Gewerbliche Einzelvorträge: Reihe 2 [Reprint 2020 ed.]
 9783112336823, 9783112336816

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KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN

Gewerbliche Einzelvorträge gehalten in der Aula der

Handelshochschule Berlin Herausgegeben von den Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin Erste Reihe Inhalt: I. Die Entwicklung der elektrischen Industrie. Vortrag des Herrn Geheimen Regierungsrat Professor Dr. A r o n . II. Die Einrichtungen an der Berliner Börse. Vortrag des Hemi Kommerzienrat M. R i c h t e r . III. Geschichte und Technik der Textilindustrie. Vortrag des Herrn Stadtrat Dr. W e i g e r t . IV. Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte. Vortrag des Herrn H e r m a n n H e c h t V. Das Verkehrsbureau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Bureaudirektor H o f f m a n n . VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation

der Kaufmannschaft

von Berlin

(Elektrische Industrie. — Berliner

Börse. — Textilindustrie. — Exportgeschäfte. — Eisenbahnverkehr).

Preis der I. Reihe M. 2.— HANDELSHOCHSCHULE BERLIN

Vorlesungen und Übungen im Winter-Semester 1908/9

Ein Verzeichnis sämtlicher an der Handelshochschule Berlin angekündigten Vorlesungen nebst genauerer Inhaltsangabe. Preis 30 Pf., mit Porto 35 Pf.

Durch alle Buchhandlungen zu beziehen.

VERLAG VON GEORG REIMER BERLIN W. 35.

KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN

Gewerbliche Einzelvorträge Gehalten in der Aula der Handelshochschule Berlin Herausgegeben v o n den

Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin

Zweite

Reihe

Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1908

Vorwort zur Zweiten Reihe. Die „Gewerblichen Einzelvorträge", die in dem ersten Jahre des Bestehens der Handelshochschule Berlin begründet wurden, haben in dem zweiten Jahre ihren Fortgang genommen. Gegen Ende des Wintersemesters 1907/8, sowie zu Anfang des Sommersemesters 1908 wurden vier fernere Vorträge gehalten, die hier mit Genehmigung und unter Mitwirkung der Vortragenden im Druck erscheinen. Während bei der Auswahl des Vorjahres das Hauptgewicht darauf gelegt wurde, Bilder aus einzelnen Geschäftszweigen in ihrer Eigenart zu geben, wird die vorliegende Sammlung mehr dazu dienen, geschäftliche Tätigkeiten, die für alle Geschäftszweige von gleichem Interesse sind, zur Anschauung zu bringen. Sowohl die „Kaufmännische Auskunftserteilung" als auch die „Lieferungs-, Börsen-, Termin- und Spekulationsgeschäfte in Waren" wie endlich das „Deutsche Zahlungswesen unter Berücksichtigung des Überweisungs- und Scheckverkehrs" sind Gegenstände, zu denen alle Geschäftszweige in mehr oder weniger engen Beziehungen stehen. — Die Einrichtungen der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin, die in diesen Vorträgen nach und nach zur Behandlung gelangen sollen, sind diesmal ebenfalls durch die allgemeinste dieser Einrichtungen, die Bibliothek, vertreten. Auch der vorliegenden Sammlung sind Literaturnachweise für weitere Studien beigegeben. Wir verfehlen nicht, allen, die uns durch ihre Mitwirkung die Ausführung ermöglicht haben, unseren ganz besonderen Dank auszusprechen. B e r l i n , im Oktober 1908.

Die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. K a e m p f.

Weigert. 1*

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Vorwort.

Aus dem Vorwort zur Ersten Reihe. Der Lehrplan der Handelshochschule Berlin sieht unter „Handelswissenschaften" neben der allgemeinen Handelsbetriebslehre auch Vorlesungen über die „Betriebslehre einzelner Handelszweige" vor. Hierbei ist daran gedacht, im Laufe der Zeit f ü r jede wichtige Branche eine Vorlesung einzurichten, die einen Überblick über Entwicklung, Stand und Geschäftsbetrieb innerhalb des Erwerbszweiges gewährt ; und zwar sollte weder die technische, noch die volkswirtschaftliche, sondern gerade die privatwirtschaftlich-geschäftliche Seite der kaufmännischen und industriellen Tätigkeit die Hauptsache bilden. Die Ausführung dieses Planes bietet insofern Schwierigkeiten, als Personen, die solche Vorlesungen zu übernehmen geeignet und bereit sind, unter Theoretikern wie unter Praktikern schwer zu finden sind. Wenn auch die Theoretiker die Entwicklung des Geschäftslebens in seinen einzelnen Zweigen mit Interesse verfolgen, so heftet sich bei ihnen dasselbe doch überwiegend entweder an die volkswirtschaftliche oder an die technische Seite, ohne daß die Literatur dem gelehrten Fachmanne genügende Handhaben böte, um gerade in die geschäftlichen Eigenheiten der einzelnen Branchen einzudringen, die den Gegenstand solcher Vorlesungen zu bilden hätten. Die Praktiker hingegen, die diese geschäftliche Seite vollständig überblicken, sind nur in seltenen Ausnahmefällen geneigt, sie zum Gegenstande größerer zusammenhängender Darlegungen zu machen. So kam es, daß in den bisherigen Vorlesungsverzeichnissen der Handelshochschule die Rubrik f ü r „einzelne Handelszweige" den angestrebten Ausbau noch nicht gefunden hat. E s sind bisher überwiegend solche Branchen vertreten, die, wie das Bankwesen oder das Exportgeschäft, viel zu umfassend sind, als daß sie mit der Benennung als „einzelner Handelszweig" richtig bezeichnet wären, oder solche, denen die besondere Berücksichtigung aus anderen Gründen und unter anderen Gesichtspunkten eingeräumt wurde, wie der Kolonialhandel, das Versicherungsgeschäft, der Eisenbahnverkehr u. a. m. Da andererseits in der kaufmännischen Bevölkerung Berlins ein Bedürfnis nach derartiger Belehrung vorhanden ist, und namentlich

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Vorwort. auch aus den Kreisen

v o n Kaufleuten, die sich an der Handels-

hochschule als Hospitanten und Hörer beteiligten, fortdauernd solche Wünsche geäußert wurden, für den Lehrplan

so haben wir — ohne jene Absichten

der Handelshochschule aufzugeben —

uns

ent-

schlossen, ihnen auf andere Art entgegenzukommen, indem wir zunächst einen Zyklus „gewerblicher Einzelvorträge" begründeten, denen jedem Gewerbe sein sollte.

lediglich ein einmaliger Vortrag

in

gewidmet

Die Aussicht, Männer der Praxis für solche einmaligen

Vorträge zu gewinnen, war größer, als wenn ihnen eine zusammenhängende Vorlesungsreihe zugemutet

würde.

Unsere Hoffnung h a t uns in dieser Beziehung nicht getäuscht. Von den fünf Vorträgen, die hier als Erste Reihe zusammengefaßt erscheinen, sind drei v o n Mitgliedern unserer Korporation gehalten, während ein fernerer Vortrag eine dem Geschäftsleben gewidmete Einrichtung der Korporation betrifft, die durch ihren Leiter vertreten ist.

Für den Vortrag,

der die Sammlung

eröffnet, ist

es

uns gelungen, einen Redner zu gewinnen, der das theoretische wie das praktische Gebiet seines Industriezweiges in gleich anerkannter Weise

beherrscht.

Keiner der hier wiedergegebenen Vorträge beabsichtigte, seinen Gegenstand

zu

erschöpfen.

Die

vorliegende Veröffentlichung will

vielmehr ihre Leser zu weiteren Studien anregen. Hilfsmittel

sind

in

der

den

Weitere literarische

Korporationsmitgliedern

und

den

Studierenden allgemein zugänglichen Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft

von

Berlin enthalten

erschienenen „Katalog" verzeichnet. Bücher für erste Studien

Um

zu erleichtern,

Literaturnachweise beigefügt.

und

in ihrem im

eine Auswahl

Dluck

geeigneter

sind im Anhang

einige

Inhalt. Seite

I. K a u f m ä n n i s c h e A u s k u n f t s e r t e i l u n g i n a l t e r u n d n e u e ster Zeit.

Vortrag des Herrn W. S c h i m m e l p f e n g

II. D i e w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g v o n L i e f e r u n g s - , B ö r sentermin-

und

Spekulationsgeschäften

in

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Waren.

Vortrag des Herrn W. K a n t o r o w i c z , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin

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III. D e u t s c h e s

Zahlungswesen

des Oberweisungs-

und

unter

Berücksichtigung

Scheckverkehrs.

Vortrag des

Herrn J. K a e m p f , Präsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin

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IV. D i e B i b l i o t h e k d e r K o r p o r a t i o n d e r K a u f m a n n s c h a f t von Berlin.

Vortrag des Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekars der

Korporation der Kaufmannschaft von Berlin V. Anhang:

Literaturnachweise.

Dr. R e i c h e .

Von

Ol Herrn

Bibliothekar

(Kaufmännische Auskunftserteilung. — Lieferungs-,

Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte in Waren. — Deutsches Zahlungswesen. — Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin)

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I. Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit. Vortrag' des Herrn W.

Seliiinmelpfong.

Unser ganzes soziales Leben in Geselligkeit, Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft beruht zum Teil darauf, daß wir uns untereinander Auskunft geben. Immer aber hat es die Auskunft mit einem praktischen Interesse zu tun, dem sie dienen soll, und es leuchtet sofort ein, daß das Bedürfnis nach Auskunft, ihre Bedeutung und ihre Mannigfaltigkeit sehr klein und beschränkt gewesen sind und es noch sind in den Anfängen der Kultur. In dem Grade, wie in einem Lande Bildung und Gesittung zunehmen, insbesondere sich dort die Handelsbeziehungen erweitern und Industrien entstehen und erstarken, wächst immer auch das Auskunftsbedürfnis und mit ihm das Bemühen, auf bequeme Weise ihm Befriedigung zu verschaffen. Unsere Zeit hat darin Großes erreicht. Wenn heute auf der Straße ein Kind an uns herantritt und uns fragt, wieviel es wohl an der Zeit sei, so tut es dies, weil es weiß, daß sich in unserer Tasche ein außerordentlich zuverlässiger und allzeit bereiter Auskunftsgeber, die Uhr, befindet, während in grauer Vorzeit jung und alt darauf angewiesen waren, bei der Sonne am Himmel sich ihre Auskunft zu holen. Planen wir eine Reise im Inoder Ausland oder selbst nach Übersee, so sind wir durch einen Blick in ein Kursbuch ohne jede Schwierigkeit in den Stand gesetzt, uns auf das genaueste über Wege, Entfernungen und Reisekosten zu unterrichten. Nötigenfalls gibt uns ein Reisebureau nähere Aufschlüsse. Für die mannigfachen Fragen des allgemeinen Wissens, wie sie der Gebildete unserer Tage fortgesetzt aufwirft, haben wir in den Konversationslexiken, den Enzyklopädien und anderen Nachschlagebüchern Auskunftsstellen von hohem Wert; über alle Fragen der Politik und über die täglichen Begebenheiten des In- und Auslandes geben uns Tages- und Fachzeitungen den nötigen Aufschluß; Seismographen verzeichnen uns die fernsten Erdbeben und deren Dauer, und schon sind wir so weit, das kommende Wetter vorherzusagen.

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Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

So hat sich das Auskunftswesen in alle Schichten und Beziehungen unseres Kulturlebens hinein entwickelt, verzweigt und organisiert. Vor 19 Jahren erschien es mir als ein Bedürfnis, für die von mir begründete Anstalt zur Unterscheidung von anderen Unternehmungen statt des Titels „Auskunftsbureau" eine gute deutsche Bezeichnung zu wählen. Ein befreundeter Germanist erfand mir dazu das Wort „Auskunftei". Ich habe es leider unterlassen, mir dieses Wort für meine Bestrebungen schützen zu lassen, und die Folge war, daß es rasch einen Eroberungszug antrat, demzufolge wir es jetzt für alle möglichen ähnlichen und unähnlichen Geschäfte angewandt sehen, selbst in Restaurants finden wir — durchaus praktisch, den Bedürfnissen entsprechend — eine Auskunftei. Unter der kaufmännischen Auskunft, die uns heute beschäftigen soll, wird allgemein die verstanden, die Aufschluß über die Kreditfähigkeit einer Person oder Firma gibt. Erst in neuerer Zeit konnte sie Gegenstand einer berufsmäßigen Tätigkeit werden. Das Bedürfnis des Kaufmanns nach schnellen Auskünften wurde erst gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts besonders dringend und stark, während die Vorbedingungen zu seiner Befriedigung von einer Zentralstelle aus erst mit der damals einsetzenden Entwicklung unserer gesamten Verkehrsverhältnisse so völlig erfüllt waren, daß sich damit auch die Beschaffung der kaufmännischen Auskunft zu einem selbständigen Berufszweig ausbilden konnte, wie dies im Bankgeschäft, im Warentransport und in verschiedenen Versicherungsarten schon früher der Fall gewesen ist. Daß im Altertum das Auskunftsbedürfnis keine erhebliche Rolle spielte und daß wenigstens von Organisationen zu seiner Befriedigung nichts verlautete, liegt keineswegs daran, daß der antike Handel etwa einen zu geringen Umfang gehabt hätte. Aber der Handel spielte sich entweder im Verkehr unter Personen ab, die einander kannten; oder die Erforschung fremder Völker und Länder war so sehr eine Hauptleistung des Handels selbst, daß ihre Ergebnisse nicht im Wege der Auskunftserteilung weggegeben wurden. Daher hören wir weder in Phönizien noch in Babylonien oder Ägypten, noch in Griechenland oder in Rom von Veranstaltungen zur Auskunftserteilung in unserem Sinne. Was unser Handelssachverständiger für Südafrika in einem vorjährigen ausführlichen Bericht über südafrikanische Handelsbeziehungen sagt, nämlich:

Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

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„Die besten Informationen über ein Land, über die Art der dort am meisten gewünschten Ware, über die allgemeinen bestehenden Verhältnisse, über die günstigsten Jahreszeiten für den Absatz bestimmter Produkte wird man natürlich stets erreichen, wenn man die Kosten der Aussendung eines tüchtigen fach- und sprachkundigen Herrn nicht scheut", das galt im Altertum allgemein. — Auch im Mittelalter bewahrte der Handel denselben Charakter, daß der Verkehr von Mensch zu Mensch auf genaue Personenkenntnis begründet war und die Auskunftserteilung entbehren konnte, während alles, was der Verkehr mit fremden Ländern und Völkern an Auskunftswürdigem brachte, als Geschäftsgeheimnis gehütet wurde 1 ). Lange über die Grenzen des Mittelalters hinaus bewahrte der Handel die alten Formen. Versetzen wir uns in die Zeit vor 150 Jahren, also in die Zeit, wo die höchste Blüte deutscher Literatur bereits angebrochen war; trotzdem war es noch immer die Zeit der Zünfte und Innungen, die nicht bloß den Handwerkerstand, sondern auch den Kaufmann bezüglich der Lehrlingszeit, des Befähigungsnachweises, der Geschäftserrichtung und des Geschäftsbetriebes in feste Bande fügte. Von den wirtschaftlichen Zuständen zur Jugendzeit unseres Geistesheroen Goethe gibt W i l h e l m B o d e in seinem jüngst erschienenen Buche „Amalie, Herzogin von Weimar" folgende Schilderung: „Die thüringischen Fürstentümer waren für sich bestehende, wirtschaftlich vollständige und wirtschaftlich abgeschlossene Einheiten. Auf Steigerung des Verkehrs und des Handels legten ihre Regenten durchaus keinen Wert. Für den Eintritt in die Städte erhoben sie Torsperrgelder, für die Benutzung der Landstraßen Geleitsgelder. Jedermann arbeitete für den eigenen Bedarf und denjenigen seiner Landesgenossen; das war gewissermaßen gesetzliche Vorschrift. Der Weimarer Landmann hatte durchaus nicht das Recht, seine Ernte oder sein Gemüse oder seine jungen Hühner an denjenigen zu verkaufen, der das meiste bot, also etwa an einen fremden Mann aus Erfurt oder Gera, sondern er mußte seine Waren auf den Markt seiner Stadt zu denen, die ihrer bedurften, bringen und sie zur gesetzlichen Taxe verkaufen. Noch nicht einmal an Aufkäufer aus seiner Marktstadt durfte er sie abgeben, etwa Butter und Eier an Hökerinnen. Die Felle, die der Bauer den geschlachteten Tieren abzog, durfte er nur an die Gerber oder Kürschner in Weimar oder Eisenach verkaufen, und wenn er seine Lumpen einem fremden Lumpensammler ließ, so bekam er es mit dem Papiermüller zu Oberweimar zu tun, der auf alle Lumpen im Lande das einzige Recht hatte. Immer galt das Gesetz, daß Erzeuger und Verbraucher einander in die Augen sehen mußten." ') In dem Vortrage waren die einschlägigen Verhältnisse des antiken Handels genauer besprochen. In Rücksicht auf den Zweck der vorliegenden Sammlung wurden die Einzelheiten an dieser Stelle weggelassen. Ihre Veröffentlichung an anderem Orte bleibt vorbehalten.

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Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

Gab es nun auch Städte und Gegenden in Deutschland mit besseren Zuständen in Handel und Industrie, so bleibt es doch kennzeichnend, daß Weimar, als die Fürstin Amalie im Jahre 1756 dorthin kam, noch keine eigene Reichspostanstalt hatte, daß es nur zehnmal in der Woche seine Briefe aus Buttelstedt erhielt und daß noch 100 Jahre später, bis 1847, das Briefporto nach Paris 1,70 M., nach den Vereinigten Staaten von Amerika 4,70 M. kostete. Bei solchen Zuständen ist es erklärlich, daß sich damals und noch lange nachher der Kreditverkehr, weil er sich viel auf alte Verbindungen stützte und durch Reisende und Agenten gepflegt wurde, mit der sogenannten geschäftsfreundlichen Auskunft, nämlich der Auskunft eines genau Bekannten über einen ihm wieder Bekannten zu behelfen vermochte. Freilich hat sich im Laufe der Zeit dieser an sich edle und schöne Begriff bis zur Verzerrung mißbrauchen lassen müssen. Nach Beendigung der napoleonischen Kriegs jähre trat in Handel und Wandel ein Aufschwung ein, durch den der allgemeine Wohlstand erheblich gesteigert wurde. Neue Ideen, neue Grundsätze erfüllten die Welt; eine freiheitlichere Gesetzgebung, sowie eine neue Einschätzung des Wertes von Handel und Industrie führten zur Niederreißung alter Verkehrsschranken, zur Einführung der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit. Dampfschiff, Eisenbahn und Telegraph, die Verbesserung alter und die Erschließung neuer Verkehrswege, die Einführung eines immer schnelleren und billigeren Postdienstes, eine erwachende Lust zu neuen Unternehmungen, neue großartige Erfindungen riefen eine gewaltige Umwälzung hervor; so entwickelte sich mit Mitte des vorigen Jahrhunderts ein Verkehr und Güteraustausch, dessen Ausdehnung und Größe wenige Jahrzehnte zuvor niemand für möglich halten konnte. In der Postanstalt zu Weimar gehen heute im Jahre 12 Milüonen Briefe, Karten, Geschäftspapiere und Warenproben aus und ein, über 300 000 Pakete kommen dort an, 250 000 werden versandt; der Postanweisungsverkehr beläuft sich auf 25 000 000 M. Hatte die älteste Zeit und die Zeit der Zünfte und Innungen den Vorteil für sich, daß der Handel vornehmlich von Leuten betrieben wurde, die mit ausreichendem eigenen Kapital arbeiteten, so wurde es nun immer mehr Brauch, sich die Betriebsmittel ganz oder teilweise durch Kredit zu beschaffen. Aus diesem Grunde und weil es unter

Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

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den neuen Verhältnissen möglich wurde, Geschäfte in erweitertem Umfange zu betreiben und auf weite Entfernungen hin abzuschließen, mußte die Auskunft über die Kreditfähigkeit eine immer größere Bedeutung erlangen, zugleich aber auch die geschäftsfreundliche Auskunft mehr und mehr versagen, denn nun fehlten die Bekanntschaften immer mehr da, von wo man Aufschluß bedurfte, während die vorhandenen immer weniger damit dienen konnten und wollten, weil die Erkundigung mit der Zeit nicht nur schwieriger, sondern auch verantwortungsvoller wurde. Dieser Umschwung zeigte sich in allen Kulturstaaten; aus innerster Notwendigkeit geboren, zeitigte er die Erscheinung, daß in den hauptsächlichsten Handelsländern ziemlich zu gleicher Zeit und ganz unabhängig voneinander einige Personen auf den Gedanken verfielen, die kaufmännische Auskunftseinholung zu einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit zu machen, und daß sich auch Geschäftsleute zusammenfanden, um den gesteigerten Gefahren des neuen Kreditverkehrs durch engeren Anschluß aneinander besser begegnen zu können. Bei dem Vorsprung, den Englands Handel vor anderen Ländern voraus hatte, ist es natürlich, daß sich in diesem Lande das erste Bureau bildete, das es unternahm, Nachrichten zu sammeln, die den Kreditverkehr vor Schaden bewahren konnten, „to protect the commercial community against swindlers and dishonest traders". P e r r y s Original Bankrupt and Insolvent Registry Office in London führt auf Grund von Aufzeichnungen über Konkurse, Pfändungen usw. sein Entstehungsjahr auf 1776 zurück. Diese Aufzeichnungen wurden später systematisch gesammelt und erweitert und .in P e r r y s Gazette in wöchentlich erscheinenden Nummern der Geschäftswelt zugängig gemacht. In dem Band von 1835 findet sich folgende Ankündigung: „At this office information may be obtained by subscribers of the failure of any individual as bankrupt, insolvent, suspending payment, compromising with creditors by assignments, trust deeds, warrant of attorney or bonds, of accomodation bills, swindling and fictitious firms, fraudulent and gambling transactions, embezzlements, police reports, advertising money lenders, giving false references, obtaining goods or houses by fraud, offering worthless bail, and every species of information calculated to

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Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

protect bankers, merchants, solicitors, companies, institutions, assurance offices, landlords, auctioneers, trustees, etc. Subscribers may be preserved from losses through fraud of all kinds by previous application at this office. They are also requested to make every communication that may tend to protect t h e members, which will be confidentially preserved. Terms of subscription, including the delivery of the weekly publication Lstg. 2.12. 6. per annum." Zu einer Auskunftei in unserm heutigen Sinne hatte sich jedoch P e r r y s Office damals noch nicht entwickelt. S t u b b s & C o . (jetzt Stubbs Ltd.), die sich 1836 etablierten, widmeten sich zuerst nur der schriftlichen Auskunftserteilung, doch gibt auch diese Firma seit 1854 gleich P e r r y eine Wochenschrift heraus. Die Massenhaftigkeit der darin enthaltenen Angaben, die zudem vielfach Privatleute betreffen, erschwert es den Abonnenten außergewöhnlich, den rechten Nutzen daraus zu ziehen. Die schriftlichen Auskünfte der englischen Bureaus ließen lange Zeit in bezug auf Gründlichkeit und Ausführlichkeit viel zu wünschen übrig, kennt doch England auch heute noch nicht einmal die Einrichtung des Handelsregisters; dies wird erst seit einigen Jahren, bis jetzt aber vergeblich, erstrebt. Referenzbücher (Commercial Credit List) führte die Firma E s t e l l & C o . anfangs der sechziger J a h r e ein. E s bestehen in England auch eine Anzahl Bureaus unter dem Namen Trade Protection Society. Die englischen Bureaus legen viel Wert auf die Einziehung von Außenständen. Einen günstigen Boden fand die Neuerung der berufsmäßigen Auskunftsbeschaffung in den Vereinigten Staaten von Amerika, weil dort durch den Zustrom von Einwanderern in ganz ungewöhnlicher AVei.se immer neue Geschäfte und neue Ortschaften entstanden. Hier war es ein Advokat, namens T a p p a n , der sich zuerst mit der Beschaffung kaufmännischer Auskünfte gegen Entgelt befaßte. Seine 1841 angefangenen Aufzeichnungen kamen nach und nach in verschiedene Hände, zuletzt an die Firma R. G. D u n & C o., die deshalb ihr Entstehen auf das genannte J a h r zurückführt; sie befaßt sich auch mit Inkasso von notleidenden und zweifelhaften Außenständen. Im Jahre 1849 bildete sich sodann in New York die B r a d S t r e e t C o m p a n y ; ihr gebührt das Verdienst, die sogenannten Referenzbücher zuerst eingeführt zu haben, d . h . Adreßbücher von

Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

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Firmen mit Angaben über deren Vermögen und Kreditfähigkeit, die jährlich in vier Ausgaben erscheinen und außerdem wöchentlich durch gedruckte Nachträge ergänzt und berichtigt werden. Diese Referenzbücher der amerikanischen Auskunfteien enthalten jetzt rund l 1 / 2 Million Firmen. In den vorjährigen vier Büchern der B r a d s t r e c t C o m p a n y wurden nicht weniger als 941 632 Ergänzungen und Berichtigungen vorgenommen; der größte Teil entfiel dabei auf neue und gelöschte Firmen, der kleinere, aber immerhin noch einige 100000 Ergänzungen aufweisende Teil auf Änderungen in Kapital und Kredit. Eine dritte Gesellschaft M c. K i 11 o p & S p r a g u e Co.. die es unternahm, gleich als ebenbürtiger Konkurrent den beiden älteren Instituten entgegenzutreten, verfiel nach wenigen Jahren, 1878, infolge der großen Unkosten, dem Konkurs. Die großon amerikanischen Auskunftsbureaus geben je ein HandelsJournal heraus und veröffentlichen auch alljährlich eine ausführliche Statistik über Konkurse und deren Ursachen. In Europa kamen Frankreichs Handelsbeziehungen zu der Zeit, da die Bildung von Auskunftsorganisationen möglich geworden war, den englischen ihrer Bedeutung nach am nächsten, und so ist es kein bloßer Zufall, daß nach England Frankreich genannt werden muß. In Paris versuchte man dem Bedürfnis der Zeit gleich in ganz hervorragender Weise 1849 durch die Gründung von Kreditversicherungsgesellschaften zu entsprechen, die sich auch mit Erteilung von Auskünften befaßten. Aus einer dieser Gesellschaften, denen der Erfolg versagt blieb, bildete sich 8 Jahre später (1857) das erste französische Auskunftsbureau La Sûreté du Commerce. Das Auskunftswesen in Frankreich hat ganz außerordentlich darunter gelitten und zu leiden, daß dort Gebühren sich einbürgerten, die allzusehr außer allem Verhältnis zu dem stehen, was geleistet werden muß. Fast jede Stadt Frankreichs führt ein oder einige Bureaus auf, die aber meistens nur einfache, nebenher unterhaltene Auskunftsstellen sind. Obwohl in Italien die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse keinen günstigen Boden abgaben, wurde auch dort, in Mailand, ziemlich zu gleicher Zeit wie in Frankreich ein Auskunftsbureau für die Länder Lombardei und Venetien unter der Firma Banco Credito Commerciale von C a r l o & X. R a i m u s s o begründet. Dieses Bureau, das sich später auf die angrenzenden italienischen Länder ausdehnte, vermochte jedoch Einfluß nicht zu gewinnen, wie überGewerbliche Einzel vortrüge.

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Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

haupt das Auskunftswesen in Italien, obwohl dort jetzt über 300 Bureaus gezählt werden — und vielleicht gerade deshalb —, noch keine besondere Ausgestaltung erlangt hat. Im industriereichen Belgien begründete 1856 ein Geschäftsmann, namens J u l i e n Y e r h u l s t , das erste Bureau unter der Firma Office Commercial Belge. Er machte sich aber seine Aufgabe allzu leicht, indem er in der Hauptsache nur vier Auskunftsschablonen verwendete: „Bon. — Petit Crédit, mérite confiance. — Être prudent, mieux vaut s'abstenir. — S'abstenir". V e r h u l s t war nicht zu bewegen, berechtigten Anforderungen nach erweiterten Auskünften zu entsprechen; er übertrug dann später sein Bureau an einen Nachfolger. Holland ist das Ursprungsland der Firmen W y s M ü l l e r & C o . (Auskunftsbureau) und Mutua Confidentia (Inkassobureau); ihr Begründer W i l l e m G o m p e r t s . Diese beiden, in den ersten sechziger Jahren begründeten, zusammengehörigen Firmen sind vorzugsweise durch ihre schwarzen Listen, das sind Verzeichnisse säumiger und schlechter Zahler, bekannt geworden. Das Inkassobureau stützt sich in der Hauptsache auf diese Listen. Die Schweiz erhielt 1870 ihr erstes Bureau durch T h. E c k e l , der zu dieser Zeit, des Deutsch-Französischen Krieges halber, sein 1858 in Straßburg begründetes Bureau nach Basel verlegte. Mittlerweile haben alle Länder, die nur einigermaßen auswärtige Handelsbeziehungen unterhalten, ihre eigenen Auskunftsbureaus; selbstverständlich auch das rührige Japan. Hier sind zu nennen die seit 1892 in Osaka bestehende Shogyo-Koshinsho und die kurz voroder nachher begründete Tokio Koshinsho. In Deutschland wurde 1860 das erste Auskunftsbureau in Stettin von S. S a l o m o n begründet, einem Makler, der an der dortigen Börse als ein gut unterrichteter Geschäftsmann bekannt war und deshalb nach und nach so viel mit Anfragen belästigt wurde, daß er auf den Gedanken kam, für die von ihm verlangten Bemühungen eine Gebühr zu berechnen und ein Auskunftsbureau zu eröffnen. Da er sich auf die Auskunftserteilung über Firmen in der Provinz Pommern beschränkte, wurden L e s s e r & L i m a n , die sich zwei Jahre später etablierten, bald bekannter. 1863 versuchte sich auch ein Verein an der Lösung der gestellten Aufgabe; er etablierte sich in Sachsen mit dem Hauptsitz in Dresden unter der Firma Verband

Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

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der Schutzgemeinschaften für Handel und Industrie. Die Auskunftei, die meinen Namen trägt, wurde von mir 1872 begründet. Die seit 1879 bestehenden Kreditreformvereine bilden nur eine unter einer Zentralleitung stehende Vereinigung von selbständigen Unternehmern, die ihre Bureaus durch Verkauf an andere von der Zentralleitung genehmigte Unternehmer veräußern können. Zu erwähnen sind noch die sogenannten Auskunftskalender mit Namen von Personen und Firmen, die bereit sind, an jedermann Auskunft zu erteilen. Im Berliner Adreßbuch erschien 1873 zum erstenmal die Rubrik Auskunftsbureaus; in ihr führt das vorjährige Adreßbuch nicht weniger als 99 Firmen auf, doch bleibt dabei zu berücksichtigen, daß darunter auch Detektivbureaus enthalten sind und überhaupt alles, was sich mit Recht oder Unrecht als Auskunftsbureau bezeichnet. Österreich war bald dem deutschen Beispiel gefolgt. Dieses Land war das erste, in dem Auskunftsbureaus die tatsächliche Fürsorge einer Regierung zu spüren bekamen, zunächst allerdings in negativer Richtung, denn im Januar 1885 meldeten die Wiener Zeitungen, daß 18 Auskunftsbureaus durch die Behörden geschlossen worden seien. Nachdem der oberste Gerichtshof jedoch entschieden, daß die Auskunftsbureaus zu den freien Gewerben gehörten, reihten alsbald auf Grund des nach der Gewerbeordnung ihnen zustehenden Rechts die Ministerien des Innern und des Handels die kaufmännischen Auskunfteien unter die konzessionspflichtigen Gewerbe ein. Vereinsund merkwürdigerweise auch Detektiv-Bureaus sind ausgeschlossen, letztere, weil die Eigenart ihres „Arbeitsgebietes" einen Befähigungsnachweis (!) ausschließt. Die ersten Konzessionsbestimmungen erlaubten anfänglich nur die Auskunftserteilung über Firmen im Sinne des Artikels 15 des Handelsgesetzbuches und der Gewerbeordnung und auch nur solche Auskünfte, die sich auf einzugehende oder bereits eingegangene Handelsgeschäfte unter Ausschluß jedes anderen Privatzwecks beziehen; Auskunft über Schwindler, wenn sie nur vermieden, einen Gewerbebetrieb zu unterhalten, durfte demnach nicht gegeben werden, ja es ist vorgekommen, daß die Auskunft über einen ehemaligen Papierhändler, nach dem angefragt worden war, weil er aus der Zeit seiner Selbständigkeit her noch einen kleinen Betrag schuldete, als Verletzung der Konzessionsbestimmung angesehen und mit 20 Fl. Strafe geahndet wurde, nur weil der Mann inzwischen eine Stellung angenommen hatte, also weder eine Firma führte, noch ein Gewerbe 2*

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Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

betrieb. Es ist dies der einzige mir bekannt gewordene Erfolg, den die in den ersten Jahren sehr eifrig vorgenommenen, inzwischen wieder aufgegebenen Revisionen der Auskunfteien zu verzeichnen gehabt haben. Erwähnenswert ist hier noch, daß die zuständige k. k. Statthalterei in Wien 1890 verfügte, daß Auskunfteien bei Auflösung ihres Geschäftes, spätestens aber nach 10 Jahren ihre über die Kreditverhältnisse von Firmen gepflogenen Korrespondenzen und geführten Geschäftsbücher zu vernichten hätten. Diese Bestimmung sollte verhüten, daß Auskunftsakten als Makulatur verkauft werden könnten; sie wurde alsbald wieder aufgehoben und gleichzeitig den Auskunfteien dann auch gestattet, Auskunft über die Kreditfähigkeit von Nichtgewerbetreibenden zu erteilen, aber nur über diese und nicht über sonstige Privatverhältnisse, was sowieso bei Bureaus von Ansehen nicht der Fall ist. Wer sich für diese österreichischen Verhältnisse interessiert, findet Näheres in einem Gutachten der hochangesehenen Wiener Handels- und Gewerbekammer, das unter dem Titel „Das kommerzielle Auskunftswesen im modernen Verkehr" 1901 im Buchhandel erschienen ist. In diesem Bericht wird nach einer Eingabe des Gremiums der konzessionierten Informationsbureaus in Wien über die österreichischen Auskunfteien bemerkt, „daß der lokale Bedarf an konzessionierten Informationsbureaus weitaus überschritten ist, und daß sich eine große Anzahl der bestehenden Bureaus in den denkbar schlechtesten Verhältnissen befindet". Ungarn hat die Konzessionspflicht nicht eingeführt. Auch die Königlich Rumänische Regierung hat versucht, dem berufsmäßigen Auskunftswesen Förderung angedeihen zu lassen; in den Anordnungen war jcdoch der Minister für Landwirtschaft, Industrie, Handel und Domäne ( M i s s i r ) ganz besonders unglücklich; nachdem er in mehrmaligen Erlassen Klage darüber geführt hatte, daß der Kredit des Landes durch gewissenlose Auskunftserteilungen einheimischer Kaufleute und Agenten geschädigt werde, beauftragte er die rumänischen Handelskammern, unter ihrer Kontrolle Auskunftsbureaus zu errichten, was auch in zwei Fällen geschah. Der Erfolg dieser Bureaus war so, daß der genannte Minister seine frühere Anregung bald wieder selbst vergaß und Veranlassung nahm, 1901 öffentlich bekannt zu geben, daß er die Handelskammern des Landes angewiesen habe, auf Nachfrage ausländischer Industriellen diesen

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Auskunft zu geben, sowohl in deutscher als in französischer Sprache. Die Handelskammern erließen sofort öffentliche Erklärungen, in denen sie sich weigerten, der Verfügung ihres Ministers nachzukommen. In Deutschland hat es gleichfalls nicht an Versuchen behördlicher Bevormundung gefehlt, indem auf Anregung des deutschen Reichstags, entgegen den ausdrücklich kundgegebenen Wünschen des Reichsamts des Innern, sämtliche Auskunftsbureaus im Oktober 1900 dem § 35 der Gewerbeordnung unterstellt und damit den Gewerben zugeteilt wurden, „denen der Betrieb zu untersagen ist, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in bezug auf diesen Gewerbebetrieb dartun". Die Königlich Bayerische Regierung hatte übrigens schon früher den Standpunkt eingenommen, daß die gewerbsmäßige Auskunftserteilung, sowohl die der Auskunfteien als die der Detektivbureaus, eine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten sei und deshalb der §35 auf sie Anwendung finden müsse; es wurde ihnen durch Ministerialverfügung auferlegt, alle Aufträge unter etwa 14 Rubriken im Aus- und Eingang zu verbuchen, ein Verlangen, bei dem natürlich alsbald Ausnahmen zugelassen werden mußten. Die Königlich Preußische Regierung hat sich in ihren Ausführungsbestimmungen zu § 35 der Gewerbeordnung darauf beschränkt, den kaufmännischen Auskunfteien die alljährliche Einreichung des Verzeichnisses ihrer Angestellten vorzuschreiben, was aber bewährten Anstalten gegenüber auch nachgelassen werden kann. Daß mit dem § 35 der Gewerbeordnung irgend welcher Erfolg erzielt worden wäre, war bisher nicht zu bemerken. Auch in Rußland ist den Auskunfteien behördlicherseits Beachtung, und zwar eine freundliche, zuteil geworden. Nachdem die Kaiserlich Russische Regierung ein umfassendes Studium des Auskunftswesens aller Länder vorgenommen hatte, entschied sie sich 1904 für die Konzessionspflicht. Vorbedingung für Errichtung einer Auskunftei ist die Hinterlegung von 25 000 Rbl.; damit ist die Erlaubnis verbunden, an vier Orten Bureaus zu eröffnen; für jedes weitere Zweigbureau muß eine neue Hinterlegung von 5000 Rbl. erfolgen. Bis jetzt sind nur wenige Konzessionen erteilt worden. Daß andere Regierungen Sondervorschriften für Auskunfteien erlassen hätten, ist mir nicht bekannt. Ob nun die Auskunftserteilung als konzessionspflichtiges oder als freies Gewerbe, ob mit oder ohne staatliche Aufsicht sich vollzieht,

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ist für die Sache selbst von ganz geringer Bedeutung, dagegen ist es eine Lebensfrage der Auskunfteien, wie sich Gesetzgebung und Rechtssprechung zu ihnen stellen, soweit es sich um Beurteilung ihrer privatrechtlichen Verantwortlichkeit handelt. Zunächst kam in Frage, ob die Auskunftserteilung ein kaufmännisches Gewerbe sei, also unter das Handelsrecht falle. Diese Frage mußte nach dem Wortlaut des Handelsgesetzbuches in Deutschland und Österreich verneint werden. Erst in unserem neuen Handelsgesetz von 1897 ist der Begriff des Kaufmanns so erweitert worden, daß nun auch die Inhaber größerer Auskunftsbetriebe in das Handelsregister eingetragen werden können und damit Kaufmannseigenschaft besitzen. Im übrigen ist bekannt, daß kein Punkt des Auskunftswesens so häufig Gegenstand des Interesses und vielseitiger Erörterungen gewesen ist als die Haftverbindlichkeitsfragc. Wie es bei der geschäftsfreundlichen Auskunft üblich war, sie mit der Verwahrung „ohne Obligo" oder dergl. zu geben, so macht auch die berufsmäßige Auskunftserteilung zur Bedingung, daß der Anfragende auf jeden Schadensersatz wegen irriger Auskunft verzichtet. Dieser Ausschluß der Haftverbindlichkeit ist aus zwei Gründen ein notwendiges Erfordernis. Sollten die Auskunfteien haften, so müßten sie aus Vorsicht, da eine Rückdeckung bei den Gewährsmännern für sie ausgeschlossen ist, in ihren Berichten eine Zurückhaltung üben, die dem ganzen Auskunftsdienst seinen Wert rauben würde. Aus diesem Grunde ist denn auch noch nie bei Abschluß eines Abonnements die Bedingung der NichtVerantwortlichkeit beanstandet worden. Wenn dann hinterher der eine oder andere behauptet, gerade der ihm widerfahrene Irrtum habe nicht vorkommen dürfen und könne deshalb in den vereinbarten Vorbehalt nicht inbegriffen sein, so heißt das vertragsbrüchig werden und Unfehlbarkeit verlangen, die auf k e i n e m Gebiete zu leisten ist, geschweige denn auf dem, wo die Wahrheit ihre Probe meist erst nach Monaten oder Jahresfrist zu bestehen hat. Mit der Übernahme der Haftpflicht würde jedenfalls eine Prämienerhebung nötig: als gleichzeitige Kreditversicherungsgesellschaft würden aber die Auskunfteien ihre Unparteilichkeit verlieren; zudem müßte eine große haftverbindliche Auskunftei, sofern ihre Sicherheit ausreichend sein soll, über ein so großes Kapital verfügen, daß dessen Beschaffung schwerlich je möglich sein wird. Daß das Kapital

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ganz enorm und die Prämien hoch sein müßten, wenn die Kreditversicherung den Kreditverkehr irgendwie beeinflussen und ihn sichern soll, belegen grell die Ziffern und Schwankungen der deutschen Konkursstatistik: in dem Zeitraum von 1901 bis 1906 wurden alljährlich 176 bis 436 Millionen Mark verloren. Welche Riesensummen außerhalb der Konkurse verloren werden, entzieht sich der Berechnung. Die Nichthaftung, rein theoretisch besehen, bleibt freilich ein bedauerlicher Mangel. Aber bedingt nicht auch eine schnelle und gute Rechtspflege die NichtVerantwortlichkeit der Richter? Allerdings die Voraussetzung ist ein hochangesehcner, unbestechlicher Richterstand, auf dessen Vorhandensein wir stolz sind; daß wir nur Auskunfteien von gleichem Charakter haben, das hat die Geschäftswelt völlig in ihrer Hand; sie verlange von den Inhabern der Auskunfteien, daß sie kenntnisreiche, charakterfeste, ehrenhafte, scharfblickende, organisatorisch veranlagte Männer voll ernsten Strebens sind und vor allem, daß sie das Geschick besitzen, tüchtige Mitarbeiter zu finden, zu schulen und ihrem Betriebe zu erhalten. Daß der Inhaber einer Auskunftei nicht für jedes Versehen haftbar gemacht werden kann, ist ernstlich niemals beanstandet worden; dagegen litt die Frage der Haftverbindlichkeit unter der vielverbreiteten Rechtsregel, daß für grobes Verschulden (culpa lata) ebenso wenig wie für Arglist (dolus) die Haftverbindlichkeit ausgeschlossen werden dürfe, was praktisch auf die Auffassung des alten Lübischen Gewohnheitsrechtes hinauskommt: „Will jemand einem Frembden sein Gut nicht verkauSen, und ein anderer stehet dabey und saget, ihr möget es ihme wol vertrauen, die Bezahlung wird euch wol. Wird der Verkäuffer von dem Käuffer nit bezahlet, so muß derjenige zahlen, welcher den Frembden loben thät, dadurch der Verkäuffer verführt worden." Notwendigerweise mußte bezüglich der Frage der Haftverbindlichkeit eine andere, den heutigen Verhältnissen Rechnung tragende Auffassung zum Durchbruch kommen; sie kam zum erstenmal in voller Klarheit in einem vorzüglich begründeten Erkenntnis des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom Jahre 1898 zum Ausdruck und sie ist danach, seit 1900, auch im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Regelung gelangt.

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Es steht nunmehr fest, daß die Haftpflicht wegen unrichtiger Auskunft auch selbst für den Fall eines groben Versehens, ja selbst für den Fall der Arglist in der Person des Gehilfen und Korrespondenten völlig rechtswirksam ausgeschlossen werden kann. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat ebenso klar und bestimmt auch die Haftverbindlichkeitsfrage nach der anderen Seite hin, nämlich gegenüber demjenigen, über welchen Auskunft erteilt wird, geregelt. Mitteilungen der Auskunfteien über ungünstige Verhältnisse und nachteilige Gerüchte, sofern sie in der Form nicht fehlgreifen, machen nicht schadenersatzpflichtig, da sie in Wahrnehmung eines berechtigten Interesses erteilt gelten, wie dies schon im §93 unseres Strafgesetzbuches von 1871 vorgesehen war: „Auskunftei bleibt bei gutem Glauben frei." Im Zusammenhang hiermit ist auch der wichtigen Entscheidung oberster Gerichte und des Reichsgerichtes zu gedenken, wonach das Verhältnis der Auskunfteien zu ihren Gewährsmännern als ein „Gewerbegeheimnis im eminenten Sinne des Wortes" anzusehen ist, so daß die Auskunfteien mit Beziehung darauf das Recht der Zeugnisverweigerung für sich in Anspruch nehmen können. Solchergestalt ist jetzt klar und unzweideutig ein Rechtszustand geschaffen, den die deutschen Auskunfteien nur langsam haben erringen können, ebenso wie es auch nur nach Bekämpfung vieler Vorurteile gelungen ist, die Anerkennung zu erreichen, die wirklichen Organisationen jetzt zu teil wird. Der Königlich Sächsischen Regierung sei hier mit aufrichtigstem Danke bezeugt, daß sie die erste gewesen ist, die gute Auskunfteien als Vertreter berechtigter Interessen und als „gemeinnützige" Anstalten anerkannt und sich bereit gezeigt hat, ihnen wichtige behördliche Feststellungen im Interesse der Geschäftswelt zugängig zu machen. Bedauerlicherweise hat dieses Beispiel noch nicht allseitig Nachfolge gefunden; j a es besteht die auffallende Tatsache, daß es dem Bureaukratismus überaus schwer wird, dem praktischen Bedürfnis des Handels gerecht zu werden. Bekanntlich ist bei uns durch Reichsgesetz die Einsichtnahme des bei den Gerichten zu führenden Registers über Offenbarungseide jedermann gestattet. Aber trotz der klaren Fassung des Gesetzes kommt es immer noch an Amtsgerichten vor, daß sich der Einsichtnahme Schwierigkeiten entgegenstellen, und in Preußen besteht sogar die höhere Weisung, daß dem Einsichtnehmenden nicht gestattet

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sein soll, sich Notizen zu raachen! Die Erschließung der Grundbücher und anderer für den Kreditverkehr behördlicher Feststellungen bleibt noch immer eine Forderung des Handelsstandes, deren Nichterfüllung um so ungerechter erscheint, als Handel und Industrie in hervorragender Weise zu den Lasten des Staates und zur Erhaltung auch der in Frage kommenden Behörden beitragen. Alle Bedenken, die namentlich gegen die Einsichtnahme der Grundbücher ins Treffen geführt werden, zerfallen in nichts, sobald man vorurteilsfrei an die Prüfung ihrer Zugänglichkeit herantritt. Diese besteht anderwärts, ohne daß sich daraus je Unzuträglichkeiten ergeben hätten, denen der Vorteil klaren Einblicks in die Besitz- und Hypothekenverhältnisse derer, die Kredit in Anspruch nehmen, geopfert werden müßte. Andererseits kann es aber nur gebilligt werden, daß das Auswärtige Amt des Deutschen Reichs die Konsuln nicht mit der verantwortlichen und zeitraubenden Aufgabe der Auskunftserteilung über Kreditverhältnisse einzelner Firmen belastet wissen will, denn abgesehen davon, daß ein Berufskonsul doch wohl nur ausnahmsweise die Befähigung, die Erfahrung und die Zeit hat, kaufmännische Auskünfte nach Art der Auskunfteien zu beschaffen, würde diese Nebentätigkeit die Stellung der Konsuln unvermeidlich in doppelter Richtung ungünstig beeinflussen müssen. Wenn ich nunmehr das eigentliche Wesen der berufsmäßigen Auskunftserteilung, ihre Bedeutung, Aufgabe und Betätigung darzulegen habe, so kann ich dies am besten im Anschluß an die erwähnte Schilderung aus der Zeit Alt-Weimars. War uns hier in dem Grundsatz „Auge in Auge" das Ideal des Verkehrs zwischen Produzenten und Konsumenten, zwischen Käufer und Verkäufer entgegengetreten, ein Ideal, wie es nur primitivste Verhältnisse des Verkehrs zu ermöglichen scheinen, so ist dies nun gerade das Verdienst und Große in dem Berufe der kaufmännischen Auskunfteien, daß sie für die modernsten Verkehrsverhältnisse mit modernsten Mitteln das Ziel primitivster Verhältnisse wieder zu verwirklichen suchen. Auge in Auge! Daher verlegt die berufsmäßige Auskunftserteilung den Schwerpunkt der Erkundigung in das Domizil. Jede Auskunft wird zunächst und grundsätzlich in dem Orte eingeholt, wo der Kreditnehmer seinen persönlichen und geschäftlichen Sitz hat, eingeholt von Gewährsmännern, die ihn persönlich kennen und in der Lage sind,

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sein geschäftliches Gebaren zu beobachten, oder sich bei denen erkundigen können, die nach dem Augenschein und nach persönlicher Kenntnis zu urteilen vermögen. Um zu diesem Zwecke durch die rechten Personen an allen Orten vertreten zu sein, dazu ist eine weitverzweigte Verbindung mit Hauptund Nebenkorrespondenten erforderlich, eine große, ausgedehnte und komplizierte Organisation, die nur im Laufe der Zeit mit viel Arbeit und vielen Kosten richtig geschaffen und nur von einem wirklich großen, immerfort tätigen Auskunftszentrum aus unterhalten und ständig auf dem Laufenden erhalten werden kann. Bei einer solchen Organisation ist die Erkundigung nicht bloß auf den derzeitigen Wohnort beschränkt, sondern sie vermag auch auf die früheren zurückzugreifen, was sich namentlich bei gewissen Elementen des Handelsstandes als von größter Bedeutung erweist. Auge in Auge gilt auch für den Zusammenhang, in welchem das unmittelbar an der Quelle eingeholte Bild und Urteil mit den Berichten und Ansichten versetzt wird, die von draußen her eingeholt werden, von da, wo auf Grund einer geschäftlichen Verbindung Zeugnis über Handlungs- und Zahlweise abgelegt werden kann. Die möglichst vielseitige Einholung solcher Urteile über die Gebarung eines Geschäftsmannes ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber der meist einseitigen geschäftsfreundlichen Auskunft und sie ermöglicht, daß sich die verschiedenen Eindrücke einander ergänzen, kontrollieren und berichtigen; sie erhebt sich aber bei abweichenden Angaben zur Bedeutung einer förmlichen Gegenüberstellung der Zeugen durch die ver- und ausgleichende Korrespondenz der Rückfragen, die die Auskunftei zu führen vermag. Dabei kommt ihr die nähere Kenntnis der Verhältnisse und der Glaubwürdigkeit der einzelnen Gewährsleute und insbesondere der Referenzfirmen zu statten, deren Aussagen nur rechten Wert haben, wenn man die Qualität der Auskunftsgeber kennt. Die vielseitige, immer neue Ergänzung der Berichte und ihre lebendige Fühlung miteinander sind der springende Punkt der organisierten Erkundigung, aber nur da möglich, wo sich das Erkundigungsinteresse eines großen Teils der kreditierenden Geschäftswelt zusammenfindet und mit ihren Anfragen selbst einen regen Austausch ihrer Erfahrungen herbeiführt. Auge in Auge, das ist die Losung der Auskunfteien auch insofern, als sie offen und frei vor aller Welt sich dazu bekennen, Auskunft

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zu geben über jeden, der innerhalb des kaufmännischen Verkehrs steht, an jeden, der Auskunft in loyaler Weise zu loyalem geschäftlichem Zweck verlangt. Das ist einer ihrer großen Gewinne gegenüber der geschäftsfreundlichen Auskunft, daß jeder Kreditnehmer die Stellen kennt, bei denen man sich über ihn befragt, wenigstens insoweit beachtenswerte Lieferanten und namhafte Auskunfteien in Frage kommen. Der Auskunftsgeber bleibt bei der geschäftsfreundlichen Auskunft für den Beteiligten immer der große Unbekannte; er ist nunmehr jederzeit erreichbar und greifbar geworden. Jeder Kreditnehmer ist jetzt in die Lage versetzt, sich durch rechtzeitige und von Zeit zu Zeit wiederholte Mitteilung gut unterrichteter Referenzen und durch gl.aubhaft gemachte eigene Angaben eine richtige Beurteilung zu sichern und insbesondere ungünstigen Auffassungen vorzubeugen, wenn er ins Gerede kommt, wovor der Beste nicht geschützt ist. Dieses Auge in Auge im Sinne des audiatur et altera pars ist zum Grundsatz der Auskunftserteilung geworden, indem die Auskunfteien überall da, wo es ihnen zweckdienlich erscheint, Veranlassung nehmen, diejenigen, über die sie zu berichten haben, zur Bennenung ihrer Referenzen und zu eigenen Angaben aufzufordern. Das Verdienstliche dieses von mir im Jahre 1882 bei uns eingeführten Brauchs ist um so größer, als die meisten keine Ahnung davon haben, welchen Vorwürfen (Revolverheld und dergl.) er anfänglich ausgesetzt war, und mit welchen Mißdeutungen er sich noch heute mannigfach auseinanderzusetzen hat. Die eigenen Angaben dürfen allerdings nie dazu mißbraucht werden, die Erkundigungsarbeit zu vereinfachen, und sie müssen in jeder Auskunft ausdrücklich nach ihrem Ursprung bezeichnet werden, wenigstens so lange sie nicht anderweitig bestätigt worden sind. Seit unsere deutschen Gerichte angefangen haben, in den Auskunfteien gemachten falschen Angaben über die eigenen Verhältnisse eine strafbare Täuschung zu sehen, verdienen die eigenen Angaben einen wichtigen Bestandteil der Auskunft zu bilden. Das Gegenübertreten Auge in Auge würde in noch viel weitgehenderer Weise, als es schon jetzt möglich ist, Grundsatz und Brauch sein, wenn nicht seine Anwendung gerade von den jeweilig Beteiligten noch immer allzuviel erschwert würde. Gar oft stößt die Krediterkundigung auf ungünstige Angaben und Gerüchte, bei denen man überzeugt ist, daß bei direkter Nachfrage ohne weiteres die Auf-

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klärung zu haben sein würde, durch die das böse Gerücht im Keime erstickt werden könnte; aber die Nachfrage muß noch allzuoft unterbleiben nur deshalb, weil man weiß, daß ihr sofort das unverständige Verlangen entgegentreten würde, den Gewährsmann der Auskunftei genannt zu erhalten, um ihn vor Gericht zur Rechenschaft ziehen zu können. Mit diesen Grundzügen einer ihrem Gegenstand unmittelbar gegenübertretenden, gründlichen und umfassenden Erkundigung ist die Auskunftsbeschaffung mittlerweile ein ganz neues System geworden und die Auskunft selbst auf ein völlig anderes neues Niveau hinaufgerückt worden. Einfach, kurz, ohne viel Umstände empfehlend oder absprechend, im großen und ganzen aufs Geratewohl gegeben, so war die Auskunft von ehedem; alle Schablonen immer mehr durchbrechend, ist sie heute zu einem Spiegelbild geworden, das hauptsächlich tatsächliche Angaben wiedergibt, oft bis in die kleinsten Einzelheiten, bei denen Licht und Schatten der Wirklichkeit mit immer feinerer Nüancierung beachtet werden. Die Auskunftserteilung als selbständiger Beruf ist auf diesem Wege zu einer Kunst geworden. Ich spreche aus Erfahrung; hatte ich zwar von vornherein die gestellte Aufgabe in ihrer Größe und Bedeutung für den Kreditverkehr ziemlich klar erkannt, als ich mir 1872 ihre Verwirklichung zur Lebensaufgabe setzte, so fing doch auch ich nur als einfacher Handlanger der Kreditgeber an und auch mit der ganzen Rücksichtslosigkeit im Urteil, die in weiten Kreisen der Geschäftswelt nun einmal zu Hause ist, und an die auch ich derzeit gewohnt war. Eben darum aber habe ich namentlich in den ersten Jahren viel gelernt und lernen müssen, um das Ziel immer höher zu stecken, um die Anforderungen und durch sie die Leistungen immer mehr steigern zu können. Nach Seite der kreditierenden Geschäftswelt hin habe ich eine lebhafte und belehrende Tätigkeit entfalten müssen, damit auch in ihr die Erkenntnis zum Durchbruch komme, daß es sich um eine grundsätzliche Änderung der ganzen Auffassung und Art der Krediterkundigung handele. Noch viel größer und schwieriger war die Aufgabe, in dem Kreise der Angestellten und Korrespondenten den Geist und die Fähigkeit für die Ziele und Arbeiten des neuen Berufs heranzubilden, den ganzen Hilfsapparat dafür zu schaffen und mit den erforderlichen Unterweisungen zu versehen. Man denkt es sich auch heute noch vielfach so einfach, Auskünfte zusammenzustellen, aber

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auch heute müssen noch in jeder guten Auskunftei die Angestellten erst eine längere Schulung durchmachen, ehe sie zu selbständigen Arbeiten zugelassen werden, und immer wird es sehr schwierig bleiben, die richtigen Leute dafür zu gewinnen, denn sie haben eine recht schwere Aufgabe; jede Zeile, die sie schreiben, soll durch Belege zu begründen sein; sie soll mit dem übrigen Inhalt der Auskunft in Ubereinstimmung sein und einer dreifachen Verantwortlichkeit gerecht werden: dem, über den angefragt wird, dem, der die Auskunft einholt und auch dem eigenen Bureau. Zahlreiche Regeln, die aus der E r fahrung gewonnen wurden, geben zu dieser Arbeit Anleitung und Verhaltungsmaßregeln, aber wie kein Mensch dem anderen, kein Blatt, dem anderen gleicht, so hat auch jede einzelne Auskunft ihre Eigenart und will für sich gesondert behandelt sein. Ob ein Angestellter oder Korrespondent Pessimist oder Optimist ist, das ergibt sich nicht sofort; beide Gattungen sind im Dienste der Auskunfteien unbrauchbar, denn beide urteilen falsch; in jedem schwierigen Falle kommen beide zu anderer Ansicht als ein Mann von unvoreingenommenem Urteil. Die Erfahrung vermag das Urteil des Tüchtigen zu schärfen, aber auch der Tüchtigste bleibt minderwertig, wenn ihm nicht die nötige Zeit zu seiner Arbeit gelassen wird. Zwar ist es im allgemeinen gleicht leicht, — die Gegensätze berühren sich auch hierbei — über notorische Schwindler und in offenem Vcrmögensverfall befindliche Firmen, andererseits über allbekannteWeltfirmen von hohem Ansehen Auskunft zu geben, denn bei diesen beiden Gattungen steht das Krediturteil fest und selbst große Fehler in den Details vermögen die Richtigkeit des Urteils nicht zu beeinflussen; aber zwischen diesen beiden Gruppen liegt die große Menge sich tausendfältig voneinander unterscheidender Geschäfte, die o f t recht schwer zu beurteilen sind und in ihren Verhältnissen stetig wechseln. Bei der Auskunft über diese Geschäfte hat sich der Korrespondent, der Rechercheur und der Redakteur als Meister zu zeigen; da, wo sich die Leitung einer Auskunftei, die selbst die Meisterschaft betätigt, auf genügende Meisterkräfte stützt, ist der Geschäftswelt eine hochragende Kreditwarte erbaut, die nicht etwa bloß den Kreditgebern Warnungssignale zukommen läßt, sondern als weit wichtiger ihnen die Wege zeigen kann zu möglichst ausgedehnter und erfolgreicher Entfaltung ihres Verkehrs, unter weitgehendster Wahrung der Interessen und der kaufmännischen Ehre der Kreditnehmer.

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Die Auskunfteien sollen im Kreditverkehr die Dienste leisten, die beim Handelsschiff dem erfahrenen Kapitän und, wenn das Schiff in unbekannte oder gefährliche Wässer gerät, dem bewährten Lotsen obliegt; sie sollen dem wenig bekannten ehrlichen Anfänger eine Stütze, dem redlichen Streben ein Förderer, dem in vorübergehende Not geratenenen Geschäftsmann ein Freund und guter Berater sein. Werfen wir nun einen flüchtigen Blick in den praktischen Betrieb einer großen Auskunftei. Wohl ein jeder wird bei seinem ersten Besuch zu seiner Verwunderung sofort bemerken, wieviel größer der Betrieb ist, als er sich ihn vorgestellt hat. Wir treten zunächst an den Tisch eines Angestellten heran, der Auskünfte zu redigieren hat, und lassen uns die Arbeiten, die er unter den Händen hat, vorzeigen. Hier ein Blatt, das eine Firma betrifft, über die zum erstenmal eine Auskunft einzuholen war; der vom Hauptkorrespondenten eingeholte Bericht enthält alles Wissenswerte: ein tüchtiger Korrespondent gab die Auskunft, und er hatte anscheinend das Glück, gleich alles Notwendige vollständig zu erfahren. Ein anderes Blatt über eine andere Firma wird uns als ungenügend bezeichnet, denn in der Auskunft heißt es, N. N. habe eben erst einen kleinen Laden gemietet und ihn noch nicht eröffnet, man kenne den Mann noch nicht, man wisse nur, daß er aus Xstadt zugezogen sei. Gleichwohl genügt diese Erkundigung, denn das Archiv konnte sie mit dem letzten Bericht aus Xstadt, wo N. N. vor einem halben Jahre unter ungünstigen Umständen falliert hatte, ergänzen. Doch ihm kann inzwischen eine Hilfe zuteil geworden sein, deshalb war auch schon das Formular ausgeschrieben, das N. N. zu eigenen Angaben und zur Mitteilung von Referenzen auffordert. Als dritter Fall wird uns das Auskunftsmaterial über eine Fabrik gezeigt, über die im Laufe der Jahre zahlreiche Berichte eingeholt worden sind; es finden sich darunter Berichte mehrerer bezahlter Gewährsmänner und unter ihnen ein ausführlicher Sonderbericht, ferner Auskünfte von Lieferanten und von Referenzen, Berichte, die Widersprüche aufklären und eigene Angaben aus verschiedenen Zeiten. Bei der jetzt neu angestellten Erkundigung war Wert darauf gelegt zu erfahren, ob die Fabrik noch genügend mit Aufträgen versehen sei, oder ob sie unter der augenblicklichen Flaue ihrer Branche etwa zu leiden habe. Die darauf eingegangene Antwort gab die richtige Ergänzung zu dem vorhandenen Wissen; sie enthielt die Angabe, daß allerdings eine Anzahl Arbeiter unlängst entlassen worden sei,

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daß das aber unter den näher geschilderten Umständen auf die Kreditfähigkeit der Firma keinen Einfluß habe. In diesem Sinne war auch eine Ergänzung für die Firma redigiert, die einige Monate vorher angefragt hatte. Gehen wir weiter. Da spricht ein Angestellter mit einem der Vorstände; wir hören ihn sagen: „Hier fragt ein Abonnent an, weil er über die bisher gut beurteilte Firma A gehört hat, sie suche unter der Hand einen Akkord nach; was soll ich in diesem Falle t u n ? " Der Bescheid, den wir hören, lautet: „Fragen Sie zunächst in vorsichtiger Weise bei der Firma B an, von der wir wissen, daß sie mit A in Verbindung steht, ob die Besorgnis des Anfragenden zutreffe; wenn nicht, dann bäten wir dringend im Interesse A's, unsere Anfrage als nicht geschehen zu behandeln, damit die nachteilige Angabe nicht weiter getragen werde; sodann beauftragen Sie einen Korrespondenten, über A zu berichten, namentlich mit Bezug auf die jetzige Zahlweise; diese Anfragen werden vorerst genügen; sollte sich jedoch die Angabe des Abonnenten als zutreffend oder auch nur als wahrscheinlich erweisen, dann ist es Zeit, einen zweiten Korrespondenten über das Gerede selbst zu befragen und von A direkt unter Darlegung des Falles eigene Angaben zu erbitten." Diese paar Fälle werden als Belege dafür genügen, daß jede Anfrage in besonderer Weise behandelt werden muß. Wir gehen durch andere Räume, wo sich die Arbeit in gleicher Weise vollzieht; dabei empfangen wir den Eindruck, daß überall da, wo eine selbständige Arbeit geleistet wird, Männer in Tätigkeit sind, die Vertrauen einflößen; viele von ihnen haben bereits ihr 25 jähriges Jubiläum gefeiert. Es bleibt noch die Frage zu erörtern, wie der Kreditgeber eine Auskunftei benutzen soll? Vor allem hat er seine Wahl sehr sorgfältig zu treffen! Dies schuldet ein jeder ebensosehr seiner Kundschaft wie sich selbst. Niemand hat mehr eine Entschuldigung, wenn er über Ruf und Kredit seiner Abnehmer bei einem zweifelhaften Bureau anfragt, denn die Auswahl eines guten ist heute ziemlich leicht. Bei dem Bureau, von dem man über sich selbst nicht Auskunft eingeholt haben möchte, sollte niemand über andere anfragen, das ist eine einfache und natürliche, aber leider vielfach unterlassene Anstandspflicht. Der hauptsächlichste Anlaß zur Benutzung der Auskunfteien, zur Einholung der gewöhnlichen einfachen Abonnementsauskunft ergibt sich naturgemäß aus dem Verlauf des täglichen Geschäftes

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u n d b e i der K o n t r o l l e der A u ß e n s t ä n d e .

B e i d e m W e c h s e l , der s i c h

i n U m s a t z , G e w i n n u n d V e r m ö g e n u n d v i e l f a c h a u c h in der Z a h l w e i s e unausgesetzt vollzieht, über

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Auskunft

sein, n i c h t b l o ß

einzuziehen,

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V e r b i n d u n g e n , die m a n u n t e r h ä l t , u n d z w a r i n r e g e l m ä ß i g e r W i e d e r holung.

D i e Z e i t e n s i n d v o r ü b e r , w o m a n die b e s t e A u s k u n f t a u s d e m

Kontobuch

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entnehmen

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i m m e r da, w o m a n sich ihrer n i c h t v e r s a h , o d e r w o m a n w e g e n v e r p a ß t e r N a c h f r a g e sich n i c h t r e c h t z e i t i g auf e i n A b w i c k e l n der V e r bindung vorbereitet hatte. Über

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einem Vortrag über das kaufmännische A u s k u n f t s w e s e n einmal wie folgt aus: „Mein Geschäft wäre gewiß nicht so rasch groß angewachsen und in der langen Reihe von 20 Jahren vor jedem größeren finanziellen Verlust bewahrt geblieben, wenn ich mich nicht des besten der bestehenden Auskunftsbureaus in ausgiebigster Weise bedient hätte. Es ist bei uns als Regel aufgestellt, daß über jede Firma, sei sie noch so klein oder groß, welche mit meinem Hause in Verbindung treten will, sofort eine einfache Auskunft genommen wird, damit wir mit den Verhältnissen der anfragenden Firma bekannt werden; sehen wir aus dem ersten kurzen Bericht, daß diese Verbindung eine lebhafte, größere Umsätze herbeiführende werden kann, so erbitten wir uns einen Sonderbericht, und dann sind wir derart gut orientiert über unsern zu kultivierenden neuen Kunden, daß wir ganz genau wissen, wie wir dessen Interessen mit den unsrigen am besten verbinden können. Ich lege den Wert der Auskünfte in die Tatsache, daß man durch dieselben die Geschäfte, mit denen man in Verbindung ist, positiv kennen lernt. Es soll mir niemand sagen, der von sich die Meinung hat, ein tüchtiger Kaufmann zu sein, daß er wegen eines Auftrages, den er von einer ihm unbekannten Firma vielleicht nur in Höhe von 20 M. bekommt, keine Auskunft nehmen kann, weil er ja kaum den für diese Ausk u n f t zu zahlenden Betrag an dem ersten Geschäft verdiene. Denn wer so spricht, der verkennt die Tragweite der berufsmäßigen Auskunft ganz und gar. Habe ich die Auskunft genommen und durch dieselbe erfahren, daß der neue Geschäftsfreund in seinem Fach bedeutend ist, so werde ich mich veranlaßt fühlen, weil ich diese Auskunft besitze, ihn mit größerer Aufmerksamkeit zu bedienen, und mir alle Mühe geben, die Verbindung mit ihm auszudehnen, und kann das mit Ruhe tun, weil ich eben orientiert bin. Da sich in der gegenwärtigen Zeit aber die Verhältnisse der Menschen und Geschäfte so rasch verschieben können, daß dieselben innerhalb eines Jahres vollkommen verändert sind, so nehme ich über Firmen, mit denen wir in lebhafterem Verkehr sind, sobald sie bei mir Kredit in Anspruch nehmen, in gewissen Zwischenräumen, je nachdem es mir rätlich erscheint, eine neue Auskunft; denn ich denke mir, daß ich nicht erwarten kann, daß eine Auskunftei wegen einer einmaligen Auskunft, die mich vielleicht 1,20 M. gekostet hat, die angefragte Firma fortgesetzt durch viele Jahre im Auge behalten kann, um mir etwaige Änderungen in den Verhältnissen derselben sofort mitzuteilen. Ich betrachte die Auskunftsspesen als eine Geldaufwendung, die sich hundertoder tausendfach bezahlt macht."

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Je größer und erprobter die Verbindungen einer Auskunftei sind, mit desto sicherer Zuversicht kann bei ihr auf gute, sachgemäße Erledigungen und in allen besonderen Anlässen auf weitgehende Unterstützung gerechnet werden. Neben den gewöhnlichen Auskünften und Sonderberichten, die das laufende Geschäft erfordert, kann die Auskunftei mit bestem Erfolg dienen, wenn es sich darum handelt, neue Artikel aufzunehmen oder ein Absatzgebiet zu erweitern oder neu aufzusuchen, also wenn Adressen leistungsfähiger Bezugsquellen oder sonstiger Geschäfte benötigt werden, denen eine Offerte gemacht werden soll. Solche Adressenlisten wird der verständige Abonnent, wenn sie nicht bloß einem vorübergehenden Zweck dienen sollen, seiner Auskunftei von Zeit zu Zeit zur Kontrolle oder zur Ergänzung wieder vorlegen; er wird die Auskunftei in Anspruch nehmen, wenn eine neue Reiseroute geplant wird oder ein Reisender auf einer alten Tour neue Kunden aufsuchen soll. Durch die Auskunftei kann er prüfen lassen, ob dieser oder jener Artikel in bestimmten Orten oder Ländern absatzfähig ist, kurz, eine große Auskunftei kann im Rahmen ihres Geschäftsplanes mit j e d e m geschäftlichen Aufschluß dienen, der bei besonderen Anlässen zum Vorteil des eigenen Geschäftes gebraucht wird. Für die Leistungsfähigkeit einer großen Anstalt will ich ein Beispiel anführen, dem zahllos andere angefügt werden könnten. Der Chef eines angesehenen Hauses brauchte einst zum Abschluß eines großen Geschäfts die Adresse eines Mannes, der für ihn im Ministerium eines ausländischen Staates persönlich verhandeln könnte. Vergeblich hatte er seine Beziehungen, darunter die der größten Bank in Anspruch genommen, da endlich entsann er sich, daß es Auskunftsorganisationen gäbe, die in Anspruch zu nehmen er sich bisher für zu vornehm gehalten hatte. Nun aber waren nur noch vier Tage Zeit ihm geblieben, und er begehrte deshalb die gewünschte Adresse telegraphisch nachgewiesen zu erhalten. Es mußte ihm bedeutet werden, daß sein Auftrag nur eine briefliche Anfrage gestatte, dagegen die Antwort telegraphisch erbeten werden könne. Als von ihm verlangt wurde, für die Erledigung bis zu 100 M. Kosten zur Verfügung zu stellen, zeigte sich der Herr zunächst direkt entsetzt ob solcher „ungeheuerlichen" Forderung, doch bewilligte er sie schließlich, nachdem er darauf verwiesen worden war, daß die Unterhaltung einer Organisation mit angesehensten Männern der Geschäftswelt, wie sie zur Ausführung solcher Aufträge unerläßlich sind, recht erhebGewerbliche Eiuzelvorträge.

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liehe Unkosten erfordere und daß der verlangte Gebührenbetrag bei einem Geschäft von mehreren Millionen gar nicht in Betracht kommen könne. Als der Auftrag ausgeführt und das Millionengeschäft durch die vorgeschlagene Persönlichkeit zum Abschluß gebracht war, wurde aus einem Saulus ein Paulus. Gar oft habe ich den Ausspruch gehört: „Ich begreife gar nicht, wie ich früher ohne die Hilfe einer Auskunftei auskommen konnte", und auch den: „Jetzt weiß ich, daß mich die Gefälligkeitsauskünfte doch recht viel gekostet hatten dadurch, daß ich früher gar manche Verbindung ablehnte, die recht lohnend hätte werden können." Wer die Ausgaben für Auskünfte gleich den Kosten für Miete, Gehalt, Reisespesen und dergleichen auf den gesamten Umsatz in Anschlag bringt — es wird immer nur ein ganz geringer Prozentsatz zu sein brauchen —, der wird weder engherzig über hohe Preise klagen, noch aus falscher Sparsamkeit notwendige Erkundigungen unterlassen, sondern immer genügend Geld haben, um stets auch die Fälle sachgemäß erledigen lassen zu können, die ausnahmsweise größere Unkosten verursachen. Wer hiernach verfährt, der wird auch dem zustimmen und es beachten, was die Wiener Handels- und Gewerbekammer in ihrem Gutachten zur Gebührenfrage bemerkt: „Die Unterbietung der Preise muß dem richtig Urteilenden Zweifel an der soliden und gründlichen Arbeitsweise des Auskunfterteilers aufstoßen lassen." Um den rechten Nutzen von einer gut erwählten Auskunftei zu haben, muß der Anfragende aber auch im Auge behalten, daß er selbst bei seinen Anfragen die Sorgfalt nicht unterlassen darf, die er für sich geleistet zu sehen verlangt. Jedesmal, wo eine besondere Beobachtung oder Befürchtung den Anlaß zu einer Anfrage abgibt, sollte er darüber seiner Auskunftei Mitteilung machen, denn nur so kann er sicher sein, daß seine Wahrnehmungen wirklich beachtet und richtig geprüft werden und daß der benötigte und gewünschte Bescheid sachgemäß beschafft wird. E r muß ferner Auskünfte richtig zu lesen verstehen; vor allem darf er nicht eine einzelne günstige Angabe aus dem Zusammenhang herausgreifen und ihr eine falsche Bedeutung beilegen, auch muß er auf die feinen Bemerkungen achten, mit denen sich oft eine Verschlechterung vorerst nur andeuten läßt, wie dem Sturm oder vernichtendem Hagel meistens ein fernes schwaches Aufleuchten am Himmel vorangeht. E r darf auch nie vergessen, daß selbst in der besten Auskunftei einmal aus Zufälligkeiten aller Art eine einzelne

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Auskunft unzutreffend, ja geradezu falsch ausfallen kann. Wäre es anders, so wäre ja Unfehlbarkeit erreicht! Und zu guter Letzt kann jeder Kreditgeber nur selbst entscheiden, ob der Kredit, der von ihm verlangt wird, in sich berechtigt ist oder nicht, und ob er zu seinen eigenen Verhältnissen paßt. Dies wird an zwei Beispielen deutlicher zu machen sein. Einem einfachen Handwerker mag man bei Einkauf von Rohstoffen 1000 M. Kredit geben können; man wird sich aber bei dem nur zehnten Teil dieses Kredits bedenken müssen, wenn er für eine Champagnerbestellung in Anspruch genommen werden sollte; gar mancher wird beispielsweise einige 100 000 M. in Beträgen bis zu etwa 5000 M. in aller Ruhe umsetzen dürfen, aber doch aus gesunder Vorsicht um seiner eigenen Sicherheit willen an einem ungleich höheren Kredit Anstoß nehmen müssen, wenn dieser an einer einzigen Stelle so groß verlangt wird, daß der Kreditgeber den größten Teil seines Geschäftsvermögens auf einem Brett wagen würde und deshalb den etwaigen Verlust nicht ertragen könnte. Es wird viel geklagt über „Mißstände im Auskunftswesen". Ohne Frage waren sie vorhanden und nur allzusehr eine Not der Zeit geworden, ehe die berufsmäßige Auskunftserteilung, die zu ihrer Abhilfe ins Leben trat, sich angemessen entwickeln konnte, und ohne Frage sind sie auch heute noch nicht überwunden, wofür die Strafbestimmungen des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb beredtes Zeugnis ablegen. Es ist ferner natürlich, daß sich sodann mancherlei Mißbrauch auch bei der neuen Erkundigungsweise geltend machte und macht. So hat es nicht an Unberufenen gefehlt, die die Sache einer so ernsten und wichtigen Arbeit als bequeme Ausbeutung behandelt haben und behandeln; es fehlt auch unter den besseren Vertretern des neuen Berufs nicht an den häßlichsten und schädigendsten Erscheinungen der Konkurrenz, wie sie auf allen Gebieten des geschäftlichen Lebens als die Kehrseite ihrer guten Wirkungen sich bemerklich machen. Doch das ist nicht das Hauptübel, daß sich auch im Auskunftswesen Leute finden, die nach dem Grundsatz handeln, „mundus vult deeipi, ergo deeipiatur", sondern daß die Menge derer so groß ist, die die Kreditfragen und was damit zusammenhängt, so außerordentlich leicht nehmen. Wer könnte bestreiten, daß sich die beklagten Mißstände in ihrer wirklichen Ursache immer auf die Kreditgeber selbst zurückführen, darum, weil noch so viele von ihnen sich nicht dazu aufschwingen können, den Anforderungen einer gründlichen und zuver3*

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lässigen Einholung der Auskünfte gerecht zu werden, weil noch zu viele die Rücksicht auf größere Billigkeit für sich ausschlaggebend sein lassen, ohne auch nur notdürftig sich darüber Rechenschaft zu geben, auf welche Weise ihren Anfragen die Erledigung beschafft wird und unter den gegebenen Umständen beschafft werden. kann. Die heftige Beschwerde z. B., daß ein Abonnent in ganz unverantwortlicher Weise durch die falsche Auskunft seines Auskunftsbureaus in einen Schaden von 10 000 M. gekommen sei, bekommt doch sofort ein anderes Gesicht, wenn wir später aus der angestrengten Klage erfahren, daß der Kreditgeber 10 000 M. Waren verborgte auf Grund einer mit 30 Pfennigen bezahlten Auskunft. Daß eine Stelle, die vorsichtiges Kreditgeben anrät und zugleich zuverlässige Auskunft zu beschaffen sucht, die Feindschaft derer auf sich zieht, die Kredit mißbrauchen, ist eine selbstverständliche Sache. Es kann deshalb nicht wundernehmen, daß zwischendurch Broschüren entstehen, die die Auskunfteien bekämpfen und verdächtigen. Unter diesen Schriften ist die bekannteste, die unter dem Titel „Die Auskunftsbureaux, eine moderne Fehme" erschien, und auf der fast alle anderen fußen. Gerichtsseitig ist sie für ein „Pamphlet niedrigster Sorte" bezeichnet worden; ihr Verfasser, mehrfach vorbestraft, erhielt eine längere Freiheitsstrafe. Auch in ernsthafter Weise ist des öfteren von einer „Reform des Auskunftswesens" die Rede; aber alle, die dieses Schlagwort vernehmen lassen, übersehen, daß gerade die Herausbildung der Auskunftserteilung zu einem selbständigen Berufe die Reform gewesen ist, die es jetzt nur gilt, immer mehr zu entfalten. Wie ich darzulegen imstande war, bedeutet die kaufmännische Auskunft von heute bereits nach Inhalt und Charakter einen ganz ungewöhnlichen Fortschritt, der mit innerer Naturnotwendigkeit seinem Ziele größter Zuverlässigkeit und Schnelligkeit entgegenwächst, und zwar genau in dem Maße, in welchem dies die kreditierende Geschäftswelt durch ihre wachsende Benutzung ermöglicht. Was unter dem Titel von „Reformvorschlägen" in die Öffentlichkeit tritt, hat es daher auch niemals mit der Sache selbst zu tun gehabt, sondern ist — abgesehen von den Anträgen auf Einführung der Konzessionspflicht und der Unterstellung unter den § 35 der Gewerbeordnung — immer nur dahin gerichtet gewesen, statt des privaten Betriebs entweder Vereine zu bilden, wie solche schon ziemlich früh tatsächlich gebildet worden sind, ohne sachlich etwas zu ändern, oder

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die Handelskammern damit zu betrauen, ja oft genug, so seltsam es erscheinen muß, ist es die Empfehlung staatlichen Betriebs gewesen, die dazu hat herhalten müssen, als Reformidee angepriesen zu werden. Alle diese angeblichen Reformbestrebungen, so die neueste, daß die Auskunfteien zur Sicherheit der Abonnenten ein ihren Abonnementsverpflichtungen entsprechendes Kapital hinterlegen sollen, dienen nur dazu, von den wichtigsten Hauptfragen auf Nebensächlichkeiten abzulenken und der Gedankenlosigkeit bei Auswahl eines Auskunftsbureaus Vorschub zu leisten. Der unaufhaltsame Fortschritt der Auskunfteien hat über alle angeblichen Reformvorschläge stets einfach zur Tagesordnung übergehen können, denn an den Wegen der Erkundigung, an den Grundsätzen, nach denen Auskunft zu geben ist, also an dem System selbst, ist nichts mehr zu reformieren, es kann sich immer nur um Vervollkommnung des Bestehenden handeln und um eine Steigerung der Leistungen. Dieser Aufgabe werden wie bisher die „wirklichen" Auskunfteien auch ferner nachkommen, nur möge die Geschäftswelt ihre Unterstützung dazu nicht versagen und die Mahnung beherzigen, die sich in dem mehrfach erwähnten Gutachten der Wiener Handelsund Gewerbekammer mit den Worten ausgesprochen findet: „Die Schwierigkeit und Gefährlichkeit der Rechercheurarbeit macht die Verwendung verläßlicher, geschickter und dabei in der Geschäftswelt geachteter und beliebter Rechercheure notwendig; diese Bedingungen werden die Angestellten von Bureaus wohl nur dann erfüllen, wenn sie angemessene Bezahlung erhalten, was dem Bureau nur möglich ist, wenn die Geschäftswelt weitere pekuniäre Zugeständnisse macht, als dies dermalen der Fall ist."

„Was not tut", bezeichnete Dr. O t t o M a y e r in einem in den S c h m o 11 e r sehen Jahrbüchern 1882 erschienenen Aufsatz treffend mit den Worten: „Die Hauptsache ist zuerst, daß sich durch eine Reihe guter Beispiele ein fester Begriff herausbilde dessen, was eigentlich zu einem ordentlichen, wohleingerichteten Auskunftsbureau gehört. An dem Punkte sind wir wohl schon angelangt, daß wir nicht jedem Winkelunternehmer diesen Namen gönnen." Dieser Begriff ist zwar mittlerweile für jeden verständigen Geschäftsmann unverkennbar klar festgestellt, aber eine große Menge will ihn nicht beachten, jedenfalls läßt sie ihn unbeachtet, was erklärt, daß von dieser Seite her die Klagen über Mißstände im Auskunftswesen nicht verstummen. Es ist nicht alles lautere Wahrheit, was über Auskunftsbureaus unter der Hand und am Biertisch erzählt wird. Es ist ja auch zu bequem und verlockend, wenn man durch eigene Unvorsichtigkeit in Verlust

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geraten war, die Schuld daran einer — oft gar nicht eingeholten oder unbeachtet gelassenen — Auskunft unterzuschieben! Es wird jetzt nach dem Vorbild des Philadelphia-Museums eine Reichshandelsstelle geplant und dafür vom Reich ein Zuschuß verlangt. Das amerikanische Vorbild, dem übrigens die Staatshilfe versagt wurde, hat den dortigen Auskunfteien in keiner Weise Abbruch getan. Hoffentlich wird von den interessierten treibenden Kreisen berücksichtigt, worauf Staatssekretär W e r m u t h i m Reichstage seinerzeit hinwies, als er diesen Bestrebungen sein Interesse zusicherte, nämlich, daß dabei vermieden werden sollte, zu bewährten Privatanstalten der Krediterkundigung in Konkurrenz zu treten. Hält sich das geplante Unternehmen von diesem eigenartigen Gebiete der Krediterkundigung fern, so verbleibt ihm immerhin noch eine große Aufgabe. Doch auch dabei bleibt das Bedenken noch bestehen, daß, wenn den zum Export Unberufenen allzuleicht Absatzmöglichkeiten zugängig gemacht werden, dann das solide Exportgeschäft durch leichtfertige Kreditgewährung und Preisunterbietungen nicht zum Ruhme der deutschen Industrie gefördert, sondern zum Nachteil aller derer geschädigt werden wird, die dem überseeischen Handel ihre Tatkraft und ihr Geschick bisher mit so schönem Erfolge gewidmet haben. — Zum Schluß meiner Ausführungen liegt es mir nahe, noch mancherlei aus der reichen Erfahrung meiner 35 jährigen Tätigkeit ergänzend anzuführen, doch will ich mich auf die Mitteilung eines einzigen kleinen Erlebnisses beschränken. Nachdem ich hier — der Handelshochschule gegenüber — im Hause der Apotheke Zum weißen Schwan, Spandauerstraße 77, am 1. November 1872 nach längeren Vorbereitungen, mit den notwendigen Mitteln versehen, die Auskunftei begründet hatte, die Sie alle kennen, mußte es mir naheliegen, Bekanntschaften zu machen. Bei einem meiner ersten Besuche sagte mir ein ganz angesehener Geschäftsmann aus nächster Nachbarschaft von hier: „Bleiben Sie mir weg mit dem Schwindel", und nach der Begründung dieses harten Urteils befragt: „Ein anständiger Mann befaßt sich mit einer solchen Sache nicht." Meine ruhige Entgegnung war das Gelübde: „Die Arbeit, die Sie einen Schwindel nennen, werde ich weiter tun und Sie sollen den Hut davor ziehen." Beim Weggehen folgte mir ein Blick, der da sagte: Ist der Mensch ein Narr, oder sollte ich ihm doch Unrecht getan haben? — Der Hut wurde bereits nach wenigen Jahren vorbehaltlos gezogen.

Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit.

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Diese kleine Geschichte aus meiner Anfangszeit, die mir all die Jahre über, bis ich vor Jahresfrist meine Auskunftei an meine beiden ältesten Söhne abtrat, ein Ansporn geblieben ist, vermag besser als alles andere die Schwierigkeiten grell zu beleuchten, die meine Bestrebungen zu überwinden hatten. Für das, was ich in schwerem Kampf und in harter oft tief in die Nacht gehender Arbeit erreichte, habe ich in der Londoner Times vor kurzem, in ihrer Nummer vom 3. Januar d. J . , in einem eingehenden Artikel über „Commercial Organisation in Germany" folgendes Zeugnis gefunden: „Ohne Zweifel, das bestorganisierte Bureau dieser Art in Europa ist das der Auskunftei W. Schimmelpfeng und eine kurze Beschreibung dieser bedeutenden Organisation wird in jedem vollständigen Werk über Handelswissenschaften einen Platz finden müssen." Gegenüber diesem Zeugnis und ähnlichen, an denen es mir nicht gefehlt hat, möchte ich nicht unterlassen hier hervorzuheben, daß, wenn ich auch für mich in Anspruch nehmen darf, einen ganzen Stand gehoben zu haben, ich im übrigen mir bewußt bin, doch nur den soliden Grund zu einer großen Anstalt gelegt zu haben, die, obwohl sie als mustergültig bezeichnet wird, noch weiter viel tüchtige Arbeit und viel Zeit braucht, bis sie das ganz geworden sein wird, was von Anfang an in ihrem Plan vorgesehen ist. — Jedes Land hat immer so viele und genau die Art von Auskunftsbureaus, als seine Einwohner benutzungswert halten; möge unsere Geschäftswelt dafür sorgen, daß die deutschen Auskunfteien ausnahmslos unserem Vaterland und dem deutschen Handelsstand zur Ehre gereichen, — das ist und bleibt mein lebhafter Wunsch.

II. Die wirtschaftliche Bedeutung von Lieferungs-, Börsenterminund Spekulationsgeschäften in Waren. Vortrag des Herrn W-

Kantorowicz,

Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin.

AVenn ich von der juristischen Terminologie zunächst absehe und den Begriff „Liefeningsgeschäft" so interpretiere, wie dies in der geschäftlichen Umgangssprache üblich ist, so muß ich ein Lieferungsgeschäft bezeichnen als ein Geschäft, das eine nicht s o f o r t , sondern geraume Zeit n a c h Abschluß lieferbare Ware zum Gegenstand hat. AVenn ich also einem Gutsbesitzer die Wolle abkaufe, die bereits geschoren ist und zu deren prompter Abstellung er sich verpflichtet, so ist das k e i n Lieferungsgeschäft. AVenn ich ihm aber die AVolle im März abkaufe, die erst im Juni geliefert wird, so ist das ein Lieferungsgeschäft. Sie sehen hier bereits, daß der Begriff „Lieferungsgeschäft" kein präziser ist. Geliefert muß jede Ware werden, gleichviel ob prompt oder geraume Zeit nach Abschluß. Was ein Geschäft zum L i e f e r u n g s geschäft macht, die Bedingung, daß die AVare erst g e r a u m e Z e i t n a c h Abschluß geliefert wird, kommt in der Bezeichnung Lieferungsgeschäft nicht zum klaren Ausdruck. Hierauf ist es vermutlich zurückzuführen, daß die Börse sich für das, was der Begriff Lieferungsgeschäft besagen sollte, eine andere Bezeichnung prägte. Nirgends hat das AVort time is money mehr Bedeutung als an der Börse. An einer großen Börse werden in wenigen Stunden häufig mehr Umsätze gemacht, als in einer Mittelstadt während eines ganzen Jahres, in wenigen Worten, vielfach mit einem Wort werden Geschäfte abgeschlossen, die einen Betrag von Hunderttausenden, manchmal auch Millionen Mark repräsentieren. So muß an der Börse alles klipp und klar sein, die Bedingungen müssen feststehen, über die Bedeutung der, termini technici darf kein Zweifel herrschen. Die Börsensprache ringt also nach Kürze und Klarheit, ihre Ausdrücke müssen scharf umrissen sein, und so erkläre ich es mir, wie schon gesagt, daß man im Börsenverkehr allmählich dahin kam, den Ausdruck Lieferungsgeschäft durch das Wort Termingeschäft zu ersetzen.

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Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

Das Wort „Termin" besagt zweierlei: 1. daß es sich um etwas handelt, was in der Zukunft liegt, und 2. daß diese Zukunft scharf begrenzt, terminiert ist. So ist das Wort Termingeschäft eine zwiefache Verbesserung gegenüber der Bezeichnung Lieferungsgeschäft. Es gelangt in ihm zum Ausdruck, daß die Ware, die den Gegenstand des Termingeschäfts bildet, nicht sofort, sondern zu einer s p ä t e r e n Zeit, dann aber auch laut Vereinbarung bestimmt auf Tag und Stunde geliefert werden muß. Die Börse hat sich aber nicht begnügt, dem von ihr übernommenen Kinde einen anderen Namen zu geben, sie hat auch dafür gesorgt, daß ihr Schützling günstige Daseinsbedingungen vorfinde. Auf allen Gebieten des Lebens tritt, wenn kleine Verhältnisse sich zu großen auswachsen, die Notwendigkeit ein, mit dem Schlendrian zu brechen, an die Stelle epischer Behaglichkeit eine gewisse dramatische Lebendigkeit mit ihrer Knappheit in der Form zu setzen. Diesem Entwicklungsprozeß mußte die Börse auch das Lieferungs» geschäft unterwerfen. Gegenüber der Notwendigkeit, den konzentrierten Massenverkehr zu bewältigen, ergab sich für die Börse der Zwang, sich sowohl in bezug auf die geschäftlichen Verhandlungen, als auch in bezug auf die Abwicklung der geschlossenen Geschäfte ökonomisch einzurichten. So wurde der gedruckte (schematische) Schlußschein, der alle Geschäftsbedingungen enthält, für den Börsenhandel eingeführt. Der Abschluß der Geschäfte beschränkt sich daher auf die Verabredung von Preis, Menge und Lieferzeit, also auf wenige Worte. Zur Vermeidung von unnötigen Unkosten und Arbeitsverrichtungen bei Lieferung und Bezahlung der Waren sind Organisationen geschaffen, die jedermann zu benutzen hat. Für die Lösung von Streitigkeiten wird durch prompte Justiz gesorgt. Dem Urteil der Sachverständigen und Schiedsrichter sind alle Kontrahenten unterworfen. Alle diese Einrichtungen, so wirksam sie sein mögen, haben aber, was nicht übersehen werden darf, einen rein verkehrstechnischen Qharakter, sie sind lediglich das Produkt des Massenverkehrs. Tatsächlich gibt es denn auch kleine Börsen, die Organisationen, wie die vorerwähnten, und die verkehrstechnischen Verfeinerungen der großen Börsen vermissen lassen oder in sehr vermindertem Grade auf-

Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

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weisen, während andererseits eine ganze Anzahl nicht börsenmäßiger Artikel namhaft zu machen ist (Kohle, Eisen, Zucker, Sprit usw.), die, in großen Massen gehandelt, auf Grund gedruckter (schematischer) Schlußscheine mit sehr scharfen und scharf formulierten Bedingungen abgeschlossen werden. Die i n n e r e Natur des Börsentermingeschäfts wird von all den erwähnten Einrichtungen nicht berührt, in dieser Beziehung unterscheidet sich dasselbe nicht von dem außerbörsenmäßigen Lieferungsgeschäft; es dient den gleichen wirtschaftlichen Zwecken und ist in kurzen, dürren Worten nichts anderes als ein Lieferungsgeschäft, das sich in den Formen verkehrstechnischer Verfeinerung vollzieht. Daß diese Auffassung den Geschäftsverkehr beherrschte, und daß man sich damit auch abfand, beweist am besten der Umstand, daß beide Begriffe „Termingeschäft und Börsentermingeschäft" der Gesetzgebung vollständig fremd waren. Erst durch das Börsengesetz von 1896 wurde der Begriff „Börsentermingeschäft" in die Gesetzgebung eingeführt. Man wollte durch dieses Gesetz ja lediglich B ö r s e n mißstände bekämpfen und so mußte man naturgemäß für die dort praktizierten Geschäfte eine Bezeichnung wählen, die keinen Zweifel darüber ließ, daß man eben nur die an der B ö r s e üblichen Lieferungsgeschäfte, n i c h t Lieferungsgeschäfte im a l l g e m e i n e n treffen wollte. Ob dies Problem lösbar war, ist eine andere Frage. Wenn ich die unterscheidenden kulturellen Merkmale der germanischen und romanischen Rasse feststellen will, so genügt es nicht, zu sagen, die eine hat blonde, die andere schwarze Haare. Ich muß mich auch über die Verschiedenheit in Denken und Empfinden, Temperament und Charaktereigenschaften der beiden Rassen äußern. Auch der Gesetzgeber kann nicht ein und dieselbe Handlung billigen und mißbilligen, je nachdem sie von einem Blonden oder Brünetten vollbracht ist. Seiner Differenzierung muß eine Unterscheidung der beiden Handlungen zugrunde liegen, weichein einem R e c h t s g e d a n k e n wurzelt. Wenn Sie dahingegen das Börsengesetz zur H^nd nehmen, so finden Sie, daß in § 48 desselben der Gesetzgeber Börsentermingeschäfte als Termingeschäfte definiert, die nach Börsen-Terminbedingungen abgeschlossen werden und deren Preise an der Börse amtlich notiert, werden.

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Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

Der Gesetzgeber hat sich also damit begnügt, die Haarfarbe der Börsentermingeschäfte zu kennzeichnen. Was er als charakteristische Eigentümlichkeit des Börsentermingeschäfts feststellt, sind rein ä u ß e r l i c h e Merkmale. Der Gesetzgeber hat es demnach unterlassen, die bis dahin bestehende Auffassung von Börsentermingeschäften um einen n e u e n , das i n n e r e W e s e n dieser Geschäfte berührenden Zug z u b e r e i c h e r n , und so konnte es nicht ausbleiben, daß die alte, bis zum Erlaß des Börsengesetzes bestehende Auffassung, die auf eine I d e n t i t ä t von Lieferungs- und Börsentermingeschäften hinauslief, weiterbestehen blieb. Als weitere Konsequenz ergab sich hieraus, daß auch für die Judikatur die a 11 e Auffassung maßgebend blieb. Nur zog sie daraus nicht die Folgerung, daß sie das B ö r s e n t e r m i n g e s c h ä f t der Wirkung des Börsengesetzes e n t zog, was sie ja auch angesichts des Bestehens des Börsengesetzes nicht konnte, sie verfuhr vielmehr umgekehrt in der Weise, daß sie das n i c h t b ö r s e n m ä ß i g e L i e f e r u n g s g e s c h ä f t unter gewissen Voraussetzungen, auf die ich noch zu sprechen komme, der Wirkung des Börsengesetzes u n t e r 20g, auch wenn dasselbe die von dem Gesetzgeber für das Börsentermingeschäft festgestellten, vorhin erwähnten Kriterien nicht aufwies. Hierbei ließ sich das Reichsgericht von der Erwägung leiten, daß der Gesetzgeber durch Erlaß des Börsengesetzes die Absicht bekundete, das Börsenspiel einzuschränken. Kommt nunmehr ein nichtbörsenmäßiges Lieferungsgeschäft in Frage, das nach einem typischen Schlußschein abgeschlossen und nach eben diesem Schlußschein zurückgedeckt werden kann, so nimmt das Reichsgericht an, daß ein solches Geschäft einen Ersatz für ein Börsentermingeschäft zu bieten geeignet sei und daher der Wirkung des Börsengesetzes unterworfen werden müsse, wenn die Absicht des Gesetzgebers nicht vereitelt werden solle. Dieser Standpunkt des Reichsgerichts ist in der Literatur vielfach und meines Erachtens mit Recht angefochten worden. Gewiß soll, wenn die Wirkung eines Gesetzes mit der Absicht des Gesetzgebers nicht in Einklang zu bringen ist, auf die letztere gebührend Rücksicht genommen werden. Aber dieser Fall liegt nicht vor. Der Gesetzgeber wollte, wie die Vorgeschichte des Börsengesetzes beweist, n i c h t die Spekulation r a d i k a l , sondern nur i n s o w e i t unterdrücken, wie dies eben in §48 des Börsengesetzes zum Ausdruck gelangte-

Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

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Das Reichsgericht hat sich also mit seiner den § 48 ignorierenden Judikatur nicht der Absicht des Gesetzgebers angepaßt, sondern sich im Gegenteil in W i d e r s p r u c h zu ihr gesetzt. Hierdurch entstand eine äußerst bedauerliche Rechtsverwirrung, die das Gefühl der Rechtssicherheit bei den in Frage kommenden Interessenten in schwerster Weise erschütterte und so ihrerseits die von dem Börsengesetz angerichteten Schäden weiter vermehrte. Auf den augenblicklich den Kommissionsberatungen des Reichstags unterliegenden Entwurf eines Gesetzes betr. Änderung des Börsengesetzes, durch den man sich, wenigstens in bezug auf die Fondsbörse, wieder den Zuständen vor Erlaß des Börsengesetzes um ein gutes Stück nähert, vermag ich hier nicht einzugehen. Nur soviel möchte ich feststellen: Die rechtliche Unsicherheit, welcher das nichtbörsenmäßige Termingeschäft oder, wie man es zu bezeichnen pflegt, das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft gegenwärtig ausgesetzt ist, ist nicht durch das in Geltung befindliche Börsengesetz hervorgerufen. Indem dieses, wie schon erwähnt, in § 48 als Kriterien des Börsentermingeschäfts in äußerlicher zwar, aber doch unverkennbar deutlicher Weise Merkmale festsetzte, welche beim handelsrechtlichen Lieferungsgeschäft nicht angetroffen werden k ö n n e n , war letzteres gegen eine Identifikation mit dem Börsentermingeschäft in rein rechtlicher Beziehung absolut sichergestellt. Wenn trotzdem eine Konfundierung der Begriffe von Börsenterminund handelsrechtlichen Lieferungsgeschäften stattfand, so ist dafür nicht das Börsengesetz, sondern die Judikatur verantwortlich zu machen. Was demnach dem Warenhandel nottat, um aus der geschilderten Misere herauszukommen, war nicht eine Änderung des Börsengesetzes, sondern eine Änderung der Judikatur, während man jetzt das Gesetz ändert, bezüglich der Änderung der Judikatur eine Gewähr aber weder leistet noch leisten kann. Hierbei ist noch zu beachten, daß die handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte nicht bloß durch die Konfundierung ihres Begriffs mit dem des Börsentermingeschäfts in ihrer Rechtsgültigkeit bedroht sind, sondern auch durch die Möglichkeit des sich auf §§ 762 und 764 des B.G.B, stützenden Spieleinwands. In bezug auf Börsentermingeschäfte, insoweit sie durch den Börsenvorstand zugelassen sind, hat nun allerdings der Entwurf mit

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Lieferuugs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

diesem Spieleinwand aufgeräumt. Für handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte behält derselbe aber auch nach dem Entwurf Geltung, und so besteht die Gefahr, daß derjenige, der in Zukunft sich seinen Verpflichtungen entziehen will, nur die Argumente zu wechseln braucht, um dieselbe Wirkung zu erzielen wie bisher. Prozedierte er bisher so, daß er ein handelsrechtliches Lieferungsgeschäft als Börsentermingeschäft ansprach, so ist zu besorgen, daß er in Zukunft die Rechtsungültigkeit eines abgeschlossenen Geschäfts dadurch zu erreichen bemüht sein wird, daß er den Spieleinwand erhebt. Allerdings ist es ja nicht ausgeschlossen, daß die Judikatur aus dem Entwurf die Anregung herleitet, in der Beurteilung des Spielcinwandes sich mehr den in kommerziellen Kreisen herrschenden wirtschaftlichen Anschauungen zu nähern. Aber erst wird man abwarten müssen, ob die Judikatur eine solche Schwenkung vornimmt, ehe man sich, wie das heute vielfach geschieht, dem Gefühl der Sicherheit auch in bezug auf die handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte hingibt. Ich schulde Ihnen noch die Definition von Spekulationsgeschäften. Als solche möchte ich Geschäfte charakterisieren, die nicht auf streng rechnerischer Grundlage beruhen. Wenn ich heute Roggen ab Odessa zum Preise von 140 M. kaufe, dazu: Zoll 50 „ Fracht und Spesen ab Odessa—Hamburg . . . 10 „ Fracht und Spesen Hamburg—Riesa 5 „ so daß sich also der Roggen auf 205 M. frei Riesa kalkuliert, während der Verkaufspreis Zug um Zug 210 „ beträgt, so habe ich einen Gewinn von 5 M. per Tonne erzielt und ein auf streng rechnerischer Grundlage beruhendes Geschäft abgeschlossen. Diesen Charakter verliert das Geschäft dadurch nicht, daß die Kalkulation sich nach Abwicklung in bezug auf Fracht, Manko und Spesen nicht als ganz zuverlässig erwies. Berechnungen, die sich in betreff aller Faktoren auf Heller und Pfennig als richtig herausstellen, dürften selten genug vorkommen. Das weiß jeder erfahrene Kaufmann, und darum rechnet er damit, daß ein Geschäft sich bald günstiger, bald weniger günstig abwickelt. Worauf es ankommt, ist das, daß Verschiebungen in bezug auf Fracht und Spesen usw., wenn man nur mit der erforderlichen Vorsicht kalkuliert,

Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

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in der Regel ohne große Bedeutung sind; sie können den veranschlagten Gewinn wohl etwas vergrößern oder verkleinern, aber sie können nicht statt des Gewinns einen großen Verlust bringen. Wenn ich aber heute Roggen, gleichviel ob in bemusterter individueller Ware ab Odessa oder auf Termin an der Börse kaufe, nicht um ihn sofort zu verkaufen, sondern um damit ä la hausse zu gehen, zu warten, bis der Preis gestiegen, ehe ich verkaufe, so mache ich ein Spekulationsgeschäft. Auch diesem liegt eine Berechnung zugrunde. Ich sage mir: Wir haben in den verschiedenen Ländern die und die Bestände, die Ernteaussichten sind bei uns mäßig, in Rußland großenteils ungünstig, die politischen Verhältnisse sind getrübt, die Erhaltung des Friedens bringt uns keinen Rückgang, Krieg oder Kriegsgefahr würde eine starke Preissteigerung zur Folge haben, dazu der und jener a la hausse stimmende Umstand, kurz und gut, überall Haussefaktorcn und dabei billige Preise: also mehr Chancen nach oben als Risiko nach unten, folglich: kaufe ich und warte das Weitere ab. Auch das sind Berechnungen, aber Berechnungen spekulativer Art, Kombinationen ohne feste ziffermäßige Grundlage. Jeder erfahrene Kaufmann weiß, daß es, wenn man so seine Raisonnements aufbaut, kommen kann, wie man hofft, aber auch anders. Vor allem pflegt derjenige, der die Neigung hat, sich über die zukünftige Entwicklung ein Urteil zu bilden, er mag noch so gründlich verfahren und noch so gut informiert sein, eine Anzahl der in Betracht kommenden Faktoren zu übersehen oder nicht richtig einzuschätzen. Seine Berechnungen können auch dadurch durchkreuzt werden, daß etwas Unerwartetes, das er gar nicht vorhersehen k o n n t e , eintritt. Es kann auch vorkommen, daß er die Entwicklung der Dinge richtig voraussieht und doch sein Geld verliert, weil diejenigen, die anderer Ansicht sind als er, die Entwicklung aufhalten und ihn so zwingen, seine Engagements zu lösen, bevor er aus dem Triumph seiner Meinung Nutzen ziehen konnte. Kurz und gut, die Unsicherheit aller menschlichen Voraussicht unterscheidet derartige Geschäfte von denjenigen, die eine streng ziffermäßige Grundlage haben, und macht sie zu Spekulationsgeschäften. Ich resümiere: Lieferungsgeschäfte sind Geschäfte, die eine n i c h t s o f o r t , sondern s p ä t e r lieferbare Ware zum Gegenstande haben; Gewerbliche EmzelvurtrUg-c.

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Lieferungs-, Bürsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

Termin- und Börsentermingeschäfte sind ihrem inneren Wesen nach nichts anderes als Lieferungsgeschäfte; Spekulationsgeschäfte sind Geschäfte, die nicht auf streng ziffermäßiger, rechnerischer Grundlage beruhen. Nun bin ich mit meinen Definitionen zu Ende. Wenigstens glaube ich sie nicht weiterspinnen zu dürfen, wenn ich meiner Aufgabe gerecht werden soll. Denn ich stehe nicht vor Ihnen als Jurist, der Definitionen liefert und Ihnen die Sorge überläßt, sich in den Rahmen derselben die hierfür passenden Geschäfte nach Ihrer Phantasie hineinzumalen. Ich stehe vor Ihnen als praktischer Kaufmann, der es als seine Aufgabe ansieht, die Geschäfte, um die es sich hier handelt, so lebendig zu schildern, in so plastischer Greifbarkeit Ihnen vor die Seele zu führen, daß Sie eine klare und deutliche Vorstellung von ihnen haben und sich Ihre Definitionen dann selbst bilden können. Ich will Ihnen also nicht trockene Definitionen, sondern ein lebensvolles Bild geben, und um dies zu erreichen, will ich einige typische Lieferungsgeschäfte in ihrem ganzen Verlauf von Anfang bis zu Ende darstellen. Und damit ich nicht auf Grund fremder, mich irreleitender Informationen Sie selbst irreführe, will ich die Beispiele, die ich wähle, aus meiner eigenen praktischen Tätigkeit entnehmen, wobei es nichts verschlägt, daß dieselben zum Teil einer vergangenen Zeit angehören, da in anderen Artikeln die Geschäfte auch heute noch in gleicher Form gehandhabt werden. Ich habe mich während meiner 40 jährigen kaufmännischen Tätigkeit mit einer ganzen Anzahl von Artikeln beschäftigt. Drei Artikel aber sind es, denen ich fast mein ganzes kaufmännisches Leben hindurch treu blieb. Dies sind: Sprit, Spiritus und Melasse, und diese drei Artikel sollen mir das Material für meine Darstellung liefern. Rohspiritus oder kurzweg Spiritus nennt man den Branntwein oder Alkohol, wie man auch im Publikum sagt, den man in unseren landwirtschaftlichen Kartoffelbrennereien und in den gewerblichen Getreide- und Mclassebrennereien produziert. Dieser Rohspiritus enthält übelriechende und übelschmeckende Teile, die im Wege des Dcstillationsprozesses entfernt werden, und nachdem der Rohspiritus hiervon befreit ist, heißt er Sprit. Sprit ist also gereinigter oder rektifizierter Spiritus und wird in den Spritfabriken hergestellt.

Lieferungs-. Börsentermin- und Spekulationsgeschäfte.

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Als ich meine Lehrzeit in einem Hamburger Exporthaus absolvierte, befaßten wir uns vielfach auch mit Sprit und Spiritus. Ein Teil des Spritgeschäfts wurde damals in folgender Weise gemacht. Wir beschäftigten fast ausschließlich für uns eine an der Ostsee gelegene Spritfabrik, und wenn diese das erforderliche Quantum Sprit vorrätig hatte, wurde ein Schiff getrachtet, und zwar ein Segelschiff, weil es billiger zu haben war als ein Dampfer und die langsamere Fahrt desselben gerade für unsere Zwecke erwünscht war: man gewann dadurch für den Verkauf der Ware möglichst viel Zeit. In der Chartre-Partie, in die binnenländische Sprache übersetzt, also im Frachtvertrage, wurde ausbedungen, daß das Schiff die spanischen Häfen Cadiz, Barcelona, Tarragona, dann an der französischen Küste Marseille, an der italienischen Küste Genua, Livorno und in Sizilien Messina anzulaufen und in allen diesen Häfen Teilladungen zu entlöschen habe. Nach der Beladung ging das Schiff von der Ostsee direkt nach Gibraltar, und dort fand der Kapitän unter vereinbarter Adresse Nachricht vor, welchen Hafen er zunächst anzulaufen habe. War dies beispielsweise Barcelona, so erfuhr er in Barcelona unter einer neuerdings vereinbarten Adresse, wieviel Stückfaß er daselbst auszuladen und nach welchem Hafen er weiterzuschwimmen habe. In dieser Weise wurde dann von Hafen zu Hafen weiter verfahren, bis der Kapitän in Livorno oder Messina seiner Verpflichtungen ledig wurde. Berechnen Sie nun für die Fahrt von der Ostsee bis Gibraltar eine Dauer von etwa 2 Monaten, für das Anlaufen der Einzelhäfen einen gleichen Zeitraum, so haben Sie bereits 4 Monate für die Abwicklung des in Frage stehenden Lieferungsgeschäftes in Ansatz zu bringen. Dazu kam ein Monat für die Zeit der Fabrikation in der Spritfabrik, so daß also schon 5 Monate in Rechnung zu stellen sind. Doch auch damit erschöpfte sich nicht die Dauer der Transaktion; denn die Rohware, die wir der Spritfabrik lieferten, mußte ja auch beschafft werden, und wenn man hierbei möglichst vorteilhaft verfahren, d. h. die Ware so billig als möglich beschaffen wollte, so mußte man sie nicht an der pommerschen Küste, am Domizil der Spritfabrik, sondern in der Provinz Posen, an der Posener Börse oder an den einzelnen Warthestationen besorgen. Der zweckmäßigste Beschaffungstermin waren dann die Wintermonate, die Zeit der stärksten Produktion, in der die 4*

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Ware an die zur Einladung bereitstehenden Kähne geliefert wurde, um nach Eröffnung der Schiffahrt abzuschwimmen. Nehmen Sie als Durchschnittsdatum für diese Lieferungen an den Kahn den Monat Januar an, während die Ware im April in Stettin anlangte, so werden weitere 3 Monate durch das in Rede stehende Lieferungsgeschäft absorbiert, und die Abwicklung desselben verlängert sich demnach auf einen Zeitraum von etwa 8 Monaten. Rechnen Sie dazu noch weitere 2 Monate für die Zeit der Produktion des Rohmaterials und 2—3 Monate für den Absatz in den verschiedenen spanischen, französischen und italienischen Küstenstädten, so sehen Sie, daß ein ganzes volles Jahr und wohl noch mehr verging, ehe man im vorliegenden Falle die Ware von den Produzenten bis in die letzten Kanäle des Konsums leitete, und da Ihnen bekannt sein wird, daß der Produzent, der häufig schon lange vor der Zeit der Ablieferung seines Produktes Vorschüsse, spätestens aber bei Ablieferung der Ware Bezahlung verlangt, so wird Ihnen mit einem Schlage klar, wie undurchführbar schon mit Rücksicht auf die finanzielle Seite, wenigstens in vielen Fällen, die Bestrebungen sind, Produzenten und Konsumenten in direkten Konnex zu bringen, denn diese würden darauf hinauslaufen, den Produzenten veranlassen zu wollen, ein Jahr lang auf den Erlös aus seiner Ware zu warten. Das Lieferungsgeschäft, das ich Ihnen soeben dargestellt habe, wird Sie aber noch auf einen anderen Gesichtspunkt hinweisen. Solch ein Lieferungsgeschäft gehört nicht zu den Spekulationsgeschäften, wenigstens wurde es von uns nicht als Spekulationsgeschäft betrieben. Es beruhte demnach auf strenger rechnerischer Unterlage, und Sie werden, insoweit sie der Materie fernstehen, neugierig sein, zu erfahren, wie man die rechnerische Unterlage für ein Geschäft, dessen Abwicklung einen so weiten Zeitraum umspannte, sich zu verschaffen vermochte. Darauf habe ich zu erwidern, daß wir •— also das Hamburger Exporthaus, in dem ich tätig war — selbstredend an allen genannten Plätzen unsere Vertreter hatten, mit denen wir dauernd in Korrepondenz standen und die uns über die Marktlage zu unterrichten hatten. Handelte es sich also um eine neue Transaktion, so zog man die erforderlichen Informationen ein, schlug zu dem Einkaufspreis Fracht, Spesen und was man sonst für das Risiko zu kalkulieren hatte, hinzu, und wenn dann der Preis, der in den Empfangsplätzen zu erzielen

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war, Rechnung ließ, so ging man an die Ausführung, oder wenn diese Rechnung fehlte, wartete man so lange, bis sich das Rendimentverhältnis wieder einstellte. Nehmen Sie also an, der Einkaufspreis stellte sich auf 40 M., die Rektifikations-, Transport- und sonstigen Spesen kalkulierten sich nach unseren Erfahrungen auf 8 M., so trat man nur dann in die Transaktion ein, wenn der am Empfangsort erzielbare Preis den Preis von 48 M. um so viel überstieg, daß der Gewinn eine lohnende Entschädigung für die Arbeit und das Risiko des Unternehmens bot. Diese ganze Kalkulation hatte aber einen bösen Haken. Was nützte es uns, im Dezember, also zur Zeit, wo wir die Ware im Posenschen einkauften, zu erfahren, daß der Spritpreis in Barcelona 50 M. betrug, wenn wir die Ware doch erst im August des folgenden Jahres in Barcelona verkaufen konnten. Der Preis für August-Lieferung war im vorangehenden Dezember nicht festzustellen, und zwischen Dezember und August konnte natürlich vieles passieren, was die ganze Kalkulation zu einer problematischen machte, zumal bei einem Artikel wie Sprit große Preisschwankungen eine ganz normale Erscheinung waren. Wenn man derartige Geschäfte machen wollte, ohne sich großen Kursschwankungen auszusetzen und somit zu riskieren, daß man statt des erhofften Gewinns einen Verlust erleide, so mußte neben der in Frage stehenden Transaktion eine Paralleltransaktion nebenherlaufen. Man verfuhr nun derartig, daß man gegen die im Dezember gemachten Rohspirituseinkäufe zunächst in Deutschland an einer Spiritusbörse Rohspiritus per Mai/Juni verkaufte und informierte sich, bevor man im Mai dann das Seeschiff charterte, nochmals, ob das früher festgestellte Rendimentverhältnis mit dem Mittelmeer noch bestand. War dies nicht mehr der Fall, so unterblieb der Versand nach dem Mittelmeer und man verwandte den eingekauften Rohspiritus zur Erfüllung der an der deutschen Börse bewirkten Verkäufe. Bestand aber das Rendimentverhältnis nach dem Mittelmeer noch, so frachtete und expedierte man das Seeschiff, und wenn dann die Ladung bereits auf dem Wege nach Gibraltar war, so fing man an, die im Schiff liegenden Sprite per Juli/August in Spanien Frankreich und Italien zu verkaufen, und kaufte bei jedem einzelnen Teilverkauf von Sprit das entsprechende Quantum Rohspiritus an

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der deutschen Börse zurück. So liquidierte man seine Engagements an den deutschen Börsen, und schließlich blieben gegen die auf Gibraltar schwimmende Ladung die Verkäufe in genannten Mittelmeerländern übrig, die dann durch die Ablieferung der Ware erfüllt wurden. Nehmen Sie also beispielsweise an, die Posener Spirituskäufe hätten sich, wie oben gesagt, auf 40 M. gestellt, während des spanische Spritpreis zur Zeit 50 M. betrug, so daß er abzüglich 8 M. Spesen einen Gewinn von 2 M. pro Hektoliter in Aussicht stellte. Wenn nun beispielsweise der Spirituspreis in Deutschland um 10 M. stieg, so bezahlte man in Spanien, wenn das Rendimentverhältnis dasselbe blieb, nicht, wie ursprünglich in Aussicht genommen war, 50 M., sondern 60 M., der Gewinn belief sich also auf 20 M. minus 8 M. Spesen, d. h. auf 12 M. statt der kalkulierten 2 M. Auf der anderen Seite mußte man die an der deutschen Börse gemachten Verkäufe infolge der stattgehabten Steigerung mit einem Verlust von 10 M. zurückdecken, der seinerseits wieder von dem in Spanien erzielten Gewinn in Abzug zu bringen war, sodaß dann der Gewinn der ganzen Transaktion sich unverändert auf 12 — 10 M., also 2 M. pro Hektoliter, wie ursprünglich kalkuliert, belief. Trat statt der Hausse eine weichende Konjunktur von 10 M. ein, so erlösten wir in Spanien, immer die Fortdauer des Rendimentsverhältnisses vorausgesetzt, statt der ursprünglich in Aussicht genommenen 50 M. nur 40 M., verloren also an der zu 40 M. eingekauften Ware die Rektifikations- und Transportspesen, d. h. 8 M. Dahingegen kassierte man aber an der deutschen Börse bei der Rückdeckung einen Konjunkturgewinn von 10 M. ein, so daß also auch in diesem Falle das Endresultat 10 M. minus 8 M., also einen Gewinn von 2 M. ergab und mit der ursprünglichen Kalkulation somit übereinstimmte. Freilich konnte auch n a c h Expedition des Seeschiffs noch eine Änderung im Preisverhältnis zwischen den deutschen Börsen und dem Auslande eintreten und die der ganzen Transaktion zugrunde liegende Kalkulation verschieben. Hierüber mich eingehender zu äußern, bin ich bei der Kürze der mir gestellten Vortragsfrist nicht in der Lage. Es handelt sich hierbei um technische Feinheiten der Arbitrage, denen der Kaufmann nur auf Grund langjähriger geschäftlicher Erfahrung gewachsen ist. Für meinen Vortrag mag genügen, daß derartige Verschiebungen im Rendimentverhältnis innerhalb einer nicht zu lang bemessenen Frist in nor/nalen Zeiten wohl eine

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Verschiebung der Kalkulation, nicht aber einen völligen Umsturz derselben herbeiführen. Wie hoch das Risiko derartiger Verschiebungen zu veranschlagen ist, ist Sache der Erfahrung, und der erfahrene Kaufmann wird bei seiner Kalkulation dieses Risiko in entsprechende Berücksichtigung ziehen und so es erreichen, daß er Transaktionen wie die erwähnte auf Grund einer im großen und ganzen sicheren Kalkulation zu bewirken vermag. Ich komme nunmehr zur Darstellung eines Rohspiritus-Lieferungsgeschäftes, dessen teilweise Bekanntschaft Sie ja bereits gemacht haben, und wähle auch hier wieder einen möglichst langfristigen Typ, um so gewissermaßen unter einem Vergrößerungsglase die Struktur der Gattung Ihrem Blicke bloßzulegen und auf diese Weise deren Erkenntnis zu erleichtern. Auch wenn der Versand nicht zum Export nach dem Auslande erfolgte, bestand die regelmäßige Tätigkeit einer Anzahl Großhändler darin, die Winterzufuhren an den schon genannten Warthestationen in die Kähne einzuladen und dagegen an der Berliner Börse Spiritus auf Mai, Juni oder spätere Lieferung fortzugeben. Diese Transaktionen vollzogen sich fast überall derart, daß man am s e l b e n Tage, an dem man die Ware auf Grund des Tagespreises für disponible Ware abnahm, auf Termin dagegen fortgab, so daß also jede Spekulation ausgeschlossen war. Ein Teil dieser Lieferungen wurde nun tatsächlich zur Abdeckung der Berliner Verbindlichkeiten verwandt, so daß die ganze Transaktion auf diese einfache Weise ihre Erledigung fand und der Nutzen der Händler in der Differenz bestand, die sich zwischen Fracht und Spesen für den Transport nach Berlin einerseits und dem Untergeld andererseits ergab, welches der Ökonom gegenüber der Berliner Notiz dafür bewilligte, daß man ihm die Ware ab Warthestation abnahm. Betrug also das Untergeld 3 M. pro Hektoliter, während Fracht und Spesen sich auf 2 M. beliefen, so hatte der Händler 1 M. pro Hektoliter verdient. Ein anderer Teil dieser Zufuhren fand nicht zur Deckung der Berliner Engagements Verwendung. Man frachtete die Kähne gleich so, daß der Verlader das Recht hatte, sie nach seiner Wahl zu dem für jeden Empfangsplatz besonders bedungenen Frachtsatze nach Berlin oder Stettin oder Magdeburg oder Hamburg oder Harburg oder Wallwitzhafen zu dirigieren, und ebenso mußte sich der Schiffer der Verpflichtung unterwerfen, den 1. Juni, 1. Juli oder 1. August

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als Entlöschungstermin gegen entsprechende Entschädigung abzuwarten. Wer so disponierte, pflegte sich erst bei Annäherung des Frühjahrstermins um den Verkauf zu bemühen, und wenn er dann den passenden Käufer gefunden hatte, so deckte er Zug um Zug gegen den Verkauf der Kahnware den Berliner Terminverkauf zurück. Sie sehen, daß auch dieses binnenländische Geschäft nach gleichen Grundsätzen behandelt wurde, wie der Export nach dem Mittelmeer, und daß der Zeitraum zwischen Einladung und Ausladung unter Umständen 8 Monate betrug. Rechnen Sie hierzu für die Produktion selbst und die Rektifikation der Ware behufs Absatz an den Konsum sowie für letzteren selbst die erforderliche Zeit, so umfaßt der Zeitraum für die Abwicklung dieses reinen Binnengeschäftes ein volles Jahr. Ich komme nun zur Melasse. Als solche bezeichnet man im Handelsverkehr diejenige in den Zuckerfabriken bereits verarbeitete Rübenmasse, die sich, soweit sie nicht im Wege eines besonderen Verfahrens entzuckert wird, zur Zuckerfabrikation nicht mehr eignet. In früheren Zeiten repräsentierte die Melasse einen erheblich höheren Prozentsatz des gesamten Rübenmaterials als jetzt. In dem Maße als die Technik der Zuckergewinnung sich entwickelte, verringerte sich der Prozentsatz der nicht mehr zur Zuckergewinnung verwandten Melasse, ist aber immer noch sehr bedeutend und beträgt z. B. in Deutschland gegenwärtig etwa 6 bis 7 Millionen Zentner jährlich. Die Melasse hat etwa 50% Zuckergehalt und eignet sich daher vorzüglich zur Spiritusfabrikation. Sie findet aber auch zur Wichseund Hefenfabrikation und in neuerer Zeit in großen Mengen mit anderen Surrogaten gc mischt als Viehfutter Verwendung. Diese Melasse kaufte ich Jahr aus Jahr ein in russischen und deutschen Zuckerfabriken und exportierte sie nach Frankreich, England, Holland und Spanien. Das Hauptquantum ging nach Frankreich, wo die Melasse für die Spiritusfabrikation dieselbe Rolle spielt, wie bei uns die Kartoffel. Empfangshäfen waren Dünkirchen, Havre, Rouen, Bordeaux und Marseille. Das weitaus größte Quantum ging nach Dünkirchen an der französischen Nordküste, welches der eigentliche Hafen für die große französische Industriestadt Lille ist. Lille mit Umgegend ist der Hauptsitz des großen französischen Brennereigewerbes.

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Ich schildere Ihnen auch jetzt wieder als einen weitsichtigen meine Vermittlertätigkeit im französisch-russischen Verkehr. Die Hauptabschlüsse machte ich in Rußland im Herbst, dann mußten sofort die erforderlichen Fastagen beschaSt werden, und im Winter erfolgten die Lieferungen der Zuckerfabriken. Vielfach lagen die Zuckerfabriken an Eisenbahnstationen, vielfach mußte die Ware auch meilenweit über Land auf schlechten Wegen per Achse herangeschafft werden. Dann ging sie per Bahn bis zur nächsten Wasserstation an der Weichsel, wo sie den ganzen Winter über im Freien lagerte, um mit Eröffnung der Schiffahrt im März/April nach Danzig abzuschwimmen. Von Danzig erfolgte die Weiterbeförderung per Seeschiff, früher per Segler, später fast nur noch per Dampfer. In den Sommermonaten Mai/August erfolgten die entsprechenden Auslieferungen in Dünkirchen, also etwa 1 Jahr nach Abschluß. Rechnen Sie, daß der Franzose für Verarbeitung und Absatz noch mehrere Monate brauchte, so sehen Sie, daß auch bei diesem Artikel die Leitung von der Produktions- bis zur Konsumstätte 1 — 1 y2 Jahre erforderte. Bei diesen Geschäften bedurfte ich keiner Parallelaktion an der Börse, um mich gegen Kursschwankungen zu sichern. Die Inhaber der Liller Distillerien sind große kapitalkräftige Fabrikanten, die jedes Quantum Melasse, das man ihnen anbot, aufnahmen und mit denen man sich auch in weitsichtige Engagements einlassen konnte. Ich konnte also jedes Quantum, das ich in Rußland gekauft, sofort oder prompt in natura absetzen. Dagegen mußte der Liller Fabrikant, um sich gegen Konjunkturschwankungen zu schützen, an der Börse operieren, und dies tat er, indem er Zug um Zug gegen Melassekäufe an der Liller oder Pariser Börse Sprit in Deckung fortgab und d i e s e Terminverkäufe wieder zurückdeckte, wenn er sein Fabrikat, soweit es nicht an der Börse zur Lieferung gelangte, in den Konsum brachte. Die Zeit, die mir für meinen Vortrag gesetzt ist, gestattet mir nicht, Ihnen weitere Beispiele zu bringen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß das hiesige Getreidegeschäft sich genau in der gleichen Weise vollzieht. Man kauft in Rußland, Amerika, Australien, Indien oder sonstwo Getreide, verkauft dagegen in Berlin früher auf Termin, Typ

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jetzt auf Lieferung, disponiert über die Ware aber endgültig in der Regel erst, wenn sie auf dem Transport befindlich oder in Hamburg angekommen, indem man sie dann, insoweit sie nicht zur Erfüllung der in Berlin eingegangenen Lieferverpflichtungen verwendet wird, nach den nordischen Ländern oder Mitteldeutschland unterbringt und Zug um Zug gegen diese letzteren Konsumverkäufe den Terminbzw. Lieferungsverschluß hier zurückdeckt. Handelt es sich um ganze Ladungen, so hat sich der Kapitän in Gibraltar, Malta oder auf den Kanarischen Inseln oder an der englischen Küste in Folkcstone, Plymouth oder Falmouth zu melden und die Order des Bestimmungshafens entgegenzunehmen. Die Ladungen gehen alsdann nach England oder nach den Ländern des europäischen Kontinents. Weitere Beispiele erübrigen sich. Schon aus den bisher gebrachten werden Sie folgendes ersehen haben. Lieferungsgeschäfte sind weder Erfindungen des Satans, wie man von gewisser Seite nach Analogie der Bekämpfung des Terminhandels glauben zu machen sucht, noch überhaupt Erfindungen. Sie haben sich mit zwingender Notwedigkeit aus den Verkehrsverhältnissen entwickelt. Sie sind das Räderwerk in der großen Maschinerie des Welthandels und Weltverkehrs, sie ausschalten, hieße den internationalen Verkehr vernichten, den binnenländischen so beschränken, daß nur noch ein Kleinkram ohne jede Bedeutung übrig bliebe, und da durch die Unterbindung der Lieferungsgeschäfte nicht bloß der durch sie bedingte Güteraustausch, sondern auch die Verkehrsmittel (Schiffahrt, Eisenbahn uswr.) getroffen würden, so würden derartige Maßregeln nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als einen Kulturstaat in die Nacht der Barbarei zurückzuwerfen. Seinem inneren Wesen nach unterscheidet sich das Lieferungsgeschäft ebensowenig von dem gewöhnlichen Kaufgeschäfte wie der Börsenterminhandel vom Lieferungshandel, es dient dem Zwecke, Überfluß und Mangel auszugleichen. Was dem Lieferungsgeschäft sein besonderes Gepräge gibt, ist die Langfristigkeit, und diese wieder hat, wie Sie gesehen haben, verschiedene Gründe, die alle in der Notwendigkeit der Überbrückung von Zeit und Raiim wurzeln. Häufig ist die Langfristigkeit eine durch die Verhältnisse aufgezwungene, wie da, wo große Transportstrecken zu überwinden sind und nur der Wasserweg zur Verfügung steht, häufig auch eine freiwillig gewollte, wie da, wo man trotz des zur Verfügung stehenden

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Eisenbahnweges den Wasserweg als den billigeren wählt, oder da, wo man die länger dauernde Transportbeförderung auf dem Wasserwege vorzieht, sei es um die Zeitdauer für den Absatz der Ware zu verlängern und so die beste Absatzmöglichkeit sich zu erschließen, sei es, um während der Dauer des Transports den Schiffsraum als mietsfreien Lagerraum zu benutzen und so Miete und Spesen für anderweitige Lagerung zu sparen. Alle hier für die Langfristigkeit in Frage kommenden Beweggründe sind Gründe wirtschaftlicher und darum notwendiger Natur. Denn wenn ich den Wasserweg statt des Bahnweges, die Lagerung im Kahn statt auf dem Speicher w ä h l e , so ist diese Wahl nur scheinbar eine freiwillige. Tatsächlich zwingt mich die Konkurrenz zu dieser Wahl, gegen die ich, wenn ich anders handle, also teurer bin, nicht ankommen kann. Die Wahl ist also keine freiwillige, sondern eine erzwungene, ganz abgesehen davon, daß nicht einzusehen ist, warum man sich einer Verschleuderung wirtschaftlicher Kräfte durch teurere Transportspesen schuldig machen soll, wenn diese zu vermeiden ist. Wird dieser Grundsatz des geringmöglichsten Spesenaufwandes nicht hochgehalten, so unterliegt man im Erwerbsleben. Im Binnenverkehr mag der Verschwindende durch einen Konkurrenten ersetzt werden, im internationalen Verkehr aber verschwindet die ganze Nation, die den vorerwähnten Grundsatz, möglichst billig zu arbeiten, preisgibt. Auf der Bühne des Weltverkehrs vermag sich nur diejenige Nation kampffähig zu erhalten, die in bezug auf Leistungsfähigkeit sich von den konkurrierenden Völkern nicht überflügeln läßt. Die Weitsichtigkeit der Lieferungsgeschäfte enthüllt aber noch ein anderes Gesetz, das auch bei kurzsichtigen Geschäften wirksam ist, dort aber nicht so deutlich in Erscheinung tritt. Ich meine die Unentbehrlichkeit des Zwischenhandels. Sie haben gesehen, daß der Weg von der Quelle bis zur Mündung bei einzelnen Artikeln — und es gibt deren viele — einen Zeitraum von 1—1 % Jahren in Anspruch nimmt. Dabei habe ich die Zeit für den Absatz viel zu gering bemessen, und wenn Sie nun noch bedenken, daß der Produzent, schon 6 Monate bevor er seine Kartoffeln in die Brennerei oder seine Rüben in die Zuckerfabrik sendet, das Saatgut (soweit er es aus eigenem Erträgnis nicht besitzt) bezahlen, die großen Löhne für die Aussaat und die sonstige Bearbeitung des Bodens und

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für das im letzteren steckende Kapital die Zinsen aufbringen muß, so sehen Sie, daß Sie den vorerwähnten Weg eines Produkts von der Quelle bis zur Mündung auch auf einen Zeitraum von 2 Jahren veranschlagen können. Wer soll so lange Zeit seine Mittel festlegen, zumal in der Gegenwart, die auf allen Gebieten zu großen Umsätzen mit geringem Verdienst drängt. Der erste Grundsatz eines Kaufmannes heißt: seine Mittel liquide halten. Auch an den Zentralstellen unseres Geldverkehrs, bei unseren großen Banken, wird dieser Grundsatz hochgehalten. Keine dieser Banken würde sich auf Geschäfte einlassen, die eine lange Festlegung ihrer Mittel bedingen. An derartigen Unternehmungen beteiligt man sich wohl mal ausnahmsweise mit einem prozentual geringen Betrage des Gesamtkapitals, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen, nicht aber auf die Dauer mit einem größeren Teil des zur Verfügung stehenden Kapitals. Und nun erst der Landmann oder Industrielle, die beide schon einen erheblichen Teil ihres Vermögens in ihren Immobilien investiert haben. Hier muß also der Zwischenhändler eingreifen, mit seiner Kapitalkraft, um für Produzent und Abnehmer die Zeit ihrer diesbezüglichen Verbindlichkeiten abzukürzen, mit seiner Arbeitskraft, um die vielfachen wirtschaftlichen Verrichtungen, die erforderlich sind, um das Produkt von der Quelle zur Mündung zu leiten, zu erfüllen. Daß dazu auch eine Menge von Kenntnissen erforderlich ist, für die man sich nur im Wege einer besonderen kaufmännischen Ausbildung die Grundlage verschaffen und die man dann nur im Wege langjähriger praktischer Tätigkeit erweitern kann, werden Sie aus meiner Darstellung ebenfalls entnommen haben. Ganz besonders im Exportverkehr ist die Kenntnis fremder Sprachen, der allgemeinen Kulturverhältnisse des Landes, in dem man arbeitet, die Fähigkeit, sich in die Anschauungen und Empfindungen der fremden Nation, mit der man in geschäftlicher Verbindung steht, hineinzuversetzen, unentbehrlich. Man muß, wie Sie gesehen haben, die Verfrachtungsverhältnisse kennen, das ganze Verkehrswesen beherrschen, über die Rechts- und Geldverhältnisse orientiert sein, überall seine Verbindungen unterhalten und die dafür geeigneten Persönlichkeiten zu finden wissen, vor allem aber fleißig

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sein, aufpassen, die Details nicht mißachten und doch den Blick auf das große Ganze gerichtet haben. Wer all diesen Pflichten gerecht werden will, der bedarf dazu eines hohen Maßes intellektueller und moralischer Reife, einer allgemeinen und kaufmännischen besonderen Bildung, und wenn man in manchen Kreisen heute mit einer gewissen Nichtachtung vom Zwischenhandel spricht, wenn man glaubt, sich ohne weiteres an seine Stelle setzen zu können, so beweist man damit nur, daß man keine zureichende Kenntnis hat von den Erfordernissen, die hierfür in Frage kommen. Ich komme jetzt zum Terminhandel. Von den Zwecken, denen derselbe dient, haben Sie zwei Arten bereits kennen gelernt. In dem einen Falle, in dem der Spiritushändler seine Ware auf Termin verkaufte und zur Erfüllung dieses Terminverkaufs verwandte, war der letztere nichts anderes als ein reines Lieferungsgeschäft. In den vier Fällen, in denen der inländische Spiritushändler, der Hamburger Exporteur, der französische Brenner und der Berliner Getreidehändler ihre Ware nicht zur Erledigung ihrer Terminverkäufe, vielmehr unter gleichzeitiger Rückdeckung ihrer Terminverschlüsse für andere Zwecke verwandten, dienten die erwähnten Termintranskationen lediglich Deckungs- also Versicherungszwccken; man wollto durch sie das Risiko schwankender Preiskonjunkturen ausschalten. Die genannten vier Interessentenkategorien hatten also in dem Augenblick, in dem sie die Verkäufe auf Termine abschlössen, gar nicht die Absicht, die Ware, auf Grund derer sie diese Verkäufe machten, zur Erfüllung derselben zu liefern. Sie mußten zwar mit einer solchen M ö g l i c h k e i t rechnen, aber diese Möglichkeit wäre dann eine Notlage für sie gewesen. Hätten sie die Sicherheit gehabt, daß sie in diese Notlage kommen würden, so würden sie in vielen Fällen die ganze Transaktion unterlassen haben. Denn bei einer derartigen Ablieferung auf Terminverkäufe bleibt, wie die Dinge in der Regel liegen, selten ein angemessener Nutzen übrig. Die Transaktion ist von v o r n h e r e i n so gedacht und angelegt, daß die Termintransaktion als Parallelaktion, als K o r r e l a t des eigentlichen Lieferungsgeschäfts dient. Der Nutzen, der aus der ganzen Transaktion herausfällt, entspringt nicht der Lieferung auf Terminverkäufe, sondern umgekehrt dem Umstände, daß man die Ware nicht für den Terminverkauf, sondern unter Rückdeckung des

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letzteren für andere Zwecke und für diese eben wesentlich besser verwendet. Sie sehen hieraus, daß man tatsächlich Termingeschäfte machen kann mit der so vielfach als sträflich verschrienen Absicht, sie n i c h t durch Lieferung effektiver Ware, sondern durch einfache Rückdeckung zu erfüllen, und daß ein solches Termingeschäft dennoch auf effektive Ware basiert ist, daß es sehr ernsten und notwendigen wirtschaftlichen Zwecken, und nicht der S p e k u l a t i o n , sondern umgekehrt der A u s s c h a l t u n g derselben, der Versicherung g e g e n die Spekulation dient. Wie ich über derartige Termingeschäfte denke, brauche ich nicht orst auszuführen. Sind Lieferungsgeschäfte im Wirtschaftsleben der Völker nicht zu entbehren, sind wieder für diese Lieferungsgeschäfte die Deckungstermingeschäfte nicht zu entbehren, so ergibt sich die Unentbehrlich keit der letzteren ganz von selbst. Cum grano salis allerdings! Unentbehrlich ist kein Geschäft in dieser Welt, und theoretisch lassen sich Lieferungsgeschäftc der erwähnten Art so konstruieren, daß man auf Termindeckungen verzichtet. Praktisch aber gestaltet sich die Sache so, daß derjenige, der Lieferungsgeschäfte in Artikeln, die großen Preisschwankungen unterworfen sind, macht, ohne Termindeckung dagegen nehmen zu können, für das Risiko der Preisschwankungen sich natürlich einen wesentlich größeren Gewinn rechnen muß, als denjenigen, den er sich rechnet, wenn er diese Deckung finden kann. Im internationalen Wettbewerb würde also unter sonst gleichen Konkurrenzverhältnissen das Volk, das die erwähnten Geschäfte ohne Termindeckung machen muß, gegenüber demjenigen Volke, dem eine solche Deckung zur Verfügung steht und das daher billiger arbeiten kann, verschwinden. Im binnenländischen Verkehr würde ja allerdings, da das Bedürfnis nach einem bestimmten Artikel gedeckt werden muß, das Lieferungsgeschäft auch ohne Termindeckung fortbestehen, aber der erhöhte Gewinn, den der Zwischenhandel sich kalkulieren muß, würde dann den Käufer entsprechend belasten und somit zu einer Verringerung des Verbrauchs und in weiterer Folge der Güterbeförderung in diesem Artikel führen.

Licfcrungs-, Börsentermin- und S p e k u l a t i o n s g e s c h ä f t e .

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Nun wird man mir einwenden, daß die Angriffe gegen den Terminliandel sich ja gar nicht gegen den bisher erwähnten soliden, sondern gegen den spekulativen Terminhandel richten, also denjenigen, der seiner eigentlichen wirtschaftlichen Aufgabe, Deckung gegen Kursschwankungen zu bieten oder als reines Lieferungsgeschäft zu dienen, entfremdet ist. Diese Ansicht halte ich nicht für zutreffend. Ich glaube vielmehr, daß die Angriffe gegen den Terminhandel gerade auf die Bekämpfung des soliden Terminhandels zurückzuführen sind, also jenes Terminhandels, der, wie schon oben klargelegt, eine Begleiterscheinung des Lieferungshandels ist und von diesem gar nicht oder nur sehr schwer entbehrt werden kann. Tatsächlich ist ja auch für die Getreide- und Mühlenfabrikate der gesamte Tcrminhandel durch das Börsengesetz verboten worden, also auch jener Teil, der streng soliden, wirtschaftlich zu rechtfertigenden Zwecken dient. Ich will es mir aber versagen, hierauf näher einzugchen, weil sonst der Anschein erweckt werden könnte, als ob mein Vortrag eine polemisierende Tendenz habe und ich einen derartigen Verdacht, wenn ich von dieser Stelle aus spreche, wie Sie begreifen werden, abzuwehren alle Veranlassung habe. Nehmen wir also an, es wäre tatsächlich so, man bekämpfe nicht den soliden, sondern den Spekulationsterminhandel. Um nun hierzu Stellung zu nehmen, um zu untersuchen, ob eine solche Bekämpfung ihre Berechtigung habe, wird man sich zunächst darüber klar werden müssen, was man unter einem derartigen spekulativen Terminhandel im besonderen und unter Spekulationsgeschäften im allgemeinen zu verstehen hat. Stellt es sich heraus, daß man Spekulationsgeschäfte überhaupt verwerfen müsse, so wird es eines besonderen Nachweises nicht bedürfen, daß auch spekulative Termingeschäfte mit Recht einem Verdikt verfallen. Ergibt es sich aber, daß man zu einer derartigen ablehnenden Stellung Spekulationsgeschäften gegenüber nicht berechtigt ist, so würde der Nachweis zu erbringen sein, daß spekulative Termingeschäfte eine besondere Gefahr im Wirtschaftsleben der Völker bedeuten, wenn sich eine ausnahmsweise Unterdrückung oder Erschwerung ihnen gegenüber rechtfertigen soll, und somit komme ich zu Punkt 3 meines Programms, zu den Spekulationsgeschäften. Was heißt spekulieren?

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In negativer Form habe ich bereits, eine Definition gegeben: „Spekulationsgeschäfte sind Geschäfte, die nicht auf streng rechnerischer Grundlage beruhen". Eine Definition in positiver Form dürfte schwieriger sein. Man wird sagen können: Spekulieren heißt: sich über die zukünftige Gestaltung der Marktlage, der Preisentwicklung ein Urteil bilden und danach seine Maßnahmen treffen. Nun ist aber zu berücksichtigen, daß es gegenüber einer sehr begrenzten Anzahl von Börsenartikeln, also vielleicht 50 oder 100, eine fast unbegrenzte Anzahl von Nichtbörsenartikeln gibt. Der deutsche Eisenbahngütertarif allein weist mehrere 1000 Artikel auf, der Weltgütertarif also wird mit Zehntausenden von Artikeln rechnen. Diese Zehntausende von Artikeln sind nicht alle gleichen Preisschwanklingen unterworfen. Man wird insbesondere zwischen Rohprodukten und Fabrikaten unterscheiden müssen, bei welch letzteren Löhne und sonstige Fabrikationsspesen einen so hohen Prozentsatz des Wertes repräsentieren, daß die aus dem Rohmaterial stammenden Schwankungen nur einen geringen Prozentsatz des Gesamtwertes des Fabrikates darstellen. Dahingegen ist zu berücksichtigen, daß die Fabrikation selbst wieder als ein Spekulationsgeschäft zu betrachten ist. Denn niemand, der eine Fabrik baut, ist sicher, daß sie rentieren wird, auch bei der besten Leitung kann die Rentabilität versagen, wenn die allgemeinen Verhältnisse, über die der einzelne keine Macht hat, dies bedingen. Veranschlagen wir aber die geringeren Spekulationsgefahren dieser Fabrikate und ferner der auf reiner Vermittlung beruhenden Agenturund Kommissionsgeschäfte, so bleiben doch noch immer Tausende von Artikeln übrig, deren Verkehr einen spekulativen Charakter hat und denen, die sich mit ihnen befassen, ist es nicht möglich, durch Deckungen an der Börse das Risiko der Preisschwankungen auszuschalten, sie müssen, wenn sie kaufen oder verkaufen, darüber nachdenken, sich ein Urteil bilden, wie die Preisentwicklung sich gestalten wird und danach handeln, sie müssen demnach das tun, was ich als „Spekulieren" definiert habe. Wenn nun aber täglich und stündlich in dem großen Weltverkehr Tausende und Zehntausende von Geschäften in Tausenden und Zehntausenden von Artikeln abgeschlossen werden, die einen spekulativen Charakter haben, denen gegenüber die völlige oder teilweise Aus-

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Schaltung der Spekulation unmöglich ist und die doch wieder abgeschlossen werden müssen, wenn die große Maschinerie des Weltverkehrs nicht zum Stillstand gebracht werden soll, so kann die Spekulation unmöglich etwas Unmoralisches sein; denn was notwendig ist, ist auch moralisch, der Begriff der Moral ist erst dem Begriff der Notwendigkeit entlehnt. Wie ist es nun zu erklären, daß trotzdem in weiten Volksschichten und selbst auch in kaufmännischen Kreisen vielfach eine fast „ H a ß " zu nennende, tiefgehende Abneigung gegen die Spekulation offenbar besteht? Wenn man der Sache nachgeht, so findet man, daß dieser Mißachtung der Spekulation höchst konfuse Begriffe und eine weitverbreitete Unkenntnis geschäftlicher Verhältnisse zugrunde liegen, daß ferner die Terminologie eine höchst schwankende, so daß jeder etwas anderes unter Spekulation versteht und somit die schon in eigener Unklarheit erhobenen Angriffe gegen dio Spekulation von dem anderen noch ganz anders gedeutet werden, als eigentlich beabsichtigt war. So können Sic darauf rechnen, daß eine Äußerung wie diejenige, daß man die Spekulation nirgends mehr scheut, und daß man sich nirgends strenger von ihr fernhält als gerade in vielen Börsenkreisen, in weiten und durchaus nicht ungebildeten Bevölkerungsschichten einem allgemeinen Hohngelächter begegnen würde, obschon sio doch absolut zutreffend ist. Ebenso würde man es in diesen Kreisen als eine Verleumdung ansehen, wenn man behauptet, daß mancher Industrieller oder Kaufmann außerhalb der Börse viel mehr spekuliert als der größte Teil der Börsenleute. Sagen Sie einem Wollhändler, der sich mehrere 1000 Zentner Wolle hinlegt, einem Maschinenfabrikanten, der gewaltige Quantitäten Roheisen abschließt, einem Kohlenhändler, der Millionen Tonnen Kohlen kontrahiert, sie seien Spekulanten, so müssen Sie gewärtigen, wegen Beleidigung belangt zu werden. Wenn Sie auf der anderen Seite nachforschen, worauf die leidenschaftlichen Angriffe gegen Börsen- und andere Spekulanten zurückzuführen sind, welches Belastungsmaterial den Angreifern zur Verfügung steht, so werden Sie häufig genug finden, daß diese Personen Spekulationsverluste für sich oder andere zu bezahlen hatten oder durch dieselben in Mitleidenschaft gezogen wurden. Geben Sie diesen Personen ein sicheres Rezept, Spekulationsgeschäfte mit Gewinn abGewerbliche

Einzelvortra^e.

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zuschließen, so werden sie mit derselben Leidenschaft f ü r die Spekulationsgeschäfte eintreten wie früher gegen dieselben. In diesem Verhalten der Spekulationskritiker tritt folgende Auffassung zutage: 1. In einem Spekulationsgeschäft, das zur Unterstützung des gewohnheitsmäßigen Gewerbes abgeschlossen wird, sehen sie überhaupt kein Spekulationsgeschäft; als letzteres gilt ihnen nur das gewerbsmäßig und seiner selbst wegen betriebene Spekulationsgeschäft; 2. bei der zweiten von mir erwähnten Kategorie richtet sich die moralische Entrüstung gar nicht gegen die Spekulation an sich, sondern gegen die V e r l u s t e , die aus der Spekulation entstehen. Gegen sicheren Gewinn bringende Spekulationsgeschäfte hätte kein Mensch etwas einzuwenden. Der Gedankengang, der hier zugrunde liegt, ist folgender: Die biblischen Zeiten sind unwiederbringlich vorüber, das Prophezeien ist ein diskreditiertes Geschäft geworden. Die Menschheit hat sich allmählich an die Auffassung gewöhnt, daß alle menschliche Voraussicht Flick- und Stückwerk ist. Auch der genialst Veranlagte, Weitsichtigste muß darauf verzichten, ein sicheres Urteil über zukünftige Dinge abzugeben. Es kann so kommen, wie er voraussieht, aber es kann auch anders kommen. Dies gilt für alle menschlichen und insbesondere für die geschäftlichen Verhältnisse. Wer also Spekulationsgeschäfte macht, die die Beurteilung der Zukunft zur Voraussetzung haben, kann schnell Geld verdienen, aber es auch ebensoschnell verlieren, er kann dabei, wenn es sich um große Unternehmungen handelt, zum Millionär, aber auch zum Bettler werden. Aus diesen Gründen sind sichere, auf rechnerischer Grundlage ruhende Geschäfte den unsicheren Spekulationsgeschäften vorzuziehen, und letztere soll man überhaupt nur insoweit machen, als sie unentbehrlich oder notwendig sind, um seinem Gewerbe nachgehen zu können. Alles sehr weise! Aber wer soll die Grenzlinie ziehen für das Unentbehrliche und Notwendige? 'Mancher Industrielle hält es für notwendig, sich bei 70 Pf. seinen Kohlenbedarf einzudecken, mancher sieht erst bei 1 M. diese Notwendigkeit gekommen. Mancher glaubt sich für ein ganzes Jahr sein Rohmaterial decken zu müssen, mancher hält es für vor-

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sichtiger, nur für die nächsten Monate vorzusorgen und die weitere Entwicklung abzuwarten. Soll man nun neben jeden Fabrikanten einen Schutzmann setzen, der ihn darüber belehrt, wie die Grenzlinie für das Notwendige zu ziehen, oder soll man das Urteil hierüber dem individuellen Ermessen des Fabrikanten überlassen? Kann aber nur letzteres in Frage kommen, so lassen sich derartig allgemeine Grundsätze, wie die vorerwähnten, für die Gesetzgebung oder sonstige staatliche Maßregeln kaum verwerten. Insoweit der einzelne sein Leben nach seinem eigenen i n d i v i d u e l l e n Ermessen regeln muß, darf es nicht durch Maßregeln getroffen werden, die, auf die A l l g e m e i n h e i t zugeschnitten, der individuellen Besonderheit nicht Rechnung zu tragen vermögen. Und wenn alle Welt sichere Geschäfte machen soll, wer soll die unsicheren und doch unentbehrlichen schließen? Und was ist ein sicheres Geschäft ? Der 3%ige preußische Konsol sicherlich, und doch ist er von 100 auf unter 8 2 % heruntergegangen. Und wie steht es um den Fortschritt des gewerblichen Lebens? Auch für letzteres gilt das TMTI f»sT, und gerade in unserer Zeit häufen sich immer neue Probleme, immer neue Erfindungen werden gemacht, immer neue Aufgaben stellt die kulturelle und technische Entwicklung. Und diese neuen Unternehmungen haben j a gerade das Charakteristische, daß ihre Rentabilität nicht zu berechnen ist, denn es fehlt an jedem Vorbild, an jeder Erfahrung, um eine ziffermäßige Grundlage für eine derartige Rentabilitätsberechnung zu gewinnen. Hier muß man mit Vermutungen, Kombinationen operieren, auf Ziffern verzichten. Soll man nun deswegen auf derartige neue Unternehmungen verzichten? Das hieße unser gewerbliches Leben zur Verknöcherung, Erstarrung, Vereisung verurteilen, den Fortschritt ausschalten, das Chinesentum nach Europa importieren, glücklicherweise eine Contradictio in adjecto. Sie sehen, man kann noch so schöne gesunde und solide Grundsätze proklamieren, das Wetten und Wagen ist aus dem Erwerbsleben nicht ganz auszuschalten. Aus dem Gewoge all dieser Kontroversen ergibt sich nur ein fester Gesichtspunkt und zwar ein solcher s u b j e k t i v e r Natur. Spekulationsgeschäfte schließen ein gewisses Risiko in sich, man muß zugeben, ein größeres Risiko als Geschäfte, die auf ziffermäßiger Grundlage beruhen. 5*

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Das soll sich derjenige, der Spekulationsgeschäfte macht, stets vor Augen halten. Er soll sich bewußt sein, daß es so kommen kann, wie er es hofft und wünscht, aber auch ganz anders, daß der seiner Erwartung winkende Gewinn sich in einen empfindlichen Verlust verwandeln kann. Darum soll er genau prüfen, ob, wenn letzterer Fall eintritt, seine Machtmittel ausreichen, seinen Verpflichtungen zu genügen, und wenn dies nicht der Fall, von seinem Vorhaben Abstand nehmen. Ein Kaufmann, der sich die hierdurch gebotene Beschränkung nicht auferlegt, bringt sich in die Lage, Gewinne einzuheimsen, wenn seine Erwartungen sich erfüllen, seine Verluste aber nicht bezahlen zu können, wenn sich seine Berechnungen als verfehlt erweisen. Ein solcher Mann spekuliert also nicht mit seinem, sondern mit fremdem Gelde, und eine solche Handlungsweise entspricht nicht den Begriffen von Ehre, wie sie in der kaufmännischen Welt geläufig sind. Betrachten wir von diesem Standpunkt aus den spekulativen Terminhandel, so ergibt sich folgendes: Da aus den erörterten Gründen die Spekulation nicht verworfen werden kann, so kann auch der spekulative Terminhandel aus Gründen, die die Spekulation im a l l g e m e i n e n berühren, nicht unterdrückt werden. Soll die Bekämpfung des spekulativen Termingeschäfts sich rechtfertigen, so wird man nachweisen müssen, daß dasselbe Gefahren mit sich bringt, die über das Maß der nichtbörslichen Spekulationsgeschäfte hinausgehen und daß die durch das spekulative Termingeschäft angerichteten Schäden größer sind als der Nutzen, den sie dem Wirtschaftsleben bringen. Wenn ich nun zu der Frage Stellung nehme, ob das spekulative Börsentermingeschäft solche größeren Gefahren mit sich bringt, so muß ich dieselbe zunächst bejahen. Jede Börse bedeutet eine straffe Konzentration von Angebot und Nachfrage. Eine solche herbeizuführen ist ja gerade die wirtschaftliche Aufgabe der Börse und die weitere Folge davon ist, daß man große Mengen zu jeder Zeit kaufen und verkaufen kann. Diese verkehrstechnische Erleichterung hat naturgemäß, wie fast jede technische Verfeinerung, auch ihre großen Gefahren, mancher macht infolgedessen ein Geschäft, das er bei ruhiger Überlegung nicht gemacht haben würde, mancher läßt sich durch die Möglichkeit, das, was er erdacht, sofort

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und mühelos in die Tat umzusetzen, verleiten, seinen Unternehmungen einen Umfang zu geben, der seine Kräfte übersteigt und den er vermeiden würde, wenn er bei Ausführung seiner Pläne mehr Schwierigkeiten zu überwinden hätte. Es ist unverkennbar, daß man an der Börse schneller 10 oder 20 000 Tonnen Roggen zusammenkaufen kann, als vielleicht 1000 Tonnen im nichtbörslichen Verkehr. Wenn ich im letzteren operiere, so muß ich zunächst Warenkenntnis besitzen, ich muß über einen gewissen geschäftlichen Apparat verfügen, ich muß die erforderlichen .Verbindungen haben, um mir die Ware, die ich suche, in rationeller Preislage zu beschaffen, ich muß schließlich über die Arbeitskräfte verfügen, um die gekaufte Ware abzunehmen, die hierzu erforderlichen Barmittel zur Verfügung haben oder mir beschaffen. Kurz und gut, ich muß eine Menge Verrichtungen vornehmen, eine erhebliche Arbeit überwinden, ehe ich den gefaßten Entschluß zur Ausführung bringe, und schon mancher hat, wenn in der zur Ausführung erforderlichen Zeit die ruhige Erwägung über ihn kam, bei nüchterner Prüfung der Sachlage und mit Rücksicht auf die ihm auferlegte Mühewaltung von der Ausführung eines Entschlusses Abstand genommen, der ihm noch kurze Zeit vorher in verführerischstem Reize erschienen war. Diese Schwierigkeiten bestehen an der Börse infolge der bis zum Äußersten entwickelten Verkehrstechnik nicht oder doch nur in sehr abgeschwächtem Maße. Um Tausende Tonnen Roggen auf Termin zu kaufen, bedarf es keiner großen Mühewaltung, keiner Warenkenntnis, keiner disponiblen Barmittel, keiner ausgedehnten geschäftlichen Verbindungen, es bedarf dazu nur der Unterschrift eines Schlußscheines, und schließlich braucht man nicht mal zur Börse zu gehen, um einen solchen Kauf auszuführen; es genügt, wenn man ein Kommissionshaus mit der Ausführung seiner Ordres betraut. Es ist klar, daß durch diese Leichtigkeit des Verkehrs mancher veranlaßt wird, ein Geschäft abzuschließen, bezüglich dessen er vielleicht schon skeptisch denkt, nachdem er es kaum gemacht hat. Der wohltätige Hemmschuh des Effektivgeschäfts, der zur Folge hat, daß man die Schwierigkeiten, auf die man stößt, nur dann zu überwinden sucht, wenn man durch fortwährend erneute Nachprüfungen zu der sicheren Überzeugung gelangt ist, daß es auch der Mühe lohnt, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden, fehlt hier. Die nüchterne Uberlegung wird nicht durch die Schwierigkeit der Ausführung erzwungen,

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sie muß vielmehr vor Abschluß des Geschäfts in vollem Maße vorhanden sein, und wer sie nicht besitzt, muß die Folgen büßen. E s ist ferner nicht zu verkennen, daß die erörterte Leichtigkeit des Verkehrs eine Anzahl von Leuten, die mit der Börse eigentlich nichts zu tun haben und deren sonstige Erwerbstätigkeit mit den an der Börse gehandelten Waren in keinem Zusammenhange steht, verleitet, an der Börse tätig zu sein und dort Termingeschäfte zu machen, nicht in der Absicht, um damit eine wirtschaftliche Funktion zu erfüllen, sondern lediglich, um aus der Kursdifferenz Nutzen zu ziehen. Daß diese Personen mangels einer besonderen Kenntnis der Branche und der Gefahren, die mit derartigen Spekulationen verknüpft sind,doppelt leicht in Verlust geraten, liegt klar auf der Hand. Berühren diese Erwägungen die persönlichen Interessen des Börsenspekulanten, so wird ferner geltend gemacht, daß auch die öffentlichen Interessen durch die Vorgänge an der Börse geschädigt werden können. E s ist ja dies gerade das Hauptmotiv für das Verhalten der agrarischen Kreise, die in der Leichtigkeit, mit der man an der Börse große Mengen verkaufen kann, die Möglichkeit sehen, durch forcierte Verkäufe die Getreidepreise unter Druck zu halten und so den Landmann um den wohlverdienten Lohn seiner Arbeit zu bringen. Diesen verschiedenen Argumenten gegenüber wird man geltend machen können, daß man ein Börsengeschäft ebenso leicht auflösen kann, wie man es schließt, und daß man daher mit einer gewissen Berechtigung die Auffassung vertreten darf, daß man Börsengeschäfte aus diesem Grunde auch leichter abschließen darf. Wer also an der Börse ein Geschäft gemacht hat, das er nachträglich als falsch erkennt, kann sich davon in der Regel wieder schnell befreien und so sich oft vor einem Verlust bewahren, der für ihn sich ergeben hätte, wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, das Geschehene ungeschehen zu machen, wie dies bei nichtbörslichen Geschäften häufig der Fall. Es muß ferner darauf hingewiesen werden, daß die vorerwähnte Auffassung, daß man beliebig große Mengen an der Börse mit Leichtigkeit handeln kann, doch einer Einschränkung bedarf. Wer an der Börse Termingeschäfte in großem Umfange macht und insbesondere auf lange Sicht hinaus, bedarf eines Gegenkontrahenten, und dieser sieht sich den Betreffenden naturgemäß sehr genau darauf an, ob er

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ihm auch für die eingegangenen Verpflichtungen gut ist. Hat er in letzterer Beziehung Zweifel, so wird, wie man dies börsentechnisch ausdrückt, seine Aufgabe refüsiert. Man lehnt also das angebotene Geschäft mit ihm ab. Ist aber der Betreffende so renommiert, daß man ihm die für das betr. Engagement erforderlichen Qualitäten beimißt, so wird man eben annehmen können, daß ein solcher Mann sich nicht auf wilde Spekulationsgeschäfte bezw. Engagements, die seine Kräfte übersteigen, einläßt. So ergibt sich denn, daß auch an der Börse nicht jedermann nach seinem Belieben schalten und walten kann, sondern daß seiner Unternehmungslust in der Kontrolle des Gegenkontrahenten recht scharfe Grenzen gezogen sind. • Im übrigen wird in der Regel die Zahl der der Spekulation dienenden Geschäfte erheblich überschätzt. Der Prozentsatz des Anteils derselben an dem Gesamtumsatz ist meines Erachtens ganz wesentlich geringer, als dies in Nichtbörsenkreisen angenommen wird. Was schließlich die Behauptung anbetrifft, daß durch forcierte, Terminverkäufe der Börsenpreis geworfen werden kann, so erkenne ich ohne weiteres an, daß forcierte Verkäufe den Preis werfen, aber in dem Zurückweichen der Preise liegt auch bereits die Korrektur derselben. Ist eine Ware unter ihr marktgemäßes Niveau gesunken, so vermindert sich einerseits das Angebot, andererseits erhöht sich die Nachfrage, und so vollzieht sich die Reaktion ganz von selbst und je kräftiger die Börse ist, desto schneller. Immer kann also nur von einem v o r ü b e r g e h e n d e n Preisdruck die Rede sein, nicht von einem d a u e r n d e n . Das Gleiche in entgegengesetzter Richtung gilt selbstredend von dem Einfluß forcierter Käufe. Es handelt sich demnach in beiden Fällen um Mängel menschlicher Einrichtungen, die ertragen werden müssen und ertragen werden können und die Abwehrmaßregeln, wie sie von genannter Seite verlangt und durchgeführt worden sind, nicht rechtfertigeo. So wenig man die Eisenbahnen beseitigen kann, weil gelegentlich mal ein Verbrecher durch ihre Benutzung entflieht, so wenig man Banknoten, Wechsel und Checks aus dem Verkehr wird ausschalten wollen, weil ihre Fälschung leichter als diejenige baren Geldes, so wenig kann man die Beseitigung des Terminhandels damit motivieren, daß er gelegentlich zu Mißbräuchen Anlaß gibt. Keine menschliche Institution ist frei von dieser Gefahr.

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Nur wo eine Einrichtung bloß Schaden und keinen Nutzen oder mehr Schaden als Nutzen bringt, ist sie reif für die Beseitigung. Würdigen wir nun die gegen den spekulativen Terminhandel vorgebrachten Bedenken in ihrer Gesamtheit, so wird man zugeben müssen, daß sie eine gewisse Berechtigung haben und ernst zu nehmen sind; aber einerseits sind sie nicht so schwerwiegend, wie dies von der Seite, von der sie vorgebracht werden, behauptet wird, andererseits sind die Argumente, die in die andere Wagschale geworfen werden müssen, mit Rücksicht auf die Notwendigkeit des Termindeckungshandels so vollgewichtig, daß sie nicht außer acht gelassen werden können, und da der spekulative Terminhandel ohne Zerstörung des Deckungshandels nicht zu beseitigen ist, so wird man zu dem Schluß kommen, daß der Terminhandel nicht unterdrückt werden darf. In dieser Auffassung wird man durch die Erwägung bestärkt, daß man erfahrungsgemäß die Spekulationslust der Menschen durch Verbote des Terminhandels nicht beseitigen wird. Ist jemand so veranlagt, daß er eben nur des Kursgewinns halber Termingeschäfte macht, so wird man durch gesetzliche Unterdrückung des Terminhandels es ja erreichen, daß der betr. Spekulant in diesem verbotenen Artikel keine Geschäfte mehr macht, aber der Spekulationstrieb in ihm wird dadurch nicht vernichtet. Kann ein solcher Spekulant Getreidegeschäfte nicht mehr machen, so wird er in Zucker oder Effekten arbeiten, und wenn dies nicht mehr geht, auf dem Rennplätze erscheinen. Der Spekulant wird also durch das erwähnte Verbot nicht getroffen werden, und darum würde isch ein solches nur rechtfertigen lassen, wenn die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse dieses bedingen, und daß dies nicht der Fall, habe ich bereits ausgesprochen. Will man die übertriebene Spekulationssucht der Menschen bekämpfen, so wird man dazu einen anderen Weg wählen müssen. Ein geistreicher Franzose hat einmal gesagt, wenn alle Schurken wüßten, wieviel angenehmer es sich als ehrlicher Mann lebt, denn als Schurke, so würden sie nicht Schurken, sondern ehrenwerte Leute sein. Nach Analogie dieses Ausspruchs möchte ich sagen, wenn alle Spekulanten wüßten, wieviel angenehmer es sich lebt, wenn man seine Spekulationswut zu beherrschen versteht, wie leicht man sein und seiner Familie Lebensglück und Gesundheit zerstört, wenn man der Spekulationswut zum Opfer fällt, wieviel glücklicher man auch in bescheidenen Verhältnissen ist, wenn man einen geregelten Erwerb

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hat, als wenn man in fortwährender nervenzerstörender Unruhe und Erregung lebt und wie unsicher vor allen Dingen der durch die Spekulation erhoffte Gewinn ist, wie leicht er in einen Verlust umschlagen kann, so würden sie dadurch eher befähigt werden, ihre Spekulationswut zu beherrschen als durch ein gesetzliches Verbot des Terminhandels; und in je weitere Kreise im Wege der Belehrung eine solche Auffassung dringt, desto mehr wird die Erkenntnis, daß strenges Maßhalten auf diesem Gebiet notwendig ist, ein Teil des öffentlichen Bewußtseins werden und dann auch von dort aus regulierend zum "Wohle des Ganzen auf die einzelnen einwirken. Des weiteren wird es die Aufgabe der kaufmännischen Vertretungen sein, durch angemessene Fassung der Schlußscheinbedingungen, durch eine straffe Börsendisziplin dahin zu wirken, daß ungeeignete Elemente von der Börse ferngehalten und der Überwucherung des soliden rechnerischen Geschäfts durch die Spekulation Einhalt getan werde. Der Gesundungprozeß, der sich so vollziehen würde und zu dessen Herbeiführung die- -Besten und Angesehensten des Kaufmannsstandes hilfreich die Hand bieten sollten, kann nur ein langsamer sein, aber diese Methode wird sich als wirksamer und nachhaltiger erweisen als jene, vermöge deren man Geschäfte, die wirtschaftlich notwendig sind und von verständigen gewissenhaften Leuten betrieben werden, verbietet, damit Unverständige oder Gewissenlose geschützt werden. Für ein solches Vorgehen hat man das Wort geprägt: „das Kind mit dem Bade ausschütten". Ich habe aber weder von einem Arzt noch von einem Pädagogen je gehört, daß man mit einer derartigen Kindererziehung günstige Resultate erzielt habe.

III.

Deutsches Zahlungswesen unter Berücksichtigung des Überweisungs und Scheckverkehrs. Vortrag des Herrn

J.

K a e i n p f ,

Präsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin.

Uber das deutsche Zahlungswesen einen Vortrag zu halten, wird manchem von Ihnen ein überflüssiges Unternehmen zu sein scheinen. Ist doch heute noch in den weitesten Kreisen die Ansicht vorherrschend, daß nichts natürlicher und infolgedessen auch nichts richtiger sei, als sich bei Zahlungen der Gold- und Sibermünzen, sowie der Banknoten und Reichskassenscheine zu bedienen, die ja gerade hierzu geschaffen seien. Im Hause sich so viel Geld zu halten, daß alle vorkommenden Rechnungen sofort bar bezahlt werden können, das Portemonnaie möglichst umfangreich mit Gold oder Silber gespickt bei sich zu tragen, — das erscheint auch heute noch den meisten als das Ideal einer geregelten Privatwirtschaft. Der Zweck meines Vortrages aber ist, das Material im Zusammenhange zu unterbreiten, aus dem jeder in der Lage ist, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob nicht in der übermäßigen Benutzung der baren Zirkulationsmittel, wohin ich für den vorliegenden Fall auch Banknoten und Reichskassenscheine zähle, eine Verschwendung von Nationalvermögen liege, ein Luxus, den zu gestatten Deutschland noch lange nicht reich genug ist, oder ob nicht vielmehr gerade in der Nichtbenutzung barer Zirkulationsmittel ein wesentlicher Fortschritt in der Volkswirtschaft und in der Verbesserung unserer wirtschaftlichen Lage gefunden werden könnte. Zur vollständigen Klarstellung der Frage bitte ich einen Blick zu werfen auf das Währungssystem und auf die Münzverhältnisse Deutschlands, sowie zweier anderer Kulturstaaten, Frankreich und England, mit welch letzteren unsere eigene Lage zu vergleichen von erheblichem Interesse ist. Was versteht man überhaupt unter einer „Währung"? Ich kann diese Frage nicht besser beantworten, als mit der von dem englischen Staatsmann Gladstone vor Jahren gegebenen Erklärung, als er über die Frage der Gold- und Silber-, oder Doppelwährung aufklärend zu wirken suchte. „Währung", so sagte er, „sei der Maßstab, an dem die Preise und Werte aller übrigen Gegenstände:

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gemessen würden. Werde daher ein Metall als Maßstab, also als Träger der Währung genommen, so müsse dieses ein Metall sein, das in genügender Menge produziert werde, um den Bedürfnissen des Verkehrs gerecht zu werden, das aber andererseits auch nicht im Übermaß produziert werde, weil es sonst auf seinen eigenen Wert drücke. Das als Wertmesser, also als Währung dienende Metall müsse also in sich einen möglichst unveränderlichen Wert haben." Da nun Silber zu jener Zeit, wie auch jetzt, noch in so großen Mengen produziert und zum Verkauf gebracht wurde, daß sein Wert im Vergleich zum Gold sich auf die Hälfte des früheren Preises herabminderte, so sei das Silber ein untauglicher AVertmesser. Welche Verwirrung würde entstehen, wenn im Tuchhandel ein Metermaß angewandt würde, das heute 100 cm, in einem Jahre 120 cm und nach einer Reihe von Jahren nur 80 cm hielte. Ebenso groß müßte die Verwirrung sein, wenn ein in ähnlichem Maße veränderliches Metall als Währung angewandt würde. Den an ein Währungsmetall zu stellenden Ansprüchen genügt zurzeit nur das Gold, dessen Produktion im richtigen Verhältnis zum Bedarf steht. Das praktische Handelsvolk der Engländer hat sich daher niemals bereit finden lassen, von dem System der Goldwährung abzugehen. Es ist sich bewußt geblieben, daß es seine Stellung als Vermittler der Geschäfte der ganzen Welt nur bei der stabilen Währung des Goldes aufrechterhalten könne. Deutschland hatte bis zum französischen Kriege die Silberwährung. Als aber nach der Schaffung des Deutschen Reiches der alte deutsche Agrarstaat sich in einen Handels- und Industriestaat umwandelte und seinen Anteil an der internationalen Handelstätigkeit begehrte, wurde es notwendig, daß auch Deutschland die Goldwährung akzeptierte, wozu ihm die französische Kriegsentschädigung die Möglichkeit bot. Aber wir sind nicht sofort zur reinen Goldwährung übergegangen. Wie Sie alle wissen, ist bis zum 1. Oktober 1907 neben den Goldmünzen der Taler gesetzliches Zahlungsmittel gewesen, indem er in unbeschränkten Summen zum Werte von 3 M. Gold in Zahlung genommen "werden mußte, wenngleich er nur einen Goldwert von etwa 1 y 2 M . repräsentierte. Erst mit dem 1. Oktober 1907 hat diese Verpflichtung aufgehört, und wir haben in Silber nur noch Scheidemünzen, von denen aber niemand mehr als 20 M. in Zahlung zu nehmen verpflichtet ist. Auch die von der Reichsbank und einigen kleinen noch bestehenden Notenbanken ausgegebenen Banknoten müssen von den Banken

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in Gold eingelöst werden. An die Stelle der sogenannten hinkenden Goldwährung ist die reine Goldwährung getreten, d. h. in Deutschland sind — abgesehen vom Kleinverkehr bis zu 20 M. — alle Verpflichtungen in Gold zu erfüllen. Von Deutschland und England unterscheidet sich Frankreich. Hier sind nicht nur die Goldmünzen gesetzliches Zahlungsmittel, sondern auch die auf Grund der lateinischen Münzunion geprägten Fünffrancsstücke. Die Bank von Frankreich würde also ihre Banknoten auch in Fünffrancsstücken einlösen können, wenngleich die letzteren nur einen Goldwert von etwa 2 y 2 Francs haben. Dieser Zustand ist vielleicht erträglich für den inneren Verkehr, wenngleich er auch da schwer empfunden werden würde, wenn jemand für 5000 Francs Banknoten 1000 Fünffrancsstücke erhielte, die er in Säcken verpackt nach Hause tragen müßte. Ganz unmöglich aber ist dieser Zustand für den internationalen Verkehr, denn jeder Ausländer, der Fünffrancsstücke erhielte, würde sie unzweifelhaft sofort zurückschickcn, und sich dafür Gold ausbitten. Tatsächlich zweifelt denn auch niemand daran, daß die französischen Banknoten in Gold eingelöst werden, und dies ergibt sich daraus, daß Frankreich, abgesehen von dem in der Bank liegenden Golde, im Verkehr so viel Gold hat, daß dem letzteren leicht große Summen entzogen werden können. Eine Eigentümlichkeit des französischen Publikums, auf die besonders hingewiesen werden muß, ist, daß es Gold und Silber i n die Bank trägt und sich dafür Banknoten geben läßt, die dann statt des Goldes und Silbers zirkulieren. Insoweit dies geschieht, sind die Banknoten daher Repräsentanten von Gold und Silber oder, wie man richtig sagt, „Goldund Silberzertifikate". Dies führt uns zu einer Frage, die mit unserem Thema in direktester Verbindung steht, nämlich zu der Frage: Welchen Gebrauch macht die Bevölkerung der verschiedenen Länder von den vorhandenen Zahlungsmitteln ? Uber die Höhe der Zahlungsmittel, die in einem Lande zur Verfügung stehen, namentlich über die Höhe der Goldmünzen, ist es schwer, genaue Ziffern zu geben. Jedes Land weiß zwar, wie viel Goldmünzen von seinen Münzstätten ausgeprägt sind; aber wie viele sich davon im Inlande in Zirkulation befinden, ist nur schätzungsweise festzustellen, da Goldmünzen einerseits ins Ausland gehen, andererseits zu industriellen Zwecken eingeschmolzen werden.

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Nach den Schätzungen des Münzdirektors der Vereinigten Staaten von Amerika waren Ende 1906 vorhanden: in Frankreich etwa 4400 Millionen Mark Goldmünzen, „ Silbermünzen, „ 1700 „ England „ 2400 „ Goldmünzen, Silbermünzen, „ m >» 480 ,, „ Goldmünzen, „ Deutschland „ 3900 „. Silbermünzen. u » 900 ,, Außerdem kommen als im Verkehr befindliche Zahlungsmittel zurzeit in Betracht: in Frankreich etwa 990 Millionen Mark nicht durch Metall gedeckte Banknoten, „ England keine, nicht durch Metall gedeckte Banknoten, es ist vielmehr eine Überdeckung durch Metall vorhanden, „ Deutschland etwa 590 Millionen Mark nicht durch Metall gedeckte Banknoten und „ 50 „ „ Reichskassenscheine. Lassen wir für die folgende Erwägung Frankreich außer Betracht, da einerseits die Verschiedenheit der "Währung, andererseits die weniger intensive Entwicklung von Handel und Industrie, endlich der auf alter Kulturentwicklung beruhende Reichtum zu viele den Vergleich erschwerende Momente ergeben, und suchen wir aus einem Vergleich mit England diejenigen Lehren zu ziehen, die uns die Verhältnisse beider Länder darbieten, wenngleich es selbstverständlich ist, daß sich die Verhältnisse des einen Landes nicht ohne weiteres auf das andere Land übertragen lassen. Wie schon erwähnt, sind zurzeit in England ungedeckte Banknoten überhaupt nicht in Umlauf, während in Deutschland der durch Metall nicht gedeckte Notenumlauf inkl. Reichskassenscheine ungefähr 640 Millionen Mark beträgt. An Silbermünzen sind in England nach deutschem Gelde gerechnet etwa 11 i L auf den Kopf der Bevölkerung vorhanden, während wir in Deutschland uns anschicken, den Silbermünzenvorrat von jetzt etwa 15 M. auf 20 M. pro Kopf der Bevölkerung zu erhöhen. An Goldmünzen sind in England etwa 2400 Millionen Mark vorhanden, und zwar liegen davon mehr als 31% mit etwa 750 Millionen Mark in den englischen Banken, während nur etwa 69% mit etwa 1650 Millionen Mark sich als Zirkulationsmittel in den Händen des Publikums befinden. In Deutschland sind etwa

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3900 Millionen Mark Goldmünzen vorhanden, davon nur etwa 14% in der Reichsbank, und wenn ich die im Juliusturm liegenden 120 Millionen Mark hinzunehme, etwa 17%; dagegen befinden sich etwa 83% als Zirkulationsmittel in den Händen des Publikums. Diese Zahlen im Kopfe zu behalten ist sehr schwierig, jedoch nicht nötig. Das Charakteristische ist, daß England seinen großen Zahlungsverkehr mit etwa 2000 Millionen Mark Gold- und Silbermünzen bewältigt, daß Deutschland für seinen, jedenfalls viel geringeren Zahlungsverkehr aber etwa 3800 Millionen Mark Gold- und Silbermünzen gebraucht und außerdem an nicht gedeckten Banknoten und Reichskassenscheinen 640 Millionen Mark in Zirkulation hat, während in England ungedeckte Banknoten zurzeit überhaupt nicht existieren. Woher nun diese große Enthaltsamkeit des englischen Publikums in der Benutzung der Zirkulationsmittel an Gold- und Silbermünzen und Banknoten ? England hat einen Lehrmeister gehabt in der Bankakte von 1844, die den Namen des englischen Staatsmannes R o b e r t P e e l trägt, und die, welche Mängel ihr sonst anhaften mögen, einen für unsere Erwägungen fundamentalen Satz enthält, nämlich daß nicht mehr als 16,8 Millionen Pfund Sterling (etwa 340 Millionen Mark) durch Metall nicht gedeckte Banknoten ausgegeben werden dürfen. Hierdurch ist England auf den Weg gewiesen worden, den Zahlungsverkehr mit möglichst geringen Zahlungsmitteln zu erledigen. Und die Engländer haben es vortrefflich verstanden, sich mit geringen Zirkulationsmitteln zu begnügen; sie haben den Weg gefunden, wie man ohne Benutzung barer Zirkulationsmittel doch einen ungeheuer großen Zahlungsverkehr bewältigen kann, sie haben dieses Mittel gefunden inihrem Scheck-und in dem Abrechnungs(„clearing")-verkehr. Wie Ihnen bekannt, ist der Scheck eine Anweisung auf ein Guthaben bei einem Bankhaus. Ich gebrauche den Ausdruck „Bankhaus", wenngleich nach den Gesetzen in den verschiedenen Ländern Schecks auch zum Teil auf andere Firmen als auf Bankhäuser gezogen werden können, so namentlich auf Genossenschaften, Sparkassen und ähnliche Institute. Der Kürze halber werde ich aber immer das Wort „Bankhaus" gebrauchen. Will man sich nun eines Schecks als Zahlungsmittels bedienen, so ist die Vorbedingung, daß man ein Konto bei einem Bankhause hat, und auf diesem ein Guthaben vorhanden ist, über das man verfügen kann. Gewerbliche Einzelvorträge.

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Hiervon haben die Engländer den weitestgehenden Gebrauch gemacht. Nicht nur alle Kaufleute und Industrielle haben ein Konto bei einem „Banker", sondern auch die Mehrzahl aller Privatpersonen, bei denen Zahlungen von irgendwelchem Belang vorkommen. In England haben Kaufleute, Industrielle und Private Geld in ihren Kassen nur so weit, als für die kleinsten täglichen Bedürfnisse nötig ist. Ebenso trägt niemand größere Beträge mit sich herum, als dieses nötig ist, um ein Glas Bier oder Wein, einen Imbiß im Restaurant, einen Omnibus oder eine Droschke zu bezahlen oder sonst kleine Zahlungen, die im täglichen Leben vorkommen, zu erledigen. Die ganze Kassaführung seines Geschäftes und seines Haushaltes überträgt der Engländer dem „ B a n k e r " und erledigt alle seine Zahlungen durch Schecks auf den letzteren. Ja, es gilt sogar, auch unter den Privaten, für eine Ehrensache, ein Konto bei einem Bankhause zu haben und sich des Schecks als Zahlungsmittels zu bedienen. Der Ausspruch ist schon oft getan, aber er kann nicht oft genug wiederholt werden, weil er für die englischen Zustände bezeichnend ist: AVer mit Schecks bezahlt, ist in England ein „Gentleman", wer bar bezahlt, ist nur ein „ m a n " . Wie gestaltet sich nun der Lebenslauf eines Schecks? AVenn ich an irgendeinen meiner Lieferanten eine Rechnung zu bezahlen oder sonst an jemand, dem ich Geld schulde, eine Zahlung zu leisten habe, so schreibe ich auf mein Bankhaus einen Scheck aus, wozu ich von dem Bankhausc die Formulare erhalte, und übergebe oder übersende diesen Scheck an denjenigen, der das Geld von mir zu empfangen hat. Nun kann letzterer zu dem Bankhaus, auf das der Scheck gezogen ist, gehen und den Betrag bar in Empfang nehmen. Damit würde aber der Zweck, baare Zirkulationsmittel zu ersparen, nur unvollkommen erreicht werden. Es würde in diesem Fall nur eine Verschiebung der Benutzung der Barmittel um 1 oder 2 Tage eintreten. Ein Scheck, der so zur Barzahlung gelangt, hat, wie es richtig ausgedrückt ist, seinen Beruf verfehlt. Soll er seinen Beruf nicht verfehlen, so m u ß derjenige, dem ich mit dem Scheck bezahle, ebenfalls ein Konto bei einem Bankhaus haben — entweder bei demselben, wo ich mein Konto habe, oder bei einem anderen —, und er muß den Scheck seinem Bankhause zur Gutschrift auf seinem Konto übergeben. H a t er dann später an einen Dritten Zahlungen zu leisten, so schreibt auch er wieder einen Scheck aus auf sein Bank-

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h a u s und gibt ihn seinem Gläubiger in Zahlung, der dann in gleicher Weise verfährt wie der erste Lieferant usw. Diese Art des Zahlungsverkehrs ist auf alle im täglichen Leben vorkommenden Zahlungen anwendbar, nicht nur auf

Rechnungen,

die ich zu bezahlen habe, sondern auch auf Zahlungen für Miete, Hypothekenzinsen, an Arzt, Rechtsanwalt, für Steuern, Kanalisationsgebühren und f ü r den gesamten geschäftlichen Verkehr. Wird dieses S y s t e m aber verallgemeinert, hätten z. B. alle Einwohner einer S t a d t Bankkonten und benutzten sie d a s Schecksystem zu allen ihren Zahlungen, so würden in dieser S t a d t Barzahlungen zwischen den einzelnen Personen überhaupt nicht vorkommen. ist selbstverständlich nur in der Theorie möglich.

Das

Denn, wie schon

erwähnt, zu den kleinsten Zahlungen des täglichen Lebens wird sich der Scheck nicht verwenden lassen, hier wird immer die bare Münze ihre Rolle spielen. Wie die Schecks zur Welt kommen, wie sie ihren Lebenslauf bis zu den K a s s e n der B a n k h ä u s e r zurücklegen, d a s habe ich nun auseinandergesetzt.

Aber wo bleiben sie schließlich?

Wo und wie

beschließen sie, segensreich für die AVeit, ihren L e b e n s l a u f ? Wenn an einem Platze z. B . 20 B a n k h ä u s e r bestehen, die für den Scheckverkehr in Betracht kommen, so werden sicli bei jedem einzelnen dieser 20 Bankhäuser Schecks auf die anderen 19 ansammeln. J e d e s dieser 20 Bankhäuser müßte die Schecks jedem der anderen 19, auf die er Schecks in Händen hat, zur Zahlung präsentieren. diese

Barzahlung

würden

wiederum

bare

Durch

Zirkulationsmittel

in

Bewegung gesetzt werden, und letzteres zu vermeiden, ist eben das Ziel, d a s erstrebt wird. Zu diesem Zwecke ist das Abrechnungsverfahren (englisch: Clearing) erfunden und eingerichtet worden, d a s sich übrigens nicht nur auf Schecks, sondern auch auf Wechsel, Rechnungen,

Quittungen usw.

anwenden läßt u n d tatsächlich angewandt wird. Dieses Abrechnungsoder clearing-System besteht darin, daß diejenigen Bankhäuser, die für den Zahlungsverkehr an einem Orte besonders in Betracht kommen, sich unter der Leitung des Zentralinstituts, in Berlin also der Reichsbank, zu einer Abrechnungsstelle, in E n g l a n d „clearinghouse"

ge-

nannt, vereinigen. Die B e a u f t r a g t e n finden sich ein oder mehrere Male im L a u f e des Tages in der Reichsbank ein mit den Wechseln, Schecks, Quittungen 6*

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usw., die seitens ihrer Bankhäuser einzuziehen sind, und mit Listen, in denen die Beträge, die jedes Bankhaus von jedem der übrigen an der Abrechnungsstelle beteiligten Bankhäuser zu empfangen hat, verzeichnet sind, und übergeben die mitgebrachten Dokumente den einzelnen Beauftragten der übrigen Bankhäuser. Diese prüfen in den Bureaus der betreffenden Bankhäuser, ob die Wechsel usw., die sio zu bezahlen haben, in Ordnung sind, und nachdem so festgestellt ist, welchen Betrag jedes Bankhaus an die Gesamtheit und an jedes einzelne der beteiligten Bankhäuser zu zahlen oder von ihm zu empfangen hat, reguliert die Leiterin der Abrechnungsstelle, bei uns also die Reichsbank, bei der jedes der beteiligten Bankhäuser ein Konto führt, die Zahlungen, die jedes dieser Bankhäuser zu leisten oder zu bekommen hat, durch Gutschrift oder Belastung auf dem Konto des Bankhauses bei der Reichsbank. Sie sehen, auf welchem Wege es möglich ist, durch das Scheckund Abreehnungswesen, wenn alle Faktoren ineinandergreifen, in der Tat große Beträge an baren Zirkulationsmitteln zu ersparen. Und die Zahlen, die ich vorher angeführt habe, wonach England fast keine ungedeckten Banknoten hat und sich im Zahlungsverkehr mit beinahe der Hälfte der baren Zirkulationsmittel behilft, wie Deutschland, finden darin ihre Begründung, daß in England der Scheck ein von jedermann benutztes Zahlungsmittel ist, und daß die Schecks im weitesten Umfange durch das „clearing-System" ohne Barzahlung zum Einlösen gelangen. Im übrigen gelangen in England nicht nur Schecks durch das Abreehnungswesen ohne Barzahlung zum Ausgleich, sondern im weitesten Umfange auch Wechsel, Rechnungen usw. Das Abreehnungswesen ist nun in Deutschland durchaus nicht unbekannt, es bestehen an einer großen Zahl von Plätzen unter Führung der Reichsbank derartige Abrechnungsstellen für Wechsel, Schecks, Quittungen usw. Die Zahl dieser Abrechnungsstellen wird aber, wenn sich an allen deutschen Plätzen das Scheckwesen in so großem Umfange entwickelt, wie wir alle es wünschen, noch wesentlich vermehrt, und so der Bedarf an Barmitteln auch in Deutschland wesentlich vermindert werden können. In e i n e r Stadt in Deutschland aber haben wir ein Abrechnungssystem, das sogar in seiner Ausdehnung und Vollkommenheit das englische noch übertrifft, das ist nämlich Hamburg.

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Dieses System ist in Hamburg schon Anfang des 17. Jahrhunderts eingerichtet worden. Zu jener Zeit zirkulierten in Hamburg Silbermünzen aus allen möglichen Ländern und in so minderwertigem Zustande, daß damals eine Bank, die Hamburger Girobank, ins Leben gerufen wurde, um alle Münzsorten auf ihren Gewicht- und Feingehalt zu prüfen und sie nach ihrem Silberwert in einer fingierten Rechnungswährung, der Bankomark, den Einlieferern gutzuschreiben. Niemals hat eine Münze „Bankomark" bestanden, solche Münzen existierten überhaupt nicht; die Bank zahlte, wenn Bargeld von ihr verlangt wurde, vielmehr in Silber b a r r e n aus. Diese konnten natürlich im Zahlungsverkehr nicht verwendet werden, und so entwickelte sich unter dem Zwange der Not die Gewohnheit, daß in Hamburg niemand bar zahlte, sondern alle Zahlungen durch Abschreiben von dem Konto des Schuldners und Zuschreiben zu dem Konto des Gläubigers bei der Bank erledigt wurden. Es war also hier der Beweis geliefert, daß, um den Zahlungsverkehr zu erledigen, bare Zirkulationsmittel überhaupt nicht gebraucht wurden. Diese Gewohnheit hat sich in Hamburg auch erhalten, nachdem die Goldwährung in Deutschland eingeführt war, und nachdem infolgedessen auch in Hamburg Gold- und Silbermünzen zur Verfügung standen. Und noch heute wird dieses Abschreibungs- und Zuschreibungssystem in weitestem Umfange in Hamburg durchgeführt und zwar selbst für die kleinsten Beträge. Im geschäftlichen Verkehr kommt es häufig vor, daß selbst Beträge von 20 Pf. durch Abschreibung reguliert werden, ja, es ist nach einem Bericht des Herrn T h o r w a r t Frankfurt a. M., dem ich diese Schilderung entnehme, vorgekommen, daß selbst der Betrag von 1 Pf., den ein Mieter einem in demselben Hause wohnenden Vermieter schuldete, nicht durch Barzahlung, sondern durch Abschreibung von dem Konto des Mieters und Zuschreibung zu dem Konto des Vermieters erledigt wurde. Der Kontoinhaber wirft in einen im Geschäftslokal seiner Bank befindlichen Kasten ein nach einem bestimmten Formular aufgestelltes Verzeichnis der Zahlungen, die er an dem betreffenden Tage zu leisten hat, mit dem Auftrage, sie von seinem Konto a b - und dem Konto des Zahlungsempfängers z u zuschreiben, und die sechs an diesem Zahlungsverkehr beteiligten Banken rechnen auch diese Zahlungen untereinander ab. Das Charakteristische des Hamburger Systems besteht darin,

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daß nicht nur Wechsel, Schecks, Quittungen usw. durch Ab- und Zuschreiben von einem Konto auf das andere erledigt werden, sondern auch alle Zahlungen, die der Inhaber eines Kontos bei einer der sechs Banken an irgendeinen Kontoinhaber bei den anderen fünf Banken zu leisten oder von ihm zu empfangen hat, also Zahlungen, die nicht durch Schecks oder Quittungen dargestellt werden; daß jedermann, vom einfachen Privatmann bis zur Staatsbehörde, sich dieser Einrichtung bedient, und daß die sechs Abrechnungsbanken nicht nur Schecks, "Wechsel und Quittungen, sondern den ganzen Zahlungsverkehr ihrer Kunden durch Abrechnung zwischen einander zur Erledigung bringen. Hier ist die feinste Zahlungstec-hnik vorhanden, die je erfunden ist. Nun ergibt sich die natürliche Frage, warum man ein so vorzügliches System, wie es in Hamburg besteht, nicht auf alle übrigen Städte, nicht auf das ganze Reich überträgt? Sachverständige erklären dies für sehr schwierig und namentlich für ganz große Städte beinahe undurchführbar. Sic weisen darauf hin, daß das Hamburger System sich da durchführen läßt, wo die Abrechnung sich auf eine kleine Zahl von Banken beschränkt, während eine allgemeine Abrechnung überall da unmöglich ist, wo, wie z. B . in Berlin, an derselben viele Hunderte von Bankhäusern teilnehmen müßten. Auch die weiten Entfernungen in einer großen Stadt von (lern Kunden zu dem Bankhause und von dem Bankhause zur Leiterin der Abrechnungsstelle erschweren den Verkehr, und es wird ferner darauf hingewiesen, daß die Offenlegung der ganzen Kundschaft jedes einzelnen, wie dies in Hamburg der Fall ist, schwerlich überall Anklang finden wird, obwohl man in Hamburg diese letztere Schwierigkeit überwunden hat. Wenn man nun in den anderen Städten, außer Hamburg, nicht zu dem Hamburger System übergehen kann, so wird man um so mehr auf die Anwendung des Schecksystems hingedrängt. Auf diesem Schecksystem muß sich dann aber das Abrechnungssystem, das ich vorhin geschildert habe, aufbauen. Wir besitzen ferner in Deutschland eine Einrichtung, welche in einer vollkommenen Weise die Übertragung von Geldbeträgen von einem Konto auf das andere und von einem Platze auf den anderen vermittelt, das ist das Reichsbankgirowesen, das zu einer außerordentlichen Höhe ausgebildet zu haben ein großes Verdienst der

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Reiehsbank ist. Aber dieses Reiehsbankgirowescn wird der Hauptsache nach nur von größeren Firmen benutzt, während es gerade darauf ankommt, das Überweisungs- und Scheckwesen in die weitesten Schichten der Bevölkerung eindringen zu lassen. Deswegen ist es mit Freuden zu begrüßen, daß demnächst durch die Post ein Überweisungs* und Scheckverkehr eingeführt werden soll, der den Zweck hat. die etwa 17 000 Postanstalten in den Dienst dieses Verkehrs zu stellen. Es wird also künftighin jedermann sich auch bei der Post ein Konto eröffnen lassen können. So ist zu hoffen, daß allmählich auch in Deutschland, wio dies in England der Fall ist, die überwiegende Zahl der Bevölkerung von der überflüssigen Benutzung der baaren Zirkulationsmittel sich abwenden und das moderne System des Überweisungs- und Scheckverkehrs bei sich aufnehmen wird. Wer aufmerksam den Verkehr beobachtet, wird finden, in wie geringem Umfange bis jetzt der Gedanke, nicht selbst seine Kasse zu führen, sondern dies einem Bankhauso zu übertragen, bei uns Eingang gefunden hat. Und doch sind alle Hindernisse, die der Einführung des Scheckverkehrs im Wege standen, beseitigt. Es ist das Scheckgesetz am 1. April d. J . in Kraft getreten, dessen Fehlen von vielen, namentlich von den Behörden als Hinderungsgrund angesehen worden ist. Wie können wir einen Scheck in Zahlung nehmen, haben viele gesagt, wenn wir nicht sicher sind, daß, wenn er von dem Bankhause nicht bezahlt wird, wir einen wechselmäßigen Regreß gegen den Aussteller und die Indossanten des Schecks haben. Dieser wechselmäßige Regreß ist nunmehr durch das Scheckgesetz herbeigeführt, und es sind daher auch alle Staats- und Gemeindebehörden in der Lage, den Scheckverkehr bei sich einzuführen. In Groß-Berlin sind bereits von den Ältesten der Kaufmannschaft, den Handelskammern Berlin und Potsdam mit den Gemeindebehörden die nötigen Verabredungen getroffen worden, dahingehend, daß alle Zahlungen für Steuern, Kanalisationsgebühren, Wasser, Elektrizitätsrechnungerl u. dergl. m., auf dem Wege des Überweisungs- und Scheckverkehrs geregelt werden können. Es bleibt nur noch ein Hindernis zu beseitigen, und das ist die Gewöhnung des Publikums. Jede Neuerung bringt natürlich Unbequemlichkeiten mit sich, und die neuen Formalitäten schrecken viele davon ab, sich des modernen Zahlungsverkehrs zu bedienen.

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Wenn man aber diese Schwierigkeiten überwunden hat, wird man schnell die Vorteile, die sich aus dem Überweisungs- und Scheckverkehr ergeben, erkennen. Welcher Vorteil liegt z. B. darin, daß man, abgesehen von dem Geld für die kleinsten Bedürfnisse, kein bares Geld im Hause zu haben nötig hat! daß man alle Zahlungen durch einen einfachen Brief an sein Bankhaus mit dem Auftrag, die Überweisung vorzunehmen, erledigen kann! oder darin, daß ein Scheck, und namentlich ein Scheck zur Verrechnung, der dann überhaupt nicht durch Barzahlung, sondern nur durch Gutschrift auf Konto zu Erledigung kommen kann, ausgeschrieben und an den Zahlungsempfänger gesandt werden kann! Welcher Vorteil liegt darin, daß man keinen Boten mit Geld auszuschicken braucht! daß man nicht nötig hat, selbst in die Läden und Geschäfte zu gehen und daselbst mit barem Gelde zu bezahlen! daß man nicht nötig hat, Geld zur Post zu schicken, wenn man Geld durch Postanweisung versenden will! daß man keinen Geldbrief zu versiegeln und zur Post zu schicken hat! daß man vor Annahme falschen Geldes geschützt ist, und daß man durch die Buchungen bei dem Bankhause noch nach Jahren in jedem einzelnen Fall nachweisen kann, daß eine bestimmte Zahlung geleistet worden ist! Noch größer aber als die Vorteile, die sich im privaten Wirtschaftsleben ergeben, sind die Vorteile, die der Allgemeinheit erwachsen. Das Ziel, das zu erstreben und zu erreichen ist, besteht darin, daß, wenn die Bevölkerung weniger bare Zirkulationsmittel für die Bewältigung des Zahlungsverkehrs gebraucht, die Nachfrage nach diesen Zirkulationsmitteln bei dem Zentralinstitut, das die Geldzirkulation zu regeln hat, also in Deutschland bei der Reichsbank, geringer wird, und die so ersparten baren Zirkulationsmittel sich in den Kassen der Reichsbank ansammeln können. Je größer aber die Bestände an Barmitteln bei der Reichsbank sind, desto mehr wird auf die Verbilligung des Zinsfußes eingewirkt. Was ist nicht alles gegen den hohen Zinsfuß in Deutschland gesagt und geschrieben worden! Ich kann in diesem Augenblick nicht eingehen auf die vielfachen Gründe, welche zu dem hohen Zinsfuß geführt haben. Es ist daran zum großen Teil unsere ganze Wirtschaftspolitik schuld, die wir aber nicht ohne weiteres ändern können. Es gibt aber ein Mittel, bezüglich dessen wir unabhängig von der hohen Politik sind, und durch das wir auf dem Wege der Selbst-

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hilfe, wenigstens zum Teil dazu beitragen können, auf die Verbilligung des Zinsfußes hinzuwirken, und dieses Mittel ist die im großen Umfange zu bewirkende Anwendung des Überweisungs- und Scheckverkehrs. Wenn ich damit zum Schluß meiner Ausführungen gekommen bin, so werde ich erfreut sein, wenn es mir gelungen ist, die Frage des Zahlungsverkehrs wenigstens so weit auseinanderzusetzen, daß jeder der Anwesenden sich ein eigenes Urteil darüber bilden kann, und dies ist der Zweck meines Vortrages gewesen.

IV.

Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Dr. Reiche, Bibliothekars der Korporation der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin.

Vor kurzem kam in die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft ein Herr, ein Privatdozent aus Moskau, der in Berlin über die Entwicklung der Eisenindustrie, insbesondere über die Kartellbewegung in Eheinland und Westfalen, Studien machen wollte. Er zeigte drei Bestellzettel der Kgl. Bibliothek vor, welche alle drei mit dem Zeichen „nicht vorhanden" versehen waren. Auf allen drei Zetteln war der Name des Autors von dem Ausländer ungenau geschrieben. Ohne einen Blick in den Katalog zu tun, konnten wir ihm die drei gewünschten Bände aushändigen. Das eine Mal z. B. hatte er den Verfasser „Velcker" statt „Voelcker" geschrieben. Gemeint war der frühere Regierungsrat V o e l c k e r , der in der Kartellbewegung eine Rolle gespielt hatte und später Direktor des Stahlwerksverbandes gewesen ist. Ähnlich waren die Versehen des Bestellers in den beiden anderen Fällen. Was beweist dieser kleine Vorfall? Er zeigt, daß in einem so großen Institut wie der Kgl. Bibliothek die Beamten unmöglich von der vorhandenen Literatur, auch nur von den neuesten Erscheinungen Kenntnis haben können und daß, da es kaum möglich sein dürfte, die etwa 1600 täglichen Buchbestellungen immer zu sichten und von Fachleuten erledigen zu lassen, die Beamten Sklaven des Katalogs bleiben müssen, daß dagegen in einer kleinen Bibliothek, die nur wenige Gebiete des Wissens umfaßt, es möglich ist, den Bestand vollkommen zu übersehen und soweit zu beherrschen, daß auch bei ungenauen Bestellungen, bezw. dem ungewandten Benutzer gedient werden kann. Natürlich ist dazu ein unmittelbarer Verkehr des Publikums mit den Beamten notwendig und das Fehlen all der Schranken, die in den großen Instituten das Publikum von den geheiligten Räumen des Büchermagazins trennen. Noch zwei andere Beispiele mögen zeigen, welche Vorzüge eine kleine Fachbibliothek besitzt. Als die Seehandlung unlängst ihr Jubiläum feierte, suchten verschiedene Journalisten Material zur

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Geschichte dieser preußischen Bank. Sie wären auf Einzelschriften aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts angewiesen gewesen oder auf den betreffenden Artikel im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Wir konnten den Herren Material aus einer ganz versteckten Stelle des Kommentars von S c h w a r z und S t r u t z zum preußischen Etat geben, einer Quelle, auf die keine Bibliographie hinwies. Wie ja denn Bibliographien zumeist versagen, wenn man sie braucht. Das gilt nicht nur von der Allgemeinen ZeitschriftenBibliographie, die alle Wissenschaften berücksichtigen will, sondern auch von dem sehr verdienstvollen, aber noch zu jungen Unternehmen der „Bibliographie der Sozialwissenschaften". Wir haben daher, allerdings erst seit 1 ]/2 Jahren, aus den in der Korporationsbibliothek vorhandenen Zeitschriften Titel ausgeschrieben, die erfahrungsgemäß für unser Publikum und die Korporationsbeamten von Wert sein dürften. Diese Einrichtung hat sich kürzlich erst gut bewährt, als das Scheckgesetz zur Beratung stand und sämtliche zu dieser Frage eben erschienenen Zeitschriftenartikel sofort zusammengestellt werden konnten. Ein anderer Fall war folgender. Ein junger Referendar, der über das Vinkulationsgeschäft, eine eigenartige Form des Lombardgeschäfts, arbeiten wollte, erhielt eine tags zuvor vom Buchhändler gelieferte Schrift von J a m e s B r e i t in Dresden, die das Thema in einer Ausführlichkeit behandelte, die jede andere Bearbeitung überflüssig machte. Der Herr war dadurch vor unnützer Arbeit bewahrt, und doch hätte er von der Existenz dieses Buches, wenn er auf die Benutzung der großen Bibliotheken Berlins sich beschränkt hätte, vielleicht erst nach Monaten erfahren. Bei uns liefern vier Sortimentsbuchhandlungen in eifriger Konkurrenz sehr rasch alles nur irgendwie Passende, und oft sind hier Bücher schon gebunden und katalogisiert, bevor sie im wöchentlichen Verzeichnis von H i n r i c h s als Novität angezeigt sind. Daß es keine Kleinigkeit ist, eine Bibliothek von 23000 Bänden wirklich zu beherrschen, erklärt sich aus der Geschichte oder besser der Geschichtslosigkeit dieser Bibliothek. Ihre Entwicklung ist noch eine sehr kurze. Wenn auch die Korporation der Kaufmannschaft schon auf eine Geschichte von beinahe 100 Jahren zurückblicken kann, so ist doch die Bibliothek als solche noch nicht älter als 8 Jahre, und so sehr man

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es bedauern mag, daß in früheren Dezennien nur gerade soviel für Bücher aufgewandt wurde, als die damals noch wenig zahlreichen Beamten der Ältesten der Kaufmannschaft für ihre dienstlichen Arbeiten bedurften, und daß man dadurch den Bibliotheken der Handelskammern zu Hamburg und Leipzig einen großen Vorsprung gewährte, so ist es für die Möglichkeit der Beherrschung ein glücklicher Umstand gewesen, daß im Jahre 1 9 0 0 nur ein verhältnismäßig kleiner Bestand von 7 0 0 0 Bänden vorhanden war, die damals in verschiedenen Zimmern und Spinden aufgestapelt gänzlich unübersichtlich und ungeordnet umherlagen. Als dann auf Anregung des verstorbenen Brauereidirektors G o 1 d s c h m i d t beschlossen worden war, eine kaufmännischgewerbliche Bibliothek zu begründen und in einem neben dem Lesesaal befindlichen Räume von einem wissenschaftlich gebildeten Bibliothekar ordnen und verwalten zu lassen, da befand ich mich einem Chaos von planlos zusammengebrachten Büchern, unvollständigen Reihen von Zeitschriften aus allen möglichen "Wissensgebieten gegenüber, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Ich war gezwungen, mich von dem sogenannten „Katalog", einem gewaltigen Hauptbuche, in das ein Kanzlist fein säuberlich Titel für Titel eingetragen hatte, zu emanzipieren und den vorhandenen Bestand vollkommen neu, Buch für Buch, nach bibliothekarischen Grundsätzen aufzunehmen und die Lücken durch Neuankäufe zu füllen.Um ein Beispiel von dieser Lückenhaftigkeit zu geben, sei nur erwähnt, daß von den Klassikern der Nationalökonomie A d a m Smith nur in einer deutschen Übersetzung vorhanden war, daß aber Friedrich List, Ricardo, B a s t i a t usw. fehlten. Es mußte also ein Plan entworfen werden, nach welchem die Bibliothek auszubauen sei. Es ist daher damals jeder Band des Bestandes der Bibliothek durch meine Hände gegangen, und ebenso geschieht es auch heute mit jedem Bande des Zuwachses, der dann in die ein für allemal festgelegte Systematik eingereiht wird. Fast ein volles J a h r dauerten damals diese Vorarbeiten. Dann wurden zuerst nur Korporationsmitglieder, später unter Bürgschaft derselben auch junge Kaufleute und andere Interessenten, schließlich die Mitglieder aller großen kaufmännischen Vereine als Benutzer zugelassen, so daß die Sammlung, die ursprünglich Dienstbibliothek einer Behörde gewesen war, sich in eine öffentliche fachwissenschaftliche Bibliothek verwandelt hatte.

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Als dann die Begründung der Handelshochschule beschlossen war, ergab sich für die Sammlung eine neue Zweckbestimmung, und die Anschaffungen mußten unter dem Gesichtspunkte gemacht werden, daß die Hochschule bei ihrer Eröffnung eine wohl ausgestattete Bibliothek vorfinden konnte. Alle dort gelehrten Fächer sind hier vertreten, die Nebenfächer, die der allgemeinen Ausbildung dienen, wie Philosophie, Kunstgeschichte, wenigstens durch ein Standard work. Dagegen sind Lehrbücher der Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in zahlreichen Exemplaren vorhanden, um dem Studierenden, der ein so teures Buch nicht immer kaufen kann, ein Lehrbuch für die Dauer des Semesters belassen zu können. Natürlich hatten die neuen Aufgaben ein starkes Anwachsen der Ausgaben für die Bibliothek zur Folge. Der Etat, der im Jahre 1900 5000 M. betrug, ist seit 1903 auf 10 000 M. erhöht worden, und besondere Summen sind alljährlich für die Bedürfnisse des Lesesaals mit seinen 63 Zeitungen, seinen Kurszetteln, seinen vielen illustrierten Zeitschriften und Fachblättcrn und für die Buchbinderei ausgeworfen. Wenn der Gesamtbestand an Bänden vom Jahre 1903—1907 sich von 13 750 auf 22 140 Bände gehoben hat, so scheint diese Zunahme im Verhältnis zu den bewilligten Geldern keine sehr große zu sein. Es erklärt sich dies daraus, daß gerade in unserer Fachbibliothek die Disziplinen vertreten sind, in denen, vielleicht mit Ausnahme der Kunstgeschichte, die Bücher am teuersten sind, außerdem aber der Etat durch die Ausgaben für die fortlaufenden Werke, einerseits Zeitschriften, andererseits Fortsetzungswerke sehr stark belastet ist. Einige Beispiele mögen dies näher illustrieren. Unter den Fortsetzungswerken sind am teuersten: Beerbohms Com Trade Evening List, wichtig für die Getreidehändler, kostet beinahe 150 M. Jahresabonnement; Volkswirtschaftliche Mitteilungen aus Ungarn, 21M., das Chemisch-Technische Jahrbuch, 15 M., die Jahrbücher des Verwaltungsrechts, 27 M., und das Handbuch für amerikanische Eisenbahnwerte 50 M. Von Einzelwerken seien genannt: Kaufmännische Adreßbücher für China und Argentinien, die jedes etwa 40 M. kosten, ein amerikanisches Werk über Indossamente von Daniel für 54 M., Reisers Weberei, 2 Bände, 49 M., die englische Enzyklopädie für Bücherrevisoren, 24 M. pro Band, die große Ausgabe des preußischen Stempelsteuergesetzes von Hummel-Specht, 32 M., und die großen Kommentare

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zum Bürgerlichen Gesetzbuch, die von Staudinger und von Planck herausgegeben werden. Es müssen jährlich auf Zeitschriften und andere periodisch erscheinende Werke, wie z. B. Gerichtsentscheidungen, 4400 M. aufgewandt werden, so daß für neue Bücher nur etwas mehr als 50% des Etats verwendbar bleiben. Einen überblick über die Sammlung gibt der gedruckte Katalog, ein stattlicher Band von 700 Seiten, der weit unter dem Herstellungspreis für 1 M. gebunden verkauft wird. Er ist schon 1903 erschienen und umfaßt nur 2/3 des heutigen Bestandes, eine neue zweite erweiterte Ausgabe ist in Vorbereitung. Um über Novitäten letzter Zeit zu orientieren, wird der „Korrespondenz der Ältesten der Kaufmannschaft" in besonderer Beilage ein Verzeichnis der Neuerwerbungen beigelegt, das auch im Lesesaal unentgeltlich entnommen werden kann. "Während ich in den ersten zwei Jahren Oberbibliothekar, Schreiber und Bibliotheksdiener in einer Person war, wurde dann das Personal allmählich vermehrt, der Lesesaal erhielt einen Aufsichtsbeamten; ein Hilfsarbeiter, der jetzt zum Assistenten ernannt ist, trat ein, und als der Dienst auf den ganzen Tag ausgedehnt wurde, wurde eine Dame, die früher als Volontärin tätig gewesen war, als Hilfsarbeiterin angestellt. Volontärinnen sind übrigens mehrfach bei uns tätig gewesen, und zwar sowohl Damen, die die Bibliothekarinnenschule bei Professor W o 1 f s t i e g im Abgeordnetenhause oder bei Professor H o t t i n g e r in Südende durchgemacht hatten, als auch Damen, die sich für diese Kurse — was jetzt von den Leitern verlangt wird — im praktischen Dienste vorbereiten wollten. Über meine Erfahrungen möchte ich folgendes bemerken: Damen eignen sich für die bibliothekarischen Arbeiten, wie Titelaufnahmen, die peinliche Sorgfalt verlangen, wie ja wohl allgemein anerkannt wird, fast durchweg besonders gut; hier bei uns wird aber mehr verlangt, sie müssen mit dem Publikum verkehren, daher auch Auskunft geben können, sich also auch in den hier vertretenen Wissensgebieten zurechtfinden können. Und das ist der Mehrzahl ganz gut gelungen, wenn auch Staats Wissenschaften, Handelsrecht und Statistik im ganzen dem Bildungsgange der höheren Tochter recht fern liegen, öfters konnte ich bemerken, daß die modernen sozialen Interessen der Damen ihren G e w e r b l i c h e EinzelvortrUge.

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Arbeiten hier zustatten kamen; böse aber sah es aus, wenn geographische Vorkenntnisse vorausgesetzt werden mußten. Einzelheiten davon zu berichten, verbietet des Redners Höflichkeit. Nach dieser Abschweifung kehre ich zu der Frage der Zusammensetzung des Bücherbestandes zurück. Welches waren die leitenden Prinzipien bei der Anschaffung? In Abteilungen wie Staatsrecht, Geschichte und Geographie sind nur Bücher angeschafft worden, die Forschungsergebnisse enthalten, da hier ein Quellenstudium nicht zu unsern Aufgaben gehört. In den anderen Abteilungen mußten auch Einzelschriften, die selbständige Forschung ermöglichen, vorhanden sein, so insbesondere für die Arbeiten der Studenten der Handelshochschule. Vom Gebiete der politischen Geschichte ist die Wirtschaftsgeschichte vollkommen abgetrennt worden, ebenso wurde eine besondere Abteilung „Wirtschaftsgeographie" eingerichtet, da die beiden ja nur eine auf Raum und Zeit angewandte Nationalökonomie darstellen und gerade auf diesen Gebieten meines Erachtens zukünftig gerade bei uns viel gearbeitet werden wird. Besonders gepflegte Einzelgebiete sind folgende: Bücher über amerikanische Trusts und Werke über Arbeitsmethoden in der Industrie, über Betriebskunde und Exportpraxis, über Organisation sowie kaufmännisch-gewerbliches Leben überhaupt. Vollständigkeit wird auf dem Gebiete des Handelsrechts erstrebt. Hier werden auch viele Dissertationen erworben, die z. B. eine Einzelfrage des Aktienrechtes behandeln. Im ganzen ist es vermieden worden, ältere Literatur nachträglich noch anzuschaffen, so daß die Bibliothek zurzeit einen sehr modernen Charakter trägt. Kleinodien, Leckerbissen für Bibliophilen sind garnicht vertreten; nur auf dem Gebiete der Geschichte des kaufmännischen Unterrichts sind einige wertvolle alte Drucke vorhanden, so z. B. ein altes „Rechenbiechlein" von 1543, ein wertvoller Druck aus Freiburg i. Br., während ich mich noch nicht entschließen konnte, das Rechenbuch von Adam Riese, das im Originaldruck unter 100 M. nicht zu haben ist, anzukaufen. Die Beispiele, die vorhin gegeben wurden, zeigen, wie wertvoll es ist, wenn nicht nur große Institute, sondern auch Fachbibliotheken existieren. Die Bibliothek der Korporation ist n i c h t nur e i n e B ü ch er b e s t e i l an s t a l t , s o n d e r n e i n e A u s k u n f t e i , und für weite Schichten des Publikums ergeben sich dieselben Vorteile wie z. B. beim Wareneinkauf es einen großen Unter-

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schied macht, ob man in ein Spezialgeschäft mit branchekundigem Personal geht, oder ob man bei einem Versandgeschäft Waren laut Katalog bestellt. Wenn man aus diesen Erfahrungen im Kleinbetrieb eine Nutzanwendung ziehen will für den Bibliotheksbetrieb überhaupt und insbesondere für den Betrieb an dem Rieseninstitut der Kgl. Bibliothek, so erscheint der Vorschlag sehr einleuchtend, den Professor S i m o n , jetzt der Leiter der Bibliothek der Technischen Hochschule in Charlottenburg, gelegentlich gemacht hat. Man sollte aus dem Stabe der wissenschaftlichen Beamten der Kgl. Bibliothek eine Auskunftstelle bilden, diese mit der wichtigsten Nachschlageliteratur ausstatten und den etwa 10 Herren die Möglichkeit geben, alle Neuerwerbungen der Bibliothek, die in ihre Spezialfächer schlagen, kennen zu lernen. Und an diese Stelle sollte sich das Publikum — natürlich nicht die Fachgelehrten, sondern die Hunderte unerfahrener oder ungewandter Benutzer — wenden können. Ich glaube, durch solche Vermittlungsstelle würde nicht nur dem Publikum, sondern schließlich auch dem Bibliotheksbetriebe selbst eine Unmasse unnützer Arbeit im Bücherbestellen und -heraussuchen erspart werden. Und die wissenschaftliche Arbeit, die zu fördern unser Endziel sein soll, hätte den Vorteil davon. Es hat sich übrigens in Berlin herumgesprochen, daß man in der Börsenbibliothek über vielerlei Fragen Auskunft aus Büchern oder Nachschlagewerken erhalten kann. Natürlich versagen unsere Hilfsmittel bei allzu seltsamen Anfragen öfters. So kam neulich ein Herr mit der Frage über die Formalitäten bei einer Erbschaftsregulierung im brasilianischen Staate Sao Paulo. Da versagten selbst Hilfsmittel wie das Werk von L e s k e - L o e w e n f e l d und die neue Auflage der B o r c h a r d t sehen „Handelsgesetze des Erdballs". Kurz darauf suchte ein Nahrungsmittelchemiker Material zu der Frage der Verwertung von Birkenwein, das er zu einem amtlichen Gutachten über unlauteren Wettbewerb brauchte. Hier schlugen wir vergeblich alle Warenlexika, das große Werk von K ö n i g über menschliche Nahrungsund Genußmittel nach, und auch die 300 Bände der H a r t l e b e n schen chemisch-technischen Bibliothek, die sonst sehr gute Dienste gerade für solche Einzelfragen leisten, versagten hier. Manchmal wird auch der Charakter der Bibliothek allzusehr verkannt, und Bitten um „JörnUhl" oder „JettchenGebert" kommen noch alle paar Wochen mal vor. Wenn auch Romane ganz ausgeschlossen

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sein müssen, so kann man doch im Zweifel sein, ob nicht Bücher wie Gustav Frevtags „Soll und Haben' 1 und Zolas „l'Argent" nicht als Romane, sondern als Lehrbücher kaufmännischen Leben? hierher gehörten, zumal ja gelegentliche Konzessionen an den Tagesgeschmack doch gemacht werden und dem Ansturm wegen C h a m b e r l a i n s Grundlagen des X I X . Jahrhunderts, H o h e n l o h e s Memoiren oder R a t h e n a u s Impressionen und Reflexionen nachgegeben werden mußte. Die Bibliothek ist eben keine rein wissenschaftliche Fachbibliothek. sondern nimmt eine Mittelstellung ein. Ihre Bestände sind zu 7o die einer Hochschulbibliothek. Die Art des Verkehrs mit dem Publikum ähnelt aber mehr dem Verkehr in einer Volksbibliotliek. wo die Beamten dem Publikum mit Rat und Tat zur Seite stellen. Dies zeigt sich besonders im Verkehr mit einer zweiten Gruppe der Benutzer, den jungen Kaufleuten und Lehrlingen; die letzteren sind zumeist besonders empfohlene Schüler der kaufmännischen Fortbildungsschulen unserer Korporation. Hier zeigen sich so recht die unschätzbaren Vorteile des mündlichen Verkehrs, denn" obgleich der Katalog gedruckt vorliegt, wird doch häufig nicht ein bestimmtes Werk verlangt, sondern ganz allgemein ein Buch über Weberei, eine schöne Reise, etwas Geschichtliches, eine englische Handelskorrespondenz oder etwas über Buchführung im Bankgeschäft. Da erweist sicli nun die systematische Aufstellung als sehr praktisch; sie ermöglicht es, den jungen Leuten mehrere Bücher über die gewünschte Materie vorzulegen, wobei es dann nicht schwer ist, dem betreffenden dasjenige zu empfehlen oder vielmehr zu suggerieren, was für ihn je nach Alter oder Bildungsgrad wirklich geeignet ist, ohne daß er sich schulmeisterlich bevormundet fühlt.. Und wie häufig kommt es vor, daß die jungen Leute, wenn sie wirklich nach dem Katalog bestellen, sich von einem geschickt gewählten Titel bestechen lassen! So wird immer wieder „Das goldene Buch des Kaufmanns" erbeten, während die Bücher von O b s t oder aus dem Verlage von . T e u b n e r den Vorzug verdienen dürften. Sehr häufig wünscht aber auch ein ganz junger Mann etwas über Nationalökonomie und geht dann mit dem populären Buch über Bergbau „Mit Schlägel und Eisen" von B e r s c h . oder der frisch geschriebenen Lehrlingsgeschichte „Vom Stift zum Handelsherrn" oder der Lebensbeschreibung von W e r n e r v. S i e m e n s befriedigt nach Hause. Dem jungen Bankangestellten ist in solchen Fällen mit dem ersten theoretischen Teil von S a 1 i n g s Börsen-

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papieren oder mit B u c h w a l d s Technik des Bankgeschäfts am besten gedient. AVährend vormittags das Publikum der Studierenden, Journalisten, Xationalökonomen, Schriftsteller, der in Examensnöten befindlichen angehenden Referendare und Assessoren überwiegt, bilden in den Abendstunden von 6—10 Uhr und insbesondere Sonntags vormittags diese zweite Gruppe der jungen Kaufleute die Mehrheit der Benutzer. Die Bibliothek, die ursprünglich nur von 9—3 Uhr geöffnet war, ist seit 1903 auch abends zugänglich und seit 1906 mit Rücksicht auf die Studierenden der Handelshochschule ununterbrochen 13 Stunden lang offengehalten. Der Besuch in den Vormittagsstunden, der 1901 120 Personen betrug, hat sich seither verdreifacht. Abends schwankt der Besuch sehr stark, die Ziffern liegen zwischen 80 und 100 Personen in 4 Stunden; Sonntags in 3 Stunden wird die Zahl 100 oft überschritten. Die Zahl der in einzelnen Stichtagen ausgeliehenen Bücher betrug 1903: 1200; 1905: 1600 und 1907: 2470, d. h. etwa jeder 10. Band ist stets unterwegs. Auch darin dürfte die Bibliothek in der Mitte zwischen einer wissenschaftlichen Fach- und einer Volksbibliothek stehen, denn sind auch diese Ziffern wesentlich höher als die z. B. der l'niversitätsbibliotheken, so fehlt doch hier die schöne Literatur, die Belletristik, die in amerikanischen Volksbibliotheken bis zu 20%, in der öffentlichen Lesehalle von Krupp in Essen sogar 40% ausmacht. Daher bleiben die Ausleihziffern gegen diejenigen reiner Volksbibliotheken bedeutend zurück. Und wenn auch glücklicherweise gar keine toten Ecken in unserer Sammlung vorhanden sind, so werden doch die 500 Bände parlamentarischer Verhandlungen und Drucksachen des Reichstags und Preußischen Landtages nur vereinzelt gebraucht. Auch ist nicht zu vergessen, daß die Korporationsbibliothek keine absolut öffentliche Bibliothek für jedermann ist, sondern schon mit Rücksicht auf den speziellen Charakter, auch auf die Ausstattung des Lesesaals gewisse Einschränkungen durch Bürgschaft und Empfehlung nicht umgehen kann. Wichtig für die Frage der Frequenz ist ja natürlich auch die örtliche Lage der Bibliothek. Und so günstig in den Vormittagsstunden der innige Zusammenhang mit der Börse und ihrem Gewimmel und die unmittelbare Nachbarschaft der Handelshochschule wirkt, so fehlt — kaufmännisch gesprochen — die Laufkundschaft. Die St. Wolfgangsstraße ist eine

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tote Gasse und insbesondere abends, wenn der Verkehr, der sich über die Friedrichsbrücke aus dem Konfektionsviertel in die RosenthalerVorstadt ergießt, nachläßt, dann ist es an der Burgstraße eine stille Gegend. Sehr erschwert und kompliziert wird der Gesamtbetrieb der Bibliothek dadurch, daß sie auch die Dienstbibliothek der Ältesten der Kaufmannschaft sein muß. Das deutsche Publikum liebt es, zu Hause zu lesen und zu arbeiten, so anheimelnd auch ein Lesesaal sein mag; daher besteht hier der Wunsch, alles entleihen zu können. Die Beamten der Korporation dagegen wünschen mit Recht für- ihre juristischen und volkswirtschaftlichen Arbeiten das gesamte Material ständig zur Verfügung zu haben, am liebsten alles dauernd auf ihrem Schreibtisch zu deponieren. Dieser Interessenkonflikt macht häufig Schwierigkeiten und hat schließlich zu einer Kompromißpolitik geführt; daher werden die großen juristischen Kommentare zum Bürgerlichen Gesetzbuch, zum Handelsgesetzbuch, zur Gewerbeordnung und zum Patentrecht nicht ausgeliehen, ferner nicht die Werke über die Arbeiterversicherung, die Sammlungen der Entscheidungen des Reichsgerichts, des Kammergerichts usw., womit übrigens auch den jungen Juristen zu ihren Examensarbeiten am besten gedient ist, ebenso auch einer anderen Gruppe von Benutzern zu Examenszwecken, den Gewerbereferendaren, die aus ganz Preußen zur Staatsprüfung nach Berlin kommen. Diese finden hier nicht gerade für die technologische Seite ihrer Arbeiten, wohl aber für die sozialpolitischen Fragen — Arbeiterfrage, Wohnungsfrage — reichlich Material, wo die Bibliothek der Technischen Hochschule oft versagt. Wenn ich vorhin über die bei den Neuanschaffungen beobachteten Grundsätze einiges erwähnte, so seien jetzt noch ein paar Worte den allgemeinen Prinzipien für den dienstlichen Verkehr gewidmet. Das Geschlecht der Bibliothekare, die im Publikum ihre Feinde sahen, und sich ungern in ihren Privat-Arbeiten stören ließen und unglücklich waren wie eine sorgsame Hausfrau, wenn in den schönen Bücherreihen Lücken entstanden, ist ja wohl glücklich ausgestorben. Wir stehen auf dem Standpunkte, ein Buch, das nicht gelesen wird, ist totes Papier und wir versuchen immer weitere Kreise heranzuziehen und die Zirkulation der aufgespeicherten Schätze zu fördern so viel wir können. Der Betrieb der Korporationsbibliothek ist so unbureaukratisch wrie möglich, es

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wird gelegentlich ein Band z. B. über Sonntag ausgeliehen, der eigentlich nicht ausgeliehen werden darf, die Leihfrist wird auf Wunsch verlängert, falls keine Vorbestellung von anderer Seite vorliegt, es werden keinerlei Gebühren erhoben; d. h. Bibliotheksquittungen sind unentgeltlich, Vorausbestellformulare — in Gestalt von Postkarten — werden auf unsere Kosten versandt, ja sogar die Mahnungen brauchen die säumigen Benutzer nicht einmal zu zahlen. So angenehm eine so milde Geschäftsführung für das Publikum ist, so hat sie auch Schattenseiten: es gibt leider Benutzer, die, ohne gemahnt zu sein, überhaupt nichts abliefern, und wenn allzuviel Bücher auf diese Weise — meist ohne noch gelesen zu werden — auf dem Zimmer der Benutzer oder richtiger Nichtbonutzer liegen, dann leiden die Interessen anderer Leselustiger. Zwangsmaßregeln wegen der wenigen Fälle böswilliger Saumseligkeit einzuführen, lohnt aber doch nicht. Im ganzen hat die tolerante Geschäftsführung so viel Vorzüge, daß man kleine Unannehmlichkeiten und Verluste in Kauf nehmen muß. Einen gewissen Prozentsatz von Bücherverlusten muß man eben zu den Verwaltungsspesen rechnen. Im vorigen Jahre sind auf Wunsch der Finanzkommission der Ältesten der Kaufmannschaft über die Bücherverluste in den beiden am stärksten benutzten Abteilungen der Sammlung Stichproben gemacht worden. Es ergab sich in der Abteilung „Kaufmännisches Unterrichtswesen" auf 700 Ausleihungen ein verlorener Band und bei Geographie und Reiseschilderungen ein Verlust auf 600 ausgeliehene Bände. Nach alledem, was hier bisher vorgetragen wurde, könnten die hier anwesenden selbständigen älteren Kaufleute sich sagen: Das ist ja alles ganz lobenswert, daß die Korporation der Kaufmannschaft in der Bibliothek der Fortbildung der kaufmännischen Jugend, insbesondere unserer Angestellten, eine Stätte geschaffen hat und daß zugleich ein Bildungsmittel für die Studierenden der Handelshochschule sowie auch für andere wissenschaftlich arbeitende Kreise entstanden ist. Was finden aber wir, die Mitglieder der Korporation, in diesem kostspieligen Institute? Was dient unseren beruflichen Interessen; bietet die Bibliothek nichts für die praktischen Fragen des täglichen Lebens, für unsere eigene kaufmännische Tätigkeit ? Ein Beispiel soll zeigen, daß die Bibliothek auch für die kaufmännische Praxis gut ausgerüstet ist.

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Keulich kam ein Herr und suchte Material über das Vorkommen von Steinkohlen im englischen Teile von Borneo und über die Absatzmöglichkeit neu zu eröffnender Gruben in den schiffahrttreibenden Teilen Südostasiens. Es wurde mehrere Tage lang jede freie Stunde benutzt, um diese nicht ganz leichte Frage zu beantworten. Und schließlich fanden sich in einem holländischen Werke über den Koloninibesitz auf den Sundainseln Notizen über das Vorkommen und die bisherigen Abbauverhältnisse der Kohle auf Borneo überhaupt, sogar mit geologischen Angaben über den Heizwert, und allmählich flössen Quellen aus dem Deutschen Handelsarchiv und dem englischen „Board of Trade Journal" mit seinen Konsulatsberichten über Import und Export an Kohlen und Schiffsverkehr überhaupt aus einer Reihe von Hafenstädten Indiens und Javas. Vieles Interessante lieferte die große englische Kolonialstatistik der englischen Besitzungen auf Malakka mit Singapur, ferner von Hongkong und die große alljährlich amtlich eingehende Statistik des Verkehrs in allen chinesischen Häfen sowie die amtliche japanische Ein- und Ausfuhrstatistik. So vervollständigte sich das Bild der Handelsverhältnisse dieses großen Gebietes im allgemeinen und des Kohlenhandels im besonderen, und es war auch f ü r die Frage der Absatzmöglichkeit von Borneokohle wenigstens eine Grundlage gewonnen. Doch müssen solche Fälle Ausnahmen bleiben. Im ganzen können Bücher und Broschüren, Zeitschriften, ja auch die rasche Berichterstattung der Tagespresse für die kombinatorische Tätigkeit des unternehmenden Großkaufmanns, für die Arbeit des Exporteurs wie auch für die finanziellen Transaktionen des Bankiers nicht allzuviel leisten. Gedrucktes kommt immer zu spät für die Erkennung der Marktlage, für die Ausnützung einer Konjunktur. Der Schriftsteller, auch der Tagesschriftsteller, kann doch eben nur beobachten und berichten und aus der Fülle der Einzelnachrichten allgemeine Schlüsse ziehen. Der Blick des Kaufmanns ist stets auf die Zukunft gerichtet, er kann und muß schöpferisch wirken, Beziehungen anknüpfen und neue Absatzgebiete erschließen. F ü r solche Fragen des kaufmännischen Lebens i m g r o ß e n S t i l e versagen naturgemäß alle Hilfsmittel, wie statistische Jahrbücher, wie Handelskammerberichte aus Deutschland und aus den internationalen Welthandelsplätzen. Auch alle die Fachzeitschriften, von denen 40 allein Bank und Börse, etwa 100 Handel und Industrie behandeln, haben andere kleinere Aufgaben zu erfüllen. E i n Brief eines Agenten

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oder Reisenden, die Art der Ordres oder auch die Nichtordres der Kunden bedeuten für den Kaufmann mehr als alle gedruckte Literatur. Und in dieser Hinsicht, aber auch nur in dieser, liegt ein Körnchen Wahrheit in den Worten, die vor nicht allzulanger Zeit von autoritativer Seite fielen: „Ein Kaufmann braucht keine Bücher zu lesen." Solche Erwägungen und Erfahrungen sind es übrigens auch, die viele Männer der Praxis bestimmen, von der geplanten Reichshandelsstelle skeptisch zu denken, zumal dort ein umständlicher Geschäftsbetrieb die Auskunftserteilung noch verzögern dürfte. Muß man also seine Erwartungen von dem Nutzen einer Bibliothek und Lesehalle für das kaufmännische Leben sehr herabstimmen, :so bleibt für Kleinarbeit genug zu leisten übrig. Wir geben hier gelegentlich, insbesondere abends, Auskünfte über Zolltarife aller Länder, wenn das Verkehrsbureau der Korporation, über das ja im vorigen Jahre von dieser Stelle aus referiert worden ist, geschlossen ist. Wir unterstützen zur Zeit der Steuerdeklarationen und Steuerreklamationen «die Herren mit den großen Kommentaren von F u i s t i n g oder zur .'Zeit der Jahresabschlüsse mit den Werken von V e i t S i m o n oder R e h m über Bilanzen. Neulich brauchte ein Kaufmann, vermutlich :zum Zwecke einer Filialgründung, das sachsen-meiningische Einkommensteuergesetz. Er hatte es mehrfach vergeblich gesucht, die Reichstagsbibliothek war, da das Parlament gerade tagte, für Außenstehende nicht zugänglich, nirgends waren die Gesetzsammlungen aller Bundesstaaten vorrätig. Zum Glück fand sich der Wortlaut in S c h a n z' Finanzarchiv abgedruckt. Ähnlich lag der Fall, als ein im Syndikate einer hiesigen Großbank tätiger Assessor zu einem Prozesse das englische Gesetz über die Statuten von Aktiengesellschaften suchte; da half G o l d s c h m i d t s Zeitschrift für Handelsrecht aus, welche die ausländische Gesetzgebung berücksichtigt. Daneben unterstützen wir Hilfesuchende bei der Übersetzung transatlantischer Telegramme mit Hilfe der verschiedenen Gable Codes, geben ihnen in den gewaltigen bei erstmaliger Benutzung unübersichtlichen Adreßbüchern Bescheid, von denen 110 im Lesesaal aufgestellt sind, und helfen ihnen aus allen Ländern der Welt Firmen herausfinden, in Neuseeland oder in Mexiko, im argentinischen Entre Rios sowie auf den Philippinen. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß auch das Interesse des praktischen kaufmännischen und gewerblichen Lebens bei uns nach Kräften gefördert wird.

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Im Vorstehenden ist erzählt worden, wie die Bibliothek entstanden ist, welchen drei Gruppen von Benutzern sie zur Verfügung steht und was sie jeder Gruppe zu bieten vermag. Die gegebenen Beispiele sollten zeigen, welche Wissensgebiete vertreten sind und wie die Korporationsbibliothek ihre Aufgabe auffaßt, die gesammelten Schätze nutzbar zu machen. In ihrer Mittelstellung zwischen wissenschaftlicher Fachbibliothck und halböffentlicher Bildungsstätte für jedermann stellt sie sich als ein neuer Typ im Bibliothekswesen dar, der so viele Vorzüge besitzt, daß er für die Entwicklung des Bibliothekswesens überhaupt vorbildlich wirken sollte.

Y. Anhang.

Literaturnachweise. Von

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in

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VERLAG VON GEORG REIMER BERLIN W. 35. Jährlich erscheint:

BERLINER JAHRBUCH FÜR HANDEL UND INDUSTRIE BERICHT)

DER ÄLTESTEN DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN Bisher erscMenen: Jahrgang 1903, 1904, 1905, 1906, 1907 Jeder Jahrgang besteht ans 2 Bänden

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1907:

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IV. Die wirtschaftliche Entwicklang in Berlin und dem Korporationsbezirk V. Wirtschaftliche Entwicklung im Auslande.

Zweiter Teil. Wirksamkeit der Ältesten der Kaufmannschaft ron Berlin. Gesetzgebung und Verwaltung. I. Innere Angelegenheiten der Korporation. II. Gesetzgebung und Verwaltung im allgemeinen. III. Privatrecht und Rechtspflege. IV. Steuern und Verbrauchsabgaben. V. Gewerbeordnung und Verwandtes. VI, Gesetzgebung gegen Verfälschung. VII. Patent-, Muster- und Markenschutz.

VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV.

Ausstellungen, Maße und Gewichte. Geldwesen. Börsenwesen. Kaufmännisches Bildungswesen. Verschiedenes. Verkehrswesen. Zoll- und Handelspolitik.

Der dritte Teil, „Beigaben", bringt alljährlich eine vollständige Kurstabelle sämtlicher wichtigen an der Berliner Börse gehandelten Staats- und Kommunalanleihen, Industriepapiere usw., einen Oberblick über die erfolgten Änderungen in Eisenbahntarifen Sowie in Zolltarifen des In- und Auslandes und endlich eine vollständige kalendarisch geordnete wirtschaftliche, politische und lokale Chronik des Jahres.

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„Die Handelshochschule Berlin" Bericht Über das erste Studienjahr

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Oktober 1906/7

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Erstattet •on dem Rektor der Handelshochschule

Erstattet von dem Rektor der Handelshochschule.

Professor Dr. Jastrow

Professor Dr. Jastrow

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Der erste Bericht enthält die grundlegende und ausführliche Darstellung der Unterrichtsziele und Unterrichtsverfassung der Handelshochschule in allen ihren Zweigen. Die folgenden Jahresberichte nehmen durchgehends auf diese Darstellung in den einzelnen Abschnitten Bezug.

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