Elemente einer Evidenzmetaphysik: Eine geschichtsphilosophische Studie. Habilitationsschrift 9783161602603, 9783161602610, 3161602609

Traditionell wird die Metaphysik thematisch zweigeteilt: Einerseits wird sie als jene Disziplin bezeichnet, die das Seie

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German Pages 218 [231] Year 2021

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik
1.1 Theoretische Bemerkungen
1.1.1 Erste Philosophie und die Frage nach dem Ganzen
1.1.2 Erste Philosophie und klassische Metaphysik
1.1.3 Die Aporie des Ganzen
1.1.4 Der Evidenzcharakter der Metaphysik
1.1.5 Evidenzmetaphysik ist Transzendenzmetaphysik
1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung
I. Negativer Teil: Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik
2. Stellung der philosophischen Perspektive
2.1 Der Anfang der Philosophie: Thomistisches vs. Hegelsches Paradigma
2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie
2.2.1 Der Satz des Thales: Zwei Lesarten
2.2.2 Von Thales bis Anaximenes
2.2.3 Parmenides
2.3 Von Xenophanes zu Parmenides
2.4 Die aporetische Lage der Parmenideischen Konzeption
3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung
3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz
3.1.1 Einführende Bemerkungen
3.1.2 Das Subjekt der Metaphysik bei Duns Scotus
3.1.3 Scotus’ Auffassung der Transzendentalien
3.1.4 Der Weg zu Gott
3.1.5 Das Scotische Modell als Inferenzmetaphysik
3.1.6 Die Hegelsche ,Idealität‘ und der Übergang zur Immanenzmetaphysik
3.2 Zusatz: Eine kurze Bemerkung zu einem alternativen Thomistischen Modell
4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)
4.0 Kurze allgemeine methodologische Vorbemerkung
4.1 Einleitung: Der ontologische und epistemologische Vorrang des Unendlichen
4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik (Grundlinien der Spinozistischen Metaphysik)
4.2.1 Der Parmenideische Charakter der Spinozistischen Substanz
4.2.2 Immanenz als Pantheismus
4.2.3 Die doxastische Natur der endlichen Modi
4.2.4 Die drei Erkenntnisgattungen
4.3 Schwierigkeiten der immanentistischen Position
5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)
5.1 Einführende Bemerkungen
5.2 Von der Substanz zum Subjekt: Hegels Immanenzmetaphysik
5.3 Zum Begriff des Geistes
5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik
6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik
6.1 Unabschließbarkeit der Immanenzmetaphysik unter Beibehaltung des Ideals der Transparenz
6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz: Die Metaphysik als Physik (Martin Heidegger)
6.2.1 Physis als Anfang
6.2.2 Das Kunstwerk als Streit von Himmel und Erde
6.3 Die Selbstnegation der Immanenzmetaphysik und der Übergang zur ontologischen Transzendenz
II. Positiver Teil: Explizierung der Transzendenzmetaphysik
7. Gott in der Transzendenzmetaphysik
7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz
7.1.1 Der Weg der Seele zu Gott: Philosophie aus der Ersten-Person-Perspektive
7.1.2 Esse super nos
7.1.3 Esse est Deus
7.1.4 Ego sum qui sum (die Egoität der Transzendenz)
8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik
8.1 Der Immanenzcharakter der ontologischen Transzendenzmetaphysik
8.2 Die Natur der endlichen Entität
8.3 Die transzendentale Analogie
8.4 Transzendentale Relation und Schöpfung
8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik
9. Coda: Warum sehen wir nicht?
9.1 Das Nicht-sehen-Wollen
9.2 Philosophie vs. Metaphysik
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Elemente einer Evidenzmetaphysik: Eine geschichtsphilosophische Studie. Habilitationsschrift
 9783161602603, 9783161602610, 3161602609

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Collegium Metaphysicum Herausgeber / E ​ ditors

Thomas Buchheim (München) · Friedrich Hermanni (Tübingen) Axel Hutter (München) · Christoph Schwöbel (St Andrews) Beirat / A ​ dvisory Board

Johannes Brachtendorf (Tübingen) · Jens Halfwassen † (Heidelberg) Douglas Hedley (Cambridge) · Johannes Hübner (Halle) Anton Friedrich Koch (Heidelberg) · Friedrike Schick (Tübingen) Rolf Schönberger (Regensburg) · Eleonore Stump (St. Louis)

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Roberto Vinco

Elemente einer ­ videnzmetaphysik E Eine geschichtsphilosophische Studie

Mohr Siebeck

Roberto Vinco, geboren 1977; Studium der Literatur und Philosophie an der Università Cattolica del Sacro Cuore Mailand; 2007 Promotion im Fach Philosophie an der Universität Tübingen; 2020 Habilitation im Fach Philosophie an der Universität Heidelberg. orcid.org/0000-0002-8586-7361

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. ISBN 978-3-16-160260-3 / eISBN 978-3-16-160261-0 DOI 10.1628/978-3-160261-0 ISSN 2191-6683 / eISSN 2568-6615 (Collegium Metaphysicum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ biblio­graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­wer­t­ung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim­mung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Meiner Frau Magdalena und meinem Sohn Anselm Maria

Vorwort Diese Schrift ist im Sommersemester 2020 von der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Habilitationsschrift im Fach Philosophie anerkannt worden. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die direkt und indirekt zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Mein erster Dank gilt meinem Mentor Anton Friedrich Koch, der mich im Laufe der Jahre unterstützt und gedanklich begleitet hat. Ein besonderer Dank gebührt auch Dario Sacchi, der die tragende Perspektive dieses Buches geprägt hat. Bedanken möchte ich mich auch bei allen Freunden und Kollegen des Philo­ sophischen Seminars der Universität Heidelberg, die mich professionell und menschlich bereichert haben. Ein großer Dank gilt Ulrich Barton, Viktoria Ernst, Carmen Grimm, Josef Prackwieser und Tolga Ratzsch für die wertvollen Korrekturen und Anmerkungen. Thomas Buchheim, Friedrich Hermanni, Axel Hutter und Christoph Schwöbel möchte ich für die Aufnahme meiner Schrift in die Reihe ,Collegium Metaphysicum‘ danken. Ein herzlicher Dank gilt außerdem dem Verlag Mohr Siebeck und insbesondere Frau Katharina Gutekunst und Herrn Tobias Stäbler. Der letzte und größte Dank gebührt meiner Familie. Heidelberg, im März 2021

Roberto Vinco

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Theoretische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1.1 Erste Philosophie und die Frage nach dem Ganzen . . . . . . . . . . . . . 7 1.1.2 Erste Philosophie und klassische Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.1.3 Die Aporie des Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.4 Der Evidenzcharakter der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.1.5 Evidenzmetaphysik ist Transzendenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung . . . . . . . . . 16

I. Negativer Teil: Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik 2. Stellung der philosophischen Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1 Der Anfang der Philosophie: Thomistisches vs. Hegelsches Paradigma 31 2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie . . . . . . . . . 37 2.2.1 Der Satz des Thales: Zwei Lesarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.2 Von Thales bis Anaximenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.2.3 Parmenides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3 Von Xenophanes zu Parmenides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.4 Die aporetische Lage der Parmenideischen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . 48

3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.1.1 Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.1.2 Das Subjekt der Metaphysik bei Duns Scotus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.1.3 Scotus’ Auffassung der Transzendentalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

X

Inhaltsverzeichnis

3.1.4 Der Weg zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.1.5 Das Scotische Modell als Inferenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.1.6 Die Hegelsche ,Idealität‘ und der Übergang zur Immanenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.2 Zusatz: Eine kurze Bemerkung zu einem alternativen Thomistischen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.0 Kurze allgemeine methodologische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.1 Einleitung: Der ontologische und epistemologische Vorrang des Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik(Grundlinien der Spinozistischen Metaphysik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.2.1 Der Parmenideische Charakter der Spinozistischen Substanz . . . . 78 4.2.2 Immanenz als Pantheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.2.3 Die doxastische Natur der endlichen Modi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4.2.4 Die drei Erkenntnisgattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 4.3 Schwierigkeiten der immanentistischen Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel) . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.1 Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.2 Von der Substanz zum Subjekt: Hegels Immanenzmetaphysik . . . . . . . . 99 5.3 Zum Begriff des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.1 Unabschließbarkeit der Immanenzmetaphysikunter Beibehaltung des Ideals der Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz: Die Metaphysik als Physik (Martin Heidegger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.2.1 Physis als Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.2.2 Das Kunstwerk als Streit von Himmel und Erde . . . . . . . . . . . . . . . . 129 6.3 Die Selbstnegation der Immanenzmetaphysikund der Übergang zur ontologischen Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

Inhaltsverzeichnis

XI

II. Positiver Teil: Explizierung der Transzendenzmetaphysik 7. Gott in der Transzendenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 7.1.1 Der Weg der Seele zu Gott: Philosophie aus der Ersten-Person-Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 7.1.2 Esse super nos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 7.1.3 Esse est Deus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7.1.4 Ego sum qui sum (die Egoität der Transzendenz) . . . . . . . . . . . . . . . 161

8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik . . 167 8.1 Der Immanenzcharakter der ontologischen Transzendenzmetaphysik . . 167 8.2 Die Natur der endlichen Entität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 8.3 Die transzendentale Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 8.4 Transzendentale Relation und Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . 186

9. Coda: Warum sehen wir nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 9.1 Das Nicht-sehen-Wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 9.2 Philosophie vs. Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Einleitung Satiabor cum apparuerit gloria Tua (Ps. 16,15 Vul.)

Im Folgenden möchte ich einige einführende Worte zum Inhalt und zur Form dieser Schrift vorausschicken. Ich werde mit der Form beginnen. Man kann diese Arbeit als eine geschichtsphilosophische bezeichnen, die im Hegelschen Geist vollzogen wird. Was ist damit gemeint? Philosophie lebt und entwickelt sich in Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Dies bedeutet nicht einfach, dass sie sich, wie jegliche menschliche Tätigkeit, in einer geschichtlichen Entwicklung befindet. Die hier vertretene Idee ist stärker und besagt, dass Philosophie in einem kontinuierlichen Kontakt zur eigenen Vergangenheit steht. Dies impliziert, dass die eigene Vergangenheit auf eine ausgezeichnete Art und Weise in der philosophischen Gegenwart präsent ist. Ein Beispiel kann hilfreich sein, um diese Idee zu erklären: Die Entstehung und erste Entwicklung der modernen Physik durch Galilei, Kepler und Newton implizierten ein Sich-Abwenden vom Aristotelischen Weltbild. Dieses ist nun für den modernen Physiker irrelevant geworden und höchstens eine interessante Kuriosität für geschichtlich Interessierte. Im Falle der Philosophie verhält es sich fundamental anders. Dies bedeutet: Das Aristotelische philosophische Weltbild ist keine abgeschlossene Vergangenheit. Denn der Aristotelismus ist lebendig und fungiert nicht bloß als Inspirationsquelle, sondern wird immer wieder als annehmbare Perspektive betrachtet. Es gibt daher eine Reihe von neuaristotelischen Philosophien, die vom Mittelalter bis in die gegenwärtige Zeit reichen. Mit Bezug auf diese Thematik ist Aristoteles im Übrigen kein Sonderfall. Im Gegenteil: Diese Dimension lässt sich erweitern und auf fast alle großen Gestalten der Philosophie anwenden. Es gibt daher eine oder mehrere Formen von Neuplatonismus, Neuthomismus, Neuhegelianismus, Neukantianismus und so fort. Etwas überspitzt ausgedrückt, könnte man die Geschichte der Philosophie als eine Reihe von wiederauferstandenen Leichen bezeichnen, oder von wiedererstarkten Perspektiven, die für überwunden erklärt wurden. Angesichts der Zentralität der klassischen Perspektiven für die Philosophie erweist sich daher die Auseinandersetzung mit den Klassikern als etwas durchaus Wichtiges, und zwar auch dann, wenn die Darstellung nicht nur eine

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Einleitung

systematische ist. Denn eine solche Darstellung trägt ebenso dazu bei, eine fundamentale Stimme am Leben zu erhalten, die auf eine günstige Zeit wartet. Die vorliegende Arbeit versteht sich nun zunächst als ein Beitrag zu dieser traditio (im Sinne von Bewahren und Weiterreichen) eines Stückes der Geschichte der Philosophie. Was bedeutet aber ,Hegelscher Geist‘? Die eigene Vergangenheit ist, wie oben erwähnt, zentral für die Philosophie, aber dies bedeutet noch nicht, dass die geschichtliche Darstellung und die geschichtliche Dynamik philosophisch relevant sind. Oft ist es eher so, dass die Aneignung einer bestimmten Auffassung in einer unhistorischen Form erfolgt. Mit anderen Worten: Das Neue z. B. am Aristotelismus besteht darin, dass man einen gültigen und unhistorischen Kern ,neu kleidet‘. Der Inhalt der Tradition ist also wichtig, aber die historische Dynamik bleibt dabei weitgehend ausgeschlossen. Es gehört aber auch zur philosophischen Tradition, dass eine bestimmte Konzeption anhand einer historischen Entwicklung dargestellt wird. Das kann noch einmal durch ein Aristotelisches Beispiel veranschaulicht werden: In seiner Metaphysik stellt Aristoteles eine Entwicklung der Kausalitätslehre dar, die zur Einführung und Erläuterung seiner Vier-Ursachenlehre dienen soll. Hier ist die geschichtliche Dynamik wesentlich verwoben mit der systematischen Darstellung. Dies bedeutet: Die Aristotelische Auffassung wird als die Krönung einer geschichtlichen Dynamik dargestellt. Der Philosoph, der aber die Verbindung zwischen Geschichte und Philosophie am deutlichsten hervorgehoben hat, ist Hegel. Dies gilt nicht nur, weil er (nach einer Standard-Interpretation) den Logos selbst als etwas Dynamisches erfasst hat, sondern weil er am deutlichsten die philosophische Dimension der Geschichte und insbesondere der Geschichte der Philosophie hervorgehoben hat. Mit anderen Worten: Geschichte ist nicht einfach eine zufällige Reihe von unverbundenen Ereignissen, sondern eine organische Struktur. Was bedeutet dies aber für die Geschichte der Philosophie? Es heißt, dass die Entwicklung der Geschichte der Philosophie als die Setzung eines organischen Systems zu verstehen ist, in dem (zumindest im Groben) alle verschiedenen Perspektiven ihren eigenen systematischen Ort erhalten und polyphon aufeinander verweisen. Die geschichtliche Dynamik ist daher die Entfaltung dieser organischen Totalität. Dies hat interessante Konsequenzen, die auch für diese Arbeit wichtig sind: 1.) Die verschiedenen Perspektiven werden in ihren Grundzügen analysiert und erhalten daher einen Modell-Charakter. Mit anderen Worten: Es wird der Kern (die Seele) einer bestimmten Position herausgearbeitet. 2.) Eine philosophische Position erhält ihre Bedeutung nicht isoliert, sondern im Gespräch mit anderen. 3.) Diese modellhafte Analyse impliziert eine metaphilosophische Betrachtung. Das bedeutet: Philosophie (und insbesondere Erste Philosophie) ist mit der Betrachtung der Totalität befasst und dies impliziert wesentlich auch das Miteinschließen der eigenen Perspektive. Philosophie ist mit anderen Worten Phi-

Einleitung

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losophie der Philosophie und dies spiegelt sich im Hegelschen System wider, das gerade mit dieser metaphilosophischen Betrachtung endet.1 Alle diese Aspekte werden von der vorliegenden Arbeit aufgenommen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie eine Hegelsche Arbeit im strengen Sinne des Wortes sei. Anders formuliert: Die Kontinuität hat eher einen allgemeinen formellen Charakter. Dabei gibt es vor allem einen Dissens-Punkt, der bereits an dieser Stelle hervorgehoben werden muss: Hegel vertritt einen gewissen Parallelismus zwischen der Entwicklung der Logik und der Entwicklung der Geschichte der Philosophie. Außerdem wird diese Entwicklung ,optimistisch‘ betrachtet und dies bedeutet als eine sich (im Großen und Ganzen) steigernde Dynamik, wobei die moderne Zeit und ihre idealistische Strukturierung einen gewissen Vorrang erhalten. Die hier vertretene Auffassung versteht hingegen die dialektische Dynamik als eine Erweckung von einer fundamentalen intellektuellen Intuition, die im Grunde die Philosophie von Anfang an auszeichnet, die aber immer wieder verblassen kann. Außerdem: Auch, wenn man in dieser Arbeit nicht von einem Vorrang einer bestimmten Epoche im eigentlichen Sinne des Wortes sprechen kann, lässt sich trotzdem sagen, dass die klassische Tradition und insbesondere ihre mittelalterliche Artikulation eine herausragende Rolle spielen. Gerade diese fundamentale Charakteristik der Arbeit lässt die Wichtigkeit einer historisch orientierten Herangehensweise auch aus systematischer Sicht in Erscheinung treten. Denn, wenn es darum geht, eine Urintuition zu erwecken, die die Philosophie von Anfang an prägt, dann muss sie sich auf eine mehr oder weniger klare Art und Weise in verschiedenen Gestalten der Philosophie gezeigt haben. Eine geschichtlich-systematische Darstellung ist daher nicht nur deshalb sinnvoll, weil sie idiosynkratische Terminologien vermeidet (die Geschichte der Philosophie ist im gewissen Sinne die lingua franca der Philosophie2), sondern auch weil sie dazu dient, eine zentrale Position dieser Arbeit zu unterstützen. Damit können wir zum Inhalt der Schrift übergehen. Wie bereits der Titel sagt, geht es um ,Evidenzmetaphysik‘. Was bedeutet nun dieser Terminus? Traditionell ist die Metaphysik thematisch zweigeteilt. Denn diese Disziplin behandelt einerseits das Seiende als solches und damit das Reale in seiner Ganzheit. Andererseits befasst sie sich mit dem Wirklich-Seienden und damit mit der fundamentalen Realität. Metaphysik ist daher einerseits Ontologie (= Lehre des Seienden als solchen) und andererseits Theologie, weil das Göttliche das Wirklich-Seiende und Fundamentale überhaupt ist.

 Der letzte Abschnitt des absoluten Geistes ist eben die Philosophie.  Diese Idee der Geschichte der Philosophie als lingua franca übernehme ich von Wilfrid Sellars. 1

2

4

Einleitung

Die Frage, die die vorliegende Arbeit trägt, ist nun, wie sich die zwei Seiten, die ontologische und die theologische, zueinander verhalten. Einer dominierenden Auffassung nach besteht die Metaphysik in einer inferentiellen Dynamik, die, ausgehend vom Seienden als solchem, zum Göttlichen übergeht. Das Wirklich-Seiende wäre hierbei das Ergebnis der vollzogenen Metaphysik. Es gibt aber auch eine Nebentradition, nach der das Göttliche nicht metaphysisch vermittelt werden muss, weil sich das Sein selbst, wenn es als solches erfasst wird, von Anfang an als göttlich erweist.3 Nach dieser Konzeption, so könnte man die Idee auch ausdrücken, ist die Metaphysik nicht ,auf dem Weg zu Gott‘, sondern sie ist, qua Erste Philosophie, immer schon beim göttlichen Sein. Dieses zweite Modell ist das, was hier unter ,Evidenzmetaphysik‘ verstanden und in dieser Arbeit erläutert und verteidigt wird. Evidenzmetaphysik wird außerdem, und das ist der zentrale Punkt dieser Arbeit, als Meta-Physik konzipiert und dies bedeutet als die unmittelbare Erfassung des transzendenten Prinzips, das gleichzeitig alles trägt und umfasst. Es geht somit um eine Auffassung, die fundamentale Motive des klassischen Theismus übernimmt. Wie oben erwähnt, ist die Arbeit historisch-systematisch, und das bedeutet wiederum, dass diese Auffassung nicht in der Leere entwickelt wird, sondern anhand klassischer Konzeptionen. Dabei geht es vor allem um eine metaphysische Perspektive, die im Kern beim Heiligen Bonaventura und bei Meister Eckhart zu finden ist. Vor allem letzterer bringt auf eine paradigmatische Art und Weise diese Konzeption zum Ausdruck. Denn die Grundthese seines Hauptwerkes (Opus tripartitum) lautet: Esse est Deus / das Sein ist Gott. Mit anderen Worten: Das Sein als solches ist Gott, und zwar der transzendente Gott (das Ego sum qui sum). Die hier vorliegende Arbeit versteht sich daher als ein historisch-systematischer Beitrag zur Erläuterung und Verteidigung dieser klassischen metaphysischen Perspektive.4 Diese erfolgt allerdings wiederum in dialektischer Form und d. h. in einer dialogischen Auseinandersetzung mit mehreren Metaphysik-Formen, die sich von der hier vertretenen ontologischen Transzendenz unterscheiden. Bezüglich des Aufbaus des Textes lässt sich einleitend Folgendes sagen: Er besteht aus einem ersten einführenden und theoretischen Teil (Kapitel 1), in  Diese Konzeption wird zum ersten Mal von Parmenides zum Ausdruck gebracht. Evidenzmetaphysik transzendenter Prägung erhält in dieser Arbeit eine besondere mittelalterliche Kolorierung, aber sie hat auch eine eigene Geschichte, die wichtige Gestalten, wie Nicolas Malebranche oder Vincenzo Gioberti miteinschließt. Im deutschen Sprachraum hat vor allem Karl Albert (interessanterweise auch ein Eckhart-Forscher) diese Idee von Evidenzmetaphysik vertreten. Albert spricht dabei von ,ontologischer Erfahrung‘. Vgl. dazu Karl Albert, Die ontologische Erfahrung, Ratingen 1974. Zu dieser Thematik im Kontext der mittelalterlichen Philosophie vgl. unter anderem Wouter Goris, Absolute beginners: der mittelalterliche Beitrag zu einem Ausgang vom Unbedingten, Leiden/Boston 2007. 3

4 Diese

Einleitung

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dem die Thematik der Evidenzmetaphysik und ihre dialektische Behandlung eingeführt werden. Im zweiten Teil (Kapitel 2–9) geht es um den Kern dieses Buches und dies bedeutet die historische Artikulation dieser Thematik. Zum Schluss möchte ich kurz auf direkte Einflüsse verweisen, die dieses Buch geprägt haben. Dies soll der besseren Verortung des Projektes dienen. Eine fundamentale Inspirationsquelle für diese Arbeit ist das italienische neuscholastische metaphysische Projekt, das von Gustavo Bontadini entworfen wurde.5 Dieses kann inhaltlich und formal folgendermaßen skizziert werden: Inhaltlich: Zentrales Anliegen dieser Auffassung ist das gleichzeitige Festhalten an der Parmenideischen Seinskonzeption (das Absolute als reines Sein) und an der Existenz der Welt der Erscheinung, die aus Sein und Nicht-Sein besteht. Die Rettung der Phänomene erfolgt nun durch die Auffassung der Welt als ens creatum und dies bedeutet wiederum als etwas, das am Absoluten teilhat. Formal: Die Idee von Metaphysik, die diese Auffassung vertritt, ist eine, wonach diese Disziplin eine ,kurze Rede‘ (discorso breve) ist. Anders formuliert: Die metaphysische Tätigkeit besteht nicht so sehr in der Entfaltung eines Systems, sondern im Hervorheben eines Prinzips, das zwar den Kern der Rationalität ausmacht, das aber die Autonomie der anderen Wissenschaften nicht gefährdet. Die hier entfaltete Arbeit übernimmt und radikalisiert diese Auffassung. Denn das hier hervorgehobene theologische Prinzip ist Produkt eines discorso brevissimo, oder, noch genauer, einer Urintuition, die sich auf vordiskursiver Ebene abspielt. Die Transzendenz des Absoluten und die Kreatürlichkeit des endlichen Seienden werden daher nicht als das Resultat einer (kurzen) Inferenz6 erfasst, sondern als eine Evidenz, die dargestellt werden muss. Ein wesentliches Merkmal des Ansatzes Bontadinis ist außerdem eine gewisse Nähe zur idealistischen Tradition, vor allem Hegelscher Prägung. Denn diese wird als eine Art Vorbereitung verstanden, um das Grundanliegen und die formelle Struktur der klassischen Metaphysik korrekt zu erfassen. Auch diese vorbereitende Dimension wird hier wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Dabei spielt die klassische Hegelsche und posthegelsche Tradition eine doppelte Rolle: Denn einerseits wird das Hegelsche System, diesmal inhaltlich, als das alternative Paradigma zur Transzendenzmetaphysik, und damit als Immanenzmetaphysik, interpretiert. Andererseits wird das Heideggersche 5  Der genaue Name dieser philosophischen Richtung ist ,Neuklassik‘, denn sie versteht sich als Wiederentdeckung des fundamentalen Kerns der klassischen Metaphysik, und vor allem ihrer Parmenideischen Natur. Gleichzeitig vollzieht sich die metaphysische Dynamik gerade in der platonisch interpretierten Idee des Schöpfergottes. Diese kommt besonders in der mittelalterlichen Philosophie (paradigmatisch ist wiederum die Eckhartsche Auffassung) deutlich zum Ausdruck. Zur Thematik ,Neuklassik‘ vgl. u. a. Gustavo Bontadini, „Per una filosofia neoclassica“, in: ders., Conversazioni di metafisica I, 2. Aufl., Mailand 1995, 260–289. 6  Für Bontadini ist die Schöpfung das eine Theorem, das die metaphysische Disziplin entwickelt, in ihrem Versuch, sowohl am Parmenideischen Prinzip als auch an der Realität der phänomenalen Welt festzuhalten.

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Einleitung

Denken als die Vollendung und Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik ausgelegt und gleichzeitig als Übergang zur eigentlichen ontologischen Transzendenz betrachtet, die das Zentrum dieser Arbeit ausmacht.

1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik Dieses Kapitel ist zweigeteilt: Im ersten Teil wird die Idee einer Evidenzmetaphysik dargestellt. Zudem wird die Grundthese dieser Arbeit eingeführt (Evidenzmetaphysik ist Transzendenzmetaphysik). Im zweiten Teil wird eine Interpretation der Hegelschen Dialektik als methodischer Evidenzdarstellung präsentiert.

1.1 Theoretische Bemerkungen 1.1.1 Erste Philosophie und die Frage nach dem Ganzen Es ist oft behauptet worden  – und das ist eine These, die ich mir gerne aneigne  –, dass eine wesentliche Charakteristik der Philosophie der ,Blick aufs Ganze‘ sei. Dieses Totalitätselement wird sogar als Unterscheidungsmerkmal der Philosophie überhaupt verstanden und von Theoretikern unterschiedlicher Richtungen vertreten. So schreibt zum Beispiel Wilfrid Sellars: It is therefore, the ,eye on the whole‘ which distinguishes the philosophical enterprise. Otherwise, there is little to distinguish the philosopher from the persistently reflective specialist; the philosopher of history from the persistently reflective historian.1

Der Geschichtsphilosoph unterscheidet sich, mit anderen Worten, vom reflektierten Historiker nicht einfach dadurch, dass er sich für besondere, vielleicht ,philosophisch relevante‘, historische Themen interessiert oder ein besseres methodologisches Bewusstsein besitzt, sondern weil er den Forschungsbereich der Geschichte (das ,Geschichtliche‘) als Teil der Totalität versteht. Nun ist die Geschichtsphilosophie eine spezielle philosophische Disziplin (eine ,zweite Philosophie‘), und man kann folglich behaupten, dass dieses philosophische Merkmal nicht rein auftritt, sondern nur vermittelt durch einen bestimmten Forschungsbereich, in diesem Fall durch die Geschichte. 1  Wilfrid Sellars, „Philosophy and the Scientific Image of Man“, in: Kevin Scharp/Robert B. Brandom (Hgg.), In the Space of Reasons: Selected Essays of Wilfrid Sellars, Cambridge MA, 369–408, hier: 371.

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

Wie sieht es aber mit der Ersten Philosophie aus? Laut Sellars führt dieses Unterscheidungsmerkmal der Philosophie nicht zur Aussonderung eines Spezialbereiches. Es gibt folglich nicht den Forschungsbereich der Philosophie (das ,Philosophische‘). Metaphorisch ausgedrückt: Der Blick aufs Ganze erfolgt immer mit einem Auge, weil das andere auf einen speziellen Forschungsbereich gerichtet ist. Das heißt: Erste Philosophie, verstanden als jene philosophische Disziplin, die das Ganze als Ganzes thematisiert und daher mit beiden Augen auf das Ganze schaut, wird von Sellars und von anderen2 ausgeschlossen. Diese ausgeschlossene Position bezüglich der Ersten Philosophie steht nun im Zentrum dieser Arbeit und soll im Folgenden dargestellt werden. Mit anderen Worten: Die hier entfaltete Position setzt die Existenz der Ersten Philosophie und ihres Forschungsbereiches voraus und versucht sie genauer zu artikulieren. 1.1.2 Erste Philosophie und klassische Metaphysik Die hier vertretene Konzeption ist nicht neu, sie ist im Gegenteil traditioneller als die Sellarsche und zeichnet die klassische Herangehensweise aus. Der Terminus ,Erste Philosophie‘ ist nämlich Aristotelischer Prägung und in jenem Werk zu finden, das später ,Metaphysik‘ genannt wurde. Der explizite Totalitätsanspruch dieser Disziplin wird von Aristoteles deutlich formuliert: Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes betrachtet und was diesem an sich zukommt. Diese Wissenschaft ist mit keiner der Einzelwissenschaften identisch; denn keine der anderen stellt die Untersuchung allgemein über das Seiende als Seiendes an, vielmehr schneiden sie einen Teil davon heraus und betrachten darüber die sich ergebenden Bestimmungen, wie es z. B. die mathematischen Wissenschaften machen.3

Diese Wissenschaft unterscheidet sich also wiederum von allen anderen Disziplinen, weil ihr Forschungsbereich nicht eingegrenzt, sondern total ist, und sie erhebt diesen Totalitätsanspruch, weil sie das Seiende – wir könnten sagen: das Ganze / das Reale überhaupt – als Seiendes (als Ganzes) thematisiert. Auf die Identität zwischen Seinslehre und Totalitätslehre werden wir später zurückkommen. Jetzt ist zunächst die vorläufige These festzuhalten, dass in der klassischen Tradition die Metaphysik (qua Ontologie) jene Lehre ist, die die Totalität explizit thematisiert. 2 Diese These eines fehlenden Bereiches der metaphysischen Forschung (als Theorie des Ganzen) wird z. B. auch von Markus Gabriel abgelehnt: „On this spectrum, my contribution to the debate about New Realism is committed both to ontological realism and to metametaphysical nihilism, by which I refer to the view that there is no such thing as a domain comprising absolutely everything, which is why metaphysics does not have an object it might study“, in: Markus Gabriel, „Neutral Realism“, The Monist 98 (2015), 181–196, hier: 189. 3  Aristoteles, Metaphysik, übers. von Thomas A. Szlezák, Berlin 2003, Γ 1, 49.

1.1 Theoretische Bemerkungen

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Das bedeutet aber, gemäß der oben zitierten These, dass, wenn die Philosophie da ist, wenn eine mehr oder weniger explizite Thematisierung des Ganzen stattfindet, auch die Metaphysik mitpräsent ist. Um das vorherige Sellarsche Beispiel wiederaufzugreifen: Der Geschichtsphilosoph unterscheidet sich vom reflektierten Historiker darin, dass er, mehr oder weniger explizit, seinen Bereich als Region des Seienden als solchen (als eine ,regionale Ontologie‘) betrachtet. 1.1.3 Die Aporie des Ganzen Metaphysik ist, wie oben erwähnt, klassischerweise die Wissenschaft, die das Ganze thematisiert. Wenn man nun ,wissenschaftlich‘ arbeitet, wenn man eine fundierte Theorie des Ganzen zum Ausdruck bringt, muss man für eine bestimmte Position argumentieren und sie begründen. Nehmen wir an, eine metaphysische Theorie behauptet, dass das Ganze x (= z. B. die Summe von Einzeldingen) sei. Laut dieser Theorie gilt also: Es ist der Fall, dass das Ganze x ist. Der vernünftige Anspruch auf Wahrheit setzt nun voraus, dass man, zumindest implizite, Gründe für diesen Anspruch hat. Diese werden dann explizit, wenn man sie in eine systematische und begründete Theorie einbettet, und das wird gewöhnlich durch eine metaphysische Lehre gewährleistet. Diese Begründung macht aber gleichzeitig klar, dass das, was die vertretene These bestreitet (nicht-x: z. B., dass das Ganze die Summe der Tatsachen ist), falsch ist. Durch die Begründung wird somit folgende Aussage expliziert: Es ist nicht der Fall, dass das Ganze nicht-x ist. Kurzum: Wenn eine Auffassung des Ganzen besagt, dass das Ganze x ist, und diese Position fundiert ist, heißt es auch, dass das Ganze nicht nicht-x ist. Die Dynamik der Begründung impliziert aber weiter, dass das Ganze nicht-x zu sein scheint, aber in Wahrheit (wirklich) x ist. Denn die Begründung besteht gerade in der Tilgung dieser Scheinhaftigkeit. Dies führt aber zu einer Eingrenzung des Skopus der Theorie, und zwar in doppelter Hinsicht: 1.) aus Sicht der verneinten Theorie(n), weil durch die begründete Theorie die reine Scheinhaftigkeit der negierten Theorie, zumindest partiell, ausgeschlossen wird. Denn, auch wenn ich durch eine wahre Theorie erklären kann, wie der Schein der verneinten Theorie(n) entstanden sei, kann ich die Scheinhaftigkeit als solche nicht vollkommen integrieren. Denn der Schein der verneinten Theorie(n) wird im Kontext der wahren Theorie als trügerisch entlarvt und entsprechend uminterpretiert. Die innere Sicht auf das Reale der verneinten Theorie (die Art, wie ihr das Reale erscheint) wird damit ausgeschlossen. Dies hat folgende Bedeutung: Wenn eine begründete metaphysische Theorie eine entgegengesetzte Position ausschließt, muss sie eine, wenn auch minimale,

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

Portion von Realität ausschließen. Die begründete Theorie bringt daher das zum Ausdruck, was wirklich ist, das, was fundamental ist, aber diese fundamentale Realität ist enger als die Realität überhaupt. Das ist unter normalen Umständen und bei gewöhnlichen Theorien kein Problem. Aber, wenn der Anspruch gerade darin besteht, die Totalität zu explizieren, entsteht eine Aporie. 2.) aus Sicht der begründeten Theorie: Vor der Begründung ist eine Theorie eine bloße Meinung. Dieser doxastische Charakter einer Theorie bringt auch ihren phänomenalen Charakter zum Ausdruck. Die Meinung ist mit anderen Worten, qua Doxa, etwas, das erscheint.4 Erscheinung ist aber ein relationaler Terminus. Das heißt: Erscheinung ist etwas, das für jemanden (ein Subjekt) erscheint. Die interne Scheinhaftigkeit einer Theorie (und damit ihre innere Perspektive) wird aber durch die Erste-Person-Perspektive zum Ausdruck gebracht. Mit anderen Worten: Die innere und aktuale Erscheinung ist eine Erscheinung für mich. Wenn nun meine Theorie wahr ist, wird diese ihre Wahrheit durch die Begründung gesetzt. Diese Setzung impliziert nun nicht nur eine Verabschiedung von der Scheinhaftigkeit der verneinten Perspektive(n), weil ich durch die Begründung auch vom Meinigkeitscharakter meiner Theorie Abstand nehme. Anders gesagt: Durch die Begründung zeige ich, dass meine Theorie nicht einfach eine Meinung ist, sondern, dass sie objektiv ist. Sie ist somit etwas, das unabhängig davon besteht, ob ich es meine oder nicht, ob es mir so scheint oder nicht. Was durch die Begründung der Theorie gewährleistet wird, ist mit anderen Worten ein Übergang von einer von mir für wahr gehaltenen Meinung zu einer begründeten Perspektive, die standpunktneutral (standpunktneutraler) ist. Aber dadurch geht auch diese innere Dimension des Scheines verloren. Unter normalen Umständen ist eine solche Lage wiederum unproblematisch, weil eine Theorie nicht beansprucht, das Ganze zu thematisieren. In diesem Kontext generiert sich aber noch einmal eine Aporie, weil diese Portion des Realen (dessen Erscheinung für mich) ausgeschlossen wird. Diese doppelte Dimension der Aporie lässt sich noch einmal durch die Betrachtung jener Operatoren ausbuchstabieren, die die doxastische Dimension am reinsten ausdrücken. Es geht dabei, wie oben bereits kurz erwähnt, um das ,Es-scheint-mir-dass‘ bzw. um das ,Ich-denke-dass‘. Das ,Es-scheint-mir‘ fungiert nämlich als Operator, der durch Entobjektivierung eine Meinung aus dem Spiel des Forderns und Gebens von Gründen herauslöst und sie daher in ihrem reinen doxastischen Charakter auftreten lässt. Dieser Schein hat nun zwei Seiten. Eine objektive Seite: Wenn ich meine, dass p, dann scheint es mir auch, dass p. Nun ist diese Erscheinung irrtumsimmun (meine Meinung z. B., dass Heidelberg in Italien ist, kann falsch sein, aber deren 4 Es ist in dieser Hinsicht relevant hervorzuheben, dass das griechische Wort δόξα sowohl ,Meinung‘ als auch ,Schein‘ bedeutet.

1.1 Theoretische Bemerkungen

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Schein ist es nicht). Daraus lässt sich folgende Konsequenz ableiten: Meinungen setzen einen denkenden Bezug zur Realität voraus. Dieser Realitätsbezug, der im Denken als Mir-Scheinen hervortritt, ist irrtumsimmun gegeben. Eine subjektive Seite: Der Anschein der Realität, der wiederum im Denken als Mir-Scheinen hervortritt, laut dem vorherigen Beispiel: „Es scheint mir, dass Heidelberg in Italien ist“, setzt auch eine subjektive Seite voraus. Diese Seite ist wirklich5, auch wenn sie sich nicht objektivieren lässt.6 Wenn wir also zu unserer Thematik zurückkommen, können wir Folgendes behaupten: Eine begründete Theorie des Ganzen schließt sowohl die objektive als auch die subjektive Dimension des Scheines aus, denn sie lehnt sowohl jenen minimalen Realitätsbezug der verneinten Theorie(n) ab als auch die Existenz der Meinigkeit bzw. des inneren Scheins. An dieser Stelle sei eine wichtige Präzisierung eingeführt: Die Lage, in der sich eine begründete Theorie des Ganzen befindet, ist tatsächlich aporetisch, weil das Bestehen dieser objektiven und subjektiven Scheinhaftigkeit von der Begründung als solcher vorausgesetzt wird. Denn wenn diese doppelte Scheinhaftigkeit nicht bestünde, könnte sich auch die begründende Tätigkeit nicht in Gang setzen. Die Theorie wäre sozusagen schon am Ziel. Gleichzeitig wird aber diese doppelte Dimension gerade durch die Begründung ausgeschlossen, und die Theorie kann somit die Totalität nicht thematisieren. Eine begründete Theorie des Ganzen ist mithin als solche selbsttilgend. Das heißt: Gerade weil die Theorie des Ganzen als begründete Theorie auftritt, kann sie nicht ihren eigenen Ansprüchen Rechnung tragen. Die begründete Theorie des Ganzen ist somit nicht einfach falsch. Um falsch zu sein, müsste sie die Totalität zwar falsch interpretieren, aber sie doch irgendwie korrekt hervorheben. Das ist hier aber nicht das Problem, sondern wiederum die Tatsache, dass die Theorie, qua begründete Theorie, die Totalität von vornherein eingrenzt. Die Frage ist nun: Ist Erste Philosophie, qua wissenschaftliche Darstellung des Ganzen, überhaupt möglich? Die Strategie, die ich7 vorschlage, um diese Aporie zu vermeiden, ist diejenige, nach der die Metaphysik, qua Erste Philosophie, als Evidenz auftreten soll. Aber was heißt überhaupt ,Evidenz‘? Und was bedeutet ,Evidenz‘ in diesem Kontext?

5 Das Sein dieser subjektiven Seite wird von Descartes expliziert, im Übergang vom cogito zum sum. Zu dieser Thematik vgl. Anton F. Koch, Subjekt und Natur. Zur Rolle des „Ich denke“ bei Descartes und Kant, Paderborn 2004, 34 f. 6  Diese Auffassung unterscheidet sich also von der vergegenständlichenden Cartesianischen Konzeption der res cogitans. 7  Die von mir vorgeschlagene Lösung ist allerdings nicht ,originell‘. Im Gegenteil: Eine der Hauptthesen dieser Arbeit ist, dass diese ,evidenzialistische‘ Position die Natur der Ersten Philosophie von Anfang an charakterisiert.

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

1.1.4 Der Evidenzcharakter der Metaphysik Der Terminus ,evident‘ wird in diesem Kontext in seiner stärksten Form verstanden. Er ist daher mit dem englischen Ausdruck ,self-evident‘ vergleichbar und bezieht sich auf das, was in sich selbst bzw. intrinsisch evident ist. Zum Beispiel: Eine Proposition wird erst dann ,evident‘ im starken Sinne des Wortes genannt, wenn sie ihren Evidenzcharakter in sich selbst hat und ihn daher nicht durch andere Propositionen und dank eines inferentiellen Prozesses erhält. Was zeichnet nun diese Art von Evidenz als solche aus? Zwei Punkte sind hervorzuheben: Das Evidente ist sowohl das, 1.) was ab-solut ist, als auch, 2.) was für-mich (ganz manifest) ist. Anders formuliert: Evidenz hat sowohl eine objektive als auch eine subjektive Dimension. Zum ersten Punkt: Wenn wir etwas als ‚evident‘ bezeichnen, beziehen wir uns, auch umgangssprachlich, auf etwas, das sich nicht in Frage stellen lässt, das man nicht sinnvoll bestreiten kann, und damit auf etwas, das für sich besteht. Wenn ich z. B. behaupte: „Die Existenz Jesu ist evident“, meine ich damit, dass die Tatsache der Existenz Jesu so fundiert und selbstbehauptend ist, dass nicht nur der Sachverhalt, nach dem Jesus nicht existiert, sondern auch die sie verneinende Proposition sich nicht wirklich sinnvoll konzipieren lässt (sie ist, salopp formuliert, keine ernst zu nehmende wissenschaftliche Hypothese). Evidenz lässt, mit anderen Worten, nicht einmal die Entstehung der entgegengesetzten Position zu. Zum zweiten Punkt: Evidenz ist zunächst das, worin verschiedene Perspektiven konvergieren. Wenn ich z. B. eine bestimmte Aussage beweisen soll, heißt das, dass man daran zweifeln kann und dass dieser streitbare Punkt deshalb nicht evident ist. Die Prämissen aber, die zum Beweis dieser Aussage dienen, werden deshalb ,evident‘ genannt, weil sie als unbezweifelbarer Ausgangspunkt betrachtet werden, in dem die Streitenden konvergieren. Trotz dieser Konvergenz bleibt die Evidenz aber ein persönliches Einsehen. Anders formuliert: Das Evidente ist das für alle Offenbarste, aber Evidenz kann man nur in prima persona erfahren. Das ist der Grund, warum Evidenz manchmal mit einem Gefühl identifiziert worden ist.8 Wenn eine Person die Evidenz der vorher erwähnten Prämisse nicht sieht, kann ich ihr nicht durch einen Beweis helfen. Ich kann zwar dieser Person helfen, genauer hinzuschauen, aber die Schau dieser Evidenz ist, wenn sie sich wirklich einstellt, etwas höchst Persönliches. Keiner kann für einen anderen sehen. Kurzum: Wenn etwas nach langer Mühe endlich in seiner Evidenz erscheint, kann ich (und nur ich) sagen, dass „es mir einleuchtet“.

8 Vgl. Wolfgang Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg/ New York 1969, 164 ff.

1.1 Theoretische Bemerkungen

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Der zentrale Punkt ist nun der folgende: Evidenz ist wirklich total (allumfassend), denn sie lässt keinen Raum für eine entgegengesetzte Position zu, und dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass sie in ihrer vollkommenen Absolutheit meinig und damit vollkommen manifest ist. Evidenz scheint aber damit jene Merkmale zu besitzen, die eine Konzeption des Ganzen begleiten sollten. In der Evidenz werden nämlich weder die subjektive noch die objektive Scheinhaftigkeit ausgeschlossen, denn das Evidente ist für mich evident, und das Evidente lässt seine Verneinung nicht entstehen (die objektive Scheinhaftigkeit). Was bedeutet nun aber ,Evidenz‘ in diesem Kontext? Was ist eine ,Evidenzmetaphysik‘? Der Terminus ,Evidenzmetaphysik‘ lässt sich am besten in Abgrenzung zur entgegengesetzten Art von Metaphysik verstehen. Nun bezeichnet der Terminus ,Evidenz‘ gewöhnlich eine Art unvermittelte Einsicht. Der Gegenbegriff zu Evidenz kann nun als ,Inferenz‘ bezeichnet werden. Dabei geht es um eine Erkenntnis, die durch Vermittlung (in der Form von Diskursivität und Methodik) gewonnen wird. Das bedeutet: Der Gegenbegriff zur Evidenzmetaphysik kann ,Inferenzmetaphysik‘ genannt werden. Um welche Inferenz geht es aber dabei? Die Inferenz ist hier als die explizite Setzung der Totalität zu verstehen. Diese Setzung ist aber, qua Inferenz, eine ausschließende Setzung. Dies kann zunächst aus einer ontologischen Sicht betrachtet werden: Das, was durch die begründende und inferentielle Setzung expliziert wird, ist das wirklich Seiende9 (das fundamentale Reale). Diese Setzung erfolgt aber durch den Ausschluss eines Teils der Realität (des ScheinbarSeienden bzw. der Erscheinung). Das thematisierte Wirklich-Seiende kann somit nicht mit dem Seienden als solchem (dem Realen überhaupt) koinzidieren. Markus Gabriel bringt z. B. diese Idee von Metaphysik folgendermaßen zum Ausdruck: „Metaphysik kann man als den Versuch definieren, eine Theorie des Weltganzen zu entwickeln. Sie soll beschreiben, wie die Welt in Wirklichkeit ist, nicht, wie die Welt uns vorkommt, wie sie uns erscheint.“10 Kurzum: Im Kontext der Inferenzmetaphysik sind Universalität und Fundamentalität unterschiedlich, weil der Bereich der Fundamentalität enger ist. Wenn wir nun, gemäß der metaphysischen Tradition, das Absolut-Seiende mit dem Göttlichen identifizieren11, können wir sagen, dass die Inferenzmetaphysik in einer Dynamik besteht, die das Seiende als solches (Totalität) zum göttlichen  9 Peter van Inwagen vertritt z. B. die folgende These mit Bezug auf die Metaphysik: „metaphysics is the study of ultimate reality“, in: Peter van Inwagen, Metaphysics, Oxford u. a. 1993, 1. 10 Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt, 6. Aufl., Berlin 2013, 10. 11 Zu dieser Thematik schreibt z. B. Werner Beierwaltes: „Die Frage nach dem Sein geht […] auf ein Ursprunghaftes, Erstes (πρῶτον); im Aspekt dieser Frage ist Philosophie grundsätzlich Protologie. Seit Anaximander wird dieses Erste mit θεῖον oder θεός identifiziert“, in: Werner Beierwaltes, „Deus est esse – esse est Deus. Die onto-theologische Grundfrage als aristotelischneuplatonische Denkstruktur“, in: ders., Platonismus und Idealismus, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2004, 5–82, hier: 5.

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

Seienden reduziert, und dass dieser theologische Vollzug eine Eingrenzung des Skopus der Metaphysik impliziert. Dieses theologische Moment ist natürlich in einem sehr weiten Sinne des Wortes zu verstehen. Es bezieht sich nämlich auf den Bereich des Wirklich-Seins und Ursprunghaften überhaupt. Anders gewendet: Das theologische Moment ist der Vollzug bzw. die vollständige Explizierung der metaphysischen Dynamik, die das Ganze als solches setzt. Dieses erweist sich aber als die Setzung eines Teils der Realität. Zum Beispiel könnte man behaupten, dass eine quasi-aristotelische Metaphysik das Ganze eingrenzt, indem sie zunächst das Seiende als solches auf die Kategorie der Substanz zurückführt und dann zur ersten Substanz übergeht. Diese progressive theologische Dynamik, die der vollständigen Darstellung des Ganzen dient, macht nämlich klar, dass die wirklich bestehende Realität (hier vor allem die Substanz, die reine Form ist = der unbewegte Beweger) nur ein Teil des Realen überhaupt ist. Man kann folglich sagen, dass eine Inferenzmetaphysik in eine spezielle Metaphysik (metaphysica specialis) mündet, wobei ,speziell‘ zunächst einfach auf die angesprochene Eingrenzung des wirklich Bestehenden verweist. Anders verhält es sich bei der Evidenzmetaphysik. Denn im Kontext dieses Paradigmas sind allgemeine und spezielle Metaphysik identisch. Die Eröffnung des metaphysischen Raumes koinzidiert mit der Darstellung des Göttlichen. Mit anderen Worten: Bei der Inferenzmetaphysik gilt: Das Göttliche koinzidiert nicht wirklich mit dem Ganzen, weil es sich als nur ein Teil der Totalität erweist. Für die Evidenzmetaphysik gilt: Das Ganze (die Totalität) ist göttlich. 1.1.5 Evidenzmetaphysik ist Transzendenzmetaphysik Die zentrale These dieser Arbeit ist nun die folgende: Evidenzmetaphysik ist Transzendenzmetaphysik. Was verstehe ich unter ,Transzendenzmetaphysik‘? Es ist wiederum hilfreich, diese These durch die entgegengesetzte Perspektive zu erklären. Der Gegenbegriff zur Transzendenzmetaphysik ist Immanenzmetaphysik.12 1.) Unter ,Immanenzmetaphysik‘ verstehe ich die These, dass es nur Gott (das, was wirklich ist), aber keine wirklich bestehende nicht-göttliche Realität gibt. Kurzum: Gott ist alles, was es gibt. 2.) Unter ,Transzendenzmetaphysik‘ verstehe ich hingegen die These, dass es außer Gott auch wirklich bestehende nicht-göttliche Realität gibt.

12  Diese Unterscheidung ist im Kontext der italienischen Neuscholastik ausführlich behandelt worden. Vgl. z. B. Dario Sacchi, Lineamenti di una metafisica di trascendenza, Rom 2007, insbes. 36 f.

1.1 Theoretische Bemerkungen

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Es soll deshalb folgende paradoxe These aufgestellt werden: Wenn die Funda­ mentalität (Gott) als allumfassend gesetzt wird (nach dem Prinzip der Evidenz­ metaphysik), setzt sie das Sein von bestehender nicht-göttlicher Realität voraus. Die Fundamentalität (Gott) erweist sich somit als transzendent. Wahre Evidenzmetaphysik ist Transzendenzmetaphysik. Es ist an dieser Stelle bereits klar, dass diese Transzendenz nicht in einem ontischen Sinne zu verstehen ist. Gott ist nicht als etwas zu konzipieren, das neben der Welt ist (denn dies würde, gegen die Prämisse, eine Eingrenzung der Fundamentalität implizieren). Die Transzendenz Gottes soll in einem ontologischen Sinne verstanden werden. Der positive Sinn dieses Ausdrucks soll aber im Laufe der Arbeit erklärt werden. Zunächst stellt sich die folgende Frage: Wie kann man zeigen, dass diese durch die Transzendenzmetaphysik ausgedrückte Evidenz eine wahre Evidenz ist und nicht eine Scheinevidenz, ohne die Unmittelbarkeit der Evidenz zu brechen? Die Lage ist problematisch, denn „[w]er für die Evidenz argumentiert, begeht einen Zirkel, […] er will beweisen, daß es Evidenz gibt; das zu Beweisende soll also das Endergebnis der Überlegungen darstellen, während er vom ersten Augenblick seiner Argumentation an Evidenz bereits voraussetzen muß.“13 Mit anderen Worten: Evidenz ist der gegebene Ausgangspunkt für eine Vermittlung und kann nicht das Resultat einer Vermittlung sein (Evidenz ist unmittelbar). Andererseits ist das, was wir suchen, eine vernünftige Evidenz und nicht eine, die auf privaten Offenbarungen oder Gefühlen beruht. Wiederum stellt sich die Frage: Wie ist eine Methode für eine Evidenzmetaphysik zu konzipieren, die ihren Evidenzcharakter nicht zerstört? Wie soll man eine Evidenzdarstellung erfassen? Ein erster Hinweis kann der folgende sein: Wir haben vorher gesehen, dass der Evidenzcharakter darin besteht, dass er die entgegengesetzte Position nicht einmal als (falsche) Position entstehen lässt.14 Nun ist die die Transzendenzmetaphysik verneinende Perspektive die der Immanenzmetaphysik. Es soll daher Zweifaches gezeigt werden: 1.) Die Identität von Gott und Totalität, die die Evidenzmetaphysik auszeichnet, wird zunächst (und in vollkommener Form) durch die Immanenzmetaphysik formuliert. Denn diese Metaphysik-Auffassung geht ausdrücklich von dieser Identität aus (Gott ist alles, was es gibt). Die Immanenzmetaphysik geht folglich über jene Auffassungen hinaus, die Gott als einen Teil der Realität (neben anderen) konzipieren. 13 Stegmüller,

Metaphysik, 169. Idee kann aus einer eher epistemologischen Sicht betrachtet werden: Wenn die Setzung der Totalität in Form einer unmittelbaren Anschauung (als Noesis) erfolgt, kann man sagen, dass in der Inferenzmetaphysik die Vermittlung (die Dianoia) eine Auswirkung auf diese Unmittelbarkeit hat. Denn sie vergegenständlicht die unmittelbare Anschauung und ,verunreinigt‘ sie damit. Die ,Vermittlung‘ hat hingegen in der Evidenzmetaphysik keine inferentielle und eingrenzende Seite, sie ist eine reine Evidenzdarstellung. 14 Dieselbe

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

2.) Gleichzeitig bringt die Immanenzmetaphysik eine scheinhafte Evidenz zum Ausdruck. Warum? Die Immanenz-Perspektive geht zwar von der Identität von Gott und Totalität aus, diese wird aber noch einmal auf eine inferentielle Art und Weise gesetzt, und das führt wiederum zu einer Eingrenzung des Skopus und zu einem Unterschied zwischen Totalität und Fundamentalität. Kurzum: Die Immanenzmetaphysik geht von der Identität von Gott und Totalität aus. In ihrem Vollzug erweist sie sich aber strukturell als eine zweite Philosophie, die das Göttliche als einen Teil des Realen erfasst. Sie ist daher eine selbsttilgende Position (sie ist somit nicht einfach falsch, sie kann die Totalität nicht wirklich explizieren). Gleichzeitig erhält diese Selbsttilgung, als Selbsttilgung der Immanenzmetaphysik, eine Bedeutung, denn sie lässt die Transzendenzmetaphysik als die einzige Form der Ersten Philosophie erscheinen.15 Folgende Position soll dadurch manifest werden: Es gibt nicht-göttliche Realität (und Gott ist somit transzendent), aber diese nicht-göttliche Realität ist nicht neben Gott (das ist der positive Beitrag der Immanenzmetaphysik). Diese Position nenne ich ,ontologische Transzendenz‘.

1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung In diesem Abschnitt möchte ich zeigen, dass die Hegelsche Dialektik als eine ,Methode‘ interpretiert werden kann, deren Ziel darin besteht, die Metaphysik als wirkliche Erste Philosophie zu setzen und somit als systematische Darstellung des Ganzen, und dass sie dieses Ziel dadurch verfolgt, dass sie die zweite Philosophie (die kategoriale Metaphysik) in ihrer intrinsischen Instabilität aufzeigt. Die Dialektik kann folglich die Funktion jener von uns gesuchten methodischen Evidenzdarstellung erfüllen. Um diese These einzuführen, werde ich mich an Hegels enzyklopädischer Position orientieren. Die hier dargestellte Konzeption versteht sich aber als unabhängig vom ausgeführten Hegelschen Projekt stricto sensu. Es geht allgemeiner um einen Hegelschen Ansatz. Philosophie kann gemäß der Hegelschen enzyklopädischen Auffassung als eine wissenschaftliche Darstellung der Idee16 definiert werden. Nun ist der Terminus ,Idee‘ nicht in einem Cartesianischen Sinne zu verstehen, sondern eher in einem Platonischen: Die Idee ist nämlich das Realste, das wahre An-sich. Sie ist aber gleichzeitig (und wiederum in Übereinstimmung mit der Platonischen 15 Dieser Ausweis funktioniert ein wenig wie der Aristotelische Elenchos, der als eine Art argumentative Strategie fungiert, um den Evidenzcharakter des Widerspruchsprinzips nachzuweisen. Diese Thematik wird am Ende dieses Kapitels entfaltet. 16  Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Theorie-Werkausgabe (im Folgenden: TW) in 20 Bänden, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Band 8, Frankfurt a. M. 1986, § 14–18, 59–64.

1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung

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Konzeption) der wahre Gegenstand des Denkens und daher auch epistemisch am zugänglichsten. Es gibt aber wichtige Unterschiede zwischen der Hegelschen und der Platonischen Konzeption: 1.) Die ,Hegelsche‘ Idee ist die Idee, sie ist deshalb ein singulare tantum und unterscheidet sich somit vom traditionellen Platonischen Pluralismus. 2.) Die Idee ist nicht etwas, das vom Bereich der Phänomene (vom Reich der Doxa) getrennt ist. Die Hegelsche Idee ist somit nicht chorismatisch zu verstehen.17 In seiner Enzyklopädie bringt Hegel die Besonderheit seiner Position dadurch zum Ausdruck, dass er hervorhebt, der Gegenstand der Philosophie (= die Idee) müsse aktual sein. Das schließt einerseits eine quasi nominalistische Perspektive aus, nach der die Idee nur ein ,Hirngespinst‘ wäre. Die These schließt somit jene Auffassung aus, nach der der Bereich des Wirklich-Existierenden mit demjenigen der Vielheit der Partikulären identisch wäre und die Idee nur eine abgeleitete Existenzweise hätte. Die eine Idee ist hingegen das Reale selbst, das wirklich Absolute. Andererseits weist diese These auch eine extrem realistische (Platonische) Perspektive zurück, nach der die Idee etwas wäre, das sich nicht wirklich in den Einzeldingen manifestiert. Die wirkliche Idee ist keine für die phänomenale Welt unerreichbare Idealität, sie ist hingegen als solche manifest durch und durch. Die Idee ist somit einerseits das Absolute (das, was wirklich ist), aber gleichzeitig ist sie, qua das Phänomene durchdringende Prinzip, allumfassend. Hegel selbst bringt die These folgendermaßen zum Ausdruck: Der freie und wahrhafte Gedanke ist in sich konkret, und so ist er Idee, und in seiner ganzen Allgemeinheit die Idee oder das Absolute. Die Wissenschaft desselben ist wesentlich System, weil das Wahre als konkret nur als sich in sich entfaltend und in Einheit zusammennehmend und ‑haltend, d. i. als Totalität ist […].18

Das von der Philosophie thematisierte Absolute ist somit nicht eine Portion von Realität, sondern die Totalität bzw. das Ganze. Der Gegenstand der Philosophie koinzidiert somit mit demjenigen der Metaphysik als Erster Philosophie. Es geht sowohl um das Fundamentalste als auch um das Allumfassendste. Mit dem Terminus ,System‘ kommt nun wieder die These zum Ausdruck, dass diese Thematisierung der Idee wissenschaftlich ist. Es geht also um eine rationale und methodische und nicht emotionale Darstellung dieses Ganzen. Was bedeutet aber in diesem Kontext ,Wissenschaft‘? Worin besteht hier die Me-

17  Für einen Vergleich zwischen der Platonischen und der Hegelschen Konzeption der Idee vgl. unter anderem Emanuele Severino, Istituzioni di filosofia, Verona 2010, 124 f. 18  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 14, 59.

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

thodik und Systematizität? Hegel gliedert am Anfang seiner enzyklopädischen Logik sein dialektisches methodologisches Verfahren in drei Momente: a) abstraktes oder verständiges Moment b) dialektisches oder negativ-vernünftiges Moment c) spekulatives oder positiv-vernünftiges Moment Diese drei Momente wurden oft in der älteren Literatur als These, Antithese und Synthese definiert. Ich werde gelegentlich diese Termini verwenden, auch wenn sie philologisch nicht unproblematisch sind. Was das erste Moment angeht, schreibt Hegel Folgendes: „Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen; ein solches beschränktes Abstraktes gilt ihm als für sich bestehend und seiend.“19 Diesem verständigen Charakter entspricht nun das metaphysische Verfahren. Im Vorbegriff zu seiner enzyklopädischen Logik führt Hegel drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität ein: 1.) Metaphysik, 2.) Empirismus und kritische Philosophie, 3.) unmittelbares Wissen. Das Verfahren der Metaphysik ist nun, wie beim ersten Moment der Dialektik, dasjenige des verständigen Denkens. Diese erste Stellung (die Metaphysik) setzt die Idee voraus: Sie geht mit anderen Worten von der Grundannahme aus, dass das Reale an sich auch epistemisch zugänglich sei. Die Metaphysik expliziert nun diese Grundannahme (und das macht die Besonderheit der Metaphysik und ihren verständigen Charakter aus) in der Form einer Definition. Das bedeutet hier, dass die Natur der Idee in einer prädikativen Form zum Ausdruck gebracht wird. Dieses Verfahren generiert aber wiederum die oben beschriebene Aporie, und diese aporetische Dimension wird in der Dialektik explizit anerkannt. So schreibt Hegel: Was nun aber näher das Verfahren jener alten Metaphysik anbetrifft, so ist darüber zu bemerken, daß dieselbe nicht über das bloß verständige Denken hinausging. Sie nahm die abstrakten Denkbestimmungen unmittelbar auf und ließ dieselben dafür gelten, Prädikate des Wahren zu sein. Wenn vom Denken die Rede ist, so muß man das endliche, bloß verständige Denken vom unendlichen, vernünftigen unterscheiden. Die Denkbestimmungen, so wie sie sich unmittelbar, vereinzelt vorfinden, sind endliche Bestimmungen. Das Wahre aber ist das in sich Unendliche, welches durch Endliches sich nicht ausdrücken und zum Bewußtsein bringen läßt.20

Diese definitorische Prozedur ,verendlicht das Wahre‘, das seinerseits ,unendlich‘ ist. Was ist damit gemeint? Mit dem Terminus ,Wahrheit‘ wird diese doppelte Dimension der Idee zum Ausdruck gebracht: der realistische Charakter einerseits und die vollkommene Erkennbarkeit andererseits. Nun hat die Idee, als  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 80, 169.  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 28 Zu., 94 f.

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das Wahre und damit aufgrund ihrer vollkommenen Verbindung von An-sich und Manifestation (Aktualität), wiederum einen Totalitätscharakter, und diese Totalitätsdimension (das Allumfassend-Sein) wird durch den Terminus ,unendlich‘ zum Ausdruck gebracht. Wenn nun diese Idee durch eine Definition expliziert wird, indem behauptet wird: „Die Idee ist so und so“, geht gerade, wie wir am Anfang dieses Kapitels hervorgehoben haben, dieser Totalitätscharakter verloren, denn die Idee wird eingegrenzt. Der dogmatische Charakter der Metaphysik kann mit anderen Worten wiederum auf die oben besprochene These zurückgeführt werden, die annimmt, dass „von zwei entgegengesetzten Behauptungen, dergleichen jene Sätze waren, die eine wahr, die andere aber falsch sein müsse.“21 Wie wird nun diese eingrenzende Dimension genauer konzipiert? Das metaphysische definitorische Verfahren bringt das Moment der fundamentalen Einheit zum Ausdruck. Diese Einheit erhält einen Vorrang (sie ist absolut), und das bedeutet, dass das Moment der Vielheit und Phänomenalität als ein, zumindest partiell, trügerischer Schein betrachtet wird. Es geht mit anderen Worten um eine Einheit, die der Vielheit gegenübersteht und die deshalb nicht allumfassend ist. Diese Dimension kann auch folgendermaßen expliziert werden: Das erste Moment gibt dem Absoluten eine kategoriale Gestalt. Nun sind Kategorien höchste Gattungen. Das erste Moment betrachtet folglich das allumfassende Absolute als etwas, das unter eine Gattung fällt. Nun lassen sich Gattungen in Spezies unterteilen, und diese ,Spezifizierung‘ erfolgt durch Unterschiede, die ,artbildend‘ (spezifisch) genannt werden. Zum Beispiel wird die Gattung ,Lebewesen‘ durch den Unterschied ,Vernünftigkeit‘ spezifiziert, und dadurch ergibt sich die Spezies ,Mensch‘. Spezies sind also Instanzen, durch die eine Gattung untergliedert wird (wodurch eine Gattung expliziert wird). Der Punkt ist nun, dass ein Unterschied etwas ist, das seiner Gattung äußerlich ist. Anders gewendet: Die Gattung ist Prinzip der Einheit, aber nicht der Unterscheidung. Um diese Idee zu verdeutlichen, kann man auf ein Beispiel rekurrieren: Nehmen wir an22, Gelb sei eine ,Gattungsfarbe‘ und Orange und Grün seien seine ,Speziesfarben‘. Wir können nun nicht behaupten, dass diese Spezies aus einfachem Gelb resultieren, sondern aus Gelb und Nicht-Gelb (jeweils Rot und Blau). Sie haben somit als solche ein Element von Äußerlichkeit. Wenn wir nun dem allumfassenden Absoluten den Charakter einer Gattung zuschreiben, heißt das, dass das Prinzip der Unterscheidung nicht wirklich existiert, und folglich, dass die Spezies selbst und somit die Vielheit nicht wirk-

 Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 32, 98.  Das Beispiel übernehme ich von Anton F. Koch. Vgl. dazu Anton F. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, Tübingen 2014, 260 f. 21 22

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

lich sind. Um das vorherige Beispiel wiederaufzugreifen: Wenn es nur Gelb gäbe, wären Orange und Grün (in ihrer Spezifizität) nur trügerischer Schein. Man kann diese Position auch mit einem Parmenideischen Vokabular formulieren. Im Lehrgedicht des Parmenides werden zwei Hauptwege unterschieden: ein Weg der Wahrheit, nach dem es nur das eine und negationsfreie Sein gibt, und ein Weg der Doxa, der von der Existenz von Vielheit und Werden (und somit Negation) ausgeht. Das erste Moment schließt nun das Bestehen des zweiten aus. Das heißt: Dieses erste Moment der Dialektik koinzidiert mit dem Parmenideischen Weg der Wahrheit, der die phänomenale Welt ausschließt. Zusammenfassend: Das erste Moment impliziert, indem es als kategoriale Darstellung des Ganzen auftritt, eine Eingrenzung des Skopus der Theorie (das, was wirklich ist, ist enger als das, was zu sein scheint). Es wird damit eine zumindest (minimale) Scheinform generiert (die Spezies dieser Kategorie), die ausgeschlossen werden muss (die als trügerischer Schein betrachtet werden muss). Das zweite Moment der Dialektik bringt nun gerade die Antithese zum Ausdruck, dass auch Phänomenalität und Vielheit (die Spezies) wirklich sind. Mit einem theologischen Vokabular: Wenn das erste Moment (der Weg der Wahrheit bzw. die These) das Absolute bzw. Gott definiert und somit die Dimension der Einheit hervorhebt, hebt das zweite Moment die Dimension der Vielheit und des Scheins hervor, die eine Theorie des Ganzen mitberücksichtigen muss. Hegel formuliert diese Idee folgendermaßen: Das Sein selbst sowie die folgenden Bestimmungen nicht nur des Seins, sondern die logischen Bestimmungen überhaupt können als Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden; näher jedoch immer nur die erste einfache Bestimmung einer Sphäre, und dann die dritte, als welche die Rückkehr aus der Differenz zur einfachen Beziehung auf sich ist. Denn Gott metaphysisch definieren heißt, dessen Natur in Gedanken als solchen ausdrücken; die Logik aber umfaßt alle Gedanken, wie sie noch in der Form von Gedanken sind. Die zweiten Bestimmungen, als welche eine Sphäre in ihrer Differenz sind, dagegen sind die Definitionen des Endlichen.23

Man kann nun dieses zweite Moment der Dialektik mit der zweiten Stellung des Gedankens zur Objektivität in Verbindung bringen. Hegel stellt diese zweite Stellung anhand von zwei philosophischen Richtungen der modernen Zeit dar: Empirismus und kritische Philosophie. Beide Richtungen unterscheiden sich freilich massiv voneinander, sie teilen aber gleichzeitig eine gemeinsame Grundidee, die sie von der metaphysischen Position unterscheidet: die These, dass der einzige Boden der Erkenntnis die Erfahrung ist. Mit Bezug auf den Empirismus schreibt Hegel: Das Bedürfnis teils eines konkreten Inhalts gegen die abstrakten Theorien des Verstandes, der nicht für sich selbst aus seinen Allgemeinheiten zur Besonderung und Bestimmung  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 85, 181.

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fortgehen kann, teils eines festen Halts gegen die Möglichkeit, auf dem Felde und nach der Methode der endlichen Bestimmungen alles beweisen zu können, führte zunächst auf den Empirismus, welcher, statt in dem Gedanken selbst das Wahre zu suchen, dasselbe aus der Erfahrung, der äußeren und inneren Gegenwart, zu holen geht.24

Das Wahre (was an sich und uns zugänglich ist) ist somit nicht der objektive Gegenstand des Denkens, sondern die durch die Sinne vermittelte Vielheit und Veränderlichkeit der Phänomene. Es wird dadurch klar, dass der Bereich der Doxa (die phänomenale Welt) nicht einfach als trügerischer Schein verstanden wird, sondern als etwas, das einen wirklichen Bestand hat. Aus dieser Perspektive erweist sich sogar die metaphysische Einheit des Verstandes als eine leere Einheit. Diese zweite Stellung bringt einen weiteren und wichtigen Aspekt zum Ausdruck: Es liegt im Empirismus dies große Prinzip, daß, was wahr ist, in der Wirklichkeit sein und für die Wahrnehmung da sein muß. Dies Prinzip ist dem Sollen entgegengesetzt, womit die Reflexion sich aufbläht und gegen die Wirklichkeit und Gegenwart mit einem Jenseits verächtlich tut, welches nur in dem subjektiven Verstande seinen Sitz und Dasein haben soll. Wie der Empirismus, erkennt (§ 7) auch die Philosophie nur das, was ist; sie weiß nicht solches, was nur sein soll und somit nicht da ist.25

Zum Wahren gehört strukturell ein phänomenaler Charakter (und das wird gerade vom Empirismus und später von der kritischen Philosophie hervorgehoben), und es ist damit auch etwas, das strukturell subjektbezogen ist. Das Wahre, qua Erfahrung, ist, wie Hegel selbst betont, präsent, und die Präsenz ist Präsenz für jemanden. Dies bedeutet aber, dass das metaphysische objektivierende Denken einerseits die objektive Scheinhaftigkeit, den trügerischen Schein der entgegengesetzten Theorien, aber auch andererseits die subjektive Scheinhaftigkeit (das Scheinen für mich) tilgt. Es ist an dieser Stelle auch interessant zu bemerken, dass in dieser zweiten Position eine Grunddimension der modernen Philosophie widerklingt. Denn das Hauptmerkmal der modernen Philosophie besteht gerade in der zentralen Rolle des ,wirklichen Selbstbewusstseins‘. Hegel schreibt dazu: „Das Hauptinteresse ist daher nicht sowohl, die Gegenstände in ihrer Wahrheit zu denken, als das Denken und Begreifen der Gegenstände, diese Einheit selbst, welche überhaupt das Bewußtwerden eines vorausgesetzten Objekts ist, zu denken.“26 Nun, auch wenn die dialektische Auffassung diese Dimension des modernen Denkens anerkennt, versteht sie diese nicht als etwas, das von der metaphysischen Auffassung entkoppelt werden kann.27 Die moderne Dimension soll hingegen als  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 37, 106 f.  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 38 Anm., 108. 26  Georg W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, TW 20, 63. 27  Diese Dimension zeigt sich zunächst in der Form eines Fundationalismus, nach der der Gegenstand des Intellekts von den Sinnen stammt und von den Sinnen bestätigt werden 24 25

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

eine Art Explizierung der internen Mangelhaftigkeit der ersten metaphysischen Position verstanden werden. Kurzum: Dieses zweite Moment ergibt sich aus dem ersten auf eine innerliche und immanente Art. Mit den Worten Hegels: Das dialektische Moment ist das eigene Sichaufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegensetzten.28

Das erste Moment verhält sich deshalb zum zweiten nicht ,wie Fisch zum Fahrrad‘, sondern wie Yin zum Yang. Die zweite Position steht der ersten entgegen. Sie ist die aus der Metaphysik (Weg der Wahrheit) entstandene Doxa (Weg der Meinung). Die zweite Position ist die Explizierung der ausgeschlossenen Scheinhaftigkeit und Meinigkeit (Subjektivität), die immanent aus der Setzung der ersten Position generiert wird. Das zweite Moment erweist sich somit als die Selbstaufhebung des ersten Moments.29 Diese Konzeption hat eine fundamentale Relevanz für unsere Forschung, denn hier hebt Hegel die Tatsache hervor, dass sich die erste metaphysische und kategoriale Position als etwas herausstellt, das nicht einfach falsch ist, sondern das eine Selbsttilgung vollzieht. Diese ist nun aber nicht einfach eine sinnlose Selbstvernichtung, sie hat vielmehr eine Bedeutung, und die wird gerade im positiv-vernünftigen Moment der Dialektik (in der Synthese), das Hegel auch spekulativ nennt, expliziert: Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige faßt die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Übergehen enthalten ist. 1. Die Dialektik hat ein positives Resultat, weil sie einen bestimmten Inhalt hat oder weil ihr Resultat wahrhaft nicht das leere, abstrakte Nichts, sondern die Negation von gewissen Bestimmungen ist, welche im Resultate eben deswegen enthalten sind, weil dies nicht ein unmittelbares Nichts, sondern ein Resultat ist. 2. Dies Vernünftige ist daher, obwohl ein Gedachtes, auch Abstraktes, zugleich ein Konkretes, weil es nicht einfache, formelle Einheit, sondern Einheit unterschiedener Bestimmungen ist.30 muss, wenn er das Reale erfassen soll. Diese Äußerlichkeit der Erkenntnisdaten führt aber zu der These, dass das Denken die Faktizität der Erfahrung nicht vollkommen durchdringen kann. Die denkerische Tätigkeit kann zwar die gegebene Erfahrung systematisieren, aber diese Systematisierung bleibt an der Oberfläche. Es ergibt sich daraus eine skeptische Position, nach der es eine unüberwindbare Kluft zwischen der Erkenntnis und dem Realen gibt. Diese Position kündigt sich zunächst in der Humeschen Version des Empirismus an und kommt dann, laut Hegel, expliziter in der kritischen Philosophie zum Ausdruck. Hegel schreibt dazu: „Die kritische Philosophie hat es mit dem Empirismus gemein, die Erfahrung für den einzigen Boden der Erkenntnisse anzunehmen, welche sie aber nicht für Wahrheiten, sondern nur für Erkenntnisse von Erscheinungen gelten lässt“, in: Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 40, 112. 28  Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 81, 172, letzte Herv. R. V. 29  Zum Beispiel: Der Anfang der Logik (das reine Sein) ist einerseits die minimale und unmittelbarste Form der Einheit und das Nichts ist die minimale unmittelbare Form der Unterscheidung. Beide negieren sich gegenseitig, aber sie gehören auch gegenseitig zueinander. 30 Hegel, Enzyklopädie I, TW 8, § 82, 176 f.

1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung

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Wie soll dieses spekulative Moment und somit die positive Dimension der Dialektik interpretiert werden? Die Idee scheint die folgende zu sein: Gerade weil die metaphysische Position zu einer Selbstaufhebung, zu einer immanenten Tilgung führt, erhält diese Tilgung einen Sinn. Mit Hölderlin gesagt: „Da, wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Inwiefern? Zunächst zur Thematik der Einheit der Bestimmungen: Offenbar ist das ,Subjekt‘ der Synthese die Einheit der entgegengesetzten Bestimmungen. Wie soll diese Konzeption erfasst werden? Um diese These zu explizieren, möchte ich auf eine Stelle in der Metaphysik des Aristoteles verweisen, in der der Philosoph die Relation zwischen den rationalen Vermögen und den Gegensätzen hervorhebt. Er schreibt dazu: Und die mit Vernunft verbundenen Vermögen sind jeweils dieselben für gegensätzliche Wirkungen, bei den vernunftlosen Vermögen hingegen hat ein Vermögen nur eine Wirkung, z. B. ist das Warme nur das Vermögen des Wärmens, die Arztkunst hingegen ist das Vermögen der Krankheit und Gesundheit. Die Ursache hierfür ist, dass die Wissenschaft eine begriffliche Formel ist und dass dieselbe Formel die Sache und ihre Privation deutlich macht, nur nicht in derselben Weise; und in gewissem Sinne richtet sich die begriffliche Formel auf beides, in gewissem Sinne aber mehr auf das (positiv) Vorhandene, so daß auch notwendig solche Wissenschaften sich zwar auf Gegensätzliches richten, aber auf das eine (sc. die Sache selbst) an sich, auf das andere (sc. ihre Privation) nicht an sich […].31

Aristoteles bezieht sich hier auf die sogenannten poietischen Künste und Wissenschaften (Wissenschaften, die etwas hervorbringen), wie z. B. die Heilkunst. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass diese Kunst eine Wissenschaft ist, weil sie sowohl die Heilung hervorbringen kann, als auch ihre Entgegensetzung (die Krankheit). Wir können nun für unseren Zweck diesen letzten Punkt verallgemeinern. Mit anderen Worten: Das, was für die Heilkunst gilt, sollte nun auf die spekulative Tätigkeit der ersten Wissenschaft übertragen werden. Wir können somit sagen, dass die eine wissenschaftliche Erste Philosophie sowohl die kategoriale metaphysische Dimension als auch die Doxa miteinbezieht und somit die Dimension der ausgeschlossenen Unterschiede. Das bedeutet wiederum: In der Synthese ist die Idee aktual und somit eine Idee, die den Manifestationscharakter integriert und dies sowohl auf objektiver als auch auf subjektiver Seite.32 Man kann die These auch folgendermaßen explizieren: Die Synthese ergibt sich einerseits aus einer Selbstnegation aber andererseits impliziert diese Selbstnegation einen positiven Charakter. Worin besteht diese Positivität? Die Synthese bringt den transzendentalen Charakter der wahren Ersten Philosophie hervor. Was bedeutet dies? Wir haben bereits oben gesehen, dass das Prinzip der Metaphysik einen Gattungscharakter hat. Gattungen als solche können aber,  Aristoteles, Metaphysik, Θ 2, 153.  Dieser integrierende Aspekt des dritten Moments der Dialektik (der Synthese) ist am prominentesten von McTaggart thematisiert worden. Vgl. John Ellis McTaggart, Studies in the Hegelian Dialectic, 2. Aufl., Cambridge 1922, § 9, 10. 31 32

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

wie gesagt, Unterschiede nicht ausdrücken und müssen auf etwas Äußerliches rekurrieren. Für Transzendentalien gilt nun gerade diese Position nicht. Warum? Transzendentalien (traditionell geht es um das Sein und die mit ihm konvertiblen Notionen, vor allem das Eine, das Wahre und das Gute) werden so genannt, weil sie die Kategorien transzendieren. Diese Transzendenz bedeutet nun, dass sie allgemeiner als die Kategorien sind, weil jede Kategorie etwas (eine Seinsportion) zum Ausdruck bringt. Diese höchste Allgemeinheit (und das ist hier der zentrale Punkt) darf aber andererseits nicht in der Form einer ,Supergattung‘ verstanden werden. Denn: Wenn das Sein eine Gattung wäre, hieße das, dass die Unterschiede außerhalb des Seins wären. Das würde aber bedeuten, dass sie nicht spezifizieren könnten und dass es die Spezies selbst überhaupt nicht gäbe. Das würde aber letzten Endes Folgendes bedeuten: Die Auffassung, nach der das Sein eine Gattung ist, impliziert, dass die manifeste Welt (der Bereich der Unterschiede) zumindest eine Dimension ihrer Konsistenz verliert. Aber das ist wiederum die Position der kategorialen Metaphysik, die sich aufgehoben hat. Die daraus zu schließende Konsequenz ist deshalb, dass das Sein (und die Transzendentalien im Allgemeinen) keine Gattungen sind. Sie sind folglich einerseits die allgemeinsten und gleichzeitig die bestimmtesten, denn ihre Spezifizierung erfolgt nicht durch ein äußerliches Prinzip. Die Erste Philosophie, die durch die Synthese zum Ausdruck gebracht wird, ist daher eine Transzendentalphilosophie, selbstverständlich im Sinne der Transzendentalphilosophie der Alten. Das steht auch im Einklang mit der Hegelschen Schrift, denn sie spricht deutlich von einer konkreten Einheit, die die Unterschiede vereinigt. Die Synthese expliziert also die allumfassende und entobjektivierte Idee. Hegel hebt außerdem die These hervor, dass diese Selbstverneinung und Selbsttilgung ein bestimmtes Nichts ist. Gerade für die vorliegende Arbeit ist diese Position von zentraler Bedeutung. Denn sie bestätigt die Idee, dass diese Nichtigkeit nicht bedeutungslos ist, sondern sich logisch behandeln lässt. Mit Bezug auf diese Arbeit kann man die These folgendermaßen interpretieren: Die Selbstnegation ist die Negation der kategorialen Metaphysik, die eine transzendentale Metaphysik entstehen lässt. Der zentrale Punkt dieser Arbeit besteht nun aber darin, dass sich die ausdrückliche und vollständige Selbstnegation (und das soll wiederum im Laufe dieser Arbeit expliziert werden) als vollendete Immanenzmetaphysik erweist. Die Bestimmtheit der Selbstnegation soll daher als die vollständige Setzung der Immanenzmetaphysik verstanden werden. Noch anders gewendet: Die These (die kategoriale Metaphysik) generiert die eigene Negation (Anti-These) und hebt sich dadurch auf. Diese Selbstaufhebung expliziert sich (und ,bestimmt sich‘) aber in der Form der entfalteten Immanenzmetaphysik.

1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung

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Daraus ,ergibt sich‘ die eine große Synthese, in der die Transzendenzmetaphysik gesetzt wird, die gleichzeitig die eigentliche transzendentale (allumfassende) Metaphysik ist. Hier kommen wir nun zu einem damit verbundenen Punkt, dem Ergebnis-Charakter. Dies kann im Kontext dieser Arbeit (und gegen die Hegelsche StandardAuffassung) nicht als progressiver Weg zur Transzendenzmetaphysik verstanden werden, denn dies würde wiederum eine Dimension der Inferenz ins Spiel bringen, die den Skopus der Ersten Philosophie eingrenzt. Die Dynamik ist hingegen eine Explizierung der einen Selbst-Negation33, die sich in der entfalteten Immanenzmetaphysik ganz offenbart. Diese Selbst-Negation lässt gleichzeitig die Transzendenzmetaphysik als evident erscheinen. Diese stellt sich wiederum als die wahre transzendentale Philosophie heraus und als die einzige mögliche sinnvolle Position bezüglich einer Ersten Philosophie, denn die vermeintliche Alternative, und das wird wiederum explizit in der entfalteten Immanenzmetaphysik, ist nur zweite Philosophie und daher unfähig, das Ganze zu thematisieren. Die Arbeit soll demnach in zwei große Teile gegliedert werden: 1.) Negativer Teil: Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik 2.) Positiver Teil: Explizierung der Transzendenzmetaphysik Der erste Teil soll folgendermaßen gegliedert werden: 1.) Stellung der philosophischen Perspektive im Gegensatz zur mythologischen Auffassung 2.) Ontische Transzendenz (Scotus) 3.) 1. Immanenz (Spinoza) 4.) 2. Immanenz (Hegel) 5.) Innere Instabilität der Immanenzmetaphysik (Heidegger) Der zentrale Punkt der Gliederung des ersten Teils sei noch einmal hervorgehoben: Der erste Teil ist eine Entfaltung der einen Selbstnegation. Diese Dynamik macht somit explizit, dass das, was die Transzendenzmetaphysik verneint (die Immanenzmetaphysik), in einer Selbsttilgung besteht. Die Transzendenzmetaphysik, die im zweiten Teil dargestellt werden soll, erweist sich daher als Evidenz. Die dialektische Dynamik erhält hier eine Struktur, die mit derjenigen des Aristotelischen Elenchos vergleichbar ist. Diese argumentative Struktur dient nämlich als Nachweis der Evidenz des Widerspruchsprinzips. Diese wird nun nicht dadurch erreicht, dass man das Prinzip auf etwas Ursprünglicheres zurückführt, oder dass man sie im strengen Sinne des Wortes beweist, denn es geht 33  Die Kritik an der vermittelnden Dimension der Standard-Auffassung der Dialektik, sowie die Nähe der Dialektik zum Elenchos sind von Gedanken Emanuele Severinos inspiriert worden. Dazu vgl. Emanuele Severino, „Zurück zu Parmenides“, in: ders., Vom Wesen des Nihilismus, übers. von Magda Oschwald-Di Felice, Stuttgart 1983, 51–104.

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1. Einige Bemerkungen zur Evidenzmetaphysik

dabei um das Evidente per se. Es handelt sich daher um einen indirekten Nachweis. Dieser wird folgendermaßen erreicht: Derjenige, der das Widerspruchsprinzip verneint, ist einer, der seine Position nicht wirklich als Position setzen kann. Anders gewendet: Derjenige, der das Widerspruchsprinzip verneint, sagt nicht etwas Falsches, sondern er sagt überhaupt nichts. Mit anderen Worten: Die entgegengesetzte Position ist eine selbsttilgende.34 Andererseits: Auch die Selbstnegation ist wiederum in gewisser Hinsicht bedeutungsvoll, denn sie lässt die Evidenz, nämlich des Widerspruchsprinzips, in Erscheinung treten. Dies bedeutet aber auch, dass der Logos sich zwar in dem Selbstwiderspruch verstrickt, dass aber diese Dunkelheit doch bedeutungsvoll ist. Metaphorisch gesagt: Logisches Licht erstrahlt auch aus der logischen Nacht. Es geht um eine Art schwarzes Licht. Noch anders formuliert: Die Selbstnegation erweist sich als die Bestimmung der Bestimmungslosigkeit oder, mit Severino formuliert: Das Nichts-Denken ist ein Das-Nichts-Denken bzw. ein Denken des Nichts35. So ist es hier mit der Immanenzmetaphysik: Es geht um eine selbsttilgende Position. Gleichzeitig ist diese Selbsttilgung bedeutungsvoll, denn dadurch tritt die Transzendenzmetaphysik in ihrer Evidenz in Erscheinung. Das bedeutet: Das dialektische Argument, das für die Transzendenz entwickelt wird, ist nicht so sehr als eine demonstratio ratiocinans, sondern eher als eine demonstratio ad oculos zu verstehen, denn es geht darum, die Augen zu öffnen, um diese erstphilosophische Schau zu ermöglichen.36 Die dialektische Färbung des Elenchos impliziert aber andererseits, dass der Elenchos eine metaphysische Natur hat.37 Das widerspricht im Übrigen nicht der Aristotelischen Auffassung. Denn Aristoteles selbst behauptet in der Metaphysik, dass die Aufgabe der Ersten Philosophie auch in der Behandlung der ersten Prinzipien besteht.38 Die hier vertretene Position unterliegt aber einer gewissen 34 Dazu schreibt Aristoteles: „Manche verlangen nun aus mangelnder Bildung, daß man auch dies beweise; denn es ist mangelnde Bildung, nicht zu wissen, wofür man einen Beweis suchen muß und wofür nicht. Denn überhaupt von allen Dingen kann es unmöglich einen Beweis geben (denn das würde ins Unendliche gehen, so daß es auch so keinen Beweis gäbe); wenn man aber für bestimmte Dinge keinen Beweis suchen muß, so könnten sie wohl nicht sagen, was sie in höherem Maß für ein Prinzip dieser Art halten wollen. Einen Beweis durch Widerlegung kann man aber auch hierüber führen, daß es unmöglich ist , wenn der Gegner nur etwas sagt; wenn aber nicht, so wäre es lächerlich, ein Argument (λόγον, logon) zu suchen gegen den, der zu nichts ein Argument hat, gerade insofern er keines hat; denn insofern er so ist, ist ein solcher nachgerade einer Pflanze gleich“, in: Aristoteles, Metaphysik, Γ 4, 55. 35  Vgl. dazu Severino, Zurück zu Parmenides, 99. 36  In diesem Sinne erhält die hier entwickelte Darstellung eher den Charakter einer meditatio (im Cartesianischen Sinne des Wortes). 37  Diese Dimension wird am beeindruckendsten wiederum von Emanuele Severino dargestellt. Vgl. dazu: Severino, Zurück zu Parmenides, 61–100. 38 Dazu schreibt Aristoteles: „Man muß angeben, ob es Aufgabe ein und derselben oder verschiedener Wissenschaften ist, von dem zu handeln, was in der Mathematik ‚Axiome‘ genannt

1.2 Die Hegelsche Dialektik als methodische Evidenzdarstellung

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Verschiebung: Denn Metaphysik (als Erste Philosophie) wird in elenktischer Form gesetzt. Der Elenchos ist die Dynamik der Metaphysik selbst. Es wird aber dadurch auch klar, dass die dialektische Struktur (im Gegensatz zur Hegelschen Standard-Konzeption) wesentlich vereinfacht wird. Es gibt im Grunde die eine einzige Setzung (durch die Synthese) der Transzendenzmetaphysik.39 Dadurch kommt diese elenktische Dialektik relativ nah an eine Parmenideische Auffassung heran. Gleichzeitig unterscheidet sich diese Position von der Parmenideischen, weil die nichtige Doxa als etwas Bedeutungsvolles erfasst wird.

wird, und von der Substanz. Es ist klar, daß die Untersuchung auch der Axiome Aufgabe ein und derselben Wissenschaft ist, nämlich der des Philosophen; denn sie kommen allen Dingen (allem Seienden) zu, und nicht einer bestimmten Gattung für sich, getrennt von den anderen. Und alle machen von ihnen Gebrauch, weil sie das Seiende als Seiendes betreffen und jede Gattung Seiendes ist. Sie machen von ihnen aber nur so weit Gebrauch, als es für sie jeweils hinreichend ist, das heißt so weit die Gattung reicht, über die sie Beweise erbringen. Da es also klar ist, daß die Axiome allen Dingen als Seienden zukommen  – denn das ist es, was ihnen gemeinsam ist –, so ist die Betrachtung auch dieser Gegenstände Aufgabe dessen, der über das Seiende als Seiendes Erkenntnis sucht“, in: Aristoteles, Metaphysik, Γ 3, 53. 39 Der Evidenz‑ und der Totalitäts-Charakter dieser philosophischen Konzeption sowie ihre elenktische Natur zeigen eine gewisse Nähe zur Idee der ,Wissenschaft ohne Gegensatz‘, die Sebastian Rödl in seinem Buch Selbstbewußtsein und Objektivität entwickelt hat. Direkte Referenzpunkte für die vorliegende Arbeit sind allerdings, wie bereits am Anfang gesagt, das metaphysische Projekt Bontadinis und die durch Emanuele Severino entwickelte Perspektive. Auch die elenktische Konzeption der Ersten Philosophie ist (bei allen Unterschieden) mit der Severinischen Konzeption verbunden.

I. Negativer Teil: Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

2. Stellung der philosophischen Perspektive Die Perspektive, die in dieser Arbeit vertreten wird, ist eine, nach der sich die Erste Philosophie, verstanden als jene Theorie, die das Ganze als Ganzes thematisiert, unmittelbar ergibt und jegliche philosophische Disziplin mitbegleitet. Es gibt somit eine Philosophie der Geschichte, der Wissenschaft, der Kunst usw., weil der reine Bereich der Ersten Philosophie immer schon mehr oder weniger explizit miteröffnet wird. Der erstphilosophische Bereich ist aber der metaphysische Bereich. Dies bedeutet wiederum, dass es da, wo es Philosophie gibt, von Anfang an Metaphysik gibt. Es ist andererseits auch eine Standardposition, dass der Anfang der Philosophie mit denjenigen Projekten koinzidiert, die in Ionien entwickelt worden sind. Nun sind diese Projekte durch ein ,natürliches‘ Element gekennzeichnet.1 Aus diesem Grund wird oft gesagt, dass die Philosophie als Naturphilosophie bzw. als Physik anfängt. Wie ist, aus der Sicht der Evidenzmetaphysik, die Diskrepanz zwischen der metaphysischen Natur der Philosophie und ihrem physikalischen Anfang zu erklären? Im ersten Teil dieses Kapitels soll anhand eines ,Hegelschen Paradigmas‘ eine Antwort gegeben werden. Im zweiten Teil wird mithilfe derselben Interpretationsrichtung eine Darstellung der ersten Schritte der Philosophie skizziert, die in die Parmenideische Konzeption mündet. Es wird schließlich gezeigt, dass dieser Parmenideischen Auffassung eine Aporie innewohnt.

2.1 Der Anfang der Philosophie: Thomistisches vs. Hegelsches Paradigma In diesem ersten Teil werden zwei Paradigmen zum Anfang und zur Entwicklung der Philosophie dargestellt und entgegengesetzt. Dabei werde ich das erste Paradigma Thomistisch und das zweite Hegelsch nennen. Diese Bezeichnungen werden ad honorem verliehen und erfüllen zunächst und vor allem eine Modellfunktion.  Zum Beispiel: Das Prinzip des Thales, des ersten dieser Autoren, ist bekanntlich das Wasser.

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

Das, was ich unter ,Thomistischem Paradigma‘ verstehe, kann durch den folgenden Text von Thomas von Aquin eingeführt werden: Die alten Philosophen drangen allmählich und gleichsam schrittweise zur Erkenntnis der Wahrheit vor. Denn am Anfang, wo sie gleichsam noch gröber waren, glaubten sie, dass nur die sinnlich wahrnehmbaren Körper vorhanden wären […]. Weiter vorgehend unterschieden sie begrifflich zwischen der Wesensform und dem Stoff, den man ungeschaffen sein ließ. Sie erkannten auch, dass es in den Körpern eine Veränderung bezüglich der Wesensformen gibt. Für diese Veränderung nahmen sie gewisse allgemeinere Ursachen an, so nach Aristoteles die schräge Bahn [der Sonne = Ekliptik], oder nach Plato die Ideen. […] Endlich erhoben sich einige bis zur Betrachtung des Seienden als Seienden, und betrachteten die Ursache der Dinge nicht nur, sofern sie diese oder so-beschaffene sind, sondern sofern sie seiende sind. Das also, was Ursache der Dinge ist, sofern sie seiende sind, muß Ursache der Dinge sein nicht nur, sofern sie sobeschaffen sind auf Grund von Eigenschaftsformen, noch auch sofern sie „diese“ sind auf Grund der Wesensformen, sondern nach allem, was in irgendeiner Weise zu ihrem Sein gehört. So muß man also annehmen, daß auch der erste Stoff von der allgemeinen Ursache der Dinge geschaffen ist.2

Diese Perspektive erklärt die Entstehung und die Entwicklung der Philosophie als eine progressive Erweiterung und Vertiefung des Skopus der Forschung, die, beginnend mit der Untersuchung und Erklärung der Naturgegenstände, in die Metaphysik mündet.3 Es handelt sich zunächst um eine Betrachtung und Analyse des Realen unter dem Aspekt der Bewegung (an erster Stelle der akzidentellen und an zweiter Stelle der substanziellen) und schließlich um eine Analyse des Realen als solchen und damit um die Entstehung einer metaphysischen Auffassung. Der Gang der Philosophie kann auch folgendermaßen beschrieben werden: Es geht zunächst um das ,ens tale‘ (um das Seiende, das so und so beschaffen ist), dann um das ,ens hoc‘ (um dies oder jenes Seiende). Schließlich geht es nicht mehr um die Betrachtung des bestimmten Seienden, sondern um die Analyse des Seienden als solchen. Die Frage ist nun: Warum verhält es sich so? Unsere menschliche Erkenntnis wird durch die Sinne vermittelt und diese beziehen sich auf die bestimmten, vielfältigen und vergänglichen Dinge unserer Lebenswelt. Die Wissenschaft, die sich auf diese Phänomene bezieht und sie erklärt, ist, gemäß der Aristotelischen Diktion, die Naturphilosophie (die Physik). Diese kann daher als die Disziplin 2 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe (Summa theologica), übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, Graz/Wien/Köln 1933 ff., Bd. 4., 8–9, Herv. R. V. 3 Zur Interpretation dieses Textes orientiere ich mich an der Perspektive, die von Jan A. Aertsen entfaltet wurde. Vgl. insbesondere Jan A. Aertsen: „La scoperta dell’ente in quanto ente“, in: Stephen L. Brock (Hg.), Tommaso D’Aquino e l’oggetto della metafisica, Rom 2004, 35–48. Vgl. auch Rudi A. Te Velde, Participation and Substantiality in Thomas Aquinas, Leiden/ New York/Köln 1995, insbes. Kap. 8, 134–159.

2.1 Der Anfang der Philosophie

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verstanden werden, die für uns am natürlichsten ist.4 Die Metaphysik bezieht sich hingegen auf abstraktere und transphysische Elemente und ist daher für uns weniger natürlich. Es ist folglich kein Zufall, dass die Philosophie als Naturphilosophie anfängt und erst am Ende einen metaphysischen Charakter erhält. Anders verhält es sich beim Hegelschen Paradigma. In seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie schreibt Hegel Folgendes: Der Thaletische Satz, daß das Wasser das Absolute oder, wie die Alten sagten, das Prinzip sei, ist philosophisch; die Philosophie beginnt damit, weil es damit zum Bewußtsein kommt, daß Eins das Wesen, das Wahrhafte, das allein Anundfürsichseiende ist. Es tritt hier eine Abscheidung ein von dem, was in unserer sinnlichen Wahrnehmung ist; von diesem unmittelbar Seienden, – ein Zurücktreten davon. Die Griechen hatten die Sonne, Berge, Flüsse usw. als selbständige Mächte betrachtet, als Götter verehrt, zu Tätigen, Bewegten, Bewußten, Wollenden durch die Phantasie erhoben. Dies macht uns die Vorstellung von bloßer Phantasiebildung,  – unendliche, allgemeine Belebung, Gestaltung ohne einfache Einheit. Mit jenem Satze nun ist diese wilde, unendlich bunte Homerische Phantasie beruhigt, dies Auseinanderfallen einer unendlichen Menge von Prinzipien, all diese Vorstellung, daß ein besonderer Gegenstand ein für sich bestehendes Wahrhaftes, eine für sich seiende, selbständige Macht und über andere ist, aufgehoben; und damit ist gesetzt, daß nur ein Allgemeines ist, das allgemeine Anundfürsichseiende, die einfache, phantasielose Anschauung, das Denken, daß nur Eines [sei].5

Man sieht sofort, dass hier eine fundamental andere Perspektive am Werke ist. Denn die Philosophie fängt gerade mit einer Umkehrung unserer ,natürlichen‘ Perspektive an, die vom Bestehen der vielfältigen, bestimmten und veränderlichen Dinge, die durch die Sinne vermittelt werden, ausgeht, und die beim Thomistischen Paradigma den Takt angibt. Philosophie kann es hingegen nach diesem Hegelschen Paradigma erst dann geben und kann erst dann anfangen, wenn die absolute Einheit gesetzt wird. Diese Setzung ergibt sich nun: 1.) durch das In-Frage-Stellen der Erfahrung und 2.) auf einmal. Betrachten wir diese zwei Punkte der Reihe nach. Beim zweiten Paradigma geht es nicht um eine Systematisierung (Vereinheitlichung) der Erfahrung, die sich progressiv erweitert, sondern um die unmittelbare Setzung des Vorrangs der Einheit vor der Vielheit. Diese kann sich aber erst dann ergeben, wenn die sinnliche Erfahrung als fundamental depotenziert und erklärungsbedürftig erfasst wird. Mit einem theologischen Vokabular kann man die philosophische Perspektive folgendermaßen formulieren: Die philosophische Sicht lässt die Auffassung in Erscheinung treten, nach der nicht die Existenz Gottes (der absoluten Einheit) das Problematische und Erklärungsbedürftige wäre, sondern die Welt (die Vielheit). 4  Thomas von Aquin, Expositio super librum Boethii De trinitate, hg. Commissio Leonina, Rom 1992, Bd. 50, q. 6, a. 1, 160: „[S]cientia naturalis inter alias est maxime hominis intellectui conformis.“ 5  Georg W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, TW 18, 203 f.

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Aber was ist diese absolute Einheit und wie ist sie zu verstehen? Das Eine ist, wie Hegel selbst schreibt, das eine Allgemeine. Dies bedeutet, dass diese Einheit nicht einfach als eine Entität unter anderen zu verstehen ist, denn sie bringt den Gedanken zum Ausdruck, dass „nur eines ist“. Gerade dieser letzte Satz des Hegelschen Zitates lässt ein weiteres berühmtes Zitat eines der Vorsokratiker (Heraklit) widerschallen. Dieser schreibt nämlich in einem seiner Fragmente: Habt ihr nicht mich, sondern den Logos vernommen, ist es weise zuzugestehen, dass alles eins ist.6

Kurzum: Die Setzung der Einheit ist keine subjektive Meinung, sondern die Setzung des Logos selbst. Der Logos selbst gibt aber dabei folgenden Bescheid: Alles ist eins. Durch die Einheit wird damit die Totalität angesprochen. Dies bedeutet: Im Wasser des Thales wird die Einheit aller Dinge und damit die Totalität in den Vordergrund gerückt und es ist diese Totalität, die als absolut erfasst wird.7 Kommen wir nun zum zweiten Punkt: Anders als beim Thomistischen Paradigma erfolgt hier die Entstehung der Philosophie durch eine deutliche Zäsur, die auf einmal geschieht (eine ,Abscheidung‘). Dies schließt freilich nicht aus, dass es eine Art Inkubationszeit für die Entstehung der Philosophie gibt. Trotzdem: Es gibt eine klare vorphilosophische und nachphilosophische Zeit. Denn in der vorphilosophischen Zeit steht die Totalität (in der Form der allumfassenden Einheit) unthematisiert im Hintergrund, in der nachphilosophischen Zeit steht sie hingegen im Vordergrund. Es gibt somit (wiederum im Gegensatz zur Thomistischen Auffassung) keinen Raum für philosophische Zwischen-Positionen. Oder, anders gewendet: Es gibt keine wirkliche philosophische Vermittlung, die zur Thematisierung des Ganzen führt. Fassen wir das bisher Erreichte zusammen: Philosophie kann es nach dem Hegelschen Paradigma erst dann geben, wenn die Totalität gesetzt wird. Die Totalität wird aber durch die Erste Philosophie (Metaphysik) gesetzt. Dies bedeutet, dass es erst dann Philosophie geben kann, wenn es Erste Philosophie gibt. Nach diesem Paradigma kann es außerdem keinen wirklich progressiven philosophischen Einstieg in die Erste Philosophie geben. Diese geschieht daher auf einmal. Das hat aber schließlich folgende zentrale Konsequenz: Die Position, die durch das Hegelsche Paradigma gesetzt wird, ist diejenige der Evidenz­meta­ physik. 6  Die Fragmente der Vorsokratiker, hg. und übers. von Hermann Diels und Walther Kranz, 6. Aufl., Berlin 1951–52 (= DK), 22 B 50. 7  Zu dieser Thematik vgl. Severino, „La parola di Anassimandro“, in: ders., Essenza del Nichilismo, 3. Aufl., Mailand 2010, 391–411.

2.1 Der Anfang der Philosophie

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Ein Missverständnis, das man an dieser Stelle ausräumen sollte, ist das folgende: Diese scharfe Trennung zwischen der vorphilosophischen und der nachphilosophischen Zeit beim Hegelschen Paradigma impliziert nicht, dass die vorphilosophische Auffassung chaotisch, irrational und unstrukturiert sei. Hegel lässt zwar diese systematische Dimension der vorphilosophischen Zeit an dieser Stelle unthematisiert, aber man kann ergänzend hinzufügen, dass der vorphilosophische Weltzugang in einer mythischen Form strukturiert ist. Kurzum: Vor der philosophischen Zäsur herrscht nicht Chaos, sondern mythologische Ordnung. Das Hegelsche Paradigma könnte deshalb zum Beispiel der These Kurt Hübners grundsätzlich zustimmen, gemäß welcher der Mythos ein kohärentes Erfahrungssystem ist, welches das Seiende und Wirkliche im Allgemeinen aufnimmt, ordnet und deutet.8 Es würde aber unmittelbar hinzufügen, dass diese Totalitätsdimension strukturell im Hintergrund bleibt und nicht thematisiert wird. Denn die mythische Entstehung und Strukturierung des Kosmos, zum Beispiel in der Form von dichterischen Kosmogonien, schaut nicht auf das Ganze als solches, sondern auf die Aktoren (Götter, Halbgötter, Heroen usw.), die sich innerhalb dieses Ganzen bewegen und dieses Ganze strukturieren und artikulieren. Kurzum: Die denkerische Systematisierung ist in diesem Kontext nicht ausgeschlossen, aber sie bewegt sich nicht in ihrem eigentlichen Bereich, nämlich der Totalität. Sie fungiert als eine externe Strukturierung einer sinnlich geprägten Realität, die als solche die strukturelle Vielheit der endlichen Dinge voraussetzt. Der Einbruch der Philosophie lässt nun diese mythische Welt als scheinhaftes Produkt einer phantasievollen und schönen Erzählung hervortreten. Die Philosophie zeigt sich hingegen als die wahre wissenschaftliche (epistemische) Setzung dessen, was an sich ist.9 Wie ist aber, nach dem Hegelschen Paradigma, die Natürlichkeit (der PhysikCharakter) des Anfangs zu verstehen? Hegel selbst verweist auf diese Thematik: Der einfache Satz des Thales ist α) darum Philosophie, weil darin nicht das sinnliche Wasser in seiner Besonderheit gegen andere natürliche Elemente und Dinge genommen ist, sondern als Gedanke, in welchem alle wirklichen Dinge aufgelöst und enthalten sind, es also als das allgemeine Wesen gefaßt ist; und β) Naturphilosophie, weil dies Allgemeine als Reales bestimmt ist, also das Absolute als Einheit des Gedankens und Seins.10

 8 Vgl. Kurt Hübner, „Mythos I. Philosophisch“, in: Horst Robert Balz u. a. (Hgg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 23, Berlin/New York 1993, 597–608.  9 Jens Halfwassen schreibt dazu: „Dieser Zug in die Einheit des Ursprungs ist das eigentliche Wesen der Dinge, das sich hinter dem Schein ihrer bunten Vielfalt und Verschiedenheit verbirgt. Es zeigt sich nur dem Denken, während die Erzählform des Mythos im Schein der Vielfalt befangen bleibt. Das Denken (νοεῖν) dagegen durchdringt den Schein und steht darum zum Wesen der Dinge und zum Ursprung in ausgezeichneter Beziehung […]“, in: Jens Halfwassen, Auf den Spuren des Einen: Studien zur Metaphysik und ihrer Geschichte, Tübingen 2015, 3. 10  Hegel, Geschichte der Philosophie I, TW 18, 202.

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

Es ist zunächst interessant festzustellen, dass an dieser Stelle die Naturphilosophie der Philosophie überhaupt entgegengesetzt wird. Dies verweist wiederum auf den metaphysischen Charakter der Philosophie und ihres Anfangs. Was bedeutet nun diese Hegelsche Position genauer? Das Wasser des Thales ist nicht das gewöhnliche Wasser, weil es als Stellvertreter für die Totalität steht. Andererseits bleibt das Wasser gerade aufgrund seiner Natürlichkeit eines der möglichen Elemente und damit unfähig, die Totalität zum Ausdruck zu bringen. Dies bedeutet: Philosophie ist erst da, wo die Totalität thematisiert wird; die Natürlichkeit hindert aber diesen Ausdruck, denn sie grenzt den Skopus ein. Das, was sich dabei ergibt, ist daher eine Art Selbstaufhebung dieser ,physikalischen‘ Setzung der Ersten Philosophie. Mit anderen Worten: Für das Hegelsche Paradigma gibt es keine vormetaphysische philosophische Vermittlung. Die Natürlichkeit des Anfangs ist das Siegel des Scheiterns dieses erstphilosophischen Projekts, denn es zeigt sich eine fundamentale Spaltung zwischen einem philosophischen Sollen (Erster Philosophie) und dem faktischen Ausdruck (zweiter Philosophie bzw. Naturphilosophie). Diese Spaltung wird erst und vorläufig durch Parmenides und die ontologische Setzung der Ersten Philosophie getilgt. Die Idee lässt sich auch folgendermaßen zum Ausdruck bringen: Die anfängliche Philosophie ist an sich eine Metaphysik (eine Erste Philosophie) und sie impliziert somit einen Bruch mit der mythischen Einstellung. Sie behält aber in sich noch mythische Elemente (sie ist deshalb noch sinnlich geprägt) und scheitert daher an ihrem Anspruch, denn sie stellt die allumfassende göttliche Einheit in mythischer Form dar. Der mythische Charakter zeigt sich aber im Grunde wiederum als eine Art dinghafte und eingegrenzte Auffassung der Einheit, die sich damit als nicht wirklich allumfassend erweist.11 Der Fehler des Thomistischen Paradigmas besteht aus der Sicht der Hegelschen Auffassung folglich darin, dass es diese noch verbleibende mythologische Dimension falsch interpretiert, und zwar in der Form einer anfänglichen ProtoNatur-Philosophie, die vor und unabhängig von der Metaphysik bestehen kann. Eine solche Interpretation des Anfangs ist daher keineswegs ursprünglich. Sie kann im Gegenteil nur retrospektiv erfolgen, nämlich aus der Perspektive einer bereits erreichten und entwickelten metaphysischen Position. Denn die zweite Philosophie (die Naturphilosophie) setzt immer eine Erste Philosophie (eine Metaphysik) voraus. Das oben erwähnte ,Scheitern‘ der ionischen Philosophie soll nun durch eine Analyse der ersten Schritte der Philosophie mithilfe des Hegelschen Paradigmas genauer untersucht werden.

11  Zu dieser Thematik vgl. auch Roberto Vinco, Von der Physik zur Metaphysik: zwei Modelle im Vergleich, in: Rodolphe Calin/Tobias Dangel/ders. (Hgg.), Die Tradition der negativen Theologie in der deutschen und französischen Tradition, Heidelberg 2018, 49–66.

2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie

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2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie 2.2.1 Der Satz des Thales: Zwei Lesarten Traditionell wird die anfängliche Philosophie als die Suche und Untersuchung des Prinzips (arché/ἀρχή) definiert. Die erste Form dieser Philosophie ist, wie schon erläutert, diejenige, die behauptet, dass „das Prinzip/arché Wasser sei“. Diese These kann auch folgendermaßen formuliert werden: „Alles ist aus Wasser“. Nun kann diese Perspektive in zwei Richtungen12 interpretiert werden: 1.) Alles entsteht aus Wasser 2.) Alles ist Wasser Die erste These ist schwächer. Denn sie behauptet, dass Wasser das Prinzip sei, wofür kein weiterer Grund gesucht werden solle, und es alles andere hervorbringe. Sie betont aber gleichzeitig, dass das Wasser ein (wenn auch ausgezeichneter) Teil der Totalität sei. Das bedeutet: Wasser ist jenes Prinzip, das für die Entstehung alles Anderen verantwortlich ist. Das Andere bleibt hier aber Anderes. Das heißt wiederum: Alles (was nicht Wasser ist) kommt aus dem Wasser, aber ist nicht selbst Wasser. Bei der zweiten These geht es hingegen um das Prinzip, das gewissermaßen alles durchdringt. Mit dem Wort ,Wasser‘ wird folglich nicht einfach ein außergewöhnliches, unerschütterliches Element unter anderen benannt, sondern das, was wirklich ist und alles ist (wirklich absolut und total). Wasser ist somit die allherrschende und -durchdringende arché und somit auch (mit einer Aristotelischen Formulierung) stoicheion, das Urelement, woraus alles besteht. Viele Interpreten empfehlen mit Bezug auf Thales die erste, schwächere Interpretation.13 Einer von ihnen, Christof Rapp, bemerkt aber interessanterweise, dass dadurch die Thalesische Position „dem Sinn der Woher-Frage der Mytho­ logie am nächsten käme.“14 Nun ist gemäß dem Kriterium, das wir oben entfaltet haben, eine solche Position nicht einfach der Mythologie nah, sie ist mythologisch durch und durch, denn die Totalität steht nicht im Vordergrund.15 12  An dieser Stelle orientiere ich mich grundsätzlich an Christof Rapps Kategorisierung. Vgl. dazu Christof Rapp, Vorsokratiker, München 2007, 32 ff. 13  Keimpe Algra schreibt z. B. dazu: „It is therefore safest to assume that Thales merely claimed that water was the origin of all things, not that all things are water“, in: Keimpe Algra, „The Beginning of Cosmology“, in: Anthony Long (Hg.), Cambridge Companion to early Greek Philosophy, Cambridge 1999, 45–65, hier: 51. 14 Rapp, Vorsokratiker, 35. 15 Auch Jens Halfwassen verbindet die theoretische und philosophische Setzung des Ursprungs mit seinem allumfassenden und alltragenden Charakter. Die ersten Philosophen denken nämlich den Ursprung „nicht mehr nur als das, dem alles Wirkliche anfänglich entspringt, sondern darüber hinaus als das, das allem Wirklichen bleibend zum Grunde liegt und es bestimmt und durchherrscht“, in: Halfwassen, Auf den Spuren des Einen, 3.

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

Rapp verweist nun auf die Tatsache, dass die Nähe zur mythologischen Konzeption keine Irrationalität impliziere und man deshalb mit einem gewissen Recht von einer protophilosophischen Form sprechen dürfe. Wir haben aber vorher gesehen, dass der Mythos nicht irrational zu sein braucht und dass hingegen eine systematische Funktion zu ihm gehört. Systematisierung per se ist folglich nicht genug, um schon von Philosophie zu sprechen. Anders formuliert und mit Bezug auf das Vorhergesagte: Wenn die erste Lektüre korrekt ist, haben wir es bei Thales zwar mit einer ,säkularisierten‘ mythologischen Auffassung zu tun, aber es handelt sich immer noch um Mythos. Bei der zweiten Lesart geht es hingegen tatsächlich um Philosophie. Diese aber ist, wie oben bereits erwähnt, immer noch mythologisch charakterisiert. Mit anderen Worten: In dieser zweiten Auffassung geht es nicht so sehr um philosophische Elemente im Mythos, sondern um verbleibende mythologische (verdinglichende) Elemente in der Philosophie, die zum Scheitern des Projektes führen. Das ist aber wiederum die oben dargestellte Auffassung des Hegelschen Paradigmas, das als Ausdruck der Evidenzmetaphysik gilt. Wir werden daher die zweite Lektüre verfolgen, auch wenn sie vielleicht philologisch weniger plausibel ist. Denn nur in dieser kommt die (erst-)philosophische Dynamik wirklich in Gang. 2.2.2 Von Thales bis Anaximenes Im Folgenden soll eine Skizzierung der Entwicklung der Geschichte der Philosophie von Thales bis Anaximenes dargestellt werden. Diese Skizze ist nicht so sehr als genaue philologische Darstellung zu verstehen, sondern eher als ein Versuch, eine Aufhebung der verdinglichenden (mythischen) Dimension in historisch-dialektischer Form zu präsentieren.16 Die Tradition hat die drei Milesier in einer Schüler-Meister-Relation gesehen. Auch wenn diese Position nicht korrekt sein sollte, unterstützt sie die Idee, dass die drei Auffassungen als die Entwicklung einer Debatte betrachtet werden können. Diese Debatte wird an dieser Stelle wiederum anhand einer dialektischen Herangehensweise dargestellt: – Thales’ Position „Das Prinzip ist Wasser“ (These, Position des Verstandes) – Anaximanders Position „Das Prinzip ist das Unbestimmte/Unendliche“ (Antithese, negatives Moment der Dialektik) 16  Die hier dargestellte Entwicklung der Geschichte der Philosophie orientiert sich an derjenigen, die Emanuele Severino im Geiste Hegels herausgearbeitet hat. Vgl. Emanuele Severino, La filosofia dai Greci al nostro tempo. La filosofia antica e medievale, 8. Aufl., Mailand 2015.

2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie

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– Anaximenes’ Position „Das Prinzip ist Luft“ (Synthese, positives Moment der Dialektik) Wir beginnen mit der These, dass das Wasser ein philosophisches Prinzip sei und damit gleichzeitig arché und Grundelement. Wie bereits oben erwähnt, ist das Wasser des Thales einerseits Ausdruck der Totalität (Einheit aller Dinge) und damit wirklich philosophisch, andererseits ist es aber, qua Wasser, ein ,physikalischer Ausdruck‘, der die Perspektive eingrenzt und die Metaphysik zu einer zweiten Philosophie macht. Denn die Erhebung eines bestimmten Elements zur Ebene des Stellvertreters der Totalität grenzt die Totalität ein. Dies kann aus einer doppelten Sicht betrachtet werden: – Das Wasser ist qua Wasser dadurch bestimmt, dass es etwas ausschließt (z. B. Feuer), es kann daher nicht als solches alles miteinbeziehen und damit nicht Ausdruck der Totalität sein. – Es kann natürlich Gründe geben, warum das Wasser zu dieser Sonderstellung erhoben wird, aber es sieht nicht so aus, als ob es evident wäre, dass das Wasser diese Rolle spielen soll. Die Gründe sollen dem Wasser ,aufgezwungen‘ werden. Anders gewendet: Man könnte mit anderen und vielleicht besseren Gründen behaupten, dass alles aus Erde besteht. Es geht also dabei nicht um das wirkliche Absolute (um das ,absolut Absolute‘), sondern nur um ein absolutum secundum quid. Damit scheint aber auch ein weiteres und wesentliches Merkmal der mythologischen Einstellung aufzutauchen: Es geht um eine plausible Erzählung, aber es kann nicht um absolute Wahrheit (um Evidenz) und damit um Episteme gehen. Diese Problematik wird durch die Perspektive Anaximanders zum Ausdruck gebracht: Wenn die Setzung der Totalität mit der Bestimmtheit eines natürlichen Elements nicht kompatibel ist, heißt es, dass das Prinzip un-bestimmt sein muss. Anaximander spricht folglich von apeiron. Dieser Terminus wird verschiedenartig übersetzt: das Unbestimmte, das Unendliche. Unabhängig aber von der Übersetzung lässt sich sagen, dass durch diese Position die Natürlichkeit und der damit verbundene eingrenzende Charakter des Prinzips kritisiert werden. Kurzum: Durch Anaximander wird die Idee zumindest angedeutet, dass die wahre allumfassende Einheit die Grenzen des manifesten und mythologischen Weltbildes sprengt. Es ist außerdem wichtig zu bemerken, dass Aristoteles mit Bezug auf dieses Prinzip schreibt, dass es allumfassend und allsteuernd sei (καὶ περιέχειν ἅπαντα καὶ πάντα κυβερνᾶν) und dass das apeiron göttlich sei, genauer, dass es das Göttliche sei. Das bedeutet: Der entmythologisierte Gott, der die Grenzen des mythologischen Weltbildes sprengt, zeigt sich als identisch mit der Totalität. Allerdings, und dadurch kommen wir zur dritten Position, scheint der philosophische Geist nicht seine Ruhe im Unbestimmten finden zu können. Er sucht nach einer ,positiven Setzung‘ des Absoluten. Diese wird nun von Anaximenes

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

zum Ausdruck gebracht, zumindest, wenn wir seine Auffassung nicht einfach als einen Rückfall hinter die von Anaximander erreichte Position verstehen wollen.17 Laut Anaximenes ist das Prinzip die Luft. Diese hat, da wir sie nicht sehen können, einen quasi-unkörperlichen und damit entnaturalisierten Zustand und kann daher besser den Unendlichkeitscharakter des Prinzips positiv ausdrücken. Anaximenes unterscheidet sich somit von Thales durch eine Kritik an der groben Sinnlichkeit des Prinzips und kommt einer positiven Position näher, die der antinaturalistischen (und anti-mythischen) Tendenz von Anaximander Rechnung trägt. Es ist in diesem Sinne hoch interessant zu bemerken, dass Doxographen das Adjektiv unbeschränkt der Luft zuschreiben: Anaximenes ist der Meinung, es gebe nur ein Prinzip der seienden Dinge, ein sich bewegendes und unbeschränktes: die Luft; denn so drückt er sich aus: „Die Luft steht dem unkörperlichen nahe, und weil wir durch ihren Ausfluß entstehen, muss sie notwendig reich sein, wie auch unbeschränkt, da sie niemals ausgeht.“18

Wenn wir die Position des Thales (und jegliche natürliche Bestimmung der Totalität) als kategorial auffassen (als eine Verstandesposition), können wir sagen, dass die Auffassung Anaximenes’ eine erste und noch unentwickelte positive Darstellung des Transkategorialen19 und somit eine erste keimhafte Eröffnung der transzendentalen Ersten Philosophie ist. Genauer gesagt: Wir haben hier eine erste Verbindung zwischen dem Immateriellen und dem Transkategorialen, die ihre Krönung in der Auffassung Eckharts finden wird. Natürlich leidet diese Philosophie immer noch an denselben problematischen Seiten, die die Philosophie des Thales auszeichnen, denn die Luft ist, trotz ihrer Besonderheit, immer noch ein bestimmtes Element. Trotzdem: Die Entwicklung der milesischen Philosophie zeigt durch ihren Totalitätsanspruch eine Tendenz zur Entnaturalisierung und damit Selbstaufhebung. Zusammenfassend lässt 17  Eine alternative Auffassung ist diejenige, nach der Anaximenes der erste wäre, der eine philosophische Konzeption des Prinzips darstellt. In dieser Hinsicht wäre die Luft das, woher alle Dinge kommen und das, woraus alle Dinge bestehen. Eine solche Auffassung wird zumindest zum Teil z. B. von Christof Rapp vertreten. Vgl. Rapp, Vorsokratiker, 52 f. Bei dieser Interpretationsrichtung geht aber die systematische Idee einer dialektischen Entnaturalisierung des Prinzips im Kontext der ionischen Philosophie verloren. 18  DK 13 B 3 19 Diese synthetische Funktion der Philosophie Anaximenes’ wird von Emanuele Severino folgendermaßen expliziert: „Sennonché il concetto di ápeiron è soltanto negativo. L’identità, ossia il principio del diverso non può essere un diverso (cioè una delle diverse cose): questo è ormai acquisito. Ma, dunque, in che consiste questa identità e questo principio? Che cos’è ciò che vien posto come ápeiron? Che cos’è il non-limitato, il non-finito, il non-particolare? A queste domande incomincia già a rispondere Anassimene […]. Ma la risposta deve essere in grado di tener fermo il passo innanzi di Anassimandro su Talete (la physis non può essere qualcosa di limitato), indicando nel contempo la determinazione in cui l’áperion consiste e cioè indicando ciò che consente di rispondere alla domanda: ,Che cos’è l’áperion?‘. Si tratta dunque di indicare ciò che, pur essendo ápeiron, è in grado di divenire tutte le cose“, in: Severino, La filosofia antica e medioevale, 52.

2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie

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sich sagen: Der milesische Anfang ist nicht eine Naturphilosophie, sondern eine gescheiterte Erste Philosophie oder eine Erste Philosophie, die durch ihre mythische Ausdrucksweise in den Zustand der zweiten Philosophie zurückfällt. Die ,Entwicklung‘ vom Wasser zur Luft deutet eine gewisse Reinigung des Prinzips an: Durch die Unsichtbarkeit der Luft wird auf die Tatsache hingewiesen, dass das wirkliche allumfassende Prinzip ,immateriell‘ und transkategorial ist. Andererseits befinden wir uns immer noch auf der Ebene der zweiten Philosophie, und zwar immer noch der natürlichen und mythischen Philosophie des Anfangs. Kurzum: Die Philosophie des Anaximenes ist ein ,besseres Scheitern‘, aber immer noch ein Scheitern. 2.2.3 Parmenides Diese Tendenz zur Entnaturalisierung des Prinzips, die durch die Philosophie des Anaximenes angedeutet wird, kommt erst mit Parmenides wirklich zum Ausdruck. Hegel hat wiederum diese außergewöhnliche Natur der Parmenideischen Philosophie erkannt und zum Ausdruck gebracht: Diesen Anfang (der Logik/Metaphysik und der Geschichte der Philosophie, Anm. R. V.) finden wir in der eleatischen und näher in der Philosophie des Parmenides, welcher das Absolute als das Sein auffaßt, indem er sagt: „das Sein nur ist, und das Nichts ist nicht“. Es ist dies um deswillen als der eigentliche Anfang der Philosophie zu betrachten, weil die Philosophie überhaupt denkendes Erkennen, hier aber zuerst das reine Denken festgehalten und sich selbst gegenständlich geworden ist. Gedacht haben zwar die Menschen von Anfang an, denn nur durch das Denken unterscheiden sie sich von den Tieren; allein es haben Jahrtausende dazu gehört, bevor es dazu gekommen ist, das Denken in seiner Reinheit und dasselbe zugleich als das schlechthin Objektive zu erfassen.20

Die Tatsache, dass die Parmenideische Philosophie als ein neuer Anfang eingeführt wird, ist gerade für die hier vertretene Position besonders relevant, denn sie lässt die Idee aufleuchten, nach der die neue Position einerseits durch die Selbsttilgung des ,milesischen Paradigmas‘ ,vermittelt‘ wird und gleichzeitig sich als etwas Anfängliches und damit Unvermitteltes zeigt. Das ist aber in nuce die Konzeption der metaphysischen Evidenzdarstellung, die ich vorher skizziert habe. Diese Dimension scheint allerdings beim historischen Hegel, zumindest wie er von mir später interpretiert wird, nicht im Vordergrund zu stehen. Die Kritik an Hegel soll allerdings später erfolgen. Wie lässt sich nun diese Besonderheit der Parmenideischen Position explizieren? Durch Parmenides wird die Befreiung vom natürlichen Charakter des Prinzips und damit von jener natürlichen und mythischen Dimension, die die milesische Konzeption auszeichnet, vollzogen. Die Philosophie des Parmenides  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TW 8, § 86 Zu. 2, 185.

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

ist jene positive Antwort, die wirklich der Kritik des Anaximanders Rechnung trägt. Mit den Worten Hegels kann man die Idee auch folgendermaßen explizieren: Der metaphysische Inhalt ist etwas wirklich Gedachtes. Konkreter formuliert heißt dies, dass die Einheit von Absolutheit (die wir mit dem Charakter der Göttlichkeit in Verbindung gebracht haben) und Totalität wirklich ausgedrückt wird, denn sie entspringt sozusagen direkt und unmittelbar dem Parmenideischen Prinzip. Diese neu erreichte Einheit soll im Folgenden genauer untersucht werden. Beginnen wir mit dem Grundsatz des Parmenides, den auch Hegel zitiert: Es ist notwendig zu sagen und zu denken, dass das Seiende ist: Denn das Sein ist, das Nicht-Sein aber ist nicht. (Χρὴ τὸ λὲγειν τε νοεῖν τ᾿ ἐὸν ἔμμεναι: ἔστι γὰρ εἶναι, μηδὲν δ᾿ οὐκ ἔστιν).21

Zunächst ist hervorzuheben, dass es um ein Prinzip geht, das sich nicht auf etwas Bestimmtes reduzieren lässt und doch etwas Positives ausdrückt. Denn das Sein/ Seiende ist nicht dies oder das (Wasser, Feuer, Luft usw.) und trotzdem ist es nicht einfach unbestimmt. Es ist der Ausdruck der Positivität, die aber die natürliche Positivität der Ionier (die auch in Anaximenes’ Position präsent ist) ablehnt. Es ist außerdem von vornherein klar, dass wir uns hier auf einer anderen Ebene bewegen als bei den Milesiern. Der Parmenideische Grundsatz besitzt nämlich einen Evidenzcharakter, den die milesische Perspektive nicht hatte. Anders formuliert: Wenn das milesische Prinzip eine physikalische Natur hat, besitzt das Parmenideische Prinzip eine onto-logische. Die Art von Notwendigkeit, die dieses Prinzip zum Ausdruck bringt, ist daher eher vergleichbar mit der logischen Notwendigkeit als mit der physikalischen.22 Man kann diese Idee auch folgendermaßen darstellen: Selbst wenn es stimmen sollte, dass Alles aus Wasser ist und dass damit das Wasser die unerschütterliche arché ist, könnte man nicht behaupten, dass diese Tatsache wirklich notwendigerweise besteht und dass das Wasser wirklich absolut ist, weil der Gedanke einer Welt, in der das Prinzip beispielsweise das Feuer wäre, nicht selbstwidersprüchlich ist. Wiederum: Die Bestimmtheit des Prinzips lässt den Raum offen für eine alternative Perspektive und dies führt eine Faktizitätsdimension in das Prinzip ein. Das scheint aber nicht für das Parmenideische Prinzip zu gelten und deshalb geht es um wirklich absolute Notwendigkeit. Aber warum verhält es sich so? Parmenides antwortet durch den zweiten Teilsatz, der als eine Art Erklärung des 21 DK

28 B 6. Röd schreibt z. B. dazu: „Das empirische Denken ist nach Parmenides durch Gewohnheit bedingt, die wiederholter Erfahrung entspringt (B7.3: ἔθος πολύπειρον). Die Methode der empirischen Generalisation führt aber immer nur zu hypothetischen Resultaten (δόξαι), d. h. die naturphilosophische Welterklärung hat prinzipiell nur provisorischen Charakter“, in: Wolfgang Röd, „Die Philosophie der Antike 1. Von Thales bis Demokrit“, in: ders. (Hg.), Geschichte der Philosophie, München 1976, 108 f. 22 Wolfgang

2.2 Einige Bemerkungen zu den ersten Schritten der Philosophie

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ersten Teils fungiert: „Denn das Sein ist, das Nicht-Sein ist aber nicht“. Kurzum: Das Reale qua Sein ist deshalb absolut, weil das, was das Sein negieren könnte und ins Wanken bringen könnte auf keine Weise auftreten kann. Das ist aber wiederum der Fall, weil das Sein qua Sein wirklich die Totalität ausdrückt. Durch das Sein wird nämlich (im Gegensatz zu Wasser oder Luft) unmittelbar die ,Grenze der Totalität‘ angesprochen. Man darf also behaupten, dass es jenseits des Seins (dessen, was ist) nichts gibt, aber es ergibt wenig Sinn zu behaupten, dass es jenseits des Wassers (dessen, was wässrig ist) oder der Luft nichts gibt. Auch die Frage nach der Einheit aller Dinge, wodurch die Totalität in den Vordergrund rückt, findet hier ihre Antwort. Alles bildet deshalb eine Einheit, weil es ist, nicht aber, weil es beispielsweise wässrig ist. Kurzum: Das Sein bringt qua Sein (und damit unmittelbar) die Einheit von Absolutheit und Totalität zum Ausdruck. Das bedeutet, dass das Sein diesen Evidenzcharakter aufweist, der die Erste Philosophie auszeichnet. Die Frage „Warum ist das Wasser das Urprinzip?“ ist somit legitim, denn die Idee eines alternativen Prinzips ist kontrafaktisch annehmbar. Die Frage „Warum ist das Sein (das Urprinzip)?“ ist jedoch sinnlos, weil diese Möglichkeit der Negation nicht besteht, und zwar deshalb, weil es wiederum nichts gibt, das das reine Sein eingrenzen könnte. Es ist wichtig zu bemerken, dass dieses Nicht-Fragen-Dürfen nicht eine Art Faktizität des Seins impliziert. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Das Sein verlangt kein Warum, weil das Sein evident ist. Die Warum-Frage kann erst dann entstehen, wenn es einen Mangel an Evidenz gibt. Dieser Evidenzcharakter der Parmenideischen Position zeigt sich in der Art und Weise, wie Parmenides seine Konzeption darstellt. Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass die angemessene Erfassung des Parmenideischen Seins in intuitiver Form erfolgt, oder um den griechischen Terminus zu verwenden, in der Form des noein. Am Anfang seines Lehrgedichts führt Parmenides außerdem zwei Wege ein: – „Der eine, dass ist und dass nicht zu sein nicht möglich ist.“ – „Der andere, dass nicht ist und dass nicht zu sein notwendig ist.“ Kurzum: Es geht um den Weg des ,Ist‘ und des ,Ist-nicht‘. Der Punkt ist nun, dass für Parmenides der zweite Weg nicht einfach ein falscher Weg ist, und somit ein Weg, der zu einem falschen Ort führt. Es geht vielmehr um einen Weg, aus dem keine Kunde kommt, einen Weg, der grundsätzlich nicht gangbar ist, der sozusagen nicht als Weg existiert. Dies ist der Fall, weil, wie bereits erwähnt, das Prinzip ,Sein‘ (im Gegensatz zu den natürlichen Prinzipien) keinen Raum für das Nicht-Sein zulässt. Es ist wiederum allumfassend. Parmenides spricht darüber hinaus von einem dritten Weg, den er mit der Meinung der Sterblichen in Verbindung bringt. Für die Sterblichen gelten nämlich Sein und Nicht-Sein als dasselbe und nicht dasselbe. Die Sterblichen führen, mit

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

anderen Worten, eine Prinzipienpolarität ein: das ätherische Flammenfeuer auf der einen Seite und die lichtlose Nacht auf der anderen.23 Diese dritte Position könnte folgendermaßen expliziert werden: Während der zweite Weg die These vertritt, dass der Grund des Realen etwas ist, das durch das Nicht-Sein begrenzt ist, vertritt der dritte Weg die These, dass der Grund des Realen zwar reines Sein ist, dass aber die Oberfläche aus Sein und NichtSein besteht. Anders formuliert: Die dritte Position vertritt die These, dass die Mischung aus Sein und Nicht-Sein nur das ,manifeste Weltbild‘ und nicht ,das philosophische Weltbild‘ angeht. Nun spricht Parmenides diesem dritten Weg zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu, aus der Perspektive der Wahrheit unterscheidet er sich aber im Grunde nicht vom zweiten Weg. Warum? Weil es, wenn das Sein als rein erfasst wird, nichts geben kann, das es eingrenzt. Anders formuliert: Wenn der Grund des Realen reines Sein ist und die Oberfläche aus Sein und Nicht-Sein besteht, heißt das, dass dem reinen Sein etwas Anderes entgegengesetzt wird und dass damit das Sein wiederum eingegrenzt wird. Die Parmenideische Lösung besteht somit darin, jegliche Form von NichtSein – und das bedeutet sowohl Vielheit als auch Werden und somit die phänomenale Welt – als trügerischen Schein zu betrachten. Das heißt: Die Entmythologisierung des Urprinzips, das zur korrekten Form bezüglich der Einheit von Absolutheit und Totalität und damit zum reinen Sein führt, impliziert die Vernichtung der phänomenalen Welt selbst. Dieses Ergebnis kann nun aus einer anderen Perspektive betrachtet werden, nämlich mit Bezug auf den Übergang von Xenophanes zu Parmenides.

2.3 Von Xenophanes zu Parmenides Wir haben gesehen, dass sich die Philosophie durch einen entmythologisierenden Gestus auszeichnet. Die Setzung des philosophischen Prinzips impliziert eine Absage an die Prinzipien des Mythos. Die Tradition hat aber gleichzeitig dem philosophischen Prinzip auch das Prädikat der Göttlichkeit zugeschrieben.24 Das von der Philosophie thematisierte Göttliche kann dieser Zuschreibung zufolge nicht mehr als etwas Lebensweltliches und Innerweltliches verstanden werden, sondern als etwas, das das manifeste Weltbild transzendiert.

23 DK

28 B 9.

24 Die theologische Interpretationsrichtung der anfänglichen Philosophie wurde sehr promi-

nent von Werner Jäger vertreten. Vgl. dazu Werner Jäger, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953. Zur ,natürlichen Theologie‘ im Kontext des griechischen Denkens vgl. unter anderem Markus Enders, Natürliche Theologie im Denken der Griechen, Frankfurt a. M. 2000.

2.3 Von Xenophanes zu Parmenides

45

Dies lädt zu einer religionsphilosophischen (theologischen) Interpretation dieser Dynamik ein, die folgendermaßen skizziert werden kann: Wenn das Prinzip als göttlich und gleichzeitig als die ursprüngliche allumfassende Einheit verstanden wird, lässt sich sagen, dass die Setzung dieser Einheit als eine Art philosophischer Monotheismus verstanden werden kann. Der Monotheismus hat nun (wie die ursprüngliche Einheit) einen Oppositionscharakter. Er wird durch die Verneinung des Polytheismus gesetzt. Es gibt mindestens zwei Formen, durch die der Polytheismus verneint werden kann: eine schwache bzw. inklusive und eine starke bzw. exklusive Form.25 Nach der ersten Form werden die vielen niedrigeren Götter zu Manifestationsformen bzw. Momenten des einen höheren Gottes. Eine solche Position ist unter indischen Religionen nicht unüblich. Verwandt mit dieser Auffassung ist auch der sogenannte Henotheismus. Hierbei werden die niedrigeren Götter zwar nicht aufgehoben, aber deren Macht wird dadurch relativiert, dass sie unter einem höheren Gott stehen, der qualitativ anders ist. Ein Beispiel dafür ist der Homerische Zeus, der sich, als Vater von Göttern und Menschen, von den anderen Göttern qualitativ unterscheidet. Insgesamt lässt sich zu dieser zweifachen Position Folgendes sagen: Auch wenn das Prinzip (der eine Gott) nicht einfach ein primus inter pares ist, behalten diese niedrigen göttlichen Prinzipien eine (zumindest minimale) unabhängige Existenz und Wirksamkeit. Der zweite Monotheismus impliziert hingegen eine vollkommene Entgegensetzung zwischen dem einzigen und einzig wahren Gott und der Vielheit der ,Götter‘. Diese sind deshalb keine wirklichen Götter, weil sie vollständig entkräftet werden.26 Diese zweite Form von Monotheismus ist z. B. im Judentum oder im Islam zu finden. Es lässt sich nun behaupten, dass die erste monotheistische Auffassung der mythologischen Konzeption des Satzes des Thales entspricht, nach der das Wasser das Prinzip ist, woraus alles entsteht. Auch hier ist nämlich das Prinzip etwas, das zwar einen außergewöhnlichen Status genießt, aber die Kopräsenz von anderen wirkenden Prinzipien (zumindest grundsätzlich) nicht ausschließt. Der starke Monotheismus entspricht hingegen der philosophischen Interpretation des Satzes des Thales. Denn hier wird die allumfassende Natur des einen Prinzips hervorgehoben. Das eine Prinzip lässt keine anderen Prinzipien neben oder unter sich walten. Theologisch formuliert: „Es gibt keinen Gott neben (dem einen) Gott“. 25 Zur Entfaltung dieser Perspektive orientiere ich mich an Thesen, die von Jens Halfwassen entwickelt wurden. Vgl. dazu Jens Halfwassen, „Der Gott des Xenophanes: Überlegungen über Ursprung und Struktur eines philosophischen Monotheismus“, Archiv für Religionsgeschichte 10 (2008), 275–294. Zentral für die Gedanken Halfwassens sind wiederum die Thesen, die Jan Assmann entwickelt hat. Vgl. dazu vor allem Jan Assmann, Die mosaische Unterscheidung, München/Wien 2003. 26  Halfwassen, Der Gott des Xenophanes, 276 ff.

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

Es muss außerdem betont werden, dass diese zweite und starke Konzeption des Monotheismus (wiederum wie die philosophische Interpretation des Satzes des Thales) die Grenze des mythischen Weltbildes wirklich sprengt. Der Gott des Monotheismus ist kein mythischer, sondern ein ,philosophischer‘ Gott, weil er nicht als eine Macht der Lebenswelt erfasst wird. Er ist, wiederum im Gegensatz zu den mythischen Prinzipien des Polytheismus oder zum Gott des schwachen Monotheismus, wirklich entweltlicht und dies erklärt eine gewisse ikonoklastische Tendenz, die bei klassischen monotheistischen Religionen präsent ist. Kurzum: Der strake Monotheismus ist philosophisch (= er stimmt mit der philosophischen Interpretation des Prinzips überein), weil er nicht nur jegliche Pluralität, sondern auch jeglichen Anthropomorphismus bezüglich der Gottheit bestreitet. Im Kontext der vorsokratischen Philosophie ist es vor allem Xenophanes, der diese Kritik an der mythischen Gottesauffassung27 am stärksten entfaltet hat und die Idee eines philosophischen Gottes herausgearbeitet hat. Diese Gestalt ist außerdem besonders interessant, weil er in der Tradition auch als Lehrer Parmenides’ gilt. Er kann somit als religionsphilosophische Einführung zur Parmenideischen Perspektive verstanden werden, die wiederum als Setzung der philosophischen (nicht-mythischen) Position gilt. Auch im Falle der Perspektive des Xenophanes gibt es eine zweifache Interpretationsrichtung. Einerseits wird eine zumindest minimale Kontinuität zwischen der Xenophanischen Konzeption und der traditionellen und mythisch geprägten religiösen Auffassung hervorgehoben28, andererseits wird aber auch der Bruch zwischen der polytheistischen traditionellen Konzeption und der philosophisch (und stark-monotheistisch) orientierten Position des Xenophanes betont.29 Im Folgenden werden wir uns an der zweiten Auffassung orientieren, weil sie die für uns zentrale systematische Pointe zum Ausdruck bringt. Es ist wichtig zu bemerken, dass die Position des Xenophanes sowohl durch eine negative als auch durch eine positive Dimension gekennzeichnet ist. Einerseits kritisiert er die traditionelle Auffassung der mythischen Götter. Diese sind nämlich aufgrund ihrer anthropomorphischen Züge nichts Anderes als Phantasieprodukte und letztendlich Projektionen ihrer Verehrer. So schreibt er: „Doch die Sterblichen wähnen, die Götter würden geboren und hätten Gewand, Stimme und Gestalt ähnlich wie sie selber“30. Das bedeutet zunächst, dass diese durch die Einbildungskraft hervorgebrachten Gottheiten von Volk zu Volk und von Ort zu Ort variieren. Daraus schließt  Vgl. Halfwassen, Der Gott des Xenophanes, 279.  Markus Enders interpretiert z. B. die Position des Xenophanes als eine Form von Henotheismus. Vgl. dazu Enders, Natürliche Theologie, 58. 29  Ein Beispiel dafür ist wiederum die Interpretation von Jens Halfwassen. 30  DK 21 B 14 (Übersetzung von Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker – Die Fragmente und Quellenberichte, Stuttgart 1968, 121). 27

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2.3 Von Xenophanes zu Parmenides

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Xenophanes eine noch allgemeinere Konsequenz: „Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferdeähnliche, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber haben.“31 Diese radikale Kritik an der mythischen Auffassung der Gottheit hat aber nicht das letzte Wort. Denn die Philosophie entlarvt zwar die trügerische Natur dieses Paradigmas und sprengt dadurch die Auffassung des mythischen Weltbildes, ihr ist aber dieses negative Ergebnis nicht genug. Das Ergebnis der philosophischen Kritik ist mit anderen Worten nicht eine agnostische oder gar atheistische Auffassung, sondern der eine metaphysische Gott, der „den Sterblichen weder an Gestalt noch an Gedanken ähnlich ist.“32 Es geht somit um den wahren (nicht mythischen) Gott, den das von Einbildungskraft befreite philosophische Denken (das reine Denken) erfassen kann.33 Nun kann man wiederum die Parmenideische Position als eine Radikalisierung und Systematisierung dieser Xenophanischen Auffassung darstellen. Mit den Worten Jens Halfwassens: Die Entgöttlichung der Welt und die Entweltlichung der Gottheit, die der Monotheismus vollzieht, führt, ontologisch konsequent zu Ende geführt, zur Annulierung oder besser Annihilierung der Welt. Wenn das wahre Sein durch die Charaktere des Einen Gottes bestimmt ist, und wenn diese Charaktere das Sein strikt von aller Wirklichkeit der Welt unterscheiden, dann schließt Parmenides daraus, daß die Welt nicht nur nicht göttlich ist, sondern daß sie überhaupt nicht ist. Vor der Einheit des Seins versinken nicht nur die Götter des Mythos im Nichts, die Welt der Erscheinungen, der Vielheit, des Werdens und der Veränderung versinkt selber und als ganze im Nichts, ihr Sein dekouvriert sich als wesenloser Schein (δόξα).34

Der Übergang kann an dieser Stelle auch so übersetzt werden: Der eine philosophische Gott ist das eine die Grenzen des mythischen Weltbildes transzendierende Prinzip. Er ist nun aber nicht als etwas Negatives, sondern als die wahre Positivität zu verstehen. Die Setzung des einen positiven Prinzips impliziert eine Depotenzierung des Außergöttlichen (die Entgöttlichung der Welt). Das philosophische Prinzip unterscheidet sich aber vom mythischen (das ist seine starke monotheistische Seite) dadurch, dass es Anspruch auf Totalität erhebt („Es gibt keinen Gott neben Gott“).  DK 21 B 15 (Capelle, Die Vorsokratiker, 121). 21 B 23. 33 Es ist an dieser Stelle wichtig zu bemerken, dass diese eine philosophische Gottheit durchaus positive Eigenschaften hat und als absolut vollkommen beschrieben werden kann. Gott ist nämlich der Eine (B 23), Er ist der größte unter den Göttern und den Menschen, Er ist den Sterblichen weder an Gestalt noch an Gedanken ähnlich. Er sieht, erkennt und hört ganz. Er ruht ewig in demselben. Er bewegt sich überhaupt nicht, denn Veränderung geziemt Ihm nicht. Ohne Mühe allein mit der Einsicht seines Geistes erschüttert Er alles. 34  Halfwassen, Der Gott des Xenophanes, 292. 31

32 DK

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2. Stellung der philosophischen Perspektive

Wenn dieser Gedanke bis zum Ende geführt wird, ergibt sich, dass sich der wahre (philosophische) Gott den gesamten ontologischen Raum einverleibt: Wenn Gott wahrer Gott ist (wirklich absolut), gibt es nichts neben ihm, denn die Präsenz von etwas, das neben Gott steht, würde diese Absolutheit eingrenzen und das Prinzip zu etwas Mythischem machen.

2.4 Die aporetische Lage der Parmenideischen Konzeption Wir haben die Parmenideische Konzeption aus zwei Perspektiven (metaphysischer und religionsphilosophischer) betrachtet und gesehen, dass sie sich als jene Auffassung zeigt, in der sich das Prinzip/Gott als die Totalität erweist. Diese Auffassung weist jedoch eine grundsätzliche Schwierigkeit auf, die folgendermaßen zum Ausdruck gebracht werden kann: Wenn das mythische manifeste Weltbild wirklich nichtig ist, weil das reine Sein total ist und damit die gesamte Realität wirklich besetzt, warum ist man dann nicht von Anfang an beim reinen Sein? Warum muss das reine Sein gesetzt werden? Warum muss man ,die philosophische Perspektive‘ übernehmen? Noch anders gewendet: Der Schein muss irgendwie sein, wenn er überwunden werden muss, aber dies scheint mit dem Totalitätsanspruch des reinen Seins nicht kompatibel zu sein. Die Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist daher zweifach: 1.) Das reine Parmenideische Sein ist das Fundamentale (es ist das, was wirklich ist). 2.) Aber das, was aus Sein und Nicht-Sein besteht, ist (irgendwie) auch. Mit anderen Worten: Gerade, weil das Parmenideische Prinzip gesetzt werden muss, ergibt sich die Tatsache, dass das reine Sein das wirkliche Sein (das Fundamentale) ist. Dieses stellt sich aber als etwas heraus, das enger als die Totalität des Realen ist. Das hat aber eine weitere Konsequenz: Die Parmenideische Konzeption erreicht diese Fundamentalität durch eine Eingrenzung des Skopus. Denn die Fundamentalität (im Parmenideischen Sinne) kann nur dann mit der Totalität koinzidieren und die Parmenideische Auffassung kann folglich erst dann als Erste Philosophie erfasst werden, wenn wir einen Teil von Realität (das, was aus Sein und Nicht-Sein besteht, die Welt der Doxa) wirklich ausschließen. Die Vermittlung, die der Erhebung zur Anschauung des reinen Seins dient, ist daher eine Inferenz im Sinne des vorherigen Kapitels und dies führt zur entsprechenden Aporie. Denn das, was gesetzt wird, erhebt Anspruch auf Totalität, ist aber grundsätzlich eingegrenzt. Wir können die Aporie auch folgendermaßen formulieren: Durch diese Setzung wird jene Konzeption des Seins als Supergattung thematisiert, bei der aber alle Unterschiede und alle Spezies ausgeschlossen werden.

2.4 Die aporetische Lage der Parmenideischen Konzeption

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Das Ergebnis ist dann allerdings das Folgende: Wir haben eine gattungsmäßige Einheit, die wie ein Ding einer trügerisch erscheinenden Vielheit gegenübersteht, oder ein philosophisches Prinzip (das reine Parmenideische Sein), das der Phänomenalität (dem manifesten mythischen Weltbild) gegenübersteht. Die Parmenideische Auffassung stellt daher, und das ist wichtig für unsere Forschung, im Vergleich zur Auffassung der Milesier einerseits einen Fortschritt dar, denn es geht um einen klareren Ausdruck der Totalität. Andererseits geht es nicht um einen Fortschritt, denn diese Auffassung bleibt immer noch eine verdinglichende Auffassung (eine zweite Philosophie), die die Totalität nicht ausdrücken kann. Es wiederholt sich deshalb jene Problematik, die wir bereits bei der Konzeption der Luft bei Anaximenes bemerkt haben. Es handelt sich deshalb wiederum um eine weitere und höhere Form der gescheiterten Ersten Philosophie. Das hat eine wichtige Konsequenz: Der wirklich unmittelbar eröffnete ontologische Raum ist nicht das Sein des Parmenides, sondern das Sein, das sowohl das Prinzip als auch das Abgeleitete (das reine Sein und die Doxa) erfasst. Folgender Punkt ist auch zu berücksichtigen: Diese Kopräsenz von Parmenideischem Prinzip und Doxa darf uns nicht zu einer milesischen vorontologischen Perspektive zurückführen, welche (zumindest prinzipiell) mehrere Ur-Prinzipien zulässt. Der durch Parmenides erreichte Punkt und damit die ontologische Position sind unumkehrbar. Der Grund des Realen (das, was wirklich ist), soll folglich auf so eine Art und Weise verstanden werden, dass er, obwohl er seine absolute Reinheit bewahrt, die Doxa gleichzeitig integriert und sie damit an seinem Wirklich-Sein teilnehmen lässt. Anders formuliert: Der Grund des Realen soll die Totalität (das ist das Ergebnis der Parmenideischen Position) umfassen, ohne die Realität des Außergöttlichen auszuschließen. Das bedeutet: Das Sein darf nicht mehr als Super-Gattung interpretiert werden, es soll in sich selbst die Unterschiede integrieren. Das Sein soll als transzendental erfasst werden. Im Folgenden soll untersucht werden, wie verschiedene metaphysische Modelle versuchen, auf diese Grundproblematik, welche die Erste Philosophie als solche auszeichnet, zu antworten.

3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung Das vorherige Kapitel hat Folgendes gezeigt: Die Parmenideische Auffassung muss das Göttliche (das reine Sein) als etwas Fundamentales verstehen. Das bedeutet aber auch, dass es außergöttliche Realität gibt. Das wiederum heißt jedoch, dass das Sein überhaupt als das verstanden werden muss, was sowohl das Göttliche als auch das Außergöttliche integriert. Die Problematik, die sich daraus ergibt, ist nun die folgende: Die Extension des Seins auf das Außergöttliche darf uns nicht zu einer Position zurückführen, nach der das Göttliche (und seine Wirkkraft) nur einen ,lokalen Charakter‘ hätte. Denn diese Konzeption würde jene mythische Auffassung wiederentstehen lassen, die wir überwunden haben. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie ein Scotisches Metaphysik-Modell als ein erster Antwortversuch auf diese Problematik verstanden werden kann. Die Frage, die sich aber unmittelbar stellt, ist die folgende: Warum gerade Duns Scotus? Eine erste vorläufige Antwort lautet: Weil diese Auffassung auf eine ausgezeichnete Art und Weise sowohl an der Extension des Seins auf das Außergöttliche als auch an dem nicht-mythischen und nicht-endlichen Charakter des Fundaments (Gottes) festhält. Gleichzeitig entfaltet sich diese Metaphysik auf eine klare vermittelnde (inferenzielle) Weise. Was sich daraus ergibt, ist deshalb eine ontische Transzendenzmetaphysik, die auf eine nicht naive Art und Weise durchgeführt wird. Damit wird anhand eines ausgezeichneten Beispiels die innere Schwierigkeit dieser Herangehensweise herausgearbeitet und der Übergang zu dem großen Modell, das kritisiert werden soll, i. e. der Immanenzmetaphysik, eingeleitet. Das, was folgt, ist, wie oben erwähnt, ein Modell. Dies impliziert, dass ich mich auf eine Analyse der Grundstruktur dieser Position konzentrieren werde. Diese Herangehensweise ist auch im Kontext der Mittelalterforschung durchaus präsent und ist, gerade mit Bezug auf diese Thematik, i. e. die Struktur der Metaphysik, von Forschern wie Albert Zimmermann1 sowie von Scotus1 Siehe Albert Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert, 2. Aufl., Leuven 1998. Siehe auch Rega Wood, „The Subject of the Aristotelian Science of Metaphysics“, in: Robert Pasnau/Christina van Dyke (Hgg.), The Cambridge History of Medieval Philosophy, Bd. 2, Cambridge 2010, 609–621, sowie Peter Schulthess, „Metaphysik“, in: Helmut Holzhey (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Philosophie des Mittelalters. Das dreizehnte Jahrhundert, Bd. 4, Basel 2017, 1455–

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

Spezialisten wie z. B. Olivier Boulnois2 auf eine ausgezeichnete Art und Weise vorexerziert worden. Die Besonderheit meiner Position besteht im stärkeren dialektischen Schnitt der Betrachtung.

3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz 3.1.1 Einführende Bemerkungen Beginnen wir mit dem von uns erreichten Punkt. Die Parmenideische Auffassung ist einerseits ein unumkehrbarer Meilenstein. Denn die positive Darstellung der Totalität, die die Natur der Metaphysik auszeichnet, zumindest wie sie am Anfang hier thematisiert wurde, kommt tatsächlich zum Ausdruck. Andererseits befindet sich diese Position in jener aporetischen Lage, welche die Inferenzmetaphysik charakterisiert, denn das Absolute ist nicht identisch mit dem allumfassenden Sein, oder, anders gewendet, das Absolute kann erst dann mit der Totalität identifiziert werden, wenn die ganze phänomenale Welt ausgeschlossen wird. Dies bedeutet: Es geht darum, die Phänomene zu retten, ohne aber hinter Parmenides zurückzufallen. Es gibt einen doppelten Lösungsansatz, der auf diese Herausforderung reagiert: einen Aristotelischen und einen Platonischen. Der Platonische Ansatz lässt sich so zusammenfassen: Das Sein ist eine höchste Gattung. Damit es aber der phänomenalen Welt Rechnung tragen kann, muss es mit anderen höchsten Gattungen (der Ruhe, der Bewegung, dem Anderen und dem Selben) in eine dialektische Relation treten. Das kann aber nur dann erfolgen, wenn das Sein selbst ,eingegrenzt wird‘ und in einer Do-ut-des-Relation Raum für das Nicht-Sein schafft. Der Aristotelische Ansatz lehnt hingegen den Gattungscharakter des Seins ab. Dies bedeutet: Seinsbestimmungen sind nicht als eine Spezies der Supergattung ,Sein‘ zu verstehen. Denn jenseits des Seins gibt es nichts. Es kann somit auch kein Prinzip geben, das in der Manier eines artbildenden Unterschiedes das Sein artikuliert. Dies bedeutet: Das Sein artikuliert sich auf verschiedene Art und Weise und wird auf vielfache Weise ausgesagt, aber dies bricht nicht seine Einheit (sein Bei-sich-sein). Diese Seinseinheit wird nun von Aristoteles mit der Substanz identifiziert. Das heißt: Es gibt verschiedene Seinsweisen, aber sie verweisen alle auf die Substanz. Mit Bezug auf unsere Problematik lässt sich die Lage folgendermaßen zum Aus1514. Zu einer sehr guten Analyse dieser typisierenden Darstellungsweise der Metaphysik (insbesondere im französischen Sprachraum) vgl. László Tengelyi, Welt und Unendlichkeit. Zum Problem phänomenologischer Metaphysik, Freiburg/München 2014, 25–114. 2  Siehe z. B. Olivier Boulnois, Métaphysiques rebelles: genèse et structures d’une science au Moyen Âge, Paris 2013.

3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz

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druck bringen: Das Sein ist die allumfassende Totalität. Diese soll aber gleichzeitig aus der Fundamentalität (der Substanz) her erläutert werden und zwar ohne Verlust an Allgemeinheit.3 Im Folgenden werde ich mich am Aristotelischen Ansatz orientieren. Dies geschieht nicht nur, weil dieser für die Auffassung der scholastischen Position maßgeblich ist, sondern auch weil er die für diese Arbeit zentrale Idee übernimmt, wonach Erste theoretische Philosophie als positiver Ausdruck der Totalität durch das Sein zu verstehen ist. Anders formuliert: Die Aristotelische Herangehensweise hält an dem Gedanken fest, dass es jenseits des Seins nichts gibt. Man muss allerdings gleich hinzufügen, dass die mittelalterliche Aristotelisch geprägte Position, gerade mit Bezug auf die gründende Funktion der Fundamentalität, auf den Platonischen Gedanken der Teilhabe rekurriert. Der Platonismus ist damit nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Wir werden sehen, dass sich gerade die Evidenzmetaphysik transzendenter Prägung als eine Form von Platonismus erweist. Die Aristotelische metaphysische Konzeption ist den scholastischen Autoren nicht unvermittelt, sondern durch eine Reihe von Kommentaren und Interpretationen übergeben worden. Diese sind gerade für unsere Thematik besonders wichtig, weil sie versucht haben, die wissenschaftliche Dimension dieser Disziplin zu systematisieren. Paradebeispiele sind in dieser Hinsicht die zwei großen Interpretationen des Avicenna und des Averroes. Im Folgenden sollen diese zwei Richtungen kurz erläutert werden. Dabei erhebt diese Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit und philologische Genauigkeit. Es geht darum, den theoretischen Horizont, in dem sich Scotus bewegt, zu skizzieren. Bevor wir mit der Beschreibung der zwei Ansätze beginnen, sollten wir eine Präzisierung einführen, die für die Stellung dieser Problematik wichtig ist. Die Frage nach der Natur der Metaphysik stellt sich als Frage nach dem Subjekt dieser Wissenschaft. Der Terminus ,Subjekt‘ hat im Kontext der Aristotelischen Tradition die Funktion eines quasi terminus technicus und bezieht sich auf jene Notion, die den Forschungsbereich einer bestimmten Wissenschaft vereinigt4 und von allen anderen unterscheidet. In diesem Sinne könnte man beispielsweise behaupten, dass die Seele das Subjekt der Psychologie ist. Ein fundamentaler Aspekt des Subjektes besteht nun darin, dass es von seiner bestimmten Wissenschaft vorausgesetzt werden muss und dass die explanatorische und fundierende Kraft dieser Wissenschaft innerhalb der Grenzen 3 Aus diesem Grund kann Aristoteles Folgendes schreiben: „Und so ist denn das, wonach man von alters und jetzt und immer sucht und was immer in Verlegenheit führt, nämlich die Frage ,Was ist das Seiende?‘, so viel wie die Frage ,Was ist die Substanz?‘ […] Daher müssen auch wir vor allem und zuerst und sozusagen allein vom Seienden in diesem Sinne untersuchen, was es ist“, in: Aristoteles, Metaphysik , Z 1, 110. 4  Diese Wissenschaftskonzeption beruht auf den Gedanken, die Aristoteles in seinen zweiten Analytiken entwickelt hat.

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

ihres Subjektes wirkt. Um das vorherige Beispiel wiederaufzugreifen: Die Psychologie setzt die Seele voraus und kann sie nicht (qua Psychologie) in Frage stellen und begründen, sondern nur intern artikulieren. Mit anderen Worten: Das Subjekt einer Wissenschaft gilt für sie als ein absolutum. Wie sieht es nun mit dem Subjekt der Metaphysik aus? Die Antwort ist nicht einfach, denn die Aristotelische Metaphysik scheint, nach dem Wort des Aristoteles, mindestens einen dreifachen Forschungsbereich zu haben: Sie ist Wissenschaft des Seienden als solchen, Wissenschaft der höchsten Ursachen und Wissenschaft der übersinnlichen Substanz (und vor allem Gottes). Da der zweite und der dritte Punkt generell konvergieren, können wir sagen, dass sich der Forschungsbereich wiederum auf die Totalität und die Fundamentalität bezieht. Angesichts der Tatsache, dass sich Totalität und Fundamentalität unterscheiden, stellt sich aber die Frage, ob diese Disziplin Ontologie oder Theologie sei. Man kann nun sagen, dass die Avicennische Herangehensweise die erste Dimension betont, die Averroistische hingegen die zweite. Betrachten wir diese Herangehensweisen der Reihe nach: Laut Avicenna kann Gott kein Subjekt der Metaphysik sein, weil die Metaphysik die Existenz Gottes nicht voraussetzt. Wenn es so wäre, gäbe es eine andere Disziplin, die die Existenz Gottes beweist, aber das ist, laut Avicenna, wiederum nicht der Fall, denn die Metaphysik ist gerade der Ort, an dem die Existenz (Dass-Sein) und die Attribute Gottes (WasSein) bewiesen und herausgearbeitet werden. Kurzum: Da Gott Ergebnis einer metaphysischen Inferenz ist, kann Er nicht Subjekt der Metaphysik sein. Subjekt der Metaphysik ist folglich das Seiende als solches. Damit verweist Avicenna auf den Allgemeinheitscharakter der Metaphysik. Kurzum: Die Metaphysik erfährt eine ontologische Wende. Welche Rolle spielt nun aber die theologische Dimension in diesem Kontext? Die Richtung, die Avicenna zu suggerieren scheint, ist die folgende: Das göttliche Prinzip darf nicht als Prinzip des Seienden als solchen konzipiert werden. Denn die Untersuchung bezieht sich nur auf das, was sich aus dem vorausgesetzten Prinzip ergibt.5 Avicenna formuliert die These folgendermaßen: Prinzip bedeutet nicht ein Prinzip alles Seienden. Wenn nämlich alle Seienden ein Prinzip hätten, dann gäbe es etwas, was Prinzip seiner selbst wäre. Das Seiende aber in sich absolut genommen hat kein Prinzip. […] Unter Prinzip ist also ein Prinzip gewisser Seiender zu verstehen. Deshalb wird diese Wissenschaft nicht die Prinzipien des Seienden absolut 5 Vgl. Avicenna Latinus, Liber de philosophia prima sive scientia divina, hg. von Simone Van Riet, Louvain/Leiden 1977–1983, I, 2, 13–14: „Potest autem quis dicere quod, postquam ens ponitur subiectum huius scientiae, tunc non potest esse ut ipsa stabiliat esse principia essendi. Inquisitio enim omnis scientiae non est de principiis, sed de consequentibus principiorum. Ad quod respondemus quod speculatio de principiis non est nisi inquisitio de consequentibus huius subjecti, quia ens hoc vel illud, inquantum est principium, non constituitur ab eo nec prohibetur, sed, comparatione naturae entis absolute, est quiddam accidentale ei […].“

3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz

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erforschen, sondern diejenigen jeweils irgendeines Seienden, wie z. B. die Prinzipien der übrigen Einzelwissenschaften […].6

Die Position, die hier dargestellt wird, scheint die folgende zu sein: Der Forschungsbereich der Metaphysik ist das Seiende als solches und als Ontologie ist diese Disziplin Erste Philosophie und somit Lehre von der Totalität. Nun kann man sagen, dass die Totalität als solche nicht ein Prinzip hat. Warum? Ein Prinzip ist etwas-das-ist. Wenn nun das seiende Prinzip als Prinzip des Seienden überhaupt verstanden wird, heißt das, dass dieses Prinzip gleichzeitig und unter demselben Aspekt Prinzip und Prinzipiat ist. Die hier vertretene These lässt sich auch ex negativo folgendermaßen darstellen: Wenn ein Prinzip ein Prinzip des Seienden als solchen sein soll, muss es dem Sein auf irgendeine Art extern sein. Da aber das Sein die Totalität darstellt, gibt es außerhalb des Seienden als solchen nichts. Es kann folglich nicht ein Prinzip des Seienden als solchen geben. Das Ergebnis lässt sich daher wie folgt zusammenfassen: Prinzip zu sein ist eine Bestimmung, die die Natur des Seienden spezifiziert. Das göttliche Prinzip ist also eine außergewöhnliche aber bestimmte Portion von Realität, die eine andere Portion von Realität begründet. Diese ontologische Konzeption der Metaphysik scheint somit die These zu implizieren, dass das Göttliche etwas ist, das ,innerhalb‘ des ontologischen Raumes ist, der wiederum das Göttliche und das Nicht-Göttliche umfasst. Es gibt allerdings Probleme, die mit dieser Herangehensweise verbunden sind: 1.) Diese Position lässt auf eine quasi paradigmatische Art jene Aporie auftauchen, die die Inferenzmetaphysik auszeichnet: Gott wird verdinglicht und zu etwas Eingegrenztem und ,Mythischem‘ (zu einem ausgezeichneten Ding unter anderen) gemacht. 2.) Für Aristoteles ist Gott durchaus Subjekt der Metaphysik. Mit anderen Worten: Der Forschungsbereich der Meta-physik ist das Übersinnliche. Gerade dieser letzte Punkt ist für die Kritik Averroes’ an Avicenna und die Entwicklung seiner Perspektive zentral. Averroes ist mit Avicenna einverstanden, dass das Subjekt einer Disziplin kein Ergebnis einer Inferenz sein darf. Er schließt aber daraus die entgegengesetzte Position. Dies bedeutet: Metaphysik ist Theologie. Was wird aber aus dem Gottesbeweis? Dieser ist keine metaphysische Inferenz, sondern eine physische. Genauer gesagt: Er ist jener Teil der Physik,

6 Vgl. Avicenna Latinus, Liber de philosophia prima, I, 2, 14 (Übersetzung nach Albert Zimmermann): „Deinde principium non est principium omnium entium. Si enim omnium entium esset principium, tunc esset principium sui ipsius; ens autem in se absolute non habet principium […]. Principium igitur est principium aliquibus entibus. Quapropter haec scientia non erit inquirens principia entis absolute, sed principia alicuius entium, sicut principia ceterarum scientiarum particularium.“

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

in welchem sie den neuen transphysikalischen Bereich eröffnet, in dem sich die Physik selbsttranszendiert.7 Wie positionieren sich nun die scholastischen Autoren? Selbstverständlich gibt es verschiedene Ansätze. Man muss allerdings sagen, dass viele der wichtigen Gestalten (z. B. Thomas von Aquin und Duns Scotus) die Position des Avicenna übernehmen. Die ontologische Wende setzt sich also durch. Das Anliegen der Averroistischen Position bleibt allerdings wichtig. Dies ist nicht nur aus exegetischen Gründen der Fall, sondern auch weil es (zumindest indirekt) gerade jene Außergewöhnlichkeit und Transzendenz des Absoluten zum Ausdruck bringt, die den philosophischen Kern des ,starken Monotheismus‘ ausmachen, innerhalb dessen sich diese Autoren bewegen. Mit Bezug auf das Subjekt der Metaphysik bedeutet dies schließlich: Diese Disziplin soll beiden Aspekten Rechnung tragen und somit (bezüglich des Subjektes) als Onto-Theo-logie verstanden werden. 3.1.1.1 Sein als das Ersterkannte Bevor wir zur Betrachtung der Scotischen Position kommen, soll ein letzter Punkt hervorgehoben werden und dieser ist wiederum mit der Perspektive Avicennas verbunden. Wir haben gesehen, dass der ontologische Rahmen das allgemeinste ist und somit „etwas“, das nicht weiter untersucht und begründet werden kann. Ein entscheidender Punkt, der mit dieser Idee verbunden ist und von Avicenna im 5. Kapitel des ersten Teiles seiner Metaphysik erläutert wird, ist nun der folgende: Das Sein und die mit ihm konvertiblen Notionen sind das Ersterkannte. Die Avicennische Idee stellt sich folgendermaßen dar: Damit Wissenschaft erfolgen kann, muss es einige Prinzipien, wie zum Beispiel das Widerspruchsprinzip, geben, die unergründbar und per se bekannt sind. Wenn dies nicht der Fall wäre, würde ein infiniter Regress entstehen, der die Möglichkeit von Wissenschaft gefährden würde. Die Idee Avicennas besteht darin, diese Dimension auch auf die Ebene von Begriffen bzw. Notionen zu übertragen. Was für die ,Ordnung der Sätze‘ gilt, gilt nun auch für die ,Ordnung der Begriffe‘. Das heißt: Damit eine wissenschaftliche Betrachtung der Realität stattfinden kann, muss es eine Erkenntnis von fundamentalen Notionen geben, die per se evident sind. Es gibt daher nicht nur evidente Axiome, sondern auch evidente Notionen und zu diesen Notionen gehört zunächst und vor allem das Seiende.8  Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik?, 152 ff.  Avicenna spricht in diesem Kontext von primae impressiones, die mittelalterlichen Autoren sprechen hingegen von primae conceptiones, primae intentiones, prima intelligibilia. 7

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3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz

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Mit anderen Worten: Die durch die verschiedenen Wissenschaften (Physik, Biologie, Anthropologie usw.) artikulierte Realität setzt einen ursprünglichen Zugang zum Seienden als solchen voraus. Das bedeutet aber wiederum: „Für das Seiende trifft nicht nur der Status der nicht mehr übersteigbaren Allgemeinheit zu, sondern auch der des schlechthinnigen Bekanntseins; seine Bedeutung ist durch nichts anderes vermittelt.“9 Das heißt allerdings nicht, dass ein solcher Begriff einfach als solcher präsent sei. Er soll hingegen durch eine Art ,Auflösung/Resolution (resolutio)‘ aktiviert werden, die als eine Vermittlung gilt, die diese Unmittelbarkeit nicht bricht. Thomas von Aquin, der diese Idee von Avicenna übernommen und weitergeführt hat, schreibt dazu: Seiendes aber ist jenes, was der Verstand zuerst als das ihm Bekannteste begreift und in das er alles Begriffene auflöst (resolvit), wie Avicenna zu Beginn seiner ,Metaphysik‘ sagt.10

Kurzum: Um einen Zugang zur Wirklichkeit zu haben, die ich wissenschaftlich artikulieren kann, muss ich immer schon das Seiende verstanden haben. Zum Beispiel: Damit ich Biologie betreiben kann, muss ich ein Vorverständnis dessen haben, was Leben ist. Diese Vorerfassung des Lebens setzt aber ein noch ursprünglicheres Vorverständnis des Seins voraus, denn das Leben ist seinerseits etwas. Dies ist schließlich der ontologische Rahmen, der in der Metaphysik artikuliert wird. Diese immer schon vollzogene Seinserfassung wird wiederum durch die Resolution der Begriffe, die zu immer allgemeineren und fundamentaleren Notionen aufsteigt, zum Ausdruck gebracht. Die Resolution fungiert somit als eine Art Darstellung der Evidenz und kommt damit nah an die Idee der Evidenzdarstellung heran, die für diese Arbeit zentral ist. Das bedeutet aber auch: Die Totalität wird (in Kontinuität mit der Parmenideischen Auffassung) als das unmittelbar (bzw. durch die äußere Hilfe der resolutio) erfasste Sein konzipiert. 3.1.2 Das Subjekt der Metaphysik bei Duns Scotus Wie positioniert sich Scotus bezüglich dieser Problematik? Bereits Étienne Gilson vertrat die These, dass Scotus, nach einer anfänglichen Unentschiedenheit, die Position des Avicenna übernommen habe.11 Diese Grundidee hat die Forschung  9  Rolf Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, Berlin/New York 1986, 98. 10  Thomas von Aquin, Von der Wahrheit – De veritate, hg. und übers. von Albert Zimmer­ mann, Hamburg 1986, 5. 11  Étienne Gilson, „Avicenne et le point de départ de Duns Scotus“, Archives d’Histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge II (1927), 89–149.

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

stark geprägt und ist von späteren wichtigen Scotus-Forschern weiterentwickelt worden, wobei manche die Originalität der Scotischen Herangehensweise und andere eher die Kontinuität mit der Avicennischen Tradition hervorgehoben haben.12 Im Folgenden schließe ich mich dieser Interpretationsrichtung an und betrachte die Auffassung Scotus’ als eine Form von Avicennianismus. Dies bedeutet: Das Subjekt der Metaphysik ist für Scotus das Seiende als solches und nicht Gott. Scotus behandelte diese Problematik an mehreren Stellen. Ich konzentriere mich hier aber auf ein Argument, das er in Ordinatio prol. p. 3 q. 1–3 n. 194 entfaltet hat. Laut Scotus kann die Position des Kommentators (Averroes) nicht korrekt sein, weil dies die Existenz der Metaphysik bedingen würde. Mit anderen Worten: Wenn der metaphysische Raum durch die Physik eröffnet würde, wäre dieser Raum nicht wirklich absolut. Dies lässt sich mit dem im zweiten Kapitel Gesagten in Verbindung bringen, denn das abgelehnte Thomistische Modell zum Anfang der Philosophie geht gerade von einem proto-physikalischen Anfang der Philosophie aus, der in eine metaphysische Position mündet. Dies ist wiederum bei Scotus nicht der Fall. Die Metaphysik ist bei Scotus, zumindest was ihren Forschungsbereich angeht, unvermittelt da. Kurzum: Die Metaphysik benötigt kein ,physikalisches Sprungbrett‘. Der metaphysische Forschungsbereich (das Seiende als solches) soll als etwas verstanden werden, das intellektuell immer schon erfasst worden ist. Es geht um ein primum cognitum. Scotus selbst sagt, dass das Seiende als solches das per se notum ist, oder, dass es „das, was durch nichts bekannteres expliziert werden kann“13, ist. Es muss aber sogleich hinzugefügt werden, dass diese Evidenznatur des Seins (zumindest in unserem faktischen Zustand) durch einen transcensus über die gegebenen endlichen kategorialen Bestimmungen erreicht wird. Das ist aber nichts anderes als eine „resolutio allen Wissens vom Seiendem auf das ihm gemeinsame Wissen von Seiendem überhaupt.“14 Diese Dynamik bricht aber die Unmittelbarkeit dieses Raumes nicht, denn sie dient als eine Erweckung des immer schon Verstandenen. Kurzum: Das Seiende, das als Erkenntnishorizont fungiert, ist gleichzeitig das Allgemeinste und das Ersterkannte. Dieser Erkenntnishorizont ist wiederum das, was von der Metaphysik thematisiert und artikuliert wird. Im Prolog zu 12  Zur ersten Auffassung vgl. Ludger Honnefelder, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, 2. Aufl., Münster 1989, vor allem 55. Zur zweiten Auffassung vgl. z. B. Stephen D. Dumont, „Scotus’ Doctrine of Univocity and the Medieval Tradition of Metaphysics“, in: Jan A. Aertsen/ Andreas Speer (Hgg.), Was ist Philosophie im Mittelalter, Berlin/New York 1998, 193–212. 13  Duns Scotus, Ordinatio, I d. 2 p. 1 q. 1–2 n. 132, in: Opera omnia, studio et cura commissionis scotisticae, Civitas vaticana 1950 ff., Bd. II, 207. 14  Ludger Honnefelder, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus, Suárez, Wolff, Kant, Peirce), Hamburg 1990, XVII.

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den Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis bringt Scotus auf eine pointierte Art und Weise diese Position zum Ausdruck. Hier erklärt er nämlich, dass das, was am erkennbarsten ist, das Allgemeinste ist, und dass dies zunächst für das Seiende als solches gilt. Dies ist aber wiederum auch der Gegenstand der Metaphysik und interessanterweise bezieht sich Scotus zur Stützung seiner These sowohl auf das 5. Kapitel der Metaphysik Avicennas, das die Ersterkanntheit des Seienden expliziert, als auch auf das IV. Buch der Metaphysik des Aristoteles, das den Allgemeinheitscharakter der Metaphysik hervorhebt.15 Diese Thematik der Erstheit und Allgemeinheit des Seienden lässt sich auch aus der Frage nach dem ersten Gegenstand des Intellekts erläutern. In Ordinatio dist. 3 pars 1 q. 3 fragt Scotus, ob Gott das erste natürliche Objekt des menschlichen Verstandes sei.16 Diese ,Erstheit‘ bezieht sich auf die Ordnung der Adäquatheit. Das bedeutet: Die Frage, die hier gestellt wird, betrifft weder das, was zeitlich der menschliche Intellekt als erstes erkennt, noch geht sie darauf ein, welche erste Entität im Sinne der Vollkommenheit vom Verstand erkannt wird. Die Untersuchung bezieht sich auf das, was das adäquate Objekt des Intellekts ist. Das heißt: Es geht um das, worauf der menschliche Intellekt natürlich bezogen ist und woraus alles für ihn intelligibel wird. Es handelt sich sozusagen um den natürlichen menschlichen Erkenntnishorizont. Scotus bietet in diesem Kontext ein Erklärungsbeispiel an: Alles, was wir sehen, wird deshalb gesehen, weil es beleuchtet/farbig ist. Der eigentliche adäquate Gegenstand des Sehvermögens ist daher das Licht/die Farbe. Wie verhält es sich nun mit dem Verstandesvermögen? Was muss das Verstandesvermögen bereits verstanden haben, damit es alles andere erfassen kann? Scotus stellt zwei Alternativen dar: Nach der ersten (Thomistischen) Position ist das erste Objekt die Wesenheit der körperlichen Dinge (das materielle Sein). Nach der zweiten Position ist der erste Gegenstand des Intellekts Gott. Scotus ist der Meinung, dass beide Auffassungen falsch sind. Wenn nur materielle Dinge der Horizont der menschlichen Erkenntnis wären, gäbe es keine Meta-physik, sondern nur eine Physik. Mit anderen Worten: Der natürliche Gegenstand des Intellekts lässt sich nicht auf die Wesenheit der körper15  Duns Scotus, Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, I, prol. n. 17, in: Opera Omnia, Bd. III, hg. von Girard J. Etzkorn, New York 1997, 8: „Maxime scibilia primo modo sunt comunissima, ut ens in quantum ens, et quaecumque consequuntur ens in quantum ens. Dicit enim Avicenna in Metaphysicae cap. 5 quod ,ens et res imprimuntur in anima prima impressione, quae non aquiritur ex aliis notioribus se‘ […] Haec autem comunissima pertinent ad considerationem metaphysicae secundum Philosophum in IV huius in principio: ,Est scientia quaedam quae speculator ens in quantum ens, et quae huic insunt secundum se‘ […].“ Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Jan A. Aertsen, „Metaphysics as a Transcendental Science“, Quaestio 5 (2005), 376–389. 16  Bei der Darstellung dieser Thematik orientiere ich mich hauptsächlich an Efraim Bettoni, Duns Scoto filosofo, Mailand 1966.

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lichen Dinge reduzieren, weil das intellektuelle Vermögen, in seiner Offenheit für die Totalität, eine meta-physische Natur hat. Andererseits kann der natürliche Gegenstand des Intellekts auch nicht Gott sein, denn es ist, laut Scotus, ein Fakt, dass wir eine Idee vom Sein haben können, ohne dass wir unmittelbar seine Göttlichkeit erfassen. Kurzum: Die erste Position ist sozusagen zu schwach und bewegt sich in jener vorontologischen Perspektive, die der Offenheit des Intellekts für die Totalität nicht Rechnung tragen kann.17 Die zweite Position ist hingegen zu stark, weil sie von der Auffassung einer vollzogenen Metaphysik ausgeht, die das Göttliche bereits erreicht hat. Die wahre korrekte Position ist deshalb die mittlere und dies bedeutet wiederum diejenige, die das Seiende als solches thematisiert. Nur diese Notion kann nämlich als jener Horizont fungieren, der auf eine noch unexplizierte Art und Weise die Totalität erfasst. Es gibt allerdings eine Dimension der Thomistischen Position, die man berücksichtigen muss, und diese lässt sich folgendermaßen formulieren: Als erstes begegnet unser Intellekt dem Sein bei den körperlichen Dingen. Das Sein ist deshalb für uns zunächst an die Materialität gebunden. Wie lässt sich dieser Fakt erklären? Scotus unterscheidet zwischen dem Intellekt ex natura potentiae und seinem Objekt in ratione motivi pro statu isto. Nur im ersten Fall geht es um das Seiende als solches, im zweiten Fall geht es hingegen um die Wesenheit der körperlichen Dinge. Anders formuliert: Für einen Intellekt, absolut betrachtet, ist der erste Gegenstand das Seiende als solches. Für den Intellekt, verankert in einer bestimmten konkreten historischen Lage, ist der erste Gegenstand die Wesenheit der körperlichen Dinge. Zusammenfassend: Ein intellektuelles Wesen ist als solches offen für die Totalität. Das Sich-Befinden in einer bestimmten Lage trübt diese Erfassung der Totalität und macht es schwierig sie zu artikulieren. Der Ausdruck ,Pro statu isto‘ macht aber auch folgende Idee deutlich: Die Unfähigkeit unsererseits, die Totalität auf eine nicht-abstraktive Art und Weise zu erfassen, hat weder mit der intrinsischen Natur des Intellekts zu tun, noch einfach mit der Verbindung zwischen Intellekt und Körper. Es geht um einen extrinsischen Grund und zwar um ein göttliches Gesetz.18 17  Duns Scotus, Questiones super secundum et tertium De anima, in: Opera philosophica, Bd. V, hg. von Bernardo Carlos Bazán u. a., New York/Washington 2006, q. 19, n. 13, 189: „Item, intellectus noster etiam in via potest cognoscere ens sub ratione entis, quae est universalior quam ratio quidditatis sensibilis; igitur quidditas sensibilis non est objectum adaequatum intellectus nostri.“ 18 Zwei Gründe werden angegeben für diese göttliche Entscheidung. Der erste Grund ist theologischer Natur: die Bestrafung für die Adamsünde. Der zweite Grund ist eher philosophisch: eine Harmonisierung zwischen den natürlichen Kräften. Es ist interessant, dass auch in diesem zweiten Fall die Harmonisierung weder aus der Natur des Intellekts noch aus seiner Verbindung mit dem Körper entspringt.

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Wie auch immer es sei: Es gibt keine im strengen Sinne des Wortes philosophische Vermittlung, die zum metaphysischen Bereich führt und Duns Scotus scheint also ein Avicennianer zu sein. Was wird hierbei aus dem Averroistischen Anliegen? Was wird aus der Idee der Metaphysik als Theologie? Bereits Allan Wolter schrieb in seinem Standardwerk zu den Transzendentalien in der Metaphysik des Scotus Folgendes: If Scotus broke with Averroes, it was not because the Commentator made a theology of his metaphysics. It was because Averroes had relegated to physics the task of proving the existence of God and had thus made metaphysics dependent upon physics for a knowledge of its first subject.19

Das theologische Moment ist somit durchaus präsent, es darf aber nicht von der Physik abgeleitet werden. Die Transzendenz Gottes soll mit anderen Worten einen durch und durch ontologischen Charakter haben. Kurzum: Metaphysik soll als Onto-Theo-logie erfasst werden. Diese Seite des Scotischen Denkens wird, zumindest indirekt, dadurch gezeigt, dass Scotus mit Bezug auf Gott von einem intendierten Subjekt bzw. vom Subjekt als Ziel der Metaphysik spricht und dass er die Einheit der ontologischen und theologischen Dimension der Metaphysik hervorhebt.20 Das Averroistische Anliegen wird in die ontologische Dynamik integriert. Damit erweist sich auch Gott nicht einfach als ratio fiendi, sondern essendi. Wie ist aber diese Dynamik zu verstehen? Wir werden mit dem Ausgangspunkt beginnen und uns dann auf das Ziel konzentrieren. 3.1.3 Scotus’ Auffassung der Transzendentalien Das Sein, von dem unsere Metaphysik ausgeht, ist das Seiende als solches. Dieses ist die erste der Transzendentalien und die Metaphysik, die sich damit befasst, ist folglich eine scientia transcendens.21 Für Scotus’ Auffassung der Transzendentalien ist folgende Quasi-Definition zentral: Eine Transzendentalie ist „was auch immer von keiner Gattung enthalten werden kann.“22 19  Allan B. Wolter, The Transcendentals and their Function in the Metaphysics of Duns Scotus, New York 1946, 178. 20 Duns Scotus, Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, I q. 1 nn. 156–159 (Opera Philosophica III, 69 ff ). 21 Scotus, Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, prol. n. 18, (Opera Philosophica III, 9): „Et hanc scientiam vocamus metaphysicam, quae dicitur a ,meta‘, quod est ,trans‘, et ,ycos‘ ,scientia‘, quasi transcendens scientia, quia est de transcendentibus.“ 22  Scotus, Ordinatio, I, dist. 8, pars 1, q. 3, n. 114, (Opera omnia IV, 206: „[…] ita transcendens quodcumque nullum habet genus sub quo contineatur.“ Zur Thematik der Transzendentalien in der Metaphysik Scotus’ vgl. außer dem zitierten Werk von Wolter auch u. a. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca.

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Diese Konzeption der Transzendentalien ist interessanterweise sehr breit und bezieht verschiedene Formen der Transzendentalität mit ein. In diesem Kontext sind natürlich zunächst das Sein und die mit ihm konvertiblen Notionen (Einheit, Wahrheit, Gutheit) als Transzendentalien zu verstehen, denn sie lassen sich nicht auf eine Gattung reduzieren und gehen über alle Gattungen hinaus. Transzendentalien sind aber auch die disjunktiven Notionen, die paarweise die Gesamtheit des Seienden erfassen. Beispiele dafür sind: ,Notwendiges-Kontingentes‘, ,Eines-Vieles‘ und vor allem ,Unendliches-Endliches‘. Bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass sich das Merkmal der Transzendentalität nicht nur auf das ganze Paar bezieht, sondern auch auf jegliches Glied. Auch dieses lässt sich nämlich nicht auf eine der Gattungen reduzieren. Schließlich gehören auch die sogenannten ,reinen Vollkommenheiten‘, wie beispielsweise ,Wille‘, ,Verstand‘ oder, ,Weisheit‘, den Transzendentalien an, weil sich deren Perfektion ins Unermessliche steigern lässt. Sie können daher sowohl dem göttlichen auch als dem kreatürlichen Bereich zugeschrieben werden. Kurzum: Scotus trennt die Idee der Transzendentalität von derjenigen der Gemeinsamkeit. Transcendentia sind nicht mehr nur communia.23 Die Notion der Transzendentalien wird dadurch erweitert. Im Folgenden werde ich mich nur auf das Sein und eine besondere disjunktive Notion (Unendliches-Endliches) konzentrieren, denn sie konstituieren die fundamentale Struktur der Scotischen metaphysischen Dynamik. 3.1.3.1 Die Univozität des Seins Was zeichnet nun die erreichte Seiendheit aus? Wir haben oben bereits gesehen, dass das Sein jene Notion ist, die alle Kategorien (und damit alle partikulären Bereiche) übersteigt. Das heißt nicht, dass das Seiende als etwas Unbestimmtes zu verstehen ist, sondern als ein irreduzibler einfacher Begriff (simpliciter simplex), der eine quidditative ratio konstituiert, die jeglicher anderer Notion vorausgeht. Gleichzeitig geht es um eine allgemeine und allumfassende Notion, die als „Bedingung der Möglichkeit von Welterfahrung überhaupt“24 betrachtet werden kann. Diese fundamentale Notion ist nun (und das ist eine zentrale These Scotus’) univok. Das bedeutet: Es gibt einen Sinn, nach dem man sagen kann, dass Gott und die Kreatur, die Substanz und das Akzidens auf dieselbe Art und Weise sind. Hier kommt ein wichtiges Element zum Ausdruck, das wir oben betrachtet haben: Diese univoke Perspektive zeigt, dass, zumindest auf einer basalen Ebene, das Nichtgöttliche wirklich ist und keinen scheinhaften Charakter besitzt. 1225) to Francisco Suárez, Leiden/Boston 2012 und Jorge J. E. Gracia, „Scotus’s Conception of Metaphysics: The Study of the Transcendentals“, Franciscan Studies 56 (1998), 153–168. 23  Aertsen, Metaphysics as a Transcendental Science, 388 f. 24  Ludger Honnefelder, Duns Scotus, München 2005, 58.

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Aber wie kommt Scotus zu dieser Position? Die These kann folgendermaßen expliziert werden: Das Seiende ist jene Notion, die das Reale überhaupt (die Totalität) ausdrückt. Diese Notion sieht aber von den auszeichnenden Merkmalen von jeglichem Seienden ab. Bloßes Sein kann beispielsweise einer Substanz und einem Akzidenz zugeschrieben werden, wenn ihre schiere Gemeinsamkeit zum Ausdruck gebracht wird. Ein Erklärungsbeispiel, das Scotus verwendet, ist in diesem Kontext sehr modern. Wir können einerseits sicher sein, dass das Licht ein Seiendes ist. Diese Gewissheit besteht auch, wenn wir nicht sagen können, ob das Licht eine Substanz oder eine akzidentelle Modifikation einer Substanz ist.25 Diese Idee gilt nun auch für die Relation zwischen Gott und dem Außergöttlichen. Die ratio entis schließt mit anderen Worten das geschaffene und ungeschaffene Seiende ein und bleibt als solche zunächst dieser Artikulation indifferent. Kurzum: Trotz der gewaltigen Unterschiede, die im ontologischen Raum zu finden sind, bringt die Notion ,Sein‘ eine Ureinheit zum Ausdruck, die alles umfasst, weil sie sich auf alles auf dieselbe Art prädizieren lässt. Damit stellt sich die folgende Frage: Wenn die Metaphysik diese gemeinsame ontologische Notion voraussetzt, geht dann nicht dabei die Transzendenz Gottes (des theologischen Prinzips) verloren? Und impliziert dies nicht, dass Gott wieder zu einer bestimmten Entität wird, die einfach neben dem Außergöttlichen steht und der Totalität nicht Rechnung tragen kann? Wir müssen daher genauer analysieren, wie Scotus den Weg zu Gott konzipiert und wie die göttliche Natur von ihm verstanden wird. 3.1.4 Der Weg zu Gott Wir haben gesehen, dass Scotus die Notion von Sein als univok konzipiert. Traditionell sind Univozität und Gattungscharakter verbunden: Wir können beispielsweise (wie bereits oben erwähnt) sagen, dass eine Gattung (,Lebewesen‘) auf dieselbe Art und Weise den ihr eigenen Spezies zugeschrieben wird. Wir können somit behaupten, dass ,Lebewesen‘ bei einer Katze, einem Hund, aber auch einem Menschen, dieselbe Bedeutung hat. Ontologisch gewendet bedeutet dies, dass es dieselbe Animalität ist, die sich in den verschiedenen Spezies verschiedenartig artikuliert. Traditionell wird aber eine Gattung auch als ein materielles Prinzip betrachtet, aus dem die Spezies generiert werden. Diese materielle Dimension wird aus einer Realität entnommen, die wiederum in Potenz zu jenem aktuierenden Prinzip steht, das durch die differentia specifica ausgedrückt wird.

 Vgl. Wolter, The Transcendentals in the Metaphysics of Duns Scotus, 49 f.

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Diese zweite Dimension wird von Scotus abgelehnt. Mit anderen Worten: Laut Scotus wird die Notion ,Sein‘ von keiner potenziellen Realität entnommen. Stephen Dumont formuliert diese Idee folgendermaßen: Ultimately, this amounts to showing that there can be a real concept, as opposed to a purely logical or mind dependent notion, that is univocally common but to which there corresponds no common reality, for any such real community involves potentiality.26

Kurzum: Das Sein fungiert nicht als eine Art ,Urmaterie‘, die von einem äußerlichen und externen (formellen) Prinzip artikuliert wird. Gleichzeitig ist der Begriff ,Sein‘ nicht einfach etwas bloß Logisches und Mentales. Anders formuliert: Was es in rerum natura gibt, sind Seinsexplikationen. Der Terminus ,Sein‘ ist damit kein verdinglichender Ausdruck des Realen überhaupt. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der folgende: Die Explikation des Seienden27, die durch die transzendentalen Disjunktiven erfolgt, hat einen modalen und damit einen intrinsischen Charakter. Dies bedeutet: Die disjunktive Explikation unterscheidet sich, qua modale Explikation, von jenen Seinsbestimmungen, die nach dem Verhältnis Gattung-Spezies erfolgen. Denn diese haben einen Äußerlichkeits‑ und Veränderungs-Charakter. Ein Beispiel, das Scotus verwendet, um den Unterschied zu erläutern, ist das folgende: Eine bestimmte Qualität, beispielsweise die Farbe Weiß, erscheint in verschiedenen Intensitätsgraden (Modi). Dabei geht es einerseits um eine reale Artikulation, andererseits aber um eine, die mit der Natur des Artikulierten wesentlich verbunden ist und seine Natur nicht verändert. Die Artikulation ist also eine innere Artikulation des Weiß-Seins. Anders verhält es sich im Falle der Gattung-Spezies-Relation, denn die Spezifizierung einer ,Gattungsfarbe‘ (z. B. Rot) verweist auf einen äußerlichen Faktor (z. B. die Farbe Blau), der die Natur der Gattungsfarbe verändert. Mit anderen Worten: Die Gattungsfarbe Rot wird durch Blau spezifiziert und verändert und damit zu etwas (Violett) gemacht, das andere Farben (z. B. Orange) ausschließt. Dies bedeutet schließlich: Die hier vertretene Seinskonzeption vermeidet nicht nur grobe verdinglichende Tendenzen, sondern auch grobe dualistische Auffassungen bezüglich der Seinsartikulation. Aber inwiefern trägt die modale Explikation die theologische Dimension der Metaphysik? Zentral sind in diesem Kontext die modi ,Unendlich-Endlich‘ und, mit Bezug auf Gott allein, die Transzendentalie ,Unendlich‘. Scotus konzipiert die Notion des Unendlichen nicht als kategoriale (quantitative), sondern als transzendentale Dimension. Was zeichnet nun diese ontologische und damit transzendentale Unendlichkeit aus? Zunächst soll gesagt werden, dass sie keine potenzielle, sondern eine aktuale Unendlichkeit ist. Die ontologische Unendlichkeit übersteigt auch die quantitative Unendlichkeit in actu (Unendlichkeit im Akt in quantitate), weil auch diese Art von aktualer Unendlichkeit auf einer Summe  Dumont, Scotus’ Doctrine of Univocity, 210  Den Ausdruck übernehme ich von Ludger Honnefelder.

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von nebeneinanderstehenden unvollkommenen Teilen beruht. Die ontologische (transzendentale) Unendlichkeit besteht hingegen nicht aus extrinsischen Teilen. Sie hat, mit anderen Worten, eine einheitliche und einfache Natur. Denn es geht um eine intensive und damit modale Unendlichkeit, und dies bedeutet um eine Unendlichkeit der Vollkommenheit bzw. der Mächtigkeit.28 Mit anderen Worten: Ein unendliches Seiendes ist eines, „dem nichts an Seiendheit fehlt in der Weise, in der es möglich ist, (die Totalität der Seiendheit) in einem einzelnen Seienden zu haben.“29 Wie das Weiße durch die verschiedenen Intensitätsgrade innerlich artikuliert wird, wird auch die Seiendheit modal artikuliert. Während nun das Endliche eine begrenzte Seins-Intensität zum Ausdruck bringt, tritt beim Unendlichen eine absolute Seinsintensität bzw. Seinsvollkommenheit in Erscheinung. Mit einem Platonischen Vokabular: Unendliches und endliches Seiende sind das Urbild und das Abbild überhaupt. Das hat nun massive Konsequenzen für die metaphysische Natur des göttlichen Fundaments. Inwiefern dies der Fall ist, präzisiert Scotus in Lectura I distinctio 3 pars 1 quaestio 2. Der Begriff des unendlichen Seienden ist, laut Scotus, der einfachste, eigentümlichste und vollkommenste Begriff, den wir von Gott erfassen. Er ist der einfachste, denn andere fundamentale Notionen, wie beispielsweise das Wahre und das Gute, bringen eine Gemeinsamkeit zwischen Gott und den Kreaturen zum Ausdruck. Er ist der eigentümlichste, weil er nicht, wie z. B. die Weisheit, eine besondere, sondern die gesamte Dimension der Göttlichkeit beleuchtet. Mit den Worten Scotus’: „Die göttliche Weisheit schließt nämlich nicht formal das göttliche Gutsein ein, aber ‚unendlich‘ ist formal in jedem Attribut als dessen Vollkommenheitsgrad enthalten wie der Grad der weißen Farbe in der Weiße. Daher ist das Gutsein Gottes formal unendlich, und so auch die Weisheit Gottes und die anderen Attribute.“30 Er ist schließlich der vollkommenste, denn er enthält virtuell alle anderen Begriffe, die von Gott ausgesagt werden. Dies bedeutet: Alle Attribute, die das Göttliche auszeichnen (z. B. die notwendige Existenz), sind als Explizierungen des unendlichen Seienden zu verstehen. Das ist auch für die Allmacht (und damit für die schöpferische Kraft) der Fall. Genauer gesagt: Diese ist, wie James 28 Duns Scotus, Quaestiones quodlibetales, in: Opera omnia, nach der Edition von L. Wadding, Lyon 1639, wiederaufgelegt von L. Vivès 26 Bde., Paris 1891–1895, Bd. XXV, q. 5 n. 3, 199: „ens infinitum intensive, sive in perfectione vel in virtute.“ Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Honnefelder, Duns Scotus, 91–94, sowie Anne Ashley Davenport, Measure of a Different Greatness: The Intensive Infinite, 1250–1650, Boston/Leiden 1999, 280. 29  Scotus, Quaestiones quodlibetales, q. 5 n. 4, 199 f.: „cui nihil entitatis deest, eo modo quo possibile est illud haberi in aliquo modo.“ 30  Johannes Duns Scotus, Die Univozität des Seienden. Texte zur Metaphysik, hg. von Tobias Hoffmann, Göttingen 2002, 33.

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F. Ross und Todd Bates hervorgehoben haben, das, wodurch diese seiende Unendlichkeit in Erscheinung tritt.31 Diese fundamentale Dimension gilt, mutatis mutandis, auch für die Transzendentalie der Endlichkeit. Mit anderen Worten: Alle Attribute, die das Außergöttliche (z. B. die Kontingenz) auszeichnen, beruhen auf der Endlichkeit. Noch mehr: Jegliche kategoriale Artikulation ist eine Spezifizierung der transzendentalen Endlichkeit. Dieser besondere Status der Unendlichkeit spiegelt sich auch in der Struktur der Scotischen rationalen Theologie wider, wie sie von uns Menschen faktisch, d. i. nach der ratio quia (von unten nach oben), vollzogen wird. Dies artikuliert sich in eine doppelte Richtung: 1.) Die Frage nach der Existenz Gottes entfaltet sich als Frage nach der Existenz eines unendlichen Seienden. Aus diesem Grund stellt Scotus, z. B. in Ordinatio I, d. 2, p. 1, q. 1, die Frage nach der Existenz Gottes folgendermaßen: Gibt es innerhalb der Seienden etwas, das dem Akt nach unendlich ist? Mit anderen Worten: Der Weg zu Gott versteht sich als Weg zum unendlichen Seienden. 2.) Das Unendliche erweist sich als ein Motor bzw. eine Generationsquelle für göttliche Attribute. Seine Funktion kann daher mit derjenigen verglichen werden, die das Attribut der Einfachheit im Kontext der Thomistischen rationalen Theologie innehat.32 Zusammenfassend: Im Kontext dieser Metaphysik haben wir auf der einen Seite Gott als das uneingeschränkte Seiende in Fülle, das schöpferische Urbild, das unendliche Seiende und auf der anderen Seite haben wir das eingegrenzte Seiende, das abgeleitete Abbild, das endliche Seiende. Da nun die modale Artikulation, die durch das Paar Unendlich-Endlich erfolgt und die theologische Dynamik trägt, fundamental und innerlich (intrinsisch) ist, heißt das, dass diese theologische Dynamik keine ,Spezifizierung‘ des ontologischen Rahmens impliziert. Kurzum: Rationale Theologie ist keine metaphysica specialis im strengen Sinne des Wortes. Die oben besprochene onto-theo-logische Dynamik der Metaphysik wird damit noch einmal hervorgehoben.33 3.1.5 Das Scotische Modell als Inferenzmetaphysik Fassen wir das bisher Erreichte zusammen: Wir haben gesehen, dass Scotus eine univoke Konzeption des Seins vertritt. Das bedeutet: Diese durch das Sein erfasste Totalität enthält, im Anklang an die Auffassung des Avicenna, sowohl das Göttliche als auch das Nicht-Göttliche. 31  Vgl. James F. Ross/Todd Bates, „Duns Scotus on Natural Theology“, in: Thomas Williams (Hg.), The Cambridge Companion to Duns Scotus, Cambridge 2003, 193–237, hier: 223. 32  Vgl. Richard Cross, Duns Scotus, New York/Oxford 1999, 26. 33  Vgl. dazu Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 426–432.

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Gleichzeitig trennt Scotus die Idee der Univozität von derjenigen der Potenzialität, und damit vermeidet er eine Konzeption, nach der das Sein als eine Ur-Gattung (als eine Art urmaterielles Subjekt) erfasst wird, die jegliche bestimmende formelle Struktur ausschließt. Das Sein, wovon die Metaphysik ausgeht, ist deshalb kein verdinglichender Ausdruck der Totalität. Laut Scotus unterscheidet sich außerdem die fundamentale und theologisch relevante Artikulation des Seins von derjenigen einer Gattung in Spezies. Denn sie erfolgt durch die intrinsische Modalität, die die Natur des Seins auf eine immanente Art und Weise artikuliert und nicht verändert. Dabei spielt das Paar ,Unendlich-Endlich‘ eine fundamentale Rolle. Unendlich und endlich bringen nämlich die innere Intensität (und Exzellenz) des Seins zum Ausdruck. Durch diese modale Artikulation des Seins vermeidet Scotus problematische dualistische Positionen und kann die ontologische und theologische Dimension der Metaphysik gut kombinieren. Für die Scotische Auffassung der Göttlichkeit ist vor allem die Transzendentalie der Unendlichkeit zentral. Durch diese ontologische Auffassung der Unendlichkeit gelingt es Scotus, eine Konzeption des Göttlichen (des Fundamentalen) zu entwickeln, die der Transzendenz Gottes Rechnung trägt. Die Unendlichkeit bringt nämlich, wie Scotus selbst schreibt, die Idee von einem Seienden zum Ausdruck, „dem nichts an Seiendheit fehlt“ und das alles Endliche „jenseits jeglicher bestimmbaren Proportion übersteigt“34. Diese Unendlichkeit beinhaltet somit gleichzeitig in sich und auf eine höhere Art und Weise jegliche Perfektion. Sie ist daher Ausdruck der Totalität, und zwar in dem Sinne, dass jegliche Positivität in Gott präsent ist. Außerdem ist dieses göttliche unendliche Seiende, und zwar gerade aufgrund seiner Unendlichkeit, nicht als ein kinetisches Prinzip zu verstehen, sondern als ein Prinzip des Seienden, das das Nicht-Göttliche durchdringt. Kurzum: Die Scotische Auffassung scheint jene oben erwähnte Konzeption des Göttlichen zu vermeiden, die das notwendig existierende Seiende als eine Realität versteht, die, trotz seiner Außergewöhnlichkeit, neben anderen steht. Diese metaphysische Auffassung bleibt aber immer noch eine Inferenzmetaphysik im Sinne dieser Arbeit und kann daher keine Erste Philosophie im strengen Sinne des Wortes sein. Warum? Man kann die Antwort folgendermaßen formulieren: Das Seiende als solches (das Subjekt der Metaphysik) ist etwas Evidentes. Es braucht nur die Erweckung durch eine resolutio. Das unendliche Seiende (das Seiende im eigentlichen Sinne des Wortes) ist aber etwas, das abgeleitet (inferiert) werden muss, und dies führt zu einer Eingrenzung des Skopus dieser Wissenschaft. Das spiegelt sich in folgender Tatsache wider: Das unendliche Seiende kontrahiert die ratio entis. Es ist das, wodurch das Seiende als solches zu einem be34 Scotus, Quaestiones quodlibetales, q. 5 n. 2–4, 199 f.: „cui nihil entitatis deest, […] excedit omne finitum ultra omnem proportionem determinabilem.“

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stimmten Seienden wird. Zwar geht es dabei um keine Spezifizierung (im Sinne des Verhältnisses Gattung-Art), aber das Paar ,Unendlich-Endlich‘ führt eine Einteilung des ontologischen Raums ein. Das bedeutet: Die Unendlichkeit ist das, wodurch sich das Göttliche, im Bereich des Seienden als solchen, von allem anderen unterscheidet. Das unendliche Seiende ist somit (trotz seiner Unendlichkeit) ein Teil des Realen überhaupt. Oder, anders gewendet: Es geht zwar um eine Totalität35, aber nur secundum quid. Man kann deshalb mit Albert Zimmermann behaupten, dass die metaphysische Position des Scotus eine ist, die Gott in das allgemeine Subjekt der Metapysik integriert und ihn damit als einen Teil des Subjekts dieser Disziplin auffasst. Anders formuliert: Diese Metaphysik erhält einen Charakter und somit eine Struktur, die (mit den Worten von Olivier Boulnois) katholou-tinologisch genannt werden kann, wobei die theologische Dimension der Metaphysik einen bestimmten Bereich der Realität hervorhebt.36 Dies bedeutet aber schließlich, dass das Seiende im eigentlichen Sinne des Wortes nur ein Teil der Realität ist. Totalität und Fundamentalität trennen sich auch hier und dies heißt wiederum, dass die Inferenz, die zu Gott führt, ein Stück der Realität ausschließt. Die Problematik lässt sich auch folgendermaßen zusammenfassen: Aufgrund der Univozität des Seins muss die fundamentale Artikulation des Seins als etwas verstanden werden, das einen minimalen Äußerlichkeitscharakter behält. Mit anderen Worten: Auch die Modalität behält (wenn auch auf eine besondere Art und Weise) den Charakter eines Quasi-Unterschiedes, den man dem Sein nicht formell zuschreiben kann.37 Natürlich besteht die Scotische Lösung gerade darin, die Modalität (und damit diese Dimension der Unterscheidung) zu depotenzieren und als etwas zu verstehen, das sich zwischen dem Status einer positiven Entität und dem reinen Nichts befindet.38 Aber auch diese Zwischenposition widerspricht der fundamentalen Parmenideischen Intuition, nach der das Sein einen totalen und 35 Honnefelder,

Scotus, 93. Boulnois, Être et representation. Une généalogie de la métaphysique moderne à l’époque de Duns Scot (XIIIe–XIVe siècle), Paris 1999, 514. Zu dieser Thematik vgl. auch Tengelyi, Welt und Unendlichkeit, 97–100. 37  Mit den Worten von Allan Wolter: „Transcendental differences, such as infinite, necessary, etc. are among the primary determinations of being. They too fit the description of ultimate differences. It is true that Scotus refers to infinite-finite and necessary-contingent as intrinsic modes and denies that they are strict differentiae. By this, however, he does not wish to deny that such concepts are differential in character or that the reality signified by such concepts is simpliciter simplex. He merely calls attention to the great difference between the relationship of being and its primary determinations, compared to that which exists between the genus and specific difference.“ Er fügt dann hinzu: „ ,[B]eing‘, as a common univocal notion, is not predicable of either ,infinite‘ or ,finite‘ in quid“, in: Wolter, Transcendentals in the Metaphysics of Duns Scotus, 85 f. 38  Vgl. dazu: Walter Hoeres, Gradatio entis. Sein als Teilhabe bei Duns Scotus und Franz Suárez, Heusenstamm 2012, 40 ff. 36 Olivier

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unbegrenzten Charakter besitzt, der, anders als eine dinghafte arché, kein Prinzip neben sich zulässt. Es ergibt sich daher folgende fundamentale Schwierigkeit: Wenn das Prinzip der Seinsartikulation äußerlich und artikulationsfähig ist, dann muss man die Parmenideische Natur und damit den totalen Charakter des Seins preisgeben und ihn eingrenzen. Dies scheint im Grunde der Weg des Scotus zu sein und er spiegelt sich auf theologischer Ebene in der Tatsache wider, dass auch die Vollendung des Seins (das unendliche Seiende) als ein Seiendes im ontologischen Raum verstanden wird. Wenn man hingegen (contra Scotum) an der allumfassenden Natur des Seins weiter festhält, dann erweist sich das Artikulationprinzip als etwas, das im Grunde nichtig ist, und wir kommen damit zu einer quasi-parmenideischen Konzeption zurück. Kurzum: Es ist legitim dieses Scotische Modell als ontische Transzendenz zu bezeichnen. Denn hier zeigt sich ein Transzendenz-Verhältnis, das sich zwischen zwei Entitäten (endlichem und unendlichem Seienden) abspielt, die sich in demselben ontologischen Raum befinden. Wir haben es hier also noch einmal mit einer Inferenzmetaphysik zu tun. Es ist aber interessant festzustellen, dass sich die Dynamik der Vermittlung verändert hat, denn es geht an dieser Stelle nicht mehr um eine vorontologische Vermittlung, die uns zum metaphysischen Raum führt, sondern um eine Vermittlung, die den metaphysischen Raum artikuliert. Die Aporie bleibt allerdings dieselbe, weil das Wirklich-Seiende (das Göttliche) nicht wirklich die Gesamtheit des ontologischen Raums erfasst. Anders gewendet: Das unendliche Sein ist unendlich auf eine immer noch quasi-kategoriale und nicht wirklich transzendentale Art und Weise. Gerade diese letzte problematische Seite einer solchen Position ist auch von Hegel auf eine prägnante und interessante Art und Weise thematisiert worden. Im Folgenden werde ich mich deshalb auf diese konzentrieren. Die Hegelsche Darstellung entspricht nämlich nicht nur dem Geist dieser Arbeit. Sie ist auch insofern nützlich, als sie als Übergang zum nächsten Metaphysik-Modell (Immanenzmetaphysik) fungieren kann. 3.1.6 Die Hegelsche ,Idealität‘ und der Übergang zur Immanenzmetaphysik Zentral für unsere Frage ist die Aporie, die Hegel anhand der sogenannten ,schlechten Unendlichkeit‘ darstellt. Um sie zu erläutern, werde ich auf einige Bemerkungen rekurrieren, die Hegel in seiner Enzyklopädie entwickelt hat: Der Dualismus, welcher den Gegensatz von Endlichem und Unendlichem unüberwindlich macht, macht die einfache Betrachtung nicht, daß auf solche Weise sogleich das Unendliche nur das eine der beiden ist, daß es hiermit zu einem nur Besonderen gemacht

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

wird, wozu das Endliche das andere Besondere ist. Ein solches Unendliches, welches nur ein Besonderes ist, neben dem Endlichen ist, an diesem eben damit seine Schranke, Grenze hat, ist nicht das, was es sein soll, nicht das Unendliche, sondern ist nur endlich. – In solchem Verhältnisse, wo das Endliche hüben, das Unendliche drüben, das erste diesseits, das andere jenseits gestellt ist, wird dem Endlichen die gleiche Würde des Bestehens und der Selbständigkeit mit dem Unendlichen zugeschrieben; das Sein des Endlichen wird zu einem absoluten Sein gemacht; es steht in solchem Dualismus fest für sich. Vom Unendlichen sozusagen berührt, würde es vernichtigt; aber es soll vom Unendlichen nicht berührt werden können, es soll ein Abgrund, eine unübersteigbare Kluft zwischen beiden sich befinden, das Unendliche schlechthin drüben und das Endliche hüben verharren. Indem die Behauptung von dem festen Beharren des Endlichen dem Unendlichen gegenüber über alle Metaphysik hinweg zu sein meint, steht sie ganz nur auf dem Boden der ordinärsten Verstandesmetaphysik. Es geschieht hier dasselbe, was der unendliche Progreß ausdrückt: das eine Mal wird zugegeben, daß das Endliche nicht an und für sich sei, daß ihm nicht selbständige Wirklichkeit, nicht absolutes Sein zukomme, daß es nur ein Vorübergehendes ist; das andere Mal wird dies sogleich vergessen und das Endliche dem Unendlichen nur gegenüber, schlechthin getrennt von demselben und der Vernichtung entnommen, als selbständig, für sich beharrend vorgestellt. – Indem das Denken auf solche Weise sich zum Unendlichen zu erheben meint, so widerfährt ihm das Gegenteil, – zu einem Unendlichen zu kommen, das nur ein Endliches ist, und das Endliche, welches von ihm verlassen worden, vielmehr immer beizubehalten, zu einem Absoluten zu machen.39

Die Aporie, die hier beschrieben wird, kann auf die Auffassung Scotus’ angewendet werden, denn, wie oben dargestellt, lässt die Univozitätskonzeption die Idee eines Unendlichen entstehen, das im ontologischen Raum steht und damit im Grunde neben dem Endlichen. Das bedeutet wiederum, wie auch Hegel hervorhebt: Das Unendliche hat nicht eine wirkliche ontologische (transzendentale) Dimension, weil es etwas neben sich zulässt. Das heißt gleichzeitig, dass das Fundament nicht mit der Totalität des Positiven koinzidiert. Das Endliche erhält hingegen eine Selbständigkeit (Absolutheit), die nur dem Unendlichen (dem Fundament) zugeschrieben werden kann. Kurzum: Das eigentlich Wirklich-Seiende (das unendliche Seiende) ist nur ein Teil der Realität. Dies bedeutet aber, wie oben bereits erklärt, dass dieses Metaphysik-Modell keine Erste Philosophie (keine wirkliche Darstellung des Ganzen) sein kann. Es geht daher darum, eine Konzeption des Unendlichen zu entfalten, die wirklich ontologisch/transzendental und nicht kategorial ist. Es geht somit darum, eine Form des Fundaments zu finden, die wirklich allumfassend ist. In Hegelscher Diktion: Es geht darum, eine wahrhafte Unendlichkeit zu entfalten. Diese kann im Kurzen folgendermaßen skizziert werden: Die wahre ontologische Unendlichkeit ist diejenige, die den ganzen ontologischen Raum verein Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TW 8, § 95 Anm., 201 f.

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3.1 Duns Scotus’ ontische Transzendenz

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nahmt. Es gibt folglich kein ,neben dem‘ Unendlichen. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Bestehen des Endlichen (in Parmenideischer Manier) verneint wird. Nur: Das wirkliche Bestehen soll als ein Bestehen im Unendlichen konzipiert werden. Anders formuliert: Das Unendliche drückt sich durch das Endliche aus und dieses ist als solches im Unendlichen. Das heißt aber, dass diese neue Perspektive eine ist, die die dualistische Position der ontischen Metaphysik ablehnt und eine monistische und immanentistische Konzeption hervorhebt. Die Immanenzauffassung erweist sich somit als etwas Fundamentaleres und Allgemeineres als die ontische Transzendenz. Diese transzendentale Konzeption der Unendlichkeit kann durch Rekurs auf eine weitere Hegelsche Notion erklärt werden, die an dieser Stelle eine wichtige Rolle spielt: die Idealität. Laut Hegel haben Endliches und (schlechtes und quantitatives) Unendliches grundsätzlich eine Daseinsstruktur. Es geht nämlich um zwei Entitäten, die gleichgültig nebeneinanderstehen. Deren Relation bewegt sich nur an der Oberfläche. Hegel schreibt dazu: Das Dasein, zunächst nur nach seinem Sein oder seiner Affirmation aufgefaßt, hat Realität (§ 91), somit ist auch die Endlichkeit zunächst in der Bestimmung der Realität. Aber die Wahrheit des Endlichen ist vielmehr seine Idealität. Ebensosehr ist auch das VerstandesUnendliche, welches, neben das Endliche gestellt, selbst nur eins der beiden Endlichen ist, ein unwahres, ein ideelles.40

Die ideelle Dimension ist die Negation dieser ,Gleichgültigkeit‘ und somit wiederum des Dualismus, der diese Konzeption des Endlichen und Unendlichen auszeichnet. Idealität ist aber auch Ausdruck der ,positiven‘ und ,fruchtbaren‘ Dimension der Negativität und des Andersseins. Mit anderen Worten: Sie ist Ausdruck der Tatsache, dass das Endliche in Wahrheit das ist, wodurch sich das wirklich allumfassende Unendliche manifestiert. Es ist außerdem interessant zu bemerken, dass Hegel auch die religiöse und theologische Dimension der Idealität hervorhebt: Der Satz, daß das Endliche ideell ist, macht den Idealismus aus. Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu ihrem Prinzip, und die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist. Die Philosophie ist es sosehr als die Religion; denn die Religion anerkennt die Endlichkeit ebensowenig als ein wahrhaftes Sein, als ein Letztes, Absolutes, oder als ein NichtGesetztes, Unerschaffenes, Ewiges.41

Diese Konzeption der Idealität wird sogar als der Hauptsatz der Philosophie definiert:  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TW 8, § 95 Anm., 203.  Georg W. F. Hegel, Die Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik, TW 5, 172.

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

Diese Idealität des Endlichen ist der Hauptsatz der Philosophie, und jede wahrhafte Philosophie ist deswegen Idealismus. Es kommt allein darauf ein, nicht das für das Unendliche zu nehmen, was in seiner Bestimmung selbst sogleich zu einem Besonderen und Endlichen gemacht wird.  – Auf diesen Unterschied ist deswegen hier weitläufiger aufmerksam gemacht worden; der Grundbegriff der Philosophie, das wahrhafte Unendliche, hängt davon ab.42

Wahre Philosophie ist also Idealismus und Idealismus ist Ausdruck der wahrhaften Unendlichkeit. Diese Identität von Philosophie und Idealismus erhält nun eine zweifache Bedeutung: Wahre Erste Philosophie ist 1.) da (wie wir schon hervorgehoben haben), wenn die ursprüngliche Einheit in den Vordergrund rückt. 2.) Philosophie ist aber auch erst dann da, wenn diese Einheit wahrhaft unendlich ist, und das heißt wiederum, wenn sie allumfassend ist und die Unterschiede in sich hat. Die ontische Transzendenz scheitert als Erste Philosophie vor allem wegen dieses zweiten Punkts. Sie ist eine Perspektive, bei der die fundamentale Einheit endlich bleibt, weil sie etwas neben sich bestehen lässt. Das wahre Subjekt der Ersten Philosophie ist daher der allumfassende Gott. Verlangt wird deshalb wiederum eine Immanenzperspektive, die das Unendliche (Gott) tatsächlich als die allumfassende Totalität versteht. Diese Immanenzkonzeption zeigt sich aber am besten in einem Spinozistischen Philosophie-Modell und dies soll im folgenden Kapitel analysiert werden.

3.2 Zusatz: Eine kurze Bemerkung zu einem alternativen Thomistischen Modell Auch wenn das Scotische Model für die Entwicklung dieser Arbeit zentral ist, ist es wichtig, zumindest eine knappe Bemerkung zu einem alternativen Modell zu formulieren, das für die scholastische Metaphysik bedeutsam ist und, zumindest indirekt, auch eine gewisse Verbindung mit diesem Projekt hat. Dabei geht es um ein Modell, das man Thomistisch nennen könnte. Worin besteht das Grundmerkmal dieses Modells? Wiederum ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen der ontologischen und der theologischen Dimension der Metaphysik zentral. Die Antwort kann nun durch einen Kontrast mit der Auffassung des Scotus formuliert werden: Wenn im Kontext der Scotischen Konzeption Gott als ein Teil der Metaphysik betrachtet werden kann, ist im Falle von diesem zweiten Modell Gott als Ursache des Subjektes43 selbst zu verstehen.44  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, TW 8, § 95 Anm., 203.  Den Terminus übernehme ich wiederum von Albert Zimmermann. 44  Thomas Aquinas, In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, Prooemium, hg. von M.-R. Cathala und R. Spiazzi, Turin/Rom 1950, 1 f. 42 43

3.2 Zusatz

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Was bedeutet dies genauer? Zunächst lässt sich sagen, dass auch dieses Modell eine Avicennische Ausgangsperspektive übernimmt. Mit anderen Worten: Das eigentliche und unmittelbare Subjekt der Metaphysik ist nicht Gott, sondern das Seiende als solches. Die theologische Metaphysikvermittlung hat allerdings ein anderes Ergebnis, weil sie Gott als ein Prinzip erscheinen lässt, das das Subjekt selbst begründet. Wie ist diese These zu verstehen? Das eigentliche Subjekt der Metaphysik (das Seiende als solches), das Thomas ens commune nennt, zeigt sich durch die Vermittlung als etwas Depotenziertes und Abgeleitetes. Mit anderen Worten: Das ens commune erweist sich als ein ens creatum, das wiederum auf das göttliche esse subsistens verweist. Die metaphysische Inferenz ist somit keine Artikulation des ontologischen Raumes, sondern wiederum dessen Begründung. Aber spricht dies nicht gegen die Konzeption der Unbegründbarkeit des Subjektes einer Wissenschaft und damit gegen ihre Einheit? Dies ist nicht der Fall, denn, laut Thomas, ist es Aufgabe derselben Wissenschaft sowohl das eigene Subjekt als auch seine Prinzipien zu untersuchen. Um diese Idee zu erklären, verweist Thomas auf ein Beispiel: Die Naturphilosophie betrachtet nicht nur die Bewegung, sondern auch deren Prinzipien, nämlich Materie und Form. Was für Konsequenzen sind mit dieser Auffassung verbunden? Zunächst kann man sagen, dass diese Position der Transzendenz Gottes (dem Averroistischen Anliegen) stärker Rechnung trägt, denn es gibt hier keinen gemeinsamen Horizont zwischen Gott und dem Nichtgöttlichen. Allerdings scheint diese Dimension, zumindest so formuliert, gewisse Probleme zu implizieren.45 Denn, wenn wir an dieser Idee einer begründenden Inferenz festhalten, ergibt sich folgende Schwierigkeit: Die Begründung des Subjektes impliziert, wie bereits oben erwähnt, eine Form von Transzendierung. Wenn nun aber das Seiende tatsächlich für die Totalität steht, dann gibt es keinen Raum für diese Transzendierung und diese findet nicht wirklich statt. Wenn hingegen eine Übersteigung und Begründung wirklich stattfindet, dann ist das, was überstiegen und begründet wird, nicht der Forschungsbereich der Metaphysik, sondern etwas Eingegrenztes (der Bereich der zweiten Philosophie). Kurzum: Wenn die Vermittlung eine Begründung und Übersteigung ist, dann geht es um eine physikalische Vermittlung (Averroistische Auffassung). Wenn hingegen diese Vermittlung eine wirklich metaphysische ist, dann geht es nicht um eine Übersteigung und Begründung des Subjektes, sondern um dessen innere Artikulation (Avicennische Auffassung).

45  Ich orientiere mich an einer Position, die z. B. von Stephen Dumont entwickelt wurde. Vgl. Dumont, Scotus’ Doctrine of Univocity.

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3. Die ontische Transzendenz und ihre Vermittlung

Zusammenfassend: Wenn wir an dieser inferenziellen Dimension festhalten, scheint es keinen wirklichen Mittelweg zwischen dem Avicennischen und Averroistischen zu geben. Es gibt allerdings vielleicht eine weitere mögliche Alternative: Die Erfassung des ens comune als ens creatum und der Verweis auf das ipsum esse subsistens braucht nicht unbedingt als das Ergebnis einer Inferenz verstanden zu werden, zumal auch für Thomas Gott an sich das Offenbarste ist. Dies bedeutet: Die naturtheologische Dynamik (die Argumente für die Existenz Gottes und die Ableitung der göttlichen Attribute) wäre nicht so sehr als eine Inferenz im strengen Sinne des Wortes zu verstehen, sondern als eine geistige Übung, um die göttliche Transzendenz unmittelbar zu erfassen. Das ist die Richtung, welche die ontologische Transzendenz auszeichnet und die von Autoren wie Meister Eckhart thematisiert wurde. Das soll aber im zweiten Teil dieser Arbeit dargestellt werden.

4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza) 4.0 Kurze allgemeine methodologische Vorbemerkung Die immanenzmetaphysische Position wird in dieser Arbeit anhand von zwei Autoren dargestellt: Spinoza und Hegel. Diese zwei Denker stehen als Stellvertreter für zwei Momente einer erstphilosophischen Konzeption. Dies bedeutet, dass die modellhafte Herangehensweise bei der Interpretation dieser Autoren wiederum im Vordergrund steht. Es geht mit anderen Worten um ein Spinozistisches und ein Hegelsches Metaphysikmodell. Das zweite Modell wird außerdem als eine Vervollkommung des ersten dargestellt. In dieser Hinsicht schließt sich diese Arbeit einer ,idealistischen Interpretationsrichtung‘ an. Dies heißt einerseits, dass die Auffassung Spinozas als eine Art ,unvollkommene idealistische‘ Position interpretiert wird, und andererseits, dass die Hegelsche Auffassung als eine entwickeltere Form des Spinozismus dargestellt wird. Die allgemeine Frage, die sich stellt, ist nun die folgende: Warum gerade diese Interpretationsrichtung? Weil die Frage nach der Realität der Vielheit in Gott besonders in den Vordergrund rückt1 und diese Thematik wiederum zentral für die Struktur der Immanenzmetaphysik ist. Zu diesem Kapitel: Es soll einerseits anhand einer Auseinandersetzung mit der Philosophie Spinozas die Perspektive der Immanenzmetaphysik einführen, andererseits soll es auch eine erste Kritik an dieser Metaphysikform formulieren.

1 Harold Joachim, wahrscheinlich der größte Spinozainterpret unter den Hegelianern, schreibt Folgendes: „In one sense, it is true, the whole problem of the Ethics is summed up in the question ,How can we conceive the being of multiplicity in God?‘“, in: Harold Joachim, A Study of the Ethics of Spinoza, New York 1964, 220. Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Samuel Newlands, „More Recent Idealist Readings of Spinoza“, Philosophy Compass 6/2 (2011), 100–108, sowie Ders., „Hegel’s Idealist Reading of Spinoza“, Philosophy Compass 6/2 (2011), 109–119.

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

4.1 Einleitung: Der ontologische und epistemologische Vorrang des Unendlichen In einer interessanten Passage seines Hauptwerks, der Ethik nach geometrischer Ordnung dargestellt, gibt Spinoza einen wichtigen, in kontrastiver Form for­mu­ lierten Einblick in seine methodologische Konzeption. Laut Spinoza beruhe der Mangel älterer Auffassungen auf einem Missverständnis bezüglich der Natur Gottes und diese sei wiederum auf eine falsche Ordnung des Philosophierens zurückzuführen (ordo philosophandi). Mit den Worten Spinozas: Denn die göttliche Natur, die sie vor allem anderen hätten betrachten müssen, weil sie sowohl der Erkenntnis wie der Natur nach das erste ist, hielten sie für das letzte im Gang der Erkenntnis, und die Dinge, die man Gegenstände der Sinne nennt, für das erste, das allem vorangeht.2

Das Neue an der Konzeption Spinozas ist also das folgende: Gott ist das primum cognitum. Die von ihm kritisierte Position ist deshalb unangemessen, weil sie (wenn überhaupt) nur von einem ontologischen aber nicht von einem epistemologischen Vorrang Gottes ausgeht. Das bedeutet aber, dass die korrekte Herangehensweise diejenige ist, nach der Gott nicht nur das Erste nach der ordo essendi ist, sondern auch nach der ordo cognoscendi. Was versteht aber Spinoza unter ,Gott‘? Gerade am Anfang der Ethik erfolgt eine Definition Gottes: Unter Gott verstehe ich ein unbedingt unendliches Seiendes, d. h. eine Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige und unendliche Essenz ausdrückt. Erläuterung: Ich sage „unbedingt“ und nicht „in seiner Gattung“ unendlich. Was nämlich nur in seiner Gattung unendlich ist, dem können wir unendliche Attribute absprechen […]; was hingegen unbedingt unendlich ist, zu dessen Essenz gehört, was auch immer Essenz ausdrückt und keine Verneinung in sich schließt.3

Zur Thematik der Substanz und der Attribute werde ich in Kürze zurückkommen. Wichtig ist an dieser Stelle folgender Punkt: Auch Spinoza erläutert, wie Scotus, die Konzeption Gottes anhand der Idee der Unendlichkeit. Diese wird außerdem als eine transkategoriale Unendlichkeit erfasst. Es geht nämlich um keine Unendlichkeit secundum quid, sondern um eine absolute. Eine Besonderheit taucht aber von Anfang an auf: Diese absolute Unendlichkeit schließt jegliche Dimension von Negativität aus. Oder, positiv ausgedrückt, Gott umfasst die Gesamtheit des Positiven. Auf den Punkt gebracht: Diese Dimension von 2  Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt/Ethica ordine geometrico demonstrata, Hamburg 2010, II 10 Sc., 119. 3  Spinoza, Ethica, Def. 6, 5 f.

4.1 Einleitung

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Unendlichkeit impliziert Totalität.4 Hier weicht, zumindest prima facie, der Weg Spinozas von demjenigen Scotus’ ab. Denn Unendlichkeit wird nicht als etwas verstanden, das einen Teil des ontologischen Raumes beansprucht, sondern das mit dem gesamten ontologischen Raum koinzidiert. Auch zu diesem Punkt sollen wir später zurückkommen. Zentral für die vorliegende Studie ist folgende Idee: Gott wird einerseits ein Totalitätscharakter zugesprochen und gleichzeitig wird er unmittelbar erfasst. Aus diesem Grund haben Spinoza-Forscher zurecht von einem (ontologischen und epistemologischen) Vorrang des Unendlichen gesprochen.5 Dies sind aber gerade die fundamentalen Charakterzüge der Evidenzmetaphysik. Das heißt, dass die Spinozistische Auffassung explizit mit einer antiinferenzialistischen Haltung auftritt und dass sie sich explizit als eine Evidenzmetaphysik präsentiert. Da sich nun diese Metaphysikauffassung auch (und das sollen wir im Folgenden genauer sehen) explizit als Immanenzmetaphysik versteht, sehen wir eine Position in Erscheinung treten, die für diese Arbeit zentral ist: Der Immanenzcharakter einer metaphysischen Auffassung ist eng verbunden mit einer evidenzialistischen Konzeption. Denn, wenn Gott wirklich allumfassend (total) ist, dann kann Er nicht Resultat einer Inferenz sein, weil diese gerade nur ein Stück von Realität zum Ausdruck bringt, das wiederum nicht absolut selbstmanifest ist. Die Spinozistische Auffassung gilt daher, aus der Perspektive dieser Arbeit, zu Recht als Paradebeispiel einer Immanenzmetaphysik, weil sie ihre fundamentalen Merkmale (ontologische Totalität und epistemologische Unmittelbarkeit) exemplifiziert. Allerdings: Auch Spinoza geht nicht einfach von einer unmittelbaren Existenz Gottes aus. Im Gegenteil: Er führt eine Reihe von Argumenten ein und entwickelt eine strukturierte Herangehensweise. Die Frage, die sich stellt, ist nun, ob diese argumentative Struktur mit dem Immanenzcharakter seiner Metaphysik kompatibel ist, oder, anders gewendet, ob diese methodologische Konzeption den Unmittelbarkeits‑ und Totalitäts-Charakter Gottes verletzt. In diesem Kapitel sollen daher folgende Punkte hervorgehoben werden: Zum einen soll gezeigt werden, dass die Spinozistische Auffassung eine Evidenzmetaphysik in Form einer Immanenzmetaphysik darstellt und dass diese Auffassung eine pantheistische Konzeption impliziert. Zum anderen sollen einige Schwierigkeiten, die mit diesem Modell verbunden sind, erläutert werden. 4 Die These wird z. B. von Jonathan Bennet folgendermaßen expliziert: „Nobody doubts that Spinoza takes infinity to entail totality“, in: Jonathan Bennet, A study of Spinoza’s Ethics, Cambridge 1984, 76. 5  Vgl. dazu unter anderem Yitzhak Y. Melamed, „The Metaphysics of the Theological-Political Treatise“, in: ders./Michael A. Rosenthal (Hgg.), Spinoza’s ,Theological-Political Treatise‘, Cambridge 2010, 128–142, und Wolfgang Röd, Benedictus de Spinoza. Eine Einführung, Stuttgart 2002, 192 f.

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik (Grundlinien der Spinozistischen Metaphysik) 4.2.1 Der Parmenideische Charakter der Spinozistischen Substanz Im Folgenden werde ich versuchen, die Grundlinien der Spinozistischen Ersten Philosophie zu skizzieren. Dabei soll die Idee der Immanenz im Vordergrund stehen. Diese Position soll anhand einer Auseinandersetzung mit der Ethik Spinozas erfolgen. Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung ist das erste Axiom der Ethik Spinozas: Alles, was ist, ist entweder in sich selbst oder in einem anderen.6

Die Ethik geht von einer fundamentalen Zweigeteiltheit der Realität überhaupt aus7: das In-Sich-Sein und das In-einem-Anderen-Sein.8 Das ist gerade für die hier besprochene Thematik besonders wichtig, denn es wird klar, dass sich die Ethik auf die Totalität bezieht und somit einen erstphilosophischen Charakter besitzt. Gleichzeitig zeigt sich, dass diese Totalität von Anfang an aus einer immanentistischen Perspektive interpretiert wird. Denn das Sein des Relativen (des Nicht-Absoluten) wird als etwas konzipiert, das in einem anderen ist. Das zweite Axiom führt nun eine weitere Zweiteilung ein. Diese ist allerdings begrifflicher Natur: Was durch ein anderes nicht begriffen werden kann, muß durch sich selbst begriffen werden.9

Spinoza konzipiert nun diese Entzweiung, die sich auf ontologischer und begrifflicher Ebene abspielt, als etwas Einheitliches. Das Sein in sich und das BegriffenWerden durch sich, sowie das Sein in einem anderen und das Begriffen-Werden durch ein anderes, gehören also zueinander.

 Spinoza, Ethica, Ax. I, 7.  Für eine kategorische (und damit nicht hypothetische) Interpretation dieses Satzes spricht der Beweis zum 4. Satz des 1. Buches der Ethik. Dort schreibt Spinoza: „Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen (nach Axiom 1), d. h. (nach Definition 3 und 5), außerhalb des Verstandes gibt es nichts als Substanzen und deren Affektionen. (Herv. R.V.)“ Zu dieser Thematik vgl. z. B. Manfred Walther, Metaphysik als Anti-Theologie, Hamburg 1971, 38 f. 8 Mit dieser Zweiteilung des Realen in seiner Ganzheit scheint nun Spinoza eine Richtung einzuschlagen und zu vertiefen, die die Aristotelisch geprägte mittelalterliche Tradition bereits auszeichnet. Denn auch diese, anhand einer Radikalisierung und Essentialisierung von Aristoteles’ Kategorienlehre, unterteilt das Reale überhaupt (das Seinede/to on/ens) in das, was in sich selbst ist und was in einem anderen ist. Zu dieser Thematik, vgl. Harry A. Wolfson, The Philosophy of Spinoza, Bd. 1, New York 1969, 61–63. 9  Spinoza, Ethica, Ax. II, 7. 6

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4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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Diese Zusammengehörigkeit wird durch die zwei Hauptkategorien der Spinozistischen Metaphysik expliziert: Substanz und Modus. Diese werden folgendermaßen definiert: Unter Substanz verstehe ich das, was in sich selbst ist und durch sich selbst begriffen wird […]. Unter Modus verstehe ich die Affektionen einer Substanz, anders formuliert das, was in einem anderem ist, durch das es auch begriffen wird.10

Wir sehen hier wiederum, dass die Substanz nicht einen bloßen ontologischen Vorrang hat. Durch die begriffliche Dimension klingt nämlich auch der epistemologische Vorrang nach. Der Modus ist aber nicht bloß auf ontologischer Ebene von der Substanz abhängig, sondern auch begrifflich. Wir sollen uns nun zunächst auf die Thematik der Substanz konzentrieren, denn, wie oben bereits erwähnt, ist es diese Kategorie, die für die Spinozistische Notion von Gott fundamental ist. Bevor wir diese Thematik behandeln, sollen wir uns aber mit einer zentralen Idee der Philosophie Spinozas befassen, nämlich der Idee der causa sui (Ursache seiner selbst). Dazu schreibt er: Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Essenz Existenz einschließt, anders formuliert das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.11

Anders ausgedrückt: Etwas ist nicht nur Ursache seiner selbst, wenn es nicht durch etwas Anderes verursacht wird. Denn dies würde nicht seine schiere Faktizität ausschließen. Etwas ist Ursache seiner selbst, wenn es positiv selbstverursacht ist. Ich verstehe nun diese positive Selbstverursachung nicht so, als ob sich das Selbstverursachte (im Sinne der causa efficiens) hervorbringen würde, sondern in einem etwas deflationären Sinne, wonach die eigentliche Absolutheit intrinsisch und logisch ist und jegliche Faktizität ausschließt. Dies entspricht der rationalistischen Natur der Philosophie Spinozas, die die alldurchdringende Kraft des Logos hervorhebt. Dies bedeutet: Etwas ist Ursache seiner selbst, wenn sich die Negation seiner Existenz nicht positiv formulieren lässt. Dies heißt wiederum: Etwas ist Ursache seiner selbst, wenn es evident ist, denn, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, evident ist gerade das, was seine Negation überhaupt nicht zulässt. Die Spinozistische Konzeption übernimmt nun diese Grundidee: Die Substanz behält (qua Ursache ihrer selbst) einen Evidenzcharakter, der wiederum mit ihrer Unbegrenztheit (Unendlichkeit) verbunden ist. Das lässt sich anhand der in der Ethik vertretenen Position explizieren. Es ist zunächst interessant zu bemerken, dass Spinoza die These der notwendigen Existenz fast an den Anfang des ersten Buches der Ethik (E I 7) stellt und dass die These der Unendlichkeit der Substanz die darauffolgende ist (E I 8). Mit den Worten Spinozas:  Spinoza, Ethica, Def. III und V, 5.  Spinoza, Ethica, Def. I, 5.

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

Zur Natur einer Substanz gehört es zu existieren.12

Und: Jede Substanz ist notwendigerweise unendlich.13

Es ist nun wichtig Spinozas modus philosophandi zu betrachten. Denn die Unendlichkeit einer Substanz lässt sich, laut Spinoza, unmittelbar aus dem 7. Satz ableiten. Endlichkeit impliziert nämlich eine partielle Verneinung einer bestimmten Natur, während Unendlichkeit die „unbedingte Bejahung der Existenz irgendeiner Natur“ ist. „Nähme man“ also „eine endliche Substanz an, dann spräche man ihrer Natur partiell die Existenz ab, was (nach dem genannten Lehrsatz (dem 7. Lehrsatz, Anm. R. V.) widersinnig ist)“.14 Dies bedeutet: Die absolute ontologische Fundamentalität der Substanz impliziert die Tatsache, dass die Substanz ,totale Existenz‘ ist. Spinoza bemerkt allerdings nicht nur, dass sich der 8. Lehrsatz aus dem 7. ableiten lässt, sondern auch, dass der 7. Lehrsatz als eine Evidenz bzw. etwas Axiomatisches zu verstehen ist. Mit seinen Worten: Hätten Menschen jedoch die Natur von Substanz im Blick, würden sie die Wahrheit von Lehrsatz 7 keinen Augenblick in Zweifel ziehen. Für alle wäre dieser Lehrsatz in der Tat ein Axiom und würde zu den Gemeinbegriffen gezählt werden.15

Dies bedeutet aber schließlich: Die substanzielle Absolutheit, die auf ihre Unendlichkeit und damit Grenzenlosigkeit verweist, ist evident. Die notwendige Existenz der Substanzialität ist aber, wie oben kurz erwähnt, Ausdruck schierer Existenz und damit grenzenloser Positivität. Im Kontext der Spinozistischen Philosophie bedeutet dies, dass sich diese Grenzenlosigkeit nicht nur auf ein Attribut beziehen kann. Denn, wie Spinoza im Lehrsatz 9 (E I 9) schreibt: Je mehr Realität oder Sein ein jedes Ding hat, umso mehr Attribute kommen ihm zu.16

Was bedeutet dieser Hinweis auf die Attribute genauer? Zunächst sollen wir auf die Definition der Attribute verweisen: Unter Attribut verstehe ich das, was der Verstand an einer Substanz als deren Essenz ausmachend erkennt.17

Die Rolle und die Natur des Attributes im Kontext der Spinozistischen Philosophie ist ziemlich umstritten.18 Man kann allerdings folgende allgemeine  Spinoza, Ethica, I 7, 13. Ethica, I 8, 13. 14 Spinoza, Ethica, I 8, 15. 15 Spinoza, Ethica, I 8 Sc. 2., 15 (Herv. R. V.). 16  Spinoza, Ethica, I 9, 19. 17  Spinoza, Ethica, Def. IV, 5. 18  Für einen umfassenden und übersichtlichen Überblick über die Natur der Attribute, vgl. 12

13 Spinoza,

4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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Bemerkungen anführen: Attribute haben einerseits eine ,objektive‘ Dimension, denn sie konstituieren das Wesen der Substanz. Andererseits haben sie auch eine ,subjektive‘ Dimension, denn sie sind das, was vom Verstand erkannt wird. Die Interpretation der Natur der Attribute variiert je nachdem, ob die subjektive oder die objektive Dimension hervorgehoben wird. Unabhängig davon lässt sich feststellen, dass durch das Attribut einerseits die Essenz der Substanz in Erscheinung tritt, andererseits geschieht dies aber nur in einer bestimmten Hinsicht (secundum quid). Es geht somit zwar um die Substanz, aber nicht vollständig als Substanz. Dies bedeutet: Die Substanz an sich kann als die schrankenlose und notwendige Existenz erfasst werden und somit als jene Entität, die die Ganzheit der Attribute umfasst. In der Anmerkung zum 10. Lehrsatz formuliert Spinoza die These folgendermaßen: Weit entfernt, daß es widersinnig wäre, ein und derselben Substanz mehrere Attribute zuzuschreiben, ist im Gegenteil der Sache nach nichts klarer, als daß jedes Seiende unter irgendeinem Attribut begriffen werden muß und daß, je mehr es Sein und Realität hat, es umso mehr Attribute hat, die sowohl Notwendigkeit, also Ewigkeit, als auch Unendlichkeit ausdrücken. Folglich ist auch nichts klarer, als daß ein unbedingt unendliches Seiendes zwingend als ein Seiendes zu definieren ist (wie wir es in Definition 6 getan haben), das aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen jedes eine bestimmte ewige und unendliche Essenz ausdrückt.19

Dieses unbedingt unendliche Seiende ist aber gemäß der Definition VI Gott. Damit lässt sich sagen, dass Gott die eigentliche Natur der Substanz zum Ausdruck bringt. Mit anderen Worten: Gott ist, qua Ausdruck der Absolutheit und der Grenzenlosigkeit in jeglicher Hinsicht, Substanz in reiner Form. Aus diesem Grund kann Spinoza in dem darauf folgenden Lehrsatz 11, und zwar schon im ersten Argument, zeigen, dass Gott notwendigerweise existiert. Denn Gott ist Substanz durch und durch und folglich notwendigerweise existent. Damit zeigt die Spinozistische Substanz eine gewisse Verwandtschaft mit dem Sein des Parmenides, denn dieses ist wie jene das immer schon erfasste Absolute, das keine Negation zulässt. Es ist das Fundament, das gleichzeitig Totalität ist.20 Die Frage, die sich stellt, ist allerdings die folgende: Trotz dieses Evidenzcharakters beginnt die Ethik nicht unmittelbar mit der Betrachtung der Natur den Artikel der Stanford Encyclopedia: Noa Shein, „Spinoza’s Theory of Attributes“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2018 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = . 19 Spinoza, Ethica, I 10 Sc., 21. 20 Für diese Richtung der Interpretation spricht auch die Tatsache, dass in der Substanz des Spinoza sowohl die prädikative Dimension der Substanz (als der immer-schon-verstandene Träger der Prädikation) als auch die Absolutheit bzw. Unverursachtheit (die Aristotelische und die Cartesianische Seite) verbunden werden. Zu dieser Thematik vgl. Yitzhak Y. Melamed, „The Building Blocks of Spinoza’s Metaphysics“, in: Michael Della Rocca (Hg.), The Oxford Handbook of Spinoza, New York 2018, 84–113, hier: 85–89.

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

Gottes und nicht einmal mit der notwendigen Existenz der Substanz. Sie geht hingegen von einer Analyse der Attribute aus. Warum ist dies der Fall? José María Sánchez hat die These aufgestellt21, dass diese ,Verspätung‘ der Notion Gottes mit der Tatsache verbunden ist, dass Attribute (da sie in den allgemeinen Notionen verankert sind) für uns zugänglicher sind. Beim Übergang zur eigentlichen Notion von Gott gehe es allerdings nicht um eine Änderung des Gegenstandes, sondern um eine Änderung in der Betrachtung desselben Gegenstandes. Ich schließe mich nun dieser Interpretation an, allerdings mit einem caveat. Denn der Übergang von der Perspektive der Attribute zu derjenigen der göttlichen Substanz ist nicht als eine Inferenz zu verstehen, sondern als eine Reinigung der Betrachtungsweise, als eine resolutio, die das zum Ausdruck bringt, was an sich immer schon manifest ist. Der Übergang kann daher historisch mit demjenigen verglichen werden, der von der milesischen mythisch-geprägten Betrachtungsweise zur philosophisch geprägten Parmenideischen Betrachtungsweise stattfindet. Warum verhält es sich so? Auch in diesem Kontext tritt (durch die Parmenideische Auffassung) das in Erscheinung (nämlich die eigentliche Natur des Prinzips), was von den Milesiern immer schon intendiert wurde, aber nur indirekt und in verdinglichter Form zum Ausdruck kam. 4.2.2 Immanenz als Pantheismus Die Erstheit des Spinozistischen Absoluten und damit der Substanz hat daher einen Parmenideischen Charakter, denn das Absolute, qua schiere grenzenlose Existenz, erweist sich als etwas Evidentes. An dieser Stelle trennt sich aber die Perspektive des Spinoza von derjenigen des Parmenides, weil dieser Totalitätscharakter nicht die Existenz des Nicht-Göttlichen ausschließt, sondern sie ,integriert‘. Ein erster anti-parmenideischer Hinweis ist bereits die Tatsache, dass die Substanz als omnitudo realitatis verstanden wird, die die Vielheit der Attribute in sich enthält. Die eigentliche anti-parmenideische Pointe kommt aber dadurch zum Ausdruck, dass auch das Nicht-Göttliche (die Dimension der Vielheit) miteinbezogen wird und zwar in der Form des Modus. Wie ist nun diese These zu verstehen? Zunächst hebt Spinoza den erreichten Punkt hervor: Es gibt kein zweites Prinzip neben der Substanz (es gibt keinen Gott neben Gott) und dies bedeutet (gemäß Axiom 1), dass alles, was nicht Gott ist, in Gott ist und ohne Gott nicht begriffen wird (Lehrsatz 15).

21 Vgl. José María Sánchez, „Given or Attained? Divine Knowledge in Spinoza“, in: Ermylos Plevrakis/Max Rohstock (Hgg.), Grundlegung des Absoluten, Heidelberg 2019, 171–198.

4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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Daraus ergibt sich aber eine Konzeption, nach der das Nicht-Göttliche als eine Eigenschaft Gottes zu verstehen wäre. Mit anderen Worten: Das Nicht-Göttliche bzw. der Modus inhäriert Gott. Andererseits: Gott ist nicht einfach als ein statisches Substrat zu verstehen, sondern als eine aktive Ursache. Mit den Worten Spinozas: Aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur muß unendlich vieles auf unendlich viele Weisen folgen (d. h. alles, was unter einen unendlichen Verstand fallen kann).22

Unabhängig von der epistemischen Dimension, zu der wir später zurückkommen sollen, lässt sich sagen, dass an dieser Stelle das Nicht-Göttliche als etwas erfasst wird, das aus Gott folgt und somit als etwas, das als eine Wirkung Gottes bezeichnet werden darf. Es ergibt sich daher eine Spannung sowohl mit Bezug auf die doppelte Natur des als Modus erfassten Nicht-Göttlichen, d. i. als Eigenschaft und Wirkung, als auch mit Bezug auf die doppelte Natur Gottes, d. i. als Substrat und Ursache. Diese Spannung hat sich auch im Kontext der Spinoza-Forschung gezeigt. Bereits Pierre Bayle vertrat (und kritisierte) die Idee, nach der im Kontext des Spinozistischen Systems Dinge Eigenschaften Gottes sind. Andererseits hat in neuerer Zeit Edwin Curley23 auf eine paradigmatische Art und Weise diese Interpretationsrichtung kritisiert und die interpretatorische These vertreten, dass Modi als Wirkungen Gottes zu verstehen sind und dieser wiederum als Ursache.24 Wenn diese zwei Auffassungen in einer extremen und etwas kruden Form betrachtet werden, dann lässt sich feststellen, dass mit Bezug auf die Natur Gottes eine doppelte Schwierigkeit entsteht, d. i. sowohl aus der Perspektive des Inhärenzmodells als auch aus der Perspektive des Kausalitätsmodells. Betrachten wir zunächst das Inhärenzmodell: Zwar erhält nach dieser Auffassung Gott einen Totalitätscharakter, denn alles wird in Gott einverleibt. Allerdings haben Modi als Eigenschaften eine Dimension der Faktizität und verweisen auf eine passive Seite des Trägers, die gegen die Spinozistische Auffassung Gottes spricht und gegen den rationalistischen Anspruch dieser Philosophie. Betrachten wir nun das Kausalitätsmodel: In diesem Kontext hat Gott zwar eine aktive Dimension, diese Auffassung reduziert ihn aber auch auf eine ausgezeichnete Portion von Realität, nämlich die Ursache, die mit dem Ganzen nicht koinzidiert. Gott im eigentlichen Sinne ist also nur die Substanz (und ihre Attribute), die Modi haben hingegen einen außergöttlichen Charakter. Wie lässt sich nun dieser Spannung und den damit verbundenen Schwierigkeiten begegnen? Eine mögliche Lösung, an der ich mich an dieser Stelle ori Spinoza, Ethica I 16, 41.  Vgl. Z. B. Curley, Spinoza’s Metaphysics, Cambridge 1969. 24  Steven Nadler, hat eine einleuchtende Darstellung dieser zwei Interpretationsrichtungen verfasst. Dazu vgl. Steven Nadler, „,Whatever is, is in God‘: Substance and Things in Spinoza’s Metaphysics“, in: Charlie Huenemann (Hg.), Interpreting Spinoza, New York 2008, 53–70. 22 23

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

entiere, ist diejenige, die beide Aspekte vereinigt. Dies bedeutet zunächst: Gott ist als immanente Ursache25 zu verstehen. Spinoza selbst formuliert diese These: Gott ist die immanente, nicht aber die übergehende Ursache aller Dinge.26

Welche Konsequenzen hat diese Auffassung in unserem Kontext? Diese Unterscheidung zwischen immanenter und übergehender Ursächlichkeit ist bei der Aristotelisch geprägten scholastischen Tradition besonders wichtig. Thomas von Aquin gibt z. B. folgende Standarddefinition: „Es gibt aber zweierlei Tätigkeit eines Dinges, wie Aristoteles im 9. Buch der Metaphysik lehrt: die eine, die im Tätigen selbst verbleibt und die Vollkommenheit dieses Tätigen ist […] die andere aber, die auf ein äußeres Ding übergeht und die Vollkommenheit des durch die Tätigkeit Hervorgebrachten ist […].“27 Thomas spricht zwar an dieser Stelle von operatio, aber diese doppelte Dynamik lässt sich auf die Kausalität übertragen. Im ersten Fall (Immanenz) bleibt der Effekt in der Ursache selbst und fungiert als eine Vervollkommnung des Prinzips. Im zweiten Fall geht der Effekt über die Ursache hinaus. Interessant und passend sind an dieser Stelle auch die von Thomas gewählten Beispiele: Immanente Operation ist z. B. das Denken, weil der Gedanke im Denkvermögen bleibt und es aktualisiert. Eine transitive Operation ist hingegen z. B. das Sägen. Diese Tätigkeit bringt etwas hervor (vervollkommnet z. B. ein Stück Holz durch eine Formierung). Das, was hervorgebracht wird, ist aber eine externe Vervollkommnung. Für unsere Thematik hat diese Idee folgende Implikation: Gott ist qua causa immanens eine Ursache, die die Dimension des In-Seins bewahrt. Diese immanente Dimension der Kausalität hat außerdem eine weitere doppelte Bedeutung: Einerseits geht es um eine Form der Kausalität, die nicht auf etwas Äußerliches verweist. Der Zimmermann, der etwas sägt, benötigt, um diese Tätigkeit zu vollziehen, ein äußerliches Instrument, nämlich eine Säge. Das gilt aber nicht im Falle der Relation, die zwischen dem denkenden Vermögen und den Gedanken herrscht. Außerdem: Eine immanente Kausalität ist nicht einfach ratio fiendi, sondern ratio essendi. Das hervorgebrachte Möbel behält keine Abhängigkeit vom Zimmermann. Wenn dieser stirbt, geht jenes nicht zugrunde. Das gilt nicht für die immanente Kausalität: Der Gedanke ist vom Denkvermögen durchgehend abhängig. Wenn dieses entfällt, entfällt auch der Gedanke. Beide Aspekte werden explizit von Spinoza hervorgehoben: Denn einerseits betont er in Lehrsatz 17 die Tatsache, dass Gott nach den Gesetzen seiner Natur handelt (nur aus sich heraus) und dass er damit die einzige freie Ursache sei.  Zu dieser Thematik vgl. z. B. Walther, Metaphysik als Anti-Theologie, 54 f.  Spinoza, Ethica I 18, 49. 27  Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, II. hg. und übers. von Karl Albert und Paulus Engelhardt, Darmstadt 1992, 1. Kap., 3. 25 26

4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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Andererseits schreibt er im Folgesatz zum Lehrsatz 24 (Die Essenz der von Gott hervorgebrachten Dinge schließt nicht Existenz ein) Folgendes: Hieraus folgt, daß Gott nicht nur die Ursache dafür ist, daß Dinge zu existieren anfangen, sondern auch dafür, daß sie im Existieren verharren, anders formuliert (um einen scholastischen Ausdruck zu gebrauchen), daß Gott die Ursache des Seins der Dinge ist.28

Diese Spinozistische Idee von Gott als immanenter Kausalität soll an dieser Stelle präzisiert werden, denn die Position Spinozas hebt sich in mindestens einem fundamentalen Punkt von derjenigen ab, die ich bisher anhand des Thomistischen Beispiels skizziert habe. Gedanken sind nämlich normalerweise Ausdrücke, die ein Denkvermögen unterdrücken kann. Das scheint aber im Falle der Modi nicht so zu sein, denn, wie das oben erwähnte Zitat hervorhebt, geht es hier um notwendige Folgen. Spinoza verstärkt sogar diese Position in seiner Anmerkung zum 17. Satz des ersten Teiles. Er schreibt nämlich: Ich glaube jedoch klar genug gezeigt zu haben (siehe Lehrsatz 16), daß aus Gottes höchster Macht, d. h. aus seiner unendlichen Natur, unendlich vieles auf unendlich viele Weisen, also alles, notwendigerweise geflossen ist, anders formuliert, immer mit derselben und auf dieselbe Weise folgt, wie aus der Natur eines Dreiecks von Ewigkeit her und in Ewigkeit folgt, daß seine drei Winkel gleich zwei rechten sind.29

Angesichts dieses Zitats könnte man die Frage stellen, ob die Idee der immanenten Kausalität auf diejenige der logischen Implikation vollständig zurückgeführt werden kann. Anders ausgedrückt: Etwas (A) wird von etwas Anderem (B) immanent verursacht, wenn B aus A logisch folgt. Dies scheint aber nicht unproblematisch zu sein, und zwar deshalb, weil die Implikation (zumindest prima facie) eine doppelte Seite mit sich bringt: Wenn B aus A folgt, bringt B, zumindest partiell, etwas Neues hervor, das eine gewisse Selbständigkeit behält. Außerdem: Die logische Folgerung scheint eine Dimension von Dynamik ins Spiel zu bringen. Beide Aspekte sind allerdings in der Konzeption Spinozas nicht präsent. In den Lehrsätzen 21 und 22 schreibt er: Alles, was aus der unbedingten Natur irgendeines Attributes Gottes folgt, hat immer existieren und unendlich sein müssen, anders formuliert, ist durch ebendieses Attribut ewig und unendlich. Was auch immer aus irgendeinem Attribut Gottes folgt, insofern es von einer Modifikation modifiziert ist, die durch dieses Attribut notwendigerweise existiert und unendlich ist, muss ebenfalls notwendigerweise existieren und unendlich sein.30

 Spinoza, Ethica I 24 Cor., 57.  Spinoza, Ethica I 17 Sc., 45. 30  Spinoza, Ethica I 21, 22, 51–55. 28 29

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

Mit anderen Worten: Die Spinozistische Idee der Immanenz scheint jene zwei Aspekte der logischen Implikation auszuschließen, die ich oben erwähnt habe. Denn die Substanz ist in ihrer Unendlichkeit selbstmitteilend. Oder, von der anderen Seite betrachtet: Vom Unendlichen kommt nur Unendliches. Dies bedeutet, dass das, was hervorgebracht wird, etwas ist, das nicht ,neu‘ ist.31 Außerdem: Die göttliche Ursache ist nicht etwas, das sich progressiv entfaltet. Sie und ihre ,Produkte‘ sind ewig. Nun konzipiert Spinoza die Ewigkeit als etwas, das im Widerspruch zur Dauer steht. Ewig ist somit nicht im Aristotelischen Sinne das, was ewig lang in der Zeit dauert, sondern das, was im Platonischen Sinne die Zeit transzendiert und somit außerzeitlich ist. Dies bedeutet schließlich, dass die unendliche Substanz etwas ist, das immer schon vollständig entfaltet ist. Dies hat allerdings eine weitreichende Konsequenz, denn diese These impliziert, dass die wahre unendliche Substanz keine Einheit ist, die neben der Vielheit steht. Die wahre Substanz ist hingegen ein Prinzip, das sich mitteilt und die Vielheit durchdringt und regelt. Gleichzeitig ist die modale Vielheit eine, in der die Einheit widerscheint. Theologisch formuliert: Es geht nicht um einen Gott, der neben der Welt steht. Noch anders ausgedrückt: Gott ist eher mit einer göttlichen Ordnung zu vergleichen. Diese Thematik lässt sich auch folgendermaßen darstellen: Bekanntlich unterscheidet Spinoza zwischen natura naturans und natura naturata. Laut der hier vertretenen Interpretation des Spinozistischen Metaphysikmodells darf Gott nicht bloß mit der natura naturans identifiziert werden. Gott ist hingegen die Gesamtheit der Natur32. Das Motto Deus sive natura soll daher wortwörtlich interpretiert werden. Gleichzeitig soll man aber wiederum betonen, dass dies nicht den Aktualitätscharakter der Substanz ausschließt. Im Gegenteil, die Natur ist eine actuosa substantia. Mit anderen Worten: Die Spinozistische Substanz ist wie ein lebendiges Prinzip (eine substanzielle Form), in der alle Elemente wie Glieder eines lebendigen Organismus unmittelbar aufeinander verweisen. Noch stärker: Die Substanz ist, wie oben gesagt, ewig. Nun hat Boethius bekanntlich eine Standarddefinition der Ewigkeit gegeben. Diese lautet folgendermaßen: „Ewig wird […] dasjenige genannt, was die ganze Fülle des unendlichen Lebens zugleich umschließt und besitzt, so dass nichts Zukünftiges sich ihm entzieht und nichts Vergangenes ihm schon wieder verloren ging.“33 31  In dieser Hinsicht ist es wichtig hervorzuheben, dass die unendliche Substanz, qua unendlich, unteilbar ist (Ethica I, 15). 32  Richard Mason schreibt dazu: „[I]f you take seriously the claim that God is infinite, how can you then say that anything in nature can be excluded from God?“, in: Richard Mason, The God of Spinoza, Cambridge 1997, 38. 33  Severinus Boethius, De consolatione philosophiae, übers. von Richard Scheven, Wiesbaden 2010, V, 6, 149.

4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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Die Substanz ist nun aufgrund ihrer unendlichen Lebendigkeit absolut allumfassend und dieser allumfassende Charakter erfolgt im Nu. Die Substanz erweist sich damit als ewig in dem oben angegebenen Sinne. Diese Thematik lässt sich anhand der Frage nach dem Pantheismuscharakter der Spinozistischen Auffassung explizieren. Wenn wir nämlich unter dem Terminus ,Pantheismus‘ die These verstehen, nach der Gott alles ist und alles Gott (göttlich) ist, dann ist die Spinozistische Auffassung (gemäß dem von uns skizzierten Modell) eine Form von Pantheismus. Denn die entfaltete Spinozistische Konzeption zeigt, dass sich einerseits Gott nicht auf eine bestimmte Portion von Realität zurückführen lässt34, dass aber dies gleichzeitig impliziert, dass jegliche Entität einen göttlichen Charakter besitzt. Wenn also alles in Gott einverleibt wird, ist alles göttlich, denn quidquid est in Deo Deus. Genauer gesagt: Der Pantheismus stellt sich als jene Form von Immanenzmetaphysik heraus, in der diese als wirkliche Erste Philosophie erscheint. Denn nur in der Form des Pantheismus erweist sich die Immanenz als wirklich allumfassend. Das hat aber folgende allgemeine Konsequenz: Gott hat, qua absolute Unendlichkeit, einen ontologischen und epistemologischen Vorrang. Wenn nun gemäß diesem Modell der Spinozistischen Philosophie die absolute Unendlichkeit tatsächlich mit der allumfassenden göttlichen Totalität koinzidiert, heißt das, dass das immer schon Verstandene diese göttliche Totalität selbst ist. Dies ist aber wiederum die Grundposition der Evidenzmetaphysik immanentistischer Prägung, die wir im ersten Kapitel skizziert haben. An dieser Stelle ergibt sich aber gleich eine Schwierigkeit: Zwar wird nach diesem Modell nicht, wie im Falle des Parmenides, die bestimmte Entität ausgeschlossen, trotzdem stellt sich die Frage, wie es angesichts der Tatsache, dass die göttliche Totalität unendlich und ewig ist, endliche und zeitliche Entitäten geben kann. Spinozistisch formuliert: Wie lässt sich die Existenz von endlichen und zeitlichen Modi erklären? Oder: Wenn das göttliche In-Sein die Totalität umspannt, wie lässt sich eine andere Existenzweise, die Spinoza selbst durchaus anerkennt35, erklären?

34  Die hier vertretene These unterscheidet sich daher sowohl von einer Position à la Curley, der Gott auf eine bestimmte Portion von Realität zurückführt und explizit in seiner Auseinandersetzung mit Bennet eine nicht-pantheistische Interpretation der Auffassung Spinozas vertritt, als auch von einer panentheistischen Interpretation, die z. B. von Yitzhak Melamed vertreten wird. Vgl. dazu Yitzhak Melamed, „Cohen, Spinoza and the Nature of Pantheism“, Jewish Studies Quarterly 25 (2018), 171–180. 35 Spinoza schreibt in Ethica II 45 Sc., 193 Folgendes: „Unter Existenz verstehe ich hier nicht Dauer, d. h. Existenz, insofern sie abstrakt und als eine bestimmte Art von Größe begriffen wird. Denn wovon ich spreche, ist jene Natur von Existenz, die Einzeldingen deshalb zukommt, weil aus der ewigen Notwendigkeit der Natur Gottes unendlich vieles auf unendlich viele Weisen folgt (siehe Lehrsatz 16 des 1. Teils). Ich spreche, sage ich, von genau der Existenz von Einzeldingen, [die ihnen eigen ist] insofern sie in Gott sind.“

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

4.2.3 Die doxastische Natur der endlichen Modi Eine erste Antwort auf diese Frage lässt sich anhand folgender Stelle der Ethik einführen: Dinge werden von uns in zwei Weisen als wirklich begriffen: entweder insofern wir sie als existierend in Beziehung auf eine gewisse Zeit und einen gewissen Raum begreifen oder insofern wir sie als in Gott enthalten und aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgend begreifen. Die Dinge nun, die wir in der beschriebenen zweiten Weise als wahr oder real begreifen, begreifen wir unter einem Aspekt von Ewigkeit, und deren Ideen schließen Gottes ewige und unendliche Essenz in sich […].36

Einige Punkte sind hier hervorzuheben. Zunächst soll bemerkt werden, dass das In-Gott-Sein kontrastiv dargestellt wird, denn es wird dem Sein-in-Raumund-Zeit entgegensetzt. Was unterscheidet aber die zwei Formen des In-Seins? Ich versuche das Thema allgemeiner einzuführen: Das Erste, was berücksichtigt werden soll, ist die Tatsache, dass das Raum-Zeit-System nicht einfach als ein ,Behälter‘ zu betrachten ist. Dinge sind nicht in Raum und Zeit wie ,Kartoffeln in einem Topf ‘, denn Raum und Zeit haben (im Gegensatz zum Im-Sein in einem Topf ) einen Einfluss auf die Seinsweise dessen, was in ihnen ist. Kurzum: In Raum und Zeit zu sein bedeutet räumlich und zeitlich zu sein. In einem Topf zu sein bedeutet hingegen für die Kartoffel nicht „töpflich“ zu sein37. Wie lässt sich aber dieser ,Einfluss‘ explizieren? Das, was in Raum und Zeit ist, ist sozusagen ,zersplittert‘. Raum und Zeit sind Prinzipien der Mannigfaltigkeit. Anhand eines Beispiels lässt sich dies verdeutlichen: Die Menschheit ist an einer bestimmten Raum‑ und Zeit-Portion durch Sokrates instanziiert und an einer anderen durch Platon. Nun können diese verschiedenen Instanzen raum-zeitlich nicht vereint werden. Denn zwei Entitäten können nicht dieselbe Raum-ZeitPortion besetzen. Gleichzeitig ist die raum-zeitliche Existenz der zwei Instanzen durch eine reziproke Gleichgültigkeit gekennzeichnet. Raum-zeitliche Entitäten verselbständigen sich und das impliziert, dass deren Zusammengehörigkeit auch verblasst und äußerlich wird. Kurzum: Wir haben eine leere Einheit auf der einen Seite (hier der Begriff der Menschheit) und eine Vielheit von unverbundenen und selbständigen einzelnen Elementen (die einzelnen menschlichen Individuen) auf der anderen. Das bedeutet aber im Grunde, dass das Sein in Raum und Zeit als Stellvertreter für eine Seinsweise gilt, in der Vielheit und Einheit gleichgültig nebeneinander stehen und das ist (mit Bezug auf die Spinozistische Auffassung) der Grundunterschied, wodurch sich diese Art des In-Seins vom göttlichen In-Sein unterscheidet.  Spinoza, Ethica V 29 Sc., 573.  Das Beispiel übernehme ich von Anton F. Koch.

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4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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Ein weiterer Punkt soll an dieser Stelle hervorgehoben werden: Spinoza verweist, mit Bezug auf das In-Sein in Gott, auf die Thematik der Ideen. Darunter sind nicht possibilia bzw. allgemeine Entitäten zu verstehen. Es geht hingegen um das Paradigma der Einzeldinge. Mit anderen Worten: Das göttliche In-Sein ist ein wenig wie eine intelligible und ewige Welt, in der die göttliche Ordnung in Erscheinung tritt. In dieser Hinsicht ist diese Position mit der traditionellen Auffassung des göttlichen Ideenkosmos vergleichbar, weil auch in diesem die Ideen in einer quasi-logischen Beziehung stehen.38 Der entscheidende Punkt der vorher erwähnten Passage ist nun aber die Tatsache, dass das Sein in Gott als das wirkliche In-Sein verstanden wird, und das bedeutet wiederum, dass diese kohärente göttliche Totalität etwas Fundamentales ist, das sich vom Sein in Raum und Zeit unterscheidet. Wenn nun aber das göttliche In-Sein die wahre Totalität umspannt, dann ist die raumzeitliche Realität nicht als eine (getrennte) Portion des Realen zu interpretieren, sondern als ein falsches/abstraktes Verständnis der göttlichen Ordnung. Die Existenz des Äußergöttlichen ist somit auf eine epistemische Fehlleistung zurückzuführen und dies entspricht wiederum dem oben erwähnten Zitat.39 Das bedeutet aber wiederum, dass die Auffassung, in der Einheit und Vielheit als äußerlich zu interpretieren sind, als bloße Doxa (trügerischer Schein) zu verstehen ist. Diese Grundidee wird auch im Brief 12 von Spinoza folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: Wenn Sie aber fragen, warum wir von Natur aus so geneigt sind, ausgedehnte Substanz teilbar sein zu lassen, so ist meine Antwort: Weil der Begriff Quantität von uns in zwei Weisen aufgefaßt wird, einmal abstrakt, d. h. oberflächlich, sofern wir Quantität mit Hilfe der Sinne in der Vorstellungskraft haben, zum anderen als Substanz, was allein durch den Verstand geschieht. Achten wir daher auf Quantität, wie sie in der Vorstellungskraft ist, was meistens geschieht und leichter ist, dann wird sie uns als teilbar, begrenzt, aus Teilen zusammengesetzt und vielfältig erscheinen; betrachten wir sie aber so, wie sie im Verstand ist, und damit so, wie eine Sache in sich selbst begriffen wird, was sehr mühsam ist, dann wird sie […] als unendlich, unteilbar und einzig erscheinen. Daraus nun, daß wir Dauer und Quantität nach Belieben bestimmen können, sofern wir nämlich die Quantität als Substanz losgelöst denken und die Dauer von der Weise, in der sie von den ewigen Dingen herkommt, trennen, entstehen die Begriffe Zeit und Maß, Zeit, um die Dauer, Maß, um die Quantität so zu bestimmen, daß wir sie uns möglichst 38  Pietro Martinetti (einer der wichtigsten Spinoza-Interpreten der italienischen Tradition) hat die Idee folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Dio non è quindi una vuota unità di esseri contrastanti, ma il luogo delle essenze; la sua vita è una ricchezza mirabile disposta in un ordine non meno mirabile; ogni punto suo è un’essenza, una vita che ha il carattere suo e tuttavia si inserisce armoniosamente nell’unità del tutto: e solo per noi, che la svelliamo da questa unità, l’essenza appare come una limitazione prodotta dal concorso degli altri modi“, in: Pietro Martinetti, Spinoza, Rom 2017, 147. 39  Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Steven Parchment, „The Mind’s Eternity in Spinoza’s Ethics“, Journal of the History of Philosophy 38 (2000), 349–382.

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

leicht vorstellen werden. Daraus ferner, daß wir die Affektionen der Substanz von der Substanz selbst trennen, und, um sie leicht vorzustellen, in Klassen bringen, entsteht der Begriff Zahl, mit dem wir die Affektionen bestimmen. Daraus ist klar zu ersehen, daß Zeit, Maß und Zahl nur Weisen des Denkens, besser gesagt des Vorstellens sind.40

Dies lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die abstrakte Existenzweise ist auf eine epistemische Fehlleistung zurückzuführen. Diese ist aber wiederum mit einer bestimmten intellektuellen Leistung verbunden, die Spinoza an dieser Stelle ,Vorstellen‘ nennt. Dies soll nun genauer expliziert werden. 4.2.4 Die drei Erkenntnisgattungen Die Existenz bzw. Nicht-Existenz des Außergöttlichen ist also epistemisch verankert. Es geht somit um keinen ontologischen Unterschied zwischen zwei Seinsweisen, sondern um einen epistemischen Unterschied mit Blick auf dieselbe Seinsweise. Nun hat Spinoza von drei Erkenntnisgattungen gesprochen und hat diese Idee an mehreren Stellen seines Œuvres dargestellt.41 Hier werde ich mich hauptsächlich auf jene Version konzentrieren, die er in seiner Ethik entfaltet hat. Ein erster Punkt, der hervorzuheben ist und der für unsere Forschung wichtig ist, ist die Tatsache, dass sich diese drei Erkenntnisgattungen auf denselben Gegenstand beziehen. Ein klarer Hinweis dafür ist Folgendes: Spinoza versucht die Erkenntnisgattungen anhand eines Beispiels darzustellen. Dabei geht es darum, eine vierte Zahl herauszufinden, die sich zu einer dritten bereits gegebenen Zahl so verhält, wie sich eine (wiederum bereits gegebene) zweite zu einer ersten verhält (a/b = c/x). Spinoza leitet nun die drei verschiedenen Erkenntnisgattungen anhand der drei verschiedenen Weisen ab, wie man zu demselben Ergebnis kommen kann. Die Interpretation, die ich hier vorschlage, ist nun die folgende: Die drei Erkenntnisgattungen sind drei Formen, wodurch das(‑selbe) Reale als solches erfasst wird.42 Zur ersten Erkenntnisgattung schreibt Spinoza: Aus allem, was oben gesagt worden ist, ist offensichtlich, daß wir [einerseits] viele Dinge wahrnehmen und [andererseits] Begriffe bilden, die allgemein sind: 1.) aus Einzeldingen, die uns durch die Sinne in einer Weise vergegenwärtigt worden sind, die verstümmelt ist, verworren und ohne Ordnung für den Verstand […]; schon

40  Baruch de Spinoza, Briefwechsel, hg. und übers. von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 2017, 12. Brief an Lodewijk Meyer, 45 f. 41  Außer in der Ethik wird die Thematik sowohl in der Abhandlung § 19–24, als auch in der Kurzen Abhandlung II,1 behandelt. 42  Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Stuart Hampshire, Spinoza and Spinozism, New York 2005, 76–77.

4.2 Evidenzmetaphysik als Immanenzmetaphysik

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länger pflege ich deshalb Wahrnehmungen dieser Art Erkenntnis aus unbestimmter Erfahrung zu nennen. 2.) aus Zeichen, z. B. daraus, dass wir, nachdem wir gewisse Worte gehört oder gelesen haben, uns an Dinge erinnern und aus ihnen gewisse Ideen bilden, die denen gleichen, durch die wir Dinge vorstellen […]. Diese beiden Weisen, Dinge zu betrachten, werde ich künftig Erkenntnis der ersten Gattung, Meinung oder Vorstellung (opinionem vel imaginationem) nennen.43

In der ersten Erkenntnisgattung zeigt sich das Reale als etwas Unstrukturiertes. Die begriffliche Verbindung ist äußerlich und von einer passiven Assoziation gesteuert. Man sieht also hier, dass diese Erkenntnis jener Seinsweise entspricht, in der das Universale und die individuellen Instanzen gleichgültig nebeneinander stehen (und das ist mit dem In-Sein in Raum und Zeit verbunden).44 Wenn wir uns nun auf das oben erwähnte mathematische Beispiel beziehen, kann man sagen, dass das Ergebnis durch eine Prozedur erreicht wird, die man beispielsweise von anderen gehört hat oder durch einen empirischen und unreflektierten Umgang mit Zahlen. Diese Erkenntnisweise kann man daher als die Spinozistische Auffassung der Doxa verstehen und tatsächlich ist diese Art von Erkenntnis auch diejenige, die für die Entstehung von Fehlern verantwortlich ist. Außerdem ist diese Erkenntnisgattung diejenige, die unseren anfänglichen, vorphilosophischen und vorwissenschaftlichen Umgang mit der Welt prägt.45 Die zweite Erkenntnisgattung wird ratio (Vernunft) genannt. Dabei geht es um eine Erkenntnis, die daraus entsteht, dass „wir Gemeinbegriffe und adäquate Ideen der Eigenschaften von Dingen haben […].“46 Was ist damit gemeint? Gemeinbegriffe sind Elemente, die jeder Geist von etwas erkennt, weil ein Etwas dieses bestimmte Etwas ist. Zum Beispiel könnte man sagen, dass, wenn etwas ein Körper ist, es Grundmerkmale gibt, die ein Körper qua ausgedehnter Modus besitzt (Gestalt, Größe, Teilbarkeit, Beweglichkeit, sowie die geometrischen und die physikalischen Gesetze, welche körperliche Bewegung regeln).47 Diese Gemeinbegriffe verweisen aber nicht einfach auf eine horizontale Beziehung (hier unter Körpern), sondern auf eine vertikale (die Tatsache, dass Körper zum Attribut Ausdehnung gehören). Mit einem Beispiel Steven Nadlers kann man sagen, dass diese Erkenntnis, wenn wir uns auf die Natur und die Ei Spinoza, Ethica II 40 Sc. 2, 181.  Vgl. wiederum den 12. Brief an Lodewijk Meyer. 45  Stuart Hampshire schreibt zum Beispiel: „Even the passive reception of ideas of imagination, which constitute the ordinary mental life of the majority of mankind, is thought (cogitatio) in Spinoza’s sense of the word […]. But such ideas reflect only the transitory affections of a finite mode of Nature and do not reflect the order of causes in Nature as a whole“, in: Hampshire, Spinoza and Spinozism, 77. 46  Spinoza, Ethica II 40 Sc. 2, 181. 47 Ich folge an dieser Stelle der Erklärung Steven Nadlers. Vgl. Steven Nadler, Spinoza’s Ethics. An Introduction, Cambridge 2006, 175. 43 44

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

genschaften des Körpers beziehen, sowohl die Idee des Körpers mit den Ideen von anderen Körpern in Verbindung setzt als auch die Verbindung mit den Naturgesetzen gewährleistet. Dadurch findet aber auch eine Eingliederung in die göttliche Ordnung statt (und damit in die attributive Dimension). Man sieht hier, dass die Verbindung zwischen Einheit und Vielheit deutlich stärker ist. Es geht außerdem um eine Erfassung des Realen, die die relative, perspektivische und zeitlich-bedingte der imaginatio sprengt und sich schon auf einer absoluten und zeitlosen Ebene bewegt. Bezüglich des oben erwähnten mathematischen Beispiels kann man Folgendes sagen: Die mathematische Aufgabe wird nicht mehr empirisch, sondern durch Rekurs auf den Beweis zum Lehrsatz 7 des zweiten Buches von Euklids Geometrie gelöst. Die dritte Erkenntnisgattung wird schließlich ,intuitive Erkenntnis‘ genannt. Und diese Gattung des Erkennens schreitet von der adäquaten Idee dessen, was die Essenz gewisser Attribute Gottes ausmacht, weiter zu der adäquaten Erkenntnis der Essenz von Dingen.48

Das Interessante dabei ist der Grundunterschied zwischen dieser Erkenntnisgattung und der zweiten (ratio). Der zentrale Punkt ist hier (wie viele Interpreten hervorgehoben haben) nicht so sehr inhaltlich, sondern formell: Während die zweite Erkenntnisgattung noch diskursiv und inferentiell von den Ursachen zu den Effekten fortschreitet, ist die dritte als eine unmittelbare Erkenntnis zu verstehen.49 Mit Bezug auf das mathematische Beispiel: Die Position der dritten Erkenntnisgattung wird nicht direkt thematisiert. Indirekt klingt sie aber ein wenig nach, wenn wir bei kleinen Nummern die Lösung von dem Problem durch eine unmittelbare Schau erfassen. Idealerweise koinzidiert sie aber mit der Lösung des Problems durch die Schau, die ein ideeller Mathematiker von seiner Wissenschaft hat. Diese Erkenntnis bringt aber im Grunde die eigentliche Natur des In-Seins und damit die pantheistische Position Spinozas zum Ausdruck. Diese dritte Erkenntnisweise erweist sich mithin als das epistemologische Pendant zur allumfassenden, ewigen, göttlichen Einheit.  Spinoza, Ethica II 40 Sc. 2, 183.  Steven Nadler schreibt z. B.: „The difference between the two kinds of knowledge, then, is to be framed not really in terms of content or information but in terms of their respective forms. Reason, or knowledge of the second kind, is discursive and involves inferring the effect from its causes – and especially the higher, eternal causes – much as a conclusion is logically derived from premises. Intuition, or knowledge of the third kind, by contrast, seems to be an immediate perception of the connection between causes and effect, resulting in a singular conception of the essence of a thing (which, as Spinoza has told us, must include knowledge of the thing’s cause). Intuition represents a kind of epistemic compression of information. It involves a direct apprehension of the causal and logical relationship between its terms, such that the information is united into something grasped in a single act of the mind“, in: Nadler, Spinoza’s Ethics, 181. Vgl. Yovel Yirmiyahu, Spinoza and Other Heretics, Princeton 1993. Auch Andreas Schmidt hebt die Dimension der intuitio hervor. Dabei rücken aber vor allem die praktischen Auswirkungen dieser intuitiven Erkenntnisart in den Fokus. Vgl. dazu: Andreas Schmidt, Göttliche Gedanken, Frankfurt a. M. 2009, 295–300. 48 49

4.3 Schwierigkeiten der immanentistischen Position

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Daraus lässt sich auch folgende allgemeinere These zum Ausdruck bringen: Die Existenz des Außergöttlichen ist auf die Fehlleistung der ersten Erkenntnisgattung und damit der imaginatio zurückzuführen. Die eigentliche Erfassung des Realen erfolgt hingegen durch die intuitive und unmittelbare Erkenntnis (Erkenntnis der dritten Gattung).

4.3 Schwierigkeiten der immanentistischen Position Fassen wir zunächst das bisher dargestellte Spinozistische Metaphysik-Modell zusammen. Die von Spinoza entwickelte Konzeption unterscheidet sich von der vorherigen Scotischen Auffassung (von der ontischen Transzendenz), und zwar deshalb, weil ihre ontologische Unendlichkeit einen wirklichen Totalitätsanspruch erhebt. Sie lässt daher keinen offenen ontologischen Raum für das Nicht-Göttliche zu. Gleichzeitig wird die Endlichkeit nicht vernichtet, denn diese erweist sich hingegen als ein innerer Ausdruck der Unendlichkeit selbst. Daraus ergibt sich eine pantheistische Auffassung, wonach Gott alles ist und alles Gott ist. Diese Konzeption der göttlichen Unendlichkeit kann also der Hegelschen Kritik an der schlechten Unendlichkeit standhalten. Diese allumfassende, allgegenwärtige und alldurchdringende göttliche Totalität ist außerdem das Erst-Erkannte und wird in Form eines intuitiven Wissens gesetzt. Es geht daher um keine bottom-up oder top-down Metaphysik, die auf eine quasi induktive oder deduktive Art und Weise vollzogen wird. Dies bedeutet: Es gibt keine innere metaphysische Vermittlung bzw. Inferenz. Das Gegenteil ist der Fall: Die göttliche metaphysische Ordnung ist etwas, das sich gänzlich und auf einmal ergibt. Dadurch stellt sich diese Philosophie als eine Evidenzmetaphysik immanentistischer Art heraus. Die Setzung dieser Evidenz ergibt sich aber immer noch in inferentieller (und damit eingrenzender) Form. Warum ist dies der Fall? Wir haben bereits gesehen, dass es zwei Formen des In-Seins gibt, das göttliche In-Sein und das raum-zeitliche In-Sein. Beim ersten geht es wirklich um einen Ausdruck einer konkreten Einheit, beim zweiten sind Einheit und Vielheit getrennt. Nun drückt das göttliche In-Sein alles aus, was wirklich ist. Dies geschieht aber, indem das raum-zeitliche In-Sein als eine abstrakte Scheinhaftigkeit erklärt wird. Durch diesen Ausschluss zeigt sich aber die Fundamentalität als etwas, das enger als die Totalität des Realen ist, denn zumindest vorläufig muss die scheinhafte Existenz der raumzeitlichen Realität anerkannt werden, damit die göttliche Ordnung gesetzt werden kann. Es gibt somit einen Bereich des Realen, der nicht integriert wird. Die Philosophie, die sich ergibt, ist daher nicht fähig die Totalität zum Ausdruck zu bringen und zeigt sich somit als eine zweite Philosophie.50 50  In dieser Hinsicht kann man sagen, dass die Auffassung von Curley, wonach der Spinozistische Gott nicht mit der Totalität koinzidiert, ihre Berechtigung erhält.

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

Die Problematik dieser Metaphysik kann auch aus einer epistemologischen Sicht betrachtet werden. Die Scheinhaftigkeit ist mit einer bestimmten Erkenntnisgattung verbunden: der imaginatio. Die vollkommene Erkenntnis der göttlichen Totalität ist hingegen die dritte Erkenntnisgattung. Diese dritte Form wird aber erst dann gesetzt, wenn die Mangelhaftigkeit der ersten (und der zweiten) durchschaut ist. Das bedeutet aber, dass man zu dieser Erkenntnisgattung gelangt. Anders formuliert: Die Immanenzmetaphysik ist an eine epistemologische Transzendenz gebunden, in dem Sinne, dass wir zu einer korrekten Betrachtung (= der philosophischen Betrachtung) des Realen kommen sollen, und dies, indem wir die abstrakte (= die alltägliche Betrachtung) verlassen und transzendieren. Das führt uns wiederum zu einer Anerkennung zumindest des Scheines einer (abstrakten und fehlerhaften) Realität, die in die allumfassende Substanz nicht integriert werden kann. Denn, wenn das wahre Sein (die unendliche Substanz) die Totalität wäre, dann gäbe es auch keinen Raum für diesen zu überwindenden trügerischen Schein.51 Außerdem: Die allumfassende Substanz ist, wie oben gesagt, ewig und damit prozesslos. Die Frage, die sich stellt, ist aber dann die folgende: Wenn dies der Fall ist, wie kann es diesen Aufstieg (und damit diese Dynamik) zur korrekten Erkenntnis des Realen überhaupt geben? Spinoza selbst spürt das Problem und schreibt daher: Je weiter es also ein jeder in dieser Erkenntnisgattung zu bringen vermag, desto besser ist er sich seiner selbst und Gottes bewußt, d. h. desto vollkommener und glückseliger ist er, was noch klarer aus dem Folgenden zutage treten wird. Doch sollte hier angemerkt werden: Obgleich wir nun mehr Gewißheit haben, daß der Geist ewig ist, insofern er Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit begreift, werden wir ihn für eine leichtere Erläuterung und ein 51 Die Problematik wird von Harold H. Joachim folgendermaßen formuliert: „Error, no doubt, is an illusory appearance of knowledge, and involves in the end an illusory assumption of self-containedness and individuality. But where, within Spinoza’s conception of God, is the ground of the illusion? Partial negation and severance constitute the finiteness of the modes, and the self-affirmation of the modes in this mutilation is the basis of error. But a negation which severs the modes from their coherence, and a self-assertion of that which has no distinct being, are inconceivable within Spinoza’s metaphysical system. We have thus confirmed the stress which we laid upon this self-assertive feature in error. The erring subject’s confident belief in the truth of his knowledge distinctively characterizes error, and converts a partial apprehension of the truth into falsity. It is this feature which refuses to be absorbed in fuller knowledge, and which makes the fact of error a problem for Metaphysics. And we have traced this discordance in error to its principle as the claim of the finite to self-dependence: a claim which monism, at least in the form given to it by Spinoza, cannot render intelligible. It is possible to insist upon the self-affirmation of the modes in their dependence, and to attribute to them a self-contained individuality in so far as the one Substance is expressed differently, uniquely emphasized, in each of them. But error involves that the modes contrive somehow to ‚be‘ apart from their coherence, and to set themselves up in isolation from one another and against their substantial unity. And this declaration of independence, where that which declares is nothing real and nothing real is declared, is unthinkable“, in: Harold H. Joachim, The Nature of Truth, Oxford 1906, 162 f.

4.3 Schwierigkeiten der immanentistischen Position

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besseres Verständnis dessen, was wir sagen wollen, doch betrachten, als ob er erst jetzt anfinge zu sein und erst jetzt anfinge, Dinge unter einem Aspekt von Ewigkeit zu begreifen, wie wir es bis hierher getan haben.52

Zunächst soll folgender Punkt hervorgehoben werden: Die dritte Erkenntnisgattung ist mit der Ewigkeit des menschlichen Geistes wesentlich verbunden. Nun denkt man zwar, dass die vollständige Erlangung der dritten Erkenntnisgattung Ergebnis eines Prozesses ist und dass dadurch der menschliche Geist ewig wird. Das ist aber nicht der Fall. Denn auch die Idee, nach der wir zur dritten Erkenntnisgattung gelangen und damit ewig werden, ist, wenn sie mehr als eine façon de parler ist, wiederum eine Abstraktion. Dies bedeutet: Der Geist hat sozusagen immer schon den Standpunkt der Ewigkeit eingenommen und dies wird uns blitzartig klar. Trotzdem kann man Folgendes einwenden: Eine minimale Form des Scheines (ein Schein des Scheines sozusagen) soll überwunden werden, denn wir sollen zumindest jene Perspektive überwinden, nach der die dritte Erkenntnisgattung gewonnen wird. Mit anderen Worten: Es gibt eine Art von minimalem Übergang vom ewigen Sein des Geistes an sich zum ewigen Sein des Geistes für sich. Aber die Tilgung dieses ,scheinhaften Scheines‘ impliziert wiederum eine Dimension von Dynamik, die es nicht geben darf.53 Schließlich soll eine letzte damit verbundene problematische Seite dieser Position hervorgehoben werden: Die Erfassung der Totalität und damit das ,EwigWerden des Geistes‘ impliziert gleichzeitig das Sich-selbst-Erfassen als Moment der ewigen göttlichen Ordnung. Dies erfolgt aber durch eine Dezentrierung und Entpersonalisierung.

52 Spinoza,

Ethica V 31 Sc., 575 dieser Problematik sind diese Gedanken Schmidts besonders interessant: „Freilich kann man sich fragen, ob etwas Derartiges überhaupt möglich ist. Spinoza selbst gibt uns einen Hinweis darauf, wenn er schreibt, es scheine uns zunächst so, als würden wir ewig werden, wenn wir die dritte Gattung der Erkenntnis erreichen. Dieser Schein ist merkwürdig, da der Inhalt dieser Erkenntnis ja gerade in der Einsicht in die Irrealität der Zeit und die Ewigkeit aller Dinge besteht. Andererseits ist dieser Schein gut zu verstehen, ja der Verdacht liegt nahe, daß er notwendig ist: Denn selbst wenn es uns gelingt, uns so sehr zum Objekt zu machen, daß wir uns nunmehr mit dem unbeteiligten Blick der göttlichen Substanz betrachteten, müßten wir uns doch als diejenigen, die diese Erkenntnis vollziehen aus diesem Objektbereich ausnehmen. Denn wir gewinnen diese Erkenntnis nur, indem wir Gründe erwägen, Evidenzen prüfen, Schlüsse ziehen und aufgrund dieser Tätigkeit etwas einsehen. Als so Reflektierende müssen wir aber eine praktische Haltung zu uns einnehmen, um unsere epistemischen Pflichten zu erfüllen – was die Möglichkeit impliziert, sie auch nicht zu erfüllen. Außerdem müssen wir davon ausgehen, daß für uns sowohl Zustimmung als auch Ablehnung einer Proposition vor dem Vollzug der Reflexion gleichermaßen möglich sind – daß die Zukunft in dieser Hinsicht also offen ist – und daß es von unserem Vollzug der Reflexion abhängt, die Zukunft in dieser Hinsicht zu bestimmen. Wenn wir dann schließlich ‚spüren, erfahren, daß wir ewig sind (sentimus, experimurque, nos aeternos esse)‘ (E V, prop. 23, Sc.), werden wir das als ein – überraschendes – Ergebnis unserer Reflexion betrachten, mit dem wir uns als Reflektierende nie vollständig identifizieren können“, in: Schmidt, Göttliche Gedanken, 300. 53 Angesicht

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4. Die Immanenzmetaphysik und die epistemologische Transzendenz (Spinoza)

Ein Zeichen dafür ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Zeit-Ordnung der imaginatio derjenigen einer A-Reihe entspricht. Dabei spielen das sichbewegende Jetzt und die damit verbundenen Relationen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die zentrale Rolle. In dieser Zeitreihe ist z. B. der Tod von Napoleon deshalb vergangen, weil „mein Jetzt“ im Jahre 2021 lokalisiert ist. Die Zeit-Ordnung der dritten Erkenntnisgattung entspricht hingegen eher der Ordnung einer B-Reihe, wobei die Zeitereignisse auf eine quasi-räumliche Art und Weise artikuliert werden, in der die Jetzt-Perspektive keine außergewöhnliche Rolle spielt. Der Tod von Napoleon z. B. ist nach dieser Auffassung vor dem Ersten Weltkrieg und nach dem Fall der glorreichen Serenissima Repubblica Veneta. Noch mehr: Es ist wahrscheinlich sinnvoll, die Ordnung der Zeit gemäß der dritten Erkenntnisgattung mit einer C-Reihe zu parallelisieren, wobei sogar das Vorher und Nachher keine Rolle mehr spielen.54 Kurzum: In der dritten Auffassung findet eine Objektivierung und Dezentrierung statt, die sich im Überwinden dieser Jetzt-Zentriertheit expliziert. A parte objecti sieht man außerdem, dass die Übernahme einer philosophischen Auffassung mit einem sich Verabschieden von einer Konzeption Gottes als Person koinzidiert. Das bedeutet, dass die ewige Substanz, zu der wir gehören, als etwas Objektives zu verstehen ist, zu der die Meinigkeit nicht wirklich gehört.55 Hier taucht wiederum das vorher erwähnte Problem auf: Denn einerseits müssen wir zumindest vorläufig die Existenz von dieser meinigen Perspektive anerkennen, diese können wir aber nicht wirklich integrieren. Aus der Perspektive der Substanz bedeutet dies Folgendes: Zwar ist das Denken eines der Attribute der Substanz, aber diese kann nicht die meinige Tätigkeit des Denkens integrieren. Die Totalität ist somit nicht ein tätiges Sich-Selbst-Erfassen. Sie ist kein Ich, sie wird erfasst, indem sich das philosophische Subjekt von der eigenen meinigen Perspektive befreit und sich als ein Teil der objektiven und allumfassenden Realität erfasst. Eine kohärentere Immanenzperspektive ist daher eine, die fähig ist, die eigene Selbstbetrachtung wirklich zu integrieren. Dieses Desiderat lässt sich mit einem Hegelschen Ausdruck formulieren: Die Substanz soll Subjekt werden. Das folgende Kapitel soll daher die Hegelsche Auffassung der Immanenzmetaphysik analysieren.

54 Zu dieser Thematik vgl. Parchment, The Mind’s Eternity, 367–374, sowie Schmidt, Göttliche Gedanken, 253 ff. 55 In der dritten Erkenntnisgattung kommt auch eine praktische und existenzielle Dimension ins Spiel. Es geht aber dabei um eine Art praktische Zustimmung zu einer theoretischen und objektivierenden Einstellung. Mit anderen Worten: Die theoretische Einstellung erhält einen Totalitätscharakter. Zu dieser Thematik sind die Überlegungen von Andreas Schmidt besonders erhellend. Vgl. Schmidt, Göttliche Gedanken, 295–300.

5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel) Das Hegelsche Metaphysikmodell1 wird im Folgenden als eine zweite und radikalere Auffassung der Immanenzmetaphysik dargestellt. Dabei werden in einem zweiten Schritt auch die noch verbleibenden Probleme dieses Modells hervorgehoben.

5.1 Einführende Bemerkungen Die hier vertretene Interpretation versteht die Hegelsche Auffassung, wie oben bereits erwähnt, als eine Fortsetzung der Immanenzmetaphysik. Das impliziert, dass diese Auffassung wiederum als eine Vertiefung der Spinozistischen Konzeption verstanden wird.2 Zum Prinzip der Spinozistischen Philosophie schreibt Hegel Folgendes: Es ist dasselbe, was bei den Eleaten das ὄν. Es ist die morgenländische Anschauung, die sich mit Spinoza zuerst im Abendlande ausgesprochen hat. Im Allgemeinen ist darüber zu bemerken, daß das Denken sich auf den Standpunkt des Spinozismus gestellt haben muß; das ist der wesentliche Anfang alles Philosophierens. Wenn man anfängt zu philosophieren, so muß man zuerst Spinozist sein. Die Seele muß sich baden in diesem Äther der einen Substanz, in der alles, was man für wahr gehalten hat, untergegangen ist. Es ist diese Negation alles Besonderen, zu der jeder Philosoph gekommen sein muß; es ist die Befreiung des Geistes und seine absolute Grundlage.3

Der Spinozismus steht also, wie im Zitat betont wird und wie wir auch im vorherigen Kapitel betont haben, im Einklang mit der Philosophie des Parmenides. Das bedeutet wiederum, dass die umfassende Einheit des Seins als der wirklich unerschütterliche Grund gesetzt wird. Im Spinozismus vollzieht sich somit jene Umkehrung der Perspektive (von der Vielheit der endlichen Dinge zur Einheit), die die Entstehung der Ersten Philosophie als solcher aus Es geht hierbei also wiederum um eine modellhafte Darstellung. Interpretation der Hegelschen Philosophie als eine Form von konsequentem Spinozismus ist eine Auffassung, die sehr alt ist und sogar auf Jacobi und Feuerbach zurückgeht, aber auch in neuerer Zeit von Autoren wie Klaus Düsing vertreten worden ist. Für eine Rekonstruktion dieser Perspektive vgl. Francesca Michelini, „Hegel, Spinoza and Heidegger’s Critique of Onto-Theology“, Studia Hegeliana I (2015), 107–122. 3  Hegel, Geschichte der Philosophie III, TW 20, 165. 1

2  Die

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

zeichnet. Diese Einheit ist, qua Seins-Einheit, wiederum wirklich grenzenlos und lässt damit keine wirkliche Realität neben sich zu. Trotz dieser Grundgemeinsamkeit mit dem Eleatismus unterscheidet sich die Spinozistische Auffassung von derjenigen des Parmenides: Der Unterschied von der eleatischen Philosophie ist nur dieser, daß durch das Christentum in der modernen Welt im Geiste durchaus die konkrete Individualität vorhanden ist.4

Der Spinozismus ist somit eine Art ,moderner Parmenidismus‘. Was bedeutet nun diese Modernität? Diese wird von Hegel mit dem Christentum in Verbindung gebracht. Diese Religion steht als Stellvertreterin für eine Einstellung, die wiederum die Modernität als solche charakterisiert und die in der Anerkennung der wirklichen Subsistenz der endlichen Dinge (und insbesondere der endlichen Subjektivität) besteht. Spinoza versucht nun, als moderner Philosoph, dieser Dimension Rechnung zu tragen. Mit einem Wort: Die Vielheit der Entitäten und ihre Bewegung, kurzum das von Negativität durchzogene Seiende, können nicht einfach als trügerischer Schein bezeichnet werden. Es geht darum, die phänomenale Welt wirklich zu integrieren. Dies erfolgt nun durch die Spinozistische Konzeption der Substanz, die daher nicht als eine leere Einheit auftritt, sondern, wie im vorherigen Kapitel bereits hervorgehoben, als eine konkrete. Trotzdem weist auch die Substanz gewisse Mängel auf. So schreibt Hegel: Bei dieser unendlichen Forderung des ganz Konkreten ist nun aber die Substanz nicht bestimmt als konkret in sich.5

Er fügt dann hinzu: Diese Spinozistische Idee ist als wahrhaft, als begründet zuzugeben. Die absolute Substanz ist das Wahre, aber sie ist noch nicht das ganze Wahre; sie muß auch als in sich tätig, lebendig gedacht werden und eben dadurch sich als Geist bestimmen. Die Spinozistische Substanz ist die allgemeine und so die abstrakte Bestimmung; man kann sagen, es ist die Grundlage des Geistes, aber nicht als der absolut unten festbleibende Grund, sondern als die abstrakte Einheit, die der Geist in sich selbst ist. Wird nun bei dieser Substanz stehengeblieben, so kommt es zu keiner Entwicklung, zu keiner Geistigkeit, Tätigkeit.6

Wir kommen somit zur oben angedeuteten Konzeption zurück: Die Auffassung Hegels soll als eine Vervollständigung und als die korrekte Form des Spinozismus verstanden werden, die seine Nicht-Konkretheit und seine noch verbleibende Parmenideische Dimension aufhebt. Kurzum: Die Substanz soll als Subjekt erfasst werden und somit als jenes Prinzip, das die Welt der Phänomene vollständig integriert. Im Folgenden soll diese These anhand einer Auseinander­ setzung mit dem Hegelschen enzyklopädischen System konkretisiert werden.  Ibidem.  Ibidem. 6  Hegel, Geschichte der Philosophie III, TW 20, 166.

4

5

5.2 Von der Substanz zum Subjekt

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5.2 Von der Substanz zum Subjekt: Hegels Immanenzmetaphysik Der systematische Ort, an dem der Übergang von der Substanz zum Subjekt behandelt wird, ist das Ende der sogenannten Wesenslogik, die wiederum den zweiten Teil des ersten Teiles des Systems (der Logik) ausmacht. Es ist zunächst wichtig zu bemerken, dass Hegel sowohl in der kleinen als auch in der großen Logik nicht direkt von Substanz spricht, sondern vom Verhältnis der Substanzialität bzw. dem Substanzialitätsverhältnis. Dieses ist wiederum der erste Ausdruck des sogenannten absoluten Verhältnisses.7 Was ist nun ein ,absolutes Verhältnis‘8? Zunächst zur Thematik des Verhältnisses: Durch diesen Terminus wird die relationale Dimension des Wesens thematisiert. Was ist damit gemeint? Das Reale überhaupt manifestiert sich, qua Wesen, als stabiles Fundament. Dies bedeutet nicht, dass das Wesen ein in sich verschlossener Kern wäre. Im Gegenteil: Zur eigentlichen Natur des Wesens gehört das sich Entäußern. Andererseits ist auch die Oberfläche etwas, das in sich selbst vermittelt ist und auf das Fundament verweist. Zentrum und Oberfläche stehen nicht gleichgültig nebeneinander, sie verweisen hingegen aufeinander. Diese relationale Dimension der zwei Pole tritt nun im Laufe der Wesenslogik immer deutlicher in Erscheinung. Gerade in der allgemeineren Kategorie ,Wirklichkeit‘, in der sich diejenige des absoluten Verhältnisses abspielt, kommt die Identität zwischen dem Inneren und dem Äußeren zum Ausdruck. Hegel schreibt: Die Äußerung des Wirklichen ist das Wirkliche selbst, so daß es in ihr ebenso Wesentliches bleibt und nur insofern Wesentliches ist, als es in unmittelbarer äußerlicher Existenz ist.9

Hegel verbindet außerdem das absolute Verhältnis mit der Idee der Notwendigkeit: Die absolute Notwendigkeit ist absolutes Verhältnis, weil sie nicht das Sein als solches ist, sondern das Sein, das ist, weil es ist, das Sein als die absolute Vermittlung seiner mit sich selbst.10

Mit anderen Worten: Das Wesen ist einerseits das Notwendige, das Absolute (quod nihil indiget ad existendum), gleichzeitig ist es Notwendigkeit im Sinne eines Gesetzes, das alles trägt und steuert. Oder andersherum betrachtet: Es geht einerseits um das selbstvermittelnde Sein, andererseits ist diese Selbstvermittlung subsistent. Das Reale qua Notwendigkeit ist das In-Sich-Selbst-Bestehende  7  In der „großen Logik“ ist das absolute Verhältnis auch der Titel des letzten dreigeteilten Kapitels der Wesenslogik.  8  Zu einer interessanten Analyse dieser Thematik vgl. Ermylos Plevrakis, Das Absolute und der Begriff: Zur Frage philosophischer Theologie in Hegels ,Wissenschaft der Logik‘, Tübingen 2017, 252–259.  9  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 142, TW 8, 279. 10  Hegel, Die Wissenschaft der Logik. Erster Teil, TW 6, 219.

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

(das Mit-sich-selbst-Identische), und doch ist es nicht leer, sondern inhaltsvoll und bestimmt. Das Verhältnis ist daher absolut aus folgendem Grund: Es geht einerseits um eine Relation, die keinen parasitären und hinzukommenden Charakter hat. Andererseits ist diese Relationalität interner Ausdruck der Absolutheit (das selbstvermittelnde Sein). Diese Konzeption des absoluten Verhältnisses artikuliert sich und vertieft sich, laut Hegel, in drei Schritten: 1.) Substanz vs. Akzidenzien 2.) Ursache vs. Wirkung 3.) Wechselwirkung Betrachten wir nun diese Artikulation. Zum ersten Punkt schreibt Hegel Folgendes: Die Substanz ist […] die Totalität der Akzidenzien, in denen sie sich als deren absolute Negativität, d. i. als absolute Macht und zugleich als den Reichtum alles Inhalts offenbart. Dieser Inhalt ist aber nichts als diese Manifestation selbst […].11

Es ist nun möglich diese Idee des Verhältnisses von Substanz und Akzidenzien mit Bezug auf die Idee der Welt an sich und der Welt der Erscheinung zu erläutern. Akzidenzien (Welt der Erscheinung) sind nicht als eine Dimension zu verstehen, die zur Substanz (Welt an sich) äußerlich hinzukommt. Sie sind (zumindest für uns) die Manifestation der Substanz selbst. Denn die Substanz wäre, getrennt von ihren Akzidenzien, ein caput mortuum, das eher mit der Parmenideischen Konzeption des Seins zu vergleichen wäre. Trotz dieser Verhältnis-Dimension bleibt immer noch ein Ungleichgewicht, denn etwas behält qua Substanz (und das taucht besonders deutlich in ihrer gewöhnlichen Konzeption auf ) einen ontologischen Vorrang und eine Selbständigkeit, die die Akzidenzien nicht haben. Ein Schritt weiter wird durch den Übergang vom Substanzialitäts‑ zum Kausalitätsverhältnis vollzogen. Denn die Substanz, qua Ursache, bleibt bei sich in der Wirkung. Es ist daher grundsätzlich derselbe substanzielle Inhalt, der in der Ursache und in der Wirkung auftritt (es ist z. B. dasselbe Wasser, das sich einmal als Regen und einmal als die Nässe der Straße zeigt). Gleichzeitig ist aber die Substanz, qua Ursache, ein Heraustreten bzw. ein Hervorbringen, sie verliert damit ihren statischen Trägercharakter. Auch dieses Verhältnis entpuppt sich aber nicht als das letzte Wort, denn die Ursache hebt sich, qua Ursache, in der Wirkung auf. Das Gleichgewicht geht somit dabei verloren. Die Oberfläche ist noch nicht vollständige Manifestation des Fundaments. Es besteht daher eine Diskrepanz und wir befinden uns folglich noch im Bereich des Scheines.  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 151, TW 8, 294.

11

5.2 Von der Substanz zum Subjekt

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Dies führt schließlich zur Wechselwirkung, in der das Ungleichgewicht fast vollständig aufgehoben wird, denn in diesem Kontext erweisen sich die zwei Pole nicht nur als substanziell, sondern jede Substanz ist gleichzeitig aktiv und passiv. Es ist an dieser Stelle interessant zu bemerken, dass diese Dynamik als das progressive Auftauchen der Spinozistischen Idee der causa sui verstanden werden kann. Diese Konzeption hat wiederum eine doppelte Bedeutung, die Hegel vollständig entfaltet: Es geht nämlich um das, was keine äußerliche Ursache hat (absolut ist) und gleichzeitig um das, was sich selbst setzt.12 Das hat schließlich eine weitere Konsequenz: Die Dynamik der Wechselwirkung stellt sich als eine Art Selbstsetzung heraus. Es ist die vollkommene Selbstmanifestation. Damit ist das Verhältnis wirklich absolut. Wir haben bereits gesehen, dass diese Idee des absoluten Verhältnisses mit der Thematik der Notwendigkeit verbunden ist. Die Wechselwirkung, die vollständig transparent wird, erweist sich daher als die transparente Notwendigkeit. Mit den Worten Hegels: Dieser reine Wechsel mit sich selbst ist hiermit die enthüllte oder gesetzte Notwendigkeit. Das Band der Notwendigkeit als solcher ist die Identität als noch innere und verborgene, weil sie die Identität von solchen ist, die als Wirkliche gelten, deren Selbständigkeit jedoch eben die Notwendigkeit sein soll. Der Verlauf der Substanz durch die Kausalität und Wechselwirkung ist daher nur das Setzen, daß die Selbständigkeit die unendliche negative Beziehung auf sich ist,  – negative überhaupt, in der das Unterscheiden und Vermitteln zu einer Ursprünglichkeit gegeneinander selbständiger Wirklichen wird,  – unendliche Beziehung auf sich selbst, indem die Selbständigkeit derselben eben nur als ihre Identität ist.13

Dies hat nun folgende Bedeutung: Die Notwendigkeit verklärt sich in Freiheit. Damit zeigt sich diese nun aber als jene Absolutheitsform, die so allumfassend und alldurchdringend ist, die nicht mehr als etwas Fremdes erscheint. Es geht um eine Einheit, die wirklich die Selbständigkeit der Vielheit zulässt und sie nicht eingrenzt oder schwächt.14 12  John Ellis McTaggart interpretiert die Wechselwirkung als die Setzung der immanentistischen These: „The system of such a universe as a whole is an ultimate fact, which neither admits nor requires any explanation. And in this consists its infinity, for it is determined by nothing outside it. On the other hand each of the particulars in the system is determined by others, and there is no particular part which does not in this way find an explanation“, in: John Ellis McTaggart, A Commentary on Hegel’s Logic, Cambridge 1910, 184. 13  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 157, TW 8, 302 f. 14  Yitzhak Y. Melamed ist grundsätzlich gegen eine akosmistische und Parmenideische Auslegung der Spinozistischen Konzeption. Unter anderem auch aus folgendem Grund: „[T]he weakness of individuality in Spinoza might undermine the reality of finite modes, but not that of infinite modes“, in: Yitzhak Y. Melamed, „Acosmism or Weak Individuals?: Hegel, Spinoza, and the Reality of the Finite“, Journal of the History of Philosophy 48 (2010), 77–92, hier: 89. Im Kontext der Auffassung Spinozas gibt es mit anderen Worten weak individuals, aber keinen Akosmismus. Darauf kann man Folgendes antworten: Wenn man unter ,Eleatismus‘ nur eine akosmistische Auffassung versteht, nach der der Grund des Realen (die Substanz) ein gestaltloser Abgrund wäre, „der allen bestimmten Inhalt als von Haus aus nichtig in sich verschlingt und nichts, was einen positiven Bestand in sich hat, aus sich produziert“ (TW 8, 296),

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

Der fundamentale Punkt ist daher der folgende: Die wahre Notwendigkeit, d. i. die Freiheit, ist das wirklich allumfassende Absolute und das ist wiederum der Begriff. Der Terminus ,Begriff ‘ kann allerdings zu Missverständnissen führen und Hegel gibt sich Mühe diese zu vermeiden. Er schreibt: Wenn vom Begriff gesprochen wird, so ist es gewöhnlich nur die abstrakte Allgemeinheit, welche man dabei vor Augen hat, und der Begriff pflegt dann auch wohl [als] eine allgemeine Vorstellung definiert zu werden. Man spricht demgemäß vom Begriff der Farbe, der Pflanze, des Tieres usw., und diese Begriffe sollen dadurch entstehen, daß bei Hinweglassung des Besonderen, wodurch sich die verschiedenen Farben, Pflanzen, Tiere usw. voneinander unterscheiden, das denselben Gemeinschaftliche festgehalten werde. Dies ist die Weise, wie der Verstand den Begriff auffaßt, und das Gefühl hat recht, wenn es solche Begriffe für hohl und leer, für bloße Schemen und Schatten erklärt. Nun aber ist das Allgemeine des Begriffs nicht bloß ein Gemeinschaftliches, welchem gegenüber das Besondere seinen Bestand für sich hat, sondern vielmehr das sich selbst Besondernde (Spezifizierende) und in seinem Anderen in ungetrübter Klarheit bei sich selbst Bleibende.15

Der fundamentale Punkt ist hier nach meiner Auffassung der folgende: Begriff ist nicht als eine Art Supergattung zu verstehen. Der Begriff ist das Allgemeine, das sich aus sich heraus bestimmt. Er „verlässt sich selbst nicht“, indem er sich besondert und vereinzelt. Diese Charakteristik bringt ihn daher in die Nähe der Transzendentalien. Denn diese sind, wie bereits gesagt, dadurch charakterisiert, dass ihre Bestimmung nicht durch ein äußerliches Prinzip (die spezifische Differenz) erfolgt, sondern aus ihrer Natur selbst (differentiae entis sunt ens). Es geht somit um die Einheit, die die Unterschiede in sich selbst integriert hat. Hegel selbst bringt gerade diese Idee am Anfang der Begriffslogik zum Ausdruck: Der Begriff ist das Freie, als die für sie seiende substantielle Macht, und ist Totalität, indem jedes der Momente das Ganze ist, das er ist, und als ungetrennte Einheit mit ihm gesetzt ist; so ist er in seiner Identität mit sich das an und für sich Bestimmte.16

Begriff ist damit eine kohärente Totalität, er ist das Konkrete. Hier kommt also die Position der Immanenzmetaphysik deutlich zum Ausdruck. Denn das Reale, qua Begriff, wird als eine kohärente Einheit verstanden, in der Einheit und Vielheit aufeinander verweisen. Alles ist Gott, alles wird gerettet. Es gibt daher keine Depotenzierung der phänomenalen Realität. Man merkt also, dass Hegel die Grundidee des Spinozistischen Pantheismus übernimmt und gleichzeitig weiterführt, denn der lokale Charakter Gottes wird abgelehnt. Mit anderen Worten: ,Substanziell‘ ist hat Melamed Recht. Man kann allerdings eine breitere Auffassung des Eleatismus vertreten. Nach dieser Konzeption gäbe es ,Parmenideische Tendenzen‘, wenn die logische Betrachtung der Welt zu einer Depotenzierung des manifesten Weltbildes führt. Bezüglich dieses letzten Punktes bleibt Spinoza ein Eleat und es ist diese letzte Tendenz, gegen die sich Hegel wehrt. 15  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 163 Zu. 1, TW 8, 311 f. 16  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 160, TW 8, 307.

5.2 Von der Substanz zum Subjekt

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nicht nur das Zentrum, sondern auch die Oberfläche. Andererseits bedeutet dies auch, dass die Substanz (qua Begriff ) wirklich und vollständig selbstmitteilend ist. Das hat eine weitere Implikation, die ausgelotet werden muss: Das allumfassende Konkrete ist nicht etwas Objektives, das entdeckt werden muss, sondern es ist vollständig selbstmanifestierend. Es hat damit den Charakter eines Ichs. In der großen Logik schreibt Hegel, und zwar gerade am Anfang der Begriffslogik Vom Begriff im Allgemeinen, Folgendes: Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frei ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtsein. […] Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist. […] Ich aber ist erstlich diese reine sich auf sich beziehende Einheit, und dies nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahiert und in die Freiheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht. So ist es Allgemeinheit […]. Zweitens ist Ich ebenso unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität Einzelheit, absolutes Bestimmtsein, welches sich Anderem gegenüberstellt und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit. Jene absolute Allgemeinheit, die ebenso unmittelbar absolute Vereinzelung ist, und ein Anundfürsichsein, welches schlechthin Gesetztsein und nur dies Anundfürsichsein durch die Einheit mit dem Gesetztsein ist, macht ebenso die Natur des Ich als des Begriffes aus […].17

Diese doppelte Seite, nämlich eine kohärente und organische allumfassende Struktur einerseits und der selbsterfassende Charakter andererseits, lässt sich auch anhand der Entwicklung des Begriffes festhalten, die im Kontext der Begriffslogik erfolgt. Schauen wir uns den Vollzug der Begriffslogik an, der die Krönung der Hegelschen Logik (und damit der Hegelschen Metaphysik) darstellt. Dabei geht es um die absolute Idee. Diese wird wiederum als die Einheit von Leben und Erkennen dargestellt. Unter ,Leben‘ kann man wiederum in diesem Kontext eine metaphysische Auffassung des Realen verstehen, wonach dieses als eine organische Totalität erfasst wird. Dabei sind die verschiedenen Glieder das, was sie sind, nur durch die Beziehung auf die Einheit und aufeinander. Nun ist diese organische Einheit kein unbewusstes Prinzip, sondern ein Prinzip, das seine Erkenntnis generiert.18 Wenn nun aber die Idee die wirkliche Totalität ist, heißt es auch, dass sie nicht von außen her betrachtet und erkannt werden kann. Die wahre Erkenntnis der Idee ist ihre interne Selbsterkenntnis. Wahre Manifestation ist Selbstmanifestation. Diese erfolgt in der absoluten Idee. Hegel beschreibt sie folgendermaßen: Die Idee als Einheit der subjektiven und der objektiven Idee ist der Begriff der Idee, dem die Idee als solche der Gegenstand, dem das Objekt sie ist; – ein Objekt, in welches alle

 Georg W. F. Hegel, Die Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil. Die subjektive Logik, TW 6, 253.  Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Christoph Halbig, „Das ‚Erkennen als solches‘“, in: ders./Michael Quante/Ludwig Siep (Hgg.), Hegels Erbe, Frankfurt a. M. 2004, 138–163, hier: 141 f. 17

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

Bestimmungen zusammengegangen sind. Diese Einheit ist hiermit die absolute und alle Wahrheit, die sich selbst denkende Idee, und zwar hier als denkende, als logische Idee.19

Man sieht wiederum: Die Absolutheit der Idee besteht darin, dass sie gleichzeitig selbsterfassend und eine kohärente Totalität ist. Diese Dimension entfaltet sich aber in vollständigster Form in der Idee als Geist: Die Idee selbst ist nicht zu nehmen als eine Idee von irgend etwas, sowenig als der Begriff bloß als bestimmter Begriff. Das Absolute ist die allgemeine und eine Idee, welche als urteilend sich zum System der bestimmten Ideen besondert, die aber nur dies sind, in die eine Idee, in ihre Wahrheit zurückzugehen. Aus diesem Urteil ist es, daß die Idee zunächst nur die eine, allgemeine Substanz ist, aber ihre entwickelte, wahrhafte Wirklichkeit ist, daß sie als Subjekt und so als Geist ist.20

Die Hegelsche Konzeption des Geistes soll nun genauer betrachtet werden.

5.3 Zum Begriff des Geistes Die Idee des Geistes wird im Kontext des Hegelschen Systems am Anfang des dritten Teiles seiner Enzyklopädie (Philosophie des Geistes) eingeführt. Der erste Punkt, der hervorgehoben werden soll, ist der folgende: Der Geist ist die zum Fürsichsein gelangte Idee. Es ist eine Selbstbetrachtung der Idee, die zugleich aus der Natur zurückgekommen ist.21 Dies bedeutet, dass sich im Geist die Idee nicht als etwas zeigt, das getrennt von der phänomenalen Welt für sich existiert, sondern als das, was das Andere (die Natur) integriert. Dies wird von Hegel in eine doppelte Richtung entfaltet: Einerseits wird der Geist a parte subjecti betrachtet, dabei ist er die Tätigkeit der Idealisierung (der Natur). Der Geist ist unabhängig von dem Anderen (von der Natur), er ist absolut. Diese Unabhängigkeit ist allerdings keine Unabhängigkeit gegen das Andere, sondern eine im Anderen. Ein Ich (das Beispiel ist von Hegel) idealisiert die Welt, es tilgt dabei ihre Fremdheit und macht sie zu seinem Eigenen. Andererseits wird der Geist a parte objecti betrachtet. Der Geist ist Identität mit sich in seinem anderen und ist damit Manifestation. Geist ist also wiederum etwas, das nicht in sich selbst geschlossen ist. Es ist das logische Prinzip, das nicht als ein Quasi-Ideen-Kosmos in sich selbst bleibt, sondern sich entäußert und manifestiert. Geist ist die Idee, die über sich hinausgeht und die Vielheit durchdringt. Der zentrale Punkt ist nun der folgende: Beide Aspekte, nämlich Idealisierung und Manifestation, sind nicht als zwei getrennte Momente zu betrachten. Sie konstituieren ein und dieselbe Dynamik. Hegel schreibt:  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 236, TW 8, 388.  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 213 Anm., TW 8, 368. 21  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, § 381, TW 10, 17.

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5.3 Zum Begriff des Geistes

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Der Geist begnügt sich aber nicht damit, als endlicher Geist durch seine vorstellende Tätigkeit die Dinge in den Raum seiner Innerlichkeit zu versetzen und ihnen somit auf eine selbst noch äußerliche Weise ihre Äußerlichkeit zu nehmen, sondern als religiöses Bewußtsein dringt er durch die scheinbar absolute Selbständigkeit der Dinge bis zu der in ihrem Inneren wirksamen, alles zusammenhaltenden, einen, unendlichen Macht Gottes hindurch und vollendet als philosophisches Denken jene Idealisierung der Dinge dadurch, daß er die bestimmte Weise erkennt, wie die ihr gemeinsames Prinzip bildende ewige Idee sich in ihnen darstellt.22

Dies bedeutet, dass die idealisierende Tätigkeit, die wir zum Beispiel in den Naturwissenschaften betreiben, im Grunde keine Verfälschung des Realen bzw. keine willkürliche Tat ist. Im Gegenteil: Es ist das, wodurch der allumfassende Logos in Erscheinung tritt. Dies bedeutet aber nicht einfach, dass der Geist ein äußerliches Instrument verwendet, um in Erscheinung zu treten. Dies heißt wiederum: Das Absolute ist qua Geist Selbst-Manifestation. Diese Dimension spiegelt sich in der Dynamik der Hegelschen Philosophie des Geistes wider: Diese besteht nämlich in der Hervorhebung dieser Einheit von Idealisierung und Manifestation und expliziert sich einerseits in der Aufhebung der Äußerlichkeit und Objektivität der Welt (die wahre Welt erweist sich als eine geistige Welt) und andererseits in einer Verinnerlichung der Idealisierung (der subjektiven Dynamik), die sich im philosophischen Denken (im absoluten Geist) vollständig offenbart. Dadurch wird die Endlichkeit des Geistes aufgehoben. Hegel schreibt dazu: Im endlichen Geiste aber hat diese Rückkehr nur ihren Beginn, erst im absoluten Geiste wird sie vollendet; denn erst in diesem erfaßt die Idee sich – weder nur in der einseitigen Form des Begriffs oder der Subjektivität noch auch nur in der ebenso einseitigen Form der Objektivität oder der Wirklichkeit, sondern in der vollkommenen Einheit dieser ihrer unterschiedenen Momente, d. h. in ihrer absoluten Wahrheit.23

Der absolute Geist und sein wahrer Ausdruck durch die Philosophie sind somit der Ort, wo die zwei Dynamiken konvergieren (subjektive und objektive Manifestation) und in der die Selbstmanifestation vollkommen ist. Der obige Verweis auf die Religion ist in diesem Kontext besonders interessant. Vor allem das Christentum spielt hierbei eine außergewöhnliche Rolle und kann daher als Modell für eine Explizierung der Natur des Geistes übernommen werden. Nun wird die christliche Religion hauptsächlich von zwei Dogmen getragen: Trinität24 und Menschwerdung Gottes. Nach dem ersten Dogma artikuliert sich die eine göttliche Substanz in drei Personen (Vater, Sohn und Heiliger Geist). Nach dem zweiten Dogma hat hingegen die eine Person (Jesus Christus) sowohl eine göttliche als auch eine menschliche Natur.  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, § 381 Zu., TW 10, 22.  Ibidem. 24  Zur Rolle Philo von Alexandriens für Hegels Verständnis des Christentums, vgl. Ze’ev Strauss, Die Aufhellung des Judentums im Platonismus, Berlin/Boston 2019, 187–236. 22 23

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

Wir können nun zum Zweck der Interpretation (ich verfolge damit keine theologischen Ziele) diese Dogmen folgendermaßen umformulieren: Im Kontext der Trinität hat die göttliche Natur einen organischen Charakter. Gott ist mit anderen Worten eine intersubjektive Beziehung. Vater, Sohn und Heiliger Geist stehen nämlich nicht gleichgültig nebeneinander, sondern in einem fundamentalen relationalen Gefüge, denn der Vater zeugt den Sohn und beide hauchen (nach westlicher Lehre) den Heiligen Geist. Diese relationale Dynamik impliziert außerdem keine Depotenzierung. Denn der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott und der Heilige Geist ist Gott. Hier taucht also ein kohärenter Organismus auf, in dem die verschiedenen Glieder gleichwertig sind. Man kann nun aber hinzufügen, dass in dieser Dynamik die Dimension der Einheit (die göttliche Natur) im Vordergrund steht und die Dimension der Person einen eher abgeleiteten Charakter hat. Wenn wir nun die innertrinitarische Dynamik als eine Selbstmanifestation Gottes verstehen, darf man sagen, dass sie einen unpersonalen Charakter hat. Es geht um ein organisches Es-denkt. Andererseits kann man sagen, dass die göttliche Personalität bei der Inkarnation im Vordergrund steht, denn hier geht es um eine Subjektivität in Raum und Zeit. Das Christentum erweist sich nun aufgrund dieser doppelten Dimension als die geoffenbarte Religion. Der christliche Gott ist folglich selbstmitteilend nicht nur in sich selbst, sondern auch deshalb, weil es zu seiner Natur gehört, erfasst zu werden. Mit den Worten Hegels: Im Christentum ist der Geist für den Geist. Spekulative Philosophie kann nun als jene geistige Tätigkeit verstanden werden, die diese doppelte Dimension des Christentums zu einer organischen Einheit zurückführt. Dies geschieht bereits im Christentum selbst, indem sich (nach spekulativer Interpretation) die Gemeinde als der Ort erweist, in dem sich Gott vollständig manifestiert. Dadurch verliert Gott seine verdinglichte Transzendenz und das konkrete Individuum wird in die Dynamik der Manifestation integriert. Die menschliche Intersubjektivität tritt dadurch in Erscheinung und stellt sich als ein zentrales Element des Geistes selbst heraus. Bereits in der Phänomenologie des Geistes definiert Hegel den Geist, als „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“25. Dies lässt sich so übersetzen: Geist ist nicht nur ein vollständig kohärenter Organismus, sondern ein vollständig selbstmanifestierender, der die Perspektive des Für-mich berücksichtigt. Fassen wir das bisher Erreichte zusammen: Das Hegelsche Absolute ist qua Geist eine kohärente Totalität, die vollständig umfassend und selbstmanifestierend ist, und dies zeigt sich dadurch, dass der Geist die konkrete Manifestation (den endlichen personalen Geist) integriert. Wir haben damit eine Position, die aus ontologischer Sicht die Spinozistische Immanenzauffassung übernimmt und vertieft.  Georg W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, TW 3, 145.

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5.3 Zum Begriff des Geistes

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Es gibt aber auch eine epistemologische Seite, denn wir haben gesehen, dass die Immanenzmetaphysik in eine Anschauung des Ganzen mündet. Auch in dieser Hinsicht gibt es eine Kontinuität mit der Immanenzauffassung und diese soll nun hervorgehoben werden. Am Anfang der Begriffslogik und mit Bezug auf Kant schreibt Hegel: Es wird immer als etwas Verwundernswürdiges ausgezeichnet werden, wie die Kantische Philosophie [zwar] dasjenige Verhältnis des Denkens zum sinnlichen Dasein, bei dem sie stehenblieb, für ein nur relatives Verhältnis der bloßen Erscheinung erkannte und eine höhere Einheit beider in der Idee überhaupt und z. B. in der Idee eines anschauenden Verstandes sehr wohl anerkannte und aussprach, doch bei jenem relativen Verhältnisse und bei der Behauptung stehengeblieben ist, daß der Begriff schlechthin von der Realität getrennt sei und bleibe, – somit als die Wahrheit dasjenige behauptete, was sie als endliche Erkenntnis aussprach, und das für überschwenglich, unerlaubt und für Gedankendinge erklärt, was sie als Wahrheit erkannte und wovon sie den bestimmten Begriff aufstellte.26

Hauptmerkmal der Hegelschen Immanenzauffassung ist allerdings die Dimension der Selbstbetrachtung und dies spiegelt sich in den Hochmomenten des Hegelschen Systems wider. Kurzum: Es geht nicht bloß um noesis, sondern um noesis noeseos (Selbstanschauung). Das lässt sich zunächst anhand der Absolutheit der Idee feststellen, denn diese besteht, wie wir oben gesehen haben, in einer doppelten Dimension: Sie ist gleichzeitig selbsterfassend und eine kohärente Totalität. Diese Selbsterfassung ist außerdem unmittelbar. Im Zusatz zum ersten Abschnitt zur absoluten Idee schreibt Hegel daher Folgendes: Die Einheit und Wahrheit dieser beiden (der beiden Momente der Idee, nämlich des Lebens und des Erkennens, Anm. R. V.) ist die an und für sich seiende und hiermit absolute Idee. – Bisher haben wir die Idee in der Entwicklung durch ihre verschiedenen Stufen hindurch zu unserem Gegenstand gehabt; nunmehr aber ist die Idee sich selbst gegenständlich. Dies ist die νόησις νοήσεως, welche schon Aristoteles als die höchste Form der Idee bezeichnet hat.27

Außerdem schreibt Hegel ganz am Ende der Logik und im Übergang zur Naturphilosophie: Die Idee, welche für sich ist, nach dieser ihrer Einheit mit sich betrachtet, ist sie Anschauen […].28

Dieses Anschauen (genauer Selbstanschauen) ist wiederum nicht etwas Leeres, es geht um eines, das Ausdruck der kohärenten Einheit ist, die sich als Ergebnis 26  Hegel, Die Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, TW 6, 264 Vgl. dazu z. B. Christoph Halbig, Objektives Denken, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 259–278. 27  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 236 Zu., TW 8, 388. 28  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 244, TW 8, 393.

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

der dialektischen Dynamik ergibt. Diese Anschauung ist allerdings noch nicht vollständig, weil sie nur die Selbsterfassung eines Platonischen Ideen-Kosmos ist. Diese ideelle Selbstanschauung steht mit anderen Worten der natürlichen Welt gegenüber. Gerade die Integrierung dieser Natürlichkeit ist das, was die Dialektik noch vorantreibt und, über die Natur und die verschiedenen geistigen Abstufungen, zum absoluten Geist führt. Mit anderen Worten: Die Selbstanschauung, die im absoluten Geist erfolgt, ist jene Selbstbetrachtung, die die Natur miteinbezieht. Es geht somit um eine konkretere Form der Selbstanschauung. Diese Integrierung des natürlichen Bereichs mündet schließlich in jene anschauende Erkenntnisgattung, die einen göttlichen Charakter besitzt. Die Enzyklopädie endet nämlich mit einem Zitat aus der Metaphysik des Aristoteles, in welchem die Natur und das Leben der Gottheit beschrieben wird. Welche Bedeutung hat nun dieses Zitat? Zunächst soll noch einmal hervorgehoben werden, dass das Leben Gottes in einer intellektuellen Selbstanschauung (noesis noeseos) besteht. Ein fundamentaler Unterschied zwischen der Hegelschen und der Aristotelischen Position soll aber auch betont werden: Diese unmittelbare Selbsterfassung ist (im Gegensatz zu derjenigen des Aristoteles) nicht etwas, das nur eine besondere Portion von Realität auszeichnet, sondern die unmittelbare Selbsterfassung der organischen Ganzheit. Zusammengefasst: In dieser Selbstanschauung schaut sich der ganze Kosmos an. Sie hat daher einen Totalitätscharakter. Mehr noch: In diese Selbstanschauung geht auch die philosophische Betrachtung ein. Dies bedeutet zum Schluss, dass die Hegelsche Auffassung wiederum eine vertiefte Konzeption einer Evidenzmetaphysik in immanentistischer Form darstellt. Denn das göttliche Absolute ist allumfassend und beinhaltet sogar seine unmittelbare Selbsterfassung.

5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik Nach der kurzen Darstellung des Hegelschen Modells als Immanenzmetaphysik soll nun die hier vertretene Konzeption der spekulativen Philosophie und der damit verbundenen Dialektik-Auffassung genauer artikuliert werden. Dieser Abschnitt erfüllt eine doppelte Funktion: Einerseits geht es darum, die hiesige Position im Kontrast zu anderen Auffassungen präziser zu profilieren, andererseits soll die noch verbleibende Instabilität der Immanenzmetaphysik hervorgehoben werden. Ein erster Punkt soll gleich am Anfang betont werden: Das Modell von spekulativer Philosophie, das hier dargestellt wird, ist eines, das den metaphysischen

5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik 109

Charakter in den Vordergrund stellt. Die verschiedenen Kategorien, die im Hegelschen System behandelt werden, erheben sozusagen den Anspruch, die Realität als solche zu erfassen. Der absolute Geist stellt damit das dar, was die Realität an sich ist. Damit unterscheidet sich diese Position von jenen Auslegungen der Hegelschen Philosophie, die ihre metaphysischen Ansprüche ablehnen und sie z. B. in Kontinuität mit der Kantschen Auffassung in Verbindung setzen. Gleichzeitig soll folgender Punkt unterstrichen werden: Diese Konzeption der Hegelschen Philosophie betont den erstphilosophischen Charakter dieses Denkens. Dies bedeutet, dass der absolute Geist nicht als eine ausgezeichnete Entität neben anderen zu verstehen ist. Der Geist ist das wirklich allumfassende Prinzip. Diese Seite zeigt sich schon dadurch, dass der Geist als die vollständigste Entfaltung der Idee selbst zu verstehen ist und dass diese wiederum (wie bereits am Anfang dieser Arbeit hervorgehoben) das allumfassende Absolute ist. Aus diesem Grund ist die Hegelsche Philosophie des Geistes (der dritte Teil des Systems) nicht als eine spezielle Metaphysik zu verstehen, sondern als die vollständige Entfaltung der allgemeinen Metaphysik. Der Geist ist mit anderen Worten das allumfassende Konkrete. Es ist das Sein, das die Phänomenalität und die Vielheit in sich integriert. Dieser ontologische Anspruch ist z. B. von Rolf-Peter Horstmann folgendermaßen formuliert worden: It is the first of these claims, i. e. the ontological claim that reason is reality, that makes it quite clear what Hegel’s philosophy is all about because this claim reveals directly his most central philosophical ambition. This ambition consists in establishing what has rightly been termed a monistic account of reality. Such an account aims at an understanding of anything there is in terms of a single principle which is taken to be the essence of everything. […] There are as many candidates for a monistic principle as there are monistic theories. Hegel’s candidate is reason. All there is is reason, or there is nothing but reason – this is the monistic credo Hegel wants to convince us of. By ‚reason‘ he means a rather complicated structure which is the joint product of a (Hegelian) Concept and a process. Basically, it consists in the self-realizing activity of an entity which is defined in terms of a large number of characteristics named by Hegel ‚determinations of thought‘ (Denkbestimmungen). The sum total of these determinations of thought make up what Hegel calls the ‚Concept of reason‘. Now, one of the elements constitutive of the Concept of reason is the characteristic of objectivity, understood in the sense of ‚having to become real‘. This characteristic implies, according to Hegel, that reason has to realize itself in order to agree with its own Concept. That realization of itself takes place in the form of a process in which each of the characteristics of the Concept of reason contribute successively to the constitution of a specific configuration of reality. This process comes to an end when reason has completely objectivized its Concept. Because the very notion of objectivity is an integral element of the Concept of reason and has no meaning apart from it, there can be nothing real or objective except what is grounded in that Concept. This process of realization is supposed to have a double result: on the one hand it shows to us who witness this process that re-

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

ality indeed is nothing but reason; on the other hand it demonstrates to reason itself that it is the whole of reality.29

Horstmann hebt an dieser Stelle die monistische Dimension der Hegelschen Philosophie hervor und steht damit in Kontinuität mit der hier vertretenen Interpretation des Hegelschen Denkens. Er stellt aber an dieser Stelle die Position Hegels als eine neben anderen dar. In meiner Arbeit wird allerdings die Hegelsche Auffassung zwar als eine Form der Immanenzmetaphysik, aber gleichzeitig als die kohärenteste dargestellt, und dieser Vorrang spiegelt sich in der Tatsache wider, dass seine Auffassung die Ablehnung der Idee einer Vergegenständlichung und Verendlichung des Prinzips konsequent durchführt. Es gibt weitere Unterschiede, die angesprochen werden sollen: Horstmann spricht in dem obigen Zitat von einer Konstitution. Dies entspricht nicht der Position, die hier vertreten wird. Die spekulative Philosophie wird nämlich als eine Immanenzmetaphysik erfasst und diese ist ontologisch dadurch gekennzeichnet, dass sie das Reale als eine allumfassende und kohärente Einheit erfasst, in der Gott und Welt nicht zu trennen sind. Die immanentistische Auffassung impliziert aber auch eine epistemologische Transzendenz, die uns zur Erfassung der allumfassenden Totalität führt. Die Dynamik der Hegelschen Philosophie bewegt sich auch im Rahmen dieses Schemas. Diese entfaltet sich anhand einer doppelten Perspektive, die man Vordergrund‑ und Hintergrundperspektive nennen könnte und die wiederum auf einer Diskrepanz zwischen Abstraktheit und Konkretheit beruht. Dies bedeutet, dass das absolut Konkrete (die absolute Idee im Kontext der Logik und dann der absolute Geist im Kontext des gesamten Systems) auf eine implizite Art und Weise immer schon präsent ist. Was die dialektische Dynamik charakterisiert, ist nun keine konstruktive Tätigkeit, sondern eher eine ,rekonstruktive‘ oder, vielleicht noch besser, anamnestische, die sich aus der Diskrepanz zwischen der konkreten Hintergrundperspektive und der abstrakten Vordergrundperspektive ergibt. Dabei ist es wiederum wichtig zu betonen, dass die basalste Abstraktionsform das Parmenideische Sein ist, das wiederum eine leere Einheit darstellt. Die dialektische Dynamik besteht wiederum in der Integrierung der Vielheit und Phänomenalität in diese Einheit und damit in ihrer Konkretisierung.30 29  Rolf-Peter Horstmann, „What is Hegel’s Legacy and What Should We Do With It?“, European Journal of Philosophy 7 (1999), 275–287, hier: 278 f. 30 John Ellis McTaggart formuliert diese Idee, die er grundsätzlich von Francis Bradley übernimmt, folgendermaßen: „We have seen that the motive power of the dialectic lies in the relation of the abstract idea explicitly before the mind to the concrete idea implicitly before it in all experience and all consciousness“, in: McTaggart, Studies in the Hegelian Dialectic, § 8, 8. An einer anderen Stelle des Werkes bringt er sie so zum Ausdruck: „It will be noticed that the basis and the postulate of the dialectic correspond to the two aspects of the idea which we mentioned above as the fundamental cause of the process. The basis – the nature of pure thought – is the complete and concrete idea which is present in our minds, though only implicitly, and which

5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik

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Es geht allerdings (und das ist hier der zentrale Punkt) um eine epistemische Dynamik. Mit anderen Worten: Die verschiedenen Kategorien, die sich progressiv entfalten, sind wie abstrakte Perspektiven auf das Reale. Aber dieses ist in Wahrheit nur das Konkrete selbst. Daraus ergibt sich folgender Punkt: Nach dieser Lesart wird die Dialektik depotenziert und erhält einen epistemologischen Charakter und fungiert als eine Art Einführung in das Absolute. Oder, anders gewendet, die Dialektik hat nur einen phänomenologischen Charakter (im Hegelschen Sinne des Wortes) und keinen metaphysischen. Das hat eine weitere fundamentale Konsequenz: Das Hegelsche Absolute wird oft als eines verstanden, das einen dynamischen Charakter besitzt. Diese dynamische Dimension wird sogar zu jenem Merkmal erklärt, wodurch sich die Hegelsche metaphysische Position von den anderen unterscheidet. Michael Della Rocca verweist nun gerade auf diesen Charakter, um zwischen der Hegelschen und der Spinozistischen Auffassung zu unterscheiden. Er schreibt: [T]here are important differences between Hegel and Spinoza, the most important of which, perhaps, is the following. Although both Spinoza and Hegel espouse the intelligibility of all things, for Spinoza this intelligibility is actual. Each thing, and of course God which comprises all these things, is, for Spinoza, already fully intelligible, even if we, from our limited point of view, cannot fully grasp the reasons of the intelligibility of all things. By contrast, for Hegel, the intelligibility of all things is an ideal toward which each thing and indeed God is striving. The more intelligible things become, the more real, the more perfect they become and the more perfect God becomes.31

Die von mir vertretene Interpretation des Hegelschen Denkens unterscheidet sich fundamental von derjenigen Della Roccas. Denn sie vertritt die These, dass es noch einmal eine Kontinuität zwischen der Hegelschen und der Spinozistischen Perspektive gibt. Dies bedeutet: Auch der Hegelsche Gott ist prozesslos. Mit anderen Worten: Eine kategoriale Auffassung, die die Idee von Dynamik einführt, ist eine, die die eigentliche Natur des Realen nicht wirklich berührt. Noch anders ausgedrückt: Solange eine dynamische Dimension da ist, haben wir es noch nicht mit dem Realen an sich (dem Absoluten) zu tun. renders it impossible that we should stop short of it by permanently acquiescing in any finite category. The postulate – the abstract idea in its highest state of abstraction, which is admitted to be valid – is that which is explicitly before the mind, and from which the start is made.“ § 17, 20. Er rechtfertigt die Annahme dieses Postulates auf eine Cartesianische Art und Weise: „it (this postulate, Anm. R. V.) is involved in every action and every thought, and its denial is therefore suicidal. All that is required is the assertion that there is such a thing as reality – that something is. Now the very denial of this involves the reality of the denial, and so contradicts itself and affirms our postulate. And the denial also implies the reality of the person who makes the denial. The same dilemma meets us if we try to take refuge from dogmatic denial in mere doubt. If we really doubt, then the doubt is real, and there is something of whose reality we do not doubt; if on the other hand we do not really doubt the proposition that there is something real, we admit its truth.“ § 18, 20 f. 31  Michael Della Rocca, Spinoza, London/New York 2008, 291.

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

Die hier vertretene Konzeption lässt sich am besten beobachten, wenn wir, anhand der Formen des dialektischen Prozesses, ihren Fortgang genauer betrachten.32 Dabei geht es um: Übergang, Scheinen und Entwicklung. Diese entsprechen den drei Teilen der Logik (Seins-, Wesens‑ und Begriffslogik). Zu diesen drei Punkten schreibt Hegel folgende zusammenfassende These: Die abstrakte Form des Fortgangs ist im Sein ein Anderes und Übergehen in ein Anderes, im Wesen Scheinen in dem Entgegengesetzten, im Begriffe die Unterschiedenheit des Einzelnen von der Allgemeinheit, welche sich als solche in das von ihr Unterschiedene kontinuiert und als Identität mit ihm ist.33

Was bedeutet nun, dass etwas in etwas Anderes übergeht, dass etwas in einem anderen scheint und dass sich etwas im Unterschiedenen kontinuiert, oder, wie Hegel auch sagt, entwickelt? Diese drei Termini beziehen sich auf die Relation, die eine Kategorie zu ihrer unmittelbar entgegengesetzten hat. Zu den ersten zwei Fortgangsmodi (und deren Unterschied) schreibt Hegel Folgendes: Das gewöhnliche Bewußtsein faßt die Dinge als seiende auf und betrachtet dieselben nach Qualität, Quantität und Maß. Diese unmittelbaren Bestimmungen erweisen sich dann aber nicht als feste, sondern als übergehende, und das Wesen ist das Resultat ihrer Dialektik. Im Wesen findet kein Übergehen mehr statt, sondern nur Beziehung. Die Form der Beziehung ist im Sein nur erst unsere Reflexion; im Wesen dagegen ist die Beziehung dessen eigene Bestimmung. Wenn (in der Sphäre des Seins) das Etwas zu Anderem wird, so ist hiermit das Etwas verschwunden. Nicht so im Wesen; hier haben wir kein wahrhaft Anderes, sondern nur Verschiedenheit, Beziehung des Einen auf sein Anderes. Das Übergehen des Wesens ist also zugleich kein Übergehen; denn beim Übergehen des Verschiedenen in Verschiedenes verschwindet das Verschiedene nicht, sondern die Verschiedenen bleiben in ihrer Beziehung.34

Wenn wir uns den Unterschied zwischen den ersten zwei Fortgangsmodi anschauen, sehen wir, dass es zwei miteinander verbundene Punkte gibt, die die Unterscheidung hervorheben: Das Scheinen ist deshalb ein fortgeschrittenerer Fortgangsmodus, weil das Andere nicht etwas Fremdes ist und weil die dadurch explizierte Dynamik ,flüssiger‘ ist. Mit anderen Worten: Wenn Zentrum und Oberflächen (Einheit und Vielheit) als ineinander übergehende Entitäten erscheinen, dann haben sie einen quasi-dinghaften Charakter und deren Verbindung ist weniger konstituitv. Die Tatsache, dass sie in einer Verbindung stehen, soll sozusagen durch äußerliche theoretische Arbeit erzwungen werden. Beim Scheinen haben hingegen die Glieder einen deutlicheren relationalen Charakter und sie fließen damit deutlicher ineinander. 32  An dieser Stelle orientiere ich mich sehr stark an der Erläuterung von McTaggarts Studies in the Hegelian Dialectic. Wichtig ist auch die Reflexion von Dario Sacchi in seinem Werk Evidenza e interpretazione, Mailand 1988. 33  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 240, TW 8, 391. 34  Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 111 Zu., TW 8, 229 f.

5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik

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Im Übergang von der Wesens‑ zur Begriffs-Logik zeigt sich dann die Metakategorie der Entwicklung. Bereits der Terminus verweist auf die Dimension des Organischen und Lebendigen. Etwas, das sich entwickelt (z. B. ein Samen) enthält schon, zumindest potenziell, das, was sich entfalten wird. Das heißt, dass die kategoriale Dynamik sozusagen ganz intern bleibt. Sie ist wirklich flüssig und sie benötigt keine äußerliche Hilfe. Daraus ergibt sich eine Verbindung zwischen der allumfassenden Dimension des Prinzips (Verbindung zwischen Absolutheit und Totalität) und der Verflüssigung und Aktualisierung der Dynamik. Diese Verbindung kann auch folgendermaßen beschrieben werden: Der dialektische Fortgang besteht in einer Dynamik, die am Parmenideischen Prinzip festhält, wonach das Sein (qua absolutes) nicht von Nicht-Sein begrenzt werden kann. Anders ausgedrückt: Die Rolle der Negativität wird progressiv deaktiviert. John Ellis McTaggart hat diese Idee klar auf den Punkt gebracht: The really fundamental aspect of the dialectic is not the tendency of the finite category to negate itself but to complete itself. Since the various relatively perfect and concrete categories are, according to Hegel, made up each of two moments or aspects which stand to one another in the relation of contrary ideas, it follows that one characteristic of the process will be the passage from an idea to its contrary. But this is not due, as has occasionally been supposed, to an inherent tendency in all finite categories to affirm their own negation as such. It is due to their inherent tendency to affirm their own complement. It is indeed, according to Hegel, no empirical and contingent fact, but an absolute and necessary law, that their complement is in some degree their negation. But the one category passes into the other, because the second completes the meaning of the first, not because it denies it.35

Die Frage, die sich stellt, ist nun aber die folgende: Was wird durch den Entwicklungsprozess, der vom Begriff als solchem zur absoluten Idee führt, gewonnen? Die Entwicklung ist, wie oben erwähnt, eine interne Dynamik, es gibt daher keine äußerliche Hinzufügung. Das ,Neue‘ besteht im Grunde in der Aufhebung jeglicher Form von Prozessualität. Oder, Aristotelisch formuliert, das noch verbleibende Element von kinesis, die durch Potentialität gekennzeichnet ist, hebt sich auf, und der Begriff erweist sich, qua absolute Idee, als schiere energeia, als reine Aktualität. Diese Dimension vollzieht sich aber wirklich nur am Ende des Systems. Das Zitat des Aristoteles am Ende der Enzyklopädie verweist nämlich auf den unbewegten Beweger, der absolute und reine Aktualität und damit prozesslos ist. Es geht aber hier wiederum nicht um eine bestimmte Entität, sondern um die prozesslose Selbstbetrachtung des Ganzen, die auch die philosophische Perspektive integriert. Dies bedeutet wiederum: Jene Auffassung, die das Absolute wirklich erfasst, erfasst es als schiere Aktualität. Dies führt uns nun zu dem oben erwähnten zweiten Punkt, nämlich zu der Instabilität dieser Perspektive. Diese kann folgendermaßen artikuliert werden:  McTaggart, Studies in the Hegelian Dialectic, § 9, 10.

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

Wenn das wahre Absolute allumfassend ist und diese Totalität das Konkrete ist, dann gibt es keinen Platz für jegliche Abstraktion36 und d. h. nicht einmal für eine abstrakte Betrachtungsweise, denn diese ist wiederum etwas. Wenn das nicht der Fall ist, ist das Absolute, gegen die Hegelsche Voraussetzung und die Voraussetzungen der Ersten Philosophie, nicht die Totalität. Es geht dabei um eine zweite Philosophie. Außerdem: Wenn das allumfassende Absolute die allumfassende energeia ist, dann gibt es wiederum keinen Platz für die dialektische Dynamik selbst. Wenn es hingegen die dialektische Dynamik gibt, dann folgt daraus, dass das Absolute, gegen die dialektischen Voraussetzungen, nicht die Totalität und somit (à la Aristoteles) eine bestimmte Portion von Aktualität ist und damit ein bestimmter Beweger. Schließlich: Wenn das Absolute wirkliche aktuale und totale Selbstmanifestation ist, dann ergibt die phänomelogische Dynamik der depotenzierten Dialektik keinen Sinn, weil sie dazu da ist, das Absolute in Erscheinung zu bringen. Wenn es hingegen diese manifestierende Dynamik gibt, dann ist das dargestellte Absolute keine wirkliche absolute und aktuale Selbstmanifestation. Man kann diese letzte Problematik auch aus dieser Perspektive betrachten: Die Immanenzmetaphysik, wie sie von Hegel konzipiert wird, vollzieht in ihrer Dynamik einen Prozess der Entobjektivierung der Substanz, die zum Schluss auch die philosophische Betrachtung integrieren soll. Trotzdem: Diese Dynamik führt immer noch zu einem objektiven Resultat. Genauer gesagt: Das Subjekt, das die dialektische Dynamik zum Ausdruck bringt, ist nicht wirklich eines, das die Meinigkeit (des Scheines) integrieren kann, denn diese Meinigkeit soll zumindest minimal dialektisch überwunden werden. Das Resultat der Dialektik ist nicht ein Absolutes für mich, sondern ein objektives Absolutes für sich. Es geht somit nicht wirklich um ein Ich-denke, sondern um ein Es-denkt durch mich. Ein letzter Versuch, diese Schwierigkeiten zu vermeiden, könnte darin bestehen, diese Depotenzierung der Dialektik zu radikalisieren. Die Hegelsche spekulative Philosophie und der damit verbundene absolute Idealismus könnten daher in eine Richtung interpretiert werden, die Sebastian Rödl in seinem Werk Selbstbewußtsein und Objektivität entfaltet hat. An dieser Stelle verfolge ich keine Interpretation des Rödelschen Denkens, aber ich verwende vor allem eine Idee von ihm (die Idee der ,Wissenschaft ohne Gegensatz‘), um eine extreme Form des Hegelianismus zum Ausdruck zu bringen.

36 Dario Sacchi formuliert die Problematik auf eine sehr prägnante Art und Weise: „Non ci si può non domandare come si debba propriamente intendere, e come si possa propriamente spiegare, l’esistenza di un ambito della realtà ‚fuori dell’Assoluto‘, cioè, in certo qual modo, situato fuori della Realtà; come, in altre parole, debba concepirsi il rapporto ontologicamente sussistente tra la dialettica, così depotenziata gnoseologicamente, e l’Originario metadialettico“, in: Sacchi, Evidenza e interpretazione, 148.

5.4 Die Depotenzierung der Dialektik und die Instabilität der Immanenzmetaphysik

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Zusammengefasst: Spekulative Philosophie kann als die Wissenschaft ohne Gegensatz verstanden werden. Forschungsbereich dieser Wissenschaft ist nun ein Gegenstand, der grenzenlos ist. Mit diesem grenzenlosen Gegenstand, dem großen Ganzen, stimmt nun ein wahres Urteil überein. Dies bedeutet, dass diesem Ganzen der Selbstbezug des Denkens immanent ist. Es geht somit um das sich selbst erfassende Absolute. Auch die Wissenschaft ohne Gegensatz ist selbst miteingeschlossen und kann daher als ,Selbstwissenschaft‘ bezeichnet werden. Diese Wissenschaft ist nun deshalb ohne Gegensatz, weil sie (in ihrem allumfassenden Charakter) keine wirklichen Opponenten hat. Der Forschungsbereich der Wissenschaft ohne Gegensatz ist mit einer entmilitarisierten Zone vergleichbar. Es geht somit nicht darum, etwas zu bekämpfen und zu überwinden.37 Wenn wir diese Idee auf Hegel übertragen, lässt sich sagen, dass die Philosophie, die den absoluten Geist absolut expliziert, die Wissenschaft ohne Gegensatz ist, denn sie ist eine Selbsterfassung der Totalität. Was wird dann aus der dialektischen Dynamik? Zwar vollzieht jeder in sich die Wissenschaft ohne Gegensatz, aber mögliche Hindernisse können entstehen, die diesen Vollzug verdunkeln, und diese sollen durch die dialektische Entwicklung in ihrer Inkonsistenz dargestellt werden. Die Dialektik würde daher an dieser Stelle einen elenktischen Charakter erhalten, und zwar deshalb, weil dadurch die unmittelbare Evidenz dieser Wissenschaft in Erscheinung tritt. Das fundamentale Problem bleibt trotzdem bestehen: Denn, wiederum, wenn das allumfassende Absolute das Evidente überhaupt ist, warum sehen es nicht alle? Warum gibt es ein Bedürfnis nach Hilfe und warum erscheint diese These sogar kontraintuitiv? Man bemerke, dass gerade in einem immanentistischen Kontext die Aporie besonders brisant ist, denn wenn Gott, qua absolute und totale Selbstmanifestation, alles ist, was es gibt, dann gibt es keinen Spielraum für das Nicht-Sehen. Das hat wiederum folgende Konsequenz: Auch wenn die spekulative Philosophie als eine Wissenschaft ohne Gegensatz konzipiert wird und die Dialektik vollständig depotenziert wird, zeigt sich das Absolute nicht als etwas, das von Anfang an für mich ist, sondern als etwas, das erreicht werden soll, und somit als etwas, das durch mich erfasst wird. Dies bedeutet einerseits, dass eine Form der Inferenz bestehen bleibt (und dass es somit nicht um eine schiere Evidenzdarstellung geht), und andererseits, dass das Absolute minimal vergegenständlicht wird und die Personalitätsdimension dabei (zumindest minimal) verloren geht. Noch anders formuliert: Die dialektische Dynamik (und überhaupt eine Einführung in den absoluten Idealismus) kann es nicht geben, wenn der Idealismus als eine Immanenzmetaphysik konzipiert wird. Die Dialektik befindet sich 37 Zu dieser Thematik vgl. Sebastian Rödl, Selbstbewußtsein und Objektivität, Berlin 2019, vor allem 78–88.

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5. Die radikalisierte Immanenzmetaphysik (Hegel)

daher in einer paradoxen Lage, weil sie mit ihren Voraussetzungen (einem allumfassenden und selbstmanifestierenden Absoluten) nicht in Einklang steht. Wir sehen also, dass je kohärenter und je radikaler die Perspektive der Evidenz verfolgt wird, es auch desto deutlicher wird, dass sie sich nicht im immanentischen Kontext durchführen lässt. Das Modell ,Immanenzmetaphysik‘ gerät dadurch ins Wanken und diese Instabilität soll im folgenden Kapitel genauer analysiert werden.

6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik In den letzten zwei Kapiteln haben wir die Entwicklung der Immanenzmetaphysik betrachtet. Dabei hat sich ein fundamentales Problem dieser Auffassung gezeigt: Sie setzt eine Erhebung zum Absoluten voraus (eine epistemologische Transzendenz), die in eine unmittelbare Betrachtung der kohärenten Totalität mündet. Die Funktion der Erhebung ist nun aber nicht die Darstellung einer Evidenz. Sie ist hingegen eine inferenzielle Dynamik, die einen Teil der Phänomenalität ausschließt. Damit stellt sich das gewonnene Absolute als etwas heraus, das sich von der Totalität unterscheidet. Auch wenn, wie im Falle Hegels, das Absolute als Subjekt verstanden wird, bleibt es immer noch eine unpersönliche Subjektivität, die die Phänomenalität nicht wirklich vollständig integriert. Das bedeutet aber, dass sich das Modell ,Immanenzmetaphysik‘ als solches als fundamental instabil und im Grunde selbstnegierend herausstellt. Im Folgenden soll diese interne Selbstnegation der Immanenzmetaphysik genauer dargestellt werden. Um das Thema einzuführen, werde ich auf eine Idee rekurrieren, die für diese Thematik zentral ist. Es geht um das Ideal der Transparenz.1 Was ist darunter zu verstehen? Dieser Ausdruck verweist auf die These, dass im Prinzip alles erkannt werden kann und dass alles im Grunde für das Denken zugänglich ist. Dieses Prinzip ist aber das fundamentale Prinzip der Ersten Philosophie (als theoretischer Wissenschaft), denn diese lebt von der Idee, dass das Ganze grundsätzlich erkennbar sei. Das heißt aber: Derjenige, der das Ideal der Transparenz negiert, negiert die Erste (theoretische) Philosophie. Die sich daraus ergebende Schwierigkeit kann daher folgendermaßen zum Ausdruck gebracht werden: Wenn man an der Immanenz festhält und sie verabsolutiert, verzichtet man auf den theoretischen Charakter der Immanenzmetaphysik, und diese erweist sich als keine Erste theoretische Philosophie. Anders formuliert: Die vollständige bzw. absolute Immanenzauffassung verzichtet auf die Dimension der Theoretizität. Andererseits: Solange man an einer Erkennbarkeit des Realen überhaupt festhält, verzichtet man auf die Absolutheit der Immanenz. Die folgende Analyse möchte daher diesen Punkt aufzeigen: Je stärker die Dimension der Immanenz gesetzt wird, desto schwächer zeigt sich  Vgl. unter anderem Koch, Die Evolution des logischen Raumes, passim.

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

auch die Theoretizität der Ersten Philosophie. Der Endpunkt ist die vollständige Setzung der Immanenz (die absolute Immanenz), die, gleichzeitig, Aufhebung der Theoretizität (und damit der Ersten theoretischen Philosophie) ist. Im sich anschließenden Kapitel gehe ich auf drei verschiedene Modelle ein, bei denen einerseits das Ideal der Transparenz immer schwächer, und andererseits das Prinzip der Immanenz immer stärker wird. Die Struktur des Kapitels lässt sich auf diese Weise darstellen: 1.) Unabschließbarkeit der Immanenzmetaphysik unter Beibehaltung des Ideals der Transparenz. 2.) Absolute Immanenz mit Verzicht auf das Ideal der Transparenz. Der erste Punkt kann wiederum zweigeteilt werden: 1a) Das Ideal der Transparenz wird faktisch vollzogen. 1b) Das Ideal bleibt als Ideal bestehen (und wird damit nicht faktisch vollzogen). Die verschiedenen Optionen sollen nun erläutert werden.

6.1 Unabschließbarkeit der Immanenzmetaphysik unter Beibehaltung des Ideals der Transparenz Betrachten wir nun die erste Auffassung dieser Position (1a), die am faktischen Vollzug der Transparenz festhält. Wenn das Ideal der Transparenz anerkannt wird, dann kann es folgendermaßen artikuliert werden: Für uns (endliche rationale Entitäten) bleibt das Reale nicht ganz erkennbar, an sich aber ist es zugänglich. Also: An sich ist das Reale rational und vollkommen zugänglich, aber wir sind nicht in der Lage, diese Rationalität zu erfassen. Dieser faktische Vollzug der Erkennbarkeit lässt sich am besten theologisch reformulieren: Der endliche Intellekt ist nicht fähig, den Grund des Realen zu erfassen, aber dies bedeutet nicht, dass das Reale selbst unvernünftig sei. Im Gegenteil: Das Reale in seiner Totalität ist einem unendlichen (göttlichen) Intellekt zugänglich und wird von ihm erkannt. Die Schwierigkeit aus der Sicht einer Immanenzauffassung ergibt sich nun unmittelbar: Wenn wir anerkennen, dass das Reale einem unendlichen Intellekt zugänglich sei, sprengen wir das Prinzip der Immanenz, weil dieser unendliche (göttliche) Verstand per definitionem den endlichen transzendiert. Mit anderen Worten: Der die Totalität erfassende Intellekt ist derjenige, der in Kraft und Vermögen den endlichen strukturell übersteigt. Der endliche Intellekt kann freilich seine Erkenntnis des Realen überhaupt immer mehr vertiefen, aber der Erkenntnis-Akt, der vom unendlichen Intellekt vollzogen wird, bleibt grundsätzlich ein unerreichbares Ideal.

6.1 Unabschließbarkeit der Immanenzmetaphysik

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Diese Schwierigkeit kann auch aus der folgenden Perspektive betrachtet werden: Die Immanenzmetaphysik lebt von der Idee der Selbstmanifestation des Absoluten. Dies bedeutet: Die Vielheit ist die Manifestation der Einheit. Andererseits ist die wahre Einheit eine allumfassende, und dies heißt, dass die Einheit die Vielheit in sich integriert. Das gilt nun aber auch für jene bestimmte Instanz der Vielheit, die durch den endlichen Intellekt instanziiert wird. Die immanente und konkrete Einheit ist somit die sich durch den endlichen Intellekt erkennende kohärente Einheit. Wenn man nun wiederum zwischen zwei Manifestationsweisen (einer endlichen und einer unendlichen) und damit zwei Erkenntnisweisen unterscheidet, geht gerade das Prinzip der Immanenz verloren. Das ist aber wiederum diejenige Position, die hier beschrieben und nach der eine Erkenntnisform des Realen anerkannt wird, die per se den endlichen Intellekt übersteigt und von ihm prinzipiell nicht erreicht werden kann. Kurzum: Die Immanenzperspektive scheint die Möglichkeit eines fundamental eingegrenzten und endlichen Intellekts auszuschließen. Der Intellekt mag vielleicht zunächst eine falsche Perspektive haben, aber er ist prinzipiell fähig, das Reale überhaupt adäquat zu erkennen. Aus diesem Grund kann diese Art von Anerkennung des Ideals der Transparenz nicht angenommen und muss depotenziert werden. Eine mögliche Formulierung dieser schwächeren These kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Transparenz gilt nur als regulatives Ideal (1b). Diese Position unterscheidet sich von der vorherigen aus folgendem Grund: In der ersten wird eine faktische Instanz eines Intellekts zumindest postuliert, der die Erkennbarkeit des Realen überhaupt vollzieht. Der unendliche (göttliche) Intellekt ist mit anderen Worten zwar transzendent, gilt aber gleichzeitig als der wirkliche Vollzug der Erfassung des Realen. In dieser zweiten Position geht es hingegen um ein Ideal, das faktisch nicht vollzogen wird, wonach man aber strebt. Theologisch formuliert: Es gibt keinen göttlichen Intellekt, aber der menschliche (und der endliche überhaupt) ist unterwegs zu einer Art Vergöttlichung (= vollkommene Erkenntnis des Realen), die aber nie vollständig erreicht wird. Um diese Konzeption zu entfalten, werde ich auf eine These Anton F. Kochs zurückgreifen, die er zur Erklärung der Struktur der physikalischen Theorien entwickelt hat und die er ,Unabschließbarkeit der Physik‘ nennt. Diese Auffassung soll dann auf die Entwicklung der Immanenzmetaphysik übertragen werden. Laut Koch lässt sich die Reihenfolge der physikalischen Theorien mit einer progressiven Steigerung von natürlichen Zahlen vergleichen. Er schreibt: Wie keine natürliche Zahl die größte ist, so ist in dieser wissenschaftsphilosophischen Konzeption keine Theorie die letzte in der Folge der physikalischen Nachfolgertheorien. Keine gegebene Theorie aus dieser Folge erfaßt die Grundzüge des Realen rest‑ und lü-

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

ckenlos. Wie andererseits keine natürliche Zahl dem Zählprozeß transzendent ist, so ist kein Grundzug des Realen der physikalischen Theoriebildung transzendent.2

Kurzum: Es gibt nicht die allerletzte physikalische All-Theorie, aber dies bedeutet nicht, dass es Aufgabe einer trans-physikalischen Theorie (etwa einer Metaphysik der Natur) sei, das Übriggebliebene zu thematisieren. Die Physik strebt nach einer vollständigen Darstellung des Realen, aber sie bleibt immer unterwegs. Wir können nun diese These auf die Dynamik der Immanenzmetaphysik übertragen: Es gibt keine endgültige immanentistische Auffassung, kein wie auch immer strukturiertes kategoriales System, das die Ganzheit erfasst, nicht einmal in Hegelscher Form, denn es bleibt immer eine minimale Form von Scheinhaftigkeit übrig, die sich nicht integrieren lässt. Kurzum: Es gibt keine feste Immanenzauffassung (wie es keine größte Zahl und keine letzte physikalische Theorie gibt). Das bedeutet aber wiederum nicht, dass es eine transzendente Instanz gibt (wie beispielsweise einen transzendenten Intellekt), die jenseits des endlichen Intellekts besteht. Das Reale wird progressiv durch eine Vertiefung und Immanentisierung der kategorialen Strukturen erkannt. Das heißt: Was bleibt, ist nur der unabschließbare Prozess der Immanentisierung. Man merkt hier also, dass das Prinzip der Immanenz auch stärker geworden ist. Ist nun aber eine solche Perspektive annehmbar? Wenn wir uns noch einmal das Modell anschauen, können wir Folgendes feststellen: Wir haben einerseits einen bestimmten erreichten Zustand (ein wenig wie die momentan geltende physikalische Theorie), dieser ist aber per definitionem immer noch eine zweite Philosophie, denn er ist das, was überwunden werden soll (da er nicht die Totalität erfasst). Andererseits wird indirekt (in Form des Ideals der Transparenz) eine noch nicht erreichte Erste Philosophie sichtbar. Im Grunde zeigt dieser unabschließbare Prozess der Immanentisierung eine fundamentale Verwandtschaft mit der vorher besprochenen Position, denn das Ideal der Transparenz bleibt (qua unerreichbares Ideal) transzendent. Es geht zwar um eine abgeschwächte Transzendenz, um eine sozusagen horizontale Transzendenz, aber es geht immer noch um eine Transzendenz. Gleichzeitig erweist sich das wirklich Bestehende (bestehend, weil es das ist, was überwunden werden muss) als zweite Philosophie.3 Hier deutet sich bereits das an, was wir oben erwähnt haben: Die Abschwächung des Ideals der Transparenz lässt die (faktische) Immanenz als zweite Philosophie erscheinen. Mehr noch: Gerade die Tatsache, dass das Ideal der Transparenz in den Hintergrund rückt, bekräftigt den strukturell zweit-philosophischen Charakter der Immanenz (bzw. der Immanentisierung).  Anton F. Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, Paderborn 2006, 256.  Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 95 Anm., TW 8, 201 ff.

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6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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Wie auch immer dem sei: Das verbleibende Ideal der Transparenz lässt eine Transzendenz-Dimension übrig, die mit dem Prinzip der absoluten Immanenz inkompatibel ist, und aus diesem Grund ist diese Position nicht annehmbar.

6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz: Die Metaphysik als Physik (Martin Heidegger) Welche Konsequenz können wir nun daraus ziehen? Wir können sie folgendermaßen formulieren: Absolute Immanenz kann es nur dann geben, wenn man auf das Ideal der Transparenz vollständig verzichtet. Aber was bedeutet dies? Und wie sieht solch eine radikale Form der Immanenz aus? Um diese Auffassung darzustellen, werde ich mich an einem konkreten philosophischen Projekt orientieren, demjenigen Martin Heideggers. Da die Heideggersche Produktion vielfältig ist, werde ich mich auf eine besondere Schaffenszeit konzentrieren, und zwar auf diejenige der Mitte der dreißiger Jahre, in der er sich von der traditionellen Auffassung der Metaphysik verabschiedet und durch eine Auseinandersetzung mit der anfänglichen Philosophie der Griechen eine alternative Konzeption der Ersten Philosophie entwickelt. Dabei werden vor allem zwei Werke Heideggers relevant sein: seine Einführung in die Metaphysik und sein Kunstwerkaufsatz bzw. Der Ursprung des Kunstwerkes. Der zentrale Punkt, der erläutert werden muss, ist nun der folgende: Die Metaphysik (Erste Philosophie) ist laut Heidegger eine Physik. Diese Idee soll in eine doppelte Richtung interpretiert werden: Einerseits bedeutet dies, dass die traditionelle Metaphysik nur eine zweite Philosophie ist, andererseits, dass die wahre ursprüngliche (Immanenz‑)Metaphysik bzw. die anfängliche Philosophie diejenige ist, die als Ausdruck der Physis (als ein περὶ φύσεως) entsteht. Dass es hierbei um ein anderes Paradigma geht, das sich von dem bisher Entfalteten unterscheidet, lässt sich folgendermaßen darstellen: Wir haben gesehen, dass das Projekt der Ersten Philosophie in einer Überwindung der mythischen Perspektive besteht. Diese konzipiert wiederum das Absolute auf eine physikalische Art und Weise, d. h. als etwas Dinghaftes. Mit anderen Worten: Das Projekt der Ersten Philosophie geht mit einer Entnaturalisierung des Absoluten einher. Dies spiegelt sich nicht nur im Übergang von der milesischen Konzeption zur Parmenideischen (vom Wasser des Thales zum Sein des Parmenides) wider. Die Verinnerlichung bzw. Integrierung der Phänomenalität selbst kann als eine weitere Entnaturalisierung des Parmenideischen Prinzips verstanden werden, das zunächst als ein dinghaftes Fundament auftritt, das eine dinghafte Phänomenalität ausschließt. Diese Entnaturalisierung des Absoluten findet wiederum in der Hegelschen Philosophie ihre Krönung, denn das Hegelsche Subjekt ist nicht einfach ein

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

Ding, sondern das selbstmanifestierende Reale selbst. Auch das Hegelsche Absolute aber (so das Ergebnis des vorherigen Kapitels) behält eine gewisse Form von Dinghaftigkeit. Es bleibt nämlich immer noch als etwas Objektives (eine objektive Subjektivität) bestehen, das die Phänomenalität nicht vollständig integrieren kann. Das Fundament ist somit etwas, das (gegen die fundamentale Parmenideische Auffassung) nicht bloße Positivität ist, es ist vom Nicht-Sein durchzogen. Es ist eingegrenzt, da es einen Teil der Phänomenalität ausschließt. Nun dreht sich aber die Perspektive: Das Reale ist totale Selbstmanifestation, aber gerade aufgrund dieses Totalitätscharakters ist die Manifestation strukturell von der Dunkelheit begleitet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich hinter der Selbstmanifestation etwas Anderes verstecken würde, das unerkannt bleibt. Gerade weil die Manifestation total ist, ist sie trüb. Metaphorisch formuliert: Es ist das Licht selbst, das, qua allumfassendes Licht, undurchsichtig ist. Der zentrale Punkt ist nun der folgende: Dieses trübe Licht ist das wahre absolute Licht. Die Idee des makellosen Lichts ist hingegen als eine Abstraktion zu verstehen. Dies bedeutet, dass die Natürlichkeit des Absoluten nicht mehr als etwas konzipiert wird, das überwunden werden muss. Anders gewendet: Die Natürlichkeit (und Dinghaftigkeit) des Absoluten ist nicht als etwas Mangelhaftes zu verstehen. Es ist vielmehr die wirkliche Form des Absoluten, denn die metaphysische Interpretation des Absoluten, die die immanentistische Auffassung bisher begleitet hat, wird zu einer bloßen Abstraktion, wenn sie ihr vorlogisches (natürliches) Fundament verdrängt. Dies bedeutet zum Schluss: Die Idee der Immanenz wird wirklich verabsolutiert, aber dies impliziert, dass das Absolute seine Parmenideische Makellosigkeit verliert. Das metaphysische Paradigma wird zugunsten einer Verabsolutierung der Immanenz aufgegeben. Diese Idee soll nun anhand einer Auseinandersetzung mit dem Heideggerschen erstphilosophischen Modell entfaltet werden. 6.2.1 Physis als Anfang Ein Zitat aus dem Werk Einführung in die Metaphysik spricht diese Thematik direkt an: Im Zeitalter der ersten und maßgebenden Entfaltung der abendländischen Philosophie bei den Griechen, durch die das Fragen nach dem Seienden als solchem im Ganzen seinen wahrhaften Anfang nahm, nannte man das Seiende φύσις.4 4  Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, hg. von Petra Jaeger, Gesamtausgabe (im Folgenden: GA) in 102 Bänden, Bd. 40, Frankfurt a. M. 1983, 15. Zu diesem Werk Heideggers vgl. unter anderem Richard Polt/Gregory Fried (Hgg.), A companion to Heidegger’s Introduc-

6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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Um die Heideggersche Position darzustellen, ist es nützlich, sie mit der Hegelschen Auffassung des Anfangs der Philosophie zu vergleichen, die als Ausgangsperspektive für diese Studie fungierte. Hegel geht, wie bereits im zweiten Kapitel dargestellt, von der These aus, dass die Philosophie mit jenen Auffassungen anfängt, die sich in Ionien entfalteten. Diese Konzeptionen sind nun deshalb Philosophie, weil sie protometaphysisch sind. Sie haben mit anderen Worten einen ontologischen Charakter und zielen auf die Totalität ab. In dieser Hinsicht gibt es eine klare Kontinuität zwischen der Hegelschen und der Heideggerschen Konzeption, denn wie das Zitat belegt, ist die Erste Philosophie ontologisch geladen und verweist wiederum auf die Totalität. Heidegger schreibt auch: Φύσις meint daher ursprünglich sowohl den Himmel als auch die Erde, sowohl den Stein als auch die Pflanze, sowohl das Tier als auch den Menschen und die Menschengeschichte als Menschen‑ und Götterwerk, schließlich und zuerst die Götter selbst unter dem Geschick.5

Und in seiner späteren Heraklit-Vorlesung fügt er hinzu: φύσις, recht gedacht, umfaßt nicht nur das, was wir im Unterschied zur Geschichte ‚die Natur‘ nennen; zur φύσις gehört auch die Geschichte, der Mensch und die Götter. φύσις meint das Seiende im Ganzen. Die ἐπιστήμη φυσική ist, anders freilich als die neuzeitliche Physik, das Wissen vom Seienden im Ganzen.6

Diese Stellen sind insofern besonders interessant, als sie verdeutlichen, dass sich das Heideggersche Modell von dem Thomistischen unterscheidet, das die Physis als Natur versteht, und damit als einen Teilbereich des Realen überhaupt, und gleichzeitig den Anfang der Philosophie als eine Art Naturphilosophie betrachtet.7 Dies bestätigt wiederum die Kontinuität mit dem Hegelschen Modell. Worin besteht nun aber der Unterschied zwischen der Hegelschen und der Heideggerschen Auffassung? Als erster Unterschied ist hervorzuheben: Wahre Physiker (Denker des Anfangs) sind laut Heidegger nicht einfach die Ionier oder gar die Vorsokratiker im Allgemeinen. Anfängliche Philosophen sind nur drei Hauptautoren der vorsokratischen Zeit: Anaximander, Parmenides und vor allem Heraklit. tion to Metaphysics, New Haven 2001, sowie Jean-François Courtine (Hg.), Introduction à la métaphysique de Heidegger, Paris 2007. Laut Heidegger ist ,Physis‘ das Grundwort des anfänglichen Denkens, genauer: das Grundwort, das die anfänglichen Denker thematisieren: „φύσις ist das Grundwort im Sagen der anfänglichen Denker“, in: Martin Heidegger, Heraklit, hg. von Manfred S. Frings, GA 55, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, 87. 5  Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 17. 6  Heidegger, Heraklit, GA 55, 214. 7  Die Naturwissenschaften vertiefen diese Tendenz noch weiter, die das Thomistische Modell prägt und nach der der Forschungsbereich nur ein Teil des Realen ist.

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

Aber warum nur diese drei? Was zeichnet sie aus? Man kann darauf einfach antworten, dass nur diese drei (und vor allem Heraklit) die ursprüngliche Bedeutung von Physis explizieren. Aber was bedeutet Physis im ursprünglichen Sinne? Heidegger schreibt dazu: Es sagt das von sich aus Aufgehende (z. B. das Aufgehen einer Rose), das sich eröffnende Entfalten, das in solcher Entfaltung in die Erscheinung-Treten und in ihr sich Halten und Verbleiben, kurz, das aufgehend-verweilende Walten. Lexikalisch bedeutet φύειν wachsen, wachsen machen. Doch was heißt wachsen? Meint es nur das mengenmäßige Zu-nehmen, mehr und größer Werden? Die φύσις als Aufgehen kann überall, z. B. an den Vorgängen des Himmels (Aufgang der Sonne), am Wogen des Meeres, am Wachstum der Pflanzen, am Hervorgehen von Tier und Mensch aus dem Schoß, erfahren werden. Aber φύσις, das aufgehende Walten, ist nicht gleichbedeutend mit diesen Vorgängen, die wir heute noch zur „Natur“ rechnen. Dieses Aufgehen und In-sich-aus-sich-Hinausstehen darf nicht als ein Vorgang genommen werden, den wir unter anderen am Seienden beobachten. Die φύσις ist das Sein selbst, kraft dessen das Seiende erst beobachtbar wird und bleibt.8

Worum handelt es sich hier? Die Physis ist der ursprüngliche Horizont, innerhalb dessen jeglicher Bereich des Realen seine Sinnhaftigkeit erhält. Physis ist somit das Reale als solches in seiner Offenheit. An dieser Stelle wird eine fundamentale Tendenz des Heideggerschen Denkens sehr deutlich, die gerade für die vorliegende Studie wichtig ist, nämlich die phänomenologische Dimension der Heideggerschen Auffassung. Dies bedeutet in diesem Fall: Die ursprünglich erfasste Totalität ist nicht etwas Dinghaftes, sondern etwas, das in sich selbst manifest ist. Gleichzeitig: Die Physis bringt eine Dimension der Tätigkeit ins Spiel. Mit einem Wort: Physis ist nicht einfach das Eröffnete, sondern das sich Manifestierende. Man kann daher auch sagen, dass die Heideggersche Phänomenologie nicht als eine abstrakte Wissenschaft gedacht ist, die eine Gegebenheit von außen her beschreibt, sondern als eine dynamische (existenziale) Wissenschaft. Kurzum: Physis bringt die Dynamik der Öffnung der Totalität zum Ausdruck (im Gegensatz zu einer Totalität, die einfach vorhanden ist). Heidegger versucht diese Dimension durch eine philosophisch geprägte philologische Analyse zu untermauern. Er hebt folglich einerseits die These hervor, dass ,phyo‘ ursprünglich ,erzeugen, wachsen lassen, entstehen‘ bedeutet9 und verweist andererseits auf die Relation zwischen den Stämmen ,phy‘ und ,pha‘, woraus das Wort ,phainesthai‘ (In-Licht-Aufgehen, Scheinen) stammt.10 Es ist in dieser Hinsicht auch besonders wichtig hervorzuheben, dass Heidegger das Werden als das Scheinen des Seins und das Erscheinen als ein Werden des Seins  Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 16 f. (Herv. R. V.).  ,Phyo‘ ist interessanterweise auch mit dem lateinischen Verb „fio“ (ich werde) urverwandt. 10  Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 76.  8  9

6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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bezeichnet.11 An dieser Stelle sieht man außerdem, dass die Heideggersche Auffassung einen Ereignischarakter erhält.12 Gerade diese letzten Ideen lassen sich auch anhand eines Themas verdeutlichen, das mit der Konzeption der Physis fundamental verbunden ist, nämlich der Wahrheit. Denn das Wahre besteht gerade in dieser Zusammengehörigkeit von realistischer und epistemischer Seite, die auch durch die Physis expliziert wird. Mit den Worten der Scholastik: Das Sein ist einerseits mit dem Wahren koextensiv (da, wo es Sein gibt, gibt es auch Wahres). Andererseits besteht ,das Neue‘ darin, dass durch das Wahre der Offenheitscharakter (und damit die Intellekt-Bezogenheit) des Seins zum Ausdruck gebracht wird. Heidegger selbst bestätigt diese Kontinuität zwischen Physis und Wahrheit: Sein west als φύσις. Das aufgehende Walten ist Erscheinen. Solches bringt zum Vorschein. Darin liegt schon: Das Sein, Erscheinen, läßt aus der Verborgenheit heraustreten. Indem Seiendes als ein solches ist, stellt es sich in die und steht es in der Unverborgenheit, ἀλήθεια.13

Man merkt, dass die Wahrheit, die hier angesprochen wird, nicht als Eigenschaft von Propositionen zu verstehen ist. Wahrheit ist etwas Fundamentaleres und Ursprünglicheres. Es geht wiederum um das Reale selbst in seiner Offenheit. Die propositionale Wahrheit hat hingegen einen abgeleiteten Charakter. Denn laut Heidegger besteht der Grund der Wahrheit einer Proposition gerade darin, dass sie etwas offenbart. Keine propositionale Wahrheit kann aber außerhalb der Eröffnung des Realen überhaupt (außerhalb des eröffneten Horizonts) etwas in Erscheinung bringen, und diese Eröffnung ergibt sich wiederum in der Form der Physis.14 Wir haben aber oben festgestellt, dass durch die Physis auch eine Dimension der Tätigkeit ins Spiel kommt. Diese Seite tritt in dieser Wahrheitskonzeption auf. Wahrheit wird nämlich von Heidegger als Un-Verborgenheit gefasst bzw. als ein Ent-bergen. Das bedeutet: Diese Ureröffnung des Realen überhaupt ist nicht einfach etwas bloß Gegebenes. Es geht um etwas, das gewonnen werden muss.

 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 123.  Damit impliziert diese These auch, dass im Grunde das ,Ereignisdenken‘ eine Radikalisierung eines Denkens ist, das sich in noch unvollendeter Form bei den Denkern des ersten Anfangs manifestiert hat. 13  Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 109. 14  Zu dieser Thematik schreibt z. B. Charles Guignon: „Given Heidegger’s reading of the Greek word for truth alētheia, as ,unconcelement‘, it is possible to say that it is this event of ,lighting‘ or ,disclosing‘ that is truth. Thus, on Heidegger’s view, truth at its most basic level is not a feature of proposition or judgements, that is, it is not a matter of correctness or correspondence, as we normally suppose. Instead, truth is first and foremost the enabling condition that lets things show up at all: that they can become manifest or appear within a world“, in: Charles Guignon, „Being as Appearing: Retrieving the Greek Experience of Physis“, in: Richard Polt/ Gregory Fried (Hgg.) A Companion to Heidegger’s Introduction to Metaphysics, 34–56, hier: 52. 11 12

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

Die Physis integriert somit die Tätigkeit des In-Erscheinung-Bringens. Die Betätigung des Scheinens erfolgt aber durch jene Entität (das menschliche Subjekt), die eben diese Scheinhaftigkeit artikuliert und aktualisiert. In der Sprache Heideggers ist diese Entität das Dasein. Dies bedeutet aber im Grunde, dass zur Natur der Physis auch jene Entität gehört, die diese Aktualität garantiert. Kurzum: Physis ist Selbstmanifestation. Auch dies ist aber ein Aspekt, der die Hegelsche Natur des Absoluten auszeichnet. Denn dieses ist wiederum als absoluter Geist und damit als Selbstmanifestation zu verstehen. Allerdings: Der Hegelsche Geist ist ein meta-physisches Prinzip, das jegliche Form der Naturalisierung und damit jegliche physikalische Betrachtung zu überwinden beansprucht. Das gilt nun nicht für Heidegger. Die Physis ist nämlich nicht etwas Primitives, denn: Von aller Unsinnigkeit im besonderen abgesehen, die in dieser Auffassung des Anfangs der abendländischen Philosophie als eines primitiven liegt, muß gesagt werden: Diese Auslegung vergißt, daß es sich um Philosophie handelt, um etwas, was zu den wenigen großen Dingen des Menschen gehört. Alles Große aber kann nur groß anfangen. Sein Anfang ist sogar immer das Größte.15

Mit anderen Worten: Dieses Heideggersche Modell konzipiert die Philosophie als die Eröffnung eines Anfangs. Dieser darf aber nicht als etwas Unentfaltetes und Mangelhaftes verstanden werden, sondern als das Größte. Das impliziert zunächst: Philosophie ist nicht so sehr das Produkt einer Entwicklung, sie ist auf einmal da. Der Kampf um die Entschleierung ist keine inferenzielle und vermittelnde Dynamik, denn diese spielt sich erst im Kontext des bereits eröffneten Horizontes ab. Der Kampf ist, sozusagen, Kampf um das Unmittelbare. Das bedeutet wiederum: Ursprüngliche Philosophie zeigt sich als die Offenbarung einer Urevidenz. Dieses Modell übernimmt daher ein fundamentales Merkmal der Ersten Philosophie, wie sie bisher erläutert wurde. Der zentrale Punkt dieser Konzeption ist aber wiederum, dass die physikalische Darstellung des Anfangs nicht etwas Inadäquates und Mangelhaftes (ein mythischer Rest) ist. Im Gegenteil: Die wahre Erste Philosophie ist nicht die traditionelle Metaphysik, sondern die Physik. Heidegger selbst spricht diese Dimension an. In seiner Heraklit-Vorlesung schreibt er: Die ‚Physik‘ vollzieht den denkenden Überschritt vom gegebenen Seienden zu dem, was das Seiende als ein solches im Ganzen bestimmt: zum Sein. Weil die Physik in ihrer ursprünglichen Absicht vom Seienden aus auf dessen Sein denkt und dabei zu diesem, das vom Seienden unterschieden ist, hinüberdenkt, ist die Physik als solche Meta-physik.16

 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 17 f.  Heidegger, Heraklit, GA 55, 235.

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6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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Hier sieht man wiederum, dass die Heideggersche Physik metaphysisch ist, und das bedeutet, dass sie einen erstphilosophischen Charakter besitzt und sich auf die Totalität bezieht. Allerdings stellt Heidegger einen Unterschied zwischen dieser physikalischen Erfassung der Ganzheit und derjenigen der Metaphysik fest: Seit Platon und Aristoteles ist das abendländische Denken bis zur Stunde ‚Metaphysik‘. Dagegen ist das Denken der anfänglichen Denker noch nicht Metaphysik. Wohl denken auch sie das Sein. Aber sie denken es in anderer Weise. Wohl kennen auch sie das Seiende. Aber sie erfahren es in anderer Weise.17

Was ist nun aber das Andere in der Erfahrung der Physis? Heidegger schreibt: Φύσις κρύπτεσθαι φιλεῖ: Sein [aufgehendes Er-scheinen] neigt in sich zum Sichverbergen. Weil Sein heißt: aufgehendes Erscheinen, aus der Verborgenheit heraustreten, deshalb gehört zu ihm wesenhaft die Verborgenheit, die Herkunft aus ihr. Solche Herkunft liegt im Wesen des Seins, des Erscheinenden als solchen. […] Die unmittelbare Nähe von φύσις und κρύπτεσθαι offenbart in einem die Innigkeit von Sein und Schein als ihren Streit.18

Die ,traditionelle‘ Auffassung der Metaphysik versteht sich als die Herausarbeitung einer festen kategorialen Struktur, die durch die Überwindung des Scheines erreicht wird. Diese Struktur ist die Art und Weise, wie das Reale an sich ist. Die Struktur wird nun zwar in einem Kampf mit dem Schein erreicht, aber es geht um etwas, das ,jenseits‘ der Welt des Scheines für sich besteht. Diese Dimension bleibt auch bei der Hegelschen Konzeption bestehen, denn auch das Hegelsche Absolute behält diesen Charakter der Transparenz und Objektivität, der durch die dialektische Aufhebung einer abstrakten Perspektive erreicht wird. Die Physis ist nun anders, weil diese Dimension der aktualen Manifestation auf eine absolut radikale Art und Weise durchzogen wird. Dies bedeutet nun, dass die Offenheit in sich selbst ,meinig‘ ist, denn die Meinigkeit bringt gerade die Aktualität des Scheines zum Ausdruck. Mit anderen Worten: Die intrinsische Offenbarung ist durch und durch ,subjektiviert‘. Noch anders gewendet: Das Reale ist qua Physis fundamental perspektivisch. In der Sprache Heideggers bedeutet dies, dass es ein Wechselverhältnis zwischen Sein und Dasein gibt. Dies heißt wiederum einerseits, dass die fundamentale Offenheit des Seins an einen bestimmten raumzeitlichen Ort (an ein ,Da‘) gebunden ist und dass das ,Da‘ (die Perspektive) in sich selbst Seinsmanifestation ist. Die hiesige Interpretationsrichtung des Heideggerschen Modells entfernt sich somit sowohl von jenen Auffassungen, die, vor allem ausgehend von der Perspektive des frühen Heideggers, eine antirealistische Interpretation (z. B. in pragmatistischer Form) dieser Philosophie entfalten. Denn hier geht es gerade um die genuine ontologische und realistische Dimension des Heideggerschen Denkens, die dieses von Anfang an auszeichnet. Andererseits unterscheidet sich  Heidegger, Heraklit, GA 55, 57.  Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 122.

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

die hier vertretene Auffassung von jenen Interpretationen, die, vor allem ausgehend vom Ereignis-Denken, eine durch und durch ,anti-humanistische Position‘ vertreten. Denn diese Richtung scheint das Sein und seine Offenbarung als etwas zu konzipieren, das sich unabhängig von der konkreten Subjektivität abspielt (das Dasein trennt sich vom konkreten Menschen). Dadurch wird aber das Sein auf eine unterschwellige Art und Weise vergegenständlicht. Das heißt: Die hier vertretene Interpretation geht von einer fundamentalen Kontinuität zwischen dem ersten und dem zweiten Heidegger aus. Genauer gesagt: Der ,zweite Heidegger‘ wird als eine Radikalisierung des ersten verstanden. Das Heraklit-Zitat bringt nun diese Idee auf den Punkt: Laut Heraklit liebt es nämlich die Physis, sich zu verbergen. Dies bedeutet wiederum nicht, dass es hinter der manifesten Realität noch etwas Unentdecktes und Unentdeckbares gibt. Denn, wie wir gesehen haben, ist die Physis das Reale in seiner vollständigen Manifestation. Die wahre und totale Manifestation (die Ent-schleierung) des Realen erweist sich als etwas Trübes und Perspektivisches. Mit einem Wort: Das Reale entzieht sich in seiner Offenbarung selbst. Noch anders gewendet: Die Manifestation (des Realen) ist wirklich ,total‘, wenn sich der Entzug auch ,mitzeigt‘. Die Metaphysik (auch die Hegelsche) ist hingegen, in ihrem Anspruch auf unverrückbare kategoriale Strukturen, eine Abstraktion. Die Strukturen, die herausgearbeitet werden, schließen eine Dimension der Scheinhaftigkeit aus und bezahlen ihre perspektivlose Objektivität mit dem Verzicht auf die Totalität und auf die wahre Ursprünglichkeit. Kurzum: Die traditionelle Metaphysik stellt sich als zweite Philosophie und somit als schlechte Physik heraus. Dieser Paradigmenwechsel hat auch folgende fundamentale Konsequenz: Die Tatsache, dass die Totalität qua Physis absolut aktuale Offenbarung ist und dass diese Offenbarung an einen konkreten und endlichen Ort gebunden ist, impliziert, dass die Totalität kein Absolutes im gewöhnlichen metaphysischen Sinne des Wortes ist. Das wahre ,physikalische Absolute‘ impliziert Endlichkeit. Noch anders gewendet: Der Geist ist auch im Falle Heideggers ,für den Geist‘, aber dieser letzte (subjektive) Geist ist strukturell ein endlicher, und damit befindet sich auch der erste (objektive) Geist in einer prekären Lage. Diese alternative Konzeption des Absoluten soll nun anhand der Heideggerschen Reflexion über die Natur des Kunstwerkes dargestellt werden. Dass dieser Übergang nicht willkürlich ist, kann durch folgendes Zitat aus der Vorlesung Einführung in die Metaphysik belegt werden, in dem das Walten der Physis in künstlerischer Form angesprochen wird: Dieser Kampf wird dann von den Schaffenden, den Dichtern, Denkern, Staatsmännern getragen. Sie werfen dem überwältigenden Walten den Block des Werkes entgegen und bannen in dieses die damit eröffnete Welt. Mit diesen Werken kommt erst das Walten, die φύσις, im Anwesenden zum Stand. Das Seiende wird jetzt erst als solches seiend.19  Heidegger, Einführung in die Metaphysik, GA 40, 66.

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6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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6.2.2 Das Kunstwerk als Streit von Himmel und Erde In seinem Aufsatz Der Ursprung des Kunstwerkes versucht Heidegger die Natur des Kunstwerkes auszuloten. Ausgangspunkt für ihn ist nun keine subjektivistische Perspektive, die vom Künstler (z. B. von seiner genialen Natur) ausgeht, sondern eine, die vom Werk selbst ausgeht. Was aber ist ein (Kunst‑)Werk? Um diese Kategorie zu erläutern, kontrastiert sie Heidegger mit zwei anderen: dem Ding und dem Zeug (dem Artefakt). Um nun die drei Kategorien zu erklären, zieht er als Paradigma die Aristotelisch geprägte hylomorphistische Auffassung heran. Nach diesem Erklärungsmodell bestehen Entitäten aus zwei Prinzipien (Form und Stoff ). Dabei erweist sich, nach der Heideggerschen Interpretation, das Zeug als der fokale Punkt, denn in ihm ist die Formiertheit eines Materials, die den Charakter einer hylomorphen Entität ausmacht, besonders evident. Ding und Werk stellen hingegen zwei Extreme (ein ,negatives‘ und ein ,positives‘) dar, denn im ersten Fall haben wir es mit etwas zu tun, dessen Form ,unterentwickelt‘ ist, und im zweiten Fall mit etwas, dessen Form ,überentwickelt‘ ist. Wie lässt sich diese Idee genauer darstellen? Um die Pointe zu verstehen, muss man laut Heidegger die fundamentale Natur des Zeuges, die Dienlichkeit, betrachten. Ein Ding ist ein bloßes Ding und damit etwas, das un-formiert (oder schlecht formiert) ist, weil es undienlich ist. Das wird besonders deutlich, wenn beispielsweise ein Werkzeug, z. B. ein Hammer, kaputtgeht. In diesem Fall liegt er als undienliches Zeug (als bloßes Ding, womit man nichts anfangen kann) einfach da. Hier liegt die Tatsache auf der Hand, dass die bloße Dinglichkeit einen abgeleiteten, mangelhaften Charakter hat. Warum ist aber ein Werk etwas mehr? Weil es, im Gegensatz zum Zeug, das um eines äußerlichen Ziels willen hergestellt und geformt wird, Selbstzweck ist („es ruht in sich selbst“). Das sieht man besonders deutlich gerade bei den Produkten der schönen Künste, die um ihrer selbst willen produziert und formiert werden. Es sieht nun so aus, als ob wir ein Modell hätten, das die verschiedenen Realitätsweisen erklärt. Allerdings: Diese Erweiterung eines Modells, dessen eigentlicher Ort sich im Bereich der Artefakte befindet, ist insofern problematisch, als die Übertragung einer bestimmten Struktur auf andere Bereiche eine gewisse Verzerrung impliziert. Betrachten wir z. B. den Bereich der natürlichen Dinge: Eine hylomorphistische Auffassung des Dinges impliziert einerseits, dass die Form zu einer inneren und damit undurchsichtigeren Struktur des Dinges wird, andererseits, dass das Materielle (das Dinghafte) am Ding seine positive Dimension verliert und damit zu einer Art Gedankenkonstrukt wird, das in prima persona nicht auftritt und gleichzeitig als ein bloßer Störfaktor konzipiert wird, der den vollkommenen Ausdruck der Form hindert. Das bedeutet: Gerade das Dinghafte am Ding (die positive Dimension der Materialität) geht durch dieses Modell verloren.

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

Die problematische Seite der Übertragung kann auch folgendermaßen gefasst werden: Wenn wir die lebensweltliche Ausgangsbasis dieses Modells vernachlässigen (nämlich die Tatsache, dass Form und Stoff mit der Natur von konkreten Artefakten zu tun haben), vollziehen wir eine illegitime Abstraktion. In diesem Falle wird z. B. der lebensweltliche Handwerker zu einem abstrakten ,Superhandwerker‘, der alle Entitäten auf eine mysteriöse Art und Weise formieren kann. Kurzum: Die Universalisierung dieses Modells steht auf unsicherem Boden. Um die Natur des Werkes zu erläutern, kehren wir daher (wie Heidegger es tut) zum ursprünglichen Ort dieses Modells (zu den Artefakten) zurück. Was bedeutet es zu sagen, dass das Zeugsein des Zeuges in seiner Dienlichkeit besteht? Wie ist diese zu interpretieren? Was setzt sie voraus? Ein erster wichtiger Punkt ist der folgende: Die Begegnung mit einem Zeug und seiner Dienlichkeit kann nicht über eine vergegenständlichende theoretische Beschreibung laufen. Das Zeugsein eines Hammers taucht nicht auf, indem wir die Form, die Größe und das Material des Hammers beschreiben, sondern indem wir einen praktischen Umgang mit ihm haben (indem wir hämmern). Das Interessante dabei: Je dienlicher ein Zeug ist, desto unauffälliger wird es. Es geht folglich dabei gerade nicht um ein Subjekt, das auf ein Objekt starrt. Diese Lage ergibt sich erst dann, wenn die Dienlichkeit nicht mehr besteht (wenn z. B., wie oben bereits erwähnt, ein Hammer kaputtgeht). Wie lässt sich aber die Dienlichkeit in ihrer Natur explizieren? Heidegger rekurriert auf das Kunstwerk und zwar auf ein Bild von Van Gogh, das ein Paar Bauern-Schuhe20 zeigt. Das scheint zunächst kontraintuitiv zu sein, denn die Natur des Bildes besteht gerade in der äußerlichen (nicht praktischen) Darstellung der Schuhe. Und doch: Aus der dunklen Öffnung des ausgetretenen Inwendigen des Schuhzeuges starrt die Mühsal der Arbeitsschritte. In der derbgediegenen Schwere des Schuhzeuges ist aufgestaut die Zähigkeit des langsamen Ganges durch die weithin gestreckten und immer gleichen Furchen des Ackers, über dem ein rauher Wind steht. Auf dem Leder liegt das Feuchte und Satte des Bodens. Unter den Sohlen schiebt sich hin die Einsamkeit des Feldweges durch den sinkenden Abend. In dem Schuhzeug schwingt der verschwiegene Zuruf der Erde, ihr stilles Verschenken des reifenden Korns und ihr unerklärtes Sichversagen in der öden Brache des winterlichen Feldes. Durch dieses Zeug zieht das klaglose Bangen um die Sicherheit des Brotes, die wortlose Freude des Wiederüberstehens der Not, das Beben in der Ankunft der Geburt und das Zittern in der Umdrohung des Todes. Zur Erde gehört dieses Zeug und in der Welt der Bäuerin ist es behütet. Aus diesem behüteten Zugehören ersteht das Zeug selbst zu seinem Insichruhen.21

Dieses Insichruhen des Zeuges wird von Heidegger spezifiziert. Er schreibt dazu: 20  Die Tatsache, dass es dabei wahrscheinlich nicht um Bauernschuhe geht, spielt keine Rolle, da es um die Eröffnungsfunktion der Kunst als solche geht. 21  Martin Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“, in: ders, Holzwege, Bd. 5, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 8. Aufl., Frankfurt a. M. 2003, 1–74, hier: 19.

6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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Das Zeugsein des Zeuges besteht zwar in seiner Dienlichkeit. Aber diese selbst ruht in der Fülle eines wesentlichen Seins des Zeuges. Wir nennen es die Verläßlichkeit.22

Verlässlichkeit ist also das Grundmerkmal des Zeuges. Inwiefern? Noch einmal Heidegger: Das Zeugsein des Zeuges, die Verläßlichkeit, hält alle Dinge je nach ihrer Weise und Weite in sich gesammelt. Die Dienlichkeit des Zeuges ist jedoch nur die Wesensfolge der Verläßlichkeit.23

Die Idee der Verlässlichkeit soll nun genauer expliziert werden. Damit kommen wir aber zum für uns zentralen Thema von Welt und Erde. Ein Zeug ist per definitionem etwas, das auf etwas Anderes verweist (Es ist etwas, um zu …); diese Verwiesenheit ergibt aber nur in einem holistischen Kontext Sinn.24 Die Bauernschuhe z. B. erhalten ihren Sinn nur im Kontext der referentiellen und organischen Totalität, in der die Bäuerin lebt (und die aus Schuhen, Spaten, Erde, Wäldern … besteht). Verlässlichkeit spielt dabei eine fundamentale Rolle. Ich versuche einen Aspekt dieser Verlässlichkeit durch ein Beispiel zu erklären: Nehmen wir an, wir stehen an einer Kreuzung vor einer Ampel. Wir können damit umgehen, wenn wir mit dem Auto prompt und korrekt auf die verschiedenen Lichter reagieren können. Ein erster Punkt, worauf man verweisen kann, ist nun der folgende: Der Umgang mit diesem Zeug ist erst dann möglich, wenn das Ampelsystem bei einer Kreuzung wohlgestimmt ist, wenn das System verlässlich ist. Ein weiterer Punkt: Die Welt ist insofern verlässlich, als sie die Grund-Maßstäbe, die Dimensionen und die Hintergrundpraktiken festsetzt, die das Leben einer Gemeinschaft konstituieren (im Fall unseres Beispiels könnte man auf die Verkehrsregeln verweisen). Diese ,Richtlinien‘ sind fundamental und stabil und bleiben gerade deshalb gewöhnlich unthematisiert. Heidegger formuliert es so: „Das Zeug gibt in seiner Verläßlichkeit dieser Welt eine eigene Notwendigkeit und Nähe. Indem eine Welt sich öffnet, bekommen alle Dinge ihre Weile und Eile, ihre Ferne und Nähe, ihre Weite und Enge.“25 Verlässlichkeit ist somit in einer Welt verankert. Die Idee von Welt, die sich aus der Verlässlichkeit ergibt, kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Welt ist jener holistisch-strukturierte Horizont, innerhalb dessen Entitäten Verlässlichkeit erhalten. Anhand dieser Dimension gewinnen Dinge ihren Sinn und werden für uns zugänglich (wir können ihnen begegnen).

 Ibidem.  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 20. 24  Diese Thematik wird zum Teil bereits im Kontext von Sein und Zeit entwickelt. Für eine gute und klare Darstellung dieser Idee vgl. unter anderem Richard Polt, Heidegger: An Introduction, New York 1999. 25  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 31. 22 23

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

Der zentrale Punkt ist nun der folgende: Das Kunstwerk bringt diese gewöhnlich unthematisierte Dimension zum Ausdruck. Noch stärker: Das Kunstwerk eröffnet eine Welt und ermöglicht dadurch Verlässlichkeit. Mit einem Wort: Ein großes Kunstwerk eröffnet jene strukturierten Grund-Maßstäbe, die das Reale als sinnvoll erscheinen lassen. Die Welt ist nun aber nur eine Seite. Die andere ist diejenige der Erde. Um diese zweite Seite darzustellen, ist es nützlich, sich einem anderen Kunstwerk (nicht darstellerischer Art) zuzuwenden, das Heidegger analysiert: einem griechischen Tempel. Dieses Kunstwerk ist erneut der fokale Punkt, der die Welt eröffnet. Um diese Idee zu entfalten, geht Heidegger wiederum von der Thematik der Natur des Zeuges aus. Er hebt aber auch die irdische Dimension des Kunstwerkes hervor. Zum Werksein gehört die Aufstellung einer Welt. Welchen Wesens ist, im Gesichtskreis dieser Bestimmung gedacht, dasjenige am Werk, was man sonst den Werkstoff nennt? Das Zeug nimmt, weil durch die Dienlichkeit und Brauchbarkeit bestimmt, das, woraus es besteht, den Stoff, in seinen Dienst. Der Stein wird in der Anfertigung des Zeuges, z. B. der Axt, gebraucht und verbraucht. Er verschwindet in der Dienlichkeit. Der Stoff ist um so besser und geeigneter, je widerstandsloser er im Zeugsein des Zeuges untergeht. Das Tempel-Werk dagegen läßt, indem es eine Welt aufstellt, den Stoff nicht verschwinden, sondern allererst hervorkommen und zwar im Offenen der Welt des Werkes: der Fels kommt zum Tragen und Ruhen und wird so erst Fels; die Metalle kommen zum Blitzen und Schimmern, die Farben zum Leuchten, der Ton zum Klingen, das Wort zum Sagen. All dieses kommt hervor, indem das Werk sich zurückstellt in das Massige und Schwere des Steins, in das Feste und Biegsame des Holzes, in die Härte und den Glanz des Erzes, in das Leuchten und Dunkeln der Farbe, in den Klang des Tones und in die Nennkraft des Wortes. Wohin das Werk sich zurückstellt und was es in diesem Sich-Zurückstellen hervorkommen läßt, nannten wir die Erde.26

Es zeigt sich hier wiederum, dass das Kunstwerk gerade jene positive Dimension der Dienlichkeit in Erscheinung treten lässt, die das Zeug als solches nicht explizieren kann. Gleichzeitig taucht auch jene irdische Dimension auf, die mit der Dinglichkeit verbunden ist und die nun durch den irdischen Charakter des Werkes positiv zum Ausdruck gebracht wird. Diese Erdhaftigkeit scheint nun eine doppelte Dimension zu haben: Sie hat zunächst eine bergende Dimension. Dies bedeutet: Die wirkliche Eröffnung eines organischen Horizontes ergibt sich nicht als etwas, das durch eine Abstraktion erfolgt. Sie ist etwas, das die Konkretion des manifesten Weltbildes miteinbezieht. Es geht nicht um die Herausarbeitung von abstrakten Strukturen. Es gibt deshalb einen fundamentalen Unterschied zwischen der wahren großen Kunst und der Metaphysik (wie sie von Heidegger interpretiert wird). Dieser  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 32.

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6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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kann folgendermaßen expliziert werden: Laut Heidegger ist die traditionelle Metaphysik, im Gegensatz zur großen Kunst, unirdisch, denn sie erkauft die Aufstellung der Welt (und dies bedeutet wiederum die Eröffnung einer totalen holistischen Struktur) zum Preis einer Abstraktion. Das heißt: Indem eine WeltStruktur (ein metaphysisches Weltbild) herausgearbeitet wird, geht zumindest ein Teil unserer Lebenswelt verloren. Die Welt, die sich daraus ergibt, ist daher entwurzelt. Das gilt nun nicht für die Eröffnungsweise des Kunstwerkes: Die holistische Struktur wächst und bleibt verwurzelt wie eine Pflanze in einem Boden, der sie trägt und ihr Leben spendet. Gleichzeitig kann man sagen, dass diese irdische Dimension auch eine zweite, dunkle Seite hat. Dies bedeutet: Im Kunstwerk erscheint (wie in der großen anfänglichen Philosophie) eine Dimension der Verborgenheit mit. Das Kunstwerk hat deshalb einen ursprünglichen Charakter, weil es die fundamentale Undurchdringlichkeit des Realen in Erscheinung treten lässt.27 Das, was Unerschöpflichkeit garantiert, garantiert auch Eingrenzung. Das bedeutet aber, dass zur konkreten Darstellung des Realen auch seine Undurchdringbarkeit gehört.28 Diese wird (qua Erde) nun nicht einfach als ein Hindernis interpretiert, sondern als der unverfügbare Ursprung, der jegliche wahre Welteröffnung begleitet.29 An dieser Stelle wird eine fundamentale Charakteristik des wahren Kunstwerkes sichtbar: Denn einerseits ist das große Kunstwerk eine Inspirationsquelle für immer neue Interpretationen, gleichzeitig ist keine Interpretation (und nicht 27  Heidegger schreibt dazu: „Die Erde läßt so jedes Eindringen in sie an ihr selbst zerschellen. Sie läßt jede nur rechnerische Zudringlichkeit in eine Zerstörung umschlagen. Mag diese den Schein einer Herrschaft und des Fortschritts vor sich hertragen in der Gestalt der technisch-wissenschaftlichen Vergegenständlichung der Natur, diese Herrschaft bleibt doch eine Ohnmacht des Wollens. Offen gelichtet als sie selbst erscheint die Erde nur, wo sie als die wesenhaft Unerschließbare gewahrt und bewahrt wird, die vor jeder Erschließung zurückweicht und d. h. ständig sich verschlossen hält. Alle Dinge der Erde, sie selbst im Ganzen, verströmen sich in einen wechselweisen Einklang. Aber dieses Verströmen ist kein Verwischen. Hier strömt der in sich beruhte Strom des Ausgrenzens, das jedes Anwesende in sein Anwesen begrenzt. So ist in jedem der sich verschließenden Dinge das gleiche Sich-nicht-Kennen. Die Erde ist das wesenhaft Sich-verschließende. Die Erde her-stellen heißt: sie ins Offene bringen als das Sichverschließende“, in: Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 33. 28  In dieser Hinsicht ist das Kunstwerk vergleichbar mit den sogenannten Grundstimmungen (vor allem der Angst), die einerseits einen kosmischen Charakter besitzen und andererseits den Geheimnis‑ und Undurchdringbarkeitscharakter des Ganzen hervorheben. Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Gianni Vattimo, Poesia e Ontologia, Mailand 1967, 162 f. 29 Gianni Vattimo bringt diese Idee folgendermaßen auf den Punkt: „L’opera è apertura della verità anche in un senso più profondo e radicale: non solo apre e illumina un mondo proponendosi come un nuovo modo di ordinare la totalità dell’ente; ma anche, mentre apre ed illumina, fa presente quell’altro aspetto costitutivo di ogni apertura della verità che la metafisica dimentica, e cioè l’oscurità e il nascondimento da cui ogni svelatezza viene. Nell’opera d’arte è in opera la verità non solo come disvelatezza ed apertura, ma anche come oscurità e nascondimento. È questo che Heidegger descrive come conflitto di mondo e terra nell’opera“, in: Gianni Vattimo, Introduzione a Heidegger, 13. Aufl., Rom/Bari 1998, 115.

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

einmal die Summe aller bisher entfalteten Interpretationen) fähig, ein großes Kunstwerk vollständig zu explizieren.30 Diese Heideggersche Konzeption der Erde darf allerdings nicht verdinglicht werden. Denn es geht wiederum um jene Dunkelheit, die die wahre und totale Manifestation des Realen durchdringt. Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass Welt und Erde nicht als zwei mehr oder weniger gleichgültig nebeneinanderstehende Entitäten zu interpretieren sind. Sie sind hingegen zwei Prinzipien, die, wie zwei Glieder, zueinander gehören. Heidegger schreibt: Das Aufstellen einer Welt und das Herstellen der Erde sind zwei Wesenszüge im Werksein des Werkes. Sie gehören aber in der Einheit des Werkseins zusammen. Diese Einheit suchen wir, wenn wir das Insichstehen des Werkes bedenken und jene geschlossene einige Ruhe des Aufsichberuhens zu sagen versuchen.31

Das Werksein des Werkes (die eigentliche Natur des Werkes) ergibt sich also aus dieser ,Beziehung‘ zwischen den zwei Polen. Dies wird nun von Heidegger (wiederum in Heraklitischer Manier) als Streit (polemos) bezeichnet: Die Welt gründet sich auf die Erde, und Erde durchragt Welt. Allein, die Beziehung zwischen Welt und Erde verkümmert keineswegs in der leeren Einheit des sich nichts angehenden Entgegengesetzten. Die Welt trachtet in ihrem Aufruhen auf der Erde, diese zu überhöhen. Sie duldet als das Sichöffnende kein Verschlossenes. Die Erde aber neigt dahin, als die Bergende jeweils die Welt in sich einzubeziehen und einzubehalten. Das Gegeneinander von Welt und Erde ist ein Streit. Allzuleicht verfälschen wir freilich das Wesen des Streites, indem wir sein Wesen mit der Zwietracht und dem Hader zusammenwerfen und ihn deshalb nur als Störung und Zerstörung kennen. Im wesenhaften Streit jedoch heben die Streitenden, das eine je das andere, in die Selbstbehauptung ihres Wesens.32

Der Streit und der Kampf sind damit das Ursprüngliche. Das heißt: Beide Seiten sind aufeinander angewiesen (die Welt ist in der Erde verankert und die Erde drückt sich in einer Welt aus). Gleichzeitig negieren sie einander, weil sie einen Totalitätsanspruch erheben: Die Welt ist ein wenig wie das Licht, das danach strebt, alles zu beleuchten. Die Erde ähnelt einem schwarzen Loch, das das Licht schluckt. Welt und Erde sind somit als relationale Entitäten zu verstehen, die 30 Gianni Vattimo schreibt dazu: „Più importante, invece, è la coppia di termini mondo terra: basti dire qui che il mondo è il sistema che gli enti costituiscono entro un determinato orizzonte o un’apertura dell’essere; la terra, che non si identifica con la natura (per opposizione al mondo come ‚cultura‘), rappresenta piuttosto, nell’opera, la riserva permanente di significati, la base ontologica del fatto […] che l’opera non si lascia esaurire da nessuna interpretazione. Ogni interpretazione definisce un mondo aperto e fondato dall’opera; ma l’opera come tale è una permanente riserva di nuove possibili interpretazioni, e, in quanto si dà come qualcosa che anche si sottrae e si riserva, Heidegger vede in essa la presenza della terra“, in: Vattimo, Poesia e ontologia, 124. 31  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 34. 32  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 35.

6.2 Der Verzicht auf das Ideal der Transparenz

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nicht außerhalb dieses Wechselverhältnisses bestehen können. Das Kunstwerk ist nun der Ort (oder vielleicht besser der fokale Punkt), an dem sich dieser ursprüngliche Streit entzündet. Der entscheidende Punkt ist dabei folgender: Der Streit ist zwar etwas Fundamentales, aber er benötigt, um sich zu entzünden, das Kunstwerk selbst. Das künstlerische Geschehen ist somit etwas, das absolute Immanenz impliziert. Heidegger selbst schreibt dazu: Und dennoch: über das Seiende hinaus, aber nicht von ihm weg, sondern vor ihm her, geschieht noch ein Anderes. Inmitten des Seienden im Ganzen west eine offene Stelle. Eine Lichtung ist. Sie ist, vom Seienden her gedacht, seiender als das Seiende. Diese offene Mitte ist daher nicht vom Seienden umschlossen, sondern die lichtende Mitte selbst umkreist wie das Nichts, das wir kaum kennen, alles Seiende. Das Seiende kann als Seiendes nur sein, wenn es in das Gelichtete dieser Lichtung herein‑ und hinaussteht. Nur diese Lichtung schenkt und verbürgt uns Menschen einen Durchgang zum Seienden, das wir selbst nicht sind, und den Zugang zu dem Seienden, das wir selbst sind. Dank dieser Lichtung ist das Seiende in gewissen und wechselnden Maßen unverborgen. Doch selbst verborgen kann das Seiende nur im Spielraum des Gelichteten sein. Jegliches Seiende, das begegnet und mitgegnet, hält diese seltsame Gegnerschaft des Anwesens inne, indem es sich zugleich immer in einer Verborgenheit zurückhält. Die Lichtung, in die das Seiende hereinsteht, ist in sich zugleich Verbergung.33

Das Kunstwerk ist eine Versinnbildlichung dieser Lichtung, denn es fungiert, wie oben erwähnt, als ein fokaler Punkt, aus dem die Totalität beleuchtet wird (ihren Sinn erhält). Gleichzeitig ist das Kunstwerk etwas durch und durch Konkretes und Endliches. Hier taucht wiederum jene fundamentale Struktur auf, die wir bei der Analyse der Physis beschrieben haben: Das absolute Ganze ist von einer konkreten Entität ,abhängig‘. Oder epistemisch gewendet: Die Eröffnung der Totalität ist in ihrer fundamentalen Form eingegrenzt und perspektivisch. Die wahre und fundamentale Welt ist somit nicht eine abstrakte Welt, sondern eine historisch situierte.34 Dies bedeutet wiederum auch, dass die Welt, die von einem Kunstwerk eröffnet und getragen wird, instabil bleibt und sogar zugrunde gehen kann. Heidegger selbst bringt diese Idee auf den Punkt, indem er betont, dass jene griechische und jene mittelalterliche Welt, die z. B. durch Sophokles’ Antigone und den Bamberger Dom hervorgebracht wurden, uns entzogen und für uns verfallen sind.35 Der fundamentale Punkt ist nun aber der folgende: Das Heideggersche erstphilosophische Paradigma lehnt die Idee von Immanenz nicht ab, sondern radikalisiert sie. Diese totale Immanenz ist nun aber etwas, das gewissermaßen die

 Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 39 f.  Im Falle derjenigen Welt, die durch den griechischen Tempel eröffnet wird, geht es um die griechische Welt. 35  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 25 f. 33 34

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

Absolutheit des Absoluten ins Wanken bringen kann. Hubert Dreyfus hat die Heideggersche Position pointiert kommentiert: Normally the illumination in the room must withdraw to do its work. But sometimes we can see the light bulb and also see everything in its light. In this way the artwork, like the sun in Plato’s Allegory of the Cave, makes everything in the world intelligible, yet we can gaze upon it; but with the important difference that Plato thought the ground of the intelligibility of the world had to be outside the world, whereas Heidegger holds that it has to be something within the world. That means that, rather than being eternal like the Good, works of art can cease to work or, as Heidegger puts it, works of art can die.36

Dies führt uns zur Thematik des Verzichtes auf das Ideal der Transparenz zurück.37 Das Absolute, das sterben kann, ist das wirklich immanente und konkrete Absolute. Es ist aber gleichzeitig jenes Absolute, das auch ständig von der Negativität bedroht ist. Es geht somit um jenes Absolute, das sich von der Parmenideischen Auffassung, die die Metaphysik trägt, verabschiedet.

6.3 Die Selbstnegation der Immanenzmetaphysik und der Übergang zur ontologischen Transzendenz Fassen wir das bisher Erreichte zusammen: Die absolute Setzung der Immanenz ergibt sich nur durch die Ablehnung des Ideals der Transparenz. Da nun aber das Ideal der Transparenz die theoretische Erste Philosophie als solche (die Metaphysik) auszeichnet, erweist sich die radikale Immanenzmetaphysik als keine Metaphysik, sondern prinzipiell als Physik. Sie zeigt sich somit in ihrer absoluten Setzung (= Erfassung der Totalität) als die Negation ihrer selbst und damit als keine Alternative zur Transzendenz. Die Transzendenz tritt folglich in ihrem Evidenzcharakter auf. Noch anders formuliert: Die Immanenzmetaphysik manifestiert sich in ihrer Verabsolutierung als das Andere ihrer selbst (= absolute Immanenz als Physis). Mit einem Wort: Absolute Immanenz ist nicht Immanenzmetaphysik, sondern ,Immanenz-Physik‘. Diese Perspektive soll nun vertieft werden. Die Immanenzmetaphysik wird im Kontext dieser Arbeit als jene metaphysische Auffassung verstanden, nach der es nichts Anderes als Gott gibt. Dieser wird wiederum als die ,richtig erfasste Welt‘ konzipiert, d. h. als ,eine organische Totalität‘. Wenn die Welt richtig erfasst wird, verliert sie ihre abgeleitete Natur (die Zusammengehörigkeit von Sein und Nicht-Sein) und erhält hingegen ihren Absolutheitscharakter und damit ihre göttlichen Züge.

36  Hubert Dreyfus, „Heidegger’s Ontology of Art“, in: ders./Mark Wrathall (Hgg.), A Companion to Heidegger, Malden/Oxford/Victoria 2005, 407–419, hier: 414. 37  Zu dieser Thematik vgl. z. B. Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 303–317.

6.3 Die Selbstnegation der Immanenzmetaphysik

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Die vollständig durchgeführte Immanenz zeigt nun, dass die wirkliche Erfassung der Totalität eine Welt ist, die von ihrer irdischen Dimension begleitet ist. Das, was sich manifestiert, ist eine Mischung aus Sein und Nicht-Sein und damit etwas, das seine Absolutheitsansprüche ablegen soll. Die Welt ist somit wirklich nur eine Welt. Zentral ist dabei Folgendes: Diese abgeleitete Natur der Welt beruht nicht auf einem falschen Verständnis, sie bringt hingegen ihre eigentliche Natur zum Ausdruck. Es ist mithin das wahre Sein der Welt, das abgeleitet ist. Mehr noch: Die Abgeleitetheit der Welt ergibt sich aus ihrer Totalisierung (aus der absoluten Immanenz und damit aus einer Vergöttlichung der Welt). Mit anderen Worten: Das, was sich durch die totalisierte Immanenz unmittelbar offenbart, ist das Sein, das durch Negativität eingegrenzt ist. Es gibt somit Realität, die nicht göttlich ist. Wenn man nun am metaphysischen Projekt festhalten will und damit am Parmenideischen Prinzip der Positivität des absoluten Seins, zeigt sich die Transzendenz als die einzig mögliche Option. Dies bedeutet: Das Absolute (Gott) erweist sich unmittelbar als transzendent. Transzendenzmetaphysik ist somit wie eine Synthese, und zwar in dem Sinne, dass diese Transzendenzmetaphysik jene episteme ist, die am Parmenideischen Prinzip und an der Wirklichkeit des Relativen festhält. Sie ist jene Metaphysik, die der Natur des Absoluten und der wirklichen Existenz der Welt Rechnung trägt. Man muss aber an dieser Stelle die Auffassung richtig verstehen: Diese Synthese ist nicht wie eine Verbindung von zwei für sich bestehenden Elementen, sondern (in Kontinuität mit der Hegelschen Auffassung) das Auftauchen des ursprünglich Konkreten und des Offenbarsten. Es geht somit nicht um eine ontische Auffassung der Transzendenz. Denn die Immanenz ist (unter anderem) nicht einfach als eine falsche Option zu verstehen, sondern als eine selbsttilgende. Es geht hier daher um die ontologische Transzendenz, die sich aus der Selbsttilgung der Immanenzmetaphysik unmittelbar ergibt. Mit anderen Worten: Das Absolute ist nicht neben dem Relativen (ontische Transzendenz), es ist auch nicht das richtig verstandene Relative (Immanenz), es ist das, worauf das Relative als solches verweist (ontologische Transzendenz). Um diese Ideen näher zu erläutern, werde ich sie mit einer anderen und alternativen Auffassung vergleichen, die von Anton F. Koch stammt und die von ihm ,Hermeneutischer Realismus‘ genannt wird. Diese Position ist besonders geeignet, denn sie kann als eine gegenwärtige philosophische Auffassung Heideggerscher Prägung verstanden werden, die das Ideal der Transparenz ablehnt. Koch unterscheidet, in Übereinstimmung mit Aristoteles, drei Formen der Wissenschaft: theoretische, praktische und poietische, und aktualisierend verbindet er die praktische Wissenschaft mit der Hermeneutik. Theoretische Wissenschaften sind nun, wiederum in Kontinuität mit Aristoteles, Metaphysik, Physik und Mathematik. Diese ihre Theoretizität wird vor allem auf einen Punkt zurückgeführt: die Fähigkeit, von bestimmten Per-

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

spektiven abzusehen und das Reale von einem absoluten Standpunkt zu artikulieren. Diese Betrachtungsweise wird faktisch von der Mathematik und der durch die Mathematik geprägten modernen Physik vollzogen, aber der Blick auf das Reale bleibt parasitär und eingegrenzt. Die Metaphysik scheitert hingegen in ihrem Totalitätsanspruch (= qua Erste Philosophie) an diesem Versuch und bleibt grundsätzlich instabil. Die Konsequenz, die Koch daraus zieht, ist nun die folgende: Die Philosophie muss sich von dem Gedanken verabschieden, eine theoretische, standpunkttranszendente Wissenschaft sein zu wollen. Sie muss anerkennen, dass sie wie die üblichen historischen und hermeneutischen Disziplinen wesentlichen Gebrauch von indexikalischen Ausdrucksmitteln macht, sich also wesentlich aus einer je endlichen Perspektive artikuliert. Mit einem Wort: Die Erste Philosophie ist Hermeneutik, nicht Metaphysik.38

Zur Explizierung dieser Idee soll Folgendes hinzugefügt werden: Das Reale ist laut Koch (und in Übereinstimmung mit der Heideggerschen Auffassung) selbstmanifestierend, und dies bedeutet, dass das Auftauchen von verkörperter Subjektivität notwendig ist, denn nur durch diese kann sich diese Manifestation vollziehen. Die Manifestation, die sich ergibt, ist aber fundamental perspektivisch. Diese Perspektivität ist wiederum nicht so zu verstehen, dass ein Teil des Realen immer verborgen bleibt, sondern dass die wahre Manifestation selbst als solche opak ist. Das bedeutet wiederum: Die Tatsache, dass das Reale mit der personalen Subjektivität strukturell verbunden ist, ist Ausdruck einer fundamentalen Undurchsichtigkeit. Kurzum: Das Reale an sich ist Physis. Das impliziert aber, dass die Philosophie in ihrem ursprünglichen Charakter hermeneutisch sein muss. Das heißt: Die Philosophie soll Strategien entwickeln, um mit dieser fundamentalen Antinomie des Realen umzugehen, ohne sie dabei zu verdrängen. Anders gewendet: Es geht darum, eine in sich kohärente Interpretation des Realen selbst zu entwickeln, ohne zu vergessen, dass diese Interpretation perspektivisch und provisorisch ist. Diese Art von Denken ist ein wenig vergleichbar mit dem Zustand der Medizin in Anbetracht unserer Sterblichkeit. Mit den Worten Kochs: Das Memento mori steht über dem Leben insgesamt noch unerbittlicher als über dem Denken. Wir wissen, daß wir alle sterben müssen und daß auch die Gruppen, von denen her wir uns verstehen, Familie, Stadt und Land, ja die ganze Gattung Mensch, nur eine endliche Weile überdauern werden. Dennoch leben wir im Schatten des Todes unverdrossen weiter. Obwohl wir wissen, dass wir den Tod nicht auf Dauer vermeiden können, 38  Anton F. Koch, „Wir sind kein Zufall. Die Subjektivitätsthese als Grundlage eines hermeneutischen Realismus“, in: Markus Gabriel (Hg.), Der neue Realismus, Frankfurt a. M. 2014, 230–243, hier: 242 f.

6.3 Die Selbstnegation der Immanenzmetaphysik

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meiden wir ihn, solange es geht. Warum also sollten wir uns im Denken nicht ähnlich verhalten und die Inkonsistenz, wo immer sie im einzelnen droht, meiden, solange es geht?39

Als erster Punkt soll hervorgehoben werden: Der hermeneutische Realismus (und allgemeiner die Heideggersche Auffassung) ist eine Perspektive, die eine radikale Änderung impliziert. Denn es geht nicht mehr um eine weitere Spielart der Metaphysik, sondern um ein Denken, das sich von ihr fundamental verabschiedet. Nun sind die ,begrenzte Macht‘ des Logos, die fundamentale Undurchsichtigkeit des Realen und die Instabilität und Schutzbedürftigkeit des Absoluten Merkmale, die nicht nur diese Auffassung, sondern die ,mythische Einstellung‘40 kennzeichnen. Metaphorisch ausgedrückt: Wenn wir uns z. B. auf den letzten Punkt konzentrieren, sehen wir eine gewisse Verwandtschaft zwischen der Lichtung, die wir durch unseren Logos eröffnen, und dem Reich des olympischen Zeus. Denn dieses (genauso wie unsere logische Lichtung) ist etwas, das bei all seiner Glorie aus dem Chaos entstanden ist und deshalb fundamental instabil bleibt. Zeus selbst weiß, dass auch seine Zeit kommen wird und dass sein Reich (genauso wie dasjenige seines Vaters) fallen wird. Jegliche Verneinung dieser Tatsache ist nur Ausdruck einer Verdrängung. Dies kann mit den Worten formuliert werden, die Prometheus (ein Titan und damit eine chaotische Kraft, die fundamentaler und älter als die olympische Ordnung ist) an Hermes, und mit ihm an alle olympischen Götter, richtet: Neu herrschet ihr Neulinge und gedenket schon Gramlos in goldner Burg zu schwelgen! Hab denn ich Nicht dort hinab schon zween Herrscher stürzen sehn? An diesem dritten, deinem Herrn, seh ich es bald Geschehn, am schnellsten, schmählichsten.41

Die Heideggersch geprägte Auffassung wäre daher eine Art Mythologie. Das ist nicht verwunderlich, weil wir gesehen haben, dass die ursprüngliche Philosophie eine fundamentale Nähe zur Kunst und vor allem zur Dichtung zeigt. Damit wird aber ad abundantiam klar, dass es um eine andere Art von Philosophie geht. Es geht allerdings um einen Mythos, der nicht als ein terminus a quo, sondern als ein terminus ad quem zu verstehen ist. Es geht somit nicht um einen Mythos vor der Metaphysik, sondern um einen Mythos, der aus dem Scheitern der Metaphysik entsteht. Gleichzeitig ist diese postmetaphysische Mythologie die  Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, 303.  Mythos hat in diesem Kontext keine abwertende Bedeutung. Er verweist auf die Tatsache, dass die fundamentale Natur des Realen (im Gegensatz zur Metaphysik) instabil und undurchdringbar ist. 41  Aischylos, Der gefesselte Prometheus, in: Die sieben Tragödien, übers. von Johann Gustav Droysen, Berlin 2016, 71. 39

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

wahre Erste Philosophie. Denn sie ist die einzige, die wirklich fähig ist, auf eine indirekte Art und Weise der wahren Natur des Realen in seiner Ganzheit Rechnung zu tragen. Diese begrenzte Macht kann auch folgendermaßen expliziert werden: Der Logos, der im Kontext des hermeneutischen Realismus entwickelt wird, ist ein schwach gewordener Logos (ein pensiero debole42). Dies bedeutet nicht, dass er auf Argumentationen verzichtet, sondern, dass diese nicht dazu verwendet werden, um endgültige Strukturen herauszuarbeiten. Die herausgearbeiteten Strukturen haben (wie Interpretationen eines Textes) eine eher biegsame Natur und einen provisorischen Charakter. Die hier vertretene Transzendenzmetaphysik steht nun in Kontinuität und Diskontinuität mit dem hermeneutischen Realismus, was nun kurz präsentiert werden soll.43 Die Transzendenzmetaphysik stellt auch ein fundamental anderes Modell dar. Denn sie ergibt sich aus der Selbsttilgung der Immanenzmetaphysik. Aber es geht um eine Perspektive, die gleichzeitig am metaphysischen Ideal festhält. Auch die Depotenzierung des Logos wird in gewisser Hinsicht akzeptiert. Denn innerhalb der Transzendenzmetaphysik hat der Logos keine wirklich konstruktive Funktion. Es geht bloß darum, die transzendente Evidenz in Erscheinung treten zu lassen. Andererseits: Das, was in Erscheinung tritt, ist der Logos der Ersten Philosophie, die sich auf alles bezieht und die Totalität manifestiert. Diese Kontinuität und Diskontinuität lässt sich auch folgendermaßen darstellen: Die Transzendenzmetaphysik übernimmt die These des hermeneutischen Realismus, nach der eine totale Objektivierung des Realen unmöglich ist, aber sie hält gleichzeitig immer noch am theoretischen Charakter der Ersten Philosophie fest. Dies bedeutet: Die Idee der Perspektivlosigkeit und die Idee der Metaphysik als Superwissenschaft werden als etwas verstanden, das nur die (theoretische) Immanenzmetaphysik, aber nicht die Metaphysik überhaupt auszeichnet. Dies impliziert wiederum: Es muss zwischen Realität und Objektivität unterschieden werden. Mit einem Anselmischen Vokabular: Die wahre göttliche Totalität ist nicht einfach das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, sondern sie ist größer, als überhaupt gedacht werden kann. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie unzugänglich wäre, denn (wiederum mit den Worten von Anselm) diese kann nicht nur gedacht werden, sondern sie ist an sich offen42 Der

Ausdruck wurde von Gianni Vattimo und Pier Aldo Rovatti geprägt. selbst scheint die Idee einer (zumindest künstlerischen) Überwindung des ,Standpunktes der Endlichkeit‘ nicht auszuschließen. Er schreibt: „So könnte das konsequente Sich-Stellen auf den Standpunkt der Endlichkeit die Voraussetzung dafür schaffen, daß er ex improviso überwunden werden kann, etwa in Zuständen von der Art jener Kaskade von Wiederfindungserlebnissen, die Proust […] beschreibt“, in: Koch, Die Evolution des logischen Raumes, 316. 43 Koch

6.3 Die Selbstnegation der Immanenzmetaphysik

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bar und gleichzeitig transzendent. Sie ist, wie Anselm selbst wiederum schreibt, das unzugängliche Licht.44 Damit verbunden ist schließlich folgender Punkt: Objektivität hat sich als das erwiesen, was im Grunde mit dem Personalitätscharakter nicht kompatibel ist. Kurzum: Entweder ist das Absolute der Immanenz impersonal (und damit wird ein Teil der phänomenalen Welt ausgeschlossen), oder diese Personalität bringt (wie im Falle Heideggers und Kochs) eine fundamentale Instabilität mit sich, die den Verzicht auf eine Form von Absolutem im strengen Sinne des Wortes (im Parmenideischen Sinne) impliziert. Die ontologische Transzendenz zeigt sich hingegen als die Vereinigung von Personalitätsdimension und Absolutheitscharakter. Die Transzendenz ist, wie wir später ausführlicher sehen werden, das Ego sum qui sum. Dies bedeutet auch Folgendes: Die Transzendenzmetaphysik ist eine Evidenzmetaphysik. Die dabei dargestellte Evidenz ist zwar das Absolute, aber sie kann nur in prima persona erfahren werden. Es geht somit um eine Metaphysik aus der Ersten-Person-Perspektive. Das hat eine wichtige Konsequenz für die Struktur dieser Metaphysik. Denn diese darf nicht als eine objektivierende Lehre verstanden werden, sondern eher als eine Art meditatio, die die jeweilige einzelne Subjektivität vollzieht. Die Darstellung der Evidenzmetaphysik ist folglich eine Art meditatio de prima philosophia. Diese Bezeichnung verweist unmittelbar auf das Cartesianische Hauptwerk (Meditationes de prima philosophia).45 Dieser Verweis kann uns nun helfen, in die Natur dieser Ersten Philosophie einzuführen: Descartes unterscheidet nämlich zwischen drei Formen der Erkenntnis: cognitio, scientia und notitia. Die erste Erkenntnisweise bezieht sich auf eine Einsicht, die klar und deutlich ist, die aber unbegründet bleibt. Zum Beispiel könnte man (im Kontext der Cartesianischen Philosophie) Folgendes behaupten: Ein Atheist kann zwar klare und durchsichtige Ideen haben, sie bleiben aber cognitiones und können daher in Zweifel gezogen werden, weil er nicht erkennt, dass ihre Wahrheit durch Gott garantiert wird. Der ,informierte‘ Theist hat hingegen scientia, weil er diese theologische Begründung kennt. Die notitia bewegt sich schließlich auf einer höheren Stufe. Es geht um eine Art Selbstevidenz, in der Evidenz und Wahrheit koinzidieren. Dabei entfällt jegliches Bedürfnis nach Begründung. Das Interessante dabei ist nun Folgendes: Diese Erkenntnisart bezieht sich nur auf das Ich und auf Gott selbst. Das Ego cogito ist daher keine Idee, die durch einen Syllogismus erreicht wird. Sie ist von Anfang an da. Diese wird nun aber in meditativer Form erfahren. Dies bedeutet: Das Ego cogito ist zwar evident, kann aber gleichzeitig nur in prima persona erfahren werden. Die Erfahrung (die Öffnung der Augen) kann allerdings durch einen 44  Zu dieser Thematik vgl. Anselm von Canterbury, Proslogion/Anrede, Stuttgart 2005, Kap. 15–16, 48–51. 45  Zu dieser Thematik vgl. Schmidt, Göttliche Gedanken, 78 f.

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6. Die Selbstaufhebung der Immanenzmetaphysik

negativen Weg, d. h. durch eine Reinigung der Sinne (und zwar in Form einer skeptischen Praxis) eingeübt werden. Außerdem: Die meditative Dimension und ihr Meinigkeitscharakter sind mit der Idee einer dauerhaften Transformation des Meditierenden verbunden. Es geht nicht bloß darum, eine Theorie zu verstehen. Diese soll wirklich verinnerlicht und zu einem habituellen Zustand werden. Dies impliziert aber auch eine über lange Zeit ausgedehnte und wiederholte Lektüre. Nur so kann eine wirkliche Transformation stattfinden. Man kann nun vom Cartesianischen Kontext absehen und diese Konzeption auf die Transzendenzmetaphysik übertragen. Diese ist, wie oben gesagt, eine Evidenz, die sich unmittelbar einstellt. Diese Erleuchtung wird gewissermaßen durch die Selbstnegation der Immanenzmetaphysik vorbereitet. Diese Selbstnegation ist aber wiederum etwas, das in prima persona vollzogen und wirklich verinnerlicht werden muss. Kurzum: Die dialektische Dynamik erhält in diesem Kontext nicht nur eine Struktur, die mit derjenigen des Aristotelischen Elenchos vergleichbar ist, sie ist gleichzeitig eine Meditation. Darin unterscheidet sich die hier dargestellte Auffassung von der Standard-Hegelschen. Denn Hegel lehnt tendenziell die meditative Dimension der Philosophie ab und kritisiert jegliche Form von Erbaulichkeit. Gleichzeitig kann man aber auch sagen, dass diese Dimension einen Aspekt des Spekulativen hervorhebt: seine Nähe zum Mystischen. Man kann daher sagen, dass es dabei um eine Akzentverschiebung geht. Was oben gesagt wurde, gilt nun auch für den positiven Teil der Transzendenzmetaphysik. Das heißt: Die Erfahrung des transzendenten Gottes ist etwas, das gewissermaßen einen meditativen Charakter hat. Dies fügt sich im Übrigen sehr gut zur Konzeption des Absoluten im Rahmen der Transzendenzmetaphysik. Denn das Absolute, das Person ist (das nicht objektivierbar ist), kann nur aus dem Innersten erfahren werden, in einer Art Erfahrung des Denkens. Mit den Worten Hegels: „Der Geist offenbart sich nur dem Geist“, oder mit den Worten des heiligen Franz von Sales: „cor ad cor loquitur“. Noch anders gewendet: Das unobjektivierbare Absolute kann nur durch das Unobjektivierbare erfasst werden. Das bedeutet: Das Absolute der Evidenzmetaphysik ist durchaus vergleichbar mit dem Augustinischen Deus meus, der nur im Herzen des jeweiligen Menschen spricht. Im zweiten Teil soll nun diese Transzendenz positiv dargestellt werden.

II. Positiver Teil: Explizierung der Transzendenzmetaphysik

7. Gott in der Transzendenzmetaphysik Im Folgenden soll der zweite positive Teil dieser Schrift entfaltet werden. Dabei geht es darum, die ontologische Form der Transzendenz zu explizieren. Diese Explizierung wird, wie bisher, anhand von konkreten philosophischen Positionen erfolgen. Allerdings ist die modellhafte Herangehensweise an dieser Stelle auch deshalb zentral, weil es darum geht, eine metaphysische Auffassung zu entfalten, die sich aus der Zusammenführung der Perspektiven zweier Autoren, Bonaventura und Meister Eckhart, ergibt. Die Nähe zwischen diesen beiden Scholastikern ist, gerade im Kontext ontologischer Fragen, von manchen Mittelalterforschern bereits in der Vergangenheit bemerkt worden.1 Im Zentrum dieser Untersuchung steht allerdings nicht so sehr die philologische Genauigkeit, sondern die Herausarbeitung einer gemeinsamen Position, die ich im Folgenden ,Bonaventurisch-Eckhartsche Auffassung‘ nennen werde. Diese wird wiederum als das Paradebeispiel einer ontologischen Transzendenzmetaphysik präsentiert. Die Grundidee dieser Auffassung besteht nun darin, dass Gott (die absolute Reinheit des Seins) einerseits in sich alles vereinigt und somit nicht einfach ein Teil des Realen ist, dass Er aber andererseits die Existenz der Welt (des NichtGöttlichen) nicht ausschließt (die Welt ist wirklich). Diese Transzendenz wird außerdem als eine Ur-Evidenz verstanden. 1  Ein Beispiel dafür ist der Philosoph Karl Albert mit seiner ,ontologischen Erfahrung‘. Dabei geht es um eine mystische Erfassung des göttlichen Seins. Mystik hat allerdings in diesem Kontext einen durch und durch rationalen Charakter. Es geht, mit anderen Worten, um die intellektuelle Intuition des göttlichen Seins. Kurzum: Es geht um Evidenzmetaphysik. Nun sind laut Albert Eckhart und Bonaventura zwei Beispiele dieser Position. Vgl. Karl Albert, Einführung in die philosophische Mystik, Darmstadt 1996, 122–136. Genauer: Eckhart kann als eine Art Vertiefung und Radikalisierung der Bonaventurschen Seinskonzeption verstanden werden. Vgl. dazu: Karl Albert, Meister Eckhart und die Philosophie des Mittelalters. Betrachtungen zur Geschichte der Philosophie Teil II, Dettelbach 1999, 375. Die enge Verbindung zwischen der Bonaventurschen und der Eckhartschen Position mit Bezug auf die Transzendentalienlehre wird von Aertsen und Speer vertreten. Vgl. Jan A. Aertsen/Andreas Speer, „Die Philosophie Bonaventuras und die Transzendentalienlehre“, Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales 64 (1997), 32–66. Vgl. außerdem Wouter Goris/Jan A. Aertsen, „Medieval Theories of Transcendentals“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2013 Edition), Edward N. Zalta, ed. URL = . Die Einflüsse Bonaventuras auf Eckhart hat unter anderem auch Werner Beierwaltes herausgearbeitet. Vgl. dazu Werner Beierwaltes, Platonismus im Christentum, Frankfurt a. M. 2014, 107.

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7. Gott in der Transzendenzmetaphysik

Dieser zweite Teil ist demgemäß in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teil wird der Akzent auf Gott liegen, im zweiten auf dem Nicht-Göttlichen.

7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz In diesem Teil soll die Bonaventurisch-Eckhartsche Auffassung des Absoluten dargestellt werden. Dabei geht es einerseits darum zu zeigen, dass dieses Absolute zwar vollkommen transzendent ist, dass es aber gleichzeitig vollständig selbstbekundend und entobjektiviert ist. Es geht daher um das wahre absolute Ego, den wissenden Selbstbezug. Diese Transzendenz erweist sich mithin als Immanenz und bringt jene Art von Absolutheit zum Ausdruck, die am Parmenideischen Prinzip der Reinheit des Seins festhält und gleichzeitig die Phänomene vollständig rettet. Zudem ermöglicht diese Auffassung ein Philosophieren, das aus der Ersten-Person-Perspektive erfolgen kann. 7.1.1 Der Weg der Seele zu Gott: Philosophie aus der Ersten-Person-Perspektive Die Bonaventurisch-Eckhartsche Auffassung bewegt sich im Kontext einer christlich-platonischen Tradition. Für die Gestalt, die diese Auffassung innerhalb der Scholastik erhalten hat, ist allerdings Augustinus von zentraler Bedeutung. Man kann deshalb mit einem gewissen Recht die Bonaventurisch-Eckhartsche Position als eine Form von Augustinianismus bezeichnen. Um diese Position einzuführen, möchte ich daher mit einem Augustinischen Zitat aus den Bekenntnissen beginnen: Aber wie kann ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, da ich ihn doch in mich hineinrufe, wenn ich ihn anrufe? Wo ist der Ort in mir, wohin mein Gott kommen soll? Wohin in mir soll Gott denn kommen, der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat? Gibt es denn also, Herr, mein Gott irgend etwas in mir, was Dich fassen könnte? Fassen Dich etwa Himmel und Erde, die Du gemacht hast und in denen Du mich gemacht hast? Oder fasst Dich alles, was ist, weil es ohne Dich nicht wäre? Ich bin doch auch – wozu also bitte ich Dich, dass Du zu mir kommst, wo ich doch nicht wäre, wenn Du nicht in mir wärst? […] Oder soll ich besser sagen: Ich wäre nicht, wenn ich nicht in Dir wäre, aus dem, durch den und in dem alles ist? Auch das ist wahr, Herr, auch das. Wohin soll ich Dich hineinrufen, wo ich doch in Dir bin? Oder von woher kämst Du zu mir? Wohin denn soll ich entweichen außerhalb von Himmel und Erde, damit von dorther mein Gott in mich käme, der gesagt hat: Himmel und Erde fülle ich aus?2

 Aurelius Augustinus, Bekenntnisse, Stuttgart 2009, II.2., 35 f.

2

7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz

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Die Problematik, die hier beschrieben wird, ist diejenige, die von Scott MacDonald paradox of invocation3 genannt wurde. Dieses Paradoxon ist verwandt mit der Platonischen Problematik der Erkenntnis, wie sie z. B. in Menon entwickelt wird, und die sich auf den folgenden Punkt zurückführen lässt: Um etwas zu erkennen, muss ich dieses etwas bereits (irgendwie) erkannt haben, damit ich es anvisieren und wiedererkennen kann. Kurzum: Die Erkenntnisdynamik scheint problematisch zu sein, weil sie, um stattfinden zu können, schon stattgefunden haben muss. Sie ist daher entweder unnötig oder sie kann nicht wirklich in Gang kommen. Etwas Vergleichbares gibt es nun auch im Augustinischen Kontext. Das Paradoxon erhält aber im Rahmen der Augustinischen Perspektive eine besondere Koloratur: Wenn man Gott anrufen will, muss man sich Gott gewissermaßen aneignen (Gott muss ,in mich kommen‘). Aber nun eröffnet sich das Dilemma: Denn entweder ist Gott, qua Schöpfer von allem, omnipräsent und damit bereits auch in mir, oder, wenn Er wirklich in mich kommen soll, ist Er nicht wirklich überall. Außerdem: Um wirklich in mich kommen zu können, muss Gott eingegrenzt werden. Zusätzlich: Wenn Gott tatsächlich die Totalität erfasst, gibt es keine Möglichkeit, sich von ihr zu entfernen und Abstand zu nehmen, um Ihn zu objektivieren, da es jenseits der Totalität nichts gibt. Diese Problematik, die auch bei anderen Augustinischen Autoren auftaucht4, ist für uns besonders wichtig, weil sie im Grunde jene Aporie bezüglich der Erfassung der Totalität widerspiegelt, die das Grundmotiv dieser Untersuchung ausmacht. Diese wird nun aber nach einer Transzendenzperspektive artikuliert: Denn Gott ist wiederum, qua schöpferisches Prinzip (und damit qua transzendentes Prinzip), in allem präsent. Diese Präsenz ist allerdings so pervasiv (und dies macht die Lage wirklich aporetisch), dass man mit Recht sagen darf, dass das Nicht-Göttliche in Gott ist. Das hier angesprochene transzendente Prinzip ist daher gleichzeitig immanent (alles ist in Gott). Dies bedeutet: Die Frage nach der Erfassung der Totalität erweist sich als eine Frage nach der Erfassung der immanenten Transzendenz. Wie lässt sich nun diese Aporie lösen? Das ist es, was durch den ,Weg der Seele zu Gott‘ gewährleistet werden muss. Wie sieht nun aber ein solcher Weg aus? Dieser kann nach einer Dynamik beschrieben werden, die „vom Äußeren zum Inneren und vom Inneren zum Höheren“5 geht. 3 Scott MacDonald, „The Paradox of Inquiry in Augustine’s Confessions“, Metaphilosophy 39 (2008), 20–38. 4 Sehr schön sind in diesem Kontext die Ausführungen, die Anselm von Canterbury in seinem Werk Proslogion entfaltet hat. Dort schreibt er „Wohlan denn, nun auch Du, Herr, mein Gott, lehre mein Herz, wo und wie es Dich suchen soll, wo und wie es Dich finden soll. Herr, wenn Du hier nicht bist, wo soll ich [Dich], den Abwesenden suchen? Wenn Du aber überall bist, warum sehe ich [Dich], den Anwesenden nicht?“, in: Anselm, Proslogion, 15. 5  Étienne Gilson, Der heilige Augustin. Eine Einführung in seine Lehre, Hellerau 1930, 52.

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7. Gott in der Transzendenzmetaphysik

Was bedeutet dies? Zunächst soll folgender Punkt hervorgehoben werden: Der Weg zu Gott ist ein Weg, der über die Innerlichkeit führt. Bekannt sind in diesem Kontext die Worte, die Augustinus in seinem Werk De vera religione äußert: Geh nicht nach draußen, kehr wieder ein bei dir selbst! Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit. Und wenn du deine Natur noch wandelbar findest, so schreite über dich selbst hinaus! / ​Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine habitat veritas; et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.6

Da es dabei um die Wahrheit selbst geht und diese wiederum mit Gott identisch ist, kann man sagen, dass der Weg zu Gott über die Innerlichkeit erfolgt. Folgender Punkt (der gerade bei Bonaventura besonders deutlich wird7) soll hervorgehoben werden: Diese Rückkehr zur Innerlichkeit impliziert keine Verkapselung in einer inneren Perspektive, von der aus man sich auf die Suche nach Gott macht. Gott ist omnipräsent, und dies heißt, dass Er sich auch in der äußeren Welt zeigt. Allerdings tritt er deutlicher in der inneren Welt in Erscheinung. Das kann auch folgendermaßen formuliert werden: Das alles ordnende Prinzip ist nicht etwas Objektives und es hat auch die Struktur der Subjektivität. Gott ist mit anderen Worten nicht etwas, das sich durch die Analyse der äußerlichen Welt vollständig darstellen lässt. Dies hat aber eine für unsere Forschung fundamentale Konsequenz: Das Ziel des Pilgerweges, nämlich die Transzendenz Gottes, die in einem dritten Schritt erreicht wird, ist nicht in einem räumlichen Sinne zu verstehen. Es geht um die durch die absolute Immanenz erreichte Transzendenz. Das ,Über-uns‘ ist gleichzeitig das vollständige ,In-uns‘8. Hier kommt man zu einer der fundamentalen Charaktereigenschaften des Augustinischen Gottes, die zentral für die Bonaventurisch-Eckhartsche Position ist. Gott ist, wie Augustinus in den Bekenntnissen bemerkt, interior intimo meo und 6  Aurelius Augustinus, De vera religione/Über die wahre Religion, Stuttgart 2006, XXXIX.72, 122 f. 7  Zu dieser Thematik schreibt zum Beispiel Dieter Hattrup: „Das geflügelte Wort lautet bei Augustinus: ‚Wende dich nicht nach Außen, geh in dich selbst, im inneren Menschen wohnt die Wahrheit und wenn du dein schwankendes Sein gefunden hast, dann steige auch über dich selbst hinaus‘ (vera rel. 39): ‚Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine habitat veritas; et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.‘ Dieses Wort urteilt zwar nicht ganz so abwertend über die Welt wie ursprünglich bei Plotin, ist jedoch bei Augustinus immer noch negativ geprägt. Davon ist beim Exemplarismus Bonaventuras nichts mehr zu spüren […]“, in: Dieter Hattrup, „Augustinus im ekstatischen Denken Bonaventuras“, in: Norbert Fischer (Hg.), Augustinus – Spuren und Spiegelungen seines Denkens, Band: 1 Von den Anfängen bis zur Reformation, Hamburg 2009, 105–126, hier: 117. 8 Robert McMahon schreibt: „The pilgrim soul ‚returns into itself ‘, away from things outside (extra se) to those within (intra se), and so is led to those above (supra se). […] But ‚higher‘ also means ‚deeper‘, more fundamental: higher principles of ‚being in general‘ prove deeper principles of our human being“, in: Robert McMahon, Understanding the Medieval Meditative Ascent: Augustine, Anselm, Boethius, and Dante, Washington 2006, 60.

7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz

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superior summo meo. Wiederum: Die Transzendenz ist eine Steigerung der Interiorität und damit der Immanenz. Ein weiterer Punkt soll hervorgehoben werden, der auch bei der Bonaventurisch-Eckhartschen Position besonders prominent wird. Die Aporie der Erkenntnis wird im Platonischen Kontext anhand der Anamnesis-Lehre gelöst. Dies bedeutet: Erkennen kann insofern stattfinden, als es, wie im Falle des Gedächtnisses, darum geht, etwas kognitiv zu aktivieren, das man bereits in sich hat. Diese Idee lässt sich nun auf unsere Problematik übertragen: Der allumfassende Gott ist schon präsent und dies bedeutet, dass man eine Art ,Schau‘ Gottes von Anfang an besitzt. Diese Erfassung Gottes ist aber verdunkelt. Der Weg der Seele zu Gott ist daher die Erweckung besagter Erfassung. Es geht um eine Art Öffnung der geistigen Augen. Anders gewendet: Der Weg der Seele zu Gott ist ein Weg der Beschauung. Das bedeutet, dass die eben beschriebene Dynamik diese unmittelbare Erfassung der Totalität (= der immanenten Transzendenz Gottes) immer mehr verdeutlicht. Das heißt wiederum: Diese Dynamik ist nicht als eine Inferenz zu verstehen. Die Metapher des Weges oder, wie später bei Bonaventura, der Leiter darf daher nicht so verstanden werden, als ob sie implizieren würde, dass es darum ginge, zu einem Gott zu kommen, der erst am Ende erreicht wird, der aber unterwegs unerkannt bleibt. Gottes Präsenz ist von Anfang an da (das ,Über-uns‘ ist bereits außer-uns und in-uns). In diesem Sinne kann man zusammenfassend Folgendes sagen: „Gott kommt in mich“ bedeutet, dass die Totalität in der Form einer Transzendenz geschaut wird, die alles durchdringt und trägt und die gleichzeitig innerer als mein Innerstes ist. Das hat aber auch folgende wichtige Implikationen für die Struktur dieser Philosophie: Diese ist nämlich durch eine ,radikale reflexive Haltung‘9 geprägt und dies bedeutet wiederum, dass es dabei um eine Philosophie geht, die von der Ersten-Person-Perspektive geführt wird. Diese hat aber gleichzeitig, und zwar von Anfang an, das Absolute vor Augen. Wiederum: Es geht um den Deus meus. Daraus lässt sich die These ableiten, dass es bei der Bonaventurisch-Eckhartschen Auffassung um eine meditatio de prima philosophia geht. Um diese Idee noch zu verschärfen, werde ich mich auf das Hauptwerk Bonaventuras konzentrieren, das Itinerarium mentis in Deum. Die Hervorhebung von Bonaventura impliziert freilich keine Ablehnung der Eckhartschen Auffassung. Der Text Bonaventuras wird deshalb an dieser Stelle herangezogen, weil er auf

9  Den Terminus übernehme ich von Charles Taylor. Er schreibt dazu: „Die [reflexive, Anm. R. V.] Haltung wird dann radikal [dieses Wort wird von nun an als Terminus technicus verwendet], wenn das, worauf es uns ankommt, die Einnahme des Standpunktes der ersten Person ist“, in: Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt a. M. 1996, 241.

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7. Gott in der Transzendenzmetaphysik

eine paradigmatische Art und Weise diese meditative Seite der Evidenzmetaphysik darstellt.10 Im ersten Kapitel seines Hauptwerkes schreibt Bonaventura: So laßt denn auch uns zu Gott unserem Herrn beten und sprechen: „Leite mich, Herr, auf deinem Wege; in Deiner Wahrheit will ich wandeln; mein Herz erfreue sich in der Furcht Deines Namens.“ Indem wir auf diese Weise inbrünstig beten, werden wir erleuchtet, die Stufe des Aufstieges zu Gott zu erkennen. Für uns Menschen im Pilgerstande ist nämlich die Gesamtheit der Dinge eine Leiter, die uns zu Gott emporführt. Von den Geschöpfen sind nun aber die einen Spur, die anderen Bild, die einen körperlich, die anderen geistig, die einen zeitlich, die anderen von ewiger Dauer; und somit die einen außer uns und die anderen in uns. Um nun zur Betrachtung des Urgrundes zu gelangen, der ganz geistig, ewig und über uns erhaben ist, müssen wir der Spur nachgehen, die körperlich, zeitlich und außer uns ist […]. Wir müssen in unsere Seele eintreten, die ein Bild Gottes ist, von ewiger Dauer, geistig und in uns […]. Wir müssen endlich zum Ewigen, ganz Geistigen hinaufsteigen; und das heißt: sich freuen in der Erkenntnis Gottes und der Ehrfurcht vor seiner Majestät.11

Der erste Punkt, der dabei hervorgehoben werden muss, ist noch einmal der folgende: Das, was hier dargestellt wird, ist nicht so sehr ein vermittelnder und inferentieller Weg. Es geht hier hingegen um eine triplex illuminatio unius diei 10  Karl Albert hat diese Dimension der Eckhartschen Auffassung hervorgehoben: „Im Unterschied zur Erfahrung des Seienden wird das Sein von uns aber unmittelbar, intuitiv erfahren, also auf völlig verschiedene Weise von der alltäglichen Erfahrung des Seienden. Die Erfahrung des Seins liegt deshalb nicht ohne weiteres zutage. Sie ist bei aller Unmittelbarkeit gegenüber der Alltagserfahrung des Seienden gewissermaßen eine verborgene, eine hintergründige Erfahrung, eine Grunderfahrung, zu der wir nur Zugang haben, wenn wir die Alltagserfahrung beiseite lassen, von ihr abstrahieren. Man kann daher die Seinserfahrung mit der mystischen Erfahrung vergleichen und sie in diesem Sinne als Grunderfahrung einer philosophischen Mystik verstehen“, in: Karl Albert, „Eckharts intellektuelle Mystik“, in: Andreas Speer/Lydia Wegener (Hgg.), Meister Eckhart in Erfurt, Berlin/New York 2005, 231–238, hier: 237 f. Martina Roesner hat neulich die evidentialistische Natur der Eckhartschen Auffassung beindruckend dargestellt. Vgl. dazu: Martina Roesner, „Abgeschiedenheit und Reduktion. Der Weg zum reinen Ich bei Meister Eckhart und Edmund Husserl“, in: Norbert Fischer/Wolfgang Erb (Hgg.), Meister Eckhart als Denker (Meister-Eckhart-Jahrbuch, Beiheft 4), Stuttgart 2017, 407– 428, sowie dies., Logik des Ursprungs. Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart, Freiburg/ München 2017 und dies., Ich – Logos – Welt. Der egologische Ansatz der Ersten Philosophie bei Meister Eckhart und Edmund Husserl, Freiburg/München 2020. Mein Ansatz unterscheidet sich von demjenigen Roesners in zwei Punkten: 1.) Roesner verbindet die Dimension der Evidenz mit der Aussage Ego sum qui sum. Diese würde sich laut ihrer Interpretation gerade aufgrund des höheren Evidenzgrads vom Satz esse est Deus unterscheiden. Meine Arbeit betont hingegen stärker die Kontinuität der zwei Prinzipien Ego sum qui sum und Esse est Deus. 2.) Roesner verknüpft die Eckhartsche philosophische Dynamik mit einer ,Depotenzierung des Begriffs der Person‘. Dadurch findet aber (so scheint es mir) eine zumindest minimale Verschiebung der Auffassung Eckharts in Richtung Immanentismus statt. Um dieses Risiko zu vermeiden, hält meine Arbeit stärker am personalen Charakter des Eckhartschen Denkens fest. 11  Bonaventura, Itinerarium Mentis in Deum/Pilgerbuch der Seele zu Gott, eingel., übers. und erläut. von Julian Kaup, München 1961, I.1–2, 55 f.

7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz

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(dreifache Beleuchtung eines Tages). Gott ist, wie oben bereits erwähnt, immer schon da (er ist omnipräsent), und zwar bereits in den äußerlichen Kreaturen. Die Steigerung betrifft nur die Intensität der Illumination. Robert McMahon hat allerdings gegen das Itinerarium folgenden Einwand erhoben: The Itinerarium is a classic Christian-Platonist ascent, for it highlights this structural pattern in its title and its unfolding. It does so because Bonaventure is not making the ascent, but directing it. He has already made the journey and has provided a map for others – itinerarium means both „journey“ and „map“. […] There is only one Bonaventure here, and he stands apart from the journey he directs as the author of this map.12

Der systematische Charakter des Itinerariums impliziert eine Konzeption der Philosophie, die mit dem Gedanken einer radikalen reflexiven Haltung bzw. einer Philosophie aus der Ersten-Person-Perspektive nicht kompatibel ist. In dieser Hinsicht würde sich die Auffassung des Bonaventura von derjenigen der Bekenntnisse des Augustinus unterscheiden, weil in diesem Werk der Erzähler auch ein wahrer Pilger ist. Im Falle des Itinerariums beobachtet hingegen Bonaventura seine Erfahrung Gottes und durch diese äußerliche Betrachtung ist er fähig eine formelle und systematische Beschreibung zu liefern. Was kann man darauf antworten? Natürlich steht im Falle des Itinerariums die formelle Seite im Vordergrund, denn es geht dabei um eine durch und durch philosophisch-theologische Beschreibung einer Erfahrung und qua philosophisch-theologischer Beschreibung muss sie gewisse Formen des Denkens festlegen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Erfahrung nun einfach festgelegt, ,eingepackt‘ und dem Leser ,serviert‘ wird. Es ist dabei interessant festzustellen, dass Bonaventura in dem wiedergegebenen Zitat die erste Person Plural verwendet. Der Autor ist daher miteinbezogen und mitinvolviert. Er verhält sich ein wenig wie der Dichter Vergil im Kontext der Göttlichen Komödie (ein weiterer Pilgerweg): Dieser ist der (von der Vorhersehung) für den Pilger Dante gewählte Führer (guida). In diesem Sinne ist er zwar erfahrener und kennt sich mit der Struktur der Hölle und des Fegefeuers besser aus als der Pilger Dante, aber dies bedeutet nicht, dass er nicht auch an den verschiedenen Erfahrungen teilnimmt, und es bedeutet, dass er ebenfalls an manchen Stellen unsicher ist. Kurzum: Der begleitende Führer ist in diese Dynamik mitinvolviert. Außerdem: Dieser Ausdruck ,wir‘ sollte als eine Art formale Anzeige im Heideggerschen Sinne verstanden werden: Es geht dabei um die Beschreibung der Form des Pilgers. Diese steht aber nicht für eine universelle Struktur, die einfach allgemein gilt. Sie muss hingegen individuell immer wieder vollzogen werden. In diesem Sinne ist es interessant zu bemerken, dass die betende Invokation in der Ersten-Person-Perspektive vollzogen wird.  McMahon, Understanding the Medieval Meditative Ascent, 95 f.

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7. Gott in der Transzendenzmetaphysik

Es kann auch nicht anders sein: Denn das Itinerarium ist die Beschreibung einer Evidenz und diese kann nur in prima persona erfahren und expliziert werden. Das bedeutet: Es geht um die philosophische Herausarbeitung einer Philosophie, die gleichzeitig nicht den Meinigkeitscharakter verliert. Es geht dabei um die Balancierung zwischen System und Subjektivität. Es gibt außerdem andere Merkmale, die diese meditative Dimension hervorheben. Zunächst sollte man auf die Rolle der Affektivität und die für den Pilgerweg nötige Reinigung hinweisen: Deshalb lade ich gleich zu Beginn den Leser zu inbrünstigem Gebet ein durch Christus den Gekreuzigten, durch dessen Blut wir vom Schmutz der Sünde reingewaschen werden. Er glaube nicht etwa, es nütze ihm Lesung ohne Salbung, Betrachtung ohne Andacht, Forschen ohne Bewunderung, umsichtiges Erwägen ohne Jubel, Fleiß ohne Frömmigkeit, Wissen ohne Liebe, Einsicht ohne Demut, Studium ohne göttliche Gnade, ein Seelenspiegel ohne gottverliehene Weisheit.13

Außerdem: Das im Itinerarium Beschriebene ist keine Lehre, die man einfach und einmal verstehen soll. Es geht um etwas, das verinnerlicht werden soll und einen habituellen Charakter erhalten muss. Es ist in diesem Sinne interessant, dass Bonaventura vor einer schnellen Lektüre warnt. Damit das Itinerarium seine Wirkung ausüben könne, müsse man es „mit Muße immer wieder überdenken.“14 7.1.2 Esse super nos Der Pilgerweg führt uns nach der Betrachtung vom Außer-uns und In-uns zum Über-uns. Hier erfolgt die Thematisierung der Transzendenz. Diese Form der Transzendenz wird durch den Gottesnamen ,esse‘ ausgedrückt. Bonaventura beschreibt es folgendermaßen: Wer also das unsichtbare Sein Gottes nach der Einheit seiner Wesenheit betrachten will, der richte zuerst seinen Blick auf das Sein selbst und erkenne: Das Sein selbst ist in sich so sehr das Allergewisseste, daß seine Nicht-Existenz nicht gedacht werden kann, weil das reinste Sein selbst uns nur in der vollen Verneinung des Nicht-Seins entgegentritt, wie das Nichts in der vollen Verneinung des Seins. Wie also das schlechtinnige Nichts vom Sein und seinen Eigentümlichkeiten nichts an sich trägt, so hat umgekehrt das Sein selbst nichts vom Nicht-Sein, weder dem Akt noch der Potenz nach, weder in Wirklichkeit noch nach unserer Erkenntnis. Da Nicht-Sein Beraubung des Seins ist, tritt es nur durch das Sein in unseren Verstand. Das Sein aber geht nicht durch etwas anderes ein, weil alles, was erkannt wird, entweder als Nicht-Seiendes oder als Seiendes in Möglichkeit oder als Seiendes in Aktualität erkannt wird. Wenn also das Nicht-Seiende nur durch das Seiende erkannt werden kann und das der Möglichkeit nach Seiende nur durch das In-Wirklich Bonaventura, Itinerarium, Prologus 4, 49.  Bonaventura, Itinerarium, Prologus 5, 51.

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keit-Seiende und Sein eben die reine Aktualität des Seienden bedeutet, dann ist es das Sein, das zuerst in unseren Verstand eintritt, und dieses Sein ist reiner Akt. Das ist aber nicht das Einzelsein, denn ein solches wäre, weil mit Potentialität vermengt, ein beschränktes Sein. Es ist auch kein Sein im analogen Sinn, das ja sehr wenig an Aktualität besitzt, weil es nur geringen Anteil am Sein hat. Also kann jenes Sein nur das göttliche Sein sein.15

Die hier dargestellte Form der Transzendenz ist etwas, das unmittelbar erfasst wird und sich als reine Positivität erweist. Es geht mithin um eine Seins-Konzeption, die die Grundstruktur des Seins des Parmenides übernimmt. Dieses Parmenideische Sein ist allerdings das Sein der immanenten Transzendenz. Anders formuliert: Das transzendente Sein ist das in prima persona erfasste Sein. Wir konzentrieren uns zunächst auf die Parmenideische Natur dieses Seins: Das angeschaute Sein ist das immer schon erfasste Sein. Wie ist diese Auffassung zu interpretieren? Die These kann folgendermaßen formuliert werden: Das Sein ist das, was von unserem Denken immer mitgedacht wird und sich durch unser Bewusstsein ,stereotyp hindurchzieht‘16. Es geht dabei um keinen bestimmten Inhalt, denn ein bestimmter Inhalt würde per definitionem die eigene Negation zulassen. Das fundamentale Sein nimmt hingegen den ganzen ontologischen Raum in Anspruch und lässt keine Negation zu. Es bewegt sich daher unterhalb der Diskursebene, denn diese impliziert Negation. Um diese These zu verdeutlichen, kann man auf eine weitere Stelle bei Bonaventura verweisen: Die Vernunft versteht die Bedeutung der Begriffe, wenn sie erkennt, was jedes Ding seiner Definition nach ist. Die Definition muß aber durch höhere Begriffe gebildet werden, und diese müssen wieder durch höhere Begriffe definiert werden, bis man zu den letzten und allgemeinsten Begriffen kommt. Werden diese nicht erkannt, so können die untergeordneten Begriffe nicht eindeutig erfaßt werden. Wenn wir also nicht wissen, was das DurchSich‑Seiende ist, so können wir auch irgendeine Einzelsubstanz nicht vollkommen definieren. Auch das Durch-sich-Seiende können wir nicht erkennen, wenn wir es nicht in seinen Eigentümlichkeiten erfassen, und zwar Einheit, Wahrheit und Gutheit.17

Die Dynamik, die hier beschrieben wird, ist diejenige der resolutio (Auflösung), die wir bereits im dritten Kapitel mit Bezug auf Duns Scotus betrachtet haben. Dabei geht es in diesem Kontext, wie in der traditionellen Avicennischen Konzeption, darum, das in Erscheinung treten zu lassen, was wir immer schon erfasst haben, nämlich das Seiende, das von jeglicher wissenschaftlichen Betrachtung der Realität vorausgesetzt wird. Bonaventura unterscheidet allerdings explizit zwischen einer vollständigen und einer unvollständigen resolutio: Nun lässt sich aber das Sein denken als unvollständiges und vollständiges, als unvollkommenes und vollkommenes, als mögliches und wirkliches, als Sein unter bestimmter Rücksicht und schlechthin, als teilweises und ganzes, als vorübergehendes und bleibendes, als Sein durch ein anderes oder durch sich selbst, als mit Nichtsein vermischtes und reines  Bonaventura, Itinerarium, V.3, 125–127.  Diesen Ausdruck übernehme ich von Anton F. Koch. 17  Bonaventura, Itinerarium, III.3, 97. 15 16

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Sein, als abhängiges und absolutes, als späteres und früheres, als veränderliches und unveränderliches, als einfaches und zusammengesetztes Sein. Da nun aber „Mängel und Fehler nur durch das positive Sein erkannt werden können“, kann unser Intellekt, der den Sinn irgendeines geschaffenen Seins bis ins letzte zurückverfolgen will (ut plene resolvens), dies nur erreichen, wenn er durch die Einsicht in das lauterste, wirklichste, vollendetste und absolute Sein unterstützt wird. Das ist das Sein schlechthin, das ewig Seiende, das die Ideen alles Seienden in ihrer Reinheit in sich trägt.18

Die vollständige Auflösung endet somit nicht beim sogenannten ens commune, das gewissermaßen den Forschungsbereich der Metaphysik ausmacht, weil dieser von Negativität durchzogen ist. Aber inwiefern? Der Forschungsbereich der Metaphysik ist in diesem Avicennischen Kontext etwas Objektives. Die Metaphysik ist nämlich eine Art Superwissenschaft, die sich von den anderen Wissenschaften nur aufgrund ihres universelleren (aber nicht totalen) Skopus unterscheidet. Das impliziert aber eine Form von Negativität, die bereits im Wort „Ob-jekt/Gegen-Stand“ präsent ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Das Bonaventursche Erst-Erfasste ist das unobjektivierbare göttliche Sein selbst. In seinem Hexaemeron schreibt Bonaventura daher: „Der Verfasser des ,Buches über die Ursachen‘ sagt: ,Das erste aller kreatürlichen Dinge ist das Sein‘. Ich aber sage: Das Erste aller erkennbaren Dinge ist das Erste Sein.“19 Diese Konzeption kann auch folgendermaßen reformuliert werden: Die vorpropositionale Schicht, die durch die resolutio/Auflösung thematisiert wird, lässt die fundamentale Dimension des veritativen Seins in Erscheinung treten. Das veritative Sein (das Der-Fall-Sein) ist die fundamentale Seins-Form und ist dadurch gekennzeichnet, dass bei ihm Was-Sein und Dass-Sein (Essenz und Existenz) vereinigt sind. Diese ursprüngliche Einheit bleibt allerdings gewöhnlich (auf der Ebene des Diskurses) unthematisiert. Denn im diskursiven Bereich gilt die Trennung zwischen dem ,Was-Sein‘ von etwas und seinem ,Dass-Sein‘. Das Dass-Sein bzw. das existenzielle Sein spielt sich auf der Seite der Welt ab (in der Form von Dingen), das Was-Sein (die kopulative Dimension, die das So-und-So-Sein der Dinge thematisiert) spielt sich hingegen auf der Seite des Denkens und des Diskurses ab. Anders gewendet: In unserer diskursiven Praxis (im apophantischen Logos) bringen wir eine begrenzte Dimension des veritativen Seins (die Tatsache, dass es sich so und so verhält) zum Ausdruck. Das veritative Sein selbst bleibt unthematisiert, es wird aber immer schon vorpropositional erfasst. Diese Trennung von Dass-Sein und Was-Sein ist allerdings, gerade im scholastischen Kontext, das Grund-Merkmal der endlichen und zufälligen Entitäten. Die Absolutheit 18  Bonaventura, Itinerarium, III.3, 97–99. Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought, 150–160. 19  Bonaventura, Collationes in Hexaemeron, X.18, übers. und eingel. von W. Nyssen, Das Sechstagewerk, Darmstadt 1964, 351.

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ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass Dass-Sein und Was-Sein identisch sind. Esse Dei est eius essentia. Dies bedeutet wiederum: Gott (das veritative Sein selbst) wird immer schon erfasst. In dieser Hinsicht kann die Betrachtung von einem weiteren Text (Quaestiones disputatae de mysterio Trinitatis, Artikel 1) hilfreich sein. In der ersten Quaestio de Trinitate wird die Frage gestellt, ob die Existenz Gottes etwas Evidentes sei. Die von Bonaventura gegebene Antwort ist positiv. Es ist dabei interessant, die Struktur der von Bonaventura entwickelten Antwort zu betrachten. Denn er bezieht sich zunächst auf die objektive Seite der Evidenz, dann auf die subjektive und schließlich betrachtet er die Evidenz als solche. Dies lässt sich auch folgendermaßen umformulieren: Diese Dynamik ist von dem dreifachen Rhythmus (außer uns, in uns, und über uns) geprägt. Zentral ist wiederum der dritte Schritt, weil Bonaventura diese Verbindung zwischen veritativem Sein und Evidenz betont. Diese Thematik wird anhand einer Umwandlung des Anselmischen ontologischen Arguments (zumindest gemäß der traditionellen Auffassung) deutlich hervorgehoben. Das Anselmische Argument kann folgendermaßen rekonstruiert werden: 1.) Gott ist das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. 2.) Das, was in Wirklichkeit existiert, ist größer als das, was nicht existiert. 3.) Wenn man nun Gott die wirkliche Existenz abspricht, widerspricht man sich, denn in diesem Fall ist Gott nicht mehr das, über das hinaus nichts größeres gedacht werden kann. 4.) Also existiert Gott. 5.) Außerdem: Gott existiert nicht nur faktisch, sondern auch notwendig, weil die notwendige Existenz größer ist, als die nur faktische. In diesem Argument geht man, laut einer gewöhnlichen Interpretation, von einer Quasi-Definition Gottes aus und diese liefert die Basis für die Ableitung seiner Absolutheit. Wenn man nun an der inferentiellen Struktur dieses Arguments festhält, lässt sich sagen, dass, zumindest vorläufig, die Existenz Gottes von seinem Wesen kontrafaktisch getrennt werden darf. Denn diese vorläufige Trennung ist eine notwendige Bedingung für das In-Gang-Setzen des Arguments. Was sich daraus ergibt, ist daher eine minimal abgeschwächte Absolutheit, denn die kontrafaktische Abtrennbarkeit von Sein und Wesen wird wiederum vorläufig zugelassen. Außerdem: Das, was über Gott herausgefunden wird, ist etwas Lokales, das eine bestimmte Entität betrifft. Man sollte in dieser Hinsicht eher von einem ousiologischen Argument reden, denn die abgeleitete notwendige Existenz bezieht sich auf ein bestimmtes Wesen. Bei Bonaventura ist dies nicht der Fall, denn das, was er vor Augen hat, ist sozusagen die ,absolute Absolutheit‘, die keinen Spielraum für eine mögliche Trennung zulässt. Das ist aber wiederum das veritative Sein selbst, bei dem

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Existenz und Essenz in ihrer ursprünglichen Einheit sind und das wiederum zum ersten Mal von Parmenides formuliert wurde. Es ist in diesem Sinne interessant, die Reformulierung des Arguments, die von Bonaventura angeboten wird, zu betrachten: Gottes Sein ist also nicht bloß eine unbezweifelbare Wahrheit, sondern das, worüber hinaus sich nichts Unbezweifelbares denken lässt. Somit handelt es sich um eine Wahrheit, die als nicht seiend nicht gedacht werden kann.20

Dies bedeutet: Im Falle Gottes geht es nicht um diese oder jene Portion des veritativen Seins, die diskursiv (durch den logos apophantikos) in Erscheinung gebracht werden kann, es geht nicht um das „kleine Wahre“, das wiederum die Trennung von Existenz und Essenz voraussetzt. Es geht um das Wahre selbst (Einheit von Wesen und Existenz und damit Gott), das man vorpropositional immer schon erfasst hat. 7.1.3 Esse est Deus Die Perspektive, die bisher erläutert wurde, soll nun in ihrer radikalen Form mit Hilfe Meister Eckharts dargestellt werden. Um die Eckhartsche Sicht einzuführen, werde ich mich auf sein Hauptwerk (das Opus tripartitum) konzentrieren und insbesondere auf den Hauptsatz des ersten Teiles des Werkes (Opus propositionum/Werk der Thesen).21 Dieser lautet: esse est Deus/das Sein ist Gott. Es ist nun wichtig zu bemerken, dass sich die hier vertretene Position von der Standard-Auffassung unterscheidet, nach der Gott das Sein ist bzw. nach der in Gott Sein und Wesen identisch sind. Was impliziert nun diese Umkehrung? Eckhart versteht das Sein als einen terminus generalis, d. h. als einen transzendentalen Terminus, der über alle Kategorien hinausgeht. Außerdem wird das Sein wiederum in Parmenideischer Form erfasst: Es geht um das, was dem Negativen entgegensetzt ist. Zur Bestätigung dieser Auffassung kann man auf den Titel der ersten Abhandlung verweisen, die zusammen mit weiteren dreizehn das Werk der Thesen hätte konstituieren sollen. Diese handelt nun vom Sein und vom Seienden und seinem Gegensatz, dem Nichts. Das Sein wird demnach als Positivität verstanden und somit als das, was seinen ,Gegensatz vertreibt‘.22 20 Bonaventura, De Mysterio Trinitatis, Q.1 A.1, in: Über den Grund der Gewißheit, übers. und erläut. von Marianne Schlosser, Weinheim 1991, 103. Zu dieser Thematik vgl. Roberto Vinco, „Die metaphysische Betrachtung bei Bonaventura von Bagnoregio“, Rivista di Filosofia Neo­ scolastica 109 (2017), 869–878. 21  Das Opus tripartitum besteht, wie der Titel selbst verrät, aus drei Teilen: Opus propositionum, Opus quaestionum und Opus sententiarum. 22  Mit Bezug auf diese Thematik schreibt zum Beispiel Jan Aertsen: „Aus unserer Analyse des Seinsverständnisses […] ergab sich als erstes Moment, daß Eckhart den Sinn des Seinsbegriffs aus einem kontradiktorischen Gegensatz zum Nichts bestimmt: ,Außerhalb des Seins und vor

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Das Sein ist nun laut Eckhart prior.23 Dies bedeutet: Es darf nicht als etwas verstanden werden, das in Form eines Akzidenz hinzukommt. Im Gegenteil: Das Sein ist das Ursprüngliche und tritt als erstes Element ,in den Dingen‘ auf. Wenn ich deshalb die Aussage treffe: „Sokrates ist/existiert“, darf ich dabei die These nicht so interpretieren, als ob man einem Subjekt (in diesem Fall ,Sokrates‘) ein Prädikat erster oder zweiter Stufe zuschreiben würde. Wie lässt sich dann diese Auffassung interpretieren? Eine korrektere Übersetzung ist die folgende: „Es gibt Sein im Modus/in der Form des Sokrates“, oder noch anders gewendet (mit einer Heideggerschen Terminologie): „Es west in der Form bzw. im Modus des Sokrates“. Nun ist dieses Ursein gerade das Göttliche selbst und deshalb schreibt Eckhart: „Esse autem principium est et primo omnium, ante quod nihil et extra quod nihil. Et hoc est deus.“24 Das gilt nun nicht nur mit Bezug auf die ontologische, sondern auch auf die logisch-epistemologische Dimension. Diese letzte Seite lässt sich z. B. durch die Betrachtung der Eckhartschen Namenslehre explizieren. Ein Name ist, gemäß der Eckhartschen Auffassung, „von notitia (Kenntnis) abgeleitet, weil der Name das Kennzeichen (nota) eines im Verstand gebildeten Begriffes ist und andern von diesem Begriff Kenntnis gibt (notificat). Er ist also ein Bote, der andern die Botschaft von dem Begriff bringt.“25 Begriffe werden aber vom Intellekt von den Seienden abstrahiert und auf Seiende angewendet. Durch Namen wird somit das von unserem Intellekt entdeckte Reale mitgeteilt. Dies bedeutet aber wiederum, dass ein Name eine Seite des immer schon erfassten Seins thematisiert. Das Sein selbst ist daher laut Eckhart nicht nur Grund der Seienden, sondern auch der Namen, und dies bedeutet, negativ betrachtet, dass das, was am Sein nicht teilhat, weder ein Seiendes noch ein Name ist (Quod enim non participat esse, non est ens et nomen). Anders gewendet: Ein Seiendes, das außerhalb des Seins steht, fällt ins Nichts, und ein Name, der außerhalb des Seins steht, ist kein Name, weil er „von nichts Kenntnis gibt“ (non notificat). Mit einem Wort: Das Sein ist die eine ontologische und logisch-epistemologische Quelle (esse est commune omnibus entibus et nominibus). dem Sein ist nur das Nichts‘ (Arg. 3 und 5). Der Begriff des Nichts stellt sich unausweichlich in dem Versuch ein, das Sein schlechthin oder das Seiende als Seiendes zu denken, und zwar durch Ausschluss seines Gegensatzes. Eckhart stellt sich damit in eine lange Tradition, denn der Begriff des ,Nichts‘ erscheint schon im griechischen Anfang des Denkens. Das früheste Beispiel dafür bildet ein Text des Parmenides von Elea“, in: Jan Aertsen, „Der ,Systematiker‘ Eckhart“, in: Andreas Speer/Lydia Wegener (Hgg.), Meister Eckhart in Erfurt, Berlin/New York 2005, 189–230, hier: 208 f. 23  Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Jan A. Aertsen, „Ontology and Henology in Medieval Philosophy“, in: Egbert P. Bos/Piet A. Meijer (Hgg.), On Proclus and his Influence in Medieval Philosophy, Leiden/New York/Köln 1992, 120–140. 24  Meister Eckhart, Die lateinischen Werke (= LW), Josef Koch u. a. (Hgg.), Stuttgart 1936 ff., Prol. Gen. n. 17 (LW I, 160,14–161,1): „Das Sein aber ist der Anfang und zuerst von allem; vor ihm und außer ihm ist nichts. Das aber ist Gott.“ 25 Eckhart, In Ex. n. 167 (LW II 146,17–147,2).

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Noch anders gewendet: Die hier vertretene Seinskonzeption ist mit jener These vergleichbar, nach der das Sein den Charakter der Substanzialität hat. Denn Substanz ist (wie wir zum Beispiel im Falle des Spinoza gesehen haben) das Erste sowohl in der ontologischen als auch in der epistemologischen Ordnung. Dies bedeutet konkreter: Damit es Akzidenzien geben kann, muss es eine Substanz geben (die Bildung des Sokrates setzt Sokrates voraus). Außerdem: Die Natur des Akzidens kann als ein esse in alio/Sein-in-einem-anderen verstanden werden und dieses aliud/Andere wird daher bei der Erfassung der Akzidentalität immer miterfasst. Dieses aliud/Andere ist aber wiederum die Substanzialität. Dies bedeutet schließlich: In der Erfassung der Akzidentalität wird die Substanzialität immer miterfasst. Diese doppelte Dimension gilt nun auf einer noch tieferen Ebene für das Sein selbst. Das Sein ist allerdings nicht einfach prior, es ist auch superior. Im allgemeinen Prolog (bei den einführenden Erklärungen) werden interessanterweise diese zwei Adjektive nebeneinandergesetzt. Eckhart schreibt: „Zweitens ist vorher zu bemerken, daß ganz allgemein das Frühere und Obere durchaus nichts von dem Späteren empfängt, ja sogar auch von nichts in ihm berührt wird“.26 Gerade dieser letzte Punkt lässt aber die Transzendenz des Seins selbst in Erscheinung treten. Auch aus logisch-epistemologischer Sicht gilt wiederum diese Transzendenz, denn laut Eckhart ist das Sein der Name, der über allen Namen steht, und er gilt sogar als der Eigenname Gottes.27 Dies bedeutet schließlich: Das, was wir immer schon erfasst haben, ist das transzendente Sein. Die Umkehrung der Standard-Auffassung (esse est Deus statt Deus est esse) bedeutet daher zunächst, dass das Göttliche immer schon verstanden worden ist. Ich komme somit zu dem Punkt zurück, den auch Bonaventura thematisiert: Das, was der Intellekt als Erstes versteht (primum cognitum), ist das erste (transzendente) Sein, und dies bedeutet wiederum Gott. Damit zeigt sich schon, dass diese Form der Evidenzmetaphysik einen Transzendenzcharakter hat. Diese unmittelbare Erfassung wird expliziter, wenn wir uns das ,Argument‘ anschauen, das Eckhart für die These esse est Deus entwickelt. Er schreibt: Patet haec propositio (esse est Deus, Anm. R. V.) primo, quia si esse est aliud ab ipso Deo, Deus nec est nec Deus est. Quomodo enim est aut aliquid est, a quo esse aliud, alienum  Eckhart, Prol. gen. n. 10 (LW I, 154,13–15).  Eckhart, In Ex. n. 164 (LW II, 144, 9–12): „Et fortassis posset videri alicui quod esse esset ipsum nomen quattuor litterarum. Ad litteram enim li esse habet quattuor litteras, multas proprietates et perfectiones latentes. Ipsum etiam non videtur ‚sumptum ab opere nec dictum a participatione‘.“ Außerdem: In Ex. n. 35 (LW II, 41,10–42,1): „Notandum autem quod in De causis dicitur deus non innarrabilis, sed ‚superior narratione‘, secundum illud Psalmi: ‚magnificasti super omne nomen sanctum tuum‘, et Phil. 2: ‚donavit illi nomen quod est super omne nomen‘. Superius enim non est privatum perfectionibus inferiorum, sed omnes praehabet excellentius. ‚Nomen‘ ergo, ‚quod est super omne nomen‘, non est innominabile, sed omninominabile.“ 26 27

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et distinctum est? Aut si est Deus, alio utique est, cum esse sit aliud ab ipso. Deus igitur et esse idem, aut Deus ab alio habet esse. Et sic non ipse Deus, ut praemissum est, sed aliud ab ipso, prius ipso, est et est sibi causa, ut sit. Diese These (das Sein ist Gott) erhellt erstens daraus: Wenn das Sein etwas anderes ist als Gott, so ist Gott entweder nicht oder er ist nicht Gott. Denn wie ist das oder wie ist es irgendetwas, von dem das Sein verschieden, dem es fremd und von dem es unterschieden ist? Oder wenn Gott ist, so ist er in jedem Falle durch etwas anderes, da das Sein etwas anderes als er ist. Also ist Gott und das Sein dasselbe oder Gott hat sein Sein von einem anderen. Und so ist  – gegen unsere Voraussetzung  – nicht Gott selbst, sondern etwas anderes, Früheres als er, und das ist (dann) die Ursache seines Seins.28

In diesen zentralen Passagen aus dem allgemeinen Prolog zum Opus tripartitum werden drei Auffassungstypen eingeführt: a) Auffassungen, die das Absolute (Gott) außerhalb des Seins setzen. b) Auffassungen, die das Absolute innerhalb des Seins setzen. c) Auffassungen, die das Absolute mit dem Sein identifizieren. Der ,Beweis‘ hat einen apagogischen Charakter. Genauer formuliert: Es geht dabei darum, die ersten zwei Hypothesen auszuschließen, wobei dieser Ausschluss (und das ist der entscheidende Punkt) dadurch erfolgt, dass gezeigt wird, dass diese Hypothesen nicht als positive Thesen gesetzt werden können. Mit einem Parmenideischen Ausdruck: Die ersten zwei Wege sind nicht gangbar, weil keine Kunde von ihnen ausgeht. Dadurch soll der Evidenzcharakter der Auffassung, die durch die These ,Esse est Deus‘ thematisiert wird, in Erscheinung treten. Betrachten wir die Eckhartsche Konzeption genauer: a) Si esse est aliud ab ipso Deo (Wenn das Sein etwas anderes als Gott ist), Deus nec est (so ist Gott entweder nicht). Quomodo enim est aut aliquid est, a quo esse aliud, alienum, distinctum? (Denn wie ist das oder wie ist es irgendetwas, von dem das Sein verschieden, dem es fremd und von dem es unterschieden ist?) In dieser Passage wird der transzendentale Charakter des Seins hervorgehoben. Dies bedeutet: Das Sein ist das, was die Totalität positiv thematisiert. Es ist daher nicht möglich, seine Grenze zu überschreiten. Mit anderen Worten: Es gibt keinen ,freien Raum‘ neben oder über dem Sein. Außerhalb des Seins und vor dem Sein ist nichts und es gibt folglich keinen Raum für jegliche Seinsform, weder für Existenz noch für Prädikation. Kurzum: Die hier vertretene Konzeption lässt sich auf die folgende Aussage zurückführen: nihil est Deus und diese 28 Eckhart, Prol. gen. n. 12 (LW I 156,15–157,4). Zu einer Interpretation dieser Stelle vgl. unter anderen Fernand Brunner/Alain de Libera/Edouard-Henri Wéber/Émilie Zum Brunn (Hgg. und Übers.), L’oeuvre latine de Maitre Eckhart, Bd 1., Paris 1984, 124–126; Reiner Manstetten, Esse est Deus. Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Ursprünge in der Tradition des Abendlandes, Freiburg 1993; Roberto Vinco, „Zum parmenideischen Charakter des Denkens Meister Eckharts“, Theologie und Philosophie 88 (2013), 161–175.

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führt wiederum zur Aussage, dass Deus est nihil. Gott und Nichts werden damit identifiziert. Was aber keine Teilhabe am Sein hat, hat, wie oben erwähnt, weder eine ontologische noch eine logisch-epistemologische Konsistenz. Dies bedeutet aber wiederum, dass diese Aussage (nihil est Deus) in einer leeren Benennung besteht, die keine wirkliche positive These ist. b) Nec Deus est (oder ist Gott nicht Gott), si est Deus, alio utique est, cum esse sit aliud ab ipso. Et sic non ipse Deus. (Wenn Gott ist, so ist er in jedem Falle durch etwas anderes, da das Sein etwas anderes als er ist. Und so ist er – gegen unsere Voraussetzung – nicht Gott selbst.) Hier geht es um jene Auffassungen, die das Absolute innerhalb des Seins setzen und die den Grund des Realen als etwas Bestimmtes verstehen. Diese Konzeption lässt sich wiederum auf eine Grundposition zurückführen und diese lautet: „hoc ens est Deus“. Wenn ein bestimmtes Seiendes absolut ist, heißt das aber auch, dass das Absolute benennbar und objektivierbar ist. Nun ist aber generell das, was benannt wird oder Subjekt eines Satzes ist, unvollkommen. Das Subjekt verhält sich nämlich, wie schon sein unvollkommener Name sagt, wie die Materie […]. Das Benennende aber und die Benennung verhält sich immer wie die Form und Vervollkommnung des Subjektes, etwa wenn einer gerecht, gut, weise und dergleichen genannt wird, alles Fälle, in denen sich die Wesenheit eben nicht selbst genügt, sondern bedürftig und arm ist und etwas anderes braucht, das sie vollkommen macht. Dies aber, nämlich eines anderen bedürfen und sich nicht selbst genügen, ist dem Wesen Gottes durchaus fremd.29

Damit wird aber sichtbar, dass auch diese zweite Position nicht einfach falsch, sondern als positive These undenkbar ist, denn es ist die Form der Aussage (x est Deus), die mit der Vollkommenheit und Absolutheit Gottes inkompatibel ist. Es ist in diesem Sinne interessant zu betonen, dass hier (zumindest implizit) nicht einfach jene Auffassung abgelehnt wird, nach der Gott als ein Teil der Realität erfasst wird, sondern auch die Position der Immanenz, denn die Immanenz hält grundsätzlich an einer minimalen Dimension der Objektivierbarkeit des Absoluten fest. Man kann diese Ablehnung der ersten zwei Konzeptionen auch aus theologischer Sicht betrachten. Dies bedeutet: Die Position (a) hebt die apophatische Dimension zu stark hervor, weil sie das Anderssein Gottes und seine Unbenennbarkeit unterstreicht (seine ,absolute Transzendenz‘). Diese Auffassung erweist sich nun deshalb als aporetisch, weil sie einerseits rationale Theologie betreibt und andererseits durch die Tilgung jeglichen Seinsbezugs die Natur des Logos selbst zugrunde richtet. Die Position (b) hebt hingegen die kataphatische Dimension Gottes zu stark hervor. Damit geht aber (und zwar aus prinzipiellen Gründen) die Absolutheit  Eckhart, In Ex. n. 19–20 (LW II 25,12–26,2).

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7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz

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des Absoluten verloren, denn das, was objektiv ist, lässt sich kontrafaktisch (zumindest vorläufig) auch in Frage stellen, und dies mindert die Absolutheit. Die einzig mögliche Position ist daher jene, die die zwei Seiten vereinigt. Dabei geht es um die Erfassung des reinen transzendenten Seins. Diese Erfassung zeigt sich aber als eine unmittelbare, weil sich die ersten zwei Alternativen als selbsttilgend erwiesen haben. Fassen wir das bisher Erreichte zusammen: Die Bonaventurisch-Eckhartsche Position manifestiert sich als eine, die das Absolute als unmittelbar erfasste Transzendenz konzipiert. Diese Transzendenz ist nun nicht im Sinne der Objektivität zu verstehen: Das super nos ist in nobis. Das hat aber auch wichtige Konsequenzen für die Struktur des Absoluten, die nun genauer betrachtet werden sollen. 7.1.4 Ego sum qui sum (die Egoität der Transzendenz) Die Tatsache, dass diese Transzendenz nicht als etwas Objektives zu verstehen sei, bedeutet auch, dass das Transzendente als selbstmanifestierend bzw. selbstbekundend zu interpretieren ist. Die anderen Grundauffassungen, ontische Transzendenz und Immanenzmetaphysik, gehen hingegen vom Objektivitätscharakter des Absoluten aus. Dies bedeutet: Das Absolute ist das wahre An-sich und es ist außerdem epistemisch zugänglich, aber die Erkenntnis des Absoluten soll durch eine Inferenz hervorgebracht werden. Die aktuelle Manifestation erfolgt daher durch eine äußerliche Dynamik. Das Absolute ist somit etwas, das nicht vollständig selbstmanifestierend ist. Anders gewendet: Das Absolute ist erkennbar aber nicht wirkliche totale Selbsterkenntnis. Diese Idee lässt sich historisch genauer profilieren: Der Gott des Aristoteles (um ein Beispiel der ontischen Transzendenz zu erwähnen) ist zwar denkendes Denken, wissende Selbstbekundung, es geht dabei aber um eine objektive Selbstbekundung. Es gibt daher eine argumentative Kette, die zur Erkenntnis dieser objektiven Selbsterkenntnis führt. Dies bedeutet auch, dass diese Selbstbekundung eine bestimmte Entität und nicht das Ganze anbelangt. Das Absolute der Immanenzmetaphysik hebt hingegen die Dimension der Totalität hervor, bleibt aber immer noch etwas Objektives. Denn bei der Immanenzmetaphysik geht es darum, eine korrekte Perspektive (z. B. die Spinozistische dritte Erkenntnisgattung) anzunehmen, wodurch die kohärente Totalität manifestiert wird. Diese Erhebung, diese epistemologische Transzendenz, bleibt aber etwas Äußerliches, und dies zeigt sich in der Tatsache, dass das Absolute nicht wirkliche und aktuale Selbsterkenntnis ist. Auch die vollkommenste Form der Immanenzmetaphysik, der Hegelsche absolute Geist, der in eine erkennende Selbstbekundung mündet, erweist sich

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als ein Es-denkt (durch mich) und nicht als ein wahres Ich-denke, weil die aktuale Dimension des Denkens äußerlich ist. Sie wird von der äußerlichen philosophischen Betrachtung getragen. Das ist nun nicht der Fall bei der Transzendenzmetaphysik. Das Transzendente erweist sich als ein wirkliches Ego. Mit anderen Worten: Das Transzendente ist wirklicher und vollständiger wissender Selbstbezug und vollständige innere Selbstmanifestation. Es ist superior und interior gleichzeitig. Das bedeutet aber wiederum: Das Absolute ist in seiner Transzendenz absolut immanent. Man kann daher sagen, dass die ontologische Transzendenz (die Evidenzmetaphysik) die Aristotelische und Hegelsche Seite verbindet: Gott ist tatsächlich vollständiges Selbstdenken (wie im Falle des Aristotelischen Gottes), es geht aber dabei nicht um eine Entität neben anderen, denn dieses wirkliche Selbstdenken umfasst die Totalität (damit kann man auch der Hegelschen bzw. der immanenten Seite Rechnung tragen). Diese Position lässt sich anhand von einigen Bemerkungen Eckharts darstellen. Ich werde mich im Folgenden auf die Dimension der Transzendenz konzentrieren. Die Seite der Immanenz soll im folgenden Kapitel behandelt werden. Einen ersten Einstiegspunkt bietet die Quaestio prima parisiensis an. In dieser Schrift wird die Identität von Sein und Denken in Gott dargestellt und verteidigt. Entscheidend ist insbesondere das, was Eckhart im dritten Teil seiner quaestio sagt. Denn hier entfaltet er seine Position anhand von eigenen Argumenten, die weder in der Tradition noch in früheren Schriften von ihm zu finden sind. Er schreibt: Drittens zeige ich, dass ich nicht mehr der Meinung bin, daß Gott erkennt, weil Er ist; sondern, weil Er erkennt, deshalb ist Er, in der Weise, daß Gott Intellekt und Erkennen ist und das Erkennen selbst die Grundlage seines Seins ist.30

Gott ist, weil Er Intellekt ist, oder, noch genauer, weil Er die Tätigkeit des Intellekts ist. Wie soll diese These verstanden werden?31 Zunächst soll Folgendes vermerkt werden: Die Termini ,Sein‘ und ,Seiendes‘ haben in diesem Kontext die Bedeutung von „abkünftigem, art‑ und gattungsbestimmtem Was (= Substanz, Anm. R. V.).“32 Es geht also um das, was epistemisch zugänglich und gleichzeitig objektiv ist.  Eckhart, Qaest. Par. I n. 4 (LW V 40,5–7).  Die Debatte zu dieser Quaestio ist ziemlich facettenreich. Vgl. zum Beispiel Rupert J. Mayer, „Meister Eckharts erste ‚Quaestio Parisiensis‘ oder: Wie kann Gottes Vernehmen das ‚fundamentum‘ seines Seins sein?“, Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie 54 (2007), 430–463; Stephan Grotz, „Meister Eckharts Pariser Quaestio I: Sein oder Nichtsein – ist das hier die Frage?“, Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie 49 (2002), 370–398; Jens Halfwassen, „Gibt es eine Philosophie der Subjektivität im Mittelalter? Zur Theorie des Intellekts bei Meister Eckhart und Dietrich von Freiberg“, Theologie und Philosophie 72 (1997), 337–359. 32  Rudi Imbach, Deus est intelligere, Freiburg 1976, 172. 30 31

7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz

163

Diese Objektivität wird nun gerade in Gott aufgehoben. Gott erweist sich daher als reines intelligere und somit als vollständige erkennende Selbstmanifestation. Man könnte nun die Frage stellen, ob diese Hervorhebung der Dimension des intelligere zur vorherigen These (esse est Deus) in Kontrast steht. Das ist nicht der Fall, denn das, was durch diesen Intellekt-Charakter zum Ausdruck gebracht wird, ist eine Reinigung des Seins, und dies bedeutet eine Befreiung von jeglicher Form von Negativität. Aus diesem Grund sagt Eckhart selbst, dass das intelligere als Sein benannt werden darf, allerdings im Sinne der puritas essendi (Reinheit des Seins).33 Noch anders gewendet: Das Sein, wovon Eckhart in der Quaestio parisiensis spricht, ist das ens hoc et hoc (dies und jenes Seiende), das im Opus tripartitum als Gegenpol zum Sein thematisiert wird, denn das ob-jektive Sein ist immer noch von Negativität durchzogen und daher grundsätzlich bestimmt. Dies bedeutet schließlich auch: Das ,esse‘, von dem Eckhart im Opus tripartitum spricht und das mit Gott identifiziert wird, ist vollkommen entobjektiviert und ist wiederum vollständige Selbstmanifestation. Der zentrale Punkt ist nun der folgende: Diese selbstmanifestierende Transzendenz (Reinheit des Seins) bringt die Dimension des Ichs vollständig zum Ausdruck. Zur Thematik des ,Ichs‘ schreibt Eckhart: Ich ist Fürwort der ersten Person. Das unterscheidende Fürwort bezeichnet die reine Substanz, die reine, sage ich, ohne alles Zufallende (Akzidens), ohne irgendetwas Fremdes, die Substanz ohne Beschaffenheit, ohne diese oder jene Form, ohne Dies oder Jenes. Das paßt auf Gott und auf Ihn allein, der über Zufallendes, über Art und über Gattung erhaben ist. Auf ihn allein sage ich.34

Man merkt hier, dass das Ego Personalität bedeutet, und dies heißt wiederum Ablehnung von jeglicher Komposition und Bestimmtheit und damit Transkategorialität.35 Der Ich-Charakter des Absoluten impliziert nicht (wie im Falle der Heideggerschen absoluten Immanenz) die Kopräsenz von Positivität und Negativität. Im Gegenteil: Die Egoität (die Personalität des Absoluten) impliziert die Setzung des reinen Seins, das aber gleichzeitig transzendent ist. Das Ego im eigentlichen Sinne trifft deshalb nur auf Gott zu und ist, wie Eckhart an anderer Stelle betont, nicht von dieser Welt.36

 Eckhart, Quaest. Par. I n. 9 (LW V 45,10–11). In Ex. n. 14 (LW II 20,3–7). 35 Diese Art von Personalismus unterscheidet sich daher von demjenigen der modernen natürlichen Theologie. Denn in diesem letzten Fall wird die Personalität als das konzipiert, was das Individuum einer Spezies auszeichnet. Im Eckhartschen Fall hebt der Personalitätscharakter Gottes hingegen seine Transkategorialität hervor. Zum modernen theologischen Personalismus vgl. unter anderem Brian Davies, An Introduction to Philosophy of Religion, 3. Aufl., Oxford/ New York 2004, 1–20. 36  Eckhart, In Joh. n. 502 (LW III 432,8 ff.). 33

34 Eckhart,

164

7. Gott in der Transzendenzmetaphysik

Das Ego wird nun von Eckhart aber auch mit dem „sum qui sum/ich bin, der ich bin“ in Verbindung gebracht, das im Buch Exodus thematisiert wird. Das „sum qui sum“ kann mit anderen Worten als eine Explizierung des Egos selbst betrachtet werden. Dazu führt Eckhart aus: […] Drittens ist zu bemerken: die Wiederholung: ich bin, der ich bin zeigt die Lauterkeit der Bejahung unter Ausschluß jeder Verneinung von Gott an.37

An dieser Stelle wird noch einmal die Dimension der Reinheit und der Transzendenz hervorgehoben. Gleichzeitig hat aber dieser Ausdruck folgende Bedeutung: Wenn er also sagt: ich bin, der ich bin, lehrt er: das Subjekt ich bin ist identisch mit dem an zweiter Stelle stehenden Prädikat ich bin, das Benennende selbst ist das Benannte selbst, die Wesenheit ist das Sein, die Washeit ist die Obheit, „die Wesenheit genügt sich“, die Wesenheit ist das Genügen selbst. Das bedeutet: „die Wesenheit bedarf nicht irgendeines Seienden, noch bedarf sie eines anderen außerhalb ihrer zu ihrer Festigkeit“ oder Vollendung, „sondern die Wesenheit selbst genügt sich“ zu allem und in allem. Und das ist allein Gott eigen, nämlich ein solches Genügen.38

Man kann daher sagen, dass die vorherige Aussage „esse est Deus“ nicht eine Vergegenständlichung Gottes impliziert. Es geht hingegen darum, die Evidenz der puritas essendi zum Ausdruck zu bringen. Man könnte sie daher auch so umformulieren: Das-Sein-das-ist (die puritas essendi): Gott. An einer weiteren Stelle bringt Eckhart diese Idee des Ego sum qui sum mit der Lichtmetaphorik in Verbindung, denn die repetitio des sum qui sum bezeichnet, wie Eckhart selbst hervorhebt, nicht nur die Dimension der Transzendenz, sondern auch „eine Art Rückwendung des Seins zu sich und auf sich selbst und ein Verharren oder Feststehen in sich, ferner aber gleichsam ein Aufwallen oder Sichselbstgebären  – (das Sein ist) in sich brausend und in sich und auf sich fließend und wallend, Licht, das in Licht und zu (neuem) Licht (erstrahlt), das sich selbst ganz durchdringt, das von allen Seiten ganz auf sich selbst fließt und zurückstrahlt […].“39 Kurzum: Das göttliche Sein ist ein Ego und dies impliziert gleichzeitig totale Transzendenz und totale Selbstmanifestation. Diese Seite des Eckhartschen Denkens ermöglicht auch eine Reflexion allgemeinerer Natur: Durch seine Analyse dieser Stellen verbindet Eckhart auf eine bemerkenswerte Art die klassische Metaphysik mit der biblischen Tradition. Das Neue, das durch die Schrift hervorgebracht wird, ist der Personalitätscharakter des Seins, das wiederum Ausdruck seiner Transzendenz ist. Dies heißt wiederum: Exodus-Metaphysik ist, zumindest in dieser Hinsicht, der Vollzug der Metaphysik als Erster Philosophie. Jerusalem und Athen (oder genauer Elea) ergänzen sich: Denn die Heilige Schrift expliziert, was im Parmenidismus nur implizit enthalten ist. Andererseits ermöglicht aber die Vernunft, die die Erste Philosophie  Eckhart, In Ex. n. 16 (LW II 21,7–8).  Eckhart, In Ex. n. 20 (LW II 26,2–8). 39  Eckhart, In Ex. n. 16 (LW II 21,9–22,1). 37 38

7.1 Das Absolute der ontologischen Transzendenz

165

prägt und die von Parmenides zum ersten Mal expliziert wurde, ein Verständnis der offenbarten Wahrheit. Wir haben vorher erwähnt, dass diese Konzeption der Transzendenz die Seite der Immanenz nicht ausschließt. Das Bonaventurisch-Eckhartsche-Modell expliziert daher eine Idee von absoluter Transzendenz und absoluter Immanenz. Dieser letzte Punkt soll im folgenden Kapitel betrachtet werden. An dieser Stelle möchte ich aber zum Itinerarium zurückkehren, um diese Seite durch eine knappe und elegante Formulierung einzuführen. Zunächst soll noch einmal hervorgehoben werden, dass Bonaventura diese Konzeption der Transzendenz des reinen Seins betont: Schau also, wenn Du es vermagst, das reine Sein selbst, und du wirst finden, daß es nicht gedacht werden kann, als habe es das Sein von einem anderen empfangen. Damit aber wird es notwendig als absolut erstes erfaßt, das weder aus dem Nichts, noch von einem anderen stammen kann. Was ist denn überhaupt durch sich selber, wenn nicht das Sein selber durch sich und aus sich selber ist?  – Du findest auch, daß ihm jegliches Nichtsein fehlt, und darum fängt es niemals an zu sein, noch hört es jemals auf; es ist vielmehr ewig. – Du siehst weiter ein, daß es in keiner Weise etwas in sich trägt, das nicht das Sein selbst ist, und daß es darum mit keinem zusammengesetzt, sondern absolut einfach ist.40

Man merkt hier, wie Bonaventura (wiederum auf eine Parmenideische Art) die Hauptmerkmale des intuierten Seins einführt, die sich unmittelbar aus seiner Natur ergeben und die seine Andersheit hervorheben. Das ist aber nicht das letzte Wort. Denn im Gegensatz zu Parmenides wird hier die These vertreten, dass das Absolute, gerade weil es transzendent ist, auch immanent ist. Die Setzung der Absolutheit erfolgt daher nicht wie im Falle der Immanenzmetaphysik durch die Tilgung eines Teiles der phänomenalen Welt, sondern durch ihre Rettung. Bonaventura formuliert die These in seinem Itinerarium: Quia perfectissimum et immensum, ideo est intra omnia, non inclusum, extra omnia, non exlusum, supra omnia, non elatum, infra omnia, non prostratum. Quia vero est summe unum et omnimodum, ideo est omnia in omnibus (1 Cor 15,28), quamvis omnia sint multa, et ipsum non sit nisi unum […]. Weil es (das reinste und absolute Sein, Anm. R. V.) das vollkommenste und unermäßlichste ist, darum ist es in allem, wird aber von ihm nicht eingeschlossen; außer allem, doch nicht ausgeschlossen, über allem, aber nicht erhoben, unter allem, doch nicht darunter. Weil es aber im höchsten Maße eins und allseitig ist, darum ist es „alles in allem“, mag auch das „Alle“ ein Vieles und es selbst ein Eines sein.41

 Bonaventura, Itinerarium, V. 5, 129  Bonaventura, Itinerarium, V. 8, 134 f. Ich habe an dieser Stelle die verwendete Übersetzung leicht modifiziert. Die Hervorhebungen sind von mir. 40 41

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7. Gott in der Transzendenzmetaphysik

Gerade die Absolutheit und Transzendenz sind der Grund der Immanenz. Andererseits impliziert die Immanenz keine Eingrenzung. Gott bleibt Gott, auch wenn Er das Endliche vollständig durchdringt. Die Setzung der wahren Transzendenz impliziert daher (im Gegensatz zur Immanenzmetaphysik, die wiederum in eine Tilgung von zumindest einem Teil der Phänomenalität mündet) die vollständige Rettung der Phänomene. Diese Rettung der Phänomene soll nun im Kontext der Transzendenzmetaphysik erläutert werden.

8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik Nach der Betrachtung des transzendenten reinen Seins wird nun die Natur des Nicht-Göttlichen analysiert. Es wird zunächst erläutert, in welchem Sinne man sagen darf, dass das Nicht-Göttliche wirklich besteht. Anschließend wird gezeigt, in welchem Sinne man in Bezug auf das nicht-göttliche Sein von einem erschaffenen Sein sprechen darf. Schließlich soll dargestellt werden, dass das sich daraus ergebende Weltbild eines ist, in dem Dinge einen Zeichen-Charakter besitzen, der auf Gott hinweist. Dieses Weltbild kann als ein ,liturgisches‘ bezeichnet werden.

8.1 Der Immanenzcharakter der ontologischen Transzendenzmetaphysik Das Transzendente ist bei Eckhart zwar superior und prior, aber diese Dimension schließt nicht das Niedere und Spätere aus. Kurzum: Die Transzendenz ist im Kontext des Bonaventurisch-Eckhartschen Modells Immanenz. Eckhart schreibt dazu: [D]as Frühere und Obere berührt vielmehr das Niedere und Spätere und steigt mit seinen Eigentümlichkeiten in es herab und gleicht sich – nämlich als Ursache und Tätiges – jenes als das Verursachte und das Leidende an […]. Ein anschauliches Beispiel für das Gesagte bieten die Teile eines Lebewesens: die Seele wird in ihnen nicht geteilt, sondern bleibt ungeteilt und eint die einzelnen Teile in sich, so dass sie eine Seele, ein Leben, ein Sein und ein Lebendigsein haben. Das ist so wahr, dass, wenn man sich das Haupt eines Menschen am Nord‑ und seine Füße am Südpol (des Himmels) dächte, der Fuß vom Haupt nicht weiter entfernt wäre als von sich selbst und hinsichtlich von Sein, Lebendigsein, Seele und Leben keinen niedereren Platz als das Haupt einnähme. Denn wo Einheit ist, da gibt es keine Entfernung, da ist nichts niedriger als das andere, da ist durchaus kein Unterschied der Gestalt, des Ranges oder der Wirklichkeit.1

Die Position, die hier dargestellt wird, lässt sich folgendermaßen übersetzen: Das Obere ist als ein lebendiges und dynamisches Prinzip zu verstehen, das  Eckhart, Prol. Gen. n. 10 (LW I 154,15–156,3).

1

168

8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

das Andere durchdringt und trägt, ohne sich aber selbst ,verlassen‘ zu müssen. In Hegelscher Diktion: Es bleibt bei sich im Anders-Sein. Das ist aber das fundamentale Merkmal der Transzendentalität. Denn (um die Idee noch einmal aufzugreifen) das reine Sein kann, qua Sein, und damit ohne Rekurs auf etwas Äußerliches, alle Bestimmungen ,generieren‘. Damit unterscheidet es sich von einer Gattung. Der Verweis auf die Seele soll allerdings mit Vorsicht übernommen werden, denn die Seele, qua forma corporis, hebt eher die Dimension der Immanenz hervor (sie ist das vereinigende Ordnungsprinzip eines Körpers), sie vernachlässigt aber die Seite der Transzendenz. Die Seele ist, mit anderen Worten, und im Gegensatz zu Gott, nicht wirklich superior. Gott ist deshalb keine anima mundi, denn dies würde wiederum Gott zu einer Art Prinzip der Immanenzmetaphysik werden lassen. Trotzdem ist dieses Beispiel nützlich, weil hier die Dimension der Transzendentalität (der allumfassende Charakter) hervorgehoben wird. Dies bedeutet: Transzendenz und Transzendentalität (und damit Transzendenz und Immanenz) werden in diesem Kontext vereinigt.2 Die Frage, die nun entsteht, ist eine zweifache. Einerseits: Was für eine Natur hat das endliche Seiende in diesem Kontext und wie verhält es sich zum absoluten Sein? Andererseits: Was für eine Aktivität ist die transzendentale Generierung der Unterschiede? Die Antwort auf diese zweigeteilte Frage expliziert sich in eine doppelte Richtung. Einerseits geht es um eine Betrachtung von unten nach oben (bottom-up). Dabei werden die Natur des Nicht-Göttlichen und seine Verbindung zum Göttlichen analysiert. Andererseits geht es um eine Betrachtung von oben nach unten (top-down). Dabei wird die Art und Weise ausgelotet, wie der transzendente (und transzendentale) Ursprung das AndersSein hervorbringt. Diese doppelte Seite lässt sich anhand von vier Hauptthesen einleiten, die Eckhart am Anfang des Opus propositionum präsentiert und die als Leitfaden für unsere Untersuchung fungieren sollen. Eckhart schreibt: Einleitend ist also zu bemerken: erstens, daß Gott allein im eigentlichen Sinne Seiendes, Eines, Wahres und Gutes ist; zweitens, daß von ihm alles Sein, Einheit, Wahrheit und Gutheit hat; drittens, daß alles von ihm unmittelbar hat, daß es ist, daß es eines, wahr und gut ist. Viertens: Wenn ich sage: dieses Seiende oder dies und das Eine oder dies und das Wahre, so fügen oder legen ,dies‘ und ,das‘ nichts weiter an Seinsgehalt, Einheit, Wahrheit oder Gutheit zum Seienden, Einen, Wahren und Guten hinzu.3

2 Zur Einheit von Transzendentalität und Transzendenz als Grundmerkmal der Bonaventurschen und der Eckhartschen Perspektive vgl. unter anderem Wouter Goris/Jan A. Aertsen, „Medieval Theories of Transcendentals“, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2013 Edition), Edward N. Zalta, ed. URL = . 3  Eckhart, Prol. in Op. Prop. n. 4, (LW I 167,9–168,5).

8.1 Der Immanenzcharakter der ontologischen Transzendenzmetaphysik

169

Im ersten Punkt wird die absolute Dimension des Seins hervorgehoben (das Seiende als Seiendes ist göttlich). Die Punkte zwei und drei betonen die transzendentale Relation, die zwischen dem reinen Sein einerseits und dem bestimmten Sein andererseits besteht. Denn, noch einmal, das reine göttliche Sein hat keinen Gattungscharakter und kann aus sich heraus und unmittelbar die bestimmte Entität hervorbringen. Diese Punkte sind mit der Dynamik von oben nach unten verbunden und, wie wir später sehen werden, mit der Schöpfungslehre. Anders verhält es sich mit dem vierten Punkt. Was ist aber damit gemeint? Das Seiende ist das göttliche Seiende, das wiederum mit dem reinen Sein identisch ist. Nun behauptet Eckhart, dass das bestimmte Seiende nichts an Seiendheit hinzufügt. Seiendheit ist aber wiederum das Seiende als solches (reines Sein), das mit Gott identisch ist. Das bestimmte Seiende in seiner Ganzheit kann hingegen als die ,Welt‘ bezeichnet werden. Wenn nun das bestimmte Seiende nichts hinzufügt, lässt sich die These folgendermaßen übersetzen: Gott + Welt = Gott.4 Nun könnte man meinen, dass, wenn diese Gleichung stimmt, die Welt nichtig sein muss. Das bestimmte Seiende wäre damit nichtig. Die Welt gäbe es also in Wahrheit nicht. Es gäbe nur Gott. Das ist aber wiederum die Position der Immanenzmetaphysik, die sich aufgehoben hat. Außerdem: Eckhart selbst lehnt diese Option mit Entschiedenheit ab: Dies und das Seiende, dies und das Eine, dies oder das Wahre, dies oder das Gute fügen oder tragen also, insofern sie dies und das sind, nichts an Seinsgehalt, Einheit, Wahrheit und Gutheit (zum Sein, Einen, Wahren und Guten) bei. Das ist der vierte oben aufgestellte Grundsatz. Mit dieser Behauptung nehmen wir den Dingen nicht das Sein noch zerstören wir ihr Sein, sondern geben ihm erst den rechten Halt.5

Mit anderen Worten: Die hier vertretene These impliziert nicht den Verzicht auf die Existenz der endlichen Entitäten, sondern impliziert deren wahre Begründung. Es geht also um die korrekte Rettung der Phänomene (um das sozein ta phainomena). Der vierte Punkt thematisiert daher die Natur der wirklich existierenden nicht-göttlichen Entität. Es geht mithin um die oben erwähnte Betrachtung von unten nach oben. Mit diesem Punkt wollen wir nun anfangen.

4  Diese Idee ist auch von der neuscholastischen Tradition italienischer Prägung (der Neuklassik) vertreten worden. Vgl. dazu Gustavo Bontadini, „Sull’aspetto dialettico della dimostrazione dell’esistenza di Dio“, in: ders., Conversazioni di metafisica II, 2. Aufl., Mailand 1995, 189–194. 5 Eckhart, Pr. in Op. Prop. n. 5, (LW I 176,3–7): „Nihil ergo entitatis, unitatis, veritatis et bonitatis penitus addit sive confert ens hoc aut hoc, unum hoc aut hoc, verum hoc aut istud, bonum hoc aut istud, in quantum hoc vel hoc. Et hoc est quartum principale supra praemissum. Hoc autem dicentes non tollimus rebus esse nec esse rerum destruimus, sed statuimus.“ (Herv.  R. V.)

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

8.2 Die Natur der endlichen Entität Um diese letzte Position zu erläutern, lohnt es sich in eine ähnliche Richtung zu gehen wie im Falle der ontischen Metaphysik (Scotischer Prägung). Dies bedeutet: Das Sein soll als unendlich verstanden werden, das bestimmte Seiende hingegen als endlich. Nun lässt sich sagen (wie bereits im dritten Kapitel erwähnt), dass die Kardinalität bzw. die Mächtigkeit (das ,Wieviel‘) einer unendlichen Menge nicht dadurch geändert wird, wenn eine Menge mit einer endlichen Mächtigkeit hinzugefügt wird. Zum Beispiel ändert sich die Mächtigkeit der Menge der natürlichen Zahlen nicht, wenn man die endliche Mächtigkeit (die durch eine bestimmte natürliche Zahl n ausgedrückt wird) hinzufügt. Gleichzeitig: Die bestimmte, endliche Menge ist nicht nichts. Wenn man nun diese These auf eine Seins-Ebene überträgt, kann man sagen, dass das endliche Seiende dem unendlichen göttlichen Sein nichts hinzufügt. Dies bedeutet aber wiederum nicht, dass das endliche Seiende nichtig ist. Wie lässt sich aber diese Unendlichkeit im metaphysischen Kontext (die ontologische Mächtigkeit) explizieren? Zunächst soll Folgendes hervorgehoben werden: Gott vereinigt alle Vollkommenheiten auf einer höheren Ebene (virtualiter). Mit anderen Worten: Gott ist nicht deshalb unendlich, weil er eine Art ,Sammelsurium‘ von allen möglichen Perfektionen wäre. Gott ist unendlich, weil Er das einfachste und intensivste Sein ist. Er ist ,am seiendesten‘. Mit anderen Worten: Es gibt nicht ,mehr Sein‘, weil es die endliche Entität gibt (es gibt keine Steigerung an Seiendheit), aber dies bedeutet nicht, dass die endliche Entität nichtig ist. Ein wichtiger Punkt soll aber an dieser Stelle betont werden: Das arithmetische Beispiel, das die Relation zwischen Endlichem und Unendlichem darstellt, bewegt sich in einem bestimmten Kontext, nämlich im Kontext der Quantität. Die Relation hat daher einen kategorialen Charakter. Diese Dimension bleibt auch im Kontext der ontischen Metaphysik bestehen. Warum? Weil sich Gott und Welt innerhalb desselben objektiven Forschungsbereichs bewegen. ,Unendlichkeit‘ bedeutet in diesem Kontext die Bestimmung und Eingrenzung einer Entität innerhalb dieses Forschungsbereiches. Dies heißt wiederum: Die Zunahme der intensiven Seite bedeutet einen Verlust an Extension. Das gilt nun im Falle der ontologischen Transzendenzmetaphysik nicht, denn es ist die wirkliche transzendentale und damit totale Unendlichkeit, die an dieser Stelle zum Ausdruck gebracht wird. Das göttliche Sein (die Seiendheit) ist jeglicher Form von Eingrenzung entgegengesetzt. Mit den Worten der Scholastik könnte man den Unterschied auch so formulieren: An dieser Stelle geht es um das Infinitum absolutum und nicht, wie im Falle der ontischen Metaphysik, um ein Infinitum secundum quid. Dies bedeutet nun: Auch die ontologische Metaphysik (wie die ontische Metaphysik) geht von einer gewissen Trennung von Intensions‑ und Extensions-

8.2 Die Natur der endlichen Entität

171

Charakter des Seins aus. Allerdings (und das ist der fundamentale Unterschied) impliziert diese Scheidung keine Eingrenzung des unendlichen Seins. Mit anderen Worten: Die absolut unendliche Seiendheit hat wirklich einen Totalitätscharakter (sie hat in sich selbst wirklich jegliche Perfektion) und kann daher nicht eingegrenzt werden. Das hat eine weitere wichtige Konsequenz: Während im Kontext der ontischen Metaphysik das Unendliche und das Endliche zwei ontische Modi innerhalb desselben Forschungsbereichs (derselben Seins-Weise) explizieren, bedeuten Unendlichkeit und Endlichkeit im Kontext der ontologischen Metaphysik zwei fundamental unterschiedliche Seins-Weisen. Kurzum: Das Sein Gottes ist das wahre Sein selbst und ist als solches fundamental anders als das Sein der Welt. Das heißt: Die fundamentale Transzendentalität Gottes (die wahre totale Unendlichkeit) impliziert seine wahre und vollständige Transzendenz. Kurzum: Die Transzendenz der ontischen Metaphysik bewegt sich innerhalb desselben Horizontes (sie ist Transzendenz im Kontext der Immanenz), im Falle der ontologischen Metaphysik hat hingegen die Transzendenz den Vorrang. Gleichzeitig: Da das unendliche Sein vom bestimmten Sein nicht eingegrenzt wird, ist es somit auch immanent. Dadurch kommt die transzendentale Relation wiederum zum Ausdruck. Anhand der bisherigen Ausführungen lässt sich nun sagen, dass diese Konzeption der ontologischen Transzendenz am besten als eine Art Platonismus zu bezeichnen ist. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf die Grundkonzeption der Ideenlehre, wie sie von Platon in den mittleren Dialogen vertreten wird. Die Grundprinzipien dieser Auffassung können folgendermaßen formuliert werden: 1.) Alle A sind A aufgrund des A selbst. 2.) Dieses Selbst wird wiederum als ein A aufgefasst. 3.) Gleichzeitig ist dieses A ein getrenntes und nur durch Teilhabe erreichbares. 4.) Das A selbst (die Idee des A) ist (a) wahrhaft seiend und (b) wahrhaft erkennbar. Die vielen A sind hingegen nur im uneigentlichen Sinne und nicht an sich wahrhaft erkennbar.6 These 1) kann als die Ausgangsperspektive der Platonischen Ideenlehre betrachtet werden. Die These 2) wird normalerweise als ,Selbstprädikation‘ bezeichnet. Kurzum: Der Mensch selbst ist wiederum ein Mensch. These 3) wird gewöhnlich als ,Chorismos‘ bezeichnet. Dieser Ausdruck hebt die Transzendenz (und die Trennung) zwischen dem ideellen Bereich einerseits und dem Bereich der gewöhnlichen Einzeldinge andererseits hervor. These 4) spezifiziert den ontologischen und epistemologischen Status des ,ideellen‘ und des ,sinnlichen‘ Bereiches.  Diese Schematisierung wurde von Anton F. Koch inspiriert.

6

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

Bei der Bonaventurisch-Eckhartschen-Position geht es nun um einen Seinsplatonismus.7 Dies bedeutet: Das, was hier schematisch dargestellt wird, gilt vom Sein selbst und von den Transzendentalien. Genauer formuliert: 1.) Alle Seiende (entia hoc et hoc) sind durch Teilhabe am Sein selbst. 2.) Das Sein selbst ist im ursprünglichen Sinne und ist wahrhaft erkennbar. Die vielen Seienden sind nur im uneigentlichen Sinne und nur im abgeleiteten Sinne erkennbar. 3.) Das Sein selbst ist nun aber Gott und das abgeleitete (partizipierte) Seiende ist das Außergöttliche. Eckhart entwickelt auch anhand dieser ontologischen Auffassung eine Art Ideenlehre. Dabei unterscheidet er mit Bezug auf die verschiedenen Entitäten zwischen einem ideellen und einem formellen Sein. Das Ideelle bringt aber, wie beispielsweise Karl Albert hervorgehoben hat8, die Natur des Seins (die Seiendheit) zum Ausdruck. Das formale Sein impliziert hingegen die Dimension des Dies-undDas-Seienden. Man könnte daher sagen, dass das Sein die Idee überhaupt ist und dass das ens hoc et hoc das formelle Sein als solches darstellt. Diese Konvergenz zwischen Platonismus und Transzendentalienlehre ist im Übrigen ein Punkt, der die Eckhartsche Auffassung mit dem Thomismus verbindet. Denn Thomas lehnt zwar die Platonische Teilhabe-Beziehung für den kategorialen Bereich (hier gelten die vier Aristotelischen Ursachen) ab, für den transzendentalen Bereich steht aber die Teilhabe-Beziehung im Zentrum.9 7  Zu dieser Thematik vgl. Anton F. Koch, „Der Logos als Bild des Seins bei Meister Eckhart“, in: Johannes Brachtendorf (Hg.), Prudentia und Contemplatio. Ethik und Metaphysik im Mittelalter. Festschrift für Georg Wieland zum 65. Geburtstag, Paderborn 2002, 142–159. 8 Vgl. Karl Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des „Opus tripartitum“, Saarbrücken 1976, 236–244. 9 Thomas Aquinas, In librum Beati Dionysii De divinis nominibus expositio, hg. von Ceslai Pera, Turin/Rom, 1950, Prologus, 2: „Platonici enim omnia composita vel materialia, volentes reducere in principia simplicia et abstracta, posuerunt species rerum separatas, dicentes quod est homo extra materiam, et similiter equus, et sic de aliis speciebus naturalium rerum. Dicebant, ergo, quod hic homo singularis sensibilis non est hoc ipsum quod est homo, sed dicitur homo participatione illius hominis separati. Unde in hoc homine sensibili invenitur aliquid quod non pertinet ad speciem humanitatis, sicut materia individualis et alia huiusmodi. Sed in homine separato nihil est nisi quod ad speciem humanitatis pertinet. Unde hominem separatum appellavit per se hominem, propter hoc quod nihil habet nisi quod est humanitatis; et principaliter hominem, inquantum humanitas ad homines sensibiles derivatur ab homine separato, per modum participationis. Sic etiam dici potest quod homo separatus sit super homines et quod homo separatus sit humanitas omnium hominum sensibilium, inquantum natura humana pure competit homini separato, et ab eo in homines sensibiles derivatur. Nec solum huiusmodi abstractione Platonici considerabant circa ultimas species rerum naturalium, sed etiam circa maxime communia, quae sunt bonum, unum et ens. Ponebant, enim, unum primum quod est ipsa essentia bonitatis et unitatis et esse, quod dicimus Deum et quod omnia alia dicuntur bona vel una vel entia per derivationem ab illo primo. Unde illud primum nominabant ipsum bonum vel per se bonum vel principale bonum vel superbonum vel etiam bonitatem omnium bonorum seu etiam bonitatem aut essentiam et substantiam, eo modo quo de homine separato

8.2 Die Natur der endlichen Entität

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Es ist außerdem wichtig zu bemerken, dass diese Auffassung ein Problem vermeidet, das die Standard-Konzeption des Platonismus (zumindest wie dieser Aristotelisch interpretiert wird) mit sich bringt. Dieses wird gewöhnlich als das Argument des ,dritten Menschen‘ bezeichnet und lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Die gewöhnlichen Menschen sind Menschen durch den Menschen selbst. Dieser ist einerseits wiederum ein Mensch, andererseits ist er ein abgetrennter Mensch. Wenn aber der Mensch selbst ein Mensch ist, der neben den anderen gewöhnlichen Menschen steht, dann stellt sich die Frage, wodurch diese zwei Arten von Menschen Mensch sind. Offenbar durch einen weiteren Menschen dritter Stufe. Aber dies scheint einen unendlichen Regress zu verursachen, der die Natur der Entitäten ad absurdum vervielfältigt. Gegen diesen Einwand kann man nun Folgendes hervorheben: Das Sein selbst ist nicht wie eine Entität neben anderen zu verstehen, man kann daher nicht von Prädikation in Bezug auf das Ur-Sein sprechen. Denn das göttliche Sein unterläuft den Unterschied zwischen Existenz und Prädikation. Das impliziert aber auch, dass es dabei um eine Seinsweise geht, die mit derjenigen der anderen Entitäten nicht vergleichbar ist. Das ist, noch einmal, die Grundbotschaft der ontologischen Transzendenz. Es geht dabei nämlich um die wahre absolute Transzendenz und nicht um ein Neben‑ ober Über-einander-Sein zweier Bereiche. Kurzum: Der Chorismos ist nicht ,räumlich‘ zu interpretieren. Gleichzeitig (und das ist die andere Seite der Medaille) wird die Teilhabe-Relation deshalb eingeführt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Transzendenz keinen Ausschluss der Phänomene impliziert, sondern deren Rettung. Was bedeutet aber hier ,Teilhabe‘? Die These kann noch einmal Platonisch expliziert werden: Endliche Entitäten sind ein Bild bzw. eine Repräsentation des unendlichen Seins selbst. Dies heißt: Die endliche Entität repräsentiert das unendliche Sein. Um dies zu tun, muss sie aber an sich nichtig sein, denn sie würde ansonsten das Sein selbst verdecken. Anders formuliert: Um Re-präsentation zu sein, um etwas in Erscheinung treten zu lassen, muss sich eine Entität vollständig ,zurücknehmen‘. Gleichzeitig ist sie, qua Re-präsentation, etwas Abgetrenntes und Selbständiges. Man kann diese Idee folgendermaßen verdeutlichen: Während die erste Dimension (die Re-präsentation) eher auf die ikonische/darstellerische Dimension eines Bildes (z. B. eines Fotos) verweist, verweist die zweite (die Re-präsentation) auf seinen materiellen Charakter. Allerdings bleibt ein fundamentaler Unterschied zwischen gewöhnlichen Bildern und dem hier thematisierten. Denn während bei den gewöhnlichen Bildern die Abbildrelation einen akzidentellen Charakter besitzt (sie kommt hinzu), ist sie an dieser Stelle konstitutiv. Es geht hier folglich um das reine Bild expositum est. Haec igitur Platonicorum ratio fidei non consonat nec veritati, quantum ad hoc quod continet de speciebus naturalibus separatis, sed quantum ad id quod dicebant de primo rerum principio, verissima est eorum opinio et fidei Christianae consona.“

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

(die schiere Bildhaftigkeit). Dies bedeutet aber auch, dass die endlichen Entitäten in dieser ikonischen Relation vollständig aufgehen. Kurzum: Endliche Entitäten erweisen sich als relationale Entitäten. Diese Auffassung der endlichen Entität als Abbild des Urbildes (des unendlichen Seins) führt uns zu dieser merkwürdigen Relation zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen zurück. Inwiefern? Einerseits muss man Folgendes sagen: Das Abbild ist ein eingegrenzter und endlicher Ausdruck des unendlichen Urbildes. Andererseits: Die (Ab)bildhaftigkeit kann sowohl horizontal als auch vertikal unendlich erweitert werden, aber diese Erweiterung fügt dem Urbild nichts hinzu. Zum Beispiel kann man sich eine unendliche Reihe von Porträts vorstellen, die dem Urbild mehr oder weniger ähnlich sind oder verschiedene Aspekte des Urbilds darstellen. Aber sie bringen nur eine Dimension zum Ausdruck, die im Original bereits enthalten ist. Gleichzeitig sind diese Bilder nicht nichts. Die Bildhaftigkeit besteht. Bildhaftigkeit ist somit der ontologische Ausdruck dieser seienden Nichtigkeit. An dieser Stelle kann man auch hinzufügen, dass die Bildhaftigkeit des Realen die ontologische Widerspiegelung des dialektischen Prozesses ist, der die Natur der ontologischen Metaphysik als solcher auszeichnet. Wir haben im ersten Kapitel gesehen, dass der elenktische Charakter der Dialektik darin besteht, dass die unmittelbare Selbsttilgung einen Sinn erhält. Etwas metaphorisch formuliert: Die logische Dunkelheit zeigt sich als ein Reflex des Logos selbst. Anders gewendet: Derjenige, der z. B. das Widerspruchsprinzip verneint, sagt nichts. Dies bedeutet: Der Logos (beim Selbstwiderspruch) ist in sich geschlossen und opak. Allerdings: Gerade im Elenchos erhält dieses Nichts-Sagen auch eine Bedeutung, denn es verdeutlicht (wie bereits im ersten Kapitel gesagt) die Evidenz des Prinzips. Kurzum: Das Nichts-Sagen, diese logische Selbsttilgung, ist (immer noch) ein Sagen des Nichts. Dies spiegelt sich hier auf ontologischer Ebene wider, denn die schiere Bildhaftigkeit impliziert einerseits die Nichtigkeit des Realen (es erweist sich als nichtig in sich selbst, es ist unselbständig durch und durch), gleichzeitig ist es nicht einfach trügerischer Schein, es hat eine Bedeutung und diese kommt durch seinen relationalen Charakter zum Ausdruck. Dies heißt schließlich: Die ontologische Transzendenzmetaphysik besteht in der Öffnung der geistigen Augen und dies impliziert, dass man sieht, dass die Welt ein Abbild des Absoluten ist. Zu dieser Thematik wollen wir am Ende dieses Kapitels zurückkommen.

8.3 Die transzendentale Analogie

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8.3 Die transzendentale Analogie10 Diese ontologische Dimension der Bildhaftigkeit, die die transzendentale Relation (von unten nach oben) ausdrückt, hat einen analogen Charakter. Eckhart selbst bringt es zum Ausdruck: Seiendes aber oder Sein und jede Vollkommenheit, besonders jede allgemeine, wie Sein, Eines, Wahres, Gutes, Licht, Gerechtigkeit und dergleichen, werden von Gott und den Geschöpfen analog ausgesagt. Daraus folgt, dass Gutheit, Gerechtigkeit und dergleichen ihr Gutsein ganz und gar von einem Wesen außer sich haben, zu dem sie in analoger Beziehung stehen, nämlich Gott.11

Kurzum: Die transzendentale Beziehung ist eine analoge Beziehung. Man könnte aber andersherum behaupten, dass Analogie transzendentale Analogie ist. Dies bedeutet: Es gibt eine Kontinuität zwischen Transzendentalität, Analogie und Teilhabe-Relation (und damit Bildhaftigkeit). Was bedeutet aber ,Analogie‘? Im Kontext der scholastischen Philosophie wird gewöhnlich zwischen drei Arten von Termini unterschieden: univok, äquivok und analog. Betrachten wir der Reihe nach die verschiedenen Anwendungsweisen. Ein univoker Terminus ist einer, der gleichmäßig den verschiedenen Subjekten zukommt. Standardbeispiel ist in diesem Sinne die Relation zwischen Spezies und Gattung. Die animalitas (das Tier-Sein) drückt zum Beispiel denselben Kern aus, der sich in den verschiedenen Spezies (Katze, Hund, Mensch usw.) genauer artikuliert. Ein äquivoker Terminus ist einer, der bei den verschiedenen Subjekten nichts Gemeinsames (außer dem Namen) zum Ausdruck bringt. Ein Beispiel dafür ist der Terminus ,Schloss‘. Denn dieser kann sich sowohl auf ein Gebäude als auch auf einen Verschluss aus Metall beziehen. Ein analoger Terminus befindet sich nun zwischen diesen zwei Extremen. Dies bedeutet, dass er sich zwischen dem Extrem der einheitlichen Univozität und dem Extrem der unterschiedlichen Äquivozität befindet. Wenn ich beispielsweise behaupte: „dieser Wein ist noch gut“ und „George ist ein guter Mann“12, dann bringe ich zwar etwas Gemeinsames zum Ausdruck (sprich das Gut-Sein), es drückt sich jedoch in zwei verschiedenen Modi des Gutseins aus. Betrachten wir das Phänomen genauer: Gewöhnlich werden zwei Formen der Analogie unterschieden: eine Proportionalitätsanalogie und eine Attributionsanalogie.

10  Den Terminus übernehme ich von Dario Sacchi. Vgl. Sacchi, Lineamenti di una metafisica di trascendenza, 173–212. 11  Eckhart, Super Eccl. n. 52 (LW II 281,1–5). 12  Dieses Beispiel nennt Edward Feser. Vgl. Edward Feser, Five Proofs of the Existence of God, San Francisco 2017, 176 f.

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Proportionalitätsanalogie verweist, wie der Name selbst hervorhebt, auf Proportion. Bei einer arithmetischen Proportion (4:8 = 5:10) haben wir eine Verhältnis-Gleichheit. Im Falle der Proportionalitätsanalogie geht es hingegen um eine Verhältnisähnlichkeit. Zum Beispiel: Mit Bezug auf die Sicht lässt sich sagen, dass sich das Auge zu seinem Gegenstand verhält, wie der Intellekt zu seinem Gegenstand. In diesem Fall werden das Sehen und die Sicht im analogen Sinne verstanden. Denn hier wird einerseits ein Verhältnis zum Objekt thematisiert, das in beiden Fällen denselben funktionalen Charakter aufweist, das aber gleichzeitig zwei verschiedene Formen der Schau expliziert. Es geht somit nicht um eine Gleichheit, weil die zwei Bereiche heterogen bleiben.13 Diese Zwischenposition ist auch zentral bei der Attributionsanalogie. Ein klassisches Beispiel in diesem Sinne ist der Terminus ,gesund‘. Denn dieser kann z. B. auf einen Körper, auf das Essen (z. B. Kartoffeln) oder auf die Haut angewendet werden. Im ersten Fall geht es um die erste fundamentale Instanz der Gesundheit, denn der Körper ist das, was an sich wirklich gesund ist. Essen und Haut sind hingegen deshalb gesund, weil das erste die Gesundheit fördert (verursacht) und die zweite die Gesundheit anzeigt. Wir haben daher wiederum einerseits eine Dimension der Gleichheit (denn es geht in allen Fällen um wirkliche Gesundheit), aber auch eine Dimension des Unterschiedes, weil verschiedene Aspekte der Gesundheit hervorgehoben werden. Die Analogie erhält dadurch eine polare Natur, denn einerseits haben wir mit dem fokalen Punkt der Analogie (analogatum princeps) zu tun, in diesem Fall mit dem Körper (dem wirklichen Träger von Gesundheit), und andererseits mit verschiedenen Relationsmodi zu diesem fokalen Punkt. Nun stellt sich folgende Frage: Wenn es um Transzendentalien geht und wenn die Transzendentalität eine theologische Dimension besitzt, wird sie durch eine univoke, äquivoke, oder analoge Relation zum Ausdruck gebracht? Ich konzentriere mich dabei auf das Sein. Die Äquivozität kann ausgeschlossen werden und zwar aus folgendem Grund: ,Sein‘ bringt jene ursprüngliche (göttliche) Einheit (den Urgrund) zum Ausdruck, die alle verschiedenen Entitäten verbindet. Wenn nun das Sein nicht ist, dann gibt es auch keine wirkliche Ureinheit der verschiedenen Entitäten, es gibt nur die unverbundene Vielfalt. Es gibt somit aber auch keine wirkliche Erste Philosophie. Dies geht aber gegen die Prämisse dieser Untersuchung, die von der Existenz der Ersten Philosophie ausgeht. Aber unabhängig davon, könnte man Thomistisch (und im Sinne der Transzendental-Philosophie der Alten) so verfahren: ens est primum quod intellectus concipit. Das Sein ist das Erst-Verstandene und das, worauf sich alles reduzieren lässt. Wenn wir beispielsweise etwas als Pferd erfassen, haben wir die Notion 13 Zu dieser Thematik vgl. auch Sofia Vanni Rovighi, Elementi di Filosofia, Bd. 2, 15. Aufl., Brescia 1999, 13–20.

8.3 Die transzendentale Analogie

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des Seins immer schon aktiviert. Denn es geht dabei immer um ein bestimmtes etwas, das wir als solches immer schon erfasst haben. Ohne Sein gäbe es daher keine Erfassung eines Terminus überhaupt. Kurzum: Das Sein ist die eine ontologische Quelle. Kann man das Sein als eine univoke Notion verstehen? Gewöhnlich wird die Idee der Univozität mit der Dimension des Gattungscharakters verbunden. Da nun das Sein eine Transzendentalie ist, ist es keine Gattung und damit nicht univok. Die Univozität des Seins ist die Auffassung, die den Parmenidismus und die Parmenideisch geprägten Philosophien auszeichnet. Denn es geht dabei um ein gattungsartiges Sein, das die Unterschiede ausschließt. Duns Scotus hat allerdings die These vertreten, dass man zwischen Univozität und Gattungsdimension unterscheiden muss. Das Sein wäre nach dieser Auffassung zwar keine Gattung aber trotzdem univok. Eine Gattung wird nämlich durch ein äußerliches Prinzip bestimmt. Die Bestimmung des Seins (die transzendentale Bestimmung) ist hingegen intrinsisch und ergibt sich vor allem durch die internen Bestimmungen von Unendlichkeit und Endlichkeit. Man sollte allerdings die Transzendentalität stringenter erfassen, und zwar nach dem Thomistischen Prinzip differentiae entis sunt formaliter ens (die Seinsunterschiede sind formell seiend). Was bedeutet dies? Es heißt, dass sich die Bestimmung des Seins wiederum im und durch das Sein selbst ,ergibt‘. Der Terminus ,Blume‘ kann beispielsweise alle verschiedenen Blumenarten explizieren, weil er die spezifischen Bestimmungen der unterschiedenen Blumen unentfaltet lässt. Mit scholastischer Terminologie kann man daher sagen, dass sie materialiter da sind. Diese Auffassung gilt nun für das Sein nicht, denn die Unterschiede sind durch und durch (formaliter) etwas und dies bedeutet, dass das Sein (qua Sein) jegliche Bestimmtheit ganz expliziert. Diese Form der Transzendentalität ist nun aber für die Scotische Seinsauffassung nicht gültig, denn die intrinsischen Unterschiede treten (auch wenn sie intrinsisch sind) doch hinzu. Theologisch gewendet: Das Sein erweist sich nicht von Anfang an und aus sich heraus als unendlich und damit göttlich. Das Sein ist der göttlichen Natur zunächst und aus sich heraus indifferent. Göttlichkeit und Kreatürlichkeit sollen inferentiell (durch Vermittlung) herausgearbeitet werden, aber dies bedeutet wiederum, dass sie äußerlich hinzukommen. Dies heißt schließlich: Transzendentalität ist mit Analogie verbunden. Wir haben aber gesehen, dass es zwei Formen von Analogie gibt: Proportionalitäts‑ und Attributionsanalogie. Wird die Idee der Transzendentalität durch die Proportionalitätsanalogie ausgedrückt? Dies scheint nicht der Fall zu sein.14 Die Analogie von Proportionalität beruht nämlich auf einer Stabilität des Verhältnisses. Im Falle des 14 An dieser Stelle folge ich der Kritik, die von Dario Sacchi entwickelt wurde. Vgl. z. B. Sacchi, Lineamenti di una metafisica di trascendenza, 173–212.

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oben erwähnten arithmetischen Beispiels geht es um dasselbe Verhältnis ½. Dies bedeutet: Im Falle dieses arithmetischen Beispiels handelt es sich um eine Dimension der Univozität, denn der verbleibende Kern ist derselbe, während die Glieder des Verhältnisses variieren. Im ontologischen Fall geht es hingegen, wie erwähnt, um eine Verhältnisähnlichkeit. Aber warum ist es so? Weil das Verhältnis im Grunde äußerlich bleibt. Aber was bedeutet wiederum an dieser Stelle ,Äußerlichkeit‘? Es heißt, dass das Verhältnis nicht fähig ist (im Gegensatz zum arithmetischen Fall), die Natur der Glieder zu durchdringen. Was für Konsequenzen hat aber dies für die Natur der Glieder? Diese bleiben im Grunde (ontologisch) ungebunden und dies bedeutet, dass sie sich im Kontext einer äquivoken Dimension befinden. Die Proportionalitätsanalogie verbindet daher zwar Univozität und Äquivozität, die Verbindung bleibt aber wiederum äußerlich und dies scheint nicht die Natur der Transzendentalität widerzuspiegeln. Denn: Das Sein ist einerseits das, was im Grunde alles vereinigt (die Transzendentalität überwindet die Äquivozität). Gleichzeitig impliziert die Transzendentalität die Erfassung und Durchdringung der Unterschiede, ohne sie auf die Univozität zurückzuführen. Beide Aspekte bleiben aber bei der Proportionalitätsanalogie unberücksichtigt. Denn da, wo sich die Proportion wirklich durchsetzt (wie im arithmetischen Beispiel), entsteht Univozität, aber da, wo sie sich nicht durchsetzt (wie im ontologischen Beispiel), herrscht die Dimension der Äquivozität. Kurzum: In beiden Fällen geht das Hauptmerkmal der Transzendentalität verloren. Theologisch gewendet könnte man sagen, dass nach diesem Modell einerseits Gott und das Außergöttliche auf derselben Ebene bleiben und andererseits, dass Gott und das Außergöttliche gleichgültig nebeneinanderstehen und Gott keine wirklich alldurchdringende Kraft besitzt. Das einzige verbleibende Modell ist folglich die Attributionsanalogie. Aber entspricht dieses Modell tatsächlich der Idee der Transzendentalität? Diese hat, wie oben erwähnt, eine doppelte Dimension: Einerseits gibt es ein Zentrum (analogatum princeps) und andererseits gibt es eine periphere Dimension (analogatum secondarium). Der periphere Charakter des Analogats zeichnet sich dadurch aus, dass es die analoge Notion nur in abgeleiteter Form besitzt, das Zentrum hingegen im vollkommenen und eigentlichen Sinne. Diese Auffassung lässt sich nun sehr gut auf die transzendentale Dimension und ihre theologische Natur übertragen. Denn das Sein selbst (und damit Gott) ist wie ein analogatum princeps im vollsten Sinne des Wortes. Das bestimmte Seiende ist wie ein analogatum secondarium in eigentlicher Form. Das ist auch das, was Eckhart im vorher erwähnten Zitat hervorgehoben hat. Man könnte allerdings die Frage stellen, ob diese Konzeption nicht einen zu starken Univozitäts-Charakter besitzt. Mit anderen Worten: Wenn das Wirklich-Sein in den Kreaturen nicht wurzelt, dann könnte man daraus die Konsequenz ziehen, dass das endliche Seiende nicht wirklich ist. Dies bedeutet: Nur das Sein selbst

8.4 Transzendentale Relation und Schöpfung

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wäre; alles andere wäre hingegen nicht. Das ist aber wiederum das Merkmal der Immanenzmetaphysik Parmenideischer Prägung, die sich aufgehoben hat. Wir haben auch gesehen, dass die Lösung dieser Problematik in der TeilhabeBeziehung besteht. Diese Dimension zeigt sich auch in der Konzeption der Analogie. Dies bedeutet, dass das analogatum secondarium ein bildhaftes Zeichen des analogatum princeps ist. Diese Seite wird nun deutlich von Eckhart unterstrichen. Er behauptet einerseits, dass das Fundament der Analogie im ersten Analogat liegt. Aus diesem Grund schreibt er (in Anklang an das Aristotelische Beispiel), dass die Gesundheit nicht mehr im Harn als im Stein zu finden sei. Diese Konzeption führt allerdings nicht einfach zur These, dass die Analogie einen extrinsischen Charakter besitzt und dass sie damit nicht eine univoke Konzeption des Seins impliziert. Dies bedeutet: Der Harn (und damit das zweite Analogat) unterscheidet sich von einer Instanz, die zur analogen Relation nicht gehört, weil der Harn, als zweites Analogat, eine Zeichenfunktion hat. Mit den Worten Eckharts: Sicut ergo circulus vino servit ipsum indicando et urina sanitati animalis, nihil in se penitus sanitatis ‚habens‘ sic omnis creatura pari modo servit Deo. / Wie also der Kranz dem Wein dient, indem er ihn anzeigt, und der Harn der Gesundheit des Sinneswesens, obwohl er überhaupt nichts von der Gesundheit an sich hat, so dient in gleicher Weise jedes Geschöpf Gott.15

Man kann die Idee daher folgendermaßen zum Ausdruck bringen: Das Sein ist einerseits, qua analogatum princeps, das ideelle Sein. Das Sein, qua analogatum secondarium, ist andererseits ein Zeichen. Dieses ist aber nicht einfach willkürlich, es hat hingegen einen natürlichen Charakter, und dies impliziert wiederum, dass es eine Abbildung des Seins ist.16

8.4 Transzendentale Relation und Schöpfung Bisher haben wir die transzendentale Relation von ,unten nach oben‘ betrachtet. Das Sein ist allerdings aktual, lebendig, und diese innere Dynamik, die mit der Egoität des Seins verbunden ist, entfaltet sich dadurch, dass das Sein – aus sich heraus  – das bestimmte Seiende hervorbringt. Diese Dynamik, die an dieser Stelle von oben nach unten fortschreitet, spiegelt noch einmal die Natur der Transzendentalität wider. Dies bedeutet: Das Sein ist, qua göttliches Prinzip, ein 15 Eckhart,

Sermo XLIV,3 n. 446 (LW IV 372, 7–9, Herv. R. V.).  Fernand Brunner schreibt dazu: „Pour être le signe de la santé, l’urine doit être consituée de telle ou telle manière: signe naturel de la santé, elle en est aussi l’image“, in: Fernand Brunner: „L’analogie chez Maître Eckhart“, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 16 (1969), 333–349, hier: 343. 16

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

hervorbringendes Prinzip. Das ontologische hervorbringende Prinzip ist aber das, was man im theologischen Kontext ,Schöpfer‘ nennt. Im Folgenden soll daher die transzendentale Relation mit der Schöpfungsidee in Verbindung gebracht werden. Freilich geht es hier um eine Skizze; diese soll aber die Verwandtschaft untermauern. Zentral für diesen Vergleich sind vor allem zwei Punkte, die die traditionelle Auffassung der Schöpfung auszeichnen: 1.) Schöpfung unterscheidet sich von einer ,Form-Gabe‘, weil sie die ganze Natur einer Entität hervorbringt. 2.) Schöpfung erfolgt nicht als eine notwendige Tat; sie ist eine freie Handlung, die aus sich heraus geschieht und prinzipiell unterlassen werden kann. Zunächst soll die Inkompatibilität zwischen den zwei anderen Modellen (ontischer Metaphysik und Immanenzmetaphysik) und dem Schöpfungsgedanken herausgearbeitet werden. Danach soll die Verbindung zwischen ontologischer Metaphysik und Schöpfung expliziert werden. Der Nachweis der Inkompatibilität erfolgt zunächst nach dem ersten und dann nach dem zweiten Punkt. Zum ersten Punkt: Die ontische Metaphysik geht von der Idee eines wollenden Gottes aus, der die endliche Entität aus sich heraus hervorbringen kann. Kann man aber in diesem Kontext von Schöpfung im strengen Sinne des Wortes sprechen? Auch wenn das univoke Sein nicht als eine gemeinsame materielle Basis gilt, sondern bloß als ein gemeinsamer Horizont verstanden werden muss, muss man trotzdem sagen, dass die göttliche Kraft des unendlichen Seienden nur in einer Gestaltung jenes Bereichs besteht, in dem sich das endliche Seiende befindet. Denn das endliche Seiende erweist sich als etwas, das im Grunde Gott gegenübersteht. Man kann daher nicht von Schöpfung im strengen Sinne des Wortes reden, weil die Kraft Gottes (zumindest zum Teil) äußerlich bleibt. Die göttliche Kraft verleiht dem Bereich des endlichen Seienden nur eine bestimmte Konfigurierung. Dies führt uns, mit anderen Worten, zur metaphysischen Idee der schlechten Unendlichkeit zurück, nämlich zu der inkonsistenten Auffassung eines (metaphysischen) Unendlichen, das durch das Endliche eingegrenzt wird. Wie sieht es im Fall der Immanenzmetaphysik aus? Diese Konzeption ist grundsätzlich anti-kreationistisch orientiert. Warum? Die Immanenzmetaphysik impliziert die Erhebung des Geistes zu einer Perspektive, in der sich die Welt selbst (verstanden als die Realität in ihrer kohärenten Ganzheit) als göttlich herausstellt. Es gibt daher keine außergöttliche Realität, weil sich Gott als die allumfassende Totalität zeigt. Kurzum: Gott kann deshalb alles ,durchdringen‘, weil Gott die konkrete totale Einheit ist. Man kann zusammenfassend die Inkompatibilität zum Schöpfungsgedanken (mit Bezug auf den ersten Punkt) auch folgendermaßen explizieren: Die göttliche Tätigkeit ist im Kontext der ontischen Metaphysik transitiv, aber nicht immanent. Dies bedeutet: Gott bringt etwas hervor, das zwar nicht göttlich ist,

8.4 Transzendentale Relation und Schöpfung

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aber gleichzeitig auch nicht vollkommen durchdrungen wird. Die göttliche Tätigkeit ist im Kontext der Immanenzmetaphysik immanent, aber nicht transitiv. Gott ist zwar omnipräsent und allsteuernd, aber er bringt nicht etwas NichtGöttliches hervor. Zum zweiten Punkt: Schöpfung ist eine freie Handlung, die als Ausdruck des freien Willens Gottes erfolgt. Was will aber der Wille? Er will das Gute und seine Ausbreitung. Das ist der Ausdruck (im Kontext von Agenten) des ,dionysischen Prinzips‘, nach dem die Natur des Guten (und damit des Seins) selbst-ausbreitend ist. Wenn dies der Fall ist, scheint diese Position aber auch zu implizieren, dass sich Gott so oder so manifestieren muss. Norman Kretzmann z. B. formuliert in seinem Kommentar zu Thomas’ Summa contra gentiles die These folgendermaßen: Goodness does require something other than itself as a manifestation of itself. God therefore necessarily (though with the freedom associated with counterfactual choice) wills the being of something other than himself. And the free choice in God’s will is confined to the selection of which possibilities to actualize for purposes of manifestation. As I see it, then, God’s will is necessitated as regards whether to create, but fully free as regards what to create.17

Diese Konzeption betrifft vor allem die ontische Metaphysik, denn hier geht es um die Setzung von etwas Anderem, das Gott gegenübersteht und ihm damit (ontologisch) etwas Neues hinzufügt. Dies hat folgende Konsequenz: Der Gott der ontischen Metaphysik kann zwar eine Umgestaltung des Bereiches des Endlichen unterbinden, kann aber nicht die Prägung des Bereiches des Endlichen überhaupt unterlassen, denn diese Prägung bringt neues Gutes hervor. Anders gewendet: Ein Gott, der untätig bleibt und das Endliche nicht hervorbringt und damit keine ordnende Kraft ausübt, ist ein Gott, der weniger gut ist (ein wenig wie ein Handwerker, der seine Tätigkeit nicht vollzieht) und daher ein Gott, der im Widerspruch zu sich selbst steht. Dieser notwendige Drang nach Selbstmitteilung steigert sich im Falle der Immanenzmetaphysik und dieses Modell zeigt somit noch einmal seine antikreationistische Dimension. Negativ formuliert: Die Idee einer Selbstmitteilung Gottes durch eine freie Tat, die unterbunden werden kann, entsteht aufgrund einer äußerlichen Betrachtung, die durch die korrekte Perspektive aufgehoben wird. Anders gewendet: Die Kontingenz des Realen und die freie Tätigkeit Gottes erweisen sich als Produkt eines inadäquaten und im Grunde auch anthropomorphisierenden Blicks. Dazu schreibt Spinoza: Zufällig wird ein Ding […] lediglich im Hinblick auf unser Erkenntnisdefizit genannt. Ein Ding nämlich, von dem wir nicht wissen, ob seine Essenz einen Widerspruch in sich schließt, oder von dem wir zwar genau wissen, daß sie keinen Widerspruch in sich  Norman Kretzmann, The Metaphysics of Theism, Oxford 2001, 225.

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schließt, über dessen Existenz wir aber, weil die Ordnung von Ursachen uns verborgen ist, nichts mit Gewißheit behaupten können, ein solches Ding kann uns niemals als notwendig oder als unmöglich vorkommen; und so nennen wir es zufällig oder möglich.18

Dies bedeutet, dass sich, wenn wir den korrekten Blick auf das Reale annehmen, das Reale als kohärente Einheit erweist, und somit als die Erscheinung einer alltragenden und all-steuernden Notwendigkeit. Dies gilt nun auch für jene raffiniertere Version der Immanenzmetaphysik, die durch Hegel entwickelt wird. Denn die Hegelsche Freiheit (zumindest wie sie hier interpretiert wird) ist im Grunde eine verklärte Notwendigkeit und dies bedeutet eine allumfassende Einheit, die auch das betrachtende Subjekt miteinbezieht. Was negiert wird, ist daher nicht die Dimension der Notwendigkeit überhaupt, sondern deren äußerlicher Charakter (die Notwendigkeit als Ananke). An dieser Stelle sollte auch die Position Heideggers zum Schöpfungsgedanken miteinbezogen werden. Ich beziehe mich hier, in Kontinuität mit der vorher entwickelten Heidegger-Interpretation, auf eine Passage aus dem Kunstwerkaufsatz: Die Neigung, das Stoff-Form-Gefüge für die Verfassung eines jeden Seienden zu halten, empfängt jedoch dadurch noch einen besonderen Antrieb, daß im voraus auf Grund eines Glaubens, nämlich des biblischen, das Ganze des Seienden als Geschaffenes, und d. h. hier Angefertigtes, vorgestellt wird. Die Philosophie dieses Glaubens kann zwar versichern, daß alles schöpferische Wirken Gottes anders vorzustellen sei als das Tun eines Handwerkers. Wenn jedoch zugleich oder gar im vorhinein zufolge einer geglaubten Vorbestimmung der thomistischen Philosophie zur Auslegung der Bibel das ens creatum aus der Einheit von materia und forma gedacht wird, dann ist der Glaube aus einer Philosophie her gedeutet, deren Wahrheit in einer Unverborgenheit des Seienden beruht, die anderer Art ist als die im Glauben geglaubte Welt.19

Die philosophische Idee der Schöpfung wird von Heidegger als der Versuch dargestellt, die hylemorphistische Struktur zu totalisieren. Dies impliziert einerseits, dass sich die schöpferische Tätigkeit nicht fundamental von der Tätigkeit eines außergewöhnlichen Handwerkers unterscheidet, und andererseits, dass diese Totalisierung ein Sich-Verabschieden von der lebensweltlichen Lage impliziert, aus der das Modell selbst entstanden ist. Das hat allerdings eine wichtige Konsequenz, weil die Totalisierung eine Art Abstraktion erzeugt, die die Dinghaftigkeit (die Materialität) der Dinge, die ihre Selbständigkeit und Undurchsichtigkeit trägt, tilgt. Das heißt: Durch die philosophische Schöpfung wird das Anders-Sein des Realen (seine gleichgültige Dinghaftigkeit) depotenziert (Materialität wird zur ,bloßen Materialität‘). Gleichzeitig eröffnet diese theologische Auslegung des Realen eine Perspektive, die die spätere Metaphysik (vor allem die Hegelsche Philosophie) entfalten wird: die totale logische Kontrolle über das Reale und  Spinoza, Ethica I 33 sch. 1, 71.  Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, GA 5, 14 f.

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die Verdrängung jeglicher Dimension von Undurchsichtigkeit. Mit den Worten des Kunstwerkaufsatzes: Der philosophische Schöpfungsgedanke eröffnet den Weg für eine Welt (eine kohärente Darstellung des Realen) ohne Erde. An dieser Stelle wird auch klar, dass Heidegger die philosophische Idee der Schöpfung in der Form der ontischen Metaphysik versteht (Schöpfung als raffiniertere und stärkere Form-Gabe), die sich aber in der Immanenzmetaphysik vollzieht. Was dabei verloren geht, ist aber noch einmal die dunkle und unobjektivierbare Seite des Realen, die das wahre Kunstwerk noch fähig ist zum Ausdruck zu bringen. Nach der Inkompatibilität zwischen Schöpfungsgedanken und der ontischen und Immanenzmetaphysik können wir zur Betrachtung der Verbindung zwischen der ontologischen Transzendenzmetaphysik und der Idee der Schöpfung zurückkehren. Um die These zu erklären, können wir uns auf die Hauptthesen der Schöpfungslehre, die von Eckhart herausgearbeitet werden, konzentrieren. An dieser Stelle beziehe ich mich auf den Kommentar zum ersten Satz des Buches Genesis: „In principio creavit Deus caelum et terram“. Die Verbindung zur ontologischen Transzendenz lässt sich bereits folgendermaßen erläutern: Das Sein ist in sich selbst und aus sich heraus tätig, und das ist wiederum das Hauptmerkmal der Transzendentalität, denn (um noch einmal die Thematik zu erwähnen) das Sein bringt qua Sein (und damit aus sich heraus und unmittelbar) das bestimmte Seiende hervor. Dieses selbstmitteilende Sein ist allerdings der Schöpfer-Gott. Diese Thematik wird von Eckhart sehr deutlich hervorgehoben: Zudem aber ist Gott als das Sein das Erste und das Letzte, ,Anfang und Ende‘. Was immer er also Vergangenes geschaffen hat, schafft er wie gegenwärtig im Anfang; was er aber jetzt wie im Anfang schafft oder wirkt, hat er zugleich in vollendeter Vergangenheit geschaffen. Augustin: „alles, was von früher her ist, das wirst du heute machen, hast du heute gemacht“.20

Die Schöpfung ist mit anderen Worten eine unmittelbare Tat und deshalb auch zeitlos. Dies bedeutet, dass bestimmte Seiende nicht progressiv entstehen, sondern gewissermaßen im Nu hervorgebracht werden. Ein zentraler Punkt der Schöpfungslehre, wodurch sie sich von einer Formierung unterscheidet, ist, wie bereits erwähnt, die Tatsache, dass sie eine transitive Tat ist, die aber gleichzeitig einen Immanenzcharakter besitzt. Eckhart schreibt deshalb: Das zweite unter den vier Stücken, nämlich daß er im Anfang, das heißt in sich selbst geschaffen hat, erhellt aus Folgendem: die Schöpfung gibt oder verleiht das Sein. Das Sein aber ist der Anfang und zuerst von allem; vor ihm und außer ihm ist nichts. Das aber ist Gott. Er hat also alles im Anfang, das heißt in sich selbst geschaffen. Er hat nämlich alles im Sein geschaffen, welches der Anfang und Gott selbst ist. Hier ist zu bemerken, daß  Eckhart, Prol. gen Op. Trip. n. 20 (LW I, 164,11–15).

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Gott alles, was er schafft, wirkt oder tut, in sich selbst wirkt oder tut. Denn was außerhalb Gottes ist und was außerhalb Gottes wird, ist und wird außerhalb des Seins. Ja, es wird überhaupt nicht, denn des Werdens Grenze ist das Sein. Augustin sagt im 4. Buch der Bekenntnisse: Gott hat alles geschaffen. „Nicht schuf er und wandte sich ab, sondern in ihm ist, was aus ihm ist“. Anders verhält es sich bei anderen Künstlern. Der Baumeister nämlich macht das Haus außerhalb seiner selbst, erstens weil außerhalb seiner (noch) andere Dinge existieren, zweitens weil das Holz und die Steine, aus welchen das Haus besteht und entsteht, ihr Sein weder vom Künstler noch in ihm haben, sondern von und in einem anderen. Man darf sich also nicht die falsche Vorstellung machen, als hätte Gott die Geschöpfe aus sich herausgesetzt oder als hätte er außerhalb seiner in einer Art Unbegrenztem oder Leerem geschaffen. Das Nichts nimmt ja nichts auf und kann weder Träger für etwas noch Begrenzung oder Ziel für irgendwelches Wirken sein. Nähme man aber an, etwas würde vom Nichts aufgenommen oder hätte im Nichts seine Begrenzung, so wäre es kein Seiendes, sondern selbst nichts. Also schuf Gott alles nicht nach Art anderer Schaffender so, daß es außer, neben und jenseits von ihm bestünde, sondern er rief es aus dem Nichts, das heißt aus dem Nichtsein, zum Sein, das es in ihm finden, empfangen und haben sollte. Denn er ist das Sein. Deswegen heißt es treffend, nicht vom Urgrund (weg), sondern im Urgrund habe Gott geschaffen. Wie sollten (die Geschöpfe) auch sein, wenn nicht im Sein, dem Urgrund? Entsprechend werden die (in der Heiligen Schrift) später folgenden Worte: ,Gott hat alles geschaffen, auf daß es sei‘ (Weish. 1,14) und: ‚er ruft das, was nicht ist, wie das, was ist‘ (Röm. 4,17) und dergleichen mehr ausgelegt. Hier ist wiederum zu bemerken: wie nach Boethius dem Seienden etwas zufallen kann, dem Sein selbst aber nichts zufällt, so kann außerhalb alles Seienden (noch) etwas sein, außerhalb des Seins aber kann nichts sein.21

Der zentrale Punkt ist hier der folgende: Die Schöpfung setzt zwar etwas, das aber nicht außerhalb von Gott ist. Denn dieses ,Außerhalb‘ ist auch dann eine Eingrenzung, wenn es leer bleibt. Diese Eingrenzung spiegelt sich außerdem auch in der Tätigkeit ,Gottes‘ wider, weil sie auf eine Konfigurierung und Bestimmung dieser gleichgültigen ,Zone‘ reduziert wird. Schöpfung im eigentlichen Sinne ist hingegen eine immanente Tat und deshalb schafft Gott im Prinzip (in sich selbst). Die ontologische Metaphysik (Eckhart) unterscheidet sich deshalb von der ontischen (Scotus) bezüglich der Natur der göttlichen Ursache.22 Andererseits muss man aber (gegen die Immanenzmetaphysik) betonen, dass das Erschaffene nicht-göttlich ist. Es ist ein endliches Sein in Gott und dies

 Eckhart, Prol. gen. Op. Trip. n. 17 (LW I 160,13–162,8, Herv. R.V ). Werner, Die Ermöglichung des endlichen Seins nach Johannes Duns Scotus, Frankfurt a. M. 1974, 17: „Für Scotus hingegen (und zwar im Gegensatz zu Eckhart, Anm. R. V.) ist das existierende endliche Sein extrakausales Sein, da der gesamte respectus, der die Konstituierung des Endlichen leitet, ein respectus ad extra ist. Die konstitutive Zusammensetzung des Endlichen aus entitas et privatio bedeutet so zugleich alietas a Deo, deren konsequente Ausprägung, das nichtgöttliche Sein, ein Sein extra Deum ist.“ Als Ergänzung würde ich gleichzeitig hervorheben, dass dieses Extra im Grunde ein Nebeneinander-Sein von Gott und geschaffener Entität ist. 21

22 Hans-Joachim

8.4 Transzendentale Relation und Schöpfung

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bedeutet wiederum ein abbildendes Zeichen der unendlichen göttlichen Vollkommenheit. Wie sieht es nun mit dem zweiten Merkmal der Schöpfung aus? In diesem Fall sind die Aussagen Eckharts nicht so einleuchtend, aber ich glaube, dass die transzendentale Hervorbringung des Realen die Ressourcen besitzt, um den Freiheitscharakter der Schöpfung zu erhellen. Wir haben gesehen, dass die ontische Metaphysik (getragen vom dionysischen Prinzip) die These impliziert, dass sich Gott ,schöpferisch‘ mitteilen muss, weil dies das allgemeine Gute vermehrt. Diese Dimension wird dann im Kontext der Immanenzmetaphysik expliziert und zwar in klarer antikreationistischer Form. Gilt dies nun auch für die ontologische Transzendenzmetaphysik? Dies scheint nicht der Fall zu sein, und zwar aus folgendem Grund: Diese Auffassung geht von einer Idee Gottes als absoluter Unendlichkeit aus. Nun ist das unendliche Sein (aufgrund der Konvertibilität der Transzendentalien) auch das unendliche Gute. Dies hat allerdings folgende Konsequenz: Der Wille, der nach dem Guten strebt, ist und bleibt im Lot, solange er tatsächlich nach dem höheren Guten strebt. Da Gott aber unendliches Gute ist, will er im strengen Sinne des Wortes nur sich selbst. Alles andere kann frei gewollt werden oder nicht, weil der Wille bereits gesättigt ist. Dies impliziert, dass das Neu-gewollte vollkommen kontingent ist. Mit den Worten Dario Sacchis: [D]er willentliche Akt Gottes bezüglich seiner Kreaturen ist weder ein Akt, der sich von demjenigen bezüglich seiner selbst unterscheidet, noch einer, der diesem letzten Akt neue Perfektion bringt, weil es nicht möglich ist, das Unendliche anwachsen zu lassen. Konkret folgt daraus, dass sich in Gott, sowohl wenn Er diese Welt als auch eine andere als auch keine will, nichts ändert: Das, was sich ändert, ist die Wirkung, nicht die Ursache.23

Noch anders gewendet: Es gibt nicht mehr Liebe in Gott, wenn er statt nur sich selbst auch die Kreaturen liebt, denn das Gutsein Gottes ist, noch einmal, unendlich in jeglicher Hinsicht. Die Idee der Freiheit erhält in diesem Kontext eine besondere Bedeutung: Es geht dabei nicht um eine Form von Kontingenz (um eine Art libertas indifferentiae), weil dies der vollständigen Selbstbestimmung der transzendentalen Hervorbringung widersprechen würde. Freiheit erweist sich hingegen, wie auch Sacchi hervorhebt, als jenes Verhältnis, in dem es keine Rückwirkung des Hervorgebrachten auf das Hervorbringende gibt, und zwar deshalb, weil eines der zwei Glieder unendlich ist. Bei der ontologischen Metaphysik ist die Ursache vollständig aktiv, das Verursachte 23 „[…] [L]’atto volitivo di Dio circa le creature non è un atto distinto da quello verso Se stesso e che neppure arreca a quest’ultimo atto una nuova perfezione, non essendo possibile accrescere l’infinito. In concreto ne consegue che, sia che Dio voglia questo mondo sia che ne voglia un altro sia che non ne voglia alcuno, in Lui non muta assolutamente nulla: ciò che muta è l’effetto, non la causa“, in: Dario Sacchi, Libertà e infinito. La dimensione ereticale del logos, Rom 2002, 25 f. (meine Übersetzung).

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

ist hingegen vollständig abhängig und dies expliziert sich in der Nichtigkeit der Kreatur gegenüber Gott. Zum Schluss möchte ich kurz auf Bonaventura zurückkommen und zeigen, dass diese Idee der Schöpfung mit seiner Perspektive übereinstimmt. Damit soll einerseits die bisher herausgearbeitete These verfestigt werden und andererseits auch die Verwandtschaft zwischen Eckhart und Bonaventura und damit das Modell einer Bonaventurisch-Eckhartschen Metaphysik gestärkt werden. Dabei orientiere ich mich sehr stark an der Interpretation der Philosophie Bonaventuras durch Étienne Gilson. Der französische Philosoph führt die Position Bonaventuras anhand eines Dilemmas ein, das entsteht, wenn man das Sein als etwas univokes auffasst. Er beschreibt es folgendermaßen: Entweder gibt es nach der Schöpfung mehr Sein als vorher, und dann war Gott nicht alles – oder es gibt nach der Schöpfung nicht mehr Sein als vorher, aber dann ist die Schöpfung nichts.24

Das ist die Problematik der Schöpfung, wie sie bisher entwickelt wurde. Die Lösung der Problematik besteht nun in einer analogen Konzeption des Seins, die Gilson „universelle Analogie“ nennt. Wie ist sie zu konzipieren? Diese These impliziert, wiederum in Kontinuität mit der vorher entwickelten Perspektive, eine Auffassung der Welt als bildhaftes Zeichen, das Gott unmittelbar widerspiegelt. Bonaventura bringt diese Idee besonders deutlich zum Ausdruck: „Creatura non est nisi sicut quoddam simulacrum sapientiae Dei et quoddam sculptile.  / Das Geschöpf ist nur wie ein Bild der Weisheit Gottes, gleichsam ein Schnitzbild.“ Und an einer anderen Stelle: „Creatura mundi est quasi quidam liber in quo relucet, repraesentatur et legitur Trinitas fabricatrix. / Das Geschöpf der Welt ist wie ein Buch, in welchem die Schöpferdreieinigkeit aufleuchtet, dargestellt und gelesen wird.“25 Kurzum: Der transzendente Gott ist unmittelbar omnipräsent in der Welt, wenn wir offene Augen haben. Es geht nun darum, die Struktur dieses Weltbilds und die Natur der Philosophie, die es beschreibt, genauer zu explizieren.

8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik Fassen wir die erreichten Punkte zusammen: Wir haben die transzendentale Relation, sowohl von unten nach oben als auch von oben nach unten, betrachtet. Es hat sich dabei herausgestellt, dass die endliche Entität ein abbildendes Zeichen des göttlichen Urbildes ist und dass sie vom dynamischen und lebendigen Urbild schöpferisch hervorgebracht wird.  Étienne Gilson, Die Philosophie des heiligen Bonaventura, Köln/Olten 1960, 235.  Bonaventura, In Hexaem. XII, 14 und Breviloquium, II, 12, 1.

24 25

8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik

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Das Weltbild, das sich daraus ergibt, ist nun eines, das ich ,liturgisch‘ nennen möchte. Was ist damit gemeint? Liturgie soll an dieser Stelle auf eine sehr breite Weise verstanden werden, es geht nämlich dabei um eine ausgezeichnete Weltsicht und eine damit verbundene Praxis. Welche Weltsicht ist damit gemeint? Um diese Auffassung zu skizzieren, werde ich mich an der christlichen Tradition katholischer Prägung orientieren.26 Im Kontext dieser Tradition wird die Liturgie als eine Art Teilnahme an den Chören der Engel und Heiligen und allgemeiner an der sogenannten ecclesia triumphans interpretiert. In der katholischen Messe (dem Gipfel der katholischen liturgischen Praxis) wird diese Idee folgendermaßen zum Ausdruck gebracht (Praefatio und Sanctus): Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, Dir immer und überall dankzusagen, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott: durch Christus, unsern Herrn. Durch Ihn loben die Engel Deine Majestät, die Herrschaften beten sie an, die Mächte verehren sie zitternd. Die Himmel und die himmlischen Kräfte und die seligen Seraphim feiern sie jubelnd im Chore. Mit ihnen laß, so flehen wir, auch uns einstimmen und voll Ehrfurcht bekennen: Heilig, Heilig, Heilig, Herr, Gott der Heerscharen. Himmel und Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit.

An dieser Stelle sieht man, dass eine fundamentale Seite der liturgischen Praxis die Lobpreisung ist. Diese besteht aber wiederum im Zelebrieren der omnipräsenten gloria Dei. Anders gewendet: Gott ist sozusagen unmittelbar und überall da und die liturgische Aktion bestätigt und bejaht diese göttliche Anwesenheit. Zur Unterstützung dieser Perspektive kann man auf einen weiteren Teil der Messe verweisen (das Gloria). In diesem liturgischen Gebet wird Folgendes gesagt: Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam/Wir sagen dir Dank ob deiner großen Herrlichkeit. Hier geht es wiederum einzig um die gloria Dei, um die allumfassende göttliche Präsenz, die dem Universum Ordnung und Struktur verleiht. Diese wird nun wiederum liturgisch durch die Lobpreisung bejaht. Daraus lässt sich folgende These ableiten: Das Weltbild der Liturgie ist eines, in dem Gott überall in Erscheinung tritt. Dies zeigt sich in der Natur der Liturgie selbst, denn im liturgischen Kontext (wiederum verweise ich auf die Messe) reflektieren Gegenstände (man denke an das konsekrierte Brot und den konsekrierten Wein), Gesten und Worte diese göttliche Omnipräsenz. Dies bedeutet, dass die Liturgie selbst der Gipfel einer Weltkonzeption ist, in der Gott alles in allem ist. Diese Weltauffassung entspricht nun derjenigen der Evidenzmetaphysik, denn auch in diesem Fall erweist sich das Absolute als die allsteuernde und allprägende Urevidenz. Was für Konsequenzen hat nun diese Verbindung für die Natur 26 Zentral für meine Interpretation sind die Perspektiven, die von Dietrich von Hildebrandt und vor allem von Josef Pieper entwickelt wurden.

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

der Philosophie? Man könnte sagen, dass diese als eine Art Kultus zu verstehen ist. Aber was bedeutet dies? Um eine genauere Antwort zu geben, werde ich mich auf die Idee von Kultus beziehen, die von Josef Pieper entwickelt wurde. Pieper leitet die Natur des Kultes von derjenigen der Muße ab. Nun unterscheidet sich die heutige Konzeption der Muße fundamental von derjenigen der Alten. Denn während im Kontext der Welt der Alten und des Mittelalters die Muße das letzte Worum-willen ausmacht27, ist die Muße in der modernen und gegenwärtigen Zeit zu einer Art Regenerationszeit geworden, um die Totalherrschaft der Arbeitswelt zu untermauern. Diese Dimension bezieht sich nun auch auf jenen Bereich, den man ,geistige Arbeit‘ nennen könnte, ja hier zeigt sich am deutlichsten das Arbeitsideal der modernen Zeit.28 Was bedeutet aber ,geistige Arbeit‘ genau? Das Problem wird von Pieper anhand einer erkenntnistheoretischen Frage expliziert. Diese lautet folgendermaßen: Gibt es ein anschauendes Denken? Mit den Worten Piepers: „Gibt es, wenn der Mensch unanschauliche, unsinnliche Sachverhalte gewahrt, auch so etwas wie ein rein empfangendes Hinblicken? In der Terminologie des Faches: gibt es ‚intellektuelle Anschauung‘?“29 An der Antwort auf diese Frage scheidet sich der Weg der alten und mittelalterlichen Zeit einerseits und der modernen andererseits. Denn erstere geben eine positive und letztere eine negative Antwort. Aber inwiefern sind Arbeit und intellektuelles Anschauen entgegengesetzt? Das anschauende Denken ist deshalb keine Arbeit, weil es einfach die sich darbietenden Dinge und Sachverhalte ohne besitzergreifende Anstrengung in uns eingehen lässt. Das dianoetische Denken ist hingegen das Erlangen einer Perspektive durch eine argumentative Auseinandersetzung mit entgegengesetzten Positionen. Pieper veranschaulicht diese letzte Einstellung anhand der Polemik Kants gegen die Romantiker. In seinem 1796 erschienenen Aufsatz Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie verbindet der Königsberger Philosoph das Problem der romantischen Philosophie mit einer Verletzung des Gesetzes der Vernunft, das vorschreibt, „durch Arbeit sich einen Besitz zu erwerben“. Die neue Philosophie ist hingegen eine Weiterführung der Einstellung Platons (des ,Vaters aller Schwärmerei‘ in der Philosophie). Worin besteht nun das Problem dieser Einstellung (und des daraus resultierenden vornehmen Tons der neueren Philosophie)? Im Grunde besteht es in der Ablehnung dieser Konzeption der Philosophie als arbeitender Tätigkeit. Dabei geht es um „eine vorgebliche Philosophie, bei der man nicht arbeiten, sondern nur das Orakel in sich selbst anhören und genießen darf, um die ganze 27  Diese Idee wird durch die Aristotelische Formel zum Ausdruck gebracht: „Wir sind unmüßig, um Muße zu haben“ (Nikomachische Ethik X, 7; 1177b). 28  Vgl. Josef Pieper, „Muße und Kult“, in: ders., Kulturphilosophische Schriften, Werke Bd. 6, hg. von Berthold Wald, Hamburg 1999, 1–44, hier: 6–20. 29  Pieper, Muße und Kult, 7.

8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik

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Weisheit, auf die es mit der Philosophie angesehen ist, von Grunde aus in seinen Besitz zu bringen […].“30 Man merkt also: Wahre Philosophie besteht in der Besitznahme durch Argumente und Schlussfolgerungen von gewissen Thesen. Dieser Ansatz wird nun durch die Annahme einer intellektuellen Anschauung verletzt, die (ein wenig wie im wahrnehmbaren Bereich) das Geistige unmittelbar rezipiert. Nun lässt sich sagen, dass die traditionelle Auffassung (auch wenn sie die diskursive Dimension nicht vollständig ablehnt) sich an eine Konzeption des Denkens richtet, die nicht von dieser Arbeitsperspektive gesteuert wird. Pieper formuliert die These folgendermaßen: Der einfache Schaublick des intellectus aber, Anschauen, ist nicht Arbeit. Und wer, mit den Alten, das geistige Erkennen des Menschen als ein Ineinanderwirken von ratio und intellectus versteht; wer im diskursiven Denken das Element der „intellektuellen Anschauung“, wer vor allem in dem auf das Seiende im Ganzen gerichteten Akt des Philosophierens das Element der Kontemplation erkennt und akzeptiert, der wird finden müssen, dass die Kennzeichnung des Erkennens und des Philosophierens als Arbeit nicht nur nicht erschöpfend ist, sondern den Kern der Sache nicht trifft, dass in solcher Kennzeichnung etwas Wesentliches ausgelassen ist. Gewiss ist Erkennen überhaupt und philosophisches Erkennen im Besonderen ohne die angestrengte Aktivität des diskursiven Denkens, ohne den labor improbus der „geistigen Arbeit“ nicht möglich. Dennoch ist darin etwas, und etwas Wesentliches, das nicht Arbeit ist.31

Diese Passage könnte als eine kurze Zusammenfassung der hier vertretenen Konzeption von Erster Philosophie bezeichnet werden: Die Erfassung der Totalität als solcher und damit die Erste Philosophie vollzieht sich in intuitiver Form. Die Dimension der ratio wird nun nicht vernichtet, aber sie besteht nicht darin, diese Schau zu erzwingen und zu objektivieren, sondern sie einfach gewähren zu lassen. Es geht darum, passives Denken zu üben. Mit einer Heideggerschen Diktion: Es geht um ein Denken, das ein Danken ist. Die andere Perspektive besteht hingegen in einer Verabsolutierung der diskursiven Dimension und dies impliziert wiederum eine Identifikation von Erkenntnismühe und Erkenntniswahrheit. Dies bedeutet: Philosophie wird zu einer Praxis reduziert, die im Fordern und Geben von Gründen (inferenzielle Dynamik) besteht. Damit kommen wir noch einmal zur Dimension der Arbeit zurück und dies eröffnet eine weitere Seite der geistigen Arbeit. Denn die arbeitende Tätigkeit bewegt sich in einem funktionalen Kontext. Wenn nun die Arbeit totalisiert wird, wird die Funktionalisierung auch totalisiert. Das bedeutet, dass auch die Philosophie miteinbezogen wird. Diese erweist sich daher als ein Beitrag (unter anderem) zum gemeinen Nutzen. Sie ist daher eine besondere Form 30  Immanuel Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, Akademie-Ausgabe VIII, Berlin 1923, 387–406, hier: 390. 31  Pieper, Muße und Kult, 9 f.

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

von Dienstleistung. Dabei geht nun gerade die traditionelle Auffassung der Philosophie als ars libera verloren, die um ihrer selbst willen praktiziert wird. Mit anderen Worten: In der (klassisch verstandenen) Philosophie wird nicht um des Erreichens willen angeschaut, sondern um des Anschauens willen. Kurzum: Philosophie expliziert sich, vor allem qua Erste Philosophie (Lehre des Ganzen), in der Form der Anschauung, die die diskursive Praxis durchdringt und trägt, aber sich fundamental von ihr abhebt. Diese Praxis ist nun aber die Urform der Arbeit. Dies bedeutet: Die intellektuelle Schau ist jenes Otium, das das geistige Neg-otium erhält und fundamental übersteigt. Wie ist dies aber mit der Idee des Kultus verbunden? Ein erster Punkt, auf den man hinweisen kann, ist die Tatsache, dass dieses intuitive Denken jene Dimension im Menschen auszeichnet, die über den Menschen selbst hinausgeht. Anders gesagt: Gott (aber, nach traditioneller christlicher Auffassung, auch Engel) denken auf eine intuitive Art und Weise. Der nous ist daher das göttliche und engelhafte im Menschen. Wenn nun die liturgische Praxis eine Teilhabe an den Engelchören darstellt, kann man sagen, dass diese Teilhabe gerade jene Teilhabe an der Urform des Denkens widerspiegelt. Die Thematik lässt sich aber auch aus einer anderen Perspektive betrachten. Man kann sich nämlich fragen, wodurch die Muße ihre letzte innere Ermöglichung und ihre tiefste Legitimation empfängt. Die Antwort, die Pieper darauf gibt, ist die folgende: „Man kann sagen, der Kern von Muße sei: Feiern.“32 Das Feiern ist aber das Feiern des Festes. Mit anderen Worten: Das Feiern des Festes ist zwar eine Tätigkeit, aber es ist keine mühselige Arbeit. Das Fest trägt und gibt dem Arbeitstag Sinn, aber es geht um etwas, das sich von der Alltäglichkeit abhebt. Pieper schreibt dazu: Die Muße steht senkrecht zum Ablauf des Arbeitstages – genau ebenso, wie der „einfache Schaublick“ des intellectus nicht in der Verlängerung (sozusagen) des Arbeitsprozesses der ratio liegt, sondern ihn senkrecht durchschneidet (die Alten haben die ratio mit der Zeit verglichen, den intellectus mit dem Immer-Nun der Ewigkeit).33

Das Fest ist eine Tätigkeit, die nicht um etwas anderen willen gefeiert wird. Warum findet dann ein Fest statt? Der Grund, warum Feste gefeiert werden, ist in der Tatsache verankert, dass das Reale überhaupt gefeiert werden kann. Pieper selbst nennt das Fest die höchste Form der Bejahung. Und er schreibt: „Ein Fest feiern heißt: die Bejahung des Sinngrundes der Welt und die Übereinstimmung mit ihm, ja die Einbeschlossenheit in ihm, auf unalltägliche Weise darleben und vollziehen.“34 Nun ist das kultische Fest die Urform des Festes. Anders gewendet: Der Kult ist im Grunde das, „von woher das Fest und die Feier ihren Sinn und ihre in Pieper, Muße und Kult, 36.  Pieper, Muße und Kult, 25. 34  Ibidem. 32 33

8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik

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nere Ermöglichung empfangen.“35 Inwiefern? Man kann sagen, dass diese Zustimmung zur Welt, die den Kern des Feierns eines Festes ausmacht, gerade in der Form des ,Gotteslobs‘ ihren vollständigsten Ausdruck findet. Denn hier zeigt das Feiern seinen kosmischen Charakter und ist, wie wir früher gesehen haben, wirklich Zustimmung zur Welt. Diese Verbindung lässt sich auch ex negativo darstellen: Man hat versucht und versucht immer wieder, Feste auszurichten, die unabhängig vom oder gegen den Kult sind. Das, was sich daraus ergibt, ist allerdings kein wirkliches Fest, sondern eine ,Regenerationszeit‘, die sich immer noch im Kontext der alles funktionalisierenden Arbeitswelt bewegt. In diesem Sinne ist z. B. eine kurze Betrachtung des Maifeiertags besonders interessant. Dieser ist nämlich als Gedenktag entstanden, der an die Opfer des 1886 in Chicago stattgefundenen Streiks erinnert. Ist es legitim in diesem Kontext von einem Fest zu sprechen? Dies scheint nicht der Fall zu sein, zumindest nicht im Sinne der oben erwähnten Kriterien. Denn dieser Feiertag ist zwar nicht arbiträr36, trotzdem ist das, was gefeiert wird, im Grunde das Erlangen von besseren Arbeitsbedingungen und das Recht auf Regeneration. Das ist selbstredend ehrenwert, aber es hebt nicht die funktionalisierende Arbeitslogik auf. Mit anderen Worten: Dieser Feiertag ist kein (zumindest kein positiver) Ausdruck jener anderen Lebensweise (Muße), die die Logik von Arbeit und Regeneration sprengt. Es geht um eine gesteigerte „Zelebration der Arbeitsprinzipien selbst […].“37 Ein Fest im vollen Sinne des Wortes ist hingegen, wie das italienische Wort auf schöne Weise ausdrückt, eine ,Sagra‘. Es geht also um eine Veranstaltung, die durchaus die weltlichen Genüsse und die Früchte der Erde zelebriert, ohne aber dabei ihre sakrale Verwurzelung und ihr sakrales Ziel zu vergessen.38 Wir können nun das bisher Entfaltete zusammenfassen und den zentralen Punkt genauer hervorheben: Die Evidenzmetaphysik hat einen kultischen Charakter, weil sie (wie der Kultus) in einer Zusage zur Omnipräsenz Gottes besteht. Diese Zusage offenbart sich in der Setzung der unmittelbaren (anschauenden) Erfassung der Totalität. Diese Erfassung kann aber angesichts dessen, was bisher entfaltet wurde, als ein ,Fest des Denkens‘ bezeichnet werden. Die kultische Metaphysik ist aber gleichzeitig Transzendenzmetaphysik. Weshalb? Wir haben gesehen, dass das anschauende Denken zwar die Diskursivität trägt, sich aber vom diskursiven Bereich fundamental abhebt. Das „Fest des Denkens“ verleiht nun dem alltäglichen Diskurs seinen Sinn, hebt sich aber fun Pieper, Muße und Kult, 36.  In diesem Sinne unterscheidet er sich von vielen neu entstandenen Festen, die die ,Urlaubslust‘ ausnützen, um Geschäfte zu machen. 37  Pieper, Muße und Kult, 38. 38  Sagre sind daher Veranstaltungen, bei welchen Speisen und Getränke genossen werden oder sportliche Aktivitäten stattfinden. Diese dienen aber gleichzeitig etwa der Erinnerung an ein Kirchweihfest oder zur Ehre eines Heiligen. 35 36

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8. Die Welt (das Nicht-Göttliche) in der Transzendenzmetaphysik

damental von ihm ab. Diese Perspektive drückt aber jene ontologische Transzendenz aus, die das Hauptmerkmal der Transzendenzmetaphysik konstituiert. Gleichzeitig ist das Fest auch der Ort, wo die Regel der Nützlichkeit, die die Arbeitswelt durchdringt, nicht gilt. Positiv gewendet bedeutet dies, dass das Fest der Ort ist, an dem der Überfluss gefeiert wird. Dieser Aspekt kommt unter anderem (wie auch Pieper hervorhebt) anhand des für das Fest fundamentalen Phänomens des Opfers zum Ausdruck.39 Diese Dimension hat aber ihren Grund und ihren perfekten Ausdruck in der Schöpfungsdynamik. Denn die Schöpfung ist, wie wir oben gesehen haben, jenes Surplus am Sein, das das unendliche göttliche Sein freigiebig hervorbringt. Das, was beim Fest gefeiert wird, ist daher „die Freude, ein Geschöpf zu sein, das Gott aus Freude geschaffen hat.“40 Oder, anders gewendet, im Fest feiern wir, mit den Worten des Hl. Thomas von Aquin, das beneficium creationis („das Geschenk des erschaffenen Seins“). Kurzum: Was im Kultus (und mithin auch im ,philosophischen Kultus‘) gefeiert wird, ist der transzendente Gott und seine schöpferische Kraft, die sich im Universum freigiebig verteilt. Zum Schluss lohnt es sich einen Blick auf eine Kritik an dieser ,liturgischen‘ Position zu werfen, die Gunnar Hindrichs in seinem Buch Das Absolute und das Subjekt skizziert hat. Er schreibt: Diese Sichtweise ist natürlich keine rein philosophische Sichtweise und schon gar keine akademische. Sie beruht auf dem gläubigen Vollzug des Kultes statt auf Argumenten. Nicht, daß der Einwand keine Argumente entwickelte. Doch seine Argumente begründen nicht den Kult, sondern bauen umgekehrt auf seinem Vollzug auf.

Er fügt außerdem Folgendes hinzu: Gewiß ist der Schöpfungsgedanke nicht durch Argumente zu widerlegen; er wurzelt im Glauben und nicht im Beweisen. Doch man muß die Argumente aushalten, um an ihm festzuhalten. Nur der, der trotzdem glaubt, vermag das Zeichen der Schöpfung im Kult zu erkennen und in dieser Enthüllung seines Seins das Arbeiten zu überwinden.41

Kurzum: Diese Piepersche Auffassung stellt zwar nach Hindrichs eine Alternative zu einer Konzeption der Natur des Menschen dar, die fundamental durch Arbeit geprägt wird. Dieses fundamentale Anderssein impliziert aber eine ganz andere Art von Paradigma, das sich vom rational-philosophischen unterscheidet. Denn hier geht es um einen Entwurf, der mit dem religiösen Glauben ver39 Pieper schreibt: „Hingegen gehört es zur Natur des Kultes, daß er, selbst bei äußerster Armut im Materiellen, einen Raum des Überflusses und des Reichtums hervorbringt – weil in der Mitte des Kultes das Opfer steht. Was nämlich heißt Opfer? Freiwillige, schenkende Darbietung, gerade nicht Nutzung, just das denkbar äußerste Gegenteil von Nutzung“, in: Pieper, Muße und Kult, 39. 40  Josef Pieper, „Über das Phänomen des Festes“, in: ders., Religionsphilosophische Schriften, Werke Bd. 7, hg. von Berthold Wald, Hamburg 2000, 594. 41  Gunnar Hindrichs, Das Absolute und das Subjekt, Frankfurt a. M. 2008, § 237, 269.

8.5 Das liturgische Weltbild der Transzendenzmetaphysik

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bunden wird. Was kann man darauf antworten? Die von mir vertretene Perspektive stimmt mit derjenigen Hindrichs überein, nach der die Schöpfung sich nicht argumentativ (auf der Ebene des Diskurses) untermauern lässt. Dies bedeutet aber nicht, dass man sich damit auf einer anderen transrationalen Ebene bewegt. Der Schöpfungsgedanke ist hingegen eine fundamentale Seite jener Evidenzmetaphysik transzendenter Prägung, die sich auf vordiskursiver Ebene abspielt. Diese Ebene ist nun aber nicht trans‑ oder a-rational, sie stellt vielmehr den Kern der Rationalität dar.

9. Coda: Warum sehen wir nicht? Nach der Betrachtung und Analyse der Transzendenzmetaphysik können wir uns einem für diese Position wichtigen Problem widmen. Laut dieser Auffassung ist die ontologische Transzendenz der Ausdruck der wirklichen Vernunft-Evidenz, die durch die Erste Philosophie gesetzt wird. Wenn dies der Fall ist und wenn diese Auffassung die eigentliche Form von Theismus ist, warum gibt es dann alternative erstphilosophische Perspektiven? Nicht nur dies, der Theismus scheint seit langer Zeit nicht mehr die herrschende Auffassung zu sein. In der gegenwärtigen analytischen Philosophie scheinen z. B. verschiedene Formen von Naturalismus eine fundamentale Rolle gespielt zu haben und immer weiter zu spielen. Aber ist diese Tatsache mit der Idee einer Evidenzmetaphysik kompatibel? Wie kann es sein, dass so viele diese Evidenz nicht erfahren? Und was bedeutet in diesem Kontext „eine Evidenz nicht zu erfahren“? Kurzum: Warum gibt es eine philosophische antitheistische Position? Oder, von unten nach oben betrachtet, warum nehmen wir die Welt nicht als eine geschaffene und damit als Zeichen wahr?

9.1 Das Nicht-sehen-Wollen Im Itinerarium stellt sich Bonaventura (und zwar nach der Einführung des göttlichen Seins, die wir vorher analysiert haben) dieselbe Frage und formuliert sie folgendermaßen: Verwunderlich ist daher die Blindheit der Vernunft, die das nicht beachtet, was sie zuerst sieht und ohne das sie nichts erkennen kann.1

Dieses ,zuerst Gesehene‘ ist, wiederum, das göttliche Sein, das von Anfang an manifest ist. Es ist daher verwunderlich, dass diese Evidenz der Vernunft nicht erfasst wird, denn es dürfte keinen Spielraum für dieses Nicht-sehen geben. Nun gibt Bonaventura an dieser Stelle folgende Antwort: Wie das Auge – durch die mannigfachen Farbenunterschiede befangen – das Licht selbst nicht sieht, wodurch es das andere (die Farben) erst wahrnimmt, oder, wenn es das Licht  Bonaventura, Itinerarium, V. 4, 127.

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9. Coda: Warum sehen wir nicht?

sieht, es nicht beachtet, so schaut das Auge unseres Geistes  – gebannt durch Einzeldinge und allgemeines Sein – nicht das Sein selbst, das über jeder Seinsart steht, obwohl dieses (Sein selbst) zuerst dem Geist entgegentritt und durch dieses erst das andere (die Seinsart). So erweist sich das Wort als nur zu wahr: „Wie sich das Auge der Fledermaus zum Lichte verhält, so verhält sich das Auge unseres Geistes zu dem, was an sich das Offenbarste ist.“ Weil der Mensch ganz an die Dunkelheit des Seienden und die Trugvorstellungen der Sinnendinge gewöhnt ist, vermeint er nichts zu sehen, wenn er das Licht des höchsten Seins selber schaut. Begreift er doch nicht, daß diese Dunkelheit für unseren Geist höchste Erleuchtung ist, geradeso wie das Auge nichts zu sehen meint, wenn es das reine Licht sieht.2

Die Antwort, die Bonaventura an dieser Stelle skizziert, könnte epistemologisch folgendermaßen übersetzt werden: Wir Menschen sind körper-geistige Entitäten, und die Körperlichkeit ist (zumindest vorläufig) ein Hindernis für die freie Entfaltung des Geistes und damit für eine korrekte Erfassung der Totalität und der göttlichen Transzendenz. Dies bedeutet: Wir müssen so ,gegen den Strom‘ schwimmen, dass wir uns vom eingegrenzten Bereich der Sinne befreien können. Aber führt uns die hier vorgeschlagene Lösung (gemäß dieser Interpretation) nicht zur Position der Immanenzmetaphysik zurück und damit zu ihrer fundamentalen Aporie? Mit anderen Worten: Wenn Gott alles ist, warum gibt es etwas, das un-göttlich ist (= die falsche Erkenntnis Gottes)? Nun könnte man an dieser Stelle Folgendes antworten: Die Transzendenzmetaphysik bringt die Idee der wirklichen Existenz des Nicht-Göttlichen mit sich. Es ist daher nicht problematisch für diese Auffassung zu behaupten, dass sich das Nicht-Göttliche der göttlichen Offenbarung sperrt. Für die Immanenzmetaphysik ist hingegen dieser Lösungsansatz nicht möglich, weil es wirklich nur Gott gibt. Allerdings: Die hier dargestellte Transzendenzmetaphysik impliziert auch eine absolute Immanenz. Gott ist daher (qua Schöpfer) das allsteuernde und alltragende Prinzip. Die Tatsache nun, dass zur Natur eines Erschaffenen gehört, dass sie (zumindest vorläufig) Gott nicht erkennen und damit offenbaren kann, scheint gerade mit dem alldurchdringenden Charakter der göttlichen Kraft nicht kompatibel zu sein. Die Problematik kann auch aus der Sicht des Geschaffenen folgendermaßen dargestellt werden: Die nicht-göttliche Entität kann entweder als Ding oder als Zeichen betrachtet werden.3 Im ersten Fall bleibt sie sozusagen stumm, und daher kommt der Verweis auf Gott nicht zum Ausdruck. Im zweiten Fall drücken sich die Kreatürlichkeit und die Omnipräsenz Gottes wirklich aus. Daraus ergibt sich aber folgendes Problem: Wenn diese Diskrepanz nur epistemischer Natur ist, dann ist auch das Itinerarium mentis in Deum ein inferentieller Weg, der die Falschheit dieser verdinglichenden Perspektive nachweist. Damit aber  Bonaventura, Itinerarium, V. 5, 127 ff.  Zu dieser Thematik vgl. unter anderem Gilson, Die Philosophie des heiligen Bonaventura, Kap. 7. 2

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9.1 Das Nicht-sehen-Wollen

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erweist sich die erlangte Transzendenz-Perspektive als eine eingegrenzte. Es geht also wiederum um eine Form von Inferenzmetaphysik, die einen Teil der Phänomenalität ausschließt (den trügerischen Schein) und damit nicht die Totalität erfassen kann. Kurzum: Es geht um keine Evidenzdarstellung und um keine Erste Philosophie. Daraus lässt sich ableiten, dass der Kern dieser verzerrenden Sicht nicht in dieser passiven Dimension zu suchen und nicht als eine epistemische Dynamik zu verstehen ist. Es geht um eine Verselbständigung und damit um eine aktive Tat der geistigen Entität. Wie ist aber dann diese Dynamik zu verstehen? Wir haben vorher gesehen, dass die kultische Auffassung, die die Natur der Transzendenzmetaphysik auszeichnet, in einem ,Ja‘ oder in einer Zustimmung zum Realen als Ganzem besteht. Diese Dimension hat natürlich einerseits eine kognitive Seite, denn das Reale in seiner Ganzheit tritt dadurch in Erscheinung (es wird als solches kognitiv gesetzt). Es geht aber andererseits um eine Zusage und dies impliziert auch eine voluntative Dimension. Was bedeutet das? Es bedeutet ex negativo, dass diese Unfähigkeit zu sehen nichts mit irgendeinem epistemischen Mangel zu tun hat. Sie ist im Grunde nicht ein Nicht-sehen-Können, sondern ein Nicht-sehenWollen. Der Grund für das Nicht-sehen hat daher einen außertheoretischen Charakter. Diese Idee kann im Kontrast zu einer Thomistischen Konzeption dargestellt werden. Der Aquinate geht von der These aus, dass die Schau Gottes eine so radikale Kraft besitzt, dass sich keine rationale Seele ,wehren‘ kann.4 Wie kommt er zu dieser Position? Jegliche rationale Entität strebt danach, sich zu vervollständigen (zu aktualisieren). Dabei sind die Mittel, die zu diesem Ziel führen, (zumindest für Menschen) wählbar; das Ziel selbst steht allerdings nicht zur Disposition. Nun ist das Ziel jeglichen Geistes (auch des menschlichen) die Seligkeit. Daher kann man sagen, dass geistige Entitäten glücklich sein wollen müssen. Die wahre Glückseligkeit besteht aber in der Schau Gottes (in der Betrachtung des Grundes des Realen überhaupt). Dies bedeutet schließlich: Die Schau Gottes steht nicht zur Verfügung und dies impliziert, dass der Wille, der vor dem höchsten Guten steht, sich unwiderstehlich von ihm angezogen fühlt und sich nicht von ihm abwenden kann. Im Vokabular der Theologie: Vor Gott können wir uns nicht gegen Gott entscheiden (wir können nicht den Blick von Ihm wenden). Dies gilt natürlich nicht für die Notion Gottes, die wir Menschen in via haben, denn hier gibt es einen großen Spielraum für Ungenauigkeiten. Es geht also nicht um wirkliche Evidenz. Das ist der Grund, warum wir, solange wir in via sind, den Inhalt unserer Seligkeit falsch bestimmen können. Anders gewendet: Gerade weil wir nicht vor  Thomas von Aquin, Summa theologica, Iª q. 105 a. 4 co., Bd. 8, 56 f.

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9. Coda: Warum sehen wir nicht?

Gott stehen, können wir andere (an sich niedrigere) Ziele als das letzte Ziel betrachten und etwas Endliches (mehr oder weniger) bewusst vergöttlichen. Dies hat auch eine Konsequenz theologischer Natur, die für die hier vertretene Auffassung nicht uninteressant ist: Nach der christlichen Lehre hat sich einer der höchsten reinen Geister, der Teufel, von Gott abgewendet. Anhand der oben dargestellten Auffassung muss man nun daraus schließen, dass auch er, obwohl unkörperlich, sich im Zustand einer gewissen Ignoranz befunden haben muss. Denn sonst hätte er nicht eine solche Entscheidung treffen können.5 Dies bedeutet: Diese fundamentale Entscheidung wird in einem Kontext, zumindest minimaler, epistemischer Vernebelung getroffen. Dies scheint aber eine besondere Spielart jenes Intellektualismus zu sein, nach dem der Wille eine abgeleitete Funktion hätte. Mit anderen Worten: Willensfreiheit kann es nur dort geben, wo der Intellekt in einem noch unklaren Zustand ist. Die These, die sich anhand der Evidenzmetaphysik ableiten lässt, unterscheidet sich von dieser Perspektive, weil sie das Wollen als etwas Emergentes versteht.6 Zwar ist die Evidenz der ontologischen Transzendenz nicht als eine Gottesschau im traditionellen Sinne des Wortes zu verstehen, denn das, was intellektuell angeschaut wird, bleibt grundsätzlich unbestimmt. Mit anderen Worten: Es ist evident, dass das Transzendente ist; dieses lässt sich aber nicht wirklich positiv darstellen. Noch anders gewendet: Es ist klar, dass Gott ist, aber nicht (zumindest nicht vollständig), was er ist. Nichtsdestotrotz geht es dabei um eine Evidenz. Diese Dimension der Evidenz ist außerdem im Falle von reinen Geistern durchsichtiger. Dies bedeutet: Eine Ablehnung dieser Evidenz beruht nicht auf einer Form von Ignoranz, und dies bedeutet, dass die Willensfreiheit wirklich radikal und selbständig ist. Der Teufel wäre daher das Paradebeispiel einer Kreatur, die vor Gott stehend und in vollem Bewusstsein sich von Gott abwendet. Es ist nun interessant zu bemerken, dass eine voluntaristische Tendenz gerade im Kontext der franziskanischen Schule besonders deutlich in Erscheinung getreten ist. Die Rolle des Wollens ist außerdem ein Merkmal des Augustinianismus.7 Des Weiteren scheint Bonaventura selbst eine solche Richtung zumindest anzudeuten. Wir haben vorher gesagt, dass das ontologische Argument bei Bonaventura (und das ist ein Hauptmerkmal seiner Auffassung) als eine Evidenzdarstellung präsentiert wird. Nun hat bekanntlich dieses Argument eine quasi dialogische Struktur, denn es fungiert als Nachweis des internen Widerspruches eines Atheisten, oder, um den Ausdruck Anselms zu verwenden, eines Toren  Zu dieser Thematik vgl. Sacchi, Libertà e infinito, 91–94.  In diesem Sinne scheint es eine Kontinuität mit der Cartesianischen Perspektive zu geben, die den Willen als das wirklich göttliche Vermögen (im Menschen) hervorhebt. 7  In den Confessiones hebt Augustinus die Tatsache hervor, dass der Aufstieg zum Göttlichen nicht genug ist. Es geht darum sich für Gott zu entscheiden. Mit anderen Worten: Es reicht nicht ein Platoniker zu sein; man muss Christ werden und dies impliziert eine Bekehrung des Willens. 5

6

9.1 Das Nicht-sehen-Wollen

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(insipiens), der in seinem Herzen behauptet: „Es gibt keinen Gott“. Die Frage ist nun: Wie ist dieser Tor zu konzipieren, wenn das Argument die Darstellung einer Evidenz ist? Es ist klar, dass der insipiens nicht als Stellvertreter einer intellektuellen Position zu verstehen ist, die sich als inkonsistent erweist. Er kann nicht so konzipiert werden, weil dies wiederum eine inferentialistische Dimension einführen würde, die die unmittelbare Evidenz Gottes zerstören würde. Der Tor soll hingegen als der ,trotzige Ablehner‘ verstanden werden, der im Grunde nicht sehen will. Auch im Kontext seiner Quaestiones über das Geheimnis der Dreieinigkeit scheint Bonaventura auf diese Möglichkeit zu verweisen. Er schreibt Folgendes: Das Erkenntnisvermögen hat nämlich in sich selbst, so wie es geschaffen ist, ein Licht, das ausreicht, jenen Zweifel weit von sich zu weisen und sich so der Torheit zu entreißen. Deswegen versagt in einem solch mangelhaften Denkvorgang beim Toren das Erkenntnisvermögen eher freiwillig als zwangsweise, nicht aus einem Mangel von seiten des erkannten Objekts, sondern von seiten der Erkenntnis selbst.8

Kurzum: Es geht um eine aktive Dynamik, die vom Erkennenden selbst herkommt. Diese soll allerdings, wenn es dabei um eine wirkliche Evidenz geht, im voluntativen Sinne verstanden werden. Diese Idee kann auch, von unten nach oben, mit Bezug auf die Welt analysiert werden. Die Transzendenzmetaphysik impliziert, wie oben bereits erwähnt, eine Konzeption der Welt als Zeichen Gottes. Die Welt kann allerdings als ein bloßes Ding betrachtet werden, das die Omnipräsenz Gottes nicht in Erscheinung treten lässt. Nun lässt sich sagen, dass die Betrachtung der Welt als Ding (und nicht als Zeichen) nicht in einem epistemischen Mangel besteht, denn dies würde wiederum die Unmittelbarkeit der Evidenz zerstören. Es geht hingegen um eine autonome Willensdynamik. Mit anderen Worten: Man will nicht sehen, dass die Welt unmittelbar auf Gott verweist, dass Cæli enarrant gloriam Dei, et opera manuum ejus annuntiat firmamentum (Psalm 18). Das Argument ex auctoritate spielt in der Philosophie keine maßgebliche Rolle. Es ist aber interessant zu bemerken, dass eine solche Position gewisse biblische Anklänge zu haben scheint. Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer: Denn es ist ihnen offenbar, was man von Gott erkennen kann; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar. Denn obwohl sie Gott erkannt haben, haben sie ihn nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt, sondern verfielen in ihren Gedanken der Nichtigkeit und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert.9

 Bonaventura, Über den Grund der Gewißheit, 115 f. (Hervorhebung R. V.).  Römer 1,19–21 (Einheitsübersetzung 2016).

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9. Coda: Warum sehen wir nicht?

Die Position, die hier vertreten wird, würde wenig Sinn ergeben, wenn die Existenz Gottes Resultat einer Inferenz wäre. Denn in diesem Fall wäre die atheistische Perspektive eine, zumindest vorläufig, ernstzunehmende Position, die man mit gutem Gewissen vertreten kann. Wenn sich aber die Welt als unmittelbar kreatürlich zeigt und sich daher von Anfang als ein göttliches Zeichen erweist, heißt das, dass die Konzeption der Welt, die sie als etwas Dinghaftes und Selbständiges erfasst und damit die Existenz eines transzendenten Ursprungs ablehnt, ein willentliches Sich-Abwenden von der Wahrheit ist, das getadelt werden darf.10

9.2 Philosophie vs. Metaphysik Welche Konsequenzen hat dies für die hier dargestellte Form der Transzendenz­ metaphysik? Die italienische Neuscholastik (z. B. Gustavo Bontadini und mit ihm Dario Sacchi) unterscheidet zwischen Metaphysik und Philosophie: Während die erste als eine theoretische Bestimmung des Grundes des Realen zu verstehen ist, ist die zweite als eine freie Stellungnahme des Individuums dem Ganzen gegenüber zu konzipieren. Der zweite Punkt verweist somit auf die Tatsache, dass Philosophie lebendige Praxis ist, die auch ein extratheoretisches Element impliziert. Anders gewendet: Während die erste Seite das Reale intellektuell beschreibt, evaluiert die zweite diese Beschreibung. Dass die zwei Seiten nicht identisch sind, lässt sich auch folgendermaßen erläutern: Man kann z. B. eine materialistische Perspektive vertreten, aber das bedeutet noch nicht, dass man ein Materialist ist. Denn selbst wenn man die These für wahr hält, bedeutet dies noch nicht, dass sie ,das eigene Leben‘ lenkt. Sie kann, mit anderen Worten, ein ,akademisches Spiel‘ bleiben, das von keinem existenziellen Belang ist. Diese Trennung zeigt sich aber am deutlichsten, wenn die metaphysischen und philosophischen Bereiche auseinanderklaffen. Wann passiert dies? Das kommt vor, wenn man eine Position, die man als wahr anerkennt, existenziell ablehnt. Dies kann sich anhand eines Unbehagens ausdrücken, das mit einer als wahr anerkannten Position verbunden ist und sich z. B. durch folgende Aussage verlauten lässt: „Es wäre schön, wenn es anders wäre“. Ein theoretischer Materialist kann daher den Materialismus als wahr 10  Es muss allerdings festgestellt werden, dass, allgemein betrachtet, die klassische philosophische Tradition durch eine intellektualistische Tendenz gekennzeichnet ist und dass diese radikale Auffassung der Freiheit (die sich aber aus der hier entwickelten Konzeption ergibt) etwas ist, das die moderne Zeit explizierter thematisiert hat. In diesem Sinne wäre der Verweis auf die existenzialistische Tradition angebracht. Sören Kierkegaard hat z. B. auf diese Verbindung zwischen der freien Schöpfung Gottes und der absoluten Freiheit des Menschen aufmerksam gemacht. Kurz gesagt: Nur ein wirklich allmächtiger Gott (und damit ein Schöpfergott) kann etwas mehr als bloße ,Automaten‘ hervorbringen und eine Entität ins Sein setzen, die sich vollständig emanzipieren kann.

9.2 Philosophie vs. Metaphysik

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anerkennen, ihn aber als existenziell unbefriedigend empfinden und sich zumindest in der Form der velleitas etwas Anderes wünschen. Kurzum: Er akzeptiert ihn metaphysisch, lehnt ihn aber philosophisch ab. Wie verhält sich nun die Sache mit der Transzendenzmetaphysik? Die Transzendenzmetaphysik, die wir bisher entwickelt haben, ist keine aseptische Beschreibung des Realen, die der Zustimmung gleichgültig gegenübersteht. Sie verlangt diese Zustimmung, denn sie ist, wie früher gesagt, meditative Metaphysik und daher eine, die in prima persona vollzogen werden soll. Sie ist Metaphysik und Philosophie zugleich. Dies hat folgende Konsequenz: Der elenktische Charakter der hier entwickelten Dialektik ist einerseits als eine Evidenzdarstellung, andererseits aber als ein Appell zu verstehen. Doch ein Appell wozu? Es wird dazu appelliert, den Theismus zu bejahen, aber das heißt wiederum, dass dazu appelliert wird, die alldurchdringende Macht des Logos und damit die Erste theoretische Philosophie zu bejahen. Mit einem Hegelschen Vokabular kann man sagen, dass es darum geht, rein denken zu wollen. Das bedeutet: Der Theismus ist nicht einfach eine Option unter anderen, sondern die Option für die Rationalität überhaupt. Und das Nein? Es ist ein Nein zur allumfassenden Macht des Logos. Dem Logos wird dann ein lokaler Charakter zugeschrieben. Wenn man aber bedenkt, dass (gemäß der oben dargestellten Auffassung) die Erfassung des Seins (und damit die Erfassung der Totalität) vorausgesetzt wird, um überhaupt etwas zu verstehen, kann man sagen, dass es dabei um einen Verzicht auf den Logos im eigentlichen Sinne des Wortes (Verzicht auf die Episteme) geht. Es ist an dieser Stelle interessant zu bemerken, dass diese Idee eine gewisse Verwandtschaft mit der Art und Weise zeigt, wie Parmenides mit der sogenannten ,Meinung der Sterblichen‘ umgeht. Er schreibt: Es ist ja nichts und wird nichts anderes sein außerhalb des Seienden, da es ja die Moira daran gebunden hat, ein Ganzes und unbeweglich zu sein. Darum wird alles bloßer Name sein, was die Sterblichen in ihrer Sprache festgesetzt haben, überzeugt, es sei wahr: Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als Nichtsein […].11

Die verobjektivierenden Namen werden von den Sterblichen als etwas verstanden, das zumindest an der Oberfläche des Realen eine Bedeutung und eine Funktion hat. Es gibt daher Platz für eine eingegrenzte Funktion des Logos. Diese Dimension ist aber in Wahrheit Schein und der Gültigkeitsbereich des eingegrenzten Logos ist nur Ergebnis einer Entscheidung gegen die Moira, die voraussetzt, dass das reine Sein alles ist. Kurzum: Per fiat lassen die Sterblichen eine Wissenschaft und ihren Forschungsbereich entstehen, die nicht wirklich Episteme ist und einen eingegrenzten und im Grunde doxastischen Charakter hat.  DK 28 B 8.

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Die hier vertretene Perspektive ist also dieser Parmenideischen deshalb ähnlich, weil sich die Verselbständigung dieser lokalen Wissenschaft als eine Art Urentscheidung ergibt. Es muss allerdings gesagt werden, dass auch ein fundamentaler Unterschied besteht: Die Urentscheidung für den Logos impliziert bei Parmenides, dass die Zeichen nichtig, sozusagen leer sind. In dem hier gegebenen Kontext verweisen sie hingegen auf das transzendente reine Sein. Sie sind damit bedeutungsvoll. Der Schein ist mithin nicht einfach trügerischer Schein, er ist, in seiner Abhängigkeit, Erscheinung des Absoluten.12 Fassen wir das bisher Erreichte zusammen: Wir sehen nicht, weil wir nicht sehen wollen. Aber warum wollen wir nicht sehen? Wenn die vorher kurz skizzierte Theorie stimmt, kann man keine wirkliche Antwort geben, denn diese fundamentale Entscheidung ist eine Urdynamik, die im Grunde nicht ableitbar ist. Man kann sich allerdings die Frage stellen, welche Tendenzen dazu führen könnten, diese Evidenz abzulehnen. Auch Anton F. Koch unterscheidet zwischen Erster Philosophie und Philosophie tout court. Denn es gibt eine Dimension der Philosophie, die hinter dem Rücken der Metaphysik (wie ein verdrängtes Trauma) agiert. Mit den Worten Kochs: Die Geschichte der Ersten Philosophie weist sie allerdings als ein Unternehmen mit auffälligen Leerstellen und Fehlleistungen aus, die auf ein Ungedachtes der Philosophie hinweisen, ähnlich dem Unbewussten der individuellen Psyche, welches die Psychoanalyse aus psychischen Auffälligkeiten, Träumen, Fehlleistungen und dergleichen erschließt. Wenn man die Psychologie des Unbewussten Tiefenpsychologie nennt, so könnte man mit gleichem Recht die philosophische Reflexion auf das Ungedachte der Ersten Philosophie, auf deren kollektives Unbewußtes, Tiefenphilosophie nennen.13

Was ist aber das, was dabei verdrängt wird? Die Tatsache, dass das diskursive Denken Negation impliziert und dass diese den Extremfall der reinen Opazität (der Negation als Negation) mit sich bringt, in der das Denken den Realitätsbezug verliert. Diese Opazität taucht in der Materialität des Denkens auf, und dies bedeutet in seiner Sprachlichkeit und seinem Zeichencharakter: Das Denken selber ist Zeichen, „Schrift“ – Ur-Zeichen und Ur-Schrift (archi-écriture) –, sofern es Denken der Negation und damit, wie unausdrücklich auch immer, Denken der negierenden Selbstbeziehung ist.14

Mit anderen Worten: Das bestimmte Denken enthält in sich (und zwar ab ovo) den Keim der eigenen Selbstzerstörung, nämlich die Aporie, die aus der ,Selbstbeziehung der Negation‘ (der Negation als solcher) entsteht. 12  Man könnte in diesem Sinne auch sagen, dass die speziellen Wissenschaften eine Widerspiegelung der einen Ersten Philosophie sind. 13  Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, 301. 14  Ibidem.

9.2 Philosophie vs. Metaphysik

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Die ,Meinung der Sterblichen‘ besteht nun gerade darin, dass sie diese Dimension verdrängt. Mit anderen Worten: Sie verdrängt die Tatsache, dass ihr Denken im Grunde auf (milde formuliert) prekärem Boden steht und dass dieses ,Denken‘ im Grunde einen immer schon offenen Raum des Seins (eine Lichtung) voraussetzt, den es nicht begründen und rechtfertigen kann. Parmenides verdrängt diese Seite nicht, was man daran erkennen kann, dass er eine radikale Lösung vorschlägt, nämlich das Eintauchen ins reine Sein und damit die vollkommene Disqualifizierung des diskursiven Denkens. Eine weitere mögliche Anerkennung der Verdrängung, die aber nicht zu diesem radikalen Ergebnis führt, ist eine Heideggersche Position (die auch von Koch empfohlen wird): Dabei geht es darum anzuerkennen, dass das diskursive Denken eine immer schon eröffnete Lichtung des Seins voraussetzt (eine Öffnung des Realen, die prädiskursiv ist). Diese Lichtung ist aber wesentlich mit dem diskursiven Denken verwoben (das ist der Dissens-Punkt zur Parmenideischen Standardauffassung). Dies hat eine Rückwirkung auf die eröffnete Lichtung selbst. Denn sie erweist sich damit als etwas, das selbst unstabil und prekär ist. Sie ist keine reine und unbefleckte logische Heimat. Aber warum, so könnte man weiter fragen, verdrängen die Sterblichen die Ungenügsamkeit des diskursiven Logos? Weil dies implizieren würde, dass man einsieht, dass das Reale sich nicht wirklich objektivieren und kontrollieren lässt und dass sich unser vermeintlicher Progress nur auf der Oberfläche abspielt und dass dieser oft zum Preis einer Blindheit für die tiefer gehende Natur des Realen erkauft wird. Wie verhält sich nun die Position, die sich aus der Evidenzmetaphysik ergibt, zu dieser Thematik? In gewissem Sinne ist sie eine Synthese zwischen der Heideggerschen und der Parmenideischen Standardauffassung. Denn ihr Festhalten am propositionalen Logos führt nicht zur Gefährdung des immer schon geoffenbarten Seins. Dieses kann hingegen in seiner ontologischen Transzendenz sowohl das bestimmte Seiende fundieren als auch unangetastet und makellos bleiben. Anders gewendet: Das Denken des Nichts (die Aporie) ist immer noch Denken. Es ist nämlich das Zeichen, das auf die ontologische Transzendenz verweist. Das ist auch der Sinn des dialektischen Elenchos: das transzendente Sein selbst, das absolut anwesend und abwesend ist. Aber was bedeutet nun in dieser Perspektive die Verdrängung? Josef Pieper schreibt, dass es für den modernen Menschen schwierig ist zu ,danken‘. Der moderne Mensch will sich hingegen alles selbst erwirtschaften. Dabei tritt die Arbeit (und in der Philosophie, die logische Arbeit) in den Vordergrund und wird zu etwas Sakralem gemacht. Dies bedeutet: Das, was philosophisch gilt, ist nur das, was man sich durch Argumente vor Augen geführt hat, was man sich geistig erwirtschaftet hat. Die Evidenzmetaphysik, die bisher entfaltet wurde, lehnt hingegen diese Haltung ab. Natürlich sind die Argumentation und die Arbeitsdynamik nicht

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unwichtig, aber sie sind relativ und stehen im Dienste der Kontemplation. Noch stärker: Sie erhalten ihren Sinn von der Kontemplation. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass die sich daraus ergebende Philosophie eine größere Verwandtschaft mit der Kunst hat. Denn es geht dabei zunächst und vor allem nicht so sehr darum, alle möglichen Details einer bestimmten Position herauszuarbeiten oder auf alle möglichen Einwände eine Antwort zu finden, sondern die immer schon erkannte Transzendenz in Erscheinung treten zu lassen. Dies bedeutet: Gute Philosophie (wie im Fall des Parmenides) kann es auch da geben, wo die begrifflichen und inferentiellen Mittel nicht so entwickelt sind, und mittelmäßige Philosophie kann es auch dort geben, wo die Begrifflichkeit und die Analyse besonders raffiniert sind, wobei der Ursprung aber nicht erfasst wird. Kontemplation bedeutet schließlich auch die Offenbarung von etwas, das, wenn auch nicht objektivierbar, immer schon ,da‘ ist und auf das man keinen ,Anspruch‘ erheben kann. Sie ist nämlich ein Gewähren-Lassen. Im Grunde erinnert uns diese Art von Philosophie daran, dass das wirklich Fundamentale ein ,Geschenk‘ ist. Oder mit den Worten der Schrift: „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“15

 1. Korinther 4,7 (Einheitsübersetzung 2016).

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Personenregister Aertsen, J. A. ​32, 58 f., 61 f., 66, 145, 154, 156 f., 205–207 Aischylos ​139, 205 Albert, K. ​4, 145, 150, 172, 205, 211 Algra, K. ​37, 205 Anaximander ​13, 38–40, 42, 123 Anaximenes ​38–42, 49 Anselm von Canterbury ​140 f., 147, 155, 198, 205 Aristoteles ​1 f., 8, 23, 26 f., 32, 39, 53– 55, 59, 84, 107 f., 113 f., 127, 137, 161, 205 Assmann, J. ​45, 205 Augustinus, A. ​146, 148, 151, 198, 205 Averroes ​53–56, 58, 61 Avicenna Latinus ​53–57, 59, 66, 205 Balz, H. R. ​35, 208 Bartuschat, W. ​90, 210 Bates, T. ​66, 210 Bayle, P. ​83 Bazán, B. C. ​60, 207 Beierwaltes, W. ​13, 145, 205 Bennet, J. ​77, 87, 206 Bettoni, E. ​59, 206 Boethius, S. ​86, 148, 184, 206 Bonaventura ​4, 145, 148–156, 158, 165, 186, 195 f., 198, 199, 206 Bontadini, G. ​5, 27, 169, 200, 206 Bos, E. P. ​157, 205 Boulnois, O. ​52, 68, 206 Brachtendorf, J. ​172, 208 Bradley, F. ​110 Brandom, R. B. ​7, 210 Brock, St. L. ​32, 205 Brunner, F. ​159, 179, 206 Calin, R. ​36, 211 Capelle, W. ​46 f., 206 Cathala, M.-R. ​72, 211 Courtine, J.-F. ​123, 206 Cross, R. ​66, 206 Curley, E. ​83, 87, 93, 206

Dangel, T. ​36, 211 Davenport, A. A. ​65, 206 Davies, B. ​163, 206 De Libera, A. ​159, 206 Della Rocca, M. ​81, 111, 206, 209 Descartes ​11, 141 Diels, H. ​34, 211 Dreyfus, H. ​136, 206 Droysen, J. G. ​139, 205 Dumont, St. D. ​58, 64, 73, 206 Duns Scotus ​25, 51–53, 56–70, 72, 76 f., 153, 184, 206 f. Düsing, K. ​97 Dyke, Ch. van ​51, 211 Enders, M. ​44, 46, 207 Engelhardt, P. ​84, 211 Erb, W. ​150, 209 Etzkorn, G. J. ​59, 206 Feser, E. ​175, 207 Feuerbach, L. ​97 Fischer, N. ​148, 150, 207 f. Fried, G. ​122, 125, 207, 209 Frings, M. S. ​123, 208 Gabriel, M. ​8, 13, 207 f. Galilei, G. ​1 Gilson, É. ​57, 147, 186, 196, 207 Gioberti, V. ​4 Goris, W. ​4, 145, 168, 207 Gracia, J. J. E. ​62, 207 Grotz, St. ​162, 207 Guignon, Ch. ​125, 207 Halbig, Ch. ​103, 107, 207 Halfwassen, J. ​35, 37, 45–47, 162, 207 Hampshire, St. ​90 f., 207 Hattrup, D. ​148, 207 Hegel, G. W. F. ​2 f., 16–22, 24 f., 33–35, 38, 41 f., 69–72, 75, 97–115, 117, 120, 123, 142, 182, 207 Heidegger, M. ​121, 123–136, 182 f.

214

Personenregister

Heraklit ​34, 123 f., 126, 128, 134 Herrmann, F.-W. von ​130, 208 Hildebrandt, D. von ​187 Hindrichs, G. ​192 f., 208 Hölderlin, F. ​23 Hoeres, W. ​68, 208 Hoffmann, T. ​65, 206 Holzhey, H. ​51, 210 Honnefelder, L. ​58, 62, 64 f., 68, 208 Horstmann, R.-P. ​109 f., 208 Hübner, K. ​35, 208 Huenemann, Ch. ​83, 209 Imbach, R. ​162, 208 Inwagen, P. van ​13, 208 Jacobi, F.  H. ​97 Jaeger, P. ​122, 207 Jäger, W. ​44, 208 Joachim, H. H. ​75, 94, 208 Kant, I. ​107, 188 f., 208 Kaup, J. ​150, 206 Kepler, J. ​1 Kierkegaard, S. ​200 Koch, A. F. ​11, 19, 88, 117, 119 f., 136–141, 153, 171 f., 202 f., 208 Koch, J. ​157, 209 Kranz, W. ​34, 211 Kretzmann, N. ​181, 208

Newton, I. ​1 Nyssen, W. ​154, 206 Oschwald-Di Felice, M. ​25, 210 Parchment, St. ​89, 96, 209 Parmenides ​4, 25 f., 36, 41–44, 46–47, 49, 81 f., 87, 97 f., 123, 156, 165, 201–204 Pasnau, R. ​51, 211 Paulus ​199 Pera, C. ​172, 210 Philo von Alexandrien ​105 Pieper, J. ​187–192, 203, 209 Platon ​32, 136, 171, 188 Plevrakis, E. ​82, 99, 209 f. Plotin ​148 Polt, R. ​122, 125, 131, 207, 209 Quante, M. ​103, 207 Rapp, Ch. ​37 f., 40, 209 Riet, S. Van ​54, 205 Röd, W. ​42, 77, 209 Rödl, S. ​27, 114 f., 209 Roesner, M. ​150, 209 Rohstock, M. ​82, 210 Rosenthal, M. A. ​77, 209 Ross, J. ​66, 210 Rovatti, P. A. 140

MacDonald, S. ​147, 208 Malebranche, N. ​4 Manstetten, R. ​159, 208 Martinetti, P. ​89, 208 Mason, R. ​86, 208 Mayer, R. J. ​162, 208 McMahon, R. ​148, 151, 209 McTaggart Ellis, J. ​13, 101, 110, 112 f., 209 Meijer, P. A. ​157, 205 Meister Eckhart ​4, 40, 74, 145, 150, 156–160, 162–164, 167–169, 172, 175, 178 f., 183–186, 209 Melamed, Y. Y. ​77, 81, 87, 101 f., 209 Meyer, L. ​90 f. Michel, K. M. ​16, 207 Michelini, F. ​97, 209 Moldenhauer, E. ​16, 207

Sacchi, D. ​14, 112, 114, 175, 177, 185, 198, 200, 210 Sánchez, J. M. ​82, 210 Scharp, K. ​7, 210 Scheven, R. ​86, 206 Schlosser, M. ​156, 206 Schmidt, A. ​92, 95 f., 141, 210 Schönberger, R. ​57, 210 Schulthess, P. ​51, 210 Sellars, W. ​3, 7–9, 210 Severino, E. ​17, 25–27, 34, 38, 40, 210 Shein, N. ​81, 210 Siep, L. ​103, 207 Sokrates ​88, 157 f. Speer, A. ​58, 145, 157, 205 f. Spiazzi, R. ​72, 211 Spinoza, B. de ​25, 75–98, 101 f., 111, 181 f., 210 Stegmüller, W. ​12, 15, 210 Strauss, Z. ​105, 210 Szlezák, T. A. ​8, 205

Nadler, St. ​83, 91 f., 209 Newlands, S. ​75, 209

Taylor, Ch. ​149, 210 Te Velde, R. A. ​32, 210

Long, A. ​37, 205

Personenregister Tengelyi, L. ​52, 68, 210 Thales ​31, 34–40, 45 f. Thomas von Aquin ​32 f., 56 f., 72–74, 84, 172, 181, 192, 197, 210 Vanni Rovighi, S. ​176, 211 Vattimo, G. ​133 f., 140, 211 Vergil ​151 Vinco, R. ​36, 159, 211 Vivès, L. ​65, 206 Wadding, L. ​65, 206 Wald, B. ​188, 192, 209 Walther, M. ​84, 211 Wéber, E.-H. ​159, 206

Wegener, L. ​150, 157, 205 Werner, H.-J. ​184, 211 Williams, T. ​66, 210 Wolfson, H. A. ​78, 211 Wolter, A. B. ​61, 68, 211 Wood, R. ​51, 211 Wrathall, M. ​136, 206 Xenophanes ​44–47, 207 Yirmiyahu, Y. ​92, 211 Zalta, E. N. ​81, 145, 168, 207, 210 Zimmermann, A. ​51, 55, 68, 72, 211 Zum Brunn, É. ​159, 206

215

Sachregister Absolute, das ​5, 13, 17–20, 33–35, 39, 41–43, 70 f., 79–81, 99–104, 105–108, 110 f., 113–116, 117 f., 121 f., 128, 136 f., 141 f., 154 f., 159–166 Akt (ἐνέργεια/actus) ​86, 113 f., 126 f., 152 f., 185 Analogie ​153, 175–179, 186 – Attributions~ ​175–178 – Proportionalitäts~ ​175–178 Anamnesis (ἀνάμνησις) ​110, 149 Anfang der Philosophie ​31–36, 41, 58, 122– 128, 157 Aporie des Ganzen ​9–11 Arché (ἀρχή) ​37–42, 69 Auflösung (resolutio) ​57, 153  f. Bild ​130, 150, 173 f., 179 – Ab~ ​65 f., 174, 179, 185 f. – Ur~ ​65 f., 174, 186 Causa sui (Ursache seiner selbst) ​79, 101 Christentum ​98, 105  f. Dialektik ​3–5, 16–23, 25–27, 38 f., 108–116, 142, 174, 201 Dionysisches Prinzip ​181, 185 Disjunktive Notionen ​62, 64 Ego/Ich ​4, 141, 150, 161–164, 179 Elenchos (ἔλεγχος) ​16, 25–27, 142, 174, 203 Empirismus ​18–22, 42 Endlichkeit ​18 f., 69–72, 80, 93, 128, 168–174, 180 f., 184 f. – als Transzendentalie ​66 – Standpunkt der ​140 Erste-Person-Perspektive ​10, 141, 146–152 Es-scheint-mir (Ich-denke) ​10 f., 114, 162 Evidenz ​12 f., 25 f., 41–43, 57, 80, 93, 115 f., 126, 136, 141 f., 150, 152, 155, 195, 198 f. – ~metaphysik ​3–6, 13–16, 77, 87, 141 f., 150, 187, 191, 203 Existenz ​12, 79–82, 87–90, 173 – Gottes ​33, 54, 66, 77, 155 f., 200

Fest ​190–192 Freiheit ​185, 198 – als verklärte Notwendigkeit ​101–103, 182 – des Menschen ​196–200 – Gottes ​181, 185 Geist ​95, 97 f., 104–109, 189 f., 196–198 Glaube ​182, 192  f. Gott ​4, 14–16, 20, 45–48, 54 f., 63–66, 72– 74, 76 f., 81–87, 106, 141 f., 146–152, 155 f., 158–164, 168–172, 178 f., 180–186, 187, 192, 196–200 – als das Ersterkannte (primum cognitum) ​ 76, 154, 158 – als unendliche Substanz ​76 f., 83–87 – Weg der Seele zu ​146–152 Göttliche Attribute ​65 f., 76, 80–82, 85 Henotheismus ​45  f. Hermeneutischer Realismus ​137–141 Hylemorphismus ​129, 182 Ideal der Transparenz ​117–121, 136 Idealismus ​71  f., 115 Idee ​ – Hegelsche Konzeption der ​16–19, 103 f., 107 f., 113 – Platonische Konzeption der ​32, 171 f. – Spinozistische Konzeption der ​89–92 Immanente Ursache ​84  f. Immanenz ​117–122, 135–137, 165–169 – ~metaphysik ​14–16, 24–26, 71 f., 77, 94–96, 106–122, 180–183 Inferenz ​13, 54 f., 73 f. – ~metaphysik ​13 f., 66–69, 73 f. Intellekt ​118–120, 162 f., 198 – Erster Gegenstand des ​59 f., 158, 176 f. – Intellektuelle Anschauung ​188–190 Islam ​45 Judentum ​45, 105

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Sachregister

Kategorien ​19, 24, 109–113 Körper ​59 f., 91 f., 176 Kritische Philosophie ​21  f. Kultus ​188–192 Leben ​57, 86 f., 103, 108, 138, 167 Liturgie ​186–193 Logos (λόγος) ​26, 34, 139 f., 174, 201–203 Meditation (meditatio) ​141  f., 149–152 Menschwerdung Gottes ​105  f. Metaphysik ​5, 13 f., 18–20, 24–27, 32–34, 51, 67–69, 72 f., 121, 127 f., 138, 164 f. – als Ontologie ​3 f., 8, 54 f., 58 f., 67, 72 f. – als Theologie ​3 f., 55 f., 61, 67, 72 f. – vs. Philosophie ​200–204 Monismus ​71, 94, 109 f. Monotheismus ​45 – Schwacher bzw. inklusiver ​45 f. – Starker bzw. exklusiver ​45–47 Mystik ​142, 145, 150 Mythos/Mythologie ​35–41, 45–48, 139 Naturphilosophie ​32 f., 35 f., 73, 107 Noesis noeseos (νόησις νοήσεως) ​107–108 Ontologisches Argument ​155, 198 f. – Anselmische Version des ​155 – Bonaventurische Version des ​155 f. Pantheismus ​87, 92, 102 f. Pensiero debole (schwaches Denken) ​140 Person ​96, 105 f., 141 f., 150, 163 f. Physis (φύσις) ​122–128, 138 Polytheismus ​45  f. Raum-Zeit ​88  f., 93 Religion ​45 f., 71, 105 f. Schöpfung (creatio) ​5, 65 f., 180–186, 192 f. Seele ​53 f., 167 f., 197 Sein ​5, 20, 41–44, 48 f., 51–55, 61–69, 80 f.,

124–128, 136 f., 145, 150, 152–166, 168–173, 179, 183–185, 195 f., 201–203 – als das Ersterkannte ​56–59 – als Transzendentalie ​24 Substanz ​14, 52 f., 86 f., 98 f., 158, 163 – und Akzidens ​62, 100 – und Attribut ​80–82, 85 – und Modus ​78  f. Teilhabe ​171–173, 179, 190 Theismus ​4, 195, 201 Transitive Ursache ​84, 180 f. Transzendentale Analogie ​175–179 – Disjunktiven ​64–67 Transzendentalien ​24 f., 49, 61 f., 168, 172 – und Schöpfung ​179–186 Transzendenz ​56, 63, 67, 120 f., 136 f., 145– 149, 152 f., 158, 161–166, 171–173, 195–197 – Epistemologische ​94, 110, 161 f. – Ontische ~metaphysik ​15, 69–72, 137, 170 f., 180 f. – Ontologische ~metaphysik ​15, 137, 141, 162, 170–174, 183–186, 191 f., 203 Trinität ​105–106, 155, 186 Unendlichkeit ​18 f., 69–72, 76 f., 79–81, 83–87, 93, 170 f., 174, 185 – als Transzendentalie ​64–69 Wahrheit ​9, 20, 148 – als Transzendentalie ​62, 153, 156, 168 f. – als Unverborgenheit ​125  f. – Realistischer und epistemischer Charakter der ​18 Welt ​13 – als das Nicht-Göttliche ​136 f., 169, 171–174, 199 f. – ~bild ​1, 39, 44–48, 132 f., 186 f. – und Erde ​131–136 Wissenschaft ohne Gegensatz ​27, 114–116 Zeit ​88–90, 96, 151 – vs. Ewigkeit ​86