Gewerbliche Einzelvorträge: Reihe 3 [Reprint 2020 ed.]
 9783112336809, 9783112336793

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KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN

Gewerbliche Einzelvorträge Gehalten in der Aula der Handelshochschule Berlin Herausgegeben von den

Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin Dritte Reihe

Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer

1909

Vorwort zur Dritten Reihe. Die fünf Vorträge, die in der vorliegenden Sammlung als Dritte Reihe der „Gewerblichen Einzelvorträge" erseheinen, wurden gegen Ende des Wintersemester 1908/9 sowie zu Anfang des Sommersemesters 1909 in der Aula der Handelshochschule gehalten. Zwei von ihnen sind der c h e m i s c h e n I n d u s t r i e gewidmet, so daß diese durch eine umfassende Charakteristik, wie auch durch die Behandlung eines einzelnen zu ihr gehörigen Industriezweiges ( L a c k e u n d F a r b e n ) vertreten ist. Daß dem Kupferhandel ein eigener Vortrag gewidmet wurde, findet in den gegenwärtigen Bestrebungen zur Errichtung einer Metallbörse zu Berlin seine besondere Begründung. Die allgemeinen, mehrere Zweige des Warenhandels berührenden Gegenstände sind diesmal durch den Vortrag über „W a r e n h ä u s e r u n d S p e z i a l g e s c h ä f t e " vertreten. Endlich ist auch begonnen worden, neben dem Waren- und Effektenhandel dem Immobilienhandel durch den Vortrag „ D i e w i r t s c h a f t l i c h e B e deutung der Terrainund Hypothekenges c h ä f t e " eine Berücksichtigung angedeihen zu lassen. Die L i t e r a t u r n a c h w e i s e f ü r w e i t e r e S t u d i e n sind in der gewohnten Form beigegeben worden. Auch in diesem Jahre verfehlen wir nicht, allen, die uns durch ihre Mitwirkung die Ausführung ermöglicht haben, unseren ganz besonderen Dank auszusprechen. B e r l i n , im September 1909.

Die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. Kaempf.

Weigert.

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Aus dein Vorwort zur Ersten Reihe. Der Lehrplan der Handelshochschule Berlin sieht unter ,.Handelswissenschaften" neben der allgemeinen Handelsbetriebslehre auch Vorlesungen über die „Betriebslehre einzelner Handelszweige" vor. Hierbei ist daran gedacht, im Laufe der Zeit für jede wichtige Branche eine Vorlesung einzurichten, die einen überblick über Entwicklung, Stand und Geschäftsbetrieb innerhalb des Erwerbszweiges gewährt; und zwar sollte weder die technische, noch die volkswirtschaftliche, sondern gerade die privatwirtschaftlich-geschäftliche Seite der kaufmännischen und industriellen Tätigkeit die Hauptsache bilden. Die Ausführung dieses Planes bietet insofern Schwierigkeiten, als Personen, die solche Vorlesungen zu übernehmen geeignet und bereit sind, unter Theoretikern wie unter Praktikern schwer zu finden sind. Wenn auch die Theoretiker die Entwicklung des Geschäftslebens in seinen einzelnen Zweigen mit Interesse verfolgen, so heftet sich bei ihnen dasselbe doch überwiegend entweder an die volkswirtschaftliche oder an die technische Seite, ohne daß die Literatur dem gelehrten Fachmanne genügende Handhaben böte, um gerade in die geschäftlichen Eigenheiten der einzelnen Branchen einzudringen, die den Gegenstand solcher Vorlesungen zu bilden hätten. Die Praktiker hingegen, die diese geschäftliche Seite vollständig überblicken, sind nur in seltenen Ausnahmefällen geneigt, sie zum Gegenstande größerer zusammenhängender Darlegungen zu machen. So kam es, daß in den bisherigen Vorlesungsverzeichnissen der Handelshochschule die Rubrik für „einzelne Handelszweige" den angestrebten Ausbau noch nicht gefunden hat. Es sind bisher überwiegend solche Branchen vertreten, die, wie das Bankwesen oder das Exportgeschäft, viel zu umfassend sind, als daß sie mit der Benennung als „einzelner Handelszweig" richtig bezeichnet wären, oder solche, denen die besondere

Vorwort.

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Berücksichtigung aus anderen Gründen und unter anderen Gesichtspunkten eingeräumt wurde, wie der Kolonialhandel, das Versicherungsgeschäft, der Eisenbahnverkehr u. a. m. Da andererseits in der kaufmännischen Bevölkerung Berlins ein Bedürfnis nach derartiger Belehrung vorhanden ist, und namentlich auch aus den Kreisen von Kaufleuten, die sich an der Handelshochschule als Hospitanten und Hörer beteiligten, fortdauernd solche Wünsche geäußert wurden, so haben wir — ohne jene Absichten für den Lehrplan der Handelshochschule aufzugeben—uns entschlossen, ihnen auf andere Art entgegenzukommen, indem wir zunächst einen Zyklus „gewerblicher Einzelvorträge" begründeten, in denen jedem Gewerbe lediglich ein einmaliger Vortrag gewidmet sein sollte. Die Aussicht, Männer der Praxis für solche einmaligenVorträge zu gewinnen, war größer, als wenn ihnen eine zusammenhängende Vorlesungsreihe zugemutet würde. Unsere Hoffnung hat uns in dieser Beziehung nicht getäuscht. Von den fünf Vorträgen, die hier als Erste Reihe zusammengefaßt erscheinen, sind drei von Mitgliedern unserer Korporation gehalten, während ein fernerer Vortrag eine dem Gcschäftsleben gewidmete Einrichtung der Korporation betrifft, die durch ihren Leiter vertreten ist. Für den Vortrag, der die Sammlung eröffnet, ist es uns gelungen, einen Redner zu gewinnen, der das theoretische wie das praktische Gebiet seines Industriezweiges in gleich anerkannter Weise beherrscht. Keiner der hier wiedergegebenen Vorträge beabsichtigte, seinen Gegenstand zu erschöpfen. Die vorliegende Veröffentlichung will vielmehr ihre Leser zu weiteren Studien anregen. Weitere literarische Hilfsmittel sind in der den Korporationsmitgliedern und den Studierenden allgemein zugänglichen Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin enthalten und in ihrem im Druck erschienenen „ K a t a l o g " verzeichnet. Um eine Auswahl geeigneter Bücher für erste Studien zu erleichtern, sind im Anhang einige Literaturnachweise beigefügt.

Inhalt. I. D i e S t e l l u n g der c h e m i s c h e n I n d u s t r i e im d e u t s c h e n W i r t s c h a f t s l e b e n . Vortrag des Herrn Fabrikdirektors Dr. W. Connstein II. W a r e n h ä u s e r u n d S p e z i a l g e s c h ä f t e . Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers F. G u g e n h e i m III. Die O r g a n i s a t i o n d e s K u p f e r h a n d e l s . Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers Dr. E. N o a h IV. D i e w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g d e r T e r r a i n - u n d H y p o t h e k e n g e s c h ä f t e . Vortrag des Herrn Geh. Staatsrats a. D. J. B u d d e , Direktor der Berliner Hypothekenbank V. D i e I n d u s t r i e d e r L a c k e u n d F a r b e n . Vortrag des Herrn L. M a n n , Altesten der Kaufmannschaft von Berlin VI. Anhang: L i t e r a t u r n a c h w e i s e . Von Herrn Bibliothekar Dr. K e i c h e. (Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. — Warenhäuser und Spezialgeschäfte. — Die Organisation des Kupferhandels. — Die wirtschaftliche Bedeutung (1er Terrain- nnd Hypothekengeschäfte. — Die Industrie der Lacke und Farben

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I. Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. Vortrag des Herrn

Fabrikdirektors Dr. W. C o n n s t e i n .

Wenn man aufmerksamen Auges den Kurszettel der Berliner Börse studiert, so stößt man auf eine Gruppe von Papieren, welche sich durch die Höhe der Dividenden und durch die Höhe des Kurses in hervorragendem Maße auszeichnen, und welche der Kurszettel unter dem Namen der „Chemischen Werte" zusammenfaßt. Diese sogenannten chemischen Werte umfassen eine große Anzahl der verschiedenartigsten Industrien und erschöpfen keineswegs die Summe aller derjenigen Industrien, bei denen die Chemie eine hervorragende Holle spielt. Es ist z. B. durchaus nicht einzusehen, warum die großen Alkaliwerke, die Sprengstoff-Fabriken, die großen Cokswerke usw. nicht ebenfalls in dieser Gruppe der chemischen Werke Aufnahme gefunden haben. Der Begriff der chemischen Industrie ist eben ein etwas schwer zu definierender, und es ist nicht leicht zu sagen, ob z. B. Ölmühlen, Spiritus-Brennereien, Petroleum-Raffinerien, Seifenfabriken usw. der chemischen Industrie anzugliedern sind oder nicht. Ich will mich für meine heutigen Auseinandersetzungen der Einfachheit halber der Bezeichnungsweise der Berliner Börse anschließen, welche auch von den meisten in Betracht kommenden Handbüchern adoptiert worden ist. An der Berliner Börse werden unter chemischen Werten die Aktien von 31 verschiedenen Werken zusammengefaßt, welche insgesamt einen Nominalwert von mehr als 262 Millionen repräsentieren. — Der Kurswert dieser 31 Werke ist 692 Millionen, so daß sich ein Durchschnittskurs von etwa 260 ergibt. Bei allen diesen Betrachtungen sind Prioritäten, Obligationen usw. gar nicht mitberücksichtigt. Die Höhe der von den 31 Werken im Durchschnitt der letzten Jahre ausgeschütteten Dividenden beträgt ca. 54 Millionen. Das bedeutet eine Verzinsung des Nominalkapitals von mehr als 20 % und eine Verzinsung des Kurswertes von ca. 7,3%. — Nicht berücksichtigt ist bei dieser Aufstellung eine besondere Extradividende, welche von einer der großen Farbenfabriken im vorigen Jahre aus börsentechnischen Gründen gezahlt worden ist, und deren Höhe sich allein auf eine ganze

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Anzahl von Millionen belief. — Diese kurze Zusammenstellung beweist bereits, daß es der chemischen Industrie im großen und ganzen nicht schlecht geht, und ein detaillierteres Studium wird diese Erfahrung mehr und mehr bekräftigen. Unter den 31 Werten der Berliner Börse ist nur ein einziges dividendenloses Papier und große Zusammenbrüche sind der chemischen Industrie, wenigstens in den letzten Jahren, fast vollkommen erspart geblieben. Natürlich repräsentieren die börsenmäßig gehandelten Werte nur einen sehr kleinen Teil der im Deutschen Reich tatsächlich vorhandenen chemischen Betriebe. Die Zusammenstellungen der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie geben ein wertvolles Material für die Schätzung der hier in Betracht kommenden Gesamtzahl und lehren uns, daß zurzeit mehr als 7500 chemische Betriebe in Deutschland bestehen, welche ca. 175 000 Arbeiter beschäftigen und hierfür nicht viel weniger als 200 Millionen Löhne aufwenden. — Dabei ist der Durchschnittslohn des deutschen Arbeiters in der chemischen Industrie im Laufe der letzten 15 Jahre von ca. 900 M. auf ca. 1100 M. in die Höhe gegangen. Eine Industrie, welche mit derartig imponierenden Kapitalien arbeitet, muß natürlich, um ihr Geld nutzbringend zu verwenden, sehr erhebliche Umsätze machen. — Es ist nun nicht ganz leicht, hierüber zahlenmäßiges Material zu erhalten. — Immerhin ist es Herrn Professor Dr. Otto N. Witt gelungen, aus dem amtlichen Material des Reichsamts des Innern für das Jahr 1897 eine ziemlich maßgebende Ziffer für den Umsatz der deutschen chemischen Industrie festzustellen. — Es beläuft sich die von diesem Forscher festgestellte Zahl auf 948 Millionen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich diese Zahl seitdem sehr erheblich vermehrt hat, und daß jetzt die deutschchemische Industrie Werte schaßt, welche jährlich weit mehr als eine Milliarde repräsentieren. Was die Beziehungen zwischen Import und Export der chemischen Industrie anlangt, so ist praktisch zwischen Rohstoffen und Fabrikaten zu unterscheiden. — Man findet dann zum Beispiel für das Jahr 1900 folgende Zahlen: Es wurden eingeführt an Rohstoffen 2 Millionen Tonnen im Werte von 218 Millionen und an Fabrikaten 322000 Tonnen im Werte von 113 Millionen, im ganzen also Werte in Höhe von 331 Millionen. Demgegenüber betrug der Export an Rohstoffen 727 000 Tonnen im Werte von ca. 45 Millionen und an Fabrikaten 750 000 Tonnen im Werte von 352 Millionen; die

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Gesamtausfuhr belief sich somit auf ca. 397 Millionen. Hieraus ergibt sich, daß die Ausfuhr die Einfuhr um ca. 60 Millionen übersteigt. Es wäre aber ein Irrtum, schließen zu wollen, daß die deutsche chemische Industrie vorwiegend für den Export arbeitet; setzt man nämlich die Exportzahlen in Verhältnis zu der vorhin festgestellten Produktionszahl von ca. 1 Milliarde, so findet man, daß nur etwa ein Drittel der Produktion der deutschen chemischen Industrie exportiert wird; während zwei Drittel im Inland verbleiben und teils direkt konsumiert, teils anderen Industrien behufs weiterer Verwendung und Verarbeitung zugeführt werden. Fragt man sich nun, welche Umstände wohl dazu beigetragen haben, die deutsche chemische Industrie auf ihre augenblickliche Höhe und zu ihrer unbedingt dominierenden Stellung im Weltmarkt zu führen, so liegt zunächst der Gedanke nahe, es seien geographische oder geologische Verhältnisse, welche Deutschland diese Überlegenheit verschafft haben. Diese Voraussetzung trifft nicht zu. Deutschland ist zwar nach verschiedenen Richtungen hin für die Entwicklung der chemischen Industrie günstig von der Natur bedacht, wir haben reichliche Mengen Wasser, wir haben reichliche und leicht zu erreichende Kohlenlager, wir haben Erze in ziemlich erheblicher Ausdehnung, wir haben schließlich sehr erhebliche Salzlager, welche uns sogar teilweise, wie wir später sehen werden, eine gewisse Monopolstellung ermöglichen; aber trotzdem kann man eigentlich nicht sagen, daß die geographischen oder geologischen Verhältnisse so hervorragend günstige seien, daß diese als Ursache des Blühens unserer Industrie wesentlich in Betracht kämen. — Noch weniger kann man als Ursache der Blüte der chemischen Industrie etwa eine besondere Unterstützung oder Begünstigung seitens des Staates oder der Behörden vermuten. Es ist ja bekannt und oft genug erörtert worden, daß in Deutschland und speziell in Preußen die Tendenz dahin geht, in erster Linie die Landwirtschaft und erst in zweiter Linie die Industrie zu fördern. Ob diese Art der Politik von anderen höheren Gesichtspunkten militärischer oder vielleicht auch ethischer Natur zu verteidigen "ist oder nicht, soll hier nicht untersucht werden; wir haben hier nur wiederum die Tatsache zu konstatieren, daß die Industrie und ganz speziell die chemische Industrie auf Förderung und Unterstützung seitens der Regierung wenig zu rechnen hat. Dies zeigt sich bei den verschiedensten Gelegenheiten. Zunächst bereits bei der Frage der Konzession: Jeder, der es einmal

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versucht hat, einen chemischen Betrieb einzurichten oder zu vergrößern, hat die großen, oft fast unüberwindlichen Schwierigkeiten kennen gelernt, welche ihm seitens der Behörden gemacht werden. — Ich gebe ohne weiteres zu, daß die unmittelbare Nachbarschaft einer Knochenmühle oder einer Ammoniakfabrik für die übrige Bevölkerung nicht gerade erwünscht sein mag, aber es wäre doch vielleicht möglich, bei der Erteilung von Konzessionen in einer so außerordentlich wichtigen und aufblühenden Industrie mit einer größeren Weitherzigkeit zu verfahren. — Im nahen Zusammenhang mit den Konzessionsschwierigkeiten stehen die vielfach recht drückenden Vorschriften der Gewerbepolizei und der Berufsgenossenschaften. — Es werden, in einer vielleicht etwas unberechtigten Auslegung des sogenannten sozialen Gedankens, heute an den Unternehmer gerade in chemischen Fabriken Anforderungen hinsichtlich der Arbeiterfürsorge gestellt, welche oft hart an der Grenze des Erträglichen liegen. — Insbesondere, wenn man berücksichtigt, daß die chemische Industrie ja bereits aus sich selbst heraus fast allgemein Arbeiter-Unterstützungsfonds, Arbeiter-Pensionsfonds und dergleichen ins Leben gerufen hat, und wenn man bedenkt, daß die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie aus den Beiträgen ihrer Mitglieder jährlich ca. 2 Millionen Mark für im Beruf Verunglückte zahlt. Bedenklicher als diese Momente, deren ethische Seite wie gesagt durchaus nicht verkannt sein soll, liegt die Frage bei der Zollgesetzgebung und deren Handhabung. — Es soll auch hier nicht verkannt werden, daß die Regierung sich oft in einer Zwangslage zwischen zwei von entgegengesetzten Wünschen beseelten Richtungen befand. Immerhin ist die Tatsache nicht zu bezweifeln, daß unsere augenblickliche Zollgesetzgebung die Entwicklung der chemischen Industrie in sehr erheblichen Maße erschwert und einschränkt. Ich will nur ein einziges Beispiel anführen: wieso kommt es, daß ein sonst wissenschaftlich und technisch so hochstehendes Land wie Deutschland bis zum heutigen Tage noch nicht über eine einzige Seifenfabrik verfügt, welche sich mit den großen Etablissements Frankreichs, Englands, Amerikas oder selbst Österreich-Ungarns zu messen vermag. Der Grund liegt vorwiegend darin, daß die Regierung durch Zölle, welche sie auf die für die Seifenfabrikation unentbehrlichen Rohmaterialien erhebt, die deutsche Seifenindustrie aus dem Wettbewerb vom Weltmarkt völlig ausschließt. Man kann nicht etwa sagen, daß diese Zölle zum Schutze anderer

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deutscher Betriebe, etwa der Landwirtschaft, dienen sollen; denn die für die Seifenfabrikation in Betracht kommenden Rohmaterialien, Kokosöl, Palmöl, Palmkernöl, Baumwollsaatöl usw. können in Deutschland niemals produziert werden. — Hand in Hand mit den Schwierigkeiten der Zollgesetzgebung gehen die oft sehr lästigen Ausführungsbestimmungen bei der sogenannten Denaturierung d. h. bei der Unbrauchbarmachung von Substanzen für den menschlichen Genuß, es sei hier nur an die Alkoholdenaturierung sowie an die Denaturierung von Salz, Fetten usw. erinnert. —Ganz charakteristisch für die Stellung, welche die Regierung der chemischen Industrie gegenüber einnimmt, ist das sogenannte Sacharin-Gesetz, durch welches mit einem Schlage eine blühende deutsche Industrie im wesentlichen zugunsten der Agrarier vernichtet wurde. Ein weiteres Moment, vermittels dessen die Regierung direkt Fühlung zur Industrie und speziell zur chemischen Industrie nimmt, ist die Patentgesetzgebung. Auch hier sind eigentlich die großen Hoffnungen, welche die deutsche chemische Industrie an das deutsche Patentgesetz geknüpft hatte, nicht in Erfüllung gegangen. — Das deutsche Patentgesetz unterscheidet sich bekanntlich von fast allen übrigen Patentgesetzen dadurch, daß die Behörde selbst in eine Prüfung der Neuheit bzw. der Patentfähigkeit des zu schützenden Verfahrens eintritt, während die gewerblichen Kreise, insbesondere die Konkurrenz nur in zweiter Linie in Betracht kommt. Es konnte nicht ausbleiben, daß bei dieser Art, die Dinge zu handhaben, eine mit dem Wechsel der maßgebenden Persönlichkeiten in unmittelbarem Zusammenhang stehende wechselnde Auffassung und schwankende Auslegung Platz griff, so daß die Unbeständigkeit in der Praxis des deutschen Patentamts oft zu recht unerwünschten Konsequenzen für die Industrie geführt hat. Aus allem bisher Ausgeführten muß man schließen, daß es wohl andere Faktoren gewesen sein müssen, welche die deutsche chemische Industrie auf die Höhe gebracht haben, welche ihr die heutige Bewunderung der "VVelt abzwingt. Der Hauptgrund, der hierfür in Betracht kommt, liegt in dem innigen Zusammenarbeiten und Hand in Hand gehen der Wissenschaft und der Technik. Seitdem Justus v. Liebig durch seine Energie es durchgesetzt hatte, daß das erste chemische Universitäts-Laboratorium im heutigen Sinne gegründet wurde, begann der Aufschwung der chemischen Technik, denn in

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keinem Lande verfügt der chemische Industrielle über eine solche Fülle wissenschaftlich vorzüglich ausgebildeter chemischer Mitarbeiter wie bei uns. — Jede neue Beobachtung, die irgendwo in der Welt gemacht oder in irgendeinem Journal beschrieben wird, wird sofort von Dutzenden deutschen Chemikern aufgegriffen, nachgeprüft, erweitert und, wenn die Möglichkeit einer technischen Verwertung vorliegt, so finden sich sofort Dutzende von Köpfen und Händen, welche diesen oft schwierigsten Schritt, nämlich die Uberführung vom Laboratorium in die Fabrik, ausführen. — Man muß also in dem uralten Bildungsdrang des deutschen Volkes, in seinem wirklichsten innersten wissenschaftlichen Denken und in seiner peinlichen Genauigkeit und Exaktheit die eigentliche Grundlage für das Blühen unseres Industriezweiges sehen. — Daß daneben auch die kaufmännischen Gesichtspunkte nicht zurücktreten, und daß wir insbesondere von unseren großen Vettern jenseits des Wassers gelernt haben, durch Konventionen, Syndikate und Preisvereinbarungen der Entwertung unserer Produkte vorzubeugen und die Produktion dem Konsum angemessen zu regeln, darf nicht außer Acht gelassen werden. — E s sei hier nur an das in seiner Großartigkeit imponierende deutsche Kali-Syndikat erinnert, welchem eine Unzahl anderer Konventionen und Syndikate nachgebildet sind. — E s gibt heute ein Soda-Syndikat, eine Brom-Konvention, ein Borax-Syndikat, eine Weinsäure-Verkaufsvereinigung usw. Wenn wir uns nun nach diesen allgemeinen Ausführungen der Betrachtung der einzelnen Zweige der chemischen Industrie bzw. ihrer Entwicklung in Deutschland zuwenden, so können wir natürlich bei der Kürze der Zeit und bei der Art des heute hier interessierenden Themas nur die allerwichtigsten Gesichtspunkte herauskehren. — Man unterscheidet zweckmäßig in der chemischen Industrie die beiden großen Gruppen der anorganischen und organischen Industrie, und in jeder dieser Gruppe wieder trennt man zwischen der sogenannten Großindustrie und der Präparatenindustrie. Um mit der chemischen anorganischen Großindustrie zu beginnen, so ist diese bereits seit Jahrhunderten in Deutschland heimisch und es mag der bereits mehrfach erwähnte Salzreichtum besonders Norddeutschlands hiermit in ursächlichem Zusammenhang stehen. Greift doch die Industrie des Salzes, der Soda, der Schwefelsäure und der Salzsäure, welche die Hauptrepräsentanten der chemischen Großindustrie darstellen, aufs innigste ineinander. Die durch die in Betracht kommenden Quanti-

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täten am meisten in die Augen fallende Industrie ist die Industrie der Schwefelsäure. Im Jahre 1900 wurde in Deutschland in 75 Fabriken mit ca. 4000 Arbeitern 850 000 Tonnen Schwefelsäure im "Werte von ca. 24 Millionen erzeugt, wovon der weitaus größte Teil in Deutschland selbst konsumiert wurde. Es sei hier ganz kurz daran erinnert, daß es deutscher Intelligenz und deutschem Fleiß gelungen ist, vor wenigen Jahren die seit alters her stets in der gleichen altertümlichen Weise vorgenommene Fabrikation der Schwefelsäure durch ein ganz neues und nach vielen Richtungen hin viel rationelleres Verfahren zu modernisieren. In innigem Zusammenhang mit der Schwefelsäureindustrie steht die Salzindustrie, und es wird interessieren, daß im Jahre 1900 der Gesamtabsatz der deutschen Salzwerke etwa 1,2 Millionen Tonnen betragen hat. Hiervon wurden etwa 200 000 Tonnen exportiert und rund eine Million Tonnen in Deutschland konsumiert. Der kleinere Teil hiervon, nämlich 430 000 Tonnen wurde versteuert und diente zu Speisezweckcn, der Eest, also ca. 560000 Tonnen, blieb unversteuert und diente zu technischen Zwecken. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist für Deutschland und seine chemische Industrie sein Rcichtum an Kalisalzen; denn wie wir bereits wiederholt sahen, hat hierin Deutschland gleichsam ein Monopol, indem an keiner zweiten Stelle der Erde Kalisalze in derartiger Mächtigkeit vorkommen wie bei uns. — Bekanntlich ist Sachsen, aber auch Braunschweig, Anhalt und Mecklenburg in erster Linie als Produzent von Kalisalzen zu nennen. Die Kalisalze finden bekanntlich teils zu technischen Zwecken, teils zu Düngerzwecken Verwendung. — Die letztere Verwendung ist die weitaus größere. Jm Jahre 1901 hat der Gesamtwert der von dem deutschen Kalisyndikat in den Handel gebrachten Kalisalze ca. 60 Millionen betragen. — Mit der Salz- und Kaliindustrie steht in sehr nahem Zusammenhang die Industrie der Salzsäure, der Soda- und der Pottasche. Es würde zu weit führen, wenn wir auch hier auf die Einzelheiten jedes einzelnen Industriezweiges eingehen wollten; zur Kennzeichnung der Wichtigkeit dieser Industrien sei aber erwähnt, daß an Soda allein die Produktion Deutschlands auf ca. 300 000 Tonnen per Jahr geschätzt wird. — Wir erwähnten vorhin, daß die Kalisalze in allererster Linie Verwendung für Düngezwecke finden. Außer dem Kali aber bedarf die Landwirtschaft und in erster Linie die deutsche Landwirtschaft, deren Boden ja vielfach nur durch ganz intensive Bearbeitung und Düngung Gewerbliche Einzelvorträge.

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ertragsfähig gehalten werden kann, noch anderer Düngestöffe und zwar in allererster Linie des Stickstoffs. Dieser Stickstoff wird in den verschiedensten Formen angewendet, an Bedeutung aber kommt wohl keiner dem Salpeter und dem Ammoniak nahe. Es wird daher zweckmäßig sein, diese beiden wichtigsten Düngestoffe noch kurz in ihrer Bedeutung für Deutschland zu streifen. — Hinsichtlich des Wertes ist der Salpeter das weitaus wichtigste stickstoffhaltige Düngemittel. Die Einfuhr in Deutschland beträgt per Jahr rund 500 000 Tons und repräsentiert einen Wert von 80—90 Millionen. An Ammoniaksalzen wird ungefähr das gleiche Quantum verwendet, doch ist der Wert ein wesentlich niedrigerer. Die Ammoniaksalze kommen vorwiegend als schwefelsaures Salz in Betracht und dieses wurde bis vor kurzer Zeit in sehr großem Umfang, insbesondere von England, importiert. — Im Laufe der letzten Jahre aber haben sich die großen Kohlen verarbeitenden Industrien Deutschlands, in erster Linie die Gasanstalten und die Kokereien in immer steigendem Umfang der Fabrikation von Ammoniak und Ammoniaksalzen zugewendet und die Zeit ist nicht mehr fern, wo Deutschland seinen Gesamtbedarf an Ammoniak im Inland decken und sogar noch nennenswerte Quantitäten exportieren kann. Wenn man berücksichtigt, daß die Stadt Berlin nach meiner Schätzung ungefähr 2 Millionen Kilo Ammoniak zu produzieren vermag, was etwa 8 Millionen Kilo schwefelsaurem Ammoniak entspricht, so kann man sich ein Bild davon machen, welche Reichtümer noch in den Nebenprodukten der Kohlenverwertung aufgespeichert liegen. — Trotz allem ist bekanntlich die Ansicht verbreitet, daß die StickstoffVorräte der Erde allmählich ihrer Erschöpfung entgegensehen, und speziell für die Salpeterlager in Chile will man sogar rechnerisch festgestellt haben, wann das Versiegen derselben zu erwarten ist. Auch hier hat nun die deutsche chemische Wissenschaft vereint mit der deutschen Technik und verbunden mit deutschem Unternehmungsgeist eingegriffen, indem man sich bemüht und erreicht hat, den Stickstoff der Luft für technische Zwecke verwertbar zu machen. Neben der bisher kurz abgehandelten anorganischen Großindustrie spielen die sogenannten anorganischen Präparate eine relativ kleinere Rolle. Immerhin aber werden auch hierin große Summen umgesetzt und relativ große Gewinne erzielt. Es genüge an folgende Fabrikationen zu erinnern: Jod und Brom, Borsäure, Aluminiumpräpaxate, Cyanverbindungen, Chromsalze, Strontian usw. — Für fast jedes dieser

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Präparate haben sich besondere Verwendungen herausgestellt. — So wird das Strontian bekanntlich, was ebenfalls die Erfindung eines deutschen Chemikers ist, in großem Umfang für die Entzuckerung der Melasse benutzt. Das Cyan findet sehr weitgehende Verwendung in der Goldindustrie speziell Südafrikas. Wie sich die chemische Industrie den neuen Bedürfnissen anzupassen vermag, lehrt am besten die blühende Industrie des Thors und Cers, 2 Substanzen, welche früher als Unika in den Sammlungen gezeigt wurden und jetzt, seitdem die Glühlichtindustrie ihrer bedarf, in großen Quantitäten fabrikatorisch gewonnen wird. Man könnte noch an die für Deutschland sehr wichtige Industrie der flüssigen Gase, speziell der flüssigen Kohlensäure erinnern, man könnte die bedeutende Industrie der anorganischen Farben: Ultramarin, Bleiweiß, Zinkweiß, Lithopone usw. heranziehen, aber die mir zugebilligte Zeit gestattet nicht, derartige Details eingehender zu erörtern. Von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die anorganische Industrie ist für Deutschland die organische chemische Industrie geworden, welche anknüpft an die Verwendung des Steinkohlenteers. Welche Summe verschiedenartiger wichtiger Präparate im Steinkohlenteer enthalten und aus diesem herzustellen sind, hat wohl noch vor 60 Jahren niemand geahnt. — Aber auch hier hat wieder speziell das chemische Laboratorium der deutschen Universität und der deutschen technischen Hochschule bahnbrechend gewirkt, welches in langer Pionierarbeit die schönsten Farben, die wohlriechendsten Parfüms und die heilkräftigsten Medikamente aus dem Steinkohlenteer zu gewinnen lehrte. In allererster Linie sind für die Betrachtung des deutschen Wirtschaftslebens die Teerfarbstoffe von Bedeutung. Der Export an Teerfarbenstoffen aus Deutschland beträgt ca.^80 Millionen. Da nun aber auch ein sehr großer Teil der in Deutschland produzierten Teerfarbstoffe in Deutschland selbst konsumiert wird, so ist die Produktion an diesen Farben eine sehr viel größere. Leider fehlt diesbezüglich statistisches Material. Daß mit dem Aufblühen der Industrie der synthetischen Farben die Industrie und der Handel mit natürlichen Farbstoffen erheblich leiden würde, war vorauszusehen. Das erste Beispiel hierfür bot der Krapp, der früher in großen Mengen landwirtschaftlich angebaut und technisch verwertet wurde, der aber seit der Erfindung des Alizarins fast vollkommen verschwunden ist. Auch der edelste pflanzliche Farbstoff, der Indigo, wird nicht mehr lange 2*

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existieren, auch hier war es deutsche Wissenschaft und deutsche Technik, welche den Weg zum künstlichen Aufbau des Indigofarbstoßes lehrte und damit der deutschen chemischen Industrie neue Bahnen gewinnbringender Tätigkeit eröffnete. So viele Farben der Chemiker bereits aus dem Steinkohlenteer hergestellt hat, so ist die Fülle des Erreichbaren noch lange nicht erschöpft, und gerade in den letzten Jahren sind wieder ganz neue Gruppen von Farbstoffen, die sogenannten Azofarben, und die schwefelhaltigen Farbstoffe in Bearbeitung genommen worden und haben neue und unerwartete, wissenschaftliche und kommerzielle Erfolge gebracht. Neben der organischen Farbcnindustric spielen auch die organischen Präparate eine recht bedeutende Rolle. In allererster Linie sind liier die Arzneistoffe verschiedener Art zu nennen, zu deren Herstellung eine ganze Reihe von bedeutenden chemischen Fabriken in Deutschland tätig ist. Wie in früheren Jahren die chemische Industrie in Deutschland vorwiegend durch die Apotheken repräsentiert wurde, so haben sich auch jetzt noch gerade die aus früheren Apotheken hervorgegangenen chemischen Fabriken, die naturgemäß in erster Linie die Herstellung und Reinigung von Arzneistoffen pflegen, einen Weltruf geschaffen und bewahrt. Unter den Heilmitteln hat man zu unterscheiden zwischen den natürlichen und synthetischen Präparaten. Und unter den natürlichen spielen wiederum die sogenannten Alkaloide, d. h. die in den starkwirkenden Pflanzen vorhandenen Bestandteile, die Hauptrolle. Mit der Isolierung und Reinigung dieser Alkaloide beschäftigen sich eine ganze Reihe von Fabriken in Deutschland und es wird interessieren, daß der Export an Chinin allein mehr als acht Millionen Mark im Jahre beträgt, während an anderen Alkaloiden: Morphin, Strychnin, Atropin usw. für weitere ca. 6 Millionen exportiert wird. Neben diesen altbewährten Heilmitteln hat sich die deutsche chemische Industrie mit besonderer Liebhaberei der Herstellung neuer sogenannter synthetischer Heilmittel zugewendet, und wenn auch in dem Eifer, Neues und Einträgliches zu finden, hierbei manchmal über das Ziel hinausgeschossen sein mag, und wenn auch manches zunächst mit großem Enthusiasmus angekündigte und mit energischer Reklame angepriesene Mittel wieder von der Tagesordnung verschwunden ist, so hat uns die Wirksamkeit unserer chemischen Laboratorien doch auch eine große Anzahl von Heilmitteln beschert, welche Arzt und Patient heute nicht mehr entbehren möchten. — Es sei nur erinnert an das

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Chloroform, das Chloralhydrat, das Antipyrin, das Sulfonal und das Veronal. Nahe verwandt mit den pharmazeutischen Produkten sind die Nährmittel und die Riechstoffe. Die Industrie der künstlichen Nährpräparate hatte zu Zeiten einen sehr großen Aufschwung in Deutschland genommen, doch sind von der großen Anzahl der angepriesenen Präparate schließlich nur wenige übrig geblieben. — Wichtiger ist die Industrie der ätherischen öle und künstlichen Riechstoffe. Trotzdem wir für die Darstellung ätherischer öle bezüglich der Rohstoffe fast ganz auf den Import angewiesen sind, hat sich die deutsche chemische Industrie auch dieses Zweiges mit so großem Erfolge angenommen, daß der Export an ätherischen ölen nahezu 5 Millionen Mark per Jahr beträgt. An die synthetischen Riechstoffe, das Vanillin, das Jonon und den nahe hierher gehörenden künstlichen Kampfer braucht ja kaum noch erinnert zu werden; die Entdeckung aller dieser wichtigen Substanzen haben wir ja alle miterlebt. Es wäre nun noch an die Industrie des Spiritus und seine Abkömmlinge zu erinnern, es wäre die wichtige Industrie der Holzverkohlung zu streifen, man könnte an die gerade in Deutschland sehr blühende Industrie von Präparaten für photographische Zwecke erinnern, aber es würde doch nicht möglich sein, auch nur die wichtigsten Zweige an dem Baume der deutschen chemischen Industrie in dem Rahmen einer solchen summarischen Übersicht erschöpfend zu behandeln. Ich würde mich freuen, wenn es mir gelungen ist, mit meinen Ausführungen Ihnen die Bedeutung der chemischen Industrie für deutschen Wohlstand und für das deutsche Wirtschaftsleben klarzulegen und Ihnen die Erkenntnis dafür zu eröffnen, daß die Gründe für diesen Wohlstand und die Ursache für die Blüte einzig und allein zu suchen ist in der dem Deutschen angeerbten und angeborenen Gründlichkeit, Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit.

IL

Warenhäuser und Spezialgeschäfte. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers F. ( J u g e n h e i m .

Die gewaltigen Gedanken großer Männer und die hohen Errungenschaften der Wissenschaft haben nach der allgemeinen Annahme von jeher die Welt bewegt. Philosophische Köpfe vertreten die Ansicht, daß die geistige Kraft der materiellen stets überlegen ist. Dennoch dürfte der hellste Gedankenblitz unfruchtbar verpuffen, wenn er nicht sorgfältig zu d e m Stoffe und in d i e Bahnen geleitet wird, wo er ein wohltätiges Feuer entzünden soll. Das deutsche Volk hat lange darunter gelitten, daß es in der Theorie stark und in der Praxis schwach war, und erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit ist jene glückliche Vereinigung beider zustande gekommen, der wir die heutige wirtschaftliche Blüte zu verdanken haben. Unsere glänzenden technischen Hochschulen haben gezeigt, welch ungeheuren Aufschwung die Wissenschaft nimmt, wenn sie sich unmittelbar in den Dienst der Praxis stellt. Heute ist die theoretische Kenntnis mit der werktägigen Arbeit unserer Industrie auf das engste verbunden. Es hat sich in dem gelehrten Ingenieur ein besonderer Stand herausgebildet, der zu solcher Vermittelung berufen ist. Für die kaufmännische Praxis ist die Brücke zur wissenschaftlichen Theorie erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit geschlagen. Wohl haben sich Handelshochschulen aufgetan, die rasch zu hohem Ansehen gelangt sind, aber noch hat der handelspolitische Theoretiker nicht in alle Tiefen hinabsteigen können, welche die vielgestaltige Tätigkeit des Kaufmanns — zumal des modernen Kaufmanns — geschaffen hat. Aus diesem Grunde werden Sie es einem Manne der Praxis nicht verdenken, wenn er von dieser bevorzugten Stelle aus über Dinge zu Ihnen spricht, welche er in seinem eigenen Berufe selbst erfahren hat, und wenn er damit die Hoffnung verknüpft, daß Sie daraus Anregungen entnehmen werden. Die beiden wirtschaftspolitischen Bildungen, von welchen ich hier sprechen soll, gehören der allerjüngsten Periode unserer Entwicklung an. Daß ein Spezialgeschäft eine besondere Art des Handelsbetriebes darstellt, die ihre Eigentümlichkeiten besitzt, weiß das große Publikum

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Warenhäuser und Spezialgeschäfte.

kaum. Wird aber das Warenhaus erwähnt, so denken die meisten Leute sofort an eine freundliche oder gegnerische Stellungnahme. Selbst solche Personen des öffentlichen Lebens, welche in kaufmännischen Dingen glauben Bescheid zu wissen, sind von vornherein überzeugt, daß sie mit Warenhaus und Spezialgeschäft die größten Gegensätze bezeichnen, die in der modernen Wirtschaftspolitik anzutreffen sind. Ich werde mir nun erlauben, Ihnen über beide Arten der Handelstätigkeit, über Warenhaus und Spezialgeschäft dasjenige Material zu unterbreiten, welches ich aus meiner kaufmännischen Tätigkeit unmittelbar geschöpft habe. Als Begründer und Vorsitzender des Verbandes Berliner Spezialgeschäfte habe ich mich mitdiesemStoS jahrelang beschäftigt und ich kann annehmen, daß mir die zahlreichen, mit ihm sich verknüpfenden Streitfragen einigermaßen geläufig sind. Ich verstehe natürlich unter Warenhaus nicht das, was eine gewisse Parteipolitik als einen beklagenswerten Auswuchs der neuesten Geschäftsentwicklung bezeichnet hat, sondern ich werde mich bemühen, diesen Begriff nach dem Stande der Praxis objektiv zu erfassen und darzustellen. Ich verstehe auch unter Spezialgeschäften nicht eine Geschäftsart, die zum Warenhaus notwendig in einem feindlichen Gegensatz stehen muß, sondern ich sehe im Spezialgeschäft gewissermaßen die allerneueste und rühmenswerteste Stufe der Ausbildung des modernen Detailbetriebes. Ich gehe ferner von der Voraussetzung aus, daß beide Betriebsarten einen glänzenden Fortschritt kaufmännischer Tätigkeit repräsentieren und jede dieser Geschäftsformen nach ihrer Eigenart am Platze und zweckentsprechend erscheint. Ich sagte schon zu Anfang meiner Ausführungen, daß das heutige Warenhaus sowohl wie das heutige Spezialgeschäft verhältnismäßig Neubildungen sind. Von einem gewissen Gesichtswinkel aus betrachtet ist das Warenhaus älter als das moderne Spezialgeschäft. Lassen Sie mich also mit einer näheren Betrachtung des Warenhauses beginnen: Das

Warenhaus.

Verkaufsläden, in welchen alle möglichen Dinge aus den verschiedensten Branchen zusammen feilgeboten werden, kennt man seit langer Zeit. Insbesondere findet man derartige Läden in kleineren Ortschaften, oder in Kreisstädten, wo an Markttagen die Landbe-

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völkerung der Umgebung in großen Scharen hinströmt, um alle möglichen Dinge zu erwerben. Man kauft in solchen Läden Manufakturwaren, Kolonialwaren, Kurzwaren, alle mögliehen Artikel für Hof und Haus, Eisenwaren, Artikel zum Betriebe der Landwirtschaft, Möbel, kurzum, Waren von einer Vielseitigkeit und einer Verschiedenartigkeit, wie sie auch heute im modernen Warenhaus zu haben sind. Objektiv ist das Warenhaus ein Geschäft, in •welchem nicht Waren e i n e r e i n z e l n e n G a t t u n g , sondern alle möglichen Waren verkauft werden. Im Orient nennt man bis zum heutigen Tage derartige Verkaufsläden Basare, und in den ersten Jahren der Entwicklung derartiger Betriebe nannte man sie auch bei uns kurzweg Basar. In Deutschland kennt man warenhausartige Unternehmungen erst seit etwa 20 Jahren, während in Frankreich solche seit 50 Jahren bestehen. In der ersten Zeit ihrer Entwicklung waren diese Basare Verkaufsstätten für die allergeringsten Warengattungen, und es wurde auch zu jener Zeit vielfach das Wort „Ramschbasar" gebraucht, weil es sich bei diesen ersten Anfängen um Geschäfte gehandelt hat, die mit geringen Waren, vielfach auch mit fehlerhaften Posten handelten und meist nur wohlfeile B e d a r f s a r t i k e l geführt haben für das kleine, anspruchslose Publikum. Das Wort Warenhaus wird bis zum heutigen Tage noch für Geschäftsbetriebe angewendet, die sich mit dem Vertrieb unkuranter oder unmoderner Waren befassen, denen man unter der Bezeichnung „Warenhaus für Gelegenheitskäufe" begegnet. Der Vater der Berliner Warenhäuser war ein Herr Lubasch, der in der Oranienstraße bis vor etwa 20 Jahren alle möglichen Ramschwaren, die sich ihm gerade boten, geführt hat. Es wurden dort Tapeten, Gummischuhe, Seide, Spielwaren, Glas, Porzellan, kurzum, alle möglichen Dinge verkauft. Die Auszeichnung erfolgte in primitivster Weise mit Kreide auf Pappdeckel. In seiner Nähe machte sich in den 80er Jahren ein Spezialgeschäft in Manufakturwaren in Verbindung mit Wirtschaftsartikeln auf, deren Inhaber heute einen großen angesehenen Warenhausbetrieb in Händen haben. In jener Zeit waren es gewisse Kurzwaren und Emaillekochgeschirre, die, in großen Mengen bezogen, mit einem geringen Aufschlag verkauft wurden und so auf das Publikum einen starken Anreiz ausgeübt haben. Dies war der Anfang der Berliner Warenhausentwicklung. E s folgten eine Anzahl anderer Firmen, die in verschiedenen Stadtteilen und

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zwar besonders da, wo die Arbeiterbevölkerung Uberwiegt, Filialen eröffneten. Diese Basare oder Warenhäuser wurden außergewöhnlich stark angefeindet von den in der Nähe ansässigen Gewerbetreibenden. Diese Gewerbetreibenden beklagten sich über unlautere Machenschaften der Warenhäuser und es entstand ein Kampf, der manchmal recht unfreundliche Formen angenommen hat. Es wurde diesen Warenhäusern seitens der Kleinkaufleute und Gewerbetreibenden der Vorwurf immer und immer wieder gemacht, daß gewisse Artikel als Lockmittel ohne Nutzen, oder zum Teil mit erheblichem Schaden verkauft würden, um das Publikum glauben zu machen, alle Waren wären gleichmäßig preiswert Genauere Ermittlungen ergaben in vielen Fällen die Haltlosigkeit derartiger Vorwürfe. Es hat sich vielmehr herausgestellt, daß diese Großbetriebe durch ihren Einkauf im großen und gegen bar erheblich vorteilhafter und billiger in den Besitz ihrer Waren gelangten als die kleinen Gewerbetreibenden. Ich hatte selbst einmal Gelegenheit, in den 90 er Jahren in Paris zu beobachten, wie erheblich oft die Preise verschieden waren, je nachdem ob kleinere oder größere Quantitäten entnommen wurden. Ich war gerade im Bureau eines Kommissionärs in Paris, als eine Offerte eines Parfümerie - Fabrikanten einlief. Dieses Angebot hatte einen bestimmten Preis für eine Einheit, und je nach der Größe des abzunehmenden Quantums wurden Rabatte gewährt, und zwar: Bei Abnahme von >i >!

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5 L. 1 0 % ,, 1 5 % 25 „

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Wenn Sie den Einkaufspreis von 10 M. pro L. annehmen, so bedeutet dies im vorliegenden Falle für den kleinen Abnehmer, der 1 0 % Rabatt erhält, 9M., für denjenigen der 4 0 % Rabatt erhält, 6 I L Wenn nun der Friseur oder kleine Gewerbetreibende davon erfahren hat, daß das Warenhaus diese Sorte Parfüm für 8,50 M. verkauft, dann beklagte er sich bitter über dessen Unreellität, weil angeblich solche Waren mit 0,50 M. Schaden verkauft würden. Er, z. B. der Friseur, müsse das j a wissen, weil er selbst und direkt in der gleichen Fabrik seine Einkäufe mache. Ähnlich lag es mit anderen Artikeln, z. B. auch mit emaillierten Kochgeschirren, die in ganzen Waggons naturgemäß

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preiswerter zu beschaffen waren als kleine, in einzelnen Kisten bezogene Quantitäten. Wenn nun auch in vielen Fällen den jungen Warenhäusern zu Unrecht Vorwürfe gemacht wurden, so waren doch andererseits Dinge vorgekommen, die mit Treu und Glauben im Kaufmannsstande nicht in Einklang zu bringen waren. Hier einige Beispiele, die s. Zt. durch die Presse gingen: So wurden Jsähgarnrollen in einer gewissen Stärke ganz allgemein für 0,10 M. verkauft. Auf jeder Rolle war das Quantum, ich glaube etwa 1000 Yards, aufgedruckt. Eines Tages brachten einzelne Firmen dieses Nähgarn zu einem billigeren Preis als 0,10 II. (7—8 Pf.) heraus. Naturgemäß machte ein so erheblich billigerer Preis eines von der ärmeren Bevölkerung in großen Mengen verbrauchten Massenartikels große Sensation. Es stellte sich aber heraus, daß zwar die äußere Größe der Rollen die gleiche war; diese n e u e n Rollen hatten aber m e h r Holz und w e n i g e r Garn. Ganz ordnungsmäßig war auf dem Etiquett der Garnrollen das kleinere Quantum vermerkt; es hat aber einige Zeit gedauert, bis das Publikum diese Veränderung gewahr wurde. Man rechnete hier auf die Unachtsamkeit des Publikums, um illoyalen Wettbewerb zu betreiben. Ähnliches wurde von Wollgarn in der Weise erzählt, daß die Anzahl der Strähnen dieselbe war wie in der seither üblichen Packung, während die einzelnen Strähnen ein geringeres Gewicht aufwiesen. Von vielen Warengattungen wurden immer nur die geringsten Qualitäten geführt und der flüchtige Beschauer konnte in den Irrtum versetzt werden, als sei das Warenhaus erheblieh billiger als die seitherigen Lieferanten, die sich auf bessere, also teuere Qualitäten verlegten. Man setzte nicht mit Unrecht voraus, daß das Publikum im allgemeinen wenig Warenkenntnisse besitzt. Auszeichnungen wie 2y 2 , 17, 19, 29 Pfennige usw. sollten dem Publikum vor Augen führen, wie scharf man kalkuliere. Ein beliebter Trick war es auch, Markenartikel u n t e r dem vom Fabrikanten festgesetzten Verkaufspreis zu verkaufen. So ging seinerzeit ein Fall durch die Presse, daß der bekannte Kümmel von Gilka via Hamburg in die Hände eines großen Warenhauses gelangt sei. Die Firma Gilka verkauft nur an Kunden, die sich zu einem bestimmten Verkaufspreis verpflichten. In diesem Falle war angeblich die Ware von einem Auslandagenten für das Ausland gekauft, aber im letzten Augenblick an das Warenhaus in Berlin dirigiert. Auf diese Weise konnte die Flasche Gilka, weil das Warenhaus einen Verpflichtungsschein wegen des Preises nicht unterschrieben

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hatte, um etwa 0.25 M. billiger verkauft werden, als andere Gewerbetreibende dies vermochten. Ganz gleichartig lag ein Fall wegen des berühmten Bleistiftes „Koh-I-Noor". Der Fabrikant dieses außer ordentlich gut eingeführten Bleistiftes schreibt seinen Kunden einen ganz bestimmten Verkaufspreis vor und es erhält nur derjenige Kunde Ware, der sich ausdrücklich verpflichtet, diesen Verkaufspreis einzuhalten. Ein Warenhaus hat es verstanden, auf indirektem Wege ein großes Quantum „Koh-I-Noor"-Bleistifte zu erwerben, und brachte sie zu einem billigeren Preis auf den Markt. Die Folge war eine große Aufregung in allen einschlägigen Geschäften und ein Prozeß des BleistiftFabrikanten gegen das Warenhaus wegen unlauteren Wettbewerbs. Das Gericht stellte sich aber auf den Standpunkt, jeder, der seine Waren bezahle, könne sie verkaufen wie er wolle und das Gericht habe keine Veranlassung, dabei zu helfen, die Ware zu teureren Preisen an das Publikum zu bringen. Das gleiche Schicksal hatte ein anderer Prozeß wegen eines bekannten und gut eingeführten Kursbuches. Auch hier wurde der Preis billiger angesetzt, als allgemein angeordnet und auf jedem Exemplar aufgedruckt war. Auch in diesem Falle unterlag in dem Prozeß gegen das Warenhaus der Verleger. Ein anderer Prozeß dagegen, den der Reclam'sche Verlag in Leipzig angestrengt hatte, wurde zugunsten von Reclam entschieden, d. h. das Warenhaus wurde angewiesen, zu den von R. festgesetzten Preisen zu verkaufen. Wegen all dieser Dinge waren denn auch Warenhäuser i n d e r e r s t e n E t a p p e ihrer Entwicklung wenig angesehen und in weiteren Kreisen recht unbeliebt. Das ganze Auftreten stimmte unsympathisch. Ich erinnere mich in bezug hierauf einer kleinen Episode. Ich frug einen bei mir eingetretenen Liftjungen, wo er seither gewesen. E r nannte mir ein heut sehr angesehenes Warenhaus und auf meine Frage, warum er diese Stelle verlassen, erklärte er mir, es sei ihm peinlich gewesen, zu sagen, daß er dort angestellt war, und lediglich aus diesem Grunde habe er Stellung im Spezialgeschäft angenommen. E s muß zur Ehre der Warenhausunternehmer gesagt sein, daß man über illoyale Geschäftsführung in der späteren Entwicklung wenig mehr sagen konnte. Ich sagte vorhin, daß die Gemischtwarengeschäfte die ersten Anfänge der Warenhäuser gewesen seien, aber die Vielheit der Waren macht noch nicht das Warenhaus. Die großen Erfolge dieser neuen

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Betriebsform dankt sie ihrer neuartigen und geschickten Organisation. Das wesentlichste in der Organisation der modernen Warenhäuser ist das System des Barverkaufs und des raschen Umsatzes. Der Einkauf ist so organisiert, daß alle Chancen ausgenutzt werden. Die meisten Warenhäuser haben Filialen und sind dadurch in der Lage, von gewissen Artikeln große Quantitäten abzunehmen. Ich habe es vorhin an dem Beispiel des Parfüms erklärt, wie bedeutungsvoll oft die größere Entnahme einer bestimmten Warengattung in bezug auf die Preisstellung sein kann. In der Hauptkampfzeit im Jahre 1898 habe ich in einer Broschüre bereits darauf hingewiesen, daß den Kleinkaufleuten auf die Dauer die Konkurenz der Warenhäuser ungefährlich sein wird, wenn sich gleichc Branchen zum gemeinschaftlichen Einkauf organisieren. Das ist auch in vielen Fällen geschehen und heute hat die fatalistische Auffassung weiter Kreise im kleinen Handel einer hoffnungsfreudigeren Auffassung Platz gemacht. Es muß gesagt werden, daß in den 90er Jahren eine verzweifelte Stimmung bei den Kleinkaufleuten Einkehr gehalten hatte. Viele glaubten nicht mehr bestehen zu können und all ihre Kunden an die Warenhäuser abgeben zu müssen. Aus jener Zeit stammen auch die Rufe der Kleinbetriebe nach einem Schutz der Regierung durch eine stärkere Besteuerung der Warenhäuser. Es wurde dabei besonders ins Feld geführt, daß das Warenhaus seine inneren Räume bis auf das oberste Stockwerk gut ausnützen könne, während der Kleinkaufmann für seinen Kleinbetrieb einen Laden im Parterre für teures Geld mieten müsse. Naturgemäß sei der gleich große Raum im dritten oder vierten Stock des Warenhauses außerordentlich viel billiger. In Preußen wurde das Warenhaussteucr-Gesetz 1900 eingeführt. Und zwar ausdrücklich zum Schutze der Kleinbetriebe des Kleinhandels. Es muß vorweg gesagt werden, daß damit die Entwicklung dieser neuen Betriebsform nicht aufgehalten werden konnte. Die allmähliche Umformung des Warenhauses zu reellen Großbetrieben des Detailhandels brachte ihm neue Anhänger. Die Bequemlichkeit, in e i n e m großen Hause alles zusammenzufinden, zieht das Publikum an. Das öffentliche Auslegen der Waren, die alle mit lesbaren Preisen versehen sind, machen es dem Käufer möglich, im Flanieren die Waren zu besichtigen lind sie zu prüfen. Es gibt sehr viele Käufer, die mit einer gewissen Ängstlichkeit in kleinere Geschäfte gehen, um sich

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irgend etwas zeigen zu lassen. Sie glauben dort kaufen zu müssen, auch dann, wenn die Ware oder der Preis ihnen nicht zusagt. Im Warenhaus dagegen fragt niemand nach ihren Wünschen. Sie sind in der Lage zu besichtigen, nach dem Preis zu fragen und weiter zu gehen, oder zu kaufen. Kurzum, die größere Bewegungsfreiheit ist einem großen Teil des kaufenden Publikums angenehm. Zur Popularität der Warenhäuser haben nicht zum wenigsten dessen Feinde beigetragen. Durch unendlich viele Reden und Zeitungsartikel wurde umsonst die glänzendste Reklame für Warenhäuser gemacht. Immer und immer wieder wurde darauf hingewiesen, Warenhäuser bedeuten das Großkapital und dieses könne viel billiger verkaufen, die Auswahl sei eine größere usw. usw. Im Warenhaus tritt der Chef sowohl für die Kundschaft wie für die Angestellten vollständig zurück. Er ist unerreichbar, denn die ganze Organisation ist unpersönlich. Naturgemäß kann in einem derartigen Apparat die Bedienung des Kunden nicht fachmännisch erfolgen, weil hier die Verkäuferin von Spielwaren morgen Ansichtspostkarten oder Ostereier oder Stiefel verkauft. Nur so ist es möglich, daß es vorkommen kann, was einer Bekannten jüngst passiert ist. Sie fragte nämlich nach Kolophonium und wurde in das Küchenlager dirigiert. Über den Aufbau der Organisation im Warenhaus sei folgendes gesagt: Oberste Behörde ist die Geschäftsleitung, der die Einkaufsleitung folgt. Dem Kontor und Kassenwesen steht je ein Bureauchef und ein Kassenchef vor. Jede Branche hat einen Einkäufer. Dann der Vorsteher der Warenannahme, ein Vorsteher der Statistik, der Personalchef, der Reklamechef und endlich die Expedition und der Hausinspektor. Dem Einkäufer wird vom statistischen Bureau diejenige Summe aufgegeben, für die er Ware einkaufen darf. Auf diese Weise schützt sich das Warenhaus vor zu großen Engagements und zu großem Einkauf. Das Lager darf eine gewisse Höhe nicht übersteigen und deswegen muß jeder Auftrag von dem statistischen Bureau bestätigt werden, womit gleichzeitig dargetan ist, daß das betreffende Lager seine vorgeschriebene Höhe nicht überschritten hat. Bei dieser Einrichtung kann naturgemäß nur eine geringe Auswahl im einzelnen geboten werden, und durch den verlangten raschen Lagerumsatz wird es sich in Warenhäusern fast immer nur um Stapelware für den Durchschnittsverkauf handeln. Ich gebe zu, daß im Laufe

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der Jahre ein allmähliches Ansteigen zu besseren Qualitäten erfolgt ist, aber niemals wird es möglich sein, im Warenhaus eine erschöpfende Auswahl zu finden. Das ganze System steht dem entgegen. Der Einkäufer muß in dem Augenblick halt machen, wo der ihm zur Verfügung gestellte Betrag erreicht ist, ganz gleichgültig, ob besonders interessante und neue Waren geboten werden oder nicht. Neben den Vorzügen bestehen auch erhebliche Mängel in dem System der Warenhäuser. Von mangelnder Auswahl habe ich bereits gesprochen. Es fällt noch fort die individuelle Note, die der Besitzer eines Spezialbetriebes seinem Geschäfte geben kann. Es fehlt naturgemäß die sachverständige Bedienung. Es fehlt in den meisten Fällen an den besseren und besten Qualitäten. Leider zu oft wird durch das System der Warenhäuser das berüchtigte Reuleauxsche Wort in die Tat umgesetzt: „Billig und schlecht." Während Künstler sich bemühen, den guten Geschmack in weite Kreise, in die breiten Massen zu bringen, werden oft recht geschmacklose Artikel durch billige Preise in großen Mengen abgesetzt. Die Warenhausfrage ist eine wirtschaftspolitische und politische. Die Feindschaft gewisser Kreise des übrigen Detailhandels ist zurückzuführen teils auf die vorher angedeuteten früheren Machenschaften, zum Teil auf den Neid über erfolgreiche Gegner und endlich auch auf die Verhetzung politischer Parteien. Weite Kreise des Mittelstandes werden umworben von den verschiedensten politischen Parteien, welche durch scharfe Maßnahmen gegen die Warenhäuser Stimmenfang treiben wollten, z. T. mit Erfolg. Dieser Feindseligkeit sind manche Bestimmungen der Warenhaussteuer zu danken, die, wie ich schon gesagt, den Erfolg der Warenhäuser nicht aufzuhalten vermochten. Die Warenhaussteuer beträgt 2 % des Umsatzes. Alle Warengattungen wurden in 4 Gruppen eingeteilt: Gruppe A Material- und Kolonialwaren, Tabak und Tabakfabrikate, Apothekerwaren, Farben, Eß- und Trinkwaren. „

B Garne und Zwirne, Konfektion, Pelzwaren, Wäsche, Betten, Möbel, Vorhänge, Teppiche, Schnitt- und Modewaren; Webwaren.



C Haus- und Küchengerätschaften, Porzellan, Steingut, Ton waren; Möbel jeder Art.

Gewerbliche Einzelvorträge.

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Gruppe D Gold- und Silberwaren, Kunst, Luxus, Galanteriewaren, Bücher, Waffen, Fahrräder, Nähmaschinen, Spielwaren, Papp- und Papierwaren. Waren, die zu keiner der verschiedenen Gruppen gehören, sind frei von Warenhaussteuer. Warenhaus im Sinne des Warenhaussteuer-Gesetzes ist derjenige Betrieb, der Waren aus mehr als einer der vorstehenden Gruppen führt und mindestens 400 000 M. Umsatz erreicht. Die Besitzer der Warenhäuser haben in vielen Fällen verstanden, die Steuer von 2% auf ihre Lieferanten abzuwälzen, denen sie einfach einen Extraskonto in dieser Höhe aufgegeben haben. Neuerdings dürfte indessen darin eine Änderung eingetreten sein. Viele Branchen haben sich zu Konventionen zusammengeschlossen und lehnen es heute ab, den sogenannten Warenhausbonus zu geben. Anfang vorigen Jahres wurde im preußischen Abgeordnetenhause von dem Abgeordneten Hammer der Antrag gestellt, die Warenhaussteuer um ein beträchtliches zu erhöhen. Die Regierung hat indessen erklärt, auf eine solche erhöhte Steuer sich nicht einlassen zu können. Wie unglücklich die Warenhaussteuer unter Umständen wirken kann, geht daraus hervor, daß sehr leicht reine Spezialgeschäfte zur Warenhaussteuer herangezogen werden können. Eine hiesige Herrenklciderfirma kam dem Wunsche einiger ihrer Abnehmer nach, englische Lederkoffer in einer bestimmten Art aufzunehmen. Es wurden davon für ca. 1500 M. im Jahre vertrieben, dafür ist jenes Schneidergeschäft zur Warenhaussteuer herangezogen und muß 20 000 M. für eine Million Umsatz in Herrenkleidern bezahlen, als Strafe dafür, daß es für 1500 M. Reisekoffer verkauft hat. Reisekoffer gehören nämlich zur Gruppe D, Herrenkleider zur Gruppe B. In einem anderen Falle sollte ein hiesiges großes Modewarenhaus, weil zur Toilette passende lederne Handtäschchen verkauft wurden, gleichfalls warenhaussteuerpflichtig werden. In dem Warenhaussteuer-Gesetz befindet sich glücklicherweise ein Ventil, nach welchem Waren aus einer zweiten Gruppe gestattet werden können, wenn nach Herkommen und Gebrauch an dem betreffenden Orte diese Artikel zusammen mit der Hauptgruppe geführt worden sind. Im vorliegenden Falle hat der Minister für Handel und Gewerbe dieses Herkommen als bestehend angenommen, im ersteren Falle (Herren-

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Schneider) aber hat er das Bestehen eines Herkonimens nicht anerkannt. Mit Rücksicht darauf, daß die Grenzen zwischen 2 Gruppen sich sehr leicht verschieben können, ergibt sich unschwer die Möglichkeit, daß ein Betrieb trotz seiner ausgeprägten Spezialität warenhaussteuerpflichtig werden kann. Nach der amtlichen statistischen Korrespondenz waren im Jahre 1906 in Preußen 90 steuerpflichtige Warenhäuser vorhanden, die insgesamt 2 525 000 M. Warenhaussteuer bezahlt haben. Die Umsätze der sämtlichen preußischen Warenhäuser werden auf etwa 250 Millionen Mark geschätzt. Die Umsätze anderer preußischer Detailgeschäfte dagegen auf 15 Milliarden. Der Umsatz der Warenhäuser macht also nur 1,6% gegenüber den Umsätzen anderer Detailbetriebe aus. Die Warenhaussteuer sollte zur Erleichterung der Censiten der unteren Gewerbesteuerstufen verwendet werden. Die Gewerbesteuersätze für diese kleinen Betriebe variieren zwischen 4 und 16 M. Wenn selbst die Warenhaussteuer es ermöglichen würde, diese Gewerbesteuersätze vollständig zu erlassen, wozu sie nicht einmal ausreicht, dann wäre den schwachen Elementen damit um nichts geholfen. Dem kleinen Gewerbetreibenden bedeutet diese kleine Zuwendung keine Erleichterung. Ein Betrieb, der die Steuer von 4 M. bis 16 M. nicht aufbringen kann, ist in jedem Falle verloren. In den Warenhäusern werden im allgemeinen, von einigen Ausnahmen abgesehen, ziemlich geringe Gehälter gezahlt. Durch die große Nachfrage besonders nach weiblichem Personal haben sich in die weit gepffneten Tore des Warenhauses junge Mädchen begeben, die für den kaufmännischen Beruf nichts weniger als geeignet sind. Eine große Menge von Näherinnen, Fabrikarbeiterinnen, Dienstmädchen haben den vornehmeren Beruf einer Warenhaus-Verkäuferin gegen ihre frühere Tätigkeit eingetauscht. Leitende Stellungen werden dagegen genügend, oft sogar sehr reichlich bezahlt. Was die Gewinne der Warenhäuser anlangt, so werden auch diese überschätzt. Ein Reingewinn von 3 bis 4% des Umsatzes wird der Wirklichkeit nahe kommen. Wenn wir das größte Berliner Kaufhaus dem größten Berliner Warenhaus gegenüberstellen, so dürfte der Reingewinn des Kaufhauses jenen des Warenhauses um ein erhebliches überholen. Noch einige Worte über ein neues warenhausartiges Unternehmen. Es handelt sich hierbei um ein interessantes Experiment. Nach den Veröffentlichungen der Unternehmer ist das Kaufhaus begründet, um dem Spezialgeschäft diejenigen Vorteile zu ermöglichen, die das Warenhaus 3*

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dem Publikum bietet, nämlich, in einem einzigen großen Hause alle Artikel zusammenzufinden und alle sonstigen Vorzüge des Warenhausbetriebes den in jenem Kaufhaus vereinigten Spezialgeschäften zu gewährleisten. Die Organisation ist so gedacht, daß die Besitzer des Hauses den einzelnen Mietern sowohl den Kaum, wie auch die Einrichtungen, die Expedition, Kassenwesen, Licht, Fahrstühle usw. usw. zu einem festen Satz vermieten. Der Einzelunternehmer hat nur sein Personal und die "Waren zu stellen. Die an das Haus zu leistende Miete und das Entgelt für die vorhandenen Einrichtungen betragen rund 21% des zu erzielenden Umsatzes. Sämtliche eingehenden Gelder gehen zunächst an die Besitzer des Hauses über, so daß diese täglich Deckung für ihre Ansprüche in Händen haben. Das Geschäftspersonal kostet in den meisten Fällen 4 bis 5% so daß also ein Spesensatz von etwa 25% sich ergibt. Der Unterschied zwischen dem fraglichen Kaufhaus und einem anderen Warenhaus ist der, daß bei dem Warenhaus e i n Unternehmer vorhanden ist, der zum Zwecke seines Geschäftsbetriebes sich sein Haus erworben oder gemietet hat. In dem neuen Kaufhaus sind es 2 vollständig getrennte Unternehmergruppen, die Geld verdienen wollen, und zwar einerseits die Hausverwertungsgesellschaft und auf der anderen Seite die Mieter. Durch dieses System ist der aufzubringende Spesensatz von rund 25% für die Mieter ein besonders hoher und es ist die Frage deswegen noch offen, ob bei dem scharfen, großstädtischen Wettbewerb die Konkurrenzfähigkeit darunter nicht leidet. Dieser Spesensatz übersteigt nicht unerheblich den Durchschnitt der in guten Spezialgeschäften üblichen Spesensätze. Wohl aus diesem Grunde haben sich auch nur einige, wenige bekannte Spezialgeschäfte als Mieter gefunden, während der größere Teil der Branchen durch ad hoc gegründete Betriebe besetzt werden mußte. Es sind hauptsächlich ehemalige Einkäufer von Warenhäusern, die in Verbindung mit Lieferanten auf diese Weise sich eine Selbständigkeit zu schaSen suchten. Bereits jetzt sind einige Firmen, die sich beteiligt hatten, ausgeschieden. Im übrigen ist der Versuch noch zu neu, um ein Urteil über die Zweckdienlichkeit solcher Unternehmungen schon abgeben zu können. Ich möchte das Kapitel Warenhaus nicht beschließen, ohne mit wenigen Worten die Warenhäuser Frankreichs und Amerikas zu streifen. In Paris ist es besonders das große Haus Au bon marché, das im Jahre 1852 als kleiner Laden in der rue du Bac von Aristide Boucicaut be-

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gründet wurde. Der Umsatz war damals 450 000 Franks. Im Jahre 1863 trat der Teilhaber B.s aus und erhielt i y 2 Millionen ausgezahlt. Der Umsatz war damals 7 Millionen Franks, 1869 20 Millionen, 1876 67 Millionen und heute beträgt er etwa 200 Millionen Franks, an welchen rund 20 Millionen verdient werden. Gleichfalls sehr bedeutende "Warenhäuser in Paris sind Louvre, Printemps, Galerie Lafayette, die alle hervorragend prosperieren und in der Hauptsache Artikel für die elegante Damenwelt führen. . Einen weiteren interessantenWarenhaustyp bildet das Haus Dufayel, welches ca. 4 Millionen Kunden hat, die meist auf Kredit kaufen. Durch eine geschickte Organisation werden die Waren, hauptsächlich Möbel, auf Abzahlung geliefert. Auch diese Firma ist aus sehr kleinen Anfängen hervorgegangen und der Besitzer Dufayel ist einer der reichsten Industriellen in Paris, der sich erst jüngst in den Champs Elysées ein herrliches Palais für mehr als 10 Millionen Franks erbaut hat. Es ist interessant, festzustellen, daß in Frankreich, wo die Warenhausentwicklung erheblich früher eingesetzt hat als bei uns, die gleichen Kämpfe bis zum heutigen Tage durchgeführt werden mußten. Viele von Ihnen haben sicher den prächtigen Roman von Zola gelesen „Au bonheur des dames". Wie Zola, dieser unerreichte Romancier, in „Thérèse Raquin" ein hervorragender Arzt, in „Germinal" ein bedeutender Ingenieur, so war er in „Au bonheur des dames" der weitsichtige Großkaufmann, der in wunderbarer Weise die Entwicklung der neuen Betriebsformen erfaßt und vorausgesehen hat. Wie lebenswahr schildert er den kleinen Flanellhändler ausElboeuf, der in seinem finsteren, trüben Gewölbe mit blinden Fensterscheiben auf die neue Zeit und auf den schillernden, ihm gegenüber liegenden Warenpalast schimpft. Wie der kleine Schirmmacher in der nächsten Nachbarschaft langsam verblutet und sich zuletzt nur durch armselige Reparaturen erhalten kann. Wie endlich der kleine Seidenhändler den Kampf mit dem Warenhaus aufnehmen will und dabei zugrunde geht. All das sind glänzend erfaßte Bilder aus diesem interessanten, wirtschaftspolitischen Roman. Auch in Frankreich haben die Regierungen unter dem Druck der politischen Parteien die Warenhäuser mit erheblichen Steuern belastet, ohne damit irgendeinen Erfolg zu erzielen. • Noch ein Wort aus der Heimat der Riesen-Warenhäuser, nämlich Amerika. Wie in diesem Lande alles ins Gigantische sich auswächst, so sind es auch die Departement Stores, die in bezug auf Eleganz und

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Dimensionen alle ähnlichen Unternehmungen der alten Welt überstrahlen. Die deutschen Warenhäuser sind fast alle nach amerikanischem Muster und nach amerikanischer Organisation aufgemacht.

F a s t in

jeder größeren amerikanischen Stadt gibt es eine Anzahl Riesen Warenhäuser, die sich fast ausnahmslos durch strengste Reellität und durch Überbieten in der Kulanz der Kundschaft gegenüber hervortun. Das

Spezialgeschäft.

Ich kann mich um deswillen m i t dieser Form des Detailgeschäftes erheblich kürzer fassen, weil sie Ihnen wohl allen an sich geläufiger oder bekannter ist.

Die Entstehung des Wortes Spezialgeschäft ist

gegeben durch die Kultivierung einer Spezialität. Die ersten Anfänge waren klein und gingen aus vom Verkaufsgeschäft des Handwerkers. Daher waren auch die ersten Spezialgeschäfte Kleinbetriebe, in denen die zum Verkauf gebrachten Waren oft selbst hergestellt wurden. Ich nenne Ihnen die Artikel Handschuhe, Wäsche, Kravatten, Bürstenwären u. dgl.

Andererseits waren es wieder einzelne Fabrikations-

zweige, die ihre eigenen Verkaufsgeschäfte etablierten und auf diese Weise als Mittel- und Großbetriebe im Kleinverkauf sich entwickelt haben.

Ich erinnere an Silberwarenfabriken, Schuhwaren, Alfenide-

waren, Seidenwaren und dergleichen, wo sich Fabrikanten unter Umgehung des Zwischenhandels direkt mit dem Konsumenten in Verbindung gesetzt haben. E s ist noch nicht allzu lange her, wo Spezialgeschäfte in patriarchalischer Weise ohne große Anstrengungen geführt wurden und wo auch die beteiligten Kreise bei bescheidenen A n sprüchen ihr Auskommen fanden. In solchen Betrieben war hinter dem Laden häufig das Wohnzimmer der Familie des Geschäftsinhabers und war so gewissermaßen das Geschäftslokal zur Privatwohnung geworden. E s gab auch in früheren Zeiten Ausnahmen, wo einzelne selbst unter diesen Verhältnissen sich zu Großbetrieben auswachsen konnten. E s entwickelten sich Geschäfte, die bessere und beste Qualitäten in den Verkauf nahmen.

Geschäfte mit eleganten Bedarfsartikeln,

Luxuswaren jeder Art, Juweliergeschäfte usw.

E s entwickelten sich

ferner in Verbindung mit großen Spezial-Verkaufsgeschäften Versandgeschäfte, die, neben der am Platze wohnenden Kundschaft, die auf dem Lande und den kleineren Städten wohnenden Abnehmer bedient haben. Mit der Entwicklung des Warenhauses wurde das altmodische Detailgeschäft angeregt. Der starke und energische Wettbewerb dieser

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Großbetriebe rüttelte den etwas schläfrig gewordenen Detailhandel auf und allmählich lernte der mit offenen Augen in die Welt schauende Detaillist erkennen, daß es mit dem alten Schlendrian nicht weiter gehen könne. Man fing an, von seinen Feinden zu lernen, und bald zeigte sich das merkwürdige Ergebnis, daß Hand in Hand mit der E n t wicklung der "Warenhäuser in außerordentlich günstiger Weise das Spezialgeschäit sich aufwärts bewegen konnte. Man begann auch in kleineren Betrieben rationelle Organisationen einzuführen, man lernte erkennen, daß die Statistik ein hervorragender Mitarbeiter sein kann. Das Spezialgeschäft bemühte sich mit doppeltem Eifer, durch gut geschultes Personal seine Kunden fachmännisch bedienen zu lassen. Man suchte bei hohen Gehältern Beamte zur Mitarbeit, deren umfassende Sachkunde den Käufer mit sachverständigem R a t betrauen konnte. Der Chef des Spezialgeschäftes ist sowohl für seine Kundschaft erreichbar, wie er auch oft, besonders bei dem Verkauf großer und wertvoller Gegenstände, sachverständiger Berater des Kunden sein wird. Was den inneren Ausbau anbelangt, so kann man den Satz aufstellen, daß ein gut geleitetes Spezialgeschäft die ähnliche Organisation hat wie ein gut geleitetes Warenhaus. Mit der Spezialisierung ging eine erhebliche Ausdehnung Hand in Hand. Das Publikum empfindet es angenehm, eine große Auswahl, eine vollständige Kollektion, den systematischen Ausbau einer Spezialität, alle Neuerscheinungen in der betreffenden Branche zusammenzufinden. E s werden sowohl die billigen als auch die besseren und besten Qualitäten geführt und es wird immer und immer wieder in gut geleiteten Spezialgeschäften betont, daß die Besichtigung genau wie in den Warenhäusern ohne Kaufzwang gern gestattet wird. Der Inhaber ist hier in der Regel ein erfahrener Spezialist auf seinem Gebiete, kennt auf das genaueste die Fabrikation und die Fabrikationsstellen und ist dadurch in der Lage, alle Chancen sowohl für sich als auch für seine Abnehmer auszunutzen. E s ist ihm möglich, an der Durchbildung des feineren Geschmackes des Publikums mitzuarbeiten, weil er seinem Geschäft und den von ihm geführten Waren seine eigene Note geben kann. Wenn man an einem Beispiel vor Augen führen sollte, wodurch sich ein Spezialgeschäft von einem Warenhaus unterscheidet, so möchte ich dies in folgender Weise tun. Bei meinen häufigen Reisen nach Paris besuchte ich seit vielen Jahren das Grand Hotel, ein großes, gut geleitetes Haus, wo schöne Zimmer mit guten Betten dem Besucher

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zugeteilt werden, auch die Verpflegung nichts zu wünschen übrig läßt. Durch einen Zufall begleitete ich einen Freund in das kleinere Hotel Ritz in Paris. Als ich dort ankam und von meinem Freunde dem Hotelier vorgestellt wurde, führte er mich selbst auf das mir zugeteilte Zimmer und frag mich, ob es mir konveniere. Gern akzeptierte ich den behaglichen Raum und sofort kam ein Hausdiener, der mich mit einer solchen Sorgfalt umgab, daß ich das Gefühl hatte, da zu Hause zu sein. Ohne Extrabestellung bereitete er mir ein Bad, brachte mir nach der langen, ermüdenden Fahrt warmes Wasser, um Hände und Kopf zu waschen, packte meinen Koffer aus und bereitete mit einer großen Diensteifrigkeit Behagen um mich. Ich hatte das Gefühl, als hätte dieser Hausdiener nichts anderes zu tun, als mir zur Verfügung zu sein. In beiden Hotels wurde mir ungefähr das gleiche geboten. Gute Zimmer, gute Betten, Bad, warmes Wasser usw. usw., aber das „Wie" war so außerordentlich verschieden. Dort war ich eine Nummer, hier Persönlichkeit. Auf unser Bild übertragen würde heißen: Im Warenhaus gleichgültiges schematisches Abfertigen der Kunden, im Spezialgeschäft liebevolles fachmännisches Eingehen auf die Wünsche des Abnehmers. In gut geleiteten Spezialgeschäften wird vielen Angestellten, besonders solchen, welche mit dem Verkauf zu tun haben, neben dem Gehalt eine Provision gewährt, die es dem Verkäufer oft ermöglichen, nicht unbedeutende Nebeneinnahmen sich zu schaffen. Um ihn anzuspornen, seine Umsätze gegen das Vorjahr jeweilig zu vergrößern, wird ihm sogar für das eventuell zu erreichende Mehr eine Extraprovision zugebilligt, so daß es nichts ungewöhnliches ist, wenn Verkäufer in besseren Spezialgeschäften 5 bis 7000 Mark, gute Verkäuferinnen 3 bis 5000 Mark verdienen; Einkommen, die in Warenhäusern so gut wie ausgeschlossen sind. Das moderne Spezialgeschäft mit einer gut a u s g e b a u t e n O r g a n i s a t i o n s t e l l t den vollk o m m e n s t e n T y p m o d e r n e r V e r t r i e b s f o r m e n dar. Das Publikum erkennt das dadurch gern an, daß es wertvolle Artikel und Erzeugnisse der Kunst, kurzum Waren, die in irgendeiner Weise individuelles Gepräge tragen, hauptsächlich in Spezialgeschäften entnimmt. Es ist üblich geworden, in gut geleiteten Spezialbetrieben sogenannte Diskussionsabende einzurichten. Hier findet sich das Gesamtpersonal mit dem Chef zu gemeinschaftlicher Aussprache zusammen.

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An der Hand praktischer Fälle pflegt der Chef darzutun, wie der einzelne Verkäufer sich zu benehmen hat. E s erfolgen Aussprachen über neue Fabrikationsmethoden, über Moden, über ^Neuerscheinungen auf dem betreffenden Spezialgebiet. Hier werden auch Vorschläge zum Ausbau der Geschäftsorganisation seitens des Personals gemacht, so daß auch der geringste Angestellte Gelegenheit zur Aussprache findet. Hier erhält das Personal fortgesetzt Anregungen und Belehrungen, um gut gerüstet Seiner Majestät dem Käufer gegenüberzutreten. E s wird dem Verkäufer dort immer und immer wieder zur Pflicht gemacht, möglichst auf alle Wünsche des Abnehmers einzugehen. Es wird ihm vor Augen geführt, daß er im Augenblick des Verkaufes der Repräsentant des Geschäftshauses ist, in dessen Hände die Ehre und Würde des Geschäftes gelegt sind, denn das Verkaufen ist nicht nur eine Fertigkeit, man kann es vom gewissen Standpunkte aus geradezu als eine Kunst bezeichnen. In jeder Kunst gibt es Stümper und wahrhafte Künstler. Die Kunst des Verkaufens enthält einen Bestandteil kaufmännischer Psychologie; Schärfe der Beobachtung, Menschenkenntnis und ein hoher Grad von Gewandtheit und Anpassungsvermögen werden erfordert. E s wird Wert darauf gelegt, den persönlich bekannten Kunden mit seinem Namen anzusprechen, weil man von der Voraussetzung ausgeht, daß er sich im Geschäft dann heimischer fühle, daß er die Empfindung hat, als bekannter Kunde geschätzt und gut versorgt zu werden. Es wird der Verkäufer gut erzogen, seine Funktionen nicht gedankenlos und gleichgültig zu erfüllen, er muß vielmehr als denkender strebsamer Kaufmann dem Kunden die Uberzeugung beibringen, als hätte er für dessen Wünsche lebhaftes Interesse. Der Verkäufer soll dem Käufer ein gewissenhafter, treuer und ehrlicher Berater sein. Er darf Halbwolle nicht für reine Wolle, übergoldetes Silber nicht für Gold, Halbseide nicht für reine Seide verkaufen. Es wird ihm eingeschärft, reell und gewissenhaft zu verfahren, denn der gut bediente Käufer w i r b t neue Kunden, der schlecht bediente dagegen wehrt Kauflustige ab. Es ist selbstverständlich, daß auch im modernen Spezialgeschäft die Preise fest und mit deutlichen Zahlen an dem Gegenständen vermerkt sein müssen. Es wird dem Angestellten aufgegeben, daß er unter voller Wahrung der Interessen des Geschäitsherrn auch gleichzeitig die Interessen des Käufers vertritt. Das Drängen zum Kauf wird als

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grobe Üngeschicklichkeit verworfen. Als etwas Wesentliches für den Angestellten des Spezialgeschäfts gilt u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n und Verhältnissen dem Kunden gegenüber größte Höflichkeit, Ruhe und Zuvorkommenheit. Der Händler der alten Zeit war wenig angesehen und wurde oft' als schädlich betrachtet, solange es ihm nicht gelungen war, große Reichtümer zusammenzuballen. War doch die Stellung und Aufgabe des Kaufmannes der alten Zeit eine wesentlich andere als heute. Erst nachdem mit der wachsenden Kultur die Bedürfnisse mannigfaltiger, zahlreicher und luxuriöser geworden waren, gewann der Kaufmann Bedeutung und Boden und damit zugleich soziale Beachtung. Aus seiner Entwicklungsgeschichte her ergibt es sich, daß das Ansehen, welches er genießt, seiner Bedeutung noch wenig entspricht. Obwohl es kaum eine unentbehrlichere und wichtigere Klasse gibt, als der Kaufmann sie darstellt, ist die Kaufmannschaft als solche durchaus nicht in die erste Reihe gestellt. Es ist von früherher übernommen, den Detailkaufmann manchmal als eine Art notwendigen Übels zu betrachten. Ein Rest altererbter Anschauung läßt den Kaufmann für gewisse Kreise als einen den Bedürfnissen des Publikums Dienenden und damit als Dienenden überhaupt erscheinen. Der Käufer dünkt sich nicht auf Grund der wirtschaftlichen Funktionen, die er ausübt, sondern nach alt überkommener, weit verbreiteter Empfindung dem Verkäufer gegenüber sozial überlegen. Er ist der Gönner des anderen und gemeinhin durchaus nicht geneigt, anzuerkennen, daß der andere ihm gleich steht. Der Kaufmann hat seinen „Kunden" zu schätzen und zu ehren und der Kunde ist unter Umständen mit dem Kaufmann zufrieden oder unzufrieden. Er hält sich zu jeder Zeit berechtigt, seine Stimmung dem anderen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, und er ist überzeugt, daß der Kaufmann von dem Ausdruck seiner Befriedigung persönlich besonders entzückt und von dem Ausdruck seiner Unzufriedenheit niedergedrückt sein müsse. An anderen Stellen, wo e i n e Bevölkerungsklasse dem Bedürfnisse der anderen entspricht, ist diese Auffassung der Nachordnung oder der Unterordnung nicht zu finden. Der Fabrikant schätzt seinen Kunden und sucht ihn zufriedenzustellen, aber er nimmt ihm gegenüber eine weit reserviertere und selbständigere Stellung in Anspruch. Das Geschäft ist für ihn etwas rein Sachliches und die persönliche Note,

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die nebenbei hineinklingt, nimmt er nur auf, wenn sie ihm persönlich zufällig genehm ist. Auch der Richter entspricht einem Bedürfnis des Staatsbürgers. Er ist hierfür eingesetzt und bestreitet seinen Lebensunterhalt aus dem Einkommen,das ihm derStaat für dieBefriedigung desRechtsbedürfnisses zuweist. Der Gelehrte, der Krieger, der Arzt, der Anwalt, sie alle sind in ein ähnliches Verhältnis zu denjenigen gesetzt, deren Verlangen und Bedürfnissen sie durch ihre Tätigkeit entsprechen sollen. Bei den letztgenannten, sogenannten freien Benifen des Arztes oder des Anwalts ist die persönliche Auffassung, in welcher sich der Bedürftige und der dem Bedürfnis Entsprechende begegnen, eine wesentlich andere. Der Arzt und der Anwalt sind die „Wissenden", ihre Kunden sind Laien, der Kunde weiß in beiden Fällen genau, daß er mehr oder weniger in die Hand des anderen gegeben ist, und er begegnet diesem anderen mit einem gewissen Respekt, nimmt dessen Belehrungen geduldig auf und kommt seinen Weisungen nach. Nur wenn es sich um den Kaufmann und seinen Kunden handelt, wird die Auffassung plötzlich eine ganz andere. Warum ? Weil dem Kaufmann eine öffentliche Autorität nicht zur Seite steht, weil die Wissenschaft und Fachkenntnis, die der Ausübung seines Berufes zugrunde liegen muß, dem anderen nicht imponiert. Er kennt sie nicht und wähnt in vielen Fällen, daß es einer besonderen Kenntnis gar nicht bedarf. Beim Kaufmann entzieht sich die gesamte Tätigkeit den Blicken des Kunden. Der Kunde steht vor dem fertigen Ergebnis, er denkt nicht darüber nach, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist, sondern er nimmt einfach die Tatsache als etwas gewissermaßen Selbstverständliches hin. Die persönliche Bedeutung des Kaufmanns kommt ihm nicht zum Bewußtsein. So ist es erklärlich, daß die Auffassung von der Wichtigkeit des Kaufmannstandes durch die Praxis des täglichen Lebens nicht ausreichend gefördert wird, und daß das große Publikum gemeinhin über die Wichtigkeit des kaufmännischen Wirkens nicht nachdenkt und nicht aufgeklärt ist. Und daraus ergibt sich das eigentümliche Verhältnis, welches sich schon in früheren Zeiten zwischen Kunde und Kaufmann herausgebildet hat. Entbehrt doch der Kaufmann heute noch häufig des Selbstgefühls, welches geeignet ist, das Verhältnis zu seinem Kunden auf eine den tatsächlichen Unterlagen entsprechende Basis überzuführen. Die Steigerung seines Selbstgefühls läßt ihn

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empfinden, daß die bisher vielfach zwischen Kunden und Kaufmann bestehende Abschattierung ungerecht ist und den Tatsachen wenig entspricht. So sieht sich der moderne Detaillistenstand häufig in eine wenig erquickliche Lage versetzt. E r ist geneigt, Kunden an sich heranzuziehen, während es ihm widerstrebt, diesem Kunden gegenüber mit der alten Devotion seiner Vorfahren aufzutreten. Er will sein Selbstgefühl wahren, ohne die Überhebung seines Komparenten zu verletzen. "Wie sich dieses Verhältnis zum Vorteil beider Teile mit Takt so gestalten läßt, daß sowohl der Kaufmann auf seine Rechnung kommt als auch der Kunde in seinem Selbstbewußtsein nicht verletzt wird, das ist heute eine ganze Technik. Wie ich schon ausgeführt habe, befindet sich zurzeit das ganze Detailgeschäft in rascher Umformung. Ein Teil der Betriebe hat sich großkapitalistisch organisiert und die Form der Warenhäuser oder Kaufhäuser angenommen, ein anderer hat sich als modernes Spezialgeschäft auf e i n e Branche beschränkt und ist auch dabei zu Bedeutung und Ansehen gelangt. Eine w e i t e r e Art von Ladengeschäften ist zurückgeblieben und in dem Grad zurückgeblieben, daß sie sich laut klagend von den übrigen Berufskollegen trennt und sich in die Gefolgschaft jener Kreise begibt, die dem Kaufmannsstande innerlich unfreundlich gegenüberstehen. Ich habe in früheren Veröffentlichungen wiederholt darauf hingewiesen, daß schwache und zurückgebliebene Geschäftsexistenzen, die nach Staatshilfe rufen, sich in besserer Situation befänden, wenn sie ihr Geschäft mit derjenigen Sorgfalt führten und ihren Kunden mit derjenigen Höflichkeit entgegenträten, wie dies in modernen Betrieben des Spezialgeschäftes üblich ist. Man findet aber gerade in diesen Kreisen recht häufig, daß der K ä u f e r g e w i s s e r m a ß e n als F e i n d ang e s e h e n und b e h a n d e l t wird. Vorgeschrittene und deswegen erfolgreiche Kaufleute werden nicht müde, in Ruf und Ermahnung an den kaufmännischen Nachwuchs ihre Fortbildung zu möglichster Höhe zu führen und ihre Kenntnisse ständig zu erweitern. Wer sich klar macht, welche großen Anforderungen angesichts der starken Konkurrenz an den Kaufmann im jetzigen Geschäftsleben gestellt werden, dem wird ohne weiteres verständlich, daß nur Personen guten Bildungsgrades ihrer Aufgabe gerecht werden können. Sieht man sich in den Kreisen derer um, die über die Ungunst der Verhältnisse und über die Macht des Großkapitals

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Klage führen, so wird man finden, daß hier für die eigentlichen Aufgaben des kaufmännischen Berufes wenig Verständnis vorhanden ist. Hier wird der Kunde mit Vorliebe belehrt. Auf eine Reklamation erhält er eine mit finsterem Gesicht gegebene Antwort. Hier ist der Geschäftsinhaber immer der Klügere und Sachkundigere und ist immer geneigt, den Kunden gegenüber s e i n e große Überlegenheit merken zu lassen. Man wird dabei erinnert an jenen Schuster, der auf die Reklamation seines Kunden, daß die Stiefel viel zu eng seien, diesen dahin belehrt, das' müsse er als Meister besser wissen, der Kunde verstehe davon gar nichts; die Schuhe seien nach allen Regeln der Kunst richtig angefertigt. Mangel an Kulanz, Mangel an Pünktlichkeit in der Zustellung der Waren sind gang und gäbe. Zur Schau getragene Unfreundlichkeit und beleidigte Mienen sind an der Tagesordnung. Diese sogenannten Kaufleute, deren Betriebe man auch in gewissem Sinne Spezialgeschäfte nennen kann, müssen zugrunde gehen. Sie sinken unaufhaltsam in das Proletariat hinab. Es ist ganz unrichtig, derartige Leute mit dem gesunden deutschen Mittelstand zusammen bringen zu wollen, vielmehr handelt es sich um einen verschwindenden und zwar den untüchtigsten Teil dieses Mittelstandes. Meine Herren! Ich habe versucht, Ihnen ein möglichst vollkommenes und möglichst objektives Bild zu geben von den beiden Geschäftsarten, welche meiner Ansicht nach den wichtigsten und breiten Zweig des Detailhandels in seiner höchsten Vollendung zur Darstellung bringen. Unsere Hauptstadt hat in ihrer Mitte so ausgezeichnete und mustergültige Typen beider Betriebsarten aufzuweisen, daß ich Sie auffordern möchte, was ich Ihnen hier theoretisch auseinandergesetzt habe, auch einmal aus praktischer Anschauung kennen zu lernen. Großkaufleute werden gern bereit sein, Ihnen die Besichtigung ihrer Anlage zu gestatten. Die Organisation des großen, modernen Detailgeschäftes ist zum mindesten so interessant und birgt in sich sicherlich keine geringeren Probleme als irgendein anderer Zweig handelspolitischer Wissenschaft oder Praxis. Man hat sich mit diesem Problem wie mit dem Problem der inneren Handelspolitik überhaupt noch nicht ausreichend beschäftigt. Sie werden aus der Ubersicht, die ich Ihnen im Rahmen dieser Stunde habe geben können, ersehen haben, wie zahlreich die Berührungspunkte sind, welche zwischen modernem Warenhaus und dem modernen Spezialgeschäft bestehen. Scheint es doch des öfteren, als ob diese

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Betriebsarten, die man von gewisser Seite aus sicherlich als Gegensätze bezeichnen kann, im Einzelfall direkt ineinander übergehen oder zu e i n e m Gebilde sich ausgestalten könnten, von dem man nicht weiß, soll man es der einen oder der anderen Kategorie oder gar beiden zurechnen. Wenn Heraklit als obersten Grundsatz die Erkenntnis aufstellt, daß alles in fortgesetzter Bewegung, im ewigen Ineinanderfließen sich befindet, so ist dieser Grundsatz im erhöhten Maß von demjenigen anzuwenden und zu berücksichtigen, der die raschen und oft überraschen Entwicklungen des Handels studieren will. Wir wissen heute noch nicht, ob eine oder beide genannte Betriebsarten das Detailgeschäft der Zukunft sein werden. Sicherlich aber wird die überlegene kaufmännische Organisationsarbeit, die bei Schaffung der künftig maßgeblichen Geschäftsform unablässig geleistet wird, immer den einen Gesichtspunkt als höchsten hinstellen und festhalten, daß das letzte Ziel und das Endergebnis der Arbeit des Kaufmanns sein muß die möglichst rasche und möglichst vollkommene Verteilung der Güter zum Wohlbefinden und zur Befriedigung des verbrauchenden Publikums.

III. Die Organisation des Kupferhandels. Vortrag des Herrn

Fabrikbesitzers Dr. E. No ah.

Von allen Metallen ist das Kupfer zuerst von den Menschen gewonnen worden. Dies mag daher rühren, daß es an verschiedenen Punkten der Erde gediegen vorkommt, also leicht zu produzieren ist. Eine größere Verwendung hat es aber erst in der Legierung mit Zinn gefunden, so daß einer ganzen prähistorischen Zeitepoche, nach den aus dieser Legierung hergestellten Geräten, der Käme Bronzezeit gegeben worden ist. Wenngleich der Konsum sämtlicher Metalle in den letzten Jahrzehnten eine sehr große Vermehrung erfahren hat, so ist doch wohl bei keinem Metall die prozentuale Steigerung so bedeutend gewesen wie beim Kupfer. Der Grund für diese Zunahme des Bedarfs ist hauptsächlich die Verbreitung der Elektrizitätsindustrie, in welcher das Kupfer gebraucht wird, um die durch Dampf und "Wasser erzeugte Kraft weiterzuleiten und zu verteilen, sowie ferner für Zwecke der Telegraphie und Telephonie. Dies geht schon daraus hervor, daß die Länder, in denen die elektrische Industrie zu großer Bedeutung gelangt ist, die größte Steigerung des Kupferkonsums aufzuweisen haben. Die Vermehrung der Weltproduktion betrug in den letzten fünfzehn Jahren, d. h. von 1893 bis 1908, mehr als 130%. Sie wuchs von ca. 300 000 Tons auf ca. 740 000 Tons. Naturgemäß konnten zu dieser Zunahme der Produktion die Länder am wenigsten beitragen, in denen die Kupferproduktion am ältesten ist, wie denn z. B. in Europa die Kömer in den von ihnen besetzten Ländern alle erreichbaren Kupfervorkommen so gründlich in Angriff genommen haben, daß dort die heutige Produktion fast durchgehends auf diese Minen angewiesen ist. So vergrößerte sich die Produktion in Deutschland in den Jahren 1889 bis 1906 nur um ca. 3000 Tons, und zwar von 17 700 auf 20 700. Dagegen betrug die Steigerung in Amerika in derselben Zeit beinahe 400000 Tons und stieg von 148000 Tons auf 542000 Tons. Selbstverständlich werden in einem Erdteil wie Amerika, welches noch heute nicht vollständig nach Naturschätzen durchforscht ist, immer noch neue Erzlagerstätten entdeckt. Als ich mich im Jahre 1905 Gewerbliche Einzelvortrüge.

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in Salt Lake City im Staate Utah aufhielt, wurde ein sehr reichhaltiger Kupferaufschluß im Staate Nevada gemacht, und die Aktien der betreffenden Mine stiegen in den zwei Tagen, die ich dort zubrachte, von 60 auf 500%. In ähnlicher Weise verhält es sich mit Japan, dessen Produktion von 1889 bis 1906 von ca. 15 000 Tons auf ca. 43 000 Tons stieg. Auch Australiens Erzeugung erhöhte sich in derselben Zeit von 8400 auf 36 800 Tons. Was China, das übrige Asien und Afrika in den nächsten Jahrzehnten zur Kupferproduktion beitragen werden, können wir heute noch nicht ahnen. Es ist Ihnen vielleicht bekannt, daß eine unserer deutschen Kolonien in Afrika, Deutsch-Südwestafrika, kürzlich durch die Produktion der Otavi-Minengesellschaft in die Reihe der Kupfer erzeugenden Distrikte getreten ist, und zwar wurden im letzten Jahre 27 000 Tons Erz mit ca,20% Kupfer, d.h. ungefähr 5400 Tons Kupfer, gewonnen. Um Ihnen einen Begriff zu geben, welche Bedeutung heute das Kupfer für den Welthandel hat, teile ich Ihnen mit, daß die Kupfer Produktion der Erde im Jahre 1906 ca. 741000 Tons betrug. Im Jahre 1907 wurde die Erzeugung, und zwar hauptsächlich in Amerika infolge der sich dort am meisten fühlbar machenden Geldkrisis, eingeschränkt und betrug nur ca. 713000 Tons. Im letztverflossenen Jahre ist aber nach zuverlässiger Schätzung bereits die Rekordziffer von 1906 überschritten worden und erreichte 748 000 Tons. Da zweifellos der elektrischen Kraftübertragung noch ein weites Feld erschlossen werden wird — ich erinnere nur an die Elektrisierung der Eisenbahnen —, so ist schon aus diesem Grunde ein weiteres Anwachsen des Bedarfs an Kupfer mit Sicherheit zu erwarten. Allerdings muß ich einer weit verbreiteten Auffassung entgegentreten, die dahin geht, daß im Deutschen Reiche in absehbarer Zeit eine ausgedehnte Elektrisierung der Eisenbahnen vorgenommen werden wird. Diese Hoffnung wird nicht in Erfüllung gehen, so lange wir, bis an die Zähne bewaffnet, den Frieden hüten müssen. Denn wenn wir in Preußen z. B. 20 große Zentralen erbauen, die unsere Eisenbahnen mit elektrischer Energie versehen, so genügen 20 feindliche Spione mit je einer Dynamitpatrone, um unsere Mobilmachung unmöglich zu machen. Legt man die vorjährige Weltproduktion zugrunde, und nimmt man einen heute als niedrig zu betrachtenden Preis von 60 £ pro Tonne an — ich bemerke hierzu, daß der Höchstpreis für Kupfer im Jahre 1907 mehr als 110 £ betrug, der niedrigste in der Zeit der De-

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Die Organisation des Kupferliandels.

pression, 11)08/09, 55 £ —, so erhält man für diese Produktion einen Wert von beinahe 45 Millionen £, also rund 900 Millionen Mark. Spreche ich von Weltproduktion, so meine ich natürlich die Herstellung, die auf der Erde gewonnen wird. Denn obgleich wir auch wissen, daß mindestens in unserem Sonnensystem sich auf jedem Planeten Kupfer befindet, so sind unsere naturwissenschaftlichen Forschungen leider noch nicht so weit vorgeschritten, daß wir über die Produktion der andern Planeten Angaben zu machen in der Lage sind. Um die eingangs gemachte Behauptung zu beweisen, daß der hauptsächlichste Grund für die Konsumsteigerung des Kupfers die Verwendung für Elektrizitätszwecke ist, erlaube ich mir auf folgendes hinzuweisen. Die beiden Länder, in denen die elektrische Industrie zur höchsten Blüte gelangt ist, sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Deutschland. Der Verbrauch in den Vereinigten Staaten ist vom Jahre 1893 bis 1906 von ca. 77000 Tons auf ca. 317000 Tons gestiegen. Allerdings ist in den Jahren 1907 und 1908 durch die oben erwähnte Krisis der Konsum zurückgegangen; doch wird bei normalen Verhältnissen gerade dort bald wiedervon steigendem Verbrauch zu berichten sein. In Deutschland betrugen die Zahlen für 1893 60 000 Tons, 1908 188 000 Tons. Betrachtet man hiergegen den Konsum von Frankreich (im Jahre 1893 40 000 Tons, 1908 75 000 Tons) und England (1893 105 000 Tons, 1908 130 000 Tons), so ist allerdings auch eine Steigerung des Kupferverbrauchs zu konstatieren, der aber prozentual und absolut unbedeutend ist, verglichen mit dem der beiden erstgenannten Länder. Ein direkter Beweis für den Bedarf der elektrischen Industrie ist die mir vorliegende Statistik eines deutschen Kabelwerkes; dasselbe verbrauchte im Jahre 1898 (Juli) bis 1899 (Juli) 5100 Tons, dagegen in derselben Zeit 1907/08 20 400 Tons, das heißt im Jahre 1898 ungefähr 5% des deutschen Verbrauchs und ca. 12% im Jahre 1908. Wir sehen also, in welchem Maße die Kupferherstellung und der Kupferhandel von dem Gedeihen der elektrischen Industrie abhängt. Der größte Teil des erzeugten Kupfers wird wie alle andern Rohprodukte vom Produzenten dem Konsumenten zugeführt, sei es direkt, sei es durch Vermittlung des Handels. Der daneben bestehende börsenmäßige Handel hat seine große Bedeutung weniger durch die auf diese Weise gehandelten Mengen erlangt, als durch die Autorität, die den dort festgestellten Preisen (Notizen) innewohnt. 4*

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Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts entwickelte sieh . in London aus Kaffeehaus-Zusammenkünften der Chefs der hauptsächlichsten Metallfirmen eine Metallbörse. Zu jener Zeit wurde der überseeische Metallhandel fast ausschließlich durch Londoner Firmen bewirkt. Man führte auch naturgemäß einen Terminhandel in Kupfer ein und bestimmte als Lieferungsware „Chilibars". Unter Chilibars versteht man ausschließlich das in Chile in Südamerika gewonnene Kupfer, ein Rohkupfer, das noch ca. 4 % Verunreinigung enthält und infolgedessen, um verwendet werden zu können, raffiniert werden muß. Dieses Kupfer wurde als Standardmarke gewählt, weil es in relativ größten einheitlichen Quantitäten an den Markt kam. Dieser Terminhandel vollzog sich ungestört bis zum Jahre 1889. In den Jahren 1888/89 versuchte Secretan, ein Direktor der Société des Métaux in Paris, die Kupferpreise auf einem hohen Niveau zu erhalten. Zu diesem Zwecke wußte er auch die Vorräte an lieferungsfähigem Kupfer an der Londoner Börse aufzukaufen, so daß die Spekulanten, die Kupfer, ohne es zu besitzen, im Terminhandel an der Börse verkauft, oder Firmen, die zur Sicherheit gegen andere Engagements Chilibars in Blanco gegeben hatten, die Preise bezahlen mußten, die Secretan diktierte. Der Kassapreis betrug damals ca. 112 £, während man 3-Monats-Kupfer zu 80 £ notierte. Der Gesamtvorrat hatte die Höhe von ca. 120 000 Tons erreicht, und trotzdem jeder, der infolge eines Börsenschlusses Kupfer zu liefern hatte, ohne weiteres jedes Quantum von besseren Kupfersorten sehr viel billiger hätte kaufen können, mußte er den von Secretan geforderten Preis zahlen, da eben sämtliches L i e f e r u n g s k u p f e r sich im Besitz dieses Spielers befand. Um einen solchen Vorgang (in der Börsensprache bezeichnet man ihn mit Corner oder Schwänze) in der Folge so weit als möglich auszuschließen, änderte man die Börsenusancen; neben Chilibars wurden eine Reihe anderer guter Handelsmarken, die in den Kontrakten namentlich aufgeführt werden, für lieferbar erklärt. Man ging sogar vorsichtshalber noch weiter, da die Vorgänge von 1889 bei den Interessenten einen gewaltigen Eindruck hinterlassen hatten. Man bestimmte, daß gegen eine festgesetzte Vergütung auch bessere Sorten — sogenannte best-selected-Marken oder Elektrolytkupfer-Marken — auf die Börsenschlüsse geliefert werden können. E s sind nun für diese Termingeschäfte im Laufe der Zeit eine Reihe von Bedingungen festgesetzt worden, die alle auf den Schlußscheinen verzeichnet stehen,.

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so daß ein solcher Schlußschein ziemlich kompliziert aussieht. Jedenfalls ist durch die abgeänderten Bedingungen (Usancen genannt) und die enorm gestiegene Weltproduktion die Gefahr eines neuerlichen Corners in Kupfer auf ein Minimum herabgedrückt. Trotzdem im Jahre 1907 die Amerikaner die Kupferpreise auf die vorher erwähnte Höhe getrieben hatten und die Vorräte in England auf wenige tausend Tons zusammengeschmolzen waren, haben die amerikanischen Kupferinteressenten nicht den Versuch gemacht, an der Londoner Börse dem Secretanschen Vorgang eine zweite Auflage folgen zu lassen. Das Mindestquantum an Kupfer, das börsenmäßig in London gehandelt werden kann, beträgt 25 Tons; der Schlußschein lautet auf Lieferung in drei Monaten. Die Idee, welche einem solchen Geschäfte zugrunde liegt, ist natürlich die, daß das Kupfer nach Ablauf dieser drei Monate, d. h. bei Fälligkeit, bezahlt und abgenommen wird. Tatsächlich geschieht dies selten. Die Regulierung oder Finalisierung eines solchen Geschäfts wird in den bei weitem meisten Fällen durch Zahlung der Differenz.beglichen, d. h. der Käufer des fraglichen Kupfers verkauft das Metall vor oder bei Fälligkeit des Kontraktes, und je nachdem er bei dem Geschäft verdient oder verloren hat, erhält er die Differenz ausgezahlt oder muß sie zahlen. Zum Beispiel: A. kauft heute 100 Tons Kupfer zu 58 £ per 3 Monate, also lieferbar am 28. Juli, und verkauft am Fälligkeitstage das Kupfer zu 56 £, so hat er 2 £ per Tonne, d. h. 200 £ plus Provision zu zahlen, und zwar berechnen die Londoner Firmen nicht wie hier an der Börse l%o> sondern 112 °/n i allerdings für An- und Verkauf zusammen. — Genau wie hier an der Effekten- oder Produktenbörse ist jeder Kontrahent eines Kupferschlusses an der Londoner Börse in der Lage, täglich dieses Geschäft zu beendigen. Nehmen wir an, daß A., der heute 100 Tons Kupfer gekauft hat, dieses Geschäft aus irgendeinem Grunde in 6 Wochen erledigen will, so findet er jeden Tag einen Käufer an der Londoner Börse. Selbstverständlich wird das Kupfer zu einem Preise verkauft werden, der nicht offiziell notiert ist. Denn an der Börse wird nur ein Preis für Kassakupfer und einer für 3-Monats-Kupfer notiert. In der Regel ist der 3-Monats-Preis um so viel höher wie der Kassapreis, als die Zinsen und die Lagerspesen ausmachen. Es kann aber vorkommen, daß, besonders wenn die Spekulation für Kupfer sehr fest ist und infolgedessen sehr viel 3-Monats-Ware kauft, diese Differenz erheblich größer wird. A. wird also im vorliegenden Falle

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zu einem Preise, der zwischen Kassa- und 3-Monats-Notiz liegt, verkaufen, und zwar bei diesem Beispiel genau zum Mittel der beiden Preise. Die Motive für die Geschäfte an der Börse können verschiedener Art sein. Es kann ein beliebiger Mensch, der vielleicht von Berufs wegen nicht das geringste mit Kupfer zu tun hat, die Meinung haben, das Metall hätte einen zu hohen Preis bzw. einen zu niedrigen, und infolgedessen an der Börse Kupfer verkaufen oder kaufen. Ein solches Geschäft ist natürlich ein reines Spekulationsgeschäft, da der betreffende nur die Differenz verdienen will, und je nachdem seine Meinung richtig oder falsch war, wird er tatsächlich Geld verdienen oder verlieren. Sämtliche andern Beweggründe zum Geschäft an der Metallbörse sind Deckungskäufe oder entsprechende Verkäufe, d. h. Geschäfte, um eine aufgezwungene Spekulation zu vermeiden oder abzuschwächen. Hierzu gehört folgender sehr häufig vorkommende Fall. Ein Hüttenwerk kauft einen großen Posten Erze und bezahlt dafür den zur Zeit der Ankunft der Ware geltenden Preis, ist aber nicht in der Lage, gleichzeitig das daraus herzustellende Kupfer sofort weiter zu verkaufen, so daß es mit dem Kupfer bis zur Herstellung und Verkauf spekulieren müßte. Um dies zu vermeiden, verkauft das Werk das ganze Quantum oder einen Teil in London an der Börse, „in 3 Monaten zu liefern". Nehmen wir an, die betreffende Hütte hat Erz gekauft, welches 1000 Tons Kupfer enthält, und die Kalkulation war beim Einkauf derartig, daß es das Kupfer bei angemessenem Nutzen zu 60 £ verkaufen kann. Es gelingt ihm nun, an Händler oder Konsumenten 400 Tons zu den Terminen zu verkaufen, zu denen das Kupfer hergestellt sein wird. Mit den restlichen 600 Tons müßte das Werk spekulieren, und um dies zu vermeiden, verkauft es die 600 Tons in London und hat sich auf diese Weise seine Position gesichert; denn jedesmal, wenn das Werk einen Teil des neu hergestellten Kupfers verkauft, wird es dasselbe Quantum in London kaufen, bis es das von ihm hergestellte Gesamtquantum abgestoßen und dasselbe Quantum an der Börse „zurückgekauft" hat. Wenn also Kupfer in der Zwischenzeit im Preise heruntergegangen ist, so wird das Werk sein effektiv hergestelltes Kupfer zwar billiger veräußern müssen, aber um ebensoviel wird es das Kupfer in London billiger zurückkaufen. Auch der umgekehrte Fall kann eintreten, und zwar läßt sich hier ein sehr konkretes Beispiel anführen. Die preußischen Staatsbahnen bestellen

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ihren Bedarf an Lokomotiven häufig zur Lieferung in 12 bis 15 Monaten. Die Maschinenfabriken berücksichtigen natürlich für das für diese Lieferung nötige Kupfer den Tagespreis. Sobald sie nun den Zuschlag erhalten haben, werden sie sich bei den Kupferwerken eindecken, bei denen sie sich vorsichtshalber die Offerten so langfristig haben stellen lassen, daß sie noch nach erteilter Auftragserteilung die Angebote akzeptieren können. Das Kupferwerk hat damit Fabrikate verkauft, die es vielleicht erst in 8 Monaten zu liefern hat. Um nun nicht zu spekulieren, kann das Werk in umgekehrter Weise verfahren wie bei dem vorher gegebenen Falle, d. h. es kauft das Kupfer, welches es in Form von Feuerbuchsböden, Bolzen usw. verkauft hat, an der Börse in London, und sobald es das effektive Kupfer für diesen Bedarf eingedeckt, veräußert es am nächsten Tage das in London gekaufte Kupfer.—Es gibt zwar bedeutende Industrielle, die derartige Deckungsgeschäfte nicht für richtig halten. Aber wenn Sie bedenken, daß in dem ersten Falle, bei dem ich 600 Tons annahm, im Jahre 1907 in wenigen Monaten eine Differenz von ca. 1000 M. auf der Tonne lag, so kann man sich vorstellen, daß Hüttenwerke, d i e n i c h t e i g e n e E r z e h a b e n , s o n d e r n f r e m d e E r z e k a u f e n m ü s s e n , bei nicht richtiger Disposition durch einen Preissturz mehr verlieren, als sie in Jahren verdienen können. Tatsächlich haben auch bei der letzten Krise einige Bleihütten in Deutschland Millionen verloren. Daneben kommt auch das effektive Geschäft in Frage: es wird an der Börse in London Kupfer gekauft und in den Konsum gebracht. Würde dies nicht stattfinden, so müßte ja der Bestand an Kupfer in London stets derselbe bleiben, während er tatsächlich im Laufe der Jahre erheblich schwankt. In Zeiten großen Bedarfs sinkt er und betrug im Anfang des Jahres 1907 wenige tausend Tons. In Zeiten des industriellen Niederganges steigt der Kupferstock und beträgt heute einige 40 000 Tons. Mit Ausnahme von Sonnabend, Sonntag und den Feiertagen findet täglich eine Vormittags- und eine Nachmittagsbörse statt. Die Preise, die für Kupfer, sowohl für K a s s a — d.h. prompte—Ware als auch'für 3-Monats-Ware, erzielt werden, veröffentlicht man amtlich. Außerdem wird der Gesamtumsatz, der an demselben Tage stattgefunden hat, veröffentlicht, so daß sich die Interessenten von der Lebhaftigkeit der Börse ein Bild machen können. Dieser Umsatz ist sehr verschieden; an stillen Börsentagen werden 300 Tons, an lebhaften bis zu 1500 Tons

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gehandelt. An .einzelnen Tagen sind sogar bis 2000 Tons Umsatz vorgekommen. Außer der Notiz für Standardkupfer wird noch eine Notiz für best selected und für Elektrolytkupfer veröffentlicht, und zwar versteht sich merkwürdigerweise die Standard- und best-selectedNotiz mit 2V 2 %, die Elektrolytkupfer-Notiz netto Kasse. Die auf diese Weise zustande gekommenen Preise für Kupfer sind die einzigen in der Welt, die amtlich festgestellt und veröffentlicht werden. Sie werden vielleicht auch noch von den New Yorker Kupferpreisen gehört oder gelesen haben. Aber diese Notizen entstehen nur dadurch, daß ein Sekretär der Börse sich bei den verschiedenen Hauptinteressenten informiert und danach die Notiz festsetzt; ein etwas primitives und nicht ganz einwandfreies Verfahren. Auch ist die Londoner Börse die einzige Stelle in der Welt, an der man oben geschilderte Geschäfte für Kupfer eingehen kann. Die Provisionen, die die Londoner Firmen aus dem Geschäft erhalten, betragen jährlich viele Millionen Mark. Außerdem ist es erklärlich, daß die Firmen, die in London an der Börse arbeiten, sowohl über die Stimmung als auch über die Lage und über die Ansichten des Kupfermarktes besser orientiert sind als die am Kupferhandcl interessierten Firmen anderer Länder. Es kommt noch eine Reihe weiterer Gesichtspunkte hinzu, die es wünschenswert erscheinen lassen, auch in Deutschland eine Metallbörse zu errichten, da dasselbe vermöge seines großen Bedarfs an Kupfer, seiner eminenten Produktion an Zink und Blei heute vielleicht der zweitgrößte Metallinteressent der Welt ist. Leider scheint dieser Wunsch vorläufig unerfüllt zu bleiben. Weil die Londoner Preise die einzigen in Betracht kommenden sind, haben sie eine sehr große Wichtigkeit erlangt. Sämtliche Kupferhütten, ob sie eigene Minen besitzen oder nicht, verrechnen oder kaufen den bezogenen oder gekauften Kupferinhalt des Erzes. Denn handelt es sich um eine Hütte, die ihr eigenes Erz schmilzt, so ist es für sie selber von großer Wichtigkeit, festzustellen, wieviel das Erz bis zur Hütte geliefert kostet (sodann welche Unkosten die Verhüttung ausmacht und wieviel bei jedem Betriebe Gewinn übrig bleibt). Kommen mehrere Minen für ein Hüttenunternehmen in Frage, so wird für jede einzelne Mine diese Berechnung notwendig sein. Wir haben in der letzten Zeit gesehen, daß ein bedeutendes Minen- und Hüttenunternehmen seinen Minenbetrieb eingestellt, den Hüttenbetrieb aber aufrecht erhalten hat, weil der erstere zu große Zuschüsse erfordert hat.

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Ein derartiges Werk kann natürlich die Verrechnung vornehmen, wie es will, aber immerhin muß es die in London notierten Preise zugrunde legen. Die Minen können z. B. das Erz, nachdem der Gehalt an Kupfer festgestellt, nach dem Durchschnittskassapreis der für den Lieferungsmonat in London festgesetzten Notierungen verrechnen. Nehmen wir an, daß eine Mine im Monat 500 Tons Erz mit 20% Kupfer liefert, also 100 Tons Kupfer — der Preis für Kupfer schwankt im Lieferungsmonat an der Londoner Börse zwischen 58 und 62 £, der Durchschnitt betrug daher 60 £ —, so würde der Wert des Kupfers 6000 £ betragen. Da diese Summe den Verkaufswert des Kupfers darstellt, so müssen natürlich für die Kosten der Hütte und um derselben einen Nutzen zu lassen, von derselben der sogenannte Hiittenlohn abgezogen werden. Nehmen wir an, daß die Hütte mit 5 £ pro Tonne auskommt, so sind von obigen 6000 Tons 5 x 500 £ in Abzug zu bringen; es bleiben der Mine also 3500 £ für ihre Arbeit und eventuellen Verdienst. Für diesen erläuterten Fall ließen sich noch eine ganze Reihe von Modalitäten konstruieren, doch will ich hierauf nicht weiter eingehen, da sie ja für den Kupferhandel ohne Bedeutung sind. Wichtig dagegen für den Handel sind die Hütten, die zum Teil eigene Erze, aber auch noch fremde, d. h. gekaufte Erze, verarbeiten, und diejenigen, die nur fremde Erze verschmelzen. Man sollte der Meinung sein, daß es rationell wäre, wenn sämtliche Minen ihre Erze selbst verhütten würden; doch sind hierzu viele Minen nicht in der Lage, sei es, daß es an geeigneten Arbeitern fehlt oder daß das nötige Brennmaterial zu teuer, oder schließlich die nötigen Zuschlagsmaterialien nicht zu angemessenen Preisen zu beschaffen sind. Jedenfalls werden von Minenbesitzern gegenwärtig sehr große Erzquantitäten verkauft. Für alle diese Geschäfte ist sowohl der Käufer als der Verkäufer auf die Londoner Kupfernotizen angewiesen. Und da die Möglichkeit der Beeinflussung dieser Notizen nicht ausgeschlossen ist, so setzt man jetzt für die Berechnung ziemlich lange Termine. Erwirbt eine Hütte z. B. 6000 Tons Erz, von dem monatlich 500 Tons geliefert werden, so wird vereinbart, daß für jede Monatslieferung als Kupferpreis diejenige Notierung genommen wird, die sich aus dem Durchschnitt der in 3 Monaten festgesetzten Notierungen ergibt. Es müßten also für die Januarlieferung die Notierungen des dem Lieferungsmonat vorangehenden Dezember, des Januar und des folgenden Fe-

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bruar sämtlich addiert und durch die Anzahl der Notierungen dividiert werden. Diese Bestrebungen sind so weit gegangen, daß kürzlich proponiert wurde, den Durchschnitt der Notierungen des ganzen Jahres zu nehmen; da dieser Vorschlag sich auf einen Posten Erz bezog, der auf einmal geliefert werden sollte, so schießt ein solcher Vorschlag natürlich über das Ziel hinaus. Denn nehmen Sie an, daß das Erz im Februar bei einem Kurse von 60 £ geliefert wird, das Kupfer aber im Dezember 100 £ steht, so würde die Hütte, da sie das fertige Metall vielleicht bereits im April zum Preise von 65 £ verkauft hat, einen sehr großen Verlust erleiden. Handelt es sich dagegen um einen Erzlieferungsvertrag, der gleichmäßige Monatslieferungen vorsieht, so kann ein solcher Jahresdurchschnittspreis für Käufer und Verkäufer als angemessen betrachtet werden, da ja die Hütte, wenn nicht gerade wilde Schwankungen vorkommen, bei ihrer monatlichen gleichmäßigen Produktion jeden Monat dasselbe Quantum verkaufen kann und somit einen Jahresdurchschnittspreis erzielen wird, der dem Einkaufspreis entspricht. Bekanntermaßen wird in der Hütte nicht alles Kupfer gewonnen, das in den Erzen enthalten ist. Die beim Schmelzen der Erze entstehenden Schlacken enthalten etwas Kupfer, auch geht durch Flugstaub etwas Metall verloren. Es hat sich daher — von England ausgehend — der Gebrauch herausgebildet, von dem in dem Erz festgestellten Kupfergchalt 1,3% als sogenanntes Hüttenremedium von der Bezahlung auszunehmen, d. h. wenn das Erz 20,5% Kupfer enthält, nur 19,2% zu bezahlen. Man kann auch den gesamten Kupferinhalt bezahlen, muß dann aber einen entsprechend höheren Hüttenlohn beanspruchen. So einfach wie vorher die Berechnung bei den angenommenen 500 Tons Erz mit 20% Kupfer war, ist dieselbe in den meisten Fällen nicht. Das Kupfererz enthält fast immer als Beimengungen Silber und Gold; es kommen sogar Erze vor, in denen der Goldwert ebenso groß ist wie der Kupferwert. Früher kam auch, hauptsächlich aus Japan und Australien, Kupfer in den Handel, welches so erhebliche Mengen Silber und Gold enthielt, daß diese Edelmetalle in Europa mit großem Vorteil gewonnen wurden. Die Bezahlung des Goldes begegnet natürlich keiner Schwierigkeit; da Gold der Standardwert ist, so behält es stets denselben Preis. Bei Silber ist der Preis dagegen, seitdem die meisten Kulturstaaten zu einer mehr oder weniger reinen Goldwährung übergegangen sind, variabel, und zwar schwankt

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derselbe ziemlich erheblich: der Höchstpreis betrug im Jahre 1907 ca. 110M., während er jetzt ca. 69M. per Kilogramm wert ist. Für die Wertfeststellung dieses Metalls sind wir aber in Deutschland in einer besseren Lage, da an der Hamburger Börse täglich ein Preis für Silber notiert wird; nach dieser Notiz rechnen die deutschen Hütten ab, indem ebenso wie für Kupfer ein Durchschnitt von Notizen gewählt wird. — Außer diesen wertsteigernden Bestandteilen können die Erze auch solche Beimengungen enthalten, die den Hütten sehr unangenehm sind; hierzu gehört Arsen und auch Nickel, wenn es nicht in so großer Menge vorhanden ist, daß es sich lohnt, es zu gewinnen. Es gibt viele Hütten, die derartige Erze überhaupt nicht kaufen; jedenfalls muß für dieselben ein beträchtlich höherer Hüttenlohn gezahlt werden. — Noch komplizierter wird die Preisfeststellung bei den sogenannten gemengten Erzen. Dies sind Erze, die außer den eben genannten Metallen Blei in erheblichen oder überwiegenden Mengen enthalten; hierzu gehören die Erze des Rammeisberges im Harz, die aber für den Handel nicht in Frage kommen, da sie in eigenen Hütten verschmolzen werden. Diese Erze enthalten noch in erheblichen Mengen Zink, welches beim Verschmelzen Schwierigkeiten bereitet. Eine andere Mine, welche ich schon vorher erwähnte, die Otavi-Mine, hat in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Diese Mine hat 1908 ca. 27000 Tons Erz mit ungefähr 20% Kupfer und 20% Blei produziert, außerdem enthält dasselbe Silber und mehrere Prozent Arsen. Verschiedene große Metallhändlerfirmen, die Posten dieses Erzes kauften, haben aber große Schwierigkeiten gehabt, dasselbe an Hütten abzusetzen, da nur wenige Werke darauf eingerichtet sind, ein derartiges Erz so rationell zu verarbeiten, daß Kupfer, Blei und Silber gewonnen werden. Sie sehen daraus, daß das Erzgeschäft sehr kompliziert ist. In Betracht kommen noch in großen Mengen Zwischenprodukte, in der Hauptsache Kupfermatte, eine Schwefelkupferverbindung, die 30 bis 70% Kupfer und in der Regel Silber und Gold enthält. Die Kupfermatte ist bereits ein Produkt der Hüttenarbeit und wird in den meisten Fällen deswegen nicht an den Produktionsstätten auf Kupfer weiter verarbeitet, weil man nicht in der Lage ist, den in derselben enthaltenen Schwefel für die Vegetation unschädlich zu machen. Die Verarbeitung dieser Matte ist verhältnismäßig einfach und wird daher auch mit einem geringen Hüttenlohn gehandelt.

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In den V e r e i n i g t e n S t a a t e n v o n N o r d a m e r i k a , in denen, wie ich schon erwähnte, mehr als 5 0 % der gesamten Kupfererzeugung hergestellt wird, haben sich im Laufe der letzten 20 Jahre große Gesellschaften oder Konzerne gebildet, von denen die mächtigste dieAmalgamatedCopperCo. ist. Diese Gesellschaften besitzen teilweise eigene Minen, teilweise „kontrollieren" sie solche, indem sie mehr als die Hälfte der Aktien der betreffenden Gesellschaften aufgekauft haben. Mir ist ein Fall bekannt, daß eine Gesellschaft sogar die Eisenbahn kontrolliert, welche eine große Mine mit der Hütte verbindet, so daß sie auch die Frachten sich so günstig wie möglich stellen kann. Wenn man bedenkt, daß diese Hütte täglich 8000 Tons Erz verschmilzt und hierzu Zuschläge, Brennmaterial mit mindestens pro Tag 2000 Tons kommen, also nach unseren Begriffen täglich 1000 Waggons, so sieht man, welche Bedeutung die Frachten für ein derartiges Werk besitzen. Diese Hütte verschmilzt das Erz nur auf Rohkupfer, d. h. ein Kupfer von ca. 99%. Die Hütte befindet sich im Westen und hat mit Arbeitslöhnen zu rechnen, die doppelt bis dreifach so hoch sind wie im Osten. Da die Kohlen dort auch sehr teuer sind, so wird das hergestellte Rohkupfer an zwei Raffinerien im Osten abgegeben, dort elektrolytisch gereinigt, das Silber und Gold gewonnen und das Elektrolytkupfer mit einem Gehalt von 99,99% dem Konsum zugeführt. Diese elektrolytischen Scheideanstalten in den Vereinigten Staaten von Nordamerika produzieren bis zu 200 Tons Kupfer pro Tag. Von der Größe einer derartigen Anlage können Sic sich einen Begriff machen, wenn ich Ihnen mitteile, daß die größte europäische Anlage ca. 24 Tons täglich herstellt. Die Amalgamated Copper Company, der diese Hütte gehört, hat also mit ihren Minen abzurechnen, mit den Minen, die sie kontrolliert, mit der Hütte und mit den Raffinerien. Außerdem hat die Amalgamated Copper Company eine eigene Verkaufsgesellschaft errichtet, die United Metal Solling Company, die wieder für Europa eine besondere Agentur in London unterhält. Diese Londoner Firma hat in den Hauptkonsumländern eigene Bureaus. Wir sehen also in diesem Falle theoretisch jeden Zwischenhandel ausgeschaltet. Denn das Bureau in dem betreffenden Lande könnte ja mit der nötigen Organisation das Kupfer direkt an den Konsum liefern. In Wirklichkeit aber geschieht dies nur zum Teil, und der andere Teil wird erst durch Händler dem Verbrauch zugeführt. — Diese glänzend organisierte Gesellschaft, deren intellektueller Leiter Rockefeiler sein soll, kontrollierte bald

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nach der Konstituierung mehr als die Hälfte der nordamerikanischcn Kupferproduktion, und ihr Leiter strebte offensichtlich — wie bei Petroleum — nach der Weltkontrolle. Sobald die übrigen Kupferinteressenten, seien es Minen, Hüttenbesitzer oder Händlerfirmen, die Gefahr merkten, rüsteten sie sich zur Verteidigung ihrer Interessen, und es bildeten sich mehrere derartige Konzerne. Auch verschiedene deutsche Händlerfirmen haben sich ihren Anteil am Kupfergeschäft dadurch gesichert, daß sie teilweise mit Beihilfe anderen deutschen Kapitals die Kontrolle über kupferproduzierende Gesellschaften erwarben. Wenn auch der Kampf um die Herrschaft über den Kupfermarkt bis heute noch fortdauert (natürlich hinter den Kulissen), so ist es doch der Amalgamated Copper nicht gelungen, ihre Pläne durchzuführen; im Gegenteil, der prozentuale Anteil dieser Gesellschaft an der nordamerikanischen Kupfererzeugung ist zurückgegangen. — Die Zahl der großen Konzerne, die das in Amerika hergestellte Kupfer in den Handel bringen, beträgt meines Wissens sechs. Zwei dieser Konzerne sind noch weiter gegangen und sind hervorragend an Werken beteiligt, die das Kupfer verarbeiten, so daß ein Teil des Metalls, wenn man die Form der Verrechnung wählen wollte, nur als Fabrikat fakturiert zu werden brauchte. In Wirklichkeit geschieht dies aber nicht, da j a jeder einzelne Teil des Konzerns, wie ich bei den Minen ausführte, sich darüber klar sein muß, ob und mit welchem Nutzen er arbeitet. Jedenfalls wird der größte Teil der amerikanischen Kupferproduktion durch die Konzerne selbst bzw. durch die bei denselben beteiligten Händlerfirmen direkt in den Konsum gebracht, und zwar werden die Verkäufe für Europa meist in der Weise getätigt, daß die Bedingung „eif Hafen gegen Konnossement" lautet, d. h. der Käufer bzw. Konsument muß die Seekonnossemente mit dem vereinbarten Kaufpreise einlösen. Hiergegen erhält er einen Überweisungsschein und das Konnossement. Diesen Schein und das Konnossement sendet er dem Spediteur, welcher nun das Kupfer übernimmt und seinem Auftraggeber zuführen läßt. E s werden selbstverständlich auch andere Bedingungen vereinbart, z. B. franko Verbrauchsstation, gegen 3-MonatsZahlung oder Rimessen oder Akzepte. Doch wird der Käufer bei allen diesen Bedingungen teurer kaufen als im ersten Fall, da naturgemäß der Verkäufer die Spesen wie Fracht und Zinsen reichlich rechnen muß. Sie sehen, daß ein Kupfer- oder Messingwerk kapitalkräftig sein muß. Nehmen wir an, daß von dem betreffenden Werke nur 200 Tons

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monatlich verbraucht werden, so kann man auf einen Bestand von 200 Tons in der Fabrik rechnen, 100 Tons schwimmcnd, und da die Zahlungsbedingungen der Kundschaft dieser Werke gegenüber günstigst 30 Tage lauten, kommen 200 Tons außer den Unkosten hinzu, d. h. 500 Tons Kupfer bei 60 £ betragen 30000 £ oder ca. 600000 M. Wenn nun, wie im Jahre 1907, das Kupfer auf den doppelten Preis steigt, so benötigt ein solches Werk das doppelte Betriebskapital. Hieraus ersehen Sie, wie die Anspannung des Geldmarktes infolge hoher Materialpreise entsteht. Ich bemerke, daß ein derartiges Werk nicht zu den größeren gehören wird. Den Verkauf der a u s t r a l i s c h e n Produktion versuchte vor einiger Zeit eine Firma dadurch zu monopolisieren, daß sie für dieselbe eine gemeinsame Raffinieranstalt errichten wollte, so daß dann selbstverständlich der Verkauf durch die Firma, die an dieser Raffinieranstalt hervorragend beteiligt sein sollte, vorgenommen werden müßte. In Wirklichkeit aber wird dieses Kupfer heute noch durch verschiedene Firmen in den Handel gebracht, sei es, daß dieselben an den betreffenden Werken finanziell beteiligt sind, sei es, daß sie Skalaverträge eingegangen sind. Zum Teil sind dies dieselben Firmen, die an der amerikanischen Produktion interessiert sind. In anderer Weise verfahren die j a p a n i s c h e n Hüttenfirmen beim Verkauf ihres Kupfers. Dieselben bedienen sich fast ausschließlich deutscher Import- und Exportfirmen in Hamburg, welche das ihnen zum Verkauf angemeldete Metall gegen Provision an Händler verkaufen. Diese Firmen haben wohl alle eigene Häuser in Japan und stehen daher mit den Produzenten in persönlicher Fühlung, geben auch häufig auf die verladenen Quantitäten Vorschüsse. Man sollte nun auf den ersten Blick meinen, daß dieses Verfahren nicht sehr günstig für den Produzenten sei, da es j a für die Firma, die die Ware in Europa verkauft, gleichgültig sein kann, ob für das Kupfer etwas mehr oder weniger erzielt wird, da der Verdienst der Kommissionsfirma dadurch nur minimal variiert. Tatsächlich aber hat die europäische Firma das größte Interesse, den bestmöglichen Preis zu erzielen, denn wenn man in Erwägung zieht, daß diese Geschäfte die denkbar sichersten und risikofreisten sind, so ist es erklärlich, daß die Firma sich die allergrößte Mühe gibt, ihren Auftraggeber zufrieden zu stellen, und daß sie sich nicht der Gefahr aussetzen wird.

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daß das Geschäft einem Konkurrenten zufällt; denn auch in Japan sind die Londonor Kupfernotierungen bekannt. In E u r o p a sind die hauptsächlichsten Produktionsländer Spanien und Deutschland. In England wird nur fremdes Erz, sowie Kupfermatte verschmolzen, auch Rohkupfer, die zuerst erwähnten Chilibars, und Zementkupfer raffiniert. Spanien versendet einen großen Teil der Erze, den anderen Teil als Zementkupfer und Rohkupfer zur Verarbeitung nach England. Die größte Mine Spaniens raffiniert ihr Zementkupfer in England in eigener Hütte und bringt es unter ihrem Namen in den Handel, und zwar den beträchtlicheren Teil direkt in den Konsum. Die bedeutendste Kupfer produzierende Gesellschaft Deutschlands hat eigenes Kupfer- und Messingwerk und bringt daher einen Teil dieser Kupferproduktion in Form von Fabrikaten in den Handel. Den übrigen größeren Teil ihrer Herstellung setzt sie direkt an den Konsum ab, und zwar ungefähr zur Hälfte auf Skalaverträge, die andere Hälfte durch Verkäufe von Fall zu Fall. Daß Konsumenten nicht mehr, als es jetzt geschieht, durch Skalaverträge ihren Bedarf decken, hat wohl verschiedene Gründe. Ein Skalavcrtrag wird auf längere Zeit, meist auf ein J a h r geschlossen, und der Konsument kann nicht wissen, ob sein Bedarf während dieser Zeit noch so groß oder größer sein wird als zur Zeit des Abschlusses. Dann wird gewöhnlich der zu zahlende Preis nach der Durchschnittsnotiz des Lieferungsmonats berechnet. Da der Fabrikant aber genötigt ist, wie schon früher gesagt, mehrmonatliche Abschlüsse zu machen, so weiß er nicht, was ihm das Kupfer tatsächlich kosten wird, das er als Fabrikat verkauft hat. Schließlich involviert jeder Skalavertrag ein gewisses Risiko. Es kommt häufig vor, daß das Kupfer billiger zu kaufen ist, als es nach der Notiz sein sollte, da besonders bei fester Konjunktur kleinere Händler Metall zu beziehen haben, das sie spekulativ gekauft, an dem sie verdienen, das sie aber nicht bezahlen und einlagern wollen. Diese Händler bieten dann das Metall billiger dem Konsum an, als die großen Konzerne fordern. Anders liegen die Verhältnisse beim Großhändler, der nicht mit der Hütte über jeden Posten Kupfer neu unterhandeln will und das Risiko eingeht, um stets Ware zu haben. Kleinere Hütten verkaufen häufig ihre Produktion durch Großhändler gegen Provision an den Konsum, besonders, wenn sie ein Kupfer herstellen, welches in der Hauptsache

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die Großindustrie verwendet. Denn bedenken wir, daß eine solche Hütte eine monatliche Produktion von 200 Tons hat, so kann sie mit Leichtigkeit das in drei Monaten herzustellende Kupfer an ein AVerk in einem Schluß verkaufen und ist infolgedessen drei Monate nicht im Markt. Es lohnt sich für eine solche Hütte nicht, die Konsumenten ständig besuchen zu lassen; sie wird auch von den Konsumenten sehr bald nicht mehr nach dem Preis angefragt, wenn sie stets erwidern muß, sie habe nichts abzugeben. Aus diesen Gründen wird sie über die Tagespreise nicht genau orientiert sein. Hierzu kommt, daß die Händlerfirma, die das Kupfer verkauft, in der Kegel das Delkredere übernimmt. Wenn auch das Delkredere bei Kupferverkäufen minimal ist (so viel ich mich erinnere, haben in den letzten 20 Jahren nur zwei größere Kupferkonsumenten ihre Zahlungen eingestellt), so ist immerhin dieses Moment in Betracht zu ziehen. AVir sehen also, daß verhältnismäßig wenige Firmen und Konzerne am Kupfergroßhandel beteiligt sind. lieben den Großkonsumenten an Kupfer, wie Kupferwalzwerken, Drahtziehereien, Messingwerken, gibt es auch eine Unzahl Firmen, die dieses Metall in kleineren Mengen verbrauchen, seien es Maschinenfabriken mit eigener Gießerei, Lohngießereien usw. Diese Firmen, die in der Kegel nicht zu den Bedingungen der großen Produzenten und Händlerfirmen kaufen können oder wollen, meist auch einen zu geringen Bedarf haben, beziehen von Firmen, deren Hauptfeld der H a n d e l m i t A l t m e t a l l ist, auf das ich jetzt noch kurz eingehen werde. F a s t alles Kupfer, das dem Konsum zugeführt wird, kommt nach kürzerer oder längerer Zeit wieder in den Handel; ausgenommen ist wohl nur dasjenige, welches in Kupfersalze übergeführt wird. Das hier am meisten in Frage kommende Salz ist das Kupfervitriol, welches in der Färberei, ferner für die Vertilgung der Reblaus und einige andere Zwecke gebraucht wird. Man schätzt den Jahresverbrauch für die Herstellung von Kupfersalzen allein in Deutschland auf ca. 2000 Tons. Außer diesem Bedarf für chemische Zwecke kommt wohl hauptsächlich noch das für Kunstbronze, insbesondere Denkmäler, verwendete Kupfer in Betracht. Das übrige Kupfer, sei es, daß es als Draht für Kabel oder Oberleitungsdraht der Straßenbahn, sei es, daß es in der Dynamomaschine oder als Feuerbuchse in der Lokomotive, als AVaschkessel in dem Haushalt oder als Münze gedient hat, wird eines Tages ausangiert. Hierzu kommen noch die Späne, die zum Beispiel beim B e -

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arbeiten der Kupfer- und Messingstangen zu Schrauben abfallen. Eine hiesige große Schraubenfabrik teilt mir mit, daß sie auf Grund genauer Statistiken in den Jahren 1903—1908 festgestellt habe, daß 72% der bezogenen Stangen als Messingabfälle von ihr verkauft worden seien. Wahrend wir gesehen haben, daß der Handel mit neuem Kupfer in der Hauptsache in wenigen Händen konzentriert ist, wird dieser Zweig des Kupfervertriebes von unzähligen kleinen, aber auch einigen sehr bedeutenden Finnen ausgeübt. Es ist sehr häufig, daß das Metall durch mehrere Hände geht, ehe es wieder dem Konsum zugeführt wird. Auf der untersten Stufe steht der Produktenhändler, der alles aufkauft, was noch einen Wert hat. Dieser Händler verkauft nun an einen Zwischenhändler, und da er die Ware in kleinen Quantitäten kauft, veräußert er das Metall zu verhältnismäßig billige» Preisen. Alle diejenigen Metallabfälle, die bei den staatlichen Eisenbahnen-, Marine- oder Militärwerkstätten vorkommen — und dies sind sehr bedeutende Quantitäten — werden in öffentlichen Submissionen verkauft, und hierfür kommen naturgemäß wegen der großen Geldbeträge, die erforderlich sind, die kleinen Firmen selten in Frage. Selbst die Firmen, die in der Regel nur neues Metall handeln, beteiligen sich am Geschäft mit altem Metall, wenn es sich um große einheitliche Posten handelt, z. B. außer Kurs gesetzte Münzen oder ausrangierte Bronzekanonen, von denen immer noch von verschiedenen Staaten große Quantitäten verkauft werden. Viele bedeutende industrielle Firmen, die oft die verschiedensten Altmetalle und Abfälle zum Verkauf bringen, veranstalten engere Submissionen, d. h. sie fordern mehrere ihnen genehme Firmen zur Abgabe von Geboten auf und teilen gleichzeitig die Quantitäten und die Bedingungen mit, zu denen das Werk veräußert. Diese Bedingungen sind meist sehr rigoros. Die Ware muß z. B. bezahlt werden, ehe sie aus dem Werk fortgenommen wird, Reklamationen irgendwelcher Art sind ausgeschlossen. Dies sind die durchgehend vorkommenden Vorschriften. Von einem hiesigen großen Werk werden außerdem folgende Bedingungen festgesetzt. Es fordert Gebote für Abfälle, die in einem bestimmten Zeitraum — wenn ich mich recht erinnere, in den nächsten 6 Monaten — fallen werden, ein, und stellt Proben von dem in dem halben Jahr vorher gefallenenen Material zur Verfügung. Jede Reklamation wird ausgeschlossen. Außerdem behält sich das Werk vor, einzelne Materialien trotz erteilten Zuschlages Gewerbliche Einzelvorträge.

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nicht zu verabfolgen. Die Konsequenzen dieser Bedingungen sind folgende. Fallen in den 6 Monaten aus irgendeinem Grunde Materialien schlechter aus als in dem vorher gehenden Halbjahr — z. B. Kupferspäne enthalten viel mehr Eisenspäne oder Schmutz —, so muß der Händler trotzdem die Ware zum gebotenen Preise abnehmen; oder aber, die Metallpreise steigen erheblich, so ist das Werk berechtigt, keine Ware zu verabfolgen, sondern in der Lage, die Ware von neuem auszuschreiben. Eines der größten deutschen Werke macht z. B. die Bedingung: die Gebote sind auf Basis von 60 £ zu stellen, resp. für den Tagespreis für Kupfer. Fällt der Kupferpreis bis zur Ablieferung, so wird nichts vom Werke vergütet, steigt dagegen der Preis über 60 £, so hat das Werk die Berechtigung, eine Nachvergütung zu beanspruchen. Meiner Ansicht nach führen derartige Bedingungen zu unhaltbaren Zuständen. Trotzdem habe ich nicht gehört, daß irgendeine Händlerfirma gegen diese Forderungen Einspruch erhoben hätte. In der Großindustrie hat in der letzten Zeit die Konzentration teilweise durch Zusammenlegung einzelner Betriebe, teilweise durch Syndikatsbildungen bedeutende Fortschritte gemacht. Von diesem Zuge der Zeit sind auch die Kupfer verarbeitenden Werke nicht ausgeschlossen. Die elektrische Industrie ist in wenigen Händen konzentriert. Andere Zweige wie die Messing- und Kupferwerke haben Verkaufsvereinigungen gegründet. E s ist trotzdem nicht anzunehmen, daß auch der Handel mit Altmetall eine ähnliche Konzentration wie derjenige mit neuem Metall erfahren wird, da jener viel mehr als letzterer individuelle Arbeit erfordert.

IV. Die"wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte. Vortrag des Herrn Geh. Staatsrats a. D. J .

Budde,

Direktors der Berliner Hypothekenbank.

Mir ist aufgetragen, über die Bedeutung des Terrain- und Hypothekengeschäfts zu sprechen. Gestatten Sie mir, daß ich mein Thema einschränke und das Hypothekengeschäft außerhalb des Vortrags lasse. Es würde die Zeit nicht dazu reichen. Auch bitte ich um Nachsicht, wenn ich nicht zu Ihnen vom wissenschaftlichen Standpunkte des Volkswirtschaftslehrers aus sprechen kann. Was ich Ihnen gebe, ist nur eine aus dem praktischen Leben geschöpfte übersichtliche Darstellung der Entwicklung und des Wesens des Terrainhandels, ein Material zur Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Handelszweiges. Um die Entwicklung des Terrainhandels kennen zu lernen, verBetzen wir uns in eine kleinere Stadt, wie sie vor 50 Jahren, ehe noch in Deutschland Industrie und Handel zur gegenwärtigen Blüte gediehen sind, zahlreicher bestanden als jetzt, eine Stadt mit einer begrenzten Häusermasse, durchschnitten von einigen Landstraßen, vielfach noch mit Wällen und Toren, und draußen vor dem Tore Gärten, weiter hinaus bis an die Grenzen der Flur Äcker und Wiesen, vielleicht einige Gehöfte dazwischen gesäet. In einer solchen Stadt kommen wohl Grundstücksverkäufe vor, sowohl von Häusern im Innern, wie von Gärten und Äckern draußen, einen Grundstückshandel aber gibt es nicht. Wer Haus und Garten verkaufen will, wer sich zur Niederlassung ein Grundstück erwerben will, muß oft Jahre lang warten, bis er einen Käufer oder Verkäufer findet. Die Preise sind meist Gelegenheitspreise, vielfach noch unter dem Werte, den die wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks bestimmen läßt. — Aber nun regt es sich in der Stadt, Handel und Wandel blühen auf, und Kapitalkraft wird im Innern des Gemeinwesens gesammelt. Nun bauen sich Häuser außerhalb der Tore an, zumeist an der Landstraße, vielfach in eigenen Gärten, und es entwickelt sich das, was man schönklingend eine Vorstadt nennt. Die Bewohner der vor den Toren gelegenen Häuser, die an den städtischen Steuern und Lasten Anteil nehmen, verlangen nach Wegeverbindung, nach Teilnahme an Wasser-

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leitung und Kanalisation, und die Väter der Stadt treten zusammen und sehen, daß die planlose Bebauung des Vorlandes nicht im Interesse der Gemeinde gelegen ist. Es wird beschlossen, einen Bebauungsplan anzulegen, welcher über die neuen Straßen, über die Verbindung der Vorstadt mit der Hauptstadt Bestimmungen trifft. Der Plan wird ausgelegt, von Behörden genehmigt, und ein Ortsgesetz setzt zugleich mit seiner Inkraftsetzung die Höhe der Beiträge fest, welche die Anlieger der Straßen zu deren Herstellung, zu den Kosten von Wasserleitung, Beleuchtung und Kanalisation zu leisten haben. Von nun an gibt es draußen ein Bauland, und die Preise der Grundstücke innerhalb des Rayons des Bebauungsplanes, vielfach auch der weiter hinaus in der Flur gelegenen, richten sich nicht mehr nach dem wirtschaftlichen Ertrage, den das Grundstück bringen wird, sondern nach der Bestimmung, die es hat, der Bebauung und dem Wohnen zu dienen. Dieser Preis ist selbstverständlich ein höherer als der frühere landwirtschaftliche; liegt doch dem Besitzer, wenn er das Grundstück nutzen will, sofort eine erhebliche Last eben in den Verbindlichkeiten ob, die ihm durch den Bebauungsplan und das Ortsgesetz der Gemeinde auferlegt sind. Aber er erwartet auch von der anderweiten Nutzung des Grundstücks einen höheren Gewinn. Wie sich dieser Gewinn gestalten wird, hängt ab von der Beschaffenheit des Grundstücks als Baugrund, vor allem von seiner Lage, von seiner näheren oder weiteren Entfernung von der Stadt, und davon, wie es sich seiner Gestalt nach in den beschlossenen Bebauungsplan einfügt. Eine Reihe von Fragen, welche entscheidend sind für die Bewertung des Grundstücks, kann nur die Spekulation beantworten, insbesondere, ob sich die Stadt nach dieser Richtung hin ausdehnen wird, ob die Entwicklung der Stadt eine intensivere oder freiere Bebauung der Gegend mit sich bringen wird, ob die reichere oder ärmere Bevölkerung dort Wohnstätten suchen wird. Der Besitzer des Grundstücks ist vielfach nicht in der Lage, die Entscheidung dieser Fragen abzuwarten, vielleicht seiner Kapitalkraft nach nicht einmal imstande, wenn die Möglichkeit der Bebauung des Grundstücks an ihn herantritt, die dadurch gewonnene Gewinnchance auszunutzen. Er sucht Käufer, die den geringeren, ihm schon zurzeit gebotenen Gewinn für ihn aufbringen, und ihm begegnen kapitalkräftige Spekulanten, die alle Chancen der Zukunft ausnutzen können und wollen. So entsteht der Spekulationshandel in Terrains, der nicht nur das schon in der Be-

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bauungszone liegende Land begreift, sondern auch Grundstücke, deren Bebauung noch in ferner Zukunft liegen mag, mit in den Bereich der Spekulation hineinzieht. Und nun wollen wir das Bild der kleinen Stadt verlassen und uns vor Augen führen die Großstadt, die diese Entwicklung längst hinter sich hat. Für Berlin reicht für unsere Erinnerung der Terrainhandel gerade so weit in die Vergangenheit hinein, als wir die Stadt kennen. Gegenwärtig werden die letzten Segmente des großen Flurbezirks der Stadt durch Einbeziehung in das Wasserleitungs- und Kanalisationsnetz für die Bebauung fertiggestellt. Wenn man hinaustritt aus der kompakten Häusermasse der eigentlichen Stadt, innerhalb deren jeder Quadratfuß ausgenutzt ist, so zeigen die fertigen Straßen an, daß alles dazwischen liegende freie Land als Bauland dem Terrainhandel unterhegt. Da sind zuerst Lagerplätze, Sportplätze, Laubenkolonien, dann weite Flächen des von Straßen durchzogenen, ungenutzten, vielfach schon an die Nachbarorte heranreichenden Landes, und über diese hinaus geht der Bereich des rohen Baugeländes, welches noch gärtnerisch, landwirtschaftlich genutzt wird und nur der Zeit wartet, da es hineingezogen wird in das eigentliche Gebiet der Bebauung. Die äußersten Grenzen, an denen der Terrainhandel Halt macht, gehen in Wälder und Wiesen hinein und sind dem Auge äußerlich nicht mehr erkennbar. Nur weniges von diesem, dem Terrainhandel unterliegenden Gelände ist noch im Besitze der Familien, die es von altersher landwirtschaftlich genutzt haben. Hin und wieder an den Grenzen der Stadt findet man Gärten, auch kleinere Höfe in altem Besitze, bei denen man unter Nennung der Namen der Besitzer davon redet, wie sich ihr Wert im Laufe der Zeit gemehrt haben möge. In der Tat, wenn man bedenkt, daß der Morgen Land, der vor den Toren von Berlin zu Zeiten einer früheren Generation als Acker gelegen war, vielleicht 500 Mark, sicher nicht mehr wie 5 Mark die Rute, Wert gehabt hat, und gegenwärtig die Rute des fertigen baureifen Geländes innerhalb des Bezirks der Großstadt kaum unter 800 Mark mehr zu kaufen sein wird, so kommt man zu schwindelhaften Rechnungen über den Gewinn, den der Besitzer erzielt haben mag oder noch erzielen wird. Zu den größten Urbesitzern, wenn man sie so nennen kann, gehören die Gemeinden und vor allem der Fiskus, letzterer in seiner verschiedenen Form als Militär-, Eisenbahn-, Domänen- und Forst-

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fiskus. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß GrolJ-Berlin in seiner Peripherie nach verschiedenen Eichtungen hin von einem Gürtel von großen Forsten umgeben ist, die in neuester Zeit in Teilstücken als Bauterrain gehandelt werden. Sieht man von diesen Urbesitzern ab, so wird wohl der größte Teil des eingeschlossenen Baulandes schon in zweiter oder dritter Hand der Bodenspekulanten sein. Als solche gibt es Einzelpersonen, deren Namen als Terrainspekulanten vielfach genannt werden, oder auch Verbindungen mehrerer, die als Miteigentümer im Grundbuche eingetragen sind, vor allem aber Terraingesellschaften. Die eigentliche Form der Terraingesellschaft ist die Aktiengesellschaft. Nach den Kurstabellen der Börse werden an der Berliner Börse allein die Aktien von etwa 46 Bau- und Terraingeseüschaften gehandelt, die fast sämtlich ihren Sitz in Berlin haben und Berliner Bauland eigentümlich besitzen. Neben den an der Börse eingeführten Gesellschaften betreiben noch eine große ZahL kleinerer Aktiengesellschaften und von Gesellschaften mit beschränkter Haftung den Terrainhandel. Der Handel vollzieht sich wie jeder Handel durch Kauf und Tausch. Eine große Zahl der Gesellschaften beschränkt sich auf Verwertung eines bestimmten Grundstückskomplexes, das sie mit einem Geschäfte oder nach und nach in Einzelkäufen zusammengebracht haben und nun als Baustellen oder auch in Blocks an Bauunternehmer verkaufen. Diese Terraingesellschaften sind vielfach Liquidationsgesellschaften, verteilen als solche nicht jährliche Dividenden, sammeln vielmehr den erzielten Gewinn an, um daraus nach und nach und nach Tilgung der Schulden Rückzahlungen auf das Aktienkapital zu leisten, nach dessen Tilgung sie den Rest als Gewinn ausschütten. Kleiner ist die Zahl der Gesellschaften, die den Terrainhandel im großen betreiben, ohne Rücksicht auf Ort und örtliche Lage Bauterrains erwerben und wieder veräußern, eintauschen und vertauschen, hier im ganzen oder in Blocks, dort in einzelnen Baustellen, hier an Großhändler, vielleicht andere Gesellschaften oder Neben- und Tochtergesellschaften, bei denen sie konsortial beteiligt bleiben, dort an Bauspekulanten und Einzelbesitzer. Sie werden hierbei in beträchtlichen Summen Hypothekengläubiger und -Schuldner und betreiben alle diejenigen Geschäfte gewerbsmäßig, die der Handel mit Grundstücken und Hypotheken mit sich bringen kann. Man möchte sie als eigentliche Terrainbanken bezeichnen, denn ihr Betrieb ist ein durchaus bankmäßiger, nur einseitig nach der Richtung hin,

Dio wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

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daß alle ihre Geschäfte mit dem Handel von Grundstücken in Beziehung stehen. Als solche Terrainbanken funktionieren an erster Stelle auch größere Kreditbanken, welche selbständige Abteilungen für den Betrieb von Grundstücks- und Hypothekengeschäften eingerichtet haben. Die von ihnen angekauften Bauländereien arrondieren sie zu geschlossenen Terrains, lassen sie zumeist nach vorheriger Regulierung des ganzen oder eines Teils in den Besitz selbständiger, von ihnen finanzierter Gesellschaften übergehen, bringen deren Aktien demnächst an die Börse und bleiben selbst an ihnen noch für längere oder kürzere Zeit mit Aktienbesitz beteiligt. Vor Kurzem fand ich in einer Zusammenstellung 42 Berliner Terraingesellschaftcn als Gründungen von Kreditbanken und größeren Bankgeschäften aufgeführt. Daß sich die Großbanken in so hervorragender Weise an dem Terraingeschäft beteiligen, erklärt sich vorzüglich daraus, daß es durchaus Spekulationsgeschäft ist, welches seiner Natur nach großer Einsicht und Weitsicht und großen Kapitals bedarf. Zur näheren Illustration zwei praktische Beispiele, deren Zahlen auf gerichtlichen Feststellungen beruhen. Im Jahre 1891, also jetzt vor einer Zeit, in der sich ein Kapital durch Zinszuwachs verdoppeln kann, ließ sich ein Terrainspekulant etwa 30 Morgen Wicsenland in der Wilmersdorfer Flur, damals weit ab von der Bebauungszone, jetzt zwischen Kurfürstendamm und Hohenzollerndamm in einer schon vielfach besiedelten Wohngegend gelegen, für einen Preis von 800000 Mark auf 3 Jahre zum Kaufe anstellen. Als er bei Ablauf der Frist sah, daß sich Groß-Berlin ganz rapide nach Westen zu entwickelte, als sich andere Spekulanten und eine Großbank Terrains in dieser Umgegend sicherten, machte er von seinem Rechte Gebrauch und erwarb das Terrain für den genannten Preis. Einer von den vielen Fällen, in denen ein Grundbesitzer in der Nähe der Großstadt über Nacht zum Millionär wird. Er regulierte in den nächsten beiden Jahren das Terrain durch einige Straßenzüge mit einem Aufwände von 285 000 Mark und besaß danach etwa 3800 Quadratruten netto baureifen Landes für rund 1 0 8 5 000 Mark Selbstkosten, das macht für die Rute noch nicht 300 Mark. Nach Verlauf von 2 Jahren gründete er eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile in seinem Besitz blieben, und verkaufte dieser das Terrain für 3 400 000 Mark, also mit 2 x / 4 Millionen Mark Nutzen, und, da' er Sachverständige fand, die das immer mehr im Werte steigende Land im Jahre 1897 auf mehr

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Ilypothekengeschäfte.

als 6 Millionen Mark bewerteten und eine Bank, die es mit 3 1 / 2 Millionen Mark belieh, so war der Millionengewinn auch für ihn reell. Bei dem Kaufpreise von 3 400000 Mark stellte sich für die Gesellschaft als Besitzerin der Einstandspreis auf etwa 900 Mark pro Quadratrute, der sich freilich von nun an dauernd steigerte durch die Zinsen der aufgenommenen Hypothek, durch Abgaben und Verwaltungskosten. Da die Gesellschaft mit beschränkter Haftung nun im Jahre 1899 einzelne Teile des Terrains für 1 300 000 Mark, und zwar 1600 Mark pro Quadratrute, an Bauunternehmer verkaufte, so hätte sie immerhin einen beträchtlichen Gewinn erzielt; aber die Verkäufe waren Herein gabegeschäfte: sie erhielt von den Käufern einen Teil des Preises in Nonvaleurs, der reelle Preis nach Abzug der Hereingabe war nur 1100 Mark pro Quadratrute. Den Rest des Terrains übertrug die Gesellschaft Anfang 1900 an eine Terrainaktiengesellschaft für den Buchpreis, einen durch gegenseitige Verrechnung beglichenen Preis, von 5 Millionen Mark. Die Aktiengesellschaft und mit ihr die Gesellschaft mit beschränkter Haftung brachen im selben Jahre zusammen. Die Hypothekengläubigerin mußte das Terrain für ihre Hypothekenforderung übernehmen und erzielt in der Gegenwart tatsächlich beim Verkaufe der einzelnen Baustellen Preise von 1600 Mark und mehr pro Quadratrute, wodurch ihre Hypothek mit den rückständigen Jahreszinsen und vielleicht noch ein mäßiger Gewinn hereinkommt. Das andere Beispiel: Im Jahre 1898, also vor nun 10 Jahren, kam im Norden von Berlin in Pankow ein Gut teilungshalber unter den vier Erben zur Versteigerung, wobei eine Gutsbesitzerfamilie von bekanntem Namen zu Millionären wurde. Eine Terrainbank hatte vorher den Anteil eines Erben für 1 / 2 Million Mark erworben, wobei 100 000 Mark für den Vermittler abfielen. In der Versteigerung erwarb sie dann das ganze Gut, einschließlich dieses ihr schon gehörenden Anteils für 2 700 000 Mark. Ein kleiner Teil der erworbenen Grundstücke, vielleicht 76 wurde abgezweigt, das übrige bildete eine kompakte Terrainmasse, deren Wert noch im selben Jahre auf mehr wie 6 Millionen Mark geschätzt wurde. Nun begann die Arbeit des Terrainbesitzers. Er erlangte Vorteile von der Gemeinde und von der das Terrain durchschneidenden Eisenbahn, erwirkte die Zusage der Erbauung eines Amtsgerichts und einer Schule auf dem Terrain durch unentgeltliche Hergabe von Baustellen und sah in seiner Spekulation schon die

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geschlossene Stadt auf dem Lande erstehen, das er in Baublocks zerlegt und mit projektierten Straßen durchzogen hatte. An der die Schmalseite des Terrains berührenden Chaussee waren tatsächlich für eine Baustelle über 1000 Mark die Quadratrute gezahlt worden, und nach alledem schätzten Sachverständige im Jahre 1900 den Wert der Grundstücksmasse, die sich in mehr als 100 Morgen Bauland über ein weites, freies Feld erstreckte, auf über 20 Millionen Mark. Es fand sich eine Bank, die der Terraingesellschaft gegen eine auf dem Terrain bestellte Hypothek im Jahre 1900 12 Millionen Mark Darlehn gab und für weitere 8 Millionen Mark Vorschüsse darauf eingetragene Grundschulden als Sicherung annahm. Die Terraingesellschaft. fallierte im Jahre 1901 und die Kreditgeberin blieb mit ihren 12 1 / 2 Millionen Mark Darlehn und 8 Millionen Vorschüssen auf den Wert des Terrains angewiesen. Sie hat es, nachdem etwa 1 Million Mark an Straßen- und Regulierungskosten und Ablösungen noch weiter darin von ihr investiert waren, im Jahre 1906 für by2 Millionen Mark verkauft und so etwa 15% Millionen Mark Kapital und die sämtlichen Zinsen ihrer Darlehen daran verloren. In beiden Beispielen ist eine dritte Bank Kreditgeberin an die Terraingesellschaft und bewirkt durch ihre Beleihung die Realisierung der Spekulationsgewinne. Kreditgeber waren Hypothekenbanken, und des Kreditbewilligung geschah vor 1900, also vor dem Inkrafttreten die Reichshypothekenbankgesetzes, freilich unter der Herrschaft der im wesentlichen gleichlautenden Preußischen Normativbestimmungen. Die Darlehen wurden abusiv gegeben und führten für die Banken in einem Falle vielleicht nur zu vorübergehenden, im anderen zu dauernden, enormen Einbußen. Seit jener Zeit halten sich alle Hypothekenbanken in richtiger Anwendung der Vorschriften des Reichshypothekcnbankgesetzcs von dem Terrainhandel fern. Das Gesetz gestattet ihnen zwar, die aus dem Pfandbriefabsatze gewonnenen Gelder in beschränktem Umfange zur Beleihung von Baustellen, also der zur Bebauung fertigen, in der Bebauung begriffenen Grundstücke zu nutzen; allgemein aber gilt es bei diesen Instituten als Regel, auf Terrains kein Hypothekengeld zu geben, und wenn hin und wieder eine Baulandhypothek von einer Hypothekenbank bewilligt werden mag, so geschieht es nur zur vorübergehend kurzfristigen Anlage flüssigen Geldes, wobei die persönliche Sicherheit des Schuldners mehr Beachtung findet als die dingliche. Ebenso sind andere, für

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

den städtischen Grundkredit maßgebende Institute, Versicherungsgesellschaften, Sparkassen dem Terrainbesitzer verschlossen. Derselbe spekuliert der Regel nach mit dem eigenen Kapital. Die erheblichen ertraglosen Kapitalien, welche Terraingesellschaften zum Erwerbe ihres Grundbesitzes mit Hilfe der Kreditbanken investiert haben, werden in dem zur Zeichnung aufgelegten Aktienkapital von den Aktionären wieder hereingebracht. So weisen 43 Berliner Terraingesellschaften, die rings um Berlin einen Terrainbesitz haben, dessen Wert mit 219 Millionen Mark in ihren Bilanzen aufgeführt ist, auf der Gegenseite der Bilanz 183 1 / 2 Millionen Aktienkapital auf, ein Beweis, wie wenig der spekulative Terrainhandel der Gesellschaften mit fremden Gelde arbeitet und von Kreditbewilligung abhängig ist. Sehen wir nun aber ab von allem Terrainhandel im großen, von allem Hin- und Herschieben des Baulandes vom Urbesitzer zum Händler und von dem einen Terrainspekulanten zum andern, einem Handel, bei dem, wie wir sahen, viel Geld gewonnen, aber auch verloren werden kann, stellen wir uns alle diese Zwischenhändler in einem Besitzer vereinigt vor, und lassen Sie mich dann eingehender sprechen von dem normalen, auf Verwertung von Bauland zu Baustellen und auf Verkauf zum Zweckc der Bebauung gerichteten Geschäfte. Das erworbene rohe Bauland wird vom Besitzer an erster Stelle auf seine Bebauungsfähigkeit geprüft sein. Wenn man auch nach dem heutigen Stande der Technik voraussetzen kann, daß ganz unbebaubares Land sich im Bereich der Großstadt nicht mehr findet, so hängt doch Verkaufsfähigkeit und Verkaufspreis der Baustellen wesentlich von den Kosten ab, welche die Fundamentierung erfordert. Der Preisunterschied mag 200—400 Mark pro Rute betragen, je nachdem mehr oder weniger Aufwand für die Fundamente erforderlich ist. Nächst der Bebauungsfähigkeit sind Bebauungsplan und Bauordnung, die der Regel nach schon vorhanden sein werden, in Bezug auf das dem Terrainbesitzer gehörige Land zu prüfen. Der Bebauungsplan handelt von der Anlage der Straßen, die Bauordnung von der Anlage der Häuser. Schon bei ihrem Entwürfe wird die Gemeindebehörde alle in Betracht kommenden Momente, insbesondere die Entwicklung und Entwicklungsfähigkeit der Stadt, die Lage und Beschaffenheit des Baulandes, welches im Einzelfalle in Betracht kommt, erwogen und danach über Anlage der Straßen und Art der Bebauung entschieden haben. Der Terrainbesitzer prüft, ob diese Vorschriften das für die

Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

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Bebauung seines Terrains Richtige und seinen Interessen Dienliche bestimmen. Insbesondere kommt hierbei die Bauordnung in Betracht, welche ihm vorschreibt, wie hoch und wie intensiv er seine Baustellen bebauen darf. Zwar mag sein, daß an einzelnen Stellen, in besonders günstiger Lage ein zu Villenbau zu benutzendes Grundstück pro Rute denselben Preis erzielt wie ein Grundstück, das zu intensiver städtischer Bebauung bestimmt ist, im allgemeinen aber gilt die Regel: je intensiver die zulässige Bebauung, um so höher der Preis, der für das Grundstück gezahlt wird. Dem Privatinteresse des Terrainbesitzers steht das öffentliche Interesse entgegen, und lang dauernde Verhandlungen zwischen Besitzer und Gemeinde werden zu führen sein, um beide Interessen gegeneinander auszugleichen. Die Feststellung des Bebauungsplanes für das Terrain entscheidet zugleich über die Lasten, die dem Besitzer im öffentlichen Interesse auferlegt werden. Diese bedingen regelmäßig unentgeltliche Abtretungen des gesamten, für die anzulegenden Straßen und Plätze notwendigen Landes, vielfach wird dazu noch unentgeltliche Überlassung von Einzelgrundstücken für öffentliche Anstalten und Bauten gefordert, und die dem Terrainbesitzer zum Verkaufe verbleibende Fläche vermindert sich durch solche Anforderungen im Durchschnitt um Ys des von ihm gekauften rohen Baulandes. Mir ist ein Fall bekannt, daß die Terraingesellschaft außer dem Straßenland noch recht umfangreiche Baustellen für Gymnasium, Volksschule, Kirche und Amtsgericht ohne Entgelt von ihrem Besitz abgetreten hat. Ist der Bauplan, der erhebliche Zeit und Mühe und Mitwirkung von Sachverständigen fordert, fertiggestellt, so wird die nächste Frage die sein, ob und wann mit dem Verkauf von Baustellen begonnen werden kann. Die Frage ist leicht gelöst für Grundstückskomplexe, die in unmittelbarem Anschluß an die städtische Bebauung gelegen sind, bei denen die fortschreitende Ausdehnung der Stadt neue Häuser an schon heranreichende anlehnen läßt. Aber das ist nicht die Regel, und wo keine Nachfrage ist nach Wohnungen, da sind weder Häuser noch Baustellen zu verkaufen. Besondere günstige Lage mag die Herstellung von weit abgelegenen Villenkolonien ermöglichen, der Bau von Fabriken oder gewerblichen Anlagen den Bau von Arbeiterwohnungen außerhalb der Peripherie der Stadt zulassen, im allgemeinen aber sind Baustellen nur dann verkäuflich, wenn durch günstige Fahrverbindungen die räumliche Entfernung von Wohnung und Arbeitsstätte ausgeglichen

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

wird. Deshalb muß der Terrainbesitzer danach ausschauen, ob gute Fahrverbindungen mit der Stadt bestehen, und wo sie nicht gegeben sind, sie schaffen oder verbessern durch Verhandlungen mit Gemeinden, mit Verkehrsanstalten, vielleicht durch eigene Aufwendungen und Beteiligung an industriellen Unternehmungen. Von einer unserer größten Banken ist bekannt, daß sie Terrainspekulationen mit großzügigen Verkehrsanlagen regelmäßig verbindet, so daß man kaum sagen kann, welches Unternehmen um des anderen willen begonnen ist. Hält der Terrainbesitzer sich versichert, daß sein Terrain verkäuflich, baureif sein wird, so wird er zur eigentlichen Regulierung schreiten. Denn hierzu sind erhebliche Mittel aufzuwenden, ein Kapital, das erst in dem gewinnrcichen Verkaufe von Baustellen wieder eingebracht wird. Dieser Aufwand ist höher oder geringer, j e nach den Anforderungen, welche die Gemeinde stellt, und im ganzen früher oder später aufzubringen, je nachdem der Besitzer nach freier Wahl oder, durch die Abmachung mit der Gemeinde gezwungen, das Terrain im ganzen oder stückweise reguliert. Immer wird er, wenigstens in der Gegenwart, die gesamten Straßenbaukosten und die Kosten der ersten Wasser-, Kanalisations- und Beleuchtungsanlage zu bezahlen haben. Mögen die unmittelbaren Regulierungskosten sich für die Rute Land auf 80—100 Mark stellen, so steigen die Gesamtkosten der Regulierung durch die unentgeltliche Abtretung des Straßenlandes noch um ein erhebliches, und ein Terrain, das im Einkauf 50 Mark die Rute gekostet haben mag, steigt durch die Regulierung auf den drei- bis vierfachen Selbstkostenpreis. Das nunmehr baureife Terrain stellt sich dar als ein Stadtteil ohne Häuser. Die Straßen sind angelegt, kanalisiert, beleuchtet, die einzelnen, von Haupt- und Querstraßen eingeschlossenen Baublocks sind fertig zum bebauen. In dem Bebauungsplan für das Terrain sind die Blocks in einzelne Baustellen eingeteilt; für das auf jeder zu erbauende Haus liegen die Grundrisse vor. Der Terrainbesitzer stellt nunmehr die Grundpreise fest, die er für die Rute Land zu fordern hat. Dabei muß er an Selbstkosten ohne das Kapital, das er als Kaufgeld bezahlt hat, alle eben geschilderten Abgaben, Auslagen und Arbeitskosten, die er bis dahin gehabt, ferner die fortdauernden Kosten der Verwaltung, die Steuern und Abgaben an Staat und Gemeinde und zu allem die von J a h r zu J a h r auflaufenden Zinsen rechnen. Diese Gesamtkosten sind auf das Terrain nach seiner Rutenzahl zu verteilen. Aber die Verkaufspreise können nicht für

Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Ilypothckengeschäfte.

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jede Baustelle einheitlich berechnet werden, sondern werden ratirlich je nach Lage der Baustelle mit verschiedenen Beträgen verteilt werden. Sie sind höher oder geringer, je nachdem es sich um Eckbaustellen handelt oder um Frontbaustellen, ob um flache oder tiefgeschnittene Stellen, d. h. um solche, die voll zur Bebauung ausgenutzt werden können oder nicht, ob für die Fundamentierung mehr oder weniger aufzuwenden ist, vor allem auch, ob die Baustelle an der Heerstraße oder an einer verkehrslosen Nebenstraße gelegen ist. Nichts ist unrichtiger, als aus dem Verkaufe einer einzelnen Baustelle zu folgern, daß nun das Terrain im ganzen das Vielfache des hier erzielten Einzelpreises wert sei. Der an einer Stelle erzielbare Preis mag das Doppelte und Dreifache des Durchschnittspreises des Ganzen betragen. Nun erhöhen sich durch Verluste, Verwaltungskosten, Steuern und Kapitals Zinsen die Grundpreise von J a h r zu J a h r , und es verschieben sich auch die Preise der einzelnen Baustellen untereinander, je nachdem die allgemeinen nachbarlichen Bebauungs- und Verkehrs Verhältnisse sich geändert haben. Der Besitzer aber sucht Käufer; er wird als Geschäftsmann fordern und nehmen, wie die jeweiligen Verhältnisse es bieten, hier mit mehr, dort mit weniger Gewinn, manchmal vielleicht auch bis unter dem Selbstkostenpreis, wenn er durch solchen Verkauf eine Belebung des Absatzes der übrigen Baustellen erwarten darf. So ist es beispielsweise auch unrichtig, daraus, daß ein Besitzer an Behörden zum B a u von Dienst- und öffentlichen Gebäuden billiger verkauft hat als an andere Baulustige, zu folgern, jener sei der bei solidem Geschäftsbetriebe mögliche Grundpreis des Verkäufers gewesen, die höheren Preise aber Wucherpreise. Aus alledem ergibt sich, wie schwer zutreffende, für eine Statistik geeignete Zahlen über Werte und Preise von Baustellen ermittelt werden können. Nach Feststellung der Grundpreise hat das Verkaufsgeschäft begonnen. Der Besitzer sucht die Käufer durch Plakate auf den Terrains, durch Inserate in den Zeitungen, vor allem durch Grundstücks* und Hypothekenmakler. Unter diesen verstehen wir Vermittler von Verkaufsgeschäften, die durch ihre örtliche Kenntnis und Bekanntschaft mit der zuziehenden Bevölkerung in der Lage sind, Verkäufer und Käufer von Grundstücken aufzusuchen und zusammenzuführen, Gelegenheitsvermittler, die neben ihrem anderen Berufe als Bankier oder Agent auch die Vermittlung von Grundstücksgeschäften betreiben, vor allem aber Gewerbetreibende, die im Haupt-

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

berufe als Makler fungieren. Ihre Zahl ist nicht gering; denn viele halten sich zu diesem Geschäfte berufen, wenn es vielleicht auch nur eine kleine Zahl zu namhaftem Betriebe und Gewinne bringt. Die Zeit reicht nicht, um mehr von diesem Gewerbestande zu sprechen, nur möchte ich darauf hinweisen, daß die Tätigkeit der Vermittler durch feste Usancen geregelt ist, die ihnen eine nach Prozenten der Kaufsumme bestimmte Maklergebühr zuweisen. Auch diese Gebühren beschweren die Gewinne des Terrainverkäufers. Eine übersichtliche Darstellung über den Baustellenverkauf läßt sich kaum geben. So verschieden die Terrains nach ihrer Lage und Gestalt sind, so verschieden sind die Käufer und die Kaufbedingungen. Hier sind es überwiegend Eigenkäufer, die zum Bau von Villen und Wohnhäusern größeren oder kleineren Besitz erwerben, dort kapitalkräftige Unternehmer, die zum Bau von Fabriken oder gewerblichen Anlagen ganze Baublocks in ihren Besitz bringen, zumeist aber vollzieht sich der Verkauf von Baustellen an Bauunternehmer. Die weitaus größere Zahl der Bauunternehmer sind nicht große Gewerbetreibende, sondern oft recht kleine Leute, kleine Handwerker, frühere Poliere, auch Agenten in jeglicher Gestalt, die mit geringem, ersparten Kapitale, mitunter auch mit gerettetem Kapitalrestc Neubauten unternehmen, um sie später mit Gewinn wieder zu veräußern. Alle diese Unternehmer, deren Vermögen manchmal nicht weiter reicht, als um dem Baustellenverkäufer die übliche Anzahlung von 10 % auf den Kaufpreis zu leisten, würden nicht in der Lage sein, sich mit dem Neubau von Wohnhäusern zu befassen, wenn ihnen nicht in ausgedehntem Maße Leihgeld zur Verfügung stände. Hier nämlich, in dieser Phase des Terrainhandels, treten die für den städtischen Grundkredit berufenen Institute, vor allem die Hypothekenbanken, in Tätigkeit. Sobald der Terrainhandel zum Baustellenhandel geworden ist, sobald die Bebauung des Grundstücks gesichert ist, stellen sie ihre großen, aus dem Pfandbriefverkaufe gewonnenen Mittel den Unternehmern als Hypothekendarlehn zur Verfügung. Hypothekenbanken, Versicherungsgesellschaften, Sparkassen sagen dem Baustellenkäufer Hypothek auf sein Hausgrundstück nach Fertigstellung des Baues zu, und von der Hypothekenbank selbst oder anderen Kreditgebern, -vielfach eben auf Grund der vorversprochenen festen Hypothek erhält der Bauunternehmer zumeist nach das zum Bau nötige Geld als Baugeldhypothek. Diese letztere

Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäftc.

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wird mit Fortschreiten des Baues, je nach dessen jeweiligem "Werte in Raten valutiert, und mit Hilfe dieser Kredite hat auch der wenig vermögende Unternehmer die Mittel zur Hand, um den Bau zu beginnen und fertigzustellen. Die Abhängigkeit der Bauunternehmer von den kapitalkräftigen Instituten als Geldgebern ist eine so vollständige, daß der Grundstückshandel aufhört, die Bebauung der Großstadt stockt, wenn die Kreditinstitute nicht Geldgeber sind, wenn infolge wirtschaftlicher Depressionen kein Leihgeld am Markte ist. Das Beispiel der neuesten noch kaum überwundenen Krise ist ja allen vor Augen. Aber die durch die Hilfe der großen Kreditinstitute ermöglichte Beteiligung einer großen Zahl kleiner, mäßig bemittelter, fast vermögensloser Leute an dem Baustellenkaufe und dem Baugeschäfte bringt große Übelstände mit sich. Da die ihnen zur Verfügung stehenden Kredite niemals den vollen Betrag ihrer Selbstkosten, bestehend aus dem Baustellenpreise und dem für den Bau nötigen Kapitale, erreichen worden, so ist, je geringer die eigenen Mittel sind, um so größer die Gefahr des Zusammenbruchs des Unternehmens. Eine große Zahl von Subhastationen, die meisten eben von Neubauten, oft auch von erst halb fertigen Häusern ist in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs die Folge. Auch hierfür brauche ich nur auf vor Augen liegende gegenwärtige Zustände zu verweisen. Durch solchen, vielfach noch während des Baues eintretenden Zusammenbruch werden an erster Stelle alle diejenigen, die zum Bau des Hauses Arbeiten und Waren auf Kredit geliefert haben, die Bauhandwerker, geschädigt, ja der Unternehmer hat nach Lage der Gesetzgebung die Möglichkeit, unter eigener Bereicherung die Verluste auf sie abzuwälzen. Es ist bekannt, daß der Reichstag eine Gesetzvorlage genehmigt hat, die diesem, dem Mittelstande angehörenden Gewerbestande besonderen Schutz verleihen soll. Möchte es gelingen, ohne daß man das Kind mit dem Bade ausschüttet, d. h. ohne daß die Beteiligung kleiner Unternehmer an städtischen Bauten ausgeschlossen und ohne daß, wie der Terrainhandel, auch der Baustellenhandel lediglich dem Großunternehmer überliefert wird! Denn die Beteiligung des kleinen Unternehmers an dem Grundstücksgeschäfte, da, wo es unmittelbar der städtischen Bebauung, der Herstellung für den Zuwachs der Bevölkerung nötiger Wohnungen dient, bietet wirtschaftlich so große Vorteile, daß selbst die großen, soeben betonten Ubelstände dadurch Gewerbliche EinielvortrJge.

®

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

reichlich wettgemacht werden. Ich kann darauf hier nicht näher eingehen. Nur einen Vorteil will ich in diesem Zusammenhange hervorheben, nämlich, daß in den Händen des kleinen Unternehmers der Preis des Baues selbst wesentlich verbilligt wird. Der Bauunternehmer, der s e i n Haus baut, ist sich selbst Baumeister, Bauführer und Polier. Man darf annehmen, daß das reguläre vierstöckige Wohnhaus (die sogenannte Mietskaserne), das in fremder Ausführung pro Quadratmeter mit etwa 330 Mark Kosten richtig bewertet wird, dem für eigene Rechnung bauenden Bauherrn nicht mehr, wie 290—300 Mark pro Quadratmeter kosten wird, und welchen Einfluß diese Ersparnis von Adelleicht 40 Mark auf den Quadratmeter für die Gesamtkosten des Baues hat, kann man leicht veranschlagen, wenn man berechnet, daß der Preis der zum Bau der Mietskaserne gekauften Baustelle normal, je nach Lage des Grundstücks nahe oder weit von der Stadt, zwischen 80 Mark höchstens und 20 Mark wenigstens pro Quadratmeter schwanken wird. Wenn nun auch die gekaufte Baustelle in der Regel um die Hälfte größer sein wird als die bebaute Fläche, so wird doch der Preis des Terrains zum großen Teile, äußerst sogar ganz, dem kleinen Unternehmer erspart bleiben. Wer die Bauspekulation bekämpft, weil sie durch den Preis der Baustelle den Preis des Hauses übermäßig verteuerte, hat allen Grund zu wünschen, daß die Ausübung des Baugewerbes nicht dem Großbetriebe allein anheimfällt, dessen Selbstkosten zweifellos größere sein werden als die des kleinen Unternehmers. Mit Bebauung der Baustellen endet der Terrainhandel; aber das fertige Haus wird gehandelt nicht anders wie das Terrain, auf dem es erbaut ist. Sieht man von den selteneren Fällen ab, in denen zum Eigenbesitz gebaut wird (Villen, Fabriken, gewerkliche Anlagen, Amtsgebäude, selten nur einfache Wohnhäuser), so ist die große Menge der die Stadtquartiere füllenden Häuser von Unternehmern zum Verkaufe mit Gewinn erbaut worden. Der Preis, den der Verkäufer fordert, ist immer ein spekulativer, in sofern er dem Selbstkostenpreise einen möglichst hohen Gewinn hinzusetzt; der Preis, den der Käufer bietet, ist insofern mehr reell geworden, als der Faktor, nach dem er sich nach wie vor richtet, der zu bemessende wirtschaftliche Ertrag des Grundstücks, nunmehr evident geworden ist. Es sind die erzielten Mietserträge, die den Preis bestimmen. Der Käufer summiert die Mieten, berechnet die Unkosten der Verwaltung, Steuern

Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

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und Reparaturen, ferner die Zinsen der Hypotheken, die Zinsen des von ihm zum Kauf aufzuwendenden Kapitals und verlangt für sich einen Gewännüberschuß aus dem Ertrage, der bis zu 1% des Kaufpreises beträgt. Das ist die allgemeine Preisusance für Hauskäufe in Berlin. Sind somit die Mieten maßgebend für die Preisbildung, so ist die Vermietbarkeit des Hauses selbstredend entscheidend für die Verkäuflichkeit. Vermietbarkeit und Höhe der Mieten aber sind abhängig von der Nachfrage, die für Wohnungen überhaupt und an der Stelle, an welcher das Wohnhaus liegt, besteht. So wird der Grundstückshandel reguliert von den allgemeinen •wirtschaftlichen Verhältnissen; und dann setzt auch hier wieder die Spekulation ein, nicht anders wie bei unbebauten Grundstücken. Denn durch das Aufblühen der Stadt werden fortdauernd neue Projekte über eine intensivere Ausnützung, bessere Verwertung der Baustellen angeregt; insbesondere sind es die Geschäftshäuser, Banken, Amtsgebäude, aber auch Paläste, Theater, Hotels, die an die Stelle von einfachen Wohnhäusern gesetzt werden, und im Endergebnisse kommt es dazu, daß im Herzen der Großstadt schließlich der Grundstückshandel trotz der Bebauung wieder ein Terrainhandel wird, d. h. daß der auf dem Grundstück stehende Bau für die Preisbewertung fast gar keine Rolle mehr spielt. Man kauft in den Hauptstraßen von Berlin nicht Häuser, sondern Quadratruten Land, die mit 40000 Mark und vom Liebhaber noch höher bewertet werden; das auf dem Grundstück stehende Haus ist nur Abrißhaus. Wenn an der Peripherie von Groß-Berlin der Bau des regulär geschnittenen Grundstücks in der Regel V3 bis V41 in der weiteren Entfernung aber bis zu V10 des Preises beträgt, den der regulär darauf aufzuführende Wohnhausneubau erfordert, so stellt umgekehrt in der City von Berlin das alte, auf einem Eckgrundstück stehende Wohnhaus noch nicht a /io des Kaufpreises dar, der für das Bauland erzielt wird. Zwischen diesen Extremen bewegen sich die Anteile, die einerseits Land und andererseits Bau in der Großstadt an dem Werte der bebauten Grundstücke haben. Diese Preise aber wachsen fortdauernd mit der stetig fortschreitenden Entwicklung der Großstadt, und wenn wir lesen, daß in London und New-York die Rute schon mit 150 000 Mark bezahlt ist, so wird man auch für Berlin die gegenwärtig erzielten Preise noch nicht als äußerste Grenze des Möglichen ansehen dürfen. 6*

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

So hat die Bodenparzelle als Ware im Grundstückshandel stetig ihren Wert vermehrt und kann ihn weiter ins Unmeßbare hinein vermehren. Wir haben gesehen, was alles zur Steigerung ihres Wertes beigetragen hat, wieviel Kapital und Zins, wieviel Abgaben und Leistungen an die Öffentlichkeit, wieviel menschliche Arbeit und Spekulation und endlich wieviel Gewinn als Arbeits- und Spekulationsgewinn im Laufe der Zeit hineingetragen worden ist, bis sie von dem nach dem Fruchtertrage geschätzten Ackerstücke zur Baustelle von unmeßbarem Werte geworden ist. Sie ist auf diesem Wege ihrem Werte nach mobilisiert, einer Handelsware gleichgemacht worden durch menschliche Arbeit und Anpassung an menschliche Bedürfnisse. Aber ihre Natur hat sie nicht verändern können. Sie bleibt auch als Handelsware unbeweglich und unvertretbar, d. h. jedes Grundstück besteht nur für sich, niemals, wie andere Waren, als eines von vielen, das in Mengen gleichwertiger Gegenstände gehandelt werden kann. Das gilt von unbebauten Grundstücken und erst recht von bebauten. Nicht ein Haus, das nicht als Sache für sich nach seinem eigenen Werte und nach individueller Sachkunde und Neigung des Käufers gehandelt wird. Darum ist auch ein Spekulationshandel ä la hausse und a la baisse nach börsenmäßigen Usancen in Grundstücken unmöglich. Was aber die Bewertung der Ware angeht, so besteht bei dem Handel mit Grundstücken kein Unterschied mit anderen Handelsgeschäften. Der Nutzen, den der Käufer sich von ihrem Gebrauche verspricht, bestimmt den Preis. Schon bei dem reinen Spekulationsgeschäfte, dem eigentlichen Terrainhandel, ist für die Bewertung maßgebend, welcher Ertrag vom Grundstücke zu erwarten sein wird. Unrichtige Schätzung des möglichen Ertrages gibt Verlust, richtige Gewinn. Wie sich die Eechnung am letzten Ende stellen wird, hängt im hohen Maße vom Zufall ab. An sich nichts außerordentliches, nichts dem Grundstückshandel eigentümliches. Man braucht nicht zu exemplifizieren auf Diamantenfunde in der Wüste, auf Funde reichhaltiger Erzadem, Kohlenflöze in Bergwerken, jeder Kaufmann und jeder Landwirt weiß tagtäglich von außer seinem Machtbereiche liegenden Zufallsfaktoren zu sprechen, die hier Gewinn, dort Schaden bringend sein Geschäft beeinflußt haben. Für den Grundstückshandel liegen solche Faktoren in der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung des Stadtgebiets, zu dem das Grundstück seiner Lage nach gehört.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

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E i n Aufblühen des wirtschaftlichen Lebens, ein Zuzug von Bevölkerung erzeugt Nachfrage n a c h W o h n - und Baugrundstücken, und je besserer Gebrauch

von

dem

Einzelgrundstück

seiner

Lage

nach

gemacht

werden kann, um so höher wird m a n den Gewinn berechnen, der aus seiner Nutzung entfällt, u m so höher wird sein W e r t und sein Preis. Das Grundstück liegt fest und kann nicht verlegt werden, seine Zukunft hängt davon ab, ob sich in seiner Umgebung ein Zentrum des Verkehrs entwickelt, ob sein Quartier zur Geschäfts- oder Wohngegend wird, ob bessere oder geringere Wohngegend, und von vielen anderen Fragen, deren Lösung der

Spekulant voraussieht und in Rechnung

vielfach mit Erfolg, vielfach mit Mißerfolg.

setzt,

Niemand aber kann sie

mit unzweifelhafter Sicherheit voraussehen, und immer ist die E n t scheidung abhängig von F a k t o r e n , die der Besitzer nicht geschaffen hat. Aus solchen Erwägungen heraus, in der Meinung, daß die Gewinne der Terrainhändlcr Zufallsgewinne seien, welche sie der Entwicklung werden den

Terrain-

besitzern neben den allgemeinen besondere E r t r a g s s t e u e r n

des Gemeinwesens hauptsächlich

von den

Gemeinden

auferlegt

verdanken,

in den F o r m e n jährlicher Steuern nach dem

gemeinen W e r t e ihres Besitzes, von Umsatzsteuern beim Verkaufe und endlich von Wertzuwachssteuern als Beteiligung der Gemeinde am Gewinne.

Nur in bezug auf letztere wenige W o r t e :

In meiner

Darstellung des Terrainverkaufsgeschäftes habe ich eingehend nachzuweisen versucht, wie viel von dem Preise, den der Terrainhändler fordert, Vergütung von Selbstkosten ist. Mah ist gar zu leicht geneigt, die Gewinne zu überschätzen.

Wie schwer ist im Einzelfalle, Selbst-

kosten und Gewinn richtig zu bemessen!

Schwieriger noch ist die

Gewinnberechnung, weil jeder Verkauf von Baustellen doch nur ein Teil eines ganzen Geschäftes ist und der Einzelgewinn an einem Grundstücke durch Verluste an anderen völlig illusorisch gemacht sein kann. Schließlich, wer kann unterscheiden, was Zufall- und was Arbeitsgewinn ist ? und ist es gerechtfertigt, Arbeitsgewinn, weil er sich auf Grundstückshandel bezieht, mit einer Steuer bis zu 2 5 % zu belegen? Gegen die Auflage der Wertzuwachssteuer wird von den

Terrain-

besitzern angekämpft. Diesem Kampfe verdanken viele Gesellschaften mit beschränkter Haftung ihre Entstehung, die nicht Handelsgesellschaften, sondern Kampfgesellschaften sind, gegründet nur zu dem Zwecke,

um

die

unerträgliche

Wertzuwachssteuer

zu

vermeiden.

Sie schießen auf wie die Frühlingsblumen auf dem F e l d e ; gegründet

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Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte.

mit dem niedrigsten Stammkapital von 20 000 Mark, nehmen sie eine Baustelle oder ein Haus als Vermögen hinein und verhandeln statt des Grundstücks ihre Anteile an der Gesellschaft in der Erwartung, daß sie dadurch der vermeintlich ungerechten Steuerauflage entgehen werden. Durch das Projekt einer Reichssteuer hat die Wertzuwachssteuer ein neues Gesicht bekommen, meines Erachtens für die Interessenten ein besseres. Denn es ist zu erwarten, daß bei einer Einführung dieser Steuer, als einer allgemeinen, die schwierigen Fragen, die ich soeben andeutete, eingehend erörtert und alle Bedenken, die ihr entgegenstehen, gerecht gewürdigt werden. Wenn dann eine wirklich nur den Gewinn und nur den unverdienten Gewinn treffende, allgemeine, in ihrem Höchstmaße begrenzte Steuer dem Grundbesitze auferlegt wird, so wird diese eben schon wegen ihrer Gleichmäßigkeit erträglicher sein als die gegenwärtig von einzelnen Gemeinden verschieden, unvollkommen und vielfach ungerecht unter dem Namen Wertzuwachssteuern eingeführten Abgaben. Dann werden auch die Kampfgesellschaften, von denen ich eben sprach, von selbst wieder verschwinden. Die Gewinne, welche mit dem Terrainhandel erzielt werden, erscheinen der Öffentlichkeit um so anfechtbarer, weil sie am letzten Ende aufgebracht werden aus dem Ertrage der Wohnhäuser, also aus den Mieten der Bewohner. Da die Wohnung zu den unentbehrlichen Lebensbedürfnissen gehört, so ist jede Verteuerung der Mieten für die große Menge der Bevölkerung eine drückende Last, die vielfach bis zu gesundheitsstörenden Einschränkungen in der Lebenshaltung und zu offenbaren sozialen Schäden führt. Es verhält sich damit nicht anders wie mit der Verteuerung der wirtschaftlichen Erzeugnisse des Bodens, der zum Leben unentbehrlichen Nahrungsmittel. Den Wunsch nach niedrigen Mieten im Interesse sozialer Wohlfahrt wird jeder teilen. Von diesem Standpunkte aus müssen alle Bestrebungen, welche darauf gerichtet sind, Beamten und Arbeitern billige Wohnungen zu verschaffen, sei es, daß Staat und Gemeinden, sei es, daß Fabrikherren, sei es, daß gemeinnützige Vereine sich dafür bemühen und mit Aufwendung von Kapital und Arbeit diesem Zwecke dienen: alle diese Bestrebungen, die entweder als Zuschuß zum Gehalt und Lohn für Angestellte und Arbeiter oder als Unterstützung Hilfsbedürftiger anzusehen sind, müssen jedermanns Anerkennung finden. So weit man aber dem Terrainhandel Schuld gibt, daß er diesen Zielen ent-

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gegenstehe und ungerechtfertigten Gewinn zu Lasten wirtschaftlich Schwacher sich verschaffe, ist doch zunächst festzustellen, in wieweit in der Tat die Höhe der Mieten, ihr Steigen und Fallen von dem Gewinne des Terrainhandels abhängig ist. Ein gut Teil der Gewinne im Terrainhandel wird, wie bei jedem Handel, durch Verluste wieder ausgeglichen. Das sehen wir alle Tage und weiß jeder, der mit dem Handel zu tun hat. Einige eklatante Beispiele habe ich hier gegeben; eine Einsicht der offenen Bilanz und der Gewinnergebnisse der Terraingesellschaften lehrt, daß deren Gewinne im allgemeinen nur mäßige sind und nicht den Betrag übersteigen, den der Handel mit Recht fordern kann. Für zweifellos unrichtig aber halte ich die Meinung, daß die Gewinne der Terrainbesitzer die Höhe der Mieten bestimmen. Betrachtet man das einzig für die hier aufgeworfene Frage in Betracht kommende Geschäft des Verkaufes von Baustellen zum Bau von "Wohnhäusern (Mietskasernen), so sahen wir schon, daß hier der Preis der Baustelle Vio bis 1U der gesamten Grundstückskosten ausmachen wird. Wieviel von diesem Baustellenpreis Gewinn und wieviel Selbstkosten ist, läßt sich schwer auseinanderhalten. Für den letzten Besitzer ist sicher der größere Teil des Preises nicht Gewinn. Gesetzt aber, es blieben in dem Preise des Baustellenverkäufers 100 % Bodengewinn, so würde also von dem Ertrage des fertigen Hauses 720 bis 1 / 6 auf die Gewinnrente des Parzellenverkäufers fallen. Nimmt man nun an — und dieser Preis trifft der Regel nach zu —, daß die einstubige Wohnung 240 Mark Miete kostet, so würden hiervon höchstens 30 Mark auf die Gewinnrente des Baustellenhändlers fallen. Nun haben wir in der noch andauernden Krisis erlebt, daß der Preis der einstubigen Wohnung im Norden von Berlin von 240 auf 180 Mark heruntergegangen ist, also um 60 Mark. Das ist das Doppelte von dem, was erspart würde, wenn man dem Bodenbesitzer jeden Gewinn absprechen wollte. Aber solcher Berechnungen bedarf es nicht. Nach den Erfahrungen des praktischen Lebens darf es nicht heißen: der Gewinn des Baustellenverkäufers bestimmt die Höhe der Mieten, sondern umgekehrt: die Vermietbarkeit des Hauses und die Höhe des Mietsertrages sind entscheidend für den Gewinn des Baustellenverkäufers. Von der Nachfrage nach der Ware hängt ihre Verkäuflichkeit und ihr Preis ab, für Grundstückshändler, wie für jeden Kaufmann. Von den bestimmenden Faktoren, die für den Grundstückseigentümer Zufallsfaktoren sind, habe ich schon gesprochen: Der Zustrom neuer Bevölkerung, der

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von der Entwicklung von Staat und Stadt, von dem Aufblühen oder dem Niedergang von Handel und Industrie und von vielem anderen abhängig ist, die Entwicklung aber auch des besonderen Teiles der Stadt, in welchem das Grundstück liegt, Bedürfnis oder Laune, Wohlstand oder Armut der Menschen, die auf das Wohnen in dieser Gegend angewiesen sind. Niemand kann besser übersehen, wie machtlos der Grundstückseigentümer den aus der allgemeinen Entwicklung sich ergebenden Zufälligkeiten gegenübersteht, wie gerade die Hypothekenbanken, die sich fortlaufend über leerstehende Wohnungen und Metserträge der von ihnen beliehenen Häuser unterrichten lassen. In Zeiten des Wohlstandes steigende, in Zeiten wirtschaftlicher Krisis fallende Mieten, das sind, man möchte sagen, Naturgesetze. Die meisten Verschiebungen nach oben (die Hypothekenbanken können als Regel annehmen, daß die Hypotheken, die sie an der Peripherie der Stadt bis zu 60 % des Wertes geben, im Verlaufe von 10 Jahren lediglich durch das Zuwachsen der Stadt zu 50prozentigen inündelsicheren Hypotheken geworden sind), aber auch Verschiebungen zum schlechten: wider alle Spekulation wird ein Quartier als Wohnquartier unmodern, unbeliebt, das früher gesucht war, wird durch Zusammenbruch gewerblicher Unternehmen ein früher stark gesuchtes Geschäftsquartier verödet. Das eherne Gesetz des Handels ist auch für den Terrainhandel kein anderes: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Nur dann kann zum Schaden der Mieter der Preis ein anormaler werden, wenn das Angebot von Wohnungen beschränkt, zum Monopole weniger Besitzer von Grundstücken wird. Diese Gefahr liegt vor, wenn der Handel unterbunden und den Käufern von Baustellen der Markt versperrt würde. Schon hat der Gesetzgeber in solchem Falle, um die schädliche Wirkung mangelnden Angebots zu beseitigen, eingreifen müssen. Die vor wenigen Jahren herausgegebene lex Adickes half für Frankfurt a. M. dem Übelstande ab, daß durch Festhalten der Grundstückseigentümer an ihrem Besitz der Bau von Wohnstätten und der planmäßige Ausbau der Stadt behindert wurden. Sie zwang die Besitzer aus Gründen öffentlichen Wohles zur Abtretung ihres Landes gegen angemessene Entschädigung. Weder für Berlin noch für eine andere Stadt hat sich bisher eine gleiche Notlage ergeben. Das Angebot von Bauland ist hier infolge des ausgedehnten Handels, den hauptsächlich die Terraingesellschaften vermitteln, so reich, daß man gegenüber dem größten Besitzer, dem Forstfiskus, im Gegen-

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teil ein gesetzliches Gebot erstrebt, an seinem Besitze im Interesse der Wohlfahrt der Bewohner der Großstadt in ungemindertem Umfange festzuhalten. Freie Bahn dem Handel! Er allein ist es, der die Preise regulieren kann. Wilde Spekulationen mögen vorübergehend große Gewinne erzielen. Sie sind nicht bleibend; die Konkurrenz im Angebot hindert das Anschwellen der Werte; die Nachfrage bestimmt endgültig den Preis. Aber auch kein Unterbinden der Spekulation! Eine sachkundige, zielbewußte, tatkräftige Spekulation hat zu allen Zeiten dem wirtschaftlichen Fortschritte und der wirtschaftlichen Entwicklung die Wege gebahnt.

Y.

Die Industrie der Lacke und Farben. V o r t r a g des Herrn L o u i s M a n n , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin.

Wenn Sie die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert überschauen, werden Sie als wichtigstes Resultat finden, daß Deutschland, vom Beginn bis zur Mitte des Jahrhunderts ein überwiegender Agrarstaat, sich an seinem Ende zu einem überwiegenden Industriestaat abgewandelt hat. Während noch bis zur Mitte des Jahrhunderts 65% der Bevölkerung in der Landwirtschaft und 25% in Industrie und Handel tätig waren, gehören nach der letzten Berufszählung des Jahrhunderts 1895 50% der Bevölkerung Industrie und Handel nnd nur 35% der Landwirtschaft an. Auch gegenwärtig im 20. Jahrhundert ist diese Entwicklung und Umformung der deutschen Volkswirtschaft noch längst nicht beendet. Wir alle blicken mit Erwartung und gewisser Sorge auf das, was ihr die Zukunft vorbehält, und fordern nur von unserer Politik und Gesetzgebung die notwendigen Maßnahmen, um den Ablauf dieses Prozesses möglichst gleichmäßig, möglichst störungslos und für alle Klassen der Bevölkerung möglichst schmerzlos sich vollziehen zu lassen. Unter den Industrien, welche diese Umwandlung der deutschen Volkswirtschaft in erster Reihe getragen haben und sie noch heute charakterisieren, steht die c h e m i s c h e I n d u s t r i e obenan. Allerdings hat es in Deutschland schon in den frühesten Zeiten Betriebe gegeben, die wir heute als chemische bezeichnen würden; ich erinnere nur an die altdeutschen keramischen Gewerbe, die Glasindustrie, die Färberei und die geheimnisvolle Kunst der Alchemisten. Aber alle diese Gewerbe wurden nur handwerksmäßig und praktisch — empirisch — betrieben. Von einer chemischen Industrie im eigentlichen Sinne kann man erst im 19. Jahrhundert sprechen, wo man beginnt, die Errungenschaften der chemischen Wissenschaften methodisch für die Praxis zu verwerten. Zuerst entstand, im Anschluß an ihre naturwissenschaftlichen Entdeckungen im 18. Jahrhundert, in Frankreich und England eine wirkliche chemische Industrie. Deutschland folgte anfangs nur zögernd nach, um dann plötzlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in

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einem ungeahnt stürmischen Aufschwung alle fremden Nationen zu überflügeln. Die deutsche chemische Industrie nimmt heute unter den deutschen Industrien nach der Montan- und Eisen- und nach der Textilindustrie die dritte Stelle ein. Nach der 1897 vom Reichsamt des Innern unternommenen Produktionsstatistik wurde in der chemischen Industrie jährlich etwa für eine Milliarde Mark produziert. Heute darf man nach dem neuerschienenen wertvollen Buche des Geheimen Oberregierungsrat G. Müller im Reichsamt des Innern die Gesamtproduktion auf etwa i y 4 Milliarde veranschlagen. Ich werde mir heute abend gestatten, aus dem großen Gebiete der deutschen chemischen Industrie zwei Teile herauszugreifen und ihrer technischen Produktion sowie ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nach Ihnen in kurzen Zügen zu schildern: „Die

deutsche

L a c k - und die d e u t s c h e i n d u s t r i e."

Farben-

Es ist angebracht, diese beiden Industrien zusammen zu betrachten, da sie in manchen Betrieben nebeneinander vorkommen und auch ihrem Konsum nach viele verwandte Beziehungen haben. Die Zahlen, die ich Ihnen gebe, sind zum großen Teil der Reichsstatistik, daneben aber auch den vorzüglichen Schriften der Herren Geheimrat Witt und Geheimrat Müller entnommen. Die Herstellung von Lacken ist eine der ältesten Industrien; sie wurde schon im Beginn unserer Zeitrechnung im ausgedehnten Maße von Japanern und Chinesen betrieben und steht bei ihnen seit etwa dem 6. Jahrhundert in hoher Blüte. Sie alle kennen die japanischen und chinesischen Lackarbeiten, die seit dem 18. Jahrhundert regelmäßig nach Europa exportiert werden und sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen. Trotzdem uns die Technik dieser Arbeiten genau bekannt ist, war es bisher unmöglich, bei uns ebenbürtige Produkte herzustellen, einmal, weil die Rohmaterialien für uns gar nicht oder nur schwer erhältlich sind, sodann, weil die abnorme Niedrigkeit der japanischen und chinesischen Arbeitslöhne eine europäische Konkurrenz verbietet. Von Japan und China kam die Herstellung von Lacken zunächst nach Indien, von dort wurde sie im Mittelalter von einem AugustinerMönch Eustachius nach Rom gebracht und hat sich dann allmählich von Italien aus über ganz Europa verbreitet. •

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Trotzdem blieb die europäische Lackfabrikation im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit noch auf primitiver Stufe und machte nur schüchterne Fortschritte. Man bediente sich lange Zeit hindurch ausschließlich des S c h e l l a c k s , erst später des T e r p e n t i n s und des B e r n s t e i n s . Von einer eigentlichen intensiven Lackindustrie läßt sich erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sprechen. Die ersten großen Fabriken entstanden in England; dann folgte anfangs nur langsam Deutschland und in den letzten 20 Jahren vor allem Amerika, das neben der Befriedigung des eigenen Bedarfs einen kräftigen Export nach allen Weltteilen begann. Ich werde jetzt versuchen, Ihnen einen kurzen überblick über den Lackfabrikationsprozeß zu geben. Die Lackfabrikation läßt sich in der Hauptsache in zwei Gruppen gliedern, in die Fabrikation der f l ü c h t i g e n L a c k e und in die der ö 11 a c k c bzw. L a c k f i r n i s s e . Die erste Gruppe, die Fabrikation der f l ü c h t i g e n L a c k e , besteht in der Lösung von Harzen in flüchtigen Verdünnungsmitteln. Das sind die S p i r i t u s l a c k e . Die z w e i t e G r u p p e , die der ö 11 a c k e bzw. L a c k f i r n i s s e , unterscheidet sich von der erstgenannten dadurch, daß sie als Verdünnungsmittel Terpentinöl verwendet und außerdem fette öle noch hinzusetzt. Bei billigen öllackfabrikaten verwendet man indessen als Verdünnungsmittel auch Benzin, Benzol usw. Die sämtlichen Lackc verfolgen im allgemeinen denselben Zweck, nämlich, den verschiedensten Gegenständen, seien sie aus Holz, Leder oder Metall, einen glatten, hoch- oder mattglänzenden "Überzug zur Verschönerung oder zur Erhöhung der Haltbarkeit zu geben. — Ich werde jetzt versuchen, die Lacke nach Produktionsprozeß und wirtschaftlicher Bedeutung in großen Umrissen Ihnen vor Augen zu führen. Zum Unterschiede von der Spirituslackfabrikation bedarf die ö l l a c k f a b r i k a t i o n einer behördlichen Konzession, erstens der Feuergefährlichkeit wegen, insoweit, als Terpentinöl, Benzin, Benzol, und Kienöl venvendet werden, zweitens wegen der unangenehmen Gerüche, die sich beim Schmelzen der Harze entwickeln. Dem zweiten Übel hat man allerdings in den letzten Jahrzehnten durch Kondensationsanlagen erfolgreich gesteuert. Auch die Feuergefährlichkeit der Verdünungsmittel hat man zu beschränken verstanden. Da, wie Sie wissen, meine Damen und Herren,

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Kohlensäure auf die Flamme erstickend wirkt — denken Sie an die Löschapparate wie „Minimax" —, lagert man die feuergefährlichen Verdünnungsmittel unter einer Kohlensäureatmosphäre; dadurch wird in jedem Falle, selbst bei großen Fabrikbränden, die Möglichkeit einer Entzündung beschränkt. Die Kohlensäure erfüllt neben dieser Beschränkung der Feuersgefahr noch einen zweiten Zweck; die Verdünnungsmittel, die früher im Falle des Gebrauchs aus den Reservoiren herausgepumpt wurden, werden heute durch den Druck der Kohlensäure, unter dem sie lagern, an jede gewünschte Stelle mühelos befördert. Unter den Harzen, die zur Lackfabrikation verwendet werden, gibt es zwei, die gleichmäßig als Rohstoffe für öllacke wie für Spirituslacke dienen: das g e w ö h n l i c h e H a r z , auch Kolophonium genannt, und der K o p a 1. Das Harz wird hauptsächlich in Amerika und Frankreich produziert; die geringen Produktionen von Spanien und Griechenland sprechen kaum mit. Das französische Produktionsgebiet befindet sich in der Nähe von Bordeaux und Dax; es sind die sogenannten „ L a n d e s " , ein breiter, sandiger Küstenstreifen, auf dem sonst kein Baum und keine Pflanze gedeiht. Dort begann man am Ende des 18. Jahrhunderts die Secstrandkicfer anzupflanzen und mit Erfolg zur Harzgewinnung auszubeuten. Ein etwa anderthalb Meter langes Stück der Kiefer wird von der Rinde befreit und mit verschiedenen Einschnitten versehen; der Saft, der aus den Einschnitten hervorquillt, wird in einem kleinen Becher aufgefangen, der an jedem Stamme befestigt ist. Wenn Sie sich etwa von Bordeaux aus den „Landes" nähern, schlägt Ihnen schon von fern ein angenehmer, reiner Terpentinölgeruch entgegen. Diese terpentingetränkte Luft wird von den Ärzten für besonders heilkräftig gehalten. So hat man in Arcachon, einem kleinen Seeort an der südfranzösischen Küste, mitten im Kiefernwald, eine sogenannte Winterstadt errichtet, die von vielen Lungenkranken mit Erfolg besucht wird. Der Kiefernsaft, den man in den Bechern gesammelt hat, wird teils als Terpentin verkauft, teils einer Destillation unterworfen. Das dabei abfließende ätherische ö l nennt man Terpentinöl. Die zurückbleibenden festen Körper kommen als gewöhnliche Harze in den Handel. Die Lackindustrie erstrebt vor allem helle Produkte, denn sie sind am wertvollsten. Man kann als

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Regel aufstellen, je jünger der Baum, desto heller ist der Saft, und je heller der Saft, desto wertvoller wird das Harz. Auf ähnliche Weise wie in Frankreich wird das Harz in den Vereinigten Staaten von Nordamerika gewonnen. Nur wird statt der Seestrandkiefer die Sumpfkiefer benutzt. Die Hauptmärkte befinden sich in Florida, Georgia, Alabama, Mississippi, Louisiana, North Carolina, South Carolina und Texas. Diese produzierten im Jahre 1908 Terpentinöl im Werte von etwa 14 Millionen Dollars und Harz im Werte von etwa 18 Millionen Dollars. Für Deutschland ist die amerikanische Produktion von ungleich höherer Bedeutung als die französische. Der deutsche Gesamtimport von Terpentin und anderen Hartharzen betrug im Jahre 1908: 1296 869 dz, Wert 29 893 000 M., hiervon aus den Vereinigten Staaten 1 077 079 dz und aus Frankreich nur 127 507 Dz. Inländische Großkonsumenten für Harz sind neben der Lackindustrie noch hauptsächlich die Papier- und Seifenindustrie. Etwa der vierte Teil des deutschen Imports wurde im Jahre 1908 von Deutschland in andere Staaten exportiert, hiervon fast die Hälfte nach Rußland. Der zweite Rohstoff, der gleichmäßig für öl- und Spirituslacke verwendet wird, ist der K o p a 1. Er ist, seiner Entstehung nach, auch ein Baumharz, ebenso wie das Kolophonium, aber er hat eine andere Entwicklung zurückzulegen. Unter Kopalen versteht man Harze, die sich vor geraumer Zeit aus Baumsäften gebildet und durch einen langen Entwicklungsprozeß, zum Teil durch einen Lagerungsprozeß in der Erde, ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften wesentlich verändert haben. Im Vergleich mit dem gewöhnlichen Harz ist schon äußerlich die Härte des Kopals erheblich größer, und nach dem Maße seiner Härte richtet sich auch sein Wert. Es gilt als Regel: „Je jünger ein Kopal ist, d. h., je kürzer der Entwicklungsprozeß war, desto geringer ist seine Härte und folglich auch sein Wert." Welchen Baumsorten die Kopale, die wir heute finden, ihre Entstehung verdanken, läßt sich nur in wenigen Fällen mit Sicherheit feststellen; denn zum Teil sind nur die geringen Baumreste, die sich in den Kopalen selbst erhalten haben, die einzigen Anhaltspunkte für ihre Rekonstruktion. Es ist wahrscheinlich, daß manche dieser Baumsorten der heutigen Vegetation nicht mehr angehören. Eine Reihe der Kopale sind mit kreidigen Krusten Gewerblicho Einzelvorträge.

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bedeckt, unter denen das eigentliche Harz als eine mehr oder weniger zusammenhängende feste Masse liegt. Sie werden gesammelt, gereinigt und mit Messern geschabt, um später dem weiteren Fabrikationsprozeß einverleibt zu werden. Ähnlich müssen die Kopale, die aus der Erde ausgegraben werden, von einer Lehm- und Sandschicht befreit und gewaschen werden. Die Kopale werden aus den verschiedensten Ländern und unter den verschiedensten Namen importiert: aus Süd-Amerika, NeuCaledonien, Ncu-Seeland, Ost- und West-Afrika, Holländisch-Indien usw.; man bezeichnet sie als Manila, Borneo, Kowrie, Sansibar, Sierra-Lcone, Benguela, Congo usw. Für den Welthandel kommen als Hauptstapelplätze London, Amsterdam und Rotterdam in Betracht, Ein großer Teil der Kopale kommt unsortiert nach Europa, wird dann von Taxatoren je nach Größe und Härte klassifiziert und in einzelnen geschlossenen Losen auf Auktionen versteigert. Reflektanten ist gestattet, einige Tage vor den Auktionen die Partien zu besichtigen und ev. Muster zu nehmen. Kopal und gewöhnliches Harz sind die in der Lackindustrie am meisten verwendeten Harzsorten; daneben gibt es noch die verschiedensten anderen Arten. Besonders B e r n s t e i n , der, wie Sie wissen, an der Ostsee gewonnen wird, und der nur für die öllackfabrikation in Betracht kommt. Die verhältnismäßig kleinen Mengen, die am Strand gesammelt werden, genügen für den Bedarf keineswegs; darum wird die Großproduktion durch Baggerei und an verschiedenen Orten bergmännisch betrieben. Die Bernsteinwerke, welche früher der Königsberger Firma Stantien & Becker gehörten, wurden vor wenigen Jahren von der Preußischen Regierung erworben. Ein Harz, welches nur für die Spirituslackfabrikation verwendet wird, ist der S c h e l l a c k , der aus Indien importiert wird. Sein Hauptmarkt und seine Hauptläger befinden sich in London. Die Preisschwankungen, gerade in diesem Artikel, sind sehr erheblich. Der Import betrug im Jahre 1908 46 750 dz im Werte von 15 428 000 M. Zum Unterschied von den Spirituslacken, die meist auf kaltem Wege mit dem Verdünnungsmittel verbunden werden, werden bei öllacken die zunächst geschmolzenen Harze bei hoher Temperatur in L e i n ö l aufgelöst. Leinöl wird aus Leinsaat, teils durch hydraulische Pressung, teils durch Extraktion mit Schwefelkohlenstoff gewonnen, wobei eine

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Ausbeute von ca. 60% ö l erzielt wird. Der Rückstand dient zurViehfütterung und geht in großen Posten nach England, wo bekanntlich Stallfütterung eingeführt ist. In Harburg, Bremen, Stettin und am Niederrhein hat sich eine große Leinölindustrie entwickelt, die durch den deutschen Einfuhrzoll von M. 4.— per 100 Kilo fast jede ausländische Konkurrenz ausschließt. Der Import von Leinsaat betrug im Jahre 1908 4 468 208 dz im Werte von 104 224000 M. Hiervon kamen fast 8 / 9 , fast 4 Millionen dz aus Argentinien, der Rest, */»> aus Rußland. Sind Kopal und Öl miteinander verbunden, so werden sie auf eine niedrigere Temperatur abgekühlt und mit dem Verdünnungsmittel, meist Terpentinöl, und den Trockenstoffen versetzt. Danach ist indessen der Üllackfabrikationsprozeß noch längst nicht abgeschlossen. Zunächst geschieht eine .Reinigung des Lacks, die sich in modernen Betrieben meist durch Filterpressen vollzieht, hiernach wird der Lack in Reservoiren untergebracht, wo er zum Teil viele Monate, ja sogar selbst Jahre gebraucht, bis er für den Konsum geeignet ist. Um den Lack vor den gefürchteten Trübungen zu bewahren, die durch die kleinsten Verunreinigungen — schon solche in Staubgröße — entstehen können, muß er stets in warmen Räumen gelagert werden; dadurch bleibt er bei dünner Konsistenz und kann jede vielleicht noch vorhandene Unreinlichkeit leichter absetzen. Wenn die Lackindustrie im Laufe des letzten Jahrzehnts eifriger wie früher nach neuen Lackverdünnungsmitteln gesucht hat, so war dies nicht zum wenigsten eine Folge der rücksichtslosen Preispolitik der Amerikaner. Sie hatten die Terpentinölpreise so erhöht, daß der Lackindustrie jeder weitere aussichtsvolle Wettbewerb auf dem Weltmarkt unmöglich gemacht wurde. In dieser Notlage begann man das Terpentinöl durch vorzügliche Qualitäten Benzin zu ersetzen und zwar mit ganz besonderem Erfolge bei billigen Lacksorten. Auch unter der Preispolitik auf dem Spiritusmarkt hatte die Lackindustrie schwer zu leiden; indessen ist durch die Enquete der Reichsregierung vor ca. 3 Jahren Wandel eingetreten. Nach diesem Überblick, meine Damen und Herren, will ich Ihnen eine kurze Skizze der wirtschaftlichen Lage der Lackindustrie zu geben versuchen. Als Konsumenten von Lacken kommen sowohl Handwerker, wie Maler und Lackierer, in Betracht, wie Fabriken der verschiedensten T

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Branchen. Am bedeutendsten ist der Verbrauch der Maschinen-, Elektrizitäts- und Metallwarenfabriken. Trotzdem in Deutschland einige Hundert Lackfabriken existieren, ist die Konkurrenz unter ihnen beschränkt. Fast jede Lackfabrik hat ihre bestimmten Spezialitäten und einen bestimmten Kreis von Abnehmern. So arbeiten viele Fabriken nur mit Malern und Lackierern, andere nur mit der Industrie, Behörden und Händlern, andere nur mit ganz bestimmten Branchen der Industrie. Auch arbeitet nur ein Teil der Firmen nach allen Gegenden Deutschlands, andere beschränken sich auf einzelne Gebiete. Der Absatz von deutschen Lacken im Auslände ist durch die hohen Zölle erschwert, teilweise ausgeschlossen, z. B. werden 100 kg Lack in Österreich mit ca. 60 M., in Rußland mit ca. 200 M. verzollt, Infolgedessen haben sich verschiedene deutsche Fabriken veranlaßt gesehen, eigene Filialen im Auslande zu errichten, so in Österreich, Rußland, England, Schweden und Schweiz. Umgekehrt ist der Einfuhrzoll von Lacken nach Deutschland kein allzu hoher, 25M. per 100 Kilo auf öllacke und 30M. auf Spirituslacke, und schützt somit die deutsche Lackindustrie nur unvollkommen. Am regsten ist der Import aus England, den Vereinigten Staaten von Amerika und Holland; er wird durch ein vielfach verbreitetes Vorurteil der Konsumenten befördert, die besonders die englischen Lacke den deutschen vorziehen. Mit Unrecht, denn die deutschen Fabrikate sind heute nicht nur den ausländischen in der Qualität ebenbürtig, sondern können auch viel billiger geliefert werden. Ein Teil der staatlichen Verwaltungen verwendet schon seit langen Jahren keine ausländischen Lacke mehr, so z. B. die preußischen Staatsbahnen, die Rcichseisenbahnen und die Kaiserliche Marine. Der langjährige Import ausländischer Lacke nach Deutschland ist wiederum ein Beleg für eine deutsche Charaktereigenschaft, die schon so vielen Schaden — nicht nur auf politischem Gebiete — gestiftet hat, die übertriebene und unberechtigte Bewunderung und Servilität für alles, was aus dem Auslande kommt! Die Lackindustrie ist ein prägnantes Beispiel für viele andere, deren wirtschaftlicher Aufstieg durch ein Manko an nationalem Bewußtsein jahrzehntelang verzögert wurde! Man darf mit Sicherheit hoffen, daß die deutschen Lacke allmählich auf der ganzen Linie die ausländischen verdrängen, schon zwischen den Jahren 1907 und 1908 läßt sich ein erheblicher Rückgang des ausländischen Imports und gleichzeitig eine Zunahme des

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deutschen Exports konstatieren. Der ausländische Lackimport ging allein von 1907 auf 1908 von 3 Millionen auf 21/i Millionen, also um V« zurück; gleichzeitig stieg der deutsche Lackexport von 3,2 Millionen Mark auf 3,5 Millionen Mark. Zur ständigen Verbesserung ihrer Fabrikate und um die früher rein empirische und handwerksmäßige Lackdarstellung auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, beschäftigen die deutschen Fabriken schon seit Jahren eine Reihe von Chemikern. Zwar ist es bisher noch nicht gelungen, den chemischen Aufbau aller für die Fabrikation von Lacken verwendeten Rohstoffe mit Sicherheit zu erkennen und zuverlässige Normen für deren Analyse wie auch für die Untersuchung von Lacken zu finden. Trotzdem sind aber auf diesem Wege bedeutende Fortschritte gemacht worden und noch weitere zu erhoffen. Ich habe versucht, Ihnen in kurzen Zügen ein Bild von der wirtschaftlichen Bedeutung der deutschen L a c k industrie zu geben. Uber die Bedeutung der Industrie, welche ich jetzt besprechen will, können Sie sich selbst mit einem einzigen Blick durch diesen Saal orientieren. Sehen Sie auf die Farben der Decke und der Wände, auf die Farben Ihrer Kleider, Hüte, Stiefel, und Sie haben schon davon einen Vorbegriff von der wirtschaftlichen Bedeutung und der Vielgestaltigkeit der F a r b e n industrie. Wenn Sie weiter bedenken, daß die zahllosen Farben, die Sie im täglichen Leben um sich sehen, fast ausnahmslos aus deutschen Betrieben stammen, daß Deutschland Ys des gesamten Bedarfs aller Industriestaaten an Farbstoffen produziert, so haben Sie auch sofort eine ungefähre Vorstellung von der wirtschaftlichen Bedeutung der d e u t s c h e n Farbenindustrie. Man hat oft gesagt, die deutsche Farbenindustrie wäre die Krone des wunderbaren Baues der großen chemischen Gesamtindustrie, aber dieses Wort sagt fast noch zu wenig. War es doch die Farbenindustrie, die in kurzen Jahrzehnten einen so rapiden Aufschwung nahm, daß es schwer fällt, auf anderen Gebieten ähnliche Entwickelungen aufzufinden. War es doch die Farbenindustrie, die durch ihren weitverzweigten und gewaltigen Bedarf der ganzen chemischen Industrie neue und sichere Absatzhäfen schuf und ihr im eigenen deutschen Lande einen Rückhalt bot, der sie von den je nach der Lage des Weltmarktes schwankenden Bedürfnissen des Auslandes unabhängiger machte. Die Farbenindustrie ist nicht nur, wie Geheimrat W i t t

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es sagt, „die Krone des wunderbaren Baues der deutschen ehemischen Industrie", denn dies Bild setzt voraus, daß der Bau auch ohne sie bestanden habe, die Farbenindustrie ist vielmehr Stütze und Grundmauer, sie ist die Trägerin und Ernährerin der gesamten chemischen Industrie gewesen und ist es heute noch. Trotzdem ist es für einen Laien schwierig, sich die Verschiedenartigkeit der Farbenindustrie klar zu machen, zumal wir im Deutschen unter Farben alle die Arten verstehen, die sowohl in Kunst wie Industrie, in Technik wie Färberei verwendet werden, und die in Rohstoffen wie Fabrikationsarten grandverschieden sind. Schärfer unterscheiden die Franzosen, sie nennen die Farbe je nach ihrer Natur „teinte, couleur und pigment", und in ähnlicher Weise unterscheiden auch die Engländer zwischen „colour, paint und pigment". Es ist am zweckmäßigsten, die Farbarten nach ihrer verschiedenen Fabrikation in fünf Gruppen zu zerlegen. 1. i n E r d - u n d M i n e r a l f a r b e n , 2. i n c h e m i s c h e F a r b e n , 3. i n M c t a l l f a r b e n , 4. i n F a r b 1 a c k e und 5. i n A n i 1 i n f a r b e n. Jede dieser Gruppen hat ihre eigenen Rohstoffe und ihren eigenen Produktionsprozeß. Man könnte sie wie fünf selbständige Industrien behandeln. Trotzdem sie alle Farben fabrizieren, gibt es eine richtige Konkurrenz nur zwischen zwei von ihnen, der Farblack- und der Anilinfarbenindustrie. Dieser Verschiedenheit wegen werde ich jede Gruppe einzeln darstellen und ihren besonderen Produktionsprozeß und ihre besondere wirtschaftliche Lage und Bedeutung in den Grundzügen skizzieren. Die e r s t e Gruppe, die Erd- und Mineralfarben, werden, wie schon ihr Name verrät, aus erdigen Mineralien, wie Ocker, Braunkohle, Umbra, Bolus, Graphit, Ton, Kreide, Schwerspat, Schiefer und Manganerzen hergestellt und teils mit öl, teils mit Wasser angerieben. Die verschiedenen Mischungen der Farben erhalten die wunderlichsten Phantasienamen, unter denen sie in den Handel gebracht und Ihnen, meine Damen und Herren, bekannt werden. Alle werden nur für Anstrichzwecke verwendet; für Häuser, Türen, F u ß böden, Brücken, Schiffe, Eisenbahnwagen, sodann in der Tapeten-, Buntpapier- und Spielwaren-Fabrikation und noch für viele andere Industriezweige. Die Fabriken befinden sich, um die erheblichen Transportkosten zu vermeiden, vorzugsweise in den Gegenden, wo die Roh-

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erden gefunden werden, also in Thüringen, in Hessen-Kassel, im Harz, im sächsischen Vogtland und im nördlichen Bayern. Sie erzielen keine bemerkenswerten Verdienste, da die Anlagen und Einrichtungskosten im Verhältnis zum Absatz ziemlich bedeutende sind. Die z w e i t e Gruppe, die man die „chemischen Farben" nennt, sind besonders Blei-, Zink-, Chrom-, Kupfer-, Quecksilber-, Eisenhaltige Sorten, meistens Oxyde, Sulfide und Salze. Ein besonders wichtiger Faktor für ihre Fabrikation ist das AVasser. Hartes, eisenhaltiges oder kalkhaltiges Wasser ist völlig unbrauchbar, ebenso Wasser, das organische Bestandteile enthält. Im allgemeinen ist Flußwasser am geeignetsten; je weicher, d. h. je weniger kalkhaltig es ist, desto besser gelingen die Farben. Im Vergleich mit den Erd- und Mineralfarben ist die ganze Fabrikation der chemischen Farben schwieriger, sie erfordert größere Anlagen, d. h. zugleich größere Investierungen von Kapital. Der Konsum der chemischen Farben ist sehr verschiedenartig; sie werden zu allen möglichen Zwecken verwendet, unter anderem auch für Buchdruck, Lithographie, Kattunlind Tapetendruck. Die großen Fabriken dieser Gruppe befinden sich in Charlottenburg, Zwickau, Köln, Mühlheim, Aachen, Kassel. Als d r i t t e Gruppe habe ich die Metallfarben bezeichnet, die eine gewisse Sonderstellung einnehmen. Sie zerfallen hauptsächlich in drei Unterarten, in Bleiweiß, Zinkweiß und Lithopone. In der Regel stellt eine Fabrik nur eins dieser drei. Produkte her; alle drei dienen gleichmäßig zu Anstrichzwecken. Dem Konsumenten steht die Wahl frei, welches Produkt er für seinen Zweck vorziehen will. Im allgemeinen ist in Deutschland Bleiweiß am beliebtesten, während die nördlichen Länder Zinkweiß und Lithopone bevorzugen. Die Herstellung des Bleiweiß geschieht fast nur in Großbetrieben und beruht auf der Tatsache, daß metallisches Blei in Gegenwart von Sauerstoff, Feuchtigkeit und Essigsäure sich leicht in basisches Bleiazetat verwandelt, und daß aus diesem durch Kohlensäure Bleiweiß gefällt wird. Die hauptsächlichsten Fabriken befinden sich am Rhein, im Harz und in Schlesieu; diese haben in den letzten Jahren einen Verband gebildet und eine Konvention über Einheitspreise geschlossen. Die deutsche Bleiweißproduktion wird auf ca. 45000 Tonnen p. a. geschätzt, wovon mehr als ein Drittel im Werte von 5 762 000 M. im Jahre 1908 zur Ausfuhr gelangte. Die Zahl der beschäftigten Arbeiter ist nicht besonders erheblich, weil die Fabrikation sich haupt-

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sächlich in chemischen, von der menschlichen Arbeit unabhängigen Prozessen vollzieht. Z i n k w e i ß , d. h. Zinkoxyd, hat den Vorzug vor dem Blei weiß, daß es nicht giftig ist und die Fabrikation mit keiner Gefahr für den Gesundheitszustand der Arbeiter verbunden ist. Es wird entweder aus Zinkerzen oder metallischem Zink hergestellt. Die hauptsächlichsten Fabriken befinden sich am Rhein und in Schlesien. Der Export von Zinkweiß und Zinkgrau, d. i. ein minderwertiges Produkt, stellte sich im Jahre 1908 auf fast 9 Millionen Mark, während der Import nicht ganz 2 7 2 Millionen betrug. L i t h o p o n e , das dritte der genannten Produkte, hat in den letzten Jahren eine ungeahnte Verwendung gefunden und dem Bleiweiß sowie Zinkweiß große Konkurrenz gemacht, zumal es bedeutend billiger und gleichfalls sehr ausgiebig ist. Lithopone entsteht durch Mischen von schwefelsaurem Zinkoxyd (Zinkvitriol) mit Schwefelbarium und nachfolgendem Glühen des getrockneten Niederschlages. Die hauptsächlichsten Fabriken befinden sich in Bayern, Braunschweig, im Harz und in Schlesien. Ebenso wie die Bleiweißfabrikanten haben auch die Zinkweiß- und Lithoponefabrikanten Konventionen geschlossen, und es gibt wenige Fabriken, die außerhalb dieser Ringe stehen. Nach einer maßgebenden Schätzung dürfte die deutsche Lithoponeproduktion sich auf 350 000 Zentner stellen; exportiert wurden im Jahre 1908 für etwa 2V 2 Millionen Mark. Die v i e r t e und die f ü n f t e Gruppe, die F a r b l a c k e u n d A n i l i n f a r b e n , gehören zusammen, beide werden für dieselben Zwecke verwendet, und ich nehme das Resultat ihrer Konkurrenz voraus: die Anilinfarben waren die Sieger in diesem Wettstreit und haben die Bedeutung der Farblacke stark vermindert. Sie wissen alle, daß man im Altertum keine andern Farben kannte als diejenigen, die man aus Tier- und Pflanzenstoffen gewann. Sie haben bei Caesar gelesen, daß die Britannier ihren Körper mit Waid, einem blauen Pflanzenfarbstoff, bemalten. Sie haben gehört, daß schon die alten Phönizier die Purpurschnecke zum Färben der Priestergewänder benutzten. Sie finden noch heute an zahlreichen altrömischen Statuen Reste von ähnlicher purpurner Bemalung. Diese natürlichen Farbstoffe, zu denen noch Krapp, Galläpfel und Indigo hinzuzufügen sind, hat man niemals im Laufe der Jahrhunderte zu verwenden aufgehört.

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Erst neuerdings sind die natürlichen Farblacke ihrer altcrerbten Größe beraubt worden. • Man hat gelernt, sie künstlich — künstlich im Sinne von synthetisch — darzustellen und nicht nur in ihren Eigenschaften, sondern auch in ihrem chemischen Bau vollständig nachzubilden. Auf diesem künstlichen Wege hat man reinere, gleichmäßigere und billigere Produkte erhalten, als die Natur sie zu hefern vermochte. Wir kommen jetzt zu der f ü n f t e n Gruppe, die ihrer Produktion und ihrem Konsum nach in der Farbenindustrie die erste Stelle einnimmt, zu den A n i l i n f a r b e n . Anilinfarben werden aus Steinkohlenteer gewonnen. Steinkohlenteer wiederum bildet sich bei der Destillation der Steinkohle und bei der Koksbereitung. Die Produktion der Teerfarbstoffe hat die Färberei völlig revolutioniert. Die Tier- und Pflanzenfarbstoffe, die sie früher verwendete, sind fast verschwunden und durch die Anilinfarben ersetzt worden, die in ihren Nuancen viel klarer hervortreten und viel einfacher angewendet werden. Pflanzenindigo, welcher vor ca. 10 bis 12 Jahren in einem Werte von ca. 60 bis 80 Millionen Mark angebaut wurde, ist — ich möchte sagen — fast vollkommen der Konkurrenz des synthetischen Indigo gewichen und dürfte in gar nicht langer Zeit vollständig aus dem Handel verschwunden sein. Während früher fast sämtliche Farbstoffe aus dem Auslande im Betrage von vielen Millionen nach Deutschland importiert wurden, hat sich durch die Entstehung der Teerfarbenindustrie das Verhältnis vollkommen geändert. Deutschland e x p o r t i e r t ungefähr 75% seiner Produkte und zieht somit Hunderte Millionen in unser Land. Der deutsche Export von Anilinfarben und andern Teerfarbstoffen stieg von 1880, wo er 31 Millionen betrug, auf 77,3 Millionen im Jahre 1900 und auf 112,4 Millionen im Jahre 1907. Allein der Export von Indigo stieg von 1892 bis 1907 von 8,23 Millionen auf 42,58 Millionen, hat sich also in 15 Jahren mehr als verfünffacht. Im Jahre 1908 ging er indessen, infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Depression, ein wenig zurück, auf 40186 000 M., ein Rückgang, der um so unbedenklicher ist, als der Import von Indigo nur die Ziffer von 913 000 M. erreichte. Auch der Export von Alizarin und Alizarinstoffen hat sich bemerkenswert gesteigert, von 11,61 Millionen im Jahre 1892 auf 19 747 000 M. im Jahre 1908. Faßt man sämtliche Teerfarben zusammen, so betrug ihr Export im vergangenen Jahre 160 Millionen, in dem günstigeren Wirtschaftsjahr 1907 sogar 178 Millionen, eine

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Summe, deren Bedeutung in die Augen springt, zumal, wenn man bedenkt, daß nach einer schon vorher erwähnten Schätzung die gegenwärtige Gesamtproduktion der deutschen chemischen Industrie l V i Milliarde beträgt, also ungefähr der achte Teil dieser Gesamtproduktion als Teerfarben in fremde Länder exportiert wird. Der enormen Summe unseres Exportes in Anilinfarben steht nur ein Import von 4 377 000 M. gegenüber. Der Steinkohlenteer, den man früher für fast wertlos hielt und zu Brennzwecken konsumierte, gibt demnach Tausenden von deutschen Arbeitern dauernde Beschäftigung und dauernden Verdienst und erhöht den Wohlstand unseres Volkes. Je mehr die Beleuchtungsgasindustrie sich ausdehnt, desto stärker wird sich auch, wie man erwarten darf, die Steinkohlenteerproduktion vermehren. Diese gewaltigen Fortschritte verdanken wir in erster Linie den epochemachenden Erfindungen der deutschen Chemiker, ich nenne Namen wie A. W. Hoffmann, Kunge, Mitscherlich, Kekule, Liebcrmann, Bayer, Emil und Otto Fischer, 0 . N. Witt usw. Durch ihre Entdeckungen wurde die deutsche Anilinfarbenindustrie von Erfolg zu Erfolg geführt. Ich gebe nur ein Beispiel: Während 1866 das Kilo Fuchsin zu 1200 M. verkauft wurde, brachte man es bereits im Jahre 1895 zu 8 bis 9 M. an den Markt. Allmählich entstanden die großen Fabriken: die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen, Meister, Lucius und Brüning in Höchst, Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld, die hiesige Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation, Cassella & Co. in Frankfurt a. M., die Aktiengesellschaft Albert & Co. in Biebrich, ferner Fabriken in Barmen, Leverkusen bei Köln, Mühlheim in Hessen, Offenbach, Lörrach usw. Alle diese Fabriken werden von hervorragenden Chemikern geleitet und besitzen die vollendetsten Einrichtungen sowohl in ihren maschinellen Anlagen wie in ihren umfangreichen Laboratorien. Ich will nicht versäumen, Ilmen bei dieser Gelegenheit ein Beispiel vor Augen zu führen. Die wenigen Zahlen, die ich Ihnen geben werde, illustrieren ebensogut wie die ausführlichste Beschreibung die Großartigkeit der Anlage und die Ausdehnung des Betriebes. Ich wähle als Beispiel die beiden großen deutschen Anilinfabriken: die B a d i s c h e A n i l i n - u n d S o d a f a b r i k i n L u d w i g s h a f e n und F r i e d r i c h B a y e r & Co. i n E l b e r f e l d . Die erste wurde im Jahre 1865 gegründet und begann ihren Betrieb mit 30 Arbeitern;

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die Arbeiterzahl stieg 1875 auf 835, 1885 auf 2377, 1895 auf 4450 und 1905 auf 6972. An Arbeitslöhnen wurden im Jahre 1905 8 5 0 1 3 3 4 M. 39 Pf. bezahlt. Die Fabrik besitzt heute Filialen in Neuville sur Saöne in Frankreich und in Butirki bei Moskau. Ihr Aktienkapital beträgt 36 Millionen und 25 Millionen Obligationen; gegenwärtig steht der Kurs der Aktien auf ca. 375%. An Dividenden wurden gezahlt 1905 27%, 1906 30%, 1907 3 0 % , 1908 22%. Nach einer von der Verwaltung im Jahre 1900 herausgegebenen Broschüre beschäftigte die Fabrik außer den 7000 Arbeitern 197 Chemiker, 95 Ingenieure und 709 kaufmännische Beamte. Ihr Grundbesitz umfaßt 220 Hektar; das Etablissement besitzt 146 Dampfkessel mit 23 732 qm Heizfläche und 369 Dampfmaschinen mit 22 360 HP. Das Telephonnetz innerhalb der Fabrik besitzt 320 Stationen; das eigene Schienennetz 66,6 km. Fast ebenso bedeutend wie die Badische sind die Farbenfabriken von F r i e d r i c h B a y e r & C o . i n E l b e r f e l d , die nach einer Statistik vom Jahre 1908 203 Chemiker, 8 Mediziner, 3 Juristen, 45 Ingenicure. 79 Techniker der Bau- und Maschinenbranche, 281 andere technische Beamte, 899 kaufmännische Beamte und Bureaugehilfen und 6050 Arbeiter beschäftigten. Im ganzen gibt es in Deutschland 27 Anilinfarbenfabriken, die Ende 1907 23482 Arbeiter beschäftigten. Nach dieser Einzeldarstellung der Lack- und Farbindustrie will ich noch zu einem beide Industrien gleichmäßig berührenden Punkte übergehen. Als in den letzten Jahrzehnten in allen Branchen der deutschen Industrie die Konventions- und Kartellbewegung begann, wurde auch in der Lack- und Farbenindustrie das Bedürfnis empfunden, Verbände zu begründen, die die Interessen der einzelnen Branchen wahrnehmen sollten. Für die Lackindustrie gaben die Konferenzen zur Vorbereitung der Handelsverträge im Jahre 1900 den äußeren Anstoß. Es kam in Frankfurt a. M. ein „Verband deutscher Lackfabrikanten" zustande, der zunächst nur 40 Fabriken zählte, heute aber auf eine Mitgliederzahl von 131 Fabriken angewachsen ist. D a die Lackindustrie keine Standardmarken, sondern nur eine bunte Reihe der verschiedenartigsten Fabrikate herstellt, konnte sich bisher der Verband — trotz wiederholter Anregungen — zu keiner Preiskonvention entschließen, wie sie in andern Industrien getroffen wurden. In der

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Farbenindustrie wurde gleichfalls eine Reihe von Verbänden und Konventionen geschlossen, die sich nach Branchen und geographischen Gebieten unterschieden und im Gegensatz zur Lackindustrie auch Preiskonventionen enthielten. Fast sämtliche bestehende Verbände der Lack- und Farbenindustrie haben sich im vorigen Jahre zu einem „Zentralausschuß" vereinigt, der seinen Sitz in Berlin hat und gegenwärtig 7 Verbände mit ca. 700 Firmen und Fabriken umfaßt. Nehmen wir in einem kurzen Rückblick noch einmal die Ergebnisse zusammen: Die Lackindustrie, wenn auch kein Hauptteil, so doch ein wichtiger Bestandteil der chemischen Industrie, ist in einem kräftigen Aufstieg begriffen und der Qualität wie der Billigkeit ihrer Produkte nach imstande, die ausländischen Fabrikate im Inland zu schlagen und selber in immer steigendem Maße ins Ausland zu exportieren. Neben ihr, aber sie weithin überschattend, steht die mächtige deutsche Farbenindustrie, die durch eine denkwürdige Verbrüderung von Gewerbefleiß und Wissenschaft in wenigen Jahrzehnten aus einem Nichts hervorgezaubert wurde, die in einem unerhört glänzenden Aufschwung sich alle Länder der Erde erschloß und vier Fünftel des gesamten Konsums an Farbstoffen an sich riß, die durch ihren weitverzweigten und gewaltigen Bedarf an Rohmaterialien zur Ernährerin, Trägerin und Stütze der gesamten chemischen Industrie geworden ist. Sie ist eine wichtige Potenz in der Umformung der gesamten deutschen Volkswirtschaft, die sich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts vollzieht, auch heute noch in vollem Flusse ist und deren Ausgang uns allen dunkel und problematisch erscheint, trotzdem einige voreilige Hände schon des öfteren ihren geheimnisvollen Schleier zu lüften wähnten. Aber innerhalb dieses Umformungsprozesses und innerhalb des allgemeinen Aufschwunges unserer gesamten, insbesondere unserer chemischen Industrie haben wir die verschiedensten Schwankungen und Krisen, die verschiedensten wirtschaftlichen Krankheiten und Beinbrüche zu überwinden gehabt. Erst im vergangenen Jahre hatte die deutsche Industrie eine schwere Depression zu überstehen, die auch — wie meine Zahlen Ihnen zeigten — an der deutschen Lackund Farbenindustrie leider nicht spurlos vorüberging. Bis in die ersten Monate dieses Jahres hielt diese allgemeine Mißstimmung an; erst jetzt, im begonnenen Frühling, scheint auch die Lack- und Farben-

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industric zu neuem Leben zu erwachen. Von allen Seiten mehren sich die Kachrichten, die eine Wiederkehr des Vertrauens und größerer Umsätze ankünden. Wenn nicht alle Zeichen trügen, werden die übrigbleibenden Monate des Jahres 1909 imstande sein, die Ausfälle der ersten Monate zu decken, um einen neuen wirtschaftlichen Aufstieg einzuleiten. Quod felix faustumque sit!

VI. Anhang-. Literaturnachweise. Von

Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin.

I. Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. W i t t , 0., Die chemische Industrie des deutschen Reiches im Beginne des 20. Jahrhunderts. Eine Festschrift. Berlin 1002. M ü l l e r , G., Die chemische Industrie in (1er deutschen Zoll- und Handelsgesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Berlin 1902. S c h n i t z e , II., Die Entwicklung der chemischen Industrie in Deutschland seit dem Jahre 1875. Berlin 1908. Die chemische I n d u s t r i e , Zeitschrift hrsg. von 0 . N. W i t t .

II. Warenhäuser und Spezialgeschäfte. S t e i n d a m m , J., Die Besteuerung der Warenhäuser. Berlin 1903. l l o s c h k e , H., Das Dctaillistenkaufhaus. Dresden 19ÜG. W e r n i c k e , J., Kapitalismus und Miltclstandspolitik. Jena 1907. O o l z e , L., Berliner Warenhäuser. Berlin und Leipzig 1908.

III. Die Organisation des Kupferhandels. J a c o b s o n , E., Terminhandel in Waren. Deutsch von F. Stapif. Rotterdam 1889. The Copper Handbook. A Manual of the Copper Industry of the World. Houghton, Mich, alljährlich. D e n k s c h r i f t betreifend Errichtung einer Metallbörse zu Berlin. Berlin 1907.

IV. Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte. Hecht,

F., Die staatlichen und provinziellen Bodenkreditinstitute in Deutschland. 2 Bde. Leipzig 1891. H e c h t , F., Der europäische Bodenkredit. Leipzig 1900. Schneider, Finanzieller Berater in Grundstücks- und Hypothekenangelegenheiten. 2. Auflage. Berlin 1904. M a k l e r - M e r k b u c h , Handbuch f ü r den gesamten Bau-, Grundstücks- und Hypothekenverkehr. Hrsg. v. F. H o n i g e r und L. N a s t . Berlin 1906. M ü l l e r , G., Karten zur Berechnung des Grund- und Bodenwertes in Berlin und den Vororten von Berlin. 2 Bde. 1906 u. 1909. Berlin 1909. Gewerbliche Einzelvorträge.

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