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German Pages 206 Year 2009
GesellschaftsrechtUche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008
Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung
Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (HrsgJ
Band 14
Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mtt Beltragen von
Prof. Dr: Wulf Goette Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
Prof. Dr: Christian Kersting LLM. (Yale) Universitätsprofessor, DOsseidorf
Dr: Dieter L..euering Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn
Prof. Dr: Chrlstoph Teichmann Universitätsprofessor, WOrzburg
Daniela Weber-Rey LLM. (Columbia University) Rechtsanwältin, Frankfurt am Main
Prof. Dr: Dr: h.c. Harm Peter Westermann Universitätsprofessor, TL.ibingen
2009
Verl~
Dr.ottoSchmidt Köln
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V erlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221193738-01, Fax 0221/93738-943 info@otto-schmidtde www.otto-schmidtde ISBN 978-3-504-62714-0 ©2009 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
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Vorwort
Die 11. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung hat am 14. November 2008 mit über 350 Teilnehmern in Frankfurt am Main stattgefunden. Wie stets widmete sich die Tagung aktuellen Themen aus Gesetzgebung, Wissenschaft und Praxis des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts. Traditionell stand zunächst der Rechtsprechungsbericht des Vorsitzenden des II. Zivilsenats des BGH, Herrn Prof. Dr. Wulf Goette, auf dem Programm, der Jahr für Jahr nicht nur einen wertvollen Jahresrückblick bietet, sondern vor allem einen Blick hinter die Kulissen und über die Grenzen der jeweiligen Entscheidung. Die zweite Abteilung behandelte die Europäische Privatgesellschaft (Societas Europaea – SPE), die sich zwar noch im europäischen Gesetzgebungsprozess befindet, nach derzeitigem Planungsstand aber ab Mitte 2010 in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als supranationale Rechtsform zur Verfügung stehen soll. In dieser Abteilung ging es vor allem um die frühzeitige und vertiefte Information über die für diese Praxis hoch interessante neue Rechtsform und ihre Einsatzmöglichkeiten, daneben aber auch um die Erörterung erster Zweifelsfragen. Die Breite der Thematik legte eine Aufteilung in zwei Referate nahe, dessen erstes sich der wissenschaftlichen Grundlegung zur SPE widmete (Prof. Dr. Christoph Teichmann), während der zweite Beitrag Praxisfragen der neuen Gesellschaftsform beleuchtete (Daniela Weber-Rey). In der dritten Abteilung nahm sich Prof. Dr. Christian Kersting aktueller Fragen des komplexen Themas der verdeckten Sacheinlage an. Das MoMiG hat hierzu für das GmbH-Recht mit der Anrechnungslösung des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. die bisher mit Recht als katastrophal angesehenen Rechtsfolgen in einer für die Praxis einfachen und zufriedenstellenden Weise neu geregelt. Der Preis sind eine Reihe neuer Zweifelsfragen, vor allem aber ist die Situation im Aktienrecht ungeregelt geblieben, wo es weiter Not tut, eine erträgliche Rechtsfolgenlösung zu erarbeiten. Beiden Komplexen wandten sich Referat und Diskussion zu. In der vierten Abteilung befasste sich Prof. Dr. Harm Peter Westermann mit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften des Personengesellschaftsrechts. Das althergebrachte Institut der fehlerhaften Gesellschaft ist in letzter Zeit vermehrt in den Fokus der Rechtsprechung gelangt. Dabei geht es zum einen um die Frage der Vereinbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft mit europäischem Verbraucherrecht, die der BGH, der an seiner bisherigen
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Vorwort
Rechtsprechungslinie festhalten will, kürzlich dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt hat. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften, besonders in der Rechtsform der stillen Gesellschaft, Modifi kationen durch Zubilligung von Schadensersatz- und Bereicherungsansprüchen verlangt. In der fünften, abschließenden Abteilung referierte Dr. Dieter Leuering zu Praxisproblemen der Ad-hoc-Mitteilungspflicht, wobei er schwerpunktmäßig die ad-hoc-rechtliche Behandlung zukünftiger Umstände und die Ad-hoc-Pflicht reiner Anleihe-Emittenten darstellte. Vorstand und Beirat der VGR danken wiederum allen, die zum Gelingen der 11. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern und den Verfassern der Diskussionsberichte. Ein weiterer Dank gilt abermals Frau Heike Wieland, die im Sekretariat der VGR die Tagungsvorbereitung und -organisation innehatte.
Düsseldorf, im April 2009 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Gerd Krieger
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Inhalt* Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Wulf Goette, Karlsruhe Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH . . .
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I. II. III. IV. V.
Ausblick auf die kommenden Monate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Ulbrich, Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Goette . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Christoph Teichmann, Würzburg Die Europäische Privatgesellschaft (SPE) – Wissenschaftliche Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. II. III. IV. V.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Einsatzmöglichkeiten der SPE . . . . . . . . . . . . . . . . . Die SPE im System der europäischen Niederlassungsfreiheit . . Die SPE als Innovation im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Daniela Weber-Rey, LL. M., Frankfurt am Main Praxisfragen der Europäischen Privatgesellschaft . . . . . . . . . . . . .
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I. II. III. IV. V.
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Charakteristika der SPE zur Erreichung dieser Zielsetzung . . . Umsetzung in den einzelnen Regelungsbereichen . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der Beiträge.
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Inhalt
Sophie Hübner, Würzburg Bericht über die Diskussion der Referate Teichmann und Weber-Rey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Christian Kersting, LL. M., Düsseldorf Verdeckte Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. II. III. IV. V.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung im GmbH-Recht: MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung im Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verdeckte Sacheinlage und SPE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jan Heskamp, Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Kersting . . . . . . . . . . . . . 139 Prof. Dr. Dr. h. c. Harm Peter Westermann, Tübingen Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften des Personengesellschaftsrechts . . . . . . . 145 I. Fragestellung und Problemfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft mit (europäischem) Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Modifikationen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften, besonders in der Rechtsform der stillen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 151
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Gwendolyn Müller, München Bericht über die Diskussion des Referats Westermann . . . . . . . . . 169 Dr. Dieter Leuering, Bonn Praxisprobleme der Ad-hoc-Mitteilungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Die ad-hoc-rechtliche Behandlung zukünftiger Umstände . . . . 172 III. Die Ad-hoc-Pflicht von reinen Anleihe-Emittenten . . . . . . . . . . 181 Dr. Daniel Rubner, Bonn Bericht über die Diskussion des Referats Leuering . . . . . . . . . . . . 189 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Prof. Dr. Wulf Goette Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe I. Ausblick auf die kommenden Monate . . . . . . . . . . . . . . II. Personengesellschaftsrecht . . 1. Beginn der Nachhaftungsfrist in der OHG . . . . . . . . . . 2. Cic-Haftung von Organmitgliedern bei der Anlageberatung . . . . . . . . 3. Agio-Rückzahlung und § 172 HGB . . . . . . . . . . . . . . . 4. § 172 HGB und Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . 5. Haustürwiderruf und fehlerhafte Gesellschaft . . . . . . . 6. Fortsetzungsklausel und „Massenaustritt“ von Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . 7. Ausscheiden des vorletzten BGB-Gesellschafters . . . . III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Referenzzeitraum für Abfi ndungszinsen . . . . . . . . . . . 2. Nach Satzung vorgeschriebene Erstellung eines Lageberichts . . . . . . . . . 3. UMTS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. RHEINMÖVE . . . . . . . . . . . . 5. Bedeutung von § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . 6. AG als verbundenes Unternehmen und Eigenkapitalersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. EKU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Herausgabepfl icht von Papieren der AG durch AR-Mitglied . . . . . . . . . . . . . . 9. Kirch ./. Deutsche Bank . . . . . 10. Delisting und Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11. Keine „Nebeninterventionsbefugnis“ bei der Anfechtungsklage . . . . . . . . .
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IV. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . 1. Agio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. GAMMA . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitalaufbringung in GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . 5. Änderung des Kapitalerhöhungsbeschlusses vor Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verdeckte Sacheinlage bei der Einpersonen-GmbH und Verjährungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Massesicherungspfl icht . . . . . 8. Schadenersatz und Verletzung der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rückgabe nach § 31 GmbHG und Wertersatzpfl icht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Business judgement rule in der GmbH . . . . . . . . . . . . . 11. Vertretungsmacht der Liquidatoren . . . . . . . . . . . . . . 12. Prozessfähigkeit der gescheiterten Vorgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Verwaltungssitzwechsel und Löschungsverfahren . . . . 14. Mantelgesellschaft: Beginn der Verjährungsfrist in Altfällen . . . . . . . . . . .
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V. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ComRoad . . . . . . . . . . . . . . . . 2. KOLPINGWERK . . . . . . . . . .
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38 38 39 39 40 41 41 43
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Goette – Aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH 3. Auslegung von § 73 GenG . . . . 4. Zinsloses Darlehen bei Golfclub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. TRABRENNBAHN . . . . . . . . . 6. „Zehnerregel“ bei KapMuGVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Ausblick auf die kommenden Monate Der Senat, nach wie vor erheblich belastet durch nur mäßig abnehmende Eingänge und eine zurückgehende Zahl von Fällen, in denen über Bekanntes ein weiteres Mal judiziert werden soll, wird in den kommenden Monaten – mit diesem Ausblick will ich wie in den letzten Jahren meinen Bericht beginnen – eine Reihe von Entscheidungen treffen, die von dem einen oder anderen von Ihnen, der den Gang der Sachen durch die Instanzen beobachtet hat, vielleicht bereits erwartet werden: Am 24. November 20081 wird der Senat sich erneut mit einem Schutzgemeinschaftsvertrag zu befassen haben, der schon früher einmal Gegenstand eines in der sog. amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteils2 gewesen ist; sein rechtssoziologischer Hintergrund hat auch in den beiden GELATINE-Urteilen3 ein Echo gefunden. Eine Woche später wird über die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern zu verhandeln und zu entscheiden sein, denen vorgeworfen wird, nicht dagegen eingeschritten zu sein, dass nicht oder nicht hinreichend gesicherte Kredite an die Muttergesellschaft ausgereicht worden sind4. Am 9. Februar 2009 müssen wir uns abermals mit einem Fall aus dem großen Komplex der Existenzvernichtungshaftung befassen, hier geht es um eine Forderungsvernichtung durch den Gesellschafter auf prozessualem Weg5. Ebenfalls am 9. Februar 2009 wird sich der Senat in einem wegen Divergenz von dem Berufungsgericht eröffneten Revisionsverfahren mit dem Problem zu befassen haben, wie man sich als aus einer BGB-Gesellschaft ausscheidendes Mitglied von jeder Haftung für die Sozialverbindlichkeiten befreien kann, ob insbesondere schon eine unkonditionierte vorab erteilte Zustimmung zum Mitgliedschaftswechsel diese Folge auslösen kann6. 1 II ZR 116/08; vgl. dazu VGR 2006, S. 3 bei Fn. 13, jetzt DStR 2009, 260 („Schutzgemeinschaftsvertrag II“). 2 BGHZ 126, 226. 3 BGHZ 159, 30; s. ferner Beschl. v. 20. 11. 2006 – II ZR 226/05, ZIP 2007, 24. 4 II ZR 102/07, DStR 2009, 234 („MPS“). 5 II ZR 292/07, ZIP 2009, 802 („Sanitary“). 6 II ZR 231/07, ZIP 2009, 864.
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Goette – Aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
Am 16. Februar 2009 werden wir abermals in das Minenfeld der verdeckten Sacheinlage geschickt werden, hier geht es darum, ob und ggfs. in welchem Rahmen die bekannten Regeln auch auf die Erbringung vorab vereinbarter Dienstleistungen angewandt werden können7. Prospekthaftung und Kausalität beschäftigen uns am 2. März 20098 und für den 16. März 20099 ist der Fall terminiert, in dem über die Auswirkungen einer Wertpapierleihe auf ein anschließendes squeeze out Verfahren zu befinden ist. In dem bekannten Fall Kirch ./. Deutsche Bank10 ist Verkündungstermin auf den 16. Februar 2009 anberaumt; zu den Teilen des Rechtsstreits, die Gegenstand der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung waren, darf ich sicher schon heute ein paar Worte verlieren, ich werde dies im Zusammenhang mit den aktienrechtlichen Fällen nachholen. Zwei Merkpunkte zum Schluss: Der Senat sieht sich im kommenden Jahr auch deswegen vor besonderen Herausforderungen, weil ihm mit dem Inkrafttreten des FGG-Reformgesetzes die nicht mehr durch das bisher bekannte Vorlageverfahren nach § 28 FGG gefi lterte drittinstanzliche Zuständigkeit für Register- und Spruchverfahren zuwächst und weil fast zeitgleich die beiden erfahrensten Beisitzer, die Herren Dr. Kurzwelly und Kraemer, in den wohlverdienten Ruhestand treten werden und der Senat die dann neu hinzutretenden Mitglieder zu integrieren haben wird. Nun zu dem angekündigten Rückblick.
II. Personengesellschaftsrecht 1. Beginn der Nachhaftungsfrist in der OHG11 Die Beklagte war zusammen mit zwei weiteren Personen Gesellschafterin einer oHG, welche nicht in das Handelsregister eingetragen worden ist und aus der die Beklagte ausgeschieden ist. Sie hat im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausscheiden, nämlich mit Schreiben vom 9. Februar 1998, der klagenden Bank, welche der Gesellschaft einen Kredit gewährt hatte, von der Beendigung ihrer Mitgliedschaft Kenntnis gegeben. Nach Ablauf 7 8 9 10 11
II ZR 120/07, vgl. dazu ZIP 2009, 713 („Qivive“). II ZR 266/07, ZIP 2009, 764. II ZR 302/06, ZIP 2009, 908 („Wertpapierdarlehen“). II ZR 185/07, vgl. dazu ZIP 2009, 460. BGHZ 174, 7 ff.; vgl. dazu Wertenbruch, NZG 2008, 216; v. Gerkan, WuB II E. § 160 HGB 1.08; Voigt, NJW 2007, 3786.
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Goette – Aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
der 5-Jahresfrist (gerechnet von der Mitteilung an) hat die Klägerin die Beklagte auf Rückzahlung des inzwischen gekündigten und fällig gestellten Darlehens in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage entsprochen, das Oberlandesgericht hat sie – unter Zulassung der Revision – abgewiesen. Der Senat hat die von Altmeppen12 aufgeworfene Frage dahin stehen lassen, ob zum früheren Recht der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum13 gefolgt werden kann, dass die Eintragung des Ausscheidens des Gesellschafters in das Handelsregister die unabdingbare Voraussetzung für das Ingangsetzen der Nachhaftungsfrist ist, sondern hat für den hier zu beurteilenden Fall, dass § 160 Abs. 1 Satz 2 n. F. HGB anwendbar ist, entschieden, dass der früher h. M. nicht und damit der Auffassung von Altmeppen und Karsten Schmidt zu folgen ist. Der Senat hat gemeint, wie fast immer, so auch in diesem Fall greife es zu kurz, bei der Wortlautinterpretation stehen zu bleiben; erforderlich sei vielmehr, nach dem Sinn der Regelung zu schauen und für eine systemgerechte Einordnung der Nachhaftungsregeln bei der oHG und der BGB-Gesellschaft Sorge zu tragen. Der Gleichlauf der Regeln ist nicht nur deswegen erforderlich, weil das Nachhaftungsbegrenzungsgesetz die bisher nur für die oHG geltenden Bestimmungen auch auf die BGB-Gesellschaft erstreckt hat (§ 736 Abs. 2 BGB), sondern auch darum, weil der Wechsel von der BGB-Gesellschaft zur oHG und umgekehrt fließend ist und sich auch ohne handelsregisterrechtliche Eintragung vollziehen kann und es bei der BGB-Gesellschaft selbstverständlich mangels Handelsregistereintragung nicht angängig ist, die Frist an die Registerpublizität anknüpfen zu wollen. Wir meinen auch, dass die von der Klägerin im Rechtsstreit vertretene formale Betrachtung den Sinn des § 160 HGB verfehlt, dessen Anknüpfung an die Registereintragung für den Gesellschafter einer oHG eine Erleichterung herbeiführen soll, die der „einfache“ BGB-Gesellschafter nicht hat. Er soll nicht jeden einzelnen seiner Gläubiger über das Ausscheiden aus der Gesellschaft informieren müssen, sondern auf die allgemein zugängliche Registereintragung verweisen dürfen. Wenn aber ein Gesellschafter diesen „umständlichen“ Weg der Benachrichtigung des einzelnen Gläubigers geht, dann darf er dadurch keine Nachteile haben und vice versa dürfen seine Gläubiger nicht besser gestellt werden, als hätten sie es mit einer BGB-Gesellschaft zu tun.
12 NJW 2000, 2529, 2530 ff. 13 Vgl. die ausführlichen Nachw. in BGHZ 174, 7.
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Goette – Aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
2. Cic-Haftung von Organmitgliedern bei der Anlageberatung14 Die Kläger haben sich als Aktionäre an der insolventen S AG beteiligt, deren Vorstände seinerzeit die beiden Beklagten waren. Die Gesellschaft sollte als Internet-Brokerhaus tätig werden; die Geschäftsidee bestand darin, Transaktionen zu einem Festpreis durchzuführen, wobei je Transaktion ein Bruttogewinn von rund 3 Euro erzielt werden sollte. Die Kläger fordern Schadenersatz, weil sie sich durch unvollständige oder unrichtige Information zur Zeichnung der Aktien haben bewegen lassen. Im Mittelpunkt steht dabei eine von den beiden Beklagten bei einer Präsentation verteilte „Equity Story“, die bei der Vorstellung teilweise veraltete Zahlen enthielt. Bei der Computerpräsentation durch die Beklagten wurde außerdem ein Business-Plan verwandt und vor allem das Projekt von den beiden wiederholt als „voll durchfinanziert“ bezeichnet. Unmittelbar nach dieser Präsentation erwarben die Kläger die Aktien, und schon drei Monate später zeigte sich, dass das Geld bei weitem nicht reichte, weitere vier Monate später wurde das Bankhaus wegen Insolvenz geschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr – im Wesentlichen – entsprochen und ohne nähere Begründung die Revision zugelassen. Der Senat hat dieses Urteil, soweit es zu Lasten der Beklagten gegangen ist, bestätigt bzw. – soweit das Berufungsgericht die Klage wegen Verjährungseintritts abgewiesen hatte – die Verurteilung verschärft. Im Mittelpunkt steht dabei die Aussage, dass die beklagten Vorstandsmitglieder für die verfahrensfehlerfrei festgestellte Unrichtigkeit der von ihnen erteilten Anlegerinformationen persönlich haften. Die Beklagten haben sich vergeblich darauf berufen, dass normalerweise Vertreter nicht für Fehler haften, die bei der Anbahnung eines Vertragsschlusses unterlaufen, dass vielmehr regelmäßig nur die Gesellschaft, hier also die S AG, haftet. Auf den Streit der Parteien, ob es sich bei der erwähnten „Equity Story“ mit den zugehörigen Anlagen um einen Prospekt im Rechtssinne handelt und ob deswegen, wie das Berufungsgericht angenommen hat, die Regeln der richterrechtlich entwickelten Prospekthaftung anwendbar sind, kommt es dabei nicht an: Denn es geht nicht um den typischen Fall einer Anlegerwerbung per Prospekt, für den kennzeichnend ist, dass trotz des fehlenden 14 Urt. v. 2. 6. 2008 – II ZR 210/06, ZIP 2008, 1526; vgl. dazu Kocher, BB 2008, 1980; Frisch, EWiR 2008, 643; ferner Mülbert/Leuschner, JZ 2009, 158, die die wahrlich nicht dramatischen Aussagen der Entscheidung, die vielmehr ganz auf der Linie der gefestigten Rechtsprechung zur Vertreterhaftung liegen, zu Unrecht zu einer „neuartigen strengen Haftungsregel“ stilisieren.
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persönlichen Kontakts zwischen dem Prospektherausgeber und den Anlegern die für die cic entwickelten Regeln – mit gewissen Variationen – gelten. Entscheidend war, dass die prospektverantwortlichen Beklagten persönlich aufgetreten sind und das Anlageobjekt den Anlegern „schmackhaft“ gemacht haben. Wenn sie schon eine garantieähnliche Haftung für unrichtige Prospektangaben trifft, dann können sie sich erst recht nicht aus der Haftung lösen, wenn sie persönlich und mit dem Gewicht ihrer Stellung in der Gesellschaft – noch dazu in einer besonderen, das Exklusive als Aura nutzenden Veranstaltung – als Werbende auftreten. Sie sind dann bei Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit ihrer Aussagen nach den Regeln der cic für die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens haftbar.
3. Agio-Rückzahlung und § 172 HGB15 Die Beklagte ist mit 100 000 DM an der klagenden GmbH & Co. KG, einem Immobilienfonds, als Kommanditistin beteiligt. Sie hat außerdem ein agio von 5 000 DM gezahlt. Die KG hat nur Verluste erwirtschaftet, die Kapitalkonten der Gesellschafter waren negativ; gleichwohl sind im Jahr 2000 6 % an die Kommanditisten ausgeschüttet worden. Da es der Gesellschaft schlecht geht (Insolvenzgefahr), sie aber andererseits nach dem Gesellschaftsvertrag die Rückzahlung auf die Pflichteinlage nicht zurückfordern darf, ist ein von der übergroßen Mehrheit der Kommanditisten gebilligtes Sanierungskonzept entwickelt worden, nach welchem die Kreditgeberin der Gesellschaft ihre Hafteinlageansprüche (§§ 171, 172 Abs. 4 HGB) geltend macht und mit der Rechtsverfolgung die Klägerin in Prozessstandschaft betraut. Das Amtsgericht hat antragsgemäß verurteilt, das Landgericht hat dieses Urteil nur hinsichtlich des das agio übersteigenden Betrages bestätigt, hinsichtlich des agio selbst aber angenommen, es sei zwar nicht Teil der Haftsumme, wohl aber in das Kapital eingezahlt, so dass die Beklagte in Wahrheit 105 000 DM auch auf die Haftsumme gezahlt habe, mit der Ausschüttung aber nur 511,29 Euro unter die Haftsumme gesunken sei, weswegen sich ihre Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB auf diesen Betrag beschränke. Die entscheidende Einzelrichterin hat die Revision zugelassen. Der Senat hat das amtsgerichtliche Urteil wieder hergestellt und gegen die von Bayer und Lieder16 entwickelte Ansicht seine frü15 Urt. v. 5. 5. 2008 – II ZR 105/07, ZIP 2008, 1175; vgl. dazu Kessler, BB 2008, 1356; Böttcher, NZG 2008, 583; kritisch Lieder, EWiR 2008, 437. 16 ZIP 2008, 809.
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here17 bis in das Jahr 1982 zurückreichende Auffassung bestätigt, dass jede Auszahlung an den Kommanditisten bei Bestehen oder Entstehen eines negativen Kapitalkontos haftungsschädlich ist. Das wird von der Erwägung getragen, dass das agio nicht von dem Kommanditisten jederzeit entnehmbares Fremdkapital wie ein Darlehen ist, wie das Landgericht ungeachtet seiner anders lautenden Begründung der Sache nach angenommen hat; eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob auch die Haftsumme entsprechend erhöht worden ist, was entgegen der von dem Landgericht geäußerten Ansicht wohl zu verneinen wäre.
4. § 172 HGB und Rechtsmissbrauch18 Im Zuge der Krise auf dem Immobilienmarkt – im vergangenen Jahr hat vor diesem Hintergrund diese Vereinigung über Sinn und Tragweite des § 707 BGB diskutiert – kommt es immer wieder zu neuen Gestaltungen, die dadurch veranlasst sind, dass die Gesellschaften zusätzliche Mittel benötigen, die Gesellschafter, den § 707 BGB auf ihrer Seite wissend, aber nicht bereit sind, Nachschussverpflichtungen auf sich zu nehmen. Das fordert natürlich die Phantasie der anderen Seite heraus, und in diesen Zusammenhang gehört die folgende Fallgestaltung: Nach dem Gesellschaftsvertrag einer Immobilienfonds-KG dürfen Zahlungen an die Kommanditisten bewirkt werden, auch wenn dadurch ein „negatives Kapitalkonto“ entsteht; dessen Ausgleich zu verlangen, ist die KG gesellschaftsvertraglich gehindert. Der beklagte Kommanditist war nicht bereit, von sich aus den erhaltenen Betrag wieder einzuzahlen. Nunmehr wird er von der Kreditgeberin der Gesellschaft als Gläubigerin in Anspruch genommen, wendet aber gegenüber der Klage ein, die Bank wirke mit der KG rechtsmissbräuchlich zusammen, um die gesellschaftsvertragliche Sperre gegenüber deren Rückzahlungsverlangen zu unterlaufen. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen entsprochen, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen, dafür aber nicht die Zustimmung des Senats gefunden. Er hat nämlich das Berufungsurteil wegen eines Verstoßes gegen die Wahrung rechtlichen Gehörs, gestützt auf § 544 Abs. 7 ZPO, durch Beschluss aufgehoben und die Sache an einen anderen Zivilsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen. Er hat – im Anschluss an eine früher ergangene Entscheidung19 – ausgesprochen, dass ein solcher Rechtsmissbrauch nicht ohne weiteres, sondern nur unter bestimmten engen Voraussetzungen angenommen werden kann, deren Vorliegen hier nicht oder nicht ordnungs17 BGHZ 84, 383; Beschl. v. 9. 7. 2007 – II ZR 95/06, ZIP 2007, 2074. 18 Beschl. v. 14. 7. 2008 – II ZR 204/07, ZIP 2008, 1870. 19 Beschl. v. 9. 7. 2007 – II ZR 95/06, ZIP 2007, 2074.
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gemäß geprüft worden ist. Es muss festgestellt werden, dass die Anspruchsverfolgung keinen anderen Zweck als die Schädigung des Beklagten haben kann, dass der Rechtsausübung kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt oder dass ein vertragsfremdes, unlauteres Ziel verfolgt wird. Ein solch unlauteres Verhalten kann sich auch aus der Ausnutzung eines fremden Vertragsbruchs ergeben. Wenn man das annehmen wollte, müsste tatrichterlich festgestellt werden, dass wirklich die Komplementärin der KG bewusst Rückstände hat entstehen lassen, um – abgestimmt mit der Klägerin – dieser die Möglichkeit des Zugriffs auf die Kommanditisten zu eröffnen; daran fehlt es jedenfalls dann, wenn die KG wirklich nicht die notwendige Liquidität zur Bedienung der Bankverbindlichkeiten hatte, wie das Landgericht festgestellt hatte, ohne dass das Berufungsgericht gegenteilige Feststellungen getroffen hat.
5. Haustürwiderruf und fehlerhafte Gesellschaft20 Die sog. „Schrottimmobilien“ waren schon bei früheren Tagungen dieser Gesellschaft Gegenstand der Diskussion. Bekanntlich führten die unterschiedlichen Vorgehensweisen des II. Zivilsenats und des für das Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zu Irritationen der Praxis und zu schwer hinnehmbarer Rechtsunsicherheit. Dieses Problem ist auf Grund einer Verständigung der beiden beteiligten Senate inzwischen behoben21. In diesen Gesamtkomplex – soweit es um die gesellschaftsrechtliche Seite geht – gehört der Vorlagebeschluss an den EuGH, zu dem ich wenigstens einige Worte verlieren will, ehe über die fehlerhafte Gesellschaft heute Nachmittag näher diskutiert werden wird. Es geht um folgenden Fall: Der Beklagte betreibt gegen die Klägerin die Zwangsvollstreckung aus einem Kostentitel eines Vorprozesses, in dem er obsiegt hat. Damals hat die Klägerin erfolglos Nachschussansprüche aus einer Immobilien-GbR in Berlin geltend gemacht. Aufgrund des in dem Vorprozess ergangenen Urteils steht zwischen den Parteien fest, dass der Beklagte wirksam aus der GbR ausgetreten ist. Das damalige Berufungsgericht hat angenommen, die Erklärung des Beklagten habe keine Rückwirkung, es habe eine Auseinandersetzung stattzufinden, bei der die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft herangezogen werden müssten, weswegen die Klägerin gehindert sei, Zahlungsforderungen als Einzelansprüche geltend 20 Beschl. v. 5. 5. 2008 – II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018; vgl. Kindler, DStR 2008, 1335; Oechsler, NJW 2008, 2472; Wagner, NZG 2008, 447; Schäfer, ZIP 2008, 1022; Scheuren-Brandes, ZIP 2008, 1463; W. Goette, DStR 2008, 1103. 21 Vgl. VGR 2006, S. 1 f.
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zu machen („Durchsetzungssperre“). Diese Hinweise aus dem Vorprozess hat die Klägerin aufgenommen und eine Auseinandersetzungsrechnung erstellt, die mit einem Betrag von 16 319 Euro zu Lasten des Beklagten endet. Mit dieser Forderung hat sie die Aufrechnung erklärt und stützt darauf die jetzt zu entscheidende Vollstreckungsgegenklage. Das Landgericht hat dieser Klage entsprochen, das Berufungsgericht hat wiederum zugunsten des Beklagten entschieden und dies auf die der bisher von unserem Senat vertretenen Linie widersprechende Ansicht gestützt, bei einem hier vorliegenden Widerruf des Beitritts nach dem HWiG dürften die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft nicht angewandt werden, weil sonst der Zweck der HaustürRL verfehlt werde. Die Revisionszulassung durch das Oberlandesgericht war danach schon unter dem Gesichtspunkt der Divergenz richtig. Wir haben es – die Meinungen im Schrifttum erneut abwägend und die nicht immer Zweifel schweigen lassenden Ausführungen der einschlägigen Erkenntnisse des EuGH abermals prüfend – gemeint, dass wir schwerlich nach dem acte claire-Grundsatz daran festhalten können, dass es keinen europarechtlichen Auslegungsbedarf geben kann und haben deswegen die Sache vorgelegt. Der Senat lässt aber keinen Zweifel daran, dass nach seiner Auffassung an seiner bisherigen Rechtsprechungslinie festgehalten werden sollte, auch wenn dadurch das von manchen verbraucherschutzorientierten Autoren als allein maßgeblich in den Vordergrund gerückte Ziel nicht erreicht wird, dass ein in einer Haustürsituation zum Beitritt veranlasster Gesellschafter nicht völlig ohne finanzielle Belastung sein Engagement beenden kann. Wenn man sich vor Augen führt, dass gerade beim Werben um den Beitritt zu Publikumsgesellschaften typischerweise die Mehrzahl der Gesellschafter nach einem einheitlichen Vertriebskonzept durch besondere Vertriebsstellen angesprochen wird, liegt es nicht fern, dass nicht nur bei einem einzelnen Beitretenden, sondern breitflächig die Regeln des HWiG nicht beachtet werden und deswegen für eine große Zahl von Gesellschaftern ein Widerrufsrecht nach dem genannten Gesetz besteht. Hier dem oder den ersten – besser beratenen – Gesellschaftern einen „Ausstieg“ mit ex tunc-Wirkung zu ermöglichen, würde diese Gruppe zu Lasten der später Widerrufenden begünstigen und das vom Senat apostrophierte „Windhundrennen“ auslösen; dieses widerspricht allen sachgerechten und anerkannten Regeln des Gesellschaftsrechts und setzt sich darüber hinweg, dass die Mitglieder – auch wenn sie unter Verstoß gegen das HWiG geworben und in dieser Weise beigetreten sind – nach Invollzugsetzung der Ge-
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sellschaft „in einem Boot sitzen“ und in gleicher Weise behandelt werden müssen. Für die Heranziehung der Regeln der fehlerhaften Gesellschaft spricht ferner, dass der rechtfertigende Grund für die gegenüber den normalen Vertragsregeln eingreifende Privilegierung der Verbraucher nach dem HWiG der typischerweise eintretende Überrumpelungseffekt ist, dass also die Störung der freien Willensbetätigung durch die Einräumung des besonderen Widerrufsrechts kompensiert werden soll. Diese Überrumpelung hat gegenüber anderen Störungen der Willensbildung und -äußerung nicht zwingend ein stärkeres Gewicht. Und wenn nach der Rechtsprechung selbst ein durch arglistige Täuschung bewirkter Beitritt nicht zur Beendigung der Mitgliedschaft ex tunc berechtigt, sondern lediglich ein Sonderkündigungs- oder -austrittsrecht begründet, ist schwer einzusehen, warum der Verbraucher im Sinne des HWiG demgegenüber besser gestellt sein soll. Diejenigen, die mit Rücksicht auf den Wortlaut der Haustür-RL den gegenteiligen Standpunkt einnehmen, verabsolutieren den Verbraucherschutz und fordern – aus der Sicht des Gesellschaftsrechts –, dass diese Gruppe von Gesellschaftern ebenso behandelt wird wie Minderjährige oder Geschäftsunfähige, für die seit jeher anerkannt ist, dass wegen deren überragender Schutzbedürftigkeit die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft unanwendbar sind und die Mitgesellschafter und die Gesellschaftsgläubiger dies in diesem – natürlich nur sehr selten auftretenden Fall – hinzunehmen haben. Die beiden von uns formulierten Vorlagefragen stehen selbständig nebeneinander: Selbst wenn der EuGH – insofern wie der II. Zivilsenat in seiner anfänglichen Rechtsprechung zum Vertrieb von Ferienwohnrechten im Genossenschaftsmodell22 – die Geltung der Richtlinie für den Beitritt zu Gesellschaften, Vereinen oder Genossenschaften verneinen sollte, wäre die zweite Vorlagefrage nicht obsolet. Denn die nationale deutsche Rechtsprechung wäre auch dann europarechtlich nicht gehindert, über den engeren Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus die Haustürgeschäftsregeln erweiternd – etwa um einer Umgehung der Haustürregeln durch die Einkleidung von entgeltlichen Leistungen in Mitgliedschaftsrechte zu begegnen – auch auf den Beitritt zu Gesellschaften usw. anzuwenden. Die Rechtsfolgen eines Widerrufs müssen dann aber einheitlich für alle Haustürgeschäfte sein, eine Differenzierung danach, ob es sich um einen Fall der unmittelbaren oder der erweiterten Geltung europäischer Regelungen 22 Urt. v. 20. 1. 1997 – II ZR 105/96, DStR 1997, 379.
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handelt, kann es nicht geben. In einer Reihe von Parallelfällen ist der Rechtsstreit nach dem entsprechend angewandten § 148 ZPO ausgesetzt worden, Wünschen von Revisionsanwälten, den Vorlagebeschluss zu ergänzen, hat der Senat nicht entsprochen.
6. Fortsetzungsklausel und „Massenaustritt“ von Gesellschaftern23 In den letzten Jahren ist die Zahl der Fälle angestiegen, in denen gescheiterte Freiberuflersozietäten nicht ohne gerichtliche Hilfe haben auseinandergesetzt werden können. Auf der letztjährigen Tagung ist hierzu eingehend diskutiert worden. Die beiden am 7. April 2008 entschiedenen Fälle betreffen eine alteingesessene Sozietät von Rechtsanwälten, deren Mitglieder sich im Zuge der Neuausrichtung so zerstritten haben, dass sechs von zehn Sozien, unter ihnen die drei ältesten Mitglieder, die Sozietät verlassen haben. Hauptstreitpunkt in beiden vor den Senat gelangten Fällen war die Frage, ob auch bei einem solchen „Massenaustritt“ genannten Vorgehen die im Gesellschaftsvertrag enthaltene Fortsetzungsklausel noch gilt oder ob die Gesellschaft aufgelöst ist und nur noch als Liquidationsgesellschaft fortbesteht. Die Anschlussfrage ging dahin, ob die etwa wirksame Fortsetzungsklausel eine unzulässige Kündigungserschwerung im Sinne von § 723 Abs. 3 BGB darstellt. Der Senat hat entschieden, dass mangels abweichender Anhaltspunkte die Fortsetzungsklausel unabhängig davon gilt, wie viele Gesellschafter gleichzeitig die Sozietät verlassen, und dass die Fortsetzungsklausel als solche – auch bei einem Zusammentreffen mit belastenden Abfindungsregeln – nicht wegen eines Verstoßes gegen § 723 Abs. 3 BGB unwirksam ist, dass aber u. U. diesen Abfindungsregeln die rechtliche Anerkennung versagt werden muss. Wenn dies – das Oberlandesgericht muss das noch tatrichterlich näher aufklären – der Fall sein sollte, dann gelten statt der unwirksam die allgemeinen Abfindungsregeln, und sie besagen bei einer Freiberuflersozietät, dass allen Mitgliedern das uneingeschränkte Recht zusteht, um die Mandanten der Sozietät zu werben, dass sie Anteil am Gesellschaftsvermögen haben und an den schwebenden Geschäften zu beteiligen sind.
7. Ausscheiden des vorletzten BGB-Gesellschafters24 Zum letzten Fall aus dem Personengesellschaftsrecht: Die Brüder Rudolf und Heinrich waren die beiden einzigen Gesellschafter einer GbR, zu de23 Urt. v. 7. 4. 2008 – II ZR 181/04, ZIP 2008, 1276 und II ZR 3/06, ZIP 2008, 1075. 24 Urt. v. 7. 7. 2008 – II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677.
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ren Vermögen eine Immobilie gehörte, die an Dritte vermietet war. Den Mietzinsanspruch trat die GbR zur Sicherung von Bankkrediten an die beklagte Bank ab. Im Streit steht die Miete für September 2004, die die Mieterin aufgrund der Abtretung an die Bank entrichtet hat. Über das Vermögen der beiden Gesellschafter ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden, und zwar über das des Rudolf am 19. Juli 2004, über dasjenige des Heinrich am 11. August 2004. Zwei Jahre später, am 6. Juni 2006, ist auch noch über das Vermögen der „GbR“ ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Kläger als Insolvenzverwalter von Heinrich beansprucht die Miete für September für die von ihm verwaltete Masse und stützt sich dabei auf § 17 des Gesellschaftsvertrages, nach dem bei Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Gesellschafters derselbe aus der Gesellschaft ausscheidet. Da die Gesellschaft seinerzeit nur zwei Gesellschafter gehabt habe, sei das Gesellschaftsvermögen ohne weiteres auf Heinrich übergegangen. Der Insolvenzverwalter von Rudolf – der Streithelfer – vertritt demgegenüber die Ansicht, die Gesellschaft sei aufgelöst worden. In I. Instanz haben die beklagte Bank und ihr Streithelfer gewonnen, das Berufungsgericht, das die Revision zugelassen hat, hat zugunsten des Klägers entschieden und angenommen, das Gesellschaftsvermögen sei bei Heinrich wegen des automatischen Ausscheidens von Rudolf angewachsen; das zwei Jahre später eröffnete Insolvenzverfahren über das GbR-Vermögen sei wegen dieser Anwachsung ins Leere gegangen. Der II. Zivilsenat hat dieses Urteil bestätigt. Im Gesellschaftsvertrag finden sich für den Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters keine besonderen Regelungen, wie das Oberlandesgericht tatrichterlich einwandfrei festgestellt hat; für diesen Fall entspricht es der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die Aktiva und Passiva im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den verbleibenden Gesellschafter übergehen. Die spätere Eröffnung des „Insolvenzverfahrens“ über das Vermögen der BGB-Gesellschaft ist ins Leere gegangen, weil gar kein Vermögenssubstrat vorhanden war, auf das sich dieser staatliche Akt hätte beziehen können. Nach der vom Senat geteilten, insolvenzrechtlich allgemein vertretenen Auffassung ist der Eröffnungsbeschluss nichtig, er bindet auch die Prozessgerichte solange nicht, wie nicht wegen der Publizität des Handelsregisters der Schein einer noch bestehenden Gesellschaft besteht; für diesen Ausnahmefall wird angenommen, dass sich dann das eröffnete Insolvenzverfahren gegen den – nur falsch bezeichneten – Schuldner, also den letzten verbliebenen Gesellschafter richtet. Hier fehlte eine solche Eintragung, abgesehen davon, dass gegen Heinrich ohnehin schon, nämlich zwei Jahre zuvor, das Insolvenzverfahren eröffnet worden war.
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III. Aktienrecht 1. Referenzzeitraum für Abfindungszinsen25 Das Urteil vom 10. Dezember 2007 scheint mir als Beispiel für den Unwillen mancher Gesellschaften zu taugen, dem in §§ 304, 305 AktG niedergelegten Gebot zu entsprechen26: Der Kläger ist unbestritten als ehemaliger Aktionär abfindungs- und ausgleichsberechtigt für den vom 1. Januar 1992 bis 16. Oktober 2001 reichenden Zeitraum. Den ihm zustehenden Ausgleich hat er während dieser Zeit erhalten, in gleicher Weise ist ihm, nachdem er die Aktien übertragen hat, die Barabfi ndung gezahlt worden. Umstritten war, welchen Zinsbetrag er auf die Barabfindung neben dem Ausgleich fordern kann. Die Beklagte hat auf der Grundlage der sog. Saldierungsmethode – für den gesamten Zeitraum werden die Abfindungszinsen ermittelt und davon der bereits gezahlte Ausgleich abgezogen – einen gewissen Betrag gezahlt. Demgegenüber hat der Kläger eine andere Berechnungsweise – die Beklagte hat sie die „Rosinentheorie“ genannt – für zutreffend gehalten; er wollte die Abfindungszinsen und den Ausgleich nicht einheitlich für die gesamte Zeit einander gegenüber stellen, sondern hat eine Saldierung für jeden einzelnen „Referenzzeitraum“ (Kalenderoder Geschäftsjahr) gefordert. In seinem Fall hatte das zur Folge, dass in einzelnen Jahren der volle Ausgleich, aber „0“ Zinsen zu zahlen wären; insgesamt auf den in Rede stehenden Zeitraum hätte der Kläger aber einen höheren Betrag zu erhalten, weil ihm dann der Ausgleich in dem entsprechenden Jahr als Mindestverzinsung ungeschmälert verbleibt. Die Entscheidung des Landgerichts, das als Berufungsgericht die Saldierungsmethode für richtig gehalten und die Revision zugelassen hat, hat der Senat geändert. Nach der Rechtsprechung des Senats27 ist klar, dass streng zwischen der Barabfindung – sie repräsentiert das von dem Aktionär der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Kapital – und dem Ausgleich, der Gegenleistung für die Kapitalnutzung, zu unterscheiden ist und dass deswegen die Barabfindung neben den Abfindungszinsen geschuldet wird. Eine Verrechnung kommt deswegen nur in Betracht, soweit es um das Nebeneinander von Ausgleich und Abfindungszinsen, also um das Zusammentreffen der beiden Formen geht, in denen die Möglichkeit der Kapitalnutzung entgolten wird. Sie ist erforderlich, um – auch das hatte der Senat
25 Urt. v. 10. 12. 2007 – II ZR 199/06, BGHZ 174, 378 = ZIP 2008, 310. 26 II ZR 199/06, BGHZ 174, 378. 27 BGHZ 152, 29 ff.
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schon früher entschieden28 – eine Überkompensation des Nutzungsentgelts auszuschließen, welche nach der Einführung der Verzinsungspflicht betr. die Barabfindung (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) drohte. Der Senat hat gemeint, er habe das Problem des Falles, die Bestimmung des zeitlichen Maßstabes, bereits in den früheren Urteilen geklärt; dabei scheint ein gewisser Missmut des Berichterstatters, der schon die vorangegangenen Entscheidungen29 für den Senat entworfen hatte, in dem referierten Urteil auf, dass das Landgericht sich von den Anwälten des Unternehmens mit dem emotionalen Schlagwort des „Rosinenpickens“, dem man begegnen müsse, hat in die Irre führen lassen. Es kommt auf die Referenzzeiträume an. Der Ausgleich als Ersatz für die Mindestdividende bleibt dem Aktionär ungeschmälert erhalten, gleichgültig, ob die Abfindungszinsen in dem entsprechenden Referenzzeitraum höher oder niedriger sind; nur dann, wenn die Ausgleichszahlungen hinter den Abfindungszinsen zurückbleiben, wirkt sich die Neuregelung des § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG aus, weil sie dann die durchschnittliche Mindestverzinsung der Kapitalnutzung durch die Gesellschaft aufbessert, im übrigen bleibt es im wirtschaftlichen Ergebnis bei dem früheren Rechtszustand. Die Gesamtsaldierungsmethode des Berufungsgerichts löst diesen nach § 304 Abs. 2 AktG notwendigerweise zeitbezogenen Zusammenhang auf und verfehlt deswegen nach unserer festen Meinung den Willen des Gesetzgebers, an dem es wäre, vermeintliches „Rosinenpicken“ durch entsprechende klare Regelungen auszuschließen.
2. Nach Satzung vorgeschriebene Erstellung eines Lageberichts30 Die Anfechtungsklage der Kläger richtete sich gegen die die Verwendung des Bilanzgewinns und die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ergangenen Beschlüsse der Hauptversammlung der beklagten AG. Im Wesentlichen haben sich die Kläger darauf gestützt, dass der Vorstand satzungswidrig – § 14 der Satzung enthält eine entsprechende Pflicht – keinen Lagebericht erstellt hat und der Aufsichtsrat den angeblich vorliegenden Lagebericht geprüft haben will. Die Beklagte war als Vorratsgesellschaft gegründet worden und nimmt für sich in Anspruch, eine „kleine AG“ zu sein, für die die Erstellung eines Lageberichts nicht vorgesehen sei; alles Erforderliche für die Aktionäre ergebe sich aus dem unstreitig vorgelegten Konzernlagebericht. 28 BGHZ 152, 29, 32; Urt. v. 2. 6. 2003 – II ZR 84/02, ZIP 2003, 1933. 29 BGHZ 152, 29 und BGHZ 155, 110. 30 Urt. v. 26. 11. 2007 – II ZR 227/06, AG 2008, 83; vgl. dazu Haar, NZG 2008, 494; Mock, EWiR 2008, 251; Graff, AG 2008, 479.
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Landgericht und Oberlandesgericht haben die Beschlüsse für nichtig erklärt. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten wendet sich gegen die Annahme eines Satzungsverstoßes und macht geltend, es habe gar keine satzungsrechtliche Pflicht zur Erstellung des Lageberichts bestanden, jedenfalls fehle einem etwaigen Verstoß die Relevanz für die Entscheidung der Aktionäre, über die hier in Rede stehenden Gegenstände sachgerecht abstimmen zu können, weil der Konzernlagebericht die erforderlichen Informationen vermittele. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat – gestützt auf § 552a ZPO – einen Hinweisbeschluss erlassen; daraufhin ist die Revision zurückgenommen worden: Es kommt nicht darauf an, ob die Beklagte eine „kleine AG“ war; die Satzung ihrer eigenen Gesellschaft haben deren Organe selbstverständlich zu beachten. Deswegen ist ein solcher Lagebericht zu erstellen und vorzulegen. Vorstand und Aufsichtsrat haben aber nicht nur insofern fehl gegriffen, als sie den Bericht nicht erstellt haben, sie haben außerdem in der Einladung auch eine falsche und zur Irreführung der Aktionäre geeignete Erklärung abgegeben, der Lagebericht werde – neben dem Konzernlagebericht – vorgelegt werden; nicht genug damit, der Aufsichtsrat hat außerdem in seinem Prüfbericht erklärt, er habe den „Lagebericht“ geprüft und trete seinem Ergebnis bei. Gemeint war damit aber in Wirklichkeit der Konzernlagebericht, der seiner ganzen Struktur nach den Lagebericht nicht ersetzen kann. Dass ein solches die Vertrauenswürdigkeit der handelnden Personen beschattendes Verhalten Anlass für die Verweigerung der Entlastung, also die Aussage, man bringe den beiden Organen künftig nicht das notwendige Vertrauen entgegen, sein kann, drängt sich auf. Deswegen hat der Senat sich nicht von der Erwägung der Beklagten beirren lassen, aus dem Konzernlagebericht habe sich alles für die Aktionäre Wesentliche an Informationen ergeben, der Fehler sei deswegen nicht relevant gewesen. Da der Lagebericht eine der Informationsgrundlagen für die Entscheidung der Aktionäre über die Gewinnverwendung ist, ist das Fehlen des nach der Satzung vorgeschriebenen Lageberichts auch für diesen Beschlussgegenstand relevant.
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3. UMTS31 In dem UMTS-Verfahren ging es darum, dass ein Aktionär der Deutschen Telekom AG wegen ihres Erwerbs von UMTS-Lizenzen bei der in Deutschland im Jahr 2000 durchgeführten Versteigerung die beklagte Bundesrepublik Deutschland als damals herrschendes Unternehmen gemäß §§ 317 Abs. 1 und 4, 309 Abs. 4 AktG mit einer Teilklage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 50 000 Euro zuzüglich Zinsen an die Telekom in Anspruch genommen hat. Das Telekom-Management glaubte seinerzeit, sich die Chancen der neuen UMTS-Technologie nicht entgehen lassen zu dürfen und beteiligte sich an der von der Bundesrepublik Deutschland – nach ausländischem Vorbild – betriebenen Versteigerung der entsprechenden Lizenzen und ersteigerte zwei Pakete zum Preis von 8,5 Mrd. Euro. Nach Meinung des Klägers hat die Bundesrepublik – als in ihren verschiedenen Rollen in erheblichem Interessenwiderstreit befangenes – herrschendes Unternehmen das Management der Telekom zu einem für die Aktiengesellschaft nachteiligen Bieterwettstreit veranlasst. In allen drei Instanzen ist der Kläger unterlegen. Der II. Zivilsenat hat, seiner früheren Judikatur32 folgend und in Übereinstimmung mit der h. M. im Schrifttum, die Normadressateneigenschaft der Bundesrepublik für den geltend gemachten Anspruch aus § 317 AktG bejaht, hat aber die – nicht einfach zu beantwortende – Frage, ob die Mehrheitsaktionärin die Telekom zur Vornahme eines nachteiligen Geschäfts veranlasst hat, offen gelassen und den Fall auf einer nächstfolgenden Ebene gelöst. § 317 Abs. 2 AktG schließt nämlich eine Ersatzpflicht selbst dann aus, wenn die Voraussetzungen des § 317 Abs. 1 AktG vorliegen, sofern auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht faktisch abhängigen Gesellschaft sich genau so verhalten hätte. Diese besonderen Voraussetzungen – ihr Vorliegen muss selbstverständlich ex ante und nicht ex post geprüft werden – hat der Senat bejaht, weil die Telekom ja nicht allein auf dem Markt tätig war, sondern sich der heftigen Konkurrenz anderer Anbieter ausgesetzt sah und mit diesen Wettbewerbern Vorsorge für die zukünftige Entwicklung treffen musste. Ohne Beteiligung an der Auktion, mit der die Bundesrepublik ihre schwierige Einnahmesituation nachhaltig verbessern wollte, war ein Zugang zu den Chancen des UMTS-Marktes seinerzeit nicht eröffnet, so dass sich die Manager der 31 Urt. v. 3. 3. 2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 = ZIP 2008, 785; vgl. dazu Emmerich, JuS 2008, 843; Altmeppen, NJW 2008, 1553; Fleischer, NZG 2008, 371. 32 BGHZ 69, 334; 135, 107.
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Gesellschaft Vorwürfen hätten ausgesetzt gesehen, wenn sie seinerzeit eine Beteiligung an der Versteigerung abgelehnt hätten. Dass es hernach so lange gedauert hat, bis sich die Investition zu rechnen begonnen hat, war nicht voraussehbar und ist auch von den Wettbewerbern nicht erkannt worden, wie deren gleichgerichtetes Verhalten belegt.
4. RHEINMÖVE33 Mit dem Fall RHEINMÖVE – ich hatte ihn schon im vergangenen Jahr34 angekündigt – war der Senat nach LURGI35 erneut mit der Problematik einer verdeckten gemischten Sacheinlage befasst und hat nicht nur an der bisherigen Linie festgehalten, sondern zugleich Anlass gehabt, zur Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder einer Aktiengesellschaft für Fehler bei der Kapitalaufbringung Stellung zu nehmen. Da die Problematik im Laufe des Tages sicher eingehender behandelt werden wird, will ich mich hier auf wenige Bemerkungen beschränken: Zu entscheiden war über die Rechtsfolgen eines gescheiterten Versuchs, ein Möbelhandelsunternehmen, das sich bereits in der Insolvenz befand, durch eine Auffangkonstruktion zu retten; im Rechtsstreit ist in diesem Zusammenhang von einer „Münchhausenkonstruktion“ die Rede gewesen. Auch die Auffanggesellschaft, die Rheinmöve AG, ist später in die Insolvenz gefallen, und der Kläger, ihr Insolvenzverwalter, nimmt den Beklagten zu 1) als den Insolvenzverwalter des in der Insolvenz befindlichen Ausgangsunternehmens (Rheinmöve … GmbH & Co. KG), den Beklagten zu 2) als Aufsichtsratsvorsitzenden und die Beklagten zu 3) und 4) als Vorstände der Rheinmöve AG unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten in Anspruch. Die von dem Beklagten zu 2) entwickelte Konstruktion bestand in dem Erwerb einer Vorrats-AG, die später in die Rheinmöve AG umbenannt wurde. Aktionäre waren die insolvente KG mit 57 % und der Beklagte zu 3) – der ehemalige Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft – mit 43 %. Das Grundkapital wurde zunächst auf 1 750 000 Euro und später unter Zulassung der Beklagten zu 3) und zu 4) um weitere 375 000 Euro erhöht. Die geschuldeten Bareinlagen wurden auf ein Konto bei der Hauptgläubigerin der insolventen KG, der Sparkasse, eingezahlt. Später kaufte die AG von der KG – vertreten durch den Beklagten zu 2) als damaligen Insolven33 Urt. v. 18. 2. 2008 – II ZR 132/06, ZIP 2008, 788 = BGHZ 175, 265; vgl. dazu Weipert, EWiR 2008, 513; Krause, BB 2008, 1029; Seagon, LMK 2008, 264386; Lieder, WuB II A. § 27 AktG 2.08; Böttcher, NZG 2008, 416. 34 VGR 2007, S. 4. 35 BGHZ 173, 145; dazu VGR 2007, S. 33 ff.
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zverwalter – deren Anlagevermögen (u. a. Mietereinbauten in Möbelhäusern) und das Umlaufvermögen zum Kaufpreis von 1 DM; als Gegenleistung übernahm die AG Verbindlichkeiten der KG im Wert von mehr als 17 Mio. DM. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Senat hat aufgehoben und zurückverwiesen und – wie bei LURGI – auch hier eine Verfehlung der Kapitalaufbringungsvorschriften konstatiert, weil das Vorgehen der Beteiligten hier wegen der vorabgesprochenen Übernahme der Verbindlichkeiten der Inferentin durch die Gesellschaft tilgungsschädlich ist und es den handelnden Personen nicht hilft, dass eine große Diskrepanz zwischen den übernommenen Verbindlichkeiten und der Einlageschuld besteht; denn es liegt ein kraft Vereinbarung unteilbares Geschäft vor, das den Regeln über die verdeckte gemischte Sacheinlage untersteht. Die Bareinlageschuld muss also noch erfüllt werden und unabhängig davon ist auf dem Wege des Bereicherungsausgleichs der vorgenommene Leistungsaustausch rückabzuwickeln, wobei ggfs. die Saldotheorie heranzuziehen ist.
5. Bedeutung von § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG36 In der Entscheidung vom 7. Januar 2008 ging es abermals37 um die Haftung einer Raiffeisenbank für die Erteilung einer Bankbestätigung nach § 37 Abs. 1 AktG. Vereinfacht dargestellt: Die T AG wurde als eine von mehreren Tochtergesellschaften von der W AG 1995 gegründet. Die beklagte Raiffeisenbank war die Hausbank der T. Die Hauptversammlung der T beschloss im Mai 1996 eine Kapitalerhöhung um 12 450 000 DM; dieser Beschluss wurde am 28. Februar 1997 wiederholt, und die W AG zeichnete am 15. Oktober 1997 sämtliche neuen Aktien zu einem Ausgabebetrag von 15 562 500 DM (62,50 DM je Stück). Am 15. Dezember 1997 meldeten der Alleinvorstand M und der Aufsichtsratsvorsitzende D die Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister an und erklärten dabei, dass der Geldbetrag von 15 562 500 DM bei der Gesellschaft eingezahlt worden sei und endgültig zur freien Verfügung des Vorstands stehe. Beigefügt war ein Schreiben der Beklagten – ausgestellt u. a. von ihrem Vorstandsmitglied K – mit folgendem Text: „… wunschgemäß bestätigen wir Ihnen, dass auf dem vorgenannten Konto … seit Kontoeröffnung bis 15. 12. 1997 Geldeingänge über 15 562 500 DM zu verzeichnen waren und diese Mittel dem Vorstand endgültig zur freien Verfügung standen.“ 36 Urt. v. 7. 1. 2008 – II ZR 283/06, ZIP 2008, 546 = BGHZ 175, 86; vgl. Schall, LMK 2008, 261259; Kausch, BB 2008, 917. 37 Vgl. Urt. v. 26. 9. 2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012.
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Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser „Bestätigung“ befanden sich auf dem Gesellschaftskonto nur noch 50 000 DM, nachdem zuvor Beträge in zweistelliger Millionenhöhe an andere Gesellschaften des W AG-Konzerns überwiesen worden waren. Am 23. Januar 1998 übermittelte die Beklagte der T ein weiteres ähnlich abgefasstes, auf das Schreiben vom 15. Dezember 1997 Bezug nehmendes Schreiben. Beide Schreiben reichte die T bei dem Handelsregister ein: Am 25. März 1998 wurde die Kapitalerhöhung in das Register eingetragen. Der klagende Insolvenzverwalter der T nimmt die Beklagte aus der Gewährleistungshaftung nach § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG für die gescheiterte Kapitalaufbringung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr im Wesentlichen entsprochen und die Revision zugelassen. Der II. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Grund dafür war ein – hier nicht in seinen Einzelheiten nachzuvollziehender – Verstoß gegen Art. 103 GG, der zur Folge gehabt hat, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung einen unvollständig aufgeklärten Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Im Rahmen der Erörterung der Entscheidungserheblichkeit dieses Gehörsverstoßes hat sich der Senat näher mit dem Zweck und den daraus folgenden Voraussetzungen der Gewährleistungshaftung der Bank befassen müssen. Die Haftung ist zwar verschuldensunabhängig, setzt aber voraus, dass es sich um eine Erklärung handelt, die – wie die ausstellende Bank weiß – zum Zweck der Vorlage bei dem Handelsregister ausgestellt wird, um dort die Eintragung herbeiführen zu lassen. Ob dieses Erfordernis erfüllt war, kann nicht allein aufgrund des Wortlauts der vorliegenden „Additionsbestätigungen“ beantwortet werden, weil die Beklagte gegenläufigen Tatsachenvortrag gehalten hat, der jedenfalls nicht ohne Erhebung des angetretenen Beweises beiseite geschoben werden darf. Allerdings kann die Beklagte nichts für sich daraus gewinnen, dass die Bestätigungserklärung in der Vergangenheitsform abgefasst worden ist, denn damit wird nur dem gewandelten Verständnis der Rechtsprechung38 Rechnung getragen, das bei einer Kapitalerhöhung nicht mehr verlangt, als dass der versprochene Einlagebetrag zu endgültig freier Verfügung des Vorstandes eingezahlt worden ist und nicht an den Inferenten zurückfließen darf, aber bis zur Eintragung der Erhöhung in das Handelsregister nicht unangetastet bei der Gesellschaft bleiben muss. Schädlich ist aber nach dem Zweck, dem die Bestätigung dient, wenn die Bank weiß, dass das von ihr 38 BGHZ 119, 177; BGHZ 150, 197; Urt. v. 26. 9. 2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012.
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erstellte, wegen Nichtleistung der Einlage unrichtige Papier gegenüber dem Registergericht verwandt wird, um dieses von näheren Nachforschungen der Ordnungsgemäßheit des Kapitalaufbringungsvorgangs abzuhalten. Dahin ging der Vortrag des Klägers, der geltend gemacht hatte, der Vorstand K der Beklagten sei in den Kapitalaufbringungsschwindel der Organe der W AG eingeweiht gewesen, habe deswegen gewusst, dass nicht zur endgültig freien Verfügung des Vorstands geleistet worden war, aber gleichwohl den Organmitgliedern der W AG dabei geholfen, das Registergericht zu täuschen. Sollte sich dieser Vortrag in der erforderlichen Beweisaufnahme bestätigen, liegt ein zur Haftung der Bank führender Missbrauch des Instituts der Bankbestätigung vor.
6. AG als verbundenes Unternehmen und Eigenkapitalersatz39 Mit dem inzwischen in Kraft gesetzten MoMiG sehen wir uns vor einem Paradigmenwechsel hinsichtlich des Eigenkapitalersatzrechts, der rechtsformübergreifend die Gesellschafterhilfen – soweit im letzten Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags Rückzahlungen oder Leistungen hieraus stattgefunden haben – für anfechtbar erklärt. Mit Rücksicht auf die Übergangsregelung in Art. 103d EGInsO finden auf Altfälle – also Konkurs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren, die vor dem 1. November 2008 eröffnet worden sind – die bisherigen Regeln Anwendung. Dies rechtfertigt, kurz über die Entscheidung vom 5. Mai 2008 zu berichten: Der Beklagte ist Insolvenzverwalter der Z GmbH, die sich seit Januar 2003 in der Insolvenz befindet. Die klagende AG – eine der kreditgebenden Banken der Schuldnerin – hat ihre Darlehensforderung zur Tabelle angemeldet; der Beklagte ist dem mit der Begründung entgegengetreten, die Klägerin sei einem Gesellschafter gleichzusetzen und deswegen dem Einwand ausgesetzt, dass der Kredit eigenkapitalersetzenden Charakter angenommen habe. Unstreitig ist die Klägerin nicht Gesellschafterin der Schuldnerin. Sie steht aber mit ihr insofern in einer gewissen gesellschaftsrechtlichen Verbindung, als ihre Schwestergesellschaft A AG zu 40 % Gesellschafterin der Schuldnerin gewesen war. Die klagende AG ist nämlich eine 86,1 %ige Tochter der X-Bank, während dieselbe Muttergesellschaft auch die A AG (99,77 %) beherrscht. Diese mittelbare Verbindung der drei beteiligten Aktiengesellschaften halten der Beklagte und die Tatsachengerichte für ausreichend, um ein – nicht im konzernrechtlichen Sinn gedacht – „verbundenes Unternehmen“ anzunehmen. Der II. Zivilsenat hat anders als die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. 39 Urt. v. 5. 5. 2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230.
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Für das GmbH-Recht ist es allerdings anerkannten Rechts, dass auch eine horizontale Verbindung von zwei Gesellschaften zur Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln führen kann, wenn nämlich an beiden Gesellschaften derselbe Gesellschafter beteiligt ist und bei der darlehensgebenden Gesellschaft darauf hinwirken kann, dass der anderen Gesellschaft, an der er nicht lediglich als privilegierter Kleinbeteiligter Geschäftsanteile hält, die Hilfe gewährt wird. Diese Regeln passen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf die hier gegebene Fallgestaltung nicht, weil alle drei Gesellschaften unabhängige Aktiengesellschaften sind, bei denen die Vorstände die Geschäfte unter je eigener Verantwortung führen. Die im GmbH-Recht mögliche – wenngleich unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Gläubiger der Hilfe leistenden Gesellschaft und der Mitgesellschafter des in den Blick genommenen maßgeblichen Gesellschafters nicht unproblematische – Erstreckung der Eigenkapitalersatzregeln auf einen an sich außenstehenden Dritten, scheidet mangels vergleichbarer Einflussmöglichkeiten eines Aktionärs auf das Handeln des Vorstands seiner AG aus.
7. EKU40 Spruchverfahren dauern zu lange, die Gründe dafür sind unterschiedlich und – soweit es um die Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten geht – auch nicht einseitig etwa allein den Minderheitsaktionären anzulasten. Die Politik hat – gerichtet gegen die Unternehmen, die hier nicht immer „Waisenknaben“ sind – vor einigen Jahren mit der Einführung der Verzinsungspflicht nach § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG reagiert und will hier – wie beim Erfurter Juristentag angekündigt worden ist – mit einer Erhöhung des Zinssatzes nachbessern. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auf das Phänomen der überlangen Dauer reagiert, indem sie das Institut des „vertragsüberdauernden Spruchverfahrens“ anerkannt hat41. In dem vom II. Zivilsenat im März dieses Jahres entschiedenen EKU-Fall hat die lange Dauer der Spruchverfahren zu nicht unerheblichen Komplikationen geführt: Die drei Kläger, sie gehören zu einer Familie, deren Vertrauen in die deutsche Justiz so groß ist, dass Ihre Mitglieder immer wieder den Senat zur Lösung ihrer rechtlichen Konflikte mit verschiedenen Aktiengesellschaften anrufen, waren Aktionäre der Henninger Bräu AG. Diese 40 Urt. v. 17. 3. 2008 – II ZR 45/06, ZIP 2008, 778 = BGHZ 176, 43; vgl. dazu Goslar, EWiR 2008, 357. 41 BGHZ 135, 374; bestätigt in BGHZ 167, 299 („JENOPTIK“) und BGHZ 176, 43 („EKU“).
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schloss einen am 30. Mai 1988 wirksam gewordenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der EKU AG ab, welche sich seit April 1996 im Konkurs befindet und deren Konkursverwalter der Beklagte ist. Der Unternehmensvertrag führte zur Einleitung eines erst im Januar 2003 abgeschlossenen Spruchverfahrens, in dem der Abfindungswert auf 554,78 DM für eine Aktie im Nennwert von 50 DM festgesetzt wurde. Zwischenzeitlich hatte die – später ebenfalls insolvent gewordene – März AG die Aktienmehrheit der EKU AG erworben. Deswegen kam es zum Abschluss eines weiteren – ab 31. Oktober 1990 wirksamen – Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zwischen März und Henninger, der bei abweichender Laufzeit denselben Inhalt hatte. Gleichzeitig wurde der entsprechende Vertrag zwischen Henninger und EKU aufgehoben. Auch dieser 2. Unternehmensvertrag ging in das Spruchverfahren; dort wurde der Abfindungswert – ebenfalls im Januar 2003 – auf 822,49 DM je Aktie im Nennwert von 50 DM festgesetzt. Innerhalb der Andienungsfrist aus dem ersten Spruchverfahren, im April 2003, dienten die Kläger ihre Aktien dem Beklagten an; dieser lehnte ab. Die Kläger veräußerten die Aktien im Oktober 2003 über die Börse. Ihre Forderungen aus der Andienung der Aktien hatten die Kläger außerdem zur Konkurstabelle der EKU angemeldet. Auch gegenüber dem Konkursverwalter der März AG hatten sich die Kläger ähnlich verhalten, auch er lehnte die angedienten Aktien ab, bediente aber die angemeldeten Forderungen wegen dieser Ablehnung mit einer Quote von rund 15 %. Gegenstand des EKU-Rechtsstreits war die auf § 17 KO gestützte Schadenersatzforderung der Kläger, deren Feststellung zur Konkurstabelle sie begehrt haben. Sie haben den Schaden aus dem Gesamtabfindungswert (Wert pro Aktie + Zinsen) abzüglich des jeweils erzielten Verkaufserlöses errechnet. Nach Ansicht des Beklagten sollte der Anspruch nicht bestehen, weil der Unternehmensvertrag aufgehoben worden sei und durch die Konkurseröffnung jeder Anspruch der Kläger gegen die EKU AG als ehemals herrschendes Unternehmen erloschen sei. Der II. Zivilsenat ist dem beklagten Konkursverwalter nicht gefolgt, sondern hat angenommen, dass ein während eines Spruchverfahrens über das Vermögen des herrschenden Unternehmens eröffnetes Insolvenzverfahren den früher begründeten Abfindungsanspruch eines außenstehenden Aktionärs als solchen unberührt lässt. Die in § 305 AktG niedergelegte Erwerbsverpflichtung gegen den Willen des Verwalters durchzusetzen, widerspräche indessen den Zwecken eines Insolvenzverfahrens, das nicht auf Abwicklung beiderseitiger Leistungen gerichtet ist, sondern das darauf
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zielt, Geldforderungen zur Tabelle anzumelden, sie festzustellen und nach den insolvenzrechtlichen Regeln für ihre Befriedigung zu sorgen. Der von dem Beklagten daraus gezogene Schluss, mangels Erwerbsverpflichtung sei der Abfindungsanspruch obsolet, ist nicht hinnehmbar. Vielmehr muss – schon aus Gründen des Eigentumsschutzes – auch dieser Abfindungsanspruch im Insolvenzverfahren Berücksichtigung finden, wenn der Verwalter die ihm angedienten Aktien des außenstehenden Aktionärs nicht annimmt; es lag nahe, dann die allgemeinen insolvenzrechtlichen Regeln der §§ 17, 26 KO bzw. § 103 InsO über die Nichterfüllung schwebender Verträge entsprechend anzuwenden. Der Minderheitsaktionär erlangt also einen Schadenersatzanspruch, den er als Geldforderung zur Tabelle anmelden darf. Den Schaden darf er – wie im entschiedenen Fall geschehen – konkret berechnen, also die Differenz zwischen dem im Spruchverfahren festgesetzten Abfindungsbetrag und dem beim Deckungsverkauf erzielten Erlös fordern. Dabei ist zu beachten, dass der Erlös aus dem Deckungsverkauf an die Stelle der Aktien tritt, für die die Abfindung geschuldet wird. Es ist deswegen nicht richtig, diesen Erlös auf die Abfindungszinsen anzurechnen. Diese Abfindungszinsen werden nach den die aktienrechtlichen Regeln verdrängenden insolvenzrechtlichen Bestimmungen (§ 63 Nr. 1 KO) nur bis zur Konkurseröffnung geschuldet, bis dahin aber in voller Höhe bezogen auf den im Spruchverfahren ermittelten Abfindungsbetrag berechnet. Die Problematik der JENOPTIK-Entscheidung42, nach der die Veräußerung der Aktien zum Verlust des Abfindungsanspruchs führt, weil der außenstehende Aktionär nun das Papier ja nicht mehr andienen kann, spielt zu Lasten der Kläger keine Rolle, weil sie wegen der Weigerung des beklagten Konkursverwalters, dem Andienungsbegehren zu folgen, den zur Tabelle anzumeldenden Schadenersatzanspruch (dem Grund nach) bereits erworben haben. Anders verhält es sich mit dem weiteren in der genannten Entscheidung aufgestellten Erfordernis, dass die Kläger darlegen und beweisen müssen, überhaupt abfindungsberechtigte, also außenstehende Aktionäre gewesen zu sein. Das sind sie nach dem den §§ 304 f. AktG zugrunde liegenden System nur dann, wenn sie Unterworfene eines existierenden Ergebnisabführungsvertrages gewesen sind, ihre Aktien also vor der Beendigung des Unternehmensvertrages – d. h. hier vor Oktober 1990 – erworben hatten. Der in dritter Instanz gestellten Forderung – da es um ein Schlüssigkeitsmerkmal der Klageforderung geht, konnte diese Prüfung von Amts wegen stattfinden – sind die Kläger über viele Wochen 42 BGHZ 167, 299.
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beharrlich nicht nachgekommen, so dass bis kurz vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Rede stand, die Klage mangels Schlüssigkeit abzuweisen; erst unmittelbar vor diesem Verhandlungstermin ist zu dieser Frage – natürlich streitig – vorgetragen worden, so dass schon zur Klärung dieser grundlegenden Vorfrage das Berufungsurteil aufgehoben und der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden musste. Zusätzliche Schwierigkeiten hat dann natürlich der Umstand hervorgerufen, dass auch das zweite herrschende Unternehmen falliert ist und die Kläger auch dem dortigen Konkursverwalter ihre Aktien angedient hatten. Die Aussage, dass die jeweils entstandenen Abfindungsansprüche gegen die beiden herrschenden Unternehmen wahlweise geltend gemacht werden können, liegt auf der Linie des Senats, nach der die Beendigung eines Unternehmensvertrages während eines laufenden Spruchverfahrens den außenstehenden Aktionären ihre vorher entstandenen Rechte nicht nimmt. Wären beide Unternehmen nicht in der Insolvenz gewesen, wäre wohl sicher anzunehmen, dass die Kläger den höheren Abfindungswert bei der März AG gegen Einlieferung der Aktien liquidiert hätten. Ansprüche gegen die EKU AG wären dann hinfällig gewesen. In der Doppelinsolvenz der herrschenden Unternehmen kann sich der höhere Abfindungswert in dem einen Spruchverfahren aber schnell relativieren, weil es ja wesentlich auf die erzielbare Quote ankommt. Und die Umwandlung des Abfindungsin einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung kann auch dazu führen, dass beide Schadenersatzansprüche nebeneinander bestehen, was zur Folge hat, dass ihr Verhältnis zueinander zu klären ist. Obergrenze ist selbstverständlich der höhere der beiden Abfindungswerte, und soweit sich beide Beträge decken – so hat es der Senat entschieden – besteht eine Art von Gesamtschuldnerschaft nach Maßgabe von § 68 KO.
8. Herausgabepflicht von Papieren der AG durch AR-Mitglied43 Der Kläger war Mitglied des Aufsichtsrates der beklagten AG. Er hat die Gesellschaft mit der Klage auf Zahlung seiner rückständigen Tantieme in Anspruch genommen, die Bekl. hat ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht, bis ihr der Kläger ihren in der Geschäftsordnung niedergelegten Anspruch auf Rückgabe der ihm für seine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates überlassenen Unterlagen erfüllt habe. Während des Rechtsstreits sind die Unterlagen zurückgegeben worden, und die Beklagte hat die Tantieme ausgezahlt. Gestritten haben die Parteien danach noch um
43 Beschl. v. 7. 7. 2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821.
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die offenen Rechtshängigkeitszinsen und um die Frage, wer die Kosten des teilweise erledigten Rechtsstreits zu tragen habe. Das Oberlandesgericht hat den Kläger für verpflichtet gehalten, die Unterlagen herauszugeben und hat die Revision zugelassen. Wir haben – da Grundsatzfragen entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht zu entscheiden waren und das Berufungsgericht das richtige getroffen hatte – einen Hinweisbeschluss nach § 552a ZPO erlassen, woraufhin die Revision zurückgenommen worden ist. Der Senat hat sich orientiert an einer mehr als 45 Jahre zurückliegenden Entscheidung zum GmbH-Recht, in welcher für den Geschäftsführer der Gesellschaft ausgesprochen worden war, dass er nach Beendigung seiner Amtszeit nach den §§ 675, 666, 667 BGB Auskunft über den Verbleib der ihm überlassenen Unterlagen zu geben habe und zu deren Herausgabe verpflichtet sei. Warum für ein Aufsichtsratsmitglied als Organ der Gesellschaft etwas anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich; keinesfalls kann das ausgeschiedene Organmitglied sich darauf berufen, es benötige die Unterlagen, um sich ggfs. gegen einen Schadenersatzanspruch der Gesellschaft verteidigen zu können, denn die Gesellschaft hat, nachdem sie den Anspruch in der gebotenen Weise konkretisiert hat, dem möglicherweise Regresspflichtigen Einsicht in die maßgeblichen Unterlagen zu gewähren44. Was danach schon kraft Gesetzes gilt, kann selbstverständlich auch in einer Geschäftsordnung des Aufsichtsrates näher ausformuliert werden.
9. Kirch ./. Deutsche Bank45 Am 27. Oktober 2008 hat der Senat – wie bereits erwähnt – in einer der zahlreichen Kirch ./. Deutsche Bank Verfahren verhandelt. In diesem Rechtsstreit geht es um die Hauptversammlung des Jahres 2003. Die Kläger haben die Entlastungsbeschlüsse betreffend Vorstand und Aufsichtsrat, den Beschluss über die Wahl des Abschlussprüfers für das Jahr 2003 und den Beschluss über die Listenwahl der vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder angegriffen. Alle drei Kläger vertreten die Ansicht, die Beschlüsse seien schon deswegen nichtig, weil der amtierende Notar das vorbereitete und während der Hauptversammlung handschriftlich ergänzte Protokoll noch am selben Tage unterzeichnet und seinem Büro die Anweisung erteilt hat, dieses Papier als seine Niederschrift mit einer UR-Nummer zu versehen und der Beklagten 44 Vgl. BGHZ 152, 280. 45 II ZR 185/07, ZIP 2009, 460.
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und dem Registergericht zuzuleiten, falls ihm etwas zustoßen und er die beabsichtigte Durchsicht und Korrektur nicht mehr sollte vornehmen können. Dieses Verfahren hat sich in der notariellen Praxis seit vielen Jahren eingebürgert, nachdem einmal ein Notar die Niederschrift nicht sogleich unterzeichnet hatte und vor deren Fertigstellung tödlich verunglückt war, so dass die Hauptversammlung wiederholt werden musste. Der Notar in unserem Fall hat in der Folgezeit das genannte Papier durch Einfügungen und Streichungen bearbeitet, es unterzeichnet und die so hergestellte Urkunde als Originalurkunde zu seiner Urkundensammlung genommen und eine beglaubigte Abschrift bei dem Handelsregister eingereicht. Das am Hauptversammlungstag unterzeichnete Papier ist nicht mehr vorhanden. Diesen Vorgang halten die Kläger für nicht gesetzmäßig und meinen deswegen, dass die gefassten Beschlüsse mangels ordnungsgemäßer Protokollierung nichtig sind. Sie können sich dabei auf ein von ihnen eingeholtes Privatgutachten und die Auffassung eines Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt im Klageerzwingungsverfahren stützen, nach dem schon das erste Papier die Urkunde im Sinne von § 130 AktG gewesen ist. Die Anfechtung wird u. a. darauf gestützt, dass die Aufsichtsratsmitglieder durch Listenwahl gewählt worden sind. Die Satzung der Beklagten erklärt den Leiter der Hauptversammlung für „berechtigt“, über die Wahl von ARMitglieder listenweise abstimmen zu lassen. Die Kläger zu 1) und zu 2) meinen, dies sei überhaupt nicht erlaubt, zumal der DCGK die Listenwahl empfehle, jedenfalls hätte der Versammlungsleiter über die Auswirkungen einer Stimmabgabe näher belehren müssen. Hinsichtlich der Entlastungsbeschlüsse geht es zum einen um ein Minderheitsverlangen, gerichtet auf Einzelentlastung der Mitglieder der Organe. In der Sache wird beanstandet, dass die nach § 161 AktG abgegebene Entsprechenserklärung von Vorstand und Aufsichtsrat unrichtig gewesen sei, weil einmal über die u. a. gegen Herrn Dr. Breuer gerichtete Schadenersatzklage und über die Strafanzeige nicht berichtet worden sei und weil zum anderen ein Interessenkonflikt eines anderen Aufsichtsratsmitglieds verschwiegen worden sei. Hinsichtlich der Abschlussprüferwahl wird beanstandet, das die KPMG wieder bestellt worden sei, obwohl sie nach den von dem Senat in BGHZ 153, 32 ff. aufgestellten Grundsätzen befangen gewesen sei. KPMG hätte nämlich – so meinen die Kläger zu 1) und zu 2) einen uneingeschränkten Prüfervermerk für 2002 nicht erteilen dürfen, nachdem die Klage gegen die Beklagte auf Feststellung ihrer Ersatzpflicht wegen der Interview-Äu-
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ßerungen ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden anhängig gemacht worden sei. Und schließlich werden zahllose Informationsrechtsverletzungen geltend gemacht, weil die gestellten Fragen nicht oder nicht ordnungsgemäß beantwortet worden seien. Hier spielt zunächst die Frage einer Bindung an das Ergebnis des Auskunftserzwingungsverfahrens eine Rolle, im Übrigen dreht sich der Streit auch darum, ob Fragen überhaupt ordnungsgemäß gestellt, ob sie beantwortet worden sind und ob ihre Beantwortung überhaupt geboten war. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Der Senat hat auf die NZB der Kläger die Revision zugelassen, was schon deswegen geboten war, weil im Hinblick auf die unterschiedlichen Antworten, die ein Straf- und ein Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt zu der Beurkundungsfrage gegeben haben, der Fall Grundsatzbedeutung hat. Dieser Streitstoff ist in der mündlichen Verhandlung – wie dies seit jeher den Gepflogenheiten unseres Senats entspricht – eingehend diskutiert worden. Wir haben einen Verkündungstermin für den 16. Februar 2009 angesetzt. Gleichwohl kann ich auf der Grundlage der erwähnten Erörterungen in der öffentlichen Verhandlung einiges berichten: Nach der dort offen gelegten vorläufigen Auffassung des Senats spricht weniger dafür, dass die Kläger hinsichtlich ihrer Angriffe gegen die Verfahrensweise des Notars Erfolg haben werden. Die Verfahrensweise des Notars ist üblich und notwendig, wenn man der Gefahr einer kostenträchtigen Wiederholung der Hauptversammlung entgehen will. Es spricht einiges für die ganz überwiegend vertretene Annahme, dass ein Protokoll der in § 130 AktG vorausgesetzten Art erst dann rechtlich existent ist, wenn es willentlich von seinem Autor in den Rechtsverkehr gegeben wird; und diese Voraussetzung lag bei dem nur vorsorglich unterzeichneten Entwurf noch nicht vor. Bezüglich der Listenwahl der Aufsichtsratsmitglieder gilt es die hier gegebene Besonderheit zu beachten, dass die Satzung die Entscheidung über den Wahlmodus – Einzel- oder Listenwahl – in die Hände des Versammlungsleiters gelegt hat, der auf Einzelabstimmung gerichtete Antrag deswegen auf eine Satzungsdurchbrechung abzielte. Dass bei dieser Konstellation ein besonderer Hinweis auf die Folgen der Listenwahl – dass also die Ablehnung der ganzen Liste erforderlich war, wenn man mit nur einem vorgeschlagen Kandidaten nicht einverstanden war – geboten sein sollte, erschließt sich dem Senat bisher nicht.
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Hinsichtlich des Minderheitsverlangens, das das erforderliche Quorum entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts erreicht hatte, kann sich das Problem stellen, ob die Minderheitsaktionäre ausdrücklich erklärt haben, ein solches Verlangen wollten sie bewusst nicht stellen. Erstmals auseinandersetzen muss sich der Senat mit der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG und dem zugehörigen „soft law“ des DCGK. Hinsichtlich der causa Breuer kann man möglicherweise dem Oberlandesgericht darin folgen, dass man einen Konflikt nicht bekannt geben muss, der allgemein bekannt ist. Aber was ist dann mit dem zweiten Teil von DCGK 5.5.3, nach dem auch über die Art berichtet werden muss, wie der Konflikt „behandelt“ worden ist bzw. wird? Unklarheiten bestehen in ähnlicher Weise hinsichtlich des anderen behaupteten Konfliktfalls. Bezüglich der Abschlussprüferwahl haben wir – natürlich auch insofern vorläufig – durchblicken lassen, dass wir die Grundsätze der Entscheidung BGHZ 153, 3246 für nicht übertragbar halten. Es bleiben schließlich die behaupteten Informationsrechtsverletzungen – einer der Kläger allein hat mehr als 300 Fragen formuliert –, die mit allen damit zusammenhängenden Problemen noch der eingehenden Prüfung bedürfen. In der nächsten Jahrestagung dieser Gesellschaft wird über das Ergebnis unseres Nachdenkens berichtet werden können.
10. Delisting und Spruchverfahren47 Die Hauptversammlung der M AG hatte ein Delisting beschlossen, das zum Widerruf der Zulassung der Aktien zum amtlichen Markt führte. Die Antragsgegnerin hielt knapp 50 % des Grundkapitals und hatte den übrigen Aktionären angeboten, ihnen je Aktie 1,70 Euro für den Fall des Zustandekommens des Delisting-Beschlusses zu zahlen. Die 12 Antragsteller haben die Durchführung eines Spruchverfahrens beantragt, woraufhin das zuständige Landgericht diese Anträge als zulässig beschieden hat, während die Antragsgegnerin sie für unzulässig hält und deswegen sofortige Beschwerde eingelegt hat. Das Kammergericht als Beschwerdegericht hat für zwei der Antragsteller die sofortige Beschwerde zurückgewiesen, hinsichtlich drei weiterer Antragsteller die Anträge zurückgewiesen und bezüglich der verbleibenden Antragsteller die Sache dem II. Zivilsenat 46 BGHZ 153, 32 betraf eine andere Fallgestaltung, in der sich die Befangenheit des Abschlussprüfers aus einer bereits bestehenden Interessenkollision herleiten ließ. 47 Beschl. v. 25. 6. 2008 – II ZB 39/07, ZIP 2008, 1471.
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nach § 28 FGG vorgelegt, weil es auch insofern die Anträge als unzulässig behandeln wollte, sich hieran aber durch entgegenstehende Erkenntnisse der Oberlandesgerichte Stuttgart, Frankfurt und Düsseldorf gehindert sah. Der Senat ist der Ansicht des vorliegenden Gerichts nicht gefolgt, die Anträge seien unzulässig, weil die Antragsteller nicht innerhalb der Antragsfrist den Nachweis geführt hätten, dass sie bei Antragstellung Aktionäre der Aktiengesellschaft waren. Vorfrage war dabei zunächst, ob es nach einem Delisting überhaupt ein Spruchverfahren geben kann, was der Senat bekanntlich in der MACROTRON-Entscheidung48 angenommen hat, was aber von der Antragsgegnerin als unzulässige richterliche Rechtsfortbildung gebrandmarkt worden ist. Dieser Einwand hat den Senat nicht überzeugt, weil sich aus der Entstehungsgeschichte des Spruchverfahrensgesetzes ergibt, dass der in seinem § 1 aufgeführte Katalog keinen abschließenden Charakter hat und der Gesetzgeber im Hinblick darauf bewusst davon abgesehen hat, das Gesetz im Hinblick auf die MACROTRON-Doktrin zu ergänzen. Den Erfordernissen des danach beim Delisting entsprechend heranzuziehenden SpruchG haben die Antragsteller genügt, indem sie mitgeteilt haben, bei Antragstellung Aktionäre der M AG zu sein. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SpruchG ist nur die Darlegung der Aktionärseigenschaft erforderlich; etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der dort zu findenden Verweisung auf § 3 SpruchG, wenn man dessen Entstehungsgeschichte und Zweck in die Interpretation einbezieht: Geregelt wird dort nur, in welcher Form der gebotene Nachweis allein erbracht werden kann, die Vorschrift begründet indessen keine eigenständige Nachweispflicht. Der Zweck des § 4 SpruchG zu verhindern, dass ein Antragsteller ohne jede sachliche Erläuterung ein Überprüfungsverfahren soll in Gang setzen können, dass der Verfahrensstoff eingegrenzt und das Verfahren damit nach Möglichkeit beschleunigt wird, nötigt nicht dazu, die Führung des Nachweises der Antragsberechtigung schon bei Anbringung des Antrags zu verlangen, im Gegenteil würde dieses Erfordernis es den Minderheitsaktionären unzumutbar erschweren, eine gerichtliche Kontrolle herbeiführen zu können. Und Minderheitsaktionäre haben – so problematisch das Vorgehen einzelner, auch gruppenweise auftretender Angehöriger dieser schon in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts so genannter „Spezialisten“ ist – prinzipiell einen Anspruch darauf, vor Gericht gehört zu werden.
48 BGHZ 153, 47.
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11. Keine „Nebeninterventionsbefugnis“ bei der Anfechtungsklage 49 Auch sonst verführen die Vorgehensweisen der genannten „Spezialisten“ die Richter in den Tatsacheninstanzen manchmal dazu, schon auf der formalen Ebene problematische Sperren zu errichten. Das gilt nicht nur für die Vorstellung, in der Hauptversammlung könne man einen Widerspruch zu Protokoll des amtierenden Notars erst nach der Beschlussfassung erheben, sondern z. B. auch für die Erfindung einer Art von „Nebeninterventionsbefugnis“. In einem Anfechtungsrechtsstreit haben sich 38 Kläger und fünf Nebenintervenienten gegen verschiedene Hauptversammlungsbeschlüsse der beklagten Aktiengesellschaft gewandt. Die Nebenintervenienten haben zwar an der Hauptversammlung teilgenommen, jedoch nicht Widerspruch zu Protokoll des Notars erklärt, sie sind den Klagen innerhalb der Frist des § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG beigetreten. Das Landgericht hat alle Nebeninterventionen zurückgewiesen, weil die Streithelfer ohne vorherige Erhebung eines Widerspruchs nicht „anfechtungsberechtigt“ seien. Das Oberlandesgericht hat die von zwei Streithelfern hiergegen erhobene sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Diese Rechtsbeschwerde hatte Erfolg: Der Senat hat im Anschluss an seine bisherige Judikatur bestätigt, dass allein schon die inter omnes-Wirkung eines im Anfechtungsstreit ergehenden Urteils das nach § 66 ZPO notwendige Interventionsinteresse begründet. Weitergehende Erfordernisse bestehen dagegen nicht, vor allem kann man die Nebenintervenienten nicht dem allein für den Anfechtungskläger geltenden Regime des § 245 Nr. 1 AktG unterwerfen, auch wenn dies offenbar den Verfassern des Regierungsentwurfs zum UMAG vorgeschwebt hat. Gegen die Vorgehensweise des Landgerichts und des Oberlandesgerichts spricht nicht nur, dass die genannte Vorstellung der Entwurfsverfasser im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat, sie wäre auch in der Sache kaum zu rechtfertigen, geht es doch bei der Nebenintervention darum, dem Streithelfer die Möglichkeit zu eröffnen, rechtliches Gehör in einem von dritter Seite geführten, aber ihn unmittelbar in seinen Rechten betreffenden Prozess zu verschaffen. Wenn ich nichts übersehen habe, ist in dem Regierungsentwurf des ARUG der in der Begründung des UMAG enthaltene Gedanke nicht aufgegriffen worden.
49 Beschl. v. 21. 5. 2008 – II ZB 23/07, ZIP 2008, 1398; vgl. dazu Goslar, EWiR 2008, 575; vorher schon BGHZ 172, 136.
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IV. GmbH-Recht 1. Agio50 Der Beklagte war leitender Angestellter der K Verlags-GmbH, über deren Vermögen am 1. August 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und in dem der Kläger zum Insolvenzverwalter berufen worden ist. Der Beklagte nahm an einer am 15. Dezember 1999 beschlossenen Kapitalerhöhung teil; die Inferenten hatten nach der notariellen Urkunde neben den von ihnen zu leistenden Stammeinlagen ein Agio von 2000 DM pro 100 DM Nennbetrag zu leisten. Der Bekl. wurde zur Übernahme mit einer Stammeinlage von 7000 DM zugelassen, seine Gesamtzahlungsverpflichtung betrug entsprechend der Verweisung im Übernahmevertrag (Teil B der not. Urkunde) auf den Teil A derselben Urkunde 140 000 DM, die er indessen nicht sofort aufzubringen hatte; ihm wurde vielmehr lediglich ein Teilbetrag von 7000 DM (Nennbetrag) und 28 000 DM (Agio) abgefordert, die ordnungsgemäß gezahlt wurden. Hinsichtlich des verbleibenden Agios war bestimmt, dass es zu zahlen sei, sobald die Geschäftsführung der Gesellschaft „nach einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss“ die Zahlung anfordere. Die Kapitalerhöhung wurde mitsamt den in derselben Urkunde niedergelegten weiteren Änderungen der Satzung in das Handelsregister eingetragen. Nach Insolvenzeröffnung nimmt der Kläger den Beklagten auf Leistung des restlichen Agio in Anspruch. Der Beklagte hält sich nicht für leistungspflichtig und beruft sich in diesem Zusammenhang u. a. darauf, die von ihm übernommenen Geschäftsanteile hätten nicht dem vereinbarten Wert entsprochen, weswegen er mit Recht die Anfechtung erklärt habe. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage für unbegründet erachtet, das Oberlandesgericht im Wesentlichen mit der Begründung, es fehle an der erforderlichen Anforderung durch die Gesellschafterversammlung der Schuldnerin, der Kl. habe diese nicht ersetzen können, weil es sich bei dem Agio um eine schuldrechtliche, nicht statutarische Nebenleistung nach § 3 Abs. 2 GmbHG gehandelt habe. Auf die von dem II. Zivilsenat zugelassene Revision ist der Beklagte verurteilt worden. Der Senat hat entschieden, dass ein Agio entweder rein schuldrechtlich oder aber auch in statutarischer Form vereinbart werden kann, dass hier aber wegen der in den Kapitalerhöhungsbeschluss und die Übernahmeer50 Urt. v. 15. 10. 2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416; vgl. Herchen, GmbHR 2008, 149; Kort, WuB II C. § 3 GmbHG 1.08.
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klärung aufgenommenen Zahlungspflicht eine korporative Nebenleistungspflicht begründet worden ist, die mit der Handelsregistereintragung verbindlich geworden ist. Das hatte für den Beklagten zur Folge, dass er gehindert war, seine Erklärungen wegen Inhaltsirrtums oder arglistiger Täuschung anzufechten; ihm war deswegen der Einwand abgeschnitten, die Altgesellschafter hätten ihn und die anderen Mitarbeiter der Gesellschaft über die Tragweite ihrer Verpflichtungserklärungen getäuscht. Auch die weitere Verteidigungslinie, es bedürfe zunächst eines Gesellschafterversammlungsbeschlusses, ehe er zur Zahlung herangezogen werden könne, hat nicht gehalten: In der Insolvenz verliert § 46 Nr. 2 GmbHG oder eine entsprechende satzungsrechtliche Regelung ihre Legitimation, denn nunmehr geht es nur noch darum, die erforderlichen Mittel für die Befriedigung der Gläubiger zusammenzubringen, widerstreitende Interessen der einzelnen Gesellschafter haben zurückzutreten. Deswegen darf der Insolvenzverwalter nach seinem eigenen Ermessen das Erforderliche veranlassen.
2. Existenzvernichtungshaftung51 Mit dem TRIHOTEL-Urteil52 ist die Entwicklung bezüglich des „Existenzvernichtungshaftung“ genannten Instruments naturgemäß nicht abgeschlossen, teils sind vor diesem Urteil ergangene Entscheidungen in dritter Instanz zu prüfen, teils wird auch ausgetestet, wie weit die Linie trägt. In diesen Zusammenhang gehören nicht nur die beiden Beschlüsse vom 7. Januar 2008 und 2. Juni 2008, sondern auch die gleich noch vorzustellende Entscheidung GAMMA53. a) Der Beklagte ist – soweit für die III. Instanz noch von Interesse – aus dem Gesichtspunkt Existenzvernichtungshaftung verurteilt worden. Das Berufungsgericht hat ihm vorgeworfen, dass er den zwischen der Schuldnerin und einer Bank bestehenden Repräsentantenvertrag gekündigt hat und ab da selbst die Geschäfte als Vertriebsbeauftragter geführt habe. Von den eingenommenen Provisionen, die richtigerweise der GmbH zustünden, entfalle ein Drittel auf Unkosten, den Rest müsse er an den klagenden Insolvenzverwalter ausfolgen. Denn durch diese vertraglichen Änderungen mit anschließendem Verkauf der Geschäftsanteile an einen Dritten, 51 Beschl. v. 7. 1. 2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308 und v. 2. 6. 2008 – II ZR 104/07, ZIP 2008, 1329; vgl. dazu H. P. Westermann, EWiR 2008, 135; Lieder, DZWiR 2008, 145; Smid, DZWiR 2008, 265. 52 BGHZ 173, 246, vgl. dazu VGR 2007, S. 19 ff. 53 S. unter 3.
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der etwa einen Monat später Konkursantrag habe stellen müssen, habe er der Schuldnerin die Überlebensgrundlage entzogen. Der Senat hat – dies kommt in jüngerer Zeit leider gehäuft vor – das angefochtene Urteil durch Beschluss nach § 544 Abs. 7 ZPO aufheben und die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen müssen, weil das Oberlandesgericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Aus den sog. „Segelanweisungen“ in den Beschlussgründen ist zu ersehen, dass der Senat nach den tatrichterlichen Feststellungen die tatbestandlichen Voraussetzungen der neustrukturierten Existenzvernichtungshaftung nicht für gegeben hält, weil zu dem maßgeblichen Stichtag eine Unterbilanz weder bestanden hat noch entstanden ist. Allerdings – das stellt der Senat in den Raum – kann sich eine Haftung des Beklagten nach § 826 BGB auch aus einer Umleitung von zum Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin gehörenden Forderungen auf sich selbst ergeben, wobei allerdings zu beachten ist, dass der Beklagte als damaliger Alleingesellschafter keinem Wettbewerbsverbot unterliegt, solange nicht Gläubigerinteressen von seinem wettbewerblichen Handeln berührt sind. Schließlich kommt angesichts des Tätigwerdens des Beklagten „unter verschiedenen Hüten“ auch eine Durchgriffshaftung unter dem Gesichtspunkt der Vermögensvermischung in Betracht. b) Der zweite Fall: Der Kläger als Insolvenzverwalter der C GmbH hat den in dritter Instanz allein noch im Prozess verbliebenen Beklagten zu 1), er ist Vorstandsmitglied der C AG, der Alleingesellschafterin der Schuldnerin, unter zwei Gesichtspunkten in Anspruch genommen: Einmal soll er faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen und unter Verdrängung des als „Befehlsempfänger“ bezeichneten früheren Beklagten zu 2) nach § 64 Abs. 2 GmbHG verbotene Auszahlungen bewirkt haben, indem er Forderungen der Schuldnerin durch die AG hat einziehen lassen. Zum anderen soll ein existenzvernichtender Eingriff vorliegen. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung vor dem TRIHOTEL-Urteil ergangen ist, hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen, insbesondere zur weiteren Klärung der Existenzvernichtungshaftung. Der Kläger hat Revision eingelegt und sie mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbunden. Dieses Gesuch hat der Senat abschlägig beschieden, weil im Falle einer Bewilligung das dann durchzuführende Revisionsverfahren mit einem Beschluss nach § 552a ZPO hätte enden müssen: Die von dem Berufungsgericht gesehene Grundsatzfrage war inzwischen geklärt, und das angefochtene Urteil hat in der Sache das Richtige getroffen. Wann jemand faktisches Organ sein kann, dass es vor allem auf ein Handeln im Außenverhältnis ankommt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
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geklärt. Für die im Raum stehende Existenzvernichtungshaftung fehlte es schon auf der tatbestandlichen Ebene an Feststellungen: Kein missbräuchlicher, zur Insolvenz der GmbH führender oder diese vertiefender kompensationsloser Eingriff in das Gesellschaftsvermögen, weil der Beklagte zu 1) zwar Forderungen der Schuldnerin eingezogen hat, sie aber nicht für sich selbst oder die von ihm geführte C AG verwandt hat, sondern damit die Schulden der C GmbH beglichen hat.
3. GAMMA 54 Der Fall GAMMA ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Probleme der Existenzvernichtungshaftung mit TRIHOTEL nicht vollständig beseitigt sind. Er wirft – Ähnliches haben wir auch schon nach VIDEO55 erlebt – ein Licht auf das Vorgehen mancher Kläger und auf den Umgang unserer Kollegen in den Tatsacheninstanzen mit einem derartigen von der Rechtsprechung selbst entwickelten Instrument; er eröffnet aber gleichzeitig einen Blick auf das Feld des Kapitalschutzes in der GmbH, das nach Inkrafttreten des MoMiG teilweise neu bestellt werden muss. Ich verkürze den Fall etwas: Die drei Beklagten sind Gesellschafter, der Beklagte zu 1) ist außerdem Geschäftsführer der Schuldnerin, einer mit einem Stammkapital von 25 000 Euro ausgestatteten Beschäftigungs- und Qualifi zierungs-Gesellschaft. Diese nahm – ehe sie in die Insolvenz geriet – für ein Jahr die Aufgabe wahr, die Arbeitnehmer der in eine Schieflage geratenen B KG zu übernehmen, sie zu qualifi zieren, in dritte Arbeitsverhältnisse weiter zu vermitteln oder in den den Rentenbezug ermöglichenden Ruhestand zu überführen. Nach dem auf 24 Monate angelegten Sanierungs- und Restrukturierungskonzept sollten die Mittel für die Bezahlung der Arbeitnehmer aus dem Strukturkurzarbeitergeld, aus Aufstockungsmitteln nach einem Sozialplan, aus Qualifi zierungsmitteln nach dem SGB III, aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie schließlich – insofern ging es um einen Betrag in der Größenordnung von monatlich 25 000 Euro, den sog. „Remanenzkosten“ – aus Aufstockungen seitens der B KG aufgebracht werden. Diese Remanenzkosten hat die Schuldnerin nicht seitens der B KG absichern lassen, nach dem Vortrag der Beklagten deswegen nicht, weil dies angesichts der schwierigen finanziellen Situation dieser Gesellschaft nicht möglich war, wenn man überhaupt 54 Urt. v. 28. 4. 2008 – II ZR 264/06, ZIP 2008, 1232; Altmeppen, ZIP 2008, 1201; Kleindiek, NZG 2008, 686; Waclawik, DStR 2008, 1486; Ulrich, GmbHR 2008, 810; Bruns, EWiR 2008, 493; Weber, ZInsO 2008, 952; Möller, BB 2008, 1701. 55 BGHZ 115, 287.
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die Chance einer Sanierung haben wollte. Die Beklagten zu 2) und 3) als mittelbare Gesellschafter der B KG stärkten deren Finanzkraft im Rahmen des genannten Sanierungskonzepts durch die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens in Höhe von 1,2 Mio. Euro. In der Folgezeit leistete die B KG für die 22 ehemaligen zur Schuldnerin durch dreiseitigen Vertrag gewechselten Arbeitnehmer die erforderlichen Aufstockungsbeträge (Remanenzkosten), und zwar letztmals Anfang November 2002. Das Sanierungskonzept scheiterte jedoch nach rund der Hälfte der vorgesehenen Zeit, als Mitte November 2002 der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit gestellt werden musste. Ihm folgte Anfang 2003 der von dem Beklagten zu 1) gestellte Antrag auf Insolvenzeröffnung für die Schuldnerin. Der klagende Insolvenzverwalter hat die beklagten Gesellschafter wegen der offenen Drittgläubigerforderungen von 148 390,09 Euro aus Existenzvernichtungshaftung, den Beklagten zu 1) außerdem aus § 43 Abs. 2 GmbHG in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Existenzvernichtungshaftung letztlich offen gelassen, aber wegen „materieller Unterkapitalisierung“, die denselben Regeln wie die Existenzvernichtungshaftung folge, verurteilt: Die Beklagten hätten mit einer derart schmal ausgestatteten Gesellschaft das Geschäft nicht, jedenfalls nicht ohne entsprechende Sicherheiten, betreiben dürfen. Das Berufungsgericht, das die Revision zugelassen hat, hat die Berufung zurückgewiesen, diese Entscheidung aber anders begründet und angenommen, es bestehe eine „Durchgriffshaftung“, weil die Bekl. die Fähigkeit der GmbH zur Erbringung der Remanenzkosten nicht sichergestellt hätten. Es handele sich um eine „Aschenputtel“-Situation, die nach denselben Regeln zu behandeln sei wie die Existenzvernichtungshaftung – im Sinne des zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung bestehenden Verständnisses dieser Rechtsfigur. Der II. Zivilsenat hat die Klage gegen die beiden beklagten Nur-Gesellschafter abgewiesen. Existenzvernichtungshaftung scheidet schon mangels eines Eingriffs in das der Gläubigerbefriedigung vorbehaltene Gesellschaftsvermögen aus. Nach dem TRIHOTEL-Konzept setzt ja die Gesellschafter-Innenhaftung voraus, dass das gesetzliche Schutzkonzept der §§ 30, 31 GmbHG keine Wirkung entfaltet, dass also in dieses Vermögen eingegriffen wird. Der Vorwurf, den das Oberlandesgericht in Vermischung verschiedener Gedanken den Beklagten gemacht hat, geht aber dahin, dass sie mit einer Gesellschaft an den Markt gegangen sind, die nicht in der vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Weise mit Stammkapital ausgestattet war. Diese Unterkapitalisierung als Anwen-
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dungsfall der Existenzvernichtungshaftung anzusehen, hat der Senat strikt abgelehnt; das Konzept der Vorinstanzen würde die Gefahr heraufbeschwören, dass immer dann der Haftungsschirm des § 13 Abs. 2 GmbHG beiseite geschoben und der Gesellschafter persönlich haftbar gemacht wird, wenn man es für unbillig oder ungerecht hält, dass die gesetzliche Haftungsbeschränkung greifen soll. Ähnliche Entwicklungen waren in dem Entscheidungsmaterial des Senats auch nach VIDEO zu verzeichnen. Ferner erteilt der Senat in den weiteren Ausführungen des GAMMA-Urteils den Vorstellungen eine Absage, es könne eine Haftung für materielle Unterkapitalisierung als eigenständiges gesellschaftsrechtliches Institut geben. Die Judikatur war schon bisher in dieser Hinsicht äußerst zurückhaltend, der Senat sieht auch keine Gesetzeslücke, die mit diesem Instrument zu schließen wäre, weil extreme, die Vertragspartner einer GmbH grob in die Irre führende Verhaltensweisen auch in Zukunft mit den Mitteln der Deliktshaftung sanktioniert werden können. Gerade im Hinblick auf den Abbau des präventiven Kapitalschutzes durch das MoMiG und die Entscheidung des Gesetzgebers, mit der „UG (haftungsbeschränkt)“ eine Form der GmbH zur Verfügung zu stellen, die interessierten Personen die Möglichkeit schafft, praktisch umsonst den Eintritt in die Welt des haftungsbeschränkten Handelns zu erlangen, wäre es ein beispielloser Akt richterlichen Ungehorsams, diese Wertentscheidung dadurch ad absurdum zu führen, dass eine Unterkapitalisierungshaftung richterrechtlich eingeführt wird.
4. Kapitalaufbringung in GmbH & Co. KG56 Die bekannten Kapitalaufbringungsgrundsätze des GmbH-Rechts gelten auch für eine GmbH als Komplementärin einer GmbH & Co. KG. Dies hat der Senat in mehreren Entscheidungen, ausführlich in dem Urteil vom 10. Dezember 2007, begründet. Wir sehen die GmbH & Co. KG nicht als eine eigenständige Rechtsform an, sondern meinen, dass beide – letztlich steuermotiviert zusammengefügten – Gesellschaften je ihrem eigenen Regime unterliegen. Deswegen ist die Auszahlung der bei der GmbH einbezahlten Mittel als Darlehen an die von dem Inferenten beherrschte KG 56 Urt. v. 10. 12. 2007 – II ZR 180/06, ZIP 2008, 174 = BGHZ 174, 370; Witt, BB 2008, 184; Gummert, DStR 2008, 976; Thonfeld, EWiR 2008, 333; Henkel, EWiR 2008, 403 und NZI 2008, 324; Theiselmann, GmbHR 2008, 521; Rohde, GmbHR 2008, 205; Teichmann, LMK 2008, 261192; v. Gerkan, WuB II G. § 19 GmbHG 1.08; Karsten Schmidt, ZIP 2008, 481; Stiller, ZInsO 2008, 98.
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tilgungsschädlich; in dem Leitfall war es sogar so, dass die GmbH gar kein Konto hatte, die Einlagemittel auch nicht an die Gesellschaft geleistet, sondern dem Steuerberater der Gesellschaft übergeben worden sind, der sie alsbald an die KG als Darlehen weitergereicht hat. Die neue Unterform der „UG (haftungsbeschränkt)“, die mit dem MoMiG geschaffen worden ist, eröffnet den interessierten Gesellschaftern die Möglichkeit, den strengen Kapitalaufbringungsregeln zu genügen und damit zu vermeiden, die Einlagemittel – wie die Kritiker unserer Judikatur meinen – „sinnlos“ bei der Komplementärin zu belassen.
5. Änderung des Kapitalerhöhungsbeschlusses vor Eintragung57 Mit unserem auf der Grundlage von § 552 ZPO ergangenen Beschluss vom 5. November 2007 haben wir einige bereits in der Vergangenheit erteilte Antworten auf Fragen der Kapitalerhöhung in die Erinnerung gerufen: Es bedarf auch hier nicht unbedingt der Verwendung von Zauberworten, hier des Begriffs „Sachkapitalerhöhung“, um feststellen zu können, dass eine solche Maßnahme beschlossen worden ist. Vielmehr kann sich dies auch aus der notariellen Urkunde ableiten lassen, welche den Erhöhungsbeschluss und die Übernahmeerklärung zusammenfasst; und ähnlich muss der Gegenstand der Sacheinlage nicht – wie dies üblich ist – im Erhöhungsbeschluss bezeichnet sein, die gleichzeitig vorgenommene Satzungsänderung erfüllt als notwendigen Voraussetzungen. In dem entschiedenen Fall, in dem der neue Gesellschafter sich – wirtschaftlich betrachtet – einen Teil des entrichteten Kaufpreises für die Geschäftsanteile von den Altgesellschaftern hat zurückholen wollen, indem er deren Kapitalmaßnahmen als nicht ordnungsgemäß durchgeführt qualifi zierte, hat der Senat ausdrücklich gebilligt, dass bei einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen der Erhöhungsbeschluss und die zu seiner Durchführung geschlossenen Einbringungsverträge bis zur Eintragung in das Handelsregister geändert werden können und dass deswegen auch ein Mehrwert der bereits geleisteten Sacheinlage auf eine zweite Sachkapitalerhöhung angerechnet werden darf. Erweist sich, dass die Einlage mehr wert ist, als die festgesetzte Höhe der Einlageschuld, kann sich eine Vergütungsabrede hinsichtlich dieses übersteigenden Wertes auch aus der Auslegung der Handelsregisterunterlagen ableiten lassen; auch hier sind „Zauberworte“ vielleicht nützlich, aber nicht zwingend erforderlich.
57 Beschl. v. 5. 11. 2007 – II ZR 268/06, ZIP 2008, 180; vgl. dazu Vossius, NotBZ 2008, 112; Nietsch, WuB II C. § 56 GmbHG 1.08.
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6. Verdeckte Sacheinlage bei der Einpersonen-GmbH und Verjährungsproblematik 58 Bei der Einpersonen-GmbH kann man naturgemäß die für die Feststellung einer verdeckten Sacheinlage erforderliche Absprache nicht verlangen, deswegen hat der Senat hier ausreichen lassen, dass ein entsprechendes „Vorhaben“ des Alleingesellschafters festgestellt werden kann. Das MoMiG bildet diesen Problemfall in § 19 Abs. 4 GmbHG übrigens nicht ab, man wird aber wohl die bisherige Judikatur insofern übertragen dürfen. Die Entscheidung vom 11. Februar 2008 verdient auch deswegen Aufmerksamkeit, weil sie – erneut – der Vorstellung eine Absage erteilt, dass „gewöhnliche Umsatzgeschäfte des laufenden Geschäftsverkehrs“ schlechthin aus dem Anwendungsbereich der verdeckten Sacheinlage auszunehmen sind. Man wird wohl annehmen dürfen, dass sich diese Hilfskonstruktion, mit der man die harten Folgen einer Verfehlung der Kapitalaufbringungsvorschriften hat vermeiden wollen, mit Rücksicht auf den Paradigmenwechsel bei der Sacheinlage im GmbH-Recht künftig erübrigen wird. Bedeutsam ist die Entscheidung schließlich wegen einer – richterrechtlich getroffenen – Klarstellung der wenig glücklich gefassten Übergangsvorschriften des Verjährungsanpassungsgesetzes: In die mit Inkrafttreten dieses Regelwerks geltende neue zehnjährige Frist ist allein die seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (1. Januar 2002) verstrichene Zeit von 35 ½ Monaten einzurechnen, die Anrechnung darf aber nicht dazu führen, dass rückwirkend in die Zeit vor dem 1. Januar 2002 in den Verjährungslauf eingegriffen wird.
7. Massesicherungspflicht59 Zur Massesicherungspflicht hat der Senat seine im vergangenen Jahr60 vorgestellte neue, den Vorstellungen der Strafsenate und des BFH eher Rechnung tragende Rechtsprechungslinie fortgeführt und ergänzt. Auch zur Abwendung einer Verurteilung wegen Untreue (§ 266 StGB) darf der Ge58 Urt. v. 11. 2. 2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 543; vgl. dazu Hauptmann, EWiR 2008, 247; Witt, GmbHR 2008, 486; Schäfer, LMK 2008, 260814; Benecke, NZG 2008, 374; H. P. Westermann, WuB II C. § 19 GmbHG 1.08; Herrler, ZIP 2008, 1568. 59 Urt. v. 2. 6. 2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275; vgl. Podewils, GmbHR 2008, 817; Urt. v. 5. 5. 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229; dazu Maske, BB 2008, 1590; Lindemann, GmbHR 2008, 814; Jacoby, LMK 2008, 265378; Dahl, NZG 2008, 532; Podewils, ZInsO 2008, 813. 60 VGR 2007, S. 24 ff.
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schäftsführer in der Krisensituation Leistungen erbringen, ohne eine Ersatzpflicht fürchten zu müssen. Keine Privilegierung verdiente aber auch schon früher das Organmitglied, welches bei Insolvenzreife der Gesellschaft Mittel zur Verfügung hat, diese aber nicht sichert, sondern nach Gutdünken einzelne Gläubiger der Gesellschaft befriedigt.
8. Schadenersatz und Verletzung der Kompetenzordnung61 Beachtenswert an dem auf § 544 Abs. 7 ZPO gestützten Beschluss sind vor allem die Ausführungen in Tz. 8 (in Verbindung mit dem LS 1), mit denen der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes von einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht abweicht, nach welcher jeder Kompetenzverstoß – also z. B. die Nichteinholung eines Gesellschafterbeschlusses oder die Nichtbeachtung von Zustimmungsvorbehalten von Beirat oder Aufsichtsrat – automatisch zur Schadenersatzpflicht des handelnden Leitungsorgans führt. Demgegenüber eröffnet der II. Zivilsenat dem Geschäftsführer oder Vorstand die Möglichkeit, den Beweis zu führen, dass der Kompetenzverstoß für den Schadeneintritt nicht kausal war. In jüngerer Zeit hatte der Senat entsprechend judiziert62, als er entschieden hat, dass die kompetenzwidrige „Selbstbedienung“ eines Geschäftsführers bei der Gehaltsgestaltung nur dann Schadenersatzansprüche auslöst, wenn die Höhe des Gehalts der Sache nach ungerechtfertigt war.
9. Rückgabe nach § 31 GmbHG und Wertersatzpflicht63 Die Einordnung des Anspruchs aus § 31 GmbHG ist eine alte Streitfrage64. Der Senat hat sich in seinem Urteil vom 17. März 2008 hierzu erstmals in der Sache äußern müssen und ist zu der Auffassung gelangt, dass der Anspruch auf Rückgabe des pflichtwidrig weggegebenen Gegenstandes gerichtet ist, dass aber ein zwischenzeitlich eingetretener Wertverlust von dem Gesellschafter grundsätzlich zu ersetzen ist. Der Fall, in dem diese Fragen eine Rolle gespielt haben, war der folgende: Der Kläger ist seit dem 1. August 2001 Insolvenzverwalter der D GmbH. An dieser Gesellschaft, welche ein Stammkapital von 1,95 Mio. DM hatte, hielt der Beklagte die 61 Beschl. v. 2. 6. 2008 – II ZR 67/07, DStR 2008, 1599 m. Anm. W. Goette; Peltzer, CCZ 2008, 196. 62 Urt. v. 11. 12. 2006 – II ZR 166/05, DStR 2007, 310 Tz. 10 ff.; vgl. ferner Urt. v. 21. 7. 2008 – II ZR 39/07, ZIP 2008, 1818. 63 Urt. v. 17. 3. 2008 – II ZR 24/07, ZIP 2008, 922 = BGHZ 176, 62; vgl. H. P. Westermann, EWiR 2008, 495; Karsten Schmidt, JZ 2008, 735; König, BB 2008, 1193. 64 Vgl. schon BGHZ 122, 333.
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Hälfte des Kapitals. Er hat seiner Gesellschaft – mit Rangrücktritt versehene – Darlehen von zusammen 1,846 Mio. DM gewährt, welche erst ab Ende März 2002 zur Rückzahlung fällig waren. Die Schuldnerin ihrerseits hielt an der mit einem Stammkapital von 1 Mio. DM ausgestatteten E GmbH – später umgewandelt in die E AG – zwei Geschäftsanteile von 465 000 DM und 25 000 DM. Außerdem hatte die Schuldnerin zugunsten von Kreditgebern der E eine Patronatserklärung und eine Höchstbetragsbürgschaft abgegeben. Von dem Geschäftsanteil von 465 000 DM übertrug die Schuldnerin – aufschiebend bedingt – einen Teilanteil von 241 500 DM an den Beklagten. Dies geschah nach dem Vertrag an Erfüllungs Statt der Tilgung der Darlehensschulden der Schuldnerin gegenüber dem Beklagten. Über das Vermögen der – zwischenzeitlich umgewandelten – E ist am 15. August 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist unstreitig, dass der übertragene Anteil an der E auch dann wertlos wäre, wenn er nicht an den Beklagten übertragen worden, sondern im Vermögen der Schuldnerin geblieben wäre. Der Beklagte hat die Rückübertragung angeboten, darauf ist der Kläger nicht eingegangen, sondern fordert Wertersatz. Seine Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg, das Berufungsgericht hat mit Recht die Revision zugelassen. Sie hatte jedoch keinen Erfolg, weil der Beklagte hier deswegen Wertersatz nicht schuldet, weil der Verstoß gegen § 30 GmbHG für den jetzt bestehenden Wertverlust nicht ursächlich geworden ist.
10. Business judgement rule in der GmbH65 Im Entscheidungsmaterial des II. Zivilsenats findet sich häufig – seit der Novellierung des § 93 Abs. 1 AktG verstärkt – der Einwand des in Anspruch genommenen Organmitglieds, die Haftung müsse ausscheiden, weil es um die Wahrnehmung unternehmerischen Ermessens gegangen sei. Immer wieder zeigt sich, dass dies auf – auch für künftige Situationen haftungsträchtigen – Fehlvorstellungen beruht. Deswegen hat der Senat in seinem nach § 544 Abs. 7 ZPO ergangenen Beschluss noch einmal deutlich herausgestellt, dass eine Haftungsbefreiung nach diesen Regeln keineswegs die Regel, sondern die Ausnahme ist. Auf die business judgement rule darf man sich nicht berufen, solange es um die Wahrung von Gesetz und Satzung geht, sondern nur dann, wenn eine unternehmerische Entschließung getroffen werden muss; dann aber liegt vor der Ausübung des
65 Beschl. v. 14. 7. 2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675.
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Ermessens die Mühsal der gewissenhaften Ermittlung sämtlicher unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Zeit66 greifbarer Entscheidungsgrundlagen und die sorgfältige Abwägung der Risiken und Chancen.
11. Vertretungsmacht der Liquidatoren67 Die beiden Gesellschafter einer GmbH, die zugleich das Geschäftsführeramt wahrnahmen und dabei Einzelvertretungsmacht nach der Satzung besaßen, haben einen Auflösungsbeschluss gefasst. Um die Frage, ob diese Einzelvertretungsmacht auch in der Liquidationsphase gilt, haben die Parteien – die durch den einen Gesellschafter-Liquidator vertretene GmbH i. L. und deren Vertragspartnerin – gestritten, nachdem der andere Gesellschafter-Liquidator seine Mitwirkung an der Prozessführung verweigert hat. Der II. Zivilsenat hat sich dafür entschieden, die den Geschäftsführern erteilte Alleinvertretungsmacht nicht über den Auflösungsbeschluss hinausreichen zu lassen, sondern die in § 68 Abs. 1 Satz 2 GmbHG getroffene Regelung beim Wort genommen: Wenn die Gesellschafter auch den Liquidatoren Alleinvertretungsmacht einräumen wollen – nach der gesetzlichen Wertung ist dies schon wegen des mit der Auflösung eingetretenen Änderung des Gesellschaftszwecks, in gleicher Weise aber auch unter dem Aspekt des Schutzes der Mitgesellschafter und der Gesellschaftsgläubiger keineswegs selbstverständlich – dann müssen sie dies von vornherein in der Satzung festlegen oder aber dies bei der Beschlussfassung über die Bestellung der Liquidatoren (§ 66 Abs. 1 GmbHG) anordnen.
12. Prozessfähigkeit der gescheiterten Vorgesellschaft 68 Die Klägerin, eine „GmbH i. Gr.“, hat mit der beklagten Versicherungsgesellschaft einen Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag geschlossen, aus dem sie Leistung fordert. Das Berufungsgericht hat die Prozessfähigkeit der Klägerin verneint. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Klägerin sei keine Vor-GmbH, sondern mangels je bestehender oder jedenfalls aufgegebener Eintragungsabsicht nur eine Personengesellschaft, die nach dem Prinzip der Selbstorganschaft nicht von dem für die als GmbH i. Gr. auftretende Klägerin bestellten, nicht zu den Gesellschaftern gehörenden Ge66 Bei fristgebundenen Entscheidungen, wie der „unverzüglich“ zu bewirkenden Insolvenzantragstellung beispielsweise, muss dieser Zeitfaktor bei der gebotenen ex ante Betrachtung selbstverständlich einbezogen werden. 67 Urt. v. 27. 10. 2008 – II ZR 255/07, ZIP 2009, 34. 68 Urt. v. 31. 3. 2008 – II ZR 308/06, ZIP 2008, 1025.
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schäftsführer vertreten werden könne. Eine Vertretung durch den einen der beiden Gesellschafter S. scheitere daran, dass die beiden Gesellschafter nur gesamtvertretungsberechtigt seien und der andere Gesellschafter E. an dem Prozess nicht mitwirke. Auf die von dem II. Zivilsenat zugelassene Revision ist das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen worden. Wäre die Klägerin in diesem Fall eine sog. „unechte“ Vorgesellschaft gewesen, hätten m. a. W. ihre beiden Gesellschafter niemals die Absicht gehabt, die Eintragung zu betreiben und damit die GmbH „als solche“ entstehen zu lassen, hätte von Anfang an nur eine Personengesellschaft bestanden, für die der Fremdgeschäftsführer nicht als „organschaftlicher“ Vertreter handeln durfte, die vielmehr durch die beiden Gesellschafter hätte vertreten werden müssen. Auch unter dieser Prämisse konnte das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Denn der Kläger hatte – unter Beweisantritt – vorgetragen, dass sein zu jener Zeit inhaftierter Mitgesellschafter der von ihm allein als Gesellschafter eingeleiteten Prozessführung ausdrücklich zugestimmt habe. Diese Frage muss also in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren notfalls geklärt werden. Bestand hingegen – wie regelmäßig – ursprünglich die Eintragungsabsicht, ist das Berufungsurteil ebenfalls unhaltbar: In diesem Fall war der Fremdgeschäftsführer wirksam bestellt, er konnte Prozessvollmacht erteilen, an der Prozessfähigkeit der Vorgesellschaft und der Ordnungsgemäßheit der anwaltlichen Vertretung konnte kein Zweifel bestehen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Gesellschafter ihre Eintragungsabsicht aufgeben. Denn entweder – sofortige Beendigung der Geschäfte und Übergang in das Abwicklungsstadium – besteht die Vor-GmbH als Liquidationsgesellschaft fort, kann selbstverständlich Prozesse führen und von einem Fremdliquidator vertreten werden; oder aber die Gesellschafter führen nach diesem Stichtag die Geschäfte fort, so dass sich die Gesellschaft zu einer Personengesellschaft (sog. „unechte Vorgesellschaft“) umwandelt. Der damit verbundene Wechsel der organschaftlichen Vertretung führt aber weder zum Wegfall der Prozessfähigkeit noch zu einer Unterbrechung des Verfahrens, wenn – wie dies in dem entschiedenen Rechtsstreit der Fall ist – die Gesellschaft durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Unter allen denkbaren Varianten muss das Oberlandesgericht also nacharbeiten.
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13. Verwaltungssitzwechsel und Löschungsverfahren69 In einem Vorlageverfahren nach dem noch bis Ende August 2009 geltenden § 28 FGG war darüber zu befinden, ob § 144a FGG – Beanstandungsund Auflösungsverfahren – entsprechend anzuwenden ist, wenn nachträglich der statutarische und tatsächliche Sitz der GmbH i. S. des § 4a Abs. 2 GmbHG a. F. auseinanderfallen. Die Gesellschafter einer in Sachsen ansässigen GmbH hatten eine Satzungsänderung beschlossen, nach der der Sitz der Gesellschaft nach Hessen verlegt werden solle. Das für die Eintragung dieser Maßnahme zuständige Registergericht in Hessen konnte nicht feststellen, dass eine solche Sitzverlegung tatsächlich stattgefunden hatte: Weder die Gesellschaft noch deren Geschäftsführer waren unter den angegebenen Adressen und Telefonnummern erreichbar. Daraufhin lehnte das hessische Registergericht die Eintragung der Sitzverlegung bestandskräftig ab und leitete die Akten an das sächsische Gericht zurück. Dieses leitete daraufhin ein Beanstandungsverfahren entsprechend § 144a FGG ein und stellte am Ende desselben fest, dass ein Mangel der Satzung in Gestalt des Auseinanderfallens von statutarischem und tatsächlichem Sitz vorliege und die Gesellschaft mit Rechtskraft dieser Feststellung als aufgelöst gelte. Die hiergegen eingereichte Beschwerde hatte keinen Erfolg; das Oberlandesgericht wollte dem beitreten, war aber durch eine gegenteilige Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts daran gehindert. Der II. Zivilsenat ist dem vorlegenden Gericht gefolgt. Die Analogie ist vor dem Hintergrund des vom Gesetzgeber mit der Einführung des § 4a Abs. 2 GmbHG verfolgten und mit Recht mit einer Sanktion verknüpften Normzwecks geboten, das Auseinanderfallen von statutarischer Sitzbestimmung und tatsächlichem Sitz zu verhindern, um dadurch den Gläubigerzugriff und die amtliche Zustellung von Registerverfügungen am Satzungssitz der Gesellschaft zu ermöglichen. Für den Rechtsverkehr, insbesondere die Gläubiger der Gesellschaft und die staatlichen Stellen, macht es hinsichtlich des Erfordernisses einer effektiven Zugriffsmöglichkeit auf die GmbH keinen Unterschied, ob der in der Satzung ausgewiesene Sitz nie der tatsächliche Sitz der Gesellschaft war oder ob es erst später zu einer solchen, aus der Satzung nicht ersichtlichen Sitzverlegung kommt.
69 Beschl. v. 2. 6. 2008 – II ZB 1/06, ZIP 2008, 1627.
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14. Mantelgesellschaft: Beginn der Verjährungsfrist in Altfällen70 Der Kläger ist Insolvenzverwalter der H. F. GmbH, die ursprünglich im Speditionsgewerbe tätig war, ihre Geschäftstätigkeit aber 1987/88 eingestellt hatte. 1987 wurden die Geschäftsanteile auf den Vater bzw. Ehemann der jeweiligen Beklagten übertragen. Dieser verlegte 1989 den Sitz der Gesellschaft von X. nach R. und verwandte die GmbH fortan als Beteiligungsgesellschaft. Die Geschäftsanteile sind später auf die Ehefrau und von dieser in Gestalt eines Teil-Geschäftsanteils auf den Sohn übertragen worden. Der die jetzigen Gesellschafter in zwei getrennten Prozessen verklagende Insolvenzverwalter hat angenommen, die Verfahrensweise des Rechtsvorgängers der Bekl. sei als Verwendung eines „alten“ GmbH-Mantels zu qualifi zieren; er hat gemeint, dass die Stammeinlage im Rahmen der „wirtschaftlichen Neugründung“ nicht erbracht worden sei, und hat mit der Klage von dem Sohn 25 % und von der Witwe 75 % dieser Summe eingefordert. Die Beklagten haben sich u. a. mit der Verjährungseinrede verteidigt. Vor dem Landgericht hat der Kläger obsiegt. Auf die Berufung der jeweiligen Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klagen mit der Begründung abgewiesen, es bestehe kein Anspruch auf Einlagezahlung, vielmehr fänden die Regeln über die Unterbilanzhaftung Anwendung; die entsprechenden Ansprüche seien jedoch verjährt. Die in den beiden Prozessen von dem Kläger für die Durchführung der von dem Oberlandesgericht jeweils zugelassenen Revision nachgesuchte Prozesskostenhilfe hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes versagt. Der II. Zivilsenat hatte in zwei in handelsregisterrechtlichen Vorlagesachen nach § 28 Abs. 2 FGG ergangenen Entscheidungen71 entschieden, dass bei der erstmaligen Ausstattung einer Vorratsgesellschaft mit einem Unternehmen und bei der erneuten Aktivierung eines alten, „leeren“ Mantels, der unternehmenslos und vermögenslos ist, also eine bloße „Hülse“ darstellt, die GmbH-rechtlichen Gründungsvorschriften – partiell – neu durchlaufen werden müssen72 . Das bedeutet, dass der Vorgang
70 Beschl. v. 26. 11. 2007 – II ZA 14/06, ZIP 2008, 217; vgl. W. Goette, DStR 2008, 934; Ostermeier, EWiR 2008, 535. 71 Beschl. v. 9. 12. 2002 – II ZB 12/02, DStR 2003, 298 und Beschl. v. 7. 7. 2003 – II ZB 4/02, DStR 2003, 1887. 72 Vgl. näher dazu W. Goette, DStR 2004, 461 ff.
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beim Handelsregister angemeldet bzw. – in den Fällen, in denen eine Handelsregisteranmeldung nicht schon kraft Gesetzes erforderlich ist – dort „offenzulegen“ ist, wobei der Geschäftsführer – bezogen auf den Zeitpunkt der Anmeldung oder Offenlegung – die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG abzugeben hat. Wird dies versäumt, greifen die Regeln der Unterbilanzhaftung ein. Im Schrifttum73 ist daraufhin die – in den genannten Entscheidungen nicht relevante – Frage aufgeworfen worden, ob diese vom Senat auf dem Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Haftung auch rückwirkend, nämlich für sog. „Altfälle“ Anwendung finden könne. In den beiden hier referierten Rechtsstreitigkeiten kam es auf diese Frage an. Der II. Zivilsenat ist dem Oberlandesgericht – nach seinem Konzept nicht überraschend – darin gefolgt, dass der als „wirtschaftliche Neugründung“ nur bildhaft umschriebene Vorgang keine neue Einlagepflichten auslöst, sondern dass durch die Anmeldung bzw. Offenlegung lediglich gewährleistet werden soll, dass die Gesellschaft in dem genannten Zeitpunkt über ein der statutarischen Stammkapitalziffer entsprechendes Vermögen verfügt; dazu reichen die Regeln der Unterbilanzhaftung aus, die bekanntlich entwickelt worden sind, um bei einer neu gegründeten Gesellschaft sicherzustellen, dass im Zeitpunkt der Eintragung der GmbH die Stammkapitalziffer gedeckt ist74. Für den hier gegebenen Altfall billigt der Senat den Ansatz des Oberlandesgerichts, dass Stichtag für den Verjährungsbeginn – die Verjährung richtet sich nach dem analog anzuwendenden § 9 Abs. 2 GmbHG, betrug also in den Streitfällen fünf Jahre, während seit dem 15. Dezember 2004 eine zehnjährige Verjährungsfrist gilt – der Zeitpunkt ist, zu dem der „leere“ Mantel mit einem neuen Unternehmen, der von dem Rechtsvorgänger der Bekl. nach Sitzverlegung betriebenen Beteiligungsgesellschaft, ausgestattet worden ist. Grund dafür ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Er verbietet eine rückwirkende Haftungsverschärfung derart, dass auch für die Altfälle erst die bewirkte Anmeldung oder Offenlegung bei dem Handelsregister den Lauf der Verjährungsfrist in Gang setzt.
73 Altmeppen, DB 2003, 2050. 74 Vgl. näher W. Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 1 Rz. 45 ff. und § 2 Rz. 4 ff.
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V. Sonstiges 1. ComRoad75 Die Reihe seiner ComRoad-Entscheidungen zur Informationsdeliktshaftung hat der Senat mit den Erkenntnissen Nrn. VI–VIII fortgesetzt und an seiner bisherigen restriktiven Linie festgehalten. Danach reicht für den zu führenden Kausalitätsnachweis das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen weder hinsichtlich der Integrität der Marktpreisbildung („Sekundärmarkt“) noch bezüglich der Integrität des vorgelagerten Börsenzulassungsverfahrens einschließlich der Begleitung des Börsengangs durch eine Bank („Primärmarkt“) aus. Die Tatsachengerichte haben offensichtlich großes Verständnis für die Nöte der geprellten Anleger und finden – angeleitet durch auf den Anlegerschutz spezialisierte Anwälte – immer neue Wege, um den Klägern zum Erfolg zu verhelfen. Der Senat meint indessen – wie er immer wieder herausgestellt hat – dass die entsprechenden Haftungsregeln der Verkaufsprospekt- wie der eigentlichen Informationsdeliktshaftung die Willensbildung und -entschließung des potenziellen Anlegers vor unlauteren und irreführenden Beeinträchtigungen schützen soll, weswegen es auf eine Einzelfallbetrachtung ankommen muss und erst recht die in Frankfurt zuletzt erdachte „Dauerkausalität“ ausscheidet.
2. KOLPINGWERK76 Der Fall Kolpingwerk ist vom Senat Ende des vergangenen Jahres abgeschlossen worden. Der Sachverhalt ist verwickelt, im Kern geht es um folgendes: Die Klägerin möchte die sechs verbliebenen Beklagten, es handelt sich um Teilgliederungen des internationalen Kolpingwerks, dafür haftbar machen, dass sie von dem in die Insolvenz gefallenen KolpingBildungswerk Sachsen e. V. (KBS) ihre Ansprüche aus einem mit KBS geschlossenen Leasingvertrag nicht honoriert bekommt. Der 1990 gegründete KBS sollte als gemeinnütziger Verein u. a. Maßnahmen der beruflichen und berufsbezogenen Bildung, Maßnahmen der offenen Jugend- und Erwachsenenbildung durchführen sowie Bildungszentren und Jugendwohn75 Urt. v. 7. 1. 2008 – II ZR 229/05, ZIP 2008, 407; II ZR 68/06, ZIP 2008, 410; Urt. v. 3. 3. 2008 – II ZR 310/07, ZIP 2008, 810; vgl. dazu Wünsche, BB 2008, 691; Klöhn, LMK 2008, 256317; Leuschner, ZIP 2008, 1050; Buck-Heeb, WuB I G. 7 Börsen- und Kapitalmarktrecht 2.08. 76 Urt. v. 10. 12. 2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12 = ZIP 2008, 364; vgl. dazu Seltmann, DStR 2008, 1443; Haertlein, EWiR 2008, 293; Wolff, JZ 2008, 519; Hüttemann, LMK 2008, 256400; Hadding, WuB II N. § 21 BGB 1.08; Reuter, NZG 2008, 650.
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heime einrichten; er wird in seiner Satzung als „Träger der entsprechenden Aktivitäten der Diözesanverbände Dresden-Meißen und Görlitz des Kolpingwerks“ bezeichnet. Der KBS entwickelte sich in wenigen Jahren zu einem der größten Anbieter staatlich geförderter Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung in Sachsen, erweiterte sein Betätigungsfeld und schuf ein Firmengeflecht, in dem er die Holding-Funktionen wahrnahm. Eine Tochtergesellschaft des KBS erwarb von der Treuhandanstalt ein Schloss und bestellte zugunsten der Klägerin, einem geschlossenen Immobilienfonds, dessen Komplementärin von einer Bank beherrscht wird, ein Erbbaurecht auf 40 Jahre. Im Gegenzug beauftragte die Klägerin eine andere Tochtergesellschaft des KBS mit dem Umbau des Schlosses in ein Schulungs-, Aus- und Weiterbildungszentrum. Nach Fertigstellung vermietete die Klägerin durch Immobilien-Leasingvertrag das Objekt für knapp 20 Jahre an den KBS. Die monatliche Leasingrate sollte zunächst gut 83 000 Euro betragen und später jährlich erhöht werden. Der KBS zahlte nur gut ein halbes Jahr die Leasingraten und blieb sie seit Mai 2000 schuldig. Über sein Vermögen ist am 1. Dezember 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet worden; der Insolvenzverwalter hat die Ansprüche gegen die Beklagten an die Klägerin abgetreten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat dagegen die Beklagten zu 3)–6) zur Zahlung von gut 700 000 Euro Schadenersatz verurteilt und ausgesprochen, dass die Klage hinsichtlich eines weitergehenden Betrages von mehr als 3,5 Mio. Euro dem Grund nach gerechtfertigt ist. Der II. Zivilsenat hat auf die zugelassene Revision der Beklagten die Klage abgewiesen und dabei ausgesprochen, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine Überschreitung des Nebenzweckprivilegs eines Idealvereins es nicht rechtfertigt, das Trennungsprinzip zwischen Verein und seinen Mitgliedern aufzubrechen und eine Durchgriffshaftung der Mitglieder des eingetragenen Vereins einzuführen; denn es fehlt eine regelungsbedürftige Gesetzeslücke, vielmehr bietet das Amtslöschungsverfahren und das Verfahren zur Entziehung der Rechtsfähigkeit im Prinzip hinreichenden Schutz für den Rechtsverkehr. Zugleich hat der Senat der Vorstellung des Oberlandesgerichts eine Absage erteilt, die – inzwischen überwundenen – Grundsätze der Existenzvernichtungshaftung im GmbH-Recht könnten auf einen Idealverein übertragen und auf ein Unterlassen, das Nichteinschreiten gegen die Überschreitung des Nebenzweckprivilegs, übertragen werden.
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3. Auslegung von § 73 GenG77 In gleich drei Fällen hat der Senat sich mit einem genossenschaftsrechtlichen Problem, nämlich der Auslegung des § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG (a. F. = Abs. 2 Satz 4 n. F.) zu befassen gehabt: Der Beklagte in der Sache 229/07 – die anderen Fälle liegen ähnlich – war von Januar 1991 bis Ende Dezember 2002 Mitglied der klagenden Baugenossenschaft mit zehn Geschäftsanteilen zu je 400 DM. Nach § 19 des Statuts sind die Genossen nachschusspflichtig: „Die Mitglieder haften der Genossenschaft mit den übernommenen Geschäftsanteilen. Sie haben beschränkt auf die Haftsumme Nachschüsse zur Konkursmasse zu leisten. Die Haftsumme beträgt 205 Euro für den Geschäftsanteil.“
Die nach handelsrechtlichen Regeln aufgestellte Jahresbilanz der Klägerin zum Stichtag des Ausscheidens des Beklagten wies einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von mehr als 13 Mio. Euro auf; eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinn bestand nicht, weil die Klägerin über nicht unerhebliche stille Reserven verfügte. Gestützt auf § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG (a. F. bis 17. 8. 2006) i. V. m. § 19 der Satzung hat sie von dem Beklagten die Zahlung von 10 × 205 = 2 050 Euro gefordert. Das hält der Beklagte für unberechtigt, hat sich damit aber weder bei dem Amtsgericht noch bei dem Landgericht durchsetzen können. Das Landgericht hat die Revision zugelassen. Der Senat hat das angefochtene Urteil bestätigt und ausgeführt, die im Gesetz verwandten Begriff „Vermögen“ und „Rücklagen“ meinten nur die bilanzrechtlich auszuweisenden Werte, nicht jedoch auch die – in der Handelsbilanz nicht aktivierten – stillen Reserven. Dabei hat er sich auf Wortlaut, Regelungsgegenstand und Systematik sowie den Sinn der Regelung gestützt und wegen der unterschiedlichen Lage eines Genossen, der vor Eintritt der Insolvenz ausscheidet, zu dem, der in der Genossenschaft bleibt und erst in der Insolvenz zu Nachschüssen herangezogen wird, auch den Einwand der nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung nicht durchgreifen lassen: § 73 GenG, der die Nachschusspflicht allein an die Handelsbilanzwerte knüpft, will die Flucht aus der Genossenschaft am Vorabend des Zusammenbruchs verhindern und setzt zu Lasten des Ausscheidenden das Vorsichtsprinzip durch.
77 Urt. v. 13. 10. 2008 – II ZR 227/07, II ZR 229/07, ZIP 2008, 2261 und II ZR 26/08, z. V. b.
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4. Zinsloses Darlehen bei Golfclub78 Wie im vergangen Bericht ist auch in diesem Jahr über vereinsrechtliche Streitigkeiten zu berichten, der Fall aus dem Jahr 2008 wird besonders bei den Golfspielern unter Ihnen auf Interesse stoßen: Die Klägerin ist im August 1993 dem beklagten Golfclub beigetreten, sie kann jetzt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Golf spielen und ist deswegen ausgetreten. Das Darlehen von 8000 DM, welches sie beim Eintritt gewährt hat, hat sie zurückgefordert. Zu der Darlehensvergabe ist es wie folgt gekommen: Mit dem Aufnahmeantrag unterzeichnete die Klägerin eine Erklärung, welche sie zur Zahlung einer Aufnahmegebühr sowie zur Gewährung eines zinslosen Darlehens über 8000 DM verpflichtete, „das frühestens nach zehn Jahren und nach meinem Ausscheiden aus dem“ Golfclub „unter der Bedingung zurückgezahlt wird, dass der Golfclub … zu diesem Zeitpunkt eine Warteliste mit mindestens 20 Interessenten führt und der Aufnahmeausschuss … ein neues Mitglied aufgenommen hat.“ Grundlage für diese von der Klägerin umgesetzte Verpflichtung war nicht eine entsprechende Satzungsbestimmung, sondern allein ein Vorstandsbeschluss. Dieser Beschluss fand nicht die Billigung der Mitgliederversammlung, dieselbe fasste vielmehr den Beschluss, dass sämtliche Mitglieder ein Darlehen von 5000 DM zu zeichnen hatten und dass die bestehenden Darlehensverträge anzurechnen seien. Dies war die Grundlage eines weiteren im Jahr 1996 geschlossenen Darlehensvertrages zwischen den Parteien, der eine Reihe näherer Regelungen über die Anrechnung des bestehenden Darlehens und die Rückzahlungsmodalitäten enthielt. Der Beklagte hat sich darauf berufen, dass diese verschiedenen Voraussetzungen für die Darlehensrückzahlung nicht erfüllt seien. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise, nämlich in Höhe des die genannten 5000 DM übersteigenden Betrages des ursprünglichen Darlehens stattgegeben, das Landgericht hat dagegen die Klage vollständig abgewiesen – meint damit aber in Wirklichkeit nur als „derzeit nicht begründet“ – und hat Revision zugelassen. Unser Senat hat der Klage insgesamt stattgegeben und ausgeführt, dass die beim Beitritt eingegangene Verpflichtung, ein Darlehen zu gewähren, korporationsrechtlicher und nicht – wie die Klägerin angenommen hat – individualrechtlicher Natur sei; denn das Darlehen diente der Verwirklichung des Vereinszwecks, der Erweiterung des Platzes von 9 auf 18 Löcher, war mitgliedschaftlicher Natur und beruhte auf einer Entschließung der Mitgliederversammlung. Die Umset-
78 Urt. v. 2. 6. 2008 – II ZR 289/07, ZIP 2008, 1423.
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zung dieser mitgliedschaftlich begründeten Verpflichtung durch Abschluss eines Darlehensvertrages nimmt dem Vorgang nicht die Qualifi zierung als korporationsrechtliche Pflicht. Für diese Verpflichtung fehlte indessen die satzungsrechtliche Grundlage: Der Vorstandsbeschluss für das Ursprungsdarlehen reichte – wie der Beklagte selbst im Laufe der Zeit erkannt hatte – nicht aus, deswegen war ja die Mitgliederversammlung eingeschaltet worden. Deren Beschluss reichte aber auch nicht, weil er keine Grundlage hinsichtlich des „Ob“ und der maximalen Höhe der zusätzlichen Beitragspflicht in der Satzung hatte, sondern sozusagen „freischwebend“ gefasst worden war. Auf die von den Parteien in den Vordergrund gestellte Frage, ob denn der Beklagte sich darauf sollte berufen dürfen, dass die Rückzahlungsbedingungen – sie nicht eintreten zu lassen, lag allein in seiner Hand – erfüllt werden, kam es ebenso wenig an wie darauf, ob das Darlehen nicht schon wegen Zweckerreichung – die Platzerweiterung war längst abgeschlossen – hätte zurückgezahlt werden müssen, weil der Beklagte nicht ohne weiteres dem Kredit einen anderen Zweck – Errichtung eines Clubhauses – zuordnen durfte.
5. TRABRENNBAHN79 Den einen dieser beiden – weithin parallel liegenden Fälle – habe ich Ihnen schon im vergangenen Jahr angekündigt80. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts, die nach dem revisionsrechtlich als richtig zu unterstellenden Vortrag der Beklagtenseite ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat und als – angeblich – Erbbauberechtigte Mietzinsansprüche gegen die Nutzer des Trabrenngeländes in einer deutschen Stadt verfolgt. Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, die Klägerin sei wegen der Sitzverlegung über die Grenze nichtexistent und könne deswegen nicht klagen. Das Oberlandesgericht hat – unter Zulassung der Revision – den beiden Klagen jeweils im Grundsatz entsprochen und dies damit begründet, auch für eine schweizerische Aktiengesellschaft gelte die sog. Gründungstheorie, d. h. sie sei genau so zu behandeln wie EU- oder EWR-Gesellschaften. Unser Senat hat im Ergebnis die Klagen abgewiesen, weil die Klägerin nicht wirksam Erbbauberechtigte geworden ist; die Begründung ergibt sich aus kommunalrechtlichen Erwägungen, auf die es in 79 Urt. v. 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 und 290/07. 80 VGR 2007, S. 5, das Urteil wird von Internationalprivatrechtlern weithin kritisiert, die sich in ihrer Erwartung enttäuscht sehen, der II. Zivilsenat werde dem von ihnen geforderten Übergang zur Gründungstheorie gegenüber dem noch zögernden Gesetzgeber zum Durchbruch verhelfen, vgl. z. B. Kieninger, NJW 2009, 292; Koch/Eickmann, AG 2009, 73; Lamsa, BB 2009, 16.
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unserem Zusammenhang nicht ankommt. Wir sind allerdings dem Ansatz des Berufungsgerichts nicht gefolgt, dass eine schweizerische Aktiengesellschaft ihr Gründungsrecht mitbringt und sie als solche Gesellschaft im Inland anerkannt werden muss, sondern haben, das generelle Problem unentschieden lassend, die Befugnis zur Verfolgung ihrer Ansprüche – wie seinerzeit in dem Jersey-Fall – daraus hergeleitet, dass es schlechthin nicht hinnehmbar ist, dass eine solcherart gegründete Organisation ihr zustehende, im Inland begründete Ansprüche vor den deutschen Gerichten nicht soll verfolgen dürfen. Deswegen ist diese Klägerin als oHG oder BGB-Gesellschaft anzusehen, die von ihrem Verwaltungsrat – er war einer von drei Aktionären und hielt 80 % des Kapitals – als geschäftsführendem Gesellschafter ordnungsgemäß vertreten worden ist. Wie das Berufungsgericht, das in diesem Zusammenhang in mehrfacher Hinsicht nicht tragfähige Begründungen angeführt hat, schlechthin die Sitztheorie aufzugeben und zur Gründungstheorie überzugehen, hat der Senat sich nicht für legitimiert erachtet, nachdem die Regierung sich gerade anschickt, durch Änderung des EGBGB hier für die Zukunft Klarheit zu schaffen, in seinen in Gestalt eines Referentenentwurfs vorliegenden Vorschlägen aber auf erbitterten Widerstand vor allem der Gewerkschaften gestoßen ist. Hier ohne Not vorzupreschen, würde den berechtigten Vorwurf hervorrufen, der Senat usurpiere die Rolle des Gesetzgebers.
6. „Zehnerregel“ bei KapMuG-Verfahren81 Manche Aktionäre nerven die Gesellschaften, ihre Berater und die Gerichte, selbst wenn sie nicht zu der Gruppe der sog. „Berufskläger“ gehören. Das KapMuG, das seiner Zielrichtung nach im Interesse einer Beschleunigung und einer Optimierung des Einsatzes der knappen Ressource Rechtsgewährung bestimmte in vielen Verfahren gleichförmig auftretende Fragen „vor die Klammer gezogen“ klären helfen soll, verführt mitunter die Richter in den Tatsacheninstanzen zu einer über die Maßen strenge Handhabung formaler Vorschriften. In diese Kategorie lässt sich die hier zu referierende Entscheidung des II. Zivilsenats vom 21. April 2008 einordnen. Ein Musterverfahren nach dem KapMuG darf nur dann eingeleitet werden, wenn innerhalb einer bestimmten Frist mindestens zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge bei Gericht eingereicht worden sind. In dem entschiedenen Fall – er gehört in den bekannten Komplex INFOMATEC, betrifft also die Schadenersatzpflicht für unrichtige ad hoc-Mit81 Beschl. v. 21. 4. 2008 – II ZB 6/07, ZIP 2008, 1197 = BGHZ 176, 170; vgl. Gundermann, BB 2008, 1416; Wolf, LMK 2008, 264557.
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teilungen – haben zunächst neun von vierzehn Klägern eines eingeleiteten Schadenersatzprozesses jeweils einen Musterfeststellungsantrag gestellt, woraufhin „ein“ Antrag in das Klageregister eingetragen und bekannt gemacht worden ist. Innerhalb von vier Monaten danach haben 60 Kläger aus vier anhängig gemachten Klageverfahren gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt. Das Landgericht hat „den“ Musterfeststellungsantrag zurückgewiesen, das Oberlandesgericht hat dies gebilligt und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der II. Zivilsenat hat anders entschieden. Es kommt danach nicht darauf an, dass in insgesamt zehn Klageverfahren ein Musterfeststellungsantrag gestellt wird, entscheidend ist vielmehr, dass sich insgesamt zehn Kläger, mögen sie ihre Ansprüche auch in einem einzigen Rechtsstreit verfolgen, zu einem Musterfeststellungsantrag entschließen. Das Beschwerdegericht hat nach Meinung des Senats nicht beachtet, dass die zahlreichen Kläger nicht als notwendige Streitgenossen klagen, sondern bei der einfachen Streitgenossenschaft nur die je ein gesondertes Prozessrechtverhältnis zu der Beklagten begründenden Klagen aus Gründen der prozessualen Vereinfachung gebündelt sind. Sinn und Zweck des Musterverfahrens gebieten es deswegen, dieser Besonderheit Rechnung zu tragen und nicht dem keineswegs eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ein – ihm auch hier nicht zukommendes – Übergewicht zu geben. Dies hat Folgen für die Führung des Klageregisters, in das jeder einzelne der Musterfeststellungsanträge eingetragen werden muss, auch wenn die Antragsteller ihre Ansprüche als einfache Streitgenossen in einem Rechtsstreit verfolgen.
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Bericht über die Diskussion des Referats Goette Martin Ulbrich Ass. iur., Düsseldorf Lutter eröffnete die von Hommelhoff geleitete Diskussion mit Anmerkungen zur von Goette referierten Auffassung des II. Zivilsenats bezüglich der Entlastungsmöglichkeiten bei innergesellschaftlichen Kompetenzverstößen1. Eine konsequente Anwendung dieser Grundsätze ermögliche es dem Vorstand, gegenüber dem Vorwurf, es fehle für sein Handeln an einem erforderlichen Aufsichtsratsbeschluss, den Einwand zu erheben, der Aufsichtsrat hätte ohnehin zugestimmt, wenn er denn einbezogen worden wäre. Er, Lutter, halte die Tragweite der Aussagen des II. Zivilsenats für sehr groß. Sie seien geeignet, in Zukunft in allen vergleichbaren Fällen zu der hypothetischen Frage zu führen, ob das übergangene Organ seine Zustimmung erteilt hätte. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass es die ständige Rechtsprechung ablehne, bei der Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses auf der Grundlage von Verfahrensfehlern den Einwand gelten zu lassen, der Mehrheitsgesellschafter hätte den Beschluss in jedem Fall gefasst. Hommelhoff ergänzte, die Einschaltung des Aufsichtsrates enthalte auch eine Beratungskomponente. Den Einwand des faktischen Einverständnisses der Aufsichtsratsmitglieder bei Nichteinholung eines Aufsichtsratsbeschlusses gelten zu lassen, würde diese unterlaufen. In seiner Erwiderung zeigte Goette zunächst auf, dass der II. Zivilsenat bereits mehrfach wie in der angesprochenen Entscheidung judiziert habe. In Bezug auf die von Lutter in den Raum gestellte Parallele zur Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wies er auf Unterschiede der jeweiligen Fallkonstellationen hin. In der Unbeachtlichkeit des Hinweises auf die Mehrheitsverhältnisse komme im Rahmen einer Anfechtungsklage zum Ausdruck, dass das Teilnahmerecht des Aktionärs per se geschützt werden müsse. Der Minderheitsgesellschafter dürfe nicht durch die Irrelevanz von Verfahrensfehlern zur „quantité négligeable“ degradiert werden. Er sehe dagegen beispielsweise im Fall einer eigenmächtigen Erhöhung von Geschäftsführergehältern keine Notwendigkeit für Rückforderungsansprüche, wenn feststehe, dass die Gesellschafterversammlung mit ihr einverstanden gewesen wäre. Er sehe den Themenkomplex als tatsächliches, nicht aber als rechtliches Problem. 1 BGH, Beschl. v. 2. 6. 2008 – II ZR 67/07, NZG 2008, 622.
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Eberhard Vetter wies im Fortgang der Diskussion darauf hin, dass Entscheidungen des Aufsichtsrats mitunternehmerische Entscheidungen seien. Er warf deswegen die Frage auf, ob die Rechtsauffassung des Senats auch auf Hauptversammlungsbeschlüsse nach den Grundsätzen der Holzmüller-Entscheidung anzuwenden sei. In entsprechenden Fällen sei dann immer der Einwand denkbar, der Mehrheitsgesellschafter hätte den unterlassenen Hauptversammlungsbeschluss ohnehin gefasst. Goette hielt dem ebenfalls entgegen, dass das Mitgliedschaftsrecht der betroffenen Aktionäre nicht durch Verweis auf den Mehrheitsgesellschafter marginalisiert werden dürfe. Im Übrigen sprach er sich dafür aus, sich im Interesse klarer Begrifflichkeiten bei der Diskussion um ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen nicht mehr auf die Holzmüller-Entscheidung, sondern die Grundsätze der Gelatine-Rechtsprechung zu beziehen. Von Falkenhausen leitete zum nächsten Diskussionsgegenstand über, indem er eine Stellungnahme Goettes dazu anregte, ob der Senat sich mit dem „soft law“ des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“) zu beschäftigen gedenke. Goette erwiderte unter Hinweis auf § 161 AktG, er halte eine Befassung des II. Zivilsenats mit dem DCGK für eine Selbstverständlichkeit. Um die Rechtsfrage beantworten zu können, welche Folgen eine falsche Entsprechenserklärung nach sich ziehe, müsse zunächst unter Heranziehung des DCGK gefragt werden, ob die Erklärung falsch sei. Rittershaus regte abschließend an, dass Goette noch auf die zuvor aus Zeitgründen ausgelassene Entscheidung des II. Zivilsenats zur Auseinandersetzung einer Anwalts-GbR 2 eingehe. Goette trug daraufhin die wesentlichen Punkte vor.
2 BGH, Urt. v. 7. 4. 2008 – II ZR 181/04, ZIP 2008, 1276.
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Die Europäische Privatgesellschaft (SPE) Wissenschaftliche Grundlegung Prof. Dr. Christoph Teichmann, Universität Würzburg I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . II. Praktische Einsatzmöglichkeiten der SPE . . . . . . . . III. Die SPE im System der europäischen Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 1. Grenzüberschreitend freie Rechtsformwahl . . . . . . . . . . 2. Wettbewerb der Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die SPE: eine systemkonforme Ergänzung des Wettbewerbs der Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Briefkastengesellschaft + Zweigniederlassung = die Alternative zur SPE? . . . .
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5. Grenzüberschreitender Bezug der SPE . . . . . . . . . . . . IV. Die SPE als Innovation im Gesellschaftsrecht . . . . . 1. Gestaltung des Gesellschaftsvertrages durch Regelungsaufträge . . . . . . . . . a) Funktionsmechanismus der Regelungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . b) Mustersatzung . . . . . . . . . 2. Gläubigerschutz . . . . . . . . . . a) Mindestkapital . . . . . . . . . b) Ausschüttungen an Gesellschafter . . . . . . . . . c) Insolvenz . . . . . . . . . . . . . 3. Konfl ikte zwischen Gesellschaftern . . . . . . . . . . . V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einführung Die Europäische Kommission hat im Juni 2008 einen Gesetzentwurf für eine neue supranationale Rechtsform vorgelegt – die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE)1. Es handelt sich konzeptionell um eine börsenferne Kapitalgesellschaft für einen geschlossenen Kreis von Gesellschaftern2 . Als Rechtsformtypus steht die SPE damit der deutschen 1 Dokument KOM (2008) 396 und weitere Informationen zur SPE sind abrufbar unter www.europeanprivatecompany.eu. 2 Zum Begriff der geschlossenen Gesellschaft: Guyon in Boucourechliev/Hommelhoff, Vorschläge für eine EPG, 1999, S. 43 ff.; Steding, NZG 2000, 913 (917); Dejmek, Die Europäische Privatgesellschaft und die dänische Anpartsselskab, 2003, S. 37; Helms, Die Europäische Privatgesellschaft, 1998, S. 105–107; Bachmann, ZGR 2001, 351 (352); Kretschmer, Die Europäische Privatgesellschaft – Gesell-
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GmbH nahe. Von wissenschaftlichem Interesse ist dieser Vorschlag zur Einführung einer Europa-GmbH aus zweierlei Perspektiven: Zum einen ist der SPE-Vorschlag mit dem modernen Verständnis von der europäischen Niederlassungsfreiheit in Einklang zu bringen. Zum zweiten enthält er im materiellen Gesellschaftsrecht in vielen Bereichen innovative Vorschläge, mit denen sich die SPE von ihren nationalen Vorbildern in mancherlei Hinsicht emanzipiert. Indessen sollte auch eine wissenschaftliche Grundlegung den praktischen Anwendungsfall nicht aus dem Auge verlieren. Daher sei zur Einführung kurz auf die von der Unternehmenspraxis ins Auge gefassten Einsatzmöglichkeiten der SPE hingewiesen.
II. Praktische Einsatzmöglichkeiten der SPE Der Verfasser dieser Zeilen traf vor einigen Wochen einen Kommilitonen aus gemeinsamen Studientagen. Das Gespräch über den jeweiligen beruflichen Werdegang führte unversehens zu einem anschaulichen praktischen Anwendungsfall für die SPE: Der Kommilitone ist mittlerweile Hausjurist eines mittelständischen Unternehmens, das seinen Sitz in einem idyllischen Ort am Rande des Odenwaldes hat. Das Unternehmen existiert seit dem Jahre 1993. Es wurde gegründet von Mitarbeitern eines international tätigen Konzerns. Die von ihnen betreute Produktlinie wollte der Konzern nicht weiter führen und so wagten die Angestellten mit dem Produkt, für das sie bisher im Konzern zuständig gewesen waren, den Schritt in die Selbstständigkeit. Es handelt sich um chemische Stoffe zur Reinigung von Metallen und zur Galvanisierung. Mit diesen Erzeugnissen war man erfolgreich. Heute beschäftigt das Unternehmen in Deutschland mehr als 80 Mitarbeiter. 42 % des Umsatzes werden im Ausland erzielt. Die deutsche Gesellschaft verfügt außerdem über 23 (in Worten: dreiundzwanzig!) ausländische Tochtergesellschaften. Nun muss der einzige Jurist im deutschen Stammhaus neben allen im Inland anfallenden Rechtsfragen auch noch die Rechtsprobleme der 23 Tochtergesellschaften lösen. Der Geschäftsleitung dämmert mittlerweile, dass sich hier im Laufe der noch jungen Unternehmensgeschichte ein gewisser Wildwuchs entfaltet hat. Zur Vereinfachung der Abläufe betraute sie ihren Hausjuristen daher kürzlich mit dem Auftrag, alle ausländischen Tochtergesellschaften mit einheitlichen Gesellschaftsverträgen auszustatschaftsrechtliche und steuerrechtliche Aspekte einer europäischen Gesellschaftsform in ihren Bezügen zum nationalen Gesellschafts- und Steuerrecht, 2005, S. 63; Schröder, Europäisierung des GmbH-Rechts, 2007, S. 154.
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ten. Es geht dabei um folgende europäische Rechtsordnungen: Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Spanien und Tschechien. Hält man sich vor Augen, dass das Recht der GmbH im europäischen Binnenmarkt eine von der Rechtsangleichung nahezu unberührte Domäne des nationalen Rechts ist, wird deutlich, dass der aus kaufmännischer Sicht keineswegs ungewöhnliche Wunsch, alle Tochtergesellschaften mit einem einheitlichen Gesellschaftsvertrag auszustatten, rechtlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Das Gespräch endete zur großen Zufriedenheit beider Gesprächspartner. Der Verfasser dieser Zeilen hatte einen weiteren Anwendungsfall für die SPE gefunden. Es handelt sich dabei keineswegs um einen Ausnahmefall, sondern um das „klassische“ Petitum, mit dem Vertreter der mittelständischen Wirtschaft schon seit vielen Jahren an den europäischen Gesetzgeber herantreten und die Einführung der SPE fordern3. Die Europa-GmbH soll nach außen einheitlich und nach innen mit Vertragsfreiheit ausgestattet sein. Auf diese Weise können ausländische Tochtergesellschaften in ganz Europa mit ein und demselben Gesellschaftsvertrag ausgestattet werden, der – einmal im Stammhaus konzipiert – jederzeit wiederverwendet werden kann und allen Mitarbeitern, die in oder für die Tochtergesellschaften tätig sind, bekannt wäre. Auch der frühere Kommilitone war’s zufrieden. Er konnte seine Geschäftsleitung überzeugen, mit der Umstrukturierung der Tochtergesellschaften auf die hoffentlich bald kommende SPE zu warten.
3 Siehe schon früh die Umfrage des VDMA (dazu Hommelhoff in FS Doralt, 2004, S. 199 [202]). In dieselbe Richtung weist die Stellungnahme von Kristina Schunk für die Schunk GmbH & Co. KG vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, veröffentlicht in englischer Sprache in European Company Law (ECL) 2006, 275 ff. Diskutiert wird außerdem die Verwendung der SPE als „neutrale“ Rechtsform für grenzüberschreitende Joint-Ventures (dazu Hellwig in Hommelhoff/Helms (Hrsg.), Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 89 ff.).
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III. Die SPE im System der europäischen Niederlassungsfreiheit Nach diesem einführenden Blick auf die Hoffnungen und Erwartungen der Praxis sei nun das System der europäischen Niederlassungsfreiheit in den Mittelpunkt gestellt. Es ist seit einigen Jahren durch eine weitreichende Freiheit der Rechtsformwahl gekennzeichnet (unter 1.), die unter den Mitgliedstaaten zu einem spürbaren gesetzgeberischen Wettbewerb geführt hat (unter 2.). Die deutsche GmbH-Reform wäre ohne die machtvolle Konkurrenz der englischen Limited möglicherweise gar nicht oder jedenfalls nicht in der vorliegenden Form verabschiedet worden. Dieser Wettbewerb der Gesetzgeber wird in der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend als positive Entwicklung gesehen. Er beruht auf der Prämisse, dass die nationalen Rechtsordnungen Unterschiede aufweisen, anhand derer die Unternehmen eine bewusste Auswahl treffen. Die Einführung einer neuen supranationalen Rechtsform erscheint vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick überflüssig, wenn nicht gar systemwidrig. Auf den zweiten Blick, so soll hier gezeigt werden (unter 3.), ist sie jedoch ganz im Gegenteil eine systematisch gebotene Ergänzung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Binnenmarkt. Insbesondere ist die Tätigkeit mit Hilfe einer Briefkastengesellschaft, und sei es auch in der Rechtsform der GmbH, keine sinnvolle Alternative zur SPE (unter 4.). Zuletzt bleibt zu fragen, welche Schlussfolgerungen daraus für die Diskussion um den grenzüberschreitenden Bezug der SPE zu ziehen sind (unter 5.).
1. Grenzüberschreitend freie Rechtsformwahl Die in Art. 43 und 48 EG-Vertrag verankerte Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften hat bekanntlich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) enorme Durchschlagskraft erhalten: Kein Mitgliedstaat darf eine im Ausland wirksam gegründete Gesellschaft bei ihrer grenzüberschreitenden Niederlassung behindern. Soweit Beschränkungen existieren, müssen sie einem strengen Rechtfertigungstest standhalten. Im Kern geht es dabei um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, der die bislang vor dem EuGH verhandelten Beschränkungen alle nicht standgehalten haben4. Die deutsche Rechtsprechung hat daraus die Konsequenz gezogen, auf Gesellschaften, die im EU-Ausland gegründet wurden, die 4 Siehe die Leitentscheidungen Centros (Rs. C-212/97), Überseering (Rs. C-208/00), Inspire Art (Rs. C-167/01); zusammenfassend dazu Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 73 ff.
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kollisionsrechtliche Gründungstheorie anzuwenden5. Es gilt also das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates, selbst wenn die Hauptverwaltung in einem anderen Staat liegen sollte. Das Beschränkungsverbot des EuGH führt aus Sicht der Unternehmer dazu, dass sie sich aus dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten eine Rechtsform auswählen und deren Hauptverwaltung in einem anderen Mitgliedstaat ansiedeln können. Unter deutschen Gewerbetreibenden hat dies zu einer Gründungswelle in der Rechtsform englischer private limited companies geführt – die allerdings mittlerweile wieder deutlich nachlässt, weil die Anwendung englischen Rechts offenbar doch mehr Schwierigkeiten bereitet als zunächst erwartet6. Zudem hat die GmbH-Reform die Notwendigkeit, auf die Limited auszuweichen, deutlich reduziert7. Ungeachtet dessen bietet die Option, sich einer ausländischen Rechtsform bedienen zu können, einen dauerhaften Zuwachs an Wahlmöglichkeiten. Einen gewissen Rückschlag für die Wahlfreiheit der Unternehmen brachte jüngst die Cartesio-Entscheidung: Art. 48 EG-Vertrag verleiht einer Gesellschaft nicht das Recht, ihre Hauptverwaltung ins Ausland zu verlegen und dabei die Eigenschaft als Gesellschaft ihres Gründungsstaates beizubehalten8. Die europäische Niederlassungsfreiheit kommt der wegzugswilligen Gesellschaft also nicht zu Hilfe, wenn der Heimatstaat verlangt, dass Gesellschaften seiner Rechtsordnung ihre Hauptverwaltung im Inland ansiedeln. Mitgliedstaaten, die von dieser Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch machen, scheiden damit für die grenzüberschreitend freie Rechtsformwahl im europäischen Binnenmarkt weitgehend aus. Statt dessen werden Gesellschaften, die in diesen Staaten gegründet wurden, vom EuGH auf den steinigen Weg der formwechselnden Sitzverlegung unter Änderung des anwendbaren Rechts verwiesen9.
5 BGH NJW 2005, 1648 ff.; dasselbe gilt für Gesellschaften aus dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR, namentlich Liechtenstein, vgl. dazu BGH NJW 2005, 3351 f., und für US-amerikanische Gesellschaften, BGH BB 2004, 1868 f.; ausgenommen davon ist die Schweiz, BGH NJW 2009, 289. Zusammenfassend jüngst Werner, GmbHR 2009, 191 ff. 6 Dazu die Statistik (Limited-Gewerbeabmeldungen) bei Niemeier, ZIP 2006, 2237 ff. 7 Hingewiesen sei nur auf § 5a GmbHG n. F. (Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt), wonach eine haftungsbeschränkte Gesellschaft unterhalb des regulären Mindestkapitals gegründet werden kann. 8 EuGH, Rs. C-210/06, abgedruckt in ZIP 2009, 24 ff. sowie GmbHR 2009, 86 ff. 9 Näher dazu Teichmann, ZIP 2009, 393 ff.
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Deutschland hat sich allerdings mit dem MoMiG bereits dafür entschieden, einer GmbH oder AG die Verlegung der Hauptverwaltung ins Ausland zu gestatten. Die Neufassung von § 4a GmbHG und § 5 AktG betrifft zwar primär nur den zulässigen Satzungsinhalt: Die Satzung muss einen Sitz bestimmen, der im Inland liegt. Entfallen ist aber die frühere Vorgabe, dass die Gesellschaft am Sitz einen Betrieb, ihre Verwaltung oder Geschäftsleitung haben müsse. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte damit deutschen Gesellschaften die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Hauptverwaltung unter fortbestehender Anwendbarkeit deutschen Gesellschaftsrechts ins Ausland zu verlegen10. Auch wenn diese kollisionsrechtliche Wunschvorstellung des Gesetzgebers im Gesetzestext nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, ist doch anzunehmen, dass Rechtsprechung und Wissenschaft im Hinblick auf GmbHG und AktG zur Gründungstheorie übergehen werden11. Deutsche Rechtsformen können also künftig auch im Ausland verwendet werden, ohne dass die Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts entfällt.
2. Wettbewerb der Gesetzgeber Die größere Wahlfreiheit der Unternehmen führt mittelbar zu einem Wettbewerb der Gesetzgeber um das attraktivste Gesellschaftsrecht12 . Darin liegt ein bemerkenswerter Wandel im Verständnis des europäischen Binnenmarktes13: Hatte man lange Zeit den Auftrag zur Herstellung des Binnenmarktes so verstanden, dass Rechtsunterschiede beseitigt werden müssten, sieht man nun in den bestehenden Rechtsunterschieden geradezu einen Vorteil. Denn er bietet den Marktakteuren eine Palette unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten und spornt die Mitgliedstaaten an, ihr Gesellschaftsrecht beständig zu modernisieren. Allerdings verursacht die „Qual der Wahl“ hohe Transaktionskosten. Wer vom Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme sinnvoll Gebrauch machen will, muss sich gut und damit teuer beraten lassen. Die deutschen Limited-Gründungen bieten dafür hervorragendes Anschauungsmaterial. Sie gehen zumeist auf Gewerbetreibende zurück, denen ausgeprägte 10 Begr. RegE zu § 4a GmbHG, BT-Drucks. 16/6140, S. 29. 11 Näher zu den kollisionsrechtlichen Fragen Hoffmann, ZIP 2007, 1581 ff. und Werner, GmbHR 2009, 191 ff. 12 Wicke, GmbHR 2006, 356–362; Wachter in Schröder (Hrsg.), Die GmbH im europäischen Vergleich, 2005, S. 27–67. 13 Dazu in Kürze Teichmann, Wettbewerb im Gesellschaftsrecht als neues Element der Binnenmarktintegration, in Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Neue Wege im Europäischen Gesellschaftsrecht (im Erscheinen).
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Rechtskenntnisse fehlen, die aber dennoch anlässlich der Gründung einer Kapitalgesellschaft nicht nur das Mindestkapital, sondern auch noch den in Deutschland vorgeschriebenen Gang zum Notar sparen wollten. Sie erkannten erst einige Zeit nach der Gründung, dass ihnen der Umgang mit einer Gesellschaft englischen Rechts über den Kopf wächst und die korrekte Handhabung des englischen Gesellschafts- und Bilanzrechts ohne kostspieligen Rechtsrat nicht möglich ist. Eben darin liegt das Dilemma derjenigen Unternehmer, die über etwas mehr Fingerspitzengefühl in Rechtsangelegenheiten verfügen und genau wissen, dass man fachkundigen Rechtsrat benötigt, um eine Gesellschaft ausländischen Rechts zu gründen und zu betreiben. Gerade dies schreckt sie ab, wenn sie an eine grenzüberschreitende Niederlassung denken. Denn wer das Projekt richtig angehen will, benötigt erfahrene Rechtsberater vor Ort. Allein für die Fragen des Gesellschaftsrechts fallen auf diese Weise bei jeder Gründung einer ausländischen Tochtergesellschaft viele Tausend Euro an, will man sich bei der Auswahl der geeigneten Rechtsform, bei deren Gründungsformalitäten und der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages umfassend beraten lassen14. Diese Kosten entstehen bei jeder Gründung in einem anderen Mitgliedstaat erneut, denn das Recht der kleinen Kapitalgesellschaften ist in Europa nicht harmonisiert. Noch gravierender entwickeln sich die Kosten im Zuge der laufenden Verwaltung. Für jeden Mitgliedstaat müssen die aktuellen Entwicklungen im Gesellschaftsrecht verfolgt werden und für jede gesellschaftsrechtliche Maßnahme (Gesellschafterbeschlüsse, Ausschüttungen an Gesellschafter, Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern) ist wiederum die Hilfe ausländischer Rechtsberater erforderlich. Wirtschaftsverbände in Deutschland weisen schon lange darauf hin15, dass viele kleine und mittlere Unternehmen zwar ihre Produkte grenzüberschreitend absetzen, dabei aber nicht groß genug sind, um eine eigene Rechtsabteilung zu unterhalten oder ständig mit einer international tätigen Anwaltskanzlei zusammenzuarbeiten. Sie machen die ernüchternde Erfahrung, dass die Niederlassung im Ausland unverhältnismäßig teuer ist – nicht nur bei der Gründung, sondern erst recht im laufenden Betrieb. Dass heute sogar Rechtsformen aus 27 verschiedenen Mitgliedstaaten zur 14 Vgl. die Studie der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, abrufbar als „working paper“ unter www.europeanprivatecompany.eu. 15 Zu einer früheren Umfrage des VDMA Hommelhoff in FS Doralt, 2004, S. 199 (201 f.); vgl. auch Kuck/Weiss, Der Konzern 2007, 498 (499). Siehe weiterhin die aktuellen Stellungnahmen von DIHK und BDI zum SPE-Entwurf (abrufbar als „working papers“ unter www.europeanprivatecompany.eu).
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Auswahl stehen, macht die Sache nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil: Will man ernsthaft und auf den eigenen Anwendungsfall bezogen eine sinnvolle Auswahl aus 27 verschiedenen Rechtsordnungen treffen, bilden schon die Kosten der dafür nötigen rechtsvergleichenden Beratung eine Hürde, die kleine und mittlere Unternehmen nicht überspringen können. Ihnen bleibt nur der juristische „Blindflug“ oder der Verzicht auf eine feste ausländische Niederlassung. Wirklichen Nutzen aus dem Wettbewerb der Rechtsordnungen zieht man daher erst, wenn das angestrebte Projekt eine gewisse Größe erreicht, bei der sich die damit verbundenen Beratungskosten schnell amortisieren. Dies deckt sich mit den Erfahrungen, die hierzu in den USA gesammelt wurden16.
3. Die SPE: eine systemkonforme Ergänzung des Wettbewerbs der Gesetzgeber Der gegenwärtige Zustand des Binnenmarktes im Gesellschaftsrecht verstößt folglich gegen ein Fundamentalprinzip des Europäischen Binnenmarktes: Der Grenzübertritt soll keine zusätzlichen Kosten verursachen. Die gesamte Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH lässt sich weitgehend schlüssig auf diesen Gedanken zurückführen: Jede nationale Maßnahme, die verglichen mit einer rein nationalen Aktivität zu einer Doppelbelastung der grenzüberschreitenden Tätigkeit führt, wird als Beschränkung qualifi ziert17. Wegen der fehlenden Harmonisierung im GmbH-Recht verursacht aber die Niederlassung im Ausland immer noch unverhältnismäßig hohe Kosten. Die EuGH-Rechtsprechung konnte daran, so hilfreich sie für die Eröffnung zusätzlicher Wahlmöglichkeiten sein mag, nicht wirklich etwas ändern. Die SPE ist daher kein Widerspruch zum Wettbewerb der Rechtsordnungen, sondern seine systemkonforme Ergänzung18. Für alle grenzüberschreitenden Vorhaben, die unterhalb einer gewissen Größenordnung liegen, ist die europäische Rechtsform schon deshalb die bessere Alternative, weil sie überall gleich ist, man sich also über Gründungsformalitäten, Gesellschaftsvertrag und laufende Verwaltung keine Gedanken machen muss. Der deutsche Mittelstand hat daher immer wieder betont: Die SPE ist die ideale Rechtsform zur Gründung kleiner Tochtergesellschaften im 16 Zusammenfassend dazu Teichmann (o. Fn. 4), S. 370 ff. 17 Zum Verständnis der Grundfreiheiten als Verbot der Doppelbelastung: Teichmann (o. Fn. 4), S. 123 ff. (m. w. N.). 18 Dazu bereits Teichmann in Bartman (Hrsg.), European Company Law in Accelerated Progress, 2006, S. 145 ff.
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Ausland19. Hat man sich einmal mit dem Regelwerk vertraut gemacht und sich die eigene Mustersatzung gezimmert, lässt sich danach jede weitere Gründung mit Hilfe des vertrauten Rechtsberaters am Heimatstandort reibungslos bewerkstelligen. Noch größer ist der Einsparungseffekt bei der laufenden Verwaltung. Gesellschafterbeschlüsse, Ausschüttungsregeln und Geschäftsführerkompetenzen folgen auf Basis des selbst konzipierten Gesellschaftsvertrages in allen Tochtergesellschaften, für die man die Rechtsform der SPE gewählt hat, denselben Regeln, gleichgültig in welchem Mitgliedstaat sie registriert sind. Sicherlich begegnet die grenzüberschreitende Niederlassung auch noch anderen Hindernissen: So sind etwa das Steuerrecht, das Arbeitsrecht und das Sozialrecht keineswegs zufriedenstellend harmonisiert oder gar vereinheitlicht und daher immer noch ein großes Hindernis für die grenzüberschreitende Tätigkeit. Das ist aber kein Grund, den Unternehmen die erwünschte Erleichterung im Gesellschaftsrecht zu verwehren. Zumal sich hier der Mangel am leichtesten beheben lässt. Denn nur im Gesellschaftsrecht lässt sich das Problem schon dadurch lösen, dass eine zusätzliche Regelungsebene eingezogen wird. Die supranationale Rechtsform hat den großen Vorteil, dass sie keinerlei Eingriffe in das mitgliedstaatliche Recht mit sich bringt und dennoch ein europaweit einheitliches Recht anbieten kann. Damit fügt sich die SPE reibungslos in den vom EuGH eröffneten Wettbewerb der Rechtsordnungen ein20.
4. Briefkastengesellschaft + Zweigniederlassung = die Alternative zur SPE? Gegenüber dem aktuellen Vorschlag zur Einführung der SPE wenden zahlreiche Stimmen ein, diese europäische Rechtsform sei überflüssig21. Es stünden 27 verschiedene nationale Rechtsordnungen zur Verfügung, aus denen sich jeder Unternehmer die ihm passende Rechtsform auswählen könne. Dank der EuGH-Rechtsprechung könne man sich mit der einmal gewählten Rechtsform überall in Europa bewegen. Die in England registrierte Limited könne ihre Haupttätigkeit in London, Berlin oder Warschau 19 Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 ff.; Maul/Röhricht, BB 2008, 1574 (1578 f.); Vossius, EWS 2007, 438 f.; diese Überlegung gilt auch für außereuropäische Investoren: Drury, EBOR 2008, 125 (127). 20 Dazu schon Wachter, GmbHR 2005, 717 (717); Kindler, NZG 2003, 1086 ff. 21 Exemplarisch die Stellungnahme des Deutschen Bundesrates (Quelle: BRDrucks. 354/07 v. 6. 7. 2007). In dieselbe Richtung weist die Stellungnahme des Deutschen Notarvereins, abgedruckt demnächst in Teichmann (Hrsg.), Europa und der Mittelstand, 2009.
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entfalten, all dies sei von der europäischen Niederlassungsfreiheit gedeckt. Zudem könnten gerade deutsche Unternehmen seit der GmbH-Reform ihre gewohnte Rechtsform auch mit ins Ausland nehmen. Denn das neue GmbH-Recht gestattet die Registrierung einer deutschen GmbH, deren Verwaltungssitz im Ausland liegt. Ein deutsches Unternehmen könnte also mehrere GmbHs in Deutschland registrieren lassen und mit diesen jeweils in einem anderen Mitgliedstaat über eine Zweigniederlassung tätig werden – stets unter Anwendung des deutschen GmbH-Rechts. Indessen ist die Auslandstätigkeit über eine bloße Zweigniederlassung keine sinnvolle Alternative zur SPE22; das haben die Unternehmen und ihre Interessenverbände, die sich für die SPE einsetzen, immer wieder betont. Selbst wenn die deutsche GmbH künftig ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegen darf, entfällt damit nicht der Bedarf für die SPE. Denn die in Deutschland registrierte Gesellschaft mit Hauptverwaltung im Ausland wird dort als „Briefkastengesellschaft“ wahrgenommen. Das führt zu Misstrauen bei Geschäftspartnern und Behörden. Unausgesprochen steht die Frage im Raum, warum man sich nicht mit einer vor Ort registrierten Gesellschaft auf dem dortigen Markt bewegen wolle. Und der Registrierungsaufwand ist ohnehin derselbe, weil die Publizitätspflichten der ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (für Kapitalgesellschaften) und der elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (für deren Zweigniederlassungen) nahezu identisch sind. Ein weiteres kommt hinzu: Tauchen in einem Gerichtsverfahren gesellschaftsrechtliche Fragestellungen auf, müsste man dem ausländischen Gericht das deutsche Gesellschaftsrecht erklären. Sollte das Gericht eine aus deutscher Sicht falsche Rechtsauffassung vertreten, könnte man dagegen wenig ausrichten. Denn der nationale Rechtsweg im Ausland endet bei der dortigen obersten Instanz. Es gäbe keinen Rekurs zu deutschen Gerichten, die sich mit dem GmbH-Recht auskennen, oder europäischen Gerichten, die für eine einheitliche Auslegung sorgen könnten. Sodann schafft die aufgespaltene Aktivität auch steuerliche Schwierigkeiten. Zumeist werden sowohl der Staat des Registersitzes als auch der Staat der Hauptverwaltung steuerliche Ansprüche anmelden, die man nur mit großem Aufwand und gestützt auf bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen in den Griff bekommt.
22 So neben Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (927) auch: Kuck/Weiss, Der Konzern 2007, 498 (499); Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (186); Baums, AG 2007, 57 (63); Straube in FS Fischer, 2004, S. 567 (577).
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Schließlich kommt gerade aus Sicht der Mitgliedstaaten, die erst vor wenigen Jahren der Gemeinschaft beigetreten sind, der Hinweis, man möge doch die eigenen nationalen Rechtsformen verwenden, einer mittelbaren Diskriminierung gleich. Das europäische Ausland kennt die englische Limited und vielleicht auch die deutsche GmbH, nicht aber die polnische Sp. z o. o.23 Der Umgang mit dieser und anderen Rechtsformen bereitet dem Ausländer schon aus sprachlichen Gründen Probleme. Der Wettbewerbsvorsprung der englischen Limited dürfte zu einem nicht geringen Anteil darauf beruhen, dass die meisten Geschäftsleute der englischen Sprache mächtig sind. Dass es im übrigen Europa auch noch einige andere Staaten gibt, deren Kapitalgesellschaften kein Mindestkapital verlangen, ist unter deutschen Unternehmern nicht zuletzt wegen sprachlicher Hürden kaum bekannt. Erst die SPE schafft ein „level playing field“ im europäischen Binnenmarkt: Die anwendbaren Rechtsregeln werden in einer europäischen Verordnung in allen Amtssprachen zur Verfügung stehen und gegebenenfalls durch den Europäischen Gerichtshof einer zentralen Auslegung unterzogen. Und jedermann wird diese Rechtsform kennen, gleichgültig in welchem Land sie auftritt und aus welchem Land sie kommt.
5. Grenzüberschreitender Bezug der SPE Nach alledem wäre zu erwarten, dass die EG-Kommission ihre neue Rechtsform ausdrücklich für den grenzüberschreitenden Verkehr einführt. Das ist aber keineswegs geplant. Wer eine SPE gründen will, kann dies auf Basis des Kommissionsvorschlags tun, ohne einen europäischen Bezug seiner Geschäftstätigkeit nachweisen zu müssen. Damit tritt die SPE in direkte Konkurrenz zu den nationalen Gesellschaftsformen24. Der Bäcker an der Straßenecke in Köln oder Krakau kann, wenn er die Gründung einer Kapitalgesellschaft erwägt, zwischen der nationalen GmbH oder Sp. z o. o. einerseits und der europäischen GmbH (SPE) andererseits frei wählen – selbst dann, wenn er sein Leben lang nur Brötchen an die unmittelbare Nachbarschaft verkauft. Es wäre eine eigene wissenschaftliche Abhandlung wert, ob die Gemeinschaft für einen solchen Rechtsakt überhaupt die nötige Gesetzgebungskompetenz hat. Hier können nur einige Überlegungen angedeutet werden25: Kompetenzgrundlage für die Schaffung supranationaler Rechts23 Dezidiert für die SPE aus Perspektive der neuen Mitgliedstaaten daher: Radwan, EBLR 2005, 1169 ff. 24 Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (901). 25 Vgl. dazu auch bereits Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (928 f.).
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formen ist Art. 308 EG-Vertrag; dies hat der Europäische Gerichtshof bei Einführung der Europäischen Genossenschaft klargestellt26. Es muss also ein Tätigwerden der Gemeinschaft „erforderlich“ erscheinen, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen. Das Ziel, welches mit Hilfe der SPE erreicht werden soll, ist die erleichterte grenzüberschreitende Tätigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen im europäischen Binnenmarkt. Das Mittel dafür ist die Schaffung einer supranationalen Rechtsform, die kleine und mittlere Unternehmen der Notwendigkeit enthebt, die jeweils geltenden nationalen Rechtsformen miteinander zu vergleichen27. Die SPE reduziert damit psychologische Barrieren, spart Beratungskosten und verschafft den Unternehmen ein europäisches „Label“. Sie entspricht dem Grundsatz der Subsidiarität, weil sie europäisches Einheitsrecht schafft, ohne die Gesetzgebungskompetenzen der Mitgliedstaaten einzuschränken. Im Vergleich zur Richtlinienharmonisierung ist die SPE das weitaus mildere Mittel. Ihren europäischen Mehrwert bezieht die Gesellschaft daraus, dass sie ein europaweit einheitlich anwendbares und zentraler Gerichtsbarkeit unterworfenes Regelwerk bietet. Sie wird daher immer dann zum Einsatz kommen, wenn der Grenznutzen der Regelungs-Arbitrage zu gering ist, um die damit verbundenen Transaktionskosten zu decken – das betrifft vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, deren grenzüberschreitende Aktivität nicht so viel Ertrag abwirft, dass sie davon teuren und international versierten Rechtsrat bezahlen könnten. Die Frage nach der Kompetenzgrundlage muss daher präziser gefasst lauten: Entfällt die Gesetzgebungskompetenz allein deshalb, weil der europäische Gesetzgeber eine dem Binnenmarkt förderliche Maßnahme nicht ausdrücklich auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt? Der Verfasser dieser Zeilen ist geneigt, dem Europäischen Gesetzgeber insoweit ein gewisses Ermessen zuzugestehen. Immerhin gibt es zahlreiche europäische Rechtsakte, die nicht nur grenzüberschreitende, sondern auch rein nationale Sachverhalte erfassen und deshalb nicht als gemeinschaftswidrig angesehen werden. In Brüssel wird die Frage vermutlich rechtspolitisch entschieden werden: Viele Mitgliedstaaten sind nicht damit einverstanden, dass die SPE in direkte Konkurrenz zu ihren nationalen Rechtsformen tritt28; und so mancher scheut auch die Rechtsunsicherheit, die entstünde, wenn die Kompe26 Klage des Europäischen Parlaments anlässlich der Verordnung über die Europäische Genossenschaft: EuGH v. 2. 5. 2006 – Rs. C-436/03. 27 Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 ff. 28 Näher zu dieser Frage Hommelhoff, GesRZ 2008, 337 ff.
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tenzgrundlage für die SPE-Verordnung erst einmal vor dem Europäischen Gerichtshof geklärt werden müsste. Alles deutet auf einen Kompromiss hin: Einen grenzüberschreitenden Bezug, der die direkte Konkurrenz zu nationalen Rechtsformen entschärft und andererseits bei den für die SPE geplanten Einsatzmöglichkeiten nicht im Wege steht29. Es sollte jedenfalls ausreichen, wenn der Gründer der SPE seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat als die SPE; damit wäre die allseits erwünschte Gründung einer Auslandstochter in der Rechtsform der SPE unproblematisch möglich.
IV. Die SPE als Innovation im Gesellschaftsrecht Betrachtet man nun den SPE-Vorschlag aus der Warte des materiellen Gesellschaftsrechts, fallen eine Reihe kreativer Problemlösungen auf: Das anwendbare Recht wird, soweit es das Innenverhältnis betrifft, weitgehend in die Verantwortung der Gesellschafter gelegt (unter 1.). Eine sorgfältige Abfassung des Gesellschaftsvertrages wird daher für das reibungslose Funktionieren der SPE von großer Bedeutung sein. Der europäische Gesetzgeber unterstützt dies durch eine Liste von Regelungsaufträgen. Im Bereich des Gläubigerschutzes (unter 2.) steht die Ausschüttungsregelung ganz im Vordergrund, während der Entwurf anders als viele kontinentaleuropäische Rechtssysteme auf ein Mindestkapital verzichten will. Schließlich gilt das Augenmerk des europäischen Gesetzgebers den in kleinen Gesellschaften nicht selten auftretenden Konflikten zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern (unter 3.). Hier setzt die Verordnung eigene Akzente mit zwingenden Regelungen zu einem Recht auf Ausschluss einzelner Gesellschafter, einem Austrittsrecht aus wichtigem Grund, einem Individualrecht auf Information und einem Minderheitenrecht auf Sonderprüfung.
1. Gestaltung des Gesellschaftsvertrages durch Regelungsaufträge a) Funktionsmechanismus der Regelungsaufträge Entsprechend ihrer binnenmarktrechtlichen Zielsetzung soll die SPE von dem Einfluss nationalen Gesellschaftsrechts weitgehend verschont bleiben30. Andererseits kann und will der europäische Gesetzgeber nicht alle 29 Siehe dazu den Kompromissvorschlag des Europäischen Parlaments (Beschluss am 10. 3. 2009), abrufbar unter www.europeanprivatecompany.eu. 30 Grundlegend zu dieser Frage Völter, Lückenschluss im Statut der EPG, 2000.
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für eine kleine Kapitalgesellschaft relevanten Fragen selbst regeln. Dies ist bei einer geschlossenen Gesellschaft, deren Gesellschafter sich typischerweise selbst durch vertragliche Vorsorge schützen können, auch nicht erforderlich. Es würde zudem, wie der langwierige Entstehungsprozess der Societas Europaea (SE) gezeigt hat31, zu endlosen Diskussionen auf europäischer Ebene führen. Daher verzichtet der Entwurf darauf, zur Lückenfüllung des Gesellschaftsvertrages ein Gerüst aus dispositivem Recht anzubieten32 . Stattdessen wurde schon bei der Konzeption des Vorschlages streng unterschieden zwischen denjenigen Fragen, die zwingend in einem europäischen Rechtstext enthalten sein müssen (insbesondere: Gläubigerschutz und Schutz von Minderheitsgesellschaftern), und allen anderen Fragen, die der Gestaltung durch Gesellschaftsvertrag überlassen bleiben können (zum Beispiel: Formalien der Gesellschafterversammlung). Das nationale Gesellschaftsrecht jedenfalls soll auf eine SPE möglichst nicht zur Anwendung kommen. Entweder ist eine Sachfrage in der europäischen Verordnung geregelt, oder sie wird in Form eines Regelungsauftrages an den Satzungsgeber verwiesen. Hier besteht ein enger Bezug zur Funktion der Rechtsform im Binnenmarkt: Der Einsatz als Tochtergesellschaft im Ausland wird wesentlich erleichtert durch den Umstand, dass ein Unternehmen für all seine SPETochtergesellschaften denselben Satzungstext verwenden kann. Gegenüber der europäisch gewährten Gestaltungsfreiheit kann kein nationaler Richter einzelne Satzungsbestimmungen mit dem Argument für unwirksam erklären, derartige Klauseln kenne das nationale GmbH-Recht nicht. Allerdings birgt die weitreichende Gestaltungsfreiheit auch die Gefahr unvollständiger Gesellschaftsverträge. Dispositives Recht hat üblicherweise die Funktion, die dadurch drohenden Lücken zu schließen. Der SPE-Vorschlag ersetzt dies durch eine lange Liste von Regelungsaufträgen, die der Verordnung als „Anhang 1“ beigefügt sind. Wenn sich der Satzungsgeber daran orientiert, hat er die meisten Fragen, die erfahrungsgemäß zu Rechtsproblemen führen, abgedeckt. Der Gesetzgeber bietet damit eine Hilfestellung bei der Abfassung des Gesellschaftsvertrages, ohne bezüglich der einzelnen Klauseln inhaltliche Vorgaben zu machen. Darin liegt eine sinnvolle Anleitung zum verantwortungsvollen Gebrauch von Gestal31 Ausführlich dazu: Blanquet, ZGR 2002, 20 (21 ff.); Edwards, CML Rev. 2003, 443 ff.; Schwarz, SE-VO, 2006, Einleitung, Rz. 2 ff. 32 Demgegenüber sprechen sich für dispositive Rechtsregeln aus namentlich Vossius, EWS 2007, 438 (442), Wicke, GmbHR 2006, 356 (360) und Krejci, Societas Privata Europaea, 2008, S. 13.
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tungsfreiheit33. Innerhalb der Regelungsaufträge lassen sich obligatorische und fakultative Aufträge unterscheiden34. Zu den obligatorischen Aufträgen muss der Gesellschaftsvertrag eine Regelung enthalten, bei den fakultativen Aufträgen liegt es im Ermessen der Gesellschafter, ob sie dazu eine Regelung in ihren Vertrag aufnehmen. Beispielsweise findet sich in Anhang 1 die Aufforderung, im Gesellschaftsvertrag anzugeben, ob für die Übertragung der SPE-Anteile die Zustimmung der anderen Gesellschafter oder der Gesellschaft notwendig sein soll. Auch bei der inneren Organisation genießen die Gesellschafter große Freiheiten. So regelt der Gesellschaftsvertrag, nach welchem Verfahren Beschlüsse der Gesellschafter gefasst werden. Er regelt weiterhin, ob die Gesellschaft von nur einem Leitungsorgan geführt wird oder zusätzlich ein Aufsichtsorgan eingerichtet werden soll.
b) Mustersatzung Schließlich wird als weitere Handreichung eine Mustersatzung konzipiert. Dies übernimmt eine Gruppe von Sachverständigen, der sogenannte „Sachverständigenausschuss Corporate Governance und Gesellschaftsrecht“ (englisch: „Advisory Group on Corporate Governance and Company Law“)35. Das Angebot einer Mustersatzung ist zu begrüßen. Allerdings wirft die Delegation auf einen Sachverständigenausschuss schwierige Fragen nach dem rechtlichen Stellenwert dieser Mustersatzung auf. Der vor einigen Jahren veröffentlichte Gesetzentwurf einer privaten wissenschaftlichen Arbeitsgruppe hatte vorgeschlagen, eine Mustersatzung als Anhang der Verordnung beizufügen36. Davon hat die EU-Kommission Abstand genommen – offenbar weil dann der gesamte Text der Mustersatzung im europäischen Ministerrat verhandelt werden müsste und damit das gesamte Projekt auf unbestimmte Zeit verzögert würde. Zudem könnte 33 Umfassend dazu die Monographie von Beier, Der Regelungsauftrag als Gesetzgebungsinstrument im Gesellschaftsrecht, 2002. 34 Dies sollte allerdings in der Formulierung der Regelungsaufträge deutlicher hervorgehoben werden (Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 12). 35 Zu den Aufgaben dieses Ausschusses die website der EU-Kommission: http:// ec.europa.eu/internal_market/company/advisory/index_de.htm. 36 Vorschlag einer Arbeitsgruppe unter Koordination des Forschungsinstituts der IHK Paris (CREDA) und des französischen Unternehmensverbandes (MEDEF); die Vorarbeiten und der Text des Vorschlags sind dokumentiert in Boucourechliev/Hommelhoff (Hrsg.), Vorschläge für eine Europäische Privatgesellschaft, 1999; s. auch Beier, Der Regelungsauftrag als Gesetzgebungsinstrument im Gesellschaftsrecht, 2002, S. 256 ff.
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eine an die Verordnung gekoppelte Mustersatzung nur schwer geändert werden; erneut müsste das schwerfällige EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden. Dennoch wäre es wünschenswert, der Mustersatzung eine gewisse demokratische Legitimation zu verleihen. Sie könnte dann von nationalen Gerichten als Leitbild einer angemessenen Regelung herangezogen werden, falls ein SPE-Gesellschaftsvertrag Lücken oder extrem unangemessene Klauseln enthalten sollte. Die geeignete Regelungstechnik dafür bietet möglicherweise das europäische Komitologie-Verfahren37, das aber wohl zu diesem Zweck für Fragen des Gesellschaftsrechts erst noch geöffnet werden müsste38.
2. Gläubigerschutz a) Mindestkapital Im Bereich des Gläubigerschutzes verzichtet der SPE-Vorschlag auf ein gesetzlich festgelegtes Mindestkapital. Das ist verständlich – hat doch die Diskussion der vergangenen Jahre gezeigt, dass selbst in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen der Glaube an die gläubigerschützende Wirkung des Mindestkapitals schwindet39. Sogar Deutschland hat unlängst die Segel gestrichen und erlaubt nun mit der „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ die Errichtung einer haftungsbeschränkten Gesellschaft bei nur einem Euro Stammkapital40. Allerdings hätte das Mindestkapital für die europäische Rechtsform noch eine andere wichtige Funktion. Es würde verhindern, dass eine große Anzahl von Gründern allein deshalb in diese Rechtsform strebt, weil sie dem Mindestkapital ihres nationalen Gesellschaftsrechts entkommen wollen. Diese Art von Negativauslese schadet der Reputation einer Rechtsform ganz erheblich, denn auf die Einführung der neuen Rechtsform folgt wenige Jahre später eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Insolvenzen41. Ein moderates Mindestkapital ist daher zu befürworten, um der SPE
37 So der Vorschlag des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 14. 38 Vgl. den Überblick zu Anwendungsbereich und Verfahren bei Mensching, EuZW 2000, 268 ff. 39 Entwurfsbegründung, KOM (2008) 396, S. 8. Verfechter des Mindestkapitals fi nden sich weiterhin in Österreich, siehe Krejci, Societas Privata Europaea, 2008, S. 67. 40 Vgl. dazu die ökonomische Analyse bei Leyendecker, GmbHR 2008, 302 ff. 41 Lanfermann/Richard, BB 2008, 1610 f.; Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (904).
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eine im Vergleich zu nationalen Rechtsformen mindestens gleichwertige, wenn nicht höhere Reputation zu verleihen.
b) Ausschüttungen an Gesellschafter Für den Gläubigerschutz allerdings bringt das Mindestkapital wenig. Der SPE-Vorschlag legt daher den Akzent zu Recht auf die Ausschüttungsregeln. Die größte Gefahr für die Gläubiger liegt darin, dass Gesellschafter der Gesellschaft Geld entziehen, das diese zur Befriedigung ihrer Verbindlichkeiten benötigt42 . Der SPE-Vorschlag lässt daher eine Ausschüttung nur unter der Voraussetzung zu, dass das Vermögen der Gesellschaft auch nach der Ausschüttung noch ausreicht, um die Verbindlichkeiten zu decken (Art. 21)43. Um verdeckte Ausschüttungen zu vermeiden, wird der Ausschüttungsbegriff weit gefasst: Jeder finanzielle Vorteil, den ein Gesellschafter aufgrund der von ihm gehaltenen Anteile erlangt, ist eine Ausschüttung, gleichgültig auf welchem Wege der Vermögenstransfer erfolgt (Art. 2 Abs. 1 lit. b und Abs. 2). Zudem setzt jede Ausschüttung einen Gesellschafterbeschluss voraus (Art. 27 Abs. 1 lit. e). Im Interesse eines umfassenden Gläubigerschutzes ist diese weite Fassung, die auch verdeckte Ausschüttungen zu erfassen geeignet ist, zu begrüßen44. Im Konzern wirft sie allerdings die Frage auf, ob und inwieweit auch konzerninterne Transaktionen unter den Begriff der Ausschüttung fallen. Wünschenswert ist eine Klarstellung durch den europäischen Gesetzgeber, etwa in dem Sinne, wie sie jüngst das MoMiG vorgenommen hat: Ein Vermögenstransfer an Gesellschafter fällt nicht unter den Begriff der Ausschüttung, wenn ihm eine gleichwertige Gegenleistung oder ein vollwertiger Rückzahlungsanspruch gegenübersteht45. Dasselbe Ergebnis lässt sich dem Entwurfstext bereits im Wege der Auslegung entnehmen. Denn eine Leistung, die dem Gesellschafter zu marktüblichen Konditionen gewährt wird bzw. für welche die Gesellschaft eine angemessene Gegenleistung erhält, ist kein „finanzieller Vorteil“ und wird darüber hinaus 42 Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (932). 43 Sog. Bilanztest (dazu Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 [907] sowie Lanfermann/Richard, BB 2008, 1610 [1612]). Hingegen hat das Alternativmodell des Solvenztests nur als Satzungswahlrecht in den SPE-Entwurf Eingang gefunden. 44 Ebenso Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 27. 45 In diesem Sinne der Vorschlag des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 27; ebenso nun auch das Europäische Parlament (vgl. o. Fn. 29).
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dem Gesellschafter nicht causa societatis („auf Grund der von ihm gehaltenen Anteile“) gewährt46.
c) Insolvenz Das Stadium, in dem es auf den Gläubigerschutz besonders ankommt, ist bekanntlich die Insolvenz der Gesellschaft. Dazu äußert sich der Textvorschlag nicht. Die EU-Kommission geht davon aus, dass Insolvenzrecht nationales Recht ist. Die Europäische Insolvenzverordnung liefert dazu die entsprechenden Anknüpfungspunkte: Das Insolvenzverfahren wird grundsätzlich dort eröffnet, wo sich der Mittelpunkt der tatsächlichen Interessen der Gesellschaft befindet (COMI – centre of main interest)47. Dies gilt auch für die SPE. Der Verweis auf das nationale Insolvenzrecht eröffnet allerdings den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die europäisch verliehene Haftungsbeschränkung zu unterlaufen. Viele Mitgliedstaaten kennen in ihrem Insolvenzrecht strenge Haftungsregeln für Geschäftsführer und auch Gesellschafter48. Es wäre aus Sicht der Unternehmen wünschenswert, wenn das Risiko der persönlichen Haftung aus der SPE-Verordnung ersichtlich wäre und nicht dem jeweiligen nationalen Recht überlassen bliebe49. Aber die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind in diesem Bereich wohl zu groß, um hier zu einer einheitlichen Lösung zu gelangen50. Sollten die Verhandlungen in Brüssel noch zu einem gesetzlichen Mindestkapital führen – einige Mitgliedstaaten fordern es, um auch insoweit einer Konkurrenz zur nationalen Rechtsform vorzubeugen51 – würde dies im Lichte der sonstigen Regelungen des Entwurfs eine neue interessante Perspektive auf den Gläubigerschutz eröffnen: Der Entwurf enthält bislang
46 Siehe Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (907). 47 Dazu EuGH v. 2. 5. 2006 – Rs. C-341/04, Eurofood, Slg. 2006, I-3813 ff., und AG Köln v. 19. 2. 2008 – 73 IE 1/08, ZIP 2008, 423 ff. 48 Etwa das „wrongful trading“ des englischen Rechts oder die „action en comblement du passif“ in Frankreich. 49 Vgl. hierzu den rechtspolitischen Vorschlag bei Teichmann, European Company Law (ECL) 2004, 162 ff. 50 Vgl. die Einschätzung bei Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (932). 51 Der Bundesrat fordert entweder die Einführung eines angemessenen Mindestkapitals oder entsprechende Gläubigerschutzbestimmungen: BR-Drucksachen vom 10. 10. 2008 Nr. 479/08 (Beschluss), S. 9/10, Nr. 11 und Nr. 479-1-/08 (Empfehlungen), S. 10, Nr. 18; das Europäische Parlament (vgl. o. Fn. 29) schlägt ein Mindestkapital von 8 000 Euro vor, sofern die SPE sich nicht freiwillig einem SolvenztestRegime unterwirft.
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keine Regelung zur Kapitalaufbringung52 . Es wäre wohl auch schwierig, über derartige Regeln, die typischerweise mit dem kontinentaleuropäischen System des Gläubigerschutzes eng verwoben sind, auf europäischer Ebene Einigkeit zu erzielen. So würde es wohl bei der freien Kapitalaufbringung bleiben. Die Gesellschafter entscheiden dann selbst, wann und in welcher Form sie das gesetzliche Mindestkapital oder ein freiwillig höher festgelegtes Stammkapital einzahlen. Damit verlagert sich der Gläubigerschutz von der präventiven zur repressiven Kontrolle. Spätestens im Stadium der Zahlungsunfähigkeit käme die Forderung auf die Gesellschafter zu, jetzt endlich ihre versprochene Kapitaleinlage zu leisten. Sollten sie dies gar nicht oder in nicht nachweisbarer Form getan haben, entsteht ein großer Anreiz, die Krise der Gesellschaft zu vermeiden. Der Gesellschafter, dem bei Herannahen der Krise bewusst wird, dass er zu einem Teil noch in der persönlichen Haftung steht, wird sich möglicherweise intensiver um die Rettung der Gesellschaft bemühen als der Gesellschafter, der – nach deutschem GmbH-Modell – seine Leistung schon bei der Gründung ordnungsgemäß erbracht und daher nichts mehr zu verlieren hat. Darin liegt ein für deutsche Verhältnisse zwar ungewohntes, aber doch in sich stimmiges Gläubigerschutzkonzept53.
3. Konflikte zwischen Gesellschaftern Eine kapitalmarktferne Gesellschaft mit geschlossenem Gesellschafterkreis ist typischerweise auf eine enge Zusammenarbeit der Gesellschafter angelegt und angewiesen54. Anders als bei einer börsennotierten Gesellschaft ist es auch nicht ohne weiteres möglich, die Gesellschaft durch Verkauf der Anteile zu verlassen. Häufig sind die Anteile sogar vinkuliert, um eine freie Fluktuation der Gesellschafter zu vermeiden. Dies verleiht einem Konflikt zwischen Gesellschaftern besondere Brisanz. Mitunter ist man auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet und reißt durch einen 52 Auf die besonders flexiblen Regelungen weisen auch Lanfermann/Richard, BB 2008, 1610 (1611 f., 1614) hin. 53 Ebenso die Einschätzung des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 32. Demgegenüber vermag der Bundesrat (o. Fn. 21) in dem Entwurf kein stimmiges Gläubigerschutzkonzept zu erkennen. 54 Steding, NZG 2000, 913 (917); Dejmek, Die Europäische Privatgesellschaft und die dänische Anpartsselskab, 2003, S. 37; Davies/Rickford, ECFR 2008, 239 (261); Neville in Neville/Engsig Sørensen, The European Private Company: An inspiration for Future Reforms?, in The Internationalisation of Companies and Company Laws, 2001, S. 83 (89); so auch schon: Boucourechliev, Pour une SARL Européenne, 1973, S. 232; Schwarz in De Kluiver/Van Gerven, European Private Company?, 1995, S. 221.
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langwierigen und aufreibenden Streit das gesamte Unternehmen mit in den Abgrund. Der SPE-Vorschlag enthält daher zu Recht ein gesetzlich vorgegebenes Grundgerüst zur Klärung derartiger Konflikte. Ein Gesellschafter, der durch sein Verhalten der Gesellschaft schwer geschadet hat, kann durch Gerichtsentscheidung ausgeschlossen werden (Art. 17). Das kann im Einzelfall auch der Mehrheitsgesellschafter sein, wenn das Gericht feststellt, dass er der eigentliche Störenfried ist. Umgekehrt kann ein Minderheitsgesellschafter, der in der Gesellschaft zu seinem eigenen Schaden festgehalten wird, bei Vorliegen bestimmter wichtiger Gründe seinen Austritt erklären (Art. 18). Der einzige Mangel dieser Vorschrift liegt darin, dass er die einschlägigen Fälle enumerativ aufzählt (z. B. keine Ausschüttung von Gewinnen über drei Jahre lang, obwohl die Finanzlage eine Ausschüttung erlaubt hätte). Sinnvoll wäre eine Generalklausel, dass ein Gesellschafter allgemein aus wichtigem Grund ausscheiden könne, dessen Vorliegen gegebenenfalls gerichtlich überprüft werden müsste55. Denn im Innenleben einer kleinen Kapitalgesellschaft sind derart viele Konfliktmöglichkeiten denkbar, dass eine enumerative Aufzählung immer in die Gefahr gerät, einen wichtigen Fall auszulassen. Als Vorstufe von Ausschluss oder Austritt sieht der Entwurf ein Informationsrecht vor. Jeder Gesellschafter hat das Recht, über die Angelegenheiten der Gesellschaft ordnungsgemäß unterrichtet zu werden und entsprechende Fragen an die Unternehmensleitung zu stellen (Art. 28). Zusätzlich können Gesellschafter, die insgesamt mindestens 5 % der Anteile besitzen, einen unabhängigen Sachverständigen mit der Untersuchung bestimmter Vorfälle beauftragen (Art. 29 Abs. 2). Diese Regelung erscheint für eine kapitalmarktferne Gesellschaft ein wenig überdimensioniert, da eine Sonderprüfung mit erheblichen Kosten verbunden ist. Es reicht aus, den Gesellschafter mit einem Informationsrecht auszustatten, das er gegebenenfalls auch mit Hilfe externer Sachverständiger wahrnehmen kann56.
55 In diesem Sinne Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (904) und Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 35. In diese Richtung weist nun auch die Entschließung des Europäischen Parlaments (vgl. o. Fn. 29). 56 In diesem Sinne Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 ff., These 38.
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V. Ausblick Die Verhandlungen in Brüssel sind seit vielen Monaten in vollem Gange. Zustimmung findet das Projekt dem Vernehmen nach vor allem bei den neuen Mitgliedstaaten, Kritik kommt nicht zuletzt aus Österreich und Deutschland. Zentrale Streitfragen sind die Regelung des anwendbaren Rechts, das grenzüberschreitende Element und das Mindestkapital. Das grenzüberschreitende Element und das Mindestkapital sind zumindest aus Sicht der mittelständischen exportorientierten Wirtschaft keine Themen, die von der Nutzung einer SPE abschrecken müssten. Beim anwendbaren Recht allerdings sollte bedacht werden, dass der spezifische Nutzen der SPE damit steht und fällt, dass nationales Recht weitestgehend ausgeschlossen bleibt. Darüber hinaus ist gerade für Deutschland die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ein wichtiges Anliegen. Der SPE-Vorschlag öffnet der Mitbestimmungsvermeidung Tür und Tor. Denn er erlaubt der SPE, Satzungssitz und Hauptverwaltung in verschiedenen EU-Staaten anzusiedeln (Art. 7); gleichzeitig verweist er für das Mitbestimmungsrecht auf das Recht des Staates, in dem die SPE ihren Registersitz hat (Art. 34 Abs. 1). Ein deutsches Unternehmen könnte also eine SPE in England registrieren, deren Hauptverwaltung in Deutschland liegt – die deutsche Mitbestimmung wäre nicht mehr anwendbar, obwohl es sich wirtschaftlich betrachtet um ein deutsches Unternehmen handelt. Deutschland und andere Staaten mit langer Mitbestimmungstradition werden dem nicht zustimmen können. An Kompromisslösungen besteht kein Mangel57. Das Europäische Parlament hat nach langer Diskussion unter den politischen Fraktionen einen validen Vorschlag unterbreitet, dem man sich anschließen kann58. Manche Detailfrage, die hier nicht angesprochen werden konnte, wird noch weiteres Nachdenken erfordern. Allerdings zeigt die Erfahrung mit der Societas Europaea (SE), über die man dreißig Jahre lang beraten hat, dass europäische Rechtstexte durch lange Diskussionen nicht zwingend an Qualität und Überzeugungskraft gewinnen. Die Erfahrung mit der SE zeigt außerdem, dass in der wirtschaftlichen Realität Konstellationen auf-
57 Ausführlich dazu: Hommelhoff/Krause/Teichmann, GmbHR 2008, 1193 ff. 58 Siehe Beschluss v. 10. 3. 2009 (vgl. o. Fn. 29).
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treten, an die selbst im Verlauf von dreißig Jahren am grünen Tisch niemand gedacht hat. Schon aus diesem Grunde ist den Verhandlungen zur SPE ein zügiger Abschluss zu wünschen. Es ist sinnvoller, nach dem Vorbild der SE-VO (Art. 69) in einzelnen Punkten einen Prüfauftrag an die Kommission zur eventuellen späteren Anpassung des Statuts auszusprechen, als alle denkbaren Eventualitäten schon im ersten Anlauf durchregeln zu wollen. Niemand muss die SPE benutzen – viele werden sie, aller Unkenrufe zum Trotz, verwenden, wenn sie auch nur annähernd den Zuschnitt beibehält, den der bisherige Entwurf erkennen lässt.
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Praxisfragen der Europäischen Privatgesellschaft Daniela Weber-Rey, LL. M. (Columbia University) Rechtsanwältin, Frankfurt am Main I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . 1. Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen . . . . . 2. Weitere Einsatzbereiche der SPE . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Charakteristika der SPE zur Erreichung dieser Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Umsetzung in den einzelnen Regelungsbereichen . . . .
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1. Gründung ex nihilo . . . . . . . . . 2. Gründung aus bestehenden nationalen Gesellschaften . . . . 3. Registersitz und Hauptverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leitungsstrukturen . . . . . . . . . 5. Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . 7. Ausschüttungen . . . . . . . . . . . .
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V. Zusammenfassende Thesen . .
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I. Einleitung Mit der Europäischen Privatgesellschaft (nachfolgend Societas Privata Europaea – „SPE“) soll eine kapitalmarktferne, supranationale Rechtsform mit eigener Rechtspersönlichkeit, beschränkter Haftung und geschlossenem Gesellschafterkreis geschaffen werden1. Die Arbeiten hierzu begannen mit einer privaten Initiative der rechtswissenschaftlichen Forschungsabteilung der Pariser Industrie- und Handelskammer (CREDA) im Jahr 1995, die in einer Arbeitsgruppe aus französischen, deutschen, englischen und niederländischen Rechtswissenschaftlern und Praktikern die Leitlinien und Eckpunkte für die SPE erarbeitete. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe veröffentlichte der französische Arbeitgeberverband (MEDEF) 1998 einen „Verordnungsentwurf zur Europäischen Privatgesellschaft“2 . Erst 2003 definierte die Europäische Kommission die Einführung eines Statuts für eine SPE im Aktionsplan zur „Modernisie-
1 Die Wesensmerkmale der SPE definiert Art. 3 Abs. 1 des Vorschlags für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, KOM (2008) 396; vgl. auch Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925, 928 f. 2 Vgl. die deutschen Übersetzungen in Boucourechliev/Hommelhoff, Vorschläge für eine Europäische Privatgesellschaft, 1999, S. 281 ff.; siehe hierzu auch Helms, Die Europäische Privatgesellschaft, 1998.
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rung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der EU“ als mittelfristiges Ziel3. Infolge eines Initiativreports des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zum Statut der europäischen Privatgesellschaft4 legte die Kommission im Rahmen des Small Business Act5 am 25. Juni 2008 die Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft („SPE-VO“) vor6. Die Verordnung soll nach Art. 48 SPEVO am 1. Juli 2010 in Kraft treten7.
II. Zielsetzung 1. Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen Ausweislich der Begründung der SPE-VO soll die SPE die Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“)8 durch „Erleichterung ihrer Niederlassung und Tätigkeit im Binnenmarkt erhöhen“9. Eine Stärkung der Stellung der KMU im europäischen Binnenmarkt erscheint dringend angezeigt. Sie machen mehr als 99 % der Unternehmen 3 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM (2003) 284, endg. vom 21. Mai 2003, S. 25 f.; Übersicht bei Hopt, ZIP 2005, 461, 465; Maul/Lanfermann/Eggenhofer, BB 2003, 1289, 1295. 4 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. November 2006 (2006/2013(INI)): ausführlich hierzu Hommelhoff, FS Priester, 2007, 245 ff.; Fietz, GmbHR 2007, R321 f. 5 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Vorfahrt für KMU in Europa – Der „Small Business Act“ für Europa, KOM (2008) 394, endg. vom 25. Juni 2008, S. 5; ausführlich hierzu: Weber-Rey, AG-Report 2008, R132 f.; vgl. auch Fischer zu Cramberg, NZG 2008, 546. 6 Überblick bei Maul/Röhricht, BB 2008, 1574 ff.; Peters/Wüllrich, DB 2008, 2179 ff. 7 Vgl. zum weiteren Zeitplan Müller, AG-Report 2008, R512, R514. 8 Nach der Defi nition der Europäischen Kommission zählen hierzu: Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern und einem Umsatzerlös, der 50 Mio. Euro oder einer Bilanzsumme, die 43 Mio. Euro nicht überschreitet (mittlere Unternehmen), Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern und einem Umsatzerlös oder einer Bilanzsumme, die 10 Mio. Euro nicht überschreiten (kleine Unternehmen) und Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Umsatz bzw. einer Bilanzsumme von weniger als 2 Mio. Euro (Kleinstunternehmen); vgl. Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (Amtsblatt L124 vom 20. Mai 2003). 9 KOM (2008) 396, S. 2.
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aus10. Dennoch waren KMU bislang, anders als große Unternehmen und Konzerne11, nicht im Fokus der gesellschaftsrechtlichen Reformbestrebungen auf europäischer Ebene12 . Aufgrund der fehlenden Harmonisier ung des Gesellschaftsrechts in den 27 Mitgliedstaaten der EU in diesem Bereich bestehen für KMU erhebliche psychologische Hemmnisse, bei der Gründung einer Gesellschaft im europäischen Ausland in einer für sie fremden Rechtsordnung tätig zu werden13. Zudem fallen unverhältnismäßig hohe Kosten für die Rechtsberatung bei der Gründung und dem Betrieb von Auslandsgesellschaften an, da in jeder Rechtsordnung ein eigener nationaler Rechtsberater erforderlich ist und auf die verschiedenen nationalen Besonderheiten Rücksicht zu nehmen ist14. So wurden die externen Beratungskosten für die Gründung von Tochterunternehmen in Polen und Tschechien von Kristina Schunk für die Schunk GmbH & Co. KG vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments auf 30 000 Euro – 40 000 Euro beziffert15. Im Hinblick auf diese für KMU oft prohibitiven Kosten verwundert es nicht, dass lediglich 8 % der KMU in der EU grenzübergreifend Handel treiben und nur 5 % über Tochtergesellschaften oder Gemeinschaftsunternehmen im Ausland verfügen16. Diese Kosten würden nach einer vom VDMA 2008 in Auftrag gegebenen Studie um bis zu 80 % reduziert, wenn Tochterunternehmen nicht mehr nach dem jeweiligen nationalen Recht, sondern nach dem Muster der SPE gegründet werden könnten17. Eine Umfrage des VDMA aus 2002 zeigt beeindruckend, dass durch die Schaffung einer SPE die psychologischen und wirtschaftlichen Hemmnisse vor grenzüberschreitenden Aktivitäten in der Praxis nachhaltig be10 KOM (2008) 396, S. 2. 11 Vgl. in diesem Bereich nur die Schaffung der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE) als supranationale Rechtsform, Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft; zur „AG-Lastigkeit der Gesellschaftsrechtsangleichung“ Krause, EuZW 2003, 747 ff. 12 Vgl. Krause (Fn. 11), 749 f.; Wicke, GmbHR 2006, 356; Hommelhoff, AG 2001, 279, 287, spricht von einem „organisationsrechtliche[n] Wettbewerbsvorsprung“ der großen Unternehmen und Konzerne vor den KMU. 13 So auch Helms (Fn. 2), S. 13 ff.; Ehricke, in: Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 17, 32. 14 Vgl. Vossius, EWS 2007, 438, 439; Kaiser, Die Europäische Privatgesellschaft und die Spanische Sociedad de Responsabilidad Limitada, 2008, S. 24; Hommelhoff (Fn. 12), 287. 15 Schunk, ECL 2006, 275 ff. 16 KOM (2008) 396, S. 2. 17 Steinberger, BB 2008, M1.
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seitigt werden können. In der Studie haben 95 % der 75 befragten deutschen KMU angegeben, eine Tochtergesellschaft in Form der SPE gründen zu wollen, wenn eine solche zur Verfügung stünde18. Einen europaweiten Bedarf weist schließlich die Machbarkeitsstudie der Europäischen Kommission aus 2005 nach, bei der rund 50 % der mehr als 2 000 aus allen (damals) 25 EU-Mitgliedstaaten befragten KMU die Schaffung einer europaweit einheitlichen SPE befürworteten19. Im Hinblick auf diese eindeutigen Voten der Praxis erscheint es wahrscheinlich, dass die SPE zu einer Steigerung der grenzüberschreitenden Aktivitäten von KMU beitragen kann und somit einerseits das Ziel der Vertiefung des europäischen Binnenmarkts vorangetrieben20 und andererseits ein Beitrag zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele der Lissabon Strategie für Wachstum und Beschäftigung21 geleistet werden kann.
2. Weitere Einsatzbereiche der SPE Trotz einer Fokussierung auf KMUs ist der A nwendungsbereich der SPEVO ausdrücklich nicht auf diese begrenzt. Die SPE soll vielmehr auch größeren Unternehmen und Gruppen offen stehen, die gegebenenfalls bereits bestehende Tochtergesellschaften im europäischen Ausland haben22. Für diese besteht ein erhebliches Interesse, ihre Tochtergesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten einheitlich als SPE organisieren zu können23. Ein weiterer Einsatzbereich ist bei grenzüberschreitenden Joint Ventures zu sehen. Das Gelingen dieser ist entscheidend davon abhängig, dass als Trägergesellschaft eine Gesellschaftsform gefunden wird, mit der alle beteiligten Parteien vertraut sind und sich gleichermaßen in ihren, gegebenenfalls widerstreitenden, Interessen vertreten fühlen. Hier bietet die SPE als eine supranationale „neutrale Rechtsform“ eine gute Grundlage, um
18 Vgl. Hommelhoff, FS Doralt, 2004, 199, 201 f.; Steinberger, BB 2006, 27, 28 f. 19 Abschlussbericht der Machbarkeitsstudie über ein europäisches Statut für KMU, Lettre de Contrat N° FIF 20030950, 2005; Analyse bei Teichmann, in: Bartman, European Company Law in Accelerated Progress, 2006, S. 145, 152 ff. 20 Ähnlich Peters/Wüllrich (Fn. 6), 2187. 21 Umsetzung des Lissabon Programms der Gemeinschaft – Eine zeitgemäße KMUPolitik für Wachstum und Beschäftigung, KOM (2005) 551, endg. vom 11. November 2005; siehe auch Steinberger (Fn. 18), 27. 22 KOM (2008) 396, S. 2; vgl. zu Konzernen als Zielgruppe der SPE Ehricke, in: Hommelhoff/Helms (Fn. 13), S. 17, 63 ff. 23 Kallmeyer, in: Hommelhoff/Helms (Fn. 13), S. 83, 84.
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den Ansprüchen der am Joint Venture beteiligten Parteien zu entsprechen24. Schließlich ist zu erwarten, dass die SPE bei Private Equity und Venture Capital Aktivitäten zum Einsatz kommt. So ist aufgrund der Einheitlichkeit der SPE zum einen eine Erleichterung bei Übernahmen von SPE-Gesellschaften möglich, da sie als standardisierte Gesellschaftsform auch ausländischen Käufern vertraut sein wird25. Zum anderen wirkt sich die Standardisierung positiv auf die laufenden Kosten der Verwaltung eines Portfolios von Gesellschaften bei Private Equity Unternehmen aus. Die SPE kann auch als sehr gut geeignetes Investitionsvehikel für M&ATransaktionen von Private Equity Unternehmen eingesetzt werden26.
III. Charakteristika der SPE zur Erreichung dieser Zielsetzung Die Ausgestaltung der SPE orientiert sich in erster Linie an den Bedürfnissen von KMU. Sie soll aber gleichzeitig auch als attraktive Rechtsform für andere Einsatzbereiche dienen. Die Erreichung der in die SPE gesteckten Ziele wird insbesondere über die folgenden Charakteristika sichergestellt: Die Gründung der SPE soll schnell und unbürokratisch erfolgen. Insbesondere bei Start-Up Unternehmen ist die Gründung einer Gesellschaft als erste entscheidende Hürde zu sehen, die einer Realisierung der eigenen Geschäftsidee gegebenenfalls im Wege stehen kann. Der Erfolg einer Geschäftsidee hängt mitunter gerade davon ab, ob eine einfach zu gründende Gesellschaftsform bereitsteht. Als europäische Gesellschaftsform soll die SPE einen hohen Grad an Mobilität innerhalb der EU genießen. Nach der unerwartet restriktiven Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Cartesio27 ist dies ein wesentlicher Vorteil der SPE gegenüber nationalen Rechtsformen, die in ihrer Mobilität durch das nationale Recht eingeschränkt sein können.
24 Simon bei einer Fachtagung der Kommission in Brüssel am 10. 3. 2008, zitiert von Teichmann, GmbHR 2008, R113; Ehricke, in: Hommelhoff/Helms (Fn. 13), S. 17, 54 ff.; Helms (Fn. 2), S. 150; Hommelhoff, GLJ 2008, 799, 803. 25 Vossius (Fn. 14), 439; Hörmann/Thiäner/Feldhaus, PEVCR in IFLR 2008, S. 21. 26 Hörmann/Thiäner/Feldhaus (Fn. 25), S. 21. 27 Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. 12. 2008, Rechtssache C-210/06 (Cartesio).
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Die SPE-VO gewährt den Gründern und Gesellschaftern weitreichende Gestaltungsfreiheiten im Innenverhältnis der Gesellschaft. Diese Flexibilität gestattet es, die SPE entsprechend den unterschiedlichen Anforderungen auszugestalten, wie sie insbesondere von KMU an die von ihnen genutzte Gesellschaftsform gestellt werden28. Der Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis steht eine hohe Rechtssicherheit im Außenverhältnis, insbesondere gegenüber Gläubigern, durch verbindliche Vorgaben der SPEVO gegenüber. Gesetzliche Bestimmungen zum Gläubigerschutz als Korrelat zu der Beschränkung der Haftung der Gesellschafter entsprechen der allgemeinen Rechtstradition in Europa29 und erscheinen notwendig, um die Akzeptanz der SPE zu garantieren. Der Erfolg der SPE wird schließlich ganz wesentlich von ihrer Einheitlichkeit abhängen30. Anders als die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft („SE-VO“)31 ist die SPE-VO als gesellschaftsrechtliches Vollstatut ausgestaltet, das nur sehr beschränkt den Rückgriff auf nationales Recht vorsieht32 . Erreicht wird dies durch ein enges Zusammenspiel z wischen zwingenden Vorgaben in der SPE-VO und dispositiven Regelungsaufträgen an die (Gr ündungs-)Gesellschafter, die in Anhang I gleichsam einer Checkliste aufgezählt werden. Lediglich, wenn weder die SPEVO noch die Satzung der SPE im Sinne von Anhang I der SPE-VO eine Regelung treffen, soll das entsprechende nationale Recht Anwendung finden33.
28 Hommelhoff (Fn. 24), 807; Helms (Fn. 2), S. 142; vgl. auch Peters/Wüllrich, NZG 2008, 807 ff. 29 Haas, in: Hommelhoff/Helms (Fn. 13), S. 155 ff.; Kaiser (Fn. 14), S. 39. 30 Hopt, EuZW 2008, 513, sieht dies als wichtigste Voraussetzung für die Akzeptanz der SPE. 31 Vgl. Fn. 11; zur fragmentarischen Ausgestaltung der SE-VO vgl. nur Casper, FS Ulmer, 2003, 51, 52. 32 J. Schmidt, EWS 2008, 455, 456; Hommelhoff/Teichmann (Fn. 1), 929; Steinberger (Fn. 17), M1. 33 Art. 4 Satz 2 SPE-VO, KOM (2008) 396, S. 6; Übersicht zur Regelungstechnik bei Weber-Rey, ECFR 2007, 370, 411; grundlegend Dejmek, NZG 2001, 878, 880 ff.
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IV. Umsetzung in den einzelnen Regelungsbereichen 1. Gründung ex nihilo Die SPE-VO verzichtet in Art. 5 Abs. 1, anders als die SE-VO34, auf einen numerus clausus der Gründungswege. So gestattet Art. 5 Abs. 1 lit. (a) SPE-VO auch eine Neugründung (ex nihilo) durch eine oder mehrere natürliche und/oder juristische Personen (Gründungsgesellschafter). Die nach Art. 10 SPE-VO zur Gründung erforderlichen Eintragungsformalitäten sehen lediglich eine Antragstellung vor, die auch in elektronischer Form abgegeben werden kann. Für einen Antrag zur Eintragung können ausschließlich die in Art. 10 Abs. 2 SPE-VO abschließend aufgezählten Angaben und Dokumente verlangt werden. Eine besondere Erleichterung ist darin zu sehen, dass die Durchführung der Rechtmäßigkeitskontrolle der Gründung alternativ entweder durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder durch eine notarielle Beurkundung zu erfolgen hat. Eine Kumulation der Formalitäten ist ausgeschlossen. Nach Art. 9 Abs. 2 SPE-VO erlangt die SPE mit der Eintragung Rechtsfähigkeit. Durch die erhebliche Beschleunigung der Gründungen der SPE wird das in Deutschland für die GmbH entwickelte komplexe und umstrittene Institut der Vorgesellschaft entbehrlich35. Mit der Entbehrlichkeit einer solchen Vorgesellschaft wird einerseits die Rechtssicherheit erhöht, andererseits werden die bestehenden psychologischen Hemmschwellen der Gründungsgesellschafter vor einer Gründung im Ausland abgebaut. Um auch Unternehmen in der Startphase die Gründung als SPE zu ermöglichen, wurde auf ein Mehrstaatlichkeitserfordernis verzichtet. Ein solches Erfordernis würde die Gründung einer SPE gerade solchen jungen Unternehmen verbauen, die zwar anfangs lediglich national tätig sind, die aber vorhaben, grenzüberschreitend tätig zu sein und gerade auch von den Vorteilen dieser Rechtsform profitieren sollen. Die SPE würde durch ein Mehrstaatlichkeitserfordernis einen wichtigen Anwendungsbereich verlieren36. Zudem hat sich bereits bei der Societas Europaea („SE“) gezeigt, dass ein Mehrstaatlichkeitserfordernis in der Praxis leicht umgangen werden kann
34 Zum numerus clausus der Gründungsformen in der SE-VO vgl. Oechsler, in: MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 2 SE-VO Rz. 1-4. 35 So auch Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897, 905; vgl. zur Vor-GmbH nur Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rz. 31 ff. 36 KOM (2008) 396, S. 3.
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und dann mehr als bloßer (kostenintensiver) Formalismus, denn als materielle Voraussetzung wahrgenommen wird37. Mit dem Verzicht auf ein Mehrstaatlichkeitserfordernis und der unbürokratischen und einheitlichen Gründung einer SPE werden schließlich auch die Forderungen der „Sachverständigengruppe zum Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Transaktionen“38 berücksichtigt. Die Hemmschwelle für die Gründung innovativer Unternehmen wird herabgesetzt. Zudem werden durch die einheitliche Struktur der Zielgesellschaften die Beteiligung von und Finanzierungen durch Venture Capital Unternehmen deutlich erleichtert, die sich gerne auf der Grundlage einmal festgelegter Musterverträge ihre Beteiligungen aufbauen und strukturieren. Durch den Gleichlauf der Gründung sind insbesondere bei der rechtlichen Beratung von KMU und Konzernen, die eine Vielzahl von Tochtergesellschaften gründen wollen, erhebliche Einsparungen zu erwarten. Wenn die Gründer mit dem Gründungsablauf vertraut sind, dürften die Gründungskosten mit jeder weiteren Gründung deutlich geringer ausfallen39. Zudem sind vereinfachte interne Verhandlungen mit den Vertragspartnern zu erwarten, da stets auf die parallelen, gleichförmigen Gründungen hingewiesen werden kann. Zeitaufwändige Auseinandersetzungen über die Strukturen der zu gründenden Gesellschaft entfallen. Bei zu gründenden Joint Ventures kommt der „Neutralität“ der SPE als Gesellschaftsform große Bedeutung zu. Bei der Gründung als SPE ist keiner der Beteiligten gezwungen, eine Gründung in einer ihm fremden Rechtsform durchzuführen. Vielmehr können sich die Joint-Venture-Partner mit der SPE auf eine Rechtsform einigen, die beiden Seiten gleichermaßen vertraut ist. Insbesondere bei Joint Ventures, die auf ein striktes Gleichgewicht der Kräfte angewiesen sind, kann dies das entscheidende
37 Vgl. ausführlich Oechsler, NZG 2005, 697, 699 m. w. N.; ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip ist auch ohne ein Mehrstaatlichkeitserfordernis nicht zu befürchten: KOM (2008) 396, S. 3; Teichmann (Fn. 24), R114. 38 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Investitionen von Risikokapitalfonds, KOM (2007) 853, endg. vom 21. Dezember 2007, S. 10 f.; Übersicht zu den sonstigen Entwicklungen im Bereich des Risikokapitals bei Weber-Rey, AG-Report 2007, R7 f. 39 Anschaulich Vossius (Fn. 14), 439; vgl. Erwägungsgründe zur SPE-VO, KOM (2008) 396, S. 13 f.
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Argument für eine Realisierung des Joint Ventures in der Rechtsform der SPE sein40.
2. Gründung aus bestehenden nationalen Gesellschaften Neben der Neugründung besteht auch die Möglichkeit der Gründung einer SPE aus einer bereits bestehenden nationalen Gesellschaft. Erfreulich ist, dass dieser Gründungsweg, wiederum anders als bei der SE, allen mitgliedstaatlich gegründeten Gesellschaften offen steht, so dass auch bei einer Gründung aus bestehenden nationalen Gesellschaften ein hohes Maß an Flexibilität erreicht wird41. Für KMU und Konzerne ist insbesondere die dadurch eröffnete Möglichkeit zum identitätswahrenden Formwechsel bei bereits bestehenden nationalen Tochtergesellschaften attraktiv, um so eine einheitliche Konzernstruktur zu etablieren42 .
3. Registersitz und Hauptverwaltung Nach Art. 7 SPE-VO besteht die Möglichkeit des anfänglichen oder nachträglichen Auseinanderfallens von Registersitz und Hauptverwaltung der SPE43. Die SPE soll mithin frei entscheiden können, ob sie den Standort ihrer Hauptverwaltung auch in dem Mitgliedstaat haben möchte, in dem sie sich zur Gründung hat eintragen lassen. Als supranationale europäische Gesellschaftsform soll für sie allerdings die Einschränkung bestehen, dass sie ihren Registersitz und ihre Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat der EU haben muss. Die freie Sitzwahl ermöglicht es, durch eine gezielte Wahl des Registersitzes dasjenige Recht des Mitgliedstaates wählen zu können, das ergänzend zu den Vorschriften der SPE-VO gelten soll. Dies ist insbesondere für Joint Venture Unternehmen interessant. Eine erhöhte Mobilität wird schließlich durch die in Art. 35 Abs. 1 SPE-VO ermöglichte grenzüberschreitende Registersitzverlegung unter Wahrung der Rechtspersönlichkeit und ohne Zwang zur Auflösung gewährleistet. Mittels dieser erhöhten Mobilität wird KMU und Konzernen eine flexible Handhabung ihrer Tochtergesellschaften ermöglicht, um sich zügig verän40 Maul/Röhricht (Fn. 6), 1579; Peters/Wüllrich (Fn. 28), 812. 41 Art. 5 Abs. 1 lit. (b)–(d), Abs. 3 SPE-VO; krit. zum begrenzten Zugang zur SE Hirte, NZG 2002, 1, 4. 42 So gaben 54 % der vom VDMA befragten Unternehmen (siehe Fn. 18) an, dass sie auch bereits bestehende Tochtergesellschaften in eine SPE umwandeln würden; vgl. auch Hommelhoff/Teichmann (Fn. 35), 901. 43 Dazu ausführlich Peters/Wüllrich (Fn. 28), 809 ff.
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dernden Marktsituationen anpassen zu können. Hierdurch wird eine optimale Ressourcenallokation gewährleistet.
4. Leitungsstrukturen Die SPE-VO ermöglicht den Gesellschaftern, die Corporate Governance der SPE nach ihren speziellen Bedürfnissen und Vorstellungen auszugestalten. Vorgaben über die Struktur enthält einzig Art. 2 Abs. 1 SPE-VO, der bestimmte Begrifflichkeiten vorschreibt44. Die Gesellschafter können frei zwischen einer monistischen oder einer dualistischen Leitungsstruktur wählen, so dass sie die Leitungsstruktur der SPE entsprechend ihrer jeweiligen nationalen Rechtstradition bestimmen können. Das psychologische Hemmnis der Gründung einer Gesellschaft mit einer für die Gründungsgesellschafter „fremden“ Leitungsstruktur entfällt hierdurch. Auch innerhalb der Auswahl zwischen monistischem und dualistischem Aufbau ist die Corporate Governance in mehreren Varianten gestaltbar. So können die Gesellschafter selbst entscheiden, ob sie ein Aufsichtsorgan im dualistischen Aufbau vorsehen möchten45, oder ob sie, bei einem monistischen Aufbau, eine zentrale oder eine dezentrale Unternehmensleitung wünschen. Diese Flexibilität soll es ermöglichen, die Leitungsstrukturen den Erfordernissen im Einzelfall anzupassen, so dass die SPE eine taugliche Gesellschaftsform für viele Einsatzbereiche wird46. Insbesondere KMU und Konzerne können über eine einheitliche Leitungsstruktur in den Tochtergesellschaften im Verbund eine Vereinfachung der Steuerung erreichen und so die laufenden Kosten verringern. Zudem sind Erleichterungen bei den Verhandlungen über die Corporate Governance einer Tochtergesellschaft mit deren zukünftigen Führungspersönlichkeiten zu erwarten, wenn auf eine einheitliche Praxis verwiesen werden kann. Zwingend vorgeschrieben werden in Art. 31 SPE-VO die allgemeinen Pflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung. So hat ein Mitglied der Unternehmensleitung stets im bestmöglichen Interesse der Gesellschaft 44 Ausführlich zu den Begriffsbestimmungen Hommelhoff/Teichmann (Fn. 35), 902. 45 Einschränkungen können sich ergeben, wenn nach nationalem Recht (vgl. Art. 34 SPE-VO) eine Arbeitnehmermitbestimmung zwingend vorgeschrieben ist; vgl. KOM (2008) 396, S. 9. 46 Dies als „unzweifelhaft eine[n] der größten Pluspunkte der SPE“ bezeichnend J. Schmidt (Fn. 32), 460.
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zu handeln und jede Situation zu vermeiden, die zu einem tatsächlichen oder potentiellen Interessenkonflikt führen kann. Jedes Mitglied der Unternehmensleitung hat die Gesellschaft mit der Sorgfalt und Eignung zu leiten, „die vernünftigerweise für die Ausübung der Tätigkeit gefordert werden können“. Konkretisiert werden diese allgemeinen Pflichten durch zwingende Pflichten in der SPE-VO und die in der Satzung der SPE im Einzelnen benannten Pflichten. Eine Bestimmung der Pflichten kann zudem jederzeit durch einen Beschluss der Gesellschafter vorgenommen werden. Im Übrigen wird eine Konkretisierung durch die nationalen Gerichte vorzunehmen sein47.
5. Verwaltung Die Verwaltung der SPE ist der Bereich, der am weitestgehenden der Selbstbestimmung der Satzungsgeber überlassen wird. Es besteht hierbei ein klares Nebeneinander von zwingenden, zulässigen und freien Regelungen, wobei die zulässigen Regelungen in solche mit Regelungsvorgaben und ohne Regelungsvorgaben unterteilt werden können. Die Gestaltungsfreiheit in diesem Bereich stellt gleichzeitig erhöhte Ansprüche an die Gründer, entsprechende Regelungen zu treffen. Zur Erleichterung der Gründung und der Minimierung der Beratungskosten werden Mustersatzungen bereitgestellt, die die Gründer teilweise oder vollständig übernehmen können. Die Mustersatzungen bieten zudem ein hohes Maß an Rechtssicherheit, da ihre rechtliche Zulässigkeit vorausgesetzt werden kann48. Durch die hohe Flexibilität bei der Gestaltung der inneren Struktur wird es KMU und Konzernen wiederum ermöglicht, ihre Tochtergesellschaften einheitlich zu strukturieren, um so durch Skaleneffekte die laufenden Kosten zu minimieren. Bei hundertprozentigen Tochtergesellschaften bietet es sich zudem an, nach Maßgabe von Art. 26 Abs. 1 Satz 2 SPE-VO einen Großteil der Kompetenzen von der Unternehmensleitung auf die Gesellschafter zu verlagern, so dass die Tochtergesellschaft weitgehend aus dem Konzern heraus gesteuert wird49. Hierbei ist allerdings, um die Haftungsrisiken nach Art. 30 Abs. 2 SPE-VO zu vermeiden, zwingend die Schwelle zur faktischen Geschäftsführung zu vermeiden. 47 KOM (2008) 396, S. 10. 48 Vgl. zu den Vorteilen von Mustersatzungen: Drury, ECL 2006, 267, 270 f.; Hommelhoff (Fn. 24), 813 f.; Helms, in: Hommelhoff/Helms (Fn. 13), S. 259 ff.; nach den Neuerungen durch das MoMiG findet sich ein sog. Musterprotokoll nun auch zur Gründungsvereinfachung einer GmbH in der Anlage zum GmbHG; vgl. die Darstellung bei Hirte, NZG 2008, 761 f. 49 Hommelhoff/Teichmann (Fn. 35), 902.
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Eine erhebliche faktische Erleichterung, die insbesondere auch den zu erwartenden räumlichen Distanzen zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften von KMU und Konzernen Rechnung trägt, ist der in Art. 27 Abs. 3 SPE-VO vorgesehene Verzicht auf das Erfordernis der physischen Anwesenheit bei Gesellschafterversammlungen der SPE. Das Leitungsorgan kann die Vorlagen für die zu treffenden Beschlüsse an den Anteilseigner zusammen mit den für die Entscheidung erforderlichen Informationen senden und der Beschluss kann infolgedessen schriftlich (einschließlich elektronisch) gefasst werden. Die Anteilseigner haben sodann Kopien der gefassten Beschlüsse zu erhalten. Schließlich kann bei einem Joint Venture Unternehmen das gewünschte „Gleichgewicht“ der Beteiligten durch entsprechende Regelungen in der Satzung hergestellt werden. Durch umfangreiche Regelungen in der Satzung kann zudem der Rückgriff auf nationales Recht weitgehend entbehrlich gemacht werden.
6. Mitgliedschaft Zur Gewährleistung der erforderlichen Rechtssicherheit bedarf es in den besonders konfliktträchtigen Bereichen des Ausschlusses und des Austritts von Gesellschaftern einer zwingenden Regelung, die die Kriterien für die Umsetzung dieser Maßnahmen vorgibt50. Diesem Bedarf ist die SPEVO durch ausführliche Regelungen in Art. 17 und 18 nachgekommen. Neben den Voraussetzungen für den Ausschluss aus der Gesellschaft und für den Austritt eines Gesellschafters aus dieser, enthalten Art. 17 und 18 SPE-VO zudem zwingende Vorgaben bezüglich der praktisch wichtigen Frage der Preisbestimmung der „freiwerdenden“ Anteile. So wird diese beim Ausschluss stets, beim Austritt wenn keine Einigung erreicht wird, der Bestimmung durch ein Gericht überlassen. Mit dieser einheitlichen Praxis zur Bestimmung des Preises durch eine neutrale Instanz wird insbesondere sichergestellt, dass der Gesellschafter auch tatsächlich von seinem Austrittsrecht Gebrauch machen kann, ohne erhebliche wirtschaftliche Verluste befürchten zu müssen. Die Gesellschafter können in der Satzung weitere Ausschluss- bzw. Austrittskriterien festlegen51. Zudem stehen Minderheitsgesellschaftern, die mindestens 5 % der stimmberechtigten Anteile der Gesellschaft halten, nach Art. 29 SPE-VO erweiterte Informationsrechte zu. Sie können die Bestellung eines unabhängi50 Vgl. Hommelhoff/Teichmann (Fn. 1), 930; Helms (Fn. 2), S. 238 f. 51 Vgl. KOM (2008) 396, S. 8 (Anhang I, Kapitel III).
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gen Sachverständigen zur Aufklärung eines möglichen Verstoßes gegen die SPE-VO oder die Satzung verlangen und sind über das Ergebnis zu unterrichten52 . Ein sehr großer Gestaltungsfreiraum besteht für die Gesellschafter wiederum hinsichtlich der mit den Gesellschaftsanteilen verbundenen Rechte und Pflichten. Durch Bestimmungen in der Satzung können die Gesellschafter Anteilskategorien schaffen und diesen bestimmte Rechte und Pflichten zuweisen, so dass ihnen jede erdenkliche Gestaltungsoption offen steht. Die innere Struktur der SPE kann somit auch in diesem Bereich passgenau an die (sich gegebenenfalls ändernden) Bedürfnisse der Gesellschafter angepasst werden.
7. Ausschüttungen Die Kapitalerhaltung der SPE ist als wesentlicher Bestandteil des Gläubigerschutzes in Art. 21 SPE-VO durch eine zwingende Regelung über die Voraussetzungen und Grenzen von Ausschüttungen an die Gesellschafter geregelt. Zur Durchsetzung dieser Bestimmung besteht nach Art. 22 SPEVO eine Rückerstattungspflicht für rechtswidrige Ausschüttungen. Zu beachten ist, dass nach Art. 2 Abs. 1 lit. (b) SPE-VO nicht nur Dividenden erfasst sind, sondern „jeder finanzielle Vorteil, den ein Gesellschafter aufgrund der von ihm gehaltenen Anteile direkt oder indirekt aus der SPE zieht, einschließlich etwaiger Übertragung von Geld oder Immobilien sowie das Eingehen einer Schuld“. Dem Grundsatz der Kapitalerhaltung wird durch einen weiten Ausschüttungsbegriff entsprochen. Im Grundsatz sieht Art. 21 Abs. 1 SPE-VO die Durchführung eines Bilanztests vor, um zu bestimmen, ob eine Ausschüttung an die Gesellschafter rechtmäßig ist. Die SPE darf eine Ausschüttung mithin nur dann vornehmen, wenn im Anschluss an diese die Vermögenswerte der Gesellschaft ihre Schulden in vollem Umfang abdecken. Mit dem Bilanztest besteht für die SPE somit eine einfache und kostengünstige Ausschüttungssperre, die insbesondere für KMU eine handhabbare Grundlage für eine Ausschüttungsentscheidung bietet53. Da gem. Art. 25 SPE-VO für die Rechnungslegung die nationalen Rechnungslegungsvorschriften gelten54, kommt dem
52 Vgl. auch Peters/Dechow, GmbHR 2007, 236, 239, m. w. N. 53 Lanfermann/Richard, BB 2008, 1610, 1614. 54 Vgl. KOM (2008) 396, S. 8 f.; für eine in Deutschland registrierte SPE gilt mithin die HGB-Rechnungslegung (§§ 264 ff. HGB).
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Jahresabschluss nicht nur eine Informationsfunktion, sondern auch eine „Ausschüttungsbemessungsfunktion“ zu55. Fakultativ kann die Gesellschaft zusätzlich gem. Art. 21 Abs. 2 SPE-VO die Erstellung eines Solvenztests als Voraussetzung für eine Ausschüttung in ihrer Satzung festlegen. Durch die Unterzeichnung der Solvenzbescheinigung bestätigt das Leitungsorgan, dass „die SPE in dem auf die Ausschüttung folgenden Jahr in der Lage sein wird, ihre Schulden bei deren Fälligkeit im Rahmen ihrer normalen Geschäftstätigkeit zu begleichen“. Da die Solvenzbescheinigung zu veröffentlichen ist, wird mit der Verpflichtung zur Anfertigung eines Solvenztests eine Stärkung des Vertrauens der Gesellschaftsgläubiger in die Kreditwürdigkeit der SPE erreicht56. Insbesondere für Unternehmen, die sich im Bereich des Private Equity und Venture Capital nach internationalen Standards bewegen und finanzieren, kann die Festschreibung eines Solvenztests somit empfehlenswert sein, um eine höhere Akzeptanz bei potenziellen Geschäfts- und Finanzierungspartnern zu erreichen. Für die Praxis ist mit dem Grundsatz eines Bilanztests und der zusätzlichen fakultativen Durchführung eines Solvenztests eine Lösung gefunden worden, die den unterschiedlichen Ansprüchen der Gesellschafter flexibel Rechnung trägt57. Mangels einer speziellen Regelung zu Vermögensverschiebungen im Konzernverbund kommt in diesem Bereich ausnahmsweise das nationale Recht des Mitgliedstaates zur Anwendung, in dem die SPE ihren Registersitz hat. Bei einer Registrierung der SPE in Deutschland findet daher z. B. für das cash-pooling das GmbH-Recht Anwendung.
V. Zusammenfassende Thesen – Mit der SPE wird eine auf die spezifischen Bedürfnisse von KMU zugeschnittene Rechtsform bereitgestellt. Gleichzeitig stellt sie aber auch für große Unternehmen und Konzerne sowie für Joint Venture-, Private Equity- und Venture Capital-Aktivitäten eine attraktive Gesellschaftsform dar.
55 Hommelhoff/Teichmann (Fn. 35), 906. 56 Hommelhoff/Teichmann (Fn. 35), 907; grundlegend für eine Anwendung von Bilanz- und Solvenztest als „sich ergänzende Instrumente der Ausschüttungsbegrenzung“ Hennr ichs, Der Konzern 2008, 42, 48. 57 In diesem Sinne auch J. Schmidt (Fn. 32), 459 f.
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– Aufgrund der Einheitlichkeit der SPE lassen sich in der Praxis erhebliche Einsparungen bei der Gründung und dem Betrieb realisieren. Die SPE ist zudem attraktiv als standardisierte Zielgesellschaft und als Akquisitionsvehikel bei Unternehmensübernahmen. – Vereinfachungen bei den Gründungsvoraussetzungen der SPE sorgen für ein zügiges und kostengünstiges Gründungsverfahren. Durch den Verzicht auf ein Mehrstaatlichkeitserfordernis und einen numerus clausus steht die Gründung einer SPE unterschiedlichsten Gründungsgesellschaftern offen. – Im Innenverhältnis bietet die SPE bei der Ausgestaltung der Leitungsstrukturen und der Verwaltung weitgehende Regelungsfreiheit. Die SPE kann so individuell an die spezifischen Bedürfnisse der Gesellschafter angepasst werden. Die Erfüllung der Regelungsaufträge soll durch die Zurverfügungstellung einer oder mehrerer Mustersatzungen erleichtert werden. – Dort, wo es der Schutz der Gläubiger und der Minderheitsgesellschafter erfordert, enthält die SPE-VO zwingende Vorgaben. Hierdurch wird die Rechtssicherheit im Umgang mit der SPE und mithin deren Akzeptanz erhöht.
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Bericht über die Diskussion der Referate Teichmann und Weber-Rey Sophie Hübner Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Würzburg
I. Von Hase eröffnete die Diskussion mit einer Frage zur These Teichmanns zum Wettbewerb der Rechtsordnungen in der EU, wobei er auf die Bedeutung effektiven Rechtsschutzes abstellte. Delaware-Gesellschaftsgründungen seien nicht zuletzt deswegen beliebt, weil die dortigen Gerichte gesellschaftsrechtlich spezialisiert und entsprechend schnell seien. Für den – vorher angesprochenen – deutschen Unternehmer in Rumänien sei es keine unattraktive Alternative, dort mit einer deutschen GmbH zu operieren. Rechtsstreitigkeiten würden nach dem ihm leichter zugänglichen deutschen Gesellschaftsrecht ausgetragen, selbst wenn dies ggf. vor einem rumänischen Gericht geschehe. Entscheide er sich aber für eine SPE1, bestehe auf lange Sicht keine einheitliche Rechtsprechung. Der EuGH sei auch nicht darauf eingerichtet, viele Verfahren durchzuführen. Zudem verlängere die Notwendigkeit der EuGH-Vorlage die Prozesse. Niemeier bezweifelte, dass ein rumänisches Gericht gesellschaftsrechtlich an die Stelle des BGH träte. Bei ausländischem Verwaltungssitz und inländischen Registersitz der SPE gelte für mitgliedschaftsrechtliche Fragen die Anknüpfung an den Registersitz, so wie dies im Parallelfall der deutschen GmbH mit ausländischem Verwaltungssitz in § 4a GmbH bereits zugrunde gelegt sei. Auf die Frage zum Wettbewerb der Rechtsordnungen erwiderte Weber-Rey, dass diese Gedanken jegliche Reform verhinderten und so nie etwas zu ändern sei. Man müsse den Mut haben, an die zahlreichen bereits harmonisierten Gebiete anzuknüpfen, nicht zuletzt sei auch die damit verbundene Hoffnung nicht von vornherein unbegründet, dass sich daran anschließend ein europäisches Gesellschaftsrecht entwickele und vielleicht sich auch das nationale Gesellschaftsrecht fortentwickele.
1 SPE = Societas Privata Europaea.
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Teichmann fügte hinzu, dass die SPE die Option „GmbH in Rumänien“ nicht verdränge, die Gründung einer GmbH sei weiterhin auch für im Ausland tätige Gesellschaften neben der Gründung einer SPE zulässig. Eine Schwemme von Fällen, die dem EuGH vorgelegt würden, sei nicht zu erwarten. Selbst wenn einmal zahlreiche Existenzvernichtungsfälle zur Entscheidung vorgelegt werden sollten, sei zu erwarten, dass der EuGH, wie bislang praktiziert, zwei, drei Grundentscheidungen fällen und dann in den weiteren Einzelfällen an die nationalen Gerichte verweisen werde. Diese könnten sich durch eine Sammlung der entschiedenen Fälle zur SPE gegenseitig helfen, sodass die Rechtsprechung anderer Mitgliedstaaten untereinander Berücksichtigung fände.
II. Roth stellte die Frage, ob aufgrund der jüngsten Entwicklung der EuGHRechtsprechung die Niederlassungsfreiheit nach wie vor so weit reiche, wie Teichmann annehme. Die Entscheidung „Cadbury/Schweppes“2 veranlasse ihn auf Goette zu verweisen, der im Zusammenhang mit EuGHVorlagen diesen Gerichtshof für unberechenbar erklärt habe. Die Entscheidung „Cadbury“ bedeute nicht unbedingt die Kehrtwende, aber nach Generalanwalt Poiares Maduro3 doch zumindest eine wesentliche Modifikation der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit4. So verlange der Gerichtshof nunmehr eine „nicht jeder wirtschaftlichen Realität bare“ Gestaltung, also wohl eine Art von genuine link zum Registerstaat, und grenze damit nicht nur, wie bisher, die missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit aus. Ob die Bedeutung der bisherigen Rechtsprechung daraufhin infrage zu stellen sei, bleibe abzuwarten. Aber sicher sei, dass ein genuine link zwar nicht viel verlange – so lasse die „Cour de Cassation“ dafür zu Recht bereits den Sitz der Muttergesellschaft genügen –, die klassische Briefkastengesellschaft sei aber jedenfalls nicht mehr erfasst.
2 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2006 – C-196/04, Slg. 2006, I-7995 = EuZW 2006, 633. 3 Schlussanträge in der Rs. „Cartesio“, ZIP 2008, 1067, Tz. 29. 4 EuGH, Rs. C-212/97 („Centros“), Slg. 1999, I-1459; Rs. C-208/00 („Überseering“), Slg. 2002, I-9919; Rs. C-167/01 („Inspire Art“), Slg. 2003, I-10155.
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Hübner – Bericht über die Diskussion
III. Priester forderte einen transnationalen Bezug als Gründungsvoraussetzung einzuführen. Es sei nicht sinnvoll und auch nicht wünschenswert, dass etwa eine Eisbude am Timmendorfer Strand die Rechtsform der SPE wähle. In der Rechtslandschaft sei eine hohe Säuglingssterblichkeit der Limiteds zu beobachten, für die UG5 (haftungsbeschränkt) seien ähnliche Zahlen zu erwarten und in Zukunft auch für die SPE, sofern dem nicht durch sinnvolle Regelungen in der Verordnung vorgebeugt würde. Teichmann stimmte Priester darin zu, dass es nicht erstrebenswert sei, dass der Eisverkäufer im ersten Anlauf der SPE diese Form wählen könne. Er erinnerte daran, dass auch für die französische SAS (Société anonyme simplifiée) ursprünglich ein gewisses Seriositätskriterium eingeführt worden sei. Diese Gesellschaftsform habe zunächst ausschließlich juristischen Personen offen gestanden. Weber-Rey ergänzte, dass ein Vorschlag dahingehe, im Unternehmensgegenstand einen transnationalen Bezug zu verlangen. Es sei niemals an die Eisbude als Adressat der SPE gedacht worden.
IV. Nach Niemeiers Einschätzung zeigt das von Teichmann vorgetragene Beispiel des Odenwälder Konzerns den dringenden Bedarf der Wirtschaft an der SPE sehr plastisch auf. Wichtig sei, dass auch die steuerliche Akzeptanz nicht unter einer etwaigen Doppelbesteuerung oder einer Betriebsstätteneinordnung mit Abgrenzungsproblemen wie bei Zweigniederlassungen, leide. Hier müsse bei steuerlicher Doppelansässigkeit die ausschließliche Anknüpfung an den Ort der Geschäftsleitung entsprechend der Tie-Breaker-Rule des OECD-Musterabkommens sichergestellt werden. Hügel lobte die Ermöglichung der Verlegung des Registersitzes nach dem SPE-VOE6. Zwar richte sich die Steueransässigkeit nach dem Ort der Geschäftsleitung (Verwaltungssitz), der aufgrund des MoMiG auch bei einer GmbH verlegt werden könne. Dann verbleibe aber der Registersitz im Wegzugstaat. Die SPE-Sitzverlegung ermögliche demgegenüber sowohl die 5 UG = Unternehmergesellschaft. 6 Der vorliegende Verordnungsvorschlag ist unter folgender Internetseite abrufbar: www.europeanprivatecompany.eu.
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Verlegung des Registersitzes als auch des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäftsleitung). Positiv sei auch, dass Ausschüttungen nach der Einleitung zum SPE-VOE an einen Bilanztest gebunden sind. In der Ausschüttungsregelung werde jedoch weder „Jahresabschluss“ noch „Bilanz“ erwähnt. Nach dem SPE-VOE sollen auch zwischen den Geschäftsjahren Ausschüttungen aufgrund von Zwischenabschlüssen zulässig sein. Andernfalls bestünde insoweit geringere Flexibilität als bei der GmbH. Weber-Rey stimmte darin zu, dass das Steuerrecht unbedingt zu thematisieren sei. Das Projekt hänge aber als solches nicht davon ab. Wenn die Entscheidung stehe, die SPE einzuführen, dann würde sie auch umgesetzt. Die Frage des Registersitzes und des Verwaltungssitzes betreffend ergänzte Teichmann, es sei jedenfalls nach wie vor möglich, die beiden Sitze örtlich voneinander zu trennen, eine Gesellschaft mit einem solchen Auslandsbezug zu gründen und als solche zu führen.
V. Maier-Reimer begrüßte das Projekt grundsätzlich. Problematisch seien jedoch die weit gefassten Regelungsaufträge und der Ausschluss des Rückgriffs auf nationales Recht für diese Themen. Es sei unmöglich, all diese Bereiche wirklich in der Satzung zu regeln. Als Beispiel führte Maier-Reimer die Frage an, ob und wie Gesellschafterbeschlüsse anzugreifen seien. Kersting hinterfragte einen weiteren strukturellen Aspekt der Verordnung. Er forderte klare Anweisungen für die Gerichte bezüglich des Umgangs mit Satzungslücken. Insbesondere sei zu erwarten, dass die SPE-Gründungen unter Zeitdruck vorgenommen und im Eifer des Gefechts einzelne Punkte unzureichend behandelt würden, wodurch Regelungslücken entstünden. Es sei zwar denkbar, Lücken durch dispositives nationales Recht zu füllen. Insofern biete die Befugnis des nationalen Gesetzgebers zur Regelung von Sanktionen bei Verstößen gegen Bestimmungen der Verordnung (Art. 44 SPE-VOE) einen entsprechenden Ansatzpunkt. Allerdings widerspreche ein solcher Rückgriff auf nationalrechtliche Sanktionsregelungen der Intention des Verordnungsgebers, nationales Recht außen vor zu lassen. Alternativ sei zur Lückenfüllung auch die Heranziehung der Mustersatzung denkbar. Hierfür fehle indes jedenfalls nach derzeitigem Stand eine gesetzliche Grundlage. Insgesamt bestehe ein dringendes Bedürfnis nach einer eindeutigen Regelung.
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Wilhelmi wies darauf hin, dass viele Probleme u. a. aus Zeitdruck nicht behandelt worden seien und der SPE-VOE deswegen so schlank ausgefallen sei. Die offen gebliebenen Gegenstände müssten jeweils individuell geregelt werden, ein europaweites Rechtsregime bestehe insoweit nicht, insbesondere existiere auch keine ständige, einheitliche Rechtsprechung. Eine Vereinfachung im Vergleich etwa zur rumänischen Gesellschaft sei insoweit zweifelhaft, als man sich dort auf eine weitgehend vollständig geregelte Gesellschaftsform einstellen könne. Teichmann reagierte mit dem Hinweis darauf, dass es sich bei den Satzungsverweisen primär um Fragen der Ausgestaltung des Innenverhältnisses handele, so dass Dritte nicht tangiert würden. Das Außenverhältnis, also Fragen, die Gläubigerinteressen beträfen, werde hingegen durch den SPE-VOE geregelt. Weber-Rey ging auf die von Maier-Reimer geäußerten Bedenken bezüglich der Regelungsaufträge und des Ausschlusses des Rückgriffs auf nationales Recht ein. Durch die Einführung der Regelungsaufträge solle einerseits größtmögliche Flexibilität für Regelungen im Innenverhältnis gewährt werden und andererseits zu langwierige Beratungszeiten vermieden werden, die die Einführung der SE so lange hinausgezögert haben und insgesamt auch durch Überlastung der SE mit zu viel Regulierung diese unattraktiv gemacht habe. Es bestünde erstmalig die Chance, eine wirklich neue Gesellschaftsform zu schaffen. Der erarbeitete Verordnungsentwurf sei nicht etwa – wie zuvor von Garschina angeführt – durch die Grundsätze des anglo-amerikanischen Rechtsraums einseitig geprägt, es sei bewusst eine Mischung der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen erarbeitet worden. Befürchtungen, dass die Verordnung verwendet würde, um deutsches Recht auszuhebeln, seien daher unbegründet. Teichmann fügte hinzu, dass es einem jeden, der das wolle, freistünde, eine SPE zu gründen, sie umgekehrt aber niemand verwenden müsse, der die Rechtsform für ungeeignet halte. In den Regelungsaufträgen sei anzuführen, was in der Praxis regelmäßig zu Problemen führe. Darauf könne man im derzeitigen Diskussionsstadium noch Einfluss nehmen. Aufgrund der praktischen Erfahrungen in den Mitgliedstaaten sollte es möglich sein, die regelungsbedürftigen Punkte zu benennen und zusammenzutragen. Unzureichende Satzungsregelungen und damit verbundene Lücken stellten ausschließlich die pathologischen Fälle, d. h. die Negativausnahmen, dar. Auf die Frage des Lückenschlusses gebe es in der Tat keine Patentantwort. Vielleicht müsste in dieser Frage das nationale Recht herhalten und die dort beheimateten Richter entscheiden. Wenn jetzt schon Lücken in
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den Regelungsaufträgen auffielen, so seien Ergänzungen aber noch möglich.
VI. Semler führte in das Thema der Mustersatzungen ein. Ganz entscheidend sei in diesem Zusammenhang die Frage nach deren Verfasser. Selbst wenn die „highest group“ hier aktiv würde, so unterstünde sie immer noch allen nationalen Gerichten. Das funktioniere nicht. Die Mustersatzung sollte als Teil der Verordnung eingeführt werden, nur dann sei das System funktionsfähig und nicht von den örtlichen Gerichten abhängig. Im Zusammenhang mit dem Mindestkapital sei zu bedenken, dass dieser Begriff in vielen Mitgliedstaaten ein Fremdwort sei. Daher sei zweifelhaft, ob dessen Einführung durchsetzbar wäre. Garschina äußerte Bedenken wegen der Einführung einer Mustersatzung für Mehrpersonengesellschaften und wies diesbezüglich auf die Problematik der durch das MoMiG eingeführten Musterprotokolle hin. Teichmann befürwortete die Prüfung durch die Notare, das sei aufgrund des Art. 10 Abs. 4 SPE-VOE problemlos möglich, aber eben nicht zwingend vorgeschrieben. In diesem Zusammenhang sei es ihm unverständlich, warum sich der Sozialausschuss des Europäischen Parlaments neben der Mitbestimmungsproblematik als Kernkompetenz mit der Mitwirkung der Notare befasse. In seiner Stellungnahme für den Rechtsausschuss habe er die generell verbindliche Mitwirkung der Notare gefordert7. Der Ausschuss für soziale Angelegenheiten sei nicht das adäquate Gremium, um zu diesem Punkt Stellung zu beziehen. Unter Bezugnahme auf Semlers Diskussionsbeitrag räumte Weber-Rey ein, dass auch Lehne vom Europäischen Parlament die Legitimation der Mustersatzung verlangt habe, um die Einsetzung als „fall back“ zu ermöglichen. Es sei wegen der Mustersatzung die Expertengruppe für ein weiteres Jahr eingesetzt worden. Es war und ist schwer, unter den gegebenen zeitlichen Vorgaben und bei dem Bedarf an einer solchen europäischen Rechtsform für KMU eine Legitimation der Mustersatzung zu erreichen. In jedem Fall sei es den Mitgliedstaaten und auch Privaten unbenommen, ihrerseits beliebig viele Mustersatzungen ins Internet zu stellen. So wür7 Stellungnahme des Ausschusses für soziale Angelegenheiten v. 5. 11. 2008, 2008/0130(CNS), nachzulesen unter: www.europeanprivatecompany.eu, dort Vorschlag zur Einführung eines Art. 10 Abs. 3a.
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Hübner – Bericht über die Diskussion
den zahlreiche Entwürfe ihren Weg in die Praxis finden und Hilfe für diejenigen bieten, die sich umfassende Rechtsberatung nicht leisten könnten. Hierdurch erhoffe sie sich Anstöße für die Fortentwicklung dieser neuen Gesellschaftsform, auch durch die nationalen Gerichte.
VII. Niemeier plädierte für ein nicht zu niedriges Mindestkapital der SPE. Der Kapitalbedarf grenzüberschreitender Tätigkeit sei größer als der nationale. Die größeren Unternehmen seien die eigentlichen Akteure des Binnenmarkts und auf ihre Tätigkeit sei die SPE primär zuzuschneiden. Auch für den wichtigen Rechtsreformruf der SPE sei die Einführung eines Mindestkapitals von zentraler Bedeutung. Die Konzeption passender Rechtsformen für „small local businesses“ sei dagegen bei den nationalen Gesetzgebern besser aufgehoben. Entsprechend seien auch bisher – wie etwa bei der SE – die supranationalen Rechtsformen durch das Mindestkapital über den nationalen Rechtsformen positioniert worden. Hügel führte die in der Verordnung enthaltenen Artikel zur Kapitalerhaltung an. In Art. 21 SPE-VOE seien die Regelungen zum Ausschüttungsbzw. Solvenztest zu prüfen. Unklar sei, warum in Art. 21 Abs. 1 SPE-VOE kein vollständiger Bilanztest, sondern nur eine Überprüfung der Vermögenswerte vorgeschrieben sei. Der Begriff der Ausschüttungen in Art. 2 SPE-VOE sei klärungsbedürftig. Unklar sei, ob auch Verkehrsgeschäfte im Bilanztest anzuführen seien, eine dahingehende Pflicht wäre unbegründet. Auch hinsichtlich des Verweises auf Art. 21 Abs. 1 SPEVOE in Art. 24 Abs. 1 SPE-VOE bestehe Klarstellungsbedarf. Dass Ausschüttungen vom Jahresbericht abhingen, sei zu akzeptieren, aber Zwischendividenden sollten – wenn überhaupt – auch nur aufgrund eines entsprechenden Zwischenberichts möglich sein. In Deutschland wäre die Einführung eines solchen Tests wohl neu, in Österreich gebe es eine entsprechende Regelung derzeit ebenfalls nicht. Hinsichtlich der Kapitalaufbringung müssten – so Weber-Rey – selbstverständlich mehr Regelungen eingefügt werden, wenn es doch zu einer Einführung eines Mindestkapitals, was nicht grundsätzlich abzulehnen sei, kommen sollte. Verkehrsgeschäfte fielen nicht unter den Ausschüttungsbegriff, was klargestellt werden könnte, beabsichtigt sei hingegen die Einbeziehung z. B. der Kapitalherabsetzung.
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Die Europäische Privatgesellschaft
VIII. Lutter bat um weitere Ausführungen zur zentralen Frage des Mitbestimmungsrechts. Köstler merkte dazu an, dass in Skandinavien wegen der weitaus niedrigeren Schwellenwerte noch mehr Sorgen hinsichtlich der Mitbestimmung vorherrschten als in Deutschland. Als Lösungsvorschlag verwies er auf die Regelungen der europäischen Genossenschaft (SCE). Dort herrsche Freiheit für alle Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern, ab dieser Größe gelte ein Verweis auf die Regelungen der SE-VO. Teichmann stellte – insoweit mit Zustimmung Weber-Rey – klar, dass die SPE-VO nicht zur Umgehung der nationalen Mitbestimmungsvorschriften einladen sollte. Die Einführung von Umgehungsvorschriften sei wegen Art. 308 EGV – Einstimmigkeitsprinzip – auch nicht zu erwarten. Der Registersitz als Anknüpfungspunkt sei für die Arbeitnehmer inakzeptabel, ausschlaggebend für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsregeln sollte daher der Geschäftssitz sein. Die Genossenschaftsregeln seien wegen des Verweises auf die SE-VO und die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht zu übernehmen.
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Verdeckte Sacheinlage Prof. Dr. Christian Kersting, LL. M. (Yale)* Universität Düsseldorf I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verdeckte Sacheinlage . . . . . . a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . c) Problematik . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Entwicklung im GmbHRecht: MoMiG . . . . . . . . . . . 106 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Anrechnung: Konstruktive Schwierigkeiten . . . . . 107 aa) Problemstellung . . . . . 108 bb) Lösungsansätze . . . . . 109 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . 114 b) Verdeckte gemischte Sacheinlage . . . . . . . . . . . . 114 c) Zeitpunkt der Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Begriff des Vermögensgegenstands . . . 117 e) Rechtslage bei fehlender Anrechnungsmöglichkeit; Natur der Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Schutz vor doppelter Inanspruchnahme durch Zweckverfehlungskondiktion . . . . . . . . . 119 bb) Natur der Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . 120 f) Heilung . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG auf die UG (haftungsbeschränkt) . . . . . . . . . . 122
4. Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG auf eine per Musterprotokoll gegründete Gesellschaft . . . . . . 124 5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Entwicklung im Aktienrecht . 1. (Noch) keine gesetzliche Regelung im Aktienrecht . . . 2. Keine Übertragbarkeit der Lösung des MoMiG . . . . . . . 3. Versuch der Annäherung an das GmbH-Recht . . . . . . . a) „Gesellschaftsrechtliche Saldotheorie“: Saldierung aller Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . b) Saldierungsverbot gemäß § 66 Abs. 1 S. 2 AktG? . . . . . . . . . . . . c) Saldierung auch bei bestehendem dinglichen Herausgabeanspruch? . . . . . . . . . . . . . . d) Fortbestehende Unterschiede zwischen GmbH-Recht und Aktienrecht . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verdeckte Sacheinlage und SPE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalaufbringung in der SPE . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Differenzhaftung bei unterbewerteten Sacheinlagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verdeckte Sacheinlagen . . . .
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* Meinem Mitarbeiter Herrn Ass. iur. Jan Heskamp danke ich für seine wertvolle Unterstützung bei der Sichtung und Aufbereitung des Materials.
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Kersting – Verdeckte Sacheinlage 4. Erfassung als verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . 136
5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 136 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
I. Einleitung Von der schillernden und komplexen Thematik der „verdeckten Sacheinlage“ können in diesem Beitrag nur einige aktuelle Punkte behandelt werden. Im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen wird die Neuregelung im GmbH-Recht durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung vom Missbräuchen – kurz MoMiG – stehen, wobei auch hier nur einzelne Aspekte herausgegriffen werden können1. Hierzu gehört allerdings auch die Frage nach möglichen Auswirkungen auf das Aktienrecht. Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf die SPE geworfen werden.
1. Verdeckte Sacheinlage An dieser Stelle soll einleitend kurz rekapituliert werden, worum es bei der verdeckten Sacheinlage geht. Dabei wird die Rechtslage vor dem am 1. 11. 2008 in Kraft getretenen MoMiG zugrunde gelegt. Einerseits gilt diese Rechtslage für die Aktiengesellschaft noch fort, andererseits lässt diese Vorgehensweise die später zu diskutierenden Änderungen bei der GmbH deutlicher hervortreten.
a) Tatbestand Zunächst zum Tatbestand der verdeckten Sacheinlage. Paradigmatisch ist der Fall, dass ein Gesellschafter bei der Gründung einer Gesellschaft oder im Rahmen einer Kapitalerhöhung eine Geldeinlage verspricht, nehmen wir an in Höhe von 10 000 Euro. Diese Geldeinlage wird auch geleistet, allerdings kommt es in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zu einem Verkehrsgeschäft mit der Gesellschaft: Der Gesellschafter verkauft und übereignet der Gesellschaft seinen Privatwagen für ebenfalls 10 000 Euro, die Gesellschaft zahlt ihm den Kaufpreis aus. Wirtschaftlich betrachtet erhält der Gesellschafter damit seine 10 000 Euro, die er als Geldeinlage geleistet hat, zurück, während die Gesellschaft ein Kfz im Wert von 10 000 Euro erhält.
1 Eine Vielzahl von Einzelfragen behandelt Heinze, GmbHR 2008, 1065 ff.
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Auf den ersten Blick erscheint dies unproblematisch, weil die Gesellschaft schließlich wertmäßig nicht schlechter gestellt wurde. Allerdings gilt dies nur, wenn das Kfz tatsächlich sein Geld wert ist. Der Wert von Sachen lässt sich aber nicht immer sicher feststellen, so dass sich hier Spielräume für Manipulationen auftun. Daher stellen sowohl das GmbH-Recht als auch das Aktienrecht spezielle Regeln für die Einbringung von Sachen und Forderungen in eine Gesellschaft auf. Im Interesse der Mitgesellschafter und insbesondere der Gläubiger sind eine Festsetzung im Gesellschaftsvertrag sowie eine präventive Wertkontrolle erforderlich2 . Diese Regeln werden umgangen, wenn auf die Erfüllung der Geldeinlagepflicht alsbald ein Verkehrsgeschäft mit der Gesellschaft folgt. Man spricht dann von einer verdeckten Sacheinlage. Die Annahme einer solchen Umgehung setzt voraus, dass zwischen Gesellschaft und Gesellschafter eine Abrede dahin gehend besteht, dass im wirtschaftlichen Ergebnis keine Geld-, sondern eine Sacheinlage erbracht werden soll3. Hierfür besteht bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Leistung der Geldeinlage und ihrem Rückfluss an den Inferenten im Rahmen eines Verkehrsgeschäfts eine Vermutung4.
b) Rechtsfolge Rechtsfolge einer solchen Umgehung ist, dass die Geldeinlagepflicht fortbesteht und das Verkehrsgeschäft sowie die entsprechenden Erfüllungsgeschäfte nichtig sind5. Dies bedeutet: 2 Vgl. §§ 5 Abs. 4, 7 Abs. 3, 9, 9c Abs. 1 S. 2, 19 Abs. 2 S. 3, Abs. 4, 56 ff. GmbHG; §§ 27, 32 Abs. 2, 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2, 36a Abs. 2, 38 Abs. 2 S. 2, 52 f., 183 AktG. 3 Vgl. BGH, 4. 3. 1996 – II ZB 8/95, NJW 1996, 1473 (1474); BGH, 16. 1. 2006 – II ZR 76/04, NZG 2006, 344 (345); BGH, 11. 2. 2008 – II ZR 171/06, NZG 2008, 311 (312); Bayer, ZIP 1998, 1985 (1987 f.); Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 19 Rz. 38 f.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 29 II 1 c) bb), § 37 II 4 a); Großkommentar GmbHG/Ulmer, 2005, § 5 Rz. 170. Für den Verzicht auf eine subjektive Voraussetzung bei sogenannten „Altforderungen“ spricht möglicherweise die Entscheidung BGH, 16. 9. 2002 – II ZR 1/00, NZG 2002, 1172 (1174); gegen eine solche Interpretation Langenbucher, NZG 2003, 211 (212). 4 Vgl. BGH, 16. 1. 2006 – II ZR 76/04, NZG 2006, 344 (345); BGH, 11. 2. 2008 – II ZR 171/06, NZG 2008, 311 (312). Die zeitliche Höchstgrenze für das Eingreifen der Vermutung liegt bei acht Monaten: BGH, 16. 9. 2002 – II ZR 1/00, NJW 2002, 3774 (3777). Siehe auch Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 19 Rz. 39; Großkommentar GmbHG/Ulmer, 2005, § 5 Rz. 170. 5 Zu den Rechtsfolgen: Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 19 Rz. 41 ff.; Großkommentar GmbHG/Ulmer, 2005, § 5 Rz. 178 f.; Karsten
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Der Inferent muss erstens seine Geldeinlage noch erbringen, hat allerdings einen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB) auf Rückzahlung der ohne Erfüllungswirkung erbrachten Einlageleistung in gleicher Höhe6. Hiermit kann er indes nicht gegen den fortbestehenden Einlageanspruch der Gesellschaft aufrechnen (§§ 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG, 66 Abs. 1 S. 2 AktG). Zweitens werden das nichtige Verkehrsgeschäft sowie die nichtigen Erfüllungsgeschäfte rückabgewickelt. Der Inferent hat entweder einen dinglichen Herausgabeanspruch hinsichtlich der Sache, hier des Kfz, oder einen Bereicherungsanspruch. Die Gesellschaft kann ihrerseits ihre in Geld erbrachte Gegenleistung kondizieren. Neutralisiert man auf diese Weise das Verkehrsgeschäft, so ist die Gesellschaft immer noch um die Geldsumme bereichert, die ihr in vermeintlicher Erfüllung der Geldeinlagepflicht durch den Gesellschafter zur Verfügung gestellt wurde. Wie bereits erwähnt, steht dem Gesellschafter daher auch ein Bereicherungsanspruch zu (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB), den er freilich nicht gegen die Einlageforderung aufrechnen kann. Er kann diesen aber sehr wohl gegen den Bereicherungsanspruch der Gesellschaft auf Rückzahlung der erbrachten Gegenleistung aufrechnen7.
c) Problematik Wirtschaftlich betrachtet ist in dieser Situation kein Schaden entstanden. Der Inferent muss zwar noch eine Geldeinlage leisten, kann aber die zurückerhaltene Sache anderweitig verkaufen. Allerdings muss er dann zusätzliche Beträge aufwenden, wenn der erzielte Verkaufserlös hinter seiner
Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 37 II 4 b). Zum Fortbestehen der Bareinlagepfl icht siehe jetzt § 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG n. F. – § 19 Abs. 5 2. Alt. GmbHG a. F. wurde insoweit erweiternd ausgelegt und auf alle Fälle angewandt, in dem der von dem Inferenten gezahlte Einlagebetrag im Rahmen der Begleichung eines Zahlungsanspruchs aus einem Verkehrsgeschäft an ihn zurückgelangt, vgl. BGH, 18. 2. 1991 – II ZR 104/90, NJW 1991, 1754 (1755). Zur AG siehe § 54 Abs. 3 AktG. Zur Nichtigkeit auch des Erfüllungsgeschäfts: § 27 Abs. 3 AktG. Zur analogen Anwendung dieser Norm im Recht der GmbH siehe BGH, 7. 7. 2003 – II ZR 235/01, NZG 2003, 867 (869 f.). 6 BGH, 16. 3. 1998 – II ZR 303/96, NZG 1998, 428 (430). Eine Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB, hierzu insbesondere II. 2. a) bb) (4)) liegt nicht vor. Die Gesellschaft hat das Geld zwar tatsächlich an den Gesellschafter zurückgereicht, ihr steht aber insofern ihrerseits ein Bereicherungsanspruch aus der condictio indebiti (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) zu. Jedenfalls um diesen Anspruch ist sie bereichert. 7 Vgl. BGH, 16. 3. 1998 – II ZR 303/96, NZG 1998, 428 (430).
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Geldeinlageverpflichtung zurückbleibt. Insofern trägt er das Risiko einer zwischenzeitlichen Wertminderung der Sache8. Problematisch ist diese Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage jedoch insbesondere in den Fällen, in denen kein dinglicher Herausgabeanspruch besteht. Denkbar ist dies bei der Einräumung von Lizenzen oder auch bei Untergang der unwirksam übereigneten Sache. Zwar greift in diesen Fällen grundsätzlich die Saldotheorie, so dass die Gesellschaft ihren Anspruch auf Rückzahlung der Gegenleistung nicht geltend machen kann, ohne sich ihrerseits den Wert der Nutzung des Immaterialgüterrechts oder der empfangenen und nunmehr untergegangenen Sache anrechnen zu lassen9. Allerdings ist es in der Insolvenz der Gesellschaft für den Inferenten wichtig, einen dinglichen Anspruch auf Rückgewähr seiner verdeckten Sacheinlage zu haben. Denn diesen Anspruch kann er auch in der Insolvenz der Gesellschaft durchsetzen, so dass er in die Lage versetzt wird, die Sacheinlage zu verwerten, um seine Bareinlageschuld zu tilgen. Für ihn ist es günstiger, die Sache zurückzuerhalten und dafür einem Bereicherungsanspruch der Gesellschaft auf Rückzahlung der an ihn erbrachten Gegenleistung ausgesetzt zu sein, weil er gegen diesen mit seinem Anspruch auf Rückzahlung der ohne Erfüllungswirkung erbrachten Geldeinlage – auch in der Insolvenz (§ 94 InsO) – aufrechnen kann. Anderenfalls, d. h. wenn das Verkehrsgeschäft über die Saldotheorie neutralisiert wird, erhält er auf diesen Anspruch nur die Insolvenzquote und muss trotzdem noch seine Einlageleistung erbringen, so dass er im wirtschaftlichen Ergebnis (fast) zweimal zahlt.
2. Bewertung Die Bewertung dieser Rechtslage fällt negativ aus. Die Rechtsfolge wird als drakonisch empfunden, weil die Einlage selbst dann noch einmal zu erbringen ist, wenn die verdeckt eingebrachte Sache bzw. Forderung werthaltig war und am Gesellschaftsvermögen kein Schaden entstanden ist10. 8 Eine Anwendung der Saldotheorie sowie etwaige Ansprüche aufgrund der Wertminderung bzw. der Nutzung der Sache durch die Gesellschaft nutzen dem Inferenten in der Insolvenz der Gesellschaft kaum, da sie nur in Höhe der Quote bedient werden. 9 BGH, 16. 3. 1998 – II ZR 303/96, NZG 1998, 428 (429 f.); BGH, 9. 7. 2007 – II ZR 62/06, NZG 2007, 754 (757); einen nur begrenzten Raum für die Anwendung der Saldotheorie sieht Habersack, ZGR 2008, 48 (63). 10 Insbesondere Lutter, FS Stiefel, 1987, 505 (517); vgl. auch Bayer, ZIP 1998, 1985 (1989 f.); B. Grunewald, WM 2006, 2333 (2335); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 29 II 1 c) bb); Ulmer, ZIP 2008, 45 (50).
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Allerdings ist diese Aussage etwas zu relativieren. Da nämlich auch das dingliche Erfüllungsgeschäft nichtig ist11, erhält der Inferent immerhin den verdeckt eingebrachten Gegenstand zurück und kann diesen verwerten, um die noch zu erbringende Bareinlage zu leisten. Seinen Rückforderungsanspruch aus der fehlgeschlagenen ersten Einlageleistung (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB)12 kann er dann gegen den Anspruch der Gesellschaft auf Rückzahlung ihrer Gegenleistung für die verdeckte Einlage (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) aufrechnen. Wirtschaftlich werden die Inferenten in diesen Fällen keiner Belastung ausgesetzt, die nicht durch die Umgehung gerechtfertigt ist. Es bleibt jedoch bei der drakonischen Folge, wenn der Inferent den Einlagegegenstand nicht dinglich zurückfordern kann, etwa weil Lizenzen eingelegt wurden oder der Gegenstand bei der Gesellschaft untergegangen ist. Ähnliches gilt bei einem Wertverlust des Gegenstands. Der Inferent kann die verdeckt eingebrachte Einlage dann nämlich nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang verwerten und fällt überdies in der Insolvenz der Gesellschaft zumindest teilweise mit seinem Anspruch auf Rückzahlung der ersten fehlgeschlagenen Einlageleistung aus.
II. Entwicklung im GmbH-Recht: MoMiG Das MoMiG hat auf diese als unzulänglich und ungerecht empfundene Rechtslage reagiert und die verdeckte Sacheinlage gesetzlich in § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. geregelt.
1. Tatbestand An dem überkommenen Tatbestand der verdeckten Sacheinlage hält das MoMiG dabei allerdings fest, so dass weiterhin auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann13. Es ist also auch zukünftig rele11 Für die AG folgt dies aus § 27 Abs. 3 AktG, der auf die GmbH analog angewandt wird, BGH, 7. 7. 2003 – II ZR 235/01, NZG 2003, 867 (869 f.). Zur GmbH war bis zu dieser Entscheidung h. M., dass das dingliche Erfüllungsgeschäft wirksam ist, vgl. nur OLG Köln, 14. 12. 1994 – 26 U 19/94, NJW-RR 1995, 552 (552 f.); Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 19 Rz. 113 f.; Scholz/Uwe H. Schneider, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 19 Rz. 142. 12 Vgl. BGH, 16. 3. 1998 – II ZR 303/96, NZG 1998, 428 (430). 13 Ausführlich und m. w. N. Veil, ZIP 2007, 1241 (1242); siehe auch Schall, ZGR 2009, 126 (151) sowie unten in und bei Fn. 73, 74; a. A. Pentz, GmbHR 2009, 126 (127).
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vant, dass der Bundesgerichtshof es kürzlich für unschädlich gehalten hat, wenn die Einlage an eine bloße Schwestergesellschaft zurückgelangt14, dass bei der Einpersonen-GmbH eine auf den wirtschaftlichen Erfolg einer Sach- anstelle einer Geldeinlage abzielende Abrede nicht erforderlich ist15 und dass gewöhnliche Umsatzgeschäfte im Rahmen des laufenden Geschäftsverkehrs nicht von den Regeln über die verdeckte Sacheinlage ausgenommen sind16.
2. Rechtsfolge Während also auf der Tatbestandsseite Kontinuität herrscht, hat § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. die Rechtsfolgen grundlegend umgestaltet: Erstens wird der Gesellschafter nicht von seiner Geldeinlagepflicht befreit, diese besteht fort (S. 1). Insofern ändert sich nichts. Zweitens sind jedoch die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung nicht unwirksam (S. 2). Dies ist neu. Drittens wird der Wert des Vermögensgegenstands auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht angerechnet (S. 3). Auch dies ist neu. Die Anrechnung erfolgt mit dem Wert im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft oder – falls diese später erfolgt – bei Überlassung des Gegenstands (S. 3); sie erfolgt nicht vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister (S. 4). Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermögensgegenstands trägt der Gesellschafter (S. 5).
a) Anrechnung: Konstruktive Schwierigkeiten Die Regelung der Rechtsfolge erscheint auf den ersten Blick gut gelungen: Die Verträge über die Sacheinlage sind nicht mehr unwirksam, so dass eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung unnötig ist. Außerdem wird der Wert der Sacheinlage auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht angerechnet, so dass es nicht mehr dazu kommen kann, dass der Inferent im Ergebnis seine Einlage zweimal erbringen muss. Auf den zweiten Blick zeigen sich allerdings ernsthafte, wenn auch nicht unüberwindliche Probleme.
14 BGH, 12. 2. 2007 – II ZR 272/05, NZG 2007, 300 (301 f.). 15 BGH, 11. 2. 2008 – II ZR 171/06, NZG 2008, 311 (312). 16 BGH, 11. 2. 2008 – II ZR 171/06, NZG 2008, 311 (312); BGH, 20. 11. 2006 – II ZR 176/05, NZG 2007, 144 (146 f.) [zur AG]. A. A. z. B. Baumbach/Hueck/Hueck/ Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 19 Rz. 40 m. w. N.
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aa) Problemstellung Wenn die Verträge über die Einlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung wirksam sind, wird beispielsweise ein Kaufvertrag zwischen Gesellschafter und Gesellschaft nicht mehr in Frage gestellt; er ist und bleibt wirksam. Da die Geldeinlagepflicht fortbesteht, hatte die erste Leistung von Geld keine Erfüllungswirkung. Hier beginnen die Probleme. Denn wenn die Erfüllungswirkung fehlt, kann der Gesellschafter die erbrachte Einlage zurückverlangen – der BGH sieht in solchen Fällen die Zweckverfehlungskondiktion als einschlägig an (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB)17. Der Gesellschafter muss seine Einlage dann zwar noch einmal leisten, jedoch erhält die Gesellschaft dann gerade nicht die Differenz zwischen dem Wert des eingebrachten Vermögensgegenstands und ihrer Einlageforderung, sondern sie steht genauso wie zuvor, weil sie ihrerseits die erste Einlage zurückerstatten muss. Selbst wenn man den Wert der verdeckten Sacheinlage auf die Einlageforderung anrechnet, treten diese Probleme auf. Bleibt der Wert der Einlage hinter der Einlageforderung zurück, muss der Inferent die Differenz noch leisten. In gleicher Höhe steht ihm aber ein Bereicherungsanspruch gegen die Gesellschaft zu, weil in dieser Höhe seine erste Geldleistung eben keine Erfüllungswirkung hatte. Das ganze System scheint nur in der Insolvenz der Gesellschaft zu funktionieren, d. h. wenn der Bereicherungsanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft nicht werthaltig ist. Für den Gläubigerschutz mag ein solches System ausreichen, es trägt jedoch den Interessen der übrigen Gesellschafter nicht ausreichend Rechnung. Dennoch ist die Reform kein gut gemeinter Fehlschlag. Das vom Gesetzgeber gewünschte, sinnvolle Ergebnis lässt sich erzielen. Die vom Ansatz her unkomplizierte Lösung der Anrechnung bedarf allerdings einer dogmatischen Fundierung. Dabei geht es zentral um die Frage, wie der bereicherungsrechtliche Anspruch des Gesellschafters auf Rückgewähr seiner unwirksam erbrachten ersten Geldeinlage neutralisiert werden kann18. 17 BGH, 16. 3. 1998 – II ZR 303/96, NZG 1998, 428 (430); Helms, GmbHR 2000, 1079 (1080) m. w. N.; Knobbe-Keuk, ZIP 1986, 885 (889); Priester, FS Bezzenberger, 2000, 309 (319). Für die condictio indebiti, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, Habetha, ZGR 1998, 305 (330 f.), im Anschluss an die Kritik von Custodis, DNotZ 1997, 437 (462 f.). Allgemein auf eine Kondiktion aus § 812 BGB abstellend LG Bremen, 15. 3. 1994 – 14 T 21/93, GmbHR 1995, 122 (123). 18 Die Aussage, diesen Anspruch dürfe es nicht geben (vgl. Bormann/Urlichs, GmbHR-Sonderheft 2008, 37 [39]; Ulmer, ZIP 2009, 293 [298]), überzeugt vom Ergebnis her. Das zutreffende Ergebnis bedarf indes noch einer rechtlich fundierten Herleitung.
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bb) Lösungsansätze (1) Rückkehr zum Regierungsentwurf? De lege ferenda könnte man die Problematik umgehen, indem man auf den Regierungsentwurf19 zurückgreift und doch die dort vorgesehene Erfüllungslösung einführt. Die verdeckte Sacheinlage erfüllt die Einlageschuld unmittelbar und in voller Höhe, eine Wertdifferenz ist nach § 9 GmbHG auszugleichen. Eine entsprechende Gesetzesänderung ist allerdings nicht zu erwarten, weil der Regierungsentwurf bewusst modifi ziert wurde, um ein ausreichendes Sanktionsgefälle zwischen der offenen Sacheinlage unter Einhaltung der Sacheinlagevorschriften und der verdeckten Sacheinlage, bei der die entsprechenden Vorschriften umgegangen werden, zu erhalten20. (2) Wirksamkeit der Sacheinlage? De lege lata könnte man auch versuchen, an den etwas dunklen Wortlaut des § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG n. F. anzuknüpfen und die Vorschrift dahin gehend auszulegen, dass nicht das Verkehrsgeschäft als solches wirksam ist, sondern nur die Sacheinlage als solche. Dann könnte die Gesellschaft mit ihrem Anspruch auf Rückforderung ihrer Gegenleistung gegen den Anspruch des Gesellschafters auf Rückzahlung der ohne Erfüllungswirkung erfolgten ersten Erbringung der Geldeinlage aufrechnen. Der Gesellschafter müsste dann seine Geldeinlagepflicht weiterhin erfüllen, wobei hierauf der Wert des bei der Gesellschaft verbleibenden eingebrachten Vermögensgegenstands angerechnet würde. Rechtstechnisch würde in dem Verkehrsgeschäft ein gemäß § 117 Abs. 1 BGB nichtiges Scheingeschäft gesehen21, so dass sich der Anspruch der Gesellschaft auf Rückzahlung ihrer Gegenleistung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ergibt. Ein Anspruch des Gesellschafters auf Rückübertragung des eingebrachten Vermögensgegenstands folgt hieraus indes nicht. Denn das Verkehrsgeschäft verdeckt schließlich die Sacheinlage, so dass nach § 117 Abs. 2 BGB deren Vorschriften eingreifen. Hierzu gehört aber auch § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG n. F., demzufolge die Einbringung des Vermögensgegenstands wirksam ist22 . 19 Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140. 20 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (MoMiG), BT-Drucks. 16/9737 (Vorabfassung), S. 97. Zur Kritik an der Erfüllungslösung siehe die Nachweise in Fn. 37. 21 Vgl. hierzu auch Ulmer, ZIP 2008, 45 (51). 22 Vgl. Ulmer, ZIP 2008, 45 (51), der zum Regierungsentwurf betonte, die Sacheinlage könne als verdecktes Geschäft im Sinne des § 117 Abs. 2 BGB nicht wirksam sein, da die Form des § 5 Abs. 4 GmbHG nicht gewahrt sei. Dieser Einwand greift hier hingegen nicht, da die Gesetz gewordene Fassung des § 19 Abs. 4 GmbHG
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Doch wirft diese Interpretation weitere Fragen auf: Warum ist die Geldeinlagepflicht dann nicht ebenfalls gemäß § 117 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie doch zu dem Geschäft gehört, welches die eigentlich gewollte Sacheinlage dissimuliert? Andersherum: Wenn der Vertrag über die Sacheinlage trotz Nichteinhaltung des § 5 Abs. 4 GmbHG wirksam ist, welchen Sinn hat dann das Fortbestehen der Geldeinlagepflicht? Im Übrigen: Eine Nichtigkeit des Verkehrsgeschäfts führt z. B. zu Problemen, wenn sich aus diesem Geschäft wichtige Nebenpflichten ergeben, man denke nur an ein Wettbewerbsverbot des sein Unternehmen verkaufenden Inferenten. Vor diesem Hintergrund wird man § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG n. F. nur auf das Verkehrsgeschäft und die Rechtshandlungen zu seiner Ausführung, d. h. das dingliche Erfüllungsgeschäft, beziehen können23. (3) Ansatz von Maier-Reimer und Wenzel. Maier-Reimer und Wenzel versuchen das geschilderte Problem über den Begriff der Anrechnung zu lösen. Die Anrechnung führe dazu, dass das Verkehrsgeschäft als Kausalgeschäft „ausgeblendet“ werde. Die Gegenleistung der Gesellschaft tilge in Wahrheit den Anspruch des Gesellschafters aus Zweckverfehlungskondiktion. Damit stünde der Wert des Kaufobjekts zur Anrechnung auf die fortbestehende Einlageschuld zur Verfügung. Die Bestimmung über die Wirksamkeit der Verträge und der Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung würden durch die Anrechnung modifi ziert. Causa für die Übereignung des Vermögensgegenstands sei neben dem Verkehrsgeschäft, welches für Nebenpflichten und den die Bareinlage übersteigenden Teil des Kaufpreises relevant bleibe, die fortbestehende Einlageschuld24. Auch wenn den genannten Autoren in ihrer Zielsetzung beizupflichten ist, kann ihrer Auffassung nicht gefolgt werden25, da sie den Begriff der Anrechnung deutlich überdehnt. Überdies vermag sie keine dogmatisch stimmige Begründung für die „Ausblendung des Verkehrsgeschäfts als Kausalgeschäft“ und für die doppelte causa der Erfüllung des Verkehrsgeschäfts zu geben. Es bleibt unklar, wie eine Geldeinlagepflicht causa für die Übereignung eines Vermögensgegenstands werden soll. Zudem erklärt das Gen. F. in S. 2 eine Regelung enthält, welche bei entsprechender Auslegung über diese Klippe hinweghelfen kann. 23 Wälzholz, GmbHR 2008, 841 (844 f.); wohl auch Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 (1450 ff.). Die obskure Formulierung des § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG n. F. lässt sich möglicherweise damit erklären, dass bei Übernahme des Wortlautes des § 27 Abs. 3 AktG notwendige Anpassungen unterblieben sind. 24 Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 (1451 f.); zustimmend Fuchs, BB 2009, 170 (172). 25 A. A. wohl auch Heinze, GmbHR 2008, 1065 (1066).
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setz das Verkehrsgeschäft ausdrücklich für wirksam, eine Ausblendung des Verkehrsgeschäfts als Kausalgeschäft verträgt sich hiermit nicht. Ihre Rechtfertigung und durchaus vorhandene Überzeugungskraft liegen allein in dem zutreffenden Ergebnis. (4) Eigener Ansatz. Meines Erachtens lässt sich dieses zutreffende Ergebnis jedoch auch auf andere, rechtsdogmatisch überzeugendere Weise erzielen. Ausgangspunkt der hier vertretenen Lösung ist es, das Verkehrsgeschäft insgesamt, d. h. in schuldrechtlicher und dinglicher Hinsicht, als wirksam zu behandeln. Dabei wird dieser Ansatz auch im Rahmen der Anrechnung durchgehalten: Der Wert des Vermögensgegenstands wird auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht angerechnet, ohne dass insofern die schuldrechtliche Seite des Verkehrsgeschäfts ausgeblendet werden müsste. Unter „Anrechnung“ wird hier nur die ipso iure erfolgende Reduktion der fortbestehenden Geldeinlagepflicht um den Geldwert des Vermögensgegenstandes verstanden. Soweit diese Anrechnung reicht, hat die erste Geldzahlung an die Gesellschaft doch Erfüllungswirkung, weil der mit der Leistung bezweckte Erfolg im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB doch noch eingetreten ist26. Reicht der Wert des Vermögensgegenstandes nicht aus, so bleibt die Einlagepflicht des Gesellschafters in dieser Höhe bestehen. Allerdings hat dann die erste Geldzahlung an die Gesellschaft insoweit keine Erfüllungswirkung, der mit ihr bezweckte Erfolg wurde nicht erreicht, dem Gesellschafter steht die Zweckverfehlungskondiktion in gleicher Höhe zu. Mit dieser kann er gegen die fortbestehende Einlageforderung der Gesellschaft zwar nicht aufrechnen (§ 19 Abs. 2 GmbHG), jedoch ist dies für ihn nur in der Insolvenz der Gesellschaft nachteilig. Außerhalb der Insolvenz droht der fortbestehende Einlageanspruch der Gesellschaft ins Leere zu laufen. Einer sinnvollen Lösung muss es daher gelingen, den Bereicherungsanspruch des Gesellschafters zu neutralisieren, damit dieser nicht seinerseits den fortbestehenden Einlageanspruch der Gesellschaft neutralisiert. Verdeckte Gewinnausschüttung als Gegenanspruch der Gesellschaft? Dies könnte dadurch erreicht werden, dass man in dem Verkehrsgeschäft zwischen der Gesellschaft und dem Inferenten eine verdeckte Gewinnausschüttung sieht, die der Inferent an die Gesellschaft zu erstatten hat27. Mit diesem Anspruch könnte die Gesellschaft gegen den Bereicherungsanspruch des Inferenten aufrechnen. Stützt man den Erstattungsanspruch 26 Vgl. Heinze, GmbHR 2008, 1065 (1066). 27 Vgl. in anderem Kontext und zum bisherigen Recht auch Priester, FS Bezzenberger, 2000, 309 (317); ihm folgend Helms, GmbHR 2000, 1079 (1082).
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der Gesellschaft mit der herrschenden Meinung auf Bereicherungsrecht und nicht auf eine Analogie zu § 31 GmbHG28, dann ist diese Lösung auch in der Insolvenz der Gesellschaft tragfähig. Der Gesellschafter könnte dann nämlich auch seinerseits aufrechnen, so dass er in der Insolvenz der Gesellschaft nicht der doppelten Belastung ausgesetzt wäre, den fehlenden Teil seiner Einlage noch erbringen zu müssen und die verdeckte Gewinnausschüttung in gleicher Höhe erstatten zu müssen, ohne dass sein Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion werthaltig wäre. Zu einer Doppelbelastung käme es nur dann, wenn die verdeckte Gewinnausschüttung unter Verstoß gegen § 30 GmbHG erfolgt und sich der Rückforderungsanspruch damit aus § 31 GmbHG ergibt, so dass gegen ihn nicht aufgerechnet werden kann. Dennoch vermag diese Lösung nicht vollständig zu überzeugen. Zum einen handelt es sich bei der verdeckten Sacheinlage um eine Frage der Kapitalaufbringung. Das Verkehrsgeschäft muss im Zusammenhang mit der Erfüllung der Einlagepflicht des Gesellschafters betrachtet werden. Insgesamt geht es nur darum, dass der Gesellschaft ein bestimmter Wert tatsächlich zugeführt wird. Es ist gerade das Ziel des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. dies sicherzustellen. Für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung bleibt daneben kein Raum29. Hinzu kommt, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht in jedem Fall unzulässig ist, so dass auch nicht in jedem Fall ein Erstattungsanspruch der Gesellschaft entsteht, mit dem gegen den Bereicherungsanspruch des Inferenten aufgerechnet werden könnte30. Bereicherungsrechtliche Lösung. Die richtige Lösung ergibt sich vielmehr aus dem Bereicherungsrecht. Bei näherer Betrachtung ist eine Neutralisierung des Bereicherungsanspruchs des Inferenten nämlich überhaupt nicht 28 Auf den Anspruch aus § 31 GmbHG wird § 19 Abs. 2 GmbHG analog angewandt, vgl. Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rz. 26. Zu der Diskussion um die richtige Anspruchsgrundlage für die Erstattung verdeckter Gewinnausschüttungen siehe Flume, Die juristische Person, 1983, § 8 IV 2 e) [§ 31 GmbHG]; Großkommentar GmbHG/Müller, 2006, § 29 Rz. 168 f. m. w. N. [Schadensersatz]; herrschend ist die Lösung über das Bereicherungsrecht, vgl. OLG Brandenburg, 18. 2. 1996 – 7 U 78/96, GmbHR 1997, 750 (750); Preuß, JuS 1999, 342 (346); Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rz. 76; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 37 III 2 d). 29 Vgl. hierzu Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 (1451). 30 Zur Zulässigkeit verdeckter Gewinnausschüttungen vgl. Baumbach/Hueck/ Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rz. 71 ff.; Großkommentar GmbHG/Müller, 2006, § 29 Rz. 163 f.; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 29 Rz. 61, 62a.
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erforderlich, weil dem Inferenten ein solcher Bereicherungsanspruch gar nicht zusteht. Dies lässt sich auf zwei Wegen begründen: Erstens lässt sich argumentieren, dass in Höhe der erfolgten Anrechnung der Zweck der Leistung nicht verfehlt wurde und die Gesellschaft in Höhe der Differenz im Sinne des § 818 Abs. 3 BGB entreichert ist. Die Entreicherung rührt daher, dass sie mit dem erhaltenen Geld ein schlechtes Geschäft getätigt, d. h. einen Verlust in Höhe der Differenz zwischen Einlage und Wert des Vermögensgegenstandes erlitten hat. Dieser Verlust wirkt auch bereicherungsmindernd, weil er aufgrund der Abrede mit dem Gesellschafter eingetreten ist; der Gesellschaft sollte keine über den Wert des Vermögensgegenstandes hinausgehende Bereicherung verbleiben31. Zweitens lässt sich auch insgesamt mit Entreicherung argumentieren: Die Gesellschaft ist entreichert, weil sie das ohne Erfüllungswirkung eingebrachte Geld dem Gesellschafter zurückgegeben hat, ohne dass ihr hierfür ein Gegenwert zugeflossen ist. An dem Zufluss eines Gegenwertes fehlt es deswegen, weil in Höhe des Wertes des eingebrachten Vermögensgegenstandes kompensationslos eine Anrechnung auf die Einlagepflicht des Gesellschafters erfolgt ist32 . In Höhe der Wertdifferenz versteht sich dies von selbst, da die Gesellschaft eben ein Verlustgeschäft getätigt hat, was sich – wie bereits gezeigt – bereicherungsmindernd auswirkt. Dieser Lösung lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass etwaige bereicherungsrechtliche Haftungsverschärfungen der Gesellschaft – etwa aus § 820 BGB – den Entreicherungseinwand abschneiden könnten. Denn die Normen der §§ 819, 820 BGB greifen hier nicht ein. Der Grund für die Haftungsverschärfung besteht darin, dass der Bereicherungsschuldner Anlass zu größerer Vorsicht hat, wenn er um den bestehenden Bereicherungsanspruch weiß oder mit seinem Entstehen rechnen muss. Dieser Grund trägt jedoch nicht, wenn die Entreicherung aufgrund einer Absprache mit dem Bereicherungsgläubiger und überdies zugunsten des Bereiche31 Zustimmend Schall, ZGR 2009, 126 (140); abweichend Ulmer, ZIP 2009, 293 (298), der von einer Verdrängung des Bereicherungsrechts durch § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n.F. ausgeht. Zur schwierigen Frage, welche Vermögensnachteile bereicherungsmindernd wirken, siehe etwa MünchKomm.BGB/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 818 Rz. 69 ff., 87; Staudinger/Lorenz, BGB, 13. Aufl. 2007, § 818 Rz. 33 ff. Hier kann man von einer bereicherungsmindernden Wirkung schon deswegen ausgehen, weil der Gesellschaft nach der Absprache überhaupt keine (weitergehende) Bereicherung verbleiben sollte. Vgl. auch BGH, 8. 2. 1979 – III ZR 14/78, NJW 1979, 1597 (1598). 32 So auch Pentz, FS K. Schmidt, 2009, 1265 (1278); Pentz, GmbHR 2009, 126 (128 f.).
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rungsgläubigers eintritt. Denn dem schlechten Geschäft der Gesellschaft als entreicherter Bereicherungsschuldnerin korrespondiert hier ein entsprechend gutes Geschäft des Inferenten als Bereicherungsgläubiger. Im Übrigen lassen sich gegen eine Anwendbarkeit dieser haftungsverschärfenden Normen auch die vorrangigen Wertungen des Kapitalaufbringungsrechts anführen.
cc) Ergebnis Als Ergebnis kann damit festgehalten werden: Bei einer verdeckten Sacheinlage bleiben das Verkehrsgeschäft und die dazugehörigen Erfüllungsgeschäfte in vollem Umfang wirksam. Der Wert des eingebrachten Vermögensgegenstandes wird auf die fortbestehende Einlagepflicht ipso iure angerechnet. Soweit zugunsten der Gesellschaft ein Saldo verbleibt, ist sie keinem gegenläufigen Bereicherungsanspruch des Gesellschafters aus Zweckverfehlungskondiktion ausgesetzt. Ein solcher Anspruch besteht zwar dem Grunde nach, weil die erste Geldleistung des Inferenten ohne Erfüllungswirkung blieb und insoweit ihren Zweck verfehlt hat, die Gesellschaft ist aber entreichert.
b) Verdeckte gemischte Sacheinlage Versteht man die Vorschrift über die Anrechnung des Wertes des Vermögensgegenstandes wörtlich, so ergeben sich bei der verdeckten gemischten Sacheinlage erhebliche Schwierigkeiten. Dies sei an einem Beispiel erläutert: Wird bei einer Einlageverpfl ichtung von 10 000 Euro der Gesellschaft eine Maschine im Wert von 12 000 Euro für 15 000 Euro verkauft, so sind Kauf und Übereignung der Maschine wirksam. Auf die fortbestehende Einlageverpfl ichtung von 10 000 Euro wird der Wert der Maschine in voller Höhe angerechnet, wobei die überschießenden 2000 Euro außer Betracht bleiben. Da die ursprüngliche Bareinlage damit in voller Höhe Erfüllungswirkung erlangt, besteht auch keine weitere Haftung des Gesellschafters. Der Umstand, dass der Gesellschafter per Saldo nur 7000 Euro eingebracht hat, weil er aus dem Verkehrsgeschäft einen Vorteil von 3000 Euro gezogen hat, wird nicht berücksichtigt. Schließlich bezieht sich § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F. rein gegenständlich auf den Vermögensgegenstand. Dem lässt sich nur durch eine berichtigende Auslegung dahin gehend begegnen, dass der bei einer Gesamtbetrachtung von Einlageleistung und Verkehrsgeschäft der Gesellschaft insgesamt zugeführte Wert anzurech-
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nen ist33. In unserem Beispiel wären daher die Einlageleistung des Gesellschafters in Höhe von 10 000 Euro sowie der Wert der Maschine von 12 000 Euro dem gezahlten Kaufpreis von 15 000 Euro gegenüberzustellen. Anzurechnen wäre dann nur die Differenz von 7000 Euro, so dass sich der Gesellschafter einem fortbestehenden Einlageanspruch in Höhe von 3000 Euro ausgesetzt sähe.
c) Zeitpunkt der Anrechnung Den Zeitpunkt der Anrechnung setzt § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F. auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung ins Handelsregister fest. Dies ist stimmig, weil die Differenzhaftung nach § 9 GmbHG ebenfalls auf diesen Zeitpunkt abstellt. Sinnvoll ist es auch, den Anrechnungszeitpunkt hinauszuschieben, wenn der Vermögensgegenstand der Gesellschaft erst später überlassen wird. Auf diese Weise trägt der Gesellschafter das Risiko zwischenzeitlicher Wertminderungen. Die Regelung in § 19 Abs. 4 S. 4 GmbHG n. F., wonach die Anrechnung nicht vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister erfolgt, leuchtet demgegenüber nicht unmittelbar ein. Auf den ersten Blick scheint sie den Zeitpunkt der Anmeldung bedeutungslos zu machen, denn die Eintragung erfolgt naturgemäß erst nach der Anmeldung, so dass es auf den Anmeldezeitpunkt nie ankommt. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Überlegung jedoch als unrichtig. Denn der Anmeldezeitpunkt bleibt weiterhin von Bedeutung für den Wert, mit dem angerechnet wird. Im Zeitpunkt der Eintragung erfolgt also die Anrechnung mit dem Wert im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft bzw. im Zeitpunkt der Überlassung des Gegenstands. Zweck dieser Vorschrift ist es, die mit der Anrechnung verbundene Erfüllungswirkung auf den Zeitpunkt der Eintragung hinauszuschieben. Dies führt dazu, dass der Geschäftsführer bei der Anmeldung nicht die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG, dass der Einlagepflicht genügt wurde, abgeben darf34. Verbunden ist hiermit überdies die Strafbarkeitsdrohung
33 Im Ergebnis ebenso Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 (1452); siehe auch Bormann/Urlichs, GmbHR-Sonderheft 2008, 37 (40). 34 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (MoMiG), BT-Drucks. 16/9737 (Vorabfassung), S. 97; Fliegner, DB 2008, 1668 (1669); Hirte, ZInsO 2008, 689 (690 f.); Kindler, NJW 2008, 3249 (3250); Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 (1454); Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208 (1210); Wicke, GmbHG, 2008, § 19 Rz. 27 f.
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gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1, 3 GmbHG35 sowie die zivilrechtliche Haftung nach § 9a GmbHG. Ferner hat dies zur Folge, dass der Registerrichter die Eintragung gemäß § 9c Abs. 1 GmbHG auch dann abzulehnen hat, wenn der Wert des Vermögensgegenstands ausreicht, um die Einlagepflicht zu erfüllen36. Der Rechtsausschuss rechtfertigt diese Erschwerungen damit, dass auf diese Weise die Umgehung der Sacheinlagevorschriften schärfer sanktioniert wird als im Regierungsentwurf, der die Erfüllungslösung favorisiert hatte37. Dieser Überlegung ist zuzugeben, dass das Gesetz an der Trennung zwischen Geldeinlage und Sacheinlage festhält und die Sacheinlage im Interesse des Gläubigerschutzes strengeren Voraussetzungen unterwirft. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass die Umgehung einer Sanktion bedarf, welche geeignet ist, die Gesellschafter zur Beachtung der Vorschriften anzuhalten. Es scheint jedoch zweifelhaft, ob die vorgesehenen Sanktionen hierfür ausreichen. Die verdeckte Sacheinlage fällt in aller Regel erst auf, nachdem die Gesellschaft oder die Kapitalerhöhung eingetragen ist, so dass die aufgestellten Eintragungserschwernisse faktisch nicht greifen werden. Inwieweit die Strafdrohung greift, erscheint ebenfalls offen, denn sie setzt Vorsatz des Geschäftsführers voraus, der nicht einfach mit 35 Vor der Neuregelung durch das MoMiG war es herrschende Meinung, dass der Geschäftsführer, der die Bewirkung der Einlageleistung trotz Vereinbarung einer verdeckten Sacheinlage versichert, den objektiven Tatbestand des § 82 Abs. 1 Nr. 1, 3 GmbHG erfüllt: Michalski/Dannecker, GmbHG, 2002, § 82 Rz. 95; Hachenburg/Kohlmann, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 82 Rz. 30; Lutter/Hommelhoff/Lutter/ Kleindiek, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 82 Rz. 10; Großkommentar GmbHG/Ransiek, 2008, § 82 Rz. 31; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 82 Rz. 44; einschränkend zur AG LG Koblenz, 21. 12. 1990 – 105 Js (Wi) 22346/87 – 10 Kls, ZIP 1991, 1284 ff.; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 82 Rz. 10 ff.; Scholz/Tiedemann, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 82 Rz. 87, 115 ff. Nachdem sich der Gesetzgeber im Rahmen des MoMiG für die Anrechnungslösung entscheiden hat, ist dieser Ansicht auch nach der Neuregelung zu folgen: Fliegner, DB 2008, 1668 (1669); Hirte, ZInsO 2008, 689 (690 f.); Lips/ Randel/Werwigk, DStR 2008, 2220 (2221); Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 (1454); Wicke, GmbHG, 2008, § 19 Rz. 27 f. 36 Pentz, FS K. Schmidt, 2009, 1265 (1275); Wicke, GmbHG, 2008, § 19 Rz. 27; eine Ermessensentscheidung des Registergerichts befürworten scheinbar: Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (MoMiG), BT-Drucks. 16/9737 (Vorabfassung), S. 97; Fliegner, DB 2008, 1668 (1669); Hirte, ZInsO 2008, 689 (690 f.). 37 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (MoMiG), BT-Drucks. 16/9737 (Vorabfassung), S. 97. Ein im Regierungsentwurf fehlendes oder verringertes Sanktionsgefälle konstatieren u. a. Goette, WPg 2008, 231 (234); Priester, ZIP 2008, 55 (56); Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449 (451); Ulmer, ZIP 2008, 45 (51).
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der Vermutung einer Abrede aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs unterstellt werden kann38. Der Nachweis, dass der Geschäftsführer im Zeitpunkt der Abrede wusste, dass es zu einer verdeckten Sacheinlage kommen würde, erscheint nicht einfach zu erbringen. Ein gewisses Sanktionsgefälle ist jedoch insofern zu konstatieren, als die Beweislast für die Werthaltigkeit des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstandes gemäß § 19 Abs. 4 S. 5 GmbHG n. F. bei dem Inferenten liegt39. Bei einer offenen Sacheinlage liegt die Beweislast für eine Wertdifferenz im Sinne des § 9 GmbHG demgegenüber nach allgemeinen Regeln bei der Gesellschaft40.
d) Begriff des Vermögensgegenstands Das Gesetz erlaubt die Anrechnung des Wertes des „Vermögensgegenstands“. Es greift damit auf einen handelsbilanzrechtlichen Begriff zurück (vgl. z. B. § 246 HGB), der auch in § 27 Abs. 2 AktG Verwendung findet. Dennoch sollte man insofern nicht auf den handelsrechtlichen Begriff und die Bilanzierungsfähigkeit der verdeckten Sacheinlage abstellen, sondern auf die Einlagefähigkeit des Gegenstands, aus der dann seine Bilanzierungsfähigkeit folgt41. Anrechenbar ist der Wert eines Vermögensgegenstandes daher nur dann, wenn dieser auch einlagefähig ist, hierfür sind ein feststellbarer wirtschaftlicher Wert und die Übertragbarkeit zur freien Verfügung der Gesellschaft entscheidend42 . An der Einlagefähigkeit fehlt es beispielsweise bei Dienstleistungen43. Man kann allerdings daran zweifeln, ob die Regeln über die verdeckte Sacheinlage überhaupt greifen, wenn ein Verkehrsgeschäft über nicht einlagefähige Gegenstände abgeschlossen wird. Denn hier kann es schon nicht zu einer Umgehung der Sacheinlagevorschriften kommen. Doch weist die Rechtsprechung zu Recht darauf hin, dass die Regeln über die Einlagefähigkeit umgangen werden44. Vor dem Hintergrund der wirt38 Michalski/Dannecker, GmbHG, 2002, § 82 Rz. 169; Lutter/Hommelhoff/Lutter/ Kleindiek, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 82 Rz. 10. 39 Hierzu Hirte, ZInsO 2008, 689 (691); Wicke, GmbHG, 2008, § 19 Rz. 27 f. 40 Vgl. nur Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 9 Rz. 8; Großkommentar GmbHG/Ulmer, 2005, § 9 Rz. 14. 41 Vgl. hierzu Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 5 Rz. 23; Großkommentar GmbHG/Ulmer, 2005, § 5 Rz. 39 ff.; jeweils m. w. N. 42 Zur Einlagefähigkeit vgl. die Nachweise in Fn. 41. 43 Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 5 Rz. 27 m. w. N. Siehe auch § 27 Abs. 2 AktG, der auf die GmbH analoge Anwendung fi ndet, BGH, 14. 6. 2004 – II ZR 121/02, NZG 2004, 910 (911). 44 Eine verdeckte Sacheinlage ist lediglich dann ausgeschlossen, wenn es sich bei dem eingelegten Gegenstand um eine Forderung der Gesellschaft gegen den In-
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schaftlich gleichen – oder sogar größeren – Gefährdungslage bejaht sie daher etwa bei Beratungsleistungen die Anwendbarkeit der Regeln über die verdeckte Sacheinlage45. Dies müsste dann zwar auch für Geschäftsführergehälter gelten, die an den Gesellschafter-Geschäftsführer gezahlt werden, doch wird insofern vor dem Hintergrund, dass die Gesellschaft einen Geschäftsführer benötigt und die Bestellung eines Nichtgesellschafters nicht zwingend vorgeschrieben ist, eine teleologische Reduktion befürwortet46.
e) Rechtslage bei fehlender Anrechnungsmöglichkeit; Natur der Anrechnung Bei fehlender Einlagefähigkeit des eingebrachten Gegenstands ist dieser nicht als Vermögensgegenstand im Sinne des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. einzustufen. Eine Anrechnung kommt dann nicht in Betracht47. Eine ähnliche Situation besteht im Zeitraum vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Auch dann ist eine Anrechnung zumindest vorläufig ausgeschlossen (§ 19 Abs. 4 S. 4 GmbHG n. F.). Wenn bzw. solange eine Anrechnung nicht möglich ist, greift die Rechtsfolge des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. nur teilweise ein. Zwar besteht auch in diesen Fällen der Einlageanspruch der Gesellschaft fort und das Verkehrsgeschäft ist wirksam (§ 19 Abs. 4 S. 1, 2 GmbHG n. F.). Zu einer Anrechnung des eingelegten Wertes auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht (§ 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F.) kommt es allerdings (noch) nicht. Da das Verkehrsgeschäft aber unabhängig von der Durchführung der Anrechnung wirksam ist, steht dem Inferenten kein Anspruch auf Herausgabe der verdeckten Sacheinlage zu. Im Ergebnis hat der Inferent der Gesellschaft dann seine erste – ohne Erfüllungswirkung gebliebene – Einlageleistung und den Wert der verdeckten Sacheinlage zugeführt. Außerdem sieht er sich noch der fortbestehenden Einlageforderung der Gesellschaft ausgesetzt. Dieser dreifachen ferenten handelt, vgl. § 19 Abs. 5 GmbHG n. F. sowie BGH, 21. 11. 2005 – II ZR 140/04, NZG 2006, 24 (24 f.); BGH, 9. 1. 2006 – II ZR 72/05, NZG 2006, 227 (228). 45 BGH, 21. 9. 1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216; kürzlich OLG Düsseldorf, 25. 6. 2008 – 18 U 25/08, BB 2009, 180 (182) [n. rk., Revision eingelegt, II ZR 173/08]; hierzu Lommatzsch, SR 2008, 319; Lutter/Hommelhoff/Lutter/Bayer, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 5 Rz. 54; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, 4. Aufl. 2003, § 19 Rz. 160. 46 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, 4. Aufl 2002, § 19 Rz. 161. 47 Siehe oben II. 2. d); vgl. auch Theusinger, BB 2009, 183 (185).
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Inanspruchnahme steht nur ein einfacher Rückfluss an ihn gegenüber, nämlich die Gegenleistung, welche die Gesellschaft im Rahmen des Verkehrsgeschäfts an ihn erbracht hat. Per Saldo wird der Inferent also zweifach in Anspruch genommen: Bei voller Werthaltigkeit der verdeckten Sacheinlage führt er der Gesellschaft das Doppelte von dem zu, was er versprochen hat.
aa) Schutz vor doppelter Inanspruchnahme durch Zweckverfehlungskondiktion Dieses – vor dem Hintergrund der Zielsetzung des neuen § 19 Abs. 4 GmbHG untragbare –Ergebnis wird durch den Anspruch des Inferenten gegen die Gesellschaft aus Zweckverfehlungskondiktion vermieden. Kann der Inferent seine ohne Erfüllungswirkung erbrachte erste Einlage nämlich herausverlangen, so steht seiner dreifachen Leistung (erste Einlageleistung, verdeckte Sacheinlage, fortbestehender Einlageanspruch) an die Gesellschaft ein immerhin zweifacher Rückfluss (Gegenleistung im Rahmen des Verkehrsgeschäfts, Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion) gegenüber, so dass er per Saldo nur einmal leisten muss. Bei (vorläufig) fehlender Anrechnung ist der Gesellschafter also durch seinen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt48. Anders sieht es nur in der Insolvenz der Gesellschaft aus, weil der Gesellschafter mit seiner Forderung aus Zweckverfehlungskondiktion nicht gegen den fortbestehenden Einlageanspruch der Gesellschaft aufrechnen kann. In der Insolvenz der Gesellschaft erhält er daher auf seinen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion nur die Quote und erbringt seine Einlage im wirtschaftlichen Ergebnis (fast) zweimal, da er den fortbestehenden Einlageanspruch der Gesellschaft in voller Höhe erfüllen muss. Außerhalb der Insolvenz der Gesellschaft ist der Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion aber durchaus geeignet, eine doppelte Inanspruchnahme des Inferenten zu verhindern. 48 Diese zentrale Funktion des Anspruchs aus Zweckverfehlungskondiktion verbietet es, die im Rahmen des Verkehrsgeschäfts erbrachte Gegenleistung der Gesellschaft schon vor erfolgter Anrechnung als Rückfluss der ohne Erfüllungswirkung eingebrachten Bareinlage zu behandeln und von einem Fall des Hin- und Herzahlens auszugehen. Die Konstruktion des Bundesgerichtshofes zum alten Recht, der die Fallkonstellation des Hin- und Herzahlens so behandelte, als seien überhaupt keine Zahlungen ausgetauscht worden (vgl. BGH, 21. 11. 2005 – II ZR 140/04, NZG 2006, 24 [25]), ist daher auf die Situation einer verdeckten Sacheinlage nach neuem Recht nicht übertragbar. Vgl. aber Goette, zitiert nach Heskamp, Diskussionsbericht, hier in diesem Band S. 140.
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Dieser Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion besteht nur dann nicht, wenn sich die Gesellschaft auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen kann. Vor Anrechnung bzw. bei gänzlich fehlender Anrechnungsmöglichkeit kann sich die Gesellschaft indes nur dann und nur insoweit auf Entreicherung berufen, als sie mit dem erhaltenen Geld ein schlechtes Geschäft getätigt hat, d. h. soweit der Wert des eingebrachten Gegenstands hinter der Gegenleistung zurückbleibt49. Die Gesellschaft ist aber auch dann immer noch insoweit bereichert, als der eingebrachte Gegenstand werthaltig ist. Der in der Erbringung der Gegenleistung liegende Vermögensabfluss ist nämlich insoweit durch einen Gegenwert gedeckt. Dem Inferenten steht daher eine Forderung aus Zweckverfehlungskondiktion in dieser Höhe zu. Im Ergebnis führt dies zu einer Differenzhaftung. Der fortbestehende Einlageanspruch der Gesellschaft und der Bereicherungsanspruch des Inferenten neutralisieren sich nicht vollständig, sondern es verbleibt insoweit ein Saldo zugunsten der Gesellschaft, als der Wert der verdeckten Sacheinlage nicht den Nennbetrag des Einlageversprechens erreichte (vgl. § 9 GmbHG). Wirtschaftlich wird der Gesellschafter auch in dieser Situation nicht über den Betrag seiner Einlageverpflichtung hinaus in Anspruch genommen, sondern lediglich an ihr festgehalten. Mit der Anrechnung, zu der es im Fall der grundsätzlichen Einlagefähigkeit des eingebrachten Wertes bei Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung kommt, tritt auch in Höhe des Wertes der eingebrachten Sache Entreicherung ein. Durch die Anrechnung ihres Wertes auf die fortbestehende Einlageforderung der Gesellschaft fließt dem Gesellschafter nämlich ein zusätzlicher Vermögensvorteil zu, was dazu führt, dass die von der Gesellschaft im Rahmen des Verkehrsgeschäfts erbrachte Gegenleistung nicht mehr durch den Wert der eingebrachten Sache gedeckt ist50. Da gleichzeitig der fortbestehende Einlageanspruch der Gesellschaft erlischt, bedarf es des Anspruchs aus Zweckverfehlungskondiktion auch nicht mehr.
bb) Natur der Anrechnung Vor diesem Hintergrund wird auch die Natur der Anrechnung deutlich. Sie lässt den fortbestehenden Einlageanspruch in Höhe des anrechenbaren Wertes erlöschen und führt in Bezug auf die Zweckverfehlungskondiktion gleichzeitig zu einer Entreicherung der Gesellschaft. Sie bewirkt damit wirtschaftlich eine Saldierung des fortbestehenden Einlageanspruchs der Gesellschaft 49 Vgl. oben II. 2. a) bb) (4). 50 Vgl. oben II. 2. a) bb) (4).
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mit dem Anspruch des Gesellschafters aus Zweckverfehlungskondiktion, allerdings ohne die Möglichkeit, dass bei überschießendem Wert der Sacheinlage ein Saldo zugunsten des Gesellschafters verbleibt.
f) Heilung Die Heilungsmöglichkeiten sollen durch die Neuregelung nicht eingeschränkt werden, sondern in vollem Umfang fortbestehen51. Allerdings besteht hierfür nur noch in eingeschränktem Umfang Bedarf. Eine Heilung könnte dem Inferenten die in § 19 Abs. 4 S. 5 GmbHG n. F. angeordnete Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermögensgegenstandes abnehmen und zur Rückkehr zur allgemeinen Regel des § 9 GmbHG führen52 . Darüber hinaus ließe sie ggfs. Schadensersatzansprüche nach §§ 9a, 43 GmbHG entfallen53. Zur Vermeidung drakonischer Härten in der Rechtsfolge wird sie hingegen nicht mehr benötigt. Das Verfahren der Heilung ähnelt dabei dem bisherigen Recht54: Auch nach nunmehr geltender Rechtslage haben die Gesellschafter einen Beschluss mit satzungsändernder Mehrheit zu fassen und einen Bericht hinsichtlich der Änderung der Einlagendeckung zu verfassen. Ebenfalls erforderlich ist die Versicherung der Geschäftsführer hinsichtlich Werthaltigkeit und Empfang des Gegenstandes sowie die registergerichtliche Werthaltigkeitsprüfung55. Nicht mehr erforderlich ist hingegen die Einbringung des Gegenstandes, da § 19 Abs. 4 S. 2 GmbHG n. F. die Wirksamkeit der Verträge über die (verdeckte) Sacheinlage und der Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung anordnet. Bleibt der Wert der eingebrachten Sache allerdings hinter der Bareinlageverpflichtung zurück, so erfordert eine Heilung zusätzlich die Ausgleichung des Differenzbetrages in bar, da Sacheinlagen vollständig zu erbringen sind (§ 7 Abs. 3 GmbHG). Der fortbestehende Einlageanspruch (§ 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG n. F.) bzw. der Anspruch aus Differenzhaftung (§ 9 Abs. 1 GmbHG) genügen nicht.
51 Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 40. 52 Veil, ZIP 2007, 1241 (1244 f.). 53 Veil, ZIP 2007, 1241 (1244 f.); a. A. Großkommentar GmbHG/Ulmer, 2005, § 19 Rz. 139. An einer eingetretenen Strafbarkeit ändert sich indes nichts, vgl. Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schaal, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 82 Rz. 44. 54 Zum bisherigen Recht siehe nur BGH, 4. 3. 1996 – II ZB 8/95, NJW 1996, 1473 (1476 f.). 55 Veil, ZIP 2007, 1241 (1245).
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3. Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG auf die UG (haftungsbeschränkt) Bei der UG (haftungsbeschränkt) sind gemäß § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. offene Sacheinlagen nicht zulässig. Es wird daher vertreten, dass die Regelung zur verdeckten Sacheinlage in § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. auf die UG (haftungsbeschränkt) keine Anwendung finde56. Dem ist nicht zu folgen57. Denn auch bei der UG (haftungsbeschränkt) wird es zu Umgehungen kommen. Wendet man § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. dann nicht an, kehrt man zur alten und als unbefriedigend erkannten Rechtslage vor dem MoMiG zurück58. Im Übrigen besteht kein relevanter Unterschied zum Recht der GmbH. In beiden Fällen sind verdeckte Sacheinlagen verboten. Der Umstand, dass bei der UG (haftungsbeschränkt) darüber hinaus auch offene Sacheinlagen verboten sind, rechtfertigt im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Inferenten keine Differenzierung. Entscheidend ist, dass sich die Rechtsfolge einer Umgehung des Verbotes verdeckter Sacheinlagen in § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. findet. § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. kann auch nicht als lex specialis verstanden werden, welche § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. verdränge59. Er enthält nämlich nur das Verbot einer Sacheinlage, ohne jedoch die Rechtsfolge für den Fall eines verdeckten Verstoßes gegen dieses Verbot auszusprechen. Es lässt sich ferner nicht argumentieren, § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. könne deswegen auf die UG (haftungsbeschränkt) generell nicht angewendet werden, weil er nur auf die verdeckte Einbringung sacheinlagefähiger Gegenstände Anwendung finde, die es aufgrund des generellen Verbots von Sacheinlagen bei der UG (haftungsbeschränkt) aber nicht gebe60. Denn ein derart beschränkter Anwendungsbereich ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen und auch aus der ratio des § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. nicht herzuleiten. Die Regierungsbegründung begründet die Unzulässig56 Bormann, GmbHR 2007, 897 (901); Bormann/Urlichs, GmbHR-Sonderheft 2008, 37 (42); Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485 (1486); Markwardt, BB 2008, 2414 (2421). Nicht eindeutig Joost, ZIP 2007, 2242 (2244). 57 So auch Gehrlein, Der Konzern 2007, 771 (779); Heinze, GmbHR 2008, 1065 (1066 f.); Herrler, DB 2008, 2347 (2349 f.). 58 Vgl. Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485 (1486), sowie Bormann/Urlichs, GmbHR-Sonderheft 2008, 37 (42), die dies jedoch angesichts des ausdrücklichen Verbots der Sacheinlage bei der UG (haftungsbeschränkt) für nicht unangemessen halten. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch die verdeckte Sacheinlage bei der GmbH – wenn auch nicht ausdrücklich – verboten ist. 59 So aber Wicke, GmbHG, 2008, § 5a Rz. 8. 60 Bormann/Urlichs, GmbHR-Sonderheft 2008, 37 (42).
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keit von Sacheinlagen mit ihrer fehlenden Erforderlichkeit61. Wenn man dem ein Streben des Gesetzgebers nach möglichst einfachen Gründungsregeln entnimmt, so spricht dies eher für eine Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. als dagegen. Zum bisherigen Recht der GmbH wurde in der Rechtsprechung überdies angenommen, dass die Regeln über die verdeckte Sacheinlage erst recht Anwendung fänden, wenn nicht sacheinlagefähige Gegenstände eingebracht werden62 . Allerdings ist in solchen Fällen dann keine Anrechnung möglich, wenn es an einem Vermögensgegenstand im Sinne des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. fehlt63. Im Ergebnis müsste der Inferent seine Einlageleistung dann auch bei Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. noch ein zweites Mal erbringen, wobei ihm jedoch in Höhe des Wertes des eingebrachten Gegenstandes die Zweckverfehlungskondiktion zusteht64. Doch fehlt es an einem Vermögensgegenstand im Sinne des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. nur, wenn es generell, d. h. unabhängig von der Regelung des § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F., an der Sacheinlagefähigkeit des Gegenstands fehlt, etwa bei der Einbringung von Dienstleistungen. An der Eigenschaft eines Grundstücks als Vermögensgegenstand im Sinne des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. ändert sich nämlich nichts dadurch, dass § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. dessen Einlagefähigkeit für die UG (haftungsbeschränkt) verneint. Der Grundstückswert wäre daher auch bei der UG (haftungsbeschränkt) anrechenbar. Festzuhalten bleibt damit, dass § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. auch auf die UG (haftungsbeschränkt) Anwendung findet65. Ausgeschlossen ist bei der UG (haftungsbeschränkt) aufgrund des generellen Verbots von Sacheinlagen allerdings die Heilung der verdeckten Sacheinlage. Überdies wird man darüber nachdenken müssen, ob eine Umgehungsabrede, an der alle Gesellschafter beteiligt sind, die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags nach sich zieht66. Schließlich ist die vereinbarte Geldeinlagepflicht als Scheingeschäft (§ 117 Abs. 1 BGB) und die dissimulierte Sacheinlagepflicht nach § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. in Verbindung mit § 134 BGB nichtig. Doch wird man dies allenfalls für den Zeitraum vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister annehmen können. Nach Eintragung gilt § 75 GmbHG.
61 62 63 64 65 66
Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 32. Hierzu oben II. 2. d). Hierzu oben II. 2. d). Siehe hierzu oben II. 2. e). Nachweise in Fn. 57. Vgl. hierzu Wicke, GmbHG, 2008, § 5a Rz. 8.
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4. Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG auf eine per Musterprotokoll gegründete Gesellschaft Erst recht anwendbar ist § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. auf verdeckte Sacheinlagen im Rahmen einer per Musterprotokoll gegründeten Gesellschaft. Hier besteht schon kein ausdrückliches Verbot offener Sacheinlagen. Vielmehr ergibt sich die generelle Unzulässigkeit von Sacheinlagen daraus, dass § 2 Abs. 1a GmbHG n. F. Abweichungen von dem Musterprotokoll für unzulässig erklärt67. Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nicht um ein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB, da mit der Vorschrift keine Missbilligung des rechtlichen Erfolges verbunden ist68. Abweichungen vom Text des Musterprotokolls führen lediglich dazu, dass § 2 Abs. 1a GmbHG n. F. nicht mehr eingreift und der mit der Verwendung des Musterprotokolls verbundene Kostenvorteil entfällt69. Es besteht daher kein Anlass, die verdeckte Sacheinlage hier schärferen Sanktionen zu unterwerfen als bei der Gründung im normalen Verfahren.
5. Bewertung Wie fällt nun die Bewertung der Rechtslage nach dem MoMiG aus? Als wichtigster Punkt ist insofern festzuhalten, dass unnötige Schärfen in der Rechtsfolge durch das MoMiG beseitigt wurden. Dies ist uneingeschränkt zu begrüßen. Die Anrechnungslösung in § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. ist überdies dogmatisch stimmiger als die zunächst favorisierte Erfüllungslösung, weil sie die gesetzliche Unterscheidung zwischen Geld- und Sacheinlage fortführt70. Inwiefern sich die Unterscheidung angesichts der Zweifel am Grad des Sanktionsgefälles71 allerdings auch in der Praxis hält, wird sich erst noch zeigen müssen. Trotz dieser positiven Bewertung der Rechtsfolge wird man allerdings nicht sagen können, dass das Recht leichter zu erfas67 Genaugenommen erklärt die Vorschrift sogar nur vom Gesetz abweichende Bestimmungen für unzulässig. Damit kann aber nicht gemeint sein, dass beliebige Ergänzungen zulässig sind, solange sie nur mit dem Text des GmbH-Gesetzes vereinbar sind. Dass zwingende gesetzliche Vorschriften einzuhalten sind, versteht sich von selbst. Zudem würde die Zulässigkeit beliebiger Ergänzungen den Zweck des Musterprotokolls – die Beschleunigung der Gesellschaftsgründung durch Standardisierung – konterkarieren, vgl. hierzu Römermann, GmbHR-Sonderheft 2008, 16 (18). 68 Römermann, GmbHR-Sonderheft 2008, 16 (19). 69 Römermann, GmbHR-Sonderheft 2008, 16 (18 f.). 70 Kritisch zur Erfüllungslösung insbesondere Büchel, GmbHR 2007, 1065 (1070); Priester, ZIP 2008, 55 (55 f.); Ulmer, ZIP 2008, 45 (50 ff.); Veil, ZIP 2007, 1241 (1242 ff.). 71 Hierzu oben II. 2. c).
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sen ist als bisher. Wie die vorstehenden Ausführungen deutlich zeigen, ist die theoretische Durchdringung nicht unbedingt einfacher geworden; für die Praxis dürfte dies angesichts des eindeutigen und sachgerechten Ergebnisses allerdings nur ein kleiner Wermutstropfen sein. Im Hinblick auf den Tatbestand ist es zu keinen Änderungen gekommen72, obwohl sich mancher eine genauere Fassung und mehr Rechtssicherheit gewünscht haben mag73. Dennoch war es richtig, hier keine Änderungen vorzunehmen74. Die Erfassung von Umgehungen ist immer schwierig. Jede Präzisierung hätte nur Anlass zu neuen Umgehungsversuchen gegeben und zu entsprechenden Reaktionen der Rechtsprechung geführt75. So kann weiterhin an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft werden, was zumindest in gewissem Maße Rechtssicherheit gibt.
III. Entwicklung im Aktienrecht Im Aktienrecht hat es einige interessante Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gegeben, die sich in erster Linie mit der verdeckten gemischten Sacheinlage befassen76. Der BGH hat hier seine Rechtsprechung konsequent fortgeführt77. An der sachlichen Berechtigung der Ergebnisse wird allerdings auch deutliche Kritik geübt, die sich insbesondere daran entzündet, dass eine verdeckte Sacheinlage mit der Folge der Nichtigkeit des Verkehrsgeschäfts auch dann angenommen wird, wenn der Einlagebetrag im Vergleich zum Volumen des Verkehrsgeschäfts gering oder sogar verschwindend gering ist78. Hier ist nicht der Raum, diese Entscheidungen im Einzelnen zu analysieren. Sie zeigen aber, dass hinsichtlich der verdeckten Sacheinlage nicht nur im GmbH-Recht, sondern auch im Aktienrecht Reformbedarf besteht. Nachfolgend soll daher untersucht werden, inwieweit
72 Heinze, GmbHR 2008, 1065 (1066); a. A. Büchel, GmbHR 2007, 1065 (1070). 73 Kallmeyer, DB 2007, 2755 (2756); Priester, VGR 11 (2006), 1 (18 ff.); vgl. auch Büchel, GmbHR 2007, 1065 (1070). 74 Vgl. auch Veil, ZIP 2007, 1241 (1242) m. w. N. 75 Vgl. Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 40 f., wo eine „zusätzliche Komplizierung des positiven Rechts“ befürchtet wird. 76 BGH, 20. 11. 2006 – II ZR 176/05, NZG 2007, 144; BGH, 9. 7. 2007 – II ZR 62/06, NZG 2007, 754; BGH, 18. 2. 2008 – II ZR 132/06, NZG 2008, 425. Siehe auch BGH, 4. 12. 2006 – II ZR 305/05, DStR 2006, 2326; BGH, 15. 10. 2007 – II ZR 249/06, NZG 2008, 76 77 Vgl. auch Böttcher, NZG 2008, 416 ff.; Habersack, ZGR 2008, 48 (64). 78 Martens, AG 2007, 732 (732 ff.).
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die Änderungen im GmbH-Recht auch für das Aktienrecht nutzbar gemacht werden können.
1. (Noch) keine gesetzliche Regelung im Aktienrecht Im Aktienrecht hat es anders als im GmbH-Recht keine gesetzliche Änderung gegeben. Im Gesetzgebungsverfahren zum MoMiG wurde bewusst auf eine Änderung des Aktienrechts verzichtet; diese sollte erst im Zuge der Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Kapitalrichtlinie (Richtlinie 2006/68/EG) erfolgen79. Der Referentenentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), mit dem auch die erwähnte Änderungsrichtlinie umgesetzt werden soll, enthielt indes noch keine entsprechende Regelung, weil die endgültige Fassung des MoMiG abgewartet werden sollte80. Hierauf gründete sich die Hoffnung, dass es im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zum ARUG zu einer Regelung der verdeckten Sacheinlage auch im Aktienrecht kommen würde. Doch hat diese Hoffnung mit dem Anfang November 2008 veröffentlichten Regierungsentwurf einen Rückschlag erfahren. Zwar hält der Gesetzgeber daran fest, die Lösung des MoMiG auf die AG übertragen zu wollen. Allerdings soll zunächst die Akzeptanz der Neuregelung im GmbH-Recht abgewartet werden81. Im Ausgangspunkt bleibt es daher dabei, dass die Geldeinlagepflicht mangels Erfüllung fortbesteht und das Verkehrsgeschäft sowohl in seiner schuldrechtlichen als auch seiner dinglichen Dimension nichtig ist. Dem Inferenten droht also in der Insolvenz der Gesellschaft und insbesondere dann, wenn ihm kein dinglicher Herausgabeanspruch hinsichtlich des eingebrachten Vermögensgegenstands zusteht, weiterhin die drakonische Sanktion, seine Einlage im wirtschaftlichen Ergebnis zweimal erbringen zu müssen. Die Lage im Aktienrecht ist daneben auch insbesondere des-
79 Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 52. 80 Referentenentwurf (ARUG), S. 27, im Internet unter http://www.bmj.bund.de/ fi les/-/3140/RefE %20Gesetz %20zur %20Umsetzung %20der %20Aktionärsrechterichtlinie.pdf (Abruf am 30. 11. 2008). Zu dem Referentenentwurf siehe etwa Böttcher, NZG 2008, 481 ff.; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2008, 543 ff.; Noack, NZG 2008, 441 ff.; Paschos/Goslar, AG 2008, 605 ff.; Zetzsche, Der Konzern 2008, 321 ff. 81 Regierungsentwurf (ARUG), BT-Drucks. 16/11642 S. 28, im Internet unter http:// www.bmj.bund.de/fi les/-/3369/RegE_ARUG.pdf (Abruf am 30. 11. 2008). Generell gegen eine Übertragung der Lösung des MoMiG auf das Aktienrecht Pentz, GmbHR 2009, 126 (Fn. 7).
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wegen unbefriedigend, weil §§ 27 Abs. 4, 183 Abs. 2 S. 4 AktG die Heilung des Verkehrsgeschäfts nach Eintragung explizit ausschließen82 .
2. Keine Übertragbarkeit der Lösung des MoMiG Eine Übertragung der neuen gesetzlichen Regelungen bei der GmbH auf die Aktiengesellschaft im Sinne einer analogen Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG im Aktienrecht kommt allerdings nicht in Betracht83. Sie scheitert insbesondere daran, dass das Konzept des GmbH-Rechts, das Verkehrsgeschäft insgesamt als wirksam zu betrachten, mit den ausdrücklich anders lautenden Regeln der §§ 27 Abs. 3 S. 1, 183 Abs. 2 S. 1 AktG kollidiert.
3. Versuch der Annäherung an das GmbH-Recht Solange es an einer gesetzlichen Regelung der verdeckten Sacheinlage auch für die AG noch fehlt, kann man indes vor dem Hintergrund des MoMiG auch schon de lege lata eine gewisse Annäherung des Aktienrechts an das GmbH-Recht versuchen.
a) „Gesellschaftsrechtliche Saldotheorie“: Saldierung aller Ansprüche Im Aktienrecht führt das Vorliegen des Tatbestands der verdeckten Sacheinlage dazu, dass die Geldeinlage keine Erfüllungswirkung hat und auch das Verkehrsgeschäft, inklusive der dinglichen Erfüllungsgeschäfte, unwirksam ist. All diese Rechtshandlungen werden dadurch rechtlich verklammert, dass sie im Rahmen einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung als eine verdeckte Sacheinlage eingestuft werden. Hieraus werden dann die beschriebenen drakonischen Rechtsfolgen abgeleitet. Aus dieser rechtlichen Verklammerung lässt sich aber auch eine Art „gesellschaftsrechtlicher Saldotheorie“ für den besonders problematischen Fall ableiten, 82 Diskutiert wird lediglich die Neuvornahme des unwirksamen Verkehrsgeschäfts unter Beachtung der Nachgründungsvorschriften, vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 27 Rz. 31; MünchKomm.AktG/Pentz, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 106 ff.; Pentz, ZIP 2003, 2093 (2101 f.); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 29 II 1 c) bb). Eine entsprechende Entscheidung des OLG Koblenz, 20. 4. 2006 – 6 U 120/05, AG 2007, 242 (245), hat der BGH indes aufgehoben, vgl. die Rheinmöve-Entscheidung BGH, 18. 2. 2008 – II ZR 132/06, NZG 2008, 425 (426). 83 So auch Bormann/Urlichs, GmbHR-Sonderheft 2008, 37 (42); Pentz, GmbHR 2009, 126 (Fn. 7); Theusinger, BB 2009, 183 (185); a. A. B. Grunewald, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2008, S. 252 f.
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dass dem Inferenten kein dinglicher Herausgabeanspruch hinsichtlich des eingebrachten Vermögensgegenstands zusteht. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass bei einer Saldierung aller Ansprüche dann ein Anspruch zugunsten der Gesellschaft verbleibt, wenn ihr weniger zugeführt wurde, als ihr nach dem Einlageversprechen des Gesellschafters zusteht. Auf diese Weise ließe sich die Haftung des Gesellschafters sachgerecht auf die Differenz zwischen der versprochenen Einlage und dem Wert des verdeckt eingebrachten Vermögensgegenstands begrenzen. Leistet zum Beispiel der Gesellschafter 10 000 Euro auf seine in dieser Höhe bestehende Einlagepflicht und verkauft er der Gesellschaft anschließend ein Kfz im Wert von 8000 Euro für 10 000 Euro, welches sodann bei der Gesellschaft zerstört wird, so kann die Gesellschaft nach der bereicherungsrechtlichen Saldotheorie Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises abzüglich des Wertes des Kfz, also in Höhe von 2000 Euro verlangen. Diese Forderung ist mit der Forderung des Gesellschafters auf Rückzahlung seiner fehlgeschlagenen Einlage in Höhe von 10 000 Euro sowie dem Einlageanspruch der Gesellschaft in Höhe von ebenfalls 10 000 Euro zu saldieren, so dass der Gesellschaft im Ergebnis noch eine verbleibende Einlageforderung in Höhe von 2000 Euro zusteht. Ihr wird also noch genau die Differenz zugeführt, um die der Wert der verdeckten Sacheinlage hinter der Einlagepflicht des Gesellschafters zurückbleibt.
b) Saldierungsverbot gemäß § 66 Abs. 1 S. 2 AktG? Nach bisheriger Lesart muss diese Saldierung deswegen unterbleiben, weil § 66 Abs. 1 S. 2 AktG eine Aufrechnung gegenüber Einlageforderungen der Gesellschaft verbietet84. Der Gesellschafter könnte daher zwar gegen den Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft in Höhe von 2000 Euro mit seiner Bereicherungsforderung wegen der fehlgeschlagenen ersten Einlage in Höhe von 10 000 Euro aufrechnen, so dass ihm eine Forderung gegen die 84 Allerdings verbietet die Vorschrift des § 66 Abs. 1 S. 2 AktG nur die Aufrechnung gegen eine Einlageforderung der Gesellschaft, wohingegen die vorgeschlagene Lösung eine Anrechnung auf die offene Einlageforderung ipso iure vorsieht. Es wäre aber zu kurz gegriffen, bereits aufgrund dieses formalen Unterschiedes das Eingreifen des Aufrechnungsverbots zu verneinen. Die hier vorgeschlagene Anrechnung liegt in erster Linie im Interesse des Inferenten und steht daher wertungsmäßig einer Aufrechnung durch diesen näher als einer Aufrechnung durch die Gesellschaft. Überdies ist letztere nur zulässig, wenn die Forderung des Gesellschafters vollwertig, fällig und liquide ist (Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 66 Rz. 6), woran es in den relevanten Fällen jedoch gerade fehlt. Es ist daher erforderlich, die Nichtanwendung des § 66 Abs. 1 S. 2 AktG in der Sache zu begründen; siehe hierzu den nachfolgenden Text.
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Gesellschaft in Höhe von 8000 Euro verbliebe. Mit dieser würde er allerdings in der Insolvenz der Gesellschaft ausfallen. Die Einlageforderung der Gesellschaft müsste er hingegen in voller Höhe von 10 000 Euro erfüllen, weil gegen sie eine Aufrechnung nicht möglich ist. Im Ergebnis führt er der Gesellschaft dann 18 000 Euro anstatt 10 000 Euro zu. Die hier vorgeschlagene Saldierung kommt also nur in Betracht, wenn § 66 Abs. 1 S. 2 AktG keine Anwendung findet. Die Nichtanwendung dieser Norm lässt sich nun mit dem Rechtsgedanken des § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F. begründen85. Dieser macht nämlich deutlich, dass Anrechnungen auf Einlageforderungen nicht schlechterdings verboten sind und insbesondere im Zusammenhang mit verdeckten Sacheinlagen zur Vermeidung von Ungerechtigkeiten geboten sein können. Dem Umstand, dass der Gesetzgeber von einer diesbezüglichen Änderung des Aktienrechts gerade abgesehen hat86, wird man demgegenüber kein entscheidendes Gewicht beimessen. Der Gesetzgeber hat sich nämlich nicht generell gegen eine Änderung ausgesprochen, sondern will diese lediglich später vornehmen87. Überdies betont der Regierungsentwurf des MoMiG ausdrücklich, dass sich die Änderungen im GmbH-Recht sinnvoll auf das Aktienrecht übertragen lassen, weil hier gleichgelagerte Regelungsbedürfnisse bestünden88. Dies spricht nicht nur nicht gegen, sondern sogar für eine Übernahme der Wertung des § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F. in das Aktienrecht, d. h. für eine Nichtanwendung des Aufrechnungsverbots des § 66 Abs. 1 S. 2 AktG im Bereich der verdeckten Sacheinlage. Zwar wollte der Gesetzgeber zunächst die Akzeptanz der Regelung im GmbH-Recht abwarten89, was sich in der Tat gegen den hier vorgeschlagenen Ansatz einwenden ließe. Doch lässt sich die Akzeptanz der Neuregelung gerade durch die Nutzbarmachung eines ihrer zentralen Gedanken für das Aktienrecht eindrucksvoll unter Beweis stellen.
85 Für eine analoge Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. im Aktienrecht B. Grunewald, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2008, S. 252 f.; ähnlich Schall, ZGR 2009, 126 (153); ablehnend Pentz, GmbHR 2009, 126; Theusinger, BB 2009, 183 (185). 86 Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 52; siehe oben in und bei Fn. 79, 80, 81. 87 Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 52; Regierungsentwurf (ARUG), BT-Drucks. 16/11642, S. 28, im Internet unter http://www.bmj.bund.de/ fi les/-/3369/RegE_ARUG.pdf (Abruf am 30. 11. 2008). 88 Regierungsentwurf (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 51 f. 89 Regierungsentwurf (ARUG), BT-Drucks. 16/11642, S. 28, im Internet unter http://www.bmj.bund.de/fi les/-/3369/RegE_ARUG.pdf (Abruf am 30. 11. 2008).
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Eine in Anlehnung an gesetzliche Wertungen bei der GmbH erfolgende behutsame Annäherung des Aktienrechts an das GmbH-Recht erscheint daher durchaus vertretbar und unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten auch geboten. Es handelt sich nicht um Ungehorsam gegenüber dem Gesetzgeber, sondern vielmehr um – möglicherweise vorauseilenden – Gehorsam.
c) Saldierung auch bei bestehendem dinglichen Herausgabeanspruch? Zu klären ist noch, ob eine Saldierung auch dann zuzulassen ist, wenn dem Gesellschafter ein dinglicher Herausgabeanspruch zusteht. Diese Frage ist jedenfalls insoweit zu verneinen, als es um den Wert des Herausgabeanspruchs selbst geht. Dieser kann nicht in die Saldierung einbezogen werden, weil dies im Ergebnis zu einer Wirksamkeit des Verkehrsgeschäfts führen würde, die durch §§ 27 Abs. 3 S. 1, 183 Abs. 2 S. 1 AktG gerade ausgeschlossen wird90. Hinsichtlich der auf Geld gerichteten Ansprüche ist eine Saldierung hingegen nach den soeben herausgearbeiteten Grundsätzen ohne weiteres möglich. Sie wird durch die bloße Existenz des dinglichen Herausgabeanspruchs nicht ausgeschlossen. Nehmen wir an, bei einer Einlageverpflichtung in Höhe von 10 000 Euro, auf die tatsächlich Geld in dieser Höhe geleistet wurde, habe der Gesellschafter anschließend ein Kfz im Wert von 8000 Euro für 1000 Euro an die Gesellschaft verkauft. Das Kfz sei dann bei der Gesellschaft beschädigt worden, so dass es nur noch 5000 Euro wert ist. In dem Fall kann der Gesellschafter das Kfz zurückfordern, er erhält also einen Sachwert in Höhe von 5000 Euro. Nach der bereicherungsrechtlichen Saldotheorie erhält er diesen allerdings nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 10 000 Euro, von dem die Wertminderung in Höhe von 3000 Euro abzuziehen ist91. Er muss mithin noch 7000 Euro an die Gesellschaft zahlen. Gleichzeitig hat er einen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion gegen die Gesellschaft in Höhe von 10 000 Euro wegen seiner ohne 90 A. A. B. Grunewald, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2008, S. 252 f., die die MoMiGRegelung insgesamt übertragen möchte. 91 Zur bereicherungsrechtlichen Saldotheorie bei Wertminderung der herauszugebenden Sache siehe Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2007, Rz. 1522; Anwaltkommentar BGB/Linke, 2005, § 818 Rz. 64; Erman/Westermann/Buck-Heeb, 12. Aufl. 2008, § 818 Rz. 42. Zur Wertersatzpflicht, wenn eine beschädigte Sache herauszugeben ist, siehe MünchKomm.BGB/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 818 Rz. 35, 125.
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Erfüllungswirkung erbrachten Geldleistung. Ihm steht mithin per Saldo noch ein Anspruch gegen die Gesellschaft auf Zahlung von 3000 Euro zu. Die Gesellschaft hat demgegenüber noch eine Einlageforderung in Höhe von 10 000 Euro gegen ihn. Nach traditioneller Auffassung hat der Gesellschafter insofern keine Aufrechnungsmöglichkeit. In der Insolvenz der Gesellschaft erhält er auf seine Forderung in Höhe von 3000 Euro nur die Quote, muss aber selbst noch 10 000 Euro an die Gesellschaft zahlen. Diese Verpflichtung wird nur teilweise durch den zurückerhaltenen Sachwert in Höhe von 5000 Euro, das Kfz, neutralisiert. Ihm verbleibt ein Negativsaldo von 5000 Euro92, obwohl der Wert der eingebrachte Sache nur um 2000 Euro hinter seiner Einlageverpflichtung zurückblieb. Nach hier vertretener Auffassung sind hingegen alle auf Geld gerichteten Ansprüche miteinander zu verrechnen, ohne dass es insofern einer Aufrechnungserklärung bedarf. Zugunsten der Gesellschaft sind ihr fortbestehender Anspruch auf Einlageleistung in Höhe von 10 000 Euro sowie ihr Rückzahlungsanspruch hinsichtlich des Kaufpreises in Höhe von ebenfalls 10 000 Euro zu berücksichtigen, insgesamt also 20 000 Euro. Zugunsten des Gesellschafters sind die Wertminderung des Kfz in Höhe von 3000 Euro sowie sein Anspruch auf Rückzahlung der fehlgeschlagenen Geldeinlage in Höhe von 10 000 Euro zu berücksichtigen. Per Saldo verbleibt ein Anspruch der Gesellschaft in Höhe von 7000 Euro. Aus Sicht des Gesellschafters ist dieser wertmäßig gedeckt durch den zurückerhaltenen Sachwert in Höhe von 5000 Euro, das Kfz. Für ihn verbleibt ein negativer Saldo in Höhe von 2000 Euro, die er noch an die Gesellschaft zu zahlen hat. Dies ist genau die Summe, um die der Wert der verdeckt eingebrachten Sache hinter seiner Einlageverpfl ichtung zurückblieb.
d) Fortbestehende Unterschiede zwischen GmbH-Recht und Aktienrecht Die hier vorgeschlagene Lösung erzielt allerdings keinen vollständigen Gleichlauf zwischen GmbH-Recht und Aktienrecht. Verkehrsgeschäft und Erfüllungsgeschäfte bleiben bei der AG unwirksam, während sie bei der GmbH wirksam sind. Dies kann insbesondere dann unangemessene Folgen haben, wenn Gesellschafter oder Gesellschaft diesen Umstand nut-
92 … abzüglich der Insolvenzquote, die der Inferent auf seine Forderung noch erhält.
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zen, um sich von dem nachträglich als ungünstig erkannten Verkehrsgeschäft zu lösen93. Bei der AG werden also lediglich alle auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche saldiert, die sich aus der Unwirksamkeit von Verkehrs- und Erfüllungsgeschäft, der fehlenden Erfüllungswirkung der Leistung der Geldeinlage durch den Gesellschafter sowie dem fortbestehenden Einlageanspruch der Gesellschaft ergeben. Soweit ein Herausgabeanspruch hinsichtlich des verdeckt eingebrachten Vermögensgegenstandes besteht, wird dessen Wert nicht in die Saldierung einbezogen; dieser Anspruch ist durch Herausgabe des Vermögensgegenstandes zu erfüllen. Eine Anrechnung des Wertes des Vermögensgegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung oder seiner Überlassung erfolgt in diesem Fall nicht, da anderenfalls das Verkehrsgeschäft im Ergebnis entgegen §§ 27 Abs. 3 S. 1, 183 Abs. 2 S. 1 AktG als wirksam behandelt würde. § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n. F. wird mithin nicht entsprechend angewandt, sondern dient nur der Überwindung des Aufrechnungsverbots in § 66 Abs. 1 S. 2 AktG.
4. Ergebnis Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Regelung, welche die Problematik der verdeckten Sacheinlage im MoMiG gefunden hat, auf das Aktienrecht zwar nicht übertragbar ist, dass aber eine Annäherung des Aktienrechts an das GmbH-Recht möglich ist. Diese besteht in einem vorsichtigen Zurückdrängen des Aufrechnungsverbots des § 66 Abs. 1 S. 2 AktG. Auf diese Weise lassen sich die dramatischen Folgen einer verdeckten Sacheinlage auch im Aktienrecht abmildern. Im Unterschied zum GmbH-Recht verbleibt es aber bei der Unwirksamkeit des Verkehrsgeschäfts und der Rechtshandlungen zu seiner Ausführung. Dies ist unbefriedigend, so dass weiterhin Bedarf nach einer gesetzlichen Regelung besteht.
93 Vgl. den Sachverhalt der Lurgi-Entscheidung: BGH, 9. 7. 2007 – II ZR 62/06, NZG 2007, 754. Hierzu pointiert Martens, AG 2007, 732 (732 ff., insbesondere 733). Zur Problematik der Reumöglichkeit siehe auch Knobbe-Keuk, ZIP 1986, 885 (888); Priester, DB 1990, 1753 (1755).
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IV. Verdeckte Sacheinlage und SPE 1. Kapitalaufbringung in der SPE Die Kapitalaufbringung in der SPE ist sehr liberal ausgestaltet. Das Mindestkapital beträgt derzeit 1 Euro (Art. 19 Abs. 4 SPE-VO-E), obwohl ein höheres Mindestkapital durchaus in der Diskussion ist94. Das von den Gründern festgelegte Kapital ist zwar in voller Höhe zu zeichnen, die Anteile müssen bei Ausgabe aber nicht in voller Höhe bezahlt werden95; der Leistungszeitpunkt wird durch die Satzung festgelegt96. Sacheinlagen sind nach dem Entwurf der SPE-VO zulässig, wobei eine präventive Wertkontrolle nicht vorgeschrieben ist97, sondern nur fakultativ durch die Satzung vorgesehen werden kann98. Geht man davon aus, dass die Erbringung von Sacheinlagen in der Satzung festgesetzt sein muss99, so ist jedoch zumindest über die Satzungspublizität auch die Publizität der Sacheinlage gewährleistet100. Zwingende Vorschriften zur Einlagefähigkeit bestehen nicht; einlagefähig sollen sogar Dienstleistungen sein101. Angesichts dieser Liberalität bei der Kapitalaufbringung – man ist fast geneigt zu sagen: Sorglosigkeit – erscheint es nur noch als Kosmetik, 94 Zu Forderungen nach einem höheren Mindestkapital: Entwurf eines Berichts des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 9. 9. 2008, 2008/ 0130(CNS), Änderungsantrag 23, im Internet unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-412.151+ 01+DOC+PDF+ V0//de&language=DE (Abruf am 30. 11. 2008); Arbeitskreis Europäisches Gesellschaftsrecht, Comments and Suggestions in Response to the Proposal for a Council Regulation on the Statue for a European Private Company (SPE), Tz. 21, im Internet unter http://www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/kersting/SPE.pdf (Abruf am 30. 11. 2008); Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (904); Steinberger, BB 2008, M1; gegen ein höheres Mindestkapital Hopt, EuZW 2008, 513; Lanfermann/Richard, BB 2008, 1610 (1611); diesen Punkt halten Lehne, GmbHR 2008, R 257 und Schmidt-Gerdts, SR: Recht 2008, 228 für nachrangig; für eine Ersetzung durch Kapitalausstattungspfl icht Peters/Wüllrich, DB 2008, 2179 (2181 f.). 95 Art. 19 Abs. 2, 3 SPE-VO-E. 96 Anhang I, Kapitel IV, Spiegelstrich 4 SPE-VO-E. 97 Die gerichtliche Kontrolle erstreckt sich nicht auf die Werthaltigkeit der Sacheinlagen, vgl. Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (905). 98 Art. 20 Abs. 1, Anhang I, Kapitel IV, Spiegelstrich 3 SPE-VO-E. 99 Diese Annahme scheint vor dem Hintergrund, dass das Kapital der SPE auf Euro lautet und dass der Entwurf der SPE-VO von dem „vereinbarten“ Entgelt sowie der „vereinbarten“ Sacheinlage spricht, Art. 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 SPE-VO-E, gerechtfertigt. 100 Art. 10 Abs. 2 lit. g), 11 Abs. 1 SPE-VO-E. 101 Kommissionsvorschlag, KOM(2008) 396, S. 8; Lanfermann/Richard, BB 2008, 1610 (1612); Maul/Röhricht, BB 2008, 1574 (1576).
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dass Art. 20 Abs. 2 SPE-VO-E festhält, dass die Anteilseigner nicht von ihrer Pfl icht zur Einlageleistung befreit werden können.
2. Differenzhaftung bei unterbewerteten Sacheinlagen? Greift nun eine Differenzhaftung, wenn Sacheinlagen unterbewertet sind? Dies wird in der Literatur bejaht, obwohl der Entwurf der SPE-VO einen entsprechenden Anspruch nicht vorsieht. Als Anspruchsgrundlage wird aber der weiterhin bestehende Anspruch aus dem Einlageversprechen herangezogen102 . Doch überzeugt dies nur als rechtspolitische Forderung. Aus dem Entwurf der SPE-VO lässt es sich hingegen nicht ableiten: Die Festsetzung des Nennwerts der Anteile und ihre Übernahme durch die Gesellschafter erfolgen gemäß Art. 19 SPE-VO-E in Verbindung mit einer Satzungsbestimmung103. Nach Art. 20 Abs. 1 SPE-VO-E werden Entgelt und Sacheinlage „vereinbart“. Da diese Vereinbarung unabhängig von der Festsetzung des Nennwerts und der Übernahme der Anteile erfolgt, muss man auch eine Unterpari-Emission für möglich halten. Aus der Vereinbarungsmöglichkeit folgt mithin, dass der Gesellschafter aufgrund der Satzungsfestsetzung nicht einen bestimmten Wert schuldet, sondern nur die Sacheinlage. Erbringt er diese, so hat er seine Einlageverpflichtung erfüllt, unabhängig von deren Wert. Für eine Differenzhaftung ist dann kein Raum. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, aus der Formulierung des Art. 20 Abs. 1 SPE-VO-E ergebe sich, dass es ein „vereinbartes Entgelt“ gebe, welches entweder in bar oder durch eine Sachleistung zu erbringen sei. Zwar betont die gewählte Formulierung tatsächlich das vereinbarte Entgelt gegenüber der Sacheinlage. Das Wort „Entgelt“ bezieht sich nämlich aufgrund der Stellung des Wortes „entweder“ sowohl auf eine Geld- als auch eine Sachleistung. Hieraus könnte man ableiten, dass die SPE im Ausgangspunkt Anspruch auf die Zuführung eines bestimmten Wertes hat, der entweder auf die eine oder die andere Art zuzuführen ist. Doch ist die Formulierung in der Verordnung nicht nur holprig, sie ist darüber hinaus schlicht und einfach fehlerhaft. Die Wortstellung ist falsch. Die englische und französische Fassung bestätigen, dass es richtig lauten müsste: „… entweder das vereinbarte Entgelt bar entrichten oder die vereinbarte Sacheinlage leisten“104. Entgelt und Sacheinlage stehen auf einer Stufe, sie 102 Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (905, Fn. 70). 103 Anhang I, Kapitel II, Spiegelstrich 2 SPE-VO-E. 104 Vgl. die anderen Sprachfassungen: „Shareholders must pay the agreed consideration in cash or provide the agreed consideration in kind in accordance with the articles of association of the SPE.“; „Les actionnaires doivent verser l’apport en
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beziehen sich nicht auf eine übergeordnete Wertaufbringungspflicht. Die Verordnung behandelt die Einlageerbringung daher im Ergebnis wie einen Anteilskauf, bei dem der Preis frei ausgehandelt werden kann. Für eine Differenzhaftung ist vor diesem Hintergrund kein Raum105. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments für die Aufnahme einer Bestimmung zur Differenzhaftung einsetzt106.
3. Verdeckte Sacheinlagen Vor dem Hintergrund des vorliegenden Verordnungsvorschlags stellt sich die Problematik der verdeckten Sacheinlage bei der SPE nicht. Angesichts der liberalen Regelung der Kapitalaufbringung besteht zunächst schon gar kein Anreiz für die Gründer, die Sacheinlagevorschriften zu umgehen107. Selbst wenn es aber zu einer Umgehung kommen sollte, so führt die Entscheidung der SPE-VO-E gegen eine Differenzhaftung bei der offenen Sacheinlage dazu, dass auch die verdeckte Sacheinlage insoweit folgenlos bleiben muss. Dem Vernehmen nach wird jedoch diskutiert, die Unterpari-Emission zu verbieten. Geschieht dies, so müsste man – wie bereits vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments gefordert108 – bei offenen Sacheinla-
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numéraire convenu ou fournir l’apport en nature convenu conformément aux statuts de la SPE.” Dies scheinen auch die Verfasser der noch nicht veröffentlichten „Example Provisions for Articles of Association of an SPE“ (Interinstitutional File: 2008/0130 (CNS) v. 23. 7. 2008, im Internet unter http://www.competitive-greece.gr/dm_ documents/st12124.en08_Zjxdl.doc (Abruf am 30. 11. 2008)) so zu sehen. Teil I, Punkt 1.4, Fn. 6: „Contributions for shares can be made in kind or can be made partly in cash and partly in kind. If one of these approaches is adopted different wording should be used e. g. The founding shareholders must contribute [describe contribution in kind] on [subscription/[date]]. OR The founding shareholders must contribute [Euro] [amount] for each share on [subscription/[date]] and [describe contribution in kind] on [subscription/[date]]. The value of the consideration [gemeint sein dürfte contribution, Verfasser] in kind to be provided, in the opinion of the founding shareholders, is [Euro] [amount].” [Hervorhebung durch Verfasser]. Entwurf eines Berichts des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 9. 9. 2008, 2008/0130(CNS), Änderungsantrag 24, im Internet unter http://www. europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE412.151+01+DOC+PDF+V0//de&language=DE (Abruf am 30. 11. 2008). Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (905). Entwurf eines Berichts des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 9. 9. 2008, 2008/0130(CNS), Änderungsantrag 24, im Internet unter http://www.
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gen eine Differenzhaftung vorsehen, die dann auch bei verdeckten Sacheinlagen eingriffe.
4. Erfassung als verdeckte Gewinnausschüttung Bleibt es bei der derzeit vorgeschlagenen Regelung, so lässt sich der fragliche Vorgang allenfalls unter dem Aspekt einer verdeckten Gewinnausschüttung erfassen. Art. 2 Abs. 1 lit. b) SPE-VO-E definiert „Ausschüttung“ als „jeder finanzielle Vorteil, den ein Anteilseigner aufgrund der von ihm gehaltenen Anteile direkt oder indirekt aus der SPE zieht, einschließlich einer etwaigen Übertragung von Geld oder Immobilien sowie das Eingehen einer Schuld.“ Abs. 2 ergänzt noch, dass „Ausschüttungen im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b […] durch Immobilienerwerb, durch Rücknahme von Anteilen oder durch eine andere Art des Anteilserwerbs sowie auf jedem anderen beliebigen Wege erfolgen“ können. Der Ausschüttungsbegriff ist damit weit genug, um jede Art des Vermögenstransfers an einen Gesellschafter zu erfassen. Eine solche verdeckte Gewinnausschüttung, die nicht aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses gemäß Art. 27 Abs. 1 lit. e) SPE-VO-E erfolgt, ist schon deswegen rechtswidrig. Dies gilt erst recht, wenn sie zu einer gemäß Art. 21 Abs. 1 SPE-VO-E verbotenen Kapitalrückzahlung führt, weil eine solche Ausschüttung auch als offene, durch einen Gesellschafterbeschluss legitimierte, Ausschüttung verboten ist. Die Rechtswidrigkeit der verdeckten Gewinnausschüttung führt zu einem Rückforderungsanspruch der SPE109, möglicherweise auch zu einem Schadensersatzanspruch gegen das Leitungsorgan.
5. Bewertung Bei der SPE ist noch viel im Fluss, so dass eine abschließende Bewertung nicht möglich ist. Angemerkt sei an dieser Stelle nur, dass die geschilderte Situation unbefriedigend ist. Die Kapitalaufbringungsvorschriften der SPE bedürfen dringend der Überarbeitung. Eine Unterpari-Emission muss unzulässig sein, wir brauchen eine Differenzhaftung im Fall der Überbewereuroparl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE412.151+01+DOC+PDF+V0//de&language=DE (Abruf am 30. 11. 2008). 109 Dieser richtet sich entweder nach Art. 22 SPE-VO-E (im Fall eines Verstoßes gegen Art. 21 SPE-VO-E) oder nach den Bestimmungen der Satzung (Anhang I, Kapital IV, Spiegelstrich 8).
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tung von Sacheinlagen und die Einlagefähigkeit von Dienstleistungen sollte auch noch einmal überdacht werden.
V. Fazit Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass das Recht der verdeckten Sacheinlage langsam in ruhigeres Fahrwasser gerät – zumindest was die Rechtsfolgenseite betrifft. Die mit dem MoMiG für das GmbH-Recht gefundene Lösung beseitigt die drängenden Probleme und erscheint handhabbar. Im Hinblick auf die Aktiengesellschaft ist eine Übertragung der Regelung des § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. wünschenswert. Bis zu einer entsprechenden gesetzlichen Regelung können die drakonischen Rechtsfolgen des bisherigen Rechts durch eine vorsichtige Übertragung von Rechtsgedanken aus dem MoMiG abgemildert werden. Bei der SPE stellt sich die Frage der verdeckten Sacheinlage derzeit nicht; allgemein bedarf das Recht der Kapitalaufbringung dort noch der Überarbeitung.
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Bericht über die Diskussion des Referats Kersting Jan Heskamp Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Düsseldorf Schon in seiner Einleitung zu der sich an das Referat anschließenden Diskussion zollte Winter dem Bemühen um eine dogmatische Durchdringung der Neuregelung der Sacheinlage durch das MoMiG1 Respekt. Hinsichtlich der vorgeschlagenen Übertragung jener Regelung auf das Aktienrecht erwartete er weiteren Diskussionsbedarf. Die Diskussionsteilnehmer befassten sich schwerpunktmäßig mit der Stimmigkeit der vorgeschlagenen Konstruktion (I.) und der Anwendbarkeit der Neuregelung auf die UG (haftungsbeschränkt) sowie auf Gesellschaften mbH, die mittels Musterprotokoll gegründet wurden (II.). Daneben wurden die die Geschäftsführer möglicherweise treffende strafrechtliche Sanktion für die Abgabe einer falschen Versicherung (III.) sowie die Übertragbarkeit der durch das MoMiG eingeführten Regelung auf das Aktienrecht (IV.) thematisiert.
I. Eingehend diskutiert wurde zunächst die vorgetragene dogmatische Erklärung für die Neuregelung der verdeckten Sacheinlage durch das MoMiG. Hierzu wollte Roth wissen, wie die vorgeschlagene Konstruktion im Falle der weiterhin möglichen Heilung der verdeckten Sacheinlage funktioniert. Aufgrund der Wirksamkeit des Verkehrsgeschäfts – so Kersting – komme die Einbringung der Sache nicht mehr in Betracht. Es genüge daher, wenn die Sacheinlage offengelegt und eine etwaige Wertdifferenz ausgeglichen werde. Hinsichtlich der Einzelheiten der vorgeschlagenen Saldierung fragte MaierReimer, wie der Referent erkläre, dass eine Anrechnung des Wertes des eingebrachten Vermögensgegenstandes auf die Bareinlageschuld trotz Wirksamkeit des Verkehrsgeschäfts stattfinden könne. Zudem frage er sich, wodurch es zu dem angenommenen Wegfall der Bereicherung der Gesellschaft komme. Hierauf antwortete Kersting, dass es gerade die kom1 Gesetz v. 23. 10. 2008, BGBl. I 2008, S. 2026 ff.
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pensationslose Anrechnung sei, aufgrund derer sich die gezahlte Gegenleistung für die Gesellschaft wirtschaftlich als Verlust darstelle. Die Erbringung der Gegenleistung im Rahmen des Verkehrsgeschäfts durch die Gesellschaft führe zur Entreicherung der Gesellschaft. Die Erfassung der Gegenleistung als Entreicherung stelle daher eine naheliegende Möglichkeit dar, den Anspruch des Inferenten auf Rückzahlung der erfolglos geleisteten Bareinlage (§ 812 Abs. 1 S. 2 2. Alt. BGB) zu versagen und damit die effektive Aufbringung der versprochenen Einlage zu gewährleisten. Gegen die vorgeschlagene Lösung wandte Goette ein, dass die wesentliche durch das MoMiG eingeführte Neuerung die Beschränkung der Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen auf eine Differenzhaftung sei. Es sei weder für einen Anspruch des Inferenten aus Zweckverfehlungskondiktion noch für eine eventuelle Entreicherung Raum. Vielmehr stelle sich die Zahlung des Inferenten an die Gesellschaft aufgrund der vorabgesprochenen Rückzahlung als rechtliches Nullum dar. Hierzu zeigte Kersting auf, dass ein Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion für den Inferenten wichtig sei, soweit eine Anrechnung (noch) nicht stattgefunden habe. Dies sei insbesondere vor Eintragung der Gesellschaft (§ 19 Abs. 4 S. 4 GmbHG n. F.) bzw. der Kapitalerhöhung (§ 56 Abs. 2 GmbHG) und bei fehlender Sacheinlagefähigkeit des eingebrachten Vermögensgegenstandes der Fall. Nach der Neuregelung durch das MoMiG sei in diesen Fällen das Verkehrsgeschäft wirksam und die Einlageforderung dennoch nicht erfüllt. Die Gesellschaft könnte weiterhin Leistung der Bareinlage verlangen, ohne dabei die erfolglos geleistete Bareinlage herausgeben zu müssen, so dass sie im Ergebnis ungerechtfertigt bereichert sei. Gewähre man hingegen die Zweckverfehlungskondiktion, so könne der Inferent seine erste ohne Erfüllungswirkung erbrachte Einlage herausverlangen, soweit die Gesellschaft noch bereichert ist. An einer Bereicherung der Gesellschaft fehle es ohne Anrechnung nur, soweit die eingebrachte Sache ihren Preis nicht wert gewesen sei. Eine doppelte Inanspruchnahme drohe lediglich im Fall der Insolvenz, da der Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion nicht gegen den fortbestehenden Einlageanspruch aufgerechnet werden könne (§ 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG). Gegen die Beurteilung der Zahlungen als rechtliches Nullum wandte sich auch Pentz. Er machte geltend, dass diese zum Hin- und Herzahlen entwickelte Sichtweise auf die verdeckte Sacheinlage nicht übertragbar sei. Auch auf die in § 19 Abs. 5 GmbHG für die Konstellation des Hin- und Herzahlens getroffene Regelung könne nicht zurückgegriffen werden, da diese kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung auf die verdeckte Sacheinlage
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in § 19 Abs. 4 GmbHG keine Anwendung fi nde. Es sei daher nicht zulässig, die Rechtsfolgen des Hin- und Herzahlens auf die verdeckte Sacheinlage zu übertragen. Nolting erwiderte, dass ein Kondiktionsanspruch nicht bestehen könne, solange für die Leistung der Geldeinlage ein Rechtsgrund vorliege. Kersting entgegnete hierauf, dass der Rechtsgrund von Anfang an fehle und nicht erst aufgrund des nachfolgenden Verkehrsgeschäftes entfalle. Grund hierfür sei, dass die Umgehungsabrede, wonach im wirtschaftlichen Ergebnis ein Gegenstand eingebracht werden soll, schon bei Erbringung der Geldeinlage vorliege.
II. Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt betraf die Frage, ob die Neuregelung der Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen durch § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. auch für die UG (haftungsbeschränkt) und Gründungen per Musterprotokoll gilt. Diese – schon zu Beginn der Diskussion von Witt aufgeworfene Frage – wurde von Priester verneint. Er betonte, dass er das Verkehrsgeschäft im GmbH-Recht – anders als der BGH – schon nach bisher geltendem Recht für wirksam halte, während die Unwirksamkeit der vermeintlichen Bareinlageleistung nicht als schlechte Folge angesehen werden müsse. Das Verbot von Sacheinlagen bei der UG (haftungsbeschränkt) sei durch das MoMiG gesetzlich angeordnet worden und infolgedessen zu beachten. Die Unwirksamkeit des Verkehrsgeschäfts treffe den Gründer auch nicht übermäßig hart, da in der Regel ohnehin nur geringwertigere Sachen eingebracht würden. Hingegen stimmte Nolting der These Kerstings zu, wonach die Neuregelung der Rechtsfolgen auch auf die UG (haftungsbeschränkt) anzuwenden sei. Er begründete seine Ansicht damit, dass mit dem Verbot von Sacheinlagen durch § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. zwar die Unanwendbarkeit der Regelung zur verdeckten Sacheinlage in § 19 Abs. 4 GmbHG n. F. begründet werden könne. Dies gelte allerdings nicht für die Regelung des sog. Hin- und Herzahlens in § 19 Abs. 5 GmbHG. Aufgrund der Ähnlichkeit beider Rechtsinstitute sei eine abweichende Behandlung aber nicht sinnvoll. Kersting hielt an der Anwendbarkeit der Neuregelung auf die UG (haftungsbeschränkt) fest und bejahte sie darüber hinaus auch für mittels Musterprotokoll vorgenommene Gründungen. Zwar finde sich im Gesetz ein ausdrück-
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liches Verbot von Sacheinlagen für die UG (haftungsbeschränkt), das Gesetz sehe aber andererseits eine ausdrückliche Neuregelung der Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen vor, ohne insoweit zwischen GmbH und UG (haftungsbeschränkt) zu differenzieren. Auch aus der ratio des § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG n. F. ergebe sich kein Grund, eine Differenzierung vorzunehmen. Die Norm verbiete Sacheinlagen lediglich, weil sie nicht für erforderlich gehalten werden. Schließlich sei die Einbringung höherwertiger Sachen auch bei der UG (haftungsbeschränkt) nicht ausgeschlossen, so dass es auch zu höheren Belastungen des Inferenten kommen könne.
III. Diskutiert wurden des Weiteren die Bedeutung der Neuregelung für eine Haftung der Geschäftsführer wegen Abgabe einer fehlerhaften Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG. So wollte Roth wissen, ob neben der vollständigen Nichterbringung und der vorabgesprochenen Rückzahlung auch die Umgehung der Formvorschrift des § 5 Abs. 4 GmbHG zur Strafbarkeit nach § 82 Abs. 1 Nr. 1, 3 GmbHG führe, selbst wenn der eingebrachte Gegenstand den Wert der Einlageverpflichtung erreicht. In die gleiche Richtung ging die Frage Lutters, ob im Falle der verdeckten Sacheinlage eine falsche Erklärung des Geschäftsführers vorliege. Kersting vertrat die Auffassung, dass die Strafdrohung Teil des vom Gesetzgeber gewünschten Sanktionsgefälles sei, wobei aber die Bejahung des Vorsatzerfordernisses in der Regel problematisch werden dürfte. An dem gefundenen Ergebnis äußerte Lutter rechtspolitische Zweifel. Es sei merkwürdig, wenn das Gesetz die zivilrechtlichen Folgen abmildere und dabei die strafrechtliche Sanktion beibehielte.
IV. Schließlich war auch die vorgeschlagene Übertragung der für die im Recht der GmbH für verdeckte Sacheinlagen gefundenen Lösung auf das Aktienrecht Gegenstand der Diskussion. Nach Auffassung Roths sei es die Quintessenz der Neuregelung, zwar die Gesellschafter in begrüßenswerter Weise zu entlasten, aber dies auf Kosten der Geschäftsführer, denen zusätzliche Risiken und Sanktionen aufgebürdet würden. Das erscheine ihm schon bei
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der GmbH nicht überzeugend, und ebenso wenig bei der AG hinsichtlich der Vorstandsmitglieder. Demgegenüber betonte Kersting, dass sich die Strafbarkeit der Vorstandsmitglieder schon aus dem Aktienrecht ergebe (§ 399 AktG). Hingegen korrespondiere die für das Aktienrecht vorgeschlagene Saldierung der durch das MoMiG eingeführten wirtschaftlichen Saldierung des fortbestehenden Einlageanspruchs der Gesellschaft mit dem Anspruch des Gesellschafters aus Zweckverfehlungskondiktion. Andererseits werde die Lösung des MoMiG keineswegs vollständig auf die AG übertragen. Im Unterschied zum Recht der GmbH eröffne die Unwirksamkeit des Verkehrsgeschäftes dort eine Reumöglichkeit, so dass beide Teile die Rückabwicklung eines ihnen unlieb gewordenen Geschäfts verlangen könnten. Dies sei rechtspolitisch bedenklich, aber bis zu einer gesetzlichen Neuregelung hinzunehmen.
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Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften des Personengesellschaftsrechts Prof. Dr. Dr. h. c. Harm Peter Westermann, Universität Tübingen I. Fragestellung und Problemfeld . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Die Anlässe der Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Die Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Vereinbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft mit (europäischem) Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bankfi nanzierte und frei fi nanzierte Beteiligungen . . . . 3. Verbraucherschutz zugunsten der Kreditinstitute? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Zur Rechtslage bei Annahme eines Verstoßes gegen europäisches Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . 157 III. Modifi kationen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften, besonders in der Rechtsform der stillen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 1. Die betroffenen Anlagetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösungswege ohne Abrücken von der fehlerhaften Gesellschaft? . . . . . . . . . 3. Besonderheiten der Interessenlage . . . . . . . . . . . .
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IV. Schlussbetrachtung . . . . . . . 167
I. Fragestellung und Problemfeld 1. Die Anlässe der Erörterung Auf einer Tagung wie derjenigen der Wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht über ein Thema zu sprechen, dessen mögliche Breitenwirkung sich nicht aus einem kapitalmarktrechtlichen Zuschnitt ergibt, sondern ein Rechtsinstitut betrifft, das seit langem ein „gesicherter Bestandteil des Gesellschaftsrechts“1, namentlich des Personengesellschaftsrechts ist, wird manchem als eine passende Aufgabe für einen Emeritus vorkommen. Das mag auch zutreffen, doch war der Anlass für den Vorstand der Vereinigung, ein Referat über die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft anzuregen, die kürzlich sichtbar gewordene Kon1 So BGHZ 55, 5 (8); BGH, ZIP 2008, 1018 (1020).
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frontation dieses Rechtsinstituts mit zwar nicht eigentlich neuen, aber in ihrer Bedeutung in den letzten Jahren stärker hervorgetretenen Verwendungsformen der Personengesellschaft und den dabei zutage getretenen Interessenlagen, unter denen das Bedürfnis nach einem gewissen Schutz eines zuweilen bedeutenden Kreises von Kapitalanlegern hervorsticht. Wenn bei derartigen, vereinfachend und etwas vergröbernd als „Anlagegesellschaften“ bezeichneten Verbandstypen die motivierenden Vorstellungen der Geldanleger in Bezug auf Finanzierbarkeit ohne Eigenmittel, Rentabilität und Steuerersparnis, auch wohl: Haftungsbeschränkung, nicht in Erfüllung gehen, will sich der Anleger häufig von seinem Engagement lösen und findet hierfür oft genug Gründe in rechtlichen Mängeln der gesellschaftsrechtlichen Gründungs- und Beitrittsakte – für die auf diesem Bereich erfahrenen Anwälte ist es mittlerweile eine von den leichtesten Übungen, solche Verträge und Willenserklärungen zu Fall zu bringen, etwa wegen Verletzung der Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes2 oder verbraucherrechtlicher Bestimmungen. Schon schwieriger ist es, dem enttäuschten Anleger sein Geld wieder zu beschaffen, denn dem steht bei manchen Anlageformen des Gesellschaftsrechts bis zu einem gewissen Grade das Institut der fehlerhaften Gesellschaft, genauer: die durch sie bestimmte besondere Art der Abwicklung der Einlagen entgegen. Der neue Ansatz, der schon angedeutet wurde, folgt aus dieser Beobachtung und aus der Frage, ob Gesichtspunkte eines gesetzlichen, weitgehend aus dem Europarecht kommenden Verbraucherschutzes die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft überhaupt verbieten, oder ob – gewissermaßen unterhalb dieser „europäischen“ Ebene – Anleger-Interessen gebieten, die genannte Lehre durch Ansprüche des enttäuschten Anlegers gegen die betreffende „Gesellschaft“ auf Schadensersatz oder auf eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung zu ergänzen, was diese Lehre dann bis zu einem gewissen Grade zu unterlaufen droht. Beiden Aspekten dieser Frage liegen Urteile des BGH zugrunde. Zum einen handelt es sich um die Vorlageentscheidung des II. Senats vom 5. 5. 20083, durch die der EuGH gefragt wurde, ob es mit Europarecht vereinbar ist, dass ein Verbraucher nach einem Widerruf seines Gesellschaftsbeitritts nur einen auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs berechneten Anspruch gegen die Gesellschaft auf sein Auseinandersetzungsguthaben erhält. Den zweiten Anlass bietet eine Serie von Urteilen 2 Dazu, dass beim Beitritt zu Anlagegesellschaften „Rechtsberatung“ in diesem Sinn stattfi ndet, s. BGH, NJW 2000, 2108; 2001, 3774; 2003, 1252. 3 BGH, ZIP 2008, 1018 ff.; dazu eingehend die Anmerkung von Schäfer, ZIP 2008, 1022 (1023) sowie Oechsler, NJW 2008, 2471 ff.
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ebenfalls des II. Senats, der bei einer fehlerhaften „stillen“ Gesellschaft, nämlich einer Kapitalanlagegesellschaft, einem zurechenbar irregeführten Anleger einen Schadensersatzanspruch zugebilligt hat4, der sich gegen den Geschäftsinhaber richtete, aber mit den nach Ansicht des BGH5 auch bei einer stillen Gesellschaft grundsätzlich anwendbaren Regeln über die Abwicklung einer fehlerhaften Gesellschaft jedenfalls nach der bisher anerkannten Handhabung nicht in Einklang stand. Das sind also zwei Randbereiche des eingangs so bezeichneten, zum gesicherten Stand gehörenden Rechtsinstituts, die untereinander die Gemeinsamkeit aufweisen, dass in Ansehung ihrer Besonderheiten über die Berechtigung der Lehre neu nachgedacht werden muss. Nur kurz zu streifen, da rechtlich nicht mehr so relevant, ist die Frage, ob der BGH die Anwendbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft in den Fällen der so genannten „Schrott-Immobilien“, um die es sich im gegebenen Fall wieder handelte, überhaupt dem EuGH vorlegen musste6. Zweifelhaft ist insbesondere auch, ob die Fälle eines Fonds-Beitritts überhaupt unmittelbar unter die so genannte Haustürgeschäfte-Richtlinie fallen. Aber die Annahme, dass die Auslegung eines Begriffs wie des „verbundenen Geschäfts“, die das Europarecht bisher nicht kennt, deshalb nur von Kriterien des nationalen Rechts bestimmt sein müsste, sowie auch die Vorstellung, dass die Einbettung einer vom Europarecht ausgehenden Forderung in ein nationales Rechtsfolgesystem nicht vom EuGH reguliert und korrigiert werden könnte, wäre wohl nicht mehr realistisch. So sieht der deutsche Jurist der Entscheidung des EuGH nach den bisherigen Erfahrungen nicht ohne Besorgnis entgegen. Der BGH selbst hatte für seine bisherige, den europarechtlichen Verbraucherschutz nicht als entscheidendes Hindernis betrachtende Rechtsprechung angeführt, dass auch die durch die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft geschützten Mitgesellschafter des auf die Ungültigkeit seiner Beteiligung pochenden Anlegers ihrerseits Verbraucher sind. Dies sowie vielleicht auch der hier mitspielende Schutz der dem deutschen Recht besonders am Herzen liegenden Gesellschaftsgläubiger könnte und müsste aber vom EuGH erst einmal verstanden werden. Das erfordert, wie es Schäfer7 ausgedrückt hat, eine Erfassung des mehrgliedrigen Interessengeflechts, wie es sich bei einem Beitritt zu einer Kapitalanlagegesellschaft, der schließlich kein einfaches Liefergeschäft ist, 4 BGH, ZIP 2004, 1706 f.; 2005, 254 (256); 2005, 759 f.; 2005, 2060. 5 BGHZ 55, 5 (8); 62, 234 (237); BGH, ZIP 1987, 1316; 1993, 1089 (1091); 2004, 1706; 2005, 753 (756). 6 Krit. insoweit Schäfer, Anm. zu BGH, ZIP 2008, 1018, ZIP 2008, 1022 (1023). 7 Schäfer, ZIP 2008, 1022 (1023, 1025 l. Sp.).
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zwangläufig ergibt. Sollte indessen der EuGH Schäfer nicht lesen – obwohl dies ein Fehler wäre –, so würde man sich wohl der Perspektive stellen müssen, was es grundsätzlich mit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft in Zukunft (noch) auf sich haben kann, wenn ein Verstoß gegen Europarecht bejaht wird, eine Frage übrigens, die schon angesichts der Berufungsentscheidung in dem vom BGH jetzt noch nicht entschiedenen Rechtsstreit aufgeworfen worden war8. Als weitgehend geklärt anzusehen ist ferner die an sich zum Vorfeld des Themas gehörende Frage nach der Anwendbarkeit der verbraucherrechtlichen Vorschriften auf Rechtsgeschäfte wie den Beitritt zu einer Gesellschaft, die ausschließlich die Errichtung und Verwaltung einer einzigen Immobilie bezweckt, sei es im Rahmen der Aufteilung von Wohnungseigentum der einzelnen Anleger oder – was auch vorkommt – von Gesamthandseigentum aller Anleger, obwohl hierzu eine Entscheidung des EuGH noch aussteht. Schließlich kann im gegebenen Rahmen nicht eine Abhandlung und Abgrenzung der ziemlich reichlich sprudelnden Fehlerquellen stattfinden, also einmal der Vorschriften des Verbraucherrechts wie derjenigen, die den Widerruf von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen Verträgen betreffen, oder die – dies ist noch nicht zur höchstrichterlichen Entscheidung gelangt – sich aus einer Anwendung der Richtlinie über die inhaltliche Gestaltung von Verbraucherverträgen ergeben, hauptsächlich in Gestalt von besonderen Informationspflichten, bei deren Verletzung dann auch wieder die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft aus der Sicht des Anlegers in Frage gestellt werden müsste9. Hierher gehören dann auch die Instrumente des allgemeinen Privatrechts, also: Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, Schadensersatz wegen Betruges oder Verletzung der Aufklärungspflicht, Rückforderung der Einlage wegen ungerechtfertigter Bereicherung oder wegen versäumter oder fehlerhafter Ad hoc-Mitteilungen10, bei den hier im Vordergrund stehenden Anlagegesellschaften häufiger auch Verstöße eines Vermittler-Unternehmens gegen das RechtsberatungsG.
8 Von Wagner, NZG 2008, 447 (451) (Besprechung des Urteils des OLG München). 9 Dazu ebenfalls Wagner, NZG 2008, 447 (450 f.). 10 Hierzu näher Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 (378 ff.).
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2. Die Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft Das zu betrachtende Problemfeld ist trotz der genannten Begrenzungen ziemlich vielschichtig. Zunächst ist auch noch eine weitere Differenzierung nötig, die darauf beruht, dass möglicherweise nicht alle Säulen, auf denen die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft ruht, durch die neuen Entwicklungen ins Wanken gebracht werden könnten. Man muss daher vorab in einigen Strichen die wichtigsten Züge dieses Rechtsinstituts aufzeigen, die für seine Überwindung oder Ergänzung durch Verbraucherschutz-Erwägungen oder einen speziellen Anlegerschutz den Grund abgeben könnten. Eine Gesellschaft, die trotz Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages, etwa wegen Verstoßes gegen das RechtsberatungsG oder wegen erfolgreicher Anfechtung des Vertragsschlusses wegen Irrtums oder Täuschung nicht wirksam geworden, aber von den Beteiligten in Vollzug gesetzt worden ist, wird trotz dieses Mangels unter den Gesellschaftern nach innen und außen als bestehend betrachtet; das gilt auch bei einem zu Unrecht als wirksam angesehenen Beitritt11. Die Fehlerquelle wirkt sich dahin aus, dass der unwirksam Beigetretene oder sonst der durch die die Fehlerhaftigkeit begründende Norm Geschützte für die Zukunft ein außerordentliches Lösungsrecht hat, das allerdings nur für ihn gilt12, so dass das Gesellschaftsverhältnis, das mit ihm besteht, auseinandergesetzt wird13. Er kann sich aber nicht ohne Konfrontation mit gewissen Folgen seiner Beteiligung aus der Gesellschaft zurückziehen, sondern muss mit einigen gesellschaftsrechtlichen Nachwirkungen, etwa einer Fehlbetragshaftung nach § 739 BGB, bei Grundstücks-Anlagegesellschaften verbreitet mit der hier auch durch AGB wirksam auf die Quote seiner Beteiligung beschränkten Einstandspflicht für Verbindlichkeiten, rechnen14. Immerhin hat der Anleger den Abfindungsanspruch, es kann ihm allerdings zustoßen, dass er eine noch ausstehende Einlage erbringen und sich einen auf ihn entfallenden Verlustanteil anrechnen lassen muss. Diese Lage tritt nach der Rechtspre11 BGHZ 44, 235 (237); BGH, ZIP 1988, 512; WM 1992, 490 f.; BGHZ 148, 201; 153, 214 (221). 12 BGHZ 13, 320 (324); 55, 5 (8); 153, 214 (223). Zum Tatbestand der „Lehre vom fehlerhaften Verband“ eingehend Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 201 ff. 13 BGHZ 13, 320 (323). 14 Ausführlich dazu Wagner, ZfIR 2005, 605 (612 ff.); zur Haftung bei den GbR-Immobilienfonds BGHZ 150, 1 (5); Casper, JZ 2002, 1112 (1113); Wertenbruch in H. P. Westermann/Wertenbruch, Handbuch der Personengesellschaften, Rz. 729a.
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chung auch ein, wenn ein Gesellschafter von einem Mitgesellschafter arglistig getäuscht oder unter Verstoß gegen die inzwischen vielfältigen Aufklärungspflichten geschädigt worden ist, so dass ihm vertrags- oder gar deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Verantwortlichen zustehen15. Diese richten sich aber nicht gegen die Gesellschaft, deren Bestand von derartigen Mängeln unberührt bleiben soll, und so ist auch für den Fall entschieden worden, dass ein Gesellschafter unter Verstoß gegen das HausTWG zum Beitritt veranlasst worden war16. Die Regeln über diese begrenzte Aufrechterhaltung des Verbandes gelten nach der bisherigen Rechtsprechung nur dann nicht, wenn die Nichtigkeit der Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses auf einem schwerwiegenden Gesetzesverstoß oder auf Sittenwidrigkeit beruht, also etwa beim grenzüberschreitenden Handel mit weißen Pülverchen in Plastiksäckchen, unter der weiteren Voraussetzung, dass die rechtliche Anerkennung des tatsächlichen Zustandes gewichtigen Interessen der Allgemeinheit oder einzelner besonders schutzwürdiger Personen widerspricht17. Man wird also sehen müssen, ob vielleicht der EuGH findet, dass Verträge, die eine Beeinträchtigung des Verbraucherschutzes darstellen können, auf die gleiche Stufe gestellt werden müssen wie Geschäfte mit der bekannten Dame Marie Huana. Betrachten wir die Dinge noch kurz aus der Sicht der anderen Gesellschafter. Sie bleiben Mitinhaber einer Gesellschaft, aus der sich einer (oder mehrere) fehlerhaft Beigetretene fristlos mit einer Abfi ndung lösen können. Sie müssen aber ihrerseits ihre gesellschaftsvertraglichen Pflichten erfüllen. Das kann zur Folge haben, dass bei Vorhandensein mehrerer getäuschter, mangelhaft aufgeklärter oder an der Haustür geworbener Gesellschafter derjenige besser steht, der als erster gekündigt und sein Auseinandersetzungsguthaben verlangt hat, so dass den Letzten die Hunde beißen – das ist das hier häufig vorhergesagte Windhund-Rennen unter Verbrauchern18. Diese Gefahr ist besonders groß, wenn die Gesellschafter im Außenverhältnis quotal – nach Maßgabe der Höhe ihrer Beteiligung – haften, da 15 Wiederum BGHZ 13, 320 (322); s. auch BGHZ 26, 330 (335); 55, 5 (10); BGH, NJW 1973, 1604; zum Verstoß gegen das RechtsberatungsG BGHZ 153, 214 (222). 16 BGHZ 148, 201 (207). 17 BGHZ 3, 285 (288); 13, 320 (323); BGH, NJW 1982, 877 (879); BGHZ 153, 214 (222); Zusammenstellung bei Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 259 ff.; H. P. Westermann in H. P. Westermann/Wertenbruch, Handbuch der Personengesellschaften, Rz. 198 ff. 18 Hierzu zunächst nur OLG Bamberg, NZG 2004, 129 (130); NZG 2004, 861; Wagner, ZfIR 2005, 605 (619); Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 27.
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dann der – allerdings bedenkliche – Standpunkt vertreten werden könnte, dass durch das Ausscheiden einzelner oder mehrerer Partner die Quote der Verbleibenden ansteigt. Das alles würde natürlich verschärft gelten, wenn der fehlerhaft Beigetretene in Abweichung von der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft seine Anfechtungs- oder Widerrufsgründe nicht nur ex nunc, sondern, wie zumeist, mit Rückwirkung geltend machen kann und dann seine Einlage einfach kondizieren oder im Wege des Schadensersatzes zurückverlangen kann, ohne sich auf die Schicksale und eine eventuelle Kürzung eines Abfindungsanspruchs einlassen zu müssen. Und wenn man die Dinge aus der Sicht eines reinen Kapitalanlegers, womöglich in einem als stille Gesellschaft konstruierten Verband, sieht, ist demgemäß zu fragen, ob die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft nicht durch die Zubilligung von Bereicherungs- und/oder Schadensersatzansprüchen des unkorrekt behandelten Anlegers gegen den oder die Schuldner des Abfindungsanspruchs zu ergänzen ist.
II. Vereinbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft mit (europäischem) Verbraucherrecht 1. Allgemeine Ausgangslage Für das deutsche Recht war früher umstritten, ob die Vorschriften über den Widerruf von Haustürgeschäften, die jetzt in §§ 312 ff., 355 BGB stehen, auf den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds Anwendung finden. Nach einer lebhaften Auseinandersetzung in Rechtsprechung und wissenschaftlichem Schrifttum, die der BGH in seinem eingangs genannten Urteil sorgfältig dokumentiert19, ist jetzt davon auszugehen, dass der Beitritt, obwohl durch diese Anlage nur Geld und nicht nur der Verbraucher selber oder sein direkter Vertragspartner an die Arbeit gesetzt wird, einem Vertrag über eine entgeltliche Leistung gleichsteht. Bisher war aber ebenfalls klar, dass der Widerruf des Anlegers in Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft nicht seine Gesellschafterstellung rückwirkend beseitigt, sondern als außerordentliche Kündigung behandelt wird, so dass der Anleger bis zu diesem Zeitpunkt – und möglicherweise noch etwas darüber hinaus – als Gesellschafter mit den dazu gehörigen
19 BGH, ZIP 2008, 1018 (1019); grundlegend dazu BGHZ 133, 254 (261); 148, 201 (203); zul. BGH, ZIP 2005, 254 (254 f.); krit. nach wie vor Habersack, ZIP 2001, 353 (356); Kohn/Schäfer, WM 2001, 112 (122).
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Rechten und Pflichten behandelt wird20. Er wird dann aufgrund seines Ausscheidens abgefunden, wobei eine etwaige Verlustbeteiligung zur Folge haben kann, dass sein Guthaben hinter seiner Einlage zurückbleibt. Es kann auch sein, dass er noch auf Erfüllung einer Nachschusspflicht in Anspruch genommen wird; diese Konstellation hatte in dem vom BGH entschiedenen Fall das Berufungsgericht21 dazu veranlasst, einen Verstoß gegen die Haustürgeschäfte-Richtlinie (RL 85/577/EWG) anzunehmen, weshalb sich dann der BGH zur Vorlage entschloss, weil er bezweifelte, ob der Widerruf oder der Rücktritt den Verbraucher nicht doch von allen Verpflichtungen befreien und den ursprünglichen Zustand wieder herstellen muss; eine solche Wiederherstellung erfolge nämlich bei Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft gerade nicht.
2. Bankfinanzierte und frei finanzierte Beteiligungen Hier kommt jetzt allerdings eine Besonderheit des entschiedenen Falls gegenüber den an sich im Vordergrund des Interesses stehenden Mängeln bankfinanzierter Beteiligungen ins Bild, wie sie bei den genannten SchrottImmobilien im Vordergrund, aber nicht allein stehen: Wenn es darum geht, den aus dem fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt in Anspruch genommenen Gesellschafter, der seine Beteiligung nicht von einer irgendwie an den Vorgängen beteiligten Bank hatte finanzieren lassen, von seinen Vertragspflichten zu befreien, was verschiedentlich als notwendige Folge aus dem Verstoß gegen die Regeln über Haustürgeschäfte gefordert wird22, so muss aber jedenfalls ein Blick auf die übrigen an den Vorgängen Beteiligten geworfen werden, also die Mitgesellschafter, die Gesellschaft selbst und damit auch ihre Gläubiger. Eine erste Ausnahme von der Vorrangigkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft ist hier zu diskutieren, wenn nach der Lage des Einzelfalls der Gesichtspunkt des Schutzes von Mitgesellschaftern und Gläubigern nicht eingreift, weil es solche nicht gibt, nämlich bei der stillen Gesellschaft zwischen einem Geschäftsinhaber und nur einem Stillen23, wobei der Ton 20 BGHZ 153, 214 (221); 156, 46 (52, 54); zust. M. Schwab, ZGR 2004, 861 f.; Schubert, WM 2006, 1328 (1332 f.); Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 17 ff.; krit. Rohlfi ng, NZG 2003, 854 (858); Hammen, WM 2008, 233; Fischer, DB 2003, 83 (86). 21 OLG München, NZG 2007, 225 und dazu Wagner, NZG 2008, 447 ff., der kritisiert, dass die Nachschusspfl icht schon gegen § 707 BGB verstoßen könne. 22 Hammen, WM 2008, 236; Wagner, NZG 2008, 447 ff. 23 OLG Jena, ZIP 2003, 1444; sympathisierend Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189 (193).
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jeweils auf dem Wort „einem“ liegt. Es ist indessen angebracht, die als stille Gesellschaft konstruierten Kapitalanlagemodelle gesondert zu behandeln. Aber auch soweit es sich um einen Fondsbeitritt handelt, ist die Einordnung als Austauschgeschäft problematisch. Wenn nämlich der Anleger einen Immobilienerwerb wollte, der als solcher – weil das Grundstück oder die Eigentumswohnung oder der Gesamthandsanteil keine „Ware“ ist – nicht unter die Richtlinie fallen würde, so stellt sich die Frage, ob unter diesen Umständen für das Beitrittsgeschäft ein Umgehungsschutz nötig ist. Denn man kann die Mitgesellschafter, denen durch das Ausscheiden eines Anlegers und die vollständige, durch Verlustbeteiligung nicht geschmälerte Rückzahlung seiner Einlage wirtschaftlich etwas verloren geht, und die auch durch das Ausfallen einer Fehlbetrags- oder Nachhaftung sowie durch das mögliche Ansteigen ihrer quotalen Schuldenhaftung Nachteile erleiden können, nicht gut auf eine Stufe mit dem Lieferanten einer entgeltlichen Leistung stellen, der es sich gefallen lassen muss, dass der Verbraucher, wie es in Art. 5 Abs. 2 HWiRL heißt, aus allen aus dem widerrufenen Vertrag entstandenen Verpflichtungen zu entlassen ist24. Hier kommt die schon im bisherigen Schrifttum gemachte, jetzt auch vom BGH aufgegriffene Beobachtung zum Tragen, dass ein großer Teil der Partner in der Anlagegesellschaft ebenfalls „Verbraucher“ im Sinne der europäischen Schutzkonzepte ist, die miteinander in einer Risikogemeinschaft stehen25. Die Annahme einer fehlerhaften, aber bis zur Kündigung gültig bestehenden Gesellschaft trägt auch dazu bei, die Abneigung vor dem schon erwähnten „Windhund-Rennen“ zwischen den Anlegern, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Einlage zurückfordern, abzuschwächen26. Man kann dies freilich nicht ganz abwenden, weil auch die Geltendmachung des Rechts zur Lösung aus der fehlerhaften Gesellschaft nicht gänzlich unter den verschiedenen betroffenen Verbrauchern koordiniert geschehen muss. Diesem Einwand wird nur teilweise Rechnung getragen, wenn man, wie im Schrifttum vorgeschlagen wird, die Folgen aus der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf die bloße ex-nunc-Wirkung der Berufung auf den 24 Ebenso schon Schäfer, ZIP 2008, 1022 (1023). 25 Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 26 ff.; Lenenbach, WM 2004, 501 (503); Wälzholz, DStR 2003, 1533; gegen die Annahme einer Risikogemeinschaft aber Rohlfi ng, NZG 2003, 855 (856) (allerdings für die zweigliedrige stille Gesellschaft). 26 So schon H. P. Westermann, ZIP 2002, 189 (200); ZIP 2002, 240 (249); Loritz, DB 2004, 2459; Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 27; in der Rechtsprechung ebenso OLG Bamberg, NZG 2004, 861 f.; s. auch OLG Celle, NJW-RR 1999, 1337 f.
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Mangel, hier also den Widerruf, beschränken würde27. Denn das befreit die Mitgesellschafter nicht von dem Nachteil, dass der als erster Ausgeschiedene statt einer Abfindung unter Berücksichtigung seines Verlustanteils seine ungeschmälerte Einlage zurückerhält. Hiervon wäre dann auch die Gesellschaft als ganze und damit mittelbar der Gläubigerschutz betroffen. Der BGH sieht dies im Prinzip genau so, aber er weist auch darauf hin, dass die Richtlinie und der Gedanke ihrer Auslegung nach praktischer Wirksamkeit (effet utile) die Kraft haben könnten, das nationale Recht, dem an sich die rechtstechnische Umsetzung der in einer Richtlinie getroffenen Wertung obliegt, zu bestimmten Lösungen zu zwingen. Das könnte im Hinblick auf die Lehre vom fehlerhaften Verband, die ja zwar zum festen, aber nicht zum kodifi zierten Bestand des Gesellschaftsrechts gehört, dazu ausreichen, sie beiseite zu schieben. Ob sich der EuGH daran durch die Einsicht hindern lässt, dass dieser Teil des deutschen Gesellschafts- und Verbandsrechts gewisse Ursprünge im französischen Recht hat28, ist zweifelhaft. Eher könnte es überzeugend wirken, dass Art. 11 Nr. 1 der Publizitätsrichtlinie29 für Aktiengesellschaften eine Beschränkung von Nichtigkeitsfolgen des allgemeinen Rechts vorsieht, die nur durch Gerichtsurteil ausgesprochen werden können, was voraussetzt, dass der Errichtungsakt fehlt oder schweren Mängeln unterliegt, zu denen auch das Fehlen zentraler Regeln (wie des Unternehmensgegenstandes) in der Satzung gehört. Dass Kapazitätsmängel bei einem einzelnen Gesellschafter nicht hierher gehören, zeigt Art. 11 Nr. 2 lit. e, wonach es als Nichtigkeitsgrund ausreicht, wenn sämtliche an der Gründung Beteiligten geschäftsunfähig waren. Die Nichtigkeit bewirkt, dass die Gesellschaft in Liquidation tritt und Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, uneingeschränkt durchgesetzt werden können, vor allem aber, dass Einzahlungsverpflichtungen der Gesellschafter aufrecht erhalten bleiben (Art. 12 Abs. 5). Für das Innenverhältnis der Anteilseigner, an dessen weitgehender Aufrechterhaltung etwas liegt, wird auf die Regelung durch die Mitgliedstaaten verwiesen (Art. 12 Abs. 4), so dass die deutsche Version der Lehre vom fehlerhaften Verband hier einfließen kann. Ob man schon sagen 27 In diesem Sinne Wagner, NZG 2008, 447 (449). 28 Darauf hat jüngst Oechsler, NJW 2008, 2471 ff., hingewiesen. 29 Erste Richtlinie 68/151 EWG des Rates vom 9. 3. 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikel 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABlEG Nr. L 65, S. 8; dazu näher Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006, S. 99 ff.
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kann, dass es sich hier um eine Grundsatzentscheidung für das Gemeinschaftsrecht handelt30, kann vielleicht dahinstehen; wenn der EuGH aber eine europarechtliche Grundlage suchen sollte, die deutsche Rechtslage aufrecht zu erhalten, so wäre sie hier gegeben. Natürlich kann dies letztlich nicht ohne Einbeziehung des Verbraucherschutzgedankens geschehen. Insofern sollte aber klar sein, dass sich das Europarecht im Hinblick auf den Verbraucherschutz bisher ganz von der Gegenüberstellung von Verbrauchern und Unternehmern hat leiten lassen und die Perspektive eines Interessengegensatzes von Verbrauchern nicht im Blick hat. Eine Prognose, ob es gelingen kann, im Sinne des Aufrufs wiederum von Oechsler31 den EuGH für derartige Überlegungen zu sensibilisieren, setzt ein Maß von Selbstvertrauen voraus, das ein einzelner ganz vom deutschen Recht herkommender Kritiker sich nicht anmaßen kann, so dass zu hoffen bleibt, dass jedenfalls der Gesellschaftsrechtssenat des BGH es kann.
3. Verbraucherschutz zugunsten der Kreditinstitute? Vielleicht beeindruckt den EuGH in unserer wohl weitgehend von den Banken verursachten Krise der Marktwirtschaft die Möglichkeit, eine Überwindung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft in diesem Anwendungsbereich könnte sich zugunsten der Banken auswirken32 . Was dahinter steht, ist auf den ersten Blick leicht einsichtig, jedenfalls für die deutschen Juristen, die noch unter dem Eindruck des gewissermaßen historischen Kompromisses zwischen dem II. und dem XI. Zivilsenat des BGH über die Behandlung finanzierter Immobilienanlagen stehen. Ohne die im Schrifttum nach wie vor offene Frage entscheiden zu müssen, ob der Anleger einen Einwendungsdurchgriff gegen die finanzierende Bank hat, oder ob man einfach im Bestreben, dem Anleger letztlich einen solventen Schuldner zu gewähren, die die Rückforderung der Einlage beschneidenden Wirkungen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf sein Verhältnis zur Anlagegesellschaft beschränkt und der finanzierenden Bank seine Schadlosstellung auferlegt33, jedenfalls kann man heute davon ausgehen, dass beim finanzierten Geschäft der Anleger die Nachteile, die ihm von der Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft im 30 31 32 33
Zu diesem denkbaren Einwand Schäfer, ZIP 2008, 1022 (1023). Oechsler, NJW 2008, 2471. Schäfer, ZIP 2008, 1022 (1023, 1025). Übersicht über die Lösungsmöglichkeiten bei Doehner/Hoffmann, ZIP 2004, 1884 ff.; Schäfer, DStR 2004, 1611 ff.; Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 29.
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Hinblick auf die Abwicklung seiner Gesellschafterstellung drohen, gewissermaßen bei der Bank abladen wird. Dieses „Abladen“ betrifft auch die ihm sicher nicht mehr gefallende Gesellschaftsbeteiligung, die er an die Bank abzutreten hat. Hinzu kommen die dem Anleger allemal zustehenden Schadensersatzansprüche gegen solche Personen – seien sie Mitgesellschafter, Organpersonen des Fonds oder Vertreiber der Anlage –, die ihn getäuscht oder unzulänglich aufgeklärt haben34. Solche Ansprüche begründen aber nicht die Notwendigkeit, ihn aus verbraucherrechtlichen Gründen gänzlich von der Wirkung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft freizustellen – eher liegt im Gegenteil etwas daran, den betrogenen oder sonst schuldhaft geschädigten Anleger nicht schlechter zu stellen als den, der lediglich geltend machen kann, nicht korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt worden zu sein35 oder wegen einer Verletzung der Regeln des RechtsberatungsG beim Beitritt nicht wirksam vertreten worden zu sein. Das lenkt den Blick wieder auf das Verhältnis der Anleger untereinander: Es könnte dann in diesem Kreis solche geben, die sich bei einer finanzierenden Bank erholen können, und solche, die in der Gesellschaft gebunden bleiben und sich mit den denkbaren Ersatzansprüchen gegen den genannten Personenkreis begnügen müssen. Bis vor kurzem hätte man diese Differenzierung mit dem Hinweis beklagt, dass der betreffende Schuldnerkreis wahrscheinlich weniger solvent ist als die den Anleger finanzierende Bank, aber das könnte sich in der derzeitigen Banken- und allgemeinen Wirtschaftskrise leicht geändert haben, so dass man für beide „AnlegerKlassen“36 dem Schicksal wohl seinen Lauf lassen muss. Es klingt sarkastisch, ist aber vielleicht nicht mehr utopisch, dass eines Tages die Europäische Kommission um des effektiven Verbraucherschutzes willen ein Programm zur Unterstützung der einem Verbraucher verpflichteten Banken auflegt, wenn sie nicht – aktuellen Beispielen und Forderungen aus Wirtschaft und Politik bei wertlosen Immobiliarkrediten folgend – selber die von einem Widerruf betroffenen Mitgliedschaften übernimmt oder dafür einen speziellen Fonds einrichtet. Besser wäre freilich, wie es manche andere37 und zuletzt eben auch der II. BGH-Senat gemeint haben, zu entscheiden, dass der europäische Verbraucherschutz der Anwendung der 34 Dazu OLG Hamburg, NZG 2004, 859 f.; Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 28. 35 Auch dazu Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 29. 36 Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 29. 37 Etwa M. Schwab, ZGR 2004, 861 (892); Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz, 2005, S. 30; Schäfer, ZIP 2008, 1022 (1024); s. auch Lenenbach, WM 2004, 501 (503); Louven, BB 2001, 1807 (1809).
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Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft in der letzten Wendung der Rechtsprechung des II. und des XI. Senats nicht entgegensteht. Wie aber, wenn der EuGH es anders sieht?
4. Zur Rechtslage bei Annahme eines Verstoßes gegen europäisches Verbraucherrecht Die erste Frage, die sich an eine Verwerfung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft schließt, geht dahin, ob dann im nationalen Recht Anleger, die zwar nicht an der Haustür ihren Beitritt erklärt haben, aber bei diesem Geschäft betrogen oder schuldhaft unzulänglich aufgeklärt worden sind oder bei denen sonstige Vertrags- oder Beitrittsmängel aus allgemeinem Recht vorliegen, wie bisher in der Gesellschaft mit Rechten und Pflichten verbleiben müssen, oder ob man nicht ihnen ebenfalls einen Anspruch auf Rückgewähr ihrer Einlage, allenfalls geschwächt durch § 818 Abs. 3 BGB, zubilligen muss. Das hätte die einigermaßen aufsehenerregende Folge – die aber auch eintritt, wenn alle Gesellschafter an ihren Haustüren beigetreten sind –, dass kein Anleger jemals dem Fonds angehört hat38, dieser also möglicherweise gar nicht existiert hat. a) Bleibt man für die Nicht-Verbraucher unter den Fonds-Gesellschaftern im Ausgangspunkt bei der Figur der fehlerhaften, aber vorerst gültigen Gesellschaft, so ist nicht auszuschließen, das Ausscheiden und die volle Einlagenrückgewähr an die Mitgesellschafter mit Verbraucher-Status als wichtigen Grund i. S. des § 723 Abs. 3 BGB, wenn nicht als einen Fall von Unmöglichkeit der Zweckerreichung i. S. des § 726 BGB anzusehen. Das würde allerdings nichts daran ändern, dass die Nicht-Verbraucher nur ihr nach gesellschaftsrechtlichen Regeln berechnetes Abfindungsguthaben erhalten und zusätzlich mit Haftungsfolgen rechnen müssen. Wenn viele Gesellschafter von der einen oder anderen Möglichkeit Gebrauch machen, ist mit einiger Sicherheit der Bestand der Gesellschaft gefährdet, und die nächste Frage lautet dann, ob in der Liquidation alle Gesellschafter gleich behandelt werden können, oder ob die Verbraucher unter den Anlegern eine vorrangige Befriedigung verlangen können, was insbesondere in der Insolvenzsituation, auf die es ja leicht hinauslaufen kann, kaum begründbar erscheint. Geht man diesen Weg nicht, sieht es doch wieder so aus, dass die Verbraucher sich wegen ihrer Einbußen bei einer ihre Beteiligung finanzierenden Bank erholen können – diese Konsequenz spräche, nebenbei bemerkt, gegen die in der Literatur angedeutete, soeben erörterte Folge, 38 Wagner, ZfIR 2005, 607 (621 r. Sp.).
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dass sich der Verbraucherschutz zugunsten der Banken auswirken könnte. Im Gegenteil müsste sich im erwähnten Extremfall der außerhalb des Gesellschaftsrechts durchzuführenden Rückgewähr der Einlagen sämtlicher Anleger die Bank um ihre Sicherheit sorgen, die sie für die gewährten Kredite erhalten hat. Wenn hier von dem gewöhnlich von der Gesellschaft bestellten Grundpfandrecht die Rede ist39, so können intrikate Probleme auftreten, wenn geltend gemacht wird, die Gesellschaft habe vielleicht existiert, weil ja i. d. R. ihre Gründung vor dem Beitritt der Anleger erfolgt ist, aber sie habe keinen Grund für die Absicherung der Schulden von Anlegern gehabt, die ihr nicht wirksam beigetreten sind, woraus eine Einrede gegen das Pfandrecht folgen könnte. Noch ernster wäre die Situation anderer, ungesicherter Gläubiger, die es mit einer Gesellschaft zu tun hätten, die durch die Abgänge der Einlagen eines gewöhnlich großen Teils ihrer Gesellschafter geschwächt wäre, und deren so entstehende Risiken durchweg nicht abgesichert wären. Das wäre besonders misslich, wenn man weiß, dass längst nicht alle Fonds, deren Anlagen zu einem großen Teil mit alsbald oder jedenfalls in absehbarer Zeit zurückzuzahlenden Einlagen errichtet worden sind, eine mangelhafte Bausubstanz aufweisen, welche vielmehr mit den das Bedürfnis nach Widerruf oder Kündigung auslösenden Umständen der schweren Vermietbarkeit und der ausbleibenden Steuervorteile nichts zu tun hat. Um diese Konsequenzen in noch einigermaßen überschaubaren Grenzen zu halten, wird also nichts übrig bleiben als zu versuchen, tatsächlich die Nicht-Verbraucher unter den Gesellschaftern an der fehlerhaften Gesellschaft festzuhalten. Das aber bringt weitere Misshelligkeiten im Verhältnis unter den Anlegern der verschiedenen Gruppen mit sich. Die einen müssen nach Verbraucherrecht ohne jede rechtliche Einbuße ihre Einlagen zurückerhalten und haben, falls der Fonds hierzu nicht imstande ist, wohl Ausgleichsansprüche gegen die finanzierende Bank. Die anderen blieben als Gesellschafter gebunden, und wenn sie – nach der u. U. möglichen Kündigung aus wichtigem Grund – ihrerseits ausscheiden, sind sie mit einigen gesellschaftsrechtlichen Folgen konfrontiert, die die andere Gruppe nicht treffen: der Fehlbetragshaftung gemäß § 739 BGB, deren Höhe sich nach dem Verlustverteilungsschlüssel richtet, und die gerade den Abfindungsanspruch beeinträchtigen kann40, und der akzessorischen Nachhaftung, die eingreift, wenn es nicht gelingt, und in der Publikums-Personengesellschaft die Haf39 Wagner, ZfIR 2005, 607 (621 r. Sp.). 40 Dazu näher MünchKomm.BGB/Ulmer, 4. Aufl. 2004, § 739 Rz. 1; Erman/H. P. Westermann, 12. Aufl. 2008, § 739 BGB Rz. 1.
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tungslage zu modifi zieren, was wiederum auf Kosten der Gläubiger gehen kann. Diese letzteren erleiden aber geringere Nachteile, wenn sie – wie nicht selten im Gesellschaftsvertrag festgelegt und mit den Gläubigern vereinbart – auf eine quotale Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen zurückgreifen können41. Einen Schritt in diese Richtung hat der BGH in einer ebenfalls neuen Rechtsprechung aufgezeigt, die die Anwendbarkeit des § 128 HGB auf die Inanspruchnahme aus einer Bereicherungsschuld ablehnt, die sich aus einem wegen Verstoßes gegen das RechtsberatungsG unwirksamen Darlehensvertrag ergab, wobei die Valuta an die den Fonds betreibende Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgezahlt worden war42 . Es braucht nicht besonders betont zu werden, dass diese unterschiedliche Behandlungen der Mitgliedergruppen43 kaum interessengerecht ist, jedenfalls deutlich hinter der bisherigen Handhabung auf der Grundlage der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft zurückbleibt, ganz abgesehen davon, dass auch das Windhund-Rennen unter den als Verbraucher zu qualifi zierenden Anlegern tunlichst vermieden werden sollte. Es ist auch schon darauf hingewiesen worden, dass es nicht einleuchtet, die Folgen eines Widerrufs für die Anleger mit und ohne bankfinanzierte Beteiligung unterschiedlich zu gestalten44. Um dem die Krone aufzusetzen, ist noch auf die Möglichkeit einer offenbar nicht einmal unrealistischen Entwicklung hinzuweisem, dass sich bei einem sonst einigermaßen gesunden Fonds einige wirtschaftlich starke Anleger zusammentun, um die Gesellschaft aufrecht zu erhalten, die Verbraucher/Anleger durch Rückgewähr ihrer Einlagen abzufinden und etwaige Wertsteigerungen der Anlage für sich zu behalten. b) Man wird vermutlich fragen, worin denn eine Remedur liegen könnte. Ohne Spekulation ist das nicht zu beantworten. An den Grundlagen anzusetzen und die Anwendbarkeit der Regeln über Haustürgeschäfte, möglicherweise auch der Informationspflichten bei Verbraucherverträgen, auf echte entgeltliche Warengeschäfte zu beschränken, ist wohl aussichtslos. Man müsste also unter Preisgabe des durch die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bewirkten Gesellschafts-, Gesellschafter- und Gläubiger41 Auch dazu Wagner, ZfIR 2005, 605 (616 f.). 42 BGHZ 177, 108; dazu Hertel, juris BKR 4/2008 Anm. 1; schon vorher OLG Schleswig, BKR 2007, 415; OLG Celle, ZIP 2006, 2163 (2165); OLG Stuttgart, ZIP 2006, 2364 (2369). 43 Zur Besserstellung der Anleger, die sich auf einen Verstoß gegen das RBerG berufen, krit. auch Hertel, juris BKR 4/2008 Anm. 1. 44 Goette, DStR 2008, 1103 f.
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schutzes einen Weg zum Ausstieg aller ihrer Beteiligung überdrüssigen Gesellschafter finden, der auch den Nicht-Verbrauchern die Nachteile aus dem für sie geltenden gesellschaftsrechtlichen Statut der Ausscheidensfolgen nimmt, oder der ihnen zwar das Ausscheiden aus wichtigem Grund verwehrt, aber die wiederum gesellschaftsrechtlich begründeten Möglichkeiten des Gläubigerzugriffs auf ihr Privatvermögen beschneidet. Beides ließe sich allenfalls und bei sehr gutem – offen ergebnisbezogenem – Willen mit weit hergeholten und hoch angesiedelten Überlegungen wie der Risikogemeinschaft unter Gläubigern und verbleibenden Gesellschaftern oder eben doch der Gleichbehandlung aller enttäuschten Gesellschafter begründen. Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auf Geschäfte im weiteren Bereich von Verbraucherbedürfnissen nicht mehr anzuwenden, hieße also in der Tat, diese Verträge mit sittenwidrigen Gesellschaftsverträgen auf eine Stufe zu stellen45. Das ist aus den soeben dargelegten Gründen des Gläubigerschutzes nicht interessengerecht. Insgesamt wäre damit ein wichtiger Bestandteil des Gesellschafts- und Verbandsrechts kaum mehr zu halten, so dass es nicht als Bilderstürmerei angesehen werden kann, wenn abschließend doch die einleitend schon erörterten anderweitigen Modifikationen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, die allerdings nichts mit dem Verbraucherschutz zu tun haben, angesprochen werden.
III. Modifikationen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bei Anlagegesellschaften, besonders in der Rechtsform der stillen Gesellschaft 1. Die betroffenen Anlagetypen Hier geht es zunächst um verschiedene Gesellschaftstypen, die Geldanlagen eines u. U. großen Anlegerkreises wirtschaftlich einsetzen und verwalten und sich dafür der Rechtsform einer stillen Gesellschaft des Handelsrechts bedienen. In allen Fällen ist davon auszugehen, dass es einen „Geschäftsinhaber“ gibt, dem Mängel des Beitrittsgeschäfts zuzurechnen sind, dass aber weitere Beteiligte, entweder stille Partner einer „mehrgliedrigen“ stillen Gesellschaft oder Anleger, die im Rahmen eines größer konzipierten Projekts vergleichbare oder ganz gleiche Verträge mit dem Geschäftsinhaber haben, unter Geltendmachung von Mängeln des Beitrittsgeschäfts auf eine ihre Einlagen zurückgewährende und Einbußen 45 Bedenken insoweit auch bei Goette, DStR 2008, 1103 f.
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vermeidende Art der Abwicklung drängen46. Ein – allerdings umstrittener – Markstein der Betrachtung ist, dass die Rechtsprechung grundsätzlich die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auch für stille Gesellschaften als anwendbar ansieht47, wobei Ausnahmen für den Fall einer zweigliedrigen Gesellschaft zwischen einem Anleger und dem für den Vertragsmangel verantwortlichen Geschäftsinhaber hier schon angedeutet wurden. Wenn man demgegenüber die stille Gesellschaft von der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft gänzlich ausnimmt48, bleibt als Aufgabe ebenfalls, die Art der Abwicklung des an einem Mangel leidenden Gesellschaftsverhältnisses an die Situation eines in Vollzug gesetzten gemeinsamen Vorhabens mit dem Einsatz der vom Anleger bereitgestellten Geldmittel durch den Geschäftsinhaber anzupassen, was zu Differenzierungen zwischen einer Rückabwicklung nach Bereicherungsgrundsätzen und einem Schadensersatzanspruch gegen den für den Mangel verantwortlichen Geschäftsinhaber führen kann. Danach liegt ein Schwerpunkt der Problematik auf solchen „stillen“ Gesellschaften, die – unabhängig von der genauen rechtlichen Konstruktion – mehrere Anleger umfassen, deren Einlagen in ihrer Kumulation ein bestimmtes vom Geschäftsinhaber zu verwirklichendes gemeinsames Ziel (nicht selten wiederum eine steuersparende Anlage in Gestalt einer Gewerbeimmobilie, eines Schiffs oder eines Flugzeugs) finanzieren sollen. Die Urteile des BGH, die von der reinen Lehre der Behandlung fehlerhafter Gesellschaften um einiges abweichen, waren zwar auf stille Gesellschaften bezogen, die Denkansätze und Argumente für eine Sonderbehandlung können aber auch auf Außengesellschaften angewendet werden, wie es im Schrifttum auch bereits gefordert worden ist49. Es überrascht ja auch nicht, dass die Zubilligung von Schadensersatz und Bereicherungsansprüchen als Ergänzung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft sich nicht ohne gute Gründe auf bestimmte Anlageformen begrenzen lässt, wie umgekehrt die Verteidigung der in Deutschland herrschenden Handhabung der fehlerhaften Gesellschaft gegenüber den Anforderungen des Verbraucherschutzes auch bei anderen, nicht unter die verbraucherrechtlichen Regeln fallenden Kapitalanlageformen durchgehalten werden sollte. 46 Letzte Schilderung bei Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 ff.; schon vorher Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189 ff.; Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 ff. 47 Nachweise oben Fn. 5. 48 Dafür Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 137 ff., 143 ff.; MünchKomm.BGB/Ulmer, 4. Aufl. 2004, § 705 Rz. 359. 49 Gehrlein, WM 2004, 1489 (1493 ff.); Bälz, FS Raiser, 2005, S. 615, (620 ff.); mit Abweichungen im Einzelnen auch Geibel, BB 2005, 1009 (1013 f.).
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2. Lösungswege ohne Abrücken von der fehlerhaften Gesellschaft? Es wurde schon gesagt, dass die herrschende Behandlung fehlerhafter Gesellschaften im Normalfall eine Aufwertung der Stellung des fehlerhaft Beigetretenen durch Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft oder durch eine Anfechtung des Beitrittsgeschäfts mit Rückabwicklung nach Bereicherungsregeln auch dann nicht zulässt, wenn der Fehler von einer Person verursacht ist, deren Handeln normalerweise der Gesellschaft zuzurechnen wäre. Die Begründung hierfür, der Anleger bringe keinem Mitglied der Gesellschaft Vertrauen entgegen, sondern nur den genannten Mittelspersonen, ist angesichts der anerkannten Methoden der Zurechnung von Fremdverschulden nach §§ 278 oder 31 BGB nicht überzeugend50. Bestimmend war dabei aber offensichtlich das billigenswerte Bestreben nach einer geordneten Auseinandersetzung, in die Schadensersatz oder Kondiktion eines einzelnen Gesellschafters tunlichst nicht hineingehören51 – das ist also einer der Kernpunkte der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft. Wenn die Rechtsprechung nunmehr in einer Reihe von Fällen anders entscheidet und hierbei auch Formen der stillen Gesellschaft einbezieht, so muss eine andere Begründung für Schadensersatzansprüche, womöglich auch für eine Kondiktion gefunden werden, wenn man nicht stille Gesellschaften generell aus dem Einzugsbereich der genannten Lehre ausschließt. Im Schrifttum52 wird insoweit noch zwischen zweiund mehrgliedrigen typischen und atypischen stillen Gesellschaften sowie nach dem Vorhandensein eines Gesellschaftsvermögens unterschieden; die Grundgedanken zur Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit eines speziellen Anlegerschutzes durch Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche ähneln sich aber, so dass sie im Folgenden in den Vordergrund rücken sollen. Den Anfang der Serie von Entscheidungen bildet das Urteil des BGH v. 19. 7. 2004, das einem vom Geschäftsherr zurechenbar irregeführten stillen Gesellschafter einen aus Prospekthaftung oder sonst aus culpa in contrahendo abgeleiteten Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens und damit auf Rückgewähr seiner Einlage zusprach53. In diesem und den folgenden Urteilen wird freilich in Anwendung der Lehre von der fehlerhaf50 Kritisch zu BGH, NJW 1973, 1604 f.; Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 (385 f.); Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1135). 51 Näher besonders Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 (385 ff., 390). 52 Besonders Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1141 ff., 1147 ff.); Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189 (192 f.). 53 ZIP 2004, 1706 (1707); danach ebenso BGH, ZIP 2005, 254 (256); ZIP 2005, 759 f.; ZIP 2005, 2060.
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ten Gesellschaft dem Anleger eine Kondiktion versagt54, er wird dies verschmerzen können, obwohl die Differenzierung nicht recht einleuchtet55. Der BGH hat sich nicht festgelegt, ob die Entscheidung, die hauptsächlich aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem jeweiligen Anleger und dem Geschäftsinhaber begründet ist, auch auf mehrgliedrige stille Gesellschaften – so es diese denn gibt – Anwendung findet. Dabei ist allerdings zu bemerken, dass im zuerst entschiedenen Fall mehrere Anleger mit ein- und demselben Geschäftsinhaber kontrahiert hatten, der BGH stellte aber maßgeblich darauf ab, dass der bei Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft entstehende Abfindungsanspruch des Stillen und sein Schadensersatzverlangen sich gegen ein- und dieselbe Person richteten, wobei auch betont wurde, es gehe nicht an, dass dem für eine Täuschung oder eine Aufklärungspflichtverletzung Verantwortlichen der Umstand zugute kommt, dass er gesellschaftsvertraglich mit dem Geschädigten verbunden ist.56 Insgesamt liegt die Abweichung von der bisherigen Behandlung fehlerhafter Gesellschaften auf der Hand, wobei die Herleitung des Ergebnisses aus dem Innenverhältnis des Anlegers zum Geschäftsinhaber die Frage aufwirft, ob noch andere Umstände wie die Bildung eines Gesellschaftsvermögens, Mitwirkungsrechte des Stillen an der Geschäftsführung, Begründung einer BGB-Gesellschaft unter den Stillen oder schließlich die Koordination mit weiteren inhaltlich gleichen stillen Gesellschaftsverträgen, eine Rolle spielen. Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, die für einen Teil der Anlagegesellschaften gegen Forderungen nach stärkerem Verbraucherschutz verteidigt wird, um eine nach mehreren Richtungen hin interessengerechte Abwicklung zu ermöglichen, in einem zentralen Punkt zu verlassen, setzt zwingende Gründe voraus. Dass diese wohl nicht in einer – hier im Gegensatz zu den Schrott-Immobilien-Fällen möglichen – Zurechnung des Fehlverhaltens von Organen oder Vertriebsgehilfen zum Pflichtenkreis des Geschäftsinhabers liegen können, ist schon gesagt. Auch die für einfache Zweipersonen-Innengesellschaften gegebene Begründung, dass es keine schutzwürdigen Gläubiger und Mitgesellschafter gebe und geben könne57, kann für größere Anlagengesellschaften, ob sie als mehrgliedrige oder als ein Bündel von zweigliedrigen Verbindungen konstruiert sind, nicht herhalten. Schließlich wird bei vielen dieser Verbandstypen nicht ohne einen 54 BGH, ZIP 2004, 1706 (1707) sowie die anderen in der vorigen Note genannten Urteile. 55 So auch Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1138). 56 BGH, ZIP 2005, 254, (256); ZIP 2005, 759 f.; ZIP 2005, 763 f. 57 OLG Jena, ZIP 2003, 1144 und dazu Armbrüster/Joos, ZIP 2005, 189 (190).
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Blick auf die Interessenlage der weiteren an dem Projekt beteiligten Anleger auszukommen sein58. Es fragt sich aber darüber hinaus, ob es wirklich hinlängliche Gründe gibt, in den von der Rechtsform der stillen Gesellschaft ausgehenden Realtypen von Gesellschaften bei der Bewältigung von Vertrags- und Beitrittsmängeln grundsätzlich verschiedene Wege zu gehen. Den Begründungen, die im wissenschaftlichen Schrifttum, nicht unmittelbar in der genannten Judikatur, für die Zubilligung von Schadensersatzansprüchen neben der Abwicklung der fehlerhaften Gesellschaft gegeben werden, ist vor allem Schäfer59 nachgegangen. Seine Kritik hat vieles für sich. So scheint es etwas gekünstelt, zwischen einem auf die Verschaffung einer Mitgliedschaft durch Einlageleistung gerichteten schuldrechtlichen Vertrag und dem eigentlichen Beitrittsgeschäft zu unterscheiden und die Aufrechterhaltung trotz der Vertragsmängel auf den letzteren Teil des komplexen Vorgangs zu beschränken60. Die Lösungsmethode, die wohl ursprünglich der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft zugrunde lag, geht demgegenüber eher dahin, das gesamte Rechtsverhältnis mit Rücksicht auf die Interessen aller Beteiligten nach Maßgabe des nach dem Vollzug der Gesellschaft am besten passenden gesellschaftsrechtlichen Statuts abzuwickeln, und dazu passen die auf das „Verpfl ichtungsgeschäft“ bezogenen Ansprüche nicht – das ist dann aber ein Argument, das auch dem BGH entgegengehalten werden kann. Man kann wohl auch nicht die einer schuldrechtlichen Rückabwicklung entgegenstehende Wirkung nur für die Kondiktion als geboten ansehen und im Übrigen Schadensersatzansprüche unbehindert durchgreifen lassen61. Spitze Unterscheidungen in diesem Bereich überzeugen auch deshalb nicht recht, weil Vertragspartner des Beitrittsgeschäfts ganz allgemein die Gesellschaft, im Rahmen der stillen Gesellschaft also der Geschäftsinhaber, ist62, dem Pfl ichtverletzungen bei der Werbung für den Beitritt zuzurechnen sind, so dass man Gründe braucht, die verhindern, dass hieraus folgende Schadensersatz-, möglicherweise auch Bereicherungsansprüche sich auf das Gesellschaftsverhältnis niederschlagen. Es wäre auch nicht richtig, aus dem bekannten gesellschaftsrechtlichen 58 Grundsätzlicher Hinweis von Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1139). 59 ZHR 170 (2006), 373 (375, 381 ff.). 60 Gedanke von Bälz, FS Raiser, 2005, S. 615, (620 ff.); dagegen Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 (381, 388 ff.); krit. auch Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1152). 61 So versteht Schäfer ebenda (Fn. 60) die Ausführungen von Geibel, BB 2005, 1009 (1013). 62 Näher dargelegt bei Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 (382 ff.).
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Prinzip der Einbeziehung aller Ansprüche zwischen Gesellschaft und Gesellschafter in die bei Abfi ndung zu erstellende Abrechnung63 den Schluss zu ziehen, dass Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft, im Fall einer stillen Beteiligung also den Geschäftsinhaber, die dann in die Gesamtabrechnung einzugehen hätten, deshalb auch existieren müssten64. Ein Schadensersatzanspruch gegen einen Mitgesellschafter oder auch gegen die Gesellschaft würde das Auseinandersetzungsguthaben auch gar nicht berühren, ebensowenig eine hieraus resultierende Verbindlichkeit eines Mitgesellschafters65.
3. Besonderheiten der Interessenlage Im Grunde laufen alle diese Einwände und Gegengründe darauf hinaus, dass Mitgesellschafter oder andere an der Kapitalaufbringung Beteiligte den Schutz durch die uneingeschränkte Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft nicht benötigten oder nicht beanspruchen könnten. Um hierzu Stellung nehmen zu können, ist ein Blick auf das bei den verschiedenen Typen von Anlagegesellschaften vorhandene, z. T. ziemlich komplexe Geflecht von Interessen und Zumutbarkeiten hilfreich. Die Beschäftigung mit diesem möglichen Interessenkonfl ikt leidet ein wenig darunter, dass der BGH es in seinen Urteilen stets mit zweigliedrigen stillen Gesellschaften zu tun hatte, ohne sich also im Einzelnen mit den Folgen einer rechtlichen Verknüpfung dieser Beteiligungsverträge und der hieraus möglicherweise entstehenden Risikogemeinschaft befassen zu müssen66. Derartige Gebilde gibt es aber, indem entweder mehrere stille Gesellschafter untereinander eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Zweck der gebündelten Wahrnehmung der Rechte aus einem mit ihnen bestehenden (insoweit atypischen) Vertrag einer jeweils zweigliedrigen stillen Gesellschaft gebildet haben67, oder indem die verschiedenen Stillen vertraglich untereinander und mit dem Geschäftsin63 Zum Grundsatz BGHZ 37, 299 (304); BGH, NJW 1984, 1455; BGH, DStR 2002, 228; Messer, FS Stimpel, 1985, S. 209 ff.; Erman/H. P. Westermann, 12. Aufl. 2008, § 730 BGB Rz. 11. 64 So Schäfer, ZHR 170 (2006), 373 (390 f.), in Auseinandersetzung mit Gehrlein, WM 2005, 1489 (1493 f.). 65 Dazu schon Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1152); dies auch zu den Überlegungen von Gehrlein, WM 2005, 1489 ff. 66 Zur Bedeutung einer Risikogemeinschaft K. Schmidt, FS Bezzenberger, 2000, S. 401, (403 f.); Armbrüster, ZfIR 2004, 929 (930). 67 Zu solchen Gestaltungen MünchKomm.HGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, § 230 HGB Rz. 81.
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haber zu einem einheitlichen Gesellschaftsverhältnis verbunden werden, was durchaus möglich ist68. Angesichts der danach zulässigen Formen der gemeinschaftlichen Projektfi nanzierung kann man auch nicht gut so tun, als seien die anderen Anleger nicht Vertragspartner des Stillen69 oder gar nur einfach konkurrierende Gläubiger70. Denn sie sind jedenfalls wenn nicht unmittelbar rechtlich, so doch unübersehbar faktisch zumindest durch eine jeweils mit dem Geschäftsinhaber vereinbarte Verlustbeteiligung miteinander verbunden. Damit trifft sie alle der mögliche Umstand, dass der Rückgewähranspruch eines Anlegers aus Prospekthaftung oder culpa in contrahendo sein Abfi ndungsguthaben betragsmäßig übersteigen kann. Ob es sich im Übrigen um eine Innenoder Außengesellschaft handelt, ist sekundär71, da es trotz des Fehlens gemeinsamer Gläubiger eine schon durch die Verlustbeteiligung geschaffene Betroffenheit der Mitanleger gibt, die – so jedenfalls eine der Grundfesten der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft – ihre Gleichbehandlung in der Abwicklung angebracht erscheinen lässt, die durch das schon mehrfach erwähnte mögliche Windhund-Rennen gestört würde. Es ist ja auch so, dass zumeist nur durch Zusammenlegung der Einlagen aller Anleger das Projekt ermöglicht und durch Investition seitens des häufig nicht als haftender Unternehmer, sondern als Initiator oder Geschäftsführer/Treuhänder fungierenden „Geschäftsinhabers“ in Vollzug gesetzt wurde72 . Das Ergebnis geht dahin, dass bei einer Koordination mehrerer Anleger die Gründe, die zur beschränkten Anerkennung fehlerhafter Gesellschaften oder Beitrittsakte geführt haben, und die auch die These von der Anwendbarkeit dieser Lehre auf die stille Gesellschaft stützen, auch in den hier betrachteten Fällen gegeben sind und durch eine getrennte Rückabwicklung zugunsten eines getäuschten oder unrichtig informierten Anlegers nicht unterlaufen werden dürfen. Dies würde nur bei einer „echten“ zweigliedrigen, also die Beziehungen ausschließlich eines Stillen mit dem Geschäftsinhaber regelnden Rechtsverhältnisses anders sein und dann dazu führen können, dass dem Stillen im Rahmen der ihm „angedrehten“ oder aufgeschwatzten Beteiligung die Teilnahme an 68 MünchKomm.HGB/K. Schmidt, 2. Aufl. 2007, § 230 HGB Rz. 84, s. dazu auch schon den Fall BGH, NJW 1995, 192; noch weiter gehend Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189 (192). 69 So aber BGH, ZIP 2004, 254 (256). 70 So aber OLG Schleswig, ZIP 2003, 74 (78); OLG Jena, ZIP 2003, 1444 (1446). 71 Ebenso Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1146). 72 So auch Armbrüster/Joos, ZIP 2004, 189 (192).
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Verlusten nicht zugemutet werden darf73; dann wird man dem Anleger eine schadensersatzrechtliche Rückabwicklung neben den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft zubilligen müssen, was insbesondere bedeuten kann, dass ihm der Schadensersatzanspruch auch in Anrechnung auf ein durch Gewinne begründetes positives Auseinandersetzungsguthaben zusteht74.
IV. Schlussbetrachtung Für das Vorgehen im gesamten Fragenkomplex war die Einstellung bestimmend, dass ein Referat ein Bericht ist, der Referent folglich kein Augur ist, der aus der Lage der Innereien seines Opfertiers Prognosen über den Willen der Götter ableitet. Die Luxemburger Götter zu beeinflussen, könnte selbst ein Oberpriester nicht versprechen, vielleicht gibt das Ansehen der wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmensund Gesellschaftsrecht wenigstens Anlass, die Sorgen um ein etabliertes Rechtsinstitut wie die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft nicht als bloßen Konservativismus abzutun. Im Gegenteil gibt es gute, nach meiner Meinung durchschlagende Gründe dafür, die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auch gegenüber den Anforderungen des europäischen Verbraucherschutzrechts beizubehalten. Der dafür maßgebliche Gedanke eines allseitig befriedigenden Interessenausgleichs zwischen einem Verbraucher/Anleger, seinen Mitgesellschaftern, der Gesellschaft und ihren Gläubigern, wie er in einem Windhund-Rennen und demgemäß in isolierten Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und einem einzelnen Anleger, sei er Verbraucher oder nicht, auch prozessual kaum erreicht werden könnte75, gebietet es auch bei anderen Anlagegesellschaften, auch wenn sie sich der Rechtsform der stillen Gesellschaft bedienen, die Vorzüge der teilweisen Anerkennung des Bestands der Gesellschaft nicht aufzugeben. Dies gilt, wenn und solange die Interessenlage zumindest derjenigen beim Zusammentreffen von Gesellschafter mit frei fi nanzierten Anlagen vergleichbar ist, erst recht bei Einbeziehung einer u. U. großen Zahl von Inhabern bankfi nanzierter Beteiligungen. Dass bei der Diskussion dieser Entwicklungen, namentlich der Fol73 So auch Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1148). 74 So wohl auch Konzen, FS H. P. Westermann, 2008, S. 1133 (1148). 75 Zu den Möglichkeiten, in einem obligatorischen Rechtsverhältnis Drittinteressen entscheidungserheblich zu berücksichtigen, s. H. P. Westermann, AcP 208 (2008), 141 ff.
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gen einer aus meiner Sicht unerwünschten Entscheidung des EuGH, Klarheit und möglichst weitgehendes Einverständnis über die Grundlagen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, das Maß ihrer möglichen Zurückdrängung oder aber über ihre Verabschiedung herrschen muss, ist nicht Gegenstand eines Orakels, sondern eine schon jetzt mögliche und darum hier zu treffende Feststellung.
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Bericht über die Diskussion des Referats Westermann Gwendolyn Müller Rechtsanwältin, München Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Westermann zur fehlerhaften Gesellschaft wurde von Priester geleitet. Nachdem der Vortrag die verschiedensten Aspekte des Themas bereits erschöpfend beleuchtet hatte, gab es schließlich nur eine Wortmeldung in Form eines Vorschlags von Kersting zur Verteidigung der fehlerhaften Gesellschaft auf europarechtlicher Ebene. Kersting bemerkte, dass Art. 11, 12 Publizitätsrichtlinie das Konstrukt der fehlerhaften Gesellschaft für Kapitalgesellschaften im Grunde voraussetzten. Europarechtlich sei es also durchaus anerkannt, dass eine Gesellschaft nicht einfach nichtig und inexistent sein könne. Zwar sei es schwer vorstellbar, dass Kapitalgesellschaftsanteile an der Haustüre angedient werden, aber vielleicht sei dies nicht nach jeder Rechtsordnung unmöglich. Warum dann für Kapitalgesellschaften etwas Anderes gelten solle als für Personengesellschaften, leuchte eigentlich nicht ein. Möglicherweise ließe sich dies als Argument nutzen, um auch bei Personengesellschaften die Anerkennung der fehlerhaften Gesellschaft auf europäischer Ebene zu erreichen. Westermann dankte für diesen Hinweis und meinte, dass er ihn gerne aufnehmen wolle. Er äußerte aber die Befürchtung, dass der EuGH seine bisherige Argumentation zu diesem Thema nicht aufgeben und sich möglicherweise nicht mit diesen Einzelheiten auseinandersetzen werde. Es bleibe daher abzuwarten, mit welchen Argumenten und Instrumenten der EuGH an zukünftige Fälle herangehe. Da es keine weiteren Wortmeldungen gab, bedankte sich Priester nochmals bei Westermann für das interessante Referat und schloss die Diskussion mit der Bemerkung: „Dieser Vortrag hat keine Fragen offen gelassen.“
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Praxisprobleme der Ad-hoc-Mitteilungspflicht Dr. Dieter Leuering Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Die ad-hoc-rechtliche Behandlung zukünftiger Umstände . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einmalige Ereignisse vs. gestreckte Sachverhalte . . . . . 2. Gestreckte Sachverhalte im Lichte des Wortlauts der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorliegen einer hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . a) Realisierungswahrscheinlichkeiten . . . . . . . . b) Hinreichende Wahrscheinlichkeit als bewegliche Größe . . . . . . . 4. Kritik an der Ausblendung des Tatbestandsmerkmals der „hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Überschießende teleologische Auslegung“ . . . . . b) Entscheidung des BGH im Musterverfahren DaimlerChrysler . . . . . . . .
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5. Hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit aus der Sicht des verständigen Anlegers? . . . . . . . . . . . . . . . 179 6. Behandlung der einzelnen (Zwischen-)Schritte . . . . 180 III. Die Ad-hoc-Pflicht von reinen Anleihe-Emittenten . 1. Anleihe-Emittenten als Normadressaten . . . . . . . . . . 2. Anleihen – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anleihegläubiger als Kapitalmarktteilnehmer . . . . . . a) Beeinflussung der Zahlungsfähigkeit des Emittenten . . . . . . . . . b) Kursbeeinflussungspotenzial . . . . . . . . . . . . . aa) Rendite: Verzinsung von Anleihen . . . . . . . . . . bb) Risiko und Rating . . . . . . . . . . . . cc) Rating und Anlageentscheidung . . . . . c) Ratingänderungen haben Kursbeeinflussungspotenzial . . . . . . . . .
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I. Einleitung Börsennotierte Unternehmen sind verpflichtet, neue, der Öffentlichkeit unbekannte Umstände aus ihrem Unternehmensbereich unverzüglich (ad hoc) bekanntzumachen, wenn diese geeignet sind, auf den Preis des Finanzinstruments einzuwirken, und sie die Gesellschaft unmittelbar betreffen. Die Anzahl der jährlich „über den Ticker laufenden“ Ad-hoc-Ver-
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öffentlichungen pendelt sich relativ stabil bei um die 3500 ein1. Diese große Zahl macht deutlich, dass es sich bei der Abgabe dieser Meldungen um etwas Alltägliches handelt. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass der jeweilige Einzelfall durchaus problematisch sein kann. Nachfolgend sollen zwei Praxisprobleme der Ad-hoc-Mitteilungspflicht besprochen werden: Zum einen das – wie Kollege Epe kürzlich schrieb2 – „dornenvolle Thema“ der ad-hoc-rechtlichen Behandlung zukünftiger Umstände (II.), das nicht zuletzt durch die Entscheidungen des OLG Stuttgart sowie des BGH i. S. DaimlerChrysler ins Rampenlicht gerückt ist3, zum anderen die bislang nur wenig betrachtete Ad-hoc-Pflicht von reinen Anleihe-Emittenten (III.).
II. Die ad-hoc-rechtliche Behandlung zukünftiger Umstände Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. WpHG muss ein Inlandsemittent von Finanzinstrumenten Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen. Eine Legaldefinition des Begriffs der Insiderinformationen findet sich in § 13 WpHG, dessen Abs. 1 Sätze 1 bis 3 im hiesigen Kontext im Mittelpunkt des Interesses stehen. Dort ist das erste Praxisproblem zu verorten: die ad-hoc-rechtliche Behandlung zukünftiger Umstände.
1. Einmalige Ereignisse vs. gestreckte Sachverhalte Betrachtet man den Verlauf von ad-hoc-pflichtigen Umständen auf der Zeitachse, gibt es einerseits Geschehnisse, Maßnahmen und Vorhaben, die sich als einmaliges Ereignis darstellen. Dies können z. B. von außen auf das Unternehmen einwirkende, plötzliche Ereignisse sein. Nach dem „Katalog der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen“ aus dem Emittentenleitfaden der BaFin4 kann dies beispielsweise ein maßgeblicher Produkthaftungs- oder Umweltschadensfall sein oder eine jedenfalls aus
1 Zahlen im Jahresbericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2007, S. 182. 2 Epe, CCZ 2008, 154. 3 OLG Stuttgart, NZG 2007, 352; BGH, NZG 2008, 300. 4 Emittentenleitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Stand: 15. Juli 2005), S. 43 f.; vgl. auch die Konsultation 15/2008 zum Emittentenleitfaden, Teil 1, S. 15 f.
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Sicht des betroffenen Emittenten überraschende Veränderung in Schlüsselpositionen des Unternehmens. Dem stehen die gestreckten Sachverhalte (mit der Untergruppe der mehrstufigen Entscheidungsprozesse5) gegenüber. Hierbei handelt es sich um Geschehensabläufe, an deren Anfang beispielsweise eine Idee steht, an deren weiterer Planung, Umsetzung und Durchführung verschiedene Personen und Gremien innerhalb eines Unternehmens sowie auch externe Berater beteiligt sind. Der Großteil der Fallkonstellationen im „Katalog der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen“ fällt hierunter; genannt seien nur die Veräußerung von Kerngeschäftsfeldern oder von wesentlichen Beteiligungen, Strukturmaßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz oder der Abschluss eines Unternehmensvertrags.
2. Gestreckte Sachverhalte im Lichte des Wortlauts der Norm Bis zum Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes Ende Oktober 20046 sprach die herrschende Meinung einem Plan oder einem Vorhaben die Eignung als Insidertatsache ab7. Stattdessen wurde allein auf die einzelnen bereits vollzogenen Schritte als gegenwärtigen Umstand abgestellt8. Seit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz ist neben das bereits eingetretene Ergebnis, das als gegenwärtiger Umstand bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 1 als Insiderinformation zu qualifi zieren ist, ein Vorhaben als zukünftige Tatsache oder zukünftiges Ereignis nach Satz 3 der Norm getreten. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG ist folglich zu entnehmen, dass auch Pläne, Vorhaben und Absichten Insiderinformation sein können9. Welche Voraussetzungen hierfür gegeben sein müssen, ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Sätze 1 und 3. Nach Satz 1 muss zunächst ein Um5 Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 102 und dort Fn. 174. 6 Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) vom 28. Oktober 2004 (BGBl. I 2630); Überblick dazu bei Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929; Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729; Spindler, NJW 2004, 3449. 7 Darstellung des Streitstandes bei Geibel/Schäfer, in: Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl., Loseblatt – Stand: Januar 2008, § 15 Rz. 61 ff. 8 Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 3. Aufl. 2003, § 13 Rz. 33b; Schwark, in: Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl. 2004, § 13 WpHG Rz. 32; Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl. 2001, § 107 Rz. 21; Kiem/Kotthoff, DB 1995, 1999 (2000). 9 BGH, NZG 2008, 300 (Tz. 20); Assmann, in: Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 13 Rz. 20 und 27; Simon, Der Konzern 2005, 13 (15).
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stand gegeben sein, der sich entweder auf den Emittenten oder eines seiner Papiere bezieht. Handelt es sich um einen zukünftigen Umstand, muss dieser Umstand eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit haben, so Satz 3. Hinzukommen – das Wörtchen „und“ in Satz 1 spricht dies aus – muss, dass der Umstand, sei er gegenwärtig oder zukünftig, ein Kursbeeinflussungspotenzial besitzt. Letzteres ist aus der Sicht des verständigen Anlegers zu beurteilen, so § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG. Mit der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit stellt § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG für zukünftige Umstände eine weitere Voraussetzung für die Annahme einer Insiderinformation auf, die neben und vorrangig vor der Eignung des Umstands zur Kursbeeinflussung zu prüfen ist. Bei zukunftsbezogenen Informationen ist folglich ein zweifaches Wahrscheinlichkeitsurteil erforderlich: einmal in Hinblick auf den Eintritt des zukünftigen Umstands und ein zweites Mal in Hinblick auf die Kurserheblichkeit der Information10.
3. Vorliegen einer hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit Damit kommt man auch zur Kernfrage: Wann ist eigentlich der Eintritt eines künftigen Umstandes hinreichend wahrscheinlich? a) Realisierungswahrscheinlichkeiten
Zum Teil wird davon ausgegangen, dass ab einem bestimmten Grad der Gewissheit eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit i. S. des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG bestehe. Hierbei wird von unterschiedlichen Realisierungswahrscheinlichkeiten ausgegangen. Teilweise heißt es, dass der Eintritt des zukünftigen Ereignisses mit einer mehr als 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein müsse11. Andere vertreten, dass eine bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht genüge, eine an Sicherheit gren-
10 Assmann (o. Fn. 9), § 13 Rz. 24 und 61; Cahn, Der Konzern 2005, 5 (6); Gunßer, NZG 2008, 855 (856); Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 2008, Anh. zu § 93: § 13 WpHG Rz. 7; Hopt, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 107 Rz. 21; Parmentier, NZG 2007, 407 (410); Mennicke/Jakovou, in: Fuchs, WpHG, 2009, § 13 Rz. 73; Sethe, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 12 Rz. 52; Veil, AG 2006, 690 (692). 11 Assmann (o. Fn. 9), § 13 Rz. 60; Pawlik, in: Kölner Komm. zum WpHG, 2007, § 13 Rz. 93 a. E.
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zende Wahrscheinlichkeit aber auch nicht erforderlich sei12; zu fordern sei eine deutlich mehr als bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit13. Es erscheint überzeugend, auf einen Grad der Gewissheit von mehr als 50 Prozent abzustellen. Es müssen dann also mehr Gründe für als gegen den zukünftigen Eintritt des Umstands sprechen. Diese Bewertung muss ein Kaufmann verschiedentlich vornehmen14; setzte man die Schwelle höher an (70, 75, 80 Prozent?), stellte sich die Frage, wie der betroffene Emittent diesen Grad der Gewissheit ermitteln oder gar „messen“ soll. b) Hinreichende Wahrscheinlichkeit als bewegliche Größe
Zahlreiche Autoren sprechen sich demgegenüber gegen eine feste Grenzziehung aus und wollen die hinreichende Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG als bewegliche Größe verstehen15. Der Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit allein sei nicht entscheidend, vielmehr müssten auch die Auswirkungen auf den Emittenten berücksichtigt werden. Denn diese Frage könne nicht schematisch an Prozentsätzen der Eintrittswahrscheinlichkeit ausgerichtet werden. Gerade bei gestreckten Sachverhalten sei die Aussage über die Kursrelevanz eine Wertungsfrage, die sich an einer Gesamtschau aller Fallumstände zu orientieren habe. Neben der bloßen Eintrittswahrscheinlichkeit seien daher auch stets die möglichen Auswirkungen auf den Emittenten selbst zu berücksichtigen. Je größer diese sind, desto niedriger sei die Wahrscheinlichkeitsschwelle zu ziehen. Umgekehrt kann eine besonders hohe Eintrittswahrscheinlichkeit des in der Zukunft liegenden Umstands geringe Auswirkungen bei dem Emittenten kompensieren16. Das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Wahrscheinlichkeit stelle sich daher als das Produkt aus der wirtschaftlichen Bedeutung des in Frage
12 Hopt (o. Fn. 10), § 107 Rz. 18 und 23; Veil AG 2006, 690 (694). 13 OLG Stuttgart, NZG 2007, 352 (358); ähnlich fordert Gunßer, NZG 2008, 855 (858), dass der Eintritt „hoch wahrscheinlich“ sein müsse. 14 Vgl. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB: Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sowie Rückstellungen nach IAS 37 („more likely than not“). 15 Epe, CCZ 2008, 154 (155); Fleischer, NZG 2007, 401 (405); Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841 (846); Kümpel/Veil, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 2006, 3. Teil Rz. 24 ff. (S. 57 f.) sowie dies., in: Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Loseblatt – Stand: April 2008, Kennz. 65 Rz. 73; Mennicke/Jakovou (o. Fn. 10), § 13 Rz. 68. 16 So z. B. Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rz. 17 unter Verweis insb. auf Fleischer, NZG 2007, 401 (405).
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stehenden Ereignisses für das Unternehmen einerseits und der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens andererseits dar17. Was genau ist damit gemeint? Aus der Sicht eines Anlegers bietet ein Umstand, dessen Eintritt eher unwahrscheinlich ist, dem aber im Fall seines Eintritts eine große wirtschaftliche Bedeutung zukommt, dieselbe Chance oder dasselbe Risiko wie ein Umstand, dessen Eintritt zwar durchaus wahrscheinlich ist, der aber nur eine geringere wirtschaftliche Bedeutung hat. Ein Beispiel in Zahlen: Eine Umstand, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent eintritt, dann aber eine Auswirkung von 100,- Euro hat, beinhaltet dieselbe Gewinnchance wie ein Umstand, dessen wirtschaftliche Auswirkung zwar nur 20,- Euro beträgt, der aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent eintritt. Denn 100,- Euro mal 10 Prozent beinhaltet ebenso eine Chance von 10,- Euro wie 20,- Euro mal 50 Prozent. Dieser Effekt kann auch an Kursbewegungen an der Börse beobachtet werden: Als die Volkswagen AG am 28. 10. 2008 vorübergehend das weltweit teuerste Unternehmen an der Börse war, sanken die Börsenkurse einiger deutscher und amerikanischer Banken um rd. 13 Prozent, die MorganStanley-Aktie sogar um 26 Prozent. An der Börse wurde es jedenfalls für möglich gehalten, dass diese Banken die Verlierer der gescheiterten VWLeerverkäufe waren18. Angesichts des drohenden großen Schadens jener Banken genügte also eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, im Kreis der betroffenen Banken zu sein, um die Anleger zum Verkauf der Papiere der vielleicht betroffenen Banken zu motivieren und deren Kurse massiv fallen zu lassen. Wie dieses Beispiel zeigt, ist die Wahrscheinlichkeits-Erheblichkeits-Formel im Kern völlig richtig: auf diese Art ermittelt man die Kurserheblichkeit eines zukünftigen Umstands19. Und ob ein Umstand kurserheblich ist, ist dann auch zutreffenderweise aus der Sicht eines verständigen Anlegers zu ermitteln, so § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG. Dies darf indes nicht zu dem Schluss verleiten, dass ein zukünftiger Umstand bereits dann eine Insiderinformation darstellt und deshalb nach § 15 17 Fleischer, NZG 2007, 401 (405); auch schon Grundmann, in: Ebenroth/Boujong/ Joost, HGB, 2001, BankR VI: § 15 WpHG Rz. 130 zu § 15 WpHG a. F. 18 Börsen-Zeitung Nr. 209 v. 29. 10. 2008, S. 1. 19 Gruson/Wiegmann, AG 1995, 173 (180); Parmentier, NZG 2007, 407 (410); Grundmann (o. Fn. 17), BankR VI: § 13 WpHG Rz. 85 mit Fn. 187 zu § 13 WpHG a. F.; Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2007, S. 277 in Fn. 23.
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Abs. 1 Satz 1 WpHG bekannt zu machen ist, wenn er nur kurserheblich ist, ohne dass es auf die hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit weiter ankommt20. Dies ist indes die zwingende Folge, wenn man die hinreichende Wahrscheinlichkeit i. S. des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG mittels Wahrscheinlichkeits-Erheblichkeits-Formel ermittelt: „Ist die von § 13 Abs. l WpHG verlangte Kursrelevanz gegeben, ist auch die hinreichende Wahrscheinlichkeit i. S. v. § 13 Abs. l Satz 3 WpHG zu bejahen.“21 Teilweise wird für diese Meinung unmittelbar auf das US-amerikanische Recht und das dort entwickelte Probability-Magnitude-Principle rekurriert22 . Nach der Auffassung anderer Autoren liefert das US-Recht jedenfalls den rechtsvergleichenden Rückhalt für das entsprechende Ergebnis einer teleologischen Auslegung des deutschen und europäischen Rechts23. Letztere könne sich auf eine Grundeinsicht der modernen Finanzierungstheorie stützen, die den Kapitalwert einer Investition berechne, indem sie deren mögliche Ergebnisse mit ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziere und auf den Bewertungsstichtag abzinse. Der Gesetzeszweck der Ad-hoc-Publizität gebiete es daher, Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung des zukünftigen Ereignisses miteinander in Beziehung zu setzen24. Einen Mittelweg versucht Frowein zu beschreiten. Er ist zwar der Auffassung, dass je größer die möglichen Auswirkungen auf den Emittenten sind, desto niedriger die Wahrscheinlichkeitsschwelle zu ziehen sei. Eine Realisierungswahrscheinlichkeit von unter 50 Prozent will er dennoch im Regelfall nicht ausreichen lassen, um zukünftige Ereignisse als hinreichend konkrete Information anzusehen25. Dies mutet ein wenig als der Versuch der Quadratur des Kreises an, denn es ist mit dem Wahrscheinlichkeits-Erheblichkeits-Ansatz nicht vereinbar, dass Eintrittswahrschein-
20 Ebenso die Kritik des OLG Stuttgart, NZG 2007, 352 (358) an der Stellungnahme der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gegenüber der StA Stuttgart i. S. DaimlerChrysler: dort fehle „jede Ausführung zur weiterhin gestzlich vorausgesetzten hinreichenden Wahrscheinlichkeit, das Ereignis werde eintreten (§ 13 I 3 WpHG)“. 21 So wörtlich Harbarth, ZIP 2005, 1898 (1902); ganz ähnlich Cahn, Der Konzern 2005, 5 (6). 22 Harbarth, ZIP 2005, 1898 (1901 f.); ausführlich zur Probability-Magnitude-Formel Gruson/Wiegmann, AG 1995, 173 (178 f.). 23 Fleischer, NZG 2007, 401 (405). 24 Fleischer, NZG 2007, 401 (405). 25 Frowein (o. Fn. 16), § 10 Rz. 17 a. E.
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lichkeiten unterhalb der Schwelle von 50 Prozent von vornherein außer Betracht bleiben26.
4. Kritik an der Ausblendung des Tatbestandsmerkmals der „hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit“ Wie gezeigt, ist die Wahrscheinlichkeits-Erheblichkeits-Formel die Methode der Wahl, um die Kurserheblichkeit eines zukünftigen Umstands zu ermitteln. Es widerspricht jedoch dem WpHG, dass ein zukünftiger Umstand bereits dann ad hoc bekannt zu machen ist, wenn er kurserheblich ist. a) „Überschießende teleologische Auslegung“
Stellt man alleine auf Wahrscheinlichkeits-Erheblichkeits-Formel ab, knüpft die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität künftiger Umstände allein an deren Kurserheblichkeit an; das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit wird als unbeachtlich ausgeblendet. Meines Erachtens ist dieses Ergebnis methodisch nur schwer zu begründen. Insbesondere kann dieses Ergebnis nicht im Wege der Auslegung der Norm gefunden werden. Voraussetzung jeder Auslegung ist die Mehrdeutigkeit der Norm; ob Mehrdeutigkeit vorliegt, ist seinerseits Ergebnis einer Auslegung27. § 13 Abs. 1 Satz 1 und 3 WpHG kann indes unzweideutig die Forderung des Gesetzgebers entnommen werden, dass bei künftigen Umständen zwei Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen, nämlich die hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit einerseits sowie die Kurserheblichkeit andererseits. Der so ermittelte mögliche Wortsinn der Norm ist dann Grenze jeder Auslegung; jenseits dieser Grenze beginnt die Umdeutung28. Die Überwindung des Wortlauts der Norm kann im Wege einer Rechtsfortbildung mittels Analogie erfolgen. Diese hat dann aber wieder ihre eigenen Voraussetzungen. Wollte man § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG analog auf noch nicht hinreichend wahrscheinliche zukünftige Umstände anwenden, müsste diesbezüglich eine planwidrige Regelungslücke bestehen. Ob dies der Fall ist, erscheint in Anbetracht der klaren gesetzlichen Regelung, dass nur hinreichend wahrscheinliche zukünftige Umstände Insiderinformationen sein können, nur schwer vertretbar: Wenn der Gesetzgeber anordnet, dass nur hinreichend wahrscheinliche zukünftige Umstände bekanntzu26 Fleischer, NZG 2007, 401 (405). 27 Rüthers, Rechtstheorie, 4. Aufl. 2008, Rz. 731 ff. 28 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 322.
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machen sind, spricht er damit gleichzeitig aus, dass nicht hinreichend wahrscheinliche Umstände nicht bekanntzumachen sind; die Lücke ist folglich nicht planwidrig. b) Entscheidung des BGH im Musterverfahren DaimlerChrysler
Das Ergebnis, wonach bei zukunftsbezogenen Informationen folglich ein zweifaches Wahrscheinlichkeitsurteil erforderlich ist, kann auch auf die Entscheidung des BGH zum Musterverfahren DaimlerChrysler gestützt werden. Zwar hat sich der BGH nicht ausdrücklich mit dem ProbabilityMagnitude-Ansatz befasst. In seinem Beschluss spricht das Gericht indes aus, dass bei zukünftigen Umständen sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit als auch die Kurserheblichkeit zu prüfen seien29. Umgekehrt sagt der BGH also gerade nicht, dass mit der Kurserheblichkeit auch die Eintrittswahrscheinlichkeit feststeht. Des Weiteren sagt das Gericht, das eine Eintrittswahrscheinlichkeit von zumindest 50 Prozent erforderlich ist30. Bei dem Probability-MagnitudeAnsatz kann indes die ganz erhebliche wirtschaftliche Bedeutung eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit des betreffenden Umstands ausgleichen. Hiermit ist es nicht vereinbar, dass Eintrittswahrscheinlichkeiten unterhalb der Schwelle von 50 Prozent von vornherein außer Betracht bleiben31. Mit anderen Worten: Wenn man den BGH dahingehend versteht, dass das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zumindest voraussetzt, dass eine Eintrittswahrscheinlichkeit von über 50 Prozent besteht, kommt der Probability-Magnitude-Ansatz nicht mehr zu sinnvollen Ergebnissen.
5. Hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit aus der Sicht des verständigen Anlegers? In diesem Zusammenhang ist auf eine Ungenauigkeit hinzuweisen, die sich bei der Anwendung von § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG mittlerweile einzuschleifen droht: Wenn man anerkennt, dass bei zukunftsbezogenen Informationen ein zweifaches Wahrscheinlichkeitsurteil erforderlich ist (einerseits im Hinblick auf den Eintritt des zukünftigen Umstandes, andererseits 29 BGH, NZG 2008, 300 (Tz. 20). 30 So jedenfalls die „quasi-authentische Interpretation“ des Beschlusses (Begriff nach Bayer, ZHR 168 [2004], 132 [149]) durch RiBGH Strohn, Status: Recht 2008, 400 (401); ebenso Gunßer, NZG 2008, 855; M. Weber, NJW 2009, 33 (36); a. A. Epe, CCZ 2008, 154. 31 Fleischer, NZG 2007, 401 (405).
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im Hinblick auf die Kurserheblichkeit der Information)32, ist bezüglich des zweiten Urteils auf die Sicht des verständigen Anlegers abzustellen, so § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG. Nichtsdestotrotz wird vielfach vertreten, dass auch die Frage, ob der Eintritt eines zukünftigen Umstandes hinreichend wahrscheinlich ist, ebenfalls aus der Sicht des verständigen Anlegers zu beurteilen sei33. Auch der BGH lässt bei der Frage, ob der Eintritt eines zukünftigen Umstands hinreichend wahrscheinlich ist, ob also eine Eintrittswahrscheinlichkeit von über 50 Prozent besteht, die Auffassung des OLG Stuttgart als Vorinstanz unbeanstandet, wonach auf die Sicht eines verständigen Anlegers abzustellen sei34. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist allein die Kurserheblichkeit aus der Sicht des verständigen Anlegers zu ermitteln. Es sind ja auch gerade die Anleger, die die Kurse machen. Bezüglich des Grades der Gewissheit des Eintritts eines zukünftigen Umstands ordnet das Gesetz dieses subjektive Urteil nicht an. Dies ist auch schlüssig, denn ob der Eintritt eines zukünftigen Umstandes hinreichend wahrscheinlich ist oder nicht, ist eine Tatsachenfrage, bei der sich nicht so recht erschließen lassen will, warum diese aus einer subjektiven Sicht heraus entschieden werden soll.
6. Behandlung der einzelnen (Zwischen-)Schritte Viele Autoren nähern sich der hier diskutierten Frage der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit von einer anderen Seite kommend, nämlich wie ein Gleichlauf zwischen der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG einerseits und der Kurserheblichkeit des Satzes 1 andererseits hergestellt werden kann35. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass bei gestreckten Sachverhalten einerseits auf das angestrebte Ergebnis der Planung oder des gestreckten Sachverhalts (also die Kapitalerhöhung, Übernahme, Fusion etc.) als künftigen Umstand abgestellt werden kann, andererseits aber auch auf die bereits existierenden Pläne und die schon verwirklichten Zwischenschritte als gegenwärtige Umstände. Dieses Bedürfnis nach einem Gleichlauf besteht nicht. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG enthält eine lex specialis für künftige Umstände, sodass eine Insiderinformation nur vorliegt, wenn neben der Kurserheblichkeit auch eine hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit gegeben ist. Sofern einzelne 32 33 34 35
Oben Fn. 10. Frowein (o. Fn. 16), § 10 Rz. 17; Harbarth, ZIP 2005, 1898 (1902). BGH, NZG 2008, 300 (Tz. 26). Cahn, Der Konzern 2005, 5 (6): „notwendige Harmonisierung“; ähnlich auch Harbarth, ZIP 2005, 1898 (1902).
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Schritte des Gesamtvorhabens bereits umgesetzt oder eingetreten sind, handelt es sich um gegenwärtige Tatsachen. Sind diese für sich genommen kurserheblich, haben sie die Qualität einer Insiderinformation im Sinne des § 13 WpHG36. Kommt ihnen die Kurserheblichkeit jedoch allein deswegen zu, weil sie Teil des künftigen Gesamtvorhabens sind, darf es nicht zu einer Vermengung der in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte (isolierte Betrachtungsweise des Zwischenschritts einerseits, Gesamtbetrachtung des zukunftsbezogenen Sachverhalts andererseits) kommen, will man nicht die gesetzliche Wertung des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG unterlaufen, dass zukünftige Sachverhalte neben einer Kurserheblichkeit auch einer hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit bedürfen. Eine Kurserheblichkeit des Zwischenschritts als solchem wird daher in diesen Fällen nicht bejaht werden können, wenn die Kurserheblichkeit aus der Betrachtung des zukünftigen Umstandes entspringt37. Im Ergebnis wird damit die „künstliche Zerlegung eines mehraktigen Vorgangs in seine Einzelteile“ vermieden und allein auf das Vorhaben (also die zukünftige Tatsache oder das zukünftige Ereignis) abgestellt 38, es sei denn, einzelne umgesetzte Schritte des Gesamtvorhabens sind aus sich heraus kurserheblich.
III. Die Ad-hoc-Pflicht von reinen Anleihe-Emittenten 1. Anleihe-Emittenten als Normadressaten Mit dem Begriff Kapitalmarktrecht assoziiert man schnell allein börsennotierte Aktiengesellschaften. Tatsächlich sind aber auch reine AnleiheEmittenten Adressaten der Ad-hoc-Pflicht. § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG wendet sich an die Inlandsemittenten von Finanzinstrumenten. Definiert ist der Inlandsemittent in § 2 Abs. 7 WpHG, der seinerseits auf § 2 Abs. 6 WpHG und die dortige Definition der „Emittenten, für die die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist“, aufbaut. Inlandsemittent ist grundsätzlich jeder Emittent, dessen Herkunftsstaat Deutschland ist, es sei denn, die Wertpapiere sind ausschließlich zum Handel an einem orga36 Assmann (o. Fn. 9), § 15 Rz. 60; Pawlik (o. Fn. 11), § 13 Rz. 15 f. sowie 94; Simon, Der Konzern 2005, 15 f.; Veith, NZG 2005, 256. 37 Gunßer, Ad-hoc-Publizität bei Unternehmenskäufen und -übernahmen, 2007, S. 54. 38 So bereits das Petitum von Kümpel/Veil, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 2006, 3. Teil Rz. 24 ff. (S. 57 f.) sowie dies., in: Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Loseblatt – Stand: April 2008, Kennz. 65 Rz. 73.
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nisierten Markt in einem anderen EU- oder EWR-Mitgliedsstaat zugelassen. Erfasst werden dabei auch Emittenten, die keine Aktien, sondern nur Anleihen (Schuldtitel, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG) emittieren39. Wer ist das in der Praxis? Das können z. B. große mittelständische Unternehmen sein, die ein Medium-Term-Notes-Programm aufgelegt haben. Aber auch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute wie z. B. Landesbanken und Sparkassen treten als Anleiheemitten
2. Anleihen – Ein Überblick Unter einer Anleihe ist die Aufnahme von Kapital gegen die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen i. S. von § 793 Abs. l S. l BGB zu verstehen. Die Inhaberschuldverschreibung verbrieft ein Forderungsrecht des jeweiligen Inhabers des Papiers gegen den Aussteller auf Rückzahlung und Verzinsung des zur Verfügung gestellten Kapitals40. Das Forderungsrecht des Anleihegläubigers resultiert dabei aus einem dem Unternehmer gewährten, verzinslichen Gelddarlehen i. S. von § 488 BGB. Der Zahlungsstrom einer fünfjährigen 5-Prozent-plain-vanilla-Anleihe stellt sich in typisierter Form wie folgt dar: Am Beginn des ersten Jahres zahlt der Anleihegläubiger dem Unternehmer einen Betrag von 100, er gewährt also ein Darlehen in dieser Höhe. Jeweils am Ende jedes der fünf Jahre erhält der Anleihegläubiger eine Zahlung in Höhe von 5 als Zins. Am Ende der Laufzeit der Anleihe erhält er zusätzlich noch den Nominalbetrag von 100 zurückbezahlt, in Summe also 105.
3. Anleihegläubiger als Kapitalmarktteilnehmer Welches Informationsbedürfnis hat nun ein Anleihegläubiger als Kapitalmarktteilnehmer? a) Beeinflussung der Zahlungsfähigkeit des Emittenten
Für denjenigen, der beabsichtigt, eine Anleihe bis zum Ende ihrer Laufzeit zu halten, sind nur diejenigen Umstände relevant, die Einfluss auf die von 39 Während per November 2008 das in Umlauf befi ndliche Aktienkapital in Deutschland ansässiger Emittenten rd. 168 Milliarden Euro betrug, lag das Volumen der festverzinslichen Wertpapiere von Emittenten mit Sitz in Deutschland bei rd. 3,25 Billionen Euro; Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Januar 2009, S. 50*. 40 Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rz. 9.179.
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ihm erwartete Zins- und Tilgungsleistung haben. Keine große Rolle wird es für ihn in aller Regel spielen, ob das Unternehmen seine prognostizierten Quartalszahlen nun erreicht hat oder nicht, oder dass Herr X nicht mehr Vorstandsvorsitzender ist, sondern künftig Herr Y. Auch die BaFin sieht dies ähnlich. In der aktuellen Fassung des Emittentenleitfadens heißt es: „Soweit der Emittent ausschließlich herkömmliche Schuldverschreibungen zum Börsenhandel zugelassen hat, wird in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle ein erhebliches Preisbeeinflussungspotenzial nur anzunehmen sein, wenn die Erfüllung der mit dem Finanzinstrument verbundenen Verpflichtungen des Emittenten (z. B. Rückzahlung, Zinszahlung) aufgrund der der Information zu Grunde liegenden Umstände beeinträchtigt wäre.“41 Diese Formulierung findet sich auch wortgleich in dem aktuellen Konsultationspapier zum Emittentenleitfaden42 . b) Kursbeeinflussungspotenzial
Allerdings ist fraglich, ob damit bereits alle ad hoc bekanntzumachenden Umstände erfasst sind. Man kann beobachten, dass auch die Börsenkurse von Anleihen schwanken. Der Kurs einer Anleihe ist von zahlreichen Einflussfaktoren abhängig. Zunächst sind dies der Nominalbetrag der Anleihe, die Währung sowie ihre Laufzeit bzw. Restlaufzeit. Daneben spielt das mit der Anleihe verbundene Risiko eine ganz entscheidende Rolle. All diese Faktoren begründen, warum unterschiedliche Anleihen unterschiedliche Renditen, also unterschiedliche tatsächliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals, erwirtschaften. Aber auch bei einer bestimmten Anleihe ändert sich die Rendite über die Laufzeit der Anleihe ständig. Dabei setzt sich die Verzinsung jeder risikobehafteten Anleihe aus einem risikolosen Anteil und einer Risikoprämie zusammen43. aa) Rendite: Verzinsung von Anleihen
Der Zins besteht aus zwei Komponenten, nämlich zum einen dem risikolosen Marktzins und einer Bonitätsprämie, die auch als Risikoprämie oder risk premium bezeichnet wird. Ausgangspunkt ist die Verzinsung, die mit einer risikolosen Anlage erzielt werden kann. Die erwartete Rendite jedes mit einem Risiko behafteten Finanzprodukts muss über dieser risikolosen 41 Emittentenleitfaden 2005, S. 45. 42 Konsultation 15/2008 zum Emittentenleitfaden, Teil 1, S. 17. 43 Schäfer, in: Achleitner/Thoma, Handbuch Corporate Finance, 2. Aufl., Loseblatt – Stand: 8. Lieferung März 2003, Kap. 4.1.1 S. 15.
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Rendite liegen, sein Zins folglich höher sein44. Als Basis dienen regelmäßig Bundesanleihen45. Sie besitzen zwei Eigenschaften, die sie zum Benchmark machen: Die Bundesanleihen zählen, zusammen mit den Anleihen von Großbritannien und Frankreich, zu den Anleihen, bei denen das geringste Ausfallrisiko besteht. Und unter den risikolosen Anleihen in Europa sind die Bundesanleihen die liquidesten46. Daher können Investoren diese Anleihen jederzeit und weitestgehend ohne Einfluss auf den Preis kaufen und verkaufen. Wenn sich nun der Zins einer Bundesanleihe erhöht oder reduziert, erhöht oder reduziert sich auch die Grundverzinsung, die eine Unternehmensanleihe zu zahlen hat. Entsprechend entwickelt sich der Preis der Anleihe in die entgegengesetzte Richtung47. Solche Entwicklungen des aktuellen Marktzinses sind indes nicht ad-hoc-pflichtig. Auf diesen ausfallrisikofreien Referenzzinssatz, der für alle Unternehmensanleihen mit gleicher Laufzeit identisch ist, kommt der anleihespezifische Risikozuschlag, der Risikozins. Er ist umso höher, je höher das Ausfallrisiko der Anleihe ist48. Nach den Erkenntnissen der Finanztheorie entspricht der Risikozuschlag, den die Fremdkapitalgeber erhalten, der Optionsprämie, die der Verkäufer der Option vom Käufer der Option, dem Eigenkapitalgeber, erhält49. Dabei gilt wie bei allen Optionen: Je höher die Volatilität des Basiswertes, hier die Schwankungen des Unternehmenswertes und damit das Risiko eines Ausfalls, desto höher ist auch die Optionsprämie, hier der Risikozuschlag für die Verzinsung50. bb) Risiko und Rating
Die Höhe des Risikozuschlags ist abhängig vom Risiko der Anleihe. Dieses Risiko der Anleihe wird von Rating-Agenturen ermittelt51. Unter Rating Schäfer (o. Fn. 43), S. 15. Schäfer (o. Fn. 43), S. 15. Schäfer (o. Fn. 43), S. 15. Schäfer (o. Fn. 43), S. 16. Schäfer (o. Fn. 43), S. 15; Jäger, Aktiengesellschaft, 2004, § 15 Rz. 51. Grundlegend Merton, On the pricing of corporate debt: the risk structure of interest rates, Journal of Finance 29, 1974, 449 ff.; anschauliche Darstellung in: Deutsche Bundesbank. Neuere Entwicklungen am Markt für Unternehmensanleihen, in: Monatsbericht April 2004, 15 (25). 50 Schäfer (o. Fn. 43), S. 15. 51 Deutsche Bundesbank, Neuere Entwicklungen am Markt für Unternehmensanleihen, in: Monatsbericht April 2004, 15 (22); Nelles/Menz, FB 2007, 513 (514); Schäfer (o. Fn. 43), S. 15 – zur geplanten Regulierung von Rating-Agenturen in Europa und den USA siehe BaFin Journal 01/09, S. 6.
44 45 46 47 48 49
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versteht man die prognostische Einschätzung der Fähigkeiten eines Schuldners, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen52; Finanztitel und die dahinter stehenden Emittenten werden nach qualitativen und quantitativen Maßstäben bewertet53. Zu differenzieren ist dabei zwischen dem Emittenten-Rating einerseits und dem Emissions-Rating andererseits54. Emittenten-Ratings geben Auskunft über die generelle Fähigkeit eines bestimmten Emittenten, die Zins- und Tilgungszahlungen während der Laufzeit des Schuldtitels vollständig und termingerecht zu leisten, bewerten also dessen Bonität55. Bei Emissions-Ratings erfolgt, ausgehend vom Unternehmens-Rating, die Bonitätsbeurteilung einer konkreten vom Emittenten ausgegebenen Emission (z. B. einer Anleihe); dabei können auch verschiedene Emissionen desselben Emittenten unterschiedliche Ratings erhalten56. Ein Rating erfolgt auf der Grundlage betriebswirtschaftlicher Kennzahlen und zukunftsgerichteter Informationen. Bei der Bonitätsanalyse finden zahlreiche Prinzipien der Unternehmensbewertung Eingang, da es auch bei ihr entscheidend auf die Ertragskraft eines Unternehmens ankommt, um dessen Ausfallwahrscheinlichkeit in seiner Eigenschaft als Forderungsschuldner zu beurteilen57. Dabei wird das Risiko in Rating-Stufen gemessen. Dazu analysieren Rating-Agenturen wie Moody‘s und Standard and Poor’s Unternehmen und Anleihebedingungen und ordnen anschließend Anleihen gleichen Risikos einheitlichen Rating-Stufen zu58. Die Beurteilung durch die Rating-Agenturen spiegelt sich in der Höhe des auf den Referenzzinssatz aufzuschlagenden Risikozinses wider, denn der
52 KG, WM 2006, 1432 – vgl. auch Art. 3 Abs. 1 lit. a) des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen (KOM[2008] 704 endgültig): „’Rating’ ist ein Bonitätsurteil in Bezug auf ein Unternehmen, eine Kreditzusage, einen Schuldtitel oder ein schuldtitelähnliches Instrument oder den Emittenten derartiger Verpfl ichtungen, das anhand eines etablierten, genau festgelegten Einstufungsverfahrens für Ratingkategorien abgegeben wird.“ 53 Steiner, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfi nanzierung, 1998, Rz. 15.70. 54 Göres, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 25 Rz. 4; Jäger (o. Fn. 48), § 15 Rz. 50; Steiner (o. Fn. 53) Rz. 15.71. 55 Göres (o. Fn. 54), § 25 Rz. 4; Steiner (o. Fn. 53), Rz. 15.71. 56 Göres (o. Fn. 54), § 25 Rz. 4. 57 Jäger (o. Fn. 48), § 15 Rz. 50. 58 Zum Rating-Verfahren anschaulich Jäger (o. Fn. 48), § 15 Rz. 53 sowie Steiner (o. Fn. 53), Rz. 15.85 ff.
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Zinsaufschlag kompensiert die Investoren für das höhere Ausfallrisiko eines Unternehmens mit schlechterer Kreditwürdigkeitseinschätzung59. Dabei ist Rating keine einmalige Angelegenheit. Vielmehr werden RatingUrteile laufend aktualisiert. Eine Veränderung des Rating hat verteuerte (bei einer Herabstufung) oder günstigere (bei einer Höherstufung) Finanzierungskonditionen zur Folge60. cc) Rating und Anlageentscheidung
Aus der Sicht des Anlegers führt eine Änderung des Rating einer Emission über ihren Einfluss auf die Bonitätsprämie dazu, dass die Anleihe „teuer“ oder aber „günstig“ ist. Dies bedeutet, dass die Anleihen zweier Emittenten auch bei im Übrigen gleicher Ausstattung nicht denselben Marktpreis haben können, wenn das Ausfallrisiko des einen Emittenten größer ist als das des anderen. Ein Beispiel: Werden einem potenziellen Erwerber zwei Anleihen über jeweils 100 Euro angeboten, die beide eine identische Laufzeit von fünf Jahren und einen Kupon von 5 Prozent haben, wobei die eine Anleihe ein AA-Rating hat, d. h. eine Emission der Güteklasse61, und die andere Emission ein BBB-Rating, also eine Emission mittlerer Qualität ist, wird der Anleger stets die sicherere Anleihe wählen. Verschlechtert sich die Bonität eines Anleiheemittenten, ist die ursprünglich einmal festgelegte Verzinsung der Anleihe aus der Sicht zukünftiger Erwerber der Anleihe zu niedrig, mag sie seinerzeit auch angemessen gewesen sein62 . Sie können für denselben Preis ja eine sicherere Anleihe erwerben. Der Börsenpreis der BBB-Anleihe kann also nicht höher sein als der anderer vergleichbarer BBB-Anleihen. Des Weiteren kann eine Herabstufung eines Emittenten in den non-investment-grade-Bereich (Fallen Angels) auf Grund der internen Anlageleit-
59 Deutsche Bundesbank, Neuere Entwicklungen am Markt für Unternehmensanleihen, in: Monatsbericht April 2004, 15 (23). 60 Die Herabstufung der ThyssenKrupp AG um zwei Stufen auf einen non investment grade durch S&P’s, die vor allem auf einer veränderten Bewertung der Pensionsverpfl ichtungen basierte, soll zusätzliche Zinskosten in Höhe von 20 bis 30 Mio. Euro pro Jahr nach sich gezogen haben; dazu Göres (o. Fn. 54), § 25 Rz. 10. 61 So die „Übersetzung“ von AA. 62 Dieser Effekt kann durch eine Step-up-Klausel abgefangen werden, nach der sich der Kupon nach oben verändert, sobald vorab defi nierte Ereignisse wie z. B. Rating-Veränderungen eintreten.
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linien den zwangsläufigen Ausstieg institutioneller Investoren zur Folge haben63. c) Ratingänderungen haben Kursbeeinflussungspotenzial
Neben den externen Faktoren bestimmt insbesondere das Rating einer Emission sowie des dahinterstehenden Emittenten die Rendite einer Anleihe. Dies hat dann auch unmittelbar Einfluss auf deren Börsenkurs. Daher sind nicht nur Umstände, die die Erfüllung der mit dem Finanzinstrument verbundenen Verpflichtungen des Emittenten auf Zinszahlung und Rückzahlung beeinträchtigen, ad hoc bekannt zu machen, sondern auch Umstände, die ratingrelevant sind, die also bei einer Aktualisierung zu einer Änderung des Rating einer Emission führen werden. Dabei sind bereits die ratingrelevanten Umstände ad hoc zu publizieren und nicht erst die Änderung des Rating selbst. Umgekehrt werden Umstände, die nicht zu einer Änderung des Rating führen, von einem verständigen Anleger als nicht kurserheblich angesehen.
63 Göres (o. Fn. 54), § 25 Rz. 10.
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Bericht über die Diskussion des Referats Leuering Dr. Daniel Rubner Rechtsanwalt, Bonn
I. Die von Priester und Krieger geleitete Diskussion konzentrierte sich entsprechend der Schwerpunktsetzung des Referats auf zwei Themenbereiche: Im Zusammenhang mit der Qualifikation künftiger Umstände als Insiderinformationen wurde der Begriff der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG erörtert (II.). Hinsichtlich der reinen Anleihe-Emittenten wurde die Frage diskutiert, inwieweit die (mögliche) Änderung des Ratings einen tauglichen Anknüpfungspunkt für die Ad-hoc-Pflichtigkeit bestimmter Umstände darstellt (III.).
II. Maier-Reimer äußerte, dass es sich auch bei den sogenannten künftigen Umständen im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG letztlich um Tatsachen handele, die schon heute vorlägen. Denn die Möglichkeit eines künftigen Eintritts des jeweiligen Umstandes beruhe auf heute gegebenen Tatsachen, die diese Möglichkeit begründen. Der Probability-Magnitude-Ansatz bringe daher zum Ausdruck, dass die (gegenwärtige) Tatsache des (in Zukunft) mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintretenden Umstands nur unter bestimmten Voraussetzungen kursrelevant sei. Insoweit stelle sich die Frage, ob Satz 3 lediglich eine Klarstellung gegenüber § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG oder vielmehr mit dem Erfordernis hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Einschränkung des Begriffs für gegenwärtige Tatsachen bedeute, deren potenzielle Kursrelevanz nur auf der durch sie begründeten Möglichkeit künftiger Umstände beruhe. Leuering antwortete dahingehend, dass § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG im Hinblick auf künftige Umstände in der Tat eine Sperrwirkung zukomme. Nach Einführung dieser Vorschrift sei hinsichtlich der Beurteilung der Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei gestreckten Sachverhalten nicht mehr auf einzelne Zwischenschritte abzustellen. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung des zukunftsbezogenen Sachverhalts vorzunehmen. § 13 Abs. 1
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Satz 3 WpHG habe daher nicht eine lediglich klarstellende Funktion, sondern eigenständigen materiellen Gehalt. Doralt wies darauf hin, dass die in der Methodenlehre getroffene Unterscheidung zwischen Auslegung einerseits und Rechtsfortbildung andererseits auch in Österreich ernst genommen werde. Gleichwohl sei man sich der Tatsache bewusst, dass es zwischen diesen beiden Mitteln der Rechtsfindung keine Gräben gebe, sondern einen fließenden Übergang. Dies treffe auch auf die vom Referenten aufgeworfene Frage zu, ob es sich um eine (verbotene) Rechtsfortbildung handele, wenn man im Rahmen des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG das Merkmal der Eintrittswahrscheinlichkeit zugunsten des Merkmals des Kursbeeinflussungspotenzials zurückdränge. Er, Doralt, teile durchaus den patriotischen Appell des Referenten, nicht alle aus den USA bekannten rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Modelle unkritisch zu übernehmen. Allerdings könnten entsprechende Erkenntnisse auch nicht beiseite geschoben werden. Erweise sich eine vom Gesetzgeber zugrunde gelegte wirtschaftswissenschaftliche Prämisse im Nachhinein als falsch, so sei es Aufgabe der Rechtswissenschaften, entsprechend korrigierend einzugreifen. Dies gelte gegebenenfalls eben auch für den Probability-Magnitude-Ansatz und die dort problematisierte Frage, ob dem Element der Eintrittswahrscheinlichkeit das selbe Gewicht zukomme wie dem des Kursbeeinflussungspotenzials. Diesen methodologischen Erwägungen schloss sich Leuering dahingehend an, dass der Übergang zwischen Auslegung einerseits und Rechtsfortbildung andererseits tatsächlich fließend sei. Allerdings hätten die Befürworter der These, wonach auf das Merkmal der Eintrittswahrscheinlichkeit verzichtet werden könne, wenn nur das Kursbeeinflussungspotenzial eines künftigen Umstands groß genug sei, bisher keinen Versuch einer methodisch stichhaltigen Begründung unternommen. Er, Leuering, betrachte es nicht als seine Aufgabe, den Befürwortern des Probability-Magnitude-Ansatzes „die Klage schlüssig“ zu machen. Der klare Gesetzeswortlaut spreche gegen die Vernachlässigung des Merkmals der Eintrittswahrscheinlichkeit. Dem könne auch nicht entgegnet werden, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG von wirtschaftswissenschaftlichen Annahmen ausgegangen sei, die sich nunmehr als unrichtig erwiesen hätten. Zwar sei es grundsätzlich denkbar, dass bestimmte Annahmen, von denen der Gesetzgeber ursprünglich ausgegangen sei, im Laufe der Zeit – gegebenenfalls rechtsfortbildend – korrigiert werden müssten. Im hier vorliegenden Fall eines nur drei Jahre alten Gesetzes bestehe dazu jedoch kein Anlass. Dem § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG könne
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nicht einfach ein neuer Telos untergeschoben werden, zumal sich die wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse seit dem Inkrafttreten des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG insoweit nicht verändert hätten. Niemeier stellte unter Hinweis auf die im Kartellrecht vertretene Immanenzlehre die Frage, welchen Grenzen die Ad-hoc-Pflicht unter Vertraulichkeitsgesichtspunkten unterliege. Dies könne insbesondere dann von Bedeutung sein, wenn versucht werde, mit einer frühzeitigen Veröffentlichung geplanter Maßnahmen die Entscheidungsfreiheit anderer Beteiligter einzuschränken. Niemeier nannte den Fall einer (geplanten) Geschäftsführungsmaßnahme, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. In einem solchen Fall bestehe die Gefahr, dass der Vorstand, der die Maßnahme wünsche, mit einer vorzeitigen Ad-hoc-Mitteilung „Politik machen“ könnte. Leuering antwortete mit einem Hinweis auf § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG, der den Emittenten solange von der Veröffentlichungspflicht befreit, wie es der Schutz seiner berechtigten Interessen erfordert, keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann. Als berechtigte Interessen i. S. d. § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG erwähnt § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV ausdrücklich den Fall, dass Entscheidungen der Geschäftsführung noch der Zustimmung durch ein anderes Organ des Emittenten, also etwa des Aufsichtsrats, bedürfen. Enderle verwies auf die „dunkle Seite des Kapitalmarktrechts“: Die Strafbewehrung des Insiderhandels mache es erforderlich, über ein Analogieverbot auch im Zusammenhang mit der Definition des Begriffs der Insiderinformation nachzudenken. Leuering entgegnete, dass sich laut Bundesverfassungsgericht aus einer Strafbewehrung noch kein Analogieverbot für die der Strafbarkeit vorgelagerten Bereiche, hier für § 13 WpHG, ergebe. Von Hase betonte, dass der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit in § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt werden könne. Der Gesetzeswortlaut „hinreichend“ sei vielmehr offen und könne auch einschlägig sein, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit nur 50 Prozent oder weniger betrage. Leuering gab von Hase insoweit Recht, als der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG nicht zu einer Auslegung dahingehend zwinge, dass eine über 50prozentige Eintrittswahrscheinlichkeit vorliegen müsse, um einen künftigen Umstand als Insiderinformation zu qualifi zieren. Es sei daher
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durchaus vertretbar, die Ad-hoc-Pflichtigkeit eines künftigen Umstands auch schon bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 30 Prozent oder aber auch erst bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 70 Prozent zu bejahen. Der vom BGH gewählte Ansatz, grundsätzlich eine mindestens hälftige Eintrittswahrscheinlichkeit zu verlangen, sei jedoch praktikabel. In der Praxis sei es ohnehin schwierig, eine Prozentzahl für die Eintrittswahrscheinlichkeit anzugeben. Es stelle sich regelmäßig die Frage: „Wie viele Steine sind ein Haufen?“. Aus methodischer Sicht sei entscheidend, dass auf das Merkmal der Eintrittswahrscheinlichkeit nicht völlig verzichtet werde. Ansonsten bewege man sich nicht mehr im Bereich der Auslegung des Gesetzes, sondern im Bereich der unerlaubten Rechtsfortbildung. Den Ausführungen von Hases schloss sich Hollweg an. Eine Eintrittswahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent könne nicht generell verlangt werden, um einen künftigen Umstand als Insiderinformation zu qualifizieren. Der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sei im Kapitalmarktrecht fließender auszulegen als beispielweise im Strafprozessrecht der Begriff des hinreichenden Tatverdachts. Dagegen weise der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nach § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG durchaus Parallelen zu der entsprechenden Terminologie im Gefahrenabwehrrecht auf. Hollweg nannte hier das Beispiel eines Atomkraftwerks, von dem eine polizeirechtlich relevante Gefahr unter Umständen schon bei niedriger – weit unter 50 Prozent liegender – Eintrittswahrscheinlichkeit ausgehen könne, sofern das drohende Szenario in einem GAU bestehe. Hollweg hielt außerdem eine europarechtskonforme Auslegung kapitalmarktrechtlicher Begriffe für geboten. Nur so werde eine einheitliche Handhabung der Ad-hoc-Pflicht gewährleistet. Dies sei insbesondere bei Emittenten von Bedeutung, deren Wertpapiere an Börsenplätzen in verschiedenen Ländern notiert seien. Hier gelte es zu vermeiden, dass ein und dieselbe Tatsache an einem Börsenplatz als Insiderinformation, an einem anderen aber als nicht ad-hoc-pflichtig behandelt werde. Das von Hollweg genannte Beispiel aus dem Gefahrenabwehrrecht beschreibe, so Leuering, zutreffend den Probability-Magnitude-Ansatz, wonach eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit durch eine gravierende (potenzielle) Folge gleichsam ausgeglichen werden könne – und umgekehrt. Ein ähnlicher Mechanismus bestehe auch beim Roulettespiel: Die höhere Gewinnchance einer Wettart (z. B. Rouge, Noir) korrespondiere mit einem geringeren Gewinn (Auszahlungsquote 1:1), während eine niedrigere Eintrittswahrscheinlichkeit (z. B. bei einer Wette auf Plein) mit einer höheren Auszahlungsquote (35:1) einhergehe. Dies ändere jedoch nichts
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daran, dass mit Hilfe des Probability-Magnitude-Ansatzes im Rahmen der Ad-hoc-Pflichtigkeit künftiger Umstände nur deren Kursbeeinflussungspotenzial ermittelt werden könne. Daneben stehe als eigenständiges Tatbestandsmerkmal der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit; das Vorliegen dieser Voraussetzung müsse daher auch stets in einem gesonderten Schritt geprüft werden. E. Vetter warnte davor, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG auch schon bei geringer Eintrittswahrscheinlichkeit zu bejahen. Dies zeige sich exemplarisch am Fall einer von Aktionären eingereichten Nichtigkeitsklage. Die bloße Tatsache der Klageerhebung führe regelmäßig nicht zu einer Ad-hoc-Mitteilungspflicht, weil und sofern ihre Erfolgswahrscheinlichkeit weit unter 50 Prozent liege. Dies obwohl im Falle eines stattgebenden Urteils das Kursbeeinflussungspotenzial durchaus erheblich sein könne. An das Beispiel Hollwegs anknüpfend nannte E. Vetter den denkbaren Erfolg einer Nichtigkeitsklage bei bestimmten Hauptversammlungsbeschlüssen einen GAU. Gleichwohl sei der Umstand der Klageerhebung nicht per se ad-hoc-pflichtig, solange eine allenfalls geringe Erfolgsaussicht bestehe. Im „Leica“-Fall habe auch kaum jemand mit einem Erfolg der Klage gerechnet. Dass Landgericht und Oberlandesgericht die Klage gleichwohl für begründet halten würden (vgl. OLG Frankfurt am Main, ZIP 2008, 1722), sei für den Vorstand der beklagten Gesellschaft bei Klageerhebung nicht vorauszusehen gewesen und habe deswegen auch zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer Mitteilungspflicht nach § 15 Abs. 1 WpHG geführt. Die Ausführungen E. Vetters unterstützte Leuering mit der Bemerkung, der Markt dürfe durch Ad-hoc-Mitteilungen künftiger Umstände, mit deren Eintritt nicht ernsthaft zu rechnen sei, nicht verunsichert werden.
III. In der Diskussion über die Ad-hoc-Pflicht reiner Anleihe-Emittenten stellte Heise die Frage, ob es eines „Umwegs über das Rating“ überhaupt bedürfe. Das Rating als solches sei ohnehin bekannt. Mitteilungspflichtig seien die Umstände, die sich auf das Rating auswirkten. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob auch solche Umstände ad-hoc-pflichtig seien, die zwar nicht zu einer Änderung der Rating-Klassen führten, wohl aber zu einer veränderten Bewertung im Rahmen des von den Agenturen formulierten Ausblicks.
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Enderle wies auf den empirischen Befund hin, wonach ein Anstieg oder ein Absinken der Anleihekurse meist schon vor einer Änderung des Ratings zu beobachten sei. Der Kapitalmarkt sei regelmäßig besser informiert als die Ratingagenturen. Hollweg schloss sich dieser Aussage an. Es sei daher eine eigenständige Würdigung der Umstände, die gegebenenfalls zu einer Ratingänderung führen könnten, erforderlich. Die tatsächliche Änderung eines Ratings erfolge oftmals viel zu spät. Leuering gab den Diskussionsteilnehmern darin Recht, dass es für die Adhoc-Pflicht eines Umstands nicht darauf ankommen könne, ob später tatsächlich eine Ratingänderung stattfinde. Mitteilungspflichtig seien vielmehr bereits solche Umstände, von denen anzunehmen sei, dass sie das Rating beeinflussen müssten. Insoweit sei das Rating aber in der Tat ein geeigneter Anknüpfungspunkt, weil es für die Marktrisikoprämie am Anleihemarkt die entscheidende Rolle spiele.
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Stichwortverzeichnis Abfindung – Anspruch 13 f., 21 ff. – Zinsen 13 f. Ad-hoc-Mitteilung 171 ff., 189 ff. – Anlegerschutzverbesserungsgesetz 173 – Emittentenleitfaden 172, 183 – gestreckter Sachverhalt 173 f., 175, 180 – hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit 174 ff. – Kursrelevanz 178, 183 ff., 187, 189 f., 193 – Probability-Magnitude-Ansatz 177, 179, 189 f., 192 f. – Realisierungswahrscheinlichkeit 174 – verständiger Anleger 179 f. – Wahrscheinlichkeits-Erheblichkeits-Formel 176 ff. – zukünftiger Umstand 172 ff., 189, 191 ff. Agio 6 f., 31 f. Aktionärsrechterichtlinie 126 Anfechtungsklage – Nebenintervention 30 Anlageberatung 5 f. Anlagegesellschaft 145 ff., 169 – Stille Gesellschaft 160 ff. Anlegerschutzverbesserungsgesetz 173 Anleihe-Emittenten 181 ff. – Anleihekurse 194 – Bonitätsprämie 183, 186 – Bundesanleihen 184 – Inhaberschuldverschreibungen 182
– Marktzins 183 – Rating-Agenturen 184 – Referenzzinssatz 184 – Risikozins 184 – Risikozuschlag 184 Anrechnung 107 ff., 123 f., 129, 132, 139 f. ARUG 126 Aufrechnung 106, 111, 128 ff., 132 Aufsichtsrat – Entlastung 25 ff. – Herausgabepflicht 24 f. – Kompetenzzuordnung 39, 53 f. Bankbestätigung 18 Bereicherungsrecht – Entreicherung 113, 119 f., 140 – Hin- und Herzahlen 119, 140 f. – Saldierung 105, 120, 127 ff., 139, 143 – Zweckverfehlungskondiktion 110 ff., 119 f., 123, 130, 140, 143 BGB-Gesellschaft – Ausscheiden 11 f. – Fortsetzungsklausel 11 Briefkastengesellschaft 63 ff. Business judgment rule 40 f. Culpa in contrahendo 5 f. Delisting 28 f. Deutscher Corporate Governance Kodex 54
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Stichwortverzeichnis
Differenzhaftung 134 ff., 140
115, 120 f.,
Eigenkapitalersatz 20 f. Einlagen – Einlagefähigkeit 117, 123, 136, 140 Einpersonen-GmbH 107 Emittent – Anleihe-Emittent 181 ff. – Inlandsemittent 181 Emittentenleitfaden 172, 183 Entscheidungen des BGH – ComRoad 46 – EKU 21 ff. – GAMMA 34 ff. – Kirch ./. Deutsche Bank 25 ff. – KOLPINGWERK 46 f. – RHEINMÖVE 17 f. – TRABRENNBAHN 50 f. Europarecht – Grundsatz der Subsidiarität 66 – Verbraucherrecht 151 ff. Europäische Privatgesellschaft 55 ff., 77 ff., 133 ff. – Ausschüttungen 71 f. – Gesellschafter 74 – Briefkastengesellschaft 63 ff. – Differenzhaftung 134 ff. – Gestaltungsfreiheit 82, 87 – grenzüberschreitende Tätigkeit 62, 65 ff. – Gründung 79, 81, 83 ff. – Informationsrecht 74 – Insolvenz 72 f. – Kapital 70 f., 73, 89, 133 – Leitungsstruktur 86 f. – Mitbestimmung 75 – Mustersatzung 69 f., 87 – Niederlassungsfreiheit 58 ff.
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– – – –
Regelungsaufträge 67 ff. Registersitzverlegung 85 Sonderprüfung 74 Tochtergesellschaften 56, 79 f., 84 ff. – Unterpari-Emission 134 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 136 – verdeckte Sacheinlage 133 ff. – Zweigniederlassung 63 ff. Existenzvernichtungshaftung 32 ff., 34 ff. Fehlerhafte Gesellschaft 8 ff., 145 ff., 169 – Anlagegesellschaft 145 ff., 169 – Anwendbarkeit 149 ff. – Stille Gesellschaft 160 ff. – Verbraucherrecht 151 ff. Genossenschaft 48 Gesellschafter 74 Gesellschaftsrecht – Personengesellschaftsrecht 145 ff. – Wettbewerb der Gesetzgeber 60 ff. Gesellschaftsvertrag 67 – Gestaltungsfreiheit 82 – Mustersatzung 69 f. – Regelungsaufträge 67 ff. GmbH-Geschäftsführer – Kompetenzzuordnung 39, 53 – Massesicherungspflicht 38 f. GmbH-Reform s. MoMiG GmbH & Co. KG 36 f. Gläubigerschutz 70 ff. – Ausschüttungen 71 f. – Kapitalaufbringung 36 f., 73
Stichwortverzeichnis
– Kapitalerhaltung 39 f., 89 – Mindestkapital 70 f.
– Gründungstheorie – Sitztheorie 51
Hauptversammlung 25 ff., 54 Haustürgeschäft 8 ff., 147, 151 ff., 157, 159
OHG – Nachhaftungsfrist 3 f.
Informationsdeliktshaftung 46 Insiderinformation 189, 191 f. Insolvenz 72, 105 f., 108, 111 f., 119, 128, 130, 140 Kapital – Kapitalaufbringung 36 f., 73 – Kapitalerhöhung 37, 102 – Kapitalerhaltung 39 f., 89 Kapitalrichtlinie 126 KapMuG 51 f. – Zehnerregel 51 f. Kommanditist – Haftung 6 f., 7 f. Lagebericht 14 f. Landesbanken 182 Liquidator – Vertretungsmacht
41
Mantelgesellschaft – Verjährungsfrist 44 f. Mitbestimmung 75 Mittelstand 62 MoMiG 34, 59, 106 ff., 122, 124, 126 f., 129, 139 Musterprotokoll 123 f., 139 Musterverfahren s. KapMuG Nachhaftungsfrist 3 f. Niederlassungsfreiheit 58 ff. – Beschränkungsverbot 59 – Cartesio-Entscheidung 59
50, 59
Private limited company 59 Publizitätsrichtlinie 154, 169 Rating 184 ff., 189, 193 f. – Bonitätsprämie 186 – Emissions-Rating 185 – Emittenten-Rating 185 – Kursrelevanz 187 – Rating-Agenturen 184 f. – Rating-Stufen 185 Rechtsmissbrauch 7 f. Scheingeschäft 109, 123 Schrottimmobilien 8 ff., 147, 163 Schwestergesellschaft 107 Societas Privata Europaea s. Europäische Privatgesellschaft Sparkassen 182 SPE s. Europäische Privatgesellschaft Spruchverfahren 21 ff., 28 f. Stille Gesellschaft 160 ff. Tochtergesellschaft 56, 79 f., 84 ff. UG (haftungsbeschränkt) 122 ff., 141 UMTS-Lizenzen 16 f. Verbraucherrecht 151 ff. Verbundenes Unternehmen 20 f. Verdeckte Gewinnausschüttung 111 f., 136
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Stichwortverzeichnis
Verdeckte Sacheinlage 101 ff., 139 ff. – Anrechnung 107 ff., 123 f., 129, 132, 139 f. – Aufrechnung 106, 111, 128 ff., 132 – Beweislast 121 – Differenzhaftung 115, 120 f., 134 ff., 140 – Einpersonen-GmbH 38, 107 – Entreicherung 113, 119 f., 140 – Erfüllungslösung 109, 124 – Europäische Privatgesellschaft 133 ff. – Heilung 121, 123, 139 – Hin- und Herzahlen 119, 140 f. – Insolvenz 105 f. – Kapitalerhöhung 102 – Musterprotokoll 123 f., 139 – Sacheinlagefähigkeit 123, 136, 140 – Saldierung 105, 120, 127 ff., 139, 143 – Sanktionen 124, 139, 142 – Scheingeschäft 109, 123 – UG (haftungsbeschränkt) 122 ff., 139, 141
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– Umgehung 103, 122 f., 141 – verdeckte gemischte Sacheinlage 17 f., 114, 125 – Verjährung 38 – Verkehrsgeschäft 109, 119, 125, 127, 130 ff., 139 ff., 143 – Vermögensgegenstand 111, 114 f., 121, 123, 139 – Zweckverfehlungskondiktion 110 ff., 119 f., 123, 130, 140, 143 Verein 46 f., 49 f. – Darlehensgewährung 49 f. Vermögensgegenstand – Begriff 117 f., 123 – Wert 111, 114 f., 121, 139 Verwaltungssitz 43, 50 f. – Löschungsverfahren 43 Volkswagen AG 176 Vorgesellschaft – Prozessfähigkeit 41 f. Vorstand – Entlastung 25 ff. – Haftung 5 f. – Kompetenzzuordnung 39, 53 f. Zweigniederlassung
63 ff.