Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 9783504383305

Die Gesellschaftsrechtliche Vereinigung – wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) –

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012
 9783504383305

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Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg)

Band 18

Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VG R) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Belträgen von

Dr. Ernst-August Baldamus Rechtsanwalt/Steuerberater, München

Prof. Dr: Walter Bayer Universitätsprofessor; Jena

Prof. Dr: Alfi"ed Bergmann Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Dr: Ferdinand Fromholzer LLM. (Berkeley) Rechtsanwalt, München

Dr: Hans-Christoph lhrig Rechtsanwalt, Mannheim

Prof. Dr. L.ars Klöhn LLM. (Harvard) Universitätsprofessor; München

Dr. Thomas Kremer Rechtsanwalt, Mitglied des Vorstands der Deutsche Telekom AG, Bann

2013

Verlag Dr.OftoSchmidt

Köln

Bibüogra~chelnfonnation

der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 2119 37 38-01, Fax 02 2119 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62718-8 ©2013 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen. Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: A. Quednau, Haan Druckund Verarbeitung: Betz, Darmstadt Printed in Germany

Vorwort Die mit 400 Teilnehmern wie immer ausgebuchte Jahrestagung 2012 der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung hat am 9. November 2012 in Frankfurt am Main stattgefunden. Traditionsgemäß stand am Beginn der Tagung der Rechtsprechungsbericht des Vorsitzenden des II. Zivilsenats des BGH, der nun zum zweiten Mal durch Prof. Dr. Alfred Bergmann erstattet wurde. In den Berichtszeitraum entfielen eine Reihe wichtiger Grundsatzentscheidungen, insbesondere zur Gesellschafterhaftung bei unterbliebener Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung, zur Anwendung des AGG auf Mitglieder der Geschäftsführung, zum Vergleich über einen Differenzhaftungsanspruch, zur Zulässigkeit von Beratungshonoraren von Aufsichtsratsmitgliedern und zur vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern. Besorgnis löst die Information über die erhebliche Steigerung des Arbeitsanfalls beim Senat aus, der im Berichtszeitraum (aufgrund einer rechtspolitisch fragwürdigen Ausdehnung der Nichtzulassungsbeschwerde durch § 522 Abs. 3 ZPO) um rd. 30 % höhere Eingangszahlen gegenüber dem vorangegangenen Zeitraum verkraften musste. In der zweiten Abteilung unterzog Prof. Dr. Walter Bayer den Kapitalschutz in der GmbH einer „Generalkritik“. Seine Analyse macht deutlich, dass in der Folge des MoMiG das tradierte System mit seinem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung brüchig geworden ist. Als Neukonzeption empfiehlt er die vollständige Aufgabe dieses Systems und den Wechsel zu einem an das Haftungsmodell der Kommanditgesellschaft angelehnten neuen Modell. Im Anschluss gingen die Herren Dr. Ferdinand Fromholzer und Dr. Ernst-August Baldamus der Frage nach, ob die SE eine Rechtsformalternative für den Mittelstand ist. Der zweigeteilte Vortrag beleuchtet zunächst die gesellschaftsrechtlichen dann die steuerlichen Gesichtspunkte und macht deutlich, dass die SE für mittelständische Unternehmen interessante mitbestimmungsrechtliche und CorporateGovernance-bezogene Gestaltungsoptionen bereit hält und steuerlich zahlreiche Vorteile gegenüber der KG bieten kann. Der Nachmittag begann mit den Ad-hoc-Pflichten bei gestreckten Geschehensabläufen, die die Praxis seit dem Geltl-Urteil des EuGH herausfordern. Dr. Hans-Christoph Ihrig analysierte das Urteil und zeigte

V

Vorwort

auf, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Der EuGH hat die Ad-hoc-Publizitätspflicht erheblich verschärft. Das stellt erhöhte Anforderungen an die Organisation der kapitalmarktrechtlichen Compliance und lässt sich letztlich praxisgerecht nur durch eine konsequente Anwendung der Selbstbefreiungsregeln bewältigen. In der fünften Abteilung widmete sich Prof. Dr. Lars Klöhn einer der zahlreichen Rechtsfragen aus dem breit gespannten Komplex der Treuhandkonstruktionen bei Publikumspersonengesellschaften, die den BGH immer wieder beschäftigen. In zwei jüngsten Entscheidungen hat der II. Zivilsenat es dem Anleger, der sich als Treugeber an einer Publikumspersonengesellschaft beteiligt, verwehrt, gegenüber einem Freistellungsanspruch des Treuhänders mit Prospekthaftungsansprüchen gegen den Treuhänder aufzurechnen. Klöhn falsifiziert diese Rechtsprechung, der die Literatur bis dahin einhellig gefolgt war, mit eindrucksvollen Argumenten. Das Schlussreferat von Dr. Thomas Kremer rückte das Thema Haftungsausschluss durch Beratung ins Zentrum, welches die Unternehmenspraxis derzeit stark beschäftigt. Ausgelöst durch die Ision-Entscheidung des BGH ist ungewiss geworden, unter welchen Voraussetzungen sich die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans im Falle einer Rechtsverletzung darauf berufen können, sie hätten sich auf einen zuvor eingeholten Rechtsrat der eigenen Rechtsabteilung oder eines externen Rechtsberaters verlassen dürfen. Kremer betont einerseits die Verpflichtung des Geschäftsleitungsorgans, für die Rechtmäßigkeit seiner Geschäftsführung uneingeschränkt zu sorgen, mahnt aber zugleich an, die Anforderungen an die Auswahl des Beraters und die Plausibilisierung seines Rats nicht ins Unerfüllbare zu überdehnen. Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 15. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern und den Verfassern der Diskussionsberichte. Vorbereitung und Organisation der Tagung lagen im VGRSekretariat wie immer in den bewährten Händen von Frau Heike Wieland. Düsseldorf, im Februar 2013 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Gerd Krieger

VI

Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Prof. Dr. Alfred Bergmann, Karlsruhe Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

III. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

IV. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

Dr. Isolde Hannamann, Karlsruhe Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann . . . . . . . . . . . . .

19

Prof. Dr. Walter Bayer, Jena Kapitalschutz in der GmbH – eine Generalkritik . . . . . . . . . . . . . . . .

25

I. Einführung: Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung – Das Prinzip des festen Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

II. Einzelheiten zur Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

III. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

V. Wie geht es weiter? Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . .

47

VI. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Dr. Jan Lieder, Jena Bericht über die Diskussion des Referats Bayer . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Ferdinand Fromholzer, München Die SE als Rechtsformalternative für den Mittelstand . . . . . . . . . . .

59

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

_______________

* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhalt

II. Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Ernst-August Baldamus, München Die SE als Rechtsformalternative für den Mittelstand – Steuerliche Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

II. Laufende Besteuerung der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

III. Besteuerung der SE-Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Besteuerung der Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Die SE als Rechtsformalternative zur Familien-KG . . . . . . . . .

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VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

Dr. Gabriele Rautenstrauch, München Bericht über die Diskussion der Referate Fromholzer und Baldamus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

Dr. Hans-Christoph Ihrig, Mannheim Ad-hoc-Pflichten bei gestreckten Geschehensabläufen – Praxisfragen aus dem „Geltl“-Urteil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

II. Die causa Schrempp und andere gestreckte Geschehensabläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116

III. Die Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

IV. Einordnung in die lex lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

V. Würdigung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Aufgabenstellung für die Unternehmenspraxis . . . . . . . . . . . . .

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VII. Zweifelsfragen der Selbstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

VIII. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

Dr. Volker Kuhn, Mannheim Bericht über die Diskussion des Referats Ihrig . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII

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Inhalt

Prof. Dr. Lars Klöhn, München Treuhandkonstruktionen bei Publikumspersonengesellschaften – Das Aufrechnungsverbot nach BGHZ 189, 45 und BGH NZG 2012, 1024 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144

II. Die qualifizierte Treuhand an Personengesellschaftsanteilen

145

III. Die Haftung des Treugebers in der Rechtsprechung des BGH

146

IV. Der Ausschluss der Aufrechnung mit Prospekthaftungsansprüchen gegen den Treuhänder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148

V. Rechtsökonomische Vergewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

Dr. Philip Schwarz, München Bericht über die Diskussion des Referats Klöhn . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

Dr. Thomas Kremer, Bonn Haftungsausschluss durch Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

II. Die Haftungsregeln für den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Haftungsprävention und Rechtsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

IV. Business Judgement Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

V. Der schuldausschließende Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184

Dr. Jörn Biederbick, Bonn Bericht über die Diskussion des Referats Kremer . . . . . . . . . . . . . . . .

187

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Alfred Bergmann Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Personengesellschaftsrecht . . . 1. Urteile vom 15.11.2011 – II ZR 266/09 und II ZR 272/09 (Auseinandersetzungsbilanz in der Publikums-GbR) . . . . . . . . . . 2. Urteil vom 24.7.2012 – II ZR 297/11 (Aufrechnung gegen Freistellungsanspruch des Treuhandgesellschafters) . . . . . . . . . . . 3. Urteil vom 7.2.2012 – II ZR 230/09 (Stimmverbote in der GbR) . . . . . . .

2

2

3

4

III. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Urteil vom 24.1.2012 – II ZR 109/11 (Wirksamkeit der Einziehung) . . . . . . . . . . . 6 2. Urteil vom 6.3.2012 – II ZR 56/10 (Wirtschaftliche Neugründung) . . . . . . . 7

3. Urteil vom 23.4.2012 – II ZR 163/10 (Anwendung des AGG auf Geschäftsführer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil vom 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Vergleich über Differenzhaftungsanspruch) . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteil vom 10.7.2012 – II ZR 48/11 – Fresenius (Beratungshonorare von Aufsichtsratsmitgliedern) . 3. Urteil vom 17.7.2012 – II ZR 55/11 (Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern) . . . 4. Urteil vom 26.6.2012 – II ZR 30/11 (Nachteilsausgleich bei Hauptversammlungsbeschluss) . . . . . . . . .

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I. Einleitung Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seit November 2011 wiederum eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen, über die zu sprechen es sich auch in einem Kreis wie der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung lohnen würde. Zum Arbeitsanfall beim Senat ist insgesamt zu berichten, dass wir eine ganz erhebliche Zunahme an Eingängen haben. Im Berichtszeitraum, also seit November letzten Jahres, sind etwa 430 Sachen eingegangen. Das sind ziemlich genau 100 Sachen mehr als im vorangegangenen Zeitraum. Dieser Zuwachs, der nach meinem Eindruck

1

Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

im Wesentlichen auf die Änderung des § 522 ZPO1 zurückzuführen ist, belastet den Senat sehr und das wird sich sehr wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht ändern. Aus der Fülle der ergangenen Entscheidungen möchte ich Ihnen wie üblich einige Arbeitsergebnisse kurz vorstellen.

II. Personengesellschaftsrecht Die Aufarbeitung der wirtschaftlichen und rechtlichen Folgen notleidender Fonds, sei es Immobilien-, Medien- oder Schiffsfonds, die sich als Personengesellschaft organisiert haben, nimmt die Arbeitskraft des Senats weiterhin in vielen Verfahren in Anspruch. Über zwei Entscheidungen aus diesem Gebiet möchte ich berichten. Eine weitere Entscheidung befasst sich mit Stimmverboten in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.

1. Urteile vom 15.11.2011 – II ZR 266/09 und II ZR 272/09 (Auseinandersetzungsbilanz in der Publikums-GbR) Einige der als Publikums-Personengesellschaften organisierten Fonds befinden sich mittlerweile in der Liquidation. In der Regel reicht das Gesellschaftsvermögen nicht aus, um die Verbindlichkeiten der Fondgesellschaft gegenüber den Gesellschaftsgläubigern vollständig zu erfüllen. Bei der Auseinandersetzung des Gesellschaftsvermögens nach § 730 BGB ist daher kein Überschuss nach § 734 BGB zu verteilen, sondern es hat nach § 735 BGB ein Verlustausgleich durch die Gesellschafter zu erfolgen. Die Regelungen der §§ 730 ff. BGB sind allerdings für Gesellschaften des bürgerlichen Rechts geschaffen worden, die jedenfalls nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers aus einigen wenigen Gesellschaftern bestehen. In den beiden Entscheidungen vom 15.11.20112 hatte sich der Senat damit zu befassen, wie sich die Auseinandersetzung nach diesen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches bei einer Publikumspersonengesellschaft gestalten lässt.

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1 Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 522 Abs. 3 ZPO gegen die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des § 522 ZPO vom 21.10.2011 (BGBl. I 2082). 2 BGH, Urt. v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 = ZIP 2012, 515 und II ZR 272/09, ZIP 2012, 520; vgl. dazu C. Schäfer, EWiR 2012, 237.

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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Wir haben zunächst in Fortführung der sog. OTTO-Rechtsprechung3 entschieden, dass zur Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz als Grundlage der konkreten Verlustausgleichspflicht ein mit einfacher Mehrheit gefasster Beschluss der Gesellschafterversammlung genügt, wenn nach dem Gesellschaftsvertrag Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit zu fassen sind und die Auslegung des Gesellschaftsvertrags für diesen Beschlussgegenstand nichts anderes, also insbesondere keine qualifizierte Mehrheit ergibt. Inhaltlich war an den entsprechenden Beschlüssen weder zu beanstanden, dass bei der Berechnung des von den einzelnen Gesellschaftern einzufordernden Verlustausgleichbetrags berücksichtigt worden war, dass voraussichtlich von einem Teil der Gesellschafter der auf sie entfallende Betrag nicht zu erlangen sein werde, noch dass der interne Ausgleich zwischen den Gesellschaftern in die Abrechnung einbezogen und der von der Gesellschafterversammlung bestellte Liquidator mit der Einforderung beauftragt wurde. Nach § 735 Satz 2 BGB greift die weitergehende subsidiäre Haftung der übrigen Gesellschafter für den Ausfall eines Mitgesellschafters zwar an sich erst ein, wenn dessen Anteil von ihm nicht zu erlangen ist. Der Senat hat es jedoch bei der Publikumsgesellschaft als zulässig angesehen, zu erwartende Fehlbeträge bei der Berechnung als Grundlage für den von den einzelnen Gesellschaftern zu fordernden Verlustausgleich schon dann zu berücksichtigen, wenn greifbare Anhaltspunkte für einen etwaigen Ausfall von Gesellschaftern bestehen. Die Berechnung ist insoweit eine vorläufige und beruht auf einer Prognose, die sich als falsch herausstellen kann. Es muss daher später eine endgültige Schlussabrechnung erfolgen, die die tatsächlich erbrachten Zahlungen der Gesellschafter auf den geforderten Verlustausgleich berücksichtigt.

2. Urteil vom 24.7.2012 – II ZR 297/11 (Aufrechnung gegen Freistellungsanspruch des Treuhandgesellschafters) Schon mehrfach hat sich der Senat mit der Rechtsstellung von Anlegern befasst, die sich nicht unmittelbar, sondern über einen Treuhandgesellschafter an der jeweiligen Fondsgesellschaft beteiligt haben. Er nimmt dabei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Zivilsenate des Bundesgerichtshofs an, dass ein solcher Anleger im Außenverhältnis mangels formeller Gesellschafterstellung Gläubigern der Gesellschaft nicht nach § 128 HGB unmittelbar haftet und zwar unabhängig von der _______________

3 BGH, Urt. v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 – OTTO; Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 – Schutzgemeinschaftsvertrag II.

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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Ausgestaltung des Treuhandverhältnisses.4 Im Innenverhältnis geht der Senat dagegen von dem Grundsatz aus, dass sich ein Anleger, der nach der Ausgestaltung des Treuhand- und des Gesellschaftsvertrags innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses wie ein unmittelbarer Gesellschafter gestellt ist, etwa im Hinblick auf das Stimmrecht und auf Gewinnansprüche, dann auch wie ein solcher behandeln lassen muss, d. h. er darf nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn er sich unmittelbar beteiligt hätte. Daraus hat der Senat schon im vergangenen Jahr in Entscheidungen vom 22.3.20115 hergeleitet, dass sich ein Anleger der ihn mittelbar über die Inanspruchnahme durch den Treuhandkommanditisten treffenden Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern nicht durch Aufrechnung mit Ansprüchen gegen den Treuhandkommanditisten entziehen dürfe. Mit Urteil vom 24.7.20126 hat er nunmehr klargestellt, dass solche Treugeber-Anleger gegen den in einen Zahlungsanspruch umgewandelten Anspruch des Treuhandgesellschafters auf Freistellung von der Inanspruchnahme durch Gesellschaftsgläubiger nicht mit Schadensersatzansprüchen aus Prospekthaftung aufrechnen dürfen, die ihnen gegen den Treuhandgesellschafter zustehen.

3. Urteil vom 7.2.2012 – II ZR 230/09 (Stimmverbote in der GbR) Es gibt natürlich auch noch außerhalb von Fonds Rechtsfragen zur Personengesellschaft, die klärungsbedürftig sind. So hat sich der Senat mit Urteil vom 7.2.20127 zu Stimmverboten in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts geäußert. Er hat zunächst bestätigt, dass diejenigen Stimmverbote, die sich aus dem Grundsatz herleiten, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf, auch im Personengesellschaftsrecht gelten. Das gilt auch für die Beschlussfassung über die Einholung eines Gutachtens zur Prüfung, ob Schadensersatzansprüche gegen den betroffenen Gesellschafter bestehen. Die dieser Ausdehnung des Stimmverbots zugrundeliegende Erwägung, dass der betroffene Gesellschafter andernfalls schon im Vorfeld die Geltendmachung gegen ihn gerichteter Schadensersatz_______________

4 Vgl. nur BGH, Urt. v. 23.4 2012 – II ZR 75/10, ZIP 2012, 1342 Rn. 37. 5 Vgl. nur BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 271/08, BGHZ 189, 45 = ZIP 2012, 1706. 6 BGH, Urt. v. 24.7.2012 – II ZR 297/11, ZIP 2012, 1706; ebenso nun BGH, Urt. v. 18.10.2012 – III ZR 150/11 und III ZR 279/11, ZIP 2012, 2246; vgl. ferner Wertenbruch, EWiR 2012, 599. 7 BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917.

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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

ansprüche vereiteln könnte, gilt für Personengesellschaften in gleicher Weise wie für die GmbH. Dagegen konnte der Senat offenlassen, ob das Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG für Rechtsgeschäfte der GmbH mit dem Gesellschafter in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gleichfalls gilt. Im entschiedenen Fall war das Rechtsgeschäft, das Gegenstand des betreffenden Beschlusses war, nicht mit dem Gesellschafter selbst abgeschlossen worden, sondern es ging um Rechtsbeziehungen der Gesellschaft zu einer GmbH und hier auch nicht darum, dass etwa ein Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts an dieser GmbH als Alleingesellschafter beteiligt gewesen wäre. In einem solchen Fall hätte von einer wirtschaftlichen und unternehmerischen Einheit des betreffenden Gesellschafters mit dem Vertragspartner der Gesellschaft ausgegangen werden können. Im Streitfall stand vielmehr die Beteiligung von Personen zur Beurteilung, die als Fremdgeschäftsführer bzw. als Prokurist der GmbH als der Vertragspartnerin der Gesellschaft bürgerlichen Rechts tätig waren. Solche Personen sind einem am Rechtsgeschäft beteiligten Gesellschafter im Hinblick auf das hier in Rede stehende Stimmverbot nicht unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen und unternehmerischen Einheit gleichzustellen, weil sie wirtschaftlich nicht so an der GmbH beteiligt sind, dass von einem vergleichbaren Interessenwiderstreit des abstimmenden Gesellschafters wegen eines ihn wirtschaftlich selbst betreffenden Geschäfts ausgegangen werden kann.

III. GmbH-Recht Zum GmbH-Recht möchte ich anders als angekündigt nur drei Entscheidungen ansprechen. Den zunächst angekündigten Beschluss vom 10.7.2012 zu § 19 Abs. 4 und 5 GmbHG8 habe ich aus Zeitgründen gestrichen. Ich denke, Sie werden es angesichts der noch verbleibenden Entscheidungen verschmerzen können.

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8 BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857.

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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

1. Urteil vom 24.1.2012 – II ZR 109/11 (Wirksamkeit der Einziehung) In einer Beschlussanfechtungssache9 war zu prüfen, ob der Kläger in der betreffenden Gesellschafterversammlung einer GmbH im Februar 2007 noch abstimmen durfte, obwohl bereits in einer früheren Gesellschafterversammlung, nämlich im April 2001, beschlossen worden war, seinen Geschäftsanteil einzuziehen. Die nach dem Gesellschaftsvertrag innerhalb von zwei Jahren zu zahlende Abfindung hatte der Kläger bis dahin und auch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch nicht erhalten. In dem Verfahren war nach dem vorgetragenen und festgestellten Sachverhalt davon auszugehen, dass bei der Beschlussfassung über die Einziehung nicht feststand, dass die Abfindung nicht aus dem freien Vermögen der Gesellschaft geleistet werden konnte (§ 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG). Wenn der Einziehungsbeschluss nicht bereits aus diesem Grund nichtig ist, wird er, wie der Senat nunmehr angenommen hat, mit der Mitteilung des Beschlusses an den Gesellschafter und nicht erst mit der Leistung der Abfindung wirksam. Die zu dieser Problematik vertretenen Bedingungslösungen haben aus der Sicht des Senats demgegenüber Nachteile. Die Annahme einer aufschiebenden Bedingung einer Abfindungszahlung aus freiem Vermögen hat zur Folge, dass der betreffende Gesellschafter bis zur Zahlung in der Gesellschaft verbleibt. Das führt insbesondere in dem praktisch häufigen Fall, dass er durch Einziehung seines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden soll, zu weiteren Schwierigkeiten und Streitigkeiten. Bei Annahme einer auflösenden Bedingung, dass die Abfindung nicht aus freiem Vermögen gezahlt werden kann, stellen sich im Falle des Bedingungseintritts unter Umständen erhebliche Rückabwicklungsprobleme. Wenn der Einziehungsbeschluss nunmehr wie jeder Beschluss sofort wirksam wird, muss der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wird und dessen Abfindung nicht sofort fällig ist, allerdings davor geschützt werden, dass die verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert seines Anteils aneignen und ihn später aufgrund der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflicht mit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. _______________

9 BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = ZIP 2012, 422; vgl. dazu Altmeppen, ZIP 2012, 1685; Grunewald, GmbHR 2012, 769; Lutter, EWiR 2012, 177; Priester, ZIP 2012, 658; Schockenhoff, NZG 2012, 449.

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Dazu genügt es aber, die verbleibenden Gesellschafter selbst in die Haftung zu nehmen und zwar anteilig pro rata ihrer Beteiligung, wenn sie nicht auf andere Weise für die Auszahlung der Abfindung sorgen. Den verbliebenen Gesellschaftern wächst anteilig der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils zu und zwar allen verbleibenden und demnach auch solchen, die etwa gegen die Einziehung gestimmt haben. Sie müssten, wenn sie sich redlich verhalten und eine Unterdeckung nicht auf andere Art und Weise ausgleichen, etwa durch Auflösung von stillen Reserven oder durch eine Herabsetzung des Stammkapitals, grundsätzlich die Gesellschaft auflösen, um so die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters soweit wie möglich zu erfüllen. Mit der Auflösung würden sie den ausgeschiedenen Gesellschafter hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs so stellen, als sei er noch Gesellschafter. Sie verhalten sich treuwidrig, wenn sie sich dagegen mit der Fortsetzung der Gesellschaft den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern.

2. Urteil vom 6.3.2012 – II ZR 56/10 (Wirtschaftliche Neugründung) Eine weitere Grundsatzentscheidung hat der Senat mit dem Urteil vom 6.3.201210 zur Gesellschafterhaftung bei unterbliebener Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung getroffen. Er hat zunächst grundsätzlich an der Senatsrechtsprechung festgehalten, nach der die Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes auf eine wirtschaftliche Neugründung entsprechend anzuwenden sind, also auf eine GmbH, die eine „leere Hülse“ geworden war, weil sie kein aktives Unternehmen mehr betrieben hat, die nun wieder mit einem solchen ausgestattet wird und eine neue Geschäftstätigkeit aufnimmt. Der Senat hat auch grundsätzlich daran festgehalten, dass die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Registergericht offenzulegen und damit die – am satzungsmäßigen Stammkapital auszurichtende – Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG zu verbinden ist.

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10 BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817; dazu Bachmann, NZG 2012, 579; Bayer, EWiR 2012, 347; Jeep, NZG 2012, 1209; Priester, EWiR 2012, 623; Ulmer, ZIP 2012, 1265.

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Die entsprechende Anwendung der die Kapitalaufbringung betreffenden Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes führt nach Ansicht des Senats bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht jedoch nicht zu einer zeitlich unbeschränkten Haftung der Gesellschafter bis zur restlosen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger. Unterbleibt die (ordnungsgemäße) Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung, ist die Haftung der Gesellschafter, sofern sie der Neuaufnahme der Geschäfte zugestimmt haben, vielmehr auf den Umfang einer Unterbilanz begrenzt, die in dem Zeitpunkt besteht, zu dem die wirtschaftliche Neugründung entweder durch Anmeldung der damit verbundenen Satzungsänderungen oder durch die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung tritt. Die Gesellschafter der wirtschaftlich neu gegründeten Gesellschaft haben im Rahmen der Unterbilanzhaftung (anteilig) den – gegebenenfalls auch negativen – Wert des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des zugesagten Stammkapitals auszugleichen, mithin die Kapitaldeckung zu gewährleisten. Der Begrenztheit der Erkennbarkeit wirtschaftlicher Neugründungen trägt der Senat dadurch Rechnung, dass er deren Offenlegung gegenüber dem Registergericht verlangt. Unterbleibt die gebotene Offenlegung, wird es den Gesellschaftern ermöglicht, mit einer inaktiven haftungsbeschränkten Gesellschaft, deren Vermögen das statutarische Stammkapital nicht deckt, von einer registergerichtlichen Kontrolle unbehelligt, (wieder) am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Ungeachtet dessen, dass die Offenlegung in den Aufgabenbereich des Geschäftsführers fällt, haben die Gesellschafter, die der Geschäftsaufnahme zugestimmt haben, die haftungsrechtlichen Folgen fehlender Offenlegung zu verantworten. Die Umgehung des der Aufbringung des statutarischen Stammkapitals – an dem sich das Vertrauen des Rechtsverkehrs orientiert – dienenden registergerichtlichen Präventivschutzes rechtfertigt eine Beweislastumkehr. In den Fällen fehlender Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung tragen die Gesellschafter daher die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung nach außen in Erscheinung getreten ist, keine Differenz zwischen dem (statutarischen) Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens bestand. Der Senat hat außerdem zu § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. entschieden, dass unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Neugründung begründete Ansprüche aus Unterbilanzhaftung gegen den Veräußerer eines Ge-

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schäftsanteils rückständige Leistungen auf den Geschäftsanteil im Sinne dieser Vorschrift darstellen, für die der Erwerber des Geschäftsanteils wie für den Einlageanspruch und den Differenzhaftungsanspruch haftet. Für die jetzige Regelung in § 16 Abs. 2 GmbHG wird man das ebenso zu sehen haben, sofern sich aus dem geänderten Wortlaut – es heißt jetzt: Einlageverpflichtungen, die rückständig sind – nichts anderes ergibt. Nach der Gesetzgebungsgeschichte spricht aber wohl nichts dafür, dass die Vorschrift insoweit einen anderen sachlichen Gehalt erhalten sollte.

3. Urteil vom 23.4.2012 – II ZR 163/10 (Anwendung des AGG auf Geschäftsführer) Rechtliches Neuland haben wir mit dem Urteil vom 23.4.201211 zur Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf den Geschäftsführer einer GmbH betreten. Der persönliche Anwendungsbereich dieses Gesetzes, mit dem Benachteiligungen u. a. wegen des Alters verhindert oder beseitigt werden sollen, erfasst nach der auf der Umsetzung einer europäischen Richtlinie beruhenden Vorschrift des Abs. 1 des § 6 AGG Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes und dazu zählen nach Nr. 1 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Senat konnte offen lassen, ob der Fremdgeschäftsführer einer GmbH Beschäftigter im Sinne dieser Vorschrift ist, weil der Anwendungsbereich des AGG in unserem Fall schon nach § 6 Abs. 3 AGG eröffnet war. In dieser nicht auf europäischen Vorgaben beruhenden Vorschrift ist ausdrücklich die entsprechende Geltung bestimmter Vorschriften des AGG für Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer und Vorstände, angeordnet, „soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit betrifft“. Die Voraussetzung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit haben wir in dem von uns entschiedenen Fall, in dem die Bestellung des klagenden Geschäftsführers aufgrund einer Befristung endete und die Stelle neu besetzt werden sollte, bejaht. Wenn sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer wiederum um die Stelle des Geschäftsführers bewirbt, erstrebt er damit einen – neuen – Zugang zu dieser Tätigkeit. Unter das Merkmal des Zugangs zur Erwerbstätigkeit im Sinne des AGG fallen im Übrigen sowohl der Abschluss eines Geschäftsführeranstel-

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11 BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291; dazu Bauer/Arnold, NZG 2012, 921; Paefgen, ZIP 2012, 1296; Wilsing/Meyer, NJW 2012, 3211.

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lungsvertrages als auch die Bestellung zum Geschäftsführer nach §§ 6, 35 ff. GmbHG. Der 62-jährige Kläger, dem ein 41-jähriger Mitbewerber vorgezogen worden war, hatte geltend gemacht, er sei wegen seines Alters nicht wieder bestellt und angestellt worden. Wer eine nach dem AGG unzulässige Benachteiligung wegen des Alters geltend macht, muss nach § 22 AGG nur Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen; die andere Partei trägt dann die Beweislast dafür, dass kein Verstoß vorgelegen hat. Auf diese Beweislastregelung konnte sich auch der Kläger unseres Verfahrens berufen. § 22 AGG wird zwar bei strenger Wortlautauslegung nicht von der Anordnung der entsprechenden Geltung in § 6 Abs. 3 AGG erfasst, wohl aber nach deren Sinn und Zweck. Aufgrund von Äußerungen insbesondere des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der beklagten GmbH, über die in der Presse berichtet worden war, hatte das Berufungsgericht diesen Indizienbeweis als geführt angesehen. Wir haben diese Würdigung als rechtsfehlerfrei bestätigt. In diesem Zusammenhang war u. a. die Frage aufgeworfen worden, wie der Beweis der Benachteiligung aus einem der im AGG genannten Gründe zu führen ist, wenn dem betreffenden Vorgang die Entscheidung eines aus mehreren Mitgliedern bestehenden Gremiums zugrunde liegt. Jedenfalls für die Vermutungswirkung des § 22 AGG reicht es nach Auffassung des Senats aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vermuten lassen. Ferner haben wir im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgesprochen, dass der diskriminierende Umstand nicht die (alleinige) nicht hinweg zu denkende Ursache für die Entscheidung gewesen sein muss. Es genügt vielmehr, wenn er lediglich als Teil eines Motivbündels die Entscheidung beeinflusst hat.

IV. Aktienrecht Im Aktienrecht war das vergangene Jahr gleichfalls nicht arm an jedenfalls diskussionswürdigen Senatsentscheidungen.

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1. Urteil vom 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Vergleich über Differenzhaftungsanspruch) Ende des letzten Jahres haben wir uns mit dem aktienrechtlichen Differenzhaftungsanspruch befasst12 und zunächst entschieden, dass der gesetzliche Differenzhaftungsanspruch bei der Aktiengesellschaft auch besteht, soweit der Wert der Sacheinlage zwar den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG), aber nicht das Aufgeld des § 9 Abs. 2 AktG deckt. Im Vordergrund stand jedoch die Frage, ob sich die Gesellschaft und der in Anspruch genommene Aktionär über den Differenzhaftungsanspruch vergleichen können. Das ist wegen des Befreiungsverbots in § 66 Abs. 1 Satz 1 AktG, das grundsätzlich auch für den Differenzhaftungsanspruch gilt, nicht ganz unproblematisch, weil ja in jedem Vergleich ein Teilverzicht steckt oder jedenfalls enthalten sein kann. Gleichwohl hält der Senat einen Vergleich über einen Differenzhaftungsanspruch für zulässig, wenn er wegen tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs geschlossen wird und sich dahinter nicht nur eine Befreiung in der Form eines Vergleichs versteckt. Ein vollständiges Vergleichsverbot würde den Vorstand zwingen, trotz Zweifel am Bestand der Forderung und an den Erfolgsaussichten ein gerichtliches Verfahren einzuleiten und bis zu einem Urteil durchzuführen, oder von vorneherein wegen der die Chancen übersteigenden finanziellen Risiken der Prozessführung auf eine Geltendmachung zu verzichten. Ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch bedarf nicht der Zustimmung der Hauptversammlung. Ausdrücklich ist eine solche im Gesetz nicht vorgesehen. Für eine Analogie zu § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 117 Abs. 4 AktG fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch bedarf auch nicht allein wegen einer wesentlichen Bedeutung für die Gesellschaft der Zustimmung der Hauptversammlung. Nach der Rechtsprechung des Senats kommen Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung außer in den in Gesetz oder Satzung geregelten Fällen dann in Betracht, wenn eine vom Vorstand in Aussicht genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt, weil sie Veränderungen nach sich zieht, die denjenigen zumindest nahe kommen, welche _______________

12 BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73; vgl. dazu Priester, AG 2012, 525; Verse, ZGR 2012, 875.

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allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden können.13 Derartige Auswirkungen auf die mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre hat ein Vergleich über einen Anspruch im Zusammenhang mit der Einlage nicht. In dieser Sache ging es aber nicht nur um die Zulässigkeit eines Vergleichs. Nach der als Vergleich anzusehenden Vereinbarung hatten die Beteiligten später eine weitere Vereinbarung getroffen, in der gegenseitige Forderungen miteinander verrechnet wurden, u. a. auch aus dem Vergleich herrührende Ansprüche. Der Senat hat zunächst klargestellt, dass für die im Vergleich vereinbarten Forderungen das Befreiungs- und Aufrechnungsverbot nach § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG weitergilt, weil ein Vergleich grundsätzlich keine schuldumschaffende Wirkung hat, also die Rechtsnatur des Anspruchs nicht verändert wird. Dies steht einer Verrechnungsvereinbarung allerdings nicht grundsätzlich entgegen, weil nach § 66 Abs. 1 Satz 2 AktG nur die Aufrechnung gegen die Forderung der Gesellschaft unzulässig, der Gesellschaft hingegen eine Aufrechnung nicht verboten ist. Um zu verhindern, dass gleichartige, aber nicht gleichwertige Forderungen zur Aufrechnung gestellt werden und so der Sache nach eine Teilbefreiung eintritt, kann die Gesellschaft die Aufrechnung aber nur erklären, wenn die Forderung des Aktionärs gegen die Gesellschaft vollwertig, fällig und liquide ist. Das ist dann auch bei einer Verrechnungsvereinbarung zu beachten.

2. Urteil vom 10.7.2012 – II ZR 48/11 – Fresenius (Beratungshonorare von Aufsichtsratsmitgliedern) Die mit Spannung erwartete Antwort des Senats auf die Frage der Zulässigkeit von Beratungshonoraren von Aufsichtsratsmitgliedern ist im Fresenius-Urteil vom 10.7.201214 dahin beantwortet worden, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft jedenfalls im Regelfall rechtswidrig handelt, wenn er an ein Aufsichtsratsmitglied eine Vergütung zahlt, obwohl der Aufsichtsrat dem zugrunde liegenden Beratungsvertrag noch nicht nach § 114 Abs. 1 AktG zugestimmt hat. Ich darf zur Würdigung dieser Entscheidung noch einmal ausdrücklich in Erinnerung rufen, dass Streitgegenstand dieses Verfahrens eine Anfechtungsklage der klagenden Aktionärin gegen die in der Hauptversammlung 2009 gefassten _______________

13 BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 44 f. – Gelatine I. 14 BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, ZIP 2012, 1807; vgl. dazu Spindler, NZG 2012, 1161.

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Beschlüsse über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008 war. Ein Beschluss der Hauptversammlung über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats verstößt gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG und ist deshalb nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn damit ein Verhalten des betreffenden Organs gebilligt wird, das einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt. Die Aktionärin hatte mehrere Verstöße geltend gemacht, u. a. eben die unzulässige Zahlung von Beratungshonoraren. Ein Verstoß gegen das Gesetz (§ 114 AktG) lag hier nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt in der Zahlung der Beratungshonorare an die Sozietät eines Aufsichtsratsmitglieds, obwohl der Aufsichtsrat den zugrunde liegenden Verträgen nicht zugestimmt hatte. Der Aufsichtsrat hat sich danach ebenfalls rechtswidrig verhalten, indem er diese Praxis nicht beanstandet hat. Dieses Verhalten war aber kein schwerer und eindeutiger Verstoß, weil die hier maßgebliche Rechtsfrage zum fraglichen Zeitpunkt nicht eindeutig zu beantworten war, und führte deshalb nicht zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse. Deshalb konnte der Senat auch offen lassen, ob die Zahlung eines Beratungshonorars an ein Aufsichtsratsmitglied vor Zustimmung des Aufsichtsrats ausnahmsweise dann rechtmäßig ist, wenn – wie die Beklagte behauptet hatte – die Übung besteht, dass am Anfang eines jeden Jahres vom Aufsichtsrat eine Obergrenze für Mandate an bestimmte Aufsichtsratsmitglieder oder deren Sozietäten festgelegt wird und die einzelnen Verträge dann am Ende des Jahres dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt werden. Denn in diesem Fall fehlte es erst recht an einem eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß. Die Pflichtwidrigkeit hat der Senat daraus hergeleitet, dass es bei der beanstandeten Verfahrensweise an einer präventiven Kontrolle der vom Vorstand geschlossenen Beratungsverträge durch den Aufsichtsrat fehlt. Die in § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG eingeräumte Möglichkeit der nachträglichen Genehmigung durch den Aufsichtsrat führt deshalb auch nicht zum Wegfall der Pflichtwidrigkeit, sondern lediglich zu einem Behaltensgrund für die Vergütungszahlung. Es waren, wie bereits gesagt, von der Anfechtungsklägerin noch weitere Verstöße der Organe geltend gemacht worden. Hier ist noch die behauptete Verletzung des § 161 AktG zu erwähnen. Die Entsprechenserklärung sollte wegen Nichtbeachtung der Empfehlung in Nr. 5.5.3 Satz 1 DCGK unrichtig gewesen sein. Danach ist der Aufsichtsrat verpflichtet, über aufgetretene Interessenkonflikte und ihre Behandlung im Bericht

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an die Hauptversammlung zu informieren. In der Fresenius-Entscheidung hat der Senat noch einmal deutlich ausgesprochen, dass für die Frage der Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen wegen einer unrichtigen Entsprechenserklärung nichts anderes gilt als sonst. Eine unrichtige Entsprechenserklärung führt demnach nur dann zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse, wenn es sich dabei um einen eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß handelt. Dafür muss die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung über einen Formalverstoß hinausgehen und auch im konkreten Einzelfall Gewicht haben. Zudem ist die hier in Betracht kommende Informationspflichtverletzung – nämlich die fehlende Erwähnung des Interessenkonflikts im Bericht an die Hauptversammlung – nach der Wertung des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur dann von Bedeutung, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts ansähe.15 Nach diesen Grundsätzen waren die Entlastungsbeschlüsse im Fresenius-Fall nicht wegen eines Verstoßes gegen § 161 AktG anfechtbar.

3. Urteil vom 17.7.2012 – II ZR 55/11 (Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern) Mit Urteil vom 17.7.201216 haben wir die gängige Praxis als rechtlich unbedenklich gebilligt, dass Vorstandsmitglieder ihr Amt früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat niederlegen und dann anschließend für höchstens fünf Jahre wiederbestellt werden. Nach § 84 Abs. 1 Satz 2 AktG ist eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit des Vorstands jeweils für höchstens fünf Jahre zulässig. Nach § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG bedarf dies eines Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann. Legt der Vorstand sein Amt nieder, ist seine Amtszeit abgelaufen, so dass eine daran anschließende wiederholte Bestellung nicht früher als ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit beschlossen wird. Darin liegt nach Auffassung des Senats auch keine unzulässige Umgehung des Satzes 3, wenn die Amtszeit vor der Niederlegung des Amtes noch nicht so weit abgelau_______________

15 BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 Rn. 18 – Umschreibungsstopp. 16 BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750; vgl. dazu Cahn, Der Konzern 2012, 501; Paschos/von der Linden, AG 2012, 736; Priester, ZIP 2012, 1781.

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fen ist, dass lediglich noch ein Jahr verbleibt, und zwar auch dann nicht, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind. Durch § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG soll lediglich sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat zumindest alle fünf Jahre einen Beschluss über die wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit der Vorstandsmitglieder fasst. Mit § 84 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AktG soll verhindert werden, dass sich die Aktiengesellschaft länger als fünf Jahre an ein Vorstandsmitglied bindet und dadurch wirtschaftlich untragbare Belastungen entstehen können. Der Aufsichtsrat soll spätestens nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, sich von dem Vorstandsmitglied ohne einen wichtigen Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 AktG und ohne eine Abfindung zu trennen. Als weiterer Zweck gerade des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG kommt hinzu, dass der Aufsichtsrat spätestens alle fünf Jahre gezwungen sein soll, sich in einer verantwortlichen Beratung über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig zu werden. Die Wiederbestellung für fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung widerspricht dem nicht. Das schließt allerdings nicht aus, dass im Einzelfall ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen vorliegen kann. Dafür gab es im zu entscheidenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte.

4. Urteil vom 26.6.2012 – II ZR 30/11 (Nachteilsausgleich bei Hauptversammlungsbeschluss) Zum Abschluss darf ich noch auf eine Entscheidung zum Konzernrecht eingehen und zwar aus dem UniCredit-Komplex, mit dem wir uns im Urteil vom 26.6.201217 noch einmal beschäftigt haben. Es ging dort um die Veräußerung des sog. Osteuropageschäfts der B.-Bank AG an ihre damalige Mehrheitsaktionärin, die UniCredit. Minderheitsaktionäre hatten geltend gemacht, die Gesellschaft habe für die Veräußerung keine gleichwertige Gegenleistung erhalten. Es ging in unserem Verfahren um Beschlüsse der Hauptversammlung der beklagten Aktiengesellschaft, mit denen die Hauptversammlung den Veräußerungsverträgen zugestimmt hatte. Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Dazu zählen die Vorschriften zur Kapitalerhaltung in § 57 AktG. Es ist eine nach § 57 Abs. 1 AktG verbotene Zuwendung, wenn eine Leistung der Gesellschaft an den Aktionär nicht _______________

17 BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753.

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durch eine gleichwertige Gegenleistung des Aktionärs ausgeglichen wird. Davon war nach dem Vortrag der Kläger für die revisionsrechtliche Beurteilung auszugehen. Das Berufungsgericht hatte zwar nicht festgestellt, dass die Wirksamkeit der Kaufverträge oder ihres Vollzugs von der Zustimmung der Hauptversammlung abhängig gemacht worden war und die Beschlüsse der Hauptversammlung die Einlagenrückgewähr unmittelbar bewirkt hatten. Ein Hauptversammlungsbeschluss verletzt § 57 AktG aber nicht nur dann, wenn er unmittelbar zur Einlagenrückgewähr führt. Auch wenn der Vorstand – wie bei einem Beschluss zur Geschäftsführung (§ 119 Abs. 2 AktG) – eine Entscheidung der Hauptversammlung einholt und erst die Umsetzung des Beschlusses zur Einlagenrückgewähr führt, verstößt die Billigung durch die Hauptversammlung gegen gläubigerschützende Vorschriften. Nach § 241 Nr. 3 AktG kommt es allein auf den Inhalt des Beschlusses an. In unserem Verfahren ging es allerdings nicht unmittelbar um die Anfechtung der Zustimmungsbeschlüsse, sondern angefochten waren spätere Bestätigungsbeschlüsse. Zwischen diesen Beschlüssen hatte die Aktiengesellschaft mit ihrer Mehrheitsgesellschafterin eine Vereinbarung getroffen, in der sich die Mehrheitsgesellschafterin verpflichtet hatte, Nachteile binnen einer bestimmten Frist in bar auszugleichen, wenn durch eine Gerichtsentscheidung festgestellt werde, dass der Verkauf des Osteuropageschäfts für die Aktiengesellschaft nachteilig sei. Es stand nun in Rede, ob diese Vereinbarung nicht unter dem Gesichtspunkt des § 311 Abs. 2 AktG ohnehin der Annahme der Nichtigkeit der Beschlüsse entgegenstünde. Das hat der Senat aus mehreren Gründen verneint. Wenn die Hauptversammlung einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss nach Ansicht des Senats bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich vorsehen, was hier nicht der Fall war. An sich muss ein Nachteilsausgleich zwar erst am Ende des Geschäftsjahres bestimmt werden (§ 311 Abs. 2 Satz 1 AktG). Wenn die nachteilige Veranlassung aber in einem mit der Stimmenmehrheit des herrschenden Unternehmens gefassten Hauptversammlungsbeschluss besteht, kann der Nachteilsausgleich nicht aufgeschoben werden, sondern muss bereits im Beschluss vorgesehen sein, wie der der Senat mit der überwiegenden Ansicht im Schrifttum angenommen hat. Der teilweise – allerdings in der Regel im Zusammenhang mit der Anfechtung nach § 243 Abs. 2 AktG – vertretenen Ansicht, die Privilegierung von § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG müsse dem herrschenden Unternehmen auch

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erhalten bleiben, wenn die Hauptversammlung das nachteilige Geschäft beschließt, ist er nicht gefolgt. Die Privilegierung des herrschenden Aktionärs, einen Nachteilsausgleich erst zum Ende des Geschäftsjahres zu vereinbaren, kann dann nicht greifen. Wenn ein Beschluss – wie dies regelmäßig der Fall ist – neben dem Nachteil für die abhängige Gesellschaft auch Sondervorteile für einen herrschenden Aktionär bietet, muss schon nach dem Wortlaut von § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG mit dem Beschluss ein angemessener Ausgleich vorgesehen sein, um die Anfechtbarkeit zu beseitigen. Der Aktionär kann nicht darauf verwiesen werden, den Beschluss in der Hoffnung auf einen ungewissen Ausgleich unanfechtbar werden zu lassen. Das muss auch gelten, wenn der Beschluss nicht nur anfechtbar, sondern wegen Verstoß gegen gläubigerschützende Vorschriften nichtig ist. Zwar wird ein nichtiger Beschluss nicht infolge Fristablaufs bestandskräftig. Dem Minderheitsaktionär ist aber nicht zumutbar, mit einer Klage zuzuwarten, ob und wie das herrschende Unternehmen noch eine Vereinbarung über den Nachteilsausgleich trifft. Die Hauptversammlung kann auch – anders als etwa der Vorstand – nicht selbst nach der nachteiligen Veranlassung dafür Sorge tragen, dass der Nachteil spätestens bis zum Ende des Geschäftsjahres durch Vorteile ausgeglichen oder ein Rechtsanspruch auf die Vorteile vereinbart wird, weil sie nicht ständig zusammentritt. Wenn der Nachteil, der der abhängigen Gesellschaft auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens zugefügt wird, bezifferbar ist, muss, wie der Senat weiter ausgesprochen hat, eine Ausgleichsvereinbarung, die einen Zahlungsanspruch begründet, den Ausgleichsanspruch beziffern und darf ihn nicht von der späteren Feststellung des Nachteils abhängig machen. Wenn sich der Nachteil bilanziell niederschlägt, muss der Vorteil bilanzierbar sein; das gilt dann auch für die Gewährung eines Anspruchs auf Ausgleich. Jede Ausgleichsvereinbarung muss zudem Art, Umfang und Leistungszeit der als Ausgleich zugesagten Vorteile festlegen, um den Ausgleich nicht auf die lange Bank zu schieben und die Grenzen zum Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG nicht zu verwischen. Wird nur ein unbezifferter Anspruch auf Ausgleich später festgestellter Nachteile eingeräumt, wird die erforderliche Klarheit nicht geschaffen und der Forderung des § 311 Abs. 2 nach konkreter Festlegung der Vorteile nicht entsprochen, jedenfalls dann nicht, wenn der Nachteil bezifferbar ist. Diesen Anforderungen genügte die zwischen den Beteiligten getroffene Vereinbarung nicht. Der damit gewährte Ausgleichsanspruch war nicht

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beziffert, obwohl bei einem Verkauf unter dem tatsächlichen Wert die Differenz zu dem gezahlten Kaufpreis für die Anteile bzw. die Vermögensgegenstände bezifferbar war und der Vorteil in einer Zahlung bestehen sollte. Die Vereinbarung machte den Ausgleichsanspruch zudem von der späteren Feststellung eines Nachteils abhängig. Die Mehrheitsaktionärin sollte zum Ausgleich innerhalb von 10 Werktagen nach der Zustellung einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung verpflichtet sein, in der ein Gericht mit Wirkung ihr gegenüber feststellte, dass der Abschluss oder der Vollzug der Verträge Nachteile für die AG aufwies. Die Regelung verschob damit einen Ausgleich mindestens auf die lange Bank, zumal unklar war, in welchem Verfahren eine solche Feststellung gegenüber der Mehrheitsaktionärin getroffen werden sollte. Im Ergebnis enthielt die Vereinbarung nicht mehr als das Anerkenntnis, einen Nachteil ausgleichen zu müssen, wenn und soweit ein solcher gerichtlich festgestellt würde. Mit einer solchen Vereinbarung werden die Grenzen zum Schadensersatzanspruch nach § 317 Abs. 1 AktG verwischt, in dessen Rahmen der Nachteil als Teil des Schadens zu ersetzen ist.

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Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann Dr. Isolde Hannamann Richterin am Amtsgericht, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Als Diskussionsleiter dankte Altmeppen einführend dem Vorsitzenden des II. Zivilsenats Bergmann für die Vorstellung der aktuellen interessanten Entscheidungen des Senats, für die lebhafte und authentische Erörterung und die persönliche Würdigung der tragenden Gründe. Damit werde eine wertvolle Tagungstradition fortgeführt. Der Fokus der anschließenden Diskussion lag im Personengesellschaftsrecht (I.) auf der Entscheidung über Stimmverbote in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (I.2.), im GmbH-Recht (II.) auf dem Urteil zum altersdiskriminierten Geschäftsführer (II.1.) und im Aktienrecht (III.) auf der Entscheidung zur vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern (III.1).

I. Personengesellschaftsrecht 1. Zum Personengesellschaftsrecht äußerte sich Sieker aus bilanzrechtlicher Sicht irritiert über die Ausführungen zur Liquidationsbilanz in den Entscheidungen vom 15. November 2011 – II ZR 266/09 (BGHZ 191, 293 = ZIP 2012, 515) und II ZR 272/09 (ZIP 2012, 520), weil die Urteilsgründe den Eindruck erweckten, dass in der Auseinandersetzungsbilanz für Forderungen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter auf Verlustausgleich prognostische Bewertungsabschläge bereits dann zulässig seien, wenn von einem Teil der Gesellschafter ein Ausgleich voraussichtlich nicht zu erlangen sei. Eine Abschreibung dieser Forderungen komme aber wegen der subsidiären Ausfallhaftung der Mitgesellschafter nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass auch die Ausfallhaftung nicht zu realisieren sei. Bergmann erläuterte, dass es sich bei der fraglichen Bilanz nicht um eine endgültige Schlussrechnung gehandelt habe; die Ausfallhaftung nach § 735 Satz 2 BGB greife in der Tat erst, wenn endgültig feststehe, dass von einem Gesellschafter der auf ihn entfallende Nachschuss i. S. d. § 735 Satz 1 BGB nicht verlangt werden könne. Die in den Entscheidungen zu beurteilende vorläufige Auseinandersetzungsbilanz diene hingegen dazu, in diesem

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Hannamann – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann

Stadium der Abwicklung vorläufig und prognostisch festzustellen, ob und in welcher Höhe ein Überschuss verteilt werden könne oder von den Gesellschaftern Nachschüsse benötigt würden. Ziel einer solchen vorläufigen Auseinandersetzungsbilanz sei es, eine realistische Grundlage für die Forderungen des Liquidators zu liefern, so dass dieser möglichst genau so viel erhalte, wie er benötige. Bewertungsabschläge dürften dabei nicht im luftleeren Raum vorgenommen werden, sondern setzten greifbare Anhaltspunkte voraus. Die Gesellschafter seien gegen eine Überzahlung dadurch geschützt, dass sie überzahlte Beträge nach der endgültigen Schlussrechnung zurückfordern könnten. Gegen diese in der Praxis nicht seltene und sinnvolle Vorgehensweise der vorläufigen Auseinandersetzungsbilanz habe der Senat grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken. Sie sei von Vorteil für die Gesellschafter, weil es ansonsten länger dauerte, bis alle Verbindlichkeiten beglichen wären, sich durch die zeitliche Verzögerung höhere Zinsen anhäuften und dadurch die Belastung der Gesellschafter steige. 2. E. Nolting wandte sich dem Urteil vom 7. Februar 2012 – II ZR 230/09 (ZIP 2012, 917) zu, in dem sich der Senat mit verschiedenen Aspekten von Stimmverboten in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts befasste. E. Nolting warf die Frage auf, ob nicht – anders als der Senat dies beurteilt habe – der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts von der Abstimmung über einen Beschlussgegenstand, der die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft zu einer GmbH betreffe, deren Geschäftsführer er sei, entsprechend § 47 Abs. 4 GmbHG wegen eines strukturellen Interessenkonflikts ausgeschlossen sein müsse. Bergmann erläuterte, dass § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG, der unmittelbar nur die Beteiligung eines abstimmenden GmbH-Gesellschafters am beschlussgegenständlichen Rechtsgeschäft erfasse, über die rechtliche Identität hinaus nach der BGH-Rechtsprechung auf die Abstimmung in der GmbH auch dann angewendet werde, wenn ein Gesellschafter mit dem Vertragspartner der Gesellschaft wirtschaftlich so stark verbunden sei, dass man sein persönliches Interesse mit dem des Vertragspartners gleichsetzen könne. Dafür seien wirtschaftliche Auswirkungen beim Gesellschafter erforderlich, die hier gerade nicht, jedenfalls nicht fassbar, vorlägen. Eine darüber hinausgehende pauschale Erstreckung des § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG auch auf Organmitglieder des Vertragspartners, wie im Schrifttum teilweise gefordert, habe der Senat abgelehnt. Ein Stimmverbot setze immer eine typisierte Gefahr voraus, eine Sachgestaltung, in der typischerweise die Gefahr bestehe, dass der Gesellschafter in der Abstimmung die Interessen der Gesellschaft hintanstellen werde. Das

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Stimmverbot greife dann bei solchen Sachverhalten immer. Es dürfe deshalb – jedenfalls aus seiner Sicht – nicht zu sehr ausgeweitet werden und bedürfe insbesondere eines „festen Randes“. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass Beschlüsse auch wegen Treuwidrigkeit unwirksam sein und angefochten werden könnten. Bergmann stellte klar, dass der Senat im Urteil vom 7. Februar 2012 im Ergebnis die Frage einer (analogen) Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG auf die Abstimmung in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts offen gelassen habe. Einen anderen Aspekt der Entscheidung vom 7. Februar 2012, die Betroffenheit eines Gesellschafter-Gesellschafters, griff Altmeppen auf. Die Entscheidung sei zum Ergebnis gelangt, dass eine Kommanditgesellschaft, die an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts beteiligt sei, von einer Abstimmung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht ausgeschlossen sei, auch wenn Gegenstand des Beschlusses ein außergerichtliches Vorgehen gegen ihren Kommanditisten sei, der in der KG über 94 % der Geschäftsanteile verfüge. Altmeppen fragte, ob nicht in einem solchen Fall von konzernrechtlicher Beherrschung der Kommanditgesellschaft durch den Kommanditisten auszugehen sei und deshalb unabhängig von § 164 HGB die Kommanditgesellschaft mit einem Stimmverbot belegt werden müsse. Bergmann erwiderte, dass aus der Betroffenheit des Gesellschafters nur dann auf ein Stimmverbot seiner Gesellschaft geschlossen werden könne, wenn der betroffene Gesellschafter maßgeblichen Einfluss in dieser Gesellschaft habe und deren Abstimmungsverhalten maßgeblich beeinflussen könne. Eine solche Leitungsmacht habe der betroffene Gesellschafter nach dem festgestellten Sachverhalt aber nicht gehabt.

II. GmbH-Recht 1. Im Recht der GmbH erkundigte sich E. Vetter zur Entscheidung vom 23. April 2012 über einen altersdiskriminierten GmbH-Fremdgeschäftsführer (II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291), wie die Diskriminierungsvermutung des § 22 AGG bei einer Entscheidung des Aufsichtsrats mit Rücksicht auf die Verschwiegenheitspflicht nach § 116 Satz 2 AktG widerlegt werden könne. Es stelle sich insbesondere die Frage, ob und wie sich einzelne Aufsichtsratsmitglieder angesichts einer drohenden Schadensersatzhaftung zu einem AGG-widrig gefassten Beschluss und ihrem Abstimmungsverhalten äußern dürften. Bergmann wies darauf

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hin, dass sich die Entscheidung ausdrücklich mit der Frage der Entlastung des Aufsichtsrats unter Berücksichtigung der Verschwiegenheitspflicht auseinandersetze. Der Aufsichtsrat könne sich unter gewissen Voraussetzungen von der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht befreien. Mache er das nicht, so bleibe es bei der Indizwirkung. Auf die Frage E. Vetters, wie es zu beurteilen gewesen wäre, wenn die letztlich entscheidende Gesellschafterversammlung geäußert hätte, sie habe ihre Entscheidung aus anderen Gründen als der Empfehlung des Aufsichtsrats getroffen, erwiderte Bergmann, der Bundesgerichtshof könne nur über den festgestellten bzw. vorgetragenen Sachverhalt entscheiden. Greife die Diskriminierungsvermutung des § 22 AGG ein, werde sie nicht entkräftet und komme nach den Feststellungen bzw. dem Vortrag keiner der im Gesetz für eine Ungleichbehandlung wegen Alters vorgesehenen Rechtsfertigungsgründe zum Tragen, dann knüpfe das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hieran bestimmte Rechtsfolgen. Für die gesetzliche Konzeption mache es jedenfalls Sinn, mit der Indizwirkung des § 22 AGG zu arbeiten. Das gelte auch für Gremienentscheidungen. Die Indizwirkung auszuräumen, sei für ein Gremium möglicherweise schwierig. Werde aber der Entscheidungsprozess im Dunkeln gelassen, könnten davon eben auch Gründe erfasst sein, die eine Indizwirkung auslösten. Auf den Gesichtspunkt, ob und wie ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied die Indizwirkung entkräften oder das eigene nichtdiskriminierende Abstimmungsverhalten aufklären könne, ließ sich Bergmann dahin ein, dass nach seiner spontanen und persönlichen Sicht das Aufsichtsratsmitglied sich wohl nicht direkt an die Öffentlichkeit wenden dürfe, sondern sich zunächst mit dem Aufsichtsrat als Gremium ins Benehmen setzen müsse, wie weiter zu verfahren sei, und ggf. eine Entscheidung des Aufsichtsrats herbeiführen müsse. Damit dürfte es seinen Pflichten dann im Hinblick auf die eigene Haftung genügt haben. 2. Bachmann wandte sich der Entscheidung vom 6. März 2012 – II ZR 56/10 (BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817) zur wirtschaftlichen Neugründung zu und bat um Erläuterung, ob der Senat das Registergericht im Hinblick auf die Offenlegungspflicht für befugt halte, eine Eintragung zu verweigern, wenn es Anhaltspunkte für eine wirtschaftliche Neugründung sehe. Bergmann erwiderte, dass das Registergericht in einer solchen Situation die Eintragung wohl nicht verweigern dürfe, solange die eigentlichen Eintragungsvoraussetzungen für die einzutragenden Tatsachen vorlägen. Es bleibe dann bei den materiell-rechtlichen Folgen, insbesondere der Unterbilanzhaftung, und bei der Beweislastumkehr.

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3. Zustimmend zu allen vorgestellten Entscheidungen äußerte sich C. Schäfer. Allerdings sehe er zur wirtschaftlichen Neugründung das von Bergmann in der Diskussion herausgestellte Trennungsprinzip schwächer und halte das Registergericht für befugt, die Eintragung zu untersagen, wenn Anhaltspunkte für eine nichtoffengelegte wirtschaftliche Neugründung bestünden und Nachfragen des Registergerichts nicht beantwortet würden.

III. Aktienrecht 1. Im Aktienrecht merkten Glade und C. Schäfer zum Urteil vom 17. Juli 2012 – II ZR 55/11 (ZIP 2012, 1750) über die vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern an, dass schwer nachvollziehbar sei, weshalb die rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG abgelehnt worden sei. Der Gesetzeszweck bestehe darin, die Gesellschaft nicht durch überlange Verträge zu belasten. Weshalb der Senat diesen Zweck vorliegend nicht erfüllt gesehen habe, sei schwer verständlich. Schließlich gingen mit der Wiederbestellung des Vorstands auf fünf Jahre erhebliche finanzielle Belastungen einher. Bergmann erläuterte, dass der Aufsichtsratsbeschluss einstimmig gefasst worden sei und beide Gesellschaftsstämme hierbei gleichstark vertreten gewesen seien. Im Übrigen habe man es für zulässig und nicht rechtsmissbräuchlich gehalten, dass ein Aufsichtsrat in seiner Amtszeit Beschlüsse fasst, die den künftigen Aufsichtsrat binden. Aus dieser Bindung des künftigen Aufsichtsrats allein könne ein Rechtsmissbrauch nicht hergeleitet werden. 2. Schäfer stimmte im Übrigen den Entscheidungen des Senats auch im Aktienrecht zu. Am Urteil vom 6. Dezember 2011 – II ZR 149/10 (BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73) zur Zulässigkeit eines Vergleichs über den Differenzhaftungsanspruch kritisierte er allerdings die Ausführungen zur Verrechnungsvereinbarung, insbesondere dazu, wie sich eine solche zu den Regeln über verdeckte Sacheinlagen und das Hin- und Herzahlen verhalte. Auch sei bedauerlich, dass der Senat auf die verabredete Ersetzung des Differenzhaftungsanspruchs durch die Leistung von Aktien nicht die Regeln über die verdeckte Sacheinlage entsprechend angewandt habe. Bergmann erklärte, dass es zu diesen Fragen keine hinreichenden Feststellungen gegeben habe. Deshalb habe der Senat darüber in der Sache nicht selbst entscheiden können.

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Wienecke fragte zu dieser Entscheidung nach, ob sie so verstanden werden müsse, dass die Pflicht zur Festsetzung eines gesellschaftsrechtlichen Agios bestehe. Dies würde insbesondere im Fall des Unternehmenskaufs mit Aktie die Gestaltung der Transaktion erschweren und Flexibilität nehmen. Bergmann stellte klar, dass in dieser Entscheidung ein gesellschaftsrechtliches Agio und kein rein schuldrechtliches Agio festgesetzt gewesen sei und der Senat keine Pflicht zur Festsetzung eines gesellschaftsrechtlichen Agios begründen wollte. 3. Zur Fresenius-Entscheidung vom 10. Juli 2012 – II ZR 48/11 (ZIP 2012, 1807) bedauerte es C. Schäfer für die Rechtsberatung, dass der Senat offen gelassen habe, ob er das zweistufige Modell, bei welchem Anfang des Jahres vorab das Jahresbudget für Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern gebilligt wird, für zulässig halte.

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Kapitalschutz in der GmbH – eine Generalkritik Prof. Dr. Walter Bayer Friedrich-Schiller-Universität Jena I. Einführung: Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung – Das Prinzip des festen Kapitals . . . 25 II. Einzelheiten zur Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bar- und Sacheinlagen . . . . . a) Überbewertete Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Sacheinlage . . . c) Leistung an Erfüllungs Statt . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . 2. Hin- und Herzahlen/Herund Hinzahlen . . . . . . . . . . . a) Rechtslage vor MoMiG . . b) Rechtslage nach MoMiG . c) Speziell: Cashpool . . . . . . 3. Dienstleistungen . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . .

27 27 28 29 32 33 33 33 34 38 39 40

5. Wirtschaftliche Neugründung . . . . . . . . . . . . . . . . 41 6. Voreinzahlung bei Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . 45 1. „Rückkehr“ zur bilanziellen Betrachtungsweise . . . . . . . 45 2. Gesellschafterdarlehen . . . . 46 IV. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V. Wie geht es weiter? Überlegungen de lege ferenda . . . . . 47 1. Kurzfassung einer Neukonzeption . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Wirtschaftliche Betrachtung 49 VI. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

I. Einführung: Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung – Das Prinzip des festen Kapitals Auch der Kapitalschutz in der GmbH beruht auf dem tradierten, von der Aktiengesellschaft übernommenen Prinzip des festen Kapitals, d. h. eines satzungsmäßig festgelegten Stammkapitals, das nur im Rahmen einer Kapitalerhöhung oder einer Kapitalherabsetzung verändert werden kann. Dieses System ist nicht davon abhängig, dass ein gesetzliches Mindestkapital vorgeschrieben wird. Zweck des festen Kapitals war und ist in der Aktiengesellschaft zum einen Anleger- und Minderheitenschutz, zum anderen abstrakter Gläubigerschutz.1 Die GmbH wurde _______________

1 Dazu nur Bayer in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. II Kap. 17 Rz. 1 ff. m. w. N.

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indes von Anfang an nicht als kleine Aktiengesellschaft konzipiert, sondern sollte als Kapitalgesellschaft auf personalistischer Grundlage den Gesellschaftern größtmögliche Freiheit belassen.2 Insbesondere sind bei der gesetzestypischen, weil nicht kapitalmarktorientierten3 GmbH4 keine Anlegerschutzvorschriften notwendig.5 Daher hat der Gesetzgeber zu Recht davon abgesehen, das strenge Gründungsrecht der AG auf die GmbH zu übertragen.6 Ausreichend, aber auch unbedingt erforderlich, sei allerdings ein wirksamer Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Insbesondere sollte auch im GmbH-Recht dem Grundsatz der Garantiefunktion des Stammkapitals7 Rechnung getragen werden. Auch für die GmbH soll daher der Grundsatz der realen Kapitalaufbringung8 sicherstellen, dass das im Handelsregister ausgewiesene Stammkapital tatsächlich aufgebracht wird, die versprochenen Einlagen dem angegebenen Wert entsprechen und die Einlageschuldner sich ihrer Verpflichtung nachträglich nicht mehr entziehen können.9 Darüber hinaus soll das aufgebrachte Kapital aber auch später nicht wieder zugunsten der Gesellschafter entnommen werden können. Die Vorschriften über die Kapitalerhaltung verbieten daher grundsätzlich jegliche offene Ausschüttung oder verdeckte Zuwendung aus dem Vermögen der GmbH, soweit das satzungsmäßige Stammkapital wertmäßig unterschritten wird.10 Auf diese Weise soll das Stammkapital allein zur Befriedigung von Gläubigeransprüchen vorbehalten bleiben.11 Der Garantiefunktion des Stammkapitals wird nur dann in angemessener Weise Rechnung getragen, wenn die Vorschriften über Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung konsequent und strikt angewendet wer_______________

2 Bayer, Gutachten 67. DJT 2008, E 15 ff. m. w. N. 3 Zur GmbH, die am Kapitalmarkt Anleihen begibt, nur Lutter in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Einl. Rz. 63 m. w. N. 4 Zu anderslautenden, zu Recht aber zurückgewiesenen Bestrebungen im Rahmen der GmbH-Novelle von 1980: Bayer, ZGR 2007, 220, 226 f. m. w. N. 5 Richtig die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, amtliche Ausgabe 1891, S. 51. 6 Dazu Bayer, ZGR 2007, 220, 223 f. 7 Siehe nur Fleischer in MünchKomm. GmbHG, 2010, Einl. Rz. 9. 8 Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2012, Einl. Rz. 16. 9 Allgemein: Bayer (Fn. 1) Kap. 17 Rz. 2. 10 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 30 Rz. 1 ff. m. w. N.; Ekkenga in MünchKomm. GmbHG, § 30 Rz. 1 ff.; Verse in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 30 Rz. 1 ff. 11 Grundlegend zur Funktion der Kapitalerhaltung: K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 37 III m. w. N.

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den. Will man dies nicht – etwa um den Aufwand für die GmbH und ihre Gesellschafter gering zu halten oder um die Konkurrenzfähigkeit der GmbH im internationalen Wettbewerb zu steigern –, dann steht es dem Gesetzgeber selbstredend frei, das Schutzniveau zu senken oder das tradierte Kapitalschutzsystem gänzlich aufzugeben. In der Vergangenheit haben sowohl der Gesetzgeber12 als auch die Rechtsprechung13 den Kapitalschutz in der GmbH sehr ernst genommen. Der BGH erklärte bereits im 28. Band seiner Entscheidungssammlung die Vorschriften zur Aufbringung und Erhaltung des Haftungsfonds zum „Kernstück des GmbH-Rechts“, die „keine Aushöhlung in gleich welcher Form (vertragen)“.14 Diesen Standpunkt hat der II. Zivilsenat über viele Jahrzehnte konsequent seiner Spruchpraxis zugrunde gelegt. Nach seiner Auffassung ist der Kapitalschutz ein besonders wichtiger und im GmbH-Recht streng durchgeführter Grundsatz.15 Der BGH hat sich daher in der Vergangenheit einer großzügigen Auslegung der Kapitalschutzvorschriften zum Nachteil der Gläubiger stets mit Nachdruck entgegen gestellt.16 Der MoMiG-Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung teilweise korrigiert, allerdings in einer Weise, die ein dogmatisch stimmiges System nicht mehr erkennen lässt, wie ich Ihnen nunmehr darlegen möchte:

II. Einzelheiten zur Kapitalaufbringung 1. Bar- und Sacheinlagen Ebenso wie bei der Aktiengesellschaft unterscheidet auch das GmbHRecht zwischen Bar- und Sacheinlagen. Ausgehend vom Grundsatz der Bareinlagepflicht17 sind nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG nur offene, im _______________

12 Zum gesetzlichen Kapitalschutz in der GmbH seit 1892 zusammenfassend Bayer, ZGR 2007, 220, 222 ff. m. w. N. 13 Überblick bei Bayer, ZGR 2007, 220, 224 ff. 14 BGHZ 28, 77, 78. 15 BGHZ 105, 300, 302. Das Zitat lautet wörtlich: „Der im Recht der Kapitalgesellschaften besonders wichtige und streng durchgeführte Grundsatz der Aufbringung und Erhaltung des Nennkapitals […]“. Vgl. weiter BGHZ 68, 195: „[…] das GmbH-Recht ist von dem […] Grundsatz beherrscht, dass im Interesse des redlichen Rechtsverkehrs die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals […] unbedingt gesichert sein muss.“ 16 Zusammenfassend Bayer, ZGR 2007, 220, 224 ff., 229. 17 Dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 5 Rz. 13 m. w. N.; Märtens in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 5 Rz. 61.

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Gesellschaftsvertrag ausgewiesene Sacheinlagen erfüllungstauglich.18 Eine Leistung an Erfüllungs Statt ist nicht zulässig.19 Daher bewirkt die Leistung einer anderen als der vereinbarten Sacheinlage keine Befreiung von der Einlageschuld.20 Dies gilt unabhängig vom Wert der erbrachten Leistung. An dieser Rechtslage hat sich auch durch das MoMiG nichts geändert.21 Zutreffend formulierte bereits das Reichsgericht 4 Jahre nach Inkrafttreten des GmbH-Gesetzes den Zweck der Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage wie folgt: „Das mit der GmbH verkehrende Publikum soll über die wahren wirtschaftlichen Unterlagen der Gesellschaft volle Klarheit erhalten […] (Die) wirtschaftliche Unterlage einer Gesellschaft, die mit 45000 M Barkapital beginnt, ist eine andere als die einer Gesellschaft, die mit einer (Sacheinlage) beginnt, die von den Gesellschaftern erworben ist […]“.22

a) Überbewertete Sacheinlage Anders als im Aktienrecht23 hat der historische Gesetzgeber bei der GmbH indes auf jede Wertkontrolle von Sacheinlagen und auf jede Haftung im Falle von Wertdifferenzen verzichtet.24 Die seit der GmbHNovelle von 1980 in § 9 GmbHG angeordnete Differenzhaftung wurde erst durch Rechtsprechung und Lehre schrittweise25 und praeter legem entwickelt.26 Verbunden mit diesem Verbot der Überbewertung war das _______________

18 Bayer (Fn. 17), § 5 Rz. 12; Märtens (Fn. 17), § 5 Rz. 61 ff.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 5 Rz. 14. 19 Bayer (Fn. 17), § 7 Rz. 13, § 19 Rz. 18; Veil in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 19 Rz. 102; Zum früheren Recht auch Schilling in Hachenburg, GmbHG, 6. Aufl. 1956, § 19 Anm. 20. 20 Anders, wenn die an Erfüllungs Statt erbrachte Leistung von der GmbH durch Veräußerung in Geld umgewandelt wird: Bayer (Fn. 17), § 7 Rz. 13. 21 Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 102; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 62. 22 RGZ 36, 108, 112. 23 Zur Entwicklung im Aktienrecht: Bayer (Fn. 1), Kap. 17 Rz. 6 ff., insbesondere Rz. 36 ff. 24 Näher Priester in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 159, 166 f. 25 Einschränkend etwa noch RGZ 159, 321, 336 (Differenzhaftung nur dann, wenn der vereinbarte Wert der Sacheinlage „so überhöht war, dass er nach kaufmännischen Grundsätzen nicht mehr vertretbar ist“ und „der Einbringer vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit gehandelt hat“), grundlegend BGHZ 68, 191, 196: Differenzhaftung trifft den Einleger „ohne Rücksicht darauf, ob seine Einlage willkürlich und schuldhaft unterbewertet worden ist“. 26 Bayer, ZGR 2007, 220, 226; vgl. auch schon K. Schmidt, GmbHR 1978, 5 ff.

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ebenfalls praeter legem entwickelte27 und erst mit der GmbH-Novelle 1980 kodifizierte Recht des Registerrichters zur Prüfung der Werthaltigkeit der Sacheinlage sowie die damit verbundene Pflicht zur Vorlage eines von den Gesellschaftern unterzeichneten Sachgründungsberichts sowie einschlägiger Verträge und Wertnachweise (vgl. aktuell: § 5 Abs. 4 Satz 2, § 8 Abs. 1 Nr. 4 und 5 GmbHG). Damit hat der Gesetzgeber präventiv für Sachgründungen ein hohes Schutzniveau etabliert.

b) Verdeckte Sacheinlage Diese präventive Sachgründungskontrolle kostet indes Zeit (Prüfung durch Registergericht), Aufwand (Dokumentenvorlage) und regelmäßig auch Geld (Wertgutachten). Zudem besteht die Gefahr, dass die Eintragung zurückgewiesen wird, wenn die Werthaltigkeit der Sacheinlage nicht erwiesen ist; hierzu ist der Registerrichter verpflichtet28 (vgl. § 9c Abs. 1 GmbHG). Daher hatte sich früher die Praxis verfestigt, im Gesellschaftsvertrag eine Bareinlage festzusetzen und dann anschließend den Sachgegenstand vom Gesellschafter käuflich zu erwerben, wobei der Kaufpreis mit der Einlageforderung teilweise verrechnet, teilweise Einlage und Kaufpreis aber auch hin- und hergezahlt wurden.29 Nach früher verbreiteter Ansicht war dieses „Gründungsmodell“ nicht verboten. So lesen wir noch im Jahre 1956 bei Schilling in der 6. Auflage des Hachenburg: „Der Erwerb (von Gegenständen durch die GmbH von ihren Gründern) ist auch dann gültig, wenn er bei der Gründung bereits geplant oder unter den Gründern vereinbart war. […] Daraus allein, dass nicht der Weg der Sacheinlage gewählt wurde, folgt keine Nichtigkeit (des) später […] abgeschlossenen Kaufes.“30 Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 10. November 1958 bekanntlich anders geurteilt31 und damit auch für das Recht der GmbH

_______________

27 Dazu RGZ 159, 321, 335 ff. 28 Bayer (Fn. 17), § 9c Rz. 21; Wicke in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 9c Rz. 47; Veil (Fn. 19), § 9c Rz. 39 f. 29 Zu den verschiedenen Fallgestaltungen der verdeckten Sacheinlage: Bayer ZIP 1998, 1985, 1987 ff.; Priester, ZIP 1991, 345, 352 ff.; Ulmer, ZHR 154 (1990), 128, 131 ff. 30 Schilling in Hachenburg, GmbHG, 6. Aufl. 1956, § 5 Anm. 49. 31 BGHZ 28, 314, 318 ff. (Entgelt für Übertragung einer Generallizenz auf GmbH).

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die aktienrechtlichen Präjudizien des Reichsgerichts32 bestätigt.33 Als (objektive) Umgehung der Sachgründungsvorschriften wurde das Rechtsgeschäft, das der verdeckten Einbringung der Sache zugrunde liegt, für nichtig erklärt, und die geleistete Einlagenzahlung führte aufgrund ihrer Rückzahlung als vermeintliche Gegenleistung für die verdeckt eingelegte Sache nicht zur Befreiung von der Einlageschuld.34 Der Gesellschafter war daher zur nochmaligen Zahlung der Bareinlage verpflichtet, die Gesellschaft schuldete die Herausgabe der Sache.35 Insbesondere bei zwischenzeitlicher Entwertung der Sachleistung und speziell bei Insolvenz der GmbH führte die BGH-Rechtsprechung nach verbreiteter Auffassung zu „katastrophalen“ Rechtsfolgen, zu einer „drakonischen“ Härte, zu einem „monströsen“ Ergebnis.36 Dies galt umso mehr, als nach ganz h. M. auch eine Forderung des Gesellschafters gegen die GmbH nur im Wege der Sacheinlage eingebracht werden, also nicht mit der gegenläufigen Bareinlageforderung verrechnet werden darf (und schon gar nicht zum Nominalwert).37 Zwar werden in dieser Konstellation keine aktuellen Gläubiger gefährdet – denn es fließt keine Liquidität ab und die Schulden der GmbH werden nominal verringert –, doch der Rechtsverkehr wird irregeführt, weil er den Eindruck gewinnt, der Gesellschaft werde frisches Barkapital zugeführt. Weiterhin ermöglicht allein die Anwendung der Sacheinlagevorschriften die gesetzlich geforderte präventive Wertkontrolle.38 Kritisiert wurde der BGH in der Folgezeit auch dafür, dass er die verabredete Verrechnung von Neuforderungen ebenfalls dem Recht der verdeckten Sacheinlage unterwarf,39 _______________

32 RGZ 121, 99, 102 ff. (Gründung); RGZ 157, 213, 223 ff. (Kapitalerhöhung). 33 Ausf. zur aktienrechtlichen Entwicklung Bayer (Fn. 1), Kap. 17 Rz. 86 ff. m. w. N. 34 So der BGH in st. Rspr.: BGHZ 113, 335, 339 ff.; BGHZ 132, 133, 135 ff.; BGHZ 132, 141, 144 ff.; zust. die ganz hL: Bayer in FS Kanzleiter, 2010, S. 75 ff. mzwN. 35 Zu Einzelheiten der (umstrittenen) Saldierung der Bereicherungsforderung der Gesellschaft auf Rückzahlung der vermeintlichen Gegenleistung und der Bereicherungsforderung des Gesellschafters auf Rückzahlung der erfüllungsunwirksam geleisteten (ersten) Bareinlageleistung: Lutter/Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 5 Rz. 48, 50; für die AG: Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 1. Aufl. 2008, § 27 Rz. 54, 56. 36 Nachw. bei Bayer (Fn. 1), Kap. 17 Rz. 105. 37 BGHZ 110, 47, 60 ff. (zur AG); vgl. weiter Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 66 m. w. N. 38 BGHZ 113, 335, 342 ff. (GmbH). 39 BGHZ 132, 141, 144 ff.

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auch für Cashpool-Konstellationen keine Ausnahme anerkannte,40 und einer Umgehung seiner Rechtsprechung durch Einschaltung Dritter energisch gegensteuerte.41 Wie wir alle wissen, hat der MoMiG-Gesetzgeber die scharfen Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage abgemildert. Zwar führt eine verdeckte Sacheinlage – entgegen dem Konzept der Regierungsbegründung42 – nach wie vor nicht zur Erfüllung der Bareinlageschuld43 (§ 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG). Entgegen der früheren Rechtslage sind die der verdeckten Sacheinbringung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte jedoch wirksam (§ 19 Abs. 4 Satz 2 GmbHG)44. Und insbesondere ist der Wert der verdeckt eingebrachten Sachleistung auf die fortbestehende Bareinlageschuld anzurechnen45 (§ 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG). War die verdeckte Sacheinlage im Ergebnis vollwertig, so ist die Einlageschuld getilgt; im Falle eines Minderwertes beschränkt sich die Haftung des Einlegers auf diese Wertdifferenz.46 Die Neukonzeption der verdeckten Sacheinlage durch das MoMiG wird vielfach und zu Recht kritisiert:47 Durch die Anrechnung kann die Einlageschuld entgegen der handelsregisterlichen Verlautbarung auch durch Einbringung eines Sachwerts getilgt werden. Die gesetzlich vorgeschriebene Transparenz der Sacheinbringung wird ebenso vermieden wie eine mögliche Wertprüfung durch das Registergericht. Die Regelung der verdeckten Sacheinlage ist inkompatibel mit der gesetzlichen Konzeption der Präventivkontrolle. _______________

40 BGHZ 166, 8, 15 f. (Cashpool I); zust. Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 449 ff. 41 BGHZ 125, 141, 144 ff.; BGHZ 132, 133, 136 ff.; BGHZ 153, 107, 111; BGHZ 166, 8, 15; vgl. aber auch BGHZ 171, 113 ff.; zusammenfassend Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 72 ff. m. w. N. 42 BegrRegE BT-Drucks. 16/6140, S. 40 f. 43 Für alle: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 77. 44 Für alle: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 80. 45 Zur umstrittenen Dogmatik der Anrechnungslösung: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 83 m. w. N. 46 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 78; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 137; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 243 f. 47 Bayer, ZGR 2007, 220 ff.; Bayer, GmbHR 2010, 75 ff.; Ulmer, ZIP 2008, 45, 50 ff.; Habersack in FS Priester, 2007, S. 157 f.; Veil, ZIP 2007, 1241 ff.; K. Schmidt, GmbHR 2008, 449 ff.; Pentz, GmbHR 2009, 505, 511 f.; Pentz in FS K. Schmidt, 2009, S. 1265 ff.; Büchel, GmbHR 2007, 1065, 1070; vgl. auch Westermann (Fn. 8), Einl. Rz. 58; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 118 f.; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 168 f.

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Für den Gesellschafter hat die Umgehung der Sacheinlagevorschriften nur Vorteile: Ist die Sacheinlage werthaltig, so spart er Zeit, Aufwand und Geld. Ist die Sacheinlage minderwertig, so vermeidet er das Risiko, dass die Eintragung der Gründung oder Kapitalerhöhung abgelehnt wird. Er kann zudem hoffen, dass die Gesetzesumgehung unbemerkt bleibt. Wird der Sachverhalt später aufgedeckt, so zahlt er maximal die Wertdifferenz nach. Er steht somit nicht schlechter, als wenn er von vornherein eine vollwertige Einlage geleistet hätte. Ein Anreiz zu gesetzeskonformem Verhalten besteht für den Gesellschafter somit nicht. An diesem Ergebnis ändert auch die Tatsache nichts, dass dem Einleger die Beweislast für die Werthaltigkeit auferlegt ist (§ 19 Abs. 4 Satz 5 GmbHG). Denn diesen Nachweis hätte er auf im regulären Sachgründungsverfahren gegenüber dem Registergericht erbringen müssen. Da verdeckte Sacheinlagen nach wie vor verboten sind, der Geschäftsführer somit rechtswidrig handelt, wenn er bei der Anmeldung die ordnungsgemäße Einlagenleistung versichert (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG),48 benachteiligt die Privilegierung des MoMiG den gesetzestreuen Gesellschafter gegenüber dem Gesetzesbrecher. Die Verantwortung wird auf den Geschäftsführer abgeschoben: Er haftet für falsche Angaben und macht sich überdies strafbar, im Falle einer späteren Verurteilung wird er für 5 Jahre vom Geschäftsführeramt ausgeschlossen.49

c) Leistung an Erfüllungs Statt Leistet der Gesellschafter ohne Vorabsprache eine Sacheinlage statt der geschuldeten Bareinlage oder leistet er eine andere als die vereinbarte Sache, so hat im Falle einer solchen – auch nach dem MoMiG nach wie vor unzulässigen – Leistung an Erfüllungs Statt eine Wertanrechnung analog § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG zu erfolgen.50 Denn jedes andere Ergebnis wäre wertungswidersprüchlich.51 Gleiches hat zu gelten, wenn _______________

48 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 85; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 226; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 159; Hueck/Fastrich (Fn. 18), § 19 Rz. 54; Casper in Ulmer, GmbHG, Ergänzungsband MoMiG, 2010, § 19 Rz. 30. 49 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 85 m. w. N. und ganz h. M.; a. A. Altmeppen, ZIP 2009, 1545, 1549 f. 50 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 70. 51 So auch Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 62; Hueck/Fastrich (Fn. 18) § 19 Rz. 53; Casper (Fn. 48), § 19 Rz. 12; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 102; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 19 Rz. 25, 45; für direkte Anwendung Heinze, GmbHR 2008, 1068, 1069; a. A. nur Maier-Reimer, ZIP 2009, 1185, 1196.

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die Festsetzung der Sachleistung im Gesellschaftsvertrag unrichtig oder unvollständig war.52

d) Zusammenfassung Die gesetzliche Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage kann ihren Zweck, nämlich die Unterrichtung des Publikums über die wirtschaftlichen Grundlagen der GmbH, nur noch eingeschränkt erfüllen. Die Präventivkontrolle durch das Registergericht ist ausgehöhlt. Die Auferlegung einer Differenzhaftung sanktioniert Gesetzesverstöße gegenüber dem Gesellschafter nur noch an der unabdingbaren Mindestgrenze, so dass eine Chancen- und Risikoabwägung zu dem Ergebnis kommen kann, dass sich der Rechtsbruch lohnt. Die laxe Reaktion des Gesetzgebers auf die Umgehung der Sachgründungsvorschriften wirft die Frage auf, ob es rechtspolitisch sinnhaftig ist, im Recht der GmbH an der Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage festzuhalten.53

2. Hin- und Herzahlen/Her- und Hinzahlen a) Rechtslage vor MoMiG Führt die Leistung des verdeckten Sacheinlegers im Regelfall immerhin noch zu einem Vermögenszufluss an die Gesellschaft, so gilt dies nicht beim Hin- und Herzahlen. Daher war in der Vor-MoMiG-Zeit anerkannt, dass die Einlageschuld nicht getilgt wird, wenn die Zahlung der Bareinlage kurzerhand wieder an den Gesellschafter ausgekehrt wird, nunmehr deklariert als Darlehen.54 Der BGH hatte völlig Recht, wenn er in BGHZ 165, 113 im ersten Leitsatz feststellte: „Beim Hin- und Herzahlen eines Bareinlagebetrages leistet der Inferent unter dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung nichts. Dies gilt auch, wenn die ‚Herzahlung‘ als ‚Darlehen‘ bezeichnet wird; eine entsprechende ‚Darlehensabrede‘ ist nichtig.“ Der II. Zivilsenat55 folgte damit einer bereits _______________

52 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 70; Casper (Fn. 48), § 19 Rz. 46; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 102. 53 Hierzu abl. im MoMiG-Gesetzgebungsverfahren bereits: Goette, Stellungnahme für Rechtsausschuss S. 6, abrufbar unter http://webarchiv.bundestag. de/cgi/show.php?fileToLoad=1099&id=1118. 54 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 101; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 280; Ulmer in Ulmer, GmbHG, 2005, § 19 Rz. 118 ff. 55 BGHZ 165, 113, 116 f.; bestätigt durch BGHZ 165, 352, 356; dazu Bayer/ Graff, WuB II A. § 54 AktG 1.06.

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zuvor im Schrifttum vertretenen Auffassung.56 Diese Rechtsprechung wurde in der Folgezeit mehrfach bestätigt und insbesondere auch auf Einlageleistungen in einen Cashpool erstreckt.57

b) Rechtslage nach MoMiG Auch diese Rechtsprechung stieß auf Kritik, die vom Gesetzgeber erhört wurde. Mit § 19 Abs. 5 GmbHG wurde eine neue Regelung geschaffen, die insbesondere das in der Praxis verbreitete und auch nach Auffassung des Gesetzgebers „ökonomisch sinnvolle“ Cashpooling ermöglichen soll.58 Trotz Rückzahlung der Bareinlageleistung ist die Einlageschuld nach heutiger Rechtslage erfüllt, wenn Deckung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch besteht, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden kann.59 Auch diese MoMiG-Reform überzeugt rechtspolitisch nicht.60 Noch mehr als die Neuregelung zur verdeckten Sacheinlage widerspricht sie dem Prinzip der realen Kapitalaufbringung: Denn „eingebracht“ wird in die Gesellschaft real nichts. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat bewusst in Kauf genommen,61 dass der „starke“, gesellschaftsrechtlich durch Kaduzierung und Ausfallhaftung der Mitgesellschafter (§§ 22, 24 GmbHG),62 Ersatzhaftung eines Anteilserwerbers (§ 16 Abs. 2 GmbHG)63 sowie zusätzlich durch das Aufrechnungsverbot gem. § 19 Abs. 2 GmbHG64 geschützte Anspruch auf Zahlung der Bareinlage gegen einen „schwachen“ schuldrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr der Rück_______________

56 Bayer, GmbHR 2004, 445, 452. 57 BGHZ 166, 8 ff.; zust. Bayer/Lieder, GmbHR 2006, 449 ff.; vgl. auch Altmeppen, ZIP 2006, 1025 ff.; J. Vetter/Schwandtner, Konzern 2006, 407 ff. 58 So BegrRegE BT-Drucks. 16/6140, S. 34, 40. 59 Siehe nur Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 103 m. w. N. 60 Kritik bei: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 104; Breitenstein/Meyding, BB 2007, 1457, 1459; Bormann, GmbHR 2007, 897, 902; Gehrlein, Der Konzern, 2007, 771, 782; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1447; Priester, ZIP 2008, 55; K. Schmidt, GmbHR 2008, 449, 451 ff.; Goette, WPg 2008, 231, 235; Wachter, NotBZ 2008, 361, 368; Pentz, GmbHR 2009, 505, 511 f.; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 284 f. 61 Siehe BegrRegE MoMiG, BR-Drucks. 354/07, S. 79. 62 Zur Höhe: Bayer (Fn. 17), § 24 Rz. 4. 63 Ausf. Bayer (Fn. 17), § 16 Rz. 41 ff.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 16 Rz. 184 ff.; Löbbe in Ulmer, GmbHG, Ergänzungsband MoMiG, 2010, § 16 Rz. 94 ff. 64 Dazu Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 24 ff.; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 71 ff.; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 79 ff.; Hueck/Fastrich (Fn. 18), § 19 Rz. 30 ff.

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zahlung ausgewechselt wird,65 ein Anspruch der allein basiert auf der ex ante objektiv festgestellten zukünftigen Leistungsfähigkeit des Einlageschuldners. Das Prognoserisiko für den Ausfall des Rückgewähranspruchs wird vom Gesellschafter auf die Gesellschaft und deren Gläubiger verlagert; begünstigt werden neben dem Einlageschuldner die Mitgesellschafter und künftige Anteilserwerber. Trotz formelhaftem Bekenntnis zum tradierten System der Kapitalaufbringung66 hat der MoMiG-Gesetzgeber mit der Anerkennung eines Einlageschuld-befreienden Hin- und Herzahlens jegliche Grenze seriöser Dogmatik endgültig überschritten. Denn wie kann es sein, dass ein Hin- und Herzahlen zur schuldbefreienden Einlageleistung führt, wenn die GmbH nach dieser Transaktion weniger in der Hand hält als vorher? Der MoMiG-Gesetzgeber hat den Systembruch erkannt, sieht indes in seiner Regelung „einen angemessenen Ausgleich zwischen Gesellschafts- und Gläubigerinteressen“.67 Der Widerspruch des MoMiG zum tradierten System der realen Kapitalaufbringung lässt sich nicht auflösen, sondern nur abmildern. Diesen Weg hat offenkundig die h. M. beschritten, indem sie strenge Anforderungen an die tatbestandlichen Voraussetzungen stellt.68 Und insbesondere der BGH versucht die gesetzliche Regelung dadurch einzuschränken, dass er die in § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG geforderte Offenlegung des Hin- und Herzahlens im Rahmen der Anmeldung zur konstitutiven Voraussetzung für die Erfüllungswirkung erklärt.69 Dieser _______________

65 So zutreffend die h. M.: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 121; Hueck/Fastrich (Fn. 18), § 19 Rz. 83, § 19 Rz. 193; Casper (Fn. 51), § 19 Rz. 111; Goette, GmbHR 2009, 51, 53; Bormann, GmbHR 2007, 897, 902; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 782; Schall, ZGR 2009, 125, 140; Pentz, GmbHR 2009, 505, 510 f.; Herrler, DB 2008, 2347, 2348; a. A. Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 319; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 193; Roth (Fn. 51), § 19 Rz. 108 (nur § 19 Abs. 2 anwendbar); Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 19 Rz. 178. 66 BegrRegE MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 1. 67 BegrRegE MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 35. 68 Zu den Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 114 ff.; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 177 ff.; Casper (Fn. 51), § 19 Rz. 99 ff.; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 288 ff.; vgl. zur Parallelvorschrift des § 27 Abs. 4 AktG: Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rz. 98 ff.; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 27 Rz. 40 ff.; Heidinger/Herrler in Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rz. 219 ff.; dazu jüngst auch Illhardt, Die Einlagenrückzahlung nach § 27 Abs. 4 AktG im System der nationalen und europäischen Kapitalaufbringung, 2012. 69 BGHZ 180, 38 Rz. 16 – Qivive; BGHZ 182, 103 Rz. 25 – Cash-Pool II.

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Standpunkt ist auch im Schrifttum weit verbreitet70 und hat auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellige Zustimmung erfahren71. Dennoch ist die BGH-Rechtsprechung nicht zweifelsfrei und stößt im Schrifttum nach wie vor auch auf verbreitete Ablehnung.72 Hauptargument ist der Wortlaut von § 19 Abs. 5 Satz 1, der eine Erfüllungswirkung bei vollwertigem Rückgewähranspruch ausspricht, während die Offenlegung in Satz 2 als eigenständige Pflicht angeordnet ist, was nahe legt, dass ein Zuwiderhandeln nur haftungs- und strafrechtliche Sanktionen für den Geschäftsführer zur Folge hat. Ich will diese vielfach behandelte Streitfrage hier nicht nochmals vertiefen. Hinweisen möchte ich vielmehr auf die Konsequenzen: Nach der Gesetzessystematik führt der Gesetzesverstoß bei der verdeckten Sacheinlage rechtlich nicht zur Erfüllung, bei Werthaltigkeit der Sacheinlage im wirtschaftlichen Ergebnis aber schon. Beim Hin- und Herzahlen führt hingegen das Unterlassen der Anmeldung auch bei Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs nach Auffassung der h. M. stets zur Nichterfüllung der Einlageschuld. Im einen Fall wird der Prävention durch die registergerichtliche Prüfung konstitutive Bedeutung beigemessen, im anderen Fall hingegen nicht. Ein schlüssiges Gesamtkonzept kann ich hier nicht erblicken. Nach h. M. setzt die Anwendung des § 19 Abs. 5 GmbHG zunächst die tatsächliche Leistung der Bareinlage voraus.73 Diese Auffassung kann sich zum einen auf den Wortlaut stützen („Rückzahlung“), zum anderen auf das Argument, dass der Einleger so zumindest kurzfristig über die Barmittel real verfügen muss.

_______________

70 Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 187; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 315; Casper (Fn. 51), § 19 Rz. 108; Ebbing (Fn. 65), § 19 Rz. 175; Wälzholz, GmbHR 2008, 841, 846; Markwardt, BB 2008, 2414, 2419; Heckschen, DStR 2009, 166, 173; Pentz, GmbHR 2009, 505, 511. 71 OLG Düsseldorf GmbHR 2012, 1135; OLG Schleswig GmbHR 2012, 908; OLG Koblenz GmbHR 2011, 579, 580; OLG Nürnberg ZIP 2010, 2300; OLG München GmbHR 2011, 422 f.; OLG Stuttgart ZIP 2011, 1959 (zur AG). 72 Hueck/Fastrich (Fn. 18), § 19 Rz. 80; Roth (Fn. 51), § 19 Rz. 113; Altmeppen, ZIP 2009, 1545, 1547 f.; Lieder, GmbHR 2009, 1179; Herrler, DStR 2011, 2255, 2257; Roth, NJW 2009, 3397; Schockenhoff/Wechsler-Uhlich, NZG 2009, 1327. 73 OLG Stuttgart GmbHR 2012, 215; Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 107; Illhardt, DZWiR 2011, 524, 525; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 288; wohl auch Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 177 a. E.; a. A. Herrler, DStR 2011, 2255, 2260.

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Findet man diese Argumentation überzeugend, dann wird es allerdings schwierig, den umgekehrten Fall des Her- und Hinzahlens gleichsinnig zu entscheiden: Denn hier leistet zuerst die Gesellschaft an den Einleger – etwa ein Darlehen aus dem ungebundenen Vermögen –, und der Gesellschafter verwendet dann diese Mittel zur Leistung der Bareinlage. Eine solche Vorfinanzierung der Kapitalerhöhung durch die GmbH selbst war nach früherem Recht unzulässig;74 heute wird die Vorschrift des § 19 Abs. 5 GmbHG auf diese Konstellation von BGH und hL hingegen analog angewandt.75 Trotz Bedenken76 wird man wohl nicht anders entscheiden können: Denn sowohl beim Her- und Hinzahlen als auch beim Hin- und Herzahlen verbleibt am Ende allein ein einfacher schuldrechtlicher Anspruch bei der GmbH. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Regelung des § 19 Abs. 5 GmbHG ist ein gravierender Einbruch in das System der realen Kapitalaufbringung. Bei prognostizierter und gegenüber dem Registergericht nachgewiesener Bonität des Schuldners wird die Einlageleistung zur Formsache. Der Systembruch lässt sich allein dadurch abmildern, dass an die tatbestandlichen Voraussetzungen der Erfüllungswirkung strenge Maßstäbe angelegt werden, was offenkundig der Weg ist, den die h. M. beschreitet. Der Zwang zur Offenlegung wird in Zweifelsfällen abschreckend wirken und den Anwendungsbereich der Regelung zusätzlich einschränken. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass das gleiche Ergebnis – dass nämlich bei wirtschaftlicher Betrachtung allein ein schuldrechtlicher Anspruch der GmbH gegen ihren Gesellschafter eingebracht wird – auf dem Weg einer (offenen) Sacheinlage nicht erreicht werden kann, obgleich auch im Sachgründungsverfahren mit Gründungsbericht und Werthaltigkeitskontrolle eine präventive Registerkontrolle stattfinden würde. Vielleicht muss angesichts des MoMiG die h. M., die

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74 Für alle: BGH GmbHR 2006, 982, 983 m. zust. Anm. Bayer/Graff, WuB II C. § 55 GmbHG 1.07; Lutter/Bayer (Fn. 35), § 19 Rz. 11, 14. 75 BGHZ 184, 158 = GmbHR 2010, 421 Rz. 24 – Eurobike m. Anm. K. Müller, GmbHR 2010, 424 sowie Anm. Bayer/Fiebelkorn, LMK 2010, 304619 und Lieder, EWiR 2010, 169; vgl. weiter Bayer/Lieder, NZG 2010, 86, 89 f.; MaierReimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449, 1454; Herrler, DB 2008, 2347, 2348; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 177. 76 Abw. Hueck/Fastrich (Fn. 18), § 19 Rz. 75; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 289.

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bislang einhellig die Sacheinlagefähigkeit eines solchen Anspruchs ablehnt77, überprüft werden.

c) Speziell: Cashpool Ungeachtet der rechtspolitischen Kritik an der Regelung des § 19 Abs. 5 GmbHG kommt erschwerend hinzu, dass der Gesetzgeber seine erklärte Zielsetzung, nämlich das Cashpooling rechtssicher zu ermöglichen, aufgrund handwerklicher Mängel verfehlt hat. Denn wie auch der BGH in seiner Cash-Pool II-Entscheidung78 zutreffend ausgeführt hat, kann der Rückfluss der Bareinlage in den konzernweiten Cashpool als vollwertiges Darlehen der GmbH-Tochter an die Mutter nur dann die Erfüllung der Einlageschuld bewirken, wenn der Cashpool im Zeitpunkt der Mittelzuführung für die GmbH-Tochter einen positiven Saldo aufweist.79 War der Saldo indes negativ, gewährte also der Cashpool der GmbHTochter Kredit, so bedeutet die Bareinlageleistung mit anschließender Verrechnung im Cashpool, dass die Mutter im Rahmen der Kapitalerhöhung ihre Darlehensforderung gegen die Tochter eingebracht hat; und da dies ohne Sacheinlageprüfung erfolgte, handelt es sich hier um eine unzulässige verdeckte Sacheinlage.80 Zwar findet nunmehr eine Wertanrechnung statt; dennoch hat der Tochter-Geschäftsführer eine falsche Anmeldung abgegeben und sich zudem strafbar gemacht.81 Im Schrifttum wird daher zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass bei der technischen Durchführung der Kapitalerhöhung unbedingt auf den Saldenstand im Cashpool Rücksicht genommen werden muss.82 Eine für die Praxis rechtssichere Regelung sieht anders aus.83 _______________

77 BGHZ 180, 38 Rz. 10 – Qivive; Bayer (Fn. 17), § 5 Rz. 15; Märtens (Fn. 17), § 5 Rz. 109 ff.; Zeidler in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 5 Rz. 85 ff. 78 BGHZ 182, 103 Rz. 11. 79 So auch die ganz hL: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 131; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 166 jeweils m. w. N. 80 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 130; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 193, 297; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 166; Casper (Fn. 48), § 19 Rz. 115. 81 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 130; Casper (Fn. 48), § 19 Rz. 115; Maier-Reimer/ Wenzel, ZIP 2008, 1449, 1545. 82 Instruktiv mit „Prüfschema“: Kupjetz/Peter, GmbHR 2012, 498 ff. 83 Zur Kritik am Cashpool-Regelungsmodell auch Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 168; Casper (Fn. 48), § 19 Rz. 115; Lieder, GmbHR 2009, 1177, 1185; ausf. (für AG) auch Illhardt (Fn. 68), S. 45 ff., 299 ff.

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3. Dienstleistungen Ansprüche auf Dienstleistungen sind nach ganz h. M. nicht einlagefähig, und zwar sowohl im Hinblick auf Dienstleistungen des Inferenten oder eines Mitgesellschafters als auch im Hinblick auf Dienstleistungen eines Dritten84, und zwar unabhängig, ob der Anspruch übertragbar ist oder nicht85. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass Dienstleistungen des Inferenten nicht wirtschaftlich zur Einlageleistung eingesetzt werden könnten. Das Gegenteil wissen wir seit der Qivive- und der Eurobike-Entscheidung des BGH: Dort wurde festgehalten, dass Dienstleistungen de lege lata nicht einlagefähig sind, was bedeutet, dass die Rückzahlung der geleisteten Bareinlage zur Vergütung erbrachter Dienste keine Umgehung der Sachgründungsvorschriften darstellt und folglich nicht als unzulässige verdeckte Sacheinlage zu qualifizieren sei86 (Hin- und Herzahlen). Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, dass die von der Gesellschaft gezahlte Vergütung zur Einlageleistung verwendet wird (Her- und Hinzahlen).87 Dem BGH ist im Ausgangspunkt uneingeschränkt zu folgen. Die Rechtsfigur der verdeckten Sacheinlage kann mangels Vergleichbarkeit nicht analog angewendet werden.88 Allein die weitere Konsequenz, dass nach Auffassung des BGH das Kapitalaufbringungsrecht generell nicht zur Anwendung gelangen solle, vielmehr die Lösung rechtskonstruktiv über die Kapitalerhaltung zu suchen sei, überzeugt de lege lata nicht: Dass gerade solche Geschäfte zwischen GmbH und Gesellschafter, die nichteinlagefähige Gegenstände betreffen und daher aus Gläubigersicht besonders gefährlich sind, von den Vorschriften der Kapitalaufbringung ausgenommen werden sollen, ist evident widersprüchlich.89 _______________

84 Abw. Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 122. 85 BGHZ 180, 38 Rz. 12 – Qivive; bestätigt BGHZ 184, 158 Rz. 15 f. – Eurobike; Bayer (Fn. 17), § 5 Rz. 18; Hueck/Fastrich (Fn. 18), § 5 Rz. 27; Veil (Fn. 19), § 5 Rz. 51; a. A. (für AG) Hüffer (Fn. 68), § 27 Rz. 22; Heidinger/Herrler (Fn. 68), § 27 Rz. 31 (bei Übertragbarkeit). 86 BGHZ 180, 38 Rz. 9 – Qivive. 87 BGHZ 184, 158 Rz. 24 – Eurobike. 88 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 59; ausf. Bayer/Lieder, NZG 2010, 86, 87 m. w. N.; a. A. noch Pentz, GmbHR 2009, 505, 508 f.; Priester, DNotZ 2010, 456, 463 f.; vgl. auch Herrler, NZG 2010, 407, 409. 89 Kritik daher bereits bei Pentz, GmbHR 2009, 505, 508 f.; Priester, DNotZ 2010, 456, 465; K. Müller, GmbHR 2010, 424, 425; vgl. weiter Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 60; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 179.

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Sachgerechter wäre zweifelsohne die Überprüfung der Angemessenheit der Vergütung in einem Sachgründungsverfahren. Dafür fehlt zur Zeit indes jede gesetzliche Grundlage. Zu fordern ist aber bereits de lege lata, dass die Dienstleistung für die GmbH jedenfalls sinnvoll war und auch nicht unangemessen vergütet wurde.90 Allein der Umstand, dass die geleistete Bareinlage nicht für die Vergütung reserviert war – so noch der BGH in Qivive91 – kann dagegen nicht ausreichen.92

4. Zwischenergebnis Die im Großen und Ganzen überwiegende Zustimmung zur „wirtschaftlichen Einlagefähigkeit“ von Dienstleistungen nach Maßgabe der Qivive- und Eurobike-Rechtsprechung untermauert allerdings die bereits oben geäußerte Kritik an der Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage: Wenn es sogar bei der Verwendung der Bareinlage für einen nicht-einlagefähigen Gegenstand im Kern allein darauf ankommen soll, dass die Leistung des Gesellschafters angemessen vergütet wurde und aus dem freien Vermögen der GmbH finanziert wurde, ohne dass eine registergerichtliche Wertkontrolle stattfindet, dann fehlt für eine solche Präventivkontrolle bei einer offenen Sachgründung oder Sachkapitalerhöhung jegliche Rechtfertigung. Und weiter gedacht: Die Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage kann dann auch ganz aufgegeben werden. Was jeder Gesellschafter einzubringen hat, kann allein dem Gesellschaftsvertrag überlassen bleiben. Ausreichend, aber auch erforderlich, ist allein der Nachweis, dass der zugesagte Einlagewert auch tatsächlich dem Vermögen der GmbH zugeführt wurde. Mehr können auch die GmbH-Gläubiger nicht erwarten: Fällt die Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage weg, würde also der Einlagegegenstand in den Handelsregister-Akten künftig nicht mehr ausgewiesen, dann entfällt auch jede Gefahr einer Irreführung der Gläubiger. Heute ist das Gegenteil der Fall: Die (informierten) GmbH-Gläubiger vertrauen auf die Zuführung frischer Barmittel in die Gesellschaft, weil _______________

90 So bereits Bayer/Lieder, NZG 2010, 86, 88 f. 91 BGHZ 180, 38 Rz. 17 – Qivive; vgl. aber auch BGHZ 184, 158 Rz. 24 – Eurobike. 92 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 59; vgl. bereits Bayer/Lieder, NZG 2010, 86, 88; im Ergebnis übereinstimmend Herrler, NZG 2010, 407, 408 f.; Pentz, GmbHR 2009, 505, 508 f.; Priester, DNotZ 2010, 456, 465; K. Müller, GmbHR 2010, 424, 425; Märtens (17), § 19 Rz. 179.

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dieser Sachverhalt in den Handelsregister-Akten dokumentiert ist. In Wirklichkeit werden die Barmittel verwendet, um vom Einleger verdeckt eine Sache zu erwerben oder geleistete Dienste zu vergüten, alles ohne registergerichtliche Kontrolle und Wertprüfung. Die GmbH-Gläubiger sind sicherlich genauso überrascht, wenn der Gesellschafter seine Einlage umgehend als Darlehen zurück erhält. Häufen sich aber die Durchbrechungen der Registerwahrheit und bestehen starke Anreize, das gesetzliche Modell der präventiven Kapitalaufbringung zu unterlaufen, dann drängt sich in der Tat die Frage auf, ob der Gesetzgeber mit dem MoMiG zu weit gegangen ist und umdrehen sollte – oder ob er den Weg, den er beschritten hat, um nach seiner Ansicht unangemessene Ergebnisse zu verhindern und den Bedürfnissen der Praxis entgegen zu kommen, weiter voranschreiten und alle Hindernisse aus der alten Welt der tradierten Kapitalaufbringung endgültig beseitigen sollte: eben aus dem Grund, weil ihnen keine große Bedeutung mehr zukommt und sich ein angemessener Gläubigerschutz auch auf einfachere Art und Weise bewerkstelligen lässt.

5. Wirtschaftliche Neugründung Ganz auf der Linie dieser Überlegungen liegt auch die neue BGH-Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Neugründung. Rekapitulieren wir kurz: Wird ein Vorratsmantel oder ein gebrauchter GmbH-Mantel „aktiviert“, so ist die Geschäftsführung verpflichtet, diese Ausstattung der GmbH mit einem (neuen) Unternehmen dem Registergericht anzuzeigen; dabei haben die Geschäftsführer zu versichern, dass sich das satzungsmäßige Stammkapital zu ihrer freien Verfügung befindet.93 Dies steht so nicht im Gesetz, wurde indes so vom BGH in zwei Grundsatzentscheidungen aus den Jahren 2002 und 2003 im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung angeordnet, um auf diese Weise eine präventive Kontrolle zu ermöglichen und ausgemachte Schutzlücken zu schließen.94 Wird die Anzeige der wirtschaftlichen Neugründung unterlassen, so trifft die Gesellschafter eine Unterbilanzhaftung, bezogen auf den Zeitpunkt der Aktivierung der Gesellschaft. Eine spätere Vergröße-

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93 Einzelheiten bei Bayer (Fn. 17), § 3 Rz. 13 ff.; Wicke (Fn. 28), § 3 Rz. 24 ff.; Emmerich in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 3 Rz. 21 ff. 94 BGHZ 153, 158; BGHZ 155, 318; zur Entwicklung Bayer in FS Goette, 2010, S. 15, 16 ff.

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rung der Unterdeckung schadet den Gesellschaftern nach Auffassung des II. Zivilsenats hingegen nicht.95 Der BGH ist heute explizit der Auffassung, dass diese stichtagsbezogene Unterbilanzhaftung die angemessene und ausreichende Sanktion für die unterlassene Anzeige sei.96 Dies mag man so sehen.97 Im Ergebnis bleibt die Missachtung der Anzeigepflicht dann aber sanktionslos: Denn wäre die Anzeige erfolgt, so hätte auf Nachfrage des Registergerichts die Deckung der Stammkapitalziffer nachgewiesen werden müssen. Bestand im Zeitpunkt der Mantelaktivierung eine Unterbilanz, dann führt die spätere Unterbilanzhaftung allein dazu, dass die Differenz aufgefüllt wird; der Verstoß gegen die Anzeigepflicht wird hingegen nicht sanktioniert, und zwar im Unterschied zur verdeckten Sacheinlage98 nicht einmal durch eine Strafandrohung gegenüber der Geschäftsführung.99 Der Ratschlag an alle wirtschaftlichen Neugründer kann daher nur lauten: Keine schlafenden Hunde wecken, ja keine Anzeige an das Registergericht! Auch die Registerrichter werden sich für die Befolgung dieses Ratschlags freuen, konnten sie sich doch mit der BGH-Linie nie richtig anfreunden. Sollte der Sachverhalt später aufgedeckt werden, droht dem wirtschaftlichen Neugründer nach h. M. somit nicht mehr als die spätere Nachholung der Stammkapitalauffüllung. 10 Jahre nach der „Entdeckung“ der Rechtsfigur der „wirtschaftlichen Neugründung“100 bleibt somit nur eine stichtagsbezogene Unterbilanzhaftung, die allein dann relevant wird, wenn die Gesellschaft insolvent wird und nach Verfahrenseröffnung ein Insolvenzverwalter den Anspruch geltend macht. Die vom BGH (ursprünglich) geforderte Präventivkontrolle läuft hingegen ins Leere. _______________

95 So BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630; dazu (kritisch) Bayer, EWiR 2012, 347. 96 BGHZ 192, 341 Rz. 27. 97 So auch weite Teile des Schrifttums: Roth (Fn. 51), § 3 Rz. 14c; Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1267 ff.; Adolff, VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 49, 87 f.; Habersack, AG 2010, 845, 849 f.; Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 200 f.; Peetz, GmbHR 2011, 178, 181; Giedinghagen/Rulf, GmbHR 2012, 637 f.; vgl. weitere Nachweise in BGHZ 192, 341 Rz. 22. 98 Dazu oben II. 1. b). 99 AllgM: Bayer (Fn. 17), § 3 Rz. 26; Emmerich (Fn. 93), § 3 Rz. 32 jeweils m. w. N. 100 Kritisch zum Begriff bereits: K. Schmidt, NJW 2004, 1345, 1350 f.; Priester, ZHR 168 (2004), 248, 257.

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Nimmt man den Grundsatz der realen Kapitalaufbringung (noch) ernst, dann müsste man den BGH dafür tadeln, dass er die unterlassene Offenlegung nicht weiter sanktionieren will.101 Ausgehend von der mit dem MoMiG getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung, das tradierte Kapitalschutzsystem Stück für Stück aufzubrechen, ist die Kehrtwende des BGH indes konsequent und ein weiteres Signal an den Gesetzgeber, die Kapitalaufbringung zu vereinfachen.102

6. Voreinzahlung bei Kapitalerhöhung Waren meine bis hierhin aufgezeigten Beispiele dadurch geprägt, dass Verstöße gegen die Regeln der Kapitalaufbringung nur in der Weise sanktioniert wurden, dass der Einleger das nachzuleisten hat, was er bei rechtmäßigem Verhalten auch hätte leisten müssen, so werden vorzeitige Einzahlungen auf später beschlossene Kapitalerhöhungen nach wie vor mit unerbittlicher Härte geahndet. Betrachten wir uns etwa folgendes Beispiel: Am 17. Mai wird eine Kapitalerhöhung über 200.000 Euro beschlossen. Bereits am 9. Mai war die Summe auf das im Debet befindliche Geschäftskonto der GmbH überwiesen worden, um dringende Gesellschaftsschulden zu begleichen. Aufgrund der Debet-Verrechnung war der Kapitalerhöhungsbetrag am Tag der Beschlussfassung nicht mehr im Vermögen der GmbH vorhanden. 7 Jahre später wurde die Gesellschaft insolvent und der Insolvenzverwalter verklagte den Einleger erfolgreich auf nochmalige Zahlung der 200.000 Euro.103 Der BGH begründete seine Entscheidung wie folgt: „Eine Voreinzahlung, die – wie im Streitfall – im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung bereits verbraucht ist, kann […] angesichts der überragenden Bedeutung, die das Gesetz der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung als Korrelat der Haftungsbeschränkung […] beimisst […], keine Tilgungswirkung entfalten. Würde man derartige Vorleistungen […] zulassen, bestünde die Gefahr, dass die geschuldete Bareinlage durch die als Sacheinlage anzusehende Rückzahlungsforderung des Gesellschafters aus der rechtsgrundlos verfrühten _______________

101 Auf dieser Grundlage daher noch die Ausführungen bei Bayer (Fn. 94), S. 15, 22 f.; vgl. auch Bayer, EWiR 2012, 347 f. (jedoch bereits mit „Verständnis“ für die Rechtsfolgenbegrenzung des BGH). 102 Ähnlich bereits Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1295. 103 BGHZ 168, 201.

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Leistung ersetzt würde, […] ohne dass die der Sicherstellung und Kontrolle der Werthaltigkeit der Sacheinlage dienenden Vorschriften beachtet werden müssten“.104 Dogmatisch ist gegen diese, noch aus der Vor-MoMiG-Zeit stammende Entscheidung nichts einzuwenden. Möglicherweise konnte der Einleger sogar gegen den die Kapitalerhöhung beurkundenden Notar Regress nehmen. Rechtspolitisch stellen sich indes allerhand Fragen: Hinweisen möchte ich zunächst nur auf die Parallele zur verdeckten Sacheinlage: Während dort der Gesetzgeber die Rechtsfolge der Nochmal-Leistung sogar für den vorsätzlichen Gesetzesbrecher wegen ihrer drakonischen Härte korrigiert hat, wird hier ein Gesellschafter, der möglicherweise in Unkenntnis der Rechtslage seine Einzahlung eine Woche zu früh erbracht hat, vom BGH unter Hinweis auf die überragende Bedeutung der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und die Wichtigkeit der präventiven Registerkontrolle mit aller Schärfe sanktioniert. Ein Widerspruch? Sie könnten jetzt darauf hinweisen, dass mein Beispiel aus dem Jahre 2006 stammt, so dass man daran denken könnte, der BGH würde heute anders entscheiden. Dies ist indes nicht der Fall. Ein aktuelles Urteil vom 10. Juli 2012 bestätigt vielmehr die bisherige ständige Rechtsprechung:105 Die vorzeitige Einzahlung hat keine Erfüllungswirkung; der Gesellschafter muss nochmals leisten. Auch nahezu das gesamte Schrifttum steht auf diesem Standpunkt106 – und wie gesagt zu Recht, denn die aktuelle Dogmatik lässt anscheinend keinen Ausweg. Denn der Gesellschafter hat – wie der BGH zutreffend ausführt107 – in Erfüllung der beschlossenen Kapitalerhöhung lediglich seine Bereicherungsforderung auf Rückzahlung der rechtsgrundlos geleisteten vorzeitigen Einzahlung eingebracht, und zwar im Wege einer verdeckten Sacheinlage. Zur Anwendung kommt daher heute die Anrechnungslösung: Soweit die Bereicherungsforderung werthaltig war, kommt eine Anrechnung auf die fortbestehende Bareinlageschuld in Betracht. Zu 100 % werthaltig ist die Bereicherungsforderung aber nur, wenn die Gesell_______________

104 BGHZ 168, 201 Rz. 14. 105 BGH ZIP 2012, 1857 = GmbHR 2012, 1066 m. Komm. Bormann Rz. 14. 106 Siehe nur Lutter/Bayer (Fn. 17), § 56 Rz. 23; Lieder in MünchKomm. GmbHG, 2011, § 56a Rz. 22 ff.; Priester in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 56a Rz. 16 ff. 107 BGH ZIP 2012, 1857 = GmbHR 2012, 1066 Rz. 15.

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schaft in der Lage ist, alle Verbindlichkeiten uneingeschränkt zu befriedigen,108 somit nicht, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung109 überschuldet ist.110 Wird hier – möglicherweise zur Abwehr von Weiterungen (welche Vorleistungen sollen berücksichtigt werden, welche nicht?) – vielleicht zu streng geurteilt? Oder zeigt nicht gerade diese Konstellation den Widerspruch zwischen milder und scharfer Sanktion bei ähnlichen Verstößen, die allesamt daraus herrühren, dass die präventiven Vorschriften der Kapitalaufbringung missachtet wurden? Ist es wirklich überzeugend, dass die vorzeitige Barleistung von 200.000 Euro in die überschuldete Gesellschaft dem Einleger weniger honoriert wird als die frist- und ordnungsgemäß deklarierte Einzahlung, die nach Maßgabe von § 19 Abs. 5 GmbHG am nächsten Tag wieder zurückgezahlt wird und die Gesellschaft auch zukünftig nie mehr erreicht, weil der Einleger trotz bester Bonitätsnote kurze Zeit später wirtschaftlich zusammenbricht?

III. Kapitalerhaltung 1. „Rückkehr“ zur bilanziellen Betrachtungsweise In bewusstem Gegensatz zur Novemberentscheidung des BGH aus dem Jahre 2003111 hat der Gesetzgeber den § 30 GmbHG durch das MoMiG so gefasst, dass ein realer Vermögensabfluss von der GmbH zum Gesellschafter unschädlich ist, wenn er durch einen nach bilanziellen Grundsätzen vollwertigen Rückgewähranspruch kompensiert wird (§ 30 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GmbHG).112 Diese gesetzliche Anordnung im Rahmen der Kapitalerhaltung ist nur konsequent, wenn ein vollwertiger Rückgewähranspruch sogar zur ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung ausreicht.113 Auch hier wird das Prognoserisiko nunmehr den Gesellschaftsgläubigern und dem Geschäftsführer auferlegt, der im Falle einer fahr_______________

108 Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 84, 31; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 96 ff.; Casper (Fn. 48), § 19 Rz. 62. 109 Dazu BGH ZIP 2012, 1857 = GmbHR 2012, 1066 Rz. 20; BGHZ 185, 44 Rz. 19 – AdCoCom. 110 Zur Vollwertigkeit: Bayer (Fn. 17), § 19 Rz. 31; Veil (Fn. 19), § 19 Rz. 76; Märtens (Fn. 17), § 19 Rz. 97 m. w. N. 111 BGHZ 157, 72 ff. = GmbHR 2004, 302. 112 Ausf. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 30 Rz. 25 ff.; Ekkenga (Fn. 10), § 30 Rz. 231 ff.; Verse (Fn. 10), § 30 Rz. 76 ff. 113 Dazu oben II.

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lässigen Verkennung der Vollwertigkeit unbeschränkt haftet.114 Dieses Haftungsrisiko dem Geschäftsführer abzunehmen, war ein erklärtes Ziel der November-Entscheidung115, weshalb ich dieses Urteil nach alter Rechtslage für durchaus zutreffend erachtet habe.116

2. Gesellschafterdarlehen Eine Neuregelung hat bekanntlich auch das Recht der Gesellschafterdarlehen erfahren, indem die bisherigen Eigenkapitalersatzvorschriften – und zwar sowohl die kodifizierten (gem. §§ 32a, b GmbHG) als auch die Rechtsprechungsregeln (analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG) – gestrichen und durch (insolvenzrechtliche) Anfechtungsvorschriften ersetzt wurden.117 Bemerkenswerterweise hat der MoMiG-Gesetzgeber diese Rechtsänderung mit dem ausdrücklichen Verbot an die Rechtsprechung versehen, zur früheren Rechtslage zurückzukehren (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG). Die auf Basis der Überlegungen von Huber/Habersack118 formulierte Neuregelung hat die Rechtslage zweifellos vereinfacht. Ob das neue Modell vollständig überzeugt, lasse ich hier dahin stehen.119 Grundsätzliche Bedenken erscheinen mir jedenfalls nicht angebracht.120

IV. Zusammenfassende Würdigung Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Der MoMiG-Gesetzgeber hat trotz erklärter formaler Beibehaltung den Grundsatz der realen Kapital_______________

114 Zur Haftung des Geschäftsführers bei pflichtwidriger Rückzahlung: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 43 Rz. 56 ff.; Fleischer (Fn. 7), § 43 Rz. 286 ff. 115 Zur Urteilsanalyse: Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 134 f. 116 Bayer, ZGR 2007, 220, 229; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 152 f. 117 Hierzu nur Westermann (Fn. 8) Einl. Rz. 62 ff.; ausf. Gehrlein, BB 2011, 3 ff.; Habersack, ZIP 2007, 2145 ff.; Ekkenga, WM 2006, 1086 ff.; Krolop, ZIP 2007, 1738 ff. 118 Huber/Habersack in Lutter (Hrsg.), Das Kapital der AG in Europa, 2006, S. 370 ff.; Huber/Habersack, BB 2006, 1 ff. 119 Zustimmend insbesondere Gehrlein, BB 2008, 846, 851; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150 f.; Haas, ZInsO 2007, 617, 622 f.; Mülbert, WM 2006, 1977 ff.; Noack, DB 2006, 1475; Schäfer, DStR 2006, 2085 ff.; kritisch etwa Bork, ZGR 2007, 250, 263 ff.; K. Schmidt, DB 2008, 1727, 1732; Marotzke, ZInsO 2008, 1281, 1283; Thiessen, DStR 2007, 202, 208. 120 Grundsätzlich zustimmend daher Bayer/Graff, DStR 2006, 1654, 1656 ff. (zum RefE).

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aufbringung und der Einlageleistung zur freien Verfügung der Geschäftsführung in zentralen Teilen aufgegeben. Dadurch hat das Recht der Kapitalaufbringung an dogmatischer Stringenz und Überzeugungskraft verloren. Dieses Ergebnis wird möglicherweise nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Praxis bedauern, weil mit der fehlenden Vorhersehbarkeit der Gesetzesanwendung auch die Rechtssicherheit leidet. Insbesondere hat der Gesetzgeber auch sein Ziel, das Cash Pooling auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen, in eklatanter Weise verfehlt.121

V. Wie geht es weiter? Überlegungen de lege ferenda 1. Kurzfassung einer Neukonzeption Überlegungen de lege ferenda führen zu der Erkenntnis, dass eine Rückkehr zur früheren Rechtslage ausscheidet122, so dass das GmbH-Recht nur dadurch wieder in sich widerspruchsfrei und dogmatisch stimmig wird, wenn man sich für diese Form der personalisierten Kapitalgesellschaft vom Prinzip der realen Kapitalaufbringung vollständig verabschiedet.123 Dieser bereits in den MoMiG-Beratungen unterbreitete Vorschlag124 hatte damals ob seiner „Radikalität“ ersichtlich keine Chance auf Verwirklichung. Nachdem nunmehr aber die praktischen Schwächen und dogmatischen Defizite des geltenden GmbH-Rechts offenkundig sind und die Kritik am aufgeweichten Prinzip der realen Kapitalaufbringung immer lauter wird, sollte man sine ira et studio über einen solchen Konzeptionswechsel nachdenken. Kernelemente der hier und auch schon an anderer Stelle125 vorgeschlagenen Deregulierung sind: Der Verzicht auf die gesetzliche Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage und auf jede zwingende Regelung zur Art und Weise der Einlageleistung. Der Gesetzgeber würde lediglich noch anordnen, dass die im Gesellschaftsvertrag zugesagte Einlage wertmäßig in das Vermögen der GmbH geleistet wird, was im Streitfall _______________

121 In diesem Sinne bereits Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1293 f. 122 Auch dazu bereits Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1295. 123 In diese Richtung nunmehr auch Cavin, Kapitalaufbringung in GmbH und AG: Abgrenzung zur Kapitalerhaltung – Haftung in der Vorgesellschaft, 2012; vgl. auch schon Schall, ZGR 2009, 126, 146 ff. 124 Grundlegend (zum RefE) Bayer, ZGR 2007, 220, 233 ff.; vgl. dazu die Diskussion unter der Leitung von Lutter bei Lieder, ZGR 2007, 241 ff.; vgl. weiter (zum RegE) Bayer, Gutachten 67. DJT 2008, E 118 ff. 125 Siehe nur Bayer, ZGR 2007, 220 ff.; Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1295 ff.; Bayer, Gutachten 67. DJT 2008, E 118 ff.

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der Gesellschafter zu beweisen hat. Im Übrigen können die Gesellschafter nicht nur Höhe und Art der Einlage im Gesellschaftsvertrag festlegen, sondern auch frei über die Modalitäten der Erfüllung disponieren, also auch den Übergang von einer Bar- zur Sacheinlage oder auch eine Auswechslung der Sacheinlage gestatten oder verweigern. Die Aufrechnung mit einer vollwertigen Gegenforderung wäre gesetzlich nicht verboten; entgegenstehende Absprachen unter den Gesellschaftern hingegen ohne weiteres möglich. Wann die Einlage – ganz oder teilweise – geleistet wird, entscheiden ebenfalls allein die Gesellschafter. Es greift wieder die ursprüngliche Idee des Gesetzgebers von 1892, dass die Problematik der ordnungsgemäßen Einlagenerfüllung und damit auch die Bewertung von Sacheinlagen zunächst und vorrangig eine Angelegenheit der Gesellschafter sei.126 Eine präventive Prüfung, ob die Einlage wirksam geleistet wurde bzw. eine Wertkontrolle im Falle einer Sachleistung findet nicht mehr statt, was auch nicht notwendig ist, weil der Rechtsverkehr mangels gesetzlich angeordneter Transparenz über die Art der Einlageschuld auch nicht getäuscht wird. Die Vorteile einer solchen Neukonzeption, die sich an das Haftungsmodell der Kommanditgesellschaft anlehnt und in der rechtspolitischen Diskussion daher auch als (modifiziertes)127 KG-Modell bezeichnet wird,128 liegen auf der Hand: Dogmatische Widersprüche werden vermieden, die Kapitalaufbringung in der GmbH wird deutlich vereinfacht:129 So entfällt nicht nur die Problematik der verdeckten Sacheinlage, sondern auch jede Regelung zum Hin- und Herzahlen wird entbehrlich: Wird die Bareinlage geleistet, so ist erfüllt; wird sie zurückgezahlt, so

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Dazu Priester in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 159, 167. Weil keine Außenhaftung der Gesellschafter! Ausf. Vorstellung bei Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1295 f. Zustimmung bzw. Sympathie bei: Westermann (Fn. 8), Einl. Rz. 73; DaunerLieb, AG 2009, 212, 226; ähnlich bereits J. Vetter, Referat 66. DJT 2006, Bd. II/1, P 75, 89 ff.; Vossius, NotBZ 2006, 373 ff.; vgl. weiter Drygala, ZIP 2006, 1797 ff.; Grunewald, WM 2006, 2333, 2335; Eidenmüller, ZGR 2007, 1442, 1448; Kallmeyer, GmbHR 2004, 377, 379; Noack, DB 2007, 1395, 1397; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1448 f.; Herrler, DB 2008, 2347, 2352; abw. Reformmodell bei Hentzen/Schwandtner, ZGR 2009, 1007, 1025 ff.; nunmehr auch Cavin (Fn. 123).

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sind allein die Grenzen der Kapitalerhaltung zu beachten;130 wird die Stammkapitalziffer unterschritten, ist die Rückzahlung unzulässig und es wird ein Ersatzanspruch begründet (§§ 30, 31 GmbHG). Ob die Rückzahlung sofort oder 3 Jahre später erfolgt, ist aus Gläubigersicht völlig belanglos, da die Gläubiger nicht mehr verlangen können, als dass die Einlage in voller Höhe erbracht wurde und Rückführungen aus dem Vermögen der GmbH nur oberhalb der Stammkapitalziffer erfolgen. Alles andere betrifft allein das Verhältnis der Gesellschafter zueinander; dieses Innenrecht der GmbH wird indes seit jeher nur dort zwingend geregelt, wo es unbedingt erforderlich ist.131 Wegfallen würde zukünftig auch die gesamte Haftungsproblematik in der Vor-GmbH:132 Da die Gründung und Eintragung der GmbH quasi „in Echtzeit“ erfolgen könnte,133 gäbe es keine Vorbelastungs-134 und Verlustdeckungshaftung135 mit ihren hohen persönlichen Risiken für die Gesellschafter. Auch Einzahlungen vor Eintragung der Gesellschaft wären nicht mehr zwingend vorgeschrieben und Einzahlungen auf debitorische Bankkonten136 hätten ebenso Erfüllungswirkung wie Voreinzahlungen im Falle von Kapitalerhöhungen.

2. Wirtschaftliche Betrachtung Die hier vorgestellte Neukonzeption ist nicht nur einfach und widerspruchsfrei, sondern vermittelt auch ein Mehr an Überzeugungskraft als die lex lata: So wird einerseits das Prinzip des festen Kapitals mit all seinen Vorteilen beibehalten. Andererseits werden sowohl die Übertreibungen des geltenden Rechts als auch die nachträgliche Legalisierung _______________

130 Mit dieser Modifikation wird das „radikalere“ Konzept aus ZGR 2007, 220, 239 in Richtung des Vorschlags von J. Vetter (Fn. 129) zurückgeführt und „kompatibler“ mit dem geltenden GmbH-Recht; offener auch die Überlegungen bei Bayer in GmbHR 2010, 1289, 1295 f. 131 Westermann (Fn. 8) Einl. Rz. 20 f.; Ulmer in Ulmer, GmbHG, 2005, Einl. A Rz. 21; Zöllner in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 85 ff. 132 Dazu Bayer (Fn. 17), § 11 Rz. 15 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 11 Rz. 70 ff.; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 11 Rz. 85 ff. 133 Hierzu instruktiv Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 195 ff., insb. 199 f. 134 Dazu BGHZ 80, 129; 86, 122; 105, 300; 124, 282. 135 Dazu BGHZ 134, 333; 152, 290, 293. 136 Dazu BGH GmbHR 2011, 705, 706; BGH ZIP 2002, 799, 800 (insoweit nicht in BGHZ 150, 197 abgedruckt); BGH ZIP 1990, 1400 ff.; BGH GmbHR 1991, 152 ff.; sowie Bayer (Fn. 17), § 7 Rz. 21 f.; Veil (Fn. 19), § 7 Rz. 40; Hueck/ Fastrich (Fn. 18), § 7 Rz. 11.

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der Nichteinhaltung kapitalschützender Präventivvorschriften beseitigt. Und weiterhin behaupte ich, dass sich auch der Gläubigerschutz durch eine solche radikale Deregulierung der Kapitalaufbringung nicht signifikant verschlechtern würde: Betrachten wir zunächst den Fall, dass die Bareinlage wieder als Darlehen an den Gesellschafter zurückgezahlt wird. Ob erlaubt oder unzulässig sei dahingestellt: Der Gesellschafter schuldet nach der lex lata auf jeden Fall die Rückzahlung – nicht mehr aber auch nicht weniger. Einen Anspruch genau in dieser Höhe könnte auch der Insolvenzverwalter im KG-Modell geltend machen, falls die Rückzahlung unter Verletzung der Kapitalerhaltungsregeln erfolgt sein sollte. Das „Mehr“ im geltenden Recht ist allein ein möglicher Haftungsanspruch gegenüber dem GmbHGeschäftsführer. Ich halte es indes für bedenklich, wenn der Kapitalschutz in der GmbH letztendlich auf solche Haftungsandrohungen gegen den weisungsabhängigen und jederzeit auswechselbaren GmbHGeschäftsführer gestützt wird. Im Unterschied zur Aktiengesellschaft, wo eine stärkere Regulierung schon durch den Schutz der kapitalanlegenden Aktionäre gefordert wird und der Staat daher für die Rechtsform der AG eine besondere Verantwortung trägt137, Vorstand und Aufsichtsrat der AG daher auch zu Recht besonderen Anforderungen unterliegen, sollte man hier bei der GmbH deutliche Abstriche machen: Die GmbH ist gerade keine „kleine AG“. Speziell bei den vielen GmbH, wo zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern Personenidentität besteht,138 spielt die Unterscheidung zwischen ausstehender Einlageverpflichtung und Haftungsanspruch überhaupt keine Rolle: Ist der Gesellschafter solvent, kann die ausstehende Forderung in der Insolvenz der GmbH erfüllt werden, andernfalls laufen auch Haftungsansprüche ins Leere. Auch die übrigen Verstöße gegen die Kapitalaufbringung begründen nach der lex lata im Ergebnis nur nochmalige Einlage- oder Haftungsansprüche: Überbewertungen offener Sacheinlagen führen genauso zur Differenzhaftung wie die Anrechnungslösung bei nicht werthaltigen verdeckten Sacheinlagen; Vorbelastungen vor Eintragung der GmbH führen in ähnlicher Weise zur Vorbelastungshaftung. All diese Ersatzansprüche wegen fehlender Werthaltigkeit bestehen auch im KG-Modell, sofern der Nachweis ordnungsgemäßer Einlageleistung nicht erbracht wird. Sowohl nach der lex lata als auch nach der hier vorgestellten Neukon_______________

137 Ausf. bereits Bayer, Gutachten 67. DJT 2008, E 22 ff. m. w. N. 138 Rechtstatsachen bei Fleischer (Fn. 7), Einl. Rz. 203.

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zeption tragen die Gläubiger das Risiko, dass der Anspruch gegen den Gesellschafter nicht durchsetzbar ist. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Jeder Insider weiß, dass im Falle der typischen GmbH-Insolvenz ein großer Teil der Masse dafür verbraucht wird, wirkliche oder vermeintliche Ansprüche gegen Gesellschafter und Geschäftsführer auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Je komplizierter die Rechtslage (Beispiel: War der Rückzahlungsanspruch vollwertig?), desto aufwendiger und teurer ist im Regelfall auch der Prozess. Häufig wird hierfür auch noch der Staat im Wege der Prozesskostenhilfe in Anspruch genommen – sei es vom Insolvenzverwalter, sei es vom bedürftigen Gesellschafter oder Geschäftsführer. Auch rechtsökonomische Gründe sprechen daher für eine radikale Vereinfachung des komplizierten Kapitalaufbringungsrechts. Enttäuschen möchte ich all diejenigen, die geglaubt haben, das Kapitalaufbringungsrecht sei mit dem MoMiG einfacher geworden. Von einer „verdeckten verdeckten Sacheinlage“ habe ich früher noch nichts gehört. Diese Wortschöpfung stammt vielmehr aus der bereits erwähnten BGH-Entscheidung vom 10. Juli diesen Jahres.139

VI. Schluss Ich komme zum Schluss: Auf die aktuelle rechtspolitische Agenda des Gesellschaftsrechts gehört neben der Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts140 eine dogmatisch stimmige Reform der Kapitalaufbringung in der GmbH, ein MoMiG II. Die vor dem MoMiG umstrittene Frage des Mindestkapitals141 ist demgegenüber zweitrangig. Im Rahmen einer solchen neuen GmbH-Reform sollte man dann auch die Frage der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter sowie die Haftung der Anteilserwerber thematisieren. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Sonderweg des deutschen GmbH-Rechts142 heute noch angebracht ist.143 _______________

139 BGH ZIP 2012, 1857 = GmbHR 2012, 1066 Rz. 19. 140 Dazu ausf. Bayer/Fiebelkorn, ZIP 2012, 2181 ff. (mit ausformuliertem Gesetzesvorschlag). 141 Dazu nur Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 ff.; Wilhelmi GmbHR 2006, 13 ff.; Haas, DStR 2006, 993 ff. 142 Zur Gesetzgebungsgeschichte: Fleischer (Fn. 7), Einl Rz. 50 ff.; Bayer in FS Röhricht, 2005, S. 25, 26 f.; Werner in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 1 ff.; Görner/Kling, GmbHR 2004, 714, 714 f. 143 Kritisch mit eigenem Konzept K. Schmidt in FS Th. Raiser, 2005, S. 311 ff.

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Würde man die Kapitalaufbringung in der GmbH nach Maßgabe des KG-Modells vereinfachen, so profitierte von dieser Deregulierung insbesondere auch die Justiz: Denn von insgesamt 330 BGHZ-Entscheidungen zur GmbH144 entfällt ein gutes Drittel auf Fragen des Kapitalschutzes; ein Großteil dieser Rechtsprechung wäre zukünftig entbehrlich. Tausende von Verfahren würden wegfallen, BGH und Instanzgerichte somit deutlich entlastet und die (mittelständische) Wirtschaft würde erhebliche Kosten einsparen. Ein Weniger an Gläubigerschutz ist mit dem hier unterbreiteten Vorschlag grundsätzlich nicht verbunden. Das deutsche GmbH-Recht würde hingegen endgültig wieder anschlussfähig an zahlreiche ausländische Rechtsordnungen145 und somit im internationalen Wettbewerb wieder konkurrenzfähig. Wohin der europäische Trend geht, hat die Diskussion anlässlich der SPE-VO146 eindeutig gezeigt:147 Weg vom präventiven Gläubigerschutz! Mein Plädoyer für einen deregulierten Kapitalschutz bei der GmbH lässt die strengeren aktienrechtlichen Regelungen unberührt: Denn dort verlangt insbesondere auch der Schutz der (Mit-)Aktionäre (einschließlich künftiger Aktionäre = Anlegerschutz) strenge Vorschriften zur Kapitalaufbringung, insbesondere auch präventive Kontrollen. Dieses Schutzproblem stellt sich indes bei der GmbH nicht. Dies hat zutreffend auch schon der historische Gesetzgeber des Jahres 1892 erkannt!148

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144 145 146 147

Im Zeitraum von 1.10.1950 bis 1.11.2012. Richtig Westermann (Fn. 8), Einl. Rz. 73. Verordnungsentwurf der Kommission vom 25.6.2008, KOM(2008) 396. Nach Artt. 19 ff. SPE-VO; hierzu ausf. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 43 Rz. 72 ff.; Jung, EuZW 2012, 129 ff. 148 Siehe oben Fn. 5.

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Bericht über die Diskussion des Referats Bayer Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard) Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Friedrich-Schiller-Universität Jena In der von Wulf Goette geleiteten Diskussion ergriff zunächst der Diskussionsleiter selbst das Wort und pries die Präzision, mit welcher Walter Bayer das Tableau der Widersprüche des MoMiG-Gesetzgebers herausgearbeitet habe. Mit Genugtuung registrierte Goette, dass sich die Kritik des Referenten nicht gegen die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH richtete, sondern die Unzulänglichkeit der gesetzgeberischen Leistung geißelte. Daher sei es auch die Legislative, die zur Nachbesserung aufgerufen sei. Die anstehende Reform solle allerdings nicht durch ein weiteres, auf Einzelkorrekturen beschränktes „MoMiG II“ erfolgen, sondern – ganz im Sinne des Referenten – durch eine grundlegende Rekonfiguration des GmbH-Rechts. Den von Bayer verfochtenen Verzicht auf eine Trennung von Bar- und Sacheinlagen begrüßte Goette und wies daraufhin, dass dieser Vorschlag bereits im Gesetzgebungsverfahren zum MoMiG vorgebracht, von Vertretern des Handelsrechtsausschusses indes als zu progressiv abgelehnt worden sei. Inzwischen sei indes die Zeit gekommen, über weitere Änderungen des GmbH-rechtlichen Kapitalschutzsystems nachzudenken. Es müsse etwas passieren. Dieser Kritik am bestehenden Kapitalschutzregime stimmte Holger Altmeppen uneingeschränkt zu. Die Neuregelungen durch das MoMiG seien teilweise geradezu „absurd“. Namentlich bei Kapitalerhöhungen einer im Cash-Pool befindlichen Gesellschaft sei es für die Gesellschafter fast unmöglich, sich rechtmäßig zu verhalten. Denn im Zeitpunkt der Einzahlung der Mindesteinlage sei nicht abzuschätzen, welchen Saldo das Gesellschaftskonto im Zeitpunkt der Resteinlageleistung aufweise. Dementsprechend könnten die Gesellschafter auch nicht erkennen, ob die Einlageleistung als – auch weiterhin gem. § 19 Abs. 4 GmbHG dem Grunde nach unzulässige – verdeckte Sacheinlage oder als – nach Maßgabe des § 19 Abs. 5 GmbHG zulässiges – Hin- und Herzahlen zu beurteilen sei. Eine Angst aber möchte Altmeppen den Geschäftsführern nehmen: Auch im Fall einer verdeckten Sacheinlage oder eines Hin- und Herzahlens seien sie schon wegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht

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Lieder – Bericht über die Diskussion des Referats Bayer

strafbar1. Bayer konterte den letzten Punkt unter Hinweis auf die – auch nach seiner Überzeugung zutreffende – h. M., die sich bei Vorsatz ganz klar für eine Strafbarkeit ausspreche2. Mit Blick auf das von Altmeppen angesprochene Sachproblem stellte Bayer auf dem Boden der lex lata den Vorschlag zur Diskussion, die Prüfung der Leistung auf die Resteinlageschuld in Form einer nachträglichen Anmeldepflicht zu gewährleisten. Sodann brachte Heribert Anzinger das von Bayer vorgeschlagene Reformmodell eines an die Kommanditgesellschaft angelehnten Kapitalschutzsystems (KG-Modell) in Verbindung mit dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag vom 25.6.2008 zur Europäischen Privatgesellschaft (EPG)3. Nach dem unionsrechtlichen Modell sei nicht nur die Einbringung von Dienstleistungen unproblematisch zulässig, auch müssten die Geschäftsführer keine Versicherung über erbrachte Einlageleistungen abgeben. Der Vorschlag enthalte lediglich Gestaltungsoptionen, die von den Gesellschaftern ergriffen werden können. Diese Vorzüge teile der Kommissionsvorschlag mit dem Bayer’schen KG-Modell. Beide Lösungen hätten Charme, gewährleisteten sie doch einen weiten privatautonomen Gestaltungsspielraum, der ein Mehr an unternehmerischer Handlungsfreiheit verbürge. Zu bedenken gab Anzinger allerdings, dass das europäische Modell auf einem Kapitalverständnis beruhe, das gerade nicht auf Gläubigerschutz gerichtet sei. Diesem Umstand müsse bei einer etwaigen Reform des GmbH-rechtlichen Kapitalschutzsystems Rechnung getragen werden. Auch die Neugestaltung auf Grundlage des MoMiG habe schließlich am Prinzip der realen Kapitalaufbringung nichts ändern wollen. Carsten Schäfer stimmte dem Referenten im Hinblick auf die analytische Kritik an der lex lata ebenfalls zu, vertrat aber gleichwohl die Auffassung, dass es noch zu früh sei, ein abschließendes Urteil über die rechtspolitische Überzeugungskraft der durch das MoMiG geschaffenen Neuerungen zu fällen. Anstatt für einen erneuten Systemwechsel zu votieren, müssten Lösungen innerhalb des Systems gesucht und das Kapitalschutzsystem von innen heraus reformiert werden. Diese Auf_______________

1 Dazu schon Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 82 Rz. 15 ff. 2 Vgl. nur Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., 2012, § 19 Rz. 85; Lieder, in: MünchKommGmbHG, 2011, § 56 Rz. 76, § 56a Rz. 50. 3 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft v. 25.6.2008, KOM(2008), 396 endg.

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gabe obliege in erster Linie dem II. Zivilsenat des BGH. Er habe es in der Hand, etwa die gespaltene Behandlung des Cash-Pooling in Abhängigkeit vom Saldostand oder die restriktive Rechtsprechung zur Voreinzahlung auf Kapitalerhöhungen zu überdenken und womöglich zu korrigieren. Weiterhin plädierte Adrian Cavin in seinem Redebeitrag für eine Einbeziehung des Aktienrechts in die Reformdiskussion. Auch im aktienrechtlichen Kapitalschutzsystem gäbe es vergleichbare und weitergehende dringende Probleme zu lösen, wie beispielsweise im Zusammenhang mit den restriktiven Vorschriften über das Nachgründungsverfahren (§ 52 AktG). Unter Berücksichtigung der für das Aktienrecht maßgeblichen unionsrechtlichen Vorgaben der 2. (Kapital-)Richtlinie4 müssten beide Regelungsbereiche einheitlich reformiert werden. Anstelle eines nur im GmbH-Recht umsetzbaren KG-Modells räumte Cavin einer kapitalerhaltungsrechtlichen Lösung, die auch verabredete Austauschgeschäfte und Darlehensausreichungen erfasst, den Vorzug ein5. Mit einer Deregulierung des Kapitalaufbringungsrechts erübrigten sich zugleich die systemwidrigen Sonderregeln über die verdeckte Sacheinlage und das Hin- und Herzahlen. Trotz breiter Zustimmung zu den Thesen des Vortrags, meldeten sich in der Diskussion auch kritische Stimmen zu Wort. Namentlich Georg Maier-Reimer unternahm es in seinem Redebeitrag, das MoMiG gegen die zahlreichen Angriffe des Referenten und der übrigen Diskutanten zu verteidigen. Bei aller Kritik an der konkreten Ausgestaltung der Neuerungen dürften die Verdienste des Reformgesetzes nicht unberücksichtigt bleiben. Schließlich seien die Rechtsfolgen von Gesetzesverstößen vor dem MoMiG zum Teil katastrophal gewesen. Es sei das berechtigte Anliegen der Novelle gewesen, derlei überschießenden Tendenzen die Spitze zu nehmen, was dem MoMiG in pragmatischer und gleichsam überzeugender Weise gelungen sei. Im Übrigen betrachtete es MaierReimer als Aufgabe der Dogmatik, sich an die legislatorische Konzeption anzupassen, während der Gesetzgeber in seinen Reformentscheidungen _______________

4 Zweite Richtlinie des Rates v. 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikel 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG); abgedruckt bei Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, S. 571 ff. 5 Dafür bereits Cavin, Kapitalaufbringung in GmbH und AG, 2012.

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grundsätzlich nicht gebunden sei und insbesondere keine Rücksicht auf dogmatische Vorgaben nehmen müsse. Die Bedeutung der Beweislastumkehr für den Wert des verdeckt eingelegten Gegenstands werde von dem Vortrag unterschätzt; denn es sei viel schwieriger, nach Jahren, möglicherweise in der Insolvenz der Gesellschaft, den Wert im Einbringungszeitpunkt zu beweisen, als diesen Beweis in diesem Zeitpunkt zu führen. Außerdem seien die vom Referenten erwähnten Missstände keineswegs so dringend und eklatant, wie es der Vortrag glauben mache: Namentlich die mit der Voreinzahlung auf Kapitalerhöhungen verbundenen Probleme ließen sich durch eine Rechtsprechungsänderung in den Griff bekommen. Das von Altmeppen angesprochene Cash-PoolProblem erscheine in einem anderen Lichte, wenn man bedenke, dass es sich bei den an Cash-Management-Systemen beteiligten Gesellschaften häufig um 100 %ige Tochterunternehmen der poolführenden Muttergesellschaft handele: die könne die Einlagenzahlung am Tag der Beschlussfassung sicherstellen und dann sei der aktuelle Saldo bekannt. In die gleiche Richtung wies der Redebeitrag von Thomas Liebscher. Er könne keine unüberwindlichen Systemwidersprüche nach Inkrafttreten des MoMiG ausmachen. Namentlich die „Einlage“ von Dienstleistungen sei vom II. Zivilsenat mit Recht aus dem Kapitalaufbringungssystem ausgeklammert und im Grundsatz für zulässig erklärt worden. Denn die Erbringung und Vergütung von Dienstleistungen durch Gesellschafter können sich auf den gesetzgeberischen Willen stützen, wie er in § 6 GmbHG zum Ausdruck komme. Die Zahlung einer Geschäftsführervergütung an einen Gesellschafter sei daher nicht nur möglich und erlaubt, sondern auch ausdrücklich erwünscht. Dementsprechend habe der BGH in Qivive6 und Eurobike7 richtigerweise entschieden, dass solche Zahlungen weder als verdeckte Sacheinlage noch als Hin- und Herzahlen zu sanktionieren seien. Die Installation eines KG-Modells berge in diesem Zusammenhang sogar das Risiko einer Verschlechterung der Rechtslage. Bevor Goette dem Referenten Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gab, brachte er nochmals seine Überzeugung zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber seine Hände nicht in den Schoß legen dürfe. Zudem sei es auch nicht richtig, legislatorischen Vorgaben gegenüber der Dogmatik per se den Vorrang einzuräumen. _______________

6 BGHZ 180, 38; kritisch Lieder LMK 2009, 284066; vgl. weiter Bayer/Lieder NZG 2010, 86 ff. 7 BGHZ 184, 158; kritisch Lieder EWiR 2010, 169 f.

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Diesen Faden griff Bayer sogleich in seinem Abschlussstatement auf: Zwar sei es richtig, dass der Gesetzgeber in seinem Reformwillen nicht an die geltende Dogmatik der lex lata gebunden sei. Allerdings dürfe der Rechtsanwender von der Legislative doch zumindest den Entwurf eines kohärenten (Kapitalschutz-)Systems erwarten. Von einem solchen System sei das GmbH-Recht nach dem MoMiG indes weit entfernt. Im Gegensatz dazu sei das vor dem MoMiG geltende Kapitalschutzsystem in sich widerspruchsfrei gewesen. Auch wenn die Rechtsfolgen von Gesetzesverstößen in der Sache scharf sanktioniert waren, handelte es sich hierbei doch allein um eine Reaktion auf Umgehungsversuche der Praxis und zugleich eine konsequente Fortschreibung der dem damaligen Recht zugrunde liegenden Regelungsgedanken. Da es heute an einem vergleichbar überzeugenden Kapitalschutzregime fehle, dürfe keine wertvolle Zeit vergeudet werden. Die Reform des Kapitalschutzes der GmbH sei eines der drängendsten Desiderata des gesamten Unternehmensrechts. Im Übrigen sollte man sich auch keiner falschen Hoffnung auf eine grundlegende Korrektur der Rechtsprechung hingeben, denn der Handlungsspielraum des II. Zivilsenats sei beschränkt. Nur wo es an gesetzlichen Regelungen mangele, könne der BGH korrigierend eingreifen. Das gelte etwa für die Behandlung der Voreinzahlung auf Kapitalerhöhungen, für welche das Schrifttum zum Teil eine deutlich großzügigere Linie vertritt8. Über geschriebenes Gesetzesrecht könne sich die Rechtsprechung indes nicht sehenden Auges hinwegsetzen. Im Übrigen müsse trennscharf zwischen Reformbemühungen im GmbHund im Aktienrecht unterschieden werden, zumal das Aktienrecht teilweise erheblich strenger ausgestaltet sei und Änderungen stets den restriktiven Vorgaben der Kapitalrichtlinie entsprechen müssten. Daher existierten für die Aktiengesellschaft mit gutem Grund zusätzliche Schutzmechanismen, wie z. B. das besondere Nachgründungsverfahren und die eigenverantwortliche und unabhängige Rechtsstellung des Vorstands, der die Verantwortung für die ordnungsgemäße Einzahlung der Einlageleistungen übernehmen müsse. Und schließlich seien die berechtigten Interessen des Anlegerschutzes in der AG zu berücksichtigen. Die GmbH sei eben gerade keine kleine AG. Deshalb war es nach Auffassung Bayers auch unklug, dass im Zuge des ARUG die dem GmbHRecht entlehnten Sondervorschriften über die verdeckte Sacheinlage und das Hin- und Herzahlen auch im Aktiengesetz (vgl. § 27 Abs. 3 und 4 AktG) verankert worden seien. _______________

8 Vgl. nur Lieder, in: MünchKommGmbHG, 2011, § 56a Rz. 26 ff.

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Die SE als Rechtsformalternative für den Mittelstand Dr. Ferdinand Fromholzer, LL.M. (Berkeley) Rechtsanwalt, München I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittelstand? . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrierende Rechtsformen im Mittelstand . . . . 3. Empirische Erhebung zu den Gründen für die Wahl einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des anwendbaren Mitbestimmungsregimes für eine SE . . . . . . . a) Grundsatz: Verhandlungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Auffangregelungen . . . . . . . . . . . . . 2. Perpetuierung . . . . . . . . . . . . a) Keine Anpassung bei späterer Änderung der Mitarbeiterzahl . . . . . . . . . b) Typischerweise Festschreibung des status quo über Auffangregelungen . c) „Weg“-Verhandeln einschlägiger Mitbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . .

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d) Besondere Gestaltungsmöglichkeiten durch eine SE & Co. KGaA . . . . . . . . 66 III. Corporate Governance . . . . . . 1. Das monistische System . . a) Grundprinzipien des monistischen Systems . . b) Optionen des monistischen Systems für den Mittelstand . . . . . . . . . . . . aa) Personalistisch geprägte Gesellschaft für Familiengesellschaften . . . . . . . . . . . bb) Das „CEO-Modell“ . . cc) Vergleich mit anderen Rechtsformen . . . . . . c) Mitbestimmung im monistischen System . . . 2. Gestaltungsmöglichkeiten bei einer SE mit dualistischem System . . . . . . . . . . . 3. Konzernorganisationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . .

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IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

I. Einleitung Der folgende Beitrag versucht aus der Perspektive der Praxis eine Bestandsaufnahme zu machen, welche Optionen die SE für den Mittelstand bietet.

1. Mittelstand? Dabei stellt sich zunächst die Frage, was Mittelstand überhaupt ist. Eine griffige Definition hierfür zu finden, würde freilich den Rahmen

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Fromholzer – Die SE als Rechtsformalternative für den Mittelstand

dieses Beitrags sprengen.1 Daher müssen wir uns, fürchte ich, etwas intuitiv an Merkmalen wie Mitarbeiterzahl, betriebswirtschaftlichen Zahlen aber auch einem typischerweise kleineren oder zumindest überschaubaren Gesellschafterkreis orientieren. Darüber hinaus sind für den Mittelstand auch sog. Familiengesellschaften typisch, bei denen die Gesellschafter in einem familiären, persönlichen oder sonstigen Näheverhältnis stehen und an der Geschäftsführung beteiligt sind. Die mittelständischen Gesellschaften umfassen aber sowohl kapitalmarktorientierte wie nicht-kapitalmarktorientierte Gesellschaften.

2. Konkurrierende Rechtsformen im Mittelstand Daraus ergeben sich die dem Mittelstand zur Auswahl stehenden Rechtsformen, hinsichtlich derer sich ja die Frage stellt, ob die SE eine Alternative zu ihnen darstellt: Im nicht-kapitalmarktorientierten Bereich sind das die GmbH und die GmbH & Co KG. Reine Personengesellschaften, also solche ohne Kapitalgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafter, sollen hier im Hinblick auf die ganz andere Haftungssituation außen vorgelassen werden. Im kapitalmarktorientierten Bereich bilden die Aktiengesellschaft (AG) und – gerade im Hinblick auf Mittelstand und Familiengesellschaft – die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) die alternativen Rechtsformen.

3. Empirische Erhebung zu den Gründen für die Wahl einer SE Schließlich möchte ich einleitend noch aus empirischer Sicht einen kurzen Blick auf die Frage werfen, was die Motive für die Wahl der Rechtsform der SE sind unter Rückgriff auf die entsprechende Untersuchung von Eidenmüller/Engert/Hornuf.2 Die drei meistgenannten Gründe danach sind wie folgt: 1) An erster Stelle steht das „Image“ der Rechtsform (36 Nennungen), also ein rechtlich nicht bewertbarer Aspekt, nämlich die Verbesserung der Reputation und Wahrnehmung als modernes internationales Unternehmen, die Assoziation mit einer gewisser Unterneh_______________

1 Siehe dazu die ausführlichen Erwägungen von Handlanger, Die Europäische Aktiengesellschaft als Rechtsform für den Mittelstand, 2008, S. 41 ff. 2 AG 2009, 845.

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mensgröße und erhöhte Akzeptanz bei grenzüberschreitenden Aktivitäten. 2) An zweiter Stelle steht die Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Leitungssystems, namentlich zwischen dualistischem und monistischem System (30 Nennungen), also die Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich der corporate governance. 3) An dritter Stelle schließlich steht die Möglichkeit die Mitbestimmung zu gestalten (29 Nennungen, also mehr oder minder gleichauf mit der Wahl des Leitungssystems) durch die Verhandlungsmöglichkeit über die Mitbestimmung und natürlich die Möglichkeit das anwendbare Mitbestimmungs-Regime „einzufrieren“. Man muss diese Reihenfolge nach Zahl der Nennungen zwar etwas mit Vorsicht betrachten, da Mehrfachnennungen nach der Untersuchung zulässig waren, so dass die Reihenfolge nicht zwingend Aufschluss über den Hauptgrund für die Wahl der Rechtform gibt,3 die genannten Gründe bestätigen jedoch – unabhängig von ihrer Reihenfolge – meine praktischen Erfahrungen.4 Da der erstgenannte Aspekt des „Image“ der Rechtsform der rechtlichen Analyse wohl nicht zugänglich ist, will ich mich im folgenden mit den beiden anderen, nämlich den Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich Mitbestimmung und corporate governance auseinandersetzen.

II. Mitbestimmung Zunächst möchte ich mich dem letztgenannten Grund, der Gestaltungsmöglichkeit betreffend die Mitbestimmung zuwenden. Wenn immer ich in meiner Praxis einen Anruf zur Diskussion der „Rechtsformalter_______________

3 Siehe Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2009, 845, 847 (Tabelle 1). 4 Auch der Gesetzgeber erwähnt „kleinere und mittelgroße Gesellschaften“ im Zusammenhang mit der SE. Die dort genannten Aspekte treffen jedoch m. E. nicht die wesentlichen Gründe: So sieht der nationale Gesetzgeber in der Möglichkeit weniger als drei Verwaltungsratsmitglieder zu haben (§ 23 SEAG) und dem Wegfall des Niederschrift-Erfordernisses für Verwaltungsratssitzungen, wenn dieser nur aus einer Person besteht (§ 34 Abs. 3 SEAG), Gestaltungsmöglichkeiten für kleinere und mittlere Unternehmen und hält für solche Unternehmen eine funktionale Trennung von Geschäftsführung durch geschäftsführende Direktoren und Überwachung durch den Verwaltungsrat (§ 40 SEAG) für angemessen (vgl. BT-Drucks. 15/3405, S. 37–39). Aus Sicht des Europäischen Gesetzgebers ist das Mindestkapital von 120.000 Euro nicht als prohibitiv für solche Unternehmen anzusehen (SE-VO, Erwägungsgrund 13); zustimmend Blanquet, ZGR 2002, 52.

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native SE“ bekomme, geht es typischerweise vor allem um diesen Aspekt, meist bezogen auf eine Gesellschaft, die gerade noch etwas weniger als 2000 oder 500 Mitarbeiter hat,5 aber stetig wächst …

1. Bestimmung des anwendbaren Mitbestimmungsregimes für eine SE Bevor wir uns jedoch mit dem dabei angedeuteten Aspekt der Möglichkeit die Mitbestimmung in einer SE zu perpetuieren auseinandersetzen, möchte ich vorab einen kurzen Überblick darüber geben, wie das Mitbestimmungsregime einer SE festgelegt wird. Im Zusammenhang mit der Gründung einer SE ist ein sog. Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen.6

a) Grundsatz: Verhandlungslösung Das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren besteht aus Verhandlungen über Inhalt und Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung zwischen den „Leitungen“ der beteiligten Gesellschaften7 einerseits und andererseits dem sog. „Besonderen Verhandlungsgremium“ (BVG), das in einem komplizierten Verfahren durch die Arbeitnehmervertreter oder Belegschaften gebildet wird.8 Die Verhandlungspartner müssen eine Vereinbarung über die Mitbestimmung (§ 13 SEBG) treffen. Im Grunde sind sie dabei im Rahmen der Parteienautonomie frei, wie sie die Mitbestimmung regeln, sie können also _______________

5 Vgl. die Schwellenwerte für die Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (500 Arbeitnehmer) nach § 1 Abs. 1 DrittelbG und für die paritätische Mitbestimmung (2.000 Arbeitnehmer) nach § 1 Abs. 1 MitbestG. 6 In jedem Fall ist ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen: Art. 4 Abs. 1 der SE-RL setzt Verhandlungen schon nach seinem Wortlaut zwingend voraus. 7 Nach § 2 Abs. 5 SEBG die geschäftsführenden und vertretungsberechtigten Organe der unmittelbar an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften oder der SE selbst. 8 Zu den Einzelheiten siehe §§ 4 ff. SEBG. Alleiniger Zweck des BVG ist es, die Verhandlungen mit den Leitungen der beteiligten Gesellschaften zu führen und eine Vereinbarung nach Maßgabe des § 21 SEBG abzuschließen, Evers in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, 2. Auflage 2010, § 4 SEBG Rz. 2; Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SERecht, 2013, § 4 SEBG Rz. 2; vgl. auch überblicksartig zum BVG und zu den Verhandlungen Kisker, RdA 2006, 206, 207 sowie Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR, 2005, 195, 196.

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auch vereinbaren, dass es gar keine Mitbestimmung in der SE geben soll. Eine Ausnahme davon gilt zwar für den Fall der Gründung im Wege der Umwandlung, in dem (mindestens) der mitbestimmungsrechtliche status quo der umgewandelten Gesellschaft erhalten bleiben muss (§ 21 Abs. 6 SEBG).9 Diese Gründungsvariante kann aber ggf. gestalterisch vermieden werden.

b) Gesetzliche Auffangregelungen Kommt es innerhalb der sechsmonatigen Verhandlungsfrist zu keiner Einigung, gelten allerdings nach § 20 SEBG gesetzliche Auffangregelungen. Diese unterscheiden sich gemäß § 35 SEBG je nach Gründungsform der SE, knüpfen aber jeweils an den mitbestimmungsrechtlichen status quo der beteiligten Gesellschaften an. Erfolgt die Gründung im Wege der Umwandlung, bleibt – wie bereits erwähnt – die „Regelung zur Mitbestimmung“10 erhalten, die in der Gesellschaft vor Umwandlung bestand (§ 35 Abs. 1 SEBG). Unterliegt eine Gesellschaft also beispielsweise nicht der Mitbestimmung, bleibt das auch nach Umwandlung in eine SE so. Erfolgt die Gründung durch Verschmelzung bzw. Errichtung einer Tochter- oder Holding-SE, gilt für die SE das Mitbestimmungsregime, das für einen bestimmten Prozentsatz der Mitarbeiter der betroffenen Belegschaften gilt, nämlich verkürzt für 25 % bei Verschmelzung und 50 % bei Errichtung einer Tochter- oder Holding-SE (§ 35 Abs. 2 SEBG).11

2. Perpetuierung Eine Besonderheit ist – wie schon angesprochen – die Möglichkeit das anwendbare Mitbestimmungsregime in der SE zu perpetuieren. _______________

9 § 21 Abs. 6 SEBG schränkt die Parteiautonomie ein: Jacobs in MüKo AktG, 3. Auflage 2012, § 21 SEBG Rz. 20. 10 Zu den Implikationen dieser Formulierung siehe nachstehend unter II. 2. 11 Im Falle der Errichtung durch Verschmelzung mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften (§ 34 Abs. 1 Ziff. 2a) SEBG) und im Falle der Errichtung einer Holding-SE oder einer Tochter-SE mindestens 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften (§ 34 Abs. 1 Ziff. 3a) SEBG); vgl. auch Müller-Bonanni/ Melot de Beauregard, GmbHR, 2005, 195, 196 (Fn. 9).

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a) Keine Anpassung bei späterer Änderung der Mitarbeiterzahl Das SEBG sieht nur Regelungen zur Einrichtung der Mitbestimmung vor, nicht aber – mit einer Ausnahme – Regelungen über ihre Veränderung oder Anpassung. Das bei Gründung bestehende Mitbestimmungsregime wird daher grundsätzlich perpetuiert12: Eine Veränderung der Mitarbeiterzahl führt grundsätzlich nicht zu einer Anpassung der Mitbestimmung.13 Eine Anpassung ist nur für „struktureller Veränderungen der SE“ (§ 18 Abs. 3 SEBG) vorgesehen, wozu aber eine Veränderung der Mitarbeiterzahl nicht zählt; das SEBG unterscheidet vielmehr begrifflich zwischen Veränderungen der Zahl der Arbeitnehmer und strukturellen Veränderungen.14

b) Typischerweise Festschreibung des status quo über Auffangregelungen Da die Verhandlungen über die Mitbestimmung typischerweise mit Blick auf die gesetzlichen Auffangregelungen geführt werden, ist es gewissermaßen der Basisfall, dass die bestehende und sich aus den Auffang-

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12 Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 35 SEBG Rz. 10; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR, 2005, 195, 197; Rieble, BB 2006, 2021; Wisskirchen/Prinz, DB 2004, 2642; vgl. auch Jacobs in MüKo AktG, 3. Auflage 2012, § 18 SEBG Rz. 18 m. w. N. 13 Vgl. aber Evers in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, § 18 SEBG Rz. 10, der auf die österreichische Umsetzung verweist, wonach eine „erhebliche“ Änderung in der Anzahl der Beschäftigten doch auf eine Strukturänderung schließen lasse, jedoch nur dann, wenn die Änderung mit einem korporativen Akt zusammenfällt. Diese Regelung soll auch für Deutschland eine „indizielle Bedeutung“ haben. Wie das mit Blick auf den klaren Wortlaut des SEBG gemeint ist, bleibt aber unklar. 14 Vgl. § 5 Abs. 4 SEBG und § 4 Abs. 3 Ziff. 3 SEBG. Vgl. zu „Strukturellen Änderungen der SE“ Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SERecht, 2013, § 18 SEBG Rz. 8 ff. Dazu gehören etwa das Hinzukommen oder Ausscheiden von Unternehmen oder Unternehmensteilen (Niklas, NZA 2004, 1205), Verschmelzungen, Abspaltungen, Veräußerung oder Stilllegung von Betrieben, Betriebsteilen oder Tochterunternehmen, Betriebsübernahmen (Kleinsorge, RdA 2002, 351) oder die Verlegung des SE-Sitzes (Kleinsorge a. a. O.; str.; a. A.: Jacobs in MüKo AktG, 3. Auflage 2012, § 18 SEBG Rz. 17), nicht jedoch der Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen, auch dann nicht, wenn etwa eine nicht mitbestimmte SE Anteile an einer mitbestimmten deutschen AG erwirbt und dadurch Mehrheitsgesellschafter wird (Jacobs in MüKo AktG, 3. Auflage 2012, § 18 SEBG Rz. 17).

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regelungen ergebende Mitbestimmungssituation im Rahmen des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens festgeschrieben wird.15 Damit bietet der Wechsel in die Rechtsform der SE für mitbestimmungsfreie Gesellschaften über die Auffangregelungen einen ziemlich sicheren Weg die Gesellschaft zukünftig auch bei einem Ansteigen der Arbeitnehmerzahlen mitbestimmungsfrei zu halten. Das gleiche gilt für die Möglichkeit den Wechsel von der Drittel- in die paritätisch Mitbestimmung aufgrund steigender Arbeitnehmerzahlen für die Zukunft zu verhindern. Nur am Rande und der Vollständigkeit halber: Das sieht der Anrufer in meiner Praxis mit Blick auf die wachsende Gesellschaft mit weniger als 500 bzw. 2.000 Arbeitnehmer natürlich gerne in die von ihm erwartete Richtung, nämlich bei steigender Arbeitnehmerzahl. Es gilt aber auch in die andere Richtung, also bei einer Reduzierung der Mitarbeiterzahl: Auch hier bleibt es bei dem bei Gründung vereinbarten Regime, selbst wenn z. B. in Deutschland die entsprechenden gesetzlichen Schwellenwerte (§ 1 Abs. 1 MitbestG und § 1 Abs. 1 DrittelbG) nachträglich unterschritten werden.16

c) „Weg“-Verhandeln einschlägiger Mitbestimmung? Der angesprochene Vorrang der Verhandlungslösung und Gestaltungsfreiheit im Rahmen eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren wirft die Frage auf, ob man das Mitbestimmungsregime, das sich aus der Auffanglösung ergeben würde, auch „wegverhandeln“ kann. Rechtlich ist das – mit Ausnahme des Falls der Gründung im Wege der Umwandlung17 – möglich, praktisch muss man jedoch hier aus meiner Sicht zwei Fälle unterscheiden: Besteht bereits ein mitbestimmter Aufsichtsrat, wird es kaum vorkommen, dass dieser im Rahmen des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens wieder aufgegeben wird.

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15 Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR, 2005, 195, 196. 16 Vgl. Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 35 SEBG Rz. 10; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 197; Rieble, BB 2006, 2021; Jacobs in MüKo AktG, 3. Auflage 2012, § 18 SEBG Rz. 18. 17 Hier muss nach § 21 Abs. 6 SEBG (mindestens) der mitbestimmungsrechtliche status quo der umgewandelten Gesellschaft erhalten bleiben.

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Aber es gibt Fälle, in denen gerade mittelständische Gesellschaften vor Änderung der Rechtsform in die SE aufgrund der Zahl ihrer Arbeitnehmer eigentlich mitbestimmungspflichtig gewesen wären, im Rahmen des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens aber keine Mitbestimmung im Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrat vereinbart wurde.18 Mögliche Gründe dafür sind – vielleicht gerade in mittelständischen Unternehmen – ein stärkerer Fokus auf betriebliche Aspekte wie Vergütung, Überstunden, Urlaub als auf eine Beteiligung im Aufsichtsrat, insbesondere möglicherweise bei „dominanten“ Familiengesellschaftern oder gar einem Patriarchen.

d) Besondere Gestaltungsmöglichkeiten durch eine SE & Co. KGaA Eine besondere Gestaltungsmöglichkeit bietet die Verbindung einer KGaA mit einer SE als persönlich haftender Gesellschafterin, also eine SE & Co. KGaA.19 Der Aufsichtsrat einer KGaA hat deutlich geringere Kompetenzen hinsichtlich der Geschäftsführung als der Aufsichtsrat einer AG, insbesondere mangels Personalkompetenz über die Geschäftsführung der Komplementärin und Befugnis zum Erlass einer Geschäftsordnung (§ 77 Abs. 2 AktG) oder zur Begründung von Zustimmungserfordernissen für Maßnahmen der Geschäftsführung (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Der wesentliche Einfluss wird bei einer KGaA durch den Komplementär bzw. im Falle einer Kapitalgesellschaft & Co. KGaA durch die Gesellschafter der Komplementärgesellschaft ausgeübt. Die Verwendung einer KGaA ist daher gerade im Bereich von Familienunternehmen am Kapitalmarkt nicht ungewöhnlich.20

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18 Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2009, 845, 849. Weitere Beispiele finden sich unter http://www.boeckler.de/20376_20382.htm: Etwa die Conrad SE, der Käsehersteller Hochland SE, das Metallunternehmen Impreglon SE, Lüneburg, die Berner SE, Künzelsau, die Technologiegruppe Aixtron SE, Herzogenrath, sowie der Windkraftanlagenbauer REpower Systems SE, Hamburg. 19 Die Kapitalgesellschaft & Co. KGaA ist eine relativ junge Gesellschaftsform: Erst die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. Februar 1997 (BGHZ 134, 392) schuf Rechtssicherheit hinsichtlich ihrer Anerkennung. 20 Vgl. etwa die Henkel AG & Co. KGaA, Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA, Merck KGaA.

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Wird nun eine Gesellschaft, die aufgrund der Zahl ihrer Arbeitnehmer eigentlich der Mitbestimmung unterläge, umgewandelt in eine KGaA mit einer existierenden und mitbestimmungsfreien SE als Komplementärin, löst das (mangels Begründung der Rechtsform einer SE) kein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren aus. Über ein Statusverfahren kann die Mitbestimmung zwar für den Aufsichtsrat der KGaA durchgesetzt werden, dieser hat jedoch, wie dargestellt, nur eingeschränkte Kompetenzen. Damit ist grundsätzlich eine Relativierung der Mitbestimmung möglich. Durch die Einbindung einer SE als Komplementärin, die in der Wahrnehmung möglicherweise sogar im Vordergrund steht, bekommt die KGaA zudem ein moderneres Image. Zusätzlich sichert die SE als Komplementärin einer KGaA in bestimmten Situationen mitbestimmungsrechtlich noch in anderer Hinsicht ab: Nach § 4 MitbestG ist auch bei der Komplementärin einer Kapitalgesellschaft & Co. KG dann ein mitbestimmter Aufsichtsrat einzurichten, wenn die Komplementärin mehrheitlich durch die Kommanditisten gehalten wird. Diese Konstellation erscheint gerade bei mittelständischen Gesellschaften gut vorstellbar. In der Literatur ist umstritten, ob diese Regelung für die KG über ihren Wortlaut hinaus auch auf die KGaA anzuwenden ist,21 der BGH ist aber wohl nicht der Auffassung, dass das der Fall ist.22 Durch eine SE als Komplementärin kann diese Streitfrage vermieden werden, da das MitbestG auf eine SE in jedem Fall nicht anwendbar ist (§ 47 SEBG).23 Die SE & Co. KGaA eröffnet somit eine interessante Gestaltungsmöglichkeit, wenn eine Gesellschaft mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt, aber noch nicht über einen mitbestimmten Aufsichtsrat verfügt. In dieser Situation würde eine SE-Umwandlung im Rahmen des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens, insbesondere bei Beteiligung der Gewerkschaften, zumindest die Diskussion über die Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrats (nach SE-Recht) auslösen. Die Umwandlung in eine KGaA kann demgegenüber ohne Arbeitnehmerbeteiligung durch_______________

21 Vgl. dazu jeweils mit Nachweisen zum Meinungsstand Gach in MüKo AktG, 3. Auflage 2008, § 4 MitbestG Rz. 3 in Fn. 3; Oetker in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Auflage 2013, § 4 MitbestG Rz. 1. 22 Entscheidung vom 24. Februar 1997 (BGHZ 134, 392); vgl. dazu Arnold, Die GmbH & Co. KGaA, 2001, S. 114. 23 Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 47 SEBG Rz. 3.

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geführt werden. Die Gesellschaft kann also Vorsorge für den Fall treffen, dass ein mitbestimmter Aufsichtsrat eingefordert wird, ohne die Bildung eines solchen zu provozieren. In jüngster Zeit trat vor diesem Hintergrund die SE & Co. KGaA mehrfach prominent auf, etwa die Bertelsmann SE & Co. KGaA (seit 2012), OBI Group Holding SE & Co. KGaA (seit 2012) sowie die Fresenius SE & Co. KGaA (seit 2011).

III. Corporate Governance Wie bereits eingangs erwähnt ist offensichtlich ein anderer wesentlicher Beweggrund für die Wahl der Rechtsform der SE, die Möglichkeit die corporate governance in bestimmter Weise zu gestalten.

1. Das monistische System Die SE bietet als Spezifikum – im Unterschied zur AG sowie allein und erstmals24 im deutschen Recht – die Option einer sog. monistischen Verfassung an. Den damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten möchte ich mich daher sogleich zuwenden. Dabei will ich zunächst einen kurzen Überblick über die monistische Verfassung geben, ehe wir uns mit der Frage auseinandersetzen, welche Optionen diese für mittelständische Gesellschaften bietet.

a) Grundprinzipien des monistischen Systems Die monistische Verfassung sieht nur ein Leitungsorgan vor, den Verwaltungsrat (§ 20 SEAG). Dieser wird – vorbehaltlich der Mitbestimmung – von der Hauptversammlung, also den Gesellschaftern gewählt (§ 28 Abs. 1 SEAG i. V. m. Art. 43 Abs. 3 SE-VO)25, Entsenderechte sind im selben Umfang wie bei der AG möglich (§ 18 Abs. 2 SEAG), also gemäß § 101 Abs. 2 Satz 4 AktG höchstens für ein Drittel (der Anteilseignervertreter). Neben dem Verwaltungsrat gibt es geschäftsführende Direktoren (§ 40 SEAG). Während der Verwaltungsrat die Gesellschaft leitet, die Grundlinien ihrer Tätigkeit bestimmt und deren Umsetzung überwacht (§ 2 Abs. 1 SEAG), führen die geschäftsführenden Direktoren _______________

24 Vgl. Wicke, MittBayNot 2003, 195, 203 mit weiteren Nachweisen zu früheren Ansätzen. 25 Die Mitglieder des ersten Verwaltungsrates können auch durch die Satzung bestellt werden (Art. 43 Abs. 3 Satz 2 SE-VO).

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die Geschäfte und vertreten die Gesellschaft nach außen (§§ 40 Abs. 2, 41 Abs. 1 SEAG). In der Aufteilung zwischen Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren klingt auf den ersten Blick das dualistische System und die Aufgabenteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand an. Es gibt aber wesentliche Unterschiede zur Kompetenzverteilung bei einer AG, und zwar solche die gerade den Mittelstand interessieren dürften26 (wobei die Mitbestimmung für den Moment ausgeklammert bleibt): Die Einflussrechte des Verwaltungsrates sind deutlich stärker als die des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft: Er trägt die Letztverantwortung für die Unternehmenspolitik und Unternehmensleitung (§ 22 Abs. 1 SEAG), kann den geschäftsführenden Direktoren Weisungen erteilen (§ 44 Abs. 2 SEAG) und diese jederzeit abberufen (§ 40 Abs. 5 SEAG). Eine weitere Besonderheit ist, dass die Funktion eines geschäftsführenden Direktors mit der eines Verwaltungsratsmitglieds kompatibel ist: Nach § 40 Abs. 1 SEAG kann ein Verwaltungsratsmitglied gleichzeitig geschäftsführender Direktor sein, soweit die Mehrheit des Verwaltungsrates aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern besteht. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe eher technischer Besonderheiten: Dazu gehört zum einen die Möglichkeit sowohl den Verwaltungsrat als auch die geschäftsführenden Direktoren für 6 Jahre zu bestellen (Art. 46 SE-VO) und nicht nur für 5 Jahre wie Vorstand und Aufsichtsrat27 in der Aktiengesellschaft (vgl. §§ 84 Abs. 1, 102 AktG). Darüber hinaus besteht Flexibilität hinsichtlich der Zahl der Verwaltungsratsmitglieder: Nur bei einem Grundkapital von mehr als EUR 3 Mio. sind mindestens 3 Verwaltungsratsmitglieder erforderlich (§ 23 Abs. 1 SEAG).

b) Optionen des monistischen Systems für den Mittelstand Nach diesem Überblick möchte ich exemplarisch zwei Regelungsmodelle darstellen, die die monistische SE – gerade mit Blick auf den Mittelstand – bietet (nach wie vor noch ohne Berücksichtigung der Mitbestimmung). _______________

26 Vgl. Wicke, MittBayNot 2003, 195, 203. 27 Für den Aufsichtsrat nach § 102 Abs. 1 AktG genau genommen bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt, cum grano salis entspricht das aber 5 Jahren.

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aa) Personalistisch geprägte Gesellschaft für Familiengesellschaften Zum Beispiel kann eine Struktur geschaffen werden, bei der Familienmitglieder als Gesellschafter über einen starken Verwaltungsrat effektiv Kontrolle behalten, ohne sich ins Tagesgeschäft zu involvieren, wie etwa für Familiengesellschaften zweiter (oder späterer) Generation: Für die Familiengesellschafter, ggf. aus verschiedenen Familienstämmen, kann ein starker Verwaltungsrat gebildet werden:28 So können hohe Anforderungen an die Abberufung des Verwaltungsrates gestellt werden (z. B. 90 % Stimmmehrheit, evtl. für bis zu 1/3 der Verwaltungsratsmitglieder Entsenderechte gemäß § 28 SEAG i. V. m. § 101 Abs. 2 AktG), die lange Amtszeit von bis zu 6 Jahre gemäß Art. 46 Abs. 1 SE-VO vorgesehen sowie die Größe des Verwaltungsrats grundsätzlich beliebig gestaltet werden. Das Tagesgeschäft kann dagegen externen geschäftsführenden Direktoren überlassen werden, die der Verwaltungsrat eng führen kann, insbesondere durch Weisungen und einen (engen) Zustimmungskatalog.

bb) Das „CEO-Modell“ Noch ungewöhnlicher für die deutsche Rechtspraxis ist das sog. „CEOModell“.29 Dabei können Gesellschafter neben der Kontrolle durch den Verwaltungsrat auch ins Tagesgeschäft involviert bleiben, etwa im Falle von inhabergeführten Unternehmen. So kann eine dominierende Persönlichkeit, beispielsweise ein Firmengründer, zugleich Verwaltungsratsvorsitzender und geschäftsführender Direktor sein (solange es noch mindestens zwei weitere Verwaltungsratsmitglieder gibt, § 40 Abs. 1 SEAG).30 Dafür kann zum einen die Position im Verwaltungsrat gestärkt werden und zwar sowohl durch die Stellung des Verwaltungsrates insgesamt (wie bereits oben dargestellt) als auch durch die Stellung gerade des Verwaltungsratsvorsitzenden: Schon als gesetzlicher Regelfall kommt dem Verwaltungsratsvorsitzenden bei Stimmengleichheit ein Zwei_______________

28 Zur Stärkung des Verwaltungsrats vgl. Seibt, Satzung und Satzungsgestaltung in der Europäischen Aktiengesellschaft deutschen Rechts, S. 87 in Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), Die Europäische Gesellschaft, 2005. 29 Vgl. hierzu Eder, NZG, 2004, 544; Seibt, a. a. O., S. 86. 30 Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473, 2474, 2476.

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stimmrecht zu (Art. 50 Abs. 2 SE-VO), dieses kann darüber hinaus auch auf Ausschüsse ausgeweitet werden.31 Zum anderen kann die Stellung als geschäftsführender Direktor gestärkt werden:32 So kann die Satzung vorsehen, dass der Verwaltungsratsvorsitzende immer zugleich zum geschäftsführenden Direktor bestellt wird und die Bezeichnung „Vorsitzender der Geschäftsleitung“33 trägt.34 Zudem kommt nach überwiegender Auffassung auch dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung als gesetzlicher Regelfall bei Stimmengleichheit ein Zweitstimmrecht zu (Art. 50 Abs. 2 SE-VO).35 Darüber hinaus kann die Abberufung der geschäftsführenden Direktoren erschwert werden (in Annäherung an das dualistische System), indem sie etwa von einem wichtigem Grund oder besonderen Mehrheitserfordernissen (z. B. einstimmiger Beschluss des Verwaltungsrats) abhängig gemacht wird. Schließlich kann den geschäftsführenden Direktoren durch die Satzung Einzelgeschäftsführungsbefugnis (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SE-AG) und Einzelvertretungsbefugnis (§ 41 Abs. 2 Satz 1 SE-AG) eingeräumt werden und der Katalog zustimmungspflichtiger Maßnahmen gering gehalten werden.

cc) Vergleich mit anderen Rechtsformen Am Ende stellt sich freilich die Frage, ob diese Gestaltungsmöglichkeiten einer monistisch verfassten SE alleine in der Praxis einen ausreichenden Grund für die Wahl der Rechtsform der SE bilden. Ich denke hier muss man unterscheiden: Im nicht-kapitalmarktorientierten Bereich wird das mit Blick auf die Alternative einer GmbH oder GmbH & Co. KG kaum der Fall sein: Letztlich ist die SE, die „Europäische Aktiengesellschaft“, als Rechtsform kapitalmarktorientiert und daher – wie die Aktiengesellschaft36 – in diesem Bereich komplexer und mit eingeschränktem Einfluss der _______________

31 Vgl. hierzu Eder, NZG, 2004, 545; Seibt, a. a. O., S. 87. 32 Vgl. zum folgenden Eder, NZG, 2004, 546; Seibt, a. a. O., S. 88. 33 Zu dieser Position siehe Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 40 SEAG Rz. 20. 34 Seibt, a. a. O., S. 88, mit Hinweis auch zu einem „Co-CEO-Modell“, für eine Doppelspitze in der Geschäftsleitung. 35 Vgl. dazu Drinhausen in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, Art. 50 SE-VO Rz. 29 mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand. 36 Für diese gilt – soweit es keine speziellen Regelungen gibt – deutsches Aktienrecht (vgl. Art. 9 c) ii) und iii) SE-VO).

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Gesellschafter im Vergleich zu GmbH und GmbH & Co. KG:37 So kann im Gegensatz zu GmbH und GmbH & Co. KG der Einfluss der Gesellschafter nur über den Verwaltungsrat ausgeübt werden, es gibt Amtszeitenbeschränkungen für Organe und zustimmungspflichtige Maßnahmen und letztlich nichts, was man nicht auch in der Rechtsform einer GmbH oder GmbH & Co. KG umsetzen könnte. Darüber hinaus ergibt sich bei der SE aufgrund des Nebeneinanders einer Vielzahl von Rechtsquellen nationaler und internationaler Art zusätzlich eine nicht unerhebliche Komplexität.38 Allein aus corporate governance Gründen wird diese Gestaltung daher im Bereich nicht-kapitalmarktorientierter Gesellschaften wohl typischerweise nicht gewählt werden. Freilich können die Gestaltungsmöglichkeiten der corporate governance ggf. zusammen mit anderen Überlegungen (z. B. Mitbestimmung, Image oder Steuern etc.) durchaus zur Wahl einer monistisch verfassten SE führen. Anders sieht es im Bereich kapitalmarktorientierter Gesellschaften aus: Wie gezeigt bietet die monistisch verfasste SE gegenüber der Aktiengesellschaft ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere hinsichtlich eines vergleichweise höheren Einflusses der Gesellschafter. Und in der Tat gibt es in der Praxis Beispiele, gerade im Mittelstand, börsennotierter Gesellschaften in der Rechtsform einer monistischen SE.39 Im Vergleich zwischen SE und KGaA, ermöglicht die KGaA – wie bereits vorstehend ausgeführt40 – über den Einfluss der Komplementärin und die eingeschränkten Kompetenzen des Aufsichtsrats einen noch stärkeren und zeitlich stärker verfestigten Einfluss der Inhaber auf die Geschäftsführung als die „reine SE“. In einer SE kann der Einfluss der Inhaber auch in der monistischen Verfassung nur über den Verwaltungsrat und damit in eingeschränkterer Form (Verwaltungsrat wird von der _______________

37 Vgl. auch Hommelhoff/Helms, Grundlagen und konzeptionelle Fragen in der Europäischen Privatgesellschaft, in: Hommelhoff/Helms (Hrsg.), Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 7. 38 Wicke, MittBayNot 2003, 195, 197, der sogar den Begriff eines „Lawyer’s Paradise“ in diesem Zusammenhang zitiert (mit weiteren Nachweisen). 39 Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang die (nicht mitbestimmte) Mensch und Maschine AG genannt, bei der der Unternehmensgründer und CEO ca. 40 % und zusammen mit dem Management über 50 % der Anteile hält. Zu nennen ist natürlich auch die Puma SE, zu dieser sogleich im Zusammenhang mit der Mitbestimmung bei einer monistisch verfassten SE. 40 Vgl. vorstehend unter II. 2. d).

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Hauptversammlung gewählt, er hat eine beschränkte Amtszeit, unterliegt u. U. der Mitbestimmung etc.) ausgeübt werden. Jedenfalls aus Inhaberperspektive wird die (monistisch verfasste) SE somit aus Gesichtspunkten der corporate governance keine attraktive Alternative zur KGaA darstellen. Etwas anderes ist, wie bereits dargestellt,41 die Kombination aus SE und KGaA. Bezeichnenderweise wechselte 2011 die Fresenius SE die Rechtsform zur Fresenius SE & Co. KGaA.

c) Mitbestimmung im monistischen System In der monistischen SE beziehen sich die Regeln für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf den Verwaltungsrat der Gesellschaft: Kommt also eine Verhandlungslösung nicht zustande, so ist der Verwaltungsrat entsprechend den Vorgaben der §§ 34, 35 SEBG mit Arbeitnehmern zu besetzen.42 Die eben dargestellte starke Stellung des Verwaltungsrates in der monistischen Verfassung kommt somit in einer mitbestimmten Gesellschaft auch den Arbeitnehmern zugute: Sie sind über den Verwaltungsrat nicht nur an der Überwachung, sondern auch an der Unternehmensleitung beteiligt, z. B. über Weisungen an die geschäftsführenden Direktoren. Die Problematik wir noch komplexer, wenn es im Verwaltungsrat geschäftsführende Mitglieder gibt, also solche die zugleich geschäftsführende Direktoren sind: In diesem Fall besteht – anders als innerhalb des Aufsichtsrats mit im wesentlichen auf Überwachung beschränkter Funktion – eine erhöhte Gefahr von Konflikten innerhalb der Anteilseignervertreter, namentlich zwischen geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Direktoren. Im Falle der paritätischen Mitbestimmung ist in dieser Situation ein einheitliches Abstimmungsverhalten der Anteilseignerseite noch stärker gefährdet, wie es zur Durchsetzung von Entscheidungen über die Unternehmensleitung ggf. erforderlich ist. Es wird daher sogar die Frage aufgeworfen, ob diese Umsetzung der paritätischen Mitbestimmung bei

_______________

41 Vgl. vorstehend II. 2. d). 42 Zudem sind nach § 38 Abs. 2 SEBG mindestens zwei geschäftsführende Direktoren zu bestellen, von denen einer für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig zu sein hat (Arbeitsdirektor).

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einer monistisch verfassten SE im Hinblick auf den Eigentumsschutz verfassungsrechtlich zulässig ist.43 Jedenfalls geht der Einfluss der Arbeitnehmervertreter durch die Vertretung im Verwaltungsrat deutlich über die Einflussmöglichkeiten bei einer mitbestimmten AG oder GmbH hinaus. Wenn man davon ausgeht, dass die SE häufig dazu verwendet wird die Mitbestimmung einzuschränken, wird man die monistische Verfassung bei einer mitbestimmten SE, aufgrund des befürchteten überproportionalen Einflusses der Arbeitnehmerseite auf Fragen der Geschäftsführung – wie zahlreiche Vertreter in der Literatur – für unzweckmäßig halten.44 Aber Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Puma SE hat genau diesen Weg eingeschlagen. Sie wechselte 2011 von der Rechtsform der AG in eine monistisch verfasste (mitbestimmte) SE. Allerdings gibt es bei der Puma SE keine geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder, so dass ein entsprechender Konflikt innerhalb des Verwaltungsrats vermieden wird. Zudem gilt (nur) die Drittel-Mitbestimmung, nicht die paritätische. Hintergrund für die Wahl der monistisch verfassten SE war möglicherweise das Bemühen dem ehemaligen, starken Vorstandsvorsitzenden Jochen Zeitz als Verwaltungsratvorsitzendem eine starke Stellung mit Einfluss auf die Unternehmensleitung zu belassen und so einen fließenden Übergang zu ermöglichen. Schließlich war dem Mehrheitsgesellschafter, dem französischen Luxusgüterkonzern Pinault-PrintempsRedoute (PPR), das monistische System vielleicht auch vertrauter, da das französische Recht es ebenfalls für die Aktiengesellschaften (SA) kennt.

2. Gestaltungsmöglichkeiten bei einer SE mit dualistischem System Das dualistische System einer SE entspricht strukturell der Konzeption des deutschen Aktienrechts von der Aufgabenteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Dennoch bietet auch die dualistisch verfasste SE attraktive Gestaltungsmöglichkeiten im Vergleich zur Aktiengesellschaft, vor allem bei mitbestimmten Gesellschaften. _______________

43 Vgl. Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 35 SEBG Rz. 12, Jacobs in MüKo AktG, 3. Auflage 2012, § 35 SEBG Rz. 17 ff.; Siems in KK AktG, 3. Aufl. 2010, Anh. Art. 51 SE-VO, Vorb. § 20 SEAG, Rz. 8 ff. 44 Bachmann, ZGR 2008, 779, 807; Habersack, ZHR 171 (2007), 613, 626; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 382.

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Dazu gehört insbesondere die Möglichkeit den Aufsichtsrat auch bei anwendbarer Mitbestimmung zu verkleinern: Die Mitbestimmung wirkt sich bei der SE nur hinsichtlich des Anteils, nicht jedoch hinsichtlich der absoluten Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder aus (§§ 35 Abs. 2 Satz 2 SEBG, 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 SEAG). So gelten beispielsweise die absoluten Zahlenvorgaben für die Größe des Aufsichtsrats nach § 7 MitbestG, die je nach der Zahl der Arbeitnehmer einen Aufsichtsrat mit 6, 16 oder gar 20 Mitgliedern erfordern, nicht.45 Es bleibt (nur) bei dem allgemeinen Erfordernis von mindestens 3 Personen für den Aufsichtsrat einer dualistisch verfassten SE nach § 17 SEAG. Überwiegend wird das auch für den Fall der Entstehung einer SE durch Umwandlung angenommen, d. h. auch die Formulierung in § 35 Abs. 1 SEBG, wonach die „Regelung zur Mitbestimmung erhalten [bleibt], die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat“, bezieht sich nur auf den proportionalen Anteil, nicht die absolute Zahl der Arbeitnehmervertreter.46 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die ausgeweitete Geltung des Stichentscheids für den Vorsitzenden des Aufsichtsrats: Nach Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO kommt diesem als gesetzlicher Regelfall bei Stimmengleichheit ein Stichentscheid zu. Bei einer paritätisch mitbestimmten dualistischen SE muss zwingend ein Anteilseignervertreter den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen (Art. 42 Satz 2 SE-VO), das aufwändige Verfahren nach § 27 MitbestG, wonach die Anteilseigner erst im 2. Wahlgang – nach Stimmengleichheit im 1. Wahlgang – den Aufsichtsratsvorsitzenden bestimmen können, gilt nicht. Dem von der Anteilseignerseite gestellten Aufsichtsratsvorsitzenden einer paritätisch mitbestimmten SE kommt dieser Stichentscheid zwingend zu (Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO), damit das Letztentscheidungsrecht der Anteilseignerseite mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz gewahrt bleibt.47 Damit können die Anteilseigner einer paritätisch mitbestimmten dualistischen SE – anders als nach § 27 Abs. 2 Satz 2 MitbestG bei der pari_______________

45 Vgl. Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 35 SEBG Rz. 2 f. Zur Frage ob durch die Beteiligungsvereinbarung auch vom Erfordernis der Dreiteilbarkeit nach § 17 SEAG abgewichen werden kann, vgl. LG Nürnberg-Fürth vom 8.2.2012, BeckRS 2010, 04843. 46 Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, § 35 SEBG Rz. 7; Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 197, jeweils mit Darstellung des Meinungsstands. 47 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2013, Art. 50 SE-VO Rz. 28.

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tätisch mitbestimmten AG oder GmbH – auch den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden mit dem Stichentscheid des Aufsichtsratsvorsitzenden wählen. Im Falle der paritätischen Mitbestimmung bietet eine SE somit durchaus relevante Gestaltungsmöglichkeiten. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitbestimmung – und ohne Bemühen sie zu perpetuieren – wird eine dualistisch verfasste SE dagegen allein aus corporate governance Gesichtspunkten wohl kaum eine attraktive Alternative für den Mittelstand bilden, selbst im Vergleich zur Aktiengesellschaft: Die SE zeichnet – wie bereits erwähnt48 – eine höhere Komplexität aus und gerade der Mittelstand wird nach meinem Eindruck eher zu der eingefahrenen und bekannteren Rechtsform tendieren.

3. Konzernorganisationsmöglichkeiten Zu den „Klassikern“ der regelmäßig genannten Vorteile einer SE gehören schließlich auch noch die Möglichkeit einer Sitzverlegung der Gesellschaft ohne Rechtsform- und Satzungswechsel (grenzüberschreitende Mobilität), die Möglichkeit der Verschmelzung von Tochtergesellschaften aus mehreren Jurisdiktionen auf eine Muttergesellschaft sowie die Möglichkeit einer einheitlichen corporate governance (insbesondere Satzung) in allen Konzerngesellschaften trotz mehrerer Jurisdiktionen.49 Diese Gründe werden auch in der Gesetzesbegründung erwähnt.50 Aus meiner Sicht haben sie sich jedoch in der Praxis als nicht so relevant erwiesen wie damals angenommen. _______________

48 Vgl. vorstehend III. 1. b) cc) bei Fn. 38. 49 Giedinghagen in Müller/Rödder, Beck’sches HB AG, 2. Auflage 2009, § 19 Rz. 8; Siems in KK AktG, 3. Auflage 2012, Vor Art. 1 SE-VO Rz. 80 ff. (Sitzverlegung), Rz. 77 ff. (Konzernvereinheitlichung); Wenz, AG 2003, 185, 192 ff.; Schröder in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, 2. Aufl. 2010, Vorbem. Rz. 80; Jannott/Frodermann in Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 2005, Einl. Rz. 8 ff. (Sitzverlegung Rz. 14 f.; Konzernvereinheitlichung Rz. 16 f.); Lutter in Lutter/Hommelhoff, SE, 2008, SE-VO Einl. Rz. 38–52 (Verweist unter Rz. 40 zudem auf den Kosteneinsparpotenzial durch Verschmelzung aller europäischer Tochtergesellschaften auf eine SE mit rechtlich unselbständigen Niederlassungen); für eine Einschätzung der Praxisrelevanz: Austmann in Münchener HB Gesellschaftsrecht, Bd. 4, 3. Auflage 2007, § 82 Rz. 4. 50 Erwägungsgrund 10 (grenzüberschreitende Holdingstrukturen), 24 (Sitzverlegung) SE-VO (VO (EG) Nr. 2157/2001).

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IV. Fazit Aus dem vorstehenden ergeben sich folgende Thesen: 1. Die wichtigste Gestaltungsmöglichkeit eröffnet die Rechtsform der SE im Hinblick auf das anwendbare Mitbestimmungsregime, namentlich die Möglichkeit den status quo der Mitbestimmung „einzufrieren“. 2. Bleiben Aspekte der Mitbestimmung außen vor, wird für nicht kapitalmarktorientierte Gesellschaften die Rechtsform der SE, auch bei monistischer Verfassung, typischerweise zu komplex und zu schwierig in der Handhabung sein, gerade im Vergleich mit den anderen zur Verfügung stehenden Rechtsformen wie GmbH und GmbH & Co. KG. 3. Für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die nicht der Mitbestimmung unterliegen, bietet eine monistisch verfasste SE im Vergleich zu Aktiengesellschaft interessante Optionen die corporate governance zu gestalten, insbesondere den Einfluss der Anteilseigner auf die Geschäftsführung zu stärken. 4. Für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, bietet eine dualistisch verfassten SE größere Flexibilität hinsichtlich der Größe des Aufsichtsrats und die Möglichkeit den Einfluss der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat zu stärken. 5. Die Rechtsform der KGaA bietet für kapitalmarktorientierte Gesellschaften noch weitergehende Möglichkeiten den Einfluss der Anteilseigner zu stärken als eine monistisch oder dualistisch verfasste SE. Eine KGaA kann mit einer SE zur SE & Co. KGaA kombiniert werden und damit mitbestimmungsrechtliche und corporate governance bezogene Gestaltungsoptionen beider Rechtsformen verbinden. 6. Schließlich bleiben, nicht zu vergessen, nicht-juristische Gründe für die Wahl der Rechtsform der SE, zu denen nota bene mit dem „Image“ in der eingangs erwähnten empirischen Untersuchung von Eidenmüller/Engert/Hornuf51der meistgenannte Grund für die Wahl der Rechtsform gehört. So bleibt es uns Juristen nur anzuerkennen, dass für unternehmerische Entscheidungen, wie die Wahl der geeigneten Rechtsform, stets auch nicht-juristische Gründe eine Rolle spielen können und müssen. _______________

51 AG 2009, 845.

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Die SE als Rechtsformalternative für den Mittelstand Steuerliche Anmerkungen Dr. Ernst-August Baldamus Rechtsanwalt/Steuerberater, München I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Laufende Besteuerung der SE . 1. Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . a) Ausländischer Organträger mit inländischer Organgesellschaft . . . . . . . b) Inländischer Organträger mit ausländischer Organgesellschaft . . . . . . . . . . . . 3. Abkommens- und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 80 81

III. Besteuerung der SE-Gründung 1. Formwechsel in SE . . . . . . . . 2. Erwerb einer Vorrats-SE . . . 3. Gründung einer Tochter-SE 4. Grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . . . . . 5. Gründung einer Holding-SE

86 86 87 87

82

84 86

IV. Besteuerung der Sitzverlegung 1. Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerliche Behandlung des Wegzugs . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerliche Behandlung des Zuzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die SE als Rechtsformalternative zur Familien-KG . . . . . 1. Besteuerung von KG und SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerneutrale Wege in eine SE-Struktur . . . . . . . . . a) DoppelformwechselModell . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwachsungsmodell . . . . c) Ausgliederungsmodell . .

88 89 91 95 96 96 98 98 99 99

VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 87 88

I. Einleitung Die SE ist im deutschen Mittelstand angekommen. Das gilt gleichermaßen für kleinere börsennotierte Unternehmen, Gesellschaften im Konzernverbund, wie auch für Familienunternehmen. Allerdings ist die Zahl mittelständischer deutscher SE bislang eher gering, insbesondere im Vergleich zur GmbH und zur (GmbH & Co.) KG. Als Kapitalgesellschaft wird die SE steuerlich wie eine AG oder eine GmbH behandelt. Die SE ist Subjekt sowohl der Körperschaftsteuer (KSt) als auch der Gewerbesteuer (GewSt). Steuerliche Besonderheiten ergeben sich bei der SE insbesondere bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung, aber auch – nicht beschränkt auf, aber doch angelegt in der Rechtsform der SE –

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Baldamus – Die SE als Rechtsformalternative für den Mittelstand

bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Aufgrund ihrer außersteuerlichen Vorzüge wird die SE in der Praxis zunehmend auch als Rechtsformalternative zur KG wahrgenommen, die als Personengesellschaft aufgrund ihrer steuerlichen Transparenz sowohl im nationalen als auch im internationalen Steuerrecht ganz anderen Regelungen unterliegt als die SE.

II. Laufende Besteuerung der SE 1. Grundzüge Als Kapitalgesellschaft ist die SE mit Sitz bzw. Geschäftsleitung im Inland in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, § 2 Abs. 2 GewStG). Das von der SE zu versteuernde Einkommen wird in Deutschland typisiert mit gut 30 % inländischen Ertragsteuern belastet (15 % KSt zzgl. 5,5 % SolZ hierauf, sowie GewSt nach Maßgabe des einschlägigen kommunalen Hebesatzes). Die inländische SE ist grundsätzlich schachtelprivilegiert nach § 8b KStG, so dass bei der Einkommensermittlung der SE Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen regelmäßig von der Besteuerung ausgenommen werden. In diesem Fall gelten jedoch 5 % der schachtelprivilegierten Bezüge/Gewinne als nicht abziehbare Betriebsausgabe (§ 8b Abs. 3 und 5 KStG). Im typisierten Regelfall führt dies wirtschaftlich dazu, das von Dividenden oder Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen der SE etwa 1,5 % (5 % x 30 %) an Ertragsteuern an das Finanzamt zu zahlen sind. Ausnahmen von diesem Regelfall können sich aufgrund von Verlusten oder Verlustvorträgen ergeben oder aufgrund spezialgesetzlicher Tatbestände, wie etwa § 8b Abs. 7 oder 8 KStG. Für SE gelten die allgemeinen Vorschriften über den Verlustabzug, also insbesondere die sog. Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG sowie die Einschränkungen des Verlustabzugs infolge schädlichen Anteilseignerwechsels nach § 8c KStG, § 10a GewStG. Nach § 10d Abs. 2 EStG können Verlustvorträge nur bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte i. H. v. 1 Mio. Euro unbeschränkt und darüber hinaus nur bis zu 60 % des 1 Mio. Euro übersteigenden Betrags abgezogen werden. 40 % des 1 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte unterliegen der KSt und der GewSt; entsprechend nicht genutzte Verluste können jedoch (weiter) vorgetragen werden. Gemäß § 8c KStG, § 10a GewStG führt der Erwerb von mehr als 25 % bis 50 % der Aktien einer VerlustSE zum anteiligen Untergang der Verlustvorträge und der Erwerb von

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mehr als 50 % der Aktien zum vollständigen Untergang. Zu enge und in praxi oft problematische Ausnahmen bestehen nach der sog. Konzernklausel des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG sowie nach der sog. Stille-ReservenKlausel des § 8c Abs. 1 Satz 6 ff. KStG. Auch für die Finanzierung der SE gelten dieselben steuerlichen Grundsätze wie für GmbH und AG, insbesondere greift auch für die SE die sog. Zinsschranke. Nach § 4h EStG sind Zinsaufwendungen eines Betriebs in Höhe des Zinsertrags abziehbar, während sog. Nettozinsaufwendungen nur bis zur Höhe von 30 % eines nach bestimmten steuerlichen Grundsätzen ermittelten EBITDA-Wertes abziehbar sind. Für kleine SE kommt die Zinsschranke aufgrund der Freigrenze für Nettozinsaufwendungen i. H. v. 3 Mio. Euro beim derzeitig niedrigen Zinsniveau regelmäßig nicht zur Anwendung, schon für mittelgroße SE kann die Zinsschranke aber erhebliche Konsequenzen haben, zumal die 3 Mio. EuroSchwelle kein Freibetrag ist, sondern eine Freigrenze, die bei Überschreitung komplett entfällt. Die auf einem Konzern-Eigenkapitalvergleich beruhenden Escape-Klauseln des § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b) und c) EStG sind praktisch bedeutungslos.

2. Organschaft SE können Organträger und Organgesellschaften1 im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG sein und somit mit anderen Kapitalgesellschaften eine körperschaft- und gewerbesteuerliche Konsolidierung herbeiführen, wenn die übrigen Organschaftsvoraussetzungen erfüllt sind (insbesondere finanzielle Eingliederung sowie ein auf mindestens fünf Jahre abgeschlossener und durchgeführter Gewinnabführungsvertrag).2 Die deutschen Konzernobergesellschaften in der Rechtsform der SE sind vermutlich durchweg auch Organträger. Zunehmend sind in der deutschen Konzernpraxis aber auch Organgesellschaften in der Rechtsform der SE anzutreffen. Im Zusammenhang mit der international mobilen SE stellt sich aus steuerlicher Sicht die Frage, ob eine grenzüberschreitende Organschaft möglich ist.3 Dabei sind zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden: _______________

1 Andere Unternehmen i. S. d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG, wobei nachfolgend allein die steuerliche Terminologie verwendet wird. 2 Das gilt auch für die Umsatzsteuer (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG), die in dieser Abhandlung aber nicht näher betrachtet wird. 3 Siehe eingehend zum ganzen Themenkomplex statt aller Gosch, IWB 2012, 694 ff. m. w. N.

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Zum einen fragt sich, ob eine ausländische Gesellschaft Organgesellschaft sein kann, wodurch ggf. Gewinne oder Verluste dieser ausländischen Gesellschaft im Inland steuerlich zu berücksichtigen wären. Zum anderen fragt sich, ob und inwieweit Gewinne oder Verluste einer inländischen Organgesellschaft der deutschen Besteuerung unterliegen, wenn der Organträger eine ausländische Gesellschaft ist.

a) Ausländischer Organträger mit inländischer Organgesellschaft Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG muss der Organträger bislang den Ort der Geschäftsleitung grundsätzlich im Inland haben (sog. einfacher Inlandsbezug). Eine SE mit Geschäftsleitung im Ausland kann bisher nur als Organträgerin qualifizieren, wenn sie im Inland eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung unterhält, unter deren Firma der Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen ist und der die Organbeteiligung zuzuordnen ist (§ 18 KStG). Kürzlich hat jedoch der BFH4 in einem faktischen Konzernfall, der im Jahr 1999 spielte, als die gewerbesteuerliche Organschaft noch keinen Gewinnabführungsvertrag voraussetzte, eine gewerbesteuerliche Organschaft einer deutschen GmbH zu einer PLC in Großbritannien angenommen, die keine Betriebsstätte oder Zweigniederlassung in Deutschland hatte. Im Urteilsfall führte das dazu, dass der Gewerbeertrag der D-GmbH aufgrund der Organschaft der UK-PLC zuzurechnen war, mangels inländischer Betriebsstätte der UK-PLC aber nicht mit deutscher GewSt besteuert wurde. Gestützt hat der BFH sein Urteil auf das Diskriminierungsverbot des Art. XX Abs. 4 und 5 des DBA Großbritannien.5 Das BFH-Urteil vom 9.2.2011 hat die Frage aufgeworfen, ob vergleichbare Rechtsfolgen auch heute herbeigeführt werden können, wenn eine Kapitalgesellschaft (z. B. SE) mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland _______________

4 BFH, Urt. v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106. 5 Art. XX Abs. 4 und 5 DBA Großbritannien entspricht Art. 24 Abs. 5 und 6 des OECD-MA und ist inhaltsgleich in zahlreichen anderen bedeutenden deutschen DBA verankert, u. a. in den DBA mit den USA, der Schweiz, Luxemburg, Frankreich, Japan, Italien und Irland. Kein entsprechendes Diskriminierungsverbot enthält insbes. das DBA Niederlande, doch könnten im Verhältnis zu den Niederlanden mglw. die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote (vgl. Artt. 49, 54 AEUV) zu einem entsprechenden Ergebnis führen (Hinweis auf BMF-Schreiben v. 8.12.2004, BStBl. I 2004, 1181, Tz. 1).

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einen grenzüberschreitenden Gewinnabführungsvertrag6 mit einer ausländischen Muttergesellschaft abschließt. Macht die deutsche Organgesellschaft Gewinne (was in internationalen Konzernen häufig durch fremdübliche Transferpreisvereinbarungen sichergestellt ist, etwa wenn eine F+E-Gesellschaft konzerninterne Auftragsforschung auf Cost PlusBasis macht oder einer Vertriebsgesellschaft von der ausländischen Muttergesellschaft eine Zielmarge garantiert wird) könnte das zur Folge haben, dass die in Deutschland erwirtschafteten Gewinne praktisch dem deutschen Besteuerungszugriff entzogen werden; im Gegenzug würden aber auch Verluste der deutschen Organgesellschaft mglw. nirgends steuerlich berücksichtigt. Aufgrund des überraschenden und unbillig empfundenen Ergebnisses ist das BFH-Urteil im Schrifttum vielfach kritisiert worden.7 Die Finanzverwaltung hat das Urteil mit einem Nichtanwendungserlass belegt.8 Nun wird der Gesetzgeber aktiv und beabsichtigt, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG grundlegend neu zu fassen. Künftig soll der Ort der Geschäftsleitung des Organträgers nicht mehr in Deutschland liegen müssen. Allerdings muss der Organträger in Deutschland eine Betriebsstätte im Sine des § 12 AO haben und die Organbeteiligung muss dieser Betriebsstätte zuzuordnen sein.9 Dabei soll eine Betriebsstätte im Sinne des neuen § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG nur dann gegeben sein, wenn die der Betriebsstätte organschaftlich zuzurechnenden Einkünfte sowohl nach innerstaatlichem Steuerrecht als auch nach einem anzuwendenden DBA der inländischen Besteuerung unterliegen. Eine steuerlich grenzüberschreitende Organschaft wird damit ausgeschlossen. Künftig wird aber ein ausländisches Unternehmen mit einer Betriebsstätte in Deutschland Organträger sein können. Eine Zweigniederlassung des ausländischen Unternehmens (vgl. §§ 13e, 13g HGB) ist hierfür nicht erforderlich, aber u. U. empfehlenswert, denn nach § 12 Satz 2 Nr. 2 AO ist eine handelsrechtliche Zweigniederlassung stets auch als steuerliche Betriebsstätte anzusehen. Gesellschaftsrechtlich setzt die Organschaft dann einen grenzüberschreitenden Gewinnabführungsvertrag voraus. _______________

6 Zum grenzüberschreitenden Beherrschungsvertrag grundlegend BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1 – ABB I; BGH, Beschl. v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136 – ABB II. 7 Vgl. nur Frotscher, IStR 2011, 697, 698 ff.; Dötsch, Der Konzern 2011, 267; Mitschke, IStR 2011, 537; weitere Nachweise bei Gosch, IWB 2012, 694, 703. 8 BMF-Schreiben v. 27.12.2011, BStBl. I 2012, 119. 9 Art. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisenkostenrechts v. 19.9.2012.

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Steuerlich wird die Zuordnung der Beteiligung an der Organgesellschaft zur deutschen Betriebsstätte des Organträgers hierbei oft zweifelhaft und der neuralgische Punkt sein. Die Finanzverwaltung vertritt hier bislang die Doktrin von der Zentralfunktion des Stammhauses,10 der zufolge Beteiligungen in der Regel dem Stammhaus zuzurechnen sind, wenn sie nicht einer in der Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit dienen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs11 kommt es für die Zuordnung einer Beteiligung zum Stammhaus oder zur Betriebsstätte auf die tatsächlich funktionale Bedeutung der Beteiligung für die Tätigkeit der Betriebsstätte an. In einigen Fällen mag diese Zuordnung klar erscheinen (Beispiel: die deutsche Betriebsstätte produziert Waren ausschließlich für den deutschen Markt, die exklusiv von der inländischen Organgesellschaft vertrieben werden). Oft wird es aber an der steuerplanerisch notwendigen Klarheit (auch über die Zeit) insoweit fehlen.

b) Inländischer Organträger mit ausländischer Organgesellschaft Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG muss eine Organgesellschaft bislang Geschäftsleitung und Sitz im Inland haben (sog. doppelter Inlandsbezug). Die Notwendigkeit, auch den Satzungssitz im Inland zu haben, ist nach Ansicht der EU-Kommission nicht mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) vereinbar, weshalb die Kommission 2009 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitete. Das BMF reagierte hierauf mit einem Billigkeitserlass12, demzufolge über den Wortlaut des § 14 KStG hinaus eine im EU-/EWR-Ausland gegründete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung in Deutschland ihr auf im Inland steuerpflichtigen (positiven und negativen) Einkünften beruhendes Einkommen innerhalb einer steuerlichen Organschaft einem Organträger i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG oder § 18 KStG zurechnen kann, wenn die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer steuerlichen Organschaft erfüllt sind. Für die SE ist das BMF-Schreiben ohne praktische Relevanz, da bei der SE nach geltendem Recht Sitz und Ort der Ge_______________

10 Betriebsstätten-Erlass des BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4. Die Zentralfunktions-Doktrin ist überholt, spätestens durch die Umsetzung des sog. Authorized OECD Approach (AOA) für die Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in § 1 AStG n. F. durch das Jahressteuergesetz 2013; kritisch zur Zentralfunktions-Doktrin Breuninger in FS Schaumburg, 2009, S. 587, 607; Wassermeyer, IStR 2012, 277; Baldamus, IStR 2012, 317, 321 f. m. w. N. 11 BFH, Beschl. v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510. 12 BMF-Schreiben v. 28.3.2011, BStBl. I 2011, 300.

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schäftsleitung übereinstimmen müssen (Art. 7 SE-VO). Auch jenseits der SE ist die praktische Relevanz des BMF-Schreibens beschränkt, denn zum einen muss die Organgesellschaft unstreitig den Ort der Geschäftsleitung in Deutschland haben (was für im EU-/EWR-Ausland gegründete Gesellschaften erfordert, dass in ihrem Gründungsstaat die Gründungstheorie gilt und außerdem der Satzungssitz vom Ort der Geschäftsleitung divergieren kann)13 und zum anderen muss auch die EU-/EWRausländische Organgesellschaft einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 AktG mit dem Organträger abschließen, was sich nach h. M. nach dem ausländischen Gesellschaftsrecht des Sitzstaates der Organgesellschaft richtet.14 Gewinnabführungsverträge im Sinne des § 291 AktG sind im Ausland weitgehend unbekannt.15 Indessen sollte ausreichen, wenn eine Verpflichtung zur Gewinnabführung und zur Verlustübernahme ähnlich den §§ 291, 302 AktG auf schuldrechtlicher Basis vereinbart wird.16 Der EU-Kommission genügt die bloß administrative Reaktion des BMF nicht, weshalb sie eine Klage vor dem EuGH anstrengt.17 Hierauf reagiert der Gesetzgeber nun mit einer Änderung der § 14 Abs. 1 Satz 1, § 17 Satz 1 KStG.18 Der sog. doppelte Inlandsbezug soll aufgegeben werden und als Organgesellschaft soll eine Kapitalgesellschaft künftig auch dann qualifizieren können, wenn sie die Geschäftsleitung im Inland hat und den Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR. Für SE wird die Gesetzesänderung wegen Art. 7 SE-VO keine und darüber hinaus auch nur begrenzte praktische Folgen haben. _______________

13 Denkbar ist das in Dänemark, Finnland, Großbritannien, Liechtenstein und den Niederlanden, vgl. Winter/Marx, DStR 2011, 1101, 1103. 14 Vgl. BFH, Urt. v. 7.12.2011 – I R 30/08, BStBl. II 2012, 507, Rz. 21 m. w. N.; Altmeppen in Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2010, Einl. §§ 291 ff. Rz. 50. Zu zivilrechtlichen Aspekten von grenzüberschreitenden Unternehmensverträgen Hoene, IStR 2012, 462; Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182 ff. 15 Ausnahmen wohl: Österreich, Slowenien, Italien und Portugal; siehe Hoene, IStR 2012, 462 sowie Winter/Marx, DStR 2011, 1101, 1104. Zu Italien auch Hinweis auf FG Niedersachsen, Urt. v. 11.2.2010 – 6 K 406/08, IStR 2010, 260, 262. 16 Siehe FG Niedersachsen, Urt. v. 11.2.2010 – 6 K 406/08, IStR 2010, 260, 262; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.3.2010 – 1 K 2406/07, EFG 2010, 1632. 17 Pressemitteilung der EU-Kommission v. 22.3.2012, IP/12/283. 18 Art. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisenkostenrechts v. 19.9.2012.

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3. Abkommens- und Unionsrecht Als Kapitalgesellschaft ist die SE grundsätzlich abkommensberechtigt (Artt. 1, 3 Abs. 1 OECD-MA), kann also Vorteile eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in Anspruch nehmen. Eine SE kann sich auch auf die Begünstigungen des Unionsrechts berufen. Dabei sind aus dem Primärrecht die Niederlassungsfreiheit (Artt. 49, 54 AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) für das Ertragsteuerrecht von großer Bedeutung. Aus dem ertragsteuerlichen Sekundärrecht ist insbesondere auf die Mutter-Tochter-Richtlinie19 hinzuweisen, die die Befreiung von Quellensteuern auf Dividenden zwischen verbundenen Unternehmen innerhalb der Europäischen Union regelt, sowie auf die Zinsund Lizenzrichtline20, die die Befreiung von Quellensteuern auf Zinsen und Lizenzen zwischen verbundenen Unternehmen innerhalb der Europäischen Union zum Gegenstand hat.

III. Besteuerung der SE-Gründung Die Besteuerung der Gründung einer SE ist stark vom Einzelfall abhängig, insbesondere da in aller Regel mehrere Steuerrechtsordnungen betroffen sind und sich steuerliche Folgen bei mehreren Steuerrechtssubjekten ergeben können. Gleichwohl lassen sich Grundfälle bilden, die hier lose nach steuerlicher Relevanz und Komplexität geordnet sind:

1. Formwechsel in SE Der Formwechsel einer AG in eine SE ist in Deutschland steuerneutral möglich. Bilanzsteuerlich ist der Formwechsel ohne Relevanz. Mögliche Verluste und Verlustvorträge der AG können von der SE nach dem Formwechsel weiter genutzt werden. Organschaften mit der AG bestehen ungeachtet des Formwechsels mit der SE fort. Der Formwechsel löst auch keine Grunderwerbsteuer aus. Dieselben Grundsätze gelten für einen dem AG-SE-Formwechsel vorgeschalteten Formwechsel einer GmbH in eine AG.

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19 Richtlinie 2011/96/EU. 20 Richtlinie 2003/49/EG. Hinweis auch auf das Zinsabkommen EU-Schweiz (insbes. Art. 15 Abs. 2), in dessen Schutzbereich SE gleichermaßen fallen.

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2. Erwerb einer Vorrats-SE Der Erwerb und die Aktivierung einer Vorrats-SE haben regelmäßig keine negativen Steuerfolgen. Die wichtigste Ausnahme von dieser Regel ist gegeben (vgl. § 8c KStG), wenn es sich um einen Verlustmantel handelt, was bislang aber bei SE sehr selten sein dürfte.

3. Gründung einer Tochter-SE Die Bargründung einer Tochter-SE ist ertragsteuerneutral möglich. Die Sachgründung einer Tochter-SE ist hingegen nur unter engen Voraussetzungen ohne Aufdeckung und Versteuerung stiller Reserven möglich.21 Beteiligt sich eine deutsche Gesellschaft an der Gründung einer deutschen Tochter-SE, muss hierzu in aller Regel ein Betrieb, ein Teilbetrieb oder eine qualifizierte Kapitalbeteiligung in die Tochter-SE eingebracht werden (§ 20 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG). Dabei ist die Teilbetriebseigenschaft nach dem gegenwärtigen Verständnis der deutschen Finanzverwaltung inhaltlich22 und auch in zeitlicher Hinsicht23 hoch problematisch, weshalb in praxi fast immer verbindliche Auskünfte hierüber eingeholt werden müssen. Einfacher ist meist die Gründung einer Tochter-SE im Weg eines qualifizierten Anteilstauschs.

4. Grenzüberschreitende Verschmelzung Die Gründung der SE durch grenzüberschreitende Verschmelzung berührt immer (mindestens) zwei Steuerrechtsordnungen. Um es für diese kurze Darstellung ganz stark zu vereinfachen, sei die These aufgestellt, dass die Gründung einer SE durch grenzüberschreitende Verschmelzung in der Praxis regelmäßig nur dann erfolgt, wenn dies ohne schädliche Steuerfolgen möglich ist. Praktische Bedeutung haben dabei drei Fallgruppen: Fallgruppe 1: Der übertragende Rechtsträger hat keine stillen Reserven, z. B. da das Betriebsvermögen nur aus Euro-Forderungen oder Geld besteht oder es sich um eine Mantelgesellschaft ohne Verlustvorträge handelt. _______________

21 Näher Schindler in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Die SE im Steuerrecht, Rz. 356 ff. 22 Siehe insbes. Rz. 20.06 i. V. m. Rz. 15.02 Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11. 2011, BStBl. I 2011, 1314. 23 Siehe insbes. Rz. 20.06 i. V. m. Rz. 15.03 Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11. 2011, BStBl. I 2011, 1314.

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Fallgruppe 2: Die stillen Reserven des übertragenden Rechtsträgers werden steuerlich (zumindest weitgehend, in Deutschland nach § 8b KStG) freigestellt, z. B. bei einer Holding, die nur Kapitalbeteiligungen hält. Fallgruppe 3: Ungeachtet der Verschmelzung wird das Besteuerungsrecht des Staates, in dem der übertragende Rechtsträger ansässig ist, nicht beschränkt, weil der übernehmende Rechtsträger die Aktivität des übertragenden Rechtsträgers in einer Betriebsstätte im Ansässigkeitsstaat des übertragenden Rechtsträgers fortführt und sämtliche im Ansässigkeitsstaat des übertragenden Rechtsträgers steuerverstrickten Wirtschaftsgüter nach der Verschmelzung eben dieser Betriebsstätte zuzuordnen sind (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG).24

5. Gründung einer Holding-SE Auch die Gründung einer Holding-SE berührt immer mindestens zwei Steuerrechtsordnungen.25 Grundsätzlich kann die Gründung einer Holding-SE im Weg eines qualifizierten Anteilstauschs (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG) in Deutschland steuerneutral möglich sein. Allerdings sind auch in diesem Fall meist weitere Voraussetzungen für die Steuerneutralität gegeben. Hinzuweisen ist etwa auf Sperrfristen, auf Grunderwerbsteuer und auf eine mögliche Beeinträchtigung steuerlicher Verlustvorträge. Ferner ergeben sich aus dem ausländischen Steuerrecht Anforderungen für die Steuerneutralität, was insbesondere bei stark internationalen Gesellschafterkreisen der die Holding-SE gründenden Gesellschaften zu enormer Komplexität führen kann.

IV. Besteuerung der Sitzverlegung Eine Besonderheit der SE, die auch steuerlich relevant ist, besteht in der Möglichkeit der SE, ihren Satzungssitz identitätswahrend über die EUbzw. EWR26-Grenze zu verlegen. Gesellschaftsrechtlich müssen SE wegen Art. 7 Satz 1 SE-VO den Satzungssitz und Ort der Geschäftsleitung im gleichen Staat haben und daher auch gemeinsam verlegen. Wird nur _______________

24 Es ergeben sich auch hier wieder die bereits oben erwähnten Probleme aus der von der Verwaltung vertretenen These der Zentralfunktion des Stammhauses. Siehe näher Fn. 10 f. sowie Baldamus, IStR 2012, 317, 321 f. 25 Gute Darstellung bei Schindler in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Die SE im Steuerrecht, Rz. 287 ff. 26 Vgl. Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 93/2002 v. 25.6.2002, ABl. EG 2002 Nr. L 266, 69.

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der Ort der Geschäftsleitung in einen anderen Staat verlegt, führt der Verstoß gegen Art. 7 SE-VO jedoch nicht automatisch zur Nichtigkeit oder Auflösung der SE.27 Infolge des jüngst ergangenen VALE-Urteils des EuGH28 ist davon auszugehen, dass auch für andere Gesellschaften nunmehr die grenzüberschreitende, identitätswahrende und statutenwechselnde Sitzverlegung („grenzüberschreitender Formwechsel“) grundsätzlich möglich ist, wenngleich hier noch viele Einzelfragen offen sind.

1. Grundzüge In Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind Kapitalgesellschaften, die im Inland ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz haben (§ 1 Abs. 1 KStG). Steuerlich entscheidend für die Ansässigkeit ist allerdings regelmäßig der Ort der Geschäftsleitung, denn ganz überwiegend enthalten die deutschen DBA sog. tie-breaker-Klauseln entsprechend dem Art. 4 Abs. 3 OECD-MA,29 mit der Folge, dass die Kapitalgesellschaft für abkommensrechtliche Zwecke als nur in dem Staat ansässig gilt, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Zwar ist auch eine doppelansässige Kapitalgesellschaft, die nur den Satzungssitz in Deutschland, jedoch den Ort der Geschäftsleitung im Ausland hat, in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 KStG). Hat die doppelansässige Gesellschaft aber keine steuerliche Betriebsstätte in Deutschland, wird sie im DBA-Regelfall effektiv nur in dem Staat besteuert, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Eine Steuererklärung muss diese Gesellschaft aufgrund ihrer unbeschränkten Steuerpflicht auch in Deutschland abgeben, doch ist dies faktisch eine „Nullerklärung“, da ihre Einkünfte in dem Staat der Besteuerung unterliegen, wo der Ort der Geschäftsleitung ist. Durch das MoMiG wurde 2008 für deutsche Kapitalgesellschaften die Möglichkeit eröffnet, ihren Verwaltungssitz – abweichend vom Satzungssitz, der zwingend im Inland sein muss – auch im Ausland zu wählen. Das _______________

27 Zu diesen Ausnahmefällen siehe Schön in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Die SE im Steuerrecht, Rz. 53 f. 28 EuGH, Urt. v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10, ZIP 2012, 1394 = EuZW 2012, 621 (m. Anm. Behrens) = BB 2012, 2069 (m. Anm. Messenzehl/Schwarzfischer). Siehe dazu auch Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481; Wicke, DStR 2012, 1756; Behme, NZG 2012, 936; Teichmann, DB 2012, 2085; Rubner/Leuering, NJWSpezial 2012, 527. 29 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 4 MA, Rz. 91 ff.; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, Art. 4 Rz. 290.

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MoMiG hat dadurch die steuerlichen Gestaltungsspielräume bereits merklich erhöht. Aus steuerlicher Sicht findet ein Wegzug einer deutschen Kapitalgesellschaft also regelmäßig schon dann statt, wenn diese den Ort der Geschäftsleitung ins Ausland verlegt. Diese Form des steuerlichen Wegzugs ist in der Praxis wesentlich häufiger zu beobachten als der Wegzug einer SE, bei dem sowohl der Satzungssitz als auch der Verwaltungssitz ins Ausland verlegt werden muss. Die Verwaltungssitzverlegung ist ein tatsächlicher Umstand, der unbedingt auch real vollzogen werden muss, um steuerlich anerkannt zu werden. In der steuerlichen Praxis empfiehlt es sich regelmäßig, die bloße Verwaltungssitzverlegung durch Änderung der Satzung (Aufspaltung des Sitzes in einen inländischen Satzungssitz und einen ausländischen Verwaltungssitz) und insbesondere durch Bestellung von Vorständen/Geschäftsführern, die selbst am neuen Verwaltungssitz ansässig sind, abzusichern. Ungeachtet dieses Befunds ist die Möglichkeit der SE, auch ihren Satzungssitz identitätswahrend über die Grenze zu verlegen auch aus steuerpraktischer Sicht ein erheblicher Vorteil, da eine doppeltansässige Gesellschaft immer mit erhöhter Komplexität (z. B. bei der administrativen Umsetzung der DBA-rechtlichen Freistellung von Dividenden, Lizenzen oder Zinsen) und höheren Kosten (für eine zweite Steuererklärung u.V.m.) einhergeht. Die SE ist in aber insbesondere ein attraktives Zuzugsvehikel, übrigens – z. B. über Luxemburg oder Liechtenstein – mittelbar auch für einen Zuzug aus Drittstaaten. Aus Sicht der Steuerpraxis ist die Mobilität von Gesellschaften im EU-/EWR-Raum insgesamt von großer Bedeutung. Insofern bleiben sowohl die SPE30 als auch ein sicherer Rechtsrahmen für grenzüberschrei_______________

30 Erst kürzlich verabschiedete das Europäische Parlament einen Entschließungsantrag, in dem es die Kommission auffordert, weitere Anstrengungen für die Einführung der SPE zu unternehmen, Entschließung v. 14.6.2012, Verfahren 2012/2669(RSP), P7_TA-PROV(2012)0259 Tz. 2. Siehe zur SPE insbes. Hommelhoff, WM 1997, 2101; Hommelhoff/Helms in Boucourechliev/ Hommelhoff (Hrsg.), Vorschläge für eine Europäische Privatgesellschaft, Köln 1999, S. 143; Hommelhoff/Helms, GmbHR 1999, 53; Hommelhoff in FS Doralt, 2004, S. 199; sowie die Beiträge zur SPE in der Festschrift für Hommelhoff, 2012, von Gutsche, S. 285 ff.; Helms, S. 369 ff.; Lévi, S. 661; Neville, S. 835. Zur steuerlichen Behandlung vgl. Balmes/Rautenstrauch/ Kott, DStR 2009, 1557.

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tende Sitzverlegungen im Nachgang zum VALE-Urteil des EuGH ein vordringliches gesetzgeberisches Ziel. Bei der SPE scheint die dort vorgesehene Möglichkeit der Sitzaufspaltung bislang offenbar ein gewichtiges – m. E. aber kaum verständliches31 – steuerpolitisches Hindernis zu sein. Zur Vollendung des Binnenmarktes fehlt aber auch ein sicherer Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen sowie für grenzüberschreitende Umwandlungen für Personengesellschaften, die aus Sicht der Steuerpraxis sehr wünschenswert und dringlich sind.

2. Steuerliche Behandlung des Wegzugs Der Besteuerung des Wegzugs einer SE richtet sich in Deutschland primär nach den allgemeinen sog. Entstrickungsgrundsätzen, die 2006 durch das SEStEG32 im deutschen Ertragsteuerrecht verankert wurden. Die Entstrickungstatbestände33 sollen durch Fiktion einer Entnahme oder Veräußerung zum sog. gemeinen Wert (Veräußerungspreis) sicherstellen, dass stille Reserven in Wirtschaftsgütern aufgedeckt und grundsätzlich sofort besteuert werden, soweit das deutsche Besteuerungsrecht beschränkt oder aufgehoben wird.34 Für den Wegzug einer SE aus Deutschland regelt dies § 12 KStG. Zieht eine deutsche SE mitsamt ihrem inländischen Betriebsvermögen ins Ausland und wird infolge dessen das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes der SE beschränkt, gilt der Wegzug als Veräußerung dieses Wirtschaftsgutes zum gemeinen Wert (Verkehrswert). Es kommt grundsätzlich zu einer sofortigen Besteuerung der entsprechenden stillen Reserven mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer. Die sofortige Besteuerung der stillen Reserven aufgrund des Wegzugs stellt eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit dar (Art. 49 AEUV). Nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils National Grid Indus _______________

31 Eingehend hierzu Schädle/Eich, DStR 2012, 2341 ff. 32 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782, ber. BGBl. I 2007, 68. 33 Z. B. § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG; § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG; § 12 KStG; § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwStG; § 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG; § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG; § 21 Abs. 2 Satz 2 f. UmwStG; § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG. 34 Zur Problematik der Sofortbesteuerung Wied in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 4 EStG Rz. 486; Wassermeyer, DB 2006, 2420; Dötsch in Dötsch/ Jost/Pung/Witt, Körperschaftsteuer, § 11 UmwStG Rz. 55 ff.

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vom 29.11.201135 ist ein solcher Eingriff in die Niederlassungsfreiheit allenfalls dann gerechtfertigt, wenn dem Steuerpflichtigen als Alternative zur Sofortbesteuerung ein Wahlrecht zum Besteuerungsaufschub zusteht. § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 36 Abs. 5 EStG eröffnet beim Wegzug wohl die Möglichkeit, die Besteuerung eines Entstrickungsgewinns über fünf Jahre zu verteilen (str.).36 Auch ein solcher Besteuerungsaufschub bliebe jedoch hinter dem zurück, was nach der EuGH-Entscheidung National Grid Indus durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) geboten ist. Der deutsche Gesetzgeber ist nun gehalten, die EuGHGrundsätze in nationales Recht umzusetzen.37 Ob, wann und wie dies erfolgt, ist noch nicht absehbar.38 Aber nicht nur die Entstrickung einzelner Wirtschaftsgüter kann zu einer Besteuerung des Wegzugs einer SE in Deutschland führen. Vielmehr können auch so genannte Funktionsverlagerungen (als Transferpakete zusammengehörender Wirtschaftsgüter) im Zusammenhang mit einem Wegzug einer SE zu einer Besteuerung in Deutschland führen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG).39 Aufgrund dieser Entstrickungsgrundsätze, die ähnlich in den meisten EU-/EWR-Staaten gelten, ist der Wegzug einer SE derzeit praktisch – wie die Herausverschmelzung – nur in drei Fallgruppen relevant: Fallgruppe 1: Die wegziehende Gesellschaft hat keine stillen Reserven, z. B. da das Betriebsvermögen nur aus Euro-Forderungen oder Geld besteht oder es sich um eine Mantelgesellschaft handelt. _______________

35 EuGH, Urt. v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, NZG 2012, 114 = ZIP 2012, 169 = DStR 2011, 2334 (m. Anm. Hruschka); vgl. eingehend zum Urteil Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14; Mitschke, IStR 2012, 6; Mitschke, DStR 2012, 629; Körner, IStR 2012, 1; Hahn, BB 2012, 681; Ruiner, IStR 2012, 49; mittlerweile bestätigt durch EuGH, Urt. v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission/Portugal, IStR 2012, 763. 36 Ablehnend etwa Weiland in Frotscher, EStG, § 36 Rz. 101. 37 Siehe statt aller Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14. 38 Hinweis auf Punkt 10 der „Zwölf Punkte zur weiteren Modernisierung und Vereinfachung des Unternehmenssteuerrechts“ der Regierungskoalition aus dem Frühjahr 2012 sowie auf die daran anschließende parlamentarische Diskussion (BT-Drucks. 17/8978, S. 2; BT-Drucks. 17/9216, S. 2 f.), die bislang kein Ergebnis gebracht hat. 39 Siehe dazu insbes. die Funktionsverlagerungs-Verordnung vom 12.8.2008 (FVerlV), die Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung des BMF vom 13.10.2010, BStBl. I 2010, 774, sowie den OECD-Report „Transfer Pricing Aspects of Business Restructurings“ vom 22.7.2010, abrufbar unter: http:// www.oecd.org/tax/transferpricing/45690216.pdf.

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Fallgruppe 2: Die stillen Reserven der wegziehenden Gesellschaft werden steuerlich (zumindest weitgehend, in Deutschland nach § 8b KStG) freigestellt, z. B. bei einer Holding, die nur Kapitalbeteiligungen hält. Fallgruppe 3: Die wegziehende Gesellschaft behält eine Betriebsstätte im Wegzugsstaat, der auch nach dem Wegzug noch sämtliche steuerverstrickten Wirtschaftsgüter zuzurechnen sind, weshalb das Besteuerungsrecht des Wegzugsstaates nicht beschränkt wird.40 Wegen der sog. Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) scheidet der Wegzug aus Deutschland als steuerliche Verlustnutzungsstrategie in aller Regel aus. Der Wegzug einer SE aus Deutschland kann unter bestimmten Umständen auch steuerliche Auswirkungen auf der Ebene der inländischen Anteilseigner haben. Das ist der Fall, wenn durch den Wegzug der SE deren Anteile beim inländischen Gesellschafter entstrickt werden, also infolge des Wegzugs das deutsche Besteuerungsrecht an einem Gewinn aus der Veräußerung der SE-Aktien aufgehoben oder beschränkt wird.41 Allerdings enthalten die meisten deutschen DBA dem Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechende Bestimmungen, wonach dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters das Besteuerungsrecht für Gewinne aus einer Anteilsveräußerung zusteht. Steht das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der SE-Aktien jedoch dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft zu, kann es auf Ebene des Gesellschafters zu einer Entstrickung kommen. Das ist insbesondere beim Wegzug nach Tschechien oder in die Slowakei42 relevant; vergleichbare DBA bestehen aber auch

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40 Es ergeben sich auch hier wieder die bereits oben erwähnten Probleme aus der von der Verwaltung vertretenen These der Zentralfunktion des Stammhauses. Siehe näher Fn. 10 sowie Baldamus, IStR 2012, 317, 321 f. 41 Anteile in einem Betriebsvermögen eines Einzelunternehmers und einer Mitunternehmerschaft gelten insoweit nach § 4 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG als mit dem gemeinen Wert entnommen; für Anteile im Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft gilt gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG die Beteiligung als mit dem gemeinen Wert veräußert. Wird eine Beteiligung in Höhe von mind. 1 % im Privatvermögen gehalten, so fingiert auch § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG eine entsprechende Veräußerung. Die Regelungen sind jedoch noch nicht an die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. National Grid Indus angepasst, vgl. hierzu bereits oben. 42 Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechoslowakei (1980).

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mit den EU-Staaten Bulgarien,43 und Zypern,44 ggf. jedoch auch, unter weiteren Voraussetzungen, mit dem EWR-Staat Norwegen.45 In diesen praktischen Ausnahmefällen werden die Gewinne aus einer Anteilsveräußerung erst nachgelagert besteuert, wenn die Anteile tatsächlich veräußert werden; dann werden sie allerdings so besteuert, als hätte eine Sitzverlegung nicht stattgefunden.46 Infolgedessen werden folglich nicht nur die stillen Reserven bis zum Zeitpunkt des Wegzugs der SE der deutschen Besteuerung unterworfen, sondern auch – und zwar ausdrücklich des Gesetzeswortlautes auch entgegen einem DBA (sog. treaty override) – diejenigen stillen Reserven, die erst im Zuzugsstaat gebildet werden. Einerseits wird zwar dadurch die steuerliche Verstrickung bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung nicht gelöst,47 andererseits droht dem Grunde nach48 immanent die doppelte Besteuerung der erst nach der Sitzverlegung entstandenen stillen Reserven, die regelmäßig auch im Zuzugsstaat der Besteuerung unterworfen sein werden. Dies ist sowohl verfassungsrechtlich als auch unionsrechtlich höchst bedenklich.49 In der Literatur wurde die SE – mittelbar über Luxemburg – als Wegzugsvehikel auch in Drittstaaten (inkl. Steueroasen, wie die Cayman _______________

43 44 45 46

Art. 12 Abs. 4 DBA-Bulgarien. Art. 13 Abs. 3 DBA-Zypern. Art. 13 Abs. 4 DBA-Norwegen. Für Anteile in einem Betriebsvermögen eines Einzelunternehmers und einer Mitunternehmerschaft gilt insoweit § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG und bei der Veräußerung § 15 Abs. 1a EStG; für Anteile im Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft § 12 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 KStG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG und bei Veräußerung § 15 Abs. 1a EStG; im Falle einer Beteiligung von mind. 1 % an der SE, welche im Privatvermögen des Gesellschafters gehalten wird, gilt § 17 Abs. 5 Satz 2 ff. EStG. 47 Carlé in Korn, EStG, § 15 Rz. 288.1. 48 Der Höhe nach dürfte jedoch die ausländische Steuer nach § 34c EStG auf die deutsche Steuer anzurechnen sein: Stapperfend in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Rz. 972. 49 Vgl. BFH, Beschl. v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236, 304 = BFH/NV 2012, 1056; Gosch, IStR 2008, 41; Frotscher, IStR 2006, 65, 68 und 71 f. sowie in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, Internationalisierung des Ertragsteuerrechts, Rz. 143 ff. Im Ergebnis ebenso: Stapperfend in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Rz. 972; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481, 1486. Hinweis erneut auf EuGH, Urt. v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, NZG 2012, 114 = ZIP 2012, 169 = DStR 2011, 2334.

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Islands) kontrovers diskutiert.50 In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die weggezogene deutsche SE zwar grundsätzlich nicht mehr der deutschen Besteuerung unterliegt, wenn sie in Deutschland keine Betriebsstätte aufrechterhält und auch sonst keine beschränkte Steuerpflicht nach § 49 EStG gegeben ist. Allerdings kann die sog. Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) zu einem rechtssubjekt- und grenzübergreifenden Besteuerungszugriff führen, was zur Konsequenz hat, dass im Ausland erzielte passive Einkünfte (insbesondere Zinsen und Lizenzen) beim deutschen Gesellschafter auf deutsches Besteuerungsniveau hochgeschleust werden.51 Der Wegzug nach Cayman ist in diesem Fall für deutsche Konzerngesellschaften steuerplanerisch nicht zielführend. Kritische Beispiele aus deutscher steuerplanerischer Sicht sind vielmehr die EU-Mitgliedstaaten Großbritannien, Niederlande oder Schweden, weil dort der Steuersatz neuerdings unter 25 % liegt mit der Folge, dass der Anwendungsbereich der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung nun grundsätzlich eröffnet ist, was in der (insbesondere mittelständischen) Praxis vielfach noch gar nicht erkannt wurde.

3. Steuerliche Behandlung des Zuzugs Beim Zuzug einer SE werden handelsrechtlich grundsätzlich die nach ausländischen Bilanzierungsgrundsätzen ermittelten Buchwerte übernommen. Der Zuzug führt also nicht zu einer rückwirkenden Anpassung der Buchwerte. Das gilt auch für den Ansatz von nach dem HGB nicht aktivierbaren selbst erstellten immateriellen Vermögensgegenständen des Anlagevermögens (inkl. Firmenwert). Die auf ausländischem Bilanzrecht basierenden Buchwerte sind wie (fortgeführte) Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Sinne des HGB zu behandeln und nach den Vorschriften des HGB erforderlichenfalls um planmäßige bzw. außerplanmäßige Abschreibungen fortzuführen. Für Geschäftsvorfälle aus der Zeit nach der Sitzverlegung gelten ausschließlich die Regelungen des HGB.52 _______________

50 Vgl. J. Schmidt, DB 2006, 2221; Heuschmid/C. Schmidt, NZG 2007, 54; Oechsler in Münchener Kommentar zum AktG, Band 7, 3. Aufl. 2012, Art. 8 SE-VO Rz. 70. 51 Die Mehrzahl der großen Industriestaaten hat vergleichbare sog. CFC (controlled foreign company) rules. 52 Siehe Berichterstattung über die 208. Sitzung des Hauptfachausschusses (HFA) des IDW am 3. und 4.7.2007 (dort unter 3. Rechnungslegung bei Verlegung des Sitzes einer Europa AG). Zuvor ähnlich bereits Welf Müller in FS Raupach, 2006, S. 261, 275 ff.

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Steuerlich kommt es zu einer Buchwertfortführung nur, soweit die zugezogene SE bereits vor dem Zuzug eine inländische Betriebsstätte unterhielt. Sofern hingegen mit dem Zuzug der SE auch Wirtschaftsgüter nach Deutschland verbracht werden, kommt es steuerlich zu einer sog. Verstrickung. Nach den allgemeinen Verstrickungsgrundsätzen, die zusammen mit den Entstrickungsgrundsätzen 2006 durch das SEStEG kodifiziert wurden, wird bei Begründung deutschen Besteuerungsrechts infolge Zuzugs für steuerliche Zwecke eine Anschaffung der verstrickten Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert (= Veräußerungspreis) fingiert. Das gilt auch für zuvor nicht bilanzierte selbst geschaffene Wirtschaftsgüter, wie einen Firmenwert (str.).53 In der Praxis wird im Zweifel der Zuzug nur mit verbindlicher Auskunft über die Aktivierung solcher immaterieller Wirtschaftsgüter erfolgen.

V. Die SE als Rechtsformalternative zur Familien-KG Die SE eröffnet nicht mitbestimmten Familien-KGs, die vielfach bislang aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen nicht Kapitalgesellschaft sein wollten, eine neue Option der Rechtsformwahl. Diese wird gegenwärtig in zahlreichen Familien-KG intensiv diskutiert, wobei die Steuern oft Grund und immer ein Schwerpunkt der Überlegungen sind.

1. Besteuerung von KG und SE Als Personengesellschaft wird die KG grundlegend anders besteuert als die SE. Die KG selbst ist zwar Gewerbesteuersubjekt, für einkommenund körperschaftsteuerliche Zwecke ist die KG hingegen transparent. Das Transparenzprinzip führt bei – gerade größeren – KG zu einer anspruchsvollen steuerlichen Administration, denn neben einer aus der Handelsbilanz abgeleiteten steuerlichen Gesamthandsbilanz gibt es praktisch immer sog. Sonderbilanzen der Kommanditisten bei der KG und häufig auch sog. steuerliche Ergänzungsbilanzen. In steuerlichen Sonderbilanzen werden Wirtschaftsgüter des Mitunternehmers bilanziert, die dieser der KG überlassen hat (z. B. ein Grundstück des Kommanditisten, das von der KG genutzt wird oder ein Gesellschafterdarlehen, das auf dem Darlehenskonto des Kommanditisten der KG verbucht ist; sog. Sonderbetriebsvermögen I), aber auch sog. Sonderbetriebsvermögen II, das der Beteiligung des Mitunternehmers dient (z. B. ein Bank_______________

53 Vgl. Schön in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Die SE im Steuerrecht, Rz. 178 sowie Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 Rz. 427.3.

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darlehen, das der Kommanditist aufgenommen hat, um hiermit seine Kommanditbeteiligung zu erwerben). In Ergänzungsbilanzen werden gesellschafterspezifische steuerliche Korrekturposten zur Gesamthandsbilanz der KG bilanziert um damit (etwa nach einem Gesellschafterwechsel, der für den Erwerber steuerlich zu Anschaffungskosten über dem anteiligen Buchwert laut Gesamthandsbilanz führt) eine steuerlich zutreffende Abbildung der anteiligen Wirtschaftsgüter für jeden Mitunternehmer zu erreichen. Das Transparenzprinzip ist auch Leitprinzip für die internationale Besteuerung der KG. Die KG ist aufgrund dessen selbst nicht abkommensberechtigt, kann also selbst grundsätzlich keine Vergünstigungen aus DBA in Anspruch nehmen.54 Die KG ist auch nicht Begünstigte der praktisch wichtigen Mutter-Tochter-Richtlinie55 oder der Zins- und LizenzRichtlinie.56 Das internationale Steuerrecht der KG ist hoch komplex und zwar sowohl in Richtung ausländischer Kommanditisten als auch in Richtung ausländischer Beteiligungen und Betriebsstätten. Zu dieser Komplexität trägt bei, dass die KG international weitgehend unbekannt ist. Der steuerlich hybride Charakter der KG (GewSt-Subjekt, transparent für ESt-/KSt-Zwecke) wirft dabei im internationalen Kontext zahlreiche Fragen auf, wie etwa auch die Behandlung von Sondervergütungen und Sonderbetriebsvermögen im internationalen Steuerrecht. Die einkommen- und körperschaftsteuerliche Transparenz der KG führt ferner meist dazu, dass bei der KG – anders als bei der SE – eine Liquiditätsvorsorge für die persönliche Körperschaftsteuer bzw. Einkommensteuer der Kommanditisten getroffen werden muss (meist in Form von Sonderbetriebsvermögen/Steuerkonten als Unterkonten von Gesellschafterdarlehenskonten). Somit hat die SE zahlreiche steuerliche und insbesondere steueradministrative Vorteile gegenüber der KG. Im Steuerbelastungsvergleich muss die SE indessen keinesfalls besser abschneiden als die KG. Dem Steuerbelastungsvergleich kommt bei der Rechtsformwahl und bei der Frage, ob der Weg aus der KG in die SE steuerlich interessant ist, natürlich entscheidende Bedeutung zu. Eine Vergleichsrechnung wird die Um_______________

54 Zur Anwendung der DBA auf Personengesellschaften siehe BMF-Schreiben v. 16.4.2010, BStBl. I 2010, 354. 55 Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011. 56 Richtlinie 2003/49/EG v. 3.6.2003.

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stände die Einzelfalls bestmöglich berücksichtigen müssen, doch wird sie meist bei einem gewissen Abstraktionsgrad abgebrochen werden (insbesondere unter Ausblendung der individuellen steuerlichen Umstände der Kommanditisten im Inland (z. B. Option zur Thesaurierungsbesteuerung) und im Ausland (Besteuerungssystemwechsel nicht nur national, sondern auch international). Häufig wird daher keine klare Aussage zu treffen sein, ob die KG oder die SE die in der steuerlichen Belastungswirkung vorzugswürdige Rechtsform ist und dies schon allemal nicht, wenn man – was im Grunde nötig wäre, aber nicht möglich ist – bei der Planungsrechnung auch die künftige Besteuerung der SE und der KG berücksichtigt. Ferner wird ein steuerlicher Belastungsvergleich in- und ausländisches Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht und u. U. auch ausländische Vermögenssteuern berücksichtigen müssen, was die Komplexität weiter erhöht. Schließlich können Personengesellschaften zahlreiche Fragen in der Rechnungslegung mit sich bringen, etwa wie Gesellschafterdarlehen, die zivilrechtlich Fremdkapital sind, steuerlich hingegen Eigenkapital, nach IFRS-Grundsätzen zu behandeln sind.

2. Steuerneutrale Wege in eine SE-Struktur Möchte nun eine Familien-KG in die Rechtsform einer SE wechseln, stehen dafür steuerlich mehrere Wege zur Verfügung, von denen hier nur einige ganz knapp skizziert werden sollen.

a) Doppelformwechsel-Modell Nach dem hier sog. Doppelformwechsel-Modell wechselt die KG zunächst ihre Rechtsform in die einer AG, die AG formwechselt sodann in eine SE. Ein Formwechsel einer KG in eine AG gem. § 25 UmwStG kann unter bestimmten Voraussetzungen steuerneutral umgesetzt werden. Das geht jedoch nicht, soweit Kommanditisten in Drittstaaten (z. B. USA, Schweiz) ansässig sind und die Veräußerung ihrer im Rahmen des Formwechsels erworbenen Aktien aufgrund DBA – wie in aller Regel (vgl. Art. 13 Abs. 4 OECD-MA) – in Deutschland nicht besteuert würde (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Dann führt der Formwechsel zur Realisation und Versteuerung der anteiligen inländischen stillen Reserven der Drittstaatenkommanditisten. Steuerlich kommt das sog. Doppelformwechselmodell also allenfalls für KG in Betracht, die keine (wesentlichen)

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Kommanditisten in Drittstaaten haben. In reinen EU-/EWR-Konstellationen ist das Modell steuerlich denkbar, arbeitsrechtlich scheint aber fraglich, ob mit dem Formwechsel in die AG nicht das Mitbestimmungsstatut der AG greift, das sich das Familienunternehmen gerade nicht wünscht.

b) Anwachsungsmodell In dem hier sog. Anwachsungsmodell tritt eine arbeitnehmerlose, nicht mitbestimmte (Vorrats-)SE der KG als Komplementärin bei. Im Anschluss bringen die Kommanditisten ihre Kommanditanteile im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung in die SE ein, wodurch die KG bei der SE anwächst. Der Beitritt der SE als Komplementärin ist steuerneutral, wie auch der Austritt eines vermögensmäßig an der KG nicht beteiligten Komplementärs steuerneutral ist.57 Die folgende Einbringung sämtlicher Kommanditanteile in die SE im Weg der Sachkapitalerhöhung, die zur Anwachsung der KG auf die SE führt (§ 738 BGB), kann nach Maßgabe des § 20 UmwStG steuerlich zu Buchwerten erfolgen. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass etwaiges Sonderbetriebsvermögen in die SE mit eingebracht wird58 und hat zur Folge, dass die erhaltenen SE-Aktien mit einer siebenjährigen Sperrfrist behaftet sind (§ 22 Abs. 1 UmwStG). Die zur Anwachsung führende Einbringung ist jedoch (wie auch der Formwechsel, oben 1.) nicht steuerneutral möglich, soweit Kommanditisten in Drittstaaten ansässig sind und die Veräußerung ihrer neuen Aktien aufgrund DBA in Deutschland nicht besteuert würde. Das Anwachsungsmodell ist daher für reine EU-/EWR-Fälle steuerlich denkbar (verbindliche Auskunft), scheidet aber praktisch aus, sofern (signifikante) Drittstaaten-Kommanditisten beteiligt sind.

c) Ausgliederungsmodell In dem hier sog. Ausgliederungsmodell gliedert die KG ihren Geschäftsbetrieb unter Rückbehalt einiger zentraler Konzernfunktionen und -beteiligungen in eine oder mehrere nicht mitbestimmte Tochter-SE aus. _______________

57 Zur Mitbestimmung bei der SE & Co. KG Sigle in FS Hommelhoff, 2012, S. 1123 ff. 58 BFH, Urt. v. 16.2.1996 – I R 183/94, BStBl. II 1996, 342; UmwandlungssteuerErlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.10 i. V. m. Tz. 20.06.

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Sind Drittstaatenkommanditisten beteiligt, kann ein Ausgliederungsmodell den gewünschten Weg in die SE-Struktur steuerlich eröffnen. Anders als beim Formwechsel- und beim Anwachsungsmodell ist hier Einbringende im Sinne des § 20 UmwStG die inländische KG,59 nicht die (ggf. auch in Drittstaaten ansässigen) Kommanditisten. In dem sog. Ausgliederungsmodell ist die Zielstruktur eine doppelstöckige KG-SEStruktur, bei der die KG ihren Geschäftsbetrieb weitestgehend in eine oder mehrere SE ausgliedert, um selbst künftig als geschäftsleitende Holding-KG zu agieren. Die SE übernimmt/übernehmen weitgehend die operativen Funktionen, die bislang von der KG ausgeübt wurden. Die Steuerneutralität der Ausgliederungen (steuerlich: Einbringungen) ist von diversen Voraussetzungen abhängig. Regelmäßig unkritisch ist, dass die Einbringung im Weg einer Sachkapitalerhöhung bei der SE erfolgen muss, also gegen Gewährung von Aktien an die KG (§ 20 Abs. 1 UmwStG). Kritischer ist der Einbringungsgegenstand, denn dabei muss es sich um einen Teilbetrieb im Sinne des § 20 UmwStG handeln. Die Finanzverwaltung stellt für die Auslegung des Teilbetriebsbegriffs auf Art. 2 lit. j) der Fusionsrichtlinie60 ab, was für die Praxis mit erheblichen Problemen behaftet ist, da bei der Auslegung dieses Teilbetriebsbegriffes viele Fragen offen sind.61 Reichte vor der Neufassung durch das SEStEG nach dem nationalen Teilbetriebsbegriff noch die Übertragung _______________

59 Ein inländische Personengesellschaft kann Inferentin im Sinne des § 20 UmwStG sein, siehe Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 20.03; Widmann in Widmann/Mayer, § 20 UmwStG Rz. 45 ff.; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 20 UmwStG Rz. 121. 60 Richtlinie 2009/133/EG des Rates vom 19. Oktober 2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABl. EU Nr. L 310, 34. 61 Eingehend zu den Voraussetzungen des („europäisierten“) Teilbetriebsbegriffs des UmwStG: Herlinghaus in FS Meilicke, 2010, S. 159 ff.; Patt in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 77; Schell/ Krohn, DB 2012, 1119; Jäschke in Lademann, UmwStG, § 20 Rz. 25 ff. Zum Verhältnis des europäischen zum alten nationalen Teilbetriebsbegriff siehe BFH, Urt. v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467, Rz. 30 (obiter dictum); Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.06 i. V. m. Tz. 15.02; Dötsch/Pung, in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 67 ff.; Claß/Weggenmann, BB 2012, 552; Desens, Beihefter zu DStR Nr. 46/2010, 80, 83.

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sämtlicher Wirtschaftsgüter der funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des Teilbetriebs auf den aufnehmenden Rechtsträger, so fordert die Finanzverwaltung heute die Übertragung sämtlicher dem Teilbetrieb nach wirtschaftlichen Zusammenhängen zuordenbarer Wirtschaftsgüter.62 Somit könnte bereits ein dem Teilbetrieb zuordenbares, aber zurückbehaltenes Wirtschaftsgut schädlich für den gesamten Einbringungsvorgang sein und zu einer Aufdeckung sämtlicher eingebrachter stiller Reserven führen.63 Dies ist problematisch, zumal die Finanzverwaltung im Umwandlungssteuererlass 2011 nicht den Maßstab nennt, nach dem ein Wirtschaftsgut einem Teilbetrieb zuzuordnen sein soll, sondern für die Beurteilung lediglich allgemein auf die funktionale Betrachtungsweise des EuGH verweist.64 Da nach dem Erlass eine bloße Nutzungsüberlassung nicht als Übertragung qualifizieren soll,65 muss aus Praktikersicht zudem insbesondere beachtet werden, dass auch gemischt genutzte Wirtschaftsgüter, d. h. etwa auch solche, die von dem bei der KG zurückbleibenden Betriebsteil mit genutzt werden, wie insbesondere Gebäude, in die SE mit eingebracht werden, da die Verwaltung sonst die Teilbetriebseigenschaft in Frage stellen könnte.66 Denkbar ist aber, der einbringenden KG ein obligatorisches Nutzungsrecht einzuräumen, welches dieser ihre Arbeit als geschäftsführende Holding ermöglicht, gleichzeitig aber die Übertragung auch des wirtschaftlichen Eigentums an allen dem Teilbetrieb zuordenbaren Wirtschaftsgütern erlaubt. Praktisch sehr hinderlich und kaum nachvollziehbar ist die neuerdings von der Finanzverwaltung vertretene Ansicht, dass für das Vorliegen des Teilbetriebs nicht mehr – wie noch im alten Umwandlungssteuererlass67 – der Zeitpunkt der tatsächlichen Einbringung maßgeblich ist, sondern vielmehr der steuerliche Übertragungsstichtag.68 _______________

62 Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.06. i. V. m. Tz. 15.02. 63 So wohl Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.07; zudem Patt in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 108; ablehnend: Nitzschke in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 20 UmwStG Rz. 56; Förster, GmbHR 2012, 237, 241. 64 Stangl, GmbHR 2012, 253, 260. 65 Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.06; vgl. auch BFH, Urt. v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467. 66 Patt in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 110. 67 BMF v. 25.3.1998, BStBl. I 1998, 268, Tz. 20.19. 68 Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.14. Nach Tz. 20.07 zieht das BMF eine Prüfung der sog. Gesamtplanrechtspre-

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Eine Einbringung zum Buchwert ist nach Ansicht der Finanzverwaltung nur möglich, soweit die SE nicht organschaftlich an die KG angebunden wird, da die Finanzverwaltung eine Sicherstellung der Körperschaftsteuerbelastung nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 UmwStG nur dann anerkennt, wenn der Organträger entsprechend körperschaftsteuerpflichtig ist; für die mit Einkommensteuer belasteten Gesellschafter der KG sei eine Einbringung des Vermögens nur aus Billigkeitsgründen möglich, wenn sich alle Beteiligten schriftlich damit einverstanden erklären, dass auf die aus der Einbringung resultierenden Mehrabführungen § 14 Abs. 3 Satz1 KStG anzuwenden sei.69 Die Einbringung kann außerdem nur dann steuerneutral umgesetzt werden, wenn die KG gewerblich tätig bleibt und sie nicht bloß vermögensverwaltend wird, denn anderenfalls würde die SE-Beteiligung den Kommanditisten zugerechnet, nicht der KG. Eine geschäftsleitende Holdingtätigkeit ist dabei ausreichend, um die Tätigkeit als gewerblich70 bzw. unternehmerisch einzuordnen. Erforderlich ist dabei eine geschäftsleitende Tätigkeit der KG, die diese Funktion selbst für mindestens zwei Tochtergesellschaften ausüben muss. Allein eine personenidentische Organbesetzung bei KG und SE ist für die Umsetzung der geschäftsleitenden Holdingfunktion nicht hinreichend, kann aber steuerlich gleichwohl sinnvoll sein.71 Gesellschaftsrechtlich, wie auch praktisch bringt eine personenidentische Organbesetzung bei KG und SE _______________

chung in Betracht, wenn im zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Einbringung Überführungen von Wirtschaftsgütern stattgefunden haben, etwa, um einen Teilbetrieb entsprechend zu formen. Dass diese Rechtsprechung dem Steuerpflichtigen dennoch weitgehende Gestaltungsspielräume belässt, wurde zuletzt deutlich durch BFH, Urt. v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 588; vertiefend Jebens, BB 2010, 1192; Jehke, DStR 2012, 677; Schulze zur Wiesche, DStR 2012, 1420. Zu Recht kritisch gegenüber dem zeitlichen Verständnis zum Teilbetrieb seitens der Finanzverwaltung z. B.: Herlinghaus in FS Meilicke, 2010, 159, 168; Kessler/Philipp, DStR 2011, 1065, 1066 f.; Desens, Beihefter zu DStR Nr. 46/2010, 80, 84; Schneider/Ruoff/Sistermann, FR 2012, 1, 5 f.; Schmitt, DStR 2011, 1108, 1111. 69 Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.19. 70 H. M., siehe BFH, Urt. v. 17.9.2003 – I R 95, 98/01, BFH/NV 2004, 808; BFH, Urt. v. 28.10.2008 – VIII R 73/06, BStBl. II 2009, 647; zustimmend und präzisierend für den Begriff der geschäftsleitenden Holding etwa Neumann in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rz. 110 ff.; wohl a. A.: BMF v. 10.11.2005, BStBl. I 2005, 1038, Tz. 18. 71 Dötsch in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2. Aufl. 2008, § 1 Rz. 149.

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zahlreiche Fragen mit sich, insbesondere bei der konkreten Ausgestaltung und Abgrenzung der Kompetenzen. Darüber hinaus sollte die KG eine eigene gewerbliche Tätigkeit entfalten, was etwa in Form fremdüblich vereinbarter und vergüteter konzerninterner Dienstleistungen (z. B. Finanzierung, Steuern, IT, Recht) erfolgen kann. In der Praxis sollte die skizzierte Struktur nur nach sorgfältiger Planung (insbesondere Steuerbelastungsvergleich) und mit hinreichendem zeitlichem Vorlauf umgesetzt und zudem durch eine verbindliche Auskunft der Finanzverwaltung abgesichert werden. Ferner ist nach Abschluss der Transaktion zu beachten, dass der steuerprivilegierte Ansatz des eingebrachten Vermögens unter dem gemeinen Wert noch weiter in die Zukunft reichende Folgen hat: Sollte eine Veräußerung des für das eingebrachte Vermögen erhaltenen Anteils innerhalb der auf den Einbringungszeitpunkt folgenden 7 Jahre (Sperrfrist) erfolgen oder ein veräußerungsähnlicher Tatbestand nach § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG (insbesondere: verdeckte Einlage in eine andere Kapitalgesellschaft72) erfüllt sein, wird der durch § 20 UmwStG zuvor gewährte Steuervorteil – vereinfacht ausgedrückt – rückgängig gemacht, dies jedoch vermindert um jeweils ein Siebtel für jedes seit Einbringung abgelaufene Zeitjahr. Da die KG nicht durch die Einbringung aufgelöst wurde, ist sie selbst als Einbringende anzusehen.73 Richtigerweise löst somit eine Veräußerung der sperrfristbehafteten Anteile auf Ebene der KG die vorgenannten Folgen aus. Nach Ansicht der Finanzverwaltung sollen darüber hinaus jedoch aufgrund der steuerlichen Transparenz der KG auch die Veräußerung des Mitunternehmeranteils an der KG selbst innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist zu einer nachträglich realisierenden Einbringung führen.74 Diese Ansicht setzt sich über den Wortlaut des § 22 Abs. 1 UmwStG hinweg, nachdem nur Veräußerungen durch den Einbringenden schädlich sind.75 Gerade bei großen Familiengesellschaften ist daher dafür Sorge zu tragen, dass eine unkontrollierte Veräußerung von Mitunternehmerantei_______________

72 73 74 75

Nitzschke in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 24 UmwStG Rz. 60. Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.03. Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 22.02. Ablehnend zu Recht Stangl, GmbHR 2012, 253 m. w. N.

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len an der KG innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist nach Einbringung (Ausgliederung) in die SE unterbleibt. Die steuerliche Buchwertfortführung steht einer handelsbilanziellen Aufstockung im Rahmen der Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nicht entgegen.76 Es kann also auf Ebene der übernehmenden SE in der Handelsbilanz der Zeitwert des eingebrachten Vermögens (m. E. alternativ auch ein beliebiger Zwischenwert) angesetzt werden und damit das Ausschüttungspotenzial der SE erhöht werden, was jedoch zu Mehrabschreibungen und einer Ergebnisverschlechterung in der Zukunft führt.77 Ist die doppelstöckige KG-SE-Struktur implementiert, erzielt die KG Serviceeinkünfte (z. B. auf Cost Plus-Basis) sowie Dividendeneinkünfte, die bei den Kommanditisten dem Teileinkünfteverfahren unterliegen (60 % der Dividende werden mit individuellem ESt-Satz bzw. effektiv 5 % mit KSt-/GewSt-Satz besteuert). Unterhalb der SE kann der Familienkonzern grundsätzlich frei und das heißt auch kapitalistisch ausgestaltet werden (inkl. Organschaften).

VI. Resümee Die SE ist aus steuerpraktischer Sicht eine attraktive Rechtsformalternative. Das gilt für Gesellschaften im Konzernverbund, wo (bislang) ein besonderer Vorteil der SE darin besteht, dass sie ihren Sitz identitätswahrend über die Grenze verlegen kann, gerade auch in Zuzugsfällen. Das gilt aber auch für Konzernführungsgesellschaften, namentlich auch für nicht mitbestimmte Personengesellschaften, wo die SE als Rechtsformalternative neue Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Aufgrund der großen Bedeutung der internationalen Mobiliät von Gesellschaften im Binnenmarkt bleibt die SPE ein steuerpolitisches Ziel, wie auch die Schaffung eines sicheren Rechtsrahmens für grenzüber_______________

76 Vgl. Umwandlungssteuer-Erlass v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314, Tz. 20.20. 77 Handelsrechtlich ist bei der übernehmenden SE der für die Begebung der Anteile vereinbarte Ausgabebetrag anzusetzen, der durch den Zeitwert begrenzt wird. Liegt der Ausgabebetrag (Nennwert + Agio) unter dem Zeitwert der eingelegten Vermögensgegenstände, besteht für den übersteigenden Betrag ein Bewertungswahlrecht, vgl. nur IDW ERS HFA 42, Tz. 41 ff.; Gelhausen, in IDW (Hrsg.), WP Handbuch 2012, Band I, Kap. E, Rz. 335; Rödder/Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2008, Anh. 1 Rz. 41.

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schreitende Sitzverlegungen im Nachgang zur VALE-Entscheidung des EuGH. Die SE kann für – insbesondere bislang nicht mitbestimmte – Familiengesellschaften eine interessante Rechtsformalternative zur KG sein. Steuerlich hat die SE zahlreiche Vorteile gegenüber der KG, insbesondere im Bereich des Internationalen Steuerrechts und der Steueradministration. Allerdings wird die SE im Steuerbelastungsvergleich oft nicht und auf keinen Fall notwendig besser abschneiden als die KG. Ob die SE aus steuerlicher Sicht einer KG vorzuziehen ist, hängt stark von den (insbesondere internationalen) Umständen des Einzelfalls ab. Grundsätzlich sollten sich steuerneutrale Wege aus der KG-Struktur in eine SE-Struktur finden lassen. Indessen hängen diese stark vom Einzelfall ab und benötigen eine sorgfältige und hinreichend frühe Planung.

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Bericht über die Diskussion der Referate Fromholzer und Baldamus Dr. Gabriele Rautenstrauch Steuerberaterin, München In der von Hommelhoff geleiteten Diskussion fügte Tödtmann die folgenden Ergänzungen zu den beiden Referaten an. Die Grenze zur paritätischen Unternehmensmitbestimmung im Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz liege bei 2.000 Arbeitnehmern. Gerade für einen Familienunternehmer sei es bei Überschreiten dieser Grenze schwer vorstellbar, dass im Aufsichtsrat ab diesem Zeitpunkt sowohl eigene Arbeitnehmervertreter als auch betriebsfremde Vertreter, insb. aus den Gewerkschaften, die Unternehmensgeschicke mitbestimmen könnten. Der Wechsel in die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE), bevor es zu einem Überschreiten der 2.000 Arbeitnehmer-Grenze komme, könnte seines Erachtens als ein weiteres Motiv für die SE gesehen werden. Zudem wies Tödtmann darauf hin, dass auf Ebene der betrieblichen Mitbestimmung die Gründung einer SE in der Regel dazu führe, dass im Betriebsrat neben deutschen auch ausländische Arbeitnehmer vertreten sein werden. Hieraus folge zwangsläufig – eher zum Unwillen der deutschen Arbeitnehmervertreter –, dass für die deutschen Vertreter im Betriebsrat Plätze entfallen. Zumindest übergangsweise könne der Gang in eine SE außerdem den Effekt einer gewissen Zurückhaltung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zur Folge haben: Sind im Aufsichtsrat eher aktive Arbeitnehmervertreter vorhanden, werden diese möglicherweise im Rahmen der Überleitung in eine SE durch ausländische Arbeitnehmervertreter ersetzt. Ausländische Arbeitnehmer kennen in der Regel die Form (und damit die im europäischen Vergleich außergewöhnlich weitgehenden deutschen Mitbestimmungsrechte) weniger und sind daher erfahrungsgemäß in ihren Forderungen zurückhaltender als ihre deutschen Kollegen. Auch hierin könne ein Vorteil der SE zu sehen sein. Abschließend stellte Tödtmann noch die Frage, ob es weiterhin die Möglichkeit gebe, durch den Wegzug einer SE in das Ausland Erbschaftsteuer zu sparen. In der Vergangenheit sei zu beobachten gewesen, dass vermögensverwaltende Holding-SE zunächst in Deutschland gegründet worden seien, um dann vor dem Todesfall deren Sitz (ebenso wie auch

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den Wohnsitz der Erben) etwa in das erbschaftsteuerfreie Österreich zu verlegen. Baldamus bestätigte, dass der Wegzug einer SE bisweilen als Steuersparmodell gesehen wird. Dies sei seiner Ansicht nach jedoch in der Regel nicht der Fall, da die Steuerwirkungen, welche durch den Wegzug ausgelöst werden, oftmals unterschätzt würden. Aufgrund der Entstrickungsvorschriften führe der Wegzug einer SE zu einer Versteuerung der inländischen stillen Reserven der SE, wenn die entsprechenden inländischen Wirtschaftsgüter oder Funktionen nämlich mitsamt der SE ins Ausland „wegzögen“. Hinsichtlich eines Wegzugs einer Konzern-SE in einen Drittstaat gebe es in der Literatur bereits Hinweise, dass ein solcher über Luxemburg nach Cayman erfolgen könne. Baldamus wies darauf hin, dass in der Diskussion regelmäßig die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung außer Acht gelassen werde. Sobald durch solch einen Wegzug passive Einkünfte, wie z. B. Zinserträge, in ein niedrig besteuertes Ausland (d. h. effektive Steuerbelastung von weniger als 25 %) verlagert würden, ordne das deutsche Außensteuerrecht die Besteuerung dieser Einkünfte in Deutschland mit dem regulären Steuertarif (d. h. ca. 30 % Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer1) an (vgl. §§ 7 ff. AStG). Zu beachten sei dabei, dass aufgrund der Steuersatzsenkungen in der EU inzwischen auch das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Schweden als niedrig besteuertes Ausland für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung gelten. Nach Baldamus könne der Wegzug einer SE aufgrund der deutschen Entstrickungsvorschriften (beim Wegzug) und wegen der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung (laufend nach dem Wegzug) in der Regel nicht als Steuersparmodell angesehen werden. Dies funktioniere allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen, bei denen der Wegzug Teil einer auf lange Frist angelegten Strategie sei. Darüber hinaus sei beim Wegzug einer natürlichen Person aus Deutschland die sogenannte Wegzugsbesteuerung zu beachten, bei der bei einem Wegzug in einen Drittstaat (d. h. kein EU-/EWR-Staat), wie z. B. die Schweiz, eine sofortige Besteuerung sämtlicher stiller Reserven in ihrer SE-Beteiligung erfolge. Auch bei einem Wegzug in einen EU-/EWR-Staat würden die SE-Aktien entstrickt, die Steuer auf die stillen Reserven in _______________

1 Unterlagen die passiven Einkünfte im Ausland einer Besteuerung, kann die ausländische Steuer unter bestimmten Voraussetzungen auf die deutsche Steuer angerechnet werden.

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der SE-Beteiligung festgestellt, die Steuer jedoch zinslos gestundet. Bei einer nachfolgenden Veräußerung der SE-Beteiligung könne Deutschland die festgesetzte Steuer auf die stillen Reserven nachträglich besteuern (vgl. 6 Abs. 5 AStG). Der Wegzug des Gesellschafters zusammen mit seiner SE sei daher auch nicht ohne weiteres ein Steuersparmodell. Pütz stellte in seiner Eingangsbemerkung fest, dass zwar im Mittelstand eine gewisse Angst vor der Mitbestimmung festgestellt werden könne. Sobald jedoch ein mitbestimmter Aufsichtsrat tatsächlich erlebt werde, würden seiner Erfahrung nach solche Befürchtungen schnell verfliegen. Aus seiner Sicht sei die Einführung einer weiteren europäischen Rechtsform für den Mittelstand, die sogenannte SPE (Societas Privata Europaea – Europa-GmbH)2, nicht notwendig. Die Ausführungen der beiden Referenten hätten gezeigt, dass die Europäische Aktiengesellschaft auch eine Alternative für den Mittelstand sei. Dies könne auch durch die folgenden Zahlen zur Europäischen Aktiengesellschaft belegt werden, welche die Hans-Böckler-Stiftung erhoben habe. Es gebe aktuell 1.426 Europäische Aktiengesellschaften in der EU, davon gelten 223 als „normale“ Europäische Aktiengesellschaften, d. h. solche mit einer gewissen Anzahl von Arbeitnehmern. Die restlichen Europäischen Aktiengesellschaften seien sogenannte Vorrats-SEs. Von diesen 223 aktiven Europäischen Aktiengesellschaften seien 106 in Deutschland ansässig. Hiervon hätten 74 ein dualistisches und 32 ein monistisches System eingerichtet. Für die Frage, inwieweit die SEs dem Mittelstand zuzuordnen seien, seien laut Pütz die folgenden Zahlen von Bedeutung: Von den 106 deutschen Europäischen Aktiengesellschaften hätten 16 mehr als 2.000 Arbeitnehmer, 43 hätten zwischen 500 und 2.000 Arbeitnehmer, der Rest, d. h. 47 der deutschen SE, habe weniger als 500 Mitarbeiter. Nach Ansicht von Pütz sei daher der deutsche Mittelstand bei den vorgenannten Europäischen Aktiengesellschaften bereits vertreten, wobei diese Aussage natürlich insbesondere davon abhänge, wie der Mittelstand definiert werde. Zum Abschluss wies Pütz auf die Kapitalmarktorientierung der in Deutschland ansässigen Europäischen Aktiengesellschaften hin: Von _______________

2 Vgl. Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur SPE vom 25.6. 2008.

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Rautenstrauch – Bericht über die Diskussion

den 106 deutschen Europäischen Aktiengesellschaften hätten 63 vor dem Gang in die SE die Rechtsform einer Aktiengesellschaft (AG) gehabt, 35 der 106 deutschen SEs seien börsennotiert gewesen und 28 der 106 deutschen SEs seien vorher eine Vorrats-SE gewesen. Pütz kam daher zu dem Ergebnis, dass die Europäische Aktiengesellschaft durch den Mittelstand genutzt werde, die Bedeutung im Vergleich zu den anderen deutschen Rechtsformen jedoch als gering anzusehen sei. Hommelhoff wies auf die sogenannte Petrifizierung des Mitbestimmungsstatus hin und fragte bei Pütz nach, warum im Rahmen der Verhandlungen zur Mitbestimmung nicht konsequent von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werde, eine Aufstufung oder auch Abstufung der Mitbestimmung bezogen auf die Arbeitnehmeranzahl zu vereinbaren. Eine solche Vereinbarung hänge nach Pütz von der Verhandlungsmacht der Parteien ab. Beispielsweise sei dies auch davon abhängig, ob die Gewerkschaften in den Verhandlungsprozess eingebunden seien oder nicht. Zwar sei eine Information der Gewerkschaften über das Einleiten der Verhandlungslösung sowie ihre Beteiligung hieran eigentlich vorgesehen. Jedoch sehe das Gesetz keine explizite Pflicht des Unternehmens vor, die Gewerkschaften aufzufordern, Wahlvorschläge einzureichen. Daher komme es vor, dass die Gewerkschaften gar nicht beteiligt werden. Pütz berichtete von wenigen Vereinbarungen, bei denen Nachverhandlungsabreden getroffen wurden, wobei die Aufnahme solcher Regelungen immer Verhandlungssache der Parteien sei. Bestünde vor dem Gang in die Europäische Aktiengesellschaft eine paritätische Mitbestimmung, bleibe diese auch nach der Verhandlungslösung bestehen. Schüppen wies auf § 18 Abs. 3 SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) hin, wonach bei geplanten strukturellen Veränderungen der SE neue Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE stattzufinden haben. Für Schüppen sei fraglich, woher die Gewissheit stamme, dass eine Steigerung der Arbeitnehmeranzahl, z. B. auf über 500 oder über 2.000 Arbeitnehmer, nicht als strukturelle Veränderung nach § 18 Abs. 3 SEBG anzusehen sei. Zwar würde dies in der Kommentarliteratur teilweise auch so vertreten, allerdings sehe der deutsche Gesetzgeber eine solche Erhöhung der Arbeitnehmeranzahl wohl als strukturelle Änderung. Fromholzer erläuterte, dass nach ganz einhelliger Meinung – auch mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des SEBG – eine bloße Steigerung der Arbeitnehmeranzahl nicht als strukturelle Änderung im Sinne des

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Rautenstrauch – Bericht über die Diskussion

§ 18 Abs. 3 SEBG anzusehen sei. Zudem unterscheide das SEBG auch begrifflich sehr genau zwischen der „Anzahl der Arbeitnehmer“ und „strukturellen Änderungen“3. Zwar gebe es seines Wissens eine Äußerung in der Literatur, in der – unter Bezugnahme auf die Umsetzung in Österreich – die Frage aufgeworfen werde, ob nicht unter bestimmten Voraussetzungen eine „erhebliche Änderung der Anzahl der Beschäftigten“ als strukturelle Veränderung einzuordnen sei.4 Seines Wissens werde das auf Deutschland bezogen aber im Ergebnis nicht vertreten. Schüppen fragte nach weiteren Details und Gründen für die Wahl des monistischen Systems trotz anwendbarer Mitbestimmung bei der Gründung der Puma SE. Fromholzer erläuterte, dass seiner Einschätzung nach im Sonderfall der Puma SE vor allem drei Gründe eine Rolle für die Wahl des monistischen Systems gespielt haben könnten: Zum einen sollte dem bisherigen, sehr einflussreichen Vorstandsvorsitzenden, Jochen Zeitz, durch die Position eines Verwaltungsratsvorsitzenden eine starke Rolle erhalten bleiben und damit ein fließendes Ausscheiden aus der Unternehmensführung ermöglicht werden. Ein Verwaltungsratsvorsitzender habe ja, wie ausgeführt, einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Unternehmensführung als ein Aufsichtsratsvorsitzender. Außerdem sei dem französischen Mehrheitsgesellschafter das monistische System aus der heimatlichen französischen Rechtsordnung bekannt gewesen, die für die Aktiengesellschaften (SA) ebenfalls das monistische System kenne, so dass es vielleicht weniger Berührungsängste gegeben habe. Schließlich habe Puma auch (nur) der Drittel-Mitbestimmung und nicht der paritätischen Mitbestimmung unterlegen, so dass der Einfluss der Arbeitnehmervertreter zahlenmäßig beschränkt geblieben sei.

_______________

3 Vgl. etwa § 3 Abs. 3 Ziff. 3, § 4 Abs. 4 SEBG. 4 Evers in Manz/Mayer/Schröder, SE, 2. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rz. 10.

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Ad-hoc-Pflichten bei gestreckten Geschehensabläufen Praxisfragen aus dem „Geltl“-Urteil des EuGH Dr. Hans-Christoph Ihrig* Rechtsanwalt, Mannheim I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . 113 2. Prüfungsprogramm und -begrenzung . . . . . . . . . . . . . 115 II. Die causa Schrempp und andere gestreckte Geschehensabläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Der zugrunde liegende Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . 116 2. Typische gestreckte Abläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Die Entscheidung des EuGH . 1. Die Vorlagefragen des BGH a) Erste Vorlagefrage des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Vorlagefrage . . . . 2. Schlussfolgerungen . . . . . .

118 118 118 119 119

IV. Einordnung in die lex lata . . . 120 V. Würdigung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . 121

1. Bemessung der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . 121 2. Der Zwischenschritt als Insiderinformation unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Endtatbestands . . . . . . . . . . . . 122 VI. Aufgabenstellung für die Unternehmenspraxis . . . . . . 127 VII. Zweifelsfragen der Selbstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . 2. Befreiung ex lege? . . . . . . 3. Entscheidungskompetenz zur Selbstbefreiung . . . . . 4. Vorsorgliche Selbstbefreiung . . . . . . . . . . . . . .

128 128 128 130 131

VIII. Schlussbemerkung . . . . . . . . 133

I. Einführung 1. Vorbemerkung Die „Schrempp“- oder „Geltl“-Entscheidung des EuGH ist bekanntlich Teil der langwierigen gerichtlichen Aufarbeitung des vorzeitigen Ausscheidens des vormaligen Vorstandsvorsitzenden der DaimlerChrysler

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* Verf. dankt den Herren Rechtsanwälten Christopher Kranz und Dr. Volker Kuhn für tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung.

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Ihrig – Ad-hoc-Pflichten bei gestreckten Geschehensabläufen

AG, Herrn Schrempp, aus dem Vorstand.1 Dabei geht es um die Würdigung des Informationsverhaltens der Gesellschaft, die den Kapitalmarkt erst nach der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005, dem Ausscheiden zuzustimmen, in einer Ad-hoc-Mitteilung unterrichtete. Im Zentrum steht die Frage, ob bereits zu einem vor dem 28. Juli 2005 liegenden Zeitpunkt eine Insiderinformation entstanden war, die unverzüglich hätte veröffentlicht werden müssen. Das OLG Stuttgart hat das Verhalten der Gesellschaft im Wesentlichen gebilligt.2 Demgegenüber hat das OLG Frankfurt in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren angenommen, es habe schon deutlich vor der Entscheidung des Aufsichtsrats eine Ad-hoc-Pflicht bestanden.3 Der BGH hat bei seiner ersten Befassung mit der Sache Sympathie für die Ein-

_______________

1 Dazu liegen – neben der EuGH-Entscheidung – bis dato fünf Urteile deutscher Zivilgerichte sowie einer Ordnungswidrigkeitenentscheidung des OLG Frankfurt vor, im Einzelnen: EuGH (Zweite Kammer), Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11 (Markus Geltl/Daimler AG), ZIP 2012, 1282 (mit Anmerkung v. Schall) = NZG 2012, 784 ff. = BB 2012, 1817 ff. (mit Anmerkung v. Kocher/ Widder) = DB 2012, 1496 ff.; EuGH GA (Generalanwalt Paolo Mengizzi), Schlussanträge v. 21.3.2012 – Rs. C-19/11, ZIP 2012, 615 ff.; BGH, Beschl. v. 22.11.2010 – II ZB 7/09, BB 2011, 523 ff. = ZIP 2011, 72 ff. = NZG 2011, 109; BGH, Beschl. v. 25.2.2008 – II ZB 9/07, ZIP 2008, 639 ff. = NZG 2008, 300 ff. = BB 2008, 855 ff. (mit Anmerkung v. Widder); OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.4.2009 – 20 Kap 1/08, ZIP 2009, 962 ff. = NZG 2009, 624 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.2.2007 – 901 Kap 1/06, ZIP 2007, 481 ff. = NZG 2007, 352 ff. = BB 2007, 565 (mit Anmerkung v. Widder) = AG 2007, 250 ff.; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.2.2009 – 2 Ss-OWi 514/08, NZG 2009, 391 ff. = ZIP 2009, 563 ff.; LG Stuttgart, Beschl. v. 3.7.2006 – 21 O 408/05, ZIP 2006, 1731 ff. 2 Zunächst OLG Stuttgart ZIP 2007, 481 mit der Begründung, erst mit Zustimmung des Aufsichtsrats habe eine Insiderinformation vorgelegen, alsdann OLG Stuttgart ZIP 2009, 962 unter Hinweis darauf, die Gesellschaft sei nach § 15 Abs. 3 WpHG von der sofortigen Veröffentlichungspflicht befreit gewesen. 3 OLG Frankfurt ZIP 2009, 563. Der Beschluss ist rechtskräftig geworden, nachdem die DaimerChrysler AG den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zurückgenommen hatte. Das von der BaFin eingeleitete Bußgeldverfahren ist damit rechtskräftig abgeschlossen. Wie sich aus der entsprechenden Presseinformation des OLG Frankfurt vom 20. Mai 2009 ergibt, ist die BaFin in dem bestandskräftig gewordenen Bußgeldbescheid davon ausgegangen, dass bereits zum 10. Juli 2005 eine Ad-hoc-Mitteilung hätte veröffentlicht werden müssen. Dies ist das Datum, ab dem unternehmensintern an den Entwürfen einer Pressemitteilung und eines Informationsschreibens an die Mitarbeiter gearbeitet wurde.

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schätzung des OLG Stuttgart geäußert,4 nach neuerlicher Anrufung den Fall aber zum Anlass genommen, dem EuGH zwei Fragen zur Auslegung der europäischen Rechtsgrundlagen der Ad-hoc-Publizität vorzulegen, die sich auf die Behandlung von Zwischenschritten bei gestreckten Geschehensabläufen und auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit bei der Berücksichtigung zukünftiger Umstände beziehen.5 Der EuGH betont, dass auch Zwischenschritte eines gestreckten Geschehensablaufs – unabhängig vom Grad der Wahrscheinlichkeit des Endumstandes – ad-hoc-pflichtige Insiderinformation sein können. Im Ergebnis steht damit die vertraute Unterscheidung zwischen Endereignis und Zwischenschritt im Kontext der insiderrechtlichen Behandlung mehrstufiger Prozesse zur Disposition. Das hat in den Unternehmen, die den Insiderregeln verpflichtet sind, zu einiger Beunruhigung geführt. Die nähere Befassung mit der Entscheidung zeigt indessen, dass die praktischen Konsequenzen weniger gravierend sind als von vielen befürchtet. Was das richtige Verständnis der „Geltl“-Entscheidung ist, ist freilich ebenso offen wie die Behandlung einer ganzen Reihe von Auslegungszweifeln, die sich bei Anwendung der gesetzlichen Vorgaben nach wie vor stellen. Es besteht deshalb Anlass, die „Compliance“Organisationen in den Unternehmen auf „Geltl“ einzustellen und punktuell nachzuschärfen. Entwarnung kann leider nicht gegeben werden.

2. Prüfungsprogramm und -begrenzung Die Behandlung der Konsequenzen, die sich für die Unternehmenspraxis aus dem „Geltl“-Urteil des EuGH ergeben, setzt zunächst die Klärung voraus, welche Feststellungen der EuGH getroffen hat und wie diese in die gesetzlichen Vorgaben einzufügen sind. Dazu hat sich rasch ein umfangreicher, in Einzelpunkten auch disparater Meinungsstand gebildet.6 Das gilt es (unter III. und IV.) zunächst zu rekapitulieren, bevor (unter _______________

4 BGH ZIP 2008, 639 unter III. 2., Rz. 18 – die Sache wurde wegen eines Verfahrensfehlers an das OLG Stuttgart zurückverwiesen, genauer, wegen eines fehlerhaften Umgangs des Gerichts mit der Behauptung des Musterklägers, Herr Schrempp habe einseitig seine Amtsniederlegung erklärt. 5 BGH BB 2011, 523 ff. 6 Vgl. u. a. Apfelbacher/Polke, CFL 2012, 275 ff.; Bachmann, DB 2012, 2206 ff.; Bingel, AG 2012, 685 ff.; Heider/Hirte, GWR 2012, 429 ff.; Hitzer, NZG 2012, 860 ff. Klöhn, ZIP 2012, 1885 ff.; Mock, ZBB 2012, 286 ff.; Möllers/Seidenschwann, NJW 2012, 2762; von Bonin/Böhmer, EuZW 2012, 694 ff.; Wilsing/ Goslar, DStR 2012, 1709 ff.

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V., VI. und VII.) näher zu beleuchten ist, welche Schlussfolgerungen für den sachgerechten Umgang mit gestreckten Geschehensabläufen zu ziehen sind. Der hier zur Verfügung stehende Raum gebietet Selbstbeschränkung. Demgemäß soll auf eine kritische Auseinandersetzung mit der „Geltl“Entscheidung im Wesentlichen verzichtet werden. Die Entscheidung ist bei näherem Zusehen auch gut nachvollziehbar und plausibel, wenn auch die wesentlichen Ergebnisse wichtige Fragen offen lassen. Es sollen im Folgenden auch keine Anliegen de lege ferenda formuliert werden. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn die anstehende Novellierung der Marktmissbrauchsrichtlinie dazu genutzt würde, die Vielzahl der Zweifelsfragen, mit denen das Insiderrecht die Unternehmen belastet, nach Kräften zu verkleinern. Ein nützlicher Beitrag dazu könnte insbesondere sein, den tatbestandlichen Anknüpfungspunkt für die den Insider treffenden Handels- und Weitergabeverbote einerseits und die Ad-hoc-Publizitätspflicht andererseits wieder voneinander zu trennen, wie dies bis zum Anlegerschutzverbesserungsgesetz der Fall war.7 Dass hierin ein nicht unwesentlicher Schlüssel zur Problembewältigung liegt, belegt nicht zuletzt der Umstand, dass die Vorlageentscheidung des BGH zur Begründung auf Zweifel verweist, die dem BGH aufgrund der Spector Photo Group-Entscheidung8 gekommen sind; eine Entscheidung des EuGH, die sich nur mit dem Verbot von Insidergeschäften und nicht mit der Frage der Ad-hoc-Publizitätspflicht befasst, aber die gleichwohl für den BGH auch bei der Behandlung der causa Schrempp ein wichtiges Datum gesetzt hat, weil der Tatbestand der Insiderinformation unter beiden Rechtsfolgenaspekten de lege lata identisch definiert und auszulegen ist.

II. Die causa Schrempp und andere gestreckte Geschehensabläufe 1. Der zugrunde liegende Sachverhalt Die Entscheidung des Aufsichtsrats der DaimlerChrysler AG, dem vorzeitigen Ausscheiden des CEO zuzustimmen, ist am 28. Juli 2005 naturgemäß nicht ad hoc vom Himmel gefallen. Sie hatte einen Vorlauf von rund zweieinhalb Monaten. Am Anfang des Prozesses stand der zu_______________

7 AnSVG vom 28. Oktober 2004, BGBl. I 2004, 2630 ff. 8 EuGH, Urt. v. 23.12.2009 – Rs. C-45/08, ZIP 2010, 78.

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nächst nur die innere Stimmungslage reflektierende Gedanke des Vorstandsvorsitzenden daran, das Vorstandsamt vorzeitig aufzugeben. Daraus wurde ein Wunsch und alsdann eine Absicht, die sich in der Folge sukzessive auch nach außen manifestierte: zunächst im Gespräch mit der eigenen Ehefrau und danach, am 17. Mai 2005, mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden. Es folgten Gespräche mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats sowie mit dem designierten Nachfolger im Amt. Ausgewählte Aufsichtsratsmitglieder wurden eingeweiht, bevor am 27. Juli 2005 der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats beschloss, dem Gesamtaufsichtsrat das vorzeitige Ausscheiden zur Zustimmung vorzuschlagen. Diesem Vorschlag folgte das Plenum mit Beschluss vom 28. Juli 2005. Unmittelbar danach veröffentlichte die Gesellschaft eine entsprechende Ad-hoc-Meldung, in deren Anschluss es zu einem nennenswerten Anstieg des Aktienkurses kam. Das hat Anleger, die ihre Aktien bereits zuvor verkauft hatten, veranlasst, Schadenersatzansprüche wegen verspäteter Ad-hoc-Meldung gemäß § 37b WpHG geltend zu machen.

2. Typische gestreckte Abläufe Damit ist ein typischer gestreckter Geschehensablauf beschrieben, der sich durch eine über einen längeren Zeitraum hinziehende Planungsund Vorbereitungsphase auszeichnet, bei dem der als offenbar kursrelevant einzuschätzende Umstand – hier der Wechsel an der Spitze des Vorstands – aber erst zu einem späteren Zeitpunkt – hier mit der Entscheidung des für die Personalfrage allein zuständigen Aufsichtsrats – verwirklicht ist und als Tatsache feststeht. Nicht anders liegt es bei der Realisierung von Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Weitere Beispiele sind Akquisitionen oder Unternehmenszusammenschlüsse, bei denen die Zielerreichung vom erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit der anderen Partei abhängt, oder Sachverhalte, die von außen an den Emittenten herangetragen werden, wie die Anspruchsberühmung oder gar Klageerhebung durch Dritte. Die WpAIV benennt selbst in § 6 zwei Tatbestände, die typische gestreckte Sachverhalte bzw. Geschehensabläufe betreffen, nämlich erstens, wenn laufende Verhandlungen über Geschäftsinhalte, bei denen die Veröffentlichung des Ergebnisses oder des Gangs der Verhandlungen geeignet wäre, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenoder Marktpreis erheblich zu beeinflussen, von der Veröffentlichung wahrscheinlich erheblich beeinträchtigt würden und eine Veröffent-

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lichung die Interessen der Anleger ernsthaft gefährden würden, und zweitens, wenn das Geschäftsführungsorgan des Emittenten abgeschlossene Verträge oder andere getroffene Entscheidungen zusammen mit der Ankündigung bekannt machen müsste, dass die für die Wirksamkeit der Maßnahme erforderliche Zustimmung eines anderen Organs des Emittenten noch aussteht.

III. Die Entscheidung des EuGH 1. Die Vorlagefragen des BGH Das OLG Stuttgart hat die Umstände, die der Zustimmung des Aufsichtsrats zum vorzeitigen Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden vorausgingen, nur daraufhin untersucht, ob damit das Endergebnis bereits hinreichend wahrscheinlich geworden war. Ob die dem zugrundeliegende Sichtweise, dass bei gestreckten Geschehensabläufen die Verknüpfung der bereits realisierten Zwischenschritte mit dem zukünftigen Endereignis eine Bewertung der Zwischenschritte als eigenständige, gegebenenfalls kursrelevante Informationen sperrt, erschien dem BGH nicht zweifelsfrei. Er hat diese Frage deshalb dem EuGH vorgelegt, und zwar wie folgt:

a) Erste Vorlagefrage des BGH „Ist bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem über mehrere Zwischenschritte ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbei geführt werden soll (…), nur darauf abzustellen, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als präzise Information nach diesen Richtlinienbestimmungen anzusehen ist, und demgemäß zu prüfen, ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis eintreten wird, oder können bei einem solchen zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinne der genannten Richtlinienbestimmungen sein?“

Dazu hat der EuGH – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalanwalts – geantwortet, dass Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG dahingehend auszulegen sei, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand in der Zukunft verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbei geführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis,

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Ihrig – Ad-hoc-Pflichten bei gestreckten Geschehensabläufen „sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte präzise Informationen im Sinne der genannten Bestimmungen sein können.“

b) Zweite Vorlagefrage Aus Sicht des BGH war darüber hinaus zweifelhaft, welches Maß an Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, damit ein in der Zukunft liegender Umstand eine ad hoc zu publizierende Insiderinformation sein kann. Zur Klärung, was Art. 1 Abs. 1 RL 2003/124/EG mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ meint, hat der BGH deshalb die folgende zweite Frage dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt: „Verlangt hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit, oder ist unter Umständen, bei denen mit nicht hinreichender Wahrscheinlichkeit von ihrer zukünftigen Existenz, oder Ereignissen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten werden, zu verstehen, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkung auf den Emittenten abhängt und es bei hoher Eignung zur Kurzbeeinflussung genügt, wenn der Eintritt des künftigen Umstands oder Ereignisses offen, aber nicht unwahrscheinlich ist?“

Dazu hat der EuGH – insoweit unter Abweichung von dem Antrag des Generalanwalts – festgestellt, dass die Wendung von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf künftige Umstände oder Ereignisse abzielt, „bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Dagegen soll die Wendung von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht dahingehend auszulegen sein, dass das Ausmaß der Auswirkung in dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente berücksichtigt werden muss.“

2. Schlussfolgerungen Die beiden Kernaussagen des EuGH lauten also: Erstens: Zwischenschritte sind nicht nur in ihrem Zusammenhang mit dem Endumstand, mit dem sie verbunden sind, zu würdigen, sondern eigenständig als bereits eingetretene Sachverhalte auf ihre Eigenschaft als Insiderinformation zu prüfen. Zweitens: Die hinreichende Wahrscheinlichkeit, die als Voraussetzung für die Einordnung eines in der Zukunft liegenden Umstandes als Insider-

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information erforderlich ist, ist eine solche, die den Eintritt des zukünftigen Umstandes (vernünftigerweise)9 tatsächlich erwarten lässt. Eine hohe Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich.10 Umgekehrt reicht eine lediglich bestehende Eintrittsmöglichkeit, selbst bei hoher Kursrelevanz im Falle des Eintritts, nicht aus.11

IV. Einordnung in die lex lata Um die Feststellungen des EuGH richtig einzuordnen, ist es erforderlich, sie in den Kontext des geltenden Rechts zu stellen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG ist ein Inlandsemittent von Finanzinstrumenten verpflichtet, „Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen“. Was eine Insiderinformation ist, bestimmt § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG: Danach handelt es sich um eine „konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehreren Emittenten von Insiderpapieren oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen.“

Diese spezifische Eignung zur Kursbeeinflussung wird im Folgesatz, § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG, wie folgt konkretisiert: „Eine solche Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde.“

Der Umstand muss also kurz gesagt konkret, nicht öffentlich bekannt und kursrelevant sein. Damit ist der Grundtatbestand der Insiderinformation, der sich in einem bereits eingetretenen, aktuellen Umstand oder Ereignis manifestiert, beschrieben. Dem stellt das Gesetz in § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG noch zukünftige Umstände und Ereignisse an die Seite, die freilich nur dann relevant sind, wenn ihr Eintritt hinreichend wahrscheinlich ist: „Als Umstände im Sinne des Satzes 1 gelten auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden.“

Schon auf der Tatbestandsebene, nämlich der Bestimmung, ob eine Insiderinformation vorliegt, kommt es also auf eine Zukunftsprognose _______________

9 EuGH ZIP 2012, 1282, 1286, Rz. 54 a. E. („Daraus kann aber vernünftigerweise nicht abgeleitet werden …“). 10 Rz. 46 der EuGH-Entscheidung. 11 Rz. 54 der EuGH-Entscheidung.

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an. Zu fragen ist nämlich einerseits, inwieweit ein Zwischenschritt eine Insiderinformation sein kann: Dazu war schon bisher anerkannt, dass Zwischenschritte Insiderinformationen sein können, sofern das Endergebnis hinreichend wahrscheinlich ist. Daneben war, im Kontext der zukünftigen Umstände, schon bisherige Praxis, dass ein zukünftiges Ereignis „hinreichend wahrscheinlich“ ist, wenn die Wahrscheinlichkeit höher als 50 % ist (in Ablehnung der Probability/MagnitudeFormel). Für das deutsche Recht ist die Bezugnahme auf zukünftige Ereignisse in § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG übernommen worden. Als Insiderinformation gelten danach auch solche Umstände, bei denen mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden“. Streitig ist in der Literatur, ob die Bestimmung den Begriff der Insiderinformation nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG „erweitert, klarstellt oder aber einschränkend definiert“.

V. Würdigung und Schlussfolgerungen 1. Bemessung der Wahrscheinlichkeit Die Antwort des EuGH auf die zweite Vorlagefrage des BGH ist im Ausgangspunkt nur im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG relevant, also bei der Würdigung, ob ein zukünftiger Umstand oder ein zukünftiges Ereignis bereits eine Insiderinformation darstellt, was nach der lex lata davon abhängt, ob sein Eintritt hinreichend wahrscheinlich ist. An die Stelle der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ setzt der EuGH das Erfordernis einer „tatsächlichen Erwartbarkeit“. Die Formulierung des EuGH lässt allerdings offen, welche Wahrscheinlichkeit konkret zu verlangen ist, damit der Eintritt eines zukünftigen Umstands „tatsächlich erwartet werden kann“, also, weil „hinreichend wahrscheinlich“, zur Insiderinformation wird.12 Klar ist nach „Geltl“ _______________

12 Dazu gingen die Meinungen vor der Geltl-Entscheidung auseinander, für hohe Wahrscheinlichkeit Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 13 Rz. 25; Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 13 WpHG Rz. 12; für überwiegende Wahrscheinlichkeit (mehr als 50 %) Pawlik in Kölner Kommentar zum WpHG, 2007, § 13 Rz. 93; Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2009, § 13 Rz. 67; für bewegliche Größe im Sinne der Probability/Magnitude-Formel Klöhn, NZG 2011, 166, 168 ff.; Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 605; Fleischer, NZG 2007, 401, 405; wohl auch Gehling in Liber amicorum für Martin Winter, 2011, S. 129, 138 ff.; offen gelassen von BGH NZG 2008, 300.

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lediglich, dass einerseits keine hohe Wahrscheinlichkeit gefordert wird und dass andererseits die gebotene Wahrscheinlichkeit keine variable Größe ist, die von dem Ausmaß des Kursbeeinflussungspotentials abhängt.13 Wann aber, worauf der EuGH abstellt, „tatsächlich“ erwartet werden kann, dass ein zukünftiges Ereignis in der Zukunft auch wirklich eintritt, ist denkbar offen. Das allgemeine Sprachgefühl legt nahe, dass man mit dem Eintritt eines zukünftigen Umstands „tatsächlich“ nur dann rechnet, wenn eine deutlich überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit gegeben ist. Dafür spricht auch die englische Sprachfassung von Art. 1 Abs. 1 RL 2003/124/EC: „… may reasonably be expected to come into existence …“. Ob der EuGH so interpretiert werden darf, ist aber offen. Für die Praxis nach „Geltl“ wird man deshalb nicht umhinkommen, jedenfalls bis zu einer Klärung durch den BGH (oder den EuGH) davon auszugehen, dass bereits dann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG gegeben ist, wenn der Eintritt des zukünftigen Umstandes zumindest wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben. Es empfiehlt sich also in diesem Sinne, vorsorglich die „50 % plus 1-Formel“ anzuwenden.14

2. Der Zwischenschritt als Insiderinformation unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Endtatbestands Die Antwort des EuGH auf die erste Vorlagefrage des BGH klärt den Meinungsstreit, ob § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG eine den Tatbestand der Insiderinformation beschränkende Funktion in dem Sinne hat, dass bei gestreckten Geschehensabläufen Zwischenschritte nur dann ihrerseits selbst eine Insiderinformation darstellen können, wenn der zukünftige Umstand, auf dessen Verwirklichung sie gerichtet sind, hinreichend wahrscheinlich ist. Diese Frage verneint der EuGH. Das hat Konsequenzen: _______________

13 Vgl. EuGH ZIP 2012, 1282, Rz. 45 ff. 14 So im Ergebnis auch Schall, ZIP 2012, 1282, 1288 („50 % + X“); Klöhn, ZIP 2012, 1858, 1889 f.; Kocher/Widder, BB 2012, 1820; Kocher/Widder, BB 2012, 2837 f.; Bachmann, DB 2012, 2206, 2209; Bachmann, EWiR 2012, 467, 468; Heider/Hirte, GWR 2012, 429, 431; Hitzer, NZG 2012, 860, 862; Wilsing/ Goslar, DStR 2012, 1709, 1710 ff.; Bingel, AG 2012, 685, 688 f.; zweifelnd demgegenüber Apfelbacher/Polke, CFL 2012, 275, 277; Möllers/Seidenschwann, NJW 2012, 2762, 2763 f.

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Damit verbindet sich nämlich das eigentliche Problem für die Praxis, dass Zwischenschritte eines gestreckten Ablaufes zukünftig selbständig zu würdigen sind, und zwar als historischer Umstand auf der Tatbestandsebene von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, welche Bedeutung die zukünftige Entwicklung hat, wenn das Endergebnis noch nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Denn in aller Regel liegt es bei den gestreckten Abläufen so, dass die mögliche Kursrelevanz nur und gerade aus der zukünftigen Entwicklung abzuleiten ist. Die Literaturstimmen, die sich dazu bislang geäußert haben, sind uneinheitlich.15 Richtigerweise ist davon auszugehen, dass § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG eine auch bei der Würdigung bereits existenter Umstände im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu beachtende, maßgebliche Wertung vorgibt: Die Zukunft ist aus Sicht des normativ zu definierenden „verständigen Anlegers“, den § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG als Maßstab vorgibt, nur dann relevant, wenn eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit der zukünftigen Entwicklung besteht. Daraus folgt, dass ein Zwischenschritt, der bereits existiert, für sich genommen nur dann eine Insiderinformation sein kann, wenn er auch ohne Berücksichtigung einer noch nicht hinreichend wahrscheinlichen zukünftigen Entwicklung Kursrelevanz besitzt. Folgt man dem, dann wird auch zukünftig dem Zwischenschritt des gestreckten Geschehensablaufs Kursrelevanz in der Regel nur dann zukommen, wenn der Eintritt des Endergebnisses hinreichend wahrscheinlich ist. So wird es etwa im Regelfall auch zukünftig damit sein Bewenden haben, dass eine Vorstandsentscheidung für eine bestimmte Maßnahme, die ohne die Zustimmung des Aufsichtsrats nicht umgesetzt werden kann, dem verständigen Anleger nur dann Anlass für eine Anlageentscheidung gibt, wenn von der Zustimmung des Aufsichtsrats auch _______________

15 Für Anwendbarkeit der Probability/Magnitude-Formel bei der Kursrelevanz (d. h. es bestehen geringe Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, wenn besondere Umstände bei Eintritt des Umstandes besonders hohe Kursveränderungen erwarten lassen): Schall, ZIP 2012, 1282, 1286; Klöhn, ZIP 2012, 1858, 1891; in diese Richtung wohl auch Wilsing/Goslar, DStR 2012, 1709, 1711; Bingel, AG 2012, 685, 690; Hitzer, NZG 2012, 860, 862; tendenziell wohl auch Apfelbacher/Polke, CFL 2012, 275, 277 f.; gegen Anwendbarkeit der Probability/Magnitude-Formel im Rahmen der Bestimmung der Kursrelevanz (mit der Folge, das im Wesentlichen alles wie bisher bleibt): Bachmann, DB 2012, 2206, 2209; Kocher/Widder, BB 2012, 2837, 2839 ff.; dies., BB 2012, 1820, 1821; wohl auch Heider/Hirte, GWR 2012, 429, 431.

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mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszugehen ist bzw., in den Worten des EuGH, mit ihr „tatsächlich“ gerechnet werden kann. Und dem Eintritt in Akquisitionsgespräche mit einem Zielunternehmen wird erst dann Kursrelevanz zuzusprechen sein, wenn – etwa auf der Grundlage des positiven Abschlusses der due diligence – mit dem erfolgreichen Abschluss des Akquisitionsvorhabens auch gerechnet werden kann. Die Beispiele zeigen indessen, dass es im Einzelfall auch anders liegen kann. Wenn sich etwa ein Unternehmen der Softwareindustrie entschließt, an einem Auktionsverfahren zum Erwerb eines HardwareProduzenten teilzunehmen, manifestiert sich hierin ein grundlegender Strategiewechsel, der je nach Lage des Falles auch dann kursrelevant sein kann, wenn der Ausgang des Auktionsprozesses noch gänzlich offen ist.16 Auch der Fall Schrempp könnte, abhängig von den konkreten Sachverhaltsumständen, ein Beispiel hierfür sein. Denn für den verständigen Anleger mag schon die erklärte Amtsmüdigkeit des amtierenden Vorstandsvorsitzenden, die sich in dem Wunsch nach vorzeitiger Entlassung aus dem Amt manifestiert, ausreichen, ohne dass es noch darauf ankommt, ob und wann und unter welchen Modalitäten, insbesondere im Hinblick auf die Nachfolge, eine Zustimmung des Aufsichtsrats hierzu hinreichend wahrscheinlich wird oder nicht. Denn die Erfahrung zeigt, dass ein Vorstand, der ernstlich aus dem Amt ausscheiden will, nicht mehr lange an Bord sein wird. Es mag für den Anleger einen erheblichen Unterschied machen, ob er weiß oder nicht weiß, dass er an einer Gesellschaft beteiligt ist, deren Vorstandsvorsitzender amtsmüde geworden ist. So gesehen kann in vergleichbaren Fällen der konkrete Ausgang des Geschehensablaufs zwar noch unsicher sein, der bereits verwirklichte Zwischenschritt aber für sich genommen bereits ausreichen, um Kursrelevanz anzunehmen. Demgegenüber kommt es auf die zutreffende Bewertung der Aussagen des EuGH etwa in folgendem Beispielsfall an: Das börsennotierte Unternehmen AG ist Partei eines Liefer- und Leistungsvertrags mit X. X verletzt eine Vertragspflicht. Gute Gründe sprechen dafür, dass es sich um eine spezifische Pflichtverletzung handelt, _______________

16 Siehe auch Klöhn, ZIP 2012, 1885, 1890 (Hinweis auf Änderung der Unternehmensstrategie).

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die mit einer exorbitanten Vertragsstrafe zugunsten der AG bewehrt ist, deren Umfang so hoch ist, dass sich die Vertragsstrafenzahlung in einem signifikanten Gewinnsprung bei der AG abbilden würde. Die gründliche, unter Beiziehung externer Rechtsexperten vorgenommene Analyse ergibt, dass der Vertragsstrafeanspruch nicht über jeden Zweifel erhaben ist, aber mit einer beachtlichen, freilich unter 50 % liegenden Erfolgsaussicht wird durchgesetzt werden können. Nach bisherigem – und nach hier vertretener Auffassung auch nach „Geltl“ weiterhin richtigem – Verständnis handelt es sich bei der Vertragsverletzung um einen Zwischenschritt eines gestreckten Geschehensablaufs, der noch keine ad hoc zu publizierende Insidertatsache darstellt, weil (noch) keine überwiegende (d. h. „hinreichende“) Wahrscheinlichkeit für die erfolgreiche Durchsetzung des Vertragsstrafeanspruchs besteht. Nach anderer Auffassung, nämlich bei Einbeziehung der Probability/Magnitude-Formel, wäre je nach Höhe der Vertragsstrafe das Vorliegen einer Insiderinformation demgegenüber bereits zu bejahen. Leider ist die EuGH-Entscheidung insoweit nicht eindeutig. Das liegt an der, freilich nur obiter, nachgeschobenen Feststellung in Rz. 55 der Entscheidungsgründe. Ihr könnte man, wie dies namentlich Klöhn17 tut, womöglich zu entnehmen haben, dass die Probability/MagnitudeFormel zwar nicht bei der Bemessung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG, wohl aber im Rahmen der Prüfung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG, ob einem Zwischenschritt Kursrelevanz zukommt, heranzuziehen ist: Dort heißt es nämlich in Erwiderung auf eine einschlägige Eingabe von Großbritannien: „Wie dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie RL 2003/124 zu entnehmen ist, stützen zwar verständige Investoren ihre Anlageentscheidung auf alle verfügbaren ex-ante-Informationen. Sie müssen somit nicht nur die möglichen Auswirkungen eines Ereignisses auf den Emittenten in Betracht ziehen, sondern auch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieses Ereignisses. Anhand solcher Erwägungen lässt sich jedoch ermitteln, ob eine Information geeignet ist, den Kurs der Finanzinstrumente des Emittenten spürbar zu beeinflussen.“

Dabei bleibt freilich unklar, ob sich diese Aussage auf die Prüfung der Kursrelevanz eines zukünftigen Umstands bezieht, auf die es indessen nur ankommt, wenn zusätzlich – im Sinne des selbständigen zweiten _______________

17 Vgl. Klöhn, ZIP 2012, 1885, 1891 l. Spalte sub 1.3; gegenläufig und im Ergebnis wohl wie hier, freilich ohne konkrete Auseinandersetzung mit Rz. 55 der Entscheidungsgründe, Bachmann, DB 2012, 2206, 2209 f.

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Tatbestandsmerkmals – die hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit gegeben ist, oder ob die Feststellung generelle Anerkennung beansprucht.18 Ob das eine oder das andere das richtige Verständnis des EuGH ist, muss im vorliegenden Rahmen offen bleiben. Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Vielmehr bleibt es in Ermanglung hinreichend klarer gesetzlicher Vorgaben Aufgabe der Rechtsprechung, insoweit für Rechtssicherheit zu sorgen. Für die Praxis muss jedenfalls bis zu einer klärenden höchstrichterlichen Entscheidung das eine wie das andere für möglich gehalten werden. Bei vorsichtiger Handhabung wird es sich deshalb empfehlen, vorläufig bei besonders gravierenden Umständen (sog. „Knallern“) auch schon dann, wenn die relevante zukünftige Entwicklung noch nicht überwiegend wahrscheinlich ist, eher früher als später vom Vorliegen einer Insiderinformation auszugehen. Als Zwischenfazit ist danach festzuhalten: der mehrstufige, gestreckte, sich über eine längere Zeitspanne hinweg entwickelnde Geschehensablauf ist nach der „Geltl“-Entscheidung des EuGH in dem Sinne zu verabschieden, dass er als tatbestandlicher Typus, der eine besondere Behandlung bei der Anwendung der §§ 13 ff. WpHG über den Umgang mit Insiderinformationen verlangt oder verdient, keine Anerkennung mehr finden kann. Der gestreckte Geschehensablauf ist vielmehr zum Zwecke der Gesetzesanwendung in eine Vielzahl von Zwischenschritten, zukünftigen Zwischenschritten und (tatsächlich oder vermeintlich) erwarteten Endzuständen oder -umständen zu zerlegen. Anders gewendet: Jeder Schritt, ob Zwischenschritt oder Endereignis, ist je für sich und gesondert dahin zu überprüfen, ob er eine Insiderinformation darstellt und deshalb ad hoc zu veröffentlichen ist. _______________

18 Ersteres erscheint naheliegender, weil sich die Passage in dem Abschnitt der Urteilsgründe findet, der sich mit der Anforderung an die hinreichende Wahrscheinlichkeit als eine von zwei nebeneinander zu prüfenden Voraussetzungen für die Anerkennung zukünftiger Ereignisse als Insiderinformation beschäftigt (vgl. insbesondere Rz. 50, 53 der Urteilsgründe). Unter diesem Blickwinkel ist der in seiner Formulierung wenig klare letzte Satz der Urteilsgründe als an die letzte Aussage in Rz. 54 der Entscheidungsgründe („Daraus kann aber vernünftigerweise nicht abgeleitet werden, dass dieses Ereignis eintreten wird“) anknüpfende Begründung zu lesen und wohl richtigerweise um ein „nur“ wie folgt zu ergänzen: „Anhand solcher Erwägungen lässt sich jedoch (nur) ermitteln, ob eine Information geeignet ist, den Kurs der Finanzinstrumente des Emittenten spürbar zu beeinflussen“, woran sich zur Klarstellung noch anschließen könnte: „… nicht aber, ob auch die erforderliche hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit zu bejahen ist“.

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VI. Aufgabenstellung für die Unternehmenspraxis Die Analyse hat gezeigt, dass sich infolge der Geltl-Entscheidung in wenigstens dreierlei Hinsicht eine Verschärfung der Ad-hoc-Publizitätspflicht ergibt, die in der Tendenz eine Vorverlagerung der Ad-hocPflichten mit sich bringt: Erstens steht vorläufig nicht zu erwarten, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit, das Voraussetzung für die Einordnung zukünftiger Umstände als Insiderinformation ist, zukünftig noch höher als mit 50 % + 1 angesetzt werden kann. Auch wenn gute Gründe dafür sprechen, dass, wenn schon keine hohe, so doch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, damit davon gesprochen werden kann, dass vom Eintritt eines bestimmten Ereignisses „tatsächlich“ bzw. „vernünftigerweise“ in der Zukunft ausgegangen werden kann,19 muss nach „Geltl“ angenommen werden, dass die Formel 50 % + 1 das Maß der Wahrscheinlichkeit definiert, das jedenfalls in der Praxis vorsorglich zu Grunde gelegt werden sollte. Zweitens bringt die Notwendigkeit der jeweils isolierten Betrachtung von Zwischenschritten per se einen potentiell größeren Kreis ad-hocpflichtiger Tatbestände mit sich, selbst wenn man, wofür die besseren Gründe sprechen, davon ausgeht, dass in diesem Kontext zukünftige Entwicklungen aus der insoweit maßgeblichen Sicht des verständigen Anlegers bei der Prüfung der Kursrelevanz nur dann Berücksichtigung finden dürfen, wenn ihr Eintritt „hinreichend“ wahrscheinlich ist. Hinreichend gesichert ist dies nämlich wegen Rz. 55 der EuGH-Entscheidung nicht, sodass, drittens, bei vorsichtiger Betrachtung zukünftig auch solche Zwischenschritte als Insiderinformation zu behandeln sind, die auf einen zwar noch nicht hinreichend wahrscheinlichen Geschehensablauf hinweisen, dessen tatsächlicher Eintritt indessen erhebliche Kursausschläge erwarten lässt. Ist danach davon auszugehen, dass die Zahl der ad-hoc-pflichtigen Insiderinformationen größer werden wird, fragt sich, wie hiermit praxisgerecht umzugehen ist. Es wird nicht überraschen, dass die Lösung nur in einer konsequenten und im Zweifel großzügigen Anwendung der Selbstbefreiungsregeln gefunden werden kann. Das Gesetz kennt bei Vorliegen einer Insiderinformation nämlich nur zwei Handlungsalterna_______________

19 Siehe dazu auch die Regierungsbegründung zum Anlegerschutzverbesserungsgesetz, die von der „Voraussehbarkeit“ des zukünftigen Ereigniseintrittes ausging – BT-Drucks. 15/1374, 34.

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tiven: die unverzügliche Ad-hoc-Publikation oder die Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG; tertium non datur.

VII. Zweifelsfragen der Selbstbefreiung 1. Ausgangspunkt Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG ist der Emittent von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung der Insiderinformation befreit, solange die drei folgenden Voraussetzungen gegeben sind: Erforderlichkeit des Aufschubs zum Schutz berechtigter Interessen des Emittenten, keine Irreführung der Öffentlichkeit und Gewährleistung der Vertraulichkeit. In diesem Zusammenhang stellen sich eine Reihe von Zweifelsfragen, auf die im Folgenden einzugehen ist. Das kann im vorliegenden Rahmen nur in zusammenfassenden Thesen geschehen:

2. Befreiung ex lege? Die Frage, ob § 15 Abs. 3 WpHG eine von dem Emittenten bewusst getroffene Abwägungsentscheidung voraussetzt oder aber bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ex lege zu einem Aufschub der Mitteilungspflichten führt, ist umstritten. Sie wurde bislang in zwei obergerichtlichen Entscheidungen mit jeweils unterschiedlichem Ergebnis beantwortet. Während das OLG Frankfurt am Main20 bei § 15 Abs. 3 WpHG offenbar (trotz der Bezeichnung als „Legalausnahme“) von der Notwendigkeit einer bewussten und eigenverantwortlichen Entscheidung des Emittenten ausgehen will21, hat das OLG Stuttgart in seiner zweiten Entscheidung im Fall „Geltl“22 festgestellt, dass die Befreiung kraft Gesetzes eintrete, also keine aktive Befreiungsentscheidung erfordere.23 Die BaFin geht von dem Erfordernis einer bewussten Entscheidung des Emittenten aus.24 _______________

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OLG Frankfurt a. M. ZIP 2009, 563 f. OLG Frankfurt a. M. ZIP 2009, 563, 564. OLG Stuttgart ZIP 2009, 962 ff. OLG Stuttgart ZIP 2009, 962, 973. BaFin, Emittentenleitfaden 2009, S. 65: „Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 WpHG könnte so verstanden werden, dass eine Befreiung automatisch erfolgt (…). Die BaFin geht davon aus, dass ein Beschluss des geschäftsführenden Organs herbeizuführen ist. An der Entscheidung über die Beschlussfassung hat dabei mindestens ein ordentliches Vorstandsmitglied mitzuwirken. Wird eine Insiderinformation nicht unverzüglich veröffentlicht und wurde keine Befrei-

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Ihrig – Ad-hoc-Pflichten bei gestreckten Geschehensabläufen

In der Literatur geht eine im Vordringen begriffene Auffassung davon aus, dass die Befreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG ex lege eintritt, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.25 Demgegenüber vertritt die wohl noch h. M. die Auffassung, dass eine Befreiung von der Ad-hocPublizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG nur aufgrund einer bewusst getroffenen Entscheidung des Emittenten in Betracht komme.26 Die klar besseren Gründe sprechen dafür, dass die Befreiungswirkung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG ex lege eintritt und keiner explizit zu treffenden Aufschubentscheidung des Emittenten bedarf. Ob das auch der BGH so sieht, ist in Ansehung der Vorlageentscheidung an den EuGH allerdings sehr zweifelhaft. Dort äußert sich der BGH zwar mit keinem Wort zu den diesbezüglichen Ausführungen des OLG Stuttgart. _______________

ung nach § 15 Abs. 3 WpHG beschlossen, stellt dies einen Verstoß gegen § 15 WpHG dar, selbst wenn theoretisch die Möglichkeit einer Befreiung bestanden hätte“, zust. Bedkowski, BB 2009, 394, 398. 25 Vgl. Zimmer in FS Schwark, 2009, S. 669, 671; Zimmer/Kruse in Schwark/ Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 15 WpHG Rz. 54; Hopt in Schimanski/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 107 Rz. 96; Versteegen in Kölner Kommentar zum WpHG 2007, § 15 Rz. 168 ff.; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 15 Rz. 165a ff.; anders noch Assmann in der 4. Aufl., § 15 Rz. 129; Wehowsky in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand 2012, § 15 WpHG Rz. 11; Kuthe, ZIP 2004, 883, 885; Veith, NZG 2005, 254; Nietsch, BB 2005, 785, 786; Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 610; tendenziell wohl auch Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rz. 34 ff. 26 Vgl. S. Schröder, Die Selbstbefreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Absatz 3 WpHG, 2011, S. 166; Klöckner, Informationspflichten und Haftung der Organmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften, 2009, S. 277 f.; Groß in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 385, 387 ff.; Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900 ff.; Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 54 f.; Krämer/Teigelack, AG 2012, 1, 23; Dreyling, Der Konzern 2005, 3; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1906; Mennicke, NZG 2009, 1059, 1061 f.; Claussen/Florian, AG 2005, 757; Widder, BB 2009, 967, 969 ff.; Widder, DB 2008, 1480, 1481; Widder, GWR 2011, 1; Widder, BKR 2007, 405, 408; Widder/Kocher, NZI 2010, 925, 928; Parmentier, NZG 2007, 407, 415; Frowein in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rz. 74 ff.; Pfüller in Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 343 ff.; Eufinger/Teigelack in Hopt/Veil/Kämmerer, Kapitalmarktgesetzgebung im Europäischen Binnenmarkt, 2008, S. 75 f.; Marsch-Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für die Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rz. 243; Geibel/Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl., Stand 2007, § 15 WpHG Rz. 127 ff.; tendenziell wohl auch Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2009, 175, 179.

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Hätte der BGH Sympathie für die Möglichkeit einer Selbstbefreiung ex lege, hätte er die Vorlage der Sache an den EuGH wohl vermeiden können. Jedenfalls dürfte der „Geltl“-Fall dem BGH nach inzwischen eingetretenem Verfahrensstand keine Gelegenheit mehr bieten, sich zu dieser Frage zu äußern. Die Praxis sollte deshalb bis zu einer höchstrichterlichen Klärung von der Notwendigkeit einer ausdrücklichen Befreiungsentscheidung ausgehen.

3. Entscheidungskompetenz zur Selbstbefreiung Für eine Selbstbefreiung bedarf es richtigerweise nicht zwingend eines Vorstandsbeschlusses. Die Delegation an ein für Ad-hoc-Fragen zuständiges Gremium ist zulässig. Das gilt selbst dann, wenn diesem Gremium kein Vorstandsmitglied angehört. Demgegenüber vertritt die BaFin im Emittentenleitfaden den Standpunkt, dass die Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung einer Insidertatsache durch einen Beschluss des geschäftsführenden Organs zu erfolgen hat, wobei an der Entscheidung über die Befreiung mindestens ein ordentliches Vorstandsmitglied mitzuwirken hat.27 Die überwiegend in der Literatur vertretene Auffassung folgt dem indessen mit Recht nicht, sondern spricht sich ganz überwiegend für die Zulässigkeit einer vollständigen Delegationsmöglichkeit auf ein Gremium aus, das in eigener Verantwortung über den Aufschub entscheiden können soll. Zur Begründung wird angeführt, dass eine Delegation der Aufgabenwahrnehmung von Geschäftsführungsaufgaben auf nachgeordnete Unternehmensebenen generell zulässig ist, solange nicht zentrale Führungs- bzw. Leitungsentscheidungen betroffen sind.28 Die Wahrnehmung kapitalmarktrechtlicher Pflichten, einschließlich der Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung aus § 15 Abs. 1 WpHG, gehört jedoch nach rich-

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27 BaFin, Emittentenleitfaden, Stand 2009, S. 65; dagegen mit Recht der Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme zum Emittentenleitfaden, abgedr. in NZG 2009, 175, 179; kritisch auch Mennicke, NZG 2009, 1059, 1062. 28 Vgl. zur generellen Zulässigkeit der Aufgabendelegation Fleischer in Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rz. 56; ausführlich zum unverzichtbaren Umfang der zentralen Unternehmensleitungsfunktionen, die nicht delegiert werden können, Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 2008, § 76 AktG Rz. 16 ff.

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tiger Ansicht nicht zum unverzichtbaren Kernbestand der Führungsaufgaben des Vorstands.29 Eine besondere Kompetenzfrage stellt sich in Angelegenheiten, die im Wirkungskreis des Aufsichtrates zum Entstehen einer Insiderinformation führen, z. B. im Rahmen der Personalkompetenz des Aufsichtsrats. Wegen § 119 Abs. 4 Satz 1 AktG stößt die Annahme, im Rahmen der Compliance-Organisation könnte dem Aufsichtsrat eine entsprechende Entscheidungsbefugnis zugewiesen werden, auf Schwierigkeiten. Zu erwägen ist aber, in Angelegenheiten, die genuin in die Sphäre des Aufsichtsrats fallen, diesem im Sinne einer Annexkompetenz auch die Befugnis zuzuweisen, eine Selbstbefreiungsentscheidung nach § 15 Abs. 3 WpHG für den Emittenten zu fällen.

4. Vorsorgliche Selbstbefreiung Nach wie vor unterschiedlich wird die Frage beurteilt, ob Selbstbefreiungsbeschlüsse auch vorsorglich gefasst werden können. Die BaFin toleriert vorsorgliche Befreiungsbeschlüsse. Auch die überwiegende Ansicht in der Literatur spricht sich für die Zulässigkeit vorsorglicher Befreiungsbeschlüsse aus, meist unter Hinweis auf Praktikabilitätserwägungen sowie die Schutzbedürftigkeit des Emittenten, der aufgrund der durch das AnSVG stark ausgeweiteten und zeitlich vorverlagerten Publikationspflichten oftmals nicht zweifelsfrei bestimmen könne, ab wann die Anforderungen an die Konkretisierung sowie die Wahrscheinlichkeit des

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29 Vgl. Klöckner, Informationspflichten und Haftung der Organmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften, 2009, S. 27; S. Schröder, Die Selbstbefreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Absatz 3 WpHG, 2011, S. 168; Groß in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 385, 390 ff.; Frowein in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rz. 75; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für die Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rz. 243; Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55; Mennicke, NZG 2009, 1059, 1062 f.; DAV-Stellungnahme zum Emittentenleitfaden, abgedr. in NZG 2009, 175, 179; Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900; Widder, BB 2009, 967, 972; anders wohl nur Krämer/ Heinrich, ZIP 2009, 1737, 1741, die aufgrund der geringen Anzahl von Insiderveröffentlichungen (durchschnittlich unter 10/Jahr) von einer originären Vorstandsangelegenheit ausgehen.

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Eintritts einer Insidertatsache vorliegen.30 Die Mindermeinung31 lehnt demgegenüber die Zulässigkeit von vorsorglichen Befreiungsentscheidungen ab. Die von der Mindermeinung vorgebrachten Argumente überzeugen indessen nicht. Insbesondere ist keine Überflutung der BaFin mit im Ergebnis unnötigen nachträglichen Mitteilungen nach § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG, § 8 Abs. 5 Nr. 2 WpAIV zu erwarten. Vielmehr entfällt die Pflicht zur nachträglichen Mitteilung über den Zeitpunkt der Entscheidung sowie die an ihr beteiligten Personen immer dann, wenn sich im Verlauf des Vorgangs herausstellt, dass sich der Sachverhalt nicht zu einer Insiderinformation verdichtet hat und folglich eine Veröffentlichung unterbleiben konnte. Die Selbstbefreiung als solche muss nach Ansicht der BaFin nämlich gerade nicht veröffentlicht werden, sondern immer nur ihre Vornahme im Zusammenhang mit einer später tatsächlich veröffentlichten Insiderinformation.32 Fällt also eine für zunächst möglicherweise veröffentlichungspflichtig gehaltene Tatsache nach Inanspruchnahme der Befreiung weg, oder stellt sie sich nachträglich als definitiv nicht ad-hoc-pflichtig heraus, so bedarf es einer nachholenden Information der BaFin auch dann nicht, wenn zwischenzeitlich eine vorsorgliche Befreiung erfolgt ist. _______________

30 Vgl. Klöckner, Informationspflichten und Haftung der Organmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften, 2009, S. 278; Hopt in Schimanski/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 107 Rz. 96; Frowein in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rz. 73; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für die Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rz. 243; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1907; Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900; Widder, DB 2008, 1480 ff.; Widder, BB 2007, 573; Widder, BB 2008, 858; wohl auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 15 Rz. 165c sowie Versteegen in Kölner Kommentar zum WpHG 2007, § 15 Rz. 150; offen gelassen bei Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rz. 3 sowie bei Zimmer/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 15 WpHG Rz. 54. 31 Gunßer, Ad-hoc-Publizität bei Unternehmenskäufen und -übernahmen, 2008, S. 87 f.; Gunßer, NZG 2008, 856; S. Schröder, Die Selbstbefreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Absatz 3 WpHG, 2011, S. 203 ff.; nicht ganz eindeutig demgegenüber Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55 („Vorratsbeschlüsse“) und Fleischer, NZG 2007, 401, 404. 32 Vgl. BaFin Emittentenleitfaden, 2009, S. 65 (mit Beispiel); vgl. aus der Literatur nur Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, § 15 Rz. 173 und 176; Widder, DB 2008, 1480, 1482.

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Demgegenüber ist der Emittent schutzwürdig, weil von ihm nicht verlangt werden kann, sich aufgrund von tatsächlichen Unwägbarkeiten einer Haftung nach §§ 37, 39 WpHG auszusetzen. Das gilt nach den Unsicherheiten infolge der „Geltl“-Entscheidung mehr denn je. Die Selbstbefreiungsentscheidung kann also richtigerweise auch lediglich vorsorglich getroffen werden. Zu ihr ist immer dann zu raten, wenn aufgrund einer schwierigen Prognose über die Kursrelevanz oder über die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Tatsache noch kein zweifelsfreies Urteil über das Vorliegen einer Insidertatsache getroffen werden kann. In diesem Fall muss nur dann eine nachträgliche Information der BaFin über die Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG erfolgen, wenn die Tatsache als Ad-hoc-Information im weiteren Verlauf auch tatsächlich veröffentlicht wird. Erledigt sich die Tatsache demgegenüber im Stadium der noch andauernden Befreiung, muss die BaFin nicht, auch nicht gesondert, über die nur vorsorglich erfolgte Befreiung informiert werden.

VIII. Schlussbemerkung Für die Organisation der kapitalmarktrechtlichen Compliance in den Unternehmen empfiehlt sich nach „Geltl“ zumindest dreierlei: Es ist Sorge dafür zu tragen, dass bei gestreckten Geschehensabläufen eine kontinuierliche Prüfung erfolgt, ob sich Sachverhaltsumstände eingestellt haben, die, obwohl nur Zwischenschritt, für sich genommen eine Insiderinformation sein können. Bei der Berücksichtigung von in der Zukunft liegenden Umständen sollte vorsorglich die Erheblichkeitsschwelle abgesenkt und schon dann, wenn der zukünftige Eintritt wahrscheinlicher ist als ein Ausbleiben, bei entsprechender Kursrelevanz im Zweifel von einer Insiderinformation ausgegangen werden. Bei besonders hoher Kursrelevanz sollte selbst dann, wenn noch keine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit besteht, aber die Verwirklichung auch nicht unwahrscheinlich ist, von einer möglichen Insiderinformation ausgegangen werden und deshalb eine vorsorgliche Selbstbefreiungsentscheidung in Betracht gezogen werden.

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Bericht über die Diskussion des Referats Ihrig Dr. Volker Kuhn Rechtsanwalt, Mannheim Die von Hopt geleitete und äußerst lebhafte Diskussion im Anschluss an das Referat von Ihrig zeigte, wie sehr das Thema der Zwischenschritte als Insiderinformationen innerhalb eines gestreckten Geschehensablaufs nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Geltl/Daimler vom 28.6.20121 Wissenschaft und Praxis beschäftigt. Dabei wurde deutlich, dass die Entscheidung des EuGH weitere Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung solcher Fallkonstellationen geschaffen hat.

I. Eröffnet wurde die Diskussion von Altmeppen, der sich beeindruckt und beunruhigt zugleich zeigte – beeindruckt vom Vortrag und beunruhigt wegen der Entscheidung des EuGH in Sachen Geltl/Daimler. Es frage sich, wann denn nun die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität bei gestreckten Geschehensabläufen eintrete; dieser Zeitpunkt sei doch nur äußerst schwer zu bestimmen: Sei das beispielsweise im konkreten Fall Geltl/Daimler der Zeitpunkt, in dem der Vorstandsvorsitzende Schrempp vor dem Spiegel stand und sich entschied, amtsmüde zu sein, oder etwa der Zeitpunkt, in dem dieser seine Ehefrau informierte? Sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem Schrempp das erste Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden führte? Und welche Auswirkungen hätte es, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Kopper den Vorstand Schrempp nach einem ersten Gespräch gar zum nochmaligen Nachdenken für eine Woche in Skiurlaub schickte? Kurzum stellte Altmeppen abschließend die Frage in den Raum: „Ab wann geht’s denn nun los?“ Die Ausführungen von Altmeppen fasste der Diskussionsleiter Hopt mit der Frage zusammen, wo die Grenze zwischen einer für § 13 WpHG und damit auch für § 15 WpHG relevanten Information und einem unbeachtlichen Vorstadium insbesondere bei gestreckten Geschehensabläufen zu ziehen sei. _______________

1 EuGH, Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11 (Geltl/Daimler), NJW 2012, 2787 = ZIP 2012, 1282.

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Ihrig stimmte Altmeppen darin zu, dass es gerade bei gestreckten Geschehensabläufen ganz erhebliche Schwierigkeiten gebe, den letztlich entscheidenden Zeitpunkt zu bestimmen, in dem eine Insiderinformation vorliege und daran anknüpfend die Pflicht zur Ad-hoc-Mitteilung entstehe. Sodann führte Ihrig aus, dass Absichten, Ideen und Pläne einer Person, die noch nicht kundgetan wurden – hier beispielsweise der Plan Schrempps, aus seinem Amt als Vorstandsvorsitzender zu scheiden, den er womöglich eines Morgens bei einem Blick in den Spiegel gefasst habe –, innere Vorgänge bildeten. Diese inneren Vorgänge würden erst der äußeren Wahrnehmung sowie dem Beweis zugänglich und zu einem Umstand im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG, wenn sie nach außen hin manifestiert, also durch eine Äußerung oder ein sonstiges Verhalten nach außen dokumentiert würden. In dem der Entscheidung des EuGH in Sachen Geltl/Daimler zu Grunde liegenden Fall müsse man wohl davon ausgehen, dass eine ad-hoc-pflichtige Information frühestens zu dem Zeitpunkt entstanden sei, zu dem Schrempp dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper von seiner Absicht berichtete, einvernehmlich aus dem Amt zu scheiden. Es sei aber nicht völlig ausgeschlossen, schon auf das Gespräch Schrempps mit seiner Ehefrau abzustellen. Ein solches Gespräch sei zwar in aller Regel der Privatsphäre einer Person zuzuordnen; im konkreten Fall habe aber die Besonderheit bestanden, dass die Ehefrau im Vorstandssekretariat der Daimler AG (damals DaimlerChrysler AG) beschäftigt gewesen sei. Ihrig betonte darüber hinaus, dass das Pflichtenprogramm des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG bereits dann ausgelöst werde, wenn (objektiv) eine Insiderinformation im Sinne des § 13 Abs. 1 WpHG bestehe, unabhängig davon, ob der Emittent hiervon bereits Kenntnis habe oder nicht. Klar davon zu unterschieden sei die Frage nach dem Zeitpunkt, in dem der Emittent eine Insiderinformation veröffentlichen müsse, um seiner Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG Genüge zu tun. Dem Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit komme dabei entscheidende Bedeutung zu, handele doch unverzüglich, wer ohne schuldhaftes Zögern tätig werde; damit stelle dieses Merkmal das Einfallstor für die subjektive Komponente auf Seiten des Emittenten dar. Hierbei sei es nun entscheidend, so Ihrig, ab wann die Information als „in der Sphäre des Emittenten“ befindlich angesehen werden könne. Dogmatisch betrachtet gehe es dabei nicht um eine Zurechnung von Wissen zum Emittenten, sondern darum, ob der Emittent selbst als Teil

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Kuhn – Bericht über die Diskussion des Referats Ihrig

seiner Compliance organisatorisch alle notwendigen und zumutbaren unternehmensinternen Strukturen geschaffen habe, um einen Informationsfluss im Unternehmen hin zur letztlich entscheidungsberechtigten Stelle sicherzustellen. Habe der Emittent solche hinreichenden internen Strukturen geschaffen, sei eine Veröffentlichung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG auch dann ohne schuldhaftes Zögern, also unverzüglich erfolgt, wenn die fragliche Information objektiv bereits zu einem früheren Zeitpunkt entstanden sei.

II. In Zusammenhang mit diesen von Ihrig angesprochenen unternehmensinternen Organisationsstrukturen warf von Falkenhausen die Frage auf, wie sich die Situation darstelle, wenn eine Insiderinformation im Aufsichtsrat entstehe, beispielsweise der Plan des Aufsichtsrats, ein Vorstandsmitglied auszutauschen. Den Vorstand treffe nun einmal, so von Falkenhausen, die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität – der Vorstand könne aber hier wohl kaum zur Ad-hoc-Publizität verpflichtet sein, ohne überhaupt Kenntnis von dem relevanten Umstand zu haben. Ferner sei es schwer vorstellbar, dass der Aufsichtsrat den Vorstand bereits in einem Planungsstadium über die beabsichtigte und den Vorstand selbst betreffende Absetzung informieren müsse. Hieran anknüpfend brachte E. Vetter zum Ausdruck, dass sich diese Fragen nicht nur im Hinblick auf die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG stellten, sondern auch dann, wenn es um die Selbstbefreiung von der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach § 15 Abs. 3 WpHG gehe. Ihrig wies darauf hin, dass der Aufsichtsrat selbst einen kursrelevanten Umstand und damit eine Insiderinformation schaffen könne – ein solcher Fall sei beispielsweise die geplante Absetzung eines Vorstands. Nun müsse allerdings als Ausgangspunkt zunächst bedacht werden, dass § 15 WpHG nicht an das Leitungsorgan der Gesellschaft gerichtet sei, sondern an den Emittenten. Dieser müsse, so unterstrich Ihrig nochmals, die Insiderinformation ohne schuldhaftes Zögern, also unverzüglich, veröffentlichen; der Emittent müsse als Teil seiner Compliance durch die Organisation unternehmensinterner Abläufe dafür Sorge tragen, dass diese ad-hoc-relevanten Umstände und Ereignisse der entscheidungsberechtigten Person oder dem entscheidungsberechtigten Gremium zugeleitet werden. In diesem Zusammenhang bleibe es dem

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Emittenten unbenommen, eine Delegation vorzunehmen und beispielsweise ein „Ad-hoc-Gremium“ einzurichten, das mit den Vorgängen rund um § 15 WpHG befasst und diesbezüglich auch entscheidungsberechtigt sei; die durch § 15 WpHG konstatierten Pflichten seien als Geschäftsführungsmaßnahmen übertragbar. Sei ein solches Gremium geschaffen, so Ihrig, sei der Informationsfluss hin zu diesem sicherzustellen. In diesem Zusammenhang bereite die Konstellation Schwierigkeiten, in der eine Insiderinformation im Aufsichtsrat entstehe, weil dem Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden könnten. Ihrig sprach sich für diesen Fall einer im Aufsichtsrat entstandenen Insiderinformation dafür aus, von § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG eine Ausnahme zu machen, sofern ein vom Aufsichtsrat verschiedenes „Ad-hoc-Gremium“ nicht bestehe. Dem Aufsichtsrat solle dann die Kompetenz zukommen, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Selbstbefreiung herbeizuführen. Dogmatisch handele es sich hierbei um eine Annexkompetenz des Aufsichtsrats. Ansonsten habe der Aufsichtsrat den Vorstand oder bei Bestehen eines „Ad-hoc-Gremiums“ dieses über die Insiderinformation entsprechend der Compliance des Emittenten zu unterrichten. Die Selbstbefreiung aus § 15 Abs. 3 WpHG könnte, so Ihrig, aus diesem Themenkomplex herausgehalten werden, wenn sie, wie es der Wortlaut des Satzes 1 dieser Vorschrift andeute, ex lege eintrete. Die Praxis müsse sich aber derzeit damit abfinden, dass es für eine Selbstbefreiung der Entscheidung einer entscheidungsberechtigten Person oder eines entscheidungsberechtigten Gremiums bedürfe. Die herrschende Auffassung halte nämlich eine solche Entscheidung insbesondere unter Hinweis auf § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG für unverzichtbar, da diese Norm von der Mitteilung des Zeitpunktes der Entscheidung über eine Befreiung spreche und damit eine getroffene Entscheidung voraussetze.

III. Im Anschluss führten E. Vetter und Hopt die Diskussion fort, indem sie auf das Tatbestandsmerkmal des erheblichen Kursbeeinflussungspotentials eingingen, das für das Vorliegen einer Insiderinformation und damit auch für die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität erhebliche Bedeutung hat. E. Vetter schilderte in diesem Zusammenhang einen Fall, in dem ein Vorstandsmitglied, dessen jeweilige Amtsperiode in der Vergangenheit immer den maximalen Zeitraum von fünf Jahren umfasste, nun nur

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noch auf ein Jahr bestellt wird. Er brachte zum Ausdruck, dass doch auch dies auf die Amtsmüdigkeit oder auf den baldigen Wechsel des Leitungsorgans hindeute und erhebliches Kursbeeinflussungspotential berge. Hopt griff diesen Beitrag auf, lenkte die Aufmerksamkeit jedoch auf einen prozessualen Aspekt, indem er die Frage aufwarf, ob sich denn ein Richter den Rat eines Sachverständigen einholen dürfe oder gar müsse, um zu klären, ob ein Umstand geeignet war, den Kurs der Wertpapiere des Emittenten zu beeinflussen oder nicht. Ihrig stellte zunächst heraus, dass es für die Frage nach der Erheblichkeit des Kursbeeinflussungspotentials entscheidend auf den verständigen Anleger ankomme. Dieser fachkundige und mit den Marktgegebenheiten vertraute Anleger, der mit § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG seinen Platz im Gesetz gefunden habe, beziehe alle zur Verfügung stehenden Informationen in eine Anlageentscheidung mit ein. Ausstrahlungswirkung habe auf dessen Entscheidungsfindung unter anderem bei gestreckten Geschehensabläufen auch das in Zukunft liegende Endereignis – dies ergebe sich aus einer dem § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG zu entnehmenden Wertung. Die Frage, ob tatsächlich ein erhebliches Kursbeeinflussungspotential vorliege oder nicht, könne für keinen Fall ohne nähere Kenntnis des konkreten Sachverhalts beantwortet werden. Das sei schon deshalb nicht möglich, weil der als Maßstab entscheidende Blick des verständigen Anlegers sämtliche Informationen eines jeden konkreten Einzelfalles zu erfassen habe. In prozessualer Hinsicht sei, so Ihrig, die Frage nach der Eignung zur Kursbeeinflussung als Tatsachenfrage einzuordnen. Damit sei folglich die Möglichkeit eröffnet, den Rat eines Sachverständigen einzuholen – Experten in Sachen Kursbeeinflussungspotential seien in den wenigsten Fällen Rechtsanwälte oder Richter, sodass ein Sachverständigengutachten zur Klärung beitragen könne.

IV. Die Entscheidung des EuGH in Sachen Geltl/Daimler2 wurde im Anschluss von Parmentier wieder in den Vordergrund gerückt: Im Hinblick auf den in der Vorlagefrage verwendeten Begriff des Zwischen_______________

2 EuGH, Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11 (Geltl/Daimler), NJW 2012, 2787 = ZIP 2012, 1282.

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schritts bei einem gestreckten Geschehensablauf sei sie selbst der Auffassung, der EuGH habe mit seiner Entscheidung der Möglichkeit einen Riegel vorschieben wollen, unter vordergründigem Verweis auf ein späteres Ereignis ein gegenwärtiges Geschehen, das seinerseits bereits alle Kriterien einer Insiderinformation über gegenwärtige Umstände erfüllt, als Zwischenschritt abzutun und damit dem Insiderrecht künstlich zu entziehen. Außerdem führte Parmentier aus, dass ein Festhalten an dem „Wahrscheinlichkeitsdenken“ in seiner bisherigen Form bezüglich eines in Zukunft eintretenden Ereignisses nicht mehr angebracht sei, denn der EuGH spreche von einem „tatsächlichen Erwarten“. Nach ihrer persönlichen Ansicht könne daher der alleine durch die deutsche Sprachfassung der Durchführungsrichtlinie zur Marktmissbrauchsrichtlinie begründete deutsche Sonderweg, in Wahrscheinlichkeitskategorien zu denken, nicht mehr weitergegangen werden. Ihrig bestätigte, dass der EuGH in seiner Entscheidung in Sachen Geltl/ Daimler Zwischenschritte als mögliche Insiderinformationen qualifizierte. Diese Einordnung diene im Ergebnis auch dem von Parmentier angesprochenen Zweck, zu unterbinden, konkrete Informationen als Zwischenschritte abzutun und diese dem Insiderrecht zu entziehen. Gleichzeitig wies Ihrig darauf hin, dass nach seiner Einschätzung der Zusammenhang von (gegenwärtigem oder vergangenem) Zwischenschritt und Eintrittswahrscheinlichkeit des zukünftigen Endereignisses im Rahmen eines gestreckten Geschehensablaufs auch weiterhin Berücksichtigung finden müsse – zum einen beziehe der verständiger Anleger dieses zukünftige Endereignis in seine Überlegungen mit ein, zum anderen stelle dies auch keinen Widerspruch zu den Ausführungen des EuGH dar, wie sich aus dessen Ausführungen in der Schlusspassage der Entscheidung in Sachen Geltl/Daimler3 ergebe. Weiterhin nahm Ihrig die Ausführungen Parmentiers hinsichtlich des „Wahrscheinlichkeitsdenkens“ auf, betonte demgegenüber jedoch, der EuGH blende keineswegs die (hinreichende) Eintrittswahrscheinlichkeit im Hinblick auf zukünftige Umstände aus. Die Redewendung von einem „tatsächlich Erwarten“ nutze der EuGH lediglich, um die hinreichende Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Frage nach dem Tatbestandsmerkmal einer konkreten bzw. präzisen Information nach _______________

3 EuGH, Urt. v. 28.6.2012 – Rs. C-19/11 (Geltl/Daimler), NJW 2012, 2787, 2790 f. (Tz. 55) = ZIP 2012, 1282.

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§ 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu umschreiben und zu definieren. Unabhängig von diesen Begrifflichkeiten sei es letztlich aber entscheidend, die Grenzen für die hinreichende Wahrscheinlichkeit oder für das tatsächliche Erwarten auszuloten. Ihrig sprach sich insofern dafür aus, die Messlatte jedenfalls deutlich höher als auf die 50-Prozent-Marke zu legen.

V. Zum Abschluss schaltete sich noch einmal Diskussionsleiter Hopt in die Debatte ein. Er merkte an, dass es doch sinnvoll wäre, wenn die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität vom Vorliegen einer Insiderinformation entkoppelt würde. Ihrig pflichtete dem bei und ergänzte, dass eine solche Entkoppelung gerade auch für die Unternehmenspraxis von Vorteil wäre. Dies würde eine wünschenswerte Rückbesinnung auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes im Jahre 2004 bedeuten.

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Treuhandkonstruktionen bei Publikumspersonengesellschaften Das Aufrechnungsverbot nach BGHZ 189, 45 und BGH NZG 2012, 1024

Prof. Dr. Lars Klöhn, LL.M. (Harvard) Ludwig-Maximilians-Universität München I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Die qualifizierte Treuhand an Personengesellschaftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Die Haftung des Treugebers in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Der Ausschluss der Aufrechnung mit Prospekthaftungsansprüchen gegen den Treuhänder . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verteilung des (Prospekt-)Täuschungs- und Insolvenzrisikos des Treuhänders . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Begründung des Aufrechnungsverbots in der Rechtsprechung des BGH . a) Methode: Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachargument: Gleichstellungsgrundsatz . . . . . 3. Würdigung der BGHRechtsprechung . . . . . . . . . a) Gleichstellungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlende Begründung in der BGH-Judikatur

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bb) Mutmaßlicher Parteiwille bei der qualifizierten Treuhand? . . cc) Gläubigerschutzbedürfnis bei Treuhandgesellschaften . b) Methode . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragsimmanente Wertungen und Prospekthaftungsansprüche . . . . . . . . . . . bb) Die Wertung des § 309 Nr. 3 BGB . . . 4. Vorrang des Gläubigerschutzes aufgrund gesetzlicher Wertungen? . . . . . . . V. Rechtsökonomische Vergewisserung . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des BGH als Vertragsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung auf dem Primärmarkt für Treuhandbeteiligungen? . . . . . . 3. Bewertung des Aufrechnungsverbots . . . . . . . . . . .

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VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

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I. Einleitung Im Personengesellschaftsrecht gibt es derzeit wohl kein Thema, das sich besser für einen Vortrag auf der VGR-Jahrestagung eignet als die Treuhandkonstruktionen bei Publikumspersonengesellschaften. Der Grund hierfür liegt in dem hohen Verbreitungsgrad dieser Gestaltungen einerseits und in dem weitgehenden Fehlen spezifischer Regulierung andererseits. Beide Elemente zusammengenommen stellen den BGH vor die Aufgabe, Schritt für Schritt anhand zahlreicher Einzelentscheidungen einen Rechtsrahmen zu entwickeln, der einerseits genügend Gestaltungsfreiheit für die Gesellschafter lässt, andererseits die Belange des Gläubiger- und Anlegerschutzes angemessen austariert. Bedenkt man zudem, dass die Aufgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur darin besteht, Leitlinien für zukünftige Fälle zu formulieren, sondern auch1 darin, den jeweiligen Einzelfall gerecht zu entscheiden, also nicht nur die generalisierende, sondern auch die individualisierende Tendenz der Gerechtigkeitsidee zu verwirklichen,2 dann kann man wahrlich von einer „Herkulesaufgabe“3 sprechen. Das Leid des BGH ist die Freud eines jeden, der einen Vortrag über die Treuhandkonstruktionen halten darf. Er kann sich aus einem Tableau zahlreicher interessanter Rechtsfragen (Auskunftsanspruch der Treugeber4, Strukturen einer Treugeber-Innengesellschaft5, neuerdings sogar investmentrechtliche Aspekte6) diejenige herauspicken, die ihm am _______________

1 Viele würden nicht „auch“ sagen, sondern „vor allem“ oder sogar „ausschließlich“; monographisch dazu Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010. 2 Zur generalisierenden und individualisierenden Tendenz der Gerechtigkeitsidee s. etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, S. 13 ff.; Coing, Geschichte und Bedeutung des Systemgedankens in der Rechtswissenschaft, 1957, S. 29; Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 33 ff. 3 Zum Richter als Herkulesfigur s. (nicht ohne Ironie) Dworkin, 88 Harv. L. Rev. 1057 (1975). 4 BGH NZG 2011, 276; dazu Altmeppen, NZG 2010, 1321; Altmeppen, ZIP 2011, 326; Hoeren, ZIP 2010, 2436; Holler, ZIP 2010, 2429; Rieder, GWR 2011, 58. 5 Dazu K. Schmidt, NZG 2011, 361; monographisch (im Hinblick auf die atypische stille Gesellschaft) Florstedt, Der „stille Verband“, 2006. 6 Dazu Zetzsche, Prinzipien der kollektiven Vermögensanlage, 2013, S. 383 ff. et passim; allgemein zu den Auswirkungen der AIFM-Richtlinie auf geschlossene Fonds Bußalb/Unzicker, BKR 2012, 309.

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besten gefällt. Gegenstand dieses Referats ist ein relativ spezifischer Aspekt der Treugeberhaftung. Zwar stand diese Haftung schon vor zwei Jahren im Zentrum des VGR-Referats von Joachim Tebben.7 Die Rechtsprechung des II. Senats ist seitdem jedoch in zwei für die amtliche Sammlung des BGH vorgesehenen Urteilen vorangeschritten,8 die bisher – soweit ersichtlich – nicht eingehend hinterfragt worden sind.

II. Die qualifizierte Treuhand an Personengesellschaftsanteilen Treuhandkonstruktionen bei Publikumspersonengesellschaften begegnen uns in verschiedenen Gewändern.9 Gegenstand dieses Referats ist nur die qualifizierte Treuhand, also solche Treuhandverhältnisse an Personengesellschaftsanteilen, bei denen der Treugeber im Innenverhältnis gegenüber dem Treuhänder und der Gesellschaft wie ein Gesellschafter gestellt wird („Quasi-Gesellschafter“)10 und es daher zu einer „Überlagerung von Treuhand- und Gesellschaftsrecht“11 kommt. Nach st. Rspr. des BGH ist von einer solchen qualifizierten Treuhand stets auszugehen, „wenn – wie bei Publikumsgesellschaften häufig – die mittelbare Beteiligung erst noch zu werbender Anleger und damit eine Verzahnung von Gesellschaft und Treuhand im Gesellschaftsvertrag von vornherein vorgesehen ist und im Hinblick darauf bestimmte Rechte und Pflichten der Anleger schon im Gesellschaftsvertrag geregelt sind“12. Die Gesellschaft, an der sich der Treugeber mittelbar beteiligt, hat häufig die Rechtsform einer KG (kupierte Publikums-KG13), spätestens seit Einführung des § 15a EStG auch die einer oHG oder GbR14. Unternehmensgegenstand ist typischerweise die Verwaltung eines Fonds-Vermögens, etwa einer oder mehrerer Immobilien, Schiffe, Energieparks oder Filmproduktionen. Finanziert wird dieses Vermögen nicht nur durch die Bei_______________

7 Tebben in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010, S. 161. 8 BGHZ 189, 45; BGH NZG 2012, 1024. 9 Eine Übersicht über die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten findet sich etwa bei K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 34 ff. 10 Zur Terminologie („qualifizierte Treuhand“ und „Quasi-Gesellschafter“) etwa BGHZ 178, 271 Rz. 20 (XI. Senat); BGH NZG 2011, 1432 Rz. 16; BGH BeckRS 2011, 26785 Rz. 17; Ulmer, FS Odersky, 1996, S. 873, 877 f.; Tebben, ZGR 2001, 586. 11 Etwa BGH NZG 2012, 1024 Rz. 36; BGH NZG 2011, 1432 Rz. 18. 12 BGH NZG 2011, 1432 Rz. 16; BGH BeckRS 2011, 26785 Rz. 17. 13 K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 44. 14 K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 79.

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träge der Anleger, sondern meistens zu einem erheblichen Teil durch Fremdkapital, das typischerweise von einer Bank stammt. Initiiert werden die Treuhandbeteiligungen typischerweise von sog. Fonds-Häusern. Die Initiatoren sind meist an allen Gliedern der FondsGesellschaft beteiligt und vertreiben die Beteiligungen entweder selbst oder durch Tochtergesellschaften. Sie verdienen an jeder Schnittstelle der Fondsstruktur verschiedene Gebühren: Provisionen und Ausgabeaufschläge im Rahmen des Vertriebs, Managementgebühren für die geschäftsführende Gesellschaft, Verwaltungsgebühren für die Treuhandgesellschaft usw. Anleger haben meistens die Wahl, ob sie sich an den Fonds als Gesellschafter oder als Treugeber beteiligen. Sie wählen die Beteiligung als Treugeber aus verschiedenen Gründen,15 am häufigsten, weil sie anonym bleiben wollen und daher vor allem die Registerpublizität fürchten. Nach dem Innenverhältnis der Treugeber kann man solche Konstruktionen unterscheiden, bei denen die Treugeber durch „parallel geschaltete“16 („koordinierte“)17 Geschäftsbesorgungsverträge (§ 675 BGB) mit dem Treuhänder verbunden sind, und solche, bei denen die Anleger eine Innen-GbR bilden, wobei der Treuhänder in dieses Gesellschaftsverhältnis einbezogen oder die Innen-GbR allein unter den Treugebern bestehen kann.18

III. Die Haftung des Treugebers in der Rechtsprechung des BGH Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur mittelbaren Haftung der Treugeber lässt sich – soweit hier relevant – leitsatzartig wie folgt zusammenfassen: –

Treugeber unterliegen keiner gesellschaftsrechtlichen Außenhaftung (etwa in Analogie zu § 128 Satz 1 HGB).19 Dies gilt auch dann, wenn

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15 Allgemein zu den Motiven für Treuhandkonstruktionen K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 41; Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2000, S. 37 ff. 16 K. Schmidt, NZG 2011, 361, 364. 17 K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 79. 18 Zusf. K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 79; vertiefend K. Schmidt, NZG 2011, 361. 19 BGHZ 76, 127, 130 f.; BGHZ 178, 271 Rz. 21 ff. (XI. Senat); BGHZ 189, 45 Rz. 10; BGHZ NZG 2012, 1024 Rz. 21; BGH NJW-RR 2009, 254 Rz. 21; BGH NZG 2009, 380 Rz. 35 (III. Senat); BGH NZG 2009, 779 Rz. 19; BGH BB

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die Anleger anlässlich ihres Beitritts ausdrücklich erklären, ihnen sei bekannt, dass sie für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich haften.20 Allerdings hat der Treuhänder aufgrund des Treuhandvertrags einen Anspruch auf Freistellung von seinen gesellschaftsrechtlich begründeten Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftsgläubigern (liegt dem Treuhandverhältnis ein Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde, folgt dieser Anspruch aus §§ 670, 675 BGB i. V. m. § 257 BGB).21 Dieser Anspruch kann an die Gesellschaftsgläubiger regelmäßig abgetreten werden, ohne dass ein vertragliches Abtretungsverbot gem. § 399, 2. Fall BGB22 oder das Abtretungsverbot gem. § 399, 1. Fall BGB (aufgrund des Inhalts des Anspruchs)23 entgegenstünde.24 Mit der Abtretung wandelt sich der Freistellungs- in einen Zahlungsanspruch des Gläubigers.25 Treugeber können gegenüber dem Zahlungsanspruch nicht (gem. §§ 406, 407 BGB) mit etwaigen Ansprüchen gegen den Treuhänder

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2011, 1807 Rz. 11; aus der OLG-Rechtsprechung etwa OLG Bamberg BeckRS 2009, 04122 sub. II.1.; OLG Düsseldorf ZIP 1991, 1494, 1499; OLG Karlsruhe NZG 2009, 1107, 1108; OLG Nürnberg WM 2009, 942, 943; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 718. In der Literatur ist die Frage sehr str.; für eine gesellschaftsrechtliche Außenhaftung der Treugeber bei der qualifizierten Treuhand Kindler, ZIP 2009, 1146; Kindler, FS K. Schmidt, 2009, S. 871, 874 ff.; Pfeifle/Heigl, WM 2008, 1485, 1491 f.; dagegen etwa Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2001, S. 420 ff.; Armbrüster, ZIP 2009, 1885; Wiesner, FS Ulmer, 2003, S. 673, 681. BGH NZG 2012, 1024 Rz. 22. BGHZ 76, 127, 131; BGHZ 178, 271 Rz. 24 (XI. Senat); BGHZ 185, 310 Rz. 11 (III. Senat); BGHZ 189, 45 Rz. 11; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 20; BGH NZG 2009, 380 Rz. 35 (III. Senat); BGH BB 2011, 1807 Rz. 12; BGH BeckRS 2011, 26785 Rz. 36; OLG Köln NZG 2009, 543. BGHZ 185, 310 Rz. 13 (III. Senat); BGH BB 2011, 1807 Rz. 16; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 717; OLG Nürnberg WM 2009, 942, 944. BGHZ 189, 45 Rz. 14; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 26; BGH BB 2011, 1807 Rz. 15; OLG Bamberg BeckRS 2009, 04122 sub. II.2. (das von „§ 399 Alternative 1 ZPO“ (sic!) spricht); OLG Karlsruhe NZG 2009, 1107, 1108; OLG Köln NZG 2009, 543, 544; OLG Nürnberg WM 2009, 942, 943; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 717. Zust. aus der Literatur etwa Gottschalk, NZG 2012, 461; Stöber, ZG 2011, 738, 740. BGHZ 185, 310 Rz. 12 (III. Senat); BGHZ 189, 45 Rz. 14; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 26; BGH BB 2011, 1807 Rz. 15; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 717; OLG Bamberg BeckRS 2009, 04122 sub. II.2.

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aus Prospekthaftung (im engen oder im weiten Sinne)26 aufrechnen.27 Insoweit besteht ein Aufrechnungsverbot, das dogmatisch aus einer (ergänzenden) Auslegung des Treuhandvertrags28 und/oder aus § 242 BGB29 hergeleitet wird. Zusammen genommen führt diese Rechtsprechung, um eine Wendung K. Schmidts aus der Diskussion vor zwei Jahren aufzugreifen, zu einer „unerbittlichen Innenhaftung“ des Treugebers,30 die in ihren praktischen Auswirkungen einer Außenhaftung sehr nahe kommt. Der BGH selbst spricht von einer „wirtschaftlichen Außenhaftung“ des Treugebers.31

IV. Der Ausschluss der Aufrechnung mit Prospekthaftungsansprüchen gegen den Treuhänder 1. Die Verteilung des (Prospekt-)Täuschungs- und Insolvenzrisikos des Treuhänders Der dogmatisch interessanteste Teil dieser Rechtsprechung ist der Aufrechnungsausschluss mit den Prospekthaftungsansprüchen.32 Bei dieser Frage geht es darum, in welchem Maß die Treugeber und die Gesellschaftsgläubiger das (Prospekt-)Täuschungs- und Insolvenzrisiko des _______________

26 Ob Treuhandgesellschaften allein wegen ihrer formalen Stellung als Gründungs- und Treuhandgesellschafter nach den Grundsätzen der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung (i. e. S.) prospektverantwortlich sind, hat der BGH bisher offengelassen (BGH NZG 2008, 742 Rz. 7). Einer Prospekthaftung im weiten Sinne (genauer: einer „c.i.c. im engen Sinne“) unterliegen Treuhandkommanditisten nach den allgemeinen Grundsätzen, wenn sie konkretes Vertrauen, etwa beim Vertrieb der Anteile oder beim Abschluss des Treuhandvertrags, in Anspruch nehmen (s. dazu BGH NZG 2008, 742 Rz. 8; BGH NZG 2012, 744 Rz. 10). 27 BGHZ 189, 45 Rz. 27; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 32; BGH BB 2011, 1807 Rz. 27; BGH, Urt. v. 18.10.2011 – II ZR 37/10 (juris) Rz. 12. 28 BGHZ 189, 45 Rz. 27; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 33; BGH BB 2011, 1807 Rz. 27; BGH, Urt. v. 18.10.2011 – II ZR 37/10 (juris) Rz. 12. 29 BGHZ 189, 45 Rz. 27; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 33; BGH BB 2011, 1807 Rz. 27; BGH, Urt. v. 18.10.2011 – II ZR 37/10 (juris) Rz. 12; OLG Düsseldorf ZIP 1991, 1494, 1499; OLG Köln NZG 2009, 543, 544; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 718. 30 Vgl. den Diskussionsbericht von Hecker in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010, S. 181, 182. 31 BGH BeckRS 2011, 26785 Rz. 36 mit Verweis auf BGHZ 76, 127, 130. 32 S. o. III., 4. Spiegelstrich.

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Treuhänders tragen.33 Es geht um eine Episode aus dem großen Kapitel „Gläubigerschutz versus Anlegerschutz“34. –

Schließt man mit dem BGH die Aufrechnung aus, haftet der auf der Grundlage eines fehlerhaften Prospekts beigetretene Treugeber nach den jeweiligen Regeln des Treuhandverhältnisses gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, ohne sich auf die Prospekthaftung berufen zu können. Zwar stellt diese Haftung einen Schaden dar, den der Anleger im Wege der Prospekthaftung gegen den Treuhänder geltend machen kann. Da der Treuhänder in den entscheidenden Fällen aber typischerweise vermögenslos ist, bleibt der Anleger auf diesem Schaden sitzen, es sei denn, er kann auf andere zahlungskräftige (oder versicherte) Prospektverantwortliche zurückgreifen (je nach Prospekthaftungsregime können dies andere Gesellschafter, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Werbeträger nach „Rupert-ScholzGrundsätzen“35 etc. sein).



Lässt man die Aufrechnung zu, kann der Anleger die Vollstreckungsbzw. Sicherungsfunktion der Aufrechnung36 nutzen, um sich (gem. §§ 389, 406, 407 BGB) der Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern vollständig zu entziehen (sofern sein Prospekthaftungsanspruch nicht gem. § 254 BGB zu kürzen ist). Sein Prospekthaftungsschaden besteht nämlich zumindest in der Höhe, in der er gegenüber den Gesellschaftsgläubigern haftet. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Treuhänders ändert an der Aufrechnungsbefugnis des Treugebers grundsätzlich nichts, da die Aufrechnungslage in der Regel vor Verfahrenseröffnung entstanden ist (§ 94 InsO) und auch nicht in anfechtbarer Weise erlangt wurde (vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Soweit der Anleger einen darüber hinausgehenden Schaden erleidet (vor allem den Verlust der Einlage), nützt ihm

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33 Wenn gesagt wird, die Treugeber dürften das Täuschungsrisiko des Treuhänders nicht auf die Gläubiger „abwälzen“ (so OLG Köln NZG 2009, 543, 544; OLG Nürnberg WM 2009, 942, 946; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 718), dann ist hier freilich schon die Wertung enthalten, dass die Treugeber dieses Risiko tragen müssten. 34 So eine Zwischenüberschrift im Beitrag von Schwark, FS Raisch, 1995, S. 269, 281; aufgegriffen von Fleischer, 64. DJT, 2002, F 73. 35 BGHZ 191, 310 Rz. 28 ff. (Rupert Scholz); dazu Hellgardt, ZBB 2012, 73, 84 ff.; Klöhn, WM 2012, 97, 103 ff. 36 Zur Vollstreckungs- bzw. Sicherungsfunktion der Aufrechnung etwa Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 18 VI vor a) = S. 255.

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die Aufrechnungsmöglichkeit freilich nichts. Insoweit trägt er das Insolvenzrisiko des Treuhänders ebenso wie alle anderen Gläubiger.

2. Die Begründung des Aufrechnungsverbots in der Rechtsprechung des BGH Will man die Rechtsprechung des BGH zu dem Aufrechnungsverbot würdigen, bietet es sich an, zu unterscheiden zwischen der Methode, mit welcher der II. Senat das Aufrechnungsverbot herleitet, und dem Sachargument, mit dem er diese Herleitung begründet.

a) Methode: Vertragsauslegung Die Methode des BGH ist die der Vertragsauslegung. Der II. Senat stützt sich auf den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, wonach „[ü]ber die gesetzlich oder vertraglich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus (…) eine Aufrechnung verboten (ist), wenn nach dem besonderen Inhalt des zwischen den Parteien begründeten Schuldverhältnisses der Ausschluss als stillschweigend vereinbart angesehen werden muss (§ 157 BGB) oder wenn die Natur der Rechtsbeziehung oder der Zweck der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar (§ 242 BGB) erscheinen lassen.“37

Entscheidend an dieser Argumentation ist, dass der BGH das Aufrechnungsverbot aus dem Treuhandvertrag immanenten Wertungen gewinnt. Zwar scheint das Wort „oder“ einen Unterschied zwischen der „stillschweigenden Vereinbarung“ (d. h. dem Vertragsinhalt) einerseits und der „Natur der Rechtsbeziehung“ oder dem „Zweck der geschuldeten Leistung“ andererseits zu indizieren. Aber die Natur des Rechtsverhältnisses und der Zweck der geschuldeten Leistung ergeben sich ebenfalls aus dem Vertragsinhalt, tragen also nicht etwa außerhalb des Vertrags stehende Wertungen in das vertragliche Wertungsgefüge hinein.38

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37 BGHZ 189, 45 Rz. 27; ebenso BGH NZG 2012, 1024 Rz. 33; BGH BB 2011, 1807 Rz. 27; BGH, Urt. v. 18.10.2011 – II ZR 37/10 (juris) Rz. 12. 38 Für den Zweck der Leistung ist dies offensichtlich, denn der Leistungszweck ergibt sich aus dem Vertrag. Gleiches gilt aber auch für die „Natur des Schuldverhältnisses“, denn die Natur eines vertraglichen Schuldverhältnisses wird ebenfalls durch den Vertrag bestimmt (§ 311 Abs. 1 BGB). Zumindest missverständlich daher Stumpf, BB 2012, 1429, 1433.

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b) Sachargument: Gleichstellungsgrundsatz Das Sachargument, mit dem der BGH die Auslegung des Treuhandvertrags begründet, ist ein Argument, das im Folgenden „Gleichstellungsargument“ genannt werden soll (der BGH selbst spricht von einem „Grundsatz der Gleichstellung“39). Es lautet: „Bei einer (Treuhandbeteiligung) darf der Anleger zwar grundsätzlich, soweit sich das nicht aus der Zwischenschaltung des Treuhänders unvermeidbar ergibt, nicht schlechter stehen, als wenn er selbst (Gesellschafter) wäre; er darf aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn er sich unmittelbar beteiligt hätte. Ihn trifft daher, wenn keine besonderen Verhältnisse vorliegen, auch das Anlagerisiko so, als ob er sich unmittelbar als (Gesellschafter) beteiligt hätte.“40

Da Gesellschafter ihrer gesellschaftlichen Haftung nicht durch die Aufrechnung mit Ansprüchen gegen Dritte entgehen können,41 ist auch _______________

39 BGH NZG 2012, 1024 Rz. 39 mit Verweis auf Stumpf, BB 2012, 1429, 1433. 40 BGHZ 189, 45 Rz. 27 (wo anstelle von „Gesellschafter“ von „Kommanditist“ die Rede ist); ebenso für die Treugeber eines oHG-Gesellschafters BGH NZG 2012, 1024 Rz. 33; gleichsinnig zuvor OLG Düsseldorf ZIP 1991, 1494, 1499; OLG Köln NZG 2009, 543, 544; OLG Nürnberg WM 2009, 942, 946; OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 718; a. A. OLG Karlsruhe NZG 2009, 1107, 1109. 41 BGH ZIP 2012, 2250 Rz. 36; BGH ZIP 2012, 2246 Rz. 27; Wertenbruch, EWiR 2012, 599, 600. Dieser Vergleich ist freilich nicht zwingend. Denkbar sind zwei Szenarien, mit denen man die Aufrechnung des Treugebers vergleichen kann: die Aufrechnung des Gesellschafters mit Ansprüchen gegen einen Dritten und die Aufrechnung des Gesellschafters mit Ansprüchen gegen die Gesellschaft. Der II. Senat legt sich in BGHZ 189, 45 Rz. 27; BGH NZG 2012, 1024 Rz. 33 auf kein Vergleichsszenario fest. Dagegen vergleichen das OLG Düsseldorf ZIP 1991, 1494, 1499 und das OLG Nürnberg WM 2009, 942, 946 die Lage des Treugebers mit der eines Kommanditisten, der mit einem Anspruch gegen die Gesellschaft in deren Konkurs aufrechnet und dabei den durch BGHZ 93, 159 definierten Schranken unterliegt (also nicht mit Ansprüchen aufrechnen kann, deren Erfüllung eine Rückgewähr der Einlage i. S. v. § 172 Abs. 4 HGB begründen würde). Das Problem dieser Rechtsprechung ist, dass sie erstens nur Geltung für die kupierte Publikums-KG beansprucht (auf die Treuhand-oHG also nur im Wege eines weiteren Gleichstellungsarguments übertragbar ist; so in der Tat BGH NZG 2012, 1024 Rz. 37), zweitens jedenfalls bei der Frage nach der Aufrechnung mit Prospekthaftungsansprüchen nicht weiterhilft, weil deren Erfüllung nach richtiger Ansicht keine Rückgewähr der Einlagen darstellt, weil sie nicht aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses, d. h. nicht causa societatis, erfolgt [sehr str., wie hier die ganz h. M. zu § 57 AktG, s. etwa Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, §§ 37b, 37c, Rz. 6; Möllers/Leisch in KölnKomm-WpHG, 2007, §§ 37b, 37c Rz. 23; Zimmer/Grotheer in Schwark/ Zimmer, KMRK, 4. Aufl. 2010, § 37c WpHG Rz. 11; Maier-Reimer/Paschos

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eine Aufrechnung des Treugebers mit Ansprüchen gegen den Treuhänder ausgeschlossen.

3. Würdigung der BGH-Rechtsprechung Die Rechtsprechung des II. Senats folgt der zuvor von den meisten Oberlandesgerichten vertretenen Ansicht42 und ist in der Literatur auf einhellige Zustimmung gestoßen.43 Der III. Senat hat sich ihr mittlerweile angeschlossen.44 Dennoch bestehen bei näherer Betrachtung erhebliche Zweifel an ihrer Richtigkeit. Diese betreffen sowohl die Methode [s. u. b)] als auch das Gleichstellungsargument [s. sogleich a)].

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in Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 29 Rz. 23; Gebauer, Börsenprospekthaftung und Kapitalerhaltung in der Aktiengesellschaft, 1999, S. 197 f.; Gottschalk, DStR 2005, 1648, 1652; Einsele, FS Kreutz, 2010, S. 569, 576; a. A. bereits RGZ 54, 128, 131 f.; Sievers, DJZ 1903, 85, 88; Simon, LZ 1913, 12, 17 ff.; Erman, AG 1964, 327, 328 f.; Lutter in KölnKomm-AktG, 2. Aufl. 1988, § 71, Rz. 69; zum KG-Recht wie hier Hellgardt, ZBB 2012, 73, 87; C. A. Weber, ZHR 176 (2012), 184, 197; Zimmer/Cloppenburg, ZHR 171 (2007), 519, 527 f. (für falsche Sekundärmarktinformation bei Personengesellschaften); a. A. OLG München NZG 2000, 305, 306; Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 6 Rz. 140; Assmann, Prospekthaftung, 1985, S. 335). Im Recht der Kommanditgesellschaft stellt sich diese Frage zumeist nicht, weil die Gesellschaft – anders als die Leitungsgruppe, Hintermänner und Garanten – nicht zum Kreis der Prospektverantwortlichen gehört (s. u. IV.4. mit Fn. 65). 42 OLG Bamberg BeckRS 2009, 04122 sub. II.5.; OLG Düsseldorf ZIP 1991, 1494, 1499; OLG Köln NZG 2009, 543, 544; OLG Rostock BeckRS 2008, 13693 sub. II.2) b) ff) bbb); OLG Stuttgart NZG 2010, 716, 718; a. A. nur OLG Karlsruhe NZG 2009, 1107, 1109 (aufgehoben durch BGH Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 216/09 (juris)). 43 K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 59; E. Wagner in Erman, BGB, 13. Aufl. 2011, § 387 Rz. 34; Aderhold in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften (Loseblatt), Stand: 08/2012, Rz. I 2081 f.; Gottschalk, GWR 2011, 325 sub. III.5.; Lieder, WuB II F. § 171 HGB 1.11 sub. III.; Stöber, NZG 2011, 738, 741; Stumpf, BB 2011, 1429, 1433; Wertenbruch, EWiR 2011, 387, 388; Wertenbruch, EWiR 2012, 599, 600. Kritisch zur OLG-Rechtsprechung K.-R. Wagner, NZG 2009, 733, 735 f. 44 BGH ZIP 2012, 2250 Rz. 36; BGH ZIP 2012, 2246 Rz. 25.

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a) Gleichstellungsgrundsatz aa) Fehlende Begründung in der BGH-Judikatur Die Prämisse des Gleichstellungsarguments, wonach die Innenhaftung des Treugebers nicht hinter der Außenhaftung des direkt beteiligten Gesellschafters zurückbleiben darf, wird vom BGH nicht begründet, sondern postuliert. In seinen beiden Urteilen beruft sich der II. Senat auf zwei (eigene) Entscheidungen zu Treuhand-Kommanditgesellschaften, eine aus dem Jahre 1980, eine aus dem Jahr 1988. –



In der Entscheidung BGH NJW 1980, 1162 ging es um die Frage, ob der Geschäftsführer der Treuhandkommanditistin45 einer Fonds-KG den Anlegern gem. § 826 BGB haftete, weil er kurz vor deren Konkurs Zahlungen der Anleger an den Fonds weiterleitete. Der BGH entschied, die Treuhandgesellschaft habe durch die Weiterleitung der Gelder keine Pflicht gegenüber den Treugebern verletzt. Denn, „[w]er sich nur mittelbar über einen Treuhandkommanditisten an einer Publikumsgesellschaft beteiligt, darf zwar grundsätzlich, soweit sich das nicht aus der Zwischenschaltung des Treuhänders unvermeidbar ergibt, nicht schlechter stehen, als wenn er selbst Kommanditist wäre; es gibt aber auch keinen Grund, ihn besser zu stellen, als wäre er unmittelbar beteiligt. Ihn trifft daher, wenn keine besonderen Verhältnisse vorliegen, auch das Anlagerisiko so, als ob er sich unmittelbar als Kommanditist beteiligt hätte“.46 In BGHZ 104, 50 ging es um die Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrags einer Treuhand-KG. Der BGH entschied, dass dieser Vertrag genauso der Inhaltskontrolle nach § 242 BGB unterliege wie bei der unmittelbaren Beteiligung der Anleger.47 Die Begründung: Aufgrund der Zwischenschaltung des Treuhandkommanditisten dürften die Anleger nur insoweit schlechter stehen, als dies unvermeidbar sei.48

Lässt man diese Entstehungsgeschichte Revue passieren, sieht man, dass die Rechtsprechung zum Aufrechnungsverbot – wenn überhaupt – nur in geringem Maße Unterstützung aus der bisherigen Judikatur erfährt: In BGHZ 104, 50 (Inhaltskontrolle) ging es nicht darum, eine Besserstellung von Treugebern im Vergleich zu Gesellschaftern zu ver_______________

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Es handelte sich um eine GmbH. BGH NJW 1980, 1162, 1163. BGHZ 104, 50, 1. Ls. BGHZ 104, 50, 55 f.

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hindern, sondern im Gegenteil darum, dass die Zwischenschaltung des Treuhandkommanditisten die Anleger nicht benachteiligen sollte. In BGH NJW 1980, 1162 (Weiterleitung von Geldern) wurde das Gleichstellungsargument zwar verwandt, um eine Privilegierung des Treugebers im Vergleich zum als Gesellschafter beteiligten Anleger zu verhindern. Doch ging es in diesem Urteil nicht um den Pflichtenumfang des Treugebers, sondern um die Pflichten des Treuhänders. Hinzu kommt, dass der II. Senat auch in den genannten Urteilen das Gleichstellungsargument nicht begründet, sondern postuliert. Die Frage, warum eine Besser- oder Schlechterstellung des Treugebers verhindert werden soll, bleibt in beiden Entscheidungen offen. Auch leidet das Gleichstellungsargument darunter, dass es in beiden Urteilen nicht zur Begründung des jeweiligen Ergebnisses erforderlich war und ihm daher eine „überschießende Tendenz“ zukam. In BGHZ 104, 50 (Inhaltskontrolle) sollte das Gleichstellungsargument lediglich zum Ausdruck bringen, dass die Gesellschaft nicht aufgrund der Zwischenschaltung des Treuhänders den Charakter einer Publikumsgesellschaft verloren hatte. In BGH NJW 1980, 1162 (Weiterleitung von Geldern) ging es um die schlichte Feststellung, dass der Treuhandkommanditist nach dem Zweck des Treuhandvertrags keine Pflicht zur Überprüfung der Finanzlage der Fondsgesellschaft vor Weiterleitung der Anlegergelder hatte. In beiden Entscheidungen wurde der Gleichstellungsgedanke also nicht im Sinne eines tragenden Prinzips des Publikumspersonengesellschaftsrechts verwandt, sondern im Sinne eines Evidenzarguments. Es ging nicht darum zu begründen, dass Treugeber und Anleger grundsätzlich gleichstehen sollten, sondern um die in den jeweils entschiedenen Fällen nicht begründungsbedürftige, weil evident richtige Behauptung, dass die Zwischenschaltung des Treuhandkommanditisten kein nach dem Zweck der jeweils anzuwendenden Rechtsnorm (§ 826 BGB und Inhaltskontrolle gem. § 242 BGB) beachtlicher Umstand war. Diese in den beiden Einzelfällen unproblematische Feststellung hat sich in der anschließenden Rechtsprechung zu dem Gleichstellungsgrundsatz verselbstständigt, einem dogmatischen Satz, der – obwohl nie begründet (!) – nicht weiter hinterfragt wurde.

bb) Mutmaßlicher Parteiwille bei der qualifizierten Treuhand? Dass die Rechtsprechung den Gleichstellungsgedanken bisher nicht begründet hat, heißt nicht, dass er sich nicht begründen ließe. Nahe liegt

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es, an den Zweck der qualifizierten Treuhand anzuknüpfen, der ja darin besteht, den Treuhändern eine Rechtsposition zu verschaffen, die derjenigen unmittelbar beteiligter Gesellschafter möglichst angenähert ist („Quasi-Gesellschafter“).49 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass diese Gleichstellung nur das Innenverhältnis von Gesellschafter und Gesellschaft einerseits und Treugeber und Treuhänder andererseits betrifft. Der BGH vergleicht hingegen die Innenhaftung des Treugebers mit der Außenhaftung des Gesellschafters. Selbstverständlich können die Parteien auch die Innenhaftung des Treugebers der Außenhaftung des Gesellschafters annähern. Dass sie dies wollen, ist jedoch äußerst zweifelhaft. Wie gesehen, wird das Aufrechnungsverbot in erster Linie dann relevant, wenn der Treuhänder insolvent ist. In diesem Fall können die Treugeber die Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung nutzen, um ihre Forderungen gegen den Treuhänder glattzustellen. Dadurch erhalten sie einen Vorteil gegenüber den anderen Gläubigern des Treuhänders, vor allem den Gesellschaftsgläubigern.50 Tatsächlich geht es dem BGH also um eine Regelung, die zwar dogmatisch im Innenverhältnis von Treugeber und Treuhänder verankert ist, funktional jedoch das Außenverhältnis betrifft und dem Gläubigerschutz dient.51 Treugeber und der Treuhänder haben aber nur dann ein Interesse an einem höheren Gläubigerschutz, wenn sie als Gruppe einen Vorteil davon haben. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Einwendungsausschluss die Kreditgrundlage der Gesellschaft verbessern und die Finanzierungskosten der Gesellschaft daher insgesamt sinken würden.52 Das würde voraussetzen, dass die Gesellschaftsorgane bei ihren Kreditverhandlungen den Kreis der Treugeber und den Umfang der Treugeberhaftung einschließlich des Einwendungsausschlusses offenlegen, was jedoch dem zentralen Wunsch der Treugeber nach Anonymität widerspricht. Die Rechtsprechung zum Aufrechnungsverbot reiht sich insoweit in eine Reihe von Entscheidungen ein, in denen der BGH auf vertragsrechtlicher Grundlage begründet,

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49 S. o. II. 50 S. o. IV.1. 51 Ebenso K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, Vor § 230 Rz. 59: Aufrechnung „im Gläubigerinteresse“ ausgeschlossen. 52 Vgl. zum rechtsökonomischen Hintergrund der Haftung von Personengesellschaftern Tröger, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1533.

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was ihm tatsächlich unter Schutzgesichtspunkten einleuchtet.53 Der Schuldner haftet nicht, „wo er will“, sondern „wo er soll“.54

cc) Gläubigerschutzbedürfnis bei Treuhandgesellschaften Aber sollte der Treugeber wirklich haften, ohne sich auf die Prospekthaftung des Treuhänders berufen zu können? Betrachtet man die Fälle näher, stellt man fest, dass das Bedürfnis nach Gläubigerschutz bei Treuhandgesellschaften – anders als vom BGH unterstellt – nicht für sich genommen größer ist als bei der direkten Beteiligung von Gesellschaftern. Die Situation der Gläubiger ist von vornherein eine ganz andere: –



Wer sich unmittelbar an einer Personengesellschaft beteiligt, der steuert durch seine Einlage und/oder die Übernahme persönlicher Haftung einen Teil der Kreditgrundlage der Gesellschaft bei. Über diese Kreditgrundlage können sich die Gläubiger durch einen Blick in das Handelsregister informieren. Sie werden in ihrem Vertrauen auf die Richtigkeit des Handelsregisters geschützt (§§ 15, 176 HGB). Ähnliches gilt für das Freistellungsversprechen des Anlegers gegenüber dem Treuhänder gerade nicht.55 Die Gläubiger erhalten durch das Aufrechnungsverbot ein Zufallsgeschenk (windfall profit), für das sie nicht verhandelt haben.56 Außerdem bietet die Existenz des Treuhand-Gesellschafters den Gesellschaftsgläubigern auch Vorteile. So senkt die Konzentration der Anlegerhaftung bei der Treuhänderin die Informationskosten der Gläubiger und die Verwaltungskosten innerhalb des Fonds. Außer-

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53 Prominentes Beispiel ist die sog. Expertenhaftung, die der BGH noch heute auf eine hypothetische Vertragsauslegung stützt (s. nur BGHZ 127, 378, 380 ff.; BGHZ 159, 1, 4 f.); zur Kritik dieser Konstruktion vor allem Canaris, JZ 1995, 441. 54 Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Aufl. 2011, Rz. 371. 55 Zutr. OLG Karlsruhe NZG 2009, 1107, 1109. Ähnlicher Gedanke bei Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2000, S. 329. Auch der III. Senat hat dies inzident anerkannt, vgl. BGH ZIP 2012, 2250 Rz. 34: „Denn wenn (die Gläubiger) mit einer Publikumsgesellschaft, in der ein Treuhandgesellschafter Beteiligungen einer Vielzahl von Anlegern hält, einen Vertrag schließen, ist ihnen bekannt, dass die Treugeber keine förmlichen Gesellschafter sind und ihnen daher nicht direkt, sondern nur vermittelt über den Treuhandgesellschafter, haften.“ 56 Der Sache nach OLG Karlsruhe NZG 2009, 1107, 1109: Gesetz schützt das Vertrauen der Gläubiger auf Erhaltung des Kommanditkapitals nur insoweit, als die Gläubiger auf die Eintragung im Handelsregister vertrauen.

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dem ist davon auszugehen, dass die Treuhandkonstruktion die Bereitschaft der Anleger zur Eigenkapitalinvestition steigert (dies ergibt sich aus der schlichten Beobachtung, dass die Treuhandkonstruktion in der Praxis als Alternative zur direkten Beteiligung gewählt wird). Davon profitieren auch die Gläubiger. All dies zeigt: Anleger in Treuhand-Personengesellschaften stehen im Vergleich zu Anlegern, die sich als Gesellschafter beteiligen, weder besser noch schlechter, sie stehen – um eine bekannte Wendung aus einem methodisch ähnlich gelagerten Streit aufzugreifen57 – „anders“.

b) Methode Die bisherige Kritik bezog sich allein auf das Sachargument, mit dem der BGH das Aufrechnungsverbot begründet hat (das Gleichstellungsargument). Höchst zweifelhaft ist auch die Methode, mit welcher der BGH das Aufrechnungsverbot herleitet.

aa) Vertragsimmanente Wertungen und Prospekthaftungsansprüche Wie gezeigt, leitet der II. Senat die „unerbittliche Innenhaftung“ der Treugeber aus vertragsimmanenten Wertungen ab: Die Treugeber dürfen nicht mit Prospekthaftungsansprüchen aufrechnen, weil dies den Wertungen des Vertrags, insbesondere der vertraglichen Risikozuordnung, widersprechen würde.58 Selbst wenn man unterstellt, dass ein Aufrechnungsverbot grundsätzlich dem Willen von Treugeber und Treuhänder entspricht,59 ist äußerst zweifelhaft, dass ein solches Aufrechnungsverbot auch Prospekthaftungsansprüche erfassen soll. _______________

57 Im Zusammenhang mit der Diskussion um den „nicht mehr berechtigten Besitzer“ i. R. d. §§ 987 ff. BGB s. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Aufl. 2011, Rz. 591. 58 S. o. IV.2.a). 59 Ein Aufrechnungsverbot entspricht jedenfalls insoweit dem Parteiwillen und Vertragszweck (§§ 133, 157 BGB), als es um die Aufrechnung des Treugebers gegen den Aufwendungsersatz- und Freistellungsanspruch des Treuhandkommanditisten wegen der Eingehung bzw. Erbringung der Kommanditeinlage geht. Es würde in der Tat dem Parteiwillen und Zweck des Treuhandvertrags widersprechen, wenn der Treugeber durch die Aufrechnung verhindern könnte, dass die Gesellschaft die Kapitaleinlage erhält (zutr. insoweit OLG Köln NZG 2009, 543, 544).

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Der Grund liegt darin, dass Prospekthaftungsansprüche gerade darauf gerichtet sind, den Vertrag aufzuheben (!). Aus vertragsimmanenten Wertungen herzuleiten, dass der Treugeber nicht mit einem gesetzlichen Anspruch aufrechnen kann, der ihm das Recht gibt, sich von dem Vertrag zu lösen, erscheint – vorsichtig ausgedrückt – ein wenig gewagt.60 Zwar erlaubt die Privatautonomie einen so weitgehenden Verzicht. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Vertragsauslegung wird man dafür aber – wenn nicht sogar ausdrückliche Erklärungen – so jedenfalls einen klar zum Ausdruck kommenden Willen der Vertragsparteien verlangen müssen.

bb) Die Wertung des § 309 Nr. 3 BGB Möglicherweise muss man sogar noch einen Schritt weiter gehen: Der III. Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Bestimmungen des Treuhand- (nicht des Gesellschafts-) Vertrags auch im Falle der qualifizierten Treuhand der AGB-Kontrolle gem. §§ 305 ff. BGB unterfallen, also nicht von der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB (Verträge des Gesellschaftsrechts) erfasst sind.61 Folgt man dieser Ansicht62 (die wegen der Überlagerung von Treuhandund Gesellschaftsrecht im Falle der qualifizierten Treuhand alles andere _______________

60 Ebenso im Rahmen gleich gelagerter Fragestellungen: Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 248 (zur Frage, ob Ansprüche aus vorvertraglicher Informationshaftung wirksam in dem auf der Informationspflichtverletzung beruhenden Vertrag ausgeschlossen werden können); D. Wiegand, Vertragliche Beschränkungen der Berufung auf Willensmängel, 2000, S. 132 ff. (Unwirksamkeit des vertraglichen Ausschlusses der Anfechtung gem. §§ 119 ff. BGB, soweit hinreichende Mitverantwortung des Anfechtungsgegners vorliegt). 61 BGHZ 185, 310 Rz. 13 ff. (Übertragungs- und Verpfändungsklausel; in diesem Urteil konnte der III. Senat offenlassen, ob es sich in concreto um eine AGB oder Individualvereinbarung handelte; für den Fall, dass eine AGB vorlag, wandte der BGH jedoch § 305c Abs. 2 BGB an); ebenso zum alten AGB-Recht BGH NZG 2008, 742, 747; a. A. OLG Hamm NZG 2011, 107, 111 Rz. 43 (obiter); offen OLG München WM 2008, 581; unklar (weil keine deutliche Trennung zwischen Treuhand- und Gesellschaftsvertrag) OLG München BeckRS 2010, 13298 sub II. 1. Die Entscheidung BGHZ 104, 50 [s. o. IV.3.a)aa)] bezog sich auf den Gesellschaftsvertrag. 62 In den einschlägigen Kommentierungen werden Treuhandverträge an Personengesellschaftsanteilen zumeist ohne Differenzierung zwischen einfacher und qualifizierter Treuhand von der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB ausgenommen: Basedow in MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 310 BGB

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als zweifelsfrei ist, die sich aber z. B. damit begründen ließe, dass § 310 Abs. 4 BGB eine Ausnahmebestimmung ist, die eng auszulegen ist63), dann entnimmt der BGH dem Treuhandvertrag eine Vereinbarung, die einer AGB-Kontrolle nicht standhalten würde, die also – wenn sie als AGB ausdrücklich von den Parteien vereinbart würde – nichtig wäre.

4. Vorrang des Gläubigerschutzes aufgrund gesetzlicher Wertungen? Die bisherige Kritik bezog sich auf die Begründung des II. Senats, der das Aufrechnungsverbot aus vertragsimmanenten Wertungen des Treuhandvertrags ableitet. Es bleibt die Frage, ob sich das Aufrechnungsverbot auf allgemeine Prinzipien des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes stützen lässt, so dass es auf die vertraglichen Wertungen nicht ankäme.64 Ein solches Prinzip könnte lauten, dass das Prospekthaftungsinteresse der Anleger gegenüber dem Interesse der Gesellschaftsgläubiger grundsätzlich zurücktreten müsse. Dass eine solche Regel denkbar ist, zeigt ein Blick über den Atlantik: In den USA sind die Gläubiger von Prospekthaftungsansprüchen in der Insolvenz der Gesellschaft nachrangig zu befriedigen (§ 510(b) Bankruptcy Code). Existiert eine ähnliche Wertung auch im deutschen Recht? Ansätze dazu finden wir in der Dogmatik der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört die Gesellschaft nicht zu den Prospektverantwortlichen.65 Begründet wird dies zwar in erster Linie damit, dass die Anleger nicht der erst im Entstehen begriffenen Gesellschaft, sondern den dahinter stehenden Personen vertrauten66. Die Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt jedoch darin, dass _______________

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Rz. 89; Becker in BeckOK-BGB, Stand: 1.8.2012, § 310 BGB Rz. 31; Schlosser in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2006, § 310 BGB Rz. 77; H. Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl. 2007, § 310 IV Rz. 14. Zu grundsätzlichen europarechtlichen Bedenken hinsichtlich der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB bei Gesellschaftsbeteiligungen von Verbrauchern zum Zweck der Vermögensanlage s. OLG Brandenburg NZG 1996, 896; OLG Frankfurt NJW-RR 2004, 991; OLG Brandenburg BeckRS 2010, 30461; Basedow in MünchKommBGB, § 310 BGB Rz. 33, 51, 92; SchulteNölke in Schulze u. a., BGB, 7. Aufl. 2012, § 310 BGB Rz. 13; Heinrichs NJW 1996, 2190, 2192; offen gelassen zuletzt in BGH NZG 2012, 744, 747 Rz. 45. Dafür Stumpf, BB 2012, 1429, 1433 (§ 242 BGB). BGHZ 71, 284, 286; BGHZ 93, 159, 162 f.; BGH NJW 2000, 3558, 3559 f.; BGH NJW 2003, 2821, 2822 f.; BGH NJW 2004, 2731, 2734; OLG Düsseldorf ZIP 1991, 1494, 1499. BGHZ 71, 284, 286 ff.

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das Gesellschaftsvermögen nicht zur Befriedigung von Prospekthaftungsansprüchen bereitsteht, so dass die Gesellschafter das Nachsehen gegenüber den Gesellschaftsgläubigern haben. Ein allgemeines Rechtsprinzip zum Verhältnis von Anleger- und Gläubigerschutz im Publikumspersonengesellschaftsrecht verbirgt sich hierhinter allerdings nicht. Erstens gehört die Gesellschaft nach den Regeln der gesetzlichen Prospekthaftung (§§ 20 ff. WpPG, 21 VermAnlG) sehr wohl zu den potenziellen Prospektverantwortlichen67 und die Anleger mit ihren Prospekthaftungsansprüchen nach der eindeutigen Regel des § 39 InsO nicht zu den nachgeordneten Insolvenzgläubigern68. Zweitens hat sich der II. Senat in zwei anderen Sachverhalten, in denen er über das Verhältnis kapitalmarktrechtlicher Haftungsansprüche zu den Gläubigerbelangen urteilen musste, gerade gegen eine Unterordnung des Anlegerschutzes ausgesprochen: –



Zum einen in seiner Rechtsprechung zur Prospekthaftung des Geschäftsinhabers gegenüber stillen Gesellschaftern; diese Ansprüche sind nach Ansicht des II. Senats nicht nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft ausgeschlossen (Stichwort: „Göttinger Gruppe“).69 Zum anderen in seiner Rechtsprechung zur Haftung einer AG wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation gem. § 826 BGB; die Erfüllung dieser Ansprüche verstößt nicht gegen § 57 AktG (Stichwort: „EM.TV“).70

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67 Str., s. zur Diskussion m. w. N. C. A. Weber, ZHR 176 (2012), 184, 189 f. Wie hier etwa Hellgardt, ZBB 2012, 73, 86. Für fehlende Prospektpublizität gem. §§ 24 WpPG, 21 VermAnlG haftet die Gesellschaft nach richtiger Ansicht allerdings nur dann, wenn sie Anbieterin i. S. v. §§ 3 Abs. 1 WpPG, 6 VermAnlG ist (dazu Klöhn, DB 2012, 1854, 1859 m. w. N. in Fn. 57). 68 Str., für Nachrangigkeit von Prospekthaftungsgläubigern in der Insolvenz Lutter/Drygala in KölnKommAktG, 3. Aufl. 2011, § 71 Rz. 98 ff. (für „Ad-hocMitteilungen und sonstigen Vermögensdarstellungen“); Hirte, FS H.-P. Kirchhof, 2003, 223, 242; Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1298; Langenbucher, ZIP 2005, 239, 244; nur de lege ferenda Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 407 ff.; Baums, ZHR 167 (2003), 139, 165 ff.; Hellgardt, ZBB 2012, 73, 87. 69 BGH NZG 2004, 961, 962; BGH NZG 2005, 261, 262; BGH NJW 2005, 1784, 1786 f.; kritisch dazu etwa K. Schmidt in MünchKommHGB, 3. Aufl. 2012, § 230 Rz. 135; Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189, 192 ff.; ebenfalls kritisch, aber im Ergebnis zustimmend C. Schäfer, ZHR 170 (2006), 373. 70 BGH NZG 2005, 672, 674 (EM TV).

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V. Rechtsökonomische Vergewisserung Das Zwischenergebnis lautet, dass die Rechtsprechung zum inzidenten Aufrechnungsverbot weder dem Parteiwillen von Treuhänder und Treugeber entspricht noch auf allgemeine gesellschaftsrechtliche Wertungen gestützt werden kann. Sie ist damit dogmatisch nicht haltbar. Zu überprüfen bleibt, ob die Rechtsprechung zumindest im Hinblick auf ihre praktischen Auswirkungen überzeugen kann. Einen nützlichen „Werkzeugkasten“ für diese Rechtsfolgenbewertung bietet die Rechtsökonomik.71

1. Die Rechtsprechung des BGH als Vertragsbestimmung Aus einer ökonomischen Perspektive bedeutet die Judikatur zum Aufrechnungsverbot nicht mehr und nicht weniger als die Einfügung einer Vertragsbestimmung in den Treuhandvertrag, auf deren Grundlage die Treugeber dem Fonds Eigenkapital bereitstellen.

2. Berücksichtigung auf dem Primärmarkt für Treuhandbeteiligungen? Jede ökonomische Analyse muss mit einer Frage beginnen, die Juristen häufig sehr weltfremd vorkommt, die aber für die weiteren Überlegungen sehr wichtig ist. Diese Frage lautet, ob die Rechtsprechung des BGH auf dem Markt für Fonds-Finanzierungshilfen ohne wesentliche Hindernisse (Transaktionskosten) berücksichtigt werden kann.72 Wäre dies der Fall, wären Treugeber-Anleger spätestens mit Bekanntwerden der BGHRechtsprechung nicht mehr bereit, Treuhandgesellschaften auf unveränderter Basis Eigenkapital bereitzustellen. Sie würden wegen des höheren (Täuschungs- und Insolvenz-)Risikos73 eine höhere Rendite verlangen. Die Finanzierungskosten des Fonds würden spiegelbildlich steigen. Umgekehrt würde die Bereitschaft von Gläubigern zur Kreditvergabe aufgrund der besseren Möglichkeit, die Treugeber in Anspruch zu nehmen,

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71 Zur Stellung und zum Wert der Rechtsfolgenbewertung und der ökonomischen Analyse des Rechts im rechtswissenschaftlichen Denken s. das konzise Plädoyer von Fleischer, ZGR 2007, 500, 501 ff. 72 Instruktiv zu dieser Grundregel der ökonomischen Analyse des Rechts Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S. 58 ff. 73 S. o. IV.1.

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steigen (und die Finanzierungskosten des Fonds würden insoweit sinken).74 Würden die Finanzierungskosten des Fonds aufgrund der BGH-Rechtsprechung insgesamt steigen, würden die Fonds-Initiatoren diese Rechtsprechung entweder abbedingen (was voraussetzen würde, dass der BGH kein zwingendes Recht geschaffen hätte), die Anleger gegen das gestiegene Prospekthaftungsrisiko versichern (z. B. durch Einschaltung einer Bank als Garantiegeber, wie dies bei der Zulassung von Wertpapieren zum regulierten Markt zwingend vorgesehen ist, § 32 Abs. 2 BörsG) oder sich eine andere Fonds-Konstruktion mit einer günstigeren Kostenstruktur einfallen lassen. Die Konsequenz wäre, dass wir uns aus ökonomischer Sicht über die Rechtsprechung keine Gedanken machen bräuchten (!), sie wäre – jedenfalls dann, wenn sie abbedungen werden könnte – aus volkswirtschaftlicher Perspektive trivial, weil ohne Auswirkung auf die Kapitalallokation.75 Tatsächlich ist der Markt für die Erstausgabe von Treuhandbeteiligungen jedoch von dem Idealbild eines effizienten Kapitalmarktes sehr weit entfernt.76 Dies beginnt bei der Tatsache, dass es – anders als beim klassischen Börsengang – bereits an einem zeitlich komprimierten Preisbildungsprozess für die Treuhand-Anteile fehlt, setzt sich fort in der weitgehenden Abwesenheit echter Informationsintermediäre und findet ihr Ende in mittlerweile auch bei Rechtswissenschaftlern gut bekannten systematischen Urteilsverzerrungen der Anleger und dem Fehlen von Arbitragemöglichkeiten, mit denen besser kalibrierte Anleger ihre Ansicht über den wahren Wert der Vermögensanlagen in den Preis einbringen könnten.77

3. Bewertung des Aufrechnungsverbots Das Zwischenergebnis lautet, dass wir uns nicht auf den Markt als Korrekturmechanismus einer möglicherweise ineffizienten Rechtsprechung verlassen können. Die entscheidende Frage aus rechtsökonomischer Sicht lautet damit: Ist das Aufrechnungsverbot eine effiziente Vertragsbestimmung? Dies wäre dann der Fall, wenn sich alle beteiligten Par_______________

74 C. A. Weber, ZHR 176 (2012), 184, 201. 75 Dies ist die sog. Invarianzthese des für die ökonomische Analyse des Rechts grundlegenden Coase-Theorems; s. Coase, 3. J. L. & Econ. 1 (1960). 76 Instruktiv Hellgardt, ZBB 2012, 75, 76. 77 Zu den zuletzt genannten beiden Punkten (Anlegerpsychologie und Arbitragemöglichkeiten) Klöhn, WM 2010, 289, 293 f.; Klöhn, WM 2012, 97, 98 f.

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teien – Fondsgründer, Anleger und Gläubiger – in einer hypothetischen Verhandlung über die unterschiedlichen Finanzierungsbedingungen (Eigen- und Fremdkapital, Letzteres auf freiwilliger und – wie bei deliktischen Gläubigern – unfreiwilliger Basis) auf diese Vertragsklausel einigen würden, weil sie die insgesamt anfallenden Finanzierungskosten reduzieren würde. Auch dies ist jedoch äußerst zweifelhaft. –

Anleger sind nur schlecht in der Lage, Falschinformationen zu erkennen. Die Prospekthaftung hat ja gerade den Zweck, Anleger trotz ihres erheblichen Informationsdefizits zur Investition zu bewegen.78 Bei Wertpapieremissionen an börslich organisierten Kapitalmärkten werden die Anleger von Informationsintermediären unterstützt; außerdem fungiert eine Emissionsbank als Garant (gatekeeper) und senkt das Täuschungsrisiko. Ähnliche Mechanismen stehen bei der Erstausgabe von Treuhandbeteiligungen aber nicht bereit (s. o.).



Am besten können die Fehlinformationen von den Banken erkannt werden, die den Fonds durch Kredite finanzieren. Insoweit unterscheidet sich die Konstellation der Treuhandgesellschaften von dem klassischen Fall eines täuschungsbedingten Gesellschafterbeitritts, bei dem es selbstverständlich nicht angeht, die Gläubiger mit dem Täuschungsrisiko des Gesellschafters zu belasten.79 Die Anleger werden nicht – wie in dem paradigmatischen Fall des „Gesellschafterbeitritts auf dem Golfplatz“ – individuell getäuscht, sondern der Informationsmangel liegt typischerweise in falschen Prospektangaben, die auch den Banken bei den Kreditverhandlungen vorgelegt werden.80 Die Anreize der Banken zur Überprüfung des Fonds werden durch die Rechtsprechung des BGH jedoch leider erheblich reduziert. Banken haben keinen Anlass, die Angaben kritisch durchzusehen, wenn sie sich sicher sein können, dass die Mittel der Treugeber ausreichen werden, um die Kreditforderungen der Bank not-

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78 Vgl. statt aller Fleischer, 64. DJT, 2002, F 41 f. (mit Blick auf die Prospektpflicht). 79 Dazu und zum Folgenden C. A. Weber, ZHR 176 (2012), 184, 202 ff. 80 Unter dem Gesichtspunkt der Informationskosten ist der Fall für eine Überprüfungslast der Banken am klarsten, wenn die Anleger aus Prospekthaftung i. e. S. gegen den Treuhandkommanditisten vorgehen können, etwas schwächer, wenn es um die Prospekthaftung i. w. S. geht, und am schwächsten, wenn sonstige individuelle Aufklärungsmängel im Raum stehen.

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falls zu begleichen.81 Die Folge: Mehr „schwarze Schafe“ können den (Fonds-)Markt betreten, ohne dass dieser Markt für die notwendige Aussortierung sorgen könnte – ein Effekt, der zeigt, warum die Rechtsprechung des BGH auch nicht im Interesse (redlicher) FondsHäuser liegt. Zu höchst unvernünftigen Ergebnissen führt die BGH-Rechtsprechung zum Aufrechnungsverbot, wenn man sie mit dem III. Senat auf Fälle erstreckt, in denen der Gläubiger eine 100 %ige Gesellschaft der Fonds-Initiatorin ist (in dem Urteil des III. Senats handelte es sich bei dem Gläubiger um eine 100 %ige Tochter einer Beteiligungsgesellschaft, die auch alleinige Gesellschafterin der geschäftsführenden Gesellschafterin und der Treuhandkommanditistin des Fonds war).82 In diesem Fall profitiert derjenige von dem Aufrechnungsverbot, der die Fehlinformationen nicht nur am leichtesten erkennen kann, sondern der die Prospektangaben höchstwahrscheinlich gemacht hat (!).

VI. Ergebnis Die Rechtsprechung des BGH, wonach Anleger, die sich im Wege der qualifizierten Treuhand an einer Publikumspersonengesellschaft beteiligen, nicht mit Prospekthaftungsansprüchen gegen den Treuhänder aufrechnen können, ist abzulehnen. Sie widerspricht den vertraglichen Wertungen des Treuhandverhältnisses, lässt sich nicht auf übergeordnete gesetzliche Wertungen stützen und führt unter Steuerungsgesichtspunkten zu falschen Ergebnissen. _______________

81 Nahe liegt der Einwand, dass nicht nur Banken durch das Aufrechnungsverbot geschützt werden, sondern auch solche Gläubiger, die die Fehlinformationen entweder zu eher höheren Kosten als die Anleger erkennen könnten (z. B. Handwerker), und solche, die nicht einmal die theoretische Möglichkeit haben, sich vor Begründung ihres Anspruchs zu informieren (unfreiwillige Gläubiger, v. a. gesetzliche Gläubiger). Dies ist ein zutreffender Gedanke, der aber jedenfalls nicht das vom BGH entwickelte Aufrechnungsverbot rechtfertigen kann, von dem in erster Linie Banken profitieren. Bedenkt man zudem, dass die vorgenannten sog. non-adjusting creditors von den höheren Kontrollanreizen der Banken profitieren und es andere Mechanismen gibt, um diese Gläubiger zu schützen (vom Mindestkapital bis zur Haftpflichtversicherung), dann dürfte das berechtigte Bedürfnis nach Gläubigerschutz nicht ausreichen, um eine Modifikation des sich aus den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts ergebenden Ergebnisses (kein Aufrechnungsverbot) zu rechtfertigen. 82 BGH ZIP 2012, 2250 Rz. 32 ff.

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Bericht über die Diskussion des Referats Klöhn Dr. Philip Schwarz Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-Maximilians-Universität München Mathias Habersack, LMU München, der die Diskussion moderierte, wies zu Beginn darauf hin, dass die beiden von Lars Klöhn besprochenen BGH-Entscheidungen (BGHZ 189, 45 und BGH NZG 2012, 1024) bereits im Referat von Alfred Bergmann am Morgen der Veranstaltung angesprochen worden seien. In der Diskussion des Referats Bergmann habe sich niemand kritisch zu der Rechtsprechung geäußert; möglicherweise sei das nach dem Vortrag von Lars Klöhn anders. Es meldete sich – zur (später bekundeten) Freude des Referenten – zunächst der soeben erwähnte Alfred Bergmann, Vorsitzender Richter des II. Zivilsenats des BGH, selbst zu Wort. Er bezeichnete die Ausführungen Klöhns als „nachvollziehbar“. Kritisch bemerkte Bergmann, dass der Referent nicht zwischen den verschiedenen Personengesellschaftstypen differenziert habe. Sofern es sich bei der Fondsgesellschaft um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) handele, könne jedenfalls die Annahme Klöhns nicht eingreifen, Treuhandkonstruktionen würden deshalb gewählt, weil die Treugeber die Publizität des Handelsregisters fürchteten. Die Rechtsprechung des II. Zivilsenats rechtfertigte Bergmann vor allem damit, dass das Vermögen der Treuhandgesellschaft im Grunde nur aus den Freistellungsansprüchen gegen ihre Gesellschafter (die Treugeber) bestehe. Der Zweck des vom BGH postulierten Aufrechnungsverbots bestehe darin, dieses Vermögen den Gläubigern nicht zu entziehen. Walter Bayer, Universität Jena, bemerkte, dass der Referent die „schwache Dogmatik“ in den Entscheidungen des BGH entlarvt habe. Gleichwohl sei die Rechtsprechung im Ergebnis richtig. Man müsse möglicherweise andere Konstruktionen wählen, um die (Außen-)Haftung der Treugeber zu begründen. Hier biete sich etwa eine (echte) Durchgriffshaftung an, wie sie auch bei der GmbH in bestimmten Konstellationen anerkannt sei. Zustimmung erfuhren die Thesen des Referenten von Christoph Rothenfußer, Rechtsanwalt aus München. Rothenfußer untermauerte die The-

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sen dahingehend, dass die finanzierende Bank insofern nicht benachteiligt sei, als sie sich den Treuhandvertrag vorlegen lassen könne. Sie könne dann prüfen, ob ein Aufrechnungsverbot vereinbart worden sei oder nicht. Wenn man mit dem Referenten ein Aufrechungsverbot grundsätzlich ablehne, übernehme die Bank allerdings faktisch das Prospekthaftungsrisiko des Treuhänders. Vernünftigerweise sei unter diesen Umständen wohl keine Bank bereit, zu denselben Konditionen Geld zu verleihen wie sie es mit einem Aufrechungsverbot im Treuhandvertrag täte. Carsten Schäfer, Universität Mannheim, lehnte in seinem Diskussionsbeitrag vor allem das Ergebnis des Referenten – Aufrechnungsmöglichkeit der Treugeber gegenüber den Fremdkapitalgebern mit Prospekthaftungsansprüchen gegen den Treuhänder – ab. Zwar sei die Rechtsprechung in der Begründung nicht ideal, sie sei aber immer noch besser als der Vorschlag Klöhns. Hierfür spreche auch, dass die Treugeber nach der BGH-Rechtsprechung von der Gesellschaft unmittelbar – z. B. auf Verlustausgleich – in Anspruch genommen werden könnten, und Gesellschaftsgläubiger solche Ansprüche jeweils pfänden könnten, wodurch die Aufrechnungsmöglichkeit entfalle. Für eine stimmige Lösung müsse die Aufrechnungsmöglichkeit daher auch bei unmittelbarer Inanspruchnahme entfallen. Man könne die „Vertragslösung“ des BGH deshalb vielleicht als zweifelhaft bezeichnen, sie sei aber richtigerweise nur als Zwischenschritt zur vorzugswürdigen (echten) Außenhaftung der Treugeber zu verstehen. An einer solchen Lösung sei der II. Zivilsenat gegenwärtig allerdings durch eine entgegenstehende Rechtsprechung des XI. Senats gehindert. Klaus J. Hopt, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, hinterfragte die von dem Referenten zugrunde gelegte „saubere Trennung“ von Innen- und Treuhandverhältnis. In der Praxis gebe es eine solche Trennung häufig nicht, vielmehr hätten die Treugeber aufgrund der getroffenen Vereinbarungen im Treuhandvertrag oft ähnliche Rechte wie Gesellschafter. Möglicherweise spielten diese in der Praxis anzutreffenden Gegebenheiten für die Lösung des Referenten eine Rolle. Hopt stellte außerdem die Frage, inwieweit das Konfliktverhältnis zwischen dem Anlegerschutz (respektive der Kapitalmarktinformationshaftung) einerseits und dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Kapitalerhaltung andererseits bedeutsam für die hier besprochene Treuhandkonstruktion sei. Er verwies insoweit auch auf die jüngst von Christoph Weber (ZHR 176 [2012], 184) vorgenom-

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mene Differenzierung zwischen Falschinformation infolge individueller Kommunikation (dann Vorrang der Kapitalerhaltung) und Falschinformation infolge standardisierter öffentlicher Kapitalmarktinformation (dann Vorrang der Kapitalmarktinformationshaftung). Thomas Schmuck, Rechtsanwalt aus Frankfurt am Main, pflichtete dem Ergebnis des Referenten bei – die Entscheidungen des BGH seien im Ergebnis (Haftung der Anleger gegenüber den Gläubigern) falsch. Schmuck argumentierte, die einzelnen Schritte, die der BGH zur Begründung der Treugeber-Haftung unternehme, hingen in Wahrheit zusammen. Es gehe schlicht um die Frage, ob die Anleger haften sollen oder nicht. Die Überlegungen müssten aber dazu führen, zumindest die (konkludente) Vereinbarung eines Haftungsausschlusses im Treuhandverhältnis anzunehmen, der dazu führe, dass bereits dem Treuhänder kein Freistellungsanspruch zustehe. Schmuck erklärte weiter, dass die Art der Beteiligung – als Gesellschafter oder im Wege der Treuhand – für das Ergebnis keine Rolle spielen könne, denn ein juristisch unkundiger Anleger vergewissere sich nicht über etwaige Unterschiede. Als Problemkern identifizierte Tim Drygala, Universität Leipzig, das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapitalgebern. Für eine Gesellschaft seien tatsächlich zunächst die Eigenkapitalgeber bedeutsam, denn das Eigenkapital sei die Kreditgrundlage der Gesellschaft. Er habe deswegen, so Drygala, ein Problem mit dem Ergebnis des Referenten, wonach die Eigenkapitalgeber sich unter Berufung auf die Täuschung von der Verantwortung gegenüber den Fremdkapitalgebern zurückziehen könnten. Wenn die Praxis dem Referenten folgte, wäre das „KreditStanding“ der Gesellschaft gefährdet. Sowohl von der Begründung als auch vom Ergebnis des Referenten überzeugt zeigte sich Franz Enderle, Rechtsanwalt aus München. Das Ergebnis sei nicht problematisch, weil die Anleger anstatt einer Personenauch eine Kapitalgesellschaft gründen und so der persönlichen Haftung entgehen könnten. Für die Beurteilung der hier interessierenden Sachverhalte könne es für das Verhältnis von Treuhändern und Treugebern nicht auf die Rechtsform der Anlagegesellschaft ankommen. Bei einer treuhänderisch gehaltenen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft würde niemand in diesem Verhältnis die Rechtsprechung für anwendbar halten. Problematisch sei außerdem, dass der BGH den Treuhänder und die Bank für eine Verletzung des Treuhandvertrags (die Falschinformation der Treugeber mit einem fehlerhaften Prospekt) dadurch prämiere, dass den Treugebern die Aufrechnungsmöglichkeit genommen werde.

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Lutz Angerer, Rechtsanwalt aus München, bemerkte, dass – anders als vom Referenten angedeutet – die unterschiedlichen Rechtsformen, die eine Publikumsgesellschaft haben kann, nicht in einen Topf geworfen werden könnten. Es mache durchaus einen Unterschied, ob es sich bei der Publikumsgesellschaft um eine Offene Handelsgesellschaft (OHG), um eine Kommanditgesellschaft (KG) oder um eine GbR handele. An den Referenten gerichtet fragte Angerer, ob die vorgestellte Lösung für alle Rechtsformen gelte. Lars Klöhn bedankte sich in seiner Stellungnahme, mit der die Diskussion abschloss, für die aufgeworfenen Fragen und Kritikpunkte. Konkret äußerte sich der Referent zunächst zu dem von Walter Bayer und Carsten Schäfer angesprochenen Modell einer Außenhaftung. Klöhn bekundete, dass es ihm nicht um die Frage gegangen sei, ob die Anleger grundsätzlich gegenüber den Gesellschaftsgläubigern haften sollen oder nicht. Er habe vielmehr darauf hinweisen und darlegen wollen, dass man den Anlegern die Einwendung der Prospekthaftung des Treuhänders nicht nehmen könne. Grundsätzlich entstehe – unabhängig von der Rechtsform der Gesellschaft und dem Umfang der übernommenen Pflichten – kein Problem, wenn die Gerichte Verträge konsequent durchsetzen würden. In diesem Falle wisse jeder – der Treugeber wie auch der Gläubiger – nach einem Blick in den Vertrag von vornherein „was Sache ist“ und könne sein Haftungsrisiko abschätzen und einpreisen. Das Kernproblem der BGH-Entscheidungen liege darin, dass die Rechtsprechung mehr oder weniger eigenmächtig eine Klausel – das Aufrechnungsverbot – in den Treuhandvertrag „hineinlese“. Dies führe zu einem windfall profit der Gläubiger, also einem Zufallsgeschenk, das sie sich nicht ausgehandelt hätten. In diesem Zusammenhang hob der Referent außerdem die mangelnde Effizienz des Marktes für Treuhandbeteiligungen hervor, der von dem Idealbild eines effizienten Kapitalmarktes „sehr weit entfernt“ sei. Insbesondere fehle es bereits an einem zeitlich komprimierten und aufgrund des weitgehenden Fehlens von Informationsintermediären für die Anleger transparenten Preisbildungsprozess. „Windige Initiatoren“ könnten das ausnutzen und Fonds auf einer schlechten bzw. fehlerhaften Informationsgrundlage betreiben. Das führe zu einer Fehlallokation von Kapital, das an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnte. Das Ziel des Rechts müsse daher sein, es Fonds-Initiatoren unmöglich zu machen oder zumindest zu erschweren, auf der Grundlage fehlerhafter Informa-

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tionen Kapital einzusammeln. Diese Funktion könnten Banken besser erfüllen als die Treugeber. In Bezug auf den Diskussionsbeitrag von Alfred Bergmann räumte der Referent ein, dass das Vertrauensschutzargument höher sei, wenn Registerpublizität bestehe. Auch in der GbR gebe es aber andere Formen der Publizität (etwa Geschäftsbriefe o. Ä.), mit der die Gesellschaft ihre Kreditwürdigkeit signalisiere. Dieses Argument sei auch nur eines unter mehreren Argumenten, die gegen das vom BGH konzipierte Aufrechnungsverbot sprechen. Der Referent führte aus, dass auch nach seinem Konzept den Gläubigern die Freistellungsansprüche erhalten blieben. Klöhn betonte nochmals, dass sich sein Konzept vor allem auf die Möglichkeit einer Aufrechnung mit Prospekthaftungsansprüchen (bzw. den vom BGH konzipierten faktischen Einwendungsverzicht) beziehe. Dieser Aspekt sei auch unter Steuerungsgesichtspunkten entscheidend, denn durch die Anerkennung einer Aufrechungsmöglichkeit entstehe für die Banken ein Anreiz zur Kontrolle der Informationen des Treuhänders. Auf den Beitrag von Klaus J. Hopt antwortete der Referent abschließend, dass eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten der Täuschung (Täuschung durch individuelle Kommunikation einerseits und Täuschung am Kapitalmarkt andererseits) tatsächlich sinnvoll sei. Allerdings müssten, so habe es Holger Fleischer einmal ausgedrückt, Rechtsregeln auf Subsumierbarkeit zugeschnitten sein. Insgesamt sei sein Vorschlag daher die gegenüber der BGH-Rechtsprechung vorzugswürdige „zweitbeste Lösung“.

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Haftungsausschluss durch Beratung Dr. Thomas Kremer Rechtsanwalt, Mitglied des Vorstands der Deutsche Telekom AG, Bonn I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Die Haftungsregeln für den Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Haftungsprävention und Rechtsberatung . . . . . . . . . . . . 174 IV. Business Judgement Rule . . . 174 V. Der schuldausschließende Rechtsirrtum . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausprägung durch den BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH-Entscheidung 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGH-Entscheidung 2011 „ISION“ . . . . . . . . . 2. Die Voraussetzungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlen der erforderlichen Sachkunde des Vorstands . . . . . . . . . . . . . b) Umfassende Darstellung des zu prüfenden Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . .

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c) Unabhängigkeit des Experten . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Ergebnisoffene Prüfung . . . . . . . . . . . 178 bb) Unabhängigkeit trotz Vorbefassung . . . . . . 179 cc) Unabhängige Beratung durch die Rechtsabteilung . . . . . . . . . 180 d) Fachliche Qualifikation des Experten . . . . . . . . . . 181 e) Plausibilitätsprüfung des Vorstands . . . . . . . . . 182 aa) Anlassbezogene Plausibilitätskontrolle . . . . . . . . . . 182 bb) Schriftform und Nachvollziehbarkeit 182 cc) Berücksichtigung von Sonderwissen . . 183 f) Vorstandsentscheidung 183 3. Haftungsausschluss ohne Beratung . . . . . . . . . . . . . . . 184 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . 184

I. Einführung Das Thema Haftungsausschluss durch Beratung beschäftigt zurzeit die Unternehmenspraxis sehr. Lassen Sie mich zunächst eine Konkretisierung vornehmen. Es geht um die Frage, wie der Vorstand seine Haftung gegenüber der Gesellschaft durch Beratung vermeiden kann. Ich möchte mich dem Thema beispielhaft anhand der Rechtsberatung nähern. In welchem Umfang kann eine Rechtsberatung zur Haftungsvermeidung für den Vorstand beitragen?

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II. Die Haftungsregeln für den Vorstand Fragen der Haftung des Vorstands aber auch des Aufsichtsrats waren in der Unternehmenspraxis über Jahrzehnte wenig bedeutsam.1 Die Haftungsregeln des § 93 AktG waren und sind klar, aber auch streng: Der Vorstand haftet gegenüber der Gesellschaft für jede Fahrlässigkeit, also nicht nur für Vorsatz. Er hat bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Ist ein Sorgfaltspflichtverstoß nachgewiesen, trifft das Vorstandsmitglied die Beweislast hinsichtlich eines fehlenden individuellen Verschuldens oder einer fehlenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden.2 Zur Prüfung und Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegen den Vorstand ist der Aufsichtsrat zuständig. Auch an dieser Zuständigkeit besteht kein Zweifel. Aber es fiel in das Ermessen des Aufsichtsrats, ob er eine Haftung des Vorstands prüft oder nicht und ob er gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend macht. Die Entscheidung des Aufsichtsrats lautete vielfach: NICHT. Dies entspricht heute nicht mehr unserer Sichtweise. Dass sich die Sichtweise geändert hat, beruht meines Erachtens auf fünf Aspekten. –



Die ursprüngliche Haltung wurde durch das ARAG/GarmenbeckUrteil des BGH3 aus dem Jahre 1997 auf den Prüfstand gestellt. Darin geht der BGH von einer Prüfungs- und Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats bei Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand aus. Er begründet das mit dem Interesse der Gesellschaft an der Integrität ihres Vermögens. Ausnahmen sollen nur unter strenger Beachtung des Unternehmenswohls zulässig sein. Die Entscheidung des Aufsichtsrats zu den Haftungsthemen ist im vollen Umfang gerichtlich überprüfbar. Der Gesetzgeber hat dann nach langer Diskussion zur Wirksamkeit der Haftungsregeln die Rechtslage durch das sogenannte UMAG4 im Jahre 2005 weiter verschärft. Setzt der Aufsichtsrat Haftungsan-

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1 Vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 71. 2 Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 41 f. m. w. N.; zu den Haftungsgrundsätzen generell: Goette in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2010, S. 750 ff.; kritisch zum Haftungssystem: Koch, AG 2012, 429, 430 ff. 3 BGH DStR 1997, 880 mit Anmerkung Goette. 4 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005, BGBl. I, S. 2802.

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sprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand nicht durch, können unter bestimmten eingeschränkten Voraussetzungen auch Aktionäre5 und Gläubiger6 diese Ansprüche für die Gesellschaft durchsetzen. Hinzu kommt, dass sich auch die strafrechtliche Praxis deutlich verändert hat. Das hängt eng mit dem sehr weit und unklar gefassten Untreuetatbestand des § 266 StGB zusammen. Der Untreuetatbestand dient vielen Staatsanwälten als Basis, Vorstandsentscheidungen zunehmend auch an strafrechtlichen Kriterien zu messen. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Untreuetatbestand aus dem Jahre 20107 hat keine wirkliche Entlastung gebracht. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die von der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern geltend gemachten Haftungsansprüche oft sehr hoch sind. Der Presse war z. B. zu entnehmen, dass die MAN gegenüber ihrem langjährigen Vorstandsmitglied Samuellson im Zusammenhang mit einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung 237 Mio. Euro Schadensersatz geltend macht.8 Auch im Falle Siemens wurden und werden gegen Vorstandsmitglieder Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe geltend gemacht. Auch die D&O-Versicherung hilft nicht in allen Fällen, denn die Themen Haftungsausschlüsse und summenmäßige Begrenzung führen dazu, dass die Einstandspflicht der D&O-Versicherung weder klar noch vielfach summenmäßig ausreichend ist. In diesem Zusammenhang spreche ich bewusst nicht über den gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt der Vorstandsmitglieder bei der D&O-Versicherung. Er ist von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen.9 Hier hat jedes Vorstandsmitglied die Möglichkeit, den Selbstbehalt selbst auf eigene Kosten zu versichern und sein eigenes Risiko zu begrenzen.

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Siehe § 147 AktG. Siehe § 93 Abs. 5 AktG. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2010, BVerfGE 126, 170 ff. Vgl. Spiegel Online v. 17.1.2011, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirt schaft/unternehmen/korruptionsaffaere-man-fordert-237-millionen-euro-vonex-chef-a-739831.html. 9 Vgl. § 93 Abs. 2 AktG, näher zur D&O-Versicherung: Ringleb in Ringleb/ Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Auflage 2010, Rz. 512 ff.

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Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Fragen der Haftungsprävention in der Unternehmenspraxis zunehmend an Bedeutung gewonnen haben.

III. Haftungsprävention und Rechtsberatung In der Unternehmenspraxis stellt bei größeren Unternehmen die Rechtsabteilung grundsätzlich die Rechtmäßigkeit von Vorstandsentscheidungen sicher. Dies wird sie in der Regel effizient und sachgerecht machen können, denn die Justiziare verfügen in der Regel über eine hohe fachliche Qualifikation, kennen die Geschäfte ihres Unternehmens und sollten frühzeitig in unternehmerische Prozesse eingebunden werden.10 In der Praxis ist es auch durchaus üblich, vor einer komplexen unternehmerischen Entscheidung des Vorstands deren Rechtmäßigkeit auch durch schriftliche Stellungnahmen und Gutachten zu untermauern. In Ausnahmefällen wird dazu auch externer juristischer Rat hinzugezogen, falls Spezialwissen zu bestimmten Rechtsgebieten erforderlich ist oder wenn Fragen einer ausländischen Rechtsordnung relevant werden. Lassen Sie es mich nochmals betonen: Das ist seit langem gängige Praxis und keine Entwicklung der letzten Jahre. Auf Basis rechtlicher Stellungnahmen werden dann unternehmerische Entscheidungen des Vorstands z. B. über den Erwerb oder die Veräußerung einer Beteiligung oder über eine große Investition getroffen.

IV. Business Judgement Rule Bei unternehmerischen Entscheidungen ist der Vorstand über die sogenannte Business Judgement Rule11 vor einer Haftung geschützt, wenn sich die unternehmerische Entscheidung hinterher als wirtschaftlich nachteilig herausstellt und sich unternehmerische Risiken realisieren. Nach der Business Judgement Rule liegt eine Pflichtverletzung des Vorstands nicht vor, wenn er eine Entscheidung trifft, bei der er vernünftiger Weise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle des Unternehmens zu handeln. Aber entgegen einer in der Unternehmenspraxis immer noch anzutreffenden Auffassung hilft _______________

10 Siehe dazu z. B. Staub in Hambloch-Gesinn/Hess/Meier/Schiltknecht/Wind, IN-HOUSE COUNSEL in internationalen Unternehmen, 2010, S. 33, 36 ff. 11 Siehe dazu Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 13 ff.

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auch die Business Judgement Rule nicht immer weiter. Die dazu erforderliche unternehmerische Abwägung des Für und Wider ist dann nicht zulässig, wenn es um die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung geht. Rechtmäßigkeit und unternehmerische Gesichtspunkte dürfen in der Entscheidungsfindung nicht gegeneinander abgewogen werden. Der Vorstand hat für die Rechtmäßigkeit seiner Geschäftsführung uneingeschränkt zu sorgen. Das ist nicht dispositiv.

V. Der schuldausschließende Rechtsirrtum 1. Ausprägung durch den BGH Auch bei Anspannung aller erforderlichen Sorgfalt kann in einigen Fällen die Frage der Rechtmäßigkeit eines unternehmerischen Handelns nicht ex ante sicher geklärt werden. Für diese Fälle hat der Bundesgerichtshof die Rechtsfigur des schuldausschließenden Rechtsirrtums12 geprägt.

a) BGH-Entscheidung 2007 So hat der Bundesgerichtshof im Jahre 2007 entschieden13, dass der Vorstand dann nicht schuldhaft handelt, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt. Der Leitsatz lautet: „Ein organschaftlicher Vertreter einer Gesellschaft verletzt seine Insolvenzantragspflicht nicht schuldhaft, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde zur Klärung des Bestehens der Insolvenzreife der Gesellschaft den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folgt und von der Stellung eines Insolvenzantrags absieht.“14

Nach dieser Entscheidung liegt also kein Verschulden des Vorstands im haftungsrechtlichen Sinne vor, wenn sich der Expertenrat hinterher als falsch herausstellt. Richtigerweise geht der BGH in diesem Zusammenhang davon aus, dass Fehler des fachkundigen Beraters dem Vorstand _______________

12 Siehe zu den zivilrechtlichen Aspekten beispielhaft BGHZ 69, 128, 143; 89, 296, 303; zur Ausgestaltung des Legalitätsprinzips in diesen Fällen Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1405. 13 BGH ZIP 2007, 1265. 14 Zitiert nach BGH ZIP 2007, 1265.

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nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden dürfen. Der Berater ist kein Erfüllungsgehilfe des Vorstands.15 Der Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Vorstand eine Wirtschaftsprüfergesellschaft mit der Prüfung der Überschuldung der Gesellschaft beauftragt hat. Die Wirtschaftsprüfer stellten fest, dass die Gesellschaft zwar bilanziell, nicht aber rechtlich überschuldet sei. Im Nachhinein ergaben sich dann im Wege der gerichtlichen Klärung die Insolvenzreife und die Fehlerhaftigkeit des Expertenrates. Der BGH kam in seiner Entscheidung dann zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen eines schuldausschließenden Rechtsirrtums vorliegen. Diese BGH-Entscheidung ist von der Literatur allgemein begrüßt worden. Der Entschuldigungsgrund des schuldausschließenden Rechtsirrtums war etabliert.

b) BGH-Entscheidung 2011 „ISION“ Ende letzten Jahres hat der zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der sogenannten ISION-Entscheidung das Thema erneut aufgegriffen.16 Der Leitsatz ist in Anlehnung an die Entscheidung von 2007 wie folgt formuliert worden: „Der organschaftliche Vertreter einer Gesellschaft, der selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, kann den strengen Anforderungen an eine ihm obliegende Prüfung der Rechtslage und an die Beachtung von Gesetzen und Rechtsprechung nur genügen, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht.“

In diesem Fall hatte eine renommierte Rechtsanwaltskanzlei eine Sachkapitalerhöhungsstruktur für die Gesellschaft entworfen und auf entsprechende Anfrage dem Vorstand die mündliche Auskunft erteilt, die gewählte Konstruktion sei rechtlich in Ordnung. Gegenüber der Entscheidung von 2007 fällt auf, dass der zweite Zivilsenat zwar an den dort festgelegten Kriterien für den schuldausschließenden Rechtsirrtum festhält, in seiner ISION-Entscheidung aber deutlich stärker den Gedanken betont, dass an das Vorliegen der Vorausset_______________

15 Vgl. dazu Binder, ZGR 2012, 757, 768 f. 16 BGH ZIP 2001, 2097 ff.

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zungen eines schuldausschließenden Rechtsirrtums strenge Anforderungen zu stellen sind. Daher erstaunt es nicht, dass der Bundesgerichtshof im ISION-Fall den schuldausschließenden Rechtsirrtum verneint hat.

2. Die Voraussetzungen im Einzelnen Die Entscheidung hat zu einer deutlichen Verunsicherung in der Unternehmenspraxis geführt.17 Zwar ist es sicher richtig, dass an das Vorliegen eines schuldausschließenden Rechtsirrtums „strenge“ Anforderungen zu stellen sind, diese müssen aber erfüllbar bleiben. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sich noch einmal im Einzelnen die Voraussetzungen für einen schuldausschließenden Rechtsirrtum vor Augen zu führen.

a) Fehlen der erforderlichen Sachkunde des Vorstands Beide Urteile gehen nach ihrem Wortlaut von der Voraussetzung aus, dass der fachkundige Experte eine fehlende Sachkunde auf Ebene des Vorstands ausgleicht. Diese Voraussetzung darf aus meiner Sicht aber nicht missverstanden werden. Es geht nicht darum, dass ein Unternehmen, das über einen Betriebswirt als Finanzvorstand verfügt, keine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einem Gutachten zu betriebswirtschaftlichen Themen, also z. B. zur Insolvenzreife, beauftragen soll. Hierzu hat der Finanzvorstand des Unternehmens zwar grundsätzlich den Sachverstand. Die Prüfung der Insolvenzreife ist aber ein hochkomplexer und zeitintensiver Vorgang, dem sich ein Vorstand unter Berücksichtigung seiner gesetzlichen Pflichten nicht immer in aller Tiefe widmen kann.18 Daher ist es auch in diesen Fällen trotz vorhandener Sachkunde des Vorstands sinnvoll und angemessen, den fachlichen Rat von Experten einzuholen. Andererseits ist es dann aber folgerichtig, dass den betreffenden Fachvorstand im Rahmen der Plausibilitätskontrolle der eingeholten Fachexpertise erhöhte Anforderungen treffen. Er muss sein Fachwissen in die Plausibilitätskontrolle einbringen und unterliegt deshalb strengeren Sorgfaltsanforderungen als seine Kollegen, die über das entsprechende Fachwissen nicht verfügen.19 _______________

17 So der zutreffende Hinweis von Krieger, ZGR 2012, 496, 497. 18 In diesem Sinne auch Krieger, ZGR 2012, 496, 498. 19 Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 38 m. w. N.

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b) Umfassende Darstellung des zu prüfenden Sachverhalts Wie wir alle aus Erfahrung wissen, hängt die Begutachtung einer Fragestellung ganz wesentlich davon ab, welcher Sachverhalt zugrunde gelegt wird. Der Bundesgerichtshof verlangt in seiner ISION-Entscheidung daher, dass der Vorstand dem beauftragten Gutachter die Verhältnisse der Gesellschaft umfassend darstellt und ihm die erforderlichen Unterlagen offenlegt. Ich habe diese Überlegungen des Bundesgerichtshofs so verstanden, dass der Fachexpertise ein Sachverhalt zugrunde gelegt werden muss, der die relevanten Aspekte abdeckt. Und dass diese Informationen vom Unternehmen dem Experten zur Verfügung gestellt werden müssen. Welche Informationen für den Experten relevant sind, kann der Vorstand aber meistens nicht in allen Einzelheiten wissen. Er ist auf einen Dialog mit dem Experten angewiesen. Es ist gerade auch Aufgabe des Experten, die für seine Prüfung erforderlichen Informationen mit zu bestimmen. Hier müssen Unternehmen und Experte eng zusammenarbeiten.20 Dabei sollte darauf geachtet werden, dass entweder beim Unternehmen oder beim Experten dokumentiert ist, welcher Sachverhalt genau seinem Gutachten zugrunde gelegt ist.21 Das kann bei späteren Streitfällen sehr hilfreich sein. Praktisch liegt es nahe, dass die Anforderungen an die Informationsgrundlage beim schuldausschließenden Rechtsirrtum den Grundsätzen zur „angemessenen Informationsgrundlage“ im Rahmen der Business Judgement Rule entsprechen. In diesem Sinne verstehe ich auch den Bundesgerichtshof.

c) Unabhängigkeit des Experten Der Bundesgerichtshof hat in seinen beiden Entscheidungen aus den Jahren 2007 und 2011 nicht näher ausgeführt, welche Anforderungen er mit dem Kriterium der Unabhängigkeit verbindet.

aa) Ergebnisoffene Prüfung Eines wird man aber sicher sagen können: Unabhängig sind nur solche Stellungnahmen, denen das Ergebnis nicht vorgegeben ist. Wenn das _______________

20 So auch Krieger, ZGR 2012, 496, 499. 21 Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 139: Der Sachverhalt sei in dem Gutachten selbst offen zu legen. Das dürfte übertrieben sein, weil es zu einer erheblichen Verlängerung des Gutachtentextes ohne entsprechenden Erkenntnisgewinn führt.

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Ergebnis feststeht, spiegelt das Gutachten nicht notwendigerweise die Auffassung des Fachexperten wieder und ist daher keine angemessene Entscheidungsgrundlage. Eine ergebnisoffene Prüfung ist also die erste und grundlegende Voraussetzung für einen schuldausschließenden Rechtsirrtum. Im Zusammenhang mit dem Thema Unabhängigkeit werden aber noch zwei weitere Punkte diskutiert: Schließt eine Vorbefassung des Fachexperten einen unabhängigen Rechtsrat zur Rechtmäßigkeit aus? Und das zweite Thema: Kann auch die interne Rechtsabteilung dem Vorstand einen unabhängigen Rechtsrat erteilen? Hierzu folgenden Überlegungen:

bb) Unabhängigkeit trotz Vorbefassung Lassen Sie mich das Thema am Beispiel der Beauftragung von Rechtsanwälten verdeutlichen. Wird eine Rechtsanwaltskanzlei z. B. mit der rechtlichen Begleitung einer unternehmensinternen Umstrukturierung beauftragt, gehört es regelmäßig zum Inhalt dieses Auftrags – jedenfalls aber zur Geschäftsgrundlage –, dass sich die vorgeschlagene Struktur im Rahmen der Gesetze bewegt. Das ist eigentlich so selbstverständlich, dass es weiterer Ausführungen hierzu nicht bedarf. Vor dem Hintergrund sollten grundsätzlich keine Bedenken bestehen, wenn ein das Projekt beratender Anwalt zusätzlich eine Expertise zur Rechtmäßigkeit der Gestaltung abgibt.22 Dieses Ergebnis bestätigt der Blick auf die gesetzlichen Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers. Auch der Abschlussprüfer kann grundsätzlich Beratungsleistungen für die Gesellschaft erbringen, ohne dass seine Fähigkeit zur unabhängigen Abschlussprüfung verloren geht. Selbstverständlich gibt es gesetzliche Grenzen für die Beratungstätigkeit des Abschlussprüfers, diese berühren aber den Grundsatz nicht: Beratende Experten können auch unabhängige Prüfungen durchführen. Dies will aber nicht heißen, dass der Vorstand eine etwaige Vorbefassung des Beraters ganz außer Acht lassen darf. Ergeben sich daraus Anzeichen für eine fehlende Unabhängigkeit, wie z. B. Hinweise eines anderen _______________

22 Anderer Auffassung Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 140; wie hier Krieger, ZGR 2012, 495, 500 f. mit eingehender Begründung sowie Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 500.

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fachkundigen Beraters, wird der Vorstand dem nachgehen müssen. Nur dann hat das Gutachten enthaftende Wirkung. Bei gravierenden Zweifeln an der Unabhängigkeit des Beraters wird ein weiterer Experte hinzugezogen werden müssen.

cc) Unabhängige Beratung durch die Rechtsabteilung Vor dem Hintergrund, dass die Inhouse-Justiziare bei der Gesellschaft angestellt sind, werden sie von einem Teil der Literatur als nicht unabhängig angesehen. Unter dem Gesichtspunkt der Enthaftung des Vorstands seien letztlich nur externe anwaltliche Expertisen geeignet.23 Diese Auffassung wird gestützt durch eine Formulierung im BGH-Urteil von 2007, wo es heißt: „Dabei muss sich der organschaftliche Vertreter, sollte er nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügen, gegebenenfalls extern beraten lassen.“24 Diese Auffassung wird zu Recht von der überwiegenden Meinung nicht geteilt.25 Ein externer Anwalt ist nicht per se unabhängiger als der interne Justiziar. Hierzu ist schon viel gesagt und geschrieben worden und ich möchte die Argumente nicht alle wiederholen. Nur so viel: Der externe und der interne Anwalt sind heute durchaus in einer vergleichbaren Rolle. Der Syndikusanwalt hat zwar ein Anstellungsverhältnis mit dem zu beratenden Unternehmen, ist aber in der Beurteilung rechtlicher Fragen in der Regel frei. Auch der externe Rechtsanwalt kann vom Unternehmen wirtschaftlich abhängig sein. Das Unternehmen kann zu jeder Zeit das Mandat widerrufen. Deshalb besteht die Gefahr, dass der externe Anwalt dem Vorstand „nach dem Munde redet“. Dasselbe gilt unter dem Gesichtspunkt, dass der externe Anwalt neue Mandate nur erwarten darf, wenn der Auftraggeber mit der bisherigen Leistung zufrieden war. Dies kann zu Interessenkonflikten beim externen Anwalt führen. Das alles spricht für eine Gleichbehandlung von internen und externen Rechtsberatern. Im Ergebnis steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands, ob er sich intern oder extern beraten lassen will. Dies ist auch davon abhängig, ob die erforderliche Fachkenntnis intern vorhan_______________

23 Vgl. Selter, AG 2012, 11, 15; Hölters in Hölters, AktG, 2011, § 93 Rz. 249. 24 Siehe BGH ZIP 2007, 1265, 1266. 25 Nur beispielhaft Junker/Biederbick, AG 2012, 898, 901, unter II. 2. b); Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403; Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 140 f.; Krieger, ZGR 2012, 496, 500; Schäfer, WM 2012, 1022, 1025; Binder, ZGR 2012, 757, 770 f.; Wagner, BB 2012, 651 ff.

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den ist. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage des zweiten Zivilsenats in seiner Entscheidung von 2007, das nur gegebenenfalls eine externe Beratung beizuziehen sei, durchaus richtig und beeinträchtigt die Frage der Unabhängigkeit des internen Justiziars nicht.26

d) Fachliche Qualifikation des Experten Auch das Erfordernis der fachlichen Qualifikation ist eigentlich selbstverständlich. Schon unter dem Gesichtspunkt der Sorgfaltspflicht ist der Vorstand gehalten, denjenigen um seine Expertise zu bitten, der die erforderliche Fachkunde für das zu beurteilenden Thema hat. Bei der Beurteilung der fachlichen Qualifikation stellt sich die Frage, ob z. B. die Zulassung als Rechtsanwalt allein ausreicht, um die erforderliche fachliche Qualifikation für alle zu begutachtenden Rechtsfragen nachzuweisen.27 Bei Rechtsanwälten könne erwartet werden, dass sie sich in das zu beurteilende Thema einarbeiten und sich die konkreten Rechtskenntnisse schnell aneignen können. Hier plädiere ich zur Vorsicht. Generell kann nicht von jedem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er in allen Fachgebieten der Rechtswissenschaft über die für eine Begutachtung erforderliche Fachkenntnis verfügt. Und für eine sinnvolle Einarbeitung in neue Rechtsgebiete bedürfen auch exzellente Juristen eine angemessene Zeit. Das wird die Beauftragung von internen oder externen Anwälten mit einer Begutachtung von ihnen nicht vertrauten Rechtsfragen in der Regel nicht ermöglichen, weil es die Unternehmen eilig haben. Auch formale Titel wie Fachanwalt oder Steuerberater sind nur begrenzt hilfreich. Sie können Indizien für eine fachliche Qualifikation sein. Entscheidend ist aber, dass ein fachlich qualifiziertes Urteil von dem Berater erwartet werden kann. Hier können auch Themen wie Mitglied in einer internationalen Anwaltssozietät, bisher betreute Fälle, berufliche Erfahrung etc. eine Rolle spielen. Auch interne Juristen einer Rechtsabteilung können selbstverständlich die erforderliche fachliche Qualifikation haben und sind in vielen Fällen besser qualifiziert als externe Berater.28 _______________

26 Der stellvertretende Vorsitzende des II. Zivilsenats Strohn führt dazu aus, der BGH habe die Frage noch nicht beantwortet: ZHR 176 (2012) 137, 140. 27 Kritisch Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 141. 28 Siehe dazu Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 528; Junker/Biederbick, AG 2012, 898, 901, unter II. 2. a).

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e) Plausibilitätsprüfung des Vorstands Der zweite Zivilsenat hat in beiden Entscheidungen betont, dass der Vorstand den fachlichen Rat des Experten einer eigenen Plausibilitätskontrolle bzw. einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehen müsse. Das Vertrauen des Vorstands in die Fachkompetenz des Beraters könne die Plausibilitätskontrolle nicht ersetzen.29 Der BGH folgert diese Plausibilitätskontrolle aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Vorstands. Der Vorstand dürfe sich nicht hinter Gefälligkeitsgutachten verstecken, die nur eine „Feigenblattfunktion“ haben.30 Die genauen Anforderungen an die Plausibilitätskontrolle lässt der Bundesgerichtshof allerdings offen und diese werden sicher noch im Einzelnen zu diskutieren sein.

aa) Anlassbezogene Plausibilitätskontrolle Richtig ist sicher, dass ein „blindes“ Vertrauen auf Expertenmeinungen nicht angezeigt ist. Ergeben sich klare Zweifel an dem Gutachten, die auch ohne die erforderliche fachliche Qualifikation zu erkennen sind, darf der Vorstand das nicht einfach hinnehmen.31 Dann ist eine genauere Überprüfung angezeigt. Dies kann der Vorstand selbst übernehmen, indem er das Gutachten liest oder bei ausführlichen Gutachten die Management Summary durcharbeitet. Der Vorstand kann aber auch die Plausibilitätsprüfung an ausgewählte Experten delegieren, wie z. B. an den Leiter der Rechtsabteilung oder einen erfahrenen Inhouse Counsel. Ergeben sich aus dieser Prüfung keine Zweifel, hat der Vorstand seinen Pflichten genügt.

bb) Schriftform und Nachvollziehbarkeit Im Zusammenhang mit der Plausibilitätskontrolle ist zum Teil vertreten worden, dass nur ein schriftliches Gutachten oder eine schriftliche Expertise auf Plausibilität geprüft werden könne.32 Hieran ist sicherlich richtig, dass die Schriftform eines Gutachtens oder eine Management Summary die Nachvollziehbarkeit der Überlegungen erhöhen kann. Das ist aber nicht immer so. Ein intensives Fachgespräch zwischen dem Ex_______________

29 30 31 32

Siehe BGH ZIP 2011, 2097, 2100. Dazu Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 141 m. w. N. Ebenso Krieger, ZGR 2012, 496, 498 f. Siehe etwa OLG Hamburg NZG 2010, 309 und Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 142.

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perten und dem Vorstand kann mitunter den fachlichen Rat einem Vorstand viel nachvollziehbarer nahe bringen, als das ein schriftliches gegebenenfalls mit Fachbegriffen angereichertes Gutachten je tun kann. Daher halte ich die Auffassung, wonach nur schriftliche Stellungnahmen enthaftend wirken können, für falsch.33 Wichtig ist allein, dass eine qualifizierte fachliche Auseinandersetzung mit dem Begutachtungsgegenstand und ein daraus abgeleitetes Prüfungsergebnis klar und damit auch nachvollziehbar kommuniziert werden. Sicher ist es sinnvoll, zu Beweissicherungszwecken eine Notiz über das Gespräch anzufertigen. Rechtlich zwingend ist das aus meiner Sicht aber nicht. Auch ist fraglich, warum bei einfach zu beantwortenden Rechtsfragen eine ausführliche Stellungnahme erforderlich sein soll. Der Umfang der Stellungnahme sollte sich an den tatsächlich bestehenden Problemen ausrichten.

cc) Berücksichtigung von Sonderwissen Im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ist ein etwaiges Sonderwissen einzelner Vorstandsmitglieder mit zu berücksichtigen.34 Das heißt, der für den Bereich Recht ressortverantwortliche Vorstand ist zu einer genaueren Plausibilitätsprüfung verpflichtet als der Technikvorstand.

f) Vorstandsentscheidung Um eine enthaftende Wirkung zu erzielen, muss das Gutachten Basis der Vorstandsentscheidung sein. Das heißt, der Vorstand muss sich mit dem Gutachten auseinandersetzen und die Vorstandsentscheidung muss auf dem Gutachten beruhen. Daher empfiehlt es sich, das Gutachten vor der entsprechenden Vorstandsentscheidung den Vorstandsmitgliedern zugänglich zu machen. Sollte eine vorherige Verteilung nicht möglich oder nicht opportun sein, weil z. B. das Gutachten erst kurz vor der Vorstandssitzung fertig geworden ist, empfiehlt es sich, dass das für Recht zuständige Vorstandsmitglied oder gegebenenfalls der General Counsel über das Gutachten und insbesondere die entscheidenden Erwägungen des Experten im Vorstand berichtet. Manchmal kann es auch hilfreich sein, wenn der Experte selbst in der Vorstandssitzung berichtet. Das ist aber nicht zwingend und eine Frage des Einzelfalls. Hat der Vorstand die Plausibilitätsprüfung auf das für Recht verantwortliche _______________

33 Ebenso Krieger, ZGR 2012, 496, 501; vgl. auch Binder, ZGR 2012, 757, 772. 34 Siehe dazu etwa Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 530.

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Vorstandsmitglied oder gegebenenfalls den General Counsel delegiert, empfiehlt sich zusätzlich eine Erläuterung zum Ergebnis der Plausibilitätsprüfung. Diese kann auch mit der Darstellung des Gutachtens zusammengefasst werden. Die Diskussion des Vorstands zu dem Gutachten – soweit sich entsprechende Fragen ergeben – sollte auch im Protokoll festgehalten werden.

3. Haftungsausschluss ohne Beratung Die Grundsätze des schuldausschließenden Rechtsirrtums setzen nicht notwendigerweise voraus, dass ein Fachgutachten z. B. zu einem rechtlichen Thema tatsächlich eingeholt wird. Ist für den Vorstand nicht erkennbar, dass die zu entscheidende Frage einer rechtlichen Begutachtung bedarf, liegt zwar grundsätzlich eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung vor. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass diese für den Vorstand mangels eigener Fachkompetenz gar nicht erkennbar war.35 Entsprechende Fälle dürften aber selten sein.

VI. Zusammenfassung Die Haftungsrisiken für Vorstände sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dies ist insbesondere eine Folge der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Angelegenheit ARAG/Garmenbeck, wonach der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet ist Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder im Interesse des Unternehmens geltend zu machen und durchzusetzen. Eine Haftung des Vorstands kommt insbesondere dann in Betracht, wenn seine Entscheidungen die Grenzen des Legalitätsprinzips überschreiten. In diesen Fällen ist die Business Judgement Rule nicht anwendbar. Der Bundesgerichtshof hat für diese Fälle entschieden, dass Vorstandsentscheidungen, die die rechtlichen Grenzen überschreiten, dennoch nicht zu einer Haftung des Vorstands führen, falls sich der Vorstand in einem schuldausschließenden Rechtsirrtum befunden hat. Ein solcher schuldausschließender Rechtsirrtum wird insbesondere dann angenommen, wenn der Vorstand seine Entscheidung auf Basis eines unabhängigen fachkundigen Rates getroffen hat, der sich nachträglich dann als unrichtig herausgestellt hat. Eine Reihe von Einzelheiten zum schuld_______________

35 Anderer Auffassung Strohn, ZHR 176 (2012) 139, der meint, man könne von einem Vorstand die entsprechende Sensibilität verlangen.

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ausschließenden Rechtsirrtum sind noch ungeklärt. Hierzu gehört insbesondere die Frage der Unabhängigkeit des Experten. Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Unabhängigkeit gegeben, wenn der Experte mit einer ergebnisoffenen Prüfung beauftragt worden ist. Die Vorbefassung des Experten z. B. im Wege einer Beratung lässt die Unabhängigkeit grundsätzlich unberührt. Auch die interne Rechtsabteilung kann dem Vorstand einen unabhängigen Rechtsrat erteilen. Die erforderliche fachliche Qualifikation des Experten folgt keinen strengen formalen Regeln, sondern muss einzelfallabhängig festgestellt werden. Der Vorstand hat den Expertenrat einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen, falls dazu Anlass besteht. Der Expertenrat muss im Rahmen der Plausibilitätskontrolle nachvollziehbar sein. Das schließt aber eine mündliche Beratung nicht grundsätzlich aus. Die Enthaftung kann nur dann eintreten, wenn sich der Vorstand mit dem Expertenrat befasst und ihn seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

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Bericht über die Diskussion des Referats Kremer Dr. Jörn Biederbick, LL.M. (East Anglia/Norwich) Rechtsanwalt, Bonn Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Kremer wurde von Krieger geleitet, der in seinem Eingangsstatement das von Kremer angesprochene Thema „Unabhängigkeit trotz Vorbefassung“ aufgriff. Im Nachgang zur ISION-Entscheidung des BGH seien gerade in diesem Punkt teilweise völlig überzogene Vorstellungen zu den Sorgfaltspflichten des Vorstands geäußert worden. Als Beispiel nannte er die in einer Urteilsanalyse vertretene Auffassung, zur Beurteilung rechtlicher Risken, die sich im Zusammenhang mit einer M&A-Transaktion stellten, sei es unumgänglich, eine zweite, in die Transaktionsarbeit bislang nicht eingebundene und deshalb unabhängige Rechtsanwaltskanzlei einzuschalten; diese „Zweitkanzlei“ müsse dann sämtliche, in vielen Fällen sehr umfangreiche Transaktionsdokumente, Due Diligence-Reports etc. erhalten und durcharbeiten. Wenn diese Vorgehensweise im Hinblick auf Unternehmenstransaktionen zwingend sei, wäre dies, so Krieger, zwar eine fantastische Einnahmequelle für Rechtsanwälte; ein derartiges „Zweitgutachter-Erfordernis“ könne aber ersichtlich nicht zutreffend sein.

I. Uwe H. Schneider betonte, er kenne keinen Fall, in dem ein Vorstandsmitglied auch tatsächlich für eine Rechtsverletzung – also etwa eine Verletzung der kartellrechtlichen Verbote – habe haften müssen. Dies beruhe darauf, dass derartige Ansprüche in praxi in aller Regel nicht durchsetzbar seien. Eines der zentralen Probleme im Bereich der Haftung von Organmitgliedern liege nach Auffassung von Uwe H. Schneider darin, dass die Grenzen der Business Judgment Rule noch unscharf seien. Die Kernfragen in Haftungsfällen seien regelmäßig, wie weit sich der Vorstand habe informieren müssen und inwiefern die in der Wissenschaft immer wieder bemühten Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensleitung vom Vorstand verletzt worden seien.

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II. Hein entgegnete auf den Hinweis von Uwe H. Schneider betreffend die Grenzen der Business Judgment Rule, dass die Anwendung der Business Judgment Rule stets das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung voraussetze. Diese sei in den hier diskutierten Fällen, in denen es um die Interpretation von Rechtsnormen gehe, jedoch nicht einschlägig. Hein schloss sich aber der von Kremer befürworteten Analogie an, wonach die im Bereich der Business Judgment Rule geltende Pflicht, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln, auch für den Rechtsirrtum herangezogen werden müsse.

III. Röhricht sprach seine Verwunderung darüber aus, dass die BGH-Entscheidung ARAG/Garmenbeck, an der Röhricht seinerzeit als Vorsitzender des II. Zivilsenates mitgewirkt hatte, als Ausgangspunkt für die große Haftungsgefahr im Bereich der Vorstandhaftung angesehen werde. Sinn der Entscheidung sei es eigentlich gewesen, den Vorstand vor Haftungsgefahren zu entlasten, und zwar dann, wenn der Vorstand im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit handelt. Unternehmerische Entscheidungen können nun einmal nicht ohne jegliche Risiken getroffen werden. Nur für den Fall, dass ein Vorstandsmitglied pflichtwidrig gehandelt habe, habe man mit der Entscheidung klarstellen wollen, dass der Aufsichtsrat auch dafür sorgen müsse, dass die Schadensersatzansprüche gegen das Vorstandsmitglied geltend gemacht und nicht fallengelassen werden. Was die Entlastung durch eine Auskunft bei der Rechtabteilung angeht, äußerte sich Röhricht skeptisch. Aus seiner Sicht fehle Unternehmensjuristen oft die notwendige Unabhängigkeit. Unternehmensjuristen stünden nun einmal unter dem besonderen Druck, „Dinge möglich zu machen“. Deshalb dürfe es nicht dazu kommen, dass ein Vorstandmitglied sagen könne „Das hat unsere Rechtsabteilung geprüft, und deshalb ist jegliches Risiko ausgeschlossen.“

IV. Auch Tödtmann griff die Themen „Business Judgment Rule“ sowie „Stellungnahme der eigenen Rechtsabteilung“ auf. Die Einholung einer rechtlichen Stellungnahme unterfalle sicherlich nicht der Business Judgment Rule, wohl aber die Frage, ob das Gutachten von der eigenen

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Rechtsabteilung oder einer externen Anwaltskanzlei eingeholt werden soll. Dies müsse eine unternehmerische Entscheidung bleiben. Je nach Größe und Spezialisierungsgrad der Rechtsabteilung und Qualifikation der Justiziare müsse es möglich sein und ausreichen, ausschließlich die Rechtsabteilung zu befragen. Durch übertriebene Rechtsberatungskosten, die zwanghaft eingeholt werden müssen, könne man schließlich – überspitzt gesagt – ein Unternehmen auch in die Insolvenz treiben. Sicherlich sei der Vorstand angehalten, sich zu erkundigen, ob die Rechtsabteilung das konkret zu bearbeitende Rechtsproblem auch beurteilen könne. Hier sollte er sich aber auf die Einschätzung des Chefsyndikus verlassen dürfen, der diesbezüglich wohl den besten Überblick habe. Zu dem von Uwe H. Schneider aufgeworfenen Diskussionspunkt der mangelnden Durchsetzbarkeit von Haftungsansprüchen gegen Vorstandsmitglieder warf Tödtmann ein, dass dies nicht das eigentliche Problem sein dürfte, da es zunehmend Directors & Officers (D&O)-Versicherungen gebe. Für die D&O-Versicherung spiele es auch keine Rolle, ob es eine falsche unternehmerische Entscheidung gewesen sei, lediglich die eigene, ggf. zu wenig sachkundige Rechtsabteilung einzuschalten; die D&O-Versicherung müsse in jedem Fall einstehen. Zum Eingangsstatement von Krieger merkte Tödtmann an, dass die Vorbefassung eines Rechtsberaters mit der Transaktion auch seiner Ansicht nach nicht dazu führen dürfe, dass er später als Gutachter per se ausscheide.

V. Hopt warf die Frage auf, ob die von Kremer aufgestellten Kriterien auch dann anzuwenden sind, wenn sich bei einer unternehmerischen Entscheidung, die zunächst von der Business Judgment Rule gedeckt war, im Nachhinein herausstellt, dass sie fehlerhaft war. Drygala stellte die Frage, inwiefern ein haftungsentlastender Rechtsirrtum in Fallkonstellationen in Frage komme, in denen sich innerhalb der Rechtsprechung und des juristischen Schrifttums etwa gleich starke Meinungsblöcke gegenüber stünden. Hier müsse in dem Gutachten, welches dem Vorstand vorgelegt werde, schließlich darauf hingewiesen werden, dass die Rechtslage ohne eine klarstellende höchstrichterliche Rechtsprechung unsicher sei.

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Backhaus merkte hierzu an, dass das Problem in der Tat in der Aufrechterhaltung des Dogmas liege, dass Rechtsfragen eben nicht in den Bereich unternehmerischer Entscheidungen fallen. Gerade in der von Drygala beschriebenen Fallkonstellation, in der sich die Rechtslage nicht eindeutig klären lasse, müssen Organmitglieder eine Entscheidung treffen, die einer unternehmerischen Entscheidung gleichkommt. Von daher müssen hier ähnliche Privilegierungen eingreifen, wie dies im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule der Fall sei. Zum Thema „Haftungsprävention durch interne Rechtsberatung“ stimmte Backhaus den Ausführungen von Kremer zu. Die fachliche Qualität und das Einschätzen der Grenzen des eigenen Könnens seien bei Unternehmensjuristen ausreichend vorhanden, so dass die Rechtmäßigkeit von Vorstandsentscheidungen durch die eigene Rechtsabteilung des Unternehmens grundsätzlich in geeigneter Form sichergestellt werden könne.

VI. Bergmann stimmte der Analyse Kremers zu, dass der BGH sich im ISION-Fall an den Prüfungskriterien der Entscheidung aus 2007 orientiert hatte. Er habe Kremer dahingehend verstanden, dass es ihm nicht um eine grundsätzliche Kritik an diesen Prüfungskriterien gegangen sei. Im ISION-Fall sei der schuldaussschließende Rechtsirrtum im Ergebnis verneint worden. Er habe weder den Urteilsanmerkungen zu ISION noch dem Vortrag von Kremer entnommen, dass die Entscheidung des BGH im Ergebnis falsch gewesen sei. Bei der ISION-Entscheidung habe, so Bergmann, kein Anlass bestanden, die einzelnen, von Kremer beleuchteten Facetten der Prüfungskriterien näher auszufüllen. Er könne persönlich aber mit den Ausführungen von Kremer zu den einzelnen Prüfungskriterien sehr gut leben. Zur Unabhängigkeit des Experten merkte Bergmann an, Kremer habe sehr gut herausgearbeitet, dass eine ergebnisoffene Prüfung gewährleistet sein müsse. Es dürfe keine Vorgaben von demjenigen, der die Prüfung in Auftrag gibt, im Hinblick auf das Prüfungsergebnis gemacht werden. Der Umfang der Rechtsprüfung wie auch der Plausibilitätsprüfung hänge immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Am Ende des Tages müsse aber, so Bergmann, der haftungsausschließende Rechtsirrtum auch im Bereich der Vorstandshaftung die Ausnahme bleiben. Hier gelte es, die gleich strengen Maßstäbe anzulegen,

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die auch für den „normalen“ Bürger im Bereich des Allgemeinen Schuldrechts Anwendung finden.

VII. Krieger wies noch einmal darauf hin, dass nicht jede Rechtsfrage, die in der Unternehmenspraxis auftauche, auch eine Frage sei, mit der sich der Vorstand selber befassen müsse. Auch für Rechtsfragen gelte nichts anderes als für wirtschaftliche Fragestellungen. Ein Unternehmen lasse sich nur arbeitsteilig führen. Die meisten rechtlichen Themen in einem Unternehmen würden ohne Einbeziehung des Vorstands bearbeitet und gelöst, und auch dort, wo der Vorstand selbst an der Entscheidungsfindung beteiligt sei, müsse er sich – solange nicht im Einzelfall besonderer Anlass zum Zweifel bestehe – darauf verlassen dürfen, dass eine professionelle Rechtsabteilung/Fachabteilung den fachlich richtigen Rat erteile. In seiner abschließenden Stellungnahme betonte Kremer, dass er die vom BGH aufgestellten Prüfungskriterien für einen entschuldbaren Rechtsirrtum grundsätzlich für vernünftig halte. Die Probleme liegen eher in den Anforderungen der Prüfungskriterien. Es sei ihm auch nicht um eine Kritik an den Entscheidungsergebnissen gegangen. Noch einmal hob Kremer die Bedeutung der ergebnisoffenen Prüfung durch den Rechtsexperten als Grundvoraussetzung für eine unabhängige Beratung hervor. Auch sei der Vorstand gut beraten, sich nicht blindlings jedem Ergebnis eines Gutachtens, welches für ihn angefertigt worden ist, anschließen. Das gelte insbesondere in den Fällen, in denen das Gutachten aufzeigt, dass es ein eindeutiges rechtliches Ergebnis nicht gebe. Eine Behandlung des Gutachtens auf Ebene des Vorstands sei angezeigt und sei es zumindest durch den für das Rechtsressort zuständigen Vorstand. Zur Entscheidung ARAG/Garmenbeck führte Kremer aus, dass der juristische Schwerpunkt der Entscheidung – wie von Röhricht hervorgehoben – in der Tat auf dem Thema „freie unternehmerische Entscheidung des Vorstands“ gelegen habe. In der Unternehmenspraxis hätten allerdings auch die Ausführungen des BGH zur Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats von Haftungsansprüchen gegen den Vorstand eine große Wirkung gehabt. Im Hinblick auf die Anmerkungen von Uwe H. Schneider erläuterte Kremer, dass die Aufarbeitung von Haftungsansprüchen gegen Organ-

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mitglieder in aller Regel ein mehrstufiger Prozess sei. Zunächst werde geklärt, ob ausreichend Anhaltspunkte vorliegen, in die Haftungsprüfung einzusteigen. Ist dies zu bejahen, werde die Sach- und Rechtslage umfassend geprüft. Lautet das Ergebnis der Prüfung, dass Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder bestehen, entspreche es der Unternehmenspraxis, dass diese auch geltend gemacht werden. Stehen Haftsummen im Raum, die ein einzelnes Organmitglied nicht mehr tragen könne, komme es üblicherweise zu Haftungsvergleichen. Hierbei gelte es strenge Voraussetzungen zu beachten, die in der Praxis auch eingehalten werden, was sich etwa im Fall Siemens gezeigt habe. Dass man häufig in der Öffentlichkeit von derartigen Fälle nicht erfahre, liege auch daran, dass es in einer Vielzahl der Fälle um Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder von nicht börsennotierten Gesellschaften bzw. Organmitglieder in Tochtergesellschaften von börsennotierten Gesellschaften gehe.

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Stichwortverzeichnis Ad-hoc-Publizität – Ad-hoc-Gremium 138 – Ad-hoc-Information 133 – Ad-hoc-Pflicht 136 AGG – Diskriminierungsvermutung 21, 22 Anleger – Anlegerschutz 57 – verständiger 123, 139 Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren – besonderes Verhandlungsgremium 62 – gesetzliche Auffangregelungen 63 – Parteiautonomie 63 – Vereinbarung über Mitbestimmung 63 ARUG 57 Aufsichtsrat – Annexkompetenz 138 – Beratervertrag 24 – Beratungshonorar 12 – Insiderinformation 138 – Mitglieder 12 – Vorsitzender 135 f. BGH – ARAG/Garmenbeck-Entscheidung 188, 191 – ISION-Entscheidung 176, 187 Business Judgement Rule 174, 188 ff. Emittentenleitfaden 130 Entstrickung – Wegzug einer SE 91, 108 EuGH – Geltl-Urteil 113, 136, 139 f. – National Grid Indus-Urteil 92 – VALE-Urteil 89 Europäische Privatgesellschaft (EPG) 54 Familien-KG 96

Formwechsel – grenzüberschreitender 89 GbR – Stimmverbote 4, 20, 21 General Counsel 184 Geschäftsführer – AGG 9 Gestreckter Geschehensablauf – Ad-hoc-Publizität 135 – Endereignis, zukünftiges 140 – Kursrelevanz 123 – Zwischenschritt 139 f. GmbH – Cash-Pool 31, 34, 56 ff. – Geschäftsanteil, Einziehung 6 – GmbH-Mantel, gebrauchter 41 GmbH-Recht – KG-Modell 48, 54 – Neukonzeption 50 – Resteinlageschuld 54 Haftung, Personengesellschaftsrecht – Außenhaftung 165 f. – Durchgriffshaftung 165 – Haftungsausschluss 167 – Kapitalmarktinformationshaftung 166 Hauptversammlungsbeschluss – Nachteilsausgleich 15 Informationsfluss 138 Inhouse-Justiziare 180 Insiderinformation 121, 136 ff., 141 Insiderrecht 140 Kapitalaufbringung – Dienstleistungen 39, 54, 56 – Differenzhaftung 28 – Hin- und Herzahlen 33, 53 – Leistung an Erfüllungs Statt 28 – MoMiG 53 – MoMiG II 51

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Stichwortverzeichnis – reale 26 – Sacheinlage 28 – verdeckte Sacheinlage 30, 53 – wirtschaftliche Neugründung 7, 41 Kapitalerhaltung – Gesellschafterdarlehen 46 Kapitalerhöhung 25, 43, 53, 56 f. Kapitalgesellschaft – doppelansässige 89 Kapitalherabsetzung 25 Kapitalrichtlinie 55, 57 Kapitalschutz – Deregulierung 52 – Mindesteinlage 53 – Nachgründungsverfahren 55, 57 – System 53 f. Kapital – Fehlallokation 168 – Verkehrsfreiheit 86 KG – Ergänzungsbilanzen 96 – Transparenzprinzip 97 KStG – Ort der Geschäftsführung 82 Kursbeeinflussungspotential 138 Marktmissbrauchsrichtlinie 116, 140 Mitbestimmung – gesetzliche Auffangregelungen 65 – KGaA 66 – Perpetuierung 64 – SE & Co. KGaA 66 – strukturelle Veränderungen 64 Mutter-Tochter-Richtlinie 86 Organmitglieder, AG – Haftung 187, 192 – Haftungsvergleich 192 Personengesellschaftsrecht – Ausfallhaftung Mitgesellschafter 19 – Liquidationsbilanz 19 – Publikums-GbR 2

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– Publikumspersonengesellschaften 143 ff. – Treuhandgesellschafter 3 – windfall profit 168 Preisbildungsprozess – Transparenz 168 Probability/Magnitude-Formel 125 Prospekthaftungsanspruch – Aufrechnungsausschluss 148 – Gläubigerschutz vs. Anlegerschutz 148 Publikumspersonengesellschaften – Auseinandersetzungsbilanz 2, 19, 20 – Eigenkapitalgeber 167 – Fremdkapitalgeber 167 – Quasi-Gesellschafter 145 Rechtsirrtum – schuldausschließender 175, 189 ff. – Sorgfaltspflichtverletzung 184 SE – Besteuerungsaufschub 92 – Betriebsrat 107 – Betriebsstätte 82 – Buchwertfortführung 96 – CEO-Modell 70 – Corporate Governance 68 – Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) 86 – Drittstaaten 98 – dualistisches System 74 – Formwechsel 86 – geschäftsführende Direktoren 68 – Gewerbesteuer 79 – Gewinnabführungsvertrag 81 – grenzüberschreitende Mobilität 76 – Hinzurechnungsbesteuerung 95, 108 – Konzernorganisationsmöglichkeiten 76 – Mindestbesteuerung 80 – Mitbestimmung 107 – monistisches System 68

Stichwortverzeichnis – – – –

Organschaft 81 Rechtsformalternative zur KG 80 SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) 110 Stichentscheid, Aufsichtsratsvorsitzender 75 – Tochter-SE 87 – Verwaltungsrat 68 – Vorrats-SE 87, 109 – Wegzug 90, 108 SPE 90, 109 Stammhaus – Zentralfunktion 84 Treugeber – Aufrechnung 4 – Aufrechnungsverbot 148 – Haftung 144, 146 Treuhand – Beteiligungen 145, 168 – Gleichstellungsgrundsatz 150 – qualifizierte 145 Unternehmensjurist – Haftungsprävention 174 – Rechtsabteilung 180, 188 ff.

– Rechtsberatung 171, 174 – Syndikusanwalt 180 – Unabhängigkeit 178 f. Vergleich – Differenzhaftungsanspruch 11, 23 Verschmelzung – grenzüberschreitende 80, 87 Voreinzahlung bei Kapitalerhöhung 43, 56 f. Vorratsmantel – GmbH 41 Vorstandsmitglied – D&O-Versicherung 173 – Haftungsgefahr 188 – Plausibilitätskontrolle 182 – Schadensersatzanspruch 188 f. – Wiederbestellung, vorzeitige 14, 23 Zwischenschritte, gestreckter Geschehensablauf – Ad-hoc-Publizität 115 – gegenwärtiges Geschehen 140 – Insiderinformation 135

195