiner Konsequenzen bewusst zu werden und gerade nicht wie die Väter zu agieren. Vielmehr sollen sich die Beter durch die Reflexion der Geschichte der Barmherzigkeit Jhwhs bewusst werden und sich aufgrund dessen ihrer Identität als Gottesvolk vergewissern. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten geschichtstheologischen Konstruktion in Ps 78, die vor allem durch ihre schöpfungstheologische Reflexion ein monotheistisches Gottesbild impliziert, liegt eine nach- bzw. spätnachexilische Datierung des Psalms nahe. Bestätigt wird diese Vermutung durch die in Ps 78 vielfältig rezipierten Bezugstexte einschließlich des idealisierten Davidbildes, das Analogien zur Chronik aufweist.
D. Psalm 78 als Reflexionstext der Asafsammlung – eine psalterkompositorische Einordnung D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung Im Anschluss an die Darstellung der geschichtstheologischen Reflexion in Ps 78 schließt sich im folgenden Kapitel die Frage nach der psalterkompositorischen Intention des Psalms innerhalb der Asafsammlung an. Diese Fragestellung legt sich schon allein dadurch nahe, dass die Tradenten den umfangreichen Geschichtspsalm in die Mitte der Asafsammlung Ps 73–83 platziert und somit dem Zentrum der Sammlung ein besonderes Gewicht verliehen haben.191 Grundlegend für die im Folgenden zu entfaltende psalterkompositorische Perspektive ist zunächst die Annahme einzeltextübergreifender und kompositorisch gewollter Inhalte,192 die die Psalmen der Asafsammlung über ihre gemeinsame Überschrift hinaus verbinden. Diese 191 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 440. Zur Komposition der Asafpsalmen vgl. den Forschungsüberblick bei WEBER, Asaph-Psalter, 118 Anm. 5, bei SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 299 f sowie die Zusammenfassung bei Z ENGER, Psalmenexegese, 54. Die neueren Arbeiten zum Asafpsalter untersuchen vor allem die die Psalmen verbindenden gemeinsamen Themen und Motive, um die Texte auf dieser Grundlage einer gemeinsamen Tradition und darüber hinaus auch Komposition zuzuordnen. Zu den typischen Motiven und Themen der Asafpsalmen vgl. SÜSSENBACH, Der elohistische Psalter, 301–325, ILLMAN, Thema, 17–43, GOULDER, The Psalms of Asaph, 61– 310, SCHELLING, De Asafpsalmen, und W EBER, Asaph-Psalter, 118–126. NASUTI, Tradition History, 49–58 hingegen fordert vor allem in seiner Auseinandersetzung mit Illman eine stärkere Berücksichtigung der spezifischen Sprache der Psalmen. 192 So HARTENSTEIN, Schaffe, 230.
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
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lassen sich zunächst zwischen unmittelbar aufeinanderfolgenden Psalmen finden, indem diese gezielt gestaltete Stichwortverbindungen und Wiederaufnahmen von Motiven aufweisen. Daher werden ausgehend von Ps 78 im ersten Abschnitt D.1. die beiden Nachbarpsalmen 77 und 79 in den Blick genommen und auf konzeptionell gezielt gestaltete Verbindungslinien untersucht, um auf diese Weise die psalterkompositorische Intention von Ps 78 in seinem Nahkontext bestimmen zu können. Da sich nach Zenger die psalterkompositorischen Verknüpfungen zwischen den Nachbarpsalmen häufig durch besonders enge konzeptionelle Verbindungslinien auszeichnen,193 werden Struktur und Intention von Ps 77 und 79 dazu genauer untersucht werden. Im zweiten Abschnitt D.2. wird dann der Blick auf die Asafsammlung im Ganzen ausgeweitet. Vorausgesetzt ist hier die Grundannahme einer Ablauflesung, die davon ausgeht, dass die Redaktoren der Sammlung eine sinnvolle Reihenfolge der aufeinanderfolgenden Psalmen intendiert haben.194 Vor diesem Hintergrund können die Ps 78 prägenden Konzeptionen als redaktionell gestaltete theologische Linien innerhalb der Asafpsalmen nachgezeichnet werden. Diese konzentrieren sich vor allem auf den für die Asafsammlung typischen Rückgriff auf die fundierende Heilsgeschichte Israels als Gottesvolk, die in Ps 78 über die anderen Asafpsalmen hinausgehend in besonderer Weise ausgestaltet wird.195 In diesem Zusammenhang wird sich die Aufnahme und Deutung des Schilfmeerliedes aus Ex 15,1–18 in Ps 78,13–16.52–55, die mit der Vorstellung Jhwhs als Hirte einhergeht (Ps 78,52–55.70–72), als zentral erweisen, da durch diesen Motivkomplex eine theologische Verbindungslinie von Ps 74 über Ps 77 zu Ps 78 und Ps 79 entsteht. Denn mit der in Ps 74,1–3 eröffneten kollektiven Perspektive auf die Heilsgeschichte Israels, verbunden mit der Klage über das Schweigen Gottes in der Gegenwart der Beter, wird ein Themenkomplex eröffnet, der in Ps 78 einen reflexiven Höhepunkt erfährt und mit der Klage in Ps 79 abgeschlossen wird. Schließlich wird das in Ps 74,1 eingeklagte ursprüngliche Gottesverhältnis Israels als Herde Jhwhs durch das Vertrauensbekenntnis in Ps 79,13 beantwortet. Diese kompositionell und redaktionell 193 Diese bewusst gestalteten Bezüge zwischen Nachbarpsalmen nennt ZENGER, Einleitung, 351 f als erstes und stärkstes Indiz für die planvolle Komposition und Redaktion des Psalters. 194 Zur methodologischen Grundlegung der Ablauflesung vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 31–42, HARTENSTEIN, Schaffe, 230–236 und die hermeneutischen und methodologischen Vorüberlegungen in Kapitel 1 C. (S. 9ff). 195 Darüber hinaus enthält Ps 78 die für die Asafpsalmen typische Gerichtsthematik, die vor dem Hintergrund der Barmherzigkeit Gottes entfaltet wird, sowie eine weisheitlich-prophetische Prägung, die als weiteres asafitisches Merkmal gilt. Zur weisheitlichen Einfärbung der Asafpsalmen (Ps 50; 75; 78; 81 f) sowie zu weiteren Gemeinsamkeiten der Asafpsalmen vgl. W EBER, Asaph-Psalter, 118–126.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
gestaltete Verbindungslinie wird im Fokus des zweiten Abschnitts D.2. liegen. 1. Psalm 78 im Kontext seiner Nachbarpsalmen 77 und 79 a) Die Wunder der Vorzeit in Psalm 77 und Psalm 78 Der Ps 78 vorangehende Ps 77 ist in psalterkompositorischer Hinsicht vor allem durch seine in Ps 77,17–21 enthaltene heilsgeschichtliche Perspektive mit Ps 78 verbunden. Diese ist aber nicht wie in Ps 78 in eine umfassende Geschichtsreflexion eingebunden, sondern Teil einer Klage eines Einzelnen, die paradigmatisch für die Not des Volkes steht.196 So setzt der Psalm mit einer Klage des Einzelnen ein, der sich in seiner bedrängenden Not an Gott wendet (V. 2–4) und diesen in V. 5–7 direkt in der zweiten Person Singular anspricht. Sein Nachsinnen richtet sich auf die ›Tage der Vorzeit‹ (aGTP a\P\), so dass die in V. 17–20.21 ausgeführte mythische Vorzeit bereits im Nachsinnen der Beter präsent ist. Dabei verbirgt sich hinter dem Begriff ›ureinst‹ (aGT) die Vorstellung einer fundierenden Heilszeit, die im Gegensatz zur Erfahrung der erlebten Gottesferne des Beters steht. Das Gedenken der Tage der Vorzeit verweist weiterhin darauf, dass sich der Beter als Teil der Traditionsgemeinschaft versteht und seine individuelle Not in den Rahmen der kollektiven Perspektive des Volkes stellt.197 Dieses Gedenken führt zu den anklagenden Fragen in V. 8–10, die alle darauf zielen, Gott an seine Barmherzigkeit und Gnade zu erinnern, die seinem Zorn ein Ende setzen können.198 In V. 11–13 wird die Not des Beters noch einmal zusammengefasst und zugleich zu dem folgenden hymnischen Teil übergeleitet. Charakteristisch für diesen Klageteil ist, dass er sich durch die Leitworte ›erinnern‹ (UN], V. 4.7.12) und ›nachsinnen‹ (K\I, V. 4.7.13) sowie das Wortfeld ›gedenken‹ (V. 3: ›suchen/nachforschen‹ [YUG], V. 6: ›überdenken‹ [EY[], V. 7: ›forschen‹ [IS[], V. 13: ›nachdenken‹ [KJK]) auszeichnet. 196
Vgl. hierzu WEBER, Psalm 77, 191–198. Vgl. hierzu auch NASUTI, Tradition History, 79. WEBER, Psalm 77, 234–236 sieht aufgrund des Gedenkens der Tage der Vorzeit und des Beachtens der Jahre von Generation zu Generation einen direkten Bezug zum Moselied in Dtn 32,1–43. Allerdings sind die terminologischen Übereinstimmungen gering. Der Begriff aGT fehlt in Dtn 32 und auch die Bezeichnungen für das Gedenken unterscheiden sich. Zudem ist der Kontext verschieden. In Dtn 32,7 steht die Aufforderung zum Gedenken im Zusammenhang mit dem Vater, der diese Tage kundtun wird. 198 Nach W EBER, Psalm 77, 225 steht im Hintergrund der Prätext der Gnadenformel aus Ex 34,6 f, auch wenn er festhält, dass die sprachlichen Anklänge nur recht lose sind. Nimmt man diesen Hintergrund an, dann implizieren die Fragen bereits die Antwort. Aufgrund der Gnade, die den Zorn begrenzt, kann der Beter hoffen, dass sich Jhwh seinem Volk wieder heilvoll zuwendet. 197
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
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Die den ersten Abschnitt durchziehenden Leitworte des Erinnerns, die sich sowohl auf die eigene Not beziehen (V. 2–4) als auch Gott anklagend an seine Barmherzigkeit erinnern (V. 10), werden im zweiten, hymnischen Abschnitt in V. 14–21 nicht mehr aufgenommen. Der Abschnitt beginnt mit dem Lobpreis der Größe Gottes und seiner Wunder, die in der Rettung seines Volkes sichtbar geworden sind (V. 14–16). Dabei weist die Kombination aus der rhetorischen Frage in V. 14b und der Formulierung ›Wunder tun‹ (DOSKI>, vgl. Ex 15,11) sowie die Lösung des Volkes in V. 16a (vgl. Ex 15,13) Bezüge zum Schilfmeerlied in Ex 15,1–18 auf. Sie werden in den folgenden Versen 17–21 weiter ausgeführt, indem die Rettungstat am Schilfmeer als Theophanie Gottes gedeutet wird.199 Dabei ist diese Theophanieschilderung in V. 17–20.21 durch Chaoskampfreminiszenzen und Anklänge an das Schilfmeerlied in V. 20 gerahmt. V. 17 und V. 20 sind durch das Stichwort ›Wasser‹ (a\P) aufeinander bezogen. Die Funktion der Wasser wird in V. 17 in einem sogenannten klimaktischen Parallelismus zum Ausdruck gebracht, der vom Sehen der Wasser über ihr Beben bis zum Erzittern der Urfluten führt. Dieses ›Beben der Wasser‹ (O\[, ]JU) bezeichnet in anderen Theophanietexten die Reaktion der Erde bzw. Berge auf das Kommen Jhwhs (vgl. Hab 3,10; Ps 18,8), so dass in Ps 77,16 die Reaktion der Erde auf das Meer übertragen wird. Im Gegenzug dazu sind die Anspielungen auf den Chaoskampf indirekter. So verweist das Beben der Urfluten implizit auf die Herrschaft Jhwhs über die Wasser, der gegenüber sie so machtlos sind wie das Meerungeheuer Jam gegenüber dem königlichen Kriegsgott Baal. Dieser im Hintergrund stehende einmalige Sieg Jhwhs über die Wasser wird mit der Flucht der Wasser vor Jhwh noch einmal bestätigt (vgl. Ps 114,3).200 Dies bedeutet, dass mit diesen Anklängen an den Chaoskampf die den Vers prägende Theophanieschilderung interpretiert wird.201 In V. 18–19 wird die Theophanie Jhwhs weiter ausgeführt, indem die zu den meisten Theophanieschilderungen gehörenden Gewitterphänomene hinzugefügt werden.202 In V. 20 wird die Theophanieschilderung abgerundet, indem durch das Stichwort ›Wasser‹ (a\P) V. 17 wieder aufgenommen wird. Im Unterschied zu V. 17 wird die Theophanie Jhwhs in V. 20 nun durch die Anklänge an die Rettung am Schilfmeer 199 Dabei ist stets aufgefallen, dass sich die Verse 17–20 durch den Stufenparallelismus der sogenannten kanaanäischen Trikola von den Bikola des Kontextes abheben, vgl. hierzu HOSSFELD/ZENGER, Die Psalmen II, 434. 200 Auch die im Kolorit des Chaoskampfes gezeichneten Völker in Ps 48,5–7 reagieren wie die Wasser in Ps 77,17 mit Beben und Flucht im Angesicht Jhwhs bzw. des Zion. Vgl. zur Bedeutung des Chaoskampfes für die Zionstheologie LUTZ, Jhwh, 177–204, JEREMIAS, Lade, 183–198 und WANKE, Zionstheologie, 68–99. 201 Vgl. JEREMIAS, Theophanie, 26–28.147. 202 Vgl. zu den Belegen aus der Umwelt JEREMIAS, Theophanie, 84.89, der vor allem die Parallele zu Ninurtas Kriegswagen zieht, durch den Himmel und Erde erbeben.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
interpretiert. Dabei beschreiben die drei Glieder des Verses, dass Jhwhs Weg durch das Meer (erstes Glied) und seine Pfade durch mächtige Wasser (zweites Glied) führt, wobei aus den Wassern aus V. 17 die mächtigen Wasser geworden sind. Der Höhepunkt des Verses liegt wiederum im dritten Glied, welches resümierend festhält, dass die Fußstapfen Jhwhs durch das Meer nicht erkannt wurden, wodurch wie in V. 14 die Transzendenz Gottes sowie seine Unverfügbarkeit hervorgehoben werden.203 Diese Reflexion der Rettung am Schilfmeer im Kontext der Theophanie begründet die Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs und sein heilvolles Eingreifen.204 Daher stellen die nicht sichtbaren Spuren zugleich einen Trost im Hinblick auf die Gottesferne der Gegenwart dar. Denn auf eine solche Erfahrung können die Beter bereits in den Tagen der Vorzeit zurückgreifen, in denen Gott sein Volk in der Wüste wie eine Herde durch Mose und Aaron geführt hat (V. 21). Auf dem Hintergrund dieser skizzierten Struktur von Ps 77 ist im Folgenden nach den psalterkompositorischen Verbindungslinien zwischen Ps 77 und Ps 78 zu fragen. Hierbei ist auffällig, dass beide Psalmen von einer heilsgeschichtlichen Perspektive geprägt sind. Formal lässt sich diese an dem Ausdruck ›Tage der Vorzeit‹ (vgl. Ps 77,6.11; 78,1–11) verdeutlichen, da der Rückblick auf die mit den Tagen der Vorzeit verbundenen heilvollen Taten Gottes in beiden Psalmen von entscheidender Bedeutung ist.
203
Vgl. in diesem Zusammenhang vor allem Jes 51,9 f, da der Text explizit Jhwhs Sieg gegen Rahab und Leviatan mit dem Durchzug der Erlösten durch das ausgetrocknete Meer verbindet. Zur Deutung vgl. J EREMIAS, Königtum, 28 f. 204 Da die Theophanie die die Verse 17–20 prägende Tradition ist, sind die Versuche von WEBER, Psalm 77, 226–229, sprachliche Bezüge zur Sinaiperikope herzustellen, nicht überzeugend. Die Aufnahme der Sinaierzählung in Ex 32–34 wird nur dann plausibel, wenn man wie Weber Ps 77 als Mittlerklage deutet und dadurch einen Bezug zur Autorität des Mose und zu seiner Rolle als Fürbitter herstellt. Es geht in Ps 77 aber nicht um Fürbitte, sondern um den Machterweis Gottes, der sich in der Führung seines Volkes zeigt. Die in Ex 32–34 zentrale Thematik von Schuld und Abfall wird in Ps 77 gar nicht erwähnt. Die Tage der Vorzeit in Ps 77 sind die Zeit der fundierenden Heilstaten Jhwhs, die fern von Schuld und Abfall scheinen und somit einen Kontrast zur erfahrenen Gottesferne der Gegenwart darstellen. Auch die Theophanie in Ex 19 weist keine sprachlich relevanten Bezüge zu Ps 77 auf. Andere Theophanieschilderungen wie Ps 114,3 f, Hab 3,8–15 oder Ps 18,8–16 weisen deutlichere Parallelen auf.
107
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
Ps 77,6.12 Ich habe überdacht die Tage der Vorzeit , die Jahre der fernsten Zeit. Ich gedenke der Taten Jhs, ja,/denn ich will gedenken deiner Wundertaten von Vorzeit an.
Ps 78,2
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Dabei sind in beiden Psalmen die Tage die Wundertaten Jhwhs auf die Vorzeit bezogen (Ps 77,6.12; 78,2.4.7). Sie beschreiben in Ps 77,16.17–21 die Erinnerung der Rettungstat am Schilfmeer, deren Vergegenwärtigung dem Beter die Hoffnung auf ein erneutes heilvolles Eingreifen Jhwhs gibt (Ps 77,17–21). Dieses Gedenken wird in Ps 78 aufgenommen und in dreifacher Weise weitergeführt. Erstens wird es in Ps 78,1–11 im Zusammenhang mit dem aus der Toda geprägten Muster des ›lobenden Weitererzählens‹ (USV Piel) entfaltet. Dies bedeutet zum einen, dass die Perspektive des paradigmatisch Einzelnen aus Ps 77 verlassen und das Gedenken der Wundertaten in die Perspektive des Erzählens transformiert wird. Zum anderen wird das Gedenken der Taten der Vorzeit zu einem generationenübergreifenden Prozess. Denn die Vergegenwärtigung der Wundertaten der Vorzeit ermöglicht einer jeden Generation, sich der Zugehörigkeit zur Traditionsgemeinschaft zu vergewissern und diesen Akt mit dem Lob Gottes zu bekräftigen. Insofern wird das Gedenken der Tage der Vorzeit aus Ps 77 in Ps 78 als Teil der geschichtshermeneutischen Reflexion grundlegend weitergeführt.205 Zweitens erscheinen auch die Tage der Vorzeit selbst gegenüber Ps 77 in einem differenzierteren Licht. Denn in Ps 78 wird die Dimension der Schuld des Volkes, die in Ps 77 gänzlich fehlt, in die Tage der Vorzeit integriert. Dies wird in Ps 78 besonders in den Scharnierversen deutlich, mit denen die Schuldkontinuität der Beter mit der Generation der Vorzeit deutlich markiert wird (Ps 78,17f.32.40–42.56). Drittens dient der Rekurs auf die Tage der Vorzeit in Ps 77 vor allem dazu, der gegenwärtig erfahrenen Gottesferne das einstige heilvolle Handeln Jhwhs gegenüberzustellen und insofern eine Hoffnungsperspektive für das erneute Eingreifen Jhwhs zu begründen. Eine ausgefeilte Deutung der Frühgeschichte als paradigmatische Heilszeit, wie sie in Ps 78 in zwei Reflexionsgängen entfaltet wird (Ps 78,12–39.40–72), findet sich in Ps 77 nicht.
205 Vgl. zum ›lobenden Weitererzählen‹ (USV Piel) unter Ps 79, D.1.b) (S. 110 ff), und weiter die Kompositionsanalyse zu Ps 78 unter C.1. (S. 50ff).
108
Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
Die in Ps 77 fehlende Dimension der Schuld hat Auswirkungen auf das in beiden Psalmen reflektierte Verhältnis von göttlicher Gnade und Zorn: Ps 77,10 Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder hat er im Zorn sein Erbarmen verschlossen – Sela?
Ps 78,38
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aZ[UDZKZ Z>USN\
In Ps 77,10 wird die Relation von Zorn und Gnade im Rahmen der klagenden Fragen entfaltet und zielt darauf, Jhwh an sein zornbegrenzendes Erbarmen zu erinnern. In Ps 78,39 f hingegen ist das Verhältnis von Zorn und Gnade Teil der geschichts- und schöpfungstheologischen Grundlegung des Psalms. Dabei wird die Schuld anthropologisch verankert und ist als Teil der Geschöpflichkeit und Geschichtlichkeit des Menschen Grund für das stetig erneute heilvolle Gedenken des Schöpfers. Dieses zeigt sich in seiner umfassenden Barmherzigkeit, die seinen Zorn übersteigt und diesen eindämmt. Insofern hebt die Geschichtsreflexion in Ps 78 das Gedenken der Tage der Vorzeit aus Ps 77 auf eine Reflexionsebene, indem sowohl das Gedenken selbst in der geschichtshermeneutischen Reflexion in Ps 78,1–11 verankert wird als auch die Tage der Vorzeit vor dem Hintergrund der Schuldthematik eine schöpfungstheologische Grundlegung erfahren. Im Hinblick auf diese beiden Aspekte erweist sich Ps 78 gegenüber Ps 77 bereits als ein Reflexionstext, in dem entscheidende Aspekte aus Ps 77 aufgenommen und in grundlegender reflexiver Hinsicht weitergeführt werden. Diese Beobachtung spiegelt sich auch in der Verwendung der Hirtenmetaphorik sowie der Deutung der Rettungstat am Schilfmeer wider (Ps 77,21; 78,52–55). Ps 77,21 endet mit dem Hirtenbild, mit dem wie in Ps 78,52 f auch die göttliche Führung in der Wüste beschrieben wird: Ps 77,21 Du hast wie eine Herde dein Volk geführt durch die Hand von Mose und Aaron.
Ps 78,52 f
A0>D&R½N W \[L¼Q CUR K@DZ!KYÆPRG\%!
V. 52 V. 53
ZP>DFN [MEO + K[Q
Im Einzelnen ist die Verwendung des Hirtenbildes in beiden Psalmen aber unterschiedlich akzentuiert. In Ps 77,21 geschieht die Führung Gottes durch die Hand Moses und Aarons, womit Ps 77,21 die Zeit des Exodus in Erinnerung ruft. In Ps 78,52–55 werden Mose und Aaron als von Gott eingesetzte Führungspersönlichkeiten nicht genannt.206 Stattdessen zielt die 206 Weber und andere nehmen vor allem aufgrund der Bezüge des Höraufrufs zu Dtn 32 an, dass hinter dem Psalm die Autorität des Mose stehe, die dann am Ende des Textes
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
109
Verwendung der Hirtenmetaphorik darauf, Jhwh als Retter und Schützer seines Volkes zu profilieren, der sein Volk am Schilfmeer vor seinen Feinden gerettet hat. Am Ende dieses Reflexionsgangs wird die Hirtenmetaphorik erneut aufgenommen (Ps 78,70–72), indem Jhwh seine Hirtenrolle auf David überträgt und ihn als seinen Mandatar zur Leitung seines Volkes in staatlicher Zeit einsetzt. David oder die davidische Dynastie wiederum werden in Ps 77 nicht erwähnt.207 Obwohl beide Psalmen mit dem Hirtenbild enden, ist dieses doch konzeptionell unterschiedlich ausgestaltet. Dennoch entsteht in psalterkompositorischer Hinsicht eine heilsgeschichtliche Linie, die von Mose und Aaron in Ps 77 bis zu David in Ps 78 reicht. Mit dem unterschiedlich profilierten Hirtenbild sind auch die jeweils anders akzentuierten Deutungen der Rettung am Schilfmeer verbunden. In Ps 77,20 ist der Bezug zum Schilfmeer in die Theophanieschilderung in Ps 77,17–20.21 eingebunden. Diese Deutung des Schilfmeerliedes im Rahmen der Theophanie bedeutet, dass Jhwh als Herr des Wetters seiner Herrschaft über die Urfluten, über die Himmel und über den Erdkreis Ausdruck verleiht. Erst in Ps 77,21 wird die Theophanie in ihrer Bedeutung als eine fundierende Heilstat Jhwhs in der Frühgeschichte seines Volkes gedeutet, die im Loskauf seines Volkes (Ps 77,16) sowie in der Leitung in der Wüste durch Mose und Aaron besteht (Ps 77,21). Mit dieser Vergegenwärtigung der paradigmatischen Rettung am Schilfmeer als Theophanie in der Frühzeit verbindet sich die Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs, durch die der Beter Trost in der Not seiner Gegenwart erfährt. Insofern zeigt sich auch in dieser Zuspitzung, dass das Gedenken der Tage der Vorzeit Rettung und heilvolle Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk bedeutet und somit eine Gegenerfahrung zur erlebten Gegenwart der Gottesferne darstellt. Die zweifache Deutung des Schilfmeerereignisses in Ps 78,13 f.52–55 ist anders akzentuiert. Die Spaltung des Meeres in Ps 78,13 f, die Jhwh wie in Ps 77,17 als Herr der Wasser darstellt, zielt auf die Versorgung seines Volkes mit Wasser in der Wüste. Damit steht im Unterschied zu Ps 77 nicht die kosmische Herrschaft Jhwhs an sich im Vordergrund, die in Ps 77,17–20 mit der Theophaniemetaphorik ausgestaltet wird, sondern der versorgende Aspekt des Schöpfergottes. In Ps 78,52 f hingegen wird die Deutung des Schilfmeerereignisses auf die Rettung vor den Feinden zugespitzt, so dass Israel in diesem rettenden Akt Jhwh als den Weltenherrscher auf David übertragen wird. Allerdings hat die Konkordanzarbeit zu Ps 78,1–3 gezeigt, dass nicht nur Dtn 32, sondern auch weisheitliche und prophetische Traditionen im Hintergrund stehen und die Nähe zu Dtn 32 vor diesen Bezügen terminologisch gesehen keinen Vorrang hat, vgl. die Ausführungen zu Ps 78 unter C.1. (S. 50 ff). 207 Vielleicht stehen die Verarbeitung des Exils und der Verlust der Staatlichkeit, damit aber auch das Scheitern der davidischen Dynastie im Erfahrungshorizont von Ps 77, so dass die Gründung der Dynastie nicht zu den fundierenden Heilstaten der Vorzeit gehört.
110
Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
erfährt, der sein Volk sicher in der Wüste führt. In psalterkompositorischer Hinsicht erhält die als Theophanie gedeutete Rettung am Schilfmeer in Ps 77,17–21 auf diese Weise in Ps 78 ihre heilsgeschichtliche Grundlegung. Sie wird als paradigmatische Rettungstat profiliert, in der sich das Handeln des Schöpfers in der Geschichte sowie des Weltenherrschers manifestiert. Insofern nimmt Ps 78 die Deutung des Schilfmeeres aus Ps 77 auf, bettet sie in seine umfassende heilsgeschichtliche Reflexion ein und zeigt, dass Jhwhs kosmische Herrschaft in seinem Schöpferhandeln gründet. In der heilsgeschichtlichen Perspektive, die sich im Gedenken der Tage der Vorzeit ebenso wie in der Deutung der Rettung am Schilfmeer und der Verwendung der Hirtenmetaphorik zeigt, besteht somit die konzeptionelle und durch Motivverkettung gezielt gestaltete Verbindung der beiden Nachbarpsalmen 77 und 78. Dabei hat sich Ps 78 als der umfassendere Reflexionstext erwiesen, durch den das Gedenken der Vorzeit sowie die Deutung des Schilfmeerereignisses in einen Reflexionszusammenhang gestellt werden, der den Einzelpsalm 77 übersteigt und ihm zusätzliche Sinndimensionen verleiht. Diese bewusst intendierte konzeptionelle Verbindung beider Psalmen legt in redaktioneller Hinsicht nahe, Ps 78 als einen späteren Reflexionstext zu begreifen, der auf eine Ps 77 bereits enthaltende Asafsammlung zurückgreifen konnte. b) Die Barmherzigkeit des Richters in Psalm 79 und die Barmherzigkeit des Schöpfers in Psalm 78 Der auf Ps 78 folgende Ps 79 setzt die Reflexion der Schuldthematik fort. Allerdings findet sich in Ps 79 nicht die grundlegende schöpfungstheologische Verankerung der Schuld. Stattdessen wird die Schuldthematik in Form der kollektiven Klage über die Zerstörung des Heiligtums und die damit verbundene Gottesferne entfaltet. In diesem Zusammenhang der Klage wird Jhwh als gerechter Richter angesprochen, der den Feinden vergilt (Ps 79,6.12) und die Schuld des Volkes vergibt (Ps 79,9). Der Psalm ist in die Notschilderungen in V. 1–4 und den von Bitten durchzogenen zweiten Teil V. 5–12 untergliedert, der mit einem Vertrauensbzw. Lobbekenntnis in V. 13 abgeschlossen wird. Zudem ist der zweite Abschnitt durch die zwei anklagenden Fragen an Jhwh in V. 5 und V. 10 in zwei Unterabschnitte unterteilt. Während der erste Unterabschnitt in V. 5– 9 auf die Vergebung der Schuld der Beter und der Vorfahren zuläuft (V. 8– 9), die eine Vergeltung an den Völkern impliziert, leitet die Warum-Frage in V. 10 den zweiten Unterabschnitt (V. 10–12) mit den Vergeltungsbitten ein.208 208
Aufgrund dieses durch die ›Warum-Frage‹ markierten Einschnitts gliedern H OSSPsalmen 51–100, 445 den Psalm in drei Abschnitte: V. 1–4.5–9.10–13.
FELD/ZENGER ,
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
111
Die Notschilderung über das zerstörte Jerusalem (V. 1–4) wird vor dem Hintergrund der Gerichtsprophetie Jeremias (Jer 26,18) und Michas (Mi 3,12) entfaltet. Durch den Rückgriff auf Jeremia impliziert die Notschilderung die Erfüllung seiner Prophetie über die Zerstörung Jerusalems. Damit erkennen sie aber zugleich auch die mit der Gerichtsprophetie einhergehende Schuldanklage an und bekennen sich und ihre Vorfahren im Sinne von Jeremia und Micha als schuldig. Daher bereitet die prophetisch gedeutete Notschilderung den folgenden Abschnitt in V. 5–12 auf zweifache Weise vor: Erstens verweist die in V. 1–4 implizit eingestandene Schuld auf das Schuldeingeständnis in Ps 79,8 f. Die beiden Vergebungsbitten in V. 8 f selbst werden unterschiedlich begründet. Die erste Vergebungsbitte in V. 8 beginnt mit der Bitte, Gott möge der Sünden der Vorfahren nicht gedenken, die, wie die Gerichtsprophetie Jeremias bereits vorhergesagt hat, zur Verwüstung Jerusalems und des Tempels geführt haben. Im zweiten Teil (V. 8b) appellieren die Beter an die Barmherzigkeit Gottes, die sie ob ihrer Schwäche schnell ereilen soll. Die Begründung für Gottes erneute heilvolle Zuwendung entsprechend seiner Barmherzigkeit liegt in der durch die Notsituation verursachten Schwäche des Volkes. Die zweite Vergebungsbitte in V. 9 beginnt mit der Bitte um die Hilfe Gottes, der als Gott ›unseres Heils‹ (ZQ>Y\) angesprochen wird, und wird mit der ›Ehre‹ (GZEN) seines Namens begründet. Zum einen steht hinter dieser Bitte die Vorstellung, dass der Name Gottes, den die Völker und Königreiche nicht anrufen (V. 6), aufgrund der Zerstörung des Tempels und der Verschmähung seines Volkes auch nicht geehrt werden kann.209 Zum anderen aber appelliert der Vers an das Gottsein Gottes selbst. Gott möge sich als Gott erweisen und um seines Namens willen eingreifen. Der Vers endet mit der Vergebungsbitte, die wieder ihren Grund im Namen Jhwhs hat (V. 9b). Zweitens ist für die Beter mit der Zerstörung Jerusalems die angedrohte Strafe bereits vollzogen, so dass sie aus dieser Situation heraus und unter Anerkennung ihrer Schuld Jhwh um erneute Rettung vor den Feinden bitten können. Insofern impliziert die Vergebung der Schuld eine den Vergehen der Völker angemessene Vergeltung, die sich in den folgenden Vergeltungsbitten (V. 10.12) anschließt.210 Damit bereitet die Notschilderung
Dabei betont Zenger vor allem die Stichwortbezüge zwischen V. 4 und V. 12, so dass eine Inklusion um den Mittelteil mit seiner an Jhwh gerichteten Anfrage in V. 5 und den Vergebungsbitten in V. 8 f entsteht. »Allen drei Teilen ist damit die gleiche Blickbewegung von den ›Völkern‹ (vgl. V. 1.6.10) zu dem betonten ›Wir‹ der Beter (vgl. V. 4.9.13) gemeinsam« (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 445). Zu weiteren Gliederungsvorschlägen vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 150 Anm. 329. 209 Zur Bedeutung der Namenstheologie vgl. HARTENSTEIN, Namen, 86–95. 210 Vgl. hierzu weiter JANOWSKI, Sühne, 129–137.
112
Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
auch die im zweiten Teil entfalteten Bitten um erneute Rettung und um Vergeltung an den Feinden vor (Ps 79,6–7.10–12).211 Der Psalm schließt in V. 13 mit einem Lobpreisgelübde, das durch ein Waw adversativum vom vorherigen Kontext abgesetzt ist. Die Beter bezeichnen sich trotz der vorher beklagten Situation der Gottesferne als Volk Gottes und als ›Schafe seiner Weide‹ (W\>UPDF). Entscheidend ist, dass dieses Bekenntnis in einem Nominalsatz formuliert ist und somit eine aus dem Gebet gewonnene dauerhafte Gewissheit der Verbindung zu Jhwh zum Ausdruck bringt. Diese Gewissheit führt zu ewigem Lobpreis und zum ›lobenden Weitererzählen‹ (USV Piel) der Ruhmestaten Jhwhs von Geschlecht zu Geschlecht.212 Die Zukunft des Gottesvolkes soll von dem gnädigen Handeln Jhwhs bestimmt sein und ist es auch, wie dies in der Vergangenheit war und durch die Gewissheit des im Gebet gewendeten Gerichts in alle Zukunft sein wird. In diesem Sinn liegt im Gebetsverlauf von Ps 79 ein gewendetes Gericht vor.213 Ausgehend von der skizzierten Struktur in Ps 79 sind nun die konzeptionellen Verbindungslinien zwischen Ps 78 und Ps 79 in den Blick zu nehmen. Die signifikanteste Verbindung zwischen beiden Psalmen ist die Ps 78 und 79 prägende Schuldthematik, die im Zusammenhang mit der Frage nach der Barmherzigkeit Gottes entfaltet wird. Formal wird diese Verbindungslinie durch folgende lexematische Bezüge sichtbar:
211 Die anklagende Frage in V. 10 weist wie schon die Notschilderung Bezüge zur prophetischen Tradition auf und steht in einem Zusammenhang mit Joel 2,17. Die literarische Verhältnisbestimmung beider Texte zueinander ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. So gehen Ausleger von Ps 79, wie EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 160 oder HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 450, davon aus, dass der Psalm Joel zitiert. Hingegen beschreiben die Joel-Exegeten, wie A. K. MÜLLER, Gottes Zukunft, 108 f oder JEREMIAS, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, 32 f, die literarische Abhängigkeit andersherum und nehmen in Joel 2,17 ein Zitat aus Ps 79,10 an. Erschwert wird eine einfache Antwort auf diese Frage der literarischen Abhängigkeit auch dadurch, dass in Ps 79 neben Joel 2,10 mit Jer 10,25 ein vermutlich nachexilisches Jeremiazitat vorliegt. Im Vergleich von Joel 2,17 spräche die Steigerung der Bedrohung des Volkes durch den Tag Jhwhs und damit durch Jhwh selbst dafür, dass Joel jünger als Ps 79 ist und bereits auf den Psalm zurückgreifen konnte. Andererseits dürfte eine endgültige Entscheidung der literarischen Abhängigkeit nur im Zusammenhang aller in Ps 79 verwendeten Prophetenzitate zu treffen sein, vgl. zu den prophetischen Bezügen in Ps 79 die Aufzählung bei HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 447. 212 Trotz des Atnachs, der UGZUGO von USVQ trennt, ist das rühmende Weitererzählen doch auf die Perspektive bis in fernste Zukunft hin ausgerichtet. 213 Vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 147–162, der dem Psalm die Überschrift »Das im Gebet gewendete Gericht« gibt.
113
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
Ps 79,8 f Gedenke an uns nicht der Verfehlungen der Vorfahren, schnell mögen uns entgegenkommen deine Barmherzigkeitstaten , denn wir sind sehr schwach. Hilf uns, Gott unseres Heils, um der Ehre deines Namens willens, und rette uns und decke unsere Sünden zu um deines Namens willen.
Ps 78,38
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Beide Psalmen thematisieren die Vergebung der Schuld und begründen die Möglichkeit hierfür mit der Barmherzigkeit Gottes. Allerdings liegt in beiden Psalmen eine unterschiedliche Fokussierung der Schuldthematik vor. So wird die Schuldthematik in Ps 79,8f im Zusammenhang der Vergebungsbitten entfaltet, mit denen sich die Beter an Jhwh als gerechten Richter wenden und dessen Handeln einfordern. Sie bitten, Gott möge der Schuld der Vorfahren nicht gedenken und ihre ›Sünden‹ (WDM[214) um seines Namens willen ›zudecken‹ (USN Piel). Mit dieser Verankerung der Schuldthematik innerhalb der Bitten um ein erneutes Eingreifen Jhwhs unterscheidet sich die Bedeutung der Schuld in Ps 79 von der in Ps 78. Denn in Ps 78,38 findet sich die Wendung ›Schuld zudecken‹ (Z> USN) innerhalb einer schöpfungstheologischen Reflexion. Jhwh deckt die Schuld immer wieder zu, er ist barmherzig, weil er sich der Vergänglichkeit (Fleisch [UIE]) seiner Geschöpfe und damit auch deren Geschichtlichkeit annimmt. Deswegen entstehen die Verschuldungen des Volkes nicht erst im Laufe der Geschichte. Vielmehr werden sie anthropologisch als Bestandteil des Menschseins verankert. Insofern begründet die ›Barmherzigkeit‹ (aZ[U) Gottes in Ps 78,38 f auch nicht nur wie in Ps 79,8 (a\P[U) die Vergebung der Schuld, sondern darüber hinaus die ständige Begrenzung des göttlichen Zorns. Sprachlich zeigt sich diese konzeptionelle Differenz zudem in der unterschiedlichen Verwendung von ›Fleisch‹ (UIE). Wird in Ps 79,2 so der geschundene Körper der Frommen Jhwhs beschrieben, ist es
214 Das Stichwort ›Sünde/sündigen‹ (WDM[ bzw. DM[) findet sich in Ps 78,17.32 und gehört zu den geschichtstheologischen Schlüsselkategorien, durch die an den Scharnierversen des Psalms die bisherige Geschichte gedeutet wird, indem vor allem die Schuldkontinuität mit den Vätern der Wüstengeneration hergestellt wird. Siehe dazu die Ausführungen unter C.2. und 3. (S. 61 ff.79ff) sowie das Fazit unter C.4. (S. 99ff).
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
in Ps 78,39 Terminus für die Geschöpflichkeit des Menschen.215 Durch die beschriebene sprachliche Verkettung des Schuldmotivs in beiden Psalmen wird die schöpfungstheologische Verankerung der Schuld aus Ps 78 im Leseablauf der beiden Psalmen in Ps 79 vorausgesetzt. Dies bedeutet für die Beter, die von Ps 78 her Ps 79 beten, dass sie sich der anthropologischen Verankerung ihrer Schuld sowie der Barmherzigkeit des Schöpfers bewusst sind und von daher mit einer Ps 79 übersteigenden reflexiven Dimension um die Vergebung der Schuld bitten können. Insofern wird mit Ps 78,38– 39 eine grundlegende Reflexion der Geschöpflichkeit des Menschen vorangestellt, die nicht nur einen hermeneutischen Schlüssel für die eigene Geschichtskonzeption darstellt, sondern darüber hinaus den Bitten um Vergebung in Ps 79 eine über den Einzelpsalm 79 hinausgehende theologische Sinndimension verleiht. In diesem Sinn kann diese Verbindungslinie als bewusst gestaltete und »profilierte Konzeption«216 bezeichnet werden, die die beiden Psalmen 78 und 79 miteinander verbindet. Darüber hinaus ist die Vergebung der Schuld in beiden Texten mit einer geschichtstheologischen Perspektive verbunden. In Ps 79,8 f zielt die Bitte um Vergebung der Schuld zunächst auf die Schuld der Vorfahren (Ps 79,8) und wird erst im zweiten Schritt auf die Schuld der Beter ausgeweitet (Ps 79,9). Die Vorfahren selbst sind im literarischen Kontext von Ps 79 vermutlich mit den Adressaten der Gerichtsprophetie Jeremias zu identifizieren, deren Schuld zur Zerstörung des Tempels geführt hat. Auch im Hinblick auf die geschichtstheologische Perspektive erhält Ps 79 von Ps 78 her einen erweiterten reflexiven Horizont, der in Ps 79 selbst nicht angelegt ist. Denn in der Geschichtsreflexion in Ps 78 wird über die Scharnierverse (vgl. Ps 78,8.17 f.32.40–42.56) explizit eine Schuldkontinuität zwischen den Betern und den ›Vorfahren‹ (WZED) hergestellt. Dadurch lassen sich die ›Vorfahren‹ (a\QIDU) aus Ps 79,8 auch nicht mehr auf die Generation der Tempelzerstörung eingrenzen, sondern sie werden durchlässig für die Generation des Anfangs. Liest man also Ps 79 nach Ps 78, bezieht sich die Bitte aus Ps 79,8 darum ganz grundsätzlich auf die Verfehlungen, die bereits von Anbeginn zwischen Jhwh und seinem Volk lagen und die, wie die Beter von Ps 78 her wissen, in der Geschöpflichkeit des Menschen begründet liegen. Zur geschichtstheologischen Perspektive beider Psalmen gehört auch die Verwendung des Hirtenbildes in Ps 79,13 und Ps 78,52f.70–72. In beiden Psalmen wird Jhwh als königlicher Hirte beschrieben, der sein Volk als seine Kleinviehherde leitet und beschützt. In Ps 79,13 wird diese Metaphorik im Kontext des abschließenden Vertrauens- bzw. Lobbekenntnisses 215
In diesen Zusammenhang ist auch die sprachlich häufig ähnliche Zornesterminologie beider Psalmen einzuordnen: ›Zornesglut‹ ( KP[) in Ps 79,6; 78,38; das ›Zornesfeuer‹ (YD) in Ps 79,5; 78,21.63; ›Zorneseifer‹ (DQT) in Ps 79,5; 78,58. 216 HARTENSTEIN, Schaffe, 234.
115
D. Ps 78 als Reflexionstext der Asafsammlung
verwendet. Die Beter bekennen sich trotz des erlebten Gotteszorns und der Gottesferne zu Jhwh als ihrem Hirten, da sie der von der Notschilderung über Schuldeingeständnis und Vergeltungsbitten entwickelnde Gebetsprozess erneut zu dieser Gewissheit führt.217 Ps 78,52–54 entfaltet demgegenüber den heilsgeschichtlichen Hintergrund dieses Bekenntnisses, in dem Auszug, Leitung in der Wüste, Errettung am Schilfmeer und Einsetzung Israels als Kultgemeinde unter Aufnahme von Ex 15,1–18 gedeutet werden.218 Auf diese Weise erfährt das in Ps 79,13 kurz skizzierte Hirtenbild von Ps 78 her seine heilsgeschichtliche Grundlegung.219 Eine letzte konzeptionell entscheidende Verbindungslinie zwischen beiden Psalmen stellt die Verwendung des aus der Toda geprägten Musters des ›lobendenden Weitererzählens‹ (USV Piel) der Ruhmestaten Jhwhs dar. Ps 79,13 Doch wir sind dein Volk und das Kleinvieh deiner Weide, wir wollen dich preisen bis in fernste Zeit, von Generation zu Generation wollen wir deine Ruhmestaten erzählen .
Ps 78,1–11.52
xAm0> :Q[Q´D@Z ÁAW\>LU!P DFRÇZ! A/KGÆ$Qµ aO Æ$>ÉO UGRZUGRÈO CAW / KL7U3HVQ Ï!
V. 52
V. 4 V. 3.6
ZP> + DFN WZOKWUSV USV
Die durch den Gebetsprozess in Ps 79,13 gewonnene Gewissheit äußert sich in dem Vertrauensbekenntnis, das den Psalm abschließt.220 Indem sich die Beter als Volk Jhwhs bezeichnen, stimmen sie in den ewigen Lobpreis Gottes ein und erzählen seine Ruhmestaten (KOKW) von Generation zu Generation (USVPiel). Auch im Hinblick auf die Bedeutung des ›lobenden Weitererzählens‹ (USV Piel) erfährt Ps 79 von Ps 78 eine theologische Reflexion, da das aus der Toda geprägte Muster des öffentlichen Danks (Ps 79,13) im Proömium von Ps 78,1–11 in einem geschichtshermeneutischen Horizont ausgeführt wird. Anhand des ›lobenden Weitererzählens‹ entfaltet Ps 78 die Bedeutung der paradigmatischen Frühgeschichte, indem die Beter einer jeden Generation dazu aufgefordert werden, sich kollektiv die 217
Vgl. hier vor allem den Bezug zu Ps 74,1. In diesem Zusammenhang wird wie in Ps 74,2 in Ps 78,55.62 der Begriff des ›Erblandes/Erbbesitzes‹ ( KO[Q) verwendet, während er in Ps 79,1 den Tempel bezeichnet. 219 Die Übertragung des Hirtenamtes auf David zur Leitung des Volkes in staatlicher Zeit (Ps 78,70–72) ist ein Spezifikum von Ps 78 und hat in Ps 79 keinen Anhalt. So wird in Ps 78,70 nur David als Knecht Jhwhs bezeichnet, während in Ps 79,2.10 die Frommen bzw. das Volk als Knechte Jhwhs bezeichnet werden. 220 Vgl. zum Vertrauens- bzw. Lobbekenntnis in den Klagepsalmen J ANOWSKI, Konfliktgespräche, 75–84. 218
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
Wundertaten Jhwhs zu vergegenwärtigen, um sich durch diesen Akt der Veröffentlichung seiner Heilstaten des Fundaments der eigenen Traditionsgemeinschaft zu vergewissern. Vor dem Hintergrund von Ps 78 erscheint es auch in Ps 79,13 in einem heilsgeschichtlichen Zusammenhang, der in viel umfassenderer Weise auf die Vergegenwärtigung der paradigmatischen Wundertaten zielt, als dies im Einzelpsalm 79 angelegt ist. Dadurch entsteht ein beide Psalmen verbindender Reflexionszusammenhang, durch den der Leseablauf von Ps 78 zu Ps 79 gestaltet wird. In psalterredaktioneller Hinsicht liegt es von daher nahe, dass Ps 78 auf eine Asafsammlung zurückgreifen konnte, in der Ps 79 bereits enthalten war. Diese Profilierung von Ps 78 als einem Reflexionstext im Kontext seiner Nachbarpsalmen wird im folgenden Abschnitt D.2. im literarischen Zusammenhang der Asafsammlung erneut zu untersuchen sein. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Ablauflesung. Dazu wird zunächst von der Trias Ps 77; 78; 79 ein konzeptioneller Bogen nach vorn gespannt, da sich durch die Hirtenmetaphorik, verbunden mit der Deutung des Schilfmeerereignisses aus Ex 15,1–18, ein Kompositionsbogen zu Ps 74 ergibt. Denn in Ps 74 wird die kollektive Perspektive auf die Heilsgeschichte im Rahmen der Klage eröffnet, die in Ps 79 abgeschlossen wird, indem das in Ps 74,1 eingeklagte ursprüngliche Gottesverhältnis Israels als Herde Jhwhs durch das Vertrauensbekenntnis in Ps 79,13 beantwortet wird. Aufgrund dessen beginnt der folgende Abschnitt mit Ps 74. 2. Die Barmherzigkeit des Schöpfers – Psalm 78 als Mitte der Asafsammlung a) Die Klage um das zerstörte Heiligtum in Psalm 74 Ps 74 ist geprägt von der Erfahrung des von Feinden zerstörten Heiligtums und der damit verbundenen Erfahrung der radikalen Gottesferne.221 Dies zeigt sich besonders in der dem Psalm zugrunde liegenden Zeitstruktur, die ein entscheidendes Kriterium zur Strukturierung des Psalms darstellt.222 Anhand der Zeitstruktur reflektieren die Beter den Kontrast zwischen der 221 Aufgrund der Klage um den zerstörten Tempel sowie der eindringlichen Bitte an Jhwh, die Notzeit zu beenden, ist der Psalm vermutlich mit H ARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 229, EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 81, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 361 f und SEYBOLD, Psalmen, 287 in der Exilszeit anzusetzen. Zur kontrovers diskutierten Datierung von Ps 74 vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 81 Anm. 114. Als Beispiel für die Verortung des Psalms in das Bethel des Nordreichs vgl. neben W EBER, Datierung, 523–528 GOULDER, The Psalms of Asaph, 63. Allerdings gehen beide davon aus, dass Ps 74 nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier auf diese Situation hin überarbeitet worden ist. Vgl. G OULDER, The Psalms of Asaph, 183; W EBER, Datierung, 523–528. 222 Vgl. dazu HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 229–244.
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heilvollen Erfahrung der anfänglichen Vergangenheit und ihrer durch Gottesferne und Gotteszorn geprägten jüngsten Vergangenheit und Gegenwart. Denn Gottes Zorn, der sich in der Zerstörung von Stadt und Tempel gezeigt hat, prägt noch die Gegenwart der Betenden und wird als radikale Gottesferne erlebt. Er ist das Thema der kollektiven Klage und wird mit dem Zeitbegriff ›für immer‹ ([FQ) zum Ausdruck gebracht.223 Diese Zeitdimension durchzieht den gesamten Psalm (V. 1.3.10.19) und wird mit dem für die Klage typischen ›wie lange‹ (\WPG>, vgl. V. 9 f) vertieft. Im Kontrast zu dieser Zeitdimension steht die mit ›ureinst‹ (aGT) beschriebene heilvolle Urzeit, das Grunddatum des Volkes Israels (V. 2.12),224 die im Kult vergegenwärtigt werden soll.225 Aufgrund dieser Zeitstruktur lässt sich der Psalm in drei große Abschnitte gliedern: Der erste Abschnitt (V. 1–11) besteht aus Klage (V. 1), Bitte (V. 2–3a), Notschilderung (V. 4–9) und Klage (V. 10–11). Dabei bilden die beiden anklagenden Fragen ›warum‹ (KPO) in V. 1 und V. 11 einen Rahmen um den ersten Abschnitt. Im Hinblick auf den Kompositionsbogen von Ps 74 zu Ps 77; 78; 79 sind die ersten drei Verse von besonderer Bedeutung, da sie eine heilsgeschichtliche Perspektive einnehmen und unter Bezug auf das Schilfmeerlied aus Ex 15,1–18 die dort besungene Gründungssituation Israels als Kultgemeinde Jhwhs einklagen. So wird in V. 1 beklagt, dass sich Jhwhs Zorn gegen das Kleinvieh seiner Weide richtet. Die Bitte in V. 2 setzt dies fort und fordert Jhwh auf, seiner Gemeinde zu gedenken, die er von ureinst erworben hat. Dabei verweist die Kombination von ›erlösen/lösen‹ (ODJ, Ex 15,13) und ›erwerben‹ (KQT, Ex 15,16) sowie das ›Erbland/Erbbesitz‹ (KO[Q, Ex 15,17), verbunden mit dem ›Berg‹ Jhwhs (UK, Ex 15,17), auf den zweiten Teil des Schilfmeerlieds in Ex 15,13–17, dem die Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer vorausgegangen ist.226 Damit klagen die Beter die 223 HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 231 spricht hier von einer ›negativen‹ Dauer. Vorausgesetzt ist nach Hartenstein, dass die Zeitbegriffe des Alten Testaments stets Relationsbegriffe sind. Der Mensch erfahre sich auf die seine Zeiterfahrung übersteigende Zeit Jhwhs bezogen, die im Kult erfahrbar werde. 224 Zu aGT vgl. KOCH, Qädäm, 254–262, der in diesem Zusammenhang von einer ›mythischen Urzeit‹ spricht. 225 Vgl. zur Raum- und Zeitstruktur in Ps 74 H ARTENSTEIN , Unzugänglichkeit Gottes, 232–235.242–244. Anders W EBER, Datierung, 523–528, der die Ferne Jhwhs von seinem Heiligtum nicht konzeptionell versteht, sondern diese Stelle als einen Beweis dafür ansieht, dass es sich bei diesem Psalm um einen vorexilischen Psalm handelt, der den Untergang des Nordreichs beklagt. 226 Aufgrund dieser eindeutigen Kombination der Bezüge zu Ex 15,13–17 ist es meines Erachtens nicht notwendig, in V. 2 literarkritische Operationen vorzunehmen. Zu den Bezügen zu Ex 15 vgl. auch H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 363. Anders SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 122.129 Anm. 19, der den ganzen Vers 2b für eine späte, auf Ex 15 bezogene Ergänzung hält, oder SEYBOLD, Psalmen, 287 f, der in V. 2bC
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heilvolle Gründungssituation des Anfangs ein, die im Kontrast zu dem die Gegenwart prägenden Zorn steht. In der Bitte in V. 3a kommt die Situation der Beter, das zerstörte Heiligtum, explizit in den Blick, indem Jhwh aufgefordert wird, sich den Trümmern erneut zuzuwenden. Der zweite Abschnitt (V. 12–17) ist hymnisch geprägt. Er weist ein Bekenntnis zum Königtum Gottes in V. 12 ›von ureinst‹ (aGTP) auf, das in zweifacher Weise in V. 13–15 und V. 16 f entfaltet wird. Die erste Entfaltung der Königsherrschaft Jhwhs besteht in der Herrschaft über die chaotischen Elemente, die Jhwh ein für alle Mal besiegt hat. Das auf den Chaoskampf verweisende ›Spalten‹ (>TE) Jams in V. 13 wird in V. 15 wieder aufgenommen und diesmal auf das ›Spalten‹ (>TE) von Quelle und Bach und das Austrocknen der immerfließenden Ströme bezogen. Dies spielt indirekt auf die Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer an (vgl. Ex 14,16.21; Ps 78,13.15), so dass die Herrschaft Jhwhs über die chaotischen Wasser in eine heilsgeschichtliche Perspektive transformiert wird.227 In seinem paradigmatischen Geschichtshandeln erfahren die Beter auf diese Weise Jhwh als den Herrn der Wasser. Die zweite Entfaltung der Königsherrschaft in V. 16 f stellt Jhwh als Herrn des gesamten Kosmos heraus, der die zeitlichen Abläufe von Tag und Nacht sowie Sommer und Winter ebenso garantiert wie die Festigkeit der Erde.228 Durch diese Wahrnehmung der Beständigkeit und Dauerhaftigkeit der kosmischen Abläufe vergewissern sich die Beter des Handelns des Königsgottes, das im Kontrast zu der erlebten Gottesferne steht. »Der einen Zusatz annimmt, da im Hintergrund von Ps 74 eine Klagefeier in Mizpa oder Bethel stehe. Ähnlich WEBER, Datierung, 523–528.530 f. 227 Nach J ANOWSKI, Doppelgesicht, 92–94 ist V. 15 nicht mehr vor dem Hintergrund der Exodusthematik zu verstehen. Ihm zufolge geht es wie in den folgenden Versen 16 f um Jhwh als Schöpfer, der in V. 15 den Wasserkreislauf einsetzt. Ähnlich auch SEYBOLD, Psalmen, 289 und GOULDER, The Psalms of Asaph, 73. Dagegen sprechen die oben beschriebene Durchlässigkeit der Rettungstat am Schilfmeer sowie die Anklänge an die chaotischen Wasser. Auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 130 sieht in der Kombination von Spalten und Austrocknen des Meeres eine Anspielung auf die Rettungstat am Schilfmeer. Zudem weist die nächste Parallele zu Ps 74,13–15 in Jes 51,9 f eine ganz ähnliche Verbindung von Chaoskampf und Schilfmeer auf. Erstens werden in Jes 51,9 f neben Jam auch weitere Meeresungeheuer, Rahab und der Tanim, genannt, die Jhwh besiegt hat. Zweitens wird wie in Ps 74,13 f Jhwh als Subjekt der Handlung durch Personalpronomen besonders hervorgehoben (D\KWD DZOK). Und drittens wird die Schilderung vom Sieg Jhwhs über die Meeresungeheuer in V. 10 durchlässig für die Errettung am Schilfmeer sowie für die typisch deuterojesajanische Vorstellung vom zweiten Exodus. Dabei ist diese in Ps 74 vorliegende Verbindung von Chaoskampf und Schilfmeer bereits aus Ex 15,1–18 vorgegeben. Vgl. hierzu JEREMIAS, Königtum, 15–50.93–106 und SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 96–115. 228 Vgl. hierzu HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 242 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 369.
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›Himmel‹ und seine Dauerhaftigkeit, wie sie sich in der regelmäßigen Bewegung von ›Leuchte‹ und ›Sonne‹ zeigt, ist in Ps 74,16f ein eigenständiges Symbol für JHWHs Anwesenheit in der ›Tiefe‹ der Welt geworden.«229 Diese aus den kosmischen Abläufen abzulesende Anwesenheit Jhwhs wird zur Hoffnung für die Beter auf sein erneutes Eingreifen in die geschichtlichen Abläufe. Aus dieser in der von ureinst gegründeten Königsherrschaft folgt als dritter Abschnitt ein Bittteil in V. 18–23. V. 18 nimmt durch die Rückbezüge zu V. 2 (Imperativ von ›erinnern‹ [UN]]) und zu V. 10 (das Verhöhnen Jhwhs durch die Feinde) den vorangegangenen Klageteil des Psalms wieder auf. Allerdings weisen die dann folgenden Bitten vor allem durch den ›Bund‹ (W\UE, V. 20)230 und die ›Armen/Elenden‹ (\Q>, V. 19.21) Konzeptionen auf, die dem Rest des Psalms fremd sind.231 Durch die ›Elenden/ Armen‹ wird der Blick auf den einzelnen Frommen gelenkt, der im Kontrast zu den Feinden bzw. den Unterdrückern steht. Dadurch wird eine gegenüber dem Rest des Psalms neue Perspektive eingeführt, indem das kollektive Wir des Psalms differenziert und qualifiziert wird. Insgesamt liegt deshalb der Schluss nahe, dass es sich bei dem Abschnitt V. 18–21 um eine Ergänzung handelt.232 Die letzten Bitten in V. 22f nehmen die Notschilderung aus V. 3b–4 noch einmal auf und zielen vor allem darauf, dass Jhwh aufsteht und gegen seine Feinde im Heiligtum vorgeht.233 Damit schließen sie sich auch unmittelbar an den hymnischen Teil in V. 12–17 an, weil die Beter Jhwh auffordern, jetzt gegen die historischen Feinde wie einst gegen die Chaosmächte 229 HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 243. Vgl. weiter zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der drei grundlegenden Erfahrungsbereiche der Wettergottgestalten (1. Kosmos und Chaos, 2. umfassende Lebensförderung, 3. Aufrechterhaltung der Sozialordnung) HARTENSTEIN, Wettergott, 77–83. Speziell zu Ps 74,16 f und den aus der Domestizierung der chaotischen Elemente hervorgehenden Aussagen über Jhwh als Eigentümer der Welt vgl. DERS., Wettergott, 88–91. 230 Durch die Kombination von Bund und der Fülle von ›Gewalttaten‹ ( VP[) im ganzen Land, ist es möglich, dass der Verfasser den Bundesschluss mit Noah nach der Sintflut in Gen 9,8–17 vor Augen hatte, vgl. zu diesen Überlegungen EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 100 Anm. 74. 231 Über den Bund hinaus wird noch in V. 20 die Perspektive vom zerstörten Tempel auf das gesamte Land gelenkt. 232 So auch EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 98; HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 229 Anm. 20. HOSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 239–241 halten nur V. 19–21 für eine Ergänzung, weil V. 18 wie der Rest des Psalms von der Spannung Gott – Feinde Gottes und der Tempelverwüstung bestimmt sei und erst in V. 19–21 die Bundesthematik sowie die Bedrohung der Armen als eine innerisraelitische Anklage dem Psalm erweiternde Aspekte hinzufüge. SEYBOLD, Psalmen, 287 sieht in V. 19–22 eine Ergänzung. 233 Vgl. EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 100 f.
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vorzugehen. Aus der Erfahrung der fundierenden Heilstat von einst schöpfen die Beter also die Hoffnung, dass Jhwh auch in ihrer Gegenwart erneut eingreifen wird. Im Hinblick auf die Komposition der Asafsammlung werden in Ps 74 drei Themenkomplexe eröffnet, die in dem Kompositionsbogen von Ps 74 zu Ps 79 aufgenommen und weitergeführt werden. Dabei handelt es sich erstens um eine kollektive Perspektive, die in Ps 74 nach dem weisheitlich geprägten Gebet eines Einzelnen in Ps 73 in Form der Klage eröffnet wird. Sie ist verbunden mit der Klage über den Zorn Gottes, den die Beter als erlebte Gottesferne angesichts des zerstörten Heiligtums erfahren. Zweitens wird in Ps 74 eine heilsgeschichtliche Perspektive eröffnet. Dazu setzt der Psalm die von Gottesferne geprägte Gegenwart der Beter in den Kontrast zur heilvollen Urzeit. Er rekurriert auf die Gründungssituation Israels als Gottesvolk (Ps 74,2 f.15), indem die paradigmatische Rettungserfahrung vor dem Hintergrund von Ex 15,1–18 aufgenommen und aktualisiert wird. Gebündelt wird die heilsgeschichtliche Perspektive in der Metapher des Königsgottes als Hirte seines Volkes, die in den folgenden Psalmen 77,21; 78,52–55.70–72; 79,13 und 80,2 wieder aufgenommen und modifiziert wird. Drittens trägt Ps 74,16 f eine schöpfungstheologische Perspektive in die Asafsammlung ein. Diese bedeutet für Ps 74,16 f zunächst, dass an der Stabilität der Erde sowie an der Beständigkeit der kosmischen Abläufe die Wirkmächtigkeit der Königsherrschaft Jhwhs abgelesen werden kann. Diese in der kosmischen Ordnung sichtbar werdende Präsenz Jhwhs begründet die Hoffnung der Beter auf sein erneutes Eingreifen in die geschichtlichen Abläufe seines Volkes. Insofern eröffnet Ps 74 drei Themenkomplexe, die sich im ersten Psalm der Asafsamlung, Ps 73, nicht finden. Sie werden in den folgenden Psalmen auf je unterschiedliche Weise aufgenommen, weitergeführt und erneut interpretiert, so dass Ps 74 als Anfang eines Kompositionsbogens beschrieben werden kann. Dieser Prozess wird im Folgenden nachgezeichnet. b) Das Eingreifen des gerechten Richters in Psalm 75 Der unmittelbar auf Ps 74 folgende Ps 75 zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass er die kollektive Perspektive fortsetzt und sie mit der auch in Ps 74 implizit enthaltenen Frage nach der Gerechtigkeit Gottes verbindet. Dabei setzt Ps 75 die in Ps 74 beklagte Not der Gottesferne in der Gegenwart voraus. Allerdings wird diese nicht mehr auf die Zerstörung des Heiligtums bezogen, sondern als Erfahrung von Ungerechtigkeit aktualisiert, die dem Beter durch die Frevler zugefügt worden ist (vgl. Ps 75,5–8). Dieser Situation setzt der Psalm aber die Gewissheit des rettenden Eingreifens
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Jhwhs als Richter entgegen, ohne das rettende Eingreifen in der unmittelbaren Zukunft zu erwarten. Denn den Termin des göttlichen Eingreifens kennt ganz allein Jhwh (Ps 75,3).234 Mit der Gewissheit des gerechten Eingreifens Gottes (Ps 75,5–8.10 f) trotz der erfahrenen Bedrohung der Welt nimmt Ps 75 die Klage in Ps 74 auf und führt sie fort. Dieser konzeptionelle Bogen zwischen beiden Psalmen wird durch Motiv- und Stichwortverkettungen abgebildet. Konzeptionell bedeutsam ist, dass Ps 75 mit dem ›Namen‹ Jhwhs (PY) einsetzt (Ps 75,2), womit eine Stichwortverbindung zum Jhwh-Namen in Ps 74,7.10.18.21 hergestellt wird.235 Der Name Jhwhs in Ps 74,7.10 steht im Zusammenhang der Klage und bezeichnet den zerstörten Tempel als Wohnort des Namens Jhwhs sowie das Verspotten des Namens Jhwhs durch die Feinde.236 Diesem Verspotten des Namens Jhwhs durch die Feinde, das in Ps 74 Ausdruck radikaler Gottesferne aufgrund des zerstörten Tempels ist, wird in Ps 75,2 die Nähe des Namens Jhwhs entgegengestellt, ohne aber diese wie in Ps 74 an die göttliche Präsenz des Namens im Tempel zurückzubinden.237 Insofern beginnt Ps 75,2 programmatisch mit der wieder erfahrbaren Nähe des Namens Jhwhs und setzt damit der Klage in Ps 74 die Gewissheit der erneuten Nähe Gottes entgegen. Dass diese Gewissheit im Kontrast zur Gegenwartserfahrung der Beter steht, wird in der folgenden Gottesrede in Ps 75,3 f deutlich. Sie setzt bei der gegenwärtigen Bedrohung der Welt ein und stellt dieser Erfahrung das rettende Eingreifen Jhwhs entgegen. 234 Mit JEREMIAS, Erde, 171 zeigt sich die Gewissheit der göttlichen Gerechtigkeit auch daran, dass »schon jetzt, in der unmittelbaren Gegenwart der Erfahrung von Ungerechtigkeit, die Mächtigen, die für sie Verantwortung tragen, im Blick auf Gottes bevorstehendes Gericht ultimativ verwarnt werden (V. 5 ff.)«. 235 Über die Verwendung des Namens Jhwhs in beiden Psalmen hinaus sind die Stichwortverbindungen kaum ausgeprägt. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 381, die von spärlichen lexikalischen Übereinstimmungen zwischen beiden Psalmen sprechen. 236 Die redaktionellen Verse 18 und 21 verweisen auch auf den Namen Jhwhs. Dabei nimmt V. 18 das Verhöhnen des Namens Jhwhs aus V. 10 auf, während V. 21 dazu im Kontrast die Möglichkeit formuliert, dass die Armen Jhwh wieder preisen können. Dadurch entsteht ein Spannungsbogen, der Jhwh zum Handeln bewegen soll. Vgl. dazu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 370. Dass Ps 75 diese redaktionelle Ergänzung bereits voraussetzt, kann nur vermutet werden. 237 Nach HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 377 steht hier die deuteronomistische Namenstheologie im Hintergrund, die in tempelloser Zeit die Präsenz Jhwhs neu zu verstehen und zu sichern sucht. Gegenüber der Zuschreibung einer deuteronomistischen Namenstheologie von Ps 75 hebt H ARTENSTEIN, Namen, 87 die Identifikation des Namens Jhwhs mit seinen Wirkweisen bzw. Präsenzformen hervor. Dabei bleibt nach Hartenstein in Ps 75,2 in der Schwebe, inwieweit die Namensevokation die Präsenz Gottes herbeiführt. Dies entspricht meines Erachtens genau der Intention des Psalms, der sich durch eine Gewissheit des richterlichen Eingreifens auszeichnet, den Zeitpunkt hierfür aber allein bei Gott weiß. Von daher ist die Gegenwart nicht von Gottespräsenz, sondern von Gottesferne bestimmt.
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In V. 4 wird dieser Zusammenhang schöpfungstheologisch entfaltet, so dass vor dem Hintergrund einer Ablauflesung von Ps 74 zu Ps 75 die schöpfungstheologische Perspektive als weitere konzeptionell entscheidende Verbindungslinie zwischen beiden Psalmen entsteht, die sich allerdings nicht in lexikalischen Übereinstimmungen nachweisen lässt. Entscheidend für die Begründungsstruktur von Ps 75 ist, dass das Wanken der Welt, ihre gegenwärtige Bedrohung,238 nichts an der Tatsache ändert, dass Jhwh als Schöpfer ihre Stabilität grundsätzlich garantiert. Von daher dient die schöpfungstheologische Perspektive in Ps 75,4 dazu, die von Jhwh als Schöpfer zu jeder Zeit garantierte Festigkeit der Erde der gegenwärtigen Bedrohung entgegenzustellen, so dass die Gewissheit seines richterlichen Eingreifens aus V. 3 in V. 4 schöpfungstheologisch begründet wird. Ist demgegenüber in Ps 74,16 f die Beständigkeit der kosmischen Abläufe zum Symbol der göttlichen Präsenz geworden, geht Ps 75,4 darüber hinaus, indem die Schöpfung, selbst dann wenn sie bedroht wird, letztlich auf ihren Schöpfer und damit auf die von ihm garantierte Stabilität verweist. Somit führt Ps 75 die in Ps 74 eröffnete kollektive Perspektive und schöpfungstheologische Begründungsstruktur der Präsenz Gottes fort. Dies geschieht, indem Ps 75 die Klage in Ps 74 über die radikale Gottesferne aufgrund des zerstörten Tempels in eine Gewissheit des erneuten Eingreifens Jhwhs als gerechter Richter transformiert. Dabei setzt er wie Ps 74 mit der Erfahrung der Bedrohung der Welt ein, stellt dieser aber die Gewissheit entgegen, dass Gott zu seiner Zeit als gerechter Richter eingreifen und der erfahrenen Ungerechtigkeit ein Ende bereiten wird. Diese Gewissheit wird zum einen mit der Nähe des Namens Gottes und zum anderen schöpfungstheologisch begründet, da die von Jhwh als Schöpfer garantierte Stabilität der Welt trotz ihres momentanen Wankens nicht aus den Fugen geraten kann. In redaktioneller Hinsicht setzt Ps 75 die Klage in Ps 74 voraus. Ob aber Ps 75 den Klagepsalm bereits vorgefunden hat oder beide Psalmen gemeinsam in eine vorläufige Asafsammlung aufgenommen worden sind, kann nur im Zusammenhang einer Gesamtanalyse der Asafsammlung entschieden werden.239 c) Die Herrschaft Jhwhs vom Zion in Psalm 76 Der folgende Ps 76 setzt die kollektive Perspektive aus Ps 74 und Ps 75 fort und ergänzt gegenüber der beklagten Gottesferne in Ps 74 und der 238
Zum Motiv des Wankens der Erde vgl. JEREMIAS, Erde, 166–180. Vgl. hierzu auch WEBER, Asaph-Psalter, 132–135, der von einer weitgehend vorexilisch bestehenden Asafsammlung ausgeht, der ausschließlich Ps 79 in der Exilszeit hinzugefügt worden sei. 239
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darauf antwortenden Gewissheit eines gerechten Eingreifens Gottes in der Zukunft die Manifestation der Herrschaft Jhwhs vom Zion.240 Wie bereits für den kompositionellen Zusammenhang von Ps 74 und Ps 75 beobachtet, ist wiederum die Aufnahme und Weiterführung der Namenstheologie von entscheidender Bedeutung, da anhand dieser Stichwortverbindung die kompositionelle Verbindung zwischen den drei Psalmen sichtbar wird. Wie Ps 75,2 beginnt auch Ps 76,2 mit der Erwähnung des Namens Gottes im zweiten Teil des Verses. Allerdings wird die Nähe des Gottesnamens und seine damit verbundene Präsenz gegenüber der Gottesferne in Ps 74 im Kontext von Dank und Gotteslob formuliert und im Verlauf des Psalms als erneutes rettendes Eingreifen des gerechten Richters ausgeführt. Demgegenüber wird in Ps 76,2 die Größe des Namens Gottes in Israel hervorgehoben, der die Erkenntnis (>G\, Partizip) der Präsenz Gottes in Juda vorausgeht. Diese Größe des Namens Gottes manifestiert sich in seiner universalen Herrschaft vom Zion, die im folgenden Psalm in ihren unterschiedlichen Facetten entfaltet wird.241 Nach der Erwählung Salems und Zions als Lagerplatz in V. 3 zeichnet sich seine Herrschaft dadurch aus, dass Jhwh die Kriegswaffen ein für alle Mal zerbrochen und sich somit als Herr der Völkerwelt erwiesen hat.242 In dem Abschnitt V. 5–7, der mit dem Partizip ›aufstrahlend‹ (UZD) und dem betonten Personalsuffix der zweiten Person Singular neu einsetzt, wird dieser Aspekt der Herrschaft Gottes weiter ausgestaltet, indem vor dem Hintergrund des Völkersturms die Ohnmacht der Völkerwelt gegenüber der Herrschaft des Königsgottes dargestellt wird. In V. 8, der wiederum mit dem betonten Personalpronomen der zweiten Person Singular und dem Partizip ›furchterregend sein‹ (DU\) einsetzt, werden die bisherigen Manifestationen der Herrschaft Jhwhs in einer rhetorischen Frage gebündelt. Die Völkerwelt muss erkennen, dass der Zorn Jhwhs so furchtbar ist, dass niemand vor ihm bestehen kann.243 In der Konsequenz bedeutet das die Anerkennung der Weltherrschaft Jhwhs durch die Völkerwelt, die im dritten Teil V. 11.12 f dargestellt wird. Diese äußert sich darin, dass selbst 240 Vgl. zu diesem psalterkompositorischen Zusammenhang schon HOSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 245. 241 Zu der psalterkompositorischen Verbindung von Ps 74, 75 und 76 über die Namenstheologie vgl. auch W EBER, Psalm 76, 100 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 400. 242 Zu der hinter V. 3 f stehenden Metaphorik von Jhwh als brüllendem, kämpfenden Löwen vgl. die weiterführenden Ausführungen bei HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 391–393 sowie WEBER, Psalm 76, 90 f. Besonders auffallend ist die von Hossfeld/Zenger betonte Parallele zu dem schillernden Gerichtswort Jes 31,4, in dem Jhwh als ein über seiner Beute knurrender Junglöwe beschrieben wird, der in kriegerischer Absicht auf den Zion hinabsteigt. 243 Zum Zorn als Ausdruck der Herrschaft Jhwhs vgl. JEREMIAS, Zorn, 26–29.
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die Jhwh und Israel feindlich gesinnten Zornesgluten des Menschen Jhwh preisen (V. 11) und die Völkerwelt ihm Tribut bringt (V. 12 f).244 Dass es sich hierbei um den universalen Herrschaftsanspruch Jhwhs vom Zion handelt, wird am Schluss des Psalms noch einmal dadurch betont, dass sich seine Herrschaft über die Könige der Erde (Ps 76,13) erstreckt.245 Dieser universale Aspekt der Königsherrschaft Jhwhs verbindet Ps 76 mit der vor allem schöpfungstheologisch begründeten Königsherrschaft in Ps 74,17, die in Ps 74,4–11.22 f mit einer Zentrierung auf das Heiligtum und in Ps 76,2–6 mit einer Zionszentrierung einhergeht. Für die redaktionelle Zusammenstellung der Psalmen 74–76 sind nun die bisher noch nicht berücksichtigten Verse 9 f von entscheidender Bedeutung. Bei diesen handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen redaktionellen Zusatz, mit dem zwei neue Aspekte der Weltherrschaft Jhwhs ergänzt werden.246 Zum einen ist Jhwhs Wohnort im Himmel (V. 9), während der Rest des Psalms von seinem Wohnort auf dem Zion ausgeht. Zum anderen wird in V. 10 die kriegerische Entfaltung der Weltherrschaft Jhwhs nicht fortgesetzt, sondern durch die Vorstellung von Jhwh als gerechtem Richter zugunsten aller Armen (\Q>) der Erde ergänzt. Dass es sich auch hierbei um einen Ausdruck der universalen Herrschaft Jhwhs handelt, zeigt sich darin, dass auch dieses Handeln Jhwhs alle Armen der Erde trifft. Genau diese Perspektive des erwarteten Eingreifens Gottes als Richter verbindet aber Ps 76 mit seinem Nachbarpsalm 75, dessen zentrales Thema die Erwartung des rettenden Gerichts Jhwhs ist (vgl. die Wurzel ›richten‹ [MSY] in Ps 75,3.8; 76,10). Dabei wird das in Ps 75,3.8 noch zu erwartende Gericht in Ps 76,10 als ein bereits eingetroffenes geschildert247 und ist somit Teil der in der Vergangenheit bereits vollzogenen Herrschaftsmanifestationen des Königsgottes, die den universalen Geltungsanspruch seiner Herrschaft begründen.248 Zugleich wird über das Stichwort der ›Armen‹ (\Q>) ein kompositioneller Bogen zu den redaktionellen Bitten in Ps 74,18–21 geschlagen.249 Formulieren die Bitten in Ps 74,19.21, Jhwh möge die Armen nicht vergessen und sie von ihren Unterdrückern befreien, so dass sie seinen Namen 244
Vgl. WEBER, Psalm 76, 97–99. Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 243, die darüber hinaus betonen, dass die in V. 8.11.12 f beschriebene Wirksamkeit für die Gegenwart und Zukunft noch aussteht. 246 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 388–391 und DIES., Psalmenauslegung im Psalter, 242 f. Vgl. weiter SEYBOLD, Psalmen, 295 f. 247 So auch WEBER, Psalm 76, 100. 248 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Schlussbitte in Ps 74,22, in der Jhwh aufgefordert wird, seinen Rechtsstreit zu streiten. 249 Zur psalterkompositorischen Bedeutung der Ergänzung in Ps 76,9 f vgl. darüber hinaus HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 390. 245
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wieder preisen können, sind auch diese Bitten durch das in Ps 76,10 vollzogene Gericht zugunsten der Armen erfüllt. Jhwh hat sich ihnen erneut zugewandt und sie ins Recht gesetzt. So ist sein richterliches Eingreifen Ausdruck seiner universalen Herrschaft, wie es sich in der Verwendung von UD mit der Bedeutung ›Erde‹ zeigt (vgl. auch Ps 75,9). Das bedeutet, dass in Ps 76 sowohl das in Ps 75 noch zu erwartende Gericht als auch die in Ps 74 beklagte Gottesferne und die Bitten der Armen durch die Entfaltung der Herrschaft Jhwhs vom Zion beantwortet werden. Auf diese Weise entsteht ein redaktionell gestalteter Kompositionsbogen, durch den die drei Psalmen 74, 75 und 76 miteinander verbunden werden: Die kollektive Perspektive setzt in Ps 74 mit der Klage über die radikale Gottesferne aufgrund des zerstörten Heiligtums ein und mündet in die Bitte um ein erneutes Eingreifen Jhwhs gegen seine Widersacher. Diese Bitten nimmt Ps 75 auf und transformiert sie in die Gewissheit eines in Zukunft eintreffenden rettenden Eingreifens des Richtergottes. Dabei ist die Gewissheit trotz der die Gegenwart prägenden Gottesferne so stark, dass der Ps 75 bereits wieder von der Nähe des Namens Gottes sprechen kann. Dieses in Ps 75 noch zu erwartende Eingreifen des Richters erweist sich in den Manifestationen der Weltherrschaft Jhwhs vom Zion in Ps 76 als erfüllt, indem Jhwh allen Armen der Erde bereits Recht gesprochen hat. Zugleich stellt er der in Ps 74 beklagten Gottesferne aufgrund des zerstörten Heiligtums die universale Herrschaft des Königsgottes vom Zion entgegen, die sich in seiner Überlegenheit gegenüber der Völkerwelt ebenso zeigt wie in seinem Handeln als Richter zugunsten der Armen. Dass der Zion als Residenzort Jhwhs durch seinen Wohnort im Himmel ergänzt wird, beantwortet die in Ps 74 noch offengelassene Frage nach dem Wohnort Jhwhs, wenn der Tempel zerstört ist.250 Mit diesen Manifestationen der Weltherrschaft des Königsgottes beschließt Ps 76 den ersten von Ps 74 ausgehenden Kompositionsbogen.251 Im Hinblick auf die redaktionelle Zusammenstellung der drei Psalmen bedeutet das, dass die redaktionellen Ergänzungen in Ps 74,18–21 und Ps 76,9 f mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine Hand zurückgehen und bewusst zur Gestaltung der Komposition von Ps 74–76 eingeschrieben worden sind. Da Ps 74 die Zerstörung des Jerusalemer Heiligtums beklagt und Ps 76,9 mit der erst seit dem Exil belegten Vorstellung des Wohnorts Jhwhs im Himmel darauf antwortet, ist 250 Vgl. zur Entwicklung des Wohnorts Jhwhs im Himmel HARTENSTEIN, Wolkendunkel, 166–168. Vgl. weiter die von HOSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 243 f herausgestellten motivlichen Verbindungen zu den Zionspsalmen 46 und 48. 251 Nach HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 400 ist Ps 76 »das emphatische (visionäre) Schlußbild der Komposition mit JHWH als dem ›Wächterlöwen‹ vom Zion«. Zur Beschreibung des Kompositionsbogens vgl. weiter H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 390.400 und W EBER, Psalm 76, 99–101.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
die gesamte Komposition vermutlich frühestens in der späten Exilszeit anzusetzen.252 Dieses mit der kollektiven Perspektive aus Ps 74 verbundene Ringen um die erneute Zuwendung Jhwhs wird in dem sich nun anschließenden Kompositionsbogen Ps 74, 77, 78 und 79 um die in Ps 74,2 f.13–15.15–17 eröffnete heilsgeschichtliche und schöpfungstheologische Perspektive ergänzt.253 d) Die Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs in Psalm 77 Mit Ps 77 wird allein schon dadurch eine deutliche Zäsur zum vorherigen Kompositionsbogen markiert, dass in Ps 77 die Ps 74, 75 und 79 prägende kollektive Perspektive nicht fortgesetzt wird, sondern das Gebet stattdessen mit der Klage eines paradigmatischen Einzelnen beginnt. Dass aber auch in Ps 77 die kollektive Perspektive im Hintergrund steht, zeigt sich daran, dass der Beter seine individuelle Not in einen heilsgeschichtlichen Rahmen stellt und sich auf diese Weise als Teil der Traditionsgemeinschaft versteht. Die entscheidende konzeptionelle Verbindung zwischen Ps 74 und Ps 77 besteht aber in der Aufnahme und Weiterführung der heilsgeschichtlichen Perspektive aus Ps 74 in Ps 77, die sich anhand der Hirtenmetaphorik festmachen lässt. Die Klage über die Gottesferne in Ps 74 beginnt damit, dass die Beter unter Rückgriff auf Ex 15,1–18 die Gründungssituation Israels als Gottesvolk einklagen und im Zusammenhang dieser Klage Jhwh an seine Funktion als Hirte seiner Herde gegenüber erinnern (Ps 74,2 f).254 Dabei dient der Rekurs auf die heilvolle Vorzeit als Kontrast zur gegenwärtig erlebten Gottesferne und begründet zugleich die in den Bitten impli252 Ähnlich SEYBOLD, Psalmen, 295, der den Kernpsalm (V. 1.2a–3a.4–8.11–13) exilisch ansetzt und diesen aufgrund der verarbeiteten Nordreichstraditionen einer efraimitischen Gemeinde mit einer außerjerusalemischen Perspektive des Nordens zuschreibt. Vgl. dazu weiter SEYBOLD, »Wir«, 240–242. Die Bearbeitung in V. 2b.3b.9 f setzt er nachexilisch an. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 390 datieren den Kernpsalm V. 1–8.11–13 ins 7. Jh. v. Chr. und gehen in V. 9 f von einer exilischen Bearbeitung aus. WEBER, Psalm 76, 101 setzt Ps 76 insgesamt in der Zeit der assyrischen Bedrohung an und beschreibt ihn als ein an die Bewohner des ehemaligen Nordreichs bzw. an die nach Juda geflüchteten Nordreichbewohner gerichtetes Poem. Durch diese Bewegung von Nord nach Süd ist nach W EBER, Asaph-Psalter, 128 f das Doppelgepräge an Nordreich- und Jerusalem-Motivik zu erklären. 253 Zu dem Kompositionsbogen Ps 74, 77 und 78 vgl. auch WEBER, Asaph-Psalter, 130. Weber geht von drei Kompositionsbewegungen innerhalb der Asafsammlung aus. Die erste besteht von Ps 74 bis 76, die zweite von Ps 77 bis 78, die bewusst in der Mitte platziert worden ist, und die dritte Bewegung geht von Ps 80 zu Ps 82 über. Insgesamt geht WEBER, Asaph-Psalter, 133–138 von einer vorexilischen Entstehung des Asafpsalters aus, der aus Ps 73, 74, 75, 76, 77, 78, 80, 50, 81, 82 und 83 bestanden hat. Ausschließlich Ps 79 ist nach Weber eine nachexilische Ergänzung. 254 Zur Exegese von Ps 74 vgl. die Ausführungen unter D.2.a) (S. 116 ff).
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zite Hoffnung, Jhwh möge sich dieser Gründungssituation erinnern, erneut eingreifen wie einst gegen die chaotischen Elemente (Ps 74,13–15), seine Widersacher aus dem Tempel vertreiben und die mit der Gründungssituation verbundene heilvolle Gottespräsenz auf dem Zion wiederherstellen. Auch in Ps 77 dient der Rückgriff auf die heilvolle Vorzeit diesem Kontrast. Allerdings wird die Reflexion der Rettungstat am Schilfmeer vor dem Hintergrund von Ex 15,1–18 als Theophanie Jhwhs gedeutet (Ps 77,17–20), die sich in der göttlichen Führung in der Wüste durch Mose und Aaron manifestiert hat (Ps 77,21). Aus dieser einstigen machtvollen Theophanie, mit der sich Jhwh als Herr des gesamten Kosmos erwiesen hat, schöpft der Beter seine Hoffnung auf ein erneutes heilvolles Kommen Jhwhs angesichts seiner Not. Anhand der Hirtenmetaphorik, mit der Ps 77,21 schließt, wird ein Kompositionsbogen zu Ps 74,2 gestaltet, durch den sie von der Klage in Ps 74,2 zur Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs weitergeführt wird (Ps 77,21). Somit rahmt in der Ablauflesung von Ps 74 bis 77 die heilsgeschichtlich begründete Hoffnung auf ein erneutes Eingreifen Jhwhs, das in Ps 75 entfaltete Eingreifen Jhwhs als gerechter Richter sowie die erneute Manifestation seiner Herrschaft vom Zion. Dies bedeutet, dass die aus der Reflexion der heilvollen Vorzeit gewonnene Erkenntnis des paradigmatischen Handelns Jhwhs in Ps 74 und 77 letztlich sein erneutes Eingreifen in der Gegenwart ermöglicht. Dieser Fokus auf die heilsgeschichtliche Perspektive setzt sich in Ps 78 fort und wird in hermeneutisch entscheidender Weise durch einen schöpfungstheologischen Begründungszusammenhang ergänzt. e) Die Rätsel der Vorzeit in Psalm 78 Der über die Hirtenmetaphorik nachgezeichnete heilsgeschichtliche Kompositionsbogen wird auch in Ps 78 aufgenommen und durch die ausführlich gestalteten zwei Durchgänge durch die Frühgeschichte Israels (Ps 78,12– 39.40–72) in einen umfassenden Reflexionszusammenhang eingebettet. Dabei wird gegenüber Ps 74,2 und Ps 77,21, die anhand der Hirtenmetaphorik die Gründungssituation Israels in Erinnerung rufen und diese mit der Hoffnung auf ein erneutes Eingreifen verbinden, der heilsgeschichtliche Zusammenhang der Errettung am Schilfmeer entfaltet (Ps 78,52–55). Dazu gehören der Auszug und die sichere Führung in der Wüste ebenso wie die Rettung vor den Feinden am Schilfmeer und die Einsetzung Israels als Kultgemeinde Jhwhs. Die in der Wüste erfahrbare Leitung durch Jhwh als Hirte seines Volkes wird am Schluss des Psalms auf David übertragen, der als göttlicher Mandatar eingesetzt wird (Ps 78,70–72). Dadurch entsteht ein heilsgeschichtlicher Kompositionsbogen, der von der eingeklagten Gründungssituation in Ps 74,2 über die göttliche Führung in der Wüste durch Mose und Aaron bis hin zur Übertragung der Hirtenfunktion auf
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
David in staatlicher Zeit reicht, wobei sich in allen drei Psalmen Jhwh als der eigentliche Hirte seiner Herde erweist. Im Unterschied aber zu Ps 78 dient der Rekurs auf die mythische Vorzeit in Ps 74 und Ps 77 dazu, den Kontrast zwischen dem heilvollen Handeln der Vorzeit und der gegenwärtigen Gottesferne herauszustellen, während in Ps 78 in zwei Durchgängen eine ausgefeilte Geschichtsdeutung der Frühgeschichte Israels vorliegt, in denen die Beter erstens das Handeln des Schöpfers in der Geschichte (Ps 78,12–39) und zweitens davon ausgehend das Handeln des Weltenherrschers für sein Volk (Ps 78,40–72) reflektieren. Darüber hinaus wird auch die mit der kollektiven Klagesituation verbundene Erfahrung der gegenwärtigen Gottesferne, wie sie die Klageteile in Ps 74,2–11 und Ps 77,1–13 dominieren, in Ps 78 aufgenommen und in einem heils- und schöpfungstheologischen Zusammenhang reflektiert. Dies geschieht, indem die Dimension der Schuld den Ausgangspunkt der heilsgeschichtlichen Reflexion in Ps 78 darstellt (Ps 78,8–11), während die Klagesituationen in Ps 74 und Ps 77 die Kategorie der Schuld nicht kennen, sondern allein auf ein erneutes Eingreifen Jhwhs zielen. So wird in Ps 78 der Aspekt der Schuld in die mythischen Anfänge Jhwhs mit seinem Volk integriert und zieht sich wie ein roter Faden durch die beiden Geschichtsdurchgänge (V. 8.17.32.40–42.56). Denn von Anfang an haben sich die Vorfahren gegen Jhwh aufgelehnt und seinen Zorn herausgefordert.255 Diese geschichtstheologische Verankerung der Schuld wird am Schluss des ersten Reflexionsgangs schöpfungstheologisch begründet (Ps 78,38 f), indem das sich in der Geschichte ständig wiederholende Schuldigwerden der Väter als Teil der Geschöpflichkeit des Menschen reflektiert und somit auf einer anthropologischen Ebene verankert wird. Das ist der Grund, warum der Schöpfer seiner fehlbaren Geschöpfe immer wieder gedenkt, sich ihrer erbarmt und sie nicht seinem vernichtenden Zorn preisgibt. Insofern wird nicht nur die Schuld des Menschen schöpfungstheologisch begründet, sondern auch das vor dem Hintergrund der Gnadenformel aus Ex 34,6 f aufgenommene Verhältnis von göttlichem Zorn und seiner Barmherzigkeit. Denn die Barmherzigkeit des Schöpfers umfasst den göttlichen Zorn und verhindert seinen vollständigen Ausbruch. Diese schöpfungstheologische Reflexion der Barmherzigkeit Jhwhs und der Schuld des Menschen ist der hermeneutische Schlüssel für das Geschichtsverständnis des Psalms. Denn im gesamten ersten Reflexionsgang durch die Geschichte (Ps 78,12–39) reflektieren die Beter das fürsorgende und bewahrende Handeln des Schöpfergottes in der Geschichte, so dass die Schöpfung den eigentlichen ›Zorn‹ (#D) findet sich in Ps 74,1 und 78,21.31.38.49 f. Auch die Feindthematik spielt in diesem Zusammenhang in beiden Psalmen eine wichtige Rolle: Ps 74,3 f.10.23 und Ps 78,42.53.61.66. Dabei changiert der Feind des Volkes mit dem Feind Jhwhs. Dass sich Jhwhs Zorn durch Feuer ausdrückt, findet sich in Ps 74,1 und Ps 78,21.63. 255
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Begründungszusammenhang für das Geschichtshandeln Jhwhs darstellt. Im zweiten Reflexionsgang (Ps 78,40–72) wird dieser Zusammenhang auf das Handeln des Weltenherrschers hin transparent. In psalterkompositorischer Hinsicht nimmt Ps 78 somit also nicht nur die in Ps 74 eröffnete heilsgeschichtliche Perspektive auf und reflektiert diese geschichtstheologisch. Das gleiche geschieht auch mit der schöpfungstheologischen Perspektive aus Ps 74. Allerdings wird in Ps 74,16 f noch das Ringen um die Schöpfung als Handeln sichtbar, das sich letztlich in den kosmischen Abläufen manifestiert. Dieses Ringen ist in Ps 78 längst überwunden, indem die Schöpfung als Begründungszusammenhang des Handelns Jhwhs in der Geschichte dargestellt wird. Die konzeptionelle Differenz zwischen Ps 74 und Ps 78 wird in besonderer Deutlichkeit in den beiden Psalmen zugrunde liegenden Vorstellungen vom Wohnort Jhwhs sichtbar. In Ps 74 wird noch um die Rückkehr Jhwhs zu seinem zerstörten Heiligtum gerungen (Ps 74,3.22 f). Stattdessen weisen allein die kosmischen Abläufe auf das trotz des zerstörten Heiligtums wirkmächtige Handeln Jhwhs hin und erweisen sich so als Hoffnungsperspektive für das erneute Eingreifen Jhwhs und die Wiederherstellung seines Heiligtums. In Ps 78 ist die Schöpfung als Dimension des Handelns Jhwhs in der Geschichte längst integriert (Ps 78,12–39). Das impliziert, dass die Schöpfung, der Bau von Himmelshöhen sowie die auf ewig festgegründete Erde (Ps 78,69), als Vergleichsgröße für die Festigkeit des irdischen Heiligtums herangezogen wird. Dadurch entsteht eine Durchlässigkeit des irdischen Heiligtums auf das Schöpferhandeln Jhwhs hin, so dass die Präsenz Jhwhs im Tempel auf den Schöpfer von Himmel und Erde verweist. Insofern ist der Kompositionsbogen von Ps 74 über Ps 77 zu Ps 78 zunächst durch die heilsgeschichtliche Perspektive geprägt, die mit Ps 74 eröffnet wird. Diese zusammen mit der schöpfungstheologischen Perspektive wird in Ps 78 aufgenommen und in einen Reflexionszusammenhang eingebettet, in dem die Deutungen der mythischen Vorzeit transparent für das Handeln des Schöpfers werden und zugleich die schöpfungstheologisch begründete Schuld des Menschen das Handeln Jhwhs in der Geschichte begründet. Gegenüber diesem komplexen geschichtstheologischen Reflexionszusammenhang von Schöpfung und Geschichte liegen in Ps 74 und Ps 77 keine vergleichbaren Geschichtsdeutungen vor. Beide Psalmen rekurrieren im Zusammenhang einer Klagesituation auf die mythische Vorzeit, die im Kontrast zur gegenwärtig erfahrenen Gottesferne steht, aber zugleich die Hoffnung auf ein erneutes Eingreifen Jhwhs wie einst begründet. Aufgrund dieser geschichtstheologischen Reflexion hebt sich Ps 78 reliefartig aus dem Kompositionszusammenhang Ps 74, 77 und 78 heraus256 und 256
STEIN,
Zum Begriff des Reliefs im Zusammenhang der Psalterkomposition vgl. HARTENSchaffe, 231.
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
erweist sich gegenüber Ps 74 und Ps 77 als ein Reflexionstext, der die Situation der Klage unterbricht und diese durch seine komplexe Geschichtstheologie auf eine Reflexionsebene transformiert. Dadurch verleiht Ps 78 der Komposition ein theologisches Profil, so dass die auf Ps 78 bezogenen Psalmen eine über den jeweiligen Einzeltext hinausgehende theologische Sinndimension erhalten. Von daher ist zu vermuten, dass Ps 78 redaktionell in diesen Zusammenhang eingeschrieben worden ist.257 Diese Vermutung wird sich bestätigen, wenn man noch den letzten Psalm 79 des Kompositionsbogens Ps 74, 77, 78 und 79 berücksichtigt. f) Die erneute Klage um das zerstörte Heiligtum in Psalm 79 Ps 79 nimmt die in Ps 74 beklagte Situation des zerstörten Tempels erneut auf, entfaltet sie aber im Verlauf des Psalms auf seine eigene Weise.258 Charakteristisch hierfür ist, dass in Ps 79,8 f gegenüber Ps 74 die Bitte um Vergebung der eigenen Schuld einen Bestandteil der Klage darstellt. Zudem zielen die Bitten an Jhwh nicht wie in Ps 74,22 f auf die Wiederherstellung des Tempels, sondern auf die Vergeltung an den Feinden (Ps 79,6.10–12). Um die Dimension der Schuld zu entfalten, greift Ps 79 auf die Gerichtsprophetie Jeremias und Michas zurück.259 Demgegenüber rekurriert Ps 74 auf die mythische Vorzeit, um den Kontrast zur gegenwärtig erfahrenen Gottesferne zu entfalten. Gemeinsam ist beiden Psalmen aber die Situation der Klage, aus der heraus sie die Wende der Not allein in das Abwenden Jhwhs von seinem Zorn und in seine erneute Zuwendung legen. In Ps 79 wird dies mit dem abschließenden Vertrauensbekenntnis in V. 13 unterstrichen, in dem die Hirtenmetaphorik aus Ps 74 aufgenommen wird. Die Beter haben in der Anrufung Jhwhs, in Klage, Bitte und Schuldeingeständnis, neue Gewissheit gefunden, dass Jhwh seinen Zorn von ihnen nimmt und gegen die Völker wendet. Deswegen können sie sich wieder als Schafe seiner Herde verstehen und Jhwh wieder als ihren fürsorgenden Hirten erfahren. So greift Ps 79,13 am Schluss des Gebets gezielt den Anfang von Ps 74,1 auf und bietet eine Antwort auf die dort eingeklagte Gründungssituation des Volkes »Warum, Gott, hast du uns verstoßen für immer, raucht dein Zorn gegen das Kleinvieh deiner Weide?«. Begründet liegt diese Gewissheit in der Anerkennung der eigenen Schuld, der Bitte um Vergebung sowie Vergeltung, durch die
257
Vgl. hierzu weiter die Ausführungen bei HARTENSTEIN, Schaffe, 231 f. Anders GOULDER, The Psalms of Asaph, 132–135, der nicht nur annimmt, dass in Ps 74 und Ps 79 dieselbe Situation beklagt wird, sondern darüber hinaus davon ausgeht, dass beide Psalmen einer Hand entstammen. Aufgrund seiner Frühdatierung von Ps 74 ins 8. Jh. v. Chr. setzt er auch Ps 79 in dieser Zeit an. 259 Vgl. hierzu die Exegese von Ps 79 unter D.1.b) (S. 110 ff). 258
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Ps 79 die Bitten von Ps 74, Jhwh möge seine Widersacher aus seinem Tempel entfernen, weiterführt.260 Durch diese in der Klage gewonnene neue Gewissheit in Ps 79,13, nach der sich die Beter wieder als Volk Jhwhs verstehen, wird der mit Ps 74 eröffnete Kompositionsbogen geschlossen und die mit der Klage verbundene kollektive Perspektive auf die gegenwärtige Gottesferne beantwortet. Damit entsteht ein Kompositionsbogen, der von der Klage in Ps 74 über die Klage in Ps 77 zur Klage in Ps 79 reicht und unter Aufnahme und Weiterführung der kollektiven und der heilsgeschichtlichen Perspektiven das Ringen um das Eingreifen Jhwhs bis zur neu gewonnenen Gewissheit nachzeichnet. Dabei ist signifikant, dass dieser Prozess des Weiterdenkens im Rahmen der Klage geschieht und auch innerhalb der Klagesituation zu einer Antwort in Form des Vertrauensbekenntnisses gefunden wird.261 Dieser
260 Darüber hinaus lassen sich folgende sprachliche Bezüge zwischen beiden Psalmen feststellen: ›Erbbesitz/Erbland‹ (KO[Q) in Ps 79,1 (bezogen auf den Tempel) und in Ps 74,2 (verbunden mit dem Volk); ›für immer‹ ([FQ) in Ps 79,5 und in Ps 74,1.3.10.19 (Leitwort des Psalms!); ›gedenken‹ (UN]) in Ps 79,8 (bezogen auf Jhwh) und in Ps 74,2.18.22 (bezogen auf Jhwh); ›heilig‹ (YGT) in Ps 79,1 (Tempel) und in Ps 74,3.7 (Tempel); ›erretten‹ ( >Y\) in Ps 79,9 und Ps 74,12; ›umkehren‹ ( EZY) in Ps 79,12 (Vergeltungsbitte) und in Ps 74,11.21; ›Raubtier‹ (W\[) in Ps 79,2 und in Ps 74,19; ›wissen/erkennen‹ (>G\) in P 79,6.10 und in Ps 74,5.9; die Wurzel › NY‹ in Ps 79,4.12 (Nachbarn) und in Ps 74,2 (Jhwhs Wohnen auf dem Zion). Vgl. hierzu auch H OSSFELD/ZENGER, Psalmenauslegung im Psalter, 246 f. 261 Zur psalterkompositorischen Einordnung von Ps 79 im Kontext der Asafsammlung vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 447.451.465 f, die in den beiden Volksklagepsalmen 79 und 80 die Eröffnung eines weiteren Kompositionsbogens sehen, der über die beiden Klagen in Ps 79 und 80 bis zum Gottesorakel in Ps 81 als Antwort reicht. Dabei kommt Ps 79, der nach HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 447 für seinen literarischen Kontext der Asafsammlung geschaffen worden ist, eine doppelte Funktion zu. Zum einen stellt Ps 79 eine Antwort auf die Klage in Ps 74 dar. Zum anderen nimmt Ps 80,2 die Hirtenmetaphorik aus dem Vertrauensbekenntnis in Ps 79,13 auf und beginnt mit dieser in Form eines Höraufrufs. Auch darüber hinaus stellt Ps 80 nach H OSSFELD/ZENGER, Die Psalmen II, 453 eine Weiterführung von Ps 79 dar. Erstens erweitert Ps 80 gegenüber Ps 79 das territoriale Gebiet der Zerstörung. Geht es in Ps 79 um die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, bezieht die Klage in Ps 80 auch das Gebiet des Nordreichs in die Verwüstung mit ein, so dass beide Psalmen gemeinsam die Verwüstung des gesamten Volkes und des von Jhwh gegebenen Landes darstellen. Zweitens sind beide Psalmen durch das Motiv der verhöhnenden Nachbarvölker verbunden (Ps 79,4; Ps 80,7). Während diese Situation in Ps 79 vor allem beklagt wird, wird sie in Ps 80 auf Jhwh selbst zurückgeführt. Drittens gibt es in Ps 80 keinen Hinweis auf die Schuld Israels wie in Ps 79. In Ps 80 ist Jhwh für das Unheil verantwortlich (dies ist für EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 146 f, ein Indiz dafür, dass Ps 79 jünger als Ps 80 ist). Diese Bezüge verdeutlichen aber, dass die mit Ps 74 eröffneten heilsgeschichtlichen und schöpfungstheologischen Themen, wie sie sich oben dargestellt haben, mit Ps 79 und Ps 78 beantwortet werden, während demgegenüber mit Ps 80 andere Aspekte in den Vordergrund treten. Von
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
Zusammenhang wird nun durch den Reflexionstext Ps 78 unterbrochen, der die kollektive Perspektive geschichtshermeneutisch und schöpfungstheologisch reflektiert und auf diese Weise dem Kompositionsbogen ein weiterführendes theologisches Profil verleiht. Wie bereits oben dargestellt, hat sich Ps 78 auch gegenüber Ps 79 als ein Reflexionstext erwiesen. Das zeigt sich zum einen an der schöpfungstheologischen Reflexion der Schuld (Ps 78,38 f), die bereits die paradigmatische Frühzeit prägt. Deswegen begründet die ›Barmherzigkeit‹ (aZ[U) Gottes in Ps 78,38 f auch nicht nur wie in Ps 79,8 (a\P[U) die Vergebung der Schuld, sondern darüber hinaus die ständige Begrenzung des göttlichen Zorns. Zum andern nimmt Ps 78,1– 11 das ›lobende Weitererzählen‹ (USV Piel) der Ruhmestaten Jhwhs auf und macht es zur zentralen Kategorie seiner geschichtshermeneutischen Reflexion am Anfang des Psalms. Dadurch wird das ›lobende Weitererzählen‹ (USV Piel) in die kollektive Perspektive der Geschichtsreflexion transformiert.262 3. Fazit Ps 78 hat sich sowohl im Hinblick auf seine Nachbarpsalmen 77 und 79 als auch im Hinblick auf eine von Ps 74 zu Ps 79 durch makrostrukturelle Merkmale profilierte Ablauflesung als Reflexionstext erwiesen. Betrachtet man zunächst die konzeptionellen Bezüge zwischen Ps 78 und seinen Nachbarpsalmen 77 und 79, so wird vor allem die in Ps 78,38 f formulierte göttliche Barmherzigkeit Jhwhs, die seinen Zorn immer wieder begrenzt, als die die drei Psalmen verbindende Konzeption herausgestellt. Dazu wird die in Ps 77,17–21 im Kontext der Theophanie entfaltete erneute Rettung am Schilfmeer in Ps 78 aufgenommen und im doppelten Durchgang durch die Heilsgeschichte (Ps 78,12–39.40–72) als Wundertat des Schöpfers in Ps 78,13–15 und des Weltenherrschers in Ps 78,52–55 ausdifferenziert. Diese geschichtstheologische Linie wird vor dem Hintergrund der schöpfungstheologisch begründeten Schuld des Volkes (Ps 78,38 f) zum Ausdruck der großen Barmherzigkeit Gottes, die die Schuld des Volkes immer wieder zudeckt. Von daher erhält die in Ps 77,17–21 formulierte Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs und rettendes Eingreifen Jhwhs
daher kann Ps 79 zunächst als Abschluss des Kompositionsbogens Ps 74–79 betrachtet werden. 262 Darüber hinaus entsteht über das ›lobende Weitererzählen‹ (USV Piel) ein Bezug zu dem weisheitlich geprägten Ps 73, der mit der Absichtserklärung schließt, dass der Beter alle Taten Jhwhs verkünden will. Dadurch wird der Bogen über Ps 74 hinaus zum ersten Psalm der Sammlung geschlagen. Zur Auslegung von Ps 73 vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 51–100, 334–355, insbesondere 352 f. Zur detaillierten Analyse der psalterkompositorischen Verbindung zwischen Ps 78 und Ps 79 siehe unter D.1.b) (S. 110 ff).
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über die Neudeutung der Rettung am Schilfmeer hinaus eine theologische Tiefendimension. Auch die Verbindung von Ps 78 zu Ps 79 ist durch die in Ps 78,38f entfaltete Barmherzigkeit Jhwhs bestimmt. Allerdings tritt nun der Aspekt der Schuld in den Vordergrund. Die im Zusammenhang der Klage in Ps 79,5–9 formulierte Gottesferne zielt auf das Eingeständnis der Schuld und die Bitte um Vergebung. Die Begründung dafür, dass Jhwhs Zorn nie in Gänze ausbricht und er die Schuld seines Volkes immer wieder zudeckt, findet sich wiederum in Ps 78,38 f in der schöpfungstheologischen Grundlegung der Schuld des Menschen einerseits und der umfassenden Güte des Schöpfers andererseits. Im Hinblick auf den Ablauf der Psalmen von Ps 74 bis 79 haben sich zwei Kompositionsbögen herauskristallisiert. Der erste Kompositionsbogen Ps 74, 75 und 76 nimmt die mit Ps 74 eröffnete kollektive Klage über die gegenwärtige Gottesferne auf und beantwortet sie mit der Gewissheit des in Zukunft erneuten Eingreifens Gottes als gerechtem Richter in Ps 75 sowie mit einer erneuten Herrschaftsmanifestation des Weltenherrschers vom Zion in Ps 76, die wie einst die gesamte Völkerwelt umfassen wird. Der zweite Kompositionsbogen wird von Ps 74 zu Ps 77 und Ps 79 gespannt. Mit Ps 77 wird die kollektive Perspektive zunächst durch den paradigmatischen Einzelnen unterbrochen und dabei die Situation der Klage aus Ps 74 fortgeführt. Dazu wird die in Ps 74 eröffnete heilsgeschichtliche Perspektive aufgenommen, die mit der Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs in Ps 77,17–21 weitergeführt und in Ps 79,13 mit der Gewissheit der wiederhergestellten Gründungssituation beantwortet wird. In redaktioneller Hinsicht ist daher davon auszugehen, dass der Kompositionsbogen von Ps 74, 77 und 79 durch die Einschreibung der Psalmen 75 und 76 unterbrochen worden ist. Für diese Beobachtung spricht vor allem, dass das in Ps 76,9 f bereits vollzogene Gericht an den Armen die Hoffnung auf das Eingreifen Jhwhs als Richter in Ps 75,3 f.8 aufnimmt und zugleich mit der redaktionell ergänzten Bitte für die Armen in Ps 74,19.21 verbindet. Damit gehen die redaktionellen Ergänzungen in Ps 76,9 f und Ps 74,18–21 vermutlich auf die Hand zurück, die auch Ps 75 und Ps 76 in den Kontext der Asafsammlung eingefügt und auf diese Weise den Kompositionsbogen von Ps 74–76 gestaltet hat. Im Gegenzug dazu basiert die die Klagen Ps 74, 77 und 79 verbindende heilsgeschichtliche Struktur nicht auf der redaktionellen Ergänzung in Ps 74,18–21, sondern knüpft an den Grundpsalm 74,1–17.22f an. Als letzter Psalm ist dann Ps 78 in den Zusammenhang von Ps 74–79 eingeschrieben worden. Dieser Psalm nimmt die mit Ps 74 eröffnete kollektive, heilsgeschichtliche und schöpfungstheologische Perspektive auf
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Kapitel 2: Die Rätsel der Vorzeit – Schöpfung und Geschichte in Ps 78
und bettet diese in einen umfassenden geschichts- und schöpfungstheologischen Zusammenhang ein. Auf diese Weise konnte Ps 78 sowohl für den Kompositionsbogen Ps 74, 77 und 79 als für den literarischen Zusammenhang seiner Nachbarpsalmen 77 und 79 als Reflexionstext herausgestellt werden, der der Sammlung Ps 74–79 ein über den Einzelpsalm bzw. über die bereits bestehenden Kompositionsbögen hinausgehendes reflexives Profil verleiht. Ps 78 stellt somit einen Kristallisationspunkt in der Sammlung Ps 74–79 dar, indem er die die Sammlung prägenden Themen bündelt und theologisch weiterdenkt.263 Er ist für seinen literarischen Kontext vermutlich bewusst als Reflexionstext geschaffen worden und ragt daher reliefartig aus der Textabfolge heraus.264 Aufgrund der exilischen Ansetzung von Ps 74 sowie des schriftprophetischen Hintergrunds von Ps 79 ist mit dem Beginn der Zusammenstellung der Sammlung in nachexilischer Zeit zu rechnen.265
263
W EBER, Asaph-Psalter, 134 spricht in diesem Zusammenhang von einer Art »theologischem Testament«. 264 Vgl. hierzu Anm. 256. 265 Anders WEBER, Asaph-Psalter, der von einem vorexilischen Bestand der Asafsammlung mit den Psalmen 73, 74, 75, 76, 77, 78, 80, 50, 81, 82 und 83 ausgeht, die nachexilisch nur um Ps 79 ergänzt worden ist. Demgegenüber beschreiben H OSSFELD/ ZENGER, Psalmen 51–100, 400.431.440–442.465 f die Zusammenstellung der Psalmen 74–79.80 synchron. Dabei gehen sie von drei Kompositionsbögen aus. Der erste Kompositionsbogen reicht von Ps 74 bis 76. Der zweite Kompositionsbogen stellt die Psalmentrias Ps 77–79 dar. Dabei greift aber Ps 79 auf Ps 74 zurück und beantwortet die dort mit der Klage verbundenen Fragen nach der Gottesferne. Zugleich eröffnet er mit Ps 80 den dritten Kompositionsbogen, der bis Ps 81 reicht. Ps 78 stellt auch nach HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen 51–100, 440 f den Zentralpsalm der Asafsammlung dar, in dem die großen Themen der Asafpsalmen – wie z. B. die Frage nach dem Verhältnis von Erbarmen und Zorn Jhwhs oder die geschichtstheologische Frage nach der Kontinuität der Geschichte Israels unter der Führung Gottes im Angesicht der Schuld des Volkes – gebündelt werden. Vgl. dazu weiter Anm. 189, Anm. 251 und Anm. 259.
12
Kapitel 3
Der große Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Psalm 105 und Psalm 106 Der große Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Die Konstruktion von Geschichte in Ps 78 hat sich dadurch ausgezeichnet, dass sie in zwei Reflexionsgängen (V. 12–39 und V. 40–72) Jhwhs Handeln in der Geschichte als Schöpfer und Weltenherrscher entfaltet, so dass ein geschichtstheologischer Gesamtentwurf entsteht. Dabei ist die paradigmatische Verankerung der Schuldthematik sowie die damit zusammenhängende Reflexion der Güte Jhwhs als integraler Bestandteil der Heilsgeschichte Israels der zentrale Deutehorizont, vor dem der Geschichtsentwurf in Ps 78 verstanden werden soll. Diese beiden Aspekte – das Verhältnis von Schöpfung und Geschichte einerseits sowie das Verhältnis von göttlicher Güte und göttlichem Zorn andererseits – werden in den jetzt zu behandelnden Geschichtspsalmen Ps 105 und Ps 106 weiter ausdifferenziert. Dabei entwerfen Ps 105 und Ps 106 jeweils aus unterschiedlicher Perspektive einen Gesamtentwurf der Heilsgeschichte Israels, der von der Zeit der Erzeltern bis in die Exilszeit reicht.1 Während beide Psalmen den gleichen Zeitraum behandeln, ist jedoch die Blickrichtung, von der aus Geschichte erzählt bzw. konstruiert wird, unterschiedlich. In Ps 105 wird die Geschichte von den Erzeltern bis zur Landgabe als Geschichte der Bundestreue Jhwhs mit seinem Volk (Ps 105,8–11.42) entworfen, die, wie in dem Geschichtsdurchgang dargestellt wird, gerade auch dann gilt, wenn sich die Beter in Not und Gefahr befinden und die Bundesverheißung der Landgabe scheinbar in weite Ferne gerückt ist. Dabei erkennen die Beter von Ps 105 im Rückblick das fürsorgende und bewahrende Handeln des Schöpfers. In Ps 106 wird dann die in Ps 105 ausgeblendete Dimension der Schuld Israels ergänzt und zum zentralen Thema der Geschichtsreflexion. Zugleich tritt der Aspekt des Handelns des Schöpfers in der Geschichte zurück. Leitend für das Verständnis von Geschichte in Ps 106 ist das umfassende 1
Zu Ps 105 vgl. z. B. FÜGLISTER, Psalm 105, 41–59; HOSSFELD, Universalgeschichte, 294–311; MATHIAS, Geschichtstheologie, 112–156. Zu Ps 106 vgl. z. B. BEYERLIN, Der nervus rerum, 50–64; HOSSFELD, Ps 106, 255–266; M ATHIAS, Geschichtstheologie, 157– 206; PRÖBSTL, Rezeption, 106–178.
136
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Schuldbekenntnis der Beter in Ps 106,6, das den Durchgang durch die Frühgeschichte einleitet. Vor dem Hintergrund des Schuldeingeständnisses erkennen die Beter im Durchgang durch die Geschichte, dass Jhwhs Zorn stets durch seine Güte (GV[) begrenzt ist (Ps 106,45 f) und er aufgrund dessen trotz der ständigen Verschuldungen sich seines Volkes immer wieder erbarmt. Somit finden sich die beiden prägenden Grundkonstanten des Geschichtsentwurfs aus Ps 78 auch in Ps 105 und Ps 106. Wie die folgende Untersuchung zeigen wird, werden diese dahingehend ausdifferenziert, dass sie jeweils in einem der beiden Psalmen, in 105 oder in 106, schwerpunktmäßig ausgestaltet werden. Zugleich bleibt auffällig, dass zwischen Ps 78 und Ps 105 und 106 so gut wie keine erkennbaren Beziehungen im Wortlaut vorliegen, so dass ein redaktionelles Verhältnis zwischen diesen drei Psalmen allein auf der Textgrundlage nicht nachweisbar ist. Darüber hinaus wird die Analyse von Ps 105 und Ps 106 zeigen, dass die beiden Geschichtsentwürfe sprachlich und konzeptionell so aufeinander bezogen sind, dass am Ende des vierten Psalmenbuches ein großer Parallelismus der Heilsgeschichte entsteht. Diese Zusammenstellung von Ps 105 und 106 am Ende des vierten Psalmenbuches wird in einem abschließenden Kapitel auf ihre psalterkompositorische Relevanz hin zu untersuchen sein.
A. Die Bundestreue Jhwhs in der Geschichte mit seinem Volk – Psalm 105 –Ps105
1. Der Text – Psalm 105 1 Preist Jhwh!2 Ruft seinen Namen! Tut kund unter den Völkern seine Taten! 2 Singt ihm! Besingt ihn! Besinnt euch all seiner Wundertaten! 3 Rühmt euch seines heiligen Namens! Es freue sich das Herz der Jhwh-Suchenden! 3
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1
2
3
2 11QPsa erweitert den Vers um die liturgische Formel ›Ja,/denn er ist gütig! Ja,/Denn seine Güte/Gnade (ist) für fernste Zeit‹ und bindet damit Ps 105 noch stärker an Ps 106 an. Von daher ist diese Erweiterung mit DAHMEN, Psalmen- und Psalter-Rezeption, 121 f gegenüber MT als sekundär zu betrachten. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 96. 3 LXX und 11QPsa lesen wie 1Chr 16,10 ›der sein Gefallen sucht‹ (ZQZFUYTEP). Mit HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 96 sind diese Lesarten als sekundär einzustufen, da sie MT bereits rezipieren.
A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105 4 Fragt nach Jhwh und seiner Macht!4 Sucht stetig sein Angesicht! 5 Gedenkt seiner Wundertaten, die er tat, seiner Erweise und der Rechtsurteile seines Mundes! 6 Same Abrahams, seines Knechts! Kinder Jakobs, seine Erwählten!5 7 Er, Jhwh, (ist) unser Gott,6 auf der ganzen Erde (gelten) seine Rechtsurteile.
137
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7
5 6
8 Für fernste Zeit gedenkt er seines Bundes – (das) Wort hat er für tausend Generation(en) entboten –, 9 den er mit Abraham geschlossen hat, und seines Schwures für Isaak. 10 Und er hat ihn für Jakob zu(r) Satzung erstellt, für Israel (ist es) ein Bund (für) fernste Zeit. 11 Folgendermaßen: »Dir7 gebe ich das Land Kanaan als euch zugemessenen Erbbesitz.«
$W\U,%aO ¼$>OUN½] 8 CU$' #OD¼OK:FLÏUEÇ' aK BUED WDWU. ºUY½D@ 9 CT[ I\,O$W½> :E·Y: T[ROETR½>@\OK G¼\PL>@W\U,½%ODHUI\,OÏ UPRDOH 11 >Q.UDWD7(ÇDAO CaNWO[ @QOE[Ï
12 Als sie wenig an Zahl waren, gering und Gäste/Fremdlinge darin, 13 da zogen sie von Volk zu Volk umher, von einem Königreich zu einem anderen Volk,
U3VPL \WH¼PaW $\K%Lº 12 C+% a\U,ÇJZ!M>P.ÏL \$*OD\$*¾PL:N/KWÆODKN O P0PÏL
4 Die LXX verändert ›seine Macht‹ ( Z]>) in den Imperativ Plural ›werdet stark‹. Mit KRAUS, Psalmen II, 718; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 96; ALLEN, Psalms, 37 und SEYBOLD, Psalmen, 414 ist MT beizubehalten. 5 11QPsa vertauscht bei den Appositionen zu den Erzvätern in V. 6a und V. 6b Singular und Plural und liest statt ›Same Abrahams, seines Knechts‹ ›Same Abrahams, seiner Knechte‹ und statt ›Kinder Jakobs, seine Erwählten‹ ›Kinder Jakobs, seines Erwählten‹. Mit DAHMEN, Psalmen- und Psalter-Rezeption, 123 handelt es sich hierbei um eine qumranspezifische Variante, durch die sich die Beter als Knechte Jhwhs verstehen, während die Bezeichnung Jakobs als Erwählter auf den Volksbegriff Israel verweist. So auch HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen 101–150, 96. Auch DELITZSCH, Psalmen, 692; SEYBOLD, Psalmen, 414; ALLEN, Psalms, 37 und KRAUS, Psalmen II, 718 behalten MT bei. Anders GUNKEL, Psalmen, 459, BRIGGS/BRIGGS, Psalms II, 344 und DAHOOD, Psalms III, 52, die beides im Singular lesen. 6 In 11QPsa wird V. 7 mit der Partikel ›ja/denn‹ (\N) eingeleitet, so dass das Bekenntnis zur Exklusivität Jhwhs in V. 7 besonders hervorgehoben wird. Von daher wird diese Variante allgemein als sekundäre Erweiterung eingestuft. Vgl. dazu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 96; SEYBOLD, Psalmen, 414. 7 11QPsa wandelt das Suffix der zweiten Person Singular in die zweite Person Plural um. So auch GUNKEL, Psalmen, 459. MT wird aber von 1Chr 16,18 und der LXX bestätigt, so dass die Qumranvariante als sekundär einzustufen ist. So auch DELITZSCH, Psalmen, 692 f; SEYBOLD, Psalmen, 414; ALLEN, Psalms, 37 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101– 150, 96.
138
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
14 er aber gestattete niemandem, sie zu unterdrücken, wies Könige um ihretwillen zurecht. 15 »Rührt meinen Gesalbten nicht an und tut meinen Propheten nichts Böses!«
aTY> OaG¼D [\1,½KL DO^ 14 Ca\NLO PaK¼\OH>@[N$Ç*!7LOD 15 C:>U(7 OD\D\ELQ!OZL !Ï
16 Er rief Hunger über das Land, zerbrach jeden Brotstab, 17 er sandte einen Mann vor ihnen her, als Knecht wurde Josef verkauft. 18 Sie zwangen seine Füße in die Fessel, Eisen kam (an) seine Kehle.8 19 Bis zur Zeit, da sein Wort kam, der Ausspruch Jhwhs ihn geläutert/bestätigt hatte. 20 Es sandte (der) König und entfesselte ihn, (der) Herrscher (der) Völker, der löste/befreite ihn. 21 Er setzte ihn als Herrn (ein) für sein Haus, als Herrscher über all seine Habe, 22 zu binden seine Fürsten an seine Person,9 seine Ältesten soll er weise machen.
UD BK O>E> UºDU¼TOÏ Z\O J!U OE.¼E:1¾>L 18 C$Y SQKD % ¼O]U!%Ï $UE G!D%R W>HÆG> 19 C:KWS UFKZ½K\!WU¶PDL OPº[OY ¼ 20 :KU(B\7L\Z a\0L>Ï OYHÆPR C:K[H7S\ !Z $W\EHO$G½D $P½I 21 C$Q \Q!TL ON %OYHP:R Ï $YSQ%Z\U¼I UVR¾DO 22 Ca.H[\!Z\QÇTH]!:
23 So kam Israel nach Ägypten, und Jakob ließ sich im Land Cham als Gast/Fremder nieder. 24 Und er machte sein Volk sehr fruchtbar und machte es stärker als seine Bedränger. 25 Er wandelte ihr Herz, sein Volk zu hassen, Arglist zu üben an seinen Knechten. 26 Er sandte Mose, seinen Knecht, Aaron, den er erwählt hatte.
8
a\,UFPLODH¼UI\,DER½@\Z!Ï GDRP$0½>WDUSL @DQ2¾IOLa% OºL S½K 25 CZ\GE >@%O.HQWKLOÏ $'E>KY¼PR[OY º 26 C$% U[% UY½D@URK@DÏ
Zur Übersetzungsvariante ›Eisen durchdrang seine Seele‹, um dem Kontext entsprechend größere seelische Schmerzen auszudrücken, vgl. K ITTEL, Psalmen, 343; DELITZSCH, Psalmen, 693; KRAUS, Psalmen II, 718. Zur Diskussion vgl. weiter ALLEN, Psalms, 38 und DAHOOD, Psalms III, 56 f. 9 LXX, Peschitta und Hieronymus lesen ›erziehen‹ (UV\ Piel) statt mit MT ›anbinden‹ (UVD) und gleichen so die beiden Vershälften aneinander an. K ITTEL, Psalmen, 343 und SEYBOLD, Psalmen, 414 folgen den Versionen, während aber MT als lectio difficilior beizubehalten ist.
A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105
139
27 Sie richteten an sie seine Zeichenworte10 und Erweise im Lande Cham. 28 Er sandte Finsternis und machte finster, und sie widersetzten sich nicht seiner Rede/seinem Wort.11 29 Er wandelte ihr Wasser in Blut und ließ ihre Fische sterben. 30 Ihr Land wimmelte 12 von Fröschen in den Gemächern ihrer Könige. 31 Er sprach: Da kam Ungeziefer, Mücken, in ihr ganzes Gebiet. 32 Er gab ihre Regengüsse als Hagel, Feuerflammen in ihrem Land. 33 Er schlug ihren Weinstock und ihren Feigenbaum und zerbrach (das) Gehölz ihres Gebietes. 34 Er sprach: Da kam (die) Heuschrecke und (das) Heupferd(e) ohne Zahl. 35 Und es fraß alles Gras in ihrem Land, und es fraß die Frucht ihres Ackers. 36 Er schlug alle Erstgeburt in ihrem Land, Erstling(e) all ihrer Kraft. 37 Er führte sie heraus mit Silber und Gold, und kein Strauchelnder (war) unter seinen Stämmen. 38 Es freute sich Ägypten bei ihrem Auszug, denn ihr Schrecken war auf sie gefallen.
Z\W B$WDR\U(¼E',aE º:PI 27 Ca[ UD¼%a\WLSP:R Ï Y[ºR [OY ¼ 28 Y,[ IU¼3 39 CKO \!O U\DLÆK OYDHZ!Ï
Der im Hinblick auf das Subjekt offen formulierte Vers 27 wird durch LXX und Peschitta vereindeutigt, indem sie Jhwh zum Subjekt des Verbs machen (›er richtete‹ [ aI]). GUNKEL, Psalmen, 460; BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 356 und DELITZSCH, Psalmen, 695 folgen dieser Lesart. Anders HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 96 f; ALLEN, Psalms, 38 f und DAHOOD, Psalms III, 59, die MT beibehalten. 11 Zur Mehrdeutigkeit des Verses siehe die Auslegung unter A.3.c)cc) (S. 169 ff). LXX und Peschitta vereindeutigen den Vers, indem sie die Negation weglassen und damit auf die Verstocktheit der Ägypter bzw. des Pharaos (Ps 105,25) abzielen. Vgl. hierzu auch GUNKEL, Psalmen, 461. 12 11QPsa setzt die Verbform der dritten Person Singular maskulin ›es wimmelte‹ (UY) in die dritte Person Singular Femininum (KFUY) und bezieht sie damit auf das ›Land‹. Mit DAHMEN, Psalmen- und Psalter-Rezeption, 126 ist diese Variante gegenüber MT als sekundär einzustufen und MT als lectio difficilior beizubehalten.
140
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
40 Man bat:13 Da brachte er Wachtel(n), und mit Himmelsbrot sättigte er sie. 41 Er öffnete (den) Fels, da flossen Wasser, liefen in die Steppen als Strom. 42 Denn er gedachte seines heiligen Wortes, Abrahams, seines Knechts. 43 Und er führte sein Volk heraus in Freude, in Jubel seine Erwählten. 44 Er gab ihnen Länder von Völkern und (das) Erarbeitete von Nationen nahmen sie in Besitz, 45 auf dass sie halten seine Satzungen, seine Weisungen14 bewahren. Lobt Jh!15
OD¼Y 40 ZO BIDEH¼H\%LI\a\,PY Ïa[OÆZ! U:Fº[W3 ¼ 41 a\,P:E:]¾ DFL¼$@% 45 :UFRQ!\,Z\W ÆU$R WZ! C+\ :OOK
2. Struktur und Einheitlichkeit von Psalm 105 Ps 105 beginnt in V. 1–6 mit einer ausgestalteten Aufforderung zum Lob Jhwhs und schließt mit einer Halleluja-Unterschrift in V. 45, so dass ein hymnischer Rahmen um den Hauptteil des Psalms (V. 7–45) gelegt wird. Der Hauptteil wiederum besteht aus drei Teilabschnitten: erstens dem Grund des Lobs in V. 7–11, zweitens der heilsgeschichtlichen Entfaltung in V. 12–41 und drittens einer abschließenden Reflexion des Geschichtsdurchgangs in V. 42–45.16
Die Versionen bevorzugen den Plural ›bitten/fragen‹ ( ODY) und gleichen das Verb somit an den Kontext an. So auch G UNKEL, Psalmen, 461; HUPFELD, Psalmen II, 454; DELITZSCH, Psalmen, 696; DAHOOD, Psalms III, 62; ALLEN, Psalms, 39. MT kann aber beibehalten werden, vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 97; SEYBOLD, Psalmen, 414; anders KRAUS, Psalmen II, 718, der den Versionen folgt. 14 LXX liest ›Satzungen‹ und ›Weisungen‹ im Singular und bezieht den Vers damit auf die Tora, so dass es sich hierbei vermutlich um eine sekundäre Veränderung handelt. 15 Die Halleluja-Unterschrift fehlt in LXX. 16 Gattungskritisch wird Ps 105 allgemein den Hymnen zugeordnet. Nach CRÜSEMANN, Formgeschichte, 76–78 handelt es sich um einen imperativischen Hymnus, dessen Entfaltung ab V. 8 bis V. 42 in außergewöhnlicher Ausgestaltung geschieht. Zwar fehlt das für die Form typische ›ja/denn‹ (\N), mit dem die Entfaltung eingeleitet wird. Allerdings steht das Verb in V. 8 in der dritten Person der Afformativkonjugation und entspricht somit der Form des Hymnus. Vgl. dazu weiter HAGLUND, Motifs, 22–29; K ÜHLEWEIN, Geschichte, 77–81; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 97. Auffallend ist aber, dass die gattungstypische Entfaltung mit ›ja/denn‹ (\N) in 11QPsa fragm. E III (= Ps 105,1–10) enthalten ist, vgl. dazu J. SANDERS, Dead Sea, 164. 13
A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105
141
Der erste Abschnitt in V. 7–11 beginnt mit einem Bekenntnis zu »Jhwh, unserem Gott« und begründet somit die Lobaufforderung in V. 1–6. Dabei hebt sich das Bekenntnis in V. 7 formal durch den Subjektwechsel in die dritte Person Singular als auch durch den Nominalsatz von der Imperativkette in V. 1–6 ab, so dass ein deutlicher Abschnitt zum Lobaufruf in V. 6 markiert ist. In V. 8–11 folgt eine weitere Begründung des Gotteslobs. Diese besteht in der von Jhwh zugesagten Bundesverheißung an die Erzväter und wird in V. 11 auf die Landverheißung zugespitzt.17 Der Bundeszusage selbst kommt eine paradigmatische Bedeutung für die Geschichtskonzeption von Ps 105 zu.18 Auf der Ebene der Textstruktur zeigt sich dies darin, dass das Bundesgedenken Jhwhs in V. 8 in der abschließenden Reflexion der Heilsgeschichte in V. 42 wieder aufgenommen wird. Dadurch wird der Gang durch die Geschichte in V. 12–41 durch das Bundesgedenken Jhwhs gerahmt und soll von der Bundeszusage her verstanden werden. In V. 12–41 folgt dann im zweiten Abschnitt die heilsgeschichtliche Entfaltung des Gotteslobs, indem V. 12 mit einer Infinitivverbindung und einem Subjektwechsel in die dritte Person Plural neu einsetzt. Dabei ist die Reflexion der Geschichte so konzipiert, dass gerade diejenigen Ereignisse aus der Frühgeschichte Israels zu einer Ereigniskette zusammengefügt werden, in denen die Bundeszusage der Landverheißung zwar noch nicht erfüllt ist, aber Jhwh sein Volk zu ihrer Erfüllung hinführt. Diesen Zusammenhang erkennen die Beter im Rekapitulieren der Ereignisse. Sie erkennen damit, dass Jhwh ihre Vorfahren in Zeiten von Not und Gefahr bewahrt hat und seiner Bundeszusage stets treu geblieben ist. In diesem Sinn beginnt die Reflexion der Frühgeschichte mit den Erzeltern (V. 12–15), die in geringer Zahl und als schutzbedürftige Fremdlinge umherzogen. Dieser Periode folgt Josef in Ägypten, der von Jhwh seinem Volk voraus nach Ägypten gesandt worden ist (V. 16–23). Der Übergang von den Erzeltern zur Volkwerdung wird in V. 23 f markiert, indem das Erfüllungszitat aus Ex 1,7 zitiert wird. Die Zeit Israels in Ägypten wird anhand der Plagen rekapituliert, die schließlich zum Auszug aus Ägypten führen (V. 24–38). Zuletzt wird an die Zeit der Wüstenwanderung erinnert, in der Israel von Jhwh geleitet und versorgt wird (V. 39–41).19 Dabei werden die einzelnen Abschnitte in der
17
Diese Konzentration auf den Bundesschluss mit den Erzvätern ist im Psalter singulär. Mit CRÜSEMANN, Formgeschichte, 76 und K. SCHMID, Erzväter, 312 ist diesbezüglich die Nähe zur Theologie der Priesterschrift hervorzuheben. Vgl. dazu auch die herausgehobene Bedeutung des Heilsbundes aus Gen 17 in Ps 105,8–11 (siehe A.3.b) [S. 149ff]). 18 Siehe dazu die Ausführungen zu den Versen 7–11 unter A.3.b) (S. 149 ff). 19 Bereits diese kurze Zusammenfassung zeigt, dass dem Psalm der Zusammenhang von Exodus- und Genesisüberlieferung vorgelegen haben muss und dieser damit auf einen zu großen Teilen abgeschlossenen Pentateuch zurückgreifen konnte.
142
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Geschichte Israels durch das Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) verbunden, durch das die Wendepunkte in der Geschichte Israels markiert werden. In diesem Sinn wird Josef seinem Volk nach Ägypten vorausgesandt, um ihm den Weg zu ebnen (V. 17.20), Aaron und Mose werden gesandt, um Israel aus Ägypten zu führen (V. 26), und schließlich entsendet Jhwh die Finsternis, um damit den Auszug aus Ägypten einzuläuten (V. 28). Indem jede dieser Epochen an die Situation Israels unter den Völkern fernab des verheißenen Landes erinnert, schwingt in der Darstellung der Geschichte auch immer das Verhältnis Israels zu den Völkern mit. Dieses ist bereits im Lobaufruf in V. 1 gesetzt, in dem die Beter aufgerufen werden, die Taten Jhwhs unter den Völkern zu verkünden. In dem Bekenntnis in V. 7 zu Jhwh, dessen Rechtsurteile auf der ganzen Erde gelten, wird sie erneut bekräftigt.20 In V. 42–45 folgt eine zusammenfassende Reflexion der Geschichtsdarstellung, die mit ›ja,/denn‹ (\N) eingeleitet wird, das Bundesgedenken aus V. 8–11 aufnimmt und sich somit von der vorherigen Darstellung der geschichtlichen Ereignisse abhebt. Mit diesem Abschnitt, der zugleich auf die Erfüllung der Bundeszusage, die Landgabe, zuläuft, schließt der Psalm.21 Diese Struktur von Ps 105 lässt sich anhand folgender Skizze zusammenfassend darstellen:
20
Vgl. auch HIRSCH, Psalmen, 551. Diese Unterteilung des Psalms in einen hymnischen Lobaufruf in V. 1–6, die darauf folgende Begründung für das Gotteslob in V. 7.8–11, den sich anschließenden Reflexionsgang durch die Geschichte in V. 13–41 sowie die abschließende Reflexion der Geschichtsdarstellung in V. 42–45 ist in der Forschung in ihren Abgrenzungen jeweils umstritten. So rechnen z. B. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 98 und SEYBOLD, Psalmen, 414 f das Bekenntnis in V. 7 zum Lobaufruf in V. 1–6 hinzu, während H UPFELD, Psalmen II, 447, GUNKEL, Psalmen, 458, DELITZSCH, Psalmen, 692, wie oben ausgeführt, das Ende des Lobaufrufs in V. 6 sehen. Allerdings betonen Hossfeld/Zenger zugleich den Sondercharakter von V. 7, da er sowohl »der vorausgehenden Aufforderung zugerechnet werden als auch zur nachfolgenden Erzählung überleiten [kann]« (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 98). SEYBOLD, Psalmen, 415 sieht darüber hinaus in V. 8–11 keine grundsätzliche Reflexion der Bundesthematik, sondern lässt den Durchgang durch die Geschichte bereits in V. 8 beginnen. Umstritten ist weiterhin, ob mit V. 23 die Josefsgeschichte schließt oder bereits die Volksgeschichte beginnt, vgl. hierzu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 99. Vgl. weiter die Auflistung der unterschiedlichen Gliederungen bei AUFFRET, Psaume 105, 10. 21
A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105
143
Skizze zu Psalm 105 I. Hinführung zur Geschichtsreflexion V. 1–6: Aufruf zum Gotteslob vor der Völkerwelt V. 1 f: Aufruf, die Wundertaten Jhwhs vor der Völkerwelt kundzutun V. 3 f: Aufruf, Jhwhs Namen und sein Angesicht zu suchen und seine Wirkmacht anzuerkennen. V. 5: Aufruf, der Wundertaten, Erweise und Rechtsurteile Jhwhs zu gedenken V. 6: Benennung der Adressaten des Lobaufrufs: a) als Nachkommen Abrahams, des Knechts Jhwhs b) als Nachkommen Jakobs c) als Erwählte Jhwhs Leitworte: gedenken (UN]) in V. 5.8.42; Abraham (aKUED) in V. 6.9.42; Jakob (ET>\) in V. 6.10.23; Knecht (GE>) in V. 6.(17).25.26.42; Erwählte (a\U\[E) in V. 6.26.43
II. Das heilsgeschichtliche Paradigma V. 7.8–11: Die Bundestreue Jhwhs V. 7: Bekenntnis zur Exklusivität Jhwhs V. 8–11: das Bundesgedenken Jhwhs als heilsgeschichtliches Paradigma: a) die Gültigkeit des Bundes mit Abraham, Jakob, Isaak als Heilsbund für fernste Zeit Ausdifferenzierung des Heilsbundes: 1. als Wort für tausend Generationen in V. 8b (Dtn 7,9–10a) 2. als Bundesschluss mit Abraham in V. 9a (Gen 15,18) 3. als Schwur für Isaak in V. 9b (Gen 26,2–5) 4. als Satzung für Jakob in V. 10a 5. als priesterschriftlicher Heilsbund für Israel bis in fernste Zeit in V. 10b (Gen 17,7.13.19) b) Inhalt der Bundeszusage: Zuspitzung auf die Landverheißung (das Land Kanaan) in V. 11 Leitworte: Bund für fernste Zeit ( aOZ>W\UE) in V. 8.10; Wort ( UEG) in V. 8.19.27.28.42; Land (UD) in V. 7.11.23.27.30.32.35.36.44 III. Die Reflexion der Heilsgeschichte V. 12–41 V. 12–15: Bewahrung Israels zur Zeit der Erzeltern (Gen 12,10–20; 20; 26,1–11) V. 16–23: Bewahrung Israels zur Zeit Josefs (Gen 45,5.7) Leitwort: senden/schicken ([OY) in V. 17.20.26.28 V. 24–38: Bewahrung Israels in Ägypten anhand der Plagen und des Auszugs (Ex 7–12) V. 39–41: Bewahrung und Versorgung Israels in der Wüste durch Wolke und Feuerschein (Ex 13,20–22) sowie Manna (Ex 16) und Wasser aus dem Felsen (Ex 17,1–7)
IV. Das heilsgeschichtliche Fazit V. 42.43–45: Zuspitzung der Heilsgeschichte auf ihre Höhepunkte und Erfüllung der Bundesverheißung V. 42: Aufnahme des Bundesgedenkens (UN]) aus V. 8 V. 43: erster Höhepunkt der Heilsgeschichte: Auszug aus Ägypten V. 44: zweiter Höhepunkt der Heilsgeschichte: Erfüllung der Bundeszusage: Landgabe (Länder der Völker – im Unterschied zum Land Kanaan in V. 11) V. 45: Die Erfüllung der Bundeszusage führt zur Einhaltung von Gesetz und Weisungen Jhwhs und schließlich zum Gotteslob.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Von der Textstruktur her erweist sich der Psalm zunächst als ein in sich kohärenter Geschichtsentwurf in Form eines Hymnus, in dem die Bundestreue Jhwhs der hermeneutische Schlüssel zur Geschichte Jhwhs mit seinem Volk ist.22 Formal zeigt sich dies dadurch, dass die Begründung des Gotteslobs in V. 8–11 und die abschließende Reflexion über das Bundesgedenken Jhwhs miteinander verzahnt sind (V. 8.42). Darüber hinaus verweist auch die Leitwortstruktur auf einen in sich kohärenten Geschichtsentwurf, der die Bundestreue Jhwhs in besonderer Weise profiliert. Der Lobaufruf selbst, der wie der Abschnitt V. 42–45 Verbindungen zu den umliegenden Psalmen aufweist, ist zudem fest mit dem Hauptteil des Psalms verbunden, indem die im Geschichtsentwurf entfalteten Themen, wie die Kontinuität des Väterbundes (V. 6) sowie das Verhältnis Israel und Völker (V. 1), vorbereitet werden. Auch in diesem Abschnitt liegen keine Indizien für eine umfassende redaktionelle Bearbeitung vor.23 Hingegen hat die redaktionskritische Analyse Leuenbergers jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass insbesondere die Lobaufforderung in V. 1.2–5* sowie der Schluss des Psalms in V. 45 markante Kontextbezüge in das vierte Psalmenbuch aufweisen und deswegen als Indiz einer redaktionellen Bearbeitung des Psalms anzusehen sind.24 In diesem Sinn überformen die V. 1.2–5* einen nicht mehr rekonstruierbaren älteren Psalmanfang und sind mit V. 45 von einem älteren Grundpsalm abzutrennen. Die von Leuenberger herausgehobenen redaktionellen Bezüge verankern Ps 105 im vierten Psalmenbuch. Dennoch bleibt die Rekonstruktion eines Grundpsalms fraglich, da nach Leuenberger der Anfang des Psalms aufgrund der redaktionellen Überformung nicht mehr herzustellen ist, so dass mit den Verse 6.7–44 ein unbefriedigender Torso bleibt.25 Seiner Argumentation ist aber 22 Anders gewichtet RUPPERT, Neuinterpretation, 117 f den hymnischen Rahmen, indem er aufgrund des fehlenden Partizipialstils von einem geschichtsbezogenen Lehrgedicht in lediglich hymnischem Gewand spricht. 23 Siehe dazu die Einzelanalyse unter A.3.a) (S. 145ff); zur literarischen Einheitlichkeit vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 97 f; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 244 und RUPPERT, Neuinterpretation, 118 f. MATHIAS, Geschichtstheologie, 119 f hingegen sieht in den Plagen eine redaktionelle Erweiterung, da diese seines Erachtens im Gedankengang des Psalms keinen Fortschritt bringen. Anders wiederum SEYBOLD, Psalmen, 414, der vor allem eine Bearbeitung der Abraham-Stellen V. 6.9.42 annimmt. Zur ausführlichen Diskussion der literarischen Optionen im Einzelnen und deren Widerlegung vgl. die Zusammenstellung bei MATHIAS, Geschichtstheologie, 114–120. 24 LEUENBERGER, Konzeptionen, 196 f nennt vor allem folgende Bezüge: ›besinnen‹ ([\I) in Ps 104 und 105,5; ›sein heiliger Name‹ (ZYGT aY) in Ps 103,1 und 105,3; ›suchen‹ (YTE) in Ps 104,21 und 105,3 f; ›Wundertaten‹ (WZDOSQ ) in Ps 105,2.5 und 106,7.22 (vgl. Ps 96,3; 98,1 im Völkerhorizont); ›Macht‹ ( ]>) Ps 93,1; 96,6 f (vgl. 90,11; 99,4) und 105,4. V. 45 weist Bezüge zu Ps 91,11; 94,12.20; 99,7; 103,18 auf. 25 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 98 in ihrer Auseinandersetzung mit Leuenberger.
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insofern zu folgen, als Ps 105 wie auch der Nachbarpsalm 106 in seiner uns vorliegenden Gestalt gezielt mit seinem literarischen Kontext verknüpft worden ist. Dabei ist nicht auszuschließen, dass ein älterer Psalm als Grundpsalm vorgelegen hat.26 3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 105 – Die Bundestreue Jhwhs als Paradigma der Heilsgeschichte a) Die Aufforderung zum Lob als Hinführung zur Geschichtsreflexion (V. 1–6) Der Psalm beginnt mit einem ausgestalteten hymnischen Lobaufruf in V. 1–6, der zugleich die Perspektive auf die Geschichtsreflexion eröffnet. Er enthält eine Kette von zehn Imperativen in V. 1–5, die durch einen Jussiv in V. 3b unterbrochen wird und mit der Identifizierung der Angeredeten als Nachkommen Abrahams und Jakobs in V. 6 endet.27 V. 1 beginnt mit der Aufforderung, den Namen Jhwhs anzurufen, der in V. 3 in modifizierter Form als Aufruf, den heiligen Namen Jhwhs zu preisen, wieder aufgenommen wird. Indem der Psalm mit dem Anruf des Namens Jhwhs beginnt, kommt diesem eine herausgehobene Stellung zu, so dass die folgende geschichtstheologische Reflexion im weitesten Sinn als Entfaltung des Namens Jhwhs zu verstehen ist.28 Die Verse 1–2 sind zudem jeweils als Trias gestaltet,29 deren Schwerpunkt auf dem letzten Kolon liegt, durch das die Aufforderung zum Gotteslob spezifiziert wird. Im letzten Kolon in V. 1 werden die Beter aufgefordert, die Taten Jhwhs unter den Völkern zu verkünden,30 so dass die Völkerwelt das Forum des Gottes-
26 Siehe dazu die psalterkompositorischen und psalterredaktionellen Ausführungen unter C. (S. 244ff). 27 HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 98.101 unterteilen den Lobaufruf in zwei Abschnitte: Die Verse 1–3 enthalten den Aufruf zum Dank und zum Lob Jhwhs, die Verse 4–7 rufen die Beter zur Hinkehr zu Jhwh auf. Für eine solche Untergliederung spricht vor allem, dass V. 1 und V. 3 durch ›seinen Namen ( ZPY) in V. 1 und ›seinen heiligen Namen‹ (ZYGTaY) in V. 3 die Imperativkette rahmen und die Imperativkette durch den Jussiv in V. 3b unterbrochen wird. Dennoch darf ein solcher Einschnitt nicht überbewertet werden, da die für den Psalm zentrale Kategorie der Wundertaten aus V. 2 in V. 5 wieder aufgenommen wird und der Abschnitt V. 1–6 im Ganzen durch sprachliche Bezüge geprägt ist. 28 Die Bedeutung des Namens Jhwhs ist über Ps 105 als konzeptioneller Bezug zu Ps 106 relevant, siehe unter C.1. (S. 244ff). 29 Der erste Imperativ in V. 1 ›Preist Jhwh‹ (KZK\OZGZK) ist über Ps 105 hinaus psalterkompositorisch relevant und schlägt einen Bogen zu Ps 106,1 und Ps 107,1. Vgl. zur Hodu-Überschrift LEUENBERGER, Konzeptionen, 206–210. 30 Diese Formulierung findet sich noch in Jes 12,4. Da Jes 12 zumeist der Schlussredaktion des Jesajabuches zugeordnet wird, die vielfach ihr vorgegebenes Material verarbeitet hat, ist mit B EUKEN, Jesaja, 332.335 f zu vermuten, dass die Jesajatradenten auf Ps 105 bereits zurückgreifen konnten.
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lobs ist und sie ebenfalls unter den Geltungsanspruch Jhwhs fällt.31 Mit dieser universalen Perspektive ist bereits ein zentraler Aspekt des Psalms genannt. So werden die Herrschaft Jhwhs über den gesamten Kosmos in Schöpfung und Geschichte einerseits und das mit dieser universalen Perspektive zusammenhängende Verhältnis von Israel und den Völkern andererseits im Reflexionsgang durch die Geschichte (V. 12–41) sowie in der abschließenden Reflexion V. 42–45 entfaltet. Auch das letzte Kolon der zweiten Trias in V. 2 nennt mit der Aufforderung, sich der ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) Jhwhs zu ›besinnen‹ ([\I),32 einen weiteren thematischen Schwerpunkt des Psalms. So beinhaltet das Sichbesinnen der Wundertaten die Rezitation des geschichtsmächtigen Handelns Jhwhs, wie sie im Reflexionsgang durch die Geschichte (V. 12– 41) ausgeführt werden. Sich Jhwhs Wundertaten im Kontext des Gotteslobs zu besinnen, ermöglicht den Betern eine verstehende Anteilhabe an Jhwhs Handeln in Geschichte und Schöpfung. Dabei werden sie aufgefordert, über die Wundertaten Jhwhs nachzudenken und sie im Rückblick in ihrer heilsgeschichtlichen Dimension zu erfassen. In V. 3a wird die Imperativkette fortgesetzt. Mit der Aufforderung, sich in Jhwhs heiligem Namen (aY) zu rühmen, wird ein Bogen zu V. 1 geschlagen.33 In V. 3b wird die Imperativkette durch einen Jussiv unterbrochen.
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Vgl. hierzu Ps 96,2 f.10 und die Schlussfolgerung bei JEREMIAS, Königtum, 131: »Indem Israel von Jahwes ›Wundern‹ vor den Völkern erzählt (V. 2 f.), proklamiert es sein Königtum über die Welt vor ihnen (V. 10), dessen volle Realisation im Ausschalten allen Unrechts unter der Völkerwelt mit Jahwes Kommen schon begonnen hat (V. 13).« 32 Das Verb beinhaltet ein Empfinden von negativen und positiven Erfahrungen und ihr vertiefendes Verstehen durch Meditieren. Zugleich ist dieses Meditieren aber nicht auf das Innere des Einzelnen beschränkt, sondern zielt auf Verbalisierung und Verhalten. Vgl. hierzu HAUSMANN, Art. [\I, 716. Ähnlich auch SEYBOLD, Psalm 104, 167 f, der neben der Bedeutung ›meditieren/rezitieren‹ im weisheitlichen Kontext im Umkreis der Klage von einer besonderen Art des Sprechens ausgeht (Hi 7,11; 10,1; Ps 64,2; 69,13; 77,4.7.13; 142,3; 143,5). Er nimmt eine Grundbedeutung ›flüstern‹ an, »wobei sich aus dieser Grundbedeutung die Ausdehnung auf verschiedene Lautstärken vom stillen über das leise bis zum deutlich hörbaren Sprechen sowie die Eingrenzung auf das leise oder stille Lesen verständlich machen liesse« (S EYBOLD, Psalm 104, 168). In diesem Sinn ist mit SEYBOLD, Psalm 104, 169 die Verwendung des Nomens in Ps 104,34 auf den gesamten Psalm zu beziehen im Sinne seiner Wiederverwendung in Rezitation oder Meditation. 33 Die Formulierung ›sich rühmen in seinem heiligen Namen‹ (ZYGTaYEZOOKWK) in V. 3a ist ungewöhnlich, da ›sich rühmen in/mit‹ (EOOK) nur in Ps 105,3 (1Chr 16,10) mit dem Namen Jhwhs verbunden ist. Die nächste Parallele ist Ps 97,7: ›sich der Götzen rühmen‹ bzw. Ps 102,9: ›sich zum Gespött machen‹. In den anderen Belegen bezieht sich die Präposition ›im‹ ( E) auf einen Ort, einen Zeitpunkt oder ist instrumental verwendet. In Ps 105,3 könnte die Präposition ›im‹ (E) auf die Sphäre der Heiligkeit verweisen, an der der Beter durch sein Gotteslob Anteil bekommt. Vgl. dazu die Untersuchung von HARTENSTEIN, Angesicht JHWHs, 284–291.
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Dabei leitet die Freude der Jhwh-Suchenden nun über das Stichwort ›suchen‹ (YTE) zu V. 4 über, in dem die Beter aufgefordert werden, mit Jhwh in Kontakt zu treten, nach seiner Macht zu ›forschen‹ (YUG) und sein Angesicht zu ›suchen‹ (YTE). Betonten die bisherigen Verse vor allem die Wirkmächtigkeit Jhwhs, werden in V. 4 nun explizit seine hoheitlich königlichen Attribute hervorgehoben. Dabei verweisen die mit ›Macht‹ (]>) verbundenen Vorstellungen auf die königliche Wirkmächtigkeit34 Jhwhs. Im Hintergrund der Vorstellung vom Angesicht Jhwhs steht der thronende Weltenherrscher. Dieser gewährt den Betern Audienz, wendet sich ihnen zu und lässt sie teilhaben an der Sphäre seiner Macht und Herrlichkeit (vgl. Ps 27,8).35 Die königliche Wirkmacht Jhwhs manifestiert sich, wie bereits in V. 1– 2 besungen, in seinen Taten, die die Beter nach V. 5 erinnern sollen. Dazu wird in V. 5 durch die Aufforderung, der Wundertaten Jhwhs zu gedenken, die Perspektive aus V. 2b aufgenommen. Mit dem Stichwort ›gedenken‹ (UN]) wird zugleich eine Schlüsselkategorie des Psalms genannt. Das Gedenken der Beter bezieht sich auf das Gedenken Jhwhs in V. 8 und verweist damit auf seine Bundestreue, die in V. 8 und V. 42 die Geschichtsreflexion rahmt. Die Objekte zu ›gedenken‹ (UN]) in V. 5 sind wiederum in einer Trias angeordnet.36 Zuerst werden die ›Wundertaten‹ (WZDOSQ), Jhwhs Handeln in Schöpfung und Geschichte, genannt. Zweitens folgen die ›Erweise‹ (a\WSZP) Jhwhs, die nicht dezidiert sein Handeln in Ägypten beschreiben, sondern seine Wirkmächtigkeit unspezifisch hervorheben.37 Drittens sind es die ›Rechtsurteile seines Mundes‹ (Z\S\MSYP),38 die Jhwh als Weltenrichter, als thronenden und richtenden Großkönig, implizieren, der durch sein Handeln den Erhalt der guten Ordnung garantiert.39 Vgl. hierzu VAN DER W OUDE, Art. ==>, 252–256. HARTENSTEIN, Angesicht JHWHs, 284–290. 36 Die Begriffe Wundertaten, Erweise und Rechtsentscheide seines Mundes charakterisieren nach FÜGLISTER, Psalm 105, 43 f im deuteronomischen und priesterschriftlichen Pentateuch das Handeln Jhwhs in Ägypten. 37 Die Verbindung von ›Zeichen‹ (WZWD) und ›Erweise‹ ( a\WSZP) ist im Psalter immer auf Jhwhs Geschichtshandeln in Ägypten bezogen. Dies gilt auch für die Belege außerhalb des Psalters. Dabei ist die Reihenfolge erst ›Zeichen‹ (WZWD), dann ›Erweise‹ (a\WSZP) immer eingehalten. Ausnahmen im Deuteronomium, wo sich die Verbindung häufig findet, sind Dtn 13,2 f und 28,46 sowie bei Jeremia Jer 32,20 f. Die ›Erweise‹ (a\WSZP) in Ps 71,7 sind allgemein auf den Beter bezogen. Die ›Zeichen‹ ( WZWD) finden sich im Psalter noch in Ps 86,17; 74,4.9; 65,9. Auffallend ist daher, dass in V. 5 nur die ›Erweise‹ (a\WSZP) Jhwhs genannt werden, so dass explizit nicht auf das heilsgeschichtliche Handeln Jhwhs in Ägypten verwiesen wird. Anders verhält es sich in Ps 105,27, wo es explizit um Jhwhs Heilshandeln in Ägypten geht. 38 Nur noch in Ps 119,13 belegt. 39 Vgl. zur Verbindung von Jhwhs Königtum und seinem ordnungstiftenden Eingreifen in der Welt Ps 96,12 f und die Auslegung von JEREMIAS, Königtum, 129–131. 34 35
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In V. 6 wird die Imperativkette nicht fortgeführt. Stattdessen werden die Beter als Same Abrahams,40 des Knechts41 Jhwhs, sowie Kinder Jakobs, seiner Erwählten,42 angeredet und in eine heilsgeschichtliche Kontinuität mit den Vorfahren gestellt.43 Wie das Gedenken Jhwhs, so verweist auch diese heilsgeschichtliche Identifikation mit den Erzvätern auf den nächsten Abschnitt V. 7.8–11, in dem der Heilsbund Jhwhs mit den Vätern entfaltet wird, der für Ps 105 das Paradigma des heilsgeschichtlichen Handelns Jhwhs darstellt.44 Darüber hinaus werden mit Abraham und Jakob die beiden zentralen Erzväter genannt, die im Laufe der Überlieferung zu Prototypen für Israel geworden sind. Mit Abraham verbindet sich der Übergang von der Ur- zur Vätergeschichte. Abraham wird in Gen 12,1–3 verheißen, Vater vieler Völker zu werden (vgl. auch Gen 17,4–6), wobei der Segen Jhwhs auch die Völkerwelt umfasst. Die Verheißungen an Abraham integrieren also die Völkerwelt. Allerdings erfahren die Völker ihren Segen durch Jhwhs Handeln an seinem werdenden Volk. Insofern wird durch die Aufnahme der Abrahamtradition die Weltherrschaft Jhwhs explizit gemacht, die sich zwar an seinen Taten an Israel manifestiert, in die aber auch die Völkerwelt einbezogen ist (V. 1). Mit Jakob verbinden sich andere Vorstellungen. In der Genesis wird er als eine realistische und zugleich ambivalente Figur gezeichnet. Er betrügt seinen Bruder um den Erstgeburtssegen (vgl. Gen 27); nach seiner Flucht in die Fremde zu Laban kommt er zurück und versöhnt sich mit seinem 40 Abraham wird im gesamten Psalter nur noch in Ps 47,10 erwähnt. Auch der Erzvater Jakob ist nur in den Geschichtspsalmen belegt (Ps 77,15; 114,1) Darüber hinaus ist Jakob zumeist die Bezeichnung für das Volk Israel, so etwa in dem Begriff ›Gott Jakobs‹. 41 Der Knechtsbegriff ist für Ps 105 zentral und durchzieht den gesamten Psalm (V. 6.17.25.26.42). Insgesamt ist die Bezeichnung ›Knecht‹ im Psalter breit belegt. Verbindungen mit ›Same‹ findet sich noch in Ps 69,37 und 102,29. Darüber hinaus macht HOSSFELD, Universalgeschichte, 297 darauf aufmerksam, dass die Titel ›Knecht‹ und ›Erwählter‹ in Ps 78,70 und 89,4 mit David verbunden sind. 42 Die Rede vom Erwählten findet sich nur in Ps 105,6.43 und 106,5.23 und von David in Ps 89,4. Weil in der Nennung Jakobs in Ps 105,6.23 auch immer die Nennung des Volkes mitschwingt, ist der Plural von ›Erwählter‹ (U\[E) beizubehalten, gegen DAHOOD, Psalms III, 52 f. Das Verb ›erwählen‹ ist breiter gestreut. In Verbindung mit ›Erbteil‹ ist es noch in Ps 33,12 und 47,5 belegt, in Ps 47,5 wiederum mit Jakob als ›der Stolz Jakobs‹. In Ps 89,20 ist das Verb auf David bezogen. Vgl. weiter Ps 78,67.68.70. 43 Vgl. auch KREUZER, Frühgeschichte, 238. 44 Zur Rezeption von Abraham und Jakob in der Hebräischen Bibel und bei Ben Sira vgl. SCHREINER, Patriarchen, 423–441. Dabei steht wie in Ps 105,8–12 das Lob der Patriarchen unter dem Thema Bund. Darüber hinaus stellt Schreiner die besondere Rolle Abrahams im Lob der Väter (Sir 44) heraus, der als einziger der Patriarchen wegen seiner Haltung und seines Tuns gerühmt wird, da Abraham als vollkommener Erfüller aller Gebote, Bestimmungen und Gesetze gilt.
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Bruder, nachdem er sich dem Gotteskampf am Jabbok gestellt hat (vgl. Gen 29–33). Sein Name wird in Israel umbenannt, weil er mit Gott und Mensch gestritten und gesiegt hat (vgl. Gen 32,29). Zugleich repräsentiert Jakob-Israel als Vater der zwölf Stämme das werdende Volk (vgl. Gen 49). In der prophetischen Tradition steht Jakob hingegen für das fehlerhafte und zuwendungsbedürftige Volk.45 Im Unterschied zu Abraham verbindet sich mit Jakob also nicht der Bezug zu den Völkern, sondern die Komplexität der Beziehung von Jhwh zu seinem Volk. So werden im hymnischen Lobaufruf insgesamt die zentralen Themen des Psalms eingeführt. Er eröffnet eine die Völkerwelt umfassende Perspektive auf Jhwhs Handeln in Schöpfung und Geschichte. Dabei steht die Vorstellung von Jhwh als thronendem Weltenherrscher im Hintergrund, dessen Handeln den gesamten Kosmos umfasst. Die Beter sollen im Nachsinnen, im Hinterher-Denken der Wundertaten, diese in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung erkennen und verkünden. Dies ist ihnen möglich, weil sie selbst Nachkommen Abrahams und Jakobs sind und in der heilsgeschichtlichen Kontinuität der Erzväter stehen. b) Die Bundestreue Jhwhs als Paradigma der Heilsgeschichte (V. 7.8–11) In V. 7 schließt sich ein Bekenntnis an, in dem sich die Beter zu Jhwh als ihrem Gott bekennen, dessen Rechtsurteilen auf der ganzen Erde Gültigkeit zukommt und das daher die alleinige Weltherrschaft Jhwhs impliziert. Aufgrund dieses universalen Duktus steht es dem monotheistischen Gottesbild Deuterojesajas46 und dem spätdeuteronomistischen Bekenntnis in Dtn 4,34 f nahe. Formal ist zunächst durch den Nominalsatz und den Wechsel in die dritte Person Singular ein Einschnitt zum vorherigen Lobaufruf in V. 1–6 markiert. Dennoch kommt dem Vers aber eine Sonderstellung zu. Denn zum einen knüpft V. 7 über das Stichwort ›Rechtsurteile‹ (a\MSYP) an die Vorstellung vom thronenden Weltenherrscher in V. 4f an und rundet somit den Lobaufruf ab. Zum anderen aber spricht der Subjektswechsel in die dritte Person Singular, der im gesamten folgenden Abschnitt (V. 8–11) beibehalten wird, dafür, dass das Bekenntnis zu diesem Abschnitt gehört und als Exposition die heilsgeschichtliche Grundlegung in V. 8–11 einlei-
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Vgl. z. B. die Fürbitten in Am 7,2.5 und Jes 42,14; 42,24–43,1; 44,1 f.5; 45,19; 49,6. Vgl. z. B. Jes 45,18; vgl. weiter FÜGLISTER, Psalm 105, 44 f. Darüber hinaus erinnert das Bekenntnis in V. 7 vor allem an Ps 95,7. Auch dort steht es in einem heilsgeschichtlichen Zusammenhang. Israel wird aufgefordert, doch heute im Unterschied zur Auflehnung in Meriba (vgl. Ps 106!) auf Jhwhs Stimme zu hören. Die Beziehung zwischen Jhwh und Israel wird aber nicht wie in Ps 105,8–11 über den Bund, sondern in der königlichen Metaphorik von Schafen/Weide beschrieben (vgl. auch Ps 74). 46
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tet.47 Diese besteht im Bundesgedenken Jhwhs, das unter Aufnahme verschiedener Bundesvorstellungen aus dem Pentateuch die Bundestreue Jhwhs in der Geschichte grundlegend entfaltet. V. 8 knüpft über das ›Gedenken‹ (UN]) an den letzten Imperativ des Lobaufrufs in V. 5 an. Dabei ist im Erinnern des Bundes die gesamte Heilszuwendung Gottes enthalten, die Jhwh den Betern bis ›auf fernste Zeit hin‹ (aOZ>) zusagt.48 Insofern umfasst Jhwhs Bundesgedenken Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In den folgenden Versen 8b–10 wird es unter fünf Aspekten ausgeführt: Erstens folgt in V. 8b asyndetisch ein Verbalsatz in der Afformativkonjugation. Dieser setzt das ›Wort‹ (UEG) parallel zum ›Bund‹ (W\UE) aus V. 8a. Die betonte Stelle unterstreicht, dass ›Bund‹ (W\UE) und ›Wort‹ (UEG) als Synonyme verwendet werden. Inhalt des Bundes ist die Verheißung, wie sie in V. 11 entfaltet wird. Dabei zielt die Aussage aus V. 8b darauf, dass Jhwhs Bundeszusage bis in die fernste Zukunft Bestand haben wird. Dazu steht parallel zum Adverb in V. 8a ›auf fernste Zeit hin‹ (aOZ>) nun die Dauer von tausend Generationen. Zweitens folgt ein UYD-Satz in V. 9a. Dieser ist mit der Formulierung ›den er mit Abraham geschlossen hat‹ (aKUEDWDWUNUYD) vermutlich auf den Bund in V. 8a, nicht aber auf das ›Wort‹ (UEG) in V. 8b, bezogen.49 Denn dieser Ausdruck für den Abrahambund ist Gen 15,8 entnommen.50 Drittens schließt sich an den UYD-Satz der Schwur hinsichtlich Isaaks an, der die Bundesvorstellung aus V. 8a weiter ausführt. Viertens erweist sich die Bundeszusage in der für Jakob aufgestellten Satzung in V. 10a. Dabei markiert der Narrativ in V. 10a einen neuen Satzanfang. Das Suffix in der dritten Person Femininum verweist allerdings erneut über den Schwur (V. 9b) hinaus auf den Bund in V. 8a und verbindet die beiden Verse. Fünftens schlägt der ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ> W\UE) mit Israel in V. 10b einen Bogen zum Bund in V. 8a. Bezieht sich die adverbiale Bestimmung ›für fernste Zeit‹ (aOZ>) in V. 8a aber auf das Gedenken des Bundes, 47 Vgl. als Beispiele für die unterschiedlichen Gliederungsmöglichkeiten F ÜGLISTER, Psalm 105, 44 f und HOSSFELD, Universalgeschichte, 296 f. 48 Zum Gedenken in diesem theologisch qualifizierten Sinn vgl. J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 173–181. 49 Das syntaktische Verhältnis von V. 8b und V. 9 ist umstritten und viel diskutiert. Häufig wird angenommen, dass es sich beim ›Wort‹ (UEG) um ein zweites Objekt zu ›gedenken‹ (UN]) handelt und beim Rest des Verses um einen asyndetischen Relativsatz. Dann würde sich der UYD-Satz in V. 9 auf den Bund und das Wort aus V. 8 beziehen. Vgl. zur Diskussion MATHIAS, Geschichtstheologie, 116 f. 50 Gegen MATHIAS, Geschichtstheologie, 117, der aufgrund der in Hag 2,5 belegten Formulierung ›das Wort, das ich mit euch vereinbart habe‹ (aNWD\WUNUYDUEGKWD ) den UYD-Satz in V. 9a als einen zweiten syndetischen Satz zu V. 8b versteht.
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handelt es sich in V. 10b um eine Näherbestimmung des Bundes selbst. Dabei ist der ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) vermutlich nicht auf den Narrativ ›erstellen‹ (GP> Hif.) in V. 10a bezogen, weil er als direktes Objekt genannt wird und nicht parallel zu V. 10a mit der Präposition ›für‹ (O) konstruiert ist. Deswegen liegt es nahe, V. 10b als eigenständigen Satz zu übersetzen: »Für Israel ist es ein ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE)«. Hinzu kommt, dass ›Bund‹ (W\UE) und die adverbiale Bestimmung ›auf fernste Zeit hin‹ (aOZ>) in V. 8a mit dem ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) in V. 10b eine Inklusion bilden, innerhalb derer die Bundesvorstellungen entfaltet werden. Dabei wird der Bund Jhwhs mit den Vätern entsprechend der Genealogie von Abraham über Isaak bis Jakob/Israel beschrieben. Dass in diesem Zusammenhang der ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) Israel zugesagt und der Stammvater Jakob mit dem Namen des Volkes genannt wird, hebt die heilstheologische Relevanz des Bundes für das Gottesvolk hervor. Denn der mit den Erzeltern geschlossene Bund in der Frühzeit hat auch für die Beter Bestand, die in einer Linie mit Abraham, Isaak und Jakob stehen. In V. 11 wird die Bundeszusage mit einer direkten Gottesrede ausgeführt und auf die Landverheißung des Landes Kanaan zugespitzt.51 Insofern zeigt bereits die syntaktische Analyse, dass sich hinter dem Bundesgedenken Jhwhs in V. 8 verschiedene Bundeskonzeptionen verbergen, die durch die Inklusion des ›Gedenkens des Bundes bis in fernste Zeit‹ (aOZ> und W\UE) in V. 8a und des ›Bundes für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) in V. 10b zusammengehalten werden. Eingeführt wird der Bund mit den Vätern in seiner Relevanz für die Beter, da das Bundesgedenken Jhwhs für fernste Zeit auch ihre Gegenwart umfasst. Seine im Folgenden entfaltete heilstheologische Relevanz wird dadurch unterstrichen, dass das Bundesgedenken Jhwhs in V. 8 in der abschließenden Reflexion in V. 42 wieder aufgenommen wird und somit eine Inklusion um den Durchgang durch die Geschichte bildet. Insofern handelt es sich also um die zentrale heilstheologische Kategorie des Psalms. Fragt man nun, welche Bundeskonzeptionen im Hintergrund von Ps 105,8–11 stehen, kann man auf mehrere Texte aus dem Pentateuch verweisen. In V. 10b wird mit dem Schlüsselbegriff aus Gen 17,7.13.19 die priesterschriftliche Bundesvorstellung des ›Bundes für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) aufgenommen. Der Bund wird in V. 8b darüber hinaus als ›Wort‹ (UEG) für tausend Generationen gedeutet. Dies ist ein Zitat aus Dtn 7,9,52 womit zugleich der heilsgeschichtliche Rückblick aus Dtn 7,7–11 mitschwingt. In 51 Zur Bedeutung des Landes in Ps 105 vgl. auch PASSARO, Hermeneutics, 45 f. Zum ›zugemessenen Erbbesitz‹ ( KO[QOE[ ) vgl. Dtn 32,9; Ps 78,55; 1Chr 16,18. Vgl. auch Ex 15,17. 52 Die Formulierung ›für tausend Geschlechter‹ (UZG #OD) ist außer in Ps 105,8 und Dtn 7,9 nur in 1Chr 16,15 belegt.
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dem Relativsatz in Ps 105,9a wird über die Formulierung ›einen Bund schließen‹ (W\UEWUN) der Abrahambund aus Gen 15,18 aufgenommen. Der Schwur an Isaak in V. 9b ist wiederum eine Anspielung auf Gen 26,2–5 und Dtn 7,8.53 So werden mit Gen 15.17.26 und Dtn 7,7–1154 zentrale Bundesvorstellungen aus der Pentateuchtraditon zusammengestellt, um die Heilszusagen an die Väter für Ps 105 zusammenfassend zu bündeln. Aufgrund der Inklusion ›Gedenken des Bundes bis in fernste Zeit‹ (aOZ> und W\UE) in V. 8a und des ›Bundes für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) in V. 10b kommt der priesterschriftlichen Bundeskonzeption für Ps 105 eine besondere Stellung zu. Gen 17,7 Und ich errichte meinen Bund zwischen dir und mir und zwischen deinen Nachkommen nach dir für ihre Generationen: einen Bund für fernste Zeit [vgl. V.13.19], dir Gott zu sein und deinen Nachkommen nach dir.
Ps 105,8a.10b
\WLÐ\U,%WD\WLmPRTLK@Z AQ\EH:\Q,½\%H AÌ>@U!] \EHm: aW ¶URGOR A\U[@D aO B$>W\U,½EO L a\KLÂO^DOHlAOW$\µKOL CA\U[@DA·>@U!]O:
V. 8a V. 10b
W\UE+ aOZ> aOZ>+ W\UE
Aber auch schon im Rahmen der Priesterschrift gilt Gen 17 den meisten Auslegern als ein zentraler, wenn nicht der zentrale Text der priesterschriftlichen Bundeskonzeption, weil hier der in Gen 1,28 und für Noah in Gen 9,1.7 erneuerte Schöpfungssegen auf Abraham übertragen wird.55 Zugleich wird der in Gen 17 geschlossene Abrahambund zur Grundlage der Israelgeschichte und damit zur Volksgeschichte.56 Dieser Aspekt wird auch in Ps 105,8–11 dadurch besonders hervorgehoben, dass in Ps 105,10 53
Die für Jakob aufgestellte Satzung in Ps 105,10 hingegen weist keine terminologischen Bezüge zum Pentateuch auf. Die nächsten Parallelen, die eine Verbindung von Israel und Satzung aufweisen, finden sich in Ps 81,5 und 147,19. In Ps 81,5 geht es um die Satzung für Israel und die Ordnung des Gottes Jakobs. Ps 81 besteht aus einem kurzen Hymnus (V. 2–6a) und einer Gottesrede (V. 6b–17), die einer prophetischen Redeweise nachempfunden ist. Dabei ist interessant, dass beide Teile auch heilsgeschichtliche Elemente enthalten (Josef: Hymnus – Theophanie am Sinai, Meriba, Auszug aus Ägypten – Gottesrede). Ps 147,19 steht in Verbindung mit deuterojesajanischer Worttheologie. 54 Vgl. zu den Parallelen von Dtn 7,7–11 und 4,36–40 V EIJOLA, Das fünfte Buch Mose, 206, der Dtn 7,7–11 als einen späten Reflexionstext ansieht. 55 Vgl. dazu besonders die Aufnahme von ›fruchtbar sein‹ (KUS ) und ›sich mehren‹ (KEU) in Gen 1,28; 9,1.7 und 17,2.6.20. Vgl. ZIEMER, Abram – Abraham, 316 f. Zu weiteren Parallelen zu Gen 9 und Gen 1 vgl. KÖCKERT, Leben, 34–36 und weiter W. GROSS, Zukunft, 45–85, insbes. 46.52–55, sowie KAISER, Jahwes Gerechtigkeit, 25–31. 56 Vgl. hierzu W. GROSS, Zukunft, 52 f.56 f.63 und KAISER, Jahwes Gerechtigkeit, 26.
A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105
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im Unterschied zu Gen 17 Israel als Empfänger der Bundesverheißung Jhwhs57 genannt und die Bundestreue Jhwhs auf fernste Zeit in V. 8 für die Beter ausgesagt wird. In Gen 1758 wird der Abrahambund als eine unveräußerliche Heilszusage, die in Gen 17,7.13.19 in dem Ausdruck ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ> W\UE) gipfelt, entfaltet. Die Zusage des ›Bundes für fernste Zeit‹ (aOZ> W\UE) findet sich das erste Mal in Gen 17,7. Hier wird die in Gen 17,4–6 entfaltete Mehrungsverheißung, dass Abraham zum Vater vieler Völker werde, nicht fortgesetzt, sondern der Bund wird zwischen ›mir‹ (Jhwh) und ›dir‹ (Abraham, vgl. V. 2) und ›deinen Nachkommen‹ als ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ> W\UE) von Generation zu Generation erneut zugesagt.59 Diesem folgt die Zusage eines neuen Gottesverhältnisses. Erst danach kommt die Verheißung des Landes, das wie in Ps 105,11 als ›Land Kanaan‹ (>QNUD) bezeichnet wird und wie in Ps 105,12 als das Land, in dem Abraham als Fremdling weilte. Dabei gehören das neue Gottesverhältnis sowie das Land zu den Verheißungen des ›Bundes für fernste Zeit‹.60 Das zweite Mal findet sich der ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) in der Gottesrede in Gen 17,9–14, womit die Aufforderung des Bundeszeichens als Bewahrung bzw. Inkraftsetzung des Verheißenen in Gen 17,13 abgeschlossen wird, bevor in Gen 17,14 die Möglichkeit des Ungehorsams ergänzt wird.61 Damit sind die beiden Gottesreden durch den jeweils am 57
So auch LEVIN, Rez. Groß, 324, der in Auseinandersetzung mit W. Groß für Gen 17 betont, dass »der Mensch nicht Bundes-Partner [ist], der an seinem Teil den Bund ›unverzichtbar‹ mit konstituiert, sondern Empfänger«. 58 Gen 17 enthält eine dreigeteilte Gottesrede an Abraham in der Abfolge Verheißung (Gen 17,3b–8), Gebot (Gen 17,9–14), Verheißung (Gen 17,15–22), die mit einem Proömium in Gen 17,1b–3a beginnt und mit der Ausführung der Beschneidung in Gen 17,23–27 schließt. Der ersten Gottesrede kommt nach Köckert besondere Relevanz zu. »Sie entfaltet, was mit den Imperativen, mit berit und Mehrung als theologische Summe voransteht (V. 1b–2)« (KÖCKERT, Leben, 36). W. GROSS, Zukunft, 54 f spricht in diesem Zusammenhang von Berit 1 (V. 1–8) und Berit 2 (V. 9–14). Zur redaktionellen Einordnung vgl. W EIMAR, Verheißung, 261–269 oder ZIEMER, Abram – Abraham, 291–317, die Gen 17 der Endreaktion des Pentateuchs zuordnen. 59 W. GROSS, Zukunft, 56 f weist darauf hin, dass die Verheißung an Abraham als Vater vieler Völker, die Existenz als Staatsvolk unter einem König voraussetze. Da auch Ps 105,11.44 f auf die Erfüllung der Landverheißung zielt, ist auch hier die staatliche Existenz des Gottesvolkes vorausgesetzt. 60 So auch W. GROSS, Zukunft, 58 f. Vgl. weiter WEIMAR, Verheißung, 266. Z IEMER, Abram – Abraham, 317 betont den Zusammenhang von Mehrungsverheißung und Landverheißung. »Ohne reiche Nachkommenschaft sind Landbesitz und Herrschaft nichts wert, ohne Land ist schließlich auch die Königsherrschaft nichts wert« (317). 61 W. GROSS, Zukunft, 60 individualisiert die Möglichkeit des Bundesbruchs, indem er herausstellt, dass das Kollektiv, Israel als Ganzes, den Bund nicht brechen kann. Allerdings kann ein Einzelner durch Nichteinhalten der Beschneidung den Bund brechen und aus der Bundesverheißung herausfallen. Demgegenüber betont LEVIN zu Recht, dass nach
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Ende genannten ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ>W\UE) gerahmt. In Gen 17,19 wird schließlich der ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ> W\UE) ein letztes Mal aufgegriffen und in der Zusage für Isaak wiederholt, so dass die Gültigkeit des Bundes von Generation zu Generation (vgl. Gen 17,7) erneut bekräftigt wird. So wird in Gen 17 eine voraussetzungslose Zusage der Bundestreue Jhwhs entwickelt, die auf fernste Zeit Bestand hat.62 Diesen Aspekt der priesterschriftlichen Bundesvorstellung übernimmt Ps 105 aus Gen 17 und setzt die bedingungslose Bundestreue Jhwhs als Rahmen, in den die Bundesvorstellungen aus Gen 15, Gen 26,2–5 und Dtn 7,7–11 eingeordnet werden. Aber darauf beschränkt sich die Nähe der priesterschriftlichen Bundesvorstellung zu Ps 105 nicht. In Ps 105 folgt ebenfalls auf die Bundeszusage eine Antwort, auch wenn dies nicht wie in Gen 17 in Form des Bundeszeichens geschieht. Denn die Erfüllung der Landverheißung ist mit einem Leben nach den Weisungen Jhwhs verbunden (V. 45). Die größte Differenz zur Bundesvorstellung in Gen 17 besteht darin, dass der für Gen 17 zentralen Mehrungsverheißung in Ps 105 keine Relevanz mehr zukommt. Zwar wird die Volkwerdung in der Geschichtsreflexion von Ps 105 berücksichtigt und durch das Erfüllungszitat aus Ex 1,7 in V. 24 benannt. Sie stellt aber selbst keinen Aspekt der Verheißung dar. Vielmehr wird diese durch die Zuspitzung der Bundeszusage auf die Landverheißung ersetzt, die für den sich anschließenden Durchgang durch die Geschichte von zentraler Bedeutung ist.63 P Noah sowie Abraham das Ganze des Volkes präsentieren. »Jenseits der Individuen gibt es keine eigene Heilsgröße, sondern nur die unbedingte Forderung sowie die unbedingte Verheißung« (LEVIN, Rez. Groß, 324). Auch KAISER, Jahwes Gerechtigkeit, 27 betont, dass Israel als Ganzes oder in einzelnen seiner Glieder den Gottesbund brechen kann, der Bund von Gott her gesehen aber für alle Zeit gültig bleibt. Vgl. zur literarkritischen Analyse weiter KÖCKERT, Leben, 77–88. 62 Auf der Ebene des Endtextes ist der ›Bund für fernste Zeit‹ (aOZ> W\UE) zugleich auf die Einsetzung des Sabbats in Ex 31,12–17 bezogen. Dadurch stehen nach KAISER, Jahwes Gerechtigkeit, 29 f der Verzicht auf Blutgenuss, Beschneidung und Sabbat als Bundeszeichen gleichrangig nebeneinander. Wer den Sabbat nicht hält, fällt nach Kaiser ebenso aus dem Bund heraus wie der Unbeschnittene. Ähnlich auch W. GROSS, Zukunft, 83 f. Nach HARTENSTEIN, Sabbat, 123–126 wird Israel durch das Einhalten des Sabbats an der Aufrechterhaltung der Schöpfungsordnung beteiligt. Zugleich wird dadurch der Sabbat, wie bereits die Beschneidung, zu einem exklusiven Zeichen der Gemeinschaft. 63 Auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 136–140.148 f sieht das verheißene Land als zentrale theologische Kategorie, die maßgebend für die Auswahl der Traditionen aus dem Pentateuch ist. Allerdings dient nach Mathias das Thema Landverheißung dazu, Geschichte im Modell von Verheißung und Erfüllung zu verstehen. Dabei übersieht er aber, dass es sich gerade um die Ereignisse handelt, in denen die Land-, d. h. die Bundesverheißung, scheinbar unerfüllt bleibt. Erst im Hinterher-Denken können die Beter erkennen, dass auch oder gerade diese Erfahrungen in Jhwhs größeren Heilsplan mit seinem Volk eingebunden sind.
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A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105
In diesen Rahmen von ›Bund‹ (W\UE) und ›für fernste Zeit‹ (aOZ>) werden in Ps 105 nun weitere Bundeskonzeptionen eingestellt.64 Zuerst wird die aus Gen 17 entlehnte priesterschriftliche Bundesvorstellung mit der Bundeskonzeption aus Dtn 7,7–11 kombiniert. Dtn 7,9–10a 9 Daran sollst du erkennen, dass Jhwh, dein Gott, er der Gott (ist), der treue Gott, der den Bund und die Güte denen bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote bewahren, für tausend Generationen , 10 der aber denen, die ihn hassen, ins Gesicht vergilt, ihn vernichtet.
Ps 105,8b
7 Â>G\½Z! A\K¶O^DKZÇK\!\.L a\KLBO^DK ~D:K½ P ÂD1K lODHK GV[KZ! W\U,½%K UP(ÌYR $WZ2FPL \U(ÆPYRO:Z\E K@DRO CU$' #ODÆO Z\Q·3 ODZ\D Q!IROa/HËYP:
$G\ELDK@ O
V. 8a.10b V. 8b V. 10
W\UE UZG#ODO T[
Die Formulierung ›für tausend Generationen‹ findet sich nur noch in Dtn 7,9. Dabei steht Dtn 7,9 im Zusammenhang der heilstheologischen Reflexion von Dtn 7,7–11. Im Gesamtzusammenhang des siebten Kapitels geht es um eine Vision vom Leben im verheißenen Land, »die für die fiktiven Hörer bzw. Leser ein Vorausblick auf Unbekanntes, für die geschichtlichen Adressaten aber ein Rückblick auf Verlorenes und damit eine schmerzhafte Erinnerung an unbewältigte Vergangenheit ist«. 65 Dieses Thema wird in Dtn 7 unter verschiedenen Aspekten und wahrscheinlich auch von verschiedenen Autoren behandelt. In Dtn 7,7–11 liegt nach Veijola die jüngste Bearbeitungsschicht vor, die in Form eines kleinen theologischen Traktats verfasst worden sei.66 Das Stichwort ›Erwählung‹ wird aus Dtn 7,6 aufgegriffen und in V. 7 f begründet. Dabei hebt der Textabschnitt in Dtn 7,7– 11 zunächst hervor, dass sich die Erwählung Israels ganz auf die Liebe Gottes gründet und nicht ihren Grund in der Qualität oder Größe des Volkes hat. Diese Liebe Jhwhs zu seinem Volk zeigt sich in der Treue zu dem einst den Vätern geleisteten Schwur. Auf die göttliche Liebe folgt die Liebe des Volkes als Antwort, die sich im Halten der Gebote zeigt. Denjenigen, die die göttliche Liebe mit Liebe erwidern, hält Jhwh Bund und Treue, und zwar bis auf tausend Generationen. Das bedeutet, dass es sich hierbei um ein wechselseitiges Bundesverständnis handelt, in dem die Ant64
Vgl. hierzu auch FÜGLISTER, Psalm 105, 51. VEIJOLA, Das fünfte Buch Mose, 195. 66 Vgl. hierzu VEIJOLA, Das fünfte Buch Mose, 206. 65
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
wort Israels auf die Liebe Gottes in der Erfüllung der Bundesverpflichtungen liegt. Die voraussetzungslose Liebe Jhwhs zu seinem Volk, die in Dtn 7,7–11 die Erwählung begründet, zeigt sich in Ps 105 im Gedenken des Bundes in V. 8a. Darüber hinaus findet sich in Ps 105 auch ein Pendant zur deuteronomisch-deuteronomistischen Vorstellung von der die Liebe Jhwhs erwidernden Gegenliebe des Volkes. In der Sprache des Psalms zeigt sie sich in der verlässlichen Antwort der Beter auf die Wundertaten Jhwhs im Gotteslob sowie im Halten seiner Weisungen (Ps 105,45). Die konzeptionelle Differenz zwischen Dtn 7 und Ps 105 liegt vor allem in der Dimension der Schuld. In Dtn 7,7–11 wird sie im Sinne deuteronomisch-deuteronomistischer Theologie in die Antwortstruktur von Liebe Jhwhs und Gegenliebe des Volkes integriert: Denjenigen, die Jhwh hassen, gilt die Bundestreue nicht. Sie werden vernichtet. In Ps 105 wird die Schuldthematik gerade nicht aufgenommen. Stattdessen nimmt der Psalm konsequent eine theozentrische Perspektive ein, von der her er seine Bundestheologie entwirft. Ganz gegenteilig dazu verhält es sich im nachfolgenden Ps 106, der vor dem Hintergrund der sich in der Geschichte manifestierenden Güte Jhwhs Geschichte als Schuldgeschichte konzipiert.67 Auf die Entfaltung des Bundes über ›tausend Generationen‹ folgt mit dem UYD-Satz in V. 9b der Bundesschluss mit Abraham, in dem, wie im Schwur an Isaak und in der Satzung für Jakob, der Grund für Jhwhs Bundesgedenken liegt. Dabei wird über die Stichworte ›einen Bund schließen mit Abraham‹ (aKUEDWD W\UE WUN) der Bundesschluss Jhwhs mit Abraham aus Gen 15,18 aufgenommen und somit der zweite Bundesschluss mit Abraham aus dem Pentateuch ergänzt. Gen 15,18 D:KKa$@U!]O
Ps 105,9 V. 9 V. 8a.10b
V. 11
aKUEDWD + WUN W\UE >QNUDWD
Siehe dazu B.3. (S. 192ff). Zur Formulierung ›einen Bund schneiden/schließen‹ (W\UEWUN), vgl. KAISER, Jahwes Gerechtigkeit, 12.28 und weiter W. GROSS, Zukunft, 19. Im Hintergrund steht nach Kaiser ein mit Vertragsschluss verbundener Ritus, in dem ein oder mehrere Tiere in der Mitte zerteilt und so rechts und links hingelegt worden sind, dass der bzw. die Vertragspartner durch die Mitte gehen konnten. 68
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Allerdings kommt dem Bundesschluss aus Gen 15 nicht die gleiche zentrale Bedeutung zu wie dem priesterschriflichen Heilsbund aus Gen 17. Der Bundesschluss aus Gen 15 stellt vielmehr eine Konkretion des in V. 8a und V. 10b zugesagten Heilsbundes dar. Dabei wird in Ps 105,9 die zweite der Gottesreden aus Gen 15,7–21 aufgenommen,69 um die Landverheißung in Erinnerung zu rufen, die auch in Ps 105,11 die zentrale Aussage der Bundeszusage darstellt.70 Über die Bedeutung der Landverheißung hinaus weisen beide Texte zudem eine ähnliche Verbindung von Bundestreue Jhwhs und seinem Handeln in der Geschichte auf. Denn in Gen 15,7–21 folgt auf den Bundesschluss ein aus der Retrospektive gestalteter Vorausblick auf die Heilsgeschichte (Gen 15,13–15), der die vierhundertjährige Knechtschaft in Ägypten, den Auszug aus Ägypten in Reichtum,71 die Bestrafung der Ägypter, die Rückkehr in das verheißene Land nach vier Generationen und damit verbunden die Landgabe enthält.72 Auf der Ebene des Endtextes wird also der Bundeszusage der Landverheißung in Gen 15,18–21 die Erfahrung des Verlusts des Landes vorgeschaltet, um zu zeigen, dass auch die Erfahrung von 69 Gen 15 besteht aus zwei Gottesreden, Gen 15,1–6 und 15,7–21. In der ersten Gottesrede wird die Sohnes- und Mehrungsverheißung und in der zweiten die Landverheißung entfaltet. Die zweite Gottesrede beginnt wie auch die erste mit einer Selbstvorstellung Jhwhs. Jhwh hat sich Abraham gegenüber als Gott erwiesen, ihn aus Ur in Chaldäa herausgeführt, um ihm dieses Land zu geben (V. 7). Auf die Selbstvorstellung Jhwhs folgt also die Landverheißung, auf die Abraham zweifelnd reagiert. Daran schließt sich die rätselhafte Zeremonie (V. 9–12.17) an, in die ein retrospektivisch gestalteter Vorausblick auf die Geschichte eingebettet ist. Das Verhältnis der beiden Gottesreden wird in der Forschung sehr unterschiedlich bewertet, vgl. zu den unterschiedlichen Positionen den Überblick bei ZIEMER, Abram – Abraham, 166–188. In Gen 17 hingegen sind Mehrungsund Landverheißung in der Bundeszusage miteinander verbunden. In beiden Texten aber ist die Verheißung von Nachkommen die logische Voraussetzung für die Landverheißung. Zum Bundesschluss in Gen 15 vgl. auch K AISER, Jahwes Gerechtigkeit, 28. 70 Ob die Vorlage schon den Geschichtsrückblick in Gen 15,13–16 enthält, kann von Ps 105 nicht entschieden werden. Siehe unten. 71 Eine Ähnlichkeit mit Gen 15,14 ist der Auszug mit reicher Habe in Ps 105,37. 72 Ob die Geschichtsreflexion von Anfang an Teil des Bundesschlusses war, ist in der Forschung sehr umstritten. ZIEMER, Abram – Abraham, 234–242.388 f (Zusammenfassung) vertritt die These, dass der Text als in sich kohärenter komponiert worden sei und die vier Tiere der Zeremonie vier Perioden der Geschichte und einem der in V. 18–22 genannten Völker zugeordnet werden müssen. Die Fremdlingschaft in Ägypten sei dem zertrennten Kalb und den Kenitern zugeordnet. Die zweite Periode der Wüstenwanderung und des Auszugs verweise auf die geteilte Ziege und die Keniziter. Die dritte Periode sei auf die Zeit der Väter selbst bezogen. Sie sei durch den Widder charakterisiert und den Kadmonitern zugeordnet. Die vierte Periode der Rückkehr sei durch die nicht zerteilte Taube und durch die Aufzählung ›Hethiter …‹ symbolisiert. Diese Ergebnisse basieren auf einer Exegese, die in dem Text ein Zahlenschema Drei-Vier zugrunde legt. Darüber hinaus muss auch letztlich offenbleiben, ob Ps 105 der Vorausblick auf die Geschichte bereits vorgelegen hat.
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Fremdlingschaft und Unterdrückung Teil des größeren Heilsplans Jhwhs mit seinem Volk ist. Da Ps 105,8–11 den Vorausblick auf die Geschichte in Gen 15 nicht wörtlich zitiert, kann nicht eindeutig geklärt werden, ob Ps 105 Gen 15,13–15 bereits vorgelegen hat. Dennoch dient der im Anschluss an die Bundeszusage entfaltete Geschichtsrückblick in Ps 105 dazu, in der Reflexion der Geschichte Jhwhs heilvolles Handeln gerade in Zeiten von Not und Verlust des Landes als Teil seines größeren Heilsplans zu erkennen, der auf die Erfüllung der Bundeszusage und der Landverheißung zuläuft.73 Durch die Übernahme des Abrahambundes aus Gen 15 ergänzt Ps 105 den aus Gen 17 entlehnten Heilsbund und spitzt diesen dezidiert auf die Landverheißung zu. Zudem erweist sich auch in Gen 15 das Verständnis von Geschichte als ein planvolles Handeln Jhwhs, das auf die Erfüllung der Bundeszusage zuläuft. Nach der Aufnahme des Abrahambundes aus Gen 15 und 17 wird in V. 9b auf den Väterschwur an Isaak aus Gen 26,2–5 angespielt. Die Verheißungen Jhwhs an Isaak in Gen 26,2–5 dienen dazu, die an Abraham ergangenen Verheißungen auf Isaak zu übertragen und somit eine Kontinuität zwischen Abraham und Isaak herzustellen. Interessanterweise steht auch hier wieder die Landverheißung im Vordergrund. Sie wird Isaak in Gen 26,3 nach der Aufforderung, nicht nach Ägypten zu ziehen, zugesagt und nach der Mehrungsverheißung in Gen 26,4 wiederholt.74 Der in Ps 105,9 aufgenommene Schwur schließt die erste Landverheißung in V. 3b ab. Im Fortgang der Verheißung in Gen 26,4–5 werden dann aber Mehrungsverheißung, Landverheißung und Segen für die Völker damit begründet, dass Abraham auf die Stimme Jhwhs gehört (vgl. Gen 22,18 und auch Gen 12,4) und seine Gebote und Weisungen gehalten hat. Dadurch wird der Gehorsam Abrahams Jhwhs Wort gegenüber in besonderer Weise hervorgehoben. Im Kontext von Ps 105,9, in dessen Hintergrund auch die deuteronomisch-deuteronomistische Bundesvorstellung steht, spielt die Verbindung von Väterschwur und Landverheißung, die sich formelhaft durch das Deuteronomium zieht, auch auf diesen Kontext an.75
73 Eine weitere Anspielung auf Gen 15,18–21 könnte in Ps 105,44 vorliegen. In Ps 105,44 ist nicht mehr wie in Ps 105,11 (und auch Gen 17,8) vom Land Kanaan die Rede, sondern von den Ländern der Völker und dem Erarbeiteten von Nationen. Dies erinnert an die Beschreibung des verheißenen Landes in Gen 15,18–21 als Land vom Strom Ägyptens bis zum Euphrat, als Land der Keniter, Keniziter, Kadmoniter, Hethiter, Periziter, Refaiter, Amoriter, Kanaaniter, Girgachiter und Jebusiter, d. h. als Land von Völkern. 74 Wie in Gen 15 und Gen 17 sind Mehrungs- und Landverheißung auch hier aufeinander bezogen. 75 Vgl. z. B. Dtn 4,31; 6,10.18.32; 7,8.12; 8,1.18; 9,5; 10,11; 26,3; Ri 2,1; vgl. hierzu auch FÜGLISTER, Psalm 105, 52 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 103 f.
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Nach Isaak wird die Bundeszusage an den letzten der drei großen Erzväter, an Jakob, weitergeben, in dessen Nachkommenschaft sich die Volkwerdung Israels vollzieht. Das in Ps 105,10 verwendete Lexem ›Satzung‹ (T[) erinnert über das Lexem ›aufstellen‹ (GP> Hif.) an die sachlich entsprechende priesterschriftliche Formulierung ›Aufrichten des Bundes‹ (W\UE aZT, Hif.), so dass mit dem Aufstellen der Satzung für Jakob das »unverrückbare In-Geltung-Stehen der göttlichen Heilsbestimmung«76 hervorgehoben wird. Somit kann festgehalten werden, dass in der heilsgeschichtlichen Grundlegung in Ps 105,8–11 zentrale Bundesvorstellungen aus der Überlieferung zusammengestellt und zu einem Bund Jhwhs mit Abraham, Isaak und Jakob zusammengefasst werden, dessen Zusage über die Väter hinaus für die Beter Bestand hat. Dazu rekurriert Ps 105 bereits auf Reflexionstexte, die ihrerseits das Thema Bund und Land theologisch zusammenfassen, wie Dtn 7,7–11, Gen 15, Gen 26,2–5 und Gen 17. Dem priesterschriftlichen Heilsbund aus Gen 17 kommt aufgrund der Inklusion in V. 8a und V. 10b eine zentrale Bedeutung für Ps 105 zu. Seine Rezeption wird vor allem auf den Aspekt der bis in fernste Zeit hin gültigen Bundeszusage zugespitzt, die über Abraham, Isaak und Jakob hinaus für das ganze Gottesvolk Bestand hat (Ps 105,10b). Innerhalb der Inklusion von Ps 105,8a und 105,10b wird die geschichtstheologische Reflexion aus Dtn 7,7–11 eingestellt und zugleich auf einen für Ps 105 wesentlichen Aspekt, nämlich den Aspekt der ewigen Dauer der Bundeszusage, fokussiert. Die Aufnahme des Abrahambundes aus Gen 15,7–21 zielt zum einen auf die Landverheißung als Inhalt der Bundeszusage. Zum anderen aber verbindet Ps 105 und Gen 15 die Reflexion der Geschichte, die in beiden Texten auf die Erkenntnis zielt, die Erfahrung der unerfüllten Landverheißung in den größeren Heilsplan Jhwhs mit seinem Volk einzuordnen, der letztlich auf die Erfüllung der Bundeszusage, die Landgabe (V. 42 f), zuläuft. Der Väterschwur an Isaak, der auf Gen 26,2–5 und das Deuteronomium anspielt, hält vor allem die Kontinuität der Landverheißung von Abraham zu Isaak fest, während das Aufstellen der Satzung für Jakob vermutlich die unverrückbare Geltung der göttlichen Heilszusage untermauert. Das Interesse von Ps 105 an diesen Bundesvorstellungen aus der Tradition ist somit vor allem, die voraussetzungslose Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk herauszustellen, die sich im Gedenken des Väterbundes in der Geschichte zeigt und in den auch die Völkerwelt mit eingebunden ist.
76 FÜGLISTER, Psalm 105, 52. Vgl. auch das ›Aufstellen‹ (GP> Hif.) der Satzung im Zusammenhang des Schöpfungshandelns Jhwhs in Ps 148,5, das auch auf das Aufstellen der Heilsordnung verweist. Vgl. weiter Ps 147,19.
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c) Der Reflexionsgang durch die Geschichte (V. 12–41) Der nun folgende Geschichtsrückblick durchschreitet die Zeit der Erzeltern bis zur Zeit in der Wüste. Dabei werden gerade die Epochen aus der Frühgeschichte Israels aufgenommen, in denen die Zusage der Landverheißung in weite Ferne gerückt ist, Israel sich in der Fremde unter den Völkern befindet und die Führung Gottes in diesen Zeiten der Gefährdung nicht ersichtlich ist. Gerade in diesen Situationen der uneingelösten Zusagen Jhwhs entfaltet der Durchgang durch die Geschichte die Bedeutung des Bundesgedenkens Gottes.77 aa) Die Zeit der Erzeltern (V. 12–15) Der Durchgang durch die Frühgeschichte setzt mit der Zeit der als Fremdlinge umherziehenden Erzeltern ein. Dabei bezieht sich die adverbiale Bestimmung ›darin‹ (KE) mit dem Suffix der dritten Person Femininum auf das in V. 11 genannte Land Kanaan. Dadurch knüpft die Darstellung der Geschichte auch formal an die Bundeszusage an und führt diese aus. In V. 12 f werden folgende zwei Aspekte genannt, die die Zeit der Erzeltern in besonderer Weise auszeichnen. Erstens handelt es sich bei den Erzeltern um eine kleine Gruppe, die noch im Status vor der Volkwerdung ist.78 Diese wird, wie auch in der Pentateuchvorlage erst in Ägypten nach dem Tod Josefs erreicht (vgl. Ps 105,24). Zweitens ist die Zeit der Erzeltern dadurch geprägt, dass es sich um eine noch nicht sesshafte Gruppe handelt, die in dem ihnen verheißenen Land noch als Fremdlinge weilen und unter den Völkern umherziehen.79 Beide in Ps 105,12 f für die Zeit der Erzeltern charakteristischen Aspekte zielen darauf, die mit dem Status des Nichtsesshaften verbundene Gefährdung sowie die daraus resultierende besondere Schutzbedürftigkeit der Erzeltern hervorzuheben. 77
Vgl. hierzu auch PASSARO, Hermeneutics, 45 f, der ebenfalls die voraussetzungslose Bundestreue Jhwhs einerseits sowie die in der Geschichte immer wieder scheinbar gefährdete Bundeszusage der Landverheißung andererseits herausstellt. 78 Dass die Gruppe der Erzeltern klein war, findet sich in einer ähnlichen Formulierung z. B. auch in Dtn 7,7 f und 26,5. Allerdings dient die Betonung der geringen Zahl in den deuteronomisch-deuteronomistischen Belegen vor allem dazu, Jhwhs Erwählungstat als eine Heilstat ohne Vorleistungen auf Seiten Israels zu betonen. Jhwh hat sein Volk nicht aufgrund seiner besonderen Leistung oder seines Charakters, sondern allein aufgrund seiner Liebe zu ihm erwählt. 79 Von allen drei Erzeltern wird berichtet, dass sie als Fremdlinge umherzogen. Dies gehört zu den Merkmalen dieser Zeit, vgl. z. B. Gen 12,10; 20,1; 26,3; 32,5. Zudem wird von Abraham, Jakob und Isaak in Gen 35,27 hervorgehoben, dass sie in Hebron als Fremdlinge gewohnt haben.
A. Die Bundestreue Jhwhs – Ps 105
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In V. 14f schließt sich die Bewahrung der Erzeltern vor Unterdrückung an. Dies gipfelt in V. 15 in einer direkten Gottesrede, durch die der Duktus des erzählenden Geschichtsrückblicks unterbrochen wird.80 Die Bezeichnung der Erzeltern in V. 15 als ›Propheten‹ und ›Gesalbte‹ Jhwhs verweist auf ihre königlich-prophetische Funktion, wie sie vor allem in Gen 20 zum Ausdruck kommt.81 Darüber hinaus steht auch Josef in Ps 105,19 in prophetischer Tradition unter dem Wort Jhwhs und regiert zugleich als von Gott eingesetzter Herrscher die durch die Ägypter vertretene Völkerwelt. Auch Mose und Aaron in Ps 105,26f werden von Jhwh gesandt, um sein Wort in Form der Zeichen und Erweise an die Ägypter zu richten.82 Das göttliche Handeln in V. 14 selbst wird mit dem Verb ›zurechtweisen‹ ([N\ Hif.) beschrieben, das aus dem Bereich der Rechtsprechung kommt. Damit zeigt sich auch im Handeln Gottes, dass es um die Bewahrung vor Unrecht allgemein und im Konkreten vermutlich um die mit dem Status des Fremdlings einhergehenden Gefährdungen geht.83 Im Unterschied zu den V. 8–11 und den folgenden geschichtlichen Ereignissen ist auffällig, dass in V. 12–15 nicht direkt auf die Vorlage aus dem Pentateuch zurückgegriffen wird, sondern nur vage Anspielungen auf bestimmte Überlieferungen aus der Zeit der Erzeltern vorliegen.84 Insofern gewinnt man den Eindruck, dass in Ps 105,12–15 nicht ein bestimmtes Ereignis aus der Zeit der Erzeltern erinnert werden soll, sondern die Aspekte, die diese Zeit grundsätzlich geprägt haben. Deswegen werden der göttliche Schutz und die damit zusammenhängende Schutzbedürftigkeit, die 80 Zur Gottesrede in V. 11 und V. 15, durch die die herausgehobene Stellung Israels unter den Völkern hervorgehoben wird, vgl. D OEKER, Gottesrede, 95–100. 81 Vgl. hierzu auch PASSARO, Hermeneutics, 48. 82 So auch SEYBOLD, Psalmen, 416. Die Bezeichnungen ›Propheten‹ und ›Gesalbte‹ lassen sich kaum aus der Überlieferung der Erzeltern verstehen, weil die Erzeltern dort nicht als Gesalbte bezeichnet werden. Der Versuch, die Bezeichnung ›Gesalbte‹ über die Königsverheißung in Gen 17 zu erklären, bleibt meines Erachtens vage, gegen HOSSFELD, Universalgeschichte, 299. Auch der Verweis auf Ps 47,10 hilft nur bedingt, weil hier zwar vom Volk des Gottes Abrahams die Rede ist, aber die Bezeichnung ›Gesalbter‹ nicht fällt. So auch FÜGLISTER, Psalm 105, 58, der darüber hinaus vermutet, dass die Väter in einem Atemzug ›Gesalbte‹ und ›Propheten‹ genannt werden, hänge damit zusammen, dass der Begriff des Salbens auch in Bezug auf die Propheten verwendet werde (Jes 61,6; 1Kön 19,16). 83 In diesem Zusammenhang steht auch das in V. 15 genannte Handeln Jhwhs: ›anrühren‹ (>JQ ) und ›Böses tun‹ (>>U Hif.). Beide Verben beschreiben Gewaltanwendungen, Schaden im zwischenmenschlichen Bereich zuzufügen, und stehen damit auch für ein Handeln gegen die von Gott verbürgte gute Ordnung. 84 So auch HOSSFELD, Universalgeschichte, 298 f und SEYBOLD, Psalmen, 416 vermerken die nur losen Anspielungen auf Gen 12.20.26. Anders LAUHA, Geschichtsmotive, 39– 45, der aufgrund des Plurals ›Könige‹ davon ausgeht, dass der Psalmist alle drei Erzählungen gekannt haben muss.
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aus dem nichtsesshaften Lebensstil resultiert, besonders profiliert. Beide Aspekte kulminieren in der Überlieferung der »Frau als Schwester« in Gen 12,10–20; 20; 26,1–11 sowie den Brunnenerzählungen in Gen 21,22–33; 26,12–33.85 Dabei ist der in Ps 105,14 bewusst gewählte Plural ›Könige‹ ein Indiz dafür, dass weder eine der Erzählungen in Gen 12,10–20; 20 oder 26,1–11 noch die Auseinandersetzungen mit Abimelech in Gen 21,22–33 oder 26,12–33 im Hintergrund stehen, sondern vermutlich alle diese Erzählungen. Dennoch besteht aufgrund terminologischer Übereinstimmungen eine besondere Nähe von Ps 105,15 zur »Frau-als-Schwester-Erzählung« in Gen 20. Die größte Analogie besteht darin, dass Abraham auch in Gen 20,7 als Prophet bezeichnet wird.86 Im Unterschied zu Gen 20,7 steht dieser Titel aber in Ps 105,15 im Plural und wird dadurch auf die gesamte Gruppe der Erzeltern übertragen. Darüber hinaus verweist auch das Stichwort ›anrühren‹ (>JQ) in Ps 105,15 auf die Erzählung in Gen 20, das in beiden Texten (Gen 20,6; Ps 105,15) in direkter Gottesrede und in Negation vorkommt. Allerdings wird die Rede Jhwhs an Abimelech in Gen 20,6 in der Weise in Ps 105,15 transformiert, dass es nicht mehr nur darum geht, dass Sarah von Abimelech nicht angerührt wird, sondern darum, dass der gesamten Gruppe der Erzeltern der Schutz Jhwhs zukommt.87 Diese Beobachtung wird noch dadurch unterstrichen, dass keiner der Erzeltern im Unterschied zu Josef, Mose und Aaron mit Namen genannt wird. Vielmehr zielt der Psalm darauf, anhand der Überlieferung in Gen 12,10–20; 20; 21,22–33; 26 das für die Zeit der Erzeltern Spezifische hervorzuheben. Dafür dient die »Frau-als-Schwester-Erzählung« als Paradebeispiel. Denn hier tritt die Gefährdung von Nichtsesshaften in besonderer Schärfe hervor, und die Verheißungen Jhwhs an die Erzeltern scheinen in ihrem Fundament bedroht zu sein. Dieser Not aber begegnet Jhwh mit seinem bewahrenden und beschützenden Handeln, so dass sich in der Reflexion des Psalms die Zeit der Erzeltern gerade nicht durch die Gefährdung, sondern durch Jhwhs Schutz und Fürsorge auszeichnet.
85
Vgl. hierzu KRAUS, Psalmen II, 894; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 104 f. Vgl. hierzu HOSSFELD, Universalgeschichte, 299. 87 Vgl. aber auch Gen 26,11. Dort verbietet Abimelech seinem Volk, Sarah zu berühren. 86
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Exkurs zu 1Chr 16,8–22 Der Lobaufruf in Ps 105,1–6, das Bekenntnis in Ps 105,7, die Entfaltung des Bundes in Ps 105,8–11 sowie die Zeit der Erzeltern in Ps 105,12–15 werden in 1Chr 16,8–22 als Beginn der Liturgie aufgenommen, die David nach dem Aufstellen der Lade im Inneren des Zeltes und der Beauftragung der Leviten zum Dienst vor der Lade unter deren Leitung veranlasst hat (1Chr 16,1–7). Diese Liturgie in 1Chr 16,8–36, mit der Jhwh erinnert, gedankt und gepriesen werden soll (1Chr 16,4), greift auf den Psalter zurück und verbindet Ps 105,1–15, Ps 96 und Ps 106,1.47 f zum Prototyp der Liturgie, in der die universale Herrschaft Jhwhs über Himmel und Erde in verschiedenen Facetten entfaltet wird. Die Liturgie in 1Chr 16,8 wird mit einer universalen Perspektive eröffnet, indem das folgende Gotteslob, das Preisen der Taten Jhwhs, wie in Ps 105,8 vor dem Forum der Völkerwelt geschieht. So ist die Völkerwelt von Anfang an in das Weltregiment Jhwhs mit einbezogen.88 Erneut kommt dieser Aspekt in dem monotheistischen Bekenntnis in 1Chr 16,14 zum Tragen, wo die universale Geltung der göttlichen Rechtsentscheide für die gesamte Erde festgehalten wird. Darüber hinaus durchzieht die aus Ps 105 entnommene universale Dimension die gesamte Liturgie in 1Chr 16,8–36 und wird insbesondere durch die Aufnahme von Ps 96 in 1 Chr 16,23–33 im Hinblick auf die Exklusivität Jhwhs im Bereich des Himmels und der Erde ausgestaltet. Israel als Volk Jhwhs, als sein Knecht und seine Erwählten, steht in diesem Zusammenhang der gesamten Völkerwelt gegenüber. Dabei verweisen die Wundertaten Jhwhs für sein Volk, die die Beter vor der Völkerwelt verkünden sollen, auf seine Herrschaft über Himmel und Erde. Vor diesem Hintergrund wird Ps 105 in 1Chr 16,8–22 an zwei entscheidenden Stellen abgewandelt. Die erste Veränderung findet sich in 1Chr 16,13. Wird das Gottesvolk in Ps 105,6 als ›Same Abrahams, seines Knechts‹ und ›Kinder Jakobs, seine Erwählten‹ bezeichnet, wird in 1Chr 16,13 die Nachkommenschaft des Gottesvolkes nicht auf Abraham, sondern auf Israel, seinen Knecht, zurückgeführt. Dadurch ist das Gottesvolk also nicht, wie in Ps 105,6 betont wird, auch Teil der auf Abraham zurückgehenden Völkerwelt. Stattdessen wird es, in der Nachkommenschaft Israels und Jakobs stehend, als Gegenüber zur Völkerwelt profiliert. Diese Perspektive zeigt sich erneut in 1Chr 16,22, wo die Aufnahme aus Ps 105 endet. Durch die Bezeichnung des Gottesvolkes als Gesalbte und Propheten Jhwhs wird ihre Stellung als Gegenüber zur Völkerwelt erneut hervorgehoben. Damit wird die in Ps 105 bereits angelegte universale Dimension, die eine Gegenüberstellung von Israel und der Völkerwelt impliziert, durch die Veränderung in 1Chr 16,13 zu ›Same Israels‹ modifiziert. Eine weitere bedeutsame Veränderung von Ps 105 in 1Chr 16 findet sich in 1Chr 16,15 und betrifft die Rolle Israels als Gottesvolk. Dabei wird das für Ps 105,8 zentrale Bundesgedenken Jhwhs, in dem seine voraussetzungslose Heilszuwendung für sein Volk paradigmatisch enthalten ist, zu einer Aufforderung an die Beter abgewandelt. 89 Denn in 1Chr 16,15 gedenkt nicht Jhwh seines Bundes. Vielmehr werden die Beter mit einem Imperativ Plural von ›gedenken‹ ( UN]) aufgefordert, den Bund Jhwhs zu erinnern, den er mit ihren Vorfahren geschlossen hat. Damit knüpft der Imperativ Plural von ›gedenken‹ (UN]) an die Aufforderung aus 1Chr 16,12 an, sich die Wundertaten Jhwhs zu vergegenwärtigen, und setzt somit den Lobaufruf fort. In 1Chr 16,15 wird also aus der Heilszusage Jhwhs aus Ps 105,8 eine Aufforderung, das durch den Bund grundgelegte Gottesver88
Vgl. hierzu W ILLI, Völkerwelt, 450 f. Dem entspricht, dass auch in 1Chr 16,19 der Wechsel in die dritte Person Plural wie in Ps 105,12 nicht vollzogen wird, sondern das Suffix in der zweiten Person Plural steht (›als ihr wart‹ [aNWZ\KE]). 89
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hältnis nicht zu vergessen, durch das Israel aus der Völkerwelt herausgehoben ist und auf dem seine besondere Gottesbeziehung gründet. Insofern betrifft auch die zweite Veränderung in 1Chr 16,8–22 gegenüber Ps 105,1–15 zumindest indirekt das Verhältnis Israels zur Völkerwelt und bestätigt die in 1Chr 16,8–36 zugrunde liegende Intention, die Exklusivität Jhwhs als Herr des gesamten Kosmos zu entfalten, die sowohl die besondere Rolle Israels als Gottesvolk als auch die Völkerwelt einschließt.90
bb) Die Zeit von Josef in Ägypten (V. 16–23) Wie im Pentateuch folgt auch in Ps 105 auf die Zeit von Abraham, Isaak und Jakob die Zeit von Josef und seinen Brüdern, mit welcher der Übergang von der Geschichte der Erzeltern zur Volksgeschichte gestaltet wird. Dazu wird die Josefserzählung in knappen Strichen skizziert: die Hungersnot (V. 16, vgl. Gen 41,53–56), Verkauf Josefs nach Ägypten (V. 18, vgl. Gen 37,28; 45,5), wahrscheinlich sein Aufenthalt im Gefängnis und seine Traumdeutungen (V. 19, vgl. Gen 39,20) sowie sein Aufstieg am Hof des Pharaos (V. 20–22, vgl. Gen 41,14–45).91 Der Psalm setzt in V. 16 mit der von Jhwh verursachten Hungersnot ein. Er folgt damit zwar nicht dem Erzählverlauf seiner Vorlage,92 setzt aber die entscheidende Zuspitzung der geschichtlichen Ereignisse auf Situationen von Not und Gefahr an den Anfang, wie sie bereits in V. 12–15 geschildert wird. Die Gefährdung Israels selbst ist im Vergleich mit V. 12–15 noch einmal dadurch gesteigert, dass sie nun nicht mehr wie in V. 14 von Menschen und Königen, sondern direkt von Jhwh ausgeht. Jhwh nimmt mit dem Zerbrechen des Brotstabs die Lebensgrundlage zurück, indem er die Versorgung seiner Geschöpfe aussetzt. Da sich vor dem Hintergrund der folgenden Josefserzählung die Hungersnot sowohl auf das Land Kanaan als auch auf Ägypten erstreckt, umfasst sie nicht nur Israel, sondern auch die Völkerwelt, so dass bereits im Herbeirufen des Hungers eine universale Perspektive liegt.93 In V. 17a wird der Gefährdung des Lebens aber die göttliche Bewahrung entgegenstellt, womit sich für die Beter die Bedrohung des Lebens als eine nur »scheinbare« erweist, die durch Jhwhs 90
Ähnlich betont auch W ILLI, Völkerwelt, 451, dass die Völkerwelt in der chronistischen Auffassung Gegenstand der Fürsorge von Gottes Weltregiment sei, so dass sich die chronistische Fassung der Weltreichsidee und die damit verbundene chronistische Auffassung von der Völkerwelt als die historisierte und damit anschauliche Ausdrucksform des Monotheismus erweise. 91 ALLEN, Psalms, 43 betont an dieser Stelle zu Recht, dass Josefs Erfahrung von Gefahr und Bewahrung das Schicksal Israels in Miniatur abbildet. 92 Hinzu kommt, dass in Gen 41,53–56 der Beginn der Hungersnot nicht direkt auf Jhwh, sondern auf die Traumdeutungen Josefs rückbezogen wird. 93 Dies klingt in Gen 45,5 und in 45,7 an. In Gen 45,5 ist davon die Rede, dass Josef Leben erhält, was die Ägypter impliziert. In Gen 45,7 ist diese Rettungstat Jhwhs auf Jakob zugespitzt. Die Formulierung ›den Brotstab zerbrechen‹ ( a[OKMPUEY) findet sich vor allem bei Ezechiel (Ez 4,16; 5,16; 14,13).
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Fürsorge bereits aufgefangen ist. Denn in der Hungersnot mit all ihren Schrecken zeigt sich das planvolle Handeln Jhwhs in der Geschichte. Jhwh bewahrt sein Volk vor dem Verhungern, indem er einen Mann, Josef, vor ihnen herschickt. Auch formal wird das bewahrende Handeln Jhwhs besonders hervorgehoben, indem das Verb ›schicken/senden‹ ([OY) in der Afformativkonjugation an erster Stelle des Satzes steht. Dabei handelt es sich in V. 17a um ein Zitat aus Gen 45,5.7 f: Gen 45,5 Siehe: Denn um am Leben zu erhalten, hat mich Gott vor euch her gesandt . (vgl. auch V. 7)
Ps 105,17
K\Ã[PLO\.L¼K1K( CaN\ Q(SO L a\KLO¶ ^D \Q,[ÇOY
aK\QSO + [OY
Die in V. 16 beschriebene Hungersnot sowie das Zitat aus Gen 45,7 führen die Beter also direkt in die Szene in Gen 45 ein, in der die Brüder vor Josef stehen und Josef sich ihnen zu erkennen gibt.94 Mit dem Satz »Gott hat mich vor euch her gesandt« in Gen 45,7 blickt Josef auf sein Leben zurück und deutet retrospektiv sein Leben als ein von Gott geführtes. Damit steht auch die Tat der Brüder, ihn nach Ägypten zu verkaufen, von Anfang an in einem größeren heilvollen Zusammenhang. Genau diese Deutung der Josefserzählung, die sich am Ende der Josefserzählung findet,95 nimmt der Psalm auf und beginnt damit seine Reflexion. Die Beter stehen also, wie die Brüder, vor Josef und erkennen, dass das Leben Josefs einschließlich der Hungersnot von Anfang an Teil des göttlichen Handelns war. Damit erweist sich die Josefsgeschichte als wichtiger Baustein, der zu der Erfüllung der Landverheißung führen wird. Allerdings sind die göttliche Füh94 In Gen 45 ist die Rede Josefs an seine Brüder folgendermaßen aufgebaut: In V. 3 gibt sich Josef seinen Brüdern zu erkennen und fragt, ob sein Vater noch lebe. In V. 4 gibt er sich erneut zu erkennen und ergänzt »den ihr nach Ägypten verkauft habt«. In V. 5 folgt die Deutung. Josef betont im Rückblick auf die Ereignisse, dass sich seine Brüder deswegen nicht grämen sollen. Sie haben ihn zwar verkauft, aber selbst in dieser Tat zeigt sich Gottes Heilsplan. Es ist Gottes Willen, Josef vor seinen Brüder her zu senden, um Leben zu erhalten. In V. 7 f wird diese Deutung noch einmal bekräftigt: Gott hat Josef vor ihnen her gesandt, um von ihnen einen Rest im Land zu bewahren und am Leben zu erhalten als große Rettung für Josefs Brüder. Deswegen, so schließt V. 8 an, haben nicht die Brüder Josef nach Ägypten gesandt, sondern Gott. Damit ordnet Josef die Tat seiner Brüder in den Heilsplan Gottes ein. 95 Im literarischen Zusammenhang der Josefsgeschichte handelt es sich bei der Rede Josefs in Gen 45 um ein zentrales Kapitel, in dem wichtige Erzählbögen zu einem Abschluss gebracht werden, so dass einige Ausleger Gen 45 als vorläufigen Abschluss einer älteren Josefserzählung ansehen. Allerdings ist das Ende der Josefsgeschichte in der Forschung umstritten, vgl. zur Diskussion K. SCHMID, Josephsgeschichte, 95–106. Nach Schmid kann eine ursprüngliche Josefsgeschichte nicht mit Gen 45 geendet haben, weil die Opposition von Leben und Tod noch offen ist und erst in Gen 50 aufgelöst wird.
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rung und der göttliche Schutz nicht unbedingt schon im Geschehen selbst, sondern erst in der Reflexion auf die Ereignisse erkennbar. Insofern stellen sie bereits eine Deutung der in der Geschichte erfahrenen Not und Gefahr dar. Dies zeigt schon die Rede Josefs am Ende der Josefserzählung. Jedoch werden der Schutz und die Führung Gottes in Ps 105 dahingehend zugespitzt, dass sich der Psalmist die Erkenntnis Josefs zu eigen macht, sie an den Beginn der Reflexion der Josefsgeschichte stellt und die Zeit Josefs in Ägypten von dieser Rede her versteht, die in V. 17b–23 in knappen Zügen rekapituliert wird. In V. 17b und V. 18 werden die Anfänge der Josefserzählung in Erinnerung gerufen: Josef wurde als Sklave/Knecht verkauft (V. 17b). In V. 18 wird er als Gefangener dargestellt. In V. 19 wird wahrscheinlich auf die Traumdeutungen Josefs Bezug genommen.96 Dazu wird das Stichwort ›Wort‹ (UEG) aus V. 8 wieder aufgenommen. Allerdings bezeichnet es hier das an Josef gerichtete göttliche Wort, so dass die Gefangenschaft Josefs sowie vermutlich die Traumdeutung psalmspezifisch gedeutet werden. Insbesondere im Hinblick auf die Traumdeutung ist auffällig, dass hier die prophetische Tradition der Vermittlung des göttlichen Wortes anklingt.97 In V. 20 wird das Stichwort ›schicken/senden‹ ([OY) aus V. 17a erneut verwendet und steht, wie in V. 16 in der Afformativkonjugation, betont an erster Stelle. Dabei wird die Befreiung Josefs aus dem Gefängnis in Anlehnung an Gen 41,14–45 durch den König, den Herrscher der Völker, beschrieben. Wie in Gen 41,14 heißt es auch in Ps 105,20: »Es ›sandte/ schickte‹ ([OY) der König.« War es in V. 17 Jhwh, der Josef vor seinen Brüdern her ›schickte/sandte‹ ([OY), um die Not abzuwenden, ist es jetzt das Schicken des Pharaos, durch das die Sendung Jhwhs erfüllt und in der Josefsgeschichte die Wende eingeleitet wird. Dabei ist die Frage nach dem Subjekt von ›senden/schicken‹ ([OI) in V. 20 nicht eindeutig zu klären. Grammatisch können König sowie Jhwh Subjekt sein. Von der Josefserzählung aus betrachtet ist das logische Subjekt der König, der die Befreiung Josefs aus dem Gefängnis veranlasst. Vom Psalm her bleibt das Subjekt aber offen. Diese Mehrdeutigkeit der Bezüge verweist letztlich auf Jhwh als das eigentlich handelnde Subjekt in der Geschichte, der das 96 Die Formulierung »bis zur Zeit, da sein Wort kam, der Ausspruch Jhwhs ihn geläutert/bestätigt hatte« ist ungewöhnlich. HUPFELD, Psalmen II, 451 und DELITZSCH, Psalmen, 694 beziehen »sein Wort« auf Josefs Traumdeutungen. Vgl. auch HOSSFELD, Universalgeschichte, 299. Anders MATHIAS, Geschichtstheologie, 141, der in V. 18 eine pauschale Zusammenfassung des Lebensabschnitts sieht, in dem Josef Sklave war. Dann würde in V. 19 in Anlehnung an Gen 39,9 die Wende auf jenen Zeitpunkt vorverlegt, an dem Josefs Bewährung gegenüber dem göttlichen Gebot erzählt wird. 97 Vgl. hierzu auch RUPPERT, Neuinterpretation, 123 f, der an dieser Stelle die prophetische Existenz Josefs herausstellt, indem er eine Verbindung zu Ps 105,15 herstellt und Josef wie die Erzväter als Gesalbter und Prophet beschreibt.
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Senden des Königs veranlasst und der Josef vor seinen Brüdern her nach Ägypten gesandt hat.98 Darauf folgt in V. 21 die Einsetzung Josefs durch den König als Herrscher über sein Haus und seine Habe, die terminologisch auf Gen 45,8 anspielt. In Ps 105,21 wird Josef als ›Herr‹ (ZGD) für ›sein Haus‹ (ZW\E) und ›Herrscher‹ (OYP) über all seine Habe (ZQ\QT) ›eingesetzt‹ (a\I). In Gen 45,8 wird Josef als ›Herr‹ (ZGD) über sein ›ganzes Haus‹ (ZW\EON) und im Unterschied zu Ps 105,21 als ›Herrscher‹ (OYP) über ganz Ägypten ›eingesetzt‹ (a\I),99 so dass nach Gen 45 die Geschicke des Großreichs Ägypten von einem Israeliten gelenkt werden. Auch in Ps 105,22 werden in Anlehnung an Gen 41,39.44 die Befehlsgewalt Josefs über die Fürsten Ägyptens und seine Weisheit hervorgehoben, durch die er auch die Ältesten weise machen soll.100 Allerdings wird Josef im Unterschied zu Gen 45,8 nicht als Herrscher über ganz Ägypten eingesetzt.101 Stattdessen wird seine Funktion als Verwalter der gesamten Habe des Pharaos betont. Mit dieser Deutung der Josefsgeschichte wird deutlich, dass der eigentliche Herrscher der Völker eben nicht der Pharao, sondern Jhwh ist, der wiederum einen Vertreter seines Volkes an dessen Seite stellen kann. Damit wird auch in der Reflexion der Josefsgeschichte das für Ps 105 insgesamt bedeutsame Verhältnis Israels zur Völkerwelt sichtbar. Bei V. 23 handelt es sich um einen Scharniervers, der die Reflexion der Josefserzählung abschließt. Damit wird resümierend das Leben Israels als Fremdling im Land Cham festgehalten102 und über das Stichwort ›Fremdling sein‹ (UZJ) ein Bogen zurück zu den Lebensverhältnissen der Erzeltern 98
Vgl. hierzu FÜGLISTER, Psalm 105, 43 Anm. 5 und RUPPERT, Neuinterpretation,
123 f. 99 Zudem ist zu beachten, dass in Gen 41,41.43 die Einsetzung Moses nicht mit ›einsetzen‹ ( a\I), sondern mit ›geben‹ ( WQ ) beschrieben wird. 100 Zur Formulierung ›zu binden an seine Person‹ (ZYSQE Z\UI UVDO) vgl. RUPPERT, Neuinterpretation, 124 f, der mit den Versionen die Formulierung so versteht, dass der Pharao Josef nicht nur höchste Leitungsgewalt verleiht, sondern ihn auch als obersten Erzieher und Lehrer einsetzt. Dies impliziert eine Spitze gegen die sprichwörtlich bekannte Weisheit Ägyptens, wenn die Weisen Ägyptens einem Israeliten untergeordnet werden. 101 K. SCHMID, Josephsgeschichte, 113 f nimmt für die Josefsgeschichte eine mögliche Existenz Israels unter fremder Oberherrschaft an. Für die Josefsgeschichte ist nach Schmid »das Leben im eigenen Land der angestrebte Zielpunkt, doch ist darin keine conditio sine qua non zu sehen«. Dies bedeutet, dass aus der Sicht der Josefserzählung weder der erste noch der zweite Exodus unbedingt notwendig sind. »Vielmehr wird Ägypten in Gen 37 ff als jedenfalls temporärer Lebensraum vorgeführt, der gerade in dieser Hinsicht in Opposition zum eigenen Land gesetzt werden kann« (K. SCHMID, Josephsgeschichte, 113). 102 Das Land Cham steht im Parallelismus membrorum mit Ägypten. Dieser Sprachgebrauch ist so nur noch in den Geschichtspsalmen 78,51 und 106,22 belegt. In der Völkertafel in Gen 10,6 gehört Ägypten zu den Kindern Chams.
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in V. 12 geschlagen.103 Zugleich wird Jakob in diesem Zusammenhang mit seinem zweiten Namen Israel genannt, so dass der Übergang von der Erzeltern- zur Volksgeschichte deutlich markiert ist.104 Insofern folgt auf die Zeit der Fremdlingschaft Abrahams, Isaaks und Jakobs in Kanaan die Zeit der Fremdlingschaft in Ägypten, die mit Josef begann und in die Zeit des Mose übergeht (V. 24 f). Wie die Zeit der Erzeltern so wird auch die Zeit Josefs in Ägypten als Zeit der Bewahrung und des Schutzes in Erinnerung gerufen. Dabei liegt der Fokus allein auf dem Handeln Jhwhs, das die Beter im Hinterher-Denken der Ereignisse als Teil seines größeren Heilsplans erkennen.105 Dies zeigt sich bereits in der von Jhwh herbeigerufenen Hungersnot (V. 16), die Jhwh nicht nur als Herrn der Geschichte, sondern auch als Schöpfer zeigt, der die Lebensgrundlage für seine Geschöpfe zurücknehmen kann. Damit ist die Not der Vorfahren im Vergleich zur Zeit der umherziehenden Erzeltern gesteigert, da die Not direkt von Jhwh und nicht wie in Ps 105,14 f von Menschen bzw. Königen verursacht worden ist. Zudem ist sie nicht nur auf Israel beschränkt, sondern umfasst auch die Völkerwelt. Die Josefserzählung in Ps 105 wird vor allem von Gen 45 her reflektiert. Dabei handelt es sich, wie schon im Zusammenhang der Bundesvorstellungen in Ps 105, um einen im Rahmen der Josefserzählung zentralen Reflexionstext. Aus Gen 45,7 übernimmt Ps 105,17 das Stichwort ›schicken/ senden‹ ([OY) und macht dieses zu einer eigenen zentralen heilsgeschichtlichen Kategorie, die als Leitwort die Zeit Josefs in V. 16–23 sowie die Zeit Israels in Ägypten in V. 24–38 prägt. Durch sie wird jeweils die Wende der Not markiert. Dies geschieht in Ps 105,17.20, indem anhand von ›schicken/ senden‹ ([OY) die Zeit Josefs als Zeit von Schutz und Bewahrung vor der Hungersnot gedeutet wird, die letztlich auf die Erfüllung der Bundesverheißung zuläuft. In gleicher Weise wird ›schicken/senden‹ ([OY) auch im folgenden Abschnitt in V. 26 und V. 28 verwendet, der die Zeit der
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So auch PASSARO, Hermeneutics, 46 f. Dass es sich in V. 23 um einen Gelenkvers handelt, der den Abschluss der Josefsgeschichte sowie den Übergang zur Exodusüberlieferung beschreibt, zeigt sich an den unterschiedlichen Gliederungsvorschlägen des Psalms. Vgl. dazu Anm. 21. Zur Bedeutung von Ps 105,23 vgl. weiter RUPPERT, Neuinterpretation, 125. 105 Daher spielt die in der Überlieferung der Erzeltern enthaltene anthropologische Dimension, wie sie in der »Frau-als-Schwester-Erzählung« oder der Josefserzählung enthalten ist, in Ps 105 keine Rolle. Stattdessen wird die Heilsgeschichte aus einer strikt theozentrischen Perspektive rekonstruiert. Nach RUPPERT, Neuinterpretation, 122 zeigt sich dies besonders daran, dass die Rolle der Brüder und damit das Thema der menschlichen Schuld in Ps 105 nicht aufgenommen wird. 104
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Israeliten in Ägypten reflektiert. Diesmal sendet Jhwh Mose und Aaron in V. 26 und leitet mit den Plagen in V. 28 die Wende der Not ein.106 cc) Die Zeit Israels in Ägypten – Plagen und Auszug (V. 24–38) Der neue Abschnitt schließt unmittelbar an V. 23 an und setzt diesen unter Aufnahme des Erfüllungszitats aus Ex 1,7 mit der Mehrung Israels zu einem großen und starken Volk fort. Durch die Bezeichnung ›sein Volk‹ (ZP>) wird in V. 24 auch explizit der Übergang zur Volksgeschichte hervorgehoben. Dazu wird über das Stichwort ›fruchtbar sein‹ (KUS) der in Gen 17 auf Abraham übertragene Schöpfungssegen in Erinnerung gerufen, der in der Mehrung des Volkes seine Erfüllung findet. Wie in V. 8–11 weist auch V. 24 wiederum eine besondere Nähe zur priesterschriftlichen Konzeption der Heilsgeschichte auf.107 Insbesondere das Erfüllungszitat aus Ex 1,7 in Ps 105,24 zeigt erneut deutlich, dass der Psalm den Zusammenhang von Exodus- und Väterüberlieferung im Pentateuch voraussetzt. Die folgenden Verse 25–38 skizzieren in knappen Strichen den Erzählablauf der Exodusüberlieferung von der Unterdrückung der Israeliten (V. 25, vgl. Ex 1 f) über die Berufung von Mose und Aaron (V. 26, vgl. Ex 3 f.6), den Beginn ihres Wirkens (V. 27, vgl. Ex 4,28–30; 7,3), die Plagenreihe (V. 28– 36, vgl. Ex 7–12) bis zum Auszug aus Ägypten (V. 37 f, vgl. Ex 12). Anders als das Erfüllungszitat in V. 24 weist die in V. 25 beschriebene Unterdrückung der Israeliten durch die Ägypter keine direkten Bezüge zur Exodusüberlieferung auf. Sie wird in V. 25 mit der Kategorie ›wandeln‹ (SK) psalmspezifisch interpretiert, die wie das Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) in der Afformativkonjugation betont an erster Stelle des Verses steht und damit auch formal herausgehoben ist. Im Duktus des Psalms ist es Jhwh, der das Herz der Ägypter wandelt und zur Unterdrückung seines Volkes führt, so dass diese Not wie die Hungersnot in V. 16 wieder eine von Jhwh verursachte ist. Wie durch das Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) dient auch das ›Wandeln‹ (SK) dazu, die theozentrische Rekonstruktion der Heilsgeschichte fortzusetzen. Es ist allein Jhwh, der sich in der Geschichte als wirkmächtig erweist und die Geschicke seines Volkes lenkt, auch wenn er sein Volk zunächst in eine Situation der Not führt, die sich in Hass und Arglist gegenüber seinen Knechten zeigt (V. 25). Mit der Bezeichnung Israels als ›Knechte Jhwhs‹ wird zum einen V. 6 aufgenommen. In V. 6 wird Abraham als ›Knecht Jhwhs‹ bezeichnet, in dessen Nachkommenschaft die Beter stehen. Zum anderen verweist der Begriff auch voraus auf die Bezeichnung Moses als ›Knecht Jhwhs‹ in V. 26. In diesem Zusam106 Zur Bedeutung des Stichworts ›schicken/senden‹ ([OY) in Ps 105 vgl. auch RUPPERT, Neuinterpretation, 122. 107 Siehe unter A.3.b) (S. 149ff).
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menhang wird Aaron als von Jhwh erwählt bezeichnet, so dass ›Knecht‹ (GE>) und ›Erwählter‹ (U[E) wie in V. 6 im Parallelismus membrorum stehen. So entsteht eine Sukzession von Abraham und Jakob über Mose und Aaron zu den Betern, durch die das spezifische Gottesverhältnis Israels als Volk Gottes herausgestellt wird. Auf den in V. 25 beschriebenen Umsturz im Herzen der Ägypter reagiert Jhwh, indem er wie einst Josef (V. 17) jetzt Mose, seinen Knecht, und Aaron, seinen Erwählten, ›sandte‹ ([OY). Wiederum wird das heilvolle Handeln Jhwhs für sein Volk mit dem Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) eingeleitet. Es verweist auf die von Jhwh geführte Geschichte mit seinem Volk. Wie in V. 17 und V. 20 ist dies auch hier formal durch die Position an erster Stelle herausgehoben. Die Zeit Israels in Ägypten ist durch die ausführlich geschilderten Plagen in V. 27–36 geprägt.108 Mit V. 27 wird die Plagenreihe (V. 28–36) eröffnet und zugleich in Anlehnung an Ex 4,28–30 und 7,3 zusammengefasst. Dabei werden die Plagen als ›Erweise‹ (a\WSZP) und ›seine Zeichenworte‹ (Z\WZD\UEG) beschrieben. Mit dem Stichwort ›Wort‹ (UEG) wird ein Bogen über die Josefserzählung in V. 19 zur Bundeszusage in V. 8b geschlagen, so dass die Plagen als Ausdruck des Bundesgedenkens Jhwhs verstanden werden. Mehrdeutig ist allerdings das Subjekt. Vom Kontext her ist es wahrscheinlich, dass sich die dritte Person Plural des Verbs auf Mose und Aaron bezieht und diese damit die Subjekte des Satzes sind. Das Suffix der dritten Person Plural an der Präposition E (aE) ist dann auf die Ägypter bezogen, und das Suffix der dritten Person Singular ›die Worte seiner Zeichen‹ (Z\WZD \UEG) zielt auf Jhwh.109 Die ›Erweise‹ (a\WSZP) in V. 27 nehmen die Aufforderung, dieser zu gedenken, aus V. 5 wieder auf und führen sie mit der folgenden Plagenreihe aus, während die Bezeichnung ›Land Chams‹ (a[UD) auf V. 23 zurückweist. Nach Lee110 wird in Ps 105,28–36 nicht nur die Plagenreihe aus der Exodusüberlieferung aufgenommen. Darüber hinaus werden die Plagen vor dem Hintergrund von Gen 1 als lokale Rücknahme der Schöpfungsordnung 108 Vgl. hierzu auch die von FÜGLISTER, Psalm 105, 46 und HOSSFELD, Universalgeschichte, 302 herausgestellten sprachlichen Verbindungen zur Plagenreihe in Ps 78,44– 51: die Bezeichnung Ägyptens als Land/Zelte ›Chams‹ (a[) in Ps 105,23.27 // 78,51; die Bezeichnung der ›Erstlinge all ihrer Kraft‹ (aQZDONOW\YDU) in Ps 105,36 // 78,51. Hinzu kommt die Schädigung des Weinstocks durch Hagel (Ps 105,47 // 78,32 f) sowie das Fehlen der Geschwürplage. Zum genaueren Vergleich beider Psalmen siehe Kapitel 2 C.3.a) (S. 79ff). 109 Vgl. hierzu FÜGLISTER, Psalm 105, 43 Anm. 5. 110 Vgl. hierzu LEE, Genesis I, 257–263 und H OSSFELD, Universalgeschichte, 300– 302, der den Ausführungen von Lee folgt. Vgl. weiter MASCARENHAS, Psalm 105, 87–92, der ebenso in den Plagen die Schöpfermacht Jhwhs und die damit verbundene Exklusivität Jhwhs herausstellt.
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entfaltet, so dass Jhwh als Schöpfer von Himmel und Erde in seine Schöpfungsordnung eingreift und diese wieder in den Bereich des Chaotischen überführt. Folgt man der These Lees, erklären sich daraus die Auswahl der in Ps 105 aufgenommenen Plagen sowie deren Reihenfolge. Exkurs: Die Plagen in Ps 105,28–36 und in Ex 7–12 Die erste Plage in V. 28a ist die der Finsternis. Jhwh sendet Finsternis, und es wird finster. Das Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) hat dieselbe Funktion wie in V. 20: Wird in V. 20 durch das ›Senden‹ ([OY) des Königs in der Rekapitulation der Josefserzählung die Wende der Not eingeleitet, so wird hier mit dem ›Senden‹ ( [OY) der ersten Plage die Wende hinsichtlich der Unterdrückung der Israeliten eröffnet. Für Ägypten bedeutet dies die Rücknahme der aus israelitischer Sicht von Jhwh garantierten Schöpfungsordnung. So kommt dem zweifach verwendeten ›schicken/senden‹ ([OY) in der Deutung der Josefserzählung (V. 17.20) und in der Exoduserzählung (V. 26.28) die gleiche Funktion zu. An allen vier Stellen steht es betont in der Afformativkonjugation an erster Stelle des Verses. In V. 17 und V. 26 ist Jhwh eindeutig Subjekt von ›schicken/senden‹ ([OY): Er sendet Josef bzw. Mose und Aaron, um durch sie die Heilsgeschichte mit seinem Volk fortzusetzen und die Wende der Not einzuleiten. Die Wiederaufnahme von ›schicken/senden‹ ([OY) in V. 20 und V. 28 hat Jhwh nicht als Subjekt. Es beschreibt vielmehr, wie sich sein heilsgeschichtliches Wirken in Geschichte oder Schöpfung ausweist. Dabei ist wichtig, dass sich ›schicken/senden‹ ([OY) als theologische Schlüsselkategorie in der Josefserzählung findet, die vom Psalmisten aus Gen 45 aufgenommen und zur eigenen Deutekategorie gemacht worden ist. Vor diesem Hintergrund ist nun auch das Senden der Finsternis zu verstehen. Damit aber verlässt der Psalm den Wortlaut seiner Vorlage aus Ex 10,21 f an entscheidender Stelle111 und bindet durch seine Eigenformulierung die Plagen in seine spezifische Deutung der Heilsgeschichte ein. Dies ist umso auffälliger, da sich die Gestaltung der Plagenreihe in Ps 105 ansonsten eng an der Vorlage in Ex 7–12 orientiert hat. In Gen 1 gehört die Finsternis zu den negativen Urgegebenheiten, die bereits vor der Schöpfung existieren und durch Jhwhs Handeln in seine geschaffene Ordnung integriert werden. Die Finsternis wird durch die Erschaffung des Lichts an ihren Ort innerhalb der Schöpfung verwiesen (Gen 1,2.4.5.18). Wenn nun die Plage der Finsternis an erster Stelle steht, nimmt Jhwh das Schöpfungswerk des ersten Tages, die Unterscheidung von Licht und Finsternis als Tag und Nacht, zurück. Damit macht er aber eine der Grundkonstanten der Schöpfungsordnung rückgängig und stellt den Zustand vor der Schöpfung wieder her.112 Aus diesem Grund beginnt die Plagenreihe in Ps 105,28 mit der Finsternis und weicht so von der Plagenreihe in Ex 7–12 ab, in der diese als vorletzte Plage genannt wird (vgl. Ex 10,21–29).113 In V. 28b wird die Deutung der Plagen aus V. 27 als Worte göttlicher Zeichen bestätigt. Mehrdeutig bleiben in V. 28b allerdings die grammatischen Bezüge (vgl. V. 20.27), da sich die Bezugspunkte des Subjekts und des Suffixes in der dritten Person Singular
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In Ex 10,21 findet sich stattdessen die Formulierung ›und Finsternis war über dem Land‹ (UDO>Y[\K\Z). 112 Dasselbe passiert in der Sintflut. Dort reaktiviert Jhwh die Tehom. 113 Anders L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 91 f, der in der Finsternis die für Ägypten harmloseste Plage sieht, die als reines Schauwunder den Ägyptern keinen Schaden zufügt.
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nicht eindeutig zuordnen lassen. Im Duktus des Psalms erscheint es am plausibelsten, Mose und Aaron als Subjekt des Satzes anzunehmen und das Suffix auf Jhwh zu beziehen. Auf diese Weise betont der Psalm den Gehorsam Moses, des Knechts Jhwhs, und Aarons, des Erwählten Jhwhs, gegenüber dem Wort Jhwhs. 114 Die zweite Plage in Ps 105 beginnt in V. 29 wieder mit einem Verbalsatz. Wie schon in V. 28 steht das Verb in der Afformativkonjugation betont an erster Stelle. Ihm folgt ein Verbalsatz im Narrativ in V. 29b. Jhwh wandelt das Wasser in Blut mit der Konsequenz, dass die Fische sterben und sie als Nahrungsgrundlage dem Menschen nicht mehr zur Verfügung stehen. 115 Die hier zweite und in der Exodusüberlieferung erste Plage (vgl. Ex 7,14–25) lehnt sich in der Formulierung fast wörtlich an Ex 7,14–25 an.116 Über die Vorlage in Ex 7,15.17.20 hinaus kommt dem Stichwort ›wandeln‹ ( SK) in Ps 105,29 im Kontext von Ps 105 eine zusätzliche Bedeutung zu, da es auf den ›Umsturz/Wandel‹ (SK) der Herzen der Ägypter in Ps 105,25 bezogen ist. Indirekt wird in V. 29 auf den zweiten Schöpfungstag in Gen 1 und die Trennung von Wasser und Himmelsfeste angespielt. Der deutlichere Bezug liegt aber bei der Belebung des Wassers durch die Erschaffung der Fische am fünften Tag vor. Das in Blut verwandelte Wasser bietet keinen Lebensraum mehr für Fische und verliert damit auch seine lebenspendende Funktion. Die sich in V. 30 anschließende dritte Plage der Frösche, die in der Exoduserzählung die zweite Plage ist (vgl. Ex 7,26–8,11), ist die einzige Plage des Psalms, in der Jhwh nicht als Subjekt die Plage hervorruft. Stattdessen wird in der Afformativkonjugation festgestellt: »Ihr Land wimmelte von Fröschen.« Es schließt sich auch nicht wie in Ps 105,28 f eine Ausführung im Narrativ an. Sprachlich hingegen sind die Anklänge an Ex 7,28 und Gen 1,20.21 eindeutig. Auch in der Exodusüberlieferung in Ex 7,28 findet man die Formulierung, dass der Nil von Fröschen ›wimmelt‹ ( UY) und sie bis ins ›Schlafgemach‹ (UG[; vgl. Ex 7,28) des Pharaos heraufkommen. 117 In Gen 1,20 f wimmelt es von Lebewesen im Wasser, so dass mit der Erschaffung der Geschöpfe im Wasser und in der Luft wie bereits in Ps 105,29 auf den fünften Schöpfungstag angespielt wird. Da sich die Froschplage aber auf das ganze Land ausbreitet, setzt sie das von Jhwh geschaffene Gleichgewicht der Lebewesen außer Kraft.118 Die nach der Zählung des Psalms vierte Plage der ›Ungeziefer‹ (EU>) bzw. ›Mücken‹ (a\QN) setzt wie in V. 28 f wieder mit einem Verbalsatz in der Afformativkonjugation ein und setzt die Ausführung der Plage im Narrativ fort. Dabei werden die dritte Plage der Mücken in Ex 8,12–15 und die vierte Plage des Ungeziefers in Ex 8,16–27 zu einer Plage in Ps 105,28 f zusammengefasst.119 Wiederum greift Ps 105,31 auf Gen 1 zurück und
114 So DELITZSCH, Psalmen, 695 und HUPFELD, Psalmen II, 452 f. Siehe weiter die Auslegung zu Ps 105,20. 115 L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 92 hingegen betont, dass die Verwandlung von Wasser in Blut und die Finsternis als Paar zusammengezogen werden, weil es sich bei beiden um Schauwunder handelt. Dabei liegt seines Erachtens in der Verwandlung von Wasser in Blut gegenüber der Finsternis eine Steigerung vor, da durch die zweite Plage die Fische umkommen und diese damit im Unterschied zur ersten Plage eine Folge für die Lebewesen hat. 116 So auch in Ps 78,44a, vgl. Kapitel 2 C.3.a) (S. 79ff). 117 Im Unterschied zur Vorlage in Ex 7,28 ist in Ps 105,30 nicht nur von einem Herrscher, sondern von ›Königen‹ die Rede, vgl. Ps 105,14. 118 In diesem Sinn kann man mit LEE, Genesis I, 259 f auch einen Bezug zum sechsten Schöpfungstag herstellen. 119 So auch L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 92.
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nimmt den Zusammenhang vom Wort Jhwhs und dessen Erfüllung in Entsprechung zu Gen 1 auf. Die fünfte Plage, der Hagel, in V. 32–33 und die sechste Plage, die Heuschrecken, V. 34–35 sind schon allein durch ihre ausführlichere Schilderung gegenüber den vorherigen Plagen hervorgehoben. Sie behalten die Struktur von Jhwhs Tat (V. 32) bzw. Wort (V. 34) in der Afformativkonjugation betont an erster Stelle des Verses und der Ausführung im Narrativ bei (V. 33.34.35). Dabei werden in Ps 105,32 f die folgenden Aspekte der Hagelplage aus der Vorlage in Ex 9,13–35 aufgenommen. Zunächst finden sich der Hagel und die mit dem Hagel einhergehenden Feuerflammen in Ex 9,23–25.120 Darüber hinaus zeigt sich die Heftigkeit des Hagels darin, dass er zur Zerstörung der Feldfrüchte und Bäume führt (vgl. Ex 9,25; Ps 105,33). In Ex 9,25 sind darüber hinaus auch das Vieh und die Menschen, die auf dem Feld sind, betroffen. Anders als in Ex 9,13–35 werden in Ps 105,33 explizit Weinstock und Feigenbaum genannt, die durch den Hagel vernichtet werden. Damit wird die Zerstörung durch den Hagel auf die Fertilität des Landes als Lebensgrundlage zugespitzt,121 so dass die Fruchtbarkeit der Erde, die als Nahrung der Menschen dient, zurückgenommen wird. In diesem Sinn werden der dritte und sechste Schöpfungstag (vgl. Gen 1,9–13.24–31) in Erinnerung gerufen. Die Heuschreckenplage in Ps 105,34 f setzt wie in der Vorlage in Ex 10,12 die Vernichtung der Lebensgrundlage fort und führt zur vollständigen Eliminierung der Vegetation im Land Ägypten. 122 Damit hat sich Jhwh gegenüber den Ägyptern als Herr des gesamten Kosmos erwiesen, der die Lebensgrundlage geben und entziehen kann.123 Das Land Ägypten (V. 23.27.30.32.35) steht also für das Aussetzen der Schöpfungsordnung und der mit ihr verbundenen lebenserhaltenden Fruchtbarkeit. Auf diese Weise stellt es das Gegenteil zu der in V. 11 verheißenen Gabe des Landes dar. Die Plagenreihe in Ps 105 zielt wie in der Exoduserzählung (Ex 12,29–36) auf die Tötung der Erstgeburt (Ps 105,36).124 Auffallend ist, dass die Verbalstruktur, nach der Jhwhs Tat oder Wort mit einer betont an erster Stelle stehenden Afformativkonjugation eingeführt wird, auf die eine Ausführung der Plage im Narrativ folgt, in Ps 105,36 nicht beibehalten wird. Stattdessen knüpft Ps 105,36 direkt mit einem Narrativ an die vorherige Plage an, so dass die Rücknahme der Lebensgrundlage nun auf Mensch und Tier
120 HOSSFELD, Universalgeschichte, 302 hebt zudem hervor, dass der Hagel mit Gewitterphänomenen ausgestaltet wird und somit in die Nähe von Ps 29,5.7 rückt. 121 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung des Feigenbaums in Mi 4,4 und Zef 3,10, wo er eine Metapher des sicheren Lebens in Frieden darstellt. 122 Nach L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 92.95 erhalten Hagel und Heuschrecken aufgrund der Steigerung der Plagen jeweils einen eigenen Gegenstand der Zerstörung. So vernichtet der Hagel nur die Frucht von Weinstock und Feigenbaum, während die Heuschrecken das übrig gebliebene Gras fressen. 123 In der Exoduserzählung finden sich die beiden Ausdrücke für ›Heuschrecke‹ (TO\, KEUD) nicht. Diese Kombination ist neben Ps 105,34 nur in Joel 1,4; 2,25 und Nah 3,15 f belegt. Auch die Heuschreckenplage knüpft über das Stichwort ›Gras‹ (EI>) an den dritten und sechsten Schöpfungstag in Gen 1,11 f.29 f an und zielt auf die durch den Hagel bereits begonnene Zerstörung der Fruchtbarkeit des Landes. Das in Gen 1,11 f geschaffene Gras dient in Gen 1,29 f als Nahrung für Mensch und Tier und wird nach Ps 105,35 komplett von den Heuschrecken gefressen. 124 Sprachlicher Anklang zwischen Ps 105,36 und Ex 11 f ist das ›Schlagen der Erstgeburt‹ (UZNE KNQ) in Ex 12,12.29. Vgl. hierzu auch L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 92–94; FENSHAM, Neh 9, 41 f und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 107 f.
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ausgeweitet wird.125 Die Plagenreihe des Psalms und die der Exoduserzählung erreichen mit dieser Plage ihren Höhepunkt und Abschluss.
Die Bedeutung für die Konzeption der in Ps 105 entfalteten Heilsgeschichte ist vor dem Hintergrund der These Lees folgendermaßen zu skizzieren: Erstens wird die Plagenreihe durch die erste Plage, die Finsternis, und die letzte Plage, die Tötung der Erstgeburt, gerahmt. Damit beginnt die Plagenreihe mit der Rücknahme der kosmischen Grundkonstante von Tag und Nacht und setzt anstelle dieser Ordnung das chaotische Element der Finsternis, womit Ägypten in einen Zustand vor der Schöpfung versetzt wird.126 Auch mit der letzten Plage, der Tötung der Erstgeburt, greift Jhwh massiv in seine Schöpfungsordnung ein und bezieht Mensch und Tier in die Rücknahme der Lebensgrundlage ein. Die in diesen Rahmen hineingestellten Plagen entfalten weitere Aspekte der Rücknahme der Lebensgrundlage für die Ägypter. Damit aber benennen die erste und die letzte Plage das gravierendste Eingreifen Jhwhs in seine Schöpfung.127 Zweitens wird die Plagenreihe mit dem Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) eröffnet. Damit wird parallel zu V. 20 die heilvolle Wende für Israel eingeleitet. Im Unterschied aber zur Josefserzählung zeigt sich in den Plagen Jhwh als Herr des Kosmos. Drittens werden Hagel- und Heuschreckenplage aufgrund ihrer ausführlichen Schilderung besonders hervorgehoben. Nach der Verwandlung von Wasser in Blut, den Fröschen und dem Ungeziefer verursachen sie eine vollkommene Zerstörung der Lebensgrundlage der Ägypter. Damit verweisen sie auf Jhwh als Herrn des Kosmos, der seine Schöpfung geschaffen hat, aber ihr die Lebensgrundlage auch wieder entziehen und den Kosmos ins Chaos zurückführen kann. Im Kontext des Psalms steht dies im Zusammenhang mit der Versorgung der Israeliten in der Wüste (V. 39–41), da die Israeliten dort die fürsorgliche Seite des Schöpfungshandelns Jhwhs erfahren. Viertens fällt im Vergleich mit der Plagenerzählung aus Ex 7–12 auf, dass in Ps 105 nur sieben statt zehn Plagen genannt und diese auch in einer 125 Nach LEE, Genesis I, 259 f liegt hier die Rücknahme des sechsten Schöpfungstags vor. Allerdings finden sich keine sprachlichen Anspielungen auf Gen 1. 126 Vgl. auch HIRSCH, Psalmen, 557 f. 127 L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 92 f betont demgegenüber, dass die Plagen in ihrer negativen Auswirkung für die Ägypter ständig ansteigen. Während es sich bei den ersten beiden Plagen um Schauwunder handelt, folgen mit Fröschen und Stechfliegen Plagen, die für die Ägypter lästig sind, und mit Hagel und Heuschrecken Plagen, die nicht nur lästig sind, sondern auch Bäume und Pflanzen zerstören und schließlich auf die Tötung der Erstgeburt zulaufen. Auch wenn die Plagenreihe auf die Tötung der Erstgeburt zuläuft, lässt sich doch keine stetige Steigerung der Plagen in Ps 105 erkennen, da bereits mit der Verwandlung von Wasser in Blut die Lebensgrundlage des Wassers zurückgenommen wird und die Plage der Finsternis bereits dem chaotischen Element Raum gewährt.
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anderen Reihenfolge aufgeführt werden. Dies hat seine Gründe in der Bedeutung der Plagen für den Psalm. Die erste Plage in Ps 105 verweist auf die Dimensionen des Handelns Jhwhs, indem durch die Finsternis eine der Grundkonstanten der Schöpfungsordnung zurückgenommen und durch das Chaos ersetzt worden ist. Nach der Plage der Finsternis folgt Ps 105 der Plagenreihe der Exoduserzählung. Allerdings werden die Mücken- und Ungezieferplage, die dritte und vierte Plage (Ex 8,12–15.16–28), in V. 31 zusammengefasst. Das Viehsterben und die Geschwüre (fünfte und sechste Plage in Ex 9,1–7.8–12) fehlen. Das Fehlen dieser Plagen verweist auf die Intention, dass in Ps 105 die Plagen als Rücknahme der Lebensgrundlage für Ägypten entfaltet werden. Zugleich zielen sie auf den Höhepunkt der Tötung der Erstgeburt, durch die Mensch und Tier als Geschöpfe Jhwhs ihr Lebensrecht verlieren. Diese Dynamik würde durch die in Ps 105 fehlenden Plagen, Geschwüre und Viehsterben, unterbrochen werden, da jene bereits vor der Tötung der Erstgeburt eine Einschränkung von Mensch und Tier mit sich bringen.128 Fünftens werden nach Lee die Plagen in Ps 105 in Bezug zu Gen 1 entfaltet. Dabei ist signifikant, dass sich die Plagen wie in Gen 1 zuerst auf den Bereich des Himmels (Ps 105,28; Gen 1,3–8.20–23), dann des Wassers (Ps 105,29; Gen 1,9–10.20–23) und schließlich der Erde beziehen129 und Jhwh durch die Plage jeweils dieser Sphäre die lebenserhaltende Grundlage zerstört (Ps 105,30–36; Gen 1,11–13.24–31). Die Plagen dienen dazu, die Schöpfungsordnung in derselben Reihenfolge der Bereiche von Himmel, Wasser und Erde wie in Gen 1 zurückzunehmen. Gegenüber Lee aber bleibt hervorzuheben, dass die terminologischen Bezugnahmen zu Gen 1 gering sind. Stattdessen überwiegen die lexematischen Übereinstimmungen mit den Formulierungen aus der Exoduserzählung. Somit hat sich die Deutung der Plagen in Ps 105 nur insofern am Schöpfungsbericht aus Gen 1 orientiert, als die Grundstruktur der Plagenreihe auf Gen 1 zurückgreift
128 Vgl. LEE, Genesis I, 259–261. Auch L. SCHMIDT, Plagenerzählung, 92–95 kommt von seinem Verständnis der Plagen in Ps 105 her zu einem ähnlichen Ergebnis. Seines Erachtens sind die Plagen in Ps 105 so angeordnet, dass der Schaden für die Ägypter ständig gesteigert wird. Bei den ersten beiden Plagen, der Finsternis und der Verwandlung des Nilwassers, handelt es sich um Schauwunder, wobei die Verwandlung der Wasser in Blut durch das Fischsterben bereits die Lebensgrundlage der Ägypter einschränkt. Die darauf folgende Plage der Frösche und des Ungeziefers ist für die Ägypter lästig, während durch Hagel und Heuschrecken Bäume und Pflanzen beschädigt werden und erst die Tötung der Erstgeburt das Leben der Ägypter selbst betrifft. Viehpest und Geschwüre würden diese Dynamik unterbrechen. 129 Vgl. LEE, Genesis I, 259–263.
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und vor dem Hintergrund des Schöpfungsberichts in Gen 1 die lokale Rücknahme der Schöpfungsordnung für Ägypten entfaltet wird.130 In V. 37 schließt sich der Auszug aus Ägypten an, bei dem Jhwh die Israeliten nicht als Sklaven, sondern als ein starkes und reiches Volk (vgl. Gen 15,14) herausführt. Die Tradition des Exodus mit Silber und Gold findet sich auch im Zusammenhang der Berufung des Mose. Sie wird in Ex 3,22, 11,2 und 12,35 umgesetzt, indem die Israeliten mit dem Silber und Gold ihrer Nachbarn ausziehen.131 Im Zusammenhang des Psalms ist der Reichtum der Israeliten vermutlich mit der in V. 24 erfüllten Vermehrung des Volkes zu sehen und stellt deren materielle Seite dar. In V. 38 wird die Perspektive der Ägypter ergänzt, die sich über den Auszug der Israeliten freuen, da sie nun von dem Schrecken der Israeliten befreit sind. Hinter diesem steht allerdings der Schrecken Jhwhs, den die Ägypter durch die Plagen erfahren haben.132 Die sich anschließenden Verse 39–41 führen das Handeln des Schöpfers in der Geschichte unter umgekehrten Vorzeichen fort und beschreiben sein fürsorgendes und lebenserhaltendes Handeln für sein Volk. dd) Die Zeit in der Wüste (V. 39–41) Die Zeit in der Wüste ist geprägt durch das versorgende und lebenserhaltende Handeln Jhwhs, so dass sich das in der Geschichte wirksame Handeln des Schöpfers für die Israeliten als heilvoll erweist und ein deutlicher Unterschied zu den Ägyptern markiert wird. Dabei sind die Verse 39–41 auch formal auf den Abschnitt Ps 105,28–36 bezogen, indem sie die Verbalstruktur fortsetzen. So beginnen auch die Verse 39, 40 und 41 jeweils mit einem Verbalsatz in der Afformativkonjugation, wobei das 130
LEE, Genesis I, 263 und H OSSFELD, Universalgeschichte, 302 sehen aufgrund dieser schöpfungstheologischen Deutung der Plagen eine Nähe von Ps 105 zu dem voranstehenden Schöpfungspsalm Ps 104. 131 Innerhalb der Exoduserzählung werden den Israeliten dieses Silber und Gold noch zum Verhängnis, weil sie es für die Anfertigung des goldenen Kalbs verwenden. Insofern ist dieser Reichtum ambivalent. In Ps 105,37 ist hiervon nichts zu spüren; vgl. hierzu weiter DELITZSCH, Psalmen, 695 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 108. 132 Auch die Exoduserzählung kennt das Motiv vom Schrecken Jhwhs, der beim Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer auf die Ägypter fällt (Ex 15,16), vgl. zu diesem Bezug DELITZSCH, Psalmen, 695; HUPFELD, Psalmen II, 453 und HOSSFELD, Universalgeschichte, 302. Dennoch aber stellt der Psalm keinen Bezug zur Errettung am Schilfmeer in Ex 15 her, da in Ps 105,38 der Schrecken mit der Freude über den Auszug im Parallelismus membrorum steht und gerade keine Verbindung zur Vernichtung der Ägypter aufweist. Terminologisch näher sind Est 8,17 und 9,2 f, weil hier auch vom Schrecken der Juden die Rede ist, der auf die Bewohner Persiens gefallen ist. Während sich die Juden ob des Dekrets des Königs zum Erhalt und Schutz ihres Lebens freuen, befällt die Völkerwelt ein Schrecken vor ihnen.
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Verb wiederum betont an erster Stelle steht. In V. 40 und V. 41 folgt darauf jeweils ein Narrativ, durch den das Handeln Jhwhs weiter ausgeführt wird. Das schützende und versorgende Handeln Jhwhs wird in V. 39 anhand der Erzählung von Wolke und Feuerschein und in V. 40 f anhand der Überlieferung von Manna, Wachteln und Wasser aus dem Felsen entfaltet. Die Aufnahme der Erzählung von Wolke und Feuerschein in V. 39 greift dabei auf Ex 13 zurück. Im Unterschied zur Exoduserzählung aber steht sie hier nicht im Zusammenhang mit der Rettung am Schilfmeer. Die Rettung am Schilfmeer und die mit dem Schilfmeer verbundenen kriegerischen Elemente des Wetter- und Kriegsgottes sind in Ps 105 nicht von Belang. Dies zeigt sich daran, dass anders als in der Exodusüberlieferung die Wolke als ›Decke‹ (VP) bezeichnet wird. Diese Bezeichnung findet sich vor allem in den priesterschriftlichen Passagen, in denen das Zeltheiligtum beschrieben wird. In der überwiegenden Mehrzahl der Belege steht sie für den Eingang zum Allerheiligsten133 oder zum Vorhof.134 Hinzu kommt die Verwendung im Zusammenhang mit der Umhüllung der Lade.135 Damit wird also ein Begriff aus dem kultischen Kontext auf den Kosmos übertragen und die Überlieferung von Wolkensäule und Feuerschein in Ps 105,39 mit einer tempeltheologischen Kategorie gedeutet. Indem Jhwh in Ps 105,39 die Wolke als Decke ausbreitet, verweist diese auf den Vorhang, durch den die Bereiche im Zeltheiligtum voneinander abgetrennt werden, und damit zugleich auf die durch die Vorhänge abgeschirmte Präsenz Jhwhs im Heiligtum. Jhwh ist in der Wüste wie im Heiligtum hinter der Wolke und durch die Wolke hindurch präsent, die wie die Decke im Zeltheiligtum Priester und Volk vor einer direkten Begegnung abschirmt.136 Der lebensfeindliche Ort der Wüste erweist sich durch die Präsenz Jhwhs als ein Ort der Lebensfülle, wie sie die Beter sonst nur im Tempel erfahren können, so dass eine Entgrenzung des Tempels ins Kosmische stattfindet.137 133
Vgl. Ex 26,36 f; 35,15; 36,37; 39,38; 40,5.28, vgl. auch HUPFELD, Psalmen II, 453. Vgl. Ex 27,16; 35,17; 38,18; 39,40; 40,8.32. 135 Ex 35,12; 38,24; 40,21. Die weiteren Belege in Num 3,25 f.31; 4,25 f beschreiben den Dienst am Zeltheiligtum, insbesondere die Pflege der Decke bzw. des Vorhangs. In Jes 22,8 handelt es sich um eine metaphorische Verwendung. Innerhalb einer prophetischen Gerichtsrede sagt Jhwh, dass die Decke von Juda weggezogen wird. Der einzige Beleg, der nicht im Zusammenhang mit Kult und Tempel steht, ist 2Sam 17,19. Hier wird mit ›VP ‹ eine Decke bezeichnet, die über einen Brunnen gelegt wird. 136 Vgl. hier auch die Vorstellung der Präsenz Jhwhs in der Wolkensäule, die sich im Heiligtum niederlässt (z. B. Ex 40,34–38) oder sich am Sinai zeigt (Ex 19,9.16; 24,15– 18). 137 Vgl. hier auch Ps 78,15 f.23–28. Mit dieser Entgrenzung des Tempels ins Kosmische wird in Ps 105 implizit der Kosmos als Heiligtum Jhwhs beschrieben. Dadurch wird ein Bogen zu dem vorangehenden Schöpfungspsalm 104 geschlagen. Denn dort ist nach T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 69 der Bezug von Tempel und Schöpfung »in dem Sinne ›überholt‹, dass der Kosmos selbst Jahwes ›Heiligtum‹ ist, so daß ein ›irdischer‹ Tempel 134
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
In V. 40 schließt sich die Versorgung mit Manna und Wachteln und in V. 41 mit Wasser aus dem Felsen an. V. 40 setzt mit einem verkürzten Verbalsatz in der Afformativkonjugation ›man bat‹ (ODY) ein, ohne das Subjekt und das direkte Objekt des Satzes zu benennen. Beides ist vom folgenden Versteil her zu rekonstruieren. In Anlehnung an die Versorgung mit Wachteln und Himmelsbrot aus Ex 16 und Num 11 ist zu vermuten,138 dass in V. 40a das Gottesvolk Subjekt des Satzes ist und es Jhwh um Wachteln bat. Durch diese Verkürzung vermeidet der Psalm, die mit der Forderung nach Wachteln einhergehende Schuld des Gottesvolkes aus Ex 16 in Erinnerung zu rufen. Damit setzt er sein theozentrisches Interesse an der Heilsgeschichte fort, das mit dem Ausblenden der anthropologischen Perspektive einhergeht (vgl. V. 12–15.16–23).139 In V. 40b wird die Versorgung mit Wachteln in einem Verbalsatz in der Präformativkonjugation ausgeführt. Durch diesen Tempuswechsel in die Präformativkonjugation wird die Kette von Ereignissen unterbrochen und durch den iterativen Aspekt ergänzt. Dass Jhwh Wachteln herbeibringt, bedeutet also, dass er sein Volk nicht nur punktuell mit Himmelsbrot ›sättigt‹, sondern die Versorgung seines Volkes auf eine unbestimmte Dauer garantiert. Im gleichen Duktus schließt sich auch in V. 41 die Versorgung mit Wasser aus dem Felsen in V. 41 an.140 Das aus dem Felsen strömende Wasser, das als Strom in die Steppe fließt, erweist Jhwh erneut als Herrn der kosmischen Elemente. In der Wüste erfährt das Gottesvolk so die fürsorgende und versorgende Seite des Schöpfers von Himmel und Erde. Mit dieser Deutung wird die Überlieferung aus Ex 16, Num 11 und Ex 17,1–7 in zweifacher Hinsicht zugespitzt. Zum einen hat Israel bereits die Erfahrung gemacht, dass Jhwh eine Hungersnot herbeirufen (V. 16) und die Lebensgrundlage zurücknehmen kann. Auch dies ist Teil seines geschichtlichen Handelns an seinem Volk. In der Wüste macht Israel nun die damit überflüssig wird, mindestens aber seine Kosmos-stabilisierende Funktion verliert«. Vgl. hierzu auch K. SCHMID, Himmelsgott, 126 f. Darüber hinaus weist die Kosmologie in Ps 105 eine theologische Nähe zur Tempelvorstellung in Jes 66,1 auf, die in ähnlicher Weise den gesamten Kosmos als Tempel beschreibt, vgl. zu Jes 66 K. SCHMID, Himmelsgott, 130 f und GÄRTNER, Jesaja 66, 21–54. 138 Die Bezeichnung der Wachteln (ZOY) als ›Himmelsbrot‹ (a\PY a[O) findet sich auch in Ex 16,4.13 und Num 11,31 f. Vgl. weiter die sprachlichen Parallelen zu Ps 78,23– 28. 139 Aus diesem Grund betont FÜGLISTER, Psalm 105, 43 Anm. 5, dass das Subjekt in V. 40 wie in V. 20.27 letztlich offenbleibt, und vermutet Jhwh als Subjekt von V. 40a, auf dessen Verlangen in V. 40b die Wachteln herbeikamen. Damit liege eine totale Uminterpretation des Wachtel-Wunders vor, »was gut zum Tenor des Ps 105 paßte, der es ja bewußt vermeidet, von Israels Sünden zu sprechen« (FÜGLISTER, Psalm 105, 43 Anm. 5). 140 Vgl. hier die Überlieferung des Wasserwunders aus Ex 7,1–7, die im Hintergrund von Ps 105,41 steht, sowie die sprachliche Nähe zu Ps 78,15 f.20 und die theologische Nähe zu Jes 41,17–20; 43,19; 44,1–5; 48,21.
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gegenteilige Erfahrung und erfährt die versorgende Seite des Schöpfergottes an einem Ort, der sich durch seine Lebensfeindlichkeit auszeichnet. Zum anderen ist dieser Abschnitt aufgrund seiner Verbalstruktur formal auf den Abschnitt der Plagen in V. 27–36 bezogen. Dadurch steht dieses fürsorgende Schöpferhandeln Jhwhs in der Wüste im Kontrast zu seinem Handeln an Ägypten. Denn durch die Plagen wird Ägypten wie die Wüste zu einem lebensfeindlichen Ort, während Jhwh für sein Volk gerade umgekehrt die Wüste in einen Lebensraum verwandelt. Mit der Zeit Israels in der Wüste endet der Reflexionsgang durch die Geschichte. d) Das heilsgeschichtliche Fazit (V. 42.43–45) Durch das in V. 42 einleitende ›ja/denn‹ (\N) ist ein Einschnitt markiert und der Rückblick auf die Geschichte abgeschlossen. Dabei schließt V. 42 an den Geschichtsrückblick an und deutet erneut das heilvolle Handeln Jhwhs in Schöpfung und Geschichte für sein Volk als Gedenken seiner Bundeszusage an Abraham, indem die in V. 8–11 entfaltete Bundeszusage wieder aufgenommen wird. Sprachlich zeigt sich dies zunächst daran, dass das ›Gedenken‹ (UN]) Jhwhs in V. 42 auf das Bundesgedenken (UN]) in V. 8 verweist, so dass der Durchgang durch die Geschichte vom Bundesgedenken Jhwhs gerahmt ist. Allerdings ist das erste Objekt des Gedenkens anders als in V. 8a nicht der Bund, sondern das ›heilige Wort‹ (ZYGTUEG) Jhwhs, wodurch das für tausend Generationen entbotene ›Wort‹ (UEG) Jhwhs aus V. 8b aufgenommen wird. Dadurch wird das Wort Jhwhs, das sich leitwortartig durch den Psalm zieht und in V. 8b den Bund Jhwhs bezeichnet, in V. 19 an Josef gerichtet sowie in V. 27 f Ausdruck der Plagen ist, abschließend gebündelt. Denn in V. 42 zielt es darauf, die Beter, denen das für tausend Generationen entbotene Wort aus V. 8 gilt, in das Gedenken Jhwhs mit einzubeziehen und zugleich im Rückblick aufzuzeigen, wie sich das Wort Jhwhs in der Geschichte manifestiert hat. Insofern wird das Bundesgedenken Jhwhs nicht nur durch das ›Schicken/Senden‹ ([OY), sondern auch durch das göttliche ›Wort‹ (UEG) in der Geschichte konkretisiert und steht für die übergeordnete Manifestation der göttlichen Wirkmacht in Schöpfung und Geschichte. Das Gedenken Jhwhs wird in V. 42b weiter ausgeführt und gilt Abraham, dem Knecht Jhwhs. Damit wird die Formulierung aus V. 6 wieder aufgenommen. In V. 6 werden die Adressaten des Lobaufrufs als ›Same Abrahams‹, des Knechts Jhwhs, bezeichnet und die Beter so in seine Nachkommenschaft gestellt. Wie das ›Wort Jhwhs‹ wird auch die Bezeichnung ›Knecht‹ (GE>) in der Reflexion der Geschichte wieder rezipiert und in V. 26 auf Mose übertragen, so dass eine Sukzession von Abraham über Mose zu den Betern entsteht. Durch den Rückbezug zum Abrahambund in V. 6.8–11 wird zudem die Völkerperspektive integriert, da der Abraham-
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bund universal angelegt und die Völkerwelt in ihn involviert ist. Von daher wird durch den zweiten Versteil untermauert, dass Jhwh seine Bundestreue vom Bundesschluss mit Abraham an durch die Geschichte hindurch bis in die Gegenwart der Beter hinein durchhält und dieses Bundesgedenken den gesamten Kosmos umfasst. Im Hinterher-Denken der Ereignisse können die Beter diese Treue Jhwhs zu seinem Bund erkennen. Sie zeigt sich auch in Zeiten von Not und Gefahr, in denen die Bundeszusage der Landverheißung unerfüllt geblieben ist. Dadurch werden auch diese Ereignisse als planvolles Handeln Jhwhs in der Geschichte eingeordnet. Zudem wird in V. 42 das geschichtstheologische Fazit eingeleitet, mit derm der Psalm in V. 42–45 schließt. Dieses unterscheidet sich vom vorherigen Reflexionsgang dadurch, dass ausschließlich die Höhe- bzw. Wendepunkte in der Geschichte Jhwhs mit seinem Volk zusammengefasst werden. Es geht allein um die Heilstaten, die die entscheidenden Pfeiler in der Geschichte Israels markieren. Dazu werden die wesentlichen Epochen der Geschichte Israels, die Zeit der Erzeltern in V. 42, die Zeit Israels in Ägypten und des Exodus in V. 43 sowie die Zeit der Landgabe in V. 44, auf das jeweils entscheidende Heilsereignis zugespitzt. Dieses besteht zur Zeit der Erzeltern in der Bundeszusage Jhwhs an Abraham, die von diesem Zeitpunkt an das Verhältnis Jhwhs zu seinem Volk bestimmt (V. 42). Kristallisationspunkt der Zeit Israels in Ägypten ist der Auszug in Freude in V. 43. Wie das Bundesgedenken Jhwhs in V. 42 wird auch der Exodus vor dem Hintergrund der Geschichtsreflexion entfaltet und spielt auf die Freude der Ägypter beim Auszug Israels in V. 38 an, auch wenn keine terminologischen Parallelen vorliegen. Dabei steht die Freude der Ägypter über das Ende des durch die Plagen verursachten Jhwh-Schreckens im Kontrast zu Jhwhs Handeln in V. 43. Konzeptionell liegt hier eine Nähe zur Prophetie Deuterojesajas vor, der von dem Motiv der Freude her die Rückkehr aus dem Exil als zweiten Exodus gestaltet.141 Ob aufgrund der Bezüge zu Deuerojesaja aber auch in Ps 105 vom zweiten Auszug aus dem Exil auszugehen ist, lässt der Psalm offen. Entscheidender für die Geschichtskonstruktion von Ps 105 ist, dass auch dieser Auszug im Narrativ erzählt wird. Damit weist er sich als Teil der Heilsgeschichte aus und stellt nicht wie bei Deuterojesaja ein noch zu erwartendes Ereignis dar. Von daher ist zu vermuten, dass aus der Sicht der Beter auch der zweite Exodus bereits zurücklag und durch die Bezüge zu Deuterojesaja erster und zweiter Exodus im Rückblick zu einem Ereignis verschmelzen. Darüber hinaus wird das Volk Jhwhs als ›seine Erwählten‹ (Z\U\[E) bezeichnet, wodurch, wie durch den Knechtsbegriff in V. 41, auch in V. 42 die Formulierung aus V. 6 wieder aufgenommen wird und die Beter als Erwählte 141 Vgl. z. B. Jes 35,10; 48,20 f; 51,11; vgl. hierzu weiter HERMISSON, Deuterojesaja, 296–309.
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Jhwhs in der Nachkommenschaft Jakobs stehen. Wie der Knechtsbegriff wird auch die Bezeichnung der Erwählten Jhwhs in V. 26 aufgenommen und auf Aaron übertragen. So wird anhand dieser Bezeichnung eine Sukzession von Jakob über Aaron zum Volk Jhwhs und damit zu den Betern hergestellt. In diesem Sinn gehört der Auszug in Freude zur heilvollen Geschichte Jhwhs mit seinen Erwählten und dient den Betern als Identifikationspunkt in der Geschichte. In V. 44 schließt sich die Schilderung der Landgabe, und damit die Erfüllung der Bundeszusage, an. Wie der Exodus wird auch die Landgabe im Narrativ geschildert und erweist sich ebenso als Teil der Heilsgeschichte. Dabei ist auffällig, dass sich die Bundeszusagen in V. 11 und V. 44 in ihren Formulierungen unterscheiden. In V. 11 ist wie in Gen 17,8 vom ›Land Kanaan‹ (>QNUD) die Rede, das im Parallelismus membrorum durch den ›Erbbesitz‹ (KO[Q) spezifiziert wird. In V. 44 hingegen gibt Jhwh seinem Volk die ›Länder von Völkern‹ (a\ZJ WZFUD) und das ›Erarbeitete von Nationen‹ (a\PDO OP>).142 Die ›Länder von Völkern‹ knüpfen zum einen an den in V. 9 aufgenommenen Bundesschluss Jhwhs mit Abraham aus Gen 15 an, womit die Aufzählung der Völker in Gen 15,18–21 zusammengefasst wird. Zum anderen verweist diese Formulierung aber auch auf das Verhältnis von Israel zu den Völkern. Dies klang in V. 1 bereits an und setzt sich im Reflexionsgang durch die Geschichte fort. Dafür werden gerade die Epochen aus der Geschichte Israels in Erinnerung gerufen, in denen sich Israel fernab der Landverheißung unter den Völkern befand. Gerade in diesen Zeiten hat Jhwh im Rückblick seine Wirkmächtigkeit in Geschichte und Schöpfung erwiesen. Denn wie Jhwh als Herr des Kosmos in der Wüste wie im Tempel erfahrbar ist, so lässt sich auch die Landverheißung nicht mehr auf das Land Kanaan begrenzen, sondern umfasst Länder von Völkern. Diese Entgrenzung der Landgabe lässt aber gerade keinen Rückschluss auf die historische Situation der Beter zu, zumal sie als ein bereits geschehenes Ereignis im Narrativ formuliert ist. Vielmehr dient der Rückblick auf die Landgabe und ihre Entgrenzung auf die Länder von Völkern in Ps 105 dazu, den Herrschaftsanspruch des Weltenherrschers in der Völkerwelt herauszustellen. Die Erfüllung der Bundeszusage bleibt aber nicht ohne glaubende Antwort des Gottesvolkes. Sie besteht in V. 45 in einem Lebenswandel nach den Weisungen und Satzungen Jhwhs. Auch wenn dies in V. 10 mit der Satzung für Jakob bereits angedeutet ist, werden Weisungen und Tora doch erst hier explizit mit der Erfüllung der Bundeszusage verbunden.
142 Dass Jhwh seinem Volk das Erarbeitete von Nationen gibt, ist eine Vorstellung, die in der exilisch-nachexilischen Literatur verbreitet ist, vgl. z. B. Dtn 6,10 f; Neh 9,22–25; Jes 45,14; 60,4–20; 61,5–7. Vgl. hierzu weiter FÜGLISTER, Psalm 105, 56 f.
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Dabei hält der Psalm fest, dass der Heilsbund die Voraussetzung und Ermöglichung zur Einhaltung der Weisungen und Satzungen Jhwhs ist.143 Mit dieser letzten Konsequenz endet diese heilsgeschichtliche Verdichtung in V. 42–45. Hier wird zusammenfassend festgehalten, dass die Heilsgeschichte auf die Erfüllung des Väterbundes zuläuft, wie dies durch die Erinnerung des Väterbundes, des Auszugs und der Landgabe den Betern noch einmal vor Augen geführt wird. Abschluss und Ziel der Geschichtsreflexion ist der durch die Landgabe ermöglichte Wandel nach Jhwhs Weisungen und Satzungen.144 4. Fazit Im Reflexionsgang durch die Geschichte, in dem die Beter den Wundertaten Jhwhs in der Geschichte nachsinnen, erschließen sich ihnen die Ereignisse der Frühgeschichte in einer neuen Perspektive. Denn gerade die Zeiten von Not und Gefahr erweisen sich retrospektiv als Teil der größeren Heilsgeschichte Jhwhs mit seinem Volk, die auf die Erfüllung der Bundesszusage, d. h. der Landgabe, zuläuft. Dies können die Beter z. B. erkennen, wenn sie in V. 16–23 wie die Brüder vor Josef stehen und diese geschichtlichen Ereignisse von der Deutung Josefs auf sein Leben hin verstehen lernen (Gen 45). Es war Jhwh, der die Hungersnot herbeirief, und es war Jhwh, der einen Mann vor ihnen her sandte (Ps 105,16 f). Beide, die Hungersnot und die Sendung Josefs, erweisen sich im Nachhinein als Teil der Heilsgeschichte und zeigen, dass Jhwh auf ewig seines Bundes gedenkt. Dazu werden die Kategorien, anhand derer der Psalm Geschichte entwirft, wie die Bundesvorstellungen und das ›Senden/Schicken‹, jeweils bereits aus Reflexionstexten wie Gen 15, 17, 26, 45 und Dtn 7 aufgenommen und im Sinn der Geschichtskonzeption von Ps 105 neu gedeutet. So entsteht in Ps 105 also eine Metaebene der Geschichtsreflexion, indem die Reflexionstexte aus dem Pentateuch auf die Ebene des Hymnus transformiert werden, so dass sie die Grundlage für eine neue Deutung der Geschichte bilden. Entscheidend für den Reflexionsgang ist darüber hinaus die theozentrische Zuspitzung der rekapitulierten Ereignisse gegenüber der Überlieferung. Durch sie erweist sich Jhwh als Herr der Geschichte und Schöpfer
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Vgl. hierzu auch KREUZER, Frühgeschichte, 238, der das in V. 43–45 Gesagte nach Inhalt und Stimmung vor dem Hintergrund von Dtn 6–8 versteht. 144 Dieser Zusammenhang von Väterbund und Weisung wird nach SCHREINER, Patriarchen, 436 f bei Ben Sira aufgenommen und fortgeführt, indem Bund und Gesetz als Synonyme verwendet werden. So heißt es z. B. in Ben Sira 17,12: »Einen ewigen Bund hat er mit ihnen geschlossen und ihnen seine Gebote mitgeteilt.« Vgl. zum Zusammenhang von Bund und Weisungen in Ps 105 weiter HIRSCH, Psalmen, 551; KÖCKERT, Beobachtungen, 277–279; BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 348 und ALLEN, Psalms, 44.
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von Himmel und Erde. Dies erfährt Israel, indem es sich der Ereignisse der Frühzeit aus dieser Perspektive besinnt und erkennt, dass Jhwh sein Volk durch die Zeiten hindurch geführt hat. Es erfährt dies gerade in solchen Situationen, in denen die Bundeszusage der Landverheißung in weite Ferne gerückt zu sein scheint und sich Israel unter den Völkern befindet. Denn die Zeit der umherziehenden Erzeltern (V. 12–15), die Zeit Josefs in Ägypten (V. 16–23), die Zeit Israels in Ägypten (V. 24–38) und die Zeit des Exodus (V. 39–41) haben die geschichtliche Realität des Gottesvolkes als ein Leben unter den Völkern bestimmt. Im Rückblick kann Israel erkennen, dass Jhwhs geschichtliches Handeln an ihm in einen größeren Heilsplan eingebettet ist. Dabei sind die Ereignisse aus der Frühzeit so angeordnet, dass Gefahr und rettendes Handeln Jhwhs gesteigert werden. Ging die Gefahr zur Zeit der Erzeltern von fremden Königen aus (V. 13), ruft Jhwh zur Zeit Josefs selbst eine Hungersnot hervor und nimmt die Lebensgrundlage für sein Volk zurück (V. 16). So zeigt sich Jhwh hier erstmals in Ps 105 als Herr des Kosmos, der in seine Schöpfung eingreift. Zugleich erfährt Israel seine Rettung aber durch das Eingreifen Jhwhs in die Geschichte, indem Jhwh Josef vor seinem Volk nach Ägypten gesandt hat. In der Zeit der Erzeltern (V. 12–15) und der Zeit Josefs in Ägypten (V. 16–23) erweist sich Jhwh also in erster Linie als Herr der Geschichte. In den folgenden Epochen, in denen die Zeit Israels in Ägypten als Zeit der Unterdrückung (V. 24–38) und die Versorgung in der Wüste (V. 39–41) rekapituliert werden, erfährt Israel das fürsorgende Handeln des Schöpfergottes in der Geschichte. Dies geschieht zum einen, indem Jhwh den lebensfeindlichen Ort der Wüste zu einem Ort der Lebensfülle und Gottesnähe macht. Zum anderen erweist Jhwh seinem Volk auch dadurch seine Fürsorge, dass er die Lebensgrundlage für die Ägypter als Feinde Israels zugunsten seines Volkes zurücknimmt, wie dies anhand der Plagen für Ägypten geschieht (V. 28–36). Dabei wird durch das Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) in Ps 105,17.20.26.28 der Übergang vom geschichtlichen Handeln zum Schöpferhandeln Jhwhs markiert. Jhwh sandte Josef (V. 17) sowie Mose und Aaron (V. 26) und leitete durch sein Schicken des Königs (V. 20) und das Senden der Finsternis (V. 28) die Wende der Not ein. Die in Ps 105 rekapitulierten Ereignisse laufen letztlich auf die Versorgung des Gottesvolkes in der Wüste zu und werden mit einer tempeltheologischen Deutung der Präsenz Jhwhs verbunden, indem der lebensfeindliche Ort der Wüste durch Jhwhs Fürsorge zu einem Ort der Lebensfülle wird, die die Beter sonst im Tempel erfahren (V. 39–41). Insofern erweist sich das Schöpferhandeln Jhwhs als die auch das Geschichtshandeln Jhwhs umfassende Dimension. Denn durch das Handeln Jhwhs in der Geschichte erkennen die Beter die fürsorgende Zuwendung des Schöpfergottes. So beziehen sich die Wundertaten Jhwhs,
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derer die Beter in V. 2.5 gedenken sollen, sowohl auf sein Geschichts- als auch auf sein Schöpfungshandeln. Diese Gotteserkenntnis von Jhwh als Herrn des Kosmos umfasst auch die Völkerwelt. Dabei ist die Rolle Israels unter den Völkern insofern herausgehoben, als die Völkerwelt anhand von Jhwhs Handeln an Israel ihn als Herrn des gesamten Kosmos, dessen Rechtsurteile auf der ganzen Erde gelten (V. 7), erkennen und anerkennen kann. In diesem Sinn ist der Beginn des Psalms (vgl. Ps 105,1) zu verstehen, an dem die Beter aufgerufen werden, die Taten Jhwhs vor den Völkern zu verkünden. Schließlich erkennen die Beter im Hinterher-Denken der Heilsgeschichte, dass die Bundeszusage mit Torot, den Weisungen Jhwhs, verbunden ist. Die Antwort der Beter hierauf kann nur ein Lebenswandel gemäß den Weisungen Jhwhs sein, wie es folgerichtig in V. 45 formuliert wird. In der Reflexion des ersten und zweiten Exodus (V. 38.39–41.43f), zeigt sich für die Beter im nachexilischen Juda, dass sich die Heilsgeschichte auch in ihrer Situation fortsetzt und die Verbindung von Land und Tora dauernde Aufgabe bleibt. Mit dieser Zielperspektive des Psalms wird die heilsgeschichtliche Dimension verlassen. Folgerichtig schließt sich der hymnische Abgesang mit einem letzten Lobaufruf an (V. 45). Antwort der Beter auf Jhwhs heilsgeschichtliches Handeln an seinem Volk kann letztlich nur das Gotteslob sein. So entspricht also die Konstruktion von Geschichte in Ps 105 der Form des Hymnus, indem die heilsgeschichtlichen Ereignisse in die Form des Hymnus transformiert werden und die Beter im Rückblick Jhwhs heilvolles Handeln in Schöpfung und Geschichte erkennen. Dass damit aber die Geschichte Jhwhs mit seinem Volk nicht vollständig erfasst worden ist, macht der im Anschluss folgende Ps 106 deutlich, in dem die Heilsgeschichte Jhwhs mit seinem Volk erneut entfaltet wird. Diesmal aber steht die Dimension der Schuld im Vordergrund, die in der Konzeption von Geschichte in Ps 105 unberücksichtigt geblieben ist.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – die Konstruktion der Schuldgeschichte in Psalm 106
Ps 106
1. Der Text – Psalm 106 1 Halleluja/Lobt JH! Preist Jhwh, ja,/denn (er ist) gütig! Ja,/Denn seine Güte/Gnade (ist) für fernste Zeit! 2 Wer kann die Machttaten/Stärke Jhwhs in Worte fassen, verkünden seinen ganzen Ruhm?
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1
2
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106 3 Glück denen, die (das) Recht bewahren, demjenigen, der Gerechtigkeit verwirklicht145 zu jeder Zeit! 4 Gedenke meiner,146 Jhwh, mit Wohlgefallen an deinem Volk, suche mich auf mit deiner Rettung, 5 zu sehen das Gute/Glück deiner Erwählten, mich zu freuen an der Freude deines Volkes, zu rühmen (zusammen) mit deinem Erbbesitz!
6 Wir haben gesündigt mit unseren Vätern, sind schuldig geworden, haben gefrevelt. 7 Unsere Väter in Ägypten haben deine Wundertaten nicht begriffen, sie haben nicht der Fülle deiner Güte/Gnade (Pl.) gedacht. Sie lehnten sich auf am Meer, am Schilfmeer.147 8 Er rettete sie um seines Namens willen, kundzutun seine Stärke. 9 Er schalt das Schilfmeer, und es vertrocknete, er ließ sie durch die (Ur-) Fluten gehen wie durch die Wüste. 10 Er rettete sie aus (der) Hand (des) Hassers, löste sie aus (der) Hand (des) Feindes. 11 Wasser bedeckten ihre Bedränger, nicht einer von ihnen blieb übrig.
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28
KE B\U,P\PHÆO>:S\FLT@%KYPROÏ>UK WD:G\PLYKLºDO^ CaKO KZ½K\!UP·D UY´D@ a\,$*E:EÇU!> W@P:GPO@WD:GÇE>J) der Wasser sowie die vertrockneten ›Urfluten‹ (WZPKW) verweisen deutlicher auf das Schilfmeerlied in Ex 15,1–21 als auf die Erzählung in Ex 13,17–14,31 und halten Reminiszenzen an den Chaoskampf des ugaritischen Baalsmythos wach.191 In beiden Texten ist allerdings der Chaoskampf bereits dahingehend transformiert, dass sich Jhwh als Herr des Wassers zeigt, dessen Herrschaftsbereich auch die Urfluten umfasst. Sie erscheinen nicht mehr als Gegner Jhwhs, sondern als Jhwhs dienstbares Element. In Ex 15,10 dienen die Urfluten nur noch dazu, die Feinde zu bedecken.192 Diesen Aspekt übernimmt Ps 106,11a aus Ex 15,10 und kombiniert dies im Parallelglied in V. 11b mit einer Formulierung aus Ex 14,28, dass keiner der Feinde übrig bleibt. Dadurch wird erneut der fundierende Charakter des göttlichen Handelns herausgehoben, indem es nach Ps 106 um das Vernichten aller Feinde bzw. des Feindes schlechthin geht. Das zum Chaoskampf gehörende kriegerische Element, das in Ex 15,6– 18 noch erhalten ist und Jhwh als Krieger zeichnet, tritt in Ps 106,9 zurück und klingt nur noch über das Schelten des Schilfmeeres an. Dabei erinnert es weniger an einen Krieger als vielmehr an das Schelten der Urfluten in Ps 104,7. Denn wie in Ps 104,7 geht auch in Ps 106,9 von den Urfluten keinerlei Bedrohung mehr aus. Vielmehr sind sie in die durch Jhwh bestehende und durch ihn garantierte Ordnung integriert. In Ps 104,7 gehört das Schelten der Urfluten allerdings zu dem kosmologischen Schöpfungshandeln Jhwhs, um den chaotischen Wassern innerhalb der durch Jhwh geordneten Welt ihren Platz zuzuweisen. In Ps 106,7–12 hingegen handelt es sich nicht um ein anfängliches Schöpfungshandeln. Vielmehr zeigt sich im Austrocknen der Urfluten der Herr des Kosmos in seiner Geschichtsmächtigkeit. Das Rettungshandeln selbst wird in Ps 106,8.10 durch ›retten‹ (>Y\Hif.) qualifiziert. Während dies in Ps 106,8 eine Eigenformulierung des Psalms darstellt, wird in Ps 106,10 auf Ex 14,30 zurückgegriffen.
191 In Ex 15,8 wird das Meer durch den Wind von Jhwhs Schnauben aufgetürmt, wobei das Schnauben wie das ›Schelten‹ (U>J) zum Vorstellungszusammenhang des Chaoskampfes gehört, und ›Urfluten‹ (WZPKW) haben sich zusammengezogen. 192 Nach JEREMIAS, Königtum, 101 f beschreiben die Urfluten in Ex 15 nur noch den Ort, in den hinein die Feinde versinken. Vgl. zur Aufnahme der Chaoskampfvorstellung weiter Jes 51,9 f; Ps 77,17. Anders LAUHA, Geschichtsmotive, 64 f, der gerade darin, dass Ps 105 die Vorlage aus Ex 14 verlässt, das Meer als Widersacher Jhwhs ansieht.
205
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
Ex 14,30 Und Jhwh rettete an jenem Tag Israel aus (der) Hand Ägyptens. Und Israel sah Ägypten tot am Ufer des Meeres.
Ps 106,10
D:KKa$Y$Y\ Hif.) zusammenfasst (Ps 106,21.47). In diesem Sinn geht Ps 106,10 über die Erzählung in Ex 14 hinaus.193 So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Ps 106,7–12 vor dem Hintergrund von Ex 13,17–15,21 formuliert worden ist und damit den zumindest in großen Teilen abgeschlossenen Pentateuch voraussetzt.194 Ps 106 übernimmt nicht nur das Grundgerüst der Erzählung, sondern auch die für den Psalm entscheidende Kategorie des rettenden Eingreifens (›retten‹ [>Y\ Hif.]) Jhwhs aus dem Pentateuch und interpretiert sie vom Schuldbekenntnis her neu. Dabei zielt die Interpretation des Psalms vor allen Dingen darauf, die Rettung am Schilfmeer als das Paradigma der Heilsgeschichte herauszustellen.195 Dies ist, wie oben bereits gezeigt, in der Struktur der Verse 7–12 sowie in der Leitwortstruktur des Psalms angelegt. Aber auch die Vorlage aus Ex 13,17–15,21 wird in diesem Sinn verwendet. Am deutlichsten ist das daran zu erkennen, dass es in Ps 106,10 f nicht wie in Ex 13,17–14,31 um eine Rettung vor konkreten Feinden geht, sondern um die Rettung vor dem Feind schlechthin. Dieser Tenor ist in Ex 15,1–21 bereits angelegt und wird in Ps 106 weiter ausgeführt, indem auch das Handeln Jhwhs auf dieser grundsätzlichen Ebene reflektiert wird (Ps 106,8.10). Auch die Schuld des Gottesvolkes wird in Ps 106,7–12 als eine paradigmatische reflektiert. Es geht nicht nur wie in der Vorlage um das Auflehnen gegen Jhwh am Schilfmeer im Angesicht der Verfolgung durch die Ägypter, sondern über diese Situation hinaus um die Dass Jhwh sein Volk ›aus-‹ bzw. ›erlöst‹ (ODJ), findet sich im zweiten Teil des Schilfmeerliedes in Ex 15,13. 194 Diese Beobachtung wird sich im Folgenden bestätigen, siehe unten B.4. (S. 241 ff). 195 Vgl. auch PRÖBSTL, Rezeption, 141. 193
206
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
grundsätzliche Verfasstheit des Gottesvolkes am Anfang der Heilsgeschichte. Der in der Deutung der Rettungstat am Schilfmeer herausgestellte Zusammenhang von Gottvergessenheit des Volkes, rettendem Eingreifen Jhwhs und Wende zum Gotteslob wird zur hermeneutischen Schlüsselkategorie für die im Folgenden entfaltete Heilsgeschichte. bb) Die Gier in der Wüste (V. 13–15) In V. 13 wird die V. 7–12 durchziehende Narrativkette zunächst nicht fortgesetzt, sondern durch zwei asyndetisch anschließende Verbalsätze in der Afformativkonjugation unterbrochen. Diese knüpfen formal an die ebenso in der Afformativkonjugation formulierten Verbalsätze in V. 7 an. Auch inhaltlich wird über das Stichwort ›vergessen‹ ([NY) an den Zustand des ›Nichtgedenkens‹ (UN]DO) aus V. 7 angeknüpft und dieser fortgesetzt. Es ist nicht die Erfahrung der Rettung vor den Feinden und der heilvollen Zuwendung Jhwhs, die den Fortgang der Geschichte des Gottesvolkes bestimmt. Vielmehr ist es das Vergessen seiner Taten,196 das bereits die Anfänge der Geschichte geprägt hat und nach der Rettung schnell wieder einsetzt, wie es durch das betont an erster Stelle stehende ›schnell‹ (UKP) hervorgehoben wird. Die folgenden Verse 14f wechseln wieder in den Narrativ und entfalten die Auswirkungen der Gottvergessenheit in der Geschichte. Dazu wird in V. 14 f die Geschichte von der Gier nach Fleisch aus Num 11 aufgegriffen. Sie wird in ihren für den Psalm wesentlichen Punkten skizziert, so dass den Betern der Ablauf der Geschichte klar vor Augen geführt wird. V. 14a setzt mit der Gier des Volkes ein und betont diese durch eine Figura etymologica mit dem Verb ›gieren‹ (KZD) und dem Substantiv ›Gier‹ (KZDW), so dass das Gieren in der Wüste in besonderer Weise hervorgehoben wird. Die Kategorie der Gier aber ist keine Eigenformulierung des Psalms, sondern bereits für Num 11,4.35 eine zentrale Kategorie, mit der die Geschichte in Num 11,4 beginnt und in Num 11,34 zusammenfassend mit der Benennung des Ortes endet.197
196 Innerhalb des Psalms verweisen Jhwhs ›Taten‹ (Z\I>P) auf die Taten der Götzen in V. 35 und die Taten Israels und stehen im Kontrast zu den Taten Jhwhs in V. 13. 197 Dass es sich bei ›Gier‹ (KZDW) um eine Schlüsselkategorie in Num 11 handelt, hält bereits HAGLUND, Motifs, 65 fest. Vgl. zu den in Num 11,4–35 verarbeiteten Überlieferungen SCHARBERT, Numeri, 47–51.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
Num 11,4 Diejenigen, die sich ihnen angeschlossen hatten, gierten voll Gier , und auch die Israeliten begannen wieder zu weinen und sagten: »Wer kann uns Fleisch zu essen geben?«
Num 11,34 Man nannte den Ort Kibrot-Taawa (Giergräber) , da man dort das Volk begrub, das von der Gier gepackt worden war.
207 Ps 106,14
$%ÂU!TL%UY½D@l#VXSVDK Z! KZD@7::¸DWK L KZDW + KZD ODHÂUI\,\Q(½%a*d:.EYU); Num 16,32 und Ps 106,17: ›Erde + öffnen‹ (UD + [WS ); Num 16,30.32.34 und Ps 106,17: ›verschlingen‹ (>OE). Vgl. weiter die Bezüge zu Lev 10,2. 206 Als Gründe dafür, dass Korach selbst nicht erwähnt wird, wird zumeist die priesterfreundliche Tendenz des Psalms angegeben und dass die Korachiten in der Psalterüberlieferung eine zu große Wertschätzung genossen hatten; vgl. PRÖBSTL, Rezeption, 154 und HOSSFELD, Ps 106, 259. Allerdings wird Korach auch in der deuteronomisch-deuteronomistischen Aufnahme der Überlieferung in Dtn 11,6 nicht erwähnt. 207 Gegen LUX, Erde, 188, der Ps 106,17 als Argument dafür anführt, dass es sich bei der Abiram- und Datan-Erzählung um eine ursprünglich selbstständige Erzählung handelt. 204
210
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
der Gier in Ps 106,13–15 benannt worden ist und bevor im Folgenden die Rolle von Mose am Horeb (V. 19–23) und die Rolle Aarons (V. 28–31) weiter entfaltet werden. dd) Moses Intervention am Horeb (V. 19–23) – die paradigmatische Begrenzung des göttlichen Zorns Mit der Anfertigung des gegossenen Bildes am Horeb erreichen die Verfehlungen der Vorfahren ihren Höhepunkt, da sie mit dem Vergessen der fundierenden Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer einhergehen. Wie schon in V. 14.16 beobachtet, wird auch in V. 19 die Rekapitulation des geschichtlichen Ereignisses auf die Verfehlung, die Anfertigung des Bildes und die darauffolgende Huldigung, zugespitzt.208 Dabei stehen Ex 32,4.8 und Dtn 9,12.16 im Hintergrund. Nach der Vorlage ›machen‹ die Israeliten ein ›gegossenes Kalb‹ (KNVP OJ> KI>, Ex 32,4; Dtn 9,16)209 und ›huldigen‹ (KZ[, Ex 32,8) diesem als ihre Götter, die sie aus Ägypten herausgeführt haben. Im Unterschied dazu wird das Bild in Ps 106,19 nicht von Aaron, sondern vom gesamten Volk angefertigt. Aaron wird in diesem Zusammenhang in Ps 106 nicht erwähnt, so dass hier das gleiche Phänomen wie bei der Rezeption des Widerstandes gegen Mose und Aaron zu beobachten ist: Der priesterliche Anteil an der Verschuldung des Volkes wird verschwiegen (Ps 106,16–18). Stattdessen zeigt sich am Horeb, wie schon im Lager, die kollektive Schuld des Volkes. Dadurch kommt Aaron wie auch Mose in der Geschichtskonzeption von Ps 106 eine herausgehobene Rolle zu, die im Fortgang der Geschichtsdarstellung in ihrer Unterschiedlichkeit profiliert wird (V. 19–23.28–31). V. 20 setzt den Narrativ aus V. 19b fort und deutet das Anfertigen des Gussbildes mit einem Zitat aus Jer 2,11 als Göttertausch.
208 Das Anfertigen des Bildes wird in der Präformativkonjugation beschrieben. Vermutlich ist hier der Punktual gemeint, zumal in V. 19b–20 die Narrativkette fortgesetzt und das Anfertigen des Bildes somit in diese eingebettet ist. 209 Zu Ex 32–34 vgl. HARTENSTEIN, »Angesicht Gottes« in Exodus 32–34, 157–183 und zur Endgestalt von Dtn 9 f und Ex 32.34 vgl. LOHFINK, Deuteronomium 9,1–10,11 und Exodus 32–34, 41–87. Darüber hinaus wird auch in Hos 13,2 das Volk angeklagt, sich ein gegossenes Bild gemacht zu haben. Vom Kalb ist aber nur in Hos 10,5 die Rede, hier allerdings in Verbindung mit Kabod. Da bereits die ›Sünde‹ Jerobeams in Ex 32–34 im Hintergrund steht, gilt dies auch für Ps 106. Allerdings weisen die sprachlichen Bezüge nicht auf 1Kön 12,26–31.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
Jer 2,11 Hat eine Nation Götter getauscht? Sie aber sind keine Götter! Doch mein Volk hat seine Herrlichkeit getauscht mit (etwas, das) nichts nützt.
211 Ps 106,20
a\KLÂO^Dl\$*U\PLÆ\KHK a\KLBO^DDO^½K0 KH¶Z! $G·$E.U\PLÆKH \0L>Z! GZEN+ UZP CO\>L$\D$OÇ %
Die Israeliten tauschen ihre von Jhwh verliehene ›Herrlichkeit‹ (GZEN) gegen einen grasfressenden Stier. Die hier zugrunde liegende Vorstellung von der göttlichen Herrlichkeit stammt ursprünglich aus der Königstheologie und impliziert die Partizipation des Königs an dem Herrlichkeitsglanz Jhwhs.210 Diese Vorstellung wird nun vor dem Hintergrund von Jer 2,11 als Interpretament für die Erzählung aus Ex 32–34 verwendet.211 Wie Jer 2,11 setzt auch Ps 106,20 zunächst die von Jhwh gestiftete Beziehung zu seinem Volk voraus. Sie wird in der Bitte in Ps 106,5 mit den Begriffen der Erwählung, des Gottesvolkes und des Erbbesitzes umschrieben und zeichnet sich durch das paradigmatische Heilshandeln Jhwhs am Schilfmeer aus.212 Indem sich die Israeliten gerade von dieser Herrlichkeit lossagen, weisen sie Jhwh, ihren Gott, zurück und ersetzen ihn durch die ›Nachbildung‹ (W\QEW) eines grasfressenden Stiers. An diesem Punkt verlässt Ps 106,20 seine Vorlage und geht mit seiner Bilderpolemik über Jer 2,11 hinaus. Denn in Jer 2,11 tauschen die Israeliten ihre Herrlichkeit gegen etwas, das nichts nützt, so dass vor allem die Wirkungslosigkeit der anderen Götter herausgestellt wird. Sie kommt darin zum Ausdruck, dass die Israeliten versuchen, das Unverfügbare verfügbar zu machen, indem sie den aus Stein und Holz gefertigten Göttern nachlaufen und darin zum Scheitern verurteilt sind.213 Damit rückt Jer 2,11 bereits in die Nähe der bei Deuterojesaja vertretenen Exklusivität der Jhwh-Verehrung.214 Sie kann aber von 210 So NEUMANN-GORSOLKE, Herrschen, 83–86, die diesen Zusammenhang an Ps 8,6 herausarbeitet. Traditionsgeschichtlich handelt es sich hierbei um eine königstheologische Vorstellung, die in Ps 8,6 auf den Menschen übertragen wird. Nicht nur wie altorientalisch üblich der König, sondern der Mensch an sich wird mit den göttlichen Würdeattributen ausgezeichnet. So spricht Neumann-Gorsolke im Kontext von Ps 8,6 von einer Royalisierung des Menschen. Insofern liegt in Ps 8,6 eine anthropologische Wendung der Herrlichkeitsvorstellung vor. 211 Zu Jer 2 vgl. T. KRÜGER, Jahwe, 221–231 sowie zu den traditionsgeschichtlichen Hintergründen JEREMIAS, Hoseas Einfluß, 122–141, insbesondere 136–141. 212 Vor diesem Hintergrund ist nicht mit den Masoreten zu lesen (Tiqqune sopherim), die in Jer 2,11, Ps 106,20 und Hos 4,7 durch einen Suffixwechsel aus der Herrlichkeit des Volkes die Herrlichkeit Jhwhs machen; zu Hos 4,7 vgl. JEREMIAS, Hosea, 67. 213 Vgl. T. KRÜGER, Jahwe, 227 f. 214 So auch JEREMIAS, Hoseas Einfluß, 138, der die Zuschreibung der anderen Götter als ›Nichtsnutze‹ (Jer 2,8) von der Terminologie Hoseas abhebt und diese Vorstellung der vollkommenen Wirkungslosigkeit der anderen Götter in die Nähe des bei Deuterojesaja
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
dieser noch dadurch unterschieden werden, dass die in Jer 2 vertretene Exklusivität der Jahwe-Verehrung nicht die Wirkmächtigkeit anderer Götter an sich, sondern ihre Verehrung ausschließt. In Ps 106 hingegen ist die bei Deuterojesaja vertretene Exklusivität der Jhwh-Verehrung bereits vorausgesetzt. Dies zeigt sich an der Bilderpolemik in Ps 106,20b, durch die der Aspekt der Wirkungslosigkeit dahingehend zugespitzt wird, dass der ursprüngliche Zusammenhang von der Präsenz der Gottheit durch das Bild negiert und auf die Nachbildung eines grasfressenden Stiers reduziert wird. So wird die noch in Ex 32 und Jer 2 enthaltene Ambivalenz der Kultbilder negiert.215 Denn die Nachbildung in Ps 106,20b verliert den Status eines Kultbildes und verweist ausschließlich auf den Stier als Geschöpf Jhwhs. Damit liegt der Fokus nun auf der Geschöpflichkeit dessen, was durch das Bild präsentiert wird. Hierin zeigt sich die Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf.216 In der geschichtstheologischen Entfaltung von Ps 106 entspricht die Leugnung der Exklusivität Jhwhs dem Vergessen des paradigmatischen Heilshandelns am Schilfmeer. Dies wird in V. 21 f entfaltet, wobei die Narrativkette durch einen asyndetischen Verbalsatz in der Afformativkonjugation variiert wird. Dabei folgt der Psalm wieder seiner Vorlage aus Ex 32,4.8, in der die Anfertigung des Kultbildes auch im Zusammenhang der zuvor erfahrenen Rettung und Befreiung aus Ägypten steht. Die Brisanz des Stierbildes, dass die Israeliten Gott ihren ›Retter‹ (>Y\ Hif.) ›vergessen haben‹ ([NY), nimmt das am Schilfmeer als paradigmatisch qualifizierte Heilshandeln Jhwhs wieder auf (Ps 106,8.10). Der Gegenstand des Vergessens wird in einem partizipialen Nominalsatz ausgeführt und betrifft die Taten in Ägypten217 sowie das Furchterregende am Schilfmeer (V. 21b–
ausformulierten monotheistischen Gottesbildes rückt. Vgl. hierzu auch T. KRÜGER, Jahwe, 227, der Jeremias hierin folgt. 215 Vgl. zur Ambivalenz des Kultbildes in Ex 32 HARTENSTEIN, »Angesicht Gottes« in Exodus 32–34, 164 f. Davon zu unterscheiden ist die Bilderpolemik, die sich vor allem an der Materialität der Bilder entzündet, vgl. z. B. Jes 40,18–20; 41,6 f.24b.29b; 44,9–20; 45,15–17.20b; 46,5–7; Jer 2,26–28; 10,1–16. 216 Vgl. hierzu HARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 70. Die von ihm gemachten Beobachtungen zu Dtn 4 lassen sich an diesem Punkt auf Ps 106 übertragen, zumal durch die Verwendung des Begriffs ›Nachbildung‹ (W\QEW) ein Bezug zur Formulierung des Bilderverbots in Dtn 4,16–18 entsteht. So gilt in gewisser Weise, was HARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 70 als Quintessenz für Dtn 4 formuliert, auch für Ps 106, dass anstelle der grundsätzlichen Ambivalenz der (Kult-) Bilder, wie sie in Ex 32 zum Ausdruck kam, in der theologischen Perspektive von Dtn 4 das Kriterium der Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf (…) und damit einhergehend die Verkennung der himmlischen Transzendenz JHWHs (Dtn 4,11 f) trete. 217 In V. 21b und V. 22a ist zweimal von den Taten Jhwhs in Ägypten die Rede. Dabei wird in V. 22b als Synonym für Ägypten das Land Cham verwendet. Dieser Terminus
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
213
22).218 Aus dieser exklusiven Bindung zu Jhwh treten die Israeliten also heraus und befinden sich, wie die Bezüge zu V. 7 über die ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) und das Vergessen zeigen, wieder in dem Zustand vor der Rettungserfahrung. Von daher geht diese Leugnung der Einzigkeit Jhwhs also mit einer totalen Abkehr von Jhwh einher, wie es in der Reflexion der geschichtlichen Ereignisse bisher nicht der Fall gewesen ist (V. 13–18). Handelte es sich in den zuvor rekapitulierten Ereignissen um Verfehlungen, die der Psalm mit ›Versuchen Jhwhs‹ in der Wüste oder dem ›Eifern gegen Mose und Aaron‹ umschreibt, handelt es sich bei dieser Schuld viel grundsätzlicher um das Vergessen des Fundaments, bei dem die Existenz des Gottesvolkes auf dem Spiel steht. Insofern deutet Ps 106 das gegossene Kalb am Horeb wie die Vorlage in Ex 32–34 als ›Ursünde‹ des Gottesvolkes. Deswegen reagiert Jhwh entgegen der in V. 13–18 geschilderten partiellen Strafe nun mit Zornesglut, durch die er sein Volk vertilgen will.219 Diesbezüglich greift der Psalm nicht auf Ex 32–34 zurück, sondern nimmt mit dem Begriff ›vertilgen‹ (GPY Hif.) den für Dtn 9 f üblichen Ausdruck für den Vernichtungsbeschluss Jhwhs auf (Dtn 9,8.14.19.20.25; 10,10). Wie in der Vorlage in Ex 32–34 und Dtn 9 f ist es Mose, der sich dem göttlichen Zorn entgegenstellt und diesen vom Volk abwendet. Dazu wird die Fürbitte des Mose aus Ex 32,11–14.30–35; 34,9 und Dtn 9,26–29220
findet sich im Psalter nur in Ps 78,51 und 105,23.27 und verbindet so die drei Geschichtspsalmen. 218 Die Kombination von ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) und ›Furchterregendem‹ (WZDUZQ) findet sich noch in Ex 34,10 beim zweiten Bundesschluss. Wundertaten und Furchterregendes sind aber auf das zukünftige Handeln Jhwhs bzw. seine Bundesstreue, nicht auf eine bereits geschehene Rettungstat bezogen. 219 Vgl. JEREMIAS, Zorn, 77 und weiter die Ausführungen bei W. GROSS, Zorn, 58–70. 220 Ex 32–34 enthält drei Fürbitten: 1. Ex 32,11–14: Besänftigung des unmittelbaren Gotteszorns ohne Sündenbekenntnis, 2. Ex 32,30–35: Sündenbekenntnis für das Volk und Ablehnung des Angebots, selbst Stammvater eines neuen Volkes zu werden, 3. Ex 34,9: Bitte um Verzeihung und um ein neues Bundesverhältnis; vgl. dazu LOHFINK, Deuteronomium 9,1–10,11 und Exodus 32–34, 57. Dabei sind diese Fürbitten verbunden durch die Dynamik von Bund, Bundesbruch und Bundeserneuerung sowie der Gottesschau, dem Vorbeiziehen Gottes und dem ambivalenten Begleitschutz; vgl. zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund HARTENSTEIN, »Angesicht Gottes« in Exodus 32–34, 157–183. Diese Elemente finden in Ps 106 keine Erwähnung. Gleiches gilt für den theologischen Fokus von Ex 33, wie die Nähe Gottes trotz dieser Verfehlung weiter erfahrbar bleibt. In Dtn 9 f hingegen wird die »Ursünde« in das Procedere des Bundesschlusses integriert. Es gibt nur eine Fürbitte (Dtn 9,26–29), die so grundsätzlich ist, dass sie alle anderen Verfehlungen der Wüstenzeit wieder ins Lot bringt. Insofern gilt das Geschehen am Horeb als Zusammenfassung des Pentateuchs. Diese Fürbitte hat Modellcharakter und hält den Zorn Jhwhs auf; vgl. dazu LOHFINK, Deuteronomium 9,1–10,11 und Exodus 32–34, 57 und weiter JEREMIAS, Zorn, 143–153.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
über die prophetische Metapher des ›In-die-Bresche-Tretens‹ aus Ez 13,5; 22,30 gedeutet. Ez 22,30221 Und ich suchte unter ihnen einen, der die Mauer baute und in die Bresche träte vor mir für das Land, so dass ich es nicht verderben müsste, aber ich fand keinen.
Ps 106,23
Y\DL¼aKfPHY4(½ED@Z pUG(*UG(*2 \QS OU3Ë%GPHm>RZ ! Z\QSO+ UES+ GP> UD ¶K G>Æ% W[Y+ +W B[@Y \7L¼OELO C\WLDF P DO^·Z!
In Ez 13,5 und 22,23–30 wird die Metapher, die ursprünglich in den Zusammenhang der Befestigung und Verteidigung von Städten gehört,222 auf den sozialen und kultischen Zustand Judas übertragen. Das bedeutet für die Prophetie Ezechiels, dass die Gesellschaft Judas keinem intakten Befestigungswall gleicht, sondern einem bereits durch eine eingeschlagene Bresche instabilen Befestigungswall. Denn sie ist von sozialem und kultischem Unrecht geprägt, und ihre kultische und soziale Integrität ist abhandengekommen.223 Dadurch ist eine Bresche bzw. ein Riss in der Beziehung zu Jhwh entstanden, so dass Juda dem göttlichen Zorn ausgesetzt ist. Nach Ez 13,5 und 22,23–30 gehört es zur Aufgabe der Propheten, in diesen durch Unrecht entstandenen Riss zu treten, um den göttlichen Zorn abzuwenden, den entstandenen Riss wieder zu kitten und damit Recht und Gerechtigkeit wiederherzustellen (vgl. Jes 58,12). Ob es sich dabei um eine kultische Interzession oder um eine von Am 7,2.5 her bekannte prophetische Fürbitte handelt, lässt die Metapher offen und ist auch aus dem Kontext der Ezechielstellen nicht ersichtlich. Entscheidend für Ez 13,5 und 22,23– 30 ist, dass die Propheten ihrer Aufgabe nicht nachgekommen sind, sondern dem Volk weiter Unrecht, Lug und Trug prophezeit und es damit endgültig dem Zorn Gottes ausgesetzt haben.224 Im Gegensatz zu dem Verhalten der Propheten in Ez 13,5 und 22,30 verhält sich Mose in Ps 106,23 im Sinn Ezechiels als idealtypischer Prophet. Er agiert, wie es die Propheten bei Ezechiel hätten tun sollen, indem er als Erwählter Jhwhs für 221
Zur Übersetzung vgl. ZIMMERLI, Ezechiel, 520 f. Vgl. z. B. 1Kön 11,27; Neh 6,1; Hiob 16,14; 30,14; Jes 30,13; 58,12 und Am 9,11. 223 Vgl. auch Jes 5,1–7 und dazu SCHROEDER, Standing, 19 f. 224 Wie SCHROEDER, Standing, 17–20 herausgestellt hat, richtet sich der göttliche Zorn nicht auf denjenigen, der in die Bresche tritt. Dieser agiert nicht als Sündenbock, indem er anstelle des Volkes den göttlichen Zorn auf sich zieht. Vielmehr tritt er zugunsten des Volkes ein, um den durch Unrecht entstandenen Riss in der Gemeinschaft zu kitten und so das vernichtende Strafhandeln Jhwhs abzuwenden. 222
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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sein Volk in die Bresche tritt, um den durch das gegossene Kalb entstandenen tödlichen Riss wieder zu kitten und sein Volk vor dem vernichtenden göttlichen Zorn zu bewahren. Bei der Bezeichnung von Mose als ›Erwähltem‹ (ZU\[E) Jhwhs handelt es sich um eine Eigenformulierung des Psalms, die sich so in der Hebräischen Bibel nicht mehr findet und durch die in Ps 106,23 Moses prophetisches Handeln weiter spezifiziert wird.225 Denn zum einen dient sie dazu, Moses prophetische Funktion zu legitimieren und so die Möglichkeit zu eröffnen, den Zorn Jhwhs von seinem Volk abzuwenden. Zum anderen liegt bereits in dem Akt der Erwählung selbst die Begrenzung des göttlichen Zorns begründet. Denn Moses Erwählung impliziert die Unmöglichkeit, dass Gott sein vernichtendes Strafhandeln vollstreckt, um Israels Weiterleben zu ermöglichen.226 Insofern ist Israel in die Erwählung des Mose eingeschlossen, wie es auch terminologisch durch die Bezeichnung des Gottesvolkes als ›Erwählte Jhwhs‹ in Ps 106,5 zum Ausdruck gebracht wird.227 In der geschichtstheologischen Logik des Psalms bewirkt Moses Eintreten, dass das heilsgeschichtliche Paradigma am Schilfmeer in Kraft bleibt und der Abfall durch das gegossene Kalb integriert wird. Damit wird in Moses Eintreten der Zusammenhang von Schuld und Erbarmen Jhwhs auf der Ebene des geschichtstheologischen Paradigmas reflektiert. Dass in Ps 106,23 die Schuld des Volkes und Moses Eintreten in das heilstheologische Paradigma integriert sind, knüpft an die deuteronomischdeuteronomistische Deutung der Horeb-Erzählung an. Dies wird terminologisch dadurch unterstrichen, dass das Stichwort ›verderben‹ (W[Y) aus Ps 106,23 nicht nur in Ez 22,30 belegt ist, sondern auch Moses Fürbitte in Dtn 9,26 sowie die Erhörung der Fürbitte aus Dtn 10,10 aufnimmt.228 Denn 225 Die Bedeutung der Erwählung Moses als idealtypischem Propheten entspricht der Sache nach der deuteronomisch-deuteronomistischen Darstellung von Mose als Propheten in Dtn 34,10, da sich Mose wie keiner vor und keiner nach ihm durch seine besondere Nähe zu Jhwh auszeichnet. 226 Einen ähnlichen Zusammenhang hat jüngst J EREMIAS, Zorn, 145–149 für Ex 32–34 herausgestellt. Nach Jeremias kann Mose in Ex 32–34 durch seine Fürbitten den Zorn Jhwhs von seinem Volk abhalten und gar als auserwählter Vermittler das Volk erst dem göttlichen Zorn freigeben. »Gott ist offensichtlich unfähig, seinen Zorn, der hier wie ein eigenständiges Werkzeug erscheint, ohne Moses Zustimmung wirken zu lassen« (JEREMIAS, Zorn, 146). 227 Darüber hinaus wird über den Begriff der Erwählung ein Bogen zu Israel als Erwählte Jhwhs in Ps 105,6.43 sowie zur Erwählung Davids in Ps 89,4 geschlagen. Zu Ps 89,4 vgl. SCHNOCKS, Bund, 195–202. 228 Die Fürbitten in Ex 32–34 hingegen bewirken eine Bundeserneuerung und reflektieren in dem vermutlich später hinzugefügten Kapitel Ex 33, wie trotz dieser Sünde die heilvolle Nähe Gottes weiter erfahren werden kann. Vgl. zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Ex 33 HARTENSTEIN, »Angesicht Gottes« in Exodus 32–34, 157–183. Zur Dimension der Schuld in Ex 32–34 vgl. weiter KONKEL, Sünde, 148 f, der darauf auf-
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auch in Dtn 9,26–29 wird in die (Wieder-)Herstellung des Bundes als idealer Gottesbeziehung die Möglichkeit von Verfehlung integriert, so dass Israel durch Mose vor dem auflodernden Zorn Jhwhs grundsätzlich sicher ist.229 Aber im Unterschied zu Dtn 9 f und Ex 32–34 wird in Ps 106 die auf Moses Eintreten folgende Bundestreue nicht entfaltet. Damit setzt sich der Psalm von seiner Vorlage aus Dtn 9 f, aber auch von Ex 32–24 ab. Hingegen profiliert er sein Verständnis der Horeb-Erzählung, indem die Beter auf das geschichtstheologische Paradigma der Rettung am Schilfmeer zurückgewiesen werden, das durch das Eintreten Moses als idealtypischem Propheten in Kraft bleibt. Auf diese Weise wird die »Ursünde« des Volkes, die in der Leugnung des Rettungshandelns Jhwhs besteht, in das Heilsparadigma integriert. Der sich in Moses Eintreten zeigende paradigmatische Zusammenhang von göttlichem Zorn und Erbarmen bzw. Reue Jhwhs führt nicht dazu, dass sich das Volk ändert. Das zeigt sich bereits in der Reaktion des Volkes in V. 24, die nicht wie die Rettung am Schilfmeer zum Gotteslob führt. Vielmehr besteht sie darin, dass das Volk das verheißene Land verschmäht und dem göttlichen Wort (V. 12.24), anders als am Schilfmeer, nicht mit Vertrauen begegnet (V. 12.24). ee) Die Verschmähung des Landes – Jhwh erhebt seine Hand (V. 24–27) Die Verschonung am Horeb führt also nicht wie die Rettung am Schilfmeer zum Lobpreis, sondern zu einer weiteren Verfehlung: der Verschmähung des Landes (V. 24–27). Dabei greift der Psalm sowohl auf die Kundschaftererzählung in Num 13 f 230 als auch auf die deuteronomisch-deuteronomistische Reflexion dieser Überlieferung in Dtn 1,19–46 zurück und kombiniert beide in Ps 106,24 f.231 Die Verse 24 f sind parallel aufgebaut: In V. 24a und V. 25a wird jeweils mit einem Narrativ die Verfehlung des Volkes merksam macht, dass auch nach dem Erzählablauf des Pentateuchs die Existenz Israels in Ex 32–34 das erste Mal auf dem Spiel steht. Während Mose nun aber die Umkehr Jhwhs von seinem Zorn erreichen konnte, ist dies nach 2Kön 23 nicht mehr möglich. Insofern ist ein Bogen vom ersten Entbrennen des Jhwh-Zorns zum letzten Entbrennen des JhwhZorns zu schlagen, mit dem in 2Kön 23 das Ende des Staates Juda einhergeht. 229 So JEREMIAS, Zorn, 152 f und zu Dtn 9,26–29 vgl. LOHFINK, Deuteronomium 9,1– 10,11 und Exodus 32–34, 57. 230 Vgl. zur literarischen Gestalt der Kundschaftererzählung in Num 13.14 SCHARBERT, Numeri, 54 f. 231 Vgl. hierzu HAGLUND, Motifs, 66. PRÖBSTL, Rezeption, 150.167 f sieht im Verschmähen des Landes nach dem gegossenen Kalb am Horeb die zweite Kapitalsünde. Dabei übersieht Pröbstl aber die oben beschriebene paradigmatische Funktion der mosaischen Fürbitte, durch die der vollkommene Abfall in das heilsgeschichtliche Paradigma integriert wird. Insofern handelt es sich bei der Verschmähung des Landes nicht um eine zweite Kapitalsünde, sondern um die Konsequenz aus der Verschonung Israels.
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beschrieben. Sie besteht in V. 24a wie in Num 14,31 in der ›Verschmähung des Landes‹ (UD VDP) und in V. 25a vergleichbar mit Dtn 1,27 darin, dass das Volk als Reaktion auf die Kundschafter in seinen ›Zelten murrt‹ (a\OKDE JU). Wiederum wird auf eine Ausgestaltung der Erzählung verzichtet und diese auf die Schuld des Volkes zugespitzt. Die aus dem Pentateuch rezipierte Verschuldung wird im zweiten Kolon in V. 24b und V. 25b jeweils mit einer Afformativkonjugation gedeutet. In der Ablehnung des Landes kommt zum Ausdruck, dass die Israeliten, anders als nach der Rettung am Schilfmeer, dem Wort Jhwhs nicht geglaubt (V. 12) haben (V. 24). Das Murren in den Zelten zeigt, dass das Volk nicht auf die Stimme Jhwhs hört (V. 25b). Das Hören bzw. Nichthören auf die Stimme Jhwhs weist keine psalminternen Bezüge auf, sondern nimmt die Kundschafterüberlieferung aus Dtn 9,23 auf.232 Hierauf reagiert Jhwh, indem er seine Hand hebt und die Strafe für das Vergehen seines Volkes ankündigt (V. 26 f).233 Das göttliche Strafhandeln wird in den drei folgenden Infinitiven entfaltet. Der erste Infinitiv beschreibt das Schicksal der Wüstengeneration (V. 26b). Sie wird in der Wüste ›niedergeworfen‹ (OSQ Hif.). Der zweite und dritte Infinitiv in V. 27 (›niederwerfen‹ [OSQ Hif.] und ›zerstreuen‹ [KU]]) sind auf das Schicksal der nachfolgenden Generationen bezogen, die unter die Völker zerstreut werden. Insofern liegt eine deutliche Verschärfung der göttlichen Strafe gegenüber Num 14,22–38 vor. In Num 14 trifft die Strafe nur die Wüstengeneration (Num 14,22 f.29 f.), während die zweite Generation von Jhwh in das Land geführt wird, sobald sie die Schuld der Eltern vierzig Jahre abgetragen hat (Num 14,31).234 In Ps 106,26f hingegen handelt es sich um eine generationenübergreifende Kollektivschuld, die die Nachfahren, d. h. die Beter, ebenso uneingeschränkt treffen wird wie die Vorfahren in der Wüste. Wie bereits das Motiv vom ›In-die-Bresche-Treten‹ in V. 23 wird auch das Strafhandeln in V. 26f vor dem Hintergrund der Prophetie Ezechiels gedeutet. Dazu greift der Psalm terminologisch auf den Geschichtsentwurf in Ez 20 zurück.235
232 Darüber hinaus handelt es sich bei der Formulierung »sie hörten nicht auf die Stimme Jhwhs« um eine im Deuteronomium weit verbreitete formelartige Formulierung, um den Ungehorsam bzw. den Gehorsam gegenüber Jhwh zum Ausdruck zu bringen; vgl. z. B. Dtn 4,30; 8,20; 9,23; 13,5.19; 18,16; 26,7.14.17; 28,15.62; 30,10. 233 Ob es sich bei der Formulierung tatsächlich um einen Schwur handelt oder um eine Absichtserklärung mit weniger verbindlichem Charakter, ist umstritten. Vgl. zur Diskussion T. KRÜGER, Geschichtskonzepte, 238–247. 234 Die Ausnahmen sind Kaleb und Josua (Num 14,24.38), die beide in Ps 106 nicht erwähnt werden. Vgl. hierzu PRÖBSTL, Rezeption, 149 f. 235 Vgl. hierzu auch LAUHA, Geschichtsmotive, 85 f.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Ez 20,23 Ps 106,26 f Auch erhob ich meine Hand gegen \Q,D@a* V. 26 O + G\ + DIQ UEGPE sie in der Wüste , U%G!0L% aK¶O \G,\WD\WLDI ËQ sie unter die Völker zu zerstreuen und sie in die Länder zu versprengen .
a\,Ã$*% laW DR\SL³K O V. 27 CW$F UD@% aW ¶$DW$UÇ]O:
a\ZJE UD+ KU]
Das Strafhandeln Jhwhs wird im gesamten Geschichtsentwurf in Ez 20,5.6.15.23.28.42 wie in Ps 106,26 durch das ›Handheben Jhwhs‹ (OG\DIQ) gegen sein Volk eingeführt.236 Dabei wird in Ps 106,26 f insbesondere auf das Ergehen der zweiten Wüstengeneration in Ez 20,18–26 Bezug genommen. Diese Generation muss sich entscheiden, ob sie mit ihren Vätern bricht und sich entsprechend den Weisungen Jhwhs verhält oder die Satzungen Jhwhs in der Kontinuität der Vorfahren nicht einhält. Da sie sich für die Kontinuität mit den Vorfahren und damit gegen die Satzungen Jhwhs entscheidet, erhebt Jhwh um seines Namens willen die Hand gegen sie und kündigt in Ez 20,23 die ›Zerstreuung‹ (KU]) unter die Völker und ›in die Länder‹ (WZFUDE) an. Damit wird in Ez 20,18–26 wie in Ps 106,26 f die Perspektive der Wüstengeneration überschritten und die erst in staatlicher Zeit eintretende Strafe des Exils vorweggenommen. Zugleich aber weist Ps 106 im Hinblick auf das Verständnis von Schuld entscheidende Differenzen zu dem Geschichtsentwurf in Ez 20 auf. In Ez 20 ist jede Generation für ihr Gottesverhältnis selbst verantwortlich, so dass es keine generationenübergreifende Akkumulation von Schuld gibt. Gerade ein solches Schuldverständnis liegt aber der Geschichtskonzeption von Ps 106 zugrunde. Diese wird bereits im Schuldbekenntnis, mit dem die Reflexion der Geschichte eröffnet wird, zum Ausdruck gebracht. Hier bekennen die Beter, dass die Schuld der Vorfahren auch die ihre ist, und stellen sich 236
In Ez 20 wird der Ablauf von Ägypten (V. 5–10), in der Wüste – in V. 11–17 die Vergehen der ersten Wüstengeneration und in V. 18–26 die Vergehen der zweiten Wüstengeneration –, im Land (V. 27–29), im Exil (in der Zerstreuung) bzw. in der Wüste (V. 30– 38) beschrieben. Der Geschichtsentwurf endet mit einer Ankündigung Jhwhs, das Volk aus der Zerstreuung zu sammeln (V. 39–44). Diese Struktur geht mit einer Abfolge der Generationen einher. Die unterschiedlichen Phasen in der Geschichte Israels werden jeweils nach einem wiederkehrenden Schema beschrieben: Jede Generation ist durch den Abfall von Jhwh geprägt (KUP in Ez 20,8.13.21), sein Eingreifen wird immer mit dem Erheben der Hand eingeführt und immer auf dieselbe Weise begründet. Dennoch handelt es sich nicht um einen zyklischen Entwurf. Die Ereignisse laufen auf die Zerstreuung und die erneute Sammlung des Volkes zu. Jhwh handelt im Hinblick auf Israel um seines Namens willen. Sein Eingreifen ist somit vom Verhalten Israels abgekoppelt. Dies gilt aber auch in Bezug auf die Völker. Jhwhs Namen soll vor den Völkern nicht entweiht werden. Das heißt, Jhwh handelt so, dass er seine Gottheit vor Israel und den Völkern erweist, vgl. dazu T. KRÜGER, Geschichtskonzeption, 199–260.
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damit explizit in die Kontinuität mit ihren Vorfahren. Insofern ist es der Logik der Geschichtskonzeption von Ps 106 immanent, dass die Zerstreuung unter die Völker, die in staatlicher Zeit eintrifft (Ps 106,40–42), als Ausdruck des göttlichen Zorns, unter dem die Beter noch leiden (Ps 106,47), bereits durch die Wüstengeneration ausgelöst worden ist. Doch bevor Jhwh die in Ps 106,26f angekündigte Strafe in die Tat umsetzt und sein Volk unter die Völker zerstreut, werden noch zwei weitere Erzählzusammenhänge aus der Wüstenzeit aufgenommen: Pinchas’ Intervention beim Abfall zum Baal Peor in Ps 106,28–31 und Moses Verwobenheit mit der Schuld des Volkes (Ps 106,32 f). Dabei dient die Reflexion von Pinchas’ Intervention dazu, die Institution des Priestertums in der Wüstenzeit zu verankern und sie dabei zugleich der Intervention des Mose nachzuordnen. An der darauffolgenden Verwobenheit Moses mit der Schuld des Volkes wird Moses paradigmatische Funktion für die Heilsgeschichte abschließend reflektiert. ff) Der Abfall zum Baal Peor und Pinchas’ Intervention (V. 28–31) Die auf den Abfall zum Baal Peor basierende Intervention Pinchas’ wird in Ps 106 in auffallender Parallelität zu Moses Intervention am Horeb entfaltet und zugleich auf signifikante Weise von dieser unterschieden.237 Auf den ersten Blick besteht die Verschuldung des Volkes, die zu Moses und Pinchas’ Einschreiten führt, in beiden Fällen darin, dass das Volk Jhwh zugunsten eines anderen Gottes verlässt. Bei näherem Hinsehen unterscheidet sich die Abkehr von Jhwh jedoch in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung. Durch die Nachbildung eines grasfressenden Stiers am Horeb leugnet Israel die fundierende Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer. Demgegenüber liegen die Opfer für den Baal Peor nicht auf derselben paradigmatischen Ebene, da sie nicht mit dem Vergessen des Heilsparadigmas einhergehen. In Ps 106,28 wird der Erzählstrang aus Num 25,1–5 in kurzen Strichen skizziert, nach dem sich Israel dem Baal Peor (UZ>S O>E, Num 25,3.5) unterwirft,238 ihm opfert und das ›Opfer isst‹ ([E] OND, Num 25,2). Die Opfer für den Baal Peor werden in Ps 106,28 über Num 25,2 hinausgehend als ›Opfer von Toten‹ gedeutet. Damit handelt es sich um Opfer der Toten bzw. um Opfer für Tote. Dies wiederum kann nun zweierlei bedeuten:
237 Vgl. hierzu HUPFELD, Psalmen II, 463. SCHARBERT, Numeri, 105 nimmt die bewusst gestaltete Parallelisierung von Pinchas und Mose bereits in Num 25 an, da in Num 25,10 f die Rolle des Mose als Fürbitter zugunsten der Sühnekraft des priesterlichen Handelns heruntergespielt werden soll. 238 In Dtn 4,3 steht der Baal Peor für den Abfall von Jhwh, in Hos 9,10 bezeichnet er die erste Station im Kulturland, die gleich durch den Abfall von Jhwh gekennzeichnet ist; eine solche Bedeutung kommt der Überlieferung in Ps 106 nicht zu.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Zum einen kann sich dahinter die Vorstellung von Totenverehrung verbergen. Mit der Verehrung der Toten aber geht wiederum eine totale Verunreinigung der Opfernden einher, so dass die im Folgenden geschilderte Intervention von Pinchas, die zur Einsetzung des Priestertums führt, einen regelhaften Umgang mit dem Unreinen institutionalisiert. Zum anderen aber kann die Bezeichnung ›Opfer von Toten‹ auch die fremden Götter meinen, die in diesem Sinn als vollkommen ohnmächtig und handlungsunfähig wie Tote beschrieben werden.239 Diese Variante, bei der es sich nicht um Totenverehrung im eigentlichen Sinn, sondern um Götzendienst handelt,240 zielt in abgeschwächter Form wie die Huldigung des gegossenen Kalbs in Ps 106,19 auf die Leugnung der Exklusivität Jhwhs, ohne dass damit aber das Vergessen des heilsgeschichtlichen Fundaments einhergeht. Um welche Variante des Götzendienstes es sich in Ps 106,28 f letztlich handelt, ist nicht eindeutig zu entscheiden, da die Opfer für Baal Peor in Ps 106,29 summarisch als Taten gedeutet werden, mit denen das Volk Jhwh verärgert.241 Die auf den Götzendienst folgende Strafe Jhwhs in Form einer Plage unterscheidet sich folglich auch von seinem Vernichtungsbeschluss am Horeb. Vielmehr ist sie analog zu dem Strafhandeln Jhwhs in Ps 106,15.17 f zu verstehen, durch das das Volk nicht in seiner Existenz als Gottesvolk bedroht ist.242 In Ps 106,29 wird sie vor dem Hintergrund des zweiten Erzählstrangs in Num 25,6–19 rezipiert, ohne die Problematik des ›Mischehenverbots‹ zu thematisieren.243 Der Fokus liegt lediglich auf Pinchas’ Einschreiten, das wie in Num 25,6–18 zum Ende der Plage führt (›die Plage wurde gehemmt‹ [KSJPKUF>WZ], Num 25,8; Ps 106,30).244 239
Vgl. hierzu auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 131 f. Diese beiden Möglichkeiten erwägt bereits LAUHA, Geschichtsmotive, 90. Er zieht darüber hinaus noch in Betracht, ob die Formulierung in Ps 106,28 auf eine Sonderüberlieferung zurückgeht, nach der der Kult von Baal Peor tatsächlich Totenverehrung enthalten habe. 241 So JANOWSKI, Psalm CVI 28–31, 244, der zudem darauf hinweist, dass in der summarischen Beschreibung der Jhwh-feindlichen Taten auch das Vergehen Zimris aus Num 25,6 enthalten ist. 242 Anders MATHIAS, Geschichtstheologie, 190, der vor allem die Analogie der beiden Interventionen unterstreicht, ohne zwischen dem zur Vernichtung des Volkes führenden göttlichen Zorn am Horeb und der Plage als Strafe für den Abfall zum Baal Peor zu differenzieren. Vgl. dazu auch PRÖBSTL, Rezeption, 153. 243 Vgl. zur Thematik des Mischehenverbots weiter SCHARBERT, Numeri, 103–105. 244 Dabei wird in Ps 106,30 nicht die priesterschriftliche Deutung der Tat Pinchas’ aufgenommen. Nach dieser wird Pinchas’ Eintreten als Eifern für Jhwh bezeichnet, mit dem dieser für die Israeliten Sühne gewirkt hat und sie so vor dem tödlichen Eifer Jhwhs bewahrt hat (Num 25,10–13). Denn diese Deutung, die davon spricht, dass Pinchas den tödlichen Grimm Jhwhs von seinem Volk abgewendet hat, würde das Eintreten Pinchas’ und Moses wieder stärker parallelisieren. 240
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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Trotz der Differenzen im Hinblick auf ihre heilsgeschichtliche Bedeutung für die Geschichte Israels sind Moses und Pinchas’ Intervention terminologisch aufeinander bezogen, indem beide mit dem Verb ›hintreten‹ (GP>, Ps 106,23.30) beschrieben werden.245 Doch im Unterschied zu Moses Intervention wird Pinchas’ Agieren selbst nicht näher als ›in die Bresche Treten‹ charakterisiert. Daher ist nur aus dem Kontext zu schließen, ob es sich bei Pinchas’ Hintreten wie bei Moses um einen interzessorischen Akt handelt. Das gleiche Phänomen liegt auch in der Fortsetzung mit dem Verb ›OOS‹ (Piel)246 in Ps 106,30a vor, das ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des priesterlichen Handelns zulässt. Beide Handlungen, das ›Hintreten‹ (GP>) sowie das Handeln im Sinne von ›OOS‹ (Piel), führen aber in Ps 106,30b zum selben Ergebnis: Sie dämmen die Plage ein und stehen von daher in einem sachlogischen Zusammenhang. Aufgrund dessen ist mit Janowski zunächst für Pinchas’ ›Hintreten‹ (GP>) zu vermuten, dass es sich hierbei um einen ähnlichen Vorgang wie bei dem des Mose handelt, so dass das Hintreten im »technischen Sinn und zwar vermutlich als Breviloquenz für ‘amƗd bƗppaeraes̛ ›in die Bresche treten‹«247 zu verstehen ist. Analoges lässt sich vermutlich auch für das folgende Handeln Pinchas’ ›OOS‹ (Piel) annehmen, das vor diesem Hintergrund im Sinn von ›als Sachwalter bzw. fürbittend248 auftreten‹ zu verstehen ist. Von daher ist auch bei Pinchas’ Hintreten von einem interzessorischen Akt auszugehen. Seine heilsgeschichtliche Bedeutung besteht in der in Ps 106,31 folgenden Legitimation des aaronitischen Priestertums bis in fernste Zeit. Sie wird aber nicht vor dem Hintergrund des Friedensbundes aus Num 25 rezipiert, sondern durch die sprachliche Bezugnahme auf Gen 15,6 gedeutet. Gen 15,6 Und er [Abram] glaubte Jhwh, und er rechnete ihm das zur Gerechtigkeit an.249
Ps 106,31
KZK\%~P,·DKZ! CKT GF $/· K EÆY[) hebt besonders PASSARO, Hermeneutics, 51 f hervor und begründet damit die Parallelität beider Vorgänge. 246 Zu den unterschiedlichen Übersetzungsvorschlägen von › OOS‹ (Piel), das nur noch in Gen 48,11; 1Sam 2,25; Ez 16,52 vorkommt, vgl. JANOWSKI, Psalm CVI 28–31, 239 f. 247 J ANOWSKI, Psalm CVI 28–31, 241. Hinzu kommt, dass die Wurzel › US ‹, die in Ps 106,23 die Bresche bezeichnet, in Ps 106,29 als Verb mit der Bedeutung ›Ausbrechen einer Plage‹ verwendet wird. 248 Mit dieser Übersetzung folge ich J ANOWSKI, Psalm CVI 28–31, 243. 249 Vgl. hier zur Übersetzung von WESTERMANN, Genesis, 252.
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In Gen 15,1–6 rechnet Jhwh Abrahams Vertrauen auf die Mehrungsverheißung, die im scheinbaren Widerspruch zu dessen Realität steht, ›zur Gerechtigkeit an‹ (KTGFOZOEY[). Dieses Vertrauen wird in Ps 106,31 auf Pinchas übertragen und steht im Gegensatz zum Götzendienst des Volkes für den Baal Peor. Dies bedeutet für Pinchas und seine Nachkommen eine unverbrüchliche Heilsgemeinschaft mit Jhwh bis in fernste Zeit.250 Insofern führt Pinchas’ Tat also zur Einsetzung des Priestertums, durch das ein regelhafter Umgang mit Unreinheit garantiert ist und somit das Volk bis in fernste Zeit davor bewahrt werden soll, toten Götzen zu opfern und sich an deren Opfer zu verunreinigen. Im Unterschied aber zur Tat des Mose steht nicht das heilsgeschichtliche Paradigma als solches auf dem Spiel. Es geht vielmehr um die Verankerung des Priestertums und seiner Sukzession in der fundierenden Heilsgeschichte. Damit bildet die Institution des Priestertums eine Brücke zwischen der fundierenden Geschichte der Wüstenzeit und der Gegenwart der Beter und ist dem mit Mose verbundenen Prophetentum, wie es sich in dessen Intervention am Horeb gezeigt hat, nachgeordnet. gg) Moses Verwobenheit mit der Schuld Israels (V. 32 f) Dass Moses Bedeutung für die Geschichte Israels in Ps 106 im Unterschied zur Institution des Priestertums, das bis in die Gegenwart der Beter hinein Bestand hat, in ihrer Einzigartigkeit konstitutiv mit dem heilsgeschichtlichen Paradigma von Rettung und Abfall verbunden ist, wird als letztes Ereignis der fundierenden Zeit in der Wüste festgehalten. Dazu werden die verschiedenen Überlieferungen, nach denen Mose das verheißene Land nicht betreten darf (Num 20; Dtn 1,37; 3,26; 32,48–52), aufgenommen, miteinander kombiniert und modifiziert.251 Um die paradigmatische Funktion Moses von der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Funktion des Priestertums abzusetzen, werden Mose und Aaron, wie es die Überliefe-
250 Diese Formulierung findet sich nur an diesen beiden Stellen in der Hebräischen Bibel. Im Blick auf Ps 105 ist besonders interessant, dass zwar auf Gen 15 verwiesen wird, dies aber ohne expliziten Bezug zum Bundeschluss in Gen 15, während in Ps 105 der Bund als Bund mit den Vätern die zentrale heilstheologische Kategorie des Psalms ist. Stattdessen wird Abraham in seiner Jhwh-Treue herausgestellt. Dieses Vertrauen zu Jhwh zeichnet auch Pinchas aus und steht im Gegensatz zum Abfall zum Baal Peor. Gegen PRÖBSTL, Rezeption, 153 f handelt es sich damit nicht um den Bundesschluss. Darüber hinaus machen HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 131 f aber darauf aufmerksam, dass es eine sachliche Entsprechung zum Jhwh-Wort in Num 25,12b gibt; vgl. dazu auch SEEBASS, Berit, 229. 251 PRÖBSTL, Rezeption, 157 vermutet hier zu Recht, dass der Psalm vermutlich die mit Moses Verfehlung einhergehende Pentateuchgrenze in Dtn 34 vor Augen hatte.
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rungen in Num 20,12.23 f 252 und Dtn 32,50 f bezeugen, in diesem Zusammenhang nicht gemeinsam genannt. Stattdessen ist der Psalm wie bei der Episode am Horeb (Ps 106,19–23) ausschließlich auf die Bedeutung Moses fokussiert und erwähnt Aaron nicht. Dabei sind die im Hintergrund dieser letzten Episode stehenden Überlieferungen keineswegs einheitlich. Sie erklären zwar die Tatsache, dass Mose das verheißene Land nicht betreten darf, mit einer Mitschuld Moses an den Verfehlungen der Wüstengeneration. Es bestehen aber höchst unterschiedliche Auffassungen darüber, inwiefern sich Mose selbst aktiv an Jhwh verschuldet hat. In Ps 106,32 wird zunächst die Überlieferung aus Num 20,1–13 und Dtn 32,48–52 rezipiert und die Verwobenheit Moses mit der Schuld des Volkes im Zusammenhang mit dem Widerstand des Volkes am Wasser Meriba reflektiert. In Ps 106,32 ›erzürnt‹ (#FT Hif.) das Volk,253 woraufhin es Mose um ihretwillen übel ergeht. Denn im Gegensatz zur Überlieferung in Num 20,1–13 und Dtn 32,48–52, die von einer direkten Schuld Moses aufgrund seiner Untreue zu Jhwh berichtet, ist von einer aktiven Mitschuld Moses in Ps 106,32 keine Rede. Stattdessen leidet Mose an den Verfehlungen Israels. Damit wird Moses Untreue Jhwh gegenüber in Num 20,48–52 in Ps 106,32 als Mitleiden an der Schuld seines Volkes gedeutet, das durch die Verschuldung des Volkes ausgelöst wird.254 Dass Mose ohne eigenes aktives Verschulden in die Verfehlungen des Volkes mit hineingezogen wird, entspricht der Deutung in Dtn 1,37 und 3,26. In beiden Textabschnitten wird ebenfalls erklärt, warum Mose das verheißene Land nicht betreten darf, ohne einen Zusammenhang mit dem Wasser Meriba herzustellen.255 Daher wird Mose in Dtn 1,37 und 3,26 insofern entlastet, als Jhwh wegen des Volkes erzürnte und dieser Zorn auch Mose trifft; Mose verschuldet sich also selbst nicht. Auch Ps 106 zielt darauf, Mose nicht als Verursacher der Schuld darzustellen. Aber selbst im Hinblick auf Dtn 1,37 und 3,26 wird Moses Mitschuld in Ps 106,32 noch
252 Nach FREVEL, Blick, 332 f ist der Schuld-Strafe-Konnex von Num 20,12 erst im Rahmen der letzten Bearbeitungsschicht von Num 20,1–13 eingetragen worden. Auffallend dabei aber ist, dass dieser Konnex in allen drei Bezugnahmen im Pentateuch bestehen bleibt und sich die Schuld dabei auf Aaron und Mose bezieht. 253 Vgl. Ex 17,7; Num 20,13.24. Dabei ist auffallend, dass mit ›erzürnen‹ (#FT) in der deuteronomisch-deuteronomistischen Geschichtsreflexion in Dtn 9,7 f.22 die Verfehlungen des Volkes zusammengefasst werden. Ob sich der Zorn des Volkes gegen Mose oder gegen Jhwh richtet lässt der Psalm grammatisch offen. Da Mose der Erwählte Jhwhs ist, trifft ihn der Zorn des Volkes Jhwh gegenüber ebenso wie der gegen ihn selbst gerichtete Zorn. 254 Vgl. hierzu PRÖBSTL, Rezeption, 156 und ihm folgend HOSSFELD, Ps 106, 261. 255 Darüber hinaus wird in Dtn 32,48–52 und 1,37 die Schuld von Mose mit den Ereignissen in Kadesch in Verbindung gebracht.
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einmal abgeschwächt, da auf Moses Verhalten in Ps 106,32 f weder Jhwhs Zorn noch eine andere Reaktion Jhwhs folgt.256 Die aus der Überlieferung bekannte Konsequenz, dass Mose das verheißene Land nicht betreten darf, wird in Ps 106 nicht rezipiert, auch wenn sie vermutlich im Hintergrund steht und erklärt, warum Moses heilsgeschichtliche Bedeutung mit der Wüstenzeit endet.257 Stattdessen fährt der Psalm mit einem begründenden \N-Satz fort (Ps 106,33), in dem die Situation am Wasser Meriba erneut gedeutet wird, um die eigentliche Unschuld Moses herauszustellen. Dementsprechend beginnt Ps 106,33 wieder damit, die Verschuldung des Volkes als Ursache für die Reaktion Moses herauszustellen. Diesmal lehnt es sich gegen Moses Geist auf (Ps 106,33a),258 woraufhin Mose ›unbesonnen mit seinen Lippen redet‹ (Z\WSIE DME\Z). Diese seltene Terminologie findet sich noch in Lev 5,4 im Zusammenhang mit Sühnebestimmungen bei falschem Eid. Sie beschreibt den unbeabsichtigten falschen Schwur, der trotzdem schuldig macht. Auf die Situation am Wasser Meriba übertragen bedeutet das folglich, dass Moses unbesonnene Rede ihn unbeabsichtigt an der Schuld des Volkes mitschuldig werden lässt, indem »das Versagen der Väter dasjenige des Mose auslöst«.259 Dadurch wird die Mitschuld Moses, die dazu führt, dass er das verheißene Land nicht betreten darf, im Gegensatz zur Überlieferung aus Num 20,1– 13 und Dtn 32,48–52 auf das Minimum der unbesonnenen Rede reduziert. Die für die Heilsgeschichte besondere Rolle Moses als Erwähltem Jhwhs wird also selbst in der Situation festgeschrieben, in der Mose durch seine unbesonnene Rede unbeabsichtigt an der Schuld des Volkes mitschuldig wird.260
256
Anders PRÖBSTL, Rezeption, 156 und ihm folgend HOSSFELD, Ps 106, 261, die demgegenüber betonen, dass in Dtn 1,37 und 3,26 der Zorn Jhwhs Mose wegen der Schuld des Volkes trifft, ohne dass er selbst schuldig wird. 257 So auch HUPFELD, Psalmen II, 464; SEYBOLD, Psalmen, 422; DELITZSCH, Psalmen, 702. Sie gehen davon aus, dass die Strafe, dass Mose das verheißene Land nicht betreten darf, in der Formulierung in Ps 106,33 impliziert ist. 258 Mit HOSSFELD/ZENGER, Psalm 101–150, 132 entspricht die Vorstellung, dass die Israeliten Moses Geist verbittern, der ezechielischen Geistanthropologie, die ebenso von der Eigenständigkeit des Geistes ausgeht (Ez 37,6.8). Anders HUPFELD, Psalmen II, 464 und DELITZSCH, Psalmen, 702, die das Suffix auf Jhwh beziehen und somit vom Auflehnen des Volkes gegen Jhwh ausgehen. Aber auch dieses Auflehnen würde auf Mose als den Erwählten Jhwhs zurückfallen. 259 PRÖBSTL, Rezeption, 156. Ob aber der Ausdruck ›unbesonnen mit den Lippen reden‹ (a\\WSIEDME), wie PRÖBSTL, Rezeption, 156 vermutet, vor dem Hintergrund von Num 20,10b formuliert worden ist, muss offenbleiben. 260 Vgl. hierzu vor allem LAUHA, Geschichtsmotive, 76, der bereits herausgestellt hat, dass der Psalm die Vorlage aus dem Pentateuch zu Moses Gunsten gefärbt habe.
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So wird abschließend die heilsgeschichtliche Bedeutung Moses als Erwähltem Jhwhs fest in der paradigmatischen Geschichte der Wüstenzeit verankert, die der Psalm hier auch enden lässt.261 hh) Die Verschuldungen der Vorfahren in staatlicher Zeit bis zum Exil (V. 34–42) Im Unterschied zur Wüstenzeit werden die nachfolgenden Verschuldungen im Land bis zum Exil nicht mehr ausführlich an ausgewählten Ereignissen szenisch entfaltet, sondern zusammenfassend in einem Katalog von Verfehlungen dargestellt. Dabei behält der Psalm aber seine grundlegende Struktur bei, nach der auf die Verschuldungen des Volkes das Strafhandeln Jhwhs folgt.262 Auch werden die Ereignisse wie die Ereignisse der Wüstenzeit auf die Verfehlung selbst zugespitzt, die vor dem Hintergrund der verschiedenen Überlieferungen entfaltet werden. Ps 106,34–36 beginnt mit einer summarischen Zusammenfassung der Verfehlungen während der Einnahme des Landes und in vorstaatlicher Zeit. Sie umfasst ein vierfaches Verschulden des Volkes: Das erste Vergehen besteht darin, dass die Israeliten nicht die Völker vertilgt haben, die Jhwh ihnen genannt hat.263 Dies führt zweitens dazu, dass sie das Bündnisverbot nicht beachten (Ps 106,35), sondern sich mit den Völkern mischen und drittens deren Taten lernen.264 Über den Begriff der ›Taten‹ (a\I>P) wird ein Bogen zum Vergessen der Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer in V. 13 geschlagen, so dass, wie in den folgenden Versen ausgeführt wird, das Erlernen der Taten fremder Völker mit dem Vergessen Jhwhs einhergeht. Daraus folgt viertens der Götzendienst265 (V. 36), bei dem sich die
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Damit bleibt die Funktion der mosaischen Fürbitte auf die paradigmatische Zeit der Geschichte beschränkt und wird nicht, wie MATHIAS, Geschichtstheologie, 183.195 vermutet, auf die Beter übertragen, die in Ps 106,47 um die Rücknahme der Strafe bitten. Die Beter können deswegen um die erneute Zuwendung Jhwhs in Ps 106,47 bitten, weil sie in der Reflexion der Geschichte erkennen, dass Jhwhs Handeln letztlich von seiner Güte geprägt ist, siehe dazu B.3.e) (S. 234 ff); vgl. zur Auseinandersetzung mit Mathias auch PRÖBSTL, Rezeption, 157. 262 PRÖBSTL, Rezeption, 158.165–169 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 123 f benennen diese Struktur als Zweitakt der Sünde der Vorfahren und deren Strafe durch Jhwh. Auch wenn die grundlegende Struktur des Psalms aus der Verfehlung des Volkes und dem darauf folgenden Strafhandeln Jhwhs besteht, ist deren Bezeichnung als Zweitakt doch problematisch. Denn entscheidende Nuancen, wie die Interventionen von Mose und Pinchas (V. 19–23.28–31) oder die Verschuldung des Mose (V. 32 f) stellen sich komplexer dar und lassen sich daher nur ungenügend als Zweitakt beschreiben. 263 Vgl. z. B. Dtn 2,12.21–23. 264 Vgl. Ex 34,12; 23,23.31; Dtn 7,2.24; 18,9; 20,18; Esr 9,2. 265 Vgl. Ps 115,4; 135,15; 2Chr 24,18; Dtn 7,16; 31,20.
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fremden Götter als ›Fallstrick‹ (YTZP) erweisen.266 Im Hintergrund stehen hier vermutlich Ex 23,33; 34,12; Dtn 7,16; 23,13; Ri 2,3, wo ebenso im Zusammenhang mit der Einnahme des Landes Götzendienst und Bündnisse mit den Völkern den Israeliten zum Fallstrick werden. In V. 37–39 wird der Götzendienst, durch den die staatliche Zeit bis zum Exil geprägt ist, weiter ausgeführt. Der Abfall von Jhwh und damit einhergehend die Verehrung anderer Götter, wie sie sich das erste Mal am Horeb gezeigt und bei den Opfern für den Baal Peor in abgeschwächter Form wiederholt haben, werden zur Kardinalsünde in staatlicher Zeit.267 Dabei werden in V. 37–39 die extremsten Ausformungen des Götzendienstes zusammengetragen. Nach V. 37 besteht der Götzendienst darin, dass die Vorfahren ihre Söhne und Töchter den ›Dämonen‹ (a\GY) opfern. Wie im Moselied (Dtn 32,17) handelt es sich bei den ›Dämonen‹ (a\GY) um einen Ausdruck für die Götter der Fremdvölker, die in Dtn 32,17 als »Nichtgott« charakterisiert werden. Damit steht diese Zuschreibung in einer Linie mit den Totenopfern in Ps 106,28. Denn beide Bezeichnungen beschreiben eine Sphäre des Nichtgöttlichen, die Jhwh als dem allein wirkmächtigen Gott der Geschichte diametral entgegensteht. Über Dtn 32,17 hinausgehend werden die Opfer der Dämonen mit einem der verwerflichsten kultischen Vergehen, dem Kinderopfer, verbunden.268 Dem folgt in V. 38269 das
266 Der Begriff stammt aus der weisheitlichen Tradition. Von 27 Belegen finden sich zehn explizit in der Weisheitsliteratur: Hiob 34,31; 40,24 sowie Prov 12,13; 13,14; 14,27; 20,25; 22,25; 26,9; 29,6.25. Darüber hinaus findet er sich noch in 1Sam 18,21; 2Sam 22,6; Ex 10,7; Ps 18,6; 64,6; 69,3; 140,6; 141,9. 267 Ähnlich auch PRÖBSTL, Rezeption, 160, der allerdings eine weitere literarische Zuordnung vornimmt und die Verse 34–36 vor allen Dingen auf die deuteronomisch-deuteronomistische Kommentierung von Josua und Richter und V. 37–39 auf das 2. Königebuch bezieht. 268 Kinderopfer als häufiger Vorwurf im deuteronomisch-deuteronomistischen Geschichtswerk Dtn 18,10; 2Kön 16,3; 17,17 sowie bei Jeremia Jer 7,30 f; ob es sich in Ez 20,31 um das Blut von Kindern oder der Erstgeburt handelt, ist umstritten; vgl. T. KRÜGER , Geschichtskonzepte, 247. Das Verbot von Menschenopfern wird ausdrücklich in Dtn 12,31 und Lev 18,21 gefordert. 269 In V. 38aCD wird das Blut, das vergossen wird, genauer beschrieben. Es handelt sich um das Blut der Söhne und Töchter, das man den Götzen Kanaans opferte. Dieser Mittelteil wird oft als Ergänzung ausgeschieden, weil er dazu dient, das Vergehen der Blutschuld mit dem des Kinderopfers zu verbinden. Als weiteres Argument für das Ausscheiden des Versteils wird die in diesem Abschnitt singuläre Lokalisierung der Götzen ›Götzen Kanaans‹ genannt, vgl. z. B. HOSSFELD, Ps 106, 263 Anm. 21. Anders im Kommentar, dort favorisieren Hossfeld/Zenger die Aufteilung der vier Kola in V. 38 auf zwei Bikola. Zudem passe »die Lokalisierung ›Kanaan‹ zu dem priesterlich imprägnierten Ps 106 (Kanaan entspricht dem Westjordanland)« (H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 133). Vgl. weiter M ATHIAS, Geschichtstheologie, 196.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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Vergießen unschuldigen Blutes (V. 38aC),270 durch das das Land entweiht wird.271 Diese durch die Blutschuld verursachte Entweihung des Landes knüpft wiederum an die Vergehen der Wüstenzeit an, indem sie die Verschmähung des Landes in Ps 106,24–27 so fortführt, dass das zur Zeit der Wüstengeneration verschmähte Land (V. 24–27) zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte als von Jhwh verheißenes Land rezipiert wird. Dies geht einher mit der Verfasstheit des Gottesvolkes, das sich selbst vor der Rettungstat am Schilfmeer durch das Nichtgedenken der Wundertaten Jhwhs auszeichnet (Ps 106,7). So stellt der Zustand der Gottvergessenheit und damit auch des Abfalls einen konstitutiven Bestandteil des heilsgeschichtlichen Paradigmas dar. Dementsprechend verwirken die Israeliten die Gabe des Landes, so dass aus dem verheißenen Land ein entweihtes Land wird. Der Abfall von Jhwh umfasst somit das Gottesvolk und das verheißene Land. Das Vergießen unschuldigen Blutes, die Blutschuld im Zusammenhang mit Mord und Asylrecht sowie die Kinderopfer gelten als die schlimmsten Verschuldungen. Diese Gräueltaten können durch nichts mehr überboten werden. Sie beschreiben aus kultischer Sicht eine vollkommene Verunreinigung und damit die größtmögliche Entfernung von Jhwh (V. 39), durch die sich die Israeliten einen Zugang zu Jhwhs Heilssphäre verschließen.272 In V. 39b wird dieser vollkommene Abfall von Jhwh mit der Metapher der Hurerei beschrieben, womit vermutlich die vor allem aus Hosea, Jeremia und Ezechiel bekannten Vorstellungszusammenhänge aufgegriffen werden,273 um den Götzendienst der Israeliten und die damit verbundene Jhwh-Vergessenheit zuzuspitzen.
270
Das Vergießen von unschuldigem Blut gehört zu den Verfehlungen Manasses in 2Kön 21,16; 24,4; in Jer 7,6 steht es im Zusammenhang mit Götzendienst, weitere Belege: Jer 19,4; 22,3; 26,15; Joel 4,19; Jona 1,14; Ps 94,21; Prov 6,17. 271 Im Hintergrund der Blutschuld steht hier das Asylrecht im Kontext von Mord/ Totschlag (Num 35,33). In Jer 3,1.2.9 wird das Land durch die Hurerei des Volkes entweiht, vgl. Jes 24,5; 26,21. In Lev 18,34–30 steht die Entweihung des Landes im Zusammenhang mit dem Brechen von Sexualtabus (Lev 18,6–23) und führt zum Entzug des Wohnrechts. 272 In Ez 20 zeigt sich die Verschuldung des Volkes darin, dass sie sich durch Götzen und Missachtung der Satzungen unrein machen (Ez 20,7.18.26.30). Dies steht der Heiligkeit des Namens Jhwhs entgegen. Weitere Belege finden sich in Hos 5,3; 6,10 oder auch in Dtn 31,16. 273 Vgl. z. B. Jer 2,20; 3,1.6.8; Hos 1,2; 2,7; 3,3; 4,10.11–15; Ez 16,15–43; 20,30; Num 25,1; Dtn 31,16. Vgl. hierzu B AUMANN, Liebe und Gewalt, 91–141. Zur Metaphorik der Hurerei bei Hosea vgl. JEREMIAS, Hosea, 27 f.52–58.68–71.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Die nun nicht mehr zu steigernde Gottvergessenheit führt in V. 40 zum Ausbruch des ›göttlichen Zorns‹ (#DKU[).274 Damit unterscheidet sich das Strafhandeln Jhwhs in V. 40 qualitativ von seinen strafenden Reaktionen auf die zuvor geschilderten Verfehlungen.275 Denn weder die Gier in Ps 106,13–15, das Eifern gegen Mose und Aaron in Ps 106,16–18, das Verschmähen des Landes in Ps 106,24–27, noch der Abfall zum Baal Peor in Ps 106,28–31 riefen den göttlichen Zorn hervor, sondern nur eine Strafhandlung, die das Vergehen ahndet, um den Fortgang der Geschichte zu ermöglichen.276 Die einzige Ausnahme ist die Huldigung des gegossenen Kalbs am Horeb, die ebenfalls den göttlichen Zorn hervorgerufen hat (KP[, Ps 106,23). Konnte dieser durch Moses Intervention als Erwähltem Jhwhs in der für die Geschichte Israels paradigmatischen Zeit in der Wüste noch einmal aufgehalten werden, gibt es in der staatlichen Zeit keinen mit Mose vergleichbaren Erwählten Jhwhs mehr, der sich dem göttlichen Zorn entgegenstellen und ihn aufhalten könnte. So trifft er sein Volk aufgrund dessen völliger Verunreinigung und Gottvergessenheit. Der göttliche Zorn wird in Ps 106,40b mit der nur hier belegten Formulierung Jhwh ›verabscheute‹ (E>W) seinen Erbbesitz verstärkend zum Ausdruck gebracht.277 Dabei beinhaltet das Verb, das nur noch in Ps 5,7 Jhwh zum Subjekt hat, eine emotionale Abgrenzung bzw. Ausgrenzung des zu Verabscheuenden und zielt auf das, was der eigenen Wesensbestimmung in kultischer oder sozialer Hinsicht entgegensteht. Wenn Jhwh also sein Volk verabscheut, bedeutet das, dass er nun seinerseits auf die Gottvergessenheit seines Volkes antwortet und die am Schilfmeer gegründete besondere Gottesbeziehung aussetzt. Dies wird in den folgenden Versen ausgeführt. In 274 Die Kombination von ›entbrennen + Zorn‹ (#D + KU[) findet sich noch 117 Mal im Alten Testament, unter anderem auch in Texten, die Ps 106 aufnimmt: Ex 32,10.11.19.22; Num 11,10.33; 25,3; Dtn 7,4; 31,17; Hos 8,5. 275 Vgl. hierzu J EREMIAS, Zorn, 77. Auch nach W. GROSS, Zorn, 64 f stellt der Zorn Jhwhs ein festes Element seiner Geschichtserklärung dar. »Das Volk versündigt sich und verschuldet damit innergeschichtliche Strafe; es reizt YHWH zum Zorn. YHWH verhängt entsprechend seiner vielfältigen Drohungen die Strafe; er vollzieht sie im Modus des Zorns« (W. GROSS, Zorn, 64). Dabei ist über Groß hinaus für Ps 106 zu betonen, dass dieser Zorn vor dem Hintergrund der umfassenden göttlichen Güte ausbricht. 276 Dies ist auch von daher besonders auffällig, da einige in Ps 106 aufgenommene Vorlagen aus dem Pentateuch (z. B. Num 11,1.10.33; 25,1) bereits vom Zorn Gottes als Strafe für das Vergehen sprechen. 277 Die 22 Konkordanzbelege zu ›verabscheuen‹ (E>W) zeigen, dass Jhwh nur noch in Ps 5,7 Subjekt des Verbs ist, es sonst aber nur von Menschen ausgesagt wird. Dem Begriff liegt eine semantische Offenheit zugrunde, da der Gegenstand der Abscheu stark von seinem Kontext abhängig ist, vgl. z. B. die Abscheu gegenüber den Götzen in Dtn 7,26, gegenüber dem Recht in Am 5,1. Aber auch Hiob benutzt das Verb in seiner Klage, weil es sich von seinen Freunden verabscheut sieht (Hiob 19,19); vgl. weiter GERSTENBERGER , Art. E>W, 1051–1055.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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V. 41a gibt Jhwh sein Volk in die Hand von ›Völkern‹ (a\ZJ, Ps 106,27.41a), so dass die Strafankündigung im Zusammenhang mit der Verschmähung des Landes eingetroffen ist. Ihre ›Hasser‹ (DQZI, Ps 106,10.41b) werden über sie herrschen, ihre ›Feinde‹ (E\ZD, Ps 106,10.42a) sie bedrängen,278 und sie werden unter ihre ›Hand‹ (G\, Ps 106,10 f.42b) gebeugt.279 Am Schilfmeer hingegen ›errettet‹ (>Y\ Hif.) bzw. ›löst‹ (ODJ) Jhwh sein Volk gerade aus der Hand seiner Hasser, Feinde und Bedränger (V. 10f). Zielte die Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer also darauf, Israel aus der Hand seiner Bedränger zu erretten, führt der Zorn Jhwhs dazu, dass sich Israel wieder unter seinen Bedrängern und damit in der Situation des Exils befindet, die – im Sinn des heilsgeschichtlichen Paradigmas von Ps 106 formuliert – der Situation vor der Rettungstat Jhwhs gleicht. In diesem Sinn setzt Jhwh das am Schilfmeer gegründete heilsgeschichtliche Paradigma durch die Zerstreuung seines Volkes unter die Völker aus. d) Jhwhs Handeln in der Geschichte – eine abschließende Reflexion (V. 43.44–46) Der narrativ entfaltete Durchgang durch die Geschichte in Ps 106,43.44–46 wird mit einer zusammenfassenden Reflexion abgeschlossen, durch die den Betern eine Perspektive über ihre Schuldverstrickungen hinaus eröffnet wird. In V. 43a wird die die Geschichtsdarstellung dominierende Kette von Narrativen zunächst nicht fortgesetzt. Mit zwei iterativ verwendeten Verben in der Präformativkonjugation werden hier zusammenfassend das sich viele Male wiederholende rettende Eingreifen Jhwhs (›retten‹ [OFQ]) und die mit einem Waw adversativum davon abgehobene ablehnende Reaktion des Volkes (›sich auflehnen‹ [KUP]) festgehalten.280 Die Zuwendung Jhwhs und Auflehnung des Volkes sind also kein einmaliges Ereignis, sondern eine die Geschichte prägende Dynamik, wie sie in der Reflexion der Geschichte in V. 7–42 als Schuldgeschichte des Volkes entfaltet worden ist. Dies wird dadurch unterstrichen, dass Jhwhs rettendes Eingreifen (›retten‹ [OFQ]) von dem paradigmatischen Heilshandeln am Schilfmeer (›retten‹ [>Y\ Hif., V. 8.10.21]) unterschieden wird. Im Vergleich zum Reflexions278 Die Belege von ›bedrängen‹ ([O) im Qal stehen mit zwei Ausnahmen (2Kön 6,32 und Num 25,25) im Kontext von Feindbedrängung. Parallelen im Psalter sind vor allem Ps 42,10 und 43,2 (Bedrängnis von Feinden) oder auch Ps 44,25 und 56,2, die allgemein von Bedrängnis reden. 279 Vgl. die Parallelen in Ri 3,30, 1 Sam 7,13, Neh 9,14 und Ps 81,15, die ebenfalls die Demütigung unter Feinden beschreiben. 280 Das Auflehnen der Israeliten, indem sie ihrem und nicht dem Ratschluss ( KF>) Jhwhs folgen, entspricht der Reaktion in V. 13, nach der die Israeliten den Ratschluss Jhwhs nicht abwarten. Durch diese Verbindung zu V. 13 wird betont, dass der Ratschluss Israels zu dem göttlichen Ratschluss im Kontrast steht; vgl. weiter Ps 107,11.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
gang durch die Geschichte in V. 7–42 fällt auf, dass in V. 43 weder vom Zorn noch vom Strafhandeln Jhwhs die Rede ist. Stattdessen interpretiert V. 43 das im narrativen Durchgang entfaltete Strafhandeln Jhwhs als Rettungshandeln, durch das Jhwh den Fortgang der Geschichte ermöglicht. Die Auflehnung gegen Jhwhs Rettungshandeln wird in V. 43b im Narrativ ausgeführt und führt dazu, dass das Gottesvolk in seinen Verfehlungen (Z>, vgl. V. 6) versinkt.281 Damit wird der Kreis zum Schuldbekenntnis in V. 6 geschlossen. Die Schuld der Beter mit ihren Vorfahren besteht darin, dass sie trotz des immer wieder rettenden Eingreifens Jhwhs dieses nicht als solches begreifen und sich, statt Gott zu loben, immer weiter in ihren Verschuldungen verstricken, die zur Zerstreuung unter die Völker führen. Diese Schuldverstrickung kann letztlich nur durch Jhwhs Handeln selbst durchbrochen werden. In diesem Sinn knüpft V. 44 mit einem Narrativ an V. 43 an.282 Auf die Schuldverstrickung folgt eine Reaktion Jhwhs, die die Motivation seines Handelns in der Geschichte in aller Grundsätzlichkeit deutlich werden lässt und aufzeigt, dass nicht der Zorn letztlich den Ausschlag für sein Handeln gibt, sondern sein Mitleid. Jhwh sieht auf die Bedrängnis seines Volkes, wenn er ihre ›Klage‹ (KQU) hört.283 Damit setzt aber Jhwhs Sehen der Bedrängnis die Klage seines Volkes, mit der es sich in seiner Not an ihn wendet, voraus. Im Kontext von Ps 106 ist ein solches Klagen mit dem Schuldbekenntnis verbunden, in dem sich die Beter mit der Schuld ihrer Vorfahren identifizieren und ihre Geschichte als Geschichte von Verschuldungen klagend vor Jhwh bekennen.
281 Mit PRÖBSTL, Rezeption, 162–164 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 134 ist zu betonen, dass in V. 34–43 nicht das deuteronomistische Richterschema von Abfall Israels – Not – Klage – Rettung Jhwhs – Ruhe zugrunde liegt (vgl. z. B. Ri 2,18; Neh 9,27 f). Es werden zwar die ersten beiden Elemente, der Abfall Israels und das Strafhandeln Jhwhs, entfaltet, allerdings ist weder von der Rettung Jhwhs im deuteronomistischen Sinn noch von der anschließend eintretenden Ruhe in Ps 106 im Ganzen die Rede. In Ps 106,43 geht es vielmehr darum aufzuzeigen, dass sich das als Strafhandeln dargestellte Verhalten Jhwhs insofern als Rettungshandeln erweist, als es nicht seinen tödlichen Zorn hervorruft, sondern einen Fortgang der Geschichte ermöglicht. Anders MATHIAS, Geschichtstheologie, 199 f, der in Ps 106 das Modell Not – Hilfe sieht, das mit der aus der Volksklage bekannten typischen Intervention zwischen Volk und Jhwh (Israels Not – Klage – Gott sah und hörte – Rettung) verbunden wird. Vgl. weiter Anm. 292. 282 LEUENBERGER, Konzeptionen, 199 hebt dagegen den Neuansatz in V. 44 hervor und sieht in V. 44–46 einen Nachtrag zur ›Reue Jhwhs‹. Vgl. auch K ÜHLEWEIN, Geschichte, 123 f. 283 Von Haus aus handelt es sich bei ›KQU‹ vermutlich um einen kultischen Ruf, der je nach Kontext sowohl ein Jubelruf (z. B. Ps 30,6; 42,5; 105,3; Jes 35,10; 49,13) oder Klageruf (1Kön 8,28; Ps 17,1; 61,1; 88,3; Jer 7,16) sein kann. Vgl. zur Parallele in 1Kön 8,28 PRÖBSTL, Rezeption, 144 f; vgl. weiter Ex 3,7–9; Ps 17,1; 61,2.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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Das Erhören ihres Klagens impliziert bereits eine erneute Zuwendung, die in der Fortsetzung der Narrative in V. 45 begründet wird. Zunächst bedeutet das Erhören, dass Jhwh seines Bundes gedenkt.284 Mit der Kategorie des Bundes wird eine für Ps 106 neue Kategorie eingeführt, durch die der Psalm mit seinem Nachbarpsalm 105 verbunden wird.285 Aber auch im Zusammenhang von Ps 106 wird die Bundeskonzeption entfaltet. Das geschieht in zweifacher Weise: 1. Durch das Stichwort ›gedenken‹ (UN]) wird die dem Psalm zugrunde liegende Leitwortstruktur wieder aufgenommen. Jhwhs Bundesgedenken steht somit dem Nichtgedenken der Israeliten am Schilfmeer (V. 7) und dem Vergessen der dort geschehenen paradigmatischen Heilstat (V. 13.21) entgegen. 2. Am Schilfmeer ist das Nichtgedenken des Gottesvolkes auf die Fülle seiner ›Güte‹ (GV[) bezogen, und genau diese prägt nach V. 45b den Bund Jhwhs mit seinem Volk. Insofern erweist sich der Bund wie in Ps 105 als Heilsgabe und steht ebenfalls dem priesterschriftlichen Heilsbund nahe.286 Es ist letztlich seine Güte, die nach V. 45b dazu führt, dass Jhwh es sich leid sein lässt und sein Volk Erbarmen vor all jenen finden lässt (V. 46), die es gefangen halten.287 284 Zum Gedenken in diesem theologisch qualifizierten Sinn vgl. J ANOWSKI, Schöpferische Erinnerung, 173–181. 285 Vgl. hierzu die psalterkompositorischen Verbindungen zwischen Ps 105 und Ps 106 unter C.1. (S. 244 ff). 286 Zur Bundeskonzeption in Ps 105 vgl. A.3.b) (S. 149 ff) und A.3.d) (S. 179 ff). Nach PRÖBSTL, Rezeption, 145 weist die Bundeskonzeption in V. 45 eine deutliche Nähe zu Lev 26,27–45 auf. Denn wie in Ps 106,45 gedenkt Jhwh im Exil seines Bundes. Diese Bundestreue gilt auch im Land der Feinde. Das heißt, sie gilt trotz der Verfehlungen in der Exilssituation und begrenzt ganz ähnlich wie in Ps 106 Jhwhs Strafhandeln. Dennoch weisen beide Texte auch spezifische Differenzen auf. In Lev 26,41 ist vom Abbezahlen der Schuld die Rede, d. h. von der Umkehr des Volkes. Diese Perspektive nimmt Ps 106 nicht ein. Hinzu tritt die spezifische Vorstellung von der Regenerierung des Landes. Das Land muss von den Israeliten verlassen bleiben, damit es seine Sabbate nachholen kann. HOSSFELD, Ps 106, 263 betont darüber hinaus, dass die Ausgestaltung des Bundesgedenkens durch die Gnadenfülle und das göttliche Erbarmen der Konzeption des Davidbundes in Ps 89,29 sowie in etwa auch der von Dtn 7,9.12 entspreche. Darüber hinaus weist Ps 106,45 f, wiederum aufgrund der Verbindung von Güte und Schuldverstrickung des Volkes, auf die Volksklage in Jes 63,7–64,11. Das Gedenken Jhwhs gemäß seiner Güte und seinem Erbarmen ist psalmenspezifisch und findet sich noch in Ps 25,6; 40,12; 54,3; die Verbindung von Güte und Erbarmen ist darüber hinaus noch in Ps 77,10; 103,4 und in Jes 63,7; Hos 2,21; Sach 7,19 belegt. 287 Zitiert wird wie schon in V. 44 aus dem Tempelweihgebet Salomos. In 1Kön 8,50 wird die Bitte um Vergebung aufgenommen. Allerdings steht diese im Gebet Salomos nicht nur im Zusammenhang mit einem Sündenbekenntnis, sondern ist auch mit der Umkehr des Volkes verbunden, während in Ps 106,46 das Erbarmen Jhwhs eine Konse-
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Mit dieser Formulierung in Ps 106,45b wird die in V. 42 beschriebene Exilssituation wieder aufgenommen und eine Wende eingeleitet. Dabei wird auf die in Joel 2,13 und Jona 4,2 erweiterte Gnadenformel Bezug genommen und,288 wie schon mit Jer 2,11 in V. 20 und mit Ez 13,5; 22,30 in V. 23, auf die prophetische Tradition zurückgegriffen, um die eigene Darstellung der Geschichte zu deuten. Joel 2,13 denn gnädig und barmherzig ist er, lang zum Zorn und reich an Güte, und lässt sich das Unheil leid sein .
Ps 106,45 f
D:KÂ la:[UZ! :1µ[ \.L
V. 45b
GV[ÂEUZ! la\,3mDUD³
V. 46
GV[EZUN+ a[Q a\P[U
CK> UK O> a[ ¶Q,Z !
Durch die Aufnahme der Begriffe in Ps 106,45b–46 ›sich Leid sein lassen‹ (a[Q), ›Gnade/Güte-Fülle‹ (GV[EU) sowie ›erbarmen‹ (a[U) werden zentrale Kategorien aus Joel 2,13 und Jona 4,2 rezipiert.289 Die Begrifflichkeit wird aber im Unterschied zur Formel in Joel 2,13 und Jona 4,2 nicht in Nominalsätzen, sondern der narrativen Struktur der Geschichtskonzeption entsprechend in Verbalsätzen zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus ist entscheidend, dass in Ps 106,45b nur die eine Seite der Gnadenformel, bei der es um die Güte Jhwhs geht, aufgenommen wird. Der ›Langmut im Zorn‹ (a\SDUD) sowie das ›Übel‹ (K>U) als Gegenstand des ›Leidseins‹ (a[Q)290 werden im Unterschied zu Joel 2,13 und Jona 4,2 nicht rezipiert. Diese Aspekte sind bereits im Reflexionsgang durch die Geschichte narrativ entfaltet worden. Anhand der Kette von Verschuldungen in Ps 106,13–42 hat sich Jhwhs Langmut zum Zorn in aller Deutlichkeit erwiesen, da sein Zorn erst am Ende des Reflexionsgangs nach der völligen kultischen Verunreinigung im Land und der damit einhergehenden Gottvergessenheit entflammt ist (Ps 106,40–42).291 Diese Kette von Verschuldungen bildet für Ps 106,45f den Gegenstand des Leidseins Jhwhs, der in Joel 2,13 und Jona 4,2 unter dem Begriff des Übels zusammengefasst ist. Zugleich ist die durch die quenz seiner Güte ist. Vgl. weiter PRÖBSTL, Rezeption, 144 f; DAHOOD, Psalms III, 76; LEUENBERGER, Konzeptionen, 202. 288 Die Formulierungen der Gnadenformel in Joel 2,13 und Jona 4,2 stimmen nahezu wörtlich überein, vgl. zur Diskussion der Verwendung der Formel bei Joel und Jona den Exkurs bei A. K. MÜLLER, Gottes Zukunft, 128–134. 289 Zur Gnadenformel vgl. die Übersicht bei S CORALICK, Gottes Güte, 218, vgl. zur Erweiterung der Formel JEREMIAS, Reue, 87 f.94–97 290 Vgl. zu Joel 2,13 A. K. M ÜLLER, Gottes Zukunft, 122–125 und FRANZ, Gott, 257 f. 291 Hier finden sich Ähnlichkeiten mit Ex 34,6 f. Auch Ex 34,7 geht davon aus, dass Jhwhs Zorn ausbricht und er das Gericht vollstreckt. Dabei ist aber der Teil der Israeliten, der das Gericht überleben wird, aufgrund der Güte Jhwhs größer als der Teil, den das Gericht trifft; vgl. A. K. MÜLLER, Gottes Zukunft, 121.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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Gnadenformel rezipierte Verhältnisbestimmung von Zorn und Güte Jhwhs bereits im geschichtstheologischen Paradigma von Schilfmeer und Horeb verdichtet. Denn obwohl die Israeliten am Horeb ihr heilsgeschichtliches Fundament, die Rettung am Schilfmeer, vergessen haben, hat Jhwh der Vollstreckung seines Zorns durch die Erwählung Moses vorgebeugt. Indem Mose als sein Erwählter für sein Volk in die Bresche getreten ist, hat er den göttlichen Zorn von ihm abwenden können. Dieser Zusammenhang von göttlichem Zorn und Erbarmen bzw. Reue, wie er sich in Moses Intervention bereits am Horeb gezeigt hat, stellt die geschichtstheologische Interpretation der in Ps 106,45 f rezipierten Gnadenformel dar. Der Erkenntnisweg der Beter führt also über das geschichtstheologische Paradigma von Schilfmeer und Horeb, um durch Moses Intervention die den Zorn begrenzende Güte Jhwhs erkennen zu können, die letztlich aufgrund der Erwählung eine Umkehr in Jhwh selbst bereits vorausgesetzt hat.292 Deswegen liegt der Fokus in V. 45 nun ganz auf der Güte Jhwhs als entscheidender Deutekategorie für das göttliche Handeln in der Geschichte. Insofern wird die der Gnadenformel zugrunde liegende Verhältnisbestimmung von göttlichem Zorn und göttlicher Güte in Ps 106 auf drei Reflexionsebenen entfaltet. 1. Die Langmut Jhwhs im Zorn wird im Geschichtsrückblick narrativ ausgeführt. 2. Der Zusammenhang von Schuld des Volkes und Reue bzw. Erbarmen Jhwhs wird durch sein Handeln am Schilfmeer und am Horeb paradigmatisch verdichtet. 3. Die seinen Zorn umfassende Güte wird am Ende des Geschichtsrückblicks zusammenfassend in V. 45 f reflektiert, so dass die Beter im Rückblick auf die Geschichtsdarstellung von V. 45 f her die Güte Jhwhs als entscheidende Motivation des göttlichen Handelns in der Geschichte erkennen können. 292
Vgl. JEREMIAS, Reue, 117. Dass keine Korrelation des Handelns Jhwhs mit dem Handeln des Volkes im Sinne eines Tat-Ergehen-Zusammenhangs vorliegt, rückt Ps 106 in die Nähe des Geschichtsentwurfs in Ez 20; vgl. hierzu K RÜGER, Geschichtskonzepte, 254–260. Diesen Zusammenhang betont auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 203–205. Allerdings sieht Mathias in Ps 106 zwei Modelle des geschichtlichen Handelns Jhwhs. Das übergeordnete Modell beschreibt er als ›Schuld – Huld‹, das auf das Modell ›Not – Hilfe‹ und ›Sklaverei – Sklavenbefreiung‹ zurückgreift, um die Huld Jhwhs in der Geschichte zum Ausdruck zu bringen. Demgegenüber ist festzuhalten, dass Jhwhs Handeln in der Geschichte in Ps 106 zwar in seiner Huld bzw. Güte gründet, die Dimension der ›generationenübergreifenden Schuld‹ in Ps 106 sowie das Eingreifen Jhwhs sich aber gerade nicht anhand des Modells ›Not – Hilfe‹ und ›Sklaverei – Sklavenbefreiung‹ abbilden lassen. Vielmehr beschreibt sie, wie das Gottesvolk aufgrund seiner Verfehlungen immer mehr in seinen Verschuldungen versinkt, die zunächst zum Ausbruch des göttlichen Zorns, letztlich aber zu einem erneuten Gedenken Jhwhs führen. Vgl. auch Anm. 281.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Über ihre Schuldverstrickung hinaus dürfen die Beter deswegen auf die Reue und das erneute Erbarmen Jhwhs hoffen. Diese wird in der abschließenden Bitte, wiederum unter Aufnahme des geschichtstheologischen Paradigmas am Schilfmeer, formuliert. e) Die abschließende Bitte um erneute Rettung wie am Schilfmeer (V. 47) Die abschließende Bitte um Rettung knüpft an die erneute Zuwendung Jhwhs an. Sie wird aus Sicht der Beter konkretisiert, indem sich das Erbarmen Jhwhs in V. 46 auf die Situation der Zerstreuung richtet (Ps 106,40–42). Die Beter begreifen ihre Situation in der Kontinuität ihrer Vorfahren ebenfalls geschichtstheologisch und beschreiben sie als Aussetzen der paradigmatischen Heilstat am Schilfmeer. Insofern ist die Exilssituation auch der theologische Standort der Beter, nicht ihr historischer im Sinne einer Datierung des Psalms, von dem aus sie ihre Situation vor dem Hintergrund der zuvor reflektierten paradigmatischen Geschichte neu bestimmen.293 Das zeigt sich daran, dass das für die Rettungstat am Schilfmeer spezifische Verb ›retten‹ (>Y\Hif., V. 4.8.10.21 ) aufgenommen und auf die Situation der Beter übertragen wird. Daher bitten die Beter Jhwh, die am Schilfmeer gegründete Gottesbeziehung wieder in Kraft zu setzen und sie infolgedessen aus den Völkern zu sammeln. Denn bedeutete die Rettung am Schilfmeer Rettung aus der Hand der Feinde (V. 7–12) und wurde diese durch den Zorn Jhwhs ausgesetzt (V. 41), zielt die Bitte nun auf die Wiederherstellung dieser heilvollen Ursprungssituation. Über die Form sowie über das Verb ›retten‹ (>Y\ Hif.) wird aber noch ein größerer Bogen über die Geschichtsreflexion hinaus zur Bitte in V. 4 f geschlagen, so dass die beiden Bitten die Geschichtsreflexion rahmen. Dabei wird von V. 47 her die Bitte um Rettung in V. 4 f nun auch rückwirkend von dem paradigmatischen Heilshandeln Jhwhs am Schilfmeer her verstanden und insofern geschichtstheologisch modifiziert. Den Imperativen folgen zwei final ausgerichtete Infinitive, die aufgrund der Stichwortbezüge wie die Imperative zum einen die Situation am Schilfmeer aufnehmen und zum anderen über die Geschichtsreflexion hinaus einen Bogen zum Beginn des Psalms schlagen. Die erneute Rettung durch Jhwh zielt letztlich darauf, dass die Beter Jhwh wieder preisen, wie sie das nach der Tat am Schilfmeer getan haben und wozu der Psalm in V. 1 aufruft (›preisen‹ [KG\], V. 1.47). Gegenstand des Gotteslobs sind der Name Jhwhs und sein Ruhm. Dabei greift der Name Jhwhs die Motivation seines Rettungshandelns am Schilfmeer in V. 8 auf, da er dort nicht um des Volkes willen, sondern um seines Namens willen rettend eingegriffen hat. 293 So auch K. SCHMID, Erzväter, 313, der in Ps 106 eine plausible Urgeschichte für die Diasporasituation sieht.
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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Durch diesen Bogen wird der Name Jhwhs noch einmal abschließend herausgestellt und von dem paradigmatischen Heilshandeln am Schilfmeer und Horeb her gedeutet. In diesem Sinn ist der geschichtstheologische Zusammenhang von Rettung und Abfall, der vor dem Hintergrund der Gnadenformel in Ps 106,45f verdichtet wird, von der abschließenden Bitte in Ps 106,47 her als Exegese des Jhwh-Namens zu verstehen.294 Im Nachsinnen der eigenen Geschichte als Geschichte von Verschuldungen begreifen die Beter also ihre Situation als Aussetzen des Heilsparadigmas am Schilfmeer durch den Zorn Gottes. Zugleich aber erkennen sie in der Reflexion der Intervention Moses als Erwähltem Jhwhs, dass Jhwh durch seine Erwählung der Vollstreckung seines Zorns bereits vorgebeugt hat. So ist der göttliche Zorn letztlich durch seine umfassendere Güte begrenzt, wie dies vor dem Hintergrund der Gnadenformel in V. 45b– 46 abschließend reflektiert wird. Nur aufgrund seiner Güte, die seinen Zorn immer wieder begrenzt und zur Umkehr in Jhwh selbst führt, können sich die Beter letztlich wieder mit der Bitte um erneute Zuwendung wie am Schilfmeer an Jhwh wenden und hoffen, dass Jhwh wieder um seines Namens bzw. um der Fülle seiner Güte willen eingreifen, das Heilsparadigma am Schilfmeer einsetzen und sie aus der Zerstreuung sammeln wird. Erst dann können sie mit dem Lob Jhwhs und seiner auf fernste Zeit bestehenden Güte antworten, wozu V. 1 aufruft. Dieser Erkenntnisweg, den die Beter vom Lobaufruf über das Schuldbekenntnis zurück zum Lobpreis gehen, bildet sich auch in der Struktur von Ps 106 ab. Denn der Psalm beginnt mit einem Aufruf, die bis in fernste Zeit hin gültige Güte Jhwhs zu preisen, und schließt mit der durch die Zuwendung Jhwhs neu eröffneten Möglichkeit des Gotteslobs. Insofern umfasst die Güte Jhwhs auch formal die Schuldgeschichte und hält doch zugleich den Erkenntnisweg der Beter vom Schuldbekenntnis zum erneuten Gotteslob fest. f) Schlussdoxologie (V. 48) Der Psalm schließt mit einer Doxologie, die aus einem Aufruf, Jhwh als Gott Israels von fernster Zeit bis zu fernster Zeit bzw. jenseits aller zeitlicher Begrenzungen zu preisen, sowie einer antwortenden Bekräftigung durch das Volk mit ›Amen‹ (PD) besteht. Dabei wird mit der Bekräftigung 294 Darüber hinaus weist diese Namenstheologie eine gewisse Nähe zur Prophetie Ezechiels auf, insbesondere zum Geschichtsentwurf in Ez 20. So geschieht in Ez 20,9.14.22 wie in Ps 106,8 Jhwhs rettendes Einschreiten nicht wegen des Volkes, sondern um der Heiligkeit seines Namens willen, der vor der Völkerwelt nicht entweiht werden soll. Daher lässt sich das geschichtstheologische Handeln Jhwhs auch in Ez 20 als Exegese des Namens verstehen. Vgl. zur Namenstheologie in Ez 20 weiter T. KRÜGER, Geschichtskonzepte, 257 f.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
›Amen‹ (PD) auf den Zusammenhang der Rettung am Schilfmeer und des Abfalls am Horeb verwiesen. Reagierten die Israeliten nach der Rettung am Schilfmeer in V. 12 mit ›Glauben‹ (PD Hif.) und Lobpreis, verschmähten sie nach der Verschonung am Horeb das verheißene Land und ›glaubten‹ (PD Hif.) gerade nicht dem Wort Jhwhs. Wenn nun die Beter am Ende des Psalms dazu aufgefordert werden, ihren Erkenntnisweg mit ›Amen‹ abschließend zu bekräftigen, bestätigen sie dadurch indirekt die in Aufnahme und Interpretation der Gnadenformel beschriebene Zuordnung von Güte und Zorn, wie sie in Schuldbekenntnis und in der Reflexion der Geschichte entfaltet worden ist. Von daher erschließt sich die Schlussdoxologie zunächst einmal im literarischen Zusammenhang des Psalms als Abschluss des Erkenntnisweges der Beter. Darüber hinaus steht sie aber im literarischen Zusammenhang der vier weiteren Schlussdoxologien in Ps 41,14, 72,18 f und 89,53, durch die der Psalter seine Einteilung in fünf Bücher erfährt, sowie im literarischen Zusammenhang von 1Chr 16,34– 36.295 Zuerst soll das Verhältnis zu 1Chr 16 in den Blick genommen werden, bevor der Versuch einer psalterkompositorischen Einordnung unternommen wird. Dabei werden in der jüngeren Forschung vor allem zwei Möglichkeiten diskutiert: Die erste Position geht davon aus, dass 1Chr 16,34– 36 bereits auf Ps 106,1.47 f zurückgreifen konnte und die Verse wie auch Ps 105,1–15 und 96,1–13 übernommen hat.296 Die zweite Position nimmt an, dass 1Chr 16,34 f nur Ps 106,1.47 aufgenommen hat und das Gebet in 1Chr 16,36 mit der Doxologie abgeschlossen worden ist. Der Abschluss aus 1Chr 16,36 wäre dann in Ps 106,48b übertragen worden.297 Der sprachliche Befund zeigt zunächst, dass Ps 106,1 und 1Chr 16,34 wörtlich übereinstimmen und diese Formulierung in der Chronik ansonsten nicht mehr belegt ist.298 Auch die Bitte in Ps 106,47, die sich aufgrund der aufgezeigten Leitwortstruktur und ihrer konzeptionellen Relevanz als kohärenter Bestandteil des Psalms erwiesen hat,299 findet sich in leicht abgewandelter Form in 1Chr 16,35. Sie ist in dreifacher Weise an den dortigen Kontext angepasst worden: Erstens wird sie durch eine Sprechaufforderung 295 Dies betont auch BALLHORN, Telos, 134 f, der von einer gewissen Ambivalenz der Schlussdoxologie ausgeht, da sie sowohl als Bestandteil von Ps 106 als auch in ihrer psalterkompositorischen Funktion wahrgenommen werden kann. 296 Vgl. KOCH, Psalter, 268; ZENGER, Psalter als Buch, 28; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 246 f.250; MILLARD, Komposition, 203.215; MATHIAS, Geschichtstheologie, 160 f.178; LEVIN, Büchereinteilung, 83–90; LEUENBERGER, Konzeptionen, 213–216. 297 Vgl. hierzu KRATZ, Tora, 1–34; KOENEN, Jahwe, 46 f.95. 298 Varianten finden sich allerdings noch in 1Chr 16,41; 2Chr 5,13; 7,3.6; 20,21. Diese gehören nach KRATZ, Tora, 15 zum Repertoire der Kultsänger, so dass er in diesem Fall nicht von einer eindeutigen literarischen Abhängigkeit der Chronik vom Psalter ausgeht. 299 Siehe oben unter B.2. (S. 188 ff) und B.3.e) (S. 234 ff).
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›und sprecht‹ (ZUPDZ) eingeleitet. Zweitens wird die Anrede Gottes in Ps 106,47 als ›Jhwh unser Gott‹ (ZQ\KODKZK\) in 1Chr 16,35 zu ›Gott unseres Heils‹ (ZQ>Y\\KOD) abgeändert. Und drittens wird die Bitte um ›Sammlung‹ (ZQFETZ) aus den Völkern in Ps 106,47 durch die Bitte um ›Rettung‹ (ZQO\FKZ) erweitert. Insbesondere die zweite und dritte Abweichung in 1Chr 16,35 von Ps 106,47 lassen sich mit der Intention des Chronisten erklären. Denn im Sinne des Chronisten wird die Bitte um Sammlung aus den Völkern in Ps 106,47 aufgrund der zuvor beschriebenen Zerstreuung (Ps 106,40– 42) in eine allgemeinere Rettungsbitte umgewandelt. Dies entspricht dem Chronisten, da das Exil und die Situation der Zerstreuung unter die Völker sowie die Sammlung aus der Diaspora in der Chronik so gut wie keine Rolle spielen. Ihr Fokus liegt auf der in Jerusalem gegründeten Weltherrschaft Jhwhs, die selbstverständlich auch die Völkerwelt umfasst.300 Aufgrund der universalen Ausrichtung seiner Weltherrschaft ist es vermutlich zu erklären, dass sich die Bezüge zu Ps 106 (im Unterschied zu Ps 105) auf den Beginn und den Schluss des Psalms beschränken. Denn die in Ps 106 entfaltete Schuldgeschichte vor dem Hintergrund der Güte Jhwhs eröffnet eine Binnenperspektive auf die Geschichte Israels, die sich nicht für das in 1Chr 16 beschriebene Setting eignet. In 1Chr 16 wird die Einsetzung der Leviten als Diener vor der Lade durch David inszeniert und somit der Prototyp der Liturgie beschrieben. Im Gegenzug dazu hat sich die Bitte in Ps 106,47 als kohärente Weiterführung der in Ps 106,43.44–46 reflektierten Güte Jhwhs erwiesen, so dass eine literarische Abhängigkeit von 1Chr 16,35 von Ps 106,47 naheliegt.301 Strittig wird die Zuordnung der literarischen Abhängigkeit von Ps 106,48 und 1Chr 16,35, da sich einerseits eine nahezu wörtliche Übereinstimmung in Ps 106,48 und 1Chr 16,36 findet. Andererseits unterscheidet sich die Aufforderung an das Volk (a>KONUPDZ) in Ps 106,48 aber von den vorherigen Schlussdoxologien in Ps 41,14; 72,19; 89,53. Daher wäre ebenso eine ursprüngliche literarische Verortung der Aufforderung in der Chronik denkbar, die dann von den Psalterredaktoren nachträglich übernommen worden ist.302 300 Dies entspricht nach Willi dem Verständnis der Völkerwelt in der Chronik. Die Völkerwelt ist Gegenstand der göttlichen Fürsorge und damit Teil der Weltherrschaft Jhwhs, dessen geistiges Zentrum das Heiligtum in Jerusalem bleibt. Vgl. weiter J APHET, 1 Chronik, 306, die als einzigen weiteren Beleg für die Einsammlung der Zerstreuten 2Chr 30,9 nennt. 301 So auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 214 und J APHET, 1 Chronik, 306. 302 So KRATZ, Tora, 15 f, der die Formel in 1Chr 16,36 im literarischen Kontext der Chronik verortet (1Chr 29,10 ff.20; Neh 5,13; 8,6). Aufgrund ihrer von den anderen Doxologien abweichenden Formulierung sei sie von der Chronik in den Psalter übernommen worden. Auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 215 geht letztlich davon aus, dass zumindest die Formulierung ›und alles Volk sage‹ (a>ON UPDZ) aus der Chronik übernommen worden ist.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Mit Levin ist demgegenüber zu betonen, dass sich die Wendung ›und alles Volk sage Amen‹ (PDa>KONUPDZ) nur noch in Dtn 27,16–26 findet und dort gehäuft vorkommt. Daher legt es sich nahe, von einem Bezug von Ps 106,48 zu dem Fluchkatalog in Dtn 27 auszugehen. Die Formulierung in 1Chr 16,36 ›Da sprach alles Volk: Amen‹ (PD a>KON ZUPD\Z) weicht in Tempus und Numerus von der Verbform von Dtn 27 und Ps 106,48 ab.303 Die Abweichungen sind dem chronistischen Kontext geschuldet, durch die die Aufforderung »im Rahmen des Gesamtzitats von Ps cvi 1, 47–48 nachträglich in die Erzählung umgewandelt [wurde], um die Liturgie V. 7–36 in Szene zu setzen«.304 Damit ist es also wahrscheinlicher, 1Chr 16,34–36 als literarisch abhängig von Ps 106,1.47 f anzusehen und den gesamten Psalmschluss einschließlich des Halleluja-Rufes in der Chronik als bereits vorausgesetzt anzunehmen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Schlussdoxologie ganz aus dem Psalter speist und nicht von 1Chr 16 her erklärt werden kann.305 Von daher ist nun in einem nächsten Schritt die Schlussdoxologie in Ps 106,48 in ihrer psalterkompositorischen Funktion zu betrachten.306 303 Die Abweichungen beschränken sich auf den unterschiedlichen Kontext. In 1Chr 16,36 wird die Rede des Volkes mit ›und alles Volk sprach‹ ( a>KONZUPDZ ) im Narrativ statt ›und alles Volk sage‹ (a>KONUPDZ) in der Afformativkonjugation mit Waw eingeleitet sowie die Aufforderung zum Lobpreis (K\ZOOK) im Infinitiv absolutus (KZK\OOOKZ) formuliert. 304 LEVIN, Büchereinteilung, 88. 305 So LEVIN, Büchereinteilung, 88, der zu Recht betont, dass die Entsprechung der Büchereinteilung des Psalters zu den fünf Büchern der Tora auf redaktioneller Absicht beruhe und auf den Umweg über die Chronik nicht angewiesen sei. 306 Die Entstehung der Doxologien wird in der Forschung höchst unterschiedlich beurteilt. LEUENBERGER, Psalterdoxologien, 166–193 geht von einer stufenweisen Entstehung der Doxologien aus. In Ps 41,14 liege die Grundform und in Ps 106,48 die jüngste Form vor. Er weist diese einer theokratischen Redaktion des vierten Psalmenbuches zu. Dabei erklärt er die Abweichungen in den Formulierungen von der Grundform aufgrund redaktioneller Notwendigkeiten. So ordnet er die Schlussdoxologie, abgesehen von ›und alles Volk sage‹ (a>KONUPDZ), derselben redaktionellen Bearbeitung wie Ps 106,1–3.44–47 zu, durch die eine innere Buchinklusion des vierten Psalmenbuches zu Ps 90,2.13 f entsteht. »Insofern bildet V. 48* nicht einen späten und ›nachkompositionellen Zusatz‹, sondern gehört integral zu der Redaktion, die 106 bei der Anhängung der Sammlung 101–106 und somit der Formierung von Buch IV in den Kontext eingearbeitet hat« (LEUENBERGER, Konzeptionen, 214). Aber auch die von ihm zunächst isolierte Aufforderung ›alles Volk sage‹ (a>KONUPDZ), die als einziges Formelement aus dem üblichen Doxologiebestand herausfalle und vermutlich von 1Chr 16,36 her inspiriert sei, wird letztlich psalterkompositorisch begründet, indem Leuenberger von einem makrokompositionellen Bogen von Ps 3,9 zu 106,47 f ausgeht. Insofern werde die Doxologie in Ps 106,48 liturgisch unter Aufnahme von 1Chr 16,36 so ausgestaltet, dass das ganze Volk mit Amen und Halleluja antworte. Sie schließe aufgrund ihrer redaktionellen Bezüge das vierte Psalmenbuch ab und schaffe mit dem Halleluja-Ruf einen Bogen ins sukzessiv sich anschließende fünfte Psalmenbuch, der im Schlusshallel eingelöst werde. Zudem sei die psalterkompositorische
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Die psalterkompositorische Bedeutung der letzten Doxologie in Ps 106,48 ist im Unterschied zu den vorangehenden Doxologien vergleichsweise schwer zu fassen, da sie, wie Levin jüngst betont hat, nicht wie diese eine jeweils bereits vorhandene Sammlung abschließt. So schließt die erste Doxologie in Ps 41,14 den ersten Davidpsalter ab. Die zweite Doxologie 72,18 f markiert das Ende des sogenannten elohistischen Psalters. Und die dritte Doxologie in Ps 89,53 beendet den messianischen Psalter.307 Ein solch eindeutiges Ende einer bereits bestehenden Sammlung liegt in Ps 106,48 nicht vor, da insbesondere die Psalmen 101–106, aber auch Ps 107– 119 eine eher lose Zusammenstellung von Psalmen darstellen.308 Dies zeigt sich auch schon daran, dass Ps 106 selbst über den Lobaufruf in Ps 106,1 Bögen in das fünfte Psalmenbuch schlägt und Ps 106 mit Ps 107,1 und Ps Verbindungslinie zwischen Ps 106 und Ps 107 hervorzuheben, durch die die sprachliche Differenz zwischen der ersten und letzten Doxologie vermutlich zu erklären sei. Denn in Ps 106,48 sei der Aufruf zu sprechen (UPD) aus Ps 107,2 aufgenommen worden, um den Übergang zwischen dem vierten und fünften Psalmenbuch auch in der Schlussdoxologie zu verankern. Nach Levin hingegen hat die Entstehung der ersten drei Bücher des Psalters sammlungsgeschichtliche Gründe, während demgegenüber das vierte und fünfte Buch in diesem Sinn kein Eigengewicht aufweisen. Von daher vermutet er, dass sich die vierte Doxologie an den ersten drei orientiert habe. Sie habe mit Ps 90–106 eine Einheit von siebzehn Psalmen geschaffen, die dem dritten Buch entspreche, während das fünfte Buch mit 44 Psalmen in seinem Umfang mit dem ersten ungefähr übereinstimme. So folgert er, dass »der Tora-Symbolismus … dem Psalter zuallerletzt und ganz äußerlich aufgesetzt worden ist« (LEVIN, Büchereinteilung, 89). Anders KRATZ, Tora, 28–31, der die vier Doxologien auf eine der letzten redaktionellen Überarbeitungen des Psalters zurückführt und von daher einer stufenweisen Entstehung der Doxologien widerspricht. Kratz setzt dementsprechend bei der vierten Doxologie in Ps 106,48 an und sieht diese in literarischer Abhängigkeit zu 1Chr 16,35, Dtn 27,15–26 sowie Neh 8,8–18 formuliert. So stellen seines Erachtens die Doxologien Bezüge zu anderen doxologischen Formeln im Psalter her, vermitteln zwischen dem Gliederungsprinzip der Sänger- bzw. Davidüberschriften in Ps 3–89 und der doxologischen Gliederung in Ps 90–150. Darüber hinaus ermöglichen sie (über Dtn 27 und Neh 8), dass die Aneignung des Psalters zu einer Form der Tora-Aneignung werden kann. Redaktionell entsteht also nach Kratz ein sich von Ps 1 bis Ps 150 durch die Doxologien strukturiertes Gesamtwerk Psalter, dessen Profil aber nicht die einzelnen in ihm enthaltenen Profile der Psalmen oder Untersammlungen ersetze. Dies aber wiederum weist eine große Nähe zu der von Leuenberger in seiner umfangreichen Dissertation dargelegten Vorstellung einer Ablauflesung des Psalters auf. Ganz anders P. SANDERS, Books, 677–687, der aufgrund des handschriftlichen Befunds (Masoretische Überlieferung, Aleppo-Codex, Leningrad-Codex, Syriac manuscripts 6t1, Codex Ambrosianus, Codex Sinaiticus, Codex Alexandrinus) dafür plädiert, die Schlussdoxologie als Bestandteil des Psalms zu betrachten, während in den Handschriften die HallelujaÜberschrift bzw. -Unterschrift deutlich vom Rest des Psalms abgesetzt seien. 307 Vgl. LEVIN, Büchereinteilung, 84. 308 Das bestätigt auch der Befund in Qumran, der für Ps 1–89 eine viel größere Übereinstimmung mit der Abfolge der Psalmen in MT aufweist, als es insbesondere für Ps 90– 106 der Fall ist. Vgl. dazu FLINT, Dead Sea Psalms Scrolls, 138–142.
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135 f verbindet.309 Zugleich fällt die deutliche Analogie von Ps 106,48 zur ersten Schlussdoxologie in Ps 41,14 auf.310 Abgesehen von der Erweiterung in Ps 106,48 um die Aufforderung, zu allem Volk zu sprechen, und abgesehen von der Halleluja-Unterschrift stimmen sie überein, so dass ein kompositorischer Bogen zum Abschluss des ersten Psalmenbuches entsteht. Allein schon diese beiden Beobachtungen sprechen für eine stufenweise Entstehung der Schlussdoxologien, bei der Ps 106,48 zumindest auf Ps 41,14 zurückgreifen konnte und somit vermutlich die Sammlungen 1– 89* voraussetzt.311 Von daher ist die Schlussdoxologie in Ps 106,48, die einen stimmigen Abschluss des Psalms bildet,312 bereits im Blick auf den ihr vorliegenden Psalter formuliert worden.313 Dass aber insbesondere Ps 106,1 über die eigenen Buchgrenzen hinaus konzeptionelle Linien zu Ps 107,1, 135,1 und Ps 136 zieht, spricht erneut für die nur lose verankerte Buchgrenze in Ps 106,48 und verweist auf einen nachträglichen Versuch, den Psalter in Analogie zur Tora zu gestalten.314
309 Dies hebt auch KRATZ, Tora, 19 f hervor, indem er das Ordnungsprinzip der Sammlungen Ps 90–106, 107–117, 118–135 und 135–150 anhand der Reihenfolge ›Toda – David – Halleluja (mit und ohne Eulogie)‹ herausstellt, das durch die Doxologie unterbrochen wird. »Die Einteilung nach Doxologien fügt sich in dieses Gliederungssystem sprachlich und sachlich gut ein, unterbricht allerdings den Zusammenhang und fügt die Buchgrenze hinzu, die Ps 90–106 von den in gleicher Weise nach Todaformel, David und Halleluja strukturierten Abschnitten 107–117.118–135.136–150 trennt« (K RATZ, Tora, 20). 310 Vgl. hierzu ZENGER, Psalter als Buch, 27–31 und weiter LEVIN, Büchereinteilung, 88. 311 Vgl. hierzu wieder LEUENBERGER, Psalterdoxologien, 166–193. 312 So auch ZENGER, Psalter als Buch, 28 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 214 f. 313 Dies wird sich noch einmal bei der psalterkompositorischen Einordnung von Ps 135 und Ps 136 bestätigen, bei der der fließende Übergang zwischen dem vierten und fünften Psalmenbuch deutlich wird. Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 4 C.2. (S. 362 ff). ZENGER, Psalter als Buch, 29 f geht im Anschluss an KOCH, Psalter, 250 davon aus, dass das vierte Psalmenbuch bereits als in sich geschlossene kompositionelle Einheit vorgelegen hat, bevor das fünfte Buch angeschlossen worden ist. Zenger begründet dies mit der chiastischen Anordnung der Schlussdoxologien sowie dem thematischen Bogen (Ps 41: Verfolgung; Ps 72: messianische Verheißung; Ps 89: Ausbleiben der messianischen Verheißung; Ps 106: Erfüllung der Bundeszusage). Anders LEVIN, Büchereinteilung, 89. 314 So LEVIN, Büchereinteilung, 89. Anders LEUENBERGER, Konzeptionen, 213–216, der Ps 106,48 zu der das vierte Psalmenbuch abschließenden Redaktion zählt und damit wie ZENGER, Psalter als Buch, 28 und KOCH, Psalter, 250 von einem abgeschlossenen vierten Psalmenbuch ausgeht, bevor das fünfte angeschlossen wurde. Wieder anders KRATZ, Tora, 28–31.
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4. Fazit In Ps 106 blicken die Beter aus der Perspektive des Exils auf ihre Geschichte zurück, indem sie sich mit den dem Exil zugrunde liegenden Schuldverstrickungen der Vorfahren identifizieren. Dazu entfalten sie ihre Geschichtsreflexion von dem Schuldbekenntnis in V. 6 her als Geschichte von Verfehlungen. Durch diese generationenübergreifende Schuld reflektieren sie ihre Geschichte von den Anfängen in Ägypten bis zum Verlust der Staatlichkeit und zur Zerstreuung unter die Völker (V. 47). Kristallisationspunkte der Geschichtsreflexion, von denen her die Geschichte Jhwhs mit seinem Volk gedeutet wird, sind die Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer sowie der Abfall am Horeb. Formal zeigt sich das daran, dass in dem Abschnitt der Rettungstat am Schilfmeer (V. 7–12) die für den Psalm entscheidenden Leitworte zusammenlaufen. Bei der übergeordneten Leitwortstruktur handelt es sich um das Gedenken Jhwhs (V. 45), das der Gottvergessenheit des Volkes (V. 4.7.13.21) gegenübersteht. Diese Gottvergessenheit des Volkes, die trotz der Wundertaten und der Güte Jhwhs das Gottesvolk prägt, zeichnet bereits die Anfänge der Geschichte in Ägypten und am Schilfmeer aus. Einen unschuldigen Zustand des Volkes kennt der Psalm nicht. Am Schilfmeer aber erfahren die Israeliten erneut die Fülle seiner Güte, indem er sie vor ihren Feinden rettet. Darauf antworten die Israeliten mit Gotteslob. Dieses Rettungshandeln (›retten‹ [>Y\ Hif.]) wird zum Paradigma des Heilshandelns Jhwhs in der Geschichte überhaupt, an dem sich bis in die Gegenwart hinein das Verhältnis von Jhwh zu seinem Volk bemisst. Deswegen deuten die Beter von Ps 106 die entscheidenden Weichenstellungen ihrer Geschichte auch vom Schilfmeer her. Terminologisch wird dies durch die profilierte Aufnahme des Leitworts ›retten‹ (>Y\ Hif.) oder des Geschehens selbst, die Rettung vor den Feinden, hervorgehoben. So wird Abfall von Jhwh am Horeb durch das gegossene Kalb in V. 19–23 paradigmatisch als Vergessen der Rettungstat am Schilfmeer gedeutet. Nur durch Moses Intervention als Erwähltem Jhwhs kann der darauf folgende Zorn Jhwhs aufgehalten werden. Denn Jhwh hat durch die Erwählung Moses der Vollstreckung seines Zorns bereits vorgebeugt und Israel als Erwählte Jhwhs (V. 5) in die Erwählung Moses eingeschlossen. Auf diese Weise wird die Schuld des Volkes in das geschichtstheologische Paradigma integriert, auf die Jhwh mit Reue und erneutem Erbarmen reagiert. Die weiteren Verfehlungen des Volkes steigern sich in staatlicher Zeit zur völligen Verunreinigung des Volkes und Entweihung des Landes. Sie laufen letztlich auf den Ausbruch des göttlichen Zorns zu (V. 34–42), der nicht wie in der paradigmatischen Zeit der Wüste von einem mit Moses Autorität ausgestatteten Funktionsträger aufgehalten werden kann. Denn die heilstheologische Funktion Moses ist auf die fundierende Zeit der
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Wüste beschränkt (V. 32 f). Zugleich aber wird der Zorn Jhwhs vor dem Hintergrund des heilstheologischen Paradigmas der Rettungstat am Schilfmeer gedeutet. Das führt dazu, dass Jhwh die dort gegründete Gottesbeziehung aussetzt und sich Israel wieder in der Hand seiner Feinde befindet. Als letzter Wendepunkt des Psalms greift die Schlussbitte in V. 47 auf die Rettungstat am Schilfmeer zurück, indem sie ein erneutes Eingreifen Jhwhs, wie dort einst erfahren, erbittet, um sein Volk aus der Zerstreuung zu sammeln, damit es dann, wie nach der erfahrenen Rettung in V. 12, wieder in das Gotteslob einstimmen kann. Damit aber erhofft die Bitte eine Wende der Not, die in der vorausgehenden Reflexion des Handelns Jhwhs in der Geschichte vorbereitet wird (V. 43.44–46). Der Abschnitt V. 43.44–46 hat sich nun für das Verständnis der in Ps 106 zugrunde liegenden Konzeption von Geschichte als hermeneutische Schlüsselstelle erwiesen, da hier der Begründungszusammenhang für Jhwhs Handeln in der Geschichte vor dem Hintergrund der Gnadenformel zusammenfassend reflektiert wird. Denn Jhwhs Handeln in der Geschichte ist trotz des sich immer tiefer in seinen Verschuldungen verstrickenden Gottesvolkes durch seine ›Güte‹ (GV[) bestimmt. Sie zeigt sich im erneuten Gedenken des Bundes und führt dazu, dass sich Jhwh seinen Zorn leid sein lässt, von ihm abkehrt und sich seines Volkes erneut erbarmt. Somit ist sein Handeln in der Geschichte letztlich immer von seiner Güte her zu verstehen. Narrativ ist dieser Zusammenhang bereits am Horeb durch die Intervention Moses als Erwähltem Jhwhs entfaltet worden (V. 19–23). Denn in der Erwählung Moses liegt bereits die Begrenzung des göttlichen Zorns begründet. Daraus ergibt sich für die Beter des Psalms eine zweifache Erkenntnis: Erstens erkennen sie, dass auch das Strafhandeln Jhwhs in V. 13–42 letztlich von seiner Güte her zu verstehen und so bemessen ist, dass ein Fortgang der Geschichte ermöglicht wird. Darin zeigt sich Jhwhs Langmut im Zorn. Denn sein Zorn bricht erst nach der völligen Verunreinigung Israels und der Entweihung des Landes in staatlicher Zeit aus. Zweitens lernen sie sich als Erwählte Jhwhs (V. 5) verstehen, die von der Erwählung Moses her leben. Indem es sich Jhwh gemäß seiner Güte, die sich paradigmatisch in der Erwählung Moses manifestiert hat, gereuen lässt, hat er seinen Zorn von vornherein begrenzt. In diesem Sinn entfaltet die Geschichtsreflexion in Ps 106 letztlich narrativ die in der späten Prophetie erweiterte Gnadenformel und erhebt damit die Verhältnisbestimmung von göttlicher Güte zu seinem Zorn zum eigentlichen Thema. Fragt man vor dem Hintergrund dieser Analyse von Ps 106 erneut nach der literarischen Kohärenz des Psalms, weist vor allem die Leitwortstruktur auf eine bewusst gestaltete Komposition hin, die sich der verschiedenen
B. Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – Ps 106
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Formelemente bedient, um das Handeln Jhwhs in der Geschichte darzustellen.315 Zudem rezipiert der Psalm in großem Maße die Überlieferungen aus dem Pentateuch, den er vermutlich weitgehend in seiner Endgestalt voraussetzt. Hinzu kommen Anleihen aus den Geschichtsbüchern sowie aus der Prophetie Ezechiels, Jeremias, Joels und Jonas, durch die die einzelnen Ereignisse aus der Frühgeschichte Israels gedeutet werden (V. 20.27.45 f). Dabei werden die Überlieferungen in Ps 106 auf folgende Weise aufgenommen: Erstens werden die Ereignisse aus der fundierenden Frühgeschichte auf die Verfehlung an sich zugespitzt und zumeist durch psalminterne Kriterien wie z. B. das Vergessen Jhwhs (V. 13.21 f), die Versuchung Gottes in der Öde (V. 14), das Nichtglauben seines Wortes (V. 24), das Nichthören auf seine Stimme (V. 25) gedeutet. Zweitens folgt auf die Verfehlung das Handeln Jhwhs. Von diesem literarischen Befund her handelt es sich um einen späten, vermutlich spätnachexilischen Psalm,316 der aber dennoch den im Exil erfahrenen Ausbruch des göttlichen Zorns aufnimmt und diesen retrospektiv auf die gegenwärtige Situation der Beter überträgt, so dass das Exil den theologischen Standpunkt des Psalms darstellt. Daher ist es unerheblich, ob die Beter des Psalms real noch unter den Völkern zerstreut sind oder ob dies ihre fingierte Situation ist. Entscheidend ist, dass sie theologisch ihre Gegenwart als Aussetzen des am Schilfmeer gegründeten Heilsparadigmas deuten und sich in diesem Sinn mit der ›generationenübergreifenden Schuld‹, die letztlich zum Ausbruch des göttlichen Zorns und damit zur Zerstreuung unter die Völker geführt hat, identifizieren. Auf eine spätnachexilische Datierung weisen darüber hinaus auch seine enge konzeptionelle Verknüpfung mit dem ihm vorausgehenden Ps 105 sowie seine literarische Einbettung in die Sammlung Ps 103–107* hin, die im folgenden Kapitel entfaltet werden.
315 Ausgenommen sind nur die redaktionell angefügte Schlussdoxologie in V. 48, der spätere Zusatz in V. 38aCD, durch den der Frevel des Kinderopfers mit dem der Blutschuld verbunden wird, sowie der Makarismus in V. 3. 316 Die Datierung des Psalms in die nachexilische Zeit ist unter den meisten Auslegern unbestritten vgl. z. B. MATHIAS, Geschichtstheologie, 171; SEYBOLD, Psalmen, 421; HUPFELD, Psalmen II, 458; GUNKEL, Psalmen, 464 f; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101– 150, 124; PRÖBSTL, Rezeption, 178; Guillaume, Post-monarchical, 17. SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 270 datiert den Psalm aufgrund der Aufwertung des Priestertums, die mit einer Skepsis der Diaspora einhergeht, in die Zeit von Antiochus dem Großen. Anders allerdings HAGLUND, Motifs, 63 f, der Ps 106 aufgrund der Bitte, Israel aus den Völkern zu sammeln, in die Exilszeit datiert.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
C. Der große Parallelismus der Heilsgeschichte in Psalm 105 und Psalm 106 am Ende des vierten Psalmenbuches C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106 1. Das ›geschichtliche Credo‹ von Psalm 105 und Psalm 106 am Ende des vierten Psalmenbuches In der Analyse von Ps 105 und Ps 106 konnten beide Psalmen als in sich kohärente Kompositionen herausgestellt werden, die keine redaktionellen Bearbeitungen in größerem Umfang aufweisen. Von diesem Ergebnis her stellt sich aus psalterkompositorischer Sicht die Frage, ob es sich bei Ps 105 und Ps 106 um zwei unabhängig voneinander entstandene Psalmen handelt oder ob sie von vornherein in Bezug zueinander entstanden sind und damit für ihren literarischen Kontext als Abschluss des vierten Psalmenbuches geschaffen worden sind. Dabei ist zu beachten, dass Ps 105 und Ps 106 nicht zeitgleich in den Psalter eingefügt worden sein müssen, sondern dass einer der beiden Psalmen als Ergänzung später hinzugefügt worden sein kann. Um dieser Frage nachzugehen, ist deswegen zunächst das literarische Verhältnis beider Psalmen zueinander zu untersuchen: Erstens ist auffallend, dass beide Psalmen durch die redaktionellen Halleluja-Unterschrift bzw. -Überschriften verbunden sind. So endet Ps 105,45 mit einer Halleluja-Unterschrift, während Ps 106,1.28 durch diese gerahmt ist. Dadurch hat die redaktionelle Bearbeitung beider Psalmen im Rahmen der Halleluja-Überschriften bzw. -Unterschriften die beiden Geschichtspsalmen aufeinander bezogen und zugleich mit der Unterschrift in Ps 104,35 verbunden.317 Zweitens ist auch der Beginn der beiden Psalmen in Ps 105,1 und 106,1 durch den Aufruf, ›Jhwh zu preisen‹ (KZK\OZGZK), aufeinander bezogen. In Ps 106,1 wird er durch ein zweifaches ›ja/denn‹ (\N) ausgeführt und verbindet über das vierte Psalmenbuch Ps 106 mit Ps 107,1, 118,1.29 und 136.318
317
Zu redaktionellen Bearbeitung des Psalters durch die Halleluja-Überschriften bzw. -Unterschriften vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 206–208 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 64–67. Siehe zur psalterkompositorischen Diskussion der HallelujaRahmung in Ps 104.106 unten C.2.6. (S. 288 ff). 318 Vgl. hierzu ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 109. Während nach Zimmerli die Aufforderung, Jhwh zu ›preisen‹ (KG\ Hif.), in Ps 106,1 zum Grundpsalm gehört, rechnet HOSSFELD, Universalgeschichte, 307 damit, dass sich in diesem Aufruf bereits eine Redaktion, die Ps 106,1 mit Ps 105,1 und 107,1 verbindet, zeigt.
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
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Drittens sind für die kompositorische Verknüpfung beider Psalmen die Bezugspunkte entscheidender, die über die Verbindungen der Rahmen beider Psalmen hinausgehen und die die Gesamtentwürfe von Ps 105 und Ps 106 miteinander verknüpfen. Dazu gehört der Aufbau der beiden Psalmen, der trotz der unterschiedlichen Konzeptionen von Geschichte in weiten Teilen analog gestaltet ist. Viertens sind beide Psalmen schließlich durch terminologische Bezugnahmen miteinander verbunden, durch die für das Verständnis von Geschichte entscheidende Schlüsselkategorien aufeinander bezogen werden. Von daher wird zunächst der Aufbau der beiden Psalmen in Bezug zueinander betrachtet, um anhand der terminologischen Bezugnahmen zwischen beiden Psalmen aufzuzeigen, inwiefern die beiden Geschichtsentwürfe in Ps 105 und Ps 106 ein gemeinsames ›geschichtliches Credo‹319 am Ende des vierten Psalmenbuchs bilden. Diese Aspekte werden im Folgenden dargelegt. Ps 105 beginnt mit einer ausgestalteten hymnischen Hinführung zur Geschichtsreflexion in Ps 105,1–6. Hier wird in Ps 105,6 die geschichtstheologische Perspektive eröffnet, indem die Beter als Same Abrahams und Kinder Jakobs in eine Heilskontinuität mit ihren Vorfahren gestellt werden. Durch die ausgestaltete Lobaufforderung in Ps 105,1–6 kann der Psalm eindeutig der Gattung Hymnus zugeordnet werden. Auch Ps 106 beginnt mit einer ausgestalteten Hinführung (V. 1–5) zur geschichtstheologischen Reflexion, die aber im Unterschied zu Ps 105,1–5 nicht nur hymnische Elemente aufweist, sondern verschiedene Formelemente kombiniert. Auf die Aufforderung zum Gotteslob in Ps 106,1 folgen eine Frage in Ps 106,2 und ein Makarismus in Ps 106,3. Daran schließen sich die Bitten in Ps 106,4 f an, die am Ende des Psalms in V. 47 wieder aufgenommen werden. Sie rahmen das Schuldbekenntnis (V. 6) und die darauf folgende Geschichtsreflexion (V. 7–42.43.44–46). Durch die Bitten in V. 4f, in denen ein Einzelner stellvertretend seine Distanz zum Ideal des Gottesvolkes formuliert und Jhwh um erneute Zuwendung bittet, sowie durch das sich in V. 6 anschließende Schuldbekenntnis lässt sich der Psalm als ein Bittgebet mit einem hymnischen Rahmen verstehen. Dabei führt der Reflexionsgang durch die Geschichte die Beter von der Bitte über das Schuldbekenntnis in V. 6 zum Gotteslob. Hierauf folgt in beiden Psalmen jeweils ein Bekenntnis im Übergang zur Geschichtsreflexion, durch das die Perspektive auf den folgenden Durchgang durch die Geschichte eröffnet wird. In Ps 105,7 bekennen die
319
Zu dem Begriff des geschichtlichen Credo vgl. V. RAD, Problem, 11–13.63.
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Beter, dass Jhwh seine Rechtsurteile auf der ganzen Welt verwirklichen wird. In Ps 106,6 hingegen münden die Verse 1–5 in das für den Psalm entscheidende Schuldbekenntnis, das die Perspektive auf Geschichte als Schuldgeschichte prägt. Dies geschieht, indem sich die Beter in die Schuldkontinuität mit ihren Vorfahren stellen und die Schuld der Vorfahren als ihre Schuld anerkennen. Insofern kristallisiert sich bereits in der Hinführung zur Geschichtsreflexion die unterschiedliche Konzeption von Geschichte in beiden Psalmen heraus. Auf das Bekenntnis in Ps 105,7 und Ps 106,6 folgt jeweils die heilsgeschichtliche Grundlegung. In Ps 105,8–11 besteht sie im Bundesgedenken Jhwhs, das in V. 8–11 entfaltet, auf die Landverheißung zugespitzt und in V. 42 in der abschließenden Reflexion wieder aufgenommen wird. Auf diese Weise rahmt das Bundesgedenken Jhwhs den Durchgang durch die Geschichte nicht nur, sondern entwirft sie von der Bundestreue Jhwhs her. In Ps 106,7–12 ist die heilsgeschichtliche Grundlegung in die Geschichtsreflexion (Ps 106,7–43) integriert und entfaltet die Errettung am Schilfmeer als Paradigma des heilsgeschichtlichen Handelns Jhwhs. Formal zeigt sich das daran, dass in diesem Abschnitt (Ps 106,7–12) die für den Psalm entscheidenden Leitworte zusammenlaufen. Bei der übergeordneten Leitwortstruktur handelt es sich um das Gedenken Jhwhs (V. 45), das der Gottvergessenheit des Volkes (Ps 106,4.7.13.21) gegenübersteht. Diese am Schilfmeer erfahrene Rettung wird zum Maßstab für die Geschichte Jhwhs mit seinem Volk. Die entscheidenden Weichenstellungen werden von diesem heilsgeschichtlichen Paradigma her gedeutet, indem das mit ›retten‹ (>Y\ Hif.) spezifizierte Handeln Jhwhs am Schilfmeer wieder aufgenommen wird. An die heilsgeschichtliche Grundlegung schließt sich in beiden Psalmen der Durchgang durch die Heilsgeschichte an (vgl. Ps 105,12–41; 106,7– 42). In Ps 105 durchschreiten die Beter die Zeit der Erzeltern (Ps 105,12– 15), die Zeit Josefs in Ägypten (Ps 105,16–23), die Zeit Israels in Ägypten und des Auszugs (Ps 105,24–38) sowie die Zeit in der Wüste (Ps 105,39– 41). Im Hinterher-Denken der Heilsgeschichte erkennen sie, dass gerade in Zeiten von Not und Gefahr, in denen die Bundeszusage der Landverheißung in weite Ferne gerückt zu sein scheint, Jhwh seines Bundes gedacht und sie vor Not und Gefahr bewahrt hat. Damit können die Beter erkennen, dass diese Zeiten letztlich in Gottes größeren Heilsplan eingebettet sind, der auf die Erfüllung der Bundeszusage zuläuft. Insofern wird die Geschichte in Ps 105 als Geschichte des bewahrenden Handelns Jhwhs entfaltet. Als Beispiel hierfür ist die Interpretation der Josefsgeschichte (Ps 105,16–22) zu nennen. In Ps 105,16 ist es zwar Jhwh, der die Hungersnot herbeiruft. Zugleich sendet er aber Josef vor seinem Volk her, um es vor dieser Gefahr zu bewahren. Damit erweist sich die Hungersnot als Teil des
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
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größeren Heilsplans Jhwhs, durch den Israel nach Ägypten kam. Wolke und Feuersäule, Manna und Wasser aus dem Feld lassen Jhwh darüber hinaus als Herrn des gesamten Kosmos erscheinen, der die Seinen in der Wüste versorgt, indem er den lebensfeindlichen Ort Wüste zu einem Ort der Lebensfülle macht, wie sie sonst nur im Tempel erfahrbar ist. Als Herrn des gesamten Kosmos soll ihn auch die Völkerwelt erkennen, die nach Ps 105,1 das Forum darstellt, vor dem die Beter die Taten Jhwhs in der Geschichte verkünden. Mit der Errettung am Schilfmeer setzt der Reflexionsgang durch die Geschichte in Ps 106,7–43 dort an, wo die Darstellung der Geschichte in Ps 105,39–41 mit der Versorgung in der Wüste endet. Ps 106,7–43 reflektiert die Zeit in der Wüste bis in die staatliche Zeit unter dem Aspekt des immer stärker in seine Verfehlungen versinkenden Volkes. Nach der Gier in der Wüste (Ps 106,13–15) und dem Aufstand gegen Mose und Aaron (Ps 106,16–18) erreicht die Geschichtsreflexion am Horeb (Ps 106,19–23) ihren Höhepunkt, indem die Israeliten durch die Anfertigung und Huldigung des gegossenen Kalbs das am Schilfmeer gegründete heilsgeschichtliche Fundament negieren und Jhwh, ihren Retter, vergessen (Ps 106,19–23). Der daraufhin entflammte Zorn Jhwhs kann nur durch Moses Intervention als Erwähltem Jhwhs aufgehalten werden. Dadurch wird am Horeb der paradigmatische Abfall von Jhwh, wie er sich im Vergessen des Fundaments zeigt, in das heilsgeschichtliche Paradigma integriert. Dies zeigt sich darin, dass Jhwh mit der Erwählung Moses der Vollstreckung seines Zorns bereits vorgebeugt hat und ihn zugunsten Israels begrenzt. Von daher lebt das Gottesvolk von der Erwählung Moses her und wird in diese mit hineingenommen, indem es ebenfalls als Erwählte Jhwhs in Ps 106,5 Jhwh um Rettung bitten kann. Dieser am Horeb durch Moses Intervention narrativ entfaltete Zusammenhang von Schuld des Volkes und Reue bzw. Erbarmen Jhwhs wird in Ps 106,45b–46 erneut aufgenommen und dort vor dem Hintergrund der Gnadenformel zum Interpretament der Geschichtsdarstellung. Denn die Güte Jhwhs, wie sie sich am Schilfmeer und am Horeb gezeigt hat, begrenzt den göttlichen Zorn und integriert damit die Dimension der Schuld in das heilstheologische Paradigma. Auf den Abfall am Horeb folgen die Verschmähung des Landes (Ps 106,24–27) und das Opfer für Baal Peor (Ps 106,28–31), das zur Verankerung des aaronitischen Priestertums in der paradigmatischen Zeit der Wüste führt, sowie die Verwobenheit Moses mit der Schuld Israels (Ps 106,32f), wodurch die Funktion Moses auf die fundierende Zeit der Wüste beschränkt wird. Erst in staatlicher Zeit (Ps 106,34–42), in der es keinen mit Mose vergleichbaren Funktionsträger mehr gibt, entlädt sich der göttliche Zorn. Sie ist geprägt durch den Abfall von Jhwh und zeichnet sich durch die völlige Verunreinigung (V. 39) Israels aus. Dabei wird durch den Ausbruch des
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
göttlichen Zorns die am Schilfmeer gegründete heilvolle Gottesbeziehung Jhwhs zu seinem Volk (Ps 106,40–42) unterbrochen, so dass sich Israel wieder unter seinen Feinden befindet. Die Ereignisse aus der Frühgeschichte werden in beiden Psalmen entsprechend ihrer Konzeption unterschiedlich gedeutet. Besonders deutlich zeigen sich Differenzen zwischen den beiden Geschichtsdarstellungen in der Deutung der Zeit in Ägypten und der Zeit in der Wüste, die sowohl in Ps 105,24–38.39–41 als auch in Ps 106,7.13–15.21 aufgenommen werden. Können die Beter in Ps 106 am Schilfmeer auf die ›Wundertaten‹ Jhwhs in Ägypten zurückblicken (Ps 106,7.21), wird in Ps 105,24–38 die Zeit in Ägypten bis zum Auszug ausführlich anhand der Plagen entfaltet, durch die Jhwh als Schöpfer in die Geschichte eingreift. Noch deutlicher zeigen sich die Differenzen in der Deutung der Manna- und Wachtelüberlieferung, die als einziges geschichtliches Ereignis in beiden Psalmen aufgenommen wird: In Ps 105,30–41 verweisen die Versorgung mit Manna und Wachteln und das Wasser aus dem Felsen auf die Fürsorge des Schöpfergottes, der für sein Volk den lebensfeindlichen Raum der Wüste zu einem Raum der Lebensfülle macht. Das bereits in Ex 16 und 17,1–7 sowie in Num 11 enthaltene Murren des Volkes gegen Jhwh wird nicht aufgenommen. In Ps 106,13–15 steht das Ereignis hingegen völlig unter dem Aspekt der Schuld des Volkes. In diesem Sinn wird die Forderung nach Fleisch bzw. Manna aus Num 11 auf die Gier, d. h. das Auflehnen der Israeliten gegen Jhwh, aus Num 11,4.34 zugespitzt. Dabei geht die Deutung aus Ps 106,13–15 so weit, dass das Objekt der Begierde, das Fleisch, gar nicht erwähnt wird. Der Aspekt des versorgenden Schöpfergottes, wie er in Ps 105,39–41 profiliert wird, wird in Ps 106,13–15 überhaupt nicht berücksichtigt. Damit reduzieren beide Psalmen die Überlieferung auf einen für ihre Geschichtskonzeption wesentlichen Aspekt: die Versorgung in Ps 105 und die Verschuldung durch die Gier in Ps 106. Auf diese Weise rezipieren sie die Überlieferung spiegelbildlich und ergänzen sich im Sinne eines Parallelismus membrorum. In beiden Psalmen folgt der Geschichtsdarstellung eine abschließende heilsgeschichtliche Reflexion (Ps 105,42–45; 106,43–46.47), durch die der Reflexionsgang durch die Geschichte abgerundet wird: In Ps 105,42–45 geschieht dies, indem die Geschichte abschließend auf die Wende- bzw. Höhepunkte der Heilsgeschichte zugespitzt wird, so dass die Beter im Rückblick ihre Geschichte als Geschichte göttlicher Führung erkennen können. In diesem Sinn werden erneut das Gedenken des Bundes, der Auszug aus den Völkern sowie die Erfüllung der Bundeszusage, die Landgabe, reflektiert. Dies wiederum fordert die glaubende Antwort der Beter, die in einem Lebenswandel nach den Weisungen Jhwhs besteht. Damit wird also das Gedenken des Bundes, das sich in der Geschichte Jhwhs mit
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
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seinem Volk manifestiert, in die Form des Hymnus transformiert und ermöglicht den Betern, die Wundertaten Jhwhs vor dem Forum der Völkerwelt zu preisen. Auf die in Ps 106,12–42 entfaltete Schuldgeschichte folgt in Ps 106,43– 46 eine abschließende Reflexion des eigentlichen Begründungszusammenhangs des Handelns Jhwhs in der Geschichte. Er besteht in der Güte Jhwhs, die selbst seinen Zorn begrenzt und dazu führt, dass Jhwh trotzdem seines Bundes gedenkt, es sich entsprechend der Fülle seiner Güte gereuen lässt, sich von seinem Zorn abwendet und sich seines Volkes wieder erbarmt. Insofern folgt auf das Eingeständnis der Schuld, die sich von den Anfängen der Geschichte bis in die Gegenwart erstreckt, das Erbarmen Jhwhs. Diese Erkenntnis der den Zorn umfassenden Güte Jhwhs eröffnet den Betern eine erneute heilvolle Wendung ihrer Geschichte, wenn sie in der Schlussbitte in V. 47 ein letztes Mal auf das paradigmatische Heilshandeln am Schilfmeer zurückgreifen und Jhwh um erneute Rettung wie am Schilfmeer bitten. Erst die erneute Zuwendung Jhwhs ermöglicht ihnen, in das Gotteslob einzustimmen, wozu sie in Ps 106,1 aufgerufen werden. Dieser Erkenntnisweg, den die Beter vom Lobaufruf über das Schuldbekenntnis zurück zum Lobpreis gehen, bildet sich auch in der Struktur von Ps 106 ab. Denn der Psalm beginnt mit einem Aufruf, die bis in fernste Zeit hin gültige Güte Jhwhs zu preisen, und schließt mit der durch die Zuwendung Jhwhs neu eröffneten Möglichkeit des Gotteslobs. Insofern umfasst die Güte Jhwhs auch formal die Schuldgeschichte und hält doch zugleich den Erkenntnisweg der Beter vom Schuldbekenntnis zum erneuten Gotteslob fest. Unterstrichen wird dies durch die redaktionell ergänzte Schlussdoxologie, mit der das vierte Psalmenbuch schließt.320 Sieht man zunächst von den konzeptionellen Differenzen zwischen beiden Psalmen ab, weisen sie doch einen nahezu parallel gestalteten Aufbau auf, der aus einer ausgestalteten Hinführung (Ps 105,1–6; 106,1–5), einem Bekenntnis (Ps 105,7; 106,6), einer heilsgeschichtlichen Grundlegung (Ps 105,8–11; 106,7–12), einem Durchgang durch die Geschichte (Ps 105,12–41; 106,7–42) sowie einer abschließenden Reflexion (Ps 105,42– 45; 106,43–46.47) besteht:
320
Zur Bedeutung der Schlussdoxologie siehe unten B.3.f) (S. 235 ff).
250
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Ps 105
Ps 106
Hinführung zur Geschichtsreflexion: V. 1–6
Hinführung zur Geschichtsreflexion: V. 1–5
– Aufforderungen zum Gotteslob vor der Völkerwelt in V. 1–6
– Aufforderung zum Gotteslob in V. 1 – Frage in V. 2 – Makarismus in V. 3 – Bitten in V. 4 f
Monotheistisches Bekenntnis: V. 7
Schuldbekenntnis: V. 6
Geschichtstheologische Grundlegung: V. 8–11
Geschichtstheologische Grundlegung: V. 7–11
– Die Bundestreue Jhwhs zu seinem Volk als heilsgeschichtliches Paradigma
– Die Errettung am Schilfmeer als heilsgeschichtliches Paradigma
Reflexionsgang durch die Geschichte: V. 12–41:
Reflexionsgang durch die Geschichte: V. 7–42:
– – – –
Die Zeit der Erzeltern in V. 12–15 Die Zeit Josefs in Ägypten in V. 16–23 Die Zeit Israels in Ägypten in V. 24–38 Die Zeit Israels in der Wüste in V. 39–41
– Die Gier in der Wüste in V. 13–15 – Der Aufstand gegen Mose und Aaron im Lager in V. 16–18 – Das Gussbild am Horeb in V. 19–23 – Die Verschmähung des Landes in V. 24–27 – Pinchas Intervention in V. 28–31 – Moses Verschuldung in V. 32 f – Die Verschuldungen der Vorfahren in staatlicher Zeit bis zum Exil in V. 34–42
Abschließende Reflexion: V. 42–45 Abschließende Reflexion: V. 43–45 – Zuspitzung der Heilsgeschichte auf ihre Höhepunkte und Erfüllung der Bundesverheißung
– Die Güte Jhwhs als eigentlicher Begründungszusammenhang seines Handelns in der Geschichte, sein Bundesgedenken sowie die Begrenzung des Zorns
Schlussbitte: V. 47 – Bitte um erneute Rettung wie am Schilfmeer
Schlussdoxologie: V. 48 Diese analoge Struktur wird, wie bereits dargelegt, anhand von zwei unterschiedlichen Entwürfen der Geschichte Israels ausgestaltet. Allerdings bleiben die divergierenden Konstruktionen der Geschichte Israels nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern werden an entscheidender Stelle
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
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miteinander verzahnt, indem die abschließende Reflexion in Ps 106,43– 46.47 konzeptionell mit der Geschichtstheologie in Ps 105 verbunden wird. Dadurch werden die Beter vom Ende der Geschichtsreflexion in Ps 106 zurück auf Ps 105 verwiesen. Dies geschieht vor allem über die Aufnahme der Bundestheologie aus Ps 105,8.42 in Ps 106,45, indem die für Ps 105 zentrale heilstheologische Kategorie ›Bund‹ (W\UE) auf die für Ps 106 entscheidende heilstheologische Kategorie der ›Güte Jhwhs‹ (GV[) im Parallelismus membrorum reziprok bezogen wird.321 So entsteht eine Verbindungslinie zwischen beiden Psalmen, durch die festgehalten wird, dass sich Jhwhs vollkommene Heilszuwendung sowohl im Gedenken des Bundes als auch in seiner den Zorn umfassenden Güte zeigt. Zudem umfasst die in Ps 105 entfaltete Bundestheologie auch das Verhältnis Israels zur Völkerwelt. Es klingt bereits in Ps 105,1 an, wo die Beter die Taten Jhwhs vor dem Forum der Völkerwelt verkünden sollen, und durchzieht die Geschichtsreflexion, in der das Ergehen Israels unter den Völkern vor allem am Beispiel von Ägypten thematisiert wird. Dabei ist die Perspektive auf die Völkerwelt bereits durch die Deutung des Väterbundes, insbesondere des Abrahambundes, angelegt. Mit der Aufnahme des Heilsbundes in Ps 106,45 und der Auslegung durch die Güte Jhwhs wird nun die Innenperspektive des Bundes zwischen Jhwh und seinem Volk hervorgehoben, während die die Völkerwelt betreffende Außenperspektive des Bundesschlusses nicht aufgenommen wird. Durch die Güte Jhwhs, die Ps 106 leitwortartig durchzieht (V. 1.7.45), tritt die einzige Erwähnung des Stichworts ›Bund‹ (W\UE) in Kombination mit der Güte Jhwhs besonders hervor. Signifikanterweise findet sich die Vorstellung der Güte Jhwhs in Ps 105 nicht. Stattdessen wird vor dem Hintergrund der priesterschriftlichen Bundestheologie die Geschichte als Geschichte der Bundestreue Jhwhs konzipiert (Ps 105,8–11.42). So ergibt sich durch die Aufnahme des Bundesgedenkens in Ps 106,45 ein terminologisch gestalteter Bogen zu Ps 105, so dass eine Dynamik von der durch das erneute Erbarmen Jhwhs durchbrochenen Schuldgeschichte in Ps 106 zurück zur Heilsgeschichte in Ps 105 entsteht. Die ungebrochene Bundestreue Jhwhs zu seinem Volk in Ps 105 wird also der Geschichtskonzeption in Ps 106 vorangestellt.322 Dadurch ist die für die Reflexion der Geschichte in Ps 106 zentrale Kategorie der Güte Jhwhs bereits von Ps 105 durch das Bundesgedenken gefüllt und wird zum Horizont für den Zusammenhang von Zorn und Reue bzw. Erbarmen Jhwhs in Ps 106.323 Damit zusammenhängend wird auch die in 321
Vgl. hierzu auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 111. Vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 346. 323 Diesen Zusammenhang hebt bereits ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 111 hervor, da »im Lobpreis Gottes die beiden Aussagen zutiefst zusammengehören: Das Rühmen der unerschütterlichen Bundestreue Jahwes und das offene Bekenntnis der Sündigkeit der 322
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
Ps 105 angelegte universale Perspektive auf die Völkerwelt, die sowohl in der Eröffnung des Psalms als auch im Väterbund enthalten ist, in Ps 106 nicht fortgesetzt. Stattdessen wird sie durch die das Verhältnis Jhwh – Israel reflektierende Innenperspektive der Geschichtsreflexion ergänzt. Die Bundestheologie in Ps 105,8–11.42 und in Ps 106,45 ist jeweils mit dem ›Gedenken‹ (UN]) Jhwhs verbunden, in dem die volle Heilszuwendung Jhwhs zu seinem Volk enthalten ist. Dabei gehört das Stichwort ›gedenken‹ (UN]) in beiden Psalmen als verbales Element zur übergeordneten Leitwortstruktur (Ps 105,5.8.42; 106,4.7.45 bzw. 106,13.21), anhand derer die Grundkonstanten der Geschichtskonzeptionen entworfen werden. In Ps 105,8.42 rahmt das Bundesgedenken Jhwhs zum einen die Reflexion der Geschichte und verknüpft diese zum anderen mit der Aufforderung an die Beter in Ps 105,5, auch ihrerseits der ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) Jhwhs in Schöpfung und Geschichte zu gedenken. So wird durch das Leitwort ›gedenken‹ (UN]) die hymnische Hinführung mit der folgenden Reflexion der Geschichte verwoben. In Ps 106 hingegen wird das Bundesgedenken Jhwhs mit dem ›Vergessen‹ ([NY) der Beter und ihrer Vorfahren konfrontiert (Ps 106,7,13.21). Dabei sind das Gedenken Jhwhs und das Vergessen der Beter so aufeinander bezogen, dass die Beter Jhwhs Güte in Ps 106,7 sowie sein paradigmatisches Heilshandeln am Schilfmeer (Ps 106,13.21) verneinen und sich damit von Jhwh abwenden, anstatt auf sein heilvolles Gedenken mit Lobpreis zu antworten. Von daher spiegeln sich in der Opposition von Gedenken Jhwhs und Vergessen des Volkes die Grundkonstanten der Geschichtskonzeption von Ps 106, indem das Bundesgedenken Jhwhs am Ende des Psalms in Ps 106,45 die Gottvergessenheit des Volkes umfasst und sich Jhwh aufgrund seiner Güte dennoch seines Volkes erneut erbarmt. In diesem Sinn wird über das Stichwort ›gedenken‹ (UN]) die Reflexion der Geschichte mit dem Beginn des Psalms verbunden. Die Beter werden nicht wie in Ps 105 zum Gedenken der Wundertaten aufgerufen, sondern wenden sich in Ps 106,4 mit der Bitte an Jhwh, er möge ihrer mit Wohlgefallen gedenken. Diese unterschiedliche Nuancierung der Leitwortstruktur ›gedenken/vergessen‹ spiegelt sich auch in der Verwendung der ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) Jhwhs in der Geschichte (Ps 105,2.5; 106,7.22) wider. Werden die Beter in Ps 105,2.5 aufgerufen, der Wundertaten Jhwhs zu gedenken, wie sie sich in der Geschichte gezeigt haben, stehen sie in Ps 106,7.22 im Kontext der Gottvergessenheit des Volkes. Diese Wundertaten hat das Gottesvolk vergessen und negiert damit das paradigmatische Heilshandeln Jhwhs. Geschichte des Gottesvolkes, in welcher sich auch dessen einzelnes Glied mitbefaßt weiß. Diese Sündigkeit führt in eine Tiefe, über welche nur das Wunder der Treue Gottes gegenüber seinem Bundesversprechen Rettung schaffen kann. Das eine will nicht ohne das andere gehört sein.«
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In diesem Zusammenhang ist auch die für Ps 105,8.19.27.28.42 entscheidende Worttheologie zu nennen, die den gesamten Psalm durchzieht. Dabei steht das ›Wort‹ (UEG) Jhwhs in Ps 105,8.42 als Synonym für den Heilsbund Jhwhs. In Ps 105,19 ist es das Wort Jhwhs, das Josef vermutlich im Zusammenhang der Traumdeutungen erfährt. In Ps 105,27f handelt es sich um das Wort Jhwhs, das sich in V. 27 in den folgenden Plagen auswirkt und das in V. 28 auch für das chaotische Element der Finsternis bindend ist. Insofern steht das Wort Jhwhs in Ps 105 für eine übergeordnete Manifestation seiner Wirkmacht in Schöpfung und Geschichte, die sich in verschiedener Weise konkretisieren kann. In Ps 106 hingegen handelt es sich beim Wort Jhwhs nicht um ein Leitwort, das den gesamten Psalm durchzieht. Es kommt zweimal vor und steht im Zusammenhang mit der fundierenden Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer. In Ps 106,12 steht es für die Rettungstat am Schilfmeer im Gesamten: Die Israeliten glaubten den ›Worten‹ (Z\UEG) Jhwhs und besangen seinen Ruhm. In Ps 106,24 wird im Kontrast zu der glaubenden Reaktion auf die Rettungserfahrung das Land verschmäht, da die Israeliten nach der Verschonung am Horeb dem Wort Jhwhs nicht geglaubt haben. Im Hinblick auf die kompositorische Funktion der Verwendung des Wortes Jhwhs in Ps 106 ist die synonyme Verwendung von Wort und Bund entscheidend, da durch die Bezugnahme auf die Worte bzw. das Wort Jhwhs in Ps 106,12.24 die fundierende Rettungstat am Schilfmeer einerseits und die Bundestheologie andererseits miteinander verbunden werden. Darüber hinaus entsteht über den Begriff der Erwählung eine weitere konzeptionell entscheidende Verbindungslinie zwischen beiden Psalmen.324 Dabei hat sich die Vorstellung der Erwählung insbesondere in Ps 106 als zentrales Interpretament der Konstruktion von Geschichte herausgestellt, anhand dessen der Zusammenhang von Schuld und Reue/Erbarmen narrativ entfaltet wird. Denn in der Erwählung Moses liegt die Begrenzung des göttlichen Zorns bereits begründet (Ps 106,23), in die Israel als Erwählte Jhwhs mit hineingenommen wird (Ps 106,5). Auch in Ps 105 wird über das Stichwort Erwählung eine Kontinuität von den Erzeltern (Ps 105,6) über Aaron als Repräsentanten des Exodus (Ps 105,26) zu Israel als erwähltem Volk (Ps 105,43), das in Freude aus dem Exil herausgeführt wird, hergestellt. Im Hinblick auf Mose ist noch ein weiterer Bezug zwischen Ps 105 und Ps 106 auffällig. Die Exegese von Ps 106,23 hat gezeigt, dass Mose, indem er in die Bresche tritt, als idealtypischer Prophet im Sinn Ezechiels handelt. In Ps 106,32 leidet Mose an der Schuld des Volkes, da es ihm ›übel‹ (K>U) um des Volkes willen geht. In Ps 105,15 bezeichnet Jhwh in direkter Rede die Erzeltern als Propheten, denen im Kontext von Ps 105,12–15 die 324
Vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 111.
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umliegenden Völker und Könige nichts ›Übles/Böses‹ (K>U) tun sollen. Im Zusammenhang von Ps 105 und Ps 106 weist diese direkte Gottesrede durch die Bezeichnung der Erzeltern als Propheten sowie durch das Stichwort ›Übles/Böses tun‹ (K>U) über den Kontext von Ps 105 hinaus und wirkt als Ermahnung an das Gottesvolk, dem idealtypischen Propheten Mose in Ps 106,32 nichts ›Übles/Böses‹ (K>U) zu tun, um diesen nicht in die eigenen Verschuldungen zu verstricken. Im Zusammenhang beider Psalmen entsteht so über den Begriff der Erwählung sowie über die Deutung der Erzeltern und Moses als Propheten eine Kontinuität von den Erzeltern bis zu den Betern des Psalms, die durch die hervorgehobene Funktion Moses als Erwählter Jhwhs die Dimension der Schuld in die Erwählung des Volkes miteinschließt. Dabei funktionieren die Verknüpfungen so, wie es bereits im Hinblick auf das Bundesgedenken ausgeführt worden ist: Der heilsgeschichtlichen Kontinuität von den Erzeltern bis zur Gegenwart wird der in der Erwählung Moses verdichtete Zusammenhang von göttlichem Zorn und Reue bzw. Erbarmen Gottes vorgeschaltet. Dadurch werden die Beter von Ps 106 auf die heilsgeschichtliche Kontinuität Jhwhs im Heilsbund aus Ps 105 zurückverwiesen. In diesem Sinn verweist auch die Schlussbitte in Ps 106,47 auf Ps 105 zurück, indem sie die abschließende Reflexion in Ps 105,42–45 wieder aufnimmt. Denn die Beter in Ps 106,47 erfahren den göttlichen Zorn als Aussetzen des heilsgeschichtlichen Fundaments, das mit der Zerstreuung unter die Völker gleichbedeutend ist. Aufgrund des erneuten Erbarmens Jhwhs in Ps 106,46 hoffen die Beter auf Rettung, die in Ps 105,43–45 bereits der Vergangenheit angehört und sich als Teil der Heilsgeschichte Jhwhs mit seinem Volk erwiesen hat. Unterstrichen wird diese Verbindung zwischen beiden Psalmen durch die unterschiedliche Verwendung des Klage- oder Jubelrufes (KQU).325 In Ps 106,44 wird der Klageruf im Zusammenhang mit der heilvollen Wende der Not Israels verwendet. Diese wird dadurch eingeleitet, dass Jhwh auf die Bedrängnis seines Volkes sah und dessen Klage hörte. In Ps 105,43 hingegen wird der Begriff ›KQU‹ im Sinne des Jubelrufs gebraucht und beschreibt den Auszug in Freude, der sich nach der Geschichtskonstruktion von Ps 105 bereits als Teil des göttlichen Heilsplans erwiesen hat. Indem nun die Beter in Ps 106 durch das Stichwort ›KQU‹ auf die in Ps 105 beschriebene Heilsgeschichte zurückgewiesen werden, erscheint die abschließende Bitte um Sammlung aus den Völkern in Ps 106,47 in einem anderen Licht. Denn von Ps 106,47 herkommend erkennen die Beter, dass der Auszug aus den Völkern, der in Ps 106 gleichbedeutend mit der Wiederherstellung des heilsgeschichtlichen Paradigmas
325
So auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 202.
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ist, bereits in den Heilsplans Jhwhs mit seinem Volk integriert ist, so dass auch die Bitte in Ps 106,47 von Ps 105 her bereits erfüllt ist. Abgerundet werden die konzeptionellen Bezüge zwischen beiden Psalmen durch die den beiden Psalmen zugrunde liegende Namenstheologie, mit der Ps 105,1 beginnt und Ps 106,47 endet. Dabei ist der Aufruf in Ps 105,1, den ›Namen Jhwhs anzurufen‹ (aYDUT), und in Ps 105,3, ›seinen heiligen Namen zu preisen‹ (ZYGTaYEOOK), im Kontext von Ps 105 durch die im Fortgang des Psalms entfaltete Bundestreue Jhwhs gefüllt. In Ps 106,47 ist der Name Jhwhs ebenfalls Gegenstand des Gotteslobs (ZYGTaYOKG\).326 Dabei wird aber über den Namen Jhwhs auf das Rettungshandeln Jhwhs am Schilfmeer in Ps 106,8 zurückgegriffen, da Jhwh dort nicht um des Volkes, sondern um seiner Gottheit selbst, um seines Namens willen eingegriffen hat. Indem nun die abschließende Bitte auf das Lob des Gottesnamens zuläuft, verdichtet sich hier der vor dem Hintergrund der Gnadenformel reflektierte und am Horeb narrativ entfaltete Zusammenhang von göttlicher Güte und göttlichem Zorn. Im Zusammenhang beider Psalmen wird der Beter am Ende von Ps 106 nun ein letztes Mal durch die Verwendung des Namens auf Ps 105,1.3 zurückverwiesen und zum Lob des Jhwh-Namens, in dem die Bundestreue zu seinem Volk durch die Geschichte hindurch verbürgt ist, aufgefordert.327 Betrachtet man noch einmal zusammenfassend die terminologischen Bezugnahmen zwischen beiden Psalmen, so ist die Aufnahme der Bundestheologie aus Ps 105 in Ps 106,45 die bedeutsamste Verbindungslinie. Denn an dieser Stelle in Ps 106,45 wird die für Ps 105,8–11.42 zentrale Bundestheologie mit der für Ps 106 zentralen Vorstellung der Güte Jhwhs verbunden. Auch die weiteren konzeptionell entscheidenden Bezüge zwischen beiden Psalmen weisen von der abschließenden Reflexion in Ps 106,43– 46.47 auf die Geschichtsreflexion in Ps 105 zurück. Dies betrifft das Leitwort ›gedenken/vergessen‹ (UN]/[NY) (Ps 105,5.8.42; 106,4.7.13.21.45) und Über die Verwendung von ›heilig‹ ( YGT) im Zusammenhang mit dem Namen Jhwhs in Ps 105,3 und 106,47 ist das Stichwort noch in Ps 105,42 und 106,16 belegt. Vgl. hierzu auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 111. 327 Neben diesen konzeptionell bedeutsamen Verbindungslinien zwischen Ps 105 und Ps 106 zeigt sich die Nähe zwischen beiden Psalmen darüber hinaus durch die Verwendung des seltenen Ausdrucks Ägypten als Land bzw. Zelte Chams (Ps 105,23.27; 106,22) und der Verwendung der Wurzel ›hassen‹ (DQI), mit der die Ägypter in Ps 105,25 und die Feinde Israels in Ps 106,10.41 bezeichnet werden. Des Weiteren findet sich das Stichwort ›wahren‹ ( UPY) im Hinblick auf Gesetz und Weisungen in Ps 105,47, während im Makarismus in Ps 106,3 diejenigen glücklich gepriesen werden, die das Recht ›bewahren‹ (UPY). Zudem wird in Ps 106,5.40 das Gottesvolk als ›Erbbesitz‹ (KO[Q) bezeichnet, und in Ps 105,11 findet sich der Ausdruck im Zusammenhang der Landverheißung. Das Verb ›widersetzen‹ ( KUP ) steht in Ps 105,28 und in Ps 106,7.33.43. Vgl. zu den terminologischen Bezügen zwischen Ps 105 und Ps 106 weiter HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen 101–150, 111 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 201. 326
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in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Wundertaten (Ps 105,2.5; 106,7.22) sowie die Namenstheologie (Ps 105,1.3; 106,47). Darüber hinaus konnte die durch die Kategorie der Erwählung hergestellte heilsgeschichtliche Kontinuität als eine weitere für die Geschichtskonzeptionen entscheidende Verbindungslinie profiliert werden (Ps 105,6.26.43; 106,5.23). Dabei dienen diese terminologischen Verknüpfungen dazu, die unverbrüchliche Bundestreue Jhwhs durch die Geschichte hindurch in Ps 105 dem vor dem Hintergrund der Gnadenformel entfalteten Zusammenhang von göttlichem Zorn und Reue bzw. Erbarmen Gottes vorzuschalten, so dass die Güte Jhwhs in Ps 106,1.7.45 durch die Bundestreue Jhwhs bereits gefüllt ist. Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in der grundlegenden Ausrichtung beider Geschichtsreflexionen wider. Wird in Ps 105 auch die Außenperspektive eingenommen und das Verhältnis Israels zur Völkerwelt in die Konzeption von Geschichte integriert, wird in Ps 106 Geschichte vor allem aus der Binnenperspektive entfaltet und auf das Verhältnis von Jhwh zu seinem Volk zugespitzt. Das zeigt sich, wie oben bereits dargestellt, an der unterschiedlichen Entfaltung der Bundeskonzeption in beiden Psalmen. Es zeigt sich aber auch in der thematischen Anordnung der geschichtlichen Ereignisse selbst, in denen sich Jhwh in Ps 105 als Herrscher des gesamten Kosmos erweist (vgl. z. B. Ps 105,39–41), während in Ps 106 der Zusammenhang von göttlichem Zorn und Erbarmen und damit das Verhältnis Jhwhs zu seinem Volk im Vordergrund steht. In diesem Sinn wird in Ps 106 die in Ps 105 universal angelegte Reflexion der Geschichte Israels durch die Binnenperspektive ergänzt. Damit aber ist die Reihenfolge der beiden Psalmen nicht umkehrbar, da die in Ps 106 entworfene geschichtstheologische Binnenperspektive die Bundestreue Jhwhs zu seinem Volk, in der er sich als Herr des gesamten Kosmos erweist, voraussetzt. Aufgrund dieser konzeptionellen Verwobenheit der beiden Psalmen bilden die in sich jeweils unterschiedlichen Geschichtsentwürfe am Ende des vierten Psalmenbuches ein gemeinsames »geschichtliches Credo«,328 das die Beter von der Heils- zur Schuld- und wieder zur Heilsgeschichte weist.329 328
Vgl. V. RAD, Problem, 11–20 (Hervorhebung von J. G.). Eine Strukturanalogie zum Psalmenpaar Ps 105 und Ps 106 hat HARTENSTEIN, Personalität, 43 f für Jes 45,6 f aufgezeigt: »Ich JHWH (bin es) und keiner sonst, der bildet Licht und schafft Finsternis, der wirkt Heil und schafft Unheil. Ich JHWH (bin es), der all diese (Dinge) tut« (Übersetzung nach HARTENSTEIN, Personalität, 43). So ist nach Hartenstein in der Abfolge der Objektpaare ›Licht – Finsternis‹ und ›Heil – Unheil‹ eine Erkenntnisordnung intendiert, die zum einen von den kosmischen Größen, Licht und Finsternis, zur geschichtlichen Handlungsmacht verläuft, so dass die Schöpfung als Gesamtrahmen der Geschichte erscheint. Zum anderen setzen beide Aussagen mit der anfänglichen Heilssetzung Jhwhs ein. Das Negative, das mit dem unanschaulichen Verb ›schaffen‹ (DUE) verbunden ist, bleibt »als durch Gott bewirktes … so zuletzt dem Ver329
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Wertet man diese konzeptionellen Bezüge zwischen Ps 105 und Ps 106 redaktionskritisch aus, bestehen prinzipiell drei Möglichkeiten, das literarische Verhältnis zwischen beiden Psalmen zu beschreiben: Erstens können beide Psalmen unabhängig voneinander entstanden sein. Diese Annahme setzt aber aufgrund der oben dargestellten konzeptionellen Bezüge ältere Fassungen beider Psalmen voraus, die nicht zwangsläufig aufeinander bezogen sein müssen.330 Allerdings sind sie aufgrund der oben herausgestellten Kohärenz der uns vorliegenden Textgestalt von Ps 105 und Ps 106 einerseits sowie ihrer sichtbar gewordenen terminologischen und konzeptionellen Verwobenheit andererseits nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren. Daher ist es plausibler, davon auszugehen, dass beide Psalmen in Bezug zueinander entstanden sind. Zweitens kann die enge Bezogenheit beider Psalmen so beschrieben werden, dass einer der beiden Psalmen bereits in seinem Kontext vorhanden war und der jeweils andere auf diesen hin ergänzt worden ist. Diese Variante setzt über die bisher erarbeiteten konzeptionellen Bezüge zwischen Ps 105 und Ps 106 eine umfassende redaktionskritische Analyse zur Entstehung des vierten und fünften Psalmenbuches voraus, um die psalterkompositorische Funktion von Ps 105 und Ps 106 in ihrem größeren literarischen Zusammenhang bestimmen zu können. Eine solche umfassende Untersuchung ist zwar im Rahmen unserer Fragestellung nicht möglich. Dennoch wird in einem nächsten Schritt die redaktionelle Bedeutung von Ps 105 und Ps 106 in der Kleinkomposition Ps 103–107 genauer zu betrachten sein, um aufgrund der dort sichtbar werdenden psalterkompositorischen Bezüge Indizien für oder gegen die Annahme einer stufenweisen Entstehung von Ps 105 und Ps 106 zu sammeln. Allerdings ist sie in den neueren redaktionskritischen Modellen zur Entstehung des vierten und fünften Psalmenbuches nicht bestätigt worden.331 Drittens schließlich können die engen konzeptionellen Bezugnahmen zwischen beiden Psalmen darauf hindeuten, dass beide Psalmen in Bezug zueinander entstanden sind und von einer Redaktion in ihren jetzigen Kon-
stehen entzogen, bildet aber einen Teil der – darin abgründig erscheinenden – Identität JHWHs« (HARTENSTEIN, Personalität, 43). 330 Vgl. zu dieser Position ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 111, der die Differenz in Sprache und Konzeption betont. Er geht von zwei ursprünglich eigenständigen Psalmen aus. »Die beiden Psalmen entstammen nach Sprache und Einzelaufriss verschiedenen Händen. Der Exilshintergrund, der in Ps 106 so deutlich heraustritt und in manchem an die Geschichtsdarstellung in Ez 20 erinnert, ist in Ps 105 nicht zu greifen« (Z IMMERLI, Zwillingspsalmen, 111). 331 Vgl. hierzu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 110–114.135.138, LEUENBERGER , Konzeptionen, 220 f.245–248 und B ALLHORN, Telos, 144–146.
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text eingefügt worden sind.332 Eine solche Zuordnung von Ps 105 und Ps 106 setzen sowohl Leuenberger als auch Hossfeld/Zenger in ihren redaktionsgeschichtlichen Überlegungen zum vierten Psalmenbuch voraus.333 Dabei geht Leuenberger von einem Grundbestand der Psalmen aus (Ps 105,6–44; 106,4–43). Durch eine redaktionelle Bearbeitung (Ps 105,1.2– 5*.45; 106,1.2f.44–46.47.48) werden beide Psalmen sowohl eng miteinander parallelisiert als auch konzeptionell mit der übergeordneten Thematik des Jhwh-Königtums im vierten Psalmenbuch verbunden.334 Dennoch räumt Leuenberger ein, dass »sich hieb- und stichfeste Beweise nicht beibringen [lassen], doch spricht dafür [für die Annahme einer gemeinsamen Redaktion] sehr deutlich die Auswertung erstens der ZGZK/*OOK-Über- resp. Unterschriften und zweitens der zahlreichen, insgesamt kaum anders denn als gemeinsame Überarbeitung verstehbaren Stichwortbezüge in redaktionellen Passagen (siehe besonders *YGT aY 105,3; 106,47; UPY + Gesetzbegriff 105,45; 106,3)«. 335 Hossfeld/Zenger kommen zu dem gleichen Ergebnis, obwohl sie Ps 105 als literarisch einheitlich beschreiben und in Ps 106,4 f nur die Bitten als sekundär bewerten, durch deren universale Tendenz ein Bezug zur Einleitung von Ps 107,1–3 hergestellt wird. Daher basiert ihre Annahme, Ps 105 und Ps 106 einer redaktionellen Bearbeitung zuzuschreiben, vor allem auf den beide Psalmen verbindenden konzeptionellen Bezügen wie z. B. die Aufnahme der Bundestheologie aus Ps 105,8.11.42 in Ps 106,45, das Stichwort ›Erwählter‹ (Ps 105,26; 106,5.23) und das Bekenntnis zu Jhwh als unserem Gott (Ps 105,7; 106,47).336 Die von Hossfeld/Zenger vertretene Position wird durch die oben aufgezeigten engen konzeptionellen Verbindungen beider Psalmen bestätigt. Darüber hinaus bleibt aber zu fragen, ob es sich bei beiden Psalmen überhaupt um jeweils selbstständige und unabhängige Texte gehandelt hat, die erst in einem späteren Stadium aufeinander bezogen worden sind, oder ob sie späte, für ihren Kontext geschaffene literarische Produkte darstellen. Wie bereits im Hinblick auf die Frage nach einer stufenweisen Entstehung geht folglich auch die Frage nach einer zeitgleichen Entstehung von Ps 105 und Ps 106 über den Rahmen unserer Fragestellung hinaus. Dennoch wird diesbezüglich die im 332 BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 342 gehen noch darüber hinaus und nehmen an, dass es sich bei Ps 105 und Ps 106 ursprünglich um einen Psalm gehandelt habe, der die Geschichte Israels von den Patriarchen bis zur Richterzeit entfaltet und der nachträglich aus liturgischen Gründen in zwei Psalmen unterteilt worden ist. 333 Vgl. zu dieser Position weiter auch BALLHORN, Telos, 130 f. 334 Vgl. zu den einzelnen Bezügen der Psalmen ins vierte Psalmenbuch hinein LEUENBERGER , Konzeptionen, 195–198.216 f.245 f. 335 LEUENBERGER, Konzeptionen, 245. 336 Vgl. hierzu und zu weiteren Bezügen zwischen beiden Psalmen HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 111 f.
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folgenden Abschnitt zu untersuchende redaktionelle Bedeutung von Ps 105 und Ps 106 innerhalb der Kleinkomposition Ps 103–107 Hinweise für oder gegen eine zeitgleiche Entstehung von Ps 105 und Ps 106 aufzeigen. Inwiefern die beiden Psalmen also nicht nur aufeinander hin, sondern auch für ihren unmittelbaren Kontext am Ende des vierten Psalmenbuches gestaltet worden sind, wird daher im Fokus des folgenden Abschnittes stehen. 2. Gnädig und barmherzig ist Jhwh – die psalterkompositorische Bedeutung der Gnadenformel am Ende des vierten Psalmenbuches Die geschichtstheologische Konzeption von Ps 105 und Ps 106 hat den Heilsbund Jhwhs in Ps 105,8–11.42 einerseits und die Fülle seiner Güte in Ps 106,1.7.45 andererseits als Fundament seines Handelns in der Geschichte herausgestellt. Dabei ist für Ps 106 die paradigmatische Bedeutung der Güte Jhwhs deutlich geworden, wie sie in den den Geschichtsrückblick abschließenden Versen zusammenfassend reflektiert wird (Ps 106,43–46). Es ist die Güte Jhwhs, die trotz der permanenten Verschuldungen der Israeliten dazu führt, dass Jhwh seinen Zorn begrenzt und sich seinem Volk wieder mit Erbarmen zuwendet. Diese paradigmatische Bedeutung seiner Güte haben die Israeliten zunächst bei der Errettung am Schilfmeer erfahren (Ps 106,7–12). Am Horeb hat sich ihnen dann das Zusammenwirken von göttlichem Zorn und göttlicher Güte gezeigt (Ps 106,19–23). Denn Jhwh hat aufgrund seiner umfassenden Güte durch die Erwählung Moses seinem Zorn von vornherein Einhalt geboten und Israel am Horeb Reue und Erbarmen erfahren lassen, da sein Erbarmen schon immer seinen Zorn umgreift. Von daher zeigt sich in Moses Eintreten die geschichtstheologische Interpretation der Gnadenformel, wie sie in den abschließenden Reflexionsversen aufgenommen wird (Ps 106,45f). Mit genau diesem geschichtstheologischen Fokus knüpft Ps 106 nun an die Entfaltung der Gnadenformel in Ps 103,8 an. Sie bildet das konzeptionelle Zentrum des Psalms und wird durch den Gedanken der Sündenvergebung ausgelegt.337 Dabei steht in beiden Psalmen, Ps 103,7f und 106,19–23, die Situation aus Ex 32–34 im Hintergrund. Im Unterschied zu Ps 106 aber wird die Gnadenformel in Ps 103 nicht geschichtstheologisch entfaltet, sondern in ihrer anthropologischen Bedeutung reflektiert. Um diese konzeptionell zentrale Verbindungslinie zwischen beiden Psalmen auch psalterkompositorisch auswerten zu können, ist es zunächst notwendig, die Bedeutung der Gnadenformel für Ps 103 darzustellen.
337
So SPIECKERMANN, Barmherzig, 10–12 und ihm folgend M ETZGER, Lobpreis, 121.
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a) Psalm 103 – Der Lobpreis der göttlichen Güte338 1 Von David. Preise/Segne, meine Seele, (den) Jhwh und mein ganzes Inneres seinen heiligen Namen. 2 Preise/Segne, meine Seele, (den) Jhwh und vergiss nicht alle seine Wohltaten. 3 Der vergibt all deine Schuld, der heilt all deine Gebrechen, 4 der auslöst dein Leben aus (der) Grube, der dich krönt mit Güte und Erbarmen, 5 der sättigt mit dem Guten deine Dauer,339 sie erneuert sich wie beim Geier deine Jugend.
xGZ,mGoO 1 KZnK\!WD\YLSQº\NL¼U@%l C$Y G!TlaYHÆWD\EUnTÏONlZ! KZnK\!WD\YLSQº\NL¼U@%l 2 CZ\Ol:P*!O.l\[L.Y7LÏODZ! \NLQ(Z2>@ONlO[OHÆ6RK 3 C\NL\!Do OX[@7ONmODSHURKmÏ \NL\!PKÏ \(G!>E$-½%>\%,½I0K 5 C\NL\!U :>Q!UY1½.Y'(¶[W7L
6 Gerechtigkeitstaten verwirklicht Jhwh und Rechtsurteile für alle Bedrängten. 7 Er hat Mose seine Wege kundgetan, (den) Kindern Israels seine Taten: 8 Gnädig und barmherzig (ist) Jhwh, lang zum Zorn und reich an Güte. 9 Nicht auf Dauer streitet er, und nicht für ewig trägt er nach. 10 Nicht gemäß unseren Sünden hat er an uns getan, und nicht gemäß unserer Verschuldungen hat er an uns gehandelt.
KZK\!W$T½GFKIH¼>R 6 Ca\T, :Y>@ON Oa\ML3 YPL:Ï KYBPROZ\N ¼U'!>\G,¼$\ 7 CZ\W $O \OL>@ODHUI\,Ï\Q(ÇEOL KZK\!:1¾[Z!a:[½U 8 CGV[ EUZ!a\,3½DUD¶ E\U,\[FQÇO DO^ 9 CU$- \,aO ¼$>ODO^·Z! :QO BKI > ¼:Q\DHM [@NºDO^½ 10 C:Q\OH> OPÆ*:Q\WHQ2Z2>@NÏDO^ÇZ!
11 Denn so hoch (der) Himmel über der Erde ist, ist seine Güte mächtig über denen, die ihn fürchten. 12 So weit entfernt (der) Aufgang vo(m) Untergang ist, lässt er unsere Freveltaten von uns entfernt sein. 13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, erbarmt sich Jhwh über die, die ihn fürchten. 14 Denn er weiß, was wir für Gebilde (sind), ist eingedenk,340 dass wir Staub (sind).
UD BK O>a\,PY º+ER½J!NL\.L³ 11 CZ\D U(\!O>$'V[ÏUEÇ* EUB>@0PL[U]!PLºT[R½U!.L 12 C:Q\>HY 3WD:10PLÏT\[LÆU!K, a\Q,% O>ED ºa[H¼U. 13 CZ\D U(\!O>KZK\!Ïa[ÆU, :QU(BF\,>G¼\D:K·\.L 14 C:Q[Q D@USÇ> \.LU:N]Ï
338
So auch der Titel des Artikels von METZGER, Lobpreis, 121–133 zu Ps 103. MT überliefert ›deinen Schmuck‹ (\G>). Mit HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101– 150, 54, DOHMEN, Sinai, 92 und SEYBOLD, Psalmen, 402 wird ›GZ>‹ unter Verweis auf Ps 104,33 und 146,2 als »Dauer, Fortleben, Alter« verstanden. 340 Mit MT ist das Verbaladjektiv ›eingedenk sein‹ (UZN]) beizubehalten. LXX liest den Infinitivus absolutus im Sinne des Imperativs. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 54. Anders SEYBOLD, Psalmen, 402, der der LXX folgt. 339
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106 15 Ein Mensch, wie Gras (sind) seine Tage, wie eine Blume des Feldes, so blüht er. 16 Denn ist (der) Wind darübergegangen, (ist) sie nicht mehr, und man erkennt ihren Ort nicht mehr. 17 Und Jhwhs Güte ist von fernster Zeit bis in fernste Zeit über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit für Kindeskinder, 18 für die, die seinen Bund wahren, und für die, die seiner Befehle gedenken, sie zu tun. 19 Jhwh, im Himmel hat er seinen Thron aufgestellt, und seine Herrschaft: Alles beherrscht sie. 20 Preist/Segnet Jhwh, ihr, seine Boten, Helden von Kraft, die sein Wort tun, zu hören auf (die) Stimme seines Wortes. 21 Preist/Segnet Jhwh, all seine Heerscharen, seine Diener, die seinen Willen tun. 22 Preist/Segnet Jhwh, all seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft. Preise/Segne meine Seele den Jhwh!
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Z\P B\U\FL¼[ .Y$QDº 15 C\FL\.(½KG) KÏ\FLÆ. :1Q\DHZ!$%¾KUE> [:U½\.L³ 16 C$P $TPG$>½:1U¶\.L\DO^Z! aO ¼$>PHxKZmK\!GV[³Z! 17 Z\D BU(\!O>aO $>ºG>Z! Ca\Q, E \Q(ÇEOL$WT G!FLZ! Ï$W\U,E\U(ÆPYRO 18 CaW $I>@OZ\G4XSLÏ\U(ÆN]2O: $DV.L\NL¼KHa\,P9 %ºKZK\! 19 CKO Y P O.RÇ%$W:NOP:Ï Z\N ÆD ÉOPKZK\!:NÇU@% 20 $UE G!\IH¼>R[NRº\U(%R½*, C$U E '!O$T½%>PRYOLÏ Z\D BE FO. KZK\!º:N½U@% 21 C$Q $FU!\IHÆ>RZ\W U!Y PÏ Z\I >@PO. xKZmK\!:N´U@% 22 $7OYPPW$PÇTRPON % CKZ K\!WD\YLSQÏ\NLÆU@%
Der Lobpreis der göttlichen Güte beginnt in Ps 103,1f mit einer Aufforderung in gleichem Wortlaut (Imperativ Singular in V. 1.2) an das eigene Selbst zum Lobpreis und wird jeweils mit einem Parallelismus membrorum fortgeführt.341 Dabei setzt Ps 103,1b den Lobaufruf an das eigene Selbst mit der Aufforderung fort, den heiligen Namen Jhwhs zu preisen.342 An die Imperative in V. 1 f schließen sich fünf Partizipialsätze an (Ps 103,3–5a), in denen sich das Partizip auf Jhwh zurückbezieht.343 Abgeschlossen wird der Abschnitt durch einen Verbalsatz in V. 5b. Inhaltlich wird hier der Zusammenhang von Schuld, Krankheit und Tod reflektiert. Durch die Vergebung von Schuld aber werden die Beter zurück ins Leben geführt. Denn die Vergebung der Schuld (Ps 103,3) bewirkt für den Beter Heilung von Krankheit und das Auslösen seines Lebens aus der Grube (Ps 103,4). Der Mensch wird wie ein König behandelt und mit königlichen Insignien ausgestattet, bei denen es sich um ›Güte‹ (GV[) und ›Erbarmen‹
341
Zur Form vgl. SPIECKERMANN, Hymnen, 103–106. Vgl. ZENGER, Nacht, 417; WILLIS, Love, 534; FRANZ, Gott, 231. 343 Auch die Sonderform des Personalsuffixes in der 2. Person Singular Femininum verweist auf die Zusammengehörigkeit des Abschnitts vgl. dazu auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 55. 342
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(a\P[U) handelt (Ps 103,4b).344 Mit ›Güte‹ (GV[) und ›Erbarmen‹ (a\P[U) werden die beiden entscheidenden Leitworte des Psalms genannt, die in Ps 103,8.11.13.17 als Wirkgrößen Jhwhs wieder aufgenommen und im Hinblick auf ihre räumlich-kosmisch (V. 11.13) und zeitlich (V. 17) unüberbietbare Ausdehnung entfaltet werden. Von daher laufen die Partizipien in Ps 103,3–5 auf V. 4b zu.345 In V. 5a wird die Partizipienreihe zunächst durch die Sättigung mit Gutem, die als Konsequenz eines mit Güte und Erbarmen ausgezeichneten Menschen folgt, fortgesetzt.346 In V. 5b wird mit einem Verbalsatz der Abschluss des Abschnitts markiert. Inhaltlich wird dies durch das Bild vom Geier unterstrichen, das die Erneuerung der Lebenskraft plastisch vor Augen führt347 und die lebenserhaltende Wirkung des Handelns Jhwhs zusammenfasst.348 Das artikellose Eingangspartizip sowie die Inversion mit der neuen Nennung Jhwhs in V. 6 markieren einen neuen Abschnitt, der das Subjekt aus V. 5 voraussetzt und der in V. 7 mit einem Verbalsatz fortgeführt wird.349 Dabei zeigt sich die Vergebung der Schuld nicht nur in individuellen Lebensvollzügen wie in der Heilung von Krankheit, Errettung vom Tod oder der Sättigung des Lebens mit Gutem (Ps 103,3–5). Sie schließt gerade auch die soziale Dimension des Lebens mit ein und erweist sich in der ›Gerechtigkeit‹ (WZTGF), die Jhwh tut, und in seinen ›Rechtsentscheiden‹ 344 Bemerkenswert ist die ungewöhnliche Metaphorik, da die Insignien Güte und Erbarmen nicht zur Grundausstattung eines Königs gehören, sondern bedeutende Wirkgrößen Jhwhs darstellen (vgl. Ps 25,6; 40,12; 69,17), die auf den Menschen übertragen werden. 345 LEUENBERGER, Konzeptionen, 183 sieht in Ps 103,4b die Klimax der Reihe Ps 103,3–5, so dass er aufgrund dessen sowie wegen der deutlichen Stichwortbezüge von Ps 105,5 V. 5 als redaktionellen Nachtrag einstuft. Dagegen ist mit HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 55 festzuhalten, dass sich die Stichwortverbindungen von Ps 103 zu Ps 104 über den gesamten Psalm erstrecken und sich die Sättigung mit Gutem sowie die Erneuerung des Lebens in V. 5 stilistisch und inhaltlich gut in den Kontext einpassen. 346 Vgl. ZENGER, Morgenröte, 196. 347 Vgl. zur Geiermetaphorik DOHMEN, Sinai, 99 f. Ein vollgefressener Geier kann sich nur noch mühsam in die Luft erheben. »Werden sie aber aufgescheucht, so daß sie fort müssen, so laufen und stolpern sie – von ihrer Physiognomie her schon alt und gebrechlich wirkend – auf den nächsten Abgrund zu, so als wollten sie sich blindlings hinabstürzen. Instinktsicher tun sie dies auch, weil die Thermik – gerade in den heißeren Wüstenregionen – ihnen erlaubt, ohne Kraftanstrengung, lediglich mit ausgebreiteten Flügeln abzuheben« (DOHMEN, Sinai, 100). Beobachtet man diesen Vorgang, scheint sich der Geier von der einen zur anderen Minute von einem schwerfälligen alten Tier in ein junges Tier zu verwandeln. 348 Vgl. ZENGER, Morgenröte, 195. 349 Aufgrund stilistischer Beobachtungen wie dem artikellosen Partizip, dem Übergang zu Verbalsätzen in V. 7 sowie der Ausweitung der Perspektive auf das Kollektiv hält SPIECKERMANN, Barmherzig, 11 Anm. 29 V. 6 f für einen redaktionellen Nachtrag, der entsprechend der Sinaiüberlieferung als Vorspann zu Ps 103,8 ergänzt worden ist.
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(a\MSYP) für die ›Unterdrückten‹ (a\TZY>)350 (Ps 103,6). Durch die Vergebung der Schuld erhält Jhwh also im sozialen Bereich seine heilvolle Ordnung, die Leben erhält und schützt, aufrecht. In V. 7 wird der Erweis von Gerechtigkeit und Rechtsentscheiden an die Heilsgeschichte rückgebunden, indem die Situation aus Ex 33,16 in Erinnerung gerufen wird, in der Mose Jhwh bittet, ihm seine Wege ›kundzutun‹ (>G\ Hif.). Dabei ist die Entsprechung der Bitte aus Ex 33,16 in Ps 103,7 bereits vorausgesetzt. Denn Jhwhs Eintreten für sein Volk zeigt sich darin, dass er Mose seine Wege kundgetan hat und den Israeliten seine Werke. Damit erinnert der Beter daran, »daß die Hoffnung und die Erfahrung der Leben erneuernden Sündenvergebung … in der großen Sinaioffenbarung gründet, die ›am Ursprung‹ Israels als Bundesvolk steht«.351 Mit dieser Eröffnung der heilsgeschichtlichen Perspektive aus Ex 32–34 leitet V. 7 aber zugleich zum Zitat der Gnadenformel in Ps 103,8 über. V. 8 ist grammatisch auffällig, da es sich hier um einen Nominalsatz mit vier Adjektiven als Prädikatsnomen handelt. Die Adjektive in Ps 103,8 sind paarweise angeordnet, so dass Jhwhs ›Barmherzigkeit‹ (^aZ[U) und sein ›Gnädigsein‹ (ZQ[) einerseits sowie sein ›Langmut zum Zorn‹ (a\SDUD) und seine ›Güte‹ (GV[) andererseits ein Paar bilden. Damit stehen in Ps 103,8 die für den Psalm entscheidenden Leitworte der Barmherzigkeit und der Güte Jhwhs am Beginn und am Ende der Formel und werden dadurch formal besonders hervorgehoben.352 Durch die Inversion und die erneute Nennung des Jhwh-Namens knüpft V. 8 zudem an V. 6 an. So sind die in V. 6 in einem partizipialen Nominalsatz formulierte Sündenvergebung und die als Nominalsatz formulierte Gnadenformel strukturell aufeinander bezogen. Dies entspricht auch den auf die Formel folgenden vier verneinten Verbalsätzen in V. 9f, die jeweils mit der Verneinungspartikel (DO) beginnen und die Formel ebenfalls im Hinblick auf die Vergebung der Schuld auslegen. Sie beschreiben, was Jhwh gerade nicht tut. Dazu wird in V. 9 die Vergeltung Jhwhs durch die Negation der unbegrenzten Dauer ›für
350 Insbesondere der Begriff ›Unterdrückte‹ ( a\TZY>) verweist auf die Unterdrückung im sozialen Bereich und findet sich von daher auch in der prophetischen Sozialkritik (vgl. Jer 7,6; Am 4,1; Mi 2,2); vgl. hierzu H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 59; METZGER, Lobpreis, 127 und ZENGER, Morgenröte, 195 f. W ILLIS, Love, 530–537 macht darüber hinaus auf die Parallele in Ps 116 und Ps 111 aufmerksam, da in beiden Psalmen die Gnadenformel mit der Thematik von Recht und Gerechtigkeit verbunden wird. 351 ZENGER, Morgenröte, 196 f. 352 Aufgrund der Rahmung mit den zentralen Leitworten Güte und Erbarmen in V. 8 wird vermutlich die in Ex 34,6 in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnte ›Treue‹ (WPD) Jhwhs in Ps 103,8 nicht genannt. Anders METZGER, Lobpreis, 126, der davon ausgeht, dass die ›Treue‹ (WPD) Jhwhs aufgrund metrischer Gründe in Ps 103 weggefallen ist. Vgl. weiter Anm. 364.
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immer‹ ([FQ) und ›bis in fernste Zeit‹ (aOZ>O) begrenzt.353 Jhwh streitet nicht auf Dauer und trägt nicht auf ewig nach (Ps 103,9). V. 10 führt den Gedanken fort und ergänzt »geradezu das Wesen der Vergebung«.354 Denn die Schuld der Beter ist für Jhwh gerade nicht der Maßstab seines Handelns, sondern seine Güte und seine Barmherzigkeit, so dass der Beter statt dem durch seine Schuld ausgelösten unheilwirkenden Zusammenhang von Krankheit, Tod und Unrecht Jhwhs Güte und Barmherzigkeit erfährt. Die Güte und Barmherzigkeit Jhwhs werden in ihrer seinen Zorn umfassenden Fülle in den sich anschließenden Vergleichen in V. 11–13 entfaltet, die auf die Unüberbietbarkeit der göttlichen Güte und Barmherzigkeit zielen. V. 11 wird mit der Begründungspartikel ›ja/denn‹ (\N) eingeleitet und knüpft so an die Ausdeutung der Gnadenformel aus V. 9 f an. Dabei wird die Güte Jhwhs zunächst in ihrer vertikalen Ausdehnung skizziert. Ihre kosmische Macht, die den Jhwh-Fürchtigen gilt, ist so ›mächtig‹ (UEJ), so hoch der Himmel über der Erde ist. Dieser Vergleich beschreibt die größtmögliche Ausdehnung der göttlichen Güte und zielt so auf ihre unüberbietbare Macht, die die Vergeltung bzw. den Zorn Jhwhs umfasst. Dies führt der zweite Vergleich in V. 12 aus und bedient sich dazu der nicht zu überbietenden Ausdehnung in der Horizontalen. Denn die durch die umfassende Güte Jhwhs gewährte Vergebung der Schuld bewirkt, dass die Freveltaten der Beter nicht in unheilvoller Folge auf ihn zurückfallen. Vielmehr ist der Mensch durch sie so weit von seiner Schuld entfernt wie der Ort des Sonnenaufgangs vom Ort des Sonnenuntergangs. »Durch die Übermacht der Gnade (V. 11) wird möglich, was unmöglich scheint: Der Mensch und sein unheilvolles Tun, die eine unlösbare Einheit bilden, werden voneinander getrennt, der verhängnisvolle Zusammenhang zwischen unheilvoller Tat und unheilvoller Folge wird zerrissen.«355 Der sich in V. 13 anschließende Vergleich hat nicht mehr die ›Güte‹ (GV[) Jhwhs, sondern das zweite Leitwort, seine ›Barmherzigkeit‹ (a[U), im Blick. Wie die Güte Jhwhs, so beschreibt auch seine Barmherzigkeit die voraussetzungslose und unbedingte Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk. Im Unterschied zur Güte, die sich in der Vergebung der Schuld zeigt, steht bei der Barmherzigkeit stärker der emotionale Aspekt der göttlichen Zuwendung
Nach HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 230 impliziert ›auf ewig‹ ([FQ ) eine in der Zukunft unbegrenzte Dauer und meint »eine kollektive Zeiterfahrung, die im Gerichtshandeln bzw. Nichthandeln JHWHs gründet«. Vorausgesetzt ist nach Hartenstein, dass die Zeitbegriffe des Alten Testaments stets Relationsbegriffe sind. Der Mensch erfährt sich als auf die seine Zeiterfahrung übersteigende Zeit Jhwhs bezogen, die im Kult erfahrbar wurde. 354 METZGER, Lobpreis, 127. 355 METZGER, Lobpreis, 129. 353
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im Mittelpunkt.356 Diese wird in V. 13 mit dem Bild des väterlichen Erbarmens über seine Kinder ausgeführt.357 Wie die Güte in V. 11 f gilt auch das Erbarmen denen, die Jhwh fürchten. V. 14 knüpft mit der Begründungspartikel ›ja/denn‹ (\N) an V. 11 an und setzt Jhwh als Subjekt der vorherigen Verse voraus. Zugleich aber führt der Vers das in V. 15–18 entfaltete Thema der Geschöpflichkeit und Vergänglichkeit des Menschen ein und leitet von daher zu dem Abschnitt V. 15–18 über.358 Das Wissen Jhwhs um die Geschöpflichkeit und damit auch die Vergänglichkeit des Menschen359 in V. 14 begründet letztlich seine dem Menschen zuteil werdende umfassende Güte und Barmherzigkeit (vgl. Ps 78,38 f).360 In V. 15 f wird das Thema der Vergänglichkeit des Menschen mit einem Bild aus der Vegetation ausgestaltet (vgl. Ps 90,5f; Jes 40,6b–8). Der Mensch gleicht einer Feldblume, die dem Wind ausgesetzt ist. Der Gedankengang bleibt aber nicht bei der Vergänglichkeit des Menschen stehen, sondern zielt auf die Güte Jhwhs in V. 17, die im Kontrast zur Geschöpflichkeit des Menschen zeitlich unbegrenzt denen gilt, die Jhwh fürchten. Durch die Jhwh-Fürchtigen entsteht eine Verbindung zu der in V. 11–13 beschriebenen unüberbietbaren Macht der Güte Jhwhs in ihrer kosmischen Ausdehnung. Diese wird in V. 17 um ihre zeitlich unüberbietbare Ausdehnung ergänzt.361 Dazu wird die Zeitangabe ›bis in fernste Zeit‹ (aOZ>) aus V. 9 aufgenommen und die Güte Jhwhs im Kontrast zur zeitlich begrenzten Vergeltung beschrieben. Im dritten Kolon von V. 17 wird das Stichwort ›Gerechtigkeit‹ (KTGF) Jhwhs aus V. 6 wieder aufgenommen und als 356 Vgl. hierzu STOEBE, Art. a[U, 761–768. Der emotionale Aspekt wird bereits in der Grundbedeutung »Eingeweide« (vgl. z. B. Gen 43,20; Prov 12,10) und »Mutterleib« (vgl. z. B. Gen 49,25; Hos 9,14; Jer 1,5) deutlich. Darüber hinaus bezeichnet › a[U‹ den Sitz der Gefühle (vgl. z. B. Gen 43,30; 1Kön 3,26; Jer 31,20). 357 Vgl. zum Vaterbild vor allem Jes 63,15 f und dazu G ÄRTNER, Jesaja 66, 228–230. 358 Im Hinblick auf V. 14 weichen die Gliederungsvorschläge voneinander ab. H OSSFELD/ZENGER , Psalmen 101–150, 56 f sehen in V. 14 die Schlussbegründung des Abschnittes V. 11–13, während METZGER, Lobpreis, 123 V. 14 zum Abschnitt V. 14–18 zählt. 359 Die Geschöpflichkeit und Vergänglichkeit des Menschen in Ps 103,14 wird mit dem Vokabular des zweiten Schöpfungsberichts zum Ausdruck gebracht: Der Mensch wird als ›Gebilde‹ (UF\) Jhwhs beschrieben (Gen 2,7), das aus ›Staub‹ (US>) genommen ist und zum Staub zurückkehrt (Gen 3,19). Aufgrund dieser terminologischen Bezogenheit von Ps 103 zu Gen 3,19 ist der zweite Schöpfungsbericht in Ps 103 bereits vorausgesetzt. 360 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 60. 361 V. 17 ist von seiner Struktur her auffällig, da es sich um ein Trikolon handelt, während die anderen Verse des Psalms jeweils aus einem Bikolon bestehen. Von daher vermutet METZGER, Lobpreis, 130 Anm. 22 eine sekundäre Auffüllung von V. 17, vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 60.
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Synonym zu seiner Güte verwendet. Anhand der Gerechtigkeit Jhwhs zeigt sich die soziale Dimension seiner Güte, durch die er seine heilvolle und Leben ermöglichende Ordnung garantiert. Auch die durch Jhwh gewährte Gerechtigkeit wird, wie seine Güte in den ersten beiden Kola, in zeitlicher Ausdehnung entgrenzt und über Generationen hin garantiert.362 Dieser Gedanke wird in V. 18 mit einem Partizip weiter fortgeführt, indem die Gerechtigkeit Jhwhs denen gilt, die seinen Bund wahren, seiner Gebote gedenken und sie tun. Mit dem Stichwort ›Bund‹ (W\UE) wird wiederum auf Ex 32–34 zurückgegriffen und der erneute Bundesschluss am Sinai aus Ex 34,10.27 aufgenommen. Diesem gehen die Vergebung der Schuld und die Zusage der göttlichen Güte voraus. Das Bewahren des Bundes und das Halten der Gebote setzen die Güte Jhwhs und seine Barmherzigkeit voraus und sind auf der Grundlage dieser Zusage als Antwort der Beter auf Jhwhs allumfassende Güte zu verstehen.363 Somit wird in V. 18 die in Ps 103,1– 18 enthaltene Auslegung der Güte Jhwhs zum Abschluss gebracht, indem die Verse 15–18 die Auslegung aus V. 11–13 um ihre zeitlich unbegrenzte Ausdehnung erweitern und wie die Vorlage in Ex 32–34 mit dem vor dem Hintergrund der Güte Jhwhs erneuerten Bund schließen.364 Der hymnische Abgesang in V. 19–22 beginnt mit einem neuen Thema und entfaltet die Königsherrschaft Jhwhs, die im bisherigen Psalm nicht expliziert worden ist. Der Neueinsatz zeigt sich auch daran, dass die beiden entscheidenden Leitworte des Psalms, die ›Güte‹ (GV[) und die ›Barmherzigkeit‹ (a[U), nicht mehr aufgenommen werden. Gleiches gilt für das zentrale Thema der Vergebung der Schuld und damit der Verhältnisbestimmung von Jhwhs Güte und seiner Vergeltung. Von daher ist mit der Mehrzahl der Exegeten in V. 19–22 von einer redaktionellen Erweiterung des
362
So auch SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 151 f, der unter den Kindeskindern die allgemeine Generationenfolge versteht; anders SPIECKERMANN, Barmherzig, 11 Anm. 29, der den Ausdruck ›Kindeskinder‹ wörtlich versteht und die Generationenfolge auf die Enkel beschränkt. Dadurch entsteht eine Abgrenzung der Güte Jhwhs zu seiner Barmherzigkeit. Denn während die Güte Jhwhs ewig gilt, gilt seine Gerechtigkeit nur bis zur Enkelgeneration und ist an Recht und Gerechtigkeit gebunden, so dass im Hinblick auf die Güte Jhwhs ihre in V. 8–13 beschriebene Voraussetzungslosigkeit eingeschränkt wird. Von daher sieht Spieckermann in V. 15–18 eine Fortschreibung des Psalms. 363 Anders SPIECKERMANN, Barmherzig, 11 f. Vgl. zu Ps 105 A.3.d) (S. 179 ff). 364 Mit METZGER, Lobpreis, 124 f.130 f ist somit in V. 15–18 nicht von einer redaktionellen Erweiterung des Psalms auszugehen. Dagegen plädieren HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 56 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 184 für eine redaktionelle Ergänzung, die mit dem Thema der Vergänglichkeit und Geschöpflichkeit des Menschen eine Relecture der Gnadentheologie des Grundpsalms enthält. Als formales Argument wird der Neueinsatz in V. 15 mit einem Casus pendens genannt, mit dem auch die vermutlich redaktionelle Ergänzung der Jhwh-Königstheologie in V. 19 beginnt. So auch schon SPIECKERMANN, Barmherzig, 10 f. Vgl. hierzu Anm. 352.
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Psalms auszugehen.365 Gepriesen wird in V. 19–22 der Königsgott Jhwh, dessen Thron im Himmel ist, dessen Herrschaft sich über das gesamte Universum erstreckt und dessen himmlischer Hofstaat zum Gotteslob aufgefordert wird.366 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das zentrale Thema des Grundpsalms in Ps 103,1–18 die Auslegung der Gnadenformel darstellt, die in V. 8 zitiert wird. Gerahmt ist diese durch das Thema der Vergebung der Schuld in V. 9 f und V. 3–5, wobei in V. 9f die Begrenzung der göttlichen Vergeltung und in V. 3–5 die Auswirkungen der Vergebung auf den Menschen im Vordergrund stehen. Daran anknüpfend werden in V. 11–18 die Güte und die Barmherzigkeit Jhwhs in ihrer räumlich kosmischen und zeitlich unüberbietbaren Ausdehnung ausgelegt, die im Kontrast zur Schuld (V. 12) und zur Vergänglichkeit bzw. Geschöpflichkeit (V. 14.15 f) steht. Abgeschlossen wird der Grundpsalm mit der bis auf fernste Zeit gültigen Güte Jhwhs (V. 17) und seines Bundes (V. 18), den die Beter aufgrund der voraussetzungslosen Güte Jhwhs bewahren und in diesem Sinn auf die umfassende Heilszuwendung Jhwhs antworten. In der Strukturanalyse sind die Bezüge zu Ex 32–34 schon angeklungen. Diese sollen im Folgenden noch einmal eigens in den Blick genommen werden, um die Ps 103 zugrunde liegende Interpretation der Gnadenformel aus Ex 34,6 f zu profilieren. Bereits in Ps 103,1 wird die Perspektive auf Ex 32–34 eröffnet, indem die Beter aufgefordert werden, den heiligen Namen Jhwhs zu preisen. Damit wird die Einführung der Gnadenformel als Auslegung des JhwhNamens aus Ex 34,6 aufgenommen. Über Ex 34,6 entsteht auch ein Bezug zu Ex 33,19, »weil dort schon die Ankündigung der Namensoffenbarung mit dem Gedanken von ›Gnade‹ und ›Barmherzigkeit‹ verbunden worden ist, und die Syntax dieses Satzes (Ex 3,19) sich als bewußte Aufnahme von Ex 3,14 zu erkennen gibt«.367 Von daher wird die Auslegung der Gnadenformel in Ps 103 wie die Gnadenrede in Ex 34,6 f als Offenbarung des Jhwh-Namens eröffnet. Das Zitat der Gnadenformel aus Ex 34,6 f selbst findet sich in V. 8 und wird durch die sie rahmenden Abschnitte (V. 3–5.9–13) ausgelegt. Eingeleitet wird sie in Ps 103,8 mit dem vorausgehenden Vers 7, der dazu die Bitte Moses aus Ex 33,13 zitiert. So wird wie in Ex 32–34 auch in Ps 103 365
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150; 56 f, LEUENBERGER, Konzeptionen,
185 f. 366
Vgl. die Verbindungen zu den Jhwh-König-Psalmen bei H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 61. Zu den terminologischen Bezügen von Ps 103,19–22 zu Ps 104 vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 185 Anm. 225. Vgl. weiter die Ausführungen zu Ps 104 unter C.4. (S. 275 ff), da insbesondere die Hofstaatmetaphorik aus Ps 103,19–22 in Ps 104,1–4 wieder aufgenommen wird. 367 DOHMEN, Sinai, 94.
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auf die zentrale Rolle Moses als Mittler zwischen Gott und Volk verwiesen. Allerdings unterscheidet sich der Duktus der Bitte Moses um die Kundgabe der Wege Jhwhs in Ps 103,7 und in Ex 33,19. Sie wird in Ps 103,7 im Rückblick darauf formuliert, dass Jhwh Mose seine Wege bereits kundgetan hat (>G\ Hif.), wie auch den Israeliten seine Taten.368 Damit wird in Ps 103,7 die Perspektive der Beter deutlich, die bereits auf den Zusammenhang von Ex 32–34 zurückgreifen und diesen für ihren Kontext auslegen. Die Wege und Taten Jhwhs werden in Ps 103 nicht weiter ausgeführt. Indirekt sind sie aber auf die Auslegung der Gnadenformel im Hinblick auf die Vergebung der Schuld (V. 3–5.9–10) sowie auf die Unüberbietbarkeit der göttlichen Güte bezogen. Die Vergebung der Schuld in Ps 103,6.10.12 nimmt wiederum deutlich Bezug auf Ex 34,7, indem in Ps 103,6,10.12 alle in Ex 34,7 verwendeten Begriffe für Schuld (Z>, DM[, >YS) aufgenommen werden. Dabei wird die Vergebung als die entscheidende Auswirkung der Güte und Barmherzigkeit Jhwhs besonders profiliert.369 Das aufgrund der Verfehlung zu erwartende Strafhandeln Jhwhs, das nach Ex 34,7 bis in die dritte und vierte Generation greift, wird in Ps 103,9 modifiziert. Der Fokus von Ps 103,9 liegt nicht wie in Ex 34,7 darauf, die Auswirkung der Strafe zeitlich zu begrenzen. Es geht vielmehr darum, dass das Strafhandeln grundsätzlich zeitlich begrenzt ist, so dass der Blick auf das Ende der Strafe gerichtet ist und sich die Hoffnung der Beter auf die erneute Erfahrung der Güte Jhwhs gründet (Ps 103,9).370 Über Ps 103,9 hinaus wird das Strafhandeln Jhwhs in Ps 103 nicht weiter thematisiert. Stattdessen liegt der Fokus der Auslegung der Gnadenformel auf der Unüberbietbarkeit der Güte Jhwhs, die ausführlich in ihrer räumlichen und zeitlichen Hinsicht entfaltet wird. In diesem Sinn wird die Gnadenformel in Ps 103 im Hinblick auf die für die Beter zu erwartende Güte und Barmherzigkeit Jhwhs, die die Vergebung der Schuld einschließt, modifiziert.371 368
Mit DOHMEN, Sinai, 95 ist hervorzuheben, dass die Wegemetaphorik zurück auf Gen 18 verweist. In Gen 18,19 wird betont, dass Gott Abraham erkannt hat ( >G\ Hif.), damit er seinen Nachkommen gebiete, den Weg Jhwhs zu wahren, um Recht und Gerechtigkeit zu üben. In diesem Sinn steht die Wegemetaphorik im Zusammenhang mit dem Erkennen von Recht und Gerechtigkeit, und die besondere Mittlerrolle Abrahams aus Gen 18 wird auf Mose übertragen. Zur Wegemetaphorik vgl. darüber hinaus Ps 25. 369 Vgl. FRANZ, Gott, 232 und SPIECKERMANN, Barmherzig, 11. 370 Vgl. hierzu auch SPIECKERMANN, Barmherzig, 12, der zu Recht hervorhebt, dass »die in V. 9–14 an die Gnadenformel angeschlossene Erläuterung … eine verdeckte Auseinandersetzung mit der doppelten Vergeltungslehre von Ex 34,7« darstellt. 371 Auch nach ZENGER, Morgenröte, 198 wird in Ps 103 der Fokus auf die Vergebung der Schuld, und zwar gegenüber Ex 34,6 f aller Schuld, gelegt. Dies wird dadurch verstärkt, »daß aus Ex 34,6 f nur der Aspekt der Güte und Barmherzigkeit JHWHs zitiert und der Aspekt des strafenden Gottes in viermaliger (!) Bestreitung zurückgenommen wird« (ZENGER, Morgenröte, 198). Ähnlich auch W ILLIS, Love, 534–546.
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Die Aktualisierung in Ps 103 verdankt sich vermutlich einer anderen Perspektive auf die Katastrophe des Exils. Während in Ex 34,7 Gottes Verschonung vor dem Hereinbrechen der Strafe über die Schuldigen beschrieben wird, blicken die Beter von Ps 103 bereits auf die Katastrophe des Exils und der damit verbundenen radikalen Gottesferne zurück. Sie erwarten nach dem Hereinbrechen des Zorns Jhwhs aufgrund seiner unüberbietbaren Güte, dass dieser nicht auf ewig anhalten, Jhwh die Schuld vergeben und sich seinem Volk wieder heilvoll zuwenden wird (vgl. Ps 103,3–5).372 In diesem Sinn ist auch die Aufnahme des Bundesschlusses aus Ex 34,10.27 in Ps 103,18 zu verstehen, der die Gnadenrede aus Ex 34,6 f voraussetzt. Denn auch der Bund ist auf dem Fundament der voraussetzungslosen Güte Jhwhs gegründet und ermöglicht von daher als Antwort der Beter das Bewahren und Halten der göttlichen Gebote. b) Die Güte und Barmherzigkeit Jhwhs – die anthropologische Grundlegung in Psalm 103 und die geschichtstheologische Auslegung in Psalm 106 Mit dieser Fokussierung der unüberbietbaren Güte und Barmherzigkeit Jhwhs, die bereits auf das Strafhandeln Jhwhs in der Geschichte zurückblickt und die von daher die Perspektive auf die in Zukunft zu erwartende Vergebung der Schuld eröffnet, bilden Ps 103 und Ps 106 eine theologische Linie. In Ps 103 wird die in der Gnadenformel enthaltene Verhältnisbestimmung von göttlicher Güte und göttlichem Zorn dahingehend modifiziert, dass das Strafhandeln Jhwhs vorausgesetzt, aber selbst nicht mehr eigens thematisiert wird. Der Fokus liegt ganz auf der Barmherzigkeit Jhwhs, die vor dem Hintergrund des erfahrenen göttlichen Zorns erwartet wird, die Vergebung der Schuld einschließt und zu einer umfassenden heilvollen Erneuerung des Lebens der Beter führt (Ps 103,3–5). Insofern wird die Gnadenformel in Ps 103 im Hinblick auf ihre anthropologische Bedeutung modifiziert und mit der Güte des Schöpfers seinen Geschöpfen gegenüber begründet (Ps 103,14–16). Diese anthropologische Grundlegung wird in Ps 105 f aufgenommen und geschichtstheologisch ausgeführt. In Ps 106 geschieht das auf drei verschiedenen Reflexionsebenen, die jeweils verschiedene Aspekte der in Ps 103 entfalteten Gnadenformel aufnehmen: Die erste Reflexionsebene betrifft die Verortung der Gnadenformel innerhalb des Psalms. In beiden Psalmen wird sie an einer Schlüsselstelle rezipiert. Während in Ps 103,8 die Gnadenformel in der Mitte des Psalms zitiert wird und durch die umliegenden Abschnitte (V. 3–5.9–13) im Hinblick auf die Güte und Barmherzigkeit Jhwhs, die die Vergebung der 372
So FRANZ, Gott, 232 f.
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Schuld einschließt, ausgelegt wird, findet sie sich in Ps 106,45 f in der abschließenden Reflexion des Geschichtsrückblicks. Dabei ist entscheidend, dass Ps 106,45 f nicht wie Ps 103,8 auf die in Ex 34,6 f belegte Formel zurückgreift, sondern auf die um das Leidsein (a[Q) Jhwhs erweiterte Formel aus der späten Prophetie (vgl. Joel 2,13; Jona 4,2). Mit dieser Erweiterung wird in Ps 106,45 f die Umkehr Jhwhs und damit das Ende seines Strafhandelns zum Ausdruck gebracht. Dadurch greift Ps 106,45 f auf das in Ps 103,9f formulierte Ende des Strafhandelns Jhwhs zurück und begründet dies mit der Umkehr in Jhwh und der Abkehr von seinem Zorn. Daraus folgt aber, dass beide Psalmen das hereingebrochene Strafhandeln Jhwhs bereits voraussetzen. Auf diese Weise heben sie sich von der Gnadenformel in Ex 34,6 f ab, die auf das Strafhandeln als noch zu erwartendes Unheil blickt. In beiden Psalmen ist sie aber so formuliert, dass der Fokus ganz auf der ›Güte‹ (GV[) Jhwhs liegt. Dies zeigt sich in Ps 103 vor allem in den die Formel auslegenden Abschnitten, in denen zum einen die Auswirkungen der Güte Jhwhs auf das Leben des Einzelnen (Ps 103,3–5) und zum anderen die in räumlicher und in zeitlicher Hinsicht unüberbietbare Wirkmacht der göttlichen Güte (V. 11–13.17 f) beschrieben wird. In Ps 106,45 f.47 wird dieser Aspekt geschichtstheologisch formuliert. Die Auswirkungen der Güte Jhwhs bedeuten demnach für die Beter das Wiedereinsetzen des paradigmatischen Heilshandelns Jhwhs wie am Schilfmeer und das erneute Herausführen seines Volkes aus der Hand der Völker (Ps 106,47). Die zweite Reflexionsebene, in der Ps 106 die Gnadenformel aufnimmt, zeigt sich in dem geschichtstheologischen Paradigma am Horeb in Ps 106,19–23, in dem der Zusammenhang von Zorn und Reue bzw. Erbarmen Jhwhs geschichtstheologisch verdichtet wird. Denn am Horeb führt Jhwh seinen Vernichtungsbeschluss aufgrund der sich am Stierbild zeigenden völligen Gottvergessenheit seines Volkes nicht aus, da er seinen Zorn bereits im Vorfeld durch die Erwählung Moses begrenzt hat. Insofern zeigt sich im Eintreten Moses am Horeb paradigmatisch die den göttlichen Zorn umfassende Güte, durch die Jhwh den Zusammenhang von unheilvoller Tat und Folge für sein Volk durchbricht. In Ps 103,11f wird dieser Konnex in seiner anthropologischen Dimension dargestellt und deutlich gemacht, dass Jhwh als Schöpfer aufgrund seiner unüberbietbaren Güte dem Menschen vergibt und ihn gerade nicht den unheilvollen Folgen seiner Schuld aussetzt.373 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Bedeutung Moses in beiden Psalmen zu verweisen. In Ps 103,7 wird sie durch das Zitat aus Ex 33,19 angedeutet, durch das die Mittlerrolle Moses in Erinnerung gerufen 373 Vgl. hierzu auch die schöpfungstheologische Begründung von Güte und Zorn in Ps 78,39 f, die in den Ausführungen zu Ps 78 unter Kapitel 2 C.2.c) (S. 73 ff) als geschichtshermeneutischer Deutehorizont herausgestellt worden ist.
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wird. In Ps 106,23 wird diese wiederum ausformuliert und Mose als Erwählter Jhwhs in seiner Bedeutung für die Begrenzung des Zorns hervorgehoben. Die dritte Ebene, auf der in Ps 106 die Gnadenformel reflektiert wird, ist der narrativ entfaltete Geschichtsrückblick, in dem vor allem der Aspekt des Strafhandelns Jhwhs in den Vordergrund rückt. Auch diesbezüglich knüpft Ps 106 an Ps 103,14.15–18 an und führt die dort grundsätzlich anthropologischen Überlegungen zur Vergänglichkeit des Menschen geschichtstheologisch aus (vgl. auch Ps 78,39 f). Dies zeigt sich bereits am Beginn des Geschichtsrückblicks, der mit der Gottvergessenheit des Gottesvolkes beginnt (Ps 106,7) und somit keinen unschuldigen Zustand Israels kennt, so dass die Dimension der Schuld von den Anfängen der Geschichte unlösbar zu Israel als Gottesvolk gehört. Wie Jhwh der Vergänglichkeit des Menschen in Ps 103,17 f mit seiner Güte begegnet, so tut er dies auch in dem geschichtlichen Zusammenhang von Ps 106,7–12, indem er Israel um seiner Gottheit willen aus der Hand seiner Feinde errettet. Damit halten beide Psalmen an ihrer jeweils unterschiedlichen Perspektive fest, dass sowohl der einzelne Mensch aufgrund seiner anthropologischen Verfasstheit als auch das Gottesvolk in seinen geschichtlichen Zusammenhängen sich nicht aus eigener Kraft aus der Schuldverstrickung lösen können, sondern auf die Güte Jhwhs angewiesen sind. Auch im Hinblick auf die Entfaltung des Strafhandelns knüpft Ps 106 an Ps 103 an. Dabei gehen beide Psalmen davon aus, dass die Beter bereits die Erfahrung des göttlichen Zorns gemacht haben. Dieser Aspekt wird in Ps 103,9 aber nur implizit zum Ausdruck gebracht, indem vom Ende des göttlichen Zorns die Rede ist. In Ps 106 wird dies hingegen im Zusammenhang der Heilsgeschichte ausführlich ausgestaltet und prägt die Reflexion der Geschichte von ihrem Beginn, dem Schuldbekenntnis, an. Dazu wird zunächst der Durchgang durch die Geschichte so aufgebaut, dass nach der Rettungstat am Schilfmeer in Ps 106,7–12 Jhwh auf die Verfehlungen Israels mit einem partiellen Strafhandeln antwortet und so den Fortgang der Geschichte ermöglicht. Vor dem Hintergrund der Gnadenformel aber zeigt sich gerade in diesem partiellen Strafhandeln sein Langmut im Zorn. Denn der Zorn Jhwhs bricht erst am Ende des Durchgangs durch die Geschichte hervor (Ps 106,40–42) und bedeutet für das Gottesvolk, dass es sich wie vor der paradigmatischen Rettungstat am Schilfmeer wieder unter seinen Feinden befindet. So blicken die Beter nun explizit auf den Ausbruch des göttlichen Zorns zurück und hoffen, dass ihn Jhwh durch seine Güte begrenzt, wie er dies am Horeb durch die Erwählung Moses getan hat. Dies wird in der abschließenden Bitte (Ps 106,47) unter Rückgriff auf die Rettungstat am Schilfmeer (>Y\ Hif.) formuliert, in der die Beter Jhwh
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um erneute Rettung, d. h. die Sammlung aus den Völkern, bitten, um die am Schilfmeer gegründete heilvolle Gottesbeziehung wiederherzustellen. Über die genannten drei Reflexionsebenen hinaus stellt schließlich ein letzter konzeptionell entscheidender Aspekt zwischen beiden Psalmen die Verwendung des Namens Jhwhs dar. Die Exegese zu Ps 103,1 hat bereits gezeigt, dass der Aufruf, den Namen Jhwhs zu preisen, die Gnadenformel als Offenbarung des Jhwh-Namens vermutlich aufnimmt.374 Auch in Ps 106,47 steht der Name Jhwhs im Zusammenhang der Gnadenformel, da die Beter, die um Jhwhs erneutes Eingreifen bitten, dies tun, um seinen heiligen Namen wieder preisen zu können. Damit aber ist für sie der Name Jhwhs mit der seinen Zorn begrenzenden Güte verbunden und ermöglicht ihnen die Hoffnung auf Jhwhs erneutes Erbarmen. So bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass Ps 103 und Ps 106 durch die Auslegung der Gnadenformel konzeptionell aufeinander bezogen sind. Während aber in Ps 103 die Gnadenformel vor allem in ihrer anthropologischen Bedeutung entfaltet wird, wird diese in Ps 106 vor allem in ihrer geschichtstheologischen Bedeutung ausformuliert. Dabei ist auffallend, dass sich die terminologischen Bezugnahmen allein auf den Grundpsalm von Ps 103,1–18 beschränken und der redaktionellen Erweiterung durch das Thema der Königsherrschaft Jhwhs in den Verbindungslinien zu Ps 106 keine Bedeutung zukommt, gleichwohl sie in Ps 106 vorausgesetzt ist.375 Es entsteht somit ein konzeptioneller Bogen von Ps 103 zu Ps 106, der den Schöpfungspsalm 104 und den Geschichtspsalm 105 durch die Auslegung der göttlichen Güte umschließt. Für die Beter von Ps 106 bedeutet dies, dass sie nicht nur über die oben aufgezeigten konzeptionellen Linien auf Ps 105 verwiesen werden, sondern in gleicher Eindeutigkeit auch auf die Auslegung der Güte Jhwhs in Ps 103. Was aber bedeutet dieser Rückverweis von Ps 106 auf Ps 103 für Ps 105, dessen Konstruktion von Geschichte nicht die Entfaltung der Güte, sondern die Entfaltung des Heilsbundes darstellt? Da auch der Grundpsalm 103,1–18 mit dem Verweis auf den Bund Jhwhs schließt, werden in einem nächsten Schritt zunächst die beiden Bundeskonzeptionen von Ps 103 und Ps 105 zu vergleichen sein, um Ps 105 psalterkompositorisch mit Ps 103 und Ps 106 in Verbindung zu setzen.
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So FRANZ, Gott, 231 f. Die über die Königsherrschaft Jhwhs entstandenen Verbindungslinien verbinden Ps 103 vor allem mit Ps 102. Darüber hinaus sind Ps 102 und Ps 103 über das Thema »Anthropologie« miteinander verbunden; vgl. zu den Stichwortbezügen H OSSFELD/ZENGER , Psalmen 101–150, 62. LEUENBERGER, Konzeptionen, 185–187 betont zudem einerseits die Verbindung von Ps 103,19–22 zu Ps 104 sowie andererseits die Verbindung über das Thema der Rechtsordnung mit Jhwhs Königsherrschaft (Ps 90–100*). Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter C.4. (S. 275 ff). 375
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3. Der Heilsbund Jhwhs mit seinem Volk in Psalm 105 und Psalm 103 Abgesehen von Ps 105 findet sich das Stichwort ›Bund‹ (W\UE) in der Sammlung Ps 101–106 nur noch einmal in Ps 103,18. So ist zumindest die sprachliche Bezugnahme im Kontext dieser Sammlung von Psalmen eindeutig, auch wenn der Bundeskonzeption in Ps 103 keine vergleichbar entscheidende Bedeutung wie in Ps 105 zukommt.376 Gemeinsam ist beiden Psalmen aber, dass auch in Ps 103,18 der Bund Jhwhs mit dem Wahren von Gesetz und Weisung, dem die Heilszuwendung Jhwhs vorausgeht, verbunden ist. Allerdings wird die Heilszuwendung Jhwhs nicht anhand der Bundeskonzeption, sondern anhand der umfassenden Güte Jhwhs entfaltet. Das Wahren des Bundes ist die Antwort der Beter auf die erfahrene göttliche Barmherzigkeit und damit der Auslegung der Güte Jhwhs untergeordnet. Demgegenüber stellt der Bund Jhwhs in Ps 105 die entscheidende Kategorie für das Verständnis von Geschichte dar, während die Konzeption der Güte Jhwhs nicht entfaltet wird. Insofern unterscheiden sich die beiden Psalmen zunächst deutlich im Hinblick auf die konzeptionelle Relevanz der Bundesvorstellungen, so dass die psalterkompositorischen Bezüge zwischen Ps 106 und Ps 103 von konzeptionell größerer Bedeutung sind. Zugleich ist oben aber aufgezeigt worden, dass in Ps 106,45 die Güte Jhwhs mit der Bundeskonzeption aus Ps 105,8–11.42 verbunden wird. Daher ist es aus redaktioneller Sicht wahrscheinlich, dass der über die Auslegung der Gnadenformel gespannte Bogen zwischen Ps 103 und Ps 106 das Psalmenpaar Ps 105 f voraussetzt. Auf diese Weise gewinnt dann auch der Bezug von Ps 103 und Ps 105 über die Bundesvorstellung an Plausibilität, da die Vorstellung der Gnade Jhwhs in Ps 103 in dem Heilsbund in Ps 105 bereits mitschwingt und in Ps 105 der Zusammenhang von Bund und Wahren des Gesetzes (vgl. Ps 103,18; 105,45) aufgenommen wird. Insofern wird in Ps 105 der Zusammenhang von Bund und Wahren des Gesetzes aus Ps 103,18 geschichtstheologisch entfaltet, wie auch Ps 106 die anthropologische Grundlegung der Güte Jhwhs in ihrer geschichtstheologischen Relevanz ausführt. So nehmen die über Güte und Bund herausgestellten konzeptionellen Verbindungslinien zwischen Ps 103 und Ps 105f also die in Ps 103 in anthropologischer Hinsicht reflektierten Vorstellungszusammenhänge auf und transformieren sie im Rahmen ihres geschichtstheologischen Entwurfs. Damit zeigen sie auf, dass die für das Gottesverhältnis des Einzelnen entscheidenden Konzeptionen auch für die Geschichte des Volkes konstitutiv sind.377 376 Zur Bedeutung des Bundes in Ps 105 vgl. A.3.b) (S. 149ff), A.3.d) (S. 179 ff) und C.1. (S. 244 ff). 377 Auch die Aufnahme des Jhwh-Namens (YGTaY) in Ps 103,1 und Ps 105,1.3 stützt die Annahme, dass Ps 106 und Ps 105 bereits als Paar vorgelegen haben, da die Auslegung des Jhwh-Namens durch die Gnadenformel in Ps 106,47 aufgenommen wird
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In redaktioneller Hinsicht ist zunächst signifikant, dass die terminologischen und konzeptionellen Bezugnahmen zwischen Ps 103* und Ps 105 einerseits und Ps 103* und Ps 106 andererseits die gleiche Intention aufweisen, so dass sich die oben formulierte Annahme eines Doppelpsalms 105 f auch in dieser Hinsicht bestätigt. Darüber hinaus weisen die aufgezeigten Verbindungslinien zwischen dem Doppelpsalm 105 f und Ps 103* prinzipiell auf drei Möglichkeiten hin, um das literarische Verhältnis zwischen den Psalmen zu beschreiben: Die erste Variante geht von einer einzigen Redaktion aus, die die Komposition von Ps 103*.105.106 im Ganzen ergänzt hat. Sie wird in einer umfassenderen und leicht veränderten Form von Leuenberger vertreten, der die von ihm aufgezeigten Stichwortverbindungen einschließlich der interpretationsoffenen Überschriften sowie die verbindende Kompositionslinie des Königtums Jhwhs in Ps 101–106 auf eine Redaktion zurückführt. Allerdings geht er von einer dreipaarigen Schlusskomposition aus, die Ps 101 f, 103f und 105 f in einem Zug geschaffen hat.378 In ähnlicher Weise beschreiben auch Hossfeld/Zenger die Schlusskomposition von Ps 101– 106. Auch sie nehmen einen ersten Durchgang an, in dem die Psalmen 101 f, 103 f und 105 f paarweise zusammengestellt worden sind. Überlagert wird diese Anordnung durch die später redaktionell ergänzten Überschriften. Dadurch entstehen zwei Triaden (Ps 101–103; 104–106). Die erste Triade Ps 101–103 wird David zugeschrieben und auf diese Weise mit dem letzten Davidpsalter (Ps 138–145) verbunden, während die zweite Triade Ps 104–106 eine Halleluja-Überschrift bzw. -Unterschrift erhält.379 Problematisch an einer solchen Redaktion, die die Psalmen 101–106 in einem ersten Durchgang als Paare strukturiert, ist allerdings, dass die oben herausgestellte konzeptionelle Verbindung, die durch die anthropologische Reflexion der Güte Jhwhs in Ps 103 und ihr geschichtstheologisches Pendant in Ps 105 f entsteht, nur unzureichend berücksichtigt werden kann. Stattdessen werden die Bezüge zwischen Ps 103 und Ps 104 in den Vordergrund gestellt, die, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, nicht den Grundpsalm von Ps 103,1–18, sondern vor allem die Redaktion in Ps 103,19–22 betreffen. Demgegenüber ist aber der Grundpsalm 103,1–18 über das Thema der Güte Jhwhs mit Ps 105 f verbunden. Dies weist darauf hin, dass vor der Gestaltung der Psalmenpaare Ps 103 f und Ps 105 f eine Verbindung von Ps 103 zu Ps 105 f vorgelegen haben muss. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass es sich bei der dreipaarigen Schlusskomposition (Ps 101 f; 103 f; 105 f) um das Ergebnis einer ersten Zusammenstellung der und somit wiederum die Verbindung von Bund und Güte bereits vorliegt. Darüber hinaus finden sich ›die Taten Jhwhs‹ (WZO\O>) in Ps 103,7; 105,1. 378 Vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 247 f. 379 Vgl. hierzu HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 138.
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Psalmen 103*.105 f handelt. Viel eher scheint sie das Produkt einer weiteren Überarbeitung zu sein.380 Geht man aufgrund unserer Beobachtungen also nicht davon aus, dass die Psalmengruppe 101–106 von einer einzigen Redaktion zu Paaren zusammengestellt worden ist, sondern bereits der Zusammenhang von Ps 103* und Ps 105 f vorgelegen hat, ist es dennoch weiterhin möglich, dass die Verbindung von Ps 103* mit Ps 105 f von einer Redaktion geschaffen worden ist, die die drei Psalmen gleichzeitig in ihren Kontext eingefügt hat. Die zweite Variante setzt den Doppelpsalm 105 f mit seiner geschichtstheologischen Perspektive als älteren Bestandteil des Psalters voraus, dem mit Ps 103* eine grundsätzliche anthropologische Reflexion vorgeschaltet worden ist. Die dritte Variante geht schließlich von dem umgekehrten Sachverhalt aus und setzt Ps 103* als älteren Bestandteil des Psalters voraus, auf den hin der Doppelpsalm ergänzt worden ist. Ob der zweiten oder dritten Variante, die von einer gestuften Entstehung der Komposition Ps 103*.105 f ausgeht, größere Plausibilität zukommt als der ersten Variante, hängt von einer umfassenderen redaktionellen Verortung von Ps 103 im Kontext des vierten und fünften Psalmenbuchs ab.381 Aus der Perspektive unserer Fragestellung nach der psalterkompositorischen Verortung der beiden Geschichtspsalmen (Ps 105 f) sprechen die engen konzeptionellen Bezüge zwischen Ps 103* und Ps 105f, die mit einer zweifachen Entfaltung der Güte Jhwhs einhergehen, für die Annahme einer gemeinsamen Redaktion. Um diese Überlegungen vertiefen zu können, ist in einem letzten Schritt der Blick auf Ps 104 zu richten und zu fragen, inwieweit Ps 104 in diesen Zusammenhang redaktionell einzuordnen ist. 4. Der Lobpreis des Schöpfers in Psalm 104 und Psalm 105 Gemessen an den sprachlichen und konzeptionellen Bezugnahmen zwischen Ps 105 f und Ps 103 durch die Aufnahme der für das Verständnis von Ps 105 f entscheidenden Deutekategorien ›Güte‹ (GV[) und ›Bund‹ (W\UE) liegen die terminologischen Bezüge zwischen Ps 104 und Ps 105 auf einer anderen Ebene. Dies zeigt sich zunächst daran, dass die beiden Psalmen 380
Auch KRATZ, Sch ema c, 630 geht von einer paarweisen Anordnung der Psalmen 101–106 aus. Im Unterschied zu Hossfeld/Zenger betont er aber, dass es sich bei den Psalmen 101–106 um keine feste Gruppe handele, »sondern um einzelne, z. T. paarweise zusammengestellte Exemplare, die vermutlich nicht in einem Zuge aufgenommen worden« sind (KRATZ, Sch ema c, 630) [Hervorhebung von J. G.]. 381 Darunter fallen z. B. die Bezüge zu Ps 90, in dem in ähnlich grundsätzlicher Weise wie in Ps 103 die anthropologischen Dimensionen von göttlichem Zorn und göttlicher Güte entfaltet werden.
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sprachlich vor allem über ihre Ränder miteinander verbunden sind. Dabei finden sich in dem individuellen Abgesang von Ps 104,33 dieselben Stichworte ›singen‹ (U\Y), ›besingen‹ (UP]) und ›nachsinnen‹ ([\I) wie in der Lobaufforderung in Ps 105,2.382 Redaktionell ist die Halleluja-Unterschrift, mit der Ps 104,35 schließt und die so Ps 105,1.45 und Ps 106,1.48 rahmt.383 Darüber hinaus sind die beiden Psalmen vor allem thematisch über die Schöpfertätigkeiten Jhwhs verbunden, die in Ps 105 im Rahmen des Geschichtsentwurfs und in Ps 104 direkt entfaltet werden. Dabei werden in dem uns vorliegenden Psalm 104 das anfängliche und das die Schöpfung erhaltende Handeln Jhwhs dargestellt und auf der Ebene des Endtextes zu einer Komposition verbunden.384 382 So auch HOSSFELD, Universalgeschichte, 304, SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 244 f. 271–273 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 192. KOCH, Redemption, 68 geht aufgrund dessen von einer redaktionellen Bearbeitung von Ps 105,1–5 aus. 383 Aus diesem Grund zieht die LXX das Halleluja aus Ps 104,35 zu Ps 105 und lässt Ps 105 damit beginnen. Vgl. hierzu SEYBOLD, Psalm 104, 163–172 und R. MÜLLER, Wettergott, 218. Zur redaktionsgeschichtlichen Einordnung vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 191 f. 384 Die literarische Genese von Ps 104 ist in der neueren Forschung stark umstritten. Gehen KOCH, Redemption, 64–69 und SEYBOLD, Psalm 104, 161–172 von einer redaktionellen Bearbeitung des Psalms an seinen Schlussabschnitten aus, so nehmen SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 24–27, KÖCKERT, Beobachtungen, 259–274 und R. M ÜLLER, Wettergott, 213–235 mehrere, den gesamten Psalm betreffende redaktionelle Bearbeitungen an. Spieckermann geht, abgesehen von der Halleluja-Unterschrift, von einem Grundtext aus, der von einer Redaktion (V. 1.5–9.12 f.19.24*.25 f.31.34 f) fortgeschrieben worden sei. Vgl. auch schon CRÜSEMANN, Formgeschichte, 285 ff. Köckert knüpft an die Beobachtungen von Spieckermann an und geht von einem dreistufigen Wachstum des Psalms aus. Dabei sei die älteste Schicht nur noch als Torso erhalten und bestehe aus einer Partizipienreihe (1. Schicht: V. 2b–4.10.12.13a.14–15.32). Diese datiert er in die Königszeit. Davon heben sich nach Köckert in der zweiten Person der Präformativkonjugation das Wirken Gottes beschreibende Abschnitte ab (2. Schicht): V. 1aD–2a.11(?).13b.20–24a.c. 27–29a.30.31.33 f. Die dritte Schicht trage vor allem die creatio prima ein (V. 5–9.16– 18.19.24b.25 f; zitiert nach KÖCKERT, Beobachtungen, 275 Anm. 77.79). Ähnlich auch R. MÜLLER, Wettergott, 213–235, der von einer Grundform und einem Loblied eines Einzelnen auf den Weltenherrscher (V. 1–4.10 f.13–15.20–23.24aC.b.27 f.29a), in dem Zitate aus Hymnen auf den Wettergott (V. 2–4.10 f.13a.14.32) aufgenommen worden seien, ausgeht. Diese Grundform sei vierfach erweitert worden: 1. durch schöpfungstheologische Nachträge (V. 5.19.24aD.29b), 2. durch weitere Ergänzungen (V. 6–9.12.16–18.25 f), 3. durch einen redaktionellen Rahmen (V. 1aC.34.45b) und 4. durch einen Nachtrag zum Ende der Frevler (V. 35a). Auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 72–75 gehen von einer Grundschicht, bestehend aus V. 1aD–4.10–18.20–24.27–30*.33, und einer redaktionellen Bearbeitung in V. 5–9.19.25 f.29b.31.34 f aus. Demgegenüber richtet die traditionsgeschichtliche Analyse STECKs, Wein, 240–261 den Fokus nicht auf die literarhistorische Genese des Psalms, sondern arbeitet die dem Psalm zugrunde liegende Sachperspektive heraus. Dabei handelt es sich nach Steck um die Erkenntnis des Beters, der »die natürliche Welt unter vollem Einschluß des Menschen als ein Geschehen stetiger Zukehr Jahwes, des Schöpfers, [sieht,] das allem Dasein immer schon vorgegeben ist und Leben,
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Um diesen Bezugnahmen zwischen Ps 104 und Ps 105 nachgehen zu können, ist zunächst der Aufbau von Ps 104 kurz zu skizzieren. Nach dem Rahmen in V. 1a und V. 33–35, der in der 1. Person Singular gestaltet ist,385 wird im ersten Abschnitt Ps 104,1b–4 die Königsherrschaft Jhwhs im Himmel beschrieben, indem seine königliche Bekleidung, sein Palastbau, sein Wagen und sein Hofstaat dargestellt werden.386 In V. 5–9 wird die Partizipienreihe aus V. 1b–4 nicht fortgesetzt. Auch inhaltlich wird der Bereich des Himmels verlassen und der Blick auf die Erschaffung der Erde »auf ihren Fundamenten« gelenkt, die »in allem von dieser vorgängigen himmlischen Herrschaftsposition JHWHs [ab]hängt«. 387 Dieses anfängliche Schöpfungshandeln Jhwhs wird in Verbalsätzen in Ps 104,5–9 beschrieben. Dazu gehört neben der Gründung der Erde ebenso die Einordnung der chaotischen Wasser in die Schöpfungsordnung. In Ps 104,10–18 bleibt der Blick auf die von Jhwh »domestizierten« Chaoswasser gerichtet, die er im Rahmen seiner Schöpfungsordnung in fruchtbares Wasser gewandelt hat und durch die die Fruchtbarkeit auf der Erde gewährleistet ist. Formal knüpft der Abschnitt wieder an die Partizipienreihe aus V. 1–4 an. Das Wasser dient dazu, die Tiere zu tränken (Ps 104,10–12) und durch das Wachstum von Pflanzen Mensch und Tier zu ernähren (Ps 104,13–18), so dass die Erde ein Lebensraum für Mensch und Tier wird. Nach der räumlichen Dimension der Schöpfung geht es in Ps 104,19–23 um den Ablauf und die Ordnung der Zeiten, die wie der Abschnitt Ps 104,5–9 in Verbalsätzen gestaltet ist.388 In Ps 104,24 liegt ein Resümee vor, mit dem die Lebensraum, Lebensversorgung und Lebensfrist für alles Lebendige darreicht« (STECK, Wein, 257 f). Diese Sachperspektive werde in den einzelnen Abschnitten des Psalms (V. 2b–4; 5–9; 10–24 [V. 10–12; 13–18; 19–23; 24]; 25 f; 27–30; 31 f; 33–35) in unterschiedlichen Facetten entfaltet, so dass der Psalm von seinem Konzept her betrachtet einen kohärenten Hymnus darstelle. In dieser Linie ist auch die Kompositionsanalyse von T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 49–74 zu verstehen. Die folgende Analyse richtet sich auf die terminologischen Bezugnahmen zwischen Ps 104 und Ps 105 und setzt somit den uns vorliegenden Endtext bereits voraus, so dass die literarhistorische Genese des Psalms in diesem Fall weitgehend unberücksichtigt bleiben kann. Auch KÖCKERT, Beobachtungen, 277–279 geht bei der psalterkompositorischen Betrachtung von Ps 104 im Zusammenhang von Ps 103 und Ps 105 f von dem uns vorliegenden Endtext aus. 385 Dieser Rahmen wird aufgrund des Wechsels in die erste Person Singular zumeist als redaktionell angesehen; vgl. hierzu z. B. LEUENBERGER, Konzeptionen, 187; SEYBOLD, Psalm 104, 164 f; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 21–27; K ÖCKERT, Beobachtungen, 275. 386 So T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 52 f, H ARTENSTEIN, Wolkendunkel, 165, STECK, Wein, 247 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 187. 387 HARTENSTEIN, Wolkendunkel, 164–166. Vgl. weiter STECK, Wein, 248 Anm. 16.251 f. 388 Zur Diskussion der ägyptischen Parallelen aus der Amarnazeit und zu Amun-Hymnen vgl. die Diskussion bei S TECK, Wein, 244 f Anm. 9 und KÖCKERT, Beobachtungen,
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Schöpfungswerke Jhwhs rückblickend zusammengefasst werden und die in den Schöpfungswerken sich manifestierende Weisheit Jhwhs gepriesen wird. Daran anschließend wird in Ps 104,25 f das Meer neben Himmel und Erde als dritter großer Bereich des Kosmos beschrieben.389 In Ps 104,27– 30 schließlich »folgt die gewichtige Synthese […], welche die vorangehenden Ausführungen zur Aussage verdichtet, daß durch Nahrungsversorgung im Zeitenlauf ermöglichtes Leben radikal auf Jhwh angewiesen und von ihm abhängig ist«. 390 Vor dem in der 1. Person Singular formulierten Abgesang Ps 104,33–35 wird in V. 31 in einem Wunsch die unbegrenzte Dauer der Herrlichkeit Jhwhs und die Freude Jhwhs an seinen Werken als Reaktion auf seine Schöpfungsordnung zusammengefasst. In V. 32 wird mit Rückbezug auf Ps 104,5 festgehalten, dass die »Stabilität der kosmischen Ordnung, wenn überhaupt nur von Jhwh selbst erschüttert werden kann«.391 Dies bedeutet, dass auch die lebensbedrohlichen Erdbeben die Schöpfungsordnung Jhwhs nicht ernsthaft gefährden können.392 Der Überblick über den Aufbau von Ps 104 zeigt bereits deutlich, dass in Ps 104 das Schöpferhandeln Jhwhs in all seinen Facetten ausgeleuchtet wird und sowohl die creatio prima als auch die creatio continua umfasst. Diese Herrschaft Jhwhs über den gesamten Kosmos schließt die Herrschaft über die chaotischen Elemente mit ein, die in die Schöpfungsordnung integriert werden und damit ihren lebensbedrohlichen Charakter verlieren. Dies impliziert die Vorstellung vom Königsgott Jhwh, dessen Herrschaft den gesamten Kosmos umfasst. Zugleich verweisen die Schöpfungswerke, in denen sich die göttliche Weisheit manifestiert, auf den Weltenherrscher Jhwh, so dass die Beter an den kosmischen Abläufen die Weltenherrschaft des Königsgottes ablesen können. Insofern wird zwar der Himmel als Herrschaftsbereich Jhwhs beschrieben (Ps 104,1–4), zugleich aber werden die dort anklingenden tempeltheologischen Vorstellungen im Kontext des Psalms dahingehend entgrenzt, dass das Heiligtum des Schöpfergottes der Kosmos selbst ist.393 Die Schöpfertätigkeit Jhwhs in ihrem lebenserhaltenden und versorgenden Aspekt durchzieht auch die Geschichtsreflexion in Ps 105, so dass die beiden Psalmen an diesem Punkt vor allem konzeptionelle, aber zum Teil 272–274; vgl. weiter UEHLINGER, Leviathan, 499–526, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 82 und A. KRÜGER, Himmel, 81 f. 389 So KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 57. 390 LEUENBERGER, Konzeptionen, 188. Vgl. weiter STECK, Wein, 249 f, MAYS, Maker, 84 und KRATZ, Gnade, 5, der ebenso hervorhebt, dass »Leben und lebenserhaltende Güter … von Jhwh, dem höchsten Gott im Tempel zu Jerusalem«, kommen. 391 T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 59. 392 Vgl. hierzu JEREMIAS, Königtum, 49. Zur Anlage des Psalms vgl. darüber hinaus STECK, Wein, 240–257. 393 Vgl. K. SCHMID, Himmelsgott, 127 und H ARTENSTEIN, Wolkendunkel, 164–166.
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auch sprachliche Verbindungslinien aufweisen. Neben dem allgemeinen Ausdruck für das Schöpferhandeln Jhwhs ›machen‹ (KI>) und seiner ›Werke‹ (KI>P) in Ps 104,13.19.24.31 und in Ps 105,5 handelt es sich hierbei vor allem um Jhwhs bewahrendes und lebenserhaltendes Schöpferhandeln. Es zeigt sich darin, dass er in Ps 104 den Menschen an sich und in Ps 105 sein Volk mit Nahrung versorgt und es mit ›Brot‹ (a[O) bzw. ›Speise‹ (OND) ›sättigt‹ (>EI). Das Stichwort ›sättigen‹ (>EI) und das damit verbundene Wortfeld der Nahrungsversorgung durch Jhwh durchzieht den gesamten Psalm 104. Es findet sich ein erstes Mal in Ps 104,13 im Zusammenhang der durch die Wasser gesättigten Erde. Aus dieser wiederum entsteht für die Tiere, den Menschen (›Brot‹ [a[O], Ps 104,15) und für die Bäume (Ps 104,16) ›Sättigung‹ (>EI). Auch im nächsten Abschnitt, in dem die zeitlichen Abläufe der kosmischen Ordnung entfaltet werden, wird auf die Versorgung (OND) der Junglöwen bei ihrem nächtlichen Beutezug verwiesen (Ps 104,21). In Ps 104,27 wird das fürsorgende Handeln Jhwhs zusammengefasst. Es ist Jhwh, der seine gesamte Schöpfung im Blick hat und Mensch und Tier ›Nahrung‹ (OND) zur rechten Zeit gibt, sie so mit Gutem ›sättigt‹ (>EI) und ihr Leben erhält.394 Zur Schöpfermacht Jhwhs gehört aber nicht nur die Leben gebende und erhaltende, sondern auch die Leben nehmende Macht, wie dies in den folgenden Versen ausgeführt wird. In dieser Grundsätzlichkeit der Reflexion über die Schöpfermacht Jhwhs, Leben zu geben und zu nehmen, wird dieser Zusammenhang in Ps 105 nicht bedacht. Dennoch ist auch für Ps 105 die lebenserhaltende Versorgung seines Volkes mit Nahrung entscheidend. Sie wird an zwei Stellen des Psalms explizit thematisiert: Erstens findet sich im Zusammenhang mit der relecture der Josefserzählung (Ps 105,16–23) ein Bezug zur Schöpfertätigkeit Jhwhs. In Ps 105,16 zerbricht Jhwh den Brotstab über seinem Volk und setzt es einer Hungersnot aus. Zugleich handelt Jhwh aber gerade in dieser Situation fürsorgend und lebenserhaltend für sein Volk, indem er als Herr der Geschichte eingreift und Josef vor seinem Volk nach Ägypten her sendet. Damit erfahren die Israeliten in der Situation der Lebensbedrohung, dass durch die Bundestreue Jhwhs, wie sie in Ps 105,8–11 zugesagt wird, die lebensbedrohende Seite des Schöpfergottes seiner lebenserhaltenden Seite nachgeordnet ist. Agiert Jhwh in Ps 105,19–23 als Herr der Geschichte, erfahren die Israeliten das Handeln des Schöpfergottes direkt durch die Versorgung in der Wüste. Dort macht Jhwh für sie den lebensfeindlichen Ort der Wüste zu einem Ort der Lebensfülle, indem er sie mit ›Himmelsbrot‹ (a\PYa[O) ›sättigt‹ (>EI), mit Wasser aus dem Felsen versorgt und selbst so erfahrbar wie im Tempel ist. Diese versorgende und lebenserhaltende Funktion des 394
Vgl. KRATZ, Gnade, 4–7 und weiter METZGER, Keruben, 101–108.
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Schöpfergottes erweist in beiden Psalmen Jhwh als Herrm des gesamten Kosmos, so dass die Psalmen 104 und 105 auch die mit einem solchen Gottesbild einhergehende Kosmologie teilen. Denn beide Psalmen entgrenzen die am Tempel erfahrene Fürsorge und Nähe ins Kosmische, so dass Jhwh in den kosmischen Vollzügen so erfahrbar wie im Tempel ist. Während dieser Aspekt in Ps 104 im Rahmen der Schöpfung selbst entfaltet wird,395 ist es in der Geschichtsreflexion in Ps 105 vorausgesetzt. Terminologisch wird dies in Ps 105,39 explizit, indem ein mit dem Tempel verbundener Begriff ›Decke‹ (VP) auf kosmische Vollzüge übertragen wird. Auf diese Weise wird die Präsenz Jhwhs in seiner Schöpfung zum Ausdruck gebracht.396 Zweitens zeigt sich dieses beiden Psalmen zugrunde liegende Gottesbild, das die Exklusivität Jhwhs als Herrn des Kosmos impliziert, auch an der unterschiedlichen Rolle der Finsternis in Ps 105,28 und Ps 104,20. In Ps 104,20 ›setzt‹ (W\Y) Jhwh die ›Finsternis‹ (Y[). Mit der Nacht beginnt die Zeit der Raubtiere, die wie der Mensch von Jhwh versorgt werden. Dabei werden die dem Menschen gefährlich werdenden Raubtiere durch die zeitliche Begrenzung der Nacht und die räumliche Eingrenzung des Waldes von Zeit und Raum des Menschen getrennt. Denn mit dem Sonnenaufgang endet die Zeit der Raubtiere, sie ziehen sich zurück (Ps 104,22), so dass der Mensch sein Tagewerk beginnen kann. Von daher ist auch die Finsternis integrativer Bestandteil der göttlichen Ordnung. Sie grenzt die Zeit der dem Menschen gefährlich werdenden Raubtiere von der Zeit des Menschen ab.397 In Ps 105,28 ›sendet‹ ([OY) Jhwh die ›Finsternis‹ (Y[) im Rahmen der Plagen, mit der die Plagenreihe beginnt. Dabei ist die Finsternis wie in Ps 104,20 ein integrativer Bestandteil der Schöpfungsordnung Jhwhs, die Jhwh nach seinem Willen einsetzen kann und die sich nicht seiner Rede widersetzt. In Ps 105,28 werden die der Finsternis anhaftenden chaotischen Elemente anders nuanciert. Das Senden der Finsternis bedeutet für Ägypten, dass Jhwh eine der Grundkonstanten der Schöpfungsordnung zurücknimmt und vor dem Hintergrund von Gen 1 somit für Ägypten die negativen Urbegebenheiten wiederherstellt, wie sie vor der Schöpfung 395 Vgl. hierzu insbesondere KRATZ, Gnade, 4 f: »Im Rahmen von Ps 104 verschafft sich so auf sehr spezielle, spezifisch tempeltheologische Weise Ausdruck, was … im Alten Testament sonst auf ihre geschichtstheologische Weise auch die dtn.-dtr. Vorstellung von der Gabe des Landes als Lebens- und Ernährungsgrundlage sowie in Auseinandersetzung um den wahren Spender des Regens und der Fruchtbarkeit vor Augen führt: Leben und lebenserhaltende Güter kommen von Jhwh, dem höchsten Gott im Tempel zu Jerusalem, wie die einen, dem alleinigen Gott Israels, wie die anderen sagen würden.« Vgl. zur Kosmologie in Ps 104 vor allem HARTENSTEIN, Wolkendunkel, 164–166 und K. SCHMID, Himmelsgott, 127. 396 Siehe dazu die Auslegung zu Ps 105,39 A.3.c)dd) (S. 176 ff). 397 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 81 f.
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bestanden haben.398 Damit verweist auch die Verwendung der Finsternis in beiden Psalmen auf die Schöpfermacht Jhwhs und bestätigt die bereits anhand der Versorgung der Schöpfung aufgezeigte Alleinherrschaft Jhwhs über den gesamten Kosmos.399 Darüber hinaus findet sich das in Ps 105 aus der Josefserzählung gewonnene Leitwort ›senden‹ (OY), mit dem in Ps 105,17.20.26.28 die Wende der Not eingeleitet wird und an dem sich insofern die Bundestreue heilsgeschichtlich manifestiert, auch in Ps 104. In Ps 104,30 beschreibt es die Leben schenkende Schöpfermacht Jhwhs. Es obliegt Jhwh, seinen Geist auszusenden und dadurch den Menschen zu erschaffen, ebenso wie sein Leben wieder zu nehmen. Insofern wird das für Ps 105 zentrale geschichtstheologische Leitwort in Ps 104,30 schöpfungstheologisch transformiert und beschreibt in beiden Psalmen die Wirkmacht Jhwhs. Im Hinblick auf die psalterkompositorische Verbindung beider Psalmen bedeutet dies nun, dass beiden Psalmen über ihre terminologischen Bezüge an ihren Rändern (Ps 104,33; 105,2) hinaus ein monotheistisches Gottesbild zugrunde liegt. Dies stellt die Exklusivität des Schöpfergottes heraus und enthält die damit verbundenen kosmologischen Implikationen einer ins Kosmische entgrenzten Tempeltheologie. Das geschieht in Ps 104, indem die Schöpfungswerke Jhwhs und damit die von ihm garantierte gute Ordnung von Himmel und Erde entfaltet werden, so dass die Beter im Lob der Schöpfung den Schöpfer erkennen. In Ps 105 hingegen erweist sich der Schöpfergott als Herr der Geschichte, so dass die Beter in der Reflexion der Geschichte Jhwh als Schöpfer des gesamten Kosmos erkennen. Dabei ermöglicht die Reflexion der in der Geschichte zugesagten Bundestreue Jhwhs in Ps 105 das Wahren der Weisungen und Gesetze Jhwhs, so dass die Völkerwelt als Forum des Gotteslobs letztlich durch diese Antwort Jhwh als Herrn des Kosmos erkennen kann. »Die Komposition bringt Ps 104 und Ps 105 so zusammen, dass am Gottesvolk unter den Völkern und Ländern (Ps 105,44) die Wohlordnung der Schöpfung (Ps 104) dadurch geschichtlich in Erscheinung tritt, dass es seine Tora hält (Ps 105,45)«.400 Die herausgestellten terminologischen und konzeptionellen Verbindungen beider Psalmen legen eine bewusste Zusammenstellung von Ps 104 und Ps 105 nahe. Fraglich ist aber, ob diese bereits die redaktionell zusam398
Zur Aufnahme von Gen 1 in Ps 105 siehe oben A.3.c)cc) (S. 169 ff). Zu den weiteren sprachlichen Bezugnahmen zwischen Ps 104 und Ps 105 vgl. HOSSFELD, Universalgeschichte, 304 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 194–196.246 f Anm. 374. Auf zwei weitere Bezugnahmen ist noch aufmerksam zu machen: Erstens zeigt sich der schöpfungstheologische Konnex zwischen beiden Psalmen noch über die Verwendung von ›geben‹ (WQ) in Ps 105,32 und Ps 104,27 f. Zweitens zeigt sich die Weisheit Jhwhs in seinen Schöpfungswerken (Ps 104,24), während es in Ps 105,21 f der von Jhwh gesandte Josef ist, der die Ägypter Weisheit lehrt. 400 KÖCKERT, Beobachtungen, 279. 399
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mengestellte Psalmengruppe 103.105.106 voraussetzt, so dass Ps 104 als letzter Psalm in diese Komposition eingefügt worden ist, oder ob die Komposition von Anfang an bereits Ps 103f im Blick hatte.401 Dazu sind zunächst noch die psalterkompositorisch relevanten Verbindungslinien zwischen Ps 103 und Ps 104 aufzuzeigen, durch die vor allem die Ränder der beiden Psalmen miteinander verbunden werden. Sie werden im sprachlich gleich gestalteten Anfang und Schluss beider Psalmen mit dem Lobaufruf ›Preise, meine Seele, den Jhwh‹ (Ps 103,1.22; 104,1.35) sichtbar, der sich im gesamten Psalter nur an diesen beiden Stellen findet.402 Doch während er in Ps 103 im Gesamtkontext des Psalms fest verankert ist,403 wirkt er in Ps 104,1.35 isoliert und ist vermutlich eine redaktionelle Einschreibung, um Ps 104 mit Ps 103 zu verbinden.404 Darüber hinaus wird die in Ps 103,19–22 entfaltete himmlische Königsherrschaft am Beginn von Ps 104,1.4 wieder aufgenommen. Sprachlich zeigt sich das daran, dass die Begriffe für ›Bote‹ (DOP) und ›Diener‹ (WUY) in Ps 103,20 f für das himmlische Personal und in Ps 104,4 für die kosmischen Kräfte verwendet werden.405 Dieses Abhängigkeitsverhältnis ist nun umgekehrt zu beschreiben. Denn die himmlische Königsherrschaft Jhwhs ist in Ps 104 fest verankert, während sie in Ps 103,19–22 eine redaktionelle Ergänzung darstellt. Zudem teilen beide Psalmen das Motiv der Vergänglichkeit des Menschen (›Staub‹ [ US>], Ps 103,14; 104,29) sowie die Sättigung mit Gutem, die in Ps 104,28 aber im Zusammenhang des versorgenden Schöpferhandelns Jhwhs steht, während sie in Ps 103,5 Ausdruck des durch die Vergebung der Schuld gekrönten Lebens mit Güte und Erbarmen Jhwhs dar-
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Diese Eingrenzung auf Ps 103–106 impliziert noch keinerlei Schlussfolgerungen im Hinblick auf die psalterkompositorische Verortung von Ps 102 f. Sie orientiert sich lediglich an den von Ps 105 f ausgehenden kompositionellen Linien. Eine notwendige psalterkompositorische Untersuchung des Abschlusses des vierten Psalmenbuches steht demnach noch aus, um die von Ps 105 f ausgehenden Vorüberlegungen in ihren größeren literarischen Zusammenhang einzuordnen. 402 Vgl. hierzu auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 189, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 88 f, KÖCKERT, Beobachtungen, 275 und B ALLHORN, Telos, 124 f. 403 Siehe die Ausführungen zu Ps 103 unter C.2.a) (S. 260 ff). 404 So auch KÖCKERT, Beobachtungen, 272 und SEYBOLD, Psalm 104, 164, der darüber hinaus darauf aufmerksam macht, dass die Wendung in dieser prosaischen Form nur in Ps 103 und Ps 104 vorkomme und im Unterschied zu Ps 104 in Ps 103 sehr viel fester im Corpus des Psalms verankert sei. Von daher nimmt Seybold für Ps 104,1.35bC eine redaktionelle Herkunft an. Ähnlich auch KOCH, Redemption, 66 f, der allerdings Ps 104,33–35 insgesamt als redaktionell einstuft. 405 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 62, LEUENBERGER, Konzeptionen, 219 f und KÖCKERT, Beobachtungen, 277.
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stellt.406 Konzeptionell setzen also beide Psalmen die Vorstellung von Jhwh als Schöpfer und Herrn des gesamten Kosmos voraus. Während dies allerdings in Ps 103 im Hinblick auf die Güte Jhwhs für den Menschen expliziert wird, entfaltet Ps 104 das Schöpfungshandeln Jhwhs in all seinen Facetten. Psalterkompositorisch ist allerdings auffallend, dass die sprachlichen Verbindungslinien an den Rändern jeweils auf redaktionelle Stücke zurückgehen. Handelt es sich bei der Lobaufforderung in Ps 104,1.35 um eine schon im Hinblick auf Ps 103 angepasste Ergänzung, ist Gleiches vermutlich im Hinblick auf die redaktionelle Ergänzung von Ps 103,19–22 festzustellen. Dadurch ist die bereits in Ps 103 implizit enthaltene himmlische Königsherrschaft Jhwhs nun explizit im Hinblick auf den Beginn von Ps 104 ausgeführt worden. Von daher ist als Zwischenergebnis zunächst festzuhalten, dass Ps 104 und Ps 103 redaktionell miteinander verbunden worden sind.407 Wird nun berücksichtigt, dass die sprachlichen und konzeptionellen Bezugnahmen zwischen Ps 103 und Ps 105 f ausschließlich den Grundbestand von Ps 103 betreffen, legt es sich nahe, Ps 104 als eine nachträglich in den Zusammenhang von Ps 103.105 f eingetragene Erweiterung der Komposition zu betrachten. Durch diese Ergänzung entsteht eine Komposition am Ende des vierten Psalmenbuchs, die mit der Entfaltung der Güte Jhwhs im Hinblick auf den Menschen schlechthin beginnt und mit der Explikation der Güte Jhwhs in der Geschichte Israels endet, so dass der Zusammenhang von Schuld und Vergebung bzw. von göttlichem Zorn und göttlicher Güte vor dem Hintergrund der universalen Königsherrschaft Jhwhs reflektiert wird.408 In diesen literarischen Kontext wird mit Ps 104 und Ps 105 das Schöpferhandeln Jhwhs eingeschrieben, wie es sich in seinen Schöpfungswerken (Ps 104) und in der Geschichte (Ps 105) zeigt, so dass das Handeln Jhwhs in Schöpfung und Geschichte stets von seiner Güte her zu verstehen ist. Damit wird die Güte Jhwhs zur entscheidenden Deutekategorie der universalen Königsherrschaft Jhwhs, die seine Exklusivität in der Gesamtwirklichkeit von Schöpfung und Geschichte voraussetzt. 406 In diesem Zusammenhang steht auch die von Jhwh gewirkte Erneuerung des Lebens (Ps 103,5; 104,30). Zu weiteren Anspielungen zwischen beiden Psalmen vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 62 f. 407 Vgl. darüber hinaus auch die psalterkompositorischen Bezüge, die Ps 103.104 z. B. über die Vergänglichkeitsthematik als integralem Bestandteil der Schöpfung mit Ps 90 verbinden (vgl. z. B. Ps 90,2 f.14; 103,14.15–18; 104,27–30) und damit einen Bogen in das vierte Psalmenbuch hinein schlagen. Diese Bezüge können hier nur angedeutet werden, weisen aber auf eine redaktionell gestaltete Verbindung hin, zumal das Thema von Güte und Zorn, das Ps 103–106 verbindet, auch in Ps 90 von konzeptioneller Bedeutung ist (Ps 90,7.11.14). 408 Vgl. hierzu auch W ILSON, Psalms 103–106, 758–760, der die Bezüge zu den JhwhKönig-Psalmen herausstellt.
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So entstehen mit der Psalmengruppe 103–106 vier aufeinander bezogene Bekenntnisse zu Jhwh als dem einen Gott in Schöpfung und Geschichte.409 5. Die Bitte um Rettung in Psalm 106 und der Dank über die erfahrene Rettung in Psalm 107 Über die oben beschriebene Komposition hinaus verweisen die HoduFormel sowie das Ps 106,1.7.45 prägende Leitwort der ›Güte‹ (GV[) Jhwhs über die Komposition von Ps 103–106 hinaus und beziehen Ps 107 mit ein. Zunächst verbindet die Hodu-Formel, mit der Ps 105,1, 106,1 und 107,1 beginnen und die in allen drei Psalmen zum Grundbestand gehört, die Geschichtspsalmen mit dem nachfolgenden Psalm 107.410 Dabei ist die Verbindung von Ps 106 mit dem Beginn von Ps 107,1–3 besonders deutlich.411 Ps 107,1 beginnt wie Ps 106,1 mit der durch die Partikel ›\N‹ zwei409 Nach LEUENBERGER, Konzeptionen, 247–260 stellt die Entfaltung der Königsherrschaft Jhwhs in der von ihm herausgestellten dreipaarigen Schlusskomposition Ps 101– 106 die entscheidende Perspektive dar. »Den zeitlichen Abstand zwischen Jhwhs königlicher Schöpfungs- und Ordnungstätigkeit am Anfang und in der Gegenwart (Ps 103 f) überbrückt die kontinuierliche Geschichtswirksamkeit Jhwhs« (250 f). Dem Rückgriff auf die Geschichte in Ps 105 f wird demnach wesentlich eine Vermittlungsfunktion zuteil. Im Blick auf die innere Struktur der Königsherrschaft Jhwhs kommt der Rechtsordnung eine integrative Synthese zu, die sich vor allem in den redaktionsgeschichtlichen Schlüsselversen (Ps 101,1; 103,6.17 f; 105,45; 106,3) zeigt. Vgl. hierzu auch W ENHAM, Rejoice, 95 und W ILSON, Psalms 103–106, 758–766, die in Ps 103 f eine Explikation der Königsherrschaft Jhwhs in Schöpfung und Geschichte sehen, durch die das vierte Psalmenbuch, das bereits von der Königsherrschaft Jhwhs durchzogen ist, abgeschlossen wird. Anders HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 18, die gegenüber der Darstellung der Königsherrschaft Jhwhs in Ps 90–100 in Ps 101–106 zu Recht »viel stärker anthropologische (Vergänglichkeit und Sündhaftigkeit des Menschen), kosmologische (Himmel und Erde als komplexes Lebenshaus) und geschichtstheologische (Anfangsgeschichte Israels) Aspekte« (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 18) im Vordergrund sehen. 410 LEUENBERGER, Konzeptionen, 286 sieht den engen Zusammenhang zu Ps 106 und versteht zumindest Ps 107,1–32 als Fortschreibungstext. Zu den literarkritischen Optionen in Ps 107 vgl. zusammenfassend LEUENBERGER, Konzeptionen, 285 Anm. 55. Anders HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 144 f, die die Einheitlichkeit des Psalms herausstellen. 411 Die literarhistorische Beurteilung von Ps 107,1–3 ist umstritten. B EYERLIN, Werden, 73 f geht von einer redaktionellen Einschreibung der Verse 2 f aus und begründet dies zum einen mit dem Wechsel vom imperativischen zum jussivischen Lobaufruf. Zum anderen verweist er auf die Verwendung der Relativpartikel ›UYD‹ in V. 2, die als Variation der Partikel ›ja/denn‹ (\N) in V. 1.9 auf einen jungen Sprachgebrauch hindeutet. Hinzu kommt nach Beyerlin, dass V. 1 nicht mit V. 2 f, sondern mit V. 4 fortgesetzt wird. Auch KOENEN, Jahwe, 99, STECK, Rezeption, 373 und SEYBOLD, Psalmen, 427–431 gehen von einer redaktionellen Einschreibung der Verse 2 f aus. Allerdings hat die Kompositionsanalyse von HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 145 f und LEUENBERGER, Konzeptionen, 282–286 Ps 107 aufgrund der mannigfaltigen Bezüge zu Ps 106 insgesamt als Komposition der Redaktion herausgestellt.
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fach explizierten Hodu-Formel ›Preist Jhwh, ja,/denn er ist gütig! Ja,/Denn seine Güte/Gnade (GV[) ist für fernste Zeit‹. Dieser identische Beginn beider Psalmen ist ein klares Indiz dafür, dass die beiden Psalmen psalterkompositorisch in Bezug zueinander gelesen werden wollen. Zugleich weist die Formel in Ps 106,1 und Ps 107,1 aber noch weiter auf die folgenden Psalmen hin und schlägt einen Bogen über Ps 118,1 zu Ps 136,1.412 Richtet man den Blick wieder auf Ps 106 und Ps 107, ist psalterkompositorisch signifikant, dass das für Ps 106,1.7.45 zentrale Leitwort der ›Güte‹ (GV[) Jhwhs auch Ps 107,8.15.21.31.43 durchzieht. Im Unterschied aber zu Ps 106, in dem die Güte Jhwhs im Zusammenhang von göttlichem Zorn und seiner Reue entfaltet wird, steht sie in Ps 107 im Aufruf an die Beter, Jhwh für bereits geschehenen Rettungstaten zu danken, in denen seine Güte erfahrbar geworden ist.413 Gleiches ist für die ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) Jhwhs zu beobachten, an denen in Ps 106,7.22 die Gottvergessenheit Israels sichtbar wird. In Ps 107,8.15.21.31 hingegen stehen sie im Kontext der Lobaufforderung, die Wundertaten, wie sie die Beter erfahren haben, zu preisen. Auch die folgende Aufforderung zum Lob und Dank Jhwhs in Ps 107,2f ist eng auf Ps 106 rückbezogen, indem die Bitte um Sammlung aus den Völkern aus Ps 106,47 als bereits erfüllt aufgenommen wird und in Ps 107,2 f den Anlass zum Lob und Dank darstellt. Dies wird durch folgende sprachliche Bezugnahme untermauert: Zunächst werden in Ps 107,2 diejenigen zum Dank und Lob Gottes aufgerufen, die Jhwh bereits ›aus der Hand ihrer Bedränger‹ (UFG\P) ›erlöst hat‹ (ODJ). Diese Formulierung verweist auf das Rettungshandeln Jhwhs am Schilfmeer, bei dem Jhwh Israel aus ›der Hand‹ (G\P) der Feinde ›erlöste‹ (ODJ) und ›ihre Bedränger‹ (UF) durch das Wasser bedeckt wurden (Ps 106,10 f.41 f). Über Ps 107,2 hinaus durchzieht auch das Stichwort ›Bedränger‹ bzw. ›Bedrängnis‹ (UF) den Psalm 107,6.13.19.28 leitwortartig und steht im Zusammenhang der Rettung aus tödlicher Bedrängnis. Dabei nehmen Ps 107,6.13.19.28 ›Da schrien sie zu Jhwh in ihrer ›Bedrängnis‹ (UF), und aus ihren Nöten rettete (>Y\ Hif.) er sie‹ in besonderer Weise Bezug auf Ps 106,44, in dem Jhwh auf die Bedrängnis (UF) des Volkes sah und ihre Klage erhörte. An zwei Stellen in Ps 107,13.19 wird darüber hinaus die Bedrängnis im Parallelismus membrorum mit einem weiteren zentralen Leitwort aus Ps 106,4.8.10.21.47 ›retten‹ (>Y\ Hif.) kombiniert. Charakterisiert dies in Ps 106 das paradig412
Zur Auswertung dieser psalterkompositorischen Verbindung siehe unten Kapitel 4 C.2. (S. 362 ff). 413 Anders wird dieser Zusammenhang in Ps 107,43 akzentuiert. Der Vers ruft in weisheitlicher Diktion dazu auf, »das Handeln JHWHs in den individuellen Lebensgeschichten und in der Geschichte Israels wahrzunehmen – und die darin offenbar werdende Liebe JHWHs zu begreifen« (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 157).
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matische Rettungshandeln Jhwhs, benennt es in Ps 107,13.19 nun generell die Rettung aus tödlicher Gefahr. In Ps 107,3 werden die Erlösten Jhwhs als die bereits von Jhwh aus den Ländern vom Aufgang und vom Abend, vom Norden und vom Meer ›Gesammelten‹ (#FT) bezeichnet, wodurch die Sammlungsbitte aus Ps 106,47 aufgenommen wird. Diese ist zwar nicht wie in Ps 107 vor dem Hintergrund jesajanischer Tradition formuliert.414 Aber in Ps 106,47 bitten die Beter nach dem Ausbruch des göttlichen Zorns, der zur Zerstreuung unter die Völker geführt hat (Ps 106,40–42), um die erneute ›Sammlung‹ (#FT) aus den Völkern. Damit hoffen sie auf ein erneutes Eingreifen Jhwhs wie am Schilfmeer, bei dem Jhwh die Israeliten aus der Hand ihrer Feinde und Bedränger gerettet hat. So steht die Rettungsbitte in Ps 106,47 im Zusammenhang der paradigmatischen Heilstat Jhwhs am Schilfmeer. Durch die Aufnahme der Rettungsbitte in Ps 107,2 f wird vorausgesetzt, dass Jhwh sein Heilsparadigma erneuert hat, wie es im folgenden Dank über die Rettungstaten Jhwhs konkretisiert wird (Ps 107,4–32). Durch diese terminologischen Bezüge ist deutlich, dass Ps 107,1–3 an Ps 106 anknüpft und die Schlussbitte des Psalms, auf die die Reflexion der Geschichte zuläuft, als bereits erfüllt voraussetzt.415 Auch die nachträgliche Schlussdoxologie aus Ps 106,48 knüpft an Ps 107 an, indem sie die Aufforderung zu ›sprechen‹ (UPD) aus Ps 107,2 aufnimmt, so dass, obwohl durch sie eine Buchgrenze markiert wird, ein sprachliches Verbindungsglied zwischen Ps 106 und Ps 107 bestehen bleibt. 414 GOULDER, Return, 118 f und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 147 f weisen zu Recht darauf hin, dass der Vers über Ps 106,47 vor allem die Sammlung der Erlösten aus der jesajanischen Tradition aufnimmt (vgl. z. B. Jes 35,9; 43,1–17; 62,10). Dabei benennen die ersten beiden topographischen Angaben ›vom Aufgang und vom Abend‹ als Synonyme für die Himmelsrichtungen Osten und Westen die entferntesten Ränder der bewohnten Erde, aus denen Jhwh die Seinen gesammelt hat. Die beiden folgenden geographischen Angaben Norden und das Meer stehen für Unheil und Chaos (vgl. Jes 49,12; 51,9–11). Damit bringen diese topographischen Angaben zum Ausdruck, dass es sich um eine nicht mehr zu überbietende Sammlung handelt, die die gesamte Welt, einschließlich der mit Unheil und Chaos behafteten Orte, umfasst. Zur Aufnahme jesajanischer Tradition in Ps 107 vgl. auch BEYERLIN, Werden, 21–31. 415 Darüber hinaus weisen HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 145 noch auf folgende sprachliche Bezugnahmen hin: Die Ortsangabe ›Wüste‹ ( UEGP ) verweist auf die doppelte Ortsangabe in Ps 107,4 ›Einöde‹ (ZP\Y\) und ›Wüste‹ (UEGP); der Verweis auf die Gefangenschaft in Ps 106,42.46 und Ps 107,10 f; in Ps 106,42 ›beugt‹ ( >QN) Jhwh sein Volk unter die Hand seiner Feinde, in Ps 107,12 ›beugt‹ ( >QN) er durch Mühsal ihr Herz. In Ps 106,7.33.43 wird mit ›Auflehnen‹ (KUP) die Widerspenstigkeit gegenüber den Wundertaten Jhwhs beschrieben, während das Verb in Ps 107,11 die Notlage der Finsternis begründet. Diejenigen in Finsternis haben sich gegen die Worte Els gewendet und den ›Ratschluss‹ (KF>, vgl. auch Ps 106,43) Eljons (vgl. auch Ps 106,14.21) verachtet. Zu den Verbindungslinien zwischen Ps 106 und Ps 107 vgl. auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 202 f.283 f.
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
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Folglich bleibt auch die Buchgrenze zwischen dem vierten und fünften Psalmenbuch entsprechend durchlässig.416 Aufgrund dieser terminologischen Bezugnahmen, insbesondere in Ps 107,1–3 auf Ps 106, erscheint Ps 107 als Fortschreibung von Ps 106. Denn in Ps 107,1–3 ist die Situation des Exils, wie sie die Schlussbitte in Ps 106,47 voraussetzt, aufgehoben. Die Beter haben im Rückblick das Ende des Exils als wundervolle Rettung erfahren, die alle Bereiche ihres Lebens umfasst. Von daher fordert die Redaktion, die Ps 107 im Anschluss an Ps 106 platziert hat, die Beter auf, Jhwh für diese Rettungstaten, in denen seine ›Güte‹ (GV[) sichtbar geworden ist, zu danken und ihn zu preisen.417 Psalterkompositorisch betrachtet setzt diese Redaktion daher den Geschichtspsalm 106 voraus. Ob sie aber tatsächlich einer späteren Redaktion angehört oder aber ob die Redaktoren, die Ps 105 f in ihren jetzigen Kontext eingefügt haben, Ps 107 bereits im Blick hatten, kann letztlich nur durch eine umfassende psalterkompositorische Analyse des vierten und fünften Psalmenbuches im Ganzen entschieden werden. Für den Rahmen unserer Fragestellung aber ist entscheidend, dass die Buchgrenze zwischen Ps 106 und Ps 107 literarhistorisch gesehen äußerst locker verankert ist und die kompositionellen Bögen von Ps 106 aus über Ps 107 in die folgenden Sammlungen hineinreichen.418 416
Von daher ist es erwägenswert, ob die Formulierung ›und alles Volk sage‹ (UPDa>ON), wodurch sich die Schlussdoxologie von der ersten in Ps 41,14 unterscheidet, von Ps 107,2 f her beeinflusst worden ist, um die Verbindungslinie zwischen Ps 106 und Ps 107 aufrechtzuerhalten. Anders LEUENBERGER, Konzeptionen, 213–216, der diese Differenz zwischen der ersten und der letzten Schlussdoxologie über die Chronik löst und davon ausgeht, dass die Formulierung ›und alles Volk sage‹ ( UPDa>ON) aus 1Chr 16,36 rückwirkend in Ps 106,48* eingetragen worden ist. 417 So auch LEUENBERGER, Konzeptionen, 283–286 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 145 f, die Ps 107 als kunstvolle Komposition der Redaktion herausstellen, die die Exilssituation aus Ps 106 aufnimmt und »die das Ende des Exils als wundervolle Rettung und Erneuerung Israels auf der Bühne der Völkerwelt darstellt – und zum Dank und öffentlichen Zeugnis einlädt«. Auch Leuenberger geht von einer Fortschreibung in Ps 107 aus, bezieht aber darüber hinaus die Buchgrenze in Ps 106,48 mit ein. Seines Erachtens geht mit der Buchgrenze ein Epochenwechsel einher, der durch die nachexilische Epoche der Sammlung (Ps 107,2 f) begonnen hat. Aufgrund des in Ps 107 aus Ps 101–106 übernommenen Leitwortes der ›Güte‹ (GV[) Jhwhs versteht er die in Ps 107 berichteten Errettungserfahrungen als konkrete Vollzüge des Königtums Jhwhs. Diese Annahme setzt allerdings die Schlussdoxologie in Ps 106,48 voraus, die aber ihrerseits nur lose in ihrem Kontext verankert ist; siehe dazu B.3.f) (S. 235 ff). Von daher unterstreicht die kompositionelle Fortschreibung von Ps 106 in Ps 107 gerade eine psalterkompositorische Verbindung zwischen beiden Psalmen, die aufgrund der Hodu-Formel in Ps 106,1 und Ps 107,1 bis Ps 136 reicht und den Abschluss des vierten Psalmenbuches als nachträgliche Ergänzung ausweist. 418 So auch LEVIN, Büchereinteilung, 89, der die Einteilung der ersten drei Bücher des Psalters sammlungsgeschichtlich erklärt und damit von einer deutlich festeren Reihenfolge der einzelnen Psalmen ausgeht, während die Sammlungen im vierten und fünften
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Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
6. Die Neuakzentuierung der Komposition Psalm 103–106 durch die Über- bzw. Unterschriften Die kompositionellen Bögen zwischen Ps 103 und Ps 106 werden, wie bereits Hossfeld gezeigt hat, durch die nachträglich ergänzten Unter- bzw. Überschriften der Psalmen zum Teil anders akzentuiert.419 Dabei schließen die Halleluja-Unterschriften Ps 104,35 und Ps 105,45 ab, während Ps 106,1.48 durch die Halleluja-Überschrift und -Unterschrift gerahmt ist.420 Demgegenüber findet sich in Ps 103 weder eine Halleluja-Überschrift noch eine entsprechende Unterschrift. Durch das nachträgliche Einschreiben dieser Über- bzw. Unterschriften wird also Ps 103 von der Komposition Ps 104–106 abgekoppelt, so dass der oben herausgestellte psalterkompositorische Bogen zwischen Ps 103 und Ps 106 unterbrochen wird. Damit verliert die psaltertheologische Auslegung der Gnadenformel in Ps 103 und Ps 106 ihre Funktion als Interpretationsrahmen der Komposition Ps 103–106. Stattdessen entsteht eine stärkere Zuordnung der Psalmen 104–106, die »eine kleine Universalgeschichte in hymnischer Form erzählt. Sie reicht vom Schöpfungsanfang bis zum Exil und schildert vornehmlich in nachexilisch-priesterlicher Theologie die Großtaten des Königs JHWH, des Erhalters des Kosmos und Schöpfers der Welt, des treuen Bundesgottes
Psalmenbuch sehr viel variabler aufeinander bezogen sind. Dies bestätigt auch die Psalmenüberlieferung in Qumran (11QPsa, 11QPsb, 4QPsb, 4QPsd, 4QPse, 4QPsf, 4Q522, 11QPsAp a), die mit der masoretischen Textüberlieferung der Ps 1–89* deutlich größere Übereinstimmungen aufweist als in den hinteren Sammlungen. Vgl. dazu die ausführliche Diskussion bei LEUENBERGER, Konzeptionen, 10–20, der die Varianz in der Abfolge der Psalmen zwischen den Qumranhandschriften und der masoretischen Überlieferung herausstellt, wobei dem hebräischen Psalter im masoretischer Anlage die historisch wahrscheinlich ursprüngliche Anfangsposition zukommt. 419 Auch HOSSFELD, Universalgeschichte, 308–310 und KRATZ, Tora, 31 heben die Neustrukturierung der Psalmengruppe 104–106 durch die Halleluja-Rahmung hervor. 420 Die LXX setzt die Halleluja-Unterschrift von Ps 104,35 als Überschrift von Ps 105. KRATZ, Tora, 19 sieht hierin die vereinfachende und systematische Tendenz der LXX, die das abschließende Halleluja konsequent als Überschrift des Folgepsalms liest. Anders MILLARD, Komposition, 28.30 ff, der das Halleluja sachlich als Überschrift zu Ps 105, literarhistorisch aber als Unterschrift zu Ps 104 versteht. SEYBOLD, Psalmen, 163 f, MATHIAS, Geschichtstheologie, 114 f.120 und KOCH, Psalter, 267 hingegen verstehen mit der LXX das Halleluja als Überschrift zu Ps 105, so dass das vierte Psalmenbuch in Ps 105,1.45 und Ps 106,1.48 mit einem doppelten Halleluja-Rahmen schließt. Demgegenüber hat jüngst LEUENBERGER, Konzeptionen, 189–191, insbesondere Anm. 247, überzeugend gezeigt, dass sich die MT-Anordnung im Sinn eines sich steigernden Lobschlusses des vierten Psalmenbuches sinnvoll verstehen lässt: Zuerst werden sie nach dem entscheidenden Sammlungszentrum Ps 103 f gesetzt, dann nach dem einzelnen Geschichtspsalm 105, und schließlich bilden sie am Schluss des Buches eine Inklusion. Darüber hinaus findet sich das Stichwort ›rühmen‹ ( OOK) in beiden Psalmen, Ps 105,3 und Ps 106,2.5.12.27.
C. Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
289
und richtend-rettenden Gottes für Israel«. 421 Die Schlussdoxologie in Ps 106,48 unterstreicht letztlich diese Zuordnung der Psalmen 104–106 und formiert diese kleine Universalgeschichte in hymnischer Form zum Abschluss des vierten Psalmenbuches, wodurch der Psalter seine an der Tora orientierte Fünfteilung erhält. 7. Fazit Vor dem Hintergrund dieser psalterkompositorischen und -redaktionellen Untersuchungen zu Ps 103–107 lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: 1. Die terminologischen und konzeptionellen Bezüge zwischen Ps 105 und Ps 106 sprechen dafür, dass beide Psalmen in Bezug zueinander entstanden sind und somit von einem Doppelpsalm 105f auszugehen ist. 2. Die über die Güte Jhwhs herausgestellten Bezüge zwischen dem Grundpsalm 103,1–18 und dem Doppelpsalm 105 f weisen auf eine gemeinsame Redaktion hin, die mit Ps 103* und 105f eine Komposition geschaffen hat, in der die Güte Jhwhs in anthropologischer (Ps 103*) und geschichtstheologischer (Ps 105 f) Dimension reflektiert wird und in der beide Aspekte aufeinander bezogen werden. 3. Die Komposition Ps 103*.105 f wird durch den Schöpfungspsalm 104 ergänzt, indem Ps 104 vor allem an seinen Rändern mit Ps 103 redaktionell verknüpft wird (Ps 103,1.22; 104,1.35). Zudem wird in diesem Zug Ps 103,19–22 hinzugefügt und die dort beschriebene Königsherrschaft Jhwhs in Ps 104,1.4 wieder aufgenommen. Dadurch entsteht eine Komposition, die mit der Güte Jhwhs im Hinblick auf den Menschen schlechthin beginnt (Ps 103) und mit der Explikation der Güte Jhwhs in der Geschichte endet (Ps 106). In den so entstandenen literarischen Rahmen von Ps 103.106 wird das Schöpferhandeln Jhwhs eingeschrieben, wie es sich in seinen Schöpfungswerken (Ps 104) und in der Geschichte (Ps 105) zeigt. Damit wird die Güte Jhwhs zur entscheidenden Deutekategorie, von der her Jhwhs Handeln in Schöpfung und Geschichte zu verstehen ist. 4. Die Ps 103–106 prägende Konzeption der Güte Jhwhs verbindet die Psalmengruppe darüber hinaus mit Ps 107, der insbesondere durch die Hodu-Formel in Ps 107,1 mit Ps 106,1 verbunden ist. Auch die folgende Aufforderung zum Lob und Dank Jhwhs in Ps 107,2f ist eng auf Ps 106 rückbezogen, indem die Bitte um Sammlung aus den Völkern aus Ps
421
HOSSFELD, Universalgeschichte, 310. Vgl. weiter auch KÖCKERT, Beobachtungen, 278 f, MASCARENHAS, Psalm 105, 79–93 und SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 271 f, insbesondere Anm. 898, der durch die Halleluja-Rahmung eine Verstärkung der Begrenzung des vierten Psalmenbuches in Ps 106,48 sieht.
290
Kapitel 3: Parallelismus membrorum der Heilsgeschichte in Ps 105 und 106
106,47 als bereits erfüllt aufgenommen wird und in Ps 107,2f den Anlass zum Lob und Dank darstellt. 5. Die Komposition Ps 103–106 wird schließlich durch die nachträglich ergänzten Halleluja-Überschriften bzw. -Unterschriften neu akzentuiert. Während Ps 104,35 und Ps 105,45 Halleluja-Unterschriften und Ps 106,1.48 eine Halleluja-Rahmung aufweisen, wird Ps 103 nicht mit einer Halleluja-Überschrift bzw. -Unterschrift versehen. Dadurch wird Ps 103 letztlich von der Komposition abgekoppelt, so dass nun eine »kleine Universalgeschichte«422 entsteht, die von der Schöpfung bis zum Exil reicht und die Taten des Königsgottes Jhwhs entfaltet. 6. Erst durch die später ergänzte Schlussdoxologie in Ps 106,48 wird dieser Zusammenhang unterbrochen. Zugleich aber weist auch sie ein sprachliches Bindeglied zwischen Ps 106,48 und Ps 107,2 auf, so dass die Buchgrenze zwischen den dem vierten und fünften Psalmenbuch zugrunde liegenden Sammlungen entsprechend durchlässig bleibt. Zugleich wird durch die Schlussdoxologie in Ps 106,48 die Zuordnung der Psalmen 104–106 letztlich unterstrichen, wodurch der Psalter seine an der Tora orientierte Fünfteilung erhält. 7. Aufgrund ihrer konzeptionellen und psalterkompositorischen Bedeutung erweisen sich die Psalmen 105 f als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter. In ihnen wird die Güte Jhwhs als entscheidende Deutekategorie des Handelns Jhwhs in Schöpfung und Geschichte profiliert und dies psalterkompositorisch relevant am Übergang vom vierten zum fünften Psalmenbuch platziert.
422
HOSSFELD, Universalgeschichte, 310.
13
Kapitel 4
Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart in Psalm 135 und Psalm 136 Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Mit Ps 136 liegt der letzte Geschichtspsalm im Psalter vor, bei dem es sich um einen Hymnus mit Kehrvers ›ja, seine Güte ist für fernste Zeit‹ handelt. Im Vergleich mit den bisher untersuchten Geschichtspsalmen 78, 105 und 106 kommt diesem Psalm in dreifacher Hinsicht eine Sonderstellung zu: Erstens verleiht der Kehrvers dem Psalm den Charakter einer Litanei, durch den sich Ps 136 von Ps 78, 105 und 106 unterscheidet. Zweitens werden die geschichtstheologischen Aussagen zu bekenntnisartigen Sätzen verdichtet,1 so dass Ps 136 anders als Ps 78, 105 und 106 keine narrativ entfaltete Geschichtsreflexion enthält. Zu den formalen Differenzen tritt drittens eine inhaltliche hinzu, die die Konstruktion von Geschichte betrifft. Denn unter dem Begriff der Wundertaten (WZDOSQ), der üblicherweise die Taten Jhwhs in der Geschichte bezeichnet, wird in Ps 136 auch das Schöpfungshandeln Jhwhs zusammengefasst (Ps 136,4). Dieses betrifft im Unterschied zu Ps 78, 105 und 106 nun explizit sein anfängliches Schöpfungshandeln (Ps 136,5–9) sowie sein die Schöpfung bewahrendes Handeln (Ps 136,25).2 Dabei rahmen die beiden Aspekte seines Schöpfungshandelns (Ps 136,5–9.25) seine Wundertaten in der Geschichte (Ps 136,10– 22), die vom Auszug in Ägypten über die Rettung am Schilfmeer, eine knappe Erwähnung der Führung in der Wüste bis hin zur Landnahme und Landgabe reichen. Insofern wird in Ps 136 das Verhältnis von Schöpfung und Geschichte explizit thematisiert und als Teil des universalen Handelns des Schöpfergottes verstanden.
1
So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 347. Zu Ps 136 vgl. LEVIN, Psalm 136, 17–27, MACHOLZ, Psalm 136, 177–186 und PRÖBSTL, Rezeption, 179–205. 2 Zur Unterscheidung sowie Bedeutung des anfänglichen Schöpferhandelns Jhwhs (creatio prima) und seines lebenserhaltenden und bewahrenden Schöpferhandelns (creatio continua) in den Psalmen vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 21–86; vgl. hierzu weiter HARTENSTEIN, Bedeutung, 337.
292
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Psalterkompositorisch ist in der Forschung immer wieder vermutet worden, dass Ps 136 den Abschluss eines vorläufigen Psalters gebildet hat.3 Diese Vermutung wird inhaltlich mit der hymnischen Verdichtung zu dem Bekenntnis des einen Gottes in Schöpfung und Geschichte sowie psalterkompositorisch mit den intertextuellen Bezügen von Ps 136 in das vierte Psalmenbuch hinein begründet. So schlägt der Lobaufruf in Ps 136,1 z. B. eine Brücke über Ps 118,1.29 zum Lobaufruf in Ps 106,1 und setzt diese beiden Psalmen in Bezug zueinander, so dass eine Verbindungslinie von Ps 106 über Ps 118 zu Ps 136 entsteht. Zugleich ist diese redaktionskritische Annahme nicht unabhängig von der psalterkompositorischen Bedeutung von Ps 135 zu beurteilen. Ps 135 erweist sich im Ganzen als redaktioneller Brückentext,4 der zum einen den Wallfahrtspsalter in Ps 120–134 mit Ps 136 verknüpft, indem Ps 135 in seiner geschichtshermeneutischen Reflexion Ps 136 sowie die Segensformeln aus Ps 118,2–4 aufnimmt.5 Zum anderen stellt Ps 135 durch die Aufnahme von Ps 113 und vor allem durch die breite Rezitation von Ps 115 eine redaktionelle Verbindung zum sogenannten »ägyptischen Hallel« in Ps 113–118 her. Insofern deuten schon die Position von Ps 135 im Psalter sowie die Fülle seiner sprachlichen Verbindungen zu anderen Psalmen auf eine besondere redaktionelle bzw. kompositionelle Funktion dieses Psalms für das letzte Psalmenbuch. Diese psalterkompositorische Bedeutung von Ps 135 und Ps 136 für die Entstehung des Psalters insgesamt wird in einem abschließenden Kapitel untersucht.
3
Vgl. hierzu jüngst LEVIN, Psalm 136, 17–27 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 276–282.316–320. 4 Zu Ps 135 vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 659–672 und KREUZER, Frühgeschichte, 242–244. 5 Dass Ps 119 vermutlich später ergänzt worden ist, vertreten mit guten Gründen LEVIN, Psalm 136, 25; LEUENBERGER, Konzeptionen, 369–372 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 357 f, anders ZAKOVITCH, Significance, 220–223, der von einer ursprünglichen Sammlung Ps 111.112.119 ausgeht.
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
293
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Psalm 136 A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
1. Der Text – Psalm 136 1 Preist Jhwh, ja,/denn er ist gütig! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 2 Preist den Gott der Götter! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 3 Preist den Herrn der Herren! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 4 Der allein (für sich) große6 Wundertaten tut! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 5 Der den Himmel mit Einsicht gemacht hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 6 Der die Erde über den Wassern gehämmert hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 7 Der große Lichter7 gemacht hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 8 8Die Sonne zur Herrschaft am Tag! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 9 Den Mond und Sterne zur Herrschaft (Pl.) 9 bei Nacht! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 10 Der Ägypten an ihren Erstgeborenen geschlagen hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 11 Und Israel aus ihrer Mitte herausgeführt hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 12 Mit starker Hand und ausgestrecktem Arm! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 13 Der das Schilfmeer zerstückelt hat in Stücke! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
KZ½K\O:G½$K E$M\.L C$' V[aO ¼$>O\.L¶ a\KLBO^DK \KH¼O^DOH:G$K C$' V[aO ¼$>O\.L¶ a\Q,GRD@K \Q(½GRD@O:G$K C$' V[aO ¼$>O\.L¶ $'EOW$O½GR*!W$D½O SQ,KIH³>RO C$' V[aO ¼$>O\.L¶ KQ:EW%La\,P9 KºKIH¼>RO C$' V[aO ¼$>O\.L¶ a\,0KO>UD K º>T½URO C$' V[aO ¼$>O\.L¶ a\OLBGR*!a\U,½$DKIH>RO C$' V[aO ¼$>O\.L¶ a$< %WOY¼PPOYP9KºWD C$' V[aO ¼$>O\.L¶ KO \!/%W$O½YPPOa\ELN $NZ!º[U(¼O\.L¶ aN B$7PLODHUI\,ºDFH¼$O\.L¶ a\U,]J!OL#:Vºa\U](½J2O 13 C$' V[aO ¼$>O\.L¶
In 11QPsa und in einigen Versionen fehlt ›groß‹ (WZOGJ). Mit PRÖBSTL, Rezeption, 180 ist darauf hinzuweisen, dass das Stichwort ›groß‹ ( OGJ) in V. 7 und V. 17 wieder aufgenommen wird und von daher vermutlich integraler Bestandteil des Psalms gewesen ist. 7 11QPsa gleicht den Plural ›Lichter‹ (a\UZD ) an Gen 1,14 ff an und liest WZUDP . 8 11QPsa fügt hier noch die Zeile »Die Sonne und den Mond, ja seine Güte ist für fernste Zeit« ein und benennt damit eigens die in V. 7 benannten großen Lichter. 9 Einige hebräische Handschriften gleichen den Plural von ›Herrschaft‹ (WZOYPP ) in V. 9 an den Singular von ›Herrschaft‹ ( WOYPP ) aus V. 8 an. 6
294
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
14 Und Israel mitten hindurch ziehen ließ! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 15 Und (den) Pharao und sein Heer ins Schilfmeer geschüttelt hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 16 Der sein Volk in der Wüste geführt hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 17 Der große Könige geschlagen hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 18 Und starke Könige getötet hat! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 19 Sichon, den König der Amoriter! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 20 Und Og, den König von Baschan! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 21 Und ihr Land als Erbland10 gab! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 22 Als Erbland für Israel seinen Knecht! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 23 Der in unserer Erniedrigung unser gedachte! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 24 Und uns unseren Bedrängern entriss! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 25 Der Speise gibt allem Fleisch! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 26 Preist den Gott der Himmel! Ja, seine Güte ist für fernste Zeit!11
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2. Struktur und literarische Einheitlichkeit von Psalm 136 Der Psalm ist geprägt durch das im Kehrvers sich wiederholende Lob der Güte Jhwhs (GV[), das jeden Vers beschließt und das Handeln Jhwhs in Schöpfung und Geschichte als Manifestation seiner Güte preist.12 V. 1–3 setzt mit einem hymnischen Lobaufruf ein, der auf die Exklusivität Jhwhs zielt. Dabei wird jeder der Verse mit dem Imperativ Plural von ›preisen‹ (KG\) eingeleitet. Hierauf folgt die Entfaltung des Gotteslobs in V. 4–25. 10 Einige hebräische Handschriften gleichen die Formulierung ›als Erbland‹ (KO[QO) an die Formulierung in Ps 135,12 ›Erbland‹ ( KO[Q) an und streichen das O. 11 11QPsa fügt Zeilen aus Ps 118 hinzu und endet mit ›Halleluja‹ ( K\ZOOK); vgl. dazu weiter SEYBOLD, Psalmen, 506 f. 12 Zum liturgischen Charakter des Kehrverses vgl. den Exkurs bei MATHYS, Dichter, 97–100 und B ALLHORN, Telos, 255 f. Zu seiner traditionsgeschichtlichen Einordnung vgl. KOCH, »… denn seine Güte währet ewiglich«, 536–542.
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
295
Der Hauptteil des Psalms wird mit einem erneuten Aufruf zum Gotteslob in V. 26 abgeschlossen, indem der Imperativ Plural von ›preisen‹ (KG\) aus V. 1–3 wieder aufgenommen wird. Dadurch ergibt sich ein durch den Imperativ ›preisen‹ (ZGZK) markierter hymnischer Rahmen, in dem das Thema des Psalms, die Einzigkeit Jhwhs, besungen wird. Dieses monotheistische Bekenntnis in den Rahmengliedern des Psalms wird dann im Hauptteil in V. 4–25 anhand einer Partizipienreihe,13 in denen die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart der Beter beschrieben werden, entfaltet.14 Der Hauptteil selbst beginnt mit V. 4. Diesem Vers kommt die Funktion eines Themaverses zu, da er zusammenfassend die Wundertaten Jhwhs benennt, die in den folgenden Versen in Schöpfung (V. 5–9), Geschichte (V. 10–22) und in ihrer Bedeutung für die Gegenwart der Beter (V. 23–25) ausgeführt werden. Der Lobpreis der Wundertaten Jhwhs in der Geschichte ist in zwei Unterabschnitte untergliedert, die jeweils mit dem doppelten Einsatz des Partizips von ›schlagen‹ (KNQ) in V. 10 und V. 17 eingeleitet werden. Dabei richtet sich der Schlag Jhwhs in V. 10 gegen Ägypten bzw. die Erstgeborenen und in V. 17 gegen große Könige. Dadurch wird die Frühgeschichte in die Zeit von Exodus bzw. Wüste (V. 10–16) und in die Zeit der Landnahme (V. 17–22) unterteilt.15 In der Zeit des Exodus selbst werden drei Episoden der Frühgeschichte Israels geschildert, die jeweils mit einem Partizip mit O in V. 10.13.16 eingeleitet werden. Hierbei handelt es sich erstens um die Plagen und den Auszug aus Ägypten in V. 10–12, zweitens um die Rettung am Schilfmeer in V. 13–15 und drittens um die Führung in der Wüste in V. 16, die zusammengenommen in Ps 136 die Episode von Exodus und Wüstenzeit ausmachen.16 Dabei bildet die Reihenfolge der Ereignisse von der Schöpfung bis zur Landgabe den Erzählzusammenhang des Pentateuchs ab.17
13
Dass es sich nicht um eine reine Partizipienreihe handelt, sondern die Partizipien in V. 8 f.11 f.13–15.18–22 ergänzt und ausgestaltet werden, wird in der Kompositionsanalyse des Psalms entfaltet, siehe unter A.3. (S. 299 ff). 14 PRÖBSTL, Rezeption, 190 f unterscheidet hier zwei Aspekte des Handelns Jhwhs: Jhwhs Überlegenheit, die sich in seinem Schöpfungshandeln zeigt, und Jhwhs tatvolle Zuwendung, die die Beter in seinem Geschichtshandeln erfahren. Damit wird aber der im Psalm hergestellte Zusammenhang von Schöpfung und Geschichte auseinandergerissen. Denn genauso wie die Versorgung allen Fleisches auf die heilvolle Fürsorge des Schöpfers für seine Geschöpfe verweist, zeigt sich in den beiden Schlägen gegen Ägypten und die Völker bzw. Könige Jhwhs Überlegenheit als Herr der Herren. 15 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 676 und PRÖBSTL, Rezeption, 186 f. 16 Zu dieser an den Partizipien orientierten Gliederung vgl. auch MACHOLZ, Psalm 136, 182–184; vgl. weiter auch VOSBERG, Studien, 105–109. 17 Dies stellt auch B ALLHORN, Telos, 256 heraus und spricht in diesem Zusammenhang von einer eigenen Geschichtshermeneutik in Ps 136.
296
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
In V. 23 wird die bisher vorherrschende Partizipienreihe (Partizip mit O) unterbrochen und mit der Relativpartikel Y eine Zäsur markiert, mit der zugleich von der Vergangenheit zur Gegenwart der Beter übergeleitet wird.18 V. 25 knüpft wieder an die Partizipienreihe (Partizip ohne O) in V. 4–22 an und setzt mit der Aussage ›der Nahrung gibt allem Fleisch‹ das in V. 23f eingeleitete Resümee der Wundertaten Jhwhs in ihrer Bedeutung für die Gegenwart der Beter fort. Durch die variierte Fortsetzung der Partizipienreihe entsteht ein zweifacher Rückbezug. Zum einen wird auf den Beginn der Partizipienreihe in V. 4 Bezug genommen, so dass die verlässliche Versorgung durch den Schöpfer in der Gegenwart der Beter ebenso als Wundertat zu begreifen ist wie sein anfängliches Schöpfungshandeln und sein Handeln in der Frühgeschichte Israels. Insofern versteht Ps 136 das versorgende Schöpferhandeln Jhwhs als Wundertat der Gegenwart. Zum anderen ergänzt V. 25 das in V. 5–9 beschriebene anfängliche Schöpfungshandeln um den Aspekt der creatio continua und bildet mit V. 5–9 einen schöpfungstheologischen Rahmen um die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte.19 Somit weist der Psalm folgende Struktur auf: Auf die Aufforderung zum Gotteslob in V. 1–3 folgt der Hauptteil in V. 4–25, der mit dem Themavers in V. 4 eingeleitet wird und die Wundertaten Jhwhs in der Schöpfung (V. 5–9) und in der Geschichte (V. 10–16.17–22) sowie ihre Bedeutung für die Gegenwart der Beter (V. 23 f.25) entfaltet. Der Psalm schließt mit einem erneuten Lobaufruf, der über das Stichwort ›preisen‹ (KG\) auf den Lobaufruf in V. 1–3 zurückweist, so dass ein hymnischer Rahmen um die im Hauptteil ausgeführten Wundertaten Jhwhs entsteht.20 Aufgrund dieses in sich ge18 Den Einschnitt betonen auch PRÖBSTL, Rezeption, 187, MACHOLZ, Psalm 136, 180 f, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 676 und HARTENSTEIN, Bedeutung, 348. 19 So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 348 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 679. Insgesamt ist V. 25 in der Forschung kontrovers diskutiert worden. Vgl. hierzu vor allem MACHOLZ, Psalm 136, 185, der den Vers im Kontext von Ps 136 nicht versteht. GOULDER, Return, 220–223 bezieht ihn auf die Passagen der Wüstenzeit, in denen die Israeliten Hunger erlitten haben. SEYBOLD, Psalmen, 508 rechnet in V. 25 mit einem Nachtrag. 20 Diese Gliederung in die Verse 1–3, 4–22, 23–25 und 26 ist in der Forschung weitgehend unumstritten. Diskutiert wird lediglich die Untergliederung des Hauptteils (V. 4– 22). So wird V. 4 z. B. von HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 676 zum Abschnitt Weltschöpfung V. 4–9 zusammengefasst. Vgl. auch BALLHORN, Telos, 256; SEYBOLD, Psalmen, 507; AUFFRET, Note, 2; ALLEN, Psalms, 232. Darüber hinaus werden auch die Verse 17–22 unterschiedlich unterteilt. SEYBOLD, Psalmen, 506 betrachtet z. B. V. 1–15 als Lob des Befreiers und V. 16–22 als Lob des Eroberers. Ähnlich auch BALLHORN, Telos, 256, der in V. 10–15, das Exodusgeschehen, und in V. 16–22, die Landnahme, unterteilt. AUFFRET, Note, 9 unterteilt nicht nur den Abschnitt V. 10–16 in V. 10–12.13– 15.16, sondern auch die Verse 17–22 in die Unterabschnitte ›Könige‹ (V. 17–20) und ›Land‹ (V. 21 f). Einen ganz anderen Gliederungsvorschlag bietet B AZAK, Structure, 129– 138, der die Verse 1–18 in sechs gleiche Dreiergruppen (V. 1–3.4–6.7–9.10–12.13–15.16–
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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schlossenen Aufbaus liegt, wie die folgende Analyse bestätigen wird, eine literarische Kohärenz des Psalms nahe, da der Psalm einen in sich geschlossenen Gesamtentwurf des Handelns Jhwhs in Schöpfung und Geschichte entfaltet.21 Die dargelegte Struktur lässt sich anhand folgender Skizze veranschaulichen:
18) gliedert. Diese werden wiederum zu zwei Einheiten zusammengestellt (V. 1–9.10– 18). Die übrigen Verse werden in zwei Vierergruppen zusammengefasst (V. 19–22.23– 26). Gerade im Hinblick auf diesen Gliederungsversuch gilt aber mit MACHOLZ, Psalm 136, 180 auf die formalen Gliederungsmerkmale im Text selbst zu achten. Auch GOULDER, Return, 220–223 unterteilt den Psalm in »triplets«, die nach V. 1–3 alle mit O anfangen (V. 4–6.7–9.10–12.13.15.16). Allerdings werde diese Struktur nach Goulder ab V. 17–22 nicht fortgeführt. Zur weiteren Diskussion der Gliederungsvorschläge für Ps 136 vgl. PRÖBSTL, Rezeption, 182–190 und M ACHOLZ, Psalm 136, 180 f. 21 Vgl. zur literarischen Kohärenz von Ps 136 HARTENSTEIN, Bedeutung, 148, der von einem kunstvollen Aufbau von Ps 136 spricht. Vgl. weiter PRÖBSTL, Rezeption, 183–185. Auch MACHOLZ, Psalm 136, 177–186 versteht nur V. 25 nicht im Zusammenhang des Psalms. Insbesondere die Verse 23–25 haben häufig Anlass zu literarkritischen Überlegungen gegeben, da sie aus den durch die Partizipienreihe strukturierten Versen herausfallen. So vermuten HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 676 f in V. 23–25 eine Erweiterung eines ursprünglich selbstständigen Psalms, die auf die Redaktion zurückgeht, die Ps 136 zusammen mit dem von ihr geschaffenen Ps 135 in das sukzessiv wachsende Psalmenbuch aufnahm. Allerdings sind die von Hossfeld/Zenger genannten intertextuellen Bezüge (V. 23 zu Ps 113,6; 115,12/V. 24 zu Ps 107,1 f/V. 25 zu Ps 104,27 f) bis auf den letzten Beleg kaum aussagekräftig. Hinzu kommt, dass V. 25 wie V. 2 f.26 von Dtn 10,17 f beeinflusst sein könnte. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 162 geht über Hossfeld/Zenger hinaus und rekonstruiert einen exilischen Psalm, der aus V. 1–3.5–7.10.13.16 f.21 f.25 f besteht, während in V. 4.8 f.11 f.14 f.18–20.23 f eine vom Deuteronomium beeinflusste Bearbeitung vorliegt. Anders SEYBOLD, Psalmen, 507, der von einem ursprünglichen Hymnus mit drei vierzeiligen Strophen (V. 4–7/10.13–15/16.17.21.22) und einem imperativischen Rahmen (V. 1–3.26) ausgeht, der nachträglich um aus der Tora-Lektüre gewonnene (V. 8 f.11 f.18– 20), aktuelle (V. 23 f) und konventionelle Zeilen erweitert worden ist. BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 481–484 gehen über Seybold hinaus und streichen konsequent alle Elemente, die aus der Partizipialkonstruktion herausfallen, so dass ein ursprünglicher Psalm V. 2– 7.13.16 f.21.25 ohne den Kehrvers entsteht. Auch VOSBERG, Studien, 103 f streicht den Kehrvers als sekundäres Element. Allen genannten literarkritischen Annahmen ist aber gemeinsam, dass sie den durch die Relativpartikel Y erwirkten Einschnitt höher bewerten als den kunstvollen Rückbezug von V. 25 auf V. 5–9, durch den das Schöpfungshandeln Jhwhs in seinen beiden Dimensionen des anfänglichen und des versorgenden Handelns entfaltet wird; siehe dazu die Auslegung unter A.3. (S. 299 ff). Da es sich bei Ps 136 aber aufgrund der Pentateuchbezüge insgesamt um einen jungen Text handelt, ist zudem fraglich, ob die sich auf die Situation der Beter beziehenden Verse eine nachträgliche Ergänzung darstellen oder aber zum Konzept des Psalms gehören und gerade durch ihre sprachlich andere Gestalt die Bedeutung der Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte für ihre eigene Situation deuten.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Skizze zu Psalm 136 I. Hinführung: Der Lobpreis des einen Gottes (V. 1–3) V. 1: Lobpreis Jhwhs KG\ V. 2: Lobpreis des Gottes der Götter KG\ V. 3: Lobpreis des Herrn der Herren KG\ II. Hauptteil: Die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart (V. 4–25) 1. Themavers (V. 4): Der allein große Wundertaten tut: (Eröffnung der Partizipienreihe mit O [V. 5.6.7.10.13.16.17]) 2. Jhwh als Schöpfer (V. 5–9): V. 5 f: Die Erschaffung des Raums, Himmel und Erde (Partizip ›machen/tun‹ [ KI>] in V. 5) V. 7–9: Die Erschaffung der Zeit, kosmische Ordnung (Partizip ›machen/tun‹ [KI>] in V. 7) Orientierung an Gen 1 (Zitat von Gen 1,16 in V. 7–9) 3. Jhwh als Herr der Geschichte (V. 10–22) V. 10–16: Der erste Schlag: Errettung vor den Feinden (Partizip ›schlagen‹ [KNQ] in V. 10): V. 10: Tötung der Erstgeburt (Ex 12) V. 12: Auszug (Ex 12) V. 13–15: Rettung am Schilfmeer (Ex 13–15) V. 16: Führung in der Wüste V. 17–22: Der zweite Schlag: Landnahme und Landgabe (Partizip ›schlagen‹ [ KNQ ] in V. 17): V. 17–20: Tötung der ostjordanischen Könige V. 21 f: Gabe des Landes als Erbland an Israel, den Knecht Jhwhs Orientierung an der Grundstruktur von Ex 15: a) Rettung vor den Feinden (V. 6–12) b) Einsetzung Israels als Kultgemeinde (V. 13–17) 4. Die Wundertaten Jhwhs für die Gegenwart der Beter (V. 23 f.25) V. 23 f: Das Resümee aus Jhwhs Handeln in Schöpfung und Geschichte für die Beter: Unterbrechung der Partizipienreihe durch einen Relativsatz V. 25: Das versorgende und bewahrende Handeln des Schöpfergottes: a) als Wundertat in der Gegenwart der Beter b) als Gesamtunterschrift des Handelns Jhwh in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart (Wiederaufnahme der Partizipienreihe ohne O)
III. Hymnischer Abgesang V. 26: Lobpreis des einen Gottes als Gott des Himmels
KG\
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 136 – Die Güte Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart a) Der Lobpreis des einen Gottes (V. 1–3) Der Lobaufruf in V. 1–3 ist so gestaltet, dass jeder Vers mit einem Imperativ Plural von ›preisen‹ (KG\) einsetzt. In V. 1 werden die Beter aufgefordert, Jhwh zu ›preisen‹ (KG\). Der Aufforderung folgen zwei \N-Sätze mit jeweils einer Explikation des Lobaufrufs. Der erste \N-Satz hält das ›Gutsein‹ Jhwhs als eine göttliche Qualität fest. Der zweite \N-Satz, der zugleich der Kehrvers des Psalms ist, bestärkt diese Aussage, indem die bis in fernste Zeit anhaltende ›Güte‹ (GV[) Jhwhs ausgesagt wird. Damit sind zwei Qualitäten Jhwhs genannt, die die im Folgenden beschriebenen Wundertaten in Schöpfung und Geschichte auszeichnen. Insofern ist der gesamte Ps 136 als eine Erweiterung des Kurzhymnus in V. 1 zu verstehen.22 Wie besonders in 2Chr 7,3 deutlich wird, handelt es sich bei dem Kehrvers »um eine Antwort des Volkes (dort bei der Tempelweihe), um das Bekenntnis des Herrn des Lebens, der in Schöpfung und Geschichte erfahrbar wurde«23 und dessen Güte, wie es die Formulierung ›bis in fernste Zeit‹ (aOZ>O), festhält, auch in Zukunft erfahrbar sein wird. Die folgenden beiden Hodu-Aufrufe in V. 2f entfalten das Bekenntnis zur Einzigkeit Jhwhs. In V. 2 wird Jhwh als Gott der Götter gepriesen. Damit werden seine Einzigkeit und machtvolle Souveränität im Bereich der altorientalischen Götterwelt herausgestellt.24 Dabei geht es in Ps 136 nicht mehr um eine Auseinandersetzung Jhwhs mit anderen Göttern, sondern allein darum, Jhwh in seiner exklusiven Wirkmacht in Schöpfung und Geschichte zu preisen. Dieser im Hinblick auf die Götterwelt formulierte Exklusivitätsanspruch Jhwhs wird im dritten Hodu-Aufruf in V. 3 für den Bereich der irdischen Herrschaft erneut bekräftigt. Jhwh wird hier als Herr der Herren bezeichnet.25 Auf diese Weise stellen die Verse 1–3 ein monotheistisches Bekenntnis dar, indem sie Jhwh als den alleinigen Herrn des gesamten Kosmos loben.
22
So auch BALLHORN, Telos, 255 f. HARTENSTEIN, Bedeutung, 348. Vgl. zur Bedeutung des Kehrverses weiter HOSSFELD/ZENGER , Psalmen 101–150, 675.678. Zugleich muss aber aufgrund des noch aufzuweisenden literarischen Charakters des Psalms offenbleiben, ob der Psalm auch eine ursprüngliche Verwendung im Kult aufweist, so HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, oder als literarisches Produkt für seinen Kontext geschaffen worden ist. 24 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 678 und weiter MATHYS, Dichter, 86. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund des mit dem Gott der Götter verbundenen Vorstellungszusammenhangs einer Götterversammlung siehe Kapitel 2 C.2.b) (S. 66 ff), insbesondere S. 66 Anm. 84 und S. 93 Anm. 172. 25 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 678. 23
300
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Dieses Bekenntnis zu Jhwh als ›Gott der Götter‹ (a\KODK \KODO) und ›Herr der Herren‹ (a\QGD \QGD) ist in Anlehnung an Dtn 10,17 formuliert worden, in dessen literarischem Zusammenhang die Exklusivität Jhwhs in ihrer Bedeutung für Israel entfaltet wird (Dtn 10,14–11,1).26 Dabei ist signifikant, dass der Abschnitt in Dtn 10,14 mit einer hymnisch geprägten Eigentumsdeklaration beginnt, in der Jhwh als Herr von Himmel und Erde gepriesen wird, bevor in Dtn 10,15 die Erwählung Israels als heilsgeschichtliche Entfaltung folgt. Damit zeichnen sich beide Texte durch die Vorordnung der Schöpfung vor der Geschichte aus. Zugleich sind aber auch die Differenzen zwischen beiden Texten auffällig. Denn hinter Dtn 10,14–11,1 steht die deuteronomisch-deuteronomistische Bundesvorstellung, die auf dem Vertragsdenken beruht. Dies bedeutet, dass die Liebe Jhwhs, die sich in der Erwählung Israels manifestiert (Dtn 10,15), von Israel mit Gegenliebe, dem Halten der Weisungen und Gebote, beantwortet wird. Diese Antwortstruktur ist Ps 136 fremd, da die Antwort des Hymnus auf die Exklusivität Jhwhs das im Psalm entfaltete Gotteslob darstellt. b) Die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart (V. 4–25) aa) Der allein große Wunder tut (V. 4) Der Hauptteil wird in V. 4 mit dem Partizip von ›machen/tun‹ (KI>) eröffnet. Dabei fasst der Vers Jhwhs Handeln in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart überschriftartig zusammen und formuliert zugleich ein Bekenntnis zu seiner alleinigen Wirkmacht.27 Diese Exklusivität Jhwhs manifestiert sich anhand seiner ›Wundertaten‹ (WZDOSQ), die in den folgenden Versen ausgeführt werden.28 Damit wird aber die Kategorie der Wundertaten nicht nur, wie zumeist üblich, auf die Heilstaten Jhwhs in der Geschichte beschränkt, sondern auf die Schöpfungstaten ausgeweitet, die zudem den Geschichtstaten (V. 10–22) in V. 5–9 sachlich vorgeordnet werden. Darüber hinaus unterstreicht das betont am Ende des Satzes stehende ›allein‹ (ZGEO) die Exklusivität Jhwhs. Nur Jhwh allein kommt diese Wirkmächtigkeit zu.29 Insofern werden die Wundertaten Jhwhs zur Deutekategorie seines im Folgenden entfalteten Handelns in Schöpfung und Geschichte.
26
Vgl. hierzu auch VEIJOLA, Das fünfte Buch Mose, 256. So auch MACHOLZ, Psalm 136, 180; vgl. weiter PRÖBSTL, Rezeption, 186; SCORALICK, Hallelujah, 261; HUMAN, Psalm 136, 79; anders AUFFRET, Note, 2 und HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen 101–150, 676, die V. 4 aufgrund des Partizips von KI> bereits den Wundertaten Jhwhs in der Schöpfung zuordnen. 28 Vgl. hierzu HARTENSTEIN, Bedeutung, 348. Zum Begriff der Wundertaten vgl. CONRAD, Art. DOS, 569–583 und G RIMM, Jahwe, 80–83. 29 Anders BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 482, die ›allein‹ ( ZGEO) für eine Glosse halten. 27
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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bb) Jhwh als Schöpfer (V. 5–9) In den Versen 5–9 werden Jhwhs Wundertaten in der Schöpfung ausgeführt. Dazu setzen die Verse 5–7 die Partizipienreihe fort und schildern jeweils die Schöpfungstätigkeit Jhwhs. Inhaltlich beschreiben die Partizipien das anfängliche Schöpfungshandeln Jhwhs, die Erschaffung von Himmel und Erde (V. 5 f) sowie der kosmischen Ordnung von Tag und Nacht (V. 7– 9), so dass die Schöpfungswerke Jhwhs die Grundkonstanten von Raum und Zeit umfassen und Jhwh als König der gesamten Welt und Gott der Götter (V. 2) voraussetzen.30 Formal zeigt sich diese Zweiteilung des Abschnitts in die Erschaffung des Raums (V. 5 f) einerseits und in die Erschaffung der Zeit (V. 7–9) andererseits daran, dass beide Schöpfungswerke in V. 5 und V. 7 mit dem Partizip von ›machen/tun‹ (KI>) eingeleitet und in den folgenden Versen ausgeführt werden. Zugleich verweist das Partizip von ›machen/tun‹ (KI>) auf V. 4 zurück, der ebenfalls mit diesem Partizip beginnt. Dieses kennzeichnet das Schöpferhandeln Jhwhs als ›Wundertaten‹ (WZDOSQ).31 Zugleich verweist die Partizipialkonstruktion in Kombination mit dem sich nach jedem Schöpfungswerk anschließenden Kehrvers, in dem die bis in fernste Zeit bestehende Güte Jhwhs gepriesen wird, auf die bis in fernste Zeit bestehende Gültigkeit des Schöpferhandelns Jhwhs.32 Die Schöpfungswerke beginnen in V. 5 mit der Erschaffung des Himmels, den Jhwh mit ›Einsicht‹ (KQZEWE) macht. Diese Vorstellung verweist auf einen weisheitlichen Hintergrund (vgl. Prov 3,19; Ps 104,24; 147,5 und Jes 40,28) und erinnert zugleich an den götzenpolemischen Abschnitt in Jer 10,1–16. In Jer 10,12 wird wie in Ps 136,5 mit einem Partizip formuliert, dass Jhwh die Erde mit seiner Kraft gemacht, den Erdkreis mit seiner Weisheit gegründet und den Himmel mit seiner Einsicht (KQZEWE) ausgespannt hat. Bedeutsam an dieser Parallele zu Ps 136,5 ist, dass diese Schöpfungsaussage Jhwh in der Auseinandersetzung mit den nichtigen Götzen als den einzigen wirkmächtigen Gott herausstellt, zu dessen Machtbereich die Erschaffung des Kosmos gehört, während sich die anderen Götter als ohnmächtig und vollkommen machtlos erweisen. Auch wenn explizit die Auseinandersetzung mit anderen Göttern für Ps 136 kein Thema mehr darstellt, wird die in Jer 10,12 herausgestellte alleinige Wirkmacht Jhwhs doch in Ps 136 vorausgesetzt und Jhwhs Wirken als Gott der 30 Vgl. hierzu auch die konzeptionelle Verwandtschaft zu dem Schöpfungspsalm 104, der die Erschaffung des Weltgebäudes durch den Königgott Jhwh ausführt. Vgl. dazu HARTENSTEIN, Wolkendunkel, 164 f. 31 Aufgrund dieser Wiederaufnahme des Partizips von ›machen/tun‹ (KI>) in V. 4.5.7 rechnen HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 679 auch V. 4 zum Abschnitt über die Weltschöpfung (V. 4–9) dazu. 32 So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 679.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Götter und Herr der Herren entfaltet.33 In V. 6 wird, wiederum mit einer Partizipialkonstruktion, die Erschaffung der Erde ergänzt, indem Jhwh als Handwerker gezeichnet wird, der die Erde über den Wassern ›breithämmert‹ (>TU).34 Nach der Erschaffung von Himmel und Erde, des Raums, wird in V. 7–9 die Erschaffung der Gestirne und damit der Zeit hinzugefügt. Dazu nimmt V. 7 das Partizip von ›machen/tun‹ (KI>) aus V. 5 und V. 4 wieder auf und schildert die Erschaffung der großen Lichter. Dieser Schöpfungsvorgang wird durch nominale Ergänzungen in V. 8 f insofern spezifiziert, als die großen Himmelslichter in die Sonne zur Herrschaft am Tag sowie in den Mond und die Sterne zur Herrschaft bei Nacht unterschieden werden. Dazu greift V. 7–9 auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht aus Gen 1,14–18 zurück und zitiert Gen 1,16: Gen 1,16 Und Gott machte zwei große Lichter : das eine große Licht zur Herrschaft des Tages und das kleine(re) Licht zur Herrschaft der Nacht , und die Sterne .
Ps 136,7–9
a\KLÂO^DI> a\OLBGR*!KWUR·DR0K\Q(ÇYWD U$Dµ0 KWD V. 8 aZ\EWOYPPO a$) Jhwh ›große Lichter‹ (a\OGJKWUDPK), das größere der beiden Lichter zur Herrschaft des Tages und das kleinere zur Herrschaft der Nacht, um ihre Funktion, die Verwaltung von Tag und Nacht, zum Ausdruck zu bringen.35 Allerdings weisen Ps 136,7–9 und Gen 33
Nach PRÖBSTL, Rezeption, 190 tritt der polemische Aspekt hinter den bekennenden Charakter des Psalms zurück; so auch M ATHYS, Dichter, 86. Anders VOSBERG, Studien, 107 f, der in Ps 136 die Überlegenheit Jhwhs primär in Abgrenzung zum reichsaramäischen Himmelsgott herausstellt, mit dem Jhwh verwechselt wurde. Allerdings gibt es im Psalm kein Anzeichen einer Polemik gegenüber anderen Göttern. Vielmehr zielen die Überlegenheitsaussagen auf das im ganzen Psalm entfaltete monotheistische Bekenntnis. Vgl. hierzu auch HUMAN, Psalm 136, 78. 34 Das Verb ›>TU‹ findet sich noch in Hiob 37,18, Jes 42,5 und 44,24. Auch in Jes 44,24 wird im Partizipialstil hervorgehoben, dass Jhwh allein (GEO) alles wirkt, die Erde hämmert. 35 Vgl. hierzu vor allem W ILL-P LEIN, Anfang, 17. Das Lexem WOYPPO ist im Sinne Willi-Pleins als eine Herrschaft zur Verwaltung von Tag und Nacht zu verstehen und nicht als eine Tätigkeit, nach der das Herrschen der Gestirne im Sinne himmlischer Machthaber an die für P so wichtigen neubabylonisch geprägten astralen Mächte erinnert. Vielmehr sind Sonne und Mond als Komplementärgrößen zu verstehen, die »zusammen den
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
303
1,16 sprachliche Differenzen auf, die vor allem die Nennung von Sonne und Mond betreffen. Diese werden in Gen 1,16 nicht bei ihrem Namen genannt, sondern als großes und kleines Licht bezeichnet. Darüber hinaus wird den Sternen nicht wie in Ps 136,9 explizit diese Herrschaftsfunktion bei Nacht zugeschrieben, da diese dem kleineren Licht obliegt und die Sterne lediglich als kosmische Phänomene der Nacht hinzugefügt werden. Diese Differenz zeigt sich syntaktisch auch daran, dass die ›Herrschaft‹ (WOYPP) im Sinne ihrer Verwaltungsfunktion in Gen 1,16 stets im Singular verwendet wird, während der Begriff in Ps 136,9 im Plural steht und dadurch hervorhebt, dass diese Herrschaftsfunktion sowohl dem Mond als auch den Sternen zukommt. Ein weiterer Unterschied in der Formulierung der Herrschaftsfunktion in Gen 1 und Ps 136 besteht darin, dass Ps 136,8 f von der Herrschaft ›am Tag‹ (aZ\E) und ›bei Nacht‹ (KO\OE) spricht, während in Gen 1,16 die Herrschaft als direktes Objekt ohne die Präposition E auf Tag und Nacht bezogen ist. Dadurch wird die Herrschaftsfunktion der Gestirne in Gen 1,16 über Tag und Nacht unmittelbarer als in Ps 136 zum Ausdruck gebracht. Die Formulierung in Ps 136,8 f ›am Tag‹ (aZ\E) und ›bei Nacht‹ (KO\OE) hingegen verweist indirekt auf Jhwh als den eigentlichen Herrn der Zeit. Von den genannten Differenzen abgesehen überwiegen im Ganzen aber die konzeptionellen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Texten, die über das Zitat aus Gen 1,16 hinausgehen. Sie betreffen vor allem die Abfolge der Schöpfungswerke Jhwhs von Himmel, Erde und Lichter, die Ps 136,5–9 aus Gen 1 übernimmt.36 Dabei werden die Schöpfungswerke im Sinn der Bekenntnisstruktur von Ps 136 transformiert, indem sie auf die Grundstrukturen von Raum und Zeit verdichtet werden, um die Gesamtheit des Kosmos zu umreißen. In Gen 1 hingegen wird die Schöpfung in ihrer Vielfalt beschrieben. Beide Texte zielen je auf ihre Weise auf das Lob des Schöpfers. Dies wird in Gen 1 durch die rhythmisierende Form des Textes zum Ausdruck gebracht, um so die Beständigkeit der Schöpfung und die Verlässlichkeit ihres Schöpfers als einzigem Gott zu preisen. In Ps 136 wird die Erschaffung von Raum und Zeit im Rahmen eines Hymnus als Wundertaten (WZDOSQ) Jhwhs gedeutet, durch die die Beter seine Güte bis in fernste Zeit erfahren.37 Auf diese Weise eröffnet astronomischen ›Tag‹ bilden« und »zusammen mit den Sternen … ans Firmament gesetzt [sind], um ›für Merkmale, Übereinkünfte, Tage und Jahre‹ dazusein« (WILLI-P LEIN, Anfang, 17). Zum Verständnis von OYP als ›Vermögensverwaltung‹ vgl. weiter H. GROSS, Art. OYP, 73–77. Nach H. GROSS, Art. OYP, 78 ist das Nomen mit dem Präfix P nicht mit dem Infinitiv gleichzusetzen, so dass der Instrumentalcharakter der Gestirne als ›Weltuhr Gottes‹ gesichert ist. 36 Zu Gen 1 vgl. NEUMANN-GORSOLKE, Herrschen, 154–161. 37 Über den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 1 hinausgehend enthält Ps 136 auch eine konzeptionelle Nähe zu den Schöpfungsaussagen bei Deuterojesaja (vgl. Jes 42,5; 45,18; 48,13), in denen die Erschaffung von Himmel und Erde auf die Gesamt-
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
die Schöpfertätigkeit Jhwhs den Raum für die folgenden Wundertaten Jhwhs in der Geschichte (V. 10–22). cc) Jhwh als Herr der Geschichte (V. 10–22) Die Entfaltung der Wundertaten Jhwhs in der Geschichte ist durch die Fortsetzung der Partizipienreihe in V. 10–22 geprägt, mit der bereits die Erschaffung von Himmel (V. 5), Erde (V. 6) und Gestirnen (V. 7) beschrieben worden ist. Wie die Schöpfungswerke in V. 5.6.7 werden auch die entscheidenden Ereignisse der Frühgeschichte, die Befreiung aus Ägypten in V. 10, die Rettung am Schilfmeer in V. 13, die Führung in der Wüste in V. 16 und die Landnahme und Landgabe in V. 17, mit einem Partizip eingeleitet. Die Partizipienreihe wird allerdings immer wieder unterbrochen, um die Geschichtstaten Jhwhs in V. 10.13.16.17 durch nominale Ergänzungen (V. 12.19.20.22) oder Verbalsätze (V. 11.14f.18.21) auszugestalten. Auf diese Weise entsteht eine an den Partizipien orientierte Struktur, die darauf zielt, die entscheidenden Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte herauszustellen. Dabei wird inhaltlich anhand der Partizipienreihe der Erzählzusammenhang des Pentateuchs abgebildet. Der Abschnitt V. 10–22 wird durch das Partizip von ›schlagen‹ (KNQ) in V. 10 und V. 17 in zwei Unterabschnitte V. 10–16 und V. 17–22 untergliedert. Der erste Schlag richtet sich gegen die Erstgeborenen in Ägypten und beschreibt die Zeit von Exodus und Wüste (V. 10–16). Der zweite Schlag richtet sich gegen große Könige, mit dem die Epoche der Landnahme beginnt.38 Mit dieser Profilierung der Geschichtstaten Jhwhs in zwei große Schläge erweist sich Jhwh, wie in V. 3 besungen, als Herr aller weltlichen Herren, der die Ägypter ebenso wie die großen Könige schlägt. Zugleich nimmt die durch die Wiederholung des Partizips markierte Zweiteilung des Abschnitts in V. 10–16 und V. 17–22 die Grundstruktur aus V. 5–9 wieder auf, die durch das Partizip von ›machen/tun‹ (KI>) eine Untergliederung der Schöpfungswerke Jhwhs in die Erschaffung des Raums V. 5 f und die Erschaffung der Zeit in V. 7–9 aufweist. Dies bedeutet, dass durch die heit des Schöpfungshandelns Jhwhs zielt, um auf diese Weise dessen Einzigkeit zum Ausdruck zu bringen. Aus dieser Begründungsstruktur folgt bei Deuterojesaja sowie in Ps 136 Jhwhs Herrschaft in der Geschichte, so dass die Schöpfung der Geschichte sachlich vorgeordnet wird. Vgl. zu dem Bezug zu Deuterojesaja STRAUSS, Gott preisen, 22 f. Die sachliche Vorordnung der Schöpfung vor der Geschichte findet sich aber auch bei P, dessen Erzählzusammenhang ja mit dem Schöpfungsbericht in Gen 1 einsetzt. 38 Zur Zweiteilung des Geschichtshandelns Jhwhs vgl. auch PRÖBSTL, Rezeption, 194 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 676. MACHOLZ, Psalm 136, 182 sieht in den Schlägen Jhwhs seine Kampfesmacht, die in Ps 136,10–22 besungen wird. Dabei zielen die Geschichtstaten Jhwhs vor allem auf seine Überlegenheit, da sowohl der Pharao als auch die Könige und Völker nicht als gegnerisches Gegenüber zu Jhwh dargestellt werden.
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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Zweiteilung der Schöpfungswerke in die Erschaffung von Raum und Zeit sowie die Zweiteilung der Geschichtswerke in die Schläge gegen die Herren der Welt die in der Lobaufforderung besungene Exklusivität Jhwhs als Gott der Götter und Herrn der Herren abgebildet wird. Denn die Wundertaten in der Schöpfung zeichnen Jhwh als Herrn und Erschaffer des gesamten Kosmos und damit als Gott der Götter aus, während sie zugleich die Wirkungslosigkeit der anderen Götter implizieren (V. 2). Demgegenüber zielen die Geschichtstaten darauf, Jhwh als Herrn der Herren darzustellen (V. 3), und implizieren zugleich die Wirkungslosigkeit der weltlichen Herrscher. Die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte beginnen in V. 10 mit dem Schlag (Partizip von KNQ mit O) Jhwhs an der Erstgeburt Ägyptens, womit der Höhepunkt der Plagenreihe aus Ex 7–12 aufgenommen wird, der letztlich den Auszug herbeiführt.39 Indem Ps 136 diese letzte der zehn Plagen aufnimmt, wird das im Hintergrund stehende Geschehen der Knechtschaft in Ägypten im Duktus des Hymnus verdichtet, so dass die Tötung der Erstgeburt pars pro toto für das gesamte Geschehen steht. Sprachlich auffällig ist die Formulierung der Plage in V. 10, die mit der Bezeichnung ›an ihren Erstgeborenen‹ (aK\UZNEE) von der Formulierung ›Erstgeborene‹ (UZNE) in Ex 12,12.29 (vgl. auch Ps 135,8) abweicht. Mit dieser durch die Präposition E erreichten anderen Akzentuierung der Plage in Ps 136,10 wird ganz Ägypten zum Ziel des Strafhandelns Jhwhs. Dies bedeutet, dass die Ägypter im Ganzen betroffen sind, wenn Jhwh sie an ihren Erstgeborenen schlägt.40 Wie in der Exodusvorlage führt auch in Ps 136 der Schlag gegen die Erstgeburt zum Auszug, der in V. 11 mit einem Narrativ angeschlossen wird. Sprachlich greift Ps 136,11 dabei auf Ex 7,5 zurück. Auch dort findet sich die Formulierung, dass Jhwh die Israeliten ›aus der Mitte‹ (aNZWP) Ägyptens ›herausführt‹ (DF\ Hif.). Für Ps 136 relevant ist der Kontext von Ex 7,1–6, bei dem es um die Ankündigung der Plagen bzw. des Gerichtshandelns Jhwhs geht. Dieses zielt auf die Gotteserkenntnis der Ägypter. Die Plagen werden also nicht nur als Gerichtshandeln Jhwhs verstanden. Vielmehr dienen sie auch dazu, Jhwh unter den Ägyptern, die für die Völkerwelt stehen, als den alleinigen, wirkmächtigen Gott herauszustellen, dem gegenüber die Götter der Ägypter, ihre Priester und der Pharao ohnmächtig sind. Dieser Zusammenhang wird in Ps 136,11 durch den Rück39
Vgl. hierzu auch die Deutung der Plagen in Ps 105,28–36 in Kapitel 3 A.3.c)cc) (S. 169 ff) und zu Ps 78,44–51 in Kapitel 2 C.3.a) (S. 79ff), die auch jeweils auf die Tötung der Erstgeburt zulaufen. 40 Vgl. dazu JENNI, Beth, 269. Demgegenüber wird in Ex 12,12.29 sowie in Ps 135,8 hervorgehoben, dass der Schlag die gesamte Erstgeburt trifft, so dass von der Erstgeburt keiner übrig bleibt. Vgl. weiter Ps 78,51 und 105,36.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
griff auf Ex 7,5 aufgenommen. Damit akzentuiert auch diese Deutung des Auszugs in Ps 136,11 das den Psalm prägende monotheistische Bekenntnis.41 In V. 12 wird mit einer nominalen Ergänzung der Auszug aus Ägypten weiter ausgeführt. Die Größe Jhwhs und seine Macht in der Geschichte werden hier mit der deuteronomisch-deuteronomistischen Formulierung ›mit starker Hand und ausgestrecktem Arm‹ (K\ZMQ >ZU]EZ KT][ G\E) gedeutet.42 Markiert durch ein Partizip beginnt in V. 13 die Rettung am Schilfmeer als das zweite die Frühgeschichte Israels strukturierende Ereignis. Um die Spaltung des Meeres zu beschreiben, greift Ps 136 nicht auf die Vorlage in Ex 13–15 zurück, sondern deutet die Teilung des Meeres als ›Zerschneiden‹ (U]J) des Meeres in ›Stücke‹ (a\U]J).43 Traditionsgeschichtlich erinnert das Zerschneiden des Meeres an den von Marduk zerstückelten Chaosdrachen, so dass Assoziationen an den Chaoskampf entstehen.44 Dabei zielt der Vers auf die Überlegenheit Jhwhs gegenüber dem Schilfmeer, während dieses nicht als bedrohlicher Gegner, sondern nur noch als Objekt geschildert wird. Damit stellt die Unüberbietbarkeit der kriegerischen Macht Jhwhs und seiner Herrschaft auch über die einst chaotischen Elemente den Deutehorizont der Rettung am Schilfmeer dar. Mit einer Afformativkonjugation mit Waw (Z) werden die Ereignisse am Schilfmeer in V. 14 f fortgesetzt und in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung für Israel ergänzt. Jhwhs unhinterfragbare Überlegenheit über das Meer bedeutet für Israel die Rettung vor seinen Feinden. Diese heilsgeschichtliche Deutung in Ps 136,14 f ist in Anlehnung an die Pentateuchvorlage in Ex 14 formuliert worden. Jhwh lässt Israel wie in Ex 14,16.22.29
41
Vgl. weiter 1Kön 8,51 und Ez 20,9. Vgl. Dtn 4,34; 5,15; 7,19; 11,2; 26,8 und weiter 1Kön 8,42; Ez 20,33 f. 43 Vgl. dazu die Belege von U]J Gen 15,17; 1Kön 3,25 f; 2Kön 4,4; 2Chr 26,21; Est 2,1; Hiob 22,38; Ps 88,6; Jes 9,19; 53,8; Klgl 3,54; Ez 37,11; Hab 3,17. 44 Vgl. hierzu die Beschreibung des Kampfes Marduks gegen Tiamat im Enuma Elisch, der Tiamat zerteilt: »Er durchtrennte ihre Adern … Er teilte sie wie ein Stockfisch in zwei Teile …« (Enuma Elisch, Tafel IV, Z. 131.137) Ein ähnlicher Vorgang des Zerschneidens von Chaosmächten wird im Enuma Elisch im Rahmen der Menschenschöpfung beschrieben. Dort werden Kingu, der Tiamat zum Aufstand veranlasste, die Blutgefäße durchgeschnitten: »Sie legten ihm [Kingu] die Strafe auf und schnitten seine Blut(gefäße) durch« (vgl. Enuma Elisch, Tafel VI, Z. 32). Zu diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. auch M ACHOLZ, Psalm 136, 182 f, der aber zugleich hervorhebt, dass der Mythos hier nicht mehr lebendig ist, sondern ›rhetorisch‹ auf ihn angespielt wird. Vgl. weiter HOSSFELD /ZENGER, Psalmen 101–150, 80. PRÖBSTL, Rezeption, 195 f verneint Anklänge an einen Chaoskampf und behauptet trotz fehlender sprachlicher Bezüge Anklänge an die Teilung der Wasser in Ex 14,16.21 f. 42
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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›mitten‹ (ZW) durch das Schilfmeer ziehen45 und ›schüttelt‹ (U>Q) den Pharao und sein Heer wie in Ex 14,27 ins Meer. Damit wird die Rettungstat am Schilfmeer in Ps 136,13–15 auf drei Ereignisse zugespitzt, wobei die in der Schilfmeererzählung (Ex 13 f) und dem Schilfmeerlied (Ex 15) vorgegebene Ereignisfolge übernommen wird. Erstens besteht die eigentliche Wundertat im Zerschneiden des Meeres in V. 13. Dieses stellt Jhwhs Sieg über die einst chaotischen Elemente bzw. das Meer heraus und hält als Resultat seine unüberbietbare Kampfesmacht fest. Die Herrschaft Jhwhs über die Wasser wird in V. 14 f in ihren heilsgeschichtlichen Implikationen weiter ausführt, die in der Rettung Israels bestehen. Daher wird als zweites Ereignis der Durchzug der Israeliten durch das Meer in V. 14 geschildert, der drittens mit der Vernichtung der Feinde in V. 15 einhergeht. Auf diese Weise wird die Wundertat Jhwhs am Schilfmeer zu drei bekenntnisartigen Sätzen verdichtet, mit denen die Beter Jhwh als Herrn der Wasser und Retter vor den Feinden preisen. In V. 16 wird die Partizipienreihe erneut fortgesetzt, indem die gesamte Wüstenzeit auf die Führung (OK Hif.) Jhwhs in der Wüste zugespitzt wird.46 Signifikant ist in V. 16, dass Israel im Verlauf des Psalms zum ersten Mal als Volk Jhwhs, als ›sein Volk‹ (ZP>), bezeichnet und die in V. 11.14 verwendete Bezeichnung Israel ersetzt wird. Damit deutet Ps 136 die Rettung am Schilfmeer als die Wundertat, durch die Israel zum Volk Jhwhs wird und die paradigmatisch für die Gründung Israels als Gottes-
45 Mit dem ›hinübergehen lassen‹ (UE> Hif.) wird im Pentateuch der Durchzug durch den Jordan beschrieben (vgl. Jos 4,7.23). Es findet sich darüber hinaus in Ps 78,13, wo auf das Spalten des Meeres ebenfalls der Durchzug der Israeliten (UE> Hif.) folgt. Zu Ps 78,13 siehe Kapitel 2 C.2.a) (S. 62 ff). Darüber hinaus findet sich ›hindurchziehen lassen‹ (UE> Hif.) in Ex 15,16. Allerdings lässt Jhwh sein Volk nicht durch das Meer gehen, sondern durch das Gebiet feindlicher Völker. 46 ›Führen‹ (OK Hif.) und ›Wüste‹ (UEGP) findet sich noch in Dtn 8,2.15. Auch dort werden die Führung in der Wüste und Versorgung verbunden. Ein ähnlich loser Bezug besteht zu Dtn 29,4. Hier wird vor allem hervorgehoben, dass die Führung in der Wüste Schutz und Bewahrung bedeutet hat, die sich daran zeigt, dass die Kleider der Wüstengeneration nicht zerfallen sind. Zugleich diente diese Zeit aber der Gotteserkenntnis. Dtn 29,4–8 ist auch insofern eine interessante Parallele, als auch hier der Zusammenhang von Versorgung in der Wüste (Dtn 29,4 f; Ps 136,16), die Tötung Ogs und Sichons (Dtn 29,6; Ps 136,18–20) und die Gabe (WQ) des Landes als Erbbesitz ( KO[Q) an Ruben, Gad und den halben Stamm Manasse erfolgt (Dtn 29,7; Ps 136,21 f). Trotz dieser Parallelen darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass weder die Wüstenzeit noch die Landgabe in Ps 136 vor dem Hintergrund deuteronomisch-deuteronomistischer Theologie gedeutet werden. So zielt Dtn 29,8 auf die Wahrung des Bundes als Antwort auf die erfahrenen Heilstaten Jhwhs, während in Ps 136 diese als Wundertaten des einzigen Gottes in der Geschichte gepriesen werden.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
volk steht.47 Im Vergleich mit Ps 78, 105 und 106 ist darüber hinaus auffällig, dass die Wüstenzeit in Ps 136,16 als Führung Jhwhs in der Wüste zusammengefasst wird und die in den anderen Psalmen ausgestaltete Erzählung der Versorgung in der Wüste mit Manna und Wachteln und Wasser aus dem Felsen (Ps 78,17–31; 105,40 f; 106,13–15) nicht erwähnt wird. Diese andere Gewichtung der Wüstenzeit in Ps 136 ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Zweiteilung der Wundertaten Jhwhs in der Geschichte in Ps 136,10–16.17–22 an der Grundstruktur von Ex 15,6–18 orientiert ist. Sie weist eine Unterteilung in die Errettung am Schilfmeer (Ex 15,6–12) sowie die Einsetzung Israels als Kultgemeinde (Ex 15,13–17) auf, ohne auf die Versorgung in der Wüste einzugehen. Diese Unterteilung wird mit den beiden Schlägen gegen Ägypten (Ps 136,10–16) und gegen die großen Könige, Landnahme und Landgabe (Ps 136,17–22) abgebildet, so dass der Aspekt der Versorgung in der Wüste in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle spielt.48 Zum anderen dient die Versorgung mit Manna, Wachteln und Wasser aus dem Felsen in Ps 78, 105 und 106 dazu, das fürsorgende und bewahrende Handeln des Schöpfers als integralen Bestandteil der Geschichtsreflexion herauszustellen. In Ps 136 werden die Wundertaten Jhwhs aber explizit in sein Handeln in Schöpfung (Ps 136,5–9.25) und Geschichte (V. 10–22) unterschieden. Der Aspekt des fürsorgenden Schöpfungshandelns Jhwhs wird im Zusammenhang von Ps 136 in V. 25 als eine Wundertat der Gegenwart verstanden, indem Jhwh als derjenige gepriesen wird, der alles Fleisch versorgt. Damit wird in Ps 136 das fürsorgende Handeln des Schöpfergottes aus der geschichtstheologischen Reflexion gelöst und stattdessen als gegenwärtige Erfahrung der Güte Jhwhs gedeutet. Der zweite Schlag Jhwhs, der mit dem Partizip von ›schlagen‹ (KNQ) mit der Präposition O in V. 17 eingeleitet wird, richtet sich gegen die großen Könige des Ostjordanlandes. Er zielt auf die Gabe des Landes als Erbbesitz für Israel, seinen Knecht. Er wird in V. 18 mit einem Narrativ weitergeführt und ergänzt, dass Jhwh starke Könige tötet.49 Diese werden in V. 19 und V. 20 als die beiden großen Könige des Ostjordanlandes, Sichon, der König der Amoriter, und Og von Baschan, benannt. Die folgenden beiden Verse 21 f schildern die auf die Landnahme folgende Gabe des Landes als
47
Vgl. in diesem Zusammenhang vor allem die paradigmatische Bedeutung des Schilfmeers für die Geschichtskonstruktion in Ps 106, siehe Kapitel 3 B.3.c)aa) (S. 199 ff). Vgl. weiter Ps 78,13 f.52–55 in Kapitel 2 C.2.a) (S. 62 ff) und C.3.b) (S. 89ff). 48 Zur Bedeutung von Ex 15,1–18 für Ps 136 vgl. auch M ACHOLZ, Psalm 136, 182 f. 49 Dass Jhwh die Könige bei der Landnahme tötet, lässt sich aus der Pentateuchvorlage nur indirekt erschließen; vgl. Num 21,34 f und Dtn 3,2.6.
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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›Erbland‹ (KO[Q). In V. 21 wird zunächst grundsätzlich die Gabe des Landes als ›Erbland‹ (KO[Q) spezifiziert und in V. 22 unter erneuter Aufnahme des Begriffs ›Erbland‹ (KO[Q) der Adressat der Landgabe, Israel als Knecht Jhwhs, ergänzt. Mit dieser Bezeichnung als Knecht Jhwhs ist V. 22 auf V. 3 rückbezogen. Israel wird als Knecht des Herrn der Herren herausgehoben, zu dem es in einem besonderen Schutz- und Vertrauensverhältnis steht.50 Durch die Wiederaufnahme des Begriffs ›Erbland‹ (KO[Q) in V. 21 f, mit dem V. 21 endet und mit dem V. 22 einsetzt, wird auch formal unterstrichen, dass die Geschichtsreflexion auf die Landgabe zuläuft. Auch diesbezüglich wird die Grundstruktur von Ex 15,1–18 in Ps 136 abgebildet, die ebenfalls auf die Gabe des Landes und die Einsetzung Israels als Kultgemeinde zuläuft. In ihrer konzeptionellen Ausgestaltung unterscheiden sich beide Texte aber vor allem im Hinblick auf die Bedeutung des Heiligtums. In Ex 15,17 bringt Jhwh sein Volk zu dem von ihm gegründeten Heiligtum, um sie dort als seine Kultgemeinde einzusetzen. Das Heiligtum wird somit zu dem Ort der Gottesnähe und Begegnung. In Ps 136 liegt hingegen keine entsprechende Heiligtumskonzeption vor. Der Psalm preist Jhwh in V. 1 als Gott der Götter und in V. 26 als Gott der Himmel und impliziert somit, dass der gesamte Kosmos zum Ort heilvoller Gottespräsenz werden kann, wie dies in seinen Wundertaten in Schöpfung und Geschichte besungen wird. Nicht mehr ein irdischer Ort, sondern der Kosmos selbst wird zum Tempel und zum Ort der Gottesbegegnung, an dem die Beter die Güte Jhwhs erfahren können.51
50 Vgl. hierzu vor allem die Bitte in Jes 63,17, in der die Knechte Jhwh nach dem Rückblick auf die Heilsgeschichte bitten, sich wieder seinen Knechten, seinem Erbbesitz, zuzuwenden. Diese Bitte erfolgt vor dem Hintergrund erlebter Gottesferne, dennoch aber nimmt sie wie Ps 136,17–22 die Vorstellung aus Ex 15,13–17 auf, dass die Landgabe zur Einsetzung Israels als Kultgemeinde Jhwhs geführt hat. Diese besondere Gottesbeziehung wird dann in Ps 136,22 und Jes 63,17 anders als in Ex 15,1–18 mit dem Knechtsbegriff umschrieben. 51 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die von T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 67– 70, herausgestellte Konzeption in Ps 104, die Jhwh in ähnlich umfassender Weise wie in Ps 136 als Herr und Schöpfer des gesamten Kosmos preist, ohne einen irdischen Tempel explizit zu erwähnen. Dabei ist in Ps 104 die Weltherrschaft Jhwhs, die auch die chaotischen Elemente in seine Schöpfungsordnung zu integrieren vermag, so ausgerichtet, dass der Kosmos selbst zum Heiligtum Jhwhs wird. Vgl. weiter K. SCHMID, Himmelsgott, 127 und JEREMIAS, Königtum, 45. Allerdings ist in Ps 104,1–5 explizit von einer hintergründigen himmlischen Residenz in den oberen Wassern die Rede; vgl. dazu H ARTENSTEIN, Wolkendunkel, 164 f. Im Unterschied zu Ps 104 wird die Vorstellung einer himmlischen Residenz in Ps 136 nicht explizit erwähnt. Sie klingt aber in der Bezeichnung ›Gott der Himmel‹ an. Vgl. hierzu K. SCHMID, Himmelsgott, 124–126.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Auch die Landnahme und Landgabe selbst werden anders als in Ex 15,13–17 auf das Ostjordanland beschränkt. Genannt werden in Ps 136,19 f nur die mächtigsten ostjordanischen Könige Sichon und Og.52 Diese beiden stehen bereits in der Geschichtserzählung des Hexateuchs für die Landnahme des Ostjordanlandes und konnten insofern von Ps 136 übernommen werden.53 Es bleibt aber die Frage, wie die Beschränkung der Landgabe auf das Ostjordanland zu verstehen ist. Nach Kreuzer beschreiben die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte die normative heilvolle Urzeit, die sich nur in der Gabe des Ostjordanlandes vollzieht. Damit würde der Psalm nach Kreuzer die Pentateuchgrenze wahren.54 Unabhängig von den Überlegungen, wie umfassend die fundierende Urzeit in Ps 136 zu denken ist, entspricht die Reduktion der Landgabe auf das Ostjordanland der Intention des Psalms, das Grundsätzliche der fundierenden Heilszeit herauszustellen, es bekenntnisartig zu verdichten, ohne die Ereignisse dabei narrativ zu entfalten. Von daher steht die Landgabe des Ostjordanlandes paradigmatisch für die Wundertat der Landgabe an sich. Sie richtet sich an das gesamte Volk als Knecht Jhwhs (V. 21 f), während sie im Pentateuch auf die Stämme Ruben, Gad und den halben Stamm Manasse beschränkt bleibt.55 dd) Die Wundertaten Jhwhs in der Gegenwart der Beter (V. 23 f.25) Mit der einleitenden Relativpartikel Y in V. 23f wird die Partizipienreihe unterbrochen. Zudem findet ein Personenwechsel von der dritten Person Singular zur ersten Person Plural statt, so dass insgesamt der Einschnitt
52
Vgl. zur Bedeutung der ostjordanischen Könige FENSHAM, Neh 9, 44. Vgl. Num 21,21–23.26–29.33 f; 32,33; Dtn 1,4; 2,24–32; 3,1–13; 4,46 f; 29,6; 31,4; Jos 2,10; 9,10; 12,1–5; 13,10.21.27; 1Kön 4,19; Neh 9,22 und zur Auswertung der Belege vgl. RENDTORFF, Sihon, 198–203. Sprachlich weist Ps 136,17–20 eine Nähe zu Dtn 1,4, 3,3, 4,46 und Jos 12,1–5 auf, weil in diesen Texten die Landnahme des Ostjordanlandes mit dem Schlagen von Königen umschrieben wird ( OP KNQ ). In Num 32,32 f und Dtn 29,7 wird die Gabe (WQ) des Landes wie in Ps 136,20 als Erbbesitz (KO[Q) bezeichnet. 54 Vgl. KREUZER, Frühgeschichte, 245.257 f und, ihm folgend, PRÖBSTL, Rezeption, 197. Nach MACHOLZ, Psalm 136, 178 f ist gerade diese Begrenzung auf die Landgabe im Ostjordanland ein Hinweis darauf, dass der Psalm bereits auf den Pentateuch im Ganzen zurückgreifen konnte, wie dies auch die Bezüge zu Gen 1, Num 21, Num 32,33 und Ex 14 nahelegen, und diesem bereits eine »kanonische Geltung« zukam. Hingegen bleibt aber zu berücksichtigen, dass die anderen Geschichtspsalmen zwar auch auf einen bereits abgeschlossenen Pentateuch zurückgreifen, die Ereignisse aber jeweils in ihrer eigenen Weise deuten, so dass man zwar hinsichtlich der Abfolge von einer »kanonischen Geltung« des Pentateuchs sprechen kann, nicht aber im Hinblick auf die Deutung der Ereignisse. 55 Ps 135,10–12 hat an dieser Stelle seine Vorlage verändert und die Landgabe auf das Westjordanland ausgeweitet; siehe dazu B.3.b)cc) (S. 304 ff). 53
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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zum Vorherigen formal deutlich markiert ist. Mit diesem Einschnitt geht auch konzeptionell ein Perspektivwechsel einher. Haben die Beter in V. 5– 9 und V. 10–22 die fundierenden Heilstaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte gepriesen, ist ihr Blick nun auf ihre eigene Situation gerichtet. Diese spitzen sie auf die Errettung in ihrer Erniedrigung56 und Bedrängnis zu, die sie selbst in ihrer Vergangenheit erlebt haben. Allerdings werden die im Hintergrund stehenden konkreten Ereignisse dabei nicht benannt.57 Dies wiederum entspricht der Grundsätzlichkeit, mit der auch die Wundertaten Jhwhs in V. 5–22 beschrieben worden sind. Zugleich stellen sie sich in die Kontinuität der Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte, die als fundierende Heilszeit den Begründungszusammenhang für ihre eigene Rettungserfahrung bildet.58 Denn die Güte Jhwhs, die in seinen Wundertaten zum Ausdruck kommt, prägt zum einen das Handeln Jhwhs in der Gegenwart der Beter und bekräftigt zum anderen die alleinige Wirkmacht Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart.59 Insofern wird das fundierende Heilshandeln Jhwhs in der Geschichte resümiert und in seiner Bedeutung für die Vergangenheit und Gegenwart der Beter ausgesagt. In diesem Sinn kann von den ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) Jhwhs in der Gegenwart gesprochen werden.60 Mit V. 25 liegt wiederum ein Neueinsatz vor, indem die Partizipienreihe in leichter Varianz ohne die Präposition O (vgl. V. 4.5–7.10.13.16.17) wieder aufgenommen wird. Statt dem Beter in der ersten Person Plural (V. 23f) wird wieder Jhwh in der dritten Person Singular zum Subjekt des Satzes. Mit dieser formalen Veränderung wird deutlich markiert, dass in V. 25 das Schöpfungshandeln Jhwhs nicht mehr unter dem Aspekt des anfänglichen Schöpfungshandelns, sondern unter dem Aspekt des gegenwärtigen Schöpfungshandelns Jhwhs zum Ausdruck gebracht wird, indem in aller Grundsätzlichkeit die durch das Partizip hervorgehobene ständige Versorgung
56 Der Gebrauch des Substantivs von ›erniedrigen‹ ( OSY) ist selten belegt und beschreibt den Zustand von OSY. Das Verb hat zumeist Gott als Subjekt, der entsprechend der von ihm garantierten guten Ordnung erniedrigt oder erhöht; vgl. zum Gebrauch des Verbs ENGELKEN, Art. OSY, 442. 57 Vgl. hierzu auch Ps 75,8 und 138,6. Anders PRÖBSTL, Rezeption, 187 f, der aufgrund des Vergangenheitstempus V. 23 f auf die Rettungserfahrung aus dem Exil bezieht. Vgl. zur Diskussion weiter MATHYS, Dichter, 88 f. 58 Ähnlich auch AUFFRET, Note, 8, der in V. 23 f eine Aktualisierung der gefeierten Geschichte sieht, diese aber dann nicht auf das gesamte heilsgeschichtliche Geschehen, sondern aufgrund phonetischer Ähnlichkeiten von a\UFP und ZQ\UFP nur auf den Exodus bezieht. 59 Vgl. hierzu auch MACHOLZ, Psalm 136, 184 f. 60 So auch B ALLHORN, Telos, 256, der hier von einem Paradigma im Umgang mit der Geschichte und von »Verheutigung« spricht.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
allen Fleisches61 mit Nahrung entfaltet wird. Dieses zentrale Moment des ständigen Schöpferhandelns Jhwhs garantiert die Versorgung seiner Geschöpfe.62 Insofern knüpft V. 25 zwar an die Schöpfungswerke in V. 5–9 an, ergänzt aber die dort beschriebene creatio prima um den Aspekt der creatio continua. V. 25 weist aber nicht nur einen Bezug zum anfänglichen Schöpfungshandeln auf, sondern ist zudem über das Partizip von ›geben‹ (WQ) auf die Gabe des Landes in V. 21 zurückbezogen. Dadurch entsteht ein Bezug zur letzten Wundertat Jhwhs in der Geschichte, auf die die Geschichtsreflexion zuläuft. Denn wie Jhwh in der Reflexion der Heilsgeschichte Israel, seinem Knecht, das Land der Völker als Erbland gegeben hat (WQ) und sich darin die besondere Beziehung Jhwhs zu seinem Volk spiegelt, so gibt (WQ) er in der Gegenwart der Beter Brot allem Fleisch. Auf diese Weise stellt die Gabe des Landes sowie die Versorgung mit Nahrung die Fürsorge des Herrn der Geschichte sowie die des Schöpfers heraus.63 Im Unterschied zum bewahrenden Handeln des Herrn der Geschichte umfasst die Fürsorge des Schöpfers allerdings die Gesamtheit der Geschöpfe und weitet damit die für die Geschichtsreflexion spezifische Israelperspektive auf den gesamten Kosmos aus. So erfährt die gesamte geschöpfliche Welt die Einzigkeit Jhwhs darin, dass er als Schöpfer seine Schöpfung versorgt. Insofern handelt es sich in V. 25 wie in V. 23 f zum einen um eine Wundertat der Gegenwart, indem die Bedeutung der Wundertaten (WZDOSQ) Jhwhs in seiner Schöpfung für die Gegenwart resümiert wird. Zum anderen korrespondiert V. 25 durch seine formal herausgehobene Position als Abschluss der Partizipienreihe mit dem Themavers in V. 4 und hält zusammenfassend fest, dass Jhwhs Wundertaten Schöpfung und Geschichte umfassen und beide Aspekte in der täglich erfahrbaren Fürsorge des Schöpfers seiner Schöpfung gegenüber kulminieren.64 Dadurch stellt V. 25 die »Gesamtunterschrift des Psalms«65 dar. 61 Dass die Bezeichnung UIEON auf einen Schöpfungskontext verweist, zeigen z. B. auch Gen 6,12.13.17.19; 7,15 f.21; 8,17; 9,11.17; Hiob 12,10; Jes 40,5 f; 49,26; 66,16.23 f; Jer 32,27; 45,5; Ez 21,4.9.10 etc. 62 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Motivs vgl. METZGER, Keruben, 108–111, der vor allem den Zusammenhang zwischen dem in den Psalmen (Ps 104; 136; 145; 147) gepriesenen Königtum Jhwhs und seiner Schöpfertätigkeit hervorhebt. 63 Den Bezug sehen auch KRATZ, Gnade, 23 f und SCORALICK, Hallelujah, 263 f. 64 Vgl. KRATZ, Gnade, 22–24. Ähnlich auch METZGER, Keruben, 110, der allerdings stärker den Bezug zwischen dem anfänglichen Schöpfungshandeln Jhwhs in V. 5–9 und seinem die Schöpfung bewahrenden Handeln hervorhebt und diesen als Rahmen für alle anderen Wundertaten in V. 10–24 beschreibt. 65 So HARTENSTEIN, Bedeutung, 348. Die rabbinische Tradition bestätigt dieses Verständnis des Psalms in bPesachim 118a. Dort wird der Psalm mit der Begründung als »großes Hallel« bezeichnet, »weil darin Gott in der Höhe des Weltalls thront und jegli-
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
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Über die psalminternen Bezugnahmen hinaus weist V. 25 intertextuelle Verbindungslinien in den Psalter auf. Die Formulierung, dass Jhwh allem Fleisch Nahrung gibt, findet sich in ähnlicher Form in der abschließenden Reflexion in Ps 104,27–30, die die Angewiesenheit der Geschöpfe auf die Fürsorge des Schöpfers beschreibt.66 Ps 104,27 Sie alle warten auf dich, (um ihnen) ihre Speise zur rechten Zeit zu geben .
Ps 136,25
:U%HI\!A\O¼DH a/ .Xº C$7 >L% aO ¼ND WWH¶O
UIEON a[O+ WQ
In der sprachlichen Ausgestaltung differieren die beiden Verse zwar, da in Ps 136,25 die Gabe der Nahrung parallel zur Gabe des Landes in V. 21 formuliert wird. Sachlich aber entsprechen sich die Formulierungen ›alles Fleisch‹ (UIEON) in Ps 136 und ›sie alle‹ (aON) in Ps 104 sowie ›Brot‹ (a[O) in Ps 136,25 und ›Speise‹ (OND) in Ps 104,27, um den lebenserhaltenden Aspekt der Schöpfertätigkeit Jhwhs zum Ausdruck zu bringen.67 Zudem schließt sich in beiden Psalmen der versorgenden Schöpfertätigkeit Jhwhs das abschließende Gotteslob an, so dass dieser Aspekt auch im Gesamtaufbau beider Psalmen an einer vergleichbaren Position steht. Allerdings wird die Schöpfertätigkeit Jhwhs in Ps 104 insofern weiter ausgeführt, als sie auch den Aspekt der Vergänglichkeit der Geschöpfe integriert. Nach Ps 104,27–30 kann sich nur Jhwh seinen Geschöpfen zuwenden, ihnen Lebensfülle und Nahrung geben (Ps 104,27 f) oder aber sein Angesicht vor seinen Geschöpfen verbergen, um ihnen den Lebensatem wieder zu nehmen, so dass sie zu Staub werden (Ps 104,29f). Auf diese Weise wird in Ps 104,27–30 eine schöpfungstheologische Transformation der Verborgenheitsaussage formuliert, indem Jhwh als Schöpfer seine Geschöpfe wieder aus dem Lebenszusammenhang herausnehmen kann und seinen Lebensatem an die nächste Generation weitergibt.68 So wird der Tod, wie auch die Chaoswasser, in die von Jhwh garantierte gute Schöpfungsordnung eingeordnet und bildet einen integralen Bestandteil der chem Geschöpf Nahrung zuteilt« (zitiert nach HIRSCH, Psalmen, 688). Vgl. hierzu auch SCORALICK, Hallelujah, 263. 66 Vgl. zur Bedeutung von Ps 104,27–30 im Gesamtkonzept von Ps 104 STECK, Wein, 248–251, T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 58–74, R. MÜLLER, Wettergott, 213–235 sowie KÖCKERT, Beobachtungen, 269–271. 67 Vgl. hierzu KRATZ, Gnade, 22–25, der gerade im Vergleich mit Ps 146,7, 147,9 und 145,15 f, die jeweils auf Ps 104 zurückgreifen, deutlich die Eigenformulierung von Ps 136,25 heraushebt. Vgl. zum Motiv der Versorgung mit Nahrung weiter METZGER, Keruben, 98–111. 68 Vgl. zur Transformation der Aussage vom ›Verbergen des Angesichts Jhwhs‹ in Ps 104,29 weiter HARTENSTEIN, Angesicht JHWHs, 220.
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Schöpfung.69 Insofern weist Ps 104 eine rationalisierende Sichtweise auf den Tod auf, die anhand der Metapher für das Angesicht Jhwhs entfaltet wird.70 Dies hat keinerlei Bezugspunkte zu Ps 136. In Ps 136,25 hingegen steht der Aspekt der lebenserhaltenden Schöpfertätigkeit Jhwhs nicht nur im Zusammenhang seiner Wundertaten in der Schöpfung, sondern auch im Zusammenhang seiner Wundertaten in der Geschichte,71 der mit der parallelen Formulierung zur Gabe des Landes in Ps 136,21 zum Ausdruck gebracht wird. In diesem Sinn profiliert Ps 136,25 im Unterschied zu Ps 104 »die Gabe des Brotes zu einem eigenen, die Heilsgeschichte krönenden Heilsgut von bleibender Dauer«,72 das die Beter in der täglichen Versorgung mit Nahrung erfahren. c) Der Lobpreis des Himmelsgottes (V. 26) Mit der Aufforderung zum Gotteslob des einen Himmelsgottes in V. 26 schließt der Psalm. Dazu wird der Imperativ von ›preisen‹ (KG\) aus V. 1–3 wieder aufgenommen, so dass die Entfaltung der Wundertaten in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart durch diese Imperative gerahmt wird. Allerdings wird Jhwh in V. 26 nicht wie in V. 1–3 als Gott der Götter und Herr der Herren bezeichnet, sondern als Gott der Himmel.73 Mit dieser vermutlich aus der Perserzeit stammenden Bezeichnung wird vor allem »entsprechend dem weltumspannenden persischen Großreich … Gott als universaler Herrscher über die ganze Welt verstanden, der im Himmel seinen Thron hat.«74 Im Kontext von Ps 136 ist der mit dem Titel ›Himmelsgott‹ verbundene universale Herrschaftsaspekt der Gottesvorstellung von
69
So auch T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 58, der von der Integration der Ambivalenzerfahrung des Todes in die zuvor entwickelte Sicht des Kosmos spricht. »Der Tod ist die Kehrseite des stets neu Leben schaffenden Handelns Jahwes. Er trägt bei zur ständigen ›Erneuerung‹ des ›Gesichts des Erdbodens‹« (T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 58). 70 Nach T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 58 zeigt sich diese Integration des Chaotischen bzw. des Todes in die Schöpfungsordnung auch daran, dass im Kontext von Ps 104 die Versorgung allen Fleisches in Ps 104,27 den zuvor genannten Leviatan mit einbezieht. 71 Auch die Kategorie der Wundertaten (WZDOSQ) findet sich in Ps 104 nicht. Allerdings wird in Ps 104,24 von den Schöpfungswerken Jhwhs ( KI>P ) gesprochen. 72 KRATZ, Gnade, 24. 73 Anders die LXX, die den Lobaufruf an den Gott der Götter und den Herrn der Herren aus V. 2 f in V. 26 ergänzt. Zur Bezeichnung Gott der Himmel vgl. auch Neh 1,4 f; 2,4.20; Jona 1,9. Zu dem Titel ›Himmelsgott‹ vgl. K. SCHMID, Himmelsgott, 116–126. Vgl. weiter PRÖBSTL, Rezeption, 190 in Anlehnung an VOSBERG, Studien, 107, SEYBOLD, Psalmen, 182 und M ATHYS, Dichter, 88. 74 K. SCHMID, Himmelsgott, 125. Zu den mit dem Wohnort Gottes im Himmel verbundenen kosmologischen Vorstellungen vgl. HARTENSTEIN, Wolkendunkel, 152–168.
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
315
besonderer Relevanz, um die Exklusivität Jhwhs am Schluss des Psalms zugespitzt zum Ausdruck zu bringen.75 Insofern laufen in der Bezeichnung ›Gott der Himmel‹ die im gesamten Psalm entfalteten monotheistischen Linien der Gottesvorstellung zusammen, indem sowohl die Bezeichnungen aus dem Lobaufruf, Gott der Götter und Herr der Herren (V. 2 f), als auch die Ausführungen seiner Wundertaten in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart, in denen die universale Herrschaft in umfassender Weise sichtbar wird, in V. 26 zusammengefasst werden. Damit schließt der Psalm mit einem letzten Aufruf, den einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart zu preisen. 4. Fazit Ps 136 hat sich als Lobpreis des einen Gottes in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart erwiesen, in dem das bereits in der hymnischen Hinführung in V. 1–3 formulierte monotheistische Bekenntnis zu Jhwh anhand seiner Wundertaten in V. 4–25 ausgeführt wird. Dabei manifestiert sich die ›Güte‹ (GV[) Jhwhs in seinen Wundertaten, wie dies im Kehrvers ›Ja, seine Güte ist für fernste Zeit‹, mit dem jeder Vers schließt, festgehalten wird. Der Hauptteil beginnt in V. 4 und führt überschriftartig die für die folgenden Verse entscheidende Deutekategorie der ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) ein, so dass ihm die Funktion eines Themaverses zukommt. Die in der Folge von V. 4 ausgeführten Wundertaten in V. 5–25 umfassen die Gesamtheit des Handelns Jhwhs in Schöpfung, Geschichte, Gegenwart und Zukunft, wobei letztere vorwiegend in dem Kehrvers enthalten ist. Die Entfaltung der Wundertaten beginnt mit dem anfänglichen Schöpfungshandeln Jhwhs, das seine Exklusivität als Schöpfer des Himmels (V. 5), der Erde (V. 6) sowie der kosmischen Ordnung (V. 7–9) hervorhebt. Damit wird die anfängliche Schöpfung auf die Grundkonstanten von Raum (Himmel und Erde) und Zeit (kosmische Ordnung) verdichtet und steht in diesem Sinn für die Gesamtheit der Schöpfung. Die anfängliche Erschaffung des Himmels, der Erde und der kosmischen Ordnung eröffnet den Raum für die im zweiten Abschnitt des Hauptteils ausgeführten Wundertaten Jhwhs in der Geschichte (V. 10–22). Auf diese Weise wird die Schöpfung der Geschichte sachlich vorgeordnet.
75 Im Hinblick auf den Wohnort Gottes ist der Psalm sehr zurückhaltend, da der Himmel nicht explizit als solcher verstanden wird. Vielmehr zeigt sich Jhwhs heilvolle Präsenz im gesamten Kosmos. Siehe oben.
316
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Auch die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte zielen auf eine Ausgestaltung des monotheistischen Bekenntnisses aus V. 1–3, indem sich Jhwh als Herr der weltlichen Herren, der Ägypter (V. 10) und großer Könige (V. 17), erweist. Besonders auffallend ist die an der Grundstruktur des Schilfmeerliedes in Ex 15,1–18 orientierte Zweiteilung der fundierenden Heilstaten in die Errettung vor den Feinden (Ex 15,6.12) einerseits sowie die Einsetzung Israels als Kultgemeinde Jhwhs (Ex 15,13–17) andererseits. Diese in Ex 15,6–17 vorgegebene Zweiteilung wird in Ps 136,10–22 durch das zweifache Einsetzen mit dem Partizip von ›schlagen‹ (KNQ) in V. 10 und V. 17 abgebildet. Anhand des ersten Schlags in V. 10–16 wird die Errettung vor den Feinden geschildert, die die Plagen (V. 10), den Auszug (V. 11f), die Errettung am Schilfmeer (V. 13–15) sowie die Führung in der Wüste (V. 16) umfasst. Der zweite Schlag schildert in Analogie zu Ex 15,13–17 die Gabe des Landes als Erbland für Israel, den Knecht Jhwhs, ohne allerdings die Einsetzung Israels als Kultgemeinde und die damit verbundene Heiligtumskonzeption aus Ex 15 zu übernehmen. Statt im Tempel erweist sich Jhwhs heilvolle Güte in seinen Wundertaten, so dass Jhwhs Hinwendung zur Welt ohne Tempel in Schöpfung und Geschichte erfahrbar ist. In V. 23 f wird die Partizipienreihe durch einen mit der Relativpartikel Y eingeleiteten Satz unterbrochen, in dem die Beter ihre eigene Rettungserfahrung in einer heilsgeschichtlichen Linie mit den Wundertaten Jhwhs in der Geschichte deuten. Dabei preisen sie die so erfahrene Güte als Wundertat Jhwhs in der Gegenwart und resümieren auf diese Weise die bisher entfalteten Heilstaten Jhwhs in der Geschichte. Dieses Resümee wird in V. 25 mit einem Partizip fortgesetzt und um den Aspekt des versorgenden und bewahrenden Schöpferhandeln Jhwhs ergänzt. Die Wundertaten Jhwhs in der Gegenwart werden auch in seinem die Schöpfung erhaltenden Handeln sichtbar. Zugleich korrespondiert V. 25 durch seine formal herausgehobene Position als Abschluss der Partizipienreihe mit dem Themavers in V. 4 und hält fest, dass die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in der alltäglich erfahrenen Fürsorge des Schöpfergottes zusammenlaufen. Insofern umfasst das Schöpferhandeln Jhwhs sein Handeln in der Geschichte, indem erstens die anfängliche Schöpfung den Raum für die Geschichte eröffnet und indem zweitens der Schöpfer in der tagtäglichen Versorgung seiner Geschöpfe sichtbar wird. Formal wird dies in der Struktur des Psalms dahingehend abgebildet, dass das Schöpferhandeln Jhwhs in V. 5–9 und V. 25 einen Rahmen um sein Geschichtshandeln in V. 10– 22.23 f darstellt. Die durch die Partizipienreihe strukturierte Entfaltung der Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte ist an dem im Pentateuch vorgegebenen Erzählzusammenhang orientiert: Ps 136,5–9 setzt unter Bezug auf Gen
A. Das Lob der Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136
317
1 mit der anfänglichen Schöpfung ein, auf die die Knechtschaft in Ägypten (V. 10), der Auszug (V. 11 f), die Errettung am Schilfmeer (V. 13–15), die Führung in der Wüste (V. 16), die Landnahme und die Landgabe (V. 17– 22) folgen. Diese im Pentateuch vorgefundene Ereignisabfolge wird in die Struktur des Hymnus transformiert, und die im Pentateuch narrativ entfalteten Aussagen werden zu Bekenntnissätzen verdichtet. Somit enthält Ps 136 eine eigene Geschichtshermeneutik, die die Wundertaten Jhwhs auf ihre wesentlichen Bekenntnisgehalte zuspitzt und die auf diese Weise das im hymnischen Rahmen (V. 1–3.26) entfaltete monotheistische Bekenntnis ausführt. Diese Verdichtung der Wundertaten Jhwhs unterscheidet Ps 136 von den bisher untersuchten Geschichtspsalmen 78, 105 und 106, in denen die heilsgeschichtliche Reflexion narrativ dargestellt wird. Aber nicht nur diesbezüglich, sondern auch im Hinblick auf das Schöpferhandeln Jhwhs besteht eine entscheidende Differenz zu Ps 78, 105 und 106. Während sich das Schöpferhandeln Jhwhs in Ps 78, 105 und 106 auf das in der Geschichte versorgende Handeln Jhwhs als creatio continua beschränkt, wird in Ps 136 der paradigmatischen Frühgeschichte das anfängliche Schöpfungshandeln Jhwhs vorgeschaltet. Damit ergänzt Ps 136 gegenüber den bisher betrachteten Geschichtspsalmen das primäre Schöpfungshandeln Jhwhs als Voraussetzung seines Handelns in der Geschichte. Die Reflexion des primären Schöpfungshandelns Jhwhs in Ps 136 hat zugleich zur Folge, dass die Schöpfung als eigenständiger Aspekt des göttlichen Handelns dargestellt wird. Dies wird formal an dem schöpfungstheologischen Rahmen – bestehend aus dem anfänglichen Schöpfungshandeln in V. 5–9 und dem versorgenden und bewahrenden Schöpfungshandeln in V. 25 – sichtbar. Demgegenüber ist das Handeln des Schöpfers in Ps 78, 105 und 106 Bestandteil der Geschichtsreflexion, indem das Handeln Gottes in der Geschichte auf den Schöpfer verweist. Diese beiden – gegenüber den bisher untersuchten Geschichtspsalmen – kurz skizzierten Besonderheiten von Ps 136, nämlich die bekenntnisartige Verdichtung der Heilsgeschichte sowie die Reflexion der Schöpfung als ein neben der Geschichte eigenständiger Aspekt des göttlichen Handelns, finden sich in veränderter Form auch in dem vermutlich jüngsten Geschichtspsalm 135. Zudem zeichnet sich Ps 135 dadurch aus, dass er die Wundertaten Jhwhs in der Geschichte aus Ps 136,16–22 in weiten Teilen zitiert. Diese deutliche Übereinstimmung beider Psalmen ist in einem nächsten Schritt zu thematisieren, bevor dann abschließend die Frage nach der psalterkompositorischen Funktion von Ps 136 und Ps 135 erneut gestellt werden kann. Dazu sind zunächst die Struktur und die Komposition von Ps 135 zu untersuchen.
318
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
B. Das Bekenntnis zu Jahwh als dem einen Gott in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart – Psalm 135 als eine Variation zu Psalm 136 B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136 1. Der Text – Psalm 135 1 Lobt Jh! Lobt den Namen Jhwhs! Lobt, ihr Knechte Jhwhs,76 2 die ihr steht im Haus Jhwhs, in (den) Vorhöfen des Hauses unseres Gottes!77 3 Lobt Jh, ja,/denn gütig (ist) Jhwh,78 besingt seinen Namen, denn er ist lieblich. 4 Ja,/Denn Jakob hat sich Jh erwählt, Israel zu seinem Eigentum. 5 Ja,/Denn ich weiß, dass Jhwh groß (ist), und unser Herr mehr als alle Götter. 6 Alles,79 was er wollte, hat Jhwh getan: im Himmel und auf der Erde,80 in den Meeren und allen (Ur-) Fluten, 7 der Wolken/Nebel heraufführt vom Rand der Erde, Blitze für den Regen macht, der (den) Wind aus seinen Kammern herausführt. 8 Der schlug die Erstgeborenen Ägyptens vom Mensch bis zum Vieh, 9 Zeichen und Wunder sandte in deine Mitte,81 Ägypten, zum Pharao und all seinen Knechten. 10 Der viele Nationen schlug, und mächtige Könige tötete:
x+\n:OOKÆ KZK\!aYH¼WD:OOKº CKZ K\!\G(ÆE>:OOKÏ~ KZK\!W\EH¼%a\G,P>R Yº¼ C:Q\KHO^DW\%H¼W$UF[%Ï KZK\!E$M½\.L+\:OOKº Ca\>LQ\.L¼$PYOLÏ:UÇ0]
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5
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6
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76 In 11QPsa finden sich die Aufrufe zum Gotteslob (ZOOK) in umgekehrter Reihenfolge. Zudem wird ein ›und erhöht Jh‹ ( K\ZPPZUZ) hinzugefügt. Vgl. hierzu SEYBOLD, Psalmen, 503. 77 11QPsa fügt noch ›und in deiner Mitte, Jerusalem‹ (aOYZU\NZWEZ) hinzu. 78 Der Teilvers fehlt in 11QPsa und in einigen Versionen. 79 Fehlt in 11QPsa. 80 11QPsa ergänzt hier »was zu tun ist, tut er. Keiner ist wie JH, keiner wie JHWH und keiner, der handelt wie der König der Götter« (zitiert nach SEYBOLD, Psalmen, 503). 81 Bei der Form ›in deine Mitte‹ (\NNZWE) handelt es sich nach HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 660 um eine Sonderform (ursprünglich reduplizierte Form des Status constructus), die von MT als Suffix der zweiten Person vokalisiert wird; so auch SEYBOLD, Psalmen, 503.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136 11 Sichon, König der Amoriter, und Og, König von Baschan, und alle Königtümer Kanaans. 12 Und er gab ihr Land als Erbland, als Erbland für Israel, sein Volk.
319
\U,PRDK OP³x$[´\VLO 11 Y% KOP¼J$>O: C>Q .W$NÇOPPONRO:Ï KO B[@QaF ¼U!DW½QZ! 12 C$0 >ODHÆUI\,OKO [@QÏ
13 Jhwh, dein Name (ist) für fernste Zeit, Jhwh, dein Gedenken (ist) von Generation zu Generation. 14 Ja,/Denn Recht schaffen wird Jhwh seinem Volk und sich erbarmen über seine Knechte.
aO B$>OA½PYLKZK\! 13 CUGR ZUGROAÇU!N],KZK\!Ï
15 Die Götterbilder der Völker (sind) Silber und Gold, ein Werk von Menschenhänden: 16 Einen Mund haben sie, aber reden nicht. Augen haben sie, aber sehen nicht. 17 Ohren haben sie, aber hören nicht. Eine Nase82 – kein (Lebens-) Atem (ist) in ihrem Mund. 18 Wie sie werden sein, die sie machten, alle, die auf sie vertrauen.
EK B]Z!#V.¼a\,$*Kº\%H¼F>@ 15
19 Haus Israel, preist Jhwh! Haus Aaron, preist Jhwh! 20 Haus des Levi, preist Jhwh! Jhwh-Fürchtige, preist Jhwh! 21 Gepriesen83 sei Jhwh vom Zion her, der in Jerusalem wohnt. Lobt Jh!84
$0 >KZ½K\!\G,¼\\.L 14 Ca[ QW\,Z\GE >@ÏO>Z!
CaGD \G(¼\!KIH>@PÏ aKO ºK3 16 :U%(G\!DO^½Z! aKO Ïa\,QÇ\>H C:D U!\,DO^½Z! aKO ºa\,Q½]!D 17 :Q\],D@\DO^½Z! #DÏ CaK\SL%[:UÇY\\DH aKB\IH>R:\¾K\,aK$P. 18 CaK% [MH¼%RUYD@O.R KZK\!WD:N½U@% ODHUI\,ºW\%H¼ 19 CKZ K\!WD:NÇU@% URK@DÏW\%HÆ KZK\!WD:N½U@% \Z,/HKºW\%H¼ 20 CKZ K\!WD:NÇU@% KZK\!Ï\DHÆU\, $) zurück auf den Lobaufruf in V. 1, in dem die Knechte Jhwhs aufgefordert werden, seinen Namen zu preisen. Insofern bilden die Verse 13f einen zusammenfassenden Rahmen um die sich in Schöpfung und Geschichte manifestierende Wirkmächtigkeit Jhwhs. Der vierte Unterabschnitt in V. 15–18 ergänzt die Exklusivität Jhwhs vor dem Hintergrund der Ohnmacht der Götterbilder und beschreibt diese im Nominalstil (V. 15–17). Der Psalm schließt mit einem hymnischen Abgesang in V. 19–21, in dem das Haus Israel, Aaron, Levi sowie die Gottesfürchtigen zum Lobpreis Jhwhs aufgerufen werden. Der letzte Imperativ in V. 21 stellt hierbei einen Halleluja-Ruf dar, der den Imperativ aus V. 1 wieder aufnimmt, so dass der Psalm von einer Halleluja-Überschrift und -Unterschrift gerahmt wird. Resümierend liegt dem Psalm also folgende Struktur zugrunde: Eingeleitet wird der Psalm durch einen Lobaufruf (V. 1–3.4), der durch die Halleluja-Rufe strukturiert ist. Der sich anschließende Hauptteil (V. 5–18) wird mit einem monotheistischen Bekenntnis in V. 5 eröffnet, das in den folgenden Unterabschnitten in verschiedenen Aspekten entfaltet wird. Jhwh wird in V. 6 f als Schöpfer und in V. 8 f.10–12 als Herr der Geschichte dargestellt. Die Verse 13 f heben die Exklusivität des Namens Jhwhs und seines Gedenkens hervor. In V. 15–18 wird Jhwh als einzig lebendiger Gott gegenüber den ohnmächtigen und leblosen Götzen als Herrscher in der Gesamtwirklichkeit profiliert. Abgeschlossen wird der Psalm in V. 19–21 mit einem erneuten Aufruf, Jhwh zu preisen bzw. zu segnen. Dazu wird in V. 21 der Halleluja-Ruf aus V. 1–3 wieder aufgenommen, so dass ein hymnischer Rahmen entsteht. Insofern weisen die im Einzelnen unterschiedlich gestalteten Abschnitte dennoch eine sachliche Kohärenz auf.89 Dieser Aufbau lässt sich anhand folgender Skizze verdeutlichen:
89 Ähnlich auch VOSBERG, Studien, 73, der in diesem Zusammenhang Ps 135 als eine Bekenntnisliturgie bezeichnet.
322
Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Skizze zu Psalm 135 I. Hinführung: Der Lobpreis des einen Gottes (V. 1–3) V. 1: Lobpreis Jhs (OOK)
V. 1b–2: Aufforderung der Knechte Jhwhs im Haus Jhwhs zum Lobpreis (OOK) V. 3: Aufforderung zum Lobpreis (OOK) V. 4: Erwählung Israels: Begründung des Gotteslobs und Übergang zum Hauptteil
II. Hauptteil: Die Exklusivität Jhwhs im Himmel und auf Erden (V. 5–18) V. 5 Das Bekenntnis zu Jhwh als dem Gott der Götter 1. Entfaltung: Jhwh als Schöpfer (V. 6 f) V. 6: Die Gesamtheit des Kosmos als Herrschaftsbereich Jhwhs V. 7: Jhwh als Herr des Wetters, der den Erhalt seiner Schöpfung gewährleistet 2. Entfaltung: Jhwh als Herr der Geschichte (V. 8–12) V. 8 f: Der erste Schlag (KNQ): Errettung vor den Feinden V. 8: Tötung der Erstgeburt V. 9: Zeichen und Wunder als Machterweise Jhwhs V. 10–12: Der zweite Schlag ( KNQ ): Landnahme und Landgabe V. 10 f: Tötung vieler Völker einschließlich der ostjordanischen und kanaanäischen Könige V. 12: Gabe des Landes als Erbland für Israel, das Volk Jhwhs 3. Entfaltung: Das Bekenntnis der Knechte Jhwhs zu seinem Namen (V. 13 f) 4. Entfaltung: Die Ohnmacht der Götterbilder (V. 15–18)
III. Hymnischer Abgesang (V. 19–21): Die Aufforderung zum Lobpreis V. 19: Aufforderung an das Haus Israel und das Haus Aaron V. 20: Aufforderung an das Haus Levi und die Jhwh-Fürchtigen V. 21: Lobpreis des Jh vom Zion
Darüber hinaus liegt die Besonderheit von Ps 135 darin, dass er in hohem Maße andere Psalmen aufnimmt und nahezu wörtlich zitiert. Dies betrifft vor allem den götzenpolemischen Abschnitt in V. 15–18, in dem Ps 115,4–7 zitiert wird, den Abschnitt über die Geschichtstaten Jhwhs in V. 8–12, in dem Ps 136,10.17–22 aufgenommen wird, sowie den hymnischen Abgesang in V. 19–21, in dem Ps 115,9–11 und 118,2–4 rezipiert werden. Hinzu kommen die Verbindungen zu Ps 134,1 in V. 1 f sowie weitere Bezugstexte.90 Durch diese patchworkartig gestaltete Struktur des Psalms erklären sich die formalen und sachlichen Differenzen der einzelnen Abschnitte, so dass es vor diesem Hintergrund naheliegt, Ps 135 als »einen vielfach, namentlich den Prätext von Psalmenbuch V … substantiell und situativ
90
Siehe dazu im Einzelnen die folgende Analyse des Psalms.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
323
geschickt rezipierten Redaktionspsalm anzunehmen«91 und ihn insofern als literarisch einheitlich gestalteten Text zu betrachten.92 3. Die Geschichtskonzeption in Psalm 135 – Die Exklusivität Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart a) Der Lobpreis des Namens Jhwhs als Hinführung zur Entfaltung des monotheistischen Bekenntnisses (V. 1–3.4) Der Psalm beginnt mit drei parallel gestalteten Halleluja-Aufrufen (ZOOK). Dabei ist der erste Imperativ auf Jh und der zweite auf den Namen Jhwhs bezogen, während mit dem dritten die Knechte Jhwhs als Adressaten des Aufrufs genannt werden. Hieran schließt V. 2 mit der verkürzten Relativpartikel Y an und beschreibt in einem Partizipialsatz die kultische Situation der Knechte, die im Haus und in den Vorhöfen Jhwhs stehen. Damit setzt der Psalm den Tempel als Ort des Gotteslobs voraus und betont auf diese Weise, dass die in Ps 120–134 vorausgesetzte Situation der Wallfahrt in Ps 135 zu ihrem Ende gekommen ist. In V. 3 wird die Imperativkette aus V. 1 fortgesetzt, indem der erste Imperativ aus V. 1 ›Lobt Jh‹ (K\ZOOK) wieder aufgenommen und in einem begründenden \N-Satz weitergeführt wird. Das Parallelglied in V. 3b weist die gleiche Struktur auf. Dieser wird ebenfalls mit einem Imperativ, ›besingt‹ (ZUP]), eingeleitet und mit einem \N-Satz weitergeführt. Dabei gilt die Lobaufforderung wie in V. 1 dem Namen Jhwhs, so dass der Hauptteil letztlich eine Explikation des Namens Jhwhs darstellt. Die beiden \N-Sätze ›Jhwh ist gütig und lieblich‹ ergänzen den Lobaufruf, indem sie zwei Qualitäten Jhwhs nennen und auf diese Weise das Gotteslob begründen.93 Damit weisen die
91
LEUENBERGER, Konzeptionen, 315, so auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 662–664. Der Nachweis dieser These wird im Einzelnen in der folgenden Analyse erbracht werden. Siehe unter B.4. (S. 340 ff) und C.1. (S. 344 ff). 92 Vgl. hierzu vor allem LEUENBERGER, Konzeptionen, 314 f, der aufzeigt, dass eine in sich geschlossene Grundschicht von Ps 135 nicht zu rekonstruieren ist. Vgl. auch HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen 101–150, 662–664; vgl. weiter SEYBOLD, Psalmen, 503 f und MATHYS, Dichter, 261 f. Anders LEVIN, Psalm 136, 24 f, der eine Grundschicht in Ps 135,1–4.19–21 annimmt, die zunächst um V. 5 f und V. 15–18 ergänzt worden sei, um Jhwh den von Menschen gemachten Götzen gegenüberzustellen. Schließlich habe der Psalm in V. 7–14 eine weitere Auffüllung erfahren, die die Größe Jhwhs durch seine Taten in Natur und Geschichte illustriert. Zur Diskussion vgl. weiter LEUENBERGER, Konzeptionen, 315 Anm. 162. 93 Zur Formel ›ja,/denn er ist gut‹ EZM\N vgl. vor allem Ps 136,1 und 118,1.29; siehe weiter Ps 34,9; 52,11; 54,8; 69,17; 100,5; 106,1; 107,1; 109,21 etc. Zenger sieht gerade durch die Bezüge zu Ps 106,1 und Ps 107,1 den Übergang vom vierten zum fünften Psalmenbuch sowie zu Ps 118,1.29, dem Ende der Sammlung Ps 111–118, einen weiteren redaktionellen Bogen (H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 145 f.157 f.). Allerdings ist zu differenzieren, da die genannten Stellen einschließlich Ps 136,1 die gesamte Formel
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Verse 1–3 folgende Struktur auf: In ihrem Zentrum stehen in V. 1b–2 die Knechte Jhwhs als diejenigen, die den Lobpreis im Tempel ausführen. Diese sind gerahmt durch zwei weitere Imperative in V. 1a und V. 3, die sich jeweils im ersten Glied auf Jh und im zweiten Glied auf den Namen Jhwhs beziehen. Insbesondere der Anfang des Psalms zeigt eine deutlich redaktionelle Verknüpfung mit seinem literarischen Kontext auf. Dabei sind drei Bezugstexte im Hinblick auf die psalterkompositorische Einordnung von Ps 135 von besonderer Relevanz. Bei dem ersten Bezugstext handelt es sich um Ps 113,1, der in Ps 135,1 mit leichter Varianz zitiert wird, indem das zweite und dritte Glied vertauscht sind. Ps 113,1 Lobt Jh! Lobt, ihr Knechte Jhwhs! Lobt den Namen Jhwhs!
x+\n:OOKÆ KZK\!\G(¼E>:OOKº CKZ K\!aYHÆWD:OOKÏ~
Ps 135,1 xK\n:OOKÆ Lobt Jh! Lobt den Namen KZK\!aYH¼WD:OOKº Jhwhs! Lobt, ihr Knechte CKZ K\!\G(ÆE>:OOKÏ~ Jhwhs!
In Ps 113,1 werden also nach dem ersten Halleluja-Rufzuerst die Knechte Jhwhs als Adressaten des Lobaufrufs genannt, bevor im letzten Glied der Name Jhwhs erwähnt wird. Zu begründen ist diese Differenz mit den jeweils verschiedenen Anschlussversen. Im Unterschied zu Ps 135 wird der Lobpreis des Namens Jhwhs aus Ps 113,1 in Ps 113,2 f aufgenommen und weiter ausgeführt. In Ps 135,2 hingegen wird die kultische Situation der Knechte beschrieben, die sich im Unterschied zu den vorherigen Wallfahrtspsalmen im Tempel befinden. Mit dem Kompositionsbogen zu Ps 113 wird Ps 135 mit der dem Wallfahrtspsalter vorausgehenden Sammlung Ps 111–118 verbunden. Die Verbindung mit dieser Sammlung ist für Ps 135 von besonderer Relevanz, da neben Ps 113 auch noch Ps 115 und Ps 118 in Ps 135 aufgenommen werden. So ist der psalterkompositorische Bezug zu Ps 111–118 mannigfaltig ausgestaltet. Der zweite Bezugstext liegt in Ps 135,2 vor und zitiert Ps 134,1, so dass auch die unmittelbar vorausgehende Sammlung der Wallfahrtspsalmen aufgenommen wird.
›ZGV[ aOZ>O \N EZM\N KZK\O ZGZK‹ zitieren und von daher für redaktionelle Bezüge zwischen Ps 136, 118, 106 und 107 sprechen.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
Ps 134,1 W$OÇ>@0ÉKU\Y Ein Wallfahrtslied. Siehe preist Jhwh KZK\!ºWD:N½U@% xK1(´KL all ihr Knechte KZK\!\G(¼E> O.
Jhwhs, die ihr steht im KZK\!ÏW\EH%a\G,ÆP>RK
Haus Jhwhs in den Nächten. CW$O \/H%
325
Ps 135,1 f
Lobt, ihr Knechte CKZ K\!\G(ÆE> :OOKº Jhwhs, die ihr steht im Haus KZK\!W\EH¼%a\G,P>R Y Jhwhs, in (den) Höfen des C:Q\KHO^DW\%H¼W$UF[%Ï Hauses unseres Gottes.
Der Bezugspunkt zwischen beiden Psalmen richtet sich auf die Knechte Jhwhs als Lobpreisende sowie auf den Tempel als Ort des Gotteslobs. Dieser wird in Ps 135,2 gegenüber Ps 134,1 noch insofern besonders hervorgehoben, als das Haus Jhwhs durch die Vorhöfe ergänzt wird. In Ps 134,1 folgt demgegenüber auf die räumliche Bestimmung des Gotteslobs die zeitliche Bestimmung ›in den Nächten‹.94 Durch die Aufnahme der kultischen Situation aus Ps 134 stellt Ps 135,2 eine sprachliche Brücke zum letzten Psalm des Wallfahrtspsalters her.95 Zudem weist die Formulierung in Ps 135,3a ›Lobt Jh, ja,/denn er (ist) gütig‹ (EZM\NK\ZOOK) einen Bezug zu Ps 136,1, 118,1.29 und 107,1 auf,96 wobei sich die Bezugnahme an dieser Stelle nur auf die Kombination von Lobaufruf mit anschließendem \N-Satz (EZM\N) richtet. Darüber hinaus unterscheiden sich Ps 136,1, 118,1.29 und 107,1 darin, dass sie den Lobaufruf mit ›preisen‹ (KG\) bilden und als zweiten \N-Satz die liturgische Formel ›ja,/denn seine Güte ist bis in fernste Zeit‹ anschließen. Da aber Ps 136 sowie Ps 118 in der Fortsetzung des Psalms ausführlich aufgenommen werden, ist zu vermuten, dass Ps 135,1 bereits auf diese beiden Psalmen anspielt. Psalterkompositorisch bedeutet dies, dass mit Ps 118 der letzte Psalm der Sammlung Ps 111–118 in Erinnerung gerufen wird und mit Ps 136 auch der folgende Psalm in den Blick gerät.97 94 Dass der Anschluss in Ps 135,2 nicht wie in Ps 134,1 mit einem Partizip, sondern mit einem Relativsatz erfolgt, wertet Zenger als Indiz dafür, dass mit dem Stehen der Knechte vor Jhwh nicht wie in Ps 134,1 der »priesterliche Beruf«, sondern eine Situationsangabe bezeichnet wird. Vgl. dazu H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 665 und ZENGER, Psalmenexegese, 35. 95 Vgl. hierzu auch MILLARD , Komposition, 78; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101– 150, 663 f; LEUENBERGER, Konzeptionen, 314; B ALLHORN, Telos, 252 f. 96 In Ps 107,1, 118,1.29 und 136,1 findet sich ›preisen‹ ( KG\) statt ›loben‹ (OOK). 97 Sprachlich weist die im Psalter einmalige Kombination von Lobaufruf (K\ ZOOK) mit ›ja,/denn gut/gütig‹ (EZM\N) und ›ja,/denn lieblich‹ (a\>Q\N) in Ps 135,3 auf Ps 147,1. Da sich aber beide Verse in ihrer Struktur und ihrer inhaltlichen Ausrichtung stark voneinander unterscheiden, kann eine bewusst gestaltete Bezugnahme nicht mehr eindeutig nachgewiesen werden. Denn während sich der erste \N-Satz (EZM\N) in Ps 135,2 auf Jhwh bezieht und ihn als gütig beschreibt, wird er in Ps 147,1 durch einen Infinitiv weiter-
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Mit dem \N-Satz in V. 4 wird die Lobaufforderung aus V. 1–3 begründet, indem auf die Erwählungstradition zurückgegriffen und der Lobaufruf somit heilsgeschichtlich fundiert wird. In diesem Sinn ist V. 4 nicht als Abschluss der hymnischen Hinführung zu verstehen, sondern eröffnet die im Hauptteil in V. 8–12 wieder aufgenommene heilsgeschichtliche Perspektive des Psalms. Intertextuell weisen insbesondere das Stichwort ›Eigentum‹ (KOZJV)98 sowie die Kombination von ›Eigentum‹ (KOZJV) und ›erwählen‹ (U[E) auf Dtn 7,6. Dtn 7,6 Denn du bist ein heiliges Volk für Jhwh, deinen Gott. Dich hat Jhwh, dein Gott, erwählt , ihm Eigentumsvolk zu sein unter allen Völkern, die auf dem Erdboden sind.
Ps 135,4
K7 ÂDlY$GT a>³\.L A\KBO^DKZ·K\O A\KO^DKZ½K\!xU[½% AÒ% K/ ÂJ8Va>¼O l$OW$\ÈKOL a\0LÂ>K lO.RPL VCKP GD@K \Q(Ç3O>UY·D@
KOJV +U[E
Dieser Bezug ist insofern interessant, als in Dtn 7 die Erwählung Israels zum Eigentumsvolk Jhwhs im Zusammenhang mit der Ablehnung anderer Götter steht. Dieser Aspekt steht auch im Hintergrund von Ps 135 und wird im Hauptteil des Psalms (V. 5–18) in verschiedenen Nuancierungen ausgelegt. Dabei zeigt sich die Exklusivität Jhwhs in seinem Handeln als Schöpfer (V. 6f), in seiner Geschichtsmächtigkeit (V. 8–12) sowie im Hinblick auf die Leblosigkeit der Götzenbilder (V. 15–18). Im Unterschied zu Dtn 7 steht aber keine Auseinandersetzung mit fremden Göttern mehr im Hintergrund. Vielmehr formuliert der Psalm lediglich ein Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott. b) Jhwh als alleiniger Gott im Himmel und auf Erden (V. 5–18) aa) Das Bekenntnis zu Jhwh als Gott der Götter (V. 5) Wie V. 4 so setzt auch V. 5 mit einem \N-Satz ein. Aber vor allem durch den Wechsel in die erste Person Singular wird der Einschnitt zum vorherigeführt und qualifiziert den Lobpreis ›ja,/denn gut ist es, Jhwh, unseren Gott, zu loben‹. Die gleiche Tendenz lässt sich für die nominale Wendung in Ps 147,1b ›ja,/denn lieblich‹ (a\>Q \N) festmachen, die in Ps 147,1 ebenfalls den Lobpreis weiter ausführt. Zudem weist Ps 147,1 auch im Ganzen gesehen einen anderen Aufbau auf als Ps 135,3, da die beiden \N-Sätze auf die Lobaufforderung folgen, um diese zu qualifizieren. In Ps 135,3 hingegen folgt nach den beiden Imperativen jeweils ein \N-Satz und begründet den Lobaufruf mit der Güte Jhwhs. Vgl. zu diesem Bezug auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 663; B ALLHORN, Telos, 252 f. 98 Zu weiteren Belegen Ex 19,5; Dtn 14,2; 16,18; Mal 3,17; 1Chr 29,3.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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gen Teil des Psalms markiert und ein Bekenntnis zur Exklusivität Jhwhs formuliert: »Ja,/Denn ich weiß, dass Jhwh groß ist und unser Herr mehr als alle Götter.« Damit setzt der Komparativ zwar die Existenz anderer Götter voraus, deklassiert sie aber zugleich im Hinblick auf ihre Göttlichkeit. So wird Jhwh als der einzig wirkmächtige Gott in Schöpfung und Geschichte herausgestellt, während die anderen Götter als ohnmächtig dargestellt werden. Von daher handelt es sich in V. 5 nicht nur um eine rhetorische Floskel, sondern um eine im Folgenden ausgeführte Deklassierung anderer Götter, indem die Alleinherrschaft Jhwhs in Himmel und Erde entfaltet wird. Auf diese Weise ist das Thema für den folgenden Hauptteil vorgegeben, das zunächst im Hinblick auf Schöpfung und Geschichte (V. 6–12) illustriert und durch die Götterbildpolemik in V. 15–18 verstärkt wird. Im Rückbezug zu V. 4 ist festzuhalten, dass die Erwählung als geschichtstheologische Grundlegung des Lobaufrufs das in V. 5 gesprochene Bekenntnis zu Jhwh als einzigem Gott erst ermöglicht. Sprachlich ist dieser Rückbezug vor allem an der Formulierung ›unser Herr‹ (ZQ\QGD) festzumachen, die die Erwählung der Beter zu Knechten Jhwhs (V. 2) und zu seinem Eigentum (V. 4) voraussetzt, so dass die in V. 5 sprechende Person der Gruppe der im Haus Jhwhs stehenden Knechte angehört. Dies wird auch in den folgenden Versen 6–12 bekräftigt, indem die Schöpfermacht Jhwhs und seine fundierenden Heilstaten für sein Volk aufs engste zusammengehören.99 Darüber hinaus findet sich der Zusammenhang von heilsgeschichtlicher Grundlegung und Exklusivität auch in dem Bekenntnis Jethros in Ex 18,11.100 Dieses steht in leicht abgewandelter Form im Hintergrund von 99 Auch VOSBERG, Studien, 69–73 betont den Zusammenhang von V. 4 und V. 5: »Daß Gott Israel zu seinem Volk erwählen konnte, wird mit V. 5–7 begründet. Gott wird als Subjekt der Erwählungstat zur Sprache gebracht, indem seine Potentialität und Dynamik in seinem Handeln an der Natur und bemerkenswerterweise nicht in seinem Geschichtshandeln am Volk zu Sprache gebracht werden« ( DERS., Studien, 69). Zugleich aber dient der Erweis der Potenzialität Jhwhs dazu, seine Handlungsfähigkeit in der Geschichte zu begründen. 100 Die redaktionsgeschichtliche Einordnung von Ex 18 wird in der neueren Forschung kontrovers diskutiert. Ist dieser Text seit WELLHAUSEN, Composition, 80 und bestätigt durch NOTH, Exodus, 117, unumstritten dem Elohisten zugeordnet worden, so ist seine Einordnung in den literarischen Zusammenhang des Exodusbuches nach der Dekonstruktion des Elohisten wieder offen. Nach O TTO, Deuteronomium, 244 und K. SCHMID, Erzväter, 235.252 wird dieser Text zu den spätesten literarischen Einschreibungen im Exodusbuch gerechnet. Ordnet Otto Ex 18 seinem Pentateuchredaktor zu, schreibt ihn Schmid einer nachpriesterlichen Einschreibung zu. B LUM, Studien, 156 hingegen sieht in Ex 18 zusammen mit der Berufung des Mose in Ex 3 f eine separate und ältere Moseüberlieferung. Allerdings sei Ex 18 erst von einer nachdeuteronomistischen Bearbeitung nachgetragen worden. Zum Forschungsüberblick zu Ex 18 vgl. weiter die ausführliche Zusammenstellung neuerer Positionen zu Ex 18 bei FREVEL, Ex 18, 5–10.20, der seinerseits eine sehr späte redaktionelle Einschreibung des Textes favorisiert.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
V. 5. Darin preist der Midianiter Jethro Jhwh für die Errettung Israels aus Ägypten und bekennt die Größe Jhwhs vor allen Göttern (Ex 18,10 f): »Ich weiß, dass Jhwh größer als alle Götter ist« (a\KODKONPKZK\OZGJ\N\W>G\). In diesem Sinn ist das Bekenntnis Jethros auf das heilsgeschichtliche Handeln Jhwhs bezogen und wie das Bekenntnis in V. 5 von diesem her gewonnen. Zudem steht indirekt die Anerkennung der Einzigartigkeit Jhwhs durch einen Jhwh-Fürchtigen aus der Völkerwelt im Hintergrund, wie sie in Ps 135,20 expliziert wird.101 bb) Jhwh als Schöpfer (V. 6 f) Der nun folgende Abschnitt V. 6 f, der sich durch einen Personenwechsel zur dritten Person Singular vom Bekenntnis in V. 5 abhebt, entfaltet die Schöpfermacht Jhwhs. Hier wird der Fokus auf den Herrschaftsanspruch Jhwhs über Himmel, Erde und Meere, d. h. über den gesamten Kosmos einschließlich der äußersten Tiefen, gerichtet. Inbegriffen ist durch den Gebrauch der Afformativkonjugation das anfängliche Schöpferhandeln Jhwhs, ohne aber die Erschaffung von Himmel und Erde explizit zu entfalten.102 Das zeigt sich besonders in der Formulierung »Alles, was Jhwh wollte, hat er getan«,103 mit der die Entsprechung von göttlichem Willen und Tun zum Ausdruck gebracht wird. Hervorgehoben wird dies formal durch den vorangestellten UYD-Satz.104 Auffällig ist, dass Himmel, Erde und Meer durch die Präposition E als Herrschaftsräume Jhwhs gekennzeichnet werden, in denen Jhwh als Herrscher des Kosmos waltet. Hingegen fehlt die Präposition E vor den ›Urfluten‹ (WZPZKW), die so zum direkten Objekt werden, an dem Jhwh handelt. Insofern unterscheiden sie sich von den Herrschaftsräumen Himmel, Erde 101 Zur Bedeutung von Ex 18,10 f für Ps 135,5 vgl. insbesondere HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 666 f. 102 So auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 358 und schon HAGLUND, Motifs, 41 f. Anders in Ps 136,5–9, vgl. weiter Neh 9,6 und Ps 146,6. 103 Der UYD-Satz in Ps 135,6 findet sich noch in Ps 115,3. Auch wenn es in Ps 115,3 nicht um den Erweis der Schöpfermacht Jhwhs geht, so wird auch in Ps 115,3 die alleinige Wirkmacht Jhwhs herausgestellt. In Ps 115,3 handelt es sich um eine Antwort auf die spöttische Frage der Völker: »Wo ist denn euer Gott?« Jhwh wohnt im Himmel und tut alles, was ihm gefällt. Da Ps 135,15–18 Ps 115,4–6 aufnimmt, kann vermutet werden, dass bereits in Ps 135,6 trotz aller Differenz im Detail eine Anspielung auf Ps 115 vorliegt. Vgl. hierzu weiter LUBSCZYK, Einheit, 165 f und weiter HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 663 f.666 f und LEVIN, Psalm 136, 24. Vgl. hierzu die ausführliche Exegese zu Ps 115 unter C.1.b) (S. 352 ff). 104 Zum religions- und literarhistorischen Hintergrund der Formel vgl. H URVITZ, History, 266 f, der aufgrund aramäischer Parallelen einen ursprünglich rechtlichen Hintergrund der Formel ausweist, die aber in Ps 115,3, 135,6, Jes 46,10, Jona 1,14 und Koh 8,3 nicht mehr im eigentlichen rechtlichen Sinn verwendet wird, sondern in ihrem literarischen Kontext die uneingeschränkte Macht des Herrschers zum Ausdruck bringt.
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B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
und Meere. Durch diese Differenz werden Anklänge an den Chaoskampf wachgehalten, bei dem Jhwh die ›Urfluten‹ (WZPZKW) als Chaosmacht besiegt hat.105 Die folgenden Verse führen den Gedanken fort und zeichnen Jhwh vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Wettergottheiten als Herr des Wetters (V. 7) und als Herr der Geschichte, der die Feinde seines Volkes schlägt (V. 8–12).106 V. 7 knüpft mit einem Partizip an und beschreibt somit nicht mehr das Schöpferhandeln Jhwhs in der Vergangenheit, sondern anhand der Wetterphänomene Wolken, Gewitter, Regen und Wind das seine Schöpfung erhaltende und versorgende Handeln Jhwhs. Denn durch den Regen gewährt er die Fruchtbarkeit auf der Erde und hält seine Schöpfung auf diese Weise in Gang. Dabei stellen das Heraufführen der Wolken vom Rand der Erde, das Herstellen von Blitzen für den Regen sowie das Herausholen des Windes aus seinen Kammern typische Charakteristika von Wettergottheiten dar. Zugleich wird Jer 10,13 in leicht abgewandelter Form aufgenommen.107 Jer 10,13 $7Ð7LO$TmO Wenn seine Stimme ertönt, ist ein Brausen der Wasser im a\,PÂ9 %la\,Pm$PÇK@ Himmel, und er führt Wolken/Nebel UD BK KFH¼TPLa\DL¶ILQ! KOÆ>@ lUM 0 Oa\T,´U% Blitze macht er für den Regen, und er führt (den) Wind aus CZ\W URFDRPH[:U· DFH$@P
KI B> UM½0 Oa\T,½U% CZ\W $UF$D PH[:UÏ DFH$P
Wie in Ps 135,7 wird auch in Jer 10,12f Jhwhs Schöpfungshandeln in der Vergangenheit mit seinem die Schöpfung in Gang haltenden Handeln verbunden und Jhwh wird auf nahezu identische Weise als Herr des Wetters gezeichnet. Darüber hinaus ist der Erweis der Schöpfermacht Jhwhs in Ps 135 und in Jer 10,1–16 Teil eines umfassenden göttlichen Machterweises, in 105 Grammatisch ist es auch möglich, die Urfluten nicht als ein weiteres direktes Objekt, sondern als Explikativum zu verstehen. Allerdings scheint es plausibler, die Urfluten wie in Ps 104 als ein gesondertes Objekt des Schöpfungshandelns Jhwhs zu verstehen. In Ps 104 flieht die ›Urflut‹ (aZKW) in V. 6 nach dem Ausspannen des Himmels und der Erde durch das einmalige Schelten und den Donner Jhwhs, so dass sie die Erde nie wieder bedrohen wird. Damit steht der Vorstellungszusammenhang des Chaoskampfes zwar noch im Hintergrund. Zugleich aber werden die Wasser zu einer lebensförderlichen Größe umgewandelt und verlieren ihre Ambivalenz. Damit wird wie in Ps 135 der chaotische Aspekt der Wasser aus der Schöpfung ausgegrenzt; vgl. hierzu HARTENSTEIN, Wettergott, 91 f und weiter J EREMIAS, Königtum, 48 f und T. KRÜGER, »Kosmo-theologie«, 53 f. 106 Vgl. HARTENSTEIN, Wettergott, 79–83. 107 Als Parallele vgl. Jer 51,16.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
dem Jhwhs universale Herrschaft und seine Unvergleichlichkeit gegenüber der Ohnmacht der Götzen bzw. der Götterbilder herausgestellt wird.108 Die Auseinandersetzung mit den Götterbildern wird in beiden Texten in unterschiedlicher Schärfe geführt. In Jer 10,1–16 nimmt die Polemik gegen die Götterbilder, einschließlich ihrer Herstellung, einen viel breiteren Raum ein als in Ps 135, so dass sich hierin noch eine bedrohliche Auseinandersetzung mit den Göttern anderer Völker spiegelt.109 Das zeigt sich zudem daran, dass der Erweis von Jhwhs Schöpfermacht in Jer 10,12 f in die Götterbildpolemik eingebettet ist, während in Ps 135,15–18 die Ohnmacht der Götterbilder als eine Konsequenz aus dem in V. 6–12 entfalteten Machterweis Jhwhs in Schöpfung und Geschichte dargestellt wird. Diesem Machterweis kommt durch seine Voranstellung sowie durch seine ausführliche Entfaltung im Gesamtduktus des Psalms ein stärkeres Gewicht zu als die Auseinandersetzung mit den Götterbildern. Zugleich übernimmt Ps 135,7 aber den bereits in Jer 10,12–16 angelegten Zusammenhang des anfänglichen Schöpfungshandelns Jhwhs mit seinem fürsorgenden und die Schöpfung in Gang haltenden Handeln. Dies wird in Jer 10,13 so zum Ausdruck gebracht, dass hier statt der beiden Partizipien von ›heraufführen‹ (KO> Hif.) und ›herausholen‹ (DF\ Hif.) in Ps 135,7 Narrative verwendet werden, die aber nach Groß in Jer 10,13 das generelle Handeln Jhwhs in der Natur beschreiben.110 Daher zielt Jhwhs Handeln im Wetter in beiden Texten auf das In-Gang-Halten seiner Schöpfung. Zugleich verweisen aber der Narrativ in Jer 10,13 sowie der Zusammenhang von Ps 135,6 f darauf, dass es sich hierbei um die Folge aus dem primären Schöpfungshandeln Gottes, der Erschaffung von Himmel und Erde, handelt, durch das sich die Exklusivität Jhwhs als Schöpfer der gesamten Welt von Urzeiten an erweist. Insofern wird das Handeln Jhwhs in der Schöpfung, durch das zugleich die Exklusivität Jhwhs als Herr des gesamten Kosmos begründet wird, vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Wettergottheiten entfaltet. Zum Bereich der umfassenden Lebensförderung durch Wettergottheiten gehört auch „die Wahrnehmung von Geschichte im Horizont von Schöpfung“.111 Damit eröffnet das Schöpfungshandeln Jhwhs wie in Ps 136 den
108 Zu Jer 10,1–16 vgl. H. W EIPPERT, Schöpfer, 28–37, die den Abschnitt in eine frühexilische (Jer 10,12–16) und eine spätexilische bzw. frühnachexilische (Jer 10,2–10) Bearbeitung unterteilt. 109 Nach H. WEIPPERT, Schöpfer, 30 f.33 f zielt die Götterbildpolemik in Jer 10,12–16 darauf, die Ohnmacht der Götterbilder gegenüber der Exklusivität Jhwhs als Schöpfers und Herrn des Wetters herauszustellen, während in Jer 10,2–10 der Schwerpunkt auf der polemischen Beschreibung der Herkunft der Götterbilder liegt. Diese werden auf ihre Materialien, d. h. auf ihre Geschöpflichkeit, reduziert. 110 Vgl. W. GROSS, Verbform, 159. 111 HARTENSTEIN, Wettergott, 94.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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Raum für seine Geschichtstaten, so dass die Schöpfung der Geschichte sachlich vorgeordnet ist. Dies wird im folgenden Abschnitt erläutert. cc) Jhwh als Herr der Geschichte (V. 8 f.10–12) Die Geschichtstaten Jhwhs werden in zwei Etappen (V. 8 f.10–12) ausgeführt. Dabei bleibt das Kolorit der Wettergottheiten insofern erhalten, als Jhwh in beiden Abschnitten in seiner kriegerischen Funktion dargestellt wird. Formal sind die beiden Abschnitte in V. 8 und V. 10 über die Relativpartikel Y mit dem Verb ›schlagen‹ (KNQ Hif.) in der Afformativkonjugation verbunden, so dass die Heilsgeschichte Jhwhs in zwei Schläge unterteilt wird. Der erste Schlag richtet sich gegen Ägypten (V. 8 f) und der zweite gegen Völker und Könige bei der Landnahme (V. 10–12).112 Als erster Schlag in V. 8 wird in Anlehnung an die Pentateuchvorlage in Ex 12,12.29 die Tötung der Erstgeborenen Ägyptens, die letzte der zehn Plagen aus Ex 7–12, genannt.113 In V. 9 wird die vor allem im Deuteronomium verbreitete Formulierung ›Zeichen und Wunder‹ (a\WSPZWZWD) aufgenommen, durch die Plagen und Auszug, und damit die Errettung aus der Knechtschaft Ägyptens, zusammengefasst werden.114 Zugleich zielt V. 9 darauf, die Auswirkung der Zeichen und Wunder auf ganz Ägypten herauszustellen. Dabei verweist die Formulierung in V. 9 mit ›Zeichen und Wunder‹ (a\WSPZWZWD) sowie mit ›in deine Mitte, Ägypten‹ (a\UFP\NNZWE)115 auf die Ankündigung der Plagen und des Auszugs in Ex 7,3–5.116 Mit diesem Bezugstext werden zwei Aspekte in Ps 135,9 in Erinnerung gerufen. Zum einen wird der in Ps 135 nicht eigens erwähnte Auszug benannt, so dass dieser auch im Hintergrund von Ps 135 steht. Zum anderen zielen die Wunder und Zeichen sowie die großen Gerichtstaten in Ex 7,3–5 auf die Gotteserkenntnis des Pharaos, der so die Wirkmächtigkeit Jhwhs aner112 Der heilsgeschichtliche Abschnitt zitiert nahezu wörtlich Ps 136,10.17–22. Diese für das Gesamtverständnis des Psalms relevante Bezugnahme wird unter C.1.a) (S. 348 ff) gesondert untersucht. 113 Dies gilt auch für die Formulierung ›vom Mensch bis zum Vieh‹ (vgl. Ex 12,12). Vgl. weiter Ex 13,15, Num 3,13 und 8,17. Das Schlagen der Erstgeburt Ägyptens gilt an diesen Stellen als Begründung für das Erstgeburtsrecht Jhwhs. 114 Vgl. Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8; 29,1 f; vgl. weiter Ex 7,3; Ps 78,43; 105,27; Jer 32,20 f. Besonders eng lehnt sich die Formulierung in Ps 135,9 an Dtn 34,11 an. Allerdings ist der entscheidende Unterschied, dass nach Dtn 34,11 Jhwh Mose ›schickte‹ ([OY), um in Ägypten, am Pharao und an seinen Knechten, Zeichen und Wunder zu tun. In Ps 135,9 ›schickt‹ ([OY) Jhwh selbst die Zeichen und Wunder zum Pharao und zu seinen Knechten. Zugleich weist diese Formulierung aber auch wieder Anklänge an die Wettergottattribute auf; vgl. SCHWEMER, Wettergottgestalten, 226–237. 115 Siehe zur Besonderheit des Suffixes Anm. 81. 116 Vgl. ähnlich auch MATHYS, Dichter, 261 und schon LAUHA, Geschichtsmotive, 68. Vgl. zur Stelle auch Dtn 11,3.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
kennen soll. Dies bedeutet, dass sich Jhwh, der in V. 5 als »unser Herr« bezeichnet wird, nicht nur gegenüber den anderen Göttern, sondern jetzt auch gegenüber dem Pharao, der sich von seinem Selbstverständnis als Völkerherrscher versteht, als allein in der Geschichte wirkmächtiger Herr erweist.117 Damit wird wie durch den Bezug in V. 5 zum Bekenntnis Jethros (Ex 18,11) der auch die Völkerwelt umfassende universale Herrschaftsanspruch Jhwhs als Schöpfer und Herr der Geschichte eingespielt. So beschreiben der Schlag gegen die Erstgeburt Ägyptens sowie die zusammenfassende deuteronomisch-deuteronomistische Formulierung von den Zeichen und Wundern Jhwhs paradigmatisch den Beginn heilsgeschichtlichen Handelns Jhwhs an seinem Volk, der den Auszug, die Errettung am Schilfmeer und die Versorgung in der Wüste nach sich zieht, ohne dass diese eigens erwähnt werden müssen. Mit V. 10 beginnt der zweite Schlag Jhwhs bei der Landnahme und Landgabe, mit dem das Ende bzw. der Zielpunkt des paradigmatischen Handelns Jhwhs in der Geschichte in den Blick gerät. Der Schlag Jhwhs richtet sich in V. 10 zuerst gegen ›viele Nationen‹ (a\EUa\ZJ). Diese Formulierung ist im Hebräischen inkludierend gemeint und erinnert an das mit dem Chaoskampf verbundene Motiv des Völkerkampfes.118 So wird zu den chaotischen Wassern in V. 6 eine Verbindung hergestellt, um Jhwhs alleinige Wirkmacht in der Geschichte hervorzuheben. Im Parallelglied wird die Aussage durch das Töten ›mächtiger Könige‹ (a\PZF> a\NOP) weiter ausgeführt119 und in V. 11 in dreifacher Hinsicht konkretisiert. Es richtet sich erstens gegen Sichon, den König der Amoriter, zweitens gegen Og, den König von Baschan120 und drittens gegen alle Königtümer Kanaans.121 117 Vgl. hierzu auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 667 f; ähnlich auch SCORALICK, Hallelujah, 257. 118 Vgl. Jes 17,12–14, Mi 4,11–13 sowie in den Völkerwallfahrtstexten Jes 2,1–5 und Mi 4,1–5; vgl. weiter die Auslegung von J EREMIAS, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, 172. Dabei wird in Ps 135,10 wie in Mi 4,2 und 4,11 nicht die vermutlich aus dem Vorstellungszusammenhang des Völkersturms stammende Formulierung ›viele Völker‹ (a\EUa\P>), sondern stattdessen ›viele Nationen‹ (a\EUa\ZJ) verwendet. Vgl. hierzu und insbesondere zu Mi 4 GÄRTNER, Jesaja 66, 164–175. 119 Vgl. als Parallele Num 21,34 f und Dtn 3,2.6. 120 Die gemeinsame Nennung von Og und Sichon steht für die Landnahme und Landgabe des Ostjordanlandes und findet sich z. B. noch in Num 21,24 f.35; Dtn 1,4; 3,2 f; 4,46 f; 29,6; Jos 2,10; 12,1–5. Im Unterschied aber zu Ps 135,10 f und 136,17–20 werden in der Geschichtserzählung des Hexateuchs die Könige durch Og und Sichon von Mose/ Josua bzw. den Israeliten im Auftrag Jhwhs besiegt. Beide Psalmen betonen hingegen, dass es sich um die Tat Jhwhs handelt, und heben mit dieser Darstellung ihre theozentrische Geschichtsreflexion hervor. Vgl. hierzu schon LAUHA, Geschichtsmotive, 102 f. 121 Diese Erweiterung könnte von Ex 15,14 f her inspiriert sein, da dort die Landnahme nicht nur die Häupter Edoms und Anführer Moabs, sondern auch die Bewohner Philistäas und Kanaans betrifft.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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Mit Sichon und Og sind die beiden mächtigsten ostjordanischen Könige gemeint. Sie stehen für die Landnahme des Ostjordanlandes. Diese wird durch das letzte Glied, alle Königtümer Kanaans, auf das Westjordanland ausgeweitet, so dass in V. 11 das gesamte Ereignis der Landnahme illustriert wird.122 In V. 12 folgt die Landgabe, die wie V. 10 in zwei Gliedern entfaltet wird. In V. 12a wird der Vorgang der Gabe des Landes als ›Erbland‹ (KO[Q) an sich beschrieben. In V. 12b wird Israel, Volk Jhwhs, als Empfänger des Erblandes ergänzt.123 Im Unterschied zur Pentateuchvorlage spielt die Bedeutung Moses bzw. Josuas oder Israels im Rahmen von Landnahme und Landgabe keine Rolle. Der Psalm akzentuiert diese Epoche allein als paradigmatische Heilstat Jhwhs. Durch diese wird Israel als Volk Jhwhs eingesetzt und erhält die Länder der Völker als Erbland. Die beiden Schläge Jhwhs in Ps 135,8.10 gegen die Erstgeburt Ägyptens und gegen viele Völker und mächtige Könige beschreiben somit den Beginn und das Ziel der fundierenden Heilstaten Jhwhs in der Geschichte. In Ps 135 wird somit im Unterschied zu Ps 136 kein Verlauf der Heilsgeschichte nachgezeichnet. Stattdessen stehen Anfang und Ende paradigmatisch für das Gesamte und bringen das Ganze der Heilsgeschichte Jhwhs zum Ausdruck.124 122
Diese Beschränkung der Landnahme und Landgabe auf das Ostjordanland ist in der Fachliteratur kontrovers diskutiert worden; vgl. zur Diskussion PRÖBSTL, Rezeption, 197–199. 123 Dass Jhwh Israel das Land der ost- und westjordanischen Könige als Erbland gibt, findet sich in Num 32,32 f; 33,54; 34,2; Dtn 4,21.38; 29,7; Jos 11,23; 13,7; 14,1–5; 17,6; 18,4; 19,49–51. Insofern wird in Ps 135 summarisch auf die Pentateuchtradition von Landnahme und Landgabe zurückgegriffen. 124 Der in Ps 135,6–12 hergestellte Zusammenhang zwischen dem Schöpfungshandeln Jhwhs und seinem Geschichtshandeln ist konzeptionell schon in dem vermutlich älteren Psalm 65 angelegt. Vgl. zu Ps 65,7–9 HARTENSTEIN, Wettergott, 92 f. In Ps 65,7–9 umfasst das Handeln Jhwhs den gesamten kosmischen Bereich. Dazu gehört das Zurüsten bzw. Festgründen der Berge sowie der Kampf gegen die kosmischen und sozialen Feinde, indem Jhwh das Tosen der Wasser ebenso wie das Lärmen der Nationen beendet. Die Konsequenz dessen, dass Jhwh die chaotischen Elemente gebannt und die Erde festgegründet hat, zeigt sich zum einen in der geschichtlichen Dimension. Die Völker der Enden der Erde fürchten sich vor den ›Zeichen‹ (WZWD) Jhwhs (V. 9). Zum anderen zeigt es sich nach Hartenstein in der von Jhwh garantierten Lebensfülle auf der bewohnten Erde (V. 10–14), die der Lebensfülle im Tempel entspricht (V. 5). Ps 135 hingegen geht nicht mehr von einem irdischen Tempel aus. Stattdessen umfasst das von HARTENSTEIN, Wettergott, 93 als »explizite Schöpfungstheologie« bezeichnete Handeln Jhwhs das anfängliche Schöpfungshandeln sowie das lebenserhaltende kontinuierliche Schöpfungshandeln, das im gesamten Kosmos so präsent ist wie im Tempel. Die darin enthaltene monotheistische Perspektive wirkt sich auch auf das Handeln Jhwhs in der Geschichte aus, das nun die gesamte Völkerwelt mit einschließt (Ps 135,5.10.20). Entfaltet wird dies im Unterschied zu Ps 65 vor dem Hintergrund der Heilsgeschichte Israels, in der auch die Völker die Wirkmächtigkeit Jhwhs erkennen können.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
dd) Das Bekenntnis der Knechte Jhwhs zu seinem Namen (V. 13f) In Ps 135,13 f werden die Heilstaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte auf die Gegenwart und Zukunft der Beter bezogen. Dabei entsteht eine Inklusion durch die Wiederaufahme des Namens Jhwhs in V. 13 aus V. 1– 3, der für die Exklusivität seiner Wirkmacht steht. Zudem wird diese wie in V. 5 mit einem Bekenntnis (Nominalsatz) zum Ausdruck gebracht. Die Beter wenden sich in der zweiten Person Singular direkt an Jhwh und bekennen, dass sein Name und sein ›Gedenken‹ (UN]), in dem die gesamte heilvolle Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk enthalten ist, bis in fernste Zeit, von Generation zu Generation, gültig sind.125 Strukturell betrachtet entsteht durch die beiden Bekenntnisse in V. 5 und V. 13 eine Rahmung um die Machttaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte. Dabei haben V. 5 und V. 13 gemeinsam, dass sie den Geltungsbereich der Herrschaft Jhwhs benennen. Zielt V. 5 aber darauf, Jhwhs Macht über die anderen Götter herauszustellen, so wird der Blick in V. 13 auf die zeitliche Ausdehnung der Wirkmacht Jhwhs bis in fernste Zukunft gelenkt. V. 14 schließt mit einem \N-Satz an und beschreibt in seinen beiden Gliedern die Bedeutung des göttlichen Gedenkens für Israel, indem er seinem Volk Recht schaffen (V. 14a) und sich über seine Knechte erbarmen wird (V. 14b). Mit dem Stichwort ›sein Volk‹ (ZP>) wird ein Bogen zu V. 12 hergestellt, so dass die Beter als Teil des Volkes Jhwhs die in Schöpfung und Geschichte erfahrene Zuwendung Jhwhs auch für ihre Gegenwart und Zukunft erwarten. Zudem wird über das Stichwort ›Knecht‹ (GE>) eine Verbindung zu V. 2 hergestellt. Dadurch wird hervorgehoben, dass die in V. 13 f formulierte Zuwendung Jhwhs den Betern des Psalms gilt. Dazu wird Dtn 32,36a zitiert: Dtn 32,36a Denn Recht schaffen wird Jhwh seinem Volk, und über seine Knechte wird er sich erbarmen.
Ps 135,14
$0Â>lKZK\!\G,³\\.L $0 >KZ½K\!\G,¼\\.L a[ BQW\,Z\G¶E >@O>Z! Ca[ QW\,Z\GE >@ÏO>Z!
Der literarische Kontext von Dtn 32,36 unterscheidet sich aber von Ps 135 vor allem hinsichtlich des göttlichen Zorngerichts. So richtet sich das Erbarmen Jhwhs und das Ins-Recht-Setzen seines Volkes auf sein notorisch ungehorsames Volk sowie gleichzeitig gegen die Völker. Dabei stellt die Exklusivität Jhwhs in Dtn 32,37f.39–41 eine Folge des göttlichen Zorns dar, der zur Verspottung der anderen Götter führt (V. 37 f) und in V. 39 in dem Selbstzeugnis Jhwhs als einzigem Gott gipfelt. Insofern basieren beide Texte 125
V. 13 ist vermutlich von Ex 3,15 inspiriert und rezipiert wie V. 8 f die Exoduserzählung. Nach der Selbstvorstellung Jhwhs fügt Jhwh in seiner Rede an Mose hinzu, dass dies ›mein Name für fernste Zeit‹ (aOZ>O\PY) und dies ›mein Gedenken für Generationen‹ sei (UGZUGO\UN]).
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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auf dem Bekenntnis zur Einzigkeit Jhwhs. Damit wird, wie bereits für Ps 135,4.5.7 beobachtet, durch die Aufnahme aus der prophetischen Tradition oder dem Pentateuch das Thema des Psalms, das monotheistische Bekenntnis zu Jhwh, aufgerufen und diesmal vor dem Hintergrund von Dtn 32,36 variiert. In diesem Sinn schließt Ps 135,13f den ersten Argumentationsgang des Psalms ab. Jhwh hat sich in Schöpfung und Geschichte als alleiniger Gott erwiesen. Dies wird bis in fernste Zeit Gültigkeit haben. ee) Die Ohnmacht der Götterbilder (V. 15–18)126 Die im folgenden Abschnitt entfaltete Ohnmacht der ›Götterbilder‹ (a\EF>) folgt aus der vorherigen Argumentation, in der die Exklusivität Jhwhs in Schöpfung und Geschichte profiliert worden ist und sich Jhwh als Herr der Völkerwelt herausgestellt hat (Ps 135,10). Die Argumentation gegen die Götterbilder der Völker setzt in V. 15 mit einem Nominalsatz ein, der eine Überschrift zu der im Folgenden entfalteten Ohnmacht der ›Götterbilder‹ (a\EF>) darstellt. Denn die Götterbilder sind von Menschen aus Silber und Gold gefertigt und stehen als menschliches Produkt im Gegensatz zu den Machterweisen Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in V. 6–12. Dies bedeutet, wie in V. 16 f ausgeführt wird, dass sie zwar einen Mund, Augen, Ohren und eine Nase haben, aber weder reden, sehen noch hören können und kein Lebensatem in ihrem Mund ist. Sie sind tote Gebilde, von denen keinerlei Wirkmacht ausgeht. Gebündelt wird die Leblosigkeit der Götterbilder in dem syntaktisch herausgehobenen Vers 17b, der die Reihenfolge von Nominalsatz mit anschließendem Verbalsatz in der Präformativkonjugation in V. 16–17a unterbricht. Stattdessen folgt auf einen unvollständigen Nominalsatz ein vollständiger Nominalsatz. Den Höhepunkt des Abschnitts stellt V. 18 dar, der über das Stichwort ›machen‹ (KI>) wieder an V. 15 anknüpft und die Bedeutung der Wirkungslosigkeit der Götterbilder für die Völker festhält. Diejenigen, die die Götterbilder machen und auf sie vertrauen, werden mit der Leblosigkeit und Ohnmacht der Götterbilder identifiziert. Sie sind ebenso von der nur durch Jhwh gewirkten Lebensfülle abgeschnitten wie die Götterbilder selbst. Denn Lebensatem zu geben, vermag ausschließlich Jhwh als Schöpfer und Herr des Kosmos (vgl. Ps 104,29 f). Die Wirkungslosigkeit der anderen Götter zeigt sich nach Ps 135 also an der Leblosigkeit der Götterbilder, die nichts weiter sind als von Menschen angefertigte Werke. Damit ist der Ausgangspunkt der Argumentation wie in anderen, verwandten Texten (Jes 40,18–20; 41,6f.24b.29b; 44,9–20; 45,15–17.20b; 46,5–7; 126 Der Abschnitt V. 15–18 stimmt in weiten Teilen mit Ps 115,4–7 überein. Da aber auch Ps 135,19–21 dem Ps 115,9–11 entspricht, wird das literarische Verhältnis der beiden Psalmen im Anschluss an die Kompositionsanalyse untersucht. Vgl. C.1.b) (S. 352 ff).
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Jer 10,1–16; Dtn 4,27–29; Ps 115) die Materialität der Götter, die sie als Machwerk von Menschen ausweisen.127 Allerdings unterscheiden sich Ps 115 und Ps 135 von den meisten anderen götterbildpolemischen Texten darin, dass sie auf eine satirische Darstellung ihrer Herstellung verzichten. Dies liegt vor allem an der Bedeutung der Götterbilder für Ps 135, bei der es nicht mehr um eine Auseinandersetzung mit den Göttern der Völker geht. Die Einzigkeit und Unvergleichlichkeit Jhwhs, die sich in Schöpfung und Geschichte seines Volkes gezeigt hat und die die Beter auch in ihrer Gegenwart und Zukunft erfahren und bekennen, hat die Exklusivität Jhwhs zur Konsequenz, die mit der Ohnmacht der anderen Götter einhergeht.128 Von daher geht es nicht darum, die Götterbilder mit den Göttern gleichzusetzen. Vielmehr zielt der Abschnitt darauf, die Götterbilder als unvollständiges ›Machen/ Schaffen‹ (KI>) des Menschen darzustellen, dem das ›Machen/Schaffen‹ Jhwhs (KI>) in V. 6 gegenübergestellt wird. Denn das Schaffen des Menschen kann im Unterschied zum göttlichen Handeln nur Lebloses hervorbringen. Damit geht es dem Text aber weniger um eine Polemik gegen die anderen Götter, die sich längst als ohnmächtig erwiesen haben. Vielmehr geht es um eine Profilierung der Exklusivität Jhwhs, die argumentativ die Gottesfürchtigen unter den Völkern zur Einsicht bewegen will.129 Insofern verweist der Abschnitt in V. 15–18 auf die andere Seite des in Ps 135 entfalteten monotheistischen Bekenntnisses: auf die Ohnmacht der Götter(bilder). c) Die Aufforderung zum Lobpreis (KNUE) Jhwhs (V. 19–21) Der hymnische Abgesang (V. 19–21) beginnt in V. 19 und V. 20 jeweils mit dem Imperativ Plural von ›segnen/preisen‹ (UE Piel), mit dem das 127 Vgl. dazu HARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 70 f. Auch bei dem für die Kultbilder gewählten Begriff (a\EF>) wird der Vorgang der Herstellung hervorgehoben. Vgl. zur Diskussion ZENGER, Götter- und Götterbildpolemik, 241, besonders Anm. 28. Zu dem hinter Ps 135 stehenden Symbolsystem der Kultbilder vgl. HARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 49–54 und BERLEJUNG, Ikonophobie, 208–210.228–234. 128 Die Zuspitzung auf die Unvergleichlichkeit Jhwhs führt in Ps 135 dazu, dass sich die Frage nach der Gestalt Jhwhs und der damit zusammenhängenden Thematik des Bilderverbots wie in Dtn 4 nicht stellt; vgl. zur Auslegung von Dtn 4 H ARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 64–72. Trotz aller Unterschiedlichkeit zwischen Dtn 4 und Ps 135, die vor allem in der für Dtn 4 zentralen Bedeutung der Horeb-Theophanie liegt, haben beide Texte gemeinsam, dass sie die Geschichte im Horizont der Schöpfung verstehen. Zugleich stellen sie innerhalb dieser universalen Perspektive die Besonderheit Israels als Volk dieses Gottes heraus; vgl. dazu weiter HARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 54–63. 129 Zum monotheistischen Gottesbild in Ps 115 sowie zur Frage der Bilder vgl. HARTENSTEIN, Götter, 16 f. Denn die differenzierte und zugleich offene Auseinandersetzung mit den Göttern führt nach Hartenstein dazu, dass »die ›Götter‹ nicht einfach nichts [sind], sondern ein Teilelement der erst durch sie vollständigen Einstimmung der Gesamtwirklichkeit in das Lob JHWHs« (zitiert nach dem Manuskript).
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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Haus Israel, das Haus Aaron, das Haus Levi sowie die Jhwh-Fürchtigen aufgerufen werden, Jhwh zu preisen/segnen. Im Kontext des Psalms werden dadurch die in V. 2 genannten Knechte, die im Haus Jhwhs und in seinen Vorhöfen stehen, näher beschrieben. Strukturell betrachtet stehen durch diese Aufteilung in das Haus Israel, Haus Aaron, Haus Levi und Jhwh-Fürchtige in Ps 135 die Gruppen innerhalb Israels im Zentrum, die den Jhwh gemäßen Kult verantworten. Diese werden gerahmt durch das Haus Israel und durch die Jhwh-Fürchtigen. Zudem weist die Reihung in V. 19f eine Steigerung bzw. eine Weitung der Perspektive auf. Zur aaronitischen Priesterschaft tritt die vor allem im deuteronomisch-deuteronomistischen Schrifttum und in der Systematik der Chronik herausgestellte Gruppe der Leviten hinzu. Den Leviten kommt insbesondere in der Chronik eine besondere Bedeutung zu.130 Denn während alle Priester Leviten sind, sind nicht alle Leviten Priester, insofern die Leviten die größere Gruppe der Tempelbediensteten darstellen.131 Ebenso lässt sich dies für die Rahmenglieder beobachten. Die Jhwh-Fürchtigen treten zum Haus Israel hinzu. Sie sind die Frommen aus den Völkern, die gerade nicht auf die von Menschenhand gemachten Kultbilder vertrauen (V. 15), sondern auf den allein lebendigen Gott. Dies entspricht dem universalen Geltungsbereich des einzigen Gottes, wie er im gesamten Psalm entfaltet wird. Durch diese Vierteilung in das Haus Israel, Aaron, Levi und die JhwhFürchtigen unterscheidet sich Ps 135,19 f von den Paralleltexten in Ps 115,9–11.12 und 118,2–4, die allerdings nur von einer Dreigliederung des Volkes in das Haus Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen ausgehen und eine weitere Differenzierung des Gottesvolkes in das Haus Levi nicht aufweisen. Dabei ist der von Ps 135 ausgehende kompositionelle Bogen zu Ps 118 neben Ps 115132 offensichtlich. In Ps 118 findet sich die dreifache Differenzierung Israels in den hymnischen Rahmengliedern V. 2–4, die mit V. 1.2–4 und V. 29 die zweifache Erzählung von der Errettung aus der Not (V. 5–12; 13–18)133 und einer endzeitlichen Dankfeier (V. 19–28) umschließen.134 Abgesehen von der Erweiterung um das Haus Levi in Ps 135,20 sind für die Aufnahme von Ps 118 in Ps 135 zwei Aspekte von Bedeutung. Zunächst unterscheiden sich Ps 118,2–4 und Ps 135,19f durch die Formel ›ja,/denn seine Güte ist für fernste Zeit‹ (ZGV[ aOZ>O \N), mit der Israel, 130
Vgl. zur Frage der Leviten und ihrer kultischen Funktion die Zusammenfassung bei MEINHOLD, Maleachi, 146–150. 131 Vgl. W ILLI-P LEIN, Haggai, Sacharja, Maleachi, 245. 132 Zu Ps 115 siehe unter C.1.b) (S. 352 ff). 133 Vgl. zur Zweiteilung der Rettungserzählung sowie zu einer differenzierten sprachlichen Analyse der Rettungserzählung MARK, Meine Stärke, 192–219. 134 Vgl. zur sprachlichen Analyse der Dankfeier MARK, Meine Stärke, 220–302. Zu Ps 118 im Ganzen vgl. weiter die Analyse von BOTHA, Psalm 118, 195–215.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen aufgefordert werden, die bis in fernste Zeit hinein reichende Güte Jhwhs zu bekennen.135 Dabei durchzieht diese Formel den gesamten hymnischen Rahmen, einschließlich des ersten und letzten Verses des Psalms (V. 1.29). Diese beiden Verse sind parallel gestaltet. Sie beginnen mit einem Lobaufruf (KG\), dem sich ein \N-Satz ›ja,/denn er ist gütig‹ (EZM\N) zur Begründung des Lobs anschließt. Auf diesen folgt, wiederum mit einem \N-Satz eingeleitet, die liturgische Formel ›ja,/denn seine Güte ist für fernste Zeit‹ (ZGV[aOZ>O\N). Mit Zenger kann die in V. 1 besungene Güte Jhwhs als vorangestelltes theologisches Programm des Psalms bezeichnet werden, »das im Hauptteil des Psalms V. 5–28 konkretisiert und poetisch-liturgisch inszeniert wird«. 136 Die liturgische Formel selbst findet sich noch in Ps 106,1 und 107,1 und in Ps 136,1 als eine Art Überschrift und fasst in all den genannten Psalmen das Rettungshandeln Jhwhs an Israel (Ps 106 und Ps 136) sowie an dem einzelnen Menschen (Ps 107) paradigmatisch zusammen.137 Ps 118 weist damit also nicht nur sprachliche Bezüge zu Ps 135, sondern auch zu Ps 136 auf, so dass der kompositionelle Bogen von Ps 135 zu Ps 118 Ps 136 einschließt. Dies ist aus psalterkompositorischer Hinsicht insofern von Bedeutung, als damit Ps 135 den Kompositionsbogen von Ps 118 zu Ps 136 aufnimmt und mit dem später eingefügten Wallfahrtspsalter durch seine Bezüge zu Ps 134,1.3 verzahnt.138 Zudem weisen Ps 118 und Ps 135 eine Völkerperspektive auf. Wie in Ps 118 das Schicksal des Einzelnen in Not und Rettung auch für die JhwhFürchtigen aus der Völkerwelt gilt, so ist in Ps 135 das Erwählungs- bzw. Geschichtshandeln Jhwhs an Israel paradigmatisch für die Völkerwelt. An Jhwhs Handeln in der Geschichte seines Volkes in Ps 135 bzw. in der Rettung des Einzelnen aus seiner Not in Ps 118 können auch die Völker Jhwh als wirkmächtigen Gott erkennen.139 135 Der Psalm verwendet hier die Präformativkonjugation von ›sagen/sprechen‹ ( UPD), so dass ZENGER, Confitemini, 120 von »rhetorischen Imperativen« spricht. In Ps 115,9– 11 findet sich statt der Präformativkonjugation der Imperativ Plural von ›vertrauen‹ ([ME), in Ps 115,12 wiederum die Präformativkonjugation von ›segnen‹ ( UE) und in Ps 135 der Imperativ Plural von ›segnen‹ (UE). 136 ZENGER, Confitemini, 119. 137 Vgl. ZENGER, Confitemini, 119 f. Hinzu kommen nach Zenger noch zwei weitere Verstehenshorizonte der Formel, die im Rahmen von Ps 118 anklingen. Erstens findet die Formel Verwendung als Kurzfassung der Jerusalemer Tempelliturgie (Jer 33,11; Esr 3,11; 1Chr 16,34; 2Chr 5,13; 7,3.6). Zweitens fasst die Formel in Ps 100,4 f den (eschatologischen) Gottesdienst Israels und der Völker im Jerusalemer Tempelbezirk zusammen. 138 Siehe zur psalterkompositorischen Einordnung von Ps 135 weiter C.1. (S. 344 ff). 139 Vgl. weiter die Verbindung des vom Zion/Tempel ausgehenden Segens in Ps 118,26 und 135,21 (UE). Allerdings erhält in Ps 118,26 derjenige, der im Haus Jhwhs ist, Segen und kann anderen Anteil an diesem Segen zusprechen. In Ps 135,21 wird Jhwh hingegen vom Zion her gepriesen (Partizip Passiv).
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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Aufgrund dieses bewusst gestalteten Kompositionsbogens von Ps 115 und Ps 118 zu Ps 135, die beide nur eine Dreigliederung Israels aufweisen, ist es in der Forschung umstritten, ob es sich in Ps 135,20a um eine Glosse handelt, durch die eine spätere Hand in Anlehnung an die Chronik die Priesterschaft in Aaroniden und Leviten differenziert oder die Differenzierung auf die Autoren des Psalms selbst zurückgeht.140 In beiden Fällen aber ist im Vergleich mit den Parallelen die herausgehobene Bedeutung der Leviten signifikant, durch die die Fokussierung des Tempeldienstes auf die Aaroniden geweitet wird. Es ist somit von einer prolevitischen Perspektive des Textes auszugehen.141 Eine im Einzelnen vollkommen anders nuancierte, aber in ähnlicher Weise prolevitische Perspektive enthält auch das vermutlich gewachsene Disputationswort in Mal 1,6–2,9.142 In Mal 1,6–2,9 wird Jhwh im Kolorit des persischen Großkönigs gezeichnet und die Priester entsprechend als seine Hofbeamten, die für das Huldigungszeremoniell verantwortlich sind. Diese allerdings werden bezichtigt, ihren Dienst nicht ernst zu nehmen und stattdessen unvollkommene Tiere als Opfer zu akzeptieren. Folglich wird das auf Ehrerbietung zielende Huldigungszeremoniell missachtet. Weiterhin teilen sie, entgegen dem Bund mit Levi, die Tora/Weisung Jhwhs dem Volk nicht verlässlich mit.143 Auf diese Weise werden alle Priester auf den Bund Levis verpflichtet und als Leviten angesprochen, ohne auf die in der Chronik entfaltete Systematik von Priestern und Leviten einzugehen. Diese Praxis der Jerusalemer Priester am Residenzort des Großkönigs Jhwh steht im Gegensatz zur Huldigung der Völkerwelt, die dem Ritus gemäß zur Ehrerbietung Jhwhs verläuft. Ob die Toraerteilung entsprechend dem Bund mit Levi auch für die Völkerwelt gilt, lässt der Text offen, da es ihm vor allem um die Schelte der Priester geht.144 Trotz aller Differenzen zwischen Mal 1,6–2,9 und Ps 135,19 f zeigen beide Texte zwei konzeptionelle Parallelen auf. Erstens entfalten beide Texte einen monotheistischen Universalismus mit einem partikularen Residenzort des einzigen Gottes in Jerusalem. Zweitens verweisen beide Texte auf eine besondere kultische Rolle der Leviten. Während diese in Ps 135 nicht genauer ausgeführt ist und das Haus Levi parallel zum Haus Aaron, zum Haus Israel und zu den Jhwh-Fürchtigen zum Lobpreis Jhwhs aufgefordert wird, fehlt in Mal 1,6–2,9 zwar eine Differenzierung in Aaroniden und Leviten, aber stattdessen sind die Priester dem Bund mit Levi verpflichtet. Dadurch werden sie als Leviten angesprochen. Ihre Bundesverpflichtung besteht in korrekter Toraerteilung. Damit wird 140
Auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 664 bringen diese Ergänzung des Hauses Levi in Verbindung mit der Chronik, da den Leviten dort als Teil der Priesterschaft eine bedeutende Rolle zukommt. Vgl. hierzu auch weiter BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 478. 141 Vgl. in diesem Zusammenhang G ILLINGHAM , Levitical Singers, 91–123, die davon ausgeht, dass die Sammlung und Komposition des Psalters zur Zeit des Zweiten Tempels auf die Leviten zurückzuführen ist. 142 MEINHOLD, Maleachi, 73–88. 143 Was genau unter dem Bund mit Levi zu verstehen ist, ist höchst umstritten. Einig sind sich Meinhold und Willi-Plein darin, dass es sich bei Levi um den Ahnherrn der Leviten handelt, dessen Bund für alle Priester gültig ist vgl. MEINHOLD, Maleachi, 91.146–150 und W ILLI-P LEIN, Haggai, Sacharja, Maleachi, 240 f. 144 Vgl. zur Auslegung von Mal 1,6–2,9 W ILLI-P LEIN, Haggai, Sacharja, Maleachi, 239–255.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
im Unterschied zu Ps 135 die kultische Bedeutung der Leviten in besonderer Weise profiliert. Zusammenfassend bleibt die Annahme, dass gerade eine solche Bedeutung der Leviten, wie sie in Mal 1,6–2,9, aber auch im späten priesterschriftlichen Schrifttum und in der Chronik herausgestellt wird, auch in Ps 135,20a zugrunde liegt.
Die Aufforderung, Jhwh zu preisen (V. 19 f), wird in V. 21 mit einem Segenswort abgeschlossen. Dabei nimmt V. 21 das Verb ›segnen/preisen‹ (UE Qal) als Partizip Passiv auf und formuliert, dass der Segen bzw. Lobpreis Jhwh gilt, dessen Residenzort der Zion ist bzw. der in Jerusalem wohnt. Damit wird die Exklusivität Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart sowie gegenüber anderen Göttern mit dem Tempel in Jerusalem verbunden. So zieht sich die Verhältnisbestimmung von Weltenherrscher und Schöpfer zu seinem Volk durch den gesamten Psalm und wird am Schluss des Psalms auf den Residenzort Jhwhs zugespitzt. Denn dort kristallisiert sich zum einen seine Wirkmacht als sein heilvolles Wirken in Schöpfung und Geschichte heraus. Zum anderen erfährt sich dort das Volk als Gottesvolk, das der einzige Gott erwählt hat und zu dem auch die Jhwh-Fürchtigen aus der Völkerwelt gehören.145 Auch formal unterstreicht der Psalm, dass der Zion bzw. der Tempel Kristallisationspunkt der Machterweise des universalen Gottes darstellt. In V. 2 werden die Knechte Jhwhs bereits im Tempel zum Lobpreis aufgefordert, so dass der Tempelbezug in V. 2 und V. 21 den Psalm rahmt. Zugleich wird durch den formulierten Segenswunsch »Es segne dich Jhwh vom Zion her, der Himmel und Erde gemacht hat« ein sprachlicher Bogen zum letzten Vers des Wallfahrtspsalters Ps 134,3 hergestellt.146 Dieser Segenswunsch aus Ps 134,4 wird in Ps 135 dann in seinen einzelnen Facetten ausgeführt. Durch diesen Bezug wird der Blick der Beter am Ende des Psalms zurück an seinen Anfang gelenkt, um sich die Machterweise des einzigen Gottes erneut zu vergegenwärtigen. 4. Fazit – Das Bekenntnis zu Jhwh als dem Gott der Götter in Psalm 135 Bei der Analyse haben sich für das Verständnis von Ps 135 zwei Aspekte als relevant erwiesen. Erstens handelt es sich um das theologische Profil des Psalms, das das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott in Schöpfung, Geschichte und für die Gegenwart der Beter entfaltet. Zweitens handelt es sich um die redaktionellen Bezugnahmen, die den Charakter des Psalms prägen.
145 Vgl. hierzu auch schon HUPFELD, Psalmen II, 610 und DELITZSCH, Psalmen, 821. Vgl. weiter HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 669 f. Anders BRIGGS/B RIGGS, Psalms II, 481, die die Fokussierung auf den Zion als Gegensatz zu dem im Psalm entfalteten Universalismus beschreiben. 146 Vgl. auch LEVIN, Psalm 136, 23.
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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Die Ergebnisse lassen sich anhand folgender Skizze zusammenfassen:
Skizze zu Psalm 135 I. Hinführung: Der Lobpreis des einen Gottes (V. 1–3) V. 1: Lobpreis Jhs (OOK): Ps 113,1 V. 1b–2: Aufforderung der Knechte Jhwhs im Haus Jhwhs zum Lobpreis ( OOK): Ps 134,1 V. 3: Aufforderung zum Lobpreis mit Begründung ( EZM\N OOK): Ps 136,1 (Ps 118,1.29) V. 4: Erwählung Israels: Begründung des Gotteslobs und Übergang zum Hauptteil: Dtn 7,6
II. Hauptteil: Die Exklusivität Jhwhs im Himmel und auf Erden (V. 5–18) V. 5: Das Bekenntnis zu Jhwh als dem Gott der Götter: Ex 18,10 f 1. Entfaltung: Jhwh als Schöpfer (V. 6 f): V. 6: Die Gesamtheit des Kosmos als Herrschaftsbereich Jhwhs V. 7: Jhwh als Herr des Wetters, der den Erhalt seiner Schöpfung gewährleistet: Jer 10,13 2. Entfaltung: Jhwh als Herr der Geschichte (V. 8–12): Ps 136,10.17–22 V. 8 f: Der erste Schlag (KNQ): Errettung vor den Feinden V. 8: Tötung der Erstgeburt: Ex 12,12.29 V. 9: Zeichen und Wunder als Machterweise Jhwhs: Ex 7,3–5 V. 10–12: Der zweite Schlag ( KNQ): Landnahme und Landgabe V. 10 f: Tötung vieler Völker einschließlich der ostjordanischen und kanaanäischen Könige V. 12: Gabe des Landes als Erbland für Israel, das Volk Jhwhs Anfang und Ende der fundierenden Heilszeit als Paradigma für die gesamte Geschichte 3. Entfaltung: Das Bekenntnis der Knechte Jhwhs zu seinem Namen (V. 13–14): Dtn 32,36 4. Entfaltung: Die Ohnmacht der Götterbilder (V. 15–18): Ps 115,4–8
III. Hymnischer Abgesang (V. 19–21): Die Aufforderung zum Lobpreis: Ps 118,2–4 ; 115,9–11.12 V. 19: Aufforderung an das Haus Israel und das Haus Aaron: ( UE Piel) V. 20: Aufforderung an das Haus Levi und die Jhwh-Fürchtigen: ( UE Piel) V. 21: Lobpreis des Jh vom Zion: ( UE Qal, Partizip Passiv) Die drei Ebenen der literarischen Bezugnahme in Ps 135: 1. die Subtexte aus dem Pentateuch und der prophetischen Tradition: kursiv 2. die redaktionellen Verklammerungen mit dem literarischen Kontext: Kontur 3. die redaktionellen sowie konzeptionellen relevanten Bezüge: Kontur und schattiert
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Die Entfaltung der Exklusivität Jhwhs eröffnet den Hauptteil des Psalms mit einem Bekenntnis zu Jhwh als Gott der Götter (V. 5). Dieses monotheistische Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott wird in dem folgenden Hauptteil in vier Schritten entfaltetet: Erstens wird Jhwh in V. 6f als Schöpfer des gesamten Kosmos dargestellt, dessen Herrschaftsgebiet Himmel, Erde, Meere sowie die chaotischen Elemente, die Tehemot, einschließt. Dies beinhaltet sein anfängliches Schöpfungshandeln, wie es in dem den Abschnitt einleitenden Satz »alles, was er wollte, hat er getan« zum Ausdruck gebracht wird. Der Fokus des schöpfungstheologischen Abschnitts liegt aber auf dem bewahrenden und versorgenden Handeln des Schöpfergottes, das Jhwh vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Wettergottheiten als Herr des Wetters zeichnet, der die Fruchtbarkeit auf der Erde garantiert (V. 7). Zweitens findet sich dieser traditionsgeschichtliche Hintergrund der Wettergottheiten auch in der Geschichtsreflexion in V. 8–12. Auf diese Weise wird durch das Schöpferhandeln Jhwhs der Raum für die Geschichte eröffnet. In dem Abschnitt (V. 8–12) wird Jhwh als Kämpfer illustriert, der mit zwei Schlägen, gegen Ägypten in V. 8f und gegen die Könige und Völker in V. 10–12, sein Volk vor seinen Feinden rettet. Dabei wird mit dem ersten Schlag, der Tötung der Erstgeburt, der Beginn der paradigmatischen Heilsgeschichte Israels in Erinnerung gerufen, während der zweite Schlag im Kontext von Landnahme und Landgabe steht und damit auf das Ende der fundierenden Heilszeit anspielt. Dadurch wird in Ps 135 nicht wie in den zuvor untersuchten Geschichtspsalmen Ps 78, 105, 106 und 136 eine Ereignisfolge der Heilsgeschichte skizziert, sondern diese auf ihren Anfangs- und Schlusspunkt reduziert. Insofern stehen die beiden Schläge Jhwhs bei der Tötung der Erstgeburt und bei der Landnahme exemplarisch für die Gesamtheit der paradigmatischen Heilsgeschichte Israels. Drittens wird in V. 13 f die Bedeutung der Machttaten Jhwhs für die Gegenwart und Zukunft der Beter dargestellt. Dies geschieht wie in V. 5 mit einem Bekenntnis zum Namen Jhwhs sowie zu seinem heilvollen Gedenken bis in fernste Zeit. Strukturell betrachtet werden die Machttaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte durch die beiden Bekenntnisse in V. 5 und V. 13 gerahmt. Viertens folgt ein Abschnitt in V. 15–18 über die Ohnmacht der Götterbilder, die sich zwangsläufig aus der zuvor entfalteten Exklusivität Jhwhs ergibt. Dabei zielt der Abschnitt aber nicht auf eine Gleichsetzung von Göttern und Götterbildern. Vielmehr geht es darum, die Götterbilder als Machwerk von Menschen, als leblos und ohnmächtig zu profilieren. Denn Lebendiges zu schaffen, ist schöpferische Schaffenskraft, die allein Jhwh zukommt. Zudem werden die vom Leben abgeschnitten, die die Exklusivität Gottes nicht erkennen (V. 18).
B. Ps 135 als eine Variation zu Ps 136
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Der Psalm schließt mit einem hymnischen Abgesang, in dem das Haus Israel, das Haus Aaron, das Haus Levi und die Jhwh-Fürchtigen zum Lobpreis aufgerufen werden. Dabei entspricht die Ausweitung des Gottesvolkes auf die Jhwh-Fürchtigen unter den Völkern dem universalen Anspruch des einzigen Gottes, dessen Herrschaftsgebiet auch die Völkerwelt umfasst. Zugleich wird im letzten Vers des Psalms der Zion bzw. Jerusalem als Residenzort des Weltenherrschers festgehalten (V. 21), wodurch die herausgehobene Stellung Israels in der Völkerwelt, wie sie bereits durch die Erwählung in V. 4 genannt ist, am Ende des Psalms bekräftigt wird. Des Weiteren wird das Thema der Einzigkeit Jhwhs sowie seines universalen Geltungsanspruchs durch die im Hintergrund stehenden Bezugnahmen auf den Pentateuch und die prophetische Tradition profiliert, die den Subtext des Psalms bilden. So verweist Ps 135,4 auf Dtn 7,6, in dem die Erwählung Israels zum Eigentumsvolk Jhwhs im Zusammenhang mit der Ablehnung anderer Götter sowie im Zusammenhang des Verbots steht, sich mit den fremden Völkern zu mischen. Demgegenüber wird die Völkerwelt in Gestalt Jethros mit einbezogen, der sich als Jhwh-Fürchtiger erweist. So wird in leicht abgewandelter Form sein Bekenntnis aus Ex 18,11 in Ps 135,5 aufgenommen, mit dem er Jhwh für seine heilvollen Taten an Israel preist und die Größe Jhwhs vor allen Göttern bekennt. Damit deutet Ps 135 das Bekenntnis Jethros aus Ex 18,10 f als Anerkennung der Einzigartigkeit Jhwhs durch einen Vertreter der Völkerwelt. Bei dem nächsten Subtext handelt es sich um die Aufnahme des götzenpolemischen Textes aus Jer 10,1–16. Dabei wird aber nicht die Götterbildpolemik aufgenommen, sondern mit Jer 10,12f der Erweis der Schöpfermacht Jhwhs, mit der die alleinige Wirkmacht begründet wird. Als letzter Text im Hintergrund von Ps 135 ist Dtn 32,36 zu nennen, auf den sich Ps 135,14 bezieht, um die Zuwendung Jhwhs als Richter zu seinem Volk und sein Erbarmen gegenüber seinen Knechten zu schildern. In Dtn 32 wird das im Zusammenhang mit einem Strafgericht an den Völkern entfaltet, das schließlich zur Verspottung der anderen Götter führt (V. 37 f) und in V. 39 in dem Selbstzeugnis Jhwhs als einzigem Gott gipfelt. All diese Belege zeigen, dass sich das Thema der Einzigkeit Jhwhs als Hintergrundfolie durch den gesamten Psalm zieht. Darüber hinaus hat sich der Psalm in hohem Maße als redaktionelles Kompilat erwiesen, der nicht nur Ps 115,4–8 und 136,10.17–22 zitiert, sondern darüber hinaus Ps 113,1, 115,9–11.12, 118,2–4 und 134,1.3 aufnimmt. So wird Ps 135 mit seinem literarischen Kontext verzahnt. In psalterkompositorischer Hinsicht ist die redaktionelle Bedeutung der Kompositionsbögen immer wieder angeklungen. Dieser Aspekt wird im folgenden Abschnitt ausgeführt, um sowohl die redaktionelle Funktion von Ps 135 im
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
fünften Psalmenbuch zu bestimmen als auch die Ergebnisse für die psalterkompositorische Einordnung von Ps 136 auszuwerten. C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
C. Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott in Psalm 135 und Psalm 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters? 1. Psalm 135 als redaktioneller Brückentext im fünften Psalmenbuch Bereits in der Kompositionsanalyse von Ps 135 ist deutlich geworden, dass die in psalterkompositorischer Hinsicht relevanten Bezugnahmen in Ps 135 auf zwei Ebenen liegen. Auf der ersten liegen diejenigen Verbindungen, die vom hymnischen Rahmen in Ps 135,1–3.19–21 in das fünfte Psalmenbuch hinein weisen und den Psalm auf diese Weise mit den ihm vorausgehenden Sammlungen verzahnen. Die zweite Ebene der redaktionellen Bezugnahmen richtet sich auf die Textpassagen in Ps 135,8–12.15–18, in denen ganze Abschnitte aus Ps 136,10.17–22 und Ps 115,4–8 nahezu wörtlich zitiert werden. Daher handelt es sich vor allem um konzeptionell entscheidende Bezugnahmen, durch die das theologische Profil von Ps 135 mitgestaltet wird. Auf der ersten Ebene sind in der vorangehenden Analyse fünf für die Kompositionsstruktur des fünften Psalmenbuches relevante Bezüge sichtbar geworden:147 Erstens wird der Beginn von Ps 113,1 im hymnischen Lobaufruf in Ps 135,1 zitiert, so dass die Anfänge beider Psalmen kompositionell verbunden sind. Zweitens wird in Ps 135,1 ein Bogen zum letzten Psalm des Wallfahrtspsalters Ps 134,2 geschlagen und die Situation der im Haus stehenden Knechte aufgenommen. Damit wird die kultische Situation aus Ps 134 übernommen und der Abschluss der Wallfahrtslieder Ps 120–134 bekräftigt. Der Kompositionsbogen wird in Ps 135,21 durch die Bezugnahme auf den letzten Vers des Wallfahrtspsalters in Ps 134,3 erneut aufgenommen und durch die Profilierung des Zion bzw. Jerusalems als Residenzort Jhwhs verstärkt.148 Mit dieser zweifachen Aufnahme von Ps 134 am Beginn und am Schluss von Ps 135 (V. 1.21) gestaltet der Psalm den Übergang von der in sich abgeschlossenen Sammlung der Wallfahrtspsalmen zu 147
Vgl. auch die Zusammenstellung bei HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 662 f und B ALLHORN, Telos, 252–255.262. 148 LEVIN, Psalm 136, 24 macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass sich der hymnische Imperativ ›Preist Jhwh‹ (KZK\WDZNUE) in Ps 135,19 f an Ps 134,3 orientiert und deswegen die Formel aus Ps 118,2–4 ›ja,/denn seine Güte ist für fernste Zeit‹ (ZGV[aOZ>O\N ) verändert worden sei.
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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den nun folgenden Psalmen und bettet diese so in den Kontext des fünften Psalmenbuches ein. Drittens ist die Formel in Ps 135,3 ›ja,/denn er ist gütig‹ (EZM\N) auf Ps 136 bezogen, der im Hauptteil von Ps 135 (V. 8–12) ein zweites Mal aufgenommen und an dieser Stelle ausführlich zitiert wird. Damit ist der hymnische Anfang von Ps 135 also nicht nur mit den ihm vorangehenden Sammlungen (Ps 111–118; 120–134) verbunden, sondern eröffnet zugleich den Blick auf den ihm folgenden Psalm. Parallel zum hymnischen Anfang von Ps 135 weist auch der hymnische Schluss psalterkompositorisch relevante Bezüge auf, durch die die Verknüpfung mit der Sammlung Ps 111– 118 verstärkt wird. Viertens nimmt Ps 135,19 f die Einteilung des Volkes in das Haus Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen aus Ps 118,2–4 auf und ergänzt mit dem Haus Levi noch eine weitere Differenzierung innerhalb Israels. Fünftens nimmt die Aufteilung Israels in das Haus Israel, das Haus Aaron, das Haus Levi und die Jhwh-Fürchtigen in Ps 135,19 f Bezug auf die Dreiteilung Israels in das Haus Israel, das Haus Aaron und die JhwhFürchtigen in Ps 115,9–11.12. Durch diese Bezugnahme wird der in den vorangehenden Abschnitten (V. 15–18) bereits zitierte Psalm abschließend in Erinnerung gerufen, so dass die Verbindungslinien zur Sammlung Ps 111–118 auch am Ende von Ps 135 im Vordergrund stehen. Insofern wird der Beter von Ps 135 in mehrfacher Hinsicht auf die Sammlung Ps 111–118 zurückverwiesen. Ihre psalterkompositorische Funktion, insbesondere der Psalmen 118 und 113, wird kontrovers diskutiert und setzt im Prinzip eine Kompositionsanalyse des gesamten fünften Psalmenbuches voraus.149 So geht Zenger von der Sammlung Ps 111–118 149 Forschungsüberblicke über die Redaktion des fünften Psalmenbuches finden sich bei LEUENBERGER, Konzeptionen, 269–276 sowie bei ZENGER, Komposition und Theologie des 5. Psalmenbuches, 101–106. Nach HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 17– 24 und ZENGER, Komposition und Theologie des 5. Psalmenbuches, 106–116 weist das fünfte Psalmenbuch eine konzentrische Struktur auf, in deren Zentrum die ›Tora-Meditation‹ Ps 119 steht. Dabei rahmen die Psalmengruppen Ps 113–118 und Ps 120–134.135 f den Psalm. »Die Psalmengruppen Ps 113–118 und 120–134.135–136 werden so zu Teilen der großen Dankliturgie für die Rettung, Restitution und Erneuerung Israels, die als zweiter Exodus begonnen hat (Ps 113–118) und sich in der Wallfahrt zum Zion als Mitte Israels fortsetzt« (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 19). Durch die Psalterredaktion werde die Struktur der Psalmengruppe Ps 113–118 verändert. Ps 113 erhalte eine Halleluja-Rahmung, so dass der Psalm mit den vorangehenden Zwillingen Ps 111 und 112, die jeweils Halleluja-Unterschriften haben, zu einer Trias zusammengefasst werde. Zugleich erhalten die Psalmen 115.116.117 eine Halleluja-Unterschrift und werden ebenfalls zu einer Trias zusammengestellt. Zur redaktionsgeschichtlichen Analyse des ägyptischen Hallels vgl. auch ZENGER, Gott Israels, 155–169 und HOSSFELD, Der gnädige Gott, 51– 63. Hossfeld arbeitet zwei verschiedene Menschenbilder heraus: zum einen das königliche Menschenbild in Ps 112.115 und zum anderen ein armentheologisches Menschen-
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aus, in der Ps 113 eine zweifache Funktion einnimmt. Zum einen schließt er die Halleluja-Triade von Ps 111–113 ab. Zum anderen leitet er zugleich das sogenannte ägyptische Hallel Ps 113–118 ein.150 Vor dem Hintergrund dieser Analyse bedeutet die Bezugnahme von Ps 135 auf Ps 113, dass Ps 135 den Scharnierpsalm der Sammlung aufnimmt. Die Kompositionsanalyse Zengers von Ps 111–118 wird allerdings von Leuenberger bestritten, der nicht von einer Halleluja-Triade in Ps 111–113 ausgeht. Er untergliedert die Sammlung Ps 111–117.118 nicht weiter, so dass dem Bezug von Ps 135 auf Ps 113 ein geringerer Stellenwert zukommt. Dennoch nimmt auch Leuenberger einen Einschnitt nach den beiden weisheitlichen akrostichischen Psalmen 111 f wahr. In diesem Zusammenhang betont er, dass Ps 113 dazu diene, Ps 111 f mit den nachfolgenden Psalmen zu verbinden und zugleich »nach der Horizonteröffnung [Ps] 111 f. … mit dem Lob des (aufgrund seiner Taten V. 7 ff.) erhabenen Königsgottes (ähnlich wie 111) …«151 einzusetzen. Auf diese Weise bestätigt auch er die herausgehobene Stellung von Ps 113 innerhalb der Sammlung. Auch wenn die psalterkompositorischen Überlegungen von Zenger und Leuenberger im Hinblick auf die Gesamtbeurteilung der Sammlung Ps 111–118 und ihrer Genese differieren, bemerken doch beide die Scharnierfunktion von Ps 113 im Rahmen der Psalmengruppe, durch die die Sammlung Ps 111–118 zusammengehalten wird. Vor diesem Hintergrund ruft Ps 135,1 durch die Aufnahme von Ps 113,1 nicht nur den Psalm an sich, sondern den Scharnierpsalm und damit bereits die gesamte Sammlung in Erinnerung. In ähnlicher Weise wird die psalterkompositorische Einordnung von Ps 118 in die Sammlung Ps 111–118 von Leuenberger und Zenger unterschiedlich beurteilt. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die redaktionellen Verbindungslinie, die von Ps 135 zu Ps 118 gezogen wird. Mit Zenger wird die Sammlung Ps 111–118 mit Ps 118 abgeschlossen,152 so dass Ps 135 nicht nur den Scharnierpsalm 113, sondern auch den Abschluss der Sammlung aufnimmt. bild in Ps 113.116.118. Anders ZAKOVITCH, Significance, 220–227, der von einer ursprünglichen Sammlung der drei akrostichischen Psalmen mit Torafokussierung in Ps 111.112.119 ausgeht, die durch das Hallel in Ps 113–118 unterbrochen werde. Mit der gleichen Redaktion sei der Exoduspsalm 114 ergänzt worden, so dass das Hallel eine Exodusperspektive erhalte. So entstehe eine Sammlung Ps 111–119, die mit Torapsalmen eröffnet und abgeschlossen werde. Durch die Ergänzung der Psalmen 113–118 werde zudem die Toraperspektive des Anfangs und Endes auf eine komplexe Weise vertieft. Zur Komposition der Sammlung Ps 113–118 vgl. weiter T RUBLET, Approche, 339–376. 150 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 252–254. 151 LEUENBERGER, Konzeptionen, 297. 152 Dies betont auch SCHRÖTEN, Entstehung, 106–112, die Ps 118 als Schlusspsalm des ägyptischen Hallels profiliert.
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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Leuenberger 153 hingegen fasst aufgrund der Halleluja-Überschriften Ps 111–117 zu einer Einheit zusammen, die ursprünglich aber mit Ps 118 abgeschlossen worden sei. Die Endredaktion des fünften Psalmenbuches habe durch die Hodu-Überschrift diese Struktur überlagert, so dass die mit der Formel ›Preist Jhwh‹ (KZK\O ZGZK) beginnenden Psalmen (Ps 106,1; 107,1; 118,1.29; 136,1.26) jeweils eine Untersammlung im fünften Psalmenbuch eröffnen. Währenddessen schließe der Halleluja-Ruf in Ps 111–117.135. 146–150 jeweils eine Untersammlung ab. Nach der These Leuenbergers würde der Bogen von Ps 135 zu Ps 118 bedeuten, dass nicht der Abschluss der Sammlung Ps 111–118, sondern der Beginn der Sammlung Ps 118– 135.136 aufgenommen wird.154 Zugleich aber wird diese These im Laufe seiner Untersuchung dahingehend modifiziert, dass Ps 118 und Ps 136 eigentlich beide Scharnierpsalmen darstellen, die sowohl eine Untersammlung abschließen als auch die folgende eröffnen. Daher nimmt Ps 135 auch nach Leuenberger mit Ps 118 einen für die Komposition der letzten Sammlungen des Psalters bedeutsamen Psalm auf, da durch ihn der Übergang zweier Sammlungen gestaltet wird. Diese psalterkompositorischen Überlegungen werden in konzeptioneller Hinsicht insofern verstärkt, als der Bezug von Ps 135 auf Ps 113 und auf Ps 118 gleichermaßen relevant ist. Denn beide Psalmen weisen eine Völkerperspektive auf, die für die universale Ausrichtung des Gottesbildes in Ps 135 von Bedeutung ist. In Ps 118,4 ist diese durch die Integration der Jhwh-Fürchtigen in das Gottesvolk gegeben. In Ps 113,4–6 zeigt sich die Völkerperspektive vor allem an Jhwhs Einzigkeit. Sein Machtbereich umfasst alle Höhen und Tiefen und schließt auch die Völkerwelt ein. Damit weist insbesondere Ps 113 eine theologische Nähe zum Profil von Ps 135 auf, in dem die Exklusivität Jhwhs anhand seiner Wirkmacht in Schöpfung und Geschichte herausgestellt wird. Aufgrund der oben dargestellten Bezüge hat sich Ps 135 als ein redaktioneller Text mit Kompilationscharakter erwiesen, der Kompositionsbögen zu dem vorangehenden Wallfahrtspsalter (Ps 120–134) sowie zu der Sammlung Ps 111–118 schlägt und zugleich einen Übergang zum folgenden Psalm 136 gestaltet. Dadurch entsteht ein redaktioneller Bogen, durch den einerseits der Wallfahrtspsalter mit seinem unmittelbaren Kontext verknüpft wird. Andererseits nimmt Ps 135 die Sammlung Ps 111–118 sowie Ps 136 auf, so dass Ps 135 einen Kompositionsbogen bildet, durch den die Sammlung Ps 111–118 mit Ps 136 verbunden bleibt. Dies gilt insbesondere durch die Bezugnahmen von Ps 135,19f auf Ps 118,2–4, da Ps 136 und Ps 118 ebenfalls eine vermutlich schon vor dem Einschub des Wallfahrtspsalters bestehende kompositionelle Verbindung aufgewiesen haben (Ps 153 154
Vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 276–282.367–372. So LEUENBERGER, Konzeptionen, 367–372.
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118,1.29; 136,1). Diese ist durch den Einschub des Wallfahrtspsalters unterbrochen worden und wird durch Ps 135 erneut redaktionell bekräftigt.155 Die zweite Ebene der redaktionellen Bezugnahme geht über die bisher dargestellten Kompositionsbögen hinaus, indem in Ps 135 ganze Abschnitte aus Ps 115 und Ps 136 nahezu wörtlich zitiert werden. Von daher dienen diese Bezugnahmen nicht nur der Gestaltung psalterkompositorischer Verbindungslinien, sondern darüber hinaus dem theologischen Profil von Ps 135. Signifikant ist, dass Ps 115 aus der Sammlung Ps 111–118 und Ps 136 die oben beschriebene redaktionelle Brückenfunktion von Ps 135 abbilden und damit einen besonderen Stellenwert erhalten. Diese komplexe sowohl psalterkompositorische als auch konzeptionelle Relevanz von Ps 115 und Ps 136 wird in den beiden folgenden Abschnitten entfaltet. a) Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott – Psalm 135 als Variante von Psalm 136 Der heilsgeschichtliche Abschnitt in Ps 135,8–12 ist nahezu wörtlich aus Ps 136,10.17–22 übernommen und von daher sowohl in konzeptioneller als auch in psalterkompositorischer Hinsicht für das Verständnis von Ps 135 relevant.156 Ps 135 übernimmt die in Ps 136,10–22 vorgegebene Struktur der Heilsgeschichte als zwei große Schläge Jhwhs (KNQ). Durch diese wird das heilsgeschichtliche Handeln Jhwhs in zwei Phasen unterteilt und schließt an die Entfaltung der Schöpfermacht Jhwhs an. Der erste Schlag illustriert in beiden Texten die Tötung der Erstgeburt, mit dem das heilsgeschichtliche Handeln Jhwhs eröffnet wird (Ps 136,10; 135,8). Der zweite Schlag beschreibt mit Landnahme und Landgabe den Zielpunkt von Jhwhs fundierenden Heilstaten (Ps 136,17–22; 135,10–12). Aufgrund der unterschiedlichen Struktur beider Psalmen unterscheiden sich lediglich die Verbformen. Werden in Ps 136,10.17 die Taten Jhwhs mit dem Partizip von ›schlagen‹ (KNQ) beschrieben, liegt in Ps 135,8.10 die Relativpartikel Y mit dem Verb in der Afformativkonjugation vor. 155
Vgl. hierzu auch LEVIN, Psalm 136, 25, der zudem herausstellt, dass Ps 135 die Funktion einer Klammer zukommt, durch die auch nach dem Einbau des Wallfahrtspsalters die Verbindung von Ps 118 und Ps 136 sichtbar bleibt, um die Schlussposition von Ps 136 zu erhalten. Vgl. zur redaktionellen Funktion von Ps 135 auch weiter B ALLHORN, Telos, 252–255, der Ps 135 als Summe der vorausgehenden Psalmen bezeichnet. Siehe unten C.2. (S. 362 ff). 156 Die Abhängigkeit von Ps 135 von Ps 136 ist in der Forschung weitgehend unumstritten. LEVIN, Psalm 136, 25 f geht davon aus, dass Ps 135 als Scharnierpsalm auf Ps 136 bereits zurückgreifen konnte. Nach KOCH, Psalter, 256 und MILLARD, Komposition, 78 sind die Psalmen 135 f an die Sammlung der Wallfahrtspsalmen angefügt worden. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 664 heben wie Levin die Brückenfunktion von Ps 135 hervor. Die Redaktion, die Ps 135 geschaffen hat, konnte auf einen älteren Ps 136 zurückgreifen und mit Ps 135 und Ps 136 den Abschluss des Zionspsalters schaffen.
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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Trotz dieser weitgehenden Übereinstimmung formuliert Ps 135 vor dem Hintergrund von Ps 136 seine eigene Geschichtskonzeption. Diese lässt sich besonders an den Formulierungen festmachen, mit denen Ps 135 bewusst von seiner Vorlage abweicht und auf diese Weise seine eigene Akzentuierung eingetragen hat: Die erste Differenz zwischen Ps 135 und Ps 136 besteht in der Formulierung des ersten Schlages gegen die Erstgeburt Ägyptens. Dabei bleibt Ps 135,8 enger an der Pentateuchvorlage, indem das Schlagen der Erstgeburt (a\UFP\UZNE ohne Präposition; in Ps 136,10: aK\UZNEE) beschrieben wird. Auf diese Weise wird in Ps 135,8 äquivalent zur Vorlage in Ex 12,12.29 betont, dass der Schlag Jhwhs ›vom Mensch bis zum Vieh‹ die gesamte Erstgeburt trifft. Diese Ergänzung fehlt in Ps 136,10. Zudem ist die Formulierung ›schlagen an‹ (E KNQ) nicht so deutlich darauf ausgerichtet, den Schlag gegen die Erstgeburt als Strafe gegen die Gesamtheit Ägyptens zu betonen. Stattdessen steht das sich an der Erstgeburt manifestierende Strafhandeln Jhwhs im Vordergrund.157 Bei der zweiten Differenz in Ps 135,9 handelt es sich um eine Eigenformulierung des Psalms, um über die Zeichen und Wunder sowie über die Formulierung ›in deiner Mitte, Ägypten‹ auf den Auszug zu verweisen. Dieser wird wiederum in Ps 136,11 explizit geschildert. Die dritte Differenz findet sich in dem Abschnitt über die Landnahme in Ps 135,10f, wo Ps 136,17f an drei Stellen abgewandelt wird. Erstens trifft der Schlag Jhwhs in Ps 135,10a ›viele Völker‹ (a\EU a\ZJ) statt in Ps 136,17 ›große Könige‹ (a\OGJ a\NOP). Zweitens tötet Jhwh in Ps 136,10b ›mächtige Könige‹ (a\PZF> a\NOP) statt ›starke Könige‹ (a\U\GD a\NOP) wie in Ps 136,18. Durch diese abweichende Akzentuierung übernimmt Ps 135,10 nicht die Intention von Ps 136,17f, die Größe und Stärke der Könige herauszustellen, sondern weitet den Kreis der mächtigen Könige auf viele Völker aus, um auf diese Weise den universalen Machtanspruch Jhwhs als Weltenherrscher zum Ausdruck zu bringen. Drittens wird das Gebiet der Landnahme nicht wie in Ps 136,19 f auf die beiden bedeutendsten ostjordanischen Königen Og und Sichon beschränkt, sondern um die Königtümer Kanaans erweitert. Dadurch wird das Geschehen von Landnahme und Landgabe auf das Westjordanland ausgeweitet. Diese unterschiedlichen Nuancierungen der Geschichtstaten Jhwhs in Ps 135,8–10 und Ps 136,10–22 weisen zugleich auf das differierende theologische Profil beider Psalmen hin. Denn mit der Ausweitung der Landnahme auf viele Völker und alle Königtümer Kanaans variiert Ps 135 sein Thema der alleinigen Wirkmächtigkeit Jhwhs und stellt Jhwh auf diese Weise als Herrn der Geschichte heraus, dessen Geltungsbereich die gesamte Völkerwelt umfasst. 157
Zur Funktion der Präposition E in Ps 136,10 f vgl. A.3.b)cc) (S. 331 ff).
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Auch die vierte Differenz zwischen beiden Geschichtsreflexionen unterstreicht dieses Profil von Ps 135. So stimmen Ps 136,21 f und Ps 135,12 in ihrer Beschreibung der Gabe des Landes zwar nahezu wörtlich überein. Allerdings variiert Ps 135,12b seine Vorlage an einem Punkt. Ist das Land in Ps 136,22 Erbland für Israel, ›seinen Knecht‹ (ZGE>), ist es in Ps 135,12 Erbland für Israel, ›sein Volk‹ (ZP>). Mit dieser Bezeichnung Israels als Volk Jhwhs wird Israel zum einen als Gottesvolk aus der Völkerwelt herausgehoben und damit die in V. 4 formulierte Erwählung sachlich aufgenommen. Zum anderen aber zielt diese Formulierung wiederum auf den universalen Geltungsanspruch Jhwhs, der die Völkerwelt mit einschließt und Israel als Eigentumsvolk des Weltenherrschers profiliert. In der Formulierung Israel als Knecht Jhwhs in Ps 136,22, die die herausgehobene Beziehung Israels als Knecht des Herrn aller Herren (Ps 136,3) betont, ist dieser universale Geltungsanspruch Jhwhs zwar impliziert. Die Deutung der Landgabe in Ps 136,17–22 zielt aber darauf, Jhwh als Herrn aller weltlichen Herren (Ps 136,4) darzustellen, dessen Knecht Israel ist. Die fünfte Differenz bezieht sich auf die Darstellung der fundierenden Geschichtstaten Jhwhs. In Ps 136 werden die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte auf das Wesentliche in einem bekenntnisartigen Satz zugespitzt. Das Grundsätzliche der einzelnen Ereignisse besteht darin, diese als Wundertaten Jhwhs zu verstehen. So entsteht eine Kette von Geschehnissen, die mit dem Auszug und der Errettung am Schilfmeer beginnt und auf die Gabe des Landes als Erbbesitz zuläuft. Auch in Ps 135 wird die Reflexion der Heilsgeschichte auf das Wesentliche hin verdichtet. Allerdings geschieht dies nicht wie in Ps 136, indem bekenntnisartige Sätze gebildet werden. Die beiden Schläge Jhwhs in Ps 135,8.10 gegen die Erstgeburt Ägyptens sowie gegen viele Völker und mächtige Könige beschreiben den Beginn und das Ziel der fundierenden Heilstaten Jhwhs in der Geschichte. Damit wird also in Ps 135 im Unterschied zu Ps 136 nicht ein Verlauf der Heilsgeschichte nachgezeichnet. Stattdessen stehen Anfang und Ende paradigmatisch für das Gesamte. Diese Differenzen zwischen den heilsgeschichtlichen Abschnitten in Ps 135,8–12 und Ps 136,10–22 machen die unterschiedliche Entfaltung der Einzigkeit Jhwhs sichtbar. So zielen die Veränderungen, die Ps 135 an seiner Vorlage vornimmt, darauf, Jhwhs universale Wirkmacht herauszustellen. Deswegen wird die Völkerwelt als Teil seines Herrschaftsbereichs explizit in den Blick genommen. In Ps 136 hingegen zielt der heilsgeschichtliche Abschnitt darauf, die einzelnen Geschichtstaten als Wundertaten Jhwhs zu erkennen, durch die er sich als Herr der Herren und damit als Weltenherrscher ausweist. Der Begriff der ›Wundertaten‹ Jhwhs (WZDOSQ, Ps 136,4), der als Themavers den gesamten Hauptteil von Ps 136 prägt und anhand dessen Jhwhs Taten in Schöpfung, Geschichte und
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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Gegenwart der Beter entfaltet werden, fehlt in Ps 135. Hier wird die Wirkmacht Jhwhs vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Wettergottheiten als ein machtvolles, kriegerisches Handeln profiliert. Darüber hinaus zeigt sich diese an den Geschichtskonzeptionen verdeutlichte Differenz beider Psalmen in der jeweils unterschiedlich akzentuierten Darstellung des Schöpfungshandeln Jhwhs (Ps 135,6 f; 136,5–9). Dies ist in beiden Psalmen zwar dem Geschichtshandeln Jhwhs sachlich vorgeordnet, in seiner Ausrichtung aber jeweils anders nuanciert. Auch dieser Unterschied hängt letztlich mit der in Ps 136 entfalteten und in Ps 135 fehlenden Kategorie der Wundertaten Jhwhs zusammen. In Ps 136,5–9.25 rahmen dementsprechend Jhwhs Schöpfungstaten seine Wundertaten in der Geschichte. In Ps 136,5–9 wird unter Aufnahme von Gen 1 das anfängliche Schöpfungshandeln in seinen Grundkonstanten von Raum und Zeit beschrieben und in V. 25 das versorgende und die Schöpfung garantierende Handeln Gottes (creatio continua) ergänzt. Somit erstreckt sich das Schöpfungshandeln Jhwhs, durch das die Beter die Güte (GV[) Jhwhs erfahren, vom Anfang bis in die Gegenwart und wird auch in fernster Zeit Gültigkeit haben, wie es im Kehrvers des Psalms zum Ausdruck gebracht wird. In Ps 135,6 hingegen geht es nicht darum, die Erschaffung von Himmel, Erde und Meeren selbst zu beschreiben, sondern darum, Jhwhs Herrschaftsanspruch über Himmel, Erde und Meere, d. h. über den gesamten Kosmos einschließlich der äußersten Tiefen, herauszustellen. Dieses Schöpfungshandeln Jhwhs wird in Ps 135,7 anhand der Wetterphänomene Wolken, Gewitter, Regen und Wind fortgeführt, durch das Jhwh seine Schöpfung in Gang hält und die Fruchtbarkeit auf der Erde gewährt, so dass die Einzigkeit Jhwhs vor dem Hintergrund der Wettergottattribute herausgestellt wird. Dementsprechend differiert auch das Verhältnis von Schöpfung und Geschichte in beiden Psalmen. In Ps 136 eröffnet das anfängliche Geschichtshandeln Jhwhs in V. 5–9 den Raum für die sich anschließenden Wundertaten Jhwhs in der Geschichte. In Ps 135 zeigt sich dagegen das vor dem Hintergrund von Wettergottattributen entfaltete Schöpfungshandeln Jhwhs insofern in seinem geschichtlichen Handeln, als die umfassende Lebensförderung auch den Bereich des Sozialen umfasst158 und Jhwh durch die zwei Schläge vornehmlich als Krieger agiert. Damit wird deutlich, dass es in Ps 135 im Unterschied zu Ps 136 nicht darum geht, die Schöpfertätigkeit selbst, sondern die Machtbereiche des einzigen Gottes herauszustellen. Kristallisationspunkt der Herrschaft Jhwhs in Ps 135 ist der Zion bzw. Jerusalem als sein Residenzort (Ps 135,21). Auf dem Zion, im Tempel erfahren die Beter, zu denen auch die Jhwh-Fürchtigen unter den Völkern gehören, die Einzigkeit Jhwhs als Herrn des gesamten Kosmos. So ist der Zion durchlässig für die hintergründige Präsenz des Wel158
So HARTENSTEIN, Wettergott, 94.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
tenherrschers. In Ps 136 fehlt ein Heiligtumsbezug. Da sich das Gotteslob in Ps 136 aber an den Gott der Götter, Herrn der Herren, Schöpfer und Herrn der Geschichte richtet, erweist sich implizit der gesamte Kosmos als Tempel. Denn die einst im Tempel erfahrene Lebensfülle erfahren die Beter durch die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte sowie in der ständigen Versorgung allen Fleisches (Ps 136,25). In diesem Sinn variieren beide Psalmen das monotheistische Bekenntnis zur Einzigkeit Jhwhs in Schöpfung und Geschichte je auf ihre Weise. Dabei liegt der Fokus in Ps 136 auf der alles umfassenden Herrschaft Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart der Beter, die sich in seinen ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) gezeigt hat und für die Beter durch seine ›Güte‹ (GV[) bis in fernste Zeit erfahrbar bleibt. Dieser Fokus auf die die Schöpfung, Geschichte und Gegenwart umfassende Herrschaft Jhwhs wird in Ps 135 insofern neu akzentuiert, als nun vor allem die Geltungsbereiche der göttlichen Herrschaft herauskristallisiert werden. So werden die Bereiche Himmel, Erde, Meere und Tehemot (Ps 135,6) als Geltungsbereiche von Jhwhs Schöpfungshandeln aufgezählt. Sein Geschichtshandeln zielt darauf, auch die Völkerwelt zu umfassen (Ps 135,10). Zugleich wird diese universale Perspektive in Ps 135 durch eine partikulare ergänzt, indem zum einen der Zion bzw. Jerusalem als Kristallisationspunkt dieser universalen Herrschaft Jhwhs am Schluss des Psalms festgehalten wird. Zum anderen wird Israel als Volk Jhwhs durch die Erwählung, die an den paradigmatischen Heilstaten in der Geschichte des Gottesvolkes sichtbar wird, aus der Völkerwelt herausgehoben. Auf diese Weise kann auch die Völkerwelt die Einzigkeit Jhwhs als Gott seines Volkes, als Gott vom Zion her, er- und bekennen.159 b) Das Bekenntnis zu Jhwh als alleinigem Gott in Psalm 115 und Psalm 135 Der Abschnitt über die Götterbilder in Ps 135,15–18 und der hymnische Absang in Ps 135,19f sind vor dem Hintergrund von Ps 115,4–8.9–13 formuliert worden, so dass Ps 115 in weiten Teilen in Ps 135 aufgenommen worden ist. In literarhistorischer Hinsicht spricht der im Ganzen deutlich redaktionelle Charakter von Ps 135 dafür, dass er Ps 115 aufgenommen und, wie für die Abschnitte aus Ps 136 bereits dargelegt, auch Ps 115 in seinem Sinn neu akzentuiert hat.160 Um das theologische Profil beider 159
Dies zeigt sich besonders an den aus dem Pentateuch und der prophetischen Tradition aufgenommenen Bezugstexten Dtn 7,6, Ex 18,10 f, Jer 10,13 und Dtn 32,36. 160 Zum redaktionellen Charakter von Ps 135 vgl. weiter C.1 (S. 344 ff). So auch B EYERLIN, Im Licht der Traditionen, 110–112, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 662–664 und LEUENBERGER, Konzeptionen, 314 f. Anders LEVIN, Psalm 136, 24. Levin geht aufgrund seiner Literarkritik in Ps 135 davon aus, dass Ps 115 jünger ist als Ps 135,
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Psalmen vergleichen zu können, werden im Folgenden zunächst Text und Struktur von Ps 115 dargestellt.
Psalm 115 1 Nicht uns, Jhwh, nicht uns, sondern deinem Namen gib Herrlichkeit, um deiner Güte, um deiner Treue/Wahrhaftigkeit willen! 2 Warum sollen die Nationen sagen: »Wo ist denn ihr Gott?« 3 Doch unser Gott ist im Himmel, alles, was er wollte, hat er getan. 4 Ihre Götterbilder (sind) Silber und Gold, ein Werk von Menschenhänden: 5 Einen Mund haben sie, aber reden nicht. Augen haben sie, aber sehen nicht. 6 Ohren haben sie, aber hören nicht. Eine Nase haben sie, aber riechen nicht. 7 Ihre Hände – aber sie fühlen nicht. Ihre Füße – aber sie gehen nicht. Nicht geben sie einen Laut mit ihrer Kehle. 8 Wie sie werden sein, die sie machen, alle, die auf sie vertrauen. 9 Israel, vertraue auf Jhwh! Ihre Hilfe und ihr Schild (ist) er. 10 Haus Aaron, vertraut auf Jhwh! Ihre Hilfe und ihr Schild (ist) er. 11 Jhwh-Fürchtige, vertraut auf Jhwh! Ihre Hilfe und ihr Schild (ist) er.
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weil die Abfolge in Ps 115,3 f die Abfolge der älteren Schicht in Ps 135,6–15 aufnimmt, aber die Zusätze in Ps 135,7–14 noch nicht kannte. Da Levin zudem das Haus Levi in Ps 135,20 als eine späte Hinzufügung betrachtet, nimmt Ps 115 damit also die Trias Haus Israel, Haus Aaron und Jhwh-Fürchtige aus Ps 118 und Ps 135 auf.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
12 Jhwh – er hat an uns gedacht, er möge segnen: Er segnet das Haus Israel. Er segnet das Haus Aaron. 13 Er segnet die Jhwh-Fürchtigen, die Kleinen samt den Großen. 14 Jhwh mehrt euch, euch und eure Kinder. 15 Gesegnet seid ihr von Jhwh, der Himmel und Erde gemacht hat. 16 Die Himmel (sind) Himmel für Jhwh, doch die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. 17 Nicht die Toten loben Jh und keiner von allen, die hinabsteigen in das Schweigen. 18 Wir aber wollen Jh preisen, von jetzt an bis in fernste Zeit. Lobt Jh!
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In formgeschichtlicher Hinsicht weist Ps 115 einen starken Mischcharakter auf, so dass sein Aufbau und seine Struktur in der Forschung recht unterschiedlich bestimmt worden sind.161 Betrachtet man den Psalm zunächst als komponierte Einheit, so kann er mit Zenger als »theologische Poesie bzw. poetisch imaginierte Liturgie«162 bezeichnet werden, in der das Thema der Einzigkeit Gottes, der Lebensfülle und Segen schenkt, in Abgrenzung zur Ohnmacht anderer Götter entfaltet wird. Formal lässt sich Ps 115 in vier Abschnitte gliedern: erstens in die Aufforderung zum Gotteslob in V. 1–3; zweitens in den Abschnitt über die Ohnmacht der anderen Götter in V. 4–8; drittens in die Aufforderung zum Vertrauen auf Jhwh in V. 9–11 und viertens in die Segenswünsche in V. 12–16.17 f.163 Der Psalm beginnt mit einer Aufforderung an Jhwh durch eine WirGruppe, seinen Namen gemäß seiner ›Treue‹ (WPD) und ›Güte‹ (GV[) erstrahlen zu lassen. Damit sind die beiden Qualitäten Jhwhs genannt, durch 161
Vgl. zur Zusammenstellung der Positionen HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 277 f, insbesondere die Versuche, aufgrund der liturgischen Elemente die hinter Ps 115 stehende Liturgie zu rekonstruieren. Vgl. auch BEYERLIN, Im Licht der Traditionen, 69– 75, der sich für eine literarische Kohärenz des Psalms ausspricht. 162 HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 278. 163 Anders HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 281, die V. 12–18 in die Segenswünsche in V. 12–15 und einen abschließenden Abschnitt in V. 16–18 über das Loben Jhwhs als Vollzug des geschenkten Lebens unterteilen.
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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die seine Wirkmacht auf der Erde erfahrbar wird. Diese durch das zweimalige ›nicht uns‹ (ZQO DO) betonte dringliche Aufforderung an Jhwh hat ihren Grund in der sich in V. 2 anschließenden Spottfrage der Völker »Warum sollen die Völker sagen, wo ist denn ihr Gott?«, 164 mit der die Völker die Wirkmacht Jhwhs verneinen.165 In V. 3 wird eine zweifache Antwort auf die Spottfrage der Völker mit Waw adversativum und der bewussten Aufnahme ›unser Gott‹ (ZQ\KODZ) formuliert. Der Nominalsatz in V. 3a beantwortet erstens, wo sich Jhwh in räumlicher Hinsicht aufhält, und benennt als Residenzort des Gottes Israels den Himmel. Dadurch lässt sich seine Macht nicht mehr geographisch auf Jerusalem konzentrieren. Sein Residenzort ist menschlichem Zugriff entzogen.166 Daraus folgt zweitens in V. 3b sein allmächtiges und universales Wirken: »Alles, was er wollte, hat er getan.«167 Dieser universale Machtanspruch des Himmelsgottes zieht nach sich, dass es außer ihm keine weiteren Götter geben kann, wie es im folgenden götzenpolemischen Abschnitt V. 4–8 ausgeführt wird. V. 4 beginnt mit einem Nominalsatz, dessen Subjekt nicht die Götter der Völker, sondern ihre ›Götterbilder‹ (aK\EF>) sind. Sie stehen dem Himmelsgott gegenüber. Damit wird die im Alten Orient vorausgesetzte Differenz zwischen Bild und Gottheit aufgehoben, und die Funktion der Götterbilder, die für den Menschen hintergründige Welt der Götter zugänglich zu machen, wird negiert.168 Im Ganzen zielen die Verse 4–8 darauf, die Wirkungslosigkeit der durch die Kultbilder erfahrbaren Götter darzustellen. Dabei entzündet sich die Kritik an den Götterbildern an deren Materialität, ohne dass sich eine satirische Darstellung über ihre Herstellung findet (vgl. Ps 135,15–18, anders Jes 40,18–20; 41,6f.24b.29b; 44,9–20; 45,15–17.20b; 46,5–7; Jer 10,1–16; Dtn 4,27–29). Stattdessen wird die Kritik auf die Leblosigkeit der Götterbilder als Werke von Menschen zugespitzt (V. 4). 164
Vgl. zur Spottfrage Ps 79,10. Ob man aber mit HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101– 150, 281 f aufgrund der Analogie der Spottfrage auch auf die hinter Ps 79 stehende bedrohliche Situation der Tempelzerstörung bzw. ihrer späteren theologischen Reflexion schließen darf, muss letztlich offenbleiben. Vermutlich dient die Spottfrage in Ps 115 eher einer grundsätzlich formulierten Ablehnung Jhwhs durch die Völker. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Beyerlins Datierung des Psalms in das Ende der Perserära, DERS., Im Licht der Traditionen, 111. 165 HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 282 f gehen hier von einer Doppelfrage aus, die sich zum einen auf die Hilflosigkeit Jhwhs beziehe. Zum anderen verweise das ›Wo‹ der Frage bereits auf die Bildlosigkeit des Jhwh-Kults. Die Völker erkennen Jhwh nicht an, weil sich seine Präsenz nicht in einem Bild manifestiere. 166 Vgl. hierzu BEYERLIN, Im Licht der Traditionen, 65. 167 Vgl. zu dieser Formel die Auslegung unter Ps 135,6, vgl. weiter BEYERLIN, Im Licht der Traditionen, 65. 168 Vgl. hierzu HARTENSTEIN, Unvergleichliche »Gestalt« JHWHs, 52, der diesen Zusammenhang als »ikonische Differenz« beschreibt. Vgl. weiter zur religionsgeschichtlichen Bedeutung von Kultbildern B ERLEJUNG, Ikonophobie, 210–215.232–234.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Dieses ›Menschenwerk‹ (KI>P) steht im Kontrast zu dem allein wirkmächtigen Gott in V. 3, der ›tut‹ (KI>), was ihm gefällt. In V. 5–7a folgen im Wechsel ein Nominalsatz und ein Verbalsatz. Ersterer stellt fest, welche Organe und Gliedmaßen, Mund, Augen, Ohren, Nase, Hände und Füße, die Götterbilder haben. Der Verbalsatz in der Präformativkonjugation bringt die Leblosigkeit dieser Organe und Gliedmaße bzw. ihre Untauglichkeit zum Ausdruck, z. B.: »Einen Mund haben sie, aber reden können sie nicht …«. In V. 7b ist ein weiterer Verbalsatz ergänzt, durch den die Unfähigkeit der Götterbilder geschildert wird, einen Laut aus ihrer Kehle zu geben.169 Der Abschnitt gegen die Götterbilder gipfelt darin, dass diejenigen, die auf sie vertrauen bzw. sie machen, genauso leblos sind wie die Götterbilder selbst (V. 8). Auf diese Weise weist V. 8 auf die Spottfrage der Völker aus V. 2 zurück, die die Divinität Jhwhs nicht anerkennen und stattdessen ihren leblosen und ohnmächtigen Götterbildern vertrauen. Im Kontrast zu diesem fehlgeleiteten ›Vertrauen‹ ([ME) der Völker werden im nächsten Abschnitt (V. 9–11) mittels eines litaneiartigen Aufrufs mit drei Imperativen Israel, das Haus Aaron und die Gottesfürchtigen zum ›Vertrauen‹ ([ME) auf Jhwh aufgerufen. Dabei bezeichnet Israel vermutlich Israel als Kultgemeinde, das Haus Aaron die Priesterschaft, und die Gottesfürchtigen schließen die Jhwh-Verehrer aus der Völkerwelt mit ein.170 Das Vertrauen auf Jhwh erweist sich für die Beter als ›Hilfe‹ (U]>) und ›Schutzschild‹ (JP).171 Im nächsten Abschnitt V. 12–16.17 f schließen sich Segenswünsche an, die im Gegensatz zu den leblosen Götterbildern Jhwh als Gott der Lebensfülle zeichnen und insofern die Vertrauensaufforderung aus V. 9–11 vertiefen. Der Abschnitt ist durchzogen von der Wurzel ›preisen/segnen‹ (UE). Er beginnt in V. 12 mit dem Gedenken Jhwhs, das seine gesamte heilvolle Zuwendung zu seinem Volk enthält. Sie wirkt sich für sein Volk als Segensfülle aus,172 die wie in V. 9–11 dem Haus Israel, dem Haus Aaron sowie den Jhwh-Fürchtigen gilt. Durch das in V. 13 hinzugefügte ›die Kleinen samt den Großen‹ wird herausgestellt, dass der Segen Jhwhs alle einschließt. Insofern impliziert der Segen, der in V. 14 unter Anspielung 169 Bei V. 7b könnte es sich um eine Ergänzung handeln, vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 281. Da aber der gesamte Vers 7 in Ps 135 nicht aufgenommen wird und zudem syntaktisch vom Vorherigen abweicht, geht B EYERLIN, Im Licht der Traditionen, 128–130 davon aus, dass der gesamte Vers 7 später hinzugefügt worden ist und Ps 135 noch nicht vorlag. 170 Vgl. SEYBOLD, Psalmen, 451. 171 SEYBOLD, Psalmen, 452 vermutet, dass hinter dieser Vertrauensaussage eine Bedrohung steht, aufgrund derer gerade die Schutzgewährung Jhwhs besonders hervorgehoben werden muss. 172 SEYBOLD, Psalmen, 452 vermutet in V. 12aC ein Erhörungsbekenntnis.
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auf den Mehrungssegen in Gen 1,28 illustriert wird, von Anfang an eine universalistische Ausrichtung, die die Völkerwelt mit einschließt. In V. 15 schließt sich ein Segensgruß an, in dem zum einen im Partizip Passiv Plural von ›segnen/preisen‹ (UE) die Personengruppen aus V. 12f zusammenfassend als ›Gesegnete vor Jhwh‹ bezeichnet werden.173 Zum anderen knüpft der Vers über das Partizip von ›machen‹ (KI>) an V. 3 und V. 8 an. Er begründet die von Jhwh gewährte Lebensfülle schöpfungstheologisch, da der von Jhwh gewährte Segen der Segen des Schöpfers des Himmels und der Erde ist. Dabei verweist das Partizip von KI> darauf, dass es sich bei Jhwhs Schöpfungshandeln nicht um die anfängliche, einmalige Erschaffung von Himmel und Erde handelt, sondern um die durch seinen Segen ständig erfahrbare Lebensfülle. Damit wird der aus der Priesterschrift bekannte Zusammenhang von der »›Dauerhandlung‹ der Erschaffung der Welt durch Jahwe, welche seine Segenshandlung einschließt«174 in Ps 115 aufgenommen. Zugleich steht Jhwhs alleinige ›Wirkmacht‹ (KI>) als Schöpfer von Himmel und Erde im Gegensatz zu den leblosen Götterbildern aus V. 4 und V. 8, die sich als ›Machwerk‹ (KI>P) von Menschen erwiesen haben.175 Insofern dient der Kontrast zur Leblosigkeit der Götterbilder dazu, den von Jhwh gewährten Segen und die damit verbundene Lebensfülle als dauerhaftes Schöpfungshandeln Jhwhs an den Betern darzustellen. Deswegen ist es auch wahrscheinlicher, die Präformativkonjugation in V. 12–14 nicht optativisch im Sinne von Segenswünschen (vgl. Num 6,24–26) zu verstehen, sondern indikativisch als reale Erfahrung der heilvollen Zuwendung Jhwhs.176 In V. 16 wird die Formel, dass Jhwh Himmel und Erde macht, ausgelegt. Dabei kommt, mit Rückbezug auf V. 3, Jhwh der Bereich des Himmels zu, während er die Erde den Menschen überlässt.177 Der Psalm schließt mit einem Lobgelübde in V. 17f, in dem der Status der eigenen Geschöpflichkeit und damit zugleich die eigene Lebendigkeit Zur Formel KZK\OZUE vgl. vor allem SCHARBERT, Art.UE, 815–819. Die Formel hält die Vorstellung fest, dass man vor der Gottheit eine Person rühmt, damit die Gottheit dann ihrerseits das betreffende Individuum als guten Menschen preist. Bezogen auf den Psalm bedeutet dies nach HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 287, dass sich diese rühmende Anempfehlung der Jhwh-Verehrer im Rezitieren des Psalms zeigt. 174 BEYERLIN, Im Licht der Traditionen, 57 und, ihm folgend, HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 287. Zum priesterschriftlichen Hintergrund von Ps 115 vgl. weiter B EYERLIN, Im Licht der Traditionen, 83–91.101–105. 175 Vgl. hierzu auch VOSBERG, Studien, 65 f, der hervorhebt, dass das in Ps 115 profilierte Kriterium des Gottseins die unbeschränkte und erwiesene Handlungsfreiheit, die Potenzialität und Dynamik Gottes ist, die im Gegensatz zur Leblosigkeit der Götter als menschliche Machwerke steht. 176 So auch BEYERLIN, Im Licht der Traditionen, 59 f und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 286 f, anders SEYBOLD, Psalmen, 452. 177 Vgl. wiederum den Bezug auf Gen 1,26–28, wie bereits in V. 14 vermerkt. 173
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
als Voraussetzung für das Gotteslob herausgestellt wird. Dazu setzt V. 17 mit den Toten ein, die Gott nicht loben,178 da der Machtbereich des Todes dem Machtbereich Jhwhs als Gott des Lebens entgegengesetzt ist. Im Kontrast dazu knüpft V. 18 mit einem Waw adversativum (Z) an, nimmt das Leitwort des Abschnittes ›segnen/preisen‹ (UE) wieder auf und betont wie V. 1 in der ersten Person Plural, dass die Beter von nun an bis in fernste Zeit Jhwh ›preisen‹ (UE) und durch das Gotteslob an der vom Schöpfergott ausgehenden Lebensfülle partizipieren werden.179 Somit zielt der Psalm darauf, die Einzigkeit Jhwhs und damit verbunden seine alleinige Wirkmacht im Himmel und auf Erden herauszustellen und diese schöpfungstheologisch zu begründen. Nach Ps 115 ist Jhwh als Schöpfer von Himmel und Erde der einzig wahre Gott, der Segen und folglich Lebensfülle und Schutz gewähren kann. Dieses monotheistische Bekenntnis wird im Kontrast zur Leblosigkeit der Götterbilder profiliert. Sprachlich wird der Gegensatz zunächst über das Stichwort ›machen/tun‹ (KI>) gestaltet. Denn während Jhwh als Schöpfer des Himmels und der Erde tut, was er will (Ps 115,3.15), handelt es sich bei den Götterbildern bloß um wirkungslose ›Machwerke‹ (KI>P) von Menschen. Aber auch die Konsequenzen dessen werden im Kontrast zueinander herausgestellt. Bedeutet das ›Vertrauen‹ ([ME) auf Jhwh Segen und Lebensfülle (V. 12–15), wird man durch das ›Vertrauen‹ ([ME, V. 8) auf die Götterbilder vom Bereich des Lebens abgeschnitten und erfährt sich als leblos (V. 8), den Toten gleich (V. 17).180 Indem Ps 115 wie Ps 135 das Bekenntnis zur Einzigkeit Jhwhs entfaltet, weisen beide Texte theologisch eine große Nähe zueinander auf. Zugleich unterscheiden sie sich aber in ihrer spezifischen Ausführung und geben somit dem monotheistischen Bekenntnis einen je eigenen Charakter. Doch trotz der jeweils eigenen Akzentuierung stimmen Ps 135 und Ps 115 in
178
Vgl. weiter z. B. Ps 6,6; 30,10; 88,11 f; Jes 38,18 f; zum Motiv vgl. die Ausführungen bei J ANOWSKI, Die Toten loben JHWH nicht, 200–243. 179 Die Aufnahme des Leitwortes UE sowie die formale Schwierigkeit, zwischen V. 15 und V. 16 einen Abschnitt zu markieren, sprechen gegen den von HOSSFELD/ZENGER , Psalmen 101–150, 278–280 vertretenen Aufbau des Psalms in fünf Abschnitte, die einer konzentrischen Anordnung folgen: Die beiden äußeren Abschnitte V. 1–3 und V. 16–18 seien Proklamationen, die jeweils eine Antithese zur Verweigerung bzw. Unterlassung des Gotteslobs durch die Völker enthalten (V. 2.17). Das spezifische Gottesprofil des Psalms werde in den beiden Mittelteilen V. 4–8 und V. 12–15 entfaltet. Dabei stehe die Leblosigkeit der Götterbilder als bloßer Machwerke von Menschen der durch den Segen geschenkten Lebensfülle des einzigen Gottes gegenüber. Im Zentrum des Psalms steht dann der Aufruf zum Vertrauen auf diesen in V. 9–11. 180 BEYERLIN, Im Licht der Traditionen, 116–119 beschreibt als Intention des Psalms, sich der alleinigen Wirkmacht Jhwhs und seines Segens in nachexilischer Zeit zu vergewissern, und spricht daher von einem ›Vergewisserungspsalm‹.
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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dreifacher Hinsicht sprachlich überein: erstens in der Formulierung von Ps 115,3/135,6, zweitens in dem Abschnitt über die Götterbilder in Ps 115,4– 8/135,15–18 sowie drittens in der Aufteilung des Gottesvolkes in das Haus Israel, das Haus Aaron und die Gottesfürchtigen in Ps 115,9–11.12 und Ps 135,19 f. Die erste sprachliche Übereinstimmung in Ps 115,3 und Ps 135,6 besteht in folgender Formulierung: »Alles, was er wollte, hat er getan«, um die alleinige Wirkmacht Jhwhs herauszustellen. Ps 115,3 Ps 135,6 Doch unser Gott a\,P9 E:Q\KHÆO^DZ( im Himmel, alles, was er SH¼[ UYD@O.Rº Alles, was er wollte, wollte, CKI > hat Jhwh getan: hat er getan. im Himmel und auf der Erde,
in den Meeren und
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CW$P $K7ON Z!a\0L) in Ps 115,15 schöpfungstheologisch begründet wird und das kontinuierliche Schöpfungshandeln Jhwhs profiliert. In Ps 135,6 hingegen wird die Formulierung durch die Bereiche von Himmel, Erde, Meere und Urfluten, die in Ps 115,3 fehlt, näher bestimmt. Sie zielt darauf, den gesamten Kosmos als Herrschaftsgebiet Jhwhs zu umreißen. Die zweite sprachliche Übereinstimmung findet sich in Ps 135,15–18 und Ps 115,4–8. Hierbei handelt es sich um eine nahezu wörtliche Deckung der beiden götzenpolemischen Abschnitte. Lediglich an zwei Stellen sind Abweichungen feststellbar. Erstens schließt die Aufzählung der Organe und Gliedmaßen in Ps 115,7 mit den Händen und Füßen der Götterbilder, während sie in Ps 135,17 auf den nicht vorhandenen Lebensatem der Götterbilder zuläuft. Ps 115,7 Ihre Hände – aber sie fühlen nicht. Ihre Füße – aber sie gehen nicht. Nicht geben sie einen Laut mit ihrer Kehle.
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Ps 135,17 Eine Nase – kein (Lebens-) Atem (ist) in ihrem Mund.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Durch die Zuspitzung auf den Lebensatem hebt Ps 135 hervor, dass wahrer Lebensatem ausschließlich von Jhwh, dem Schöpfer von Himmel und Erde, ausgehen kann.181 Mit dieser Akzentuierung hängt vermutlich auch die zweite Differenz zusammen. Denn um diesen Höhepunkt der Polemik in Ps 135 besonders zu betonen, fällt Ps 135,17 syntaktisch aus der Reihung von Partizip und Verbalsatz heraus. Stattdessen wird nur das Organ Nase genannt, dem ein Nominalsatz folgt. Durch diese Veränderung ist der götzenpolemische Abschnitt in Ps 135 gegenüber Ps 115 deutlicher schöpfungstheologisch akzentuiert. Die dritte sprachliche Aufnahme in Ps 135,19 f aus Ps 115,9–11 ist nicht in gleicher Weise wörtlich gestaltet. Ps 115,9–11 9 Israel, vertraue auf Jhwh! Ihre Hilfe und ihr Schild (ist) er. 10 Haus Aaron, vertraut auf Jhwh! Ihre Hilfe und ihr Schild (ist) er.
11 Jhwh-Fürchtige, vertraut auf Jhwh! Ihre Hilfe und ihr Schild (ist) er.
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Ps 135,19 f ODHUI\,ºW\%H 19 Haus Israel, KZK\!WD:N½U@% ¼ preist Jhwh!
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Haus Aaron, preist Jhwh!
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20 Haus des Levi, preist Jhwh! Jhwh-Fürchtige, preist Jhwh!
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Zunächst wird der Aufteilung des Gottesvolkes in Haus Israel, Haus Aaron und in die Jhwh-Fürchtigen eine weitere Kategorie, das Haus Levi, hinzugefügt. In Ps 135,19 f werden dann das Haus Israel, das Haus Aaron, das Haus Levi und die Jhwh-Fürchtigen aufgefordert, Jhwh zu preisen. Dazu wird zwar wie in der Aufforderung in Ps 115,9–11 ein Imperativ Plural verwendet. Allerdings steht hier nicht der Imperativ von ›vertrauen‹ ([ME, Ps 115,9–11), sondern der Imperativ von ›segnen/preisen‹ (UE). Auf diese Weise kommt das Leitwort des letzten großen Abschnitts in Ps 115,12– 16.17 f in Ps 135 vor. Sprachlich besteht die größte Nähe von Ps 135,19 f zu Ps 115,12. Aber anders als in Ps 115,12 ist nicht Jhwh Subjekt, der das Haus Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen segnet. Stattdessen werden diese einschließlich des Hauses Levi aufgefordert, Jhwh zu ›prei181
Vgl. hierzu VOSBERG, Studien, 74.
C. Ps 135 und 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters?
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sen‹ (UE). In Ps 135 wird also nicht die Entfaltung der durch den Segen gewährten Lebensfülle aus Ps 115 aufgenommen, sondern nur das Gotteslob als Antwort auf den sich in Schöpfung und Geschichte erweisenden Gott. Dieser Aspekt gehört zu den zentralen Differenzen beider Psalmen, durch die die jeweilige Entfaltung des monotheistischen Bekenntnisses anders akzentuiert wird. In Ps 115 erweist Gott seine Einzigkeit und alleinige Wirkmacht darin, dass er als Schöpfer von Himmel und Erde Lebensfülle garantiert. Deswegen zielen die Schöpfungsaussagen auch nicht auf die anfängliche Schöpfung, sondern auf Jhwhs fürsorgendes und seine Schöpfung bewahrendes Handeln, das die Beter in Schutz und Segensfülle erfahren. In Ps 135 hingegen erweist Jhwh seine Einzigkeit und alleinige Wirkmacht in seinen Taten in Schöpfung (V. 6 f) und Geschichte (V. 8–12), aus denen die Beter Jhwhs Zuwendung auch für ihre Gegenwart und Zukunft schließen können, so dass sie in das Gotteslob einstimmen. Insofern nimmt auch die Götzenbildpolemik in beiden Psalmen eine unterschiedliche Funktion ein. In Ps 115 dient sie vor allem zur Kontrastierung und ist aufgrund der kunstvollen Verknüpfung zu den anderen Abschnitten (V. 2.8.17) ein zentraler Bestandteil der Argumentation. In Ps 135 hingegen liegt der Schwerpunkt auf den Machterweisen Jhwhs in Schöpfung und Geschichte, in der sich die Einzigkeit Jhwhs erweist, die die Ohnmacht anderer Götter bzw. deren Bilder unweigerlich zur Folge hat. Auf diese Weise wird in Ps 135 das in Ps 136 entfaltete monotheistische Bekenntnis des einen Gottes in Schöpfung und Geschichte mit der Thematik der Götterbilder verschränkt. Denn auch in Ps 136,2f wird die Exklusivität und alleinige Wirkmacht Jhwhs in Schöpfung und Geschichte als Gott der Götter und Herr der Herren gepriesen. Von daher ist der Abschnitt im Unterschied zu Ps 115 kein zentraler Bestandteil der Argumentation. So lässt sich zwar wie in Ps 115 auch in Ps 135 der Kontrast zwischen der Allmacht Jhwhs (V. 3) und der Ohnmacht der Götterbilder (V. 15.18) durch das Stichwort ›machen/tun‹ (KI>) nachzeichnen. Aber dieser Gegensatz ist in Ps 135 nicht in gleicher Weise ausgestaltet wie in Ps 115, wo er sich durch den gesamten Text zieht (V. 3.4.8.15). Zusammenfassend ist somit festzuhalten: Beide Psalmen entfalten die Einzigkeit Jhwhs als Schöpfer von Himmel und Erde. In Ps 115 erweist sich diese in Segen und Lebensfülle, die in Abgrenzung zu den Götterbildern der Völker entfaltet wird. In Ps 135 wird Jhwhs Einzigkeit in seinen Taten in Schöpfung und Geschichte dargestellt, durch die die Beter die Gewissheit erlangen, dass sich Jhwh auch in ihrer Gegenwart und bis in fernste Zeit als einzig wirkmächtiger Gott erweisen wird. Damit wird in Ps 135 der für Ps 115 zentrale Aspekt der Lebensfülle nur indirekt in Ps 135,14 und über das in Ps 135,19 f formulierte Gotteslob aufgenommen. Zugleich wird durch die Aufnahme von Ps 136 der Aspekt der Geschichts-
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
mächtigkeit Jhwhs ergänzt, um den umfassenden Geltungsanspruch des einzigen Gottes zum Ausdruck zu bringen. c) Fazit Ps 135 hat sich auf beiden beschriebenen Ebenen als ein redaktioneller Text mit Kompilationscharakter erwiesen, der für seinen Kontext geschaffen worden ist. Bei der ersten Ebene handelt es sich um die sprachlichen Bezugnahmen, die vom hymnischen Anfang (Ps 135,1–3) und Schluss (Ps 135,19–21) ausgehen, um den Psalm in seinem literarischen Kontext zu verankern. Die auf dieser Ebene entstandenen Kompositionsbögen zu Ps 113,1, 115,9–11.12, 118,2–4, 134,2.3 und 136,1 dienen dazu, eine Brücke über die Sammlung der Wallfahrtspsalmen 120–134 zu den Psalmen 111– 118 zu schlagen und diese wiederum mit Ps 136 zu verbinden.182 Diese redaktionelle Brücke, durch die vor allem die Sammlung Ps 111– 118 sowie Ps 136 aufgenommen werden, wird auch im theologischen Profil des Psalms abgebildet. Dazu wird auf der zweiten Ebene der redaktionellen Verknüpfungen durch die nahezu wörtliche Aufnahme und gleichzeitige Neuakzentuierung von Ps 115,4–8 und Ps 136,10–22 in Ps 135,8– 12.15–18 das Thema des Psalms, die Exklusivität Jhwhs, profiliert. Insofern hat sich Ps 135 als ein redaktioneller Brückentext mit Kompilationscharakter erwiesen, der durch die Kompositionsbögen nicht nur auf der literarischen Ebene einen Übergang zu Ps 136 schafft, sondern darüber hinaus auch das in Ps 136 entfaltete monotheistische Bekenntnis zu Jhwh als dem einen Gott in Schöpfung und Geschichte vorbereitet. Diese Funktion von Ps 135 als redaktionelle Klammer, durch die die vermutlich vor dem Einschub des Wallfahrtspsalters existierende Verbindung von Ps 118 und Ps 136 wiederhergestellt wird, wirft nun erneut die Frage nach der psalterkompositorischen Einordnung von Ps 136 auf. 2. Psalm 136 als vorläufiger Abschluss des Psalters? Die oben dargelegte redaktionelle Scharnierfunktion von Ps 135 hat nun auch psalterkompositorische Auswirkungen auf Ps 136. Dabei kommen im Hinblick auf das redaktionelle Verhältnis von Ps 135 zu Ps 136 prinzipiell zwei Möglichkeiten in Betracht. Leuenberger und Hossfeld/Zenger gehen davon aus,183 dass die Gestaltung von Ps 135 sowie die Einfügung von 136 auf dieselbe Redaktion zurückgehen. Diese Annahme setzt Ps 136 als 182 Dass die Geschichtskonzeption durch die Aufnahmen aus Ps 136 und nicht aus Ps 114 erfolgt sind, unterstützt die redaktionelle Funktion von Ps 135, wieder einen Bogen von Ps 136 zur Sammlung Ps 111–118 herzustellen. 183 Vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 276–288.369–389 und HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 17–26.663 f.670 f.
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einen bestehenden Einzelpsalm voraus, der mit Ps 135 als Abschlusspsalm in ein Psalmencorpus 2–136* eingefügt worden ist. Die zweite Variante, die von Levin vertreten wird, geht davon aus,184 dass es bereits vor der Einfügung des Wallfahrtspsalters ein Psalmencorpus 2–136* gegeben hat, das mit Ps 136 abgeschlossen worden ist. Die Ergänzung von Ps 135 geht dann auf die Redaktion zurück, die den Wallfahrtspsalter in das bestehende Corpus eingefügt hat, um die ursprüngliche Verbindung von der Sammlung Ps 111–118 zu Ps 136 wiederherzustellen.185 Welche der beiden Alternativen die größere Plausibilität hat, hängt nicht nur von der bereits aufgezeigten redaktionellen Funktion von Ps 135 ab. Vielmehr ist zu fragen, ob Ps 136 ohne Wallfahrtspsalter als Abschlusspsalm des Corpus Ps 2–136* eine Plausibilität zukommt. Geht man mit Levin von der Annahme eines mit Ps 136 endenden Psalters aus, ist der Blick zunächst auf diejenigen Signale zu richten, durch die sich Ps 136 selbst als ein solcher Abschlusspsalm auszeichnet. In konzeptioneller Hinsicht ist hierbei vor allem auf die liturgische Form von Ps 136 sowie die zu einem Bekenntnis verdichteten Aussagen über die Einzigkeit Jhwhs zu verweisen, die sich in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart der Beter anhand seiner ›Wundertaten‹ (WZDOSQ) manifestieren. In psalterkompositorischer Hinsicht wird dieser Eindruck durch die Ps 136 strukturierende Formel ›Preist Jhwh, ja,/denn er ist gütig, ja,/denn seine Güte ist für fernste Zeit‹ (ZGV[ aOZ>O \N EZM\N KZK\O ZGZK) bestätigt, die sich auch noch in Ps 106,1, 107,1 und 118,1.29 findet. Dabei verbindet die HoduFormel insbesondere Ps 118 und Ps 136 miteinander, da beide Psalmen durch diese Formel gerahmt sind (Ps 118,1.29 und Ps 136,1.26). Hingegen werden die Psalmen 106 und 107 (jeweils V. 1) nur durch sie eingeleitet. Deswegen geht Levin davon aus, dass Ps 118,2–4 ursprünglich direkt an Ps 136 angeschlossen habe und als liturgische Regieanweisung für das Wechselgebet in Ps 136 bestimmt gewesen sei.186 Er stützt seine These zum einen damit, dass in 11QPsa Ps 118* direkt hinter Ps 136 steht. Zum anderen stelle der Hodu-Aufruf zugleich eine psalmeinleitende Formulierung dar, so dass die Endgestalt von Ps 118 wiederum auf Ps 136 verweise. Hinter der durch die Hodu-Formel zusammengehaltenen Endgestalt von Ps 118 verbergen sich nach Levin verschiedene selbstständig überlieferte Einzelstücke: eine Toda (V. 5.14.17–19.21.28), ein Vertrauenslied (V. 6 f.10– 13), ein t́ǀb-min-Spruch, ein altertümlicher Jhwh-Hymnus (V. 15 f) sowie das Bruchstück eines Festpsalms (V. 21.28). Diese Einzelstücke aus Ps 118 sowie Ps 119 und der Wallfahrtspsalter einschließlich des Scharnierpsalms 184
Vgl. LEVIN, Psalm 136, 23–25. Eine dritte Variante, nach der Ps 136 den Wallfahrtspsalter in ein bestehendes Psalmencorpus 2–136* (ohne Ps 135) einbindet, vertritt K RATZ, Schema c, 631 f. 186 Vgl. hierzu die Argumentation bei LEVIN, Psalm 136, 19–23. 185
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
135 seien dann in den bereits bestehenden Hodu-Rahmen von Ps 118 und Ps 136 eingeschoben worden. Insofern impliziert die von Levin herausgestellte psalterkompositorische Bedeutung der Hodu-Formel, dass Ps 118 und Ps 136 unabhängig von Ps 135 aufeinander bezogen worden sind. Darüber hinaus ist die psalterstrukturierende Funktion der Formel aber noch näher zu bestimmen, um zu entscheiden, ob diese Verbindung von Ps 118 und Ps 136 bereits vor dem Einschub des Wallfahrtspsalters bestanden hat.187 Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass die Verwendung der Hodu-Formel in Ps 106 und Ps 107 der Verwendung in Ps 118 und Ps 136 entspricht. Denn in Ps 106 schließt sie die Sammlung Ps 101–106 ab und eröffnet mit Ps 107 zugleich die Psalmengruppe 107–118.188 Wie in Ps 106, so beschließt die Formel auch in Ps 118,1.29 die Psalmengruppe Ps 111–118, während mit Ps 136 die letzte Davidsammlung in Ps 138–145 eröffnet wird.189 Zugleich entsteht durch die Formel ein Bogen von Ps 136 zu Ps 100,4 f zurück. Das bedeutet, dass auf der Ebene des Endtextes anhand der Hodu-Formel jeweils Übergänge zwischen den Sammlungen Ps 100/101–136* markiert werden. Hinzu tritt noch ein inhaltlicher Aspekt. In Ps 105 f und Ps 107 verläuft die gedankliche Linie von der paradigmatischen Darstellung der Geschichte zum Schicksal des paradigmatischen Einzelnen. In Ps 118190 und Ps 136 verläuft diese Linie genau andersherum: vom paradigmatischen Einzelnen in Ps 118 zur Geschichtsreflexion in Ps 136. Dass die Rettungserzählungen in Ps 118 und Ps 107 aber zugleich zum Paradigma für das gesamte Volk werden können, ist in beiden Psalmen bereits im hymnischen Rahmen angelegt. So werden in Ps 107,2 f die Rettungserzählungen von den Erlösten und von Jhwh Gesammelten einem Kollektiv erzählt.191 In Ps 118,2–4 werden Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen aufgerufen, die Güte Jhwhs zu preisen, die in den folgenden Rettungserzählungen erfahrbar geworden ist. Diese auf der Ebene des Endtextes beschriebene Analogie in der Verwendung der Hodu-Formel tritt noch deutlicher hervor, wenn man davon ausgeht, dass der Wallfahrtspsalter und Ps 135 noch nicht in den Psalter eingefügt worden sind. Denn vor diesem Hintergrund werden 187 So KRATZ, Sch ema c, 631 f; zur kompositionellen Funktion von Ps 118 vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 279–282. 188 Zur Entstehung der Psalmengruppe 107–118, bestehend aus der Kleinkomposition Ps 108–110, der Sammlung Ps 111–118 sowie dem redaktionellen Psalm 107, vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 285 f.367–369 und H OSSFELD/ZENGER , Psalmen 101–150, 19 f. 189 Zur Diskussion der letzten Davidsammlung, insbesondere in Auseinandersetzung mit den Thesen von Ballhorn und Leuenberger, vgl. GROL, David, 309–337. 190 Zur Gliederung von Ps 118 vgl. MARK, Meine Stärke, 192–219. Die Verse 1.2–4 und 29 bilden den hymnischen Rahmen um eine zweifache Erzählung von der Errettung aus der Not (V. 5–12; 13–18) und einer endzeitlichen Dankfeier (V. 19–28). 191 Zu Ps 107 vgl. Kapitel 3 C.5. (S. 284 ff).
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durch die Hodu-Formel Übergänge von jeweils aufeinander folgenden Psalmengruppen herausgehoben.192 Bei aller Analogie in der Verwendung der Formel bleibt aber zu beachten, dass ihr in Ps 136 eine dem gesamten Psalm strukturgebende Funktion zukommt, so dass sie in ihrer Bedeutung für den Psalm von Ps 106, 107 und 118 abzuheben ist. Wird dieses berücksichtigt, ist die Analogie in der Verwendung der Hodu-Formel dahingehend zu modifizieren, dass durch sie der Übergang der Psalmengruppe 101–106 zu Ps 107–118 sowie Anfang und Ende der Sammlung Ps 107–118 markiert werden. Durch diese Strukturierung entsteht ein Kompositionsbogen, der von der Psalmengruppe 101–106 über Ps 107–118 auf den durch die Formel charakterisierten Psalm 136 zuläuft und zugleich auf Ps 100 zurückweist. Dadurch wird Ps 136 als vorläufiger Abschlusspsalm eines Psalters 2–136* profiliert. Zugleich stützt diese parallele Gestaltung der Psalmenpaare Ps 106 – Ps 107 und Ps 118 – Ps 136 die These, dass eine ältere Psalmensammlung ohne den Wallfahrtspsalter mit Ps 136 geendet haben könnte, zumal Ps 135 die redaktionelle Funktion zukommt, eine psalterkompositorische Brücke zwischen der Sammlung Ps 111–118 und Ps 136 zu schlagen. Diese Beobachtungen, die einen vorläufigen, mit Ps 136 als Schlusspsalm endenden Psalter plausibel machen, werden dadurch weiter bestätigt, dass Ps 136 vor allem konzeptionell entscheidende Kompositionsbögen zu den vorangehenden Sammlungen des Psalters aufweist. Auch diesbezüglich lässt sich wieder eine strukturelle Gemeinsamkeit mit dem Psalmenpaar 106 und 107 erkennen. Ps 106 endet zwar in V. 48 mit der typischen buchabschließenden Doxologie, durch die die Einteilung in das vierte und fünfte Psalmenbuch entsteht,193 weist aber zugleich sprachliche Verbindungslinien zu Ps 107 auf. Durch diese ist der Übergang der beiden Samm192
Auf der Endtextebene weisen Ps 118 und Ps 136 noch eine weitere kompositorische Gemeinsamkeit auf: Bevor sich nach Ps 118 mit dem Wallfahrtspsalter die nächste Sammlung anschließt, ist ein Einzelpsalm Ps 119 ergänzt worden. Dasselbe Phänomen findet sich in Ps 136. Bevor mit Ps 138 die letzte Davidsammlung beginnt, ist mit Ps 137 ein Einzelpsalm zwischen Ps 136 und Ps 138 eingefügt worden. Ps 137 und Ps 119 weisen in allen Redaktionsmodellen zum fünften Psalmenbuch Schwierigkeiten bei der Zuordnung auf. Ihre Stellung im Kontext scheint mir bisher noch nicht wirklich gelöst worden zu sein. Jüngst hat ZAKOVITCH, Significance, 218–227 vorgeschlagen, Ps 111.112.119 als eine ursprüngliche Psalmensammlung zu verstehen, da diese drei Psalmen durch vielschichtige sprachliche Bezüge aufeinander bezogen sind. Zudem handelt es sich bei allen drei Psalmen sowohl um akrostichische Psalmen als auch um Torapsalmen. Diese Sammlung wurde durch den späteren Einschub des Hallel Ps 113–118 einschließlich des Exoduspsalms 114 unterbrochen. Zur Kompositionsstruktur der Sammlung Ps 113–118 vgl. weiter TRUBLET, Approche, 339–376; LEUENBERGER, Konzeptionen, 299–301.321–324.369–379 und LEVIN, Psalm 136, 26 f. 193 Zur Diskussion um die Entstehung der Büchereinteilung im Psalter siehe Kapitel 3 B.3.f) (S. 235 ff).
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lungen Ps 101–106 zu Ps 107–118 gestaltet.194 Auch Ps 136 weist durch seine lexematischen Bezugnahmen zu Ps 118 und Ps 135 deutlichere Verbindungen zur vorherigen Sammlung auf als zur folgenden.195 In diesen Zusammenhang gehört auch die Beobachtung, dass die Formulierung in Ps 136,4 ›der allein Wunder tut‹ (ZGEO WZDOSQ KI>) nur noch ein weiteres Mal im Psalter im Rahmen der Schlussdoxologie des Psalmenbuches in Ps 72,18 vorkommt,196 so dass ein psalterkompositorischer Bogen von Ps 136,4 zum Abschluss des zweiten Psalmenbuches entsteht. Ob Ps 136,4 die Formulierung allerdings bewusst aufnimmt, um einen Bogen zum Ende des zweiten Psalmenbuches zu schlagen, oder ob das literarische Verhältnis andersherum zu beschreiben ist, hängt von der entstehungsgeschichtlichen Analyse der Schlussdoxologien ab.197 Konzeptionell bedeutsam für die Frage nach der redaktionellen Funktion von Ps 136 im Psalter ist aber im Vergleich von Ps 136,4 und Ps 72,18, dass Jhwh in beiden Psalmen als einziger Gott und damit zusammenhängend seine weltweit alleinige Wirkmacht gepriesen werden. Im Unterschied zu Ps 136 wird diese theokratische Profilierung in Ps 72,18 dem davidischen Königtum gegenübergestellt. Ob nun Ps 136,4 den Bogen zu Ps 72,18 bewusst gestaltet oder sich der redaktionelle Zusammenhang andersherum darstellt, ist für die beobachtete generelle Tendenz, dass Ps 136 vor allem psalterkompositorisch relevante Bezüge zu den ihm vorangehenden Psalmen aufweist, nicht entscheidend. Bedeutsam ist vielmehr die Tatsache, dass auf der Ebene des Endtextes neben dem Ende des vierten Psalmenbuches auch auf das Ende des zweiten zurückgegriffen wird, wenngleich dieser Rückgriff im Vergleich zu den gezielt und differenziert gestalteten Bezügen zu Ps 106,1, 107,2 f und 118,2–4 von geringerer psalterkompositorischer Relevanz zu sein scheint. Aber nicht nur die redaktionellen Verbindungen zu den vorangehenden Sammlungen erhärten die These, dass eine Vorstufe des Psalters mit Ps 136 abgeschlossen worden sein könnte. Auch die Gegenprobe zeigt, dass die von Ps 136 ausgehenden kompositionellen Bezugnahmen auf die folgenden Psalmen weniger aussagekräftig sind. Dem stellt Leuenberger, der in seinem Konzept einer Ablauflesung Ps 136 zugleich als Eröffnung der letzten Davidsammlung profiliert, eine enge konzeptionelle Verbindungslinie von Ps 136 zum letzten Psalm der Davidsammlung, Ps 145, entgegen.198 Dabei sind die von ihm herausgestellten Bezüge in psalterkompo194
Siehe zur psalterkompositorischen Einordnung von Ps 106 und Ps 107 Kapitel 3 C.5. (S. 284 ff). 195 Zu den sprachlichen Bezügen von Ps 136 zu Ps 135 und Ps 118 siehe oben. 196 Vgl. zur Analyse von Ps 72,18 f LEUENBERGER, Konzeptionen, 109–111. 197 Vgl. dazu KRATZ, Tora, 13–34; LEVIN, Büchereinteilung, 83–90. 198 Vgl. LEUENBERGER, Konzeptionen, 334–338.
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sitorischer Hinsicht differenziert zu bewerten, da sie von unterschiedlicher konzeptioneller Relevanz sind.199 Die entscheidende, aber terminologisch differierende Bezugnahme zwischen Ps 136 und Ps 145 liegt in der Vorstellung des bewahrenden und seine Schöpfung versorgenden Gottes (Ps 135,25; 145,15), die beide Psalmen miteinander verbindet. Allerdings ist die Formulierung in Ps 145,15 aus Ps 104,27 übernommen worden.200 Dass aber der hinter dieser Vorstellung stehende Zusammenhang des Schöpfergottes dennoch in beiden Psalmen vorhanden ist, zeigt sich an der Bezeichnung der Geschöpfe als ›alles Fleisch‹ (UIEON). In Ps 136,25 wird auf diese Weise die Fürsorge Jhwhs für seine Schöpfung zum Ausdruck gebracht. In Ps 145,21 lobt die gesamte Schöpfung, alles Fleisch, seinen Schöpfer. Das Schöpferhandeln Jhwhs bezeichnen beide Psalmen mit der Wurzel ›machen/tun‹ (KI>). Dennoch differieren beide Aussagen, so dass sprachlich keine eindeutige Bezugnahme zwischen Ps 145 und Ps 136 festzustellen ist. Denn in Ps 136,4 beschreibt ›machen/tun‹ (KI>) allgemein die Exklusivität der Wirkmacht Jhwhs sowie in Ps 136,5.7 sein Schöpfungshandeln. In Ps 145 wird die Wurzel im Zusammenhang mit den Schöpfungswerken des Königsgottes verwendet und beschreibt dessen ›Werke‹ (KI>P, Ps 145,4.9.10.17).201 Auch die in Ps 145 zentrale Konzeption des Königtums Jhwhs, seine Macht und Herrlichkeit (Ps 145,1.11–13), wird in Ps 136 nicht in vergleichbarer Weise entfaltet. Zwar steht sie im Hintergrund von Ps 136, indem Jhwh als Herrscher des gesamten Kosmos dargestellt wird. Dennoch geht es nicht um das Königtum selbst, sondern um die Entfaltung der Wundertaten des Königsgottes Jhwh. Deswegen wird auch die Durchsetzung von Recht/Gerechtigkeit (Ps 145,7.17) als Aspekte des Königtums Jhwhs in Ps 136 nicht erwähnt. Zudem wird der Begriff der ›Herrschaft‹ (KOYPP) Jhwhs, der in Ps 145,13 seine königliche Herrschaft beschreibt, in Ps 136,8 f vor dem Hintergrund des Schöpferhandelns Jhwhs aus Gen 1,16 rezipiert. Er bezeichnet hier die Lichter und ihre Herrschaft über Tag und Nacht. Wie der Konzeption des Königtums Jhwhs aus Ps 145 in Ps 136 nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt, so ist dies andersherum auch für die für Ps 136 zentrale Vorstellung der ›Güte‹ (GV[) Jhwhs in Ps 145 festzustellen. Prägt die ›Güte‹ (GV[) Jhwhs in Ps 136 als Leitwort das Handeln Jhwhs in Schöpfung und Geschichte, findet sich das Stichwort in Ps 145,8 im Zitat der Gnadenformel. Dadurch aber entsteht ein von Ps 136 unterschiedener theologischer Zusammenhang, da durch die Gnadenformel das 199 Vgl. hierzu die Aufzählung der Stichwortbezüge zwischen Ps 136 und Ps 145 bei LEUENBERGER, Konzeptionen, 337 Anm. 245–248. 200 Vgl. dazu KRATZ, Gnade, 13–28 und weiter die Belege zu Ps 136,25. 201 Das Verb ›machen/tun‹ (KI> ) findet sich darüber hinaus noch in Ps 145,19. Dort wirkt Jhwh das Wohlgefallen derer, die ihm treu sind.
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Verhältnis von göttlichem Zorn und göttlicher Güte bestimmt wird. Die Perspektive des göttlichen Zorns sowie die der Frevler (Ps 145,20) wiederum kommen in dem auf die Entfaltung der Wundertaten Jhwhs als Erweis seiner Güte ausgerichteten Psalm 136 nicht vor. Auch die Wundertaten (WZDOSQ) sind in beiden Psalmen von unterschiedlicher Relevanz. In Ps 136 stehen die Wundertaten Jhwhs als Thema über den Machterweisen Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart, in denen sich die Exklusivität Jhwhs manifestiert (vgl. Ps 136,4). Hingegen kommt den Wundertaten in Ps 145 keine vergleichbare Schlüsselstellung für das Verständnis des Psalms zu. Sie werden in Ps 145,5 nur unter anderem im Zusammenhang mit dem Gotteslob genannt.202 So hat dieser Durchgang durch die beiden Psalmen gezeigt, dass Ps 136 und Ps 145 zwar eine theologische Nähe dahingehend aufweisen, dass in beiden Psalmen die Vorstellung von Jhwh als Schöpfer und damit verbunden seiner universalen Herrschaft zur Gottesvorstellung gehört. Dies zeigt sich vor allem anhand der Schöpfungswerke (Ps 136,4.5–9; 145,4.9.10.17), der Bezeichnung der Geschöpfe als ›alles Fleisch‹ (Ps 136,25; 145,21) 202
Über die oben bereits genannten sprachlichen Bezugnahmen hinaus nennt LEUENKonzeptionen, 337 Anm. 245 noch folgende weitere, aber konzeptionell wenig aussagekräftige Bezüge: Erstens, ›preisen‹ (KG\ Hif.) wird in beiden Psalmen verwendet. In Ps 136 geschieht dies in einer charakteristischen Formel, durch die ein Bogen zu Ps 106,1, 107,1 und 118,1.29 entsteht. In Ps 145,10 wird das Verb ›preisen‹ ( KG\ Hif.) in einem ganz anderen Zusammenhang verwendet. Subjekt sind die (Schöpfungs-) Werke Jhwhs, die ihn preisen. Die zweite Vershälfte ergänzt das Lob der Frommen. Zweitens findet sich in beiden Psalmen das Adjektiv ›gut‹ (EZM). Beschreibt das Adjektiv in Ps 136,1 eine Qualität Jhwhs und seines Handelns, die in der folgenden Entfaltung in Schöpfung und Geschichte ausgeführt wird, steht es in Ps 145,7.9 in einem anderen Zusammenhang. In Ps 145,7 wird ›gut‹ ( EZM) als Substantiv verwendet und qualifiziert das Gedenken Jhwhs; in Ps 145,9 wird Jhwhs Gutsein zu all seinen Geschöpfen ausgesagt. Dies wiederum weist eine konzeptionelle Nähe zu der in Ps 136 dargestellten Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte auf. Drittens stellt ›fernste Zeit/ewig‹ (aOZ>) einen Bestandteil der Ps 136 prägenden liturgischen Formel dar und beschreibt inhaltlich die Gültigkeit der Güte Jhwhs bis in fernste Zeit. In Ps 145,1 f.21 wird der Name Jhwhs bis in fernste Zeit gepriesen. In Ps 145,13 wird das Königtum Jhwhs bis in fernste Zeit Bestand haben. Viertens findet sich auch das Adjektiv ›groß‹ (OGJ) in beiden Psalmen. In Ps 136,4 werden Jhwhs Wundertaten als groß charakterisiert. Dies weist Ähnlichkeiten mit den in Ps 145,6 beschriebenen ›Großtaten‹ (\WOZGJ) Jhwhs auf, von denen der Beter erzählen will. Zudem werden, in Anlehnung an Gen 1, die Zeit unterteilenden Lichter in Ps 136,7 als groß beschrieben. In Ps 145,3 wird Jhwh darüber hinaus selbst als groß bezeichnet. Schließlich wird im Rahmen der in Ps 145,8 zitierten Gnadenformel so seine Güte qualifiziert. Fünftens wird der Begriff des ›Erinnerns‹ (UN]) in beiden Psalmen in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. In Ps 136,23 gedenkt Jhwh der Niedrigkeit der Beter; in Ps 145,7 wird das Gedenken der großen Güte Jhwhs gepriesen. Sechstens steht ›Gott‹ (a\KOD) in Ps 136,2 im Zusammenhang der Einzigkeitsaussage. In Ps 145,1 wird die Gottesbezeichnung im Zusammenhang mit Jhwhs Königtum verwendet. BERGER ,
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sowie darin, dass der Schöpfer seine Geschöpfe versorgt und damit seine Schöpfung bewahrt (Ps 136,25; 145,15). Die grundlegende konzeptionelle Differenz besteht jedoch in der jeweiligen Nuancierung der Gottesvorstellung. In Ps 145 wird das Königtum Jhwhs in seinen verschiedenen Facetten entfaltet. Dies bringt eine Verhältnisbestimmung von göttlicher ›Güte‹ (GV[) und Gottes Zorn mit sich, die unter Aufnahme der Gnadenformel aus Ex 34,6 f ausgeführt wird, sowie die Unterscheidung in Fromme und Frevler. Ps 136 zielt hingegen darauf, Jhwh anhand seiner Wundertaten in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart als den einzig wirkmächtigen Gott zu illustrieren, so dass die Perspektive von Schuld und Vergebung gar nicht eingenommen wird.203 Im Vergleich mit diesen konzeptionell recht unspezifischen Bezügen zwischen beiden Psalmen stellt aber die Ps 136 prägende Hodu-Formel eine sprachlich eindeutige und strukturgebende Verbindung mit den vorangehenden Psalmengruppen dar (Ps 106,1; 107,1; 118,1.29).204 Diese Verklammerung von Ps 136 nach vorn wird darüber hinaus durch den Einschub von Ps 135 erneut bekräftigt, indem Ps 135 durch die breite Aufnahme von Ps 136,10.17–22 in Ps 135,8–12 eine redaktionelle Brücke zwischen Ps 136 und der Sammlung Ps 111–118 bildet. Aufgrund dieser im Vergleich mit Ps 145 sprachlich eindeutigen und für Ps 136 konzeptionell entscheidenden Verbindungslinien zu den vorangehenden Sammlungen (Ps 101–106; 107–118) bestätigt sich in psalterkompositorischer Hinsicht die Vermutung, dass Ps 136 als Schlusspsalm eines vorläufigen Psalters platziert worden ist. Allerdings verliert Ps 136 mit der Erweiterung durch die letzte Davidsammlung (Ps 138–145) und durch das Schlusshallel (Ps 146–150) seine Position als Psalterabschluss. Dies ist abschließend an zwei Aspekten zu verdeutlichen, die sich aus den oben ausgeführten Textbeobachtungen ergeben.205 203
Aufgrund dieser beiden Vorstellungszusammenhänge des Königtums Jhwhs, einschließlich der Aufnahme der Gnadenformel, bestimmen H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 802–805 die psalterkompositorische Einordnung von Ps 145. Dabei heben sie neben den vielfältigen Bezugnahmen auf den fünften Davidpsalter vor allem die psalterkompositorisch relevante Verbindung zu Ps 103 hervor, in dem ebenfalls auf der Ebene des Endtextes die Entfaltung der Gnadenformel mit der Königsherrschaft Jhwhs verbunden wird sowie die Bezüge zu Ps 111 f hergestellt werden. Vgl. auch schon KRATZ, Schema c, 623–638, insbesondere 628, der Ps 145 einerseits als Solitär im Psalter beschreibt, der aber andererseits aufgrund seiner vielfältigen Anspielungen ohne den Psalter kaum verständlich ist. Dies gilt nach Kratz besonders für die aus den Jhwh-König-Psalmen stammenden Attributen. Auffallend ist, dass sowohl bei Kratz als auch bei Hossfeld/Zenger keine konzeptionell entscheidende Bezugnahme zwischen Ps 136 und Ps 145 genannt wird. Vgl. zur psalterkompositorischen Einordnung von Ps 145 weiter MILLER, End, 103–110. 204 So auch ZENGER, Psalmenexegese, 60. 205 Diese Aspekte müssen im Rahmen einer Gesamtanalyse des Psalters allerdings weiter ergänzt werden.
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Kapitel 4: Geschichte als Bekenntnis zu dem einen Gott in Ps 135 und 136
Hierbei handelt es sich erstens um die bereits genannte Sachlinie, die die Nahrungsversorgung der Geschöpfe durch Jhwh als ihren Schöpfer entfaltet und durch das gesamte fünfte Psalmenbuch hindurch variiert wird (Ps 104,14 f.27 f; 107,5f.9.36–39; 111,5; 127,2; 132,15; 136,25; 144,13 f; 145,14 f; 146,7; 147,9).206 Für die Frage nach der psalterkompositorischen Verbindung von Ps 136 mit dem letzten Davidpsalter und dem Schlusshallel sind vor allem die von Kratz herausgestellten Belege in Ps 135,25,207 145,15 f, 146,7 und 147,9 signifikant. Denn hierbei handelt es sich zum einen um Zitate aus Ps 105,14 f oder Ps 104,27f.208 Zum anderen wird aber das Motiv der Versorgung durch Jhwh in jedem der Psalmen kontextadaptiert und entsprechend neu gedeutet. In Ps 145,15 f wird Ps 104,27 f zitiert und die Nahrungsversorgung seiner Geschöpfe als königliche Zuständigkeit Jhwhs profiliert. In Ps 146,7 ist der Kontext ein anderer. Jhwh gibt denen Brot, die hungern, d. h. im Kontext des Psalms den Frommen, die ihr Leben auf Gott hin ausrichten. Zugleich ist die Formulierung ›der Brot gibt‹ (a[O WQ) aber vermutlich aus Ps 136,25 übernommen und mit der entsprechenden Phrase aus Ps 107,5.9.36 kombiniert worden.209 In Ps 147,9 hingegen wird wiederum deutlicher der Schöpfungskontext aus Ps 104,14 f rezipiert. Im Hinblick auf die Schlussposition von Ps 136 ist zumindest auffällig, dass Ps 145 und 147, obwohl ihnen der Psalm 136 vorgelegen hat, sich nur unspezifisch auf ihn beziehen. Stattdessen greifen sie direkt auf den ursprünglichen Text Ps 104 zurück. Ps 146 ist vermutlich auf Ps 136 bezogen. Zugleich schlägt der Psalm aber einen Bogen zu Ps 107. Somit stellen Ps 145–147 einen terminologischen und kompositorischen Bogen zur Sammlung Ps 104 und Ps 107 her und berücksichtigen die einstige Schlussposition von Ps 136 nicht. Zweitens wird die Ps 136 prägende und in psalterkompositorischer Hinsicht strukturgebende Hodu-Formel nicht aufgenommen, sondern durch die Halleluja-Überschriften bzw. -Unterschriften ersetzt. Dies zeigt sich insbesondere an dem Redaktionspsalm 135, in dem Ps 118 und Ps 136 zwar zitiert werden, die Hodu-Formel aber nicht aufgenommen wird. Stattdessen ist der Lobaufruf in Ps 135,1–4 durch einen vierfachen Halleluja-Aufruf strukturiert, der am Schluss des Psalms in V. 21 wieder aufgenommen wird. Damit handelt es sich in Ps 135 nicht um eine mit dem Psalm nur lose verbundene Halleluja-Rahmung, sondern um ein im Psalm fest verankertes Phänomen. In psalterkompositorischer Hinsicht bedeutet dies, dass die redaktionelle Funktion von Ps 135 zwar einerseits darin besteht, Ps 136 nach dem Einschub des Wallfahrtspsalters mit den vorherigen Sammlungen 206
Vgl. hierzu KRATZ, Gnade, 1–40. Zum Vergleich mit Ps 104 siehe oben. 208 Vgl. zur Analyse der Stellen KRATZ, Gnade, 13–28. 209 So KRATZ, Gnade, 23. 207
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Ps 111–118 zu verbinden, ohne aber andererseits die Schlussposition von Ps 136 zu betonen.210 Denn durch die Halleluja-Rahmung in Ps 135,1–3.21 entsteht über Ps 136 hinaus ein Bezug zum Schlusshallel in Ps 146–150 sowie zur Sammlung Ps 111–117. Auf diese Weise wird durch die Redaktion, die das Schlusshallel und eventuell auch die letzte Davidsammlung angefügt hat, die Halleluja-Struktur im gesamten fünften Psalmenbuch erneut profiliert und überlagert somit die strukturgebende Funktion der HoduFormel. Damit aber verliert Ps 136 seine Funktion als Schlusspsalm.211 3. Fazit Für die Frage nach der psalterkompositorischen Einordnung von Ps 136 und damit zusammenhängend nach der redaktionellen Funktion von Ps 135 haben sich fünf Aspekte als relevant herausgestellt: Erstens weist die Hodu-Formel in Ps 106,1, 107,1, 118,1.29 und 136 eine strukturgebende Funktion auf, durch die ein Kompositionsbogen beschrieben wird, der von Ps 106 auf Ps 136 zuläuft und auf Ps 100 zurück210 So auch KRATZ, Sch ema c, 632, der allerdings Ps 135 keiner weiteren Psalterredaktion zuordnet. LEUENBERGER, Konzeptionen, 276–282.369–372 profiliert Ps 118 als Scharnierpsalm seiner Fortschreibung II, durch die mit Ps 135 und Ps 136 der Wallfahrtspsalter in das fünfte Psalmenbuch eingebunden und dieser durch die Hodu-Formel in Ps 118 eröffnet wird. Damit verliert die Hodu-Formel ihre sammlungabschließende Funktion für Ps 118. Auf der Ebene der Fortschreibung III wiederholt sich der Vorgang im Hinblick auf Ps 136. Durch die Ergänzung des letzten Davidpsalters sowie der von Leuenberger behaupteten Inklusion von Ps 136 und Ps 145 verliert Ps 136 seine Schlussposition und wird zum Eröffnungspsalm des letzten Davidpsalters. Spätestens durch das Schlusshallel, das nach Leuenberger auch auf die Fortschreibung III zurückgeht, überlagert dann die Halleluja-Struktur die Hodu-Struktur. Nach H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 64–67 hingegen geht die Halleluja-Struktur auf die Endredaktion des Psalters zurück. Durch sie entsteht eine Strukturierung in drei Dreiergruppen (Ps 104–106; 111–113; 115– 117) sowie die Fünfergruppe des Schlusshallels. In Kombination mit der Hodu-Formel entsteht nun folgende Makrostruktur des fünften Psalmenbuches: Ps 107–117 (Anfang: Hodu – Schluss: Halleluja); Ps 118–135 (Anfang: Hodu – Schluss: Halleluja); Ps 136– 150 (Anfang: Hodu – Schluss: Halleluja). So auch bestätigt bei ZENGER, Psalmenexegese, 61–64. Siehe auch die Neustrukturierung durch die Halleluja-Unterschriften bzw. -Überschriften in Ps 103–106, siehe Kapitel 3 C.6. (S. 288 ff). 211 Vor diesem Hintergrund scheint es unwahrscheinlich, Ps 135 und Ps 136 derselben Redaktionsstufe zuzuordnen; anders LEUENBERGER, Konzeptionen, 314–320.369–372. Auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 664 gehen davon aus, dass Ps 135 zusammen mit Ps 136 und dem ägyptischen Hallel eingefügt worden ist. Die dadurch entstandene Sammlung »Zionspsalter« Ps 2–136 wird durch Ps 136 abgeschlossen, der durch die Redaktion bewusst als Abschluss platziert worden ist. Darüber hinaus vermuten sie zum einen aufgrund der Ergänzung des Hauses Levi in V. 20 und zum anderen aufgrund der Geschichtskonzeption in Ps 135, dass der Psalm auf levitische Tempelsängerkreise zurückgeht, »die wie ihre asafitischen ›Vorgänger‹ die kanonische Ursprungsgeschichte Israels mit der Zionstheologie verbinden wollten« (ebd.) Vgl. weiter KRATZ, Sch ema c, 632.
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weist. Strukturell und konzeptionell ist er durch die Güte Jhwhs geprägt, wie sie in der Formel zum Ausdruck kommt. Zweitens hat sich Ps 135 als ein redaktioneller Text mit Kompilationscharakter erwiesen,212 durch den einerseits der später eingeschobene Wallfahrtspsalter (Ps 120–134) mit seinem Kontext verzahnt wird. Andererseits wird die vor allem durch die Hodu-Formel gestaltete Verbindung zwischen Ps 106.107–118 und Ps 136 wiederhergestellt.213 Damit geht Ps 135 auf die Redaktion zurück, die auch den Wallfahrtspsalter in den bis dahin bestehenden Psalter eingeschrieben hat. Daraus folgt drittens, dass ein Psalter von Ps 2–136* ohne Wallfahrtspsalter (Ps 120–134) und Ps 135 bestanden haben muss.214 Im Hinblick auf die redaktionelle Einordnung des Wallfahrtspsalters bedeutet dies, dass der Wallfahrtspsalter erst zu einem recht späten Zeitpunkt an seinen Ort im Psalter eingefügt worden ist.215 Viertens übernimmt Ps 135 aber nicht die aus Ps 118 und Ps 136 vorgegebene Strukturierung durch die Hodu-Formel, sondern setzt einen Halleluja-Rahmen (Ps 135,1–3.21) an ihre Stelle. Auf diese Weise entsteht fünftens eine psalterkompositorische Verbindung zu der Psalmengruppe 111–117 sowie zum Schlusshallel. Ps 136 verliert damit seine Position als Schlusspsalm. Gleichzeitig entsteht durch die redaktionelle Einschreibung von Ps 120–134 sowie des redaktionellen Scharnierpsalms 135 eine Neustrukturierung des vierten und fünften Psalmenbuches. Insofern erweisen sich Ps 135 und Ps 136 als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter, indem durch sie das Bekenntnis zu Jhwh als dem einen Gott in Schöpfung und Geschichte an einen für die Entstehung des Psalters bedeutsamen Angelpunkt platziert wird.
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Vgl. hierzu das Fazit C.1.c) (S. 362 ff). Vgl. LEVIN, Psalm 136, 26. 214 Vgl. hierzu die Diskussion bei K OCH, Psalter, 256–258. 215 In diesem Zusammenhang ist auf die von MT abweichende Abfolge der Psalmen in 11QPsa zu verweisen: Ps 120–132.119.135 f (+ die sog. catena Ps 118.1.15.16.8.9.29). Ps 133 steht in 11QPsa zwischen Ps 141 und Ps 144, während Ps 134 zwischen Ps 140 und Ps 151 als vorletzter Psalm der Handschrift zu finden ist. D AHMEN, Psalmen- und PsalterRezeption, 315, geht davon aus, dass die eigenständige Komposition der Psalmen 120– 132.119 aus einer protomasoretischen Komposition entwickelt worden ist, um als Schlussund Zielpunkt der Wallfahrt nicht wie MT die Liturgie im Jerusalemer Tempel, sondern mit Ps 119 das Studium der Tora zu profilieren. So auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 407 im Anschluss an Dahmen. Zur abweichenden Abfolge der Wallfahrtspsalmen in Qumran vgl. weiter die Ausführungen bei MILLARD, Komposition, 219 f und LEUENBERGER, Konzeptionen, 12 f. 213
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Kapitel 5
Ertrag: Die Geschichtspsalmen als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter Die unter dem Begriff der Geschichtspsalmen zusammengefassten Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 haben sich als je eigenständige Entwürfe einer Theologie der Geschichte Israels in Miniatur erwiesen. Sie konstruieren eigene Bilder von Geschichte, indem sie mit ihren verschiedenen geschichtshermeneutischen Kategorien die Ereignisse der (Früh-)Geschichte auswählen und in ihrer paradigmatischen Bedeutung für die Gegenwart interpretieren. So entsteht eine relecture der Tora, die für die Beter eine identitätsformierende und identitätsvergewissernde Funktion hat. Dieser Rezeptionsprozess von Geschichte, der die Geschichte selbst zum Thema erhebt, gibt einen Einblick in die Entstehung kollektiver Gedächtnisse. Sichtbar wird das in besonderer Weise durch die poetische Form des Psalmengebets. Dabei bedienen sich die Geschichtspsalmen vor allem hymnischer Kategorien, durch die ihr Reflexions- und Rezeptionsprozess transparent wird. Vor diesem Hintergrund erweist sich nicht nur das Verständnis von Geschichte als paradigmatisch, sondern auch der den Psalmen zugrunde liegende Rezeptionsprozess, so dass anhand der Geschichtspsalmen die Entstehung kollektiver Gedächtnisse paradigmatisch abgebildet werden kann. Somit konnte in der Untersuchung der Geschichtspsalmen ein Beitrag zum Verständnis kollektiver Gedächtnisse geleistet werden. Darüber hinaus konnte aufgezeigt werden, dass den Geschichtspsalmen nicht nur im Hinblick auf ihre Konstruktion von Geschichte hermeneutische Relevanz für die Theologie später Psalmen zukommt, sondern diese gerade auch für die Psalterkomposition und die Psalterredaktion bedeutsam sind. Denn im Zusammenhang der Psaltergenese sind die Geschichtspsalmen jeweils kompositorisch und redaktionell durch makrostrukturelle Merkmale aus der Textabfolge herausgehoben, so dass ihnen in ihrem literarischen Kontext die Funktion hermeneutischer Schlüsseltexte zukommt. Insofern haben sich die Geschichtspsalmen in dreifacher Hinsicht als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter erwiesen: 1. im Hinblick auf ihr paradigmatisches Verständnis von Geschichte; 2. im Hinblick auf den Rezeptionsprozess von Geschichte, da diesem für die Entstehung kollektiver Gedächtnisse eine paradigmatische Funktion zukommt;
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Kapitel 5: Ertrag
3. im Hinblick auf den Psalter selbst, da an den Geschichtspsalmen die kompositionelle und redaktionelle Arbeit am Psalter in paradigmatischer Weise deutlich wird. Diese drei Aspekte sollen im Folgenden abschließend resümiert werden.
A. Geschichte als Paradigma Den Konstruktionen von Geschichte in den Geschichtspsalmen liegt eine geschichtstheologische Hermeneutik zugrunde, die die Gegenwartsrelevanz der fundierenden Ereignisse herausarbeitet. Diese geschichtshermeneutische Interpretation operiert mit einer entsprechenden Auswahl aus den im Pentateuch geschilderten Ereignissen, durch die das jeweils spezifische Verständnis von Geschichte in den einzelnen Psalmen profiliert wird. Daher ergeben die Geschichtskonstruktionen in Ps 78, 105, 106, 135 und 136 insgesamt ein heterogenes Bild, da sie im Einzelnen jeweils unterschiedliche Deutungen von Geschichte entfalten. Ihre Vielfalt ist also Ausdruck der Kontextbedingtheit und der Perspektivität der Geschichtskonstruktionen. Sie implizieren daher die Möglichkeit einer ständigen Modifikation und Aktualisierung aufgrund sich verändernder Rezeptionsverhältnisse. Signifikant ist, dass dazu auf bereits im Pentateuch als paradigmatisch geltende Ereignisse aus der Frühgeschichte zurückgegriffen wird, die im Zusammenhang der einzelnen Psalmen neu formiert und gedeutet werden. Dabei zielt der Rezeptionsprozess im Ganzen darauf ab, dass sich die Beter ihrer Identität als Gottesvolk und damit ihrer Zugehörigkeit zur Traditionsgemeinschaft erneut vergewissern. In diesem Sinn ist die in den Geschichtspsalmen vorfindliche relecture der Tora im Sinne Voegelins als paradigmatisch zu verstehen. Damit sind vier entscheidende Aspekte genannt, die in formaler Hinsicht das Geschichtsverständnis aller fünf Psalmen als paradigmatisch auszeichnet: 1. die geschichtshermeneutische Deutung der Ereignisse der Frühzeit, die deren Gegenwartsrelevanz herausstellt; 2. die mit einer solchen Vorgehensweise verbundene gezielt gestaltete Auswahl der Ereignisse; 3. die identitätsformierende und identitätsvergewissernde Funktion; 4. die durch die Kontextbezogenheit des Interpretationsprozesses gegebene Vielfalt der Interpretationen. Aber nicht nur unter formalen, sondern auch unter geschichtshermeneutischen Aspekten weisen die Geschichtspsalmen gewisse Übereinstimmungen auf. Signifikanterweise liegt ihnen allen zumindest implizit eine monotheistische Theologie zugrunde, indem sie Jhwh nicht nur als Herrn der Geschichte, sondern auch als Schöpfer der Welt voraussetzen. Diese Grundeinsicht in die
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Exklusivität des Handelns Jhwhs ist mit der Frage nach seiner in der Geschichte erfahrenen Güte bzw. Barmherzigkeit verbunden. Daher stellt die Güte bzw. die Barmherzigkeit des Schöpfers in der Geschichte den zumindest Ps 78, 105, 106 und 136 gemeinsamen geschichtshermeneutischen Interpretationsrahmen dar, der in den einzelnen Psalmen mit unterschiedlich ausgewählten Ereignissen gefüllt wird. In Ps 136 wird die Güte Jhwhs in Schöpfung und Geschichte zum Deutehorizont, um Jhwh als den Gott der Götter und Herrn des Himmels (Ps 136,2.26) zu profilieren. Demgegenüber wird sie in Ps 105f und Ps 78 ins Verhältnis zu seinem Zorn gesetzt und auf diese Weise zum Interpretament der Frühgeschichte (vgl. Kapitel 3). Ps 135 kommt in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung zu, da er zwar wie Ps 136 darauf zielt, die Exklusivität Jhwhs vor allen anderen Göttern herauszustellen, ohne jedoch auf die Kategorie der Güte zurückzugreifen. Somit führt die relecture der Tora dazu, die sich in der Geschichte manifestierende Güte Jhwhs (Ps 136), seine Barmherzigkeit trotz der Schuld des Volkes (Ps 105 f; 78) sowie seine alleinige Wirkmacht (Ps 135; 136) zu erkennen und sich der eigenen Identität als Erwählte Jhwhs (Ps 105,6.43; 106,5), als sein Volk (Ps 78,52.71; 105,43; 106,5; 135,12.14; 136,16) oder sein Knecht (Ps 78,20; 105,6.42; 135:1.9.14; 136,22) zu vergewissern. Ausgehend von diesem Befund werden im Folgenden die Psalmen im Hinblick auf ihr paradigmatisches Verständnis von Geschichte betrachtet. 1. Die Güte Jhwhs als Gott der Götter (Psalm 136) In Ps 136 stellt die Güte Jhwhs die entscheidende geschichtshermeneutische Deutekategorie dar, durch die die Exklusivität Jhwhs in Schöpfung und Geschichte entfaltet wird. Dies zeigt sich schon in dem nach jedem Vers litaneiartig wiederholten Kehrvers, in dem die Gültigkeit seiner Güte bis in fernste Zeit herausgestellt wird (›ja,/denn seine Güte ist für fernste Zeit‹, vgl. z. B. Ps 136,1b.2b.3b.4b etc.). Sie zeigt sich in seinen Wundertaten, die zu bekenntnisartigen Sätzen verdichtet werden, um sein Handeln in Schöpfung (Ps 136,5–9), Geschichte (Ps 136,10–22) und Gegenwart (Ps 136,23f.25) zu preisen. Die Wundertaten zielen letztlich darauf ab, die Exklusivität Jhwhs zu erkennen, wie es der Themavers Ps 136,4 formuliert: ›Der allein (für sich) große Wundertaten tut!‹. Dabei kommt seinem Handeln als Schöpfer eine herausgehobene Bedeutung zu. Deutlich wird dies, indem die Aufzählung der Wundertaten mit dem anfänglichen Schöpfungshandeln Jhwhs (Ps 136,5–9) beginnt und mit dem fürsorgenden Schöpfungshandeln, der Versorgung allen Fleisches (Ps 136,25), endet. So zeigt sich in der stetigen Versorgung seiner Geschöpfe mit Nahrung die Güte Jhwhs in der erlebten Gegenwart, wie sie in der Geschichte, in Exodus und Landnahme, zum Ausdruck gekommen ist. Um diesen Zusammenhang herauszustellen, wird in Ps 136,25 über das Partizip von ›geben‹ (WQ)
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Kapitel 5: Ertrag
auf die letzte Wundertat Jhwhs in der Geschichte zurückgegriffen (Ps 136,21.25). Insofern eröffnet das anfängliche Schöpfungshandeln Jhwhs die Manifestationen seiner Güte in der Welt (Ps 136,5–9) und ist seinem Geschichtshandeln (Ps 136,10–22) vorgeschaltet (Kapitel 4 A.3.). 2. Jhwh als Herr in Schöpfung und Geschichte (Psalm 135) Auch Ps 135 zielt darauf ab, die Exklusivität Jhwhs herauszustellen, ohne dabei aber wie Ps 136 auf die Manifestationen seiner Güte zurückzugreifen. Stattdessen wird der Fokus auf die Entfaltung seiner Herrschaftsbereiche, der Schöpfung (Ps 135,6f), der Geschichte (Ps 135,8–12) sowie seiner Exklusivität gegenüber anderen Göttern bzw. deren kultischer Repräsentation (Ps 135,15–18), gelegt. Als erster Herrschaftsbereich Jhwhs wird in Ps 135,6 f die Schöpfung genannt. Dabei besteht das Charakteristikum von Ps 135 darin, dass die Schöpfertätigkeit Jhwhs mit dem Kolorit von Wettergottheiten gezeichnet wird, zu denen ein kämpferischer bzw. kriegerischer Aspekt gehört. Im Hinblick auf sein Handeln als Schöpfer wird dies daran sichtbar, dass neben den Herrschaftsbereichen von Himmel, Erde und Meeren eigens die Urfluten erwähnt werden und Jhwh in V. 7 als Herr des Wetters gezeichnet wird. Insgesamt steht das kontinuierliche, das die Ordnung der Welt bewahrende Schöpfungshandeln, im Vordergrund. Als zweiter Herrschaftsbereich wird die Geschichte ergänzt (Ps 135,8–12), in dem ebenfalls die mit dem Wettergott verbundenen kriegerischen Aspekte profiliert werden. Jhwh wird hier als Herr aller weltlichen Herren charakterisiert, indem er den Pharao mit der Tötung der Erstgeburt (Ps 135,8 f) ebenso wie die Könige bei der Landnahme (Ps 135,10–12) schlägt. Mit diesen beiden Schlägen wird die Heilsgeschichte Israels auf ihren Anfangsund Endpunkt hin reduziert, die paradigmatisch für das Gesamte stehen. Aus der Exklusivität Jhwhs in Schöpfung und Geschichte folgt drittens die Ohnmacht der anderen Götter bzw. deren kultischer Repräsentation (Ps 135,15–18). Sie werden als Handwerk von Menschen auf ihre Geschöpflichkeit reduziert und stehen dem allein wirkmächtigen Handeln Jhwhs ohnmächtig gegenüber. Insofern stellt das in Ps 135,5 formulierte Bekenntnis zur Exklusivität Jhwhs ›Ja, ich weiß, dass Jhwh groß (ist) und unser Herr mehr als alle Götter‹ den eigentlichen hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des Psalms dar (vgl. Kapitel 4 B.3.). 3. Die Barmherzigkeit Jhwhs in der Geschichte (Psalm 78; 105 f) Auch in dem großen Geschichtspsalm 78 und in dem Doppelpsalm 105 f gehören die Güte bzw. die Barmherzigkeit Jhwhs zu den hermeneutisch
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entscheidenden Kategorien, durch die die Ereignisse aus der Frühgeschichte Israels gedeutet werden. Allerdings wird die göttliche Barmherzigkeit im Verhältnis zu seinem Zorn betrachtet und vor diesem Hintergrund als Deutehorizont des Geschichtshandelns Jhwhs verstanden. Dies führt im Vergleich zu Ps 136 zu vier entscheidenden geschichtshermeneutischen Differenzen: Erstens impliziert die Verhältnisbestimmung von Güte und Zorn Jhwhs die Dimension der Schuld des Volkes. Dabei erweist sich die Güte Jhwhs allerdings als die seinen Zorn umfassende Wirkweise, so dass er trotz der Schuld seines Volkes diesem immer wieder mit seinem Erbarmen begegnet. Zweitens bewirkt der Fokus auf das Verhältnis von Zorn und Güte, dass sein Schöpfungshandeln nicht wie in Ps 136 in gesonderten Abschnitten (Ps 136,5–9.25; 135,6 f) entfaltet, sondern als integrativer Teil der Geschichtskonzeption verstanden wird. Auf diese Weise wird im Geschichtshandeln Jhwhs der Schöpfer transparent. Deutlich zeigt sich diese Transparenz vor allem in der relecture der Versorgung seines Volkes in der Wüste mit Manna, Wachteln (Ex 16), Fleisch (Num 11) und Wasser aus dem Felsen (Ex 17,17) in Ps 78,15 f.17–31 und 105,39–41 (vgl. Kapitel 2 C.2.a]–b] und Kapitel 3 A.3.c]dd]). In Ps 136,16 hingegen wird die Führung in der Wüste nur als die zusammenfassende Aussage erwähnt, ohne explizit auf die Überlieferung von der Versorgung in Ex 16; 17,1–7 und Num 11 zurückzugreifen. In Ps 135 fehlt sogar jegliche Andeutung. Drittens liegt dementsprechend der Fokus in Ps 78 und 105f auf dem versorgenden Schöpferhandeln Jhwhs, der creatio continua, während das anfängliche Schöpfungshandeln im Unterschied zu Ps 136,5–9 nicht eigens entfaltet wird. Dadurch wird die Schöpfung auch nicht wie in Ps 136 als Rahmen präsentiert, durch den der Raum für die Geschichte eröffnet wird. Viertens schlagen sich die konzeptionellen Differenzen auch in der Darstellung der Geschichtsreflexionen nieder. Denn werden die Wundertaten Jhwhs in Schöpfung und Geschichte in Ps 136 zu bekenntnisartigen Sätzen verdichtet und in Ps 135 auf ihren Anfangs- und Endpunkt reduziert, werden sie in Ps 78, 105 und 106 narrativ entfaltet, um die mit den Ereignissen verbundenen Ambivalenzerfahrungen von göttlicher Güte und Zorn zum Ausdruck zu bringen. a) Die Barmherzigkeit des Schöpfers und die Verfehlung des Volkes in Psalm 78 Die entscheidende hermeneutische Deutekategorie für das Geschichtshandeln Jhwhs findet sich in Ps 78 in der schöpfungstheologischen Interpretation der Gnadenformel (Ps 78,38f), die in zwei parallel gestalteten Durchgängen durch die Geschichte Israels (Ps 78,12–39; 78,40–72) entfaltet wird. Ps 78 deutet die Barmherzigkeit Jhwhs als Gedenken des
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Schöpfers, der sich seiner Geschöpfe immer wieder erbarmt, so dass sein Zorn stets durch seine Barmherzigkeit begrenzt ist. Zugleich geht das Gedenken des Schöpfers mit einer anthropologischen Verankerung der Schuld des Menschen einher. Dadurch wird die Schuld des Menschen als integraler Bestandteil seiner Geschöpflichkeit im Gedenken des Schöpfers verankert (Ps 78,38 f). Dieser Begründungszusammenhang erweist sich als hermeneutischer Schlüssel, durch den sowohl das Handeln des Schöpfers in der Geschichte als auch das Handeln des Weltenherrschers zu verstehen ist. Im ersten Durchgang durch die Heilsgeschichte wird die Barmherzigkeit des Schöpfers zunächst in dem fürsorgenden und versorgenden Handeln Jhwhs sichtbar, das sich im Spalten des Meeres ebenso zeigt wie im Schutz durch Wolke und Feuerschein und in der Versorgung mit Wasser aus dem Felsen (Ps 78,12–16, vgl. Kapitel 2 C.2.a]). Der Versorgung und dem Schutz des Schöpfers stehen aber die Verfehlungen Israels entgegen, die seit seinen Anfängen als Gottesvolk integraler Bestandteil der Gottesbeziehung sind. Dementsprechend fordern die Israeliten die Fürsorge des Schöpfers in der Wüste erneut heraus (Ps 78,13–16, vgl. Kapitel 2 C.2.b]) und bitten Jhwh, ihnen einen Tisch in der Wüste zu bereiten (Ps 78,19), um sie mit Brot und Fleisch zu versorgen (Ps 78,20). Der daraufhin entfachte Zorn Jhwhs wirkt sich zunächst so aus, dass Jhwh einen Manna- und Fleischregen veranlasst und sich auf diese Weise als Herr der Elemente, als Schöpfer, erweist. Erst im nächsten Schritt, in dem die Verfehlung des Volkes durch dessen Gier in den Vordergrund rückt, bricht sein Zorn aus. Dieser ist aber insofern begrenzt, als er nicht das gesamte Volk trifft, sondern in Form der Plage nur die Kräftigen und die jungen Männer (Ps 78,30 f). Im zweiten Durchgang durch die Heilsgeschichte (Ps 78,40–72) kommt die schöpfungstheologische Begründung der göttlichen Barmherzigkeit im Handeln des Weltenherrschers an seinem Volk zum Ausdruck (vgl. Kapitel 2 C.3.). Sie zeigt sich darin, dass der göttliche Zorn auf die Verwerfung Efraims begrenzt bleibt (Ps 78,60–64.67) und dem göttlichen Zorn zugleich die Erwählung Judas, Jerusalems und Davids als umfassenderes Heilshandeln Jhwhs gegenübergestellt wird. Insofern erkennen die Beter im Rückblick auf ihre Geschichte, dass der Untergang des Nordreichs letztlich Ausdruck des durch die göttliche Barmherzigkeit begrenzten Zorns gewesen ist, dem zugleich das umfassendere Erwählungshandeln Jhwhs gegenübersteht. Damit ist aber in Ps 78 der Zusammenhang von Güte und Zorn eng mit der schöpfungstheologischen Begründungsstruktur des Psalms verbunden, so dass die Barmherzigkeit des Schöpfers den Deutehorizont für das Handeln des Weltenherrschers vorgibt.
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b) Die Güte Jhwhs und das Vergessen des Volkes – der große Parallelismus der Heilsgeschichte in Psalm 105f In dem Psalmenpaar 105 f ist die Barmherzigkeit des Schöpfers in der Geschichte in unterschiedlicher Weise die geschichtshermeneutische Kategorie, die den Interpretationsrahmen für die jeweilige Konstruktion von Geschichte absteckt. Dabei steht in Ps 105 die Güte Jhwhs als Herr der gesamten Welt im Vordergrund, die sich in der Zusage seines Heilsbundes manifestiert (Ps 105,7–11.42). In Ps 106 tritt hingegen die Dimension der Schöpfung zurück. Stattdessen hat sich die Güte Gottes, durch die sein Zorn immer schon begrenzt ist, als eigentliche geschichtshermeneutische Kategorie erwiesen (Ps 106,45). Dadurch wird die in Ps 78 dargestellte Verschränkung von der Barmherzigkeit des Schöpfers einerseits und der Verhältnisbestimmung von göttlicher Güte und Zorn andererseits aufgelöst und in jeweils einem der Psalmen schwerpunktmäßig entfaltet (vgl. Kapitel 3 A.3. und B.3.). Wie in Ps 78 ist auch in Ps 105 das Handeln Jhwhs als Schöpfer und Herr der Geschichte miteinander verschränkt. Dabei manifestiert sich die Barmherzigkeit Jhwhs in der Zusage seines Heilsbundes, der auf die Landverheißung zuläuft (Ps 105,8–11.42). In der Reflexion der Geschichte erkennen die Beter, dass die Zusage des Heilsbundes auch gerade dann gilt, wenn sich die Beter in Not und Gefahr befinden, und die Bundesverheißung der Landgabe scheinbar in weite Ferne gerückt ist. Dieses Handeln Jhwhs in der Geschichte wird zunächst paradigmatisch am Beispiel der Josefsgeschichte in Ps 105,16–23 ausgeführt. Sie wird so rezipiert, dass die Beter in Ps 105,16 wie die Brüder in Gen 45 vor Josef stehen und mit Josef im Rückblick auf sein Leben dieses als eines unter Gottes Schutz erkennen. Über das aus der Josefserzählung (Gen 45,5.7) entnommene Leitwort ›schicken/senden‹ ([OY) wird deutlich, dass es Jhwh war, der Josef vor seinem Volk her nach Ägypten geschickt hat, und das Leben Josefs insofern die ganze Zeit unter Gottes Schutz gestanden hat. Über die erneute Aufnahme des Leitworts ›schicken/senden‹ ([OY) zur Zeit der Knechtschaft in Ägypten (V. 26.28) wird der Übergang vom Geschichtszum Schöpfungshandeln Jhwhs markiert. Denn wie Jhwh Josef in V. 17 sendet, so sendet er auch Mose und Aaron in V. 26. Wie das Schicken des Königs in V. 20 die Wende der Not einleitet, indem Josef aus dem Gefängnis befreit wird, so leitet Jhwh auch durch das Senden der Finsternis in V. 26 die Wende der Not ein, indem die nun folgende Plagenreihe vor dem Hintergrund von Gen 1 als lokale Rücknahme der Schöpfungsordnung für Ägypten gedeutet wird. Im Kontrast zu den Ägyptern erfahren die Israeliten aber die Fürsorge des Schöpfergottes in der Wüste (Ps 105,39–41), da Jhwh sein Volk in der Wüste versorgt und den lebensfeindlichen Ort der Wüste für sie zu einem Ort der Lebensfülle (Sättigung durch Himmelsbrot,
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Kapitel 5: Ertrag
Ps 105,40, und Wasserströme aus dem Felsen, Ps 105,41) und Gottespräsenz (Ps 105,39) macht. Insofern erkennen die Beter im Rückblick auf die Zeiten von Not und Gefahr, dass Jhwh seiner Bundeszusage stets treu geblieben ist. In Ps 106 wird die seinen Zorn grundsätzlich begrenzende göttliche Güte zum Interpretationsrahmen der Frühgeschichte Israels, so dass die Geschichte des Gottesvolkes als Geschichte von Schuld des Volkes und Reue Jhwhs konstruiert wird (Ps 106,45f, vgl. Kapitel 3 B.3.d), wie es sich paradigmatisch an der Rettungstat am Schilfmeer in Ps 106,7–12 zeigt. Dort ›rettet‹ (>Y\ Hif.) Jhwh sein Volk trotz seiner Gottvergessenheit aufgrund seiner umfassenden ›Güte‹ (GV[). Dadurch wird die Rettungstat am Schilfmeer zum Paradigma des heilsgeschichtlichen Handelns, von dem her die Geschichte Jhwhs mit seinem Volk gedeutet wird. Formal zeigt sich das darin, dass in dem Abschnitt Ps 106,7–12 die entscheidenden Leitwortstrukturen des Psalms zusammenlaufen: Zum einen steht das Gedenken Jhwhs (V. 4.7.45) aufgrund seiner Güte (V. 1.7.45) dem Vergessen des Volkes gegenüber (V. 13.21). Zum anderen steht das das Rettungshandeln Jhwhs beschreibende Verb ›retten‹ (>Y\ Hif.; V. 4.8.10.21.47) für das Heilshandeln Jhwhs schlechthin und wird an den entscheidenden Weichenstellungen der Geschichte wieder aufgenommen (vgl. Kapitel 3 B.3.c].aa.]). Damit wird es zum Interpretament des Heilshandelns Jhwhs in der Geschichte. Auch der zweite Kristallisationspunkt in der Geschichte Israels, der Abfall am Horeb, wird von der Rettungstat am Schilfmeer gedeutet, indem die Anfertigung des Gußbildes als Vergessenheit Gottes, des ›Retters‹ Israels (a>\YZPODZ[NY), verstanden wird (Ps 106,21). Der daraufhin entfachte göttliche Zorn führt dennoch nicht zur Vernichtung des Volkes, da er von vornherein durch die Erwählung Moses begrenzt ist. Denn Mose tritt als Erwählter Jhwhs für sein Volk in die Bresche und wendet den tödlichen Zorn von seinem Volk ab. Insofern ist Israel in die Erwählung des Mose mit eingeschlossen und lebt von dieser Erwählung her (vgl. Ps 106,5). So wird der Abfall von Jhwh in das geschichtstheologische Paradigma integriert und die in der Gnadenformel beschriebene Begrenzung des göttlichen Zorns in das Geschichtshandeln Jhwhs transformiert. Erst in staatlicher Zeit, nach der vollkommenen Verunreinigung Israels und der Entweihung des Landes, kommt es zum Ausbruch des göttlichen Zorns, der wiederum in Bezug zur Rettungstat am Schilfmeer gedeutet wird. Er führt zu einer Zerstreuung unter die Völker und setzt daher die am Schilfmeer erfahrene Rettung vor den Feinden aus (Ps 106,10f.41 f). Schließlich greift die Schlussbitte in Ps 106,47 ein letztes Mal auf die Rettungstat am Schilfmeer zurück, indem sie Jhwh bittet, wie am Schilfmeer rettend einzugreifen (>Y\ Hif.) und Israel wieder aus den Völkern zu
A. Geschichte als Paradigma
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sammeln. Ihren Grund hat die Bitte in der göttlichen Güte, die, wie am Horeb paradigmatisch erfahren, die Begrenzung des göttlichen Zorns einschließt und somit eine grundsätzliche Kontinuität des Heilsparadigmas impliziert. Dieser Zusammenhang wird schließlich in dem den Geschichtsdurchgang abschließenden Abschnitt reflektiert, indem auf die um die Reue Jhwhs erweiterte Gnadenformel aus der späten Prophetie (Joel 2,13; Jona 4,2) zurückgegriffen wird (Ps 106,45 f), um den Zusammenhang von Zorn und Barmherzigkeit als Deutehorizont für das Geschichtshandeln Jhwhs festzuhalten. Die komplexe und differenzierte Interpretation der Rettungstat am Schilfmeer in Ps 106 ist für die Geschichtspsalmen singulär (vgl. Kapitel 3 B.4.). Denn sowohl in Ps 78 als auch in Ps 136, in denen das Schilfmeer auch aus den fundierenden Ereignissen der Frühzeit herausgehoben ist (vgl. Ps 78,13 f.52–54; 136,13–15), findet sich der Zusammenhang von Rettungstat am Schilfmeer und Abfall am Horeb und damit der Zusammenhang von Zorn, Reue und Erbarmen Jhwhs nicht. Stattdessen ist die Deutung auf die eigentliche Wundertat Jhwhs und seine sich darin manifestierende Güte beschränkt. Die zusammenfassende Darstellung der zentralen geschichtshermeneutischen Kategorien sowie der daraus resultierenden Konzeptionen in Ps 78, 105 f, 135 und 136 hat gezeigt, dass jedem der fünf Psalmen ein paradigmatisches Verständnis von Geschichte zugrunde liegt. Daher weisen die Psalmen strukturelle Ähnlichkeiten im Verständnis von Geschichte auf, mit dem die Aufnahme und Neudeutung der fundierenden geschichtlichen Ereignisse aus der Tora verbunden sind. Sie stellen somit eine Vielfalt der Ausdrucksformen für den einen Typ von paradigmatischer Erinnerung dar. Vor diesem Hintergrund hat sich die Zusammenstellung der Geschichtspsalmen zu einer Gruppe bestätigt. Wie allerdings schon Gunkel und Begrich für die als Legenden qualifizierten Psalmen 78, 105 und 106 herausgestellt haben, basiert die Zusammenstellung nicht auf gattungskritischen Beobachtungen, sondern auf einer thematischen Zusammenstellung.1 Sie konnte in der obigen Untersuchung noch dahingehend vertieft werden, dass es sich hierbei nicht nur um die Aufnahme von Ereignissen aus dem Pentateuch handelt, sondern um eine identische hermeneutische Zugangsweise zur Geschichtsüberlieferung des Pentateuchs überhaupt. In diesem tieferen hermeneutischen Sinn sind die Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als Geschichtspsalmen zu verstehen, weil sie in ihrer jeweiligen spezifischen Art und Weise das Paradigmatische der fundierenden Ereignisse selbst zum Thema erheben.
1
Vgl. GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 325 f.
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Kapitel 5: Ertrag
B. Die Geschichtspsalmen als Paradigma kollektiver Gedächtnisse Die oben beschriebene Deutung der fundierenden Ereignisse aus der Frühgeschichte als paradigmatisch basiert auf einem Rezeptionsprozess, in dem die Beter als Teil einer Traditionsgemeinschaft auf die geschichtlichen Ereignisse in der Tora zurückgreifen und sie identitätsformierend und identitätsvergewissernd modifizieren und aktualisieren. Dieser Rezeptionsprozess entspricht der nach Kansteiner und Erll herausgestellten Entstehung kollektiver Gedächtnisse (Kapitel 1 C.2.). Allerdings weisen die Geschichtspsalmen zwei Spezifika auf, die sie in besonderer Weise als Ausdrucksformen kollektiver Gedächtnisse auszeichnen: Das erste Spezifikum betrifft das von Kansteiner und auch von Lottes herausgestellte Charakteristikum der narrativen Ordnungsschemata (vgl. hierzu Kapitel 1 C.2.b]). Bei den Geschichtspsalmen handelt es sich nicht um Narrationen im eigentlichen Sinn, sondern um Narrationen in poetischer Form. Dadurch unterliegen die Rezeptionen der Geschichte der poetischen Form der einzelnen Psalmen und werden nicht wie im Pentateuch als Narration entfaltet. In besonderer Weise tritt dieser Aspekt in den beiden Geschichtspsalmen 135 und 136 zutage. In Ps 136 werden die einzelnen rezipierten Ereignisse in die Form des Hymnus eingepasst und auf einen bekenntnisartigen Satz zugespitzt. Demnach erzählt Ps 136 nicht die fundierende Geschichte von der Schöpfung bis zur Landnahme, sondern transformiert sie in einzelne Bekenntnisaussagen, durch die Jhwh als allein wirkmächtiger Gott gepriesen wird. In ähnlicher Weise verfährt auch der Hymnus Ps 135. Während aber in Ps 136,5–22 der aus dem Pentateuch übernommene Erzählbogen von der Schöpfung über den Auszug aus Ägypten, der Rettung am Schilfmeer bis zur Gabe des Landes nachgezeichnet wird, werden die geschichtlichen Ereignisse in Ps 135,8–12 auf ihren Anfangspunkt, die Tötung der Erstgeburt (Ps 135,8 f), und ihren Endpunkt (Ps 135,10–12) hin reduziert. Dadurch wird kein Erzählbogen mehr skizziert. Stattdessen stehen Anfang und Ende der Heilsgeschichte für ihre Gesamtheit. Das zweite Spezifikum ist das entscheidende. Im Unterschied zu den Psalmen im Allgemeinen wird in den Geschichtspsalmen die paradigmatische Geschichte selbst zum Thema erhoben. Dabei bestätigen die Geschichtspsalmen aufgrund ihrer unterschiedlichen Konstruktionen von Geschichte nicht nur die Vielfalt in den Ausdrucksformen kollektiver Gedächtnisse. Darüber hinaus wird auch der Rezeptionsprozess selbst transparent und im Proömium von Ps 78,1–11 explizit reflektiert. So entfaltet Ps 78,1–11 die Weitergabe der paradigmatischen Ereignisse aus der Frühgeschichte von Generation zu Generation mit dem Ziel, ihre identitäts-
B. Die Geschichtspsalmen als Paradigma kollektiver Gedächtnisse
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formierende und identitätsvergewissernde Bedeutung für jede Generation aufs Neue zu bestätigen. Dazu wird die Kategorie des ›lobenden Weitererzählens‹ (USV Piel) aus dem Danklied des Einzelnen aufgenommen (Ps 78,3.4.6) und zugleich im Rahmen des Geschichtspsalms modifiziert. Im Unterschied zum Danklied des Einzelnen handelt es sich in Ps 78,1–11 um die Vergegenwärtigung und Veröffentlichung kollektiver Rettungserfahrungen, die als paradigmatische Rettungserfahrungen die Gottesbeziehung eines jeden Einzelnen als Teil der Traditionsgemeinschaft festigen sollen (Ps 78,7). Deswegen wird die Weitergabe der Rettungstaten Jhwhs generationenübergreifend ausgeweitet (Ps 78,3–7). Jeder Generation sind sie aufs Neue zu erzählen. Dieser Vergegenwärtigungsprozess zielt letztlich darauf, die Traditionsgemeinschaft Israel als Volk Jhwhs für jede Generation neu zu begründen und ihre Identität zu festigen. Insofern wird in Ps 78 das aus der Toda übernommene Muster des lobenden Weitererzählens (USV Piel) der Rettungstaten Jhwhs in die Perspektive des Erzählens transformiert und im Rahmen des Psalms als Anleitung zum Gotteslob inszeniert. Dabei kommt ihm durch Versprachlichung, Vergegenwärtigung und Veröffentlichung der Rettungstaten Jhwhs im kultischen Rahmen eine identitätsstiftende Bedeutung für die vergangenen, die gegenwärtige und die zukünftigen Generationen Israels als Volk Jhwhs zu. In diesem Sinn entsteht in der Rezeption der paradigmatischen Geschichte eine Verschränkung der Zeithorizonte (Kapitel 1 C.c]). Denn die fundierenden Ereignisse der Vergangenheit werden in ihrer Relevanz für die gegenwärtige Generation gedeutet, damit diese sich in die Zukunft hinein ihrer Identität als Gottesvolk vergewissern kann. Darüber hinaus impliziert die Reflexion des Erinnerns auch eine Reflexion des Vergessens. Sie führt vor Augen, dass das Vergessen der Väter, das die Geschichte von den Anfängen des Gottesvolkes her geprägt hat, letztlich zum Ausstieg aus dem kultischen Dank führt, so dass das Fundament der Traditionsgemeinschaft verloren zu gehen droht. Indem aber die Psalmen das Vergessen erinnern, integrieren sie diesen Aspekt in das Gebet. Dadurch halten sie auch und gerade im Erinnern des Vergessens ihre Gottesbeziehung lebendig und bleiben im kultischen Dank mit Jhwh in Verbindung. In diesem Sinn kommt auch dem Gedenken des Vergessens eine identitätsformierende und identitätsvergewissernde Bedeutung zu. Die in Ps 78,1–11 entfaltete Reflexion der Rezeptionsprozesse paradigmatischer Ereignisse ist innerhalb der Gruppe der Geschichtspsalmen singulär. Die anderen vier Geschichtspsalmen weisen einen hymnischen Rahmen auf (vgl. Ps 105,1.6.45; 106,1–5.48; 135,1–3.19–21; 136,1–3.26) und stellen daher statt einer Reflexion die Rezeption selbst dar. Denn durch den hymnischen Rahmen wird die Rezeption paradigmatischer Geschichte in das Gotteslob eingeordnet und als Teil desselben verstanden. Indem die
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Kapitel 5: Ertrag
Beter auf diese Weise an der erinnerten Geschichte partizipieren, wird die kollektive Perspektive der Psalmen durchlässig für die eigene individuelle der Beter. Somit handelt es sich bei dieser Art der Partizipation um einen performativen Akt, in dem die Beter Teil einer ganz eigenen Wirklichkeit im kultischen Dank werden, die reziprok die Wahrnehmung ihrer eigenen Wirklichkeit verändert. So gehört es zur Besonderheit der Geschichtspsalmen, dass sie nicht nur das Paradigmatische der fundierenden Ereignisse explizit zum Thema erheben, sondern darüber hinaus den Rezeptionsprozess selbst transparent machen. In diesem Sinn sind die Geschichtspsalmen als Paradigma kollektiver Gedächtnisse zu verstehen und leisten einen Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Debatte über ihre Entstehung.
C. Die Geschichtspsalmen als psalterkompositorisches und psalterredaktionelles Paradigma C. Die Geschichtspsalmen als psalterkompositorisches Paradigma In psalterkompositorischer Hinsicht haben sich die Geschichtspsalmen in besonderer Weise als relevant erwiesen, da sie im Hinblick auf die Komposition des Psalters jeweils an zentralen Stellen bzw. Übergängen platziert worden sind und die vielfältige kompositorische und redaktionelle Arbeit in einer späten formativen Phase der Psaltergenese paradigmatisch abbilden. So hat sich Ps 78 vor allem in zweifacher Hinsicht als redaktioneller Reflexionstext in der Mitte der Asafsammlung erwiesen. Erstens kommt Ps 78 im Kontext seiner beiden Nachbarpsalmen 77 und 79 die Bedeutung eines redaktionellen Reflexionstextes zu. Dies zeigt sich daran, dass sich die hermeneutische Deutekategorie der schöpfungstheologisch reflektierten Barmherzigkeit Gottes (Ps 78,38 f) als die die drei Psalmen verbindende Konzeption profiliert und durch makrostrukturelle und terminologische Bezugnahmen hervorgehoben wird. Denn die in Ps 77,17–21 im Rahmen der Theophanie begründete Hoffnung auf ein erneutes Eingreifen Jhwhs wie am Schilfmeer wird ebenso durch die schöpfungstheologisch begründete Barmherzigkeit Jhwhs in Ps 78 vertiefend reflektiert wie die im Rahmen der Klage entfaltete Dimension der Schuld in Ps 79,5–9 (vgl. Kapitel 2 D.1.a]). Sie wird in den Reflexionsversen in Ps 78,38 f als anthropologische Grundkonstante des Menschen verankert und begründet die Schuld Israels sowie die erneute Zuwendung Jhwhs, das Ende seines Zorns, in den Vergebungsbitten in Ps 79,8 f (vgl. Kapitel 2 D.1.b]). Zweitens hat die Analyse der Ablauflesung von Ps 74–79 den Geschichtspsalm 78 als einen für seinen literarischen Kontext geschaffenen Reflexionstext plausibel machen können. Denn in Ps 78 wird die mit Ps 74 eröffnete kollektive, heilsgeschichtliche und schöpfungstheologische Per-
C. Die Geschichtspsalmen als psalterkompositorisches Paradigma
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spektive aufgenommen und in einen umfassenden geschichts- und schöpfungstheologischen Zusammenhang eingebettet.2 Auf diese Weise konnte Ps 78 für den Kompositionsbogen Ps 74, 77 und 79 als Reflexionstext herausgestellt werden, der der Sammlung Ps 74–79 ein über den Einzelpsalm bzw. die bereits bestehenden Kompositionsbögen (Ps 74–76; 74–79) hinausgehendes reflexives Profil verleiht und somit einen Kristallisationspunkt in der Sammlung Ps 74–79 darstellt. Die psalterkompositorische und psalterredaktionelle Bedeutung des Doppelpsalms 105 f unterscheidet sich von dem Reflexionstext Ps 78, da mit diesen beiden Psalmen vor allem der redaktionell in mehreren Etappen gestaltete Abschluss der Sammlung Ps 101–106 bzw. des vierten Psalmenbuches vorliegt. Zunächst haben sich aufgrund der terminologisch engen Bezüge – wie sie vor allem in der Verbindung der für Ps 105,8–11.42 hermeneutisch entscheidenden Bundesvorstellung mit der für Ps 106,1.7.45 zentralen hermeneutischen Deutekategorie der Güte Jhwhs in Ps 106,45 profiliert werden konnten – Ps 105 und Ps 106 als ein aufeinander bezogener Doppelpsalm erwiesen (vgl. Kapitel 3 C.1.). Diese im Zusammenhang des Doppelpsalms in geschichtstheologischer Hinsicht profilierte Konzeption der Güte bzw. Barmherzigkeit Jhwhs ist darüber hinaus mit dem Grundpsalm 103,1–18 verbunden, so dass ein Reflexionsbogen über die anthropologischen (Ps 103*) und geschichtstheologischen (Ps 105 f) Aspekte der Güte Jhwhs entsteht. Redaktionsgeschichtlich gesehen hat dieser Befund zu der Annahme einer gemeinsamen Redaktion geführt, die Ps 103.105 f in seinen literarischen Kontext eingefügt hat (vgl. Kapitel 3 C.2.–3.). Schließlich wurde die Komposition durch den vermutlich später eingeschriebenen Schöpfungspsalm 104 ergänzt. Dazu wird Ps 104 vor allem an seinen Rändern (Ps 103,1.22; 104,1.35) sowie über die Konzeption der Königsherrschaft Jhwhs (Ps 103,19–22; 104,1.4) mit Ps 103 verknüpft. So entsteht eine Komposition, die mit der Güte Jhwhs im Hinblick auf den Menschen schlechthin beginnt (Ps 103) und mit der Explikation der Güte Jhwhs in der Geschichte endet (Ps 106). In den literarischen Rahmen von Ps 103 zu Ps 106 wird das Schöpferhandeln Jhwhs eingeschrieben, wie es sich in seinen Schöpfungswerken (Ps 104) und in der Geschichte (Ps 105) zeigt. Damit bleibt die Güte Jhwhs die entscheidende hermeneutische Kategorie zur Interpretation des Handelns Jhwhs in Schöpfung und Geschichte (vgl. Kapitel 2 C.4.).
2 Dies betrifft die oben bereits herausgestellte hermeneutische Schlüsselkategorie der schöpfungstheologisch begründeten Barmherzigkeit Gottes in Ps 78,38 f ebenso wie die zweifache Deutung der Heilsgeschichte, in der in V. 12–39 das Handeln des Schöpfers und in V. 40–42 das Handeln des Weltenherrschers transparent werden. Vgl. darüber hinaus weiter die Analyse der Ablauflesung unter Kapitel 2 D.2. (S. 116 ff).
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Kapitel 5: Ertrag
Eine letzte Neuakzentuierung erfährt die Komposition Ps 103–106 durch die später ergänzten Halleluja-Unterschriften bzw. -Überschriften in Ps 104,35, 105,45 und 106,1.48, durch die Ps 103 von der Komposition abgekoppelt wird (Kapitel 3 C.6.). Dadurch entsteht eine »kleine Universalgeschichte«3 die von der Schöpfung bis zum Exil reicht und die Taten des Königsgottes Jhwhs entfaltet. Durch die Schlussdoxologie in Ps 106,48 wird diese Zuordnung der Psalmen 104–106 letztlich unterstrichen, wodurch der Psalter seine an der Tora orientierte Fünfteilung erhält. Damit wird anhand der redaktionellen Einordnung von Ps 105 f die literarische Genese der Sammlung 103–106 sichtbar, die auf ihrer jeweiligen Ebene die sich in Schöpfung und Geschichte manifestierende Güte Jhwhs neu akzentuiert und so die vielschichtige und vielfältige redaktionelle Arbeit am Psalter exemplarisch sichtbar macht. Die redaktionelle Funktion des Geschichtspsalms 136 hebt sich insofern von den anderen Geschichtspsalmen ab, als dieser Psalm als Abschlusspsalm eines vorläufigen Psalters profiliert werden konnte. Dabei ist zunächst aufgefallen, dass die psalterkompositorischen Verbindungslinien von Ps 136 zu den vorausgehenden Psalmen verlaufen und über die Ps 136 prägende Hodu-Formel ›Lobt Jhwh, ja,/denn er ist gütig! Ja,/Denn seine Güte ist für fernste Zeit‹ (ZGV[aOZ>O\NEZM\NKZK\OZGZK) Ps 136 mit Ps 118,1.29; 107,1 und 106,1 verbindet. Durch diese makrostrukturellen Merkmale wird die Konzeption der in Ps 136 entfalteten Güte Jhwhs in Schöpfung, Geschichte und Gegenwart aus der Textabfolge herausgehoben. Sie bildet einen Strukturbogen, durch den Ps 106 und Ps 136 aufeinander bezogen werden. Zudem wird durch die Formel jeweils der Übergang von Ps 106 zu Ps 107 sowie Ps 118 zu Ps 136 gestaltet, der vermutlich vor dem Einschub des Wallfahrtspsalters (Ps 120–134) und Ps 119 direkt auf Ps 118 gefolgt ist. Damit ist Ps 136 vor allem mit ihm vorausgehenden Psalmen verbunden, zumal in gleicher Weise konzeptionell und psalterkompositorisch relevante Bezüge zu der folgenden Davidsammlung (Ps 138–145) und dem Schlusshallel (Ps 146–150) nicht aufgezeigt werden konnten. Diese Beobachtungen sprechen für die Annahme, dass Ps 136 einen vorläufigen Psalter abgeschlossen hat (vgl. Kapitel 4 C.2.). Gestützt werden die redaktionsgeschichtlichen Ergebnisse zu Ps 136 durch die Ergebnisse zu Ps 135, der sich als ein redaktioneller Text mit Kompilationscharakter erwiesen hat (vgl. Kapitel 4 C.1.c]). Aufgrund der von Ps 135 ausgehenden makrostrukturellen Bezüge wird nach dem Einschub des Wallfahrtspsalters (Ps 120–134) die einst bestehende Verbindung zwischen Ps 136 und der Sammlung Ps 106.107–118* wiederhergestellt. Dazu werden im hymnischen Anfang Ps 135,1–3 und im hymnischen Schluss Ps 135,19–21 Kompositionsbögen zu Ps 113,1, 115,9–11.12, 3
HOSSFELD, Universalgeschichte, 310.
C. Die Geschichtspsalmen als psalterkompositorisches Paradigma
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118,2–4, 134,2.3 und 136,1 gebildet, so dass Ps 135 eine redaktionelle Brücke zwischen der Sammlung Ps 111–118, dem neu ergänzten Wallfahrtspsalter (Ps 120–134) sowie dem vormaligen Schlusspsalm 136 bildet.4 Aufgrund dessen ist zu vermuten, dass die Ergänzung von Ps 135 auf die Redaktion zurückgeht, die auch den Wallfahrtspsalter in den bis dahin bestehenden Kontext eingeschrieben hat. Darüber hinaus übernimmt Ps 135,8–12 die geschichtstheologische Deutung aus Ps 136,10.17–22 sowie die Reflexion über die Ohnmacht der Götterbilder in Ps 135,15–18 aus Ps 115,4–8, um sein theologisches Profil, die alleinige Wirkmächtigkeit Jhwhs, zu schärfen. Insofern dienen die in besonderer Weise herausgestellten redaktionellen Bezugnahmen zu Ps 115 und Ps 136 einer konzeptionellen Standortbestimmung von Ps 135 im Psalter. Durch dieses Ergebnis wird die Annahme eines Psalters von Ps 2–136* ohne Wallfahrtspsalter (Ps 120–134) und Ps 135 bestätigt. Im Hinblick auf die redaktionelle Einordnung des Wallfahrtspsalters folgt daraus, dass er zu einem recht späten Zeitpunkt an seinen Ort im Psalter eingefügt worden ist. Im Hinblick auf die Gestaltung des vierten und fünften Psalmenbuches ist weiterhin signifikant, dass Ps 135, den in seinen Bezugstexten Ps 118 und Ps 136 vorgegebenen Hodu-Rahmen bzw. die Hodu-Formel nicht aufnimmt, sondern stattdessen den Psalm mit einem Halleluja-Rahmen in Ps 135,1–3.21 versieht (Kapitel 4 C.1.). Dabei geht der hymnische Anfang über die in den meisten Fällen redaktionelle Halleluja-Überschrift hinaus, da der Psalm mit einem vierfachen Halleluja-Aufruf beginnt und dieser somit fest im Kontext des Psalms verankert ist. Durch diese HallelujaRahmung entsteht ein übergeordneter Strukturbogen, durch den Ps 135 mit der Psalmengruppe 111–117 sowie mit dem Schlusshallel verbunden wird. Durch den Halleluja-Rahmen in Ps 135 geraten nun auch die auf Ps 136 folgenden Psalmen in den Blick, so dass Ps 136 seine Position als Schlusspsalm verliert. Gleichzeitig entsteht durch die redaktionelle Einschreibung von Ps 120–134 sowie des redaktionellen Scharnierpsalms 135 eine Neustrukturierung des vierten und fünften Psalmenbuches. Auf diese Weise wird das zweifache Bekenntnis zu Jhwh als dem einen Gott in Schöpfung und Geschichte in Ps 135 und Ps 136 an einen für die Entstehung des Psalters bedeutsamen Angelpunkt platziert, mit dem der Übergang von einem bestehenden Buchabschluss zu dem uns vorliegenden Schlusshallel des Psalters gelenkt wird. Daher weisen die Geschichtspsalmen eine für die Redaktion des Psalters in dreifacher Hinsicht bedeutsame Funktion auf: Erstens sind sie in ihrem literarischen Kontext an psalterkompositorischen und psalterredaktionellen Scharnierstellen platziert worden und insofern für die Entstehung bzw. den Abschluss von Sammlungen relevant. Bei Ps 4
Vgl. LEVIN, Psalm 136, 26.
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Kapitel 5: Ertrag
78 handelt es sich um einen Kristallisationspunkt der Asafsammlung. An Ps 105 f kann die Entstehung der Sammlung Ps 101–106 nachgezeichnet werden, während Ps 136 als vorläufiger Psalterabschluss profiliert werden konnte. Ps 135 hat sich wie Ps 78 als ein redaktioneller Reflexionstext erwiesen. Während die psalterkompositorische Bedeutung von Ps 78 aber vor allem in der konzeptionellen Klammer besteht, durch die Ps 74–79 auf einander bezogen und theologisch weitergedacht werden, stellt Ps 135 eine redaktionelle Klammer dar, mit der eine Neustrukturierung des vierten und fünften Psalmenbuches verbunden ist. Durch die Ergänzung von Ps 135 wird sichtbar, wie der einstige Schlusspsalm 136 eines vorläufigen Psalters diese Funktion wieder verliert und mit Ps 135 ein neuer redaktioneller Übergang zum Schluss des uns heute vorliegenden Psalters geschaffen wird. Zweitens ist die redaktionelle Bedeutung der einzelnen Geschichtspsalmen auf unterschiedliche literarische Kontexte bezogen, so dass den Geschichtspsalmen als Gruppe weder eine psalterkompositorische noch eine psalterredaktionelle Bedeutung zukommt. Ist Ps 78 redaktionell im literarischen Zusammenhang der Asafsammlung einzuordnen, hat sich für Ps 105 f der Abschluss des vierten Psalmenbuches als besonders relevant erwiesen. Mit Ps 135 und 136 liegt vermutlich der umfassendste literarische Zusammenhang vor, da die Einschreibung von Ps 135 Auswirkungen auf eine Neustrukturierung des vierten und fünften Psalmenbuches hat. Innerhalb der Gruppe der Geschichtspsalmen konnten allerdings keine kompositorischen und redaktionellen Verbindungen festgestellt werden, so dass weder in konzeptioneller Hinsicht eine Entwicklung der Geschichtspsalmen nachzuzeichnen ist noch in redaktioneller Hinsicht von einer Redaktion auszugehen ist, die die Geschichtspsalmen in den Psalter eingeschrieben hat. Daher ist auch eine relative Chronologie der Geschichtspsalmen nur schwer zu bestimmen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit lässt sich aber Ps 135 als jüngster der Geschichtspsalmen plausibel machen, da seine Einschreibung letztlich darauf zielt, den Blick über den vorläufigen Psalterschluss 136 auf das Schlusshallel zu lenken und Ps 136 neu in seinem Kontext zu verankern. Aufgrund des von Ps 136 ausgehenden HoduRahmens, der Ps 136 mit Ps 106 verbindet, setzt die Redaktion, die Ps 136 als Psalterschluss formiert hat, vermutlich den Doppelpsalm 105 f voraus oder ist mit diesen zeitgleich entstanden. Ps 78 weist keine redaktionellen Bezüge zu Ps 105 f oder Ps 135 f auf, so dass dieser Psalm nur schwer zu den anderen Psalmen in Bezug gesetzt werden kann. Aufgrund der formalen und konzeptionellen Ähnlichkeit mit Ps 105 f ist er aber vermutlich in einem gleichen Zeitraum entstanden. Drittens werden anhand der redaktionellen Funktion des Doppelpsalms 105 f einerseits und Ps 135, 136 andererseits entscheidende Weichenstellungen in der Formierung des vierten und fünften Psalmenbuches sichtbar.
D. Ausblick
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Dadurch wird die Reflexion der paradigmatischen Geschichte, die zugleich auf ein Bekenntnis zu dem einen Gott in Schöpfung und Geschichte zielt, als eine herausgehobene Konzeption im vierten und fünften Psalmenbuch profiliert. Insofern stellen die Geschichtspsalmen auch psalmentheologisch hermeneutische Schlüsseltexte für eine Theologie später Psalmen dar. In diesem Sinn bilden die Geschichtspsalmen aufgrund ihrer unterschiedlichen redaktionellen Funktion und der damit einhergehenden Profilierung ihrer theologischen Konzeptionen die vielfältige redaktionelle Arbeit am Psalter in einer späten formativen Phase seiner Genese paradigmatisch ab.
D. Ausblick Die psalmentheologischen sowie die psalterkompositorischen und psalterredaktionellen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung eröffnen über die Geschichtspsalmen hinaus vor allem drei weiterführende Perspektiven, deren Konsequenzen und Fragehorizonte für eine abschließende formative Phase der Psaltergenese, in den diese Texte mehrheitlich hineingehören, von entscheidender Bedeutung sind. Die erste Perspektive knüpft an das aus psalmentheologischer Sicht bedeutsame Ergebnis an, dass das den Geschichtspsalmen zugrunde liegende paradigmatische Verständnis von Geschichte in allen fünf Psalmen mit einem impliziten (Ps 78, 105; 106) oder expliziten (Ps 135; 136) monotheistischen Gottesbild einhergeht. Zeigte sich dies in Ps 136 und Ps 135 in dem Bekenntnis zur Exklusivität Gottes und seiner alleinigen Wirksamkeit in Schöpfung und Geschichte, ist es in Ps 78, 105 und 106 darin zum Ausdruck gebracht worden, dass das Handeln Jhwhs in der Geschichte auf den Schöpfer hin transparent ist. Damit erweist sich Jhwh auch in Ps 78, 105 und 106 als Herr der Gesamtwirklichkeit von Schöpfung und Geschichte. Diese für die Geschichtspsalmen signifikante Entfaltung der Exklusivität Jhwhs in der Geschichte basiert wiederum auf der Interpretation der psalmenspezifischen Kategorie der Güte (GV[) Jhwhs, die sich in seinen Wundertaten in Schöpfung und Geschichte manifestiert. In diesem Horizont steht auch der Geschichtspsalm außerhalb des Psalters in Neh 9,5 der ebenfalls in einer vor allem mit Ps 78, 105 und 106 vergleichbaren Weise auf die fundierenden Ereignisse aus dem Pentateuch zurückgreift und im Rahmen eines Bußgebets neu deutet. Auch hier wird ein monotheistisches Bekenntnis zu 5 Zu Neh 9 vgl. die Untersuchungen von BODA, Praying, sowie P RÖBSTL, Rezeption, 7–105. Darüber hinaus ist noch auf den Geschichtsrückblick im Rahmen der Volksklage in Jes 63,7–64,11 zu verweisen, die ebenfalls in Jes 63,11–14 im Rahmen jesajanischer Theologie die Rettung am Schilfmeer aus Ex 15 aufnimmt. Vgl. hierzu vor allem EMMENDÖRFFER, Der ferne Gott, 261–289.
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Kapitel 5: Ertrag
Jhwh als Schöpfer und Herr von Himmel, Erde und Meeren der Rezeption der Geschichte vorgeschaltet. Inwieweit der Zusammenhang von Schöpfung, Geschichte und monotheistischem Bekenntnis zudem in den Geschichtsrezeptionen aus hellenistischer Zeit, wie z. B. in dem in Sir 42,15–43,33; 44,1–50,24 aufeinanderfolgenden Lobpreis der Herrlichkeit Gottes in Schöpfung und Geschichte, in der großen Rede des Ammoniters Achior über die Geschichte Israels in Jdt 5,5b–21 oder in der Geschichtsreflexion in SapSal 10,1–19,22 zum Tragen kommt, ist im Einzelnen zu überprüfen und vor dem Hintergrund der Literatur aus hellenistischer Zeit zu beurteilen. Aufgrund dieses Befundes eines psalmenspezifisch begründeten monotheistischen Gottesbildes stellt sich nun die Frage, inwieweit diese für eine Theologie später Psalmen allgemein relevant ist und inwiefern ein solches Gottesbild auch für andere Psalmen die hermeneutische Grundkategorie darstellt. Ein Beispiel hierfür ist bereits der in Ps 135 stark rezipierte Ps 115, der die Alleinwirksamkeit Jhwhs wie Ps 135 in mehreren Facetten herausstellt (vgl. Kapitel 4 C.1.b]). Aber auch darüber hinaus geraten Psalmen wie Ps 102 in den Blick, in dem die aus der Klage bekannten Motive (vgl. Ps 102,1–12.24.29) mit zionstheologischen (vgl. Ps 102,13–23) und schöpfungstheologischen Vorstellungszusammenhängen (vgl. Ps 102,24– 28) verbunden werden, um die Herrschaft Jhwhs über die Gesamtwirklichkeit zum Ausdruck zu bringen.6 So wird in Ps 102 wie in den Geschichtspsalmen mit der schöpfungstheologischen Dimension des Handelns Jhwhs (Ps 102,26–28) seine Exklusivität impliziert, die sich unter anderem in seiner die Völkerwelt umfassenden Weltherrschaft manifestiert (Ps 102,16.23). Aber auch ein Psalm wie Ps 147,7 in dem die Perspektive von Jhwh als Erhalter der Welt (Ps 147,4.7–9.16–18) mit seiner vom Zion ausgehenden Weltherrschaft (Ps 147,5f) sowie der Gabe von Rechtsordnungen (Ps 147,18–20) verbunden wird, impliziert seine alleinige Wirkmacht und begründet dies letztlich schöpfungstheologisch. Daher wird über die hier nur exemplarisch skizzierten Ps 102 und Ps 147 zu fragen sein, inwieweit sich diese Perspektive einer monotheistischen Theologie der Psalmen auch noch in weiteren späten Psalmen niedergeschlagen hat bzw. inwieweit diese für die Theologie der späten Psalmen leitend ist. Die zweite Perspektive nimmt die psalterkompositorischen und psalterredaktionellen Ergebnisse aus der vorliegenden Untersuchung auf und eröffnet den Horizont auf die Komposition des Psalters. Denn über die in dieser Studie herausgestellte redaktionelle Bedeutung der Geschichtspsalmen für eine späte formative Phase der Psaltergenese – insbesondere im vierten 6
Vgl. zu Ps 102 weiter die Ausführungen von B ERGES, Knechte, 153–178; ERBELEKÜSTER, Lesen, 53–85; KÖRTING, Zion, 32–60 und STECK, Eigenart, 357–372. 7 Zu Ps 147 vgl. B ALLHORN, Telos, 310–315; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 824–837 sowie die beiden Monographien R ISSE, Gott, und SEDLMEIER, Jerusalem.
D. Ausblick
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und fünften Psalmenbuch – und der damit verbundenen Vielfalt redaktioneller Arbeit, ist die Platzierung der Geschichtspsalmen an Scharnierstellen für die Gesamtkomposition des Psalters relevant. Dadurch wird die Rezeption und Vergegenwärtigung paradigmatischer Geschichte – je in ihren spezifischen Deutungen – an entscheidenden Übergängen (vgl. Ps 105 f; 135; 136) oder im Falle von Ps 78 in der Mitte einer Sammlung aus der Textabfolge herausgehoben. Auf diese Weise entsteht eine bewusste Leselenkung im Psalter, durch die die Beter im Vollzug ihrer Lektüre an kompositorisch entscheidenden Stellen zu einer erneuten Vergewisserung ihrer kollektiven Identität geführt werden. Somit erweisen sich die Geschichtspsalmen auch im Hinblick auf den Gesamtpsalter als hermeneutische Schlüsseltexte, indem sie eine bestimmte Lesung des Psalters favorisieren. Wie diese im Einzelnen zu konkretisieren ist und welche makrostrukturellen Verbindungslinien von den Geschichtspsalmen in den Psalter hinein gezogen werden können, bedarf allerdings weiterführender Kompositionsanalysen. Aber die Geschichtspsalmen entfalten ihre Bedeutung nicht nur psalmenintern. Ihre Profilierung paradigmatischer Geschichte als relecture der Tora weist darüber hinaus eine dritte Perspektive auf, die über den Psalter hinaus auf die Narration der fundierenden Ereignisse im Pentateuch weist. Insofern geht die Lektüre der Geschichtspsalmen mit einer kanonischen Öffnung im Hinblick auf den Pentateuch einher, so dass eine buchübergreifende Lektüremöglichkeit zwischen Psalter und Pentateuch entsteht. Konzeptionell werden die beiden bedeutenden Buchkorpora der Hebräischen Bibel an einer für die alttestamentliche Theologie zentralen Fragestellung nach paradigmatischer Geschichte aufeinander bezogen.8 Damit entsteht ein innerbiblischer Fragehorizont nach der Rezeption und der Interpretation der fundierenden Ereignisse aus der Frühgeschichte und ihrer Bedeutung für die alttestamentliche Theologie. Dadurch, dass bis heute das Gebet der Psalmen weitergeführt wird, führt der in den Psalmen anvisierte Gebetsprozess über die Generationen hinaus zu einer ständigen Rezeption und Neuinterpretation der »Rätsel der Vorzeit« (Ps 78,2). Wie im Proömium von Ps 78,1–11 formuliert, werden die Wundertaten und Ruhmestaten Jhwhs zukünftigen Generationen weitererzählt. Damit geschieht, was Ps 78 im Blick hat: Die Beter antworten mit Lob und Dank und setzen ihre Zuversicht auf Gott (Ps 78,4.7). In diesem Sinn bleiben die Rätsel der Vorzeit (Ps 78,2), ihre stetige Interpretation und Rezeption eine psalmentheologische und psalterredaktionelle Aufgabe alttestamentlicher Theologie und kirchlicher wie persönlicher Praxis. 8
Vgl. hierzu auch die in einer späten redaktionellen Phase durch die Schlussdoxologie entstandene Fünfteilung des Psalters, durch die der Psalter eine strukturelle Analogie zum Pentateuch enthält. Vgl. hierzu LEVIN, Büchereinteilung, 83–90, KRATZ, Tora, 1–34 sowie die Ausführungen in Kapitel 3 B.3.f) (S. 235 ff).
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Bibelstellenverzeichnis (in Auswahl)
Genesis 1 1,2 1,3–8 1,4.5 1,9 f 1,9–13 1,11–13 1,16 1,18 1,20 f 1,20–23 1,21 1,24–31 1,28 6,12.13.17.19 7,15 f.21 8,17 9,1.7 9,11.17 10,6 12,1–3 12,4 12,10–20 15 15,1–6 15,6 15,7–21 15,8 15,13–15 15,17 15,18 15,18–21 15,26 17 17,4–6 17,7 17,8
85, 170, 172, 280, 303 171 175 171 175 173 175 302 f 171 172 175 7 173, 175 152 312 312 312 152 312 167 148 158 162 154 157, 222 221 157, 159 150 157 f 152 152, 156 157, 181 152 153 148, 153 151–153 181
17,9–14 17,13 17,14 17,19 20(,6.7) 21,22 f 22,18 26,2–5 26,4 26,4 f 26,12–33 27 32,29 37,28 41,14 41,14–45 41,39.44 41,53–56 45,5 45,7 45,7 f 45,8
153 151, 153 153 151, 153 f 162 162 158 152, 154, 158 f 158 158 162 148 149 164 166 164, 166 167 164 164 f 165, 168 165 167
Exodus 1,7 3,20 3,22 4,28–30 7–12 7,1–6 7,3 7,3–5 7,5 7,14–25 7,26–8,11 7,26–8,16 7,28 8,12–15
154, 169 200 176 169 f 81, 171–174, 305 305 169 f 331 305 f 81, 172 82, 172 82 172 85, 172, 175
426 8,16–27 8,16–28 9,1–7 9,8–12 9,13–35 9,15 9,23–25 10,1–20 10,12 10,21 f 10,21–29 11,2 12,12.29 12,29–36 12,35 13 13,5 13,17–14,14 13,17–14,31 13,17–15,21 13,21 14,16 14,21 14,22 14,28 14,29 14,30 14,31 15,1 15,1–18 15,1–21 15,6 15,6–12 15,6–18 15,8 15,10 15,12 15,13 15,13–17 15,14 f 15,14–16 15,16 15,16b 15,17 15,21 16 16,1–35 16,4.8.12 17
Bibelstellenverzeichnis 172 175 175 84, 175 83 84 173 82 173 171 85, 171 176 305, 331, 349 173 176 177 214 200 202–205 200–202, 205 64 62, 118, 306 62, 118 203, 306 203 f 306 204 f 201 201 5, 85, 103, 115–117, 120, 126 f, 309, 316 204, 205 316 86 85, 203 f, 308 64 88, 203 f 316 88, 117 117, 308, 310, 316 332 87 117 88 86, 88, 96, 117, 309 201 67, 72, 178, 248 207 69 65
17,1–7 17,6 18,11 20,9 22,23–30 22,30 23,21 23,33 26,36 f 31,12–17 32 32–34 32,4.8 32,11–14.30–35 33,13 33,16 33,19 34,6 f 34,7 34,9 34,10 34,12 34,27 35,15 36,37 39,38 40,5.28
178, 248 68 327, 332 306 214 214 200 226 177 154 212 106, 211, 216 210 213 267 263 267 f 77, 128, 267, 269, 369 269 13 266, 269 226 266, 269 177 177 177 177
Leviticus 5,4
224
Numeri 11 11,1 11,1–3 11,4 11,4–35 11,9.26 f.30–32 11,33 11,34 11,35 13 f 14,22–38 14,29 f.31 16,1–35 16,1–36 16,3.5.7 20 20,1–13 20,12.23 f
67, 72, 178, 248 71 69 71, 206 f 207 71 72 71, 206 f 206 216 217 217 209 208 208 200, 222 223 f 223
427
Bibelstellenverzeichnis 21,24 f.35 25,1–5 25,6–19 32,32 f 34,2.3
332 219 220 333 333
Deuteronomium 1,4 1,19–46 1,26 1,27 1,37 1,43 3,2 f 3,26 4,9 4,21 4,25 4,27–29 4,31 4,34 4,38 4,46 f 6,2 6,10 f 6,22 7,5 7,6 7,7–11 7,8 7,9 7,9–10a 7,16 7,19 7,25 9,7 9,8 9,12 9,14 9,16 9,19.20 9,23 9,23 f 9,25 9,26 9,26–29 10,10 10,14–11,1 10,15.17 12,3
332 216 58 217 222 f 58 332 222 f 55 333 55 336, 355 77 331 333 332 55 181 331 90 155, 326 151 f, 154–156 152 151, 155 155 226 331 90 58 213 210 213 210 213 217 58 213 215 f 213 213, 215 300 300 90
13,2 f 23,13 26,8 27,16–26 28,46 29,1 f 29,4 29,7 31,27 32,1 32,17 32,36a 32,37 f.39–41 32,48–52 32,50 34,11
147 226 331 238 147 331 307 333 58 52 f, 61 226 334 334 222–224 223 331
Josua 1,18 2,10 4,7.23 11,23 12,1–5 13,7 14,1–5 17,6 18,4 19,49–51
200 332 307 333 332 333 333 333 333 333
Richter 2,3
226
2 Samuel 7,1–16 7,5
98 98
1 Könige 3,6 8,47 f 8,51 19,16
98 198 306 161
2 Könige 17,7–23 21,1–18 21,3 23,1–30 23,8 f.13.15.19 f 23,26 23,26 f
90 91 91 90 90 90 90
428
Bibelstellenverzeichnis
1 Chronik 16,8–22 16,13 16,15 ff 16,34 16,34–36 16,35 28,5 29,23
163 163 97 338 236 237 97 97
2 Chronik 5,13 6,37 7,3.6 9,8 24,20
338 198 338 97 97
Esra 3,11 9,7
338 198
Nehemia 9 9,2 9,22–25 12,46
389 198 181 97
Judit 5,5b–21
390
Hiob 5,7 7,11 10,1 12,10 19,25 21,13 27,15 34,31 36,11 40,24
83 146 146 312 75 73 94 226 73 226
Psalmen 5,7 18,8 22 22,23 23,5 24,1 30
228 105 51 50 67 96 50
30,2–6 30,3 f.5 f 30,7–13 30,13 41,14 44,2 49,2 49,2 f 49,2–5 49,5 51,12 64,2 65,7 69,13 72,18 72,18 f 72,19 74 74,1 74,1–3 74,1–11 74,2 74,2 f 74,2–11 74,3 74,4–11 74,5 74,7 74,9 74,10 74,11 74,12 74,12–17 74,13–15 74,15 74,16 f 74,17 74,18 74,18–21 74,18–23 74,19 74,21 74,22 74,22 f 75 75,2 75,3 75,3 f 75,4 75,5–8
51 51 51 51 31, 236 f, 239 f 54, 61 52 53 53 52 58 146 194 146 366 31, 236, 239 237 116–120 97, 103, 116 f, 130 f 103 117 117, 127, 131 120, 126 128 131 124 131 121, 131 131 121, 131 131 64, 131 118 64, 118 63, 120 118–120 124 121, 131 125 119 124, 131, 133 121, 124, 131, 133 131 119, 124 120–122 121, 123 124 133 122 120
Bibelstellenverzeichnis 75,8 75,11.12 f 76 76,2 76,4 76,5–7 76,9 f 76,10.13 77 77,1–4 77,1–13 77,4 77,5–7 77,6 77,7 77,8–10 77,10 77,11 77,11–13 77,12 77,13 77,16 77,17 77,17–20 77,17–21 77,20 77,21 78 78,1–11 78,2 78,3 78,4 78,5 78,6 78,7 78,8 78,8–11 78,9 78,10 78,11.12 78,12–16 78,12–39 78,12–72 78,13 78,13b 78,13 f 78,13–16 78,15 78,17
124, 133 123 122–126 123 83 123 124 f, 133 124 104–110, 126 f 104 128 146 104 106 f 146 104 108 106 104 107 146 105, 107 109 104, 109 104, 107, 132 105 97, 104, 108, 120, 127 1–3, 377 f, 384 8, 50–61, 101, 106 f, 115, 197, 382 f, 391 107 59 f 1, 26, 59 60 59 f 58 58 f, 68, 73 89 60 58 1 62–65 61–78, 96, 100 26 63 f, 118 64 109 88, 103 65, 118 59, 73, 99
78,17–31 78,17–39 78,18 78,18–20 78,19 f 78,21 78,21–31 78,22 78,23–25 78,26–31 78,30 f 78,32 78,32–39 78,34–38 78,37 78,38 78,38 f 78,39 78,39 f 78,40 78,40–42 78,40–43 78,40–72 78,41 78,41–51 78,50 78,52 78,52 f 78,52–54 78,52–55 78,54 78,55 78,56 78,56–64 78,57 f 78,58 78,60–64 78,63 78,65–72 78,68 78,70–72 79 79,1 79,1–4 79,2 79,4 79,5 79,5–12 79,6
429 66, 308 89 207 66–69, 91 89 114 69–73 59 72 207 93 59, 99 73–78, 89 74–76 59 108, 113 f 98 f, 133 114 108, 271 59 89, 99 f 79–81 79–99 207 81–85 84 98, 115 108, 114 115 85–89, 103, 109, 120, 127 86 95, 98 59, 99, 207 89–94 89 114 91 114 94–99 86 114, 120, 127 110–116 131 110 f 113 131 114, 131 110 f 114, 131
430 79,8 f 79,9 79,10 79,12 79,13 80,2 81,5 89,3 89,4 89,5 89,7–10.15 89,53 90 90,2 f.14 96,1–13 96,2 f.10 100,4 f 102,9 102,17 103 103,1 103,1 f 103,1–8 103,1–18 103,3–5a 103,3–5 103,4 103,6.7 103,8 103,9.10 103,11–13 103,12 103,14 103,14–16 103,15–18 103,17 f 103,18 103,19–22 103,22 104 104,1 104,1–4 104,1–5 104,1b–4 104,4 104,5–9 104,10–18 104,13 104,14 f
Bibelstellenverzeichnis 113 f 131 112, 131 131 97, 103, 114–116, 120, 130 97, 120 152 96 98, 215 96 93 31, 236 f, 239 78 283 236 146 338, 364 146 96 260–275 144, 289 261 274 272, 274 261 262 261 263, 268 259, 263 268 264 268 265, 282 78, 269 265 271 269, 273 266, 274, 282 f 289 63, 275–284 282 f, 289 278 96 277 282 277 65, 277 279 70, 370
104,15.16 104,19–23 104,20 104,21 104,22 104,24 104,25 104,27 104,27 f 104,27–30 104,28.29 104,33 104,34 104,35 105 105 f 105,1 105,1–5 105,1–6 105,2 105,2–5 105,3 105,4 f 105,5 105,6 105,7 105,7–11 105,7–44 105,8 105,8–11 105,8a 105,8b 105,9 105,10b 105,11 105,12 105,12–15 105,12–41 105,12–45 105,14 f 105,15 105,16 105,16–23 105,17 105,19 105,19–23
279 277 280 279 280 277, 301 278 279, 313, 367, 370 70, 370 77, 278, 313 282 276, 281 146 276, 283, 289 f 1–3, 136–184 244–259, 379–381, 385 f 97, 251, 255, 276 236 145–149, 245 1, 8, 26, 146, 252, 256, 276, 281 144 255, 258 8 1, 26, 252, 255 f 144, 179, 253 149–159, 246, 258 141 144 147, 163, 251–253, 255, 258 149–159, 179, 246, 255, 259, 273, 279 152 155 156 152 153, 258 153 160–164 141, 160–179, 246 26 371 253 279 164–169, 246, 279 165, 168, 183, 281 253 279
Bibelstellenverzeichnis 105,20 105,21 105,24 105,24–38 105,26 105,27 105,27–36 105,28 105,28–36 105,29.30–36 105,36 105,38 105,39 105,39–41 105,40 f 105,42 105,42–45 105,43–45 105,44 105,45 106 106,1 106,1–5 106,2 106,4 106,4 f 106,5 106,6 106,7 106,7–12 106,7–42 106,7–43 106,7–46 106,8 106,10 106,11 106,12 106,13 106,13 f 106,13–15 106,13–42 106,14 106,16–18 106,19–23 106,20
166, 183, 281 167 160 169–176, 246, 248 183, 253, 258, 281 253 170 175, 183, 253, 280 f 85 175 173 180 177, 280 176–179, 246–248 308 147, 151, 179 f, 251– 253, 255, 258 f, 273 141, 238, 248, 254 180–182 281 144, 258, 273, 276, 281, 290 1–3, 188–244, 245 199, 236, 276, 284, 289, 338, 363, 366 188, 191–197, 245 8, 194 252, 255, 285 195 196, 215, 253, 258 188, 194 f, 197–199, 246 1, 58, 199 f, 248, 252, 255 f, 271, 284 199–206, 246, 259, 271 246 247 188 f 194 f, 229, 285 205, 229, 285 203 1, 194 f, 253 8, 195, 199, 252, 255 208 206, 248, 308 77 207 208–210, 228, 247 209–216, 247, 259, 270 211
106,21 106,22 106,23 106,24 106,24–27 106,26 f 106,28–31 106,30.31 106,32 106,32 f 106,33 106,34–42 106,40 106,40–42 106,43 106,43–46 106,44 106,44–46 106,45 106,45 f 106,45b–46 106,47
106,47 f 106,48 107 107,1 107,1–3 107,2 107,2 f 107,3 107,5 107,5 f 107,6.8 107,9 107,13 107,15 107,17–22 107,19 107,21.28 107,31 107,36 107,36–39 107,43 111–118
431 195, 199, 229, 248, 252, 255, 285 252, 256 214 f, 221, 253, 258 253 216–219, 247 218 219–222, 247 221 253 f 247 58 225–229, 247 195 202, 271, 286 58, 229 f, 254 248 f, 255 254, 285 230–234 195, 199, 251 f, 255, 284 233, 270 232, 247 188 f, 194 f, 202, 235 f, 248, 254 f, 258, 272, 285–287 236 31, 188, 235–240, 276, 286, 290 284–288 193, 240, 244, 284, 289, 338, 363 284, 286, 287 290 289, 364, 366 286 370 370 285 370 285 f 285 50 285 f 285 285 370 370 285 345–347, 387
432 111,5 113,1 113,2 113,2 f 114,3 115 115,2 115,3 115,4–7 115,7 115,8 115,9–11 115,12 115,15 115,17 118,1 118,2–4 118,29 120–134 127,1 127,2 132,15 134,1 134,2 134,3 135 135,1 135,1–3 135,2 135,3 135,4 135,4–8 135,5 135,5–18 135,6 135,6 f 135,7 135,8 135,8 f 135,8–12 135,9 135,9–11 135,10 135,10 f 135,10–12 135,12 135,13 f 135,14
Bibelstellenverzeichnis 370 324, 344, 362, 386 324 324 105 352–362 361 358 f 322 359 361 322, 337, 360, 362, 386 337, 362, 386 358 361 193, 244, 285, 348, 363 322, 337, 347, 362– 364, 366, 387 244, 348, 363 344 96 370 370 322, 325, 338 362, 387 338, 340, 362, 387 1–3, 318–344, 376, 386 f 240, 285, 324, 344 323–325, 362 325 345 323, 326 f, 335 355 f 326, 335 326–336 359 328–331 329 f, 335, 351 305, 349, 350 331 f 348, 382 349 356 332, 350 349 332 f, 348 350 334 f 334
135,15–18 135,17 135,17 f 135,19 f 135,19–21 135,21 136 136,1 136,1–3 136,4 136,4–25 136,5–9 136,5–22 136,7–9 136,9 136,10 136,10–12 136,10–16 136,10–22 136,11 136,13 136,13–15 136,15 136,16 136,17 136,17 f 136,17–22 136,19 f 136,21 136,21 f 136,22 136,23 136,23 f 136,23–25 136,25 136,26 142,3 143,5 144,13 f 145 145,4.9.10 145,14 f 145,15 f 145,17.21 146,7 147
330, 335 f, 355 359 357 345, 347, 360 336–340, 362 351 1–3, 240, 293–317, 375 f, 386 f 193, 338, 348, 362 f, 387 295, 299 f 1, 8, 26, 300, 350, 366, 368 295 295, 301–304, 368 26, 382 302, 315 303 295, 304 f, 322, 348 f 295 308 304–310, 315 305 200, 295 295, 307 200 295, 307 304, 308 349 295, 308, 322, 348 310, 349 309 350 309 296, 310 316 295 70, 296, 311–313, 316, 367 f, 370 314, 363 146 146 370 366 f 368 370 70 368 370 390
433
Bibelstellenverzeichnis 147,2 147,5 147,7–9 147,9 147,19
96 301 70 370 152
Proverbien 3,1 3,19 4,1 f 4,2 12,13 13,14 14,27 20,25 22,25 26,9 29,6.25
52 f, 61 301 52 53, 61 226 226 226 226 226 226 226
Sapientia Salomonis 8,6 83 10,1–19,22 390 Jesus Sirach 42,15–43 42,33 44,1–50,24
390 390 390
Jesaja 1,2 1,20 3,8 12,4 17,12–14 22,14 27,9 35,9 40,5 f 40,18–20 40,28 41,6 f 41,14 41,24b.29b 42,13 42,14 42,24–43,1 43,1.14 44,1 f.5 44,6 44,9–20
52 58 58 145 332 77 77 75 312 335, 355 301 335, 355 75 335, 355 95 149 149 75 149 75 335, 355
44,22–24 45,15–17 45,18.19 45,20b 46,5–7 47,4 48,17.20 49,6 49,7 49,26 50,5 51,9 f 51,10 52,3.9 54,5.8 55,3 57,14–21 58,12 61,6 63,10 66,1 66,16.23 f
75 335, 355 149 335 335, 355 75 75 149 75 75, 312 58 118 75 75 75 52 78 214 161 58 96 312
Jeremia 2 2,11 4,17 5,23 7,12.14 10,1–16 10,12 10,12 f 10,13 14,20 18,23 22,18 32,20 f 32,27 33,11 33,25 f 45,5
212 210 f 58 58 92 301, 329 f, 336, 355 301 330 329 f 198 77 94 147 312 338 78 312
Klagelieder 1,4–6.18 f 2,9–11.20 5,11–14
94 94 94
Ezechiel 20 58, 198, 201 20,5.6.15.23.42 218
434 21,4.9.10 22,30 24,23 Daniel 9,5.16
Bibelstellenverzeichnis 312 215 94
Amos 7,2.5
149, 214
Jona 4,2
232, 270
Micha 3,12 4,11–13 7,15
111 332 200
Habakuk 3,10
105
Maleachi 1,6–2,9
339
198
Hosea 7,16 14,1
90 58
Joel 1,2 f 1,4 2,13 2,17 2,25
51 82 232, 270 112 82
Namen- und Sachverzeichnis Aaron…68, 97, 106, 108 f, 127, 138, 142, 161 f, 169–171, 181, 183, 186, 190, 208–210, 221–223, 228, 247, 250, 253, 319, 321 f, 336–345, 353– 360, 364, 379 Auswahl…1–30, 171, 374 Barmherzigkeit…49, 58, 61, 76–79, 98– 116, 132 f, 263–269, 273, 375–385 Bekenntnis…2–6, 50, 74–76, 80, 89, 110–118, 141–143, 149, 163, 246, 249 f, 258, 284, 291 f, 295, 299–306, 315–317, 320–323, 326–336, 340– 344, 348, 352, 358, 361–363, 372, 375, 382, 387–390 – Schuld~…136, 189–200, 205, 209, 218, 230, 235 f, 241, 245 f, 249 f, 271 – Vertrauens~…103, 115 f, 130 f, 136 Bilderverehrung ĺ Götterbilder/ Götzenbilder Bund…12, 58, 60, 76, 119, 143, 150– 159, 163, 179–182, 216, 231, 246, 249, 251, 253, 266–273, 300, 339 – ~esgedenken…141–144, 150f, 156, 160, 163, 170, 179, 180, 191, 231, 246, 250, 252, 254 – ~eszusagen…141–143, 150–160, 170, 179–184, 246, 380 – ~estreue…135 f, 143–157, 180, 216, 246, 250–256, 279–281 – ~esverheißung…135, 141, 143, 153, 168, 250, 379 – Heils~…143, 148, 157–159, 182, 231, 251, 254, 259, 272 f, 379 Chaoskampf…63 f, 86, 105, 118, 204, 306, 329, 332 Erbbesitz…87 f, 93, 98, 117, 181, 196, 221, 228, 308, 350
Erinnern…8–29, 102–108, 119, 126 f, 147, 150, 163, 368, 383 Erinnerung…1–29, 55, 79, 85, 107 f, 127, 155, 157, 166–169, 173, 178, 181 f, 200, 263, 269, 325, 331, 342, 345 f, 381 Erinnerungsprozess…20–29 – Erinnerungsgemeinschaft 14–29 Erwählung…38, 46–49, 60, 79, 86, 90– 100, 123, 155, 156, 190–192, 196, 211, 215, 233–235, 241–247, 253 f, 256, 259, 270 f, 300, 320–322, 326 f, 338, 341–343, 350–352, 378–380 Exklusivität…89, 101, 143, 163 f, 211 f, 220, 280–283, 294, 299–301, 305, 315, 320–347, 361 f, 367 f, 375 f, 389 f fernste Zeit…96, 115, 143, 150–159, 190, 193, 197, 221 f, 235, 249, 264 f, 285, 291–317, 325, 334–338, 342, 352, 358, 361, 363, 375, 386 Frühgeschichte ĺ Geschichte fundierend…8–29, 52, 96, 103 f, 109, 120, 189, 193, 202–204, 210, 219, 222, 241, 243, 247, 253, 310f, 316, 327, 333, 341 f, 348, 350, 374, 381, 382–384, 389, 391 Fürsorge/fürsorgend…62, 67–71, 78, 85–87, 99, 101, 128, 130, 135, 162, 165, 176, 178 f, 183, 248, 279, 295, 308, 312 f, 316, 330, 361, 367, 375, 378 f Gebet…6–8, 25–29, 112, 115, 120, 126, 130, 191, 197, 236, 245, 330, 363, 373, 383, 390 f Gedächtnis – kollektives ~…9–35, 373, 382–384 – kulturelles ~…9–29
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Namen- und Sachverzeichnis
Gedenken…1–4, 24–27, 47–49, 59, 74– 80, 104–117, 143, 147 f, 150–152, 156, 159, 163, 170, 179, 184, 190– 196, 199, 231, 241–255, 266, 320 f, 334, 342, 356, 377–383 – Nicht~…4, 7, 195, 199 f, 206, 227, 231 Generation…2, 8, 16 f, 50–62, 76, 79, 89 f, 98–101, 107, 114 f, 150–157, 179, 190, 197–199, 217 f, 266–268, 313, 334, 382 f, 391 – Wüsten~…57, 62, 66 f, 73, 76, 89, 101, 217–219, 223, 227 Gesamtwirklichkeit…39, 283, 321, 389 f Geschichte…1–35 – Früh~…1–35, 36, 46 f, 52, 60, 76, 87, 107–109, 115, 127 f, 136, 141, 160, 182, 189, 243, 248, 295f, 304– 306, 317, 374–382, 391 – Heils~…1, 6, 46 f, 62, 79, 98–103, 116, 132, 135 f, 141–145, 149, 157, 169, 171, 174, 178–184, 190, 192, 195, 199, 203–206, 219, 222–224, 244–248, 250–256, 263, 271, 312– 317, 331, 333, 342, 348–350, 376– 379, 382 – paradigmatische ~…9–29, 225, 234, 382 f, 389–391 – pragmatische ~…11–15 – Schuld~…60, 156, 190, 229, 235, 237, 246, 249, 251 Geschichtsdarstellung…4–29, 37, 142, 191, 193–196, 200–202, 210, 229, 233, 247 f Geschichtshermeneutik…1–35, 51, 61, 317 Geschichtskonstruktion…1–29, 180, 254, 308, 374 Geschichtskonzeption…1–29, 47, 114, 141, 145, 182, 192–196, 210, 218 f, 232, 248, 251 f, 256, 299, 323, 349, 351, 377 Geschichtsrückblick…158, 160 f, 179, 189, 233, 259, 270 f, 389 Geschichtspsalmen…1–35, 36, 50 f, 99, 102, 135, 244, 272, 275, 284, 287, 291, 317, 342, 373–391 Geschichtstheologie/geschichtstheologisch…6–8, 46, 48, 50, 52–54, 59, 62, 66, 76–80, 88, 101 f, 114, 128–
132, 135, 145, 159, 180, 194, 212, 215 f, 223, 233–235, 241, 245, 250 f, 256, 259, 269–275, 281, 289, 291, 308, 327, 374, 380, 385, 387 Geschichtsverständnis…11 f, 128, 374 Geschöpfe…47–49, 61, 73–78, 89, 99 f, 113, 128, 164, 168, 172, 175, 269, 312 f, 316, 367–370, 375, 378 Gnadenformel…76 f, 104, 128, 232– 236, 242, 247, 255 f, 259, 263–273, 288, 367, 369, 377, 380 f Götterbilder/Götzenbilder…2, 17, 44, 47, 49, 90–93, 211 f, 319, 321, 322, 326, 330, 335–337, 341 f, 352–361, 387 Gottesferne…74, 104–112, 115–134, 269, 309 Gotteslob…50 f, 61, 89, 102, 123, 141– 146, 156, 163, 184, 190–197, 206, 216, 234 f, 241–245, 249–251, 255, 267, 281, 294–296, 300, 313f, 320, 322–325, 341, 352, 354, 358, 361, 368, 383; siehe auch ĺ lobendes Weitererzählen Gottesname ĺ Name Gottesvolk…26, 46, 58, 79, 85, 87, 91, 93–103, 112, 120, 126, 151, 159, 163 f, 178, 181, 183, 190, 195–215, 220, 227, 230–233, 241 f, 245–247, 252, 254, 271, 281, 337, 340, 343, 347, 350, 352, 359, 360, 374, 378, 380, 383; siehe auch ĺ Versorgung Güte…77, 88, 92, 133, 135 f, 155 f, 184– 243, 247, 249–252, 255 f, 259–272, 274 f, 282–290, 293–317, 325, 337 f, 351 f, 354, 363 f, 367–372, 375–389 Heilsgeschichte ĺ Geschichte Heilstaten…55, 64, 116, 180, 189, 300, 311, 316, 327, 333 f, 348, 350, 352 Himmelsbrot…70–73, 83, 178, 279 Hirte/Hirtenbild…49, 85, 97f, 103, 108–110, 114–116, 120, 126–131 Horeb…189 f, 196, 202, 209–216, 219– 223, 226, 228, 233, 235 f, 241 f, 247, 250, 253, 255, 259, 270 f, 380 f Hymnus…3, 7, 25, 144, 182, 184, 245, 249, 291, 299 f, 303, 305, 317, 363, 382
Namen- und Sachverzeichnis Identität…1–35, 102, 374 f, 383, 391 – identitätsformierend…1–35, 36, 50 f, 57, 61, 98, 101, 373 f, 382 f – identitätsvergewissernd…1–35, 373 f, 382 f Interpretation…1–35, 84, 88, 191, 205, 233, 236, 246, 259, 267, 274, 374– 377, 381, 385, 389, 391 Jakob…55, 68, 143, 145, 148, 149–151, 156, 159, 163 f, 168, 170, 181, 245 Josef…38, 49, 95, 98, 141–143, 152, 160–162, 164–171, 174, 179, 182 f, 246, 250, 253, 279, 281, 379 Klage…3–7, 25, 63, 69, 74, 94, 103 f, 110 f, 116–122, 125–134, 230 f, 254, 285, 384, 390 Knecht/Knechtschaft …12, 98, 143, 148, 157, 163, 166, 169–172, 179– 181, 298, 305, 308–312, 316f, 320– 327, 331, 334, 337, 340 f, 343 f, 350, 375, 379 Kosmos…66, 69 f, 86, 89, 127, 146, 149, 164, 173 f, 177, 180–184, 204, 247, 256, 278, 280 f, 283, 288, 299, 301, 303, 305, 309, 312, 322, 328, 330, 335, 341, 342, 351 f, 359, 367 Kultbilder ĺ Götterbilder/Götzenbilder Landverheißung ĺ Verheißung Lob ĺ Gotteslob lobendes Weitererzählen…2, 46, 48, 50–61, 101, 107, 112, 115, 132, 383 Monotheismus/monotheistisch…102, 149, 163, 181, 250, 282, 295, 299, 302, 306, 315–321, 323, 335f, 339, 342, 352, 358, 361 f, 374, 389 f Mose…52 f, 63, 106, 108 f, 127, 142, 161 f, 168–172, 176, 179, 183, 189, 190, 196, 208–228, 233–235, 241 f, 247, 250, 253 f, 259, 263, 267–271, 333, 379 f Name/Gottesname/Name Jhwhs…66, 68, 111–113, 121–125, 143, 145 f, 149, 200, 218, 234 f, 255, 261, 263, 267, 272, 303, 320–324, 334, 341 f, 354
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Namenstheologie…123, 255f Paradigma…50, 143, 145, 148 f, 190, 199, 205, 215 f, 219, 222, 227, 229, 233–235, 241–243, 246 f, 250, 254, 270, 286, 341, 364, 373–391 – paradigmatisch…1, 10–35, 50, 59, 61, 86, 88, 98, 100 f, 104, 107, 109 f, 115–118, 120, 126 f, 132 f, 135, 141, 163, 190, 192, 194, 196 f, 201 f, 205, 210–212, 216, 219, 222, 225, 228 f, 231, 233–235, 241 f, 247, 249, 252, 259, 270 f, 286, 307, 310, 317, 332 f, 338, 342, 350, 352, 364, 373–391 Prophet/prophetisch…5, 32 f, 52 f, 61, 75, 77, 111, 114, 130, 134, 149, 161–163, 166, 180, 214–217, 222, 232, 242 f, 253 f, 270, 335, 341, 343, 381 Psalterkomposition…3, 9, 29–35, 39, 102–104, 106, 109 f, 129, 136, 189, 192, 236, 238 f, 244, 257, 259, 272 f, 275, 281–292, 317, 324 f, 338, 343– 348, 362–373, 384–389 Psalterredaktion…29–35, 116, 373, 384–389 Reflexionstext…31, 102, 108, 110, 116, 130, 132, 134, 159, 168, 182, 384 f, 388 Residenzort…48 f, 80, 86 f, 92, 94, 96, 101, 125, 339 f, 343 f, 351, 355 Rettung…1, 13, 47, 49–51, 62, 64 f, 85 f, 88 f, 95, 105 f, 109–112, 127, 132 f, 177, 183, 190 f, 195, 197, 199–206, 212, 216 f, 222, 233–237, 241 f, 246– 250, 254, 284–287, 295, 298, 304, 306, 338, 380, 382 Rettungstat…46 f, 50 f, 55–59, 61, 68, 101 f, 105–108, 110, 117 f, 127, 190, 196, 199–206, 210, 219, 225, 227, 229, 234–237, 241 f, 253, 271 f, 285– 287, 307, 380 f, 383 Reue…191, 216, 233 f, 241 f, 247, 251– 254, 256, 259, 270, 285, 380f Rezeption…1–35, 159, 210, 382 f, 390 f – ~sprozess…1–35, 373 f, 382–384 Sammlung…3, 29–35, 36, 39, 102 f, 110, 116, 120, 122, 133 f, 239 f, 243,
438
Namen- und Sachverzeichnis
254, 272 f, 287, 289 f, 324 f, 344– 348, 362–371, 384–391 Schilfmeer…1, 47, 49, 62–65, 85–88, 95, 105–110, 115, 117 f, 127, 132 f, 177, 189–191, 194, 196 f, 199–206, 210–219, 225, 227–236, 241–255, 259, 270–272, 285 f, 295, 298, 304– 308, 316 f, 332, 350, 380–384 – ~lied…103, 105, 109, 117, 203 f, 307, 316 Schöpfer…11, 46–49, 57, 61–80, 86, 88–101, 108–110, 114, 116, 122, 128 f, 132 f, 135, 168, 171, 176, 178 f, 182 f, 212, 248, 270, 275–283, 288 f, 296, 298, 301–304, 308, 312– 317, 320–322, 326–332, 335, 340– 343, 348, 351 f, 357 f, 360 f, 367– 370, 374–379, 385, 389 f – Schöpfung…2, 11–13, 36, 39, 62, 76, 89, 92, 96, 101, 122, 128–134, 135, 146–149, 152, 169, 171–176, 179– 184, 204, 252 f, 276–284, 289 f, 291– 317, 321–323, 327–331, 334f, 340– 342, 347, 350–352, 357, 361, 363, 367–372, 375–379, 382, 385f, 389 – schöpfungstheologisch…47, 49, 73 f, 77, 78, 99, 101 f, 108, 110, 113 f, 120, 122, 124, 126–134, 281, 291– 317, 342, 357–360, 377 f, 384 f, 390 Schuld/schuldig werden/schuldig sein… 7, 47 f, 58–62, 66 f, 69, 71, 73–80, 100 f, 107 f, 110–115, 128–134, 135 f, 156, 178, 184–243, 245–254, 261–271, 282 f, 369, 375, 377–380, 384 – Schuldgeschichte…60, 156, 184– 243, 246, 249, 251 – Schuldkontinuität…80, 100 f, 107, 114, 196, 246 – Verschuldung…36, 96, 113, 136, 184–243, 248, 254, 259 Schuldbekenntnis ĺ Bekenntnis Schuldgeschichte ĺ Geschichte Tempel…28 f, 32, 67, 69–72, 86, 96, 111, 114, 117, 121, 125, 127, 129– 131, 177, 181, 183, 247, 279–281, 309, 316, 323, 325, 337, 339f, 351 f – ~theologie/tempeltheologisch 34, 66 f, 70–72, 86, 177, 183, 278, 281
Toda…46, 51, 54, 57, 61, 101, 107, 115, 363, 383 Tora…1–10, 27, 35, 48, 53–59, 181, 190, 240, 281, 289 f, 381 f, 386, 391 Traditionsweitergabe…8, 36, 46, 50–61, 197 Urflut…65, 105, 109, 201, 204, 328 f, 359, 376 Verfehlung…49, 57, 66, 71, 73–78, 89– 95, 113 f, 189, 193, 197, 199, 207– 216, 223, 228, 230, 241–243, 247, 268, 271, 377 f Vergebung…77, 110–114, 130–133, 259, 261–269, 282 f, 369, 384 Vergegenwärtigung…11, 15, 20–29, 46, 50 f, 55–57, 98, 101 f, 107, 109, 116, 383, 391 Vergessen…21, 27, 46–48, 57–60, 80, 102, 108, 124, 164, 184–243, 246 f, 252, 255, 270 f, 285, 379–383 Verheißung…7, 148, 150, 153, 154, 158, 162, 222 – Land~…141, 143, 151, 154, 157– 160, 165, 180–183, 246, 379 Versorgung (des Gottesvolkes in der Wüste)…1, 47, 49, 62, 65, 67, 73, 78, 80, 82, 88, 91, 94, 109, 143, 164, 174, 178, 183, 247, 278–281, 296, 308, 312, 314, 316, 332, 352, 370, 375, 377 f Versuchung/Versuchen…47, 49, 66–80, 89–101, 207, 213, 243 Vertrauensbekenntnis ĺ Bekenntnis Völker/Völkerwelt…87, 110f, 123–125, 130, 133, 142–149, 153, 159–168, 179–184, 190 f, 195 f, 217–219, 225– 230, 234, 237, 241, 243, 247–256, 270–272, 281, 285 f, 290, 305, 312, 320, 322, 326, 328, 330–343, 347– 352, 355–357, 361, 380, 390 Vorzeit…50–56, 104–110, 126–130, 391 Wasser…47, 49, 62–68, 71, 79, 82, 86, 88, 105 f, 109, 118, 143, 172, 174 f, 177, 178, 201, 203 f, 223 f, 247 f, 277, 279, 285, 302, 307 f, 313, 329, 332, 377 f, 380
Namen- und Sachverzeichnis Weitererzählen ĺ lobendes Weitererzählen Weltenherrscher…47–49, 75, 78, 79– 101, 109 f, 128 f, 132 f, 147, 149, 181, 278, 340, 343, 349, 350, 378 Wirkmacht/wirkmächtig…67, 74, 93, 95, 120, 129, 143, 147, 169, 179, 181, 212, 226, 253, 270, 281, 299, 300, 301, 305, 311, 321, 327, 331, 332–335, 338, 340, 343, 347, 349– 351, 355–361, 366–369, 375f, 382, 387, 390 Wunder/Wundertaten…1, 25f, 36, 46– 50, 55–76, 85–89, 94, 99–101, 104– 107, 116, 132, 143, 146–149, 156,
439
163, 182 f, 194, 199–205, 213, 227, 241, 248–252, 256, 285–287, 291, 295–317, 331 f, 341, 349–352, 363, 366, 367–369, 375–381, 389–391 Wüstengeneration ĺ Generation Zeit, fernste ĺ fernste Zeit Zion…38, 49, 60, 86, 96, 99, 101, 122– 127, 133, 322, 340, 341, 343f, 351 f, 390 Zorn…47–49, 68–85, 90–100, 104, 108, 113–118, 123 f, 128–133, 136, 190, 196, 209, 210–216, 219, 223f, 228– 236, 242 f, 247–259, 263 f, 269–272, 283, 285 f, 334, 368 f, 375–384