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German Pages 402 [415] Year 2023
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Corinna Körting (Hamburg) · Konrad Schmid (Zürich) Mark S. Smith (Princeton) · Andrew Teeter (Harvard)
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Achim Behrens
Das Wort Gottes im Kontext alttestamentlicher Hermeneutik Untersuchungen zum Wort Gottes und zum Gottesbild im Alten Testament
Mohr Siebeck
Achim Behrens, geboren 1967; Studium der Ev. Theologie in Oberursel und Mainz; Promotion in Mainz; 2001–2006 Pfarramt in Hessen; Habilitation in Bern; Professor für Altes Testament an der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel (Taunus); Lehrbeauftragter für Altes Testament am Institut für Theologie und Sozialethik an der TU Darmstadt. orcid.org/0000-0003-1741-9871
ISBN 978-3-16-162246-5 / eISBN 978-3-16-162247-2 DOI 10.1628/978-3-16-162247-2 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Otterweier gebunden. Printed in Germany.
Für Volker Stolle
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Dezember 2021 von der Theologischen Fakultät der Universität Bern unter dem Titel „Das Wort Gottes und der Gott des Wortes im Alten Testament. Grundfragen einer alttestamentlichen Hermeneutik“ als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Ich danke dem Herausgeberkreis der Forschungen zum Alten Testament, Prof. Dr. Dr. Corinna Körting, Prof. Dr. Konrad Schmid, Prof. Dr. Mark Smith und Prof. Dr. Andrew Tweeter, für die Aufnahme in die Reihe! Beim Verlag Mohr Siebeck geht ein besonderer Dank an Frau Elena Müller, Frau Betina Burkhart und Frau Bettina Gade für die umsichtige und freundliche Betreuung des Projekts. Ohne die Unterstützung und Begleitung von mancher Seite wäre dieses Buch samt dem vorangehenden Habilitationsprojekt nicht zustande gekommen. So danke ich der Kirchenleitung der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche für die Gewährung zweier Forschungssemester. Das ganze Vorhaben wurde stets mitgetragen von meinen Kollegen in der Fakultät der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel, denen ich ebenfalls danke. Vor allem aber gilt mein Dank meinem Freund und Wegbegleiter Prof. Dr. Andreas Wagner, der mich sehr zu diesem Vorhaben ermutigt hat. Insbesondere die Gespräche über die Hermeneutik des Alten Testaments und damit über den Stellenwert der Schrift in der Theologie überhaupt waren ein Geschenk ganz eigener Art. Mittlerweile verbinden uns drei Jahrzehnte gemeinsames Nachdenken über das Alte Testament – und bis jetzt war das stets ein Vergnügen. Danke! Dies führt mich zu den beiden Korreferaten: Prof. Dr. Manfred Oeming fühle ich mich seit langem in Fragen der Hermeneutik des Alten Testaments verbunden, und so war es mir eine Ehre und eine Freude, dass er das Zweitgutachten übernahm. Prof. Dr. Michaela Bauks hat sich dankenswerterweise den Mühen eines dritten Gutachtens unterzogen. Ihr verdanke ich wertvolle Hinweise aus einer neuen Perspektive! Meine Partnerin, Dr. Anja Wolde, hat insbesondere in der Schlussphase einen größeren Anteil am Zustandekommen dieses Buches, als ihr selbst bewusst ist. Ich bin dankbar, dass ich in guten Händen bin!
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Vorwort
Das Buch sei meinem Lehrer und Freund Prof. em. Dr. Volker Stolle freundlich zugeeignet. Ihm verdanke ich u.a. die Liebe zu hermeneutischen Fragen in enger Verbindung mit exegetischer Genauigkeit. Bei ihm habe ich gelernt, dass die existenzielle Verflochtenheit mit ihrem Gegenstand für Theologinnen und Theologen nicht immer leicht, aber eigentlich unvermeidlich und umso gründlicher zu reflektieren ist. Sein scharfer Blick hat ihn sowohl als Historiker, als auch als Exeget, vor allem aber als Theologe immer auch zu kritischen Urteilen seiner eigenen Tradition gegenüber geführt. Wo er wiederum dafür kritisiert wird, wird oft übersehen, dass sein analytischer Blick eben dem sola scriptura und einer für ihn wohl unentrinnbaren Liebe zur lutherischen Theologie und Kirche entspringt. Ich verdanke Volker Stolle viel und würde mir wünschen, dass dieses Buch an seine, sowie an die Arbeit mancher anderer meiner Lehrer und Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern anknüpft. Oberursel im März 2023
Achim Behrens
Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................... VII
Einleitung .................................................................................................... 1 1. Kapitel: Grundfragen......................................................................... 11 1.1 Exegese im Zeichen des klassischen Schriftprinzips ......................... 11 1.2 Die Bibel als Wort Gottes und Text .................................................. 16 1.3 Die Frage der Inspiration der Bibel ................................................... 19 1.4 Die inhaltliche Bestimmung des Wortes Gottes ................................ 21 1.5 Der Glaube der Exegetinnen und Exegeten ....................................... 23 1.6 Der Beitrag der alttestamentlichen Exegese zur Theologie ............... 31
2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament ................................ 37
2.1 Das sogenannte „hermeneutische Problem des Alten Testaments“ ....................................................................... 38 2.2 Das Alte Testament im Neuen ........................................................... 42 2.3 Tendenzen der alttestamentlichen Hermeneutik in der Alten Kirche und im Mittelalter ............................................... 48 2.4 Das Alte Testament in der Kirche am Beispiel Martin Luthers ................................................................................... 51 2.4.1 Martin Luthers Bibelauslegung in einem hermeneutischen Dreieck ........................................... 51 2.4.2 Luthers alttestamentliche Hermeneutik anhand der „Unterrichtung“ ...................................................... 53 2.4.3 Luthers alttestamentliche Hermeneutik anhand seiner Vorreden ............................................................ 56 2.4.4 Fazit .......................................................................................... 61
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Inhaltsverzeichnis
2.5 Modelle der Ablehnung des Alten Testaments .................................. 64 2.5.1 Marcion ..................................................................................... 64 2.5.2 Friedrich Schleiermacher und Adolf von Harnack .................... 66 2.5.3 Emmanuel Hirsch...................................................................... 70 2.5.4 Fazit .......................................................................................... 73 2.6 Die Provokation Notger Slenczkas .................................................... 77 2.7 Modelle des Zusammendenkens von Altem und Neuem Testament .............................................................................. 85 2.7.1 Historischer Textsinn und Auslegung: Rezeption von Anfang an .......................................................... 87 2.7.2 „Verheißung“ und „Typologie“ als klassische und zugleich zeitgemäße hermeneutische Modelle ................... 92 2.7.3 Neuere und neueste Positionen ................................................. 98 2.8 Zusammenfassung und Perspektiven ............................................... 114 2.8.1 Das hermeneutische Problem des Alten Testaments als theologisches Grundproblem ............................................. 114 2.8.2 Die „Krise des Schriftprinzips“ und das Alte Testament als „Wort Gottes“ .................................................................... 115 2.8.3 Die christliche Perspektivität einer Hermeneutik des Alten Testaments .............................................................. 116
3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und das Alte Testament........................................................................... 119 3.1 Die Spannung zwischen Geschichtlichkeit und gegenwärtiger Geltung als Zeichen der Krise.................................. 120 3.2 Neu nach dem Stellenwert der Bibel fragen .................................... 124 3.3 Wiedergewinnung der Kategorie „Wort Gottes“ ............................. 130 3.4 Das Alte Testament als Ursprungsort der Kategorie „Wort Gottes“................................................................................... 133
4. Kapitel: Exegetische Einblicke: Das alttestamentliche Selbstverständnis als Wort Gottes...... 137 4.1 Reflexionen über das Gotteswort in den Prophetenbüchern ............ 138 4.1.1 Jeremia .................................................................................... 140 4.1.2 Ezechiel .................................................................................. 144 4.1.3 Deuterojesaja .......................................................................... 148 4.1.4 Hosea ...................................................................................... 155 4.1.5 Amos ....................................................................................... 159
Inhaltsverzeichnis
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4.1.6 Micha ...................................................................................... 163 4.1.7 Jesaja....................................................................................... 168 4.1.8 Die Überschriften der Prophetenbücher .................................. 175 4.2 Reflexionen über das Gotteswort im Deuteronomium und im Deuteronomistischen Geschichtswerk ................................. 182 4.2.1 Das Prophetengesetz Dtn 18,9–22 .......................................... 182 4.2.2 Die Berufung Samuels 1 Sam 3 .............................................. 196 4.3 Reflexionen über das Gotteswort in den Psalmen ........................... 207 4.3.1 Psalm 33 ................................................................................. 208 4.3.2 Psalm 119................................................................................ 216 4.4 Das Verständnis der Tora als דבר.................................................... 228 4.4.1 Wort Gottes vom Sinai/Horeb ................................................. 229 4.4.2 Der Dekalog als דבר................................................................ 231 4.4.3 Das Deuteronomium als דבר.................................................... 235 4.4.4 Die Tora als „ דברin Gedanken, Worten und Werken“ ............ 238 4.4.5 Die Leistungen der Deutung der Tora als דבר......................... 242 4.5 Der דבר־יהוהam Schluss des Kanons in 2 Chr 36,22–23 ................. 244
5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität .............................................. 249 5.1 Das Alte Testament als דברgelesen ................................................. 251 5.2 Kanon und kanonische Perspektiven ............................................... 257
6. Kapitel: Das Bild des biblischen Gottes als Einheit in Aspekten ................................................................... 269
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im Alten Testament .................... 270 6.1.1 Die Reflexion der Vielfalt des Gottesbildes in Ex 6,2–8......... 273 6.1.2 Jahwe – ein Gott mit Herkunft in Zeit und Raum ................... 277 6.1.3 Von der revelatio generalis zur revelatio specialis in Psalm 19 ............................................................................. 279 6.1.4 Konversion und Okkupation in Psalm 91 ................................ 281 6.1.5 Der „Gott der Philosophen“ bei Hiob und Kohelet ................. 282 6.1.6 „Monotheismus“ bei Deuterojesaja ......................................... 285 6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im Alten Testament ...................... 288 6.2.1 Gott als Retter und Richter Israels .......................................... 288 6.2.2 Der Gott Israels und der Gott der ganzen Welt ....................... 298 6.2.3 Aspekte von Gottes Schöpfersein ........................................... 306 6.2.4 Der anthropomorphe und der transzendente Gott .................... 312
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Inhaltsverzeichnis
6.3 Das aspektivische Bild Gottes im Alten Testament ......................... 320 6.4 Der Gott der ganzen Bibel ............................................................... 326 6.5 Fazit................................................................................................. 336
7. Kapitel: Zusammenfassung ........................................................... 339 7.1 Exegese als Theologie ..................................................................... 339 7.2 Biblischer Text und Wort Gottes ..................................................... 341 7.3 Das Wort Gottes im Alten Testament .............................................. 342 7.4 Der Gott des Wortes im Alten Testament ........................................ 345 7.5 Aspektivische theologische Reflexionsgeschichte........................... 347 7.6 „Das Wort unseres Gottes“ .............................................................. 349
Literaturverzeichnis .............................................................................. 353 Register .................................................................................................... 383 Bibelstellen ........................................................................................... 383 Altes Testament ............................................................................... 383 Neues Testament .............................................................................. 395 Autoren ................................................................................................. 398 Begriffe ................................................................................................. 399
Einleitung Immer wieder und immer neu ist die Christenheit in Theologie und Kirche vor die Frage gestellt, welchen Stellenwert sie der Schriftensammlung zumisst, die in der christlichen Bibel das „Alte Testament“ und im Judentum die ganze Bibel bildet. Auf der einen Seite hat die Evangelische Kirche in Deutschland die Leseordnung ihrer Gottesdienste ab dem Kirchenjahr 2018/19 einer Revision unterzogen, bei dem unter anderem der Stellenwert des Alten Testaments erhöht werden sollte1; andererseits wurde vom Berliner Systematiker Notger Slenczka die Kanonizität des Alten Testaments für die Christenheit bestritten.2 Dies sind nur zwei Beispiele aus jüngerer Zeit für ein breites Themenfeld unter der generellen Überschrift „Hermeneutik des Alten Testaments“, in dem der jüdisch-christliche Dialog ebenso eine Rolle spielt, wie die Frage nach dem Charakter biblischer Texte als „Wort Gottes“ oder „Heiliger Schrift“ und damit verbunden nach dem Verhältnis von historischem Textverstehen und existenzerschließender Auslegung im Rahmen von Theologie und Kirche. Welche Rolle spielt die alttestamentliche Exegese in diesen Debatten? Die wissenschaftliche Auslegung der alttestamentlichen Schriften lenkt den Fokus auf das historische Textverstehen. Zugleich steht die Disziplin vor der Aufgabe, die immer höher spezialisierten und weiter verzweigten Einzelerkenntnisse über die Entstehung und den religionsgeschichtlichen Hintergrund von Texten aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend in ihrer Relevanz für die Reflexion des christlichen Glaubens insgesamt darzulegen. Das gelingt auch innerhalb der Theologie über die engeren Fachgrenzen hinweg oft nur mühsam. Vielen anderen Theologinnen und Theologen scheinen die neuesten Ergebnisse der alttestamentlichen Exegese zu wenig relevant für die Reflexion des christlichen Glaubens. Dieser Eindruck ist unter Fachvertreterinnen und -vertretern, die selbst nicht in überdurchschnittlicher Weise exegetisch interessiert sind, relativ weit verbreitet. Friedrich Wilhelm Graf urteilt gar, dass sich die exegetischen Disziplinen „in ein für Außenstehende absurdes philologisches Spezialistentum verrannt haben“3. Dabei sind unter den „Außenstehenden“ durchaus auch Vertreterinnen und Vertreter der anderen theologischen Teildisziplinen zu ver-
Vgl. DEEG/SCHÜLE, Perikopentexte. 2 Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 49–84 und dazu ausführlich Kapitel 2.6. 3 So in der F.A.Z. vom 21.2.2008 hier zitiert nach: SCHMID, Sind die Historisch-Kritischen kritischer geworden?, 63. 1
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stehen. Die Frage ist mit Eilert Herms, ob die alttestamentliche Exegese ihr eigenes Geschäft dezidiert im Rahmen der Theologie betreibt und das Alte Testament – zumindest auch – als „Herkunftsgeschichte“ des Christusglaubens lesen kann, oder im ersten Teil des christlichen Kanons ein „religionshistorisches Museum“ sieht.4 Aus der Emanzipation der Biblischen von der Dogmatischen Theologie5 droht eine Entfremdung zu werden. Eine mögliche Reaktion ist – jedenfalls aus Sicht der alttestamentlichen Exegese – die Bestimmung der eigenen Aufgabe als einer vor allem historisch-deskriptiven. Ein solcher Standpunkt, nach dem sich die alttestamentliche Exegese auf die Beschreibung religions- und literargeschichtlicher Gegebenheiten beschränkt und die Schlussfolgerungen daraus für kirchliche Lehre und Praxis den anderen Disziplinen überlässt, scheint auch in den großen Veränderungen innerhalb der Exegese des Alten Testaments seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts begründet zu sein. Neue Einsichten in die Geschichte und Religionsgeschichte Israels, aber auch neue literaturgeschichtliche Analysen der Texte lassen fast nichts mehr von dem als selbstverständlich erscheinen, was noch bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts als sensus communis galt. Es scheint so, als gäbe es nur noch einen geringen Textanteil im heute vorliegenden Alten Testament, für den man einen vorexilischen Ursprung annehmen kann.6 Die klassische Urkundenhypothese für den Pentateuch ist so gut wie aufgegeben.7 Mose und die Patriarchen gelten als historisch nicht greifbar.8 Exodus und Landnahme sind Chiffren für Vorgänge, die sich historisch von den Schilderungen des Alten Testaments fundamental unterscheiden.9 Ein „Großreich“ Davids und Salomos hat es nie gegeben.10 Der im Alten Testament scheinbar überall vorausgesetzte Monotheismus erscheint als ein sehr spätes Produkt der israelitischen Religionsgeschichte.11 Das Alte Testament als eine Sammlung programmatisch-theologischer Texte kann nicht einfach so als Spiegel der historisch rekonstruierbaren Ereignisse gelten. Mit dieser veränderten exegetischen und religionsgeschichtlichen Sicht auf die Texte geht auch eine Verschiebung dessen einher, was unter den Überschriften „Theologie“ und „Hermeneutik“ des Alten Testaments als Gesamtsicht des exegetischen Befundes galt. Die großen hermeneutischen und theolo-
Vgl. HERMS, Bibel, 106. 5 Vgl. als Manifest dieser Bewegung: G ABLER, De iusto discrimine; Deutsch: M ERK, Biblische Theologie, 273–284; dazu: JANOWSKI/WELKER, Art. Biblische Theologie, 1544– 1554. 6 Vgl. SCHMID, Literaturgeschichte, passim. 7 Vgl. G ERTZ, Tora, 193–312; K RATZ, Komposition; ZENGER, Theorien, 87–135. 8 Vgl. FINKELSTEIN/SILBERMAN, Posaunen. 9 Vgl. B ERLEJUNG, Geschichte, 96ff.; FREVEL, Geschichte. 10 Vgl. FINKELSTEIN/SILBERMAN, David und Salomo. 11 Vgl. z.B. die Ergebnisse von K EEL/U EHLINGER, Göttinnen; STOLZ, Einführung; dazu mehr in Kapitel 6. 4
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gischen Entwürfe des 20. Jahrhunderts, die sich mit Namen wie Gerhard von Rad12, Walther Zimmerli13, Claus Westermann14, Antonius Gunneweg15, Horst Dietrich Preuß16 und anderen verbinden, verlieren – so scheint es jedenfalls – umso mehr an Plausibilität, je mehr deren exegetische Grundlagen ins Wanken geraten. An die Stelle dieser Entwürfe, die innerhalb der alttestamentlichen Exegese eine reflektierte Zusammenschau der Einzelauslegungen boten und zum Teil sogar über den Rahmen der theologischen Wissenschaft hinaus eine geradezu „ideenexportierende“ Strahlkraft entwickelten17, sind noch keine entsprechenden neueren Entwürfe getreten.18 Dies wird erst anfänglich von Seiten der Exegese reflektiert und diskutiert.19 In einem der aktuellen Lehrbücher zum Fach wird zum Beispiel Theologie des Alten Testaments definiert als eine deskriptive Aufgabe, die nach den theologischen Grundgedanken der Autoren und Redaktoren der biblischen Literaturwerke in ihrem historischen Kontext fragt und diese beschreibt.20
Hier stellt sich die Frage, wo und wie sich die alttestamentliche Exegese im Ganzen der Theologie verortet. Diese Frage scheint sich beinahe von selbst zu beantworten, wenn man die Aufgabe einer Theologie des Alten Testaments mit Manfred Oeming wie folgt definiert: Sie soll die Resultate aller Teilbereiche aufgreifend eine Synthese bieten, die modernen Menschen ein Verständnis für den Glauben Israels und seine Diskussions- und Anschlussfähigkeit an Probleme der Gegenwart aufzeigt. Alle Teildisziplinen haben gewiss ihre je eigene Bedeutung und Leistungskraft: die Archäologie, die Rekonstruktion der Geschichte Israels hinsichtlich ihrer materiellen, politischen und kulturellen Elemente, die Einzelexege-
Vgl. RAD, Theologie 1 und 2. 13 Vgl. ZIMMERLI, Grundriß. 14 Vgl. W ESTERMANN, Theologie. 15 Vgl. G UNNEWEG, Verstehen; Ders., Biblische Theologie. 16 Vgl. PREUß, Predigt; Ders., Theologie 1 und 2. 17 Dass diese Strahlkraft zum Teil immer noch besteht, mag sich in der Tatsache zeigen, dass zu dem Symposium „Altes Testament und Kultur der Moderne“, das aus Anlass des 100. Geburtstages Gerhard von Rads 2001 in Heidelberg veranstaltet wurde, nicht weniger als neun Bände erschienen, die die dort gehaltenen Beiträge dokumentieren. Sie umfassen folgende Bereiche: OEMING/SCHMID/WELKER (Hg.), Kultur; OEMING/SCHMID/SCHÜLE (Hg.), Theologie; BLUM/JOHNSTONE/MARKSCHIES (Hg.), Geschichtsbuch; FISCHER/ SCHMID/WILLIAMSON (Hg.), Prophetie; CLINES/LICHTENBERGER/MÜLLER (Hg.), Weisheit; LEVINSON/OTTO (Hg.), Recht; HANSON/JANOWSKI/WELKER (Hg.), Biblische Theologie; BARTON/EXUM/OEMING (Hg.), Kunst; ALSTON/MÖLLER/SCHWIER (Hg.), Predigt. 18 Vgl. JEREMIAS, Entwürfe, sowie die instruktive tabellarische Übersicht bei O EMING, Wege, 85–89. 19 Vgl. H ARTENSTEIN, Wesen, 199ff., der das Problem mit einer ähnlichen Grundhaltung wie der hier vorgetragenen angeht. 20 G ERTZ, Grundfragen, 587 [Hervorhebung von mir]. 12
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se, die Literaturgeschichte, die Religionsgeschichte. Aber sie alle haben nach meiner Einsicht eine dienende Funktion. Letztendlich gilt es zu ermitteln, was alttestamentliche Überlieferungen dazu beitragen, das Wesen Gottes zu erfassen (um davon heute sachgemäß Zeugnis ablegen zu können).21
Hier wird also nicht positivistisch Vergangenes dargestellt, sondern nach Gegenwartsrelevanz des exegetisch Erkannten gefragt. Ja, das Wesen des biblischen Gottes wird nicht nur in seinen historischen Wandlungen, sondern auch in seinem kerygmatischen Gehalt gesucht. Nichts weniger sollte demnach der Beitrag der alttestamentlichen Wissenschaft zum Ganzen der Theologie sein. In beinahe schon klassischer Weise werden in dieser Perspektive die alttestamentlichen Einzelfragestellungen zu „Hilfswissenschaften“ für das große Ganze. Diese Sicht auf die Leistung der einzelnen exegetischen und historischen Arbeitsschritte mag „traditionell“ klingen; obsolet ist sie keinesfalls. Die genaue Arbeit der einzelnen exegetischen Fragestellungen – von der Philologie bis zur Geschichte und Religionsgeschichte Israels – und der zusammenfassende Überblick müssen unbedingt aufeinander bezogen werden und bleiben: Ohne die genaue historische Einzelarbeit droht der theologischen Gesamtsicht die Substanzlosigkeit; ohne das „Wagnis des Zusammendenkens“22 bleiben die Einzelergebnisse innerhalb der Theologie kontext- und ortlos. Daneben gibt es auch die Selbstbehauptung der Exegese als „theologische Basiswissenschaft“23. Mit diesem Anspruch blickt der katholische Neutestamentler Michael Theobald auf seine Disziplin. Er betrachtet dabei die Rolle, die die Bibelauslegung in den offiziellen kirchlichen (katholischen) Verlautbarungen genießt, hermeneutische und systematisch-theologische Aspekte der exegetischen Wissenschaft oder die komplexe Selbstverortung der Exegese als historische und literaturwissenschaftliche Disziplin im Fächerkanon der Theologie und kommt zu dem Schluss: „Als keineswegs interessen- und voraussetzungslose Basiswissenschaft beansprucht die (neutestamentliche) Exegese ein Interventionsrecht im theologischen Diskurs […]: Sie dringt darauf, dass in ihrem Wahrheitsgehalt unabgegoltene biblische Texte und Traditionen neu auf die Tagesordnung kommen.“24 Hier wird also nicht ausschließlich historisch gearbeitet, sondern dabei auch nach dem Wahrheitsgehalt biblischer Texte gefragt. In der evangelischen Theologie, die ja alle Aussagen unter das alleinige Primat der Heiligen Schrift stellt, steht der Exegese ein vergleichbares Selbstbewusstsein gut an. Das setzt allerdings voraus, dass Exegetinnen und Exegeten sich als Theologinnen und Theologen verstehen. Es ist an der Zeit, in den Bibelwissenschaften neu über den spezifischen Beitrag des exegetischen Spezialwissens zur rechenschaftsfähigen Selbstreflexion des christlichen Glaubens
OEMING, Wege, 83 [Hervorhebungen von mir]. 22 So eine Formulierung Walther Zimmerlis aufgegriffen bei SÆBØ, Weg, 24 Anm. 89. 23 Vgl. mit Berufung auf ein Diktum Josef Blanks: THEOBALD, Exegese, 105–139. 24 THEOBALD, Exegese, 138 [Hervorhebung so im Original]. 21
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insgesamt Auskunft zu geben. Gerade in der evangelischen Gestalt der Christenheit ist die christliche Wirklichkeitsauslegung coram deo immer in erster Linie im Modus der Schriftauslegung zu haben.25 Die alttestamentliche Exegese leistet dazu ihren Beitrag und ist dabei sich und anderen über die Art und Weise dieses Beitrags – seine Methoden und Fragestellungen, aber auch seinen Sachgehalt und seine Antworten – immer neu einen theologischen Reflexionsgang schuldig. Dass dies immer neu geschieht und nicht bereits ein für alle Mal geschehen ist, liegt an der unentrinnbaren Zeitgenossenschaft von Kirche und Theologie, die im Hinblick auf die Bibel zu immer neuen Fragen und neuen Antworten führt. Dabei ist auch danach zu fragen, worin die Kontinuität der einen Christenheit und ihres Sachbezugs auf stets dieselben biblischen Schriften und darin eben auch die Identität des „Alten Testaments“ in allem historischen Wandel der Fragestellungen besteht. Die Exegese wird dabei ihr eigenes Spezialistentum keineswegs „absurd“ finden, sondern bewusst darauf pochen. Zugleich ist es aber eine Aufgabe der Exegese selbst, die nicht in andere Disziplinen abgeschoben werden darf, die hermeneutische und theologische Relevanz der gewonnenen Ergebnisse im Gespräch mit den anderen theologischen Disziplinen aufzuweisen und in die rechenschaftsfähige Selbstreflexion des christlichen Glaubens einzuspeisen. Dabei trifft die Exegese, auch und gerade die des Alten Testaments, vonseiten der anderen theologischen Disziplinen und der an Fragen der Religion interessierten Öffentlichkeit auf Erwartungen.26 Die Exegese wird nicht immer alle dieser Erwartungen erfüllen können, aber dass es sie gibt, lässt auf ein fruchtbares Gespräch hoffen. Es wird also in dieser Untersuchung um die Frage gehen, wie die Exegese des Alten Testaments ein Teil der Theologie ist und eben nicht ausschließlich der vorderorientalischen Religionsgeschichte. Dazu gehört wieder die grundlegende Auskunft darüber, inwieweit das Alte Testament als vorchristliche Schriftensammlung überhaupt als Teil der Heiligen Schrift der Christenheit zu lesen sein kann. Dazu gehört die Reflexion des eigenen Standpunktes der Auslegerinnen und Ausleger innerhalb dieser Christenheit, was die konfessionelle
„Christlicher Glaube vollzieht seine Selbstauslegung in der Form der Schriftauslegung, indem er darlegt, wie die menschliche Existenz ihrerseits von den Texten der Schrift her ausgelegt und verstehbar wird“ (KÖRTNER, Einführung, 75); vgl. BEHRENS, Verstehen des Glaubens, 117–137. 26 Vgl. z.B. SCHWÖBEL, Erwartungen, 159–185; oder die zahlreichen Bezugnahmen des Ägyptologen ASSMANN, Moses; Ders., Unterscheidung; Ders., Exodus, vgl. zu dieser öffentlich sehr wirksam gewordenen Position Assmanns und der damit zusammenhängenden Differenzierung von „primärer und sekundärer Religion“, die auf Theo Sundermeier zurückgeht: WAGNER (Hg.), Primäre und sekundäre Religion. Und auch der jüdisch-christliche Dialog profitiert von der Beteiligung kompetenter Alttestamentlerinnen und Alttestamentler. 25
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Bestimmtheit umfasst.27 Dazu gehört die methodologische Frage danach, wie eine falsche Alternative zwischen „historisch“ hier und „theologisch“ da zu vermeiden und die Exegese des Alten Testaments als eine solche methodisch kontrollierte Wissenschaft aufzufassen ist, die gerade durch historisch, religionsgeschichtlich, philologisch, literaturwissenschaftlich genaue Betrachtung biblischer Texte eben einen theologischen Dienst tut. Dazu gehört folglich auch die Frage, ob und inwiefern der Kontext von Kirche und theologischer Fakultät, in dem die Exegese des Alten Testaments geschieht, eine Rolle für das Selbstverständnis des Faches und dann auch der darin vollzogenen Einzeluntersuchungen spielt. Dabei ist ein Doppeltes zu beachten: Zuerst ist die Emanzipation der exegetischen Fächer von einer dogmatischen Dominanz eine unumkehrbare Richtigkeit. Die Bibelwissenschaft muss die alt- und neutestamentlichen Texte ohne Ergebnisvorgaben lesen können, andernfalls ist sie sinnlos. Zugleich muss die Exegese selbst ein Interesse daran haben, was sie zur rechenschaftsfähigen Selbstreflexion des christlichen Glaubens beiträgt. Das ergibt sich schon daraus, dass für Studierende auch die alttestamentliche Exegese zu denjenigen Fähigkeiten und Fertigkeiten gehört, die zur Führung des Pfarramts befähigen. Die Exegese muss den Anspruch an sich selbst haben, dass diese Behauptung in ihrer Relevanz auch erkennbar und erfahrbar wird. Dazu gehört dann schließlich die Basisreflexion des Gegenstandes der Exegese, den biblischen Schriften, hier in erster Linie des Alten Testaments. Die Christenheit erkennt darin eben nicht nur historische Zeugnisse eines vergangenen Glaubens Israels, sondern das Wort Gottes, das Menschen in besonderer Weise anspricht und ihre Existenz unter der Perspektive Gottes ganz neu bestimmt. Daran schließt sich dann auch die Frage an, was gerade die alttestamentliche Exegese zum Bild Gottes beizutragen hat und ob und inwiefern, dies mit dem neutestamentlichen Reden von Gott konvergiert.28 Die vorliegende Untersuchung beginnt den Weg zur Bearbeitung von Grundfragen alttestamentlicher Hermeneutik damit, dass noch einmal das Verständnis biblischer Texte als „Heilige Schrift“ im Zeichen eines klassischen Schriftprinzips in den Blick genommen wird. Inwiefern lässt sich von einer Textsammlung, deren historische Entstehungsbedingungen sich methodisch erhellen lassen, als „Wort Gottes“ sprechen? Spielt so etwas wie „Glaube“ oder
OEMING zählt es zu den strittigen Fragen im Umfeld einer Theologie des AT, „... ob die Darstellung die glaubensmäßige Verwurzelung des Verfassers erkennen lassen solle oder eben überkonfessionell sein müsse“ (Wege, 84), ist damit aber einer der wenigen, die das Thema überhaupt explizit ansprechen. Zur rechenschaftsfähigen Reflexion des eigenen Vorverständnisses, die sozusagen als Grundvollzug der Hermeneutik gelten kann, gehört aber die Reflexion des eigenen „Bekenntnisstandes“ unbedingt dazu, sollen nicht der eigene Glaube und die eigene konfessionelle Prägung die exegetische Arbeit nur „durch die Hintertür“ beeinflussen. 28 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6. 27
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„Konfession“ im Prozess der Exegese eine Rolle, und welchen Beitrag leistet insbesondere die alttestamentliche Bibelwissenschaft zu einer christlichen Theologie?29 Daran anschließend stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von Altem und Neuem Testament zu bestimmen ist. Im Zuge der genauen Beschreibung dieses Problems und der Suche nach angemessenen Lösungen werden die unterschiedlichen Möglichkeiten der Rezeption alttestamentlicher Texte im Neuen Testament in den Blick genommen. Martin Luther wird dann als Beispiel für eine differenzierte (wenn auch nicht immer unproblematische) Heranziehung des Alten Testaments für die christliche Theologie dargestellt. Sodann kommt die Linie derjenigen Denker in den Blick, die – angefangen bei Marcion – die Gültigkeit alttestamentlicher Texte für den christlichen Glauben bestritten haben. Dies mündet in der Auseinandersetzung mit der „Provokation“ Notger Slenczkas. Hieran knüpft dann eine Darstellung und Auseinandersetzung an mit zahlreichen Positionen, die angefangen in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts bis in die neueste Gegenwart nach einer positiven Verhältnisbestimmung der beiden Teile der christlichen Bibel fragen, beziehungsweise um eine historisch redliche und zugleich theologisch sachgerechte Rezeption alttestamentlicher Texte in der christlichen Theologie bemüht sind. Dies mündet in der Frage, inwieweit auch das Alte Testament als Wort Gottes an Christinnen und Christen gelesen werden kann.30 Nun sind allerdings Kategorien wie „Schriftprinzip“ oder „Wort Gottes“ in der neuzeitlichen Theologie in die „Krise“ geraten. Religion scheint in erster Linie eine Funktion des menschlichen Bewusstseins und weniger das Ergebnis einer Begegnung mit einem extra nos zu sein. Umso lohnender ist eine Auswertung neuerer Versuche (auch in der systematischen Theologie), unter heutigen geistes- und theologiegeschichtlichen Bedingungen das „Wort Gottes“ als eine grundlegende theologische Kategorie wiederzugewinnen. Dies führt zu Überlegungen, wie neu nach dem Stellenwert der Bibel für Theologie und Kirche gefragt werden kann und was die Kategorie „Wort Gottes“ zu leisten vermag. Die alttestamentliche Exegese kann zu diesem Reflexionsgang die Beobachtung beitragen, dass die Rede vom Wort Gottes in der Gestalt des debār YHWH jedenfalls ihren Ursprungsort im Alten Testament hat.31 Eine systematische Untersuchung zur Verwendung der Formel debār YHWH innerhalb des Alten Testaments und der damit zusammenhängenden Frage danach, ob es so etwas wie ein Selbstverständnis alttestamentlicher Texte oder Textbereiche als „Wort Gottes“ gibt, liegt bisher nicht vor. Bei einer genaueren exegetischen Untersuchung entsprechender Texte zeigt sich, dass „Wort Gottes“ für die innere Logik des Alten Testaments eine bestimmende Kategorie
Vgl. Kapitel 1. 30 Vgl. Kapitel 2. 31 Vgl. Kapitel 3. 29
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Einleitung
ist. Dazu werden redaktionelle Schlüsseltexte aus allen Textbereichen des Alten Testaments in den Blick genommen, die den Schluss nahelegen, dass zumindest in einem späten Stadium der Redaktion einzelner alttestamentlicher Buchteile, Bücher, aber auch schon Vorstufen des Kanons und schließlich im Zuge der Kanonkomposition eine theologische Perspektive vorherrschte, die weite Teile des späteren Alten Testaments, beziehungsweise der Hebräischen Bibel als Wort Gottes/debār YHWH verstand. Ausgangspunkt sind Formulierungen in den Prophetenbüchern. Es lassen sich aber auch Texte mit einer entsprechenden hermeneutischen Leitfunktion im sog. „Deuteronomistischen Geschichtswerk“, in den Psalmen, in der Tora und in weisheitlichen Texten ausmachen. Hier liegt ein Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung.32 Ausgehend von solchen Texten, die Wort Gottes/debār YHWH an redaktionellen Schlüsselstellen thematisieren, liegt der Schluss nahe, dass über der Sammlung der alttestamentlichen Schriften sozusagen ein redaktionell gewobenes intertextuelles Netz liegt. Eine solche „intertextuelle Kanonizität“ lässt sich bereits für das im Werden befindliche Alte Testament, beziehungsweise die Hebräische Bibel erkennen und verdankt sich nicht ausschließlich der Leseweise späterer Rezeptionsgemeinschaften. Das Phänomen „Kanon“ im Sinne einer strukturierten und komponierten Sammlung spielt also für eine Gesamtperspektive eine nicht unerhebliche Rolle.33 Lässt sich also zeigen, dass in einer bestimmten kanonischen Lesart ein Verständnis (zumindest weiter Teile) des Alten Testaments als „Wort Gottes“ zu erheben ist, so schließt daran die Frage nach der Gottesvorstellung an. Welcher Gott macht da „Worte“? Ist überhaupt für das ganze Alte Testament davon auszugehen, dass die Rede von „Gott“ sich stets auf einen mit sich selbst identischen Gott bezieht angesichts der Fülle von Gottesbezeichnungen und -vorstellungen? Das Problem verschärft sich, wenn man religionsgeschichtliche Erkenntnisse aus inschriftlichen und ikonographischen Quellen heranzieht. Inwiefern ist angesichts der erkennbaren Disparatheit der Rede von Gott schon innerhalb des Alten Testaments von einer einheitlichen Gottesvorstellung auszugehen? Unter welchen (geistes-)geschichtlichen Bedingungen ist es denkbar, dass unterschiedliche Texte wie das Buch Deuteronomium, die Psalmen, der Prophet Amos oder das Hiobbuch als Wort eines Gottes verstanden werden? Geht das Wort Gottes stets auf denselben „Gott des Wortes“ zurück? Die Vielfalt der unterschiedlichen Aspekte der Rede von Gott und die disparaten Vorstellungen, die dahinter liegen, lassen sich nicht leugnen. Es stellt vielmehr einen Erkenntnisgewinn dar, diese Vielfalt wahrzunehmen. Allerdings ergeben diese ganz unterschiedlichen Bilder Gottes im Kontext eines „aspektivischen“
Vgl. Kapitel 4. 33 Vgl. Kapitel 5. Dabei können sich je nach Anordnung, Umfang oder der gewählten hermeneutischen Leitkategorie durchaus sehr unterschiedliche Gesamtperspektiven auf die gleiche Textsammlung ergeben. 32
Einleitung
9
Zugriffs auf die Wirklichkeit doch wieder eine Einheit, die in sich keineswegs widerspruchsfrei sein muss, aber eben so ein Ganzes darstellt. Auch hierfür ist die Komposition von Einzeltexten zu einem Kanon ein wichtiger Faktor. Entscheidend ist dabei, dass jeweils jüngere Gotteskonzepte ältere nicht einfach ablösen, sondern ergänzen. Scheinbar disparate Texte treten dabei in einen fruchtbaren Dialog und sind Ausdruck einer theologischen Reflexionsgeschichte zu einem aspektivischen Ganzen. Dies führt über das Alte Testament hinaus und lässt sich in christlicher Lesart ins Neue Testament hinein fortsetzen: Wie verhält sich die Vielfalt des Redens von Gott im Alten Testament zu der christologisch fokussierten Vorstellung von Gott im Neuen Testament? Die Antwort liegt in der Möglichkeit, gerade die Vielfalt, die doch als je unterschiedlicher Ausdruck des einen Gottes gilt, der durch sein Wort redet, als angemessene Rede über eine Größe „Gott“ zu verstehen.34
34
Vgl. Kapitel 6.
Kapitel 1
Grundfragen Wenn hier nach der Rolle der alttestamentlichen Exegese im Ganzen der Theologie gefragt wird, dann ist es unerlässlich nach der Bedeutung der Bibel für die Christenheit zu fragen. Aus Sicht der Exegese (des Alten Testaments) ist auch dies immer wieder neu zu reflektieren und klar zu artikulieren: Welches Gewicht kommt ihrem Gegenstand, den biblischen Texten, im Kontext des christlichen Glaubens und der Theologie als seiner rechenschaftsfähigen Selbstreflexion zu? Die klassischen Antworten auf diese Frage, die sich in Begriffen wie „Heilige Schrift“, „Wort Gottes“, „Kanon“ oder „Wort des Glaubens“ manifestieren, müssen von der exegetischen Wissenschaft in ihrem Verhältnis zum tatsächlichen Vollzug historisch-kritischer Forschung befragt werden. Zugleich muss umgekehrt nach der Relevanz der Exegese im Vollzug für das Verständnis, aber auch den Gegenwartsbezug, den die Christenheit ihrer Offenbarungsurkunde zumisst, gefragt werden.
1.1 Exegese im Zeichen des klassischen Schriftprinzips 1.1 Exegese im Zeichen des Schriftprinzips
Mit der Verortung der Fragestellung im Rahmen der christlichen Theologie ist – ebenso wie mit der Bezeichnung der hier in Rede stehenden Schriftensammlung als „Altes Testament“ – bereits ein Standpunkt der Untersuchung beschrieben. Die Christenheit hat sich im Laufe ihrer Geschichte in unterschiedliche Konfessionen ausdifferenziert, sodass die Kirche immer nur in den Kirchen fassbar wird. Somit wird aber auch Theologie unvermeidlich immer perspektivisch betrieben. Im Laufe dieser Arbeit wird bewusst die Perspektive der evangelisch-lutherischen Theologie eingenommen. Dies geschieht nicht, um diesen konfessionellen Standpunkt zu verabsolutieren, sondern um den theologischen Standpunkt sichtbar und damit diskutabel zu machen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Erkennbarkeit der eigenen konfessionellen Herkunft und Beheimatung eine kritische Reflexion derselben und eine Gesprächsfähigkeit mit anderen Perspektiven ermöglicht. Die Christenheit bezieht sich
12
1. Kapitel: Grundfragen
in ihren großen Grundausrichtungen orthodox, katholisch1, protestantisch2 und den jeweiligen Denominationen immer basal auf die Bibel als normative Urkunde. Auch und gerade in dieser gemeinsamen Bezugsgröße, der Heiligen Schrift, liegt die Hoffnung, dass ökumenische Verständigung möglich ist. Die Reflexion und Darlegung der je eigenen Perspektivität soll dabei möglichst nicht zu einer konfessionellen Verengung, sondern zu ökumenischer Gesprächsfähigkeit führen.3 So wollen auch die expliziten Bezugnahmen auf die lutherische Tradition in dieser Arbeit verstanden werden. Die unbedingte Vorrangstellung der biblischen vor allen anderen Überlieferungen der Christenheit wird in der letzten der lutherischen Bekenntnisschriften, der Konkordienformel von 1577 wie folgt formuliert: Wir gleuben, leren und bekennen, Das die einige Regel und Richtschur, nach welcher zugleich alle Leren und Lerer gerichtet und geurteilet werden sollen, seind allein die Prophetischen und Apostolischen Schrifften, altes und neues Testaments, wie geschrieben stehet: ‚Dein Wort ist meines fusses Leuchte und eine Liecht auff meinem wege‘, Psal. 119. Und S. Paulus: ‚Wenn ein Engel vom Himel keme und predigte anders der sol verflucht sein‘, Galat. 1. Andere schriftten aber der alten oder neuen Lerer, wie sie namen haben, sollen der heiligen Schrifft nicht gleich gehalten, sondern alle zumal mit einander derselben unterworffen und anders oder weiter nicht angenommen werden, dann als zeugen, welcher gestalt nach der Apostel zeit und an welchen örten solche Lere der Propheten und Apostel erhalten worden.4
Es folgt dann in diesem als „Summarischer Begriff“ bekanntgewordenen Einleitungstext der FC die Aufzählung der drei altkirchlichen Bekenntnisse Apostolikum, Nicänum und Athanasianum, sowie der bis dahin verfassten lutherischen Bekenntnisschriften, nämlich des Augsburger Bekenntnisses und seiner Apologie, der Schmalkaldischen Artikel5 und des Kleinen und Großen Katechismus Martin Luthers. Aber selbst von diesen für die Lutherische Kirche bis heute grundlegenden Explikationen des Glaubens gilt: Solcher gestalt wird der Unterschied zwischen der heiligen Schrifft, altes und neuen Testamentes, und allen anderen Schrifften erhalten und bleibt allein die heilige Schrifft der einig
Zu katholischen Perspektiven vgl. z.B. die Beiträge in ROTHENBUSCH/RUHSDORFER (Hg.), Eingegeben; DOHMEN, Hermeneutik, 195–202 oder LAUSTER, Prinzip, 346–400. 2 Zu reformierten Perspektiven vgl. z.B. R OHLS, Theologie; SLENCZKA, Theologie, 229– 256. 3 Jedenfalls ist dies der Anspruch der Confessio Augustana, die als lutherisch-reformatorisches Grundbekenntnis am Ende von Artikel 21 als Beschluss des ersten Teils festhält, dass die bis hierher dargestellt Lehre „inn heiliger schrifft klar gegründ und dazu auch gemeiner Christlicher, ja auch Römischer kirchen, soviel aus der Veter schrifft zuveremercken, nicht zu wider noch entgegen ist“ (BSELK, 130). 4 BSELK, 1216. 5 Dass die Schmalkaldischen Artikel hier Erwähnung finden, ist bemerkenswert, denn sie waren bis zu ihrer Aufnahme in das Konkordienbuch von 1580 nicht in allen lutherischen Territorien einmütig als Bekenntnis rezipiert worden, vgl. FÜHRER, Die Schmalkaldischen Artikel. 1
1.1 Exegese im Zeichen des Schriftprinzips
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Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probirstein sollen und müssen alle Leren erkannt und geurteilet werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein. Die andere Symbola aber und angezogenen Schrifften sind nicht Richter wie die heilige Schrifft, sondern allein zeugnis und erklerung des glaubens, wie jederzeit die heilige Schrifft in streitigen Artickeln in der Kirchen Gottes von den damals lebenden verstanden und ausgeleget, und derselben widerwärtige Leer verworffen und verdammet worden.6
Dieser „Summarische Begriff“ stellt die einzige explizite Thematisierung der Bibel in den lutherischen Bekenntnissen dar, wenn auch sonst die höchste Autorität der Heiligen Schrift vor allen anderen kirchlichen Lehren vorausgesetzt ist. Das sola scriptura bestimmt alle Bekenntnistexte der Lutherischen Kirche als Subtext.7 Der Sache nach gilt die hier ausgedrückte Vorrangstellung der biblischen Überlieferung für die gesamte evangelische Christenheit und nicht nur für die lutherische Theologie und Kirche. Ausgesagt wird hier zunächst, dass die Heilige Schrift allein Kanon im Wortsinn, nämlich Maßstab aller kirchlichen Lehre ist. Dabei wird auf eine formale Kanonliste verzichtet. Die Freiheit Martin Luthers etwa im Umgang mit den sog. Apokryphen oder in der Umstellung des neutestamentlichen Kanons bleibt erhalten. Mit der Zeit wird sich die inhaltliche Beschränkung des alttestamentlichen Schriftteils auf den Umfang der Hebraica in der Anordnung der Septuaginta beziehungsweise Vulgata durchsetzen, ohne dass in den lutherischen Kirchen darüber je eine Entscheidung gefällt worden wäre. Wenn demnach hier keine formale Lehrfeststellung über den Umfang des Kanons geschieht, so ist doch selbstverständlich, dass die Heilige Schrift aus Altem und Neuem Testament besteht. Das wird ausdrücklich gesagt und durch Zitate aus Ps 119 und Gal 1 sozusagen in usu vorgeführt. Eine Verwerfung des Alten Testaments hat die Reformation zu keinem Zeitpunkt erwogen, wohl aber gibt es schon bei Luther erhebliche hermeneutische Bemühungen um ein angemessenes Verständnis des Alten Testaments in christlicher und immer wieder auch christologischer Perspektive.8 Bemerkenswert sind hier die schrifttheologische Begründung und Begrenzung aller theologischen Lehre. Das gilt natürlich für die in Schrift und Tradition gegründeten Lehren der Altgläubigen, an der sich die lutherische Reformation ja ursprünglich entzündete. Das gilt für die divergierenden innerlutherischen Lehrpositionen, die im Vorfeld der Konkordienformel zu beinahe schismatischen Verwerfungen geführt hatten und durch die FC ja gerade
BSLEK, 1218. 7 Vgl. W ENZ, Theologie 1, 166–192, sowie zum Verhältnis des Schriftgebrauchs der Bekenntnisse zur modernen Exegese BEHRENS, Aspekte, 89–99. 8 Zu Luthers Hermeneutik vgl. B ORNKAMM (Hg.), Vorreden; zum Alten Testament: LUTHER, Unterrichtung (1525), WA 24, 2–16, sowie BORNKAMM, Luther und das Alte Testament; vgl. ausführlich Kapitel 2.4. 6
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1. Kapitel: Grundfragen
geschlichtet werden sollten9, das gilt aber auch für das lutherische Lehrganze. Hier, in der Aufzählung des Summarischen Begriffs der FC finden sich genau diejenigen Schriften, die dann 1580 zusammen mit der Konkordienformel zum Konkordienbuch zusammengefasst werden und bis heute die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche ausmachen. Aber bereits hier, sozusagen im status nascendi, wird diese Sammlung verbindlicher Lehrtexte selbst wieder neu und auf Dauer der Heiligen Schrift gegenübergestellt und unterstellt. Das Miteinander von Schrift und Bekenntnis ist damit immer nur in einem Gegenüber von Schrift und Bekenntnis zu haben, mit einem deutlichen Übergewicht aufseiten der Schrift. Dies bedeutet für die Kirchen des lutherischen Bekenntnisses bis heute eine nicht leicht zu bewältigende hermeneutische Dauerreflexion. Denn einerseits gelten ja die Bekenntnisse mit der Zentralstellung der Rechtfertigungslehre bis heute als sachgemäße Explikation der biblischen Wahrheit und stellen somit in gewisser Weise eine Leseanleitung für die Bibel dar. Andererseits müssen die Bekenntnisse selbst immer wieder auf ihre Schriftgemäßheit befragt werden. Denn – auch das halten die Verfasser der Konkordienformel klar fest – alle theologischen Lehren, auch die Bekenntnisse der Kirche, drücken aus „wie jederzeit die heilige Schrifft […] verstanden und ausgeleget“ wurde. Jede Generation muss sich die Aussagen der Bekenntnisse in ihrer Zeit neu aneignen, um darin einstimmen zu können. Dazu bedarf es eines dauerhaften hermeneutischen Zwiegesprächs mit den biblischen Texten, das trotz seines unvermeidlich dialogischen Charakters die Reihenfolge von norma normans und norma nomata nicht umkehren darf. Dies ist ein hochkomplexer Vorgang und es ist danach zu fragen, welche Rolle der Exegese als „historischer Sinnbestimmung“10 biblischer Texte in diesem Prozess zukommt. Der Summarische Begriff der FC beantwortet nicht die Frage, warum der Schrift eine solche Vorrangstellung vor jeder anderen kirchlichen Lehre zukommt. Die Bekenntnisse insgesamt entfalten keinen Artikel de sacra scriptura. Dennoch herrscht ein bestimmtes Verständnis, was die Bibel sei. Dem ist auf die Spur zu kommen, wenn man die zitierten Sätze aus der sog. Epitome, der Kurzfassung der Konkordienformel, mit dem entsprechenden Text in der Solida Declaratio, der ausführlicheren Darlegung vergleicht. Dort heißt es mit Berufung auf Luther, „das alleine Gottes Wort die einige Richtschnur und Regel aller Lehr sein und bleiben solle, welchem keines Menschen Schrifften gleich geachtet, sondern demselben alles unterworffen werden sol“11. Was in der Epitome mit Heiliger Schrift Alten und Neuen Testaments bezeichnet wird, heißt hier Gottes Wort. Heilige Schrift und Gottes Wort können promiscue
Vgl. KOLB, Konkordienformel. 10 Vgl. die klassische Definition bei STECK, Exegese, 3: „Exegese des AT ist das Bemühen um die historische, wissenschaftlich ausgewiesene Sinnbestimmung von Texten, die im AT überliefert sind.“ 11 BSELK, 1314. 9
1.1 Exegese im Zeichen des Schriftprinzips
15
gebraucht werden. Dabei wird nicht darüber gehandelt, was die Bibel zu Gottes Wort macht oder in welcher Hinsicht diese Bezeichnung zu verstehen ist. Mit der vorreformatorischen christlichen Tradition wird wohl selbstverständlich eine Inspiration oder Geistgewirktheit der Schrift angenommen. Dennoch wird keine Verbalinspirationslehre im Sinne der späteren Orthodoxie im Bekenntnis entfaltet, und es ist auch nicht einfach davon auszugehen, dass eine solche in vollem Umfang hier bereits impliziert ist. 12 Festzuhalten bleibt, dass die Heilige Schrift als Altes und Neues Testament ihre Autorität gegenüber allen anderen kirchlichen Lehren daraus gewinnt, dass sie als Gottes Wort gilt. Es ist nun weiter danach zu fragen, was das heißt und wie diese Beschreibung der Bibel auch heute im Hinblick auf historische Exegese im Rahmen der Theologie eine Rolle spielt. Noch einmal sei dabei einem Hinweis gefolgt, den die Formulierungen der Konkordienformel geben. Wie alle Artikel dieser Bekenntnisschrift wird auch der Summarische Begriff mit den Worten eingeleitet: „Wir glauben, lehren und bekennen ...“.13 Die Aussage, dass die Bibel als Gottes Wort die oberste Norm aller kirchlichen Lehre ist, ist zunächst ein Glaubenssatz. Er gründet in einer geistgewirkten Erfahrung, die sich im „Wir“ sogleich überindividuell ausdrückt. Als solche unter den einzelnen Glaubenden zu kommunizierende und zu teilende Erfahrung ist sie in Gestalt der Lehre auch zu reflektieren und intersubjektiv darzulegen. Dabei bleibt die Reflexion in Form der Lehre, man könnte auch sagen: der Theologie ein dem Glauben nachfolgender Akt. Als Glaubenssatz kann die Aussage über die Schrift als Gottes Wort nie einen objektiven Charakter im Sinne eines Naturgesetzes haben. Die Einsicht in den Charakter des Alten und Neuen Testaments als „Gottes Wort“ bleibt immer ein Glaubenssatz, der von der Glaubensgemeinschaft dann aber reflektiert und kommuniziert werden kann. Schließlich wird diese Aussage für die Glaubensgemeinschaft, die ihr zustimmt, zu einer rechenschaftsfähigen und verbindlichen Aussage in Form eines Bekenntnisses. Dies gilt hier zunächst für diejenigen, die die Konkordienformel unterschrieben und damit als verbindliches Bekenntnis rezipiert haben. Insgesamt aber ist die wie auch immer zu bestimmende Verbindung von Heiliger Schrift und Gottes Wort ein Glaubenssatz der ganzen Christenheit.14 Insofern lässt sich die konfessionelle lutherische Position zur Heiligen Schrift, wie sie in der Formulierung der Konkordienformel festgehalten wird, doch als ein bestimmter Ausdruck der abendländischen Theologiegeschichte insgesamt lesen.
Vgl. WENZ, Theologie 1, 187. 13 Vgl. zu solchen konfessorischen Formeln K LÄN, LuThK 19 (1996), 2–28. 14 Zur Stellung der Bibel in der Ökumene, insbesondere in der zeitgenössischen römischkatholischen Kirche: LAUSTER, Prinzip, 346–400; DOHMEN, Hermeneutik, 195–202; sowie die Beiträge in LEHMANN/ROTHENBUSCH (Hg.), Gottes Wort in Menschenwort.; ROTHENBUSCH/RUSTORFER (Hg.), Eingegeben. 12
16
1. Kapitel: Grundfragen
Daraus ergibt sich für die Theologie insgesamt die Frage, wie der Charakter der Bibel als Gottes Wort auch im 21. Jahrhundert möglichst rechenschaftsfähig zu bestimmen ist; aber ebenso, inwiefern dieser Glaubenssatz, der ja innerhalb der Christenheit eine fundamentale Bestimmung der Bibel als Grundurkunde bedeutet, für die Exegese eine Rolle spielt oder überhaupt spielen sollte. Dies gilt unbeschadet dessen, dass Exegese hinsichtlich der einzelnen Arbeitsschritte nicht einer besonderen „theologischen“ Methode folgt, sondern mit Fragestellungen arbeitet, die prinzipiell an jeden (historischen) Text gestellt werden können. Aber es ist danach zu fragen, inwieweit das Selbstverständnis der Exegetinnen und Exegeten als Theologinnen und Theologen, das nur in einer Selbstbestimmung als Christinnen und Christen wurzeln kann, als Teil eines nicht einfach abzulegenden, wohl aber darzulegenden Vorverständnisses für den Vorgang der Exegese eine Rolle spielt und wie diese Rolle zu bestimmen ist.
1.2 Die Bibel als Wort Gottes und Text15 1.2 Bibel als Wort Gottes und Text
Wenn jetzt nach Möglichkeiten gefragt wird, den Charakter der Bibel als Wort Gottes angemessen zu bestimmen, dann ist zuerst danach zu fragen, inwieweit die Austauschbarkeit der Begriffe „Heilige Schrift“ und „Wort Gottes“, wie sie sich in der Konkordienformel findet, heute noch zu teilen ist. Die Einsicht in die geschichtliche Bedingtheit biblischer Wortlaute als von Menschen geschriebenen und überlieferten Texten wird durch die Ergebnisse der modernen Exegese und anderer Disziplinen immer neu bestätigt. Angesichts dessen ließe sich formulieren, die Bibel enthalte beziehungsweise bezeuge das Wort Gottes oder werde in der konkreten existenziellen Begegnung zum Wort Gottes. Die Impulse solcher Formulierungen aufnehmend ist dennoch dabei zu bleiben, dass die Bibel das Wort Gottes ist. Dies kann nicht im Sinne einer mathematischen Gleichung gelten, denn solche Gleichungen sind umkehrbar. Nach dem Verständnis der christlichen Theologie geht aber das Wort Gottes nicht in seiner biblischen Gestalt auf, sondern auch das menschgewordene Wort Jesus Christus ist Gottes Wort (Joh 1,14). Aber auch die lebendige Verkündigung, die im biblischen Gotteswort seinen Ausgang nimmt und Glauben an den in den biblischen Texten bezeugten Gott wecken will, ist selbst eine Gestalt des Wortes Gottes.16 Dennoch ist der Fleisch gewordene Logos selbst für die Glaubenden nicht mehr ein gegenwärtig-empirisches Gegenüber. Die aktuale Ver-
Hier wird zunächst eine erste Positionierung in Grundfragen vorgenommen; vgl. ausführlich Kapitel 3. 16 Dies gilt dann auch für die Sakramente als Gnadenmittel, nämlich Taufe, Abendmahl und den Zuspruch der Vergebung in der Beichte. Vgl. insgesamt JOEST/LÜPKE, Dogmatik I, 55–58. 15
1.2 Bibel als Wort Gottes und Text
17
kündigung ergeht je und dann in konkrete Situationen hinein und erfüllt ihre Aufgabe „wo und wann es Gott gefällt“ (CA V). Daher kommt dem Wort Gottes in Gestalt der Heiligen Schrift, die der ganzen Christenheit gegenwärtig ist und die gelesen, verstanden und ausgelegt werden kann, eine besondere Bedeutung zu.17 Dabei gelten für die neutestamentlichen Verfasser zuerst ausschließlich die alttestamentlichen Schriften als solches Wort Gottes. Die Formulierung, die Bibel enthalte oder bezeuge das Wort Gottes, ist aus unterschiedlichen Gründen problematisch. Zum einen gibt es kein Kriterium, nach dem innerbiblisch zwischen einem Sachgehalt („Wort Gottes“) und einer bloßen Form („biblische Texte“) unterschieden werden könnte. Gottes Wort „an sich“ oder „als solches“ ist ohne den Text nicht greifbar und auch ohne den Text nicht gegenwärtig. Dennoch gibt die Redeweise, die Bibel bezeuge das Wort Gottes einen wichtigen Impuls. Denn in jedem Fall ist daran festzustellen, dass auch die Bibel einen Verweisungszusammenhang darstellt. Das biblische Gotteswort führt Menschen, denen sich seine Bedeutung erschließt, zum Glauben an Gott als einer Größe, die mit der Bibel nicht identisch ist.18 Es ist festzuhalten, dass Christinnen und Christen nicht „an die Bibel“ glauben, sondern an den dreieinigen Gott. Daher kann die Aussage, die Bibel sei das Wort Gottes, auch keine a priori Festlegung auf irgendwelche Eigenschaften wie „Widerspruchsfreiheit“ oder „Irrtumslosigkeit“ bedeuten. Die Beschreibung der Bibel als Gottes Wort bedeutet auch nicht, dass alle darin geschilderten Ereignisse nun als historisch zutreffend oder tatsächlich geschehen (was immer das bedeuten sollte) zu gelten haben.19 Vielmehr wird Gottes Wort ein richtiges Buch, mit einer Geschichte, die genau wie die aller anderen Bücher nachvollzogen werden kann. Aber eben genau in dieser Gestalt und mit dieser Geschichte ist die Bibel Gottes Wort. Als Analogie kann die Zwei-Naturen-Lehre aus der Christologie dienen. „Das Wort ward Fleisch“ (Joh 1,14) gilt analog auch für das zum Text gewordene Gotteswort.20
Dabei kann die Frage nach dem Umfang und der Textgestalt der christlichen Bibel hier zunächst nur pragmatisch beantwortet werden. Bei allen Unterschieden gibt es doch einen gemeinsamen Bestand an Schriften, die in allen Konfessionen als „Bibel“ gelten. 18 Dazu SCHWÖBEL, Erwartungen, 167: „Die Referentialität des Textes auf eine extratextuelle Wirklichkeit […] ist insofern die Bedingung für alle intertextuellen Bezüge, die niemals nur Beziehungen zwischen Texten, sondern stets zwischen Texten im Blick auf die von ihnen referentiell in Anspruch genommene Wirklichkeit sind.“ 19 Vgl. B EHRENS/SMIT/LEONHARDT, Art. Fundamentalistische Bibelhermeneutik(en), 186–188. 20 Vgl. SASSE, Lehre, 222–225. Wichtig ist allerdings, dass es sich hier tatsächlich um eine Analogie handelt: „Die kommunikative Einheit von Gottes Wort und Menschenwort ist zu unterscheiden von der personalen Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus“ (JOEST/LÜPKE, Dogmatik I, 57); denn Christus ist als die zweite göttliche Person selbst Gegenstand des Glaubens. „Zugleich ist in dieser Unterschiedenheit der überaus enge Zusammenhang zu bedenken. Die Schrift ist das Medium, in dem Gott und Mensch zusammenkommen. 17
18
1. Kapitel: Grundfragen
Zum Zweiten ist die Rede davon, dass die Bibel Gottes Wort enthalte, problematisch, wenn damit die materiale Aussonderung eines „Kanons im Kanon“ verbunden wird.21 Es ist richtig, dass für die Christenheit die Bibel mit dem „Evangelium“, mit dem „was Christum treibet“ oder einfach mit „Christus als Mitte“ einen zentralen Inhalt hat und dass nicht alle biblischen Aussagen in gleicher Nähe zu diesem zentralen Inhalt stehen. Zugleich ist aber festzuhalten, dass alle diese Begriffe Chiffren sind, die der Entfaltung in konkreten Auslegungszusammenhängen bedürfen. So ist insbesondere das Alte Testament vom „Evangelium“ her gesehen (das ja stricte dicta ein neutestamentlicher Inhalt ist) nicht weniger Wort Gottes als das Neue. Und auch wenn man Luthers Skepsis gegenüber dem Jakobusbrief teilt, so sind doch Zusammenhänge denkbar, in denen das Festhalten an der Rechtfertigung „allein aus Gnaden“ (Röm 3,28) des ergänzenden Hinweises bedarf, dass der Glaube ohne Werke tot ist (vgl. Jak 2,17).22 So bleibt es dabei, dass die ganze Bibel Gottes Wort ist, wenn oft auch so, dass hier unterschiedliche theologische Entwürfe in ein Gespräch miteinander treten, das gelegentlich als Streitgespräch geführt wird. Gerade im Alten Testament lässt sich das beobachten.23 In den immer neuen intertextuellen Bezugnahmen biblischer Texte aufeinander ergibt sich aus der Vielfalt der biblischen Schriften die Einheit der Schrift, die aber eben keine starre, sondern eine dynamische, weil dialogische Einheit ist.24 Die Aussage, dass die Bibel dem Menschen zum Wort Gottes werde, weist auf den Anredecharakter der biblischen Texte hin. Sie sind nicht lediglich Zeugnisse einer vergangenen Kultur und Religion, sondern erreichen heute noch Menschen. Diese Worte stellen das Dasein von heutigen Menschen vor
Sie bringt zur Sprache, wie es um den Menschen vor Gott steht und wer Gott für den Menschen ist. Und sofern dieses Verhältnis zwischen Gott und Mensch durch die Sünde zum Missverständnis geworden ist, von Seiten des Menschen aber nicht in Ordnung gebracht werden kann, liegt die Bedeutung der Bibel eben darin, dass sie den Menschen ins rechte Verhältnis zu Gott setzt“ (ebd.). 21 Dazu JOEST/LÜPKE, Dogmatik I, 63f.: Wir sollten „uns vor dem Versuch einer formalen Ausgrenzung des ‚Kanons im Kanon‘ warnen lassen; vor einer Grenzziehung also, die, indem sie bestimmt, was zu dem eigentlich maßgebenden Bestand des Neuen Testamentes gehört, zugleich negativ festlegen möchte, was definitiv nicht zu ihm gehören kann. Wer aus dem Neuen Testament das Evangelium von Jesus Christus gehört hat, wird in demselben Neuen Testament manches finden, was ihm ohne Beziehung zu diesem Evangelium oder sogar ihm widersprechend erscheint. Aber vor der ausschließenden Kritik sollte der Vorbehalt stehen: Was mir nichtssagend oder mit dem, wie ich dieses Evangelium gehört habe, nicht zu vereinbaren erscheint, könnte in anderen Kontexten dennoch von diesem selben Evangelium her sprechend gewesen sein und nicht zuletzt auch für mich selbst noch einmal sprechend werden.“ 22 Vgl. DA SILVA, LuThK 40 (2016), 25–45. 23 Vgl. JOEST/LÜPKE, Dogmatik I, 60f.; SEILER/SÄNGER, Art. Intertextualität (AT/NT), 300–302. 24 Vgl. O EMING, Dauerreflexion, 263–274.
1.3 Die Inspiration der Bibel
19
das Angesicht Gottes, weisen Schuld auf, trösten, machen gewiss, stärken oder geben Weisung für die Lebensgestaltung. In alle dem wird ein biblischer Text tatsächlich in Form der existenziellen Betroffenheit zum Wort Gottes für einen Menschen. In der Tat gäbe es das Bekenntnis zur Bibel als Wort Gottes ohne diese Erfahrung des Getroffenseins nicht.25 Zugleich hat aber das Bekenntnis zur Bibel als Wort Gottes notwendigerweise eine überindividuelle Dimension. Die Christenheit als Rezeptionsgemeinschaft derjenigen, die vom Wort getroffen sind (also glauben), bekennt nun zugleich, dass die Bibel Gottes Wort ist, auch wenn sich gerade keine persönliche Erfahrung einstellt. Dies kann für glaubende Menschen eine Hilfe sein, an der Zuverlässigkeit der biblischen Heilszusagen festzuhalten, auch wenn die persönlichen Erfahrungen momentan andere sind. Darüber hinaus hält die christliche Theologie daran fest, dass die Bibel auch dann wirksames Gotteswort ist, wenn sich bei Menschen keine existenzielle Erfahrung einstellt, ja wenn das Wort auf Gleichgültigkeit oder Ablehnung stößt. Dieses Verständnis vom Wort Gottes findet sich bereits in der Bibel selbst, etwa in den sog. „Verstockungsaussagen“ im Hinblick auf den Pharao oder bei Jesaja (Jes 6,8ff.), die im Neuen Testament in der markinischen Gleichnistheorie (Mk 4,10–12) aufgenommen werden.26
1.3 Die Frage der Inspiration der Bibel 1.3 Die Inspiration der Bibel
Insgesamt ist die Bezeichnung der biblischen Schriften als Wort Gottes nicht in einem objektiven Sinne begründbar. Die Aussage bleibt – in allen ihren Spielarten – ein Glaubenssatz.27 Diese Glaubensaussage verdankt sich der Gewissheit, dass die Worte der biblischen Texte heute noch Menschen in unumgehbarer Weise auf ihr Gottesverhältnis ansprechen und dieses Gottesverhältnis durch die treffende Anrede als Gesetz und Evangelium qualifizieren. Diese Erfahrung ist einerseits eine zutiefst individuelle (pro me), führt aber andererseits zugleich in die Gemeinschaft der Glaubenden, die dann diese Erfahrung als überindividuelles Bekenntnis ausspricht.28 Die Christenheit be-
Hier liegt auch ein Wahrheitsmoment der klassischen Verbalinspirationstheorie: „Man kann die supranaturalen Entstehungstheorien der Bibel verstehen, wenn man sie versteht als Ausdruck der Erfahrung der Überzeugungskraft der biblischen Schriften und als Erkenntnis davon, dass kein Mensch die Geschichten der Bibel erzählen kann, der nicht in sie verwickelt ist“, so SCHNEIDER-FLUME, Grundkurs, 81. 26 Vgl. SCHÖPFLIN/B ACHMANN, Art. Verstockung, 642–644; D IETRICH, Art. Verstockung. 27 „Die Anerkennung der Schrift als Gottes Wort gründet in der Erfahrung ihrer Glauben schaffenden Wirksamkeit“ (JOEST/LÜPKE, Dogmatik I, 56). 28 Vgl. neben der konfessorischen Formel „Wir glauben, lehren und bekennen ...“ in der FC auch den Beginn der CA: „Ecclesiae magno consensu apud nos docent ...“ (BSELK, 93), womit der überindividuelle Charakter des Bekennens benannt ist, was zugleich dem 25
20
1. Kapitel: Grundfragen
schreibt diesen Gesamtzusammenhang, der einzelne zum Glauben und die Gemeinschaft der Glaubenden zum Verständnis der Bibel als Wort Gottes führt, als ein Wirken des Heiligen Geistes. Die Aussage, die Bibel sei Wort Gottes, ist somit schon ein Ergebnis der Selbstdurchsetzung des Gotteswortes. Man kann hier von der Autopistie der Schrift reden, vom testimonium spiritus sancti internum oder davon, dass Gott sich in seinem Sein für die Menschen durch den heiligen Geist selbst erschließt.29 Dabei ist diese Selbsterschließung Gottes nicht lediglich ein spiritueller oder ein mystischer Akt. Vielmehr geschieht er durch das Medium der biblischen Texte. Der beschriebene Charakter des Wortes Gottes beinhaltet nun keineswegs, dass die biblischen Schriften anders als andere Texte auf eine gleichsam übernatürliche Art entstanden wären. Eine Verbalinspiration, die bestimmte Vorstellungen von individuellen, vom Geist Gottes inspirierten Autoren oder wieder bestimmte Vorstellungen von der Historizität des Exodus oder einer naturwissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit der Schöpfungserzählungen voraussetzt, verkennt die Eigenart der biblischen Texte. Sie verstellt den Weg zu einem angemessenen Verständnis und droht zu einem ideologischen Vorurteil zu werden.30 Damit ist aber nicht der Begriff der Inspiration als solcher aufzugeben. Vielmehr wäre hier zu fragen, inwieweit das Geschehen, das zu den unterschiedlichen Redaktions- und Fortschreibungsprozessen im Alten Testament, zur Deutung der Geschichte als vom Gott Israels initiiert und gelenkt, zur Aufnahme unterschiedlicher Aspekte vorderorientalischer Religiosität in das Bild des biblischen Gottes, zur Sammlung der alt- und neutestamentlichen Schriften zum biblischen Kanon und dann auch zur Rezeption dieser Texte und ihres Redens von Gott durch die Zeiten bis heute geführt hat, als ein Akt der Inspiration durch den Geist Gottes bezeichnet werden kann und muss.31 Dieser
ökumenischen Anspruch des Textes korrespondiert. Zumindest in ihrem ersten Teil (Artikel 1–21) erhebt die CA den Anspruch, nur das auszusprechen, was gemein christlich ist. 29 Dazu SCHNEIDER-FLUME, Grundkurs, 81: „Die Wahrheit der Schrift bewahrheitet sich durch die Kraft der lebendigen Beziehung auf Gott, die Geist genannt zu werden verdient. Und zwar wirkt diese Kraft in zweifacher Weise: Indem sie einerseits in der Vielheit der Texte die eine Geschichte Gottes erkennen lässt und indem sie andererseits die Leser und Hörer der biblischen Texte der Wahrheit der Geschichte Gottes in den historischen Texten vergewissert. Im Anschluss an Calvin hat man dies als das testimonium spiritus sancti internum (das innere Zeugnis des Heiligen Geistes) bezeichnet“; vgl. CALVIN, Institutio, I,7, 4. 30 Vgl. ELERT, Glaube, 169–173, der die Inspirationslehre als „Irrlehre“ bezeichnet, die an „Gotteslästerung“ grenze (171). Das Urteil ist zu harsch, denn man wird gerade in ihrer soteriologischen Zuspitzung auf die Wirksamkeit doch das Recht der sog. „altprotestantischen Schriftlehre“ sehen müssen (vgl. JOEST/LÜPKE, Dogmatik I, 56f.). Vgl. zur Schriftauslegung der lutherischen und reformierten Orthodoxie insgesamt STEIGER, The Development of the Reformation Legacy, 691–757; Ders., Philologia Sacra. 31 Vgl. K ÖRTNER, Leser; Ders., Einführung, 102ff.; H ÄRLE, Dogmatik, 119–123; SCHNEIDER-FLUME, Grundkurs, 80f., LOADER/HORN/KÖPF/BADER/BECKER/SCHÖLLER, Art. Inspiration, 285–289; ROTHENBUSCH/RUHSTORFER (Hg.), Eingeben, passim.
1.4 Die inhaltliche Bestimmung des Wortes Gottes
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Zusammenhang macht die Eigenart der biblischen Texte gegenüber allen anderen und späteren Glaubenszeugnissen der Christenheit aus. Auch dies ist nur als Glaubenssatz aussagbar; das heißt auch wenn hier festgehalten wird, dass die Bibel Gottes Wort ist, darf dies nicht zu der Annahme verführen, in der Bibel liege Gottes Reden unmittelbar vor. Auch das biblische Gotteswort liegt als ein unter geschichtlichen Umständen durch menschliche Autoren, Redaktoren und Kompilatoren verfasstes und überliefertes vor. Aber anders ist es nicht zu haben.
1.4 Die inhaltliche Bestimmung des Wortes Gottes 1.4 Die inhaltliche Bestimmung des Wortes Gottes
Schließich und vor allem besteht der Charakter der biblischen Schriften als Wort Gottes in seinem Inhalt. Dieser ist als „Evangelium“ als „Christus“32 oder mit Apologie IV als „Gesetz und Evangelium“33 zu bezeichnen und von seinem Anredecharakter nicht zu trennen. Zugleich wird aber deutlich, dass diese Begriffe, die je für sich ein „Konzentrat“ des Inhalts der Schrift darstellen, der Entfaltung bedürfen. So bezeichnet „Evangelium“ die frohe Botschaft der Zu-
Luther bezeichnet die Ausführungen über die Christologie in den Schmalkaldischen Artikeln als den „erste[n] und Häuptartikel“, der zugleich die Rechtfertigung mitbeinhaltet. Auch im Kleinen Katechismus ist der zweite Glaubensartikel das organisatorische Zentrum der Credoauslegung und des Katechismus insgesamt (vgl. PETERS, Kommentar 2, 92). 33 BSELK, 269: „Universa scriptura in hos duos locos praecipuos distribui debet: in legem et promissiones.“ Dabei ist es sachgerecht, dass sich dieser berühmte Satz der Apologie, die ganze Schrift sei in Gesetz und Evangelium zu unterscheiden, gerade im vierten Artikel findet, in dem es um die Rechtfertigung geht. Denn die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist keine eigentlich exegetische, sondern eine homiletische Kategorie. Sie unterstreicht den Anredecharakter biblischer Texte. Diese werden als Gesetz und Evangelium verkündigt und zielen auf die Rechtfertigung des Sünders. In diesem Sinne darf die Reihenfolge auch nicht umgekehrt werden, sondern das Evangelium muss das letzte Wort sein. Dabei ist die Formulierung, die ganze Schrift (universa scriptura) lasse sich in Gesetz und Evangelium unterscheiden, interpretationsbedürftig; denn weder die Apologie noch das Konkordienbuch legen ja in einem quantitativen Sinn die ganze Bibel aus. Aber es gilt die Überzeugung, dass Gottes Wort als Gesetz und Evangelium als Summe der ganzen Bibel verkündigt wird. Die Bekenntnisschriften nehmen eben keine bewusste Selektion vor. Sie beschränken sich für das Evangelium nicht nur auf das Neue Testament oder innerhalb des Neuen Testamentes auf bestimmte Schriften. Dennoch wird de facto bei der Zitation der Bibel ausgewählt: Längst nicht alle biblischen Bücher werden im Konkordienbuch überhaupt zitiert, und bei den zitierten werden deutliche Gewichtungen vorgenommen. Aus dem Alten Testament wird etwa der Psalter am häufigsten angeführt, während die Propheten Amos oder Micha gar nicht zitiert werden, aus dem Neuen Testament sind das Matthäusevangelium und der Römerbrief die meistbelegten Schriften. Die Apokryphen kommen nur am Rande vor. So nötigt auch die Grundvoraussetzung, dass das Evangelium mit der ganzen Schrift zu bezeugen ist, zu einem differenzierten Umgang mit der Bibel; vgl. BEHRENS, Aspekte, 94f. 32
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1. Kapitel: Grundfragen
wendung Gottes zu den Menschen, das auch Aussagen des „Gesetzes“ enthalten kann und in seinem grundsätzlichen Charakter – jedenfalls nach dem Bekenntnis der Christenheit – auch im Alten Testament zu finden wäre. „Christus“ oder „was Christum treibet“34 weist über die Person Jesus Christus hinaus in das mit dieser Person verbundene Rechtfertigungsgeschehen, das für das lutherische Verständnis als hermeneutische Leitkategorie gilt, weil damit das Zentrum des christlichen Glaubens berührt ist.35 Damit ergibt sich zugleich, dass das Verhältnis aller biblischen Aussagen zu diesem zentralen Inhalt zu bestimmen ist. Insbesondere ist hier die Frage nach dem Verhältnis von Altem und Neuem Testament berührt; denn wenn der Inhalt des biblischen Gotteswortes mit den Chiffren „Christus“ oder „Evangelium“ bezeichnet wird, dann ist in historischer Perspektive sofort die Frage auf dem Plan, inwieweit alttestamentliche Inhalte damit sachgemäß zu bezeichnen sind. Hier kann zunächst so viel gesagt werden: Wenn das Johannesevangelium mit den Worten Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος beginnt und dieser λόγος dann in V. 14 mit dem inkarnierten Christus identifiziert wird, dann ist das weder voraussetzungslos noch ohne Kontext. Vielmehr wird hier zurückverwiesen auf בראשׁיתin Gen 1,1 (LXX: ἐν ἀρχῇ) und das Reden Gottes in der Schöpfung. Solche intertextuellen Bezüge machen deutlich, dass zumindest dem Selbstverständnis des Johannesevangeliums nach eine Identität Gottes des Schöpfers mit dem Inkarnierten besteht.36 Demnach
Vgl. Luthers Vorrede auf die Briefe des Jakobus und Judas (1522), in: BORNKAMM (Hg.), Vorreden, 216f.: „Was Christum nicht lehret, das ist nicht apostolisch, wenn’s gleich S. Petrus oder S. Paulus lehrete. Wiederum, was Christum treibet, das ist apostolisch, wenn’s gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte.“ Es geht also nicht um bestimmte historische Personen, sondern um den richtigen Bezug zu „Christus“, womit wiederum sein rechtfertigendes Erlösungshandeln gemeint ist. Genau in diesem Sinne muss auch die Bezeichnung der biblischen Texte als „prophetisch“ und „apostolisch“ im Summarischen Begriff der FC aufgefasst werden. 35 Dies gilt im Übrigen auch dort, wo man den christlichen Glauben nicht konfessionelllutherisch zuspitzt. Dies zeigt der Abschnitt II.1 der Leuenberger Konkordie von 1973, wo das „gemeinsame Verständnis des Evangeliums“ gerade in der Rechtfertigungslehre gesehen wird (https://www.ekd.de/Leuenberger-Konkordie-11302.htm). Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die am 31.10.1999 vom Lutherischen Weltbund und der römischkatholischen Kirche unterzeichnet wurde, eröffnet die Möglichkeit, die römische Kirche in diesen Konsens aufzunehmen. Bleibende Differenzen und die spärliche Rezeption des Textes auf römischer Seite sind allerdings deutliche Hinweise darauf, dass die ökumenische Wahrheitssuche hier noch nicht abgeschlossen ist, vgl. bereits ZThK Beiheft 10 (1998) passim. 36 SCHWÖBEL, Erwartungen, 163: „Die Feststellung der Wesenseinheit zwischen Jesus dem Sohn Gottes und Gott dem Vater bindet das christliche Gottesverständnis für immer an das Alte Testament und den von ihm bezeugten Gott. Ohne diese Rückbindung ist die Identität des christlichen Gottesverständnisses gefährdet. Aus diesem Grunde ist die denkerische Entfaltung des Wirklichkeitsverständnisses des christlichen Glaubens für immer auf das Alte Testament verwiesen“; zur Gottesfrage vgl. ausführlich Kapitel 6. 34
1.5 Der Glaube der Exegeten
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lässt sich sagen: Der Inhalt des biblischen Gotteswortes besteht insgesamt in der Selbsterschließung Gottes, der sich im Alten Testament als Schöpfer der Welt, sowie vor allem in der Zuwendung zu seinem Volk Israel zeigt und der sich in der Person des Jesus von Nazareth, den die Kirche als den Christus bekennt, der ganzen Welt erneut erschließt. Die Explikation des Evangeliums als Konzentrat einer christlichen Lesart der Bibel und die Bestimmung des Verhältnisses der unterschiedlichsten biblischen Texte sowie die Erhebung ihres je eigenen Sinnes ist unbedingt auf Exegese angewiesen. Denn es gehört zum christlichen Bekenntnis selbst, dass die Inhalte des Glaubens an Gott nicht ohne biblischen Text, oder mit CA V nicht „one das leibliche wort des Evangelii“/„sine verbo externo“37 zu haben sind. So besteht die Selbstreflexion des christlichen Glaubens immer zuerst in einem Akt der Exegese. Für die Theologie ist Exegese unabdingbar. Schriftauslegung darf sonach niemals subjektivistisch im Sinne eines bloßen Reflexes eigener Glaubensunmittelbarkeit sein. Die Externität des Schriftwortes und dessen inhaltlich bestimmter eigener Sinn sind vielmehr ernst zu nehmen auch und gerade dann, wenn sie der subjektiven Selbstwahrnehmung als befremdlich erscheinen. Solch strikt geforderte Nichtbeliebigkeit der Schriftauslegung schließt die Kenntnis bestimmter Regeln der Texterschließung notwendig ein, die nicht nur die Syntax, sondern auch die Semantik und Pragmatik von Texten betreffen.38
Umgekehrt stellt sich die Frage, ob und inwiefern Exegese sich als einen Akt der Theologie versteht.
1.5 Der Glaube der Exegetinnen und Exegeten 1.5 Der Glaube der Exegeten
Wenn bisher der Charakter der biblischen Texte als Wort Gottes bedacht wurde, dann bezieht sich diese Bezeichnung in erster Linie auf den Anredecharakter der Texte. Dieser Anredecharakter manifestiert sich darin, dass biblische Texte nach dem Bekenntnis der Glaubenden nicht in ihrem historischen Textsinn aufgehen, sondern im Leben gegenwärtiger Menschen Bedeutung erlangen. Die Aufgabe der Exegese scheint demgegenüber zu sein, nach dem historischen Sinn eines biblischen Textes zu fragen und nicht zuerst nach seiner aktuellen Bedeutsamkeit.39 Es erscheint demnach so, dass in Theologie und
BSLEK, 100/101. 38 W ENZ, Theologie 1, 191. 39 Zugleich ist hier darauf zu achten, dass kein falscher Gegensatz konstruiert wird, so als sei der historisch ermittelbare Sinn der Texte das eine, die im Glauben empfundene Bedeutung aber etwas davon völlig Unterschiedenes. Gerade nach evangelischem Verständnis erschließt sich die gegenwärtige Bedeutung biblischer Texte immer über die Wahrnehmung des wörtlichen Sinnes. Dabei ist dann aber auch wahrzunehmen, dass die biblischen Texte in ihrem historischen Sinn, aber auch im Zuge ihrer Überlieferung und redaktionsgeschicht37
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1. Kapitel: Grundfragen
Kirche zwei Weisen des Zugangs zu biblischen Texten zu unterscheiden sind. Dabei ist dann auch danach zu fragen, inwieweit die Frage nach der Gegenwartsrelevanz die historisch-kritische Exegese als historische Sinnbestimmung biblischer Texte berührt. Bereits 1954 hat der Erlanger Alttestamentler Friedrich Baumgärtel hier eine Unterscheidung vorgenommen. Er unterscheidet dabei das Verstehen der „schlichten Christen“ vom „theologischen“ und damit „gültigen“ Verstehen der Fachleute. „Das schlichte christliche Verstehen des Alten Testaments basiert auf einem Vorverständnis. Der Christ versteht aus seinem Ergriffensein durch das Evangelium von Jesus Christus das Alte Testament als Zeugnis von Jesus Christus.“40 Der „schlichte Christ“ nimmt von seinem Glauben her das AT selektiv wahr: Sätze wie Ps 51,12 „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist“41 sprechen den glaubenden Christenmenschen unmittelbarer an als beispielsweise der Bericht über die Jehu-Revolte in 2 Kön 9. Von solch einem „schlichten“ christlichen Verstehen unterscheidet Baumgärtel ein „theologisches Verstehen“ des Alten Testaments, das methodisch kontrolliert und hermeneutisch reflektiert vorgeht. Dieses „theologische Verstehen“ (in der Gestalt der Exegese) kommt dann aber, so Baumgärtel, unweigerlich zu dem Schluss, „daß das Alte Testament Zeugnis aus einer nichtchristlichen Religion ist, deren Selbstverständnis sich mit dem evangelischen Vorverständnis nicht deckt“42. Die Exegese muss mit wissenschaftlicher Methode diese Fremdheit ihres Gegenstandes herausarbeiten, um das Alte Testament vor einer vorschnellen kirchlichen Vereinnahmung zu bewahren. Erst aufgrund einer im Alten wie im Neuen Testament zu hörenden „Grundverheißung“– Gott der Herr, der Herr dein Gott – ist für Baumgärtel wieder ein Zusammenhören beider Kanonteile möglich.43
lichen Rekontextualisierung einen erkennbaren Anredecharakter haben, der sich eben nicht nur aus der frommen Gestimmtheit nachgeborener Rezipienten ergibt; dazu PREUß, Predigt, 49f.: „Der Exeget aber, der nicht bei seiner Exegese biblischer Texte wahrnimmt, daß diese Texte Anspruchs- und Zuspruchscharakter haben, denen ihre Stellung im Kanon jeweils neu zur Verwirklichung verhelfen will, dieser Exeget ist kein ungläubiger Mensch, sondern schlicht ein schlechter Exeget, so wahr wirkliches Verstehen über Kenntnisnahme hinausgeht hin zur Begegnung mit dem Gegenstand und Anliegen des Textes. Das Verstehen von Bibeltexten zielt auf Glauben, und auch daher gehören historisch-kritische und theologische Exegese zusammen.“ Vgl. zur Position Preuß’ BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 94– 100. 40 B AUMGÄRTEL, Problem, 114; vgl. Ders., Verheißung und dazu: W ESTERMANN, Bemerkungen, 102–113 und: BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 65–72. 41 Vgl. B EHRENS, „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz“, 181–195. 42 B AUMGÄRTEL, Problem, 115. 43 Vgl. B AUMGÄRTEL, Problem, 131ff.
1.5 Der Glaube der Exegeten
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Der Sinn der wissenschaftlichen Exegese des Alten Testaments als einer hermeneutisch reflektierten und eben damit „theologischen“ Zugangsweise wird von Baumgärtel deutlich herausgestrichen und einem eklektisch verfahrenden „schlichten“ christlichen Verständnis, das sich ausschließlich dem persönlichen Affiziertsein durch das biblische Gotteswort verdankt, gegenübergestellt. Eher beiläufig wird von Baumgärtel der Umstand bedacht, dass auch wissenschaftlich arbeitende Theologinnen und Theologen „schlichte“ Christinnen und Christen sind. Unterschiedliche Möglichkeiten des „Verstehens“ finden sich demnach in einer Person, einerseits das existenzielle Ergriffensein vom Wort Gottes, andererseits die methodisch kontrollierte Sichtweise auf einen historisch bedingten Text. Der methodisch kontrollierte Akt der historischkritischen Exegese bedeutet sowohl für den einzelnen Exegeten als auch für die Gemeinschaft der Glaubenden insgesamt, dem eigenen Ergriffensein gegenüber einen reflektierenden Abstand zu gewinnen. Insofern ist wissenschaftliche Schriftauslegung eben mehr als ein bloßer Reflex der eigenen Glaubensunmittelbarkeit.44 Gleichzeitig ist Exegese aber ein Teilfach der Theologie. Theologie wird hier verstanden als rechenschaftsfähige Selbstreflexion des christlichen Glaubens und wird somit im Unterschied zur Religionsgeschichte immer aus der Binnenperspektive der Glaubensgemeinschaft betrieben.45 Insofern ist wissenschaftliche Theologie immer auch ein Reflex auf die Bestimmtheit der eigenen Existenz im Angesicht Gottes.46 Dies gilt für die Gemeinschaft der Glaubenden, aber wiederum auch für den einzelnen Theologen. Eine Theologie ohne Glauben gibt es nicht, insofern der Glaube der Initiativimpuls für jede theologische Reflexion ist. Dies gilt auch für die Exegese: Zwar ist die methodisch-kontrollierte historische Sinnbestimmung eines biblischen Wortlautes nicht von der jeweiligen Glaubenshaltung der Exegetin oder des Exegeten abhängig, zugleich kann aber auch für die Arbeit von Exegeten im Rahmen der Theologie in der Regel angenommen werden, dass sie ihre Aufgabe nicht ohne den Initiativimpuls des Glaubens begonnen haben und dass dies nicht ohne Relevanz ist, wenn sie ihre Aufgabe zum Beispiel im Rahmen der Aus-
Vgl. WENZ, Theologie 1, 191. 45 H ÄRLE, Dogmatik, 10: „Während die Religionswissenschaft sich mit dem christlichen Glauben bewußt aus einer Außenperspektive befaßt, arbeitet die Theologie ebenso bewußt aus der Innenperspektive heraus. […] Theologie ist eine Funktion des Glaubens. Christliche Theologie ist folglich eine Funktion des christlichen Glaubens“ [Hervorhebungen so im Original]; vgl. BAYER, Theologie; SCHWÖBEL, Art. Theologie, 255–306; AXT-PISCALAR, Theologie. 46 „Insofern ist sie (und zwar als jüdische, christliche, islamische etc. Theologie) nicht neutral, sondern geschieht aus der Perspektive des Glaubens heraus“ (HÄRLE, Dogmatik, 10; Hervorhebung so im Original). 44
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1. Kapitel: Grundfragen
bildung von Pfarrerinnen und Pfarrern auch im Kontext der Applikation der Texte in Verkündigung und Unterricht betreiben.47 Dann aber ist unbedingt das Verhältnis des methodischen Verstehens zum Glauben in der Person, die Schriftauslegung betreibt, und im Vollzug der Exegese zu bestimmen. Dazu gehört zuerst und immer wieder, dass diejenigen, die Exegese betreiben, sich ihren eigenen Glauben als Bezug zur „Sache“, die in den biblischen Texten ausgesagt wird, bewusst machen und sich und anderen darüber Auskunft geben. Verstehen hat in jedem Fall etwas mit dem persönlichen Beteiligtsein desjenigen zu tun, der verstehen will.48 Wobei dieses Beteiligtsein sehr unterschiedliche Formen annehmen kann. Es kann in einer Neugier oder einem Interesse am Gegenstand bestehen, in der Zustimmung oder auch der Ablehnung zu Aussagen von Texten, die untersucht werden sollen. In der Regel wird es ein vorwissenschaftliches Verhältnis des Auslegers zur Bibel geben, das als Glaube im Sinne des Bestimmtseins der eigenen Existenz im Angesicht Gottes zu fassen ist. Dieser Glaube kann und soll mit dem Akt der wissenschaftlichen historischen Exegese nicht einfach verschwinden oder für irrelevant erklärt werden. Exegetinnen und Exegeten, die Theologinnen und Theologen und als solche auch Christenmenschen sind, werden nicht nur einen historisch interessierten, sondern auch einen existenziellen Bezug zu biblischen Aussagen über „Gott“ und sein Verhältnis zu der Welt und den Menschen in Zuspruch und Anspruch haben. Insofern ist die Forderung eines „methodischen Atheismus“ an die wissenschaftliche Exegese nicht sinnvoll.49 Zwar ist unabdingbar, dass das Erfassen eines historischen Sinngehaltes ohne „fromme“ Voraussetzungen zu geschehen hat. Zugleich ist aber der Begriff „Atheismus“ weltanschaulich keineswegs weniger bestimmt als christlicher oder jüdischer Glaube. Im Rahmen der Theologie geht es eben nicht darum,
„Theologie kann sich in keiner ihrer Disziplinen des Wahrheitsanspruchs ihres Gegenstandes entheben […]. Die res der biblischen Geschichte Gottes mit den Menschen hat nach ihrem Selbstverständnis ihre Berechtigung nur darin, dass sie keine abgeschlossene, sondern eine jedwede Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließende und erschließende ist. Nur Mitgliedern von Glaubensgemeinschaften, die diese Dimension der Wahrheit der Gottesgeschichte teilen und deshalb den autoritativen und später kanonischen Anspruch der biblischen Schriften gelten lassen, sind zur Auslegung dieser in den Schriften bezeugten Wahrheit berufen“ (SPIECKERMANN, ZThK 105 [2008], 275). Mit Spieckermann ist dann zwischen unterschiedlichen Genera der Auslegung zu unterscheiden: Die theologische „gelehrte Auslegung im Raum der Universität“ (ebd.) ist von der kirchlichen Verkündigung zu differenzieren. Gleichwohl impliziert die Unterscheidung eine bleibende Bezogenheit der Auslegungsgenera aufeinander. 48 Vgl. O EMING, „Man kann nur verstehen, was man liebt“, 165–183. Sehr vorsichtig macht Oeming dort auf die hebräische Vokabel ידעaufmerksam, in der ja der „vertraute Umgang mit jemandem oder etwas“ und die noetische Erkenntnis zusammenfallen (vgl. a.a.O., 170). 49 Vgl. dazu z.B. STOELLGER, Deus. 47
1.5 Der Glaube der Exegeten
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dass hier Atheisten die Bibel verstehen oder dass die Bibel unter der Voraussetzung etsi deus non daretur verstanden werden soll. Vielmehr bedeutet Theologie gerade, dass der Glaube sich so weit wie möglich rechenschaftsfähig und intersubjektiv vermittelbar selbst reflektiert und kommuniziert. Dennoch muss im Vorgang wissenschaftlicher Exegese das eine vom anderen unterschieden werden, damit die existenzielle Betroffenheit das methodische Verstehen nicht dominiert. Eine Exegetin oder ein Exeget muss ungeachtet des persönlichen Verständnisses der Größe „Gott“ differenzierend wahrnehmen können, dass im Alten Testament unterschiedliche Gottesbezeichnungen wie Jahwe, Elohim, ‘Elyon, Adonay, El Šadday oder andere gebraucht werden und dass damit unterschiedliche Vorstellungen von Gott, ja ursprünglich womöglich unterschiedliche Götter bezeichnet werden.50 In der Exegese wird eine solche Perspektive, die nicht unmittelbar nur die eigenen Glaubensüberzeugungen reproduziert, vor allem durch zweierlei gewährleistet: Zum einen durch das methodisch reflektierte wissenschaftliche Untersuchen der Texte mittels der Arbeitsschritte, die sich in den letzten nun annähernd 300 Jahren zur historisch-kritischen Exegese zusammengefunden haben, und zum anderen durch den Diskurs mit Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Disziplin, aber auch aus sog. „Nachbarwissenschaften“ wie der Archäologie, der Religionswissenschaft, den diversen Altertumswissenschaften, der Literaturwissenschaft und anderen. Methodisches Vorgehen und der kollegiale, kritische Diskurs sind Voraussetzungen dafür, dass das je eigene Vorverständnis nicht zu einem verfestigten Vorurteil wird. Sodann werden diejenigen, die auslegen, aber immer auch ihr eigenes vorwissenschaftliches Verhältnis zu den biblischen Texten als Gegenstand der Auslegung als wesentlichen Teil ihres Vorverständnisses mit reflektieren. Denn dieses Verhältnis zum Gegenstand, das als Glaube den Initiativimpuls zur Beschäftigung mit der Bibel darstellt, verschwindet ja im Vollzug der methodischen Exegese nicht einfach. Vielmehr soll im Rahmen der Theologie gerade der Glaube denkerisch zur Darstellung gebracht werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Exegese im Rahmen einer theologischen Fakultät der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern, Religionslehrerinnen und Religionslehrern dient. So ist Exegese also durch die Person der Exegetin und des Exegeten, den Kontext der wissenschaftlichen Theologie als kirchlich mitverantworteter Ausbildung und die Zielgruppe der auszubildenden Pfarrerinnen und Pfarrer und Pädagoginnen und Pädagogen, also Gemeinden und Unterrichtsgruppen, auf das Ganze der Theologie bezogen. Dieser Kontext lässt die Exegese immer neu ihr eigenes Woher und Woraufhin bedenken. Dabei wird Exegese dann auch wahrnehmen, dass zum Beispiel die unterschiedlichen Gottesnamen im Alten Testament wohl eine polytheistische religionsgeschicht-
Als Beispiel vgl. WAGNER, Ps 91, 73–97, der in Ps 91 das Bekenntnisformular einer Konversion zur Jahwereligion erkennt. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.1. 50
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1. Kapitel: Grundfragen
liche Vorgeschichte abbilden, dass es aber bei dieser Vorgeschichte nicht geblieben ist. Im Laufe von nachvollziehbaren redaktions- und überlieferungsgeschichtlichen Prozessen bis hin zu einer Kanonisierung sind unterschiedliche Gottesvorstellungen, die sich zum Beispiel in unterschiedlichen Gottesnamen spiegeln, zum Bild des einen Gottes integriert worden.51 Für die christliche Exegese stellt sich hier auch die Frage nach dem Zusammenhang von Altem und Neuem Testament. Es ist also exegetisch nicht angemessen, zu behaupten, das Alte Testament habe kein monotheistisches Gottesbild, weil sich erkennbar Spuren einer polytheistischen Vorgeschichte und eines differenzierten religionsgeschichtlichen Kontextes der alttestamentlichen Texte finden ließen. Ebenso wäre es exegetisch unangemessen, die Vielfalt der Aspekte des Redens von Gott im Alten Testament aufgrund eines späteren, vielleicht erst kirchlichchristlich normierten Gottesbildes zu leugnen. Vielmehr muss historische Exegese für ein angemessenes Verständnis des Textes sowohl die erkennbare Vorgeschichte samt ihren je eigenen geistesgeschichtlichen Implikationen als auch das kanonisch integrierte und von bestimmten theologischen Konzeptionen her gestaltete Gesamtbild verstehen wollen. Dabei bleiben dann unter Umständen in ein und demselben Text unterschiedliche Konzepte nebeneinanderstehen. Dass aber Exegese nicht nur nach literarhistorischen oder religionsgeschichtlichen (Vor-)Stufen eines Textes, sondern auch nach der Aussage einer „Endgestalt“ fragt, liegt nicht nur in der Natur der Bibel, sondern auch an der Verortung der Exegese in einer bestimmten Glaubensgemeinschaft. Wiederum wird hier die Exegese in einen Diskurs eingebunden sein, und zwar in das notwendige Gespräch mit den anderen Disziplinen der Theologie. Hier ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die Einbindung eines Exegeten oder einer Exegetin in das Ganze der Theologie immer auch konfessionell bestimmt ist. Die wissenschaftliche Exegese ermöglicht die Verständigung und den Diskurs über den historischen Sinn biblischer Texte über Konfessionsgrenzen hinweg und im Hinblick auf das Alte Testament auch zwischen Christen und Juden. Diese Möglichkeiten der interreligiösen und der interkonfessionellen Exegese sind wahrzunehmen und zu vertiefen und finden in unterschied-
So ist Ps 91,1f. irgendwann in der heute üblichen Identifikation von Elyon, Šadday und Jahwe verstanden worden; vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 362, wonach die „altehrwürdigen Epitheta aus altjerusalemischer ( )עליוןund vorjahwistischer ( )שׁדיZeit“ jetzt am Heiligtum auf dem Zion haften. Diese Sichtweise lässt sich für eine bestimmte Überlieferungsstufe ebenso vertreten, wie die erwähnte Interpretation von Wagner. Beide Sichtweisen überlagern sich im vorliegenden Wortlaut. Zur Sache vgl. LEVIN, ZThK 109 (2012), 152–175, der unter der Ausgangsthese „Monotheismus und Polytheismus bilden keine ausschließende Alternative“ (a.a.O., 153), auf die wachsende integrative Kraft des Jahweglaubens aufmerksam macht, die sich vor allem redaktionsgeschichtlich in jahwistischen Passagen des Pentateuch greifen lässt; vgl. dazu das literargeschichtliche Konzept bei LEVIN, Jahwist; vgl. auch Kapitel 6. 51
1.5 Der Glaube der Exegeten
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lichen neueren Kommentarreihen ihren Niederschlag.52 In diesem Zusammenhang ist aber auch zu bedenken, dass gerade im Rahmen der Theologie die konfessionelle Bestimmtheit der Exegetinnen und Exegeten eine unentrinnbare Rolle spielt.53 Dabei soll hier nicht propagiert werden, Exegeten müssten biblische Texte von einer bestimmten Bekenntnistradition her oder auf diese hin auslegen. Im Gegenteil: Exegese hat gerade innerhalb einer konfessionell bestimmten Glaubensgemeinschaft eine eminent kritische Funktion. Zugleich aber gilt es, die Einbindung in einen Bekenntniskontext wahrzunehmen und zu reflektieren.54 So ist in der römisch-katholischen Kirche die Rolle der Schrift eine andere als in der evangelischen Christenheit. Auch lutherische oder refor-
Hier ist z.B. an Herders Theologischen Kommentar zum Alten Testament (HThKAT) zu denken, in dem katholische, evangelische und jüdische Exegetinnen und Exegeten unterschiedliche biblische Bücher kommentieren, oder an den Internationalen Exegetischen Kommentar zum Alten Testament (IEKAT), der im Prospekt von 2012 wie folgt charakterisiert wird: „Ökumenisch ist IEKAT, weil hier Juden und Christen verschiedener religiöser und konfessioneller Ausrichtung zusammenarbeiten.“ 53 Vgl. dazu O EMING, Dauerreflexion, für den eine christliche Exegese des Alten Testaments grundsätzlich in einem Zweischritt besteht: Der Textsinn muss historisch-kritisch erfasst werden und dann „wertbeziehend“ in ein Verhältnis zum „Maßstab des Christlichen“ gesetzt werden. Soweit folgt Oeming seinem Lehrer Gunneweg, konstatiert dann aber: „Die Dinge liegen aber noch komplizierter. Denn der Maßstab ‚Christliches‘ ist keineswegs eindeutig; das Neue Testament bezeugt selbst eine Spannbreite verschiedener christlicher Theologien. Diese lassen sich wie die alttestamentlichen Theologien auch je nach Konfession, philosophischen Prämissen, politischer Überzeugung, Allgemeinbildung, Zeitorientiertheit des Exegeten und anderer Faktoren sehr unterschiedlich akzentuieren und interpretieren“ (a.a.O., 236). Daraus folgt, dass „in dem Vorgang des Wertbeziehens, und zwar im Akt der Wertewahl ein Moment des Bekenntnisses und der Entscheidung liegt. Durch konsequente historisch-kritische Exegese wird der Punkt der Wertentscheidung gleichsam möglichst weit ‚hinausgeschoben‘; er darf aber nicht abgekoppelt werden. Eine ‚reine Exegese‘, welche meint, allein historisch-exegetisch zu einer allgemein verbindlichen Theologie kommen zu können, ist aufgrund des geschilderten innerbiblischen Pluralismus nicht möglich. Eine biblische Theologie, die alle oder möglichst viele ‚Konfessionen‘ befriedigen will und damit faktisch der Wertewahl ausweicht, zerfließt in Relativismus und wird völlig profillos“ (a.a.O., 236f. Hervorhebung so im Original). Da für Oeming in der Folge Heinrich Rickerts und Max Webers ein „Wertebeziehen“ unausweichlich zu jedem historischen Verstehen dazugehört, muss die Exegese ihren eigenen Standpunkt im Rahmen eines systematischtheologisch verantworteten theologischen „Wertesystems“ finden oder sie verfehlt ihr Ziel: „Nur im wertbeziehenden ineinander [sic!] historischer Kritik und systematischer Reflexion (darin involviert natürlich die kirchliche Bekenntnistradition) ist gesamtbiblische Theologie möglich“ (a.a.O., 238). Mit Oeming soll hier also nicht einer einseitig konfessionellen Ausrichtung der Exegese das Wort geredet werden, wohl aber der präzisen Selbstverortung der Exegeten oder Exegetinnen innerhalb eines Gesamtverständnisses von Theologie. Dabei muss die eigene konfessionelle Prägung und/oder Bindung jedenfalls wahrgenommen werden. Zur Position Oemings vgl. BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 113–118. 54 Vgl. B EHRENS, Lutherische Exegese, 19–40. 52
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1. Kapitel: Grundfragen
mierte Prägungen spielen hier eine Rolle.55 Im Rahmen eines „theologischen“ Kommentars zum Alten Testament/der Hebräischen Bibel werden wiederum christliche und jüdische Exegetinnen und Exegeten durch ein jeweils unterschiedliches Gesamtverständnis von „Theologie“ geprägt sein.56 Hier gilt es
„Aber die bekenntnismäßige Getrenntheit innerhalb der evangelischen Theologie hat in bezug auf die Hermeneutik ganz offenbar eine weittragende Auswirkung. Der lutherische Exeget versteht anders als der reformierte, und das macht das Gespräch schwierig. […] Das Schriftverständnis ist auf beiden Seiten ein verschiedenes und dies hat Rückwirkungen auf die Art des Verstehens und die Entwicklung der Verstehensmethode. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß die typologische Interpretation im wesentlichen auf der reformierten Seite beheimatet ist […] Ich halte die Verschiedenheit für kein Unglück, sondern, da ich von der Tatsächlichkeit und Notwendigkeit jenes Vorverständnisses voll überzeugt bin, für natürlich. Nur müsste auf alle Fälle klar gesehen werden, daß heute der konfessionelle Unterschied in die hermeneutische Problematik um das Alte Testament mit einbeschlossen ist“ (BAUMGÄRTEL, Problem, 122). Baumgärtel schrieb diese Sätze 1954, also lange bevor die innerevangelischen Bemühungen um ein „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“ in der Leuenberger Konkordie von 1973 zu einem gewissen Abschluss kamen. Dennoch markieren Baumgärtels Aussagen bis heute eine hermeneutische Grundaufgabe. Die konfessionelle Bestimmtheit (oder auch Unbestimmtheit) eines Exegeten ist Teil seines gesamthermeneutischen Koordinatensystems oder: seines Gesamtverständnisses von Theologie. Allerdings wird nur selten explizit darüber reflektiert, was aber zur Bewusstmachung des jeweiligen Vorverständnisses unabdingbar ist. Klaus Grünwaldt bezeichnet seine biblische Theologie bewusst als das Werk eines „lutherischen Alttestamentlers“ (GRÜNWALDT, Gott und sein Volk, 7), was in der Anlage seines Buches erkennbar wird. Nicht selten bedienen sich Alttestamentler der systematisch-theologischen Kategorie „Gesetz und Evangelium“, vgl. z.B. KAISER, Theologie 1, 75 (Lehrsatz 1 und 2). Aber kaum wird dabei diskutiert, dass der Unterschied zwischen der lutherischen Formulierung und der von Karl Barth ins Gespräch gebrachten umgekehrten Reihenfolge „Evangelium und Gesetz“ ein erheblicher ist und zu völlig unterschiedlichen Textauslegungen führen kann, vgl. zunächst BEHRENS, „Gesetz und Evangelium“, 117–142. 56 Vgl. G ESUNDHEIT, Gibt es eine jüdische Theologie der Hebräischen Bibel?, 73–86; ZENGER, Essentials, 213–238. Zenger entfaltet in seinem Beitrag das Konzept von Herders Theologischem Kommentar zum Alten Testament (HThKAT), der einerseits bewusst historisch fundiert und andererseits in ökumenischer Offenheit und dem jüdisch-christlichen Dialog verpflichtet theologisch sein will. „Die Bibel ist eine Kontextualisierung Gottes. Ein biblischer Kommentar hat dann die zentrale Aufgabe, diese Kontextualisierung einerseits in ihrer zeit- und religionsgeschichtlichen Bewegung nachzuzeichnen und andererseits die in dieser vielschichtigen Bewegung sichtbar werdende Gottesrede (sowohl Genitivus objectivus als auch subjektivus) zu profilieren. Genau dies bedeutet dann ‚theologische Exegese‘ der Bibel, nämlich ‚die [ganze] Bibel als Kontext des Wortes ‚Gott‘ zu interpretieren […]‘“ (a.a.O., 232 mit Zitat von Alex Stock). Damit aber ist der Theologiebegriff einerseits sehr weit und andererseits sehr unspezifisch gefasst. Daraus folgt: „Zur theologischen Dimension eines alttestamentlichen Bibelkommentars gehört zumindest seine Offenheit für den doppelten Ausgang der Bibel Israels bzw. für die zweifache Nachgeschichte in Judentum und Christentum. Konkret bedeutet dies, daß ein theologischer Bibelkommentar zum Alten/Ersten Testament heute nicht mehr die früher üblichen hermeneutischen Modelle (Substitutions-; Relativierungs- und Selektionsmodell) praktizieren darf, sondern sich der Per55
1.6 Alttestamentliche Exegese als Theologie
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zunächst, die eigene Prägung bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren, damit solche Prägungen nicht unbewusst eine vermeintlich objektive historische Exegese mitbestimmen. In der bewussten, reflektierten Selbstverortung der Exegetinnen und Exegeten in einer ganz bestimmten Glaubensgemeinschaft besteht dann die Möglichkeit zum interreligiösen und ökumenischen Gespräch auf exegetischer Basis. Wenn dabei je unterschiedliche Standpunkte nicht verschwiegen, sondern bezogen und benannt werden, ist gemeinsames kritisches Lernen möglich.
1.6 Der Beitrag der alttestamentlichen Exegese zur Theologie 1.6 Alttestamentliche Exegese als Theologie
Im Kontext der christlichen Theologie wird die Identität der historisch-kritischen Exegese des Alten Testaments also durch drei Faktoren (mit-)bestimmt: erstens durch ihren Gegenstand, der Schriftensammlung, die den ersten Teil der Offenbarungsurkunde der Christenheit ausmacht. Sie wird zweitens bestimmt durch die Selbstbestimmung der Exegetinnen und Exegeten als Theologinnen und Theologen und somit als Christenmenschen. Damit hängt drittens zusammen, dass die alttestamentliche Exegese im Kontext einer „theologischen Enzyklopädie“ und somit im Gespräch mit den anderen Teildisziplinen der Theologie und im gegenseitigen Bezogensein der einzelnen Fächer aufeinander geschieht.57 So ist auch die Exegese des Alten Testaments in ihrem Bemühen um das Verstehen biblischer Texte Teil der rechenschaftsfähigen
spektive einer neu zu entwickelnden christlich-jüdischen Bibelhermeneutik öffnen muß“ (a.a.O., 234). Hieraus ergibt sich ein Dilemma: Zenger meint einerseits alle bisherigen christlichen Verstehensbemühungen um das Alte Testament mit negativ konnotierten Begriffen kategorisieren und dem Verdikt des Antijudaismus unterwerfen zu müssen; die neue christlich-jüdische Bibelhermeneutik ist aber erst noch zu entwickeln. Dieser Weg ist so in der christlichen Theologie nicht gangbar. So richtig es ist, dass christliche Theologie und Exegese des Alten Testaments angesichts antijudaistischer Fehlurteile zur Umkehr aufgerufen ist und zu neuer Hör- und Dialogbereitschaft im Hinblick auf jüdische Exegese zu finden hat, so wichtig ist es, dass sich christliche Theologie und Exegese der eigenen Identität und der eigenen theologischen Grundlagen bewusst ist, um überhaupt dialogfähig zu sein. Dazu gehört, dass es eine christliche Bibelhermeneutik ohne die Frage nach der Funktion des Neuen Testaments und der Christologie nicht geben kann. Das bedeutet nun nicht eine Rückkehr zu einer „christologischen Engführung“ (ZENGER, a.a.O., 233) des Alten Testaments, wohl aber die Frage nach der Verhältnisbestimmung der beiden Kanonteile, die für christliche Theologie nur gemeinsam als „Kontext des Wortes ‚Gott‘“ zu verstehen sind; vgl. ausführlich Kapitel 2. 57 Ebenso wichtig ist es, dass Theologie im Kontext der Universität mit ganz anderen Wissenschaften in einen Austausch tritt. Dies gilt auch dort, wo wissenschaftliche Theologie außerhalb der Universität getrieben wird, etwa an kirchlichen Hochschulen oder in Predigerseminaren. Dort ist der interdisziplinäre Austausch institutionenübergreifend zu suchen.
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1. Kapitel: Grundfragen
Selbstreflexion des christlichen Glaubens. Diese Reflexion des Glaubens drängt aber unweigerlich auf Explikation.58 Das unmittelbare Ziel der Exegese des Alten Testaments als historischer Sinnbestimmung von Texten ist freilich nicht die kirchliche Verkündigung. Vielmehr kann die Exegese auch der Verkündigung nur ihren spezifischen Dienst erweisen, indem sie selbst noch nicht Verkündigung ist. Hier deutet sich einer von zahlreichen Spannungsbögen an, in denen die alttestamentliche Exegese als theologische Disziplin steht. Im vorliegenden Fall wird auf die Spannung zwischen dem Verstehen der biblischen Texte einerseits und ihrer Applikation (zum Beispiel in Predigt und Unterricht) andererseits angespielt. Nur wenn die Exegese im Vollzug diese Spannung aushält und dabei ihren eigenen Schwerpunkt auf die Seite des Verstehens legt, kann sie ihren Teil zur Theologie beitragen. Aber eben nur, wenn sie den anderen Pol „Applikation“ im Blick behält, erweist sie sich als theologische Disziplin. Solche Spannungsbögen zwischen unterschiedlichen Polen sollen nun aufgezeigt werden, indem die Exegese des Alten Testaments jeweils in ihrer dialogischen Bezogenheit auf die theologischen und akademischen Nachbardisziplinen beschrieben wird.59 Im Gespräch mit der exegetische Nachbardisziplin, der Auslegung des Neuen Testaments, wird für die alttestamentliche Wissenschaft ihre Stellung im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität des biblischen Redens von Gott deutlich.60 Die zahlreichen Anknüpfungen der neutestamentlichen Autoren an die alttestamentlichen Überlieferungen werden von der Exegese des Alten Testaments beleuchtet und hinterfragt werden. Hier spielt auch die Auseinandersetzung mit der altorientalischen und der hellenistischen Geistesgeschichte hinein. Im kritischen Diskurs mit der Historischen Theologie erweist die alttestamentliche Exegese ihren Ort im Spannungsbogen zwischen Text und Kontext. Gerade wo Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift verstanden wird61, zeigt sich eine Fülle unterschiedlicher relectures und Rekontextualisierungen biblischer Texte. Dieser Prozess beginnt bereits innerbiblisch und stellt die Exegese vor eine doppelte Aufgabe. Einerseits besteht die Möglichkeit, dass neue Auslegungs- und Wirkungskontexte der Exegese auch historisches Sinnpotential der Texte erschließen, das bisher nicht in den Blick kam. Andererseits hat die Exegese in der Auseinandersetzung mit später-
Für die im weltweiten Vergleich besondere Situation in Deutschland wird dies im Rahmen der universitären katholischen wie evangelischen Theologie vor allem deutlich an der Ausbildung der Studierenden zu Pfarrerinnen und Pfarrern, bzw. Religionslehrerinnen und -lehrern. Somit hat auch die historisch-kritische Exegese mittelbar Anteil am Verkündigungsgeschehen als der zentralen und identitätsstiftenden Lebensäußerung des Glaubens. 59 Vgl. grundsätzlich B EHRENS, Exegese, 63–82. 60 Vgl. Kapitel 2 und 6. 61 Vgl. EBELING, Kirchengeschichte; vgl. auch Kapitel 2 und 3. 58
1.6 Alttestamentliche Exegese als Theologie
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em Gebrauch biblischer Texte auf die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten solcher Verfahren vor dem Hintergrund des historischen Textsinnes hinzuweisen. Gerade im Beachten der Wirkungsgeschichte wird die Exegese des Alten Testaments zunehmend darauf aufmerksam, dass biblische Texte nicht mit der Erhebung eines vermeintlichen Ursprungssinnes abschließend verstanden sind.62 In der Auseinandersetzung mit der Systematischen Theologie sieht sich die Exegese des Alten Testaments in zwei Spannungsbögen gestellt. Da ist zum einen die Spannung zwischen dem extra nos und dem pro me der Texte. Die alttestamentliche Exegese hat der „Externität“ des biblischen Wortlauts (also seinem Eigensinn) gegen jede vorschnellen oder unsachgemäßen Vereinnahmung in dogmatischen Lehrsystemen zu ihrem Gewicht zu verhelfen. Gleichzeitig lässt sich die Exegese von der Systematischen Theologie immer wieder die Frage stellen, inwiefern es angemessen ist, neben dem Sinn der Einzeltexte auch Aussagen des Alten Testaments als einem redaktionell komponierten programmatischen Textkorpus insgesamt über Gott, den Menschen, die Schöpfung, das Gesetz etc. zu erheben. Diese Frage stellt die alttestamentliche Exegese in den zweiten Spannungsbogen, nämlich den zwischen Vielfalt und Einheit des Alten Testaments.63 Im Gespräch mit der Praktischen Theologie schließlich spielt der eingangs erwähnte Spannungsbogen zwischen Verstehen und Applikation biblischer Texte in besonderer Weise eine Rolle. Wie verhält sich das historisch zu erhebende Verständnis eines alttestamentlichen Textes zu dessen Auslegung etwa in einer Predigt? Hierbei ist besonders zu bedenken, dass Verstehen ganz grundsätzlich immer nur in einem Akt der Auslegung geschehen kann.64 Daran kann die Praktische Theologie mit ihren Bezügen zu modernen Kommunikationstheorien die Exegese erinnern. Umgekehrt ist es gerade die historische Exegese, die im Erheben des Eigensinnes biblischer Texte für Theologen die Möglichkeitsbedingung darstellt, zum „Anwalt des Textes“65 zu werden. Darüber hinaus macht insbesondere die Praktische Theologie die spannungsvolle Lesart biblischer Texte zwischen geschichtlicher Sinnbestimmung und gegenwärtiger Relevanz deutlich.66 Abgesehen von dem Dialog mit den theologischen Fächern im engeren Sinne kommt das Gespräch der alttestamentlichen Exegese mit den altorientalischen Nachbardisziplinen in den Blick, aber auch die Frage nach dem Verhältnis von Textauslegung und der Rekonstruktion der Geschichte und Religionsgeschichte des antiken Israel und Juda. Hier findet sich die alttestamentli-
Vgl. zur Wirkungsgeschichte auch BEHRENS, Gen 15,6, 103–116 und STOLLE, LuThK 41 (2017), 93–142. 63 Vgl. B EHRENS, Kanon; und Kapitel 5. 64 Vgl. K ÖRTNER, Einführung, 12ff. 65 Vgl. LANGE, Theorie, 11–46. 66 Vgl. B ARNBROCK, LuThK 36 (2012), 187–211; Ders., Hörbuch. 62
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1. Kapitel: Grundfragen
che Exegese in einer Spannung zwischen den Polen Deskriptivität und Normativität oder auch zwischen Historie und Theologie vor. Auch die alttestamentliche Exegese ist ihren Fragestellungen nach zunächst eine historisch-deskriptiv verfahrende Wissenschaft. Als theologische Disziplin zeichnet sie gegenüber allen anderen altorientalischen Wissenschaften aber das prinzipielle und unumgehbare Interesse an der gegenwärtigen Relevanz (oder auch Irrelevanz) des je und dann Verstandenen aus. Gerade angesichts der neueren Diskussionen ist in der Auseinandersetzung mit Rekonstruktionen der Geschichte und Religionsgeschichte „Israels“ festzuhalten, dass die alttestamentliche Exegese zur Erhellung ihrer Welt unbedingt auf rechenschaftsfähige historische und religionsgeschichtliche Rekonstruktionen angewiesen ist und dass sie die für das Verständnis ihrer Texte nicht ohne Schaden beiseitelassen kann. Zugleich aber ist klarzustellen, dass die Exegese eine Textwissenschaft ist. Der Gegenstand der alttestamentlichen Exegese ist nicht ein so oder so zu rekonstruierendes Bild der Geschichte, sondern das Verständnis eines schriftlich vorliegenden Wortlautes. Dass biblische Texte, zumal in ihren kanonischen Kontext, gegenüber der rekonstruierbaren Geschichte divergierende Aussagen machen, ist nicht dahingehend aufzulösen, dass der rekonstruierten Geschichte ein wie auch immer gearteter Vorrang gegenüber den Texten einzuräumen ist. Vielmehr ist auch hier die entstehende Spannung auszuhalten.67 Gegenstand der Exegese im eigentlichen Sinne ist aber der Text des Alten Testaments. Ihn gilt es in seiner Geschichte, in seinem historischen Kontext, aber auch in seiner theologischen Programmatik und in seiner Überlieferungsgeschichte zu verstehen. Dass die einzelnen Spannungsbögen hier auf den Dialog mit je unterschiedlichen Disziplinen verteilt wurden, hat lediglich heuristische Funktion. Exegese des Alten Testaments wird sich stets in der Spannung zwischen den genannten Polen vorfinden und einen hermeneutisch reflektierten Standpunkt einnehmen müssen. So schwingt dann für Exegetinnen und Exegeten, die auch „schlichte Christen“ sind, der bereits beschriebene Spannungsbogen eines Verständnisses des Alten Testaments als Text einerseits und „Wort Gottes“ andererseits mit. Dabei leistet die methodisch kontrollierte historische Exegese, die
Vgl. bereits den Aufbau bei RAD, Theologie 1: „I. Hauptteil. Abriß einer Geschichte des Jahweglaubens ...“ (a.a.O., 17ff.); „II. Hauptteil. Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels“ (a.a.O., 117ff.). Insofern stellt die zeitweise intensiv geführte Debatte um Religionsgeschichte Israels oder Theologie des Alten Testaments (vgl. programmatisch ALBERTZ, Religionsgeschichte 1, 32ff.) eine falsche Alternative dar; vgl. jetzt SPIECKERMANN, ZThK 105 (2008), 274: „Ebenso wie die Theologie des Alten Testaments sich bei klarer Wahrnehmung ihres eigenen Gegenstandes und der von ihm geforderten Hermeneutik nur zu ihrem Vorteil der Resultate religionsgeschichtlicher Forschung bedient, wird die Religionsgeschichte Israels mit der Theologie des Alten Testaments verfahren, deren subtile Erhellung des theologischen Profils der biblischen Schriften aus der Perspektive kritischer Identifikation sie selbst gar nicht leisten könnte.“ 67
1.6 Alttestamentliche Exegese als Theologie
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bewusst als Theologie betrieben wird, einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Wortes Gottes68 und ist entscheidend für die Frage, wer der Gott ist, von dem die biblischen Worte sprechen69, was sich also über das Wort Gottes und den Gott des Wortes rechenschaftsfähig sagen lässt.
Vgl. zu einem Selbstverständnis des Alten Testaments als Wort Gottes, Kapitel 4. 69 Vgl. Kapitel 6. 68
Kapitel 2
Das Alte und das Neue Testament Die im ersten Kapitel angesprochenen Grundfragen nach der Verortung der alttestamentlichen Exegese im Ganzen der christlichen Theologie gingen mehr oder weniger selbstverständlich davon aus, dass das sogenannte Alte Testament ein für die christliche Theologie relevanter, ja als Teil der Heiligen Schrift maßgeblicher Text sei. In der Tat ist das Alte Testament für die neutestamentlichen Autoren – ja, schon für Jesus und die ersten Jünger selbst – und dann auch in der entstehenden Kirche der ersten Jahrhunderte ohne Frage „die Schrift“, die auch als Zeuge des Evangeliums dienen kann. Auf der anderen Seite wird dies aber bereits im zweiten Jahrhundert von Marcion bestritten. Durch die Kirchengeschichte hindurch bis heute haben sich immer wieder Stimmen erhoben, die dem Alten Testament eine theologische Relevanz für die Christenheit bestreiten.1 Die Gründe dafür sind vielfältig. Das Alte Testament wurde mit theologischer Begründung abgelehnt, aufgrund antijüdischer und antisemitischer Ressentiments oder auch wegen einer bestimmten Vorstellung der Entwicklung von Religion überhaupt, nach der das Alte Testament als überwundene Vorstufe des Neuen eben veraltet sei.2 Das Problem verschärfte sich als die historisch-kritische Erforschung der alttestamentlichen Texte aufzeigte, dass viele klassische christliche Interpretationen alttestamentlicher Texte dem ursprünglichen Sinn nicht entsprachen. Unterschiedliche Rezeptionswege, die die christliche Adaption alttestamentlicher Texte über Jahrhunderte eröffnet hatten, wie das Modell Verheißung und Erfüllung, die allegorische Deutung, das Auffinden sog. Typologien oder auch die Annahme eines heilsgeschichtlichen Kontinuums zwischen Altem und Neuem Testament, schienen nun versperrt.3 So soll nun danach gefragt werden, ob und wie die maßgebliche Relevanz des Alten Testaments für die christliche Theologie und Kirche angesichts der unhintergehbaren exegetischen Einsichten in den historischen Textsinn begründet werden kann.
Vgl. Kapitel 2.5. 2 Vgl. zur Problematik mancher christlicher Lese- und Verstehensweisen des Alten Testaments ZENGER, Einleitung, 16–19. 3 Vgl. G UNNEWEG, Verstehen, 23–35. 1
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
2.1 Das sogenannte „hermeneutische Problem des Alten Testaments“ 2.1 Das hermeneutische Problem des AT Wer sich speziell den Texten des Alten Testaments zuwendet, sieht sich mit der Frage, ja mit dem Problem konfrontiert, inwiefern diese vorchristliche Schriftensammlung, die zugleich Heilige Schrift des Judentums ist, überhaupt christliche Relevanz besitzt. Inwiefern ist das Alte Testament ein christliches Buch? Man spricht hier vom hermeneutischen Problem des Alten Testaments, das die Geschichte der Kirche zu allen Zeiten begleitet und herausgefordert hat,4
so fasst Uwe Becker die Frage nach dem Alten Testament in der christlichen Theologie zusammen. Das Problem ist keinesfalls neu5, aber es ist nicht zu allen Zeiten in der Theologie mit derselben Intensität behandelt worden. Nachdem diese und ähnliche Fragen in der deutschsprachigen alttestamentlichen Wissenschaft von den 50er bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts Hochkonjunktur hatten6, liegen aus den letzten dreißig Jahren nur wenige explizite Abhandlungen über die Hermeneutik aus der Feder von Alttestamentlerinnen oder Alttestamentlern vor. Dabei finden sich natürlich implizit theologische und hermeneutische Ortsbestimmungen von Exegetinnen und Exegeten des Alten Testaments. Wobei hier keinesfalls immer Einigkeit herrscht. Jetzt soll keine ausführliche Forschungsgeschichte geboten werden.7 Allerdings werden
BECKER, Exegese, 144 [Hervorhebung so im Original]. 5 Vgl. als ein Beispiel bereits TRILLHAAS, Dogmatik, 84–96, der dort ausdrücklich „Das Problem des Alten Testaments“ behandelt. Trillhaas sieht das Problem scharfsichtig und formuliert als Fragestellung: „Es gibt eine jüdische und eine christliche Auslegung des Alten Testaments; die christliche ist also nicht selbstverständlich. Wie ist sie zu rechtfertigen?“ (a.a.O., 86). Bei der Beantwortung dieser Frage bietet Trillhaas dann aber auch „Substitutions-“ und „Überbietungsmodelle“ (vgl. a.a.O., 89f.), die heute als problematisch erkannt sind (vgl. ZENGER, Einleitung, 16ff.). Zu bedenken ist dabei, dass Trillhaas ja nicht einen Forschungsbeitrag zur Hermeneutik des Alten Testaments verfasst, sondern ein Lehrbuch der Dogmatik vorlegt. Es kann also begründet angenommen werden, dass der Autor darin auch einer in der Theologie seiner Zeit verbreiteten Mentalität Ausdruck verleiht. 6 Vgl. zum Überblick G UNNEWEG, Verstehen, passim; B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, passim. In der Tat hat die Frage nach der Hermeneutik des Alten Testaments gerade in der deutschsprachigen Wissenschaft einen besonderen Stellenwert gehabt und ist dort besonders intensiv diskutiert worden. Dies mag u.a. daran liegen, dass in Deutschland (und ähnlich in Österreich, der Schweiz und Skandinavien) die wissenschaftliche Erforschung des Alten Testaments in der Regel an theologischen Fakultäten geschieht. Hier stellt sich die Frage nach der Rolle des Faches und seines Gegenstands im Ganzen der christlichen Theologie in besonderer Weise. Im angelsächsischen Raum hingegen fällt Exegese oft der Fakultät Religious Studies zu. So wird im Folgenden auch auf der deutschsprachigen Forschung der Fokus liegen. 7 Vgl. dazu die immer noch lesenswerte Textsammlung von W ESTERMANN (Hg.), Probleme; sowie REVENTLOW, Hauptprobleme der alttestamentlichen Theologie; Ders., Hauptprobleme der Biblischen Theologie; Ders., ThR 61 (1996); 48–102.123–176; Ders., ThR 70 4
2.1 Das hermeneutische Problem des AT
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neuere Entwicklungen diskutiert und einige zentrale Fragen, die sich im Kontext der alttestamentlichen Hermeneutik stellen, benannt. So soll danach gefragt werden, ob oder inwiefern das vorchristliche Alte Testament (zumindest auch) ein „christlicher Text“ ist. Handelt es sich dabei doch um eine Sammlung von Texten, die die Religion Israels und Judas aus dem ersten Jahrtausend v. Chr. spiegeln und dann auch die Heilige Schrift des Judentums bilden. Inwieweit kommt solchen Texten gegenwärtige Relevanz für christliche Theologie und Kirche zu? In diesem Zusammenhang werden auch verschiedene Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament bedacht. Ebenso werden dabei unterschiedliche Positionen aus der Diskussion zum Thema, die insbesondere die deutschsprachige Theologie seit dem Beitrag von Notger Slenczka aus dem Jahr 2013 heftig bewegt, ausgewertet.8 Schließlich münden die Überlegungen um das Alte Testament in die Frage nach dem Stellenwert der Bibel und des sog. „Schriftprinzips“ in der Theologie insgesamt. Einerseits ist das Alte Testament kein christlicher Text, da die darin enthaltenen Texte durchweg vorchristlich entstanden. Andererseits ist die Christenheit bereits in ihren Anfängen ohne Bezug auf „die Schrift“ oder „das Gesetz und die Propheten“ nicht zu denken. Wenn denn das Neue Testament sein Zentrum in Jesus Christus hat und dieser Jesus Christus somit auch die Mitte des christlichen Glaubens ist, dann gehört doch auch die Erkenntnis dazu, dass dieser Jesus selbst, soweit wir wissen, ein in der Schrift Gelehrter war.9 Die Autoren der Evangelien berichten von seiner Geburt im Lichte alttestamentlicher Texte10, schildern ihn schon als Kind bei schriftgelehrten Diskussionen11, lassen Jesus den Teufel mit Zitaten aus dem Buch Deuteronomium überwinden12, zitieren seine zentrale Botschaft im Doppelgebot der Liebe aus Dtn 6,5 und
(2005), 1–43.137–173.279–337.408–454; ThR 71 (2006), 1–59.141–163; Ders., Epochen der Bibelauslegung 1–4; SÆBØ (Hg.), HBOT I/1; I/2 und II; GUNNEWEG, Verstehen; BEHRENS, Das Alte Testament; DOHMEN/SÖDING, Eine Bibel. 8 Vgl. zunächst SLENCZKA, Kirche, 83–119; auf die Debatte wird zurückzukommen sein; vgl. Kapitel 2.6. 9 Hier soll nicht die Frage aufgeworfen werden, ob Jesus von Nazareth eine wie auch immer geartete „theologische“ Ausbildung hatte. Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, dass sich auch der historische Jesus zu religiösen Fragen im Kontext der Glaubensgemeinschaft und der heiligen Schriften seiner Zeit geäußert hat. Jedenfalls die Evangelien schildern Jesus als einen Menschen, der die Schrift kannte und damit zur argumentieren verstand. Exemplarisch dafür kann die Versuchungsgeschichte in Lk 4 stehen, vgl. SCHÜLE, KuD 62 (2016), 205f. Die Christenheit hat diesen Jesus jedenfalls nicht ohne das Alte Testament. 10 Vgl. die Geburt als Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen in Mt 1 oder auch die Cantica in Lk 1f. und ihren alttestamentlichen Hintergrund. 11 Vgl. Lk 2,41–52. 12 Vgl. Mt 4,1–11//Lk 4,1–13 jeweils mit Zitat von Dtn 8,3; Dtn 6,13 und Dtn 6,16.
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Lev 19,1813 und berichten, er habe am Kreuz den 22. Psalm zitiert14. Der Auferstandene erschließt seinen Jüngern sodann die Schrift (Lk 24). Die inkarnatorische Theologie des Johannesprologs lässt in Jesus den Logos Fleisch werden, der mit dem Gott Israels und eben auch mit dem Schöpfer identisch ist, wie die Worte Am Anfang ... (Joh 1,1//Gen 1,1) anklingen lassen. Paulus zitiert seine Bibel, das spätere Alte Testament, durchweg als „Zeuge des Evangeliums“15. Das Neue Testament ist voller Auslegungs- und Rezeptionsvorgänge alttestamentlicher Texte.16 Im Zuge dieser Prozesse werden durch Rekontextualisierungen und allegorische Deutungen zum Teil Interpretationen vorgenommen, die zu einem mit heutigen exegetischen Methoden zu erhebenden Sinn der alttestamentlichen Referenztexte in einem sperrigen Verhältnis stehen. Dabei wird die Schrift in der Perspektive des Glaubens an Jesus Christus gelesen. Diese Perspektive beinhaltet die Gewissheit, dass dieser Jesus Christus das Wort desjenigen Gottes ist, der auch im Alten Testament geredet hat. Die christlichen Ausleger sind diesem Beispiel zu allen Zeiten der Kirchengeschichte gefolgt. Sie haben alttestamentliche (und neutestamentliche!) Texte allegorisch, christologisch oder typologisch gedeutet. Die „Wahrheit des Glaubens“ wurde in den Schriften wiedergefunden17 – auch gegen einen heute feststellbaren Ursprungssinn der Texte selbst. Dabei wurde nicht selten auch ein christlicher Antijudaismus mit solchen Deutungen begründet. Die reformatorische Betonung des Literalsinns biblischer Texte, vor allem aber das Entstehen eines historischen Bewusstseins in der Aufklärung samt einer methodischen Exegese, die streng nach dem Eigensinn biblischer Texte fragte, setzte hier andere Impulse. Dabei ergibt sich dann, dass viele christliche Auslegungen alttestamentlicher Texte vor dem Maßstab des historischen Ursprungssinns nicht bestehen können. Vor allem aber ist im Alten Testament nicht von Jesus von Nazareth die Rede.18 Daraus ließe sich die Folgerung ziehen, dass diese Texte für Christenmenschen nicht maßgeblich sein können und
Vgl. Mk 12,28–32 parr. 14 Vgl. Mk 15,32 und zum Hintergrund von Ps 22 für die Passion nach Markus insgesamt: JANOWSKI, Konfliktgespräche, 360–365. 15 Vgl. K OCH, Schrift. 16 Vgl. zum Überblick R EVENTLOW, Epochen 1, 53–103; H ÜBNER, New Testament, 332– 372. 17 Hier beginnt ein im Grunde bis heute in der Theologie fortwirkender kniffliger hermeneutischer Zirkel: Aus der Verkündigung des Evangeliums mit Hilfe der Schrift werden begrifflich gefasste dogmatische „Wahrheiten“ gewonnen – z.B. in Gestalt der sog. regula fidei, des Apostolikums oder Nicänums – die dann ihrerseits zum erkenntnisleitenden Maßstab bei der Bibellektüre werden. Antonius Gunneweg spricht hier von der „dogmatische[n] Verdrängung des Problems“ der alttestamentlichen Hermeneutik (vgl. GUNNEWEG, Verstehen, 39–41). 18 Dass dennoch vom Christus/Messias die Rede ist, ist aber ebenso festzuhalten. 13
2.1 Das hermeneutische Problem des AT
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auch nicht sollten. Die Texte wären dann anderen gesagt, aber nicht der Christenheit. Notger Slenczka hat zuletzt diese Folgerung gezogen.19 Allerdings ist zu betonen, dass der historisch feststellbare Ursprungssinn biblischer Texte oder gar einzelner Vorstufen dieser Texte nie der einzige, ja oft nicht der wichtigste Faktor beim Hören auf oder dem Auslegen von heiligen Texten im Kontext der religiösen Erschließung von Wirklichkeit ist. Sowohl im Judentum als auch im Christentum ist eine je bestimmte – und innerhalb von Judentum und Christentum jeweils wieder weit diversifizierte – Perspektivität beim Lesen biblischer Texte unvermeidlich. So lesen Christinnen und Christen alttestamentliche Texte in der Regel so, dass sie dabei bereits an Jesus als den Christus glauben und sozusagen vom Neuen Testament her kommen.20 Bereits die Bezeichnung „Altes Testament“ ist nur im Kontext der christlichen Theologie sinnvoll. Sie wird hier im Wesentlichen auch beibehalten und nicht durch andere Begriffe ersetzt. Dies dient auch dazu, den eigenen Standpunkt präsent zu machen. Die speziell im Kontext der christlichen Theologie westlicher Spielart entwickelte historisch-kritische Exegese biblischer Texte ist dabei auf die christliche Auslegung alttestamentlicher (und neutestamentlicher!) Texte bezogen. Sie bringt etwa gegenüber einer ausufernden Allegorese die ursprünglichen Aussageabsichten der Texte selbst als heilsames Korrektiv ins Spiel. So entfaltet sie ihr kritisches Potential auch und gerade im Kontext von Theologie und Kirche. Aber genau dort ist der Ort von Exegese, die auf ein Ganzes der Theologie bezogen bleibt. Zugleich ist exegetisch aufweisbar, dass ein Auslegungsprozess, der zur religiösen Existenzerhellung des Menschen dient und dabei einen vermeintlich „ersten“ Ursprungssinn eines biblischen Textes im Rahmen der historischen Überlieferungsvorgangs durch neue Deutungen erweitert, bereits innerbiblisch beginnt, also sozusagen zum Wesen biblischer Texte im Kontext anderer biblischer Schriften dazugehört. Nun ist zu fragen, ob eine christliche Lesart alttestamentlicher Texte prinzipiell illegitim und daher das Alte Testament für die Christenheit nicht mehr maßgeblich sein kann; oder ob neutestamentliche und christliche Auslegungen alttestamentlicher Texte nicht auch dann das christliche Wirklichkeitsverständnis coram deo angemessen zur Sprache bringen können, auch wenn anerkanntermaßen von Jesus von Nazareth expressis verbis nicht die Rede ist, ja ob das Alte Testament nicht Aspekte einer religiösen Existenzbestimmung aussagt, die gerade für das christliche Wirklichkeitsverständnis unabdingbar sind.
Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 7. 20 Als hermeneutischer Schlüsseltext hierfür kann die Emmauserzählung in Lk 24 dienen; s.u. 19
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
2.2 Das Alte Testament im Neuen 2.2 Das Alte Testament im Neuen
Die Verfasser der neutestamentlichen Schriften beziehen sich in vielen Fällen auf die heiligen Schriften des Judentums21 zur Darstellung und zur Interpretation des Geschicks Jesu von Nazareth und zur Verkündigung seines Evangeliums. Es besteht kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln, dass auch Jesus selbst in diesen heiligen Schriften unterrichtet war und selbst damit argumentierte.22 Auch der Begriff „Altes Testament“ stammt aus dem Neuen, nämlich aus dem 2. Korintherbrief des Paulus in 2 Kor 3,14. Dort allerdings dient der Begriff noch nicht in erster Linie als Bezeichnung einer Schriftsammlung, sondern bezieht sich auf den „Dienst des Mose“, der dem „Dienst, der den Geist gibt“ kontrastiert wird.23 So ist danach zu fragen, auf welches Schriftenkorpus sich die neutestamentlichen Autoren bezogen, was es bedeutet, dass alle dieses Schriften in griechischer Sprache zitiert werden, vor allem aber, welche unterschiedlichen hermeneutischen Konzepte erkenntnisleitend waren. Die neutestamentlichen Autoren zitieren die Schriften des später so genannten „Alten Testaments“ als „die (heiligen) Schriften“ (zum Beispiel Mt 26,54: αἱ γραφαὶ, 2 Tim 3,15: τὰ ἱερὰ γράμματα), „die Schrift“ (zum Beispiel Joh 17,38: ἡ γραφή), „das Gesetz und die Propheten“ (zum Beispiel Lk 16,16: Ὁ νόμος καὶ οἱ προφῆται) oder auch als „Gesetz, Propheten und die Psalmen“ (zum Beispiel Lk 24,44: πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προφήταις καὶ ψαλμοῖς). Damit beziehen sich die neutestamentlichen Autoren einerseits auf ein kollektives Schriftenkorpus. Andererseits kann aber vorneutestamentlich von einem jüdischen „Kanon“ nicht die Rede sein. Die Tora ist eine gesetzte Größe, wohl ebenso die „Propheten“, aber was außer den Psalmen noch zu einer dritten Gruppe „Schriften“ zu zählen wäre, ist an den Rändern umstritten. Das Neue Testament zitiert zudem in einer Auswahl nach bestimmten Kriterien. So lässt sich ein „alttestamentlicher Kanon“ nicht sicher greifen.24 Zudem zitieren die neutestamentlichen Schriftsteller durchweg auf Griechisch. Das bedeutet nun aber keineswegs, dass dabei immer „die Septuaginta“ als Referenztext gelten kann, oder dass dementsprechend die Septuaginta allein als christliches „Altes Testament“ gelten könne. Vielmehr finden sich zahlreiche Zitate, die den vorhexaplarischen jüdischen Rezensionen der griechischen Bibeltexte entsprechen, die dem hebräischen Text näherstehen als dem Septua-
Vgl. FRANKEMÖLLE, Evangelium. 22 Wenn auch über ein historisch zutreffendes Wie des Schriftgebrauchs Jesu trefflich zu streiten ist; vgl. REVENTLOW, Epochen 1, 52–59; GUNNEWEG, Verstehen, 15–19. 23 Vgl. SCHRÖTER, Urchristentum, 50ff.; G UNNEWEG, Verstehen, 35f.; K OCH, Art. Altes Testament, 13f. 24 Festzuhalten ist aber: „Das Christentum hat dabei im Wesentlichen den Umfang der in der Septuaginta vorkommenden Schriften übernommen“ (SCHRÖTER, Urchristentum, 67). 21
2.2 Das Alte Testament im Neuen
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gintatext moderner Ausgaben.25 Dies könnte dem jeweils zufällig vorhandenen Textbestand geschuldet sein; andererseits könnte die Auswahl der jeweils zitierten Vorlage aber auch bewussten theologischen und hermeneutischen Entscheidungen folgen. Schließlich betrieben die neutestamentlichen Autoren nicht historische Exegese, sondern wollten mit ihren Zitaten das Evangelium von Jesus Christus verkündigen. Darüber hinaus tritt eine Vielfalt hermeneutischer Modelle hervor, mit denen im Neuen Testament auf Texte „der Schrift“ Bezug genommen wird. Im Folgenden bringe ich einige neutestamentliche Schriften mit je einem hermeneutischen Modell in Verbindung.26 Dies geschieht sozusagen prototypisch; denn die angesprochenen Leseweisen finden sich bei unterschiedlichen neutestamentlichen Autoren und nie lässt sich eine neutestamentliche Schrift auf nur ein Modell der Anknüpfung an das Alte Testament reduzieren. Bedenkt man dies, lassen sich dennoch Schwerpunkte erkennen. So spielt insbesondere für das Matthäusevangelium das Denken in den Kategorien Verheißung und Erfüllung eine Rolle.27 Immer wieder deutet der Evangelist Geschehnisse aus dem Leben Jesu als Erfüllung vermeintlicher Verheißungen aus dem Alten Testament. Mit sogenannten Erfüllungszitaten weist er explizit auf solche Verbindungen hin.28 So etwa in Mt 1,22f.: 22 Dies alles aber ist geschehen, damit erfüllt wird, was vom Herrn durch den Propheten gesagt wurde folgendermaßen: 23 Siehe, eine Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären. Und sie werden ihm den Namen Immanuel geben. Das heißt übersetzt „Mit uns ist Gott“.
Damit stellt der Evangelist das Leben Jesu in die Kontinuität zum Reden Gottes (des Herrn) im Alten Testament, genauer beim Propheten Jesaja. Dabei beruft er sich allerdings auf eine griechische Übersetzung, die eben von einer Jungfrau (παρθένος) spricht, während der hebräische Text (und andere griechische Rezensionen!) hier lediglich eine junge Frau erwähnen. Matthäus bezieht sich für sein „Erfüllungszitat“ auf einen hinsichtlich seiner „Beweiskraft“ sehr schwachen Referenztext.29 Freilich ist diese Lesart nicht ohne Vorgeschichte in der jüdischen Auslegung.30 Jedenfalls werden gleich an diesem Beispiel die Leistungen und Probleme des Schemas Verheißung und Erfüllung deutlich.
Vgl. mit zahlreichen Textbeispielen SCHRÖTER, Urchristentum, 57–68. 26 Vgl. zum Folgenden G UNNEWEG, Verstehen, 23–35; B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 33–41; HAYS, Echoes of the Scriptures in the Gospel; Ders., Echoes of the Scriptures in the Letters of Paul. 27 Vgl. R ÖSEL, Art. Verheißung und Erfüllung; PRINSLOO, Art. Verheißung/Erfüllung 1. Alttestamentlich, 632–633; SÄNGER, Art. Verheißung/Erfüllung 2. Neutestamentlich, 633– 634. 28 Vgl. R OTHFUCHS, Erfüllungszitate; LUZ, EKK I/1, 134–140. 29 Vgl. z.B. B EHRENS, Jung(e)frau, 155–165. 30 Vgl. R ÖSEL, Jungfrauengeburt, 135–152. 25
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Der gewonnen Kontinuität zum Reden Gottes im Alten Testament steht gegenüber, dass die vermeintlichen Verheißungen erst von ihrer Erfüllung her überhaupt als solche erkannt werden. Der Evangelist Lukas steht für ein Modell, nach dem die Geschehnisse um Jesus von Nazareth in einer heilsgeschichtlichen Kontinuität zum Reden und Handeln Gottes, wie es die heiligen Schriften Israels schildern, steht.31 So lässt Lukas sein Evangelium im Jerusalemer Tempel beginnen (Lk 1,9) und enden (Lk 24,53). Bei seiner Lesung und Auslegung der Schrift in der Synagoge in Nazareth macht Jesus klar, dass er in der Kontinuität der Verkündigung Jesajas steht (vgl. Lk 4,16–21). In der Apostelgeschichte nimmt dann die Verkündigung der Jünger Jesu seinen Ausgang in Jerusalem und gilt zuerst Judäa und Samaria (vgl. Act 1,8). Freilich geht diese Verkündigung dann auch bis an die Enden der Erde (Act 1,8), sodass der Verfasser der Apostelgeschichte zunehmend auch die Diskontinuitäten zwischen dem traditionellen Judentum und dem sich gerade erst formierenden Christentum zu bedenken hat. Auch Paulus verkündigt in seinen Briefen ein Evangelium, das vorausverkündigt war durch die Propheten in den heiligen Schriften (Röm 1,2: ὃ προεπηγγείλατο διὰ τῶν προφητῶν αὐτοῦ ἐν γραφαῖς ἁγίαις). Zugleich aber steht er für das Modell der typologischen Auslegung alttestamentlicher Texte.32 Demnach finden sich im Alten Testament sog. Typen, die in einem inhaltlichen Entsprechungsverhältnis zu Antitypen in der Verkündigung des Paulus stehen. Das bekannteste Beispiel ist die Typologie von Adam und Christus in Röm 5: Durch den einen ist die Sünde in die Welt gekommen; durch den anderen wird sie vergeben. So ist Adam ein Typos dessen, der kommen wird (Röm 5,14: Αδὰμ ὅς ἐστιν τύπος τοῦ μέλλοντος). In gewisser Weise kann man auch den Glauben Abrahams, den Paulus in Röm 4 und Gal 3 als Beispiel für den rechtfertigenden Glauben anführt, als „Typos“ für die Glaubenden aller Zeiten bezeichnen.33 Problematisch ist dabei wieder, dass die Typen nur erkannt werden, wenn man von den Antitypen herkommt. Wer Gen 2f. liest, erwartet von diesem Text her keinen „Kommenden“, der Adams Handlung wieder ausgleicht oder sein Geschick aufhebt. Genau so aber bezieht sich Paulus in Röm 5 auf die Überlieferung von Paradies und „Fall“. Im Grunde verläuft der Weg immer vom Antitypos zum Typos. Schließlich ist noch das Konzept der allegorischen Deutung alttestamentlicher Texte zu nennen.34 Dabei wird sozusagen „hinter“ dem Wortlaut bibli-
Vgl. BÖTTRICH, Art. Lukasevangelium und als immer noch wirksamen Klassiker: CONZELMANN, Mitte. 32 Vgl. O STMEYER, Art. Typologie, 677–678; W EIGL, Art. Typos/Typologie 1. Alttestamentlich, 613; NIELSEN, Art. Typos/Typologie 2. Neutestamentlich, 614; GOPPELT, Typos. 33 Vgl. B EHRENS, Gen 15,6, 103–116; K ÖCKERT, ZThK 109 (2012), 415–444. 34 Vgl. LOADER, Art. Allegorie/Allegorese 1. Alttestamentlich, 5; ERLEMAN, Art. Allegorie/Allegorese 2. Neutestamentlich, 5f. 31
2.2 Das Alte Testament im Neuen
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scher Texte noch ein verborgener Hintersinn angenommen, der nur dem Eingeweihten ersichtlich ist. Auch dafür finden sich Beispiele bei Paulus, etwa wenn er in 1 Kor 10,4 den Felsen aus der Exoduserzählung (vgl. Ex 17,6) mit Christus identifiziert. Im Buch Exodus geht es darum, dass für die Israeliten aus einem Felsen auf eine wundersame Weise Wasser herausfließt. Nichts deutet darauf hin, dass noch ein anderer, verborgener Sinn darin stecken könnte. Zahlreiche solcher Allegoresen finden sich vor allem im Hebräerbrief. So verschmelzen die Horizonte von Altem und Neuem Testament. Aber obwohl die Allegorese auch in nachneutestamentlicher Zeit in Judentum und Christentum großer Beliebtheit erfreute (und wieder erfreut35), liegen die Probleme auf der Hand: Der Erschließung allegorischer, verborgener Sinndimensionen scheint geradezu ein Akt der Willkür der Auslegung zu sein, dessen Gehalt nicht methodisch intersubjektiv vermittelbar ist. Dieser kurze und, wie gesagt, schematische Überblick über die Möglichkeiten, wie im Neuen das Alte Testament aufgegriffen und ausgelegt wird, erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Es finden sich auch geradezu „historische“ Interpretationen, wenn Paulus zum Beispiel darauf hinweist, dass der Glaube Abrahams vor seiner Beschneidung erwähnt wird und dass das Gesetz am Sinai überhaupt erst Jahrhunderte nach Abrahams Glauben gegeben wird.36 Hier soll nicht allen alttestamentlichen Zitaten im Neuen Testament oder den Details des jeweiligen Schriftgebrauchs nachgegangen werden. Bei der Frage nach einer möglichen christlichen Lesart des Alten Testaments ist aber die Beobachtung festzuhalten, dass bereits im Neuen Testament (also gleichsam von Anfang an) eine große Variationsbreite zu finden ist, wie die Schrift angesichts des Glaubens an Jesus als den Christus zu lesen ist. Gleichwohl ist allen neutestamentlichen Autoren in ihrem jeweiligen Zugang zu ihrer heiligen Schrift gemeinsam, dass sie vom Glauben an Jesus Christus herkommen und dass sich ihr Verständnis der alttestamentlichen Texte von diesem Glauben her erschließt. Dies lässt sich noch einmal an der Geschichte der Emmausjünger und der anschließenden Erscheinung Jesu im Apostelkreis in Lk 24 verdeutlichen. Die ausführliche Erzählung über die beiden Jünger auf ihrem Weg in den (ansonsten unbekannten) Ort Emmaus in Lk 24,13–32 ist im Grunde eine Reflexion über das reziproke Verhältnis von Christusglaube und Schrifterkennt-
Vgl. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Der vierfache Schriftsinn, 175–202. 36 Vgl. Gal 3,17. Gleichzeitig ist für Paulus klar, dass die Texte über Abraham „nicht nur um seinetwillen“ (Röm 4,23: δι᾿ αὐτὸν µόνον), „sondern auch um unsertwillen“ (Röm 4,24: ἀλλὰ καὶ δι᾿ ἡµᾶς) geschrieben wurden. So ergibt sich schon für Paulus der „Sinn“ eines Textes maßgeblich auch in seiner Rezeption und Applikation in der jeweiligen Gegenwart. Eine pauschale, womöglich abwertende Bezeichnung der „Schrift“ als „Gesetz“ findet sich im Neuen Testament übrigens nicht. 35
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
nis. Zunächst erzählen die Jünger von den Geschehnissen der Passion.37 Ein irgendwie gearteter Sinn des solcherart als erlebt Berichteten erschließt sich diesen beiden nicht. Das bleibt auch so als sie die Vorfälle einer scheinbar zufälligen Reisebekanntschaft darlegen, in der sie gerade nicht den auferstandenen Christus erkennen. Dieser selbst stellt erst eine Beziehung der Passion zu dem her, „was die Propheten geredet haben“ (V. 25: ἐλάλησαν οἱ προφῆται). Christus legt sodann „Moses und alle Propheten“ (V. 27: καὶ ἀρξάμενος ἀπὸ Μωϋσέως καὶ ἀπὸ πάντων τῶν προφητῶν διερμήνευσεν αὐτοῖς), ja „alle Schriften“ (ἐν πάσαις ταῖς γραφαῖς) auf sich selbst hin aus.38 Es kommt also zu einem pauschalen hermeneutischen Vorzeichen (διερμήνευσεν αὐτοῖς) vor dem „Alten Testament“ insgesamt, ohne dass ein bestimmter Referenztext genannt würde. Bis dahin verzeichnet der Text keinen Erkenntnisgewinn bei den so Unterwiesenen weder hinsichtlich der Person Christi noch hinsichtlich des Alten Testaments. Erst der quasisakramentale Akt des Brotbrechens erschließt ihnen ihren Mitreisenden als Christus39, und erst danach wird ihnen bewusst, dass ihnen die Schrift in existenzieller Weise „eröffnet“ (V. 32: ὡς διήνοιγεν ἡμῖν τὰς γραφάς;) wurde. Umgekehrt eröffnet aber erst die Schrift den Sinn der Passion, dass nämlich „der Christus dies erleiden musste“ (V. 26: οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ;). Erst in der Perspektive der Schriftlektüre erschließt sich die Erkenntnis, dass Jesus von Nazareth „der Christus“ ist. Der Text berichtet also von einem sehr komplexen Vorgang des Verstehens, der aus eigenem Erleben und dem Erzählen davon, der zunächst missverstandenen Begegnung mit dem Auferstandenen, der Mahlgemeinschaft und dem erneuten „Eröffnetwerden“ der Schrift besteht. Erst in diesem Gesamtzusammenhang kommt ein christliches Verstehen von „Mose und allen Propheten und allen Schriften“ angemessen zu stehen. Ebenso gewinnt erst im Licht der Lektüre des Alten Testaments das Geschehen um Jesus Christus Sinn. Dieser Prozess ist offenbar kein einmaliger; denn der Vorgang wiederholt sich gleich40, als die beiden Jünger im Kreise der „Elf“ von ihren Erlebnissen und ihrem Erkenntnisgewinn berichten. Auch hier ist es schließlich der Auferstandene selbst, der mit einem Selbstzitat darauf hinweist, dass er schon vor seiner
„Lukas lässt die beiden Jünger die Ereignisse, die er selbst in V. 1–12 erzählt hatte, aus ihrer eigenen Perspektive wiedergeben. [...] Von besonderem Interesse sind bei einem solchen Verfahren natürlich die Differenzen zwischen der ursprünglichen auktorialen Erzählung und der erzählten Erzählung: Was wird ausgelassen? Was wird ergänzt? Was wird anders erzählt?“ (WOLTER, HNT 5, 781). 38 „Durch eine Auslegung der Schrift von Mose bis zu den Propheten und Schriften – aller drei Teile des alttestamentlichen Kanons – soll deutlich werden: im Wort der Schrift kommt Jesus zu den Seinen. Erst der Auferstandene hat den Jüngern das Verständnis der Schrift eröffnet“ (WIEFEL, ThHKNT III, 411). 39 Vgl. W OLTER, HNT 5, 785. 40 Vgl. Lk 24,33–49. 37
2.2 Das Alte Testament im Neuen
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Passion von seinem Geschick als der Erfüllung einer prophetischen Vorhersage gesprochen hatte.41 Jetzt allerdings wird dies ausgeweitet auf „Mose, die Propheten in die Psalmen“ (V. 44: ὅτι δεῖ πληρωθῆναι πάντα τὰ γεγραμμένα ἐν τῷ νόμῳ Μωϋσέως καὶ τοῖς προφήταις καὶ ψαλμοῖς περὶ ἐμοῦ). Christus selbst erschließt also (wieder pauschal, ohne konkreten Textbezug) „den Sinn der Schriften, so dass [sie] verstehen“ (V. 45: τὸν νοῦν τοῦ συνιέναι τὰς γραφάς).42 Liest man das 24. Kapitel des Lukasevangeliums so als eine hermeneutische Reflexion über Glauben und Verstehen, dann wird noch einmal klar, dass hier „die Schriften“ von der Begegnung mit dem Auferstandenen, in der Perspektive des Glaubens gelesen werden. Dies ist nicht willkürlich oder grundsätzlich illegitim; denn Jesus und nach ihm die Autoren des Neuen Testaments wollen doch als wesentlichen Kern des Evangeliums den Glauben an den einen Gott verkündigen, von dem auch die alttestamentlichen Schriften reden. Wenn Jesus das „Reich Gottes“ verkündigt und zur „Umkehr“ aufruft (Mk 1,15: ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ· μετανοεῖτε καὶ πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ), dann redet er vom Gott des Alten Testaments, zu dem seine Zuhörer umkehren sollen.43 Und auch Paulus setzt nicht nur durchweg die Identität Gottes in den von ihm zitierten Schriften mit dem Gott, an den er auch nach seiner „Bekehrung“ zu Jesus Christus noch glaubt, voraus44, sondern verkündigt auch den Griechen in Athen gegenüber Gott als den Schöpfergott des Alten Testaments.45 Das Neue Testament erschließt also keinen anderen Gott als die heiligen Schriften des später so genannten Alten Testaments; zugleich erschließen sich diese Schriften in der Perspektive des Lebens, Lehrens, Leidens und Auferstehens des Jesus von Nazareth als des Christus neu. Umgekehrt aber führt erst in der Perspektive des „alttestamentlichen“ Redens von Gott ein Weg von Jesus von Nazareth zu Jesus Christus.46 In dieser Perspektivität wird dann das Alte Testament auch eklektisch gelesen; das heißt es werden diejenigen Texte ausgewählt, die dieser perspektivischen Sicht am besten zu entsprechen scheinen. So werden bekanntermaßen
Vgl. Lk 18,31 42 Und auch hier gilt reziprok: „Das Geschehen von Kreuz und Auferstehung wird zum Schlüssel der Schrift und wird selbst von der Schrift erhellt (vgl. 1. Kor 15,3–5)“ (WIEFEL, ThHKNT III, 417). 43 Nach Mt 3,2 und 4,17 ist diese Botschaft identisch mit derjenigen Johannes des Täufers. 44 Vgl. 2 Kor 4,6. Der Gott, der sprach „es werde Licht!“, offenbart seine Herrlichkeit auf dem Angesicht Jesu Christi. 45 So jedenfalls nach dem lukanischen Bericht; vgl. Act 17,24ff.; vgl. Kapitel 6.4. 46 In der Emmauserzählung berichten die Jünger zunächst von „der Sache mit Jesus von Nazareth“ (Lk 24,19: τὰ περὶ Ἰησοῦ τοῦ Ναζαρηνοῦ); während Jesus selbst aus den Schriften das Schicksal „des Christus“ (Lk 24,26: οὐχὶ ταῦτα ἔδει παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ; V. 46: καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὅτι οὕτως γέγραπται παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν τῇ τρίτῃ ἡμέρᾳ) erschließt. 41
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
das Buch Jesaja und die Psalmen im Neuen Testament am häufigsten zitiert. Zugleich wird in die zitierten Texte auch eingegriffen, etwa indem Mischzitate gebildet oder direkte Textänderungen vorgenommen werden.47 Dieses Schicksal widerfährt alttestamentlichen Texten freilich nicht nur im Neuen Testament, sondern auch in haggadischen Auslegungen48, ja bereits inneralttestamentlich lässt sich Ähnliches greifen. Auch mit neutestamentlichen Texten wird im Laufe der Kirchengeschichte ähnlich verfahren. Der Glaube an Jesus Christus lässt das Alte Testament in einer neuen Perspektive erscheinen, und zugleich wird erst durch das Reden Gottes im Alten Testament die Geschichte des Jesus von Nazareth als das Handeln eben desselben Gottes voll verstanden. Aus exegetischer Sicht wird dann immer nach der Angemessenheit solcher Auslegungen im Einzelfall zu fragen sein. Zunächst aber ist die Vielfalt hermeneutischer Konzepte im Neuen Testament und die Komplexität der Einbindung des im Entstehen befindlichen „Alten Testament“ in ein sich ebenfalls erst formierendes christliches Sinnganzes wahrzunehmen. Die Gemeinschaft der Christusgläubigen, die später mit dem Begriff „Christinnen und Christen“ bezeichnet werden wird, bezieht sich also in mannigfacher Weise auf Texte der „Schrift“ als Wort Gottes an sie selbst. Im Fortgang dieser Untersuchung wird zu fragen sein, ob sich ein solches Verständnis als Wort Gottes in den alttestamentlichen Texten selbst findet49 und ob die Art und Weise, wie die alttestamentlichen Texte von Gott reden50 eine solche Anknüpfung durch eine dann „christliche“ Interpretation erlauben.
2.3 Tendenzen der alttestamentlichen Hermeneutik in der Alten Kirche und im Mittelalter 2.3 Alte Kirche und Mittelalter
Die Alte Kirche ist in ihrem Umgang mit dem Alten Testament weitgehend auf den Spuren weiter gegangen, die die neutestamentlichen Autoren gebahnt hatten.51 Das heißt zuerst: der als orthodox geltende breite Strom der Christenheit hat am Alten Testament festgehalten.52 Bei allen Unterschieden im Einzelnen
Vgl. BEHRENS, Habakuk 2,1–4, 166–180, bes. 176ff. (zur Zitation von Hab 2,3f. in Hebr 10,37f.; Röm 1,17 und Gal 3,11) oder mit zahlreichen Beispielen SCHRÖTER, Das Alte Testament, 73–79. 48 Vgl. M ARTINI, Art. Aggada; M ARTINI/TALABARDON, Art. Bibelauslegung, jüdische. 49 Vgl. Kap. 4. 50 Vgl. Kap. 6. 51 Vgl. POLLMANN, Alte Kirche, 9–11. Allerdings zeichnet sich beim Schriftgebrauch der Alten Kirche schon früh eine Tendenz ab, das Alte Testament so sehr als christlichen Text zu lesen, dass das Judentum dabei enteignet wird; so z.B. im Barnabasbrief; vgl. REVENTLOW, Epochen 1, 117–124. 52 Vgl. G UNNEWEG, Verstehen, 37–39. 47
2.3 Alte Kirche und Mittelalter
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gilt dabei für alle Spielarten der kirchlichen Lektüre des Alten Testaments, dass diese Schriften als Zeugnis von Christus, sozusagen von Christus her auf Christus hin gelesen werden. Auch wo, wie in der Antiochenischen Tradition53, der Literalsinn der Texte höher gewertet wird als eine allegorische Auslegung, ist doch an ein historisches Verstehen im modernen Sinn nicht gedacht. Immer soll mit diesen Texten das Wort des Gottes, der der Vater Jesu Christi ist, verkündigt werden. Als Maßstab für eine solche Lektüre dürften ab dem späten zweiten Jahrhundert Sammlungen der neutestamentlichen Schriften gedient haben, auch wenn der Osterfestbrief des Athanasius 367 n.Chr. das erste schriftliche Zeugnis eines christlichen Bibelkanons ist, der als verbindlich gelten kann.54 Neben das so sich formierende und schließlich ab dem 4. Jahrhundert ebenfalls als heilige Schrift geltende Neue Testament treten dann summarische Glaubensbekenntnisse, die man mit dem Terminus regula fidei bezeichnet und deren geronnenes Zeugnis vielleicht später im Apostolikum zu greifen ist.55 Diese werden zum hermeneutischen Schlüssel von Altem und Neuem Testament. Dabei ergibt sich für die christliche Bibelauslegung nicht nur, aber besonders des Alten Testaments eine Spannung. Weil es sich dabei um einen heiligen (inspirierten) Text handelt, ist der Text nun zu bewahren, wie er ist – und das mit allergrößter Sorgfalt und Genauigkeit. Andererseits soll mit diesen Texten das Evangelium von Jesus Christus verkündigt werden und Hinweise für christliches Glauben und Leben erfolgen, was sich aus dem historisch abständigen Text nicht ohne weiteres ergibt. Also erfolgt eine Auslegung, wie sie schon im Neuen Testament zu finden ist mittels der Typologie, der Allegorese oder der zunehmend fatalen Substitutionstheologie, die alles, was von Israel gilt, kurzerhand auf die Kirche überträgt. Es lässt sich aber insgesamt in der Kirchengeschichte bis in die Moderne hinein eine bleibende Spannung zwischen Hochschätzung des Textes in seinem Literalsinn und einer applikativen, je aktuellen Auslegung beobachten. Dies lässt sich zum Beispiel greifen, wenn Origenes einerseits die allegorische Auslegung so nachhaltig in der Kirche verankert, dass sie auch die mittelalterlicher Exegese fast ganz beherrscht, andererseits mit seiner Hexapla einiges für genaue Sicherung des alttestamentlichen Textbestandes tut.56 Demgegenüber bemüht sich Hieronymus für lange Zeit als letzter christlicher Theologe um den hebräischen Wortlaut des Alten Testaments,
Vgl. z.B. REVENTLOW, Epochen 2, 9–27 sowie HIDAL, Antiochene School, 534–568. 54 „Trotz verbleibender kleinerer Unklarheiten (Apk, Hebr) war damit die wichtigste Epoche der Kanonbildung abgeschlossen“, urteilt SCHINDLER, Art. Kanon II, 769. 55 Zur Breite und Unschärfe des Begriffs regula fidei vgl. D RECOLL, Art. Regula fidei, 199–200. 56 Vgl. TZVETKOVA-G LASER, Origenes, 13–22; zur Hexapla vgl. FISCHER, Text, 133– 142, sowie zur Alexandrinischen Schule insgesamt: PAGET, Alexandrine Tradition, 478– 542. 53
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
ist aber gleichzeitig selbstverständlich davon überzeugt, dass diese Schriften von Dingen des christlichen Glaubens reden.57 Und auch die Antiochenische Theologie, die den Literalsinn höher schätzt als die Allegorie, befragt die alttestamentlichen Texte nicht nach einem „historischen“ Sinn, sondern liest sie im Hinblick auf ihre Bedeutung für Christen. In der Tendenz bleibt dies auch im Mittelalter so, auch wenn die exegetischen Methoden mit dem vierfachen Schriftsinn verfeinert, oder bestimmte Auslegungen quasi dogmatischen Rang erhalten.58 Erst an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit ergibt sich aus dem Humanismus einerseits und der Reformation andererseits eine gewisse neue Dynamik. Der Humanismus führt mit seinem Ruf ad fontes und der damit verbundenen erneuten Hochschätzung der biblischen Ursprachen Hebräisch und Griechisch zu einem erneuten Interesse am Literalsinn der biblischen Texte.59 Die Reformation führt mit ihrer Betonung des sola scriptura oder auch des verbo solo die Schrift gegen eine aus ihrer Sicht verkrustete Theologie ins Feld. Das Vertrauen darauf, dass der Wortsinn in sich klar ist und sich auch ohne Gelehrsamkeit in der Allegorie verstehen lässt, führt Luther ja zu seinem kühnen Unterfangen einer Bibelübersetzung in die Volkssprache. Dennoch lohnt sich gegen das Klischee, Luther habe nun nichts als den wörtlichen Sinn biblischer Texte gegen jede Allegorie ins Feld führen wollen, ein näherer Blick auf die Auslegungen und die hermeneutischen Leitlinien des Wittenberger Reformators – gerade im Hinblick auf das Alte Testament.60
Vgl. REVENTLOW, Epochen 2, 39–52; KIEFER, Jerome, 663–681. 58 Vgl. zur zu mittelalterlichen Bibelhermeneutik insgesamt R EVENTLOW, Epochen 2, 146–288 und zur Bedeutung und zur Methode des Thomas von Aquin: PRÜGL, Thomas von Aquin, 191–206 sowie SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Der vierfache Schriftsinn, 191– 200. 59 Vgl. R EVENTLOW, Epochen 3. 60 Luther kommt hier wiederum als Beispiel für eine bestimmte Form christlicher Perspektivität in den Blick, die aber doch für weite Teile des Protestantismus prägend wurde und zumindest mittelbar auch den katholischen Umgang mit der Schrift beeinflusst hat. 57
2.4 Das AT in der Kirche am Beispiel Martin Luthers
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2.4 Das Alte Testament in der Kirche am Beispiel Martin Luthers 2.4 Das AT in der Kirche am Beispiel Martin Luthers
2.4.1 Martin Luthers Bibelauslegung in einem hermeneutischen Dreieck Martin Luther (1483–1546) hat in seinem theologischen Ringen um die Reformation der damaligen Kirche vor allem mit dem Instrument der Bibel gefochten. Von seiner akademischen Tätigkeit her könnte der Wittenberger Professor aus heutiger Sicht als „Exeget“, ja als „Alttestamentler“ bezeichnet werden. Einen Großteil seiner akademischen Lehrtätigkeit hat er der Auslegung biblischer, vor allem alttestamentlicher Bücher gewidmet.61 Dazu kamen eine umfangreiche Predigttätigkeit und natürlich die Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Als hermeneutische Prinzipien werden dabei immer wieder das sola scriptura62 oder das sacra scriptura sui ipsius interpres63 genannt, die Luther gegen eine kirchlich dominierte und dogmatisch von der Tradition her normierte Bibelauslegung ins Feld führte. Dabei erschließt sich für Luther (und nach ihm für die lutherische Bekenntnisbildung) die ganze Schrift von ihrem klaren Inhalt her, den er mit der Chiffre Christus bezeichnet oder als das, was Christum treibet.64 Wichtig ist dabei, dass Christus hier neben der Person auch das Werk Christi umfasst, das als umfassendes Versöhnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch in den Anredeformen Gesetz und Evangelium eben aus der ganzen Schrift zu hören ist.65 Luther selbst betont, dass es der literalis sensus sei, der alle wesentlichen Inhalte des Glaubens vermittle, obwohl er selbst früher auch die Allegorie getrieben habe.66 Zumindest dem Wortlaut nach könnte sich die moderne Exegese, die nach dem historischen Ursprungssinn biblischer Texte fragt, also auf Luther berufen. Dabei ist aber zu bedenken, dass für Luther der sensus literalis nicht mit
Vgl. HERMLE, Art. Luther, Martin (AT). 62 Vgl. LUTHER, WA 7, 98f.: „Nolo omnium doctior iactari, sed solam scripturam regnare [....].“ 63 Vgl. WA 7, 97. 64 Vgl. LUTHER, Vorrede auf die Episteln S. Jacobi und Judae, 216: „Und darin stimmen alle rechtschaffenen und heiligen Bücher überein, dass sie allesamt Christum predigen und treiben.“ 65 Vgl. exemplarisch Philipp Melanchthon in der Apologie der CA: „Universa scriptura in hos duos locos praecipuos distrbui debet: in legem et promissionem“ (BSELK, 269). 66 So in einer Tischrede von 1540: „Weil ich jung war, da war ich gelertt, und sonderlich, ehe ich in die theologia kam, da gieng ich mitt allegoriis, tropologiis, analogiis umb und machte lauter kunst: wens itzt einer hette, der hilts vor eitell heiltumb. Ich weiß, das ein lauter dreck ist, den nuhn hab ichs faren lassen, und diß ist mein letzte und beste kunst: Tradere scripturam simplici sensu, denn literalis sensus, der thuts, da ist leben, trost, krafft, lehr und kunst inen. Das ander ist narren werck, wie wol es hoch gleist“ (WA.TR 5, 45). 61
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
einem historischen Textsinn moderner Exegese identisch ist. Er will biblische Texte grundsätzlich nicht in einer historischen Abständigkeit zum heutigen Leser belassen. Vielmehr hält ja gerade der Literalsinn „leben, trost, krafft, lehr und kunst“ für den je gegenwärtigen Leser und Hörer der Schrift inne. Luther zeichnet dabei den Literalsinn in ein hermeneutisches Dreieck ein. Dies entfaltet er kurz, aber prägnant in der Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften von 1539.67 Luther nimmt darin die gesammelte Veröffentlichung seiner eigenen Schriften zum Anlass, über das Verhältnis von theologischer Literatur zu den biblischen Schriften zu reflektieren. Letzteren räumt er als Quelle der ersteren unbedingte Priorität ein. Dies lässt ihn „eine rechte weise in der Theologia zu studirn“68 darlegen. Dafür sind drei Faktoren ausschlaggebend: „Oratio, Meditatio, Tentatio“69, die Luther im 119. Psalm zu finden meint. Da er aber eingangs bereits die Heilige Schrift als die Quelle und das Zentrum christlichen Glaubens und christlicher Theologie bestimmt hatte, bilden nun diese drei Größen die Eckpunkte eines bibelhermeneutischen Dreiecks. Die Oratio oder das Gebet bezeichnet dabei den Gottesbezug der Schriftlektüre. Nicht allein mit Mitteln der Vernunft ist etwas „vom ewigen leben“ zu erfassen, also einer Botschaft, die nun gerade alle Vernunft übersteigt, zugleich aber das Proprium der Bibel ist. Vielmehr bedarf auch der Verstand des Theologen einer trinitarischen Erleuchtung, indem Gott „dir durch seinen lieben Son wolle seinen heiligen Geist geben, der dich erleuchte, leite und verstand gebe.“70 Theologische Bibellektüre findet also in einem Gottesbezug statt. Sogleich aber legt Luther dar, dass er den Gebrauch eines so „erleuchteten“ Verstandes durchaus für unerlässlich hält. Das Stichwort Meditatio beschreibt nämlich nicht eine Form von Innerlichkeit, sondern im Gegenteil genaue Textlektüre. „Nicht allein im hertzen, sondern auch eusserlich die mündliche rede und buchstabische wort im Buch immer treiben und reiben, lesen und widerlesen, mit vleissigem auffmercken und nachdenken, was der heilige Geist damit meint.“71 Diese Aufforderung zur philologischen Genauigkeit und Reflexion kommt dem am nächsten, was später Exegese heißt. Denn ganz allein durch spirituelle Erleuchtung erschließt sich die Schrift offenbar nicht. Vielmehr weiß man, „was der heilige Geist damit meint“, immer nur aus dem „reiben und treiben“ des „buchstabischen Worts“. So bildet der Text- oder Schriftbezug den zweiten Punkt des hermeneutischen Dreiecks. Als Tentatio, als Anfechtung kommt für Luther der Existenzbezug dazu. „Die ist der Prüfestein, die leret dich nicht allein wissen und verstehen, sondern
Vgl. WA 50, 657–661. 68 WA 50, 658. 69 WA 50, 659. 70 WA 50, 659. 71 WA 50, 659. 67
2.4 Das AT in der Kirche am Beispiel Martin Luthers
53
auch erfahren, wie recht, wie warhafftig, wie süsse, wie lieblich, wie mechtig, wie tröstlich Gottes wort sey, weisheit uber alle weisheit.“72 Denn theologische Schriftlektüre führt für Luther immer in die Erhellung der eigenen Existenz. In diesem hermeneutischen Dreieck aus Gottes-, Text- und Existenzbezug spielt sich Luthers Exegese grundsätzlich immer ab. Dies erschließt auch den Zugang zu seiner Lektüre des Alten Testaments.73 2.4.2 Luthers alttestamentliche Hermeneutik anhand der „Unterrichtung“ 1525 hielt Luther eine Predigtreihe über den Dekalog, an deren Anfang eine Predigt mit dem Titel „Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose schicken sollen“74 stand. Dieser Text ist später als eine Art hermeneutischer Schlüssel Sammlungen von Genesis-, sowie von Exoduspredigten vorangestellt worden. Unterstreicht so bereits Luther selbst den programmatischen Charakter dieses Textes, so wurde er in der Forschungsgeschichte immer wieder herangezogen, um den Zugang des Reformators zum Alten Testament insgesamt zu erhellen.75 Luther beginnt seine Ausführungen mit der aus heutiger Sicht eigentümlichen Bemerkung, dass Gott selbst in der Bibel eigentlich nur zweimal direkt vom Himmel gepredigt habe. Das eine Mal bei der Gesetzesverkündigung am Sinai (Ex 20) und das andere Mal beim Pfingstereignis (Act 2). Luther schließt: „Die erste prediget und leer ist das gesetz Gottis, die Ander das Euangelium“76. Dies könnte der immer wieder vertretenen Meinung Vorschub leisten, Luther identifiziere die Größen „Gesetz“ und „Evangelium“ mit den Corpora Altes und Neues Testament. Das ist ein Missverständnis. Zu bedenken ist im Hinblick auf die Unterrichtung, dass Luther nicht vom Alten Testament insgesamt, sondern vom „Mosaischen Gesetz“77 spricht und dies in einem bestimmten Gebrauch thematisiert. Und auch im Pentateuch findet Luther Evangelium.
WA 50, 660. 73 Es geht im Folgenden um eine beispielhafte Annährung an Luthers Hermeneutik des Alten Testaments. Vollständigkeit ist hier weder zur erreichen noch beabsichtigt; vgl. immer noch BORNKAMM, Luther und das Alte Testament, IV, dessen Anregung von 1948 (!), die Exegeten möchten sich doch einmal der Fragestellung annehmen, bis heute nicht wirklich aufgegriffen wurde; vgl. aber jetzt RAEDER, Martin Luther, 363–406. 74 Vgl. WA 16, 363–393; jetzt auch in: Deutsch-Deutsche Studienausgabe 1, 525–549 (dort eingeleitet und übertragen von Notger Slenczka). 75 Vgl. schon B ORNKAMM, Luther und das Alte Testament, 104ff.; jetzt SLENCZKA, Vom Alten Testament, 195f.; 226ff. 76 WA 16, 366. 77 Der Begriff versucht zu fassen, was Luther mit „ynn Mosen“ meint. Im Grunde genommen bezieht er sich auf den Pentateuch als Ganzen, wie die Verweise auf Gen 3; 22 und Dtn 18 deutlich machen. Dass die heutige Exegese die Gesetzeskorpora des Pentateuch vor allem hinsichtlich ihrer Literargeschichte wesentlich differenzierter betrachtet, ist dabei mit zu bedenken. 72
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Luthers zentrale These zu dem „Gesetz“, das sich im Pentateuch findet, lautet dann: „Das gesetz Mosi bindet die Heyden nicht sonder allein die Iuden.“78 Dabei sind die „Heyden“ die christlichen Zeitgenossen Luthers. Er sieht sich vor allem mit Angriffen aus enthusiastischen Strömungen der Reformation konfrontiert, die in einer Radikalisierung des sola scriptura alttestamentliche Gesetze unmittelbar zur Legitimation eigener Lebenspraxis heranziehen wollten.79 Luther steht dabei noch ganz unter dem Eindruck des Bauernkrieges (1525/26), den er auch als Folge solcher Schriftinterpretation sieht.80 Luther weist damit also nicht das Alte Testament insgesamt, sondern einen zur Rechtfertigung des eigenen Handelns in Anspruch genommen usus politicus81 alttestamentlicher Gesetze ab. Von besonderem Gewicht ist dabei das Adressatenargument. Das Gesetz ist den Juden gegeben. Sie hat Gott aus Ägypten geführt, „uns“ – also Luthers christliche Zeitgenossen – nicht.82 Im Sinne eines Gesetzes gilt für diese Texte: „Moses ist der Iuden sachsen spiegel.“ 83 Wenn die Gebote des Dekalogs auch bei Heiden und Christen in Geltung sind, dann nicht, weil Mose sie geboten hat, sondern weil sie als ein natürliches Gesetz jedermann ins Herz geschrieben sind.84 Bei der Frage nach der gegenwärtigen Verbindlichkeit biblischer Gebote nach den eigentlichen Adressaten zu fragen, kann einerseits als beachtliche Differenzierungsleistung Luthers gelten.85 Es stimmt, „dass sich hier ein Moment der Historisierung der Texte und ihres Geltungsanspruches und damit ein Moment des hermeneutischen Problems Geltung verschafft, das zu Grundsignatur der neuzeitlichen Theologie und ihres Umgangs mit den biblischen Schriften werden wird.“86 Andererseits ist das Adressatenargument hermeneutisch nicht eindeutig. Bedenkt man den historischen Abstand, so ließe sich für Christenmenschen auch hinsichtlich der neutestamentlichen Schriften fragen, wem sie eigentlich gesagt sind. Die Paulusbriefe haben zum Beispiel eindeutige Adressaten, und die sind nicht „wir“. Aber auch die pauschale Zu-
WA 16, 371. 79 WA 16, 372: „Das sage ich umb der schwürmer geyster willen. Denn yhr sehet und höret wie sie den Mosen lesen, ziehen hoch an und bringen herfur, wie Moses das volck mit gepotten hab regirt“. 80 WA 16, 383f.: „Daraus ist iamer und nott kommen. Da sind die bawern auffgestanden, haben kein unterscheyd gewusst, sind also ynn den yrthumb gefurt von den tollen rotten geystern“. 81 Zu den usus legis vgl. z.B. PETERS, Art. Gesetz, 146. 82 WA 16, 373: „Aus dem text haben wyr klar das uns auch die zehen gepot nicht angehen, denn er hat uns yhe nicht aus Egypten gefurt, sondern allein die Iuden.“ 83 WA 16, 378. 84 Vgl. WA 16, 372. 85 Vgl. dazu D ABROCK, Ja, lieber Gesel, 121–167. 86 So Notger Slenczka in seiner Einleitung zur „Unterrichtung“, Deutsch-Deutsche Studienausgabe 1, 527. 78
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schreibung der Mosaischen Gebote an „die Juden“ ist nicht unproblematisch.87 Lässt man einmal die historischen Fragen nach der Entstehung des Judentums beiseite, bleibt immer noch die Tatsache, dass auch zu Luthers Zeiten der Großteil der alttestamentlichen Zeremonialgesetze jüdischen Menschen nicht mehr als konkrete Handlungsanweisung dienten. Das Phänomen hat sich heute eher verschärft. So muss die Frage nach den Adressaten biblischer Texte stärker zu der nach den Rezipienten werden. Wer lässt sich mit welchen Gründen was gesagt sein? Luther macht sich dann selbst den Einwand, warum er überhaupt noch über „Mose“, also im Folgenden konkret über den Dekalog, predige. Der Hauptteil seiner Unterrichtung besteht in einer dreiteiligen Antwort auf diese Frage. Zum Ersten finden sich im Pentateuch zahlreiche vorbildliche Gesetze, an denen sich auch Christen und christlicher Herrscher orientieren könnten, weil sie sinnvoll sind. Luther nennt den Zehnten, das Erlassjahr und die Leviratsehe. Dies muss aber freiwillig geschehen und nicht, weil Mose es geboten hat.88 Zweitens finden sich im Pentateuch Verheißungen Christi und des Evangeliums. Luther führt das sog. „Protevangelium“ in Gen 3,15, die Verheißung an Abraham in Gen 22 und die Ankündigung eines „Propheten wie mich“ in Dtn 18,15 an.89 Auch hier konzentriert sich Luther auf den Pentateuch; es geht ihm eben nicht um das Alte Testament insgesamt. Aber auch im „Mose“ findet Luther Evangelium als promissio. Drittens schließlich seien viele Gestalten des Pentateuch auch für Christen Vorbilder des Glaubens.90 So gelesen und gepredigt, hat auch „der Mose“ Christen etwas zu sagen. Zuletzt verbindet Luther das Adressatenargument noch einmal mit Überlegungen zum Wort Gottes; denn seine Gesprächspartner hatten ihm offensichtlich entgegenhalten, auch die mosaischen Gesetze seien doch Gottes Wort. Luther erwidert: „Ist alles Gottes wort; Gottes wort hyn, Gottes wort her; ich muss wissen und achthaben zu wem das wort Gottes geredt werde.“91 Und weiter: „Es ist zweyerley wort ynn der geschrifft; das erst gehet mich nicht an, betrifft mich nicht; das ander betrifft mich“92. Dass diese Differenzierung, die Luther im Wortlaut für erkennbar hält, in praxi nicht immer so eindeutig ist, war schon gesagt worden. Jedenfalls taugt der Reformator nicht zum Biblizisten. Luther hat die Möglichkeit, den Charakter der Schrift als Wort Gottes festzuhalten,
Gerade in seiner Hermeneutik des Alten Testaments liegt ein bisher in seiner Tragweite noch nicht ausreichend beachteter Grund zu Luthers vielfach diskutiertem Antijudaismus; vgl. z.B. KAUFMANN, Luthers Juden; WENDEBOURG, ThLZ 140 (2015), 1034–159; EHMANN, LuThK 41 (2017), 149–163; KLÄN, LuThK 41 (2017), 164–185; STOLLE, Israel, 322–252. 88 Vgl. WA 16, 375–380. 89 Vgl. WA 16, 380–383. 90 Vgl. WA 16, 291f. 91 WA 16, 384. 92 WA 16, 385. 87
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ohne dass daraus eine undifferenzierte, womöglich zeitlose gleiche Gültigkeit aller Schriftworte folgt. Das ist für jede theologische Hermeneutik als weiterführend festzuhalten. Luthers „Unterrichtung“ kann nicht als Argument dafür dienen, das Alte Testament sei als „Gesetz“ für Christen nicht mehr gültig oder relevant. Die Schrift wehrt vielmehr einen allzu unmittelbaren Zugriff auf mosaische Gesetze im Sinne eins usus politicus legis zur Legitimation eigener Interessen ab. Dazu führt sie mit dem Adressatenargument und im Ansatz auch der Wahrnehmung des historischen Abstands hermeneutische Kriterien ein. Gleichzeitig sieht Luther im Pentateuch aber Gottes Wort und Verheißungen des Evangeliums. Auch „Mose“ hat also Christen etwas zu sagen. Dafür bedarf es aber hermeneutischer Differenzierungen. Die Art und Weise, wie Luther dieses Problem löst, kann heute nicht mehr vollständig überzeugen. Aber die Fragen bleiben auch für eine zeitgenössische christlich-theologische Hermeneutik des Alten Testaments hoch aktuell. 2.4.3 Luthers alttestamentliche Hermeneutik anhand seiner Vorreden Neben der „Unterrichtung“ können Luthers Vorreden93 zu den biblischen Büchern sozusagen als hermeneutische Programmtexte gelten.94 Bibelvorreden gibt es in der abendländischen Tradition seit Hieronymus‘ Vorreden zur Vulgata reichlich.95 Auf Latein verfasst, richteten sich diese an ein gelehrtes Publikum. Luther verfasst nun seine Vorreden in der Volkssprache bewusst als Leseanleitung mit einem doppelten Brennpunkt: „die Botschaft der Bibel und den Leser“96. Für Luther ist die „Botschaft“ das „Evangelium“, das für ihn keine Literaturgattung darstellt und auch nicht auf die Biographie des Jesus von Nazareth beschränkt ist. Vielmehr sieht er darin die frohe Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders, die Luther als Zentrum der ganzen Bibel auf die eine oder andere Weise in beinahe allen biblischen Schriften findet. Diese will er seiner Leserschaft ans Herz legen. Zugleich sind seine Vorreden Leseanleitungen. Er informiert den Leser über den Inhalt biblischer Schriften, deren Theologie und Aufbau, über historische Hintergründe und äußert auch kritische Ansichten (zum Beispiel über die Verfasserfrage einzelner Bücher). Er mutet also der Leserschaft einiges zu. Aber dadurch werden die Vorreden zu einem Grundsatzprogramm lutherscher Hermeneutik und Schrifttheologie.
Die Vorreden werden hier zitiert nach BORNKAMM (Hg.), Vorreden, da diese sprachlich leicht geglättete und seit 1967 vielfach verbreitete und leicht zugängliche Ausgabe alle Texte kompakt versammelt. 94 Vgl. A RMBRUSTER, Bibelvorreden. 95 Vgl. B ORNKAMM, Einleitung zu Luthers Vorreden, 12ff.; SCHILD, Bibelvorreden. 96 B ORNKAMM, Einleitung zu Luthers Vorreden, 15 [Hervorhebung so im Original]. 93
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Noch bevor 1534 seine erste vollständige Bibelausgabe erscheint, verfasst Luther 1523 eine Vorrede auf „das Alte Testament“97 und beginnt grundsätzlich: Das Alte Testament halten etliche für geringe, als das, was dem jüdischen Volk allein gegeben und nun fort aus sei und nur von vergangenen Geschichten schreibe; meinen, sie haben genug am Neuen Testament und geben vor, eitel geistlichen Sinn im Alten Testament zu suchen.98
Diese Ansicht weist Luther grundsätzlich zurück. Er wehrt damit hinsichtlich des ganzen Alten Testaments die Ansicht ab, es sei „dem jüdischen Volk allein“ gegeben. Auch eine rein historische Lesart, nach der die Geschichten im ersten Kanonteil „vergangen“ seien, weist er zurück, ebenso wie eine allegorische Deutung („eitel geistlichen Sinn“). Vielmehr sei das Alte Testament schon deshalb relevant, weil sich das Neue durchgehend darauf beziehe: „Hier wirst du die Windeln und die Krippe finden, da Christus innen liegt, dahin auch der Engel die Hirten weiset. Schlechte und geringe Windeln sind es, aber teuer ist der Schatz Christus, der drinnen liegt.“99 Weltbild, Sprache, Gedanken und Theologie des Neuen Testaments sind ohne das Alte nicht zu haben. Sodann führt Luther aus, dass das Alte Testament grundsätzlich Gesetz („was man tun soll“) und das Neue Testament grundsätzlich Evangelium („woher man’s nehmen soll“) enthalte. Dennoch „sind auch im Alten Testament neben den Gesetzen etliche Verheißungen und Gnadensprüche, damit die heiligen Väter und Propheten unter dem Gesetz im Glauben Christi, wie wir, erhalten sind.“100 Gesetz und Evangelium lassen sich demnach nicht schlicht auf die beiden Kanonteile verteilen, wenn es auch Schwerpunkte gibt. Die Vorrede auf das Alte Testament ist sodann eigentlich eine Einführung in den Pentateuch; denn andere alttestamentliche Bücher werden nicht behandelt. Dabei geraten die Bücher Genesis und Deuteronomium besonders in den Fokus. Das Buch Genesis handelt für Luther vor allem von Schöpfung und Fall. Sodann enthält es aber schon keimhaft das Evangelium von Christus (im Protevangelium). Diese Verheißung aber fordert Glauben oder Unglauben. „Also hat das erste Buch Mose fast eitel Exempel des Glaubens und Unglaubens, und was Glaube und Unglaube für Früchte tragen, und ist fast ein evangelisches Buch.“101 Die Bücher Exodus, Levitikus und Numeri handeln von Gottes Einrichtung des Gesetzes durch Mose. Während sich das Buch Levitikus auf die Installation des Priestertums konzentriert, wird insbesondere am Buch Numeri mit seinen
Vgl. LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 41–59. 98 LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 41. 99 LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 42. 100 LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 43. 101 LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 43. 97
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Murr- und Abfallgeschichten des Volkes Israel der usus elenchticus des Gesetzes deutlich. „So dass dies Buch ein merklich Exempel ist, wie gar es nichts ist, mit Gesetzen die Leute fromm machen; sondern, wie S. Paulus sagt, dass das Gesetz nur Sünde und Zorn anrichtet.“102 Viel Raum widmet Luther dem Buch Deuteronomium. Darin zeige sich gerade in der Wiederholung aller Gesetze das Amt des Mose, der Gesetze nicht nur gibt, sondern auch deren Umsetzung begleitet. Luther findet in den Gesetzen des Dtn sein Prinzip von evangelischer Ethik wieder: „Aber diese Erklärung im fünften Buch enthält eigentlich nichts anderes als den Glauben zu Gott und die Liebe zum nächsten; denn dahin langen alle Gesetze Gottes.“103 Glaube und Liebe ist also das Grundprinzip des deuteronomischen Gesetzes.104 Allein die Fülle der in den Gesetzessammlungen des Pentateuch aufgeführten Gebote macht für Luther den usus elenchticus des Gesetzes deutlich.105 Schon im Deuteronomium wird aber „der Prophet“ (Dtn 18) verheißen, der für Luther Christus ist und auf diese Überführung der Sünde durch das Gesetz mit dem Trost des Evangeliums antwortet.106 Es geht Luther vor allem um die theologische Auseinandersetzung mit dem Gesetz und um die Erklärung des Gesetzes, für das das Alte Testament hauptsächlich steht. Anders als in der Unterrichtung legt er hier den Schwerpunkt nicht auf den usus politicus, der Christinnen und Christen nicht mehr betrifft, sondern schärft den usus elenchticus ein, der auf „Christus“ und das Evangelium zielt. Außerdem macht er das Gesetz in der Lesart von Glaube und Liebe für die evangelische Ethik fruchtbar. Die Vorrede ist zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer für eine christliche Lesart des Alte Testament. Wer als Christ meint, er habe am Neuen Testament genug, der nimmt Christus sozusagen die Krippe und die Windeln weg.
LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 44. 103 LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 45. 104 Darin ist Luther übrigens auch aus heutiger exegetischer Sicht zuzustimmen. Dementsprechend ist eine Zusammenfassung des Deuteronomiums unter der Kategorie „Gesetz und Evangelium“ jedenfalls im lutherschen Sinn der Formel nicht sinnvoll; vgl. BEHRENS, Gesetz und Evangelium, 117–142. 105 LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 51f.: „Also sehen wir, dass solche und so mancherlei Gesetze Moses nicht allein darum gegeben sind, dass niemand Eigenes zu erwählen brauchte, um Gutes zu tun und wohl zu leben, wie droben gesagt ist; sondern vielmehr darum, dass der Sünden erst viel würden und sich über die Maßen häuften, das Gewissen zu beschweren: auf dass die verstockte Blindheit sich erkennen müsste und ihr eigen Unvermögen und Nichtigkeit zum Guten müsste fühlen, und also durchs Gesetz genötigt und gedrungen würde, etwas Weiteres zu suchen als das Gesetz und eigen Vermögen, nämlich Gottes Gnade im künftigen Christus verheißen.“ 106 Vgl. LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 54. 102
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Luthers besondere Aufmerksamkeit gilt sodann den Psalmen, was daran deutlich wird, dass er dem Psalter gleich drei Vor- (1524/1528/1545) und zwei Nachworte (1525/1531) beigab.107 Nachdrücklich weist Luther (allerdings ohne Textbeispiele) auf den Charakter des Psalters als Christusverheißung hin: Und sollte der Psalter allein deshalb teuer und lieb sein, dass er von Christi Sterben und Auferstehen so klärlich verheißet und sein Reich und der ganzen Christenheit Stand und Wesen vorbildet, dass er wohl möchte eine kleine Biblia heißen, darin alles aufs schönste und kürzeste, wie in der ganzen Biblia stehet, gefasset und zu einem Enchiridion oder Handbuch gemacht und bereitet ist.108
Sodann wendet er sich dem Charakter des Psalters als Sammlung von Gebeten zu und findet gerade darin seine Bedeutung. Hier sieht man die Heiligen im Gebet mit ihrem Gott. Dabei findet Luther Menschen, die Gott mitten aus dem Leben und von Herzen loben, ebenso wie solche, die Gott mitten aus den „Sturmwinde[n]“109 des Schicksals ihr Leid klagen und um Hilfe bitten. Damit arbeitet Luther sehr feinfühlig die Züge der Psalmen als Gebete heraus, die auch heute in der Exegese wieder eine große Rolle spielen.110 Ebenso weist der Reformator darauf hin, dass die Gebete des Psalters dazu geeignet sind, zu Gebeten heutiger Christen zu werden. Man stimmt in sie ein, weil man sie stimmig zum eigenen Leben empfindet. Damit weist Luther auf den Charakter der Psalmen als überindividuelle Texte hin und entdeckt den pragmatischen Charakter der Texte, der ebenfalls in der neueren Psalmenexegese einen hohen Stellenwert hat.111 In seinem Nachwort von 1525 weist Luther auf die Grundunterscheidung von Lob- und Klagepsalmen hin und nimmt damit sozusagen Ergebnisse der späteren Gattungsforschung vorweg.112 Das Lob Gottes und das Kreuz der Christen identifiziert Luther als die zwei Hauptstücke, die das ganze Leben der Glaubenden umgreifen. Diese grundsätzlichen Aussagen über die Psalmen lassen zwei hermeneutische Grundanliegen Luthers wieder deutlich werden: Eine genaue Sprachkenntnis113 und eine Einfühlung in den Charakter („Gattung“) der Texte ist die
Vgl. die Texte in BORNKAMM (Hg.), Vorreden, 61–73. 108 LUTHER, Zweite Vorrede auf den Psalter, 65. 109 LUTHER, Zweite Vorrede auf den Psalter, 67. 110 Vgl. z.B. JANOWSKI, Konfliktgespräche oder W AGNER, Beten und Bekennen. 111 Vgl. W AGNER, Sprechen, 3–20. 112 Vgl. LUTHER, Nachwort zum Psalter, 70f. 113 So nimmt Luther in seiner ersten Vorrede die Leser mit in die Feinheiten der Übersetzung von von chæseæd we’æmet, sowie mišpat uṣedaqā (vgl. LUTHER, Erste Vorrede auf den Psalter, 62f.). In seinem Nachwort von 1532 benennt er nach einer Neuübersetzung der Psalmen die Konflikte der Übersetzungsarbeit zwischen Ausgangs- und Zielsprachenorientierung: „Denn der vorige deutsche Psalter ist an viel Orten dem Hebräischen näher und dem 107
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Voraussetzung für alle Interpretation. Alle Interpretation dient der Erhellung der menschlichen Existenz coram deo. Dabei sind Lob und Klage nicht nur die Grundgattungen der Psalmen, sondern auch die Grundvollzüge des Christenlebens, da der Christenmensch eben immer Geist und Leib ist. Auch für alle Prophetenbücher (inklusive Daniel) hat Luther je eine eigene Vorrede verfasst und darüber hinaus 1532 noch eine allgemeine „Vorrede auf die Propheten“114. Dort beginnt er seine Einführung in die prophetische Literatur mit der heute noch treffenden Beobachtung, dass die Propheten ohne ihren historischen Kontext nicht angemessen zu verstehen sind. Wem die Propheten bei oberflächlicher Lektüre unverständlich erscheinen, möge sich in Text, Zeit und Umstände vertiefen, so hat er auch Gewinn davon. Darum sollen wir Christen nicht solche schändliche, überdrüssige, undankbare Klüglinge sein, sondern die Propheten mit Ernst und Nutz lesen und gebrauchen. Denn erstlich verkündigen und bezeugen sie Christi Königreich, darin wir jetzt leben und alle Christgläubigen bisher gelebt haben und leben werden bis an der Welt Ende.115
Die Prophetenschriften haben demnach als Ankündiger des Reiches Christi Bedeutung für die Christen. Neben die Betonung des Historischen tritt also unmittelbar die Gegenwartsrelevanz. Dem „Erstlich“ folgt ein „Zum anderen“116, wo Luther die Funktion der Gerichtspropheten als Prediger des Gesetzes, vor allem des ersten Gebotes herausstreicht. Dabei macht Luther nun sehr feinsinnige, ja geradezu moderne Beobachtungen zur Religionsgeschichte Israels, wenn er feststellt, dass die von den Propheten beklagte Apostasie sich tatsächlich wohl nicht auf die Anbetung fremder Götter, sondern auf falschen Jahwe-Gottesdienst bezog.117 Die Pointe dieses Gedankens zielt für Luther freilich wieder auf seine Zeitgenossenschaft: Auch die Geistlichen einer aus Luthers Sicht verdorbenen Papstkirche meinen, sie beten den Herrn an. Damit träfe sie die prophetische Anklage immer noch,
Deutschen ferner; dieser ist dem Deutschen näher und dem Hebräischen ferner“ (LUTHER, Nachwort zum Psalter, 71). 114 Vgl. LUTHER, Vorrede auf die Propheten, in: B ORNKAMM (Hg.), Vorreden, 81–91. 115 LUTHER, Vorrede auf die Propheten, 82. 116 Vgl. LUTHER, Vorrede auf die Propheten, 83. 117 „Solche tollen Heiligen waren die Kinder Israel nicht, dass sie schlechtweg Holz und Stein hätten angebetet, […]. Sondern das war ihre Abgötterei, dass sie den Gottesdienst, der zu Jerusalem (und wo es mehr Gott haben wollte) gestiftet und geordnet war, ließen fahren und aus eigener Andacht und Gutdünken ohne Gottes Befehl anderswo einen besseren stiften und aufrichten und andere neue Weise, Personen und Zeit dazu erdichteten, welches ihnen Mose hart verboten hatte, sonderlich 5. Mose 12, und sie immer hinwies an den Ort, den Gott erwählet hatte zu seiner Hütte und Wohnung“ (LUTHER, Vorrede auf die Propheten, 86). Zu einer neueren religionsgeschichtlichen Sicht, die ganz ähnlich erscheint, indem sich nämlich hinter dem Vorwurf der Fremdgötterverehrung in Wirklichkeit ein Konflikt „Jahwe gegen Jahwe“ verbirgt, vgl. KRATZ, Propheten Israels, 63ff. oder KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 199–321, bes. 237–281.
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wie weiland „Israel“. Hier wird die Verschmelzung der Horizonte überdeutlich: Scharfsinnige historische, ja religionsgeschichtlich bis heute zutreffende Beobachtungen treffen sich mit unmittelbarer Applikation. 2.4.4 Fazit Martin Luthers Verständnis des Alten Testaments und dessen Auslegung ist vielfältig und differenziert. Außer der hier behandelten „Unterrichtung“ und den Vorreden, die als hermeneutische Programmtexte gelten können, müsste auch seine Exegese in actu, aber auch seine Predigten betrachtet werden. So lohnte ein Blick in seine unterschiedlichen und umfangreichen Auslegungen der Psalmen oder auch seine Genesisvorlesung, der er nicht weniger als die letzten zehn Jahre seines Lebens von 1535 bis 1545 widmete. Aber schon in den hier verhandelten Texten wird deutlich, dass sich Reduzierungen wie, „das“ Alte Testament sei für Luther „Gesetz“ oder „das“ Gesetz sei als „der Juden Sachsenspiegel“ „abgetan“ verbieten. Dies gilt auch für eine Lesart, nach der „das“ Alte Testament „Verheißung“ oder womöglich „zeitlos gültiges“ Gotteswort sei. Luther kann hinsichtlich der Texte sprachlich und historisch sehr genau beobachten und er redet mit seinen Auslegungen immer in eine bestimmte Situation hinein. So steht Luther, um es mit Begriffen der späteren lutherischen Orthodoxie zu sagen, immer im Spannungsfeld von explicatio und applicatio. Er möchte einerseits den Literalsinn mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit erheben, ist aber überzeugt davon, dass der so zu erhebende Sinn gleichsam unmittelbar zu seinen Lesern oder Hörern spricht. Für Luther ist nur ein solcher Zugang zu biblischen Texten angemessen, der sich im Dreieck von oratio, meditatio und tentatio bewegt. Gottes-, Text- und Existenzbezug sind für den Reformator in der Exegese wohl voneinander zu unterscheiden, aber nicht strikt voneinander zu trennen.118 Damit lässt sich an Luther eine Herausforderung beschreiben, vor der die Exegese im Grunde bis heute steht, jedenfalls wenn sie sich bewusst im Kontext der Theologie beheimatet. Für Luther stellte sich diese Frage allerdings nicht in der Schärfe wie für die nachaufklärerische Theologie mit einem entsprechenden historischen Bewusstsein für die Breite des „garstigen Grabens“ der Geschichte. Für den Wittenberger verschmelzen die Horizonte von Altem und Neuem Testament, von Geschichte und Gegenwart, von Erklären und Verstehen relativ ungehemmt. Er geht von der Überzeugung aus, dass derselbe Gott in Altem und Neuem Testament redet und dass dieser Gott auch im Alten Testament nichts anderes gewollt haben kann als im Neuen. So kann für Luther dem Literalsinn nach in Jes 7,14 von Jesus von Nazareth die Rede sein. Es ist für Luther unvorstellbar, dass
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Vgl. dazu auch BECKER, Freiheit, 13–36.
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Adam und Eva die Vertreibung aus dem Paradies ohne Glauben hätten überstehen können. So findet er in Gen 3,15 die Verkündigung des Evangeliums, die Glauben weckt. Aller Glaube aber ist für Luther unvermeidlich Glaube an Christus119, und so sind die wirklich Glaubenden bereits im Alten Testament Christen, wo es aber Christen gibt, da ist auch die Kirche. Dies führt zu einer fatalen Ausgrenzung der „Juden“, die im Alten Testament zum Beispiel gegen die Gerichtspropheten stehen und die Luther mit den Juden seiner Zeit gleichsetzt. Deren Substitution durch ein vermeintlich „wahres Israel“ hat für Luther aber bereits im Alten Testament begonnen. Dieser Hermeneutik ist die Tendenz zum Antijudaismus eingeschrieben und auch eine bewusst lutherische Theologie kann hier nicht folgen.120 Aber auch andere zeitgenössische Phänomene findet Luther leicht in alttestamentlichen Texten wieder, wenn er zum Beispiel die „Sünde Jerobeams“ mit dem aus seiner Sicht falschen Gottesdienst der Papstkirche des 16. Jahrhunderts identifiziert. Dazu muss er manches VorherGewusste in die Texte hineinlesen. Entgegen seiner eigenen erklärten Absicht allegorisiert er dabei auch. Gleichzeitig sind Luthers Exegesen alttestamentlicher Texte an vielen Stellen von einer geradezu atemberaubenden Modernität und Präzision. Die Zuwendung zum Hebräischen erschließt ihm die Texte und deren Denkwelt ganz neu. Und er nimmt seine Leser mit in die semantischen Tiefen von Formulierungen wie Gnade und Wahrheit (ḥæsæd we’æmet) oder Recht und Gerechtigkeit (mišpat uṣedaqā). Oder er reflektiert über Möglichkeiten, eine Bibelübersetzung eher an der Ausgangs- oder der Zielsprache zu orientieren. Luther betont die Notwendigkeit des historischen Kontextes für das Textverständnis, worin er auch die Topographie Israels einbezieht. Lange vor Martin Leberecht de Wette kommt er zu dem Schluss, das nach 2 Kön 22 im Tempel gefundene Gesetzbuch müsse wohl das Deuteronomium gewesen sein. Religionsgeschichtlich vertritt er die, heute wieder hoch aktuelle Ansicht, mit dem Baalsgottesdienst sei bei den Gerichtspropheten eigentlich ein missverstandener Jahwegottesdienst angeklagt. Luther führt die formgeschichtlichen Unterschiede von Lob- und Klagepsalmen ebenso vor wie die pragmatische Funktion dieser Texte als Gebete. Im Unterschied zu späteren biblizistischen Engführungen ist es für Luther durchaus denkbar, dass das Jesajabuch Werk von Schülern und Sammlern und nicht das Produkt eines einzelnen genialen Autors ist. Mithin ist das Phänomen einer Literargeschichte im Ansatz präsent. Sein Adressatenargument ist, wie gesehen, nicht unproblematisch, aber es ermöglicht doch eine Differenzierung. Dabei steht für Luther der Charakter der Texte als Wort Gottes außer Frage, aber das heißt für ihn noch nicht, dass alle Texte zu allen Zeiten und in jedem Kontext gleich gültig sind. Die hermeneutische Grundfrage
Auch die Psalmen werden stellenweise hemmungslos christologisch interpretiert; vgl. dazu OEMING, Importance. 120 Vgl. STOLLE, Orientierung, passim. 119
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„wem gilt welches Bibelwort“ ist für Luther ein Gegenmittel gegen Biblizismus und Fundamentalismus, die Luther selbst mit dem Verdikt „Schwärmer“ belegte. An Luther lassen sich Grundkonflikte der Bibellektüre und vor allem auch der Hermeneutik des Alten Testaments verdeutlichen. In welchem Verhältnis stehen die Dimensionen von Geschichtlichkeit und gegenwärtiger Geltung? In der Folge Luthers ist das Pendel mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung ausgeschlagen. Die protestantische Orthodoxie hat starken Wert auf die Lehrbildung gelegt, die dann auch die Exegese der einzelnen Texte dominierte. Überspitzt gesagt, war im Grunde vor der Auslegung eines Textes klar, wohin diese zu führen hatte.121 Exegese diente der Vertiefung des Gewussten und des im doppelten Sinne Bekannten. Umgekehrt droht einer ausschließlich an einem vermeintlichen Ursprungssinn der Texte orientierten Exegese der Bezug zum Ganzen der Theologie zu entgleiten. Man lernt dabei ständig mehr über die Texte und ihr historisches Umfeld, aber die Frage nach Gott scheint sich ebenso wenig zu stellen wie die nach dem Existenzbezug. Die Trias von Gottes-, Text- und Existenzbezug biblischer Texte in einem angemessenen Gleichgewicht zu halten, bleibt Aufgabe der Theologie, mithin auch der Exegese. Luthers Unmittelbarkeit zu allen drei Bezugspunkten im Vollzug der Exegese ist der modernen Bibelwissenschaft nicht mehr möglich. Aber neben dem historischen Textverstehen stellen sich einer theologischen Exegese auch folgende Fragen: Von was für einem Gott ist in diesen Texten die Rede? Kann angemessen und reflektiert davon gesprochen werden, dass und wie sich dieser Gott im Medium der Texte mitteilt? Wie und in welcher spezifischen Form geschieht so durch die Texte und ihre Auslegung Existenzerhellung coram deo? Diese Fragen sind einer historisch-kritischen Exegese nicht als eine Art „dogmatische Zutat“ gegeben, sondern sie stellen sich bereits bei der Einsicht in die Redaktions- und Überlieferungsprozessen, die sich innerhalb des Alten Testaments erheben lassen und die zeigen, dass sich die Texte nicht an einem oft nur vage zu bestimmenden Ursprungs- oder Entstehungsort festbinden lassen.
So jedenfalls hat sich die Orthodoxie für lange Zeit in ein kollektives Gedächtnis des Protestantismus eingefügt. Dass es sich dabei im Hinblick auf die konkrete exegetische Arbeit solcher Theologen wie Johann Gerhard u.a. tatsächlich um ein Klischee handelt, das jetzt aufgearbeitet wird, und dass fruchtbare Bibelauslegungen der Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts wiederentdeckt werden, dazu vgl. STEIGER, Development, 691–757; WENZ, Philologia sacra, passim. 121
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2.5 Modelle der Ablehnung des Alten Testaments 2.5 Modelle der Ablehnung
Obwohl der breite Strom christlicher Theologie und Kirche am Alten Testament als Teil ihrer Heiligen Schrift festgehalten, dessen Texte als Norm auch des christlichen Glaubens oder als Verheißung von Jesus Christus gelesen und umgekehrt das neutestamentliche Christusgeschehen immer auch vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Redens von Gott und mittels alttestamentlicher Sprach- und Weltbilder interpretierte, gab es von Anfang an immer auch Bestreitungen. Schon der bereits zitierte erste Satz von Luthers Vorrede auf das Alte Testament: „Das Alte Testament halten etliche geringe, als das, was dem jüdischen Volk allen gegeben und nun fort aus sei und von vergangenen Geschichten schreibe; meinen, sie haben genug am Neuen Testament ...“122, ist ein Indiz für die bleibende Infragestellung des Alten Testaments als einer für den christlichen Glauben relevanten, womöglich verbindlichen Urkunde. Die immer wieder vorgebrachte Feststellung, im Alten Testament sei von Jesus von Nazareth schließlich nicht die Rede und allein das Neue Testament offenbare das Evangelium im vollen Sinne, bleibt eine hermeneutische Herausforderung für eine biblisch begründete christliche Theologie und erst recht für eine alttestamentliche Exegese im Rahmen einer solchen Theologie. 2.5.1 Marcion Der Erste, der hier zu nennen ist und bei dem sich bereits Argumente finden, die die Ablehnung des Alten Testaments immer wieder begründen, ist der aus Pontus stammende Schiffseigner Marcion (ca. 84–160).123 Dieser schloss sich zunächst der christlichen Gemeinde in Rom an und hat diese auch bedeutend finanziell gefördert. Allerdings kam es zu erheblichen Differenzen in der Auffassung des christlichen Glaubens, infolge derer Marcion die sich gerade formierende Kirche verließ.124 Er gründete eine eigene Kirche, die „im Westen bis ins 4., im Osten sogar bis ins 5. Jahrhundert hinein Bestand“125 hatte. Aus Sicht der Alten Kirche war Marcion ein Erzketzer, ein „Häresiarch“126 und seine Ansichten galten als Irrlehre. So erfahren wir über seine Lehre nur aus der Polemik seiner Gegner. Justin (ca. 100–165) und Irenäus (ca. 135–209) erwähnen ihn, vor allem aber Tertullian (150–220?), der ihm unter dem Titel
LUTHER, Vorrede auf das Alte Testament, 41. 123 Vgl. A LAND, Art. Marcion/Marcionismus, 89–101; R EVENTLOW, Epochen 1, 144– 150; MAY, Art. Markion/Markioniten, 834–836; GRESCHAT, Art. Markion, 918–919. 124 Oder ausgeschlossen wurde – die biographischen Details sind unsicher; vgl. M AY, Art. Markion/Markioniten, 834. 125 G RESCHAT, Art. Markion, 918. 126 A LAND, Art. Marcion/Marcionismus, 89. 122
2.5 Modelle der Ablehnung
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„Adversus Marcionem“ eine eigene Schrift widmete.127 Marcions Schriften selbst sind nicht erhalten; daher ist eine authentische Rekonstruktion seiner Lehre schwierig. Der umfassendste und bis heute wirkmächtigste Versuch stammt von Adolf von Harnack, der es unternahm, Marcions Lehre ohne das Verdikt der Häresie zunächst darzustellen.128 Marcions Lehre ist davon geprägt, dass er in Paulus den einzigen wahren Apostel Jesu Christi sieht, der nach Gal 1,12 das „Evangelium“ in Form eines Textes von Jesus Christus selbst empfangen habe. Dieses Evangelium ist von falschen Aposteln, zu denen für Marcion auch Petrus und die übrigen Jünger zu zählen waren, verfälscht worden, insofern nämlich Bezüge des Alten Testaments und des alttestamentlichen Gottes in das Evangelium eingetragen wurden, die diesem aber ursprünglich fremd sind. Orientiert vor allem am Wortsinn des Textes, kommt Marcion zu dem Schluss, dass im Alten Testament von Jesus Christus nicht die Rede sei. Es dürfe auch nicht typologisch oder allegorisch christlich gedeutet werden. Auch der im Alten Testament verheißene Messias sei nicht Jesus Christus. Vielmehr stehe das Kommen des alttestamentlichen Messias noch aus. Denn – und das ist ein Hauptargument Marcions wie aller folgender Bestreitungen einer christlichen Geltung des Alten Testaments – das Alte Testament redet von einem anderen Gott als das Neue. Der Schöpfergott des Alten Testaments, der Demiurg, hat eine materielle und damit unvollkommene und der Sünde verfallene Welt geschaffen. Dieser Gott ist zwar gerecht doch unbarmherzig. Jesus Christus dagegen hat einen bisher völlig fremden, von der Welt radikal geschiedenen Gott offenbart. Seine Hingabe und seine Auferstehung ermöglichen Erlösung, allerdings nicht des Leibes, sondern nur der Seele. Dieser hier durchscheinende Dualismus wird von Marcion fortgeführt, zum Beispiel in der radikalen Trennung von „Gesetz“ und „Evangelium“. Beides kann nicht sinnvoll aufeinander bezogen werden. So ist das Alte Testament nur Gesetz und führt nicht zur Erlösung. All dies findet sich wohl ausgeführt in einer Marcionschrift mit dem Titel „Antithesen“, die ebenfalls nur aus Widerlegung Tertullians bekannt ist.129 Diese Lehre ist für Marcion keinesfalls Ergebnis einer „gnostischen“ Spekulation, sondern Inhalt der offenbarten Heiligen Schrift, der „Bibel“. Diese besteht für Marcion aus zwei Teilen, dem „Evangelium“, einer von ihm selbst redigierten, das heißt von allen Anklängen an das Alte Testament „gereinigten“
127
Zur Argumentation Tertullians gegen Marcion vgl. SKARSAUNE, Development, 429–
434. 128 Vgl. H ARNACK, Marcion; dazu Harnacks Schüler SODEN, Art. Marcion, 1991–1992, aber aus heutiger Forschungsperspektive kritisch: GRESCHAT, Art. Markion, 918: „... doch bedarf sein M.[arkion]-Bild als das eines nicht ant.[ik] denkenden Theologen der Revision“, sowie ALAND, Art. Marcion/Marcionismus, 89f. 129 Vgl. zur Lehre Marcions, A LAND, Art. Marcion/Marcionismus, 93–98; R EVENTLOW, Epochen 1, 146ff., MAY, Art. Marikon/Markionismus, 835f.
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Fassung des Lukasevangeliums, und dem „Apostolikon“, das aus zehn (ebenfalls redigierten) Paulusbriefen mit dem Galaterbrief an der Spitze besteht. „Als erster in der Geschichte der Christenheit entwickelt er daher den Begriff eines geschlossenen, allein gültigen biblischen Kanons.“130 Hierin vor allem und in der durch Marcions Entscheidungen ausgelöste „Erschütterung“131 in der Alten Kirche, besteht seine Bedeutung. „Die Auseinandersetzung mit M.[arkion] zwang zur Reflexion über Grundlagen und Inhalte des christl. Glaubens“132, so bringt es Katharina Greschat auf den Punkt. Vor allem war mit der radikalen Reduktion dessen, was christliche Offenbarungsurkunde ist, auf ein „Evangelium“ und ein „Apostolikon“ die Frage nach dem Kanon radikal gestellt. Christliche Kirche und Theologie haben sich dafür entschieden, das Alte Testament zu behalten, denn darin war eben kein anderer Gott zu hören, als der, der sich auch in Jesus Christus offenbarte. Wollte man in Marcion den Wegbereiter einer „modernen“, vor allem am „Wortsinn“ orientierten Lesart des Alten Testaments verstehen – und eine solche Lesart entdeckt dann eben Jesus nicht im Alten Testament – so wäre doch Folgendes zu bedenken: Das theologische Sinnganze eines Marcionismus funktioniert nur, wenn man Jesus von Nazareth völlig aus seinen alttestamentlichen und jüdischen Wurzeln herauslöst. Ein weiterer Preis ist die radikale Reduktion und „Reinigung“ der neutestamentlichen Überlieferung. In Markions Bibel findet eben nicht nur das Alte Testament keinen Platz; auch das Matthäus- oder Johannesevangelium oder der Hebräerbrief fehlen dort. Es ist also schon an Marcion die Frage deutlich zu stellen, inwiefern ein Verzicht auf das Alte Testament nicht das christliche Sinnganze radikal verändert.133 2.5.2 Friedrich Schleiermacher und Adolf von Harnack „Wir sind ein bisschen geschichtsmonoman gewesen“, so zitierte Magne Sæbø eine mündliche Äußerung seines Lehrers Gerhard von Rad.134 Rad blickt dabei bereits in den 1960er Jahren kritisch auf eine Epoche der Exegese des Alten Testaments, die er selbst wesentlich mit geprägt hatte und die seit der Aufklärung unter dem Etikett „historisch-kritische Exegese“ firmiert.135 Im Grunde kann man das Problem, das sich aus einer konsequenten geschichtlichen Lesart
ALAND, Art. Marcion/Marcionismus, 91. 131 A LAND, Art. Marcion/Marcionismus, 92. 132 G RESCHAT, Art. Markion, 918. 133 Aus moderner Perspektive ist außerdem zu fragen, ob eine „marcionitische“ Position, insbesondere in der Rede von Gott, nicht notwendigerweise antijudaistisch wird, auch wenn REVENTLOW, Epochen 1, 149 Markion selbst dagegen in Schutz nehmen möchte. 134 SÆBØ, Fascination, 27 Anm. 45 [Hervorhebung so im Original]. 135 Vgl. zu geschichtsphilosophischen Konzepten, die seit dem späten 18. Jahrhundert auch für die biblische Exegese wirksam werden (und bis heute wirksam sind!): ROHLS, Aspects, 31–52; SCHOLTZ, Phenomenon, 52–89. 130
2.5 Modelle der Ablehnung
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alttestamentlicher Texte für den christlichen Glauben ergibt, bereits bei Marcion identifizieren. Auch die Spielarten allegorischer oder typologischer Exegese versuchen im Grunde mit der Frage des Historischen umzugehen. Vollends zur Wirkung kommt dieser Problemkreis aber durch die Aufklärung und dem damit entstehenden neuzeitlichen Geschichts- und Wahrheitsbewusstsein. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) hat dies mit der Formulierung vom „garstigen Graben“ auf den Punkt gebracht.136 Eine Fülle neuer Funde und Kenntnisse auf dem Gebiet der Archäologie, der Sprachen und Überlieferungen und der gesamten Kultur des Alten Orients, die im 18. und 19. Jahrhundert gemacht werden, bereichern des Bild des 1. Jahrtausends v.Chr., verbreitern diesen Graben aber auch.137 Immer klarer wird, dass Nachgeborene zu den biblischen Geschichten und ihren Aussagen über Gott nicht in einem unmittelbaren, sondern eben immer nur in einem historisch vermittelten Verhältnis stehen. Dies gilt gerade auch für den „Wahrheitsgehalt“ historischer Texte, was Lessing zu dem epochalen Schluss führt „zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis für notwendige Vernunftwahrheiten nie werden.“138 Gleichwohl war die Theologie des späten 18. und des 19. Jahrhunderts (bei aller Entdeckerfreude der Literarkritiker und Religionsgeschichtler) davon überzeugt, dass es auch und gerade in der Religion um „ewige Vernunftwahrheiten“ geht. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) ist derjenige Theologe, der den zentralen Ort der religiösen Wahrheit im Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit und dem frommen Selbstbewusstsein bestimmt.139 Dies gilt prinzipiell für jeden Menschen, zunächst unabhängig davon, welcher Religion er anhängt. Ein christlich frommes Selbstbewusstsein wird das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit durch seinen Bezug auf Jesus von Nazareth. Hier hat dann die biblische Überlieferung ihren Ort in Schleiermachers System, nämlich als das authentische Ursprungszeugnis über Jesus von Nazareth und das mit ihm in die Welt getretene besondere Gottesbewusstsein.140 Insofern kommt den neutestamentlichen Schriften eine Vorrangstellung vor allen anderen christlichen Zeugnissen zu, die für sich auch angemessener Ausdruck des christlichen frommen Selbstbewusstseins sein können.
Vgl. LESSING, Beweis, 13: „Das, das ist der garstige breite Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe“. 137 Vgl. H OLLODAY, Expansion, 90–118; R OGERSON, Expansion, 118–133; G ZELLA, Expansion, 134–167. 138 LESSING, Beweis, 12 [Hervorhebung so im Original]. 139 Zu Schleiermachers Person und theologischem System vgl. JÜNGEL, Art. Schleiermacher, 904–919. 140 Vgl. SCHLEIERMACHER, Glaube, §§ 128–132, a.a.O. 316–341, bes. 331: „§ 131. Zweiter Lehrsatz: Die neutestamentischen Schriften sind ihrem Ursprung nach authentisch und als Norm für die christliche Lehre zureichend“. 136
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Ja, für Schleiermacher können die neutestamentlichen Schriften vom Glauben an Christus her sogar als inspiriert betrachtet werden.141 Dies gilt nun aber nicht für die alttestamentlichen Schriften.142 Denn das Alte Testament redet seinem Wortsinn nach nicht von Jesus von Nazareth und kann so auch nicht ein christlich-frommes Selbstbewusstsein begründen. Hier wird historische Exegese theologisch virulent. Dabei erkennt Schleiermacher durchaus die messianischen Weissagungen der Propheten als solche an, aber die bloße Vorahnung des Christus kann nicht neben den Worten Jesu und der Apostel gleichwertiger Ausdruck der christlichen Lehre sein. Auch ist diese „Ahndung“143 Zeichen einer Offenheit der Propheten für den heiligen Geist, kann aber nicht als Wirken des Heiligen Geistes selbst gelten. Mithin sind auch die prophetischen Schriften des AT nicht im Sinne Schleiermachers „inspiriert“.144 Dies gilt schon für Verkündigung der Propheten, die sich auf die konkreten Verhältnisse des Volkes Israels zu ihrer Zeit beziehen und vollends für die alttestamentlichen Gesetze, die als partikulare Regel nicht inspirierte Texte für ein universal geltendes religiöses Bewusstsein sein können. Da, wo sich christliche Lehre und Theologie auf das Alte Testament gründet, tut sie das eklektisch145, sodass man dann auch allenfalls eine Auswahl alttestamentlicher Texte dem Neuen Testament als Anhang beigeben sollte.146 Bewusst formuliert Schleiermacher seine diesbezügliche Position nicht als Lehrsatz, sondern als Zusatz zu einem Lehrsatz. Dies geschieht vor allem aus Rücksicht auf die bisher geltenden kirchlichen Sitten. Schleiermacher meint aber, dass sich diese Position in der Christenheit allgemein durchsetzen werde. Mit Adolf von Harnack (1851–1939)147, einem der wirkungsvollsten Vertreter der auf Schleiermacher folgenden Generation protestantischer Theologie,
Dazu SCHLEIERMACHER, Glaube, 323: „§. 130. Erster Lehrsatz. Die einzelnen Bücher des neuen Testamentes sind von dem h. Geist eingegeben, und die Sammlung derselben ist unter der Leitung des h. Geistes entstanden“; vgl. aber a.a.O., 324ff. zu Schleiermachers spezifischer Auffassung von Eingebung durch den hl. Geist. Dazu ROHLS, Aspects, 41: Schleiermacher „saw biblical scriptures as human products, the old concept of the Bible as an inspired book is left behind”. Gleichwohl hält Schleiermacher an einer „Eingebung“ fest. 142 Zu Schleiermachers Verhältnis zum Alten Testament und zu zeitgenössischen Auseinandersetzungen damit vgl. ROHLS, Aspects, 38–44. 143 SCHLEIERMACHER, Glaube, 339. 144 Vgl. SCHLEIERMACHER, Glaube, 338f.; R OHLS, Aspects, 41. 145 SCHLEIERMACHER, Glaube, 339: „... wie denn selbst die edelsten Psalmen doch immer etwas enthalten, was sich die christliche Frömmigkeit nicht als ihren reinsten Ausdrukk aneignen kann, so daß man sich erst durch unbewußtes Zusetzen und Abnehmen selbst täuschen muß, wenn man meint, aus den Propheten und Psalmen eine christliche Lehre von Gott zusammensetzen zu können.“ 146 Vgl. SCHLEIERMACHER, Glaube, 340f. 147 Vgl. H AUSCHILD, Art. Harnack, 1457–1459. 141
2.5 Modelle der Ablehnung
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schien sich diese Position in der Tat weiter zu verbreiten. In seinem berühmten Marcion-Buch vertrat Harnack die These: das AT im 2. Jahrhundert zu verwerfen, war ein Fehler, den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.148
Harnack begründet diese These im Anschluss an seine Darstellung der Theologie Marcions. Wie dieser sieht auch Harnack das Alte Testament vornehmlich unter dem Stichwort „Gesetz“. „Da aber das Gesetz durch das gesamte AT, einschließlich der Propheten, hindurchgeht, so liegt das ganze einheitliche Buch unterhalb der Christenheit.“149 Hier verbindet sich die Abwertung des Gesetzes mit einem religiösen Entwicklungsgedanken, nach dem die „Christenheit“ gegenüber der alttestamentlichen Religion eine höhere Stufe darstellt, die das Ältere überwunden hat. Zugleich ist für Harnack eine sinnvolle Bezogenheit des Gesetzes auf das Evangelium im Sinne der lutherischen Formel „Gesetz und Evangelium“ nicht gegeben. Entsprechend sieht er auch bei Luther in der Beibehaltung des Gesetzes im usus elenchticus eine Inkonsequenz gegenüber den Einsichten, die er in der „Unterrichtung“ wahrzunehmen meint. In der Folge bedeutet für Harnack ausgerechnet die Hinwendung zu einer konsequenten historischen Exegese der alttestamentlichen Texte bei gleichzeitig beibehaltener kanonischer Geltung des Alten Testaments in der Kirche, dass „die inferiorsten und bedenklichen Züge des AT“150 – jetzt nicht mehr durch Allegorie oder Typologie gebändigt – voll zum Tragen kommen. Eine Kirche, die am Alten Testament festhält, wird notwendig gesetzlich und verharrt eben auf einer niederen Stufe der Religion. Unter ausdrücklichem Bezug auf Schleiermacher und Hegel beruft sich Harnack auf die „Entwicklung der Wahrheit im Gange der Geschichte“151, nach der sich die Religion sozusagen über das Alte Testament hinaus entwickelt habe: „Hier reinen Tisch zu machen und der Wahrheit in Bekenntnis und Unterricht die Ehre zu geben, das ist die Großtat, die heute – fast schon zu spät – vom Protestantismus verlangt wird.“152 Allerdings bedeutet das für Harnack nun nicht, dass er Bibeln ohne das Alte Testament fordert, aber „kanonischen“ Rang kann es nicht mehr haben. Ähnlich wie die Apokryphen enthält auch das Alte Testament für Harnack manches „Gute“ und „Nützliche“ und als geschichtliche Hinführung zum Neuen Testament bleibt es von Wert, so dass gilt: „von ‚verwerfen‘ ist aber heute nicht die
HARNACK, Marcion, 217 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 149 H ARNACK, Marcion, 219. 150 H ARNACK, Marcion 220. 151 H ARNACK, Marcion, 221f. [Hervorhebung im Original gesperrt]. 152 H ARNACK, Marcion, 222. 148
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Rede, vielmehr wird dieses Buch erst dann in seiner Eigenart und Bedeutung (die Propheten) allüberall gewürdigt und geschätzt werden, wenn ihm die kanonische Autorität, die ihm nicht gebührt, entzogen ist.“153 2.5.3 Emmanuel Hirsch Der Göttinger Systematiker Emmanuel Hirsch (1888–1972)154 setzt hinsichtlich der Beurteilung des Alten Testaments die Ansätze Schleiermachers und Harnacks in der nächsten Generation fort. 1936 veröffentlicht er unter dem Titel „Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums“155 eine diesbezüglich programmatische Schrift. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von fünf ursprünglich selbständigen Texten, nämlich einer persönlich-biographischen Annäherung ans Thema, drei exegetisch-homiletischen Betrachtungen zu Gen 22 („Isaaks Opferung“), 1 Sam 17 („David und Goliath“) und dem Jonabuch156, sowie zusammenfassenden Thesen unter der Überschrift „Der Prediger und das Alte Testament“157. Ausdrücklich sucht Hirsch so nach Wegen, das Alte Testament in seiner Zeit angemessen christlich zu predigen. Dabei führt aber „eine unbefangene geschichtliche Erfassung der im Alten Testament sich ausdrückenden Volks- und Religionsgeschichte“158 zu der Erkenntnis, dass die alttestamentlichen Texte ihrem historischen Textsinn nach nicht sagen, was ihnen christlicherseits seit den Tagen des Neuen Testaments unterstellt würde. Hier drückt sich erneut der Gegensatz zwischen einem histo-
HARNACK, Marcion, 223 [Hervorhebung im Original gesperrt]. Harnack verwahrt sich in diesem Zusammenhang dagegen, mit Friedrich Delitzsch und dessen Thesen im sog. „Babel-Bibel-Streit“ verglichen zu werden. Dessen Ansichten nennt Harnack „vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ebenso rückständig wie vom religiösen verwerflich“ (ebd. Anm. 1); vgl. insgesamt LEHMANN, Delitzsch, 262f. 154 Vgl. H ERMS, Art. Hirsch, 1786–1787. 155 H IRSCH, Das Alte Testament. 156 So ist Hirsch im Gegensatz zu Schleiermacher und Harnack jemand, der seine hermeneutische Position in der Auseinandersetzung mit konkreten Texten darlegt. Die Auslegungen beginnen jeweils mit der seinerzeit aktuellen exegetischen Forschungslage und gehen dann in eine Predigtmeditation über. Allerdings besteht dabei doch die Tendenz, bestimmte Positionen in die Texte hineinzulesen: In Gen 22 geht es, so Hirsch, um die Begegnung des Menschen mit dem deus absconditus, die sich grundsätzlich auch aus andern „heidnischen“ Texten erheben ließe: „Diese Geschichte erzählt von einer Begegnung mit einem Gotte, der anders an uns handelt als der, an den wir glauben, wenn wir an den Vater Jesu Christi glauben“ (HIRSCH, Das Alte Testament, 25; Hervorhebung im Original gesperrt). Im Kampf David gegen Goliath sieht Hirsch vor allem die Volksgebundenheit der „alttestamentlich-jüdischen“ Religion (vgl. a.a.O., 40f.). Schließlich verkörpert Jona den prototypischen Vertreter einer engen Gesetzesreligion: „nie ist der Eifer des gesetzesgebundenen Gottesdienstes in seiner Verkehrtheit so bloßgestellt worden wie hier“ (a.a.O., 53). Dabei ist gerade im Jonabuch vom Gesetz mit keinem Wort die Rede. 157 H IRSCH, Das Alte Testament, 67–87. 158 H IRSCH, Das Alte Testament, 3. 153
2.5 Modelle der Ablehnung
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rischen Ursprungssinn und einer späteren Rezeption der Texte aus. Bei Hirsch kommt nun dazu, dass er das Alte Testament insgesamt als Ausdruck einer Gesetzesreligion liest. In der Formel „Gesetz und Evangelium“ ist das Alte Testament nur Gesetz, und das Evangelium findet sich nur im Neuen Testament. Selbst, wo im Alten Testament von Reue und Gnade die Rede ist, geschehe dies kategorial anders als in Christentum, denn auch Gnade sei im AT an die erneute Erfüllung des Gesetzes gebunden.159 Darüber hinaus sei das Alte Testament insgesamt Ausdruck einer Nationalreligion, in der Gemeinde und Volksgemeinschaft identisch seien.160 Diese Erkenntnisse führen Hirsch zu einem „Gegensatz der beiden Testamente“ 161, ja zu der Einsicht, dass das Alte Testament eine andere Religion vertritt.162 Daraus folgt, dass auch der Gebrauch und die Interpretation alttestamentlicher Texte im Neuen Testament heute so nicht mehr vollzogen werden kann163, sondern bereits im Neuen Testament von einem „Missbrauch“ und einer „Umdeutung“ des Alten Testaments die Rede sein muss: die gleiche Wahrhaftigkeit, die mich mit der christlichen Umdeutung des Alten Testaments, die christliche Fiktion von der grundsätzlichen, nicht bloß geschichtlichen Sonderstellung des alttestamentlich-jüdischen Gottesdienstes zu brechen zwingt, sie zwingt mich auch zu dem Eingeständnis, daß dieser Gott weder für mich noch für irgendeinen Deutschen oder Christen sonst bloß fremd, bloß vergangen ist. Er weckt in uns Erinnerung.164
Diese „Erinnerung“ ist diejenige – bei Hirsch exemplifiziert an Gen 22 – an den deus absconditus, der hier als eine Art archaische Gottheit auftritt, die sonst auch schon einmal „Schicksal“ oder „Naturgesetz“ genannt wird.165 Es ist aber – auch wenn Hirsch diese Konsequenz explizit nicht zieht – ähnlich wie bei Marcion ein anderer Gott als der Vater Jesu Christi. Will man nun christlich über das Alte Testament predigen, so geht das für Hirsch nur nach einer gründlichen „Vormeditation“166, die sich eben den ganz grundsätzlichen Unterschied von Altem und Neuem Testament, von „alttestamentlich-jüdischer“ Religion und Christentum bewusst macht. Sodann gilt: Das heißt niemals der alttestamentliche Text als solcher, sondern einzig und allein das von uns in der Selbstbesinnung des Glaubens zu erarbeitende Urteil über den alttestamentlichen Text ist der Grund und das Maß einer christlichen Predigt aus dem Alten Testament.167
Vgl. HIRSCH, Das Alte Testament, 59. 160 Vgl. H IRSCH, Das Alte Testament, 74. 161 H IRSCH, Das Alte Testament, 11. 162 Vgl. H IRSCH, Das Alte Testament, 26. 163 Vgl. H IRSCH, Das Alte Testament, 11f. 164 H IRSCH, Das Alte Testament, 28 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 165 Vgl. H IRSCH, Das Alte Testament, 28f. 166 H IRSCH, Das Alte Testament, 77. 167 H IRSCH, Das Alte Testament, 78. 159
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Damit wird das Alte Testament als „Gesetz“ Ausdruck einer verborgenen Sehnsucht nach Erfüllung, die es selbst aber nicht einlöst. Erst das Neue Testament bringt das Evangelium, für das das Alte Testament dann einen Nutzen als dunkle Folie hat: Gerade also weil das Alte Testament das geschichtlich mächtigste Widerspiel des neuen ist, gerade darum paßt es so gut als erster Teil der christlichen Bibel.168
In ähnlicher Weise wird später Rudolf Bultmann im Alten Testament ein Dokument des Scheiterns sehen, das eben in diesem Scheitern eine Verheißung der neutestamentlichen Erfüllung ist.169 Dies entspricht aber weder dem Selbstverständnis der alttestamentlichen noch dem Verständnis der neutestamentlichen Texte.170 Hirsch liegt einerseits auf einer geistesgeschichtlichen Linie mit Schleiermacher und Harnack und sieht mit ihnen das Problem, das die immer genauere Erfassung des historischen Textsinns für die Rezeptionsgeschichte alttestamentlicher Texte darstellt. Auch teilt er ein religionsphilosophisches Entwicklungsdenken, nach dem das monotheistische Alte Testament, zwar „oberhalb“ sonstigen Heidentums, aber „unterhalb“ des neutestamentlichen Evangeliums steht. Andererseits entwickelt Hirsch seine Thesen unter den besonderen mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen des sog. „Dritten Reiches“. „Er unterstützt ‚Das kirchliche Wollen der deutschen Christen‘“171, urteilt Herms mit dem Titel einer Schrift Hirschs aus dem Jahr 1933.172 So spricht er in seiner Schrift über das Alte Testament konsequent von „alttestamentlich-jüdischer“ Religion, Gottesdienst etc., wenn es um alttestamentliche Texte geht. Hirsch selbst begründet das explizit unter Bezug auf die formative Ausbildung des Judentums in der persischen und hellenistischen Epoche, die dann auch zur Textsammlung des Alten Testaments führte.173 Gleichzeitig stehen bei dieser Begrifflichkeit im Jahr 1936 die Tore für eine antisemitische Deutung sperrangelweit offen. Hirsch bedient das, wenn er feststellt, dass „wir Christen nichtjüdischen Blutes überhaupt kein unmittelbares Verhältnis zum Alten Testament haben.“174 Hirsch setzt seine Auseinandersetzung mit dem Alten Testament mehrfach in Beziehung zu einem „deutschen“ Luthertum und dem Umbruch in Deutschland nach 1933.175 Dabei gibt es bei ihm selbst keine Ablehnung des Alten
HIRSCH, Das Alte Testament, 83 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 169 Vgl. dazu B ULTMANN, Weissagung, 26–53. 170 Vgl. zu Bultmann B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 60–64. 171 H ERMS, Art. Hirsch, 1787. 172 Vgl. auch FAULENBACH, Art. Deutsche Christen, 700. 173 Vgl. H IRSCH, Das Alte Testament, 72. 174 H IRSCH, Das Alte Testament, 15f.; vgl. ebenso a.a.O., 69. 175 H IRSCH, Das Alte Testament, 14: „Die Bewahrung der Eigenart deutschen lutherischen Christentums hing daran“; vgl. auch a.a.O., 26. 168
2.5 Modelle der Ablehnung
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Testaments aus antisemitischer Polemik heraus. Allerdings findet er auch kein kritisches Wort für den sog. „Sportpalastskandal“176 aus dem Jahr 1933, bei dem der Gauobmann der Deutschen Christen, Reinhold Krause, das Alte Testament als eine Sammlung jüdischer „Viehhändler- und Zuhältergeschichten“177 diffamiert hatte und aus Sicht der Deutschen Christen die Abschaffung dieses Kanonteils forderte. Hirsch hingegen ringt mit einer Theologenschaft, die er durch Karl Barth geprägt sieht178, und in der das Alte Testament zu unbedarft zum christlichen Text wird. Einer Hermeneutik des Alten Testaments, wie sie Hirsch vertrat, ging die ideologiekritische Funktion verloren. 2.5.4 Fazit Die genannten Positionen, die jeweils eine Geltung des Alten Testaments als einer für die Christenheit verbindlichen Textsammlung bestreiten, treffen sich in bestimmten Argumenten. Auch wenn für Marcion einerseits und die anderen hier dargestellten Theologen andererseits, ganz unterschiedliche geistes- und mentalitätengeschichtliche Rahmenbedingungen in Rechnung zu stellen sind, gibt es doch signifikante Berührungen. Bereits bei Marcion findet sich der Rekurs auf den historischen Textsinn alttestamentlicher Texte, die sich in ihrem ursprünglichen Wortlaut eben nicht auf Christus oder spätere kirchliche Glaubensinhalte beziehen. Dazu kommt ein religionsgeschichtlicher Unterschied zwischen Juden und Christen, der hier konsequent als Differenz zweier Religionen gedeutet wird.179 Dies wird unterstrichen durch die Gleichsetzung des Gesetzes mit dem Alten und des Evangeliums mit dem Neuen Testament. Diese beiden Größen stehen in einem strengen Gegensatz zueinander und lassen sich nicht positiv aufeinander beziehen. Mithin liegen in den beiden Textsammlungen, die später die beiden Teile der einen christlichen Bibel darstellen, die Dokumente zweier unterschiedlichen Religionen, mit gegensätzlichen religiösen Kernaussagen vor: hier „gesetzliches“ Judentum; dort „evangelisches“ Christentum. Dies wird unterstrichen durch weitere Gegensätze wie staatlich verfasstes Judentum vs. christliches „Reich Gottes“ oder partikulare vs. universale Religion. In letzter Konse-
FAULENBACH, Art. Deutsche Christen, 699; vgl. a.a.O., 701. 177 Zitiert z.B. bei B ETHGE, Bonhoeffer, 390. 178 Vgl. z.B. H IRSCH, Das Alte Testament, 14. 179 Dazu K RATZ, ZThK 115 (2018), 377f.: „Zum Problem wird das Verhältnis [von Altem und Neuem Testament] dadurch, dass die beiden Teile der Bibel von einem christlichen Standpunkt aus als Repräsentanten zweier verschiedener, konkurrierender Religionssysteme angesehen werden, das Alte Testament als Urkunde ‚des Judentums‘, das Neue Testament als Urkunde ‚des Christentums‘.“ Kratz selbst plädiert für eine neues Selbstverständnis des Christentums, dass sich „selbst (wieder) als einen Ableger des Judentums verstehen“ (a.a.O., 378) solle. 176
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
quenz führt dies eben nicht nur bei Marcion dazu, dass die beiden Kanonteile eigentlich zwei unterschiedliche Götter verkündigen.180 In der deutschen, (nach)aufklärerischen Theologie seit dem späten 18. Jahrhundert werden diese Gedanken wieder aufgegriffen und – befeuert durch neue historische Erkenntnisse und die vermeintliche Unhaltbarkeit typologischer oder allegorischer Deutungen – verschärft. Hinzu kommt jetzt ein religionsphilosophischer Entwicklungsgedanke181, wonach sich menschliche Religion im Laufe der Geschichte fortschrittlich weiterentwickelt. Dabei folgt auf den Polytheismus der Monotheismus, im Judentum sticht der „ethische Monotheismus“ (Wellhausen)182 der Propheten gegenüber der „Gesetzesreligion“ hervor. Das Christentum ist dem Judentum überlegen, da „evangelisch“ und „universal“, die Reformation dem Katholizismus, und das Ganze findet seinen vorläufigen Höhepunkt im aufgeklärten Protestantismus als einer individuellen Moralreligion.183 Insbesondere vom letzten, aufgeklärten Standpunkt aus können dann religiös überholte und in ihrem historischen Wortsinn keinesfalls als Verheißungen des Jesus von Nazareth zu verstehende alttestamentliche Texte nicht mehr als für Christen verbindliche oder als „kanonische“ Dokumente verstanden werden, wenn ihnen eine gewisse Wertschätzung als Vorgeschichte oder als negative Kontrastfolie des Neuen Testaments nicht verwehrt werden soll. Insgesamt transportieren und befördern diese Positionen zumindest einen latenten Antijudaismus.184 Aus unterschiedlichen Gründen können solche Hermeneutiken des Alten Testaments in christlicher Theologie und Kirche heute nicht einfach fortgeführt werden. Zunächst entspricht die Reduktion des Alten Testaments auf die Größe Gesetz gerade nicht der von Luther herkommenden Unterscheidung von Gesetz
„Diese Geschichte erzählt von einer Begegnung mit einem Gotte, der anders an uns handelt als der, an den wir glauben, wenn wir an den Vater Jesu Christi glauben“ (HIRSCH, Das Alte Testament, 25 [im Original gesperrt gedruckt]). 181 Vgl. zur Bedeutung der Geschichtsphilosophie Fichtes: H IRSCH, Das Alte Testament, 4. 182 Vgl. dazu G ERHARDS, Art. Wellhausen, sowie: W ELLHAUSEN, Prolegomena, 422f. und SMEND, Alttestamentler, 99–113. 183 Zu einer solchen Haltung K RATZ, ZThK 115 (2018), 395: „Während im Falle des Alten Testaments und des Judentums eine etische Perspektive eingenommen wird, bewegt sich die Argumentation im Falle des Neuen Testaments und des Christentums in emischer Perspektive. Was man vermisst, ist eine Historisierung des eigenen Standpunkts, des Neuen Testaments, der sehr unterschiedlichen christlichen und kirchlichen Traditionen sowie des ‚gegenwärtigen Verständnisses des Christentums‘, was auch immer man darunter gerade versteht. An keiner Stelle wird bedacht, dass es das ‚gegenwärtige Verständnis des Christentums‘ nicht gibt, sondern wir es zu allen Zeiten mit sehr unterschiedlichen Verständnissen von Christentum zu tun haben, so wie es auch nicht das Judentum, sondern zu allen Zeiten verschiedene Ausprägungen des Judentums gab.“ [Hervorhebungen so im Original]. 184 Vgl. zu den hier verhandelten Positionen C RÜSEMANN, Wahrheitsraum, 31–45. 180
2.5 Modelle der Ablehnung
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und Evangelium. Dort ist „Gesetz und Evangelium“ eine kerygmatische oder homiletische Kategorie. Von daher kann durchaus mit neutestamentlichen Texten das Gesetz als Ausdruck der grundsätzlichen Gottesferne des Menschen ausgesagt werden. Vor allem aber trifft die protestantisch pejorative Bezeichnung alttestamentlicher Texte als Zeugnis einer „Gesetzesreligion“ weder das Selbstverständnis der Texte noch das der jüdischen Rezeptionsgemeinschaften. Außerdem zeigen die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte, dass es durchaus ein sehr differenziertes Verständnis des Gesetzes oder der Gesetze innerhalb der alttestamentlichen Gesetzeskorpora gibt.185 Ähnliches gilt nach den zahlreichen Einsprüchen der sog. New Perspective on Paul ja auch für das Verständnis des Gesetzes innerhalb des Neuen Testaments186, das keineswegs auf einen durch die Brille Luthers gelesenen Paulus reduziert werden muss.187 Sodann ist festzuhalten, dass keinesfalls nur bei Marcion, sondern bei all diesen Lesarten des Alten Testaments und seiner Bestreitung als eines für Christen maßgeblichen heiligen Textes eine vermeintliche „Reinigung“ auch des Neuen Testaments nicht ausbleiben kann. Denn Jesus selbst und die neutestamentlichen Autoren betrachten ja ihre „Schrift“ keineswegs als Zeugnis einer fremden Religion. Dann aber stellt sich in weit größerem Maße noch einmal die Frage nach der Bedeutung biblischer – und das heißt nun: auch neutestamentlicher – Texte weit radikaler. Dann aber ist auch die zeitgenössische Theologie erneut zu Reflexion der Kategorie „Wort Gottes“ herausgefordert: Woher stammt dieser Gedanke? Entspricht er dem Selbstverständnis der biblischen Schriften? Was genau will und kann das Interpretationsmodell der Bibel als Wort Gottes leisten? Was ergibt sich aus der Formulierung reziprok über das Bild des Gottes, der da Worte macht? Dies wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit intensiver untersucht werden.188 Bei all diesen Positionen gilt überdies, dass hinsichtlich alt- und neutestamentlicher Texte tatsächlich mehr Exegese getrieben werden müsste. Das Alte Testament wird jedoch in der Regel pauschal kategorial als für den christlichen Glauben irrelevant abgelehnt. Schließlich bleibt die Spannung zwischen einem exegetisch zu erhebenden historischen Ursprungssinn alttestamentlicher Texte und ihrer christlichen – zuweilen allegorisch, typologisch, existenzial verfahrenden – Auslegung und Applikation eine hermeneutische Herausforderung. Hier hat allerdings die Exegese viel von der Rezeptionsästhetik und der Literaturwissenschaft gelernt. Bereits inneralttestamentlich lässt sich schon für den Vorgang der Sammlung und Überlieferung eine Sinnverschiebung feststellen. Redaktionsgeschichtli-
Vgl. z.B. CRÜSEMANN, Tora; OTTO, Ethik; Ders., Gesetz des Mose. 186 Vgl. zu Kontinuitäten im alt- und neutestamentlichen Gesetzesverständnis LIMBECK, Gesetz und pointiert CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 110–134. 187 Vgl. z.B. STOLLE, Luther und Paulus, 278–282. 188 Vgl. Kapitel 4–6. 185
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
che Vorgänge können in der Regel als Akte einer theologischen (Re-)Interpretation gelesen werden. So lassen sich prinzipiell spätere Auslegungsvorgänge alttestamentlicher Texte, wie sie das Neue Testament oder die nachneutestamentliche Theologie vornimmt, nicht selten bereits bis ins Alte Testament selbst zurückverfolgen. Hermeneutisch und texttheoretisch bedeutet dies aber, dass die Reduktion eines Textgehalts auf den einzigen vermeintlichen Ursprungssinn wohl eher eine künstliche Verknappung von Textsinn darstellt, die es so historisch nicht gegeben hat. Von allen Unsicherheiten der historischen Rekonstruktion des einen Ursprungssinns mal ganz abgesehen. Wo biblische Texte auf einen einzigen historischen Sinn festgelegt werden sollen, wird die Polyvalenz von Textsinn übersehen189, die bereits inneralttestamentlich durch Überlieferungs- und Redaktionsprozesse sichtbar gemacht und in wirkungsgeschichtlichen Überlegungen über die Grenzen eines alttestamentlichen „Kanons“ hinaus verfolgt werden können. Es ist hermeneutisch demnach immer unabdingbar zu bedenken, dass es weder für Juden noch für Christen einen unmittelbaren Zugriff auf antike Texte der Hebräischen Bibel/des Alten Testaments gibt. Vielmehr sind Verstehen und Applikation biblischer Texte immer an Rezeptions- und Auslegungsprozesse gebunden, in deren Verlauf ein vermeintlich ursprünglicher Textsinn unweigerlich modifiziert wird. Aus christlicher Perspektive ist dann immer zu fragen, wie sich die neutestamentlichen Schriftsteller alttestamentliche Texte gesagt sein ließen und inwiefern sich heutige Christinnen und Christen diese Vorgänge zueigen machen oder inwiefern sie sich alttestamentliche Texte „gesagt sein lassen“. Dies alles gilt natürlich auch wieder für neutestamentliche Texte und ihre innerbiblische und nachbiblische Rezeption. Denn auch hier gibt es über den garstigen Graben hinweg keinen unmittelbaren Zugang. Heutige Christinnen und Christen sind von antiken Christen ebenso durch einen historischen Abstand getrennt wie von der Welt der alttestamentlichen Schriftsteller.190 Dies alles gilt in ähnlicher Weise auch für jüdische Auslegung. In den genannten Positionen fehlt in der Regel eine Reflexion darüber, dass das nachbiblische Judentum in einer großen Breite an Interpretationstraditionen ja selbst in einem erheblichen geschichtlichen Abstand zu den Texten des Tenach steht. Hier stehen doch Glaubende aus Judentum und Christentum in ganz ähnlicher Weise vor der Aufgabe, die Worte der Heiligen Schrift über einen langen zeitlichen (und geographischen und kulturellen und sprachlichen ...!) Abstand hinweg in die je eigene Gegenwart hinein auszulegen. Der Jude Jesus und die überwiegend jüdischen Verfasser des Neuen Testaments sahen sich bereits in einer Linie der interpretierenden und aktualisierenden Aneignung „der Schrift“ und haben diese Tradition an die späteren Generationen weitergegeben. Be-
Vgl. BEHRENS, Jung(e)frau, 155–165. 190 Pointiert K RATZ, ZThK 115 (2018), 395: „Wir sind so viel oder so wenig die Adressaten des Alten wie des Neuen Testaments.“ 189
2.6. Die Provokation N. Slenczkas
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gleitet von theologischer und hermeneutischer Reflexion kann dies auch heute mit alttestamentlichen Texten gelingen. Dass dabei in der kirchlichen Praxis sowohl im Hinblick auf alttestamentliche wie auch auf neutestamentliche Texte eklektisch verfahren wird, ist nicht nur eine Binsenweisheit, sondern sollte auch als unvermeidlich akzeptiert werden. Die Tradition eines Kanons hält dann das Repertoire, aus dem gewählt werden kann, offen.
2.6 Die Provokation Notger Slenczkas191 2.6. Die Provokation N. Slenczkas
Bereits im Jahr 2013 hat der Berliner Systematiker Notger Slenczka mit seinem Beitrag „Die Kirche und das Alte Testament“ nach eigenen Angaben eine „Provokation“ in den Raum der kirchlich-theologischen Öffentlichkeit gestellt.192 Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis diese Provokation als solche gehört wurde, dann aber hat sie im Frühjahr 2015 zu eruptiven Äußerungen der Empörung geführt.193 Seither ist die Debatte glücklicherweise wieder in ruhigere Bahnen gelangt.194 Ist einmal erkannt, dass der Vorwurf des „Antijudaismus“ sehr pauschal195 und die Wiedergabe von Slenczkas These mit dem Satz, er wolle „das Alte Testament abschaffen“196 eine Verkürzung ist, so kann es für Theologie
Vgl. zum Folgenden auch BEHRENS, LuThK 39 (2015), 201–226 und zur Auseinandersetzung mit dem dort Vorgetragenen SLENCZKA, Vom Alten Testament, 138f. Anm. 266. 192 Vgl. SLENCZKA, Kirche, 83–119. 193 Einen guten Teil der Debatte hat Notger Slenczka selbst dokumentiert und im Internet zugänglich gemacht unter: https://www.theologie.hu-berlin.de/de/st/AT. Die Seite wird weiter aktualisiert; gedruckt jetzt: SLENCZKA, Vom Alten Testament, passim. 194 Vgl. z.B. R ICHTER, KJ 142 (2015), 23–58, oder die Beiträge in: W ITTE/G ERTZ (Hg.), Hermeneutik; HARTENSTEIN, Bedeutung, 55–78 oder auch GERHARDS, Protevangelium, 39– 103. 195 Vgl. dazu den Beitrag von LISS, Zeitzeichen 9/2015, 42–45, oder B RUMLIK, Jüdische Allgemeine vom 23.4.2015: „So wenig also Slenczka klassischer Antijudaismus vorzuhalten ist, so sehr doch ein bewusster und gewollter Mangel an Reflexion“. Zumindest ist eine gewisse Unsensibilität zu beobachten, wenn Slenczka im Hinblick auf das Alte Testament vom „Zeugnis einer Stammesreligion mit partikularem Anspruch“ (SLENCZKA, Kirche, 94) spricht oder gar für den „historisch feststellbaren Sinn“ alttestamentlicher Texte konstatiert: „er spricht zu anderen von einem anderen Gott“ (a.a.O., 111). Abgesehen von der marcionitisch anmutenden Rede vom „anderen Gott“, ist auch der Begriff „Stammesreligion“ nach derzeitigem Forschungsstand im Blick auf die Religionsgeschichte des eisenzeitlichen Israel und Juda keineswegs angemessen und wird leicht mit einem pejorativen Beiklang gehört. 196 Vgl. den Titel eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.4.2015: „Der Gott des Gemetzels. Ein Theologieprofessor fordert die Abschaffung des Alten Testaments...“ (http://www.faz.net/-gpf-82ehv [1.8.2022]). 191
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
und Kirche in der Tat hilfreich sein, sich im Wortsinn provozieren und so aus allzu gewohnten Positionen herausrufen zu lassen.197 Es geht Slenczka um die Frage, „ob das Alte Testament eine normative Bedeutung für die christliche Kirche haben kann“198, zu deren Beantwortung er zunächst bei den lutherischen Bekenntnisschriften und einer Schrift Martin Luthers einsetzt. Slenczka zitiert den berühmten Satz aus dem Summarischen Begriff der Konkordienformel, nach der „allein die Prophetischen und Apostolischen Schrifften, altes und neues Testaments“199 die Norm der Theologie sein könne. Slenczka versucht hier zu zeigen, dass die reformatorische Bezugnahme auf das Alte Testament vor allem in einer christologischen Interpretation bestehe. Diese Auslegung wird aber dem einzigen Artikel, in dem die lutherischen Bekenntnisschriften so etwas wie eine Schriftlehre thematisieren, nicht gerecht. Zweifellos wird das Alte Testament bei den Reformatoren „christologisch“ gelesen200; aber gerade im Summarischen Begriff geht es darum nicht. Hier wird die ganze Schrift – Altes und Neues Testament – als Wort Gottes201 und daher als Quelle und Norm für die kirchliche Lehre ins Feld geführt. Dass dies nun gerade nicht zu einem rein formal verstandenen „Verbalinspirationsdogma“ führen muss202, sondern dass exegetische und theologische Differenzierungen dabei nicht nur ihren Platz haben, sondern notwendig sind, war schon gesagt worden.203 Schließlich führt Slenczka Luthers „Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose schicken sollen“204 von 1526 an und interpretiert diesen Text so, dass das Alte Testament insgesamt nur den Juden, nicht aber den Christen gesagt sei. In der Tat sieht der Reformator in dieser Schrift die
„Wer sich in Selbstverständlichkeiten eingerichtet hat, hat es verdient, durch Infragestellung dieser Selbstverständlichkeiten aus ihnen herausgerufen zu werden“ (SENCZKA, Kirche, 83). In der Tat liegt hier wohl der entscheidende Dienst, den Slenczka der Theologie tut: er nötigt zur Reflexion und damit auch zur aktuellen Rechenschafts- und Sprachfähigkeit. 198 SLENCZKA, Kirche, 83. 199 BSELK, 1216; vgl. SLENCZKA, Kirche, 86. 200 Was das im Einzelnen heißt, müsste dann aber auch im Einzelfall betrachtet werden und kann nicht zu einer pauschalen Abkehr von jedweder Exegese des Alten Testaments der älteren lutherischen Theologie als theologiegeschichtlich überholt führen. 201 Dies wird deutlich, wenn man neben der Epitome auch die Solida Declaratio zum Verständnis heranzieht. Dort heißt es unter Berufung auf Luther, „das alleine Gottes Wort die einige Richtschnur und Regel sein und bleiben solle“ (BSELK, 1314). So können also die Begriffe „prophetische und apostolische Schriften“ und „Gottes Wort“ promiscue gebraucht werden, vgl. dazu Kapitel 1.2.1. 202 Bei einer differenzierten Betrachtung der Exegesen der sog. lutherischen Orthodoxie ist die Abwertung dieser Inspirationslehre ohnehin zu pauschal; vgl. dazu: STEIGER, Development, 691–757; Ders., Philologia Sacra. 203 Vgl. Kapitel 1.2. 204 WA 16, 363–393. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.4.2. 197
2.6. Die Provokation N. Slenczkas
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alttestamentlichen Gesetze als „der Juden Sachsenspiegel“205 und also den Christen nicht gesagt an. Das gilt sogar für den Dekalog, der für Christen nur deshalb von Bedeutung ist, weil er, so Luther, Gebote enthalte, die allen Menschen ins Gewissen geschrieben seien. Wollte man daraus aber folgern, Luther habe das Alte Testament insgesamt nicht als Wort Gottes für Christen verstanden, wäre das erheblich zu kurz gegriffen.206 Entscheidend ist für Slenczka aber vor allem, dass ein in der Reformation begründetes und in der Orthodoxie dogmatisiertes Schriftprinzip spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert in der Krise ist. Anstelle eines Textes, der als Träger der Offenbarung verstanden wird, tritt ein „christlich frommes Selbstbewusstsein“ als Maßstab dessen, was christlich ist. Dieses christlich fromme Selbstbewusstsein gründet ganz in der Botschaft Jesu von Nazareth von der universalen Gottesliebe – und nur darin. Da nun aber das Alte Testament nicht von Jesus rede, könne es auch nicht zur Grundlegung eines christlich frommen Selbstbewusstseins dienen und entsprechend auch nicht für die Kirche normativ sein. Das Alte Testament gelte als Zeugnis einer anderen, vorchristlichen Religion.207 Es bleibt Teil der Vorgeschichte des Christentums, als solcher gebührt ihm derselbe Stellenwert wie den Apokryphen. Auch sollen die alttestamentlichen Schriften in den christlichen Bibeln abgedruckt und in dieser Hinsicht Teil des Kanons bleiben, aber normativ und insofern kanonisch können diese Texte für die Kirche nicht sein. Slenczka beruft sich für diese Position vor allem auf Adolf von Harnack, Friedrich Schleiermacher und Rudolf Bultmann. Harnack allen voran sind diese drei für Slenczka Kronzeugen eines aufgeklärten christlichen Verhältnisses zum Alten Testament, in dem zwei Geistesbewegungen zusammenkommen: 1. Die konsequente historische Exegese der biblischen Texte dekonstruiert das traditionelle reformatorische Schriftprinzip. 2. Zugleich wird ein entwicklungsgeschichtliches Modell auf das Phänomen der Religion angewandt: Religion kommt im Christentum zur durch Jesus vermittelten Einsicht in die universale Liebe Gottes. Damit ist in Aufnahme der Gedanken Schleiermachers, Harnacks und Bultmanns auch für Slenczka eine Stufe der Religiosität erreicht, die mit ihrer
WA 16, 378,11. 206 Vgl. z.B. D ABROCK, Ja lieber Gesel, 121–167, der darauf aufmerksam macht, dass sich bei Luther auch ganz andere Wege einer christlichen Lesart des alttestamentlichen Gesetzes finden lassen (bes. a.a.O., 141–147). Auch Luthers Dekalogauslegung in den Katechismen von 1529 wäre hier noch einmal zu bedenken; vgl. dazu PETERS, Kommentar 1, sowie BEHRENS, Lutherische Exegese, 30–38. Vgl. ähnlich zu Calvins Dekalogauslegung WAGNER, Dekalog, passim. 207 Vgl. SLENCZKA, Kirche, 94. 205
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
alttestamentlichen Vorgeschichte nicht ohne weiteres kompatibel, in keinem Fall aber identisch ist. Im Alten Testament drückt sich dann eine partikulare Gotteserkenntnis aus.208 Die alttestamentlichen Texte selbst werden als „Gesetz“ (gegenüber dem neutestamentlichen Evangelium209) oder als Dokument
Vgl. SLENCZKA, Kirche, 94. Der immer wieder angeführte Gegensatz zwischen einem vermeintlich partikularen Alten Testament und einem universalen Neuen Testament ist nicht allein von inzwischen fragwürdigen linearen entwicklungsgeschichtlichen Paradigmen bestimmt, er greift auch sachlich zu kurz. Sicher gibt es im Alten Testament keinen „Missionsbefehl“, und Israel als das erwählte Gottesvolk steht im Zentrum. Aber an verschiedenen Stellen wird deutlich, dass Israels Gott auch der Gott der ganzen Welt ist. So etwa in der Urgeschichte, Gen 1–11, in den Fremdvölkersprüchen des Amosbuches (Am 1f.), in der Vorstellung von der Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 2//Mi 4), in der Perspektive bis „an die Enden der Erde“ (Mi 5,6; Sach 9,10), dem Auftrag an den Gottesknecht, Gottes Recht bis „zu den Inseln“ (Jes 42,4 u.ö.) zu bringen oder auch im Jonabuch als Ganzem; vgl. JEREMIAS, Theologie, 432–446; vgl. auch Kapitel 6.2.2. 209 Vgl. SLENCZKA, Kirche, 107, der hier zustimmend Bultmanns „ausdrückliche Reformulierung der traditionellen Zuordnung von AT und NT unter den existentialen Titeln von Gesetz und Evangelium“ aufnimmt. Es kann aber nicht oft genug betont werden, dass damit die luthersche Pointe von Gesetz und Evangelium gerade nicht getroffen ist. Dort ging es vielmehr um Gesetz und Evangelium als Anrede – also, wenn man so will als einer homiletischen Kategorie. So sieht das auch Notger Slenczka (vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 133–137 u.ö.), bestreitet allerdings, dass alttestamentliche Texte das Evangelium verkündigen (und somit für Christen als „kanonisch“ gelten) könnten, weil sie ihrem historischen Ursprungssinn nach nicht von Jesus von Nazareth redeten. Für Luther ging das freilich: Ihm zufolge kann sowohl im Neuen Testament das „Gesetz“ gehört werden als auch mit alttestamentlichen Worten das „Evangelium“ verkündigt werden, das in seinem Sachgehalt freilich ohne das Neue Testament nicht zu haben ist (soweit sehe ich mich mit Slenczka einig). Ist das Evangelium aber vom neutestamentlichen Gotteswort erkannt, so kann es für Luther auch im Alten Testament als Wort desselben Gottes gehört werden. Vgl. auch BEHRENS, Gesetz und Evangelium, 117–142. Auch Slenczka rekurriert für die Begründung der Autorität (mithin auch der „Kanonizität“) biblischer Texte auf ihren Verkündigungsgehalt und ihre existenzverändernde Wirksamkeit: „Die Schrift ist nicht in erster Linie Quelle der theologischen Lehre, auch nicht einfach Quelle und Ursprung des Evangeliums, sondern dessen Medium. Weil und soweit sie das ist, ist sie kanonisch“ (SLENCZKA, Vom Alten Testament, 135). Dies verdeutlicht Slenczka dann an Luthers Selbstzeugnis über seine Entdeckung des Evangeliums in der Auseinandersetzung mit Röm 1,17 (vgl. a.a.O., 140–150) mit der Pointe: „Ihm geht auf, dass mit der Gerechtigkeit Gottes eben die Gerechtigkeit gemeint ist, die Gott dem Menschen schenkt, nicht die Gerechtigkeit, in der Gott den Sünder richtet. Interessant ist aber die Frage, wie eigentlich Luther darauf gekommen zu sein beansprucht; so nämlich, dass er den anstößigen Satzteil in den Zusammenhang des ganzen Verses, insbesondere der Fortsetzung ‚wie geschrieben steht: Der aus Glauben Gerechte wird leben‘ stellt“ (a.a.O., 148). Slenczka reflektiert dann nicht explizit, dass es sich bei dem „Zusammenhang des ganzen Verses“ um ein alttestamentliches Zitat aus Hab 2,4 handelt, dass hier doch zum „Medium“ des Evangeliums werden kann, ohne zugleich dessen „Quelle“ zu sein. Zu Hab 2,4 in alttestamentlicher und gesamtbiblischer Lesart vgl. BEHRENS, Habakuk 2,1–4, 166–180. 208
2.6. Die Provokation N. Slenczkas
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eines „Scheiterns“210 gelesen. Insgesamt aber gilt die historische Relativierung biblischer Texte als Wort Gottes auch für das Neue Testament. Und so tritt in diesem Denksystem an die Stelle eines prinzipiellen Bezugs aller Theologie auf die Schrift eine „Wesensbestimmung des Christentums“211, die sich aus dem christlich frommen Selbstbewusstsein und ausgewählten theologischen Grundgedanken („Rechtfertigung“212) speist. Diese Positionen referiert Slenczka zustimmend und kommt daraufhin zu seinem Schluss, dass das Alte Testament für die christliche Kirche keine normative kanonische Geltung haben könne, als Vorgeschichte der christlichen Religion gleichwohl in Ehren gehalten werden und im Bibelbuch verbleiben solle. Ausdrücklich möchte er selbst dabei weder „detaillierte exegetische Debatten“ führen, noch von vornherein eine bestimmte „schrifthermeneutische[.] Position“213 beziehen. Das ist schade; denn gerade in der Frage nach einem neuzeitlich tragfähigen Schriftprinzip scheint mir eine der wesentlichen Herausforderungen in Slenczkas Provokation zu liegen und nur in der Auseinandersetzung mit konkreten biblischen Texten kann sich jedwede bibelhermeneutische Positionierung bewähren. Notger Slenczka hat seine These, das Alte Testament solle und könne in der christlichen Kirche keinen kanonischen Rang haben, nach seinem Aufsatz in der Textsammlung „Vom Alten Testament und vom Neuen“ präzisiert und argumentativ ausgebaut. Die dort zusammengetragenen Gründe lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Kanonisch oder für den christlichen Glauben normativ sind biblische Texte, weil und insofern sie das Evangelium von Jesus Christus verkündigen.214 Normativität, bzw. Kanonizität hängen dabei daran, dass sie in der Begegnung mit Jesus Christus das Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis der Glaubenden neu qualifizieren und daher Erlösung wirken. – Dies kann man mit Schleiermacher ein „christlich-frommes Selbstbewusstsein“ nennen. – Um aber christlich genannt werden zu können, muss dieses fromme Selbstbewusstsein durch die Begegnung mit Jesus Christus bestimmt
Vgl. BULTMANN, Weissagung, 50ff.; dazu: BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 60–64. 211 Vgl. in diesem Sinne auch R AATZ, PTh 104 (2015), 159–172. Kritisch zu Raatz und zu Slenczka vgl. DEEG, PTh 104 (2015), 269–284. 212 „Wenn sich protestantisch-lutherische Bibelhermeneutik legitimer Weise in Kontinuität zu Luther beschreiben will, dann sollte sie dies im Modus einer Kontinuitätssetzung zu seiner faktischen biblischen Theologie vollziehen, die ihren Ausgangspunkt bei einer religiösen Idee und einer daraus entfalteten Bestimmung des Wesentlichen am christlichen Glauben, nämlich des Rechtfertigungsglaubens, genommen hat“ (RAATZ, PTh 104 [2015], 172f.) 213 SLENCZKA, Kirche, 85. 214 Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 135. 210
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
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sein. Dies geschieht vor allem durch die Erinnerung an die als „lebensorientierend“ erfahrene „Biographie“ Jesu Christi.215 So kann Slenczka auch vom „Evangelium von Jesus von Nazareth“216 reden. Aber: „Die Aussage, dass das Alte Testament seinen Sinn darin hat, Jesus von Nazareth zu verkündigen, ist in keinem möglichen Sinn dieser Wendung eine Aussage über den historischen Sinn dieser Texte in welcher der Schichten der Texte des Alten Testaments auch immer. Diese Texte verkündigen weder direkt noch indirekt das Evangelium von Jesus von Nazareth.“217 Daher können diese Texte für Christen nicht kanonisch sein, denn sie reden ihrem historischen Sinn nach „zu anderen von einem andern Gott“218. Diese „Anderen“ sind für Slenczka die Angehörigen des Judentums, da sie zum alttestamentlichen „Israel“ in einer genealogischen Verbindung stehen, sich aber nicht aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus auf diese Texte beziehen. Die Genealogie macht sie zu Adressaten der biblischen Texte, die die Christenheit unter dem Titel Altes Testament subsumiert. Für Christen behält das Alte Testament seine Bedeutung als Ausdruck eines „außer- und vorchristlichen Selbst- und Gottesverständnisses“219, das es wesentlich mit dem deus absconditus zu tun habe.
Für diese Position sieht sich Slenczka, wie schon gesagt, einerseits auf einer Linie mit Harnack, Schleiermacher und Bultmann. Auf der anderen Seite markiert er deutlich einen Bruch im Hinblick auf den Zugang der protestantischen Theologie zum Alten Testament in der Tradition Luthers.220 Denn Luther und die evangelische Auslegung des Alten Testaments nach ihm hatten die Texte unmittelbar christologisch und ekklesiologisch interpretiert. Für diese Lesart war es der sensus literalis von Gen 3,15, Christus zu verkündigen; ebenso war der Glaube Abrahams in Gen 15,6 Glaube an Christus und Abraham entsprechend Glied der christlichen Kirche.221 Eine solche Lesart aber ist der heutigen alttestamentlichen Exegese nach dem Aufkommen eines historischen Bewusstseins verschlossen.
215
Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 284; dazu Ders., Rezeptionshermeneutik,
164f. So SLENCZKA, Vom Alten Testament, 159 u.ö. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 300. 218 SLENCZKA, Vom Alten Testament, 76 als Wiederholung von Ders., Kirche, 111. 219 SLENCZKA, Vom Alten Testament, 200. 220 Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 182. 221 Vgl. noch einmal B ORNKAMM, Luther und das Alte Testament. 216 217
2.6. Die Provokation N. Slenczkas
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Darin, dass die christlichen Lesarten des Alten Testaments aus dem Mittelalter oder der Reformationszeit heute nicht ungebrochen fortgesetzt werden können, ist Slenczka zuzustimmen. Darüber hinaus ist aber festzuhalten, dass jede christliche Lesart des Alten Testaments immer von der neutestamentlichen Perspektive bestimmt wird. Im Kontext christlicher Theologie und Kirche werden die alttestamentlichen Texte immer im Kontext des Neuen Testaments gelesen. Dabei ist das Evangelium im eigentlichen Sinne tatsächlich an die Person Jesu Christi gebunden und als solches den neutestamentlichen Zeugnissen zu entnehmen. Dies nun aber mit den Stichworten „Biographie“ oder „Evangelium von Jesus von Nazareth“ zu bezeichnen, ist nicht unproblematisch. Gibt es doch eine „Biographie“ Jesu immer nur als facettenreiches Bild unterschiedlicher, sich teils widersprechender Biographien neutestamentlicher Autoren oder teils darauf beruhender verschiedener historischer Rekonstruktionen. Ein „Evangelium von Jesus von Nazareth“ gibt es genau genommen biblisch gar nicht, sondern ein Evangelium von Jesus Christus (Mk 1,1; Röm 1,16). Das Bekenntnis, dass Jesus aus Nazareth der „Christus“ oder der „Sohn Gottes“ (Mk 1,1) ist, wird nicht nur mit alttestamentlicher Begrifflichkeit zum Ausdruck gebracht, sondern eröffnet auch eine neue Perspektive auf die Texte des Alten Testaments.222 Diese Perspektivität ist unvermeidbar. Auch Luthers christologische Auslegung des Alten Testaments konnte Christus als Literalsinn der Texte nur behaupten, weil sie vom Neuen Testament herkam. Das gilt auch in ähnlicher Weise für Slenczkas Bestimmung alttestamentlicher Texte als Ausdruck eines „vor- und außerchristlichen“ Gottesverhältnisses. Denn diese Wertung entspricht ja keinesfalls dem Selbstverständnis, sondern steht in Spannung zum exegetisch erhebbaren Textsinn biblischer Texte (und keineswegs nur alttestamentlicher). Für die christliche Theologie gilt, dass durch den Glauben an Jesus Christus – der ganz im Sinne Slenczkas durch die Verkündigung des Evangeliums im Medium des Wortes gewirkt wird – das Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis des Glaubenden neu bestimmt wird. Dies bestimmt aber auch das Verhältnis zum Alten Testament neu. Es wird jetzt gelesen als Wort desjenigen Gottes, zu dem die Begegnung mit Jesus Christus in ein neues Verhältnis gesetzt hat. Dann können alttestamentliche Texte wenn auch nicht zur Quelle, so doch (in der
Der hermeneutische Vorgang lässt sich am besten als ein „Aufeinanderzu“ alt- und neutestamentlicher Texte beschreiben. Wenn die neutestamentlichen Autoren sich alttestamentlicher Begriffe zur Verkündigung des Evangeliums bedienen, dann sind damit ja immer schon Bedeutungs- und Deutungsräume mitgegeben. Umgekehrt werden die alten Texte aus der Perspektive des neuen Glaubens auch neu gelesen und verstanden. Das ist unvermeidbar, wann immer sich Menschen in existenzieller Betroffenheit auf alte Texte beziehen. In der Theologie ist eben die hermeneutische Reflexion die entscheidende Aufgabe; vgl. z.B. OEMING, Schuld, 1–36; oder BEHRENS, Gen 15,6, 103–116. 222
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Perspektive des neutestamentlichen Evangeliums) zum Medium der Verkündigung werden. Zugleich dienen sie aber auch zum Ausdruck des neu gewonnen christlichen Wirklichkeitsverständnisses. Denn, wer Gott ist und wie Mensch und Welt in der Perspektive coram deo zu verstehen sind, erhellt sich aus zahlreichen alttestamentlichen Texten, die im Neuen Testament vorausgesetzt sind. Dabei werden bei einer religiösen Aneignung der Texte, oder anders gesagt: bei der Frage nach der gegenwärtigen Relevanz biblischer Wortlaute notwendigerweise Reinterpretationen oder Relectures gegenüber dem ursprünglichen historischen Textsinn vorgenommen.223 Dies geschieht aber unvermeidlich immer dann, wenn noch aus anderem als rein historischem Interesse gefragt wird, und selbst dann stößt man auf diese Dimension der Auslegung und Sinnverschiebung. Dies beginnt nämlich bereits inneralttestamentlich durch Redaktion und Rekontextualisierung oder der Sinnaneignung in neuen historischen Kontexten.224 Im Rahmen der alttestamentlichen Exegese wird dies in redaktionsgeschichtlichen Phänomenen, über die Buchwerdung einzelner Texte bis hin zur Kanonentstehung greifbar.225 Phänomenologisch wird dies aber in frühen Auslegungen wie den Texten von Qumran, aber auch im Neuen Testament greifbar. Das Judentum setzt dies
Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 182ff., der nachdrücklich darauf aufmerksam macht, dass eine bewusste, hermeneutisch reflektierte und dann womöglich bejahte Relecture alttestamentlicher Texte vom christlichen Glauben einen Bruch mit der vorneuzeitlichen Exegese darstellt, die ja in der christologischen Interpretation alttestamentlicher Texte gerade keine Neuinterpretation, sondern den sensus literalis der Texte sah. Das ist richtig, und ich plädiere dafür, sich diesem Bruch bewusst zu stellen (die hermeneutischen Debatten um das Alte Testament seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts haben das übrigens auch zumeist getan – deshalb gibt es ja ein „hermeneutisches Problem des Alten Testaments“): Im Kontext christlicher Theologie und Kirche werden dann alttestamentliche Texte nicht mehr christologisch oder ekklesiologisch gelesen, wohl aber als Worte desjenigen Gottes, der sich auch in Jesus Christus offenbart hat. So kann es zu einer exegetisch kontrollierten und hermeneutisch reflektierten christlichen Lesart des Alten Testaments kommen; vgl. z.B. WITTE, Jesus Christus. 224 Es ließe sich angesichts der exegetisch zu erhebenden inneralttestamentlichen Auslegungsgeschichte einzelner Texte sagen, dass die Konzentration auf den einen, vielleicht in der Ursprungssituation intendierten Textsinn unterkomplex ist. Auf diesen einen Sinn lassen sich zahlreiche alttestamentliche Texte nicht festlegen. Vielmehr lässt schon ihre inneralttestamentliche Auslegungs- und Wirkungsgeschichte ein breiteres Sinnpotential erkennen. „Auch trifft die Beschreibung der Suche nach dem anfänglichen Sinn der biblischen Texte angesichts der komplexen Fortschreibungsphänomene, wie sie die neuere Redaktionsgeschichte der hebräischen Bibel herausarbeitet, nicht mehr zureichend die Arbeitsweise gegenwärtiger alttestamentlicher Exegese und deren hermeneutische Konsequenzen (jedenfalls im deutschsprachigen Raum)“, urteilt HARTENSTEIN, Bedeutung, 60. 225 Vgl. die Kapitel 4 und 5. 223
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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in Talmud und Midrasch, in Halacha und Haggada ähnlich facettenreich fort wie die christliche Auslegungsgeschichte.226 Auch das Judentum fragt ja nicht allein nach dem ursprünglichen historischen Sinn der biblischen Texte, sondern reinterpretiert und appliziert Wortlaute der Hebräischen Bibel in Auswahl. Und dass die Texte des im Christentum so genannten „Alten Testaments“ nicht einfach deshalb dem heutigen Judentum gelten, weil sich eine Genealogie zum alten „Israel“ herstellen ließe, zeigt sich schon daran, dass Menschen auch zum Judentum konvertieren können und sich dann die heiligen Texte dieser Religion auch gesagt sein lassen. In ähnlicher Weise lassen sich auch christliche Theologie und Kirche das Alte Testament gesagt sein. Dies geschieht perspektivisch immer in der Vermittlung durch das neutestamentliche Evangelium von Jesus Christus. Da aber auch das „Evangelium von Jesus Christus“ wiederum einen Verweischarakter auf die Gottesbeziehung des Menschen hat, werden nun auch alttestamentliche Texte als Wort von diesem Gott (Genitivus subjectivus und objectivus!) gehört. Dies ist ein Akt der Rezeption, der aber durch exegetische Methodik und hermeneutische Reflexion vor Willkür bewahrt werden muss. Dazu könnte eine Wiedergewinnung der Kategorie des „Wortes Gottes“ oder der „Heiligen Schrift“ aus Altem und Neuem Testament beitragen. Die alttestamentliche Exegese kann diesen Reflexionsgang befruchten, indem sie genauer nach dem Ursprung und der Leistung der Rede vom Wort Gottes eben im Alten Testament fragt. Dies wird im 4. Kapitel dieser Untersuchung geschehen. Jetzt ist darauf hinzuweisen, dass die Fragen, die von Notger Slenczka aufgeworfen wurden, keineswegs neu sind, sondern in einer ganzen Reihe von Entwürfen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bereits unterschiedlich behandelt wurden. Lässt man sich von Slenczka in seinem Sinne „provozieren“, lohnt auch ein erneuter Blick auf die bisherigen Vorschläge zur Lösung des hermeneutischen Problems des Alten Testaments.
2.7 Modelle des Zusammendenkens von Altem und Neuem Testament 2.7 Modelle des Zusammendenkens
Das so genannte „hermeneutische Problem des Alten Testaments“ besteht in der Frage, wie ein vorchristlicher Text als Teil der Heiligen Schrift der Christenheit verstanden werden kann, wobei die Frage selbst wiederum in der Erkenntnis gründet, dass der historisch zu erhebende Sinn alttestamentlicher Texte nicht mit der späteren christlichen Rezeption und Auslegung übereinstimmt. Dies ist seit langem im Bewusstsein von Theologie und Exegese und
226
Vgl. z.B. STEMBERGER, Rabbinische Schriftauslegung, 137–148.
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
verdankt sich nicht erst der Zuspitzung durch Notger Slenczka.227 Bereits kurz nach dem 2. Weltkrieg hat es in der deutschsprachigen Theologie und insbesondere auch unter (zunächst protestantischen, dann aber zunehmend auch katholischen) Alttestamentlern eine Reihe von Versuchen gegeben, dieses „Problem“ zu lösen. Dies wird spätestens seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts von der Exegese deutlich wahrgenommen. Diese intensiven Bemühungen drehten sich dabei stets um die Frage, wie einerseits der historische Textsinn erhoben werden und andererseits intellektuell redlich an einer Auslegung der Texte als Gotteswort auch an Christenmenschen festgehalten werden kann. Damals stand nicht zur Debatte, das Alte Testament als nichtkanonisch zu werten. Die Theologen jener Zeit waren vor allem geprägt durch die Dialektische Theologie und die Wort-Gottes-Theologie Karl Barths. Zudem hatten sich insbesondere in der protestantischen Theologie in Deutschland eine Position durchgesetzt, die sich im Kirchenkampf von der deutschchristlichen Verwerfung des Alten Testaments, abgesetzt hatte.228
Daher verwundert eigentlich vor allem die heftige Reaktion auf Slenczkas Provokation. Scheint es doch in der Natur der Sache zu liegen, dass die Frage nach einer möglichen christlichen Lesart des Alten Testaments die Christenheit von Anfang an bis heute begleitet. Sie tritt aber in einer Art Wellenbewegung mal mehr oder weniger deutlich in den Vordergrund. 228 Zu den Bemühungen und Mühen, die beispielsweise Gerhard von Rad nach seiner Berufung nach Jena im Jahr 1934 auf sich nehmen musste, vgl. SMEND, Alttestamentler, 235ff. und OEMING, Art. Rad. Alle christlichen Alttestamentler jener Zeit nähern sich ihrem Gegenstand aus einer dezidiert christlichen Perspektive. Deshalb aber für alle Positionen den Geist einer „fatalen theologischen Judenfeindschaft“ (ZENGER, Einleitung, 18) zu konstatieren (vgl. ähnlich CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 65f.), scheint mir die unentrinnbare Zeitgenossenschaft der Beurteilten zu gering zu veranschlagen. Bemerkenswert, dabei in einzelnen Aspekten auch wieder ganz zeitgenössisch eingebunden, vor allem aber bei den Urteilen von Zenger und Crüsemann offenbar unberücksichtigt, ist auch Walther Zimmerlis Satz von 1952 (!): „Wenn Christus in der angedeuteten Weise in seinem eigentlichsten Wesen als die Erfüllung der Verheißung an Israel verstanden ist, so wird ein Gespräch unausweichlich: das Gespräch mit dem geschichtlichen Israel. Dieses Israel ist heute in ungeahnter Weise auch auf der politischen Bühne unserer Zeit neu lebendig geworden. Es redet heute ungleich hörbarer, als es die von der christlichen Kirche politisch vergewaltigte und im Zusammenhang damit theologisch ignorierte Synagoge getan hat. Die christliche Kirche hat im Ganzen noch erstaunlich wenig Notiz davon genommen. In diesem Israel wird das Alte Testament als Buch dieses Volkes beansprucht – daß es weithin in ganz säkularer Form geschieht, ändert am grundsätzlichen Anspruch nichts. Die Kirche wird der Frage immer weniger ausweichen können, was es um diesen Israelanspruch ist, wo sein Recht, seine Grenzen, seine Verführung liegen. Sie wird sich klarer, als es bisher geschehen ist, darüber aussprechen müssen, ob sie bei der Antwort Harnacks bleiben will, oder ob sie die volle neutestamentliche Antwort, die sie dann allerdings auch in einer ganz neuen, untrennbaren Beziehung mit ihrem Zeugnis, ihrem Liebesdienst und ihrem ganzen Hoffen an die Synagoge bindet, erneut wagen will“ (ZIMMERLI, Verheißung, 101). Auch Zimmerli nimmt hier bewusst die Perspektive eines christlichen Alttestamentlers ein, erkennt aber gerade darin die Nötigung, mit dem ge227
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Bemerkenswert ist dabei die Fülle unterschiedlicher Modelle, die hier reflektiert und auf verschiedenen Wegen in der Auslegung biblischer Texte auch ausprobiert wurden. Gerade die Protagonisten der historisch-kritischen Exegese des Alten Testaments haben sich dann zugleich um hermeneutische Fragen bemüht. Zu nennen wären hier etwa Gerhard von Rad; Walther Zimmerli oder Hans Walter Wolff. Die Debatten sind damals so intensiv geführt worden, dass es bereits 1960 eine von Claus Westermann herausgegebenen Sammelband zur Sache gab.229 Eine ganze Reihe dieser Positionen ist dann in den 70er einerseits zu Lehrbuchwissen geronnen230 und andererseits von Exegeten wie Antonius Gunneweg, Horst Dietrich Preuß, Otto Kaiser und anderen weitergeführt worden. Einige dieser Positionen sollen noch einmal kurz skizziert und dann um neuere und neueste Überlegungen zum Thema erweitert werden. 2.7.1 Historischer Textsinn und Auslegung: Rezeption von Anfang an Zunächst soll das „hermeneutische Problem“ noch einmal genauer betrachtet und neu analysiert werden. Es besteht zunächst – ganz einfach gesagt – in der Differenz zwischen einem ursprünglichen Textsinn, der sich mit Hilfe der Methoden der historisch-kritischen Exegese erheben lässt, und einer späteren Auslegung im Neuen Testament oder in christlicher Theologie und Verkündigung, die mit diesem ursprünglichen Textsinn nicht deckungsgleich ist oder ihm sogar zuwiderläuft. Wenn also zum Beispiel der Prophet Jesaja in der relativ gut zu verortenden Erzählsituation von Jes 7 einer jungen Frau die Geburt eines Sohnes mit Namen Immanuel ankündigt und der Evangelist Matthäus darin die Vorhersage der jungfräulichen Geburt Jesu von Nazareth inklusive der in der Jungfräulichkeit Mariens mitgegebenen Gottessohnschaft erkennt. Hier ließe sich auf den ersten Blick relativ leicht feststellen, dass Jesaja in seiner Zeit und für seine Zeit redet. In der Situation, die der Text erzählt, sind dies die späten 30er Jahre des 8. Jahrhunderts v.Chr. Matthäus liest in dem Text also eine Botschaft, die ursprünglich nicht intendiert war. Für ähnliche Vorgänge lassen sich unzählige Beispiele aus dem Neuen Testament oder der Kirchen- und Theologiegeschichte beibringen. Zum Problem wird dies für die christliche Theologie erst, seit es ein neuzeitliches historisches Bewusstsein gibt.231 Es geht nun nicht mehr an, der neu-
genwärtigen Israel und „der Synagoge“ in ein Gespräch zu treten. Dabei kann er durchaus erkennen, dass diese „Synagoge“ bis dato von der christlichen Kirche „politisch vergewaltigt“ und „theologisch ignoriert“ wurde. 229 Vgl. W ESTERMANN (Hg.), Probleme und dann D OHMEN/SÖDING (Hg.), Eine Bibel. 230 Vgl. G UNNEWEG, Verstehen; B EHRENS, Das Alte Testament verstehen. Nicht zuletzt verdankt sich das Projekt „Jahrbuch für Biblische Theologie“ (JBTh), das seit 1985 bisher in 33 Bänden erschien, dieser Fragestellung. 231 Insofern wäre es ebenso verfehlt, der voraufklärerischen kirchlichen Auslegung des Alten Testaments ihre christologische oder ekklesiologische Deutung vorzuwerfen, wie
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testamentlichen Interpretation alttestamentlicher Texte etwa aufgrund der Inspiration der Autoren eine Deutungshoheit über die Ursprungstexte zuzumessen, so dass erst im Lichte der neutestamentlichen Auslegung erkannt würde, was „immer schon“ der „eigentliche“ Sinn alttestamentlicher Texte gewesen wäre. Demnach scheint methodische Exegese vermeintliche „Missverständnisse“ aus der kirchlichen Tradition korrigieren zu können. Allerdings ist es nicht einfach so, dass nun anstelle der christologischen Deutung der historisch-kritisch zu erhebende Ursprungssinn als der gleichsam „einzig wahre“ Aussagegehalt eines alttestamentlichen Textes tritt. Denn in alttestamentlichen (und neutestamentlichen) Texten liegen bereits in der Textproduktion, erst recht aber der Redaktion und Textüberlieferung mehrere „Sinn-Schichten“ übereinander. Dies gilt für so gut wie alle alttestamentlichen Texte und wird bereits im Pentateuch erkennbar: Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die Texte erst ab der mittleren Königszeit und dann vor allem in exilischnachexilischer Zeit in ihre spätere Form gebracht worden, „spielen“ aber in der Vorzeit Israels.232 Also liegen zum Beispiel in der Exoduserzählung als Sinnpotentiale die erzählte Story von Mose und den Israeliten in Ägypten, am Sinai und in der Wüste, aber auch die Produktionssituation der Gesetzeskorpora „Dekalog“ und „Bundesbuch“, sowie die Aussageabsicht der Priesterschrift in exilisch-nachexilischer Zeit übereinander. Ähnliches gilt für Jes 7, wenn man etwa solchen Interpretationen folgt233, denen zufolge es sich dabei keinesfalls um einen jesajanischen Text handelt, sondern um das Werk eines nachexilischen Verfassers, sodass als „Textsinn“ zumindest zwischen den Aussagen „Jesajas“ als literarischer Figur innerhalb der Erzählung zur Zeit des „syrisch-ephraimitischen“ Krieges und der Intention des eigentlichen Verfassers zu unterscheiden wäre. Mag man sich dieser literargeschichtlichen Analyse nicht anschließen, so stellt sich doch die Frage, wie die Botschaft von Jes 7, der „jungen Frau“ und Immanuel im Kontext eines Jesajabuches mit 66 Kapiteln aus nachexilischer Zeit zu stehen kommt.234 Kurz gesagt: Den einen historischen Textsinn alttestamentlicher Wortlaute gibt es nicht! Immer schon liegen in den Texten mehrere Aussageebenen über-
diese unter heutigen Bedingungen einfach repristinieren zu wollen. Zum Versuch, die Exegese der Kirchenväter oder des Mittelalters auch in ihren Leistungen wahrzunehmen, vgl. z.B. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Schriftsinn, 175–202; Ders., Schrifthermeneutik, 103–116. 232 Vgl. zur Literargeschichte K RATZ, Komposition; SCHMID, Literaturgeschichte; GERTZ, Tora, 193–312. 233 Vgl. z.B. K AISER, ATD 17, 152 mit dem Schluss „daß es sich auch bei 7,10–17 um eine nachdeuteronomistische, keinesfalls von dem Propheten Jesaja selbst formulierte Erzählung handelt“, dann aber auch BECKER, Jesaja, 47–57, der Jes 7 „eine nachexilische Glaubensgeschichte“ nennt (a.a.O., 47, Hervorhebung so im Original). 234 Zu theologischen Gedanken, die das ganze Jesajabuch als Einheit durchziehen vgl. JÜNGLING, Buch, 549ff.
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einander. Um diese Polyvalenz von Textsinn zu erkennen, genügt es, die Einsichten der historischen Exegese ernst zu nehmen.235 Neuere rezeptionsästhetische Erwägungen kommen aus anderer Perspektive zu vergleichbaren Einsichten. Bereits inneralttestamentlich zeigt die Tatsache, dass biblische Texte abgeschrieben und überliefert, fortgeschrieben und redaktionell neu komponiert worden sind, dass sich Textsinn immer auch in einem Interpretations- und Aneignungsprozess religiöser Trägergruppen konstituiert hat. Religiöse Texte werden ja nie nur aus einem „historischen“ Interesse an ihrem „ursprünglichen“ Sinn tradiert, sondern weil sie als Medium der Gegenwartsdeutung coram deo oder als je aktuelle Anrede Gottes verstanden wurden. So lässt sich der Entstehungskontext der alttestamentlichen Gesetzeskorpora in den Büchern Exodus, Levitikus und Deuteronomium bis zu einem gewissen Grad erhellen.236 Zugleich kommt aber immer auch die nachträgliche – aber deshalb nicht bedeutungslose! – Theologisierung dieser Texte als Gottesrecht durch die literarische Verortung am Sinai in den Blick.237 Einzelne Psalmen bekommen durch ihre Einordnung und bewusste Platzierung im Psalter neue (Be-)Deutungshorizonte, die zum Teil durch literarische Strategien wie Stichwortverknüpfungen oder Verkettungen erreicht werden.238 Und auch für den Immanuel, der der „jungen Frau“ in Jes 7 angekündigt wird, ergeben sich bereits inneralttestamentlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten. Dies ergibt sich einerseits durch den Einbau des Kapitels in die sog. Jesajadenkschrift in Jes 6,1– 9,6239 und andererseits dadurch, dass der „Immanuel“ selbst in gewisser Weise deutungsoffen ist. Es gibt ja keine historisch identifizierbare Gestalt dieses Namens. Vielleicht war ursprünglich Hiskia gemeint240, aber dadurch, dass dies gerade nicht gesagt wird, eröffnen sich Deutungsspielräume.
Uwe Becker gebraucht hier das Bild einer durch die Jahrhunderte gewachsene Kathedrale (vgl. BECKER, Exegese, 1f.). Ein solches Bauwerk lässt sich auch nicht auf ein womöglich romanisches Ursprungskirchlein rückbauen, um darin das „eigentlich gewollte“, weil ursprüngliche Gebäude zu entdecken. 236 Vgl. C RÜSEMANN, Tora; O TTO, Ethik. 237 Vgl. C RÜSEMANN, Tora, 40–75; O TTO, Ethik, 175ff.; Ders., Gesetz des Mose. 238 Hier sind vor allem die redaktionsgeschichtlichen Arbeiten zum Psalter von Erich Zenger und Frank-Lothar Hossfeld zu nennen (Kommentare in NEB.AT und HThK.AT); vgl. grundsätzlich ZENGER, Buch, 348–370. 239 So lässt sich erkennen, dass in Jes 5,25–30 und 9,7–20 ein Kehrversgedicht vorliegt, das durch 6,1–9,6 unterbrochen wird. 6,1 bietet zudem mit einer Überschrift einen Neueinsatz. Die mit 6,1 eröffnete Textsammlung behandelt durchweg die Zeit des „syrischephraimitischen Krieges“ 733/32 v.Chr. Zugleich ist aber deutlich, dass die sog. „Denkschrift“ in Jes 6,1–9,6 selbst eine redaktionelle Einheit ist. Darauf weisen schon die Wechsel von 1. Pers. Sg. in 6 zur Erzählperspektive in 3. Pers. in Jes 7 und wieder zurück in Jes 8 hin; vgl. zu dieser eher „klassischen“ Sicht der Dinge WILDBERGER BKAT X/1, 203ff. und 230ff. 240 Vgl. W ILDBERGER, BKAT X/1, 291f., vgl. anders K AISER, ATD 17, 156–160. 235
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Diese werden auch nach Abschluss des Jesajabuches genutzt und weitergetrieben. Denn, dass aus העלמהἡ παρθένος wird, ist ja keine Erfindung des Evangelisten Matthäus, sondern verdankt sich der Übersetzung der Septuaginta, die hier evtl. den religionsgeschichtlichen Kontext im Alexandrien des 3. oder 2. Jahrhunderts v.Chr. interpretierten.241 Matthäus schließt sich also einer Bewegung der Textinterpretation an, die lange vor ihm bereits Fahrt aufgenommen hat; allerdings gibt er dieser Bewegung eine neue Richtung in seiner Deutung auf Jesus von Nazareth.242 Zugleich ist dies eines von zahlreichen neutestamentlichen Beispielen dafür, dass Person und Werk Jesu von Nazareth durch die alttestamentlichen Deutetexte eben unauflöslich mit der theologischen Denkbewegung verknüpft werden, die bereits im Alten Testament beginnt. Die von Slenczka ins Feld geführte „Biographie“ Jesu von Nazareth243 hätte ihre existenzerschließende Wirkung für Glaubende ohne diese Denkbewegung nicht; denn sie wäre ohne diese Texte eben eine andere Lebens-beschreibung. Ist uns doch die „Biographie“ Jesu immer nur als deutende Erzählung der neutestamentlichen Autoren greifbar, in der die alttestamentlichen Deutungstexte mit ihrer Dimension der Welterschließung im Angesicht Gottes eine konstitutive Rolle spielen. Dass der Evangelist Matthäus dabei wohl der Meinung war, mit seinen Erfüllungszitaten244 das in den alttestamentlichen Texten tatsächlich Gemeinte auszudrücken, ist möglich. Für Luther und die ihm folgende Exegese steht fest, dass in einer christologischen Auslegung alttestamentlicher Texte der sensus literalis der jeweiligen Wortlaute erhoben werden sollte. Das ändert aber nichts daran, dass die neutestamentlichen Autoren, die Ausleger der Alten Kirche und Luther und seine Erben de facto eine Reinterpretation der alttestamentlichen Texte in der Perspektive des christlichen Glaubens vorgenommen haben.245 Auch wenn die neuzeitliche Exegese dieses Verfahren nicht mehr in derselben Weise praktizieren kann, so bleibt auch moderner Theologie und Kirche, die sich überhaupt wesentlich auf biblische Texte beruft, gar nichts anderes übrig, als sich reflektiert in die Denkbewegung der Auslegung (und dann immer auch Reinterpretation) dieser Texte hineinzubegeben. Das gilt für so gut wie jede Bezugnahme auf die Bibel außerhalb der Exegese im engeren Sinne, und es
Vgl. RÖSEL, Jungfrauengeburt, 135–152. 242 Vgl. B EHRENS, Jung(e)frau, 155–165. 243 Vgl. SLENCZKA, Vom Alten Testament, 284. 244 Vgl. immer noch R OTHFUCHS, Erfüllungszitate. 245 Der von SLENCZKA, Vom Alten Testament, 182f. (u.ö.) konstatierte „Bruch“ gegenüber der traditionellen christologischen Interpretation, den eine heutige Hermeneutik des AT vornehme, wenn sie von Reinterpretationen spreche anstatt diese neue Deutung von vornherein zum sensus literalis zu erklären, besteht also eigentlich nicht darin, dass eine christliche Lesart alttestamentlicher Texte in der Perspektive des Glaubens an Jesus Christus neu deutet, sondern der Bruch besteht in der Frage wie, unter welchen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und mit welchen Implikationen dies geschieht. 241
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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gilt insbesondere für alle Weisen kirchlicher Lehrbildung und die Applikation biblischer Texte in Stellungnahmen, Predigt und Unterricht. Das anhand von Luthers Trias oratio, meditatio und tentatio erhobene hermeneutische Dreieck aus Gottes-, Text- und Existenzbezug im Umgang der Christenheit mit ihrer Heiligen Schrift macht dies unausweichlich246 – und das gilt für das Alte, wie das Neue Testament. Denn auch bei der religiösen Aneignung neutestamentlicher Texte geht es ja nicht immer nur um den exegetisch zu erhebenden Ursprungssinn, sonst wäre wohl kein Paulusbrief jenseits seines ursprünglichen Empfängerkreises zur Wirkung gekommen. Natürlich gilt das analog auch für moderne jüdische Auslegungen biblischer Texte. Auch hier wird notwendigerweise reinterpretiert.247 Für Juden, wie Christen stellt sich im Hinblick auf die Bibel – und für Christen in besonderer Weise im Hinblick auf das hier so genannte Alte Testament – die Frage, ob und unter welcher Perspektive sie sich die Texte gesagt sein lassen. Für Christen, deren Gottes-, Welt- und Selbstverhältnis konstitutiv durch das Evangelium von Jesus Christus bestimmt ist, wird dieses Evangelium auch die leitende Perspektive auf die Texte des Alten Testaments sein, insofern es um religiöse Aneignung dieser Texte geht. Exegese und hermeneutische Reflexion dienen einerseits den Texten, aber sie dienen auch der existenzerschließenden Lesart der Bibel unter den Bedingungen des Glaubens, indem nämlich methodisch kontrolliertes Verstehen die Akte der Neuinterpretation bewusst macht, wo nötig, dagegen Einspruch erhebt und der Willkür der Auslegung Grenzen setzt. Exegese und hermeneutische Reflexion helfen so den Texten, der glaubenden Aneignung gegenüber eine eigenständige „andere“, manchmal auch „fremde“ Größe zu bleiben.248 Bei der Frage nach der christlichen Lesart alttestamentlichen Texte geht es unter den Bedingungen des neuzeitlichen Wahrheits- und Geschichtsbewusstseins also nicht um die Alternative entweder christologische und ekklesiologische Interpretation oder Aufgabe des kanonischen Geltungsanspruchs, sondern darum, ob die unvermeidliche Reinterpretation biblischer, hier: alttestamentlicher Texte durch solche Menschen, denen sich der Gott Israels in Jesus Christus erschlossen hat, möglichst reflektiert und methodisch kontrolliert geschieht. Dann aber gibt es durchaus mehrere Wege, sich Aussagen des Alten Testaments auch als Christen gesagt sein zu lassen, so wie sich bereits im Neuen Testament unter den Chiffren „Verheißung und Erfüllung“, „Typologie“, „Heilsgeschichte“ oder „Allegorie“ unterschiedliche Modelle finden.
Vgl. Kapitel 2.4.1. 247 Vgl. STEMBERGER, Hermeneutik, 29–141; Ders., Midrasch. 248 Vgl. zur Bedeutung der „Externität“ des Gotteswortes noch einmal W ENZ, Theologie 1, 191. 246
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
2.7.2 „Verheißung“ und „Typologie“ als klassische und zugleich zeitgemäße hermeneutische Modelle Die Bestimmung des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament nach dem Schema (alttestamentliche) „Verheißung“ und (neutestamentliche) „Erfüllung“ schien mit den Einsichten der neuzeitlichen Exegese obsolet geworden zu sein.249 Ließ sich doch zeigen, dass der historische Sinn alttestamentlicher Texte, anders als von den neutestamentlichen Autoren gelesen, nicht auf die Verheißung des Messias oder gar konkret auf Jesus von Nazareth zielten. Außerdem stand die Kategorisierung des Alten Testaments insgesamt als Verheißung in der Gefahr, diesen ganzen Textbereich auf eine „Vorstufe“ des Neuen Testaments zu reduzieren. Dennoch sind seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts einige Versuche unternommen worden, die Rede von „Verheißung“ oder „Weissagung“ für eine zeitgemäße alttestamentliche Hermeneutik fruchtbar zu machen, die einerseits die exegetisch gewonnen Einsichten in den historischen Textsinn festhalten und andererseits nach einem angemessenen Ort des Alten Testaments im Ganzen der christlichen Theologie fragen wollten.250 Hier sei noch einmal das Konzept Walther Zimmerlis in den Blick genommen, das er bereits 1952 entwarf.251 Ihm geht es dabei ausdrücklich nicht darum, die Angemessenheit neutestamentlicher Erfüllungsaussagen auf einzelne alttestamentliche Verheißungstexte zu erweisen, sondern darum, in inneralttestamentlicher Prüfung festzustellen, wieweit die neutestamentliche Rede von Verheißung und Erfüllung auf ihr gemäße, alttestamentliche Tatbestände trifft, sie aufgreift und in ihrem Aufgreifen als legitime Interpretation derselben angesprochen werden kann.252
Die „Tatbestände“, die Zimmerli dann innerhalb des Alten Testaments identifiziert, sind nicht einzelne Verheißungen des kommenden Christus. Vielmehr geht es ihm um das Phänomen von Ankündigungen im Namen Gottes und deren Eintreffen. Als erstes nimmt Zimmerli diesbezüglich die Verheißungen der „Vätererzählungen“ in den Blick. Dabei sind Land-, Nachkommen- und Segensverheißung zu differenzieren. Da aber insbesondere von der Erfüllung der Landverheißung innerhalb von Gen 12–36 nichts berichtet wird, sondern die „Vätererzählungen“ durch zahlreiche Vorverweise und spätere Wiederaufnah-
Vgl. auch RÖSEL, Art. Verheißung/Erfüllung. 250 Um die Mitte des 20. Jahrhunderts sind eine Reihe von ganz unterschiedlichen hermeneutischen Konzepten vorgelegt worden, die das Verhältnis von Altem und Neuem Testament mit der Kategorie „Verheißung“ zu bestimmen versuchten. Darunter so profilierte Entwürfe wie BULTMANN, Weissagung, 28–53; Ders., Bedeutung, 313–336; dazu vgl. GUNNEWEG, Verstehen, 133f. und BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 60–64. Oder: BAUMGÄRTEL, Problem, 114–139; Ders., Verheißung. Zu Baumgärtel vgl. GUNNEWEG, Verstehen, 132f. und BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 65–72. 251 Vgl. ZIMMERLI, Verheißung, 60–101. 252 ZIMMERLI, Verheißung, 69 [Hervorhebung von mir]. 249
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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men mit der Exoduserzählung verknüpft sind, ergibt sich aus dem „Warten“ auf die Erfüllung der Verheißung eine Spannung – und damit das Phänomen der Geschichte: „Verheißung und Erfüllung umgreifen in jedem Fall einen bestimmten geschichtlichen Raum“253 und: „Die Geschichte bekommt ein Gefälle auf noch Ausstehendes hin.“254 Damit wird Geschichte sozusagen „theologisch“ erzählt und damit gedeutet. Durch die sekundäre überlieferungsgeschichtliche Verknüpfung der Väter- mit der Exodustradition wird sozusagen eine „Glaubensgeschichte“ (re-)konstruiert, in der sich ursprünglich selbständige Traditionen jetzt als Teil der einen Geschichte gegenseitig interpretieren.255 So wird die Geschichte der Spannung von „Verheißung und Erfüllung“ zu einer Art Offenbarungsgeschichte. Denn die Zeit zwischen Verheißung und Erfüllung ist auch eine Zeit der möglichen Gottesbegegnung. Dies wird für Zimmerli insbesondere an der Gerichtsprophetie deutlich, die durch die Ankündigung eines Gerichts den Raum zur Umkehr und damit zum Glauben eröffnet. Schließlich führt zum Beispiel die utopische Verheißung eines neuen Jerusalems in Ez 40–48 und in Verbindung damit das Konzept der Priesterschrift geradezu eine eschatologische Dimension in den Geschichtsverlauf ein. Auf diese Weise ergibt sich ein theologisch interpretierter Gesamtverlauf von Geschichte, der sich als fortschreitende Offenbarung der Person Gottes lesen lässt. Unterschiedliche Traditionen werden nachträglich zu einer solchen Offenbarungsgeschichte verknüpft, wobei durchaus auch außerisraelitische Traditionen integriert und dabei reinterpretiert werden. Diese Bewegung wird denn – jedenfalls strukturell – von den neutestamentlichen Autoren fortgesetzt: „So wie das Israel, das Jahwe als seinen Gott kennt, der es aus Ägypten geführt hat, in der Aufnahme der Väterverheißung in sein Credo die legitime Explikation seines Bekenntnisses vollzog, so vollzieht der in der Begegnung mit dem lebendigen Christus aufgebrochene urchristliche Glaube in der Aufnahme der alttestamentlichen Verheißung die legitime Explikation des Christusgeschehnisses, an dem er hängt.“256
Zimmerli leitet aus seinen Überlegungen zwei Forderungen ab: 1. Die Systematische Theologie solle sich für die Christologie wieder stärker auch auf das
ZIMMERLI, Verheißung, 76. 254 ZIMMERLI, Verheißung, 77. 255 „Durch das Aufgreifen der Vätertradition und ihren Vorbau vor die Exodustradition erfährt das Credo vom Auszug und der Hineinführung ins Land nicht nur eine Bereicherung, sondern eine sichernde Explikation. Es ist offenbar nur dann richtig verstanden, wenn es in dieser Bewegtheit und echten Geschichtlichkeit gehört wird“ (ZIMMERLI, Verheißung, 77). Zur gegenwärtigen exegetischen Debatte der Verknüpfung von Väter- und Exodustradition vgl. GERTZ, Tradition und Redaktion, passim. 256 ZIMMERLI, Verheißung, 95. 253
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Alte Testament beziehen.257 2. Die Christenheit müsse sich zur Auseinandersetzung seiner eigenen Deutung des Alten Testaments auf „das Gespräch mit dem geschichtlichen Israel“258 einlassen. An Zimmerlis Modell lässt sich die Anfrage stellen, ob die Terminologie für das Gemeinte glücklich gewählt ist.259 Wenn auch die Gerichtsprophetie und der Untergang Israels und Judas unter die Chiffre „Verheißung und Erfüllung“ gefasst werden, ist dies missverständlich. Auch lässt sich fragen, ob nicht zumindest der Eindruck entsteht, die alttestamentliche Glaubensgeschichte liefe eben doch stringent auf Christus zu. Andererseits ist das Konzept einer Offenbarungsgeschichte doch geeignet, Grundlinien des gewachsenen Alten Testaments insgesamt zu erfassen. Ähnliches findet sich auch in Gerhard von Rads Konzept von Geschichte, in Sätzen wie „Das Alte Testament ist ein Geschichtsbuch“260 oder „Wohl das Alte Testament lässt sich nicht anders lesen als das Buch einer ständig wachsenden Erwartung“261. Zimmerli, von Rad und andere haben damit vor mehr als einem halben Jahrhundert schon Phänomene zum Ausdruck gebracht, die heute in ähnlicher Weise unter den Stichworten Rezeptionsästhetik, Intertextualität, Reinterpretation oder Rekontextualisierung verhandelt werden. Ungeachtet dessen, dass hier historische Entwicklungslinien nicht einseitig stringent gedacht werden dürfen262, dass die historische Einordnung einzelner Texte und Textbereiche in der Forschungsgeschichte variiert oder dass das Neue Testament nicht die einzige und in historischer Perspektive schon gar nicht die einzig angemessene Fortsetzung des Alten Testaments respektive der Hebräischen Bibel ist, ist hier doch ein breite Basis für ein hermeneutisches Modell gelegt, dass sich auch unter derzeitigen Bedingungen dahingehend weiterdenken lässt, dass sich im Alten Testament eine Theologische Reflexionsgeschichte erkennen lässt, an die auch die neutestamentlichen Autoren methodisch analog anknüpfen.263 Auch der Alttestamentler Hans Walter Wolff greift für seinen hermeneutischen Ansatz auf ein bereits im Neuen Testament belegtes Denkmodell zurück,
„Nicht in der buchstäblichen Erfüllung einer wahrsagerischen auf Einzelereignisse zu beziehenden Vorhersage, wohl aber in der Einlösung der göttlichen Personverheißung, um die alle alttestamentliche Verheißung auch in ihren Sachgehalten (gelobtes Land, Vermehrung-Leben, heiliger Ort, Königtum der Gerechtigkeit) kreiste“ (ZIMMERLI, Verheißung, 100). 258 ZIMMERLI, Verheißung, 101. 259 Vgl. B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 72–77. 260 R AD, Geschichtsbuch, 11. 261 R AD, Theologie 2, 339. 262 Prägnant dazu G UNNEWEG, Verstehen, 179: „Die Linie hat keinen Eigenwert“. 263 Vgl. dazu B EHRENS, Reflexionsgeschichte, 45–63; Ders., Visionsschilderungen, 381– 386; Ders., Verstehen des Glaubens, 105–110; Ders., Das Alte Testament verstehen, 145– 150. 257
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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nämlich das der Typologie.264 Das klassische Beispiel dafür ist die sog. AdamChristus-Typologie, die Paulus im 5. Kapitel des Römerbriefes entfaltet. Danach ist Christus der „Antitypos“ zu Adam als dem „Typos“; jener schafft die Sünde wieder aus der Welt, die durch diesen über den Kosmos verhängt wurde. Hier werden also Entsprechungsverhältnisse zwischen alt- und neutestamentlichen Figuren oder Ereignissen konstruiert, so dass eine Art Kommunikation zwischen den Kanonteilen entsteht. Das Problem dabei ist, dass „Typen“ immer erst von ihren „Antitypen“ her überhaupt zu „Typen“ werden. Wer einfach nur die Geschichte Adams in Gen 2–4 liest, wartet nicht auf einen kommenden Antitypos. Dieser Art Typologie haftet also aus Sicht der heutigen Exegese etwas Willkürliches an, wobei der historische Sinn alttestamentlicher Texte hinter der Bemühung zurücktritt, eine irgendwie geartete Sinnbeziehung zum Neuen Testament herstellen zu können. Ähnlich wie Zimmerli ist auch Wolff einer der Protagonisten der historischkritischen Exegese des Alten Testaments in seiner Zeit. Ihm geht es ausdrücklich darum, „den Text in seinem geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen […] und […] willkürliche Deutungen auszuschalten“265. Zugleich nimmt Wolff nicht nur die Position des Historikers, sondern auch die des christlichen Theologen ein. Aus dieser Perspektive fragt Wolff, was denn nun der sachgerechte „Kontext“, der konkrete „geschichtliche Zusammenhang“ des Alten Testaments sei. Er macht drei mögliche „Kontexte“ aus, nämlich die Religionsgeschichte des antiken Vorderen Orients, die jüdische Auslegung („die Synagoge“) und die christliche Auslegung („die Kirche“). Aus seiner christlichtheologischen Perspektive heraus plädiert Wolff für das Neue Testament und die kirchliche Auslegung als Interpretationskontext und begründet das mit Analogien zwischen dem Alten und dem Neuen Testament: Nur das Neue Testament bietet die Analogie eines auf Geschichtsfakten bezogenen Glaubenszeugnisses von dem Bundeswillen Gottes, der sich inmitten der Welt ein Volk erwählt und es zur Freiheit unter seiner Herrschaft beruft.266
Hierbei wird also Typologie als Analogie verstanden. So verstanden, bedeutet Typologie nun nicht mehr das Auffinden einzelner, punktueller Entsprechungen zwischen Altem und Neuem Testament, sondern Typologie bedeutet „die Analogie der Offenbarung Gottes und des menschlichen Existierens vor ihr“267. Es geht also um Grundfragen einer Existenz coram deo, bei der die Horizonte des Alten und des Neuen Testaments sowie derjenige heute Glaubender verschmelzen, sodass sich Analogien erkennen lassen. Voraussetzung dafür ist,
Vgl. WOLFF, Hermeneutik, 140–180; dazu insgesamt BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 85–94. 265 W OLFF, Hermeneutik, 145 [Hervorhebung so im Original]. 266 W OLFF, Hermeneutik, 161 [Hervorhebung so im Original]. 267 W OLFF, Hermeneutik, 170. 264
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
dass in beiden Testamenten vom selben Gott die Rede ist und dass in beiden Testamenten derselbe Gott redet. „Denn Jahwe ist der Vater Jesu Christi“268, so Wolff. Unter dieser Voraussetzung können sich auch Christinnen und Christen alttestamentliche Texte als Wort Gottes gesagt sein lassen, in Analogie dazu, wie sie sich auch neutestamentliche Texte (die ja ebenfalls historisch abständig sind) als Deutung der eigenen Existenz gesagt sein lassen. Die Analogie, so könnte man mit Wolff sagen, führt zu „theologischer Aufgeschlossenheit gegenüber dem Zeugniswillen des Alten Testaments“269, dessen Texte nicht nur historische Dokumente, sondern als Verkündigung des Gottes Jahwe, der auch der Vater Jesu Christi ist, verstanden werden wollen. Die alttestamentlichen Texte sind nicht nur Zeugnis der Vergangenheit, sondern haben einen „Anredecharakter für uns“270. In dieser bewusst bezogenen christlichen Perspektivität interpretieren sich dann Altes und Neues Testament gegenseitig. In christlicher Lesart läuft das Handeln Gottes im Alten Testament auf die Offenbarung in Christus zu, wobei die alttestamentlichen Texte im Lichte dieser bereits geschehenen Offenbarung so gelesen werden. Umgekehrt kann aber auch das Wesen Christi und des sich darin offenbarenden Gottes ohne das Alte Testament nicht hinreichend verstanden werden.271 Wolffs Entwurf einer „typologischen“ Auslegung des Alten Testaments ist nicht unproblematisch.272 Insbesondere seine Bestimmung unterschiedlicher „Kontexte“ (religionsgeschichtlich – jüdisch – christlich) als einander ausschließende Alternativen ist zu eng geführt. Eine (religions-)historische Erklärung biblischer Texte hat ebenso ihr eigenes Recht wie eine jüdische oder christliche religiöse Interpretation. Zudem ist klar zu sehen, dass Wolffs deutliche christliche Perspektivität und die darin mitgegebene „Selbigkeit“ Gottes im Alten wie im Neuen Testament sozusagen axiomatische Positionierungen darstellen. Teilt man diese Voraussetzungen – und diese sind jedenfalls im Neuen Testament selbst gegeben – erschließt Wolffs Typologie als „Analogie der Offenbarung Gottes und des menschlichen Existierens vor ihr“273 das Alte Testament als Anrede für Christinnen und Christen, ohne dass der historische Textsinn dabei vernachlässigt werden muss.
WOLFF, Hermeneutik, 161. 269 W OLFF, Hermeneutik, 166 [Hervorhebung so im Original]. 270 W OLFF, Hermeneutik, 167. 271 „Der Satz, das Alte Testament könne nur vom Neuen her richtig verstanden werden, bedarf also, um richtig zu bleiben, notwendig der Ergänzung durch seine Umkehrung: das neutestamentliche Christusereignis kann nur vom Alten Testament her vollständig verstanden werden“ (WOLFF, Hermeneutik, 169). 272 Vgl. zu Wolff noch einmal B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 87–93; zur Auseinandersetzung mit der Typologie insgesamt bereits EICHRODT, Exegese, 205–226 oder GUNNEWEG, Verstehen, 175–178. 273 W OLFF, Hermeneutik, 170. 268
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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Der Ansatz Hans Walter Wolffs ist in der deutschsprachigen alttestamentlichen Exegese weitergeführt worden. Zu nennen ist hier insbesondere Horst Dietrich Preuß, der seine Hermeneutik unter der Fragestellung, wie christliche Theologinnen und Theologen über alttestamentliche Texte predigen könnten.274 Preuß geht dabei von der exegetischen Erkenntnis aus, dass sich biblische Texte nicht auf einen einzigen historischen Ursprungssinn festlegen lassen, sondern durch ihre Verortung im Kanon und im Zuge des Überlieferungsgeschehens einen Anredecharakter auch an spätere Hörerinnen und Leser zeigen. Der Exeget aber, der nicht bei seiner Exegese biblischer Texte wahrnimmt, daß diese Texte Anspruchs- und Zuspruchscharakter haben, denen ihre Stellung im Kanon jeweils neu zur Verwirklichung verhelfen will, dieser Exeget ist kein ungläubiger Mensch, sondern schlicht ein schlechter Exeget, so wahr wirkliches Verstehen über Kenntnisnahme hinausgeht hin zur Begegnung mi dem Gegenstand und Anliegen des Textes. Das Verstehen von Bibeltexten zielt auf Glauben, und auch daher gehören historisch-kritische und theologische Exegese zusammen.275
Er spricht hier von einem „Textwillen“ und im Zuge der Weitergabe der Texte durch die Geschichte von einem „Neusagen des Textwillens“ in neuen Situationen bis hin zu heutigen christlichen Gottesdiensten.276 Die Grundlage hierfür sieht Preuß in einem Verhältnis der beiden biblischen Testamente, die er mit C. H. Ratschow Strukturanalogie nennt.277 Preuß spricht hier nicht von Typologie, aber ganz ähnlich wie Wolff macht er vergleichbare „Grundstrukturen“278 des Menschseins vor Gott im Alten wie im Neuen Testament und darüber hinaus in einer gläubigen Existenz bis heute aus.279 So wird seine Auslegung zu einer bestimmten Spielart der existenzialen Interpretation. Diese existenziale Interpretation, die auf Seiten der alttestamentlichen Exegese am ausführlichsten von Antonius H. J. Gunneweg280 und Manfred Oe-
Vgl. PREUß, Predigt. 275 PREUß, Predigt, 49f. Zu Preuß‘ Ansatz vgl. B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 94–100. 276 Vgl. PREUß, Predigt, 122. 277 Vgl. insbesondere PREUß, Predigt, 120–140. 278 Zur möglichen inhaltlichen Füllung solcher „Grundstrukturen“ innerhalb des Alten Testaments vgl. PREUß, Theologie 1, 27ff. und passim. 279 Vgl. PREUß, Predigt, 124. 280 Vgl. G UNNEWEG, Verstehen, 183–194. Gunneweg nimmt ausdrücklich von Preuß die Begriffe „Strukturanalogie“ und „Existenztypologie“ positiv auf, indem er im Alten Testament bestimmte „Daseinshaltungen“ erheben möchte, die dann an einem aus dem Neuen Testament gewonnen „Maßstab des Christlichen“ zu messen sind. Dieses „Programm“ hat er durchgeführt in dem posthum veröffentlichten Werk „Biblische Theologie des Alten Testaments. Eine Religionsgeschichte Israels in biblisch-theologischer Sicht“. Die leicht „barocke“ Titel- und Untertitelformulierung zeigt an, wie historisches Arbeiten und christlich274
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ming281 reflektiert wurde, ist vor allem bemüht, konsequente historisch-kritische Exegese alttestamentlicher Texte mit dem Anliegen zu verbinden, diese Texte als zu verkündigendes Wort Gottes an Christen zu verstehen.282 Dabei mag dem Etikett „existenziale Interpretation“ der Charme der Ära Barths und Bultmanns anhaften – die Sache bleibt einer historisch arbeitenden Exegese des Alten Testaments, die sich bewusst als Teil der christlichen Theologie versteht283, aufgegeben. 2.7.3 Neuere und neueste Positionen Die Jahrzehnte ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts sind hinsichtlich der Frage nach der Hermeneutik des Alten Testaments einerseits geprägt von Entwürfen einer Biblischen Theologie und andererseits von der konsequenten Hinwendung der Exegese zu historischer Arbeit. Dabei kommt es im Unterschied zu den mehrheitlich von der Dialektischen Theologie geprägten Entwürfen zuvor zu einem Paradigmenwechsel: Fragen Biblischer Theologie werden seit einigen Jahren unter neuen Vorzeichen und mit neuer Energie diskutiert. Standen früher Versuche, die Einheit der christlichen Bibel und ihrer beiden Testamente zu finden, zumeist im Zeichen neutestamentlicher Glaubensüberzeugungen und einer christologischen Exegese des Alten Testaments, so hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten das Problemfeld beträchtlich verlagert: Einerseits wird – nicht zuletzt im Zeichen des jüdisch-christlichen-Dialogs – der Eigenwert des Alten Testaments viel nachdrücklicher als ehedem eingeklagt; andererseits wird das Konzept einer biblischen Theologie prinzipiell in Frage gestellt – von einigen deshalb, weil es die Exegese an das
theologischer Standpunkt hier vereint werden sollen. Zu Gunnewegs Ansatz vgl. ausführlich BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 107–112. 281 Vgl. O EMING, Das Alte Testament, 231–243. Oeming arbeitet den Ansatz seines Lehrers Gunneweg zu einem Konzept „wertbeziehender Exegese“ aus, das durchaus differenzierte Vergleiche zwischen alt- und neutestamentlichen Texten ermöglicht. Er hebt zudem die Standortbestimmtheit, bzw. Perspektivität jedes Verstehens hervor und schärft zu Recht ein, dass Auslegung sich den je eigenen Standpunkt auch bewusst machen sollte. Denn der Versuch, eine „christliche“ Lesart des Alten Testaments durch eine vermeintlich voraussetzungslose Exegese derselben Schriftensammlung zu ersetzen, ist zum Scheitern verurteilt. Vgl. zu Oeming insgesamt BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 113–118. 282 Vgl. in dieser Tradition auch K AISER, ZThK 86 (1989), 1–17. 283 Alle hier genannten Exegeten legen den eigenen Standpunkt als den einer christlichen Lesart des Alten Testaments, bewusst offen. Das macht eine Stärke dieser Positionen aus. Dass dabei die jeweilige Interpretation durch den Standpunkt bedingt ist, versteht sich; aber es geht ja gerade um die Rechenschaftsfähigkeit des Verstehens unter den Bedingungen der bewusst bezogenen Perspektivität. Dazu noch einmal PREUß, Predigt, 139: „Die christliche Auslegung des AT ist bestimmt durch den christlichen Standpunkt des Auslegers und Predigers, durch seine Kirche und deren Kanon, durch seinen persönlichen Glauben [...]. Das AT bringt zwar sein Proprium in die christliche Verkündigung ein. Aber seine eigene Botschaft als eine solche sui generis […] wird christlich nur im Kontext des NT und von diesem her zur Sprache gebracht.“
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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Gängelband der kirchlichen Dogmatik legen, von anderen deshalb, weil es entweder das Proprium des Alten oder des Neuen Testaments verdunkeln würde.284
In ihrem Sammelband aus der Mitte der 90er Jahre versammeln Christoph Dohmen und Thomas Söding dann eine Reihe solcher neueren Positionen in Originaltexten von Exegeten. Neben der genannten Akzentverschiebung fällt dabei zweierlei auf: Zum einen sind hier auch verstärkt Neutestamentler vertreten; zum anderen ist die Debatte inzwischen deutlich ökumenischer geworden. Auch katholische Exegeten melden sich mit pointierten eigenen Ansätzen zu Wort. Für die Zeit vor der bereits behandelten „Provokation“ N. Slenczkas möchte ich folgende Entwürfe erwähnen: Zunächst Manfred Oeming, dessen Dissertation von 1985 im Jahr 2001 in stark erweiterter Form in 3. Auflage erschien.285 Auch er verhandelt das Verhältnis von Altem und Neuem Testament unter der Überschrift „(gesamt)biblische Theologie“. In Aufnahme eines geschichtsphilosophischen Modells nach Heinrich Rickert und Max Weber spricht Oeming von „wertbeziehender Exegese“286. Dabei soll zunächst jeder einzelne alttestamentliche Text historischkritisch exegesiert werden. Sodann wird der so erhobene Aussagehalt auf einen „Maßstab des Christlichen“ bezogen.287 So bezeichnet Oeming ein christliches Gesamtsystem, das sich aus der dialogischen Zusammenarbeit von alt- und neutestamentlicher Exegese und der Systematischen Theologie ergibt. Aufgrund der Pluralität, die sich schon im Neuen Testament findet, aber auch durch die konfessionelle Vielfalt der Christenheit, spielt auch die jeweilige konfessionelle Bestimmtheit der Exegetin oder des Exegeten eine Rolle für diesen „wertbeziehenden“ Auslegungsprozess.288 Dies wäre dann jeweils zu reflektie-
DOHMEN/SÖDING, Vorwort, in: Dies. (Hg.), Eine Bibel, 8. 285 Vgl. O EMING, Das Alte Testament, 231–243. 286 „Der Vorgang des Wertebeziehens ist kein willkürlicher, subjektiver Akt, vielmehr waltet hier strenge Logik. Das Wesen der Werte, das, was sie als gesollt fordern, ist rational einsehbar. Das Messen eines individuellen historischen Sachverhaltes an den Werten ist ebenfalls ein rationaler Akt, der jedem vernunftbegabten, urteilsfähigen Wesen zugemutet werden kann“ (OEMING, Das Alte Testament, 234). 287 „Der so gewonnene Gehalt des jeweiligen alttestamentlichen Textes muß zweitens auf einen Wert bezogen werden. Christlicherseits kann dieser absolut gültige Maßstab nur das Christliche sein, wie es im Neuen Testament bezeugt ist“ (OEMING, Das Alte Testament, 236). 288 „Die Nötigung zur Wahl eines Wertmaßstabes, nach dessen Führung das ganze biblische Material durchdacht und zusammengestellt wird, widerstreitet nicht der Wissenschaftlichkeit des gesamtbiblischen Unternehmens. Solange die Entscheidung offengelegt und die eigene Position des Exegeten nicht als einzig mögliche, selbstverständliche und ewig allgemein gültige ausgegeben wird, sondern sich […] ihrer Bedingtheit und Überholbarkeit bewußt bleibt, ist das konfessorische Moment begrüßenswert und notwendig“ (OEMING, Das Alte Testament, 237). 284
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ren und offenzulegen, ist aber in der Sache unvermeidbar. In diesem Prozess können dann einzelne alttestamentliche Aussagen und Texte auf den Maßstab des Christlichen bezogen werden, wobei sie sich gegenüber dem Neuen Testament als gleich-, höher- oder geringerwertig erweisen können.289 Der Ansatz hat den Vorteil, dass er sowohl die Disparatheit der alttestamentlichen Überlieferung stehen lässt und sehr sensibel ist für die je eigenen Prägungen des Exegeten. Ob allerdings ein „Maßstab des Christlichen“ wirklich zu benennen ist und wie man alttestamentliche Aussagen damit „messen“ soll, ist die Frage.290 Frank Crüsemann legt 2011 einen umfangreichen hermeneutischen Entwurf vor.291 Für Crüsemann fallen alle bisherigen christlichen Lesarten des Alten Testaments unter das Verdikt des (zumindest latenten) Antijudaismus. Daher kann er auch Oemings Grundvoraussetzung, dass jede Hermeneutik des Alten Testaments in ein Gesamtsystem des „Christlichen“ eingebunden ist, nicht folgen. Für Crüsemann sind mit der einsetzenden christlich-theologischen Systembildung ab dem 2. Jahrhundert n.Chr. die Weichen falsch gestellt worden. Dem setzt er nun eine „neue Sicht“ entgegen, die wiederum eine gesamtbiblische Theologie darstellt.292 Zentrale These ist, dass das Neue Testament gegenüber dem Alten eigentlich nichts Neues bringt.293 Jesus bestätigt lediglich die Geltung der Tora und öffnet sie so über das Judentum hinaus der ganzen Welt.294 Die neutestamentlichen Schriftsteller setzen durchweg das Alte Testa-
Der Vorteil dieses Verfahrens ist die differenzierte Wahrnehmung einzelner Texte gegenüber einer pauschalen Bewertung „des“ Alten Testaments, sowie die Möglichkeit, im Alten Testament gegenüber dem Neuen überschießende Sachgehalte zur Profilierung des christlichen Wirklichkeitsverständnisses zu finden (Vgl. eine ganze Liste bei OEMING, das Alte Testament, 242f.). Sprachlich und sachlich zumindest unglücklich ist die mehrfache Bezeichnung einzelner alttestamentlicher Passagen als gegenüber dem Neuen Testament „minderwertig“ (vgl. a.a.O., 240f.). 290 Zu Oeming vgl. B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 113–118. 291 Vgl. C RÜSEMANN, Wahrheitsraum. 292 Eine solche radikal neue Sicht ist für Crüsemann nötig, da die europäische Theologie in Auschwitz grundsätzlich gescheitert sei (vgl. CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 77). „Die Anerkennung Israels, seines ungekündigten Bundes, als der bleibenden ersten Liebe Gottes, war nach dem Bankrott christlicher Theologie, wie ihn die Schoa unübersehbar gemacht hatte, unvermeidlich. Aber sie war und ist und kann nur ein Einstieg sein in einen weitreichenden Umbau der christlichen Theologie, dessen Ende nicht abzusehen ist. […] Es geht aber darum, ob das Christentum auf Dauer ‚eine humane Religion werden‘ will und kann“ (a.a.O., 190 mit Zitat von David Flusser). 293 „Dem Faktischen ‚über die Schrift hinaus‘ ist deshalb im Theologischen immer wieder der paulinische Grundsatz ‚nicht über das hinaus, was geschrieben steht‘ (1 Kor 4,6) und damit das reformatorische Prae der Schrift vor jeder kirchlichen Lehre entgegenzuhalten“ (CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 76f.). 294 Dabei kommt Crüsemann in der Auslegung von Röm 3,21ff. zu dem gewagten Schluss: „Durch ‚uns‘, die messianische Gemeinde, soll also die dikaíoma tou nómou – die 289
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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ment als gültig voraus. Es stellt den Raum dar, in dem das Neue Testament erst „wahr“ ist. Dies versucht Crüsemann in einer Fülle von exegetischen und historischen Einzelbeobachtungen zu untermauern. So gebe es keine sachlichen Gegensätze zwischen Altem und Neuem Testament. Auch die Totenauferstehung sei im Alten Testament breiter bezeugt als bisher gedacht.295 Die sogenannten Antithesen der Bergpredigt seien keine. Jesus legt lediglich wie jeder andere Rabbi auch aktuell aus. Das traditionelle ich aber sage euch sei dementsprechend mit ich lege euch das heute so aus zu übersetzen.296 Auch gebe es das Denkmodell „Verheißung und Erfüllung“ im Neuen Testament eigentlich gar nicht. Die vermeintlichen Erfüllungszitate des Matthäusevangeliums nähmen nur Bezug auf den alttestamentlichen Wahrheitsraum und bestätigten so insgesamt seine Gültigkeit.297 Dieser Entwurf ist aus langjähriger Erfahrung im jüdisch-christlichen Dialog erwachsen und von hoher Sensibilität für solche Fragen. Der hermeneutische Gesamtentwurf kann aber aus christlicher Sicht und zahlreiche Einzelbeobachtung können aus historischer und exegetischer Sicht nicht voll überzeugen.298 Außerdem bleibt auch Crüsemanns Entwurf entgegen dem eigenen Anspruch nicht ausschließlich beim biblischen Befund (was er als sola scriptura versteht), sondern liest auch die Texte von theologischen Vorgaben her, wobei der Anspruch, man bliebe ja „allein bei der Schrift“ das Erkennen dieser Parameter erschwert. Frank Crüsemann war nicht der Erste und nicht der Einzige, der aus der Perspektive des jüdisch-christlichen Dialogs eine neue christliche Hermeneutik des Alten Testaments anstrebt. Insbesondere zwei Beiträge von katholischen Alttestamentlern sollen hier erwähnt werden. Als theologischer Grundsatz kann für beide Positionen gelten:
Gerechtigkeitsforderung der Tora endlich erfüllt werden. Alles, was in der Tora mit Recht und Gerechtigkeit zu tun hat, kann und soll nun endlich praktiziert werden – das ist Ziel und Absicht der Sendung des Gottessohnes, das ist die Wirkung des Geistes, darum geht es bei Gottes messianischem Projekt“ (CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 220). Insbesondere das mehrfache „endlich“ muss doch bei jüdischen Gesprächspartnerinnen und -partnern Irritationen hervorrufen. Und in der klassischen christlichen Lesart klingt der Anspruch „wir“ würden nun „endlich“ die Tora ganz erfüllen nach einer Überforderung oder eben nach Gesetzlichkeit. 295 Vgl. C RÜSEMANN, Wahrheitsraum, 275–287. Wenn dabei allerdings die Abstraktion „Gott gegen den Tod“ (a.a.O., 283) oder „Gottes Macht über den Tod“ (a.a.O., 287), auf die sich die Beter der Klagepsalmen verlassen, als Grund für die These genommen wird, der Gedanke der Totenauferstehung sei dem Alten Testament in seiner Breite nicht fremd, wird der Textbefund sehr vereinfacht. 296 Vgl. C RÜSEMANN, Wahrheitsraum, 215ff. 297 Vgl. C RÜSEMANN, Wahrheitsraum, 240–247. 298 Zu Crüsemann, vgl. B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 158–169.
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Wenn das Alte Testament des Christentums zuvor und weiterhin Heilige Schrift des Judentums war und ist, dann beinhaltet jede christliche Aussage zum theologischen Rang des Alten Testaments gleichzeitig eine zum Judentum.299
Erich Zenger hat bereits vor dem Erscheinen des Buches von Crüsemann nach einer neuen Sicht des Christentums auf das Alte Testament gesucht300; denn auch er sieht die bisherigen Versuche christlicher Theologie allesamt als unbefriedigend an. Nach Zenger lassen diese Versuche sich unter die Stichworte Substitution, Relativierung oder Selektion subsumieren.301 Sie sind je für sich „gewollt oder ungewollt“ Ausdruck eine „fatalen theologischen Judenfeindschaft, die einer der Auslöser des rassischen Antisemitismus war.“302 Um dem entgegenzuwirken, schlägt Zenger zunächst eine Umbenennung des „Alten Testaments“ in „Erstes Testament“ vor. Damit soll einer Vorstellung von alt im Sinne von „veraltet“ oder „erledigt“ gewehrt werden.303 Sodann soll eine christlich-jüdische Bibelhermeneutik entworfen werden, in der nicht nur die Religionsgemeinschaften, sondern innerhalb der christlichen Lesart auch die beiden Kanonteile Altes und Neues Testament miteinander in einen Dialog treten.304 Zenger nennt dies die „Hermeneutik eines kanonischen Diskurses“, in dem unterschiedliche „Gotteswahrnehmungen und Gotteseinsichten“, der zunächst je in ihrem Eigensinn zu erfassenden Kanonteile und der darin enthaltenen Einzelschriften miteinander ins Gespräch gebracht werden.305 Christoph Dohmen und Günter Stemberger hatten die geforderte Dialogizität bereits 1996 so umgesetzt, dass sie eine „Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments“ vorlegten; das Buch ist 2019 in zweiter, überarbeiteter Auflage erschienen. Hier interessiert vor allem der Beitrag Dohmens, der eine christliche Hermeneutik des Alten Testaments entwirft.306 Dabei greift er
So Christoph Dohmen in: DOHMEN/STEMBERGER, Hermeneutik, 22. 300 Vgl. ZENGER, Das Erste Testament; Ders., Einleitung, 11–36. 301 Vgl. ZENGER, Einleitung, 17–20. 302 ZENGER, Einleitung, 19 [Hervorhebung so im Original]. 303 Zu den Vorzügen dieses Begriffs vgl. ZENGER, Einleitung, 15ff. Die Bezeichnung sei u.a. „historisch korrekt“ und „theologisch richtig“; vgl. dazu vorsichtig kritisch DOHMEN, Hermeneutik, 16f. 304 Zenger betont allerdings, dass es sich dabei um die „Perspektive einer neu zu entwickelnden christlich-jüdischen Bibelhermeneutik“ handelt (ZENGER, Essentials, 234). Dies birgt allerdings die Schwierigkeit, dass alle bisherigen hermeneutischen Modelle als missglückt rubriziert sind, während es die neue Hermeneutik noch nicht gibt. Jedenfalls wäre es wohl eine Illusion, wenn Exegetinnen und Exegeten nun tatsächlich „bei Null“ anfangen wollten. 305 ZENGER, Einleitung, 21. Zu Zengers Position vgl. B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 153–157. 306 Denn das vorgelegte Lehrbuch verfährt insgesamt eher additiv als dialogisch. Günter Stemberger stellt zunächst die Hermeneutik der jüdischen Bibel vor (vgl. STEMBERGER, Hermeneutik, 29–141), woraufhin Christoph Dohmen eine Hermeneutik des Alten Testaments darlegt (vgl. DOHMEN, Hermeneutik, 142–233). Ein Schlusskapitel, das von beiden 299
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Zengers Begriff „Erstes Testament“ nicht auf, sondern spricht von der „Bibel Israels“ als den Heiligen Schriften der Religion Israels und Judas, die dann einerseits als Jüdische Bibel zur Heiligen Schrift des Judentums und als Altes Testament zum ersten Teil der christlichen Bibel wird.307 So kommt mit der jeweiligen Bezeichnung bereits die Glaubens- und damit die Rezeptionsgemeinschaft des jeweils anders benannten Schriftenkorpus und damit deren Perspektivität in den Blick.308 Aus christlicher Perspektive sind nun für Dohmen dabei zwei Dinge hermeneutisch bedeutsam: Die Christenheit übernimmt erstens die „Bibel Israels“ unverändert. Die Kirche greift nicht redaktionell oder fortschreibend in die Texte ein, sondern nimmt sie so wie überliefert auch als Ausdruck Ihres Glaubens.309 Die Christenheit stellt zweitens die Schriften des Alten Testaments den späteren des Neuen voran. Daraus folgt für Dohmen nicht nur ein historisches, sondern auch ein sachliches und theologisches „Prae“ der Bibel Israels, des Alten Testaments für die christliche Rezeption.310 Dies drückt sich in einer theologisch notwendigen doppelten Leserichtung des Alten Testaments in christlicher Perspektive aus: Nur wenn wir dieser Vorgabe folgen und das Alte Testament zum einen/zuerst rein und unvermischt, ohne christologische Bezüge, als Bibel Israels lesen und zum anderen/danach durch Rückverweise und Zitate im Neuen Testament als ersten Teil der christlichen Bibel lesen, gelangen wir zum wirklichen Verstehen der Heiligen Schrift im Christentum, das immer zwischen diesen beiden Leseweisen ausgespannt bleibt.311
Damit können die Texte einerseits unter dem Stichwort „Israelerinnerung“312 als Korrektiv verfehlter Leseweisen des Alten Testaments fungieren und andererseits in rezeptionsästhetischer Perspektive313 zur „Deutung des Christusereignisses auf der Basis dieser Schrift, die ja als Offenbarungsgrundlage die Legitimation dieser Deutung darstellt“314, dienen.
verfasst wurde, versucht eine kurze Synthese (vgl. DOHMEN/STEMBERGER, Hermeneutik, 234–238), aber im Grunde bleibt es Leserinnen und Lesern überlassen, beide Perspektiven ins Gespräch zu bringen. 307 Vgl. D OHMEN, Hermeneutik, 14–19. 308 „Wobei zuerst und vor allem festzuhalten bleibt, dass es sich nicht ausschließlich um ein literarisches Problem handelt; denn von Heiliger Schrift kann streng genommen nur in Verbindung mit der Glaubensgemeinschaft sprechen, die die entsprechenden Bücher als Heilige Schrift anerkennt“ (DOHMEN, Hermeneutik, 21). 309 Vgl. D OHMEN, Hermeneutik, 22f. 310 Vgl. D OHMEN, Hermeneutik, 171–175. 311 D OHMEN, Hermeneutik, 230 [Hervorhebung so im Original]. Dabei klingt die Begrifflichkeit „rein und unvermischt“ oder auch die Rede von der „zweieinen Heiligen Schrift“ (vgl. z.B. a.a.O., 224) an die christologischen Entscheidungen, etwa im Chalcedonense an. 312 Vgl. D OHMEN, Hermeneutik, 228ff. 313 Vgl. D OHMEN, Hermeneutik, 217ff. 314 D OHMEN, Hermeneutik, 230f.
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Die zuletzt skizzierten Positionen drängen nachdrücklich darauf, dass eine christliche Hermeneutik des Alten Testament im Horizont des Verhältnisses von Christentum und Judentum zu geschehen habe. Dazu ist eine Abkehr von Modellen einer „fatalen theologischen Judenfeindschaft“ (Zenger) gefordert. Für eine Hermeneutik im Geiste eines Dialoges auf Augenhöhe hat sich das Modell eines „doppelten Ausgangs“ der Heiligen Schriften Israels in Judentum und Christentum nach Klaus Koch bewährt.315 Von unterschiedlicher Seite wird auch bei christlichen Theologinnen und Theologen immer stärker die jüdische Leseweise dieser Texte berücksichtigt.316 Eine verantwortungsvolle Suche nach einer christlichen Hermeneutik des Alten Testaments wird diese Dimension nicht vernachlässigen dürfen. Sodann hat die These Notger Slenczkas317 auch die Zunft der alttestamentlichen Exegese zur Reaktion und zu erneuter hermeneutischer Reflexion herausgefordert. Friedhelm Hartenstein hatte schon 2013 im selben Medium wie Notger Slenczka, dem Marburger Jahrbuch Theologie 25, seine hermeneutischen Überlegungen vorgetragen. Später hat er sich in der inzwischen entbrannten Debatte noch einmal zu Wort gemeldet.318 Für Hartenstein ergibt sich aus der Frage nach der Bedeutung des Alten Testaments die dreifache Grundfrage nach Bedeutung der Bibel überhaupt, nach der Identität des christlichen Glaubens und nach der Verortung der alttestamentlichen Wissenschaft im Ganzen der Theologie.319 Der „Berufung auf die unmittelbare Gewissheit des christlichfrommen Selbstbewusstseins“320 stellt er „theologisch und anthropologisch die Einsicht in die grundsätzliche Vermitteltheit möglicher Erfahrung gegenüber, wenn denn von Offenbarung in einer begründeten Weise gesprochen werden soll.“321 Das Medium einer solcherart vermittelten Offenbarung aber ist die „seit der Alten Kirche in der Ökumene dem Verstehen vor- und aufgegebene zweiteilige[.] christliche[.] Bibel.“322 Dabei erkennt Hartenstein eine „differenzierte wechselseitige Wahrnehmungsgeschichte bzw. Wahrnehmungsdynamik der Kanonteile.“323 So werden einerseits von Anfang an die Texte des später sog. Alten Testaments von Christinnen und Christen in christologischer
Vgl. KOCH, Der doppelte Ausgang, 215–242. 316 Vgl. z.B. FRANKEMÖLLE, Evangelium; G ROHMANN, Aneignung; Dies., EvTh 77 (2017), 114–131. Vgl. dazu aus jüdischer Perspektive GESUNDHEIT, Theologie, 73–86. 317 Vgl. Kapitel 2.6. 318 Alle Beiträge finden sich jetzt in: H ARTENSTEIN, Die bleibende Bedeutung. Insbesondere sind zu nennen: Ders., Weshalb, a.a.O., 13–53 [ursprünglich in: MJTh 25, 19–47]; Ders., Bedeutung, a.a.O., 55–78; Ders., Wesen, a.a.O., 199–228. 319 Vgl. H ARTENSTEIN, Zur Einführung, in: Ders., Die bleibende Bedeutung, 1–12. 320 H ARTENSTEIN, Weshalb, 25. 321 H ARTENSTEIN, Weshalb, 32. 322 H ARTENSTEIN, Einführung, 2 [Hervorhebung so im Original]. 323 H ARTENSTEIN, Einführung, 4 [Hervorhebung so im Original]. 315
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Perspektive gelesen324, während andererseits in der Identität Gottes325 der Grund dafür sind, dass die alttestamentlichen Texte der Christenheit „unhintergehbar vor- und aufgegeben [sind]: historisch und hermeneutisch.“326 Denn das Neue Testament ist auf die Geschichte des Alten angewiesen, es stellt keinen „absoluten Anfang“ dar, den es nach Einsicht der Historik sei J. G. Droysen wohl auch gar nicht gibt.327 Somit steht die alttestamentliche Wissenschaft als Teilfach der Theologie vor der Aufgabe, die Texte des ersten Kanonteils historisch zu verstehen und hermeneutisch für eine christliches Sinnganzes fruchtbar zu machen. Dabei ist sie aber mit der sog. „Krise des Schriftprinzips“ konfrontiert.328 An deren Bearbeitung hat sich aber die Exegese selbst zu beteiligen.329 Hartenstein weist darauf hin, dass der eine Ursprungssinn eines biblischen Textes heute nicht alleiniger Zielpunkt historisch-kritischer Exegese sein könne.330 Vielmehr betreibe Exegese eine ständige „Auseinandersetzung mit einem polyphonen Bedeutungskosmos von großer zeitlicher Tiefe und innerer Weite, aber nicht beliebiger Vielfalt“331. Die alttestamentlichen Texte will Hartenstein in Anlehnung an P. Ricœur als Zeugen (empirisch, juridisch, martyriologisch) lesen.332
Das bedeutet allerdings nicht, dass Hartenstein vorkritische christologische Deutungen des Alten Testaments repristiniert, sondern, dass er auf die unvermeidliche Perspektivität jeden Verstehens aufmerksam macht. Er spricht von „christologisch perspektivierten Lesarten“ (HARTENSTEIN, Bedeutung, 64); vgl. auch Ders., Weshalb, 36ff. 325 „Für die implizite Grammatik und Semantik des altkirchlichen Kanons ist die Identität des Gottes des Alten wie des Neuen Testaments als des einen Schöpfers der Welt und der Menschen entscheidend, der zugleich als der Gott Israels und der Vater Jesu Christi gilt“ (HARTENSTEIN, Bedeutung, 62 [Hervorhebung so im Original]). 326 H ARTENSTEIN, Bedeutung, 63 [Hervorhebung im Original]. 327 Vgl. H ARTENSTEIN, Bedeutung, 75f. mit dem Urteil: „Der unableitbare Grundimpuls des christlich-frommen Selbstbewusstseins Jesu Christi in Slenczkas Schleiermacherinterpretation ist m.E. eine [...] mythische (vielleicht auch gnostische) Denkfigur“ (a.a.O., 76). 328 Vgl. H ARTENSTEIN, Einführung, 3; Ders., Bedeutung, 58. 329 „Es gilt dabei, der Nivellierung der Grundlage des Christentums vorzubeugen und zugleich deutlich zu machen, dass von einer ‚Autorität‘ der Bibel etwa als hypostasiertes ‚Wort Gottes‘ oder als ‚Lehre‘, die auf Gehorsam zielt, nach der Überwindung eines Konzeptes einer inspirierten Schrift nicht (mehr) sinnvoll gesprochen werden kann. Die Bezeichnung Schriftprinzip für eine ebenso zentrale wie spezifisch hermeneutische Aufgabe christlicher Theologie ist aber nach wie vor nützlich, wenn damit der Glauben und Verstehen eröffnende Charakter des Schriftbezugs umschrieben wird“ (HARTENSTEIN, Weshalb, 35 [Hervorhebung so im Original]). Allerdings bin ich der Meinung, dass die Kategorien „Wort Gottes“ (natürlich nicht hypostasiert) oder „Inspiration“ keinesfalls so schnell erledigt sind. Gerade wenn mit Hartenstein „Schriftbezug“ auch „Glauben“ „eröffnen“ soll, lohnt es sich, darüber, was unter „Wort Gottes“ zu verstehen ist, neu nachzudenken. 330 Vgl. H ARTENSTEIN, Bedeutung, 60. 331 H ARTENSTEIN, Bedeutung, 70. 332 Vgl. H ARTENSTEIN, Weshalb, 41–47; Ders., Wesen, 208; dazu R ICŒUR, Hermeneutik, 7–40. 324
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Das Ganze mündet im Entwurf einer Theologie des Alten Testaments, die unter dem Stichwort „JHWHs Wesen im Wandel“ die Vielstimmigkeit alttestamentlicher Texte zur Kenntnis nimmt und gelten lässt („Wandel“)333, andererseits aber auch Kontinuitäten und Verbindendes erkennt („Wesen“)334. Hartenstein ringt implizit mit den Grundfragen der Bedeutung der Bibel, der Identität Gottes in allem geschichtlichen Wandel, dem Aufbau einer Theologie des Alten Testaments, die historisch wie theologisch-hermeneutisch rechenschaftsfähig ist und nicht zuletzt mit der Frage nach dem Ort der historischen Exegese innerhalb der Theologie. Mit der Formel „JHWHs Wesen im Wandel“ bringt er die Spannung von Kontinuität und Diskontinuität innerhalb der alttestamentlichen Überlieferungen (und darüber hinaus) auf eine griffige Formel. Seine hermeneutischen Überlegungen zum „Schriftprinzip“ (und dem möglichen Beitrag der alttestamentlichen Exegese) können als weiterführend aufgegriffen werden. Der Leipziger Alttestamentler Andreas Schüle hat sich ebenfalls an der Debatte beteiligt.335 Auch er sieht in der Kritik am Alten Testament ein Krisenphänomen: Die Stellung der Bibel insgesamt ist in der evangelische Theologie nicht mehr klar.336 „Eine hinreichend verbreitete und akzeptierte Lehre von der ‚Schrift‘ ist nicht in Sicht.“337 Schüle möchte die Bibel als „Kommunikationsmedium“ wiedergewinnen.338 Ähnlich wie Hartenstein sieht auch Schüle das
Hartenstein möchte „das literarische Werden des Alten Testaments als das zunehmende Bewusst werden der Identität JHWHs in seiner Geschichte entfalten“ (HARTENSTEIN, Wesen, 212 [Hervorhebung so im Original]), was Literar- und Religionsgeschichte einschließt. 334 „Der sich im Nebel der Frühgeschichte Israels verlierende Name JHWH bildet einen irreversiblen Kern des Gotteskonzepts nicht nur des Alten Testaments, sondern auch der Religionen Israels und Judas, wie sie aus den epigraphischen Befunden erhebbar sind. Der Name ist eine Konstante im Fortgang der Zeiten“ (HARTENSTEIN, Wesen, 217). 335 Vgl. SCHÜLE, KuD 62 (2016), 191–211. 336 „Die Frage nach Sinn und Bedeutung der Bibel stellt sich in der Regel dann, wenn es um die Fundamente christlichen Glaubens geht oder, genauer, wenn diese Fundamente nicht mehr tragen, wenn der Glaube selbst frag-würdig geworden ist. Es geht um die Ressourcen, auf die sich der Glaube stützen kann“ (SCHÜLE, KuD 62 [2016], 191 [Hervorhebung so im Original]). Insbesondere das Alte Testament als eine solche „Ressource“ sieht Schüle derzeit von zwei Seiten in der Kritik: Das eine ist die Anfrage an die Kommunikation des Monotheismus in der Sprache der Gewalt, wie sie vor allem Jan Assmann mit seinem Konzept der „Mosaischen Unterscheidung“ gestellt hat (vgl. dazu a.a.O., 193f.); das andere ist die Bestreitung des Alten Testaments als kanonisch, wie sie Notger Slenczka in der Folge Schleiermachers und Harnacks vorgebracht hat. 337 SCHÜLE, KuD 62 (2016), 191. 338 Den Begriff des Kommunikationsmediums entlehnt Schüle bei Niklas Luhmann und füllt ihn wie folgt: „Die Bibel liefert Bilder, Symbole und Sprache, aus denen heraus Glaubensüberzeugungen geformt und kommuniziert werden“ (SCHÜLE, KuD 62 [2016], 192), und: „Das Kommunikationsmedium Bibel hat gerade darin seine Pointe, dass es zu sehr 333
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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Konzept Schleiermachers eines nicht durch die Bibel, sondern scheinbar unvermittelt gewonnenen christlich-frommen Selbstbewusstseins kritisch. Vielmehr müsse demgegenüber ein ausgewogenes Verhältnis von verbum externum und testimonium spiritus sancti internum gewonnen werden.339 Schüle geht es also ganz grundsätzlich um eine Neubestimmung der Rolle der Bibel für den christlichen Glauben. Nimmt man dann aber die Hermeneutik der biblischen Texte selbst wahr, so kann auch und gerade für Exegetinnen und Exegeten nicht nur die Literargeschichte, sondern es muss auch die „nach vorne“ drängende Traditions- und Wirkungsgeschichte relevant sein.340 Nimmt man diese wahr, ergibt sich eine Bewegung der beiden Testamente aufeinander zu.341 Dies geschieht unter anderem so, dass die „Deutung“ als Schlüssel zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament wiedergewonnen werde. Als Beispiele können lukanische Texte (zum Beispiel die Versuchungsgeschichte) dienen, in denen Jesus durch alttestamentliche Texte als Christus und Gottessohn gedeutet werde. Dies sei zumindest insofern kein Willkürakt, als dass biblische Texte ihrem eigenen Selbstverständnis nach deutende und damit über sich hinausweisende Texte seien.342 Insgesamt wird dabei klar, dass es ein „Christusgeschehen“ ohne vermittelnde und erschließende Texte für die Nachgeborenen nicht gibt. Zu diesem Deuten und Verstehen gehören speziell im Blick auf die Deutungen Jesu von Nazareth die Traditionen des Alten Testaments konstitutiv hinzu. Das Christusereignis bedarf eines Erschließungsgeschehens.343
unterschiedlichen Formen von Glauben führen und damit die Kommunikation über Glauben in Gang halten kann“ (a.a.O., 193 [Hervorhebung so im Original]). 339 Vgl. SCHÜLE, KuD 62 (2016), 200. 340 Vgl. SCHÜLE, KuD 62 (2016), 198f., der diesbezüglich gerade in der alttestamentlichen Wissenschaft ein methodisches Defizit ausmacht. 341 „Tora ist ebenso wie die Prophetie und wie die kritische Weisheit, in den Worten von Michael Fishbane, ‚a way of thrusting forward‘, also ein beständiger Schub nach vorn. Dafür entwickelt das Alte Testament Sprache, Bilder und Denkfiguren, mit anderen Worten: dafür arbeitet es theologisch. Es entwickelt Wege, um Erinnerung (Tora), Erfahrung (Weisheit) und Erwartung (Prophetie) deutend zu symbolisieren. Das ist die religiöse Kultur, innerhalb deren [sic!] zumindest ein wesentlicher Teil des Neuen Testaments entstand und für die Deutung der Person Jesu von Nazareth vorauszusetzen ist“ (SCHÜLE, KuD 62 [2016], 203). Für die neutestamentlichen Texte gilt dann: „Ihrer Tendenz nach wachsen sie nicht aus dem Alten Testament heraus, sondern eher umgekehrt in das Alte Testament hinein, ergänzen und erweitern es um Deutungshorizonte, die nun freilich elementar mit der Person Jesu von Nazareth zu tun haben“ (a.a.O., 204). 342 „Wer der Gottessohn ist und was er tut, wird hier nicht willkürlich festgelegt, sondern ganz gezielt im Deute- und Imaginationshorizont der Tora interpretiert“ (SCHÜLE, KuD 62 [2016], 206). 343 SCHÜLE, KuD 62 (2016), 209 [Hervorhebung so im Original].
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Hieraus ergibt sich für Schüle eine doppelte Aufgabe: 1. Wenn die exegetische Arbeit die den biblischen Texten inhärente Hermeneutik als Kommunikationsmedien erhebt, dann gilt: Die Bibelwissenschaften können sich – jedenfalls wenn sie sich an Diskussionen um die gegenwärtige Relevanz ihres Gegenstandes beteiligen wollen – nicht auf den Bereich der historischen Rekonstruktion als Wert an sich beschränken.344
Und 2.: Speziell das Fach Altes Testament wird sich darüber verständigen müssen, inwiefern es die wissenschaftliche Beschäftigung mit seinen Texten im Horizont einer gesamtbiblischen Hermeneutik betreiben möchte.345
Eine solche Perspektive ergebe sich aber erst dann, „wenn man die Wirkung des Alten Testaments im Neuen nicht als sekundäres Phänomen, sondern als primäres Potenzial der Texte zu begreifen vermag.“346 Auch die im Zusammenhang mit der Frage nach einer christologischen Lesart des Alten Testaments vorgetragenen Erwägungen Uwe Beckers gehören hierher.347 Er sieht in der Frage, wie das vorchristlich entstandene Alte Testament christlich gelesen werden kann, eines der Grundprobleme der Theologie.348 Die klassische christologische Lesart des Alten Testaments durch die
SCHÜLE, KuD 62 (2016), 209. 345 SCHÜLE, KuD 62 (2016), 210. Schüle selbst hat dann erste Überlegungen auf dem Weg zu einer gesamtbiblischen Theologie angestellt; vgl. SCHÜLE, EvTh 77 (2017), 101– 113. Er greift dabei auf Kategorien von Samuel Terrien („memory“, „hope“); Reinhart Kosselleck („Erwartung und Erfahrung“) und Gerhard von Rad („Erinnerung und Erwartung“) zurück und baut dabei sein bereits bei SCHÜLE, KuD 62 (2016), 203 angedeutetes Konzept aus; mit dem Fazit: „Die Frage nach Gott stellt sich im Licht der Fähigkeiten, die menschliches Leben in besonderem Maß auszeichnen: Erinnern, Erfahren, Erwarten. Diese drei Fähigkeiten als Erkenntniskategorien einer biblischen Hermeneutik zu wählen [,] hat überdies den Vorteil, dass dabei nicht über Anzahl und Zusammensetzung biblischer Bücher entschieden werden muss“ (SCHÜLE, EvTh 77 [2017], 111). Zumindest für den letzten Gedanken ist Skepsis angebracht. Schüle hatte ja bereits die Kategorien Erinnerung – Erfahrung – Erwartung auf die Kanonteile Tora – Weisheit – Propheten verteilt (vgl. noch einmal SCHÜLE, KuD 62 [2016], 203), wobei sich einerseits eine Anlehnung an den Septuagintakanon nahelegt, es andererseits aber einen Kanon „Tora, Weisheit, Propheten“ genau genommen gar nicht gibt. Jedenfalls legt der Bogen von „Erinnerung“ zu „Erwartung“ doch insgesamt eine christlich rezipierte Kanongestalt nahe. 346 SCHÜLE, KuD 62 (2016), 210. 347 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 95–114. 348 „Die Reflexion über die Frage nach der christlichen Gültigkeit des Alten Testaments – wie immer man sie beantwortet – impliziert demnach zugleich die Frage nach dem spezifisch Christlichen, anders gesagt: Sie drängt uns dazu, uns im Lichte einer vorchristlichen Schriftensammlung über das Wesen der Christologie Rechenschaft abzulegen. Insofern partizipiert auch der Alttestamentler, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt, an den Grundlagen344
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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Kirche überzeugt Becker unter neuzeitlichen Denkvoraussetzungen allerdings nicht mehr. Dies gilt auch für eine moderne Spielarten solcher Auslegung, wie sie Karl Barth und Wilhelm Vischer349 oder in neuerer Zeit Matthias Büttner350 betrieben haben. Für Becker ist es keine Lösung, die historische Abständigkeit alttestamentlicher Texte und die damit gegebenen Sperrigkeit für den christlichen Glauben dadurch zu verdrängen, dass man die historisch-kritische Exegese durch eine vermeintlich „theologische“ Auslegung ersetzt.351 Sodann setzt sich Becker eminent kritisch mit neueren hermeneutischen Konzepten auseinander, wie der biblischen Theologie nach Hartmut Gese352, der kanonischen Exegese in der Folge Brevard Childs353, der Behauptung der „Selbigkeit“ Gottes, wie sie der biblischen Gotteslehre von Hermann Spieckermann und Reinhard Feldmeier zugrunde liegt354, der „christotransparenten“ Lesart Markus
problemen der Theologie und ist ihnen vielleicht noch stärker ausgesetzt als der Neutestamentler oder der Dogmatiker“ (BECKER, KuD 62 [2016], 96. 349 Vgl, B ECKER, KuD 62 (2016), 97–100. 350 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 101f. Büttner ist vor allem an der „Normativität“ alttestamentlicher Texte interessiert, und sieht die Begründung dieser Normativität und damit auch das Zentrum (oder die „Mitte“) des Alten Testaments in der „Erinnerung, daß Jhwh, der Gott Israels gesprochen hat“ (so zitiert bei BECKER, KuD 62 [2016], 102). Dazu Becker: „Dass Jahwe im Alten Testament geredet habe, ist noch nicht einmal die Meinung der meisten Texte, die sich sehr viel differenzierter darstellen, sondern entspricht der dogmatischen Vorgabe einer bestimmten Richtung und einer bestimmten Zeit (vgl. die Inspirationslehre und ihre neuzeitlichen Reaktivierungen).“ Ich stimme Becker darin zu, dass mit der Formel „Jahwe hat geredet“ noch nicht jeder einzelne Text des Alten Testaments erfasst und dass mit dieser Formel auch nicht einfach ein Anspruch auf „Normativität“ begründet ist. Wohl aber soll in Kapitel 4 gezeigt werden, dass ein Netz redaktioneller Schlüsseltexte über weite Teile des Alten Testaments das hermeneutische Vorzeichen „Wort Jahwes“ setzt. Aber auch dies begründet nicht unterschiedslos die „Normativität“ aller Aussagen – schon gar nicht für heutige Leserinnen und Leser. Die Frage, was in der Christenheit in je unterschiedlichen Zeiten als „normativ“ aufgegriffen wird, wird in einem „komplexen hermeneutischen Verständigungsverfahren“ beantwortet, „in dem die alt- und neutestamentliche Wissenschaft wie auch die Dogmatik zusammenwirken“ (BECKER, KuD 62 [2016], 100). 351 „Vielmehr kann man das Alte Testament nur mit, aber nicht gegen den historischkritisch ermittelten Sinn, nur mit und nicht gegen die darin widergespiegelte israelitischjüdische Religions- und Theologiegeschichte christlich rezipieren“ (BECKER, KuD 62 [2016], 100). 352 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 102–104. Hier und im Folgenden fallen Beckers Urteile jeweils recht apodiktisch aus. Dabei wäre im Einzelfall danach zu fragen, was an den jeweiligen Ansätzen auch immer noch hilfreich sein kann (ohne diese dann im Ganzen akzeptieren zu müssen). So gibt es vielleicht doch Berührungen zwischen Geses traditionsgeschichtlichem und Beckers eigenem theologiegeschichtlichem Konzept. Zu Gese vgl. auch BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 139–145. 353 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 104–106; zum Thema Kanonizität vgl. u. Kapitel 5. 354 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 106–108 mit Bezug auf FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott. Becker fragt an: „Kann und darf die ‚Selbigkeit‘ Gottes, wenn sie nicht zur nichtssagenden Formel werden soll, angesichts der Vielfalt des alttestamentlichen Zeugnisses einem
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
Wittes355 oder neueren „geistlichen“ und das heißt zumeist: allegorischen Lesarten des Alten Testaments in der katholischen Exegese.356 Er kommt zu dem Fazit: Schriftauslegung in der Neuzeit kommt an den historischen Bedingtheiten ihres Gegenstandes nicht vorbei – gerade dann nicht, wenn sie sich (wohlgemerkt: unter den Bedingungen und mit den Mitteln des neuzeitlichen Denkens!) zu einer Verabschiedung des historischen Zugangs herausgefordert sieht. Die historisch-kritische Exegese gegen die vermeintlich höhere ‚theologische‘ Exegese ausspielen zu wollen, dürfte kaum statthaft sein, so kompliziert ihre Anwendung auch erscheinen mag.357
Seinen eigenen Ansatz entfaltet Becker unter der Überschrift „Das Alte Testament – christlich gelesen“ in sechs Thesen358: 1. Wenn man das Alte Testament nicht christologisch, wohl aber christlich lesen möchte, so geht das nicht an der geschichtlichen Bedingtheit der Texte vorbei. 2. Dann aber erschließt sich das Alte Testament durch einen theologiegeschichtlichen Ansatz. Die Texte sind Niederschlag und Spiegel paradigmatischer Debatten über den Menschen coram deo, die 3. im Neuen Testament vorausgesetzt werden. 4. Über die historisch zufällige Verknüpfung von Altem und Neuem Testament hinaus gibt es eine „Sachnotwendigkeit des Alten Testaments für das Verständnis der neutes-
Bekenntnis gleich einfach behauptet werden? Und vor allem: Werden hier nicht Gottesbilder und das Reden über Gott mit Gott selbst gleichgesetzt? Das Reden über Gott ist – im Alten wie im Neuen Testament – immer vorläufig und bleibt strittig, so dass der Begriff der ‚Selbigkeit‘ zum Erweis der Einheit der Testamente ungeeignet und problematisch bleibt“ (BEKKER, KuD 62 [2016], 108 [Hervorhebung so im Original]). Hier muss man aber doch zwischen der Genese der Texte und ihrer Einbettung in ein späteres Korpus unterscheiden. Liegen den unterschiedlichen Texten und Teiltexten in der Tat sehr differente Gotteskonzepte zugrunde, so wollen doch ohne Zweifel sowohl das Alte Testament als auch die Hebräische Bibel in allen ihren Teilen von demselben Gott reden. Dieser Gott lässt sich aber mit den Einzeltexten nur „fragmentarisch“, oder besser: „aspektivisch“ beschreiben. In unterschiedlichen Kontexten, die durch die Vielfalt der Lebenssituationen der Rezipientinnen und Rezipienten noch einmal vervielfacht werden, redet dann aber doch derselbe Gott. Jesus von Nazareth und alle neutestamentlichen Autoren gehen davon aus, dass das „Evangelium“ eben auf diesen selben Gott verweist (der auch im Neuen Testament wieder in unterschiedlichen „Aspekten“ geschildert wird). Auch für Becker selbst ist das nicht unerheblich, wenn er später darauf hinweist, auch das Alte Testament könne „der Explikation des christlichen Verständnisses von Gott [!], Welt und Mensch dienen“ (BECKER, KuD 62 [2016], 112); vgl. auch Kapitel 6. 355 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 108f. und dazu W ITTE, Jesus Christus. 356 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 109f. 357 B ECKER, KuD 62 (2016), 110, dabei ist die „Statthaftigkeit“ nicht in einer wissenschaftlichen „Benimmregel“ als einer Art neo-dogmatischer Vorgabe begründet, sondern in ihrer Angemessenheit dem historischen Charakter ihres Gegenstandes sowie der Geschichtlichkeit neuzeitlichen Denkens gegenüber. 358 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 110–113.
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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tamentlichen Botschaft“359. Viele Grundvorstellungen über das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch werden im Neuen Testament einfach vorausgesetzt, weil sie bereits im Alten Testament expliziert wurden. 5. Es ist wahrzunehmen und anzuerkennen, dass eine christliche Rezeption alttestamentlicher Texte (begonnen im Neuen Testament) immer nur in Auswahl geschieht. 6. schließlich kann man die Frage nach einer möglichen christlichen Rezeption alttestamentlicher Texte auch auf solche des Neuen Testaments übertragen. Sodann sei noch einmal Manfred Oeming genannt, der auf einer Tagung der Fachgruppe Altes Testament der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie ein „Plädoyer für das Alte Testament als notwendigem Bestandteil des christlichen Kanons“ vortrug.360 Seine ausführliche Problemanalyse der hermeneutischen Debatte stellt er unter das Bild vom „Kampf um das Alte Testament“, wobei er „Angreifer“ und „Verteidiger“ unterscheidet. Oeming sieht einen Mangel an Kenntnis und damit einhergehend an Wertschätzung des Alten Testaments: „Die wirklich zentralen theologischen Vorstellungen des Alten Testaments werden häufig kaum wahrgenommen.“361 Daran trägt die alttestamentliche Wissenschaft selbst durchaus eine Mitschuld.362 Allerdings müssten zur Lösung dieses Dilemmas alle theologischen Disziplinen zusammenwirken; denn wie andere auch, sieht Oeming hier eine „Grundaufgabe christlicher Theologie“363. So kommt er zu folgender Aufgabenbeschreibung: „Interdisziplinäre Konzentration auf die theologische Substanz, die Rückgewinnung der Kategorie ‚Wort Gottes‘ und der Eigenwert des Alten Testaments.“364 Alle theologischen Disziplinen, vor allem aber die Dogmatik müssten das sola scriptura intensiver diskutieren und dabei nach dem Stellenwert des Wortes Gottes für die Theologie fragen.365 Der entscheidende Beitrag der alttestamentlichen Exegese besteht für Oeming in der Herausarbeitung des theologischen Eigenwerts des Alten Testaments: „Das Alte Testament hat ein theologisches Plus, das
BECKER, KuD 62 (2016), 112 [Hervorhebung so im Original]. 360 Vgl. O EMING, Kampf, 1–40. 361 O EMING, Kampf, 38. 362 „Die Zunft der Alttestamentler erschöpft sich in literarkritischen, historischen oder religionsgeschichtlichen Studien oder Spekulationen, dringt aber nicht mehr zum eigentlichen Kern der Sache vor. Hier müsste ein Ruck durch die Disziplin gehen“ (OEMING, Kampf, 38). 363 O EMING, Kampf, 1. 364 So die Überschrift über dem letzten Abschnitt bei O EMING, Kampf, 37. 365 „... die Dogmatik müsste die Lehre vom Wort Gottes neu betreiben und das sola scriptura inklusive des Alten Testamente intensiver diskutieren“ (OEMING, Kampf, 38). Leider entfaltete Oeming seine Vorstellung von einer „Rückgewinnung der Kategorie ‚Wort Gottes‘“ nicht weiter – vielleicht, weil er dies an die Dogmatik delegiert. Allerdings bin ich der Meinung, dass es im ureigenen Interesse der exegetischen Disziplinen liegt, an der Grundlagenreflexion ihres Gegenstandes, der Bibel, und dessen Stellenwert im Ganzen der Theologie beteiligt zu sein. 359
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
heißt es stellt eine notwendige Ergänzung zum Neuen Testament dar.“366 Diese „Plus“ besteht für Oeming vor allem in der Pluralität der Gottesbeschreibungen. Wenn Theologie wirklich Theologie und nicht ausschließlich Christologie sei, dann habe das Alte Testament zur christlichen Rede von Gott Entscheidendes zu sagen. Dies gehe aber nur in der Vielfalt, die die alttestamentlichen Schriften nun einmal darstellten.367 Daher spricht Oeming für eine im Konzept befindliche Theologie des Alten Testaments von zwölf Wegen zu Gott.368 Schließlich hat sich auch Reinhard G. Kratz „aus der Perspektive des Exegeten und Historikers des antiken Judentums“ zu Wort gemeldet.369 Er möchte dabei sowohl einer christologischen Vereinnahmung als auch einer in seinem vermeintlich „gesetzlichen“ Charakter begründeten Ablehnung des Alten Testaments entgegentreten. Dies sei prinzipiell in einem Verständnis von Christentum und Judentum als zwei strikt geschiedener Religionssysteme begründet. Dies aber sei in historischer Perspektive falsch, da das frühe Christentum lediglich eine unter mehreren Strömungen im antiken Judentum darstelle, die miteinander um das richtige Verständnis der Religion konkurrierten. Der Weg der Tora und der Weg der Christologie seien dabei unterschiedliche Modelle innerhalb der einen „JHWH-Religion“370 und Spielarten der Frage, wie innerhalb dieser Religion die Existenz als „Israel“ zu realisieren sei.371 Für eine angemessene Bewertung und Weiterführung dieses „Israel-Diskurses“372 müssten sowohl die emische als die auf Wahrheitsanspruch zielende Binnensicht einer Glaubensrichtung als auch die etische als die (historisch) deskriptive Außenperspektive einer Glaubensrichtung zusammen berücksichtigt werden. Dies
OEMING, Kampf 31. 367 „Nach meinem Verständnis eröffnet das Alte Testament bewusst eine Pluralität der Zugänge zu Gott. Es sind zwölf Wege zu Gott. Wenn wir das Alte Testament nicht in seiner ganzen Fülle in die theologische Erkenntnislehre einbinden würden, dann würden wir sehr gewichtige Aspekte Gottes verlieren“ (OEMING, Kampf, 39). 368 Vgl. dazu O EMING, Wege, 83–108. 369 Vgl. K RATZ, ZThK 115 (2018), 377. 370 „Die faktische Ausbildung zweier getrennter Religionsgemeinschaften, des Judentums und des Christentums, kann nicht rückgängig gemacht werden, muss aber keinen fundamentalen Gegensatz begründen, sondern ist der Ausbildung verschiedener Richtungen der JHWH-Religion im Judentum sowie verschiedener Konfessionen im Christentum vergleichbar“ (KRATZ, ZThK 115 [2018], 378). 371 „Auch die frühen Christen sehen sich als Repräsentanten des biblischen ‚Israel‘ und stützen sich dafür auf ‚die Schrift‘ oder ‚die Schriften‘, womit nichts anderes gemeint ist als die Schriften der Hebräischen Bibel, wenn auch in griechischer Sprache. Die Techniken und die Hermeneutik der Auslegung des Alten im Neuen Testaments unterscheiden sich in nichts von den Techniken und der Hermeneutik innerhalb der biblischen und parabiblischen Schriften selbst oder in anderen Auslegungen des antiken Judentums wie etwa denen der Kommentare über die Propheten, den sogenannten Pesharim von Qumran“ (KRATZ, ZThK 115 [2018], 389). 372 Vgl. K RATZ, ZThK 115 (2018), 397. 366
2.7 Modelle des Zusammendenkens
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führe zu einer Relativierung (nicht Aufgabe!) des christlichen Wahrheitsanspruches, wodurch das Christentum aber zu einem heilsamen neuen Selbstverständnis als Ableger des Judentums gelangen könnte373: Das Christentum muss sich, bei allen Eigenheiten, selbst (wieder) als einen Ableger des Judentums verstehen, der über den Weg der Christologie demselben Gott, dem Gott Israels, verpflichtet ist und so an der Fürsorge und Hingabe dieses Gottes für sein Volk Israel partizipiert.374
So richtig es ist, dass das Christentum immer noch erst auf dem Weg zu einem neuen Verhältnis zum Judentum ist und so hilfreich der Blick des „Historikers“ Kratz hier ist, so besteht doch die Gefahr, dass historische Beobachtungen, die zudem einer ganz bestimmten Wertung unterzogen werden, unmittelbar in gegenwärtige Theologie überführt werden. Weder das gegenwärtige religiöse Judentum noch das in unterschiedlichen Kirchen verfasste Christentum würden sich als „Richtungen der JHWH-Religion“ bezeichnen. Kratz Rede von „parabiblischen“ Texten vernachlässigt, dass es heute (und seit langem!) de facto im Judentum und Christentum biblische Kanones gibt, zu denen weder hier noch dort die Qumran-Texte oder andere religiöse Schriften des antiken Judentums gehören, die daher in „emischer“ Perspektive auch nicht in gleicher Weise Ausdruck der „Hingabe Gottes an sein Volk“ sein können.375 Gleichwohl entspannt der Blick des Historikers gegenwärtige Debatten, die auf einem scheinbar von Anfang an gegebenen Gegensatz von „Judentum“ und „Christentum“ beharren, und erinnert hilfreich an die gemeinsame Wurzel. Auch die Unterscheidung in emische und etische Perspektiven trägt zur Klärung erheblich bei. Diese Unterscheidung ist für die christliche Theologie dann auch im Hinblick auf das Neue Testament in Anschlag zu bringen.376
„Statt der gezwungen christologischen Vereinnahmung, die über Jahrhunderte geübt wurde, und statt der nicht minder gezwungenen Abwertung des Alten Testaments und Abgrenzung gegenüber dem Judentum, die ebenfalls lange Zeit Brauch war und immer noch ein weit verbreiteter Brauch ist, könnte die Reformulierung bei einer theologischen, d.h. auf die Gottesaussage bezogene Lektüre und Interpretation des Alten wie des Neuen Testaments einsetzen, die vor dem Hintergrund der bisherigen christlichen und jüdischen Auslegungsgeschichte, des jeweils erreichten Standes der historisch-kritischen Forschung sowie in Ansehung der je eigenen Gegenwart zu verantworten wäre“ (KRATZ, ZThK 115 [2018], 399). 374 K RATZ, ZThK 115 (2018), 378. 375 Auch scheint es mir gerade für die gegenwärtige Theologie nicht mehr geboten zu sein, im Christentum eine Spielart „Israels“ zu sehen, nachdem die Selbstermächtigung der Kirche als vermeintlich „wahres Israel“ ein Teil der Leidensgeschichte des Judentums ist. 376 In etischer Perspektive gilt mit K RATZ, ZThK 115 (2018), 395: „Wir sind so viel oder so wenig die Adressaten des Alten wie des Neuen Testaments“, was dann sofort die vereinfachte Gegenüberstellung entkräftet, das Neue Testament sei „uns“, das Alte aber „den Juden“ gesagt (vgl. ebd.). Sowohl das heutige Judentum wie das Christentum müssen sich die antiken biblischen Texte in einem hermeneutischen Vorgang erschließen und so „gesagt sein lassen“. 373
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
2.8 Zusammenfassung und Perspektiven 2.8 Zusammenfassung und Perspektiven
Bei allen Unterschieden im Detail treffen sich die genannten hermeneutischen Positionen in drei zentralen Fragestellungen, die vom sog. hermeneutischen Problem des Alten Testaments berührt werden: – Die Suche nach einer angemessenen Hermeneutik des Alten Testaments ist ein theologisches Grundproblem unter den Bedingungen neuzeitlichen Denkens. – Dies resultiert aus der sog. Krise des Schriftprinzips und der damit zusammenhängenden Frage, inwiefern biblische Texte als Wort Gottes zu verstehen sind. – Alle genannten Exegeten sind bemüht um eine spezifisch christliche Perspektive auf alttestamentliche Texte, die zugleich historisch rechenschaftsfähig ist. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Beitrag des Alten Testaments zu einem christlichen Gottes- und Wirklichkeitsverständnis. 2.8.1 Das hermeneutische Problem des Alten Testaments als theologisches Grundproblem Die Hermeneutik des Alten Testaments wird ja überhaupt nur zum „Problem“, seit es ein modernes historisches Bewusstsein und infolgedessen eine historisch-kritische Exegese des ersten Kanonteils gibt. Die methodisch vorgenommene historische Sinnbestimmung alttestamentlicher Texte und die Frage nach der Relevanz dieser vorchristlichen Texte für gegenwärtige Theologie und Kirche treten vor allem dann in eine Spannung zueinander, wenn die historische Forschung die traditionellen christlichen Deutungen alttestamentlicher Texte nicht bestätigen kann oder ihnen sogar widersprechen muss. Hier erhebt sich verschärft die Frage nach der Verortung der alttestamentlichen Exegese im Ganzen einer christlichen Theologie, wie sie bereits im 1. Kapitel thematisiert wurde. Die Exegese des Alten Testaments kann sich einerseits um der wissenschaftlichen Redlichkeit willen nicht von der historisch-kritischen Sinnbestimmung dispensieren; dann würde sie als eigenes Fach überflüssig. Sie kann sich andererseits nicht von dem Faktum freimachen, dass es sich bei ihrem Gegenstand eben um einen Teil der Heiligen Schrift der Christenheit handelt und dass die Exegese eben darum ein Teil der christlichen Theologie ist. Wollte sie dies tun, würde sie theologisch ortlos. In den referierten hermeneutischen Modellen wird durchweg zugestanden, dass eine Konzentration auf die historische Texterklärung zum Eindruck einer solchen „Ortlosigkeit“ sowie zu einer gewissen Irrelevanz der exegetischen Ergebnisse der alttestamentlichen Wissenschaft für die übrigen theologischen Disziplinen beigetragen hat. Im Spannungsfeld zwischen der Explikation und der Applikation biblischer Texte stellt sich der alttestamentlichen Exegese die Aufgabe, die methodisch kontrollierte historische Texterschließung ganz ernst zu nehmen und eben dadurch einen essentiellen
2.8 Zusammenfassung und Perspektiven
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Beitrag zum Verständnis der Bibel als Heiliger Schrift der Christenheit zu leisten. Dies muss dann im Diskurs mit den anderen theologischen Disziplinen vonseiten der Alttestamentlerinnen und Alttestamentler immer wieder offensiv vermittelt werden. Grundlage dieses Diskurses ist die immer neue hermeneutische Reflexion des eigenen Gegenstandes und der eigenen Aufgabe als Historikerinnen und Historiker und Theologinnen und Theologen zugleich. Das anhand von Martin Luthers Differenzierung von oratio, meditatio und tentatio erhobene hermeneutische Dreieck von Gottes-, Text- und Existenzbezug kann für „Exegese als Theologie“ orientierend bleiben.377 2.8.2 Die „Krise des Schriftprinzips“ und das Alte Testament als „Wort Gottes“ Die Nötigung zu einer hermeneutischen Grundlagenreflexion hinsichtlich des Alten Testaments ergibt sich für die dargestellten Positionen auch aus der viel zitierten „Krise des Schriftprinzips“ und der daraus gefolgerten Unmöglichkeit, von biblischen Texten ungebrochen als „Wort Gottes“ zu reden. Implizit wird gerade an dieser Frage noch einmal die konfessionelle Bestimmtheit aller Theologie deutlich – und damit auch die Notwendigkeit, diesen Aspekt des eigenen Vorverständnisses bewusst zu machen und zu reflektieren. Denn Theologumena wie „Schriftprinzip“ oder sola scriptura, die immer wieder genannt werden, gehören zunächst in den Bereich evangelischer Fundamentaltheologie. Aber auch die römisch-katholische Exegese ist zur Bestimmung des Charakters ihres Gegenstandes grundsätzlich herausgefordert. Die referierten hermeneutischen Positionen von Vertretern der alttestamentlichen Wissenschaft sind durchweg von dem Bemühen geprägt, hier neue Klarheit zu gewinnen. Einerseits will und kann niemand zurück zur Theorie einer Verbalinspiration biblischer Texte, die deren historisches Relief in eine Fläche vermeintlich „zeitloser“ theologischer Wahrheiten einebnet. Andererseits will aber Friedhelm Hartenstein an einem Schriftprinzip mit der Schrift als principium aller Theologie festhalten oder plädiert Manfred Oeming für die Wiedergewinnung der Kategorie Wort Gottes. In der Tat ist dies eine Aufgabe, an der angesichts des modernen historischen Bewusstseins378 alle theologischen Disziplinen aller Konfessionen gemeinsam arbeiten sollten. Als historischer „Text“ einerseits und als „Heilige Schrift“ einer Rezeptionsgemeinschaft andererseits stellen biblische Wortlaute die Exegese in das Spannungsfeld von extra nos und pro me. Im vorliegenden Kontext ist dann danach zu fragen, welchen Beitrag eine
Vgl. Kapitel 2.4. 378 Allerdings kann und muss noch einmal mit dem Beispiel Martin Luthers daran erinnert werden, dass auch bereits für die Theologie des 16. Jahrhunderts die Bibel nicht einfach „vom Himmel“ gefallen war. Hier wäre auch in der viel gescholtenen Orthodoxie noch manche Differenzierungsleistung wiederzuentdecken. 377
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2. Kapitel: Das Alte und das Neue Testament
rechenschaftsfähige Exegese des Alten Testaments zur Gewinnung einer neuzeitlich zu bestimmenden Kategorie „Wort Gottes“ leisten kann. 2.8.3 Die christliche Perspektivität einer Hermeneutik des Alten Testaments Im Grunde macht schon die Bezeichnung „Altes Testament“ die christliche Perspektivität auf diese Schriftensammlung deutlich, die eben unter den Bezeichnungen Hebräische Bibel, Bibel Israels, Jüdische Bibel oder Tenak in eine andere Perspektive gerückt wird. Aber auch Erich Zengers Vorschlag „Erstes Testament“ nimmt bewusst den christlichen Standpunkt ein. Es ist festzuhalten, dass dies für alle referierten Modelle gilt. Das ist deshalb von Bedeutung, da die alttestamentliche Exegese sich im Großen und Ganzen entgegen anders geäußerten Eindrücken eben nicht auf eine „bloß“ historische Lesart ihres Gegenstandes zurückzieht. Gleichwohl ist in der exegetischen Wissenschaft mit Nachdruck festzuhalten, dass es eine vermeintlich „theologische“ Methode etwa als Kontrast zu einer historischen Lesart nicht gibt; wenn es denn darum geht, die Texte in ihrem Eigensinn zu verstehen. Gerade so wird die Exegese aber zu einem theologischen Geschäft, indem sie nämlich mit der Bestimmung des Textsinns den biblischen Wortlauten als verbum externum (CA V) zu ihrem Recht verhilft und der „Externität des Schriftwortes“379 dient. So wird Exegese mit einem berühmten dictum Ernst Langes zum „Anwalt des Textes“380. Aber gerade innerhalb der christlichen Theologie ist diese anwaltliche Funktion von Nöten, ja geradezu essentiell: Weil die Bibel als Heilige Schrift rezipiert wird, soll der aus diesen Texten zu rezipierende (Eigen)Sinn so gut wie möglich verstanden werden, damit auch Grenzen von Rezeptionsvorgängen erkannt werden können.381 Mit Reinhard Kratz ist also darauf hinzuweisen, dass bei der christlichen Rezeption alttestamentlicher Texte eine emische, auf den Glauben der Rezeptionsgemeinschaft gerichtete, und eine etische, auf die historische Abständigkeit der Texte gerichtete Perspektive zu unterscheiden und doch gleichzeitig zu berücksichtigen sind. So ist aus beiden Blickwinkeln danach zu fragen, ob es etwas Gemeinsames gibt, das die historisch weit gefächerten und inhaltlich oft disparaten alttestamentlichen Überlieferungen zu einem Ganzen verbindet. Hier bietet sich die Frage danach an, ob sich in der Vielfalt der alttestamentlichen Gottesbezeugung am Ende das aspekt- und facettenreiche Bild eines Gottes erkennen lässt, das dann im Neuen Testament als Rede von dem einen Gott aufgegriffen wird. Anders als Uwe Becker sehe ich die „Selbigkeit Gottes“382 als verbindendes Glied zwischen Altem und Neuem Testament noch nicht als
WENZ, Theologie 1, 191. 380 Vgl. LANGE, Theorie. 381 Vgl. STOLLE, LuThK 41 (2017), 93–142. 382 Vgl. B ECKER, KuD 62 (2016), 106ff. 379
2.8 Zusammenfassung und Perspektiven
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erledigt an.383 Obwohl es unbestreitbar ist, dass in unterschiedlichen Texten sehr verschieden von Gott, ursprünglich vielleicht sogar von unterschiedlichen Göttern die Rede ist, so ist es doch ebenso unbestreitbar, dass alle diese Aussagen ab einem bestimmten Punkt auf denselben Gott bezogen werden und dass die neutestamentlichen Texte von keinem anderen Gott reden wollen. Mit Friedhelm Hartenstein ist wohl doch zu fragen, ob es in allem Wandel eine Kontinuität des „Wesens“ JHWHs gibt. Ein spannungsvolles Miteinander von Kontinuität und Diskontinuität ist wahrzunehmen und kann nicht einfach in die eine oder andere Richtung aufgelöst werden. Es gibt mit Manfred Oeming eben „viele Wege zu dem Einen“. Hierfür gibt es auch literargeschichtliche Gründe, die eben theologisch relevant werden. So ist wiederum mit Hartenstein darauf hinzuweisen, dass zu der Frage nach dem einen literarischen Ursprungssinn die wirkungs- und rezeptionsgeschichtliche Wahrnehmung der Texte mit entsprechenden Sinnverschiebungen tritt. Dies beginnt inneralttestamentlich und wird redaktions- oder überlieferungsgeschichtlich, manchmal auch schlicht textkritisch fassbar. Damit tritt die Erkenntnis, dass es den einen ursprünglichen Sinn biblischer Texte nicht gibt, mehr und mehr ins Bewusstsein. Das ist historischkritisch methodisch fassbar und zugleich theologisch relevant. Mit Uwe Becker sollte man hier die theologiegeschichtliche Dimension wahrnehmen. Ich spreche hier von theologischer Reflexionsgeschichte,384 an die die neutestamentlichen Autoren anknüpfen. Zugleich sehe ich hier das bleibende Recht von Modellen, die unter dem Stichwort „Verheißung“ die geschichtliche Dimension der alttestamentlichen Rede von Gott (Zimmerli, von Rad) oder mit „Typologie“ die grundsätzliche Analogie der menschlichen Existenz vor Gott im Alten und Neuen Testament und darüber hinaus bis heute (Wolff; Preuß) betonen. Mit Frank Crüsemann könnte man sagen: In Jesus Christus öffnet sich der Gott Israels der Welt. Zusammen mit Erich Zenger, Christoph Dohmen, Günter Stemberger und anderen ist daraus immer auch zu hören, dass eine christliche Perspektive auf das Alte Testament heute immer nur im Horizont eines jüdischchristlichen Dialogs über die Bedeutung „der Bibel“ zu gewinnen ist.
Vgl. Kapitel 6. 384 Vgl. B EHRENS, Theologische Reflexionsgeschichte. Ich halte hier nach wie vor Überlegungen Walther Zimmerlis und Gerhard von Rads für hilfreich; vgl. dazu BEHRENS, Das Alte Testament verstehen, 72–77.131–138. 383
Kapitel 3
Schriftprinzip, Wort Gottes und das Alte Testament Das hermeneutische Problem des Alten Testaments gehört in den Horizont der Frage nach dem Stellenwert der Bibel für Kirche und Theologie überhaupt. Auch dies ist in den eben besprochenen neueren hermeneutischen Modellen immer wieder angesprochen worden. Das wiederholte Auftauchen der Formulierungen Schriftprinzip, sola scriptura, Heilige Schrift oder Wort Gottes ist ein deutlicher Hinweis. Denn diese Begriffe berühren durchweg die Frage nach der fundamentalen Bedeutung der Bibel für die christliche Kirche, die insbesondere, aber nicht nur für die evangelische Theologie und Kirchen mit der Stellung der Bibel als norma normans zusammenhängt. Diese Stellung ist begründet in der Funktion der zweigteilten Heiligen Schrift als Ursprungszeugnis des Glaubens und zugleich als Vermittlungsmedium des Redens Gottes.1 Die in diesen Glaubensaussagen zum Ausdruck gebrachte Überzeugung scheint insbesondere durch die historisch-kritische Exegese unter den Bedingungen des neuzeitlichen Verständnisses von Geschichte fundamental infrage gestellt
Vgl. DALFERTH, Wort, 75, der Bibel, Schrift, Evangelium und Wort Gottes nicht nur als verschiedene Begrifflichkeiten für Dasselbe, sondern als Bezeichnungen unterschiedlicher Gegenstände differenziert: „Man sollte daher unterscheiden: Gottes Wort ereignet sich und wird geglaubt (oder nicht geglaubt). Das Evangelium widerfährt und wird vernommen (oder widerfährt nicht und wird nicht vernommen). Die Schrift wird gebraucht (oder nicht gebraucht). Die Bibel wird gelesen (oder nicht gelesen). Geglaubt wird Gottes Wort, wenn einem das Evangelium so widerfährt, dass man es als Evangelium (also als Gottes Zusage an sich) vernimmt. Darauf zielt die Schrift, wenn sie als Schrift, also als Schlüssel zur Kommunikation und zum Verständnis des Evangeliums gebraucht wird“ (ebd. [Hervorhebung so im Original]). Die Differenzierung dient der Klarheit und ist hermeneutisch hilfreich. Gleichwohl ist zu bedenken, dass „Gottes Wort“ – und dieser Begriff enthält nach Dalferth auch immer das Wirken des Geistes – eben dann den Glauben an das „Evangelium“ wirkt, wenn spezifische Texte der „Bibel“ als „Schrift“ „gebraucht“ werden. Zwar ist unbestreitbar, dass Gottes Wort nicht in biblischen Texten aufgeht, aber auch in der Verkündigung oder in anderen Formen des kirchlichen „Gebrauchs“ ist doch ein Bezug auf die biblischen Texte und ihren Inhalt konstitutiv, da ohne diesen Bezug ein spezifisch christliches Reden von Gott oder von Jesus Christus nicht zu haben ist. „Bibel“, „Schrift“ und „Wort Gottes“ gehören doch als Aspekte oder Dimensionen einer Sache zusammen, wenn dem christlichen Glauben nicht die geschichtliche Bodenhaftung verloren gehen soll. „Schrift“ und „Wort Gottes“ sind sonst zumindest in Gefahr, zu mythischen Größen ohne Materialgestalt zu werden. 1
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
zu sein. Hier ist dann in der Regel von der „Krise des Schriftprinzips“ die Rede.2 Im Zuge dieser „Krise“ bekam auch die Infragestellung des Alten Testaments als einer für die Christenheit verbindlichen Schriftensammlung neuen Auftrieb. Hier soll es noch einmal um diese Krise gehen und um Möglichkeiten, diese Krise auch dahingehend positiv aufzuarbeiten, dass neu nach dem Stellenwert der Bibel (und insbesondere des Alten Testaments) für die Theologie gefragt wird.3
3.1 Die Spannung zwischen Geschichtlichkeit und gegenwärtiger Geltung als Zeichen der Krise 3.1 Geschichtlichkeit und gegenwärtige Geltung
Dass die Heilige Schrift die oberste Norm aller christlichen Theologie ist, ist keine grundsätzlich neue Einsicht Martin Luthers, aber er hat sie mit der Formel sola scriptura auf den Punkt gebracht, und damit die Schrift zum „Prinzip“ aller Theologie erhoben4, das heißt, für die Begründung kirchlicher Lehraussagen über Gott, den Menschen, Christus, die Vergebung etc. muss die Bibel die Letztinstanz sein. Dies gilt aber für Luther darum, weil die biblischen Schriften wesentlich in der Fluchtlinie dessen stehen, was Christum treibet, also in der Offenbarung Gottes in Christus ihren Grund und in der Verkündigung dieser Botschaft, des Evangeliums ihr Ziel haben.5 Die lutherische Bekenntnisbildung hat dies im Summarischen Begriff der Konkordienformel zur verbindlichen Lehre erhoben.6 Bereits Luther und ebenso die Lehrbildung der lutherischen Orthodoxie verfolgt eben keine einfache Identifikation der Offenbarung Gottes mit dem Bibelwort.7 Vielmehr kann Luther von seinem inhaltlichen Kriterium (was Christum treibet) her innerbiblisch Kritik üben. Die Bibel hat eine Personmitte in Jesus Christus, der einzelne Aussagen näher oder ferner stehen. Ja, Luther kann sogar den ihm überlieferten Bibelkanon wesentlich umbauen und
In der Regel wird an dieser Stelle verwiesen auf: PANNENBERG, Krise, 11–21. Für Pannenberg ist diese „Krise“ eine theologische „Grundlagenkrise“ (a.a.O., 15), da sie mit der Diastase von Schriftzeugnis und historischer Rekonstruktion den unabdingbaren Bezug des christlichen Glaubens zu seinem geschichtlichen Grund infrage stellt. Zu Pannenbergs Hermeneutik vgl. LAUSTER, Prinzip, 330–345. 3 Vgl. FOCKEN/VAN O ORSCHOT (Hg.), Schriftbindung. 4 Vgl. Kapitel 2.4 und LAUSTER, Prinzip, 11–25. 5 Vgl. Dazu SCHWÖBEL, Sola Scriptura, 1–27 oder D ALFERTH, Wort, 393, der von der „Merk- und Verdichtungsformel ‚Jesus Christus‘“ spricht, die „auf das hermeneutische Grundereignis der christlichen Gemeinde“ verweise. 6 Vgl. BSELK, 1216, vgl. D ALFERTH, Wort, 29–31. 7 So die m.E. verkürzende Ausgangsthese bei LAUSTER, Prinzip, 1: „Die Theologen der altprotestantischen Orthodoxie haben dann aus Luthers sola scriptura ein geschlossenes System geformt, das die Worte der Schrift mit der Offenbarung identifiziert und damit die Bibel zum Wort Gottes erhebt“. 2
3.1 Geschichtlichkeit und gegenwärtige Geltung
121
damit hermeneutische Grundentscheidungen verbinden. Er bestreitet – außer den Apokryphen – biblischen Schriften nicht den Charakter als Wort Gottes, wohl aber die Relevanz für „uns“, also für Luthers christliche Zeitgenossen.8 Auch die lutherische Orthodoxie formt das Schriftprinzip zunächst so aus, dass zwischen einer Offenbarung Gottes in der Geschichte (vor allem in Jesus Christus), in der Bibel und in der Predigt unterschieden wird.9 Das alles ist Wort Gottes, aber es ist deshalb nicht alles dasselbe. Die heute oft für diese Epoche festgestellte „Identifikation“ zwischen Bibel und Wort Gottes, die dann mit dem Hinweise auf die Erkenntnisse der historischen Kritik für überholt und erledigt erklärt wird, lässt vielleicht doch manche Differenzierungsleistung der orthodoxen Dogmatik außer Acht.10 Dass es mit Calvin überhaupt eines testimonium spiritus sancti internum bedarf (und die lutherische Theologie ist hier durchweg anschlussfähig)11, damit das biblische Evangelium zum Grund der eigenen Heilsgewissheit wird, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es nicht um biblizistische Buchstabengläubigkeit ging, sondern um ein existenzielles Erschließungsgeschehen des Daseins im Angesicht Gottes, für das die biblischen Schriften das zentrale Vermittlungsmedium darstellten.12 Aber eben so sind die biblischen Wortlaute Wort Gottes.13 Auch in der vormodernen Theo-
„Ist alles Gottes wort; Gottes wort hyn, Gottes wort her; ich muss wissen und achthaben zum wem das wort Gottes geredt werde“ (WA 16, 384); vgl. dazu 2.4.2. 9 Vgl. dazu STEIGER, Art. Schriftprinzip, 1009 zur Differenzierung von „geoffenbartem, gepredigtem und geschriebenem Wort Gottes“. 10 Vgl. differenziert D ALFERTH, Wort, 135–175, mit dem Fazit: „Vermeidet man aber die irreführende Reduktion des Schriftbegriffs auf den Bibelbegriff und beachtet stattdessen die konsequente Entfaltung des Schriftthemas im Horizont des Wirkens des Geistes, dann ist die Schriftlehre der Orthodoxie eine konsequente Entfaltung der Lehre der Schrift“ (a.a.O., 174). 11 „Neben Luthers Verknüpfung von Prinzip und Selbstauslegungsfähigkeit ist Calvins Lehre vom testimonium internum zweifelsohne ein der wichtigsten Bausteine des protestantischen Schriftprinzips“ (LAUSTER, Prinzip, 15). 12 „Die Vermittlungskraft der biblischen Schriften besteht dann also darin, im Horizont der das Christentum prägenden Transzendenzerfahrungen originäre Symbolisierungen und Ausdrucksformen bereit zu stellen, die es späteren Generationen ermöglicht [sic], diese Deutungen in ihre lebensweltlichen Erfahrungen zu übersetzen und damit religiöse Erfahrung aufzubauen. Das ist weit mehr als die bloß äußerliche Übernahme von Fremderfahrungen und insofern auch kein Akt der Heteronomie“ (LAUSTER, Prinzip, 451). 13 Dalferths Befürchtung, „dass die Rezeption menschlicher Worte (Verstehen des verbum externum) und die Rezeption des Wortes Gottes (Verstehen des verbum internum) in einen kommunikativen Kontrast treten“ (DALFERTH, Wort, 75 [Hervorhebung so im Original]), verfehlt nun gerade die Pointe von CA V (vgl. BSELK, 101), wonach Gottes Wort eben als ein äußerliches den Menschen gegenübertritt und eben so Glaube wirkt, ubi et quando visum est Deo. 8
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
logie ist dann aber ein Auslegungsvorgang in Exegese (explicatio) und Verkündigung (applicatio) nötig, der auch immer schon methodischen Regeln folgte.14 Dass dieses Schriftprinzip in der modernen protestantischen Theologie in die Krise geraten ist, hat mindestens zwei Hauptgründe.15 Der eine dürfte in der Erstarrung des Schriftprinzips in einem autoritären Lehrgebäude liegen16, wobei alles, was in der Bibel steht, als „wahr“ oder „historisch zutreffend“ verstanden werden muss. Dies wird dann womöglich damit begründet, die Bibel sei ja das „Wort Gottes“. Dazu gehören dann die Nötigung, an eine Sechstageschöpfung oder die Verfasserschaft des Pentateuchs durch Mose zu glauben oder soziale Verhältnisse der Antike hinsichtlich der Stellung der Frau oder der Ausgrenzung homosexueller Menschen heute zu vertreten. So ist eine fundamentalistische Verhärtung (die, wie gesagt, nicht mit der Theologie der lutherischen oder reformierten Orthodoxie gleichzusetzen ist) zumindest ein Symptom für die Krise des Schriftprinzips.17 Der weitaus gewichtigere Faktor ist aber die Erkenntnis der grundsätzlichen historischen Bedingtheit der biblischen Schriften. Die Einsicht in die durch und durch menschlichen Produktions- und Überlieferungsbedingungen der biblischen Schriften, samt der konsequenten Herausarbeitung eines historischen Ursprungssinns, der dann eben häufig nicht mit der christlichen Interpretation (vor allem alttestamentlicher Texte) identisch ist, schien ein Verständnis derselben Texte als „Wort Gottes“ zu verunmöglichen.18 Dies führte dann dazu,
„Schriftgemäßheit schließt den Gedanken der Innovation keineswegs aus. Der Prozeß der Bekenntnis- und Dogmenbildung ist m.E. ein überzeugendes Beispiel für diese überlieferungsgeschichtliche Vermittlung ursprünglich biblischer Symbolisierungen, es gilt aber zweifelsohne auch für andere Lebensbereiche und andere Medien der komplexen christlichen Überlieferungsgeschichte“ (LAUSTER, Prinzip, 460). 15 Vgl. V OLKMAR, EvTh 79 (2019), 130ff. 16 M OXTER, ZThK 105 (2008), 146–169 spricht von einer „Reduktion des Schriftprinzips auf eine Belegstellenverwaltung für dogmatische Loci“ (a.a.O., 152); vgl. ähnlich DALFERTH, Wort, 14f. 17 Vgl. B EHRENS/SMIT/LEONHARDT, Art. Fundamentalistische Bibelhermeneutiken, 186–188. 18 „Die biblischen Schriften sind Texte aus einer längst vergangenen Epoche, sie sind das Produkt eines komplexen, geschichtlich verlaufenden Überlieferungsprozesses, der sich aus einer Reihe von Faktoren wie mündlicher Überlieferung, schriftstellerischer Tätigkeit, Sammlung, Tradition und Redaktion zusammensetzt. In alledem ist die Bibel durch und durch Menschenwort, das wie andere Texte auch den historischen Bedingungen ihrer Entstehung und Überlieferung ausgesetzt ist. Es ist diese Grundeinsicht des historischen Bewußtseins, die das altprotestantische Schriftprinzip aufgelöst hat“, so zieht LAUSTER, Prinzip, 441 ein gewisses Fazit aus seiner großen Forschungsgeschichte zum Schriftprinzip. Damit liegt er allerdings nur halb richtig. Denn biblische Texte lassen sich keinesfalls nur einer „längst vergangenen Epoche“ zuordnen; dagegen spricht eben der Überlieferungsprozess, der immer mit einer neuen Aktualisierung und einem immer neuen Verständnis des Textes 14
3.1 Geschichtlichkeit und gegenwärtige Geltung
123
dass die Exegese – jedenfalls die deutschsprachige Exegese vor und nach Karl Barth19 – sich vor allem als historische Disziplin verstand. Nun gibt es aber, wie gesehen, immer wieder das hermeneutische Bemühen um rechenschaftsfähige Modelle innerhalb von Theologie und Exegese, die beides festhalten wollen: Die methodisch kontrollierte historische Sinnerschließung biblischer Texte auf der einen Seite sowie deren Relevanz für die Erschließung der Existenz gegenwärtiger Menschen coram deo. Dafür muss allerdings immer wieder neu nach dem Stellenwert der Bibel gefragt werden. Für die wissenschaftliche Bibelexegese stellt sich damit wieder grundlegend die Frage nach der Bedeutung ihres Gegenstandes.20 Wenn es stimmt, dass die Bibel in der Exegese methodisch wie jede andere Literatur untersucht werden soll, dann erhebt sich die Frage, warum gerade um dieses Buch ein derartiger Aufwand betrieben wird.21 Hier ist den Fragen nach einem möglichen Schriftprinzip und der Kategorie des „Wortes Gottes“ noch einmal nachzugehen.
in ganz unterschiedlichen Epochen verbunden ist. Dabei ist die richtige Erkenntnis, die Bibel sei „durch und durch Menschenwort“ jedenfalls kein Argument dagegen, dass sie zugleich Gotteswort ist; denn die Erfahrung, dass immer neu und immer wieder in den Menschenworten Gottes Wort zu hören war und ist, ist ja gerade der Motor hinter den methodisch erhebbaren Fortschreibungs- und Überlieferungsprozessen. Wenn Lauster außerdem den biblischen Schriften „Vermittlungskraft zum Aufbau gegenwärtiger religiöser Erfahrungen“ (ebd.) zutraut, lässt sich darin eine gewisse Nähe zur efficacia in der orthodoxen Schriftlehre sehen. Genau genommen scheint mir in der christlichen Theologie die Alternative Menschenwort oder Gotteswort immer schon eine falsche zu sein. Vgl. dazu auch DALFERTH, Wort, 174 und 262. 19 Zur Schriftlehre Barths vgl. LAUSTER, Prinzip, 248–276 und D ALFERTH, Wort, 280ff. Auszunehmen sind hier die von der Dialektischen Wort Gottes Theologie beeinflussten Exegeten. Diese Strömung lässt sich für das Alte Testament vor allem im Unternehmen des „Biblischen Kommentars zum Alten Testament“ greifen. 20 Dazu A LKIER, Sola scriptura, 438: „Aber nicht nur die exegetischen Disziplinen, sondern das Fach Evangelische Theologie als Ganzes bedarf eines theoretisch belastbaren Konzeptes der Bibel als Wort Gottes“. 21 Michael Moxter weist darauf hin, dass die historische Rückfrage an die biblischen Texte, was dort historisch „gemeint“ gewesen sei, als theologische Aufgabe, also im Kontext der Frage „wie der christliche Glaube heute zu verstehen sei“, zwar eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung sei. „So gewiss historische Arbeit nur durch Distanzierungsleistungen gegenüber den Vorgaben der Dogmatiken zustande kommt, so sehr gilt auch die Umkehrung: Wenn die Theologie nicht schon in den Texten liegt, kommt jeder Versuch, diese Quellen antiker Religionsgeschichte hernach auch noch theologisch zu würdigen, zu spät und trägt nur zur Selbstmarginalisierung unseres Faches bei. Die evangelische Theologie kann nur deshalb beanspruchen, die historische Schriftauslegung in ihren anderen Disziplinen sachgemäß fortzusetzen, weil die biblischen Texte ihren Eigensinn als Gestalten systematischer Theologie zuvor schon behaupten“ (MOXTER, ZThK 105 [2008], 164).
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
3.2 Neu nach dem Stellenwert der Bibel fragen 3.2 Nach dem Stellenwert der Bibel fragen
Angesichts der beschriebenen „Krise“ kann der Stellenwert der Bibel für Theologie und Kirche nicht mehr durch eine autoritative Setzung etwa in Form einer für die Christenheit oder doch wenigstens für einzelne Konfessionen verbindliche Schriftlehre bestimmt werden. Will man durch die Krise des Schriftprinzips wieder neu den Rang der Bibel für den christlichen Glauben bedenken, dann ist beides zu berücksichtigen: Die Einsicht in die historische Bedingtheit der biblischen Schriften und die Frage nach der Leistung der Heiligen Schrift für die religiöse Erschließung der gegenwärtigen Wirklichkeit. 22 Ermöglichen biblische Wortlaute heute noch religiöse Erfahrungen, oder klassischer formuliert: erhellen die Worte der Heiligen Schrift heutigen Menschen ihre Existenz im Angesicht Gottes so, dass sie ihres Heils gewiss werden, also glauben? Und ist diese Form der „Erfahrung“ irgendwie an die Inhalte der biblischen Überlieferung gebunden? Christlicher Glaube wird eben dadurch christlicher Glaube, dass er sich konstitutiv auf Jesus von Nazareth als den Christus bezieht. Allerdings ist Jesus von Nazareth oder auch die „Biographie Jesu Christi“23 heutigen Menschen ohne die Texte des Neuen Testaments überhaupt nicht zugänglich. Ohne die neutestamentlichen Texte wüssten wir so gut wie nichts über Jesus. Aber in den neutestamentlichen Zeugnissen, insbesondere den Evangelien, wird sofort deutlich, dass es bei „Jesus Christus“ als dem zentralen Bezugspunkt und dem Grund christlichen Glaubens keineswegs ausschließlich um dessen „bios“24, sondern damit untrennbar zugleich auch um die „graphé“, die Erzählung und damit die Deutung dieses Lebens geht. Dabei stellen die Vielfalt und die Multiperspektivität des neutestamentlichen Jesusbildes selbst wieder für Rezipientinnen und Rezipienten die Aufgabe der Auslegung.25 Ursprünglich ist auch nicht klar, in welcher Beziehung die einzelnen Evangelien zueinander stehen
„Deshalb bedarf es der theologischen Arbeit an den Texten, und zwar müssen diese mit allen Mitteln der historischen Kritik so fremd gemacht werden, dass sie sich nicht in die Interpretationsketten ihrer Ausleger auflösen, sondern als gemeinsame Rekursgrößen und Kontrollinstanzen der gegenwärtigen Auslegungen und Bestimmungen des Evangeliums fungieren können“ (DALFERTH, Wort, 440). 23 Vgl. SLENCZKA, Rezeptionshermeneutik, 164f. 24 „Nach allem, was wir wissen, stellte Jesus nicht sich, sondern seine Botschaft ins Zentrum. Wenn überhaupt, wollte er als Bote seiner Botschaft, nicht als ältester Sohn des Bauunternehmers Joseph und seiner Frau Maria verstanden werden“, so spitzt DALFERTH, Wort, 50 zu. Es ist allerdings festzuhalten, dass die „Botschaft“ Jesu nicht von der Person und deren Verständnis zu trennen ist. 25 „Sinn bleibt gebunden an den Auslegungsprozess“ urteilt A LKIER, ZNT 39/40 (2017), 18. 22
3.2 Nach dem Stellenwert der Bibel fragen
125
oder was zum Beispiel Paulus von der Jesustradition der Evangelien kannte.26 Vielmehr entsteht ein aspektreiches Jesusbild, dass sich die junge Christenheit mühelos zu einem Gesamtbild zusammensetzt – oder eben zu divergierenden Gesamtbildern, je nach theologischer Strömung. Der heutige historische Zweifel, dass nämlich höchst unsicher ist, ob überhaupt einer der neutestamentlichen Autoren Jesus je persönlich begegnet ist, störte die Frommen der ersten Christenheit noch nicht. Hier zeigt sich, dass die Rezeption immer an der Sinnbildung beteiligt ist und das Evangelium konnte aspektreich in den Evangelien gehört werden, ohne dass dazu eine Harmonisierung der Texte und der darin in unterschiedlicher Weise berichteten Geschehensfolgen nötig war. Folgt man Luthers dictum „apostolisch ist, was Christum treibet“, dann ist das theologisch auch sachgemäß. Es kommt eben nicht darauf an, ob der Evangelist Matthäus mit dem Zöllner Levi identisch ist, oder ob Paulus als Verfasser der Pastoralbriefe gelten kann, sondern darauf, ob deren Botschaften das Evangelium so verkünden, dass religiöse Erfahrung dergestalt ermöglicht wird, dass Menschen Klarheit über ihre Existenz im Angesicht Gottes gewinnen. Insofern ist der Zugang zu einer Biographie Jesu ohne die Deutungen der neutestamentlichen Schriften nicht nur nicht möglich, sondern auch überhaupt nicht wünschenswert. Da aber das Evangelium den Nominalsatz „Jesus Christus“ als zentralen Inhalt hat, gilt auch, dass ein Zugang zu der Aussage „Jesus ist der Christus“ (oder auch: Jesus ist der Herr/kyrios) ohne den alttestamentlichen Deutungshorizont nicht möglich ist.27 Ja, die biblischen Texte sind historisch bedingt; das macht eine historische Betrachtung der Texte unerlässlich, wenn sie denn verstanden werden wollen.28 Aber die vielschichtige Wachstums-, Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte rückt eben immer mehr ins Bewusstsein, dass es nicht nur um das Feststellen „eines“ vermeintlichen Ursprungssinnes der Texte gehen kann. Vielmehr ist es ein Ergebnis historischer Fragestellungen selbst – zum Beispiel im Rahmen der Redaktionsgeschichte –, dass biblische Texte in ihrem Sinn
Das ist auch heute noch ein Forschungsgegenstand; vgl. z.B. HIESTERMANN, Paul and the Synoptic Jesus Tradition und MADER, Markus und Paulus. 27 „Jesus von Nazareth, lässt sich nur als Christus verkünden und zur Geltung bringen in der spannungsvollen Einheit des Alten und Neuen Testaments“ (DALFERTH, Wort, 187 [Hervorhebung so im Original]). Und mit Alkier ist „zu betonen, dass mit der Bestreitung der Normativität des Alten Testaments ein Sachfehler begangen wird, der sich gegen das Schreibverfahren der neutestamentlichen Texte selbst richtet und damit nicht nur die Bibel, sondern auch die Autorität und Gültigkeit der neutestamentlichen Schriften zerstört“ (ALKIER, Sola scriptura, 453). 28 Dies beinhaltet auch und gerade für Exegese im Kontext der Theologie, „das etwas (zu) Verstehen und etwas für sich selbst An(zu)erkennen zwei unterschiedliche Akte sind. Nur, wo man verstehen kann, ohne einverstanden zu sein, gibt es eine äußere Klarheit der Schrift“ (so mit Bezug auf Luther MOXTER, ZThK 105 [2008], 153 [Hervorhebung so im Original]). 26
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
nicht starr, sondern durchaus „lebendig“ sind.29 Dies beginnt ja bereits inneralttestamentlich, wenn ältere Überlieferungen in der Priesterschrift oder nichtpriesterschriftlichen Quellen des Pentateuch aufgegriffen und dabei in ihrem Sinn verändert werden. Diese werden dann zu den einzelnen Büchern, zum Pentateuch oder in die Geschichtserzählung eines „Hexateuch“ oder gar „Enneateuch“ eingebaut usw. Exegese kann sich auch im Kontext der Theologie nicht darauf beschränken, den vermeintlichen „Endtext“ wahrzunehmen und darüber das Wachstum der Texte und damit die zunehmende Mehrdimensionalität zu vernachlässigen. Dann ginge den biblischen Texten ihre Tiefenstruktur verloren.30 Zugleich aber hat Exegese beim Ausloten der „Tiefe“ des „Brunnens der Vergangenheit“ (Th. Mann) nicht allein dann ihr Ziel erreicht, wenn sie am Boden angekommen ist. Es mag also sein, dass bestimmte Texte auf eine polytheistische Vergangenheit Israels verweisen, der dann, vereinfacht gesprochen, eine „polyjahwistische“ Phase der Geschichte folgte (oder zur Seite stand), innerhalb derer es Bemühungen um einen „Monojahwismus“ gab, der erst spät in einen Monotheismus mündete.31 Doch sind diese Dimensionen nicht auf Ausgangs- oder Endpunkt der Geschichte zu reduzieren, sondern in ihrer Komplexität und in verschiedenen Leserichtungen wahrzunehmen. Dabei müsste die Exegese in ihrer historischen Untersuchung der Texte diese Mehrdimensionalität erhellen und die darin mitgesetzte Nötigung aber auch das Potential zu immer neuen Auslegungen der Texte erkennen. Biblische Texte lassen sich nicht unter Absehung der ihnen innewohnenden Rezeptions- und Wirkungsgeschichte verstehen. Daraus folgt aber auch, dass es einen christlichen Glauben an Gott oder ein Bekenntnis zu Jesus Christus ohne die Heilige Schrift und den in ihr und von ihr mitgesetzten Auslegungs- und Rezeptionsprozess32 nicht gibt. Dabei geht es nicht um einen Glauben „an die Bibel“ oder dergleichen. Die Heilige Schrift
Vgl. ALKIER, Sola scriptura, 444, der für die biblischen Texte „mindestens drei Kommunikationssituationen“ ausmacht [Hervorhebung so im Original]. 30 Vgl. hierzu insbesondere die kritischen Bemerkungen zu den Arbeiten von Childs und Rendtorff bei JEREMIAS, Entwürfe, 139: „Der Spannungsreichtum vieler alttestamentlicher Texte, ihr leidenschaftliches Ringen um Wahrheit, wie es häufig im Wachstum der Texte widergespiegelt wird, wird in beiden Entwürfen einer ‚kanonischen Theologie‘ kaum erkennbar.“ 31 Vgl. z.B. R ÖMER, Erfindung und Kapitel 6. 32 Vgl. dazu M OXTER, ZThK 105 (2008), 147ff., der darauf hinweist, dass auch der luthersche Grundsatz scriptura sui ipsius interpres sowie seine Behauptung einer claritas externa der Schrift keinesfalls Auslegungsprozesse unterbinden, sondern in solche Prozesse hineinführen: „Klar und sich selbst auslegend ist die Schrift vielmehr als der äußere dynamische Grund eines Lernprozesses, in dem und durch den der Leser versteht und sein anfängliches Verständnis korrigiert. Nur im Weiterlesen und im prüfenden erneuten Lesen, im wiederholen ‚Anpochen‘ bzw. ‚Anklopfen‘ (wie Luthers Lesemetaphern lauten), erschließt sich der Sinn und zeigt sich die Klarheit der Schrift“ (a.a.O., 151). 29
3.2 Nach dem Stellenwert der Bibel fragen
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steht immer in einem Verweiszusammenhang auf etwas außerhalb ihrer selbst; sie ist ein Zeichensystem33, allein schon deshalb, weil sie „Schrift“ ist. So verweisen die Texte des Alten und Neuen Testaments auf eine Wirklichkeit außerhalb des Textes, die aber ohne diese Texte nicht zu erschließen ist.34 Dem korrespondiert, dass sich „Glaube“ im Judentum wie im Christentum auf eine Größe bezieht und sich eines Impulses verdankt, der außerhalb des frommen Selbstbewusstseins liegt. Dass ein solches „Außerhalb“ angenommen wird, ist unter anderem der Grund dafür, dass jüdischer und christlicher Glaube jeweils durch eine gemeinsame Bezugsgröße zur Vergemeinschaftung einzelner Individuen fähig ist. Durch das gemeinsame Bezogensein auf ein „Außerhalb“ wird Glaube kommunizierbar und das in einer großen Bandbreite: im gemeinsamen Gottesdienst, im gemeinsamen Gebet, in Musik und bildender Kunst, in gemeinschaftlich begangenen Passageriten, in der Bekenntnisbildung und allen Spielarten von diskursiv betriebener Theologie sowie in der gemeinsamen Kommunikation von Glaubensgemeinschaften in die sie umgebenden Gesellschaften hinein. Dabei ist dieses „Außerhalb“, auf das sich der Glaube bezieht, ein weites Geflecht von religiösen Inhalten, das sich aber am ehesten mit dem Begriff „Gott“ auf den Punkt bringen lässt. Die evangelische, insbesondere die lutherische Theologie hat dabei darauf bestanden, dass Gott und sein Heilshandeln extra nos, außerhalb der Gläubigen sind, damit sie existenziell als pro nobis oder pro me erlebt werden können.35 Die biblischen Texte stehen den Gläubigen als Rede von Gott gegenüber und sind dasjenige Medium, dass die Begegnung mit diesem Gott ermöglicht, indem es erzählt von der Glaubensgeschichte Israels, dem Leben Jesu oder der ersten Gemeinde, indem es Gottes Wort als Weisungen der Tora oder vermittelt durch prophetische Bücher oder apostolische Briefe berichtet, oder indem es
Diese „semiotische Dimension“ der Schriftlektüre, die eng mit der Rezeptionsästhetik zusammenhängt, erkennt man auch in bewusst konfessionell geprägten theologischen Kontexten, vgl. z.B. VOELZ, What Does This Mean?, 21. 34 „Gott ist den Menschen nach christlicher Auffassung also in keiner Weise direkt zugänglich, sondern immer nur vermittelt durch ganz bestimmte Medien“, betont DALFERTH, Wort, 69 und möchte dann doch die „Differenz zwischen Gott, den göttlichen Medien seiner Selbstvermittlung (Wort, Geist) und den endlichen Medien der Kommunikation seiner Selbstvermittlung an uns (Jesus, Brot und Wein, die verba externa der Kommunikation des Evangeliums)“ strikt gewahrt wissen. Dass diese Trennschärfe nicht durchzuhalten ist, erweist sich wenn man Jesus als den „Christus“ oder als den „Sohn“ bekennt, oder in, mit und unter „Brot und Wein“ den Leib und das Blut Christi glaubt. Es sind eben mit Dalferth doch „ganz bestimmte Medien“, in denen sich Gott mitteilt. 35 Luther selbst legt sogar Wert darauf, dass Gott den gläubigen Menschen außerhalb seiner selbst setzt (vgl. WA 40/I, 589: „Ideo nostra theologia est certa, quia ponit nos extra nos: non debeo niti in conscientia mea, sensuali persona, opere, sed in promissione divina, veritate, quae non potest fallere“); dazu JÜNGEL, Geheimnis, 246: „Ohne ein fundamentales extra nos kennt der Glaube auch keinen deus pro nobis und schon gar keinen deus in nobis“; vgl. auch DALFERTH, Wort, 320. 33
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
das Beten und Bekennen der Psalmen als Gebete und Bekenntnisse bis heute zur Verfügung stellt. So ist die Bibel nicht das extra nos, aber sie wird zu demjenigen Medium, in dem das extra nos in besonderer Weise greifbar wird. Wenn Gott „an sich“ dem Menschen nicht zugänglich ist, so wird die Schrift zur Materialgestalt des extra nos.36 Dies ist wesentlich darin begründet, dass sich christlicher Glaube immer einem Impuls von außen, einem Angeredetsein verdankt. Solche Anrede ist nicht auf die biblischen Texte beschränkt, sondern vollzieht sich auch in der Verkündigung von Gesetz und Evangelium sowie in den Gnadenmitteln Taufe und Abendmahl. Aber auch die Verkündigung und die Sakramente wurzeln wesentlich im biblischen Wort. Der besondere Charakter der biblischen Texte in der Fülle des christlichen Redens von Gott besteht darin, dass sie das ursprüngliche Zeugnis des Glaubens sind. Dies beginnt auch für Christinnen und Christen nicht erst mit dem Zeugnis der Evangelisten und Apostel über Jesus Christus, sondern bereits mit dem Satz Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde ... (Gen 1,1).37 Natürlich hängt das im christlichen Wirklichkeitsverständnis dann an dem wesentlichen Inhalt, dass sich in Jesus von Nazareth als dem Christus eben Gott dieser Welt erschließt. Dann aber verweist auch das Reden über Jesus wieder auf das Reden von Gott und führt so unweigerlich vom Neuen in das Alte Testament und erschließt auch diese Texte den Christusgläubigen als Zeugnis von dem Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat.38 In diesem reziproken Erschließungsgeschehen vollzieht sich Existenzerhellung im Modus von „Gesetz und Evangelium“, sodass Menschen sich einerseits der Zielverfehlung ihrer Existenz („Sünde“) bewusst und andererseits des Aufgehobenseins ihrer Existenz in Gott um Christi willen („Gnade“) inne werden. Dass dieses Erschließungsgeschehen menschlicher Existenz immer wieder vollzieht, ist eine in der Christenheit stets neu gemachte Erfahrung, die als Wirksamkeit der Heiligen Schrift bekannt wird. Auch diese Existenzerschließung als Wirksamkeit des Inhalts der Heiligen Schrift ist kein „starrer“, sondern ein „lebendiger“ Vorgang. Denn er vollzieht sich bedingt durch die jeweilige historische oder kulturelle Situation einer Rezeptionsgemeinschaft. Der Vorgang vollzieht sich demnach auch je nach Kon-
Gegen eine Differenzierung, die zur Diastase zu werden droht („die Bibel ist nicht die Schrift, und weder Schrift noch Bibel sind das Wort Gottes ...“, DALFERTH, Wort, 394 [Hervorhebung so im Original]) ist hier daran festzuhalten, dass die Bibel, die als Heilige Schrift gelesen wird, die Materialgestalt des Wortes Gottes ist. 37 Schon in dieser Schöpfungsaussage gründet ein gewisses Recht von Pannenbergs Anspruch auf Universalität der Theologie: „Ein Verständnis alles Seienden auf Gott hin, so daß es ohne Gott schlechterdings nicht verstanden werden kann, gehört also zur Aufgabe der Theologie. Und das macht ihre Universalität aus“ (PANNENBERG, Krise, 11). 38 „Beides [AT und NT] eint der Bezug auf denselben Gott, wie die Bezugnahme auf Jesus markiert: Christen nennen den Gott, auf den sich auch Jesus als Gott berief“ (DALFERTH, Wort, 361 [Hervorhebung so im Original]). 36
3.2 Nach dem Stellenwert der Bibel fragen
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fession in unterschiedlicher Weise und er vollzieht sich zwangsläufig immer auch eklektisch.39 Nie werden alle biblischen Texte in allen Konfessionen, zu allen Zeiten oder an allen Orten gleich wichtig oder gleich gültig. Vielmehr wird in der Landkarte der Schrift je nach theologischem Lehrsystem und Bekenntnis zwischen einer „Mitte“ und dazu eher randständigen Aussagen unterschieden. Das entspricht der innerbiblischen Vielfalt und Pluralität. „Die Schrift“ ist also ohne Auslegung nicht zu haben, und inwiefern „die Bibel“ oder vermeintlich „zentrale“ Aussagen der Bibel Autorität oder den Charakter einer Norm beanspruchen können, wird unweigerlich in jeder christlichen Theologie immer neu in einem diskursiven Geschehen erhoben werden.40 Gleichwohl bleibt in jeder christlichen Theologie die Heilige Schrift die Quelle alles Redens von Gott und die entscheidende Referenzgröße dessen, was theologisch über „Gott“ gesagt werden kann. Daher kann man mit Hartenstein neu auch von einem Schriftprinzip reden41, insofern die Schrift als Prinzip der Theologie die Grund setzenden Aussagen über „Gott“ und „Jesus Christus“ macht.42 Im Hinblick auf Aussagen über diese Größen und die damit verbundene religiöse Heilserfahrung lässt sich an dem Grundsatz „sola scriptura“ festhalten.43
„Jede Interpretation ist unhintergehbar eklektisch und perspektivisch durch die notwendige Wahl von Themen und Methoden der Lesenden und durch die geschichtlich diversen gesellschaftlichen und individuellen Konstellationen, in denen die Auslegung jeweils praktiziert wird“ (ALKIER, Sola scriptura, 442). 40 „Soll von einem Element aus der reichhaltigen Dynamik und den wechselseitigen Verweisungszusammenhängen der christlichen Überlieferungsgeschichte ausgesagt werden, daß es als ein legitimer Ausdruck und eine angemessene Artikulationsform der ursprünglichen christlichen Transzendenzerfahrung gelten kann, dann wird sich das nicht anders erweisen lassen als über den diskursiven Austausch von Argumenten“ (LAUSTER, Prinzip, 460). 41 Vgl. H ARTENSTEIN, Weshalb, 35. 42 „Was wir mit der Terminologie einer älteren Wissenschaftstheorie ‚das Schriftprinzip‘ nennen, lässt sich – so meine ich – in ein Schriftverständnis transformieren, das durch die doppelte Bestimmung Grund und Grenze geprägt ist. Das Wort ‚Grund‘ verweist dabei auf den produktiven Charakter der biblischen Texte, während mit ‚Grenze‘ deren Widerständigkeit gegenüber jeder Interpretation benannt wird. Nur in dieser Doppelbestimmung kann vom Schriftprinzip die Rede sein. Die Schrift ist also nur insofern Grenze heutiger Interpretation, als sie zugleich deren produktiver Grund ist“ (MOXTER, ZThK 105 [2008], 164f. [Hervorhebung so im Original]). 43 Vgl. SCHWÖBEL, Sola Scriptura, 24–27, der von „Inspirationen“ von Luthers Prinzip sola scriptura für ein heutiges Schriftverständnis spricht. Er benennt u.a. Intertextualität als Interpretation des Grundsatzes sacra scriptura sui ipsius interpres und Dialogizität als Einbeziehung der Hörenden und Lesenden, was wiederum mit rezeptionsästhetischen Überlegungen korrespondiert. Thetisch auch ALKIER, ZNT 39/40 (2017), 14: „Sola scriptura steht für die Zumutung und die Unhintergehbarkeit der Interpretation und zugleich für die Unverfügbarkeit des Wortes Gottes“ [Hervorhebung so im Original]. 39
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
3.3 Wiedergewinnung der Kategorie „Wort Gottes“ 3.3 Wiedergewinnung der Kategorie „Wort Gottes“
Den eben benannten Zusammenhang von „Gott“ als dem Inhalt und der „Ermöglichung religiöser Erfahrung“44 als Wirksamkeit der Heiligen Schrift hat die Christenheit traditionell mit der Formulierung „Wort Gottes“ beschrieben.45 Dabei lassen sich an den beiden Bestandteilen der Formulierung „Wort Gottes“ zwei wesentliche Aspekte der Besonderheit gerade der biblischen Überlieferung verdeutlichen: Zum einen ist mit dem Begriff „Gott“ benannt, dass die Texte eben auf eine religiöse Erfahrung bei den Rezipientinnen und Rezipienten zielen. Das heißt, hier wird eine Dimension der Wirklichkeit aufgerufen, die durch keinen anderen Erschließungszusammenhang zugänglich ist als durch die grundlegende Botschaft der Heiligen Schrift, insofern sich hier menschliche Existenz im Angesicht Gottes in der Dimension von Sünde und Gnade als zunächst erschreckende, schließlich aber tröstende und befreiende Erkenntnis des eigenen Selbst erschließt.46 Dies bekennt die Christenheit als Offenbarung in Gestalt der Anrede durch Gott vermittelt durch die Texte dieser Heiligen Schrift. Zum anderen ist mit der Bezeichnung dieser Offenbarung als „Wort“ deutlich, dass Gott sich nicht anders erschließt als durch einen Kommunikationsvorgang. Dieser Kommunikation im „Wort“ entspricht auf der Seite des Menschen das Hören und Verstehen. Damit ist ein Rezeptionsvorgang aufgerufen, der allen Bedingungen des Verstehens und Missverstehens, Deutens und Auslegens etc. wie jede Kommunikation unterliegt. Dies geht auch gar nicht anders, da der mit „Gott“ bezeichnete und damit auf Transzendenz verweisende Aspekt der Wirklichkeit immanent sonst nicht zu verstehen wäre. Dass dieser Vorgang beim Individuum gelingt, dass sich also tatsächlich ein Verständnis der eigenen Existenz einstellt, wenn mit Gott zu rechnen ist, dass mithin Glaube geweckt wird, dies bezeichnet die christliche Theologie als „unverfügbar“ oder „Werk des Heiligen Geistes“47. Dennoch ist die Beobachtung, dass die biblischen Worte als Anrede auf diese Erfahrung abzielen nicht lediglich eine Erkenntnis individuell-frommen Gestimmtseins. Vielmehr lässt sich der Anredecharakter außer der in der Rezeptionsgemeinschaft zum Bekenntnis erhobenen Aussage über die Glauben schaffende Kraft des Wortes auch an den Texten selbst und ihren permanenten Fortschreibungs- und Überlieferungspro-
Vgl. LAUSTER, Prinzip, 447–453. 45 Vgl. dazu die grundsätzlichen Ausführungen in Kapitel 1.2 46 Dies ist selbstredend eine spezifisch christliche Perspektive. Dass es auch in anderen Religionen den Anspruch auf einen ähnlichen Zugang zur Wirklichkeit gibt, soll hier weder bestritten noch diskutiert werden; vgl. dazu z.B. NEDDENS, LuThK 43 (2019), 161–194. 47 „So findet sich bei Luther selbst schon die Spannung zwischen der Unverfügbarkeit der göttlichen Selbsterschließung und einem methodisch geleiteten Zugang der Bibel, die dann zum inneren Motor der Entwicklung des Schriftprinzips wird“ (LAUSTER, Prinzip, 14f.). 44
3.3 Wiedergewinnung der Kategorie „Wort Gottes“
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zessen bis zu einem Kanon (oder einer gewissen Vielfalt von Kanones48) beobachten und methodisch erheben. Die Erkenntnis, ob und wie biblische Worte auf religiöse Erfahrung, Existenzerhellung oder eben Glauben zielen, ist also keine Zutat zur historisch-kritischen Exegese, sondern ergibt sich als deren Ergebnis im methodischen Verstehen der Texte. Wenn also auch historisch-kritische Exegese ihren Fokus auf die geschichtlichen Bedingungen der Entstehung und Überlieferung biblischer Texte reichtet, so ergibt sich doch aus dem Inhalt der Texte, sowie ihren Redaktions- und den darin mit gegebenen Rezeptionsprozessen, dass die Alternative „produktionsästhetischer“ oder „rezeptionsästhetischer“ Hermeneutiken zu kurz greift.49 Wo die Entstehung und Überlieferung biblischer Texte erhellt wird, wird sich deren Beitrag zu einer theologischen Reflexionsgeschichte zeigen. Der Charakter der Heiligen Schrift als „Wort Gottes“ lässt sich also nicht durch wundersame Entstehungsbedingungen im Sinne einer zum Klischee gewordenen „Verbalinspiration“ begründen, oder dadurch, dass in den Texten eine ganz andere Wirklichkeit Gottes berichtet würde, in der die Naturgesetze nicht gelten, oder die den Fragestellungen und Plausibilisierungen durch historische Rückfrage völlig entzogen wäre. Dann wären die Texte im gerade beschriebenen Sinnen eben nicht „Wort“, da eine Kommunikation in diese Zeit und Wirklichkeit im Grunde nicht möglich wäre. Vielmehr liegt es am Inhalt und dem Potenzial, eine ganz spezifische religiöse Erfahrung („Glaube“) zu ermöglichen, die die Bezeichnung „Wort Gottes“ rechtfertigt.50 Zugleich ergibt sich aus dem Gesagten, dass die Texte ganz Menschenwort sind, die den Bedingungen des Verstehens unter den Bedingungen der Geschichtlichkeit unterliegt, aber „in, mit und unter“ diesem Menschenwort erschließt sich die Wirklichkeit Gottes.51
Vgl. ALKIER, Sola Scriptura, 452f. zu den vielfältigen Kanongestalten der einen Bibel. 49 Die Terminologie stammt von Ulrich Körtner. LAUSTER, Prinzip, 431 spricht vom „‚Scheitern produktionsästhetischer Interpretationsversuche‘, die sich mit der historisch-kritischen Methode vergeblich um die nicht mehr ermittelbare Autorintention bemühen. Überwunden werden könne diese produktionsästhetische Aporie durch die rezeptionsästhetische Texttheorie und der daraus hervorgehenden Hermeneutik. Der Text müsse vom Autor gelöst werden, um das ihm durch grammatische und semantische Strukturen innewohnende Vermögen entfalten zu können, die Möglichkeiten seines Verstehens im Leser selbst zu konstituieren“ (mit Zitat von KÖRTNER, Leser, 59). 50 „Wer die Schrift als Wort Gottes bezeichnet, spricht von einer bestimmten Umgangsweise mit der Schrift zur Kommunikation des Evangeliums und der damit verbundenen Erfahrung, dass Menschen durch das Wirken des Geistes auf Gottes Gegenwart zu vertrauen beginnen“ (DALFERTH, Wort, 174). 51 „Wenn Menschen die Bibel lesen, liegt darauf die Verheißung, dass sich in, mit und unter diesen manchmal schönen, manchmal dürftigen, manchmal großen, manchmal schlichten Worten, Bildern und Geschichten Gott selbst immer neu zu Wort meldet“ (DEEG, PTh 104 [2015], 274 [Hervorhebung so im Original]). Ähnlich das Resümee bei VOLKMAR, EvTh 79 (2019), 143: „Für Sasse ist die Bibel gerade in ihrer Menschlichkeit Wort Gottes“. 48
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
Dies macht Ernst mit der Einsicht, dass das Wort Fleisch wurde (Joh 1,14) und wir den Schatz nur in irdenen Gefäßen haben (2 Kor 4,7). Dabei sind der „Schatz“ und die „Gefäße“ nicht wirklich voneinander zu trennen.52 Wir haben das Wort Gottes nur in seiner geschichtlich gewordenen Gestalt, aber genau so ist es das Wort Gottes. Eine satzweise Unterscheidung biblischer Texte in Menschenwort einerseits und Gotteswort andererseits ist dabei ebenso wenig möglich, wie die saubere Unterscheidung von geschichtlicher Gestalt („Text“) und darin irgendwie enthaltenem Inhalt („Wort Gottes“).53 Insofern hat die Formulierung, die Bibel ist Gottes Wort, weiter ihr Recht.54 In den christlichen Kirchen als unterschiedlich konfessionell bestimmten Rezeptionsgemeinschaften der Heiligen Schrift wird seit der Zeitenwende immer wieder und immer wieder neu und anders die Erfahrung gemacht, dass sich der eben beschriebenen Erschließungsvorgang der eigenen Existenz tatsächlich einstellt und dass dies nicht lediglich individuelle religiöse Erfahrungen bleiben, sondern dass hier eine Vergemeinschaftung möglich ist, die durch viele Faktoren bedingt wird aber eben wesentlich auch durch den gemeinsamen Bezug auf die Heilige Schrift und immer neu und immer wieder kritisch bedachte gemeinsame Auslegungstraditionen in Predigt, Liturgie, Kunst, Musik, privaten Frömmigkeitsformen und theologischen Reflexionssystemen. Diesen Vor-
Wenn also HARTENSTEIN, Bedeutung, 68f. feststellt: „In diesem Licht wird die von Slenczka erneut aufgebrachte Frage nach dem Alten Testament überhaupt nur im Konnex mit analogen Problematiken des Neuen Testaments zu beantworten sein, jedenfalls wenn man dahinter die historische Grundfrage der neuzeitlichen Bibelhermeneutik sieht […], wonach die Bibel menschliches Erfahrungszeugnis aus ferner Vergangenheit und nicht zeitloses Wort Gottes im Gefäß der Schrift ist“ [Hervorhebung im Original], dann ist ihm einerseits zuzustimmen: Es handelt sich hier tatsächlich um die „historische Grundfrage der neuzeitlichen Bibelhermeneutik“, ja eigentlich der evangelischen Theologie überhaupt. Andererseits ist die implizite Entgegensetzung „historischer menschlicher Text“ oder „Wort Gottes“ eine Scheinalternative, die nur dann angemessen zu verstehen wäre, wenn das Wort Gottes eben als „zeitlos“ verstanden würde. 53 Die immer wieder angemahnte „notwendige Unterscheidung von Schrift und Wort Gottes“ (ALKIER, Sola scriptura, 441) ist von daher nicht unproblematisch. 54 Allerdings ist dann mit Dalferth immer auch festzuhalten, dass eine hermeneutische Unterscheidung von der Bibel als Textsammlung, der Heiligen Schrift als Medium der Evangeliumsverkündigung und dem Wort Gottes als Selbstkommunikation Gottes, der Hörerinnen und Hörer in ihrem Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis verändert, ihre Bedeutung hat. Die Bezeichnung der Bibel als Wort Gottes ist nur im Kontext von Theologie und Kirche und in der Perspektive des Glaubens sinnvoll. Exegese, die sich als Teil der Theologie versteht, wird den Fokus ihrer Arbeit auf das Verstehen der Texte legen, darf aber den Anspruch dieser Texte, Wort Gottes zu sein, nicht aus dem Blick verlieren. „Nur wenn man den christlichen Gebrauch dieser Texte zur Kommunikation des Evangeliums im Blick hat und nicht als etwas Sekundäres oder Unerhebliches ausblendet, lässt sich auch die historisch-kritische Arbeit an diesen Texten als kritisch theologisches Geschäft vollziehen, das Theologie und Kirche vor ideologischen Verkehrungen und Verkürzungen bewahren kann“ (DALFERTH, Wort, 441). 52
3.4 Ursprungsort der Kategorie „Wort Gottes“
133
gang kann man durchaus immer noch mit dem Terminus „Inspiration“ bezeichnen55, insofern für christliche Kirche und Theologie wesentlich ist, dass in religiöser Erfahrung nicht lediglich das Individuum seiner selbst innewird, sondern dass „Gott“ als extra nos den Menschen erreicht und erst so das pro me wirklich erfahren werden kann.
3.4 Das Alte Testament als Ursprungsort der Kategorie „Wort Gottes“ 3.4 Ursprungsort der Kategorie „Wort Gottes“
Die Formulierung „Wort Gottes“ findet sich nicht erst in der späteren christlichen Lehrbildung, sondern bereits im Neuen Testament. So als ὁ λόγος τοῦ θεοῦ56 oder ῥῆμα θεοῦ57. Allerdings wird damit nicht eine Schriftensammlung, sondern das je aktuell verkündigte Wort Gottes bezeichnet. Dabei ist die Formulierung nicht ohne Vorgeschichte im Alten Testament. In der Septuaginta sind die Begriffe λόγος58 und ῥῆµα59 die üblichen Übersetzungsmöglichkeiten für das hebräische דבר.60 Besonders signifikant ist die Constructus-Verbindung דבר יהוה/„Wort Jahwes“, die überwiegend im Singular begegnet und damit ein bestimmtes Konzept auf einen Begriff zu bringen scheint.61 Das Wort Jahwes kann sich in unterschiedlichen Wörtern niederschlagen62, ist aber doch als eine Größe gedacht, die sich mit dem sprachlich vermittelten Willen Gottes paraphrasieren lässt. Der Ursprung dieser Formulierung liegt in den prophetischen Büchern des Alten Testaments.63 Allerdings steht diese Begriffsbildung nicht am Anfang eines Verständnisses des prophetisch vermittelten Gotteswortes.
Vgl. z.B. DALFERTH, Wort, 257–262; sowie ROTHENBUSCH/RUHSTORFER (Hg.), Eingegeben, darin besonders: DOHMEN, Inspirierter Text, 33–51 und OEMING, Wort Gottes, 52– 99. 56 Vgl. Lk 5,1; 8,11; 11,28; Act 4,31; 1 Kor 14,36; 1 Tim 4,5; Hebr 4,12 u.ö. 57 Vgl. Lk 3,2; Eph 6,17. 58 So typisch in Prophetenüberschriften wie Jon 1,1: καὶ ἐγένετο λόγος κυρίου πρὸς Ιωναν τὸν τοῦ Αµαθι λέγων. 59 Vgl. z.B. Jes 40,8: τὸ δὲ ῥῆµα τοῦ θεοῦ ἡµῶν µένει εἰς τὸν αἰῶνα. 60 Vgl. G ERLEMANN, Art. דבר, 442. 61 Vgl. dazu bereits G RETHER, Name, 62–76, G ERLEMANN, Art. דבר, 439ff. 62 Zu der pluralischen Constructus-Verbindung דברי יהוהvgl. G RETHER, Name, 76–78. Auffällig ist das Vorkommen dieser Formulierung im Kontext der Jeremiarolle (vgl. Jer 36,4.6.8.11; auch schon 27,1). Hier wird das prophetisch empfangene „Wort Jahwes“ zu den geschriebenen „Worten Jahwes“, die dann auch gelesen und gehört, vor allem aber auch tradiert werden können. 63 „Eine dritte Komponente, die für die Auffassung vom Wort Gottes im AT und für seine Schriftwerdung von weitreichender, wenn nicht ausschlaggebender Bedeutung wurde, ergibt 55
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
Im AT hat die Vorstellung vom W.[ort] G.[ottes] ihre Wurzel in der Prophetie. Mit der Gottesspruchformel ‚Ausspruch (נאם/ne’um) Jahwes‘, der Botenformel ‚So spricht Jahwe‘ oder der Selbstvorstellungsformel ‚Ich bin Jahwe‘ gibt der Prophet seine Rede als W.[ort] G.[ottes] zu verstehen.64
Dabei ist festzuhalten, dass die prophetischen Formeln so spricht Jahwe oder Raunung/Spruch Jahwes usw. keineswegs ausschließen, dass die Propheten als denkenden Subjekte an der Formulierung beteiligt sind.65 Darauf deutet schon der Streit um wahre und falsche Prophetie hin, in dem beide Seiten zum Beispiel mit so-spricht-Formeln für ihre Worte göttliche Autorität beanspruchen, obwohl nur eine Aussage sich am Ende als tragfähig erweisen kann.66 So gilt grundsätzlich: Ein Prophet ist mehr als ein göttliches Tonbandprotokoll; er ist am Gestalten und Formulieren eines Gotteswortes mitbeteilig. Ein Gotteswort ‚pur‘, ohne Mitwirkung des vermittelnden Propheten gibt es für das Alte Testament nicht. Gottes Wort ist immer auch Zeugenwort und damit auch menschliches Wort und insofern möglichen Verfälschungen preisgegeben.67
Erst später, vor allem im Jeremia- und im Ezechielbuch und deren unterschiedlichen Redaktionen, wird daraus der terminus technicus דבר יהוה.68 Wenn dies auch zunächst für den prophetischen Wortempfang gilt, so verbindet sich mit der prophetischen Vermittlung des Wortes Gottes im Begriff des דבר יהוהdoch ein Konzept der Offenbarung, dass auch andere Textbereiche des späteren Kanons als „Wort Jahwes“ verstanden wissen will. Dies gilt für Gesetzestexte, aber auch für Psalmworte und sogar für Geschichtserzählungen. Dabei ist zu bedenken, dass die vorliegenden Texte durch redaktionelle Formulierungen an interpretatorischen Schlüsselstellen als „Wort Jahwes“ verstanden und gelesen werden sollen.69 Vermeintlich „hinter“ den Texten liegende biographische Offenbarungserfahrungen der Verfasser oder der handelnden Personen in den Texten sind mit exegetischen Mitteln nur schwer zu fassen. Schließlich gilt: Je mehr das nachexil.[ische] Judentum zum Schriftglauben wurde, desto mehr galt das W.[ort] G.[ottes] als die Offenbarung schlechthin.70
sich und kommt aus der Prophetie. Sie prägte den Begriff ‚Wort Jahwes‘.“ (SCHREINER, Das Alte Testament verstehen, 110). 64 LEVIN, Art. Wort Gottes, 1698. 65 Vgl. dazu grundlegend W AGNER, Prophetie. 66 Vgl. dazu JEREMIAS, Theologie, 350–355. 67 JEREMIAS, Theologie, 352. 68 „D’bar jahwe ist fast überall terminus technicus für die prophetische Wortoffenbarung“ (GRETHER, Name, 76 [Hervorhebung im Original gesperrt]). 69 Vgl. Kapitel 4. 70 LEVIN, Art. Wort Gottes, 1699; vgl. auch B EHRENS, Art. Wort, 667f.
3.4 Ursprungsort der Kategorie „Wort Gottes“
135
Das Neue Testament knüpft dann an ein solches Verständnis und Konzept vom „Wort Gottes“ an.71 Dabei treffen die neutestamentlichen Autoren einerseits bereits auf ein im Judentum gewachsenes Konzept von „Inspiration“72, auch wenn das vielfach ausgedeutete Hapaxlegomeon θεόπνευστος aus 2 Tim 3,16 in der Regel mehr Inspirationstheorie und -theologie tragen sollte, als es vermochte.73 Bei genauem Hinsehen findet sich andererseits auch in den neutestamentlichen Aussagen ein Mit- und Ineinander von menschlichem und göttlichem Wort. Das gilt für die christologische Aussage, dass der Logos Fleisch wurde (Joh 1,14), die gerade durch die Verwendung des Logos-Begriffs vor dem Hintergrund der Septuaginta den alttestamentlichen Terminus דברevoziert. Die Rede vom „Fleisch“ macht überdeutlich, dass sich Gottes Wort ganz den Bedingungen dieser Welt aussetzt.74 Das trifft aber auch für den zweiten locus classicus der Inspirationslehre in 2 Petr 1,16–21 zu; denn dort gilt nach V. 21 Beides: Der Heilige Geist ist treibende Kraft (ὑπὸ πνεύματος ἁγίου φερόμενοι) und doch haben Menschen geredet (ἐλάλησαν ἀπὸ θεοῦ ἄνθρωποι). Hebr 1,1f. schließlich macht deutlich, dass Gottes Reden auch eine geschichtliche Dimension hat und im Fortgang der Zeitläufte unterschiedlich geschieht. Diese Vorstellungen vom Miteinander von Gottes Wort und Menschenwort, von göttlichem Reden und dem Hören und Verstehen dieses Redens unter den Bedingungen der Geschichte, sind im Alten Testament grundgelegt.75 Daraus wird dann die kirchliche Vorstellung der Heiligen Schrift als Wort Gottes, wobei heute gelegentlich daran zu erinnern ist, dass dies auch, ja zuerst für das Alte Testament festzuhalten ist.76
Vgl. HAHN, Art. Wort Gottes, 1699–1700. 72 Vgl. K OCH, Art. Inspiration/Theopneustie, 168–169. 73 Es ist immer wieder daran zu erinnern, dass die Aussage des Textes nicht ist, alle Schrift ist von Gott eingegeben, sondern: alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nützlich ... Es geht nicht um das Wesen, sondern um die Pragmatik biblischer Texte. Zudem sind im Kontext des zweiten Timotheusbriefes damit ausschließlich alttestamentliche πᾶσα γραφὴ gemeint. 74 Ähnlich ist das Bild des Paulus vom „Schatz in den irdenen Gefäßen“ in 2 Kor 4,7 zu deuten. 75 In der kanonischen Gestalt des Alten Testamentes, die mit dem ersten Schöpfungsbericht beginnt, gehört das Reden von Anfang an sozusagen zum Wesen des biblischen Gottes. „Mitten im ersten Satz des AT steht das Wort Gottes“, urteilt etwa SCHREINER, Das Alte Testament verstehen, 105. Allerdings stimmt dies nicht vollumfänglich; denn ein substantivierter Begriff vom „Wort Gottes“ oder gar „Wort Jahwes“ findet sich in Gen 1 ja gerade nicht. Doch ist das Sprechen in Gen 1,3 ( )ויאמר אלהיםGottes erste Handlung nach der Überschrift in V. 1; zu Gottes schöpferischem Wort im übrigen Alten Testament vgl. JEREMIAS, Theologie, 360ff. 76 Dazu O EMING, Eigenwert, 305–336, der unter Bezugnahme auf die Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vaticanums urteilt: „Dass das AT im theologischen Vollsinn Wort Gottes ist, ist für viele evangelische Dogmatiker alles andere als eine Standardposition. Die Schriften des Alten Testaments erschließen vollumfänglich und verbindlich ‚Wissen über 71
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3. Kapitel: Schriftprinzip, Wort Gottes und Altes Testament
Treffen diese bis jetzt hier skizzierte Überlegungen zu, dann liegt im Alten Testament der Ursprung eines Verständnisses biblischer Texte als Wort Gottes. Dafür muss sich aber der Weg von prophetisch empfangener Offenbarung des Redens Gottes, über die Ausbildung eines begrifflichen Konzeptes „Wort Gottes/Wort Jahwes“ bis zu einem Gesamtverständnis ganzer Bücher oder gar der kanonischen Sammlung der alttestamentlichen Schriften als Gotteswort auf exegetischem Wege erheben und nachzeichnen lassen. Dies soll im folgenden Kapitel geschehen.
Gott und Mensch und erschließen die Art und Weise, wie der gerechte und barmherzige Gott an den Menschen zu handeln pflegt‘. Auch wenn das Wort nicht fällt, kann man den Text so verstehen, dass dem AT ein Wert an sich zuerkannt wird, weil es eben ‚Wissen über Gott‘ vermittelt, und ich füge hinzu: aus sich heraus, ohne explizite Legitimation oder Repetition durch das NT“ (a.a.O., 325 mit Zitaten aus Dei Verbum [Hervorhebung so im Original]). Dazu GROHMANN, Intertextualität, 497: „Das Spannungsfeld zwischen dem Eigenwert der Texte, auf die die historische Kritik hinweist, und dem Wahrheits- und Verbindlichkeitsanspruch das Alten Testaments als Teil der christlichen Bibel ist für christliche Beschäftigung mit dem Alten Testament allerdings unvermeidlich.“ Auch Grohmann betont, darin Oeming explizit aufnehmend, den „Eigenwert“ alttestamentlicher Texte, der durch historische Exegese zu ermitteln ist. Sie sieht darüber hinaus eine mögliche Auflösung des genannten „Spannungsfeldes“ in einer intertextuellen Lesart alttestamentlicher Texte im Kontext des Kanons. Von der rabbinischen Exegese könne die christliche hier noch lernen, vor allem, dass intertextuelle Bezüge nicht nur zwischen Texten bestehen, sondern auch zu den „kulturellen Codes“ (a.a.O., 500) der jeweiligen Rezeptionsgemeinschaften. Sie kommt dann zu dem Ergebnis: „Sola scriptura heißt gerade, die Vielfalt der Schrift wahrzunehmen, die bis zu Spannungen und Widersprüchen reichen kann. Es heißt, sich auf diese verbindliche Vielfalt im Kanon in seinen intertextuellen Verflechtungen einzulassen“ (a.a.O., 509 [Hervorhebung so im Original]).
Kapitel 4
Exegetische Einblicke: Das alttestamentliche Selbstverständnis als Wort Gottes Grundsätzliche Erwägungen zur Bibelhermeneutik können nicht auf der theoretischen Abstraktionsebene verbleiben, sondern müssen sich in der exegetischen Praxis bewähren. Notgedrungen sind alle bisherigen Aussagen über „die“ Exegese „des“ Alten Testaments im Rahmen „der“ christlichen Theologie nicht nur vom eigenen Standpunkt bestimmt, sondern sie bleiben auch überblicksartig und verallgemeinernd. Dies hängt aus exegetischer Sicht auch mit der vieldiskutierten Frage zusammen, ob angesichts der immer deutlicher werdenden Vielfalt, die innerhalb des Alten Testaments nicht nur in immer neu erkannten literarischen Bearbeitungsschichten und Redaktionen, sondern auch in einer Vielzahl von Theologien sogar innerhalb einzelner Bücher (man denke nur an das Deuteronomium oder das Jesajabuch) herrscht, so etwas wie eine theologische Gesamtsicht des Alten Testaments zu greifen ist. Die Rede von dem Alten Testament ist aus exegetischer Sicht nur dann berechtigt, wenn sich auch innerhalb dieser Schriftensammlung theologische Linien und übergreifende Reflexionsgänge oder Diskurse greifen lassen, die die einzelnen Teile zu einem Ganzen verbinden. In der Tat lässt sich auf diese Weise eine Theologie (oder doch eine theologische Gesamtkomposition) des Alten Testaments erheben, die dann freilich nicht gegen die sachgemäße Erkenntnis literarischer und theologischer Vielfalt innerhalb dieser Schriftensammlung ausgespielt werden darf. Doch lassen sich – zumindest in der Perspektive übergreifender Redaktionen und Kompositionen – Grundstrukturen erkennen, die das Alte Testament insgesamt umfassen, den einzelnen Texten einen Rahmen geben und so aus den Teilen ein theologisch reflektiertes und komponiertes Ganzes machen. Dies soll hier am Selbstverständnis des Alten Testaments als „Wort Gottes“ verdeutlicht werden. Die Götzen sind stumm, aber der Herr redet. Der Gott der Bibel ist der redende Gott, von dem ‚Und Gott sprach: es werde Licht‘ auf dem ersten Blatt der Bibel bis zu dem ‚Es spricht, der solches bezeugt: Ja, ich komme bald‘ auf ihrem letzten Blatt,
so beginnt Hermann Sasse seine „Studien zur Lehre von der Heiligen Schrift“.1
SASSE, Sacra Scriptura, 11. Zu Sasses Schriftlehre vgl. insgesamt VOLKMAR, EvTh 79 (2019), 134–142; Ders., Gotteswort, 50–71. 1
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Mit dem ersten Satz – Die Götzen sind stumm, aber der Herr redet – könnte geradezu ein wesentlicher Teil der Texte aus Deuterojesaja zusammengefasst sein.2 Überhaupt ist mit Händen zu greifen, dass Sasse hier ein reziprokes Verhältnis zwischen dem biblischen Gott und der Bibel als Gottes Wort voraussetzt. Es ist eine Eigenart des Gottes Israels, dass er redet, und umgekehrt erschließt das Text gewordene Reden Gottes das Wesen dieses Gottes.3 Es ist nun zu fragen, ob diese Grundvoraussetzung der christlichen Theologie eine Entsprechung im Selbstverständnis der alttestamentlichen Texte findet. In der Tat lassen sich in den vielfältigen Texten des Alten Testaments eine Fülle von Reflexionen über das Reden Gottes finden, die gelegentlich auf den terminus technicus דבר יהוהgebracht, meistens aber durch ein Netzwerk von Formeln, narrativen Elementen oder intertextuellen Bezugnahmen dargestellt werden. Wenn hier auch nicht jeder Gedanken zu einem begrifflich fassbaren theoretischen Konzept verdichtet wird, so lässt sich doch eine Theologie des Gotteswortes im Alten Testament erheben. Die Beobachtungen zu diesem Sachverhalt setzen bei den Prophetenbüchern ein, in denen ein Nachdenken über Jahwes Reden und Gottes Wort am deutlichsten zu greifen ist.
4.1 Reflexionen über das Gotteswort in den Prophetenbüchern 4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
Es hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass die Prophetie Israels mit einer Reihe von analogen Phänomenen im Alten Orient korrespondiert.4 Will man dabei nicht jede Form von Mantik oder Zukunftsdeutung mit der Art Prophetie vergleichen, wie sie sich im Alten Testament niedergeschlagen hat, so kann man zunächst auf die grundlegende Definition Manfred Weipperts zurückgreifen, nach der ein Prophet eine Person ist, die eine göttliche Offenbarung erlebte, die zur Vermittlung an andere bestimmt ist.5 Gemeinsam ist demnach jeder Form altorientalischer Prophetie, dass Botschaften in der Regel in
Zu Deuterojesaja vgl. Kapitel 4.1.3. 3 „Daß Gott spricht, ist dem AT durchgehende Selbstverständlichkeit; wo er schweigt, ist irgendetwas gestört“ (SCHMID, Art. אמר, 214). 4 Vgl. für einen ersten Überblick: K RATZ, Propheten Israels, , 22–29; B LENKINSOPP, Geschichte, 45ff. oder: NISSINEN U.A., Prophets and Prophecy; KÖCKERT/NISSINEN (Hg.), Propheten. 5 W EIPPERT, Aspekte, 289: „Ein(e) Prophet(in) ist eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechts, die 1. in einem kognitiven Erlebnis, einer Vision, einer Audition, einem Traum o.ä., der Offenbarung einer Gottheit oder mehrerer Gottheiten teilhaftig wird, und 2. sich durch die betreffende(n) Gottheit(en) beauftragt weiß, die Offenbarung in sprachlicher oder metasprachlicher Fassung an einen Dritten, den eigentlichen Adressaten, zu übermitteln.“ 2
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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sprachlicher Form vermittelt werden.6 In jedem Fall ist dabei göttliche Offenbarung als sprachliches Phänomen zu fassen. Bei aller Ähnlichkeit ist es dabei bisher eine Eigenart der alttestamentlichen Prophetie, dass sie diese Form sprachlich gefasster Offenbarung einerseits auf Begriffe und Formeln gebracht hat, und dass andererseits in den alttestamentlichen Prophetenbüchern die göttliche Offenbarung nicht nur zu einem schriftlichen Text, sondern zu redaktionell ständig fortgeschriebener Literatur geworden ist.7 Diese Redaktions- und Kompositionsprozesse sind Niederschlag einer fortdauernden theologischen Reflexion über das Phänomen der Offenbarung, das in einer sprachlichen Gestalt fassbar, sagbar, hörbar und in schriftlicher Form zu überliefern und zu aktualisieren ist.8 Hier liegt eine der Wurzeln des Nachdenkens über das Wort Gottes. In dieser Hinsicht interessieren hier die Prophetentexte des Alten Testaments9; denn die prophetischen Bücher des Alten Testaments lassen sich als komponierte theologische Texte lesen, in denen sich in besonderer Form die Reflexion über das Wort Gottes niedergeschlagen hat.
Auch wo z.B. in der alttestamentlichen Prophetie Zeichenhandlungen vorkommen, bleiben diese doch nicht ohne deutendes Wort. Zudem sind wir auch über das Vorkommen solcher Zeichenhandlungen nur aus Texten, also sprachlichen Quellen unterrichtet. 7 Dabei ist die Schriftlichkeit als solche keine Eigenart der alttestamentlichen Prophetie gegenüber den altorientalischen Parallelen. Auch die Maribriefe, die neuassyrischen Texte und die Bileaminschrift von Deir ‘Alla liegen schriftlich vor. Wie insbesondere an den Sammeltafeln der neuassyrischen Prophetie aus den Archiven Ninives zu sehen ist, die mehrere prophetische Botschaften auf einer Tontafel vereinigen, bedeutet Schriftlichkeit ein besonderes Moment der Vermittlung: Neben die prophetischen Urheber der Botschaften treten nun „schriftgelehrte“ Vermittler mit z.T. erkennbar eigenen Anliegen. Hier berühren sich die alttestamentlichen Texte mit den Parallelen aus der Umwelt (zu diesen Texten vgl. z.B. TUAT II/1, 56–82). Dennoch ist die aktualisierende Sammlung und Fortschreibung in regelrechten Büchern bis hin zur Integration dieser Schriften in einen werdenden Kanon (bisher) ebenso eine Eigenart der alttestamentlichen Überlieferung wie die Tatsache, dass sich hier auch genuine Schriftprophetie findet. Damit bezeichnet Jörg Jeremias sehr treffend Prophetenschriften, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf eine mündliche Verkündigung zurückgehen, sondern von vornherein als schriftliche Texte konzipiert wurden. Dies gilt sicher für Deuterosacharja oder Maleachi. Angesichts dieser Eigenarten ist die Meinung, bei der alttestamentlichen Prophetie handele es sich im Wesentlichen um eine regionale Ausprägung eines gleichsam „gemeinaltorientalischen“ Phänomens, noch einmal zu überdenken. Vgl. zu diesen Fragen JEREMIAS, ZAW 125 (2013), 93–117, dort auch weitere Literatur zu den altorientalischen Vergleichstexten. 8 Insofern ist die prophetische Literatur, wie Andreas Wagner anhand der kô-’āmar-Formeln gezeigt hat, als ein Stück planvoller theologischer Reflexion zu lesen, vgl. WAGNER, Prophetie. 9 Es geht also nicht um die Prophetie Israels als religionsgeschichtliches Phänomen. 6
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4.1.1 Jeremia Diese Reflexion lässt sich vor allem in späteren Prophetentexten explizit greifen. Wie immer man „später“ oder „jünger“ dabei fassen will: es geht um Texte, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bereits auf längere Erfahrungen mit prophetischen Äußerungen, die sich selbst als Gottes Wort verstanden haben oder so verstanden worden sind, zurückblicken.10 Ein solcher Text findet sich zum Beispiel in der Eröffnung des Jeremiabuches in Jer 1.11 1 Worte12 Jeremias, des Sohnes Hilkijas, von den Priestern, die in Anathot sind, im Lande Benjamin, 2 zu dem das Wort Jahwes geschah in den Tagen Josijas, des Sohnes Amons, des Königs von Juda im dreizehnten Jahr seines Königtums. 3 Es geschah auch in den Tagen Jojakims, des Sohnes Josijas, des Königs von Juda, bis zum Ende des elften Jahres Zedekijas, des Sohnes Josijas, des Königs von Juda, bis Jerusalem ins Exil geführt wurde im fünften Monat. 4 Da geschah das Wort Jahwes zu mir folgendermaßen: 5 „Ehe ich dich im Mutterleib bildete, habe ich dich erkannt, und bevor du aus dem Schoß gekommen bist, habe ich dich geheiligt, als Prophet für die Völker habe ich dich eingesetzt.“ 6 Da sprach ich: „Ach mein Herr Jahwe, siehe ich verstehe nicht zu reden, denn ein Jüngling bin ich.“ 7 Aber Jahwe sprach zu mir: „Sage nicht: ‚Ein Jüngling bin ich‘; sondern überallhin, wohin ich dich sende, wirst du gehen, und alles, was ich dir gebiete, wirst du reden. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir, um dich zu retten – Raunung Jahwes. 9 Und Jahwe streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an, und Jahwe sprach zu mir: „Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund. 10 Hiermit bestelle ich dich an diesem Tag über Völker und Königreiche, um auszureißen und niederzubrechen und zu zerstören und zu vernichten, um zu bauen und zu pflanzen.“ 11 Dann geschah das Wort Jahwes zu mir folgendermaßen: „Was siehst du, Jeremia?“ Und ich sprach: „Einen Mandelzweig sehe ich.“ 12 Und Jahwe sprach zu mir: „Du hast recht gesehen; denn ein Wächter bin ich über meine Worte, um sie zu tun.“ 13 Da geschah das Wort Jahwes zu mir zum zweiten Mal folgendermaßen: „Was siehst du?“ Und ich sprach: „Einen dampfenden Topf sehe ich, und seine Oberfläche [ist] von Norden her [geneigt].“
LEVIN, ZThK 101 (2004), 257: „Für das Nachdenken braucht es einen Anlaß. Dieser Anlaß ist nicht ohne weiteres die prophetische Verkündigung selbst gewesen. Die Verkündigung fordert zunächst Glauben oder Zweifel heraus. Die Reflexion setzt unabweisbar dann ein, wenn die Voraussage sich in geschichtlicher Wirklichkeit als wahr erwiesen hat.“ 11 Vgl. auch B EHRENS, Wort, 47–53. 12 Kursivierungen sollen die expliziten Bezugnahmen auf das Thema Wort/Wort Gottes deutlich machen. 10
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14 Und Jahwe sprach zu mir: „Von Norden her eröffnet sich das Übel über alle Bewohner des Landes. 15 Denn ich bin im Begriff13, alle Geschlechter der Königreiche des Nordens zu rufen – Raunung Jahwes, und die kommen und setzen ein jeder seinen Thron vor die Tore Jerusalems und vor alle seine Mauern ringsum und vor alle Städte Judas. 16 So spreche ich mein Urteil über sie, über alle ihre Übeltaten, mit denen sie mich verlassen und fremden Göttern geräuchert haben und sind niedergefallen vor dem Werk ihrer Hände. 17 Und was dich anlangt: Gürte deine Lenden, mache dich auf und rede mit ihnen, alles, was ich dir gebiete; fürchte dich nicht vor ihnen, damit ich dich nicht vor ihnen zum Schrecken mache. 18 Und was mich anbelangt: Hiermit mache ich dich zur befestigten Stadt und zur eisernen Säule und zu eisernen Mauern um das ganze Land, für die Könige Judas, für seine Fürsten, für seine Priester und für das Volk des Landes. 19 Sie werden dich anfeinden, aber sie werden dich nicht überwinden; denn mit dir bin ich – Raunung Jahwes – um dich zu retten.“
Dieser Text stellt keine ursprüngliche literarische Einheit dar, sondern ist in einem mehrstufigen Prozess gewachsen. In seiner Endgestalt ist das Kapitel insgesamt eine Einleitung in das Jeremiabuch aus der exilisch/nachexilischen Zeit, die einerseits die Botschaft des folgenden Buches kompilatorisch vorwegnimmt und andererseits auf ältere prophetische Traditionen zurückblickt.14 So spielt Jer 1,9f. wohl auf Jes 6,7 an15, während die verkürzten Visionsschilderungen in Jer 1,11–14 deutlich die Amosvisionen aus Am 7f. voraussetzen.16 In der Aufnahme dieser und anderer Traditionen wird der reflektierende Charakter des Textes deutlich. Hier liegt eine Art theologischer „Ouvertüre“17 für das Jeremiabuch vor. Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: In V. 1–3 liegt eine erweiterte Überschrift vor, wobei sich in V. 2 die sog. „Wortereignisformel“ es geschah das Wort Jahwes zu ... ( )היה דבר יהוהfindet. Diese Formel ist signifikant für das Jeremiabuch18; denn sie findet sich darin über dreißigmal, während sie in den Büchern, die auf Propheten des 8. Jahrhunderts zurückgeführt werden (Am;
Im Hebräischen steht hinnē +Partizip für das sog. futurm instans; vgl. HERRMANN, BKAT XII/1, 41 sowie GESENIUS-KAUTZSCH, § 116p. 14 Vgl. insgesamt die Analyse mit Aufweis der intertextuellen Bezüge ins Jeremiabuch bei FISCHER, Jeremia 1–25, 126ff. 15 Vgl. LEVIN, ZThK 101 (2004), 260f.; SCHMIDT, ATD 20, 50ff. 16 Vgl. B EYERLIN, Reflex; PSCHIBILLE, Löwe, 13ff., B EHRENS, Visionsschilderungen, 120–125. 17 H ERRMANN, BKAT XII/1, 91. 18 Vgl. die ausführliche Analyse bei N EUMANN, VT 23 (1973), 171–217. Neumann differenziert zwischen zwei unterschiedlichen Typen einer „Wortgeschehensformel“ ( היהAK) und einer „Wortereignisformel“ ( יהיPK); vgl. dazu HERRMANN, BKAT XII/1, 9ff. 13
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Hos; Mi; Jes) im Grunde nicht begegnet.19 Nur im Ezechielbuch wird die Formel noch häufiger verwendet. Die Sammlung, die in V. 1 als Worte Jeremias überschrieben wird20, beinhaltet also eigentlich Worte Jahwes, wie nun klargestellt wird.21 V. 4 eröffnet einen neuen Abschnitt, wie an dem Perspektivenwechsel deutlich wird. Jetzt redet Jeremia in 1. P. Sg. von sich selbst und beginnt sein Reden wiederum mit der Wortereignisformel. In V. 5–8 findet sich das Motiv der Berufung.22 Jahwe will Jeremia senden, der sich zunächst mit einem Einwand wehrt, dem Gott eine Beistandszusage entgegenhält. Die Gottesspruchformel Raunung Jahwes ( )נאם יהוהdient hier als Gliederungselement und setzt zugleich einen anderen Aspekt in der Reflexion über das Gotteswort. Auch diese Formel begegnet in auffälliger Häufigkeit im Jeremiabuch, findet sich aber auch in der älteren Prophetie. Der Berufungsvorgang in V. 4–8 wird in V. 9f. durch zwei deklarative Sprechakte ergänzt.23 In V. 9 wird in einer Art sakramentalem Geschehen der Prophet ganz körperlich mit dem Gotteswort ausgerüstet. Jahwe legt es ihm buchstäblich in den Mund, wobei die Geste erst durch den explizit performativen Sprechakt hiermit lege ich mein Wort in deinen Mund vereindeutigt wird.24 Gottes Wort erreicht den Propheten selbst also dadurch, dass Gott spricht. In V. 11–14 finden sich zwei Visionsschilderungen, die nur durch den Dialogteil repräsentiert werden.25 Offenbar ist die Textsorte insofern vorausgesetzt, dass die Schilderung der Schau entfallen kann. Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem von Interesse, dass beide Visionen in
Ausnahmen stellen lediglich die Prophetenüberschriften Hos 1,1 und Mi 1,1 dar, in denen jeweils die Formulierung x דבר יהוה אשׁר היה אלbegegnet; vgl. Kapitel 4.1.8. 20 Es besteht kein Grund, hier דברי ירמיהוmit „Angelegenheiten Jeremias“ zu übersetzen (so HERRMANN, BKAT XII/1, 3). Gerade im Kontext von Jer 1 wird klar, dass es hier in unterschiedlichen Facetten ums Reden und um Worte geht. Eine Parallele findet sich innerhalb der Prophetenbücher in Am 1,1. Da das Amosbuch so gut wie keine „Angelegenheiten“ des Amos aus Tekoa enthält, werden die דברי עמוסin der Regel als Worte des Amos übersetzt. Vgl. zu דברי+ Eigenname auch im weisheitlichen Kontext Prov 30,1 („Worte Argurs“) oder 31,1 („Worte Lemuels“). 21 „In den einzelnen ‚Worten Jeremias‘ (V. 1) äußert sich das ‚Wort Jahwes‘ (V. 2)“ (SCHMIDT, ATD 20, 44). 22 Vgl. LEVIN, ZThK 101 (2004), 258ff.; B EHRENS, Art. Berufung. 23 Vgl. W AGNER, Sprechakte, 110.127 und 182. 24 Vgl. W AGNER, Sprechakte, 110; und schon H ERRMANN, BKAT XII/1, 66: „perfectum declarativum“; FISCHER, Jeremia 1–25, 136. 25 Bei den prophetischen Visionsschilderungen handelt es sich um eine wiedererkennbare Textsorte mit signifikanten sprachlichen Eigenarten und einer bestimmten kommunikativen Funktion. Ein wichtiges Merkmal ist die Zweiteilung dieser Texte in einen Visions- und Dialogteil. Hier, in Jer 1, steht der Dialogteil pars pro toto; vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 110ff.; Ders., Art. Vision/Visionsschilderung zur Beschreibung dieser Gattung. 19
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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V. 11 und V. 13 wiederum durch die Wortereignisformel eingeleitet werden.26 Auch wo vermeintlich etwas gesehen wird, liegt also ein Sprachgeschehen vor. Beide „Visionen“ finden ihre Bedeutung in einem Wortspiel und folgen darin Am 7,7f. beziehungsweise 8,1f. Der Inhalt der ersten Vision ist wiederum das Wort Jahwes, über dessen Eintreffen Gott selbst wacht (V. 12). Die zweite Vision entfaltet dann den Inhalt dieses Gotteswortes, nämlich die Bedrohung „aus dem Norden“, wobei proleptisch eine wesentliche Botschaft des Jeremiabuches in das Bild vom dampfenden Kessel gefasst wird. Die Verse 15f. interpretieren das Gerichtswort und werden konkret.27 V. 17–19 wiederholen die Beauftragung des Propheten und die Beistandszusage Jahwes. Noch einmal wird die Aufgabe des Propheten dahingehend zusammengefasst, das zu reden, was Jahwe gebietet. So ist dieses gesamte Kapitel als Einleitung in das Jeremiabuch gestaltet, wobei durch eine ganze Reihe unterschiedlicher sprachlicher Mittel das Wort Gottes in seiner Wirksamkeit als zentrales Thema kommuniziert wird. Dieses Thema wird den Leserinnen und Lesern durch die Verwendung der Wortereignisformel (es geschah das Wort Jahwes zu ...) und der Gottesspruchformel (Raunung Jahwes) fortlaufend in Erinnerung gerufen und dadurch eingeprägt. Zwar ist es richtig, dass diesen „Formeln“ die Funktion der (redaktionellen) Textgliederung zukommt.28 Deshalb dürfen sie aber nicht als gleichsam „entsemantisierte“ Textgliederungssignale aufgefasst werden. Gerade durch die Gliederung von Jer 1 mittels dieser Formeln klingt in der Ouvertüre das Gotteswort als zentrales Thema des Gesamtwerkes immer wieder an.29 An dieser durchdachten Komposition des Eröffnungstextes zum vorliegenden Jeremiabuch wird einmal mehr deutlich, dass sich hinter dem außerhalb der Fachexegese gelegentlich technokratisch missverstandenen Begriff „Redaktion“ komplexe theologische Reflexionsprozesse verbergen. Im Jeremiabuch begegnet eine Thematisierung des Wortes Gottes in prominenten Texten wieder: So ist das Wort Jahwes ( )דבר יהוהfür Jeremia selbst eine Belastung, der er sich aber nicht entziehen kann (vgl. Jer 20,830). Andererseits muss der Prophet im Namen Gottes die außerordentliche Wirksamkeit des
Es ist auffällig, dass die Thematisierung der Schau durch eine Form von ראה, die für die Gattung eigentlich konstitutiv ist, hier entfällt und sich die vermeintlichen Visionen ganz auf den Redeteil der Textsorte beschränken, vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 110f. 27 Dabei sind die Visionen mit V. 14 abgeschlossen und bedürfen einer solchen Konkretisierung – jedenfalls formgeschichtlich – nicht. Insbesondere die Diktion von V. 16 deutet auf deuteronomistische Theologie hin (vgl. HERRMANN, BKAT XII/1, 52f.). 28 Vgl. H ERRMANN, BKAT XII/1, 43f. 29 Vgl. FISCHER, Jeremia 1–25, 128 und 143. 30 כי מדי אדבר אזעק חמס ושׁד אקרא כי היה דבר יהוה לי לחרפה ולקלס כל היוםDenn sooft ich rede, schreie ich aus: „Gewalttat“ und „Verheerung!“ rufe ich; denn das Wort Jahwes wurde mir zur Schmähung und zum Spott den ganzen Tag. 26
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Gotteswortes bildreich verkündigen (vgl. Jer 23,2931). In Jer 36 wird schließlich der Beginn der Schriftwerdung des Prophetenwortes in einer Erzählung reflektiert.32 Insgesamt sind die entsprechenden Texte nicht als Reportagen über das Leben Jeremias gedacht33; vielmehr handelt es sich um hermeneutische Reflexionen, die als Biographie gewandet sind. Im ganzen Buch wird auch durch den starken Gebrauch der „Wortereignis-“, der „Gottesspruchformel“ sowie der sog. „Botenformel“ ()כה אמר יהוה34 unterstrichen.35 4.1.2 Ezechiel Das Ezechielbuch knüpft inhaltlich und formal an Jer 1 an, wenn in der Buchrollenvision in Ez 2,9–3,936 die Berufung Ezechiels geschildert wird: 2,9 Da sah ich, und siehe: eine Hand zu mir hin ausgestreckt; und siehe darin war eine Buchrolle. 10 Und er breitete sie vor mir aus, und sie war beschrieben auf der Vorder- und der Rückseite und darauf geschrieben war Klage und Murren und Weh. 3,1 Und er sprach zu mir: „Menschenkind, was du findest, das iß! Iß diese Schriftrolle, dann geh, rede zum Hause Israel!“ 2 Und ich öffnete meinen Mund, so ließ er mich diese Schriftrolle essen. 3 Und er sprach zu mir: „Menschenkind, deinem Bauch gib zu essen und deinen Magen fülle mit dieser Schriftrolle, die ich dir gegeben habe!“ So aß ich sie und sie wurde in meinem Mund wie Honig, so süß. 4 Dann sprach er zu mir: „Menschenkind, auf, komm zum Haus Israel und dann rede mit meinen Worten zu ihnen“. 5 Denn nicht zu einem Volk mit unverständlicher Lippe oder schwerer Zunge sende ich dich, [sondern] zum Haus Israel. 6 Nicht zu vielen Völkern mit unverständlicher Lippe oder schwerer Zunge, deren Sprachen du nicht verstehst – würde ich dich zu denen senden, sie würden auf dich hören. 7 Aber das Haus Israel will nicht auf dich hören, denn sie sind nicht gewillt, auf mich zu hören; denn das ganze Haus Israel hat eine harte Stirn und ein schweres Herz.
הלוא כה דברי כאשׁ נאם יהוה וכפטישׁ יפצץ סלעIst nicht mein Wort so wie Feuer – Raunung Jahwes – und wie ein Hammer, der Felsen zerdrischt? Vgl. ausführlich BEHRENS, Wort, 41– 47. 32 Vgl. JEREMIAS, ZAW 125 (2013),100ff.; B EHRENS, Wort, 53–60. 33 So mit Blick auf die Visionen in Jer 1 wieder SCHMIDT, ATD 20, 61f.; anders: FISCHER, Jeremia 1–25, 143: Das Kapitel hat „rahmende und orientierende Funktion für die Leser und ist wie andere solche Berichte von Beauftragungen eine theologisch reflektierte Zusammenfassung“ [Hervorhebung so im Original]; vgl. auch Ders., Jeremia, 74. 34 Umso bemerkenswerter ist es, dass die kô-’āmar-Formel in Jer 1 ganz fehlt. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Formel im Jeremiabuch immer dann gebraucht wird, wenn der Prophet ein Wort an konkrete Adressaten ausrichten muss. Die aber sind in Jer 1 noch nicht präsent. 35 Für weitere Beobachtungen zum Wort Jahwes bei Jeremia (Jer 15; 23 und 36) vgl. BEHRENS, Wort, passim. 36 Zur Abgrenzung des Textes und zur Differenzierung zur Thronwagenvision in Ez 1,4– 2,8 vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 183–217. 31
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8 Hiermit mache ich dein Angesicht so hart wie ihre Angesichter und deine Stirn so hart wie ihre Stirnen. 9 Wie einen Diamant, härter als Kiesel so mache ich deine Stirn; fürchte sie nicht und erschrecke nicht vor ihnen; denn ein Haus der Widerspenstigkeit sind sie.
Vermutlich liegt in diesem Text die ursprüngliche Eröffnung des Ezechielbuches vor.37 Auch hier findet sich ein Berufungsmotiv, und der Text berührt sich in vielerlei Hinsicht mit Jer 1.38 Ebenso wie dort ist in Ez 2 von einer ausgestreckten Hand die Rede (Ez 2,9 vgl. Jer 1,9). Ezechiel soll, wie Jeremia, mit Gottes Worten zu Israel reden (Ez 3,4 vgl. Jer 1,7.17). Auch Ezechiel erhält die Beistandszusage „erschrecke nicht vor ihnen“ (Ez 3,9: ;לא תחת מפניהםvgl. Jer 1,17: )אל תחת מפניהם39, und auch hier wird der Prophet mit einem deklarativen Sprechakt in den Dienst genommen (Ez 3,8 vgl. Jer 1,9f.18). Ebenso wie in Jer 1 ist bei Ezechiel das zentrale Motiv dieser Sendungsgeschichte die Ausrüstung des Propheten mit dem göttlichen Wort. Allerdings tritt bei Ezechiel nun bereits der schriftliche Charakter des Gotteswortes ins Bewusstsein. Ezechiel soll eine Schriftrolle verschlingen und auf diesem Wege Gottes Wort verinnerlichen.40 Hier bekommt der Prophet das Gotteswort in literarischer Form. Dass das göttliche Wort als Buch gewordener Text überliefert wird, ist hier schon zu greifen. Es liegt ein sehr frühes Stadium von der Vorstellung einer „Heiligen Schrift“ vor. Angesichts der zahlreichen Berührungen mit dem Jeremiabuch41 erwägt Zimmerli, ob nicht eine jeremianische „Urrolle“ Pate stand für den Gedanken des Buch gewordenen Gotteswortes.42 Dabei wird das Motiv der Verinnerlichung des Gotteswortes durch den Akt des Essens wiederum bei
Vgl. POHLMANN, ATD 22/1, 65, der in Ez 2,8–3,3* das „Kernstück der Einleitung zum golaorientierten Prophetenbuch“ sieht. 38 Vgl. ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 16–21, der für Ez 1,1–3,15 unterschiedliche Typen prophetischer Berufungsberichte als traditionsgeschichtlichen Hintergrund annimmt. Ab 2,9 herrscht dann der „jeremianische[.] Typ des Berufungsberichtes“ vor (a.a.O., 21); vgl. auch GREENBERG, Ezechiel 1–20, 82ff. 39 Eine Vergewisserungszusage mit der Wurzel חתתfindet sich im Ezechielbuch lediglich in 2,6 und 3,9, während sie bei Jeremia häufiger begegnet (vgl. Jer 1,17; 10,2; 23,4; 30,10; 46,27). 40 Es gilt mit SCHÖPFLIN, Theologie, 165: „Wenn dieser Visionsabschnitt auszurichtende Unheilsankündigungen YHWHS als Schriftrolle versinnbildlicht, so setzt er die Schriftlichkeit solcher Texte voraus, weil das Bild nur dann den Rezipienten verständlich ist. Zu betonen ist, daß hier göttliches Wort buchstäblich anschaulich gemacht wird, ...“ Allerdings erübrigen sich Erwägungen darüber, ob diese Schriftrolle als von Gott selbst verfasst kategorial von anderen prophetischen Schriftrollen zu unterscheiden sei, wie Schöpflin in Aufnahme eines Gedankens von Klaus Koch fragt. Der Text thematisiert diese Frage an keiner Stelle. 41 Vgl. ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 70*ff. und POHLMANN, Ezechiel, 201f. 42 Vgl. ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 79. 37
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Jeremia entlehnt.43 Zugleich wird bei Ezechiel die Rezeption des prophetisch ausgerichteten Gotteswortes durch die Adressaten bedacht. Israel will nicht hören. Es will nicht auf Ezechiel hören, weil es nicht auf Gott hören will (Ez 3,7). Damit wird zugleich deutlich, dass die Formulierung „Wort Gottes“ oder דבר יהוהimmer auch die Chiffre für ein Kommunikationsgeschehen ist. Worte – egal ob gesprochen oder niedergeschrieben – zielen auf Rezeption. Insofern gehören auf der Textebene Formulierungen wie „(nicht) hören“ oder „(nicht) verstehen“ in den semantischen Kontext des Wortes Gottes. Im Jeremiabuch und bei Ezechiel spielt also das Thema des Wortes Gottes schon in den Eröffnungstexten eine theologisch durchreflektierte Rolle. Dieses Thema wird im Ezechielbuch durch eine häufige Verwendung unterschiedlicher prophetischer Formeln immer wieder ins Bewusstsein gerufen.44 Besonders auffällig ist, dass es zum Beispiel in Ez 2,4b heißt: „... und du sollst zu ihnen sagen: So spricht der Herr Jahwe!“, ohne dass auf die kô-’āmar-yhwhFormel überhaupt noch ein Inhalt der Rede berichtet würde. Die Formel – Gott redet – steht pars pro toto. Die Botschaft ist selbst kô ’āmar yhwh; dass das nichts Gutes bedeuten kann, wissen der Prophet und seine Adressaten bereits aus der Tradition. Die Anspielung mittels der Formel genügt; denn offenbar ist nun das Nachdenken über und die Konventionalisierung des Wortes Gottes
Vgl. Ez 3,1: ויאמר אלי בן אדם את אשׁר תמצא אכולmit Jer 15,16: נמצאו דבריך ואכלם. Vgl. dazu ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 78 und bereits Ders., Gotteswort, 145. 44 Vgl. insbesondere die Untersuchung bei SCHÖPFLIN, Theologie, 56–126, die zwischen redeeröffnenden und abschließenden Wendungen unterscheidet. Sie kommt zu dem Schluss: „Die wiederkehrenden Elemente weisen immer wieder darauf hin, daß Gott zu einem Menschen spricht, der die göttlichen Worte in der Regel weitergeben soll [...] Diese Stilisierung schreibt somit sämtliche inhaltliche Aussagen YHWH als Urheber zu, der Ich-Erzähler gibt lediglich wieder, was Gott ihm gesagt hat, bzw. ihn hat schauen lassen“ (a.a.O., 125). In der Tat sind diese Formeln Stilmittel „einer schriftlichen Gesamtkomposition“ (ebd.) und haben eben diese theologische Funktion, dass im Ezechielbuch vorliegende Prophetenwort als Gotteswort zu autorisieren. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich dann aber, zwischen den Formeln noch weiter zu differenzieren. Von den redeeinleitenden Formeln – wie kô ’āmar yhwh – und redeabschließenden Wendungen – wie ne’um yhwh –, die den Charakter der Redeeinheiten als Gotteswort unterstreichen, wäre z.B. die Erkenntnisaussage zu differenzieren, da hier eben ein näher zu bestimmendes Ziel des Prophetenwortes genannt ist (erkennen, dass [nur] ich Jahwe bin). Dies ist aber semantisch und sprachpragmatisch etwas anderes als die Legitimierung der Worte Ezechiels als Wort Gottes und hat eine andere kommunikative und theologische Funktion. 43
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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schon vorangeschritten.45 Auch die Texte des Ezechielbuches sind erst in exilisch/nachexilischer Zeit schriftlicher Text geworden.46 Darüber hinaus aber findet sich im Ezechielbuch eine syntaktisch ganz eigentümliche Formulierung. Mit אני יהוה דברתיwird gelegentlich eine Redeeinheit abgeschlossen und unterstrichen. Die Formulierung findet sich vierzehnmal im Ezechielbuch47 und sonst nur noch einmal in Num 14,35. Entscheidend ist die Frage, wie die hebräische Phrase zu übersetzen ist. In der Regel wird ein Verbalsatz mit vorangestelltem „Subjekt“ אניübersetzt, zu dem sich der Gottesname in appositioneller Stellung befindet, also: „Ich, Jahwe, habe (es) geredet“. Im Kontext des Ezechielbuches und der übrigen Vorkommen der Phrase אני יהוהim Alten Testament ist es jedoch weit wahrscheinlicher, dass es sich bei אני יהוהum einen eigenständigen Nominalsatz handelt. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle nicht, wie von Walther Zimmerli vorgeschlagen, um eine Selbstvorstellung, in der der Gottesname die neue Information des Satzes darstellte.48 Dazu begegnet die Formulierung einfach zu häufig. Vielmehr liegt hier, wie Diethelm Michel und Anja Diesel gezeigt haben, eine Selbstprädikation vor, die mit „nur ich bin Jahwe“ zu übersetzen ist.49 Israels Gott erhebt damit den Anspruch, der allein wirksame Gott zu sein. Die Formulierung kommt in prophetischer Rede deshalb häufiger vor, weil sie ein Erkenntnisziel bezeichnet: Gerade das soll Israel wahrnehmen, dass nämlich nur Jahwe sein Gott ist. Eine Eigenart Ezechiels stellt nun die Erweiterung der Formulierung durch דברתיdar, das als asyndetischer Relativsatz aufzufassen ist.50
Vgl. WAGNER, Prophetie, 310f., der hinter der Komprimierung der Botschaft in der kô ’āmar yhwh-Formel ein besonderes Prophetenverständnis erkennt. Der Prophet wird durch die kô ’āmar yhwh-Formel ermächtigt, im Namen Gottes zu reden, auch wenn keine je spezifische Offenbarung vorliegt. Gerade so ist der Prophet auch Theologe. 46 Dabei sind die Meinungen zur Entstehung des Ezechielbuches sehr vielfältig, vgl. z.B. POHLMANN, Ezechiel, 75–97. 47 Vgl. Ez 5,15.17; 12,25; 17,21.24; 21,22.37; 22,14; 24,14; 26,14; 30,12; 34,24; 36,36 und 37,17. 48 Vgl. ZIMMERLI, Jahwe, 11–40. 49 Vgl. M ICHEL, Nur ich bin Jahwe, 1–12; D IESEL, Jahwe, 343–360. 50 Dazu D IESEL, Jahwe 110, 359: „Die Frage der Syntax von ’anî Yhwh dibbartî – Verbalsatz mit vorangestelltem Subjekt und Apposition zum Subjekt oder Nominalsatz + Verbalsatz – wird sich wohl nicht definitiv klären lassen. Möglicherweise ergibt sich das Problem aber überhaupt erst durch die Übersetzung, in der wir vom Deutschen her gezwungen sind, uns für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden. Es ist denkbar, dass sich im Hebräischen die beiden Alternativen so gar nicht stellten und ein Ineinanderliegen zu verzeichnen ist. Eine Wiedergabe im Sinne von Ich, Jahwe, sage (es) hat im Deutschen jedoch den Nachteil, dass die eigenständige ’anî Yhwh-Aussage viel weniger anklingt als sie es im Hebräischen auf jeden Fall tut. Angesichts der Tatsache, dass das Verständnis von ’anî Yhwh dibbartî als Nominalsatz + Verbalsatz oder von dibbartî als asyndetischen Relativsatz möglich ist, bevorzuge ich eine Übersetzung, die auch im Deutschen ’anî Yhwh als selbstgewich45
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Die Formulierung lautet also: „Nur ich bin Jahwe, der redet ...“ So wird das Wesen Gottes als des (allein) Redenden auf den Begriff gebracht. Wesen und Wort Gottes sind in dieser Auffassung von Jahwe sprachlich einzigartig verknüpft. Markant ist hierfür Ez 37,14: 14 Und ich will meinen Geist in euch geben, sodass ihr leben werdet, und ich will euch auf euren Ackerboden bringen, sodass ihr erkennt, dass nur ich Jahwe bin, der [es] redet und das heißt: auch tut [ – ]וידעתם כי־אני יהוה דברתי ועשׂיתיRaunung Jahwes.
Am Ende der Vision von den wiederbelebten Totengebeinen51 kommt der Prophet zu seinem eigentlichen Verkündigungsziel. Die im Exil befindlichen Israeliten sollen aus einer Resignation gerissen werden, in der sie sich selbst schon für tot halten. Israels Gott hat die Macht, sein Volk wieder in sein Land zu bringen – und zwar nur Israels Gott. Er tut das schon, indem er es sagt. Das explikative Perfekt52 ועשׂיתיbetont das noch einmal.53 4.1.3 Deuterojesaja In der deuterojesajanischen Sammlung (Jes 40–55) erhält das Thema des Wortes Gottes einen besonders populären Ort, indem es im Prolog54 (Jes 40,1–855)
tige Aussage erkennen lässt: Ich allein bin Jahwe. Ich rede. / Ich allein bin Jahwe, der (das) sagt.“ 51 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 252–271. 52 Vgl. M ICHEL, Tempora, 95ff. 53 „Unter der Voraussetzung von Jahwes alleiniger Wirksamkeit (’anî Yhwh), weil es nichts und niemanden gibt, der Jahwes Vorhaben behindern könnte, trägt das Faktum des dibbartî die Gewähr für die Erfüllung in sich. Insofern ist die nochmalige Ergänzung um we‘āsîtî fast ein Pleonasmus: we‘āsîtî expliziert, was in dibbartî bereits implizit enthalten ist“ (DIESEL, Jahwe, 360). 54 „Damit wird zur Beschreibung des Textes eine Kategorie aufgenommen, die ursprünglich aus dem attischen Theater stammt“, konstatiert BALTZER, KAT X/2. Baltzer selbst sieht Jes 40–55 insgesamt als ein antikes Drama mit unterschiedlichen Sprechern, das sogar zur Aufführung gekommen sei. Allerdings geht es bei der Charakterisierung der genannten Texte als Prolog und Epilog nicht um deren dramatische Funktion, wie sie etwa auch in den griechischen Tragödien begegnet, sondern um darin programmatisch formulierte theologischen Leitgedanken; so auch bei BALTZER, KAT X/2, 91: „Das ‚Wort unseres Gottes‘ ist ein entscheidender Topos für Dtjes. Die Aussage ist nicht auf den unmittelbaren Kontext zu beschränken. Der wichtigen Stellung im Prolog entspricht die Aufnahme im Epilog in 55,10– 11. Beide Stellen legen sich gegenseitig aus, lassen einen Grundsatz der Theologie Dtjes erkennen.“ Zu unterschiedlichen Interpretationen von Jes 40–55 als dramatischem Text vgl. BERGES, Jesaja 40–48, 64–73; Berges selbst nennt den Text ein „Lesedrama“ (a.a.O., 73). 55 Die Abgrenzung wird unterschiedlich vorgenommen. Evtl. sind noch die Verse 9–11 zum Prolog zu fassen. Das kann hier außer Acht bleiben, da die im vorliegenden Kontext vor allem interessierenden Aussagen in V. 6–8 zu finden sind. Zu einer evtl. Literarhistorie von Jes 40,1–11 vgl. KRATZ, Anfang, 198–215, der die Verse 6–8 für einen späten Zusatz
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
149
und im Epilog (Jes 55,6–13) eine Klammer um das ganze Textkorpus bildet.56 Zunächst die entsprechende Passage aus dem Prolog: Jes 40,1–8: 1 „Tröstet, tröstet mein Volk!“ / spricht euer Gott. 2 Redet zum Herzen Jerusalems, und ruft ihr zu, dass ihr Dienst erfüllt ist, dass ihre Strafe bezahlt ist / dass sie aus der Hand Jahwes das Doppelte für alle ihre Verfehlungen genommen hat. 3 Eine Stimme ruft: „In der Wüste räumt den Weg Jahwes frei! / Bahnt in der Steppe eine Straße für unseren Gott!“ 4 Jedes Tal soll erhöht werden und jeder Berg und jeder Hügel soll eben werden / und es soll das Höckerige zum Geraden und das Hügelige zur Ebene werden. 5 So wird sich die Herrlichkeit Jahwes offenbaren / und alles Fleisch soll es miteinander sehen; denn der Mund Jahwes hat es geredet [ ]כי פי יהוה דבר. 6 Eine Stimme sagt: „Rufe!“ Aber einer57 sagt: „Was soll ich rufen? / All das Fleisch ist ja doch Gras und all seine ḥæsæd58 wie die Blüte des Feldes. 7 Das Gras vertrocknet und eine Blüte verwelkt, wenn der Atem Jahwes darein bläst. / Fürwahr Gras ist das Volk! 8 Das Gras vertrocknet, eine Blüte verwelkt / aber das Wort unseres Gottes hat Bestand in Ewigkeit [ ]ודבר אלהינו יקום לעולם.
Zu Beginn des zweiten Teils des Jesajabuches schlägt die Stimmung der Texte um. Herrschten in Jes 1–39* Gerichtsworte in der Zeit des ausgehenden 8. Jahrhunderts vor59, ist nun deutlich die Exilszeit vorausgesetzt und es geht um eine
hält. Aber auch Kratz sieht die Korrespondenz zwischen Jes 40,6–8 und 55,10–11 (vgl. a.a.O., 203). 56 Zur Korrespondenz dieser beiden Stücke vgl. schon D UHM, HKAT III/1, 287.293. Dabei handelt sich bei dieser inclusio nicht lediglich um ein Stilmittel, wie Duhm betont. Vielmehr liegt eine theologische Klammer vor, für die „die Ewigkeit und der Triumph des Gotteswortes der leitende Gedanke“ (a.a.O., 417) ist. 57 Die übliche Konjektur in 1. P. Sg. ist nicht nötig, da auch sonst in Jes 40–55 kein prophetisches Ich begegnet. Vielleicht wird hier eine Diskussion innerhalb der Gruppe „Deuterojesaja“ gespiegelt – wenn man annimmt, dass hinter den Texten nicht eine Einzelgestalt, sondern so etwas wie eine Prophetengruppe steht; vgl. MICHEL, Rätsel, 199–218 und Ders., Art. Deuterojesaja, 510–530. Zur Übersetzung vgl. BERGES, Jesaja 40–48, 80. 58 Das Wort חסד, das normalerweise das gemeinschaftsgemäße Verhalten bezeichnet, scheint hier im Hinblick auf die Blume nicht recht zu passen und ist daher unterschiedlich übersetzt worden. Die Eigenschaft soll aber in erster Linie vom „Fleisch“ – dem Menschen unter dem Aspekt seiner Leiblichkeit und Vergänglichkeit – ausgesagt werden. So bezeichnet es dann doch einen Mangel an חסד/Treue im eigentlichen Sinn des Wortes; vgl. BERGES, Jesaja 40–48, 109f. 59 Hier kann nicht ausführlich auf die neuere Diskussion der Prophetenbücher, die auf Gestalten des 8. Jahrhunderts zurückgeführt werden, eingegangen werden. Nachdrücklich wird dabei die These vertreten, dass das klassische Bild der „Gerichtsprophetie“ ein retrospektives Konstrukt ist, während es sich bei Gestalten wie Amos und Jesaja historisch gesehen um Heilspropheten handelte; vgl. in diesem Sinne BECKER, Jesaja; KRATZ, Redaktion,
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
theologische Bewältigung des Exilsgeschicks und um eine Ermutigung zur Heimkehr. Der Weg, den die exilierten Judäer auf ihrem Heimweg gehen werden, soll nach den Ankündigungen „Deuterojesajas“ so gerade sein, dass dafür sogar die Gegebenheiten der Schöpfung verändert werden. Dabei wird für alle (V. 5: alles Fleisch) das Wesen von Israels Gott sichtbar werden. Der Grund all dessen ist allein das Reden Jahwes ()פי יהוה דבר60, das durch eine Gruppe verkündigt werden soll (vgl. die pluralen Imperative in V. 1 und 3).61 Nun wird ab V. 6 deutlich, dass es keineswegs einfach für die Angeredeten ist, diese Botschaft weiterzugeben. Denn „alles Fleisch“ ist eben vor allem Fleisch62, und das heißt, in seiner Gemeinschaftstreue vergänglich (unzuverlässig?). Es ist gut denkbar, dass in V. 6–8 unterschiedliche Sprecher miteinander diskutieren.63 Dann würde V. 8 auf den Einwand von V. 6f. antworten mit der Bekräftigung des ewigen Bestandes des Wortes unseres Gottes, wobei das Possessivsuffix affirmativ die Bindung Israels an seinen Gott und dessen Wort auch in der Situation der Gola unterstützt. Obwohl also der Mensch als Fleisch vergänglich und in seiner Gemeinschaftstreue unzuverlässig ist, ist das Wort unseres Gottes ewig und unvergänglich. Dieser Themenangabe des Prologs – Gottes Wort ist beständig – entspricht der Epilog:
32–49; Ders., Propheten Israels. Zur Auseinandersetzung mit solchen Positionen vgl. JEREMIAS, ZAW 125 (2013), 103ff. Wie immer man sich in dieser Frage positionieren mag, so ist doch im vorliegenden Jesajabuch ein Umschwung im Charakter der Verkündigung mit Kapitel 40 gegeben. Und die Kapitel 1–39 bieten Texte, die mit einem Jesaja aus der Zeit des 8. Jahrhunderts in Zusammenhang gebracht werden, sowie Juda und seinem Establishment gegenüber überwiegend kritisch und im Namen Gottes anklagend sind. 60 Die Formulierung findet sich so charakteristisch nur im Jesajabuch: Jes 1,20; 40,5; 58,14 und ist ein Bindeglied der drei großen Teile zu einem Buchganzen. Die Rede vom „Mund Jahwes“ findet sich im ganzen AT allerdings rund 50-mal, sodass nicht davon auszugehen ist, dass sich in Jes 40,5 dahinter die dramatische Rolle eines „Vezier Jahwes“ verbirgt (vgl. in diesem Sinne BALTZER, KAT X/2, 85). Vielmehr mag hinter der Betonung von Jahwes Mund ein Hinweis darauf vorliegen, dass in den Worten des/der Propheten Gottes eigenes Reden zu vernehmen ist (vgl. Jes 45,23; 55,11). 61 Vgl. A LBERTZ, Religionsgeschichte 2, 431–446. Die bis in neuere Zeit immer wieder in den Kommentaren vertretene Ansicht, in Jes 40,1f. liege ein Dialog zwischen „himmlischen Wesen“ oder in einem Thronrat Jahwes vor, verdankt sich der Voraussetzung, hier liege eine Analogie zu Jes 6 oder 1 Kön 22 vor, ist aber ohne echten Anhalt im Text; daher jetzt kritisch zu dieser These BERGES, Jesaja 40–48, 91, der eine „prophetische Gruppe“ als angeredet annimmt (a.a.O., 98); vgl. in diesem Sinne bereits MICHEL, Rätsel, 199–218, Ders., Art. Deuterojesaja, 510–530. 62 Der hebräische Terminus בשׂר/Fleisch bezeichnet den Menschen vor allem unter dem Aspekt seiner Vergänglichkeit, vgl. WAGNER, Mensch, 38. 63 „Hierbei handelt es sich um eine Diskussion der prophetischen Verkündiger, die sich der Schwere ihres Auftrages bewusst sind“ (BERGES, Jesaja 40–48, 109).
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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Jes 55,9–11: 9 Wie die Himmel höher sind als die Erde, / so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Rechnungen als eure Rechnungen. 10 Denn wie der Regen niederfällt und der Schnee vom Himmel und dorthin nicht wieder zurückkehrt, befeuchtet vielmehr die Erde und befruchtet sie und lässt sie sprossen, so dass sie Samen dem Säenden gibt und Brot dem Essenden – 11 so wirkt auch mein Wort, das aus meinem Mund hervorgeht, [ ]כן יהיה דברי אשׁר יצא מפי es kehrt nicht wirkungslos zu mir zurück, sondern tut das, woran ich Gefallen habe, und führt mit Erfolg aus, wozu ich es gesandt habe.
Am Ende der Textsammlung wird noch einmal eine Quintessenz für die Exilierten gezogen: Die Frage nach Gott ist auch angesichts des Verlustes der Heimat, der Eigenstaatlichkeit und des Tempels nicht sinnlos. Umkehr und Neuanfang sind möglich. Das alles liegt aber nicht an vermeintlichen Qualitäten, Fähigkeiten oder Kraftakten der Israeliten, sondern allein in Gottes Absichten, die sich in seinem Wort den Menschen erschließen. Dieses „Wort“ Gottes ist nun aber nicht lediglich ein Informationsmedium, sondern sprachpragmatisch gesehen ein Wirkmittel. Dies unterstreicht dieser letzte deuterojesajanische Text mit einem Gleichnis aus der Natur: Wie Regen und Schnee nicht ohne Wirkung sein können, so kann auch Jahwes Wort nicht ohne Wirkung bleiben.64 Wie ein sinnlich erfahrbares Naturphänomen „geht“ ( )יצאes von Jahwe aus und „tut“ ( )עשׂהetwas. Hier wird – mittels eines fast schon hypostasierten Wortbegriffs65 – der Gedanke der Beständigkeit des Wortes Jahwes aus dem Prolog durch den Aspekt der Wirksamkeit dieses Wortes ergänzt.66 Die Stellung der beiden Gedanken zum Gotteswort im Prolog und Epilog eines Textkorpus markiert ein theologisches Leitmotiv für die Lektüre von Jes 40–55 insgesamt.67 Dieses Leitmotiv findet bei Deuterojesaja eine ganz eigene Ausdrucksform, indem von „Verkündigung“ (in der Regel mittels des Verbs נגדim Hifil) als zuverlässige Voraussage des geschichtlichen Geschehens die Rede ist. Dieser
Der Gedanke ist geradezu argumentativ und erinnert an den Gedankengang von Am 3,3–8. Vgl. auch BERGES, Jesaja 40–48, 85 zur Korrespondenz der Naturvergleiche in Jes 40 und 55. 65 Vgl. D UHM, HK III/1, 417. 66 „Der Text ist sicher ein grundlegender Beitrag zum Thema ‚Wort-Theologie‘“, so BALTZER, KAT X/2, 609 mit Hinweis auf VON RAD, Theologie 2, 89–107 und ZIMMERLI, VT 32 (1982), 104–124. 67 Zur Thematisierung des Wortes Gottes in anderen deuterojesajanischen Texten (Jes 44,26; 45,23; 50,4; 51,16 u.ö.) vgl. BALTZER, KAT X/2, 610. Die deutliche thematische Rahmung in Jes 40 und 55 ist ein weiteres Indiz dafür, in „Deuterojesaja“ nach wie vor eine gegenüber Jes 56–66 (Tritojesja) eigenständige Fortschreibung der Jesajatradition zu sehen. 64
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Gedanke findet sich im Kontext der sogenannten Gerichtsreden Jahwes mit den Göttern fremder Völker.68 Beispielhaft sei dies an Jes 41,21–29 gezeigt. Jes 41,21–29: 21 Tretet näher mit eurer Rechtssache, spricht Jahwe / bringt Eure Beweise vor, spricht der König Jakobs. 22 Sie sollen herbeikommen und uns das verkündigen [ ]ויגידו לנו, was sich ereignet. Die vorigen Dinge – was es mit ihnen auf sich hat. Verkündigt [ ]הגידוund wir wollen sie uns zu Herzen nehmen und ihren Ausgang kennen oder lasst uns das Künftige hören! 23 Verkündigt [ ]הגידוdie Dinge, die nachher kommen, so dass wir erkennen, dass ihr Götter seid. / Also tut Gutes oder Schlechtes, so dass wir staunen und es miteinander ansehen. 24 Siehe, ihr seid nichts und Eure Werke sind ein Nichts / ein Gräuel erwählt man mit euch. 25 Ich erweckte ihn von Norden und er kam, vom Sonnenaufgang ruft er meinen Namen / er formt die Statthalter wie Ton, und wie ein Töpfer, der Lehm stampft. 26 Wer hat es von Anfang an verkündet [ ]מי הגיד מראשׁdass wir es erkannt hätten und von Vorher, so dass wir gesprochen hätten: „Wahrhaftig“? / Ja, es gab keinen Verkünder [ ]אין מגיד, ja es gab keinen der hören ließ, es gab keinen der eure Sprüche hörte! 27 Als erster [spreche ich] zu Zion: Siehe, hier sind sie / und Jerusalem gebe ich einen Boten. 28 Und ich sehe hin, aber da ist keiner und unter diesen keiner, der Rat gibt, / dass ich sie frage und sie antworten mir ein Wort. 29 Siehe, sie alle miteinander: Unrecht und Nichtigkeit sind ihre Taten / Wind und Chaos ihre Gussbilder.
In diesem Text ruft der Prophet im Namen Jahwes die Götter der fremden Völker, wohl vor allem der Babylonier, zu einer Gerichtsverhandlung (V. 21: )ריב. Die Pluralformen in V. 22f. (uns; wir) verdanken sich dieser gedachten Situation eines Rechtsforums.69 Dabei soll ganz klar die Frage entschieden werden, ob ihr Götter seid (V. 23: )כי אלהים אתם.70 In der Exilssituation muss den Judäern gegenüber die Möglichkeit aufgezeigt werden, dass ihr Gott Jahwe trotz der erfahrenen Katastrophe der Souverän über das geschichtliche Geschehen
Vgl. WESTERMANN, ATD 19, 49; BERGES, Jesaja 40–48, 211. Dazu JEREMIAS, Theologie, 273: „Die Einzigkeit JHWHs war DJes so wichtig, dass er mit den Gerichtsreden vor einem himmlischen Forum eine eigene Gattung schuf, um seine Zeitgenossen zu gewinnen, die sich von der Größe und Pracht der babylonischen Tempel und Göttergestalten gefangen nehmen ließen“ [Hervorhebung so im Original]. 69 Vgl. B ERGES, Jesaja 40–48, 214f. 70 Der Sache nach auch B ERGES, Jesaja 40–48, 217: „Dass es hier um einen exklusiven Monotheismus geht, d.h. um die Vorstellung, bis auf den einen wahren Gott seien alle anderen falsche Götter, zeigt nicht zuletzt die Inversion des Nominalsatzes V. 23b: ‚כי אלהים אתם dass Götter ihr seid‘“ [Hervorhebung so im Original]. Von einer „Inversion“ kann allerdings keine Rede sein. Hier liegt die Regelsatzteilfolge im hebräischen Nominalsatz nach kî vor, der zufolge eben nach dem Gottsein der Angesprochenen gefragt wird; vgl. MICHEL, Grundlegung 2, 53. 68
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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ist, und zugleich wird den fremden – vordergründig siegreichen – Göttern polemisch ihre Machtlosigkeit und schließlich sogar ihre Nichtigkeit entgegengehalten.71 Der Abschnitt ist deutlich zweigeteilt in V. 21–24 und V. 25–29.72 Beide Teiltexte enden mit einem durch הןeingeleiteten Fazit, dass die Nichtigkeit der fremden Götter, ihrer Taten und ihrer Standbilder (V. 29). Sie gehören aus der Perspektive Jahwes und der Überlieferung Israels auf die Seite der Gräuel (V. 24: )תועבהund des Chaos ()רוח ותהו. In beiden Abschnitten spielt die bei Deuterojesaja eigentümliche und damit auch signifikante Verwendung des Verbs נגדHi. im Sinne von verkündigen eine Schlüsselrolle.73 Im ersten Abschnitt sollen die fremden Götter vor Jahwe und seinem Volk beweisen, dass sie wirklich Götter sind, indem sie das, was sich ereignet, verkünden (V. 22). Vielleicht geht es dabei um eine einleuchtende Deutung geschichtlichen Geschehens74; vielleicht ist aber auch schon der Aspekt der Vorhersage gemeint. So jedenfalls ist V. 22b zu verstehen: Da sollen die vorherigen Dinge angesagt/gedeutet werden, und das Künftige sollen die vermeintlichen Götter hören lassen ()השׁמיענו. Das Alles zielte bei den Hörern auf Einsicht (zu Herzen nehmen )נשׂימה לבנוund Erkenntnis ()ונדעה. Aber offenbar gelingt den Göttern das Erbringen dieses Beweises nicht. Hier wird der Erweis der Göttlichkeit ganz auf ein Wortgeschehen konzentriert: Der wahre Gott hat das jetzige geschichtliche Geschehen vorher-verkündigt, deutet es jetzt angemessen und kann auch das Künftige (V. 23: )האתיות75 vorhersagen.76 Im zweiten Redegang wiederholt sich diese Argumentation im Grunde, nun verbunden mit dem Anspruch, dass Jahwe es war, der den Perserkönig Kyros auf die Bühne des Weltgeschehens geschickt hat (V. 25: Ich erweckte ihn von Norden und der kam ...).77 V. 26 stellt dann die Frage: Wer hat das von Anfang an [=vorher] verkündigt? Diese wird allerdings gleich abschlägig beantwortet: אין מגיד. Auch hier scheint es so, dass die Vorhersage und die Deutung der ge-
Dazu SANDERS, God, 233: „... there is but one God, and he is not among the gods of Israel’s powerful, conquering neighbors among whom they are scattered.“ 72 Vgl. W ESTERMANN, ATD 19, 71; B ERGES, Jesaja 40–48, 214. 73 „Es gibt nur einen Zusammenhang in der Prophetie, in dem ngd hi. als Verkündigen Gottes eine eigene Bedeutung erhält: als Verkündigen des Künftigen bei Deuterojesaja in den Gerichtsreden [...] Der Begriff bleibt aber in dieser Prägnanz auf Dtjes beschränkt“ (WESTERMANN, Art. נגד, 35f.). 74 Vgl. W ESTERMANN, ATD 19, 71 im Anschluss an Volz. 75 Der Begriff bezeichnet die kommenden Dinge und ist vielleicht einer der frühesten Versuche, das Phänomen „Zukunft“ auf den Begriff zu bringen; vgl. WESTERMANN, ATD 19, 71. 76 „Der Weissagungsbeweis umfasst also viel mehr als nur eine punktuelle Übereinstimmung von Ansage und Geschehen, sondern bezieht sich auf die sachgemäße Deutung des Gesamtlaufes von Geschichte!“ (BERGES, Jesaja 40–48, 215f.). 77 Vgl. B ERGES, Jesaja 40–48, 219. 71
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
schichtlichen Ereignisse mindestens ebenso wichtig sind, wie der Anspruch, der göttliche Initiator dieser Ereignisse zu sein.78 In der Unfähigkeit, solche „Weissagungsbeweise“ beizubringen, widerlegt sich der Anspruch der babylonischen Götter auf ihr Gottsein selbst. Implizit ist dabei wohl immer mitzudenken, dass Jahwe jedenfalls das Exilsgeschick seines Volkes durch die Propheten des 8. Jahrhunderts angedroht und damit doch hat verkünden und hören lassen.79 Daraus leitet sich der Anspruch ab, dass Jahwe nun wiederum künftige Dinge zuverlässig verkünden kann.80 Jes 42,9: 9 Die früheren Dinge, siehe sie sind gekommen, und Neues verkündige ich (jetzt) [ ;]וחדשׁות אני מגידbevor sie aufwachsen, lasse ich sie euch hören.
Für die Judäer erweist sich ihr Gott auch in der Niederlage als Gott, weil er das Unheil hat vorhersagen lassen.81 Daher sind auch seine Ansagen künftigen Heils zuverlässig; und in diesem Deutungs- und Verkündigungszusammenhang lässt sich erkennen, dass Jahwe der wahre Lenker der Geschichte ist. Insbesondere in Jes 40–48 findet sich dieses Motiv82, sodass „Worttheologie“ in signifikanter Weise entfaltet und als zentrales Thema der Botschaft Deuterojesajas erkennbar wird.83
Der in der vorliegenden Form nicht leicht verständliche Vers 27 gibt vielleicht eine positive Antwort auf die Frage aus V. 26a. Wenn man die erste Person Sg. aus V. 27 b, ich gebe Jerusalem einen Freudenboten, auch auf die erste Vershälfte ausdehnen darf, lässt sich das als Jahwes Anspruch verstehen als erster spreche ich zu Zion: Siehe, hier sind sie, womit dann das Eintreffen der vorher angekündigten Dinge gemeint ist (vgl. auch BERGES, Jesaja 40–48, 223). 79 „JHWHs prophetischer Bote ist deshalb in seiner Deutung der Zukunft glaubwürdig, weil sich das Wort seiner prophetischen Boten in der Vergangenheit als zuverlässig bewährt hat; die Zerstörung Jerusalems, die sie im Namen JHWHs angekündigt hatten, hat die Wahrheit ihres Gotteswortes demonstriert“ (JEREMIAS, Theologie, 273). 80 „Was die Götter der Völker nicht können (Jes 41,22.23.26 u.ö.), das vermag Jahwe: er verkündet das Zukünftige, wie er das Frühere verkündet hat (42,9; 43,12; 44,8; 45,19; 48,3.5). An diesem Gebrauch zeigt sich beispielhaft abstrakt-theologische Begriffsbildung [...] die Frage ist, wer dazu fähig ist, Zukünftiges vorher anzukündigen, weil dies allein die Verläßlichkeit des die Geschichte Übersehenden und Beherrschenden und damit das Gottsein ausmacht“ (WESTERMANN, Art. נגד, 35). 81 Vielleicht ist auch schon an den beginnenden Siegeszug der Perser gedacht; vgl. B ERGES, Jesaja 40–48, 238f. 82 Vgl. die Verwendung von נגדin Jes 40,21; 41,21–23.26; 42,9.12; 43,9.12; 44,7f.: 45,19.21; 46,10; 48,3.5f.14.20. 83 „In diesen höchst ungewöhnlichen Texten wird angesichts des Siegeszugs des Kyros nichts weniger versucht als eine Art von Gottesbeweis zu führen, zwar nicht der Existenz Gottes, die vorausgesetzt ist, wohl aber seiner Wahrheit und Wirksamkeit. Das überraschende Ergebnis der höchst abstrakten Gedankenführung lautet: Die Propheten sind Gottes Gottesbeweis, weil sie über ein Gotteswort verfügen, das sich in der Vergangenheit als wahr 78
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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Es hat sich gezeigt, dass insbesondere die Eröffnungen des Jeremiabuches, des Ezechielbuches und der deuterojesajanischen Sammlung aus der Perspektive der Exils- oder Nachexilszeit Reflexionen über das Wort Gottes darstellen. In dieser Zeit wird das Thema theologisch besonders relevant, da die greifbaren Heilsgüter wie Land, Königtum und Eigenstaatlichkeit, sowie der Tempel als Wohnort Gottes verloren gingen. Nach diesen Verlusterfahrungen stellt sich die Frage, wie Gott dennoch greifbar ist. Eine Antwort ist eine an unterschiedlichen Stellen zu greifende prophetische Wort-Gottes-Theologie, die zumindest bei Ezechiel schon explizit auf den schriftlichen Charakter des überlieferten Gotteswortes abhebt.84 Die Exilserfahrung hat sicher als Katalysator für die Herausbildung dieser theologischen Reflexion gedient. Ohne Vorgeschichte in der Prophetie des 8. Jahrhunderts ist das Thema Wort Gottes freilich nicht. 4.1.4 Hosea Die Bücher, die mit den Namen der Propheten Hosea und Amos verbunden sind, stellen das älteste Stadium der alttestamentlichen Schriftprophetie dar. Sie führen sich selbst nicht nur auf Personen zurück, die im 8. Jahrhundert im Staat Israel prophetisch gewirkt haben, sondern die beiden Bücher bilden wahrscheinlich auch den Grundstock des Dodekapropheton und markieren damit den Beginn der redaktionellen Komposition und Sammlung von Prophetenschriften.85 Gemeinsam mit ihren etwas jüngeren Zeitgenossen Jesaja und Micha prägen sie das klassisch gewordene Bild der vorexilischen Gerichtsprophetie. In jüngere Zeit ist dieses Bild radikal infrage gestellt worden. Vor allem vor dem Hintergrund der sonst im Alten Orient greifbaren prophetischen Phänomene, die durchweg als affirmativ und sozusagen „staatstragend“ erscheinen, könnte das Bild einer radikalen Gerichtsprophetie in Israel und Juda ein späterer – vielleicht erst nachexilischer – theologischer Reflex sein, der auf dem Weg vom „historischen“ zum „literarischen“ Propheten einen tiefgreifenden Wandel des Bildes eines Hosea oder Amos mit sich bringt. Was die heutigen Prophetenbücher repräsentieren, ist dann nicht der Niederschlag der historischen Person und deren Verkündigung, sondern Produkt späterer theologi-
erwiesen hat und daher auch vertrauenswürdig in seiner Deutung der Zukunft ist“ (JEREMIAS, Theologie, 273f.). 84 Vgl. aber auch die Überlegungen bei B ALTZER, KAT X/2, 612: „Wenn […] für Dtjes Gottes-Wort die Tora und vor allem auch das prophetische Wort ist, dann ist es emblematisch als ‚Schrift-Gottes‘ darstellbar. Dtjes hat ja durch seine Auslegung von Texten der Tora, der Propheten und der Psalmen die Wirksamkeit des Gottes-Wortes gezeigt. Es ist damit auch für spätere Zeiten deutlich geworden, dass das Wort nicht ‚leer, umsonst‘ zurückkehrt. Zu erinnern ist an die Bedeutung der Tora-Rollen im Gottesdienst der Synagogen und der liturgische Umgang mit der ‚Heiligen Schrift‘ in Kirchen.“ 85 Vgl. JEREMIAS, Anfänge, 34–54; K RATZ, Hosea und Amos, 275–286; SCHART, Entstehung.
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
scher Redaktion. Dass dies ganz grundsätzlich so ist, ist in der modernen Prophetenforschung seit langem unstrittig. Die Frage ist, wie weitgehend man den Wandel vom „historischen“ zum „literarischen“ Propheten beurteilt.86 Waren Amos aus Tekoa und Jesaja Ben Amoz im Gegensatz zu dem Bild, das die mit ihren Namen verbundenen Bücher zeichnen, in Wirklichkeit staatstragende Heilspropheten?87 Damit ist die Frage nach der Plausibilität der literar- und tendenzkritischen Operationen verbunden, die zu diesem Bild führen, aber auch die, warum das spätere Bild einer Gerichtsprophetie sich mit Namen wie „Amos“ oder „Jesaja“ verbindet, wenn deren ursprüngliche Intention doch eine andere war. Es geht aber auch um das Problem, ob in Israel und Juda im 8. Jahrhundert v.Chr. eine Ausprägung des Phänomens Prophetie vorhanden sein konnte, die sich von vergleichbaren Erscheinungen in benachbarten Kulturen diametral unterschied.88 Über diese Fragen ist in der Prophetenforschung das letzte Wort noch nicht gesprochen und sie können auch hier nicht im Detail behandelt werden. Gleichwohl sind diese Problemkreise von Bedeutung für die relative Datierung von Texten. Insbesondere, wo in den Büchern das Thema Wort Gottes reflektierend expliziert wird, scheint es sich um redaktionelle Formulierungen zu handeln. Zugleich lassen sich auch innerhalb der Redaktion(en) ältere von jüngeren Texten unterscheiden. So sind die Überschriften der Prophetenbücher, von denen noch zu reden ist89, sicher Teil einer sehr späten Redaktion. Demgegenüber gibt es Texte in den Büchern, die bereits einen Redaktionsprozess spiegeln und dabei wohl doch noch in eine Frühphase der Sammlung und Komposition der „Worte des Amos“ oder des „Redens Jahwes mit Hosea“ gehören. Der Kreis dieser Fragen sei hier jedenfalls benannt, wenn nun Texte in den Blick kommen, die in den Büchern Hosea und Amos das Wort Jahwes thematisieren. Das Hoseabuch ist sukzessive gewachsen, wobei der Mittelteil in den Kapiteln 4–11 vermutlich die älteste Sammlung von Sprüchen darstellt. Relativ unverbunden stehen hier unterschiedliche Worte nebeneinander, die sich evtl. auf unterschiedliche Phasen des Auftretens Hoseas verteilen lassen.90 Insgesamt aber enthalten diese Kapitel „keinerlei erzählende Elemente, sondern nur Worte Hoseas, die weithin nahtlos ineinander übergehen, unter nahezu völligem Verzicht auf Rahmenformeln. Gottes- und Prophetenrede, Anrede an Israel und Worte über Israel folgen einander“, so beschreibt Jörg Jeremias diesen
Vgl. KRATZ, Worte des Amos, 310–343. 87 Vgl. zu Amos K RATZ, Worte des Amos, passim und zu Jesaja B ECKER, Jesaja. 88 Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit neueren Thesen JEREMIAS, ZAW 125 (2013), 93–117, bes. 103ff. und die Erwiderung von KRATZ, ZAW 125 (2013), 635–639. 89 Vgl. Kapitel 4.1.8. 90 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/1, XXIIIff. und JEREMIAS, ATD 24/1, 17–21. 86
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
157
Buchteil.91 Umso auffälliger ist es, dass spätere Sammler92 diesen ganzen Komplex mit Signaltexten gerahmt haben, die die Worte des Propheten insgesamt unter das Vorzeichen „Wort Jahwes“ stellen. Hos 4,1–3: 1 Hört das Wort Jahwes, Kinder Israels, ja, einen Rechtsstreit führt Jahwe mit den Bewohnern des Landes; denn es gibt keinen „Glauben“ und keine Gemeinschaftstreue und keine Erkenntnis Gottes im Lande. 2 Fluchen und Lügen, Morden und Stehlen und Ehebruch treiben – die sind verbreitet, und Bluttat reiht sich an Bluttat. 3 Daher wird das Land/die Erde vertrocknen und verdorren wird alles Leben darin, mit den Tieren der Steppe und den Vögeln des Himmels, ja auch die Fische des Meeres werden dahingerafft.93
Hier liegt nicht einfach nur das erste Gerichtswort in Hos 4–11 vor, sondern die Verse stellen eine Art Überschrift über den ganzen Abschnitt dar.94 Dabei werden unterschiedliche Themawörter aus dem gesamten Buch aufgegriffen, so die Rede vom Rechtsstreit ( ריבvgl. Hos 2,4 und 12,3)95 und der Erkenntnis Gottes ( דעת אלהיםvgl. Hos 2,10; 4,6; 6,6; 11,3; 13,4).96 Vor allem aber wird alles Folgende als „Wort Jahwes“ ( )דבר יהוהgekennzeichnet. Die Verbindung mit dem Aufmerksamkeitsruf „Hört“ (vgl. Hos 5,1) erinnert an ähnliche Formulierungen in anderen Prophetenbüchern (vgl. zum Beispiel Jes 1,2; Am 3,1; 4,1; 5,1). Die Formulierung דבר יהוהfindet sich bei Hosea sonst nur noch in der späten Überschrift Hos 1,1. Dort allerdings liegt eine signifikante Variante der „Wortereignisformel“ vor, die insgesamt zu einem Netzwerk von Prophetenüberschriften gehört, das in der Phase der Komposition des corpus propheticum geknüpft wurde.97 Hos 4,1 gehört demgegenüber einer früheren Redak-
JEREMIAS, Hosea 4–7, 55. 92 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/1, XIV, XXIV und 10f., der von „Prophetenschülern“ spricht, oder JEREMIAS, Hosea 4–7, 64ff., der hier allgemeiner „Tradenten“ am Werk sieht. 93 Es ist möglich, dass es sich bei V. 3 um einen späteren Nachtrag aus judäischer Perspektive handelt (vgl. JEREMIAS, ATD 24/1, 62f.), zwingend ist dies freilich nicht. Insbesondere die Rede von den „Vögeln des Himmels“ scheint fester im Hoseabuch verankert zu sein (vgl. Hos 2,20; 7,12 und motivlich 11,11). 94 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/1, 81ff.; JEREMIAS, ATD 24/1, 59ff.; Ders., Hosea 4–7, 56f. 95 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/1, 82; JEREMIAS, ATD 24/2, 57f. 96 Vgl. grundlegend W OLFF, Wissen, 182–205. Für Wolff ist der Mangel an Gotteserkenntnis hier ein Mangel an Kenntnis der (priesterlich vermittelten) Gebote Gottes, wie sie in V. 2 aufgezählt werden (vgl. WOLFF, BKAT XIV/1, 84). Hier ist weitergedacht worden; vgl. JEREMIAS, ATD 24/1, 60f.; MICHEL, Geschichtsverständnis, bes. 227f.; KRATZ, Erkenntnis, 287–309. 97 Insbesondere die signifikante Formulierung von Hos 1,1 führt dazu, dass das bloße Vorkommen von דבר יהוהin 1,1 und 4,1 noch kein zwingender Grund ist, beide Verse derselben Redaktionsschicht zuzuweisen (so WOLFF, BKAT XIV/1, 82f.). So ist es ferner auch möglich, dass es sich bei Hos 4,1a um einen gegenüber V. 1b–3* späteren Zusatz handelt 91
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
tionsstufe an. Der summarischen Bezeichnung der gesammelten Sprüche als „Wort Jahwes“ korrespondiert der Abschluss dieses Buchteils mit der Gottesspruchformel: Hos 11,11: 11 Zitternd werden sie herbeikommen wie Vögel aus Ägypten und wie ein Taube aus dem Lande Assur, und ich werde sie in ihren Häusern wohnen lassen – Raunung Jahwes.
Das Hoseabuch ist äußerst arm an prophetischer Formelsprache. So findet sich etwa die kô-’āmar-yhwh-Formel samt ihren Varianten überhaupt nicht. Umso bemerkenswerter ist die Verwendung der sog. Gottesspruchformel נאם יהוה, die hier als Gliederungssignal dient, einen Bogen zurück zu Hos 4,1 schlägt und ansonsten in den Kapiteln 4–11 nicht begegnet. 98 Darüber hinaus wird der Gerichtsbeschreibung in 4,3 hier ein Heilswort entgegengestellt. Dass es dort um die Tierwelt geht und hier Vergleiche mit Vögeln und Tauben herangezogen werden,99 wobei das Stichwort ארץhier wie dort begegnet, stellt eine weitere Korrespondenz dar. Ist auf diese Weise klargestellt, dass die unterschiedlichen Worte in Hos 4– 11 insgesamt als Gotteswort verstanden werden sollen100, so wird dieser Gedanke im Fortgang des Wachstums des Prophetenbuches ausgeweitet. Auffälliger Weise findet sich nach der eigentlichen Überschrift über das Buch in Hos 1,1 noch ein Satz, der sich auch als eine Art Überschrift lesen lässt: Hos 1,2a: 2 Anfang des Redens Jahwes mit/durch Hosea: …
Zuvor hieß es gerade in V. 1, dass es sich hier um das Wort Jahwes handelt, das zu Hosea erging. Und in V. 2b geht es weiter mit Und Jahwe sprach zu Hosea ... Dass hier Wort Jahwes vorliegt und dass dieser spricht, ist also bereits hinreichend klar. Diesbezüglich bringt V. 2a keine neue Information. Es handelt sich demnach bei der Konstruktion תחלת דבר יהוה בהושׁעum eine weitere
(vgl. ebd.), aber auch nicht zwingend. An der hier vorgetragenen Argumentation würde sich dabei aber auch nichts Grundlegendes ändern. Dass es sich bei Hos 4,1 um eine redaktionelle Formulierung handelt, ist unstrittig. 98 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/1, 254, der 4,1a und 11,11b derselben redaktionellen Hand zurechnet. 99 Vgl. eine ähnliche Metaphorik auch in Hos 7,11f.; dazu JEREMIAS, ATD 24/1, 146f.: „Das Vogelbild wird primär die Schnelligkeit der Rückkehr verdeutlichen wollen, aber die Erwähnung der Taube mag zugleich eine Antithese zu 7,11 anklingen lassen: Jetzt hat die Taube die richtige Orientierung gefunden“. 100 Dazu JEREMIAS, ATD 24/1, 147: „Die abschließende Gottesspruchformel, die nur noch in Kap. 2 wiederkehrt, hat vermutlich doppelte Funktion. Zum einen soll sie wohl wie in 2,18.23 die Verläßlichkeit der Heilsankündigung unterstreichen, zum anderen aber markiert sie das Ende einer Sammlung“.
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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Überschrift. Diese ist vermutlich älter als V. 1 und stellt schon über einer älteren Sammlung von Prophetenworten, die jetzt außer Hos 4–11 mindestens noch Hos 1–3 umfasst101, klar, dass es sich insgesamt um „Worte Jahwes“ handelt, und dass Worte und Geschehnisse, die in diesem Buch geschildert werden, ihren Anfang mit dem Reden Jahwes zu Hosea nahmen und also auch darin ihren Grund haben.102 Dies wird auf unterschiedlichen Redaktionsstufen durch Signaltexte an kompositorischen Schlüsselpositionen des Buches deutlich gemacht. 4.1.5 Amos Ebenso deutlich wie das Hoseabuch lässt sich auch die Prophetenschrift, die mit dem Namen Amos verbunden ist, in drei große Teile einteilen: In Am 1–2 finden sich Fremdvölkersprüche, die Kapitel 3–6 sammeln Gerichtsworte gegen Israel und Am 7–9 werden aufgrund der signifikanten Texte unter der Überschrift Visionen subsumiert. Ähnlich wie bei Hosea, spiegelt diese Gliederung nicht nur thematische Unterschiede, sondern verweist auch auf ein sukzessives Wachstum des Buches. Dabei finden sich in Am 3–6 die ältesten Texte des Amosbuches.103 Die Sammlung dieser Gerichtsworte wird durch den Aufmerksamkeitsruf „Hört“ eröffnet und gegliedert: Am 3,1: 1 Hört dieses Wort, das Jahwe gegen euch spricht, Kinder Israels, gegen alle Sippen, die ich aus dem Land Ägypten heraufgeführt habe, folgendermaßen: ...
Vgl. ähnlich WOLFF, BKAT XIV/1, 12; JEREMIAS, ATD 24/1, 27. 102 „,Anfang‘ ist in ihm deutlich im relativen Sinn zu verstehen (Wolff, Rudolph), also etwa wie unser deutsches ‚Es begann damit, dass ...‘, nicht aber im absoluten Sinne, als bilde V. 2 einen (Jes 6 oder Jer 1 vergleichbaren) Berufungsbericht“ , beurteilt JEREMIAS, ATD 24/2, 27 den Satz. 103 Vgl. dazu JEREMIAS, Am 3–6, 142–156; K RATZ, Worte des Amos, 323ff. Wie immer man die Nähe der Fremdvölkersprüche (Am 1–2) und der Visionsschilderungen (Am 7–9) zum „historischen“ Amos beurteilen mag, so ist doch deutlich erkennbar, dass es sich bei diesen beiden Komplexen um literarische Kompositionen handelt, die in unterschiedlicher Weise die Gerichtsworte aus Kapitel 3–6 bereits voraussetzen. (vgl. JEREMIAS, Völkerspruche, 157–171). Dennoch liegt auch in Am 3–6 jetzt ein theologische reflektierter und komponierter Buchteil vor; und andererseits ist mitnichten sicher, dass die Visionen nicht den Werdegang des Propheten spiegeln. Die diesbezüglichen auf einem „Differenzkriterium“ beruhenden literar- und tendenzkritischen Unterscheidungen bei KRATZ, Worte, 316f. überzeugen nicht völlig. Demgegenüber hält Jörg Jeremias die Visionen für die „ältesten Nachrichten, die wir von Amos besitzen“ (JEREMIAS, ATD 24/2, XVI). Dies mag so sein, wenn man hinter dem Text ein initiatorisches Erlebnis des Propheten sieht. Die Texte in Am 7–9 spiegeln freilich ein gegenüber Kapitel 3–6 fortgeschrittenes Stadium der theologischen Reflexion und literarischen Komposition. 101
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Die Formulierung שׁמעו את הדבר הזהkehrt in Am 4,1 (ohne nota accusativi) und in 5,1 wieder und gliedert so den Buchteil Am 3–6. Dabei ist der Haupteinschnitt durch 5,1 markiert, sodass sich zwei Abschnitte in Am 3–4 und 5–6 ergeben. Auffällig sind dann aber die Unterschiede zwischen Am 3,1 und 5,1: Am 5,1: 1 Hört dieses Wort, das ich gegen euch anhebe als Leichenlied, Haus Israel!
Während in 3,1 Jahwe als Urheber des Wortes angegeben wird, ist es hier das prophetische „Ich“, das redet.104 Und während dort die „Kinder Israels“, also die Bevölkerung als ganze, als Adressaten gelten, ist nun das „Haus Israel“ und damit wohl das verfasste Staatswesen des Nordreichs angesprochen. Allerdings macht das Auftauchen der kô-’āmar-yhwh-Formel in 5,3.4 und 16 deutlich, dass auch hier der Prophet im Namen seines Gottes redet. Zudem macht Jeremias darauf aufmerksam, dass Am 5,1 ganz absichtsvoll auf Am 3,1 folgt: Jahwe hat schon (zum Propheten) geredet (3,1 Perfekt), des Amos Wort ergeht in der aktuellen Gegenwart (5,1 Partizip). Daraus erhellt, daß für die Tradenten die Reihenfolge der Kapitel unumkehrbar ist; das Wort des Amos ist Folge und Reaktion auf das an ihn ergangene Gotteswort.105
So sind Gottes- und Prophetenwort am Ende nicht säuberlich auseinanderzuhalten. Der Prophet redet nur, weil Gott geredet hat; und das Gotteswort erreicht seine Adressaten – die „Kinder“ beziehungsweise „das Haus Israel“ – nicht anders als durch das Prophetenwort. Besonders bemerkenswert ist im vorliegenden Kontext ein Prolog, der dem ganzen Buchteil Am 3–6 noch einmal vorangestellt wird in Am 3,3–8: Am 3,3–8: 3 Gehen zwei miteinander, ohne dass sie sich begegnen? 4 Brüllt ein Löwe im Gebüsch, aber einen Raub hat er nicht? / Lässt ein Junglöwe seine Stimme hören, ohne dass er etwas gefangen hat? 5 Fällt ein Vogel auf das Klappnetz auf der Erde, ohne dass ihm (überhaupt) eine Falle gestellt wurde? / Schnellt ein Klappnetz vom Boden hoch, wenn es gar keine Beute fängt? 6 Wird das Schophar in der Stadt geblasen, aber das Volk zittert nicht? / Gibt es ein Unheil in der Stadt, das Jahwe nicht getan hat?
Weder in 3,1 noch in 5,1 gibt es einen wirklichen literarkritischen Anlass, den jeweiligen Relativsatz als sekundär anzunehmen (vgl. so KRATZ, Worte des Amos, 338). Dies ist nur aufgrund tendenzkritischer Überlegungen möglich, die wiederum auf bestimmten Vorentscheidungen (wie z.B. der Ausgangsüberlegungen, dass die historischen Propheten Israels in größtmöglicher Analogie zu ähnlichen vorderorientalischen Phänomenen verstanden werden müssen) beruhen. Gerade die Parallelität spricht dafür, dass Am 3,1 und 5,1 ganz bewusst so, wie sie jetzt dastehen, formuliert wurden – freilich bereits im Zuge der Sammlung und Komposition der Sprüche in den Kapiteln 3–6. 105 JEREMIAS, ATD 24/2, 31. 104
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
161
7 Fürwahr, der Herr Jahwe tut kein Ding, ohne dass er seinen Rat nicht seinen Knechten, den Propheten enthüllt hat! 8 Der Löwe brüllt – wer fürchtet sich nicht? / Der Herr Jahwe redet, wer wird nicht als Prophet auftreten?
Der Text versucht in einer Art weisheitlicher Argumentation das prophetische Wort zu legitimieren. So wie es in allen Bereichen des Lebens keine Wirkung ohne Ursache gibt, so ist es auch bei den Worten eines Propheten.106 Jahwes Reden ist die zwingende Ursache für das prophetische Reden. Diese Legitimation ist den Gerichtsworten der folgenden Kapitel vorangestellt und weist alles Folgende als im Gotteswort wurzelnd aus. Der Text ist in V. 7 von späterer Hand erweitert worden.107 Der Vergleich mit dem brüllenden Löwen (V. 8) wird von einer späteren Redaktion in Am 1,2 zu einem Bild für Jahwes Reden und als Motto dem ganzen Amosbuch vorangestellt. Es ist denkbar, dass die harschen prophetischen Anklagen, die in Am 3–6 begegnen, auf Widerspruch stießen (nicht nur von den Zeitgenossen des Amos, sondern auch von späteren Lesern), sodass dieser Vorspruch bereits klarstellt: Ein Prophet klagt nicht aus eigenem Antrieb an, sondern weil er nach Gottes Reden nicht anders kann. Aber auch die übrigen Teile des Amosbuches werden durch bewusst platzierte Formulierungen und Texte als Gotteswort charakterisiert. In den sog. Fremdvölkersprüchen geschieht dies, indem jeder einzelne Spruch mit der Formel כה אמר יהוהeröffnet wird (vgl. Am 1,3.6.9.11.13; 2,1.4.6). Die älteren Sprüche dieser Komposition schließen zudem mit אמר יהוהspricht Jahwe (vgl. Am 1,4.8.15; 2,3).108 Die Israelstrophe schließt in 2,16 mit der Gottesspruchformel נאם יהוה.109 Wie schon bei Jeremia und Ezechiel zu sehen war, gelten diese Formeln als Textgliederungssignale und haben zugleich semantisches Gewicht: Hier liegen Worte Jahwes vor. In besonderer Weise wird das Wort Gottes im letzten Abschnitt des Amosbuches, den Visionsschilderungen in Kapitel 7–9 zum Thema.110 In die ersten
Zum früher oft vermuteten „weisheitlichen“ Hintergrund des Propheten vgl. WOLFF, BKAT XIV/2, 108. 107 Der Vers ist gegen seinen Kontext in Prosa formuliert. Vermutlich handelt es sich um einen dtr. Nachtrag. Die Bezeichnung der Propheten als „Knechte“ Jahwes erinnert an das Prophetenbild von 2 Kön 17; vgl. WOLFF, BKAT XIV/2, 218f.; JEREMIAS, ATD 24/2, 36f.; KRATZ, Worte des Amos, 326 Anm. 48. Die dort vorgenommenen literarkritischen Scheidungen von V. 3 und 6 überzeugen allerdings nicht. 108 Zur Form der Fremdvölkersprüche bei Amos vgl. W OLFF, BKAT XIV/2, 164ff.; JEREMIAS, ATD 24/2, 9f., sowie Ders., Entstehung, 172–182. 109 Vgl. den Exkurs bei W OLFF, BKAT XIV/2, 174. 110 Neben der gleich zu behandelnden Einschaltung von Am 7,10–17 wäre auch auf die Form der Visionsschilderungen insgesamt hinzuweisen. Die Gattung besteht immer aus einer Schilderung der Schau und einem Redeteil. Auch Visionen haben ihren Schwerpunkt auf dem Wort und dienen selbst schon als Mittel der Verkündigung; vgl. BEHRENS, Art. Vision/Visionsschilderung; Ders., Visionsschilderungen, 61–75. Charakteristisch ist auch die 106
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
vier Visionen ist – scheinbar störend – in Am 7,10–17 eine Erzählung eingeschaltet, die als einziger narrativer Text des Buches den Konflikt zwischen Amos und Amazja, dem Priester des Reichsheiligtums Bethel schildert. Dabei „stört“111 der Text seinen Kontext im eigentlichen Sinne nicht. Vielmehr ist die Geschichte mittels zahlreicher Stichwortverknüpfungen112 und syntaktischer Wiederaufnahmen113 in seinen Kontext exakt eingepasst und erklärt den Lesern, warum mit der dritten Vision (Am 7,7–8) Jahwes Erbarmen mit Israel plötzlich ein Ende hat. Die Geschichte erzählt, wie der Priester als selbstbewusster Repräsentant eines Reichsheiligtums dem Judäer Amos das Reden verbieten will. Dabei wird aber in Wirklichkeit Jahwe das Wort entzogen (vgl. auch Am 2,12 und 3,8). So geht es in der – sicher redaktionellen – Episode gar nicht um die Biographie des Propheten Amos, sondern um das Schicksal des Gotteswortes, das in Gottes eigenem Volk nicht gehört wird. Schließlich stellt eine Redaktion das Reden Jahwes als „Brüllen“ in einer Art Motto dem ganzen Buch voran: Am 1,2: 2 Und er sprach: „Jahwe brüllt vom Zion und aus Jerusalem lässt er seine Stimme hören, da verdorren die Weideplätze der Hirten und die Spitze des Karmel vertrocknet“.
Hier liegt ganz offensichtlich ein Text aus judäischer Perspektive vor. Der Vers ist einerseits von der Überschrift in Am 1,1 abgesetzt, setzt aber andererseits mit der Rede vom „Brüllen“ ( )שׁאגund dem „Stimme erschallen lassen“ (יתן )קולוAm 3,3–8 bereits voraus. Vielleicht liegt hier eine sehr späte Ergänzung vor, die schon die Überschrift in 1,1* vorfindet.114 Die „Worte des Amos“ werden so als Weitergabe des Redens Jahwes vom Zion charakterisiert. Die Rede-
auffällige Eröffnungsformulierung „So ließ mich mein Herr Jahwe sehen“ ()כה הראני אדני יהוה zu Beginn der ersten vier Visionen (vgl. Am 7,1.4.7; 8,1), die deutlich an die kô-’āmaryhwh-Formel erinnert. Diese Formel war so eindrücklich, dass Hermann Gunkel sie kurzerhand zu einem Charakteristikum der alttestamentlichen Prophetie insgesamt erklärte (vgl. GUNKEL, SAT II/2, XLV: Bei gleichsam allen Propheten fänden sich „die Gesichte und die ‚Worte‘, mit den bezeichnenden Anfängen: ‚so hat mir Jahve gezeigt‘ und ‚so hat Jahve zu mir gesprochen‘.“). Dies ist allerdings vom Textbefund der alttestamentlichen Prophetenschriften nicht gedeckt. Die Formulierung „so ließ mich mein Herr Jahwe sehen“ ist vielmehr allein in Am 7f. belegt und hat eine Nachwirkung in Jer 24,1. Zur neueren Diskussion um die Amosvisionen vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 77–104; BECKER, VT 51 (2001), 141–165; WASCHKE, Anmerkungen, 419–434. 111 So jetzt wieder K RATZ, Worte des Amos, 314. 112 Vgl. neben den Kommentaren U TZSCHNEIDER, BN 41 (1988), 76–101. 113 Vgl. zu dem Phänomen B EHRENS, Grammatik, 1–9; Ders., Die „syntaktische Wiederaufnahme“, 1–32; Ders., Obersavations, 109–118. 114 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/2, 3. Dabei fällt das Vertrocknen des Landes ( )אבלals Folge von Jahwes Brüllen auf. Dieselbe Vokabel begegnete bereits in dem ebenfalls redaktionellen Text Hos 4,3. Möglicherweise liegt hier also schon eine intertextuelle Bezugnahme zwischen den Büchern im Werden des Dodekapropheton vor.
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
163
weise erinnert dabei an Theophanieschilderungen115 und stellt durch das Bild des brüllenden Löwen klar, dass Jahwes Reden im Ganzen des Amosbuches bedrohlich ist. Insgesamt werden also die beiden ältesten Prophetenbücher durch eine theologische Reflexion in redaktionellen Signaltexten an kompositorischen Schlüsselpositionen als „Wort Gottes/Jahwes“ ausgewiesen. Allerdings ist nun vor allem von Interesse, dass das Schrift gewordene Prophetenwort (in unterschiedlichen Redaktionsstufen) als Gotteswort ausgeschildert wird und gerade auf diese Weise seine Bedeutung über den historischen Ort eines Hosea und Amos hinaus für spätere Generationen erhält.116 4.1.6 Micha Nach der traditionellen Datierung waren die Propheten Micha und Jesaja ungefähr Zeitgenossen Hoseas und Amos. Ihre Prophetie bezieht sich von Anfang an auf Juda und setzt in Teilen die Erfahrung der Zerstörung Israels von 722 v.Chr. bereits voraus. Allerdings gilt auch für die Bücher Micha und Jesaja, dass sie nicht einfach die Botschaft der namengebenden Propheten dokumentieren. In mindestens ebensolchem Maße wie die Bücher Hosea und Amos sind das Micha- und Jesajabuch Ergebnis langer Überlieferung, in deren Verlauf die Bücher fortgeschrieben und redaktionell komponiert wurden.117 Diese Prozesse sind Niederschlag einer stets neu einsetzenden und so über die Generationen fortlaufenden theologischen Reflexion und einer aktualisierenden relecture. Über den geschichtlichen Ursprungsort im ausgehenden 8. Jahrhundert v.Chr. hinaus wurde aus ihnen für neue Generationen das Wort Jahwes gehört. Dass die Bücher Micha und Jesaja jetzt insgesamt als Gotteswort rezipiert werden sollen, wird durch Signaltexte an kompositorischen Schlüsselstellen ausgewiesen.
Vgl. JEREMIAS, ATD 24/2, 3. 116 Vgl. in diesem Sinne JEREMIAS, Anfänge, 52: „Jedoch beziehen die Tradenten, und zwar offensichtlich schon seit der spätvorexilischen Zeit, die Verkündigung beider Propheten aufeinander. […] Daran wird deutlich, daß die nachgeborenen Generationen zu alttestamentlicher Zeit die Verkündigung des Amos und Hosea nicht mit dem Interesse eines Historikers gelesen und weitergereicht haben, also nicht mit der Frage nach einem vergangenen Damals, sondern vielmehr mit aktuellem Interesse, d.h. mit der Frage nach der Bedeutung der Botschaft der beiden Propheten für ihre eigene Zeit und damit implizit für der Frage nach dem Wesen des Wortes Gottes durch die Propheten schlechthin“ [Hervorhebung so im Original]. 117 Es gilt nach wie vor der programmatische Satz: „Das Buch Micha spiegelt die Turbulenzen mehrerer Jahrhunderte“ von WOLFF, BKAT XIV/4, IX. Dabei handelt es sich nicht bloß um die Turbulenzen der Zeitläufte, sondern auch um die Fortschreibung und Überlieferung des Textes, die Brüche und Spuren hinterlassen hat, die den Leserinnen und Lesern unserer Tage gelegentlich „turbulent“ erscheinen. 115
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Das Michabuch lässt sich grob in vier Abschnitte einteilen, die zugleich auch das Wachstum des Textes spiegeln: I. Mi 1–3; II. Mi 4–5; III. Mi 6–7,7 und IV. Mi 7,8–20.118 Mit hoher Wahrscheinlichkeit finden sich nur im ersten Teil Worte, die auf einen Micha aus Moreschet im 8. Jahrhundert zurückgehen, aber auch hier sind Wachstumsspuren zu erkennen.119 Die Teile II. und III. bilden, so vermutet Jörg Jeremias, zwei unabhängig voneinander entstandene Fortschreibungen, während der IV. Teil eine Art Gemeindeliturgie darstellt, die bereits auf Mi 1–6* insgesamt Bezug nimmt.120 In der vorliegenden Endgestalt ist das Buch dann geprägt durch einen Wechsel von Unheils- und Heilsverkündigungen. Auf die Gerichtsworte in Mi 2,1–11 folgt in 2,12f. ein Heilswort, auf die in Jer 26,18 zitierte Ankündigung der Zerstörung Jerusalems in Mi 3,9–12 die Weissagung der „Völkerwallfahrt zum Zion“ (4,1–5).121 So werden im fertigen Michabuch die unterschiedlichen Aspekte des Gotteswortes – „Gericht“ und „Heil“ – zusammengehalten.122 Dabei findet sich bereits im ältesten Teil des Michabuches eine Auseinandersetzung über den Sinn prophetischen Redens und damit auch über das prophetisch vermittelte Gotteswort: Mi 2,6f.: 6 „Geifert nicht“, geifern sie; „man geifert nicht auf jene Weise, Schmach wird uns nicht erreichen. 7 Spricht man so mit dem Haus Jakob? Ist Jahwe ungeduldig, sind etwa jenes seine Taten?“ Sind meine [seine?123] Worte nicht gut für den, der gerade wandelt?
Berücksichtigt man den Kontext dieses Textstücks Mi 2,1–5*, dann zeigt sich, dass mit V. 6 gegenüber dem vorher Gesagten nun ein Sprecherwechsel eintritt. In 2,1–3 liegt ein prophetisches Gerichtswort mit Schuldaufweis, legitimierender kô-’āmar-yhwh-Formel und Androhung der Strafe vor. Dies ist vermutlich in V. 4f. erweitert worden124, indem das Drohwort mit dem Hinweis auf den
Vgl. WOLFF, BKAT XIV/4, XXVII–XXXVII; JEREMIAS, ATD 24/3, 115–121; ähnlich KESSLER, Micha, 36–40; zu anderen Gliederungsmöglichkeiten, die in der neueren Exegese vertreten werden vgl. METZNER, Art. Micha/Michabuch. Für eine ganzheitliche Lektüre des (nach redaktionellen Prozessen entstandenen) fertigen Michabuches als Drama plädiert UTZSCHNEIDER, ZBK.AT 24/1, 11–16. 119 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 116ff. 120 Vgl. JEREMIAS, , ATD 24/3, 115–121. 121 Vgl. M ETZNER, Art. Micha/Michabuch und Dies., Kompositionsgeschichte. 122 In dieser Hinsicht ließe sich auch im Alten Testament die luthersche Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium“ als einer kerygmatischen Kategorie wiederfinden. 123 Die LXX liest oi˚ lo/goi aujtouv, während der Masoretische Text ein Suffix der 1. P. Sg. bietet: דברי. Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Textinterpretation. Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 145, der der LXX folgt, anders: KESSLER, Micha, 126. 124 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 149f. 118
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
165
(exilischen?) Landverlust konkretisiert wird. Mi 2,1–3 bringt durch „Wehe“ eingeleitet einen scharfen Schuldvorwurf, der auf eine zunehmende soziale Ausdifferenzierung im Juda des 8. Jahrhunderts zielt. Diese führt dazu, dass die einen vor lauter Bosheit nicht schlafen können und am Morgen ihre Pläne ausführen, die darauf abzielen, dass andere „Haus und Hof“, ja sogar den eigentlich unveräußerlichen Landanteil verlieren. So lautet die prophetische Anklage. In V. 6f. werden nun die so Gescholtenen und Bedrohten selbst zitiert.125 Sie wehren sich gegen diese harten Worte, indem sie das prophetische Reden als „Geifern“ („ נטףTropfen, Triefen“126) denunzieren (und dabei selbst „geifern“127). Dabei bezieht sich לאלהdeutlich auf das in V. 1ff. Gesagte, da אלהin der Regel anaphorisch gebraucht wird.128 Das Zitat drückt eine große Selbstsicherheit aus und die Gewissheit, dass Jahwe eben nicht ungeduldig ist oder Böses vorhat. Nicht leicht zu klären ist dabei die Frage, ob V. 7b (Sind meine Worte nicht gut für den, der gerade wandelt?) noch Teil des Zitats der Gegner129 oder schon Erwiderung des Propheten ist.130 Der masoretische Text scheint von der zweiten Möglichkeit auszugehen.131 Im Namen Jahwes antwortet der Prophet seinen Widersachern nun wiederum mit einer rhetorischen Frage, in der das Gotteswort ( )דבריThema ist. Es ist dann gut, wenn auch der Lebenswandel diesem Wort folgt. Aber dies war nach V. 1f. ja gerade nicht der Fall. Wie immer man diese Frage letztlich entscheiden wird – es bleibt doch interessant, dass hier offenbar ein ganz bestimmtes Verständnis davon zu herrschen scheint, was ein Prophet zu sagen hat und was nicht. Das hat dann Auswirkungen auf das Verständnis des prophetisch vermittelten Gotteswortes. Noch ein weiterer Text zu diesem Thema findet sich im Buchteil Mi 1–3. Mi 3,5–8: 5 So spricht Jahwe gegen die Propheten, die mein Volk irreführen, die mit ihren Zähnen beißen und dann rufen sie: „Frieden!“ Aber gegen denjenigen, der ihnen nicht wunschgemäß132 gibt, beschwören sie einen Krieg.
Vgl. WOLFF, BKAT XIV/4, 50f.; JEREMIAS, ATD 24/3, 151; KESSLER, Micha, 129ff.; UTZSCHNEIDER, ZBK.AT 24/1, 61f. 126 Vgl. K ESSLER, Micha, 129f. 127 Vgl. auch V. 11: Wenn doch ein Mann dem Wind nachliefe und Lüge verbreitete: ‚Ich will dir geifern [ ]אטףfür Wein und Bier‘ – das wäre ein Geiferer [ ]מטיףfür dieses Volk da. 128 Vgl. EHLICH, Verwendung. 129 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 152 mit LXX. 130 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/4, 52 mit M. 131 Vgl. aber anders K ESSLER, Micha, 131, der beim Masoretischen Text bleibt, darin aber ein Jahwezitat im Munde der Gegner Michas erkennt. 132 Die Formulierung נתן על פהbedeutet nicht „in“, sondern „gemäß“ ihres Mundes geben. Der Mund ist dabei als Organ des Sprechens gemeint, vgl. WOLFF, BKAT XIV/4, 72f. 125
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
6 Deshalb wird es Nacht für euch ohne Offenbarung und es wird finster für Euch ohne Wahrsagung; und die Sonne wird über den Propheten untergehen und der Tag wird über ihnen dunkel. 7 Und die Seher werden beschämt und die Wahrsager zu Schanden werden, dann werden sie alle ihren Bart bedecken; denn es gibt keine Antwort Gottes. 8 Ich jedoch bin erfüllt mit Kraft, dem Geist Jahwes, Recht und Stärke, um Jakob sein Verbrechen entgegenzuhalten [ נגדhi.] und Israel seine Verfehlung.
Der Text ist zunächst als klassischer Prophetenspruch mit Schuldaufweis (V. 5) und Strafandrohung (V. 6f.) verfasst. Besonders ist bis hierher allenfalls die Stellung der sog. „Botenformel“133 zu Beginn der Einheit. Das ganze Wort steht unter der Legitimation, Wort Jahwes zu sein. Dabei lässt sich die kô-’āmaryhwh-Formel nicht eindeutig von einem damit eingeleiteten Gotteswort absetzen.134 Für Micha typisch ist die Bezeichnung „mein Volk“, die hier auch als Prophetenrede verstanden werden kann.135 Die Perspektive Gottes und die des Propheten gehen unter dem Vorzeichen „So spricht Jahwe“ ineinander über. Hier wird nun ein Vorwurf erhoben gegen diejenigen Propheten, wie sie sich die Angeredeten aus Kapitel 2 wohl vorgestellt hatten. Sie sagen angenehme Dinge vorher, wenn man sie entsprechend entlohnt und ihnen „etwas zu beißen“ gibt.136 Dies aber führt dazu, dass die Prophetie ihre eigentliche Funktion verliert. Daher berührt dieser Text den Kern des hier behandelten Themas des Gotteswortes. Das prophetische Reden Gottes ist eine der Grundkategorien der Offenbarung und wird von daher auch in der Komposition der alttestamentlichen Texte als bedeutend ausgeschildert. Zugleich ist das Reden Gottes im Vermittlungsprozess aber auch der Sorgfalt oder eben Willkür der Propheten
Besser spricht man hier von kô-’āmar-yhwh-Formel oder kô-’āmar-Formel. Denn Andreas Wagners detaillierte Untersuchung hat gezeigt, dass sich eine einseitige Deutung dieser Formel von einem „Botengeschehen“, in dem dann offenbarungstheologisch die Propheten womöglich zu bloßen Sprachrohren Jahwes werden, deren Persönlichkeit für die Textformulierung keine Rolle spielt, nicht halten lässt; vgl. WAGNER, Prophetie, passim. 134 Dies führt dazu, dass die sog. „Botenformel“ hier als sekundärer Zusatz betrachtet wird, vgl. WOLFF, BKAT XIV/4, 63f. Dagegen ist jetzt anzuführen, dass es bei genauerer Untersuchung aller Belege unterschiedliche Funktionen der kô-’āmar-yhwh-Formel gibt. Hier liegt nicht die Funktion als „Ausrichtungsformel“ zur Einleitung eines konkreten Jahwewortes vor. Vielmehr geht es um die Kennzeichnung der „Quelle des vollmächtigen Sprechens im Namen Jahwes, das sich u.a. der kô-’āmar-Formel bedient“, so zu Mi 3,5 WAGNER, Prophetie, 281. Es liegt mithin kein zwingender Grund vor, die Formel in Mi 3,5 für sekundär zu halten. 135 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 115 und 163. 136 Dies wird zusammenfassend in 3,11 wieder aufgegriffen. Dabei wird nicht grundsätzlich kritisiert, dass Propheten für ihre Dienste Gaben empfangen (vgl. z.B. 1 Sam 8,7ff.), sondern fragwürdig ist, dass sie ihre Botschaft nach Art und Höhe der Gaben ausrichten. Zu den Folgen für weitere soziale Ausdifferenzierung der Gesellschaft vgl. KESSLER, Micha, 158f. 133
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
167
ausgeliefert.137 So wird im Namen Jahwes den Propheten, die hier das Gegenüber Michas darstellen, ein Ende der Offenbarung angedroht. Wenn diese „Seher“ und „Wahrsager“ nach göttlicher Botschaft fragen, so wird es keine „Antwort Gottes“ geben, wie die ungewöhnliche Formulierung hier den Akt des Redens Gottes umschreibt. V. 8 geht über die übliche Form der Textsorte Prophetenspruch hinaus.138 Nach dem Schuldaufweis und der Strafandrohung an die Propheten profiliert sich Micha nun noch selbst als einer, der die prophetische Aufgabe tatsächlich wahrnimmt und dazu auch begabt ist. Entscheidend ist hier die Formulierung der Verkündigung durch die Wurzel נגד. Dabei geht es um das „Berichten“ oder „Ansagen“ und in diesem Sinne auch ums „Verkünden“139. Dabei ist die Wortwahl wohl aufgrund der Bedeutung „Gegenüber stehen“ (nægæd)140 und „entgegenhalten“ bedingt. Der Prophet, der wirklich im Namen Jahwes redet, ruft nicht nur „Frieden“, sondern spricht auch entlarvend von „Verbrechen“ und „Verfehlung“ und dies nach dem Charakter der Botschaft und nicht nach den Bedürfnissen der „Kunden“. Micha verweist seine textexternen Hörer auch noch einmal auf das Proömium zurück, in dem Gott von der Verfehlung Jakobs und den Sünden des Hauses Israel gesprochen hat (vgl. Mi. 1,5), um deretwillen zunächst Samaria und nun eben Zion/Jerusalem das Gericht zu gewärtigen hat. Hinter dem Kraftspruch Michas steht damit letztlich der Kraftspruch Gottes.141
Dabei macht der Hinweis auf die „textexternen“ Zuhörer deutlich, dass hier Reflexionen des Gotteswortes vorliegen, die die Zeit des Propheten längst hinter sich gelassen haben. Aus den Hörern werden Leser, und darin erweist sich die Bedeutung des Michabuches als reflektierter und komponierter Text, der ein Sinnpotential weit über den historischen Ursprungsort hinaus entfaltet. Ähnlich wie in Am 1,2 ist auch das Michabuch in Mi 1,2.3–7 mit einer Vorrede versehen, die eine bedrohliche Theophanie für Samaria und Jerusalem ankündigt. Insbesondere V. 2 stellt dann wieder ein Michabuch, dessen Umfang bereits über die Kapitel 1–3 hinaus geht und mindestens bis 5,14 reicht142, unter das Vorzeichen „Jahwe zeugt gegen Euch“:
Dazu JEREMIAS, ATD 24/3, 162: „Ein Gotteswort pur gibt es für Micha nicht; deshalb fühlt er sich als Prophet genötigt, die Maßstäbe seiner Verkündigung zu nennen (V. 8). Damit berührt er das eigentliche Rätsel biblischer Prophetie“. 138 „Formgeschichtlich überschüssig (das Gerichtswort gegen die Propheten ist mit V. 7 abgeschlossen), aber kompositionell Zielpunkt des Mittelteils“ von Mi 3,1–12, so beurteilt JEREMIAS, ATD 24/3, 161 den Vers. Er ist daher auch nicht als sekundärer Zusatz zu betrachten (so KESSLER, Micha, 153). 139 Vgl. zur Verwendung von נגדhi. Kapitel 4.1.3. 140 Vgl. W ESTERMANN, Art. נגד, 31–37. 141 U TZSCHNEIDER, ZBK.AT 24/1, 79. 142 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 132, der für Micha 1 ein „zweistufiges Wachstum“ beobachtet: Die Michanischen Worte über die Judäischen Städte in V. 10–16 sind zunächst um 137
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Mi 1,2: 2 Hört, all ihr Völker, merke auf Erde und alles, was sie füllt; dass der Herr Jahwe nämlich gegen Euch als Zeuge auftritt, der Herr von seinem heiligen Tempel.
Mit diesen Worten wird das Kommen (vgl. V. 3) Jahwes, um die Verbrechen und Verfehlungen Samarias und Jerusalems heimzusuchen, unter das Stichwort „Zeuge sein“ gestellt. Das Michabuch, das mit diesen Worten eingeleitet wird, dokumentiert dann sozusagen diese „Zeugenaussage“. In der Perspektive von Mi 1,3–7 ist das Urteil längst vollstreckt: Samaria (1,6f.143) und Jerusalem (3,12) sind beide längst Trümmerhaufen geworden. Die Text gewordenen „Micha“-Worte erinnern daran, dass es Jahwes Reden war, das diesen Prozess initiierte.144 Die spätere Ergänzung um V. 2 stellt das Ganze dann in einen universalen Horizont. Jetzt ist Jahwe auch der Herr „aller Völker“ und des „ganzen Erdkreises“. Das Zeugnis wird nun auch zum Wort an alle Völker, die sich vom Schicksal Israels und Judas warnen lassen sollen.145 Dass also alle Völker „hören“ sollen, impliziert die universale Gültigkeit des Wortes Jahwes. 4.1.7 Jesaja Der erste Teil des Jesajabuches in den Kapiteln 1–39 enthält Worte jenes Jesaja Ben Amoz, nach dem das Buch in Jes 1,1 benannt ist. Allerdings ist auch dieser erste Teil des Buches mehrfach redaktionell überarbeitet und komponiert worden. Derzeit werden sehr unterschiedliche Modelle über die Entstehung der sog. „protojesajanischen“ Sammlung vertreten und es herrschen divergierende Ansichten darüber, welche Textanteile tatsächlich auf eine prophetische Persönlichkeit aus dem Jerusalem des 8. Jahrhunderts v.Chr. zurückgeführt werden können.146 In den Fremdvölkersprüchen in Jes 13–24, sowie der Jesajaapokalypse in den Kapiteln 24–27 liegen nach einhelliger Exegetenmeinung spätere Fortschreibungen vor. Die Kapitel 33 und 34 entsprechen dem als eine Art
die Theophanieschilderung in V. 3–7 ergänzt und später um V. 2.8f. erweitert worden. Die deutlichen Bezüge zwischen Mi 1,2 und 5,14 bilden dann eine inclusio um ein Michabuch, das mindestens Mi 1–5 umfasste. 143 Die Formulierungen setzen deutlich Kenntnisse des Hoseabuches voraus, so dass Mi 1,3–7 bereits in die Phase der Formation des Zwölfprophetenbuches (oder einer Vorstufe) gehört, vgl. KESSLER, Micha, 82f. 144 In einem weiteren Horizont gehört etwa angesichts von Mi 4–5 dazu, dass die Aufzählung und Verurteilung von „Verbrechen“ und „Verfehlungen“ nicht Jahwes letztes Wort über sein Volk sind. „Am Ende der Tage“ (Mi 4,1) werden die Völker zum Zion pilgern; „denn von Zion geht Weisung [ ]תורהaus und Wort Jahwes [ ]דבר יהוהvon Jerusalem“ (Mi 4,2b). 145 Vgl. K ESSLER, Micha, 86. 146 Vgl. für einen Überblick: JÜNGLING, Buch Jesaja, 440ff.; SCHMID, Art. Jesaja/Jesajabuch, 451–456; Ders., ZBK.AT 19/1, 13–44.
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
169
„kleiner Apokalypse“147. Jes 35 ist nach der Analyse Odil Hannes Stecks als redaktioneller Brückentext zwischen Jes 1–39 und Jes 40–66 zu verstehen.148 Die Erzählungen in Jes 36–39 entsprechen annähernd wörtlich 2 Kön 18–20.149 Der Abschnitt hat innerhalb des Jesajabuches eine wichtige Funktion für die Gesamtkomposition und geht in der vorliegenden Form sicher nicht auf den Propheten zurück. So finden sich in Jes 1–12 und 28–32150 die ältesten Texte oder Textsammlungen innerhalb von Jes 1–39, was nicht heißt, dass diese Kapitel durchgehend auf den Propheten Jesaja zurückzuführen wären. Hierin spielt die sog. „Denkschrift“ Jesajas in Jes 6–8 noch einmal eine besondere Rolle; denn evtl. liegt hier der älteste Kern der protojesajanischen Sammlung vor.151 Bereits in der Denkschrift spielt das Thema „Wort Gottes“ explizit, aber auch implizit152 eine Rolle. Um dies zu verdeutlichen, seien einige Verse aus Jes 8 in den Blick genommen: Jes 8,1: 1 Und Jahwe sprach zu mir: „Nimm dir eine große Tafel und schreibe darauf mit menschlichem Griffel153: ‚Zur schnellen Beute, raschem Raub‘.“
Interessant ist dabei die Eröffnungsformulierung ויאמר יהוה, mit der Jesaja das Folgende als durch ein Wort Jahwes initiiert ausschildert. Die im AT häufig vorkommende Redeeinleitung ויאמר יהוהscheint dabei zunächst nicht auffällig zu sein. Bemerkenswert ist allerdings, dass sie im Jesajabuch ausschließlich im ersten Teil vorkommt. Nach Jes 20 findet sie sich überhaupt nicht mehr, und
So mit Blick auf Jes 34 KAISER, ATD 18, 280. 148 Vgl. STECK, Bereitete Heimkehr. 149 Vgl. K AISER, ATD 18, 291; zu unterschiedlichsten Positionen hinsichtlich des Verhältnisses von Jes 36–39 zu 2 Kön 18–20 vgl. BEUKEN, Jesaja 28–39, 353–358. 150 Vgl. aber K RATZ, Jesaja 28–31, 177–197. 151 So die Mehrheit der Kommentatoren: vgl. aber anders K AISER, ATD 17, 20.117–120, der in Jes 6,1–9,6 einen vielfach geschichteten Text sieht, dessen Grundbestand bereits die Katastrophe von 587 v.Chr. voraussetzt und daher nicht vor frühpersischer Zeit entstand. 152 Implizit ist das „Wort“ und seine (ausbleibende) Rezeption bereits in der Visionsschilderung In Jes 6,1–11 und dem darin enthaltenen „Verstockungsauftrag“ das eigentliche Thema. In den formgeschichtlichen Schlüsselstellen des Textes ist zu Beginn der Schilderung der Schau in V. 1 vom Sehen ( )ואראה את אדניund in zur Eröffnung des Dialogteils in V. 8 vom Hören des Propheten ( )ואשׁמע את קול אדניdie Rede. Insbesondere in V. 8 wird die für die Textsorte sonst konstitutive Wurzel אמרdurch שׁמעersetzt. Jesaja wird als der paradigmatisch auf Gott Hörende „diesem Volk da“ gegenübergestellt, das gerade nicht sehen und hören soll (vgl. V. 9); vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 138–163. Dieses Thema des „Nicht-Hörens“ wird dann durch die Geschichte des Verhaltens des Königs Ahas während der syrisch-ephraimitischen Krise in Jes 7 illustriert und begegnet auch in Jes 28 wieder (s.u.). 153 Vgl. zum Text und seiner Übersetzung B EUKEN, Jesaja 1–12, 213; K AISER, ATD 17, 174 Anm. 2 und 3. 147
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
vorher finden sich drei von fünf Belegen154 innerhalb der Denkschrift. Weiterhin ist hier vom Schreiben die Rede, was einer der wenigen expliziten Belege dafür ist, dass das prophetisch vermittelte Gotteswort aufgeschrieben werden sollte.155 Der mit den geschriebenen Worten „zur schnellen Beute, raschem Raub“ eröffnete Abschnitt, der das Ende von Samaria und Damaskus voraussagt, endet in V 4. Der folgende Vers 5 markierte den Beginn eines neuen Prophetenwortes mit einer charakteristischen Formulierung. Jes 8,5: 5 Und Jahwe fuhr fort, weiterhin mit mir zu reden, folgendermaßen:
Der Satz leistet zweierlei: Zum einen ist die Rede vom „Fortfahren“ des Redens eine deutliche Anknüpfung an das vorher Gesagte.156 Dem Aspekt der Unheilsansage an die Feinde Judas in Form von Symbolnamen, wird nun der andere hinzugefügt, dass nämlich auch Juda sich aufgrund seines mangelnden Gottvertrauens einem Gerichtswort ausgesetzt sieht.157 Zum anderen wird auch dieses Gerichtswort als Reden Jahwes gekennzeichnet. Dabei handelt es sich bei דברim Unterschied zu אמרum die allgemeinere Aussage. Hier wird nicht ausschließlich ein Jahwezitat eingeführt, sondern die Prophetenworte werden grundsätzlich unter die Autorität gestellt, dass Jahwe redet ( יהוה דברvgl. Am 3,8). Die konkrete Formulierung ויסף יהוה דברfindet sich so im ganzen Alten Testament nur in Jes 7,10 und 8,5, also innerhalb der Jesaja-Denkschrift.158 Zwei weitere Verse innerhalb von Jes 8 gaben und geben Anlass, über das prophetische Wortverständnis nachzudenken: Jes 8,11: 11 Denn so hat Jahwe zu mir gesprochen, als die Hand zupackte, und er mich davor warnte, auf dem Weg dieses Volkes da zu wandeln, nämlich: ...
Vgl. Jes 3,16; 7,3; 8,1.3; 20,3. 155 Man kann hier eine Parallele zu außerbiblischen prophetischen Texten sehen, in denen die Botschaft nur aus einem Wort bestand und so nur aus dem zeitgenössischen Kontext heraus voll verständlich war; vgl. z.B. das Ostrakon 3 aus Lachisch, TUAT 1, 621 und dazu KRATZ, Worte des Amos, 317f.; zum Motiv des Schreibens und seiner Funktion für Jes 8,1ff. vgl. SCHMID, ZBK.AT 19/1, 99f. 156 Aufgrund dieser „Weiterführungs-Funktion“ erblicken die meisten Exegeten in dem Satz keine inhaltlich gewichtige Aussage. Vgl. BEUKEN, Jesaja 1–12, 215, der V. 5 zu allgemein als „Wortereignisformel“ bezeichnet; anders allerdings SCHMID, ZBK.AT 19/1, 100, der gerade in der Betonung des weiteren Redens eine „vergleichsweise deutliche Textstufung“ erkennt und diesen Befund vor allem redaktionsgeschichtlich auswertet. 157 Es ist nicht gesagt, dass Jes 8,1–4 und 5ff. eine ursprüngliche literarische Einheit bilden, vgl. BEUKEN, Jesaja 1–12, 217f. 158 Vgl. K AISER, ATD 17, 178, der die Identität der Formulierung bemerkt, darin aber offenbar keine inhaltliche Relevanz erblickt. 154
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
171
Der Vers führt das Folgende mit der Zitatformel denn so hat Jahwe zu mir gesprochen ein.159 Signifikant ist die Wendung als die Hand zupackte. Hier hat man den Bezug auf einen Offenbarungsvorgang gesehen, der im wahrsten Sinn die „Ergriffenheit“ des Sprechers thematisiert.160 Allerdings ist die Bemerkung zu knapp, um weitreichende Schlüsse daraus zu ziehen. Schließlich heißt es zum Ende der Denkschrift: Jes 8,16: 16 Einschnüren das Zeugnis, versiegeln 161 die Weisung in meinen Jüngern.
Nimmt man in Analogie zu V. 17 hier bereits Jesaja als Sprecher an162, dann deutet die Formulierung meine Jünger auf einen – oft für Propheten nur vermuteten – Schülerkreis hin.163 Die Rede vom Verschnüren oder Versiegeln des (prophetischen) Zeugnisses in den Jüngern überträgt das Bild einer fertigen und verschnürten Schriftrolle (der „Denkschrift“?) auf den Schülerkreis. Dieser Kreis wird selbst zur Schriftrolle. Gemeint ist wohl, dass Jesaja seine Verkündigung jetzt auf die Gruppe seiner Schüler beschränkt. Denn gerade das Wort Versiegeln ( )חתםbegegnet häufig im Hinblick auf Schriftstücke.164 Dann
Vgl. WAGNER, Prophetie, 259–269 (zu Jes 8,11 a.a.O., 264f.), der ganz grundsätzlich nachgewiesen hat, dass zwischen den Formeln kô ’āmar yhwh und kî kô ’āmar yhwh ein signifikanter Unterschied besteht. Die erste Formel dient der grundsätzlichen Legitimation des Propheten und ist (in der Regel) präsentisch zu übersetzen, während die zweite Formel ein Zitat einleitet und daher (in der Regel) präterital wiederzugeben ist. Nun setzt auch die Zufügung eines ’elay (zu mir) wiederum ein signifikantes semantisches Signal. Wagner folgert: „Durch ’elay/zu mir wird die Person des Propheten im Kommunikationsvorgang, wie er von dieser Formel vorausgesetzt ist, betont; der Kommunikationsvorgang selbst kommt viel stärker in den Blick, indem beide Kommunikationspartner – Jahwe und das Ich des Propheten – genannt sind. Die mit ’elay/zu mir erweiterten Formeln werden somit benutzt, um ein (schon zurückliegendes) Kommunikationsgeschehen hervorzuheben; sie sind durchgängig vergangen zu verstehen und zu übersetzen. Diese Formeln, die den Kommunikationsvorgang zwischen Jahwe und dem Propheten und damit den Offenbarungsvorgang betonen, sind daher nicht als ‚Botenformeln‘, sondern eher als Offenbarungsformeln zu verstehen. […] Mit den kî kô ’āmar ’elay-Formeln im Jesajabuch liegen erweiterte kî kô ’āmar-Zitatformeln vor; es dürfte sich um echte (Jes 8,11?) bzw. imitierte Zitate von an den Propheten selbst ergangenen bzw. ergangen gedachten Worten handeln“ (a.a.O., 269). 160 Vgl. bereits D UHM, HK III/1, 82f. 161 Seit Duhm werden die vermeintlichen Imperative als Infinitive aufgefasst, vgl. D UHM, HK III/1, 84 und ausführlich KAISER, ATD 17, 188 Anm. 1 sowie BEUKEN, Jesaja 1–12, 214. 162 Vgl. so bereits D UHM, HK III/1, 84. 163 Vgl. SCHMID, ZBK.AT 19/1, 104f. 164 Vgl. 1 Kön 21,8; Jer 29,11; 32,10f.14.44; Est 3,12; 8,8.10; Dan 12,4.9; Neh 10,1f.; dazu BEUKEN, Jesaja 1–12, 231: „Die Anfangsszene aus V 1–2 hat hierbei Modell gestanden. Die Beauftragung, unter Beisein von Zeugen den Namen des zukünftigen Kindes auf eine Tafel zu schreiben, läuft auf die schriftliche Fixierung der prophetischen Verkündigung Jesajas in ihrer Gesamtheit innerhalb des Schülerkreises hinaus“. 159
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
könnte hier der erste Adressatenkreis der Jesaja-Denkschrift als Text bezeichnet sein, so dass hier Anfänge der Überlieferung des prophetischen Gotteswortes zu greifen wären. Das Thema der Rezeption des Wortes Gottes wird dann auch am Anfang des sog. Assyrischen Zyklus in Jes 28–32 wieder aufgenommen: Jes 28,7–13: 7 Und auch jene taumeln vom Wein und irren umher von starkem Getränk; Priester und Prophet taumeln von starkem Getränk, sind verwirrt vom Wein, irren vom starken Getränk, taumeln beim Sehen, zittern beim Urteilsspruch. 8 Denn alle Tische sind voll von Gespei und Exkrement, kein freier Fleck mehr. 9 „Wen will er Erkenntnis lehren und wem will er eine Botschaft einsichtig machen; die von der Milch entwöhnten, die von der Brust genommenen? 10 Ja, Zawlazaw Qawlaqaw, ein wenig hier ein wenig da!“ 11 Ja, durch stammelnde Lippen und durch fremde Zunge wird er zu diesem Volk da reden, 12 der zu ihnen sagt: „Dies ist die Ruhe, schafft Ruhe den Müden! Und dies ist der Rastplatz“, aber sie wollen nicht hören. 13 So wird für sie das Wort Jahwes: „Zawlazaw Qawlaqaw, ein wenig hier, ein wenig da“, damit sie gehen und rückwärts straucheln und gebrochen werden und sich verstricken und gefangen werden.
Ähnlich wie im Michabuch wendet sich das prophetische Wort hier gegen Priester und Propheten. Drastisch wird geschildert, wie diese Gruppen, die doch Recht und Gottes Willen unter dem Volk verbreiten sollen, sich stattdessen Trinkgelagen hingeben, die ausarten. In diesem Zustand wollen sie dann noch ihre Aufgaben wahrnehmen, indem sie „Sehen“ und „Urteil“ sprechen. Aber auch dabei taumeln und torkeln sie.165 Die Verse 9f. bieten dann – in Analogie zu Mi 2,6f. – ein Zitat dessen, was diese Trunkenbolde Jesaja gegenüber einwenden.166 Über Einsicht und Erkenntnis müssen sie sich von diesem Propheten nicht belehren lassen. Der soll mit Säuglingen und Kleinkindern reden. Die Formulierung Zawlazaw Qawlaqaw ahmt dann die Babysprache nach. Jesajas Worte sind für diese Priester und Propheten nur Papperlapapp.167 In V. 11 liegt dann wieder ein Sprecherwechsel vor; die folgenden Verse enthalten die Antwort im Munde des Propheten. Diese besteht aus einem Gerichtswort an „dieses Volk da“. Dabei bezeichnet העם הזהim Duktus des Jesajabuches nicht einfach die gesamte Bevölkerung Judas, sondern eine Gruppe (zu der hier offenbar die Priester und
Dabei ist es für die kommunikative und sprachpragmatische Funktion des vorliegenden Textes nicht von Belang, ob hier tatsächlich eine Szene aus dem 8. Jahrhundert geschildert wird, oder ob eine solche in Form einer retrospektiven Fiktion vorliegt. 166 Vgl. so bereits D UHM, HK III/1, 196. 167 Zu den unterschiedlichsten Deutungsmöglichkeiten der im Grunde nicht übersetzbaren Wendung vgl. BEUKEN, Jesaja 28–39, 67f. 165
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
173
Propheten gehören), von der sich andere auch absetzen können.168 Wenn dieses Volk da Jahwes Wort, das gerade Priestern Propheten bekannt sein sollte (vgl. V. 12), nicht hören will, wie hier ausdrücklich gesagt wird, dann besteht das Gericht darin, dass Jahwes Wort (V. 13: )והיה להם דבר יהוהzu Zawlazaw Qawlaqaw wird. Die ablehnende Reaktion auf das prophetisch vermittelte Gotteswort und die daraus folgende Unverständlichkeit dieses Wortes sind also hier das Thema.169 Zu Beginn des Assyrischen Zyklus liefert dieser Text eine Begründung für die Gerichtsworte, die im Folgenden vorgetragen werden. Zugleich ist der Abschnitt über einige intertextuelle Verknüpfungen mit der Denkschrift vernetzt170, so dass die Frage nach dem Wort Jahwes und vor allem nach seiner Rezeption zu einem Hauptthema von Jes 6–8 und 28–32 wird. Aber auch in einer späteren Fortschreibung wird die Sammlung der Jesajaworte in 1–39 insgesamt mit der Thematisierung des Redens Jahwes und der mangelnden Rezeption seiner Worte eröffnet: Jes 1,2–3: 2 Hört Himmel und öffne die Ohren Erde, denn Jahwe redet: „Kinder habe ich großgezogen und hochgebracht, aber sie haben sich gegen mich aufgelehnt. 3 Es kennt ein Ochse seinen Käufer und ein Esel die Krippe seines Herrn, doch Israel erkennt nicht und verhält sich nicht einsichtig.“
Auf diese Weise beginnt das Jesajabuch insgesamt mit einem Zwei-ZeugenRuf. Wie in Dtn 32,1 werden Himmel und Erde zum Aufmerken aufgefordert171; so werden sie als Zeugen für das Folgende bestellt. Dabei geht es nicht
Vgl. Jes 8,12: „Ihr sollt nicht all das Verschwörung nennen, was dieses Volk da Verschwörung nennt ...“ Die Angeredeten sind offenbar nicht העם הזה, und auch der Prophet selbst wird vor diesem Volk da gewarnt (vgl. Jes 8,11); vgl. die analoge Beobachtung zu Mi 2,11 bei KESSLER, Micha, 159: „Aber die Analyse von Mi 1–3* deckt auf, dass ‚dieses Volk‘ (2,11) eben nicht das ganze Volk ist, sondern nur die Herrschenden, vom [sic!] denen ‚mein Volk‘ klar zu unterscheiden ist“. 169 Gerade die Korrespondenz von „Tun“ (V. 9f.) und „Ergehen“ (V. 13) spricht gegen die Annahme, V. 13 sei ein späterer Zusatz, der Formulierungen aus Jes 8,15 nachtrage (vgl. in diesem Sinne KAISER, ATD 18, 197). Zum einen würde dem Text Jes 28,7–13 ohne diesen Vers die Spitze fehlen und zum anderen sind die intertextuellen Bezüge zwischen Jes 28 und Jes 6–8 nicht auf V. 13 beschränkt; hier sind sie nur sehr auffällig. 170 So begegnen die Wurzeln שׁמע, ביןund ( ידעoder entsprechende Derivate der Verbwurzeln) mit gleichem Gewicht sowohl in Jes 28,9.12 als auch im sog. Verstockungsauftrag in Jes 6,9f. Die Strafandrohung aus Jes 28,13b ( )וכשׁלו אחור ונשׁברו ונוקשׁו ונלכדוfindet sich annähernd wörtlich auch in Jes 8,15 ( ;)וכשׁלו בם רבים ונפלו ונשׁברו ונוקשׁו ונלכדוvgl. BEUKEN, Jesaja 28–39, 72. Vgl. zum Phänomen der Intertextualität hier insgesamt a.a.O., 27–30; wenn es sich um Bezüge innerhalb des Jesajabuches handelt, nennt Beuken das „intratextuell“; vgl. zu den Beziehungen auch BEHRENS, Visionsschilderungen, 150–156. 171 Vgl. zu den innerbiblischen Bezügen und den traditionsgeschichtlichen Hintergründen KAISER, ATD 17, 27ff. 168
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
nur um den Inhalt dessen, was Jahwe sagt ()אמר. Vielmehr wird die Tatsache betont, dass Jahwe überhaupt redet ()דבר172. Zugleich werden aber mit den Stichworten der ausbleibenden Erkenntnis ( )ידעund Einsicht ( )ביןzwei Schlüsselbegriffe vorweggenommen, die dann in Jes 6,9f. und 28,9 die fatale Harthörigkeit der Israeliten gegenüber dem Wort Gottes ausdrücken.173 So wie Himmel und Erde hören ( )שׁמעsollen, so hört „dieses Volk da“ gerade nicht. Dies wird ausdrücklich als „Auflehnung“ ( )פשׁעbezeichnet. Von Anfang an steht damit das Jesajabuch unter dem Stichwort יהוה דבר. In der vorliegenden Komposition endet die protojesajanische Sammlung in Jes 39,8 wieder mit einer Thematisierung des Wortes Jahwes: Jes 39,8: 8 Und Hiskia sprach zu Jesaja: „Gut ist das Wort Jahwes, das du gesagt hast“, und er dachte: „Fürwahr es wird Frieden und Zuverlässigkeit in meinen Tagen herrschen.“
Nun ist dieser Vers ein annähernd wörtliches Zitat aus 2 Kön 20,19 und doch ergibt sich durch den redaktionellen Einbau der Kapitel Jes 36–39 // 2 Kön 18– 20 eine inclusio um den ersten Teil des Jesajabuches. Ähnlich wie in Jes 40 und 55 wird dabei das Wort Jahwes ( )דבר יהוהexplizit zum Thema. Nachdem aber in Jes 1,2f. noch ausbleibende Einsicht und Erkenntnis, die letztlich zum Aufruhr führt, konstatiert wird, ist Hiskia einer, der das Wort Jahwes, das Jesaja ausrichtet ()אשׁר דברת, gut ( )טובheißt und als dessen Effekte Frieden ()שׁלום und Zuverlässigkeit ( )אמתerwartet. Im Kontext des Buches wird dies zu einem Urteil über das Wort Jahwes, das weit über die Tage Hiskias hinausreicht.174 Der Fortgang des Jesajabuches setzt dann das Eintreffen der Gerichtsverkündigung aus den vorangehenden Versen 5–7 voraus, so dass sich die Zuverlässigkeit („ אמתstimmt“175) des Gotteswortes bestätigt.
Dazu sachgemäß BEUKEN, Jesaja 1–12, 70: „V 2a führt den V 1 geschichtlich eingeordneten Propheten als Verkündiger Jahwes ein (‚Denn Jahwe spricht‘).“ Freilich handelt es sich dabei nicht um eine „Botenformel“ (ebd.), da es um die grundlegende Legitimation und die Identifikation des prophetischen Redens grundsätzlich als Gottes Reden geht. 173 Vgl. B EUKEN, Jesaja 1–12, 70. 174 Die Auslegung des Verses konzentriert sich in aller Regel auf die zweite Hälfte und die Psychologie Hiskias (vgl. zur Auslegungsgeschichte BEUKEN, Jesaja 28–39, 456ff.), wonach der König hier nach einem St.-Florians-Prinzip zu handeln scheint. Unbeachtet bleibt dabei bis jetzt die Inclusio, die sich über das Stichwort דבר יהוהin Korrespondenz zu der Formulierung יהוה דברaus Jes 1,2 ergibt und so der Sammlung Jes 1–39 insgesamt einen thematischen Rahmen gibt. In diesem Kontext ist es von Bedeutung, dass die Aussage in V. 8b in der Parallele 2 Kön 20,19b als (rhetorische) Frage formuliert ist, während sie sich hier als eine durch deiktisches כיeingeleitete gewisse Aussage findet. 175 Vgl. M ICHEL, ḥæsæd wæ’æmæt, 73–82. 172
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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4.1.8 Die Überschriften der Prophetenbücher Aus den zusammengetragenen Beobachtungen ergibt sich, dass in unterschiedlichen Prophetenbüchern das Thema des דבר־יהוהund damit der Charakter der Prophetenworte als Gotteswort in redaktionellen Schlüsseltexten explizit reflektiert wird. Dies wird unterstrichen durch Verwendungen der sog. „Botenformel“ (kô-’āmar-yhwh-Formel), der „Gottesspruchformel“ oder der „Wortereignisformel“, die zusätzlich das Verständnis der Texte als Worte Jahwes hervorheben. Dies alles nimmt zu, je jünger die Prophetenbücher beziehungsweise die jeweiligen Redaktionsstufen sind. Eine besondere Rolle nehmen in diesem Zusammenhang die Überschriften der Prophetenbücher ein. Diese gehören sicher zu den jüngsten Texten der jeweiligen Schriften.176 Sie versehen eine Sammlung von Prophetenworten mit einer Verfasserangabe, indem sie den Namen des jeweiligen Propheten nennen. Sie eröffnen mit unterschiedlichen Datierungen den geschichtlichen Horizont, in dem die Bücher entstanden sein sollen. Und im vorliegenden Kontext von besonderem Interesse: Sie weisen durchweg die in den Büchern gesammelten Prophetenworte explizit als „Wort Jahwes“ ()דבר־יהוה177 oder als „Offenbarung“ (חזון/)חזה178 aus. Signifikant ist dabei eine besondere Spielart der sog. „Wortereignisformel“ in der Gestalt: „ דבר־יהוה אשׁר היה אלWort Jahwes, das geschah zu [+ Eigenname]“, die in dieser Form in Hos 1,1; Jo 1,1; Mi 1,1 und Zef 1,1 begegnet. Ähnlich ist auch Am 1,1 gestaltet, ´´דברי עמוס אשׁר־היה בנקדים מתקוע אשׁר חזה, was in der vorliegenden Form vielleicht die Überarbeitung einer älteren Textstufe darstellt.179 James Nogalski hat daraus geschlossen, dass ein deuteronomistisch geprägtes Buch aus den Schriften Hos; Am; Mi und Zef den Grundstock des späteren Zwölfprophetenbuches bildete.180 Aaron Schart hat die These ausge-
So in den meisten neueren redaktionsgeschichtlichen Studien zu den Prophetenbüchern. Anders aber: KOCH, Profetenbuchüberschriften, 165–186, der den Ursprung der Gattung in einem vermeintlich alten weisheitlichen Schrifttum vermutet und zu dem Schluss gelangt: „Die Analogie zu den Weisheitsschriften legt also […] nahe, daß die Überschriften bereits zum Grundbestand bzw. zur ersten Niederschrift der profetischen Botschaft gehörten“ (a.a.O., 179). Genaugenommen lassen sich aber nur Jer 1,1 und Am 1,1 mit der Einleitung weisheitlicher Spruchsammlungen („Worte des ...“, vgl. Prov 30,1; 31,1) vergleichen. Damit lässt sich aber die Herkunft einer „Gattung“ nicht begründen. 177 Vgl. Jes 1,2; Jer 1,2; Ez 1,3; Hos 1,1; Jo 1,1; Mi 1,1; Jon 1,1; Zef 1,1; Hag 1,1; Sach 1,1; Mal 1,1. KOCH, Profetenbuchüberschriften, 166 nennt dies ein „Dabar-Muster“. 178 Vgl. Jes 1,1; Am 1,1; Ob 1; Mi 1,1; Nah 1,1; Hab 1,1. Dies nennt Koch ein ḤazonMuster (vgl. KOCH, Profetenbuchüberschriften, 168f.), will dies aber nur auf die nominalen Belege in Jes 1,1; Ob 1 und Nah 1,1 beziehen. 179 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/2, 1ff.; und schon W OLFF, BKAT XIV/2, 164f. 180 Vgl. N OGALSKI, Literary precursors und Ders., Redactional process. Das Joelbuch ist deutlich jünger und Teil einer späteren Wachstumsstufe des Zwölfprophetenbuches. „In der jüngeren Forschung hat sich […] die Einsicht durchgesetzt, dass das Joelbuch in die Spätzeit 176
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
baut181; Jakob Wöhrle und andere haben sie modifiziert und dabei insgesamt gefestigt.182 Dies bedeutet dann, dass bereits in der formativen Phase des Zwölfprophetenbuchs in den Überschriften ein exponiertes intertextuelles Bezugssystem vorlag, das alle diese Schriften als Wort Gottes auswies und diese Gottesworte aufeinander bezog. Spätere Wachstumsstufen des Zwölfprophetenbuches (und des corpus propheticum insgesamt!) setzen das fort, wie vielleicht am deutlichsten in der Aufnahme der Formulierung דבר־יהוה אשׁר היה אל in Jo 1,1 zu erkennen ist. Dies gilt ausdrücklich auch für Jon 1,1; Hag 1,1 und Sach 1,1, wo jeweils – entgegen dem Urteil Scharts und anderer183 – eben doch Überschriften vorliegen. Das Jonabuch wird in der Tat ungewöhnlich mit einem Narrativ eröffnet: „ ויהי דבר־יהוה אל־יונה בן־אמתי לאמרUnd es geschah das Wort Jahwes zu Jona ben Amittai folgendermaßen“. Die Eröffnung eines Prophetenbuches mit einem waw ist nicht völlig ohne Parallele184, aber dennoch ungewöhnlich. Evtl. verdankt sich das hier der Geprägtheit der Wortereignisformel. Genannt wird jedenfalls Jona ben Amittai zum einzigen Mal im Jonabuch mit vollständigem Namen. Diese kurze Form der Überschrift bietet also keine historische Einordnung, sondern nur zwei Informationen: Jahwe redet und zwar zu Jona ben Amittai185. Dies wird als starkes Gliederungssignal in Jon 3,1 wieder aufgegrif-
der atl. Prophetie gehört, näherhin in die Zeit Esras, d.h. in das beginnende 4. Jahrhundert v. Chr.“ (JEREMIAS, ATD 24/3, 2); vgl. ähnlich bereits WOLFF, BKAT XIV/2, 2ff., vgl. aber anders noch KOCH, Pofetenbuchüberschriften, 184. 181 Vgl. SCHART, Entstehung und Ders., Art. Zwölfprophetenbuch. 182 Vgl. W ÖHRLE, Sammlungen. 183 Nach Schart „finden sich am Anfang von 9 Schriften eigene, prophetentypische Überschriften […], wohingegen Jona, Haggai und Sacharja Erzählungen über das Auftreten von Propheten darstellen und ohne eine Überschrift einsetzen“ (SCHART, Art. Zwölfprophetenbuch, 1.1.). Jedenfalls für Hag und Sach stimmt die Gattungsbestimmung „Erzählung“ nicht; denn in Hag werden Prophetenworte überliefert, und Sach 1–8 stellt im Wesentlichen eine Sammlung prophetischer Visionsschilderungen dar, die eben nicht Erzählung sind, sondern (in ich-Perspektive!) ebenfalls prophetische Verkündigung darstellen (vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 61–75 und 272–313). – Ob sich wirklich eine so eindeutige Definition der Gattung „Überschrift“ ausmachen lässt, wie Schart es vorschlägt, scheint mir fraglich: „Von einer Überschrift kann man sprechen, wenn die Informationen, die sie enthält, auf einer Metaebene zum restlichen Textkorpus liegen und sie weder grammatisch noch semantisch eine lineare Anknüpfung an den folgenden Text aufweist“ (SCHART, Entstehung, 32). Schart benennt selbst Am 1,1–2 als Ausnahme (ebd. Anm. 5). Jer 1,1f. wäre eine weitere (V. 2 schließt grammatisch mit אשׁרan V. 1 an), und in Ez 1,1–3 scheinen die ursprünglichen Textverhältnisse nicht mehr endgültig zu klären. Wie dem auch sei, in der Sache herrscht, soweit ich sehe, Einigkeit: „Die Schriften Jona, Hag und Sach beginnen ohne Überschrift, enthalten aber Informationen, die denen der Überschriften gleichwertig sind“ (SCHART, Entstehung, 31f.). 184 Vgl. Ez 1,1. 185 Dabei enthält dieser Name, der auf eine Prophetengestalt auf 2 Kön 14,25 zurückweist, implizit doch eine historische Einordnung.
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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fen.186 Obwohl die Jonaerzählung so starke Bilder von der Figur des Propheten zeichnet, geht es implizit doch immer mehr um das Schicksal des דבר־יהוהals um die vermeintliche Hauptperson. Hag 1,1 und Sach 1,1 folgt jeweils auf eine Datumsangabe „im zweiten Jahr des Königs Darius“, die Wortereignisformel „ היה דבר־יהוה ביד־חגי הנביא אל... geschah das Wort Jahwes durch die Hand Haggais des Propheten187 zu ...“ beziehungsweise „ היה דבר־יהוה אל־זכריה בן־ברכיה בן־עדו הנביא לאמר... geschah das Wort Jahwes zu Sacharja dem Sohn Berechjas dem Sohn Iddos, dem Propheten folgendermaßen“. Datumsangabe, Nennung des namengebenden Propheten und die Charakterisierung der folgenden Botschaft als Wort Jahwes lassen auch diese Verse als Überschriften erscheinen.188 Vermutlich war die ursprüngliche Überschrift des Ezechielbuches ganz ähnlich gestaltet.189 Ez 1,2–3a: ב ח מ שׁ ה ל ח ד שׁ ה י א ה שׁ נ ה ה ח מ ישׁ ית ל ג ל ות ה מ ל ך יויכ י ן׃ ה יה ה יה ד ב ר ־ יה וה א ל ־ יח זק א ל ב ן־ ב וזי ה כ ה ן ב א ר ץ כ שׂ ד ים ע ל ־ נ ה ר ־ כ ב ר 2 Am fünften des Monats – das ist das fünfte Jahr nach der Wegführung des Königs Jojachins – 3 geschah 190 das Wort Jahwes zu Ezechiel dem Sohn Busis des Priesters im Lande Kasdim, am Kanal Kebar.
In Jes 1,1; Am 1,1; Ob 1; Nah 1,1 und Hab 1,1 findet sich die Wendung דבר־ יהוהnicht. Dort begegnet stattdessen das Nomen חזוןoder das zugrundeliegende Verb חזה. Dies wurde traditionell mit „Schauung“/„Vision“ beziehungsweise „schauen“ wiedergegeben.191 Dabei lässt sich ein früher oft vermuteter Zusammenhang mit visionären Vorgängen nicht nachweisen. In den prophetischen Visionsschilderungen begegnet als Konstitutivum für das visionäre Sehen gerade nicht חזה, sondern ראה.192 In Mi 1,1 findet sich die interessante Wendung „Wort Jahwes, das geschah zu Micha aus Moreschet […], das er ‚sah‘ über Samaria und Jerusalem [“]אשׁר־חזה על־שׁמרון וירושׁלם. Hier kann das „Wort“ also „geschaut“ werden.193 Aus solcherart Beobachtungen lässt sich schließen, dass
Auch JEREMIAS, ATD 24/3, 83 konstatiert, es „fehlt jegliche Überschrift“. So ersetzen die Angaben in Jon 1,1 und 3,1 die Überschrift, die also – wie alles im Jonabuch – verglichen mit den übrigen Prophetenschriften ungewöhnlich aber so eben doch präsent ist. 187 Erst Habakuk, Haggai und Sacharja werden in den Überschriften ihrer Bücher ausdrücklich als הנביאbezeichnet. Bei allen anderen Propheten fehlt diese Prädikation. 188 Vgl. M EINHOLD, BKAT XIV/8, 4, der anmerkt, die Eröffnung des jeweiligen Buches bestehe „bei Jona, Haggai und Sacharja jedoch in einer der Überschrift funktional weitgehend gleichwertigen Einleitung.“ 189 Vgl. POHLMANN, ATD 22/1, 47ff.; ähnlich ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 22f. 190 Das erste היהist wohl Dittographie, vgl. App. der BHS. 191 Vgl. V ETTER, Art. חזה, 533–537. 192 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 38f. 193 Vgl. ähnlich Am 1,1: דברי עמוס ]…[ אשׁר חזה על־ישׂראל. 186
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
חזוןhier nicht eine Vision bezeichnet und dass חזהnicht Ausdruck für visionäres Sehen ist. Vielmehr wird mit der Wurzel allgemeiner ein Offenbarungsvorgang bezeichnet, sodass חזוןam besten auch mit „Offenbarung“ zu übersetzen ist.194 Die Wurzel begegnet dann vor allem zur umfassenden Bezeichnung der prophetischen Worte und weist diese als Ergebnis eines Offenbarungsvorgangs aus.195 In Nah 1,1 und Hab 1,1 wird die Botschaft der Propheten zusammenfassend als „ משׂאAusspruch“ bezeichnet196, der dann mit חזוןidentifiziert werden kann (Nah 1,1) oder der „geschaut“ ( חזהHab 1,1) wird. In Mal 1,1 wird die Botschaft des Buches ebenfalls mit משׂאüberschrieben, was dann aber ausdrücklich mit דבר־יהוהidentifiziert wird.197 Die Überschriften der Prophetenbücher gehören demnach in exponierter Weise zu einem intertextuellen Bezugssystem, mittels dessen die Worte der alttestamentlichen Schriftpropheten ganz umfassend als Wort Gottes ausgewiesen werden sollen.198 Dies gilt natürlich – wie in den behandelten redaktionellen Schlüsseltexten innerhalb einzelner Prophetenschriften – für eine bestimmte Stufe der Sammlung und des Redaktionsprozesses, die sich im Detail nicht mehr zweifelsfrei datieren lässt, aber zumindest das Exil voraussetzt.199 Wie gesehen, haben ältere Redaktionen den Weg dahin bereitet. Als aber die Prophetenbücher ihre Überschriften erhielten, wurde damit auch insgesamt das Vorzeichen דבר־יהוהvor die Sammlung der Prophetenworte gesetzt. Damit aber wird in den Überschriften der Prophetenbücher und in den redaktionellen Texten, die prophetische Worte explizit als דבר־יהוהausweisen, ein Verständnis vom „Wort Gottes“ grundgelegt, das bis heute hermeneutisch und theologisch relevant ist. Hier wird ein ganz generelles Verständnis geschriebener Prophetentexte als „Wort Gottes“ (singularisch formuliert) eta-
Vgl. ausführlich BEHRENS, Habakuk 2,1–4, 166–180. Vgl. in der Tendenz ähnlich KOCH, Profetenbuchüberschriften, 168. Für die dort von ihm vorgeschlagene Übersetzung „mantische intuitive Wahrnehmung“ besteht allerdings – insbesondere was einen Bezug zu Mantik angeht – kein Anlass im Textbefund. 195 Dabei handelt es sich um einen spezifischen Gebrauch von חזה, das im Aramäischen einfach „sehen“ heißt und in anderen Zusammenhängen (z.B. im Hiobbuch oder den Proverbien) auch so verwendet werden kann (vgl. Hi 34,32 oder Prov 22,29). 196 Vgl. auch 2 Kön 9,25; Jes 13,1; 14,28; 15,1; 17,1; 19,1; 21,1.11.13; 22,1; 23,1; 30,6; Sach 9,1; 12,1; Thren 2,14. Vgl. auch KOCH, Profetenbuchüberschriften, 169, der hier eine Maśśa-Gruppe der Prophetenüberschriften ausmacht, Hab 1,1 aber unerwähnt lässt. 197 Vgl. M EINHOLD, BKAT XIV/8, 14. 198 Für alle Varianten der Überschriften gilt, „daß der Inhalt der folgenden Schrift in einer ‚übernatürlichen‘ prophetischen Weise empfangen worden ist“, urteilt SCHART, Entstehung, 33. 199 „Alle vorliegenden P.[rophetenbücher] entstammen im Endstadium hell. Zeit, jedoch liegt ihre entscheidende formative Epoche fast immer voraus, überwiegend in der Exils- oder Perserzeit“ (JEREMIAS, Art. Prophetenbücher, 1711). 194
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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bliert. Zugleich wird festgehalten, dass das eine Wort in der Differenziertheit der unterschiedlichen Propheten ergeht.200 Die Worte, die auf Hosea, Amos, Micha, Jesaja etc. zurückgeführt und gesammelt werden, gelten ausdrücklich nicht nur als „Meinung“ der vermeintlichen Autoren, sondern als autoritativ verstandene Botschaft von Israels Gott. Zugleich aber wird festgehalten, dass dieses Wort Gottes nicht als „überzeitliche“ oder gar „zeitlose“ Wahrheit gilt, sondern eben an konkrete Individuen ergeht, die durch Vaternamen, Berufsbezeichnung oder Herkunftsort eindeutig identifiziert werden. Dazu gehören auch die Datierungen und die Adressatenangaben, die das Gotteswort zusätzlich in Raum und Zeit verorten. Damit ist, lange bevor diese Kategorie begrifflich geprägt wurde, die Geschichtlichkeit des Wortes Gottes festgehalten. Nichts macht dies deutlicher, als dass der hebräische Kanon das Zwölfprophetenbuch chronologisch aufbaut.201 Aber so wenig das prophetische Gotteswort zeitlos ist, ebenso wenig ist es an einem bestimmten historischen Ort festgebunden. Gerade die Redaktion der Prophetenbücher macht durch Fortschreibungen, Sammlungen und Kompositionen (und nicht zuletzt durch den Überlieferungsprozess als solchen) deutlich, dass das „Reden Jahwes zu Hosea“ (Hos 1,2) auch zu anderen Zeiten und an anderen Orten neu gehört und als Anrede Gottes an eine neue Generation verstanden werden kann. Diese Überzeugung drückt sich schon durch Erwähnung der Südreichkönige in den Überschriften zu Hosea und Amos aus. Aufgrund der Überzeugung, dass das einmal ergangene Gotteswort auch wieder neu reden und neu gehört werden kann, werden ältere Prophetenworte überliefert und durch Fortschreibungen aktualisiert und weitergedacht. Das eindrücklichste Beispiel ist sicher das Jesajabuch. Daneben entstehen bis in die spätpersische oder frühhellenistische Zeit neue Prophetenschriften (Jona und Maleachi wohl als die spätesten), die mit den anderen zu einem coprus propheticum zusammenwachsen. Dabei ergeben sich aus Fortschreibung, Sammlung und Komposition neue Botschaften, die zum Teil völlig unterschiedlich akzentuierte, ja sich widersprechende prophetische Gottesworte aufeinander beziehen. Gerade im Miteinander dieser vielen historisch gewachsenen Textanteile
Dazu SCHART, Entstehung, 36: „Die unauflösliche Bindung an die Person des Propheten hat zur Folge, daß sich das eine ‚Wort Jahwes‘ ( )דבר־יהוהin die Vielfalt von prophetischen Positionen entfaltet. Nur in dieser sich wechselseitig ergänzenden positionellen Vielfalt ist das Gotteswort präsent.“ Ähnlich schon WOLFF, BKAT XIV/1, 3: „Der Singular bekundet die Einheit der Willenskundgebung Jahwes bei aller Vielgestaltigkeit seines Redens. Insofern ist diese Formulierung des Buchtitels ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Kanonbildung“ [Hervorhebung im Original gesperrt]. 201 „Das Zwölfprophetenbuch präsentiert also eine Abfolge von Propheten, die die Geschichte Israels deutend begleiten. Sie haben es unternommen, ihren Zeitgenossen in den Ereignissen die Präsenz Gottes als die eigentlich bestimmende Wirklichkeit aufzuzeigen. Diese geschichtliche Dimension prophetischer Rede ist dem Einheitssinn des Zwölfprophetenbuches unmißverständlich eingeschrieben“ (SCHART, Entstehung, 39). 200
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
und Botschaften ergeben sich „Denkräume“, in deren Abschreiten die Fülle des Wortes Gottes erst erfasst wird. Unterschiedliche Texte kommen nebeneinander zu stehen, ergänzen sich oder diskutieren miteinander und ergeben so ein facettenreiches Gesamtbild. Dies gilt zum einen in synchroner Perspektive: So wird die Kultkritik des Hosea um die Sozialkritik des Amos ergänzt, beides auf das Israel des 8. Jahrhunderts bezogen.202 Die Alternative, ob Samaria eher wegen des falschen Gottesdienstes oder wegen des unsozialen Umgangs mit Armen und Geringen unterging, stellt sich so nicht mehr. Zugleich bleiben beide Aspekte späteren Lesern präsent. Aber auch in diachroner Perspektive ergibt sich ein neues Gesamtbild, wenn man die einzelnen Texte gleichzeitig wahrnimmt. Im Zwölfprophetenbuch stehen die Visionen des Amos, die auf das „Ende für mein Volk“ (Am 8,2) zulaufen, ebenso wie die Nachtgesichte Sacharjas, die zum Tempelbau motivieren sollen (vgl. Sach 1,16) und verheißen, dass das Böse selbst aus der Mitte des Gottesvolkes wegetragen wird (vgl. Sach 5,5–11). Die Botschaft Jesajas von der Verstockung dieses Volkes (vgl. Jes 6) wird ergänzt um die Trostbotschaft von Jes 40–55. Im Michabuch treffen die Ankündigung vom Untergang Jerusalems (Mi 3,9–12) und die Verheißung einer Völkerwallfahrt zum Zion (Mi 4,1–4) schroff aufeinander und sind doch durch eine Reihe von Stichwortbezügen miteinander verknüpft.203 So wird deutlich, dass sich ein angemessenes Verständnis des Wortes Gottes nicht in einem „Entweder-Oder“ verfangen darf. Es geht nicht um entweder „Gericht“ oder „Heil“, entweder „Gesetz“ oder „Evangelium“, wenn man so will. Erst im Zusammenhören scheinbar widersprüchlicher Aspekte aus unterschiedlichen geschichtlichen Situationen ist das Wesen des Wortes und des Gottes, der da redet, erfasst.204 Dabei wird die Situation der Rezipienten immer mitentscheiden, welcher Aspekt in den Vordergrund tritt.205 Das aspektreiche Gesamtbild, das dabei entsteht und das sich mithilfe der Redaktionsgeschichte in seiner Entstehung nachvollziehen lässt, nennt Aaron Schart einen „Kompromiss“206. Ich meine, es ist Ausdruck für eine bestimmte Art der Weltwahrnehmung, die sich vielfach im Alten Testament aber auch
Vgl. SCHART, Entstehung, 309f. 203 Über Mi 4,1ff. urteilt JEREMIAS, ATD 24/3, 170: „Ein härterer Kontrast zur Ankündigung der Zerstörung des Zion, der unmittelbar vorausgeht (3,12; jeweils ‚Berg des Hauses‘ und ‚Zion‘), lässt sich nicht denken.“ Signifikante Stichwortverknüpfungen sind: ראשׁ (3,9/4,2); ( יעקב3,9/4,2); ציון, ( ירושׁלם3,10/4,2); ירה/ ( תורה3,11/4,2); ( שׁפט3,11/4,3). 204 Vgl. Kapitel 6. 205 „In dieser Weise verblieb eine gewisse Unabgeschlossenheit und Spannung im Text, die die Mitarbeit der Leserschaft zur Konstitution von Sinn nicht nur erlaubte, sondern geradezu erforderte. Man kann das verstehen als bewußten Hinweis darauf, daß die Wirklichkeit Gottes, so sehr sie in den Texten verläßlich bezeugt ist, diese doch übersteigt […] In diesem Sinne stellt der Kanon eine kreative Aufgabe“ (SCHART, Entstehung, 313f.). 206 Vgl. SCHART, Entstehung 309ff. 202
4.1 Das Gotteswort bei den Propheten
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sonst im Alten Orient beobachten lässt und die man „Stereometrie“, „Konnektivität“ oder vielleicht am besten Aspektive nennen kann.207 Unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit werden zu einem Gesamtbild addiert, weil nur die Wahrnehmung von verschiedenen Seiten aus eine Sache angemessen erkennen lässt. Dabei wird nicht immer auf logische Widerspruchsfreiheit der einzelnen Aspekte geachtet, so wie erst beide Schöpfungsberichte zusammen ein angemessenes Bild der „Wirklichkeit“ ergeben, auch wenn nach modernem Verständnis der Mensch nicht zugleich zuletzt (Gen 1) und zuerst (Gen 2) geschaffen sein kann.208 So ist eben auch festzuhalten, dass Jerusalem bei anhaltender Missachtung des Willens Gottes das Gericht droht (Mi 3,12), aber dass es doch Gottes Wille ist, dass „von Zion Weisung ausgeht und das Wort Jahwes aus Jerusalem“ (Mi 4,2) zu allen Völkern. Zumindest implizit macht die Arbeit der Redaktion auf den Charakter der Schriftlichkeit des Gotteswortes aufmerksam.209 Die hier behandelten redaktionellen theologischen Deutetexte und insbesondere auch die Überschriften der Prophetenbücher sind ein genuin literarisches Phänomen. So wird hier Gottes Wort Text und damit ist der Grundstein für so etwas wie „heilige Schrift“ gelegt. Da aber redaktionelle Fortschreibungen und (Re-)Kontextualisierungen von Prophetenschriften immer auch Auslegungsprozesse darstellen, ist die Spur gelegt, dass die schriftlichen Prophetenworte nicht für eine Bibliothek gesammelt wurden, sondern wiederum auch Relevanz in der Gegenwart von Menschen gewinnen sollen, die selbst vielleicht gar nicht lesen können. Die Texte müssen also vorgelesen, erzählt und ausgelegt werden210, wenn der in der Redaktion angelegte Bedeutungsgewinn über den historischen Ort der Erstverschriftung hinaus eine Rezeptionsgemeinschaft erreichen soll. Aber zunächst ist mit der Sammlung und Fortschreibung der Prophetenworte vor aller Applikation die Aufgabe eines Verstehensprozesses angelegt. Die Notwendigkeit der Exegese ist im Medium der Redaktionsliteratur selbst mitgegeben.211
Vgl. BRUNNER-TRAUT, Frühformen; Dies., Art. Aspektive, 474–484; JANOWSKI, Konfliktgespräche, 13–21; WAGNER, Parallelismus, 1–26. Vgl. dazu insgesamt Kapitel 6.3. 208 Vgl. M ICHEL, Glaube, 144f., der die Menschenbilder der beiden Schöpfungserzählungen betrachtet und abschließend fragt: „Wer hatte also recht? Beide haben recht gehabt. Die beiden Darstellungen des Menschen schließen sich ja letztlich gar nicht aus, sondern bringen nur verschiedene Aspekte des Menschseins“ (a.a.O., 145). 209 Gelegentlich wird dies ja auch expliziert, vgl. die Bezeichnung des Nahumbuches als ספר חזוןin Nah 1,1, den Hinweis auf die Buchrolle in Ez 2,9ff. oder die Anweisung zum Niederschreiben der Offenbarung ( )כתוב חזוןin Hab 2,2. 210 Vgl. als inneralttestamentliche Spur solcher Vorgänge Neh 8,7–8. 211 Für die Redaktionsprozesse der prophetischen Literatur ist eine genaue Datierung, sowie eine Identifikation der Trägerkreise, die diese Prozesse initiiert und durchgeführt haben, schwierig, da die Texte selbst hierzu nichts explizit aussagen. Erste Sammlungs- und Verschriftungsvorgänge reichen wohl noch ins 8. Jahrhundert v.Chr. zurück, sonst wäre eine Überlieferung der Nordreichspropheten Hosea und Amos über den Untergang Samarias hin207
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Im Nachzeichnen dieser Fortschreibungs- und Reflexionsprozesse innerhalb der Prophetenbücher lässt sich ein Verständnis vom „Wort Gottes“ erheben, das im Grunde bis heute theologisch konstitutiv ist. Auf der einen Seite erheben die biblischen Texte den Anspruch, nicht bloß „antike Meinungsäußerung“ oder Zeugnis einer vergangenen religiösen Weltdeutung zu sein, sondern Wort Gottes. Sie erheben damit Anspruch auf Geltung. Auf der anderen Seite gehört der geschichtliche Charakter zum Verständnis des Wortes Gottes konstitutiv dazu. Gegenwärtige Geltung eines solchen Gotteswortes kann sich dann nicht aus der wundersamen Buchwerdung einer vermeintlich zeitlosen Wahrheit ergeben, sondern nur aus dem immer neu und immer wieder Relevantwerden der alten Botschaften in neuen Kontexten. Damit ist der Theologie bis heute von den Texten selbst die Aufgabe gestellt, den Anspruchscharakter des „Wortes Gottes“ und zugleich seine geschichtlich bedingte Entstehung wie seine ebenfalls geschichtlich bedingte Rezeption zu reflektieren und darzustellen.
4.2 Reflexionen über das Gotteswort im Deuteronomium und im Deuteronomistischen Geschichtswerk 4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
Der eben nachgezeichnete Prozess der Selbstbestimmung biblischer Texte als „Wort Gottes“ hat in den prophetischen Texten des Alten Testamentes seinen Ausgang genommen, ist dann aber auch in anderen Textbereichen wahrnehmbar. Dies gilt zunächst für Texte außerhalb des corpus propheticum, die wiederum prophetisches Reden und prophetisch vermitteltes Gotteswort zum Thema machen. Exemplarisch sollen hier das sog. Prophetengesetz aus dem Buch Deuteronomium und die Berufung Samuels aus 1 Sam 3 betrachtet werden. 4.2.1 Das Prophetengesetz Dtn 18,9–22212 Was macht die Eigenart und das Wesen der Prophetie aus, wenn sich schon inneralttestamentlich zeigen lässt, dass sich mit dem Stichwort נביאteils ganz unterschiedliche Phänomene bezeichnen lassen? Wie unterscheidet man wahre
aus nicht wahrscheinlich. Auch das Zitat von Mi 3,12 in Jer 26,18 legt nahe, dass bei der Abfassung des Jeremiatextes bereits ein schriftlicher Michatext vorlag (freilich ist damit noch nicht gesagt, welche konkrete Gestalt diese „Michaschrift“ gehabt hat und wann genau der Jeremiatext verfasst wurde). Vielleicht gab es bereits in der späten Königszeit Sammlungen von Prophetentexten (evtl. zunächst in „Schülerkreisen“, wie sie Jes 8,16 nahelegen). Vor allem aber die spätexilische und nachexilische Zeit (also ab 550 v.Chr.) wird hier zu einem wichtigen Anstoß der Sammlung und Redaktion älterer Texte (leider wissen wir nicht genau, an welche „früheren Propheten“ in Sach 1,4 oder in 2 Kön 17 gedacht ist). Der terminus ad quem ist dann das Entstehen der Septuaginta ab dem 2. Jahrhundert v.Chr. 212 Für das Folgende wird zurückgegriffen auf B EHRENS, LuThK 40 (2016), 3–24.
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
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von falscher Prophetie, wenn sich widersprechende Botschaften jeweils mit so spricht Jahwe eingeleitet werden? Und schließlich: In welchem Verhältnis steht die Prophetie zur Tora? Diese und andere Fragen sind eng mit dem Thema „Wort Gottes“ verknüpft. Ihnen soll anhand des Prophetengesetzes in Dtn 18,9–22 nachgegangen werden, indem dieser Text in seinem Duktus und in seinen zahlreichen Querbeziehungen zu anderen Texten wahrgenommen wird. Dtn 18,9–22: 9 Wenn Du in das Land kommst, das Jahwe dein Gott dir geben wird, dann sollst du nicht lernen, zu handeln entsprechend der Gräuel jener Völker. 10 Bei dir soll niemand gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, der Wahrsagerei treibt, der Wolken deutet, nach Omen sucht oder zaubert, 11 oder einer, der einen Bannspruch spricht, oder einer, der einen Totengeist befragt oder ein Wahrsager oder einer, der bei den Toten forscht. 12 Denn ein Gräuel für Jahwe ist jeder, der jene Dinge tut; denn um dieser Gräuel willen hat Jahwe sie vor dir vertrieben. 13 Ungeteilt sollst du sein bei Jahwe deinem Gott. 14 Denn jene Völker, die du in Besitz nehmen wirst, hören auf Wolkendeuter und Wahrsager; aber was dich betrifft – so hat Jahwe dein Gott es nicht für dich eingerichtet. 15 Einen Propheten aus deiner Mitte, von deinen Brüdern, einen wie mich wird dir Jahwe dein Gott erstehen lassen, auf den sollt ihr hören. 16 Gemäß alldem, was du von Jahwe deinem Gott erbeten hast am Horeb, am Tag der Versammlung folgendermaßen: „Ich kann nicht fortfahren, auf die Stimme Jahwes meines Gottes zu hören und dieses große Feuer will ich nicht länger sehen, damit ich nicht sterbe.“ 17 Und Jahwe sprach zu mir: „Es ist gut, was sie gesagt haben. 18 Einen Propheten will ich ihnen erstehen lassen aus der Mitte ihrer Brüder, einen wie dich; und ich will meine Worte in seinen Mund geben und er soll zu ihnen reden alles, was ich ihm gebiete. 19 Wenn es aber so kommt: Der Mann, der nicht auf meine Worte hört, die er in meinem Namen redet – ich selbst werde von ihm [Rechenschaft] fordern. 20 Nur der Prophet, der vermessen handelt, indem er in meinem Namen ein Wort redet, das ich ihm nicht geboten habe, zu reden, oder der redet im Namen eines fremden Gottes, jener Prophet soll sterben.“ 21 Und wenn du in deinem Herzen sprichst: „Wie sollen wir das Wort erkennen, dass Jahwe nicht geredet hat?“ 22 Das, was der Prophet im Namen Jahwes redet, aber Jahwe hat es gar nicht geredet – jenes Wort trifft nicht ein, weil Jahwe es nicht gesagt hat. In Vermessenheit hat der Prophet es geredet – fürchte dich nicht vor ihm.
Dieser Text ist als gesetzliche Bestimmung über die Prophetie im alten Israel Teil einer Textsammlung in Dtn 16,18–18,22, für die sich in der Exegese die Bezeichnung „Ämtergesetze“ durchgesetzt hat. Innerhalb der Gesetzessamm-
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
lung in den Kapiteln 12–26, die das Zentrum des Deuteronomiums bilden213, beschäftigen sich die Ämtergesetze mit Richtern und Gerichtsverfahren (Dtn 16,18–17,13), dem König (17,14–20), Priestern und Leviten (18,1–8) und der Prophetie (18,9–22). Dabei scheint die Reihung dieser „Ämter“ eher assoziativ entstanden zu sein.214 Auch literargeschichtlich ist der Komplex dieser Ämtergesetze nicht als ursprüngliche Einheit anzusehen. Den älteren Teil bildet vermutlich eine noch vorexilische Gerichtsorganisation für den Staat Juda, die dann im Exil mit Ausblick auf ein neues Israel bei einer möglichen Heimkehr zu einem gewaltenteiligen Verfassungsentwurf ausgebaut wurde.215 So hat etwa das Königsgesetz, das die Macht eines Königs in Israel deutlich beschränkt und ganz auf die Observanz der bereits schriftlich vorliegenden Tora konzentriert, eindeutig „utopischen“ Charakter. Dabei blickt dieses Königsgesetz ganz offenbar auf Erfahrungen mit den Königen Israels zurück und reagiert darauf. Ebenso spiegelt auch das Prophetengesetz Erfahrungen mit der Prophetie und ihrer Rezeption wider. Wahrscheinlich stellen das Königs-, wie das Prophetengesetz deuteronomistische Ergänzungen zu einer ursprünglich deuteronomischen Gerichtsordnung dar. Nach Otto stammt das Prophetengesetz in seinem Grundbestand aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. und ist dann nachexilisch fortgeschrieben worden.216 a) Zur Auslegung von Dtn 18,9–22 Zunächst markiert die Formulierung Wenn du in das Land kommst, das Jahwe, dein Gott, dir geben wird ... einen deutlichen Neueinsatz gegenüber dem Vorherigen. Diese sog. „historisierende Gebotseinleitung“ dient im Deuteronomi-
Bei allen strittigen Detailfragen lassen sich doch folgende Einsichten als Konsens der neueren Exegese festhalten. Das Deuteronomium stammt in seinen ältesten Passagen frühestens aus dem 7. Jahrhundert v.Chr. und wird mit den Reformbemühungen judäischer Könige in Zusammenhang gebracht. Einige sehen bereits eine Verbindung mit Hiskia. Seit Wilhelm Martin Leberecht de Wette wurde das Dtn, oder besser: eine Vorform des kanonischen Textes mit dem Gesetzbuch in Verbindung gebracht, das Josia im Jahr 622 v.Chr. im Tempel gefunden hat (vgl. 2 Kön 22f.). Die von Josia initiiert Kultzentralisation auf den Tempel in Jerusalem entspricht genau den Forderungen des dtn Grundgebotes in Dtn 12, das wiederum dem Hauptgebot der Alleinverehrung Jahwes dient. Seine formative Gestalt gewann das Dtn sicher während des Exils, wurde aber auch nachexilisch noch fortgeschrieben; vgl. PREUß, Deuteronomium [ältere Forschung]; FINSTERBUSCH, Deuteronomium; GERTZ, Deuteronomium, 247–260; BRAULIK, Buch Deuteronomium, 152–182. 214 Vgl. B RAULIK, NEB.AT 28, 121f. 215 Vgl. grundlegend LOHFINK, Sicherung, 305–323; Ders., Gewaltenteilung, 57–75, sodann: RÜTERSWÖRDEN, Gemeinschaft; Ders., Verfassungsentwurf, 313–328; CRÜSEMANN, Tora, 273–283; OTTO, Gerichtsordnung, 142–155, Ders., Deuteronomium 12,1–23,15, 1417–1459. 216 Vgl. zur Übersicht O TTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1459. 213
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um öfter zur Einführung eines neuen Themas.217 Was dann folgt, ist, von Fragen des literarischen Wachstums zunächst einmal abgesehen218, bereits auf den ersten Blick deutlich zweigeteilt.219 Die Verse Dtn 18,9–14 verbieten den Israeliten, von den Vorbewohnern des Landes Orakel- und Beschwörungspraktiken zu lernen. Nach der Faustregel, was verboten wird, ist vorgekommen, scheint der Kontakt mit solchen altorientalischen Techniken zur Nachahmung angeregt zu haben. Dies gilt besonders, wenn die erwähnten Dinge in den ausdifferenzierteren Gesellschaften des Alten Orients quasi „wissenschaftlichen“ Rang hatten. Entgegen der Erzählsituation des Textes, die Wolkendeutung und Omenkunde den „kanaanäischen“ Vorbewohnern des Landes zuschreibt, dürfte Israel vor allem in Babylon oder zuvor im Kulturkontakt mit den Assyrern solchen Phänomenen begegnet sein.220 Die Verfahren, die hier verboten werden, lassen sich nicht im Einzelnen aufhellen.221 Vielleicht verbirgt sich hinter V. 10a noch die Vorstellung eines Menschen-, beziehungsweise Kinderopfers.222 Entscheidend ist, dass dies alles als „Gräuel“ (V. 9.12) gilt, weil es das Verhältnis Israels zu seinem Gott Jahwe trübt. So gibt V. 13 das eigentliche Ziel dieser Ausführungen an: Ungeteilt sollst du sein bei Jahwe deinem Gott. Eigentlich ist schon die Formel Jahwe, dein Gott ()יהוה אלהיך, die sich durch den Text zieht223, die zentrale Aussage. Wer durch Wolkendeutung oder Toten-
Vgl. RÜTERSWÖRDEN, Gemeinschaft, 54–58 und CRÜSEMANN, Tora, 280f, die beide die historisierende Gebotseinleitung für vorexilisch-dtn halten, während LOHFINK, Sicherung, 313f. diese nun gerade für ein Indiz für den exilisch-dtr Charakter des Textes hält; vgl. auch OTTO, Gerichtsordnung, 150, Ders., Deuteronomium 12,1–23,15, 1453f., sowie KÖCKERT, Ort, 80–100, der mit Nachdruck und mit guten Gründen festhält: „Alle Belege der ‚historisierenden Gebotseinleitung‘ im Dtn stellen die davon eingeführten Bestimmungen unter die Fiktion der Gesetzespromulgation jenseits des Jordans unmittelbar vor der Landnahme und setzen damit den ‚narrativen Kontext des DtrG‘ voraus; sie können also selbst nicht vor-dtr sein.“ 218 Nach O TTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1465–1459 handelt es sich bei Dtn 18,10– 13.21f. um nachexilische Fortschreibungen, die den ursprünglichen Text um die Themen „Zauberei und Mantik“, sowie „wahre und falsche Prophetie“ ergänzen. 219 Vgl. so bereits R AD, ATD 8, 88. 220 Auffällig sind die textlichen Berührungen von Dtn 18,9–14 und 2 Kön 21,1–15, wo viele der hier beschriebenen „Gräuel“ dem judäischen König Manasse zugeschrieben werden; vgl. BRAULIK, NEB.AT 28, 133. Außerdem finden sich Berührungen mit 2 Kön 17,13– 17, einem Text, der vermutlich für die Formulierung von Dtn 18,10–13 bereits vorausgesetzt war. Dies sind Gründe, in den Versen 10–13 eine nachexilische Ergänzung zu sehen; vgl. OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1457f. 1495f. 221 Vgl. R OSE, ZBK.AT 5,1, 95; zu den altorientalischen Praktiken M AUL, Wahrsagekunst; OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1495f. 222 Vgl. N IELSEN, HAT I/6, 186; D AY, Art. Menschenopfer, 1087f.; B AUKS, Art. Menschenopfer; GROHMANN, Art. Feuer (§ 2). 223 Vgl. V. 9.13.14.15.16. Die Fortschreibung in den Versen 10–13 nimmt also theologische den Duktus des Textes auf und setzt ihn in die nachexilische Zeit fort; vgl. OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1496. 217
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befragung andere Schicksalsmächte nach dem richtigen Weg fragt, ist nicht mehr ungeteilt bei seinem Gott.224 V. 14 fasst den bisherigen Text noch einmal als eine Art Fazit zusammen: „Denn jene Völker, die du in Besitz nehmen wirst, hören auf Wolkendeuter und Wahrsager; aber was dich betrifft“ – so hat Jahwe dein Gott es nicht für dich eingerichtet. Damit ist der entscheidende Gegensatz zwischen jenen Völkern und Israel (... was dich betrifft ...225) eröffnet. Bisher wurde aber nur festgehalten, wie Israel sein Schicksal nicht erfragen soll. Erst ab V. 15 folgt ein Prophetengesetz, das den Namen verdient; denn von einem Propheten war ja bisher noch gar nicht die Rede. Die Verse 15–22 könnten auch ohne jeden Zusammenhang mit V. 9–14 verstanden werden, aber im vorliegenden Textzusammenhang soll Israel die Rolle der Propheten in seiner Mitte offenbar vor dem Hintergrund der altorientalischen Orakelwesens verstehen. Dieser Kontext macht deutlich, dass Prophetie einerseits und Orakeldeutung andererseits als etwas wesentlich Unterschiedenes begriffen werden sollen. Im Unterschied zu jenen Völkern (V. 9) wird es in Israel demnach einen נביא geben. Während dieses Stichwort im bisherigen Pentateuch insgesamt erst siebenmal vorkam226, findet es sich innerhalb von Dtn 18,15–22 allein fünf weitere Male. In der kanonischen Lesefolge wird nun also etwas Neues ausdrücklich zum Thema. Historisch blickt dieses Prophetengesetz freilich auf Erfahrungen mit Prophetie und auch auf vorhandene Texte zurück, auf die direkt oder indirekt Bezug genommen wird. Auf das Ganze des Alten Testaments gesehen, ist aber keineswegs immer eindeutig, was mit dem Begriff נביאbezeichnet wird.227 Da gibt es Bezüge zu einer vermeintlich alten Sehertradition (vgl. 1 Sam 9,9), mal wird ein ekstatisches Phänomen bezeichnet (vgl. 1 Sam 10,11) oder es ist von staatstragenden Hofpropheten die Rede (vgl. 1 Kön 22), bis dahin, dass Amos die Bezeichnung נביאfür sich rundweg ablehnen kann (vgl. Am 7,14). Hier, im Prophetengesetz, werden nun verschiedene Dinge über einen solchen Propheten gleichsam definitorisch festgestellt: Der Prophet stammt aus der Mitte Israels, ist einer seiner „Brüder“228 und eben niemand aus
Vgl. ROSE, ZBK.AT 5,1, 103. 225 Insbesondere der zusammengesetzte Nominalsatz ואתה לא כן נתן לך יהוה אלהיךmacht den Fazitcharakter auch syntaktisch deutlich: Das vorangestellte ואתהweist auf den Zielpunkt: Du aber redet Israel eben in seiner Unterschiedenheit von jenen Völkern (V. 9) an. 226 Vgl. Gen 20,7 (Abraham als Prophet bei Abimelech); Ex 7,2 (Aaron als Prophet des Mose); Num 11,29 (die Ältesten Israels als geistbegabte Propheten); Num 12,6 (Propheten als Seher); Dtn 13,2.4.6 (falsche Propheten und Träumer). 227 Vgl. R OSE, ZBK.AT 5,1, 97. 228 Vgl. PERLITT, Volk, 50–73. 224
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jenen Völkern. Jahwe selbst wird ihn erstehen229 lassen. Insofern ist der נביא eben kein „Amt“ im landläufigen Sinne einer gesellschaftlichen Institution. Vielmehr ist er das charismatische Gegenüber zu allen Institutionen. Er ist außerdem wie ich, also wie Mose und wird dadurch auch an die Tora zurückgebunden.230 Schließlich kann man ihn hören, das heißt sein Medium ist nicht die Deutung der Wolken oder anderer Orakel231, sondern das Wort. In den Versen 16 und 17 wendet sich der Sprecher Mose nun direkt an das Volk und ruft für die Einsetzung eines Propheten einen ganz anderen Kontext auf. Nun geht es nicht mehr darum, dass Israel auf Propheten hört im Unterschied zu jenen Völkern. Vielmehr wird jetzt an eine Bitte des Volkes selbst erinnert. Im Kontext der Verkündigung des Dekalogs wurde den Israeliten angesichts der dortigen Theophanie bewusst, dass es Gott nicht hören oder sehen kann, ohne zu sterben.232 V. 17 bestätigt dieses Zitat des Volkes ausdrücklich im Mund Jahwes. Demnach kommt dem angekündigten Propheten also die Funktion eines Mittlers zwischen Gott und Volk zu. Zugleich wird auf der sprachlichen Ebene in V. 17 mit der Formulierung es ist gut, was sie gesagt haben ( )היטיבו אשׁר דברוdie Wurzel דברeingeführt, die als Signalwort den Rest des Textes bestimmen wird. Mal verbal, mal substantivisch gebraucht, wird דברzu einem Leitwort des Textes.233 V. 18 scheint zunächst einfach V. 15 zu wiederholen. Während dort aber Mose redet, ergehen die Worte jetzt aus dem Munde Jahwes.234 Bereits am
Subjekt von קוםim Hifil ist im Alten Testament in der Regel Gott, vgl. Ri 3,9.15 (Retter); 1 Sam 2,35 (Priester); Am 2,11; Jer 29,15 (Propheten); Dtn 28,36; 1 Kön 14,14; Jer 30,9 (Könige) u.ö. 230 Vgl. in diesem Sinne die dtr theologische Reflexion über die Rolle der Propheten in 2 Kön 17,13 (Propheten als Mahner der Umkehr zu Gottes Geboten) und das Kolophon des Kanonteils nebi’im in Mal 3,22 (Einschärfung der Tora des Mose). Zur Bedeutung der „Mosaizität“ des/der kommenden Propheten OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1497. 231 Vgl. V. 14, wo auch die Völker auf ihre Wahrsager hören. So stellt die Wurzel שׁמע eine Verbindung zwischen beiden Textteilen und zugleich eine kontrastive Bezugnahme dar; vgl. ROSE, ZBK.AT 5,1, 102. 232 Vgl. die engen wörtlichen Berührungen zwischen Dtn 18,16f. und Dtn 5,22–28; vgl auch OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1498, der im Rückbezug auf die Horebszene einen „Schriftbeweis“ sieht. Zu den Parallelen vgl. ACHENBACH, Prophet, 442. Dass man deshalb aber in Dtn 18,16–20 „mit einer jüngeren Fortschreibung zu rechnen“ (CRÜSEMANN, Tora, 281) habe, ist keinesfalls ausgemacht; denn zumindest der Einwand von V. 21 kann doch am besten als Anknüpfung an V. 20 und nicht als ursprüngliche Anknüpfung an V. 15 (vgl. a.a.O., 281f.) verstanden werden; vgl. OTTO, Gerichtsordnung, 151f. außerdem Ders., Prophetie, 266f. 233 In den Versen 17–22 findet sich die Wurzel דברnicht weniger als fünfzehn (!) mal. 234 In V. 15 und 18 liegt nicht eine Dublette im Sinne eines literarkritischen Indikators vor. Vielmehr verhalten sich die beiden Sätze als komplementäre Aspekte einer Aussage zueinander: Was V. 15 im Munde des Mose ergeht, wird in V. 18 durch Jahwes eigene Aus229
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Horeb hat also Gott selbst Mose gegenüber die Installation eines Propheten angekündigt. Allerdings bringt dieser Vers zwei neue Akzente, die wesentlich sind. Zum einen wird nun ausdrücklich gesagt: ich will meine Worte in seinen Mund legen ()ונתתי דברי בפיו. Der Prophet wird also seine Worte von Gott selbst empfangen. Aber diese Worte sind nicht nur für den Propheten selbst bestimmt, sondern sollen an das Volk als Gebote Gottes übermittelt werden: und er wird zu ihnen all das sagen, was ich ihm gebiete ()ודבר אליהם את כל אשׁר אצונו.235 Beide Formulierungen weisen in das Jeremiabuch, wo sie wörtlich wiederbegegnen.236 Im Duktus des Textes Dtn 18,15ff. ist sehr wahrscheinlich nicht an einen bestimmten Propheten gedacht.237 Vielmehr wird das Prophetenamt insgesamt in der Kontinuität des Mose gesehen. Die sprachlichen Beziehungen lassen aber darauf schließen, dass die Verfasser von Jer 1 in Jeremia die Verkörperung eines solchen Propheten sahen.238 Damit ist eigentlich alles gesagt, und in der Tat signalisiert das והיהzu Beginn des Verses 19 einen Neueinsatz. Jetzt werden noch zwei Formen grundlegenden Fehlverhaltens angesprochen: Zunächst geht es darum, dass der Prophet zwar Gottes Wort redet (das Wort, das er in meinem Namen redet), einzelne dieses Wort aber nicht hören wollen. Diesem Verhalten wird die Strafe Gottes angedroht. Sodann thematisiert V. 20 den Fall, dass ein Prophet nicht in Jahwes Namen, sondern im Namen eines fremden Gottes redet. Das ist ein Verstoß gegen das Hauptgebot des Deuteronomiums, dass Israel nämlich ungeteilt bei seinem Gott bleiben soll (vgl. V. 13). Es wird entsprechend als todeswürdiges Verbrechen eingestuft. Die Verse 21f. schließen hier an, indem sie wiederum eine bisher noch nicht behandelte Frage aufwerfen239: Woran sollen die Zuhörerinnen und Zuhörer erkennen, ob ein Prophet, der sich auf Jahwe beruft, tatsächlich in dessen Na-
sage bekräftigt. Der Hinweis in V. 15 auf diesen Propheten sollt ihr hören, wird durch die Aussage in V. 18 ich lege meine Worte in seinen Mund begründet; vgl. KÖCKERT, Ort, 94f. 235 Dazu R OSE, ZBK.AT 5,1, 102: „Wichtig ist aber vor allem die Fortsetzung: daß die ‚Gottes-Worte‘ (der Gottes-Wille) in seinen Mund gelegt werden und daß der Prophet gehorsam und getreu alles dem Volk mitteilt, was ihm aufgetragen ist. Das Primäre und Eigentliche an den Propheten ist ihre Beziehung zu Gott – und die besteht wesentlich in der Worthaftigkeit“ [Hervorhebung im Original]. 236 Vgl. meine Worte in deinen Mund legen in Jer 1,9 und 5,14; alles, was ich dir gebiete in Jer 1,7. 237 „Formuliert wird, da ist sich die Forschung einig, im Iterativ. Immer wieder wird es solch einen Propheten geben“ (CRÜSEMANN, Tora, 281). 238 Setzt man mit Otto voraus, dass Dtn 18,18 zu einer deuteronomistischen Erweiterung der Ämtergesetze aus dem 6. Jahrhundert gehört (vgl. OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1459), dann dürfte Jer 1 als zusammenfassende Einleitung des Jeremiabuches (oder doch einer Teilsammlung Jer 1–25; vgl. HERRMANN, Jeremia, 199 [„spätes Stadium der Redaktion“]) der jüngere Text sein; vgl. FISCHER, Jeremia, 75f. 239 Vgl. O TTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1459.1500ff., der hier eine nachexilische Fortschreibung aus dem 5./4. Jahrhundert annimmt.
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men redet?240 Die Antwort ist ebenso einleuchtend, wie für die Fragenden unbefriedigend: Wessen Botschaft eintrifft, der hat Recht. Unbefriedigend ist diese Antwort deshalb, weil die Frage, wessen Worte denn nun vertrauenswürdig sind, in der konkreten Situation eben nicht beantwortet, sondern auf die Zukunft verschoben wird.241 Bedenkt man aber den historischen Ort des Textes von Dtn 18,21f., der höchstwahrscheinlich auf eine Geschichte der Prophetie seit dem 8. Jahrhundert zurückblickt, dann liegt hier ein Stück theologische Reflexion vor, die bereits den Maßstab dafür liefert, was aus der vorliegenden prophetischen Tradition bewahrens- und überlieferungswürdig ist. Auf diese Weise erweist sich der Text Dtn 18,9–22, der als Verbot magischer Praktiken für Israel beginnt und dann zur Beschreibung einer Prophetie im Gefolge des Mose wird, in seinem Fortgang schließlich als eine Theologie des Wortes Gottes im Kleinen. Dies wird noch deutlicher, wenn man die zahlreichen intertextuellen Bezüge zu anderen alttestamentlichen Abschnitten in den Blick nimmt. b) Intertextuelle Vernetzungen des Prophetengesetzes Zunächst ist der Text in den Nahkontext der Ämtergesetzte eingebunden. Hier fallen besonders die Verknüpfungen mit dem Königsgesetz auf. Beide Texte beginnen mit einer sog. historisierenden Gebotseinleitung (wenn du in das Land kommst, das Jahwe, dein Gott, dir geben wird ... Dtn 17,14 und 18,19). Während dann ein König eingesetzt wird, wie ihn alle Völker, die mich umgeben (Dtn 17,14) haben, verweist Dtn 18,9.14 darauf, worin Israel gerade nicht handeln darf wie jene Völker. Sowohl der König als auch der Prophet sollen allerdings aus der Mitte deiner Brüder (Dtn 17,15 vgl. 18,15.18) stammen, dürfen also keine Fremden sein. Der König wird von Jahwe erwählt und vom Volk eingesetzt, während der Prophet allein von Gott eingesetzt wird.242 So sind hier politische Institution und charismatisches Gotteswort in den Ämtergesetzen einander gegenübergestellt. Der König wird direkt an die geschriebene Tora gebunden (vgl. Dtn 17,18).243 Der Prophet ist über den Vergleich mit Mose indirekt mit der Tora verknüpft244, sagt aber ein eigenes Wort, das später auch zu einem eigenen Schriftenkorpus führt.
Jer 27f. spielt das Problem im Gegenüber von Jeremia und Hananja durch: Auch der falsche Prophet legitimiert seine Botschaft mit der kô-’āmar-yhwh-Formel (Jer 28,2). 241 Die Brisanz dieses Problems lässt sich wiederum an Jer 27f. verdeutlichen: Sollen sich die dort im Text angesprochenen Judäer nun mit den Worten Jeremias auf eine Exilierung durch die Babylonier einstellen (lässt sich diese vielleicht noch abwenden?), oder hören sie auf Hananja und fühlen sich in Sicherheit? 242 Zur dialogischen Beziehung von Dtn 17,14–20 und 18,9–22 vgl. O TTO, Gerichtsordnung, 151. 243 Vgl. LOHFINK, Sicherung, 311. 244 Vgl. LOHFINK, Sicherung, 320f. Dazu O TTO, Gerichtsordnung, 154: „Die mosaisch legitimierte Prophetie tritt neben die mosaische Tora […] So wird aus guten theologischen 240
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In der vorliegenden Gestalt blicken diese Ämtergesetze als ein Verfassungsentwurf auf eine bessere Zukunft nach dem Exil voraus und zugleich auf die Erfahrungen der Königszeit Israels und Judas zurück. So ist es kein Wunder, dass der König in seiner Macht erstaunlich (und geradezu „utopisch“) begrenzt wird. Das DtrG und die weitgehend kritischen Prophetenbücher, die mit Amos, Hosea, Micha oder Jesaja verbunden werden, verweisen darauf, dass das Königtum in Israel und Juda keineswegs eine durchweg gottgefällige oder gar selbst göttliche Größe ist. Vielmehr wird das, was hier in der Erzählsituation des Deuteronomiums mit jenen Völkern in Verbindung gebracht wird, in der geschichtlichen Rückschau vor allem Israels Königen vorgeworfen. Von der Apostasie des Königs Manasse war schon die Rede (vgl. 2 Kön 21,1–15). Zum Vorwurf der Totenbeschwörung (vgl. Dtn 18,11 )אובwäre exemplarisch die Geschichte von Sauls Gang zur Totenbeschwörerin von En-Dor zu vergleichen (vgl. den Begriff אובin 1 Sam 28,3.7ff.). Angesichts dieser Erfahrungen dient der Verfassungsentwurf mit seiner Bindung des Königs an die schriftliche Tora und die Hochschätzung des prophetischen Wortes insgesamt in der Tat der „Sicherung des Gotteswortes“245. Die Einsetzung des Propheten wird – auch darauf wurde bereits hingewiesen – in Dtn 18,16f. historisch an die Situation der Offenbarung am Horeb zurückgebunden. Auffällig sind die engen textlichen Berührungen mit Dtn 5,22ff. Da dieser Text aber zum späteren dtr. Rahmen des Deuteronomiums gehört, kann das auch für die Reminiszenzen in V. 16f. gelten. Zugleich ergibt sich hier die Frage, ob das „Amt“ der prophetischen Ansage des Gotteswortes nicht auch an den Ursprungsort der Tora zurückgebunden wird.246 Signifikant sind weiterhin die Berührungen zwischen dem Prophetengesetz und Dtn 13,1–6.247 Wird in Dtn 12 das Hauptgebot des Deuteronomiums eingeschärft, nach dem alles darauf ankommt, den einen Gott (1. Gebot) an dem einen Kultort (Kultzentralisation) zu verehren, folgen in Kapitel 13 gleich drei Beispiele für Verführungen zur Verletzung des ersten Gebotes.248 Das erste dieser Beispiele ist ein נביא, der im Zusammenhang mit Träumern genannt wird
Gründen das Verhältnis zwischen Prophetenwort und Tora in der Schwebe gehalten, wobei das Problem dadurch gemildert wird, daß die Tora durch Mose als Prophet vermittelt wurde und ein Prophet wie Mose Empfänger und Künder des Gotteswortes sein soll“; vgl. auch Ders., Deuteronomium 12,1–23,15, 1499. 245 Vgl. LOHFINK, Sicherung, 306. 246 „Während die anderen Ämter zu ihrer Amtsführung der Tora bedürfen, dient das Prophetenamt gleichsam der von Gott gewirkten Auslegung der Tora. Als Amt, das die Funktionsfähigkeit der anderen Ämter ermöglicht, wird allein das Prophetenamt solenn auf dem Horeb begründet“ (KÖCKERT, Ort, 98). 247 Zur literargeschichtlichen Analyse und den traditionsgeschichtlichen Hintergründen des Textes vgl. OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1222ff.1238ff. 248 Vgl. ausführlich V EIJOLA, Wahrheit, 109–130 und dazu O TTO, Prophetie, 259ff. sowie KÖCKERT, Ort, 84
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und ausdrücklich zur Nachfolge fremder Götter aufruft. Allein schon das bis dahin im Alten Testament äußerst seltene Stichwort נביאverbindet die beiden Texte miteinander. Während aber der Prophet in Dtn 13,2 von selbst aufsteht ( קוּםim Qal), lässt Jahwe den Propheten „wie Mose“ erstehen ( קוּםHifil in Dtn 18,15.18).249 Dass Dtn 18,20 den Fall diskutiert, ein Prophet könnte im Namen fremder Götter ( )בשׁם אלהים אחריםauftreten, ist eine deutliche Wiederaufnahme von Dtn 13,3 ()נלכה אחרי אלהים אחרים. Dieser Fall wird in der prophetischen Literatur des Alten Testaments so aber nicht genannt.250 Auch falsche Propheten reden im Namen Jahwes Falsches. Erst dadurch kann sich das Problem ergeben, das mit Dtn 18,21f. gelöst werden soll. Aber im Deuteronomium ist eben der Abfall von dem einen Gott Israels das immer neu diskutierte und zu vermeidende Vergehen. Entsprechend soll man auch auf die Propheten und Träumer aus Dtn 13 nicht hören (13,4: )לא תשׁמע אל דברי הנביא ההוא, während es in Dtn 18,15 gerade heißt den sollt ihr hören ()אלי תשׁמעון. Ein Grund für die Unglaubwürdigkeit des Propheten in Dtn 13 einerseits und der Glaubwürdigkeit des Propheten in Dtn 18 andererseits ergibt sich erst aus dem Vergleich beider Texte. In Dtn 13,4 ist ausdrücklich von den Worten jenes Propheten ( )דברי הנביא ההואdie Rede, während Jahwe Dtn 18,18 konstatiert: ich werde meine Worte in seinen Mund legen ()ונתתי דברי בפיו. Es gehört also zum Wesen wahrer Propheten, dass sie nicht ihr eigenes, sondern Gottes Wort sagen. Die Formulierung, Jahwe lege seine Worte in den Mund des Propheten, findet sich im gesamten Alten Testament nur hier und in Jer 1,9; 5,14.251 In der Berufungserzählung Jer 1 sagt Jahwe außerdem zu Jeremia: ... alles, was ich dir gebiete, sollst du reden (Jer 1,7: )כל אשׁר אצוך תדבר, was deutlich an Dtn 18,18 anklingt: und er soll zu ihnen alles reden, was ich ihm gebiete ()ודבר אליהם את כל אשׁר אצונו.252 Auch das Ringen um falsche Prophetie (vgl. Dtn 18,21–22) ist ein zentrales Thema im Jeremiabuch (vgl. Jer 26–28)253, sodass enge Beziehungen zwischen dem Prophetengesetz und dem Jeremiabuch seit langem gesehen wurden. Dabei ist sehr wahrscheinlich, dass die späte Einleitung ins Jeremiabuch in Jer 1 den Abschnitt Dtn 18,15ff. bereits voraussetzt.254
Vgl. VEIJOLA, Wahrheit, 118, ACHENBACH, Prophet, 442. 250 „Man stelle sich doch einmal probeweise jenen Propheten von Dtn 13* konkret vor und wird sofort den Fall als durch und durch konstruiert erkennen. ‚Die Geschichte kennt keine Propheten und Träumer, die zum Abfall von Jahwe aufforderten, am wenigsten in Josias Zeit‘.“ So lautet das Fazit von KÖCKERT, Ort, 84 (mit Zitat von Gustav Hölscher). 251 Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Belegen, die für eine analoge Aussage die Vokabel שׂיםverwenden; vgl. dazu ACHENBACH, Prophet, 451ff. 252 Vgl. K ÖCKERT, Ort, 89, der für die literarische Priorität von Jer 1 gegenüber Dtn 18,18 plädiert („Dtn 18,18b als Kondensat aus Jer 1,7 + 9“). Es war bereits dargelegt worden, dass hier das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis der Texte angenommen wird. 253 Vgl. ausführlich K ÖCKERT, Ort, 91ff. 254 Vgl. O TTO, Prophetie, 267; anders aber: B RAULIK, NEB.AT 28, 136f. und mit Nachdruck KÖCKERT, Ort, 85–93. 249
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Dann erscheint die Figur des Jeremia im Lichte dieses Textes als prototypisch idealer Vertreter eines Propheten „wie Mose“. Hält man andererseits die Frage nach wahrer und falscher Prophetie in Dtn 18,21f. für einen späten nachexilischen Zusatz255, könnte hier wiederum Jer 26–28 die literargeschichtliche Priorität zukommen. Dann ließe sich in der jeweils komplexen Literargeschichte des Prophetengesetzes und des Jeremiabuches ein theologischer Dialog zwischen beiden Text(bereich)en erkennen.256 Noch einmal kommt das Deuteronomium selbst auf den „Propheten wie Mose“ zu sprechen, nämlich in seinen letzten Versen in Dtn 34,10–12, wo es heißt: Aber es stand kein Prophet mehr in Israel auf wie Mose, der Jahwe von Angesicht zu Angesicht kannte. (Dtn 34,10) Hier ergibt sich eine Spannung zu den Ansagen von Dtn 18,15.18: Während in Dtn 18 an den Propheten im Sinne eines je und dann durch unterschiedliche Personen wahrzunehmendes „Amt“ gedacht ist, legt die starke Betonung der Unvergleichbarkeit des Mose in Dtn 34 nahe, dass erstens die prophetische Überlieferung ganz der Tora nachgeordnet wird257, und dass sich zweitens die Ankündigung eines Propheten „wie Mose“ aus Dtn 18 bisher nicht (vollständig) erfüllt hat, dass also das Kommen eines solchen Propheten noch aussteht.258 Wird dann in der Perspektive der Rezipienten biblischer Texte die Ankündigung von Dtn 18,15.18 im Lichte von Dtn 34,10 gelesen und sollen dabei beide Texte ihre Geltung behalten, dann wird der Satz es stand kein Prophet wie Mose mehr auf in Israel ... implizit durch ein bis jetzt ergänzt. So ergibt sich im Miteinander dieser beiden Aussagen eine „wachsende Erwartung“259. Im Judentum und auch im Neuen Testament setzt sich dann ein Verständnis des Propheten aus Dtn 18 als einer verheißenen eschatologischen, oder gar messianischen Gestalt durch.260 Ich sehe
Vgl. OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1459. 256 Vgl. A CHENBACH, Prophet, 446–451. 257 Vgl. Jos 1,7f. mit seiner Mahnung an Josua, sich an die geschriebene Tora zu halten. So wird der Kanonteil Nebi’im eröffnet, der in Mal 3,22 mit der Mahnung schließt: Gedenkt der Tora des Mose, meines Knechtes, die ich ihm am Horeb geboten habe über ganz Israel, Satzungen und Rechtssätze. 258 Wenn man nicht Dtn 18,15.18 als durch Dtn 34,10 falsifiziert ansehen möchte. In der literarischen Entstehungsgeschichte mag es sich allerdings genau so verhalten haben: „Damit korrigiert 34,10 die Ankündigung von 18,15.18 durchgreifend“, stellt KÖCKERT, Ort, 81 fest. ACHENBACH, Prophet, 453 erkennt in Dtn 34 „the interest of a new group of priestly scribes who wanted ultimately to change the concept of Deut 18:15.18“. Nun sehen sich spätere Leser des Textes aber mit beiden Aussagen konfrontiert; denn die „Korrektur“ führte ja nicht zur Tilgung von Dtn 18,15.18. Aus diesem Nebeneinander auf der Ebene des Endtextes ergibt sich eine produktive Spannung, die zu einem eschatologischen Verständnis des „Propheten“ geführt hat; vgl. BEHRENS, Kanon, 35ff. 259 R AD, Theologie 2, 339. 260 Vgl. Act 3,22f.; 7,37; R AD, ATD 8, 88f.; B RAULIK, NEB.AT 28, 137 oder auch PERLITT, Mose, 1–19. 255
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
193
hier ein markantes Beispiel für die Polyvalenz von Textsinn oder besser: für die sich im Überlieferungsprozess entfaltende Sinnfülle eines Textes. Schließlich soll noch ein Blick auf den letzten Abschnitt des Prophetengesetzes, die Behandlung diverser Probleme in den Versen 19–22, geworfen werden. Auch hier finden sich noch intertextuelle Querbeziehungen zu anderen alttestamentlichen Texten. Zunächst behandelt V. 19 die Situation, dass der Prophet zwar im Namen Gottes redet, seine Worte aber auf Ablehnung stoßen. Die prophetische Literatur spiegelt das vielfältig von Amos bis Ezechiel. Hier wird diese Erfahrung mit der Formulierung einer hört nicht auf meine Worte (V. 19: )לא ישׁמע אל דברי gebracht. Dies wird als schuldhaftes Verhalten der Adressaten des prophetisch vermittelten Gotteswortes ausdrücklich in Jes 28 thematisiert. Jesaja sieht sich dort einer Gruppe von Priestern gegenüber, von denen es heißt, sie wollten nicht hören (Jes 28,12: )לא אבוא שׁמוע. In der sog. Berufungsvision in Jes 6 wird dies dann als Strafhandeln Gottes interpretiert. Mit den Augen nicht sehen zu können und mit den Ohren nicht hören zu können, ist Zeichen der Verstockung und somit Gerichtshandeln Gottes.261 Im Prolog des Sacharjabuches mit seiner Reflexion über die früheren Propheten wird dies geradezu zum typischen Verhalten der (vorexilischen) Prophetie gegenüber (vgl. Sach 1,4). Dtn 18,19 ähnelt dem Bild, das der Sacharjaprolog zeichnet: Indem das Prophetengesetz auch die Ablehnung der Botschaft des Propheten reflektiert, blickt es auf Erfahrungen der vorexilischen Prophetie, die wohl auch schon in Textgestalt vorlagen, zurück. V. 20 eröffnet den letzten Abschnitt des Textes, in dem es darum geht, wie damit zu verfahren ist, wenn der Prophet im Namen Jahwes Worte sagt, die dieser nicht geboten hat. Dabei findet sich die Formulierung לא צויתיוin Bezug auf prophetische Falschbotschaft gehäuft im Jeremiabuch262. Dass hier ein Prophet eindeutig im Namen eines anderen Gottes auftritt, wie Dtn 18,20b voraussetzt, ist ein Gedanke, der sich explizit nur noch in Dtn 13 findet. Der Vorwurf irritiert im vorliegenden Zusammenhang. Denn V. 21f. beschäftigt sich mit einer viel diskutierten Frage: Wie man nämlich die Botschaft eines echten von einem falschen Propheten unterscheiden kann, wenn auch die falsche Botschaft im Namen Jahwes ergeht.263 Auch diese Fragestellung weist ausdrücklich ins Jeremiabuch (vgl. Jer 28), wird aber auch in einem Text des DtrG ausdrücklich durchgespielt. In 1 Kön 22 wird davon berichtet, wie der als Opponent verschriene Prophet Micha Ben Jimla einerseits und vierhundert Hofpropheten andererseits dem König Ahab von Israel je gegensätzliches Kriegsglück prophe-
Vgl. ähnlich dann Jer 5,15.21 und 7,13.26–28. Zu Jes 6 und 28 vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 144–156 und Kapitel 4.1.7. 262 Vgl. Jer 14,14 und 23,32. Ohne expliziten Bezug auf Propheten, aber mit ausdrücklicher Erwähnung des „Moloch-Opfers“: Jer 7,31; 32,35. 263 Vgl. O TTO, Prophetie, 268f. 261
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
zeien. Ahab löst den Konflikt im Sinne des Prophetengesetzes, indem er Micha Ben Jimla, der eine Niederlage vorhersagte, bis zu seiner Rückkehr einsperren lässt.264 Die Frage soll also vom Ausgang her entschieden werden. Micha fügt sich und konstatiert: Kehrst du tatsächlich in Frieden heim, hat Jahwe nicht durch mich geredet ... (1 Kön 22,28a: )אם שׁוב תשׁוב בשׁלום לא דבר יהוה בי. Das klingt wörtlich an Dtn 18,22 an. Das deuteronomistische Prophetengesetz in Dtn 18,9–22 prägt das Bild von dem, was in Israel als נביאgelten soll, indem es die Erfahrungen mit der Prophetie seit dem 8. Jahrhundert bündelt. Ein solcher Prophet ist weder am Hof noch am Heiligtum „verbeamtet“, sondern wird je und dann von Jahwe direkt „erweckt“ ( קוםhi.). Seine spezifische Aufgabe ist die Verkündigung des Wortes Jahwes, beziehungsweise „meiner Worte“ (V. 18: )דברי, die Gott selbst ihm direkt in den Mund legt. Dieser prophetisch vermittelte דברgilt hier als ein Spezifikum Israels gegenüber seinen Nachbarvölkern, sowie gegenüber den scheinbar so beeindruckenden Mächten des Zweistromlandes, in denen die mantische Erforschung des Willens der Götter seit Jahrhunderten zu einer Wissenschaft entwickelt wurde. Durch die Parallelisierung mit Mose (V. 15.18) wird das prophetisch vermittelte Gotteswort in Relation zur Tora gestellt. Dies entspricht dem deuteronomistischen Prophetenbild, wie es sich in 1 Kön 17,13 oder Mal 3,22 greifen lässt. Durch seine zahlreichen intertextuellen Verknüpfungen mit anderen Texten wird das Prophetengesetz zu einer Art Knotenpunkt in der Reflexion über das prophetische Gotteswort. Indem der Text deutlich auf bereits zurückliegende Prophetie und die Annahme oder Ablehnung der dort vermittelten Gottesworte, sowie die Frage nach wahrer oder falscher Prophetie rekurriert, liefert es ein Kriterium dafür, bei welchen der bisherigen Propheten tatsächlich das Wort Jahwes zu finden ist und wessen Botschaften des Erinnerns und der Überlieferung wert sind, weil sie sich als „wahr“ erwiesen haben. Damit sind in Dtn 18,9–22 Reflexionen zu greifen, die zur schriftlichen Überlieferung des prophetisch vermittelten Wortes Jahwes in Gestalt von Prophetenbüchern beigetragen haben. c) Die Schriftwerdung des Gotteswortes Es wurde bereits darauf verwiesen, dass die Beurteilung einer Prophezeiung erst von ihrem Ergebnis her, für diejenigen, die sich diese Frage stellen, bevor sie das Ergebnis kennen und noch nicht wissen, wann sich ein solches Ergebnis einstellen wird, unbefriedigend ist.265 Allerdings verengt sich mit dieser Überlegung der Blick auf ein einfaches Ansage-Ergebnis-Schema. Die hier zusammengetragenen Beobachtungen sollen aber vor allem darauf aufmerksam machen, dass das Prophetengesetz nicht lediglich die Erfahrungen einzelner Prophetengestalten bedenkt, sondern bereits auf eine Geschichte der Prophetie
Vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 164–182. 265 Vgl. R AD, ATD 8, 89; R OSE, ZBK.AT 5,1, 104. 264
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
195
zurückblickt und prophetische Literatur vor Augen hat. In der Perspektive des Exils stellt sich dann die Frage „was ist eingetroffen“ noch einmal anders, weil sie zur Frage wird: welche prophetische Literatur ist der Überlieferung und der Fortschreibung wert?266 In der Antwort auf diese Frage liegt nicht nur eine Wurzel der alttestamentlichen Kanonwerdung sondern auch im Kern die Entscheidung darüber, welche Texte als Wort Gottes und damit mittelbar als Heilige Schrift angesehen werden. In der vorliegenden Textgestalt wird eingeschärft, dass Israel auf die Propheten hören soll (Dtn 18,15), weil Jahwe selbst seine Worte in ihren Mund legt (Dtn 18,18). Damit werden die charismatischen Propheten nach Vorbild der kritischen Einzelgestalten des 8. bis 7. Jahrhunderts v.Chr. zu einer legitimen Instanz der Vermittlung des Gotteswortes in der Nachfolge des Mose neben der Tora.267 Auf der Textoberfläche geht es dabei um Prophetengestalten, die von Jahwe erweckt werden und mündlich zu Israel reden. Die zahlreichen intertextuellen Bezugnahmen legen allerdings nahe, dass hier bereits prophetische Literatur im Spiel ist – in welchem Umfang auch immer. So verstanden handelt es sich bei Dtn 18,9–22 bereits um ein Stück Auslegung.268 Darüber hinaus – und dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen – ist das Prophetengesetz selbst bereits schriftlicher Text. Im Rückgriff auf andere Texte und in der eigenen literarischen Gestalt dokumentiert das Prophetengesetz also die Schriftwerdung des Wortes Gottes. In diesem Rückbezug des Prophetengesetzes auf ältere prophetische Überlieferung liegt auch der Schlüssel zum Verständnis des Kriteriums „was eintrifft, ist Gottes Wort“ (vgl. Dtn 18,21f.). Bedenkt man noch einmal den historischen Ort des Textes, dann kommt die Frage der Überlieferung prophetischer Texte in den Blick. Die Katastrophen von 722 und 587 v.Chr. haben die Wahrnehmung der Prophetie geprägt.269 Eine kritische Gerichtsprophetie – immer noch vorausgesetzt, es hat eine solche ab dem 8. Jahrhundert in Israel und Juda gegeben – hat sich in den politischen Niederlagen Israels und Judas als wahres Gotteswort erwiesen. Texte mit Bezug auf Hosea, Amos, Micha, Jesaja und andere werden jetzt überliefert (und dann schulbildend fortgeschrieben). Was hier historisierend im Lande Moab verortet wird und im Grunde bereits als am
„Natürlich bewährte sich da [sc. im Exil] dieser Grundsatz [von Dtn 18,21f.] und trug zur wachsenden Bedeutung prophetischer Schriften und Traditionen bei“ (CRÜSEMANN, Tora, 283). 267 „Wie Mose steht der Prophet an Gottes Statt. Sein Wort ist Gottes Wort; denn Gott selbst legt seine Worte in des Propheten Mund und gebietet, was der Prophet reden soll, so daß er ‚im Namen Jhwhs redet‘ (18,19–20)“ (KÖCKERT, Ort, 99). 268 Vgl. O TTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1498, der im Hinblick auf die Anklänge von Dtn 5 in Dtn 18,16f. von einem „Schriftbeweis“ spricht. 269 „Erst in der Zeit des nachexilischen Erzählers, als das Gericht vor aller Augen lag, konnte das Erfüllungskriterium das leisten, wozu es in der erzählten Zeit gänzlich untauglich war“ (KÖCKERT, Ort, 93). 266
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Horeb in der Bitte des Volkes begründet erscheint, ist also eine theologische Reflexion der Erfahrungen mit der Prophetie, die den Grundstein für die Entstehung eines corpus propheticum legt, das dann der (bereits schriftlich fixierten?) Tora an die Seite gestellt werden kann. In der nachexilischen Prophetie selbst wird der Vorgang ähnlich im Prolog des Sacharjabuches (Sach 1,2–6) thematisiert mit seinen Überlegungen über die früheren Propheten (Sach 1,4: )הנביאים הראשׁנים, deren Botschaft eben kehrt doch um von euren bösen Wegen ( )שׁובו נא מדרכיכם הרעיםlautete. Auch wenn diese Propheten und die Generation der ersten Adressaten vergangen sind, bleiben meine Worte und Satzungen, die ich meinen Knechten den Propheten geboten habe (Sach 1,6: דברי וחקי אשׁר )צויתי את עבדי הנביאים. Sie sind nun nicht mehr nur im persönlichen prophetischen Gegenüber greifbar, sondern in den überlieferten Texten, die auf die früheren Propheten zurückgeführt werden. Neue Propheten können sich wie Sacharja durch Berufung auf diese „Propheten“270 legitimieren oder indem sie selbst alte Prophetentexte fortschreiben wie „Deutero-“ und „Tritojesja“. Vor diesem Hintergrund bedeutet dann den sollt ihr hören (Dtn 18,15), weil meine Worte in seinem Mund (Dtn 18,18) liegen, nicht nur ein Gehorchen auf die mündliche Botschaft immer neuer Propheten, sondern das Gedenken der Worte der früheren Propheten. Dieses Gedenken ist aber weit mehr als eine Erinnerung an Vergangenes. Vielmehr geht es um aktualisierende Vergegenwärtigung, sei es, dass ein Amoswort wie es ströme aber das Recht wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach (Am 5,24) immer wieder neu seine Wahrheit entfaltet, sei es, dass man den harten Urteilen im ersten Teil des Jesajabuches in neuer Lage das Tröstet, tröstet mein Volk fortschreibend zur Seite stellt – und am Ende nur aus dem Zusammenklang das ganze Wort Jahwes hören kann. 4.2.2 Die Berufung Samuels 1 Sam 3271 Gleich zu Beginn der Schilderungen der Samuel- und Königsbücher wird in 1 Sam 3 ein Text geboten, der eine Art theologische Grundlagenreflexion über das Wort Jahwes in die Gestalt der Erzählung von der sog. Berufung Samuels kleidet. Auch in anderen Texten der Samuel- und Königsbücher ist vom דבר יהוהdie Rede.272 Aber 1 Sam 3 lässt sich als Einführung eines theologischen Leitgedankens und damit als Deute- und Schlüsseltext für den Hauptteil des
Dieser Begriff umfasst hier auch Kreise, die in prophetischer Schultradition eine bereits „schriftgelehrte“ Fortschreibungstätigkeit ausüben. 271 Für das Folgende wird zurückgegriffen auf B EHRENS, Wort des Herrn, 141–154. 272 So vor allem in Passagen, in denen es um das prophetisch vermittelte Gotteswort geht; vgl. 1 Sam 15 (Samuel); 2 Sam 7,4; 12,9 (Nathan); 2 Sam 24,11 (Gad); 1 Kön 12 (Ahia von Silo); 1 Sam 13 (der Gottesmann); 1 Kön 15,29f. (Jehu); 1 Kön 16,7 (Hanani); 1 Kön 17–21 (Elia); 1 Kön 22 (Micha ben Jimla); 2 Kön 3–9 (Elisa); 2 Kön 14,25 (Jona); 2 Kön 19f. (Jesaja) u.ö. 270
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
197
Deuteronomistischen Geschichtswerkes lesen.273 Damit wird die Bedeutung des (prophetisch vermittelten) Wortes Jahwes auch für Königszeit Israels hervorgehoben, und so kommt diesem Text besondere Aufmerksamkeit zu. 1 Sam 3,1–21274 1 Und der Knabe Samuel diente Jahwe vor Eli; aber das Wort Jahwes war selten in jenen Tagen, Offenbarung [ ]חזון275 war nicht häufig. 2 Und es geschah an ‚einem‘ Tag – als Eli an seinem Ort lag, seine Augen aber hatten begonnen, schwach zu werden, so dass er nicht mehr sehen konnte, 3 aber die Lampe Gottes war noch nicht erloschen, und Samuel lag im Heiligtum Jahwes, wo die Lade Gottes war –276 4 da rief Jahwe nach Samuel und der sprach: „Hier bin ich“. 5 Dann lief er zu Eli und sprach: „Hier bin ich, weil du mich gerufen hast“, aber er sprach: „Ich hab dich nicht gerufen, leg dich wieder hin!“ So ging er und legte sich hin. 6 Aber Jahwe fuhr fort und rief Samuel noch einmal; und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: „Hier bin ich, weil du mich gerufen hast“; er aber sprach: „Ich hab dich nicht gerufen, mein Sohn, leg dich wieder hin!“ 7 Aber Samuel hatte Jahwe noch nicht erkannt und noch war ihm das Wort Jahwes nicht offenbart worden. 8 Und Jahwe fuhr fort, Samuel zum dritten Mal zu rufen, und er stand auf, ging zu Eli und sprach: „Siehe, hier bin ich, weil du mich gerufen hast“; da verstand Eli, dass Jahwe den Knaben gerufen hatte. 9 So sprach Eli zu Samuel: „Geh, leg dich hin, und wenn es dazu kommt, dass man dich ruft, sage: Rede Jahwe, während dein Knecht hört“; da ging Samuel hin und legte sich an seinen Ort. 10 Da kam Jahwe und stellte sich hin und rief wie vorher: „Samuel, Samuel!“; und Samuel sprach: „Rede, während dein Knecht hört.“ 11 Und Jahwe sprach zu Samuel: „Siehe ich bin im Begriff eine Sache [ ]דברin Israel zu machen, die jedem, der es hört, in beiden Ohren gellen wird. 12 An jenem Tage will ich gegen Eli aufrichten alles, was ich gegen sein Haus geredet habe von Anfang bis Ende.
Zur These des Deuteronomistischen Geschichtswerks und vor allem zu modernen Bestreitungen und Varianten vgl. DIETRICH, Die Vorderen Propheten, 177–192. Sicher stammen die sog. Vorderen Propheten nicht von einem einzigen Autor. Aber ebenso sicher liegt hier „ein weit ausladendes, unter einem Spannungsbogen stehendes und durch ein bestimmtes (eben das dtr) Denken geformtes Geschichtswerk“ (a.a.O., 189f.) vor. 274 Häufig wird 1 Sam 4,1a „so erging das Wort Samuels an ganz Israel“ mit zu dem Text hinzugenommen. Das ist möglich. Aber es liegt eine entscheidende inclusio mit den Versen 1 und 21 und dem damit gegebenen Thema „Wort Jahwes“ vor. 275 Vgl. B EHRENS, Habakuk 2,1–4, 170f. 276 Vgl. zur Satzgliederung STOEBE, KAT VIII/1, 123. Darin allerdings, dass in V. 2b–3 „Nebenumständen, denen dann keine eigentliche Bedeutung mehr zukommt“ (ebd.) geschildert würden, ist Stoebe zu widersprechen. 273
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
13 Und ich werde ihm mitteilen, dass ich ein Richter seines Hauses bin in Ewigkeit; um der Verkehrtheit willen, denn er hat erkannt, dass seine Söhne sich selbst verflucht haben, aber er hat sie nicht zurechtgewiesen. 14 Deshalb schwöre ich dem Hause Eli, dass die Verkehrtheit des Hauses Eli nicht gesühnt werden soll durch Schlachtopfer oder Ganzopfer in Ewigkeit.“ 15 Und Samuel legte sich hin bis zum Morgen, dann öffnete Samuel die Türen des Hauses Jahwes; aber Samuel fürchtete sich, die Vision Eli mitzuteilen. 16 Und Eli rief Samuel und sprach: „Samuel, mein Sohn“, er aber sprach: „Hier bin ich.“ 17 Und er sprach: „Was ist das Wort, das er zu dir geredet hat? Verbirg es doch nicht vor mir. So tue dir Gott und so fahre er fort, wenn du vor mir ein Wort von der ganzen Angelegenheit [ ]דברverbirgst, die er zu dir geredet hat.“ 18 Da teilte ihm Samuel alle Worte mit, und verbarg nichts vor ihm; er aber sprach: „Jahwe ist er; was in seinen Augen gut ist, tue er!“ 19 So wurde Samuel groß, und Jahwe war mit ihm und ließ keins von allen seinen Worten zur Erde fallen. 20 Und ganz Israel von Dan bis Beerscheba erkannte, dass Samuel zuverlässig bestellt war zum Propheten für Jahwe. 21 Und Jahwe fuhr fort, in Silo zu erscheinen; denn Jahwe offenbarte sich vor Samuel in Silo durch das Wort Jahwes [ ]דבר־יהוה.
a) Einheitlichkeit, Gattung und Struktur 1 Sam 3,1–21(4,1a) stellt eine in sich geschlossene Erzählung dar, an deren Ende Samuel zum Propheten wird. Es lässt sich allerdings fragen, ob die hier behauptete „Geschlossenheit“ der Erzählung Ausdruck einer ursprünglichen Einheit oder Ergebnis eines oder mehrerer Redaktionsprozesse ist. Nachdem 1 Sam 3 in der Forschung häufig als literarische Einheit behandelt worden ist277, hat vor allem Walter Dietrich Zweifel angemeldet. Er sieht in dem Kapitel mindestens drei Hände am Werk: Als Teil der ursprünglichen Samuel-Saul-Geschichten umfasste das Kapitel die Verse 1b–6.8–11 sodann ein Orakel, das durch die jetzigen Verse 12–14 ersetzt wurde, weiter V. 15–18.21. In dieser Geschichte ging es um den Mangel an Offenbarung in Silo und die Ablösung Elis durch Samuel, wodurch Silo seine Bedeutung verlor. Dieser Text ist von einem späteren „Höfischen Erzähler“ ergänzt worden durch die Verse 2b (Elis Erblindung), 3b (die Lade), die Deuteverse 7 und 19f. Hierbei ging es darum, die Geschichte in den Kontext der Ladeerzählungen einzubinden und Samuel als Propheten zu charakterisieren. Zuletzt hat der prophetisch orientierte Deuteronomist DtrP278 ein ursprüngliches – vielleicht das Königtum
Vgl. DIETRICH/NAUMANN, Samuelbücher, 15f.; DIETRICH, BKAT VIII/1, 170f. 278 Vgl. zum sog. Schichtmodell des DtrG D IETRICH, Die Vorderen Propheten, 183ff.; zu 1 Sam 3 a.a.O., 238. 277
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
199
ankündigendes279 – Orakel durch die jetzigen Verse 12–14 ersetzt, die lediglich 1 Sam 2,15–31* zusammenfassen. Auch jener Text geht laut Dietrich auf DtrP zurück.280 Diese literarische Analyse ist möglich, zwingend ist sie aber meines Erachtens nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass sich 1 Sam 3 so, wie der Text vorliegt, als konsistente Einheit verstehen lässt. Es liegen keine der „klassischen“ literarkritischen Indizien vor. Sodann hängen das Problem der ausbleibenden Offenbarung, das nach Dietrich in der Urfassung des Textes stand (V. 1b), und die Bestellung Samuels zum Propheten (V. 20), die erst auf den „Höfischen Erzähler“ zurückgehen soll, aufs engste miteinander zusammen. Hier soll erzählt – und dann eben auch programmatisch theologisch formuliert – werden, dass der דבר־יהוהdurch den נביאergeht.281 Warum dann gerade dieses Interesse beim „Höfischen Erzähler“ und nicht bei DtrP zu verorten ist, ist ebenfalls zu fragen. DtrP sieht Dietrich erst in der Ersetzung eines ursprünglich anderslautenden Orakels durch den jetzigen Text von V. 12–14 am Werk. Allerdings ist man bei der Rekonstruktion eines solchen weggefallenen Textstücks stark auf Vermutungen angewiesen. Außerdem erklärt sich Samuels Furcht, Eli das Gehörte mitzuteilen (V. 15), doch sehr gut aus dem vorliegenden Text. Auszuschließen sind solche literarkritischen Erwägungen zu 1 Sam 3 nicht, unausweichlich sind sie aber wohl auch nicht. Festzuhalten ist, dass der Text in der vorliegenden Form ein starkes Interesse am prophetisch vermittelten דבר־יהוה hat und sich mit anderen Texten im DtrG berührt, die einen ähnlichen Fokus erkennen lassen.282 Insgesamt liegt hier ein theologischer Programmtext vor, der die in 1 Sam beginnende Geschichte der Königszeit Israels und Judas in die Perspektive des Wortes Jahwes rückt und der auch in der vorliegenden Fassung aus nachexilischer Zeit stammen dürfte. Dass man in 1 Sam 3 die Berufung Samuels zum Propheten berichtet sah, gab Anlass, über die Gattung des Textes nachzudenken. Häufig sieht man in der Forschung hierin eine typische Berufungserzählung, wie sie auch in Ri 6 (Gideon); Ex 3 (Mose) oder Jer 1 vorliege.283 Allerdings lässt sich fragen, ob
279 So
die Vermutung bei DIETRICH, BKAT VIII/1, 173 (Ankündigung der Philistergefahr und Befreiung durch Saul); anders MOMMER, Samuel, 24, der annimmt, hier sei ursprünglich die Ablösung Elis durch Samuel berichtet worden. 280 Vgl. D IETRICH, BKAT VIII/1, 171–176. 281 Darüber hinaus stellt die Formulierung in V. 21, Jahwe sei weiterhin in Silo erschienen ( )להראהeine terminologischen Rückbezug zur Notiz in V. 2b, Eli könne nicht mehr gut sehen ( )לראות. Dies widerrät einer Aufteilung der beiden Verse auf unterschiedliche literarische Schichten. 282 Vgl. z.B. 2 Sam 7 mit der Geltung einer prophetischen Ansage ( עד־עולם2 Sam 7,13.16.24f.; vgl. 1 Sam 3,13f.) oder die eigentümliche Formulierung ( בדבר יהוה1Sam 3,21), die sich dann wieder häufig in der Erzählung vom ungenannten Gottesmann in 1 Kön 13 findet (vgl. 1 Kön 13,1f.5.9.17f.32). 283 Vgl. STOEBE, KAT VIII/1, 12ff.
200
4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
es eine solche Textsorte mit signifikanten sprachlichen Eigenarten im Hebräischen überhaupt gibt, oder ob die genannten Texte nicht nur durch motivliche Ähnlichkeiten aufeinander zu verweisen scheinen.284 Dann ist erwogen worden, ob hier die Erzählung über ein Inkubationsgeschehen vorliegt. Dabei – so nimmt man an – legt sich ein Mensch im Tempel schlafen, in der Hoffnung, dass sich Gott ihm im Schlafe mitteile. Allerdings fehlen Begriffe für Schlaf, lediglich von Liegen ist die Rede. Außerdem hat Samuel sich nicht in der Absicht niedergelegt, eine Offenbarung zu erhalten. Könnte es sich dann um eine Traumoffenbarung handeln, wie sie etwa Jakob in Bethel widerfuhr (vgl. Gen 28)? Dagegen spricht, dass sich kein Begriff für Traum findet. – So ist insgesamt eine Gattungsbestimmung des Textes nicht möglich, aber auch nicht zwingend notwendig: Unterschiedliche Motive – Berufung, Offenbarung am Heiligtum, Vermittlung des göttlichen Wortes – sind hier zu einer insgesamt relativ geschlossenen Erzählung zusammengefügt.285 Weiterführend ist ein Blick auf die Struktur und den planvollen Aufbau des Textes286: A
V. 1–3: Der Mangel an Offenbarung: Eli schwach B
V. 4–9: Erster Dialog zwischen Samuel und Eli C
B’ A’
V. 10–15: Gottes Wort an Samuel
V. 16–18: Zweiter Dialog zwischen Samuel und Eli
V. 19–21: Kein Mangel an Offenbarung: Samuel fest
Diese Struktur lässt sich auf zweierlei Arten lesen: Einmal kann man darin die Konzentrik erkennen und das Augenmerk auf das Zentrum der Komposition legen. Dann käme der Offenbarung des Gotteswortes in V. 10–15 besondere Bedeutung zu. Der Inhalt des vermittelten Gotteswortes wird hier ja nur angedeutet und besteht in einem Rückbezug auf 1 Sam 2,27–36. Zugleich wird dieses Orakel in 1 Sam 4 bewahrheitet, worin vom Tode Elis und seiner Söhne berichtet wird. In dieser Lesart ist 1 Sam 3 eingebunden in seinen Kontext. Zweitens lässt sich das Kapitel als ein gedanklicher Fortschritt von A zu A’ lesen. Am Anfang wird ein Defizit benannt: Es mangelt an Offenbarung, was mit der Unzuverlässigkeit der Söhne Elis zu tun haben mag. Über das Geschehen in jener Nacht am Heiligtum wird das Problem aber gelöst: Samuel ist ein zuverlässiger Prophet und sein Wort ist wie Gottes Wort. So wird hier eine Geschichte erzählt, in der Eli als Vertreter der alten Ordnung, durch Samuel als Vorbote einer neuen Offenbarungsart – der Prophetie – abgelöst wird.
Vgl. BEHRENS, Berufung, 63–66. 285 Vgl. D IETRICH, BKAT VIII/1, 167ff.; M OMMER, Samuel, 23f. 286 Der konzentrische Aufbau des Textes ist mehrfach beobachtet worden, vgl. z.B. D IETRICH, BKAT VIII/1, 163 oder ähnlich BAR-EFRAT, Das Erste Buch Samuel, 96. 284
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
201
Dabei entsteht die Prophetie als das die Könige Israels begleitende Korrektiv in der Person Samuels noch vor dem Königtum selbst. So gelesen ist 1 Sam 3 eine theologische Reflexion über die Bedeutung der Prophetie und vor allem des Wortes Jahwes. Dieser zweiten Leseweise soll nun nachgegangen werden. b) Reflexion über Prophetie und דבר־יהוה Beachtet man in einem Durchgang durch den Text die signifikanten Inklusionen, Leitwörter und eingestreuten Interpretationen des Geschehens durch den Erzähler, so lässt sich der theologisch grundlegende, ja programmatische Charakter des Kapitels erkennen. V. 1–3: Der Text beginnt nach einer Notiz über das Ergehen Samuels mit einer Problembeschreibung: Das Wort Jahwes ( )דבר־יהוהund Offenbarungen ( )חזוןsind selten ( פרץim Qal: brachen nicht durch). Dabei weisen die Begriffe weg vom priesterlichen in den prophetischen Kontext.287 Das Wort חזוןbegegnet hier zum ersten Mal im Alten Testament. Es ist nicht, wie häufig angenommen, ein Fachwort für „Vision“ oder „Schauung“288, also nicht auf die optische Wahrnehmung beschränkt, sondern ein Sammelbegriff für Gottes Offenbarung insgesamt.289 In diesem Sinne begegnet es in Überschriften von Prophetenbüchern (Jes 1,1; Ob 1; Nah 1,1; vgl. Am 1,1 [)]חזה290 und in Aussagen wie Hab 2,2f.291 Der Begriff findet sich überwiegend in der prophetischen Literatur des AT und im Danielbuch. 1 Sam 3,1 ist der einzige Beleg im DtrG. Bereits durch dieses Stichwort ist also der Kontext „Prophetie“ präsent. Nicht anders verhält es sich mit der Formulierung דבר־יהוה, die als Bezeichnung der göttlichen Offenbarung vor dem hier in Rede stehenden Text so gut wie nicht begegnet292, aber signifikant für die prophetische Literatur, jedenfalls seit Jeremia, ist.293 Hier ergibt sich nun eine inclusio mit V. 21, sodass der Text insgesamt schon durch diesen Rahmen den דבר־יהוהin den Blick nimmt. Das Wort Gottes ist also das Thema des Textes. Durch die Verwendung der Wurzel דברin den Versen 7.9.10.11.12.17.19 erhält es Leitwortcharakter.294 In diesem Zusammenhang ist die Notiz über die abnehmende Sehkraft Elis mehr als nur die Auskunft über den Gesundheitszustand eines der Akteure oder als ein Vorgriff auf 1 Sam 4,15. Hier geht es auch um einen Mangel an „geist-
Vgl. STOLZ, ZBK.AT 9, 38. 288 Die Wurzel חזהoder Derivate davon gehören nicht zu den signifikanten sprachlichen Eigenarten („Formmerkmalen“) der Textsorte prophetische Visionsschilderung; vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 38f. 289 Vgl. B AR-EFRAT, Das Erste Buch Samuel, 97. 290 Vgl. Kapitel 4.1.8. 291 Vgl. B EHRENS, Habakuk 2,1–4. 292 Der einzige vergleichbare Beleg vor 1 Sam 3,1 ist Gen 15,1.4, wo Abraham mit prophetischen Redeformen (der Wortereignisformel) charakterisiert wird. 293 Vgl. LEVIN, ZThK 101 (2004), 257–280 und Kapitel 4.1.1. 294 Vgl. B AR-EFRAT, Das Erste Buch Samuel, 96. 287
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
lichem Durchblick“.295 Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Wurzel ראה in 1 Sam 3 sonst nur noch in V. 15 ()מראה296 und 21 ( )להראהpräsent ist und dort jeweils den Offenbarungsvorgang bezeichnet. Dementsprechend hat auch die Rede vom Leuchter Gottes, der noch nicht verloschen war, mehrere Bedeutungsebenen. Einmal kann an eine Zeitangabe gedacht sein: Gegen Morgen droht der Leuchter im Heiligtum zu erlöschen, weil er mit neuem Öl versorgt werden muss. Vielleicht schläft Samuel deshalb in seiner Nähe. Dann aber ist auch ein metaphorisches Verständnis anzunehmen: Das Hapaxlegomenon נר אלהיםist nicht einfach mit der Menora des späteren Tempels gleichzusetzen. Es ist wohl auch daran zu denken, dass Gott Silo bis jetzt noch nicht vollkommen im Dunkeln lässt.297 Dass Samuel neben diesem „Hoffnungsschimmer“ seinen Schlafplatz hat, weist auf das Folgende voraus. V. 4–9: Was jetzt kommt, ist ein Kleinod alttestamentlicher Erzählkunst, das oft analysiert wurde und für dessen erzählerischen Feinheiten auf die Kommentare verwiesen wird. Jetzt soll V. 7 in den Blick genommen werden, der in mehrfacher Hinsicht besonders ist. Hier wendet sich der Erzähler an den Leser und erklärt den Lesern Samuels „Gottestaubheit“ mit dem Zeitpunkt: Noch hatte Samuel Jahwe nicht erkannt ( )ידע את־יהוהund das Wort ( )דבר־יהוהwar noch nicht enthüllt oder offenbart ( גלהni.). Nach Hans Walter Wolff ist Erkenntnis Gottes die alttestamentliche „Urform der Theologie“, so hatte er es am Hoseabuch erhoben.298 Hier wird nun klargestellt, dass diese Erkenntnis in der „Offenbarung“ des Wortes Jahwes wurzelt, also weniger in dem erkennenden Menschen als in dem sich zu erkennen gebenden Gott.299 Darauf also wird die Geschichte der nächtlichen Anrufungen Samuels hinauslaufen. Sollte V. 7 auf einen Ergänzer zurückgehen, so ist der Vers jedenfalls durch Stichworte in seinen Kontext eng eingebunden. Vom „Wort Jahwes“ war schon die Rede300, und das Verb גלהwird in V. 21 wieder aufgenommen. Die Erkenntnis Samuels (hier noch im Potentialis) wird in ganz Israel zu einer bestimmten Erkenntnis führen (vgl. V. 20: )וידע כל־ישׂראל. Der hier noch ausstehenden Erkenntnis Samuels geht zunächst eine Einsicht Elis ( )ויבן עליvoraus. Ähnlich wie schon in seiner Begegnung mit Hanna ist der alte Priester am Ende einer Begegnung voller Missverständnisse doch hilf-
Dazu BAR-EFRAT, Das Erste Buch Samuel, 95: „Eli wird in diesem Kapitel als ein Greis geschildert, dessen Augen ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen und der schwer von Begriff ist.“ Freilich ist es dann Eli, der zuerst versteht, wer da den Knaben Samuel ruft. 296 Dabei kann מראהals Komplementärbegriff zu חזוןgelten. 297 In Ps 119,105 findet sich ein solches Bild, das den „Leuchter“ mit dem „Wort“ gleichsetzt: ;נר־לרגלי דברךvgl. Kapitel 4.3.2. 298 Vgl. W OLFF, Wissen, 182–205 und M ICHEL, Hoseas Geschichtsverständnis, 219–228. 299 Vgl. D IETRICH, BKAT VIII/1, 180. 300 Vgl. B AR-EFRAT, Das Erste Buch Samuel, 98, der von einer expliziten Bezugnahme auf V. 1 ausgeht. 295
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
203
reich.301 Eli erkennt nicht nur, dass Jahwe selbst den Knaben Samuel gerufen hat, sondern er weiß auch, wie darauf angemessen zu reagieren ist. Jahwe gebührt das Wort (imp. )דבר, während302 sein „Knecht“ hört ()שׁמע. Damit ist die idealtypische Reaktion eines Propheten303 auf eine Formulierung gebracht. V. 10–15: Nachdem nun auch den Akteuren der Geschichte klar ist – die Leser wussten es schon vorher304 – wer da Samuel nachts anruft, kann es zum Höhepunkt dieser Offenbarungserzählung kommen. Dieser wird wie eine beinahe physische Begegnung zwischen dem angehenden Propheten und seinem Gott geschildert, ohne dass sich die dahinter liegenden Vorstellungen vollständig erhellen ließen.305 Jahwe „baut sich auf“ vor Samuel und teilt ihm ein anstehendes Unheil mit. Die Formulierung von V. 11 mit Konstruktion הנה+ Partizip drückt als sog. futurum instans306 eine unmittelbar bevorstehende Sache ( )דברaus. Was nun kommt, ist Unheil, wie die Formulierung zeigt. Allen, die es hören, sollten die Ohren davon „gellen“.307 Dieses anbrechende Unheil gilt aber nicht Samuel sondern Eli und seinem Haus. Was Jahwe zuvor angekündigt hatte ()דברתי, wird eintreffen ()אקים. Dies wird Eli nun mitgeteilt ()והגדתי308. Im Fortgang der Erzählung wird deutlich, dass es eben Samuel ist, der diesen Mitteilungsvorgang zu vollziehen hat (vgl. נגדin V. 15.18 mit Samuel als Subjekt). Auch an diesem Vorgang wird deutlich, was Prophetie typischerweise bedeutet, nämlich den Empfang einer Offenbarung, die dann an andere vermittelt werden muss.309 In V. 15 wird dann aber auch gleich deutlich, dass es dem Propheten nicht leichtfällt, schlechte Nachrichten weiterzugeben. Samuel fürchtet sich, wie es nach ihm vielen Propheten – allen voran Jeremia – gehen wird.
Vgl. 1 Sam 1. 302 Das כיhat hier keine begründende, sondern katadeiktische Funktion. 303 Dass sich hinter dem „Knecht“ ein Prophet erkennen lässt, passt zum dtr. Prophetenverständnis; vgl. z.B. 2 Kön 17,13 oder Am 3,7. 304 Vgl. D IETRICH, BKAT VIII/1, 166f. und seine Überlegungen zum „Point of View“ der Erzählung. 305 Vgl. D IETRICH, BKAT VIII/1, 169.181; STOEBE, KAT VIII/1, 125. 306 Vgl. G ESENIUS-K AUTZSCH, § 116. 307 Vgl. 2 Kön 21,12 oder Jer 19,3. 308 Gegen D IETRICH, BKAT VIII/1, 161 ist das w e-qatal hier tatsächlich – ganz regulär – futurisch zu übersetzen. Dafür muss auch kein Imperativ konjiziert werden. Prophetie bedeutet ja gerade, dass Jahwe sich durch einen anderen, menschlichen Sprecher mitteilt. 309 Vgl. noch einmal die hilfreiche Definition des Phänomens Prophetie für den Alten Orient und das Alte Testament bei WEIPPERT, Aspekte, 88: „Ein(e) Prophet(in) ist eine Person männlichen oder weiblichen Geschlechts, die 1. in einem kognitiven Erlebnis – einer Vision, einer Audition, einem Traum o.ä. – der Offenbarung einer Gottheit oder mehrerer Gottheiten teilhaftig wird, und 2. sich durch die betreffende(n) Gottheit(en) beauftragt weiß, die Offenbarung in sprachlicher Fassung, oder in averbalen Kommunikationsakten an einen Dritten (oder Dritte), den (die) eigentlichen Adressaten, zu übermitteln.“ 301
204
4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
V. 16–18: An dieser Stelle fungiert Eli wie eine Hebamme bei der Geburt des „Propheten“ Samuel, indem er sich als idealer Hörer des prophetisch vermittelten Gotteswortes erweist. Es geht ihm um die Botschaft, weniger um den Boten. Der kunstvoll aufgebaute V. 17 macht das deutlich: A
Was für ein Wort war es, das er zu dir geredet hat ( ?)מה הדבר אשׁר דבר אליך B
Verbirg es nicht vor mir ( !)כחד C
B’ A’
Gott soll dir dies oder jenes tun
wenn du vor mir verbirgst ( )כחד
ein Wort ( )דברvon dem, was er zu dir geredet hat ( !)דבר מכל־הדבר אשׁר־דבר אליך310
Auf die nachdrücklichste Weise stellt Eli damit klar, dass es um das Wort ()דבר geht, das nicht verborgen werden darf, auch wenn es Gerichtswort ist. Die sprachliche Gestalt des Verses vermittelt diese Botschaft auch an die Leser des Textes. Dann geht Eli noch einen Schritt weiter. Er will das Wort nicht nur hören, sondern er stimmt ihm auch zu, obwohl es für ihn ein schier auswegloses Gericht bedeutet. Dennoch akzeptiert Eli das Gehörte mit der auffälligen Begründung: יהוה הואJahwe ist er. Dietrich vermutet, Eli sei noch „Gottesfachmann“ genug gewesen, um Jahwe zu erkennen.311 Dies lässt sich durch syntaktische Beobachtungen unterstreichen: der Nominalsatz יהוה הואbesteht aus zwei obligatorischen Gliedern, von denen das erste das Chabar (das „Prädikat“) darstellt.312 Der Aussageschwerpunkt liegt also auf Jahwe: Jahwe war das, oder: Jahwe (und kein anderer) ist er! Eli begründet seine Zustimmung also mit dem „Jahwe-Sein“ dessen, der die finstere Botschaft verkünden lässt. So ist dieser Satz ein regelrechtes Bekenntnis. Eli erkennt in dem Gott, der sich als wirksam erweist (in der Geschichte seines Volkes) auch den Herrn über sein Leben. Dem gibt der Priester mit einer Art „sein Wille geschehe“ Ausdruck. Auf diese Weise wird dem Leser in der Konstellation der Figuren Samuel und Eli vorgeführt, wie Prophetie im Idealfall „funktioniert“. Der ideale Prophet hört, lässt Gott reden und gibt das Gotteswort weiter, selbst wenn es schwerfällt. Der ideale Hörer will nichts von diesem Wort verborgen wissen und fügt sich in den Willen seines Gottes Jahwe, der sich immer wieder Geschichte seines Volkes als gnädig und als Retter erwiesen hat. Das יהוה הואElis korrespondiert mit der Selbstprädikation ( אנכי יהוה אלהיךnur ich bin Jahwe,
Zur Struktur des Verses vgl. BAR-EFRAT, Das Erste Buch Samuel, 102 und DIETRICH, BKAT VIII/1, 184. 311 Vgl. D IETRICH, BKAT VIII/1, 186. 312 Vgl. M ICHEL, Grundlegung 2. 310
4.2 Das Gotteswort im Dtn und im DtrG
205
dein Gott …)313 des Gottes, der Israel aus der Knechtschaft geführt hat (vgl. Ex 20,2). V. 19–21: Die letzten Verse des Kapitels verlassen die Situation an „jenem bestimmten Tag“ (vgl. V. 2) zwischen den Akteuren Samuel und Eli und ziehen aus dem Erzählten ein theologisches Fazit. Auch über den Tag hinaus wurde Samuel „groß“ und das heißt, dass Jahwe seine Worte ()דבריו314 nicht vergeblich ergehen lässt, sondern bewahrheitet, wie das explikative Perfekt315 ולא־הפיל erläutert. Erst V. 20 bringt das Gesagte auf den Begriff נביא ליהוה. Ganz Israel wird das erkennen, was der Aussage zusätzliches Gewicht verleiht. Zugleich wird nun der Schwäche Elis (vgl. V. 2) eine zuverlässige Größe ( )נאמןin Gestalt des Propheten Samuel entgegengestellt. Die Formulierung fügt damit der bisherigen Erzählung eigentlich nichts Neues hinzu, sondern verdichtet die schon gewonnenen Einsichten in einem theologischen Begriff, so dass die Erkenntnis Israels auch die Erkenntnis des Lesers wird. Was dies bedeutet, entfaltet der letzte Vers. Obwohl Eli nicht mehr gut sieht (V. 2: )לא יוכל לראות, lässt Jahwe sich weiterhin in Silo sehen ()ויסף יהוה להראה. Dies geschieht dadurch, dass Jahwe sich in seinem Wort ( )בדבר יהוהoffenbart ()כי־נגלה יהוה.316 Dadurch werden mehrere Leitwörter der bisherigen Erzählung wieder aufgegriffen und gebündelt. Zugleich wird eine Brücke zurück zum Beginn des Textes geschlagen. Das Problem ist gelöst. Gott zeigt sich in seinem prophetisch vermittelten Wort. c) 1 Sam 3 als intertextueller Knotenpunkt in der Theologie des דבר־יהוה Das Kapitel 1Sam 3 zeichnet sich durch erzählerische Schönheit wie durch theologische Tiefgründigkeit und anthropologische Hintergründigkeit aus. Es handelt von nicht weniger als von der Offenbarung Gottes, dies aber nicht in theoretisch-abstraktem Stil, sondern veranschaulicht am Schicksal konkreter Menschen.317
Wie so oft im AT begegnet Theologie als Erzählung; aber in der Erzählung hat sich theologische Reflexion niedergeschlagen, ja zu grundlegenden und pro-
Vgl. DIESEL, Jahwe, 224–230. 314 Es lässt sich nicht eindeutig klären, ob sich das Suffix auf Samuel oder auf Jahwe bezieht, wessen Worte sich also nicht als hinfällig erweisen werden. Angesichts des über Offenbarung und Vermittlung des Wortes Gesagten, kann es sich dabei durchaus um eine bewusst in Kauf genommene Unschärfe handeln. 315 Vgl. M ICHEL, Tempora, 95ff. 316 Vgl. H ENTSCHEL, NEB.AT 33, 60, der in V. 21b eine korrigierende Ergänzung zu 21a sieht: „Der Abschluß des Anhanges 21a ist noch einmal ergänzt worden. Der Herr erscheint nicht mehr, er offenbart sich nur noch.“ Diese Deutung widerspricht dem Text, lässt das verbindende כיzwischen den Vershälften völlig außer Acht und konstruiert einen Gegensatz zwischen erscheinen und offenbaren, den es im Text gerade nicht gibt. 317 D IETRICH, BKAT VIII/1, 189. 313
206
4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
grammatischen Aussagen über die Prophetie in Israel und das Wort Gottes verdichtet. Die Geschichte der nächtlichen Anrufung Samuels durch Jahwe erzählt vom Wesen der Prophetie, die hier eben nicht in einer gesellschaftlichen Institution besteht. Samuel wird nicht zum Propheten ausgebildet, wenn er auch dem Heiligen ganz nahe ist. Jahwe nimmt ihn in den Dienst an den Institutionen vorbei, auch an den religiösen Institutionen, die hier durch den Priester Eli repräsentiert werden.318 Diese Indienstnahme geschieht unerwartet, fast so, als könnte sie der künftige Prophet sogar verpassen. Sie vollzieht sich allein in einer Erfahrung der Gottunmittelbarkeit, die hier mit den Stichworten חזוןund מראה umrissen wird. Gemeint ist damit jeweils nicht eine Vision im strengen Wortsinn, also als ein visuelles Phänomen. Vielmehr finden sich hier Begriffe, die am ehesten als alttestamentliche Entsprechungen zu dem modernen Wort Offenbarung gelten können. Verbal ist dasselbe im Text durch das Wort גלהpräsent. Durch einen solchen Offenbarungsvorgang wird Samuel schließlich zuverlässig als Prophet Jahwes bestellt (V. 20: )נאמן שׁמואל לנביא ליהוה. In der kanonischen Lesefolge der biblischen Bücher wird hier zum ersten Mal seit Mose (vgl. Dtn 18,15.18; 34,10) namentlich ein נביאgenannt.319 Und dieses Prophetentum besteht nicht zuerst in einem Amt, sondern in einem unmittelbaren Offenbarungsgeschehen.320 Dass dies mit der Figur Samuels an der Schwelle zur Entstehung des Königtums gesagt wird, ist sicher kein Zufall. Dem im Alten Testament oft ambivalent gewerteten Königtum steht hier sozusagen bereits an der Wiege das kritische Korrektiv des prophetisch vermittelten Gotteswortes gegenüber. Obwohl das hier zu verkündende Wort für den Empfänger Eli nicht bestätigend, sondern bedrohlich ist, wird in der Figur des Eli vorgeführt, wie eine ideale Reaktion auf das prophetisch vermittelte Gotteswort aussieht. Es soll nichts verschwiegen werden und am Ende gilt: „sein Wille geschehe.“ Das Wesen dieser Prophetie besteht nach 1 Sam 3 ganz in dem „Wort Jahwes“ ()דבר־יהוה. Überdeutlich prägt die Wurzel דברden Text und ruft so den Leserinnen und Lesern das zentrale Thema immer wieder in Erinnerung. Durch eine Reihe von intertextuellen Bezügen ist 1 Sam 3 mit anderen Texten zum Thema Prophetie verbunden.321 Die Formulierung דבר־יהוהstammt aus diesem
Vgl. anders BLENKINSOPP, Geschichte 55f., der aufgrund der Erwähnung Silos als Ort der prophetischen Offenbarung in V. 21 in Samuel ausdrücklich einen „Kultpropheten“ sieht. Dagegen spricht, dass die ganze Erzählung in der Prophetie eine Art Gegenbild zu dem durch Eli repräsentierten Kult zeichnet, und dass Silo im Fortgang der Erzählungen keine Rolle mehr spielt; vgl. KESSLER, Samuel, 65, der gerade die doppelte Erwähnung Silos in V. 21 als „Irritation“ bezeichnet. 319 Vgl. R ENDTORFF, ZAW 109 (1997), 169–187. 320 Vgl. K ESSLER, Samuel, 65. 321 Dies gilt zunächst innerhalb der Samuel- und Königsbücher: In 1 Sam 15 tritt Samuel Saul gegenüber analog zu Nathans Rede gegen David in 2 Sam 12 auf. Beide berufen sich 318
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
207
Kontext und ist auch in den Prophetenschriften erst in relativ späten, redaktionellen Texten (zuletzt wohl in den Überschriften der Prophetenbücher) explizit zum Thema geworden.322 Es hatte sich bereits gezeigt, dass ein regelrechtes Geflecht der theologischen Reflexion über das Wort Jahwes als ein intertextuelles Netz über den Prophetenschriften liegt. In dieses Netz ist 1 Sam 3, ähnlich wie Dtn 18,9–22, eingewoben. Durch seine Stellung zu Beginn der Samuelbücher kommt dem Text besondere Bedeutung zu. So ist 1 Sam 3 nicht ausschließlich die Erzählung über eine unruhige Nacht des jungen Samuel und das darin offenbarte Gericht über das Haus Eli. In der Erzählung findet sich ein theologischer Programmtext über das Wort Gottes, das, solange es erzählt ()נגד und gehört wird, dem Mangel an Offenbarung abhilft. Eben darin manifestiert sich das „Mitsein“ Gottes mit seinen Leuten.
4.3 Reflexionen über das Gotteswort in den Psalmen 4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
Die Psalmen sind auf den ersten Blick als Gebete und als „Antwort Israels“323 ihrem Selbstverständnis nach scheinbar nicht „Gottes Wort“. Doch bieten auch die Psalmen Passagen, in denen Gottes Reden wiedergegeben wird. Dies lässt sich vermutlich bereits vorexilisch in Passagen wie Ps 2,6–9 greifen, geschieht vor allem in spätexilischen oder nachexilischen Texten des Psalters und steht dann unter dem Einfluss prophetischer und deuteronomistischer Vorstellungen vom Wort Gottes.324 So ist Ps 50 in seinen Passagen, die Gottesrede zitieren, von der Gerichtsprophetie beeinflusst.325 Ps 50,7: 7 Höre mein Volk, und ich will reden, Israel, und ich will zeugen gegen dich /326 Gott, dein Gott, bin ich.
Das Miteinander der Wurzeln שׁמעund דברerinnert an Am 3,1; 4,1 und 5,1. Eine Reihe weiterer Psalmen bietet Gottesreden mit unterschiedlichen Zielrichtungen.327
auf den דבר־יהוה. Gleiches gilt z.B. für Ahia von Silo (1 Kön 12), sowie den unbekannten Gottesmann in 1 Sam 13 oder die Elia- und Elisazyklen. 322 Vgl Kapitel 4.1. 323 So eine klassische Formulierung bei R AD, Theologie 1, 367f. Dementsprechend erhoffte sich von Rad innerhalb seiner Theologie bei der Behandlung der Psalmen auch die „Grundzüge einer theologischen Anthropologie“ (a.a.O., 368). 324 Vgl. SPIECKERMANN, Reden, 218f. 325 Vgl. SPIECKERMANN, Reden, 219–222. 326 In der Übersetzung poetischer Texte dient der / zur Anzeige des Atnach. 327 Vgl. zu Ps 95; 81; 60 u.a. SPIECKERMANN, Reden, 222–226.
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Daneben findet sich – wohl erst in deutlich nachexilischer Zeit – in einigen Psalmen auch eine explizite Reflexion über das Wort Gottes.328 Dies kann als Ausdruck einer „Suche nach neuen theologischen Wegen“ verstanden werden, „Gottes wirkmächtige Präsenz in der jeweiligen Gegenwart zu vermitteln“329. Dabei war die „Schriftwerdung des Wortes ein wichtiger Faktor“330. Das schriftgewordene Wort kann die Gegenwart Gottes selbst repräsentieren, es gibt aber Gott auch den Freiraum, sein Wort Gegenwart werden zu lassen, wo und wann er will. 331
So gelesen, sind die zu behandelnden Psalmtexte verknüpft mit Überlegungen zu Jer; Ez und Dtn 18, wie sie angestellt wurden.332 Unter den Psalmen, die explizit auf das Wort Gottes zu sprechen kommen, kommt Ps 33 und Ps 119 eine herausgehobene Bedeutung zu. Ps 33 ist der einzige Psalm, der explizit die Formulierung דבר־יהוהbietet, und dies in V. 4 und V. 6 gleich zweimal. „Ps 119 ist der Wort-Gottes-Text des Psalters“333, der zugleich eine Identifikation von „Wort“ und „Tora“ bietet. Beide Texte sollen eingehender betrachtet werden. 4.3.1 Psalm 33 Psalm 33: 1 Jubelt, ihr Gerechten, über Jahwe / für die Aufrechten ziemt sich Lobgesang. 2 Dankt Jahwe auf der Zither / auf der zehnsaitigen Harfe lobsingt ihm! 3 Singt ihm ein neues Lied / spielt schön das Saitenspiel mit Jubelschall!
4 Fürwahr, gerade ist das Wort Jahwes / und alle seine Taten geschehen in Wahrheit.
Vgl. bereits GUNKEL/BEGRICH, Einleitung, 49. 329 SPIECKERMANN, Reden, 227. 330 SPIECKERMANN, Reden, 229. 331 SPIECKERMANN, Reden, 229. Im Hinblick auf Ps 33 formuliert W ESTERMANN, Ausgewählte Psalmen, 151: „Gottes Wirken (die Geschichtsbücher) und Gottes Worte (Propheten und Gesetz) machen miteinander das aus, was Gott für die Welt, sein Volk und den einzelnen Menschen bedeutet“, und scheint also auch schon eine schriftliche Überlieferung anzunehmen, die dem Verfasser des Psalms bekannt war. 332 Vgl. Kapitel 4.1.1; 4.1.2 und 4.2.1. 333 SPIECKERMANN, Reden, 229. 328
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
209
5 Er liebt334 Gerechtigkeitstat und Recht / die Güte Jahwes füllt die Erde. 6 Durch das Wort Jahwes sind die Himmel gemacht / und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer. 7 Er sammelt wie einen Damm das Wasser des Meeres / gibt die Urfluten in ein Vorratshaus. 8 Es soll sich fürchten vor Jahwe die ganze Erde / vor ihm sollen erschrecken alle Bewohner der Welt. 9 Denn Er ist es, der spricht, und es wird / Er ist es, der gebietet, und es steht da. 10 Jahwe vereitelt den Plan der Nationen / er verhindert das Vorhaben der Völker. 11 Der Plan Jahwes besteht in Ewigkeit / das Vorhaben seines Herzens von Generation zu Generation. 12 Selig das Volk, dessen Gott Jahwe ist / das Volk, das er sich zum Erbe erwählt hat. 13 Vom Himmel blickt Jahwe / betrachtet alle Menschenkinder. 14 Von der Stätte seines Throns blickt er / auf alle Bewohner der Erde. 15 Der alle ihre Herzen gebildet hat / hat Einsicht in alle ihre Taten. 16 Kein König siegt durch großes Heer / ein Held wird nicht durch große Kraft gerettet. 17 Ein Trug ist das Pferd, wenn Hilfe nötig ist / und durch seine große Kraft entrinnt man nicht. 18 Siehe, das Auge Jahwes ist auf dem, der ihn fürchtet / denen, die auf seine Güte warten, 19 sodass er ihr Leben vom Tode errettet / und sie im Hunger am Leben erhält. 20 Unser Leben wartet auf Jahwe / unsere Hilfe und unser Schild ist er.
Vgl. zur präsentischen Wiedergabe der Partizipien und der Perfekt(qatal)-Formen des Psalms WITTE, Lied, bes. 15f.: „Dabei scheint mir nach wie vor, die von Diethelm Michel (1960) exemplarisch auf die Tempora in den Psalmen angewendete Aspekttheorie die Phänomene des hebräischen Verbalsystems am angemessensten zu erklären. D.h. die morphologischen Unterschiede der Verben in Ps 33 kennzeichnen nicht primär bestimmte Zeitstufen, sondern einen bestimmten Modus und einen bestimmten Aspekt einer Handlung. Ob und wenn ja, welche Zeitstufe in der jeweiligen Konjugation enthalten ist, lässt sich nur vom Kontext und vom Inhalt her entscheiden. Insofern eine bestimmte Verbform nicht notwendig nur eine syntaktische Bedeutung besitzt, ist für die Leser des Textes eine aktive Interpretationsrolle vorausgesetzt.“ Witte selbst kommt dann zu dem Schluss, dass in Ps 33 „zeitinklusiv“ (a.a.O., 25) geredet würde, d.h. hier wird das Wesen Jahwes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beschrieben, nicht vermeintlich vergangenes Schöpfungs- oder Geschichtshandel berichtet, um eine Begrifflichkeit von WESTERMANN, Lob und Klage, aufzugreifen. 334
210
4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
21 Denn an ihm freut sich unser Herz / denn auf seinen heiligen Namen vertrauen wir. 22 Deine Güte, Jahwe, sei über uns / wie wir auf dich hoffen.
Der 33. Psalm stellt einen Hymnus dar335, der sich klar in drei große Teile gliedern lässt336: a) V. 1–3: Imperativische Aufforderung zum Lob, b) V. 4–19: Durchführung des (beschreibenden) Lobes und c) V. 20–22: Bekenntnis und Gebet. Diese Teile bauen aufeinander auf. Auch der umfangreiche Hauptteil in V. 4–19 entfaltet strukturiert und klar gegliedert einen Gedankengang.337 Dabei steht, für die Psalmen ungewöhnlich, das Wort Jahwes an erster Stelle. In der Tat ist der 33. Psalm der einzige Text des Psalters, in dem sich die Formulierung דבר־יהוהfindet. Der ausführliche und detaillierte Lobaufruf in den Versen 1–3 hat in der Forschung zu der Annahme geführt, hier werde eine konkrete gottesdienstliche Versammlung der Gerechten und Aufrechten geschildert, mit klaren Anweisungen an die anwesenden Instrumentalisten (V. 2).338 In diesem Gottesdienst solle dann ein neues Lied339 entstehen. Dafür diene das Stichwort Wort Jahwes in V. 4 als Ausgangsthese, die dann durch eine „Anthologie“ von gleichsam „auf Zuruf“ zusammengetragenen Gedanken der Anwesenden entfaltet und ausgestaltet würde. Die Verse 4–19 enthielten demnach mehr oder weniger lose assoziativ verkettete Gedanken von Gottesdienstbesuchern zum Thema „Wort Jahwes“.340 Dem gegenüber ist festzuhalten, dass es sich bei Ps 33, ebenso wie bei den meisten anderen Psalmen, um einen überindividuellen Text handelt341, der nicht in erster Linie eine konkrete gottesdienstliche Situation festhält. Der ausführliche Lobaufruf unterstreicht den Charakter des Textes und soll auch lange
Vgl. GUNKEL/BEGRICH, Einleitung, 32; WESTERMANN, Lob und Klage, 93ff. oder auch HOSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 205: „In seinem Aufbau ist der Psalm geradezu ein Musterbeispiel für einen Hymnus.“ 336 Vgl. G UNKEL, HKAT II.2, 19 oder K RAUS, BKAT XV/1, 408ff. 337 „Ps 33 bietet vielmehr eine bewusst durchstrukturierte und durchkomponierte Theologie, insofern unter Theologie eine systematisch reflektierte Rede von, über und zu Gott verstanden wird“ (WITTE, Lied, 11). 338 Vgl. z.B. W EISER, ATD 14, 185, der einen Hymnus zum „Neujahrsfest“ vermutet; zur Verortung von Psalmen bei dafür vorausgesetzten Festen im Leben des antiken Israel vgl. MÜLLER, Jahwe als Wettergott. 339 Zu eschatologischen Implikationen des Terminus vgl. W ITTE, Lied, 28ff.; anders: ZENGER, Liebe, 319f. 340 Vgl. so unter Aufnahme von Gedanken von A. Deissler und J. M. Vincent: SEYBOLD, HAT I/15, 137f. oder WEISER, ATD 14, 186: „Ein geordneter Strophenaufbau ist nicht festzustellen“. 341 Vgl. grundsätzlich JANOWSKI, Konfliktgespräche. 335
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
211
nach der Entstehung zum Mitloben aufrufen.342 Die Verse 4–19 entfalten unterschiedliche Aspekte dieses Lobes. Dabei verdankt sich der auf den ersten Blick „anthologische“ Charakter dieses Textes einerseits einer Reihe von Bezugnahmen auf die biblische Tradition und andererseits unterschiedlichen Aspekten des Lobes – Schöpfung, Geschichte, Erwählung, Gottes freie Zuwendung –, die allerdings aufeinander aufbauen. Die Schlussverse 20–22 entfalten durch ihren Sprechrichtungswechsel von der bekennenden Rede über Jahwe (V. 20f.) hin zum betenden Reden zu Jahwe (V. 22) die unterschiedlichen kommunikativen Dimensionen solcher Texte.343 Psalmen sind grundsätzlich mehrfachadressiert. Die Beter bekennen ihr Vertrauen zu Jahwe vor einem imaginären Forum und beten zugleich zu ihrem Gott. Außerdem dient das Sprechen des Psalms auch der Selbstvergewisserung der betenden Gemeinde (oder des Einzelnen). Gottes Wesen wird lobend oder betend in Erinnerung gerufen. Diese Funktion erfüllen im vorliegenden Psalm die Verse 4–19. Dieser Abschnitt macht deutlich, dass die Selbstvergewisserung der betenden Gemeinde durchaus theologisch reflektierenden Charakter haben kann. Hier wird das in drei Teilgedanken entfaltet344: V. 4–9 erinnern an die Zuverlässigkeit und Wirksamkeit des Wortes Jahwes, das Gerichts- und Schöpfungswort ist.345 V. 10–15 erinnern daran, dass dieses Reden Jahwes sich in seinem Geschichtshandeln realisiert. Israel erwählt er, die Pläne der Feinde vereitelt er. Der die Herzen bildete, kennt sie auch. V. 16–19 erinnern daran, dass daher der beste Weg zu Hilfe und wahrem Leben nicht das Vertrauen auf eigene Stärke, sondern Furcht Jahwes ist.
Ausgangspunkt und Grundlage dieses Gedankenganges sind tatsächlich die Reflexionen über den דבר־יהוהin V. 4–9. Dieser Abschnitt ist durch zwei kîSätze gerahmt, die jeweils das Reden Gottes zum Thema haben: V. 4: כי־ישׁר ;דבר־יהוהV. 9: כי הוא אמר ויהי. Diese inclusio gibt somit das Thema des Ab-
Vgl. WAGNER, Lobaufruf, 77–88. 343 Vgl. W AGNER, Sprechen, 3–19. Diese Überlegung widerraten einer literarkritischen Abtrennung von V. 22, vgl. so WESTERMANN, Ausgewählte Psalmen, 154, dazu: WITTE, Lied, 13f. 344 In der Literatur wird eine Reihe von Möglichkeiten vorgeschlagen, diesen Hauptteil des Psalms zu gliedern, die hier um eine weitere verlängert wird; vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten ZENGER, Liebe, 314–318. 345 „Im Hymnus Ps 33 stehen Gottes Wort und Werk für das Ganze seines Tuns und werden ihrem Wesen nach als gerecht und beständig charakterisiert (V. 4). Alles Folgende ist Explikation dieses Urteils, wobei der Schöpfung durch das Wort und der Leitung der Welt – theologische Fortführung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts und anderer Schöpfungstraditionen – besondere Bedeutung zukommen (V. 6 ff.)“, urteilt SPIECKERMANN, Reden, 229. 342
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
schnitts an.346 Die Reflexion über das Gotteswort wird dann innerhalb von Ps 33,4–9 wiederum in einem Dreischritt entfaltet. Dabei lassen sich eine Reihe textlicher Querbeziehungen innerhalb des Psalms aber auch intertextuelle Bezugnahmen zu anderen biblischen Texten aufzeigen: V. 4–5: Mit deiktischem kî setzt das in V. 1ff. geforderte Lob nun ein.347 Von vornherein geht es um das Wort Jahwes. Dieses Wort wird zuerst als gerade/rechtschaffen (hebr. )ישׁרbezeichnet. Das Stichwort nimmt einerseits die angeredeten Aufrechten ( )ישׁריםaus V. 1 wieder auf und eröffnet zugleich ein Wortfeld, das sich um das Thema Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Wahrheit dreht. Damit ist der Bereich von Recht und Ethik angesprochen, für den Jahwe als Garant gilt. Sein Wort ist gerade, und seine Taten ( )וכל־מעשׂהוgeschehen in Wahrheit ()באמונה. So wie hier von den Taten Gottes die Rede ist, wird V. 15 von den Taten ( )כל־מעשׂיהםder Menschen reden. Die sprachliche Entsprechung drückt eine gewünschte sachliche Parallele aus: Die menschlichen Taten sollen auch aufrichtig geschehen. Denn Gott liebt Gerechtigkeitstat und Recht (V. 5), daher geht seine חסדüber die Erde. Das hier notdürftig mit Güte wiedergegebene Wort bezeichnet ja eigentlich ein Entsprechungshandeln („Gemeinschaftstreue“).348 Auf menschlicher Seite entspricht ihm Glaube oder Gottesfurcht. Daher blickt nach V. 18 Gott auch diejenigen (wohlwollend) an, die auf seine חסדwarten. Zum Abschluss des Psalms bekennen sich eben die Beter als die, die auf חסדhoffen (V. 22).349 Und da dies in V. 5 unter dem Vorzeichen steht, dass Gott Gerechtigkeitstat ( )צדקהund Recht liebt, ist solches wohl auch von denen zu erwarten, die חסדals etwas Gutes erhoffen (V. 22) und sich auch dadurch selbst als ( צדיקיםV. 1) erweisen.350 Jene „Güte“ Gottes ist aber eigentlich universal. Der Begriff הארץaus V. 5 wird das in V. 8 und 14 in Erinnerung rufen. So reden V. 4 und 5 von der universalen ethischen Dimension des Wortes Gottes.351 V. 6–7: Noch einmal wird explizit der דבר־יהוהzum Thema. Jetzt geht es um die Schöpferkraft des Wortes; denn durch das Wort Jahwes sind die Himmel gemacht und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer. Damit liegt
Vgl. WITTE, Lied, 19, der aufgrund seiner Gliederung hier keine inclusio annimmt, aber auch eine bestimmende Funktion des Themas דברbeobachtet. 347 Vgl. dazu grundlegend: C RÜSEMANN, Studien, 32–35. 348 Vgl. G LUECK, hesed. 349 Vgl. ZENGER, Liebe, 318f. 350 Dazu K RAUS, BKAT XV/1, 410: „Er liebt ‚Gerechtigkeit und Recht‘ (5). Dieser Tatsache erinnern sich hier insbesondere die ( צדיקים1).“ 351 Die Feststellung allerdings: „Er hat seiner Schöpfung eine alles durchwaltende gerechte Lebensordnung (ṣedāqāh ūmišpāṭ) eingestiftet […] Prinzip dieser Lebensordnung ist seine Güte“ (HOSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 298) überfordert den Textbefund, indem hier ein Ordnungsdenken eingetragen wird. Dabei wird übersehen, dass Gerechtigkeit und Recht schon in der Prophetie des 8. Jahrhunderts nicht der Schöpfung „eingestiftet“, sondern eben als Gotteswort angesagt oder im Namen Gottes angemahnt werden. 346
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
213
eine Bezugnahme zur priesterschriftlichen Schöpfungserzählung vor (vgl. insbesondere Gen 2,1).352 Das Stichwort שׁמיםwird in V. 13 wiederkehren und dort einen Abschnitt eröffnen, in dem es darum geht, dass der Schöpfer der Welt auch derjenige ist, der die Welt samt ihren Bewohnern kennt und versteht. Das Wort des Schöpfers ist demnach auch in seinem Geschichts- und Erwählungshandeln zu vernehmen (vgl. V. 10–15). Hier, in V. 6 fällt zunächst die Formulierung Hauch seines Mundes ()וברוח פיו353 als Parallele zu Wort Jahwes auf.354 Gott schafft die Welt nicht nur durch sein Wort355, er „inspiriert“ sie durch dieses Sprechen auch. V. 7 ergänzt diese Aussage dadurch, dass die Chaosmächte Wasser und Urflut ( )תהוםvon Gott in ihre Schranken gewiesen werden.356 Die Formulierung er sammelt die Wasser des Meeres wie einen Damm könnte eine Anspielung auf das Exodusgeschehen sein (vgl. Ex 15,8; Jos 3,13.16; Ps 78,13), wo dann auch der Schöpfer am Werk wäre. Die Parallele legt allerdings die vielfach vorgeschlagene Konjektur wie in einem Schlauch357 nahe.358 Ps 33,6–7 bringt somit die schöpferische und bewahrende Dimension des Wortes Gottes unter anderem durch intertextuelle Bezugnahmen auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Erinnerung. V. 8–9: Jetzt werden die Folgerungen aus dem bisher Gesagten gezogen. Gottes Wort ist universales Gerichtswort, weil es auch das Wort dessen ist, der die ganze Welt geschaffen hat. Daher soll359 die ganze Erde ( הארץvgl. V. 5) ihn fürchten (vgl. V. 18), das heißt alle Bewohner der Welt ( כל־ישׁבי תבלvgl. V. 14: )כל־ישׁבי הארץ. Dies wird noch einmal begründet durch zwei repräsentative
Vgl. WESTERMANN, Ausgewählte Psalmen, 151. 353 Die Formulierung findet sich im ganzen Alten Testament sonst nur noch in Hi 15,31, wo der Hauch seines (Gottes?) Mundes den Frevler vernichtet. 354 Vgl. K RAUS, BKAT XV/1, 410. 355 Zu religionsgeschichtlichen Parallelen zur Vorstellung einer Schöpfung durch das Wort vgl. KRAUS, BKAT XV/1, 411–413; GERTZ, ATD 1, 44f. 356 Die Vorstellung, Naturgewalten – Schnee und Hagel – könnten von Gott in Vorratshäusern ( )אצרותaufbewahrt werden, findet sich noch in Hi 38,22. 357 Vgl. App. der BHS nach LXX: ὡς ἀσκόν = כנ)א(ד. Dem folgen seit Gunkel die meisten Kommentare, anders aber: HOSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 208: „MT könnte durchaus beibehalten werden“. 358 „Der ambivalente Wortgebrauch in V. 7 scheint intendiert zu sein. Mittels der temporal nicht gebundenen Partizipien und der in schöpfungstheologischem und geschichtstheologischem Kontext gebrauchten Begriffe beschreibt der Dichter Jhwh’s Handeln in der Schöpfung, in der Frühgeschichte Israels beim Auszug aus Ägypten und beim Einzug in Kanaan sowie im gegenwärtigen Erhalten der Schöpfung“ (WITTE, Lied, 17). 359 So ist die Imperfektform ייראוzu verstehen; vgl. G ESENIUS-K AUTZSCH, § 107n und WITTE, Lied, 18. 352
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Sprechakte in V. 9360, die jeweils als zusammengesetzte Nominalsätze formuliert sind361, was den Fazitcharakter der Aussage unterstreicht: V. 9: Denn Er ist es, der spricht, und es wird / Er ist es, der gebietet, und es steht da.
כי הוא אמר ויהי הוא־צוה ויעמד
Hier werden im parallelismus membrorum zwei Aussagen über Gott konstatiert. Er wird in unterschiedlichen Aspekten seines Wesens beschrieben, die nicht wirklich „synonym“ sind, sondern in ihrer Addition ein aspektivisches Gottesbild ergeben.362 V. 9a spielt wieder deutlich an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht (vgl. Gen 1,9 und öfter) an, während 9b mit der Vokabel צוהnoch einmal den juridischen-ethischen Aspekt des Wortes Gottes hervorhebt.363 So sind die Reflexionen über das Gotteswort Ausgangspunkt und Grundlage des Hauptteils von Ps 33. Jahwes Wort ist Wort des Richters, weil es Wort des Schöpfers ist. Daher ist Gottesfurcht die angemessene Antwort aller Menschen.364 Das Planen feindlicher Nationen und Völker macht er zunichte aufgrund seiner eigenen Pläne (V. 10f.). Aber: Selig das Volk, dessen Gott Jahwe ist, das Volk, das er sich zum Erbe erwählt hat. Dieser Makarismus von V. 12 steht formal und sachlich im Zentrum des Psalms.365 Gott weiß, auf wen das zutrifft, weil er der Schöpfer ist und Einsicht hat in alles Denken der Menschen (V. 13ff.).366 Nicht eigene Kraft, sondern Gottesfurcht ist die rechte Haltung diesem Gott gegenüber (V. 16–19). Grundlage seiner Zuwendung ist seine חסד
Vgl. WAGNER, Sprechakte, 21. 361 Vgl. M ICHEL, Tempora, 179–181; LEHMANN, Überlegungen, 27–43; W ITTE, Lied, 18f. 362 Vgl. W AGNER, Parallelismus; JANOWSKI, Konfliktgespräche, 13–21 („Stereometrie“) und grundlegend zum Konzept der „Aspektive“ BRUNNER-TRAUT, Frühformen und Kapitel 6.3. 363 „Insofern das Schöpfungswort ein Befehlswort ist (vgl. V. 9), das wie ein altorientalisches Königsedikt geradezu zwangsläufig zur Ausführung gelangt (vgl. auch Gen 1), setzt sich das mit der Schöpfung initiierte Geschehen unaufhaltsam durch“ (HOSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 209). 364 „Dem Menschen, der sich in diese Zusammenhänge hineingestellt sieht, bleibt nur jenes unbedingte Ernstnehmen Gottes als der alles schaffenden Wirklichkeit, das die Bibel Gottesfurcht nennt“ (WEISER, ATD 14, 187). 365 Vgl. ähnlich W ITTE, Lied, 13. 366 „Indem Ps 33 im Gegensatz zu Ps 146 oder Ps 147 weder den Namen Israel noch den Zion, den Tempel oder die Tora, die gleichwohl Referenzgrößen vorausgesetzt werden, erwähnt, eröffnet er allen Völkern die Teilnahme am Lob Jhwh’s. Als ein Gerechter (V. 1) gilt und zum glücklich genannten Gottesvolk (V. 12) zählt, wer in der Schöpfung und in der Geschichte Jhwh am Werk sieht und wer sich der den Kosmos durchflutenden Huld Jhwh’s unterstellt (V. 18.22)“ (WITTE, Lied, 35). 360
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
215
(V. 18), die durch sein Wort bekannt wird (vgl. V. 4f.).367 Gerahmt wird dieser Gedankengang von der Aufforderung zum Lob (V. 1ff.) und dem Bekenntnis und Gebet der Gemeinde (V. 20ff.). Thema des Psalms ist also weniger eine „Anthologie“ alttestamentlicher Gedanken als vielmehr eine systematische Reflexion368 über das Leben coram deo, das in „Gottesfurcht“ als Erwartung von Gottes חסדein sinnvolles Ziel findet. Basis dieses Gedankens ist eine im Psalter einmalige Meditation über den דבר־יהוה, der als schöpferisches und gebietendes Wort Grund und Antrieb dieses Weltgeschehens ist. Ein solches Nachdenken gehört – das zeigen auch die zahlreichen Bezugnahmen auf alttestamentliche und außerkanonische Referenztexte369 – in eine vergleichsweise späte Phase der alttestamentlichen Literatur- und Theologiegeschichte. Eine „späte“ Entstehung des 33. Psalms wird seit Hermann Gunkel ausnahmslos angenommen.370 Markus Witte meint nun, konkret das 3. Jahrhundert v.Chr. benennen zu können.371 In jedem Fall reiht sich das Nachdenken über das Wort Jahwes in Ps 33 ein in die Beobachtungen zum Charakter der bisher behandelten Texte als redaktioneller Formulierungen mit einer programmatischen theologischen Deutefunktion.372
Wenn also ZENGER, Liebe, 323ff. die „Güte/Liebe Jahwes“ zum Zentralmotiv des Psalms erklärt, dann steht die hier gebotene Betonung des Wortes nicht dazu im Widerspruch. Vielmehr ist eben das Wort das Medium, durch das die Welt überhaupt von Gerechtigkeit und Recht und von der Güte Jahwes erfahren kann. 368 Vgl. W ESTERMANN, Ausgewählte Psalmen, 151; H OSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 206; WITTE, Lied, 11. 369 Vgl. ausführlich W ITTE, Lied, 30–35. 370 Vgl. G UNKEL/B EGRICH, Einleitung, 36; K RAUS, BKAT XV/1, 409; W ESTERMANN, Ausgewählte Psalmen, 150; HOSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 206: aus „weisheitlichen Kreisen der nachexilischen Zeit“. 371 Vgl. W ITTE, Lied, 30; vorsichtiger ZENGER, Liebe, 320: „Ps 33 ist in jedem Fall jünger als Ps 96; 98 und Jes 42 und nimmt beide Textbereiche auf.“ 372 Der Charakter eines nachträglichen Deutetextes ergibt sich für Ps 33 auch durch seine Sonderstellung in der Psalmengruppe 25–34 und durch die Tatsache, dass dieser Psalm als einziger im ersten Davidpsalter keine Überschrift hat, vgl. HOSSFELD/ZENGER, Thronsitz, bes. 67–89. Dass hier allerdings eine „Armenredaktion“ (a.a.O., 68) am Werk gewesen sei, hat Zenger später revidiert (vgl. ZENGER, Liebe, 322 Anm. 37), ohne Anderes an diese Stelle zu setzen. Nach dem hier Vorgetragenen, ist es das Thema Wort Jahwes, das hervorgehoben wird. 367
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
4.3.2 Psalm 119 a) Weisung und Wort in Psalm 119 Der 119. Psalm ist der längste Einzeltext des Psalters und bildet zusammen mit den Psalmen 1 und 19 die Gruppe der „Torapsalmen“.373 Denn mittels der immer wiederkehrenden Begriffe Weisung ()תורה, Zeugnisse ()עדת, Anordnungen ()פקודים, Satzungen ()חקים, Gebote ()מצות, Rechtssätze ()משׁפטים, Wort(e) (דבר/ )דבריםund Ausspruch ( )אמרהGottes werden unterschiedliche Aspekte des Themas „Tora“ meditiert.374 Dabei werden nie bestimmte Einzelgebote zitiert, sondern der offenbarten Gotteswillen als ganzer steht in Rede. Es herrscht Einigkeit darüber, dass dieser Text aus einer Spätphase der alttestamentlichen Literatur- und Religionsgeschichte stammt und vielleicht schon in die Nähe des Jesus Sirach gehört.375 Die Analyse des längsten Psalms ist zunächst oft von der auffälligen akrostychischen Form bestimmt. Einerseits deutet dies auf eine planvolle literarische Gestaltung hin. Andererseits aber nahm man in der älteren Forschung oft an, dass hinter diesem vermeintlichen Formzwang die inhaltliche Klarheit verloren gehe. Scheinbar werden immer gleiche Gedanken nur mehr oder weniger schematisch wiederholt, wobei zahlreiche Querbezüge zu anderen Texten des Alten Testaments zu beobachten seien, sodass sich die Frage nach einem strukturierten Gedankengang fast von vornherein zu erledigen schien.376 Die ältere Forschung schloss daraus, dass der Verfasser ein wenig origineller Epigone älterer und größerer Geister gewesen sei. Dies paarte sich mit dem
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 349f. (Die Auslegung des 119. Psalms stammt von Zenger); vgl. insbesondere zum Verhältnis von Ps 19 und Ps 119 GRUND, Himmel, 285–289. 374 Zum Vorkommen und einer jeweils möglichen Übersetzung vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 473f. sowie FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 99–103. 375 So nach der umfassenden Analyse von D EIßLER, Psalm 119; sowie G RUND, Himmel, 289 oder FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 103 Anm. 49, wonach „Psalm 119 zum theologischen Vorfeld Ben Siras“ gehört. Vgl. auch die Erwägungen bei KRAUS, BKAT XV/2, 997–1000. Kraus möchte den Text nicht allzu spät datieren und auch das weisheitliche Moment nicht überbetonen. Er selbst interpretiert den Text ganz aus der Perspektive eines ṣaddiq im Sinne von Ps 1, übersieht aber, dass dieser Begriff in Ps 119 gar nicht begegnet. Vorsichtig jetzt HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 357: „[...] durch seine Verwurzelung in der Tora-Weisheit gehört der Psalm zu den späten Psalmen des Psalters und ist ein Zeugnis der im 4. Jahrhundert v. Chr. beginnenden jüdischen Bildungs- und Buchkultur.“ 376 Vgl. als in dieser Hinsicht typische Auslegung W EISER, ATD 15, 492: „Nach der Zahl der Buchstaben des Alphabets sind 22 solcher ‚Gedichte‘ aneinandergereiht, die jedoch weder untereinander einen Gedankenzusammenhang aufweisen, noch in sich selbst geschlossene Einheiten darstellen.“ Auslegungen mit ähnlicher Tendenz sind zitiert bei HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 350. 373
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
217
(Vor-)Urteil, der 119. Psalm repräsentiere eine Frömmigkeit auf dem Wege zu einer „Gesetzlichkeit“, wie sie dann im Neuen Testament kritisiert würde.377 Demgegenüber ist festzuhalten, dass hier ein Stück späte, reflektierte Theologie in der Sprachform des Gebets und des Bekenntnisses vorliegt, die sich insgesamt um das Thema Weisung/Tora Jahwes dreht und dieses bewusst als Wortoffenbarung versteht.378 In der Reihenfolge des hebräischen Alphabets bietet der Text eine Folge von 22 Strophen zu je acht Versen. Der Achtzahl der Verse korrespondiert die gleiche Zahl der tragenden und immer wiederkehrenden Begriffe, die das Thema „Gesetz“ variieren.379 Diese Begriffe werden auf den ersten Blick promiscue gebraucht, setzen aber doch bestimmte Akzente.380 Insbesondere der Formulierung תורת יהוה, die als erste begegnet, kommt programmatische Funktion zu.381 Auch ist der Psalmist in seiner Wortwahl deutlich kreativer als gelegentlich angenommen. Die Begriffe „*פקודיםAnweisungen“ und „ *אמרהAusspruch“ finden sich in der weitaus überwiegenden Zahl ihrer Belege im 119. Psalm und sind für andere alttestamentliche Texte ungewöhnlich. Die Perspektive des Psalms bleibt durchgehend die des betenden „Ich“, das in seinem Nachdenken über das Gesetz immer auf Gott bezogen ist.382 Dies drückt sich formal dadurch aus, dass alle tragenden Begriffe für „Gesetz“ und
Vgl. WEISER, ATD 15, 492f. 378 Seit der Arbeit von Deißler u.a. wird der Psalm als theologisch gefüllte Reflexion wahrgenommen; vgl. z.B. SEYBOLD, HAT I/15, 471f. oder HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 349ff. 379 Vgl. K RAUS, BKAT XV/2, 996. Zu verschiedenen Möglichkeiten, der Zahl Acht eine Bedeutsamkeit abzugewinnen, vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 351f. („poetische Substitution des Tempelkultes“; Bezug zum Laubhüttenfest; Rekurs auf Neh 8; der „8. Tag“ als Zeitpunkt liturgischer Vollzüge, auf die in Ps 119 „transformierend (!) angespielt werden soll“ [a.a.O. 352]). 380 Auch hierin zeigt sich wiederum das Phänomen eines „aspektivischen“ Zugriffs; vgl. WAGNER, Parallelismus, 252f.; JANOWSKI, Konfliktgespräche, 13–21. Die unterschiedlichen Begriffe für „Gesetz“ sind dabei weder Synonyme noch einfach komplementär. Vielmehr entsteht durch die Vielzahl und die Variation eine „produktive Unschärfe“ (JANOWSKI, Konfliktgespräche, 18). Dies bietet auch, wie Wagner für den Parallelismus membrorum herausgearbeitet hat, eine „hohe Plastizität der Aussage“ und damit „die Möglichkeit, die bibzw. multiperspektiv dargebotenen Tatbestände in komplementäre, antithetische oder additive Beziehungen zu setzen“, also „die Eröffnung eines Erkenntnisraumes, in dem sich das Verstehen hin und her bewegen kann und das damit eine dynamische Dimension hat“ (WAGNER, Parallelismus, 252). Dazu fügen sich insgesamt sehr gut die Beobachtungen von FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, passim. 381 Im Psalter sonst nur noch in Ps 1,2 und 19,8. Dazu SEYBOLD, HAT I/15, 473: „ תורה ist als zentraler Begriff primus inter pares (25mal)“; vgl. auch HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 353. 382 Vgl. so auch K RAUS, BKAT XV/2, 998; SEYBOLD, HAT I/15, 472; H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 350 und ausführlich FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 93–97. 377
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
„Wort“ durchgehend mit einem Suffix der 2. Person Singular als Gottes Gebote und seine Worte gekennzeichnet sind. Dennoch ist auch dieser Psalm in seiner pragmatischen Funktion ein überindividueller Text. Die Lesenden sollen sich die Perspektive des betenden „Ich“ zu eigen machen.383 Allgemeine Aussagen über die, die in Jahwes Tora wandeln (vgl. V. 1–4) oder darüber, wie „der Jüngling“ seinen Weg findet (V. 9), unterstreichen diesen im Grunde überindividuellen Charakter des Textes. Erwägungen über biographische Hintergründe des Verfassers, die zur Abfassung dieses Textes geführt haben könnten, erübrigen sich von daher.384 Hier liegt theologische Reflexion in Gestalt eines Gebetes vor. Dennoch entspricht es der individuellen Perspektive des Textes, dass der Psalm keinerlei gottesdienstlichen oder kultischen Kontext erkennen lässt. Liturgische Zuschreibungen („dem Chorleiter“) oder Anweisungen („SELA“) fehlen ebenso wie Hinweise auf den Tempel, den Zion, eine Gemeinde oder das Gottesvolk. Die Gottesbeziehung des (einzelnen) Menschen wird hier scheinbar ganz durch das Medium „Wort“ und „Weisung“ Gottes definiert.385 Der Beter (und die nach ihm Lesenden mit ihm) verhält sich dazu, indem er Wort und Weisung bewahrt, betrachtet, nicht vergisst, sich daran freut, sie lernt, darüber nachdenkt usw. Zwar gibt es dabei keinerlei Hinweise darauf, in welcher Gestalt das Gesetz hier vorliegt – weder von einem „Buch“, noch von Mose als Verfasser oder von Lesen oder Schreiben ist die Rede – doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass es sich bereits um die schriftlich fixierte Tora (in welcher Gestalt auch immer386) handelt. Gerade in der Situation des Exils oder der Diaspora gewinnt das (schriftliche) „Wort“ gegenüber kultischen Institutionen und Vollzügen an Gewicht.
Vgl. FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 94ff., die darauf aufmerksam macht, dass das betende Ich auch innerhalb des Psalms verschiedene Perspektiven unterschiedlichen Lebensalters und unterschiedlicher Lebenserfahrung einnimmt, mit der Konsequenz: „Die Möglichkeiten der Betenden, sich mit dem Ich zu identifizieren – wie auch immer ihre Gruppenzugehörigkeit, ihr Toraverständnis und ihre Lebenssituation im Einzelnen gewesen sein mag – sind groß“ (a.a.O., 104). 384 „Die eröffnende Frage V 9a bezieht sich auf den Lebensweg ‚von Jugend an‘ und darf nicht dahingehend biographisiert werden, dass der Sprecher/Beter des Psalms ein Junger Mann sei“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 362). 385 Psalm 119 „zitiert keines der vielen Gebote der Tora des Mose und er entwirft kein ethisches Modell und schon gar keine Gesetzeskasuistik. In Ps 119 redet vielmehr ein Ich über seine Beziehung zur Tora [...] und dies geschieht durchgängig in der Du-Anrede JHWHs [...], also in der Form eines Gebets“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 350). 386 Vgl. K RAUS, BKAT XV/2, 998, der mit Klaus Koch aufgrund der Begrifflichkeit an eine Form des Deuteronomiums denkt; vgl. auch FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 102f. 383
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
219
b) Gedankengang und Spannungsbogen von Psalm 119,1–48 Bei näherer Betrachtung ist es keineswegs nur so, dass der Text in immer wiederkehrenden verschiedenen Begriffen den stets gleichen Gedanken allenfalls sprachlich variiert. Trotz zahlreicher wiederholt auftretender Formulierungen lässt sich in den einzelnen Strophen des Psalms doch ein je eigener Aspekt des Themas erkennen, der inhaltlich entfaltet wird. Auch lassen sich Spannungsbögen erkennen, die jeweils mehrere Strophen umfassen.387 Dies soll beispielhaft entfaltet werden.388 Psalm 119: 1 Glücklich sind diejenigen integren Weges / die in der Tora Jahwes ( )בתורת יהוהeinhergehen. 2 Glücklich sind diejenigen, die seine Zeugnisse bewahren / mit ganzem Herzen fragen sie nach ihm. 3 Ja, sie tun389 kein Übel / auf seinen Wegen wandeln sie. 4 Du hast deine Anweisungen geboten / um sie sehr zu bewahren. 5 Oh dass doch meine Wege fest sind / deine Satzungen zu beachten. 6 Dann werde ich nicht zuschanden werden / indem ich alle deine Gebote betrachte. 7 Ich danke dir mit aufrechtem Herzen / indem ich die Rechte deiner Gerechtigkeit lerne. 8 Deine Satzungen bewahre ich / verlass mich nicht allzu sehr.
Die ersten acht Verse des Psalms, die die –אStrophe bilden, stellen eine Ouvertüre390 des Textes dar. Mit dem einleitenden „( אשׁריselig/glücklich“) wird – ähnlich wie in Ps 1,1 – der weisheitliche Grundton angeschlagen.391 Gepriesen werden diejenigen, die sich richtig verhalten, deren Lebenswandel integer ist, das heißt, die in der „Tora Jahwes“ einhergehen. Damit begegnet ein Stichwort aus Ps 1,2 und 19,8 und wird dahingehend ausgeführt, dass nun in fünf weiteren
Vgl. z.B. SEYBOLD, HAT I/15, 473. 388 Hier geht es nur um den Gedankengang von V. 1–48, was die ersten sechs Strophen des Psalms umfasst; vgl. aber zu einer ganz ähnlichen und dann den ganzen Psalm erschließenden Analyse HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 356–360. 389 Die sog. Perfektformen dieses Psalms sind in der Regel präsentisch zu übersetzen; dazu MICHEL, Tempora, 83–87 mit dem Fazit: „Wahrscheinlich zieht der Psalmist an diesen Stellen das perf. vor, weil es ihm weniger auf das iterative oder konsekutive Element als vielmehr auf die Betonung der Faktizität ankommt. Denn das haben alle Stellen als gemeinsamen Charakter: Die Psalmisten berichten, was sie wirklich sind und tun, sie beschreiben vorliegende Fakten“ (a.a.O., 86). 390 Zenger nennt die beiden ersten Strophen eine „Programmatische Eröffnung“ (H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 356). 391 Vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 349f. 387
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Begriffen der Raum392 „Tora Jahwes“ abgeschritten wird.393 Es geht darum, Gottes Zeugnisse zu halten (V. 2: )נצרי עדתיו, seine Anweisungen zu bewahren (V. 4: )צויתה פקדיך לשׁמר, ebenso wie deine Satzungen (V. 5: )חקיך, deine Gebote zu betrachten (V. 6: )בהביטי אל־כל־מצותיך, Rechte zu lernen (V. 7: בלמדי משׁפטי )צדקך. Dies sind die Begriffe und Tätigkeiten, die im Laufe des Psalms immer wieder auftreten. Sie werden hier ergänzt durch die Metapher des Weges auf Seiten Gottes (V. 3: seine Wege) und des Beters (V. 5: meine Wege). Formal zeichnet sich diese Ouvertüre gegenüber den folgenden Strophen dadurch aus, dass die Verse 1–3 zunächst allgemein formuliert sind. Hier werden diejenigen, die … seliggepriesen. Es geht darum, dass „man“ sich an die Gesetze und Gebote Jahwes halten soll, um als „selig/glücklich“ zu gelten. V. 4 schlägt in die Anrede um. Aus einer Rede über … wird der Text jetzt zu einer Rede zu … Ab V. 5 steht dann das Betende Ich im Mittelpunkt, sodass der Psalm gänzlich zum Gebet wird. Pragmatisch bedeutet das, dass aus dem Jahwe, der als Teil des Begriffs Tora Jahwes Geber und Garant eines „Gesetzes“ ist, jetzt ein persönliches Gegenüber wird.394 Und in diejenigen, die … zeichnet sich der Beter mit seiner Person ein. So wird der Beter – und die späteren Leser mit ihm – zu einem Paradigma für diejenigen, die um ihres Lebenswandels willen, der ein Abschreiten des Raumes der Tora ist395, seliggepriesen werden. Zugleich aber wird klar, dass eine solche Existenz angefochten und brüchig ist. Das betende Ich bittet, dass seine Wege (auch) fest sein mögen (V. 5), dass es nicht zu-
Der Begriff „Raum“ sei hier nicht nur als Metapher gebraucht, sondern als Umschreibung für eine spezifische Weltwahrnehmung, die sich im Alten Testament an sprachlichen, grammatikalischen und stilistischen Phänomenen greifen lässt. „Die Wörter und Texte werden in ihrer Bedeutung aufeinander hin durchsichtig und erschließen so gegenseitig ihren Sinn. Diese Vieldimensionalität des Sinnes gleicht einem ‚Raum‘, in dem sich das Verstehen hin und her bewegen kann“ (JANOWSKI, Konfliktgespräche, 18). Dieser „Erkenntnisraum“ (WAGNER, Parallelismus, 252) wird aber nicht nur in einer Vielzahl von Begriffen greifbar, sondern z.B. auch im Parallelismus membrorum, oder den Stilmitteln des Merismus oder des Akrostichons: „Eine Ganzheit (ein Thema) wird durch Addition von Teilen beschrieben, wobei die Anzahl der Teile nicht durch Eigenschaften der Ganzheit bestimmt ist, sondern durch externe Größen, wie die Anzahl der Alphabet-Buchstaben, die Vollständigkeit symbolisieren (Bsp.: Ps 119; Ps 111; Klgl 1), oder Wörter, die durch die Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse gebildet werden (Wortakrostichon)“ (WAGNER, Parallelismus, 257). 393 „Wie nahe sich die beiden Psalmen [scil. 19 und 119] in ihrem Tora-Verständnis kommen, wird auch daran deutlich, dass sich viele der fünf Gebots-Synonyme von Ps 19 in ähnlichen Formulierungen und einer vergleichbaren Kombination fast nur in Ps 119 finden“ (GRUND, Himmel, 287f.). 394 „Das Lesen des ‚Tora-Psalms‘ 119 will dazu hinführen, in den Worten der schriftlich fixierten Tora dem Toralehrer JHWH selbst zu begegnen“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 350). 395 „Sie stellt einen Lebensraum dar (einen ‚Weg‘, 1 u.a.) – und in diesen Lebensraum einzuführen und seine Regeln einzuüben, ist der Sinn des Psalms“ (SEYBOLD, HAT I/15, 472). 392
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
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schanden, beziehungsweise beschämt werde (V. 6). Der Beter dankt Gott für das Lernen der Rechte seiner Gerechtigkeit (V. 7) und bittet um Gottes Beistand (V. 8) – und wiederum (und im Folgenden immer neu) sollen sich die Leser seine Perspektive zu eigen und sein Gebet zu ihrem Gebet machen. So macht schon diese erste Strophe oder Ouvertüre klar, dass der Psalm einem Gedankengang folgt: Die Tora Jahwes eröffnet einen Lebensraum. Glücklich sind diejenigen, deren Leben im Abschreiten dieses Raumes besteht. Die verschiedenen Begriffe – Gebot, Satzung, Zeugnis, Anweisung, Rechtssatz – beschreiben die Weite dieses Raumes. Der Beter stellt sich selbst in diesen Raum und eröffnet über sein „Ich“ dieselbe Perspektive für die Lesenden. Es wird auch schon deutlich, dass ein solcher „Lebenswandel“ kein Spaziergang ist, sondern angefochten ist und wohl erst über die Bitte um Beistand zu Dank und Lob Gottes führt. 9 Wodurch hält ein junger Mann seinen Pfad rein? / Indem er dein Wort [ ]כדברך396 bewahrt. 10 Mit meinem ganzen Herzen suche ich dich / lass mich nicht abirren von deinen Geboten. 11 In meinem Herzen bewahre ich das, was du gesagt hast [ ]אמרתך/ damit ich mich nicht an dir verfehle. 12 Gelobt seist du Jahwe / lehre mich deine Satzungen. 13 Mit meinen Lippen erzähle ich alle Gesetze deines Mundes nach. 14 Am Weg deiner Zeugnisse freue ich mich / mehr als an Reichtum. 15 Über deine Bestimmungen denke ich nach / und ich betrachte deine Pfade. 16 An deinen Satzungen freue ich mich / ich vergesse dein Wort nicht [ ]דברך.
Die –בStrophe fügt nun zu dem eben skizzierten Grundkonzept des Psalms noch neue Aspekte hinzu. Zunächst scheint der Text zu den allgemeinen Aussagen von V. 1–3 zurückzukehren, indem hier (und nur hier!) in V. 9 von dem Jüngling ( )נערdie Rede ist. Schon dieser typische Adressat der Spruchweisheit397, aber auch die Frageform des Satzes – Wodurch bewahrt ein Jüngling seinen Weg? – verweisen auf einen weisheitlichen Hintergrund des Textes.398 Die Antwort auf die gestellte Frage, die V. 9b gibt, macht aber klar, dass „Weisheit“ jetzt weit mehr ist als die Ableitung von Gesetzmäßigkeiten wie dem Ursache-Wirkung-Zusammenhang aus Phänomenen des menschlichen oder nichtmenschlichen Bereichs. Denn der Jüngling findet seinen Weg, indem er dein Wort ( )כדברךbewahrt. Die Bezeichnung der bisher in unterschiedlichen Aspekten entfalteten Tora Jahwes als dein Wort ist neu gegenüber der Ouver-
Die Präposition כist mit LXX zu streichen (vgl. den Apparat der BHS). Wer beim Masoretischen Text bleiben möchte, muss z.B. übersetzen Wodurch gestaltet ein junger Mann rein seinen Pfad? Dadurch, dass er ihn behütet gemäß deinem Wort (so bei HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 338). Damit die Präposition zwar untergebracht, aber für „ihn behütet“ findet sich im hebräischen Text eigentlich kein Pendant. 397 Vgl. z.B. Prov 1,4; 7,7; 22,6.15; 23,13; 29,15. 398 „9 beginnt im Stil sapientieller Fragestellung“ (K RAUS, BKAT XV/2, 1000). 396
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
türe. Zugleich ist das für die zweite Strophe des Psalms offenbar wichtig, denn in V. 16b wird der Begriff wieder aufgegriffen, sodass die Wurzel דברeine inclusio um diesen Textabschnitt bildet und damit sein Thema angibt.399 Zugleich ist aus dem Jüngling in V. 9 das Ich des Beters geworden, sodass die weisheitliche Belehrung in der Perspektive des Beters schon zum Ziel gekommen ist (deine Worte vergesse ich nicht), mit der sich die Lesenden wiederum identifizieren sollen. Die Verben dieser Strophe kennzeichnen den Weisen: Er fragt mit ganzem Herzen (V. 10), möchte lernen (V. 12), spricht nach, was er gelernt hat (V. 13), freut sich an den wahren Werten (V. 14), denkt über das Gelernte nach (V. 16) und vergisst nicht. Das Gesetz Gottes, das als Gegenstand all dieser Tätigkeiten die sachverständige Tüchtigkeit der älteren Weisheit ersetzt, wird hier als „Wort“ bezeichnet. In V. 11 begegnet ein Lieblingswort des Psalmisten: dein Ausspruch oder auch: das, was du gesagt hast ()אמרתך. Das, was der Beter mit ganzen Herzen sucht (V. 10), findet er eben darin. Nach dieser grundsätzlichen Einleitung400 entfalten die Strophen ו–גim Grunde einen klassischen Klagepsalm.401 Dabei wird unter den Buchstaben ג und דdas Element Klage zur Sprache gebracht.402 Zunächst als Feindklage (V. 17–24)403, denn der Beter sieht sich Hochmütigen (V. 21)404 ausgesetzt, von denen der Beter Zurückweisung und Geringschätzung (V. 22) erfährt, die schließlich in einer ungerechtfertigten Anklage durch die Fürsten (V. 23) mündet. All das ist begründet im und wird konterkariert durch das Festhalten des angefochtenen Weisen an Gottes Wort (V. 17) und Gebot (V. 24). Sodann wird in einer Art Ichklage (V. 25–32)405 die eigene Vergänglichkeit (V. 25) bedacht, gegen die das Wort Gottes als belebend (V. 25: )חיני כדברךund aufrichtend (V. 28: )קימני כדברךins Spiel gebracht wird. Im Anschluss realisiert die –הStrophe (V. 33–40) das Gattungselement „Bitte“.406 Sieben von acht Versen beginnen mit einem Imperativ im Hifil, die sich alle an Jahwe richten. Der angefochtene Weise bittet um Stärkung seiner Weisheit: Weise mir, Jahwe, den Weg deiner Satzungen (V. 33: הורני יהוה דרך ;)חקיךschaffe mir Einsicht (V. 34: ;)הבינניlass mich treten auf den Pfad deiner Gebote (V. 35: ;)הדריכני בנתיב מצותיךlenke mein Herz zu deinen Zeugnissen (V. 36: ;)הט־לבי אל־עדותיךwende meine Augen davon ab, Nichtiges zu betrachten
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 362. 400 Zur programmatischen Zusammengehörigkeit der ersten beiden Strophen vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 363 sowie FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 94. 401 Vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 473; H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 356; G RUND, Himmel, 285. 402 Vgl. K RAUS, BKAT XV/2, 1001. 403 Vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 363ff. 404 Zu diesem Begriff vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 365. 405 Vgl. H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 366f. 406 Vgl. K RAUS, BKAT XV/2, 1001f.; H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 366f. 399
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
223
(V. 37: ;)העבר עיני מראות שׁואrichte für deinen Knecht das auf, was du gesagt hast (V. 38: ;)הקם לעבדך אמרתךlass die Schande vorübergehen, die ich fürchte (V. 39: – )העבר חרפתי אשׁר יגרתיso lauten die jeweils ersten Halbverse. Die jeweils zweite Vershälfte bietet dazu den heilsamen Effekt, den die Erfüllung der geäußerten Bitten für den Beter haben wird. V. 40 zieht dann mit der sprachpragmatisch konstativen Formulierung הנה תאבתיdas Fazit aus alledem.407 Dieser Vers endet mit einer Aufforderung, wobei der Imperativ in Letztstellung steht: durch deine Gerechtigkeitstaten lass mich leben ()בצדקתך חיני. Damit bildet der letzte Vers dieser Strophe eine Art Chiasmus zu den vorangegangenen und benennt das Ziel der Bitten: Leben aufgrund von Jahwes Gerechtigkeitserweisen, die durch seine Satzungen, die Tora, seine Gebote und Zeugnisse, kurz: das, was er gesagt hat, vermittelt sind. Die folgende ו-Strophe (V. 41–48) beendet diesen ersten Spannungsbogen in Ps 119, so wie auch ein Klagepsalm enden kann: Mit Zeugnis und Lob. V. 41 knüpft zunächst noch einmal zusammenfassend an die Bitte an. Erweise der Gnade und der Hilfe erwartet der Beter von Jahwe entsprechend dem, was du gesagt hast ()כאמרתך. Tritt dies ein, so hat der Beter im Vertrauen auf dein Wort (V. 42: )בדברךnun selbst ein Wort (V. 42: )דבר, dass er denen, die ihn verspotten, antworten kann. Weil es Gottes Wort ist, ist es auch ein Wort der Wahrheit (V. 43: )דבר־אמת, das das Ich des Psalmbeters dauerhaft von Jahwe erbittet. Darin erweist sich der Lebensraum, den Gottes Tora eröffnet (vgl. V. 1f.), als weit, und der so getröstete und wortbegabte wird selbst zum Zeugen und Sprecher (V. 46: )ואדברהsogar gegenüber Königen. Dies führt den Sprecher selbst zu Freude und Lob (V. 47f.). So lässt sich für diese ersten sechs Strophen des 119. Psalms ein durchgehender Gedankengang nachzeichnen, in dem Weisheit verstanden wird als eine Lebensführung (im wahrsten Sinne ein Lebenswandel) in dem Raum, den die Tora Jahwes eröffnet.408 Der Beter identifiziert sich selbst als einen solchen Weisen, der Gottes Wort bewahrt und eröffnet den Leserinnen und Lesern zugleich auch die Möglichkeit, sich die Perspektive des Psalms zu eigen zu machen. Gleich wird aber klar, dass ein solches Leben angefochten ist durch Spötter und Frevler, aber auch durch die eigene Vergänglichkeit, das Verhaftetsein am Staub. Es braucht demnach Gottes Hilfe, um wirklich seine Gebote, Zeugnisse, Anweisungen, Satzungen und Rechte nicht zu vergessen, sondern zu bewahren und zu bedenken. Mit dieser Hilfe aber wird Gottes Wort zu dem Wort, das auch der Beter im Munde führt und sogar Königen entgegenhalten kann.
Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 367. Das הנהist ein „Indikator“ für einen explizit-performativen repräsentativen Sprechakt zur Darstellung eines Fazits (vgl. WAGNER, Sprechakte, 224f.). 408 Es gehe „in Ps 119 nicht um ‚Theorie‘, sondern um Lebenspraxis“, konstatieren H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 353. 407
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Dementsprechend finden sich in der letzten Strophe die Wurzeln דברund אמר gehäuft. Der Weise ist eben dadurch weise, dass er Gottes Wort selber redet. Die folgenden Strophen ergänzen diesen Gedankengang mit je eigenen Aspekten. Dabei finden sich zwar wiederholt Bekundungen des Beters, auf Gottes Wort zu warten (V. 81), seine Anweisungen nicht zu vergessen (V. 93), die Tora nicht zu vergessen (V. 109), sondern zu lieben (V. 113) o.ä. Dennoch trägt jede Strophe einen eigenen Gedanken bei, der zusätzlich die Weite des „Lebensraums Tora“ erschließt.409 So ist das, was Gott gesagt hat, Trost ( זV. 50). Gott selbst ist das Teil, das der Beter bewahrt, wenn er Gottes Worte (Pl.) bewahrt ( חV. 57). Gottes Reden und Handeln ist gut, auch wenn sich das der Erfahrung des Beters nicht immer erschließt ( טV. 65); denn Gott ist sein Schöpfer ( יV. 73). Gottes Wort ist Hoffnung für die Zukunft ( כV. 81), weil es – ähnlich wie in Jes 40,1–8 – Bestand hat ( לV. 89). Diese Einsicht macht wieser als Lehrer und Alte ( מV. 99f.) und erleuchtet den Lebensweg ( נV. 105)410. Es ist Schutz gegen Anfeindungen ( סV. 114), weil es auf Seiten des Gerechten steht ( עV. 121). Dabei müssen Zeugnisse und Worte (Pl.!) Gottes eröffnet (ausgelegt) werden ( פV. 130). Sie zeigen sich dann aber als Zeugnisse der Gemeinschaftstreue Gottes und als Erweise seiner Gerechtigkeit ( צV. 142). Angefochten ist der Weise wiederum, wenn Gottes Nähe erst gesucht und erbeten werden muss ( קV. 145ff.). Dann aber tritt Gott für den Beter im Rechtsstreit ein ( רV. 154).411 Die letzten beiden Strophen schließen den Psalm mit Bekenntnis ( שׁV. 165) und Lob ( תV. 169ff.).412
„Die Anfangszeile (manchmal sogar das Anfangswort, bzw. der Anfangsvers) einer Strophe gibt die Perspektive an, unter der die Strophe die Tora präsentiert“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 355). 410 Dass das Wort Gottes eine „Leuchte“ für die Füße des Beters ( )נר־לרגליist, ihm also als Wegweisung in der Dunkelheit dient, erinnert einerseits an 1 Sam 3,3 (vgl. o. 4.2.2). Andererseits deutet gerade diese Formulierung auf den weisheitlichen Hintergrund des Textes hin. Auffällig ist hier vor allem die Parallele zu Prov 6,23: Denn eine Leuchte ist das Gebot und die Weisung ein Licht/und ein Weg zum Leben sind Zurechtweisung und Zucht ()כי נר מצוה ותורה אור ודרך חיים תוכחות מוסר. Im Kontext von Prov 6 handelt sich allerdings um das Gebot des Vaters und die Weisung der Mutter (vgl. Prov 6,20). 411 Die Gewissheit gewinnt der Beter auch dadurch, dass die Summe deiner Wort Wahrheit ( )ראשׁ־דברך אמתist. Zur Übersetzung von ראשׁmit „Summe“ oder „Hauptstück“ (und nicht mit „Anfang“) vgl. KRAUS, BKAT XV/2, 993; SEYBOLD, HAT I/15, 475; HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 349. Ähnlich ist wohl auch Prov 1,7 zu übersetzen: Die Jahwefurcht ist das Beste der Erkenntnis ( ;)ראת יהוה ראשׁית דעתÜbersetzung: MICHEL, Glaube, 245. 412 Zenger benennt die letzten beiden Strophen „Zusammenfassung (Rettungsgewissheit und Lobpreis)“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 357). 409
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen
225
c) Jahwes Wort und „das, was er gesagt hat“ nach Psalm 119 Bis auf die erste Strophe ( )אfinden sich die Begriffe dein Wort ( )דברךund das, was du gesagt hast ( )אמרתךin allen Teilen des Psalms.413 25 Vorkommen der Wurzel דברwerden durch 19 Belege von *אמרהergänzt. Das „Wort Jahwes“ kann somit zurecht als ein zentrales Thema des Textes bezeichnet werden.414 Dabei steht es in einer noch näher zu bestimmenden Korrelation zur תורת יהוה, die eben die erste Strophe als den Lebensraum für den Verfasser und die künftigen Beter des Psalms eröffnet. Dabei müssen die beiden Begriffe דברund *אמרהzusammen gesehen werden; denn sie werden promiscue gebraucht. Während aber der דברin zahlreichen Texten des Alten Testaments begegnet, setzt der 119. Psalm mit *אמרה einen eigenen Akzent. Von 35 alttestamentlichen Belegen dieses Derivats der Wurzel אמרfinden sich allein 19 in Ps 119. Damit wird gegenüber dem Substantiv „Wort“ noch der Akt des Redens als solcher mitgenannt. Dies sei hier durch die Übersetzung das, was du gesagt hast, zum Ausdruck gebracht.415 Dennoch ist auffällig, dass das Verb אמרnur einmal416 und das Verb דברnur zweimal417 vorkommt. Hier soll also Theologie in bestimmte Termini gefasst werden. Dem entspricht, dass *אמרהausschließlich und דברim Wesentlichen418 im Text im Singular begegnet. Demgegenüber finden sich alle anderen Begriffe für „Gesetze, Gebote, Zeugnisse, Satzungen“ und „Anweisungen“ – mit Ausnahme des kategorialen Leitworts – תורהimmer im Plural. Auch die Abfolge der ersten beiden Strophen des Psalms macht klar, dass sich Tora Jahwes (V. 1) und dein Wort (V. 9) gegenseitig interpretieren: Die Tora – die in ihren Ein-
Vgl. GRUND, Himmel, 288, die gerade diese beiden Begriffe als einen signifikanten Unterschied zum Tora-Verständnis von dem sonst sehr ähnlichen Ps 19 hervorhebt; vgl. auch FINSTERBUSCH, Multiperspektivität, 100f. 414 Zenger stellt zwar fest, dass דברdas „wichtigste Kommentarwort zu ‚ תורהWeisung‘ ist“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 354), zieht aber keine exegetischen Konsequenzen daraus. Für ihn bleibt das Wort ein Synonym für Tora. 415 So sei mit *אמרהdie „prophetische Dimension der Tora“ zum Ausdruck gebrachten, beurteilen HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 354 den Befund. 416 So in V. 57. Daneben findet sich in V. 82 noch einmal לאמרohne semantisches Gewicht. 417 In V. 23 heißt es von den Fürsten: Auch sitzen Fürsten, gegen mich reden sie ( )נדברו. Dieses Vorkommen der Wurzel dürfte nicht signifikant sein. In der schon besprochenen –ו Strophe heißt es in V. 46: Und ich will von deinen Zeugnissen vor Königen reden ( )ואדברה. In dieser Strophe wird führt das Wort Jahwes zum Reden des Beters und wird für ihn und durch ihn weitergesagt zum Wort der Wahrheit ( )דבר־אמת. So kommt den Versen 41–48 eine kompositorische und interpretatorische Schlüsselstellung innerhalb des Psalms zu. 418 Fünfmal ist pluralisch von deinen Worten ( )דבריךdie Rede, in V. 57.130.139.147 und 161. In all diesen Fällen verzeichnet der Apparat der BHS jeweils zahlreiche (mlt) hebräische Handschriften, die singularisch lesen. In den letzten beiden Fällen haben die Masoreten auch im vorliegenden Text Singular gelesen, wie dem Qere zu entnehmen ist. 413
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
zelaspekten als „Zeugnis, Gebot, Anweisung, Satzung, Rechtssatz“ entfaltet wird – wird wesentlich als Wort, als das, was du gesagt hast, verstanden. Die Interpretation der תורה/Weisung als דבר/Wort hebt den Anrede- und damit den Beziehungsaspekt der Gesetze und Gebote hervor.419 Dem entspricht nun, dass דברund ( *אמרהwiederum beinahe durchgehend420) mit dem Suffix der 2. Person Singular vorkommen. Es ist dein (also Gottes) Wort ()דברך, und das, was du gesagt hast ()אמרתך, das hier meditiert, bekannt und gelobt wird. Dieser Beziehungsaspekt des Wortes im Hinblick auf den Beter wird auch durch einen signifikanten Gebrauch der Präpositionen ke, be und le näher bestimmt. Dabei wird mit ke die Berufung des Beters auf ein bereits ergangenes Wort Gottes421 zum Ausdruck gebracht. So in Sätzen wie: 25 Dem Staub verhaftet ist mein Leben / belebe mich gemäß deinem Wort [ ]חיני כדבר422.
Oder: 41 Es sollen zu mir kommen deine Gnade, Jahwe, / deine Hilfe entsprechend dem, was du gesagt hast [ ]כאמרתך.423
Die Bitte des Beters, Jahwe möge heilvoll handeln gemäß seinem Wort oder entsprechend dem, was er gesagt hat, stellt also einen Rückbezug auf ein bereits ergangenes Wort Gottes dar, an das sich der Beter selbst, an das er aber auch Gott in der Bitte erinnert. Niemals wird ein solches Wort zitiert. Zu denken ist etwa an Zusagen, die mit dem Halten der Gebote verbunden sind. Da, wo die Präposition be verwendet wird, wird das gegenwärtige Vertrauen auf Gottes Wort zum Ausdruck gebracht: 42 So antworte ich dem, der mich schmäht, ein Wort [ ]דבר/ denn ich vertraue auf dein Wort [ ]בדברך.
Oder:
Auch der Offenbarungsaspekt kann eine Rolle spielen. Als dein Wort und das, was du gesagt hast, wird die Tora auf Jahwe zurückführt, ohne dass dies auf einen einmaligen historisierten Offenbarungsakt am Sinai beschränkt wird. 420 Die Vorkommen von דברund דבר־אמתin V. 43 beziehen sich darauf, dass jetzt auch der Beter ein Wort zu sagen hat, nachdem er Jahwes Wort nicht vergisst und bewahrt. Das unsuffigierte זכר־דברin V. 49 ist wohl mit G und S doch als dein Wort zu lesen (vgl. den Apparat der BHS). 421 „[…] ‚gemäß deinem Wort‘, d.h. gemäß deiner Verheißung“ (H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 366. 422 Gemeint ist entsprechend/in Übereinstimmung mit deinem Wort; vgl. ebenso V. 41.65.107.169. Nicht klar ist die Verwendung des ke in V. 9. Dies scheint aber schon ein sehr altes Problem zu sein, wie der umfängliche textkritische Befund nahelegt (vgl. den Apparat der BHS). 423 Vgl. ebenso V. 58.76.116.170. 419
4.3 Das Gotteswort in den Psalmen 148
227
Meine Augen fangen an zur Nachtwache / um über das, was du gesagt hast [ ]באמרתך, nachzudenken.
Die Präposition le hingegen verweist auf die Hoffnung oder den Wunsch, Gottes Wort möge zukünftig zugunsten des Beters eintreffen: 81 Nach deiner Hilfe verzehrt sich mein Leben / auf dein Wort [ ]לדברךwarte ich.424
Oder: 82 Meine Augen halten Ausschau nach425 dem, was du gesagt hast ( )לאמרתך/ also: „Wann tröstest du mich?“426
So wird der Lebensraum, der als Ort rechter Lebensführung durch das Abschreiten der Tora in ihren Aspekten Zeugnis, Gebot, Anweisung, Rechtssatz, Satzung umrissen ist, auch in die Zeit eingeordnet. Das Wort und damit die Anrede an den Weisen ist als bereits ergangenes eine Berufungsinstanz, gegenwärtig ist es Gegenstand des Nachdenkens und Vertrauens, zukünftig ist es Bezugspunkt der Hoffnung. Somit aber wird die Weisung als Wort wirklich zum umfassenden Lebensraum. Die Verbindung דבר־יהוהaus der prophetischen Literatur findet sich so nicht in Ps 119. Gleichwohl steht der Text an einem Punkt der Literatur- und Theologiegeschichte des Alten Testaments, an dem die Kenntnis entsprechender prophetischer Text mehr als wahrscheinlich ist.427 Wenn also hier von deinem Wort mit Bezug auf Israels Gott die Rede ist, so mag die prophetische Füllung dieses Begriffes mitschwingen. Gleichwohl ist nun noch einmal das Augenmerk auf Texte zu legen, die insbesondere die Gesetze unter dem Oberbegriff „Wort“ subsumieren. d) Psalm 119 als redaktioneller Programmtext Von Interesse ist auch die Stellung des 119. Psalms im Psalter. In einem schon fortgeschrittenen Stadium der Sammlung und Komposition des Psalters werden vermutlich die Psalmen 90–119 an die bereits vorliegende Sammlung von Ps 2–89 angefügt. Zugleich wird Ps 1 der Sammlung als programmatische Eröffnung vorangestellt.428 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sowohl Ps 1 als auch Ps 119 in diesem Zusammenhang formuliert wurde. So ergibt sich eine thematische Klammer unter der Perspektive „Tora“ um den dann vorliegenden Psalter. Ps 119 bringt nun außer der Tora-Perspektive die Wort-Perspektive zur
Vgl. ebenso V. 114.147 425 כלהwird hier verstanden im Sinne von sich sehnsuchtsvoll verzehren, schmachten; vgl. Gesenius18, 546 (ebenso auch V. 123) 426 Vgl. ebenso V. 74.123.154. 427 „In dieser Hinsicht hat die Tora von Ps 119 Konnotationen, die an das von JHWH seinen Propheten geschenkte ‚Wort‘ erinnern“ (HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 354). 428 Vgl. W ITTE, Psalter, 427. 424
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Sprache.429 Die so gerahmten Psalmen sollen von der Tora her gelesen werden. Dies ist aber gerade nicht Ausdruck irgendeiner Form von „Gesetzlichkeit“, sondern heißt – im Lichte von Ps 119 – dass die Psalmen den Gott preisen, der sich im Wort offenbart und im Hören auf dieses Wort sowie in der Antwort darauf zum Leben führt. Die Tora ist dann nicht ausschließlich die schriftliche fixierte Tora des Mose, sondern: In Ps 119 geht es nicht primär um eine ‚stumme‘, sondern um eine ‚sprechende‘ Tora. Es geht nicht primär um eine einmal ergangene, sondern um eine aktuell ergehende Belehrung Gottes – durch das Medium der Tora, aus der Gott spricht. Die Qualifikation דברunterstreicht die Geschehensstruktur des durch die Tora aktuell ergehenden Gotteswortes: דברmacht deutlich, dass die Tora nach dem Konzept von Ps 119 zuallererst ‚Evangelium‘ und nicht ‚Lex‘ ist.430
Durch seine theologisch-programmatische Stellung am Ende der Sammlung Ps 1–119 stellt der 119. Psalm somit auch den Psalter unter die Leseanleitung דבר, und insofern gilt tatsächlich Hermann Spieckermanns Urteil: „Ps 119 ist der Wort-Gottes-Text des Psalters.“431 Und: So zeigt Ps 119, wie die Theologie des Wortes als Erbe aus Prophetie und Deuteronomismus in die Theologie der Psalmen integriert und der Prädikation der Gottesnähe über den Tempel hinaus dienstbar gemacht worden ist. Die Theologie der Psalmen vermag nun den nahen Gott nicht nur als den im Tempel, sondern auch als den im Wort gegenwärtigen zu prädizieren. 432
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר 4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
Die eben dargebotenen Überlegungen zur Weisung als Wort in Psalm 119 führen zu der Frage, ob es eine ähnliche Kategorisierung der Tora als דברauch im Pentateuch, beziehungsweise den darin enthaltenen Gesetzeskorpora gibt. In der Tat findet sich an unterschiedlichen Stellen eine Subsumierung der Gesetze und Gebote unter der Rubrik „Wort“. Allerdings wird eine Generalisierung der Weisung als Wort ausschließlich in den Büchern Exodus und Deuteronomium gebraucht. Die Genesis thematisiert das Gesetz naturgemäß nicht. In den Büchern Levitikus und Numeri wird der Terminus דברvor allem im Sinn von
Vgl. darüber hinaus HOSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 388f. zur kompositorischen Funktion von Ps 119 in der vorliegenden Endgestalt des Psalters. 430 H OSSFELD/ZENGER, Psalmen 101–150, 355 [Hervorhebung so im Original]. 431 SPIECKERMANN, Reden, 229; und weiter: „Das Warten auf das Wort (V. 74.18.114. 147) ist der cantus firmus von Ps 119 [...]. Ps 119 hält fest, dass das bekannte und Schrift gewordene Wort Gottes menschlicherseits kein Besitz werden kann. Auch das im Gesetz befolgte Wort Gottes wird dem Menschen nicht habituell, bleibt ihm unverfügbar und stellt ihn in die Spannung zwischen Gehorsam gegenüber dem gegebenen Wort und Hoffnung auf das lebendig machende neue Gotteswort“ (a.a.O., 230). 432 SPIECKERMANN, Der nahe und der ferne Gott, 394. 429
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
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(Rechts)Sache433 oder auch unspezifisch als „Wort“ (Gottes434 oder Moses435) ohne konkreten Gesetzesbezug gebraucht. Auffällig ist der Gebrauch von דבר in den Bileamgeschichten Num 22f., dort aber im Sinne eines prophetischen Gotteswortes und nicht mit Bezug zur Tora.436 4.4.1 Wort Gottes vom Sinai/Horeb Mit Ex 19 setzt nach der eigentlichen Auszugserzählung (Ex 1–15) und der ersten Wüstenwanderung (Ex 16–18) etwas Neues ein.437 Mit Ex 21–24* folgt das Bundesbuch als erstes großes Gesetzeskorpus des Pentateuch, zu dem der Dekalog gleichsam ein „Proömium“438 darstellt. Nun müssen beide Texte in ihrer Substanz nicht zwingend von der Situation am Sinai her verstanden werden. Dies ergibt sich erst aus dem Kontext, insbesondere aus dem Auftakt in Ex 19. Hier wird klargestellt, dass Mose nicht der eigentliche Gesetzgeber ist, sondern die Gebote in einer Offenbarung empfangen hat. Ex 19,3–9: 3 Und als Mose zu Gott hinaufstieg, da rief Jahwe ihn an vom Berg folgendermaßen: „So sollst du zum Haus Jakob sagen und sollst den Israeliten mitteilen: 4 ‚Ihr habt gesehen, was ich an Ägypten getan habe, und dass ich euch auf Flügeln von Adlern getragen und zu mir gebracht habe. 5 Und nun: Wenn ihr gewiss auf meine Stimme hört, das heißt439 meinen Bund haltet, dann werdet ihr mein Eigentum sein unter allen Völkern, denn mir gehört die ganze Erde. 6 Aber gerade ihr sollt für mich ein Königreich von Priestern sein und ein heiliges Volk‘; dies sind die Worte [ ]הדברים, die du den Israeliten sagen [ ]תדברsollst.“ 7 So kam Mose und rief die Ältesten des Volkes und legte vor ihnen alle jene Worte [ ]כל־הדברים האלהdar, die Jahwe ihm geboten hatte. 8 Und das ganze Volk antwortete gemeinsam und sprach: „Alles, was Jahwe gesagt [ כל ]אשׁר־דבר יהוהhat, werden wir tun“; und Mose wiederholte die Worte des Volkes [ את־ ]דברי העםvor Jahwe. 9 Und Jahwe sprach zu Mose: „Siehe ich bin im Begriff, zu dir in einer dunklen Wolke zu kommen: Das Volk hört, wenn ich mit dir rede [ ]בדברי עמךund wird dir glauben für immer“; und Mose berichtete die Worte des Volkes [ ]את־דברי העםJahwe.440
Vgl. z.B. Lev 4,13 oder Num 18,7. 434 Vgl. Num 11,23 435 Vgl. Num 12,6; 14,20. 436 Vgl. insbesondere Num 22,8.20.35.38; 23,3.5.16. 437 Vgl. D OHMEN, Exodus 19–40, 33, der das Exodusbuch grob in die beiden Teile „Exodus“ (Ex 1–18) und „Sinai“ (Ex 19–40) gliedert. 438 So K RATZ, Komposition, 149. 439 Das waw-Perfekt ist explikativ zu verstehen, vgl. M ICHEL, Tempora, 95ff. und D OHMEN, Exodus 19–40, 46. 440 V. 9b stellt eine Dublette zu 8b dar. Dies und die auffällige Formulierung, die Israeliten sollten an Mose glauben ( )וגם־בך יאמינו לעולם, die ihre nächste Parallele in Ex 4,31 und 433
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Mit diesen Worten wird die Szenerie aufgerufen, aus der heraus die folgenden Gesetze der Tora verstanden werden sollen. Sie sind offenbarte Rede Jahwes, die zunächst an Mose ergeht. Dieser soll sie aber auch dem Haus Jakob sagen ( )כה תאמר לבית יעקבund den Israeliten mitteilen ()ותגיד לבני ישׂראל. Bereits mit der Wortwahl wird ein prophetischer Vermittlungsvorgang aufgerufen.441 Zugleich ist damit eine Hermeneutik des Gesetzes verbunden; denn Jahwe erinnert zuerst an seine Heilstaten als Befreier (V. 4). Daher sollen die Israeliten auf seine Stimme hören und eben damit seinen Bund halten. Das Lexem דבר begegnet bis hierher ebenso wenig, wie von Gesetzen oder Geboten die Rede ist. Dennoch weist das Wort Bund ( )בריתauf das Ende des Bundesbuches Ex 24,7 voraus442, sodass das Stichwort eine Klammer um die Gesetzessammlung Dekalog + Bundesbuch bildet.443 Das in Ex 24,7 erwähnte Buch des Bundes ( )ספר הבריתenthält nun nach Ex 24,3 alle Worte Jahwes und alle Rechtssätze ()את כל־דברי יהוה ואת כל־המשׁפטים. Wenn Mose also nach Ex 24,4 alle Worte Jahwes ( )כל־דברי יהוהniederschreibt. So sind diese Worte eben die Tora, die Jahwe auf dem Berg geredet hat (V. 3: )כל־הדברים אשׁר־דבר יהוה, die man entsprechend auch tun kann. Dies hat wieder Rückwirkungen auf das Verständnis von Ex 19,3–9. Auf Jahwes Stimme zu hören und seinen Bund zu halten, heißt im Lichte von Ex 20–24 eben, seine Gebote zu hören und zu tun. Und dass ab V. 6 die Wurzel דברdauerpräsent ist444, heißt, dass das Wort auf die Tora vorausweist, und umgekehrt, das die Gebote eben als Wort Jahwes zu verstehen sind. Das Verständnis, dass die Tora Wort Jahwes vom Horeb ist, wird in Dtn 4 noch eindeutiger aufgerufen.
14,31 hat und wohl auch mit Gen 15,6 korrespondiert (vgl. BEHRENS, Gen 15,6, 108), machen es wahrscheinlich, dass Ex 19,9 einer spätdtr. Ergänzung des Textes angehört; vgl. dazu ALBERTZ, ZBK.AT 2/2, 35. 441 Vgl. D OHMEN, Exodus 19–40, 55f. 442 Vgl. D OHMEN, Exodus 19–40, 63. 443 Dem entspricht auch, dass die Formulierung des Volkes alles, was Jahwe gesagt hat, wollen wir tun ( )כל אשׁר־דבר יהוה נעשׂה, so wortgleich in Ex 24,7 (und nur dort!) wiederbegegnet. Der Einwand: „Wenn es heißt: ‚alles, was JHWH geredet hat, wollen wir tun‘, dann ist hier nicht, wie man aufgrund der identischen Erklärung des Volkes beim Bundesschluss (24,7) denken könnte, die konkrete Verpflichtung auf JHWHs Gebote und Gesetze gemeint, da diese an dieser Stelle noch gar nicht offenbart worden waren“ (ALBERTZ, ZBK.AT 2/2) sticht nicht. Denn die deutliche intertextuelle Bezugnahme ist bedeutender als die Chronologie der Erzählung. Vielmehr wird von Ex 24,7 auch das Verständnis von Ex 19,3–8 beeinflusst. Vgl. dazu auch DOHMEN, Exodus 19–40, 38, der in Ex 19–24 den ersten Block von Ex 19–40 sieht, der unter dem Stichwort „Offenbarung und Bundesschluss“ zu fassen ist. Ja, er findet „in Ex 19–24 den Kernbereich der Theophanie-Erzählung“ (a.a.O., 43). Darüber hinaus mag mit der Erwähnung des Bundes in Ex 19,5 auch ein Rückbezug auf Ex 6 und dahinter zurück auf Gen 17 vorliegen (vgl. a.a.O., 60). 444 Vgl. D OHMEN, Exodus 19–40, 64, für den eine Korrespondenz zwischen V. 6b und V. 3 besteht.
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
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Dtn 4,10: 10 Am Tag als du vor Jahwe, deinem Gott am Horeb standest als Jahwe zu mir sagte: „Versammle mir das Volk, dass ich sie meine Worte [ ]את־דבריhören lasse, dass sie lernen, mich zu fürchten, alle Tage, die sie auf dem Ackerboden leben, und es ihre Kinder lehren.“
Vom Kontext ist hier völlig eindeutig, dass mit meinen Worten die Gesetze der Tora gemeint sind (vgl. V. 5f.).445 Das bedeutet, dass mit den Gesetzen nicht nur die zwischenmenschlichen Verhältnisse geregelt werden, sondern auch das Gottesverhältnis in Rede steht. Es sind eben nicht die Gesetze eines Königs oder des Mose, sondern es sind Jahwes Worte, um die es geht. Daher werden sie zurückgebunden an seine Heilstat, (vgl. Ex 19,4; Dtn 4,3), zielen auf Gottesfurcht446 (vgl. Dtn 4,10) und sind mit Verheißungen verbunden (vgl. Ex 19,6). 4.4.2 Der Dekalog als דבר In der Exodusfassung beginnt der Dekalog mit einer ausdrücklichen Bestimmung der folgenden Gebote als Worte, die Gott spricht.447 Ex 20,1: 1 Und Gott sprach [ ]וידברalle diese Worte [ ]כל־הדבריםfolgendermaßen:
Im Buch Exodus dient dieser Vers vermutlich als redaktionelle Einleitung der Einbettung des Dekalogs in die Sinaitheophanie. Hermeneutisch und theologisch bedeutet das: Dass sich JHWH mit seiner Dekalogrede – ohne jede Vermittlung – direkt an das Volk wendet, ist in der Konzeption des REX als Höhepunkt der Begegnung zwischen dem göttlichen Befreier und den von ihm Befreiten am Sinai gemeint.448
Dazu OTTO, Deuteronomium 1,1–4,43, 555: „In Dtn 4,10 wird der Begriff der debārîm wieder aufgenommen, diesmal aber nicht mit dem Verb ‚sehen‘ verbunden wie in Dtn 4,9, sondern mit dem Verb ‚hören‘ (šm‘), sodass es sich um die ‚Worte‘ der Horeboffenbarung handelt.“ Für Otto ist Dtn 4,10 Teil einer spät(post?)dtr. Rahmung des Dtn, nach dem meine Worte gelernt werden könnten. Dies zielt auf den Dekalog (vgl. a.a.O., 558); vgl. so auch VEIJOLA, ATD 8/1, 100 und ebenso PERLITT, BKAT V/1, 321. 446 „Gewichtig ist die Vorstellung von der Erlernbarkeit der Gottesfurcht“ (PERLITT, BKAT V/1, 321). 447 Vgl. D OHMEN, Exodus 19–40, 102, für den hier der „Sprechakt“ als solcher im Vordergrund steht. Demgegenüber ist die Frage, ob diese Worte den Dekalog oder auch die folgenden Gesetze bezeichnet, zweitrangig. Gott redet; das ist zentral. Bei Dohmen ist dies so gewichtig, dass er (anders als Albertz, s.u.) meint, auf der Textebene habe וידבר אלהיםeigentlich keinen Adressaten, sodass die Leser die eigentlichen Adressaten des Redens Gottes seien. 448 A LBERTZ, ZBK.AT 2/2, 51f. REX bezeichnet bei Albertz die Eigenanteile des Redaktors, auf den die ältere Komposition des Exodusbuches zurückgeht (vgl. a.a.O., 10f.). Aber 445
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Im Deuteronomium findet sich kein wörtliches Pendant zu diesem Satz. Allerdings rahmen dort folgende Sätze den Dekalog.449 Dtn 5,5.22: 5 Ich war es, der zwischen Jahwe und euch stand zu jener Zeit, euch das Wort Jahwes [ ]את־דבר יהוהzu berichten – denn ihr fürchtetet euch vor dem Feuer und seid nicht auf den Berg gestiegen – folgendermaßen: [...] 22 Jene Worte [ ]את־הדברים האלהsprach Jahwe [ ]דבר יהוהzu eurer ganzen Versammlung am Berg mitten aus dem Feuer, der Wolke und der Dunkelheit mit lauter Stimme und fügte nichts mehr hinzu; und er schrieb sie auf zwei Tafeln aus Stein und gab sie mir.
Zwei Dinge sind auffällig: Zum einen wird der Dekalog singularisch als Wort Jahwes (V. 5)450 eingeleitet, wobei V. 22 mit jene Worte vielleicht bereits Ex 20,1 aufnimmt.451 Zum anderen schreibt Jahwe selbst diese Worte auf zwei steinerne Tafeln.452 In der Einbettung des Dekalogs in die Erzählung vom Sinai/Horeb werden die „Zehn Gebote“ schließlich fest mit der Tradition verbunden, sie seien (zweimal) auf zwei steinerne Tafeln geschrieben worden.453 Im Exodusbuch heißen diese Tafeln ausdrücklich Tafeln der Zeugnisse ( לחת )העדת.454 Im Buch Deuteronomium dagegen werden auch diese Tafeln wieder
man muss das redaktionsgeschichtliche Modell von Rainer Albertz nicht teilen, um ihm bei der Erkenntnis der hermeneutischen Leitfunktion von Ex 20,1 zuzustimmen. Dass es sich bei dem Vers um eine redaktionelle Formulierung handelt, legt schon der Vergleich mit Dtn 5 nahe. 449 Vgl. V EIJOLA, ATD 8/1, 131ff., der Dtn 5,5* und 22* zu einem Rahmenbericht zählt. Insbesondere V. 5 setze dabei Ex 20,1 voraus (vgl. a.a.O., 132); PERLITT, BKAT V/1, 408: „Der Rahmen hat nie ohne das Gerahmte existiert“ und a.a.O., 422: „Tatsächlich bildet V. 22 mit V. 4 und 5 den engsten Rahmen um das große Zitat [scil. den Dekalog] im Kapitel“. 450 Vgl. V EIJOLA, ATD 8/1, 143f., der den größten Teil von V. 5 für einen späteren Zusatz hält. Insbesondere die Formulierung דבר יהוה, die im Pentateuch äußerst selten ist, sei dabei von „prophetischer Provenienz“; vgl. auch OTTO, Deuteronomium 4,44–11,32, 682 und PERLITT, BKAT V/1, 421. 451 Vgl. V EIJOLA, ATD 8/1, 135; O TTO, Deuteronomium 4,44–11,32, 752f. Zugleich aber nimmt את־הדברים האלהden Dekalog in den Versen 6–21 auf (vgl. PERLITT, BKAT V/1, 423). 452 „In Stein gemeißelt wurden im AO über die Jahrtausende hin Inschriften auf Felswänden, Siegeln oder eben auch Stelen wie die mit dem Codex Hammurapi. Aber ein oder gar der eine Gott als Schreiber ist ein höchst ungewöhnlicher Gedanke“ (PERLITT, BKAT V/1, 424). 453 Vgl. V EIJOLA, ATD 8/1, 140, mit dem Hinweis, die Niederschrift von Gesetzen auf Tafeln stimme mit der sonstigen altorientalischen Praxis überein. Zwei Tafeln seien es deshalb, weil jeder Vertragspartner ein Exemplar bekomme, nicht aber, weil der Text des Dekalogs auf zwei Tafeln zu verteilen sei. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob das im Alten Orient nicht eher für Vertragstexte und weniger für Gesetzeskorpora gegolten hat; vgl. DOHMEN, Exodus 19–40, 213f. und CRÜSEMANN, Tora, 71ff. 454 Vgl. Ex 31,18; 32,15; 34,29
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
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mit dem דברverbunden.455 Hier wiederum verdient Dtn 10,4 besondere Aufmerksamkeit: Dtn 10,4: 4 Und er schrieb auf die Tafeln, so wie die Schrift auf den früheren war, nämlich die Zehn Worte [ ]עשׂרת הדברים, die Jahwe zu euch geredet hatte [ ]אשׁר דבר יהוה אליכםauf dem Berg, mitten aus dem Feuer am Tage der Versammlung; dann gab Jahwe sie mir.
In Dtn 10,1–5 wird berichtet, dass Mose – nachdem er die ersten Tafeln mit dem Dekalog aus Wut zerschlagen hatte – auf Jahwes Geheiß noch einmal auf den Berg steigt. Dieses Mal soll er schon zwei Steintafeln und eine „Lade“ aus Holz mitbringen (V. 1).456 Nachdem nun Gott selbst hier diese Steintafeln beschriftete, legt Mose sie in die hölzerne Lade und kehrt zum Volk zurück (V. 5). In der Gestalt der Tafeln in der Lade wird damit das Wort zu einem Gegenstand457, der später wundersam458 und wundertätig459 sein kann und schließlich unter dem Titel „Bundeslade“ als eine Art magna charta Israels seinen Platz im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels findet.460 Im vorliegenden Zusammenhang ist aber vor allem von Interesse, dass hier der Dekalog auf den Gesamtbegriff „Zehn Worte“ ( )עשׂרת הדבריםgebracht wird, wie zuvor schon in Dtn 4,13. Dabei lässt sich der hebräische Wortlaut weder in Ex 20 noch in Dtn 5 so einfach in tatsächlich zehn Worte unterteilen. Die begriffliche Verdichtung ist vielmehr ein Indiz dafür, dass dem Dekalog auch innerhalb des Alten Testaments in der Fülle der Gebote, Gesetze und Gesetzeskorpora eine herausgehobene Sonderstellung zukommt. Sowohl in Ex 20 als auch in Dtn 5 leitet der Text in den vorliegenden Buchkompositionen je ein umfänglicheres Gesetzeskorpus (das Bundesbuch Ex 21–24 oder das deuteronomische Gesetz Dtn 12–26) ein. In beiden Fällen wird deutlich, dass der Dekalog weniger gerichtsverwertbare Rechtssätze als vielmehr ethische Grund-
Vgl. Dtn 9,10; 10,1.4; vgl. die Diskussion aller Belegstellen bei DOHMEN, Exodus 19– 40, 211–213. 456 Vgl. V EIJOLA, ATD 8/1, 229 Anm. 633, der in Dtn 10,1–4 den „Grundbeleg für die Vorstellung der Lade als Behälter der Bundestafeln“ sieht. 457 Vgl. die Überlegungen bei V EIJOLA, ATD 8/1, 230, nach denen die Lade einerseits ein Gegenbild zum eben zerstörten Stierbild ist, andererseits aber als Behälter des Dekalogs die Vorstellung der Lade als wirkmächtige Repräsentanz der numinosen Gegenwart Jahwes inmitten seines Volkes (wie in den „Laderzählungen“ des 1 Sam) „entmythologisiere“. 458 Vgl. 2 Sam 6,1–17 459 Vgl. z.B. 1 Sam 5. 460 Vgl. 1 Kön 8,6f. „Aus Ägypten und Mesopotamien ist die Sitte bekannt, wertvolle Schriftstücke in Kästen zu deponieren, die in Heiligtümern oder besonderen Archiven aufbewahrt wurden“ (VEIJOLA, ATD 8/1, 230); vgl. auch OTTO, Deuteronomium 4,44–11,32, 988f. 455
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
normen enthält, die allen Gesetzen zugrunde liegen.461 Die jeweils folgenden Korpora stehen unter dem Vorzeichen des Dekalogs und können zum Teil als dessen Auslegung interpretiert werden.462 Der Dekalog hat also bereits inneralttestamentlich eine erkennbar besondere Bedeutung als Summe des Gotteswillens. In beiden Fällen wird dabei der Gotteswille auf das Stichwort Worte Jahwes (Ex 20,1), beziehungsweise die Zehn Worte (Dtn 4,13; 10,4)463 gebracht. Die letzte Bezeichnung ist dann als so markant aufgefasst worden, dass sie in Ex 34,28 auch auf den sog. „kultischen Dekalog“ (Ex 34,11–26) übertragen wurde.464 Dabei ist Ex 34 ein schillernder Text. In V. 1–5 klingt der Text – ähnlich wie Dtn 10,1–5 – als ginge es um ein erneutes Beschreiben der Tafeln mit dem Dekalog aus Ex 20. Erst ab V. 11 finden sich dann vor allem kultische Gebote (ohne die ethischen Eckpfeiler im Verbot von Mord – Ehebruch – Diebstahl). Aber gerade diese Worte ( )את־הדברים האלהsoll Mose nach V. 27 auf die Tafeln schreiben.465 Insgesamt aber wird hier das Motiv der Gebote als von Gott selbst beziehungsweise auf Gottes Geheiß von Mose geschriebenes Wort auf Tafeln aufgerufen.466 Damit wird eine Zusammenfassung der Tora in die Perspektive des
Vgl. „Der Dekalog als Summe des Gotteswillens“ bei OTTO, Ethik, 215–219; vgl. JEREMIAS, Theologie, 363f. 462 Allerdings darf dies auch nicht überstrapaziert werden. So kann der Gedanke bei BRAULIK, Gesetze, die Gebote in Dtn 12–26 seien insgesamt nach dem Dekalog strukturiert, nicht überzeugen. Dazu müssten z.B. die sog. Ämtergesetze in Dtn 16,18–18,22 als Auslegung des Gebots der Elternehrung verstanden werden. Dazu müssten aber „Eltern“ und „Obrigkeit“ austauschbar oder zumindest komplementär zueinander sein. Das wäre ganz im Sinne Luthers, aber der Textsinn des 4. Gebots im Alten Testament eröffnet diese Deutung nicht. 463 Vgl. A LBERTZ, ZBK.AT 2/2, 52. 464 Vgl. A LBERTZ, ZBK.AT 2/2, 52. 465 Vgl. dazu ausführlich C RÜSEMANN, Tora, 66–71. Crüsemann sieht in Ex 34 die Situation des eben untergegangenen Nordreichs nach 722 v.Chr. gespiegelt. Im Raum steht die Frage, wie nach dem Gericht über den falschen Kult („goldenes Kalb“/Stierbild Jerobeams) noch Rettung erfolgen könnte. Crüsemanns Folgerung lautet: „Die Worte auf den Tafeln sind die Form, in der Gottes Rettung nach dem Ende des Nordreichs erscheint“ (a.a.O., 71). 466 „Die göttliche Kundgabe des Dekalogs in mündlicher und schriftlicher Gestalt spiegelt das Offenbarungsverständnis des Dtn wider, nach dem die mündliche und schriftliche Mitteilung der Tora durch Mose die zwei grundlegenden Kommunikationsebenen bilden. Was Mose tut, tut er nach dem Vorbild Gottes“ (VEIJOLA, ATD 8/1, 101). 461
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
235
(geschriebenen467) Gotteswortes gerückt.468 Damit ist auch „Gottes Gegenwart im Wort der Schrift“469 evoziert. 4.4.3 Das Deuteronomium als דבר Ausschließlich im Deuteronomium finden sich die Formulierung alle Worte dieser Tora ()כל־דברי התורה הזאת470 als Zusammenfassung aller Gesetze. So zuerst im Königsgesetz in Dtn 17. Dtn 17,18–19: 18 Und es soll geschehen: Wenn er auf dem Thron seiner Königsherrschaft sitzt, dann soll er für sich eine Abschrift dieser Tora in ein Buch schreiben [lassen], im Angesicht der levitischen Priester. 19 Und die soll bei ihm sein, darin soll er lesen alle Tage seines Lebens; auf dass er lerne, Jahwe seinen Gott zu fürchten, indem er alle Worte dieser Tora [ ]כל־דברי התורה הזאת bewahrt und jene Satzungen, um sie zu tun.
Das sicher exilisch/nachexilische471 Königsgesetz, das Teil eines „Verfassungsentwurfes“ für ein neues Israel ist, gipfelt im Ideal des „gottesfürchtigen“ Königs, der in der Tora liest.472 Immer wieder ist gefragt worden, ob sich dieses Dokument tatsächlich identifizieren lasse. Tatsächlich sprechen mehrere Gründe dafür, dass es sich bei den Worten dieser Tora um das Deuteronomium (oder einer früheren Fassung davon) handelt.473 Zum ersten findet sich die Formulierung כל־דברי התורה הזאת, wie gesagt, ausschließlich im Deuteronomium. Sodann weist – זהwenn das katadeiktische Demonstrativpronomen hier bewusst gesetzt ist474 – im Gegensatz zu „( אלהjene“) nicht auf zitierte Gebote zurück, sondern auf etwas Vorliegendes hin. Hier geht es dann um denjenigen
DOHMEN, Exodus 19–40, 88 nennt dies einen „verschriftete[n] Sprechakt“. 468 Eine ähnliche Tendenz findet sich bereits im Zusammenhang des Bundesschlusses am Ende des Bundesbuches. Dort werden die vorangehenden Gesetze zusammenfassend als alle Worte Jahwes [ ( ]כל־דברי יהוהEx 24,3.4), bzw. alle Worte, die Jahwe gesagt hat [ כל־הדברים ( ]אשׁר־דבר יהוהEx 24,3) bezeichnet, mit dem Höhepunkt in Ex 24,8: Und Mose nahm das Blut und sprengte es auf das Volk; und sprach: „Siehe, Blut des Bundes, den Jahwe mit euch schließt aufgrund all dieser Worte [ “]כל־הדברים האלה. Damit werden die Gebote von Ex 20– 24 als Worte zur kultisch in Kraft gesetzten Urkunde des Bundes zwischen Jahwe und seinem Volk. 469 D OHMEN, Exodus 19–40, 214. 470 Vgl. Dtn 17,19; 27,3.8; 28,58; 29,28; 31,12; 32,46. 471 Vgl. z.B. O TTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1459.1480–1489, der ein komplexes literarisches Wachstum des Königsgesetzes vom 6. bis ins 5./4. Jahrhundert annimmt. 472 Der ideale König wird somit in der Vorstellung der nachexilischen Utopie zum „Ideal eines Tora-Frommen Schriftgelehrten“ (OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1488). 473 Vgl. O TTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1487f. 474 Vgl. EHLICH, Verwendung. 467
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Text, der den Lesern beim Akt des Lesens vor Augen ist. Ebendas ist diese Tora. Schließlich wird Dtn 28 diesbezüglich noch deutlicher: Dtn 28,58: 58 Wenn du nicht darauf achtest, alle Worte dieser Tora zu tun, die in diesem Buch geschrieben sind, so dass du diesen herrlichen und furchtbaren Namen fürchtest, nämlich Jahwe, deinen Gott ...
Um des Deutschen willen wurde hier eine Partizipialkonstruktion als beigeordneter Relativsatz (die in diesem Buch geschrieben sind) wiedergegeben. Im Hebräischen ist die Verbindung noch enger: את־כל־דברי התורה הזאת הכתובים בספר הזה, sodass es heißen könnte alle Worte dieser Tora, geschrieben in diesem Buch. Es ist interpretatorisch von besonderem Gewicht, dass mit diesem Buch sozusagen die Innensicht des Textes verlassen wird.475 Alle Worte dieser Tora können nun auch spätere Leser wahrnehmen. Die Tora ist im Wort präsent. Wiederum geht es bei der zusammenfassenden Erwähnung der Tora des Deuteronomiums als Wort auch um die Gottesbeziehung. Dies drückt sich in der Formulierung Gott/den Namen fürchten aus.476 Diese Gedanken mögen auch im Hintergrund gestanden haben, als das Buch Deuteronomium insgesamt schließlich mit der Formulierung אלה הדבריםdies sind die Worte ... (Dtn 1,1)477 überschrieben wurde478. Ebenso lässt sich die sog. „Wortsicherungsformel“479 lesen:
„Das Motiv des sepær (‚Rolle‘), auf der die Tora niedergeschrieben sei, zeigt an, dass die Situation der Moserede in Moab, die noch nicht verschriftet war, verlassen ist“ (OTTO, Deuteronomium 23,16–34,12, 2015). 476 Vgl. Dtn 17,19; 28,58 und ebenso 31,12. „Der Moment der göttlichen Theophanie, die Gottesfurcht lehrt, so Dtn 4,10, wird durch das kontinuierliche Lesen der Tora für ein ganzes Leben auf Dauer gestellt“ (OTTO, Deuteronomium 12,1–23,15, 1488). 477 „Einen wirklichen Buchtitel bildet nur der um den Relativsatz erweiterten Nominalsatz ( “אלה הדבריםPERLITT, BKAT V/1, 4). 478 Das was in Dtn 1,1 mit הדבריםgemeint ist, ist mehrschichtig. Es handelt sich nicht nur um das, „was Mose gesagt hat“, sondern es besteht eine Korrespondenz zu התורה הזאתin V. 5. Gleichzeitig sind auch die „Begebenheiten“ angesprochen, die in Dtn 1–4 rekapituliert werden. Darüber hinaus liegt hier aber – nach der These Martin Noths – auch die Überschrift in das DtrG vor, so dass auch dieses bei den Worten im Blick ist. Vgl. VEIJOLA, ATD 8/1, 8f. und ähnlich OTTO, Deuteronomium 1,1–4,43, 311. Zum Charakter von אלה הדבריםals „Gotteswort“ beachte PERLITT, BKAT V/1, 8: „Während die Prophetie des 8. Jahrhunderts kommentarlos gebrauchtes הדבריםin diesem Sinne gar nicht kennt, sind ‚die Worte‘ im Dtn (5,22, 6,6 u.ö.), im dtr redigierten Jeremiabuch (7,27; 11,6 u.ö.) sowie in den dtr Anteilen der Sinaiperikope (Ex 20,1; 24,8; 34,27) zum term. techn. für Jahwes forderndes und bindendes Reden geworden“. 479 Dtn 4,2//13,1 wird sonst auch als „Kanonformel“ bezeichnet. Der Begriff ist aber ungenau oder gar irreführend; denn gesichert werden soll nicht ein „Kanon“ im Sinne einer verbindlichen Sammlung heiliger Schriften, sondern das Wort im Sinne der Summe des Gotteswillens (s.u.). Der Begriff „Wortsicherungsformel“ geht auf Eleonore Reuter zurück, die 475
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Dtn 4,2: 2 Ihr sollt zu dem Wort [ ]על־הדבר, das ich euch geboten habe, nichts hinzufügen und ihr sollt nichts davon weglassen, auf dass ihr die Gebote Jahwes, eures Gottes bewahrt, die ich euch geboten habe.
Hier sind nun alle Gebote singularisch das Wort, sodass das Deuteronomium in seinen späten Texten als Wort ()הדבר480 verstanden wird und damit auch die deuteronomistisch gefasste Tora insgesamt.481 Beinahe schon offenbarungstheologisch fasst dies Dtn 29,28 zusammen. Dtn 29,28: 28 Die verborgenen Dinge gehören Jahwe unserem Gott, aber die enthüllten Dinge sind für uns und unsere Kinder in Ewigkeit, auf dass wir nämlich alle Worte dieser Tora tun.
Angesichts erfahrenen Leides erhebt sich die Frage Wie das? oder Warum? (vgl. Dtn 29,23), auf die es aber keine wirkliche Antwort gibt.482 Dies ist wohl einer derjenigen alttestamentlichen Texte, die der Rede vom deus absconditus am nächsten kommen – aber auch der Rede vom deus revelatus. Denn Gott hat sein Wort in dieser Tora offenbart.483 Dies haben die Israeliten sogar in Ewigkeit.
mit anderen nach altorientalischen Paralleltexten gefragt hat, in denen auch die Veränderung eines Wortlautes verboten wird. Ähnlichkeiten lassen sich finden. Von einer direkten Abhängigkeit von Dtn 4,2 von altorientalischen Texten ist aber nicht auszugehen; vgl. PERLITT, BKAT V/1, 306ff. (anders: OTTO, Deuteronomium 1,1–4,43, 439f.). 480 Noch markanter ist die Formulierung in Dtn 13,1: את כל־הדברZu dem ganzen Wort ... „Auf die richtige Spur führt כל־הדבר: Moses ‚ganzes Wort‘ kann nur als die ganze Willensoffenbarung Jahwes verstanden werden, als deren Mittler Mose berufen ist“ (PERLITT, BKAT V/1, 306); vgl. auch LEVINSON, ZThK 103 (2006), 157–183 sowie Ders., Ursprünge, 23–59. 481 „Mit dem Ur-Kanon des Dtn entstand die Vorstellung einer Heiligen Schrift, die als ‚portatives Vaterland‘ (Heinrich Heine) Israels Identität als Volk Gottes nach Verlust von Land und Tempel rettete und die Grundlage für eine Religion der Auslegung bildete“ (VEIJOLA, ATD 8/1, 113). 482 Vgl. O TTO, Deuteronomium 23,16–34,12, 2064ff., der anführt, das Verborgene beziehe sich nicht auf die Frage nach dem Grund des Unheils, da dieser ja in V. 24f. beantwortet sei, sondern auf die ungewisse Zukunft (die dann erst in Dtn 30,1–10 enthüllt werde). Das Offenbare wäre dann die aus der schuldhaften Vergangenheit resultierende Gegenwart der ersten Leserschaft. Nun besteht aber im Text das Offenbare gerade in der Tora (bzw. ihrem Tun), sodass sich spätestens für die zweite Generation der Exilierten wieder die Frage nach dem „Warum?“ des eigenen Geschicks als etwas schwer Verständlichem und im Letzten Verborgenen stellt. 483 Vgl. B RAULIK, NEB.AT 28, 216.
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
4.4.4 Die Tora als „ דברin Gedanken, Worten und Werken“ Das Buch Deuteronomium ist auch der Ort, an dem mehrfach nach dem Sinn und der Logik der alttestamentlichen Gesetze gefragt wird. Dies geschieht ausdrücklich in der sog. Musterkatechese in Dtn 6,20–24. Ganz explizit wird dort als „Kinderfrage“ formuliert: Was hat es auf sich mit den Zeugnissen und Satzungen, die Jahwe unser Gott euch geboten hat? (Dtn 6,20). Die Antwort darauf besteht in einer Rekapitulation der Heilsgeschichte, so dass die Erfüllung der Gebote als ein Akt der liebenden Dankbarkeit gegenüber dem Gott erscheint, der sein Volk aus Ägypten geführt hat. Es geht dabei nicht um Einzelgebote, sondern um die Logik der Tora insgesamt.484 Unter dieser Perspektive lässt sich auch das vielfach behandelte šema‘ noch einmal lesen.485 Dtn 6,4–9: 4 Höre Israel, Jahwe ist unser Gott; Jahwe ist einer. 5 Daher sollst du Jahwe, deinen Gott lieben, mit deinem ganzen Herzen, mit deinem ganzen Verlangen und mit deiner ganzen Kraft. 6 Das heißt: Diese Worte [ ]הדברים האלה, die ich dir heute geboten habe, sollen auf deinem Herzen sein. 7 Du sollst sie deinen Kindern einschärfen und du sollst mit ihnen redend umgehen [ ]ודברת בם, in deinem Haus oder wenn du auf deinem Weg gehst; wenn du liegst und wenn du aufstehst. 8 Du sollst sie dir als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein. 9 Und du sollst sie auf die Torpfosten schreiben deines Hauses und deiner Tore.
Der Text beginnt mit einer Bekenntnisformulierung486 in V. 4 in Form zweier Nominalsätze. Mit der Aussage der Einzigkeit Jahwes für Israel ist zugleich das Grundgebot des Deuteronomiums, das auch das erste Gebot des Dekalogs ist, präsent. Dies ist der Ausgangs- und Zielpunkt der ganzen Tora. Was das für Israel heißt, wird nun in V. 5 expliziert487: Ungeteilte Liebe zu Gott mit allem Willen und Verstand („Herz“), aller Lebensenergie („Verlangen“) und auch mit allem physischen und psychischem Vermögen („Kraft“).
Vgl. zum Folgenden insgesamt BEHRENS, Gesetz und Evangelium, 131–140, oder auch FINSTERBUSCH, Deuteronomium, 84f. 485 Vgl. u.a. V EIJOLA, Bekenntnis, 76–93. 486 Zum Bekenntnischarakter von Dtn 6,4ff. vgl. B EHRENS, Bekennen, 203–206. 487 Die beiden waw-Perfekta in V. 5 und 6 ( ואהבתund )והיוsind explikativ aufzufassen; vgl. dazu grundsätzlich MICHEL, Tempora, 95ff. Aufgrund der erkennbaren sprachpragmatischen und syntaktischen Abfolge V. 4: Bekenntnis -> V. 5: Folge -> V. 6–9: Explikation der Folge sehe ich keinen Grund, V. 5 literarkritisch auszuscheiden (so VEIJOLA, ATD 8/1, 177). 484
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
239
Was dieses „lieben“ weiter konkret bedeuten soll, explizieren die Verse 6– 9. Dabei führt V. 6 die Referenzgröße diese Worte ein; alle folgenden Verse reden dann genau davon. So stellt sich die Frage, welchen Inhalt diese Worte haben. In der Wirkungsgeschichte, insbesondere in der jüdischen Frömmigkeit sind es die Worte des šema‘, die hier stehen. Diese Worte stehen dann auf einer Schriftrolle in der Mesusa an der Haus- oder Wohnungstür oder bilden den Inhalt der rituellen Stirnkapseln. Im Kontext von Dtn 6 aber greifen הדברים האלהzurück auf das Bekenntnis in V. 4488 und damit auch auf die Tora insgesamt, deren Ziel und Summe ja die Alleinverehrung Jahwes ist.489 Im Nahkontext ist dies in Dtn 6,1–3 präsent; darüber hinaus liegt aber – in der vorliegenden Endgestalt des Deuteronomiums – auch ein Rückgriff auf den Dekalog in Dtn 5 nahe. Entscheidend ist in Dtn 6,6–9, dass diese Worte den Menschen sozusagen in „Gedanken, Worten und Werken“ bestimmen, wie aus der Erwähnung des Herzens, des eigenen Redens und des lehrenden Weitergebens an die Kinder ersichtlich wird.490 Darüber hinaus sollen sie aber den privaten (Pfosten des Hauses) und öffentlichen (deine Tore) Bereich der gedachten israelitischen Gesellschaft umfassen. In der Zuspitzung auf das Bekenntnis zu dem einen Jahwe und in der Forderung der umfassenden Liebe wird deutlich, dass es bei der Tora als דברum mehr geht als um Rechtssätze zur Regelung des menschlichen Zusammenlebens. Mit der Gottesbeziehung und ihrer zentralen Bedeutung für alles andere ist die Existenzgrundlage der Jahwe-Gläubigen aufgerufen. In einer Zusammenschau mit dem Neuen Testament ließe sich sagen, dass der Mensch eben nicht vom Brot allein lebt, sondern wesentlich von dem Wort, das aus Gottes Mund ergeht.491 Unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem Gesetz haben sich im Deuteronomium niedergeschlagen, wahrscheinlich auch als Ausdruck verschieden-
Vgl. VEIJOLA, ATD 8/1, 177, der ebenfalls einen „logischen Zusammenhang zwischen V. 4b und V. 6*“ sieht. Veijola geht allerdings davon aus, dass bereits der ursprüngliche Sinn von Dtn 6,6ff. war, den Bekenntnissatz Dtn 6,4b auf einer kleinen Schriftrolle als Amulett auf dem Herzen oder als Tefillin zu tragen und in einer Mesusa am Hauseingang zu befestigen (vgl. a.a.O., 179–182). Diese Worte beinhalteten demnach nicht die Tora, sondern das Bekenntnis einer „Jahwe-allein-Bewegung“ (a.a.O., 182). 489 Vgl. O TTO, Deuteronomium 4,44–11,32, 799f. und 805 zu Korrespondenzen zwischen Dtn 6,4b und 5,6f. Von daher ist es auch nur sachgemäß, wenn die Formulierung שׁמר ושׁמעת ( את כל־הדברים האלה אשׁר אנכי מצוךBeachte, das heißt höre alle diese Worte, die ich dir heute geboten habe, ...) in Dtn 12,28 (vgl. Dtn 6,6) im Kontext des Hauptgebotes, der Kultzentralisation wieder auftaucht; vgl. OTTO, Deuteronomium 4,44–11,32, 800. 490 Vgl. ganz ähnlich auch Dtn 11,18–21. 491 Mt 4,4 mit Zitat von Dtn 8,3 LXX: ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν γέγραπται οὐκ ἐπ᾿ ἄρτῳ μόνῳ ζήσεται ὁ ἄνθρωπος, ἀλλ᾿ ἐπὶ παντὶ ῥήματι ἐκπορευομένῳ διὰ στόματος θεοῦ. Vgl. zur hebräischen Fassung von Dtn 8 VEIJOLA, Mensch, 94–108. 488
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
er deuteronomistischer Bearbeitungen und Fortschreibungen des Buches.492 Dabei nimmt das 30. Kapitel noch einmal eine besondere Stellung ein. Vor allem geht es dabei um Dtn 30,1–14, einen Text, der als redaktionelle Einheit aus zwei eigenständigen Texten in V. 1–10 einerseits und V. 11–14 andererseits besteht. In der vorliegenden Buchform ist die Komposition aus beiden Texten nun durch die Wurzel דבר493 (und das Stichwort Herz) gerahmt: Dtn 30: 1 Und es soll geschehen: Wenn alle diese Worte [ ]כל־הדברים האלהdes Segens oder des Fluchs über dich kommen werden, die ich dir heute vorgelegt habe, und du sie dir zu Herzen nimmst unter allen Völkern, wohin dich Jahwe, dein Gott verstoßen hat. […] 14 Denn sehr nahe ist dir das Wort, [ ]הדברin deinem Mund und in deinem Herzen, es zu tun.
Wenn also durch diese inclusio Dtn 30,1–14 insgesamt zusammengehalten wird, sind doch auch die einzelnen Abschnitte mit ihren unterschiedlichen Aussagen über das Gesetz wahrzunehmen. Dabei ist bei dem vermutlich älteren Abschnitt in den Versen 11–14 einzusetzen. Die Verse 11–13 verneinen zunächst ein Problem (V. 11: Fürwahr dieses Gebot, dass ich dir heute geboten habe, ist nicht zu wunderbar für dich und es ist nicht fern). Aber in der Verneinung wird die Fragestellung doch zugleich aufgerufen. „Diese Gebote sind uns zu hoch“494, so hört man den Einwand der Israeliten zwischen den Zeilen. Stellt man in Rechnung, dass hier ein theologischer Reflexionsgang zugrunde liegt, der auf das Exil bereits zurückblickt und eben dieses Exilsgeschick durch das Scheitern Israels an der am Horeb offenbarten Tora deutet, wird der Einwand verständlich. All diese Gebote zu halten und eben darin das Gottesverhältnis angemessen zu bewahren, das war „zu wunderbar“ oder „fern“, kurz: es war zu schwer. Darauf reagiert nun V. 14 – ähnlich wie schon Dtn 29,28 – mit einem im Grunde weisheitlichen495 Offenbarungsgedanken: Das Gebot, die Tora, gehört eben nicht zu den Geheimnissen und Wundern, die allein bei Gott bleiben, sondern die Tora ist offenbar. Eben weil sie Wort ist, ist sie dem Menschen nahe.
Vgl. grundsätzlich KÖCKERT, Wort, 47–72. 493 Damit stelle Dtn 30 „das Wort (dābār) ins Zentrum“, urteilt SPIECKERMANN, Der nahe und der ferne Gott, 392. 494 Vgl. K ÖCKERT, Wort, 51. 495 Vgl. Prov 25,2: Die Ehre Gottes (besteht darin), einen dabar zu verbergen; die Ehre des Königs (besteht darin), einen dabar zu erforschen. Diese Übersetzung folgt MICHEL, Prv 25,2, 6. Michel kommt darin zu dem Ergebnis: „Wenn wir, was der Bedeutung von dabar entspricht, dieses Wort hier durch ‚(formulierbarer) Tatbestand‘ übersetzen, ist der alte Weisheitsspruch Prv 25,2 hochaktuell“ (a.a.O., 14f.); zum weisheitlichen Charakter von Dtn 30,11–14 vgl. auch KÖCKERT, Wort, 50f. 492
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
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Der Mensch kann es hören, selbst nachsprechen (in deinem Mund), es bedenken und für sein Wollen zum Maßstab machen (in deinem Herzen) und so sein Handeln danach ausrichten (es zu tun). Die Tora ist – gerade, weil sie Wort ist496 – „in Gedanken, Worten und Werken“ der Menschen erfüllbar. „Das Gesetz ist Gnade!“497 Bleibt die Frage, warum es dann doch zum Scheitern der Menschen an Gottes Geboten und seinem Willen kam. Dies liegt nun nicht am Gesetz, sondern an den Menschen, die es erfüllen sollen. „Mag das Gesetz klar und einfach sein, Israel tut es nicht.“498 Dtn 30,1–10 geht in seiner Antwort über V. 14 hinaus und schafft erst dadurch die Voraussetzung dafür, dass V. 14 stimmt. Die Verse 1–10 sind zum einen geprägt vom Stichwort Umkehr, wobei mit allen Bedeutungsvarianten des hebräischen Verbes שׁובgespielt wird.499 Die Menschen nehmen sich diese Worte zu Herzen, kehren um zu Jahwe; der wiederum wendet ihr Geschick und wendet sich seinem Volk neu zu. Israels Buße und Jahwe erneute Zuwendung führen zum Ende des Exils (V. 3–5). Aber erst eine fundamentale Veränderung der menschlichen Natur durch Gottes eigenes Eingreifen ermöglicht ein neues Verhältnis zur Tora.500 Dies drückt der Text durch das Bild der Herzensbeschneidung aus: Dtn 30: 6 Und Jahwe, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommenschaft, so dass du Jahwe deinen Gott lieben kannst mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Lebenskraft, auf dass du lebst. […] 10 Fürwahr, du wirst auf die Stimme Jahwes, deines Gottes hören, seine Gebote und Satzungen zu bewahren, die im Buch dieser Tora geschrieben sind; wenn du umkehrst zu Jahwe, deinem Gott, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Lebenskraft.
So tritt zu dem Gedanken der Tora als דברeine Art „sakramentales“ Handeln Gottes am Menschen, dass das Hören, Verstehen und Umsetzen dieses Wortes erst ermöglicht.501 Die Tora freilich liegt jetzt als ein geschriebenes Buch vor, sodass die Worte zur Schrift werden.
Hier weist das Wort auf den Kontext der Prophetie zurück: „Die Verbindung von ‚Mund‘ und haddābār weist auf Dtn 18,18, JHWH werde einen Propheten wie Mose erstehen lassen, und darüber hinaus auf Dtn 34,10“ (OTTO, Deuteronomium 23,16–34,12, 2072). 497 K ÖCKERT, Wort, 51. 498 K ÖCKERT, Wort, 68. 499 Die Wurzel findet sich mit unterschiedlichen semantischen Nuancen in V. 1.2.3.8 und 9 und prägt so schon rein lexematisch den Text. 500 „‚Undeuteronomische‘ Theologie“ nennt dies FINSTERBUSCH, Deuteronomium, 180. 501 „Dtn 30,6–8 ist das literarische und theologische Zentrum von Dtn 30,1–10“, urteilt OTTO, Deuteronomium 23,16–34,12, 2069 (vgl. auch die Strukturanalyse des Kapitels a.a.O., 2040–2042) und, noch konkreter, Köckert: „Damit wird das Gebot, Jahwe mit 496
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
4.4.5 Die Leistungen der Deutung der Tora als דבר Gesetze werden nötig, wenn ursprünglich familiär- oder sippenbasierte Gesellschaften sich ausdifferenzieren und einen höheren Organisationsgrad erreichen. Diese Gesetze sollen das Zusammenleben in komplexeren Gesellschaftsformen ordnen, den Regelverstoß durch Strafandrohung verhindern oder im Falle der ergangen Regelverletzung für angemessenen Ausgleich sorgen. Appellationsinstanzen sind dann Richter oder Gerichte.502 Solche Gesetze müssen nicht notwendig göttlichen Ursprungs sein, und zahlreiche altorientalische Rechtskorpora, wie der Codex Eschnuna503, der Codex Hammurapi504 oder der mittelassyrische Codex505 nehmen das nicht für sich in Anspruch.506 Auch die alttestamentlichen Gesetzessammlungen, vor allem das Bundesbuch oder die Gesetze des Deuteronomiums, sind, zumal in ihren zivilrechtlichen Bestimmungen, die nicht Religion oder Kult betreffen, ursprünglich nicht auf eine Offenbarung zurückgeführt worden. In der vorliegenden Überlieferung des Alten Testaments und der Hebräischen Bibel werden aber alle Gesetze durch die Sinaiperikope oder durch den Kontext des Deuteronomiums in einer Offenbarung Jahwes am Sinai/Horeb begründet.507 Die Texte machen sich
ganzem Herzen und mit ganzer Seele zu lieben, zur Folge. Das ist im gesamten Dtn und DtrG singulär. Die Tat Jahwes macht Israel allererst fähig, Jahwe zu lieben“ (KÖCKERT, Wort, 69). Von daher lassen sich dann die Verse 11–14 noch einmal neu lesen: „An diese im inneren Zentrum des Menschen, in seinem beschnittenen Herzen gegründete Gottesbeziehung knüpft die Passage über das nahe Wort in V. 11–14 an. Nicht stehen sich äußere, am Gesetz orientierte und innere, durch Herzensbeschneidung ermöglichte Gottesbeziehung gegenüber. Gesetzesobservanz und Herzensbeschneidung sind beide Herzenssache und nicht voneinander zu trennen. Das eine Wort, Manifestation von Gottes Gegenwart selbst, bindet beide unauflöslich zusammen“ (SPIECKERMANN, Der nahe und der ferne Gott, 392f.). 502 Vgl. O TTO, Art. Recht, 87–89. 503 Vgl. TUAT I, 32–38. 504 Vgl. TUAT I, 39–80. 505 Vgl. TUAT I, 80–92. 506 Zwar galten die Gesetzgeber als von den Göttern legitimiert, aber die Gesetze selbst waren Gabe des Königs oder als eine Art „Weltordnung“ sogar den Göttern vorgegeben: „Hammurapi beanspruchte vom Reichsgott Marduk beauftragt zu sein, ‚rechte Bahn‘ (usum) unter den Menschen durchzusetzen und damit eine Funktion wahrzunehmen, die im Pantheon dem Sonnengott Schamasch zukommen sollte. ‚R.[echt] und Gerechtigkeit‘ (kittu[m] u miīšaru[m]) waren aber nicht göttlichen Ursprungs, sondern galten, da auch Schamasch sie empfing wie der König, als unableitbare Mächte, die noch die Götterwelt transzendierten und banden“ (OTTO, Art. Recht, 87; vgl. auch Ders., Ethik, 87ff.). 507 Vgl. als eine mögliche Rekonstruktion des komplexen Vorganges, der zur Verlagerung der Tora an den Sinai geführt hat, CRÜSEMANN, Tora, 39–75, mit dem Schluss: „Der Sinai ist ein u-topischer Ort, zeitlich und räumlich außerhalb der staatlichen Macht. Die Verbindung des göttlich gegebenen Rechts mit diesem Ort vollzieht sich in Schritten, die durch die Katastrophe der israelitischen Staaten ebenso erzwungen wie ermöglicht wurden. Der Sinai wird zum archimedischen Punkt eines Rechts, das nicht an die Macht eines Staates gebunden
4.4 Das Verständnis der Tora als דבר
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durch die Schilderung der Umstände der Theophanie oder der komplexen Vermittlung der Gesetze durch Mose, inklusive des Motivs der beschriebenen Tafeln sogar reichlich Mühe, den an sich nicht greifbaren Vorgang der Offenbarung anschaulich zu machen. Sachgemäß kann man dies als „Theologisierung von Recht“508 bezeichnen. Ergebnis ist, dass auch die Tora schließlich als Wort Gottes ( )דברverstanden wird.509 Wie schon in den anderen Textbereichen, geschieht eine solche Identifizierung und Generalisierung vor allem durch relativ späte redaktionelle Schlüsseltexte, vor allem in den Büchern Exodus und Deuteronomium, also zu Beginn und als rekapitulierende Wiederholung der Gesetzesoffenbarung. Theologisch ist damit folgendes geleistet: Der göttliche dābār soll eine weitere theologische Verdichtung herbeiführen. […] Beziehung zum Gesetz ist vermittelte, aber denkbar intimste Beziehung zu Gott.510
Diese Worte werden (zuerst sogar von Gott selbst) auch geschrieben, sei es auf Tafeln oder in das Buch dieser Tora. Schließlich sind sie auch nicht mehr beliebig erweiterbar oder zu kürzen (vgl. Dtn 4,2), sodass auch hier schon ein Schritt in Richtung „Heiliger Schrift“ zu greifen ist. Das geht so weit, dass die Tafeln des Gesetzes in der Bundeslade schließlich ein heiliger Gegenstand sind, der auch abgesehen von dem geschriebenen Inhalt wundertätig ist. Insgesamt aber soll auch dem Inhalt der Gesetze mit ihrem Charakter als Gottes Wort Nachdruck verliehen werden. Dazu findet sich im Dekalog, auf die Faustformel
und dennoch nicht bloß Ausdruck von Tradition und Gewohnheit ist. Das alles wird vielmehr außer Kraft gesetzt [...] Für eine Alternative zu königlichem Recht und königlichem Kult wird so, parallel zur Entstehung der Texte selbst, aber nicht identisch mit ihr, ein Ort geschaffen. Indem Kult und Recht an den Ort verlagert werden, von dem immer schon Rettung durch diesen Gott ausging, wird die Tora selbst zur entscheidenden Gestalt der Rettung [...].“ Das alles ist einleuchtend, aber es ist eben nicht alles! Crüsemanns Konzentration auf den „Ort“ der Rettung, lässt den Urheber zu sehr im Schatten stehen. Es ist eben der mit einer Theophanie verbundene Offenbarungsvorgang an jenem Ort, der der Tora als Wort dieses Gottes eine besondere Dignität und eine gegenüber jeder staatlichen Vereinnahmung potenziellen Eigenständigkeit verleiht. Zu weiteren forschungsgeschichtlichen Positionen vgl. KÖCKERT, Gesetz, 169–172 (zu Crüsemann a.a.O., 170f.). 508 O TTO, ZThK 88 (1991), 168. Dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass es eine Begründung des Rechts mit dem Wesen und Willen Gottes bereits vorexilisch in der Sammlung des Bundesbuches gegeben hat, vgl. OTTO, Wandel und dazu: KÖCKERT, Gesetz, 173ff. 509 Dieser Aspekt kommt insbesondere bei E. Otto, der sich sehr differenziert um die theologische Begründung des alttestamentlichen Rechts bemüht (vgl. OTTO, Ethik, 81–111), zu wenig in den Blick. Gerade vom Verständnis der Weisung als Wort her, scheint mir aber Ottos These, die vorexilischen (sic!) Propheten hätte die „Stafette priesterlicher Rechtstheol.[ogie]“ (Ders., Art. Recht, 88) aufgenommen und radikalisiert, zu hinterfragen. Die hier gebotenen Beobachtungen legen auch in „worttheologischer“ Hinsicht das lex post prophetas nahe. 510 SPIECKERMANN, Der nahe und der ferne Gott, 392.
244
4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
„Zehnwort“ gebracht, eine handhabbare Zusammenfassung und ethische Leitidee. Mit dem Gedanken, die Gesetze seien Worte, die Gott selbst geredet hat, ist auch die Dimension des Gottesverhältnisses verbunden. Die alttestamentlichen Gesetze regeln eben nicht nur das menschliche Zusammenleben oder gesellschaftliche Vollzüge. Vielmehr ist hier immer auch das Verhältnis des einzelnen Menschen zu Gott mit im Spiel. Das wird zum einen besonders deutlich in der Zentralstellung des 1. Gebotes; zum anderen aber auch durch die Historisierung der Gesetze am Sinai/Horeb. Dadurch wird die Tora in den Spannungsbogen der Geschichte Jahwes mit seinen Leuten vom Exodus bis zur Landgabe eingezeichnet. Darüber hinaus ist – vielfach erkennbar – eben auch die Frage der Bewährung oder Verfehlung des als „Bund“ bezeichneten Gottesverhältnisses, samt drohendem oder eingetroffenem Landverlust (Exil/Diaspora), sowie einer erneuten Landgabe am Horizont. Mit dem Verständnis der Tora als דברist auch der Offenbarungsgedanke präsent. Gottes Gesetze sind nicht geheim oder verborgen, sondern sie liegen als Worte oder gar Text vor. Man kann sie hören, lesen, bedenken und tun. Im Laufe einer wechselvollen Geschichte von Bundesbrüchen, Verlusten und Umkehr, in deren Verlauf mit dem Bruch eines Gesetzes eben nicht nur der „Nächste“, sondern auch Gott geschädigt wird, wächst die Einsicht, dass Gott den Menschen in seinem Inneren verwandeln muss („Herzensbeschneidung“), damit dieser mit der Tora als דברwirklich „in Gedanken, Worten und Werken“ umgehen kann.
4.5 Der דבר־יהוהam Schluss des Kanons in 2 Chr 36,22–23 4.5 Der Schluss des Kanons 2 Chr 36,22–23
Die Bücher der Chronik enden in 2 Chr 36,22–23 mit einem positiven Ausblick, nämlich dem Hinweis auf das sog. Kyrosedikt. Darin wird explizit eine Erfüllung des Wortes Jahwes durch den Mund Jeremias gesehen. 2 Chr 36,22–23: 22 Aber im ersten Jahr des Kyros, des Königs von Persien – so dass erfüllt 511 wurde das Wort Jahwes durch den Mund Jeremias – da erweckte Jahwe den Geist des Kyros, des Königs von Persien, und der ließ eine Kunde durch sein ganzes Königreich verbreiten, auch schriftlich, folgendermaßen: 23 So spricht Kyros, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat mir Jahwe gegeben, der Gott des Himmels, und er hat mich beauftragt, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Juda ist. Wer unter euch von seinem Volk ist: Jahwe sein Gott sei mit ihm! Er ziehe hinauf!
511
Evtl. auch vollendet ( )כלה.
4.5 Der Schluss des Kanons 2 Chr 36,22–23
245
Ebenso wie im zweiten Buch der Könige läuft auch in der Darstellung des zweiten Chronikbuches der Geschichtsverlauf auf die Zerstörung des Tempels durch die Babylonier unter Nebukadnezar zu. Dennoch setzt das chronistische Werk deutlich eigene Akzente.512 Noch stärker als im deuteronomistischen Geschichtswerk werden die Ereignisse in 2 Chr 36 theologisch gedeutet. Zwar ist auch im Deuteronomistischen Geschichtswerk die Schuld des Gottesvolkes der eigentliche Grund für das Exil. Hier, im zweiten Chronikbuch, wird aber Jahwe noch stärker als Initiator der Ereignisse betont. Während zum Beispiel in 2 Kön 25,1 Nebukadnezar, der König Babels kam, wird nach 2 Chr 36,17 der König der Chaldäer von Jahwe heraufgeführt; entsprechend ist dann auch das Handeln des Kyros eine Folge der Wirkung Jahwes.513 Das Deuteronomistische Geschichtswerk endet mit der Begnadigung Jojachins im Exil und setzt so implizit einen leisen Ton der Hoffnung.514 Als gnädiges Handeln Gottes müssten Leserinnen und Leser dies selbst deuten. 2 Chr 36 übergeht diese Begnadigung wie vorher schon die Statthalterschaft Gedaljas515 und endet stattdessen mit dem sog. Kyrosedikt.516 Wie vorher sinngemäß bereits Nebukadnezar ist auch Kyros von Jahwe erweckt, bekennt sogar, dass er alle Königreiche der Erde von Jahwe empfangen habe und wünscht den Heimkehrern ausdrücklich den Beistand ihres Gottes Jahwe. Das Werk und damit später auch der Tenach endet mit einem Imperativ im Munde dieses Weltherrschers von Gottes Gnaden: „Zieht hinauf!“ Mit Gottes Hilfe hinauf nach Jerusalem! ist somit die letzte Botschaft der Hebräischen Bibel.517
Das in der exegetischen Forschung seit dem 19. Jahrhundert angenommene „chronistische Geschichtswerk“ aus den Büchern Esra/Nehemia und 1/2 Chronik wird heute als ein komplexes redaktionelles Werk betrachtet; vgl. WITTE, Chronikbücher, 529ff.; KRATZ, Komposition, 92–97; STEINS, Bücher, 319f. 513 „Beide Weltmächte fungieren als Werkzeuge im göttlichen Plan der Geschichte“, resümiert JAPHET, 2 Chronik, 511. 514 Vgl. bereits W OLFF, Kerygma, 308–324. 515 Dazu G ALLING, ATD 12, 184: „Das Schicksal Zedekias bleibt beachtlicherweise ganz außer Betracht, ebenso natürlich alles, was 2. Kö 25 noch über Gedalja und die Begnadigung Jojachins berichten, da der Chron bei dem Weg in die Gefangenschaft (20) das Augenmerk allein auf die eine Gola lenken will“ [Hervorhebung im Original gesperrt]. 516 Vgl. B ECKING, Art. Kyrosedikt und FREVEL, Geschichte, 301–303. Zur Frage der Historizität des biblischen Berichts vgl. ausführlich GUNNEWEG, KAT XIX/1, 42f. 517 Außerdem ließe sich gerade 2 Chr 36,21ff. als Abschlussnotiz der Ketubim insgesamt lesen in Korrespondenz zu Dtn 34,10ff. (Abschluss der Tora) und Mal 3,22ff. (Abschluss der Nebi’im); vgl. ZENGER, Einleitung, 25ff. Dies gilt allerdings nur, wenn man die in der BHS repräsentierte Kanonfolge zugrundelegt, „so z.B. in der Liste im Babylonischen Talmud (Baba Batra 14 b), in spanischen und anderen Handschriften des Spätmittelalters, in der Rabbinerbibel“ (HIECKE, Art. Esra-Nehemia-Buch). In anderen mittelalterlichen Handschriften, wie dem Codex Leningradensis oder dem Codex von Aleppo finden sich die Chronikbücher zu Beginn der KETUBIM. In der LXX und den modernen christlichen 512
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4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
Auch das Deuteronomistische Geschichtswerk erkennt für das prophetisch vermittelte Gotteswort in all diesem Geschehen eine theologisch zentrale Funktion. So vor allem in dem Deutekapitel 2 Kön 17, das den Untergang Samarias und dann prospektiv auch den Judas unter anderem als Folge des Überhörens der Propheten darstellt.518 Demgegenüber fokussiert das letzte Kapitel der Chronikbücher stark auf den Propheten Jeremia. Er wird ausdrücklich als von Zedekija verachteter Zeitgenosse erwähnt. 2 Chr 36: 12 Und er [Zedekija] tat, was böse war in den Augen Jahwes, seines Gottes; er demütigte sich nicht vor Jeremia, dem Propheten von Jahwes Mund.
Bemerkenswert ist die Bezeichnung Jeremias als Prophet vom Mund Jahwes ()הנביא מפי יהוה. In auffälliger Weise ist damit die direkte Herkunft der Botschaft des Propheten von Jahwe selbst angesprochen.519 Auch der V. 21 desselben Kapitels rekurriert explizit auf Jeremia: 2 Chr 36: 21 Damit erfüllt wurde das Wort Jahwes durch den Mund Jeremias, bis das Land seine „Sabbate“ bezahlt hatte; alle Tage seiner Verwüstung hatte es Ruhe bis siebzig Jahre vollendet waren.
Ebenso wie in V. 12 Jeremia der Prophet von Jahwes Mund war, ist jetzt der Mund Jeremias das Medium des Wortes Jahwes ()דבר יהוה. Dies erinnert an das Prophetenbild von Dtn 18,18.520 Hier in 2 Chr 36,21 geht es aber nicht um die Charakterisierung der prophetischen Rede als göttliches Wort im Allgemeinen. Vielmehr wird ein konkreter Bezug zu Jeremias Rede von den 70 Jahren hergestellt.521 Auffällig ist, dass diese Bezugnahme nun ausdrücklich durch eine Erfüllungsnotiz geschieht. Das, was Jahwe durch Jeremia geredet hat, ist nun
Bibelübersetzungen werden die Chronikbücher unter die „Geschichtsbücher“ i.d.R. im Anschluss an den Pentateuch eingeordnet. 518 Die „Chronisten“ fassen das in nur zwei Versen, nämlich in 2 Chr 36,15f. zusammen. Das Nordreich wird ja den Büchern der Chronik nicht weiter erwähnt. 519 In Jer 23,16 warnt der Prophet seine Zuhörer davor, auf Propheten zu hören, deren Worte nicht vom Mund Jahwes ( )ידברו לא מפי יהוהseien. 520 Vgl. Kapitel 4.2.1. 521 Vgl. Jer 25,12; 29,12. Auf welche Ereignisse sich die 70 Jahre dort jeweils konkret beziehen, lässt sich nicht vollständig klären. Entweder man rechnet vom Sieg Nebukadnezars 605 v.Chr. bis zum Ende des Exils 538 v.Chr. Oder der Beginn des Exils 587 v.Chr. ist der Ausgangspunkt; dann könnte die Fertigstellung des Tempels 515 v.Chr. das Ende der „70 Jahre“ markieren. In jedem Fall scheint gerade diese Zahl ein wichtiger Bezugspunkt im Jeremiabuch zu sein, wie auch die Aufnahme in Dan 9,2 zeigt; vgl. zu weiteren Bezugstexten JAPHET, 2 Chronik, 509f.; sowie bereits GALLING, ATD 12, 185.
4.5 Der Schluss des Kanons 2 Chr 36,22–23
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eingetroffen, „erfüllt“ ()מלא, sodass sich hier inneralttestamentlich ein Denken in den Kategorien „Verheißung und Erfüllung“ greifen lässt.522 Eine solche explizite Feststellung der „Erfüllung“ eines vorher angesagten Gotteswortes ist selten im Alten Testament. Auch das Prophetengesetz, das ja der Sache nach die „Erfüllung“ eines prophetischen Wortes als Kriterium seiner Glaubwürdigkeit einführt, benutzt keinen entsprechenden Terminus. In 1 Kön 2,27 findet sich die Feststellung einer Erfüllung ( )מלאder Prophezeiung an das Haus Elis, was wohl einen Rückbezug auf 1 Sam 3 darstellt, im Kontext von 1 Kön 2 aber überraschend kommt. In den Klageliedern wird die Zerstörung des Tempels als eine Art „Erfüllung“ dessen, „was Jahwe gesagt hatte“ (vgl. Thren 2,17: )בצע אמרתוbezeichnet. Schließlich gilt das Kyrosedikt und damit das letzte Ereignis, das der hebräische Kanon benennt, als Erfüllung oder Vollendung ()לכלות523 des Wortes Jahwes ( )דבר יהוהdurch Jeremia. Neben die Feststellung, dass Jahwe die treibende Kraft hinter dem Handeln des Kyros ist (V. 22: erweckte Jahwe den Geist des Kyros), und neben die Identifikation des Gottes des Himmels mit Jahwe im Munde eben dieses Kyros tritt also außerdem die Feststellung, dass Jahwes Wort in der Spannung von Ansage (im Munde Jeremias) und Eintreffen den Raum der Geschichte umfasst und bestimmt.524 So ließe sich also von 2 Chr 36,22 her der ganze geschichtliche Spannungsbogen, der in der Hebräischen Bibel angesprochen wird, sozusagen von hinten noch einmal als durch den דבר יהוהbestimmt lesen. Aus christlicher Sicht gehört die Erfüllungsnotiz von 2 Chr 36,22 nach vorne hin in die Traditionsgeschichte der Erfüllungszitate des Matthäusevangeliums.525 Interessant ist darüber hinaus die Frage nach dem Verhältnis von 2 Chr 36,22–23 zu der Parallele in Esr 1,1–3.526 Wiederholt das Esrabuch die letzten Verse der Chronik, um eine Anknüpfung herzustellen, oder schlägt – in der unter anderem von der BHS gebotenen Kanonfolge – der Abschluss der Chronik einen Bogen zurück zu Esr 1?527 Für R. G. Kratz handelt es sich bei 2 Chr
Vgl. RÖSEL, Art. Verheißung/Erfüllung. 523 „‚Das Wort JHWHs durch den Mund Jeremias‘ wurde durch die Zerstörung ‚erfüllt‘ (V 21), durch das Edikt des Kyros ‚abgeschlossen‘ (V 22)“, so interpretiert JAPHET, 2 Chronik, 511 die Begriffsvariation zwischen V. 21 und 22. Allerdings ist auch nach ihrem Urteil 2 Chr 36,22f. aus Esr 1,1–3 übernommen (vgl. ebd.). 524 „Das Prophetenwort erst gibt den Schlüssel für den Sinn der Katastrophe“ (G ALLING, ATD 12, 185). 525 Vgl. R OTHFUCHS, Erfüllungszitate, 44ff. 526 Zu verschiedenen möglichen Modellen vgl. W ITTE, Chronikbücher, 529f. 527 Auch wenn man die Eigenständigkeit von Esr/Neh gegenüber der Chronik erkennt und der These eines „chronistischen Geschichtswerks“ kritisch gegenübersteht, ist doch klar, dass Esr/Neh den Geschichtsverlauf der Chronik fortsetzen. „Nun wird aber die nahliegende Reihenfolge Chr – Esr/Neh bisher in kaum einer hebräischen Bibelhandschrift belegt“, bemerkt WITTE, Chronikbücher, 529. „Die ‚Überlappung‘ 2 Chr 36,22f und Esra 1,1–3 522
248
4. Kapitel: Das Selbstverständnis des AT als Wort Gottes
36,22f. um den wohl spätesten Text eines chronistischen Geschichtswerkes.528 Dann aber liegt auch hier, wie schon bei vielen anderen Texten zum דבר יהוה beobachtet, eine redaktionelle Formulierung vor529, mit der den Texten als (Erfüllung des) Gotteswort(es) ein besonderes Gepräge gegeben wird. 2 Chr 36,22f.//Esr 1,1–3 wäre dann mit Koh 12,9–14530 ein Hinweis darauf, dass auch die Ketubim jenseits des Psalters als von einem einzigen Hirten gegeben gelesen wurden.
(Kyrusedikt) lässt sich leicht erklären als Rückgriff der Chronik auf die Vorlage in Esra 1 [...] Wenn Esra/Nehemia der Chr vorangeht, bilden die Edikte in Esra 1 und 2 Chr 36 eine Inklusion“ (STEINS, Bücher, 320). Dies kann geradezu als klassische Erklärung des Phänomens gelten (vgl. GALLING, ATD 12, 184f., RUDOLF, HAT I/20, 2 oder auch JAPHET, 2 Chronik, 511). Diese inclusio lässt sich dann aber nicht nur als Ausdruck eines „Zionismus“ (so STEINS, ebd. Im Anschluss an W. Johnstone), sondern auch „דבר-theologisch“ deuten. 528 „Was von wem abhängt, ist nicht immer leicht zu sagen [...] Zuletzt kam der Editionsvermerk in II Chr 36,22f hinzu, der den Zusammenhang über die Buchgrenzen und die anachronistische Stellung im Kanon hinweg anzeigt“ (KRATZ, Komposition, 97). 529 „Während Esr 1,1–3 für den Fortgang in Esr-Neh unverzichtbar ist, könnte II Chr 36,22f ohne weiteres ein Zusatz sein“ (KRATZ, Komposition, 93). 530 Zur sozusagen „inspirationstheologischen“ Prägung der Epiloge in Koh 12,9–14 vgl. DOHMEN/OEMING, Kanon, 30–53.
Kapitel 5
Intertextuelle Kanonizität In der Zusammenschau der Beobachtungen, die in Kapitel vier dargestellt wurden, ergibt sich, dass das Thema „Wort Gottes/Jahwes“ wie eine Art intertextuelles Netz über einer ganzen Reihe von alttestamentlichen Einzeltexten liegt und diese unter der Perspektive דברzu einem neuen Ganzen verknüpft. Der Begriff Intertextualität ist nun aber weder in seiner Bedeutung noch in seiner Funktion als Bezeichnung einer literaturwissenschaftlichen Methodik völlig eindeutig. Intertextualität kann zum einen vermeintlich eindeutige Text-TextBeziehungen zum Beispiel in Form eines Zitats bezeichnen und sich dann aber auch auf die gesamte Wirklichkeit als einen einzigen „Intertext“ beziehen, in dem etwa nach Julia Kristeva alles mit allem verknüpft ist.1 Methodisch ist vor allem zu bedenken, dass intertextuelle Bezüge, soweit sie nicht ausdrücklich expliziert oder eindeutig markiert sind, nicht ausschließlich durch die Intention von Autorinnen und Autoren entstehen, sondern auch durch Leserinnen und Leser erkannt oder gar generiert werden.2 Insbesondere bei antiken Texten, wie denjenigen der Hebräischen Bibel, in denen explizite Zitate sehr selten sind und worin sich kein ausgebildetes Referenzsystem mit Querverweisen, Fußno-
Dazu KRISTEVA, Probleme, 485ff., der es weniger um Literatur in einem gegenständlichen Sinne geht als vielmehr um einen „Diskurs, den die Gesellschaft sich selbst mitteilt“ (a.a.O., 485). Dies ist ein „Prozeß von Sinnproduktion“, der geschieht als „eine Permutation von Texten, eine Inter-Textualität: in dem Raum eines Textes überlagern sich mehrere Aussagen, die aus anderen Texten stammen, und interferieren“ (a.a.O., 486 [Hervorhebung so im Original]). Vgl. auch GILLMAYR-BUCHER, Art. Intertextualität; SEILER, Art, Intertextualität I, 300–301; Ders., Intertextualität, 275–293; Ders., Text-Beziehungen, 17–33; STEINS, Bindung, 48–56 (ausführliches Referat der Position Kristevas); GROHMANN, Intertextualität, 497–499; BAUKS, Intratextualität, 13–63. 2 Besonders Georg Steins hat mit seiner Formulierung einer kanonisch-intertextuellen Lektüre die drei entscheidenden Größen benannt. Biblische Texte haben einen Kontext („Kanon“), in dem sie miteinander in Dialog treten („Intertextualität“) und somit neue Dimensionen von Textsinn konstituieren. Dieser Prozess vollzieht sich aber immer im Akt der Rezeption („Lektüre“), sodass für Steins im Anschluss an M. Bachtin „die schöpferische Rolle des Lesers und die offene Sinnstruktur des Textes“ (STEINS, Bindung, 67) beim „Sinnverstehen“ (ebd.) aufeinandertreffen und zusammenwirken. „Sinnverstehen ist nicht begriffliche Rekonstruktion und bloßer Nachvollzug einer im Text eingeschlossenen und ‚fertigen‘ Sinnvorgabe, sondern Rekontextualisierung in wechselnden Horizonten. Sinnverstehen ereignet sich damit im ‚Dialog der Texte‘“ (a.a.O., 67f.). 1
250
5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
ten oder dergleichen findet3, ist festzuhalten, dass das Erheben intertextueller Bezüge immer auch eine Rezeptionsleistung ist.4 Aber auch bei modernen Literaturen ist die Heterogenität der Konzepte von Intertextualität so weit, dass Stefan Seiler nach einer Forschungsgeschichte zum Thema folgert, dass „eine allgemeine und umfassende Intertextualitätstheorie nicht zu erwarten“5 sei. Der hier zugrunde gelegte Begriff von Intertextualität bezeichnet „Text-Beziehungen“ und geht von einer Grundeinsicht aus, die Michail Bachtin so formuliert hat: „Jedes Verstehen ist das In-Beziehung setzen des jeweiligen Textes mit anderen Texten“.6 Texte treten in einen regelrechten „Dialog“, wobei der neue Kontext dieses „Gesprächs“ den ursprünglichen Textsinn durch neue Aspekte erweitert, beziehungsweise die alten Texte durch den neuen Kontext neue Sinndimensionen entfalten.7 Dabei dürfen solche Text-Text-Relationen nicht in einem als absolut gesetzten Rezeptionsprozess willkürlich eingetragen werden, sondern sie müssen sich mit exegetischen Mitteln plausibel machen lassen.8 Dann aber ergibt sich, dass solche Text-Beziehungen einerseits die Verständnismöglichkeiten der je einzelnen Texte erweitern und dass andererseits durch die intertextuellen Verknüpfungen ein Netzwerk von Texten entsteht, das sich seinerseits wieder als ein neuer (Meta)Text verstehen lässt. Im Hinblick auf biblische Texte lässt sich dann traditionell von einem Kanon sprechen, der durch die intertextuelle Vernetzung seiner Teiltexte selbst einen Inhalt oder einen Aussagesinn bekommt. Ob eine solche Textsammlung dann für eine Rezeptionsgemeinschaft auch „kanonisch“ im Sinne von maßstäblich oder verbindlich wird, hängt davon ab, ob und wenn ja: welche Rezipientinnen und Rezipienten jeweils welche intertextuellen Verknüpfungen (an-)erkennen.9
Dies ist allerdings lediglich ein Sonderfall des Problems der sog. (mehr oder weniger expliziten) „Markierung“, das sich beim Auffinden von intertextuellen Bezügen in jedweder Literatur stellt; vgl. dazu SEILER, Intertextualität, 280–283. 4 Vgl. SEILER, Text-Beziehungen, 300f. 5 SEILER, Text-Beziehungen, 33. 6 B ACHTIN, Ästhetik, 353. 7 Vgl. das Ausführliche Referat der „Dialogizität“ von Texten nach Bachtin bei STEINS, Bindung, 56–68. 8 Dazu STEINS, Bindung, 228: „Absolute Kriterien gibt es nicht. Eine kanonisch-intertextuelle Lektüre steht ebenso wie jede andere Art der Textanalyse und -interpretation unter der wissenschaftlichen Minimalforderung, die Beobachtungen darzulegen und Argumentationen nachvollziehbar zu machen“ [Hervorhebung so im Original]. Aber ebenso wie bei der Unterscheidung unterschiedlicher literarischer Schichten in einem biblischen Werk, der Bewertung des Anteils und Charakters redaktioneller Arbeit oder der Bestimmung der konstitutiven Formmerkmale einer Gattung oder Textsorte sind nicht alle intertextuellen Bezüge für alle Exegetinnen und Exegeten in gleichem Maße evident; vgl. zu den Grenzen intertextueller Interpretation auch SEILER, Text-Beziehungen, 300. 9 „Der Bibelkanon als Gestalt gewordener Dialog erfordert die Mitarbeit der Rezipienten; ihre Lektüre ist zu beschreiben als eine fortwährende Intertextualisierung im Raum des Kanons“ (STEINS, Bindung, 84). 3
5.1 Das Alte Testament als דברgelesen
251
„Kanonisch“ wären Texte dann nicht vor allem für eine „ursprünglich“ gemeinte „Zielgruppe“, sondern für diejenigen, bei denen sich der durch die intertextuelle Beziehung der Teiltexte generierte Botschaft des Großtextes („Kanon“) als einleuchtend durchsetzt. Insofern ist vor dem Hintergrund intertextueller Beziehungen zwischen biblischen Schriften auch noch einmal über den alttestamentlichen Kanon, beziehungsweise unterschiedliche Kanones nachzudenken. Zunächst soll aber das hier über Intertextualität Gesagte anhand dessen, was zum דברin biblischen Schriften zusammengetragen wurde, verdeutlicht werden.
5.1 Das Alte Testament als דברgelesen 5.1 Das Alte Testament als דברgelesen
Solche intertextuellen Relationen lassen sich zunächst als Bezugnahmen einzelner spezifischer Texte auf je einen anderen, oft konkret bestimmbaren Primärtext oder doch auf ein identifizierbares Thema aufzeigen. So etwa, wenn in einer Reihe von Psalmen das Thema Schöpfung, die Tora oder einzelne Themen der geschichtlichen Überlieferung angespielt werden.10 Im Idealfall lässt sich dann sogar eine primäre Überlieferung bestimmen, auf die in einem späteren Vorgang durch intertextuelle Anknüpfungen Bezug genommen wird. Bei dem, was über die unterschiedlichen Lesarten alttestamentlicher Bücher und dann auch Büchersammlungen gezeigt wurde, geht es mir aber noch um einen weiteren Aspekt. Hier werden nicht nur spezifische Einzeltexte auf je andere Texte bezogen. Vielmehr werden unterschiedliche Texte und Bücher durch redaktionelle Schlüsseltexte miteinander unter der Perspektive, sie seien „Wort Gottes“, verbunden. Das zentrale Lexem dafür ist sicherlich דבר. Der Terminus mit der größten Signifikanz ist דבר־יהוה.11 Aber auch Texte, in denen in anderer Terminologie vom Reden Jahwes oder auch vom Hören und Verstehen seiner Adressaten die Rede ist, können in diesem thematischen Feld eine Rolle spielen. Dazu gehören dann auch prophetische Formeln wie die Wortereignisformel, die Gottesspruchformel oder die Varianten der kô-’āmar-Formel. Besonderes Interesse verdienen im vorliegenden Zusammenhang auch Hinwei-
Vgl. zahlreiche Beispiele bei SEILER, Text-Beziehungen, 49–284 oder die ausführlichen Untersuchungen intertextueller Bezüge zu Gen 22 bei STEINS, Bindung, passim.; Ders., Studien, 169–302, sowie die Beiträge in BALLHORN/STEINS (Hg.), Bibelkanon. 11 Dabei wird gerade hier das Verhältnis von Kanon als Kontext, intertextuellem Dialog und der Einbindung der Rezipienten in diesen Dialog deutlich. Die Formulierung דבר־יהוה kann als solche ja schon als Chiffre für Kommunikation gelesen werden. Der Gott, der Worte macht, zielt auf hörende oder lesende Rezipienten Rezipientinnen. Insofern dieser Kommunikationsvorgang nun ein Text mit der Möglichkeit der Weitergabe wird, ist der „Dialog“ nicht mehr auf einen bestimmten Zeitpunkt eingegrenzt und vollzieht sich auch von daher unabhängig von einer ursprünglichen intentio auctoris. 10
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
se auf die Verschriftung solcher „Worte“. Die jeweiligen Details sind in den Exegesen der einzelnen Texte dargelegt worden. Methodisch lässt sich dies vor allem Mittels der Redaktionsgeschichte zeigen. So werden prophetische Worte zu ersten Sammlungen verbunden und dann mit Formulierungen wie Hos 4,1 und 11,11 gerahmt.12 Eine erste Buchform wurde wohl durch Hos 1,2 eingeleitet. Entsprechend wird der Hauptteil des Amosbuches in Am 3–6 durch die Überschriften in 3,1 und 5,1 gegliedert.13 So werden dann aber die eingeleiteten oder gerahmten Textteile als Wort oder Reden Jahwes ausgewiesen, unabhängig von der Frage, ob jeder einzelne Satz dieser Sammlungen „ursprünglich“ auf eine Offenbarung oder ein Reden Gottes zurückgeführt wurde.14 Im Zuge der Überlieferung wird mit דבר־יהוהein Vorzeichen gesetzt. Die Tatsache, dass es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um redaktionelle Vorgänge handelt, zeigt zum einen, dass diachrone Textbeobachtungen sehr wohl theologisch relevant sind. Zum anderen, dass eine Vernetzung von Texten schon immer etwas mit Rezeptionsprozessen zu tun hat; wenn denn davon auszugehen ist, dass die für die Redaktion, Sammlung und Komposition Verantwortlichen nicht mit den Autoren identisch sind und selbst nicht mehr zur ersten Adressatengeneration gehören. Weiter ist zu bedenken, dass diese Rezeptions- und Redaktionsprozesse, die auf eine intertextuelle Vernetzung verschiedener alttestamentlicher Texte hinauslaufen, vielschichtig sind. Es gibt nicht einen, womöglich datierbaren, Vorgang, der für das entstehende Netzwerk verantwortlich ist. Von den schon geschilderten Anfängen in Teilsammlungen von Prophetenworten sind durchreflektierte, worttheologische Texte, wie die Ouvertüre des Jeremiabuches in Jer 1, die ursprüngliche Einleitung ins Ezechielbuch Ez 2,9ff. oder Prolog und Epilog der deuterojesajanischen Sammlung in Jes 40 und 55 zu unterscheiden.15 So ergibt sich schon innerhalb der prophetischen Schriften (hier: der „hinteren Propheten“) ein vielschichtiges und doch intertextuell vernetztes Bild vom Wort Gottes, in dem das Wort des einen Gottes einmal tröstend als beständig und wirksam in Erinnerung gerufen wird und ein anderes Mal erschreckend wie das Gebrüll eines zornigen Löwen vom Zion zu vernehmen ist. Zahlreiche einzelne Aspekte ergänzen das, was vom דברzu sagen ist. So etwa die Schriftlichkeit des Wortes in Form einer Buchrolle oder die dem Ezechielbuch eigene Formulierung ( כי־אני יהוה דברתיEz 37,14: dass nur ich Jahwe bin, der redet ...), mit der das Wesen und das Reden Jahwes aufs Engste verknüpft werden und zugleich mit der explikativen Fortführung ( ועשׂיתי... das heißt, ich tue es) die Performativität der Aussage דברתיausdrücklich zur Sprache gebracht wird.
Vgl. Kapitel 4.1.4. 13 Vgl. Kapitel 4.1.5. 14 Dies entspricht in gewisser Weise der grundsätzlichen legitimatorischen Funktion der unerweiterten kô-’āmar-Formel in den Prophetenbüchern; vgl. WAGNER, Prophetie, 292ff. 15 Vgl. die Kapitel 4.1.1–4.1.3. 12
5.1 Das Alte Testament als דברgelesen
253
Damit ergibt sich schon innerhalb der prophetischen Literatur ein aspektreiches, man kann auch sagen aspektivisches Verständnis vom Wort Gottes.16 Eine besondere Rolle für das bleibende Verständnis der Prophetenworte als Gotteswort spielen die Überschriften der Bücher. Durch ihre grundsätzlich sehr ähnliche Gestaltung binden sie die einzelnen Prophetenbücher zu einem Ganzen zusammen. Zugleich werden die Bücher auf die normierende Formel דבר־ יהוה אשׁר היה אלo.ä. gebracht. Der Singular bringt dabei auch zum Ausdruck, dass in der Vielfalt der im corpus propheticum bewahrten Prophetenworte das eine Wort des einen Gottes zur Sprache kommt. „Der Singular bekundet die Einheit der Willenskundgebung Jahwes bei aller Vielgestaltigkeit seines Redens. Insofern ist die Formulierung des Buchtitels ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Kanonbildung.“17 Die Vorstellung vom דבר, der durch Propheten vermittelt wird, findet sich dann auch in der Tora, in Dtn 18 und in den „vorderen Propheten“ wieder. So hält das deuteronomische Prophetengesetz fest, dass eben das ein Prophet sei, dem Gott meine Worte in seinen Mund (Dtn 18,18) gegeben habe.18 Was dieser Prophet sagt, trifft ein. Entsprechend wird in dem theologischen Deutekapitel 2 Kön 17 der Untergang Israels (und „prospektiv“ auch schon Judas) als Eintreffen dessen bezeichnet, was Gott geredet hatte durch die Hand aller seiner Knechte, nämlich der Propheten (2 Kön 17,23: )כאשׁר דבר ביד כל־עבדיו הנביאים.19 In der Erzählung von der Berufung Samuels in 1 Sam 3 war berichtet worden, wie es zur charismatischen Institution der Prophetie an der Schwelle zur Königszeit Israels kam. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass der zuverlässig ergehende und zu hörende דבר־יהוהdas eigentliche Ziel des Textes ist.20 Im sog. Deuteronomistischen Geschichtswerk finden sich überwiegend erzählende Texte, die eine Art „narrative Geschichtsdarstellung“21 bilden. Diese Berichte verstanden sich ursprünglich nicht zwingend als Wort Gottes, ja in weiten Textteilen, wie der Thronfolgeerzählung, ist von Gott fast nicht die Rede. Aber Texte wie 1 Sam 3 oder 2 Kön 17 sind theologische Signaltexte an redaktionellen Schlüsselpositionen, die eine hermeneutische Funktion für die durch sie gerahmten übrigen Texte haben. Beide sind in ein intertextuelles Netz eingebunden, dass sich um das Thema Wort/Reden Gottes (durch Propheten) dreht. Beide Texte bringen explizit die Geschichte deutende und gestaltende Funktion von Jahwes Reden zur Sprache und haben damit wesentlich Anteil daran, dass auch manche „Räuberpistole“ aus dem davidischen Königshaus
Vgl. zur Aspektive ausführlich Kapitel 6.3. 17 W OLFF, BKAT XIV/1, 3 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 18 Vgl. Kapitel 4.2.1. 19 Vgl. auch die engen Berührungen von Dtn 18,10 mit 2 Kön 17,17. 20 Vgl. Kapitel 4.2.2. 21 W ITTE, Art. Geschichte/Geschichtsschreibung (AT). 16
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
ganz grundsätzlich Teil einer heiligen Schrift werden und prinzipiell unter der Kategorie „Wort Gottes“ gefasst werden konnte. In dieses Netz sind auch die Psalmen eingebunden, wie beispielhaft an Psalm 33 und 119 gezeigt wurde. Während vom דבר־יהוהim Psalter sonst nie die Rede ist, findet sich die Formulierung in Ps 33 gleich zweimal. Gottes Reden als Schöpfer und Richter bestimmt diese Welt. Eine Meditation darüber macht das Leben coram deo erst möglich.22 Der Psalm ist auch in redaktionsgeschichtlicher Hinsicht auffällig. Ihm fehlt als einzigem Text im Davidpsalter eine Überschrift und er nimmt in der Psalmengruppe 25–34 eine Sonderstellung ein.23 So spricht vieles für die Funktion von Ps 33 als redaktionellem Deutetext in seinem Kontext. Ähnliches lässt sich für Ps 119 sagen, der wohl einmal eine frühe Form des Psalters im Umfang von Ps 1–119 abschloss. Diese Sammlung war somit vom Thema „Tora“ gerahmt. Zugleich stellt aber Ps 119 die Tora unter die Perspektive, dein Wort דברךzu sein und das, was du gesagt hast אמרתך, sodass die Tora in ihrer Dimension der Gottesbeziehung in den Blick kommt.24 Diese Beobachtungen wiederum ließen noch einmal danach fragen, ob auch im Pentateuch selbst die Weisung als Wort verstanden oder auf den Begriff gebracht wurde.25 Dies ist in der Tat Fall, vor allem in den Büchern Exodus und Deuteronomium. Während im Alten Orient die Gesetzgeber göttlich legitimiert sind, werden die von ihnen erlassenen Gesetze selbst in der Regel nicht als Offenbarung oder Wort der Götter verstanden. Auch zahlreiche Bestimmungen in den alttestamentlichen Gesetzeskorpora müssen nicht als göttlichen Ursprungs gedacht werden, um Recht zu regeln. Die Disparatheit und die Pluralität der Korpora Bundesbuch, Heiligkeitsgesetz, deuteronomisches Gesetz und der darin versammelten einzelnen Gebote, Satzungen, Rechtssätze oder Bestimmungen lassen noch erkennen, dass alle diese Texte ursprünglich nicht im Rahmen einer Erzählung von der Theophanie am Sinai/Horeb entstanden. Nun aber werden alle diese Worte durch die Einbettung in die Sinaiperikope, beziehungsweise durch die Rückbindung an den Horeb im Buch Deuteronomium zu von Gott geoffenbarten Anweisungen. Der Prolog zum Dekalog in Ex 20 und die Rahmenverse in Dtn 5 kennzeichnen die Zehn Gebote als Summe des Gotteswillens ausdrücklich als Worte Gottes. Dies wird später mit der Formulierung „Zehnwort“ sogar begrifflich fixiert. Das Deuteronomium spricht markant von allen Worten dieser Tora (Dtn 17,19 und öfter) und sieht sich selbst schließlich als das Wort (Dtn 4,2; 13,1), das als geschriebenes – entweder auf den Tafeln des Dekalogs oder in der Rolle dieser Tora – vorliegt. Weil Gott es geredet hat und die Menschen es hören (vgl. Dtn 6,4ff.) und spätere es lesen können, ist es
Vgl. Kapitel 4.3.1. 23 Vgl. H OSSFELD/ZENGER, Thronsitz, 67–89. 24 Vgl. Kapitel 4.3.2. 25 Vgl. Kapitel 4.4. 22
5.1 Das Alte Testament als דברgelesen
255
ein nahes Wort (Dtn 30,14), dessen Einhaltung aber schließlich wesentlich an Gottes den Menschen veränderndem Handeln (Dtn 30,6) liegt. Als ein solches von Gott gegebenes Wort wird die Tora eine Größe, die nicht nur positiv Recht setzt und regelt, sondern in der signifikant das Gottesverhältnis des Einzelnen und der Gesellschaft in Rede steht. Hier korrespondiert ein Verständnis der Tora als Wort dem, was über die Prophetie und die behandelten Psalmen als דברzu sagen war. In Redaktions-, Überlieferungs- und Rezeptionsprozessen werden also unterschiedliche alttestamentliche Texte und Bücher unter das Vorzeichen דבר gestellt. Diese Prozesse können angesichts des Textbefundes sowohl in synchroner als auch in diachroner Perspektive nur im Plural erhoben werden. Das Verständnis alttestamentlicher Texte als Wort Gottes gewinnt an Gewicht und an Signifikanz. Aber die behandelten Texte sind nicht zur selben Zeit und nicht von einer einheitlichen theologischen „Schule“ oder dergleichen verfasst worden. Dennoch ergibt sich mit der zunehmenden Signifikanz eines Verständnisses biblischer Texte unter der theologischen Leitperspektive26 „Wort Gottes“ ein wahrnehmbares intertextuelles Netz, das prinzipiell das ganze Alte Testament oder doch weite Teile davon umfasst. Damit soll nun nicht behauptet werden, dass alle Texte, die in diesem Netz „gefangen“ sind, ursprünglich oder auch im Fortgang der Überlieferung notwendig als Reden Gottes verstanden werden wollen. Insbesondere die Texte der Weisheit sind erst nachträglich theologisiert worden27, viele Psalmen sind eher Reden zu und über Gott als Gottes eigenes Reden28 etc. Gleichwohl kann man darauf hinweisen, dass auch die Epiloge des Buches Kohelet mit der gleich dreifachen Präsenz der Wurzel ( דברKoh 12,10.11.13), wobei die Worte in V. 11 als von einem Hirten gegeben und damit gleichsam als „inspiriert“ gelten29,
Dies ähnelt dem Phänomen, das Gerald T. Sheppard als hermeneutical construct beschreibt; vgl. SHEPPARD, Wisdom. Sheppard untersucht dabei Texte aus Sirach und Baruch, in denen ein hermeneutisches Vorzeichen für ein explizit theologisches Verständnis des Phänomens der israelitischen Weisheit gesetzt werde, mit dem Schluss: „In the last three chapters one particular type of post-exilic wisdom interpretation has been described. It appears to have been a canon conscious phenomenon of reading the Torah narrative, or even prophetic traditions, as a guide to wisdom. The occurrence of such wisdom interpretations in two different early Jewish compositions suggests that this approach was probably a common one, well known to a broad spectrum of the post-exilic communitiy“ (a.a.O., 120). Sheppard appliziert diese Leseweise anschließend auf Phänomene innerhalb der Hebräischen Bibel wie den Koheletepilog, den Schluss des Hoseabuches (Hos 14), die Psalmen 1 und 2, sowie 2 Sam 23,1–7, mithin also auf Texte, die inzwischen allesamt als redaktionelle Texte mit hermeneutischer Signalfunktion gelten. Vgl. zu Sheppards Konzept des hermeneutical construct auch STEINS, Bindung, 234. 27 Vgl. bereits M ICHEL, Glaube, 246ff. und noch einmal SHEPPARD, Wisdom, passim. 28 Vgl. W AGNER, Sprechen, passim. 29 Vgl. so bereits SMEND, Entstehung, 218; M ICHEL, Qohelet, 116, sowie D OHMEN/O EMING, Kanon, 38–54. 26
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
die Weisheit insgesamt in das beschriebene intertextuelle Geflecht einbinden.30 Und auch die „Erfüllungsnotiz“ 2 Chr 36,22 schließt die Ketubim und so letztlich den ganzen Kanon unter der Perspektive דברab.31 Aber ein Großteil der behandelten Texte steht an redaktionellen Schlüsselpositionen und hat inhaltlich-theologische Signalwirkung. So werden Tora, Propheten und Schriften prinzipiell mit dem beschriebenen intertextuellen Netz zu einem Kanon zusammengebunden, der je länger je mehr das theologische Vorzeichen „Wort unseres Gottes“ (Jes 40,8) erhält. Will man sich also mit Manfred Oeming um die „Rückgewinnung der Kategorie ‚Wort Gottes‘“32 bemühen, so lässt sich hier eine exegetische Grundlage erkennen. Klar wird dann aber auch sogleich, dass „Wort Gottes“ sich nicht auf einen Offenbarungsvorgang – etwa in den „geheimen Erfahrungen der Propheten“33 – eingrenzen lässt, von dem dann spätere theologische Reflexion oder Schriftgelehrsamkeit zu unterscheiden wären. Vielmehr wird an der sukzessiven intertextuellen Vernetzung einzelner alttestamentlicher Texte und Textbereiche unter dem Leitbegriff דבר־יהוהdeutlich, dass Redaktionsvorgänge, theologische Reflexions- und somit eben auch Rezeptionsprozesse zu einem Verständnis des Alten Testaments als דברführen. Intertextuelle Vernetzungen und die damit generierten Botschaften funktionieren vor allem auf der Ebene einer schriftlichen Textsammlung, wie der Sprachphilosoph Wilhelm Köller feststellt: Ebenso wie der Maler dem Bild dadurch eine größere innere Autonomie geben kann, daß er die Korrelationen zwischen den einzelnen Bildelementen und die Korrelationen zwischen den Bildelementen und den möglichen Betrachtern fest vorstrukturiert, so kann auch ein Sprachproduzent seinen Äußerungen dadurch eine größere innere Autonomie geben, daß er Korrelationsverhältnisse fest vorstrukturiert, was insbesondere in schriftlichen Äußerungen gut zu bewerkstelligen ist.34
„... hier, in den Nachworten des Koheletbuches werden Wachstumsringe der Heiligen Schrift in ihr selbst sichtbar“ (DOHMEN/OEMING, Kanon, 53). 31 „Die Schriften der dritten Abteilung werden wiederum von der Prophetie abgesetzt, gelten aber mindestens als prophetisch inspiriert, wodurch besonders der Rang der Psalmen begründet wird. Nach ihrer Offenbarungsqualität treten sie hinter die Tora und die Propheten zurück. Die graduelle Abstufung der drei Kanonteile ist konstitutiv für das jüdische Schriftverständnis und beinhaltet ein hermeneutisches Konzept, das aus den drei programmatischen Schlusstexten Dtn 34,10–12; Mal 3,22–24; 2. Chr 36,22–23 entwickeln lässt und den Rahmen intertextueller Auslegung absteckt“ (FISCHER, Text, 24f.). Zu Dtn 34,10ff. und Mal 3,22ff. Vgl. auch ZENGER, Einleitung, 25ff. und noch einmal Kapitel 4.5. 32 O EMING, Kampf, 37. 33 So klassisch G UNKEL, Einleitungen, XX. 34 K ÖLLER, Philosophie, 159 [Hervorhebungen so im Original]. Köller macht im Folgenden dann darauf aufmerksam, dass Satzbildungs- und Textbildungsregeln, also vor allem grammatische Phänomene, die Mittel zur Strukturierung solcher Korrelationsverhältnisse sind. Dies ist auch im Hinblick auf intertextuelle Vernetzungen alttestamentlicher Texte 30
5.2 Kanon und kanonische Perspektiven
257
Im Blick auf biblische Texte wird dann schnell klar, dass es sich nicht um einen Autor handelt, der intentional Texte verknüpft, sondern dass die Texte im Überlieferungsprozess zunehmend größere Autonomie auch gegenüber ihren Autoren erhalten, die ja gerade in alttestamentlichen Schriften zumeist völlig hinter ihren Texten zurücktreten. So knüpft dann auch Köller in unmittelbarem Anschluss an das Zitierte an Paul Ricœur an und nimmt dessen Gedanken auf, es löse sich der schriftlich fixierte Text automatisch von der situationsspezifischen Intention seines Autors und verselbständige sich zu einem autonomen Sinngebilde. „Was der Text meint, ist nun wichtiger als das, was der Autor bei der Niederschrift meinen wollte“.35
Für das Alte Testament bedeutet das, dass die Vorstellung, die Texte seien Wort Gottes, weniger mit inspirierten Individuen als mit (heiliger) Schrift zu tun hat.36 Schließlich sind es die gezeigten intertextuellen Vernetzungen unterschiedlicher schriftlicher Texte, die gerade diese Botschaft generiert. Dann aber ist noch einmal nach dem „Kanon“ als Schriftensammlung und den zu erhebenden „kanonischen“ Botschaften, die diese Sammlung als ganze vermittelt, zu fragen.
5.2 Kanon und kanonische Perspektiven 5.2 Kanon und kanonische Perspektiven
Die intertextuellen Vernetzungen, wie sie hier aufgezeigt wurden, sind es unter anderem, die aus den unterschiedlichen disparaten Einzeltexten aus der israelitisch/judäischen Kultur des ersten vorchristlichen Jahrtausends und dem daraus entstehenden Judentum eine zusammenhängende Sammlung, ein Ganzes in verschiedenen Teilen machen.37 Dies wird dann je nach Perspektive Tenach,
stärker zu bedenken. Werden doch hier Text-Text-Relationen nicht nur auf der Ebene der Lexematik und der Semantik gebildet, sondern auch mit grammatischen und syntaktischen Mitteln. Vgl. dazu BEHRENS, Die „syntaktische Wiederaufnahme“, 1–32; Ders., Observations, 109–118. 35 K ÖLLER, Philosophie, 159 mit Zitat von Paul Ricœur [Hervorhebung so im Original]. 36 Theologisch bedeutet das nun keinesfalls, auf die Kategorien „Inspiration“ oder „Offenbarung“ zu verzichten, nur wären diese am tatsächlich vorliegenden Gegenstand – den biblischen Texten – und nicht an „davor“ oder „dahinter“ liegenden, aber eben nicht zuhandenen, „geheimen Erfahrungen“ von ebenfalls nicht zu greifenden Individuen zu reflektieren. Vgl. die Hinweise auf die enge Verknüpfung von Inspiration und Kanon im Hinblick auf die „Wirkung der Schrift“ bei DOHMEN/OEMING, Kanon, 43–49, bes. 48: „Inspiration und damit kanonische Anerkennung sind aber nur über die Rezeption in der Glaubensgemeinschaft greifbar, das heißt, sie sind für spätere nur aus der Wirkung der Schrift einerseits im Lebens- und Glaubensvollzug der Gemeinschaft, andererseits in der sich herausbildenden Schriftensammlung, der Heiligen Schrift, erkennbar“ [Hervorhebungen so im Original]. 37 Vgl. zum Folgenden auch B EHRENS, Kanon, 23–44. Ähnlich STEINS, Bindung, 17: „Der Kanon entsteht dadurch, daß bislang unabhängige Einzeltexte zu einem neuen Großtext
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
Hebräische Bibel, Altes Testament oder anders bezeichnet. Insbesondere in der christlichen Tradition und Theologie hat sich dafür der Begriff Kanon gebildet. Wobei eben im Christentum ein alttestamentlicher Kanon immer im Konnex mit dem Neuen Testament betrachtet und verstanden wurde. Wollte man nun, eingedenk der zu Beginn dieser Untersuchung beschriebenen komplexen und komplizierten Forschungslage in der alttestamentlichen Exegese, in einer „kanonischen Exegese“ die Lösung sehen, indem man sich auf einen vermeintlich eindeutigen „Endtext“ der Bibel konzentriert und diesen dann als verbindlichen Rahmen für alle Einzelexegesen annimmt, wäre man auf dem Holzweg. Denn – dies zeigt auch eine Suche nach intertextuellen Bezügen – ein „Kanon“ ist ohne seine diachrone Entstehungsgeschichte weder zu haben noch angemessen zu verstehen.38 Außerdem ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es alttestamentliche Kanones immer nur im Plural gibt.39 Dies gilt im Hinblick auf Umfang, Anordnung und Sprache des je als verbindlich angenommenen Kanons.40 Im Hinblick auf das Alte Testament lässt dies schon ein flüchtiger Blick in die Inhaltsverzeichnisse der Lutherbibel einerseits oder
zusammengefaßt werden. Singularische Ausdrücke wie ‚die Schrift‘, ‚das Wort Gottes‘ (oder auf älteren Stufen ‚die Tora [des Mose]‘) u.ä. signalisieren den neuen Kontext.“ 38 Vgl. JEREMIAS, Entwürfe, 133–140 („Der kanonische Ansatz“). Ähnlich STEINS, Bindung, 26: „‚Kanonisch‘ ist nicht synonym mit ‚synchron‘, obgleich synchrone Arten der Auslegung ein Mittel kanonischer Exegese sein können. Kanonische Exegese ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß sie alle drei genannten Dimensionen von Kanon als Kontext, spezifischer Struktur und Rezeptionsmedium berücksichtigt.“ 39 Insofern verwundert folgende Feststellung, die Georg Steins im Anschluss an Norbert Lohfink trifft: „Mit ‚Kanon‘ wird nicht irgendein Kontext in der langen Reihe von Rekontextualisierungen bezeichnet; ‚Kanon‘ bezeichnet einen spezifischen Kontext, der sich dadurch auszeichnet, daß es sich um den letzten Kontext in zeitlicher und sachlicher Hinsicht handelt. ‚Kanon besagt, daß der betreffende Textbestand als ein einziges Sinngefüge gesetzt wird.‘ Die letzte Kontextualisierung hat damit besonderes Gewicht“ (STEINS, Bindung, 19 [Zitat von N. LOHFINK; Hervorhebung so im Original]. Die Rede von „dem letzten“ Kontext irritiert; denn den, womöglich letzten Kanon gibt es so nicht. Weder die Reihenfolge noch der Umfang des Alten Testaments sind ja in allen Rezeptionsgemeinschaften gleich. Wenn man den Begriff weit fasst, dann ist auch das 16. Jahrhundert mit Luthers Entscheidungen hinsichtlich der sog. „Apokryphen“ und der damit zusammenhängenden Hinwendung zum hebräischen Text (aber auch seiner hermeneutisch relevanten Umstellungen im Neuen Testament), der Lehrentscheidungen der reformierten Kirchen und nicht zuletzt der dogmatischen Entscheidungen des Tridentinums auf katholischer Seite eine Epoche formativer „Kanonbildung[en]“. Entscheidungen hinsichtlich des Kanons finden sich immer wieder bis heute. So sind die deutschen Lutherbibeln lange ohne die „Apokryphen“ gedruckt worden; inzwischen ist deren Beigabe wieder der Normalfall. Auch Projekte wie die „Bibel in gerechter Sprache“ sind gerade kanontheologisch interessant; wird dort doch in einer christlichen Bibel z.B. die Kanonaufteilung der Biblia Hebraica übernommen, samt weitreichender hermeneutischer Implikationen. 40 Vgl. SCHÖPFLIN, Art. Kanon (AT).
5.2 Kanon und kanonische Perspektiven
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der Einheitsübersetzung andererseits erkennen.41 Unterschiede in Umfang und Reihenfolge bedingen eben auch unterschiedliche hermeneutische Zugänge zu den Texten, oder sind bereits Ausdruck davon.42 Und auch die Sprache, in der die jeweiligen Texte rezipiert werden, ist Ausdruck und Ausdrucksmöglichkeit bestimmter inhaltlicher oder theologischer Weichenstellungen. So ist der kyrios der LXX für die neutestamentlichen Autoren offenbar eine leichter zur adaptierende Deutungsinstanz für Jesus von Nazareth als das Tetragramm. Hinzu kommen die nicht immer leicht zu entschlüsselnden historischen Entstehungsprozesse des Kanons/der Kanones des Alten Testaments.43 Der K.[anon] kann als Ergebnis eines komplexen Selektionsprozesses von Schriften definiert werden, die als autoritativ betrachtet werden; aus der Gesamtheit der vorliegenden schriftlichen Tradition werden nach bestimmten Kriterien Schriften als heilig oder inspiriert ausgesondert.44
Theologie als rechenschaftsfähige Reflexion muss sich nun um die Erhellung dieser „komplexen Selektionsprozesse“ und um die Bestimmung der „bestimmten Kriterien“ bemühen45 und kann nicht einfach den in der je eigenen Rezeptionsgemeinschaft akzeptierten Kanon als gegeben hinnehmen. Insbesondere in einer an der Schrift als Norm orientierten evangelischen Tradition ist nach den kritischen Beobachtungen Martin Luthers ein bloßes Pochen auf „Inspiration“ oder „Offenbarung“ bei der Frage nach Gewichtung und Geltung biblischer Texte unterkomplex.46 Den alt (und neu-)testamentlichen Kanon
Und auch im Neuen Testament lassen sich Differenzen beobachten, jedenfalls in der Anordnung der Bücher. 42 „Die divergierenden Kanongestalten sind nicht zufällige Organisationen eines unterschiedlich umschriebenen Bücherbestandes, sondern prägen, rezeptionstheoretisch gesehen, unterschiedliche Leseweisen des gesamten kanonischen Materials aus, und zwar durch eine veränderte Umschreibung der Bücherzahl, vor allem aber durch die spezifische Organisation des Stoffes. Die Reorganisation kann als Neukontextualisierung beschrieben werden, durch die die spezifische Intertextualität neubestimmt wird“ (STEINS, Bindung, 234). 43 Vgl. zu den Grundfragen der Kanonbildung immer noch K AISER, Einleitung, 402–416; neuerdings: GRÄTZ, Kanonbildung, 96–109; ferner CHILDS, Theologie 1, 76–92; STEINS, Bindung, 32–39 oder DOHMEN, Art. Kanongeschichte, 317–318. 44 PEZZOLI-O LGIATI, Art. Kanon, 767. 45 Vgl. zur „Genealogie des Kanons“ D OHMEN/O EMING, Kanon, 11–26, mit der hilfreichen Unterscheidung zwischen einer „Kanonisierung“, was die Rolle einer biblischen Schrift im abgeschlossenen Kanon bezeichnet, und einem „kanonischen Prozeß“, der bewusst die in den biblischen Schriften selbst erkennbaren Schritte zu diesem Ziel erhebt und reflektiert. 46 Zu denken ist an Luthers Urteil, die Apokryphen seien „dem Worte Gottes nicht gleich zu halten“, seine kritische Beurteilung des alttestamentlichen Gesetzes als „der Juden Sachsenspiegel“ (WA 16, 378), aber auch an sein kritisches Urteil, apostolisch sei, „was Christum treibet“ (vgl. BORNKAMM [Hg.], Vorreden, 216) und der damit verbundenen Etablierung eines Kriteriums zur innerbiblischen Gewichtung, sowie seine deutlichen Veränderungen bei der Anordnung des Neuen Testaments mit der bemerkenswerten Einführung zum Hebräerbrief: „Bisher haben wir die rechten gewissen Hauptbücher des Neuen Testaments ge41
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
hinsichtlich seiner Geschichte und seinen unterschiedlichen Gestalten als komplexes Phänomen wahrzunehmen, bedeutet allerdings einen Verlust vermeintlicher Eindeutigkeit. Das Stichwort „Kanon“ taugt eben nicht dazu, die Vielfalt der biblischen Überlieferung zu reduzieren. Ein Kanon hilft aber beim Sortieren dieser Vielfalt. Dabei werden Rezeptionsgemeinschaften (im christlichen Kontext: Kirchen) samt der in ihnen maßgeblichen systematischen Reflexionsgänge (Theologie) es nicht vermeiden können, sich auf eine Kanongestalt als für sie maßgeblich zu beziehen, die als solche wieder nur eine Auswahl aus einer Reihe von Möglichkeiten darstellt. Bereits die wissenschaftlichen Ausgaben in den Ursprachen stellen das Ergebnis eines solchen Auswahlprozesses dar.47 Dass es neben der eigenen rezipierten oder doch pragmatisch in Gebrauch befindlichen Kanongestalt auch noch andere gibt, muss jedenfalls als materiale kritische Anfrage der je eigenen theologischen Position, die sich u.U. auf einen solchen Kanon stützt, im Bewusstsein bleiben.48 Genau darin liegt
habt“ (BORNKAMM [Hg.], Vorreden, 214); vgl. zu Luthers Verhältnis zum Alten Testament insgesamt BORNKAMM, Luther und das Alte Testament, sowie HERMLE, Art. Luther. 47 Vgl. zu oft wenig beachteten Alternativen zum tiberiensischen Texttyp der Masoreten etwa LISS/PETZOLD, Erforschung, 190–210; für das Neue Testament: KLOHA, Reflections, 169–206. 48 So geht es auch nicht an, historische Beobachtungen zu unterschiedlichen Kanongestalten unmittelbar in Hermeneutik und Theologie zu überführen. Es ist zwar richtig, dass die neutestamentlichen Autoren überwiegend die LXX zitierten, deshalb aber zu erklären, eigentlich dürfe sich christliche Theologie nur auf diesen griechischen Text beziehen, ist zu einseitig. Auch Septuagintatexte haben noch nachneutestamentliche jüdische Rezensionen erfahren und ganz grundsätzlich entstand ja die LXX im Kontext des Judentums. Umgekehrt bezieht sich christliche Theologie und Kirche seit der Vulgata des Hieronymus immer auch auf den hebräischen Wortlaut. Im Mittelalter geriet dieser Rückbezug auf das Hebräische vollständig in den Hintergrund, aber seit der Zeit des Humanismus und der Reformation ist der masoretische Kanon die entscheidende Referenzgröße für die wissenschaftliche Erforschung des Alten Testaments. Das gilt mittlerweile für alle Konfessionen. Über die Pfarramtsausbildung ist diese Textgestalt zumindest in den evangelischen Kirchen seit Jahrhunderten auch kirchlich wirksam geworden. Aber auch eine Verabsolutierung eines vermeintlich hebräischen Kanons ist hermeneutisch unangemessen, da gerade unter rezeptionsgeschichtlichen Gesichtspunkten die Abfolge der biblischen Bücher nach der LXX, aber auch die (in der evangelischen Kirche lange vernachlässigten) Deuterokanonen bzw. Apokryphen eine erhebliche Wirkungsgeschichte entfaltet haben. Vgl. FISCHER, Text, 115–156; ZIEGERT/KREUTZER, Art. Septuaginta oder CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 138–151. Crüsemann stellt zunächst die komplexe Sachlage dar, kommt dann aber zu dem recht pauschalen Urteil: „Die Kirche hat die Schrift als ihre Grundlage aus der Hand Israels erhalten. Sie wird sie deshalb – ungeachtet aller Detailfragen nach damaligen historischen Bezügen und Textformen – zuerst und zuletzt in der Gestalt anzuerkennen haben, die sie in Israel angenommen hat.“ Nun ist aber – eingedenk der historischen Detailfragen – eben nicht eindeutig, was „die“ Gestalt ist, die „die“ Schrift in Israel angenommen hat. So ist im Judentum bis heute der masoretische Text in Gestalt des Codex Leningardensis eben nur eine Textgestalt unter
5.2 Kanon und kanonische Perspektiven
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der Grund dafür, dass man eigentlich nur von „Intertextueller Kanonizität“ reden kann: Da es nie eine Endgestalt des hebräischen AT, noch weniger des Masoretischen Textes zusammen mit dem griechischen NT gegeben hat, ist der hermeneutische Umgang mit der unverzichtbaren Kategorie ‚K.[anon]‘ als intertextuelle Interpretation von Texten zu entwickeln, wobei die Liste der Intertexte von der jeweiligen Glaubensgemeinschaft bestimmt wird.49
Gleichwohl ist die Vorstellung eines Kanons als Deutungsrahmen für die darin versammelten Einzeltexte unvermeidlich und unerlässlich. Intertextuelle Vernetzungen innerhalb der Schrift oder auch andere Phänomene innerbiblischer (zunächst: inneralttestamentlicher) Schriftauslegung sind deutliche Hinweise, dass ein solches In-Beziehung-setzen der Teile zu einem Ganzen schon zu den Anfängen der Sammlung und Kanonisierung unterschiedlicher Schriften gehört.50 Die sich so vollziehende intertextuelle Kanonbildung bringt unterschiedliche Botschaften der sich damit konstituierenden Sammlung hervor. Denn das Alte Testament als Gebinde aus unterschiedlichen Einzelschriften soll nicht nur als דבר־יהוהgelesen werden. In dieses eine intertextuelle Netz sind andere eingewoben. Das Alte Testament ist eben nicht nur Wort Gottes; es ist in einer anderen Perspektive auch Tora. Dies lässt sich am Abschluss des corpus propheticum in Mal 3 zeigen. Mal 3,22–24: 22 Gedenkt der Tora des Mose, meines Knechtes, die ich ihm gebot am Horeb über ganz Israel, nämlich Satzungen und Rechtssätze. 23 Siehe, ich bin im Begriff, euch den Elia, den Propheten zu schicken; bevor der große und furchtbare Tag Jahwes kommt. 24 Der wird nämlich das Herz der Väter den Söhnen zukehren, und das Herz der Söhne zu den Vätern; damit ich nicht komme und schlage das Land mit dem Bann.
Wiederum liegt hier ein redaktioneller Text an einer Schlüsselstelle mit einer theologischen Signalfunktion vor.51 Diese Verse sind vielfach intertextuell mit anderen alttestamentlichen Texten verknüpft. Hier wird am Ende des Zwölfprophetenbuches und des corpus propheticum insgesamt das Gedenken der Tora als eine Art Quintessenz aus der Prophetie präsentiert. Damit wird einer-
vielen, und die Kategorie des Kanons spielt zumeist gar keine Rolle; vgl. z.B. LISS, Zeitzeichen 9/2015, 42–44. 49 LOADER, Art. Kanon/Kanonizität, 311. 50 Vgl. bereits H ERTZBERG, Nachgeschichte und für die neure Forschungsgeschichte: SCHMID, Schriftauslegung, 1–22; LEVINSON, Kanon, 107–206. 51 Genau genommen handelt es sich nicht um einen Text, sondern um „zwei redaktionelleditorische Nachworte“, so MEINHOLD, BKAT XIV/8, 405 [Hervorhebung so im Original]. Dafür spricht auch die in der LXX geänderte Versreihenfolge 23f.22; vgl. a.a.O., 409.
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
seits ein Bogen zurückgeschlagen zu Jos 1,7, wo Josua als dem „ersten Propheten“ sozusagen die Beachtung der Tora des Mose (der auch dort mein Knecht heißt) eingeschärft: Jos 1,7: 1 Nur sei fest und sehr stark, dass du darauf achtest, entsprechend der ganzen Tora zu handeln, die ich meinem Knecht Mose geboten habe, weiche nicht davon nach rechts oder nach links, so dass du verständig handelst überall, wohin du gehst.
Im Aufbau des hebräischen Kanons folgt auf Mal 3,22 beinahe unmittelbar Ps 1,2. Auch dort wird das Halten der Tora eingeschärft: Ps 1,2: 2 sondern an der Tora Jahwes hat er gefallen / und über seiner Tora sinnt er nach Tag und Nacht.
Auch dieser Text hat programmatische Funktion, insofern der erste Psalm den Psalter in hermeneutischer Leitfunktion eröffnet.52 Zugleich beginnt damit – jedenfalls im masoretischen Kanon – der Teil Ketubim. So wird mittels dieser Texte die Tora als theologischer Leitgedanke für die gesamte Sammlung eingespielt.53 Die sachliche Folge Tora – Nebi’im als erste – Ketubim als zweite Auslegung wird also nicht nur durch die Abfolge der Textblöcke nahegelegt, sondern auch durch ein Netzwerk hermeneutischer Leittexte unterstrichen. Neben diese „toraorientierte“ Lesart des Tenach lässt sich noch eine andere Perspektive stellen. Dabei ergibt sich eine eschatologisch-messianische Lesart des alttestamentlichen Kanons. Auch hierfür lässt sich wieder bei Mal 3,22–24 ansetzen. Vermutlich handelt es sich hierbei um einen Nachtrag zur Maleachischrift, der in sich nicht einheitlich ist, sondern auf zwei Hände zurückgeht.54 Während mit V. 22 die eben beschriebene toraorientierte Perspektive befördert wird, führen die Verse 23f. Elia den Propheten ein, der als Vorläufer Gottes vor dem schrecklichen Tag Jahwes kommen und das Schlimmste verhindern soll. Nach all den Propheten, von denen im corpus propheticum die Rede war, soll also am Ende der Tage noch einer (wieder) kommen, Elia, der dann das erreicht, was die Worte der Propheten von Amos bis Maleachi offenbar noch nicht geschafft haben. Auch am Ende der Tora ist von einem Propheten die Rede:
Zur programmatischen Funktion von Ps 1 im Kontext eines „Proömiums des Psalters“ vgl. JANOWSKI, Psalm 1–2. Das Proömium des Psalters, in: HARTENSTEIN/JANOWSKI, BKAT XV/1, 1–6, sowie Ders., Psalm 1, a.a.O., 30–34. 53 Vgl. JANOWSKI, BKAT XV/1, 29, der auf den Bedeutungsunterschied von Tora des Mose (Mal 3,22) und Tora Jahwes (Ps 1,2) hinweist, aber grundsätzlich auch einen „Rückbezug von Ps 1,2 auf Mal 3,18–21.22“ (a.a.O., 46) erkennt. 54 Vgl. noch einmal M EINHOLD, BKAT XIV/8, 409, der zudem darauf hinweist, dass diese Nachworte „zunächst dem Abschluß des Dodekapropheton“ dienten. 52
5.2 Kanon und kanonische Perspektiven
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Dtn 34,10: 10 Aber nie wieder ist ein Prophet wie Mose aufgestanden, der Jahwe erkannte von Angesicht zu Angesicht ...
Im Zusammenklang mit Dtn 18,15.18 ließe sich eine Spannung wahrnehmen. Dort war doch ein Prophet wie Mose verheißen worden. Vielleicht sollte Dtn 34,10 im Rückblick die vollmundige Verheißung korrigieren.55 Im vorliegenden Text aber stehen beide Texte nebeneinander und können in einer produktiven Spannung zueinander gelesen werden, sodass auch die Tora mit der offenen Erwartung eines kommenden Propheten endet. Einerseits unterstreicht auch dieser Vers den absoluten Vorrang der Tora.56 Andererseits wird aber ja die Ankündigung aus Dtn 18 hier nicht einfach ersetzt. Gerade aus dem spannungsvollen Zusammenklang mit Dtn 34,10 ergibt sich das, was Gerhard von Rad zu seinem berühmten dictum führte: „Wohl das Alte Testament läßt sich nicht anders lesen als das Buch einer ständig wachsenden Erwartung.“57 Es war auf die zahlreichen Korrespondenzen des Prophetenbildes von Dtn 18 mit Jeremia (insbesondere Jer 1) hingewiesen worden.58 Im spannungsvollen Miteinander mit Dtn 34 muss nun gesagt werden, dass auch Jeremia oder ein anderer der alttestamentlichen Propheten nicht als vollständige Erfüllung der Ankündigung von Dtn 18,15.18 gelten kann. So kann die Erwartung eines kommenden Propheten „wie Mose“ schließlich messianische oder doch eschatologische Züge annehmen.59 Eine solche eschatologische Perspektive wird nun wiederum von Mal 3,23f. mit der Ankündigung des wiederkommenden Elias aufgegriffen. Im vorliegenden alttestamentlichen Text ist Elias der Vorbote des Kommens Gottes; in spä-
Vgl. GUNNEWEG, ZAW 102 (1990), 180; OTTO, Deuteronomium 23,16–34,12, 2284: „In Dtn 34,10 wird Mose als Erzprophet grundsätzlich von jeder Form nichtmosaischer, also nicht an die Tora gebundener Prophetie abgegrenzt. Um dieser Abgrenzung willen wird die deuteronomistische Prophetentheorie in Dtn 18,9.14–20 korrigiert“. Otto schreibt diese Korrektur einer nachexilischen Fortschreibung in Gestalt der Pentateuchredaktion zu. Dennoch bleibt hier, wie anderswo, der „korrigierte“ Text im fortgeschriebenen und redigierten Buch erhalten und entfaltet weiterhin sein Rezeptionspotential. So ergibt sich aus dem bleibenden Nebeneinander von Dtn 18,15.18 und Dtn 34,10 eine produktive Spannung, die beide Texte um eine neue Sinnvariante erweitert. Wenn also Dtn 18,15.18 noch „steht“, dann lässt sich das nie wieder aus Dtn 34,10 im Sinne von „bis jetzt“ verstehen. 56 „Dieser – wohl sehr späte – Epilog [sc. Ex 34,10–12] verbindet also schon die Kanonteile ‚Tora‘ und ‚Propheten‘ und gibt bereits die Rangordnung zwischen beiden an“ (DOHMEN/OEMING, Kanon, 68). 57 R AD, Theologie 2, 339. 58 Vgl. Kapitel 4.2.1. 59 Vgl. R AD, ATD 8, 88f. 55
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
terer christlicher und jüdischer Tradition wird er zum Vorläufer des kommenden Messias. 60 Der Gedanke des kommenden Herrschers wird wiederum in einer messianischen Lesart des Psalms 2 als hermeneutische Leitkategorie zur Eröffnung des Psalters eingespielt. Nicht nur eingedenk der Tora (Psalm 1 und 119), sondern auch in Erwartung des als Messias verstandenen kommenden Königs61 sollen die Psalmen gebetet werden. Dazu werden neben Psalm 2 auch andere Königspsalmen in messianischer Interpretation an Schlüsselstellen des Psalters platziert. Zu denken ist dabei etwa an die Psalmen 72 und 89, die das zweite und dritte Buch des Psalters abschließen.62 Der zweite Psalm setzt dabei folgende Akzente: Psalm 2: 1 Wozu sind die Nationen unruhig und die Völker murren vergeblich? 2 Die Könige der Erde stehen auf und die Würdenträger halten Rat miteinander gegen Jahwe und gegen seinen Gesalbten [ ]ועל־משׁיחו. 3 „Lasst uns ihre Fesseln zerreißen und ihre Stricke von uns abwerfen!“ […] 7 Ich will erzählen die Setzung Jahwes:
Meinhold weist darauf hin, dass Elia nicht Vorläufer des Messias, sondern Gottes sei. Als Wegbereiter des Messias erscheine er erst in einer interpretatio christiana, da es keine älteren Belege dieser Vorstellung als Mk 9,1ff. gäbe. Die früher vertretene Meinung, das Markusevangelium nähme hier eine verbreitete jüdische Tradition auf, ließe sich nicht belegen (vgl. MEINHOLD, BKAT XIV/8, 417 und 425f.). Allerdings taucht die Vorstellung von Elia auch im nachneutestamentlichen Babylonischen Talmud bSan 98 auf (vgl. NECKER, Art. Elia II, 1211); zu rabbinischen Texten mit ähnlicher Tendenz vgl. ÖHLER, Art. Elia (NT), 1.3.: „Elia in der rabbinischen Literatur“. Wenn es aber die Vorstellung, Elia sei der Vorläufer des Messias, im rabbinischen Judentum gibt, dann ist dies doch wohl – ungeachtet der Datierung der Texte und der bisherigen Unkenntnis einer älteren Tradition – nur schwer als rabbinische Adaption einer interpretatio christiana vorstellbar. Vielleicht ist es ein Zufall, dass bisher keine ältere jüdische Literatur mit dieser Tendenz aufgetaucht ist. 61 Vgl. zur schwierigen Bezeichnung von Ps 2 als „messianisch“ H ARTENSTEIN, BKAT XV/1, 55–128, der Ps 2 zu den Königspalmen zählt, wobei aber V. 2b „zwischen den älteren alttestamentlichen Königstraditionen, in denen die Davididen als durch Salbung hervorgehobene, habituell JHWH angenäherte Personen angesehen wurden und einer späteren ‚messianischen‘ Verwendung“ (a.a.O., 81) steht. Mit Bezug auf Markus Saur nennt Hartenstein dies „protomessianisch“ (ebd.). Aber schon vor der Voranstellung von Ps 1, bildete Ps 2 wohl den „Prolog des ‚messianischen Psalters‘ Ps *2–89“ (a.a.O., 120), wobei die darin begegnenden Königspsalmen ebenfalls auf einen kommenden König hin interpretiert werden. 62 Vgl. vor allem W ASCHKE, Der Gesalbte; Ders., Art. Messias/Messiaserwartung, 1144– 1145. Ders., Art. Messias (AT). 60
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zu mir hat er gesagt: Mein Sohn bist du, hiermit gebäre ich dich. 8 Erbitte es von mir, so will ich dir die Völker als dein Erbe geben; und zu deinem Besitz die Enden der Erde. 9 Du sollst sie brechen mit eisernem Zepter [ ]שׁבט/ wie Gefäße eines Töpfers sollst du sie zerschlagen.
Während hier der kommende König als „der Gesalbte“ bezeichnet wird, findet sich bekanntermaßen das Stichwort „Messias“ nicht mehr in denjenigen prophetischen Texten, die in der kirchlichen Tradition als messianische Weissagungen verstanden wurden.63 Dennoch lassen sich intertextuelle Verknüpfungen sowohl dieser Texte untereinander als auch mit Psalm 2 aufweisen; so dass auch hier ein buchübergreifendes Netzwerk zum Thema „Herrscherverheißung“64 gewebt wird. So wird etwa in der „Geburtsanzeige“ des neuen Königs in Jes 9,3 die Rede vom שׁבטwiederaufgenommen. Nun aber nicht als Herrschaftswerkzeug des Königs65, sondern als Unterdrückungsinstrument, von dem Israel befreit wird: Jes 9: 3 Denn das Joch seines Frondienstes und den Stock auf seiner Schulter und das Zepter [ ]שׁבטdessen, der ihn treibt, hast du zerbrochen wie am Tage Midians.
Grund für diese Befreiung ist die Geburt eines neuen Herrschers66: Jes 9: 5 Denn ein Kind ist für uns geboren [ ]ילד, ein Sohn ist uns gegeben – und die Herrschaft wird auf seiner Schulter liegen; und man nennt seinen Namen: Wunder-Rat, GottHeld, Ewigvater, Fürst des Friedens [ ]שׁלום.
Vgl. den Exkurs „Messias“ bei HARTENSTEIN, BKAT XV/1, 82–87, der über die hier behandelten Texte hinaus u.a. auf 2 Sam 7 als Quelle einer zukünftigen Restitution des Davidischen Königtums verweist. 64 Vgl. SEEBAß, Herrscherverheißungen oder STRAUß, Messias. 65 Zu dieser Interpretation des Zepters in Ps 2,9 vgl. H ARTENSTEIN, BKAT XV/1, 112f. 66 In der Forschung sind unterschiedlich Datierungen des Textes vertreten worden, von Jesaja selbst, über die Josiazeit bis in die nachexilische Epoche (vgl. SEEBAß, Herrscherverheißungen, 5f.). Dass eine solche Deutungsbreite möglich ist, liegt u.a. daran, dass der Text selbst das Kind, das uns geboren ist, eben nicht beim Namen nennt und von Hiskia oder Josia spricht. Vielmehr ist gerade die Unbestimmtheit des Textes in dieser Hinsicht eine Ursache für seine Deutungsoffenheit, sodass durchaus ein Wort aus dem 8. Jahrhundert zur Zeit Josias eine legitimierende relecture erfahren und dann zur Zeit des zweiten Tempels wieder eine Aktualisierung erhalten kann. Eine Position, die alle Deutungen integrieren möchte, vertritt BEUKEN, Jesaja 1–12, 240. Für den Kontext dieser Untersuchung ist eine möglichst genaue Datierung nicht vorrangig. Aber insbesondere eine nachexilische Datierung, wie sie z.B. KAISER, ATD 17, 195ff. vertritt, macht den „messianischen“ Charakter des Textes deutlich (vgl. a.a.O., 204). 63
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5. Kapitel: Intertextuelle Kanonizität
6 Um Herrschaft zu vermehren und für Frieden [ ]שׁלוםohne Ende auf dem Thron Davids und auf seiner Königsherrschaft, sie zu festigen und zu stützen mit Recht und Gerechtigkeitstat [ ;]צדקהvon jetzt bis in Ewigkeit.
Die Stichworte geboren werden, Frieden und Gerechtigkeit67 werden in späteren, ähnlichen „Herrscherverheißungen“ wieder aufgegriffen. So heißt es wiederum von einem kommenden Herrscher68 in Jes 11: Jes 11: 4 Sondern er wird die Geringen mit Gerechtigkeit [ ]צדקrichten und urteilen mit Geradheit über die Armen des Landes; er wird ‚den Gewalttätigen‘ schlagen mit dem Zepter [ ]שׁבטseines Mundes und mit dem Hauch [Geist] seiner Lippen tötet er den Frevler. 5 Und Gerechtigkeit [ ]צדקwird der Gürtel seiner Hüften sein, und Treue der Gürtel seiner Lenden.
Wieder taucht das Wort Gerechtigkeit auf, und aus dem Zepter als Waffe in Ps 2 ist nun ein Instrument des Mundes (Worte?) geworden.69 Auch die eher schwer verständliche Ankündigung von Mi 5 ist in dieses Netz eingebunden und knüpft es weiter. Mi 5,1–4a: 1 Und du, Bethlehem Efrata, [zu] gering, um unter den Tausendschaften Judas zu sein, aus dir wird für mich einer hervorgehen, um in Israel zu herrschen, und seine Herkunft ist von Urzeiten [Osten] und von Tagen der Vorzeit. 2 Darum gibt er sie hin bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren [ ]יולדה ילדהhat und der Rest seiner Brüder zu den Kindern Israel zurückkehrt. 3 Und er wird auftreten und weiden [ ]רעהin der Macht Jahwes, in der Hoheit des Namens Jahwes seines Gottes, und sie werden wohnen, fürwahr, jetzt wird er groß bis an die Grenzen der Erde [ ]עד־אפסי־ארץ. 4 Und dieser wird Friede [ ]שׁלוםsein ...
Wieder ist von der Geburt eines Herrschers die Rede (wenn der hier auch wesentlich schwerer zu identifizieren ist als in Jes 9 und 11)70; auch hier wird der
Zu einer möglichen „messianischen“ Deutung der so skizzierten Herrscherfigur vgl. BEUKEN, Jes 1–12, 256. 68 Da in Jes 11,1 von einem Sproß aus der Wurzel Isais (also einem Neuanfang innerhalb des davidischen Königshauses?) die Rede ist, ist wohl ein anderer Herrscher als in Jes 9,5 gemeint, vgl. WILDBERGER, BKAT X/1, 445f., der hier einen von Hiskia enttäuschten Jesaja am Werke sieht. KAISER, ATD 17, 241 datiert nachexilisch. 69 Vgl. H ARTENSTEIN, BKAT XV/1, 86. Wenn auch immer noch Schuldige zu Tode kommen; dazu SEEBAß, Herrscherverheißungen, 28: „Der Herrscher tötet die Schuldigen durch das Charisma seiner Lippen – man möchte sagen: durch seine juristische Sachkompetenz, durch seine außergewöhnliche Fähigkeit zur Urteilsrede im Prozeß“; vgl. auch KAISER, ATD 17, 244, sowie WILDBERGER, BKAT X/1, 454f. 70 Dazu JEREMIAS, ATD 24/3, 184: „Sehr wahrscheinlich wird auf die Immanuel-Verheißung von Jes 7,14 angespielt, wobei ihr messianisches Verständnis vorausgesetzt ist.“ Die Rede vom Gebären ist es dann auch, die die Immanuelweissagung aus Jes 7 in das Netz Jes 67
5.2 Kanon und kanonische Perspektiven
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Effekt Friede sein71. Neu ist die Bezeichnung der Herrschertätigkeit als weiden ()רעה, die aber genau so in Ez 34,23 von einem kommenden „David redivivus“ ausgesagt wird. Überaus auffällig ist die Universalisierung der Herrschaft des Kommenden mit der Formulierung bis an die Grenzen der Erde ()עד־אפסי־ארץ, die sich im gesamten Alten Testament so noch in Sach 9,10 findet, wo der „Tochter Zion“ die Ankunft eines Friedensherrschers auf einem Esel angekündigt wird. Das dritte Vorkommen der Formulierung findet sich in dem messianisch zu deutenden Königspsalm 72 in V. 8.72 Aus den hier dargelegten Textbeobachtungen ergibt sich also ein intertextuelles Bezugssystem, das sich um einen kommenden („messianischen“) Herrscher dreht und das sich als ein weiteres hermeneutisches Leitsystems innerhalb des Alten Testaments lesen lässt. Die Hinweise darauf ließen sich noch vermehren73, und je nach den Entscheidungen hinsichtlich der relativen Datierung der Texte ließe sich von einer Depotenzierung des kommenden Herrschers auf dem Weg von Ps 2 zu Sach 9 sprechen.74 Es liegt jedenfalls nahe, dass mittels intertextueller Verknüpfung und der Positionierung von Signaltexten an Schlüsselpositionen theologische hermeneutische Leikategorie entstehen, die die Vielzahl der alttestamentlichen Texte und Schriften insgesamt unter bestimmten Kategorien wie Wort, Tora oder Erwartung des Messias zu stehen kommen lassen und so bestimmte Lesarten vorgeben. Es ist der Vielfalt der alttestamentlichen Überlieferung und der Unterschiedlichkeit der Rezeptionsgemeinschaften, die diese Texte tradiert, komponiert und immer neu appliziert haben, angemessen, dass es solche theologischen Leitgedanken nur im Plural gibt. Aber dass es durch Komposition und Rezeption immer wieder das Bemühen gab, die Vielfalt der Überlieferung auch als ein mehr oder weniger konsistentes Ganzes zu lesen und dass sich diese Lesarten in den Texten niedergeschlagen haben und exegetische nachweisen lassen, sollte hier gezeigt werden.
9 -> Jes 11 -> Mi 5 einbindet. Pointiert anders: SEEBAß, Herrscherverheißungen, 51f., der die zahlreichen Stichwortverknüpfungen mit Jes 7; 9, 11 oder auch Ez 34,23 und Sach 9,10 m.E. unterbewertet. 71 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/3, 186f. 72 Vgl. W OLFF, BKAT XIV/4, 119. 73 So ließe sich Jer 23,5f. über das Stichwort Gerechtigkeit in das aufgezeigte Netz einfügen. Außerdem bringt dieser Text den Ausdruck Spross, der über den Begriff Trieb/Reis mit Jes 11,1 motivlich verbunden ist. Auch der Rückgriff auf Bethlehem in Mi 5,1 lässt sich in dieser Linie lesen (vgl. die Wurzel יצא/hervorgehen in Jes 11,1 und Mi 5,1, aber auch in 2 Sam 7,12 und Jer 30,21; dazu WOLFF, BKAT XIV/4, 117). 74 Vgl. SCHMIDT, Ohnmacht, 154–170.
Kapitel 6
Das Bild des biblischen Gottes als Einheit in Aspekten Wenn sich Theologie und Exegese erneut um eine Reflexion der Kategorie „Wort Gottes“ bemühen wollen, müssen beide Teile dieser Formulierung in den Blick kommen. Nachdem im vierten Kapitel der Fokus auf dem Wort/דבר lag, soll nun danach gefragt werden, welche Vorstellungen von Gott in der Formulierung „Wort Gottes“ mitschwingen. Die Frage nach dem „Wort Gottes“ wird erweitert um diejenige nach dem „Gott des Wortes“. In der Perspektive der christlichen Theologie ist dabei im Grundsatz von einem Gott in der ganzen Bibel ausgegangen worden. Dies lässt sich bereits im Neuen Testament greifen: An das intertextuelle Netz inneralttestamentlicher Verknüpfungen, die die Texte zu einem als „Wort Gottes“ verstandenen Kanon verbinden, knüpfen die Verfasser der neutestamentlichen Schriften explizit und implizit an. Explizit geschieht das durch eine Vielzahl von Zitaten und Auslegungen alttestamentlicher Wortlaute oder auch durch Geschichtskonzepte wie das des Lukas in seinem Evangelium und der Apostelgeschichte, aber auch durch die theologische Zentralthese des Hebräerbriefes, dass der Gott, der zuvor vielfältig geredet habe, an diesem Ende der Tage zu uns geredet hat durch den Sohn (Hebr 1,2). Damit ist der Hebräerbrief einerseits nahe bei der Logoschristologie des Johannesprologs und bestimmt „Gott“ wesentlich als einen „Redenden“ und „den Sohn“ als Inhalt und Medium dieser Rede. Der Gott aber, der da redet, ist der Gott des Alten Testaments und hat sich auch dort schon wesentlich durch sein Reden (durch die Propheten) kundgetan. Für die neutestamentlichen Autoren ist mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt, dass in den alttestamentlichen Schriften Gott redet, vor allem aber, dass sich derselbe Gott in Jesus von Nazareth als dem Christus offenbart hat und dass dieser „Christus“ kein anderer ist als der, der sich in den alttestamentlichen Herrscherverheißungen erkennen lässt. Mehr als es aus heutiger Perspektive im Rückblick den Anschein hat, ist diese Selbstverständlichkeit der „Selbigkeit“ Gottes im Alten und im Neuen Testament in der Alten Kirche immer wieder infrage gestellt worden. Erst in längeren Auseinandersetzungen mit Marcion, aber auch um die Christologie ist die Kirche zu der Gewissheit gelangt, dass in den Schriften der ganzen Bibel derselbe eine Gott zu hören ist. Diese Gewissheit wurde und wird aber auch innerhalb der christlichen Theologie immer wieder bestritten, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Moti-
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
ven.1 So hat Notger Slenczka die Möglichkeit bezweifelt, das Alte Testament könne für die Christenheit eine verbindliche Offenbarung darstellen, da doch dort von Jesus Christus nicht die Rede sei und lässt das in dem Spitzensatz gipfeln, das Alte Testament „spricht zu anderen von einem anderen Gott“.2 Von ganz anderer Seite fragt wiederum zum Beispiel Uwe Becker: Kann man die vielfältigen Gottesbilder des Alten Testaments, gerade auch die widersprüchlichen, über einen Kamm scheren? […] Kann und darf die ‚Selbigkeit‘ Gottes, wenn sie nicht zur nichtssagenden Formel werden soll, angesichts der Vielfalt des alttestamentlichen Zeugnisses einem Bekenntnis gleich einfach behauptet werden?3
Hier wird also bezweifelt, ob es überhaupt inneralttestamentlich eine Identität Gottes gibt, oder ob man es sich nicht zu einfach macht, wenn man die vielen unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Aussagen über Gott allzu schnell in ein monotheistisches Konzept integriert. Diese vielfältigen Facetten, beziehungsweise Aspekte des alttestamentlichen Redens von Gott sollen nun in den Blick genommen werden. Dabei geht es auch um die Frage, inwieweit diese Vielfalt zu seinem einheitlichen Bild von „Gott“ zusammengehalten wird. Dies führt schließlich zu dem Versuch, die selbst wiederum vielfältigen neutestamentlichen Aussagen über Gott zu den alttestamentlichen Zeugnissen in eine Beziehung zu setzen. Bei allen exegetischen Beobachtungen geht es im Folgenden nicht um Vollständigkeit, sondern um Beobachtungen, die als hermeneutisch exemplarisch gelten können.
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im Alten Testament 6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
Das Bild, das das Alte Testament von Gott zeichnet, ist so vielgestaltig, dass es der Theologe und Journalist Jack Miles 1995 unternahm, eine entwicklungsgeschichtlich angelegte Biographie Gottes zu schreiben.4 Als „Nachspiel“ spielt Miles durch, wie das Alte Testament aussähe, wenn man die unterschiedlichen von ihm wahrgenommenen Züge Gottes auf unterschiedliche Götter verteilte, mithin die Hebräische Bibel als Zeugnis für einen Polytheismus läse.5 Damit ist Miles nahe bei manchen neueren religionsgeschichtlichen Rekonstruktionen, da der Monotheismus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht am Anfang des alttestamentlichen Redens von Gott steht, sondern selbst das Ergebnis einer längeren Reflexionsgeschichte ist.
Vgl. noch einmal Kapitel 2.5. 2 SLENCZKA, Kirche, 111; vgl. Kapitel 2.6. 3 B ECKER, KuD 62 (2016), 106. 4 Vgl. M ILES, Gott. Miles, selbst katholischer Theologe, folgt dabei dem Aufbau der Hebräischen Bibel und beschränkt sich für sein Bild von Gott auf diese. Für das Buch erhielt der Autor 1996 den Pulitzerpreis in der Kategorie „beste Biographie“ (!). 5 Vgl. M ILES, Gott, 458–462. 1
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
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Die ursprüngliche und bleibende Vielfalt in der Vorstellung von „Gott“ spiegelt sich im Alten Testament zuerst in der Vielzahl der Gottesbezeichnungen wider. Die häufigste ist der Gottesname Jahwe6, gefolgt von Elohim7. Dieser letztgenannte Begriff kann sowohl als Gottesname (Gen 1,1) dienen, als auch als Gattungsbezeichnung mit Artikel (zum Beispiel Koh 2,24) und dann auch als „echter“ Plural eine Vielzahl von Göttern bezeichnen (zum Beispiel Ps 82,1). Der grammatische Singular dazu ist vermutlich die Bezeichnung Eloah ()אלוה8, die insbesondere für die Hiobdichtung (Hi 3–42) typisch ist (zum Beispiel Hi 3,9). Sodann finden sich auch die aus dem kanaanäischen Pantheon bekannten Gottesbezeichnungen El ()אל9, El ‘Elyon ( אל עליוןzum Beispiel Gen 14,8) oder einfach ‘Elyon ( עליוןzum Beispiel Num 24,16)10. Daneben begegnet (El) Šadday ( אל שדיvgl. zum Beispiel Gen 17,1 oder שדיNum 24,16)11 sowie die Epitheta ’Adonay/(mein) Herr ( אדניzum Beispiel Gen 18,3)12 oder Jahwe Zebaoth ( יהוה צבאותzum Beispiel Ps 24,10)13. Dazu kommen einzelne Gottesbezeichnungen in den Erzelternerzählungen der Genesis, hinter denen in der Folge Albrecht Alts früher ursprünglich eigenständige Gottheiten vermutet wurden.14 Zu nennen sind hier der „Gott deines/meines Vaters“ (Gen 31,42; Gen 49,25) der „Gott Nahors“ (Gen 31,53), der „Schrecken Isaaks“ (פחד יצחק Gen 31,42.54)15, der „El Roi“ ( אל ראיGen 16,13)16 oder der „Starke Jakobs“ ( אביר יעקבGen 49,24). Vermutlich sind aber (je nach der Datierung der Texte) diese Bezeichnungen Gottes aus den Erzelternerzählungen archaisierende Benennungen des Gottes Jahwe und nicht unmittelbare Zeugnisse einer „nomadischen Vorzeit“ Israels. Das ändert allerdings nichts an der Vielfalt der Gottesbezeichnungen im Alten Testament und damit verbunden einer Vielfalt von Gottesbildern. Das Bild weitet sich noch, wenn man außerbiblische Quellen in Betracht zieht. So ist in der Bileaminschrift vom Tell Dēr ‘Allā von ŠaddayinGottheiten im Plural die Rede17. Und die mittlerweile einschlägigen epigraphi-
Vgl. TOORN, Art. Yahweh, 910–919; KNAUF, VT 34 (1984), 467–472; BECKING, Art. Jahwe/JHWH. 7 Vgl. PFEIFFER, Art. Gottesbezeichnungen/Gottesnamen (AT); TOORN, Art. God (I), 352–365. 8 Vgl. PARDEE, Art. Eloah, 285–288. 9 Vgl. H ERRMANN, Art. El, 274–280. 10 Vgl. ELNES/M ILLER, Art. Elyon, 293–299. 11 Vgl. K NAUF, Art. Shadday, 749–753; K OCH, Šaddaj, 118–152. 12 Vgl. SPRONK, Art. Lord, 531–533. 13 Vgl. M ETTINGER, Art. Yahweh Zebaoth, 920–924. 14 Vgl. A LT, Gott, 1–78; dann aber K ÖCKERT, Vätergott; zur neueren Sicht Gottesbezeichnungen RÖMER, Erfindung, 91–96. 15 Vgl. K OCH, Păḫăd jiṣḥaq, 206–214. 16 Vgl. PURY, Art. El-Roi, 291f. 17 Vgl. TUAT II, 138–148; W EIPPERT, „Bileam“-Text, 162–188; B EHRENS, Visionsschilderungen, 350–355. 6
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
schen Texte aus Kuntillet ‘Aǧrud und Chirbet el-Qom weisen nicht nur auf eine lokal differenzierte Ausprägung des Gottes Jahwe hin (Jahwe von Teman; Jahwe von Samaria), sondern sprechen auch von „seiner Aschera“18, was sehr wahrscheinlich auf eine weibliche Gottheit an seiner Seite hinweist.19 Eventuell ist das Bekenntnis von Dtn 6,4 zur Einheit Jahwes zunächst eine Aussage im Sinne eines „Monojahwismus“ und noch nicht eines Monotheismus. Sicher ist jedenfalls, dass der früher stets vorausgesetzte biblische Monotheismus20 nicht am Anfang der alttestamentlichen Überlieferung steht, sondern am Ende einer religionsgeschichtlichen Entwicklung und einer theologischen Reflexionsgeschichte.21
Vgl. WYAT, Art. Ashera, 99–105; zum Aschera-Kult in Israel SCHROER, Bilder, 40– 45; FREVEL, YHWH , 49–75; RÖMER, Erfindung, 177–188. 19 In den Ruinen der Festung Kuntillet ‘Aǧrud, einer Station auf dem Weg von Beerscheba in die Sinai-Halbinsel, hat man 1975 und 1976 bei Ausgrabungen mehrere Wandinschriften entdeckt. Zwei davon enthalten Segensformel beim Namen Jahwes. Eine lautet „Ich habe euch gesegnet bei JHWH von Samaria und seiner Aschera“, eine zweite: „Ich habe dich gesegnet durch JHWH [von Teman] und seine Aschera“ (vgl. SMELIK, Dokumente, 141– 145 und die ausführliche Diskussion bei KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 237–282). Auffällig ist dabei, dass Jahwe hier eine Aschera zur Seite gestellt ist (so auch in den Inschriftfunden von Chirbet el-Qom, vgl. ebd.) und dass Jahwe hier offenbar unterschiedliche lokale Ausprägungen hat („von Samaria bzw. „Teman“). Die Diskussion um die Bedeutung der Formulierung seine Aschera ist noch nicht abgeschlossen, aber es besteht die Möglichkeit, dass es sich dabei um eine weibliche Gottheit handelt (vgl. SCHROER, Bilder, 21–45; TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 80.95–97). Insbesondere die Formulierung lokal zu differenzierender „Jahwes“ (von Teman; von Samaria) hat in neueren Darstellungen zur Religionsgeschichte Israels dazu geführt, von einem „Polyjahwismus“ zu reden, nachdem unterschiedliche Ausprägungen Jahwes im eisenzeitlichen Palästina miteinander im Streit gelegen hätten. Der vorliegende biblische Text vertrete dann einen „Monojahwismus“, vor allem aus der Perspektive Judas und Jerusalems. Timo Veijola hat darauf hingewiesen, dass Dtn 6,4 nicht in diesem Sinne zu verstehen ist; denn hier läge der einzige inneralttestamentlich greifbare Hinweis auf einen solchen „Monojahwismus“ vor (VEIJOLA, ATD 8/1, 178). So spannend die Inschriftenfunde auch sind – die alttestamentliche Wissenschaft wird für ihr Bild vom antiken Israel nicht darüber hinweggehen dürfen! – so sehr scheint doch das letzte Wort über ihre Interpretation noch nicht gesprochen zu sein. Die Wiedergabe des Textes ist nicht immer klar (so bei dem Wort Teman). Außerdem werden die Funde überfrachtet, wenn allein auf ihnen eine umfassende These zur Religionsgeschichte des eisenzeitlichen Israel zu stehen kommen soll. 20 Wie auch das hier Darzulegende einmal mehr andeutet, ist die Polytheismus-Monotheismus-Distinktion nicht geeignet, alle Phänomene einer komplexen Glaubensgeschichte angemessen zu beschreiben; vgl. zur Problematik des Begriffs AHN, Monotheismus, 1–10; STOLZ, Einführung, 1–22; SCHMID, Differenzierungen, 11–38. 21 Vgl. als Versuch, diese Entwicklung schematisch nachzuzeichnen B AUKS, Art. Monotheismus (AT); Dies., Theologie, 305–322. 18
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
273
6.1.1 Die Reflexion der Vielfalt des Gottesbildes in Ex 6,2–8 Bemerkenswert ist allerdings, dass die Vielfalt der alttestamentlichen Überlieferung nicht nur diese Vielfalt im Gottesbild spiegelt, sondern dass einzelne Texte das damit ausgedrückte theologische Phänomen – vermutlich von einem späten Stadium der anzunehmenden Entwicklung her – ausdrücklich reflektieren. Die priesterschriftliche Fassung der Berufung des Mose in Ex 6 ist ein solcher Text; man kann Ex 6,2–8 mit Anja Diesel zu Recht einen theologischen „Programmtext“ nennen.22 Ex 6,2–8: 2 Und Gott redete mit Mose und sprach: „ICH BIN JAHWE. 3 Aber ich erschien Abraham, Isaak und Jakob als El Šadday, aber meinen Namen Jahwe machte ich ihnen nicht bekannt. 4 Und auch richtete ich meinen Bund mit ihnen auf, nämlich ihnen das Land Kanaan zu geben; das Land ihrer Fremdlingschaft, worin sie als Fremdlinge wohnten. 5 Auch habe ich das Stöhnen der Israeliten gehört, weil die Ägypter sie zu Sklaven gemacht haben, da habe ich an meinen Bund gedacht. 6 Deshalb sprich zu den Israeliten: NUR ICH BIN JAHWE, das heißt: ich führe euch heraus aus den Lasten Ägyptens und rette Euch von ihrer Sklaverei; und befreie euch mit ausgestrecktem Arm und großen Gerichten. 7 Und ich nehme Euch mir zum Volk und will für Euch Gott sein und ihr sollt erkennen, dass NUR ICH JAHWE BIN, euer Gott, der euch herausführt aus den Lasten Ägyptens. 8 Und ich bringe euch in das Land, das zu geben ich geschworen habe dem Abraham, dem Isaak und dem Jakob, das gebe ich euch zum Besitz – NUR ICH BIN JAHWE.
Gegenüber Ex 3 wird hier zum zweiten Mal die „Berufung des Mose“ berichtet und es herrscht weitgehende Einigkeit, dass es sich hier um die priesterschriftliche Variante dieses Themas handelt. Ja, Ex 6,2–8 stellt innerhalb der Priesterschrift einen theologischen Schlüsseltext dar23; da hier zum ersten Mal in P der Jahwename erwähnt wird.24 Zugleich gibt der Text Einblick in das priesterschriftliche Konzept einer Offenbarungsgeschichte, das sich anhand der verwendeten Gottesbezeichnungen verdeutlichen lässt. Zunächst redet der Schöpfergott Elohim, der Mose mitteilt, er sei der Generation Abrahams, Isaaks und Jakobs als El Šadday erschienen. Ausdrücklich wird festgehalten, dass den Vätern der Name Jahwe nicht zu erkennen gegeben wurde ()שמי יהוה לא נודעתי להם. Der Gott, der sich auch als El Šadday zeigen kann, trägt also den Namen Jahwe. Mit diesem macht er sich – nach dem Konzept von P – jetzt erst und exklusiv dem Mose bekannt. Dies geschieht sprachlich durch den Nominalsatz אני יהוה,
Vgl. DIESEL, Jahwe, 95–118. 23 Vgl. G ERTZ, Tora, 239ff. 24 Möglich ist aber auch, dass die Erwähnung des Jahwenamens in Gen 17,1 tatsächlich auf P zurückgeht: Und es geschah als Abraham 99 Jahre alt war, da erschien ihm Jahwe und sprach: „Ich bin El Šadday ...“ Dann wäre das „Programm“ von Ex 6,2ff. hier schon angedeutet; zugleich liegt mit אני אל שדיeine Parallele zu אני יהוהvor. 22
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
den Walther Zimmerli als „Selbstvorstellungsformel“ bezeichnet hat und dessen Übersetzung entsprechend Ich bin Jahwe lautet.25 Das Neue, das durch diesen Satz mitgeteilt wird, ist also Gottes Name „Jahwe“. Entsprechend ließe sich das Tetragramm in diesem Satz als Prädikat(snomen) bestimmen. Allerdings fällt auf, dass die Formulierung אני יהוהinnerhalb der Einheit Ex 6,2–8 noch dreimal vorkommt (V. 6.7.8) und die Leistung des Satzes nicht jedes Mal in der Mitteilung des bisher unbekannten Jahwenamens bestehen kann. Diethelm Michel26 und Anja Diesel haben gezeigt, dass die Leistung des Nominalsatzes אני יהוהnicht nur in der Mitteilung des Namens, sondern auch in der Betonung der Ausschließlichkeit – Nur ich (und kein anderer!) bin Jahwe – bestehen kann. Denn in der hebräischen Nominalsatzsyntax ist es nicht nur möglich, sondern nach den feststellbaren Regeln in den meisten Fällen sogar zwingend, dass das אניals erstes Glied des Satzes das Neue der Mitteilung enthält. In der traditionellen Grammatik spräche man dann vom Prädikat(snomen); Michel nennt dies in Anlehnung an die arabische Nationalgrammatik das Chabar (das Neue) eines Satzes, dem das Mubtada (das Bekannte) sozusagen als „Subjekt“ gegenübersteht.27 Das Chabar „prädiziert“ dann das Mubtada, indem über die bekannte Größe etwas Neues mitgeteilt wird. Diesels ausführliche Analyse hat gezeigt, dass das in der überwiegenden Zahl der Fälle des Satzes אני יהוהder Fall ist. Die Formulierung stellt also in der Regel nicht eine „Selbstvorstellung“ dar, sondern dient als Ausschließlichkeitsaussage.28 Dabei
Vgl. ZIMMERLI, Jahwe, 18ff. 26 Vgl. M ICHEL, Nur ich bin Jahwe, 1–12. 27 Zu den syntaktischen Voraussetzungen vgl. M ICHEL, Grundlegung 2. 28 Vgl. D IESEL, Jahwe, 369–389, die differenziert unterschiedliche Funktionen der von ihr so genannten ’anî Yhwh-Aussage festhält (darunter eben auch die „Selbstvorstellungsformel“), aber im Laufe einer fortschreitenden inneralttestamentlichen Theologiegeschichte doch den „Aufstieg“ dieser Formel zu einem „Schlüsselwort“ einer monotheistischen Gotteskonzeption feststellt. Sie schließt: „Als Aussagen mit der Satzteilfolge Chabar - Mubtada sind die ’anî Yhwh-Aussagen im Alten Testament wirkungsgeschichtlich relevant geworden. Eine ’anî Yhwh-Aussage in diesem Sinne erhebt den A n s p r u c h a u f A l l e i n i g k e i t , Einzigkeit, Ausschließlichkeit. Damit muss sich zunächst noch nicht der Gedanke des theoretischen Monotheismus verbinden, es kann sich wie bei Hosea zunächst eine polemischexklusive Jahwemonolatrie aussprechen. Die ’anî Yhwh-Aussage entwickelt sich dann aber in einem bestimmten Bereich zum Schlüsselwort des Jahwemonotheismus. Der von F. Sedlmeier eingebrachte Begriff der ‚Ausschließlichkeitsformel‘ wird dieser Leistung gerecht. […] Die Erkenntnis, dass die ’anî Yhwh-Aussage bei identischer Gestalt, die Möglichkeit zu Funktions- bzw. Sinndivergenz in sich birgt, ist für ihre Interpretation entscheidend. Der Umgang der Theologen in alttestamentlicher Zeit mit der ’anî Yhwh-Aussage war ein äußerst produktiver, bis sie schließlich in ihr den sprachlichen Ausdruck für ihre monotheistische Gotteskonzeption fanden, bis die ’anî Yhwh-Aussage zum Schlüsselwort dieser neuen Glaubensüberzeugung mit weltgeschichtlicher Tragweite wurde“ (DIESEL, Jahwe, 388f. [Hervorhebungen so im Original]). 25
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
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ist die Aussage nur ich bin Jahwe vor allem dann sinnvoll, wenn das Tetragramm nicht nur einen Lautwert hat, sondern wenn ihm ein Bedeutungsgehalt zugeschrieben wird. Die Bedeutung des Wortes JHWH ist in der Forschung umstritten.29 Darauf, wie dieser Name im Kontext von Ex 6,2–8 verstanden werden soll, gibt, gibt V. 6 einen deutlichen Hinweis. Dort heißt es: 6 Deshalb sprich zu den Israeliten: NUR ICH BIN JAHWE [ ]אני יהוה, das heißt: ich führe euch heraus [ ]והוצאתיaus den Lasten Ägyptens und rette [ ]והצלתיeuch von ihrer Sklaverei; und befreie euch [ ]וגאלתיmit ausgestrecktem Arm und großen Gerichten.
Die „Botschaft“, die Mose den Israeliten ausrichten soll, lautet demnach „Ich bin Jahwe“. Dieser „Name“ bliebe aber wohl in der Logik des Textes für die Israeliten inhaltsleer ohne weitere Erläuterungen. Die inhaltliche Füllung der Botschaft ich bin Jahwe ergibt sich aus den folgenden waw-Perfecta in 1. Pers. Sg. – והוצאתי, והצלתי, – וגאלתי, die hier explikativ aufzufassen sind.30 Das „Perfekt“ drückt hier also keine Zeitstufe aus, sondern erläutert vorher Gesagtes. Entsprechend ist das waw im Deutschen mit das heißt: ... wiederzugeben. Dass die Mitteilung ich bin Jahwe über den Akt einer Selbstvorstellung hinaus für die Israeliten von Belang ist, wird expliziert durch den Anspruch (nur) ich führe euch heraus ..., rette euch ..., befreie euch. Dies korrespondiert mit der Etymologie des Jahwenamens nach Ex 3,14, wo implizit יהוהdurch ein Wortspiel mit der Wurzel הוה/„ היהerklärt“ werden soll.31 Der Satz אהיה אשר אהיה trifft allerdings keine ontologische Aussage, wie die spätere griechische Übersetzung ἐγώ εἰμι ὁ ὤν nahelegt, sondern verweist entsprechend der Bedeutung der hebräischen Wurzel היהauf Wirken oder Geschehen. Der Nominalsatz אני יהוהlässt sich also paraphrasieren mit nur ich bin derjenige, der sich als wirksam erweist. Diese Wirksamkeit wird dann vor allem ausgedrückt durch Herausführen, Retten, Befreien, so dass schließlich die Eröffnung des Dekalogs Nur ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Haus der Knechtschaft (Ex 20,2: )אנכי יהוה אלהיך אשר הוצאתיך מארץ מצרים מבית עבדים zu einer Art Grundbekenntnis Israels und des Judentums wird. Im Kontext von Ex 6,2–8 wird es geradezu zum Ziel der Erkenntnis der Israeliten, dass es eben nur dieser Gott Jahwe ist, der sie aus Ägypten führt:
Vgl. den Exkurs „Der Name JHWH“ bei JEREMIAS, Theologie, 96ff. 30 Vgl. M ICHEL, Tempora, 95ff. sowie ähnlich D IESEL, Jahwe, 105. 31 Dazu D IESEL, Jahwe, 109: „Neben Ex 3,14 scheint mir Ex 6,6f ein deutliches Indiz dafür zu sein, dass mit dem Jahwenamen eine bestimmte inhaltliche Füllung verbunden wurde.“ 29
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
7 Und ich nehme Euch mir zum Volk und will für euch Gott sein und ihr sollt erkennen, dass NUR ICH JAHWE BIN [ ]וידעתם כי אני יהוה32, euer Gott, der euch herausführt aus den Lasten Ägyptens.
Diese sogenannte „Erkenntnisaussage“ ist das Ziel, das durch die Selbstprädikation nur ich bin Jahwe bei den Adressaten erreicht werden soll. Unterstrichen wird das hier durch die Bundesformel, die ein exklusives Verhältnis zwischen Jahwe und Israel ausdrückt. Das Besondere an Jahwe ist dann, dass nur er euer Gott ( )אלהיכםist, wie es gleich zweimal in dem Vers heißt. Der Abschnitt schließt in V. 8 mit einem betont nachgestellten אני יהוה, das als Selbstvorstellung nun gar keinen Sinn mehr ergäbe. Vielmehr wird hier noch einmal ein Anspruch auf Ausschließlichkeit ausgedrückt, der zugleich die Zusage der Wirksamkeit zugunsten der Israeliten enthält. Dabei ist die Aussage der Befreiung nun durch eine Wiederholung der Landverheißung erweitert worden. Noch einmal werden zudem Abraham, Isaak und Jakob erwähnt, sodass sich durch diesen Rückgriff auf V. 2 eine geschlossene Sinneinheit ergibt. Innerhalb dieser Einheit kommt es zu einer Akzentverschiebung im Hinblick auf die Bedeutung der Formulierung אני יהוה: Während in V. 2 tatsächlich eine Selbstvorstellung vorliegt, endet V. 8 mit einer Ausschließlichkeitsaussage. Diese wird in V. 6 eingeführt und durch Ankündigungen von Jahwes rettendem und befreiendem Handeln inhaltlich begründet. V. 7 weist auf die Erkenntnis dieses Wesens Jahwes als Ziel des Textes hin.33 Ex 6,2–8 bietet einerseits unterschiedliche Gottesbezeichnungen – Elohim, El Šadday, Jahwe – und lässt durchaus erkennen, dass sich sehr unterschiedlich „Erkenntnisweisen“ oder Vorstellungen von „Religion“ mit diesen Bezeichnungen verbinden können. Andererseits werden die ausgedrückten Unterschiede in dem Namen Jahwe zusammengehalten. In dem Namen dieses Gottes ist zugleich sein „Wesen“ oder doch seine für Israels zentrale Eigenschaft als Befreier und Geber des Landes ausgedrückt. Die „Erkenntnis“ dieses Gottes hat jedoch, nach Ausweis von Ex 6, ganz explizit eine Geschichte, die sich im Konzept von P als Offenbarungsgeschichte lesen lässt. Ausdrücklich werden hier unterschiedliche Gotteskonzepte beieinander gehalten, die aber doch am Ende den einen Gott beschreiben sollen. Ein eher landläufiges Verständnis des Begriffes „Monotheismus“ scheint dann aber schon für das Verständnis der biblischen Texte selbst unterkomplex zu sein. Das Alles gilt unbeschadet der Frage, ob der Jahwename etymologisch tatsächlich von einer hebräischen Wurzel für Wirken abzuleiten ist, oder nicht doch eher mit einer südarabischen Wurzel hwh zusammenhängt, die Wehen bedeuten kann und dann auf die Herkunft des Gottes Jahwes aus der Vorstel-
Dabei ergibt sich durch die Verwendung der Wurzel ידעein Kontrast zu V. 2: Während die Väter – nach dem Konzept von P! – Gott nicht als Jahwe erkannten, soll diese Generation nun gerade zu dieser Erkenntnis gelangen. 33 Vgl. im Anschluss an Diesel auch B AUKS, Theologie, 41ff. 32
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
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lung eines „Wettergottes“ hindeutet.34 Zweifellos gibt es Aussagen in alttestamentlichen Texten, die Züge Jahwes als eines Wettergottes hervorheben. Allerdings lässt sich Jahwe im Alten Testament nicht mehr auf eine Funktion als Wettergott reduzieren. Vielmehr hat der Gott, der am häufigsten als Jahwe bezeichnet wird, eine relativ große Menge unterschiedlichster göttlicher Aspekte in sich integriert – manche mehr, manche weniger, wieder andere vielleicht auch wieder abgelegt. Dabei können die religionshistorische Rekonstruktion unterschiedlichster Gottesvorstellungen oder gar ursprünglich unterschiedener Götter und die theologische Konzeptualisierung eines Gottes aus vielfältigen Aspekten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Signifikant – gerade auch in theologischer Hinsicht – ist aber die Erkenntnis, dass es im Alten Testament einige Texte wie Ex 6, gibt, in denen scheinbar im Bewusstsein der ursprünglichen Differenziertheit unterschiedliche Gottesvorstellungen in das Bild des einen Gottes integriert wurden. Auch die Möglichkeiten, wie innerhalb des Alten Testaments auf die Verschiedenheit der Gottesvorstellungen und deren Integration in das Bild des einen Gottes Bezug genommen wird, sind ihrerseits vielfältig. An einigen Beispielen soll das verdeutlicht werden. 6.1.2 Jahwe – ein Gott mit Herkunft in Zeit und Raum In Gen 4,25–26 wird die nichtpriesterschriftliche Darstellung der Urgeschichte vor der Sintflut abgeschlossen mit einer Notiz über die Nachkommen Adams in der Linie Sets: 25 Und Adam erkannte seine Frau noch einmal, und die gebar einen Sohn und sie nannte seinen Namen Set: „Fürwahr, Gott hat mir einen Nachkommen gesetzt anstelle von Abel; da Kain den erschlug.“ 26 Und auch dem Set wurde ein Sohn geboren und er nannte dessen Namen Enosch; damals fing man an, den Namen Jahwes anzurufen.
Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem die viel diskutierte Notiz in V. 26b von Interesse: damals fing man an, den Namen Jahwes anzurufen. Die
Vgl. SCHWEMER, Art. Wettergott/Wettergötter; vor allem aber MÜLLER, Wettergott. Die Ansicht, Jahwe sei ursprünglich ein Wettergott des in Syrien und Palästina weit verbreiteten „Baal-Hadad-Typus“ gewesen, wird in der alttestamentlichen Wissenschaft inzwischen häufig vertreten. Es ist aber auch Skepsis angebracht. Immer noch (und wieder) spielt dabei der Gedanke einer kultisch (nach)vollzogenen „Thronbesteigung“ des Wettergottes eine Rolle (vgl. z.B. MÜLLER, Wettergott, 64ff.), wobei bisher immer noch die in diesem Zusammenhang herangezogenen Psalmentexte der einzige wirkliche Hinweis auf einen solchen Ritus sind, der dann seinerseits wieder als lebensweltlicher Kontext („Sitz im Leben“) zur Erklärung der entsprechenden Texte dienen soll. Hier droht ein geschlossener hermeneutischer Zirkel. Dennoch lassen sich Züge „Baals“ in Texten, die Jahwe besingen, finden. Das sei unbestritten; aber ein wenig Vorsicht hinsichtlich der Absolutheit der These, Jahwe sei „ursprünglich“ ein „Wettergott“ gewesen, scheint angebracht. 34
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
ältere Auffassung Westermanns, es ginge hier vor allem um den Beginn des Phänomens „Religion“ und von einem Jahwekult im engeren Sinne könne gar nicht die Rede sein35, hat den Text gegen sich. Auch kann es dahingestellt bleiben, ob es sich bei Gen 4,26b um einen späteren Nachtrag handelt36; denn auch dann würde ja immer noch gesagt: Die Anrufung Jahwes hat zu einer bestimmten Zeit begonnen. Selbst wenn diese noch in der Ur-Zeit verortet wird, scheint es doch bemerkenswert, dass ausdrücklich ein Anfang konstatiert wird. In diesem Licht scheint die Bezeichnung Gottes als Elohim im Zitat Evas in V. 25 bewusst zu geschehen. Erst mit der übernächsten Generation begann der Jahwegottesdienst. Wenn auch Gott und Jahwe selbst im Alten Testament keinen Anfang haben und keine Theogonie geschildert wird, so geschieht doch die Anrufung des Namens Jahwe nicht einfach „schon immer“. Darüber hinaus halten alttestamentliche Texte fest, dass Jahwe in Israel nicht autochthon ist, sondern dass sozusagen eine geographische Herkunft für diesen Gott benannt werden kann.37 In den ältesten Erwähnungen des Wortes Yhw in ägyptischen Texten scheint dieser Begriff als Toponym gebraucht zu sein („die Schasu-Nomaden von Jahwe“)38. Im Alten Testament wird Jahwes Herkunft mit dem Sinai/Horeb in Verbindung gebracht, der sich allerdings nicht genau lokalisieren lässt. Sehr wahrscheinlich liegt dieser Ort jedoch südlich des späteren Staatsgebietes von Israel und Juda.39 Damit korrespondiert auch der in Kuntillet ‘Aǧrud erwähnte Jahwe von Teman (vgl. Hab 3,3).40 Die Erzählung Ex 3 hält fest, dass Mose den Gott Jahwe in der Fremde, bei den Midianitern kennenlernt, wobei auch Midian nicht einfach zu lokalisieren ist.41 Jedenfalls scheint es sich dabei um eine Gegend weit südlich von Israel zu handeln.42 Wolfgang Zwickel verortet es östlich des Golfes von Akkaba und südlich von Edom.43 Dazu passt, dass Jahwes Herkunft in einigen Text als „von
Vgl. WESTERMANN, BKAT I/1, 460–464. 36 Vgl. auch G ERTZ, ATD 1, 185f. 37 Dabei gilt grundsätzlich mit B ECKING, Art. Jahwe/JHWH: „Die Herkunft der Jahweverehrung liegt in der dunklen Vorgeschichte des Volkes Israel verborgen. […] Der Mangel an Daten macht es unmöglich, mehr als eine Vermutung zu äußern.“ 38 Vgl. B ECKING, Art. Jahwe/JHWH dort 3.2 und R ÖMER, Erfindung, 52f.; TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 74f. 39 Vgl. R ÖMER, Erfindung, 53ff. 40 Zur Identifikation der Ortsbezeichnung Teman vgl. K NAUF, Art. Teman, der erwägt, ob Teman in der Inschrift von Kuntillet ‘Aǧrud als „Südland“ aus der Nordreichsperspektive mit Juda identisch ist. Es sei aber noch einmal zu bedenken gegeben, dass es für einen „Jahwe von Juda“ oder „Jahwe von Jerusalem“ bisher keinerlei textlichen Belege gibt, sondern dass dieser im Analogieschlussverfahren als gegeben angenommen wird. Im Vergleich mit anderen Belegen des Wortes Teman könnte auch die Inschrift aus Kuntillet ‘Agrud auf den „Süden“ allgemein oder „Edom“ hinweisen. 41 Vgl. R ÖMER, Erfindung, 65–84; K NAUF, Midian. 42 Vgl. auch A LBERTZ, Religionsgeschichte 1, 80–85. 43 Vgl. ZWICKEL, Bibelatlas, 25. 35
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
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Seir [...] vom Gefilde Edoms“ (Ri 5,4) bezeichnet wird. So zum Beispiel im Deboralied in Ri 5,4–5: 4 Jahwe, als du von Seir auszogst und aus dem Gebiet Edoms einherschrittest, erbebte die Erde und die Himmel troffen, auch die Wolken troffen von Wasser. 5 Die Berge zerflossen vor Jahwe – das ist Sinai – vor Jahwe, dem Gott Israels.
Der Text, der vermutlich in Ps 68,8–9 bereits zitiert wird44 und sich eng mit Dtn 33,2 berührt45, schildert Jahwe mit Wetter- und Kriegsgottmotivik. Vor allem aber hat Jahwe eine Art Wohn- oder Ursprungsort, von dem er gekommen ist und der hier mit Seir/Edom und Sinai verbunden wird. Ausdrücklich ist Jahwe der Gott Israels, aber er ist geographisch nicht aus Israel/Palästina und so auch nicht an diese Gegend gebunden. Vor allem in hymnischen Texten hat sich hier eine theologisch bedeutsame Einsicht einen Platz bewahrt: Israels Gott Jahwe hat eine Herkunft, die außerhalb des Territoriums liegt, wo er zum Staatsgott von Israel und Juda wurde. Auch dieser Aspekt erweitert das Bild des alttestamentlichen Gottes. 6.1.3 Von der revelatio generalis zur revelatio specialis in Psalm 19 Die Vielfalt der alttestamentlichen Gottesbilder beinhaltet zugleich vielfältige Weisen, wie Gott sich in dieser Welt von den Menschen erfahren lässt. Schon inneralttestamentlich gab es offensichtlich die Auffassung, dass der Schöpfergott sich auch in seiner Schöpfung manifestiert, beziehungsweise dass die erfahrbare Wirklichkeit auf den Schöpfergott hinweist. Dann aber gibt es die Überzeugung, dass Israels Gott sich in seinem Wort mitteilt und dass dieses Wort in überlieferten Texten auch den Nachgeborenen noch zugänglich ist. Psalm 19 hält diese beiden Aspekte als Lob des Schöpfers und Lob der Tora beieinander. 1 Für den Chorleiter ein Psalm Davids. A 2 Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes [ ]כבוד אל/ und das Werk seiner Hände verkündet die Himmelsfeste. 3 Ein Tag sprudelt dem anderen Rede zu / und eine Nacht verkündet der anderen Erkenntnis.
Zu den engen Berührungen beider Texte vgl. KNAUF, ZBK.AT 7, 82. In Ps 68 wird aber innerhalb des sog. Elohistischen Psalters der Jahwename durch Elohim ersetzt. Auch die Bezüge zu Seir/Edom werden weggelassen. Allerdings bleibt der eigentümliche Einschub זה סיני/das ist [der vom] Sinai (Ps 68,9) erhalten. Hier mag eine theologische Korrektur des älteren Deboraliedes vorliegen. Vgl. zu den Texten auch RÖMER, Erfindung, 57–63 und TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 74f. 45 Dtn 33,2: Und er sprach: Jahwe kam vom Sinai und ging von Seir über ihnen auf und er leuchtete vom Berg Paran ..., wobei ein „Gebirge Paran“ entweder auf der Sinaihalbinsel oder südlich Edoms zu vermuten ist (vgl. ZWICKEL, Bibelatlas, 15). 44
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
4 Da ist kein Reden und sind keine Worte / ohne hörbare Stimme. 5 Durch die ganze Erde erstreckt sich ihre ‚Messschnur‘ [Stimme? LXX: φθόγγος] und bis an die Enden der Welt ihre Rede / der Sonne hat er an ihnen ihr Zelt gesetzt. 6 Und sie geht wie ein Bräutigam aus seiner Kammer / sie freut sich wie ein Held, den Pfad zu laufen. 7 Vom Ende des Himmels ist ihr Ausgang und ihr Kreislauf [wieder] zu ihrem Ende / und nichts ist verborgen vor ihrer Sonnenhitze. B 8 Die Tora Jahwes [ ]תורת יהוהist perfekt, ein Wiederbringer des Lebens / das Zeugnis Jahwes [ ]עדות יהוהist vertrauenswürdig, verleiht Weisheit dem Unerfahrenen. 9 Die Anweisungen Jahwes [ ]פקודי יהוהsind gerade, sie erfreuen das Herz / das Gebot Jahwes [ ]מצות יהוהist rein, macht die Augen hell. 10 Die Furcht Jahwes [ ]יראת יהוהist rein, hat Bestand für ewig, die Rechtssätze Jahwes [ ]משפטי יהוהsind Wahrheit / sie sind gerecht alle gemeinsam. 11 Sie sind begehrenswerter als Gold und zahlreicher als Feingold / sie sind süßer als Honig und Honigseim. C 12 Auch dein Knecht wird durch sie gewarnt / in ihrer Beachtung liegt großer Lohn. 13 Irrtümer – wer versteht sie? / von den verborgenen – befreie mich! 14 Auch von Vermessenheiten halte deinen Knecht zurück, sie sollen mich nicht beherrschen, dann bin ich integer / und ich werde frei sein von vielen Sünden. 15 Und die Worte meines Mundes sollen zum Wohlgefallen sein und das Gemurmel meines Herzens vor dir / Jahwe ist mein Fels und mein Erlöser.
Dachte man früher lange, hier seien zwei ursprünglich selbständige und eigentlich disparate Texte nachträglich literarisch kombiniert worden, hat sich die Einsicht in die Einheitlichkeit des Textes durchgesetzt.46 Diese Einheit ist aber in sich dreigeteilt, sodass sich mit Klaus Seybold sagen lässt: Der Ich-Beter, der in 12ff. von sich redet, hat die beiden Teilpsalmen A und B an den Anfang gestellt, um für sein Anliegen eine Basis zu schaffen. Er stellt sich damit in den Kontext der göttlichen Welt und ihrer Organe, der wahrheitsuchenden Sonne und des rechtfertigenden Gotteswortes.47
Die von Johannes Diehl vorgetragene detaillierte syntaktische Analyse des 19. Psalms bestätigt die Gliederung in A V. 2–7; B 8–11; C 12–15.48 Syntaktisch lässt sich insbesondere eine Korrespondenz zwischen V. 2 und 8 (jeweils ungewöhnliche Satzteilfolge eines abhängigen Nominalsatzes) erkennen, woraus sich eine Beziehung zwischen den Teilen A und B folgern lässt. Dann fällt
Vgl. GRUND, Himmel. 47 SEYBOLD, HAT I/15, 88. Auch dies deutet freilich wieder auf eine Zusammengehörigkeit aller Teile des Psalms hin. 48 Vgl. D IEHL, ThZ 74 (2018), 4–47. 46
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
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allerdings auf, dass im ersten Teil, worin es um das Lob der Himmelskörper geht, lediglich einmal die Gottesbezeichnung כבוד־אלbegegnet. Dagegen finden sich in den Versen 8–11 gleich sechs Constructus-Verbindungen mit Jahwe als nomen rectum. Es gibt also innerhalb des Psalms eine Art „Gefälle“ von El zu Jahwe. Dieser Befund hinsichtlich der Gottesbezeichnung ließe sich auch als Konkretion lesen. Diehl dazu: Die ersten beiden Teile (V. 2–7 und V. 8–11) verhalten sich wie Entsprechungssätze zueinander: ZWAR GILT: erzählen die Himmel die Ehre Els und die Rakia verkündet die Taten seiner Hände usw., ABER die Tora ist vollkommen, (die) näfäš erquickend usw.49
Hossfeld und Zenger haben das „theologischer“ formuliert: Es „lässt sich ein Gedankenduktus feststellen, von der indirekten Offenbarung Gottes in der Schöpfung zur direkten Offenbarung in der Tora“50. So lässt sich der 19. Psalm auch als ein Ergebnis der theologischen Reflexion über unterschiedliche Bereiche der Gotteserkenntnis lesen. Die Schöpfung verkündigt einen Schöpfer, der eher allgemein mit der singulären Gottesbezeichnung כבוד אלbenannt wird (Teil A). Israels Gott Jahwe manifestiert sich in der facettenreich benannten Tora, und die angemessene Reaktion hierauf ist die „Furcht des Herrn“ (Teil B). Schließlich lässt sich der individuelle Beter selbst von der Tora leiten und findet so zu einem ganz eigenen Gotteslob (V. 15), sodass das Lob der Himmel am Ende im persönlichen Bekenntnis des Beters – Jahwe ist mein Fels und mein Erlöser – konkretisiert wird. Die Gottesbezeichnungen deuten aber auf ganz unterschiedliche Aspekte Gottes, die auf den verschiedenen Wegen der Betrachtung der Schöpfung oder des Lesens der Tora zu gewinnen sind. Zugleich besteht im Duktus des Textes kein Zweifel daran, dass im gesamten Psalm von demselben Gott die Rede sein soll. Ähnlich wie sich in Texten, die auf die Herkunft Jahwes aus „Seir“ oder „vom Sinai“ hinweisen, ein Bewusstsein für eine geschichtliche und regionale Entwicklung des Gottesbildes in alttestamentlichen Texten selbst spiegelt, weist Psalm 19 darauf hin, dass es ein Wissen um eine Offenbarungsgeschichte gab. Dabei geht es im einen wie im andern Fall nicht um die Verifizierbarkeit der Sachaussagen aus heutiger Perspektive, sondern um die hermeneutischen Signale, die im Alten Testament selbst gesetzt sind. 6.1.4 Konversion und Okkupation in Psalm 91 Dass alle Gottesbezeichnungen im Alten Testament immer denselben Gott meinen, ist – jedenfalls ursprünglich – in Psalm 91 nicht der Fall, wenn man der Analyse von Andreas Wagner folgt51, der in Ps 91 das Bekenntnisformular
DIEHL, ThZ 74 (2018), 44 [Hervorhebung so im Original]. 50 H OSSFELD/ZENGER, NEB.AT 29, 129. 51 Vgl. W AGNER, Ps 91, 73–97. 49
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einer Konversion zur Jahwereligion erkennt. Entscheidend sind die Verse 1f. und 9: 1 (Als einer) Sitzend im Schutze Eljons, der nächtigt im Schatten Schaddajs 2 will ich sprechen zu Jahwe: Meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich traue. […] 9 Fürwahr: Du, Jahwe, bist meine Zuflucht, der du Eljon zu deiner Wohnung gemacht hast.52
Dabei verhalten sich V. 2 (1. P. Sg. AK) und V. 9 (DEKLARATIVER Sprechakt in Form eines Nominalsatzes) wie die Ankündigung und dann die Durchführung einer explizit erklärten Konversion zueinander. Für diese syntaktische Abfolge bringt Wagner zahlreiche parallele Beispiele. Entscheidend ist dabei, dass ‘Elyon und Šadday aus V. 1 nicht einfach synonyme Gottesbezeichnungen für Jahwe sind (also „der Höchste“ und „der Allmächtige“), sondern tatsächlich andere Götter bezeichnen. Die Aussage, Jahwe habe ‘Elyon zu seiner Wohnung gemacht (V. 9) würde darüber hinaus die Integration von Aspekten fremder Götter in das israelitische Bild des Gottes Jahwe bezeichnen.53 Wagners Übersetzung von V. 9 hat den Vorzug, dass sie ohne Konjekturen54 auskommt und in seiner Gesamtinterpretation des Psalms guten Sinn ergibt. Im Laufe der Zeit hat Jahwe Wesenszüge anderer Götter in sich aufgenommen, oder umgekehrt: Jahwe hat Wohnung in den anderen Göttern, ihren Namen und in den mit ihnen verbundenen Eigenschaften genommen. So liegt auch hier eine bewusste Reflexion der ursprünglichen Unterschiedenheit und der späteren facettenreichen Einheit von Šadday, ‘Elyon und Jahwe vor; denn im vorliegenden kanonischen Kontext werden diese Bezeichnungen als Namen des einen Gottes identifiziert.55 6.1.5 Der „Gott der Philosophen“ bei Hiob und Kohelet Auffällig ist die Verteilung der Gottesbezeichnungen im Hiobbuch. In der sog. Hioberzählung, die im vorliegenden Buch als Prolog (Hi 1–2) und Epilog (Hi 42,7–17) einen in Prosa formulierten Rahmen um die poetisch verfasste Hiobdichtung bildet, findet sich der Gottesname Jahwe (vgl. Hi 1,6; 42,7 und öfter). Dagegen wird Gott in den Dialogen Hiobs mit seinen Freunden als Eloah (Hi 3,4 und zahlreiche weitere Stellen), El (Hi 5,8 und zahlreiche weitere
Übersetzung nach WAGNER, Ps 91, 82. 53 Zu den sprechakttheoretischen Voraussetzungen der Analyse vgl. W AGNER, Sprechakte 1997; zur Sache: Ders., Permutatio religionis, 123–143; BEHRENS, Bekennen, 199–220 und kritische Anmerkungen zu Wagner bei SMITH, Religion, 99–103. 54 Vgl. z.B. SEYBOLD, HAT I/15, 360ff. 55 Das legt bereits das Verständnis der LXX nahe. 52
6.1 Die Vielfalt des Redens von Gott im AT
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Stellen) oder Šadday (Hi 5,17 und zahlreiche weitere Stellen) bezeichnet.56 Dies lässt sich natürlich als eines der Indizien für die ursprüngliche literarische Selbständigkeit der Hioberzählung und der -dichtung lesen. In der vorliegenden Gesamtkomposition kommt die Unterscheidung in der Gottesbenennung aber sozusagen auch als der Unterschied zwischen deus revelatus und deus absconditus in den Blick. In der Rahmenerzählung ist Jahwe der Hiob zugewandte Gott, dem ja letztlich auch das trotz und in allem Unglück gesprochene Bekenntnis Hiobs entspricht: „Jahwe gibt, Jahwe nimmt – der Name Jahwes sei gelobt!“ (Hi 1,21: )יהוה נתן ויהוה לקח יהי שם יהוה מברך57. In der Hiobdichtung dagegen hadert Hiob mit einem fernen, ihm unverständlichen Gott. Erst als Gott auf diese Klagen Hiobs antwortet und tatsächlich aus dem Wettersturm sozusagen „persönlich“ mit ihm redet, wird er wieder mit Namen Jahwe eingeführt (vgl. Hi 38,1; 40,1.3.6; 42,1).58 So lässt sich das Hiobbuch insgesamt als bewusste Reflexion über unterschiedliche Seiten Gottes lesen, die sich in der absichtsvollen Verwendung unterschiedlicher Gottesbezeichnungen greifen lässt. Dem fernen Gott der Hiobdichtung ähnelt auch der Gottesbegriff bei Kohelet. Allerdings redet Kohelet nicht als einer, der sich von Gott verlassen und geschlagen sieht, sondern aus der Perspektive des skeptischen Philosophen, der sich bei seinen „Betrachtungen“59 der Welt ganz auf die Immanenz „unter der Sonne“ ( )תחת השמשbeschränkt.60 Programmatisch wird Kohelets „Methode“ formuliert in 1,13f.: 13 Und ich richtete mein Herz darauf, zu befragen und zu erforschen mittels Weisheit alles, was getan wird unter dem Himmel; das ist eine böse Aufgabe, die Gott den Menschenkindern gegeben hat, um sich damit zu mühen. 14 So betrachtete ich all die Taten, die getan werden unter der Sonne, und siehe das alles ist Flüchtigkeit und Hüten des Windes.
Die einzige Ausnahme bildet Hi 12,9, wo auch innerhalb der Dialoge von Jahwe die Rede ist. Dies lässt sich entweder dadurch erklären, dass hier eine literarisch sekundäre Interpolation vorliegt. Andererseits könnte auch es sich auch um ein Zitat aus Jes 41,20 handeln; denn die Formulierung כי יד יהוה עשתה זאתfindet sich wortgleich so nur in diesen beiden Versen. 57 Dies wird in Hi 2,10 noch überboten durch Hiobs Einsicht, dass alles – das Gute, wie das Schlechte – aus Gottes Hand zu nehmen ist. Hier allerdings mit der Gottesbezeichnung Ha-Elohim: גם את הטוב נקבל מאת האלהים ואת הרע לא נקבל. 58 Dies leitet dann in den sog. Epilog ab 42,7 über, sodass unter der Perspektive der Gottesbezeichnungen die Wende des Geschicks Hiobs bereits in 38,1 beginnt und wohl auch schon die Gottesreden einen Bogen zu Hi 1f. zurückschlagen. 59 Vgl. Dazu M ICHEL, Traktat, 9ff.; Ders., Qohelet, 129. 60 Kohelet formuliert die Frage, die für das ganze Buch als erkenntnisleitendes Interesse gelten kann, programmatisch in 1,3: מה יתרון לאדם בכל עמלו שיעמל תחת השמשWas für einen [bleibenden] Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, mit der er sich müht unter der Sonne? 56
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
Kohelet reflektiert ( )נתתי את לביund betrachtet (( )ראיתיLuther: Ich sah an ...) auf der Suche nach einem Sinn innerhalb dieser Welt, die seinen Sinnen und seinem Verstand zugänglich ist. Gott mag der Urheber dieser Aufgabe einer Sinnsuche sein ()נתן אלהים לבני האדם, aber dem Menschen bleibt mit seinen eigenen Möglichkeiten nur das Urteil: הכל הבל ורעות רוח. Gott aber ist sozusagen oberhalb der Sonne, „im Himmel“ und so dem analytischen Verstand nicht zugänglich.61 Dass Kohelet dennoch bei allen Menschen einen Drang wahrnimmt, auch nach Gottes Ewigkeit zu fragen, empfindet er als Mühe. So in Koh 3,10f.: 10 Ich betrachtete die Aufgabe, die Gott den Menschenkindern gegeben hat, um sich damit zu mühen: 11 Alles hat er schön (angemessen?) gemacht zu seiner Zeit; [doch] auch die Ewigkeit hat er in ihr Herz gegeben, ohne dass der Mensch das Werk, das Gott tut, von Anfang bis Ende herausfinden kann. 62
Dem eher vagen Bild von Gott entspricht die Verwendung der Bezeichnung der Gott/die Gottheit ()האלהים.63 Sowohl Hiob als auch Kohelet haben den Frommen ihrer Zeit durch ihre Skepsis und ihr Hadern sichtlich Mühe bereitet.64 Dennoch haben sie im entstehenden Kanon auch für diese Aspekte Gottes Raum gefunden.
Zusammenfassend Koh 5,1: „... denn Gott ist im Himmel und du bist auf der Erde, deshalb seien deine Worte wenige“ ( )האלהים בשמים ואתה על הארץ על כן יהיו דבריך מעטים. 62 „Entscheidend ist der Gegensatz zwischen ‚Stunde‘ [hier: Zeit] und ‚Ewigkeit‘: Zu ‚seiner Zeit‘ ist alles angemessen (schön) – aber der Mensch kann sich nicht damit begnügen, das ihm Widerfahrende hinzunehmen, sondern muß über den Augenblick hinaus nach einem Sinn fragen, ohne daß er ihn wirklich finden kann. Glanz und Elend des Menschen liegen darin, daß er immer mehr wissen wollen muß, als er herausfinden kann. Das ist die (schlimme, vgl. 1,13) Mühe, die Gott den Menschen gegeben hat, daß sie sich damit abmühen‘. Typisch für Qohelets Art, von Gott zu reden: Eine durch Analyse der Welt gewonnene Erkenntnis wird auf Gott als Urheber zurückgeführt“ (MICHEL, Qohelet, 137). 63 Vgl. M ICHEL, Gott, 274–289. 64 Für Kohelet zeigt sich diese „Mühe“ darin, dass das Buch in Koh 12,9–14 vermutlich zwei (V. 9–11.12–14) „Nachworte“ erfahren hat, die die Botschaft des Skeptikers Kohelet in den Kontext der Orthodoxie ihrer Zeit einzuordnen versuchen (vgl. z.B. MICHEL, Qohelet, 168, ähnlich KÖHLMOOS, ATD 16/5, 247–253 oder KRÜGER, BKAT XIX, 365–376). So wird etwa in den Worten des „zweiten Epilogisten“ in 12,13 gerade das Gottesbild Hiobs korrigiert: „Am Ende der ganzen Angelegenheit hört man: Fürchte Gott und beachte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen.“ Gottesfurcht und Gebote werden hier über Kohelet hinausgehend noch einmal eingeschärft. Im Hiobbuch lassen sich die literarisch sekundären Elihureden (Hi 32–37) so lesen, als wolle ein späterer Ergänzer den Freunden Hiobs argumentativ beispringen. 61
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6.1.6 „Monotheismus“ bei Deuterojesaja Bei Deuterojesaja schließlich bekommt die Formulierung אני יהוה/Nur ich bin Jahwe eine besondere Zuspitzung, indem sie zu einer expliziten Formulierung für einen Monotheismus wird.65 Dies wird gedanklich vorbereitet durch die sog. Gerichtsreden mit den fremden Göttern. Jahwe ruft durch den Propheten die fremden Götter zu einer Gerichtsverhandlung, bei der die Judäer Zeugen sind, die als eigentliche Adressaten der Texte auch implizit zu einem Urteil aufgerufen werden. Verhandelt wird über die Frage „Wer ist wirklich Gott?“ Kriterium für die Beantwortung dieser Frage ist, welcher Gott kann vorhersagen lassen66, was passiert, und welcher Gott kann sich durch Taten als wirksam erweisen? So zum Beispiel in Jes 41,23f.: 23 Verkündigt die Dinge, die nachher kommen [ ]האתיות, so dass wir erkennen, dass ihr Götter seid / Also tut Gutes oder Schlechtes, so dass wir staunen und es miteinander ansehen. 24 Siehe, ihr seid nichts und eure Werke sind Nichtigkeit / ein Gräuel erwählt man mit euch.
Das zuverlässige Verkündigen ist bei Deuterojesaja eine Eigenschaft Jahwes. Jetzt sollen die anderen Götter einmal ihr Können beweisen, indem sie die Dinge, die nachher kommen ansagen.67 Der Begriff האתיותfindet sich nur hier, in Jes 44,7 und 45,11 und ist wohl ein sehr früher Versuch, das Phänomen Zukunft auf den Begriff zu bringen. Das Ziel der Aufforderung ist jedenfalls die Erkenntnis, ob ihr Götter seid []כי אלהים אתם.68 Aber das Urteil fällt mit den Begriffen Nichts [ ]מאיןund Nichtigkeit [ ]מאפעeben ver-nichtend aus.69 Der Gedanke begegnet wieder in Jes 44,6–8 als Einleitung zu einer großen Götzenpolemik in V. 9–20:
„Es steht außer Frage, daß Deuterojesaja für die explizite Formulierung der Monotheismusidee eine entscheidende Rolle spielt“ (STOLZ, Einführung, 172); vgl. auch RÖMER, Erfindung, 237–239; vgl. zur Verwendung der ’anî Yhwh-Aussage bei Deuterojesaja DIESEL, Jahwe, 281–342. 66 Vgl. dazu A LBANI, Monotheismus, 171–201, der „Deuterojesaja“ (zumindest in den ältesten Textteilen) in Babylonien verortet. Dort habe Deuterojesaja seinen Monotheismus im Kontext innerbabylonischer Konflikte zwischen Nabonid und der Mardukpriesterschaft um Verehrung des Sonnengottes Marduk oder des Mondgottes Sin profiliert. „DtJes’ Argumentation, dass JHWH allein das ‚Künftige‘ wahrhaft voraussagen kann, wird in direkter Polemik gegen die (babylonischen) Götter (41,23; 43,9; 44,7; 45,21; 48,14) und gegen die mit ihnen zusammenhängende Wahrsagekunst formuliert (44,25)“ (a.a.O., 174). 67 „Das Kriterium für die Gottheit Gottes ist dabei, daß Gott ‚das Künftige hören läßt‘ – oder anders ausgedrückt: daß er sich in der Prophetie manifestiert hat“ (STOLZ, Einführung, 172). 68 Vgl. dazu B ERGES, Jesaja 40–48, 217 und Kapitel 4.1.3. 69 Vgl. B ERGES, Jesaja 40–48, 218. 65
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6 So spricht Jahwe, der König Israels und sein Erlöser, Jahwe Zebaoth: „Ich bin der Erste und ich bin der Letzte, und außer mir gibt es keinen Gott. 7 Wer ist wie ich? Er rufe es und verkünde es und lege es mir dar! ‚Wer hat von Urzeiten her die Dinge, die nachher kommen [ ]האתיות, hören lassen?‘70 Und die Dinge, die kommen, sollen sie uns verkündigen! 8 Erschreckt nicht und fürchtet euch nicht! Habe ich es euch nicht schon längst hören lassen und verkündigt? Ihr seid meine Zeugen: Gibt es einen Gott außer mir? Und es gibt keinen Felsen, ich kenne keinen.“
Hier wird nicht mehr nur die Anbetung fremder Götter verboten, sondern deren Existenz wird verneint. Jahwe als der alles Umfassende (der Erste und der Letzte) schließt die Existenz anderer Götter aus.71 Die Formulierung מבלעדי אין אלהיםsagt dann auch ausdrücklich das Nicht-Sein anderer Götter aus. Hier dient diese Erkenntnis als Heilszusage für „Israel“ (erschreckt nicht und fürchtet euch nicht). In Jes 45 wird die Aussage, dass allein Jahwe Gott ist, im Hinblick auf den Perserkönig Kyros als Gesalbten Jahwes bezogen, der sogar zum Adressaten der prophetischen Verkündigung wird. 1 So spricht Jahwe zu seinem Gesalbten, zu Kyros ... [...] 5 Nur ich bin Jahwe und es gibt weiter keinen, außer mir gibt es keinen Gott; ich habe dich gegürtet, auch wenn du mich nicht kennst. 6 Damit man erkennt vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang, dass außer mir niemand ist; nur ich bin Jahwe und es gibt weiter keinen. 7 Bildner des Lichtes und Schöpfer der Finsternis, Bewirker des Friedens und Schöpfer des Übels; nur ich bin Jahwe, der all dies macht.
Auffällig ist einmal die erweiterte Formel אני יהוה ואין עודin V. 5 und V. 6, die noch einmal das hier vertretene Verständnis im Sinne von nur ich bin Jahwe untermauert72; wird doch hier die Nichtexistenz eines weiteren, der den Anspruch „Jahwe“ zu sein vertreten könnte, ausgesagt.73 Ausdrücklich wird dies
Der Text ist in der vorliegenden Form unverständlich vgl. den Vorschlag im Apparat der der BHS und dazu BERGES, Jesaja 40–48, 291f. 71 Vgl. B ERGES, Jesaja 40–48, 326f. und 328: „Möglicherweise ist auch hier eine Polemik gegen die Theogonien babylonischer Götter mitzuhören […]. Tonangebend ist jedoch JHWHs Selbstverpflichtung zum rettenden Mitsein, die er als ‚König Israels‘ seit Urzeiten auf sich genommen hat.“ 72 Dabei setzt die Formel hier die auffällige Bezeichnung des Kyros als seinen Gesalbten in V. 1 in ein bestimmtes Licht: „Gerade dort, wo Kyros und sein Verhältnis zu Jahwe in einer Art und Weise positiv aufgeladen wird, wie man es nie von einem Fremdherrscher und Nicht-Israelit für möglich gehalten hätte, gerade dort wird Kyros mit dem ’anî Yhwh seine Grenze gesteckt“ (DIESEL, Jahwe, 342). 73 „Dann ist die Aussage es gibt sonst keinen Wirkenden gerade vor dem Hintergrund Deuterojesajas gut verständlich“ (DIESEL, Jahwe, 31); vgl. so auch BERGES, Jesaja 40–48, 401. 70
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in V. 5 durch die Aussage hervorgehoben, außer/neben mir gibt es keinen Gott. Sodann fällt auf, dass Jahwes Wirksamkeit hier durch seine Geschichtsmächtigkeit74 unterstrichen wird: Er war es, der Kyros gegürtet hat, selbst – und das ist besonders signifikant – wenn du mich nicht kennst. Hier wird ein Verständnis Gottes vertreten, nach dem dieser Gott sozusagen im Hintergrund der Geschichte wirkt, selbst wenn die handelnden Akteure diesen Gott nicht kennen, geschweige denn, ihn verehren.75 Die Verse 6 und 7 fassen dann Jahwes Schöpferkraft und seine geschichtliche Wirksamkeit in Begriffe76, so dass hier das Bild eines Gottes gezeichnet wird, der „alles in allem“ ist und keiner Unterstützung durch andere Gottheiten bedarf. Die Betonung der universalen Wirksamkeit Jahwes, die auch das Handeln fremder Könige in Verwaltung nimmt, ist vor dem Hintergrund der bisherigen prophetischen Tradition noch nicht besonders auffällig; aber die Betonung, daß Gott Licht und Finsternis, Heil und Unheil schafft, bringt eine neue Qualität: Jahwe schafft Kosmos und Chaos. Die bisher dominierende Grundunterscheidung ist also im Hinblick auf Gott verschoben.77
Hier ist das Alte Testament dem am nächsten gekommen, was später Monotheismus heißen soll.78 Aber daneben haben die alttestamentlichen Texte die vielfältigen Aspekte und die unterschiedlichen Bilder von Gott erhalten, die einerseits auf eine geschichtliche Entwicklung des biblischen Gottesbildes und andererseits auf eine Integration verschiedener Gottheiten (oder zumindest einzelner Züge davon) in ein Gesamtbild des einen Gottes hindeuten, in dem schließlich Jahwe, Elohim, El, Eloah, ‘Elyon, Šadday, Adonay, Zebaoth etc. den einen Gott in unterschiedlichen Aspekten bezeichnen. Es ist hilfreich, die Frage nach einer TheoLogie des Alten Testaments im wahrsten Sinne nicht auf die falsche Alternative „Ist das Alte Testament ein monotheistisches Buch oder nicht?“ zu redu-
„Die entscheidende Frage in den Jahren nach 587 lautete: Wer bestimmt den Verlauf der Geschichte wirklich – Marduk oder JHWH?“ (ALBANI, Monotheismus, 179). 75 „Hier ist von der Erwählung des Kyros zum Gesalbten die Rede, der um Israels willen in seine historische Rolle eingesetzt wird, ohne daß der Perserkönig seiner Beauftragung gewahr wird“ (STOLZ, Einführung, 172). Dazu auch BERGES, Jesaja 40–48, 401f.: „Gerade die Tatsache, dass der berufene Fremdherrscher ihn nicht kennt, erhöht den Legitimationsdruck auf diejenigen, die JHWH – und nicht Marduk – am Werk sehen. Im Kyrus-Zylinder nimmt der babylonische Marduk den persischen Fremdherrscher in seinen Dienst, aber dort kennt der Erwählte den Erwählenden […]. Auf diesem Hintergrund wird das geballte ‚Ich‘ JHWHs verständlich“; vgl. dazu auch ALBANI, Monotheismus, 179–182. 76 Vgl. A LBANI, Monotheismus, 194 mit Anm. 97, der in der Formulierung vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang eine polemische Anspielung an Marduk sieht. 77 STOLZ, Einführung, 173 [Hervorhebung so im Original]. 78 Zu den Elementen eines „deuterojesajanischen Konzepts“ vgl. STOLZ, Einführung, 173f. „Deuterojesaja dagegen vertritt eine streng exklusive Theologie – es gibt keinen Gott außer Jhwh, alle anderen Götter sind Nichtse“, urteilt SCHMID, Differenzierungen, 35 [Hervorhebung so im Original]. 74
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zieren, sondern die erkennbare Vielfalt und zugleich das Bemühen im Integration dieser Vielfalt als eine leistungsfähige theologische Reflexion zu sehen.79 Diejenigen Texte, die unterschiedliche Gottesbezeichnungen ganz bewusst benutzen und dann auch ebenso bewusst in Beziehung zueinander setzen, deuten jedenfalls darauf hin.
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im Alten Testament 6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
Wenn im Alten Testament nach Gott oder nach dem „Wesen“ Gottes in seinen vielfältigen Aspekten gefragt wird, geschieht dies nicht aus Interesse an Fragen der Metaphysik – auch nicht dort, wo, wie gesehen, die Vielfalt bewusst reflektiert wird. Vielmehr ist von Gott immer unter dem Aspekt seines Verhältnisses zu dieser Welt und insbesondere zum Volk Israel die Rede. So vielfältig die Bezeichnungen Gottes (und die damit verbundenen Gotteskonzepte) sind, so vielfältig erscheint das Wirken Gottes an und in dieser Welt. Von Gott reden die Verfasser der alttestamentlichen Texte im Grunde immer unter der Perspektive seiner Beziehung zur Menschheit, zu Israel oder zu bestimmten Gruppen oder Individuen. Die Schilderungen dieses Sich-zur-Welt-in-BeziehungSetzens Gottes sind höchst divergent, gelegentlich auch ambivalent. Die Sammlung der biblischen Überlieferungen hält auch diese unterschiedlichen Aspekte jetzt als Akte des einen Gottes beieinander. Einige dieser Aspekte sollen näher betrachtet werden. 6.2.1 Gott als Retter und Richter Israels Die Trägergruppen der alttestamentlichen Überlieferung, die sich selbst als „Israel“ identifizieren, verbinden ihre Identität als Glaubensgemeinschaft mit der Exoduserfahrung80, die ihrerseits mit dem Wirken des Gottes Jahwes verknüpft
„Im Allgemeinen füllen biblische Gottesbilder den Raum zwischen Jhwh als ‚Höchstem Gott‘ (für uns eine polytheistische Vorstellung) und als exklusiv ‚Einzigen Gott‘ (für uns eine monotheistische Vorstellung). Beide Pole können in ein und demselben Text nebeneinanderstehen (Ps 82; 97,7.9; 135,5.15–18; Dan 1–6). Für das aspektivische Denken dieser Theologie gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten offenbar nicht – jedenfalls nicht, wenn es um Gottesbilder geht. Der Pluralismus der Aspekte und Bilder verhindert damit effektiv, dass es vom Einen Gott auch nur ein – oder eben das – Gottesbild gibt. Wer nach dem biblischen Gott unter der Voraussetzung eines singulären Konzeptes fragt, fragt nicht biblisch“ (KNAUF, Erste Bibel, 47). Zum „aspektivischen Denken“ vgl. Kapitel 6.3. 80 Vgl. dazu A LBERTZ, Religionsgeschichte 1, 68–104, der die Ursprünge in der religiösen Erfahrung einer „befreiten Großgruppe“, die er „Exodusgruppe“ nennt, sieht. Er schließt: „Religionsgeschichtlich ist daran vor allem bedeutsam, daß sich die Anfänge der Jahwereligion noch vor der geglückten Integration der Gruppe unter den Lebensbedingungen außerhalb des Kulturlandes ausbildete. Von daher wohnte ihr ein kritisches Potential inne, das von späteren Oppositionsgruppen immer wieder gegen gesellschaftliche Herrschaftsstruk79
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
289
ist. Der Gott „aus dem Süden“ oder „vom Sinai“ ist derjenige, der seine Wirksamkeit vor allem in der Befreiung seiner – dann als „Israel“ identifizierten – Anhängerschaft aus Ägypten erwiesen hat. Evtl. liegt im Hoseabuch einer der ältesten Texte vor, die Jahwe als Gott „von Ägypten her“ identifizieren.81 So vor allem in Hos 13,4: 4 Und nur ich bin Jahwe, dein Gott vom Land Ägypten her; und einen Gott außer mir kennst du nicht und einen Retter, abgesehen von mir, gibt es nicht.
Jahwe wird hier identifiziert mit deinem Gott von Ägypten her ( ואנכי יהוה אלהיך )מארץ מצרים.82 Dabei wird das Exodusgeschehen nicht erzählerisch entfaltet, aber dass Gott-Sein von Ägypten her erweist sich darin, dass Jahwe der einzige Retter ( )מושיעist. Dabei ist für das Hoseabuch die Verwendung der Wurzel ידע charakteristisch.83 Hier liegt nicht eigentlich eine monotheistische Aussage vor, sondern der Hinweis darauf, worin die mit Du angesprochene Größe Israel Jahwe allein als seinen Gott erkennen soll. Jahwes Wesen ist hier eng verknüpft mit seinem Rettungs- und Befreiungshandeln. Der Prolog des Dekalogs stellt dann sozusagen die Vollform des Satzes aus Hos 13,4 dar.84 Ex 20,2–3:85 3 Nur ich bin Jahwe, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten geführt habe, aus dem Haus der Knechtschaft. 4 Es soll für dich nicht andere Götter geben, mir ins Angesicht.
Wie in Hos 13,4 ist auch hier wieder „Israel“ – als am Berg Sinai/Horeb versammelt gedacht – angeredet. Wieder wird der Anspruch auf Ausschließlichkeit mit dem Exodus begründet; nun aber explizit: אשר הוצאתיך מארץ מצרים מבית עבדים. Folgt daraus bei Hosea noch der Aussagesatz einen Gott außer mir kennst du nicht, so findet sich hier nun ein Gebot du sollst keine anderen Götter haben ... Zugleich wird damit die Reihe der Gebote des Dekalogs eröffnet. Man
turen aktiviert werden konnte“ (a.a.O., 104). Dabei geht es allerdings nicht ausschließlich um Opposition „gegen gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen“, sondern um religiöses Potential überhaupt. Dieses wird vermittelt durch das Narrativ des Exodus, das sich die Glaubenden unterschiedlicher Zeiten und Kontexte gesagt sein lassen. Dies beginnt wohl nicht erst bei Hosea (dazu gleich) und endet auch noch nicht bei der Spiritual-Zeile „Let my people go ...“ 81 Dazu JEREMIAS, ATD 24/1, 163: „Hos 13,4 ist (zusammen mit 12,10) das älteste datierbare Zeugnis im Alten Testament für die Verbindung von Selbstvorstellung Jahwes (Dekaloganfang) und erstem Gebot ...“. Zu möglichen Spätdatierungen des Textes und zu einer alternativen Analyse von nur ich bin Jahwe vgl. DIESEL, Jahwe, 360–366. 82 Die Formulierung findet sich so nur hier und in Hos 12,10. 83 Vgl. bereits W OLFF, Wissen, 182–205. 84 Vgl. SCHMIDT U.A., Zehn Gebote, 18f. 85 Vgl. wortgleich Dtn 5,6f.
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
kann diesen ersten Satz des Dekalogs auch als ein Grundbekenntnis86 Israels bezeichnen: nur ich bin Jahwe, dein Gott.87 Dieses enge Verhältnis (dein Gott) wird begründet in der Rettungstat. Ein Satz wie Gen 15,7 nur ich bin Jahwe, der ich dich aus Ur Kasdim geführt habe ... ()אני יהוה אשר הוצאתיך מאור כשדים kann dann mühelos auf den Prolog der „Zehn Gebote“ anspielen. Dieser Gott hat Abraham befreit aus Ur, sein Volk aus Ägypten und – so lässt sich folgern – kann sein Volk auch aus der Gola heimholen.88 In der Logik der biblischen Texte erfolgt die Rettungstat Jahwes an Israel voraussetzungs- und bedingungslos. Aber es bleibt nicht ohne Folgen. So werden im Anschluss an den Prolog eben die „Zehn Gebote“ und im Anschluss daran die im Bundesbuch (Ex 21–24) oder im deuteronomischen Gesetz (Dtn 12–26) niedergelegten Gesetze für Israel verpflichtend gemacht. Eine starke Tradition innerhalb des Alten Testaments liest dabei die Befolgung der Gebote als Ausdruck einer „Ethik der Dankbarkeit“89. Die sog. Musterkatechese in Dtn 6,20–24 weist diese Logik auf. Auf die Kindesfrage Was hat es auf sich mit den Zeugnissen und Satzungen und Gesetzen, die Jahwe unser Gott euch geboten hat? (V. 20) wird nicht einer Aufzählung von Geboten geantwortet, sondern mit der Nacherzählung der Geschichte der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei (V. 21f.) und der Landgabe (V. 23), um erst am Schluss des Textes auf die Befolgung der Gebote zu kommen.90 Doch bleibt die Befolgung oder Nichtbefolgung der Gebote für Israel nicht ohne Konsequenzen. Darauf weisen sowohl die Fluch- und Segenskapitel Dtn 27 und 28 wie auch die Bundesschlusszeremonie in Ex 24,1–8 hin. Die Prophetie des achten Jahrhunderts kannte wahrscheinlich die Gebote dieser Korpora noch nicht. Dennoch gibt es auch dort ethische Forderungen, die sich am Willen Gottes ausrichten. Insbesondere die Sozialkritik des Amosbuches weist darauf hin. Dabei wird auch hier ausdrücklich auf das besondere Verhältnis Jahwes zu Israel hingewiesen.
Von einer „‚Wesenbestimmung‘ Gottes“ sprechen SCHMIDT U.A., Zehn Gebote, 19.39. „Das Exoduscredo selbst ist dem Inhalt nach schon vor-dtr und gehört als Urbekenntnis Israels zum heilsgeschichtlichen Grundbestand der vorexilischen Jahwereligion“ (VEIJOLA, ATD 8/1, 152). 87 Vgl. D IESEL, Jahwe, 224–238. 88 Es geht also in keinem dieser Texte um die historische Dokumentation einer aus Sicht der jeweiligen Leserschaft vergangenen Gotteserfahrung. Vielmehr gilt mit Dtn 5,3: Nicht mit unseren Vätern hat Jahwe diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, die wir hier sind und heute alle leben (vgl. CRÜSEMANN, Bewahrung, 36f.) So wird die Exoduserfahrung in Gestalt eines Narrativs, das als Bekenntnis angeeignet wird, zum Bezugspunkt, zur Vermittlungsinstanz und zum Medium der Ermöglichung jeweils gegenwärtiger Gottes- und Glaubenserfahrungen. Klassisch lässt sich formulieren: das Wort wirkt Glauben. 89 PERLITT, „Evangelium“, 35; vgl. dazu B EHRENS, Gesetz und Evangelium, 117–142. 90 Vgl. B EHRENS, Gesetz und Evangelium, 132–136. 86
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
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Am 3,1–2: 1 Hört dieses Wort, das Jahwe gegen euch spricht, Kinder Israels, gegen alle Sippen, die ich aus dem Land Ägypten heraufgeführt habe, folgendermaßen: 2 Nur euch habe ich erkannt von allen Geschlechtern des Erdbodens; deshalb suche ich an euch heim alle eure Sünden.
Hieß es in Hos 13,4 Israel kenne keinen Gott außer Jahwe, ist es hier Jahwe, der Israel erkannt hat.91 Dies ist ein Terminus für den Sachverhalt, der andernorts Erwählung heißt.92 Begründet wird er ausdrücklich wieder mit dem Rückbezug auf die Befreiung aus Ägypten.93 Zugleich aber wird an die besondere Verantwortung gemahnt, die aus diesem Erkanntsein Israels folgt. Das Amosbuch insgesamt deckt auf, dass „Israel“ dieser Verantwortung nicht gerecht geworden ist. Dies gilt gerade bei Amos im Hinblick auf Verfehlungen den Mitmenschen gegenüber. Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem Vorwurf der Apostasie, sondern auf sozialen Vergehen, die vor allem aus gesellschaftlicher Ungleichheit folgen. Dies führt schließlich zu dem radikalen Urteil: Am 8,2b: 2 ... und Jahwe sprach zu mir: „Gekommen ist das Ende für mein Volk Israel. Ich werde nicht fortfahren, schonend an ihm vorüberzugehen.“
Dabei steht die Formulierung mein Volk Israel in scharfem Kontrast zu dem angekündigten Ende. Dieses Urteil ist der Höhepunkt eines dramatischen Erkenntnisfortschritts, den der Prophet Amos im Laufe seiner Visionen in Am 7– 8 geführt wird.94 Israel wird den Ansprüchen Gottes nicht gerecht und will das Wort seines Gottes nicht hören.95 Dass eine Gottheit ihrem eigenen Verehrerkreis das Ende ankündigt, ist im Kontext des Alten Orients widersinnig.96 Allerdings deuten Sätze wie Am 3,2, die explizit einen Zusammenhang zwischen Erwählung und Verantwortung herstellen, auf einen Akt der theologischen Reflexion hin, die aus einer Position geschieht, die bereits auf erfahrene Katastrophen zurückblickt. Nicht lange nach dem Auftreten des Amos erleidet das Nordreich Israel ja das Ende. Zahlreiche Spuren weisen darauf hin, dass das Amosbuch erst nach der Katastrophe
Vgl. JEREMIAS, ATD 24/2, 34 92 Vgl. JEREMIAS, ATD 24/2, 32. 93 Vgl. auch Am 2,9ff. Vgl. aber JEREMIAS, ATD 24/2, 30ff., der Am 3,1b für einen Zusatz hält. 94 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 83–88. 95 Dieser Erkenntnis dient die Einbindung der Amazjageschichte in Am 7,(9)10–17 in den Visionszyklus, vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 88–92; Ders., Grammatik, 1–9. 96 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Gottheiten vor allem als National- oder Regionalgottheiten verstanden werden, die gleichsam von der Verehrung ihrer Anhängergruppe „leben“. 91
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
unter Einbeziehung der judäischen Perspektive entstand.97 In jedem Fall wurde es danach noch gelesen und auch ausgelegt.98 So lassen sich Texte aus dem Amosbuch als bewusste theologische Verarbeitung der erfahrenen geschichtlichen Katastrophe von 722 v.Chr. lesen. In 2 Kön 17,7–23 findet sich ebenfalls eine theologische Bewertung der Untergang des Nordreichs, jetzt aus deuteronomistischer Perspektive. Als die Geschichtsdarstellung beim Nordreichkönig Hosea und dem Untergang Israels angelangt ist, wird in den Text eine längere theologische Reflexion über die Ursachen dieses Unglücks eingefügt.99 2 Kön 17,7–10: 7 Und das geschah, weil die Kinder Israels sich verfehlt hatten an Jahwe, ihrem Gott, der sie heraufgeführt hatte aus dem Land Ägypten, aus der Hand Pharaos, des Königs von Ägypten, und fürchteten andere Götter. 8 Und sie wandelten nach den Satzungen der Völker, die Jahwe vor dem Angesicht der Kindern Israel vertrieben hatte – und der Könige Israels, die sie (sich) gemacht hatten. 9 Und die Israeliten ‚taten heimlich‘100 Dinge, die so nicht sein sollten, gegen Jahwe ihren Gott; so bauten sie sich Höhen in allen ihren Städten – vom Wachturm bis zur befestigten Stadt. 10 Und sie richteten sich Mazzeben und Ascheren auf auf allen hohen Hügeln und unter allen grünen Bäumen.
So lautet die Einleitung zu einer ungewöhnlich langen theologischen Reflexion innerhalb des Deuteronomistischen Geschichtswerks anlässlich der Zerstörung Samarias durch Salmanassar.101 Offenbar ist diese Katastrophe erklärungsbedürftig. Zugleich dient die „Erklärung“ dieses Geschehens auch der Bearbeitung durch die Betroffenen. Entsprechend wird die Formulierung ויהי כיhier mit und das geschah, weil ... wiedergegeben. Wieder wird dabei Jahwe als ihr
Vgl. JEREMIAS, ATD 24/2, XIX–XXII. 98 Vgl. als deutlichen Hinweis Ez 7, wo sich sozusagen eine „Predigt“ über Am 8,2 zum Thema „Ende“ findet, oder die Anlehnung des priesterschriftliche Wortes Gen 6,13 an dasselbe Amoswort; vgl. dazu SMEND, Ende, 67–72. 99 Vgl. W ÜRTHWEIN, ATD 11/2, 395–397. Würthwein identifiziert in 2 Kön 17,7–23 drei verschiedene literarische Schichten. Insbesondere der dreimalige Hinweis darauf, dass Jahwe Israel von seinem Angesicht weg führte, ist ein Indiz dafür. Gleichzeitig kann aber gerade die große sprachliche Ähnlichkeit der jeweiligen Formulierungen in V. 18 und 23 für die bewusste Gliederung eines einheitlichen Textes sprechen. Das kann im vorliegenden Zusammenhang auf sich beruhen. Hier ist von Interesse, dass es sich um eine komplexe (evtl. sukzessive gewachsene) theologische Reflexion handelt. 100 Die Bedeutung des hapax legomenons חפאist unklar. „Und die Israeliten hatten Jahwe, ihrem Gott, Dinge angedichtet, die nicht recht waren“, übersetzt etwa WÜRTHWEIN, ATD 11/2, 392. 101 „Mit den VV. 7–23 ist dem Bericht von der Eroberung Samarias eine Passage angeschlossen, in der die Dtr das Geschehen grundsätzlich reflektieren und theologisch interpretieren. Der Abschnitt gilt als dtr Schlüsseltext“ (WERLITZ, NSK.AT 8, 275). 97
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
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Gott bezeichnet und wieder wird dieses besondere Verhältnis des Gottes Jahwe zu den Kindern Israel mit der Rettungstat aus Ägypten begründet.102 Die Reaktion der Israeliten wird hier allerdings knapp mit und fürchteten andere Götter benannt. Eben darin besteht ihre Verfehlung. Damit ist das erste Gebot und vor allem auch das Hauptgebot des Deuteronomiums verletzt. Dem folgt die Verletzung des deuteronomischen Grundgebotes103 der Einheit des Kultes „an dem Ort, den Jahwe sich erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen“ (vgl. Dtn 12,5 und öfter).104 Stattdessen werden Höhenheiligtümer zum Kult genutzt. Dabei gibt es Hinweise darauf, dass Mazzeben und Ascheren auch ihren Platz im Jahwekult hatten und nicht zwingend auf Fremdgötterverehrung hinweisen müssen.105 Hier aber wird der fortgesetzte Abfall vom (wahren oder reinen) Jahwegottesdienst als Grund für die Vernichtung Israels benannt. 23 ... bis Jahwe Israel von seinem Angesicht wegtat, wie er gesagt hatte durch die Hand aller seiner Knechte, der Propheten; so wurde Israel von seinem Land weg nach Assur in die Verbannung geführt bis auf den heutigen Tag.
Noch einmal wird am Ende dieser Einheit betont, dass Jahwe das handelnde Subjekt hinter den geschichtlichen Ereignissen ist. Israel wird also von seinem eigenen (Staats-)Gott verworfen und in die Verbannung geführt. So ist Israels Retter paradoxerweise auch sein Richter. Zugleich zeigt der Hinweis auf Israels fortgesetzte Verfehlung und auf die Propheten, die ebenso fortgesetzt im Namen Jahwes gesprochen haben, dass zwischen Jahwes Rettungshandeln im Exodus und seinem Richten in der Gola ein langer Weg gedacht ist. Insbesondere die Rolle der Propheten wird in 2 Kön 17,13–17 noch genauer in den Blick genommen106: 13 Und Jahwe warnte Israel und Juda durch die Hand aller seiner Propheten, aller Seher folgendermaßen: „Kehrt um von euren bösen Wegen und beachtet meine Gebote, meine Satzungen gemäß der ganzen Tora, die ich euren Vätern geboten habe, und die ich euch geschickt habe durch die Hand meiner Knechte, der Propheten.“ 14 Aber sie hörten nicht, sondern verhärteten ihre Nacken wie den Nacken ihrer Väter, die nicht an Jahwe, ihren Gott glaubten.
Hier wird Gott als einer geschildert, der nicht vorschnell im Zorn sein Volk verwirft und richtet. Vielmehr mahnt er – und zwar Israel und Juda – zur Um-
Vgl. WERLITZ, NSK.AT 8, 276. 103 Zur Unterscheidung eines „Hauptgebotes“ (Alleinverehrung Jahwes) und eines „Grundgebotes“ (Zentralisation des Kultes in Jerusalem) im Deuteronomium und der deuteronomistischen Theologie vgl. VEIJOLA, ATD 8/1, 264. 104 Vgl. FRITZ, ZBK.AT 10/2, 98f. 105 Vgl. FRITZ, ZBK.AT 10/2, 99. Zu denken ist z.B. an die Rolle der Mazzebe, die von Jakob in Bethel aufgerichtet wird (Gen 28,18); vgl. auch SCHMIDT, Art. Mazzebe. 106 Vgl. FRITZ, ZBK.AT 10/2, 99. 102
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
kehr. Maßstab dafür sind die Gebote der Tora. Entsprechend werden die Propheten als Mahner der Tora, ja sogar als deren Vermittler (V. 13: ואשר שלחתי )אליכם ביד עבדי הנביאיםverstanden. Interessant ist, dass die angemessene Reaktion der Israeliten nicht nur im Bewahren der Gebote, sondern im Glauben an Jahwe, ihren Gott (V. 14 )האמינו ביהוה אלהיהםbestanden hätte. Es geht also nicht nur um mangelnde Gesetzesobservanz, sondern um mangelndes Vertrauen auf den Gott, der sich doch als Retter erwiesen hatte. Dabei spielt es keine Rolle, dass sich in den Schriften der vorexilischen Propheten so gut wie keine Bezugnahmen auf die Gesetze des Pentateuch finden und dass auch die Nordreichspropheten Hosea und Amos hier gar nicht genannt werden. Es geht um ein prinzipielles theologisches Prophetenverständnis, sozusagen um ein theologisches Konzept von Prophetie, das sich nicht primär an den überlieferten prophetischen Texten orientiert, oder die darin erhobenen ethischen Forderungen nachträglich als Auslegung der Tora versteht.107 Zugleich geht es um ein bestimmtes, wiederum aspektreiches Gottesbild: Jahwe, dessen Wesen sich sozusagen in seinem Rettungshandeln an Israel gezeigt hat, ist so souverän, dass er nicht auf den Fortbestand seiner Anhängerschaft angewiesen zu sein scheint, sondern an ihnen ein radikales Gericht vollziehen kann. Dabei ist zugleich im Blick, dass dieses Gericht nicht auf Israel beschränkt ist, sondern dass Juda nicht viel besser dasteht – auch wenn der vorliegende Text aus judäischer Perspektive verfasst ist. Von daher ist es auch nicht zwingend, die ausdrücklich Reflexion über Judas Geschick in V. 19108 für einen literarischen Nachtrag zu halten.109 Schließlich erleidet auch das Königreich Juda dasselbe Schicksal wie Israel. 587 v. Chr. nimmt der neubabylonische König Nebukadnezar Jerusalem ein und zerstört den Tempel. Auch im Exil finden sich umfängliche theologische Reflexionen zur Bewältigung der erlittenen Katastrophe und zur Frage nach dem Wesen eines Gottes, der seinem Volk solch ein Geschick zumutet. Ja, die theologische Bewältigung des Exils wird zu dem Brennpunkt der alttestamentlichen Theologie- und Literaturgeschichte.110 Dies geschieht vor allem in den Texten Deuterojesajas, aber auch im Ezechielbuch, zum Beispiel in dem großen Geschichtsrückblick Ez 20. Hier wird aus der Perspektive des Exils, nachdem also das verheißene Land, das einmal Ziel des Exodus war, wieder verloren ging, noch einmal in theologisch-kerygmatischer Absicht die Geschichte des Auszugs und der Wüstenwanderung
Vgl. ein ähnliches Verständnis der „früheren Propheten“ (Sach 1,4: )הנביאים הראשנים im Prolog des Sacharjabuches, Sach 1,1–6. 108 „Auch Juda beachtete nicht die Gebote Jahwes, ihres Gottes, sondern wandelte nach den Satzungen Israels, wie die getan hatten.“ 109 So FRITZ, ZBK.AT 10/2, 99; JEREMIAS, Theologie, 226f.; vorsichtiger W ERLITZ, NSK.AT 8, 275. 110 Vgl. SCHMID, Literaturgeschichte, 111ff. 107
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
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erzählt.111 Im Vergleich mit den entsprechenden Passagen im Pentateuch muss diese Schilderung bei Ezechiel als zumindest eigenwillig anmuten. Der Text setzt damit ein, dass Männer von den Ältesten Israels (V. 1: אנשים )מזקני ישראלzu Ezechiel kommen, um Jahwe durch den Propheten zu befragen.112 Dieses Ansinnen lehnt Jahwe durch den Propheten ab (vgl. V. 3). Die Verse 30f. greifen dieses Thema wieder auf und weisen noch einmal das Anliegen einer Befragung Jahwes durch die Ältesten zurück, sodass V. 1–4 und 30f. einen Rahmen bilden. Der Textteil Ez 20,5–29*113 stellt den besagten Geschichtsrückblick dar, der der Begründung von Jahwes ablehnender Haltung dient. Darin ist der Abschnitt V. 5–26 durch Textgliederungssignale in drei Teile gegliedert: V. 5–9 handelt von Israel in Ägypten und Jahwes Befreiungstat; V. 10–17 erinnert an die Gabe der Gebote und den Ungehorsam Israels; V. 18–26 thematisiert den Ungehorsam der nächsten Generation und Jahwes Strafhandeln durch die Zerstreuung Israels.114 Der Text beginnt mit einer Erinnerung an Jahwes Offenbarung in Ägypten, die an Ex 6,2–8 erinnert.115 Ez 20: 5 Und sage zu ihnen: „So spricht mein Herr Jahwe: Am Tage als ich Israel erwählte, erhob ich meine Hand für die Nachkommenschaft Jakobs und machte mich ihnen bekannt im Land Ägypten, und erhob meine Hand für sie folgendermaßen: Nur ich bin Jahwe, euer Gott. 6 An jenem Tag erhob ich meine Hand für sie, um sie aus dem Land Ägypten zu führen; in ein Land, das ich für sie erkundet hatte, das von Milch und Honig überfließt, wunderschön ist es unter allen Ländern. 7 Und ich sprach zu ihnen: Ein jeder werfe die Scheusale seiner Augen fort und verunreinigt euch nicht an den Götzen Ägyptens; nur ich bin Jahwe.
Die Geschichte beginnt damit, dass Gott sich als Jahwe den Israeliten (von Mose ist hier und im Folgenden nicht die Rede116) bekannt macht.117 Dies wird
„Ez 20 berichtet aber die Geschichte der Erwählung Israels nicht nur als eine heilige Historie. Vielmehr ist sie in einer gründlichen theologischen Durchdenkung auf die in ihr vernehmbare göttliche Anrede hin transparent gemacht“ (ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 443). 112 Zu Ez 20,1 und einer möglichen Datierung des „Settings“ in das Jahr 591 v.Chr. und der damit gegebenen Perspektive der ersten Gola vgl. ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 441. 113 Der Abschnitt V. 27–29 ist vermutlich ein späterer Nachtrag, vgl. ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 450. 114 Vgl. zur Analyse des Kapitels insgesamt: SEDLMEIER, Studien. 115 Vgl. D IESEL, Jahwe, 346f. 116 „Die eigenwillige Raffung ist Ez’s eigentümliches Werk und soll der Dichte der Verkündigung dienen“ (ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 445f.). 117 Zu den Gemeinsamkeiten mit Ex 6,2–8 (trotz der fehlenden Erwähnung des Mose) vgl. DIESEL, Jahwe, 347ff. 111
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
ausdrücklich als Akt der Erwählung118 bezeichnet und mit dem Gestus der Handerhebung zum Schwur unterstrichen. Die Formulierung ich erhob meine Hand [zum Schwur] wird im Verlauf des Texts wieder auftauchen, dann allerdings nicht mehr, um Israel etwas Positives zu verheißen. In V. 15 schwört Jahwe, die Israeliten wegen ihres Ungehorsams nicht in das Land zu bringen; in V. 23 droht er gar mit dem Schwurgestus der nächsten Generation die Zerstreuung an. Hier aber, in V. 5f., macht Jahwe sich mit der Formulierung feierlich bekannt und verheißt Exodus und Landgabe. Die Formulierung אני יהוה prägt das Kapitel.119 In Form der sog. Erkenntnisaussage ist sie eine theologische Zielformulierung des Textes, so zum Beispiel in V. 26: damit sie erkennen, dass nur ich Jahwe bin.120 Auffällig ist die Aufforderung, die Israeliten sollten von den Götzenbildern Ägyptens lassen; denn von einer Verehrung der ägyptischen Götter durch die Israeliten ist im Buch Exodus nicht die Rede. Ebenso ohne identifizierbaren Paralleltext im Pentateuch ist die nun geschilderte Weigerung der Israeliten – bereits in Ägypten! – von ihren Götzen zu lassen.121 8 Aber sie waren mir gegenüber widerspenstig und wollten nicht auf mich hören, sie warfen ein jeder die Scheusale ihrer Augen nicht fort und die Götzen Ägyptens verließen sie nicht; da dachte ich, meinen Zorn über sie auszugießen und meinen Ärger an ihnen zu vollenden [ ]ואמר לשפך חמתי עליהם לכלות אפי בהםmitten im Land Ägypten. 9 Aber ich handelte entsprechend meines Namens [ ]ואעש למען שמי, damit er nicht entweiht würde in den Augen der Völker [ ]לבלתי החל לעיני הגוים, in deren Mitte sie waren, vor deren Augen ich mich ihnen bekannt gemacht hatte, um sie aus dem Land Ägypten zu führen.
Der Text entfaltet eine Dynamik von Israels Ungehorsam, Gottes Zorn und doch einer gewissen Inkonsequenz um meines Namens willen ()למען122. Diese Dynamik wird sich im Folgenden noch zweimal wiederholen.123 Gott hat Israel erwählt, aber diese Erwählung ist nicht bedingungslos. Wenn Israel etwa durch den Dienst für andere Götter seiner Erwählung nicht gerecht wird, gerät Gott
Die Wurzel בחרfindet sich bei Ezechiel ausschließlich hier in 20,5; vgl. ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 443. 119 Vgl. Ez 20,5.7.12.19.26.38.42.44. 120 Vgl. ähnlich V. 12 und 19. 121 Auch hier geht es nicht um historische Rekonstruktion, sondern theologisch „um das radikale Gesamturteil über Israel, das diesem auch für seine Frühzeit keinen Raum lichten Gehorsams läßt“ (ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 446). 122 „So also versteht Hesekiel die kanonische Gottesgeschichte: als eine Kette von Mißerfolgen Jahwes und als ein fortgesetztes Scheitern Israels an dem göttlichen Willen. Das einzige, was der Sache Bestand und Dauer gab, war eine fortwährende göttliche ‚Inkonsequenz‘, nämlich die Rücksicht auf die Ehre seines Namens bei den Völkern“ (RAD, Theologie 2, 237). 123 Vgl. V. 13: ... ואמר לשפך חמתי עליהםund 14: ואעשה למען שמי לבלתי החל לעיני הגוים, sowie V. 21: ... ואמר לשפך חמתי עליהם לכלות אפי בםund 22: ואעש למען שמי לבלתי החל לעיני הגוים. 118
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in Zorn. Aber er hält diesen Zorn zurück, indem er handelt wie es seinem Namen entspricht. Dabei wird offenbar vor dem Forum der Völker Jahwes Wesen infrage gestellt, wenn der, der in der Herausführung seines Volkes gezeigt hat, dass nur ich Jahwe/der Wirksame bin, mit diesem Vorhaben scheitert.124 Stattdessen straft er sein Volk, indem er die Exodusgeneration nicht in das gelobte Land kommen lässt (vgl. V. 15) und spätere Generationen in Gola und Diaspora zerstreut (vgl. V. 23f.). Dabei fällt der bemerkenswerte Satz: 25 So gab ich ihnen schließlich Satzungen, die nicht gut waren und Rechtssätze, durch die sie nicht leben konnten. 26 Und ich machte sie unrein durch ihre Gaben, wenn sie nämlich darbrachten alle Erstgeburt des Mutterschoßes, damit ich sie mit Entsetzen erfüllte, sodass sie erkannten, dass nur ich Jahwe bin.
Insbesondere in diesem letzten Abschnitt des Geschichtsrückblickes, in den Versen 18–26, verschwimmt die Vergangenheit mit der Gegenwart der Exilsgeneration. Auch diese Generation, nach der Datierung in V. 1 die Angehörigen der ersten Gola, war Gottes Willen gegenüber ungehorsam und kommt im Rückblick zu dem paradoxen Schluss, dass die Gebote, die Gott gegeben hatte, nicht gut waren und nicht zum Leben dienten.125 Bereits das Scheitern an diesen Geboten ist Strafe, und im Schicksal der Exilierten wiederholt/erfüllt sich das, was Jahwe gemäß Ezechiels Rückblick bereits in der Wüste (V. 23) angedroht hatte. So wird die Generation der exilierten Judäer, in der Logik des Textes repräsentiert durch die „fragenden“ Ältesten, mit einem vielfältigen, ambivalenten Gottesbild konfrontiert. Er lässt sich als Jahwe erkennen, erwählt und rettet Israel, zürnt über Ungehorsam, hält aber seinen Zorn zurück um seines Namens/seines Wesens willen, schwört Strafe und hat doch über lange Zeit geschont, bis die gegenwärtige Generation tatsächlich in der Verbannung gelandet ist. Begründet wird das in V. 31 damit, dass alle geschilderten Gräuel bis heute ( )עד היוםgeschehen.
„Die Art und Weise, wie in Ez 20,5–10 der Verweis auf die Ehre Jahwes, auf das Handeln um seines Namens willen, erfolgt, läßt deutlich erkennen, daß der Verfasser hier Wert auf den Jahwe legt, der, weil er vor der Weltöffentlichkeit seinen Plan mit Israel ausgebreitet hat, diesen Plan durchzuführen willens und in der Lage ist“ (POHLMANN, ATD 22/2, 312f.). 125 Die Verse 11.13 und 21 sagen jeweils das Gegenteil aus: Der Mensch, der sie (die Gebote) hält, lebt durch sie ( )יעשה אותם האדם וחי בהם. Gerhard von Rad urteilt, dass hier „die Freiheit der prophetischen Interpretation etwas Äußerstes gewagt hat“ (RAD, Theologie 2, 236), und Zimmerli urteilt, die „paulinisch Erkenntnis vom Wesen des Gesetzes (Rö 5,30; 7,13; Gal 3,19) ist hier in eigentümlich begrenzter Formulierung von ferne zu ahnen“ (ZIMMERLI, BKAT XIII/1, 449). Man kann aber auch an den impliziten Vorwurf in Dtn 30,1–10 denken, die Gebote der Tora seien „zu hoch“ oder „zu fern“. 124
298
6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
31 Und wenn ihr eure Gaben darbringt, wenn ihr eure Söhne durchs Feuer gehen lasst, macht ihr euch unrein für eure Götzen bis heute; aber ich sollte mich von euch befragen lassen, Haus Israel? So wahr ich lebe – Raunung meines Herrn Jahwe – als ob ich mich von euch befragen ließe!
So wird der Bogen zurückgeschlagen zum Beginn des Textes und die theologische Reflexion hinter dem vermeintlichen Geschichtsrückblick wird deutlich. Es fällt auf, dass von „Zeitgeschichte“ nicht explizit die Rede ist. Die angeredeten Judäer sind Haus Israel, auf „Juda“ oder „Israel“ wird nicht Bezug genommen. Das, was Israel nach seiner eigenen Gründungserzählung in Exodus und Wüstenwanderung war, ist jetzt repräsentiert in der Generation der (ersten) Gola. Immer noch fragt dieses Israel nach seinem Gott Jahwe. So bleibt der Gedankengang, trotz der ablehnenden Haltung Jahwes offen für die Frage „Was nun?“ und für eine Zukunftsperspektive.126 Und so wird die theologische Reflexion auch noch fortgesetzt. Jahwe kündigt ein Strafgericht an, dass paradoxerweise in einem neuen Exodus besteht: 34 Ich will euch herausführen [ ]והוצאתי אתכםaus den Völkern und euch sammeln aus den Ländern, in die ich euch zerstreut habe mit starker Hand und ausgestrecktem Arm und ausgegossenem Zorn.
Wieder wird dieser Exodus in die Wüste führen, aber dort wird nun eine Art Sichtung oder ein reinigendes Gericht stattfinden. Diejenigen, die abgefallen sind (vgl. V. 38f., diese Differenzierung wurde in Ez 20 bisher nicht vorgenommen), werden nicht wieder in das Land einziehen. Ein letzter Gedankengang in V. 39–44 malt dann das Bild eines einmütig auf Gottes heiligem Berg opfernden „Hauses Israel“, das von Gott angenommen wird. Allerdings allein um seines Namens willen, trotz aller bisheriger Untaten Israels. Aber gerade darin soll das Volk das Wesen seines Gottes erkennen. 44 Dann sollt ihr erkennen, dass nur ich Jahwe bin, wenn ich an euch handle, wie es meinem Namen entspricht; nicht entsprechend eurer bösen Wege oder eurer verdorbenen Taten, Haus Israel – Raunung meines Herrn Jahwe.
6.2.2 Der Gott Israels und der Gott der ganzen Welt In der Exoduserzählung mit der Zusage an Israel, dass Jahwe dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, ist, wird ein exklusives Gottesverhält-
„Die Diasporasituation ist demzufolge geradezu ein Beleg für Jahwes planvolle Geschichtslenkung, deren einzelne aufeinander folgende Schritte zwar jeweils den Verschuldungen Israels Rechnung tragen, aber doch zugleich von der Option bestimmt sind, danach wieder zielgerichtet heilwirkend aktiv zu werden. Zugleich ist mit dieser Konzeption gewährleistet, daß Jahwe wegen der Diasporasituation Israels nicht mehr unter Ohnmachtsverdacht stehen kann“ (POHLMANN, ATD 22/2). 126
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nis begründet.127 Dieses enge Verhältnis wird in zahlreichen alttestamentlichen Texten durch Varianten der sog. Bundesformel128 ausgedrückt, so zum Beispiel in Ex 6,7: 7 Und ich will euch mir als Volk annehmen und will euer Gott sein, und ihr sollt erkennen, dass nur ich Jahwe bin, euer Gott, der euch herausführt aus dem Frondienst Ägyptens.
Der in dieser Formel – Jahwe Israels Gott/Israel Jahwes Volk – ausgesprochene Verhältnis ist allein begründet in Gottes Erwählung, wofür Dtn 7 sozusagen den locus classicus darstellt.129 Dtn 7,6–11: 6 Denn ein heiliges Volk bist du für Jahwe, deinen Gott; dich hat Jahwe, dein Gott erwählt, um ihm ein Volk des Eigentums zu sein, aus allen Völkern, die es auf dem Erdboden gibt. 7 Nicht, weil ihr zahlreicher wärt als alle Völker, hat Jahwe sich euch verbunden und hat euch erwählt, denn ihr seid ja kleiner als alle Völker, 8 sondern wegen Jahwes Liebe zu euch und um den Eid zu bewahren, den er euren Vätern geschworen hatte, hat Jahwe euch mit starker Hand herausgeführt und hat dich losgekauft aus dem Haus der Knechtschaft, aus der Hand Pharaos, des Königs von Ägypten. 9 So sollst du erkennen, dass nur Jahwe dein Gott ist, nur er ist der Gott; der glaubwürdige Gott, der seinen Bund und seine Treue bewahrt an denen, die seine Gebote lieben, bis ins tausendste Glied, 10 aber der vergilt denen ins Angesicht, die ihn hassen, sodass er sie vernichtet; er zögert nicht, dem, der ihn hasst, in sein Angesicht zu vergelten. 11 So sollst du das Gebot und die Satzungen und die Rechtssätze bewahren, die ich dir heute gebiete, um sie zu tun.
Israel ist für Jahwe ein heiliges Volk, ausschließlich weil er es als solches erwählt ( )בחרhat (V. 6)130. Diese Erwählung ist nicht in Qualitäten Israels be-
Dafür hat sich der Begriff Erwählung eingebürgert, für den gilt: „Wo immer das Alte Testament die Erwählung Israels durch JHWH nicht nur generell feststellt, sondern mit einem konkreten Ereignis belegt, nennt es die Exoduserfahrung. Neben Ps 114,1f. ist Am 3,1f. das bekannteste Beispiel“ (JEREMIAS, Theologie, 90); zu Am 3,1f, vgl. den vorigen Abschnitt. 128 Vgl. PERLITT, Bundestheologie; G ERTZ. Art. Bund, 1862–1865. 129 Vgl. SEYBOLD, Art. Erwählung, 1478–1481. 130 Es fällt auf, dass in V. 6 Israel in 2. Pers. Sg. angeredet wird, während ab V. 7 die 2. Pers. Pl. begegnet. Dies führt zu dem Schluss, dass hier zwei literarische Schichten vorliegen; vgl. so VEIJOLA, ATD 8/1, 193ff. Gleichwohl wird der ganze Abschnitt von dem Thema und dem Begriff „Erwählung“ zusammengehalten. So gilt auch für V. 6: „Diesen Status [als ‚heiliges Volk‘] verdankt Israel nicht sich selbst, sondern allein und ausschließlich Jahwe, der durch einen souveränen Erwählungsakt unbegreiflicherweise gerade Israel unter allen Völkern zu seinem Eigentumsvolk machte, wie die fundamentale Aussage von der Erwählung Israels hier prägnant und zum ersten Mal formuliert wird“. 127
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gründet, sondern in Jahwes Liebe (V. 8)131 und in seiner Treue zum Eid, den er den Vätern geschworen hatte.132 So erweist sich Gott als glaubwürdig oder treu (V. 9).133 Daher handelt Gott befreiend im Exodus. Die Erwählung geht also dem Exodus voraus. Gleichwohl sollen für Israel zwei Dinge folgen: Die Erkenntnis der Einzigkeit Jahwes und die Befolgung seiner Gebote.134 Dies gilt nach V. 11 ausdrücklich auch für die Gegenwart, das Heute, das eben auch auf die Zeit der jeweiligen Lesergenerationen zielt.135 Für die deuteronomistische Theologie kulminiert dies in der Exklusivität des Gottesverhältnisses und in der Konzentration des Kultes auf einen bestimmten Kultort. Auch hier spielt Erwählung wieder eine Rolle. Dtn 12,11: 11 Und es wird da der Ort sein, den Jahwe, euer Gott, sich erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen, dorthin sollt ihr bringen alles, was ich euch geboten habe; eure Brandopfer und eure Schlachtopfer, euren Zehnten und die Opfergaben eurer Hände und alles Auserwählte eurer Gelübde, die ihr Jahwe geleistet habt.
In dtr. Lesart wird dieser auserwählte Ort identifiziert mit dem Tempel in Jerusalem.136 Ausdrücklich wird dies im Tempelweihgebet Salomos in 1 Kön 8 gesagt. 1 Kön 8,16: 16 Von dem Tag an, da ich mein Volk Israel aus Ägypten geführt habe, habe ich keine Stadt erwählt aus allen Stämmen Israels, um ein Haus zu bauen, um meinen Namen
Vgl. VEIJOLA, ATD 8/1, 207, der dies „als vorangehende, reine Gnade“ bezeichnet. Für MÜLLER, Lieben, 237 „gibt es einen Unterschied zwischen Gottes Liebe zu den Menschen und menschlicher Liebe: Die Liebe Gottes ist zwar Handlungsgrund, wird aber nicht mit einer Begründung versehen, bleibt also unbegründet und folglich auch unergründbar“. 132 „Der Hinweis auf die ‚Väter‘, die Jahwe liebte (4,37) oder denen er einen Eid geschworen hatte (7,8), belegt Gottes Treue zu der späteren Generation“ (VEIJOLA, ATD 8/1, 206). 133 „Gottes Wesen offenbart sich somit in der communio mit seinem Volk [...] Vom biblischen Gott sprechen, heißt also nach 6–11, von seinem Handeln an seinem Volk reden“ (BRAULIK, NEB.AT 15, 65). 134 Ähnlich findet sich dies im Buch Exodus in der Korrespondenz der Auswahl Israels als Volk von Königen und Priester (Ex 19,6) mit dem Bundesschluss in Ex 24 und der Verpflichtung des Volkes auf die Gebote des Bundesbuches (Ex 21–23); vgl. JEREMIAS, Theologie, 304–308. 135 „Es entsteht eine Hermeneutik in drei, aufeinander eng bezogenen Schritten: Die Erfahrung der Liebe Gottes in seiner Befreiungstat führt zum Erkennen seines wahren Wesens, was wiederum zum aktiven Handeln verpflichtet“ (VEIJOLA, ATD 8/1, 208 [Hervorhebung im Original]). 136 Aber: „In der schon vor-dtn Jerusalemer Tradition wurde der Zion als göttlich erwählte Stätte verstanden. Unsichtbar thronte Jahwe dort über der Lade. Zusammen mit dieser ‚Wohnung‘ und ‚Ruhe‘ Jahwes war die davidische Dynastie, mir deren Palast der Tempel einen einzigen Gebäudekomplex bildetet, erwählt“ (BRAULIK, NEB.AT 15, 97). 131
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dort anwesend sein zu lassen [Jerusalem habe ich erwählt, um meinen Namen dort anwesend sein zu lassen]137 und ich habe David erwählt, dass er über mein Volk Israel sei.
In der deuteronomistischen Theologie führt demnach eine Linie von der Exodusgeneration über die kriegerische Landnahme unter Josua und das Eintreten Gottes für Israels Stämme in der Richterzeit hin zum Tempelbau in Jerusalem und zur davidischen Dynastie. Denn auch David wird ja ausdrücklich als erwählt bezeichnet.138 Dies alles ist begründet in der exklusiven Gottesbeziehung zwischen „Israel“ – hier repräsentiert durch Juda und Jerusalem – und Jahwe. Der judäische König139 ist künftig nicht nur Gesalbter Jahwes (vgl. Ps 2,2), sondern auch dessen Sohn (vgl. Ps 2,7). Jahwe wird zum Staatsgott Judas.140 Seine Herrlichkeit wohnt im Tempel (vgl. Jes 6) und allmählich setzt sich die Gewissheit in Jerusalem durch, dass Jahwe in unserer Mitte ist, uns kann kein Unheil treffen (Mi 3,11). So ist Jahwe einerseits der Staatsgott, der auch als Stütze der politischen Macht dient, wie sich zum Beispiel Ps 2,6 entnehmen lässt: 6 Ich aber habe meinen König eingesetzt; auf Zion, dem Berg meiner Heiligkeit.
Dennoch können Sätze wie diese nicht als religiöse Begründung für Selbstsicherheit trotz eigener Verfehlungen dienen141, wie sie eben aus Mi 3,11 zitiert wurden. Denn derselbe Gott, der einerseits einen König meinen Gesalbten und meinen Sohn nennt, wird von Propheten in Anspruch genommen, die als eine Art oppositionelles Gegengewicht gegen staatlich Willkür auftreten. Das ist bereits zu greifen in der sog. Nathanparabel in 2 Sam 12, wo der Prophet nicht zufällig einen Armen und einen Reichen gegenüberstellt und eindeutig Position für den Armen bezieht. Die Prophetie des 8. Jahrhunderts ist ein beredtes Zeugnis dafür, wie das vollständige Zitat aus Mi 3 zeigt: 9 Hört doch dies, ihr Häupter des Hauses Jakob und ihr Anführer des Hauses Israel; die ihr das Recht verabscheut und alles, was gerade ist, verdreht, 10 die ihr Zion mit Blut baut, und Jerusalem mit Übeltat.
So in der LXX; vgl. 2 Chr 6,6f.; vgl. dazu WÜRTHWEIN, ATD 11/1, 96, sowie die Formulierung in Richtung der Stadt, die du erwählt hast ( )העיר אשר בחרתin 1 Kön 8,44 und 48. 138 Vgl. auch 1 Sam 16,1–13. 139 Nach Dtn 17,15 gilt auch der ideale König für eine Zeit nach dem Exil als von Jahwe erwählt: Setze gewiss einen König über dich, den Jahwe, dein Gott, sich erwählt ... ( אשר )יבחר יהוה אלהיך בו. 140 Zu den zahlreichen Facetten, die sich hinter diesem Satz verbergen (Zionstheologie, Tempel, Lade und Keruben, Jahwe Zebaoth ...) vgl. RÖMER, Erfindung, 140–156; TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 75–89.93–104; ALBERTZ, Religionsgeschichte 1, 190–212; STOLZ, Einführung, 114–118. 141 Zur judäischen Königstheologie als Hintergrund des Textes vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 32. 137
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11 Ihre Häupter richten für Geschenke, ihre Priester erteilen Weisung für einen Kaufpreis und ihre Propheten weissagen für Silber, aber auf Jahwe stützen sie sich folgendermaßen: Ist nicht Jahwe in unserer Mitte? Uns kann kein Unheil treffen! 12 Deshalb: Um euretwillen wird Zion zum Feld gepflügt werden und Jerusalem wird zum Trümmerhaufen werden und der Berg des Tempels zu einer Höhe Gestrüpps.
Micha greift sozusagen das Establishment für seine Bestechlichkeit und seine Selbstsicherheit an, die sich nach dem prophetischen Urteil gerade nicht auf Jahwe stützen kann.142 In Mi 2,1–3 wird deutlich, dass der Prophet im Namen Jahwes eindeutig eine Option für die Armen ergreift.143 Ja trotz aller Verbundenheit mit dem Staat, der Tempelstadt Jerusalem und dem „Haus David“ ergreift Jahwe auch gegen die Institutionen Position für die unterdrückten Armen. Psalm 113 zum Beispiel besingt dies als Wesenszug Jahwes. 5 6 7 8 9
Wer ist wie Jahwe, unser Gott, der in der Höhe thront, der sich erniedrigt, um zu schauen, im Himmel und auf der Erde? Der den Niedrigen aus dem Staub erhebt; aus dem Abfall den Armen erhöht, um ihn bei den Edlen sitzen zu lassen, bei den Edlen seines Volkes. Der die Unfruchtbare des Hauses wohnen lässt als eine fröhliche Mutter von Söhnen – Halleluja!
Hier wird mit Partizipien das Wesen Jahwes, unseres Gottes beschrieben als den Armen und Niedrigen zugewandt.144 Die unfruchtbare Frau, die unter ihrer Kinderlosigkeit leidet145, steht dafür als Beispiel. So ist der „Staatsgott“ nicht zu denken ohne den Kontrapunkt der Armenfrömmigkeit und der prophetischen Kritik an institutioneller Willkür. Historisch war wohl bereits vorher Jahwe der Staatsgott des Königreichs Israel geworden146, wenn auch ohne erwählte Dynastie. Für die Begründung des Heiligtums in Bethel ließ sich immerhin auf die Jakobstradition zurückgreifen. Gen 28 ist jedenfalls auch eine Heiligtumsätiologie.147 Für das Deute-
Vgl. zu den Details JEREMIAS, ATD 24/3, 159–167; WOLFF, BKAT XIV/4, 76–80. 143 Vgl. K ESSLER, Sozialgeschichte, 114–126 („Die Ausbildung einer antiken Klassengesellschaft“); JANOWSKI, Anthropologie, 225–257. 144 Vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 446f. 145 Vgl. als Beispiel das Gebet der Hanna in 1 Sam 2. 146 Vgl. STOLZ, Einführung, 118f.; TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 90ff.; R ÖMER, Erfindung, 119–139; ALBERTZ, Religionsgeschichte 1, 212–224. 147 Vgl. STOLZ, Einführung, 118f. Die dtr. Darstellung der Königsbücher nimmt die Südreichperspektive ein und verurteilt das Aufstellen der Stierbilder in Bethel und Dan als „Sünde Jerobeams“, die zum Inbegriff der Apostasie wird (vgl. 1 Kön 12,28ff.). Dabei ist davon auszugehen, „dass Jhwh in beiden Heiligtümern, in Bethel und Dan, als Gott des Exodus galt“ (RÖMER, 122f.). Entgegen der Polemik sind also wohl im Nordreich Israel nicht „Kälber“ (eigentlich Jungstierbilder) als Götter neben Jahwe, sondern Jahwe in Gestalt der Stiere, die entweder als seine Postamente oder als Verbildlichung seiner Kraft galten, verehrt worden; vgl. KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 215ff. und TILLY/ZWICKEL, Religionsgeschichte, 91. 142
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ronomistische Geschichtswerk ist Jahwe selbstverständlich der Gott beider Königreiche. Möglich ist aber eine Ausdifferenzierung in einen „Jahwe von Samaria“ und einen „Jahwe von Jerusalem“148, wobei von letzterem nur in einem Analogieschlussverfahren geredet werden kann.149 Belegt ist die Formulierung weder biblisch noch inschriftlich. Aber zumindest die Überlieferung von Traditionen und Texten aus dem Nordreich, die zum Beispiel als Quellen in die Königsbücher Eingang fanden oder in den Büchern Amos und Hosea zu greifen sind, und deren Integration in die Sammlung von Schriften, die auch exilisch und nachexilisch die Identität eines „Israel“ als Glaubensgemeinschaft begründen sollen, deutet auf die Kompatibilität der jeweiligen Gottesvorstellungen. So gesehen, ist Jahwe der Gott einer – recht kleinen – Glaubensgemeinschaft und exklusiv um deren Wohl und Wehe bemüht150, was bis heute zu der pejorativ konnotierten Rede von einer „Stammesreligion“151 führt. Daneben finden sich aber bereits inneralttestamentlich zahlreiche Hinweise, dass Jahwes Gottsein sich über Israel hinaus auf die gesamte Völkerwelt erstreckt. Dies wird bereits greifbar in der Herkunft Jahwes „aus dem Süden“, „von Seir“ oder aus „Midian“ und, verbunden damit, in der bemerkenswerten Tatsache, dass der Schwiegervater des Mose offenbar als Jahwepriester fungiert.152 Ex 18,10–12: 10 Und Jitro sprach: „Gelobt sei Jahwe, der euch errettet hat aus der Hand Ägyptens und aus der Hand Pharaos, der das Volk errettet hat unter der Hand Ägyptens weg. 11 Nun habe ich erkannt, dass Jahwe größer ist als alle anderen Götter – ‚fürwahr, an der Sache, mit der sie an ihnen vermessen handelten‘ 153. 12 Dann nahm Jitro, der Schwiegervater des Mose, Brandopfer und Schlachtopfer für Gott; auch Aaron und alle Ältesten Israels kamen dazu, um mit dem Schwiegervater des Mose Brot zu essen, vor [dem] Gott.
Wichtigste Zeugnisse für eine lokale Ausdifferenzierung Jahwes sind die Funde in Kuntillet ‘Aǧrud und Chirbet el-Qom, vgl. KEEL/UEHLINGER, Göttinnen, 237–282. 149 Die Deutung von K RATZ, Propheten, 64f.: „Israel und Juda laufen nicht nur anderen Völkern, sondern den falschen Göttern nach, dem Jhwh von Samaria und dem Jhwh von Jerusalem, von denen sie sich die Rettung versprechen, nicht dem Jhwh, der Israel und Juda straft. Aus dem verkehrten Jhwh werden im Laufe der Überlieferung der kanaanäische Baal und ‚die anderen Götter‘“, überführt daher recht schnell religionsgeschichtliche Möglichkeiten in Gewissheiten; vgl. etwas vorsichtiger RÖMER, Erfindung, 131–137, der durchaus mit einer realen (nicht erst einer „im Laufe der Überlieferung“ konstruierten) Baals-Verehrung in Israel rechnet. 150 Vgl. R ÜTERSWÖRDEN, Art. Universalismus, 774–776. 151 SLENCZKA, Kirche, 94, vgl. Kapitel 2.6. 152 Vgl. dazu ausführlich R ÖMER, Erfindung, 77–80. 153 V. 11b ist weitgehend unverständlich. 148
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Mag hier die spätere jüdische und christliche Überlieferung eine Art „Bekehrung“ des Jitro zu Jahwe gesehen haben154, so sagt der Text das doch nicht. Der Priester von Midian opfert zusammen mit den religiösen Autoritäten Israels, repräsentiert durch Mose, Aaron und die Ältesten, dem Gott Jahwe.155 In gewisser Weise wohnt auch den sog. Fremdvölkersprüchen der Prophetenbücher ein „universalistischer“ Zug der Jahwereligion inne, insofern Israels Gott da auch das Geschick anderer Völker bestimmt.156 Nun ist davon wiederum in erster Linie im Hinblick auf Israel die Rede. Dies wird insbesondere in dem sog. dreiteiligen eschatologischen Schema deutlich, nach dem zum Beispiel das Ezechielbuch aufgebaut ist: Gericht über Israel (Ez 1–24) – Gericht über fremde Völker (Ez 25–32) – Heil für Israel (Ez 33–48). Hier leitet das Gericht über die „fremden Völker“ (insbesondere über Israels Feinde) die Wende zu Gottes heilvollem Handeln an seinem Volk ein. Insofern scheint das Gottesverhältnis ganz auf Jahwe und Israel konzentriert zu bleiben. Auffällig ist dann aber in den Fremdvölkersprüchen des Amosbuches, dass Jahwe die Schuld Moabs an Edom zu bestrafen androht (vgl. Am 2,1–3)157, während es in den übrigen Texten um Verfehlungen an Israel geht. Wenn auch nur andeutungsweise, so wird hier doch eine „Zuständigkeit“ Jahwes für die Völkerwelt auch außerhalb Israels benannt. Dieser Gedanke verstärkt sich bei Deuterojesaja.158 Einerseits wird Israels Gott Jahwe hier so konsequent zum Initiator und Lenker der Weltgeschichte, dass auch der Perserkönig Kyros „mein Hirte“ (Jes 44,28), ja „mein Gesalbter“ (Jes 45,1) genannt wird.159 Auch dies geschieht um meines Knechtes Jakob und
Vgl. RÜTERSWÖRDEN, Art. Universalismus, 776. 155 Dazu treffend W ILLI-PLEIN, 2. Mose, 122: „Jitro ist in dieser Erzählung weder ein Außenseiter noch ein Neubekehrter. Er ist und bleibt ‚der Priester von Midian‘. Die spätere jüdische Auslegung hat zwar in ihm einen Proselyten (zum Judentum Übergetretenen) gesehen, und christliche Ausleger haben diesen Gedanken gern aufgegriffen und dahingehend weitergeführt, daß Jitro das Vorbild des Christen sei, der von der gegenüber dem Judentum niedrigeren Stufe einer heidnischen Religion zu einer höheren hinaufgestiegen sei. Der biblische Bericht ist viel aufregender in der großzügigen Selbstverständlichkeit, mit der berichtet wird, wie der Priester von Midian ein ‚Gottesmahl‘ vorbereitet und damit für Aaron und die Ältesten Israels zum Gastgeber vor Gottes Angesicht wird (V. 12). Kein Mensch bekehrt sich hier, und doch geschieht alles im Angesicht Gottes.“ 156 Vgl. JEREMIAS, Theologie, 432ff. 157 „Dieser Vorwurf zeigt, wie man zu Recht oft betont hat, daß der Gott des Amos sich nicht nur um Kriegsverbrechen an seinem Volk kümmert; er zeigt aber implizit auch die besondere Verbindung (Israels und) Judas zu Edom, da primär solche Verbrechen der Nachbarvölker in vergangenen oder gegenwärtigen Tagen benannt werden, die die Hörer bzw. Leser stark aufwühlten“ (JEREMIAS, ATD 25/2, 16). 158 Vgl. Kapitel 6.1.6. 159 „Nicht der Perser ist der Auslöser der neuen geschichtlichen Heilssetzung […], sondern JHWH […]. Die Weltmacht ist nicht Gestalterin, sondern Weisungsempfängerin dessen, der ‚alles macht‘ (Jes 44,24c; 45,7c)“ (BERGES, Jesaja 40–48, 387). 154
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um Israel, meines Erwählten willen (Jes 45,4) und doch drückt sich in dieser Art von Geschichtslenkung ein universeller Anspruch aus.160 Dieser wird bei Deuterojesaja andererseits expliziert in der Ankündigung, der „Knecht Jahwe“ werde Gottes Recht zu den Völkern herausbringen (Jes 42,1: משפט לגוים )יוציא161, da auf seine Tora die Inseln hoffen (V. 4: )ולתורתו איים ייחילו.162 So werden das „Recht“ und die „Tora“ des Gottes Israel irgendwann die ganze Welt erreichen.163 Schließlich gilt mit Jes 49,6 für den „Knecht“: 6 Und er sprach: „Es ist zu wenig, dass du für mich als Knecht wirkst, um die Stämme Jakobs und die Bewahrten Israels zurückzubringen; ich will dich auch zum Licht für die Völker einsetzen, um mein Heil zu wirken bis an die Enden der Erde“.164
Dies wiederum berührt sich – auch terminologisch – mit der sog. „Völkerwallfahrt zum Zion“165 (Jes 2//Mi 4), nach der am Ende der Tage die Völker zum Zion nach Jerusalem pilgern werden, um von dort „Weisung“ zu empfangen; denn von Zion geht Tora aus und das Wort Jahwes von Jerusalem (Jes 2,3b: )כי מציון תצא תורה ודבר יהוה מירושלם166. „Damit wird der Anspruch des Gottes Israels, Herr der Welt zu sein, seine bisherige Verborgenheit verlassen und in die sichtbare Evidenz hinüberwechseln.“167 Allerdings sind diese „universalistischen“ Tendenzen innerhalb der Überlieferung des Alten Testaments nicht unumstritten. Dies zeigen vor allem die abgrenzenden Tendenzen der Bücher Esra und Nehemia, die eine Zeit verstärkter Identitätsbildung und -wahrung des Gottesvolkes durch Ausschluss des
Vgl. JEREMIAS, Theologie, 734; HERMISSON, Art. Deuterojesaja, 4.1.10 („Der einzige und universale Retter. Israel und die Völker“). 161 Nach B ERGES, Jesaja 40–48, 229 „geht es beim Auftrag des Knechts um einen Dienst an den Nationen“. Dies stellt eine „Auftragserweiterung“ (ebd.) da. 162 Vgl. B ERGES, Jesaja, 40–48, 233. 163 Vgl. G ÜNTHER, Gottes Knecht. 164 Vgl. B ERGES, Jesaja 49–54, 42f. 165 Vgl. JEREMIAS, Theologie, 434–437, der darauf aufmerksam macht, dass es sich bei der Vorstellung der Völkerwallfahrt um eine Wirkung der Theologie Deuterojesajas handelt. 166 „Sachlich läuft das auf eine Einbeziehung aller Völker in die Jerusalemer Theokratie hinaus“ (KAISER, ATD 17, 65 zu Jes 2,3). „Wenn hier die ‚Weisung‘ (tôrâ) parallel zum ‚Wort Gottes‘ steht und beide Begriffe singularisch formuliert sind, dann können nicht mehr wie in vorexilischer Zeit die mündliche Priesterweisung und der mündliche Prophetenspruch gemeint sein. Vielmehr sind die schriftliche Mose-Torah, die wenig später Esra als persischer Staatssekretär für Fragen der Religion zum verbindlichen ‚Gesetz des Himmelsgottes‘ erklären wird, und die schriftliche Niederlegung von Worten der Propheten, die durch die Zerstörung Jerusalems (Mi 3,12) bestätigt waren, in Gestalt von Prophetenbüchern im Blick; kurzum: Es ist eine Vorform der heiligen Schrift gemeint, d.h. der sich allmählich bildenden Sammlung von Schriften mit verbindlichem Charakter“ (JEREMIAS, ATD 24/3, 173 zu Mi 4,2). 167 JEREMIAS, Theologie, 436. 160
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„Fremden“ spiegeln.168 Zum anderen findet sich dies aber auch in dem zur Erzählung geronnenen Diskurs des Jonabuches über die Frage, ob die Gnade Gottes auch für Nichtisraeliten, ja sogar für Israels „Erzfeind“, repräsentiert durch die „große und böse Stadt Ninive“, überhaupt wünschenswert ist.169 Das Buch endet genau mit dieser Frage und reicht sie sprachpragmatisch gleichsam an die Leserschaft weiter, die auf diese Weise in den Diskurs eingebunden wird.170 Jon 4,11: 11 Und mir sollte es nicht leidtun um Ninive, der großen Stadt, in der es mehr als 120000 Menschen gibt, die nicht zwischen rechts und links zu unterscheiden wissen und viele Tiere?
Auch hier ergibt sich ein vielfältiges Gottesbild. Jahwe ist ganz seinem Volk „Israel“ zugewandt und achtet „eifersüchtig“ auf Alleinverehrung. So wird er zum Staatsgott für Israel und Juda und lässt ein exklusives Verhältnis zum Haus David und zum Jerusalemer Tempel erkennen. Auf der anderen Seite weiß Israel nicht nur um eine Vor-Geschichte seiner selbst, sondern auch um eine „Geschichte“ seines Gottes. So ist Jahwe auch in seiner Bindung an Israel der Gott der ganzen Welt, der die Geschicke und Läufe der Geschichte bestimmt und dessen Wort und dessen Tora und dessen Erbarmen auch „viele Völker“ erreichen sollen. Der deutlichste Ausdruck eines universalen Anspruches Jahwes ist dann wohl die Rede von Gott als Schöpfer. 6.2.3 Aspekte von Gottes Schöpfersein Die Überzeugung, dass Israels Gott Jahwe der Schöpfer des Kosmos ist, beziehungsweise dass im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht Elohim der Schöpfergott sich später als Jahwe dem Mose offenbart und sein Volk aus Ägypten führt, setzt diesen Gott in Beziehung zur ganzen Welt. Dass die Beschreibung dieses Weltverhältnisses Gottes aber ebenso vielfältig ist wie das übrige alttestamentlich Reden über Gott, zeigt schon die Tatsache, dass das Alte Testament mit zwei Schöpfungserzählungen beginnt. Aber auch der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,4a vereint in sich höchst unterschiedliche Vorstellung von göttlichem Schöpfungshandeln. Dabei greifen die priesterlichen Verfasser auf eine Vielzahl außerisra-
Vgl. z.B. die Ablehnung sog. „Mischehen“ mit Nicht-Israelitinnen in Esr 9–10 oder Neh 13,23–28. 169 Dies ist der Punkt, auf den „das Jonabuch insgesamt zuläuft“ (JEREMIAS, ATD 24/3, 110). Begründet in Gottes „Mitleid“ (leid tun) werden Jona und die Leserinnen und Leser seines Buches dazu aufgefordert, mit der Umkehr auch der „Bösesten“ und dann mit Gottes Gnade zu rechnen; vgl. dazu auch WOLFF, Studien, 79–82; GOLKA, Jona, 97f. und ausführlich WEIMAR, Jona, 448–457. 170 Vgl. W EIMAR, Jona, 459. 168
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elitischer altorientalischer Schöpfungsvorstellungen zurück.171 So findet sich die Schöpfung durch das Wort172 (V. 3: Dann sprach Gott: Es werde Licht! )יאמר אלהים יהי אור ויהי אור, Gott schafft aber auch durch handwerkliche Tätigkeit173 (zum Beispiel V. 16f.: Da machte Gott [ ]ויעש אלהיםdie beiden großen Lampen, die große Lampe, um den Tag zu beherrschen, und die kleine Lampe, um die Nacht zu beherrschen, und die Sterne. 17 Und Gott setzte sie [ ויתן אתם ]אלהיםan die Himmelsfeste, um über der Erde Licht zu verbreiten). Aber auch das Scheiden der im Chaos verworrenen Elemente kann ein Akt der Schöpfung sein174 (V. 7: Da machte Gott die Feste und schied [ ]ויבדלzwischen den Wassern, die oberhalb der Feste waren und den Wassern, die unterhalb der Feste waren – und es geschah so). Dann kann die Erde auch am Schöpfungsvorgang beteiligt werden175 (V. 11: Und Gott sprach: „Die Erde lasse Gras sprossen
Dabei gilt grundsätzlich: „Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 teilt Vorstellungen, Motive und Sprachformen mit einer ganzen Reihe von mesopotamischen, ägyptischen und griechischen Texten. Hinzu kommt eine große Nähe zu kosmologischen Vorstellungen des Ezechielbuches, das wiederum enge Verbindungen zu mesopotamischen Texten aufweist. Damit befindet sich der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in einem ganzen Netzwerk an Texten, zu denen sich Beziehungen oder Gemeinsamkeiten feststellen lassen. So erinnert seine strenge Systematik in der Ordnung der Lebewesen nach Stamm, Gattung und Art deutlich an die Naturphilosophie der Vorsokratiker, für die sich ihrerseits Berührungen mit neuassyrischen Kommentaren zu den klassischen mythischen Texten Mesopotamiens aufweisen lassen. Dieser Befund spricht gegen eine einlinige Herleitung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts aus dem Enuma Eliš. Eher sind die Verfasser der Priesterschrift grundsätzlich an einem maßgeblich von Mesopotamien inspirierten ostmediterran-nahöstlichen Kultur- und Wirtschaftsraum zu verorten“ (GERTZ, ATD 1, 21). Vgl. insgesamt auch KEEL/SCHROER, Schöpfung, passim. 172 Vgl. G ERTZ, ATD 1, 31.44f. Dabei „ist die priesterschriftliche Rede von der Schöpfung durch das Wort auch der prophetischen Theologie verpflichtet, in der die Wirksamkeit des durch den Propheten vermittelten göttlichen Wortes zunehmend in den Mittelpunkt gerückt ist“ (a.a.O., 45). 173 Zur Unterscheidung von „Wortbericht“ und „Tatbericht“, die zugleich ein „Nebeneinander von ‚Wort‘ und ‚Tat‘“ bedeutet vgl. GERTZ, ATD 1, 31. Dazu auch KEEL/SCHROER, Schöpfung, 176: „Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht in Gen 1 unterscheidet sich von den meisten anderen biblischen Schöpfungstexten durch seine Konzentration auf das Modell ‚Schöpfung durch Wort und Befehl‘“ […], wobei „das Wort Gottes allein den Schöpfungsakt und sein Resultat bewirkt, also das mehrfach nachfolgende ‚und Gott machte/schuf‘ kein sekundärer Vorgang ist, sondern im Sinne von ‚und so (auf diese Weise) machte/schuf Gott‘ nur das Ergebnis des vorangehenden ‚Gott sprach‘ festhält.“ Zum Motiv der „Schöpfung durch Handwerk“ im Alten Orient vgl. a.a.O., 121ff. 174 Vgl. W ESTERMANN, BKAT I/1, 157. 175 Anders akzentuiert G ERTZ, ATD 1, 51f., dass „es beim zweiten Werk des Tages um die Funktionsbestimmung der zuvor erschaffenen Erde geht und weniger um deren selbsttätiges Mitwirken an Gottes Schöpfung“. Aber auch er sieht in V. 12 „die Vorstellung der gebärenden ‚Mutter Erde‘“ (a.a.O., 52) zumindest anklingen; vgl. auch WESTERMANN, BKAT I/1, 174. 171
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
[]תדשא הארץ דשא, Kraut, das Samen trägt, Fruchtbäume, die Frucht bringen nach ihrer Art, in denen ihr Same ist auf der Erde“ – und es geschah so).176 Hier ist zugleich die Unterscheidung von Nackt- und Bedecktsamern wahrgenommen worden, so dass sich „mythologische“ und quasi „naturwissenschaftliche“ Züge mischen.177 Die Erschaffung der Tanim in V. 21 (Und Gott schuf die großen Tanim ...) erinnert von Ferne an das Motiv des Chaoskampfes.178 In anderen alttestamentlichen Texten kommt dies deutlicher zur Sprache. So zum Beispiel in Hiob 26,11f.: 11 Die Säulen des Himmels wankten und erschraken vor seinem Schelten. 12 Durch seine Kraft hat er das Meer erregt und mit seiner Einsicht hat er Rahab zerschlagen.
Eingewoben in Hi 26,11f. ist das Motivs des „Schaffens durch Schelten“ (V. 11): Indem die Gottheit droht, weist sie den Dingen ihren Platz an.179 V. 12 nennt mit Rahab wohl einen aus den Schöpfungsmythen des Zweistromlandes bekannten Urdrachen180, der bei der Schöpfung zerteilt wird. Im Alten Testament finden sich sehr unterschiedliche Züge des Schöpfungshandelns Gottes. Insbesondere der priesterschriftliche Schöpfungsbericht integriert und usurpiert dabei unterschiedliche Motive aus altorientalischen Schöpfungsmythen, sodass es zu einer Mischung verschiedenster Aspekte kommt. Dies wird im ersten Schöpfungsbericht durch die signifikante Verwendung der Wurzel בראzusammengehalten. Dieses Verb, das im Alten Testament exklusiv für das Schöpferhandeln Gottes verwandt wird, rahmt den Text in 1,1 und 2,4a, sodass eine begriffliche und zugleich theologische inclusio entsteht. Alle Motive, die sich in Gen 1,1–2,4a finden, stehen unter dem Vorzeichen ברא אלהים Gott hat geschaffen.181 Für die Priesterschrift ist klar, dass dieser Gott kein
Die Erde ist auch an der Hervorbringung der Tiere beteiligt, vgl. V. 24. 177 Vgl. ähnlich G ERTZ, ATD 1, 52, der hier „holzende“ und „nichtholzende“ Pflanzen unterschieden sieht; vgl. WESTERMANN, BKAT I/1, 173 („die beiden Hauptgattungen der Pflanzen“). Insgesamt zeige sich hier u.ö. ein „wissenschaftlicher und zugleich entmythisierender Zug“ (KEEL/SCHROER, Schöpfung, 177). 178 Vgl. W ESTERMANN, BKAT I/1, 190f.; anders aber G ERTZ, ATD 1, 58; K EEL/ SCHROER, Schöpfung, 131. 179 Dazu EBACH, Streiten 2, 48: „... so tritt in V. 11f. der kämpfende Gott in den Vordergrund. […] Nicht von einer heilen Welt ist die Rede, sondern von einer, die durch Gottes Macht und Gewalt gegen die Mächte des Chaos geschaffen und erhalten wurde und wird. Um diese (in V. 12f. genannten) Mächte zu besiegen und in die Schranken zu verweisen, bot Gott seine donnernde und scheltende Macht auf, die sogar die Himmelspfeiler erbeben ließ“. 180 Vgl. auch Ps 89,11 und Jes 51,9. „Als Gegner Gottes sind in V. 12f. genannt: das Meer, auf das Gott seine Macht ausdehnt, Rahab, eine biblische Bezeichnung des mythischen Meerungeheuers, das sowohl in der kanaanäischen als auch in der mesopotamischen und ägyptischen Mythologie als Chaosmacht erscheint“ (EBACH, Streiten 2, 48). 181 „Als Beispiel für das Einzeichnen einer neuen Geisteshaltung in die überkommene Tradition […] sei an die herausgehobene Verwendung des Schöpfungsverbs *br’ am Anfang 176
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
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anderer ist als der, der sich in Ex 6 Mose als Jahwe zu erkennen geben wird. Dieser Gott hat geschaffen, wobei sich בראeben nicht auf eine konkrete Tätigkeit (sprechen, machen, scheiden, drohen ...) reduzieren oder festlegen lässt. Wichtig ist, dass es sich um exklusives Handeln Gottes handelt. So ist der Begriff auch innerhalb des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes mit theologischer Signalwirkung gesetzt. Wenn es nach V. 1 ausgerechnet erst wieder von den Tanim in V. 21 heißt, und Gott schuf die großen Tanim ..., dann wird damit verdeutlicht, dass es keine Chaosdrachen gibt, die dem Schaffen Elohims vorgeordnet oder entzogen wären. Und wenn dann wieder Gen 1,27 die Erschaffung des Menschen wie folgt ausdrückt182: 27 Dann schuf [ ]בראGott den Menschen Nach dem Abbild Gottes Männlich und weiblich
nach seinem Abbild schuf [ ]בראer ihn schuf [ ]בראer sie.
dann wird durch die Form des Satzes, aber auch durch die Verwendung des Verbs בראdie Menschenschöpfung noch einmal hervorgehoben.183 Verfolgt man nun den Gebrauch von בראim Alten Testament weiter, dann lassen sich noch ganz andere Bereiche ausmachen, die dem Schöpferhandeln Gottes zugeordnet werden und die nichts mit der Welt am Anfang zu tun haben.184 So heißt es bei Deuterojesaja, Gott habe Israel geschaffen. Jes 43,1: 1 Aber jetzt – so spricht Jahwe, dein Schöpfer [ ]בראך, Jakob, und dein Bildner, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mir gehörst du.
Angeredet sind die exilierten Judäer in Babylon, die als „Jakob“ und „Israel“ ein enges Gottesverhältnis haben.185 Auf den Begriff gebracht wird dies unter
und Ende des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts sowie bei der Erschaffung des Menschen erinnert. Wie ausgeführt, enthebt das Verb das göttliche Schöpfungshandeln jeglicher Vorstellbarkeit. Daneben berichtet die Priesterschrift auch ganz traditionell vom ‚Machen Gottes‘ oder vom ‚Hervorsprossenlassen der Erde‘. Die mit dem Schöpfungsverb *br’ eingeführte Abstraktion wird also nicht konsequent durchgehalten, vielmehr ist sie in das Gerüst traditioneller Vorstellungen eingetragen, die mit [dem] Schöpfungsverb *br’ unter einem neuen Vorzeichen zu stehen kommen“ (GERTZ, ATD 1, 78). 182 Vgl. zur Struktur und Grammatik des Verses SCHÜLE, EvTh 66 (2006), 446f.; G ERTZ, ATD 1, 72f. 183 Zu der nicht mehr überschaubaren Debatte um die Gottebenbildlichkeit des Menschen vgl. nur GERTZ, ATD 167–172; JANOWSKI, Anthropologie, 407–415; NEUMANN-GORSOLKE, Herrschen, 136–315; WAGNER, Gottes Körper, 167–181. 184 Vgl. K EEL/SCHROER, Schöpfung, 175 Anm. 79. 185 Vgl. W ESTERMANN, ATD 19, 95f., der hier eine ursprüngliche Anrede von Individuen vermutet. Der Text selbst legt dies allerdings weniger nahe als seine Wirkungsgeschichte als Tauf- oder Konfirmationsspruch.
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
anderem durch die Vokabel ברא.186 Geschaffen hat Jahwe demnach nicht nur die Welt oder die Menschheit, sondern auch sein Volk. Er ist Schöpfer Israels, wie es einmalig in Jes 43,15 heißt: 15 Nur ich bin Jahwe, euer Heiliger, Schöpfer Israels [ ]בורא ישראל, euer König.
Deutlich wird hier, dass es bei בראkeineswegs um eine in der Vergangenheit liegende Weltentstehung geht, sondern um einen Beziehungsbegriff; denn dass Jahwe für sich in Anspruch nimmt, Schöpfer Israels zu sein, hat Auswirkungen auf sein gegenwärtiges Handeln als Erlöser.187 Dies wird noch einmal zugespitzt auf das Individuum des Beters von Psalm 51: 12 Ein reines Herz, schaffe mir [ ]ברא ליGott; und einen festen Geist erneuere in meiner Mitte.
Der Imp. von בראist singulär und deutet darauf hin, dass der Beter Gottes schöpferisches Handeln in seiner Gegenwart, an seiner eigenen Person erwartet. Derjenige, der sich zuvor im Psalm zu seinem grundsätzlichen Sündersein bekannt hat, erwartet am eigenen Leib eine Neuschöpfung, eine Erneuerung seines Wesens durch Gott, den Schöpfer.188 Insofern kann Schöpfung noch erwartet werden. Dies berührt sich mit dem Gedanken der Neuschöpfung in Jes 65,17–25: 17 Fürwahr, siehe, ich bin im Begriff einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen [ ]כי הנני בורא שׁמים חדשׁים וארץ חדשׁה, und der vorherigen soll nicht mehr gedacht werden und sie sollen nicht mehr zu Herzen gehen. 18 Vielmehr freut euch und jubelt über das Künftige, das ich schaffen werde [ אשׁר אני ;]בוראdenn siehe, ich bin im Begriff Jerusalem mit Jubel zu bauen und ihr Volk mit Freude. 19 Ich jubele über Jerusalem und freue mich über mein Volk, so wird man in ihr nicht mehr die Stimme des Weinens oder die Stimme der Klage hören. 20 Dort wird es nicht mehr einen Säugling geben, der nur Tage alt wird, oder einen Alten, der seine Tage nicht vollzählig macht; denn ein Jüngling stirbt mit hundert Jahren, und wer die hundert Jahre verfehlt, gilt als verflucht. 21 Und sie werden Häuser bauen und bewohnen; und sie werden Weinberge pflanzen und deren Früchte essen.
Vgl. dazu BERGES, Jesaja 40–48, 271, der darauf hinweist, dass schaffen und bilden beinahe ausschließlich bei Deuterojesaja vorkommen; beides wird durch das Erlösen präzisiert. 187 „Das Schöpfersein schließt Rettungsqualität zugunsten seines Volkes ein, wie dies neben V 15 auch die Belege Jes 43,1–7; 45,8 zeigen. Das geschichtliche Befreiungshandeln JHWHs gehört zur ‚creatio continua‘, so dass ‚[Er]Löser‘ (Goel) und ‚Schöpfer‘ zwei Seiten ein und derselben göttlichen Wirklichkeit beleuchten“ (BERGES, Jesaja 40–48, 295). 188 Vgl. dazu PFEIFFER, ZThK 102 (2005), 293–311; B EHRENS, Schaffe, 181–195. 186
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
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22 Sie werden nicht bauen und ein anderer bewohnt es, sie werden nicht pflanzen und ein anderer isst; denn wie die Tage eines Baumes werden die Tage meines Volkes sein, und die Werke ihrer Hände werden meine Erwählten selbst genießen. 23 Sie werden sich nicht vergeblich abmühen und nicht nur für den Schrecken gebären; denn Nachkommen der Gesegneten Jahwes sind sie und ihre Sprösslinge werden bei ihnen sein. 24 Und es wird dann so sein: Bevor sie rufen, werde ich antworten; noch reden sie, und ich höre schon. 25 Der Wolf und das Lamm werden einträchtig weiden, und der Löwe und das Rind werden Stroh fressen – und was die Schlange angeht: Staub ist ihr Brot – nicht wird man Böses tun oder Verheerung anrichten auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht Jahwe.
Gott kündigt an, Himmel und Erde neu zu schaffen. Dabei erinnert die Terminologie eindeutig an Gen 1. Allerdings geht es hier wohl nicht um den Abbruch der alten und den eschatologischen Anbruch einer ganz neuen Welt. Vielmehr wird die alte erneuert, und auch das ist schaffen.189 Denn auch in der neuen Welt gibt es ein Jerusalem, wird gebaut und gepflanzt. Allerdings so, dass alles „seine Ordnung“ hat. Die Werke der eigenen Hände, werden nicht von Feinden geraubt190 und Säuglingssterblichkeit oder allzu frühen Tod wird es nicht mehr geben. Dazu gehört auch, dass die Kommunikation zwischen Gott und seinem Volk funktioniert (V. 24). Der Gedanke des Tierfriedens (V. 25), der das alles endgültig als eine „utopische“ Zukunft auszuweisen scheint, klingt an Jes 11,6–9 an (und auch dort schon ein Nachtrag).191 So ist an diesen wenigen Beispielen bereits erkennbar, dass die Rede von Gott als Schöpfer keineswegs auf die Initiative bei der Weltentstehung beschränkt ist. Vielmehr umfasst das Motiv des Schaffens ein aspektreiches Spektrum zur Beschreibung des Weltverhältnisses Gottes. Dabei werden Teile altorientalischer Mythen mit zeitgemäßen Naturbeobachtungen kombiniert, ebenso wie universelle, gruppenbezogene und individuelle Perspektiven auf das Handeln Gottes nebeneinandergestellt, sowie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt und des Gottesvolkes mit der Vokabel בראsozusagen coram deo in eine Fluchtlinie gestellt.
Vgl. WESTERMANN, ATD 19, 324. 190 Vgl. Mi 4,4: Und sie werden sitzen, ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und es gibt niemanden, der sie in Schrecken versetzt; denn der Mund Jahwe Zebaoths hat es geredet. „Diese Verse machen vollends deutlich, daß die hier gemeinte Heilszeit durchaus nicht jenseitig vorgestellt wird. Sie bleibt in den Grenzen geschichtlicher Existenz, zu der die Arbeit gehört […] Anders ist nur, daß der Arbeitende des Ertrags seiner Arbeit gewiß sein kann“ (WESTERMANN, ATD 19, 325). 191 Vgl. W ESTERMANN, ATD 19, 326. 189
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
6.2.4 Der anthropomorphe und der transzendente Gott Der Dekalog verbietet im zweiten Gebot, ein Bild, das heißt eine Statue von Jahwe anzufertigen, um diese anzubeten.192 Dennoch finden sich im Alten Testament „Sprachbilder“, die dann auch zu mehr oder weniger „bildlichen“ Vorstellungen von Gott führen. In der Regel drückt sich in diesen Sprachbildern ein anthropomorphes Gottesbild aus. Dies lässt sich greifen in Tätigkeiten Gottes, damit verbunden Körperteilen und Organen, sowie in Emotionen, die Gott zugeschrieben werden. Ein Aussehen oder eine Gestalt Gottes als solche wird nicht beschrieben.193 Nimmt man den Satz am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde als Überschrift des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts, dann ist das Sprechen die erste Tätigkeit, die vom biblischen Gott berichtet wird194: Und Gott sprach: Es werde Licht und so wurde Licht (Gen 1,3). Insbesondere vor dem Hintergrund, des in Kapitel 4 über das Wort Gottes Gesagten, ist Kommunikation die grundlegende Tätigkeit Gottes.195 Wie Gott spricht, wird nicht immer gesagt, wohl aber, dass Menschen ihn – wie auch immer – hören können.196 Insbesondere im nichtpriesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 2,4b– 3,24 ist „Jahwe Gott“ umfassend handwerklich tätig.197 Er bildet den Menschen aus Erdboden (Gen 2,7: )וייצר יהוה אלהים את האדם עפר מן האדמה198, dem er so-
Vgl. SCHMIDT U.A., Zehn Gebote, 59–77. 193 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, der darauf hinweist, dass es in Israel natürlich auch materiale Bilder gab, wenn auch (so gut wie) keine von Jahwe; vgl. dazu grundsätzlich SCHROER, Bilder und die ausführliche Dokumentation bei SCHROER (KEEL) (Hg.), IPIAO 1–4. Die sprachlich-bildhaften Aussagen z.B. über Gottes Körperteile (Hand, Arm, Fuß, Mund, Angesicht, Nase, Augen, Ohren ...) unterscheiden sich in Israel nicht grundsätzlich von der Auffassung anderer altorientalischer Kulturen und sie unterscheiden sich in ihrer Funktion nicht von materialen Darstellungen auf Bildern, Plastiken oder Reliefs. „Das ‚Bild‘ Gottes tritt dabei nur dann als Bild der Gesamtgestalt zutage, wenn die Gesamtschau rekonstruiert wird, wie sie sich im Bewusstsein der Rezipienten der Texte ergibt, wenn viele Texte, Bilder aus verschiedenen Texten, gleichzeitig präsent sind“ (WAGNER, Gottes Körper, 32). Es geht also bei der Erwähnung von Gottes Körperteilen nicht in erster Linie um eine Gestaltbeschreibung, sondern um die mit Arm, Hand, Angesicht ... etc. verbundene Funktion. 194 Vgl. G ERTZ, ATD 1, 44f. zu altorientalischen Parallelen des Motivs „Schöpfung durch göttlichen Befehl“; dennoch ist im Hinblick auf die Eigenart von Gen 1 festzuhalten: „Unter den biblischen Schöpfungsvorstellungen ist die Wortschöpfung eine theologiegeschichtliche Neuerung gegenüber älteren Vorstellungen von der göttlichen Schöpfungstat“ (a.a.O., 45f.). 195 Bei der Analyse der wichtigsten Körperteile, die in Bezug auf Gott beschrieben werden, stellt Wagner hinsichtlich der Funktion, die diese erfüllen, die Aspekte Kommunikation und Handlung als Hauptmerkmale fest (vgl. WAGNER, Gottes Körper, 154f.). 196 Vgl. den Dialog zwischen Jahwe und Kain in Gen 4 oder den Auftakt zur Erzelternerzählung in Gen 12,1: ויאמר יהוה אל אברם. 197 Vgl. noch einmal K EEL/SCHROER, Schöpfung, 121ff. 198 Vgl. G ERTZ, ATD 1, 100ff. 192
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
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gleich selbst noch Atem einbläst (V. 7: )נפח199. Diesem Menschen pflanzt (V. 8: )נטעJahwe selbst einen Garten.200 Das schöpferische Bilden oder Formen ()יצר, das an die Tätigkeit des Töpferns erinnert, wiederholt sich bei den Tieren (vgl. Gen 2,19), die Gott dann sogleich dem Menschen bringt (V. 19b: ויבא אל )האדם. Schließlich nimmt Jahwe am Menschen eine Art Operation unter Narkose vor und baut201 aus einer Rippe die Frau (V. 22: Da baute Jahwe Gott die Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, zur Frau ... ויבן יהוה אלהים את )הצלע אשר לקח מן האדם לאשה. Am Ende der Paradieserzählung geht Jahwe in der „Abendkühle“ im Garten spazieren, und zwar so, dass das erste Menschenpaar das Geräusch seiner Schritte hören kann: Und sie hörten das Geräusch Jahwe Gottes, als er zum Abendwind im Garten spazieren ging ... (Gen 3,8: וישמעו את קול יהוה אלהים )מתהלך בגן לרוח היום.202 Im weiteren Verlauf des Alten Testaments ist Gott noch auf unterschiedliche Weise „tätig“. Neben zahlreichen Sprechhandlungen, die Israels Gott vollzieht, wie schwören, gebieten, versprechen etc., ist es vor allem seine Befreiungstat, die immer wieder mit dem Verb herausführen ( יצאim Hiphil) beschrieben wird.203 Während im Zusammenhang mit der Paradieserzählung „Hände“ Jahwes, mit denen er Mensch und Tier gebildet haben könnte, keine Erwähnung finden, heißt es im Zusammenhang mit dem Exodus öfter: Und Jahwe hat uns herausgeführt aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm ... (Dtn 26,8 und öfter204). Hier hat Gott also Hand und Arm. Dabei geht es nicht um die Beschreibung, von Körperteilen Jahwes, sondern um ein „synthetisches Bedeutungsspektrum“205 der Körperbegriffe. Die hebräischen Termini sind eine wichtige Klammer, an denen die Bedeutungsaspekte eines Körperteils haften; die Möglichkeit des Changierens zwischen konkretem, gestisch-mimischen und funktionalem Aspekt hat in der gemeinsamen Lautform ihr Scharnier.206
Die Worte „Arm“ und „Hand“ beschreiben also nicht nur ein äußerlich sichtbares Körperteil, sondern stehen für Funktionen und Handlungen, die mit „Arm“ und „Hand“ verbunden werden. Hier steht beides aspekthaft für Kraft und Stärke. Dabei kann die Hand Gottes auch zum Schwur erhoben werden,
Zu Gen 2,7 vgl. ausführlich JANOWSKI, Anthropologie, 48–52; KEEL/SCHROER, Schöpfung, 144f.; GERTZ, ATD 1, 104ff. 200 Vgl. G ERTZ, ATD 1, 108f. 201 Zur ungewöhnlichen Verwendung von bauen als Schöpfungsterminus verweist GERTZ, ATD 1, 124 auf das Akkadische. 202 Vgl. G ERTZ, ATD 1, 137. 203 Vgl. JENNI, Art. יצא, 760f. 204 Vgl. z.B. Dtn 5,15; Ez 20,33f.; Ps 136,12. 205 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 110f. 206 W AGNER, Gottes Körper, 110. 199
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was einmal als Versprechen (vgl. Ez 20,6), aber auch als Drohung (vgl. Ez 20,15) interpretiert werden kann.207 Als Symbol seiner Herrschaft werden auch die Füße Gottes erwähnt208, so zum Beispiel in Jes 66,1: So spricht Jahwe: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße ... ( כה אמר יהוה )השמים כסאי והארץ הדם רגלי.209 Gott hat in der Bildsprache zahlreicher alttestamentlicher Texte auch ein Gesicht ()פנים, das er den Menschen zu- oder abwenden kann.210 Im 13. Psalm leidet der Beter darunter, dass Gott sein Angesicht abwendet und fragt: Bis wann, Jahwe, vergisst du mich noch; bis wann wendest du dein Gesicht von mir ab? (V. 2 )עד אנה תסתיר את פניך ממני211. Dagegen kann die Zuwendung von Gottes Gesicht auch ausdrücklich als Bedrohung formuliert werden, so Lev 20,3: Ich aber werde mein Gesicht jenem Mann zuwenden, das heißt, ich werde ihn aus der Mitte meines Volkes ausrotten ...212 Zugespitzt findet sich die positive Bedeutung im Aaronitischen Segen in Num 6. Num 6,24–26: 24 Jahwe segne dich und behüte dich! 25 Jahwe lasse sein Angesicht leuchten [ ]יאר יהוה פניו אליךüber dir und sei dir gnädig! 26 Jahwe erhebe sein Angesicht auf dich [ ]ישא יהוה פניו אליךund gebe dir Frieden!213
Je nach Kontext ist die Zu- oder Abwendung des Gesichts Gottes ein Mittel heilvoller oder unheilvoller Kommunikation. Der Thematisierung eines solchen kommunikativen Vorgangs zwischen Gott und Mensch dient auch die Erwähnung von Augen ()עין214 und Ohren ()אזן215 Gottes, so beispielsweise in Ps 102,3: Wende dein Gesicht nicht von mir ab am Tage, wenn mir eng wird; strecke mir deine Ohren hin ()הטה אלי אזנך, am Tag, an dem ich rufe, antworte mir schnell! Oder Ps 33,18: Siehe, das Auge Jahwes ( )עין יהוהrichtet sich auf die, die ihn fürchten, die auf seine Treue hoffen. So wird Gottes Körper nach dem Vorbild des menschlichen Körpers und seiner Körperteile verbildlicht, wobei es nicht eigentlich um die Beschreibung
Und das ist bei weitem nicht alles, Hände können auch zum Gebet erhoben, zum Klatschen verwandt werden und u.v.m. Der funktionale Aspekt einer Köperteilbezeichnung erschließt sich häufig über den Kontext. Für die Hand vgl. WAGNER, Gottes Körper, 111–116. 139–141; für den Arm a.a.O., 118–120.142–144; vgl. auch SCHROER/STAUBLI, Körpersymbolik, 171–204. 208 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 116ff. 141f.; SCHROER/STAUBLI, Körpersymbolik, 205ff. 209 Vgl. für den Schemel der Füße auch Ps 99,5; 132,7; Thren 2,1. 210 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 123f. 211 Vgl. JANOWSKI, Konfliktgespräche, 56ff. 212 Vgl. auch Lev 20,5f. 213 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 146. 214 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 124–126; SCHROER/STAUBLI, Körpersymbolik, 119f. 215 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 126ff. 207
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von Gottes Gestalt, sondern um die mit diesen Körperteilen verbundenen kommunikativen Funktionen geht. Bei den am häufigsten im anthropomorphen Sprachbild verwendeten Körperteilen Gottes handelt es sich […] um diejenigen Körperteile, die auf dem Hintergrund der synthetischen Körperteilauffassung des AT dem Ausdruck der Kommunikation (Gott steht in enger Verbindung mit uns, kann mit uns in Verbindung treten wie wir mit ihm) und der Handlung (Gott handelt an und für uns) dienen. […] Gott ist gegenüber dem Menschen ein Macht ausübender und ein (in der Welt) handelnder Gott, ein Gott, der kommunikationsfähig ist wie ein Mensch, der daher als ‚Kommunikationspartner‘ des Menschen erscheint. Beide Charakteristika zeigen: der alttestamentliche Gott ist kein ferner, weltabgewandter Gott, sondern ein mit dem Menschen kommunizierender und in der Welt handelnder Gott.216
Gott hat demnach auch eine Nase, die allerdings Organ seines Zorns ist.217 Für beides wird im Hebräischen die Vokabel אףverwendet.218 In Ex 15,8 heißt es Beim Schnauben deiner Nase ( )וברוח אפיךtürmten sich die Wasser auf, wurden die Ströme wie Mauern aufgestellt, wurden die Tiefen fest im Herzen der See. Dabei ist mit אףtatsächlich der Akt des Wehens oder Schnaubens bezeichnet, zugleich ist aber auch Zorn im Spiel, da Gott hier eindeutig Chaoselemente bekämpft. Im Vergleich dazu Ex 32,10, wo Gott nach der Episode mit dem „Goldenen Kalb“ zu Mose spricht: Und nun lass mich in Ruhe, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie fresse ... ()ויחר אפי בהם ואכלם. Hier ergäbe eine Übersetzung mit Nase wenig Sinn. Damit sind wir bei den Emotionen angelangt, die im Alten Testament ebenfalls von Gott ausgesagt werden. Neben dem Zorn sind das vor allem Liebe219 und Hass220. Jahwes Bindung an sein Volk wird immer wieder als Liebe umschrieben, etwa in Hos 11,1: Fürwahr ein Jüngling war Israel, da liebte ich ihn schon ( ;)כי נער ישראל ואהבהוund aus Ägypten habe ich ihn mir als Sohn gerufen. In Dtn 7,8 wird die Erwählung Israels mit der Liebe Jahwes ( )מאהבת יהוהbegründet.221 Gottes Hass dagegen ist in der Regel Ausdruck für die negative Beurteilung ethischen Fehlverhaltens. Typisch dafür Sach 8,16f.: 16 Dies sind die Dinge, die ihr tun sollt: Redet Wahrheit einer mit seinem Nächsten. Wahrheit und Recht bedeuten Frieden – richtet so in euren Toren.
WAGNER, Gottes Körper, 156. 217 Vgl. W ÄLCHLI, Art. Zorn (AT). 218 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 128f. 219 Vgl. M OENIKES, Art. Liebe/Liebesgebot (AT). 220 Vgl. N ORDHEIM-D IEHL, Art. Hass (AT). 221 Zu Dtn 7,6ff. vgl. ausführlicher Kapitel 6.2.2. 216
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
17 Und plant nicht einer Böses gegen seinen Nächsten in euren Herzen, und liebt nicht verlogene Eide; denn dieses alles hasse ich [ – ]כי את כל אלה אשר שנאתיRaunung Jahwes.
Darüber hinaus kann Gott auch Dinge bereuen222. Angesichts der Gewalttat auf Erden bereut Gott die Erschaffung des Menschen in Gen 6,6: So bereute Jahwe ()וינחם יהוה, dass er die Menschen gemacht hatte auf der Erde und es schmerzte ihn in seinem Herzen. Gleichzeitig erfährt man, dass Jahwe ein Herz hat, das aber auch hier eher Sitz des Denkens und Wollens als des Fühlens im modernen Sinn ist.223 So ist die Reue dann auch eher ein „Sinneswandel“ als ein Bedauern. Wenn Gott etwas Negatives „bereut“, das er eigentlich an Menschen tun wollte, so kann man von Erbarmen reden. Dies findet sich zum Abschluss der ersten beiden Amosvisionen in Am 7,3 und 6 beinahe wortgleich: Da erbarmte sich Jahwe hierüber ()נחם יהוה על זאת, es soll nicht geschehen, spricht Jahwe.224 Daneben treten andere Vokabeln für Gottes Erbarmen und seine Barmherzigkeit. Überschwänglich kulminiert das in der sog. Gnadenformel in Ex 34: 6 So ging Jahwe an seinem Angesicht vorüber und rief: „Nur Jahwe ist Gott, barmherzig [ ]רחוםund gnädig, langsam im Zorn, aber überschwänglich mit Treue und Wahrheit.225
Dabei hängt die Wurzel רחםbarmherzig sein mit dem Begriff für Mutterleib zusammen, sodass hier evtl. an eine die eigenen Kinder bergende Eigenschaft Jahwes gedacht ist. Silvia Schroer und Thomas Staubli sprechen daher von der „Mutterschößigkeit Gottes“226. Allerdings werden Jahwe sonst bei aller Vielfalt der Analogien zum menschlichen Körper keinerlei Geschlechtsmerkmale zugeordnet.227 Und auch bei der Vergänglichkeit des Lebens endet die Vergleichbarkeit; Fleisch ( )בשרist der Körper Gottes nie.228 Aus den hier gegebenen Beispielen für Anthopomorphismen, Anthropopragmatismen und Anthropopathismen für die Rede von Gott in alttestament-
Vgl. DÖHLING, Art. Reue Gottes (AT). 223 Vgl. SCHROER/STAUBLI, Körpersymbolik, 45–60; JANOWSKI, Anthropologie, 533– 539. 224 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 76–79. 225 Vgl. FRANZ, Gott. 226 Vgl. SCHROER/STAUBLI, Körpersymbolik, 86ff. 227 „Während beim Menschen geschlechtlich identifizierende Körperteile im AT häufig belegt sind, fehlen sie bei Gott […]. Das korrespondiert mit der Feststellung, dass auf Gott bei Vergleichen und Metaphern Bilder angewandt werden, die aus beiden Geschlechterbereichen stammen […]. Auch so kann die geschlechtliche Festlegung vermieden werden. So deutet sich an diesem Punkt eine weitere theologische Aussage an: Die alttestamentlichen Texte scheinen großes Interesse daran zu haben, dass der eine Gott nicht auf ein Geschlecht festgelegt werden kann und soll“ (WAGNER, Gottes Körper, 158). 228 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 119. 222
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
317
lichen Texten229 ergibt sich ein synthetisches Körperbild Gottes. Diese wird aber keineswegs um seiner selbst willen oder zu Beschreibung einer „Gestalt“ Gottes im eigentlichen Sinne gezeichnet. Vielmehr geht es darum, Jahwe durch Analogien mit menschlichen Körperteilen, Handlungen und Emotionen in seinem Sich-in-Beziehung-Setzen mit den Menschen zu beschreiben. Gleichwohl ergeben sich aus diesen Sprachbildern immer auch Denkbilder von Gott. Von Gott lässt sich nicht reden, ohne sich von ihm „ein Bild zu machen“.230 Dem steht nun scheinbar eine Tendenz zu einer immer stärker werdenden Transzendenz Gottes in alttestamentlichen Texten gegenüber. Denn – im Alten Orient außergewöhnlich231 – findet sich im Alten Testament mehrfach das sog. „Bilderverbot“, das ja in seinem Ursprungssinn die Herstellung eines Kultbildes Jahwes untersagt.232 Dieses Bilderverbot ist in seiner späten, ausgeführten Form im Dekalog eingebettet in das Verbot der Fremdgötterverehrung: Ex 20: 2 Nur ich bin Jahwe, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten geführt habe, aus dem Haus der Knechtschaft. 3 Es soll für dich keine anderen Götter geben mir ins Angesicht. 4 Du sollst dir kein Kultbild machen [ ]לא תעשה לך פסלoder irgendein Abbild von dem, was oben im Himmel ist, oder dem, was unten auf der Erde ist oder dem, was im Wasser ist unter der Erde. 5 Du sollst nicht vor ihnen niederfallen und ihnen nicht dienen; denn nur ich bin Jahwe, dein Gott, ein eifernder Gott, der heimsucht die Schuld der Väter an den Kindern bis in die dritte und vierte [Generation] an denen, die mich hassen. 6 Aber Treue übt für tausend [Generationen] an denen, die mich lieben und die meine Gebote bewahren.
Nach dem Prolog des Dekalogs in V. 2 bilden die Verse 3–6 eine zusammenhängende Einheit. Das Verbot, sich ein Kultbild herzustellen, ist eng verknüpft mit dem Verbot, fremde Götter anzubeten. Offenbar wird das materiale Abbild als Einfallstor für „Synkretismus“ oder „Apostasie“ gesehen.233 Die Vermisch-
Zu der Begrifflichkeit vgl. WAGNER, Gottes Körper, 13f. 230 „Solange es ein Sein in der Welt gibt, wie wir es kennen, dürfte daher auf das anthropomorphe Reden, das Gott zu uns in Beziehung bringt, kaum zu verzichten sein. Unter dem Aspekt der Akkomodation betrachtet hat der Anthropomorphismus nicht nur für das AT eine zentrale Funktion, sondern ist Grundlage des Redens zu Gott bis heute“ (WAGNER, Gottes Körper, 186). 231 Vgl. N IEHR, Götterbilder, 228f.; B ERLEJUNG, Theologie. 232 Vgl. B AUKS, Art. Bilderverbot; D OHMEN, Bilderverbot.; K ÖCKERT, Entstehung, 272– 290; UEHLINGER, Art. Bilderverbot, 1574–1577; WAGNER, Gottes Körper, 19–31; Ders., Monotheismus, 1–22; NIEHR, Götterbilder, 238ff.; SCHMIDT U.A., Zehn Gebote, 59–77. 233 In dem Zusammenhang erhebt sich immer wieder die Frage, ob das Bilderverbot die Herstellung eines Kultbildes von Jahwe oder von fremden Göttern verbietet; vgl. WAGNER, Gottes Körper, 29f. Daran schließen sich Erwägungen darüber an, wann das Bilderverbot entstand. Herbert Niehr nimmt dies für die Zeit des zweiten Tempels an, wobei auch nach229
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
ung von Baals- und Jahwekult auf den sog. Höhenheiligtümern oder das Stierbild in Bethel schien – zumindest in deuteronomistischer Lesart – dafür prototypisch zu stehen. Unklar ist die Frage, ob es je ein materiales Kultbild Jahwes in Juda oder Israel gegeben hat. Ein eindeutiger Beleg fehlt bisher.234 Gleichwohl beginnt das Bilderverbot wirkungsgeschichtlich ein Eigenleben zu führen – bis hin zu einer tendenziellen Vermeidung darstellender Kunst überhaupt.235 Zunächst aber trägt es zur zunehmenden Transzendenz Gottes und der – für den Alten Orient höchst ungewöhnlichen – Vorstellung eines unsichtbaren Gottes bei. So findet sich neben dem Bilderverbot auch die Vorstellung, dass man Gottes Angesicht nicht sehen kann, ohne zu sterben. So in Ex 33,20: 20 Und er sprach: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch sieht mich und bleibt am Leben.“
Der Gedanke findet sich explizit noch im Richterbuch.236 Daneben lässt sich aber eine Tendenz feststellen, Aussagen über das „Sehen“ Gottes zu vermeiden. Typisch hierfür ist eine Entwicklung innerhalb der prophetischen Visionsschilderungen des Alten Testaments.237 Heißt es bei Jesaja noch konkret Im Todesjahr des Königs Usia da sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron ... (Jes 6,1: בשנת מות המלך עזיהו ואראה את אדני ישב על כסא רם )ונשא238, so begnügt sich Ezechiel mit der ausführlichen, aber eher verhüllenden Schilderung eines göttlichen Thronwagens, um erst ganz zum Schluss zu der Aussage zu gelangen: ... dieses Bild war so ähnlich wie die Herrlichkeit Jahwes ... (Ez 1,28: )הוא מראה דמות כבוד יהוה. Ezechiel möchte sagen, er habe Gott gesehen, kann dies aber nicht mehr unbefangen tun.239 In den Visionen bei Eze-
exilisch noch sowohl Abbildungen Gottes als auch die Polemik dagegen zu finden sind (vgl. NIEHR, Götterbilder, 239–243). Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zeigt eine Münze aus persischer Zeit eine Abbildung Jahwes; vgl. RÖMER, Erfindung, 161; 234 Vgl. aber z.B. die Überlegungen bei K ÖCKERT, ZThK 106 (2009), 371–406; R ÖMER, Erfindung, 137ff. 158ff.; NIEHR, Götterbilder, 229–235. Dabei wird aber stets mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit auf die Notwendigkeit eines Jahwebildes aufgrund von Analogien rückgeschlossen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung in 1 Sam 3,10: Und Jahwe kam und stellte sich hin ... ( )ויבא יהוה ויתיצב, die doch auf eine irgendwie „körperliche“ Präsenz der Gottheit hindeutet. Gab es in Kultbild in Silo (vgl. RÖMER, Erfindung, 100f.)? 235 Wobei festzuhalten ist, dass es sich allenfalls um eine Tendenz handelt und dass es im antiken Israel und im Judentum zu allen Zeiten Bilder und bildende Kunst gegeben hat; vgl. insbesondere TILLY, Instrumentalisierung, 23–30. 236 Vgl. Ri 6,22f. und 13,22f. 237 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 381–386. 238 Vgl. ähnlich Am 9,1 oder 1 Kön 22,19: Und er sprach: Deshalb höre das Wort Jahwes: Ich sah Jahwe sitzen auf seinem Thron ... ( )ראיתי את יהוה ישב על כסאו. 239 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 186–193.
6.2 Die Vielfalt des Wirkens Gottes im AT
319
chiel, Sacharja240 oder im Danielbuch treten dann zunehmend Mittlergestalten („Männer in Leinenkleidern“)241 anstelle Gottes auf. In den Visionen des Danielbuches (Dan 8; 10–12)242 kommt ein weiterer Strang der zunehmenden Transzendenz Gottes zu einem Höhepunkt: Das Tetragramm verschwindet aus dem Text.243 In 1 Kön 22,19 sagt Micha Ben Jimla noch Ich sah Jahwe sitzen ... Ezechiel spricht dann von etwas, so ähnlich wie die Herrlichkeit Jahwes ... (vgl. Ez 1,28) und bei Daniel ist in den Visionen von Jahwe nicht mehr die Rede. Hier treffen sich die Vorstellungen, man könne Gott nicht sehen, ohne Schaden zu nehmen, man dürfe sich von ihm kein Bild machen und das Verbot des Namensmissbrauchs. Dies lautet im Dekalog: Ex 20: 7 Du sollst den Namen Jahwes, deines Gottes nicht zu Nichtigem erheben; denn Jahwe lässt denjenigen nicht ungestraft, der seinen Namen zu Nichtigem erhebt.
Damit ist ursprünglich das Verbot eines falschen Eides unter Berufung auf den Namen Jahwes vor Gericht gemeint.244 Dann aber wird daraus das Verbot des Namensmissbrauchs, das bereits inneralttestamentlich zu der Tendenz führt, den Namen Jahwe ganz zu vermeiden. So ist Gott schließlich nicht nur ohne Kultbild und unsichtbar, sondern sein Name wird nicht mehr genannt. Schließlich verbinden sich das Bilderverbot, die Vorstellung, wer Gott sieht, muss sterben und das Verbot des Namensmissbrauchs zu einer Art Syndrom der wachsenden Heiligkeit und Transzendenz Gottes.245 Gleichzeitig bleiben aber diejenigen Texte, die von Gott ganz anthropomorph reden erhalten. Von daher ist auch Vorsicht geboten, von einer „Entwicklung“ von einer anthropomorphen hin zu einer mehr transzendenten Gottesvorstellung zu reden.246 Eine solche Tendenz mag es geben, aber auch in nachexilischer Zeit erfüllen beide Aspekte der Rede von Gott ihren Zweck als zwei Seiten derselben Medaille.247
Vgl. BEHRENS, Visionsschilderungen, 272–313. 241 Vgl. z.B. Ez 9,2; Dan 10,5 u.ö. 242 Vgl. B EHRENS, Visionsschilderungen, 314–345. 243 Es ist auffällig, dass sich der der Jahwename im gesamten Danielbuch ausschließlich in Kapitel 9 findet. 244 Vgl. O TTO, Ethik, 218. Dies darf aber nicht einseitig auf „du sollst nicht schwören“ enggeführt werden; die Formulierung du sollst den Namen deines Gottes nicht ... erheben hat auch eine kultische Dimension, vgl. CRÜSEMANN, Bewahrung, 50f.; SCHMIDT U.A., Zehn Gebote, 78–85. 245 Dies ist Ergebnis/Station einer theologischen Reflexionsgeschichte; vgl. noch einmal BEHRENS, Visionsschilderungen, 381–386. 246 Vgl. W AGNER, Gottes Körper, 163–166. 247 „Alle diese Mechanismen dienen dazu, die Balance zwischen der über die Gestaltähnlichkeit ausgedrückte Menschennähe Gottes und der seiner Gottheit zuzuschreibenden Andersartigkeit zu bewahren“ (WAGNER, Gottes Körper, 187). 240
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
Daraus ergibt sich schließlich ein komplexes und facettenreiches Gesamtbild, in dem Gott ganz heilig und transzendent ist, zugleich aber mit starker Hand und ausgestrecktem Arm zugunsten seines Volkes eingreift, sich den Betenden mit Gesicht, Augen und Ohren zuwendet, und der Liebe, Erbarmen und Mitleid empfindet, aber auch Hass und Zorn. In der Summe geht es darum, dass der „ganz andere“ Gott (Transzendenz) sich eben doch seiner Schöpfung und insbesondere den Menschen in den Aspekten „Handlung“ und „Kommunikation“ zuwendet.248 Da auch die „Handlungen“ Gottes, wie Schaffen, Retten, Richten, Segnen etc., im Medium der Texte vermittelt wird, ergibt sich aus den Aspekten insgesamt ein facettenreiches Bild vom Gott des Wortes im Alten Testament.
6.3 Das aspektivische Bild Gottes im Alten Testament 6.3 Das aspektivische Bild Gottes
Die bisher vorgetragenen Beispiele für die Vielfältigkeit und die zahlreichen Facetten eines alttestamentlichen Bildes von Gott erheben keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sind aber in gewisser Hinsicht typisch, ja signifikant; denn darin sind unterschiedliche Aspekte der Vielfalt des alttestamentlichen Redens von Gott beieinander gehalten. Dabei ergibt sich eine Vielfalt des Gottesbildes aus der diachronen Perspektive: Eine Reihe von alttestamentlichen Texten hält fest, dass Israels Gott Jahwe eine Geschichte hat. Er ist als Gott „von Ägypten her“ (Hos 11) einerseits verbunden mit der Zeit des Exodus. Darüber hinaus wird festgehalten, dass es einen Anfang der Verehrung Jahwes gab (Gen 4,26). Mose lernt Gott in Midian kennen, sodass man auch von einer geographischen Herkunft des Gottes Israel fragen kann, die neben „Midian“ auch mit „Seir“, den „Gefilden Edoms“ oder dem „Sinai“ verbunden sein kann.249 Zugleich stellt sich Jahwe Mose auch als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vor; wobei die Erzelternerzählungen der Genesis festhalten, dass Gott in dieser Generation ganz anders verehrt wurde und sich viel unmittelbarer offenbarte als in der Zeit der Verfasser der Texte.250 Eine weitere Spur der Geschichte Gottes ist die Vielzahl der
Vgl. WAGNER, Gottes Körper, 185. 249 Natürlich ist auch diese „Herkunft“ Jahwes in den vorliegenden Texten zunächst nur als ein literarisches Konstrukt zu greifen. Zu bedenken gibt LEVIN, ZThK 109 (2012), 155: „Orts- und Personennamen als unverdächtige, weil von der späteren Deutung unbeeinflusste Zeugnisse belegen für das alte Israel und Juda die Mehrzahl der Götter. Der Name Israel ist nicht auf Jahwe, sondern auf El bezogen. […] Toponyme mit Jahwe als theophorem Element gibt es nicht. Das zeigt, dass die Verehrung des Gottes Jahwe sich erst nachträglich verbreitet hat“. Vgl. zu den geschichtshermeneutischen Fragen der biblischen „Erzählung von Jahwes Herkunft“ HARTENSTEIN, Anfänge, 165–196. 250 Zugleich wird aber darin, dass die Generation der Erzeltern von Gott nach Kanaan gebracht wurde, bereits die Sammlung nach dem Exil angedeutet; so SANDERS, God: „I think 248
6.3 Das aspektivische Bild Gottes
321
Gottesbezeichnungen, die je für sich unterschiedliche Aspekte des Wesens der Gottheit repräsentieren, wobei dies weniger den Begriffen selbst als vielmehr dem literarischen Kontext zu entnehmen ist. Dabei zeigen Texte wie Ex 6, dass die Geschichte des Gottes Israels nach theologischen Gesichtspunkten konstruiert wurde. Andere – auch außerbiblische – Quellen lassen religionsgeschichtliche Facetten eines Gottesbildes in einer ursprünglich selbstverständlich polytheistischen Welt erkennen. Sowohl die theologisch interessierte Konstruktion der späteren biblischen Texte als auch die religionsgeschichtlich aus biblischen und außerbiblischen Quellen vorgenommene Rekonstruktion weisen darauf hin, dass Israels Gott Jahwe Züge andere Gottheiten usurpiert hat (Ps 91).251 Anderes, wie Jahwes Herkunft als „Wettergott“, seine regionale Ausprägung („Jahwe von Teman“) oder die Aschera an seiner Seite, werden im Laufe der Kanonisierung eines Gottesbildes abgeschwächt oder verschwinden.252 Von besonderem Interesse sind dabei diejenigen Texte, die ein Bewusstsein erkennen lassen für die historischen Wandlungs- und Assimilationsprozesse, die schließlich zu einem „integrativen“ Bild Gottes im Alten Testament geführt haben, und die diese Prozesse als eine Art Offenbarungsgeschichte interpretieren. Es lässt sich doch sagen, dass Ex 6,2ff. diesbezüglich Ausdruck eines erkennbaren theologischen Konzeptes der Priesterschrift ist.253 Darüber hinaus lässt sich aber auch bei synchroner Lesart der Texte im alttestamentlichen Kanon eine erhebliche Vielfalt des Redens von Gott feststellen. Das beginnt wiederum bei den unterschiedlichen Namen Gottes, die von Jahwe, deinem Gott bis zu der Gottheit bei Hiob oder Kohelet auch unterschiedliche Nähe oder Distanz zu dieser benannten Gottheit signalisieren. Dieser Gott ist Retter Israels, wird dann aber auch zum Richter seines Volkes. Er
the exilic priestly redactors wanted to convey to scattered Israel seeking to some continuity of identity in the new diaspora situation: there is but one God, and he is not among the gods of Israel’s powerful, conquering neighbors among whom they are scattered, but is the one who had gathered Israel’s ancestors in the first place from widely scattered areas to Canaan, and intends to do it again“. 251 Vgl. LEVIN, ZThK 109 (2012), 158ff. 252 „YHWH kehrt als Witwer aus dem Exil zurück. […] Durch den Kontrollblick auf die Prophetie ist jetzt noch deutlicher geworden, dass YHWHs Ehe mit Aschera schon spätvorexilisch, wenn nicht gelöst, so doch zerrüttet worden ist. Ein Zurück gab es nach der theologischen Reflexion im Exil anscheinend nicht mehr. YHWH bleibt in nachexilischer Zeit wie zu Zeiten seines Eintretens in den Gesichtskreis Israels ein außerordentlich ‚erfolgreicher‘ Solitär“ (FREVEL, YHWH, 75). 253 „Die Priesterschrift greift die drei beim Jahwisten vorhandenen Gottesnamen bzw. Titel auf: Jahwe, Elohim und Schaddaj. Sie setzt sie aber nicht einfach gleich, sondern lässt sie einander ablösen. Inklusion und Exklusion werden mit Hilfe einer schrittweisen Offenbarung verknüpft, die sich zwischen der Erschaffung der Welt und der Errichtung der Kultstätte entfaltet. Das Nacheinander ist ein Ineinander und schließt zugleich ein Nebeneinander aus“ (LEVIN, ZThK 109 [2012], 173).
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
ist der Staatsgott Israels und Judas, von dem eine besondere Nähe zum (judäischen, davidischen) Königshaus ausgesagt wird, der sich aber andererseits auch gegen König und staatliche Instanzen auf die Seite der Armen und Unterdrückten schlägt. Der Gott Jahwe hat ein besonders Erwählungsverhältnis zu Israel, lässt aber sein Recht auch zu den „Inseln“ bringen und kann Ninive gnädig sein. Er ist Schöpfer der Welt, aber auch der „Schöpfer Israels“, ja der Neuschöpfer der individuellen Person (Ps 51,12) und schließlich der Erneuerer von Himmel und Erde (Jes 65). Dieser Gott ist einerseits einer, der „Hand und Fuß“ hat, der anthropomorph beschrieben werden kann und in Analogie zum Menschen handelt und fühlt. Gerade bei der Beachtung der Anthropomorphismen stellt sich dann heraus, dass er nicht zwingend „Er“ ist, weil auf Analogien zur menschlichen Geschlechtlichkeit ganz verzichtet wird.254 Gott ist dann aber auch ganz transzendent und bleibt sozusagen als deus absconditus dem menschlichen Suchen und Fragen verborgen. Es gibt Sprachbilder, aber keine materialen Abbildungen von diesem Gott. Schließlich wird auch das Aussprechen, manchmal (wie im Danielbuch) auch das Schreiben seines Namens Jahwe vermieden. Zusammengehalten wird diese Vielfalt inneralttestamentlich durch die Identifikation von Elohim, Šadday und Jahwe, wie sie zum Beispiel Ex 6,2ff. vornimmt. Dabei lässt sich innerhalb der Priesterschrift diese Namenstrias als Konzept einer Offenbarungsgeschichte lesen. Dtn 6,4ff. betont auf eigene Weise die Einheit Jahwes255, und bei Deuterojesaja lassen sich Aussagen greifen, die als „monotheistisch“ bezeichnet werden können.256 In der Summe ergibt sich daraus ein Bild Gottes, das aus unterschiedlichen, disparaten, ja widersprüchlichen Aspekten zusammengesetzt zu sein scheint.257 Dies korrespondiert mit einer Form der Weltwahrnehmung („Apperzeption“), die die Ägyptologin Emma Brunner-Traut als „Aspektive“ bezeichnet hat258 und die seit geraumer Zeit auch in der alttestamentlichen Wissenschaft als Mo-
Vgl. BAUMANN, Geschlecht, passim. 255 Vgl. LEVIN, ZThK 109 (2012), 161f. 256 Vgl. LEVIN, ZThK 109 (2012), 174. 257 SANDERS, God, 233 spricht von „monotheistic pluralism“. 258 Vgl. B RUNNER-TRAUT, Frühformen. Sie entwickelt ihr Modell der Aspektive zwar zunächst im Vergleich altägyptischer Kunst mit späteren perspektivischen Darstellungen (vgl. a.a.O., 7–70 mit zahlreichen beispielhaften Abbildungen), will dies aber nicht als eine Art „kunstgeschichtliches“ Phänomen verstanden wissen, sondern als Ausdruck einer bestimmten Form der Wirklichkeitsaneignung, die ausdrücklich nicht als defizitär sondern als „kognitive Leistung“ zu interpretieren ist: „Nur soviel sei einstimmend gesagt, daß ich die Andersartigkeit der aspektivischen Kulturen als eine andersartige ‚Apperzeption‘, andersartige kognitive Leistung erkläre“ (a.a.O., 3) und: „Apperzeption meint die Einbringung neuer Wahrnehmungen und Erfahrungen in den Empfindungs- und Kenntniszusammenhang, das seelische, erkennende und willensmäßige Verhalten neu auftretender Bewußtseinsinhalte, die urteilende Auslese und Ordnung eines Gegebenen“ (a.a.O., 5). 254
6.3 Das aspektivische Bild Gottes
323
dell in Anschlag gebracht wird, um die Eigenarten der Wahrnehmung der Wirklichkeit wie sie sich in biblischen Texten greifen lässt, zu verstehen.259 Brunner-Traut setzt bei der Beobachtung altägyptischer Kunst ein, die sich charakteristisch von allen Kunstformen nach „Entdeckung“ der Perspektive unterscheidet. In der europäischen Malerei seit der Renaissance wird (zunächst) die perspektivische Darstellung maßstäblich, das heißt, ein Bild wird so gemalt, wie es der Betrachter wahrnimmt. Damit ist aber auch eine im weitesten Sinne „wertende“ Wahrnehmung der Wirklichkeit verbunden, indem der Standpunkt des betrachtenden Ichs zum Maß der Dinge wird. Ein Tisch mag vier Beine haben, wenn „Ich“ von meinem Standpunkt aus nur drei davon sehen kann, werden auch nur drei gemalt. In ägyptischer Kunst werden aber die typischen und notwendigen Aspekte einer Person oder eines Gegenstandes abgebildet. Es geht nicht um eine realistische Wiedergabe der Weltsicht des Betrachters, sondern um die Addition der typischen, ja notwendigen Aspekte. Deutlich wird dabei, dass eine solche „aspektivische“ Weltsicht gegenüber der Perspektive nicht defizitär – im Sinne von: die Perspektive war noch nicht bekannt –, sondern zunächst einmal anders ist. Brunner-Traut hat selbst schnell gesehen, dass die Aspektive nicht auf die Kunst beschränkt ist, sondern umfassend die Weltsicht prägt.260 Vor allem aber lassen sich „aspektivische“ Phänomene nicht nur in Ägypten, sondern in unterschiedlichen Kulturen des antiken Vorderen Orients ausmachen. Auch für Israel lassen sich ähnliche, aspektivische Darstellungsformen in der zunehmend wichtiger werdenden Ikonographie beobachten. Vor allem aber lassen sich mit dem Modell der Aspektive textliche Phänomene wie der Parallelismus membrorum erklären.261 So lässt sich in der Doppelheit des Gedankens, bei dem eben doch nicht beide Vershälften wirklich dasselbe aussagen, ein „Denkraum“ erkennen.262 Auch hier gilt: In der Addition unterschiedlicher
Vgl. WAGNER, Parallelismus; Ders., Gottes Körper, 69–84; JANOWSKI, Konfliktgespräche, 13–21; Ders., Anthropologie, 141ff.; SCHROER/STAUBLI, Körpersymbolik, 24ff. 260 „Das ‚aspektivische‘ Verhalten, wie ich es bezeichne, soll im Anschluß an die Kunstbetrachtung aufgezeigt werden in der Gesellschaftsform, in verschiedenen Zweigen der Wissenschaft(spraxis) – wie Medizin, Mathematik, Rechtswesen – im Geschichtsbild wie auch in der Göttervorstellung und Mythenbildung und nicht zuletzt in Literatur und Sprache“ (BRUNNER-TRAUT, Frühformen, 2). 261 Vgl. W AGNER, Parallelismus, passim; in ganz anderer Hinsicht und doch vergleichbar: NUNN, Parallelismus, 185–237. 262 So im Anschluss an Norbert Lohfink JANOWSKI, Konfliktgespräche, 17f.: „Da der parallelismus membrorum darauf beruht, daß ein Sachverhalt durch zwei oder drei parallele Aspekte beschrieben wird, entsteht eine produktive Unschärfe und Plastizität der Aussage. Durch die Überlagerung der Bilder und Motive, so lässt sich die poetische Leistung der Stereometrie kennzeichnen, wird nicht nur die Konkretion der Einzelaussage gesteigert, sondern auch ihre ‚Aufsprengung‘ oder Multiperspektivität bewirkt. Die Wörter und Texte werden in ihrer Bedeutung aufeinander hin durchsichtig und erschließen so gegenseitig ihren 259
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
Aspekte ergibt sich eine Gesamtaussage. Ähnliches findet sich in der alttestamentlichen Anthropologie, wo in einer „synthetischen“ Körperauffassung ein Bild des Menschen unter jeweils unterschiedlichen Aspekten entsteht. Hier geht es dann nicht um die Definition vermeintlicher „anthropologischer Grundbegriffe“263, sondern um die Wahrnehmung des ganzen Menschen jeweils unter dem Aspekt der Vergänglichkeit (baśar), der Bedürftigkeit (næfæš), der Kraft (ruaḥ), des Denkens und Wollens (lēb) etc. Aber auch eigentümliche grammatische Phänomene des biblischen Hebräisch lassen sich in einem Modell einer aspektivischen Weltwahrnehmung verorten.264 Ebenso lassen sich redaktionsgeschichtliche Kompositionen, wie zum Beispiel die Kombination der beiden Schöpfungsberichte, in diesem Kontext lesen.265 Dabei werden bei der Addition von unterschiedlichen Aspekten vermeintliche Widersprüche bis zu einem bestimmten Grad in Kauf genommen. Das Beieinanderhalten von Einzelaspekten, die als unverzichtbar gedacht zu sein scheinen, ist wichtiger als die vermeintliche unbedingte gedankliche Konsistenz eines Textes. Hier ist von einem „Modell“ die Rede, weil „Aspektive“ nicht als starres, gar normatives Konzept zur Interpretation verstanden werden soll.266 Als heuristisches Instrument zum Verständnis aus heutiger Sicht fremder oder ungewohnter Phänomene in der Welt des alten Israel (und damit auch in den alttestamentlichen Texten), ist es höchst aufschlussreich. So lässt sich auch verstehen, dass die alttestamentlichen Autoren und Redaktoren im Gesamtrahmen
Sinn. Die Vieldimensionalität des Sinns gleicht einem ‚Raum‘, in dem sich das Verstehen hin und her bewegen kann“ [Hervorhebungen so im Original]. 263 Vgl. W OLFF, Anthropologie, 21ff.; dazu W AGNER, Reduktion, 15–33. 264 Vgl. D IEHL, Komparativ. 265 Vgl. in diesem Sinne bereits M ICHEL, Glaube, der am Ende seiner Ausführungen zu den beiden alttestamentlichen Schöpfungsberichten (vgl. a.a.O., 101–178) fragt: „Wer hatte also recht? Beide haben recht gehabt. Die beiden Darstellungen des Menschen schließen sich ja letztlich gar nicht aus, sondern bringen verschiedene Aspekte des Menschseins. Anders muß man zu dem Menschen reden, der selbstbewußt und glücklich in die Zukunft schaut uns auszieht, sein Leben zu meistern, als zu dem, der niedergeschlagen und trostlos alle Hoffnung aufgeben will. Dem einen müssen seine Grenzen gezeigt werden, dem anderen seine Möglichkeiten. Ob der Redaktor, der diese beiden Menschenbilder nebeneinandergestellt hat, wirklich nicht wußte, was er tat?“ (a.a.O., 145f.). Michel argumentiert hier „aspektivisch“, lange bevor Emma Brunner-Traut ihre Gedanken veröffentlichte. Da Michel aber bei Helmut Brunner, Brunner-Trauts Ehemann, Ägyptologie studierte, hat er das Konzept in statu nascendi kennengelernt; vgl. SMEND, Michel, 6f. Ähnlich SANDERS, God, 240: „The important point to note is that the final editor of the Pentateuch (we call him RP) knew that the truth of the combination of the two accounts of creation far outweighs the discrepancies between them.“ 266 Vgl. die genannten Kritiker bei JANOWSKI, Anthropologie, 141 Anm. 21; auch muss man nicht zwingend das Jasperssche Konzept der „Achsenzeit“ übernehmen, auf das Brunner-Traut sich bezieht (vgl. BRUNNER-TRAUT, Frühformen, 4); vgl. aber trotz kritischem Blick zu bleibenden Leistungen: ASSMANN, Achsenzeit, 524f.
6.3 Das aspektivische Bild Gottes
325
der Schriftensammlung schließlich ganz unterschiedliche „Einzelteile“ zum Gesamtbild eines Gottes verbinden können, der in der Reduktion auf nur einen oder mehrere Einzelaspekte immer schon unterkomplex beschrieben wäre. Insofern ist es angemessen, wenn Christoph Levin von „integrativem Monotheismus“ spricht267, Friedhelm Hartenstein „JHWHs Wesen“ nur „im Wandel“ beschreiben kann268 oder Manfred Oeming zu „dem Einen“ nur auf „vielen Wegen“ gelangt.269 Auf diesem Wege, so meine ich, ist dann auch Uwe Beckers kritische Anfrage an die Rede von der „Selbigkeit“ Gottes zu beantworten.270 Der alttestamentliche Gott, der in der Gesamtsicht des Alten Testaments/der Hebräischen Bibel und in den Glaubenstraditionen der daran anknüpfenden Rezeptionsgemeinschaften Judentum und Christentum nur „einer“ ist, ist ohne die Unterschiedlichkeit (in diachroner wie in synchroner Hinsicht)
„Monotheismus und Polytheismus bilden keine ausschließenden Alternativen. Die widerstreitenden Daseinserfahrungen, die die Religion zu deuten und zu bewältigen unternimmt, lassen das Sein gleichwohl als Einheit wahrnehmen, und umgekehrt schafft die Einheit des Seins die Widersprüche des Daseins nicht aus der Welt. Eine polytheistisch ausgeprägte Religion kommt deshalb nicht umhin, die Vielgestalt des Göttlichen in irgendeiner Weise auch als Einheit zu sehen und eine monotheistisch ausgeprägte Religion kommt nicht umhin, die Widersprüche der Welterfahrung als Mehrdeutigkeit der Erfahrung des Einen Gottes anzuerkennen und damit dessen Einheit in gewissem Grade in Frage zu stellen“ (LEVIN, ZThK 109 [2012], 153). 268 Vgl. H ARTENSTEIN, Wesen, passim, der dort unter dem Titel „JHWHs Wesen im Wandel“ eine Theologie des Alten Testaments konzipiert. Dabei sollen einerseits literar- und religionsgeschichtliche Aspekt des Redens von Gott im Alten Testament nicht vernachlässigt werden, aber zugleich will Hartenstein dabei das „Bewusstwerden der Identität JHWHs in seiner Geschichte entfalten“ (a.a.O., 212 [Hervorhebung im Original]). Eine solche Theologie des Alten Testaments versucht „JHWH in Beziehung zu seinem Volk, zur Völkerwelt und zur Schöpfung nach-denkend zu erfassen“ (a.a.O., 217 [Hervorhebung im Original]). In drei Hauptteilen soll dies unter den Überschriften „A Beharrendes im Wandel: Langzeitige Charakteristika JHWHs […] B Dynamisches im Wandel: Wachsende Einsichten in die Identität JHWHs […] C Einzigkeit und Zukunftsoffenheit: Die unabgeschlossene Geschichte JHWHs“ (a.a.O., 218 [Hervorhebung im Original]) entfaltet werden. Auch hier sind Vielfalt und Identität Gottes beieinander gehalten im Bestreben, dass die alttestamentliche Wissenschaft ihre Ergebnisse zugleich historisch rechenschaftsfähig und theologisch verantwortlich bündelt. 269 Vgl. O EMING, Wege, 83–108. Oeming bei der Frage nach Vielfalt und Identität Gottes nicht von einer religions- oder literarhistorischen Rekonstruktion aus, sondern fragt nach den vom Kanon geebneten Wegen der Suche nach Gott: „Gemäß der Ordnung des Kanons, die nach meiner Einsicht alles andere als zufällig ist, sondern ein theologisches Programm widerspiegelt, will ich zehn Wege zu Gott differenzieren“ (a.a.O., 94). Dies Weges sind: Geschichte, Recht, Kult, Prophetie, Gebet, Weisheit, Ethik, Mystik, Skepsis und Lernen von anderen Religionen (vgl. ebd.). 270 Das Stichwort wird positiv aufgegriffen bei H ARTENSTEIN, Wesen, 214 unter Hinweis auf ZIMMERLI, Grundriß, 10f. 267
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
seiner Aspekte nicht zu haben.271 Aber umgekehrt werden die Einzelaspekte – jedenfalls in im weitesten Sinne „kanonischer“ Perspektive – immer als Teile eines Ganzen gelesen, als Seiten eines Gottes, der nur in seinen disparaten Aspekten angemessen beschrieben ist, und sich nie vollständig beschreiben lässt.272
6.4 Der Gott der ganzen Bibel 6.4 Der Gott der ganzen Bibel
Obwohl es im Neuen Testament auch Einflüsse der Religiosität(en) aus der Epoche des Hellenismus gibt273, ist der Hauptbezugspunkt der neutestamentlichen Autoren für das Reden von Gott das Alte Testament.274 Nur diese Textsammlung wird explizit als autoritativer Text und als die Schrift zitiert.275 Die eben für das Alte Testament beschriebene aspektivische Vielfalt des Redens von Gott findet sich ähnlich im Neuen Testament wieder. Allerdings finden alle neutestamentlichen Gottesaussagen immer wieder in der Person Jesu einen Fokus. Die Theologie wird in den meisten neutestamentlichen Schriften sozusagen christologisch zentriert. Die Erzählung von Jesus von Nazareth als dem Christus wird zum hermeneutischen Schlüssel des Alten Testaments und seiner Gottesaussagen; und umgekehrt wird ein hermeneutisch vielfältig – heilsgeschichtlich, typologisch, allegorisch, verheißungsorientiert ...276 – gedeutetes Altes Testament zum Interpretament dafür, Jesus von Nazareth als Sohn Gottes und als den Christus zu verstehen. Insofern lassen sich eine Reihe der unter-
„Die Lebendigkeit des biblischen Gottes resultiert nicht zuletzt aus der Widersprüchlichkeit seiner Aspekte, in denen er sich, offenbarungstheologisch gesprochen, immer wieder neu und anders aussagt, damit definiert, und damit selbst begrenzt“ (KNAUF, Erste Bibel, 47). 272 „Kann man wirklich sagen, dass der Gott, der mit ausgestrecktem Arm und schneidender prophetischer Kritik die Partei der Armen ergreift und mit großer politischer Veränderungskraft in die Weltgeschichte eingreift, der gleiche Gott ist wie der Gott, welcher die Königshäuser auserwählt und die Partei der Oberschicht und der etablierten Priester vertritt? Ist der Gott der Propheten, die vom Wandel künden, und der Gott der Weisheit, die vom Gedanken der ewigen Ordnung durchdrungen ist und sich keinerlei Veränderungen wünscht, wirklich derselbe? Kann man selbst innerhalb einer theologischen Strömung wie etwa der Prophetie noch die Selbigkeit des einen Gottes erkennen, wenn die vorexilische Unheilsprophetie den Richter und Henker Israels schaut, die exilische Heilsprophetie aber die Fülle der Gnade verkündet und die apokalyptisch gewordene Prophetie wiederum einen Horizont aufreißt, der alles, was in Israel geglaubt wurde, erneut aus den Angeln hebt? Die Kompositeure des Kanons muten uns diese Aufgabe zu“ (OEMING, Wege, 102). 273 Zur vielfältigen religiösen Gemengelage der griechisch-römischen Kultur, in der die neutestamentlichen Schriften entstanden vgl. SCHNELLE, 100 Jahre, 29–96. 274 Vgl. W ILCKENS, Theologie I/1, 1–6. 275 Vgl. Kapitel 2.2. 276 Vgl. B EHRENS, Das Alte Testament verstehen, 33–40. 271
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schiedlichen Aspekte der Gottesaussagen des Alten Testaments in den neutestamentlichen Schriften in ähnlicher Weise als Aussagen über Jesus Christus wiederfinden. Im Folgenden sollen einige „Spuren“ verfolgt werden, die sozusagen von den behandelten alttestamentlichen Aspekten der Rede von Gott ins Neue Testament führen. Auch hier geht es nicht um Vollständigkeit, sondern um den exemplarischen Charakter der gewählten Belege. Die alttestamentliche Ausschließlichkeitsformel אני יהוה, die in einer signifikant hohen Zahl der Belege mit nur ich bin Jahwe zu übersetzen ist277, korrespondiert mit den sog. „Ich-bin-Worten“ des Johannesevangeliums.278 Bereits Rudolf Bultmann hatte die Formulierung ἐγώ εἰμι als „Rekognitionsformel“279 so verstanden, „daß in den ἐγώ-εἰμι-Sätzen das ἐγώ Prädikat und nicht Subjekt ist; der Sinn ist immer der: ‚in mir ist gegenwärtig das Lebensbrot, das Licht usw.‘“280 Damit drücken die Ich-bin-Worte einen Ausschließlichkeitsanspruch aus, der dem der אני יהוה-Formel entspricht; dies legt nahe, die johanneischen Formeln sprachlich und theologisch vor dem alttestamentlichen Hintergrund zu interpretieren.281 Dabei zeigt ein Teil der Metaphern der Ich-binWorte (zum Beispiel Tür und Weg) Jesus als den exklusiven Offenbarer Gottes282, während andere (zum Beispiel Licht der Welt; guter Hirte)283 ihn selbst mit Gottesprädikaten belegen. Dass im Johannesevangelium Jesus und Gott sukzessive identifiziert werden284, findet seinen Höhepunkt im Bekenntnis des Thomas Joh 20,28: Thomas antwortete und sagte ihm: Mein Herr und mein Gott (ἀπεκρίθη Θωμᾶς καὶ εἶπεν αὐτῷ· ὁ κύριός μου καὶ ὁ θεός μου). Damit wird auch der κύριός-Titel, der vor dem Hintergrund der LXX tendenziell das Tetragram evoziert285, auf Jesus übertragen.
Vgl. Kapitel 6.1.1. 278 Joh 6,35 (Brot des Lebens); 8,12 (Licht der Welt); 10,7 (die Tür); 10,11 (der gute Hirte); 11,25 (die Auferstehung und das Leben); 14,6 (der Weg, die Wahrheit und das Leben); 15,1 (der wahre Weinstock); vgl. dazu ROOSE, Art. Ich-bin-Worte. 279 Vgl. B ULTMANN, Johannes, 167 Anm. 2; B ARRETT, Johannes, 303f. 280 B ULTMANN, Theologie, 417f. 281 Vgl. die Auffälligkeit, dass die LXX אני יהוהin Jes 45,10 lediglich mit ἐγώ εἰμι wiedergibt. 282 Vgl. B ULTMANN, Theologie, 418f. 283 Vgl. z.B. W ILCKENS, NTD 4, 140f. 166f. 284 Vgl. etwa Joh 10,30: ἐγὼ καὶ ὁ πατὴρ ἕν ἐσμεν; dazu W ILCKENS, NTD 4, 170: „Darin liegt das Geheimnis der Person und alles Wirkens Jesu: ‚Ich und der Vater – eins sind wir‘. In allem, was Jesus als der vom Vater gesandte Sohn sagt und tut, stimmen Sohn und Vater so vollständig überein, daß sie wirklich eins sind. Als ‚Personen‘ sind sie unterschieden, als der Vater und der Sohn. In der Sendung Jesu wirken sie zusammen und bilden im ‚Wir‘ eine Einheit“; vgl. ähnlich BARRETT, Johannes, 382 und FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 125ff. 285 Vgl. dazu vorsichtig W ILCKENS, NTD 4, 316; B ULTMANN, Johannes, 536 Anm. 8 und BARRETT, Johannes, 548, sowie FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 41–44. 277
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Bereits Paulus hat mit dem κύριός-Titel Jesus ganz in die Nähe Gottes gerückt; so zum Beispiel in 1 Kor 8,6: Aber wir haben einen Gott und Vater, von dem alle Dinge sind und wir in ihm; und einen Herrn Jesus Christus (καὶ εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς), durch den alle Dinge sind und wir durch ihn. Ja, Paulus seinerseits übernimmt die Übertragung des κύριός-Titels auf Jesus bereits aus überlieferten Formulierungen; so im Zitat der Abendmahlsworte in 1 Kor 11,23 (Denn ich habe vom Herrn übernommen, was ich euch weitergegeben habe: „Der Herr Jesus nahm in der Nacht, in der er verraten wurde, das Brot/Ἐγὼ γὰρ παρέλαβον ἀπὸ τοῦ κυρίου, ὃ καὶ παρέδωκα ὑμῖν, ὅτι ὁ κύριος Ἰησοῦς ἐν τῇ νυκτὶ ᾗ παρεδίδετο ἔλαβεν ἄρτον) oder dem hymnischen Bekenntnis in Phil 2,11: und alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters (καὶ πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσηται ὅτι κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς εἰς δόξαν θεοῦ πατρός).286 Das Bekenntnis κύριος Ἰησοῦς wird vor dem alttestamentlichen Hintergrund zur Gottesprädikation.287 Der Philipperhymnus geht zudem von einer Art Präexistenz und dann Kondeszendenz dieses „Herrn Jesus Christus“ aus (vgl. Phil 2,6–8). Der Gedanke findet sich in anderer Form bei Paulus in Gal 4,4: Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn (ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸν υἱὸν αὐτοῦ) ...288 Damit ist der Gottessohntitel präsent, der insbesondere für das Markusevangelium zum hermeneutischen Schlüssel wird. Darauf weist die gliedernde Funktion des Gottessohntitels nach der Überschrift Mk 1,1 bei der Taufe (Mk 1,11)289, der Verklärung (Mk 9,7) und als Bekenntnis des Hauptmannes unter dem Kreuz (Mk 15,39) hin.290 Mit den vielfältigen Bezügen auf das Alte Testament und aufgrund der engen Bindung Jesu an den Gott Israels stellt sich auch im Neuen Testament die Frage, ob und inwiefern der Gott Israels auch als der Gott der ganzen Welt verkündigt werden soll. Die neutestamentlichen Autoren ringen sichtlich mit dieser Frage. So findet sich im Matthäusevangelium, das ja bekanntlich mit
Zum Philipperhymnus vgl. ausführlich FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 44ff. 287 „Als Name über jedem Namen, vor dem sich die gesamte Schöpfung mit Einschluss der Toten beugt, kann dieser Kyriosname nur Gottes Eigenname sein, das Tetragramm. Wenn nun im Namen Jesu ‚jedes Knie sich beugt, derer im Himmel und auf der Erde und unter der Erde‘, diesem Jesus also eine Ehrung zuteil wird, wie sie nur Gott selbst zukommt, dann wird hier pointiert gesagt, dass der erhöhte Jesus an Gottes (All-)Macht teilhat und sogar in gewisser Weise Gottes Stelle einnimmt“ (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 45). 288 Vgl. mit ähnlicher Tendenz Hebr 1,1f. 289 Vgl. dabei Mk 1,11: σὺ εἶ ὁ υἱός μου mit Ps 2,7 LXX: υἱός μου εἶ σύ. Vgl. für das hier verwendete „königliche Titular“, das auch noch an 2 Sam 7,14 anklingt STOLLE, Markusevangelium, 41f. 290 Die gliedernde Funktion der Formulierung gilt unbeschadet der Feststellung: „Die Bezeichnung ‚Sohn Gottes‘ wird also im Markusevangelium nicht einheitlich gebraucht, vielmehr wird sie durch Explikationen in unterschiedlicher Weise gedeutet“ (STOLLE, Markusevangelium, 375). 286
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dem ganz universalistischen „Missionsbefehl“ in Mt 28,18ff. schließt, auch der bemerkenswerte Satz im Munde Jesu: ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (Mt 15,24).291 Erst die Hartnäckigkeit der sog. „kanaanäischen Frau“ bringt Jesus zum Einlenken.292 Auch die Auslegung der Tora in der Bergpredigt zeigt Jesus ganz als Gesetzeslehrer Israels.293 Nur punktuell, etwa beim Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,5–13//Lk 7,1–10), der Heilung eines aussätzigen Samariters (Lk 17,16) oder dem Gespräch Jesu mit der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4), werden im Wirken Jesu die Grenzen Israels überschritten. Wo Matthäus sein Evangelium mit dem universalen Auftrag Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker ... (Mt 28,19: πορευθέντες οὖν μαθητεύσατε πάντα τὰ ἔθνη) enden lässt, da schildert Lukas diesen Auftrag vorsichtiger von Jerusalem ausgehend in konzentrischen Kreise. Act 1,8: und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis an die Enden der Erde. Hier wird also eine Bewegung von innen nach außen gezeigt, die keineswegs konfliktfrei ihren Weg nehmen wird.294 Auch davon berichtet die Apostelgeschichte, zum Beispiel in der Episode vom „Hauptmann Kornelius“, den zu besuchen Petrus sich buchstäblich überwinden muss (vgl. Act 10), vor allem aber im Bericht vom sog. „Apostelkonzil“ (Act 15), wo sich die Gruppe der Jesusjünger erst zur Verkündigung des Evangeliums auch an Nichtjuden
„Jesus verstärkt die Ablehnung durch die Jünger und gibt ihrer Unfreundlichkeit gleichsam heilsgeschichtliche ‚Würde‘. Die verlorenen Schafe des Hauses Israels sind nicht nur die ‚schwarzen Schafe‘ in Israel, sondern das ganze Gottesvolk, dem Jesu Sendung gilt. V 24 ist feierlich als Sendungswort, in biblischer Sprache und so grundsätzlich und exklusiv formuliert, daß für die Erfüllung der Bitte der Frau kein Raum mehr bleibt. […] Von hier aus ist klar, daß der Missionsbefehl zu den Heiden (28,18–20) eine grundsätzliche Wende des göttlichen Plans bedeuten wird“, so LUZ, EKK I/2, 434. 292 „Die Frau läßt sich also – trotz mehrfacher Zurückweisung – nicht entmutigen und bleibt bei ihrer Bitte an den Herrn. Jetzt endlich geht Jesus auf sie ein. Das bedingungslose Zutrauen der Frau, das sich in ständig wiederholtem Bitten äußert, bezeichnet er als Glauben“ (LUZ, EKK I/2, 436). 293 Vgl. W ILCKENS, Theologie I/1, 282–303; LIMBECK, Gesetz, 97–114; C RÜSEMANN, Wahrheitsraum, 212–223. 294 Die Folgerung bei R OLOFF, NTD 5, 23: „Die Erwartung der Jünger wird nicht zurückgewiesen: Es wird tatsächlich zur Verkündigung in Jerusalem und Judäa komme, Menschen aus Israel werden das Reich erben, ja die Kirche wird das wahre Israel der Endzeit sein. Aber sie wird zugleich zurechtgerückt: dieses Israel wird eine andere, unerwartete Gestalt haben; es wird seine Mitte nicht in Jerusalem haben! Die Wendung ‚bis zu den Enden der Erde‘ deutet den Weg der Zeugen bis nach Rom, der Hauptstadt des die Enden der damaligen bekannten Welt umfassenden Reiches, an“, ist alles andere als zwingend, sondern wohl Ausdruck einer Substitutionstheologie. Von der Kirche als „wahrem Israel“ ist weder in der Apostelgeschichte noch sonst im Neuen Testament die Rede. Auch wird hier nicht darüber reflektiert, ob Jerusalem die „Mitte“ der Kirche ist; aber das Zeugnis von Jesus Christus nimmt für Lukas jedenfalls von hier seinen Ausgang. 291
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durchringen muss.295 Der im Hintergrund stehende sog. „Antiochenische Zwischenfall“, in dem es um die Frage der Gemeinschaft mit Nichtjuden zwischen Paulus und Petrus geht, wird von Paulus in Gal 2,11–21 in außergewöhnlicher Schärfe geschildert.296 Der Römerbrief steht insgesamt unter der Frage nach dem Verhältnis von Universalismus und Partikularismus des Glaubens an den alttestamentlichen Gott, die hier in Gestalt der Frage nach dem Verhältnis von Juden- und Heidenchristen wiederkehrt.297 Diese Frage wird keinesfalls erst in Röm 9–11 angesprochen, sondern findet sich schon in dem programmatischen Motto Röm 1,16: Ich schäme mich nämlich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes zum Heil für alle, die daran glauben, den Juden zuerst, dann auch den Griechen. Die Kapitel 9–11 widmen sich dann der Frage nach dem Verhältnis der Juden, die christusgläubig geworden sind, zu denen, die diesen Weg nicht einschlugen.298 Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Frage nach dem Verhältnis des Gottes Israels zur ganzen Welt in einer ganzen Reihe neutestamentlicher Schriften eine Rolle spielt, und zwar so, dass um die Antwort in verschiedener Hinsicht gerungen wird. Dabei geht die Tendenz im Neuen Testament eindeutig dahin, dass der Gott des Alten Testaments und der Gott des Judentums der Gott der ganzen Welt ist.299 Mit dem Evangelium von Jesus Christus öffnet sich der Glaube an diesen Gott sozusagen aller Welt.300 Auch im Neuen Testament ist dieser Gott der Schöpfer der Welt, ohne dass erneut die Schöpfungsgeschichte erzählt würde.301 Aber dass der Kosmos göttlichen Ursprungs ist, ist eine Art sensus communis in der Welt, in der die erste Christenheit entsteht. So schildert die Apostelgeschichte, wie Paulus bei seiner Areopagrede in Athen auf Gott, der die Welt gemacht hat, dieser Herrscher des Himmels und der Erde ... (Act 17,24: ὁ θεὸς ὁ ποιήσας τὸν κόσμον καὶ πάντα τὰ ἐν αὐτῷ, οὗτος οὐρανοῦ καὶ γῆς ὑπάρχων κύριος) Bezug nimmt. Für
ROLOFF, NTD 5, 222 urteilt: „zweifellos handelt es sich bei diesem sogenannten ‚Apostelkonzil‘ um das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Urkirche.“ 296 In Gal 2,13 bezichtigt Paulus den Petrus der Heuchelei. Zum Verhältnis des Berichts in Gal 2 zu Act 15 vgl. ROLOFF, NTD 5, 225ff. 297 Vgl. dazu insgesamt STOLLE, LuThK 14 (1990), 154–165. 298 Vgl. W ILCKENS, EKK VI/1, 85f. 299 Vielfach ist darauf hingewiesen worden, dass dies zu einer fatalen „Ersetzung“ Israels durch eine Kirche geführt, die sich als „wahres Israel“ oder (alleiniges) „Volk Gottes“ verstand oder versteht, vgl. eindringlich CRÜSEMANN, Wahrheitsraum, 192–223. 300 Dies ist natürlich wieder eine dezidiert christliche Perspektive; vgl. C RÜSEMANN, Wahrheitsraum, 206f. JANOWSKI, ZThK 95 (1998) beobachtet, es sei jedenfalls den neutestamentlichen Autoren darum gegangen, „daß der Gott Israels sich in Jesus neu und abschließend geoffenbart hat“ (a.a.O., 11). 301 Vgl. W ISCHMEYER, Art. Schöpfung, 973f. und FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 265–272. 295
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Paulus selbst ist es eben der Schöpfer, der sich den Glaubenden in Jesus Christus zu erkennen gibt302; so in 2 Kor 4,6303: 6 Denn Gott, der sprach: „Aus der Finsternis soll Licht leuchten“, der erleuchtete unsere Herzen mit dem Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi. ὅτι ὁ θεὸς ὁ εἰπών· ἐκ σκότους φῶς λάμψει, ὃς ἔλαμψεν ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν πρὸς φωτισμὸν τῆς γνώσεως τῆς δόξης τοῦ θεοῦ ἐν προσώπῳ Ἰησοῦ Χριστοῦ.
In den Evangelien zeigt sich Die Anteilhabe Jesu an der Schöpfermacht Gottes vor allem an den Wundergeschichten und hier insbesondere an der Geschichte von der Sturmstillung (Mk 4,35–41 parr.). Vor allem die Schlussfrage der Jünger wer ist dieser, dass auch Wind und Meer ihm gehorsam sind? (Mk 4,41: τίς ἄρα οὗτός ἐστιν ὅτι καὶ ὁ ἄνεμος καὶ ἡ θάλασσα ὑπακούει αὐτω) impliziert die Antwort: Der Schöpfer. Insgesamt liegt hier eine Wirkung das altorientalischen Chaoskampfmotivs vor.304 Das Johannesevangelium setzt einen ganz eigenen Akzent, indem es mit Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος seinem Beginn deutlich auf Gen 1,1 rückbezieht305, sodass hier schon terminologisch klar wird: Es ist der Schöpfer am Werk! Ja, der Johannesprolog liest sich streckenweise wie „eine (theologisch zugespitzte) Zusammenfassung des ersten Schöpfungsberichts“.306 Dieser Gedanke wird dann aber mit der Fleischwerdung des λόγος und der Aussage seines „Wohnens“ unter den Menschen (Joh 1,14) sogleich soteriologisch konzentriert.307 Eine christologisch/soteriologische Ausrichtung des Schöpfungsgedanken findet sich auch bei Paulus, der ähnlich wie Ps 51,12 von einer Neuschöpfung des Individuums „in Christus“ spricht in 2 Kor 5,17308:
Vgl. ähnlich Röm 4,17, wo von Abraham die Rede ist, der an den Gott glaubt, der das ruft, was nicht ist, auf dass es sei (καλοῦντος τὰ µὴ ὄντα ὡς ὄντα); vgl. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 267f. 303 Dazu W OLFF, ThHKNT VIII, 87: „In Christus manifestiert sich die Herrlichkeit Gottes, er ist Gottes Repräsentant“. 304 Vgl. grundsätzlich B AUKS, Art. Chaoskampf, 94–98, die die Wirkung des Motivs vornehmlich in der Johannesapokalypse verortet (vgl. a.a.O., 97). Zu Mk 4,39 STOLLE, Markusevangelium, 117: „Mit Jesus ist gleichsam Gott selber ins Boot gekommen. Er kann den Naturgewalten Sturm und Meer gebieten. ‚Anherrschen‘ (ἐπιτιµάω) ist ein Ausdruck, der traditionell Gottes Schelten der Chaosmächte bezeichnet (II Sam 22,16; LXX Ps 17,16; 103,6f.; 105,9; Hi 26,11)“. 305 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 271. 306 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 271, 307 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 271f.; vgl. auch JANOWSKI, ZThK 95 (1998), 23–25, der im „Wohnen“ des eingeborenen Sohnes Gottes „unter uns“ eine Wirkung der Schekina-Theologie sieht. 308 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 269f.; W OLFF, ThHKNT VIII, 127f. 302
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17 Daher: Wenn jemand in Christus ist, [ist er] eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. ὥστε εἴ τις ἐν Χριστῷ, καινὴ κτίσις·309 τὰ ἀρχαῖα παρῆλθεν, ἰδοὺ γέγονεν καινά.
Ähnlich wie in Jes 65 ist schließlich auch im Neuen Testament von einer neuen Schöpfung des Himmels und der Erde die Rede. Den deutlichsten Ausdruck findet der Gedanke in Apk 21, wobei es sich um eine direkte Aufnahme aus Jes 65 handeln dürfte.310 Apk 21,1: 1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen und das Meer war nicht mehr. Καὶ εἶδον οὐρανὸν καινὸν καὶ γῆν καινήν. ὁ γὰρ πρῶτος οὐρανὸς καὶ ἡ πρώτη γῆ ἀπῆλθαν καὶ ἡ θάλασσα οὐκ ἔστιν ἔτι.
In der Johannesapokalypse ist die Vorstellung einer Neuschöpfung verbunden mit einem eschatologischen Gericht, das im Alten Testament nur am Rande begegnet.311 Aber ähnlich wie in alttestamentlichen Texten ist damit wieder das Thema angesprochen, dass Gott für die, die an ihn glauben, Retter und Richter zugleich ist. Auch im Neuen Testament wird dieses Verhältnis vielfältig und aspektreich entfaltet. Während das Gleichnis vom Weltgericht in Mt 25,31–40 ein Gericht nach den Werken im Rückblick auf das Leben des Individuums ankündigt, entscheidet sich in der sog. präsentischen Eschatologie des Johannesevangeliums das Geschick des Menschen in der Begegnung mit Jesus in Glauben oder Unglaube312; so insbesondere in Joh 3,14–21. Dabei haben sowohl der Gerichtsgedanke im matthäischen Gleichnis als auch die Rede vom Glauben an den eingeborenen Sohn (Joh 3,16), aus dem das Tun der Wahrheit (Joh 3,21) folgt, ethische Implikationen. So lässt sich in kanonischer Lesart im Nebeneinander solcher Texte das Miteinander von Glauben und Handeln lesen. Dabei sind die Maßstäbe des Handelns immer noch zuerst an der Tora ausgerichtet, wie nicht nur die Bergpredigt zeigt, sondern auch die prägnante Formulierung des Doppelgebotes der Liebe313 als Kombination aus Dtn 6,4 und Lev 19,18.314 Dabei ist auffällig, dass bei Matthäus (vgl. Mt 22,34–40) und Markus (vgl. Mk 12,28–34) das Doppelgebot im Munde Jesu begegnet, wäh-
Die Formulierung von der καινὴ κτίσις findet sich auch in Gal 6,15. 310 Vgl. Jes 65,17 LXX: ἔσται γὰρ ὁ οὐρανὸς καινὸς καὶ ἡ γῆ καινή καὶ οὐ μὴ μνησθῶσιν τῶν προτέρων οὐδ᾿ οὐ μὴ ἐπέλθῃ αὐτῶν ἐπὶ τὴν καρδίαν. 311 Vgl. etwa Dan 12 oder auch Ps 73; dazu: M ICHEL, Ich aber bin immer bei dir, 155– 179. 312 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 488f. 313 Dazu, dass gerade das Motiv der Liebe und die Identifikation Gottes mit der Liebe (vgl. 1 Joh 4,8) das Gottesbild des Alten und Neuen Testaments verbindet, vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 126–148. 314 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 439ff. 309
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rend in Lk 10,25ff. der „Gesetzeslehrer“ mit diesem Gebot auf die Frage Jesu antwortet, sodass sich hier andeutet, dass die Verbindung der beiden Toraworte im zeitgenössischen Judentum bekannt war.315 Wie schon in Joh 3,16ff. angedeutet, ist im Neuen Testament die Frage nach Gericht und Rettung christologisch zentriert und mit dem Kreuzestod Jesu verbunden. Dies findet sich in einem Spitzensatz des Markusevangeliums316 in Mk 10,45: Denn der Menschensohn kam nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein ‚Leben‘317 als Lösegeld für viele zu geben.318 Insbesondere Paulus hat diesen Zusammenhang stark profiliert, dass nämlich Christus für unsere Übertretungen dahingegeben wurde und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt wurde (Röm 4,25). Der Schlüssel zum Verstehen dieses „Hingebens“ liegt für Paulus in der Erkenntnis, dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte (2 Kor 5,19).319 So ist das Hingegeben-werden Christi im Kern eine Selbsthingabe Gottes für die Welt.320 Mit der Frage nach dem Verhältnis von Gott und Jesus Christus zueinander ist auch wieder das Thema Anthropomorphismus und Transzendenz Gottes auf dem Plan. Von Gott selbst wird im Neuen Testament weit weniger anthropomorph geredet als im Alten Testament. Dies findet sich vor allem in den Gleichnissen Jesu, wo etwa „ein Mensch“ (ἄνθρωπός τις) – so im Gleichnis „vom verlorenen Sohn“ in Lk 15 – oder „ein König“ (Mt 22,2) mit Gott zu identifizieren ist. Gott bleibt sonst vor allem „transzendent“, wird aber in Christus Mensch. Das ist die Bedeutung der wundersamen Geburtsgeschichten
Vgl. WIEFEL, ThHKNT III, 209. Vgl. auch KAISER, ZThK 86 (1989), 15ff., der bereits im Alten Testament eine „dem Gottesverhältnis Israels innewohnende Struktur von Indikativ und Imperativ“ (a.a.O., 15) erkennt, die sich im Neuen Testament wiederholt. Besteht der „Indikativ“ dort aus dem Herausführung aus Ägypten und der Landgabe, so hier in Kreuz und Auferweckung Jesu Christi. In beiden Fällen aber begründet das vorauslaufende Heilshandeln Gottes das ethische Handeln der Glaubenden. 316 „Mit diesem Wort wird nicht nur ein ethisches Beispiel gegeben, sondern zugleich ein Schlüssel zum Verständnis der Sendung Jesu überhaupt. ‚Er ist gekommen‘ – damit wird der soteriologische Sinn des Auftretens Jesu als Menschensohn eingeführt. Eine ähnliche Aussage über den soteriologischen Sinn des Sterbens Jesu findet sich im Markusevangelium sonst nur im Becherwort beim letzten Mahl: ‚mein Blut der besonderen Bestimmung, das für viele vergossen wird‘ (14,24)“ (STOLLE, Markusevangelium, 255). 317 Dabei lässt sich der hier verwendete Begriff ψυχὴ gut vor dem Hintergrund des hebräischen næfæš verstehen, das ja auch das „Leben“ und nicht die „Seele“ bezeichnet. 318 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 320–324; zu Mk 10,45, a.a.O., 323f. 319 Vgl. W OLFF, ThHKNT VIII, 129f. 320 „‚Gott war in Christus‘: In seiner Einheit mit dem dahingegebenen Sohn hat Gott die heillose Entfremdung des gefallenen Geschöpfes überwunden [...] Paulus bringt diese göttliche Anteilnahme und Anteilgabe im Versöhnungsgeschehen durch die Denkfigur des beatum commercium, eines seligen – und das heißt selig machenden – Wechsels. Sie expliziert, was in der Liebe als Identifikation des Liebenden mit dem Geliebten geschieht“ (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 323f. [Hervorhebung so im Original]). 315
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6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
bei Matthäus321 und Lukas. Im Neuen Testament erscheint Gott in Christus anthropomorph, sodass die Anthropomorphismen des Alten Testaments als wichtiger Hintergrund für die neutestamentliche Christologie gelten können. Für das Verständnis und die Deutung Jesu von Nazareth als Christus sind nun aber sein Menschsein und seine Körperlichkeit wesentlich. Er wird geboren, hat Eltern und eine Herkunft.322 Er wird in Windeln gewickelt (vgl. Lk 2,7. 12).323 Jesus lässt sich in einem physischen Vorgang taufen (vgl. Mk 1,9– 11).324 Er leidet Hunger und Durst; entsprechend isst er mit den Menschen und pflegt so leibliche Gemeinschaft als einen sozialen Akt.325 Dies findet seinen Höhepunkt im letzten Mahl im Jüngerkreis.326 Jesus berührt und hilft Menschen.327 Er empfindet Emotionen wie Zorn, Liebe, Angst, Freundschaft, oder Schmerz.328 Schließlich stirbt er am Kreuz. All das wird im Johannesprolog mit dem Wort Fleisch auf den Begriff gebracht329; damit wird Jesus eine menschliche Eigenschaft zugeschrieben, die im Alten Testament von Gott nicht zu sagen war: die Vergänglichkeit. Noch bei der Begegnung mit dem Auferstandenen spielt für die Evangelien Leiblichkeit in Form von gemeinsamen Essen und Trinken oder der Berührung von Jesu Wunden eine Rolle.330
Immer noch hermeneutisch mit den sog. „Erfüllungszitaten“ flankiert; vgl. ROTHFUCHS, Erfüllungszitate, passim. 322 Neben den Geburtsgeschichten ist hier an Jesu „Antrittspredigt“ in Nazareth zu denken; vgl. Lk 4,16–30. Ausdrücklich ist Nazareth der Ort, an dem Jesus aufwuchs (V. 16: εἰς Ναζαρά, οὗ ἦν τεθραμμένος); die Leute Fragen „ist dies nicht Josefs Sohn?“ (V. 22: οὐχὶ υἱός ἐστιν Ἰωσὴφ οὗτος) und bezeichnen Nazareth ausdrücklich als seine „Vaterstadt“ (V. 23: πατρίς). Vgl. dazu WIEFEL, ThHKNT III, 105ff. 323 „Das Kind wird gewickelt; vielleicht soll damit ausgedrückt werden, daß es ein wirkliches und nicht ein Wunderkind ist“ (WIEFEL, ThHKNT III, 71). 324 Vgl. W ILCKENS, Theologie I/1, 105f. 325 Vgl. dazu Mk 2,15ff., wo Jesus ausdrücklich mit „Zöllnern und Sündern“ zu Tisch sitzt und eben das Ärgernis erregt. Vgl. dazu WILCKENS, Theologie I/1, 184–188. 326 Vgl. neben den Abendmahlsberichten auch die Mahlgemeinschaft des Auferstandenen mit seinen Jüngern am See in Joh 21,1–14 und das „Brotbrechen“ auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,30–32) als Erkenntnisgrund der Jünger. 327 So z.B. in dem Heilungssummarium Lk 4,40: Als die Sonne untergegangen war, brachten sie alle, die krank waren zu ihm, er aber legte ihnen die Hände auf und heilte sie so. 328 Joh 2,13–23 berichtet ausführlich von dem Eifer Jesu bei der sog. Tempelreinigung; den „reichen Jüngling“ hat Jesus lieb gewonnen (Mk 10,21). Besonders bei Johannes ist das Liebesmotiv deutlich, sodass in Joh 15,12 Jesus seinen Jüngern gebietet, sich nach seinem Vorbild untereinander zu lieben. In der Gethsemaneszene (Mk 14,32–42) ist durchaus Angst zu erkennen etc. 329 Joh 1,14: Καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν; vgl. W ILCKENS, NTD 4, 32ff.; BARRETT, Johannes, 191ff.; FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott, 47f. 330 Vgl. Joh 20,25.27. „Thomas verlangte den massivsten und handgreiflichsten Beweis dafür, daß der Leib in der Tat wiederbelebt worden war, der doch, wie er wußte, in einer 321
6.4 Der Gott der ganzen Bibel
335
Gelegentlich wird aber auch mit Bezug auf die Person Jesu Christi vom eigentlich transzendenten Gott geredet. Dies geschieht in den Aussagen über Präexistenz oder Inkarnation, etwa in Joh 1, Phil 2,5–11 oder den hymnischen Aussagen des Kolosserbriefes, dass Christus das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15: ὅς ἐστιν εἰκὼν331 τοῦ θεοῦ τοῦ ἀοράτου) sei, oder dass die Fülle der Gottheit (Kol 2,9: τὸ πλήρωμα τῆς θεότητος) in Christus wohne. Auf die Sturmstillung und andere Wunder war schon hingewiesen worden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeichen des Johannesevangeliums ausdrücklich auf „Herrlichkeit“ Jesu verweisen; so in Joh 2,11: Dieses erste Zeichen tat Jesus in Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit, so dass seine Jünger an ihn glaubten (Ταύτην ἐποίησεν ἀρχὴν τῶν σημείων ὁ Ἰησοῦς ἐν Κανὰ τῆς Γαλιλαίας καὶ ἐφανέρωσεν τὴν δόξαν αὐτοῦ, καὶ ἐπίστευσαν εἰς αὐτὸν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ). Im Alten Testament ist aber δόξα als Übersetzung von kabôd ein Ausdruck für die Transzendenz Gottes, die sich nun in diesem Jesus nun „offenbart“ (ἐφανέρωσεν). Aber auch im Neuen Testament wird diese Offenbarung in oder durch Jesus Christus als ein Wortgeschehen verstanden, wie Hebr 1,1f. prägnant zum Ausdruck bringt. Hebr 1,1–2a: 1 Nachdem Gott früher vielfach und auf vielfältige Weise zu den Vorfahren geredet hat durch die Propheten, 2 hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn ...
„Der Gott, der einst ‚in den Propheten‘ geredet hat, ist mit dem Gott identisch, der jetzt ‚im Sohn‘ geredet hat. Oder mit anderen Worten: Der Gott des Alten Testaments ist mit dem des Neuen Testaments identisch“332, so fasst HansFriedrich Weiß eine Voraussetzung dieses Exordiums in den Hebräerbrief zusammen. Die Identität besteht im Redenden, dessen Reden früher durch die Propheten und zuletzt durch den Sohn zu vernehmen ist. Dabei zeigt der Fortgang des Textes in den Versen 2b–4, dass der eigentliche Akzent des Exordiums auf der Christologie liegt. Im Sohn wird die Herrlichkeit Gottes (V. 3 ἀπαύγασμα τῆς δόξης) sichtbar, er ist der Abdruck seines Wesens333 (χαρακτὴρ τῆς ὑποστάσεως αὐτοῦ). Dabei geht es anders als in den Evangelien bei dem Begriff „Sohn“ nicht so sehr um die Biographie Jesu von Nazareth, sondern
besonderen Weise getötet worden war […] Der auferweckte Christus mußte sowohl sichtbar als auch greifbar identisch mit dem alten sein“ (BARRETT, Johannes, 548). 331 Damit wird Christus zum Repräsentanzbild Gottes, vgl. Gen 1,26ff. 332 W EIß, Hebräer, 137; vgl. JANOWSKI, ZThK 95 (1998), 7 und K AISER, ZThK 86 (1989), 1. 333 Übersetzung W EIß, Hebräer, 133.
336
6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
um die Soteriologie334, die hier auch ausdrücklich durch das Wort geschieht: der trägt alles durch das Wort seiner Macht (φέρων τε τὰ πάντα τῷ ῥήματι τῆς δυνάμεως αὐτοῦ), eine Reinigung von den Sünden hat er getan ... (V. 3). Durch sein Reden und sein dynamisches Wort (ῥῆμα τῆς δυνάμεως) trägt Gott im Sohn „das All“335 und wirkt Reinigung von den Sünden. Jedenfalls für die Zeit der Vorfahren, das Früher (V. 1: πάλαι) wird festgehalten, dass dies vielfach und auf vielfältige Weise geschah.336 Auch für das Neue Testament – das der Verfasser des Hebräerbriefes noch nicht kannte – ist eine solche Vielgestaltigkeit festzustellen. Sie wird zusammengehalten durch „den Sohn“, Christus und sein dynamisches Wort als Zentrum.
6.5 Fazit 6.5 Fazit
Trotz der erkennbaren Vielfalt und Vielgestaltigkeit, in der das Alte Testament von Gott redet, lässt sich unter den Bedingungen eines aspektivischen Zugriffs auf die Wirklichkeit die Vorstellung einer „Selbigkeit“ Gottes erkennen. Der Schlüssel dazu liegt auch in der Zusammenstellung ganz unterschiedlicher Überlieferungen und ihrer divergierenden Vorstellungen von Gott zu einer Textsammlung. Dies lässt sich greifen in der Redaktion des Pentateuch, in dem einerseits Gott sich erst in Ex 6 dem Mose mit seinem Namen Jahwe bekanntmacht und zugleich betont, die „Väter“ hätten ihn unter diesem Namen nicht gekannt, während andererseits bereits in Gen 12,1 eben Jahwe zu Abraham sprach. Dieses Phänomen eines „integrativen“ Monotheismus lässt sich weiter greifen in den unterschiedlichen Gottesbezeichnungen des Psalters bis hin zur Sammlung eines „Kanons“, in dem der kaum fassbare Gott Kohelets ebenso seinen Platz hat, wie Jahwe, der mit Adam im Garten von Angesicht zu Angesicht verhandelt. Am Ende darf die Vielfalt des Redens von Gott nicht geleugnet werden, aber die Integration dieser Vielfalt zu einer Einheit Gottes ist ebenso festzuhalten. Im Neuen Testament findet sich eine ähnliche Vielfalt des Redens von Gott wie im Alten Testament; in den neutestamentlichen Schriften werden die unterschiedlichen Aspekte allerdings in der Zuspitzung auf Jesus von Nazareth als Christus formuliert. Christologische und theologische Aussagen gehen da-
„Eine Bezugnahme auf die Verkündigung des irdischen Jesus ist damit entsprechend dem Kontext (V. 3 und V. 4!) nicht gegeben; vielmehr wird hier – wie alsbald die Entfaltung der christologischen Grundaussage von V. 2a in den VV. 2b–4 zeigt – auf das einmalige, die ‚Reinigung von den Sünden‘ bewirkende und die Erhöhung einschließende Heilsgeschehen Bezug genommen. ‚Sohn‘, das ist in diesem Sinne also Inbegriff der Christologie und Soteriologie des Hebr insgesamt“ (WEIß, Hebräer, 149). 335 W EIß, Hebräer, 133. 336 Zu unterschiedlichen Deutungen der Adverbien vgl. W EIß, Hebräer, 137f. 334
6.5 Fazit
337
bei oft ineinander über.337 Das Alte Testament redet vielfältig von Gott. Das Neue Testament greift eine ganze Reihe von Aspekten dieser Vielfalt auf und lässt dabei deutlich erkennen, dass es an die alttestamentlichen Gottesaussagen anknüpft und dass es dieser Gott Israels ist, der sich in Christus offenbart hat. Die Vielfalt des Redens von Gott lässt sich nicht immer reibungslos oder widerspruchsfrei zu einem monotheistischen Gotteskonzept zusammenfügen. Die Vielfalt der kanonischen Schriften sowohl im Alten wie im Neuen Testament zeigt aber, dass dies bei der Entstehung einer Sammlung heiliger Schriften in Kauf genommen wurde.338 Dies entspricht einer aspektivischen Weltauffassung, die sowohl im Alten wie im Neuen Testament darauf verzichtet ein widerspruchsfreies Gotteskonzept zu entwerfen. Vielmehr entspricht die Mannigfaltigkeit des Redens von Gott der Vielgestaltigkeit des geschichtlichen Daseins und ermöglicht gerade so, sich in unterschiedlichen Zeiten und Kontexten auf den biblischen Gott zu beziehen. Im Neuen Testament findet sich mit vier Evangelien und der Fülle der Briefliteratur ein ebenso aspektreicher Zugang zur Person Jesu Christi. Dass in aller Vielfalt der Gott, von dem die Rede ist und den Jesus Christus in Person offenbart, doch als einer und in einer „Selbigkeit“ geglaubt wird, ist dabei durch die unterschiedlichen expliziten und impliziten Bezugnahmen der Texte aufeinander eingeschlossen. 339 So bleibt die „Selbigkeit“ Gottes das entscheidende Bindeglied zwischen Altem und Neuem Testament. Dabei ist das Alte Testament mit seinem Reden von Gott
Die engen Berührungen zwischen Theologie und Christologie legen in der Summe nahe, „Jesus sei nicht bloß ein menschliches Wesen, sondern zugleich Gott gewesen“ (JANOWSKI, ZThK 95 [1998], 25). Dabei zählen die Themen „Gottheit Jesu, die Inkarnation und die Trinität“ zu den „schwierigsten Fragen zwischen Judentum und Christentum“ (ebd.). Dennoch gilt: „Eine Biblische Theologie, die versucht, das Evangelium von Jesus Christus unverkürzt auszulegen, braucht jüdische Gesprächspartner nicht zu beunruhigen. Denn sie ist nicht ein Versuch, dem Judentum seine Bibel auf eine besonders subtile Weise wegzunehmen, sondern der Versuch, Jesus den Christus als die ‚end-gültig entscheidende Heilssetzung Gottes von der Schrift her‘ zu verstehen. Seine Legitimität erwächst aus der Tatsache, daß der JHWH-Glaube der ‚unverzichtbare und entscheidende Horizont für die Wahrnehmung der Heilsbedeutung des ‚historischen Jesus‘ war und christlicher Glaube selbst mit Hilfe der Texte aus dem Alten Testament zur Sprache gebracht worden ist“ (a.a.O., 34 mit Zitaten von E. Zenger und H.-J. Hermisson). 338 „Wenn wir den kanonischen Zusammenhang von Altem und Neuem Testament verstehen wollen, reicht es kaum aus, das die beiden Testamente Verbindende an den alttestamentlichen Zitaten im Neuen Testament, in gemeinsamen Begriffen (‚Gerechtigkeit‘, ‚Königsherrschaft Gottes‘ u.a.) oder in allgemeinen Strukturähnlichkeiten festzumachen. Die entscheidende Frage bezieht sich auf die ‚Einheit in der Sache‘, die aufgrund des kanonischen Prozesses nur als eine kontrastive Einheit bestimmt werden kann“ (JANOWSKI, ZThK 95 [1998], 33), vgl. auch Ders., Ein Gott, der straft und tötet?, 28f.; zur „kontrastiven Einheit“ Ders., Einheit, 27–46. 339 „Als Frage nach dem einen Gott der beiden Testamente ist die Gottesfrage gleichsam der Ernstfall der Biblischen Theologie“ (JANOWSKI, ZThK 95 [1998], 17). 337
338
6. Kapitel: Gott als Einheit in Aspekten
nicht allein die religionsgeschichtliche Voraussetzung des Neuen. Vielmehr setzt sich im Neuen Testament eine theologische Reflexionsgeschichte fort, die eben nur vielfältig von Gott reden kann, und so – im Alten wie im Neuen Testament – die Vielfalt des Daseins in der Rede von „dem Einen“ integriert. Vermittelt wird dieser eine Gott aber nicht durch ein geschlossenes ontologisches Gotteskonzept, sondern durch die Vielfalt der Texte als Erzählungen über diesen Gott und den Glauben seiner Gemeinde. Der biblische Gott ist nicht anders zugänglich als durch die biblischen Texte und das heißt durch sein Wort. Dieses Wort wird als דבר יהוהprogrammatisch an redaktionellen Schlüsselstellen des Alten Testaments ins Spiel gebracht und wird im Neuen Testament als λόγος in Jesus Christus Person, ja „Fleisch“. Nach Hebr 1,1f. erschließt sich der biblische Gott durch sein Reden – sei es durch die Propheten oder durch den Sohn – und erweist sich so als Gott des Wortes.340
So vielgestaltig Worte, Texte und Gattungen und deren Rezeptionen sind, so vielfältig stellt sich dieser eine Gott in seinem Wort und dessen Rezeptionsgeschichte dar. Diese Vielfalt des biblischen Redens von Gott findet dann in der nachbiblischen Trinitätstheologie wohl doch eine adäquate Fortsetzung: „Die Trinitätstheologie, so scheint es, ist die Selbstbehauptung des begrenzten und begrenzenden biblischen Gottes im Rahmen eines denkbar gewordenen göttlichen Absolutismus (den es für die biblischen Autorinnen und Autoren noch nicht gab) und das notwendige Gegengift gegen jeden aus göttlichem Absolutismus abgeleiteten menschlichen Totalitarismus. Es ist die Selbstbegrenzung des biblischen Gottes in durchaus widersprüchlichen Geschichten und Bildern, die den philosophischen Monotheisten in Hellas und Rom Judentum wie frühes Christentum zu einem Ärgernis und zu einer Torheit machten; den Gläubigen aber ist sie ein bleibender Grund zur Hoffnung, dass ihr eigenes theologisches Denken niemals seine Lebendigkeit verliere und erstarre“ (KNAUF, Erste Bibel, 48). 340
Kapitel 7
Zusammenfassung Diese Untersuchung hat bestimmte Aspekte des theologischen Geschäfts, insbesondere im Hinblick auf die Exegese und Hermeneutik des Alten Testaments neu fokussiert. Hierzu zählen die Frage nach dem Ort der wissenschaftlichen Exegese im Ganzen der christlichen Theologie, die Bestimmung des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament, der Charakter der biblischen Texte als historischer Dokumente einerseits und Teil einer religiösen Offenbarungsurkunde andererseits, damit zusammenhängend der Versuch, die Kategorie „Wort Gottes“ in rechenschaftsfähiger Form wiederzugewinnen, und schließlich die Frage, ob und wie in alt- wie in neutestamentlichen Texten das Bild eines Gottes zu erkennen ist. Im Folgenden sollen die Ergebnisse noch einmal gebündelt werden.
7.1 Exegese als Theologie 7.1 Exegese als Theologie
Die wissenschaftliche Theologie hat sich in Teilfächer mit unterschiedlichen Fachkulturen und Fragestellungen ausdifferenziert. Dies nötigt immer wieder zu Bemühungen um eine Integration der einzelnen Fächer zu einem Ganzen der Theologie. Einerseits lassen sich die zunehmenden Spezialisierungen als Erkenntnisgewinn im Detail bestimmen. Andererseits wird insbesondere die Exegese des Alten Testaments in ihrer historischen Ausrichtung auch innerhalb der Theologie hinsichtlich ihrer Relevanz für die Reflexion des christlichen Glaubens kritisch angefragt.1 Zu der mangelnden Einsicht in die Relevanz vornehmlich literarhistorischer oder religionsgeschichtlicher Erkenntnisse für die Bestimmung des Sinnganzen einer christlichen Theologie kommen grundsätzliche theologische Bedenken hinsichtlich der Kanonizität oder Normativität der vorchristlichen alttestamentlichen Texte für christliche Theologie und Kirche.2 Zunächst ist festzuhalten, dass es auch von Seiten der historisch-kritisch arbeitenden alttestamentlichen Wissenschaft seit Jahrzehnten eine Fülle von Ansätzen gibt, ein dezidiert christliches Verständnis des Alten Testaments unter den Bedingungen des neuzeitlichen Geschichts- und Wahrheitsbewusstseins
Vgl. Kapitel 1. 2 Vgl. Kapitel 2.5 und 2.6. 1
340
7. Kapitel: Zusammenfassung
rechenschaftsfähig zu begründen.3 Trotz der Unterschiedlichkeit der einzelnen Ansätze sind sich alle Positionen darin einig, dass es sich bei der Frage um ein Fundamentalproblem der christlichen Theologie handelt, da sich christlicher Glaube und dessen rechenschaftsfähige Reflexion grundlegend auf die Bibel als Ursprungsort allen Redens über Gott und Glauben zurückbezieht. Obwohl die historisch-kritische Exegese in erster Linie um das Verständnis eines Ursprungssinnes der Texte bemüht ist, geht es den Fachvertreterinnen und -vertretern im weiteren hermeneutischen Kontext doch dezidiert um eine christliche Perspektive auf die Texte des ersten Kanonteils. Bereits die Bezeichnung dieser Textsammlung als „Altes Testament“ unterstreicht diese Perspektivität. Aber auch da, wo man mit Erich Zenger zum Beispiel vom „Ersten Testament“ redet4, ist damit eine spezifisch christliche Bezeichnung gegeben. Dass die Exegese des Alten Testaments nicht nur eine historische, sondern als solche schon eine theologische Fragestellung ist, ergibt sich aus dem Kontext von wissenschaftlicher Theologie und Kirche. Dabei ist vorausgesetzt, dass alles exegetische Bemühen sich grundsätzlich dem Initiativimpuls des Glaubens und der Frage nach seinen Quellen verdankt. Zugleich hat das Verstehen der biblischen und eben auch der alttestamentlichen Texte seinen Ort in der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern, Religionslehrerinnen und -lehrern. In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder der konfessionelle Kontext zu bedenken, in dem Exegese betrieben wird. Dabei geht es nicht darum, einer bestimmten konfessionellen Position den Vorrang zu geben, sondern wahrzunehmen, dass die je eigene christliche Perspektivität der Exegetinnen und Exegeten eben auch von der Prägung durch eine spezifische Bekenntnistradition entscheidend geprägt ist.5 Dabei lässt sich in Anlehnung an Martin Luthers Hinweis auf oratio, meditatio und tentatio als Aspekten des Studiums der Theologie davon reden, dass Exegese im Kontext der christlichen Theologie einen Gottes-, einen Text- und einen Existenzbezug hat.6 Gleichwohl liegt der Schwerpunkt der Exegese als Wissenschaft auf dem Textbezug in Form der Frage nach dem historischen Textsinn. Der Kontext von Theologie und Kirche sowie der Diskurs mit den anderen Disziplinen der wissenschaftlichen Theologie halten dabei die anderen Aspekte in Erinnerung und nötigen Exegetinnen und Exegeten immer neu und immer wieder zur hermeneutischen Reflexion der eigenen Position und zum Einbringen der eigenen Arbeitsergebnisse in die Reflexion des christlichen Wirklichkeitsverständnisses. Exegese im Kontext christlicher Theologie vollzieht sich demnach immer in Spannungsbögen mit unterschiedlichen Polen, wie Text und „Wort Gottes“, historischem Verstehen und aktueller Applikati-
Vgl. Kapitel 2.7. 4 Vgl. ZENGER, Einleitung, 15f. 5 Vgl. Kapitel 1. 6 Vgl. Kapitel 2.4.1. 3
7.2 Biblischer Text und Wort Gottes
341
on, extra nos und pro me etc.7 Dabei hat die Bibelwissenschaft immer zuerst dem Verständnis des Textes zu dienen. So geschieht der Beitrag der Exegese zur Theologie keinesfalls nur affirmierend, sondern auch kritisch. Dies gilt auch und gerade im Blick auf den je eigenen konfessionellen Kontext. Insbesondere im Protestantismus muss sich Exegese aufgrund des „Prae“ der Bibel im Sinne eines sola scriptura kritisch und korrigierend in die Bildung christlicher Lehrsysteme einbringen. Aber gerade so tut historische Exegese zur Sicherung der Eigenständigkeit und „Externität“8 der biblischen Wortlaute einen eminent theologischen Dienst.
7.2 Biblischer Text und Wort Gottes 7.2 Biblischer Text und Wort Gottes
Christliche Theologie bezieht sich in allen ihren Äußerungen über Gott und den Glauben auf die Bibel als Heilige Schrift. Diese Schrift wird dabei als Offenbarungsmedium begriffen, das in der Wirkung des Heiligen Geistes als Quelle von Glauben fungiert. Dieser Glaubenssatz basiert grundlegend auf Erfahrung der Wirksamkeit der Schrift.9 Dies ist zugleich der Grund dafür, dass die biblischen Texte als Gestalt des „Wortes Gottes“ bekannt werden. Die Texte sind Rede von Gott im Sinne eines Genitivus Subjektivus und Objektivus. Dabei wurde und wird im Judentum und Christentum gleichzeitig der menschliche Charakter der biblischen Texte festgehalten. Menschen haben geschrieben, überliefert, fortgeschrieben, redigiert, gesammelt ... Aber nur so und nicht anders sind Worte von Gott zu haben, und nur so sind sie von Menschen, die unter den Bedingungen dieser Welt leben, zu hören und zu verstehen. Im Bemühen um das Verständnis dieser ganz menschlichen und immanenten Bedingungen der biblischen Texte liegt zugleich der theologische Aspekt der Exegese; denn nur auf diesem Wege ist das Wort Gottes greifbar. Theologisch lässt sich die historische bedingte Form der biblischen Texte als die Materialgestalt des extra nos bezeichnen, dem dann alle exegetischen Verstehensbemühungen dienen.10 Auf wenigstens zweierlei Weise ist die Exegese dabei auch mit dem Charakter der biblischen Texte als „Wort Gottes“ konfrontiert. Zum einen im Inhalt dieses Wortes, das von Gott und seiner Geschichte mit dieser Welt und dem Volk Israel handelt oder das sich in den Psalmen als Gebet und Bekenntnis an Gott richtet oder auf ihn bezieht. Zum anderen aber ist es eine Erkenntnis der exegetischen Arbeit selbst, dass sich biblische Wortlaute in so gut wie allen Fällen nicht auf einen Ursprungssinn reduzieren lassen. Vielmehr zeigt insbe-
Vgl. Kapitel 1.3.6. 8 Vgl. W ENZ, Theologie 1, 191. 9 Vgl. Kapitel 1 und 3. 10 Vgl. Kapitel 3.2. 7
342
7. Kapitel: Zusammenfassung
sondere die redaktionsgeschichtliche, aber auch die wirkungsgeschichtliche und rezeptionsästhetische Forschung, dass Texte durch die Zeit in immer neuen Kontexten immer neu verstanden und als Erhellung der menschlichen Existenz coram deo gehört und gelesen worden sind. Es gehört mithin zu den Ergebnissen historisch-kritischer Arbeit selbst, dass biblische Texte nach ihrem vermeintlichen „Ursprungssinn“ immer neu unterschiedliche Sinnpotentiale entfaltet haben, sodass sich im exegetisch nachvollziehbaren Überlieferungs- und Rezeptionsprozess der Anredecharakter der Texte zeigt. Die angesprochenen Überlieferungs- und Rezeptionsprozesse lassen sich bereits inneralttestamentlich als Ausdruck einer theologischen Reflexionsgeschichte lesen, in der das Reden von Gott (oder das „Wort Gottes“) unter veränderten Bedingungen immer neu reflektiert und rekontextualisiert wird. Für eine angemessene Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament ergibt sich unter anderem die Frage, ob man die neutestamentlichen Schriften und deren Zeugnis darüber, dass sich in Jesus Christus der Gott Israels der ganzen Welt öffnet, als Teil dieser theologischen Reflexionsgeschichte zu lesen vermag. Die neutestamentlichen Schriften selbst sehen sich jedenfalls in einer Kontinuität zu der als „Schrift“ verstandenen Textsammlung, die dann frühchristlich zum Alten Testament wird. In Auseinandersetzung mit immer wieder auftretender Bestreitungen ist dieses Alte Testament vom Hauptstrom der Kirche als Wort Gottes auch an die Christenheit verstanden worden.11
7.3 Das Wort Gottes im Alten Testament 7.3 Das Wort Gottes im Alten Testament
Lässt sich für das Alte Testament oder zumindest für einen Teil der Schriften des ersten Kanonteils ein (Selbst-)Verständnis als „Wort Gottes“ erheben?12 In der Tat zeigt sich insbesondere in den prophetischen Texten des Alten Testaments der Anspruch, hier werde „Wort Jahwes“ ( )דבר יהוהverkündigt.13 Nicht nur, dass in vielen prophetischen Texten das redende Ich eines „Propheten“ mit Gott als Sprecher der vorgetragenen Texte verschmilzt. Darüber hinaus findet sich insbesondere in späteren Prophetenschriften (greifbar zunächst im Jeremia- und Ezechielbuch) gehäuft Formelgut, wie die „Wortereignisformel“ oder die „so-spricht-Jahwe-Formel“, das die Texte insgesamt unter das Vorzeichen דבר יהוהzu stellen scheint.14
Vgl. Kapitel 2. 12 Vgl. Kapitel 4. 13 Wobei dies keineswegs ausschließt, dass die je individuelle Reflexion und Formulierung durch „Propheten“ als Autoren und Redaktoren der Bücher deutlich zu erkennen sind, sodass auch in den Prophetenschriften Gottes Wort immer nur im Menschenwort greifbar wird. 14 Vgl. Kapitel 4.1.1 und 4.1.2. 11
7.3 Das Wort Gottes im Alten Testament
343
Die deuterojesajanische Sammlung Jes 40–55 wird in einem Prolog und Epilog gerahmt durch Reflexionen über die Beständigkeit und Wirksamkeit des Wortes Gottes und stellt den so gerahmten Inhalt insgesamt unter das hermeneutische Vorzeichen דבר.15 Darüber hinaus ist es eine wiederkehrende Argumentationsfigur, dass Israels Gott Jahwe das Exilsgeschick seines Volkes habe (vorher) „verkündigen“ ( )נגדlassen. Ja, Gottes Gottsein wird mit seinem – prophetisch vermitteltem – Vorherverkündigen und rechtem Deuten geschichtlichen Geschehens verknüpft. Auf diese Weise wird – zumindest implizit – ein Bezug zur vorexilischen prophetischen Verkündigung hergestellt, die nun als zuverlässig gelten kann. Dies leitet über zu Beobachtungen in den Schriften Hoseas, Amos, Michas und Jesajas, in denen zahlreiche – zumeist redaktionelle – Formulierungen die Gesamtbotschaft als „Wort Jahwes“ ausweisen sollen.16 Der redaktionelle Charakter der Bestimmungen der Texte als Wort Gottes macht deutlich, dass es sich hier um ein reflektiertes literarisches Phänomen handelt. Es geht nicht um die Frage nach inspirierten Autorenpersönlichkeiten. Insbesondere trifft dies für das Gefüge der Überschriften über die Prophetenbücher zu, die als redaktionell intertextuelle Verknüpfungen dazu beitragen, die „Propheten“ auch buchübergreifend als Verkündiger des דבר יהוהzu verstehen.17 Von einem solchen Prophetenverständnis ausgehend, lassen sich Reflexionen über das Wort Gottes auch im Deuteronomium und im Deuteronomistischen Geschichtswerk erkennen, die in ihrer theologischen Programmatik ganz analog zu den entsprechenden prophetischen Texten zu stehen kommen.18 Hier ist insbesondere das sog. Prophetengesetz in Dtn 18,9–22 in den Blick gekommen. Dort wird ein Prophetenverständnis propagiert, nach dem Jahwe „seine Worte in den Mund“ des Propheten gelegt habe. Von hier aus lassen sich eine Reihe Querbeziehungen innerhalb des Deuteronomiums (Dtn 13; 34), aber auch nach außerhalb (Jer 1) identifizieren. Zugleich ist hier zu erkennen, dass der Text von Dtn 18 bereits auf eine Reihe von prophetischer Literatur zurückblickt und mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits die Schriftwerdung des prophetisch vermittelten Gotteswortes reflektiert.19 Auch 1 Sam 3 stellt einen redaktionellen Schlüsseltext dar, in dem es weniger um die „Berufung“ Samuels als um das Entstehen des prophetisch vermittelten דבר יהוהgeht, was eben parallel zu – ja eigentlich noch vor – der Entstehung eines Königtums in Israel geschieht.20 In der theologischen Reflexion der Geschichte aus deuteronomistischer Perspektive wird damit das Wort Gottes
Vgl. Kapitel 4.1.3. 16 Vgl. Kapitel 4.1.4–4.1.7. 17 Vgl. Kapitel 4.1.8. 18 Vgl. Kapitel 4.2. 19 Vgl. Kapitel 4.2.1. 20 Vgl. Kapitel 4.2.2. 15
344
7. Kapitel: Zusammenfassung
von Anfang zur begleitenden, ja korrigierenden und leitenden Größe der politischen Geschichte. Sodann ließen sich auch in den Psalmen Reflexionen über das Wort Gottes und seine Wirkung ausmachen. Dazu wurde zunächst Ps 33 in den Blick genommen, der als systematische Reflexion über das Leben im Angesicht Gottes gelten kann.21 Basis dieser Reflexion stellt eine im Psalter einmalige Meditation über das „Wort Gottes“ in seinen schöpferischen und ethischen Dimensionen dar. Auch eine solche Reflexion lässt sich eher in einem jungen Text vermuten, als der dieser Psalm in der Regel auch gilt. Dies gilt auch für den 119. Psalm, der die Tora Jahwes unter dem Aspekt der Wortoffenbarung meditiert. Hier ist wiederholt von deinem Wort ( )דברךoder dem, was du gesagt hast ( )אמרתךdie Rede.22 Dabei ergibt sich für den 119. Psalm eine exponierte Stellung am Ende der Teilsammlung der Psalmen 1–119, sodass der Text den Psalter insgesamt unter die Leseanleitung דברstellt und sich so als „der Wort-Gottes-Text des Psalters“23 erweist. Von Psalm 119 ließ sich eine Brücke schlagen zu Texten aus dem Pentateuch, die die Tora Jahwes als דברund damit als Wortoffenbarung ausweisen. Dies gilt für die Einleitungstexte zum Sinaigeschehen in Ex 19 oder Dtn 4. Dann aber auch für ein Verständnis des Dekalogs als Zehn Worte.24 Darüber hinaus lässt sich das Buch Deuteronomium insgesamt unter die Überschrift דברים/ דברsubsumieren.25 Schließlich wird auch die Tora insgesamt als „Wort“ oder Wortoffenbarung verstanden. Damit, dass die Gebote der Tora Worte sind, die Gott selbst geredet (und im Hinblick auf den Dekalog sogar selbst geschrieben) habe, wird die Gottesbeziehung thematisiert. Die Gebote sind eben nicht nur hilfreich und nötig für das menschliche Zusammenleben, sondern es ist auch das Verhältnis des Menschen zu Gott im Spiel. Schließlich endet der Hebräische Kanon in 2 Chr 36 insgesamt mit einer Notiz über die Erfüllung oder Vollendung des Wortes Jahwes durch Jeremia (2 Chr 36,21). 2 Chr 36,22f. als einer der spätesten, wenn nicht der späteste Text des Chronistischen Geschichtswerkes stellt dann die Ketubim insgesamt unter die Leseanleitung דבר יהוה.26 Damit ergibt sich ein redaktionelles Geflecht zum Thema „Wort Gottes“, das sich als intertextuelles Netzwerk über den Kanon spannt und somit auch die alte Suche nach einer Einheit in der Vielfalt der alttestamentlichen Überlieferung durch neue Aspekte erweitert. Natürlich lässt sich deshalb nicht von jedem alttestamentlichen Einzeltext sagen, er habe sich ursprünglich als Wort
Vgl. Kapitel 4.3.1. 22 Vgl. Kapitel 4.3.2. 23 SPIECKERMANN, Reden, 229. 24 Vgl. Kapitel 4.4.2. 25 Vgl. Kapitel 4.4.3. 26 Vgl. Kapitel 4.5. 21
7.4 Der Gott des Wortes im Alten Testament
345
Gottes verstanden wissen wollen. Aber gerade die Positionierung redaktioneller Schlüsseltexte – wie sie die Untersuchungen in Kapitel 4 aufgewiesen haben – ergibt eine Form von intertextueller Kanonizität. Neben dem Netzwerk zum Thema „Wort“ lassen sich andere erkennen, wie eines zum Stichwort Tora oder ein weiteres zum Thema Herrscherverheißungen/Messiaserwartungen. Kanonizität ist immer ein plurales Phänomen.27 Zu greifen ist dieses Phänomen vor allem an schriftlichen Bibeltexten, die durch redaktionelle Schlüsseltexte als Wort Gottes verstanden oder gedeutet werden.
7.4 Der Gott des Wortes im Alten Testament 7.4 Der Gott des Wortes im Alten Testament
Lässt sich der Kanon des Alten Testaments, jedenfalls in der Perspektive bestimmter redaktioneller Signaltexte, unter dem hermeneutischen Vorzeichen „Wort Gottes“ verstehen, stellt sich die Frage, ob sich für den „Gott“, der da redet und von dem die Rede ist, trotz aller Vielfalt und historischer Diversität der Texte ein einheitliches Bild ergibt.28 Oder anders gefragt: Lässt sich inneralttestamentlich von einer „Selbigkeit“ Gottes ausgehen? Zunächst fällt auf, dass die alttestamentlichen Texte selbst in einer Fülle von Gottesbezeichnungen jedenfalls ganz unterschiedliche Facetten oder Aspekte der „Sache Gott“ bezeichnen. Zumindest für einzelne Texte, wie Psalm 91, lässt sich vermuten, dass unterschiedliche Gottesbezeichnungen ursprünglich auch unterschiedliche Gottheiten benannten.29 Außerbiblische Vergleichstexte, die auf den Territorien Israels und Judas gefunden wurden, bestätigen dieses religionsgeschichtliche Bild oder weisen darauf hin, dass es regionale Ausprägungen der Verehrung Jahwes gegeben hat, der dann auch eine „Aschera“ an seiner Seite gehabt haben könnte. Signifikant ist nun, dass eine Reihe von alttestamentlichen Texten selbst darauf hindeuten, dass es eine Art geographischer Herkunft des Gottes Jahwe „aus dem Süden“ gab, dass sich das Bild und die Verehrung dieses Gottes historisch gewandelt hat und dass Jahwe im Laufe dieser (religions-)historischen Entwicklungen Züge anderer Gottheiten „usurpiert“ oder eben „Wohnung“ in den Bezeichnungen und Bildern dieser Gottheiten „genommen hat“.30 Gleichzeitig weisen aber Texte wie Ex 6,2–8 auf eine bewusste theologische Reflexion des Phänomens hin31, sodass sich (hier für die Priesterschrift) von einer theologisch planvoll-konzeptuellen Integration der unterschiedlichen Gottesbezeichnungen Elohim, El Šadday und YHWH in das Bild des einen
Vgl. Kapitel 5. 28 Vgl. Kapitel 6. 29 Vgl. Kapitel 6.1.4. 30 Vgl. Kapitel 6.1.2. 31 Vgl. Kapitel 6.1.1. 27
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7. Kapitel: Zusammenfassung
Gottes Jahwe im Zuge einer Offenbarungsgeschichte reden lässt. Historische und begriffliche Vielfalt wird also inneralttestamentlich wahrgenommen und in das Bild des einen Gottes eingebunden. Daneben haben auch eher unkonkrete Gottesbilder, wie bei Kohelet, oder die Problematisierung des „verborgenen Gottes“ wie bei Hiob ihren Platz.32 Schließlich setzt sich ein explizit monotheistisches Gotteskonzept durch, wie es sich bei Deuterojesaja greifen lässt.33 Diesem aspektreichen Gottesbild steht ein ebenso vielfältiges, manchmal spannungsvolles Reden über das Wirken Gottes34 im Alten Testament zur Seite. Gott wird in weiten Teilen des Alten Testaments geradezu definiert durch seine Rettungstag im Exodus. Der Beginn des Dekalogs Nur ich bin Jahwe, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten geführt habe, dem Haus der Knechtschaft steht dafür programmatisch.35 Zugleich aber ist der Retter auch Israels Richter, der die Gabe des Landes nach fortgesetzter Schuld aneinander und Abfall von Gott auch wieder nimmt, ja sein Volk ins Exil führen lässt (Ez 20). Beides ist Ausdruck der Erwählung Israels; denn aus besonderer Erwählung folgt auch besondere Verantwortung (Am 3,2). Dennoch wäre es unangemessen, Jahwe ausschließlich als Partikulargott Israels zu interpretieren. Das Schöpfersein Jahwes, die Fremdvölkersprüche, Hinweise darauf, dass Gottes Recht auch „zu den Inseln“ gelangen soll, oder die Debatte um die Niniveniten im Jonabuch zeigen diesen Gott bereits im Alten Testament als universalen Herrn der ganzen Welt.36 Dabei wird gerade auch vom Schöpfersein Gottes im Alten Testament in ganz unterschiedlicher Weise geredet. Er ist der Schöpfer der Welt und der Menschen als seiner Ebenbilder. Aber die Wurzel ברא/schaffen wird auch für die Entstehung Israels (Jes 43,1) oder die Erneuerung des sündigen Individuums (Ps 51,12) gebraucht. Schließlich wird der Schöpfer von Himmel und Erde (Gen 1,1) einen neuen Himmel und eine neue Erde ... schaffen (Jes 65,17).37 Dieser der Welt als seiner Schöpfung und Israel als seinem Volk zugewandte Gott hat sozusagen „Hand und Fuß“. Er wird mit Körperteilen (Hand, Arm, Fuß, Angesicht, Nase, Mund ...) vorgestellt, als habe er eine menschliche Gestalt (Anthropomorphismus), er handelt wie ein Mensch, indem er Lebewesen bildet wie ein Töpfer, oder einen Garten pflanzt (Anthropopragmatismus) und er fühlt wie ein Mensch, indem er Reue, Zorn, Hass oder Liebe empfindet (Anthropopathismus). Das alles dient der möglichen Kommunikation von Aspekten Gottes im menschlichen Kontext. Zugleich aber legt dieser Gott Wert
Vgl. Kapitel 6.1.5. 33 Vgl. Kapitel 6.1.6. 34 Vgl. Kapitel 6.2. 35 Vgl. Kapitel 6.2.1. 36 Vgl. Kapitel 6.2.2. 37 Vgl. Kapitel 6.2.3. 32
7.5 Aspektivische theologische Reflexionsgeschichte
347
auf seine Unabbildbarkeit, er ist unsichtbar, transzendent und lässt sich allenfalls näherungsweise beschreiben (vgl. Ez 1). Die Israeliten dürfen sich von ihm kein Bildnis machen; und auch im Verbot seinen Namen zu missbrauchen entzieht er sich schließlich soweit der Verfügbarkeit des Menschen, dass in späten Texten das Tetragramm nicht einmal mehr geschrieben wird.38 Auch im Neuen Testament lassen sich eine ganze Reihe dieser sehr unterschiedlichen Aspekte des Redens von Gott wiederfinden. Dabei sind die neutestamentlichen Schriftsteller durchweg der Meinung, vom Gott des Alten Testaments zu reden, wenn sie „Gott“ sagen. Zugleich ist allerdings eine Reihe der Aussagen über Gott im Neuen Testament christologisch auf Jesus zentriert. Darauf weist unter anderem die Übertragung des Kyrios-Titels auf Jesus hin oder die Tatsache, dass die johanneischen ἐγώ εἰµι-Aussagen ganz analog zur alttestamentlichen Ausschließlichkeitsformel אני יהוהfunktionieren. Auch im Neuen Testament gibt es eine Debatte um die Universalität des Evangeliums (vgl. Act 15); auch dort ist Gott der Schöpfer, der aber nun im Angesicht Jesu Christi (2 Kor 4,6) erkennbar wird. Auch im Neuen Testament zeigt sich Gott ganz anthropomorph, aber dies vor allem dort, wo Christus ganz Mensch ist, als Kind in Windeln gewickelt (Lk 2) oder als Logos, der aber Fleisch wird (Joh 1).39 So zeigt sich für das Alte wie das Neue Testament, dass das Reden von Gott „vielfältig und auf vielerlei Weise“ (Hebr 1,1f.) geschieht; aber gerade so ist es der Vielfalt der geschichtlichen Wirklichkeit angemessen. Sowohl inneralttestamentlich als auch gesamtbiblisch ist eine formelhafte Rede von der „Selbigkeit“ Gottes oder eines allzu einfach verstandenen „Monotheismus“ unterbestimmt, wenn sie nicht auch die Vielfalt und den Facettenreichtum des Redens von Gott bedenkt. Zugleich aber erheben alle diese Aussagen im intertextuellen Kontext eines Kanons den Anspruch, von Gott als einer Einheit zu reden, die der Grund einer komplexen, aber unteilbaren Wirklichkeit ist.
7.5 Aspektivische theologische Reflexionsgeschichte 7.5 Aspektivische theologische Reflexionsgeschichte
Bei der Zusammenschau ganz unterschiedlicher alttestamentlicher Texte oder Textkomplexe unter der Kategorie „Wort Gottes“ oder der Integration ganz unterschiedlicher Bilder von Gott in das Reden von dem einen Gott in diachroner und synchroner Perspektive stellt sich immer die Frage, ob damit der disparaten religiösen Überlieferung des antiken Israel nicht künstlich ein theologisches Schema übergestülpt wird. Aber ebenso wird im Kontext der religiösen Überlieferung, die sich schließlich zum Kanon der Hebräischen Bibel und im
Vgl. Kapitel 6.2.4. 39 Vgl. Kapitel 6.4. 38
348
7. Kapitel: Zusammenfassung
Kontext der christlichen Überlieferung zur Bibel aus Altem und Neuem Testament vernetzt, Theologie betrieben. Die alttestamentlichen Schriftsteller stellen Theologie nicht als zu Begriffen geronnene gedankliche Konzepte dar. Vielmehr ist hier die Addition der Vielfalt programmatisch. Das zeigt sich in der Abfolge des priesterschriftlichen und des nichtpriesterschriftlichen Schöpfungsberichtes, wird in der Kombination ganz unterschiedlicher Gesetzeskorpora fortgesetzt, aber auch in konkurrierenden Landnahmekonzepten des Josua- und des Richterbuches. Das Deuteronomistische Geschichtswerk wird durch das Chronistische ja nicht nur in die nachexilische Zeit fortgesetzt, sondern gleich auch noch korrigiert. Lob- und Klagepsalmen finden ebenso nebeneinander Platz, wie Heils- und Unheilsprophetie in fast jedem Prophetenbuch gemeinsam ein Spannungsfeld bilden, in dem das eine immer schon das andere infrage zu stellen scheint. Bei alledem werden zum Teil deutliche Widersprüche in Kauf genommen. Das gilt in ähnlicher Weise für das Reden von Gott, das in zahlreichen Texten seine „Herkunft“ und seine Vielgestaltigkeit sowie die vielfältigen Aspekte, unter denen er mit dieser Welt und seinem Volk in Beziehung tritt, erkennen lässt. Dennoch ist die Vielfalt der alttestamentlichen Überlieferung durch ein intertextuelles Netz redaktioneller Schlüsseltexte zu einem Kanon unter dem Stichwort דבר יהוהzusammengewachsen. Daneben (oder „darüber“) lassen sich auch andere Netze unter dem Stichwort „Tora“ oder „Messias“ ausmachen. Diese unterschiedlichen Perspektiven konkurrieren nicht miteinander, sondern bleiben sozusagen additiv nebeneinanderstehen; wie auch die Vielfalt und Disparatheit der textlichen Überlieferungen trotz und bei aller „Vernetzung“ nicht einfach aufgehoben wird, sondern erhalten bleibt. Ähnliches gilt für das Bild eines Gottes, der mal El oder Elohim, El Šadday, ‘Elyon oder Jahwe heißt. Dieser Gott tritt seinem Volk als Schöpfer, als Retter und Richter, als offenbarer und verborgener Gott, als anthropomorph oder transzendent, als erwählender und verwerfender und nicht zwingend als maskuliner Gott entgegen. Auch hier wird die Vielfalt bewahrt, während andererseits bewusst über die Einheit all dieser Vielfalt reflektiert wird. Darin lässt sich ein Modell der Weltwahrnehmung greifen, das unter dem Stichwort Aspektive oder synthetisches Weltbild firmiert und das, wie sich im Hinblick auf das Wort Gottes und den Gott des Wortes in Vielfalt und Einheit zeigen lässt, eine ganz eigene Art von Theologie darstellt. Insbesondere in der Perspektive von Redaktion und Komposition, sowie Überlieferung, Rekontextualisierung und Relecture alttestamentlicher Texte lässt sich so bereits innerhalb des ersten Teils der christlichen Bibel eine theologische Reflexionsgeschichte erkennen, die einerseits die verschiedenen Aspekte des Redens Gottes und des Redens von Gott bewahrt und andererseits diese Vielfalt – je nachdem, welches intertextuelle Netz gerade als verständnisleitend in Anschlag gebracht wird – immer neu zu einer Einheit sortiert und als eine Einheit in Aspekten zu verstehen lehrt.
7.6 „Das Wort unseres Gottes“
349
Diese Geschichte setzt sich methodisch ähnlich im Neuen Testament fort, wo das Johannesevangelium neben den Synoptikern bewahrt wird, die matthäischen neben der lukanischen Kindheitsgeschichte Jesu steht, wo das Corpus Paulinum ebenso seinen Platz hat, wie der Jakobus- oder der Hebräerbrief. Immer wieder knüpfen dabei die Verfasser der neutestamentlichen Schriften an die theologische Reflexionsgeschichte des Alten Testaments an oder erweitern deren Leseweisen durch die eigene christologische Perspektive. Sie schließen damit strukturell an die innalttestamentlichen Denkbewegungen an und verknüpfen sich mit den dort gespannten intertextuellen Netzen. Theologie ist dies vor allem durch den Bezug auf den Gott, von dem in beiden Testamenten nur vielfältig und in aller Vielfalt als dem Einen geredet werden kann. Jüdischer Glaube und Theologie nimmt andere Fäden aus der Hebräischen Bibel auf oder knüpft an dieselben Netze auf andere Weise an. Die Möglichkeit dieses „doppelten Ausgangs“ scheint in der Aspektive des Alten Testaments/der Hebräischen Bibel bereits angelegt.
7.6 „Das Wort unseres Gottes“ 7.6 „Das Wort unseres Gottes“
Der Beitrag der alttestamentlichen Exegese zur Reflexion eines christlichen Wirklichkeitsverständnisses besteht demnach wesentlich auch im Nachzeichnen einer „theologischen Reflexionsgeschichte“, die als eine spezifische Form von Theologie untern den Bedingungen einer „aspektivischen“ Weltwahrnehmung gelten kann. Das heißt auch, dass die in diachroner und synchroner Perspektive vielfältigen, diversen, ja manchmal widersprüchlichen Facetten des Redens von „Gott“, der Möglichkeit, wie sich dieser Gott im Medium „Wort“ mitteilt, und der Frage, was diese Mitteilung für die Bestimmung der menschlichen Existenz coram deo bedeutet, einerseits in der genannten Vielfalt wahrgenommen und andererseits als additive Aspekte einer Wirklichkeit verstanden werden. Letzteres hat seine Begründung darin, dass sich die Integration der vielfältigen Aspekte alttestamentlicher „Theologie“ in den alttestamentlichen Texten selbst zeigt. Für das „Wort Gottes“ und den „Gott des Wortes“ wollte diese Untersuchung das aufweisen. Zugleich lässt sich zeigen, dass diese Art „aspektivischer Theologie“ im Neuen Testament fortgesetzt wird. Damit lässt sich das erwähnte hermeneutische Dreieck von Gottes-, Text- und Existenzbezug jeder Theologie, das Luther mit den Bergriffen oratio, meditatio und tentatio umrissen hatte, auch in den biblischen Texten selbst erkennen.40 Vor diesem Hintergrund muss der historisch begründete Einwand, „das“ Alte Testament verstehe sich insgesamt nicht als Wort Gottes oder die Rede von der „Selbigkeit“ Gottes sei eine an die Texte herangetragene Vorausset-
40
Vgl. Kapitel 2.4.1.
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7. Kapitel: Zusammenfassung
zung, relativiert werden. Die Texte müssen je in ihrer Eigenart verstanden und die Gottesbilder müssen in ihrer Verschiedenheit wahrgenommen werden. Zugleich ist aber die in den intertextuellen Netzen und teils auch sehr bewussten Reflexionen erkennbare Integration der Aspekte zu einem Ganzen hermeneutisch ernst zu nehmen. Vielfalt und Einheit können hier nicht gegeneinander aufgewogen werden. Im Neuen Testament wird dieser vielfältige und doch eine Gott christologisch vermittelt neu verkündigt. Ohne die alttestamentliche Rede von Gott aber ist die Verkündigung Jesu und sind die Botschaften der neutestamentlichen Schriften nicht denkbar. Dabei handelt es sich nicht nur um religionsgeschichtliche Voraussetzungen, sondern um die Fortsetzung der theologischen Reflexionsgeschichte des Alten Testaments. So setzen sich zum Beispiel Aspekte der anthropomorphen Rede von Gott im Alten Testament im neutestamentlichen Gedanken der Inkarnation fort. Zahlreiche Aspekte der alttestamentlichen Theologie, aber auch der Kosmologie und Anthropologie werden im Neuen Testament und darüber hinaus in der christlichen Theologie als selbstverständlich angenommen und/oder weitergedacht. Gott ist der Schöpfer und Vollender dieser Welt, er ist Richter und Retter, was sich insbesondere bei Paulus in der Dynamik von Sünde und Gnade niederschlägt. Was Glaube ist, lernen die neutestamentliche und die christliche Gemeinde von Abraham (Gen 15,6) und Jesaja (Jes 7,9), und auch die Johannesoffenbarung malt den größten Teil ihrer endzeitlichen Bilder nach alttestamentlichen Vor-Bildern.41 Es bleibt die Frage, ob deshalb das Alte Testament ein christlicher Text und für christliche Theologie und Kirche „kanonisch“ im Sinne von „verbindlich“ ist. Zunächst ist dazu mit Nachdruck zu sagen, dass es vor und neben dem Christentum im Judentum eine originäre Anknüpfung an die Rede von Gott in der Hebräischen Bibel gibt. Beide beziehen sich in unterschiedlicher Weise auf die religiöse Überlieferung Israels aus dem 1. Jahrtausend v.Chr., und die christliche Tradition ist angesichts einer Geschichte der theologischen Delegitimation und Enterbung des Judentums zu selbstkritischem Umdenken, ja zur Buße aufgerufen. Es steht zu hoffen, dass die unterschiedlichen Weisen, an das aus Aspekten geknüpfte theologische Netz der Hebräischen Bibel/des Alten Testaments anzuknüpfen, künftig in ein gegenseitiges respektvolles und lernbereites Gespräch eintreten. Auf vielen Feldern geschieht das ja längst und
Dabei wird bereits im Neuen Testament bei der Aufnahme alttestamentlicher Texte, Themen und Vorstellungen eklektisch verfahren. Diese Rezeption in Auswahl setzt sich in der Kirchen- und Theologiegeschichte fort. Wenn dabei nicht in ideologischer Weise Aussagen, die dem eigenen System widersprechen, bewusst ausgeblendet werden, ist eine solche Auswahl aufgrund der Fülle und Vielfalt der Überlieferung unvermeidlich. Dass das Sinnpotenzial der biblischen Texte größer ist als die jeweilige Auswahl, hält die Existenz eines Kanons in Erinnerung und es ist immer neuer Ertrag sorgfältiger exegetischer Arbeit. 41
7.6 „Das Wort unseres Gottes“
351
gerade hier ist die alttestamentliche Exegese ein gutes und bereits fruchtbares Arbeitsfeld.42 Aus christlicher Perspektive ist, insbesondere da, wo man am sola scriptura festhält oder sich wieder um ein Schriftprinzip oder um die Wiedergewinnung der Kategorie „Wort Gottes“ bemüht, neu wahrzunehmen, dass eben das Alte Testament der Ursprungsort der Rede vom „Wort Gottes“ ist. Nimmt man die in dieser Arbeit herausgestellte Vielfalt der Aspekte und den theologisch-reflexiven Charakter der Rede vom Wort Gottes bereits im Alten Testament ernst, wird einmal mehr klar, dass die fundamentalistische Einengung des Wort-Gottes-Begriffs auf eine bestimmte Form von Inspiration, die unhinterfragbare literarische Einheitlichkeit biblischer Bücher, die Mosaische Verfasserschaft des Pentateuch, die vermeintliche historische Tatsächlichkeit aller in der Bibel geschilderten Ereignisse etc., gerade nicht im Sinne der biblischen Texte ist. Vielmehr bedeutet die Bestimmung biblischer Texte als „Wort Gottes“ aus christlich theologischer Perspektive zweierlei: Zum einen sind diese Texte Kommunikationsmedium dessen, den wir als „Gott“ bezeichnen und der in seinem „Für-sich-sein“ der menschlichen Erkenntnis nicht zugänglich ist. Dabei ist klar, dass die biblischen Texte nicht das einzige Kommunikationsmedium des Wortes Gottes sind, dies gilt vielmehr auch für das Fleisch gewordene Wort in Jesus Christus und die Verkündigung der guten Botschaft von diesem Jesus Christus (viva vox evangelii), der aber selbst nicht ohne Bezug auf den Gott des Alten Testaments ist. Demgegenüber ist es die Eigenart und die Leistung der biblischen Schriften, dass sie als geschriebene Texte allen zugänglich und damit intersubjektiv diskutabel sind. Hier liegt die zweite Bedeutung der Bestimmung der Texte als Wort Gottes: Sie sind das zentrale Bezugs- und Referenzmedium für alle, die sich über „Gott“ und die Bedeutung für ihr Leben verständigen wollen. Ein unmittelbarer Gottesbezug mit einer unmittelbaren Neubestimmung der eigenen Existenz ist, jedenfalls im christlichen Glauben, ohne einen (wie auch immer gearteten) Textbezug nicht zu haben oder als individuelle mystische Erfahrung jedenfalls nicht diskursfähig.43 So ermöglicht die gemeinsame Referenz auf die als Wort Gottes verstandenen biblischen Texte eine Vergemeinschaftung als Kirche. Sie ermöglicht aber auch eine gemeinsame Verständigung darüber, wer Gott ist und wie er die menschliche Existenz bestimmt. Dabei bedeutet diese gemeinsame Verständigung keineswegs immer eine Einmütigkeit im Ergebnis. Vielmehr sind Differenzen in der Auslegung und der Rezeption immer mitgegeben. Das liegt zum einen an der
Noch einmal sei z.B. erinnert an die Reihen „Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament“ (HThK.AT) und „Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament“ (IEKAT), an denen jeweils jüdische und christliche Auslegerinnen und Ausleger beteiligt sind. 43 In diesem Sinne lässt sich von biblischen Texten als der Materialgestalt des extra nos sprechen. 42
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7. Kapitel: Zusammenfassung
Unterschiedlichkeit der Rezipientinnen und Rezipienten samt der jeweiligen Rezeptionsgemeinschaften und -traditionen, zum anderen aber auch an der aspektivischen Vielfalt der biblischen Texte. Die Christenheit hält in ihrer überwiegenden Mehrheit durch alle Konfessionen an der Bibel aus Altem und Neuem Testament als der maßgeblichen Referenzgröße für die Theologie fest. Für die lutherische Kirche hat der Summarische Begriff der Konkordienformel von 1577 dies festgehalten.44 Dies schließt aber ausdrücklich ein – und nur deshalb gibt es überhaupt einen Text wie die Konkordienformel! –, dass über die Fragen der Theologie en gros und en détail immer diskursiv verhandelt wird. Die Frage nach „Verbindlichkeit“ oder „Kanonizität“ für das Alte oder das Neue Testament pauschal ablehnen oder festhalten zu wollen, ist schon von daher fraglich. Auch in einer Kirche, die unter dem Leitsatz sola scriptura steht, sind Aussagen nicht allein deshalb alle gleich gültig oder für alle verbindlich, weil sie „in der Bibel stehen“ oder „Wort Gottes sind“ – auch das kann man von Martin Luther lernen.45 Auch im Neuen Testament finden sich eine Reihe von Aussagen (etwa zur Sklaverei), die heute nicht mehr kirchlich verbindlich sind oder auch nur sein könnten. Bereits der historische Abstand zu biblischen Lebenswelten nötigt zur Reflexion, zum Diskurs, zur Auswahl etc. Das gilt für Jüdinnen und Juden ebenso wie für christliche Auslegrinnen und Ausleger. Dann kommt es nicht allein darauf an, ob sich heutige Glaubende in einer Art genealogischer Linie auf den ersten Adressatenkreis der biblischen Schriften zurückbeziehen können, sondern ob sie sich die biblischen Worte gesagt sein lassen – und dabei das Recht anderer zu akzeptieren, sich dieselben Worte anders gesagt sein zu lassen. Dann lässt sich auch von heutigen Menschen in den (in dieser Form einmaligen) Satz aus dem Jesajabuch einstimmen, dass nämlich in dem alten Text „das Wort unseres Gottes“ (Jes 40,8 )דבר אלהינוzu hören ist.
Vgl. Kapitel 1.3.1. 45 Vgl. Kapitel 2.4.2. 44
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Register Bibelstellen Bibelstellen
Altes Testament Genesis 1–11 1,1–2,4 1 1,1 1,3 1,7 1,9 1,11 1,12 1,16–17 1,21 1,24 1,26–28 1,27 2–3 2 2,1 2,4 2,7 2,8 2,19 2,22 3 3,8 3,15 4
80 306, 308 135, 181 22, 40, 128, 271, 308, 331, 346 135, 307, 312 307 214 307 307 307 308 308 335 309 44, 312 181 213 308 312 313 313 313 53 313 55, 62, 82 312
4,25–26 4,25 4,26 6,6 6,13 12–36 12,1 14,8 15,1 15,4 15,6 16,13 17 17,1 18,3 20,7 22 28 28,18 31,42 31,53 31,54 49,24 49,25
277 278 277f, 320 316 292 92 312, 336 271 201 201 82, 230, 350 271 230 271, 273 271 186 3, 55, 70, 251 200 293 271 271 271 271 271
Exodus 1–18 1–15 3
229 229 199, 273, 278
384 3,14 4,31 6 6,2–8 6,2 6,6–8 6,6 6,7 6,8 7,2 14,31 15,8 16–18 17,6 18,10–12 19–40 19–24 19 19,3–9 19,3–8 19,4 19,5 19,6 19,8 19,9 20–24 20 20,1 20,2–6 20,2–3 20,2 20,3–6 20,7 21–24 21–23 24,1–8 24,3–4 24,3 24,4 24,7 24,8 31,18
Register 275 229 273, 277, 309, 321, 336 273–276, 295, 345 276, 321, 322 274 275 276, 299 276 186 230 213, 315 229 45 303 229f 230 229, 344 229f 230 230f 230 300 229 229f 235 53, 233f, 254 231f, 234 317 289 205, 275, 317 317 319 233, 290 300 290 235 230, 235 230 230 235 232
32,15 33,20 34 34,11–26 34,1–5 34,6 34,11 34,27 34,28 34,29
232 318 234 234 234 316 234 234 234 232
Leviticus 4,13 19,18 20,3 20,5–6
229 40, 332 314 314
Numeri 6,24–26 11,23 11,29 12,6 14,20 14,35 18,7 22,8 22,20 22,35 22,38 23,3 23,5 23,16 24,16
314 229 186 186, 229 229 147 229 229 229 229 229 229 229 229 271
Deuteronomium 1,1 4 4,2 4,3 4,5–6 4,10 4,13 5
236 230, 344 236f, 243, 254 231 231 231 233f 195, 233, 239, 254
Bibelstellen 5,3 5,5 5,6–7 5,15 5,22–28 5,22 6,1–3 6,4–9 6,4 6,5 6,6–9 6,6 6,13 6,16 6,20 6,20–24 6,21–22 6,23 7 7,6–11 7,6 7,8 7,9 7,11 8 8,3 9,10 10,1–5 10,1–4 10,1 10,4 10,5 11,18–21 12–26 12 12,5 12,11 12,28 13 13,1–6 13,1 13,2 13,3
290 232 289 313 187 190, 232 239 238, 254 238f, 272, 322, 332 39, 238 239 239 39 39 238, 290 238, 290 290 290 299 299 299 300, 315 300 300 239 39, 239 233 233f 233 233 233f 233 239 184, 234, 290 184, 190 293 300 239 191, 193, 343 190 236f, 254 186, 191 191
13,4 16,18–18,22 16,18–17,13 17 17,14–20 17,14 17,15 17,18–19 17,18 17,19 18 18,1–8 18,9–22 18,9–14 18,9 18,10–13 18,10 18,11 18,12 18,13 18,14 18,15–22 18,15
18,16–20 18,16–17 18,18
18,19–22 18,19 18,20 18,21–22 18,21 18,22 26,8 27–28 27,3 27,8 28,36
385 191 183, 234 184 235 184, 189 189 189, 301 235 189 235f, 254 53, 191f, 208, 253, 343 184 182–184, 189, 194f, 207, 343 185f 185f 185 253 190 185 185, 188 186 186 55, 186–189, 191, 192, 194–196, 206, 263 187 187, 190, 195 187–189, 191f, 194–196, 206, 241, 246, 253, 263 193 188f, 193 187f, 191, 193 188f, 191–193, 195 187 194 313 290 235 235 187
386 28,58 29,28 30 30,1–14 30,1–10 30,1–3 30,1 30,3–5 30,6 30,8–9 30,10 30,11–14 30,11–13 30,11 30,14 31,12 32,1 32,46 33,2 34 34,10–12 34,10
Register 235f 235, 237, 240 240 240 240f, 297 241 240 241 241, 255 241 241 240, 242 240 240 240f, 255 235f 173 235 279 343 192, 245, 256 192, 206, 263
Josua 1,7–8 1,7 3,13 3,16
192 262 213 213
Richter 3,9 3,15 5,4–5 5,4 6 6,22–23 13,22–23
187 187 279 279 199 318 318
1 Samuel 2 2,15–31 2,27–36 2,35
3,1–4,1 3
3,1–21 3,1–6 3,1–3 3,1 3,2 3,3 3,4–9 3,7 3,8–11 3,9–12 3,10–15 3,11 3,13–14 3,15–18 3,15 3,16–18 3,17 3,18 3,19–21 3,19 3,20 3,21 4,1 4,15 5 8,7 9,9 10,11 13 15 16,1–13 17 28,3
198 182, 196, 198– 200, 202, 205– 207, 247, 253, 343 197 198 201 199, 201 205 224 202 201f 198 201 200, 203 203 199 198 199, 202f 204 201, 204 203 205 201 199, 202, 205f 199, 202 197 201 233 166 186 186 196, 207 196, 206 301 70 190
2 Samuel 302 199 200 187
6,1–17 7 7,4 7,12
233 199, 265 196 267
387
Bibelstellen 7,13 7,14 12 12,9 23,1–7 24,11
199 328 206, 301 196 255 196
1 Könige 2 2,27 8 8,6–7 8,16 12 12,28 13 14,14 15,29–30 16,7 17–21 17,13 21,8 22 22,19
196 174 185, 190 203 184 62 245
Jesaja 247 247 300 233 300 196, 207 302 199 187 196 196 196 194 171 150, 186, 193, 196 318f
2 Könige 3–9 9 9,25 14,25 17 17,7–23 17,7–10 17,13–17 17,13–14 17,13 17,14 17,17 17,18 17,19 17,23 18–20
19–20 20,19 21,1–15 21,12 22–23 22 25,1
196 24 178 176, 196 161, 182, 246, 253 292 292 185, 293 293 203, 294 294 253 292 294 253, 292f 169, 174
1–39 1–12 1,1 1,2–3 1,2 1,20 2 2,3 3,16 5,25–30 6,1–9,6 6–8 6 6,1–11 6,1 6,7 6,8 6,9–10 6,9 7 7,3 7,9 7,10 7,14 8 8,1–4 8,1 8,3 8,4 8,5 8,11 8,12 8,15 8,16
149, 168f, 173 169 168, 175, 177, 201 173f 157, 174f 150 80 305 170 89 89, 169 169, 173 150, 193, 301 169 169, 318 141 19, 169 174 169 88f, 169, 266 170 350 170 61 170 170 169f 170 170 170 170, 173 173 173 171, 182
388 8,17 9 9,3 9,5–6 9,5 9,7–20 11 11,1 11,4–5 11,6–9 13–24 13,1 14,28 15,1 17,1 18,12 19,1 20 20,3 21,1 22,1 23,1 24–27 28–32 28 28,7–13 28,9 28,9–10 28,11 28,12 28,13 30,6 32,10–11 33 34 35 36–39 39,5–7 39,8 40–66 40–55 40 40,1–11
Register 171 266f 265 265 266 89 266f 266f 266 311 168 178 178 178 178 173 178 169 170 178 178 178 168 169, 172f 169, 173, 193 172f 173, 174 173 172 173 173 178 171 168 168f 169 169, 174 174 174 169 148, 151, 180, 343 151, 174, 252 148
40,1–8 40,1 40,3 40,5 40,6–8 40,6 40,8 40,21 41,20 41,21–29 41,21–24 41,21–23 41,21 41,22 41,23–24 41,23 41,24 41,25–29 41,25 41,26 42 42,1 42,4 42,9 42,12 43,1 43,9 43,12 43,15 44,6–8 44,7–8 44,7 44,9–20 44,26 44,28 45 45,1 45,5–7 45,5 45,6–7 45,6 45,11 45,19
148f, 224 150 150 150 149f 150 133, 256, 352 154 283 152 153 154 152 153 285 153 153 153 153 153f 215 305 80, 305 154 154 309, 346 154 154 310 285f 154 285 285 151 304 286 286, 304 286 286 287 286 285 154
389
Bibelstellen 45,21 45,23 46,10 48,3 48,5–6 48,14 48,20 49,6 50,4 51,9 51,16 55 55,6–13 55,9–11 55,10–11 55,11 58,14 65 65,17–25 65,17 65,24 65,25 66,1
154 150f 154 154 154 154 154 305 151 308 151 151, 174, 252 149 151 149 150 150 322, 332 310f 332, 346 311 311 314
Jeremia 1
1,1–3 1,1–2 1,1 1,2 1,4–8 1,4 1,5–8 1,7 1,9–10 1,9 1,11–14 1,11 1,12 1,13 1,17–19
140, 142, 144f, 188, 191, 199, 252, 263, 343 141 176 142 141, 175 142 142 142 145, 188 141, 145 142, 145, 188, 191 142 143 143 143 143
1,17 1,18 5,14 5,15 5,21 7,13 7,26–28 7,31 10,2 14,14 15 15,16 19,3 20,8 23 23,29 23,32 23,4 23,5–6 24,1 25,12 26–28 26,18 27–28 27,1 28,2 29,11 29,12 29,15 30,9 30,10 30,21 32,35 36 36,4 36,6 36,8 36,11 46,27
145 145 188, 191 193 193 193 193 193 145 193 144 146 203 143 144 144 193 145 267 162 246 192 164, 182 189 133 189 171 246 187 187 145 267 193 144 133 133 133 133 145
Ezechiel 1–24 1,1–3,15
304 145
390 1 1,1–3 1,1 1,2–3 1,28 1,3 1,4–2,8 2 2,4 2,6 2,8–3,3 2,9–3,9 2,9 3,1 3,4 3,7 3,8 3,9 5,15 5,17 7 12,25 17,21 17,24 20 20,1–4 20,1 20,3 20,5–29 20,5–9 20,5–6 20,5–7 20,5 20,6 20,7 20,8–9 20,10–17 20,11 20,12 20,13 20,14 20,15 20,18–26
Register 347 176 176 177 319 175 144 145 146 145 145 144 145, 181, 252 146 145 146 145 145 147 147 292 147 147 147 294, 298, 346 295 295, 297 295 295 295 296 295 296 314 296 296 295 297 296 296f 296 296f, 314 295, 297
20,19 20,21 20,22 20,23–24 20,23 20,25–26 20,26 20,27–29 20,30–31 20,31 20,33–34 20,34 20,38–39 20,38 20,39–44 20,42 20,44 21,22 21,37 22,14 24,14 25–32 26,14 30,12 33–48 34,23 34,24 36,36 37,14 37,17 40–48
296 296f 296 297 296f 297 296 295 295 297f 313 298 298 296 298 296 296, 298 147 147 147 147 304 147 147 304 267 147 147 148, 252 147 93
Hosea 1,1 1,2 2,4 2,10 2,20 4–11 4,1–3 4,1 4,3 4,6
142, 157, 175 158, 179 157 157 157 157–159 157 157f, 252 158, 162 157
391
Bibelstellen 5,1 6,6 7,11–12 7,12 11 11,1 11,3 11,11 12,3 12,10 13,4 14
157 157 158 157 320 315 157 157f, 252 157 289 157, 289, 291 255
Joel 1,1
175
Amos 1–2 1,1–2 1,1 1,2 1,3 1,4 1,6 1,8 1,9 1,11 1,13 1,15 2,1–3 2,1 2,3 2,4 2,6 2,9 2,11 2,12 2,16 3–6 3–4 3,1–2
80, 159 176 142, 162, 175, 177, 201 161f 161 161 161 161 161 161 161 161 304 161 161 161 161 291 187 162 161 159–161, 252 160 291, 299
3,1 3,2 3,3–8 3,3 3,6 3,7 3,8 4,1 5–6 5,1 5,3–4 5,24 7–9 7–8 7,1 7,3 7,4 7,6 7,7–8 7,7 7,9–17 7,10–17 7,14 8,1 8,1–2 8,2 9,1
157, 159f, 207, 252, 291 291, 346 151, 160, 162 161 161 161, 203 161f, 170 157, 160, 207 160 157, 160, 207, 252 160 196 159, 161 141, 291 162 316 162 316 143, 162 162 291 162 186 162 143 180, 291, 292 318
Obadia 1
175, 177, 201
Jona 1,1 3,1 4,11
133, 175–177 176f 306
Micha 1–6 1–3 1,1 1,2–7 1,2
164 164f 142, 175, 177 167 168
392 1,3–7 1,3 1,6–7 1,10–16 2,1–11 2,1–5 2,1–3 2,1–2 2,4–5 2,6–7 2,6 2,7 2,11 2,12–13 3,1–12 3,5–8 3,5 3,6–7 3,8 3,9–12 3,11 3,12 4–5 4 4,1–5 4,1–4 4,1 4,2 5 5,1–4 5,1 5,6 5,14 6,1–7,7 7,8–20
Register 168 168 168 167 164 164 164f, 302 165 164 164f, 172 164 165 173 164 167 165 166 166 167 164, 180, 301f 301 168, 181f 164, 168 80 164 180 168 168, 181 266f 266 267 80 167f 164 164
Nahum 1,1
175, 177f, 181, 201
Habakuk 1,1 2,2–3 2,2
175, 177f 201 181
2,3–4 3,3
48 278
Zefania 1,1
175
Haggai 1,1
175–177
Sacharja 1–8 1,1–6 1,1 1,2–6 1,4 1,6 1,16 5,5–11 8,16–17 9 9,1 9,10 12,1
176 294 175–177 196 182, 193, 196, 294 196 180 180 315f 267 178 80, 267 178
Maleachi 1,1 3,22–24 3,22 3,23–24
175, 178 245, 256, 261f 192, 194, 262 263
Psalmen 1–119 1–2 1 1,1 1,2 2–89 2 2,1–3 2,2 2,6–9 2,6 2,7–9
228, 254, 344 255 216, 227, 264 219 217, 219, 262 227 264–267 264 301 207 301 264
Bibelstellen 2,7 2,9 13,2 19 19,2–7 19,8–11 19,8 19,12–15 19,15 22 24,10 25–34 33 33,1–3 33,1 33,2 33,4–19 33,4–9 33,4–5 33,4 33,5 33,6–7 33,6 33,8–9 33,8 33,9 33,10–15 33,10–11 33,12 33,13 33,14 33,15 33,16–19 33,18 33,20–22 33,22 50,7 51,12 60 68,8–9 68,9
301, 328 265 314 216, 225, 279, 281 280 280f 217, 219 280 281 40 271 254 208–210, 214f, 254, 344 210 212, 215 210 210 211f 212, 215 208, 211 212f 212f 208 213 212 211, 214 211, 213 214 214 213 212, 213 212 214 212f, 215, 314 211, 215 211f 207 24, 310, 322, 331, 346 207 279 279
72 72,8 73 78,13 81 82,1 89 89,11 90–119 91 91,1–2 91,1 91,2 91,9 95 96 98 99,5 102,3 111 113,5–9 114,1–2 119
119,1–48 119,1–8 119,1–4 119,1–3 119,1 119,2 119,3 119,4 119,5 119,6 119,7 119,8 119,9–16 119,9 119,10 119,11 119,12 119,13
393 264 267 332 213 207 271 264 308 227 27, 281, 321, 345 28, 282 282 282 282 207 215 215 314 314 220 302 299 13, 52, 208, 216– 218, 220, 223, 225, 227f, 254, 264, 344 219 219 218 220f 225 220 220 220 220 220f 220f 221 221 218, 221f, 225f 222 222 222 222
394 119,14 119,16 119,17–24 119,17 119,23 119,24 119,25–32 119,25 119,28 119,33–40 119,33 119,34 119,35 119,37 119,38 119,39 119,40 119,41–48 119,41 119,42 119,43 119,46 119,47–48 119,49 119,50 119,57 119,58 119,65 119,73 119,74 119,76 119,81 119,82 119,89 119,93 119,99–110 119,105 119,109 119,113 119,114 119,116 119,121 119,123
Register 222 222 222 222 225 222 222 222, 226 222 222 222 222 222 223 223 223 223 223, 225 223, 226 223, 226 223, 226 223, 225 223 226 224 224f 226 224 224 227 226 224, 227 225, 227 224 224 224 202, 224 224 224 224, 227 226 224 227
119,130 119,139 119,142 119,145 119,147 119,148 119,154 119,161 119,165 119,169 119,170 132,7 136,12 146 147
224f 225 224 224 227 227 224, 227 225 224 224 226 314 313 214 214
Hiob 1–2 1,6 1,21 2,10 3–42 3,4 3,9 5,8 5,17 12,9 15,31 26,11 26,12 32–37 34,32 38,1 38,22 40,1 40,3 40,6 42,1 42,7–17 42,7
282f 282 283 283 271 282 271 282 283 283 213 308 308 284 178 283 213 283 283 283 283 282 282f
Proverbien 1,4
221
395
Bibelstellen 1,7 6 6,20 6,23 7,7 22,6 22,15 22,29 23,13 25,2 29,15 30,1 31,1
224 224 224 224 221 221 221 178 221 240 221 142 142
Kohelet 1,3 1,13–14 1,13 2,24 3,10–11 5,1 12,9–14 12,10–11 12,13
283 283 284 271 284 284 248, 284 255 255, 284
Threni 2,1 2,14 2,17
314 178 247
Esther 3,12
8,8 8,10
171 171
Daniel 8 9 10–12 12 12,4 12,9
319 319 319 332 171 171
Esra 1 1,1–3 9–10
247 247f 306
Nehemia 8,7–8 10,1–2 13,23–28
181 171 306
2 Chronik 6,6–7 36 36,12 36,15–16 36,17 36,21–23 36,21 36,22–23 36,22
301 245, 344 246 246 245 245 246, 344 244, 247f, 256, 344 247, 256
171
Neues Testament Matthäus 1 1,22–23 3,2 4,1–11 4,17 8,5–13
39 43 47 39 47 329
15,24 22,2 22,34–40 25,31–40 26,54 28,19
329 333 332 332 42 329
396
Register
Markus 1,1 1,9–11 1,11 1,15 2,15 4,10–12 4,35–41 4,39 4,41 9,1 10,21 10,45 12,28–32 12,28–34 14,32–42 15,32 15,39
83, 328 334 328 47 334 19 331 331 331 264 334 333 40 332 334 40 328
Lukas 1 1,9 2 2,7 2,12 2,41–52 3,2 4 4,1–13 4,16–30 4,16–21 4,40 5,1 7,1–10 8,11 10,25 11,28 15 16,16 17,16 18,31 24
39 44 347 334 334 39 133 39 39 334 44 334 133 329 133 333 133 333 42 329 47 40f, 45
24,13–32 24,19 24,25 24,26 24,27 24,30–32 24,32 24,33–49 24,44 24,45 24,53
45 47 46 46f 46 334 46 46 42, 47 47 44
Johannes 1 1,14 2,11 2,13–23 3,14–21 3,16 3,21 4 6,35 8,12 10,7 10,11 10,30 11,25 14,6 15,1 15,12 20,25 20,27 20,28 21,1–14
335, 347 16f, 22, 132, 135, 331, 334 335 334 332 333 332 329 327 327 327 327 327 327 327 327 334 334 334 327 334
Apostelgeschichte 1,8 2 3,22–23 4,31 7,37 10
44 53 192 133 192 329
397
Bibelstellen 15 17,24
329f, 347 47, 330
Römer 1,2 1,16 1,17 3,21 3,28 4 4,17 4,23 4,25 9–11
2,5–11 2,6–8 2,11
335 328 328
Kolosser 1,15 2,9
335 335
1 Timotheus 4,5
3,15 3,16
133
42 47, 331 132, 135 331f 333
13 65 330 330 330 44 48 45 328 332
42 135
2 Petrus 1,16–21
Galater 1 1,12 2 2,11–21 2,13 3 3,11 3,17 4,4 6,15
133
2 Timotheus 328 45 328 133
2 Korinther 3,14 4,6 4,7 5,17 5,19
6,17 Philipper
44 83 48, 80 100 18 44 331 45 333 330
1 Korinther 8,6 10,4 11,23 14,36
Epheser
135
Hebräer 1,1 1,1–2 1,2–4 1,2 1,3 4,12 10,37–38
336 135, 328, 335, 338, 347 335 269 335f 133 48
Jakobus 2,17
18
Offenbarung 21 21,1
332 332
398
Register
Autoren Autoren Alt, Albrecht 271 Bachtin, Michail 250 Barth, Karl 73, 86, 98, 109, 123 Baumgärtel, Friedrich 24 Becker, Uwe 38, 108f, 116f, 270, 325 Brunner-Traut, Emma 322f Bultmann, Rudolf 72, 79, 82, 98, 327 Büttner, Matthias 109 Calvin, Johannes 121 Childs, Brevard 109 Crüsemann, Frank 100f, 117 de Wette, Martin Leberecht 62 Diehl, Johannes F. 280f Diesel, Anja 147, 273f Dietrich, Walter 198f, 204 Dohmen, Christoph 99, 102f, 117 Droysen, Johann Gustav 105 Feldmeier, Reinhard 109 Gese, Hartmut 109 Graf, Friedrich Wilhelm 1 Greschat, Katharina 66 Gunkel, Hermann 215 Gunneweg, Antonius H. J. 3, 87, 97 Harnack, Adolf von 65f, 68–70, 72, 79, 82 Hartenstein, Friedhelm 104–106, 115, 117, 325 Hegel, Georg W. F. 69 Herms, Eilert 2, 72 Hieronymus 49 Hirsch, Emmanuel 70–73 Hossfeld, Frank-Lothar 281 Irenäus von Lyon 64 Jeremias, Jörg 156, 164 Justin (der Märtyrer) 64 Kaiser, Otto 87 Koch, Klaus 104 Köller, Wilhelm 256
Kratz, Reinhard G. 112, 116, 247 Kristeva, Julia 249 Lessing, Gotthold Ephraim 67 Levin, Christoph 325 Luther, Martin 7, 12–14, 18, 50, 51, 51–64, 74f, 78, 82f, 115, 120, 125, 259, 340, 349, 352 Marcion 7, 64f, 67, 69, 71, 74f Michel, Diethelm 147, 274 Miles, Jack 270 Nogalski, James 175 Oeming, Manfred 3, 98–100, 111, 115, 117, 256, 325 Origenes 49 Preuß, Horst Dietrich 3, 87, 97, 117 Rad, Gerhard von 3, 66, 87, 94, 117, 263 Ratschow, Carl Heinz 97 Rickert, Heinrich 99 Ricœur, Paul 105, 257 Sæbø, Magne 66 Sasse, Hermann 137f Schart, Aaron 175, 180 Schleiermacher, Friedrich 66–70, 72, 79, 82, 107 Schroer, Silvia 316 Schüle, Andreas 106 Seiler, Stefan 250 Slenczka, Notger 1, 7, 39, 41, 77–79, 81–83, 85, 90, 99, 104, 270 Söding, Thomas 99 Spieckermann, Hermann 109, 228 Staubli, Thomas 316 Steck, Odil Hannes 169 Stemberger, Günter 102, 117 Tertullian 64, 65 Theobald, Michael 4 Vischer, Wilhelm 109
399
Begriffe Wagner, Andreas 281f Weber, Max 99 Weippert, Manfred 138 Weiß, Friedrich 335 Wellhausen, Julius 74 Westermann, Claus 3, 87, 278 Witte, Markus 110, 215
Wöhrle, Jakob 176 Wolff, Hans Walter 87, 94f, 117, 202 Zenger, Erich 102–104, 116f, 281, 340 Zimmerli, Walther 3, 87, 92–95, 117, 145, 147, 274 Zwickel, Wolfgang 278
Begriffe Begriffe ’anî Yhwh-Aussage 147, 274, 285 Allegorie/allegorisch 37, 40f, 44f, 49– 51, 57, 65, 67, 69, 74f, 91, 110, 326 Analogie 17, 95f, 117, 150, 160, 171f, 175, 316–318, 322 Anthropomorphismus/ anthropomorph 312, 315, 317, 319, 322, 333f, 346–348, 350 Anthropopathismus 316, 346 Anthropopragmatismus 316, 346 Antijudaismus 31, 40, 55, 62, 74, 77, 100 Apokryphen 13, 21, 69, 79, 121, 258– 260 Apperzeption 322 applicatio Siehe Applikation Applikation 26, 32f, 45, 61, 75f, 91, 114, 181, 341 Aschera 272, 321, 345 Aspektive/ aspektivisch 8, 9, 110, 181, 214, 217, 253, 288, 320, 322–324, 326, 336f, 347–349, 352 Auslegungsgeschichte 84f, 113, 174 Ausschließlichkeitsaussage 274, 276 Ausschließlichkeitsformel 274, 327, 347 Autopistie 20 Bekenntnis 130, 204, 217, 283, 290, 340, Siehe Konfession Bekenntnisschriften 12, 14, 21, 78
Berufung 4, 14, 78, 86, 104, 142, 144f, 182, 191, 196, 199f, 226, 253, 273, 319, 343 Bilderverbot 317–319 Botenformel Siehe kô-’āmar-Formel Bundesformel 276, 299 Chirbet el-Qom 272, 303 Codex Hammurapi 232, 242 deus absconditus 70f, 82, 237, 283, 322 deus revelatus 237, 283 Doppelgebot 39, 332 eklektisch 25, 47, 68, 77, 129, 350 Enuma Eliš 307 Erfüllungszitate 43, 90, 101, 334 Erlöser 280f, 310 Erwählung 211, 287, 291, 295f, 299f, 315, 346 existenziale Interpretation 75, 97 explicatio 61, 122, Siehe Explikation Explikation 12, 14, 23, 32, 93, 110, 114, 211, 238 extra nos 7, 33, 115, 127, 128, 133, 341, 351 FC Siehe Konkordienformel Fortschreibung 139, 151, 163f, 168, 173, 179, 181, 185, 187, 188, 195, 240, 263 futurum instans 203 Gattung Siehe Textsorte Gattungsbezeichnung 271 Gegenwartsrelevanz 4, 24, 60
400 Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre 22 Gesetz und Evangelium 19, 21, 30, 51, 57f, 69, 71, 75, 80, 128, 164, 238 Gottesbezeichnung 8, 27, 271, 273, 276, 281–283, 288, 321, 336, 345 Gottesbild 28, 214, 273, 281, 284, 287f, 294, 297, 306, 312, 320f, 332, 346 Gotteskonzept 9, 110, 276, 288, 337f, 346 Gottesnamen 27, 271, 321 Gottesspruchformel 134, 142–144, 158, 161, 175, 251 Gottesvorstellungen 28, 277, 303 Halacha 85 Ich-bin-Worte 327 Identität Gottes Siehe Selbigkeit Gottes Initiativimpuls 25, 27, 340 Inspiration 15, 19, 20, 88, 105, 133, 135, 257, 259, 351 Intertextualität/intertextuell 8, 17, 18, 22, 94, 129, 136, 138, 141, 162, 173, 176, 178, 189, 193–195, 206f, 212f, 230, 249–253, 255–259, 261, 265, 267, 269, 343f, 347–350 intertextuelles Netz 8, 207, 249, 253, 255f, 269, 344, 348–350 Israelerinnerung 103 jüdisch-christlicher Dialog 1, 5, 30, 98, 101, 104, 117 Kanon 2, 8, 9, 11, 13, 18, 20, 24, 31, 42, 46, 49, 57, 66, 74, 76f, 79, 97f, 102, 104f, 108, 111, 113, 131, 134, 136, 139, 179f, 195, 236f, 244, 247–251, 256–263, 269, 284, 321, 325f, 336, 344f, 347f, 350 kanonisch 8, 26, 28, 34, 69, 79–82, 91, 102, 106, 109, 126, 135f, 184, 186, 206, 249f, 257, 258f, 282, 337, 350 Kanonisierung 28, 259, 261, 321 Kanonizität 1, 8, 80f, 109, 261, 339, 345, 352
Register kô-’āmar-Formel 139, 144, 166, 251f, kô-’āmar-yhwh-Formel 146, 158, 160, 162, 164, 166, 175, 189 Kommunikation 95, 106f, 119, 127, 130–132, 251, 311f, 314, 315, 320, 346 Kommunikationsmedium 106, 351 Komposition 2, 9, 88, 137, 143, 155– 157, 159, 160f, 166, 174, 179, 200, 227, 229, 231, 240, 248, 252, 267, 324, 348 Konfession/konfessionell 5–7, 11f, 15, 17, 22, 28–30, 99, 112, 115, 124, 127, 129, 132, 260, 340, 341, 352 Konkordienformel 12–16, 78, 120, 352 Konnektivität 181 Kontinuität und Diskontinuität 32, 44, 106, 117 Körperbild 317 Kuntillet ‘Aǧrud 272, 278, 303 Leitmotiv 151 Leitwort 187, 201 Leseanleitung 14, 56, 228, 344 Leuenberger Konkordie 22 Literargeschichte 53, 62, 88, 107, 192 Materialgestalt des extra nos 128, 341, 351 Mentalitätsgeschichte/ mentalitätsgeschichtlich 72f methodischer Atheismus 26 Midrasch 85, 91 Monojahwismus 126, 272 Monotheismus/ monotheistisch 2, 28, 72, 74, 106, 126, 152, 270, 272, 274, 276, 285, 287– 289, 322, 325, 336f, 346f norma nomata 14 norma normans 14, 119 Normativität 34, 79, 81, 109, 125, 339 Offenbarung 79, 93, 95f, 104, 120f, 130, 134, 136, 138, 147, 166, 171, 175, 178, 181, 190, 197–203, 205-
Begriffe 207, 229f, 242, 244, 252, 254, 257, 259, 270, 281, 295, 321, 335 Offenbarungsgeschichte 93f, 273, 276, 281, 321f, 346 Offenbarungsmedium 341 Orthodoxie 15, 20, 61, 63, 78f, 115, 120–122, 284 Perspektivität 12, 41, 47, 50, 83, 96, 98, 103, 105, 116, 340 Polyjahwismus 272 Polytheismus/ polytheistisch 27f, 74, 126, 270, 272, 288, 321, 325 Polyvalenz von Textsinn 76, 89, 193 pro me 19, 33, 115, 127, 133, 341 produktionsästhetisch 131 Protevangelium 55, 57, 77 regula fidei 40, 49 Reinterpretation 90f, 94 Rekognitionsformel 327 Rekontextualisierung 24, 32, 40, 84, 94, 249, 258, 348 relecture 32, 84, 163, 265, 348 Religionsgeschichte 2, 4f, 25, 33, 34, 60, 70, 77, 95, 97, 106, 123, 150, 216, 272 Rezeption 7, 20, 22, 45, 71, 76, 85, 87, 103, 111, 116, 121, 125, 146, 169, 172f, 182, 184, 249f, 252, 256f, 267, 350, 351 Rezeptionsästhetik 75, 94, 127 rezeptionsästhetisch 89, 103, 129, 131, 342 Rezeptionsgemeinschaft 8, 19, 75, 103, 115f, 128, 130, 132, 136, 181, 250, 258–260, 267, 325, 352 Rezeptionsgeschichte 72, 125, 338 Rezeptionsprozess 126, 342 Schöpfer 22, 40, 105, 213f, 224, 254, 279, 281, 306, 309, 310f, 322, 330f, 346, 347–348, 350 Schöpfergott 47, 65, 273, 279, 306
401 Schöpfung 22, 33, 57, 150, 211–214, 251, 279, 281, 307f, 310, 312, 320, 325, 328, 332, 346 Schriftlehre 20, 78, 121, 123f, 137 Schriftprinzip 6, 7, 11, 39, 79, 81, 105f, 114f, 119–124, 129f, 351 Selbigkeit Gottes 96, 109, 116, 269, 325, 336f, 345, 347, 349 Selbstreflexion des christlichen Glaubens 4–6, 11, 23, 25, 32 Selbstvorstellung 147, 274, 275, 276, 289 Selbstvorstellungsformel 134, 274 sensus literalis 51, 82, 84, 90 Septuaginta 13, 42, 90, 133, 135, 182, 260 sola scriptura 13, 50f, 54, 101, 111, 115, 119f, 129, 341, 351f Solida Declaratio 14, 78 Stereometrie 181, 214, 323 Strukturanalogie 97 Summarischer Begriff 12–15, 22, 78, 120, 352 syntaktische Wiederaufnahme 162 Talmud 85, 245, 264 Tell Dēr ‘Allā 271 Textsorte 142f, 167, 169, 200f, 250 theologische Reflexion 25, 139, 155, 159, 163, 187, 189, 196, 201, 205, 207, 218, 256, 281, 288, 291f, 294, 298, 321, 343, 345 theologische Reflexionsgeschichte 9, 94, 117, 131, 270, 272, 319, 338, 342, 347–350 Theophanie 163, 167f, 187, 230, 236, 243, 254 Tierfrieden 311 Transzendenz 130, 317–320, 333, 335 Typologie/typologisch 37, 40, 44, 49, 65, 67, 69, 74f, 91, 95–97, 117, 326 usus elenchticus 58, 69 usus politicus legis 56, 58 Verbalinspiration 15, 19f, 78, 115, 131
402 verbo solo 50 Verheißung und Erfüllung 37, 43, 91, 92–94, 101, 117, 247 Vision 142–144, 159, 161f, 180, 201, 291, 318f Visionsschilderung 141f, 159, 161, 169, 176f, 318 Vorverständnis 6, 16, 24, 27, 30, 115
Register Vulgata 13, 56, 260 Wettergott 210, 277, 321 Wirkungsgeschichte 33, 84, 107, 126, 239, 260, 309 Wortereignisformel 141, 143, 157, 170, 175–177, 201, 251, 342 Wortsicherungsformel 236 Zuspruch und Anspruch 26