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German Pages 313 [324] Year 1937
GRUNDRISS DER
ROMANISCHEN PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON
GUSTAV GROBER NEUE FOLGE
GESCHICHTE DER FRANZÖSISCHEN LITERATUR 4 GUSTAV GRÖBER GESCHICHTE DER MITTELFRANZÖSISCHEN LITERATUR II BEARBEITET VON STEFAN HOFER
B E R L I N U N D L E I P Z I G 1937
W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TRÜBNER — VEIT & COMP.
GUSTAV GRÖBER GESCHICHTE DER MITTELFRANZÖSISCHEN LITERATUR i i .
VERS- UND
PROSADICHTUNG
DES 15. J A H R H U N D E R T S
ZWEITE AUFLAGE BEARBEITET VON
STEFAN HOFER
BERLIN UND LEIPZIG 1937
WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSPUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — K A R L J. TÜBNER — VEIT & COMP.
Archiv-Nr. 470637 Druck von Walter de üruyter 4 Co., Botin W 35 Printed in Oerminy
VORWORT Die Darstellung der französischen Literatur des 15. Jahrhunderts folgt dem im ersten Bande vorgezeichneten Plan, zusammenhängende Gebiete in einem Zuge zu behandeln, wobei sich bei der Durchführung ungleich eindringlicher als dort die Frage erhob, ob es angängig sei, das Lebenswerk von Dichtern zu zerreißen, um sie in verschiedenen Kapiteln führen zu sollen. Es schien dem Unterzeichneten ein kleinerer Fehler, in diesem Falle den Rahmen zu erweitern und ein abgeschlossenes Bild dichterischen Schaffens zu geben, als dasselbe in getrennten Darstellungen mosaikartig, in diesem Falle vom Leser selbst, zusammenstellen zu lassen. Übrigens ist durch eine entsprechende Anordnung solcher verschiedenen Zweigen einzuordnender Werke die Scheidung deutlich gemacht. Das Bücherverzeichnis enthält, außer einem Nachtrag zum ersten Band, die bis Juni 1936 erfaßbaren Werke. Als Abschluß langjähriger Arbeit an der Geschichte der mittelfranzösischen Literatur stehe des Herausgebers Dank an den Verlag, dessen Förderung nicht zuletzt die Vollendung des Werkes ermöglichte. Wien, im Juli 1936
Dr. S t e f a n Hofer.
INHALTSVERZEICHNIS Einleitung L y r i k e r und ihr Anteil an der Dichtung der Zeit Christine de Pisan Alain Chartier Die Nachahmungen der Belle Dame sans Merci Jean de Werchin und Jehan Panier Charles d'Orléans und sein Hof Andere lyrische Dichter: Jacques Milet, Le Prieur, Loys de Beauveau, Octovien de Saint-Gelais
Seit«
i 14 14 40 53 56 56 71
Satiriker 1. François Villon 2. Henri Baude 3. Guillaume Coquillart Puis Das Lied Didaktik und Moral in Versen Anonyme Literatur: Religion, Didaktik, Lyrik Geschichte (Verse) Epik in Versen Prosadichtung Didaktik Übersetzungen Geschichte
74 74 81 83 86 89 101 112 123 126 127 127 132 137
Der Prosaroman
152
Die Novelle
174
Burgund 1. Geschichtliche Dichtung in Versen 2. Lyrik, Didaktik, Moral in Versen 3. Die großen Rhetoriker: George Chastellain, Olivier de la Marche, Jean Molinet 4. Kompilatoren und Kopisten 5. Gelehrte Werke (Geschichte und Übersetzungen) . . .
180 182 183 193 214 220
Der Humanismus in Frankreich
228
Bücherverzeichnis
241
Namensverzeichnis
292
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EINLEITUNG.
EINLEITUNG I. GESCHICHTE FRANKREICHS
Die politische Geschichte Frankreichs ist im 15. Jahrhundert durch zwei Abschnitte gekennzeichnet, die sich in ihren Auswirkungen auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und literarischen Lebens scharf von einander abheben. Der erste sieht den Tiefstand der königlichen Macht, indem der englische Herrscher als der eigentliche Gebieter Frankreichs erscheint, dessen alte Dynastie unter dem 'roi de Bourges' nur mehr auf wenige Getreue zählen kann. Paris ist in den Händen der Engländer, die bereits an der Loire stehen, im Norden war der Herzog von Burgund, der mächtigste Vasall der Krone, seit der Ermordung Johanns ohne Furcht (1419) der erbittertste Feind des französischen Königs. Das Auftreten und die Erfolge der Jeanne d'Arc ergeben die Wende, 'L'an mil quatre cens vingt neuf Reprint ä luire le soleil' wie Christine de Pisan sagt, die Königsmacht gewinnt wieder Ansehen und innere Kraft, die mit Erfolg an die Eroberung des Landes geht. Mit dem Frieden von Arras 1435 schied Burgund aus der Reihe der Gegner Karls VII., der 1436 in Paris einzieht, bei Formigny am 15. April 1450 die Engländer schlägt und 1453 mit Bordeaux auch den Süden erobert. Dem Aufstieg Frankreichs unter der Regierung seiner Herrscher stand nun, nachdem auch der unbotmäßige Adel nach der Verschwörung der Praguerie 1440 durch den Beistand der Städte gebeugt war, nichts mehr im Wege. Karl VII. und Ludwig XI. waren imstande, die Nachwirkungen des Krieges durch entsprechende Maßnahmen auf dem Gebiete der Verwaltung, der Finanz und Rechtsprechung zu heilen, die Macht des Königs überall zum Durchbruch zu bringen und so den Übergang vom feudalen Königtum zum absolutistischen vorzubereiten. Durch den Krieg Karls VIII. in Italien eröffnet sich ein neuer Horizont, Frankreich kommt in engere Berührung mit der italienischen Renaissance, der französische Humanismus zerstört das Lehrgebäude der Scholastik und führt mit dem Studium, bzw. mit der vertieften Kenntnis der antiken Sprachen und Kulturen zu neuen Bildungsidealen. Giöber»Hofer, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II.
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EINLEITUNG.
II. DAS GEISTIGE LEBEN FRANKREICHS IM 15. JAHRHUNDERT
Innerhalb dieser beiden Perioden der französischen Geschichte hatte sich aber ein bemerkenswerter Umschwung in der ständischen Struktur des Landes vollzogen. Die Ritterschaft, die bei Azincourt und in den inneren Wirren des Krieges aufgerieben, bzw. verarmt war, wird in ihrem feudalen Leben nur mehr durch einige wenige Geschlechter, die meist mit dem königlichen Hause verwandt waren, vertreten, an ihren Höfen findet auch die Literatur eine Pflegestätte. Es sind dies außer dem königlichen Hof, an dem Karl VII. die Literatur fördert und Übersetzungen entgegennimmt, die Residenz des Herzogs Charles d'Orléans, der Hof des 'Bon roi' René d'Anjou und des Herzogs v. Bretagne, neben diesen wären noch die Herzöge von Alenpon und von Bourbon zu nennen. In Burgund, dessen Herzog Philipp als der reichste Fürst seiner Zeit alle Zweige der Kunst unterstützte, hatte sich infolge der Unabhängigkeit des Gebietes eine in ihren Aspirationen eigene Literatur, wenngleich in französischer Sprache, entwickeln können. An diesen Zentren haben neben Adeligen auch Beamte, Bürger und Kleriker die Literatur gepflegt und ihr dadurch manche Eigenart aufgeprägt. Der Bürgerstand, der in den festen Städten die Stürme der Kriegsjahre überstanden hatte, war in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein wichtiger Faktor des Aufbaues geworden und dem König als feste Stütze im Kampf gegen den Adel zur Seite gestanden. Er nimmt nicht nur an dem wirtschaftlichen Aufbau des Landes bestimmenden Anteil, er fördert durch seine Innungen auch die Literatur, indem er die lyrische Dichtimg in den Puis oder Chambres de Rhetorique pflegt und die Entwicklung der dramatischen Literatur in den Städten ermöglicht. Zahlreich sind außerdem die Vertreter des Bürgerstandes in der didaktisch-moralisierenden Dichtimg und in der Geschichtschreibung. Außerhalb dieser geschlossenen Gruppen kann im allgemeinen die Vorliebe für Witz und Satire, die stark moralisierende Tendenz in der Literatur, ein deutlicher Skeptizismus, der sich, wie z. B. bei Nesson, zur Weltverachtung steigert, endlich die Vorliebe für Realismus und derbe Wirkung als der Beitrag des Bürgertums an der Literatur des 15. Jahrhunderts bezeichnet werden. Das Ende des 15. Jahrhunderts sieht den Kampf der Humanisten gegen die Philosophie des Mittelalters, es ist daher notwendig, das intellektuelle Leben der Zeit in seinen Strömungen
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EINLEITUNG.
kurz zu betrachten. Hierüber wachten die Universitäten, die das Streben nach Erkenntnis der realen und ideellen Welt in den Bahnen überlieferter Systeme weiterführten. Der Lehrgang der Fakultät der Artes, welche die lateinkundigen Schüler mit 15 Jahre zuläßt, umfaßt auf der Grundlage der aristotelischen Schriften den Unterricht in Logik, Philosophie, Metaphysik, Rhetorik, Mathematik und Astronomie. Sie bilden die Vorstufen für die theologischen Studien, die sich über dreizehn Jahre erstreckten. Die Theologie beherrscht durch ihre philosophischen Systeme das Wissen der Zeit, sie hatte bereits im 14. Jahrhundert ihr Lehrgebäude, das profane, aus den Schriften des Aristoteles geschöpfte Gelehrsamkeit, entstellt allerdings durch die Zusätze der Glossatoren (Averrofcs), mit den Glaubenswahrheiten vereinigte, ausgebaut. Thomas v. Aquin hatte gelehrt, daß die Vernunft die Religion erklären und der Glaube durch Überlegung bewiesen werden könne. Er vertritt die Ansicht, daß man mit Hilfe der Dialektik eine verständliche Theorie über die Fragen nach Erkenntnis der Welt und Gottes geben könne, wobei die Kirche durch ihre Offenbarungen Ergänzungen biete. Die Vernunft kann zwar das Dogma nicht beweisen, jedoch dessen Wahrscheinlichkeit erklären. Diese Metaphysik und der Mystizismus seiner Theorie, die sich gleichwohl mit dem Intellekt verbinden, ermöglichen eine Philosophie, die sowohl den Forderungen des Verstandes als auch dem Bedürfnis mystischer Versunkenheit entgegenkam. In Gegensatz zu Thomas lehrt Duns Scotus (gest. 1308), daß die Vernunft die Fragen über Gott und das Weltall nicht erklären könne, daß nur der Glaube helfe und die Theologie die Kunst sei, das Heil vorzubereiten. Er bedeutet Thomas gegenüber schon eine Reaktion, indem er den Anteil des Intellekts ausschaltet, berührt sich aber mit ihm in der Möglichkeit mystischer Versenkung in den Glauben. Wilhelm v. Ockam dagegen negiert die Möglichkeit, übersinnliche Wahrheiten durch die Vernunft ergründen, das Wesen Gottes und der Welt logisch erklären zu können. Er zeigt, daß die Kenntnisse des Menschen sich darauf beschränken, was ihm die Erfahrung übermittelt. Die Welt der Ideen existiert nicht für ihn, die Eindrücke aus den Sinnen gewähren allein alle Vorstellungen. Demzufolge sind ihm Metaphysik und die rationale Theologie ein müßiges Beginnen, er leugnet die Möglichkeit, daß X«
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EINLEITUNG.
die Vernunft die geoffenbarten Dogmen beweisen könne oder imstande sei, spiritualistische Thesen nur wahrscheinlich zu machen. Ihm ist die Theologie keine Wissenschaft, da sie Glaubensartikel zum Inhalt hat, die man als enthüllt hinnehmen müsse, ohne sie verstandesmäßig erklären zu wollen. Schon Thomas und seine Anhänger hatten der Dialektik eine entscheidende Rolle für die Darlegung ihrer Thesen zugewiesen. Die Schüler Ockams, von denen Buridan als gründlicher Kenner und Kommentator des Aristoteles zu nennen ist, legen das Hauptgewicht auf die Diskussion, in der sie die Theorien Ockams entwickeln, die Eigenschaften der Dinge erörtern und logische Schlüsse ziehen. Sie sind die Vertreter jener Dialektik, welche für die Humanisten die Barbarei des gotischen Zeitalters bedeutet und die Rabelais im Kauderwelsch seines écolier limousin so gelungen parodiert. Der Streit, welcher zwischen den Anhängern dieser philosophischen Richtungen herrschte, erfüllte in zahlreichen Schriften und Disputationen die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, dessen wissenschaftliches Leben dadurch ganz versandete. Denn auch die in den Artes gelehrten wissenschaftlichen Zweige folgen dem Zug der Zeit, die Glossen und Diskussionen beherrschen den Unterricht, dessen Niedergang sich in dem schlechten Latein der Universität, dem Pariser Stil, zeigt. Innerhalb des Klerus fehlte jede intellektuelle Bewegung, Philologen, welche Kenntnisse und Unterricht wieder in die Höhe gebracht hätten, gab es nicht mehr, seitdem Nicolas von Clamanges (gest. 1437) eine Reform des Unterrichtes an der Universität versucht hatte. Außerhalb der Universitäten standen die Schulen der Brüder des gemeinsamen Lebens, die, von Gerard Groote (1340—1384) gegründet, eine wichtige Bildungsstätte für die großen Massen waren, da sie dem Getriebe der Scholastik eine innere, auf praktische Betätigung gerichtete Frömmigkeit entgegensetzten, lehrhafte Bücher in der Volkssprache verteilten, die religiöse Erziehimg überwachten und auch klassische Bildung vermittelten. Manche Humanisten der Niederlande und Deutschlands sind durch ihre Schulen gegangen. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts beginnt durch die Schriften der italienischen Humanisten ein Umschwung in Pariser Gelehrtenkreisen einzusetzen, der sich in Nachahmimg der durch die Italiener gelehrten Klassizität, im Studium von Autoren,
EINLEITUNG.
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besonders der Philosophen in ihren originalen, von Glossen gereinigten Texten äußert. Diese Bestrebungen führen zu einer Nachahmung des italienischen Humanismus, dessen Vertreter neben Griechen nun zahlreicher nach Paris kamen, hier die alten Sprachen lehrten, Autoren interpretierten, Stilistik und Rhetorik auf Grund ihrer Kenntnisse des klassischen Lateins lehrten und damit den Humanismus fest verankerten. Dieser fand im gedruckten Buch seinen wirksamsten Helfer, der die neuen Ideen und Werke weiten Kreisen zugänglich machte. Innerhalb der dreißig Jahre, welche seit der Eröffnung der ersten Druckerei in Paris (1470) bis zur Jahrhundertwende noch dem Mittelalter angehören, macht das geistige Leben Frankreichs jene durchgreifende Wandlung mit, welche den Bruch mit der Vergangenheit in allen Anschauungen bedingten. Die L i t e r a t u r nimmt auf den Voraussetzungen des 14. Jahrhunderts den Fortgang. Die V e r s d i c h t u n g pflegt nur mehr bestimmte Gruppen. Die epische Dichtung, Chansons de geste und Abenteuerroman, ist verschwunden, die l y r i s c h e Dichtung wiederholt in den beiden Gruppen der höfischen und weiteren Lyrik längst bekannte Themen. Die Liebesdichtung befaßt sich mit der spitzfindigen Erörterung von Fragen der Liebeskasuistik, die sich auf der Konzeption der abstrakten Liebe, dem selbstlosen Frauendienst, aufbaut, der als ritterlich-gesellschaftliches Ideal seinen allerdings mehr tändelnden Ausdruck in den Cours d'amour und den Ritterorden der Zeit fand. Diese 'stilisierte' Literatur hatte sich jeder persönlichen Note entäußert, auch in der Form, in Rhythmen oder Strophen war die Lyrik seit Machaut nicht mehr weiter gegangen. Die Unmöglichkeit, Inhalt und Ausführung der für die höfische Liebesdichtung in Betracht kommenden Voraussetzungen, die in Situationen und im Ausdruck festgelegt waren, noch zu variieren, erklärt die Monotonie der Liebeslyrik im 15. Jahrhundert, dessen Helden neben den Belies Dames sans merci die blassen, traurigen Amants sind, die nur mehr seufzen, klagen und weinen können und schließlich in Klöstern oder auf Friedhöfen ihre Ruhe finden. Die Tätigkeit, die sie selbst nicht mehr ausüben können, wird den Allegorien überlassen, mit denen die Lyrik epische Aktivität erstrebt. Tugenden, Laster und alle Vorstellungen des Menschen treten unter den seltsamsten Namen als Personen auf, die sich in einer symboT lisierten Welt herumtummeln, in denen ein Forest de Longue
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EINLEITUNG.
Attente, ein Val de Parfond Penser u. ä. den Hintergrund abgeben. Auch die lyrische Dichtung im weiteren Sinne, die ihre Anregung aus Zeit und Umgebung nahm, findet, wie Deschamps an der Schwelle des Jahrhunderts klagt, keinen Stoff, 'merrien', mehr, der Neuland bedeutete (Deschamps VI, S. 191, No. 1204). So ist das lyrische Gedicht inhaltsleer, ein Spiel über längst bekannte Voraussetzungen geworden, dem die innere, bewegende Kraft fehlt, wenn es den Gedanken an die Nichtigkeit oder Vergänglichkeit der irdischen Dinge (Schönheit, Reichtum, Macht, Gesundheit) variiert, religiösen Erwägungen Raum gibt, für oder gegen Frauen spricht oder die Freuden des Landlebens betont. Alle diese Themen sind seit dem Beginn des Jahrhunderts unverändert weiterbehandelt worden. Immerhin haben die hier in Betracht kommenden Dichter in dem starren Gefüge der Themen noch manche persönliche Note zur Entfaltung bringen können. Beide Gebiete, die Minnedichtung und persönliche Lyrik, pflegt Christine de P i s a n , wenn sie aufrichtig und rührend ihren Witwenschmerz, ihre Vereinsamung oder die Vergangenheit beklagt, während sie als Dichterin höfisch-galanter Themen Eleganz, Anmut und Leichtigkeit des Ausdruckes und der Form zu meistern versteht. Machauts Einfluß tritt in einer Anzahl von Dichtungen hervor, die dessen Jugements nachahmen, der D i t d e 1 a P a s t o u r e steht unter dem Einfluß des Voir Dit. Ihr Nachfolger in der lyrisch-höfischen Dichtimg ist A l a i n C h a r t i e r , der ebenfalls nach dem Vorbild Machauts bestimmte Themen der Minnedichtimg in Form von Débats behandelt, sie jedoch mit feiner Psychologie und tiefer, von Melancholie getragener Empfindung erfüllt, die im L i v r e des q u a t r e dames und in der das Jahrhundert beherrschenden B e l l e dame sans merci ihren Ausdruck finden. Alain Chartier versteht es, unter dem Einfluß der Zeit abgetönte Stimmungen und milde Resignation glaubhaft zur Darstellung zu bringen. Anders geartet ist die Lyrik des 'bon duc' Charles d'Orléans, der noch die verschiedenen Themen der höfischen Lyrik in der Weise Machauts behandelt, sich als dienenden, geduldigen Amant betrachtet und die konventionellen Liebesklagen, in die sich auch persönliches Leid und selbsterlittener Schmerz mischt, variiert. Doch hat Charles d'Orléans die Gabe, all diese schon bekannten Themen, Voraussetzungen und Situationen in leichter, ungezwungener Sprache, natürlichem Ausdruck, ohne Schwere,
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manchmal in etwas gezierter Weise als grand seigneur, der in diese Dichtung hineingewachsen ist, zu behandeln. In der gern verwendeten Allegorie folgt er dem Rosenroman, doch bewegen sich seine unwirklichen Gestalten leicht und ohne Pathos. In seinen persönlich gehaltenen Gedichten, die über seinen Freundeskreis, Freuden und Leiden des Alltages und der Jahreszeiten, Betrachtungen über seine eigene Person, Alterserscheinungen usw. sich äußern, tritt nicht selten ironische Beobachtung und ruhige Betrachtung des Unvermeidlichen (Nonchaloir) hervor. Charles d'Orléans ist der letzte, als Dichter anzusprechende Vertreter der höfischen Liebeslyrik, die so wie seine Gelegenheitsdichtung infolge ihrer graziösen Empfindsamkeit heute noch ihre Wirkung nicht verloren hat. Neben diesen Fürsten, der seiner Zeit noch einmal das Beispiel aristokratischen Mäzenatentums gab, tritt der Vagabund F r a n ç o i s Villon mit dem aus seinem Leben geschöpften Inhalt aller Gedichte. Er steht durch seine Individualität, Erlebtes poetisch in den literarischen Rahmen der Zeit einzuarbeiten, außerhalb der Tradition, er ist der Gestalter seiner eigenen Leiden und Freuden, die alle Stimmungen, empfunden in den Wechselfällen eines tollen Studenten- und Vagantenlebens, mit der Sprache und den Anschauungen dieser Welt zum Ausdruck bringen. Villon ist der Dichter der Wirklichkeit, ohne sie in Worten oder in der Zeichnung idealisieren zu wollen. Wenn man ihn auch nicht als den ersten bezeichnen kann, der Anregungen, wie sie das Leben bietet, in der Dichtung verwertet, so übertrifft Villon alle Vorgänger durch die Kunst, sich selbst als Mittelpunkt der Dichtung zu behaupten, er ist Lyriker durch den Inhalt, der im Festhalten des Augenblickes und seiner Reflexe, in der Verdeutlichung des Milieus und seines Einflusses auf die Person besteht. Er gab der Lyrik seines Jahrhunderts, was ihr bisher versagt war, den Ausdruck nicht nur gedachter, sondern tatsächlich durchlebter Empfindungen. Die Nachahmer Villons übernehmen nur Äußerlichkeiten, nicht aber das Wesen seiner Dichtung. Henri Baude, Guillaume Coquillart, Eloi d'Amerval schreiben wohl Satire, Spott, Hohn und äußern sich ähnlich wie Villon, die persönliche Note kommt in ihren Dichtungen jedoch nicht zur Geltung. Mit diesem Namen ist aber auch ein Wendepunkt in der Auffassung des Jahrhunderts über den Wert und Inhalt der Minne-
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EINLEITUNG.
dichtung gegeben. Eine neue Einstellung tritt hervor, die sich schon bei Villon als bewußte Vergröberung der Gattung äußert. Denn die preziöse Dichtung, die ihre blassen und traurigen Amants in ihrem Minnedienst klagen und weinen, mit Allegorien kämpfen oder diskutieren und vor mesdisans fliehen läßt, ruft eine Reaktion hervor, die in Gedichten, Erzählungen und schließlich auch auf der Bühne die höfischen Liebhaber durch eine realere Konzeption, die Gallans, ersetzt und der Belle Dame sans merci die Rusée d'amour oder die Belle Cousine des Jehan de Saintré gegenüberstellt. Auch die Liebeskasuistik erörtert nun andere Themen, man ereifert sich über die Droits nouveaux und ihre Anwendung oder diskutiert in der ernsten Weise der Liebesdichtung, jedoch mit dem derben Lachen der Parodie, über die Voraussetzungen der Arrests d'amour. Dieser neue Inhalt hat auch seine Ausdrucksweise, die, in beabsichtigtem Gegensatz zur abgetönten Sprache der Minnelyrik, mit Zweideutigkeiten und erotischen Bildern aus den Vorstellungskreisen des ständischen Lebens (Turnier- und Waffenwesen, Kirchensprache, Handwerke) durchsetzt ist. Nicht nur dadurch ist der Inhalt der Liebeslyrik als ein dem Zeitempfinden schon müßig erscheinendes Spiel charakterisiert, der reale Geist, der in dieser Reaktion aus Worten, Handlungen und Auffassung zutage tritt, spricht ganz eindeutig sein Urteil über die ganze Gattung, wenn er mit Hinweis auf die Modedichtung erklärt: 'Ce sont ballades et rondeaulx Pour resjouyr vaches et veaulx' (H. Champion, Hist. poétique II, 307). Noch einmal wird die Lyrik die bevorzugte Gattung einer Gruppe von Dichtern, die man als R h e t o r i q u e u r s bezeichnet. Sie haben dem überlieferten Bestand nichts Neues zu geben vermocht, vielmehr dessen Eigenarten nur stärker hervortreten lassen. Sie verwenden dieselben Allegorien und auch die mythologischen Bilder, die der Rosenroman vor mehr als zwei Jahrhunderten in die Literatur gebracht hat, sie überbieten einander in den Spitzfindigkeiten der Liebeskasuistik, neben deren subtilen Gedanken auch derbe Erotik zu Worte kommt, ihre Balladen und Rondeaux sind aber auch politische oder lehrhafte Gedichte, in denen sie Lob, Schmeichelei, Ratschläge, Belehrungen erteilen und in gleicher pathetischer Weise Fragen der Zeitgeschichte oder der Moral behandeln. Eigenbrötelei und übertriebener Schwulst charakterisieren diese Gruppe der Rhetoriqueurs, von denen Chastellain und Molinet die bekanntesten sind.
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Mit den Gedichten der Rhetoriqueurs hat die Lyrik des Mittelalters auch in der Form ihren Abschluß gefunden, denn dieser allein hatten die Rhetoriker ihre Aufmerksamkeit zugewendet. So ist es verständlich, daß J. Molinet in seinem A r t de R h e t o r i q u e dreißig Namen für verschiedene Rhythmen aufzählen kann. Aus dieser einseitigen Bemühung um Rhythmus und Reim erklärt sich die Inhaltsleere der von den Rhetorikern verfaßten Gedichte, die Vorliebe für Wortkünstelei, das starke Hervortreten von Mythologie und Symbolismus. Die Dichtung ist für die Rhetoriker eine Kunst, an die sie glauben, daher durften ihre Werke nicht einfach und leicht verständlich sein. Es ist bezeichnend für die Hochachtung der Zeit jeder Art der Gelehrsamkeit gegenüber, diesen Glauben geteilt und damit die Berechtigung dieser Dichtung anerkannt zu haben. Die d i d a k t i s c h e Literatur in Versen führt in ihren Werken, ob sie nun aus religiöser Inspiration entstanden sind oder als allgemeine Abhandlungen Wissenszweige vermitteln wollen, die durch den Rosenroman vorgezeichnete Richtung weiter. Visionen und Allegorien belehren die Leser, die oft über der Fülle des Inhaltes den Mangel an dichterischer Kraft und Fähigkeit der Darstellung vergessen sollen. Hier wären C h r i s t i n e n s gelehrte Versdichtungen zu erwähnen, A l a i n C h a r t i e r wendet sich mit seinem B r e v i a i r e des n o b l e s an einen engeren Kreis, enzyklopädisch nach dem Vorbild des von ihm bekämpften Rosenromans ist M a r t i n L e f r a n c ' s C h a m p i o n d e s D a m e s . Die Moralisten wie G u i l l a u m e A l e x i s und P i e r r e N e s s o n verschärfen nicht selten den Ton, der in den F a i t z et a d v e r s i t e z des J e a n R e g n i e r zu einem ausgeprägten Pessimismus über die Nichtigkeit menschlicher Verhältnisse gesteigert ist. Auch didaktisch-moralisierende Betrachtungen werden in Verse gekleidet, hier wären unter andern J e a n M e s c h i n o t mit seinen L u n e t t e s des p r i n c e s oder O l i v i e r de l a M a r c h e mit dem C h e v a l i e r d é l i b é r é zu nennen. Die große Zahl a n o n y m e r Gedichte erbaulichen, belehrenden und reflektierenden Inhaltes beweist, daß das Jahrhundert für diesen Zweig der Literatur, der ernsten Gedanken gewidmet ist und in der D a n s e m a c a b r e den ergreifendsten Ausdruck gefunden hat, das größte Interesse zeigte. Wenn daneben auch Humor, Witz, Spott, Satire, zuteilen auch in derberer Form, als Débats und Dits sich über verwandte oder
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EINLEITUNG.
fernere Themen ergehen, so ist dies ein Zeugnis für die Verwendungsmöglichkeit dieser Gruppe. Nur in wenigen Fällen ist die gebundene Sprache für ges c h i c h t l i c h e Werke verwendet. Kriegsereignisse in Frankreich und England finden in der Form der Reimchronik eine meist recht einfache Darstellung, vereinzelt bleibt der Versuch von Martial d'Auvergne, der in seinen ' V i g i l l e s de C h a r l e s VII' einen größeren Abschnitt der Zeitgeschichte in Versen behandelt. Die geschichtliche Reimdichtung bedient sich auch der Allegorie, um Zeitereignisse zu kommentieren, wie es Jean du Perier im Songe du Pastourel tut, während am Ausgang des Jahrhunderts André de la Vigne in allegorischen Gedichten den Feldzug Karls VIII. nach Italien oder politische Vorfälle behandelt. Die geringe Zahl dieser Werke wird verständlich, wenn man bedenkt, daß seit Jean le Bel und Froissart die Prosadarstellung mit ihrer Berücksichtigung der Charakterzeichnung und genauer Schilderung aller Einzelheiten dem Wissensbedürfnis der Zeit ungleich besser entgegenkam als die durch den Reim stark gehinderten Verschroniken. Das E p o s und der höfische Roman in Versen haben im 15. Jahrhundert keinen Vertreter mehr aufzuweisen. Die Chansons de geste haben ihr Publikum verloren, man erklärt sie als Lügen, an welche Tistorien croit aussy à paine que les escoutans' (Gautier, Epopées II, p. 597). Trotz des Namens ist die Geste des ducs de B o u r g o g n e , welche die Taten Johanns ohne Furcht erzählt, der geschichtlichen Dichtimg zuzuweisen. Der höfische Roman, der im 14. Jahrhundert noch den Meliador Froissarts verzeichnen kann, wird im 15. Jahrhundert nur mehr in Prosaredaktionen gelesen. Der A b e n t e u e r r o m a n in Versen ist zwar durch die Melusine des Couldrette aus dem Jahre 1401 vertreten, der den Prosaroman des Jean d'Arras überarbeitet, jedoch noch dem ausgehenden 14. Jahrhundert angehört. Der Roman von P o n t u s et Sidoine, der nach dem Vorbild der Chanson de geste Horn und R i m e n h i l d gedichtet ist, liegt nur in einer Prosafassung vor. Die Prosa hat im 15. Jahrhundert eine ungleich größere Bedeutung erlangt als im 14. Jahrhundert. Die gelehrten Abhandlungen philosophisch-didaktischen Inhaltes (Christine), Übersetzungen, Geschichtschreibung und erzählende Dichtung ergeben in immer steigender Zahl den Kreis der Prosaliteratur. In Gegensatz zur Reimdichtung hat die Prosa durch
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die Arbeit der Übersetzer des 14. Jahrhunderts, vor allem am Hofe Karls V., und ihrer Nachfolger eine Entwicklung zu verzeichnen, die der Darstellungskunst des 15. Jahrhunderts zugute kommt. Denn durch die Anlehnung an das Lateinische, dem die Übersetzer nicht nur neue Worte entnehmen, sondern das auch im Satzbau Vorbild wird, kann zunächst die wissenschaftliche Prosa sich erproben, in der philosophisch-didaktische Werke und später historische Abhandlungen verfaßt werden. Das Französische soll nun fähig s e i n ' c h o s e s e s t r a n g e s . . en p l u s g r a n t s o u b t i l i t d ' wie Christine sagt, zu erörtern, der ' s t i l e p r o s a l ' der vielseitigen Schriftstellerin ist das allerdings noch unausgeglichene Ergebnis dieser Nachahmung, die dann in Alain Chartier's Q u a d r i l o g u e i n v e c t i f ihre auch von den Zeitgenossen bewunderte Vollendung erreicht. Von hier geht es dann zu den weitgespannten, volltönenden Sätzen der burgundischen Geschichtsschreiber, von denen Chastellain alle andern durch den oratorischen Schwung seiner Prosa überragt. Die Prosaliteratur des 15. Jahrhunderts ist der Versdichtung schon dadurch überlegen, weil sie sich zur Vertiefung des Eindruckes einer realistischen Darstellung durch Beobachtung von Einzelheiten, durch scharfe Zeichnung von Ort, Umständen, Verhältnissen und Personen bedienen konnte, was ja dem Realismus der Zeit entsprach. Daraus entwickelt sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die moderne, auf Analyse und Zusammenhang der Ereignisse bedachte Geschichtschreibung, welche ihr Augenmerk auf die Schilderung des Milieus, auf Portraits, Erfassen von Stimmungen und auf Charakterzeichnung legt (Chastellain, Commynes). Die gleichen Eigenschaften treten im Roman (Antoine de la Sale) und in der modernen Novelle hervor (Quinze Joyes de Mariage; Cent Nouvelles Nouvelles), der gleiche Geist setzt an die Stelle der Ritterromane in Prosa das Gegenstück im 'Jean de Paris'. In diesen Erzählungen herrscht ein gesunder, auf Beobachtung, Witz, Ironie und Spott beruhender Sinn für Wirklichkeit, der das Individuum und die Gesellschaft lebenswahr erfaßt und bereits den kritischen Blick einer neuen Zeit erkennen läßt. Gleichwohl ist diese Überlegenheit der Prosa nicht durch neue Inhaltsgebiete bedingt. Es ist auch hier die gleiche Einförmigkeit der Themen festzustellen wie in der Versdichtung. Nur war es leichter, den inneren Stillstand durch Äußerlichkeiten, Symbo-
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EINLEITUNG.
lismus, Mythologie, Latinismen zu verdecken. Das Ziel des 'aorn£ parier', von dem Robertet spricht (Chastellain VII, S. 159), konnte in der Prosa durch diese Zusätze scheinbar eher verwirklicht werden als in der thematisch schon erstarrten Reimdichtung. Die B ü h n e n d i c h t u n g erreicht in den geistlichen Spielen (Myt6res, Passion), neben welchen auch das weltlich ernste Schauspiel und die komischen Stücke mit gelungenen Charaktertypen gepflegt werden, den Höhepunkt seiner Kunstgattung, die sogar im öffentlichen Leben der Zeit eine große Rolle spielt und die Jahrhundertwende überdauern konnte (S. Bd. I). Hatte sich so im 15. Jahrhundert die Beschäftigung mit der Literatur verallgemeinert, so konnte doch erst der Buchdruck die Voraussetzungen für die weite Verbreitung der literarischen Werke bieten. Die erste Druckerei wurde 1470 in der Sorbonne durch deren Rektor G u i l l a u m e F i c h e t eingerichtet. Der Buchdruck hat es ermöglicht, nicht nur das Verlangen nach schöngeistiger Literatur zu befriedigen, er bot auch dem Humanismus und der Renaissance das Rüstzeug für die Verwirklichung ihrer Bestrebungen und Ideen. So schlägt die 'schwarze Kunst' die Brücke vom Mittelalter zur Neuzeit, die nun mit dem schnell gedruckten, billigen Buch den aufsteigenden Ideen folgen und damit die Vergangenheit überwinden konnte. War das 14. Jahrhundert noch imstande, manche Zweige der französischen Literatur weiter und abschließend zu entwickeln, so ist im 15. Jahrhundert der Stillstand nicht mehr zu verkennen. Es fehlt in edlen Gattungen der Literatur an neuen, gestaltenden Gedanken, welche den längst erschöpften Inhalt und die alten Formen durch frische Vorstellungen ersetzt hätten. Konvention und Formalismus hatten alle Gebiete der Literatur schematisiert, der Einförmigkeit des Inhaltes war weder durch Häufung der Allegorien, durch Übertreibung des Symbolismus, durch Betonung eines verstärkten Realismus oder schließlich durch antikisierende Bestrebungen, die im Beiwerk der Mythologie und eines vorsichtigen Paganismus rein äußerliche Zusätze boten, ohne mit ihnen den Geist der Antike zu übernehmen, abgeholfen worden. Der mittelalterlichen Dichtung Frankreichs fehlte die Ausgeglichenheit: Preziosität und künstliche, der Zeit fremde Gefühlstiefe in der Liebeslyrik, Derbheit und Freude am Sinnesgenuß, Melancholie über die Nichtigkeit irdischen Glücks, die
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Flucht der Zeit und den Verfall der Schönheit, Frauenverehrung und Frauenverachtung, Ironie, Spott, Skeptizismus und Weltfeindlichkeit stehen, so wie im ständischen Leben Prunkentfaltung and Wohlstand des Adels oder des Bürgerstandes mit dem Elend des vilain kontrastieren, in allen Zweigen des schöngeistigen Schaffens mit oft gewollter Schwerfälligkeit unmittelbar nebeneinander oder überdecken sich, unfähig, ihre Sphären abzugrenzen, einander zu mildern oder zu ergänzen. So ist es erklärlich, daß im ersten Sturm des neuen Geistes, der durch Humanismus und Renaissance eine Umwertung des Bildungs- und Schönheitsideals bewirkt hatte, die Früchte fallen, die der Herbst des Mittelalters bereits zur Überreife gebracht hatte.
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LYRIKER UND IHR ANTEIL AN DER DICHTUNG DER ZEIT CHRISTINE D E PISAN Dichterische Vielseitigkeit, die fast das gesamte Gebiet literarischen Schaffens umfaßt, läßt um die Jahrhundertwende C h r i s t i n e v o n P i s a n an allen Fragen des geistigen Lebens tätigen Anteil nehmen. Christine wurde 1365 in Venedig geboren, wo ihr Vater Tommaso di Benvenuto di Pizzano Rat der Republik Venedig war. Er hatte in Bologna studiert und dort das Magisterium der Medizin erworben. Von 1345 bis 1356 lehrte er daselbst Astrologie. Sein Ruf als Arzt und Sterndeuter bewog den König Karl V., ihm ein Amt an seinem Hofe anzubieten. Thomas nahm an und erlangte bald eine einflußreiche Stellung, die nach drei Jahren zu einer definitiven im Dienste des Königs wurde. Er ließ gegen 1370 seine Familie nach Paris kommen, wo er als Leibarzt des Königs und Hofastrolog in Ansehen und Reichtum lebte. Der Tod Karls V. bedeutete einen harten Schlag für Thomas, der zwar am Hofe blieb, jedoch nur unregelmäßig seinen Gehalt bekam. Er dürfte zwischen 1384 und 1389 gestorben sein, nachdem er 1380 seine Tochter an den Juristen Etienne de Castel verheiratet hatte, der kurze Zeit nach seiner Heirat Notar und Sekretär des Königs wurde, jedoch 1390 in Beauvais einer Seuche erlag. Christine hat ihre Verbindung mit dem Hofe dazu benützt, in den Dienst der Königin zu treten, als deren 'Humble chamberiere' sie sich 1402 in der Widmung ihrer Episteln zum Rosenroman bezeichnet. Aus dieser Stellung bei Hofe, die sie den Großen der Zeit nahebrachte, erklärt sich außer der Tatsache, daß Christine ihren Sohn als Pagen beim Grafen v. Salisbury und später bei den Herzogen Ludwig v. Orléans und Johann v. Burgund unterbringen und ihre Tochter für das Kloster Poissy ausstatten konnte, auch ihr ständiger Aufenthalt in Paris, von wo aus sie die Einladungen Heinrichs IV. v. England (nach 1400) und des Herzogs Gian Galeazzo Visconti v. Mailand (gest. 1402) ausschlug. Sie konnte dies um so leichter tun, da außer den Herzogen von Orléans und Burgund, denen Christine ihre Werke widmete, auch der Herzog Jean de Berry, ein Bruder Karls V., der Gönner
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Christinens war, die seinen Tod (1416) in einem Trostschreiben an seine Tochter Marie, Herzogin v. Bourbon, beklagt. Am Pariser Hofe hatte die Dichterin an der Königin Elisabeth v. Bayern ihre mächtigste Gönnerin gefunden, an die sie 1402 die Episteln über den Rosenroman, 1405 den von patriotischer Begeisterung getragenen Brief richtet, das Amt der Friedensstifterin zwischen den sich befehdenden Großen des Landes zu übernehmen. Über Auftrag der Königin wurde auch die Prachthandschrift des Brit. Museums Harl. 4431 angefertigt. Der Herzog Ludwig v. Bourbon und König Karl III. v. Navarra zählen gleichfalls zu Christinens Förderern, zu deren Zahl noch die Braut des Dauphin Ludwig und dieser selbst gerechnet werden darf. Durch die Gründung des Liebeshofes war die Dichterin ferner mit Charles d'Albret, dem Vetter des Königs, und mit Jean de Werchin, Seneschall v. Hennegau, in Verbindung getreten. Diesen Angehörigen des Hochadels durfte Christine als Hofangestellte, die zu diesen Kreisen Zutritt hatte, ihre Werke persönlich in feierlichen Audienzen überreichen, sie konnte im Schutze des königlichen Hofes trotz der Wirren der Zeit ungestört ihren Neigungen folgen und fast jedes Jahr neue Werke vollenden. Für diese hatte sie sich durch eifriges Studium alter und zeitgenössischer Schriftsteller umfassende Kenntnisse erworben, die sie mehr aus Sammelwerken, Kommentaren und Übersetzungen schöpfte. Wie sie in der 'Avision Christine' selbst mitteilt, begann sie mit der Geschichte, ging dann zu naturwissenschaftlichen Werken (Jean de Mandeville) über, doch brachte sie immer den 'livres des poètes' (Ovid, Machaut, Dante, Deschamps) das größte Interesse entgegen, um sich an ihnen zu bilden, ihren eigenen 'stile naturel' zu finden und die 'pollie rhetorique aournée de soubtil lengage et prouverbes estranges' zu erlangen, die sie dann in ihren späteren Werken nachahmte. Ihr Ruf als Schriftstellerin hatte sich rasch verbreitet, denn wie sie selbst in der Avision 1406 erklärt, hatte sie bis zu dieser Zeit bereits fünfzehn größere Werke verfaßt, welche teils Themen der höfischen Lyrik in Nachahmung Machauts behandeln oder belehrenden, polemischen, encyklopädischen Inhalt haben. Dieses der Dichtung und dem Studium gewidmete Leben erfährt 1418 eine jähe Unterbrechung, da Christine, vielleicht nicht ohne Zwang, sich in das Kloster von Poissy zurückzieht, das bereits ihre Tochter aufgenommen hatte. Sie tritt noch einmal aus ihrer Abgeschiedenheit hervor, als sie am 31. Juli
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1429 in einem Dit die Taten der Jeanne d'Arc feiert. Kurz nachher, wahrscheinlich aber spätestens vor 1431, dürfte Christine gestorben sein. Ihr Sohn Jean de Castel (gest. 1426), der aus burgundischem Dienst in den des Königs übergetreten war, erscheint in dem gegen 1416 aufgenommenen Mitgliederverzeichnis des Pariser Liebeshofes als notaire et secrétaire du roi. Er flieht 1418 mit dem Dauphin Charles aus Paris, ist 1421 in Spanien und wird 1425 anläßlich des Prozesses gegen Alain Chartier vor dem Pariser Liebeshof genannt. Er ist als Verfasser eines größeren Gedichtes 'Le pin' bekannt. Sein Sohn Jean Castel hat sich als Chronist und Verfasser eines Miroir de l'atne pecheresse einen Platz in der französischen Literaturgeschichte gesichert. Christine hat die Niederschrift ihrer Werke selbst beaufsichtigt. Die älteste, 1399 begonnene und am 23. Juni 1402 abgeschlossene Handschrift (S. A. T. I. X I X ) ist nur in späteren, erweiterten Kopien erhalten (B. N. fr. 604; B. N. fr. 12. 779, und Morgand, von M. Roy als Gruppe B bezeichnet). Zu ihr treten als Ergänzung die beiden Hss. 1.) des Herzogs v. Berry, der dafür 200 Taler bezahlt hat (A 1 bei Roy) und 2.) das Manuskript der Königin v. Frankreich (Brit. Mus. Harl. 4431, A J bei Roy) mit eigenem Widmungsgedicht. Sie weisen beide gegenüber der ersten Redaktion eine größere Zahl von Balladen auf (29: 53) und bringen als Zusätze Le chemin de long estude, Le dit de la Pastoure, Le duc des vrais amans, Epistre à Eustache Morel, Proverbes moraux und le livre de Prudence. Das Ms. der Königin enthält allein noch La Cité des Dames und Cent balades d'Amant et de Dame. VERSDICHTUNGEN
An erster Stelle stehen die kurzen, lyrischen Gedichte als eigene Abteilung. Sie weist schon in ihrem Titel: Cent bonnes Balades (S. A. T. I, S. 1—100) auf das Vorbild der Cent Balades hin, welche Christine in den hier behandelten Themen nachahmt. Die Sammlung ist nicht durchlaufend geschrieben und fällt in die Jahre 1394—1399. Als Auftraggeber erscheinen 'Aucunes gens', eine Ballade leitet die Sammlung ein und schließt sie ausdrücklich ab. Die ersten Gedichte sind persönlichen Inhaltes, sie bilden in den auf die Vergangenheit bezüglichen Stücken 1—20 einen zusammengehörigen Abschnitt, der die Klagen der einsamen, trauernden Witwe, den Schmerz über den Tod des Gatten,
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Stimmungsbilder und Reflexionen zum Ausdruck bringt. Von Nr. 21 an beginnen die Balladen, welche das Thema der höfischen Liebe behandeln und derart angeordnet sind, daß eine gewisse Zweiteilung erkennbar wird, welche von Ballade 21—49 die Gefühle der noch unvermählten Dame in ihrem Hoffen, ihrer Freude und Trauer berücksichtigt, während die zweite Gruppe, von Ballade 65—87, den Ritter und seine Herrin, welche hier verheiratet ist, im Austausch von Beteuerungen, Bitten, Vorwürfen und Erklärungen vorführt. In den Themen und Voraussetzungen bringt Christine nichts Neues. Liebeswerben, Klagen über Enttäuschungen, Vorwürfe gegen die scheinbar ungetreue Geliebte oder den Freund, dazu in weiterer Folge gegen die Liebe und ihre Unannehmlichkeiten ergeben den Rahmen, innerhalb dessen einzelne Themen und Situationen gerne ausführlicher behandelt erscheinen. Der Abschied vom Freunde bzw. der Herrin gibt Anlaß zu Klagen, Hoffnungen und Versprechungen, ermöglicht Dialoge beim Scheiden (74), und der Wiederkehr (85), führt zu Reflexionen, Fragen, poetischem Briefwechsel (46, 65). Die Mesdisans spielen ihre traditionelle Rolle als mißgünstige Neider, die das Verhalten der Dame bestimmen, ihr den Freund verleumden und sogar vor Klostermauern nicht haltmachen (27, 59), auch der alte Gatte, den seine Jahre nicht liebenswürdig machen (78), zählt zu ihnen. Eine Reihe von Gedichten bespricht das Verhalten des Freundes in lobenden oder tadelnden Bemerkungen, gibt ihm Ratschläge, Warnungen, ergeht sich in ironischen Ausführungen über wirkliche und vermeintliche Ritterschaft, vergißt aber auch nicht, den Standpunkt der Frau zu betonen, wenn diese sich verwahrt, in Liebesangelegenheiten allzu wissend zu sein, sondern vielmehr beteuert, die Liebe nur aus Büchern zu kennen (50), weshalb sie die Werbungen, als femme que honneur a chiere (27) abweist. Antikes Wissen erscheint in manchen Fällen als willkommenes Beiwerk, um Vergleiche und Exkurse zu ermöglichen. Außerhalb dieses Kreises stehen Gedichte, deren Inhalt sich aus verschiedenen Voraussetzungen ergibt. An Deschamps erinnern die Klagen über den Niedergang der Zeit durch Neid, Habsucht und Verrat, das Lob der Vergangenheit wird im Gegensatze zu heute betont (93), Frankreichs traurige Lage entreißt ihr empfundene Worte (95), welche auch die Krankheit des Königs begleiten (95), sie preist die Macht des Wissens (98), definiert loyauté (94) und bonté (96). Gröber-Hofcr, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II.
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Die vier Balades d'Estrange Façon (I, S. 119—124) enthalten Reimkünsteleien. Eine Ballade retrograde folgt Deschamps, eine Ballade a rimes reprises zum Lob einer Dame setzt die letzte Silbe eines jeden Verses als neues Wort an den Beginn der nächsten Verszeile. Ein Dialog, Balade a responses (3) zwischen einem Ritter und einer Dame, bringt Hoffnungen und Wünsche zur Sprache, die Balade a vers et responses ist ein Gespräch zwischen Amor und einer Frau, welche sich über die Liebe beklagt, worauf Amor ihre Vorwürfe widerlegt. Eine zweite Gruppe Autres Balades von 53 Balladen verschiedenen Inhaltes {de divers propos, I, S. 207—271), zu denen noch weitere 6 Balladen und 3 Rondeaux aus d e m ms H a r l e y 4431 des Brit. Mus. treten (I, S. 271—76), scheint anzudeuten, daß Christine nach dem Abschluß der ersten Sammlung eine Fortsetzung begann, welche jedoch unvollendet geblieben ist. Dem Thema der Minne ist auch hier die Mehrzahl der Balladen gewidmet, welche Stimmungen mannigfacher Art, Zweifel, Befürchtungen, Freude, Trauer über verschiedene Vorfälle, wiedergeben und Situationen andeuten. 6 Gedichte besingen den Mai und fordern zur Fröhlichkeit und Liebe auf (9,10, 25, 28, 44, 50), 3 Balladen (19, 20, 21) beziehen sich auf den Kampf der sieben Franzosen gegen sieben Engländer (19. Mai 1401), Huldigungen an hochstehende Personen (Charles d'Albert, Herzog v. Orleans, Königin Isabella) verfolgen eigene Zwecke. Die Stellungnahme zu verschiedenen Fragen der Zeit, (Kampf gegen den Rosenroman, Klagen über die allgemeine Rechtlosigkeit (6) und Hilflosigkeit (7), Vorwürfe gegen die Unruhestifter (49), Äußerungen zu bestimmten Themen (Unbeständigkeit des Glückes, 51, 53, über Ehre und Ruhm, i , Vergänglichkeit irdischer Güter, 5, Verhalten der Adeligen, 17), das Hervortreten persönlicher Stimmungen (26, 37), verraten das Bestreben, Deschamps' Vielseitigkeit nachzuahmen und zu erreichen. Die 16 Virelays, welche auf die 100 Balladen folgen (I, S. 101—118), setzen deren Themen fort. Es sind in der Mehrzahl Liebeslieder, mit den gewöhnlichen Voraussetzungen der harrenden, unglücklichen, klagenden Minne, ihren Reflexionen und wechselnden Stimmungen. Die 67 in verschiedenen Metren geschriebenen Rondeaux (I, S. 147—185) beginnen wie die Sammlung der Balladen zunächst mit Gedichten, in welchen Chr. ihrer traurigen Stimmung Aus-
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druck verleiht, und bringen dann Liebeslieder, von denen 28 auf Frauen, 33 auf ihre dienenden Ritter entfallen. Durch Gesellschaftsspiele sind die 70 Jeux ä vendre (I, S. 187 bis 205) angeregt, in denen sich die Partner in den Eingangsversen der 4 — 8 zeiligen Strophe (aabb) wirkliche Dinge oder geistreich ausgedachte Spitzfindigkeiten zum Kauf anbieten, worauf die folgenden Verse die entsprechende Antwort geben. Christinens Sammlung scheint den Bedürfnissen der in solchen Gelegenheiten weniger gewandten Reimer gedient zu haben, für welche sie möglichst zahlreiche Beispiele vereinigte. Die Gattung der L a y s (I, S. 125—145) ist durch zwei Gedichte vertreten, welche der von Deschamps aufgestellten Regel, 24 Strophen (12 Doppelstrophen) mit 11 verschiedenen Reimen und Metren folgen. Der erste L a y ist ein allgemein gehaltenes Lob auf die Liebe. Ihre Freuden und Leiden werden aufgezählt, ihr Einfluß und ihre veredelnde Wirkung hervorgehoben und durch göttlichen Ursprung erklärt. Der zweite L a y entwirft das Bild des vollkommenen Freundes, dessen Treue die Gewähr einer schöneren, glücklicheren Zukunft bietet. Diese beiden L a y s dürften noch zu den ersten Gedichten Christinens gehören, ein dritter, eine K l a g e der Dame über die Untreue ihres Freundes, steht als Abschluß der Cent Balades d'Amant et de Dame. Die Complaintes amoureuses (I, S. 281—295), in welchen Christine mehr Wert auf Reimtechnik als auf Originalität des Inhaltes legt, ergehen sich in Liebesklagen und Versicherungen des vergeblich dienenden Werbers. Als Vorkämpferin für die Ehre der Frauen tritt Christine noch vor ihrem Kampf gegen den Rosenroman in der Mai 1399 verfaßten Efistre au Dieu d'amours (II, S. 1—27) hervor. (825 Zehnsilbner.) In Form einer in Kanzleistil gehaltenen Verlautbarung Amors an seine Untertanen, wobei sie dem von Deschamps gegebenen Beispiel folgt, wird die Sache der fälschlich verleumdeten Frauen von Amor geführt. Auf Grund der dem Hofe zugekommenen Klagen will Cupido gegen die Verleumder, welche sich auch in Frankreich bemerkbar machen, auftreten. E r klagt, daß die bessere Gesinnung der Vergangenheit heute nicht mehr vorhanden ist, entwirft ein Bild der Praktiken, durch welche Frauen verführt werden, und gibt nun seinen Anhängern Verhaltungsmaßregeln, die in dem Satze gipfeln: Car tout home doit avoir le euer tendre Envers ferne qui a tout home est mere (v. 168/69). Cupido
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ergeht sich in Anklagen gegen die clers und ihre Schriften, deren Schmähungen Christine vielfach als Rache nach unerfüllten Hoffnungen bezeichnet. Sie weist auf die Haltlosigkeit vieler Vorwürfe hin und betont, daß eine Frau, Maria, sich um die Menschheit unvergängliche Verdienste erworben hat. Man könne den Frauen nichts vorwerfen, da sie weder mit Gift noch durch Waffen töten, vielmehr durch ihr freundliches Wesen die Menschen erfreuen. Daher sollen alle Verleumder von Cupidos Hof verbannt bleiben. Das für das Pfingstfest 1399 geschriebene Gedicht dürfte als eine Art Maskenspiel zu betrachten sein, indem ein Bote oder Herold des Liebesgottes dessen Erlaß mitteilt. Dem Vorbild Machauts folgt Christine in dem gleichfalls im Mai 1399 geschriebenen Débat des deux Amans (II, S. 49—109; 2024 V., Priv. Str.), worin sie dem Herzog v. Orléans eine Frage zur Entscheidimg vorlegt, die einen zwischen zwei Amants aufgeworfenen Débat schlichten soll. Aus einer fröhlichen Gesellschaft, die sie anschaulich beschreibt, treten zwei junge Ritter hervor, der eine nimmt freudig an der Unterhaltung teil, während der andere mit trauriger, bleicher Miene abseits steht. Das Fest führt sie alle drei zusammen und veranlaßt die Frage, ob wohl die Liebe mehr Freude als Leid verursache. Im Garten, in den Christine mit noch zwei Besucherinnen geht, soll der Streit entschieden werden. Der traurige Ritter erklärt die Liebe als einen desir nach dem geliebten Wesen. Dieses Verlangen werde so heftig, daß es die Vernunft rauben, den Fröhlichen traurig und den Traurigen fröhlich machen kann, es lasse Ehre, Gewohnheit und Recht vergessen, der Liebende habe wenig Freude und tausend Schmerzen. Wer liebt, verzichtet auf alle Freuden, welche Fortune verteilt, außerdem verursachen mesdisans und Jalousie Schwierigkeiten, was Gelegenheit gibt, das Verhalten der Eifersüchtigen zu beschreiben. Die Geschichte vieler Liebenden aus alter und neuer Zeit beweist, daß die Liebe ein -piteux et mal pelerinage (v. 825) sei, die man fliehen, deren Versprechungen man mißtrauen soll, da sie nur Leiden und wenig Freuden bringe. Sein Gefährte widerspricht dieser Ansicht mit der Behauptung, daß die Liebe die Quelle aller Freuden sei und alle Vorzüge, welche den Menschen liebenswert machen, zur Entfaltung kommen lasse. Doulz penser verleihe Fröhlichkeit, höfische Liebe mache ihn courtois, sie leite honneur, vaillance und proece, verbanne alle bösen Leidenschaften aus dem Herzen und mache ihn dienstfertig und freund-
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lieh. Die Liebe ist die Ursache äußerer und innerer Freuden, die durch den Umgang mit der Geliebten gewonnen werden. Er entkräftet auch die anderen Vorwürfe aus den Anschauungen der höfischen Liebe und durch entsprechende Beispiele aus der Mythologie und Sage (Metamorphosen, Tristan), ferner aus der Ependichtung. Da sich der Gegener nicht überzeugen lassen will, soll der Herzog v. Orléans die Entscheidung über die Frage fällen: Wer hebt inniger, derjenige, dem die Minne Leiden und Traurigkeit verursacht, oder derjenige, welcher fröhlich bleibt? — Als Vorbild des Débat ist Machauts 'Jugement du roy de Behaigne' zu betrachten, mit dem es auch die metrische Form gemeinsam hat. Nach Christinens Äußerung in der Avision dürfte dieser Liebesdialog zu ihren ersten Gedichten gehören und in das Jahr 1399 zu setzen sein. Auf einen am 26. April 1400 unternommenen Ausflug geht der Livre du Dit de Poissy vom 14. Februar 1401 zurück (II, S. 159 bis 222; 2075 V., Priv. Str.). Wieder ist es ein Débat, der sich während der Rückkehr vom Kloster Poissy, wohin sich Christine zum Besuche ihrer Tochter begeben hatte, erhebt. Nach Mitteilungen über das Klosterleben und einer Beschreibung der Abtei ergibt sich aus den Wechselreden zwischen einem Ritter und einer Demoiselle die Streitfrage: Wer hat mehr Anlaß zu klagen, die Demoiselle, deren Freund bei Nikopolis von den Türken gefangen genommen wurde, oder der Amant, der sich in vergeblichem Liebesdienst verzehrt und nun seiner grausamen Herrin gedenkt ? Die Entscheidung über diese Frage wird einem ungenannten Ritter, plein de savoir, überlassen, möglicherweise Charles d'Albret, der, ein Vetter des Königs, zu den elf Konservatoren des am 14. Februar 1401 gegründeten Pariser Liebeshofes Karls VI. gehört. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Dit de Poissy für diesen Kreis bestimmt war, da gerade damals Christine an Charles d'Albret Balladen richtete (Autres Bal. II, III). In die Zeit August bis September fällt der erste Brief Christinens über den Rosenroman, der den Auftakt zu dem als Querelle du Roman de la Rose genannten Streit bildet (s. unten). In den Jänner des Jahres 1402 führt die Handlung des Dit de la Rose v. 14. Februar 1402 (II, S. 29—48; 649 Achtsilbner mit 3 Balladen und I Rondeau). Es war eine mimische Vorführung im Kreise der Höflinge des Herzogs v. Orléans, die im Palaste ihres Herrn versammelt waren, als plötzlich Dame Loyauté
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mit ihrem Gefolge hereintrat und in einer Ballade den Zweck ihres Kommens erklärte: Cupido sandte sie mit Rosen an die Ritter, welche die Ehre der Damen verteidigen wollen. Das Gelöbnis erfolgt in Form einer Ballade, die den Zweck des Rosenordens erläutert. Im Dit führt nun eine Vision die Göttin wieder zu Christine, die an diesem Abend im gleichen Hause übernachtete. Loyauté erklärt ihr das Wesen der höfischen Minne, die aus der Vereinigimg von Proesce, Bonté und Courtoisie bestehe. Sie wendet sich gegen Envie und ihren Einfluß, weist Christine auf den Rosenorden hin, den sie bekannt machen soll, und überreicht ihr die Bullen, welche die Dichterin nach ihrem Erwachen findet. Die ausführliche Beschreibung der Stiftungsbriefe, denen zufolge sie am Valentinstag (14. Februar) allen, die sich anschließen wollen, das Ordensabzeichen überreichen soll, führt zum Ende des Dit, den sie für jene schreibt, die Amor dienen. — Dieser als Spiel gedachte Dit war Christine durch den von Marschall Boucicaut gegründeten Orden vom grünen Schild (l'escu vert ä la dame blanche) nahegelegt worden. Auf die erste mimische Darstellung im Palast des Herzogs v. Orléans folgte eine zweite, wahrscheinlich zu Hofe. Mit dem Dit de la Rose geht zeitlich zusammen der Livre des Trois Jugements (II, S. i n — 1 5 7 , 1531V., Priv. Str.), dem Seneschall v. Hainaut J e a n de W e r c h i n gewidmet, dessen Autorität hier Christine anruft. Jean de Werchin, dem Christine noch eine eigene Ballade widmete (Autres Bal. X X I I I ) war einer der 24 Minister des Pariser Liebeshofes, der einmal im Jahr um den Valentinstag zusammentreten sollte. Die Sitzung darf für das Jahr 1402 nach dem Gedicht Christinens als wahrscheinlich angenommen werden. Im ersten Jugement handelt es sich um die Frage, ob eine Dame, welche von ihrem ungeduldigen Freunde verlassen wurde und sich nun einem andern Ritter zuwendet, dessen Liebe beständiger ist, als wortbrüchig zu tadeln wäre. Ähnlich ist die Voraussetzung im zweiten Fall, demzufolge ein Ritter wegen der eifersüchtigen Obhut, in der seine Dame von ihrem Gatten gehalten wird, nach langem, vergeblichen Warten sich eine andere Freundin wählt. Die dritte Entscheidung wird für die Frage gefordert, ob ein ungetreuer Liebhaber, der reuig zu seiner Dame zurückkehrt, wieder Gnade finden darf oder nicht. Empfundene Charakteristik der Personen und eingehende Gefühlsanalyse verleiht den drei Episoden trotz mancher Gemein-
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plätze den Eindruck tatsächlichen Geschehens und erlebter Wirklichkeit. Neben diesen höfisch-galanten Themen, zu denen noch die Balades de divers propos (s. früher) gehören, fallen in das Jahr 1402 auch ernstere Werke. Moral und Belehrung vermittelt die in Vers und Prosa geschriebene didaktische Kompilation Epistre que Othea, deesse de prudence, envoya a Hector de Troye, später von Jean Mielot überarbeitet (Ms. 9392 in Brüssel). An hundert Geschichten aus dem trojanischen Sagenkreis, dem Altertum und der Mythologie (Ovid), alle in Achtsilbnern, schließt sich die in Prosa geschriebene Glosse an, auf welche dann die gleichfalls in Prosa gehaltene allegorische Deutung des Textes folgt, welche die Personen und ihre Handlungen in christlichem Sinne deutet. Entlehnungen aus dem Ovide moralisé, der Histoire ancienne jusqu'à César, Bibeltexte, Zitate aus den Kirchenvätern und der Legenda aurea, den alten Philosophen und aus Boccaccios Schriften De Genealogía Deorum, De claris mulieribus, stellen die hierfür notwendigen Belege bei. Das in seiner Anlage als Fürstenspiegel zu bezeichnende Werk dürfte dem englischen Thronfolger, dem späteren König Heinrich V. (geb. 29. August 1387) gewidmet gewesen sein, dem sie die Schrift übersenden ließ, damit ihr Sohn Jean Castel Urlaub nach Frankreich erhalte. Religiösen Inhalt bieten drei Gebete in Versen. Die Oroison sur les Douleurs de Nostre Seigneur (III, S. 15—26; 60 Str. abab, 10 Silb.) handelt von den Leiden Christi, die Oroison Nostre Dame (III, S. 1—9, 18 I2zeil. Str.) enthält die Fürbitte Mariens für die Kirche, ihre Diener, den König und sein Haus, für Frankreich und dessen Stände mit manchen Anspielungen auf die Zeitgeschichte; d i e X F joyes Nostre-Dame (III, S. 11—14, 16 Str. abab 10 Silb.) zählen die Freuden der Gottesmutter auf und knüpfen daran Bitten um Hilfe gegen menschliche Schwächen. Lehrhafte Zwecke verfolgen die ihrem Sohne gewidmeten Enseignements (III, S. 27 bis 44, 113 vierzeil. Str. aabb), in denen sie auf Grundlage der Disticha Catonis religiöse Ermahnungen und weltliche Lebensvorschriften gibt. Ebenso wollen die Proverbes moraux (III, S. 45—57, 100 Dist., 10 Silb.) in knapper, treffender Form Belehrung und Warnung erteilen. In die erste Hälfte des Jahres 1402 fällt mit dem Datum vom 23. Juni die erste Sammlung, bzw. Niederschrift der bisher verfaßten Werke Christinens in der Hs. B. Der Rest des Jahres ist
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mit der Arbeit am Chemin de long estude ausgefüllt, der am 5. Oktober begonnen und am 20. März 1403 dem Herzog von Berry überreicht wurde. Das Ergebnis des Jahres 1403 verzeichnet außer dem in Prosa gehaltenen Livre de Prudence (s. Prosaschriften) drei größere Versdichtungen: Livre du Chemin de Long Estude, an dem Christine seit dem 5. Oktober 1402 arbeitet; den Dit de la Pastoure und den Livre du duc des vrais amans. Der in der kurzen Zeit von sechs Monaten vollendete Livre du Chemin de Long Estude (6392 Verse, 7,8 u. 10 Silb.), dessen Handschrift der Herzog v. Berry am 20. März entgegennimmt, will, von Dante und Boethius inspiriert, Belehrung über alle Wissenszweige vermitteln. Christine wählt die Form der Vision, in der sie unter der Führung der Sybille v. Cumae die jenseitige Welt schaut und durchwandert. Die Einleitung berichtet, daß die Dichterin am 5. Oktober 1402 ihre trübe Stimmung in der Consolatio des Boethius zu vergessen suchte. Sie schläft dabei ein und sieht im Traum die Sybille v. Cumae Almethea, die ihr eine andere, bessere Welt zeigen will. Sie kommt zum Berg der Weisheit, aus dem eine Quelle entspringt, in der sich die Musen baden und woraus diejenigen trinken, welche den Berg besteigen. Die Sybille teilt Christinen auf ihre Frage mit, daß sie auf dem Weg 'Long Estude' stehen, der ihr bereits vertraut ist, ebenso auch der Berg und die Quelle, deren Namen sie aber nicht kennt. Von hier geht die Reise in den Orient, Konstantinopel, Palästina, Jerusalem, Troja, Cairo, Indien, Ägypten, Babylon werden kurz erwähnt, weitere Aufzählungen verwerten die über den Orient bekannten Fabeln, wenn sie von den vier Strömen des irdischen Paradieses, dem Land des Priesters Johannes, den Bäumen der Sonne und des Mondes erzählt. Nach der Schau über diese irdischen Wunder führt die Sybille Christine auf der Leiter Spéculation in den Himmel, der fünf Abteilungen aufweist. Die drei ersten bestehen aus Luft, Äther, Feuer, der vierte Kreis heißt Olymp, der fünfte bildet das Firmament, an dem die Gestirne stehen. Im vierten Himmel wohnen die Wesen, welche die Beschlüsse des Firmamentes ausführen und alle Ereignisse auf der Welt wie Kriege, Hungersnot, Seuchen, Erdbeben, Überschwemmungen vorbereiten. Fortuna herrscht über dieses Gebiet, ihr zur Seiten stehen allegorische Gestalten wie Maleurté, Bon Eur, Paix, Planté u. a. Hier sitzen nach den vier Himmelsrichtungen auch die vier Köni-
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ginnen Richesse, Sagesse, Chevalerie, Noblesse welche die Welt beherrschen. Rayson, umgeben von ihren Dienerinnen, schlichtet die Streitigkeiten der Welt, wobei die vier Königinnen Gelegenheit haben, sich gegen die Vorwürfe der Menschen zu verteidigen und ihre Meinung zu äußern, wie sie die Welt regieren wollen. Sagesse widerlegt in langer Rede ihre Vorschläge und erklärt, als Herrscher der Welt könne nur ein weiser, Science ergebener Monarch in Betracht kommen. Sie weist auf Griechenland und Rom hin, wo diese Forderungen erfüllt worden waren, und rühmt Paris, was die Versammlung bestimmt, Frankreich und seine Hauptstadt als Nachfolger der Alten anzuerkennen. Christine soll diese Entscheidung verkünden, sie steigt mit der Sybille die Leiter herunter und erwacht dann in ihrem Zimmer. — Als Vorbild kommt zunächst Dantes Divina Comedia, der 'Polycraticus' des Johann v. Salisbury und die Consolatio des Boethius in Betracht, diese vielleicht in der französischen Übersetzung des Jehan de Meung. Neben anderen antiken Schriftstellern, die ihr wahrscheinlich in den gebräuchlichen Kompilationen des Mittelalters zugänglich waren, tritt besonders Seneca hervor, dessen Briefe ihr in der französischen Übertragung, die für Barthelmy Siguilyfe, Grafen v. Caserta, ausgeführt war, im Louvre zugänglich waren. Die Ratsversammlung im Himmel geht auf Gersons Vision zurück, der damals in den Streit über den Rosenroman eingegriffen hatte. Ob zeitgenössische Ereignisse außerhalb Frankreichs, so die Wirren im deutschen Reich, die Rolle Frankreichs als Friedenstifter erklären können, bleibe dahingestellt. Die im Chemin de long Estude vorkommenden Débats können, außer von Machaut, noch von Philippe de Maizières, Honoré Bonet oder von Jehan de Meung angeregt worden sein. Die Tradition der Pastourellen nimmt der im Mai 1403 geschriebene Dit de la Pastoure auf (II, S. 223—294; 2274 7Silb. mit lyrischen Einlagen, Bergeretten, Balladen, Rondel). Er ist auf Wunsch eines ungenannten Bestellers (Philipp v. Burgund?) verfaßt und erzählt den Herzensroman der Schäferin Marote mit einem hochstehenden Ritter, den sie im Walde kennen gelernt hat. Nach kurzem Liebesglück, dessen wechselnde Stimmungen und Episoden die Erzählung mit dem Bericht von Einzelheiten aus dem Schäferleben verbindet, bleibt der Ritter aus und die Klagen der Schäferin, welche in der Erinnerung an ihren seigneur alle Amans auffordert, für ihn zu beten, schließen den Dit. Das Ge-
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dicht ist durch die feine Analyse frauenhaften Empfindens und Fühlens, das Verhalten und Stimmungen erklärt und die naive, nur dem Zuge ihres Herzens folgende Schäferin dem seigneur gegenüber Würde und Zurückhaltung bewahren läßt, ausgezeichnet. Es tritt auch dadurch aus der Tradition heraus, daß die Schäferin selbst ihre Geschichte berichtet, so daß man vielleicht vermuten darf, Christine habe hier unter dem Bilde dieser Idylle eine aus dem Thema geschöpfte Warnung erteilen wollen, sich von der Minne zu Höheren fernzuhalten, da sie nur Leiden verursache. Als Problemdichtung ist auch der breiter angelegte Livre du duc des vrais atnans zu betrachten (III, S. 59—208; 3580 7 Silb. lyr. Vers- u. Prosaeinlagen). Er will in der Erzählung des Helden über die 'griefs anuis et les joyes, Les fais, les estranges voyes' berichten, die ihr der ungenannte seigneur, der 'duc des vrais amans' genannt werden will, anvertraut hat. Dieser hatte im Verlauf einer Jagd eine edle Herzogin von königlicher Herkunft kennen gelernt und sich ihr während eines Turnieres zu nähern gewußt. Der höfische Minnedienst des Helden um die schöne Fürstin, welche infolge der von den mesdisans erweckten Eifersucht des Gatten von ihm getrennt wird und deshalb die Dienste einer vertrauten Helferin in Anspruch nimmt, um ihrem Ritter geheime Zusammenkünfte zu ermöglichen, bildet den Inhalt des Romans, dessen Personen auch in verfänglichen Situationen die Forderung der reinen, höfischen Minne einhalten und in der freiwilligen Trennung, welche allerdings durch die Ränke der Neider erklärt wird, einer gewaltsamen Lösung, wie sie der Karrenroman bereits früher angedeutet oder Machaut im Voir Dit zu erraten gegeben hatte, ausweichen. Der Held unternimmt eine Kriegsfahrt nach Spanien und bleibt auch später ein ergebener Ritter seiner Dame. In Nachahmung von Machauts Voir Dit tauschen die Personen lyrische Versstücke und Prosabriefe (8) aus, von denen die zwischen der Dame de la Tour und der Fürstin gewechselten als Stellungnahme Christinens gegen die Zwiespältigkeit der höfisch-galanten Minneauffassung betrachtet werden können. Die Annahme, in den Personen der Erzählung Angehörige des Hochadels erkennen zu sollen, ist schon aus der Erwägung schwer aufrecht zu halten, daß es Christine wohl kaum gewagt hätte, einen durch Andeutungen und Zeitumstände so schnell lösbaren Schlüsselroman zu schreiben.
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Außer an den genannten Werken muß Christine im Verlaufe des Jahres 1403 noch an einem umfangreichen Gedicht lehrhaften Inhaltes gearbeitet haben, das sie zu Neujahr 1404 unter dem Titel Mutation de Fortune (25.000 Achtsilb. mit Prosa vom 4. Buch an) dem Herzog v. Burgund überreicht. Ebenso erhält der Herzog v. Berry im März 1404 eine Hs. der Mutacion. Diese behandelt in der Form geschichtsphilosophischer Betrachtungen ein von den Dichtern des Mittelalters wiederholt aufgegriffenes Thema, die Klage über die Unbeständigkeit des Glückes. Von den sieben Büchern enthält das erste autobiographische Mitteilungen aus dem Leben Christinens bis zum Tode ihres Gatten (1390), das zweite Buch führt den Leser in das Schloß von Fortune, durch dessen vier Tore Richesse, Esperance, Pauvreté, Mort, alle gehen müssen. Für diesen Teil hat der von Guillaume de Loris verfaßte Teil des Rosenromans das Vorbild abgegeben. Buch drei beschreibt das Innere des Schlosses und spricht von der Rangordnung der einzelnen Stände, denen bei dieser Gelegenheit manche Wahrheiten gesagt werden. Fortune, die Tochter des Teufels, wird von ihren beiden Brüdern Eur und Meseur begleitet. Ihre Macht und Unbeständigkeit zu zeigen, erzählt Christine das Schicksal unglücklicher Frauen. Im vierten Buch beschreibt sie den Saal Fortunas mit seinen Wandgemälden, welche Themen der Philosophie und Weltgeschichte veranschaulichen. Hier geht sie plötzlich nach einer durch Krankheit verursachten Unterbrechung in Prosa über, die das Buch abschließt. Das fünfte Buch nimmt die Versredaktion (8 Silb.) wieder auf, beginnt den Exkurs über die Weltgeschichte, der zunächst die Ereignisse im Orient berichtet, im sechsten Buch bei der Geschichte Trojas und der Amazonen verweilt und im siebenten Buch auf die Taten der Römer, Alexanders und späterer Fürsten, besonders aber Karls, zu sprechen kommt. — Christine hat sich für diese Aufgabe gründlich vorbereitet und ihren Ausführungen zahlreiche Kompilationen zugrunde gelegt. Die als Belege dienenden Beispiele entnimmt sie dem Ovid moralisé und dem Rosenroman, Boccaccios Sammlung über das Schicksal edler Männer und Frauen bot Parallelen zu ihrem Thema, für das die Fais des Romains, dann eine bis Caesar reichende Weltgeschichte nebst Fortsetzungen als Quellen der historischen Abschnitte in Betracht kommen. Als Grundgedanke der Mutacion dürfte wohl die Anschauung von der Macht und der Unbeständigkeit Fortunas zu betrachten sein, die ihr als Zufall erscheint und
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deren Wirken sie im Laufe der Weltgeschichte vor Augen führen will. Daraus erklärt sich auch der weite Umfang des Werkes, das diese These am eigenen Schicksal und an den Ereignissen der Weltgeschichte beweisen sollte. Die letzte große Versdichtung Christinens gehört wieder dem Gebiet der höfisch-galanten Lyrik an, es sind die in der ersten Hälfte 1405 verfaßten Cent Balades d'Amant et de Dame (III, S. 209—317). Christine hatte das Werk auf Wunsch einer hochgestellten Persönlichkeit als Sühne für ihre Behauptung geschrieben, daß eine auf ihre Ehre bedachte Frau der Liebe aus dem Wege gehe. Die in diesem Zyklus gegebenen Voraussetzungen folgen genau der durch die Minnedoktrin vorgezeichneten Tradition, welche auch das Verhalten der beiden Personen regelt. Die Steigerung zwischen den einzelnen Abschnitten ist geschickt durchgeführt, oft durch reflektierende Momente vorbereitet oder hinausgeschoben. Auch hier wendet Christine der Veranschaulichung frauenhafter Empfindungen die größere Aufmerksamkeit zu, das Verhalten des Amant dient als Exposition, um die Äußerungen der Dame verständlich zu machen. Die Stimmung wird durch das Versmaß unterstrichen, rasch ablaufende Metren machen Freude und Ungeduld, lange Verszeilen ernste, pathetische Gefühle oder Reflexionen glaubhaft. Das Gedicht beginnt mit der Bitte des Amant, ihn zu erhören, die Dame weist ihn zunächst ab, er wiederholt seine Forderung, wendet sich an Espoir und verspricht treuen Dienst, ohne aber Erhörung zu finden. Er richtet eine Complainte an Amor, der die Dame wegen ihres Verhaltens tadelt. Die neuerliche Bitte des Ritters findet nun ein geneigteres Gehör, wie der Dank für den freundlichen Blick und Gruß beweist. Die Dame fragt, ob sie ihm wohl vertrauen könne, er beschwört sie, nicht länger zu zögern, beteuert seine wahre Liebe, sie erklärt sich für besiegt und gewährt den erflehten Kuß. Beide danken Amor und freuen sich ihrer Liebe, deren Stetigkeit sie betonen. Ein erstes Stelldichein vergeht in Liebesgeplauder, doch wecken mesdisans die Eifersucht des Gatten, der sie in strenger Hut hält. Klagen leiten zur Trennung über, welche den Amant über ein Jahr im Heeresdienst von der Dame fernhält. Der Trennungsschmerz kommt in Balladen der beiden Liebenden zum Ausdruck und erklärt das Mißtrauen des Amant, die Befürchtungen der Dame, da beide ohne Nachricht voneinander geblieben sind. Freudige Botschaft kündet das baldige Wiedersehen an, die Freude
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über den gewährten K u ß und die Seligkeit der Liebe bilden den Höhepunkt des ersten Teiles, als dessen Steigerung durch kurze Zeit noch der Balladenaustausch über Neujahrsgeschenke, Valentinsfeste mit ihren Huldigungen zu betrachten ist. Die neuerliche Trennung des Amant bereitet den Umschwung vor, der in der Absage des Liebhabers, zum Stelldichein zu kommen, erkenntlich wird. Der Argwohn der Dame äußert sich in den folgenden Balladen, welchen die Entschuldigungen und Vorwände des Amant antworten, der angeblich aus Rücksicht auf den Ruf der Dame fernbleibt, ja ihr sogar den Vorwurf ungebührlichen Verhaltens andern gegenüber macht. Die Antwort der Dame eröffnet den wahren Grund seines veränderten Wesens, er liebt eine andere, die sie bereits kennt. Der Gram wirft sie aufs Krankenlager, in einem Schlußlay beklagt sie ihre getäuschten Hoffnungen. — Die Annahme, die Königin als Heldin des Zyklus zu betrachten, ist durch nichts begründet, ebensowenig die Voraussetzung, sie habe den Zyklus angeregt, da in diesem Fall die Begrüßungsballade einen andern Inhalt haben würde. Zufälligerweise blieb der Zyklus nur in ihrem Prachtmanuskript erhalten, während zwei andere Abschriften verloren gingen. Kürzere Gedichte Christinens sind Zeitgenossen gewidmet. Die Epistre à Eustache Morel (II, S. 295—301, 212 8 Silb.) vom 10. Februar 1404 huldigt in leoninischen Reimen dem 'Scens, stile clergial' und der science des von ihr verehrten Meisters, als dessen disciple sie sich bezeichnet. Deschamps erklärt in seiner Dankballade (S. A. T. V I , S. 251), ihre epistres und livres gelesen zu haben, und lobt ihr Wissen. Die Complainte aus dem gleichen Jahr 1404 beklagt den Tod des Herzogs Philipps des Kühnen v . Burgund in rhetorischer Weise, indem sie Frankreich und das Königshaus zur Trauer auffordert. Ihr letztes Gedicht aus dem Jahre 1429 Le Dittie sur Janne d'Are ist ein Hymnus auf die Jungfrau v. Orléans, die sie als Champion de France feiert, durch welche der Friede im Lande und in der Christenheit wieder hergestellt werden soll. Sie wendet sich auch an Karl, dem sie Ratschläge und Warnungen mit der Aufforderung erteilt, sein Herrscheramt auszuüben und seine Feinde zu vernichten. D e r S t r e i t u m d e n R o s e n r o m a n . Schon in der Mai 1399 verfaßten Epistre au Dieu d'amours hatte Christine die Frauen gegen die ungerechten Beschuldigungen ihrer Feinde in Schutz genommen und sich gegen die Schriften der clers ausgesprochen,
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die solche unbegründete Vorwürfe verbreiteten. Sie hatte bald Gelegenheit, ihre Ansichten noch einmal und entschiedener vor der Öffentlichkeit zu vertreten, vor der sich nun die als Querelle du roman de la Rose bezeichnete Diskussion abspielte. Der Ausgangspunkt dieser literarischen Auseinandersetzung für und gegen den Rosenroman war die abfällige Äußerung einer nicht genannten Persönlichkeit, wahrscheinlich eines Juristen, über Jean de Meung, der in dem Propst von Saint-Pierre in Lille, J e a n de M o n t r e u i l , der beim Gespräche anwesend war, seinen Verteidiger fand. Jean de Montreuil wiederholte seine Ansicht in lateinischen Briefen, die er an den Kritiker des Rosenromans und an Freunde richtete, die gleich ihm Jean de Meung als Autorität anerkannten. Christine nahm in diese Schreiben Einsicht und antwortete anfangs September 1401 in einer ausführlichen französischen Epistel, die infolge der hier ausgesprochenen Kritik an dem Rosenroman, dem sie trotz seiner Vorzüge Unmoral und Sittenlosigkeit vorwirft, den Sekretär Karls VI, G o n t h i e r C o l , Mitglied der Cour Amoureuse, zu zwei Antworten veranlaßte (13. und 15. Sept. 1401), in denen er Christine um eine Abschrift ihrer Epistel ersuchte. Die Dichterin willfahrte seiner Bitte und legte ein Begleitschreiben ohne Datum (1401) bei. Ihre beiden Schreiben und die zwei Briefe von Gonthier Col vereinigt sie mit einer Zuschrift an Guillaume de Tignonville, Prévost v. Paris, worin sie dessen Hilfe in ihrem débat erbeten hatte, zu einem kleinen Dossier von fünf Stücken, von denen die Königin am 1. Februar 1402 eine Abschrift mit einer Widmungsepistel erhält. Dieser von Christine selbst als débat gracieux et non hayneux bezeichnete Austausch persönlicher Meinungen über den Wert oder Unwert des Rosenromans wird nun durch die Stellungnahme des berühmten Predigers und Kanzlers der Universität J e a n G e r s o n z u einer Angelegenheit, die auch für die Öffentlichkeit mehr als einen Briefwechsel unter Hofdichtern bedeutete. Gerson veröffentlicht am 18. Mai 1402 einen Traité contre le romani de la rose, der den kirchlichen Standpunkt auf das schärfste betonte. In einer Vision läßt er die Cour de Chrestienté unter dem Vorsitz von Justice canonique zusammentreten, um die Anklage von Eloquentia theologica und Chasteté gegen den Autor des Rosenromans zu vernehmen, welchem in acht Artikeln seine Vergehen gegen Sitte, Moral und Religion vorgeworfen werden, worauf die Verurteilung erfolgt. Gerson nimmt als Priester vor allem gegen die im Rosenroman
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vertretene Sittenlosigkeit Stellung, wenn er durch Chasteté an Fol Amoureux den Vorwurf richtet, er zeige, comment toutes jeunes filles doivent vendre leurs corps tost et chierement sans paour et sans vergoigne. Auch der Paganismus, der in dem Werke zum Ausdruck komme, wird dem Autor vorgeworfen. Eine Antwort von Pierre Col (ohne Datum) an Christine zur Widerlegung der von ihr und Gerson vorgebrachten Ansichten und zur Verteidigung von Jehan de Meung veranlaßt eine zweite, diesmal lateinische Schrift Gersons (ohne Datum) die Responsio ad scripta cujusdam errantis de Innocentia puerili, in der der Kanzler noch einmal seine Stellung dem Rosenroman gegenüber vom Standpunkt der Moral und Religion in eindringlicher Weise festlegt und Gelegenheit findet, Christine anerkennende Worte zu sagen. Christine richtet ihrerseits, ohne Gersons responsio zu kennen, ein Schreiben an Pierre Col (2. Okt. 1402), in welchem sie dessen Ausführungen einzeln vornimmt und widerlegt. Sie betont den Wert der reinen Liebe ohne Sinnlichkeit und stellt dem Rosenroman und seinen Visionen ein besseres Buch gegenüber, le livre que on appelle le Dante. Die Königin bekam auch diesen Brief mit einer Zueignung zum Neujahr (S. A. T. I, S. 248), ebenso G. de Tignonville, der als 'mon chier seigneur' gegen die 'alliez du romans de la Rose' begrüßt wird (I, S. 249). Die Antwort von Pierre Col (ohne Datum) ist nur im Anfang erhalten. Den Abschluß des Debat bilden drei undatierte lateinische, an ungenannte Freunde gerichtete Briefe des Jean de Montreuil, der Christinens Kampf gegen Jehan de Meung in eine Parallele mit dem Verhalten jener griechischen meretrix bringt, welche nach Ciceros Bericht gegen den Philosophen Theophrastus aufgetreten war. Die P r o s a s c h r i f t e n Christinens folgen in ihren Themen den früheren Verstraktaten, nur kann hier die Dichterin, frei vom Zwang der gebundenen Rede, ungleich leichter ihr enzyklopädisches Wissen entfalten, das sie in den Dienst der Belehrung und der Moral stellt. Die erste größere Prosaschrift ist 1403 für den Herzog Louis v. Orléans verfaßt, es ist die Übersetzung der 1372 von Laurent de Premierfait und später von Jean de Courtecuisse 1403 neuerlich übertragenen Abhandlung des Martin v. Braga: De quattuor virtutibus, die sie Seneca zuschrieb, unter dem Titel: Le livre de la Prodhommie de l'omme, in zweiter Abschrift Livre de Prudence a l'enseignement de bien vivre genannt (Hss. Bibl. nat. fr. 605; 2240). In fünfzehn Abschnitten spricht sie
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über die Heranbildung körperlicher und geistiger Anlagen, über die Vorzüge von prudence, justice, fortitude und atemprence sowie über deren Einfluß auf den Menschen in verschiedenen Lagen des Lebens. Als Historiograph tritt Christine mit der Lebensbeschreibung des französischen Königs Karls V. vor die Zeitgenossen, denen sie das Bild des Herrschers im Livre des Fais et bonnes tnoeurs du sage roi Charles entwirft. Der Bruder Karls V., Herzog Philipp v. Burgund, hatte, wahrscheinlich durch die ihm überreichte Mutación de Fortune dazu veranlaßt, Christine den Auftrag für diese Arbeit gegeben, welche sie auch nach dem Tode des Herzogs fortsetzt. Die Abfassung dauert von Jänner bis November 1404, am 1. Jänner 1405 kann sie dem Herzog v. Berry ein Exemplar des fertigen Buches überreichen. Die Hast der Redaktion erklärt die oft unveränderte Übernahme ihrer Vorlagen, als welche neben Boccaccios De genealogía deorum die Grandes Chroniques de France, eine Chronique universelle, die Schrift De regimine principum des Aegidius v. Rom und die Dits des Philosophes erkennbar sind. Die drei Abschnitte des Buches sprechen von den Vorzügen des Königs als Ritter (Noblesse de courage, noblesse de chevalerie) und als Herrscher (Noblesse de sagesse). Aus der Tendenz des Werkes loer ce qui ait ä loer (II. ch. X X V ) erklärt sich die Einstellung Christinens zu den historischen Ereignissen während der Regierung Karls. Sie stellt jene Einzelheiten in den Vordergrund, die ihrer Absicht, den König als vollkommenen Herrscher zu zeigen, entgegenkommen. Zu diesem Zwecke knüpft sie Betrachtungen oder Textstellen an die von ihr berichteten Eigenschaften, greift in allgemeinen didaktischen oder moralisierenden, der Belehrung des Adels dienenden Unterweisungen über ihr Thema hinaus und gibt in zahlreichen Einzelheiten ein Bild der politischen und geistigen Atmosphäre des Pariser Hofes, an dem der König in den Vordergrund tritt. Karl erscheint im Kreise seiner Minister und seiner Familie, mit seinen politischen und humanistischen Bestrebungen, von denen insbesondere die Bemühungen um die Literatur Christinens Würdigung finden. Trotz aller Rücksicht, das ihr übertragene Amt eines offiziellen Historiographen im Sinne des Auftraggebers auszuführen, hält sich Christine von übertriebener Lobsprecherei fern und findet dort, wo persönliche Wahrnehmungen ihrem Berichte zugrunde liegen, warme Worte zur Würdigung des verstorbenen Königs.
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Das Jahr 1405 ist nicht nur für die Versdichtung bedeutsam (Cent balades d'Amant et de Dame), sondern überhaupt von reger literarischer Tätigkeit erfüllt. Vor Ostern vollendet Christine 'Le liwe de la Cité des Dames', die eine durch Allegorien verfochtene Apologie der Frauen vorstellt und sich an frühere Werke gleicher Tendenz anschließt. Man könnte das Buch als einen Anti-Matheolus bezeichnen, da Christine ihre Burg der Frauentugenden unter dem Eindruck der bekannten Schmähschrift erstehen läßt. Vorzüge und Tugenden der Frauen sind die Bausteine, aus denen Justice, Droiture und Raison die Cité des Dames aufführen. Im Gespräch mit den drei Tugenden werden Frauen genannt, die auf dem Gebiete der Kunst, Wissenschaft und Politik Großes leisteten, die sich durch besondere Vorzüge und Eigenschaften auszeichneten (Propheten, treue Gattinnen, Klugheit, Sittsamkeit), zum Schluß fehlen auch weibliche Heilige nicht, um die Reihe edler Frauen abzuschließen. Die von den Frauenverächtern immer wiederholten Vorwürfe werden in dieser umfassenden Apologetik des weiblichen Geschlechtes mit Zitaten aller Art entkräftet. Diese sind Boccaccios De claris mulieribus und der Legenda aurea entnommen. Boccaccios Text konnte Christine, außer in seiner lateinischen Fassung, auch in der seit 1401 verbreiteten französischen Übersetzung vorgelegen haben, den Gedanken eines nur den Erlesensten zugänglichen Gemeinwesens dürfte ihr wahrscheinlich die Civitas Dei des hl. Augustinus nahegelegt haben. Das Buch ist 1521 in englischer Sprache in London gedruckt worden. Haben demnach die im ersten Halbjahr 1405 verfaßten Prosaund Versabhandlungen die Schriftstellerin in neuen Werken beschäftigt, so sind die folgenden Monate mit nicht weniger fruchtbringender Tätigkeit ausgefüllt. Die zwei Sammelhandschriften, welche den Überblick über das poetische Schaffen Christinens bis Ende 1405 geben und für den Herzog von Berry (Hs A 1 ) und die Königin v. Frankreich (A*) angelegt wurden, dürften Christine vollauf in Anspruch genommen haben. Vom 5. Dezember 1405 ist die Epistre à la royne datiert, in der sie sich an die Königin mit der Bitte wendet, für den Frieden einzutreten. Sie schildert die Leiden des vom Krieg bedrückten Volkes und weist warnend auf das kommende Strafgericht Gottes hin. Die bereits früher im Chemin de long estude und in der Mutacion ausgesprochenen Gedanken wiederholt und erweitert die noch Griber-Hofer, Gesch. d. mitteifrz. Lit. I I .
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vor Ostern 1406 vollendete Prosaschrift Avision Christine, die theoretische Abhandlungen und praktische Belehrung verbindet. Eine Vision entführt Christine in ein fernes, von Nebeln erfülltes Land, wo ihr der Riese Chaos, vermutlich Kosmos, begegnet, der sie verschlingt. Im Innern dieses Riesen durchwandert sie eine wunderbare Welt und macht hier die Bekanntschaft einer Dame, deren Klagen zu einem Exkurs über die Geschichte Frankreichs führen, wobei eine oft herbe Kritik an den Zeitverhältnissen geübt wird, wenn sie z. B. feststellt, daß L u x u r e und F r a u d e den edlen Sinn der Ritterschaft verdorben haben. Der zweite Teil, De Dame Opinion et de son Ombre, versucht das Wesen der Erkenntnisse zu ergründen, die in ihrer Mannigfaltigkeit unter dem Bilde von Schatten vorgeführt werden, deren verschiedene Farben und Gestalten, in denen sie nur dem geistigen Auge sichtbar sind, die einzelnen Disziplinen vertreten. Der dritte Teil führt in ein Kloster, über das Philosophie als Äbtissin herrscht. Christine wird in ein Zimmer geleitet und erhält die Erlaubnis, kostbare Kleinodien, d. h. Erkenntnisse, aus den dort stehenden Truhen fortzutragen. Sie hört die Stimme von Sapience, die Boethius in seinem Unglück tröstete, was sie veranlaßt, die Schrift De Consolatione nachzulesen. Die 'Complainte de Christine à Philosophie' erzählt ihre Autobiographie bis zum Jahre 1405, worauf als Abschluß die 'Réponse de Philosophie' folgt, welche die Vorwürfe Christinens mit Boethius widerlegt. Erinnerungen an Dante, an die Apokalypse, starke Beeinflussimg seitens der Schrift des Boethius de Consolatione Philosophiae, Anklänge an den Rosenroman und den Polycraticus des Johann v. Salisbury ergeben die unmittelbaren Vorlagen der Avision, zu der noch die Erinnerungen an die in der Mutacion verwendeten Quellen kommt. In Gegensatz zu den übrigen didaktischen Werken Christinens ist der Sinn und die Absicht der Avision schwer zu bestimmen. Vielleicht will die Dichterin in dem Bericht ihrer Wanderung durch die drei Welten, die sie schildert, ein Bild der ihr als Ideal vorschwebenden Gesittung entwerfen, die die Welt mit höherem Gehalt erfüllen kann. So ist die Avision das hohe Lied der Vergeistigung des Lebens, das seine sittlichen Werte aus den Ideen, nicht aus der Materie ableiten soll. Wie keine andere Schrift Christinens gibt diese enzyklopädische Abhandlung Einblick in ihre philosophischen und geschichtsphilosophischen Anschauungen, die sie aus ihrer weiten Belesenheit in persönlicher Auffassung zu gestalten sucht.
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Die nach der Avision in den folgenden Jahren veröffentlichten Prosaschriften gehen den gleichen Weg didaktisch-moralisierender Propaganda. Vor November 1407 ist die Abhandlung Le Livre du corps de Policie (Bibl. nat. f. fr. 1197) zu setzen, worin wichtige Fragen standesgemäßer Erziehung und ritterlicher Betätigung des Adels, ferner Belehrungen über die Pflichten der einzelnen Stände im Staate, dessen Begriff aus den Anschauungen des Aristoteles erklärt wird, vom Standpunkt der Moral und Religion zur Erörterung kommen. Dieser Inhalt erklärt auch die Aufnahme des Werkes in die Bibliothek des Herzogs Ludwig v. Orléans und die Annahme der Schrift seitens des Herzogs Johann v. Burgund, der Christine wahrscheinlich für den Livre du corps de policie und die Avision den Betrag von 50 Francs auszahlen ließ. Der erste Teil, 33 Kapitel, nimmt seine Lehren aus der von Ägidius v. Rom verfaßten Abhandlung De regimine principum und ist eine Staatslehre für Fürsten, denen sie Beispiele aus Valerius Maximus zur Nachahmung anführt. Der zweite Abschnitt, dem weiteren Adelsstand gewidmet, verwertet die Schriften des Vegetius und Frontin, der dritte Teil, der sich an das Volk in seiner Gesamtheit wendet, enthält die aus den Übersetzungen des Nie. Oresme geschöpften Lehren des Aristoteles über Moral und Politik in ihren Anwendungen auf das Wesen und die Aufgabe des Staates. Der Ton der Schrift ist eindringlich, die Darstellung will den Inhalt in leicht verständlicher Weise, durch Exempla erläutert, einer der Materie ferner stehenden Gesellschaftsklasse nahebringen. Noch einmal wendet sich Christine in einer Schrift an die Frauen, um ihnen für verschiedene Lebenslagen Rat und Belehrung zu geben. War die Cité des Dames eine Verteidigimg gegen die Angriffe der Frauenverächter, so will der vor Mai 1408 vollendete Livre des trois vertus pour l'enseignement des princesses, auch Tresor de la Cité des Dames genannt, in seinen didaktisch-moralisierenden Erörterungen den Frauen aller Stände eine Hilfe sein, die den Tugenden Raison, Droiture und Justice zu danken ist. Von den drei Teilen des Livre handelt der erste über die Pflichten und Tugenden der Fürstinnen im öffentlichen und privaten Leben, der zweite ist den adeligen Frauen, besonders aber den in Hofdiensten stehenden zugedacht und empfiehlt Frömmigkeit, Anstand und entsprechendes Verhalten in verschiedenen Situationen. Neben den Voraussetzungen des Standeslebens kommen auch 3*
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theoretische und praktische Fragen zur Erörterung, welche in Ratschläge und Warnungen, besonders für die Gattin und Hausfrau, ausklingen. Der dritte Abschnitt richtet sich mit eigens ausgewählten Beispielen an die Frauen in Städten und Dörfern mit dem Rat, sich in die bestehenden Verhältnisse zu fügen, nicht über den Stand hinauszustreben, Bescheidenheit und Genügsamkeit als erste Lebensregel zu betrachten. Einsicht und warme Anteilnahme, welche auch den Verfemten der 'folie vie' tröstende Worte nicht versagt, charakterisieren diese Abhandlung, welche die frühere, nur für Mädchen bestimmte Schrift des Ritters de la Tour Landry ergänzt und in den Exkursen zu verschiedenen Fragen ständischen Lebens nicht selten kulturhistorischen Wert besitzt. Religiöses Gebiet betritt Christine in der Nachdichtung der sieben Bußpsalmen, Les sept Seaumes allegorisez, welche außer dem Text Reflexionen sowie Gebete für das Königshaus, den Klerus und die Stände enthalten. Sie wurden 1409 für König Karl v. Navarra verfaßt, eine Abschrift erhielt zu Neujahr 1410 der Herzog v. Berry überreicht. Im Jahre 1410 tritt Christine nur mit einer Schrift hervor, in der sie zu Zeitereignissen Stellung nimmt. Es ist die am 28. August verfaßte Epistre au duc de Berry, auch noch Lamentation sur les maux de la guerre civile genannt. Wieder verweilt sie bei der Schilderung der Kriegsgreuel, welche sie als gegen die Vernunft gerichtet erklärt, ermahnt den Klerus und die Frauen, sich gegen diese Zustände aufzulehnen, und stützt ihre Thesen durch Stellen aus antiken Schriftstellern. Vaterlandsliebe und Mitgefühl für die Opfer des Krieges heben den Ton oft zu eindringlicher Beredsamkeit. Nach zweijährigem Schweigen wendet sich Christine 1412 im Livre des fais d'armes et de chevalerie, den sie am 1. Jänner 1413 dem Herzog v. Berry überreicht, wieder didaktischen Fragen zu. Sie spricht hier über das Verhalten der Ritterschaft im allgemeinen und im Kriegsfall, gibt dann Ratschläge über bestimmte Voraussetzungen der Kriegführung und erörtert Fragen des Kriegsrechtes an konkreten Beispielen. Die ihr fernliegende Materie nimmt sie aus dem französischen, von Jehan de Vignay übertragenen Text des Vegetius, den sie durch Frontin und den Arbre de Bataille des Honoré Bonet ergänzt, von dem sie sich dann Verzeihung dafür erteilen läßt, seine Schrift so weitgehend übernommen zu haben.
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Noch im gleichen Jahre beginnt Christine im Herbst ein neues Werk und vollendet vom i. September bis i. November das erste Buch des Livre de la Paix, dessen Fortsetzung sie am 3. September 1413 aufnimmt. Das Buch war Ende 1413 abgeschlossen, da der Herzog v. Berry am 1. Jänner 1414 ein Exemplar erhielt. Von den drei Büchern handelt das erste über die Segnungen des Friedens und bespricht die Vorteile, welche Vorsicht und Klugheit in der Politik ermöglichen. Das 2. Buch untersucht die dem Adel notwendigen Eigenschaften (Ritterschaft, Gerechtigkeit und andere Vorzüge) unter Hinweis auf das von Karl hiefür gegebene Beispiel. Der dritte Abschnitt gibt Ratschläge im Sinne einer auf Milde, Freigebigkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit beruhenden Regierung, wobei Anspielungen auf die Ereignisse in Paris (Aufstand der Cabochiens) die Diskussion unterbrechen. Christine zeigt sich hier nicht als Freundin des Volkes (populaire), dem sie Beständigkeit und die Fähigkeit abspricht, errungene Macht richtig zu gebrauchen, sie ermahnt vielmehr die Fürsten, tatkräftig zu sein und weise Ratgeber aus den Kreisen der Bürger und clers heranzuziehen. Beispiele aus der Regierung Karls V. verleihen den hier vorgebrachten Thesen entsprechenden Nachdruck, in ihren politischen und staatsrechtlichen Anschauungen folgt sie den in Senecas De dementia und den ihm zugeschriebenen Schriften ausgesprochenen Ansichten. Als Trostschrift für Marie v. Berry, Tochter des Herzogs Jean de Berry, welcher Christine bereits eine Ballade gewidmet hatte (Autres Bai. X X , I, S. 229/30), ist die am 20. Jänner 1418 beendete Epistre de la prison de vie humaine et d'avoir reconfort de mort d'amis et pacience en adversitez gedacht. Mariens Gemahl, Herzog Jean I. v. Bourbon, war in der Schlacht bei Azincourt mit ihrem Sohne und anderen Verwandten gefangen genommen worden. Christine versucht, die Fürstin und die anderen über dieses Unglück klagenden Frauen mit dem Hinweis auf die Freuden zu trösten, welche die Opfer der Schlacht im Paradies finden werden. Christine konnte für ihre Ausführungen die von Vinzenz v. Beauvais an den hl. Ludwig gerichtete Trostschrift benützen, in der dem über den Tod seines Sohnes trauernden König die Verheißungen der Religion in Erinnerung gebracht werden und welche in französischer Übertragung seit 1374 vorlag. Außerdem kommen für den Inhalt noch die Christine schon früher vertrauten Abhandlungen des Pseudo Seneca De remediis fortuitorum
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in der Übersetzung des Jacques Bauchans de Saint-Quentin und die Consolatio philosophiae des Boethius in der Übertragung des Jean de Meung in Betracht, während Zitate aus der Bibel, den Kirchenvätern und antiken Schriftstellern die vorgebrachten Ansichten entsprechend begründen sollen. Unter dem Eindruck der Schlacht von Azincourt dürften auch die 'Heures de contemplation de la passion nostre Seigneur verfaßt worden sein, die nach Ludolf v. Sachsen eine Trostschrift für alle Frauen sein wollen, die im Leben tiefes Leid und Enttäuschungen erfahren haben. Nach dem Jahre 1418, in dem die Dichterin zum Eintritt in das Kloster Poissy gezwungen worden war, verstummt Christine. Nur noch einmal tritt sie aus ihrer Zurückgezogenheit hervor, als sie am 31. Juli 1429 im Dittié sur Jeanne d'Arc (s. Versdichtung) ihrer Freude Ausdruck verleiht, Frankreichs Sonne wieder leuchten zu sehen. Christine mag es selbst als Fügung des Schicksals betrachtet haben, daß sie, die Vorkämpferin für die Rechte der Frauen und die Segnungen des Friedens, den letzten poetischen Gruß der Verkörperung ihrer so oft geträumten allegorischen Gestalten senden durfte. Christine ist, als sie ihre literarische Tätigkeit mit lyrischen Gedichten begann, zunächst der Zeitströmung gefolgt. Sie geht den von Machaut und Deschamps vorgezeichneten Weg, indem sie neben der höfisch-galanten Modedichtung, die sie auch später in der Form der Débats fortsetzt, die persönliche Lyrik zum Ausdruck bringt. In beiden Gattungen weiß sie Natürlichkeit und vor allem ein entsprechendes Maßhalten im Wollen und Können zu bewahren. Sie sucht in ihre Themen, die sie samt der Art der Ausführung den Vorgängern Machaut, Deschamps, Froissart, Oton de Granson entnimmt, nicht mehr hineinzulegen als sie geben kann. Es schwingt ein Ton frauenhaften Empfindens in allen ihren lyrischen Dichtungen mit, ihre Eigenart ist es, weniger die heftigen Regungen als vielmehr die durch höfische Tradition an feste Regeln gebundene Konvenienz der Liebe mit ihren Abstufungen oder Voraussetzungen in heiterer, liebenswürdiger Weise, ohne schwere Akzente, vorzuführen und aus eigenem Gefühl heraus glaubhaft zu machen. Dabei hat sie es von selbst verstanden, die Übertreibungen und Künsteleien der preziösen Modedichtung, wie Machaut sie vertritt, zu vermeiden und der Bitterkeit persönlichen Unmutes,
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der so oft aus Deschamps Gedichten spricht, durch sanfte Melancholie und Resignation auszuweichen. Daher der natürliche Fluß, die ungezwungene, oft spielende, meist an Einzelheiten haftende Darstellung in den kleinen, kurzen Modedichtungen, neben der auch persönliche Mitteilungen vertreten sind. Mit anderem Ausdruck tritt dagegen Christine aus ihren großen allegorischen Vers- und Prosadichtungen hervor, in denen sie auf dem Gebiet philosophisch-lehrhafter oder geschichtlicher Unterweisung dem Streben der Zeit nach Bildung dienen will. Hier ist sie ernst und ganz von ihrer Aufgabe erfüllt, eine 'Ancelle de science' zu sein (Epistre ä Eust. Morel). Denn sie sah gerade in den wechselnden Glücksfällen ihrer Zeit im Studium den einzigen beständigen Wert, den das Leben gewähren konnte: La ou sapience est commune, La est vertu, la est constance (Plüschel, Chemin de long estude, S. 221). In dieser Überzeugung stellt sie ihren Fleiß, ihre Kenntnisse in den Dienst eines großen Gedankens, an der Besserung ihres Jahrhunderts, dessen Niedergang auf wirtschaftlichem und geistigem Gebiete sie oft bitter beklagt, mitzuarbeiten, Bildung und Humanität, gestützt auf die Autorität von Science und Religion, zu verbreiten, das Recht auf Persönlichkeit und Bildung allen, auch den Frauen, die sie gegen die Verunglimpfungen der frauenfeindlichen Literatur mutig verteidigt, zu erkämpfen und diese Ziele weniger durch polternde Anklagen gegen bestehende Verhältnisse als vielmehr durch den Hinweis auf erstrebenswerte Ideale zu erreichen. Aus diesem Grunde wird sie zur Aufklärerin, welche diese Ideen, die sie durch Allegorien oder Visionen faßlich machen, will, in Prosa- und Versschriften verbreitet, die heute eine wertvolle Fundgrube für das Verständnis geschichtlich-politischer und kultureller Verhältnisse bilden. Ihre Gedanken, aus vielen Quellen geschöpft, vereinigen wertvolle Bestandteile der christlichen und heidnischen Bildung, indem sie antike und christliche Philosophie, von Aristoteles, Seneca, Cicero, Thomas v. Aquin beeinflußt, in ihren Hauptpunkten praktischer und theoretischer Lebensweisheit miteinander in Einklang zu bringen sucht und humanistische Wertschätzung durch Hinweis auf antike Autoren und die Aufforderung, die hier vertretenen Anregungen zu befolgen, fördert. Trotz aller Wertschätzung für alle in der Antike wurzelnden Bildungselemente erschließt ihr das Studium der alten Autoren, die sie vielfach nur aus zweiter Hand in Übersetzungen und Kommen-
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taren kennt, nicht das Verständnis für die Ideen und die Lebensauffassung der heidnisch-antiken Welt, sie betrachtet die lateinischen Schriftsteller lediglich als Autoritäten, die sie in mittelalterlicher Weise als Belege für ihre Thesen verwertet und deren Zeugnis unanfechtbar ist (vgl. die Aufzählung der in Betracht kommenden Namen im Livre des fais et botines moeurs, III, ch. 67). Immerhin hat sich aus der Beschäftigung mit den klassischen Autoren und aus der Bedachtnahme Christinens, Sprache und Ausdruck ihrer Schriften durch Einstellung auf ihre Vorbilder zu heben, jener 'style clergial' und 'prosal' herausgebildet, der in seiner bewußten Nachahmung des Lateinischen das Französische befähigen sollte, 'choses estranges .. en plus grant soubtilité (Vision fol. 61 und 67 nach Pinet) darzustellen und so die Sprache für die Diskussion abstrakter Themen auszubilden. Dabei verfiel sie freilich in den Fehler, ihren Stil allzusehr dem Lateinischen anzupassen, was den oft schweren, überladenen, durch weitgehende Unterordnung verlängerten Satz zur Folge hat. Sie häuft Substantiva, übernimmt formelhafte Wendungen aus der mittelalterlichen Gelehrtensprache, scheut vor Neubildungen oder Substantivierungen von Infinitiven nicht zurück, so daß ihre Prosaschriften schon den Zeitgenossen als schwer verständlich und dunkel (obscur) erschienen. In ihren Versdichtungen verwendet Christine meist die kurzen Metren, 7-8-10 Silbner, der Alexandriner fehlt überhaupt. Die Ballade hat drei Strophen von 8, 9, 10, 11, 12, 13 Zeilen mit und ohne envoi. Von musikalischen Rücksichten hat sich Christine nicht mehr leiten lassen.
ALAIN CHARTIER. Christinens Einfluß folgt auf beiden Gebieten der Prosa- und lyrisch-didaktischen Dichtung A l a i n C h a r t i e r , der noch von Clement Marot im XVI. Jahrhundert als Meister der französischen Dichtkunst gefeiert und neben Ovid und Petrarka gestellt wurde. Er ist gegen 1385 in Bayeux geboren, wo seine Familie seit 1309 urkundlich erwähnt wird. Ch. studierte in Paris Jurisprudenz und promovierte hier zum maitre 6s arts. Als Sekretär des Königs Karls VII. unternahm er diplomatische Reisen, welche ihn nach Deutschland und Italien (1425), nach Brügge (1426) und Schott-
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land (1428) führten. Seine dichterische Tätigkeit fällt in die Zeit von 1415—1429. Ende dieses Jahres ist er in Avignon gestorben, wo ihm 1458 von seinem jüngeren Bruder Guillaume, Bischof v. Paris, ein Grabstein errichtet wurde. Zu Chartiers Werk ist in den Handschriften manches Fremde hinzugezogen worden, am freiesten hievon ist noch die Handschrift Bibl. nat. 1127, doch fehlen darin mehrere größere Werke Chartiers. Dem ältesten der datierbaren Werke, dem Ende 1415 oder Beginn 1416 geschriebenen Livre des quatre Dames, dürfte als erster poetischer Versuch Chartiers der Lay de Plaisance vorangehen, wenn man die Äußerungen des Dichters, ohne Dame zu sein, der späteren Huldigung an seine Herrin im Livre des 4 Dames gegenüberstellen und zur relativen Zeitbestimmung heranziehen will. Ähnlich wie Christine klagt Chartier 'tout seulet demourer', da ihm 'loyale amour' versagt sei. Er preist den Einfluß von Plaisance, die hier die gleiche sittlichende Wirkung äußert wie sonst die höfische Minne, deren Voraussetzung sie überhaupt ist, er hebt ihre veredelnde Kraft hervor, die weiterstreben läßt und Leute einander näherbringt, und schließt mit der Aufforderung beizutragen, daß Plaisance weiterbestehe. Ungleich persönlicher ist das erste zeitlich bestimmbare Werk, der Livredes quatre dames, Ende 1415, Anfang 1416 (3538 V., Privilegstr., Prolog 8 Silb.), der bereits die Eigenart des Dichters zeigt, äußere Anlässe in ihrer Einwirkung auf Personen zu einem Einblick in das Seelenleben zu verwerten. Ch. knüpft an die Schlacht von Azincourt (25. Okt. 1415) an, indem er vier Damen über das Los ihrer Liebhaber klagen läßt. Die erste betrauert den Tod ihres in der Schlacht gefallenen Freundes. Die zweite ist untröstlich darüber, daß ihr Ritter gefangen genommen wurde, die dritte vergeht in der Ungewißheit, ob ihr Freund lebe oder gefallen ist, die vierte macht ihm seine feige Flucht zum Vorwurf. Aufgefordert, sich zu äußern, welche der vier Damen wohl das schwerste Los zu tragen habe, wagt es der Dichter, der auf einem Spaziergang die vier Damen getroffen hat, nicht, sich darüber auszusprechen, sondern überläßt die Entscheidung seiner Dame. Das Gedicht, wohl nicht unbeeinflußt von Machauts Dits, verwertet die in der höfischen Lyrik gerne aufgeworfene Frage, ob es besser sei, dem gestorbenen Geliebten nachzuweinen oder einen ehrlosen Freund zu vergessen. Aus dem rein gedanklich erfaßten Thema ergeben sich die langen theoretischen Diskussionen über bestimmte Voraussetzungen der Minne-
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doktrin, so in den Ausfällen gegen den Tod, in den langen thematisch gehaltenen Reflexionen, Rhetorik muß über manche leeren Stellen hinwegführen und macht nur selten wärmerem Ton Platz, wenn in den Klagen der dritten Dame das Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung gezeigt, der Wechsel der Stimmung erkenntlich gemacht wird. Immerhin versteht es der Dichter, den vier Personen in ihren Äußerungen eine persönliche Note zu verleihen und ihre Stellungnahme zu manchen Fragen hervortreten zu lassen. Denn versteckt richtet sich der Vorwurf an die Ritterschaft, durch ihr Verhalten das Unglück von Azincourt verursacht zu haben. Wirkliche Trauer über die Lage Frankreichs ist die persönliche Note des Dichters, dessen Sprache hier noch ungleich und manchmal überladen klingt. Aus einer Bemerkung der zweiten Dame, daß seit der Gefangennahme zehn Jahre verflossen seien, könnte man als letzten Termin das Jahr 1425 annehmen. Tritt im Livre des quatre dames der Hinweis auf die Zeitereignisse noch hinter dem Hauptthema zurück, so wird in einer Reihe von späteren Gedichten die politische und moralisierende Tendenz ungleich deutlicher hervorgehoben. In einem bisher unbekannten Débat (1416—1420) zwischen einem Herold und Ritter einerseits und einem Vilain andererseits (440 Verse in 55 kreuzweise gereimten 8-zeil. Strophen) entwirft der Dichter ein düsteres Bild der kriegerischen und rohen Zeit, welche den Hintergrund für Personen und Handlungen abgibt. Ein alter Ritter kommt gerade dazu, wie ein junger Adeliger einen Bauern beschimpft, und hält ihm sein ungebührliches Verhalten vor, indem er ihn an die Ritterlichkeit seiner Vorfahren erinnert und ihn auffordert, nach Ehre und Waffenruhm zu streben. Der Getadelte antwortet zunächst mit groben Worten, will aber dann sein Verhalten durch die Verrohung der Sitten entschuldigen und als notwendig hinstellen. So kommt das Gespräch auf die Zustände der Zeit, die von beiden mit Ausfällen auf die Stände beklagt werden. Als nun auch der vilain seine Beschwerden äußert und seinen Standpunkt darlegt, wird er von den beiden anderen mit Spott und Hohn überhäuft. Der Autor tritt dann mit bitterem Lachen hervor und schließt das Gedicht mit einer Aufforderung an Nesson zu einem poetischen Zweikampf. Politik und Zeitverhältnisse ergeben den Inhalt des Lai de la Paix (Ende 1424), zu dem Pierre Nesson als Gegenstück seinen
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Kriegslai dichtete. Chartiers Gedicht wurde dem Herzog Philipp dem Guten überreicht, als der Dichter 1426 nach Brügge kam. Es ist ein Hymnus an den Frieden, den er eine Tochter der Götter nennt, die aber jetzt durch Zeitverhältnisse aus Frankreich vertrieben ist. Er entwirft ein Bild der Kriegsgreuel, denen er die Segnungen des Friedens in der Vergangenheit gegenüberstellt, als alle Stände zufrieden lebten. Deshalb mahnt er Adel und Geistlichkeit in oft unverblümter Weise an ihre Pflichten, betont die Gerechtigkeit als Voraussetzung des Bestandes aller Reiche und will die Erniedrigung Frankreichs als Strafe Gottes für den Verfall der alten, erprobten Einrichtungen ansehen. So hält der Dichter, immer vom Standpunkte einer höheren Warte aus, strenges Gericht, stützt sich zur Bekräftigung seiner Ansichten auf lateinische Autoren und zieht auch theologische, sittliche Fragen in den Kreis seiner Erörterungen, die dann durch entsprechend gewählte Allegorien dem Verständnis nahe gebracht werden. Rein didaktisch und ohne Bezug auf politische Verhältnisse ist die Tendenz des dem Adel zur Unterweisung bestimmten Breviaire des nobles (13 Balladen, meist in Langversen) in dem Noblesse alle jene, welche ihr folgen wollen, auffordert, einmal im Tag die hier niedergelegten Ratschläge der 12 Tugenden wie aus einem Livre d'heures zu lesen. Obgleich Chartier die sozialen Unterschiede, als von Gott gegeben, für berechtigt anerkennt, weist er eindringlich darauf hin, daß auch der Adel Pflichten habe, welche durch Religion und Ehre dem König und den Schwächeren gegenüber bestimmt sind. Auch hier tritt die antike Auffassung in der Ansicht des Dichters hervor, ein ehrenhafter Tod sei besser als ein schmachvolles Leben. Weitere Vorschriften beziehen sich auf höfisch galantes Betragen, auf ritterliche Tugenden und Vorzüge, die außer der Wahrhaftigkeit auch Bildimg und Pflege des Verstandes in Betracht ziehen. Ungleich deutlicher, weil ohne Bitterkeit, hält der Dichter dem Adel alle Pflichten vor, die ihm aus seiner bevorzugten Stellung erwachsen. Die Übereinstimmung der in Breviaire, lai de la Paix und Quadrilogue ausgesprochenen Gedanken rückt das erstgenannte Gedicht mit großer Wahrscheinlichkeit in die Nähe der anderen datierten Werke, ohne daß sich der Anlaß der Abfassung bestimmen ließe. Chartiers Ruhm bei den Zeitgenossen geht aber weniger auf seine patriotischen Vers- und Prosadichtungen als vielmehr auf jene Gedichte zurück, welche, ähnlich den Dits Machauts, in
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epischer Form Streitfragen der höfischen, galanten Lyrik vorführen. Hier zeigt er jene Eigenschaften, welche die Eigenart dieser Werke bedingen, die Behandlung gedanklicher Themen mit scharfer Logik und psychologischem Verständnis für die Regungen seiner Personen, wodurch er den sonst einförmigen Debat zum lebenswahren Bilde von Personen, Stimmungen und Gefühlen erweitert und dem Interesse der Zeit an psychologischen Problemen durch die empfindsam erfaßten Themen entgegenkommt. Der Debat du Reveille-matin (46 8zeil. Stroph.), unter dem Titel Questione d'Amore ins Italienische übersetzt, berichtet das Gespräch zweier Freunde, das der Dichter entre deux sommes hörte. Nach vergeblicher Mahnung an seinen Freund, den Schlaf nicht zu stören, willigt der Sprecher ein, die Klagen des Verliebten über den vergeblichen Minnedienst und die hartherzige Dame anzuhören, worauf er ihm den Rat gibt, weiter zu dienen und alles zu ertragen, um die Gunst seiner Herrin zu gewinnen. Der Dichter hält dann am nächsten Tage das Gehörte in seinem Debat fest. In ähnlicher Weise verdankt der Dichter dem Zufall die Kenntnis der Umstände, welche den Inhalt der die Zeit beherrschenden, bis ins 16. Jahrhundert nachklingenden und auch 1471 von Carlo del Nero ins Italienische übersetzten Belle dame sans merci (100 8zeil. Stroph.) von 1424 ergeben, deren Zeichnung im Debat du Reveille-matin bereits in ähnlichen Voraussetzungen hervortrat. Der Dichter, der in traurigen Gedanken über den Tod seiner Herrin hinausgeritten ist und den Entschluß gefaßt hat, der Poesie zu entsagen, kommt zu einer fröhlichen Gesellschaft und wird von zwei Freunden aufgefordert, daran teilzunehmen. Er bemerkt einen Jüngling, der mit seinen Gedanken nicht beim Feste ist und nur gezwungene Fröhlichkeit zur Schau trägt. Beim Tanz verläßt der Dichter die Gesellschaft und wird nun, hinter einer Hecke versteckt, Ohrenzeuge des Gespräches zwischen dem Liebenden und seiner Dame. Diese weiß allen seinen Klagen hinhaltende oder ausweichende Antworten zu geben und erklärt, frei bleiben zu wollen, sie halte nichts auf Eide. Weiterem Drängen des Jünglings, ihm Gnade zu gewähren, bleibt sie hart, setzt seinen Bewerbungen gesuchte Spitzfindigkeiten entgegen und beendet das Gespräch mit der Erklärung, sie habe sich genug gelangweilt. Der Liebende ruft den Tod herbei, wie der Lauscher vernahm, ist er auch später aus Liebesgram ge-
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storben. Zum Schluß richtet er an die Damen die Mahnimg, nicht grausam zu bleiben, um der Dame sans merci nicht ähnlich zu sein. Das Gedicht entspricht durchaus den Voraussetzungen der höfischen Lyrik, deren Gestalten hier redend und handelnd auftreten, daher ist der amant klagend, trostlos und verzweifelt, der Schluß kann vielleicht als der Versuch betrachtet werden, die in der Lyrik nur durch Worte angedeutete Lösung dramatisch vorzuführen. Die Mahnung des Dichters an die Damen, milde zu sein, um nicht der Belle dame sans merci zu gleichen, konnte den Eindruck nicht abschwächen, daß Chartier eigentlich das Verhalten der nach der Doktrin immer unerbittlichen, grausamen Herrin verherrlichen wollte. Aus dieser Interpretation des Gedichtes erfloß seitens der 'poursuivants d'amour' die in Prosa geschriebene Requeste baillie aux dames contre maistre Alain, aus der das Rondothema der Zeit vom Forest de longue attente stammt und in der Chartier der Vorwurf gemacht wurde, er habe aus Rache über seine Mißerfolge bei den Frauen das L o b der kalten Schönen geschrieben (Duchesne S. 523); von den Damen erhielt der Dichter Lettres envoyees par les dames a maistre Alain, ebenfalls in Prosa, vom 31. Jänner 1425 datiert, mit der Aufforderung, sich bis zum 1. April zu verteidigen (Duchesne S. 525), Chartier geht auf die Voraussetzung der Briefe in der Excusation ein, (30 8 zeil. Stroph.) einer Vision, in der ihm Amor schwere Vorwürfe macht, ja den Tod in Aussicht stellt, während sein Buch, dessen Lektüre vom Inquisitor der Liebe verboten wurde, verbrannt werden sollte. Der Dichter sieht den Pfeil auf sich gerichtet und bittet um Gnade. E r beteuert, falsch verstanden worden zu sein, und erklärt, die wenigen Stunden des Glückes, die er genossen habe, den Frauen zu verdanken, sie seien der Chief de mondains plaisirs. Er will in ihren Diensten Herz, Körper, Sinne, Sprache, Feder und Mund verwenden. E r sucht dann die scheinbare Härte der Damen aus den Minneregeln zu begründen. Der Streit endete nach einer zweiten gereimten Antwort der Damen, die ihn mit Schimpfwörtern überhäuften und die Stellungnahme Chartiers für die Belle Dame sans merci durch sein Alter erklärten, mit der öffentlich vor dem Hofe ausgesprochenen Verurteilung des Dichters in Issoudun. Eine Sammlung kürzerer Rondeaux und Balladen dürfte in eine spätere Zeit der dichterischen Tätigkeit Chartiers fallen, da er über den Tod seiner Herrin und die dadurch bedingte Verein-
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samung klagt. Von den Balladen Ce ne fu ne fors pour (out mal avoir und Aucunes gens m'ont huy arraisonné klagt die erste über den Tod seiner Herrin, welche im Grabe liegt, die zweite beantwortet die Frage nach dem Grund seiner Traurigkeit. Der Tod seiner Herrin ist die Ursache seiner trüben Stimmung und er fragt im Envoi, ob er nicht das Recht habe zu trauern. Gleichen Inhalt hat die Complainte contre la mort qui lui oste sa dame (16 12—16 zeil. Str. 10 Silb.), wo er sich in pathetischer Sprache gegen den Tod wendet, der ihm seine Dame entrissen hat. Er will fortan aller Freude und jedem fröhlichen Liede entsagen. Die Ballade J'ay ung arbre de la plante d'amours erzählt, wie dieser Baum nur Schmerz und Kummer trägt und sein Schatten jede Freude vertrocknen läßt, da der Stamm mit Tränen begossen wird. In der Ballade J'ay volentiers oy parler d'amours gesteht er, vergeblich gegen die Liebe, die er früher nur vom Hörensagen kannte, gekämpft zu haben. Das Gedicht ist im Februar verfaßt, als ihn der Liebespfeil getroffen hatte. In drei Rondeaux bittet er ferner seine Dame um Mitleid, wobei er versichert, ihr treu dienen zu wollen. Eine oft erörterte Streitfrage der Liebeslyrik behandelt der Debat des deux fortunés d'amours (1244 V., Privilegstr.). Der Dichter ist in einem Schlosse, in dem sich vornehme Adelige, Herren und Damen, versammelt haben, deren Gespräche er anhört, um daraus Nutzen zu ziehen. Im Verlauf der Unterhaltung wird die Frage aufgeworfen, was Liebe sei, und eine Dame fordert die Ritter auf, ihr mitzuteilen, ob es in der Liebe mehr Freude als Schmerz gebe. Ein Ritter begründet die erste Ansicht in langer Rede, indem er auf die sittlichende Wirkung der Liebe hinweist, die zum Lesen und Schreiben, ja selbst zur Dichtkunst führe, den Liebenden ein feineres Betragen und Bedachtnahme auf die äußere Erscheinung lehre und ihn der Freude, geselligem Leben in allen Erscheinungen wie Festen, Tanz, Spielen jeglicher Art geneigt mache. Der Liebesdienst für eine schöne Frau erweckt die ritterlichen Tugenden, andererseits werde wieder der Ungestüm der Jugend durch die Liebe in die richtigen Bahnen gelenkt. Diesen Anschauungen tritt ein blasser, schwarzgekleideter, nachdenklicher Ritter entgegen, der nun alles Leid aufzählt, welches nach der Liebesdoktrin zuerst psychisch, dann physisch, besonders aber durch Eifersucht im Gehaben des Leidenden zum Ausdruck kommt. Die Kontroverse soll durch die Entscheidung
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des Grafen Jean de Foiz entschieden werden und Chartier erhält den Auftrag, das Gehörte aufzuzeichnen. Farbenprächtige Beschreibung höfischen Lebens wechselt mit eingehender Analyse der vielfachen Stimmungen, denen die Personen des Gedichtes Ausdruck verleihen oder die sie durch ihre Haltung verständlich zu machen versuchen. Auch hier hält sich Chartier in den Anschauungen der Liebeslyrik, deren Antithesen er in Debats erörtern läßt, ohne jedoch selbst die Entscheidung zu wagen. Das Gedicht ist nach der Belle dame sans merci verfaßt worden, da der Dichter in der Schlußstrophe ausdrücklich erklärt, sans courage vilain geschrieben zu haben, augenscheinlich eine Verwahrung gegen jede böswillige Interpretation seines Werkes. Außerdem ist durch die Erwähnung des als Schiedsrichter bestimmten J e a n de F o i z , der im Jänner 1425 die Partei der Engländer verlassen und sich dem französischen König angeschlossen hatte, der Jänner 1425 als frühester Termin für das Gedicht gegeben. Wahrscheinlich in die gleiche Periode fällt ein L a i , der eine Vision erzählt, in der der Dichter eine Dame in einem Schiff herankommen sieht, ihre Klagen über die schwere Zeit hört und sie mit der Hoffnung auf bessere Tage, besonders aber durch den Hinweis auf die Rückkehr ihres Freundes tröstet. Auch hier heben sich Eindrücke der Zeitereignisse aus der Stimmimg des Gedichtes ab. Eine Ballade, die dem Lai folgt, stellt die Rückkehr des Freundes in baldige Aussicht. Die P r o s a s c h r i f t e n Chartiers sind der Erörterimg politischer, moralisch-philosophischer Gedanken gewidmet und können als der Ausdruck seiner an antiken und kirchlichen Autoren geschulten Ansicht über Staatspflichten der einzelnen Stände, über ethische und allgemeine Fragen betrachtet werden. Zu patriotischer Klage über den Niedergang Frankreichs und einer Darstellung von Chartiers Auffassung über den Staat erheben sich die in den vorangegangenen Werken ausgesprochenen Anschauungen im großen Prosatraktat L e Q u a d r i l o g u e i n v e c t i f (1422), 'admorumGallicorum correctionem' bestimmt. Wieder wählt der Autor als Einleitung einen Traum, der ihn einer Dame zuführt, deren prächtige Kleidung von groben Händen zerrissen ist, während ihr Schloß und die Ländereien arge Vernachlässigungen aufweisen. Es ist Dame Frankreich, die ihre Kinder unter bitteren Vorwürfen gegen ihre ' a c c o u s t u m a n c e de v o l u p t e z et d ' a i s e s ' auffordert, sich gegen die Engländer, ennemis anciens et naturelz, zu verteidigen.
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Harte Worte fallen gegen das Treiben der Söldner, die im eigenen Lande ärger als die Feinde hausen, und gegen die französische Politik, die jeder Voraussicht entbehrt. Das Volk ergreift das Wort und gibt zu, daß diese Klagen nicht ohne Berechtigung seien, es entwirft ein Bild der Kriegsgreuel, die den Kampf nicht als Verteidigung, sondern als 'une privée roberie, ung larrecin habandonné, force publique soubz umbre d'armes et violente rapine' erscheinen lassen. Es verteidigt seine Rechte im Staate und wendet sich an die Mutter, um zu erfahren, wer die Schuld an diesen Verhältnissen trage. Nun meldet sich der Ritter zum Wort und eifert gegen den Wankelmut des Volkes, das während des Friedens Reichtümer aufspeichern konnte, die jetzt vergraben werden, statt daß der König sie erhalte. Er findet scharfe Worte gegen die Bürger, die sich durch Geldentwertung bereicherten, und verteidigt die zögernde Kampfesweise der Ritter durch das Beispiel des Fabius Cunctator. In neuer Wechselrede, welche die Gegensätze hervorhebt und zu weiteren Vorwürfen Anlaß gibt, treten sich nun Volk und Ritter gegenüber, ehe Clergé das Wort ergreift. Dieser mahnt zur Eintracht und Opferwilligkeit, Gehorsam und Disziplin, wobei manche Ausfälle gegen die Adeligen fallen, deren arrogance aveuglee, folie et petite cognoissance de vertu getadelt werden. Mit einer kurzen Antwort des Ritters und dem Befehl der Dame France, diese Reden aufzuzeichnen, um die anderen zu belehren und zu bessern, schließt der Quadrilogue, den der erwachte Autor niederschreibt. Die Schrift erreicht überzeugende Beredsamkeit dort, wo Chartier das Unglück seines Vaterlandes beklagt und nach den Gründen forscht, die schuld daran sind. Abkehr von den christlichen Grundsätzen, die Gier nach Reichtum und irdischer Lust, endlich Uneinigkeit im eigenen Lager werden als Ursachen des Niederganges Frankreichs bezeichnet. Angepaßt den sprechenden Personen ergeht sich die Darstellung bald in einfacher Rede, bald wieder in kunstvoller Rhetorik, der Dichter legte augenscheinlich Wert darauf, durch die Reden eine Charakteristik seiner Personen zu geben. Allgemeine, meist aus der Erfahrung genommene Sentenzen und Beispiele erläutern seine Behauptungen, Gelehrsamkeit tritt hervor, antike Schriftsteller dienen mit ihren Zusätzen als Beweis für die Wahrheit seiner Thesen. Ihr Einfluß zeigt sich auch in der Nachahmung des lateinischen Satzes, dessen Perioden Chartier trotz mancher Schwerfälligkeiten im Ausdruck mit rhetorischem Gehalt zu füllen versteht.
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Unvollendet ist das letzte, aus dem Jahre 1428 stammende Prosawerk, mit lyrischen Einlagen: Esperance ou consolation des trois vertus, c'est assavoir, Foy Esperance et Charité, das die im Quadrilogue ausgesprochenen Gedanken aufnimmt und in moralisierender Tendenz weiter entwickelt. Die Erinnerung an eine bessere Vergangenheit, in welche der Dichter bei traurigem Grübeln über die verzweifelte Lage der Gegenwart versinkt, führt in einer Vision Melancholie, welche der Dichter als alte Frau beschreibt, zu ihm. Ihr folgen, noch abschreckender gezeichnet, Defiance, Indignation und Desesperance, welche ihm Eigennutz und Habgier der Gesellschaft zeigen, ein ergreifendes Bild der Leiden und Verwüstungen Frankreichs im allgemeinen und im einzelnen entwerfen und jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft rauben. Das Gehörte versenkt den Dichter in derart tiefe Ratlosigkeit, daß Desesperance, welche mit den anderen Allegorien im imaginativen Teile des Gehirns haust, ihm den Gedanken nahelegen kann, sein Leben freiwillig zu beenden, wobei der Hinweis auf berühmte Gestalten der Vergangenheit (Cato, Hannibal, Nero), welche unter ähnlichen Voraussetzungen den gleichen Ausweg ergriffen haben, diesen Schritt erleichtern soll. Doch Entendement, von Nature zu rechter Zeit aus tiefem Schlaf erweckt, läßt Foy und Esperance kommen, welche ihn durch die in der Bibel gegebenen Beispiele von Gottes Allmacht und Gerechtigkeit stärken, vor Gleichgültigkeit im Glauben warnen, die Folgen von Ungerechtigkeit für Herrscher und Völker darstellen und die Nachteile schwächlichen Verhaltens am Schicksal Frankreichs und anderer Länder zeigen. Beispiele aus der Vergangenheit sollen erhärten, daß man auch in dem schwersten Unglück nicht verzagen dürfe, der Hinweis auf eigene Taten bietet Esperance Gelegenheit zu einem Exkurs über französische Geschichte. Ausführliche Erörterungen über Glaubenswahrheiten, theologische und sittliche Fragen, welche durch entsprechende Allegorien dem Verständins näher gebracht werden, ergeben sich aus der didaktisch-moralisierenden Tendenz der Dialoge, welche ihre Gedanken bzw. Beweisführung antiken und mittelalterlichen Autoren entnehmen. A. Chartier zeigt sich in diesen Äußerungen oft von bemerkenswertem Freimut, wenn er das Verhalten der Kirche und des Adels mit scharfen Worten tadelt, auf Mißstände hinweist und diesen die friedliche Regierung früherer, größerer Herrscher gegenüberstellt. Die hier vertretenen GrSber-Hofer, Gesch. d. m i t t e l f n . Lit. II.
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Ideen sind nicht neu, bereits Deschamps hat sie zum Ausdruck gebracht, doch weiß der Autor seinen Ausführungen den Ausdruck innerer Überzeugung zu verleihen, die langen Ausführungen über politische oder staatliche Verhältnisse, Rechts- und Standesfragen, seine Vorschläge, wie man Mißbräuchen abhelfen könne, lassen erkennen, daß sich Chartier aus den Schriften der Alten eine bestimmte Geschichts- und Staatsphilosophie gebildet hat, die man als Verantwortimg der Allgemeinheit gegenüber bezeichnen kann und welche nicht nur von christlichen Ideen, sondern auch im hohen Grade von der strengen antiken Anschauung über den Staat als Angelegenheit aller, wie sie Livius und Aristoteles vertreten, beeinflußt ist. Daß Chartier nicht nur die französische Prosa, sondern auch die lateinische Sprache in gleicher Eindringlichkeit und hohem Flug der Gedanken meistert, zeigen seine l a t e i n i s c h e n T r a k t a t e , von denen der auch ins Französische übersetzte Dialogus familiar is amici et sodalis desuper deplorationem gallicae calamitaiis (1425) sich inhaltlich dem Quadrilogue an die Seite stellt, da der Dichter, der hier als Moralist und Geschichtsphilosoph Vergangenheit und Gegenwart betrachtet, gegen den Krieg und für den Frieden spricht, die Schäden der Zeit und Gesellschaft aufdeckt und ernste Mahnungen an den König, den Adel und das Volk richtet, dem Wohle des Vaterlandes Opfer zu bringen, dessen Niedergang sich durch die Abkehr von Zucht und Sitte erklärt, wofür er Beispiele aus der Geschichte anführt. Der Text zeigt Chartiers Belesenheit in den lateinischen Autoren, von denen er Seneca, Virgil, Valerius, Sallust zitiert, während er die griechischen Schriftsteller nur durch die lateinischen Klassiker kennt. In Briefform ist die fälschlich dem in Diensten des Herzogs Louis v. Orléans (| 1407) stehenden Italiener Ambrosius de Miliis zugeschriebene Abhandlung De vita curiali detestanda tamquam miseriis piena, welche dem Bruder Alains, dem jüngeren Guillaume Chartier, die Nachteile des Hoflebens, als welche die Herrschaft von Fortune, Unaufrichtigkeit, Neid, Mißgunst in ihrer Wirkung auf den Charakter hervorgehoben werden, vor Augen führt und persönliche Unabhängigkeit, auch wenn diese noch so bescheiden sei, über alle bei Hofe zu erlangende Ehren stellt. Eigene Erfahrung und Einblick in das Treiben bei Hofe sprechen aus der eindrucksvollen, an Deschamps gemahnenden Darstellung, die zwischen 1422—1428 fallen wird. Die französische Übertragung
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stammt nicht von Chartier, ihr Verfasser ist unbekannt geblieben. Drei Epistolae, die infolge der Ähnlichkeit des Tones an die Abhandlung 'De vita curiali' anzuschließen sind, haben verschiedenen durch die Zeitereignisse gegebenen Inhalt, die jüngste (nach 1422) De detestatione belli galici et suasione pacis ist eine Mahnung an Fürst und Volk, in Ton und Wendungen der ersten Catilinarischen Rede Ciceros, der Segnungen des Friedens eingedenk zu sein, von den Greueln des Krieges abzustehen und alle Kraft auf friedlichen Wettbewerb zu verwenden, wobei die Stände manchen Vorwurf über ihr Verhalten hören müssen. Die zweite, Invectiva ad ingratum amicum wendet sich in Vorwürfen an einen Undankbaren, dem er die Freundschaft aufsagt, die dritte, Alant ad invidium et detractorem invectiva ergeht sich in rhetorischer Weise über das gleiche Thema und stellt Zufriedenheit über irdische Güter. Aus dem Jahre 1420 datiert ein B r i e f an die Universität, welche hier die Mahnung hört, ihrer Privilegien eingedenk zu sein und an der Seite des Königs auf Einigkeit und Frieden hinzuwirken. Ein lateinischer Brief aus dem Jahre 1429 an Friedrich v. Österreich, gibt Mitteilungen über Jeanne d'Arc und ihre Erfolge (Bibl. nat. 8757, fol. 35—37; Chantilly 438, fol. 38). Zu seinen lateinischen Schriften treten noch die als Gesandter Frankreichs 1425 in Buda gehaltenen zwei lateinischen Reden an Kaiser Sigismund (Bibl. nat. ms. lat. 8757, fol. 13™—15™, ib. fol. I5TO—24vo, Chantilly ms. 438, fol. 17; ms. lat. 5861, fol. 1—13, ib. fol. 55—58™, veröffentl. in Delaunay D., Etüde s. A. Chartier) und an das Volk (Bibl. nat. ms. lat. 8757, fol. 37; Chantilly 438, fol. 41™; ms. lat. 5961, fol. 46—52™, Texte bei Delaunay), femer die Rede vor Jacob I in Perth, (Bibl. nat. ms. lat. 8757, fol. 47; Chantilly 438, fol. 55; hgg. v. Delaunay), in denen er sich als geschickter Unterhändler Frankreichs erwies (1428). Das gleiche Ms. lat. 8757 fol. 43™—45*° enthält den Entwurf einer Rede an den König wegen des Verbotes, französisches Geld nach Rom zu senden. Chartiers Versdichtung steht unter dem Einfluß Machaut's, dessen Vorgang er übernimmt, bestimmte Themen der höfischen Dichtung in Form von Debats zu erörtern. Seinem Vorbild folgend umgibt er den lyrischen Kern mit epischem Beiwerk, indem er Szenen aus dem Leben der höfischen Gesellschaft bei Tanz, Jagd oder geselliger Vereinigung vorführt und sich selbst in die Erzählung hineinstellt, deren Personen sich zu den betreffenden 4*
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Themen äußern. In der Behandlung der Motive weiß Chartier seine eigene Note zur Geltung zu bringen. Tiefe Empfindsamkeit, in der gedämpfte Melancholie und ein Zug stiller Resignation hervortreten, charakterisieren seine Personen, die innerhalb der ihnen zugewiesenen Rolle glaubhaft erfaßt sind, ohne den Eindruck literarischer Typen zu erwecken. Die Sprache folgt den so gegebenen Voraussetzungen, sie erreicht besonders in der Wiedergabe getragener Stimmungen ihre größte Ausdrucksfähigkeit, findet für bereits erprobte Gemeinplätze manche glückliche Wendung, weiß aber den wechselnden Voraussetzungen von Handlungen und Reflexionen durch eindrucksvolle Beschreibungen, lebhafte Dialoge und Naturschilderungen nachzukommen. Seine Verse fließen leicht und harmonisch, nirgends tritt etwa Künstelei oder Unterbrechung in der Verfolgung der Gedanken, im Ausmalen von Stimmungen oder in der Wiedergabe von Szenen ein. In den Prosawerken kann Chartier seine an den lateinischen Schriftstellern (Seneca) geschulte Diktion frei strömen lassen, hier findet er als 'loingtain imitateur des orateurs', getragen durch seinen Patriotismus und die Bitterkeit über Frankreichs Niederlagen, ergreifende Worte, weiß er packende Bilder der Wirklichkeit und der Phantasie wiederzugeben und in leicht verständlicher Weise auch abstrakte Themen zu behandeln, deren Gedanken antiken Anschauungen folgen. Seine Forderungen nach Charakter- und Staatstugenden sind den römischen Historikern entnommen, von denen er Valerius Maximus, Titus Livius besonders schätzte. Er vertritt eine Geschichtsauffassung, welche trotz der Unterwerfung unter einen höheren Willen eigener Tatkraft und festen Willen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Ereignisse einräumt und dadurch den Einfluß der lateinischen Historiker verrät. Vaterlandsliebe und Aufrichtigkeit machen ihn, wohl auch durch seine Kenntnis der diplomatischen Intrigen der Großen, zum strengen Kritiker an seiner Zeit, welcher er die vergangene Größe Frankreichs vorhält. In der Erörterung philosophischer Themen sucht er, trotz langer Perioden, den Hauptgedanken hervorzuheben, der Deutlichkeit dienen, außer der Allegorie, entsprechend verteilte Dialoge, Vergleiche und Hinweise auf literarische Vorlagen.
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DIE NACHAHMUNGEN DER BELLE DAME SANS MERCI
Chartiers Gedicht hat eine Anzahl teils zustimmender teils ablehnender Antworten nach sich gezogen. In Prosa erheben die Poursuivans d'amours den Vorwurf, daß Chartier das Herz der Damen durch sein Gedicht verhärten wolle und aus gekränkter Eigenliebe so geschrieben habe. Sie geben den Rat, dieses Gedicht nicht zu lesen (Du Chesne S. 523). Als Widerlegung der Belle Dame sans merci schreibt B a u d e t H ä r e n e aus Chalons-s.-Saone, als Theoretiker der Poesie durch sein Doctrinal de laseconde retorique bekannt, ein Parlement d'amour (Duchesne S. 695), eine Vision im Garten der Liebe, wo die Belle dame sans merci vom Parlament der Liebe nach der Rechtsprechung der Zeit verurteilt wird. Ihm antwortet ein unbekannter Dichter in der Dame loyale en amour und läßt Amor im Himmel der treuen Liebenden nach einer genauen Überprüfung das frühere Urteil aufheben. Gegenteiliger Meinung ist wieder A c h i l l e G a u l i e r , der in Tournai wahrscheinlich der literarischen Vereinigung des Chapel vert angehörte. Seine Cruelle femme en amour ist die Entgegnung auf die Dame Loyale. Der Verfasser wird im Traume in den Himmel entführt, wo im Palaste von Justice das Parlament der Liebe versammelt ist und das im früheren Gedichte durch Fausseté und Fiction erschlichene Urteil abändern will. Nachdem Verité noch einmal den Fall dargestellt hat, erfolgt das Urteil, die Dame sans merci von nun an Cruelle zu nennen und sie in den Brunnen der Tränen zu stoßen, wo sie den Tod finden soll. Zeitlich später folgt sein Hospital d'amour (Duchesne S. 722) ein Traumbild, in dem der von seiner Dame abgewiesene Dichter im Tal des Liebesschmerzes die an unglücklicher Liebe Gestorbenen, in einem Hospital die Liebeskranken, und, nachdem ihn ein Kuß der Geliebten gestärkt, auf dem Liebesfriedhof die Gräber berühmter Liebender und der Dichter der Liebe (Str. 54 AI. Chartier) erblickt. Nachdem er vor Amors Altar gebetet hat und durch tröstenden Zuspruch der Hoffnung beruhigt ist, wird er durch einen zweiten Kuß der Dame geheilt. Dem Parlement d'amour Baudets und der Cruelle Femme en amour des Achille Gaulier schließen sich die Erreurs du jugement de la Belle Dame sans merci eines Unbekannten an. Die Erben der schönen Dame sans merci empfinden ihre Strafe als zu hart, weisen auf Unterlassungen und Irrtümer in der Untersuchung hin und verlangen die Aufhebung des Urteils. Nach eingehender
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Beratung, welche die vorgelegten 12 Punkte erörtert, wird aber die Berufung abgewiesen und die Erben erhalten nur die Erlaubnis, der Dame ein christliches Begräbnis, jedoch ohne Grabinschrift, zu geben. La bette dame qui eut merci (Duchesne S. 684) ist ein Dialog zwischen einer Dame und einem Ritter, der ihr seine Liebe gesteht, die nach manchen Einwendungen seitens der Dame auch Erhörimg findet. Der Dialogue d'un amoureux et de sa dame (Duchesne S. 782) enthält die Weigerung der Dame, das Geständnis des Ritters anzunehmen, den sie mit dem Rat wegschickt, sich eine andere weniger harte Freundin zu suchen. Gegen den Liebenden entscheidet Le jugement du -pauvre triste amant banny. Der Dichter kommt im Traume zum Palast der Liebe, wo Pitié die Sache eines klagenden Amant gegen Chagrin, den Advokat von Malebouche und Dangier, führt, den Prozeß aber verliert. Der Amant wird drei Meilen aus der Nähe seiner Dame verbannt (Strophen von 8 zeil. 8 Silb.). Diese Entscheidung wird im anonymen Gedicht Les erreurs du Jugement de l'Amant banny (gleiches Versmaß) aufgehoben, der Liebende in die Gnade seiner Dame aufgenommen und mit 12 Küssen entschädigt. Le traité de ReveiUe qui dort enthält die Klagen des vom Dichter belauschten Liebenden, dessen Verzweiflung das Mitleid der Dame erregen soll. Der harte Sinn der Dame sans merci kehrt wieder im anonymen Débat sans conclusion, einer ziemlich getreuen Nachahmung der Belle Dame sans merci, und im Desconseillé d'amours des H e n r i A n e t i l aus dem Jahre 1442 (60 Str.), in dem ein Liebender seinen vergeblichen Minnedienst beklagt. Le loyal amant refusé (120 Str.) dient nach dem Tod seiner unbarmherzigen Herrin ihrem Gedächtnis bis zu seinem Lebensende. Harten Sinn setzt die Desserte du Desloyal (98 Str.) den Bitten ihres ungetreuen Freundes entgegen, der vergeblich ihre Verzeihung erfleht. Bezeichnend ist die Allgeorie in Le Sepulture d'amour (98 Str.), in der ein Liebender voll Verzweiflung über den kalten Sinn seiner Dame im Traume dem Begräbnis von Amour zusieht. Abschlägig lautet auch der Bescheid im Débat de la Dame et de l'écuyer, der Henri Baude abzusprechen ist. Als Märtyrer der unglücklichen Liebe läßt der sonst unbekannte Dichter F r a n c i im Gedichte le martyr d'amour (117 Str.) den Helden die eigene Geschichte niederschreiben, nachdem ihm Amor für diese Aufgabe aus seinem Reiche entlassen hatte. Dem Gedankenkreis der Belle Dame sans merci gehört auch das
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Martial d'Auvergne zugeschriebene, seiner Sprache und Vorstellungsweise jedoch fremde Gedicht vom A maní rendu cordelier a l'obseruance d'amours an (234 8zeil. Str.). Ein Traum entführt den Dichter in den Wald von Desesperance, wo er ein Kloster findet, in das sich diejenigen zurückzogen, welche die Qualen der Liebe kennengelernt haben. Durch ein Gespräch zwischen dem Prior und seinem Novizen wird dessen Geschichte zur Sprache gebracht, Fragen werden aufgeworfen und beantwortet, der Prior zeigt seine Kenntnisse in Angelegenheiten der Liebe und bemüht sich vergeblich, den andern von seinem Schritte abzuhalten. Als er nach seinem Probejahr eingekleidet wird, wohnt auch die von ihm geliebte Dame der Feier bei, nach der sie ohnmächtig zu Boden sinkt. Der junge Mönch, der ihren Kopf auf seine Knie bettet, erblickt nun auf ihrer Brust ein goldenes Kreuz, das er ihr gegeben hatte, und erkennt die Grundlosigkeit seines Schrittes, den er nicht mehr ungeschehen machen kann. Tiefe Empfindsamkeit, liebevolles Eingehen auf Seeelenschilderung in ihren verschiedenen Voraussetzungen, Stimmungen und Äußerungen sind die Vorzüge dieses Gedichtes, das dem 15. Jahrhundert den Typus des weltmüden, seiner Trauer lebenden Amant gegeben hat. Der in den Statuten der Cour amoureuse ausgesprochenen Forderung nach 'congnoissance en la science de rethorique' scheint der von Christine und Monstrelet wegen seiner Taten gepriesene J e a n de W e r c h i n , ministre der Court amoureuse, Sénéchal de Hainaut, gefallen bei Azincourt, in seinem weitläufigen Gedicht Le Songe de la Barge (ca. 3500 v.), 1404 in Brest anläßlich der von J a c q u e s II. v. Bourbon gegen Heinrich v. Lancaster unternommenen Expedition verfaßt, nachkommen zu wollen. Eine Vision entführt ihn, als er abends in seiner Kabine an seine Herrin denkt, in den Forest amoureuse, wo er Courtoisie im Kreise einer Gesellschaft trifft, deren Personen sie ihm als Diener Amors aufzählt, der, von Honneur, Renom, Esperance und anderen allegorischen Gestalten umgeben, über Klagen seiner Untertanen und Liebesangelegenheiten entscheidet. Der Songe, der in der letzten Szene die Verteidigung des Treulosen enthält, schließt mit dem versteckt gegebenen Hinweis, man möge sich eine junge, schöne Dame wählen und diejenige verlassen, welche ihren Ritter nicht belohnt. Das Gedicht folgt außer Anregungen Christinens der Complainte de S. Valentin des Oton de Grandson und scheint
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keine besondere Verbreitung gefunden zu haben. In seinen mit Guillebert de Launoy gewechselten B a l l a d e n aus dem Jahre 1404 äußert er sich in ähnlicher Weise, indem er Guillebert, der sich über seine spröde Dame beklagt, den Rat gibt zu vergessen und nicht eine Schöne allein zu lieben, eine Ansicht, welche Guillebert zunächst zurückweist, der er sich aber später anschließt. Dem Beispiel der Mutter folgt Christinens Sohn Jean de C a s t e l , geb. 1383, seit 1396 als Page im Hause des 1399 hingerichteten Grafen v. Salesbury, später Sekretair des Dauphins Charles (als König Charles VII.), gest. 1425. Sein Gedicht Le Pin (10 Silb., 55 vierzeilige Strophen, deren je fünf eine durch den Reim gegebene Gruppe bilden), ist der Hymnus auf seine Dame, wahrscheinlich seine Frau Jeanne (Coton), die er als Fichte im Wald von Paris findet und auf Geheiß Amors umarmt. A m é Malingre,HaushofmeisterLudwigsv.Savoyen, schreibt zwischen 1408—1413 eine Epistre (unvollst. 500 8 Silb. mit Complainte in i2zeiligen Strophen) an Pierre de Hauteville, Prince der Court amourense, mit der Bitte, zu den Klagen einer von der Eifersucht ihres Gatten gequälten Dame Stellung zu nehmen. Über Liebe und Freude im Frühling äußert sich ohne originelle Gedanken Jehan P a n i e r , bekannt durch seinen Exkurs La grandeur de Paris, in dem Gedicht Le Nouvelet (250 4zeil. Str.).
CHARLES D'ORLEANS UND SEIN HOF. Natürliche dichterische Begabimg, die der Tradition zufolge sich schon in früher Jugend geäußert haben soll, zeichnen die Dichtungen des dem königl. Hause angehörigen Fürsten Charles d'Orléans aus, der, nachdem ihm Abstammung und politische Verhältnisse anfänglich eine entscheidende Rolle in der Geschichte Frankreichs zugedacht hatten, in langer Gefangenschaft fern von seiner Heimat den Großteil seines Lebens verbringen mußte und erst nach 25jähriger Haft, als kranker, resignierter Mann nach Frankreich zurückkehrte, wo er, der Dichtung und seinen Neigungen ergeben, dem als Lebensdevise erwählten 'Nonchaloir' lebt und an seinem Hofe in Blois Dichtern aller Gesellschaftskreise eine stets offene Freistatt gewährte. 1394 geboren, Sohn des Herzogs Louis v. Orléans (gest. 1407), des Bruders Karls VI., und Valentinens v. Mailand, wuchs er im Luxus des französischen
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Hofes auf und konnte früh durch das Beispiel seines Vaters, der, selbst ein Förderer der Dichter und ein Freund der Bücher, Schreiber und Handschriftenmaler in seinem Dienste hatte, die Anregungen für sein späteres Schaffen erhalten. Seine Jugendjahre sind erfüllt durch den Kampf und die politischen Intrigen gegen den Herzog von Burgund, auf dessen Anstiften 1407 sein Vater ermordet worden war. Die Schlacht von Azincourt entschied über das Schicksal Karls, der, schwer verwundet, von den Engländern gefangen und nach England gebracht wurde, wo er in wechselnder, bald strenger, bald milderer Haft, die er durch Lektüre lateinischer und französischer Werke und durch die Pflege der Dichtkunst zu vergessen sucht, bis zu seiner Befreiung (1440) verblieb. Nach seiner Rückkehr hielt er sich meist in Blois auf, politische Verhältnisse veranlaßten ihn zu Reisen in verschiedene Provinzen Frankreichs, nach Flandern und zu einem Zug nach Italien (1447). Ohne mehr entscheidend hervorzutreten, verbrachte er den Rest seines Lebens als grand seigneur, geehrt als Gönner aller Dichter seiner Zeit, von denen ihn Villon 'Doulx seigneur' nennt (Champion, Bai. I. S. 188), mit der Aufzeichnung seiner Werke beschäftigt, welche er auch für Freunde der Dichtung wie Philipp den Guten oder Mme d'Argueil kopieren ließ. Sie fanden schon zu Lebzeiten des Herzogs weite Verbreitung und dienten zur Auffüllung zahlreicher Ausgaben anderer Verfasser. Eine englische Ubersetzung erfolgte Ende des XV. Jahrhunderts. Er starb am 25. Jänner 1465 in Amboise. Charles war dreimal verheiratet, nach dem Tode seiner ersten Frau Isabelle (gest. 1409) der im 10. Lebensjahre verwitweten Gemahlin Richards I. v. England, vermählte er sich 1410 mit Bonne d'Armagnac (gest. zwischen 1430 und 1435) und in dritter Ehe mit Marie v. Cleve, der Nichte Philipps v. Burgund. Sein 1456 geborener Sohn war der spätere König Louis X I I . Die Hälfte der poetischen Werke Charles', die Balladen, Complaintes und Chansons, sind in England entstanden, wo sie wahrscheinlich schon nach einem bestimmten Plan angelegt waren, denn der Herzog hat selbst ein Ms. seiner Lieder aus der Gefangenschaft mitgebracht. Dieses dürfte noch keine Rondeaux enthalten haben, denn nach der Bemerkung 'Balades, chansons et complaintes Sont pour moy mises en oubli' (Champion, I, 119) hat sich Charles in England nur mit den genannten Gattungen beschäftigt und wendet sich erst nach 1441 dem Rondeau zu.
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Charles' Dichtungen sind in der vom Herzog selbst angelegten autographischen Sammlung des ms. fr. 25. 485 enthalten, in welches auch die Gelegenheitsdichtungen seiner Freunde und der mit ihm in poetische Korrespondenz getretenen Dichter aufgenommen sind. Anfänglich nach Gattungen angelegt, verlor die Sammlung durch Zusätze und Erweiterungen bald die ursprüngliche Reihung, die nur für einige Balladen und Rondeaux chronologische Zeitbestimmung ermöglicht. Die Sammlung der Balladen wird mit einem allegorischen Gedicht, La Retenue d'Amours (40 Str. mit 400 V.) eingeleitet. Es ist ein Rückblick auf seine Jugend, die ihn zu Amors Schloß führt, in welchem allegorische Gestalten den Dienst versehen. Amor übergibt ihn der Fürsorge von Beauté, die seinen Stolz bricht und ihn bestimmt, Amor Gefolgschaft zu leisten, dessen Vorschriften er getreulich einzuhalten verspricht. Zur Bekräftigung seines Gelöbnisses läßt er sein Herz zum Pfände. Eine Copie de la lettre de la Retenue d'Amours gibt einen kurzen Auszug dieses Vertrages. In seinen der ritterlichen Minne huldigenden B a l l a d e n (1—76) bewegt sich Charles vollständig in den Bahnen der höfischen Tradition, deren Motive er in zahllosen Wiederholungen vornimmt. Er besingt die Schönheit und Vorzüge seiner Dame, klagt um die von ihm getrennte Geliebte, bittet sie, gnädig zu sein, ihm Nachricht zukommen zu lassen, ein Lächeln oder einen milden Blick zu gewähren, er wendet sich gegen Dangier, gegen den er eine Schachpartie verspielt, und Refus, welche das Herz seiner Dame verhärten, gegen Soucy, Deuil, welche ihm die Freude am Mai vergällen, er bittet Amor, Espoir, Doulx Penser, ihm in seinen Schmerzen beizustehen, fleht Fortune an, gnädig zu sein, fragt Joyeuse Nouvelle um Botschaft, baut sich sein Schloß Joyeuse Plaisance auf dem Felsen von Esperance, um den Angriffen von Melencolie trotzen zu können. Eine Gruppe von Balladen ist dem Andenken der totenHerrin, seiner Gemahlin B o n n e d ' A r m a g n a c , gest. zwischen 1430 und 1435, gewidmet. Hier durchbricht warmes Gefühl und echter Schmerz die Konvention und weiß auch die Allegorie entsprechend zu gestalten, wenn er im Moustier amoureux den Totendienst abhält (69) oder sein Testament schreibt, in dem er Amor seinen Geist, den wahren Liebenden die anderen Güter überläßt (70). Ein Songe en Complainte (550 V.), mit einer Requeste an Cupido und Venus, nimmt das Thema der Retenue
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d'Amours wieder auf, indem Age ihn veranlaßt, sich nach dem Tode seiner Herrin von der Liebe loszusagen. Der Dichter wendet sich in Form einer Requeste an Amor und fordert das Herz zurück, das er ihm seiner Zeit gegeben hatte. Sieben weitere Balladen fassen den Vorgang vor dem P a r l e m e n t d ' A m o u r s zusammen. Nach der Aufforderung Amors, sich eine neue Dame zu wählen, und der Ablehnung seitens des Dichters (Bai. i , 2) gewährt ihm Amor den Abschied und stellt ihm darüber eine Quittung aus (3, 4), um ihn gegen die Mesdisans zu schützen. Von Confort geleitet, verläßt er den Hof des Liebesgottes und kommt in das Schloß Nonchaloir, wo ihn der Besitzer Passetemps aufnimmt. Mit einem Brief an Amor endet der Songe, der wohl als Abschluß der in England verfaßten Stücke gedacht ist, da der folgende Abschnitt, B a l l a d e 72—123, mit der Erklärung beginnt, längere Zeit der Dichtung entsagt zu haben. Dazu stimmt der melancholische Ton, der sich auf Nonchaloir beruft und die Liebe als eine weit zurückliegende Erinnerung betrachtet. Der I n h a l t dieser Balladengruppe wird nun mannigfaltiger. Er wendet sich an Maria, daß sie Frieden, 'le vray tresor de joye', vermittle (76), beschreibt Frühlingsfeste, bittet den Herzog von Bourbon (83), Orléans (87, 88, 89), von Burgund (93, 94), in Angelegenheiten seiner Befreiung und des Friedensschlusses tätig zu sein, hält Augenblicksbilder fest (98, Schiffahrt nach Blois; 91, Portrait eines dem Wein ergebenen Dieners), bekundet seine Freude über die inneren Schwierigkeiten Englands (101), macht melancholische Reflexionen über das Alter (121, 122) und nimmt daneben auch das alte Thema der höfischen Dichtung mit ihren gebräuchlichen Motiven auf, wenn er sich in der herkömmlichen Weise an eine von ihm besungene Dame wendet, seine Hoffnungen und Erwartungen im Forest de Longue Atente schildert, die Schar der Liebenden mit kirchlichen Orden vergleicht und über Enttäuschungen oder trügerische Hoffnungen spricht, die ihn zu einem escolier de Merencolie gemacht haben, den nur mehr Nonchaloir von dummen Streichen zurückhält. Die Chansons (89), darunter zwei halblateinische und zwei englische, führen die früher entwickelten Themen der höfischen Lyrik weiter und sind anmutig gebrachte, tändelnde, manchmal preziös gestaltete Lieder über Freuden und Schmerzen der Liebe, Versicherungen treuen Dienstes, Bitten um Erhörung, um einen Kuß, über die Vollkommenheiten seiner Dame. Von den 5 Com-
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plaintes (mit Antworten von Fredet) ist Nr. i die Klage über den Niedergang Frankreichs, das durch Stolz, Überhebung, Untätigkeit und Begehrlichkeit in diese traurige Lage kam, 2 spricht die Bitte um Befreiung und Hilfe während der Gefangenschaft aus, 3 nimmt Abschied von der Dame. In Nr. 4 schreibt Fredet an den Herzog und bittet ihn um seine Fürsprache bei einer Dame, die Antwort des Herzogs mit einer weiteren Entgegnung Fredets bilden den Inhalt der zwei folgenden Complaintes (IV a, b), Nr. 5 ist ein Dialog zwischen Amor und einem Amant, der sich über die Härten der Liebe beklagt, von Amor aber über seinen Pflichtenkreis belehrt wird. Die Besonderheit der bei Charles zuerst auftretenden Carole scheint darin zu bestehen, daß der an der Spitze gestellte mehrzellige Refrain einer entsprechenden 2. und 4. Strophe angehängt wird, während Strophe 1 und 3 refrainfrei bleiben und also eine Durchbrechung der Virelaiform bedeuten. Die Rondeaux (433 N " ) , in reifem Alter nach der Rückkehr aus England verfaßt, zeigen den Dichter als scharfen, oft ironischen Beobachter nicht nur seiner selbst, sondern auch von Ereignissen und Personen, denen er seine Wahrnehmungen in überlegenem Tone, manchmal von oben herunter, macht. Ob er nun persönliche Meinung ausdrückt oder kleine Genrebilder festhält, er weiß immer mit gleich gewandter Hand und graziler Leichtigkeit die Reime zu finden, ungezwungen stellt sich das passende Wort ein, um Schattierungen, Stimmungen, Situationen auszudrücken. Scharfe Beobachtung kleiner Schwächen seiner Umgebung, oft der Frauen, der Hofbeamten und einzelner Typen zeigt den Menschenkenner, seelische Regungen werden unter dem Bild passender Allegorien verständlich gemacht. Der Inhalt nimmt teilweise die bereits früher behandelten Fragen wieder auf, er spricht von Nonchaloir, seinem Arzt, der ihm Ruhe anrät (3), sagt sich von früheren Gewohnheiten los, hält Wahrnehmungen aus seiner Umgebung fest, macht Mitteilungen über sich selbst als viel et chenu (66), bedauert alt zu sein (112), fügt sich aber darein (114), betont sein Ruhebedürfnis (153), mahnt, im Unglück den Kopf nicht zu verlieren (145), nicht zu viel auf einmal zu betreiben (90), und versteht die Teilnahmslosigkeit des Unglücklichen (201, 206). Die zahlreichen Minnelieder, welche die gebräuchlichen Allegorien von Soucy, Melencolie, Plaisance, Espoir, Loyauté, Fortune, Beauté einführen, ergehen sich in den üblichen Betrachtungen über die Gefühle und das Verhalten des Liebenden.
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Allgemeine Erwägungen über die Liebe, manchmal aber in etwas ironischer Note, Mai-, Valentinstag- und Neujahrsgedichte, Stimmungsbilder aus der Natur, allgemeine, oft epigrammatisch gefaßte Lehren und Aussprüche ergänzen das Bild reger poetischer Tätigkeit eines an seiner Kunst arbeitenden Dichters, der sein Schaffen selbst durch die Verse charakterisiert: Il n'est nul si beau -passe temps Que se jouir a sa Pensee; Mais qu'elle soit bien despensee par Raison, ainsi je l'entens (Champion II, S. 526, Nr. 406). Außer seinen Gedichten ist von Charles d'Orléans noch der Text eines Briefes aus der englischen Gefangenschaft, 1420, und eine Rede vor Karl VII, 1458, für den Herzog Johann II. von Alençon erhalten (ms. Bibl. nat. 1104. 1701). Charles ist, wie Machaut, der Dichter der höfischen galanten Minne, deren Dienst er sich weiht, die ihm, wie Machaut, gelegentlich mehr bedeutet als ein bloßes Modespiel. Denn aus vielen seiner Balladen und Chansons spricht wirkliche Wärme, echtes Gefühl in Freude und Schmerz, aufrichtige Überzeugung. Er übertrifft Machaut an Natürlichkeit des Ausdruckes und dichterischer Gestaltungskraft, welche auch bei der Verwendung von Allegorien (so Fortune und Mélancolie) die Grenzen des Wahrscheinlichen beachtet und diesen sonst inhaltlosen Gestalten menschliche Impulse verleiht, da sie auch persönliche Regungen verdeutlichen und dadurch dem Leser verständlich bleiben. Die ansprechendste dieser Personifikationen bleibt 'Nonchaloir', der Arzt des Dichters mit seinen Ratschlägen und Medizinen. Charles dichtet als Grand seigneur, der sich wohl bewußt ist, ein Modespiel mitzumachen, dessen verschiedene Feinheiten er aber mit Meisterschaft beherrscht. Wie Deschamps weiß Charles die Wirklichkeit in das sonst thematisch schon erschöpfte Gebiet der höfischen Lyrik einzubeziehen, so konnte er eine bereits erstarrte, impersönlich gewordene Dichtungsgattung noch einmal mit natürlicher Wärme, sangbarem Rythmus und dem Ausdruck empfundener, nicht nur erdachter Regungen erfüllen. Die Ballade hat bei Charles 3—5 Strophen zu 7—10 Versen, ohne envoi. Die Chanson ist dreistrophig, die ersten zwei Strophen haben 4 oder 5, die letzte 5 bzw. 6 Verse. Das Rondeau hat gewöhnlich drei Strophen zu 4,4 und 5 Versen. Karl selbst ist der Mittelpunkt eines Dichterhofes geworden, dessen Vertreter die durch den Herzog angegebenen Themen aufgreifen und weiterführen. Des Herzogs dritte Gemahlin M a r i e
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v o n C l e v e variiert das Thema En la forest de longue actente (Champion, Ausg. Charles d'Orléans II, 419) in melancholischer Betrachtung und antwortet dem Rondeau Charles' L'abit le moine ne faxt pas (II, 364). H e r z o g P h i l i p p d e r G u t e von Burgund geb. 1396, gest. 1467), der damals mächtigste Vasall der Krone Frankreichs und Förderer der Literatur an seinem Hofe, versichert dem Herzog Charles in zwei politischen Balladen, deren Anfangszeilen dem Refrain zweier Balladen seines Freundes Charles entnommen sind, daß er für Charles' Befreiung und für die Herstellung des Friedens mit England Sorge tragen wolle (I, 139, 142). Philipps Bruder, der Graf von Nevers, C h a r l e s I. v o n B u r g u n d (1414—64), spricht nach einem Besuch beim Herzog Charles und seiner Frau Marie auf die Aufforderung hin, sein Herz der Wirtin beim Abschied zu lassen, in einem Rondeau seine Zustimmung hiefür aus (Champion II. S. 291) und variiert das Thema von En la forest. J o h a n n I I . , d e r G u t e , von Clermont und Bourbon, geb. 1426, gest. als Connetable von Frankreich 1488, ein Freund schön ausgeführter Manuskripte, freut sich in seiner Entgegnung auf eine Chanson Charles', die vom Herzog vergeblich gesuchte treue Dame zu besitzen (vgl. Champion II S. 488, Guichard S. 391), äußert jedoch in den Rondeaux (Champion II. S. 407, 412, 427, 488, 496, Guichard S. 303, 310, 354, 425) Liebeskummer, den er um des Rufes der Dame willen nicht laut aussprechen will, (II, 346) und wird (Champion II 347, 497, 501, Guichard S. 334, 383, 386) von Charles wegen seines Liebesleides getröstet. Dann variiert er noch (Champion II S. 411, Guichard S. 309) das auch von anderen nachgedichtete Thema seines Trösters vom Trucheman de ma fensee. Der H e r z o g R e n é von A n j o u , der selbst den Mittelpunkt eines Dichterhofes bildete, wird in Charles' Sammlung unter dem Namen Cecile, Sicile angeführt (II, 293, 296/97, 297/8, 299) und zeigt keine persönliche Note. Sein Sohn J e a n v o n A n j o u , Herzog von Lothringen (seit 1453) und Calabrien (geb. 1426, gest. 1471), betrachtet in 10 teils selbständigen, teils als Antwort gegebenen Rondeaux Nonchaloir als Arzt gegen Liebesschmerz und schätzt Raison sowie Gleichmut als Heilmittel gegen die Liebe, vor der er versteckt warnt (II. 357, 360, 362, 363, 489, 597« 598. 600, 601). Außer mit Charles und seiner Frau wechselt er Gedichte noch mit F r e d e t (s. u.), T h o m a s v. L o r a i l l e (s. u.) und H u g o v. B l o s s e v i l l e (s. u.). Renés einstiger Gegner im
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Streit um die Herrschaft in Lothringen (1431), A n t o i n e de L o r a i n e , Graf von Guise und Vaudemont, Herr v. Joinville, geb. nach 1393, gest. 1447, der in 13 Rondeaux über Liebesschmerz klagt, den Tod erwartet und sich in Aufzählung geistreicher Antithesen gefällt, bittet H u g o v. B l o s s e v i l l e um Verbesserung des 'fatraz' seiner Lieder, die nicht de main d'ouvrier sind (II. S. 530—32, Raynouard S. 6, 17, 20, 53, 57, 81, 86, 104), Charles' Schwiegersohn, der Herzog J e a n II. d e r G u t e , v. A l e n ç o n , der 1424 bis 1427 in englischer Gefangenschaft weilte, 1458 von Charles im Hochverratsprozesse verteidigt, 1474 verurteilt, aber begnadigt wurde und 1476 starb, greift einen Vergleich des Herzogs auf (II. S. 303) und antwortet im Rondeau Le vigneron fut atrapé (II. S. 303). Zahlreich sind unter Charles' Dichterfreunden die Vertreter des Adels, welche auch in der ein Sammelheft des Herzogs vorstellenden Handschrift 9223 genannt sind. Von ihnen veranlaßte J a c q u e s , B â t a r d d e l à T r e m o ï l l e , Herr v. S. Civran (Dep. Indre) durch eine an Charles gerichtete Ballade über die in der Liebe notwendige Geduld mit dem Refrain En la forest de longue actente (I. S. 170) und ein damit anhebendes Rondeau (II. S. 369) die lange Reihe ähnlicher Nachdichtungen von A n t o i n e de L u s s a y (II. S. 365), G i l e s des O r m e s (II. S. 371), F r e d e t (II. S. 420), den beiden Pot (II. S. 365, 366). Die von Raynouard unter Tremoille gedruckten Rondeaux gehören J a c q u e s (James), Möns, de S a v o i e an, der durchweg Themen des Herzogs variiert. Über Liebeskummer Dedans l'abisme klagt (II. 370) der von Ludwig zum Tode verurteilte L e C a d e t d ' A l b r e t , seigneur de Sainte-Bazeille (nach 1456), Sohn Charles'II. d'Albret, der in einem im zweiten Rondeau sein vorschnelles Herz zur Bedächtigkeit auffordert (II, S. 431). Der vielleicht mit J e a n de S a i n t M a a r d zu bestimmende V i c o m t e v. B l o s s e v i l l e (II, 499), der Rondeaux und Bergeretten dichtet, besang eine Dame zum Valentinstag (Rayn. S. 67) und die Dauphine Margarete v. Schottland, Gemahlin Ludwigs XI. (Rayn. S. 72), und zeigt sich in seinen reich gereimten z. T. größeren Dichtungen mit den Themen der höfischen Lyrik wohl vertraut. Er klagt über die Sprödigkeit seiner Dame, doch betrachtet er seine Äußerungen als bloßes Spiel, da er sich nach seiner Erklärung als douloureux nur bezeichnet pour contrefaire l'amoureux, wozu er in einer an den Prince gerichteten Ballade auseinandersetzt, wie
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sehr alles anders käme, wenn die Liebhaber treu blieben. Den Tod Margaretens, gest. 1444, beklagt er in einer antike Gelehrsamkeit bekundenden Ballade. Abseits der von ihm behandelten Themen und ihrer Diktion steht der Blosseville zugeschriebene, schon Martial d'Auvergne in den Arrêts d'amours Nr. 39 bekannte Debat de la demoiselle et de la bourgeoise (82 8zeil. Str.) oder Echiquier d'amours, worin eine Dame in eingehender Auseinandersetzung mit einer Bürgerin erklärt, infolge ihres gewandten Auftretens, das auch die Männer ungleich besser anziehe als es das Verhalten der Gegnerin tue, von Amor den Vortritt gegenüber der Bürgerin beanspruchen zu können. In den Anschauungen des Adels ergeht sich dagegen der mit seinem Namen überlieferte Debat du viel et du jeune (32 I2zeil. Str.), in welchem der Alte seine nutzlos der Liebe geopferte Jugend beklagt, der Jüngling dagegen die Liebe mit den Thesen der Minne als Lebensinhalt verteidigt. Zu Schiedsrichtern in diesem Debat werden M o n s e i g n e u r de T o r c y und der Seneschall von Anjou und Normandie P i e r r e de B r e z é von ihm nach Rouen gebeten. Auch ein Debat de la vie et de la mort, der in einer Handschrift von Charles' Liedern steht, wird Blosseville zugesprochen. Das Amt eines écuyer tranchant am Hofe Karls bekleidete 1455 der eifrige G i l e s des O r m e s (Orléanais) Herr v. S. Germain, zwischen 1445—1505 öfter nachgewiesen, der das Thema von Karls Dedens l'abisme (II, S. 371) und des En la forest de longue actente (II, S. 367) nachdichtet. Unter seinen weiteren in Charles' Liedersammlung aufgenommenen Gedichten antworten zwei des Herzogs Ballade Je meurs de soif (I, S. 202) und seinem Rondeau Jaulier des prisons (II, S. 514), eines (II, S. 468) einem Rondeau über den verräterischen Seufzer des nur einmal genannten Officier de Mr. de Beaujeu P h i l i p p e de B o u l a i n v i l l i e r s (II, S. 468), in Diensten Charles' um 1450, ein viertes (II, S. 539) Pour bien mentir souvent spricht über die Vorteile und Nachteile des 'mentir plaisamment'. Zweifelhaft ist seine Autorschaft an dem Rondeau (II, S. 583) Si j'eusse vostre fait cogneu mit der Klage, das Wesen der Dame zu spät erkannt zu haben. Als Absage gegen die Liebe können außer einer Ballade, welche das zerfahrene Wesen des Liebhabers charakterisiert (Rayn. S. 23), noch zwei Rondeaux (Champ. II, S. 345, Rayn. S. 77) betrachtet werden, in welchen der von Blosseville als Schiedsrichter angerufene J e a n d ' E s t o u t e v i l l e , Herr
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v. Torcy (geb. 1405, gest. 1494 als Großmeister der Annbrustschützen) den Liebesschmerz verspottet. Auch Jeans Vater ist durch die 1387 angelegte kürzende Prosaauflösung von Cuveliers Du Guesclin-Dichtung in der Literatur bekannt. Der kurz als Seneschall (II, S. 498, 525) bezeichnete Verfasser, dem auch der Herzog und Blosseville antworten (II, S. 499), ist der von René d'Anjou gepriesene Grand-Seneschall v. Anjou, P i e r r e de Brezé, der auch Chastelain und Villon förderte. Er schreibt ein um Erhörung flehendes Rondeau und eine Warnung vor falschen Liebhabern (II, S.498, S. 525. Als gewandter Dichter zeigt sich der Mundschenk des Herzogs A n t o i n e de L u s s a y , welchem außer einem Rondeau über En la forest in Karls Liederbuch (II, S. 365) noch 15 Rondeaux und Bergeretten angehören, die in Handschrift 9223 unter dem Namen 'Antoine' stehen. Sie rühmen den Vorrang seiner Dame, deren Schönheit und Tugenden die Vorzüge aller anderen übertreffen, lassen ihn aber als furchtsamen Liebhaber im Bilde der Tradition erscheinen. Ein Rondeau (Rayn. S. 141) berichtet über ein ihm zugestoßenes Reiseerlebnis. Die sechs Rondeaux d e s B e n o i s t D a m i e n (Damiano), der von 1450 bis 1464 in Charles' Diensten stand, ergehen sich teils über getäuschte Hoffnungen (II, S. 433), über Fortune (II, S. 434) oder über Trauer und Schmerz, welche ihn auf das Meer von Desplaisance verschlagen (II, S. 450). Er bemitleidet die Gefangenen im Turm von Soucy (II, S. 515) und wird vom Sturm über die Säulen des Herkules hinausgetragen (II, S. 540). Ein Rondeau klagt über Faulseté (II, S.541) und ähnlich ist der Inhalt des italienisierenden Rondeaus Champion II, S. 505. M a i s t r e B e r t h a u l t de V i l l e b r e s m e , Jurist im Dienste Charles' und später (1461) Prévôt v. Blois, gest. zu Beginn 1499, beantwortet Damien's italienisierendes Rondeau (II, S. 506) und übernimmt auch das Thema von Karls Ballade Je meurs de soif (I, S. 199). Außerdem klagt er in klassischen Reminiszenzen über Liebesleid (II, S. 502), in einer Ballade (II, S. 563) verrät er Kenntnis von Ovid. Der Mode folgt maistre P i e r r e C h e v a l i e r , Jurist, Prévôt v. Blois seit 1459, später Verwaltungsbeamter der Herzogin von Orléans, welcher überlegend Sentenzen und Maximen aneinanderreiht (II, S. 562). Gegen Charles wendet sich in einer Ballade (I, S. 127), welche die Verbannung von Bien Mentir und seines Anhanges vom Hofe fordert, J a n n e t de M o n t e n a y , H e r r v. G a r e n c i è r e s (Maine), Sohn des Dichters J e a n de G a r a n c i è r e s (Rom. Gröber-Hofer, Gtsch. d. mittelfrz. Lit. I I .
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1893, S. 422ff.). Zwei andere Stücke, welche mit Rondeaux Charles' (Champ. II, S. 353, 355) korrespondieren, über ceulx de l'observancevnàibx Verhalten, gehören B o u c i c a u t , s e i g n e u r de B r e u i l d o r é a n , einem jüngeren Verwandtendes berühmten B o u c i q u a u t , Mitarbeiter an den Cent Balades. Auch Beamte des Herzogs nehmen an dieser dichterischen Betätigung ihres Herrn regen Anteil. Unter ihnen weiß der Siegelbewahrer F r e d e t zu Bourges auf den Ton Karls einzugehen. In einer Ballade (I, S. 164) verspottet er die Anordnungen der Ärzte, dann läßt er sich, wie andere, sein Herz en la forest de longue Adente rauben (II, S. 420) und berichtet in einem längeren Brief, der auf frühere, Karl überreichte Dichtungen anspielt, wie er sich am Valentinstage in eine Dame von Tours verliebte (I, S. 268) und sich nun auf den Rat Amors an den Herzog um Fürsprache wendet, worauf ihm Charles das Heilmittel Nonchaloir anrät (I, S. 272), Fredet erwidert in einer Responce (I, S. 276), welche sich auf die in Charles' Antwort genannten Soussy, Tristesse und Nonchaloir bezieht und die frühere Bitte wiederholt. Vier Rondeaux (II, S. 300, 356, 368,422) klagen über Liebesschmerz, der am Valentinstage noch stärker gefühlt wird, zeigen ihn als unglücklichen Ehemann, der nach einer anderen seufzt, oder hoffen auf Doulceur, bzw. Doulx-Regart. Weitere Anliegen (II, S. 348, 390) werden von Karl in Rondeaux beantwortet (II, S. 349, 391). Bekannter als Dichter ist V a i l l a n t , vielleicht Sohn des gleichnamigen Beamten Mathelin Vaillant von Charles' Vater Louis d'Orléans, jedoch zu trennen von P i e r r e C h a s t e l a i n , d i t V a i l l a n t . Er tauscht mit Karl v. Orléans nach 1453 Gedichte aus, eine Obligation und zwei Rondeaux (Champ. I,S. 159—60, II, S. 351, 352) ; seine schriftliche Absage an die Liebe in Balladenform und im Amtsstil wird von Karl in gleicher Weise vidimiert (I, S. 160/62). In einer anderen Ballade aus dem Jahre 1450 an den Finanzmann Karls VII. Jacques Coeur, dem er noch ein Rondeau widmet, beklagt er seine Armut. Er antwortet mit einem G e o r g e (II, S. 350/51), es ist der Geschichtsschreiber George Chastelain, auf ein Rondeau über die 'amoreux de l'Observance' (II, S. 350) des O l i v i e r de l a M a r c h e . In seinen um 1454 geschriebenen Balladen, Rondeaux und Bergeretten, welche die gebräuchlichen Themen der höfischen Lyrik entwickeln, erscheint er bald als glücklicher Amant, bald wieder als dienender, unglücklicher Liebhaber, dessen Los Schmerz und Verzweiflung ist,
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der sich aber auch zu stärkeren Akzenten, Spott und Ausfällen erhebt. Ironische Auffassung vom Wesen der hohen Minne spricht aus seinem Débat des deux soeurs disputant d'amours oder Embusche Vaillant (118 8zeil. Str.), zwischen 1448 und 1460 entstanden, in welchem der Dichter zwei Schwestern belauscht, deren jüngere sich an die ältere mit dem Geständnis ihrer reinen Liebe wendet, worauf sie aber zu ihrem Erstaunen hört, wie die Erfahrenere gleich sechs Liebhaber zum Besten hält, die dazu herhalten müssen, die verschiedenen Ansprüche des gerade nicht bescheidenen Mädchens zu erfüllen. Trotz aller Überredungskünste der älteren Schwester kann sich die jüngere nicht entschließen, den Ratschlägen ihrer Lehrerin zu folgen, und der Debat endet damit, daß der Dichter das erlauschte Gespräch in Verse bringt. Ernsten Inhalt hat die Cornerie des anges en parodies, eine Mahnung des Dichters, das jüngste Gericht nicht zu vergessen und ein frommes, bußfertiges Leben zu führen. Ein Brief in Versen zeigt ihn als klagenden Liebhaber, der seine Dame um Gegenliebe und freundliche Behandlung bittet, ein Prosaschreiben variiert das. Thema vom Walde der longue Actente, in dem der Dichter, unter dem Bilde eines Traumes, erzählt, wie ihm die brigans deboys sein Herz raubten und es der Dame überbrachten. Diese Räuber aber sind die gewöhnlichen allegorischen Gestalten von Beauté, Jeunesse usw., welche im Walde der 'Menues pencees' mit anderen hausen. Die Bitte des Dichters an die Dame, sie möge ihm ihr Herz übersenden, schließt den Brief, der als gelungene Stilübung die dem Kreise des Herzogs von Orleéans vertrauten, sonst jedoch nur in Gedichten ausgedrückten Gedanken in Prosa behandelt. Mit vier Rondeaux über Nonchaloir, Fortune, Pleur und Espoir (II, S. 305, 413, 492, 494) und einer Nachahmung von Karls Ballade Je meurs de soif (I, S. 200) ist der Arzt J e a n C a i l l a u in der Liederhandschrift vertreten, außerdem verfaßte er zu Vaillants Absage an die Liebe ein Intendit (Ballade) d. i. ein Protokoll über eine beabsichtigte Beweisaufnahme (Champ. I, S. 162). S i m o n e t C a i l l a u , wohl Jeans Bruder, übernimmt Charles' je meurs de soif (I, S. 203), antwortet (II, 356) auf seine Rondeaux Pour tous vos maulx (II, S.358), Jaulier des prisons (II, S.513), Dedensla maison (II, S. 537) und verfaßte ein viertes Rondeau über Hoffnung und Zweifel (II, S. 449), zu welchem der von Karl geschätzte Munds c h e n k F r a n ç o i s F a r e t eine Fortsetzung verfaßte (II,S.45o). Der Panetier der Herzogin Marie v. Cleve G u i l l a u m e de M o n c e a u
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d i t T i g n o n v i l l e , Sohn des Kammerherrn Karls VI., schrieb ein Seitenstück zu Charles' Jaulier des prisons (II, S. 513) und ein Valentinrondeau (II, S. 436), außerdem noch einen Beitrag zum Forest de longue Adente (II, S. 582) und eine Entgegnung an B e n o i s t D a m i e n (II, S. 587). G u y o t P o t , von Karl in diplomatischen Missionen verwendet, schreibt ein Gegenstück zu des Herzogs Gedicht L'àbit le moine (II, S. 364) und, wie sein Bruder P h i l i p p e P o t (II, S. 365), eine Erwiderung zu En la forest (II, S. 366) der Requeste gegen Chartiers Dame sans merci. M e s c h i n o t ist mit einer Ballade (I, S. 185) und vier Rondeaux (II, S. 532/35) vertreten. F r a i g n e , ein Adeliger im Dienste der Herzoge v. Bourbon, dichtet fünf Rondeaux auf Seufzer, Auge und Herz (II, S. 486, 504, 527/28, 528), angeregt durch Michault Täillevent. MaistreEstienne le G o u t , Sekretär Karls i. J. 1447 und in diplomatischen Missionen verwendet, gab Antwort auf das grammatische Rondeau des Herzogs, in welchem sich dieser über ein Liebesabenteuer seines Sekretärs lustig machte (II, S. 301), H u g u e s le V o y s , 1455 Sekretär des Herzogs, übernimmt Charles Jaulier des prisons (II, S. 516) und Escalier de merencolie (II, S. 521) und sieht überall die Macht von Faulceté über Loyauté (II, S. 518). G u i l l a u m e C a d i e r , procureur des Herzogs v. Bourbon, später Seigneur von La Brosse, dankt Charles für erwiesene Gunst (II, S.603). M o n t b e t o n hinterließ vier Rondeaux und Bergeretten (Rayn. S. 58,63,65, 75), in denen er Mund oder Augen der Dame die Schuld an seiner Liebeskrankheit gibt, und schrieb auch eine Ballade, zusammen mit Robertet, auf je meurs de soif (I, S. 197). J e u c o u r t , einer im 15. Jahrhundert mehrfach genannten Familie angehörig, verfaßte zwei Rondeaux (Rayn. S. 87ff.), welche die Gedanken von T r e m o ï l l e s En la forest und von B l o s s e v i l l e s En la montaigne de tristesse weiterführen. In den Kreis dieser ehrbaren Hofdichter tritt auch der Vagabund V i l l o n , der in seiner Art die Ballade du Concours de Blois mit dem Thema: Je meurs de seuf auprès de la fontaine (I, S. 194) schreibt und die Geburt der Marie d'Orléans in zwei Gedichten erwähnt (I, S. 187ff.). Die Balladenreihe des Je meurs de soif beschließt J e a n R o b e r t e t (I, S. 198), der jüngste Zeitgenosse im Dichterkreis des Herzogs v. Orléans. Er entstammt einer Juristenfamilie, welche im Dienste der Herzoge v. Bourbon stand, war Sekretär des als Dichter bekannten Herzogs Jean II. v. Bourbon, seit 1467 Bailli von Usson
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und Sekretär des Königs Ludwig XI., außerdem greffier im Parlament der Dauphiné. Ein Rondeau (II, S. 603) setzt Charles' Vorzüge in Parallele mit den hervorragenden Eigenschaften berühmter Heroen der Antike, ein spöttisches Rondeau bezieht sich auf einen Maler, eine Bergerette (Rayn. S. 56) klagt über vergeblichen Liebesdienst. Von drei Balladen erzählt die erste in allegorischer Form die Heirat von Zephirus und.Flora, d. i. der Seele, die zweite stellt die Kirsche über alle anderen Früchte, die dritte, reich an Allegorien und Rhetorik, wurde durch Chastellains Angriff auf Ludwig XI. veranlaßt. Eine Complainte (in Prosa, 8 Silbnern und 30 çzeil. Str.), welche Robertets Fähigkeit im oratorischen Stil beweisen sollte, beklagt den Tod (1476) des von ihm bewunderten Dichters und Chronisten Chastelain, der, vom Parnaß herabgestiegen, die großen Geschichtsschreiber des Altertums und Dichter (Livius, Homer) in einer Person vereinigte. So ist es erklärlich, daß Art, Nature, Imitation über seinen Tod trauern. Ein Epitaphe ist ein Nachruf auf messire Galmier, den Hofnarren des Herzogs v. Bourbon. Die für seine Dits prophétiques des Sibylles benützte lateinische Unterlage ist noch unbekannt. Ein kurzes Gedicht äußert sich zur Lounge de Madame de Bourbon des früher erwähnten Großseneschalls v. Anjou Pierre de Brezé. Einer Exclamation faite pour le département de Estienette (1469) in Prosa und Vers, anläßlich der Entführung der Etiennette de Besançon im Jahre 1468 durch Gaston v. Foix, antwortet der Geschichtsschreiber G u i l l a u m e C o u s i n o t (Hs. Bibl. nat. 12788). Robertet, welcher das Gedicht (mit Prosabriefen) der Douze Dames de rhetorique veranlaßte, hinterließ noch lateinische und französische B r i e f e , außerdem eine Bearbeitung der Trionfi Petrarcas. Robertet ist ein Vertreter der höfischen schweren, weitausholenjden Dichtung mit feierlicher, pathetischer Sprache. Sein Sohn F r a n ç o i s R o b e r t e t überträgt ein zweitesmal die Trionfi Petrarcas in Rondeaux und ist der Verfasser eines zwischen einem sparsamen Bürger und verschwenderischen Edelmann abgehaltenen Débat du boucanier et du gorier. Auch die übrigen Dichter der Rondeauxsammlung in Hs. 9223 dürften mit dem Hofe v. Blois in Verbindung gestanden sein. Der Ton ist bei ihnen derselbe, wenn auch die Reflexionen über die Charles so vertrauten Allegorien von Plaisance, Espoir, Desespoir, Nonchaloir usw. zurücktreten. In 14 Rondeaux oder Bergeretten bittet im Stile der Tradition der Haushofmeister des Herzogs
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v. Guyenne Charles B i o s s e t um Gnade oder rühmt die Schönheit seiner Herrin. Von der Liebe und ihrem Wesen, von Fortune und seinen Déplaisirs im vergeblichen Dienste, den Eigenschaften des Amant spricht I t a s s e L e s p i n a y , vielleicht der Conseillier des Herzogs v. Bretagne E u s t a c h e d ' E s p i n a y (um 1450) in seinen Antoine de Lussay nachahmenden neun Rondeaux (Rayn. 117—118, 129, 134, 136, 138—139, 140, 141). Huet de V i g n e , wahrscheinlich Musiker, schrieb ein Rondeaux auf Agnes Sorel (gest. 1450), ein zweites rühmt die Vorzüge seiner Herrin, eine Bergerette führt ihn als klagenden Liebhaber ein (Rayn. S. 135, 142). Antoine B u s n o i s (Rayn. S. 153) gleichfalls als Musiker bekannt, schrieb einen Didier an Jean Molinet und ist in der Poetik des Pierre Fabri mit einer Bergerette vertreten. Sein in der Hs. überliefertes Rondeau ist in der Form des schon veralteten Jeu parti gehalten. T a n n e g u i du Chastel (Rayn. S. 3, 49, 60), Beamter am Hofe Karls VII., dann Oberstallmeister bei Ludwig XI., als Besitzer einer Bibliothek bekannt (gest. 1477), huldigte in zwei Bergeretten einer unbekannten Dame, vielleicht der von Martin le Franc als Dichterin gerühmten Hofdame J a m e t t e Nesson, einer Nichte des Dichters Nesson, der eine dritte Bergerette Tanneguis antwortet. Von einem sonst unbekannten F o u l l é e (Rayn. S. 145/46) verblieb ein über Desespoir klagendes Rondeau und eine den Tod apostrophierende Bergerette, welche jedoch noch einem Régné d ' O r a n g e (Rayn. S. 74) beigelegt wird. Nur durch ein Rondeau bzw. eine Bergerette sind in der Hs. Dichter vertreten, welche ebenfalls Antoine nachdichten. Copin de Senlis (Rayn. S. 125) versichert treu lieben zu wollen, um Ehre und Ruhm zu gewinnen. Ihm folgen mit dem gleichen Thema der messire E r n o u l de Crequy (Rayn. S. 126), Schenk Philipps des Guten um 1450, nach 1489 noch bezeugt; sein Sohn G a l o y s de C r e q u y (Rayn. S. 126) um 1469, André Giron (Rayn. S. 128), der Sohn des Hauptmannes Alain Giron, der um 1445 in Diensten des Connetable v. Richemont stand, Pierre de la Jaille (Rayn. S. 130), ferner Jean de L o y o n (Rayn. S. 144), der außerdem noch eine Bergerette über den Tod verfaßte, und Colas de la Tour (S. 130). An Johann v. Lothringen, den Sohn Renés v. Anjou, richtet Thomas de L o r a i l l e (gest. 1469), Vicomte von Rouen (1448), königl. Rat, Kriegsschatzmeister (1465) und Finanzrat des Herzogs v. Guyenne, ein Rondeau
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(S. 148), in dem er sich als treuer Diener von Amour bekennt. Z u Ludwigs X I . Hofe zählte der königliche R a t und Kammerherr (1479) seigneur J a c q u e s de T a i s , der den Abschied von seiner Dame befürchtet (Rayn. S. 59). Unbekannt ist die Stellung des m o n s e i g n e u r d ' O r v i l l i e r , dessen Rondeau die Freude seines Liebens ausdrückt (Rayn. S. 21). Die Rondeauxsammlung enthält auch je ein Rondeau zweier Dichterinnen, deren eine, J e a n n e F i l l e u l , Hofdame Margaretens v. Schottland, klagt, von ihrem Freunde verlassen zu sein (Rayn. S. 76), während mademoiselle B e a u C h a s t e l , über welche Nachrichten fehlen, sich an alle Heiligen um Linderung ihres Liebesschmerzes wendet. Da auch von M e s c h i n o t (Rayn. S. 28, 29, 107) und M a r t i n l e F r a n c (S. 52) Balladen und Rondeaux in der Sammlung vorhanden sind, deutet dieser Umstand auf einen regen Uterarischen Verkehr der an verschiedenen Höfen wohnenden Dichter untereinander hin, von denen der burgundische und der von Orléans die bedeutendsten waren. Auch Charles Witwe M a r i e d e C l e v e , welche ihr Geschlecht auf den Schwanritter zurückführte und sich von einem Diener des Hauses Orléans B e r t h a u l d d e V i l l e b r e s m e (Orléanais) deshalb den unverständlich gewordenen Chevalier au cygne aus Versen in Prosa umsetzen ließ, fördert die Dichtung, denn sie belohnte 1470 den Dichter R o b e r t du H e r l i n , 1481 Sekretär des Königs Ludwig X I . , der die Widmung seines erbaulichen Pommier de douleur (15 Str. und 2 Ball.) annahm, für Rondeaux und Balladen. Andere lyrische Dichter reihen sich in ihren Werken den gebräuchlichen Motiven der Zeit ein. Der als dramatischer Autor bekannte J a c q u e s M i l e t ist nach Simon Greban der Verfasser einer allegorischen Dichtung zum Preis der Frauen, Forest de Tristesse (gegen 5000 V . in 8zeil. Str.), wohl in Erinnerung an die Forest de longue attente der Dichter um K a r l v. Orléans. Das im Jahre 1459 geschriebene Poem erzählt, wie sich der Dichter im Walde der Trauer verirrt, der von Melancholie bewacht wird, hier die Klagen der unglücklich Liebenden und die Vorwürfe eines in Gram versunkenen Mädchens hört, das vor den Göttern über die den Frauen entgegengebrachte Mißachtung Einsprache erhebt. Als Urheber dieser verächtlichen Beurteilung werden der Rosenroman und der Matheolus bezeichnet, denen nun die Sprecherin ihrerseits mit heftigen Anklagen antwortet. Die
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Frauenverächter finden ihre entsprechende Verurteilung und der Dichter kann sich nun auf die Wiese der Erhörung begeben. Gewandtheit der Darstellung, die sich auch in den emphatischen Stellen und allegorischen Bildern lebendig erhält, jedoch den empfindsamen Charakter der Dichtung zu stark betont, charakterisieren diesen späten Beitrag zur Streitfrage über den Wert oder Unwert der Frauen. — Der als Dramatiker, Regisseur und Chronist tätige L e P r i e u r i s t der Verfasser eines Debat du content et du mecontent d'amour, Inc. Tres hault, tres noble, tres prudent (8 S.) in Hs. Bibl. nat. 1685 und eines Debat des sept serviteurs, Inc. Le debat des sept serviteurs (8 S.) in Hs. Bibl. nat. 1670 v. J. 1470. Der Großmeister des Croissantordens und Großseneschall v. Anjou und Provence, L o y s de B e a u v e a u , der auch den Filostrato des Boccaccio übersetzt hat, dürfte als Verfasser der in verschiedenen Strophen und Metern geschriebenen Schäfer-* dichtung Regnault et Jehanneton betrachtet werden können, die nach der Vermählung des Königs René mit Jeanne de Navarre (1454) geschrieben wurde, da die Schlußverse die Widmimg an René und seine Frau enthalten. Das Gedicht beginnt mit der gewöhnlichen Frühlingseinleitung, die hier bei Einzelszenen des Landlebens verweilt, und führt den Schäfer mit der Schäferin zusammen, deren Gespräch von einem Pilger belauscht wird. Die Versicherung des Schäfers, daß er aus Liebe zu seiner Ge-> fährtin die Heimat verlassen habe, findet keinen Glauben, denn sie weiß, daß er bereits viele Frauen geliebt habe. Die Weschelrede droht in Zank und Verdruß zu enden, da will der Pilger vermitteln, doch als er am nächsten Morgen kommt, findet er die beiden nicht mehr vor. Über Loys de Beauveau als Historiker siehe den Abschnitt Geschichte (Verse). In das Ende des Zeitabschnittes fallen die poetischen Werke des dem Pariser Hofe angehörenden O c t o v i e n de S a i n t G e l a i s (gób. 1468 zu Cognac, Bischof von Angoulème, gest. 1502), der als Lyriker, Moralist, Hofdichter und Übersetzer in herkömmlicher Weise an dem literarischen Schaffen des ausgehenden Jahrhunderts teilnimmt. Seine Balladen und Rondeaux sind Huldigungen an Frauen des Hofes, ein D e b a t erörtert zwischen einem Bauern und Edelmann die alte Frage, ob ein stilles zufriedenes Leben dem Treiben am Hofe vorzuziehen sei. La Chasse, auch Depart d'Amour, in wechselndem Versmaß, ist
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eine aus den Gedichten Charle's v. Orleans zusammengesetzte Kompilation. 1496 beklagt er den Tod des Grafen v. Angouleme und widmet Karl VIII. ein kurzes Gedicht, in dem er die Geschichte des Königs von seiner Kindheit an erzählt. Mit Robertet und G. Cretin zusammen schreibt er den Anne von Graville gewidmeten Arrest de la louange de la dame sans si (ohne Tadel), der als Protest den Apfel interjecU contre la dame sans si nach sich zieht. Im Stile der burgundischen Rhetoriker ist die K l a g e auf den Tod Karls VIII. gehalten, in der die Vision die für diesen Anlaß notwendigen Allegorien ermöglicht. Seine Tätigkeit als Moralist und Übersetzer kommt in den entsprechenden Abschnitten zur Darstellung.
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SATIRIKER Der Umstand, daß die bisher genannten Dichter in der Tradition der höfischen Dichtung, die nur mehr ein Modespiel mit festen Normen war, schrieben, hatte Themen und Ausführung derselben auf ein enges Gebiet festgelegt. Die Dichter sprachen über Gedanken, nicht über Empfindungen, die Lyrik war ein Spiel mit Voraussetzungen geworden, die je nach Geschicklichkeit und Vertrautheit mit den hier geäußerten Fragen gelöst werden konnten, jedoch immer auf Inhalt und Form bedacht sein mußten. Seine Persönlichkeit konnte der Dichter nur dann zur Geltung bringen, wenn er, wie Deschamps, höfischen Verpflichtungen ferne stand und unbekümmert um ästhetische Forderungen oder literarische Tradition in seiner persönlichen Dichtung die Antwort auf Anregungen gab, welche aus realen Verhältnissen erwuchsen oder eigene Stimmungen wiederspiegeln. Diese Inspiration führte gewöhnlich zu einem nicht gerade schmeichelhaften Bilde der Wirklichkeit, in die sich der Dichter oft selbst stellte, um über sich oder andere zu spotten, Verhältnisse zu tadeln, eigene Meinungen im Gegensatz zu anderen zu vertreten, wobei auch grelle Farben und derberer Ausdruck ihre Berechtigung fanden. Naturen solcher Art sind unter den sonst gleichmäßig auf die einzelnen Fragen eingestellten Schriftstellern des Mittelalters selten, sie heben sich durch individuelle Züge von ihren Zeitgenossen ab, wenn sie, ohne in polternde Anklagen oder moralisierende Ermahnungen zu verfallen, ironisch, spöttisch oder klagend über eigenes Schicksal sprechen oder satirisch zu Fragen der Zeit Stellung nehmen. Alle Dichter des Mittelalters überragt, was Ausdruck der Persönlichkeit und Unmittelbarkeit poetischen Schauens betrifft, F r a n ç o i s V i l l o n , der Dichtervagabund des 15. Jahrhunderts. Er hieß François de Moncorbier, nach dem Dorfe, aus dem seine Familie stammte, wurde 1430 in Paris geboren, verlor früh seinen Vater und nahm den Namen seines Wohltäters G u i l l a u m e de V i l l o n , Kaplan der Kirche Saint-Benoît-le Betourné an (gest. am 23. Aug. 1468). François wird 1449 bachelier an der Pariser Universität, deren flottes Studentenleben er mitmacht, und führt seit 1452 den Titel eines maître ès arts. Als er 1455 im Streit einen Priester tötet, muß er aus Paris fliehen und hielt sich unter
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dem Namen François de Loges in der Umgebung der Hauptstadt versteckt. 1456 darf er zurückkehren, doch nimmt er zu Weihnachten desselben Jahres an einem Diebstahl im Collège de Navarre teil, weshalb er aufs neue sein Wanderleben aufnehmen muß. Ende 1456 verläßt er Paris, um sich nach Angers zu begeben. Die Zeit bis 1461 ist schwer zu bestimmen, er dürfte sie wahrscheinlich im Gebiet von Orléans verbracht haben, nach seiner Befreiung aus dem Kerker von Meung 1461 kann man eine Wanderung nach Moulins, der Residenz des Herzogs v. Bourbon, ansetzen. Im Sommer 1461 finden wir Villon im Kerker zu Meung, aus dem ihn der Einzug Ludwigs XI. in die Stadt befreit. Vom 2.—7. November 1462 wird er im Chatelet wegen des Diebstahls im Collège de Navarre gefangen gehalten, jedoch gegen das Versprechen der Schadloshaltung freigelassen. Noch im gleichen Monat kam er wegen neuerlicher Raufhändel vor die Richter, die ihn zum Tode durch den Strang verurteilten. Seine Berufung gegen diesen Rechtsspruch hatte Erfolg, er wurde vom Parlament am 5. Jänner 1463 auf die Dauer von zehn Jahren aus der Hauptstadt verbannt. Da sich nach diesem Datum jede Spur von Villon verliert, dürfte er bald nach seiner Verweisung gestorben sein und zwar, wie Rabelais berichtet, in Saint-Maixent im Poitou. Außer den zwei großen Gedichten, welche Villons Ruhm lebendig erhielten, den L a i s , auch P e t i t T e s t a m e n t genannt (1456) und L e g r a n d T e s t a m e n t (1461), sind noch kleinere Gelegenheitsdichtungen überliefert, die sich an verschiedene Ereignisse in seinem bewegten Leben knüpfen. Verloren ist ein von ihm erwähnter, wahrscheinlich parodistischer Roman, der P e t au d i a b l e , der vermutlich Erinnerungen aus seinem Studentenleben verwertet. In den L a i s (legs: Vermächtnisse), zu Weihnachten 1456 unmittelbar vor seiner durch den Einbruch im Collège de Navarre bedingten Flucht aus Paris geschrieben, macht er die Lieblosigkeit seiner Dame für diese Abreise verantwortlich. Er will nach Angers und schreibt, da seine Rückkehr ungewiß ist, diese Lais, die als eine Parodie auf den ernsten Congié d'amour, als eine Verspottung von Institutionen und Personen der Zeit zu betrachten sind. Er verteilt seine Habe und gibt Geschenke, die in ihrem Gegensatz zu den Beschenkten diese ironisieren und in bestimmten Belangen lächerlich machen. Er läßt seinem Spott freien Lauf, zeigt die Charakterschwächen der
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von ihm Genannten, spricht von seinen Erinnerungen aus der Studentenzeit, gibt sein eigenes Portrait als sec et n o i r und schließt, da ihm die Kerze ausgeht und die Tinte eingefroren ist. Persönliche Reflexionen unterbrechen die Aufzählung der Gaben, manche gelungene Beobachtimg hält in kurzen Strichen eine Situation fest, wie z. B. das Bild und die Stimmung des Weihnachtsabends in seinem ungeheizten Zimmer, in dem er die Abendglocke der Sorbonne hört. Die Natürlichkeit der aus verschiedenen Situationen genommenen Szenen, gelungene Komik der Personen, die Freude an Ausgelassenheit und die keck hingeworfenen Portraits der oft spöttisch angesprochenen Personen machen das Petit Testament zu einem durchaus persönlichen Werk, das Villon unter den mit Namen und Verhältnissen vertrauten Zeitgenossen schnell bekannt werden ließ. Der Erfolg der Lays, deren rasche Verbreitung aus Villons Protest gegen die Bezeichnung 'Petit Testament' in seinem zweiten Gedicht ersichtlich ist, dürfte den Dichter zu einer Wiederholung im späteren Werk gleichen Inhaltes, L e g r a n d T e s t a m e n t , veranlaßt haben. Es kann bereits im Kerker von Meung Sommer 1461 begonnen worden sein und wurde später in Abschnitten weitergeführt. Unter den Einfluß der literarischen Testamente, wie sie von Jehan de Meung, Deschamps und Jean Regnier geschrieben wurden, parodiert Villon die Form des gerichtlichen Testaments, das er, der Vorschrift entsprechend 'en plein sens' (75) verfaßt und als 'irrevocable' (80) bezeichnet, um seine Gedichte und Geschenke zu verteilen und all derer zu gedenken, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten. Die hier eingeschlossenen iöBalladen, welche diese satirische, zynische und humoristische Verteilung unterbrechen, beziehen sich teils auf frühere Vor-fälle, wie die B a l a d e p o u r J e a n C o t a r t , der am 9. Jänner 1461 gestorben war, und die Belle lefon aux enfants perdus, die nach der Justifizierung des Colin de Cayeux im September 1460 geschrieben ist, teils wurden sie neu für das Testament verfaßt. Nach der Klage über seine vergeudete Jugendzeit, in der er alles tat, nur nicht studierte, fragt er, wo seine Freunde sind, und schließt bittere Bemerkungen daran, daß Gott den Armen ein großes Gut, die Geduld, gegeben habe. Doch findet er, daß es besser ist, arm zu leben als tot in einem prächtigen Grabmal zu liegen (288). Die Gedanken an den Tod führen ihn zur Erkenntnis, daß niemand gern stirbt: Quiconque meurt, meurt en
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douleur (314), und veranlassen in der Erkenntnis an die Vergänglichkeit der Schönheit die Balade des dames du temps passé mit dem berühmten Refrain Mais ou sont les neiges d'antan ? Ihr folgt die erst später verfaßte Balade des seigneurs du temps jadis, welche diesem Gedanken der Vergänglichkeit ernsten Ausdruck verleihen. Ähnliche Erwägungen über das Thema: Ce monde n'est perpetuel (421) veranlassen die Balade en vieil langage jrançois, in der die Helden der Chansons de Geste die Nichtigkeit irdischen Ruhms beweisen müssen, und liegen den drastischer gehaltenen Regrets de la belle Heaulmière zugrunde, welche nach dem Beispiel der Alten im Rosenroman Vorwürfe gegen das entstellende Alter erhebt, das sie ihre Jugendschönheit beklagen läßt, weshalb sie in einer weiteren Balade aux filles de joie diese auffordert, die Jugend zu genießen, da das Alter kein Recht mehr auf Freude habe. Erörterungen über die Liebe dieser 'femmes diffamées' (576) und über die Nature feminine, die unersättlich ist, führen zur Double Balade, in der er zwar den Rat gibt, die Liebe zu genießen, jedoch mit Hinweis auf die Beispiele aus dem Altertum, der Bibel und auf Grund eigener Erfahrungen warnt, den Verstand dabei zu verlieren, wobei er im Refrain Bien est heureux qui riens n'y a der frauenfeindlichen Strömung in seiner Weise folgt. Nach bitteren Worten an seine Geliebte, die ihn täuschte, schwört er der Liebe ab. Die weitere Aufzählung der Gaben und ihrer Verwendung seitens der Beschenkten wird bei der Erinnerung an seine Mutter durch eine den Namen des Dichters im Akrostichon tragende Ballade an Maria unterbrochen, auf welche nach einigen Legaten die Balade à s'amye mit Akrostichon und ein Rondeau an den Tod folgt, der ihm seine Freundin entrissen hat. Die wieder aufgenommene Verteilung seiner Güter hält bei einer humorvollen, persönliche Erinnerungen verwertende Balade et Oroison für den verstorbenen Jehan Cotart, einen tüchtigen Zecher, und bei der Ballade für Robert d'EstouteviUe. Als Einlage in sein Testament schreibt er dann die in Verwünschungen sich ergehende Ballade gegen die Langues envieuses, auf welche die ironischen Contreditz de Franc Gontier folgen, dessen einfachem, idyllischem Landleben er das Bild gesättigter Genußsucht gegenüberstellt, deren Lob in den Refrain ausklingt: Il n'est trésor que de vivre à son aise. In der Balade des femmes de Paris, auf die er nun zu sprechen kommt, gesteht er zwar den andern Ländern auch schöne Frauen zu, erklärt aber: Il n'est bon bec que de Paris,
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was im einzelnen bewiesen wird. Die Zuwendung seiner Habe führt ihn auf die Große Margot, deren Ballade die Erinnerung an Villons Studentenzeit in Paris und an sein wüstes Leben wachruft, das ihn zur harten Selbstkritik veranlaßt: Nous deffuyons honneur, il nous deffuit, Ordure amons, ordure nous assuit. In die nun folgende Liste seiner Geschenke fallen dann die Leçons aux enfants perdus und die Balade de bonne doctrine, eine Chanson drückt die Freude aus, dem Gefängnis entronnen zu sein, das Epitaph stellt ihn als Opfer der Liebe hin und spielt auf seine Verbannung an. Mit zwei Balladen, deren letzte die Aufforderung enthält, zu seinem Begräbnis zu kommen, schließt das Testament, in dem vielleicht eine Art poetischen Tagebuches Villons zu sehen ist, der die verschiedenen, unter dem Eindruck von Stimmungen oder Ereignissen entstandenen Teile dadurch zu einem Ganzen vereinigte, daß durch entsprechend gewählte Stichworte oder Situationen bei der Verteilung seiner Habe oder beim Aufruf der Personen diese schon fertigen Teile eingefügt wurden. So ließe sich die wechselnde Stimmung, die von Ausgelassenheit zur Melancholie, von frommer Betrachtung zur zynischen Genußsucht, von Ergebung in das Schicksal zu trotziger Auflehnung und Ausfällen gegen die Gesellschaft geht, erklären, ferner auch die Anspielungen auf verschiedene, noch dunkle Ereignisse in seinem Leben. Dadurch wurde auch der Ton persönlicher Stellungnahme schärfer als in den Lays, da die Wechselfälle seines Vagabundenlebens Villon ja oft genug Anlaß boten, sich an Orte und Personen zu erinnern. Die kleineren, meist aus Balladen bestehenden Dichtungen sind durch bestimmte Anlässe entstanden, deren Daten schwer zu bestimmen sind. Die Balade de bon conseil (I der Ausg. Classiques fr. du m. â.) weist darauf hin, daß mancher hoffnungsvolle Jüngling wegen Auflehnung gegen die Gerechtigkeit den Tod fand, lind warnt in den Worten: 'Vivons en paix, exterminons discort', vor Gewalt oder unüberlegten Handlungen. Sie kann ebensogut in die Pariser Studentenzeit als nach einem seiner Raufhändel gesetzt werden. Die Balade des proverbes (II) reiht Sprichwörter aneinander, die Balade des menus propos (III), mit 'je congnois' beginnend, stellt im Refrain den Gegensatz dazu: Je congnois tout fors que moy mesmes. In der Balade des contre vérités (IV) werden bekannte Sprichwörter ins Gegenteil verkehrt. Die Ähnlichkeit der in diesen drei Balladen behandelten Themen rückt
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diese Gedichte mit großer Wahrscheinlichkeit nahe aneinander. Patriotisch ist der Inhalt der Ballade V, die sich gegen die Feinde Frankreichs wendet, die Balade du concours de Blois (VII, 1457) nimmt das von Charles d'Orléans gestellte Thema: Je meurs de soif, auf und beantwortet den im ersten Vers gestellten Gegensatz durch weitere Beispiele. Die Epitre à Marie d'Orléans (VIII, 1457), aus Dit und Double Balade zusammengesetzt, überträgt geschickt die Voraussetzungen des Ave Maria in höfische Anschauungen. Die Requeste à Möns, de Bourbon (1460/61) ist die Bitte, dem armen, von t r a v a i l gezähmten Villon eine Unterstützung zu gewähren. Der Amtsstil der umständlich gehaltenen Bittschrift klingt zum Schluß in Villons Witz aus, wenn er seinen Brief auffordert, recht hoch zu springen und vorzubringen, wie sehr ihn der Geldmangel drücke. Aus dem Kerker von Me m g kamen 1461 drei Gedichte, die Epitre an seine Freunde, ihn nicht zu vergessen und ihm zu helfen, der Debat du Cuer et du Corps, Anklagen des Herzens gegen seine Torheiten, und das Gedicht Probleme ou Balade au nom de la Fortune, in welchem Fortune zu Villon spricht, der sich über sie beklagt, ihn auf das Los berühmter Männer verweist, um ihn so zu Geduld und Ergebung aufzumuntern. In einem V i e r z e i l e r kündet er in Form einer Grabrede seinen bevorstehenden Tod auf dem Galgen an (1462—63), gleichen Inhalt hat ein Epitaph (1462—63), wohl besser B a l a d e d e s P e n d u s genannt, in dem die am Galgen Hängenden sich an die Vorübergehenden wenden und sie um Mitleid bitten, wenn sie, ein Spielball des Windes, von Regen und Krähen böse zugerichtet werden. Statt zu spotten: Priez Dieu que tous nous vueille absoudre. Die Louenge à la cour (XV, Jänner 1463) fordert seine Glieder auf, beim Parlament für ihn zu sprechen, die Balade de VAppel (Jänner 1463) bezieht sich auf seine gegen das Todesurteil eingebrachte Berufung. Wie alle Gedichte Villons auf Ereignisse in seinem Leben zurückgehen, ist dies auch in einer Reihe von Balladen der Fall, die in dem schwer verständlichen Jargon der Vereinigung loser Gesellen, la Coquille genannt, geschrieben sind. Sie werden in der Zeit entstanden sein, als Villon sich in der Provinz vor dem Arm der strafenden Gerechtigkeit verbergen mußte. Diese Balades en Jargon Jobelin geben den Dieben von Paris und Umgebung Ratschläge für den Erfolg ihrer Unternehmungen, um ihnen dadurch Gefängnis und Strafen zu ersparen.
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In einer Zeit, in der die Lyrik nur mehr überlieferte Konvention vorstellt, die sowohl in der Liebesdichtung als auch in den persönlichen Themen seit Deschamps die gleichen Gedanken behandelt, durchbricht Villon die Tradition mit der Schilderung erlebter Wirklichkeit, die er, ohne den Versuch einer Beschönigung zu machen, in den Mittelpunkt seiner Werke stellt. Unbekümmert darum, daß er uns die Tiefen des menschlichen Lebens zeigt und seine Verfehlungen eingesteht, weiß er auch diese Berichte durch den Ausdruck seiner Stimmung lebendig zu machen. Sein Sinnes- und Gedankenleben, in innigem Einklang miteinander gebracht, tritt greifbar aus seinen Versen hervor. Er versteht es, kurz und zutreffend im Ausdruck zu sein, packende Bilder zu bringen, in denen das Leben pulsiert, daraus die Stimmung festzuhalten und deren Reflex auf den Leser zu übertragen. Er spricht, ohne sich an Vorgänger zu halten, von Tod, Verwesung, Unzucht, Lastern, doch nie macht sich Überlegung, künstlich hervorgerufene Bewegung oder falsches Pathos bemerkbar, aus sich heraus läßt er Personen, Orte, Handlungen sprechen, sich bewegen und der Beurteilung gegenübertreten. Villon ist der Dichter der Straße und derer, die von ihr leben oder in Schenken und Spelunken mit Dieben, Studenten und den Mädchen der Grosse Margot sich an Würfelspiel und Zechgelage vergnügen. Er weiß es auch, wenn er von seiner Dichtung sagt: 'Envyeuse est et desplaisante (Test. 269). Diese Einstellung erklärt vielleicht die Tatsache, daß Villon für die Natur nichts übrig hat, ja sogar über die sonst so gerühmten Freuden des Landlebens nur Spott aufbringt, andererseits konnte sich der Dichter dadurch, trotzdem er nicht unbewandert in der Literatur seiner Zeit ist und gelehrtes Wissen besitzt, dem Druck der ' i n t e l l e c t u a l l e s ' (Lais v. 288) und ihrer Doktrinen entziehen. Indem er so das Leben seiner Zeit zum Gegenstand der Dichtimg, nicht aber der Meditation macht, menschliche Schwächen mit keckem, oft zynischem Lachen vorführt, sie jedoch im nächsten Augenblick wieder bereut: Je suis pecheur, je le scais bien (Test. 105) und als Warnung für andere hinstellt, ist er modern geblieben, da er die menschlichen Regungen und den Drang nach Lebenslust offen und ungekünstelt in der Dichtung zum Ausdruck bringt. So ist es verständlich, daß Marot 1533 eine Ausgabe von Villons Gedichten redigiert, Rabelais ihn kennt und Boileau anerkennend von ihm spricht. Villons Sprache ist im erasten Stil etwas pathetisch und ge-
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künstelt, weiß sich aber im leichten Erzählungston zu eindringlicher Lebhaftigkeit, gelungenen Vergleichen, Witz, Ironie und beißendem Spott auch in den oft obszönen Bildern, die er entwirft, zu entwickeln, wenn er in schnellem Wurf Situationen andeutet, Gefühle, Reflexionen, Stimmungen verständlich machen oder Charakteristiken, diese nicht selten durch Kontrastwirkungen, dem Leser vorführen will. Die Allegorie verwendet er maßvoll (Cuer, Fortune, Jugement u. ä.). Im Reim ist er manchmal frei, indem er sich der Assonanz nähert oder nach der Pariser Aussprache ar: er, oi: è bindet. Villons Dichtung hat eine Reihe von Nachahmungen hervorgerufen, in denen, allerdings weniger mit der Meisterschaft des Initiators als mit Übernahme des hier geübten Vorganges, Spott und Satire zu verteilen, literarische Themen parodiert und mit burlesk-satirischem Inhalt erfüllt werden. Juristisch geschult, unternimmt es H e n r i B a u d e , sich über verschiedenen Fragen des literarischen und zeitgenössischen Lebens zu äußern. Er war gegen 1430 in Moulins geboren, Finanzbeamter in Tulle (1451), königlicher Steuerrat für das Limousin (1458). Er wurde auf die Anklage der Stände hin, sein Amt parteiisch ausgeübt zu haben, zu 800 livres verurteilt (1468), setzte aber eine für ihn günstige Wiederaufnahme seines Prozesses durch. Da er von Antoine, bâtard de Bourgogne widerrechtlich gefangen gehalten worden war (i486), strengte er gegen ihn einen Prozeß an, vor dessen Ende ihn der Tod im Jahre 1496 ereilte. Er ahmt Villons Satire in dem 1465 geschriebenen Testament de la mulle Barbeau nach (12 8zeil. Str.). Es ist der Bericht eines Esels über seine Herrn, die er an bestimmten Beispielen charakterisiert, und über die Mißachtung, die ihm im Laufe seiner immer tiefer sinkenden Stellung entgegengebracht wird. Die Erinnerung an vergangenes Elend bestimmt den Esel, sein Testament aufzusetzen, in welchem er seine Körperteile mit verschiedenen Reflexionen und spöttischen Zusätzen an allgemein bekannte Leute verteilt und satirische Ausfälle auf Verhältnisse und Personen anbringen kann. Unentschieden bleibt der Debat (7 4zeil. Str.), der zwischen Pferd und Rind über ihren Wert geführt wird. Lamentations Bourrien (15 8zeil. Str.) versetzen in die Häuslichkeit und in die Kinderstube eines von seiner Geliebten mit den Kindern allein gelassenen Kanonikus, der mit dem Kleinen im Arm der Mutter nachtrauert. Baudes Trost besteht im Hinweis auf das G r ö b « r - H o f e r , G e s c h . d. m i t t e l f r z . L i t . I I .
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Verhalten anderer leichtsinniger Frauen von Paris, deren Streiche von einem Jacquette de la Mare in einem Buche gesammelt wurden. Mit dem Diner schließt das Gedicht, das neben der versteckten Satire auf die Geistlichkeit eine behagliche Kleinmalerei und scharfe Beobachtung in Einzelheiten auszeichnet. Vor 1483 fällt der Débat de la dame et de l'escuyer (68 8zeil. Str.), worin die Dame dem liebeskranken Bewerber in wechselnder Stimmung teils ironisch, teils lobpreisend die hohe Stellung der Frau auseinandersetzt, für welche Leiden und Tod ertragen werden müssen; wer diese Bereitwilligkeit nicht aufbringt, sei kein wirklicher Liebhaber. Aus dem Ende des Jahres i486 stammen zwei B r i e f e (13 und 11 8zeil. Str.) an den Herzog Johann v. Bourbon; sie verbinden Huldigungen über persönliche Vorzüge des Herzogs mit der Bitte um Befreiung aus Gefangenschaft, welche Baude wegen einer am 1. Mai i486 gespielten, die Schäden der Rechtsprechung aufdeckenden moralité abbüßen mußte. Aus einem 3strophischen Lied ist zu ersehen, daß sich sein Gönner mit der Hilfe nicht sehr beeilte. Ein satirischer D i a l o g aus dem Jahre 1485, der vielleicht zur Aufführung bestimmt war, Entre gens de Cour et la salle du Palais (180 V, aabaab) in 3 zeiliger Rede und Gegenrede, enthält eine heute oft unverständliche Kritik an dem Hof und der Rechtsprechung, räumt der Erfahrung den Vorrang über juristische, aus Quellen geschöpfte Interpretationen ein und dürfte in den Worten des acteur die persönliche Ansicht Baudes über den Wert von Verordnungen ausdrücken. Die Bulles du cardinal de Guerrande fol du roy stellen als Parodie eines päpstlichen Erlasses einem Narren Karls VIII. ein Privileg für Nichtstun aus (6 8zeil. Str.). Dix visions de Baude (12 4zeil. Str.), auf das Jahr 1485 bezogen, befassen sich in oft schwer deutbaren Bildern mit Ereignissen in Frankreich, England und Österreich; in 6 Strophen begrüßt er mit gesuchter Eindringlichkeit den Frieden und den neuen König Karl VIII., in dessen Lande das Fundament aller Reiche, die Gerechtigkeit, herrschen soll. Le dit de pourquoi (4 Str.) sucht die Erklärung für die in der Welt zu beklagende Ungerechtigkeit, in 28 8zeiligen Strophen zeigt er, wie jeder Stand ihn betrogen habe und daß er die Guten immer dort suchte, wo sie nicht waren; König Karl VIII., dem Baude ein in lateinischer Prosa verfaßtes Lebensbild Karls VII. überreicht hatte, empfiehlt er in einem Dit moral (gegen 1490, 6 Str. aabaab) unter Hinweis auf große
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Könige der Vergangenheit, die Gerechtigkeit als das sicherste Mittel zur Herstellung geordneter Verhältnisse in Frankreich. Drei an den Prince gerichtete B a l l a d e n , darunter zwei dialogische, verhöhnen einen früheren Günstling Ludwigs XI. anläßlich seiner 1466 erfolgten Verurteilung, lassen sich über die Habsucht des Hofes aus und wenden sich gegen die Großsprecherei der Soldaten. Von seinen Rondeaux sind zwei in derbem, satirischem Tone gehalten (Parnasse satyrique du XV® siecle, S. 163—164 hgg. v. M. Schwöb), zwei mahnen an früher geleistete Versprechen, eines tadelt rasches Handeln, zwei beklagen die Trennung von einer Dame, eines macht den Pariser Damen Vorwürfe, eines bittet wegen Beleidigung von Nonnen um Entschuldigung. In noch kürzeren Gedichten äußert er sich über Zeitereignisse und Verhältnisse, über Personen und Charaktere, oder er bietet Buchstabenrätsel; 16 Aufschriften Dictz moraulx pour mettre en tapisserie von 2 — 1 1 Zeilen waren Texte für Spruchbänder zu einem Gewebe oder Gemälde und werden von den darauf dargestellten mythologischen Gestalten oder Vertretern verschiedener Stände gesprochen. Sie gehen von den daselbst abgebildeten Voraussetzungen zu Erörterungen allgemeiner oder besonderer Fragen über, wobei Baudes satirische Bemerkungen in Form allgemeiner Sentenzen über die gegebene Vorlage hinausgehen. Wie das von Jacques Robertet im ms. fr. 1716 der Bibl. nat. überlieferte Verzeichnis der Werke Baudes (Champion II. S. 298) erkennen läßt, umfaßte der poetische Nachlaß des Dichters ungleich mehr als die heute veröffentlichten Gedichte. Außerdem dürften die in ms. fr. 12490 enthaltenen und Baude zugeschriebenen Stücke nach ihrer Eigenart Baude zuzuweisen sein. Baudes Satyre erreicht nicht den Schwung Villons in dessen knapper, eindringlicher Charakteristik und Selbstbeobachtung. Er übernimmt Gemeinplätze, äußert in der Weise Deschamps' persönliche Verstimmung oder Beobachtungen, die sich auf die einzelnen Stände verteilen. Er ist trocken, sein Spott, seine Reflexionen entbehren die Milderung selbsterlebten Verständnisses, welche Villons grellste Satyre abschwächt, er ist der skeptische, moralisierende Jurist, der bestimmte Typen und einzelne Beobachtungen zu satyrischen Bildern verarbeitet, im Rahmen der Tradition bleibt, deren Themen er nicht weiterführt. In seinen Epigrammen hält er sich von antiken Vorbildern fern. Grob und derb wird Scherz und Spott bei G u i l l a u m e 6*
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Coquillart. Er ist gegen 1450 als Sohn des gleichnamigen Prokurators des Erzbistums Reims und Übersetzers des Josephus in Reims geboren, studierte in Paris Jurisprudenz und wurde 1483 Kanonikus seiner Vaterstadt. Als solcher leitete er die Feste der Stadt, erhielt 1493 den Titel eines Grand chantre und konnte sich nach einer Gesandtschaft nach Rom als Officiai der Reimser Kathedrale bezeichnen. Er starb 1510. Eine Ballade aus dem Jahre 1484, worin er einer bildlichen Darstellung Frankreichs, Flanderns und des Friedens folgt, begrüßt Karl VIII. beim Krönungseinzug in Reims, wobei ein junges Mädchen Karl die Schlüssel der Stadt mit Versen Coquillarts zu überreichen hatte. Vier politische Balladen warnen vor Fürsten, Ratgebern und Juristen, die Einfluß auf den neuen König gewinnen wollen, eine Nacherzählung der Fabel von Echo und Narzissus (7 7zeil. Str.) schließt mit der Warnung an die Jugend vor Hochmut. Wie sein größtes Werk La Simple et la Rusée, das zwischen 1470-80 noch vor seiner Ernennung zum Kanonikus in Reims verfaßt wurde, verraten auch seine übrigen Dichtungen denselben Übermut, der sich aus dem Einfluß der Pariser Juristenkreise erklären dürfte, weshalb seine Gedichte alle der Zeit seines Pariser Aufenthaltes angehören werden. Als Verspottung der damaligen juristischen Praxis ist das Gedicht La Simple et la Rusée zu betrachten, das in den ersten Teilen Plaidoyer (g. 700 8Silb.) und Enqueste (g. 900 8Silb.) zwei Farcen vorstellt, während das letzte Stück, Les droits nouveaux, einen dramatischen Monolog in zwei Abschnitten (g. 2300 8Silb.), alles in Schlangenreimen aabaab b b c . . . ) bildet. Simple und Rusée erheben durch ihre Advokaten vor Richtern und ihren Beisitzern ihre Ansprüche auf den von beiden geliebten Mignon, einen Stutzer und Lebemann (gorgias). Das Plaidoyer der Advokaten gibt Anlaß, ihre unverständlichen geschraubten Redewendungen, die Interpretationen des Gesetzbuches und die juristischen Formalitäten zu verhöhnen. Zu dieser Satyre über das Rechtsverfahren tritt der Hohn auf das Verhalten der Frauen, von denen der Dichter nur schlechte Eigenschaften anführt. Die Zeugen in der Enqueste berichten im Jargon des Bürgers unter vielen Lächerlichkeiten noch andere, die streitenden Personen betreffende Einzelheiten, die sie aus Klatsch und Frauenzank wissen. Der Prozeß bleibt unentschieden, da Coquillart im Sinne der Prozessierenden die Einzelheiten eines neuen Rechtes erörtert, des N a t u r r e c h t s
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der Frauen, die nur ihren Begierden folgen und denen sich die Männer in jedem Punkte fügen sollen. Die Satire gegen die Frauen tritt dort am schärfsten hervor, wo sie die neuen Gesetze der Unzucht verteidigt und Beispiele anführt. Beide Werke Coquillarts, Les droits nouveaux und das Plaidoyer d'entre la Simple et la Rusée konnten von dem Gedicht Parlement d'Amour des Baudet Härene und von dem Blosseville zugeschriebenen 'Eschiquier d'Amour' angeregt worden sein. Die übrigen komischen Dichtungen Coquillarts sind ebenfalls in Schlangenreimen geschrieben. Der dramatische Monolog De la botte de foin (g. 500 8Silb.) hat einen Fableaustoff zum Inhalt. Der eingebildete Stutzer und Frauen Verführer (galant) teilt seine Anschauungen und Lebensweise mit und erzählt zuerst ein Abenteuer mit der Magd der Frau, wobei er sich auf den Heuboden verkriechen mußte und in Lebensgefahr geriet, der folgende Teil ist die Schilderung der Zusammenkunft mit der galanten Frau des Hahnreis. Zweifelhaft ist die Verfasserfrage für den Monolog Du puys (g. 350 8 Silb.), der die Personen und Situationen aus dem früheren Stück übernimmt. Der Galan spielt die gleiche lächerliche Rolle, indem er bei der Rückkehr des Gatten aus dem Fenster springt, in einen Brunnen fällt, für einen Dieb gehalten und ergriffen wird. Ob die schwächere Bearbeitung des Stoffes und die abweichende Reimfolge (ababbe.. ) ausreichende Gründe dafür sind, den zweiten Monolog als Nachahmung des Monologes De la botte zu betrachten, muß dahingestellt bleiben. Der in Du puys auftretende Schlangenreim wird in dem unter Coquillarts Namen gehenden derben Monolog Du gendarme (g. 4000 8 Silb.) um 1470 verwendet, der eine Verspottung des zu Ausschreitungen geneigten Soldaten in dem anonymen Franc archier de Baignollet vorstellt. Der Gendarm und der wegen seines Verhaltens entlassene Soldat, der sein und der Kameraden ungezügeltes Leben in Friedenszeit beschreibt und die durch sein freches Auftreten erreichten, jetzt verlorenen Vorteile bedauert, gewähren in ihren gegenseitigen Mitteilungen einen Einblick in das Leben der Zeit, wenn sie liederliche und leichtfertige Frauen, das Verhalten des Klerus, der Stutzer oder Höflinge verspotten und Schäden der Gegenwart aufdecken. Die einzelnen Szenen der Monologe lassen Situationen und Personen mit greifbarer Wirklichkeit erstehen und spielen bald an der Straße, im Hause, im Tanzsaal zwischen den in Frage kommenden Personen, die in ihrem Auftreten, ihren Gedanken
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und Reden lebendig erfaßt sind, indem sie die Sprache des Alltags verwenden, Witzworte in das Gespräch mischen und den Eindruck einer oft ungezügelten Ausgelassenheit erwecken. Vermehrt wird die Lebendigkeit der Darstellung noch durch den Wechsel von Erzählung, Selbstgespräch und fingiertem oder nachgebildetem Zwiegespräch. Als eine Erfindung Coquillarts wird der dramatische Monolog nicht zu betrachten sein, da er, wenn auch noch weniger durchgebildet, bei Deschamps und selbst bei Rutebuef in französischer Sprache begegnet. Als Jurist tritt Coquillart auch in der Anlage seines scherzhaften Debat des dames et des armes (Schlangenreime, g. 500 8 Silb.) hervor, der die Frage aufwirft, ob der jugendliche Fürst die Frauen oder die Waffen vorziehen soll, ihm aber schließlich rät, beiden zu dienen, da so viele Gründe ernsten und scherzhaften Inhaltes für beide Entscheidungen vorgebracht worden wären, daß man die einen wie die anderen für gleichwertig halten könne. — Die Sprache meistert Coquillart auch unter den schwierigsten Voraussetzungen, denn seine Schlangenreime verdunkeln in keiner Weise die Schärfe seines Ausdruckes oder die Entwicklung seiner Gedanken. Er erinnert in der Art seiner Zeitbetrachtung an Deschamps, läßt sich in seinem realistischen Sinn mit Villon vergleichen, dessen hinreißender Ausdruck und scharfe Beobachtungsgabe bei ihm nicht selten wiederkehren, ohne aber die Persönlichkeit des eigenen Ichs derart zur Geltung zu bringen, wie es auch in Villons ausgelassensten Dichtungen der Fall ist.
PUIS. Eine bedeutende Rolle in der Förderung der kunstmäßigen, lyrischen Dichtung spielen die verschiedenen Puis in den einzelnen Provinzen. In Valenciennes soll 1229 der erste dieser Puis gegründet worden sein, dem schon Froissart Gedichte vorgelegt hatte. Aber erst 1426 bestimmte das Statut des Vereines, der sich nach einer Marienkapelle, welche zur Erinnerung an die Errettung einer Frau aus einem Brunnen (puits) durch Maria errichtet worden war, die Confrerie de Notre Dame-du-Puy nannte, daß die 60 Mitglieder der Bruderschaft sich auch literarisch zu Ehren der Jungfrau betätigen sollen. Diese Verpflichtimg hätte sich auch seit jenem Statut nur auf die jährliche Stiftungsfeier der Gesellschaft, am letzten September-
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sonntag bezogen, wo nach dem Festessen die Mitglieder nach Belieben Gedichte zu Ehren der Patronin ihres Vereines vortrugen, das beste Gedicht durch eine Krone aus Silber von i'/a Unzen, das nächstbeste durch einen Silberkranz im Werte von 15 Esterlins auszeichneten und die übrigen Dichter mit je zwei lots Wein zu ihrer Erfrischung belohnten. Die Vorstände, princes, die die Preise zuerkannten und die Vereinsgeschäfte leiteten, wurden bei demselben Fest eingesetzt und vier abtretende von acht Vereinsmitgliedern durch vier neugewählte ersetzt. Erst die jüngeren Puis der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (escoles, chambres de rhetorique etc.) waren eigentliche literarische Gesellschaften. Von den 18 durch den Druck bekannt gewordenen, in Valenciennes gekrönten Liedern, Marienlieder, Serventois und Sottes chansons, sind alle bis auf zwei mit dem Namen eines unbekannten J e a n B a i l l e h a u s anonym und undatiert. Das Alter der Hs. Paris Notre Dame M | 2 hat der Herausgeber nicht angegeben. Rhetorische Frömmigkeit und galante Rede bezeichnen das Wesen der gedruckten Stücke. Bis 1388 geht der P u y N o s t r e D a m e des R h e t o r i c i e n s d ' A m i e n s zurück, der 1451 ein Statut und 1471 eine neue Ordnung zur Feier seines Hauptfestes zu Lichtmeß und der sonstigen Feste an Marientagen aufstellte, durch die die Leistungen der Mitglieder und des leitenden Maistre festgesetzt wurden. Sie verzeichnet die Maistres des Vereines und nennt die Preise, die den nach dem Festdiner zu krönenden Sängern von Marienliedern zu den 8—10 Tage vorher öffentlich bekannt gegebenen Refrains einzuhändigen waren. Der Maistre konnte hier beim Diner auch ein jeu de mystere, ein dramatisches Spiel ernster Gattung, natürlich nicht ein ganzes biblisches Drama, sondern nur, wie der Name anzudeuten scheint, eine Szene eines solchen, etwa ein Marienmirakel, zur Aufführung bringen. Die Mitglieder trugen bei dem Feste grüne Kränze. Auch hier ist nur von Marienliedern die Rede. Der höchste Preis dafür bestand in einer silbernen Krone. Jedoch sind jener Verordnung von 1471 noch eine Festballade, ein Trinklied und Rondeau, von einem D u B u y o n eine scherzhafte Ballade auf einen Mönch und dessen Haushälterin sowie weitere Balladen und eine Farce beigefügt. Das älteste Datum, 1458, trägt ein Chant royal auf Maria. Hss. des. 16. Jahrhunderts überliefern weitere Gedichte des Puy von Amiens. Ein G. de M e r i c o u r t (Picardie), von dem die Hs. Bibl. nat. 25547,
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15. Jahrhudnert, ein Gedicht über das j ü n g s t e G e r i c h t , Inc. Revetlles vous humaines creatures (g. 600 V.) enthält, scheint darin nicht vorzukommen. Im Jahre 1471 hatte der P u y einen geistlichen Vorstand, unter den Mitgliedern befanden sich Beamte und Bürger. Der Vorgänger des Maistre auf dem Meisterstuhl, der die Nachrichten über die Einrichtung des Puy von Amiens überliefert, des J e a n de B e r y , Herrn von E s s e r t e a u x , war ein Pastetenbäcker gewesen. Ähnlich wie in Amiens bestanden P u i s in A b b e v i l l e , wo Froissait ebenfalls gekrönt wurde und menestrels bei öffentlichen Veranstaltungen Vorträge hielten oder Romane vorlasen, in D i e p p e , dessen Puy bald nach dem Rückzug der Engländer (1443) gegründet wurde und der sich die Verherrlichung der Jungfrau am Tage ihrer Himmelfahrt zum Ziele setzte (Puy de l'Assomption). Ein anderer Puy, Les Solerets, feierte die Nativité, wobei jede der den Zug der Propheten und Evangelisten bildenden 16 Personen eine Ballade vortrug. Am Abend wurde eine Aufführung von lustigen, satirischen Szenen, die oft den Charakter von Farcen hatten, veranstaltet. Eine dritte Confrerie in D i e p p e , die Sept Dormants, veranstaltete Festspiele. Die Preise des Puy de l'Assomption bestanden aus einer goldenen Krone, Agraffe und Ring für Chant Royal, Ballade und Rondeau. Der Verehrung der Jungfrau diente in Rouen der Puy de la Conception de Vierge, der gleichfalls die besten Dichtungen zu Ehren der Jungfrau mit Preisen belohnt. Die in Rouen bestehende Confrerie de la Passion hatte ihren Sitz in der Kirche S. Patrice. Die zu Ehren der Jungfrau verfaßten Chants royaux u. a. sind in der Hs. Bibl. nat. 1715 vom Jahre 1533, ferner in den Hss. Bibl. nat. 1537, 2002 und in einem um 1525 erschienenen Druck erhalten. Über Chants royaux, Balladen und Rondeaux der normanischen Puis und ihre Autoren gibt Hs. Bibl. nat. 24. 408 Auskunft. Über einen lateinischen Streit zwischen zwei Dichtern aus D i e p p e vgl. E. Picot, Mel. Wilmotte, 1909. Lieder von Dieppe stehen in Hs. Bibl. nat. 1538. Zu den Rhetorenkammern, wie ihrer viele im französischen und niederländischen Flandern im 16. Jahrhundert bestanden, zählte jedenfalls von vornherein der 1477 gegründete Puy d'escole de rhetorique zu Tournai, dessen 1375 gegründeter Vorgänger einmal Froissart krönte und der von dem alten P u y die Diners und Soupers übernahm, bei denen Gedichte der Mitglieder zum besten gegeben wurden. Die 13 Mitglieder desselben kamen monate-
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weise zusammen. Das Statut regelt auch die Beiträge für die Kosten des Getränkes u. dgl. Die Preise, Krone (courone) und Kranz (capele) übergab der Vorstand, dessen zweites Mitglied in jeder Sitzung neu zu wählen war. Das andere Mitglied mußte schon vorher gekrönt gewesen sein und hatte die Refrains aufzustellen und zu verkündigen, nach denen neue Gedichte abzufassen waren. Aus den Jahren 1477—91 werden von 25 Mitgliedern dieses Puy in dem Register desselben nicht weniger als 448 Chansons, Balladen, Rondeaux, Fatras, alles Refraingedichte, überliefert, voller Gedanken und Wortspiele, anspruchslose, ernste und kurze scherzhafte Lieder in reichen Reimen, ohne mundartige Färbung. Unter den Dichtern ist keiner sonst literarisch bekannt. Die geistlichen Mitglieder sind nicht am häufigsten Sieger gewesen. Eine andere literarische Vereinigimg in Tournai trug den Namen 'Chapel vert', da die Mitglieder während der Zusammenkünfte einen 'Chapelet vert sur la teste ou au col' trugen (Rom. 31, 1902, S. 317). Die rege Tätigkeit, die im Ausgang des 13. Jahrhunderts der P u y in A r r a s entfaltete, scheint sich im 14. und 15. Jahrhundert fortgesetzt zu haben. Welchem Puy D e s c h a m p s seine Gedichte vorlegte, ist noch nicht ermittelt worden. Die Anrede an den Prince im Envoi der Balladen scheint frühzeitig formelhaft geworden zu sein, z. B. bei A l e x i s , der sich an den 'Prince Jesus' wenden kann. In vielen Fällen wird der Envoi nur mehr die Aufgabe gehabt haben, das Gedicht in der vorgeschriebenen Form abzuschließen. Der Puy von D o u a i wird seit 1330 und zwar durch die confrérie des clers parisiens gebildet. Er veranstaltet auch Festspiele, bei denen Farcen und lebende Bilder vorgeführt werden (S. Doutrepont S. 351/52).
DAS LIED Nach Guillaume Machaut ist das persönliche lyrische Lied in den Hss. nicht mehr von Kompositionen begleitet. Nur die Hs. Bern A 471 aus dem Ende des 14. Jahrhunderts enthält eine kleine Anzahl anonymer Balladen u. a. mit Noten. Andere Sammlungen solcher anonymer Lieder, wie eine aus Norditalien vom Ende des 15. Jahrhunderts und das Westminsterbuch mit dem Je meurs de soif des Charles d'Orléans und einem Gedicht Otos von Granson bieten nur Texte und geben sich als für die Lektüre bestimmte Auswahlen kund. Ebenso verschwanden die
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Melodien nach dem Ende des 13. Jahrhunderts aus den Sammlungen des alten Frauen- und Tanzliedes, der chanson d'istoire usw., ohne daß sich behaupten läßt, daß Lieder solcher Art nicht weiter gesungen worden wären. Da sie im 15. Jahrhundert wieder hervortreten und gelehrte Erneuerung des alten Typus nicht in Frage kommt, hat dieser offenbar fortbestanden, ohne von den Verbreitern von Büchern beachtet worden zu sein. Als aber das neue Kunstlied so subtil geworden war, daß es einfaches und wahres Empfinden nicht mehr aussprechen konnte, durfte sich der alte Typus wieder hervorwagen und der Melodisierung mit den Mitteln einer entwickelteren musikalischen Kunst wert erscheinen. Inzwischen hatte sich jedoch Inhalt und Ton des alten Frauen- und Tanzliedes nach den Zeitverhältnissen geändert. Eine Angleichung an die Hoflyrik in Thema, Ton und Ausdruck hatte unvermeidlich auch in Liedern eintreten müssen, die man in weiteren Kreisen bei Tanz und sonstigen Gelegenheiten sang. Französische Sammlungen solcher neuer sangbarer Tanz- und Gesellschaftslieder treten erst am Ende des 15. Jahrhunderts hervor. Scheinbar früher, um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts, in Italien als in Frankreich. Wenigstens enthält ein Modenaer Liederheft mit italienischen auch französische Strophen im Hofstil mit Melodien von Musikern wie A n t o n e l l i de Caserta, der ins 14.—15. Jahrhundert gehört, von P h i l i p o t de Caserta, der in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts gesetzt wird, und von anderen Komponisten. Italienisiert ist das Französische in einem Florentiner Liederheft Strozzi Magliabecch. CL. VII. 1040, Anfang des 15. Jahrhunderts, das unter italienischen Liedern 33 französische, Balletten, Romanzen, Rondels und Chansons teils in Nachahmung des höfischen Stiles, teils mit volkstümlichem Inhalt bringt. Es sind entweder Liebesklagen oder Beteuerungen, auch das Thema der mal mariée ist nicht vergessen. Situationen werden erzählt oder vorgeführt und die Voraussetzungen der Werbung oder des Liebesdienstes verschieden variiert. Dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts dürfte die Brüsseler Hs. Nr. 10. 549 mit komponierten Balladen angehören. Eins der reichhaltigsten französischen Liederbücher mit Melodien ist die Hs. Bibl. nat. 12744, 15. Jahrhundert, nach Lied Nr. 125, das von einem Ereignis des Jahres 1495 spricht, erst nach 1495 angelegt und mit Melodien in der Oberstimme versehen. Die Texte sind hier ausgeschrieben, nicht nur als genügend
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bekannt in Worten angedeutet, wie in den Abschriften ähnlicher Lieder in einzelnen Stimmen des 16. Jahrhunderts, z. B. in den Liederbüchern von C o r t o n a und U t r e c h t , in den Hss. Bibl. nat. Paris 1596, 1597, 2245. Nach den mundartlichen Zügen sind an der Sammlung 12744 die inneren Provinzen und Nord und Süd, sogar Sayoyen (Nr. 12), Provence und Gascogne (Nr. 7 119) beteiligt, und ein historisches Lied, auf den Tod des Prinzen Alfons von Portugal (gest. 1491) in spanischer Sprache, verrät, daß das Liederbuch nicht in den Händen von Leuten aus dem Volke sich befand, wie auch die Lieder selbst nur zum kleineren Teile dem gleichen, was man Volkslied zu nennen pflegt. Die bei den Liedern nachweisbaren Komponisten zählen zu der Niederländerschule mit Okeghem (1443—1512) an der Spitze, die die mehrstimmige Komposition pflegten und den mehrstimmigen Liedergesang kunstgemäß entwickelten. Der Komponist von Nr. 7, 9, 12, 18, 52, 95 ist J o s q u i n de P r e s (1445—1521), bei 27 ist es B r u g i e r (noch 15. Jahrhundert), bei 40, 70 N. G o m b e r t , ein jüngerer Zeitgenosse Jocquins, bei 63 A. B r u m e l , bei 55 A g r i c o l a (vor 1501), bei 8 J. J a p a r t (ebenso), bei 71, 135 L. C o m p e r e (gest. 1518) bei 130 Cl. J a n n e q u i n (vor 1533), bei 4, 11, 101, 138 sind Komponisten vor 1501, bei 26. 127 solche, die vor 1503 lebten, nachzuweisen. Sie waren angesehen genug, um die Abfassimg kompositionsfähiger Lieder selbst anzuregen, die als Einlagen für dramatische Werke verwendet wurden. Der nachlässige Reim in vielen Stücken der Sammlung deutet an, daß die Komposition die Hauptsache war und literarische Ehren mit dem Text nicht erstrebt wurden. Hauptsächlich ist darin das Liebeslied vertreten, wie in den italienischen Büchern, aber auch an anderen für das Volk singbaren Liedern fehlt es nicht; natürlich waren sie vom Komponisten nicht für den Volksgesang komponiert. Volksliedhaft klingt eine Warnung vor der Heirat (Nr. 71) von einfachster Strophenform ( a b y ß ) , literarische Vorlagen kommen in 99, 117 in volkstümlicher Weise zur Darstellung. Mitfühlend ist das Lied (26) vom entflogenen Vogel, treuherzig naiv das Mailied 8. Als fortgebildete Sons d'amors erscheinen Werbungen wie 55, 135, das muntere Lied von der Mal mariée (130) und der mit dem Maimotiv verbundene Son 63, alle flüssig in der Sprache, wie die Lieder an den Höfen. Dieselbe Glätte zeigt die Werbung 40 ; an Deschamps erinnert das Mailied 70, sinnig will die Allegorie
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in 27 erscheinen und die Pointe sucht die Ballade 127, eine Unterweisung des Galans. Auch das Me levat des alten Aelisliedes ist noch nicht verklungen (104, Soldatenlied), so wenig wie das L'autrier der Pastorelle in 4, 29 (103). Robin ist noch am Leben, 116. 1. 9, und noch reizender naiv kommt die Schäferin oder eine Stellvertreterin (60) dem schmeichelnden Werber entgegen (2) oder lehnt ihn wie ehedem ab (3, 63). Die Szene spielt sich aber nun auch im Hause ab (24), denn die Liebenden sind nun Städter und städtisch ist die ganze Liebespoesie des Buches. Der alte Gatte wird nach wie vor vom jungen Weib verhöhnt (118, 121, 124) und, wie er es verdiene (118), betrogen (5, 111, 133). Den Eifersüchtigen verwünschen die Liebenden (10), den Freund ersehnt das Mädchen (11, 131), aber Naivität und Unschuld hat es abgelegt (79, 135), wie der Geliebte die Treue (105, 106). Die Liebe bindet nicht mehr (77. 101), der Mutter wird Trotz geboten (79), der Liebhaber wird vergnügt verabschiedet (122), die Liebe hat nur eine physische Seite. Neue städtische Figuren sind der kecke Lebemann (gorgias) und Stutzer (mignon) (21, 88), die lächerlich gemacht werden (129), aber sich über die aufgegebene galante Frau (103), über die beschränkte Schäferin (134, Tanzlied mit neckischem Refrain), über die Schwangere (78) lustig machen oder im Streit die ehemalige Geliebte beschimpfen (98). Neu ist auch das liebende Mädchen aus dem Volke, die entflohene Perronelle (39) und die zu treuer Liebe sich Bekennende (13). Eine verbürgerlichte Alba mit dem nächtlichen Stelldichein ist Nr. 30, rotrouengeartig sind Nr. 8, 20, 24, 89, 90 usw. In der persönlichen Chanson trägt der Liebende in moderner Sprache noch Huldigungen (27), Bitten (37), Verwünschungen über die Neider (15, 31, 32, 45) vor oder er spricht seine Verzweiflung (38), Tadel (51), Klagen (17, 18, 23, 43, 73, 75), aber auch seine Zufriedenheit mit dem Entgegenkommen der Geliebten (16) oder über einen empfangenen Brief aus (57). Bisweilen verbindet sich mit einer Erklärung (59) oder Beteuerung der Liebe (25, 48, 61, 62, 65) die Antwort der Dame, so daß die Chanson aus Rede und Gegenrede zusammengesetzt wird, oder sie ahmt den Brief nach (47), erzählt die Gefährdung des Galans durch Überraschung (58) oder ermuntert ihn (127). Die Klage des Verheirateten ist durch Nr. 34 vertreten. Die verschiedensten Stimmungen drückt das Mailied aus, das im Hofstil (8, 46, 49) auftritt und ungekünstelt Maiempfindungen nur in 70 äußert.
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Zu den durchaus realistisch gedachten Liebesliedern, worüber die Süßlichkeit und Sentimentalität einzelner derselben nicht täuschen kann, kommen noch einige patriotische und übermütige Landsknechtsänge, 125 bis 128, 138, 140, 143 in 6—I2silbigen Versen mit gekreuzten Reimen, ein kriegerischer Aufruf (100), die Klage Bedrängter in der Normandie (68), eines dem Hofe nicht näherrückenden Unzufriedenen (14), eine Art Kinderlied (136). Von Kenntnissen, die aus Büchern zu entnehmen wären, ist in keiner Liedart Gebrauch gemacht. Die Form ist auch in den Liedern mit zierlichem Ausdruck nicht immer rein, Reimfreiheiten zeigen, daß die Dichter mit den Poetiken der Zeit keine Fühlung hatten (vgl. 10, 16, 19, 26). Durchreimung kann bei ungenügendem Reim versucht werden (23, 40). Konventionell verwertet sind die Blume, die Frühjahrsstimmung, die Nachtigall und der Vogelsang. Dem Scherz dient häufig der Doppelsinn. Unvermittelte Gespräche machen die Rede dramatisch. Neben den Chanson (2—9 Str.) ist häufig die Ballade (6, 11, 52, 95 usw.) und das Virelai (2, 3, 10, 11, 19, 27, 28, 31, 34, 35, 42, 43, 45, 48, 61 usw.), wo, wie in anderen Fällen (36, 41, 50, 56 usw.) die Melodie verrät, daß die 8zeilige Strophe gebraucht ist. Anderwärts fand sich noch nicht der stufenförmige Aufbau eines neuen Refrainliedes, in dem die zweite Hälfte der Strophe regelmäßig am Anfang der folgenden wiederholt wird (z. B. aabb bbcc ccdd usw. z. B. 53, 78, 81 usw.). Nur Viersilbner werden nicht selbständig gebraucht; 8—i2Silbner werden häufiger allein verwendet als mit kürzeren Versen verbunden. Der oft auftretende Refrain, der die Strophe umgibt, erweist die Lieder als für gesellige Veranstaltungen geschrieben. Von den Liedern des ms Paris 12744 kehren einige in der Handschrift von B a y e u x wieder, welche Lieder aus verschiedener Zeit und von verschiedenem Inhalt vereinigt. Aus dem Hinweis auf den Tod des Königs René v. Anjou ist ersichtlich, daß die Sammlung nach 1480 geschrieben wurde. Die Lieder, welche meistens für eine Stimme angelegt sind, folgen teils höfischem Vorbild und entwickeln dann die hier gebräuchlichen Themen der sehnenden und klagenden Minne mit ihrer traditionellen Frühlingseinkleidung, Vergleichen mit Blumen (1, 10, 12, 27, 28), wenden sich gegen die Mesdisans und Jaloux, welche die Zusammenkünfte belauern oder unmöglich machen (4, 10, 12, 22, 26, 28, 33» 35» 41)» 0( ier spotten über ihre vergeblichen Bemühungen
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(77, 89), ergehen sich in Bitten um Erhörung oder Versprechungen treuen Dienstes. Andere Lieder knüpfen an politische oder Kriegsereignisse an, wie Nr. 40, das den Tod Olivier Basselins erwähnt, oder Nr. 83 mit der Klage des Soldaten, kein Geld zu haben. Andre wenden sich gegen die Engländer oder betonen die patriotische Stimmung (3, 18, 27). Das Lied der unglücklich Verheirateten kehrt in teilweiser Umänderung der Voraussetzungen wieder (16,17, 39, 63, 66, 67), Trinklieder (15, 43, 46, 48), Spottlieder (18, 49, 53, 59,64, 78), Chansons erzählenden Inhaltes, welche oft ein kurze Szene, einen Dialog enthalten (15,20,45,69,89, 94), pastorale Lieder (10, 12, 55, 79, 100, 101, 103) können als weitere Gruppen der Sammlung hervorgehoben werden, in der auch der derbere Ton nicht fehlt, (9, 11, 85, 93). Vorherrschend unter den Liedern ist das Virelai mit dem ein, zwei, gewöhnlich aber vierzeiligen Refrain als Eingang. Die erste Strophe besteht aus zwei in Reim und Versen gleichen Teilen (ouvert, clos), während sie im Refrain verschieden sein können. Die zweite Hälfte der Strophe (tierce, vers après) muß mit dem Refrain reimen, der am Ende jeder Strophe wieder aufgenommen wird. Mit Vorliebe werden 8 und 10 Silbner verwendet, die Melodie ist für alle Stropehn gleich. Zwischen 1463 und 1470 entstand d i e f ü r L o u i s M a l e t d e G r a v i l l e , Admirai von Frankreich, angelegte, unter dem Namen ' L i e d e r h a n d s c h r i f t d e s C a r d i n a i s v o n R o h a n ' von Löpelmann in der Ges. Rom. Lit. Nr. 44 veröffentlichte Sammlung von 663 Gedichten, der Mehrzahl nach Rondeaux und Chansons (617) und einigen wenigen Balladen (46). Der Großteil der hier enthaltenen Lieder ist anonym, gleichwohl werden für manche die Verfasser angegeben, von denen die nachstehenden aufgezählt werden. P i e r r e d ' A i l l y (1350—1420) erscheint mit einer Ballade, Inc. Ung Chastel scay sur roche espoventable vertreten. Er sieht einen Tyrannen in seinem Schlosse prassen, der jedoch keine Freude an seinem Feste empfindet, da sein Begehren immer weiter geht. Aus diesem Grunde zieht der Dichter das Leben des armen, aber zufriedenen Franc Gonthier dem Dasein des reichen, unzufriedenen Tyrannen vor (Löpelmann, S. 54, Nr. 39). G u i l l a u m e A l e x i s dürfte das Rondeau 516, Inc. Vueillent ou non, les envieux, angehören (vgl. Bd. 11 der Ausg. G. Alexis 60). Benoist d ' A m i e n s (Nr. 167) Au plus fort de ma maladie, steht im
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Liederbuch Charles' von Orléans (P. Champion II, S. 434). L o u i s e de B e a u c h a s t e l , gest. 1424, verfaßt das Rondeau 659 En ce monde n'a saint ne saincte, in welchem sie feststellt, daß es keine Heiligen mehr gibt die ihr helfen können (s. Raynouard 1. c.). H u g u e s de B l o s s e v i l l e , in der Sammlung des Herzogs von Orleans vertreten (Champion II, S. 499), wird als Autor von 12 Gedichten genannt. L o u i s de B o u c i c a u l t (bei Champion II, CXI, C X I I I angeführt), spricht im Rondeau 643 sein Befremden über den Verfall der strengen observance aus und bezeichnet jene als Abtrünnige, die sie nicht mehr ausüben (Inc. Assez ne m'en puis merveiller). A l a i n C h a r t i e r gehören vier Balladen und zwei Rondeaux an. T a n n e g u y du C h a s t e l (gest. 1477) huldigt, Inc. Belle, dont nul ne scet le pris (Nr. 55) der Schönheit seiner Dame. G e o r g e s C h a s t e l l a i n ' s Gebet, Helasl mourir convient (15) ist eine Mahnung an den Tod. J e h a n de C l e r e m o n t (1426 bis 1488) äußert sich über die Augen seiner Dame. (Vostre oeil qui est si fort a destre, Nr. 254). E u s t a c h e D e s c h a m p s wird als Autor mehrerer Balladen genannt, sicher ist ihm nur Nr. 37 Je voy le temps octovien, zugehörig. B e r t r a n d D e s m a r i n s de M a s a n gesteht (Les biens dont vous estes ma darne, Nr. 511), warum er seine Dame liebt. J e h a n n e F i l l e u l , Ehrendame Margaretens v. Schottland, klagt im Rondel 549, Helas, mon Ami, sur mon ame, über den Geliebten, den sie, trotzdem er sie verlassen, nicht vergessen hat. Von G u i l l a u m e F r e d e t , der Charles d'Orléans in den Wald de longue actente folgt (Champion II, S. 420) und mit einer Ballade (ib. I, S. 164) einer Complainte (ib. I, S. 268), einer Response (ib. I, S. 276), mit Rondeaux (ib. II, S. 300, 348, 356, 368, 390, 422), in der Liedersammlung des Herzogs von Orléans erscheint, ist Nr. 651, En la forest de longue actente und Nr. 641, Quelque maniere que je fasse, worin er sich zufrieden gibt, ein schönes Gesicht zu sehen. A n t h o i n e de G u i s e verfaßte vor 1415 die unter seinem Namen stehenden Gedichte, Nr. 286 (Vostre oeil, ce fort arbalestier) ; 337 (les dolleurs dont me sens tel somme)',648 (Se vous allez faire demeure). Der bis 1485 urkundlich nachweisbare L e R o u s s e l e t begnügte sich damit, nur der Diener seiner Herrin genannt zu werden (100, Quant jamaiz autre bien n'aroye) und freut sich der Gegenwart seiner Herrin (563, Quant je me trouve au près de ceUe). J e h a n de L o r r a i n e stellt die Frage: Qui veult de dame a moy changier ? (Nr. 637, siehe außerdem P. Champion, Oeuvres de Charles d'Orleans,
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S. 357. 36o, 362, 363, 489, 597, 598, 600, 601). J e a n M e s c h i n o t dürfte die Klage C'est par vous que tant fort soupire (Nr. 250) angehören. M o n t b ( r ) e t o n , Verfasser der Ballade CXXIII h im Ms. Charles d'Orléans (P. Champion, I, S. 197) kündet seiner Dame den Dienst auf (Nr. 632, Inc. Quelque chose qu'amours ordonne), spricht in Nr. 577 (Inc. J'ay des semblans tant que je vueil) über den Gegensatz von Augen und Herz und stellt in Nr. 655 (Inc. Qui est plus cause de mon dueil) die Frage, ob der Mund oder der Blick der Dame Ursache seines Schmerzes sei. Mit 14 Gedichten ist C h a r l e s d ' O r l é a n s in der Sammlung vertreten, seiner Frau M a r i e d ' O r l é a n s gehört das Gedicht über das Thema des Waldes de longue actente an (Nr. 58, P. Champion I I , S. 419). G i l l e s d e s O r m e s , der 1456, 1498, 1505 urkundlich nachweisbar ist, äußert sich zur gleichen Frage (Nr. 650, P. Champion II, S. 367). Mgr. d ' O r v i l l i e r verwahrt sich gegen den Vorwurf zu lügen (Nr. 90, Nul ne me doibt de ce blasmer) . C h r i s t i n e klagt in der Ballade: Dueil engoisseux, rage desmesuree (Nr. 22) über die Widrigkeiten, die auf sie einstürmen. J e a n R o b e r t e t beteuert der Herrin auf dem Krankenlager seine Ergebenheit (Nr. 119, En attendant guarison ou la mort). J a c q u e s de la T r é m o ï l l e (P. Champion I, S. 170, II, 369) gegen 1466 nachweisbar, rühmt die Schönheit seiner Dame (Nr. 564, En toulx les lieux ou j'ai esté). V a i l l a n t , dessen 'Obligation' eine Antwort des Herzogs Charles d'Orléans hervorruft (P. Champion, I, S. 159—60), und von welchem zwei weitere Gedichte in das Manuskript des Herzogs aufgenommen sind (P. Champion II, S. 351, 352) erscheint mit dem bei Champion II, S. 351 abgedruckten Rondeau 'Des amoureux de l'observance' (Nr. 64), einem Loblied in übertriebenen Ausdrücken, Avant que l'on vous sceut louer (Nr. 635), einem Vorwurf an sein dummes Auge (Nr 588, Sot oeil, trop estes voluntaire), und einer Absage an seine Dame (Nr. 300, Bonnes gens, j'ay perdu ma dame). H u e t de V i g n e , der gegen 1450 dichtet, fügt die Komposita von porter zu einem gekünstelten Rondeau aneinander (Nr. 660, Lequel de tous l'emportera). F r a n p o i s V i l l o n und sein Kreis kommen mit satirischen, erotischen Balladen (12, 16, 19, 31, 36, 43) und mit der Klage über den Tod der Geliebten aus dem Grand Testament (Nr. 472) zu Worte. P h i l i p p e de V i t r y , preist im F r a n c G o n t h i e r (Nr. 40) die Zufriedenheit des Landmannes, der Gott für sein sicheres Leben dankt.
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Von den übrigen anonymen Gedichten der Sammlung ist der Großteil der höfischen Liebeslyrik mit ihren verschiedenen Motiven gewidmet. Klagen des Liebhabers über seinen vergeblichen Liebesdienst, die Grausamkeit der Herrin, seine Liebesschmerzen, die verschiedenen Phasen seiner Liebeskrankheit mit ihren physischen und psychischen Äußerungen, nehmen einen breiten Raum ein (vgl. Nr. 14, 63, 64, 65, 70, 77, 79, 80, 92, 94 usw.). Die Bitten um Gnade, Erhörung, werden in verschiedenen Abstufungen vorgebracht, erflehen bald ein freundliches Lächeln, einen Blick, mahnen an den Valentinstag und dessen Bedeutung (336), weisen auf die Folgen unbarmherzigen Verhaltens hin und drohen nicht selten mit dem Tode des verzweifelten Liebhabers (59, 75, 96,108, 117, 142, 212, 257, 551 u. a. m.). Damit gehen Beteuerungen der Ergebenheit, des treuen Dienstes, der Huldigung, Dankbarkeit (30, 51, 59, 66, 69, 83), des Versprechens unermüdlichen Dienstes trotz aller Launen (129, 138), das Gelöbnis, seiner Dame allein zu dienen. Das Verhalten der Herrin bietet Gelegenheit zu zahlreichen Erörterungen, oft wird ihr Teilnahmslosigkeit, die sich bis zur Hartherzigkeit steigert, vorgeworfen, der Liebhaber findet nicht selten harte Worte für seine Vorwürfe, welche manchmal auch die Anklage der Falschheit enthalten (68, 86, 118, 127, 157, 241, 391, 514, 587 usw.). Demgegenüber heben andere Gedichte die Vorzüge der Dame hervor, körperliche und geistige Eigenschaften werden gerühmt, und nicht selten Vergleiche mit Engeln und Heiligen gemacht (521, 573, 575, 576, 595). Situationsbilder führen einzelne Voraussetzungen wie Trennung, Abschied, Wiedersehen, Reflexionen während dieser Zeit und das Verhalten der Liebenden vor (111, 113, 145, 146, 159, 168, 185, 210, 272, 315 usw.). Augen und Herz spielen ihre durch die Tradition gegebene Rolle, indem jene die Liebe erstehen lassen, sie zum Herzen leiten, Anlaß geben, sich mit Vorwürfen oder in Monologen verschiedenen Inhaltes mit der Frage der Entstehung der Liebe, den Wechselwirkungen zwischen Augen und Herz zu befassen (112, 181, 188, 247, 520, 533, 546), während das Herz als Sitz treuer oder falscher Minne, als Wohnort von Souvenir und Destr erwähnt wird und das Motiv des Herztausches zu mannigfachen Erörterungen und Variationen ähnlicher Gedanken führt (50, 116, 156, 184, 189, 192, 195, 274, 283, 290 usf.). Sehnsucht (137, 364, 468, 540), inniges Gedenken (245, 452, 488, 548), Zufriedenheit (165, 172, Gröbcr-Hofer, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II.
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177, 482, 606), mit dem von der Herrin gewährten Glück, stehen in Gegensatz zur Trauer um den Tod (7, 152, 298, 371, 376) zu dem infolge des Neides von Fortuna verursachten Verlust, der in klagender Erinnerung oder Vorwürfen zum Ausdrucke kommt. In zahlreichen Gedichten werden Anklagen gegen Fortune erhoben (134, 278, 304, 553 usw.), oder gegen Danchier, der im Vereine mit den Neidern und Mesdisans Liebesfreude vereitle oder erschwere (49,125,131,162, 233, 234, 246 usw.). Historische Balladen beziehen sich auf Ereignisse des 1 oojährigen Krieges, wenden sich gegen die Bourguignons und Engländer und rühmen die Vorzüge von Paris (9, 11, 24, 25, 27). Auch burleske Lieder mit Spott und Ironie über verschiedene Themen fehlen nicht. So wettert Nr. 12 gegen die Weinpantscher, klagt 17 darüber, daß Frauen nicht schweigen können, verwünscht 19 die Tadler, wendet sich 33 gegen die Höfling?, stellt 45 fest, daß reiche Liebhaber alles erreichen, und manch derber Ton wird hier zum Ausdruck gebracht. Verschiedene Ratschläge und Wünsche, auf bestimmte Situationen bezogen oder allgemein gebracht, enthalten in oft sprichwörtlichen Sentenzen oder in Form eigener Erlebnisse Beobachtungen und Wahrnehmungen aus dem Gebiete des öffentlichen oder privaten Lebens. Die Zote ist durch Beschreibung obszöner Liebesabenteuer oder im Ausdruck derber Wünsche vertreten (46, 102, 103, 393, 424, 448, 463, 504, 581 usw.). — Der fragmentarische Berner Chansonnier A 95 enthält in seinen lesbaren (18) Stücken Äußerungen zu Fragen der Minne; zu einem Codex von Ivrea s. Archivum Romanicum V, 1921, S. 17ff., zur Hs. v. Vire s. die Ausgabe von Gaste, Chansons normandes du XV* s. u. dessen Etüde sur Olivier de Basselin (1866). 159 Lieder mit 3- und 4stimmigen Melodien, deren Inhalt sich durchweg in herkömmlichen Bahnen bewegt, enthält der Chansonnier der Hs. von Dijon 517, der gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstanden sein wird, da unter den Komponisten sich neben Dunstable (gest. 1458) und Busnois auch Okeghem (gest. nach 1512) und Compere (gest. 1518) befinden, denen man auch z. B. noch bei den sangbaren Liedern der Hs. Bibl. nat. 15125 (15. Jh.) begegnet. 33 Gedichte meist Rondeaux enthält der in Kopenhagen befindliche Chansonnier, der mit den Chansonniers v. Dijon, Wolfenbüttel und Pavia (Univ. Bibl. 362), ferner mit der im Besitz des Marquis de Laborde befindlichen Liedersammlung zusammengeht. Der in Oporto aufbewahrte, dem 15. Jahr-
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hundert angehörige Chansonnier beginnt mit einem tractatus musicae mensuratae des Johannes de Muris. Eine der Bibliothek Philipps des Guten entstammende Liedersammlung enthält das Ms. Bibl. nat. nouv. acq. fr. 23190, ein Großteil der in Ms. Bibl. nat. fr. n. acq. fr. 22069, fol. 154 enthaltenen Lieder geht in ihrem Inhalt auf ältere Tradition zurück. Liedersammlungen finden sich noch in Bibl. nat. f. fr. 843; Bibl. nat. n. acq. fr. 6771; Chantilly Condé 514, 1047; Codex Prag Univ. X I , E 9. Ob auch das ernstere naive und treuherzige Liebeslied neuerer französischer Volksliedersammlungen, das das Volksempfinden treuer ausprägt, bis ins Mittelalter zurückreicht, ist der Überlieferung nicht zu entnehmen. Von dem romantischen erzählenden Lied im Volkston in der Art des über Frankreichs Grenzen hinaus verbreiteten Liedes vom König Renaud oder vom Elfenschlag gelang es bisher nicht, Spuren vor dem Anfang des 16. Jahrhunderts aufzufinden. Uber Lieder des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts vgl. die Sammlung von Th. Gérold, Chansons populaires des X V e et X V I e siècles avec leurs mélodies, in Bibliotheca Romanica, vol. 190—192. Die r e l i g i ö s e l y r i s c h e D i c h t u n g ist in ihren Gebeten, Lobgedichten, Complaintes auf Christus und Maria und in den ihr gewidmeten Dits noch ziemlich unbekannt. Ein Dit de la rose zu Ehren der Jungfrau schließt jede Strophe mit einem lateinischen Vers aus einem Hymnus (Rom. 41, 1912, S. 209); in der Maison de Sapience (das. S. 221) ergeht sich der Dichter in Betrachtungen über den Tempel, den Gott im Menschen und dessen Herzen mit den Tugenden, welche als Pfeiler das Gebäude tragen, errichtet habe. Die Hss. mit solchen Texten aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind zahlreich, z. B. in Bibl. nat. Nr. 147, 948, 994, 1136, 1300, 1543, 1555, 12467, 12475, 12483, 12786, aus dem 15. Jahrhundert in Bibl. nat. 2225, 2366, 19138, 24436, 25418, 25434, 25547; Nouv. acq. 934; Arsenal 3634; Avranches 212; Charleville 100; Metz 675; Tours 217, 221, 379; Troyes 1618, 1905; Bern 205, A 260; Brüssel 2385, 10178, 11073. Rom, Ottoboni 2523 u. a. Chants royaux ist seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der übliche Name für Marienlieder. Eine Sammlung solcher, mit religiösen Balladen auf die Immaculee conception de la Vierge liegt in Hs. Bibl. nat. 19369, 15. Jahrhundert vor. O s t e r b a l l a d e n , weltlich gefärbt, liest man in der Vatican Hs. Reg. 1728,15. Jahrhundert; N o e l s i n Hs. Bibl. nat. 2506,15. Jahrhundert, Arsenal 3563, 15. Jahrhundert. Die übrigen Refrain7*
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liedarten, auf religiöse Stoffe angewandt, finden sich in den Puissammlungen von Rouen, Dieppe, andere in Hss. wie Bibl. nat. 379, 24408 u. a. In einer Psalterbearbeitung in Acht-Silbnern mit breiter Paraphrase von Vers zu Vers in einer Hs. vom Jahre 1467 bekennt sich der Verfasser, ein Kartäusermönch zu Leugny (Côte-d'Or), den ein falscher Reim in das Bistum Troyes statt nach Langres verweist, mit der französischen Sprache so wenig vertraut, daß er, der nie in France war, die Rede durch burgundische Wörter zu verderben fürchtet. Das h i s t o r i s c h e L i e d läßt sich in seinen zahlreichen Äußerungen noch nicht überblicken. Satirische, historische Lieder begegnen auch bei den Geschichtsschreibern. Hs. Bibl. nat. n. acq. fr. 20, 962 enthält einen Débat zwischen den Königen von Frankreich und England. Historische Gedichte aus der Zeit König Karls VII. bieten Hss. wie Bibl. nat. 1661, 1956, 2008, 2070, 2861, 5735, Nouv. acq. 934, Arsenal 3523, politische die Hs. Bern 211. Unter dem Titel Les XII pers de Franche werden die Dienste der Großen Frankreichs bei der Krönimg in Reims aufgezählt (13 Str. zu 12 8 Silb.) wozu ein Prosatext eine Beschreibung der Kleidung und Wappen anfügt (A. Ledieu, Bull. hist. et phil. 1901). Eine Balade du Sacre de Reims (6 Str. zu 8 ioSilb. begrüßt den König als second Charlemaine und wendet sich gegen die Engländer (hgg. Champion P., Moyen Age, 1909, 372), fünf 8 zeil. Strophen begleiten den Entwurf einer gegen Ludwig XI. gerichteten satirischen Zeichnung, wo er, Faveur genannt, aus einem Horn geflügelte Esel bläst, die von ihm begünstigte, im Volk gehaßte Persönlichkeiten bedeuten, die sich durch ihre Worte charakterisieren und von denen der Dichter Frankreich noch befreit zu sehen hofft. Eine Grabschrift auf Ludwig steht in Hs. Bibl. nat. 2050 (10 4zeil. Str. Alex) ; solche auf Karl VIII. (gest. 1498) in i3zeil. und 8zeil. Strophen, und Klagen fallen in sein Todesjahr selbst. Der Tod Karls des Kühnen von Burgund (1477) wird als verdiente Strafe in einem unstrophischen Nachruf (26 8Silb.) bezeichnet und als Unterpfand des Friedens in einem anderen begrüßt (5 8zeil. Str.). Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen Vers sur la mort du conte de Salisbury (gest. 1428), der bei Orléans den Tod erlitt, und Klagen aus Bürgermund über die Not, Entbehrung und Entmutigung der erwerbenden Stände, die unter der Feindschaft und den Kriegen der französischen Fürsten leiden (g. 400 8Silb.).
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DIDAKTIK UND MORAL IN VERSEN Die lehrhafte Dichtung fesselt in gleichem Grade wie früher das Interesse der Leser, denen Rat und Belehrung aus den Schriften der weltlichen und geistlichen Autoren erteilt wird. Die Kunstmittel der Gattung bleiben dieselben wie in den vorangegangenen Jahrhunderten. Traumeinkleidungen, Allegorien und Symbolismen helfen mit, Stoff und Darstellung dem Verständnis der Leser nahezubringen, die nach Huizingas Ausdruck fähig waren, die Gedanken in ein Schauspiel umzusetzen (S. 303). Die Gelehrsamkeit, die in den zahlreich vorliegenden Übersetzungen und in der Vorliebe für klassische Bildung ein weites Betätigungsfeld fand, tritt stärker hervor, antike Autoren erscheinen mit ihren Ansichten über Politik, Staat, Kriegskunst, Philosophie, oder werden zur Stütze der Moral und Philosophie umfassenden Erörterungen herangezogen. Der Anteil, den Christine im ersten Viertel des Jahrhunderts an dieser didaktischen Aufgabe genommen hat, ist bereits hervorgehoben worden, ihre Werke Epistre d'Othea, Livre du chemin de longue estude, Mutacion de Fortune, sind in diese Gruppe einzuordnen (S. 24 ff.). Auch Alain Chartier schreibt im Breviaire des nobles seinen Beitrag zu dieser Literaturgattung. Der Umfang, den Christine ihren Werken nicht nur der Ausdehnung nach, sondern in dem weiten Ausmaß der erörterten Wissensgebiete gab, wird kaum mehr erreicht, die hier in Betracht kommenden Schriftsteller wenden sich enger umgrenzten Gebieten zu. Unter dem Einfluß von Christinens Chemin de longue estude schrieb 1426 im Greisenalter der normannische Chevalier J e a n de C o u r c y (Cahados, gest. 1431 zu Caudebec, Seine Inf.), sein lehrhaftes moralisierendes Gedicht Le chemin de Vaillance (gegen 40000 8Silb.). In einer Traumallegorie zeigt er, wie Natur, die Dienerin Gottes, dem jungen Mann in verschiedenen Situationen und Schwierigkeiten hilft, Vaillance aufzusuchen, ihn den rechten Gebrauch der Sinne lehrt, die Beispiele der Vaillance bis zu Bertrand Du Guesclin vorführt, und so Desir in ihm weckt, der ihn, da er das Bestreben zeigt, es den Vorbildnern gleichzutun, zu Prouesse und Hardement bringt. Hier lernt er das Wesen der sieben freien Künste, Hof-, Turnier- und Kriegskunst kennen, Raison rüstet ihn aus, um ihn in Begleitung der Jugend an der Brücke der Fragilité zu Fleisch zu führen, das ihn, durch Monde (Welt) mit den Freuden und Leiden der Lebensalter bekannt
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macht. Inmitten von Vergnügungen ruft Natur Desir zur weiteren Führung des nur Verirrten auf. Prudence verhilft ihm zum Schiff der Kontemplation und zu den theologischen Tugenden. Zuletzt erblickt er unter dem Baume des Lebens Vaillance im Paradiese. Der Dichter weist treffendes Urteil, bildhaften Ausdruck und leichten Redefluß auf, hält sich aber in Anschauungen und Ausführungen an Vorgänger, denen er Voraussetzungen und Einzelheiten entnimmt. Eine Geschichte des Altertums in Prosa, B o u r q u e c h a r d i e r e , die Jean 1 4 1 6 — 1 4 2 2 schrieb, um die erzwungene Musezeit des Alters auszufüllen, ist nach seinem Schloß Bourg Achard genannt und soll die frühere Dichtung ergänzen. Sie enthält, was Jean über die Sintflut, Troja, die Gründer von Reichen nach Trojas Untergang, über orientalische und europäische Völker der Bibel oder alten Schriftstellern entnehmen konnte. Als Quellen dürften jene Texte in Betracht kommen, die Jean des Preis in seinem Geschichtswerk verwertet hatte, für den auf Alexander bezüglichen Teil wird aber eine ältere französische Prosadarstellung vorgelegen haben. Visionäre Schilderungen des Jenseits geben willkommenen Anlaß, Betrachtungen moralisierenden, didaktischen oder religiösen Inhaltes an das Geschaute zu knüpfen. In die Unterwelt führt, von Dante beeinflußt, R e g n a u d le Q u e u x von Douai, Jurist und Lehrer des Grafen v. Ponthièvre und Périgueux, Vicegrafen v. Limoges (f 1 5 2 5 in der Schlacht von Pavia) in seinem mit Prosa durchsetzten Gedicht Le baratre (1480), zu dem als Fortsetzung eine Maison celeste, das Paradis, trat. Dieses Gedicht und ein Miroir de court, wahrscheinlich eine Erziehungslehre für den Adel, ist nicht erhalten. Regnaud wird noch von Jean Bouchet 1 5 1 6 im Tempie de bonne renommee (1516) wegen seines Gedichtes le baratre lobend erwähnt. — Auf ein lateinisches Gedicht geht die von R o b e r t B l o n d e l für den Herzog v. Berry, Bruder Ludwigs X I . , verfaßte Versbearbeitung der Douze perils d'enfer zurück. — Am Ausgang des Mittelalters schreibt E l o i d ' A m e r v a l aus Bethune, 1468 schon urkundlich erwähnt, 1483 Lehrer der Sängerknaben an der Heiligen Kreuz-Kirche in Orléans, sein Ltvre de la Diablerie (24000 V.). Eine Vision führt den Dichter zum Höllentor, wo er in einem Versteck Satan und Luzifer belauscht, die einander Mitteilung machen, wie sie die Welt gewinnen könnten. Aus dieser Voraussetzung heraus entwickelt der Autor zahlreiche theologische und morali-
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sierende Diskussionen oder er wendet sich mit entsprechenden Ermahnungen an die Stände. Bibel, Kirchengeschichte und philosophische Schriftsteller liefern ihm das Rüstzeug für seine Exkurse, der Einfluß des Rosenromans ist unverkennbar, doch folgt er in der Beurteilung der Frauen und der Liebe Guillaume de Loris, daneben kennt er auch A. Chartier und Villon. Die Sprache ist einfach und hält sich vom Schwulst der Rhetoriqueurs fern. Lehrhaft und reflektierend sind die Dichtungen des Bischofs von Angoulême O c t o v i e n de S a i n t - G e l a i s . La Chasse ou le Départ d'Amour bringt, wie Jean Marot es tut, die gebräuchlichsten Vers- und Reimarten der Zeit in buntem Wechsel. Le séjour d'honneur erzählt in Form einer Allegorie die Erfahrungen des Dichters, der von Sensualité auf dem Schiffe Fol Abus auf dem Meere Joie mondainne fährt, zur Insel Vaine Esperance kommt, hier vergeblich von Grace Divine Ermahnungen erhält und dann zur Forêt des Aventures gelangt, die alle Wunder der Bibel und der Geschichte birgt. Er erreicht das Schloß Séjour d'honneur, kann hier, von Bon Vouloir geleitet, bis zum Throne Karls VIII. emporsteigen, fällt aber in Ungnade und wird von Raison in ein kleines, Entendement gehöriges Haus geführt, wo er den Tod erwartet. Der Rosenroman, Dante und Vergil haben diesem in ungleicher Sprache und schleppender Allegorie sich abmühenden Gedicht als Vorbild gedient. Unter dem Einfluß der humanistischen Studien stehen die Versübersetzungen Octoviens. Seine erste Arbeit, die 1493 unter dem Titel erschien: L ' h y s t o i r e de E u r i a l u s et L u c r e s s e , v r a y a m o u r , ist die Übertragung der gleichnamigen Erzählung von Aeneas Sylvius. 1497 vollendet er die Übersetzung der H e r o i d e n O v i d s , wo zum erstenmal der Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Reimen beachtet wird. In Zehnsilbnern ist die Übertragung der Komödien des T e r e n z und die französische Fassung der E n ei de gehalten. Außerhalb dieser humanistischen Arbeiten steht die französische Wiedergabe der Schrift des Bonifazius Simonetta: L e l i v r e d e s p e r s é c u t i o n s des c r e s t i e n s . Der pessimistische Gedanke der Zeit, der in den Bildern von Tod und Verwesung, vom Tanz des Todes in Skulpturen oder Wandmalereien seinen Ausdruck findet, tritt auch bei mehreren Autoren hervor, wenn diese in ihren Schriften über die Nichtigkeit und Unbeständigkeit der irdischen Verhältnisse, ihrer Freuden klagen, das Bild des Todes und der Verwesung hervorrufen und
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dadurch den Leser an das Jenseits erinnern. Der Inhalt dieser Dichtungen ist entweder eine bittere Betrachtung über das eigene Schicksal, die Zeitläufte und die daraus zu ziehenden Lehren oder es sind theoretische, oft von Theologen verfaßte Abhandlungen erbaulicher, polemischer Tendenz. Der Bekehrung der Sünder und weltlich Gesinnten beider Geschlechter bestimmt J e a n C a s t e l , der Enkel Christinens, der mit Georges Chastellain Gedichte wechselte und in zwei E pis t r è s (1465, 66) einen Herrn v. Gaucourt um seine Fürsprache zur Verleihung einer einflußreichen Stelle durch den König ersuchte, seinen Mirouer des pecheurs et pecheresses, auch Spéculé des pecheurs, in Prosa und Vers. Der Grundgedanke des Ganzen ist der Hinweis auf die Nichtigkeit des Lebens gegenüber der Macht des allbezwingenden Todes. Der Mirouer, der u. a. den Livre de Mandevie benützte, wurde frühzeitig gedruckt. Enseignements in 10 Silbnern, die in Hs. Bibl. nat. 1673 stehen, widmet um 1483 der sonst unbekannte Dichter I m b e r t C h a n d e l i e r Louise v. Savoyen, Gemahlin Karls v. Orléans, Graf v. Angoulême. — Erst in Hss. des 15. Jahrhunderts tritt der asketisch erbauliche Livret, auch Jardin de dévotion oder La diete de salut (gelegentlich mit des Verfassers Biographie verbunden) des i8jährig als Bischof von Metz und Kardinal (1386) gestorbenen, später selig gesprochenen P i e r r e de L u x e m b o u r g (geb. 1369) auf, das er seiner Schwester Johanna v. Luxemburg widmete und das weit verbreitet war, aber vielleicht erst von einem Verehrer nach seinem Tod geschrieben wurde. — In Diensten Johanns v. Bourbon, der mit Charles d'Orléans die englische Gefangenschaft teilt, stand als Beamter und Stadtvogt von Aigueperse P i e r r e N e s s o n , Oheim der Dichterin Jamette Nesson. Seine Dichtungen gehen vornehmlich über geistlich-erbauliche Themen. Sein Lay de guerre (722 v. in ioSilb., 1425 geschr.) läßt G u e r r e , „deesse des abysmese d'enfer Engendrée du félon Lucifer", eine Aufforderung an alle ihre Untertanen richten, um zu verhüten, daß P a i x , dessen Nahen sie fürchte, Sieger bleibe. Der Dichter entwirft ein Bild der Kriegsgreuel in Frankreich, es ist eine Mahnung für Frieden und ein Vorwurf gegen die Adeligen, die es mit dem König von England hielten. L'Hommage à la Vierge oder Oroison Nostre Dame, auch Testament de P. Nesson (224 8Silb.) ist eine Huldigung an Maria, der er sich mit Frau und Kind widmet. Neuf leçons de Job oder Vigilles des morts, eine H i o b s -
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p a r a p h r a s e über den lateinischen Text, sind Betrachtungen über Leiden, Reichtum, Leben und Tod, über die Nichtigkeit alles irdischen Bestandes mit theologischen und philosophischen Sentenzen auf Grund der Bibel und des Buches De contemptu mundi von Innocenz III. Der Grundzug aller Betrachtungen ist die Erinnerung an den Tod, der realistisch im Bild der verwesenden Körper auf dem Friedhof symbolisiert wird, in welchem die Gebeine der Großen und Niedern der Welt nicht mehr voneinander unterschieden werden können. Nessons Sprache und Gedanken sind ernst, seine Worte eindrucksvoll, doch bleiben seine Bilder alle in der Tiefe erlebter, nüchtern erschauter Wirklichkeit, welcher freundlichere Farben versagt bleiben. Ernst klingt der Ton der Dichtungen, in welchen P i e r r e C h a s t e l a i n die Vergangenheit beklagt. Er wurde um 1408 geboren, widmet sich nach einer sorglos verlebten Jugendzeit infolge der Lasten seines Ehestandes der Alchemie, kommt nach Rom und trifft auf der Rückreise, auf der er medizinische Kenntnisse verwertet, mit König René zusammen, in dessen Dienst er zwei Jahre bleibt (1452—1453). Er kehrt nach Frankreich zurück, wo sich seine Spuren verlieren. Pierre Chastelain, der oft mit Vaillant identifiziert wird, ist der Verfasser zweier reflektierender Gedichte, deren erstes, Temps Perdu, durch Michault Taillevents Passe Temps angeregt, sich in melancholischen Betrachtungen über die nutzlos vergeudete Jugendzeit und die schweren Zeitläufte ergeht, denen er alt und schwach gegenübersteht, was ihm Anlaß bietet, seine Erinnerungen aus der Vergangenheit niederzuschreiben, in der er fröhlich und der Liebe ergeben in den Tag hinein lebt, heiratete und dann schließlich Alchimist wurde. Das Handwerk nährt ihn nicht, daher sieht er im großen Ablaß vom Jahre 1450 die Gelegenheit, seine Lage zu verbessern. Mit einer nicht gerade zuversichtlichen Kampfansage an Temps Perdu schließt das Gedicht, das in Rom 1451 eine Fortsetzung erhielt, Mon Temps recouvré (278 Str.), eine poetische Darstellung seiner Erlebnisse in Italien in gleichem reflektierenden, oft klagendem Tone wie der Temps Perdu, mit ähnlichen Ausfällen gegen das Geschick und seine Launen: Reflexionen über Armut, die Nichtigkeit des Lebens, über die Beschwerden des Alters, der Hinweis auf seine oft wechselnden Schicksale in Italien, die ihn zu verschiedenen Dienstleistungen zwangen, wechseln mit Mitteilungen persönlichen Inhaltes, über Einzelheiten seines Aufenthaltes mit
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Erwähnungen von Bauten der ewigen Stadt oder mit Kritik an Zuständen, die oft in satirischer Absicht mit dem Ausdruck von Ironie und Vorwurf gebracht werden, wenn er das Leben und Treiben in Rom mit scharfen Worten kritisiert, das Verhalten und den Prunk der großen Herren tadelt, die Etappen seines Wanderlebens aufzählt oder dem Gedanken an den Tod und die Unbeständigkeit der Herrengunst Ausdruck verleiht, bis ihn ein Unfall trifft, der ihn zur inneren Einkehr veranlaßt. Eine spätere Fortsetzung, die den ursprünglichen 168 Strophen noch weitere 110 anfügte, ergänzt die autobiographischen Mitteilungen des Dichters für die Jahre 1452—53. Seine Enttäuschungen äußern sich in heftigen Ausfällen gegen Land und Leute, doch ändert der Dichter plötzlich sein Thema, indem er, in oft dunkler Weise, alchimistische Fragen über die Mischung der Elemente und die Verwandlung der Metalle erörtert. Dies führt ihn wieder zur Erwägung, daß der Reichtum nicht vor dem Tode schütze, Gold und Erkenntnis seien gleicherweise zufällig, wie sein eigenes Schicksal beweise, das ihn trotz seiner Stellung im Gefolge des Königs René in Armut hielt. Mit der Bitte an den abwesenden König, ihm wegen seiner hastigen Rückkehr nach Frankreich nicht zu zürnen, schließt das Gedicht. Chastelain ist mehr Eklektiker als eigener Gestalter. Obwohl er Selbsterlebtes schreibt, dämpft er den Ton durch Bedachtnahme auf literarische Tradition, weder als Satiriker noch als Moralist ist er mit eigenen Ansichten hervorgetreten. Sprache und Reim handhabt er mit Leichtigkeit, die von ihm entworfenen Bilder und Vergleiche sind lebhaft und oft eigener Wahrnehmung entnommen. Als Moralist in höfischen Diensten schreibt der Freund Chastellains J e a n M e s c h i n o t , seigneur des Mortiers, der sich als Dichter unter dem sentimentalen Beinamen des bannt de liesse weithin bekannt machte und durch ihn charakterisieren wollte. Er wurde gegen 1422 in Nantes geboren, bekleidete schon vor 1442 das Amt eines Maitre d'hòtel am bretagnischen Hofe, an dessen Kriegszügen er teilnimmt, folgt seiner Herrin Anna v. Bretagne nach ihrer Vermählung mit Karl V I I I . von Frankreich (1491) an den Pariser Hof und starb 1491 zu Nantes, seinem Geburtsort. In Gedanken und Formen folgt er den burgundischen Dichtern, mit deren Art er durch Margarete, die Gemahlin (gest. 1441) des Herzogs Arthur Richmond von Bretagne (gest. 1458), Tochter des Herzogs Johann von Burgund, bekannt gemacht sein konnte,
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oder dem Hofe von Orléans, mit dem er nach der Liedersammlung in Hs. Bibl. nat. 9223 vielleicht verkehrte, da eine Ballade und zwei Rondeaux von ihm aufgenommen sind (Rom 48, 1922, S. 112). Seine Rondeaux, Ballades, Oroisons, Supplications, Lamentations, Exhortations, eine Commemoracion de Jesu Christ bringen in ernster, schwerer, oft gezwungener Sprache fromme, moralisierende Gedanken, wenden sich in satirischer Weise gegen die Fehler der Zeit oder besprechen in preziösem, gekünsteltem Stil das Thema der Liebe in ihren verschiedenen Arten der Freundschaft, tugendhaften, törichten und lasterhaften Liebe. Als Quellen nennt er selbst den Rosenroman, Virgil und Homer. Daneben behandelt er auch Ereignisse am Hofe seiner Herrin oder stellt traurige Betrachtungen über die Zustände der Zeit an. Moralisierend ist die Tendenz seines Hauptwerkes, der Lunetes de princes (nach 1458, Inc. Apres beau temps vient la pluye), das mit trauernden Strophen auf Margarete beginnt. Der Dichter wird in seinen trüben Gedanken, welche seiner verstorbenen Herrin gelten, von Raison getröstet. Sie übergibt ihm eine Brille der Erkenntnis mit den Gläsern Prudence und Justice, in Force eingefaßt und durch den Nagel Temperance befestigt, auf deren Wesen er dann unter Ermahnungen an die Vertreter aller Stände, diese Tugenden zu pflegen, weiter eingeht, wobei er besonders die Regierenden ermahnt, milde und gerecht zu herrschen und die Untertanen nicht auszusaugen. Das ausschweifende Leben des Adels findet bittere Kritik, die sich auch in scharfen Worten gegen Richter und Juristen der Zeit wendet, denen sie Bestechlichkeit vorwirft. Betrachtungen über Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit und Erörterung von Begriffen, Vorzügen und Fehlern unterstreichen die moralisierende Tendenz des Buches, in dem die pessimistische Stimmung der Zeit in den Reflexionen über die Nichtigkeit des Irdischen und in den Gedanken an den Tod hervortritt. In einer Nachahmung von Chastellains Gedicht 'Princes' in dem verschiedene Typen von Herrschern mit ihren Fehlern vorgeführt werden, den 25 Balades de princes, übernimmt er Ende 1453 Chastellains Strophen als Envois, zu denen er je eine Ballade schreibt, die in ihrem Ganzen eine Art Fürstenlehre vorstellen. Von drei nur in der Ausgabe der Lunettes von 1494 stehenden B a l l a d e n (gedr. Rom. 49, 1923, S. 427) läßt die erste Virginité, Chasteté, Continence auftreten, in der zweiten gibt er jungen Mädchen Verhaltungsmaßregeln, die dritte klagt über die Kriegsgreuel und preist den Frieden.
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In seinen Gedanken folgt Meschinot seinen Vorgängern und auch antiken Schriftstellern, deren Schriften ihm durch Übersetzungen bekannt sein mochten. Er selbst nennt, als von ihm gelesen, Cicero, Orosius, ferner den Rosenroman und die Faictz des Romains. Er hat durch seinen Hofdienst Einblick in das Getriebe der Welt erhalten, daher sein gerne zur Schau getragener Pessimismus, der sich in seinen Ermahnungen, Ratschlägen, Exkursen, Vergleichen der früheren mit jetzigen Verhältnissen äußert. Trotzdem er unter dem Einfluß der Rhetoriqueurs steht, vermeidet er ihre Übertreibungen, sein Ausdruck ist oft knapp und erreicht in manchen Fällen sentenzenartige Formulierung. Religiöse und moralische Erziehimg vermitteln die Gedichte des Benediktiners G u i l l a u m e A l e x i s , le bon moine de Lyre (Norm.), gest. als Prior von Bucy (Perche) auf der Reise nach Palästina, i486, der seine Rondeaux, Balladen und Chants royaux jedenfalls an den Puy zu Rouen richtete, da eine Ballade von ihm mit seinem Namen in einem Druck von 1525 erscheint. Vom Jahre 1451 stammt die älteste Dichtung L'ABC des doubles, d. i. das ABC in Reimpaaren (1283 8Silb. in homonymen Reimen), deren Reimwörter in den 23 Abschnitten regelmäßig in der Reihenfolge des Alphabets beginnen, also im ersten Stück mit a, im zweiten mit b usw. Eine Übereinstimmung in der Form mit Chartiers Breviaire des nobles und Taillevents Psautier besteht jedenfalls nicht, auch wenn Alexis eine Nachahmung dazu beabsichtigte. In moralisierenden Sentenzen und Urteilen wird über die Welt, die Laster und Tugenden, über Gott gesprochen, zu Gottesliebe und Gehorsam gegen die Kirche aufgefordert und auf die Vergänglichkeit des Irdischen hingewiesen. In den oft gedruckten Faintises du tnonde (110 8zeil. Str.) 1460 zeigt Alexis in einer Folge von Sprichwörtern und Sentenzen, welche spitzfindige Gegensätze zueinander enthalten, die Widersprüche des menschlichen Daseins. In einem dialogischen Debat de l'homme et de la femme (40 Str.) erneuert der Mann die aus Bibel, Kirchenvätern, Sage und Geschichte geschöpften Anklagen gegen die Frau, jede 4zeilige Strophe schließt mit dem Villon entlehnten Refrain Bien eureux est qui rien n'i a, worauf die Frau aus denselben Quellen in gleicher Form, aber mit dem Refrain Mal eureux est qui rien n'i a, ihre Verteidigung führt und am Schluß (38 8Silb.) den Mann an die Untaten seines Geschlechts seit Kain erinnert. Die Spruchdichtung mit Gegenrede älterer Zeit, wie sie in De
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Marcoul et de Salemon angewandt ist, schwebte vermutlich in Le passetemps des deux Alecis freres (78 4zeil. Str. mit Epilog) vor, ein Austausch von sentenzenartigen oder aus Lebenserfahrung und Beobachtung geschöpften Sätzen, in die sich die Brüder so teilen, daß der Prior Alexis die ersten vier Zeilen einer 8 zeiligen Strophe (aabb; cddc), sein Bruder, der Franziskaner war, die letzten vier spricht, wobei er die Äußerung Guillaumes bestätigt oder unter einen neuen Gesichtspunkt stellt. Der Gedankenzusammenhang unter den beiden Stücken des beschaulichen epigrammatischen Meinungsaustausches ist nicht durchweg festgehalten. Scharfen Tadel spricht Le mireur des moines gegen die Verweltlichung des Mönchstandes aus, ähnlich moralisierend ist die Tendenz in dem Vers und Prosa mischenden Le martyrologue des faulses langues (mit 516 V. einschließlich 2 Balladen, in der beliebten 7zeil. Str. mit je einem Sprichwort am Ende), der den Dichter im Traum zum Tempel der fausses langues führt, wo alle Verräter ihre Strafe erleiden. Unter Alexis' religiösen Poesien befindet sich eine stellenweise pathetische Predigt auf Mariae Verkündigung in Versen, Declamación sur l'evangile de Missus est (504 V.) in miteinander abwechselnden 12 zeiligen Strophen von Zehnsilbnern und von Sieben- mit Dreisilbnern, nebst Prolog und Epilog in I2zeiligen Strophen aus Zehnsilbnern, worin das Wunder der unbefleckten Empfängnis auf den Sündenfall begründet, Gabriels Sendung an der Hand des Evangeliums dargelegt und die Unbeflecktheit durch alttestamentliche Wunder zu erklären versucht wird. Eine hymnenartige Ballade über denselben Gegenstand mit Envoi, in dem Jesus als Prince erscheint, ging in die Hs. des Puy von Rouen über; in einem Rondeau legt er die Versicherung ihrer Jungfrauenschaft Maria selbst in den Mund; eine Oraison (10 iozeil. Str.) an Maria voll ungleichartiger Lobsprüche schließt mit dem üblichen Gesuch um Fürbitte und in 11 9 zeiligen Strophen erläutert er in mancherlei Reimspielen das Sub tuum praesidium confugimus sancta Bei genetrix. Die Reimspiele (Echoreim usw.) fehlen auch seiner freien U m s e t z u n g (u. 1480) von Innocenz' III. Schrift De c o n t e m p t u m u n d i in Versen (5310 8Silb.) nicht ganz, die später mit gereimter Inhaltsangabe (220 8Silb.) versehen wurde und Le passe temps de tout komme et de toute femme genannt ist, weil sie dem allgemeinen Besten dienen sollte. Breiter ausgeführt als im Grundtext sind die Exempel; einzelne Kapitel
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und Stellen sind als ungeeignet übergangen. Gegen ehebrecherische Liebe wendet er sich in dem am häufigsten unter seinen Werken gedruckten Blason des faulses amours (126 Heliandstr. aus 8 4Silbn. mit 4 8Silbn. gebildet), einem an lebhaften Stellen die Strophe teilenden Gespräch mit einem adeligen Gecken, der sich trotz aller ihm vorgehaltenen Hinweise auf die Opfer falscher Liebe nicht für überführt bekennt. In Jerusalem ist Alexis' letzte in Prosa und Vers geschriebene Dichtung, Dialogue du crucifix et du pelerin entstanden, eine Darlegung der christlichen Glaubensund Sittenlehre in einem Gespräch, in dem der Gekreuzigte sein Erlöserwerk erzählt, dem Pilger die Geheimnisse der Gottheit enthüllt und ihn auf den Weg der Religion, deren neun Grade erörtert werden, verweist. Zugeschrieben wird ihm noch Le Debat de 1'komme mondain et d'un sien compaignon qui se veult rendre religieux, ein Dialog, in dem der Vertreter der Weltfreude vergeblich seinen Partner von dem Eintritt ins Kloster abreden will. Alexis war nicht nur ein frommer, sondern auch ein gesinnungsvoller Dichter, der oft überraschend glücklich bezeichnet, was er sagen will, und sich bei seiner vollkommenen Beherrschung des Ausdrucks die schwierigsten Reimaufgaben stellen konnte. Fast für jedes seiner Werke wußte er eine neue Form zu finden und sie auch symmetrisch zu gestalten. Aus dem Osten Frankreichs (Rosier^s-aux-Salines) stammt J e a n B a u d o u i n , der Dichter einer Instruction de la vie mortelle oder Roman de la vie humaine (in 47000 ioSilbnern aa, bb, usw.), der 1431 vollendet wurde. Von den fünf Teilen handelt der erste über die alten Philosophen nach der französischen Ubersetzung der dicta philosophorum des Guillaume de Tignonville, der zweite und dritte Abschnitt befaßt sich mit der Heiligenlegende und schaltet Exkurse über Profangeschichte ein, der vierte Teil reicht bis zur Zeit des Autors, der fünfte ist ein Lehrbuch des christlichen Lebens. Der Autor, der wahrscheinlich dem geistlichen Stande angehörte, teilt in Randbemerkungen die von ihm benützten lateinischen Werke mit. — Ähnliche Absicht, die auf Erbauung und Belehrung gerichtet ist, verfolgt R o b e r t du H e r l i n in seinem Pommier de douleur (15 Str. und 2 Balladen), den er Ludwig X I . widmete. Der Dichter ist auch als Autor von Prosatraktaten bekannt (S. 129). Didaktische Absichten (a recueilir des sages aulcuns verbes, v. 40) will der aus Lausanne stammende, im Bernhardinerkloster
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von Tanné (Savoyen) schreibende J a c q u e s de B u g n i n , dessen Todesjahr unbekannt ist, in seinem Gedichte Le congié pris de siecle seculier (1019 8Silb. v. 3. Juli 1480) verwirklichen. Sein Congié ist eine in alphabetischer Reihenfolge angeordnete Sammlung von Sentenzen, welche in Distichenform mit oft freier Versifikation und dialektisch gefärbter Sprache Fragen und Antworten bringen, die dem Verständnis einfacher Leser angebracht sind. Der Congié wurde 1490 in Vienne, 1495 in Lyon gedruckt. Mit ernsteren zeitgemäßen Fragen beschäftigt sich in der Lyoner Provinz F r a n ç o i s G a r i n , der Kaufmann und Bankier war und verarmte. Um seinen heranwachsenden Sohn in Gottesfurcht, Tugend und Lebenskunst zu unterweisen, schrieb er 1460 seine dreiteiligen Complainte et enseignements de Fr. Garin envoyez à son fils pour lui régir et gouverner parmi le monde (170 8zeil. Stroph. und g. 1000 8Silbn.), deren Betrachtungen von reformatorischen Ideen beeinflußt sind, Priester und Zölibat für die Unzucht unter den Frauen verantwortlich machen, die Aufhebung des Zölibats und der Frauenklöster durch ein Konzil empfehlen, die Seelenmessen für unnütz erklären und mit dem Ausblick auf das letzte Gericht schließen. Satire, Moral und unverblümte Derbheit stehen nebeneinander und sorgen für Abwechslung im Ton der Unterweisungen. Standessatire und Zeitkritik ergeben den Inhalt von R o b e r t G a g u i n s zwei Gedichten. Sein débat du laboureur, du prestre et du gendarme läßt die drei Personen sich gegenseitig ihre Fehler vorhalten. Le passetemps de l'oysiveté, 1489 in London verfaßt, ist ein Gespräch über Krieg und Frieden zu dessen Gunsten, obgleich auch der Krieg Lob zugesprochen erhält. Gaguins Ausdruck ist natürlich und vermeidet die damals übertriebene Weitschweifigkeit. Bei vielen einzelnen Gedichten geben die Hsss. nur die Namen der Verfasser ohne Anzeige der Heimat an. Darunter seien erwähnt ein A l a i n C h a s t e a u - T o u r n a n t mit einem Lehrgedicht La fin de l'homme in Hs. Bibl. nat. 1200 von 1451, maistre J e a n R a m e s s o n , von dem ein Didier auf Joseph den Zimmermann und ein Prosaleben von Christus in Hs. Bibl. nat. 9587 vom Jahre 1463 steht, und ein ouvrier T h o m a s , dessen Name zu einem Recueil des proverbes d'Alain de l'Ille, das ist eine Übertragung in 8Silbnern von Alans v. Lille Liber parabolarum (oder Doctrinale minus) in Hs. Bibl. nat. 12478, 15. Jahrhundert gesetzt ist, die noch, vielleicht von seiner Hand, eine Bearbeitung
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in 16 Silbnern des L i b e r F a c e t i (Inc. Mieulx vault assembler un tresor, verschieden von der S. 121 erwähnten anonymen, eine neue Versiiikation der christlichen Ecloga Theoduli Inc. Ch'est grand fourfet, und Vers moraulx, Inc. Chieulx qui voelt faitis devenir (8Silb.), enthält. Einem durch seine Wohltätigkeitsstiftungen namhaft gewordenen Pariser, N i c o l a s F l a m e l (gest. 1418), Buchhändler und hervorragenden Kalligraphen, wird ein in geheimnisvoller Rede sich bewegender Sommaire philosophique (960 8 Silb.) beigelegt, und der Mathematiker, Philosoph, Jurist und Dichter J e a n de L a f o n t a i n e aus Valenciennes (gest. 1431) wird seit 1495 für den Verfasser der Traumdichtung Fortune amoureuse (1116 8Silb.) über die pierre philosophale und die Umbildung der Metalle sowie über allerlei Seltenheiten in der Natur ausgegeben, während keines von seinen sonstigen Werken erhalten blieb. Die religiöse Literatur ist nur durch wenige Namen vertreten. Aus dem Jahre 1451 datiert ein Katharinenleben des Dichters D e s t r i e s in Alexandrinern, Ms. B. n. fr. 14. 977, fol. 41, Inc. Comme le cerf desire soy retraire. Das Leben und die Wunder Marias bilden den Inhalt der Louenges de la Vierge Marie oder Matines sur la genealogie et vie N. Dame (nach 1483) des Marti al d'Auvergne, die unter dem Titel liturgischer Bezeichnungen die bekannten Legenden über Maria erzählen. 1489 verfaßt der Priester Jean v. L a r c h a n t ein Leben des hl. Mathurin (8 S.), Jean P i q u e l i n , Kapellan der Sainte Chapelle v. Paris, schreibt ein Gedicht la Reine Sainte (ioSilb., 62 11 Str.), von dem zwei Frühdrucke, Paris, Nicole de la Barre, 1500, und Troyes, Jehan Lecoq, o. J., vorliegen.
ANONYME LITERATUR (RELIGION, DIDAKTIK, LYRIK) Religiöse, bes. erbauliche Stoffe, Erörterungen aus dem Gebiete der Moral und über Themen der Liebesdichtung, Betrachtungen über Zeitfragen, Übersetzungen oder Neubearbeitungen früherer Stoffe seitens ungenannter Verfasser werden im 15. Jahrhundert inHss. und Drucken besonders zahlreich. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, verzeichnen die nachstehenden Darlegungen das Wichtigste aus den in Betracht kommenden Gattungen.
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Die erbauliche Literatur ist durch zahlreiche Heiligenleben in Versen vertreten. Mehrfach ist das Leben der S. Catherine überliefert und zwar in 8Silbnern als Gebet : Ms. Chantilly, Musée Condé i o i , London, Brit. Mus. Lansdowne 380, fol. 254 v°; Paris, B. n. fr. 24. 864, fol. 112, als Gebet in B. n. fr. 18026, fol. 219, v°. Saint-Brieuc 1, fol. 195. Dazu kommt noch eine Alex.-Version in 4zeiligen Strophen und das von Destrées 1451 verfaßte Gedicht, Ms. B. n. fr. 14. 977, fol. 41, Comme le cerf desire soy retraire. Ein Christinenlzbtn, früher schon von Bozon geschrieben, steht in B. n. fr. 24. 865, fol. 74, und in einer gotischen Ausgabe in Paris o. J. Die Legende der dix mille Crucifiés du Mont Arrarat ist handschriftlich im Ms. Besançon 254, fol. 159 und in einer gotischen Ausgabe enthalten, Inc. A la loenge et a l'onneur de Jhesucrist, nostre sauveur. Das Leben des heiligen D e n y s i u s kommt in einer Alexandrinerfassung, Inc. Monseigneurs s. Denis trésor de sapience, B. N. fr. 19. 186, fol. 143, v°. und 8Silbnern, Nul ne repute pour merveille im ms. fr. 24, 433, fol. 186 v°. zur Darstellung. Ein E u s t a c h i u s l e b e n , 8S., Inc. A l'honneur du Pere et du Filz, in B. n. fr. 24. 951, ferner Ms. Brüssel 10 295—304, fol. 165 (Rom. X X X , S. 311), eine Version in Alex. B. n. fr. 155, fol. 97, gedruckt gegen Ende des 15. Jahrhunderts (Brunet, Manuel, V, 1189), bekunden das Interesse an diesem Heiligen. In Druck und Handschrift liegt ein Leben des h. F i a c r e vor, in 8 Silb. das Gedicht über S. H i l d e v e r t Bibl. nat. fr. 24. 865, fol. 90, Inc. Dieu le puissant per de gloire, zum Leben des hl. J o h a n n e s des Täufers vgl. Brunet, Manuel V, 1192—3; A. de Montaiglon, Recueil de poesies fr. X . 295. Im Jahre 1472 wird le Trespas Nostre Dame, 8Silb., nach älterer Vorlage geschrieben. Die Hs. n. acq. fr. 24. 953 fol. 2, Inc. En nom de Dieu premièrement und eine gotische Ausgabe Paris, o. J. geben die Geschichte des hl. O n u p h r e , für Bilder kommen die in der Ausg. A. Everaerts, Louvain, 1874 stehenden Verse über St. Q u e n t i n in Betracht. Der Bischof v. Angers, St. R e n é findet gegen Ende des 15. Jahrhunderts seinen Biographen; zum Leben des Eremiten St. S a u v e u r (Alex.) s. Rom X X X I I I , S. 160. In 8Silbnern werden die 15 Z e i c h e n d e s G e r i c h t e s , Inc. Premier la mer outre mesure neu aufgezählt und noch 1492 gedruckt. Die Trois morts et trois vifs (4 Str. I4zeil. und 2x6 8Silbn.) Inc. Se nous vous apportons nouveles oder mit Prolog Oeuvre tes yeux creature chetive waren im 15. Jahrhundert auch durch bildGrOber-Hofer, Gesch. d. miltelfrx. Lit. II.
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liehe Darstellungen an kirchlichen Gebäuden, z. B. auf dem Portal des Klosters A u x Innocents in Paris (1408) populär geworden. Auf den Streit zwischen Leib und Seele, welcher u. a. im 14. Jahrhundert als Invectives de droiture contrele corps (8Silbn.) Inc. Signor droiture dit au corfs in Hs. Bibl. nat. 763 und 12555 und als Vision de Vkomme riche (8Silbn.) Inc. Or eniendez pour dieu seigneur (8Silb.) erscheint, ferner in Hs. Metz 675, 14. Jahrhundert aus der Vision des Eremiten Philibert herausgebildet wurde, gehen zwei einander verwandte Gedichte von der Voie de paradis, Inc. Qui veut en paradis aler (8Silbn.) in der Hs. Rom Ottoboni 2523 und Inc. Qui veut en paradis aler (30 8Silbn.), in Drucken überliefert, zurück. Der Gedanke, den das Gedicht der Trois morts et trois vifs (vor 1280) in dem Hinweis auf die Unentrinnbarkeit dem Tode gegenüber zum Ausdruck bringt: Vous serez ce que nous sommes, kehrt dramatischer entwickelt in der Dichtung über die Danse Macabre oder im Todestanz wieder. Das Wort macabre dürfte auf den biblischen Namen Makkabäus plus Macarius zurückgehen und nach seiner Umwandlung zu Macabre den Maler oder Dichter bezeichnet haben, der die Szene vom Tanz der Toten festgehalten hatte. Der Hinweis auf die Danse Macabre kann dann das Eigenschaftswort macabre nach sich gezogen haben. Die Vorstellung vom Tanz der Toten, derzufolge die Vertreter aller Stände dem Tode folgen und die nach einer Anspielung in der niederländischen Fassung des M a u g i s d ' A i g r e m o n t bereits um 1350 bekannt war, ist aus älteren literarischen Vorlagen genommen, da in den lateinischen Distichen des Vado mori Vertreter der verschiedenen Stände in ihrer Rangordnung und Eigenschaft (so Sapiens, Stultus usw.) vorgeführt werden und ihre Klagen mit den Worten beginnen: Vado mori. Das lateinische Gedicht wurde von einem unbekannten Verfasser unter dem gleichen Titel mit Betonung der moralisierenden Tendenz ins Französische übersetzt: Je vois morir, auch mireur du monde genannt (Meon, Vers sur la mort, P., 1835). Eine erweiterte Fassung liegt vor in Bibl. nat. n. acqu. fr. 5332, Jean Castel hat in seinen Mireur de pecheurs et pecheresses eine ähnliche Redaktion übernommen. Diese Distichen des Vado mori dürften nun das jüngere lateinische Gedicht in der Heidelberger Hs (Palatinus 314) beeinflußt haben, das nach dem Ausdruck Pictura im Prolog als Erklärung
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zu Wandbildern gedacht war, nach denen der Tod die Lebenden in einen Tanz hineinzieht. Hier sind die Personen vom Bauern bis zum Papst in ihrer Rangordnung vorgeführt und äußern sich allein in Klagen, dem Tod folgen zu müssen. Die Bilder ihrerseits wurden durch die Vorstellung des Vado mori und durch die Legende von den drei Toten und den drei Lebenden veranlaßt und mit lateinischen Hexametern versehen. Bilder und Texte sind demnach eine Einheit. Die Äußerung des Jean le Fevre aus dem Jahre 1376: Je fis de Macabre la dance dürfte sich auf die Übersetzung solcher lateinischer Verse, die als Erklärung der Wandbilder dienten, beziehen. Das älteste erhaltene Bild der Danse macabrd stellt nun eine Runde von Toten vor, welchen der Tod auf seiner Flöte aufspielt. Von anderen figuralen Darstellungen ist die Pariser, am Portal der Innocents angebrachte Skulptur zu nennen, die Jean de Berry 1408 nach der Legende der drei Lebenden und der drei Toten anfertigen ließ. In der Zeit von August 1424 bis Ostern 1425 wird die Kirchhofmauer der Innocents mit Fresken bemalt, nach denen der Tod seine Opfer zum Tanz auffordert (Journ. Bourgeois de Paris, S. 203). Bilder und Text erwähnt ebenfalls Gilebert v. Metz in seiner Beschreibung von Paris, Kap. 24: 'Aux Innocents paintures... de la dance macabre avec escriptures pour esmouvoir les gens'. Aus dem Jahre 1436 stammte der heute verschwundene Totentanz im Kloster St c Chapelle von Dijon, wo in der Kirche Notre-Dame ein Wandteppich mit Szenen aus dem Totentanz vorhanden war, der seit der Revolution verloren ist. In der Kirche von Bar ist der Tod dargestellt, wie er Leute der vornehmen Gesellschaft wegführt, auch die Kirche von Chaise-Dieu hat solche Wandmalereien, in denen die Tanzenden als le mort oder la morte bezeichnet werden. Dies gibt den Fingerzeig für die Entwicklung der Vorstellung über den Totentanz. Ursprünglich erklärte der Text ein Gemälde, dann ließ man die Toten sprechen (Legende der drei Toten und der drei Lebenden) und schließlich tritt an Stelle der Toten die Gestalt des Todes selbst. Die zweite Stufe ist durch den oberdeutschen Totentanz in vierzeiligen Strophen gegeben, die dritte durch den französischen Totentanz, der im Original verloren ist und aus dem die Danse Macabr£ stammt. Die Heimat der französischen Totentanzdichtung, die in ihrer verlornen ältesten Form wahrscheinlich vierzeilige Strophen hatte, dürfte vielleicht im Norden Frankreichs, in Amiens oder Dieppe, zu suchen sein. E s 8*
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ist nicht ausgeschlossen, daß den Totentanzgedichten ein Totentanzdrama vorangegangen ist, da Hinweise auf dramatische A u f führungen in den Jahren 1393, 1449 und 1453 vorhanden sind. Auf die Pariser Darstellung geht nach eigener Angabe Lydgate (gest. 1451) in seinem Dance of death zurück, der die achtzeilige Strophe verwendet, die unter den Pariser Fresken angebracht gewesen sein wird. Da in dieser achtzeiligen Strophe auch die niederdeutsche und spanische Todestanzdichtung (Danza general de la muerte) geschrieben ist, so bilden diese vier Länder eine zusammengehörige Gruppe, die auf einen lateinischen Text zurückweist, der den Tanz des Todes statt der To ten zum Inhalt hatte. In den Hss. vor dem Druck von 1485 wird nun le mort neben la mort als Sammelname gesetzt. Die Zahl der Personen wechselt, Lydgate hat 38 Personen, wovon 24 in dem niederdeutschen Todestanz auftraten, das spanische Gedicht zählt 33, zum Teil andere. Der erste französische Druck des Guyot Marchant, der in seinen Holzschnitten Malerei und Verse der Innocents wiedergibt, zählt 31 Personen, nur Männer, die im Juni i486 erschienene zweite Ausgabe G. Marchant's ist um den Dit des trois morts et des trois vifs vermehrt. Bisher hatte der Todestanz nur Männer in seinen Reihen, der Erfolg des Buches veranlaßte G. Marchant, einen Tanz der Frauen zu veröffentlichen, der als La danse macabre des femmes von Martial d'Auvergne in Reime gebracht wird, die Reihe mit der Königin beginnt und dann nach abwärts steigt, wobei Klagen über die entschwundene Schönheit und Liebe, so wie über den Abschied von den Freuden der Welt in den verschiedenen Lebensaltern der Frau den Inhalt bilden. In beiden Gruppen spricht nicht La mort, sondern le mort oder la morte, dem bzw. der die nun auftretende Person mit Klagen und Mahnungen an die Lebenden folgt. Die Sprache ist einfach und betont die Nichtigkeit alles Irdischen. Eine Complainte de l'ame dampnee, Inc. Vous pecheurs gut fort regardez (94 V. ababbc.), Ausdruck der Reue des der Hölle überantworteten Sünders, und ein Enseignement pour bien vivre et bien mourir, Inc. Qui a bien vivre veult entendre (21 4zeil. Str.) beschließen die französischen Drucke des Todestanzes. Eine Reihe von Dichtungen steht nun mit dem Thema des Todestanzes in engerer oder weiterer Beziehung. Auf die Bilderreihe in der Makkabäerkapelle der Kathedrale von Amiens geht der Mors de la Pomme (Prolog und Epilog, 490 8Silb.) zurück,.
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dem jedoch das Tanzmotiv fremd ist. In den 26 Szenen, die immer mehr als zwei Personen enthalten und deren Reihenfolge in ihrer Rangordnung willkürlich verändert ist, wird der Tod, dem durch ein mandement Gottes drei d a r d s übersendet wurden, als teilnahmsloser Vollstrecker des ihm von Gott erteilten Auftrages hingestellt. Prolog und Epilog betonen den erbaulichen Charakter der Dichtung, die die Entsendung des Todes durch den am Beginn der Dichtung vorgeführten Sündenfall erklärt, den Brudermord bringt und auch in der Gruppe von Mutter und Kind die sonst übliche Reihung unterbricht. Das jüngste Gericht beendet die von Jean Mielot geschriebene, in Bildschmuck und Text offenbar Umstellung und Lücken aufweisende Dichtung, die mit dem um 1330 anzusetzenden Mystère 'Le jour du jugement' Übereinstimmung aufweist. — In den Gedanken des Todes ist die Exclamación des os S. Innocent gehalten, ebenso weist eine Retnembrance de la Mort (16 8zeil. Str.), Inc. Mourir fault c'est chose commune, darauf hin, daß der Tod keinen Stand verschont, eine Remembrance du mauvais riche (11 iozeil. Str.), Anfang 15. Jahrhundert, führt den sterbenden Reichen vor, der seine Unterlassungen bereut und sich als warnendes Beispiel hinstellt. Der Dialogue de la raison et du chevalier über das diesseitige und das Leben nach dem Tode in Hs. Bibl. nat. 24786 gehört mit seiner Tendenz in dieselbe Gruppe, ebenso die ihm folgende erbauliche Epistre von 1417. An die Vorstellung der Trois morts et trois vifs knüpft ein miroir des dames an, Inc. Mirez vous cy, dames et dameiseles (27 Str., 4 Zeiler, 10 Silb.), der in der Klage einer Gestorbenen die einstige Schönheit der Verwesung im Grabe gegenüberstellt und mahnt, die eitlen Freuden der Welt zu fliehen. Gegen die Eitelkeit und Putzsucht der Frauen wendet sich ein um 1450 verfaßter anonymer Miroir aux dames (136 Str. 8Silb.). — Die Hs. Rom, Ottoboni 2525, zwischen 1450—60, enthält ein moralisierendes Gedicht in der Nef de la vie (250 8Silb.), vielleicht verwandt mit der Nef du monde in Hs. Bibl. nat. 834,14. Jahrhundert, worin das menschliche Leben mit dem Schiff auf dem Meere verglichen wird, sowie eine Disputoison de Dieu et de sa mere (198 8Silb.) vom Jahre 1417, aus der Zeit des Konstanzer Konzils, mit einem Prozeß Christi gegen Maria in Avignon vor dem Papst und dem versammelten Volk, vor denen Christus vergeblich Klage führt, daß alle Kirchen ihn gegen seine Mutter zurücksetzten und ihm kaum ein Plätzchen in den Kirchen übrig bleibe.
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Enseignemens aus dem hl. Bernard stellt, der Hs. Bibl. nat. 1181, 15. Jahrhundert zufolge, der Regime de toutes manieres des gens, Inc. Pluisieurs foys par escript (gep. Alex.) dar. Des A l b e r t a n o da B r e s c i a De arte loquendi et tacendi wurde in der Doctrine de parier et de taire, Inc. J'ai veu mainies gens (gegen 250 gep. Alex.) in Verse gebracht. Verschieden voneinander sind nach den Anfängen die Versiiikationen des theologischen Floretus in 8Silb. 1.) Inc. Vous qui prenez plaisir a lire, Hs. Ars. 3647 und Bern 205 (mit lat. Text), 15. Jahrhundert, 2.) Inc. Qui de cest livre prent le tiltre, in Hs. Bibl. nat. 1649 und 3.) Inc. Ne peut faiUir d'estre delivre, Hs. Bibl. nat. 1661. Näherer Untersuchung bedarf noch die Sammlung religiöser Gedichte in Hs. 713 der Bibl. v. Oporto aus dem 15. Jahrhundert (s. Archiv 151, 1927, S. ögff.). Moral und Satyre, Ergebung und Anklage führen die Feder des unbekannten, sich selbst als Prisonnier desconforti bezeichnenden Dichters, der in seinem zu Beginn unvollständigen Gedicht (2366 8Silb.) seinem Kummer über die ungerechtfertigte Haft in Loches Ausdruck gibt, sich in neun Balladen mit Lay über Fragen der Theologie und Moral oft ziemlich frei äußert und schließlich für seine wiedererlangte Freiheit dankt. Das Lehrgedicht Ainsnee fille de fortune (104 7zeil. Str.) vom Jahre 1489, ist von einem Adeligen im Dienste des Herzogs Peter v. Bourbon (bis 1503) verfaßt und will dessen Gemahlin Louise, Schwester König Karls VIII., bedeutende Männer und Frauen aus Sage oder Geschichte der Vergangenheit und der eigenen Zeit vorführen. Die Liebe ist Gegenstand der Erörterung, Belehrung, Warnung und frivolen Spieles. In einem D i t d ' a m o u r s beklagt ein anonymer Dichter den Verfall der höfischen Liebe, für die er auch religiöse Argumente geltend macht und die ihm die Quelle aller Freude bedeutet, an der er immer festhalten will. Nach Chartier, den er zitiert, schrieb der Verfasser der Fontaine perilleuse (8 Silb.), in der ein Jüngling wie in den Cent Balades von einem Greis über die Liebe unterrichtet wird und Klagen über die Gefahren und Leiden der Liebe vernimmt. In einem Vergier d'amour (8zeil. Str. und gegen 70 Privilegstr.) Inc. Au renouvel du printemps gracieux, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, der sich an den Rosenroman anlehnt, erblickt der liebende Dichter im Traum in einem Garten, wohin ihn Espoir und Confort leiteten, seine Schmerzen in mancherlei
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Gestalt. Erhörung des Geliebten wird in Confesse de la belle fille (54 meist 8zeil. Str.), auch Martial d'Auvergne beigelegt, der Liebenden empfohlen, die vor Bienceler in Amors Kapelle beichtet und Absolution erhält. Derselben Hs. werden 12 Balladen, u. a. strophische Gedichte über die Liebe (Pourtraicte de m'amie, Gesuch einer Dame an den Dichter, gegen die Verleumder zu schreiben, mit Antwort, nebst Ballade, Louange des dames u. a.) sowie religiöse Gedichte (Reflexions du pecheur, Oraison Notre Dame) Sprüche, Sentenzen, Maximen und Reflexionen in Balladenform bei Doux fils angehören. Zart gedacht ist Le songe doré de la pucelle (68 7zeil. Str.) Inc. A l'heure du songe doré, der ein Zwiegespräch im Traum am ersten Mai zwischen Amour und Honte, Liebe und Schamhaftigkeit, und den Widerstreit zwischen beiden vorführt und jede Strophe mit einem Spruch beschließt. In dem Débat de l'homme mondain et du religieux (64 8zeil. Str., Alexis?) teilt der Verfasser die Gesinnung des ersteren, von der jenen ein dem Leben feind und fromm gewordener Unterredner nicht abwendig zu machen vermag. Eine kurze Fortsetzung dazu, von Mondain et Celestin (13 Str.) enthält ein Druck von 1500. Das Ergebnis einer verständig geführten Debatte zwischen dem verheirateten und unverheirateten Mann in Le nouveau marié (46 8 zeil. Str.) Inc. Pour cuidier couroux eschiver, ist, daß der Unverheiratete die Bedenken gegen die Ehe fallen läßt und zu heiraten beschließt. In einem Débat du Clerc et de la Demoiselle (Rom 43, 1914, 1 ff.) der durch den Jardin de Plaisance fol. 137, vo. ergänzt wird, scheint der Clerc nach anfänglicher Zurückweisung sein Ziel zu erreichen. Unbekannt ist der Gegenstand eines Purgatoire d'amours (91 8zeil. Str. und Prosa), Inc. A la saison que silla renouvelle, in der Hss. A r s e n a l 5 1 1 3 vom Jahre i486. Zu einem Auszug aus dem Clef d'amours des 13. Jahrhunderts fügte der Redaktor vielleicht erst 1509 einen Schluß, der mit rückwärts gelesenen Namen spielt (500 8Silb.) und den Verliebten zum Ziele führt, worauf im Druck noch eine Zusammenfassung von Lehren aus Ovids Ars amandi in den vielleicht etwas älteren Sept arts libéraux d'amours (147 8Silb.) folgt. Behagen an Befriedigung der Lüsterheit spricht aus der neuen Bearbeitung des lateinischen Pamphilus Les amours de Pamphile et de Galatée, die König Karl VIII. gewidmet wurde, während sich der Verfasser der seit 1480 gedruckten Resolucion d'amours (55 8zeil. Str.) im Gefühl des physischen Ruins, wie es scheint, oder Villon nachahmend,
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in den gröbsten Schmähungen gegen die Frauen in drastischer, oft schon unverständlicher Sprache ergeht. — Im Kampf für die Frau verwenden die z. T . ausgedehnten anonymen Gedichte Traum und Prozeß. In dem Chevalier aux dames (g. 5000 V. in versch. Str.) hat den jugendlichen träumenden Dichter, Dolant fortuné, eine Fee zur Insel des Geheimnisses gebracht, wo er die Unterhaltung von Noblesse feminine und Noble Coeur vernimmt, der in Noblesse feminine die Dame erkennt, die Natur ihm vor allen Damen zu lieben bestimmt hat. Er tötet im Auftrag der Natur den Riesen Malebouche und Vilaincoeur, deren Falschheit gegenüber den Frauen er im Prozeß dargetan hat, wofür ihn die Jungfrau Maria beglückwünscht. Abgekürzt wurde der Damenritter auch unter dem Titel Garant des dames contre les calomniateurs de la Noblesse feminine (g. 4000 V.) und der vielseitige Lobpreis der Frauen am Schlüsse wurde als Louenges des dames (23 8zeil. Str. und 126 8Silb.), Inc. Dames sont le jardin fertile, verbreitet. Den Louenges folgen drei Balladen und ein Gebet an die Jungfrau zugunsten der edlen Frauen. Das Datum 1459 trägt ein in den Jardin de plaisance aufgenommener Procès gegen J e h a n de M e u n und M a t h e o l u s (8Silb.), den ein zu Ehren seiner Dame schreibender und um sie werbender junger Dichter verfaßte, der die beiden Verleumder Justice gefesselt überantwortet, die nach mangelhafter Verteidigung Jehan de Meun aus dem Schlosse der Liebe verbannt und Matheolus, unter Zustimmung von Raison, zu lebenslänglicher Haft in dem Forest de l'annui verurteilt. Ebenso wird in dem stark mythologisierenden, mehr launigen als ernsten Mors pour les mal embronchiez (1229 8Silb.) mit dem antiken Verfasser der Epistola Valerii ad Rufinum ne uxorem ducat verfahren; Merkur, der dem Dichter im Traum in der Hölle die Qualen der literarischen und sonstigen Frauenlästerer gezeigt hat, die von Proserpina bestraft wurden, hat ein Buch über jene Autoren, unter denen auch der Verfasser der Epistola ist, geschrieben, mit dessen Inhalt der Dichter unter Mahnungen, sich vor den Strafen jener Verurteilten zu hüten und die Frauen zu ehren, bekannt macht. Mit den Frauenverführern geht noch die große Dichtung Faulseté, trahyson et les tours de ceulx, qui suivent le train d'amours (7000 V.) streng ins Gericht; dazu werden außer Gottheiten, Honneur, Raison, Fortune, Desconfort, ein Narr, eine Dame Belissant u. a. aufgeboten. Wegen weiterer Gedichte und Prosaschriften über den Gegenstand in der Zeit
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Karls VIII. und seiner Nachfolger, die neue Gedanken nicht mehr bieten, s. Piaget, Martin le Franc. S. 143 ff. Einem Dit über die Erziehung des Mannes in der Genfer Hs. I 79 bis I 5- Jahrhundert scheint Watriquets v. Couvin Dit de haute honneur zugrunde zu liegen. Die seit den Proverbes des Philosophes allgemein beliebt gewordene 4zeil. Spruchstrophe zeigt sich noch in Enseignements notables fais a Paris, Hs. von 1450—60, Inc. Pour che que aucuns ont plaisir (ü. 50 Str.), in einer Doctrine du pere au fils (38 Str. m. Bai.), in einer Tischzucht Contenance de table und Autre contenance de table (60 Str.) derselben Hs. ; aus der ersteren Anweisung floß ein Dictié in 47 2zeil. Str. Mit den Verrichtungen der Dienerschaft befaßt sich der Doctrinal des bons serviteurs, wofür ein Regime pour tous serviteurs (168 8zeil. 8Silb.) in Hs. Bibl. nat. 1181 herangezogen wurde. Die Aufzählung der unentbehrlichsten Haushaltungsgegenstände vermengt mit einer Klage des Ehemannes der Verfasser der Complainte du nouveau marié (iozeil. Str.) Inc. Or escoutez communément. Wiederholt wird die lateinische Anstandslehre des Facetus Facet en françoys übertragen. Als eine gelehrige Umarbeitung der Aprise de langage des Walter v. Bibbysworth erscheint der anonyme in 8silbigen Verspaaren abgefaßte englischfranzösische Gesprächsführer, 'Femina', so genannt, weil er wie eine Frau dem Kinde den jungen Leuten die französische Sprache beibringen will. Anmerkungen geben die Aussprache nach kontinentalfranzösischer Lautung an. Zahlreiche kürzere erzieherische oder moralisierende Gedichte enthält die lothringische Hs. E p i n a l 189, 15. Jahrhundert. Sprichwörtersammlungen s. bei Le Roux de Lincy, Livre des proverbes 2 (1859) S. 547,550, 551,557, ferner die Untersuchungen und Sammlungen von J. Morawski Proverbes français. Proben des Liebesspiels, der Jeux a vendre, wie sie von Christine de Pisan bekannt sind, überliefern anonym noch Hss. des 15. Jahrhunderts, z. B. Hs. Bibl. Herz. Aumale, Hs. Epinal 189, Hs. Westminster u. a. Geistliche Nachbildungen dazu, Demandes d'amour, fehlen nicht und begegnen auch in Hs. Epinal. Humor und Satire sind, wie gelegentlich auch im komischen Drama des 15. Jahrhunderts, bisweilen von derber und roher Lustigkeit, die dem Volksgeschmack entspricht. In einer harmlosen Erneuerung des alten Debat zwischen Sommer und Winter in 4zeil. Alexandrinerstrophe (32), in Hss. seit der zweiten Hälfte
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des 14. Jahrhunderts, erkennen die Streitenden zuletzt beide ihre Art als notwendig an. Im 15. Jahrhundert begegnet als Lieblingsthema das S c h e r z s p i e l von den D i x S o u h a i t s , geäußert von Vertretern der verschiedenen Stände oder in verschiedenen Lebenslagen. Auch hier kommt es zu keiner Entscheidung über den das minder Wertvolle Wünschenden, der den Besseres Wünschenden ein gutes Diner anrichten soll, weil die Meinung des Lesers eingeholt wird. So geschieht es noch in den Dix souhaits (12 I2zeil. Str.) in einer Hs. von 1450—60. Daran schließen sich die auf das Wünschen beschränkten, rohe Witze einmischenden Souhaits des hommes (34 4zeil. Str. und Ballade), Souhaits des femmes (30 4zeil. Str. und Ballade), Souhaits du monde (23 çzeil. Str. und Prolog) und in einer Genfer Hs. des 15. Jahrhunderts Menuz souhaits (136 8Silb.), die menschliches Wünschen durch Ironie als Thorheit kennzeichnen. Villons Gontiersatire wird zur Persiflierung der Schäfereien in Le banquet du bois (44 7zeil. Str. Hs. 15. Jh.) angeregt haben, worin das einfältige Schäfertum bei ländlichem Schmaus, Tanz und Spiel mitleidig belacht wird. Wie jeder sich selbst verspottet, der die eigene anfechtbare Denkart nur beim anderen als solche erkennt und tadelt, legt der Dit de chascun (106 8Silb.) Inc. On dit souvent et on dit voir, wohl noch 15. Jahrhundert, noch schärfer Chascun souloit estre bon homme (15 4zeil. Str.) dar, während ein Chastoiement four un chascun (30 8-und 6Silb.) den Anfang einer Aufzählung von Lebensregeln bildet, Inc. Se tu veulx a honneur venir. Die Frau wird verhöhnt in einer gleichbetitelten Nachbildung von Molinets Loyauté des femmes (4 Bal. Str.), wonach die weibliche Treue über das denkbar Mögliche hinausgeht. Ironisch lauten auch die Wünsche des Anonymus, der seine Ausfälle gegen die Frauen in jeder Verszeile mit point beschließt (Rom. 41, S. 231 = Neuphil. Mittl. 26 (1925), S. 181—84). Coquillarts Droits nouveaux sind in Droits nouveaux sur les femmes (1162 Str.) nachgeahmt, witziger ist eine Complainte du nouveau marié (42 8zeil. Str.) vom jungen Ehemann, der den ersten Streit mit der jungen Frau wagt, aber durch ihre Gründe und die der Schwiegermutter zu der Uberzeugung geführt wird, daß er unklug war, seine Freiheit hinzugeben, Inc. Dehors nassiez de ceste nasse. Eine Aufzählung aller bekannten schlechten Eigenschaften der Frau enthalten die in Rom. 41 (1912), S. 228, 231 abgedruckten anonymen Gedichte. Nur Produkte zynischen Übermuts sind eine
GESCHICHTE
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P a r o d i e zu den Disticha Catonis (72 8Silb.) Inc. Biauz filz, ce dit Cotons, afrens, worin die Sentenzen in ihr Gegenteil verkehrt werden, und der Dit du joly cul (118 8Silb.) mit einer Aufzählung der dem Verfasser am Gegenstand wichtig dünkenden Eigenschaften, jene in der Bemer Hs. 205, dieser in Hs. Bern 473 erhalten, beide aus dem 15. Jahrhundert. M e d i z i n i s c h e T r a k t a t e in Versen werden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts häufiger und sind fast durchweg Übersetzungen oder Bearbeitungen lateinischer Texte. Als Nouvelle chirurgie kündigt sich eine Sammlung gereimter Rezepte an (Rom. 37,1908, S. 518—20), 24 gereimte, in England geschriebene Rezepte sind in Rom. 32 (1903), S. 97, 99, 101 abgedruckt, sie gewähren Einblick in die therapeutischen Anschauungen der Zeit. Auf das Jahr 1457 weisen die Remedes très utiles contre fievres, pestilences, eine Übersetzung (8 Silb.in iozeil. Str.) des Tractatus de pestilentia des Johannes Jacobi (hgg. in Doc. scientifiques du XV e s., Remèdes contre la peste). Die vers sur les 4 tempéraments humains sind eine Teilübertragung des Regimen sanitatis salernitanum (Neuphil. Mittigen 28, 1927, S. 195—209).
GESCHICHTE (VERSE) Geschichtliche Werke in gebundener Sprache treten im 15. Jahrhundert hinter die Prosadarstellungen zurück, die schon im 14. Jahrhundert durch Jean le Bei und Froissart die Reimchroniken verdrängt hatten. Größere Zeiträume finden überhaupt keine Bearbeitungen, diese beschränken sich vielmehr auf Zeitgeschichte oder interessante Vorfälle. Zu den Chronisten der ersten Gruppe gehört der Edelmann J e h a n C r e t o n vom Pariser Hofe, urkundlich von 1357—1410 nachweisbar, der mit Erlaubnis des französischen Königs in England weilte, wo er im Gefolge König Richards II. Zeuge der Erhebung des Volkes gegen Richard (1399) und seiner Gefangennahme durch Heinrich von Lancaster wurde. Sein 1404 in Paris geschriebener Livre de la prinse du roy d'Angleterre (2528 V. Privilegstr. 10- und 4Silb. mit Prosastücken) berichtet mit zahlreichen Einzelheiten seine Wahrnehmungen in England über die Ursache der Absetzung Richards durch das Parlament, über seinen angeblich von Merlin verkündigten Tod, den Tod seines Doppelgängers, die Ermordung
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GESCHICHTE
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seines Getreuen, des Grafen von Salesbury, der Rondeaux und Balladen dichtete. Außerdem konnte er seinen Bericht, den er wahrscheinlich von dem Verfasser der Chronik über Richards Ende übernahm, durch Einzelheiten ergänzen, die er über die Vorgänge nach der Rückkehr der Gemahlin Richards an den Hof ihres Vaters, Karls VI., in Paris erfuhr. Zur Prosa ging Creton über, um die Gespräche und Selbstgespräche Richards bei der Gefangennahme im Schlosse Flint so getreu als möglich mitzuteilen. Seine Dichtung sollte die Entrüstung verbreiten, die er mit anderen über die am englischen Hofe herrschenden Zustände und über die seinem König durch die Vertreibung Isabellens aus England angetane Schmach empfand. Eine Ballade ruft die französische Königsfamilie auf, dem bedrohten Richard Beistand zu leisten, ein Brief, dessen Text mit Illustrationen der Hs. in Verbindung steht, wünscht Richard Glück zur Befreiung. Die Sprache der Dichtung ist anspruchslos, zeigt aber die Teilnahme des Chronisten für und gegen die von ihm geschilderten Ereignisse und Personen. Mehrere Chronisten behandeln kleinere Ereignisse, die ihr oder anderer Interesse erregten. So beschreibt der Großmeister des CroissantordensundGroßseneschallvonAnjouLoysv. B e a u v e a u das von René 1449 zu Tarascon veranstaltete Turnier, Le pas d'armes de la bergere (89 I2zeil. Str., Bilder), bei dem Ferri v. Lothringen als Sieger über zwei verkleidete Schäfer und andere Kämpfer den Preis von einer anmutigen Schäferin empfängt und mit ihr den Festball eröffnet. Beauvaus Rede ist gespreizt, er nennt sich selbst einen petit dicteur. Der patriotische Compianctus bonorum Gallicorum des R o b e r t B l o n d e l über die zerrüttete Lage Frankreichs in den letzten Lebensjahren Karls V I . wurde, unter Zusätzen, von einem Landsmann R o b i n e t in 2516 8Silb. übertragen. Als Chronist und Erzähler ist M a r t i a l d ' A u v e r g n e (oder v. Paris) bekannt, dessen Jugend in die Zeit der Regierung Karls V I I . fällt und der Notar, später Parlamentsprokurator war und 1508 starb. Im Rahmen liturgischer Abschnitte schreibt er eine umfangreiche Dichtung über Leben und Taten König Karls V I . und V I I . , Les vigilles (g. 15000 V., z. T. 4zeil. z. T. andere Str., 8Silb.), d. h. Berichte über die Jahre 1429—61 in chronikartiger Diktion und Form. Die seltsam klingenden Titel, Invitatorium, Placebo, Antiphona, Psalmus, Lectio, Responsio, Laudes, usw. mit neun Leçons ge-
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nannten Gesängen, welche den Tod jedes der beiden Könige und kritische Beurteilung der Zeitverhältnisse enthalten, sind ohne Bezug auf den Inhalt der dann folgenden Abschnitte. Die Geschichte der Bretagne behandelt ein sonst unbekannter M a u b u g e o n in einer Reimchronik (8Silb.), welche 1488 abgeschlossen wurde (Hs. Bibl. nat. 6012). Der im Dienste Renés v. Anjou stehende V a l e t de C h a m b r e und M a r é c h a l de l o g i s J e a n d u P e r i e r , dit L e P r i e u r erzählt im Songe du pastourel (g. 1200 V., meist 8zeil. Str.), einem Traumbild zu Ehren des Enkels seines Herrn, René II., des Pastourel, nach fremden Berichten die Schlacht von Nancy, 1477, in der der junge René von dem 'maistre des gratis •pastours' (Ludwig XI.) beraten, von Schweizern und Elsässern unterstützt, gegen die Burgunder unter Karl dem Kühnen, dem Löwen kämpfte, der dabei den Tod fand. Die wirklichen Taten der Helden sind unter den Verkleidungen von Schäfer (René) und Löwe (Karl) nicht leicht wiederzuerkennen. Die Geschehnisse verflicht ein Burgunder, der die Verdienste Karls hervorhebt, in seine Anklage gegen den Tod, der dem tapferen Fürsten das Leben raubte, und ein altes Mütterchen berichtet den Kampf, in dem der Herzog fiel. Die Allegorie und Vision ist oft trocken, das nicht selten gesuchte Pathos tritt in devoter Rede, gelehrtem Schmuck und Häufung des Ausdruckes hervor und will mit Teilnahme für den Gegenstand erfüllen. Gesucht ist auch der Ausdruck von du Perier's Debat du content et du noncontent d'amour Inc. Très hault, très noble, très prudent (8 S.) in Hs. Bibl. nat. 1685, dem Herzog Johann II. v. Bourbon zugeeignet. Ein von Du Perier verfaßter Debat des sept serviteurs, Inc. Le debat des sept serviteurs, steht in Hs. Bibl. nat. 1670 vom Jahre 1470. Als offizieller Historiogiaph besingt am Ausgang des Jahrhunderts A n d r é de la V i g n e (1457—1527), bekannt als Verfasser eines Mystère de S. Martin, in seiner Vision Le Vergier d'honneur, der ein früheres allegorisches Gedicht la Ressource de la Chrestienté, in der Crestienté vom französischen König aufgenommen wird, übernimmt und eine Sammlung kleinerer Stücke enthält, den Feldzug Karls VIII. nach Italien. Er gibt zahlreiche Angaben über die Zusammensetzimg von Heer und Flotte und hebt das Verhalten des Königs entsprechend hervor. Von zwei polemischen Gedichten, Pater nostre des Genevois und Attolite portas ist ersteres ein Vorwurf der Genfer gegen Gott, Frankreich
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EPIK
IN
VERSEN.
zu helfen, letzteres ein Dialog zwischen Sieger und Besiegten. Politischen Inhalt haben Le Libelle des cinq viUes d'Italie contre Venise, les ballades de Bruyt commuti sur les Alyanees des Roys, des Princes avec le tremblement de Venise. Unvollendet ist sein Werk über die Regierung Franz* I. André de la Vigne ist im Ausdruck überladen, häuft Vergleiche und Bilder, ergeht sich in Exkursen und Abschweifungen, die oft schwer verständlich und absichtlich dunkel gehalten sind. Andrés Gedicht la Ressource de la Chrestientè wurde von einem weiter unbekannten R a v i g n e a u in der Ressource de la Monarchie chrestienne promise esire fatete par Majeste Royalle (Prosa und Verse) nachgeahmt (ms. f. fr. 20055). In die Reihe der geschichtlichen Versdichtungen gehören noch zwei kurze Berichte über Paris, aus denen die Größe der Hauptstadt und die Bedeutung ihrer Universität zu ersehen ist. Jehan P a n i e r (s. S. 56) gibt in dem vielleicht unvollständigen Gedicht La grandeur de Paris (42 8S.) nach Guillot's Dit des rues de Paris einen Überblick über die Zahl der Straßen und den Umfang von Paris zur Zeit der Abfassung seines Gedichtes (1476). Der aus Paris stammende Priester A d a m bringt in seiner Compiainte de Paris (288 V. in 18 Str. zu je 16 Zeilen 5S.) Klagen über Zeitläufte und fordert zu tapferem Widerstand gegen die Feinde auf. Er preist Paris und die Bedeutung der Stadt für die Wissenschaft.
EPIK IN VERSEN Bedeutete schon für die Geschichtsschreibung in Versen das Vordringen der Prosa eine starke Beeinträchtigung des Interesses, so ist dieses an epischen Werken in gebundener Sprache überhaupt geschwunden, da man nun die alten Heldenlieder in ausführliche Prosakompilationen umschrieb. Die in diesen Zeitraum fallenden Bearbeitungen epischer Werke in gebundener Sprache dürften bereits auf frühere Vorlagen zurückgehen und nur Kopien älterer Redaktionen vorstellen. Dies ist wahrscheinlich bei der in Alexandrinern gehenden Neubearbeitung der Chanson von Gar in v. Monglane, welche die 14000 Alexandriner der älteren Fassung auf ca. zwei Drittel reduziert. Der Huonzyklus der Hss. Bibl. nat. 1451 und 22555 vereinigt die bereits bekannten Lieder über Huon v. Bordeaux, Esclarmonde, Huon roi de feerie, Clarisse et Florent, Yde et Olive, Croissant, Godin, Auberon in einer die einzelnen Episoden oft selbständig abändernden Alexandrinerredaktion.
PROSADICHTUNG:
DIDAKTIK.
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PROSADICHTUNG DIDAKTIK In ungleich weiterem Ausmaße als im vorangehenden Zeitraum wird die Prosa für die verschiedenen Zweige wissenschaftlicher und erzählender Literatur verwendet. Moralisierende, didaktische Werke, Übersetzungen, geschichtliche Abhandlungen und schließlich die Unterhaltungsliteratur in ihren auf früheren Vorlagen beruhenden Umarbeitungen werden in Prosa geschrieben, welche, besonders in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in den gelehrten Werken gerne den oratorischen Stil lateinischer Klassiker (Livius) nachahmt, während gleichzeitig in den kleineren Prosaerzählungen der lebhafte, Charakteristik, Humor und Wirklichkeit beachtende Stil, der verschiedenen Situationen gerecht wird, die moderne Novelle vorbereitet. Die Scheidung der einzelnen Gattungen ist oft nicht mehr so streng durchzuführen, da vielfache Berührungen mit den anderen Gruppen zu verzeichnen sind. Wie im 14. Jahrhundert sind auch in diesem Zeitabschnitte die gelehrten Werke meist an Höfen oder für bestimmte Auftraggeber verfaßt; als Schriftsteller zeichnen gewöhnlich Theologen oder Juristen. P i e r r e le f r u i t i e r , dit S a l m o n , der, obwohl Sekretär, familier et disciple des französischen Königs, als politischer Agent im Dienste Burgunds stand, schrieb 1409 die Demandes du roi Charles et les réponses de Salmon (Prachtmanuskr. Bibl. nat. fr. 23279), Äußerungen in Gesprächsform über das Wesen des Staates, dessen Regierung und die dem Herrscher zukommenden Fähigkeiten, wozu auch theologische Erörterungen über verschiedene Fragen treten, welche in wortreichen Diskussionen und gelehrten Anführungen beantwortet werden. Eine spätere erweiterte Fassung liegt vor im Ms. fr. 165 von Genf, das außer Briefen über die Jahre 1400—11 noch um einen moralisierenden Traktat vermehrt ist. Ungedruckt ist noch eine Schrift Salmons über die Unbeständigkeit Fortunas. Über seine Tätigkeit als Geschichtsschreiber s. Seite 138. Für den Herzog Louis v. Orléans (gest. 1407), den Vater Karls v. Orléans, verfaßte der Augustiner und Doktor der Theologie in Paris J a c q u e s le G r a n t (gest. zwischen 1414 und 1422) ein 'Hauptbuch der Weisheit', Archiloge Sophie, ob das lateinische Original oder die französische Übersetzung, ist nicht sicher. Er
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PROSADICHTUNG:
DIDAKTIK.
wendet sich gegen die Auslegung der Träume, den Glauben an magische Kräfte und die Lehren der Astrologie. Er erörtert grammatische Fragen, tritt für die alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Lateinisch ein, fordert ein lateinisch-französisches Wörterbuch und handelt in einem Kapitel über Fragen der Rhetorik und über Rhythmen, wobei er die verschiedenen Reimarten erklärt. Er unterscheidet männliche und weibliche Reime und bestimmt die einzelnen Fälle der Elision. Auch spricht er sich über den Wert mythologischer Stoffe aus. (Langlois im Ree. See. Rhet.). Ludwigs Bruder Johann v. Beny (gest. 1416) überreicht er 1410 einen noch im 16. Jahrhundert gelesenen Livre de bonnes moeurs, einen Sittenspiegel der Gesellschaft mit ihren Eigenarten und Fehlern unter Verwertung antiker Autoren (Cicero, Seneca) und von Kirchenvätern. Er gibt Ratschläge, Sünden zu vermeiden, und weist in Betrachtungen über den Tod auf die Vergänglichkeit der irdischen Verhältnisse hin. In allen seinen Ausführungen kommt der Standpunkt des nur auf Belehrung bedachten Theologen zur Geltung. Die Schrift hatte Erfolg und wurde später wiederholt gedruckt. Für den Gouverneur des Angoumois und den Grafen von Angouleme, königlichen Kammerherrn unter Karl VII. und Ludwig XI., I v o n du F o u (gest. 1488), schrieb der Franziskaner P i e r r e des Gros 1464 den Jardin des nobles, der religiöse und moralische Belehrung vermittelt, indem er die Worte des Hohenliedes in der ihm geeignet scheinenden Weise interpretiert, Erbauliches und Weltliches nebeneinander bringt, Lebensgewohnheiten der Zeit in seine Diskussion hineinzieht, die antienglische Gesinnung verrät. Nach der Touraine gehört vielleicht der unbekannte Jehan de B r i z a y (Brixei; Indreet-L.), unter dessen Namen in den Hss. Bibl. nat. 1834, Brüssel 9303, 10191 eine Übersetzung des Stimulus amoris des hl. B o n a v e n t u r a geht, L'esquillon d'amour divin, die aber wohl schwerlich Jean Gerson beigelegt werden kann, da als deren Verfasser auch der Beichtvater Mariens v. Berry, zuletzt Gemahlin J o h a n n s v. B o u r b o n (gest. 1434), Simon v. Courcy vermutet worden ist, weil er für Marie ein Buch vom Jahre 1406 mit erbaulichen Traktaten anfertigen ließ, worunter sich der Esquillon d'amour divin ohne Angabe des Namens des Übersetzers befindet. Der maistre es arts, docteur en theologie, chanoine et penitencier der Kirche von Tours, George d ' E s c l a v o n i e , widmete einer
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PROSADICHTUNG : D I D A K T I K .
Nonne des Klosters Beaumont bei Tours einen Traictie de la virginite nach unbekannter Vorlage (Hs. Bibl. nat. 24. 788). In die Form eines Romans, in dem die Helden unter Decknamen auftreten, kleidet der Admiral von Frankreich (1450), monseigneur J e a n de B u e i l , (1406—1477) seine Unterweisungen über die Kriegskunst. Der Autor konnte auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifen, da er von frühester Jugend an unter bedeutenden französischen Feldherrn gegen die Engländer gekämpft, dem Hause Anjou, später (seit 1465) dem Herzog von Berry gedient hatte und von Karl VII. bzw. Ludwig XI. in diplomatischen Sendungen verwendet worden war, ohne für seine Dienste immer Dank zu ernten. Angeregt ohne Zweifel durch La Sale's Petit Saintrd, gibt er in seinem Jouvencel (1461—66) an der Hand zahlreicher, der eigenen Kriegserfahrung entnommenen Beispiele dem jungen Adeligen, der sich der Kriegslaufbahn widmet, Ratschläge über die wichtigsten Voraussetzungen des Kriegshandwerkes (Angriff, Verteidigung, Belagerung, Feldleben). Fragen individueller Erziehung und allgemeineren Inhaltes kommen zur Erörterung. Beispiele und Hinweise auf geschichtliche Ereignisse bringen Abwechslung in den theoretischen Teil. Hervorzuheben ist, daß bereits hier die nüchterne Beurteilung militärischer Notwendigkeiten gegenüber der chevaleresken Auffassung des Ritterstandes in den Vordergrund tritt, doch versteht es J. de B. auch, lebhafte und eindrucksvolle Beschreibungen zu geben, wie gleich am Beginn seines Buches, wo er dem Leser das Bild einer durch den Krieg verwüsteten Landschaft entwirft. Für ihn ist der Krieg noch eine 'joyeuse chose', allerdings mit der Einschränkung deffendre droicture. Was das Buch schon in die neue Zeit rückt, ist die Auffassung, daß der Führer, der sein Waffenhandwerk auch als Theoretiker versteht, seine Truppe zum Siege führt. Ein Commentaire, den zwischen 1477 und 1483 G u i l l a u m e T r i n g a n t , ¿cuyer de Bueil's verfaßte, spricht von drei Verfassern, die wahrscheinlich die Zitate aus den lateinischen Schriftstellern beigesteuert haben, und erklärt die Namen der örtlichkeiten sowie der Zeitgenossen, die in de Bueil's Schrift erwähnt werden. R o b e r t d u H e r l i n , Sekretär Ludwigs XI., greift gegen Ende des Jahrhunderts in den Kampf gegen die Frauen zu deren Gunsten in seinem Accort des mesdisans et biendisans ein, in dem er 1493 der Königin Anna v. Frankreich erklärt, daß die Ausfälle aller Moralisten gegen die Frauen nur auf die tadelnswerten VerGröber-Hofer, Gesch. d. mittclfrz. Lit. II.
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PROSADICHTUNG:
DIDAKTIK.
treter des weiblichen Geschlechtes zu beziehen seien. Ein Debat du faulcon et du levrier, der Compte des 64 Poins de l'escequier (1492) und eine astrologische Abhandlung ergeben außer dem bereits erwähnten Pommier de douleur die literarische Tätigkeit des Hofbeamten Robert du Herlin. (S. S. 71, xio). Reimlehren werden im 15. Jahrhundert häufiger und bekunden das Interesse für theoretische und praktische Beschäftigung mit der Dichtkunst. Von diesen Arts de dictie* sind mehrere anonym und enthalten außer Anleitungen zur praktischen Anwendung der Verskunst und des Strophenbaues auch Reimtafeln. Von dem im Recueil d'art de seconde rhetorique veröffentlichten Abhandlungen ist Nr. 1, des rimes, der Archilogie Sophie des Jacques Le Grant entnommen; Nr. 2, les regles de la seconde retorique, zwischen 1411 und 1432 geschrieben, beruft sich auf Dichter, die heute unbekannt sind; Nr. 3 ist der Doctrinal de la seconde retorique des Baudet Herenc*. 1432; Nr. 4, Le Traitier de l'art de retorique, lothringisch, bringt außer Bestimmungen über Reime und Verse eine Untersuchung über das Rondeau und die Ballade an der Hand von Beispielen; Nr. 5 ist der Petit Traittié Molinets, der in der Ausgabe des A. Verard (1493) Henry de Croy zugeteilt wurde; Nr. 6, der Traité de rhetorique, pikardisch aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, bespricht Art und Verbindimg der Reime und bestimmt die einzelnen Metren, welche für die verschiedenen Gefühle bzw. deren Ausdruck in Betracht kommen. Die gegebenen Beispiele beziehen sich auf Rondeaux, Balladen und Lais. Nr. 7, L'Art et science de Rhetorique vulgaire, gehört dem 16. Jahrhundert an und erweitert die Abhandlung Molinets. Die religiöse Prosa verzeichnet nur wenig Bemerkenswertes. In der Normandie schrieb der Kaplan J e a n Galopes dit le Galois, Dechant der Kirche vom hl. Ludwig in Evreux, die Pelerinages des Guillaume de Digulleville in Prosa um und verfaßte für König Heinrich V. (gest. 1422), den 'Regenten von Frankreich', eine Übersetzung von Bonaventuras Meditationen über Christi Leben. Für den Großvater des Herzogs J e a n von Alen^on, der in der Liederhandschrift des Herzogs Charles v. Orléans erscheint, Pierre d'Alen^on (gest. 1404), und seine Frau Marie stellte der Franziskaner J e a n le Conte eine Sammlung von Marienwundern in Prosa her, die, wie es scheint, aus Gautiers de Coincy Mirakeln flössen; und Pierres Tochter Ca* Verbessere S. 53, Z. 7, S. 85, Z. 7, Härene in Herenc.
PROSADICHTUNG:
DIDAKTIK.
tharine (gest. 1462), in erster Ehe vermählt mit Peter von Navarra, in zweiter (1413) mit Herzog Ludwig dem Bärtigen von Bayern, erhielt von einem unbekannten maistre J e a n S a u l n i e r einen erbaulichen Livre de la maison de la conscience gewidmet. Aus dem Jahre 1463 stammt der in Hs. Bibl. nat. 1004 vorliegende, aus dem Lateinischen übersetzte und später oft gedruckte Tresor de l'ame des sonst unbekannten R o b e r t . Von den religiösen Schriften eines Nachfolgers Gersons an der Notre Dame Kirche in Paris, des Doyens von Evreux (1453) R o b e r t C i b o u l e , geb. zu Breteuil (Eure), gest. 1458, wurde auch durch den Druck eine über die Sainte meditacion de l'homme sur soy mesme weiter verbreitet, während Predigten Ciboules (wie Hs. Bibl. nat. 1029 und Bibl. nat. 1762, darunter eine Auslegung des Psalmes Beatus vir nach dem Latein.) auch in Hss. seltener begegnen. Ciboule, der als Gesandter Karls VII. dem Kostnitzer Konzil beiwohnte, war der erste, der in einer Streitschrift für die Jungfrau v. Orléans eintrat. Verschieden von Ciboule ist vermutlich ein gleichzeitiger lebenskundiger f r è r e R o b e r t vom Karthäuserorden, der in einem allegorisch-asketischen Chasteau perilleux eine mit ihm verwandte Nonne des Benediktinerklosters zu Fontevrault (Anjou) durch Lehre und Beispiel in den Tugenden unterweist, ohne die das Chasteau der göttlichen Gnade nicht bestehen kann. Der älteste Buchdrucker von Brügge, C o l a r d M a n s i o n (gest. 1494), ist der ernste Autor einer Penitance Adam über den Sündenfall, z. T. nach nicht biblischen Quellen und eines Dialogue des creatures (vor 1482), dem der häufig gedruckte enzyklopädische und moralisierende Dialogus creaturarum eines unbekannten Nicolas Pergaminus (älteste Hs. 14. Jh.) zugrunde gelegt sein soll. Die in Hss. überlieferte, meist jedoch anonyme französische Prosaliteratur mit religiös belehrender und erbaulicher Tendenz, Übersetzungen und Originalschriften, ist im 15. Jahrhundert kaum noch zu übersehen. Keiner höherstehenden Familie fehlte ein Codex mit Unterweisungen in der Glaubenslehre, über Buße, Beichte, Sakramente, mit stärkender, warnender und ermunternder Predigt, durch die die Gläubigen in den Stand gesetzt werden sollten, sich der neuen Lehren selbst zu erwehren, die die Kirchenspaltung und der drohende Zerfall der Kircheneinheit heraufbeschworen hatte und die die Kirchenmacht nicht mehr zu vernichten vermochte. Das meiste von dieser religiösen Volkslite9*
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ÜBERSETZUNGEN IN PROSA.
ratur ist leider nicht lokalisierbar, weshalb auf eingehende B e sprechung der einzelnen Werke verzichtet werden muß. Diese sind in den Katalogen der Pariser und der Stadtbibliotheken angeführt. Ü B E R S E T Z U N G E N IN
PROSA
Trotz der Wirren der Zeit hat das Interesse für klassische und mittelalterliche Autoren unvermindert weiter bestanden und zahlreiche Übersetzungen veranlaßt. W e n n sich diese auch nicht an Zahl und Einheitlichkeit der Tradition mit den a m Hofe Karls V . vorgenommenen Übertragungen messen können, so sind sie doch v o n Bedeutung, da sie den Zusammenhang mit den klassischen Studien aufrecht halten und neue Anregungen geben. I n großzügiger Weise wird a m burgundischen Hof die Übersetzungstätigkeit gefördert, auch der französische Königshof, an dem K a r l V I I . als tüchtiger Kenner des Lateinischen gerühmt wurde, ermutigt diese Arbeiten, an denen auch reiche Adelige ihren A n teil haben. Einer der emsigsten Übersetzer, der seine Tätigkeit als Erwerb betrieb, war zu Beginn des 15. Jahrhunderts L a u r e n t d e P r e m i e r f a i t (Aube), den seine Zeitgenossen le poete nannten. E r lebte und übersetzte im Hause des Pariser Bürgers Bureau de Danmartin, seines familier, der einer der reichsten und angesehensten Männer in Paris, kgl. R a t , Bankier des Herzogs Louis v. Orléans und Mitglied des Liebeshofes Karls V I . war und auch in den politischen Händeln der Zeit hervortrat. Laurent abgesprochen wird neuerdings die anonym überlieferte, in mehreren Hss. von 1401 datierte Bearbeitung von Boccaccios de claris et nobilibus mulieribus, Des cleres et nobles femmes, worin Boccaccio in kurzen Biographien in chronologischer Reihenfolge die bemerkenswerten Schicksale berühmter Frauen von E v a bis auf seine Zeit und bis zur Königin Johanna v. Neapel (gest. 1382) berichtet. Als clerc der Diözese von Troyes hat Laurent dann seit 1409, wie es scheint, zwei Redaktionen in franz. Sprache von Boccaccios De casibus virorum (et feminarum) illustrium, über das Leben berühmter Männer und Frauen von A d a m bis auf die Wäscherin von Catania, deren Hinrichtung Boccaccio selbst erlebt hatte, hergestellt, die eine für den Herzog Johann v . Berry, dem er 1414 nach dreijähriger Arbeit auch die Übersetzung von Boccaccios D e c a m a r o n unter dem Titel: Livre des cent nouvelles überreichte. Seine Übersetzung geht auf die lateinische Bear-
ÜBERSETZUNGEN IN PROSA.
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beitung eines Antonio v. Arezzo zurück, da er Boccaccio im Original nicht lesen konnte. Diese lateinische Bearbeitung, welche nicht erhalten ist, wurde wahrscheinlich für Laurent eigens angefertigt. Den Ton des italienischen Originals konnte Laurent aus dem Grunde schon nicht festhalten, da er weniger genau als vielmehr erklärend übersetzt, nichts bei seinen Lesern als bekannt voraussetzt und sich in parallelen Redewendungen wiederholt. Doch zeigt die Verbreitung seiner Werke, daß diese Eigenart einem Bedürfnis der Leser entgegenkam. Die gleiche Weitschweifigkeit zeigt er in seinen Übersetzungen aus dem Lateinischen. 1405 übertrug er Ciceros Schrift D e s e n e c t u t e für den Herzog Louis v. Bourbon (gest. 1410) in gleicher periphrastischer Weise, den französischen Text des L a e l i u s vollendete er 1410. Laurents Verdienst ist es, den französischen Lesern die erste Kenntnis von Boccaccio und Cicero vermittelt zu haben. Antike Werke fesseln noch weiter das Interesse des Hofes, der so die Tradition Karls V. fortsetzt. Für Karl V I I . übertrug J e a n l e B e s g u e , Beamter der königlichen Rechnungskammer, den lateinischen Text, den der apostolische Sekretär und Kanzler von Florenz Leonardo Bruni d'Arezzo (gest. 1445) als Ergänzung zu Livius auf Grundlage der Punica des Silius Italicus angelegt hatte. Diese französische Übertragung wurde als Zusatz in die Hss. von Bersuires Livius Übersetzung aufgenommen. — Gleichfalls für Karl VII. schreibt J e a n de R o v r o y sein Livre des strategemes nach Julius Frontinus' (um 100 n. Chr.) Sammlung von Kriegslisten aus der römischen Geschichte (Libri strategematon). Das Buch ist interessant durch zahlreiche neue Worte, die der Übersetzer für technische Begriffe bilden mußte. Aus dem pikardischen Sprachgebiet stammt in Hs. Bibl. nat. 1913 die Bearbeitung der Omelies saint Gregoire le -pape über die vierzig Evangelientexte von P i e r r e de Hangest,Prevostenl' eglised' Amiens,\ie\ieicYitrioc\ia.ViS dem 14. Jahrhundert, während die anderen Hss. im 15. Jahrhundert geschrieben sind. Der Belehrung der Laien diente seine Übertragung des Soliloquiums de arrha animae des Mystikers Hugo von St. Victor, Les erres de l'espouse. Nach Amiens gehört auch J e h a n D r o u y i n , geb. gegen 1450, gest. nach 1502 als Kanonikus von Evreux, der eine P r o s a f a s s u n g des N a r r e n s c h i f f e s von Seb. Brant, eine Prosa und Vers vereinigende Übersetzung der Schrift Stultiferae des J o d o c u s B a d i u s (1500), drei Marienleben des J e h a n de V e n e t t e in Prosa und eine
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französische Übersetzung Regime d'honneur (1507) nebst Zusätzen zu den Blason de faulses amours des Guillaume Alexis verfaßte. Die Synonyma des I s i d o r v o n S e v i l l a werden durch den auch als lateinischen Schriftsteller bekannten Kanonikus von Chartes (u. 1484) R o b e r t du V a l , gebürtig aus Rouen, für einen Herrn von Montauban übersetzt (Hs. Bibl. nat. 2424). Der in Hs. Bibl. nat. 1672 genannte Pierre C h o q u e dit Bretagne, der Übersetzungen in Versen verfaßte, schrieb unter der Regierung der Herzogin Anna von Bretagne. In das Jahr 1463 fällt die Übertragung der Archaeologia oder Sept livres de Joseph durch G u i l l a u m e (auch G u i l l e r m e ) Coq u i l l a r d , den Vater (gest. nach 1488), der in Reims ein erzbischöfliches Amt bekleidete wie später sein als Dichter bekannter Sohn. Eine andere (anonyme) Übersetzung der 14 Bücher des Josephus nach latein. Vorlagen ist in Hss. Bibl. nat. 11—16, 247, 404, 6446 erhalten. Bücher 15—20 liegen vor in Bibl. nat. n. acq. fr. 21013, das die Fortsetzung zu ms. 247 bildet. Ovids Metamorphosen wurden von C o l a r d M a n s i o n aus Brügge unter dem Titel Métamorphosés d'Ovide moralisées (1484 gedruckt) nach den vom englischen Dominikaner Thomas von Wales (um 1340) lateinisch erläuterten Metamorphosen Ovids französisch wiedergegeben. Für den Grafen Louis von Laval (Maine), der unter Ludwig XI. Verwaltungsämter bekleidete, übersetzte sein aus Soissons gebürtiger Kaplan S e b a s t i a n M a m e r o t , zuletzt Kanonikus und Kantor an der Stephanskirche von Troyes, im Jahre 1488 den Romuleon des italienischen Gelehrten Roberto dalla Porta von Bologna und wahrscheinlich auch den Valerius Maximus. Caesars Commentarii fanden in dem Humanisten R o b e r t G a g u i n , Doktor der Rechte und Trinitariergeneral (1425—1501), einen formgewandten Übersetzer, dessen Text durch den Druck (1488) Verbreitung fand. 1493 folgte die dritte Dekade des Livius. Lateinische Quellen verwertet der Bischof von Angers J e a n de B e a u v e a u (f 1479) in seinem König Ludwig gewidmeten kosmologischen Livre de la figure et de l'image du monde (Hs. Bibl. nat. 612). Er beginnt mit Aristoteles und benützt für den geographischen Teil die einschlägigen Kapitel aus Marco Polo. Anonyme Übersetzungen. Für Tanneguy du Chastel übertrug ein ungenannter Clerc Ciceros Traité des offices in Hs.
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n. acq. fr. 10867, fol. 17 und n. acq. fr. 10868. Moralisierende Tendenz verfolgt die Übertragung von 20 aesopischen Fabeln (Mel. Picot I, S. 67). Unbekannt ist der Übersetzer des Livre d'Orose, einer Kirchengeschichte des Orosius, welche mit der Weltschöpfung beginnt (Hs. Bibl. nat. n. acq. fr. 10053, J 5- Jahrhundert), ohne Namen geht auch die Übertragung der lateinischen Beschreibung des hl. Landes und des Orients mit Kreuzzugsgeschichte, die der Reisende (1420) Emanuel Pilotti Eugen IV. (t 1447) gewidmet hatte. Ovids L i e b e s k u n s t erfreut sich nach wie vor allgemeiner Beliebtheit, von der zahlreiche Handschriften mit oft frivolen oder kulturgeschichtlich interessanten Zusätzen, die auch Lieder und Gesänge zu Tänzen der Zeit enthalten, Zeugnis ablegen. Die anonymen theologischen Schriften enthalten Bearbeitungen von Teilen der hl. Schrift, Legenden oder moralische Unterweisungen. So bringt Ms. Bibl. nat. n. acq. fr. 20233 eine Sammlung von Geschichten aus dem alten und neuen Testament, christliche und weltliche Lehren vermittelt z. B. ein Livre de sapience im ms. fr. 22938, fol. 3, Inc. Taute sapience est de Dieu qui est n. sires. Legenden finden nach wie vor Bearbeitungen wie etwa die Vies des Peres nach dem hl. Hieronymus in Bibl. nat. ms. fr. 22911, eine Prosabearbeitung des Lebens des hl. M a r t i n nach Sulpicius Severus, ein Leben des hl. A n t o n i u s von Padua (pik.) nach der lateinischen Vita (s. Archives francisc. II). Von Sammelhandschriften mit Heiligengeschichten wären zu erwähnen: Bibl. nat. n. acq. fr. 10044 m *t einem Margarethenleben, einem Psalter und verschiedenen Gebeten; Oxford, Queen's Coli. 305 mit 114 Heiligengeschichten, welche sich teilweise auch in Hs. B. n. fr. 987 (38 Legenden) wiederfinden. Die Sammlung Brüssel 10295 bis 10304, in Ath (Hainau) geschrieben, mit oft eigene Wege gehenden Vers- und Prosalegenden; Ms. 141 (Laurent.) in Florenz mit einem Legendär, der in 203 Absätzen nach dem liturg. Jahr angelegt ist, davon sind 150 Erzählungen der Legenda aurea entnommen (Rom. 33, S. 1—49). Eine spätere Kompilation aus dem Jahre 1496 ist das ms. Bibl. nat. fr. 22 911 mit zahlreichen Heiligenviten. Jüngeren Datums sind auch die Prosaviten über S. Denis, Martin de Vertou, Edouard und die hl. Gilda (Rom. 1910, S. 556). Der Vollständigkeit halber sei noch auf folgende Hss. der Pariser Nationalbibliothek mit religiösem Inhalt verwiesen: Bibl. nat. n. acq. fr. 10452 mit einem Marien-
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leben, n. acq. fr. 10823, fol. 76 TO mit einem Marienleben, Inc. En la sainte Evangile est escript ; Fol. 86 vo ein Kommentar zu den Psalmen, Inc. Il est recité aux livres des roys que David envoya sergens d'armes; n. acq. fr. 11125 Barbaraleben in Prosa, Inc. Au temps de l'empereur Dyocletian qui fut le plus cruel; n. acq. fr. J43» eine vie de s. Pelagie; n. acq. fr. 20048 religiöse 22069, und geschichtliche Erzählungen. Über das Ms. O. 2. 14 in Cambridge mit Predigten, religiösen und profanen Stoffen in Vers und Prosa s. Rom. 31, S. 102 ff. Medizinische Prosatexte werden häufiger, der bekannteste, unter dem Namen Circa instans angeführt, ist eine Übersetzung des liber de simplici medicina des Arztes Matth. Platearius aus Salerno und bringt eine Abhandlung über Therapie und Medizinen (s. P. Meyer in Rom. 1908 und die Ausgabe von Dr. Paul Dorveaux, Soc. fr. d'hist. de la médecine, P. 1913). Über Hss. mit medizinischen Abhandlungen s. P. Meyer in Rom. 37 (1908) ; 38 (1909) S. 441; 40 (1911) S. 532; ders. in Bull, de la Soc. anc. textes fr. 32 (1906) S. 38; 39 (1913); Rom. 44 (1915—1917) S. 161 ff. Aus dem 15. Jahrhundert stammen die Hss. Bibl. nat. n. acq. fr. 11649 n. acq. fr. 11903 mit medizinischen Traktaten, der in Hs. Bibl. nat. n. acq. fr. 11316 stehende Traictié que Y poeras renvoia a Sezar, empereur de Romme, ist eine Sammlung von Rezepten und Vorschriften über Krankheiten. Sammelhandschriften medizinischen Inhaltes (Gesundheitslehren, Rezepte, Sprüche usw.) sind noch Bibl. nat. n. acq. fr. 11198; 11316; ms. fr. 22938; ms. fr. 24247 enthält Übersetzungen aus den Werken arabischer Mediziner, ms. fr. 24248 die franz. Version der Chirurgie des Lanfranchi von Mailand. Zu Schriften über die Gesundheitslehre gehören die Übersetzung des 1459 lateinisch geschriebenen Libellus de sanitate conservanda des italienischen Arztes Guido Prato (Ms. in Petrograd, vgl. E. Wickersheimer, Le bain d'après un traité d'hygiène du XV siècle, P. 1913), der Petit traicté sur le fait du nombre de la déclaration des vaynes des Arztes Jean le Lievre (Mel. Picot I, S. 11), eine Anleitung zum Aderlaß,. ferner eine Unterweisimg für die Pflege junger adeliger Kinder (Mel. Picot I, S. 151). Didaktische Prosa. Unbekannt ist der Bearbeiter, der 1470 für Louis, Bastard von Bourbon und Admirai von Frankreich (f 1487), eine der z. Z. mehrmals vorgenommenen Übersetzungen des Lebens Christi von Ludolph von Sachsen redigierte. Der
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in Hs. Bibl. nat. 1020 enthaltene Auszug aus dem 43. Kapitel des 1. Buches eines Compendium Romanorum dürfte mit den Gestes et faits des anciens et mesmement des Romains in Hs. Bibl. nat. 9186 gleich sein, als deren Redaktor ein maistre H e n r y R o m a i n , Kanonikus aus Tournai, genannt wird, der aus der von Raoul von Praelles übersetzten Civitas dei einen Auszug über die alten Reiche nach dem alten und neuen Testamente veranstaltete. Ohne Namen geht die in zahlreichen Handschriften überlieferte Übersetzung zweier Werke des katalanischen Franziskaners F r a n c e s E x i m e n i z De Vita Christi und Livre des angeles. Zur Reiseliteratur gehört die Beschreibung einer Pilgerfahrt, die ein aus dem SO stammender Autor um 1425 unternahm und in welcher er genaue Mitteilungen über Land, Leute und Gebräuche des Orients macht. Anonyme Abhandlungen über Astronomie und Astrologie enthält das ms. Bibl. nat. n. acq. fr. 10020, 22157, der im Cambridger ms. O 5.32 enthaltene livre Hermès ist die Übersetzung des liber Hermetis de 15 stellis (Rom. 32,—1903). Die in Rom. 32 (1903), S. 47 gedruckten Dialoge wollen Französisch durch Vorkommnisse aus dem täglichen Leben lehren. Gegen Ende des Jahrhunderts werden unter dem Namen Livre des Mestiers Dialoge gedruckt, die, im 14. Jahrhundert zur Erlernung des Französischen für Flamen verfaßt, ein interessantes Vokabular aus dem Zunftleben darstellen. Eine Abhandlung über die Kunst des Rechnens (Rom. 32, S. 96) ist wahrscheinlich eine Übersetzung aus dem Lateinischen, über einen traité betreffend die Vermessungskunst s. Rom. 32 (1903), S. 115. Ein Fleur d'alkimie steht in Hs. Bibl. nat. 2017. GESCHICHTE IN PROSA Die Geschichtsschreibung in Prosa bevorzugt die memoirenhafte Darstellung bestimmter, meist engbegrenzter Zeiträume, deren Verlauf oft weniger auf Grund schriftlicher Quellen als direkter Wahrnehmung berichtet wird. Der früher trockene Chronikenstil macht in zahlreichen Fällen anekdotenhafter Darstellung Platz, versucht Charakteristiken und Portraits oder ist bestrebt, ursächliche Zusammenhänge hervorzuheben. In vielen Werken weicht die objektive Haltung deutlicher Parteinahme, Kritik und Reflexion macht sich in den Aufzeichnungen bemerk-
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bar. Die großen, in der Darstellung und Auffassung ihrer Aufgabe die Vorgänger übertreffenden Geschichtsschreiber stehen am Ende des Jahrhunderts, hier wären bei der Gesamtdarstellung auch die burgundischen Historiographen zu nennen, bei denen die Bedachtnahme auf künstlerische Wirkung am deutlichsten hervortritt. (Siehe den Abschnitt Burgund.) I. ALLGEMEINE UND FRANZÖSISCHE GESCHICHTE
In die Ereignisse um die Jahrhundertwende führt P i e r r e le f r u i t i e r , dit S a l m o n . Er hält die Erinnerungen an seine politische Tätigkeit, die er in den Jahren 1394 — 1409 als Vertrauensmann des burgundischen Herzogs am Pariser Hofe entfaltete, unter dem Titel 'Lamentations et epistres' fest und kann hierfür eigene Briefe oder Mitteilungen von der Hand des Königs Karls VI., der Herzöge von Bery und Burgund bzw. anderer einflußreicher Personen, anführen. Das in 2 Redaktionen vorliegende Werk weist in Stil und Auffassimg manche Gegensätze auf. Unter den Chroniken der Zeit Karls VII. sind die Schriften zweier Würdenträger des Hofes durch ihre Kenntnis zahlreicher Einzelheiten des fürstlichen Privatlebens zu nennen: G i l l e s (Jaques) L e B o u v i e r , d i t B e r r y , geb. 1386 zu Bourges, 1420 Héraut d'armes, 1421 Waffenkönig von Berry, mehrfach als Botschafter von Karl verwendet, 1460 gest., beginht seine Chronique de Charles VII mit der Geburt Karls 1403 und schließt mit dem Jahre 1455 (58). Er geht chronologisch vor und ist bemüht, die Ereignisse ohne Rücksicht auf Personen mitzuteilen; der Bericht ist lakonisch. Seine ausführliche Schrift über die Wiedergewinnimg der Normandie und ihre Vereinigung mit Frankreich (1453), Le recouvrement de la duchee de Normandie, die er aus dem Lateinischen übersetzte, wurde manchmal als Fortsetzimg zu den bei Rou beginnenden Normannenchroniken verwendet. Sein Livre de la Description des pays diente zur Erläuterung eines für Karl zwischen 1454 und 1458 geschriebenen Wappenbuches Armoriai, der die Wappen des Adels, der Städte usw. aller Länder, die Berry selbst bereist hatte, erklärt und die geographische Belehrung in den Dienst der Heraldik stellt. Der Bericht ist anschaulich, verwertet aber vielfach fabulöse, auf mündlichen und schriftlichen Quellen berührende Mitteilungen. Ungedruckt ist sein das Jahr 1440 betreffende Memoire du fait de destruction
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d'Angleterre. — Der zweite Historiker der Zeit Karls ist ein Bruder des Alain Chartier, Jean C h a r t i e r , Grand chantre der Abtei von S. Denis und königlicher Historiograph (1437), gestorben nach 1470, dessen Chronique de Charles VII, 1422—1461, bis 1437 aus Berry u. a. schöpft. Für die folgenden Jahre verwertet Chartier Akten und Berichte, aus denen er, oft mit Lücken in den Zeitangaben, seine Erzählung zusammenstellt, die in langen Sätzen, ohne persönliche Stellungnahme, einförmig wichtige und nebensächliche Vorgänge festhält und manchmal bedeutsame Ereignisse übergeht. Er hatte vorher versucht, seine Zeitgeschichte lateinisch niederzuschreiben. Seine französische Chronik wurde, mit den Grandes chroniques de St. Denis verbunden, gedruckt. — Mit dem Jahre 1431 schließt die mit der Weltschöpfimg einsetzende anonyme Chronique des Cordeliers (nach dem Aufbewahrungsort so genannt), welche in der Darstellung der Zeitgeschichte stark burgundisch gefärbt ist. — Die Darstellung der Weltgeschichte vom Untergange Trojas bis zum Beginn der Selbstregierung Karls VI. (1383) ist für Noel de F r i b o i s (Calvados) der Anlaß zu einer Art Geschichtsphilosophie, die sich in moralisierenden, religiösen und politischen Betrachtungen über die angeführten 'incidences des temps' äußert. Daneben gibt er auch seinem Haß gegen die Engländer Ausdruck, unter deren Verfolgung er in seiner Heimat zu leiden gehabt hatte. Eine erste, von einem Anhang mit Erörterungen über weitere bemerkenswerte Geschehnisse begleitete Redaktion der Chronik übergab er im Jahre 1459 Karl VII., eine zweite, teilweise umgestaltete und fortgeführte König Ludwig XI. — Nur ungeordnete Aufzeichnungen zur Geschichte Ludwigs XI. (1461—1483) hinterließ der von ihm zum Hofgeschichtsschreiber ernannte Enkel Christinens de Pisan, Jean Castel, Benediktinermönch und 1472 Abt von S. Maurdes-Foss6s, gest. 1476, der die Bearbeitung des gesammelten Stoffes andern überlassen mußte, aber als Verfasser des Schlußstückes der Grandes chroniques de St. Denis im ältesten Druck derselben gilt. Zu seinen Materialien gehört nicht das eingehende Chronikenbruchstück einer vatikanischen Hs. über die Krönung Ludwigs XI. (Reims 1461), nach 1465 geschrieben, dessen Verfasser sich Croniqueur nennt, der sich aber zum burgundischen Hofe rechnet. — Chroniques abregees fiar Catel, Croniqueur de France, ist ein anderes Stück Chronik betitelt, das bedeutsame Ereignisse in lateinische Merkverse faßt. — Auf Wunsch Lud-
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wigs X I . und Vielleicht unter seinem Diktat schrieb sein Arzt P i e r r e C h o i s n e t (gest. 1483) ein militärisch-geschichtliches Lehrbuch, Le rosier des guerres, zur Unterweisung seines Sohnes Karl (VIII. geb. 1470), dem es der König in einem Briefe mit Ratschlägen übermittelt, deren Befolgung Ludwig selbst als zweckmäßig erkannt hatte. An die aus der Geschichte Frankreichs bis 1461 herausgehobenen Beispiele, vorwiegend kriegerischer Ereignisse, knüpft der König außerdem noch kritische Bemerkungen, Nutzanwendungen und Mahnungen 'touchant la garde et defense de la chose publique'. — In chronologischer, von Tag zu Tag fortschreitender Aufzeichnung hält der von 1417—1436 als greffier im Dienste des Pariser Parlaments stehende C l e m e n t de F a u q u e m b e r g u e , später Kanonikus von Notre Dame, die politischen Ereignisse fest, welche die letzten Jahre Karls VI. und den Beginn der Regierung Karls VII. erfüllten. Er erzählt die Kämpfe zwischen den Armagnacs und Bourguignons, die Vorfälle während der Besetzung von Paris und ist genau über die Stimmung des Parlaments orientiert, dessen Erkenntnisse er in seinem Tagebuch vermerkt. Er selber tritt in seinem Bericht nur wenig hervor und vermeidet es in seiner ernsten, etwas trockenen Darstellung, eigene Ansichten auszudrücken. — Das Datum von 1465 trägt die Hs. Bibl. nat. ms. fr. 23019 der Chroniques des papes et des empereurs et des roys de France et d'Engleterre des J e h a n B r e t e t . — In einer Abschrift des 18. Jahrhunderts liegt das im Original verlorene Memoirenwerk über die Regierung Karls VIII. vor, das von A n t o i n e A u b e r y verfaßt worden war (ms. fr. 23286.) — Auf Quellen und eigener Wahrnehmung fußt G u i l l a u m e C o u s i n o t der Ä l t e r e , welcher als Kanzler des Herzogs Karl von Orléans während der Gefangenschaft seines Herrn im Kriege mit den Engländern die Interessen des herzoglichen Hauses wirksam vertrat und nach 1442 starb. Er schrieb selbst oder ließ für Charles' mitgefangenen Bruder Johann von Angoulême (gest. 1467) eine Geste des nobles François anlegen. Sie erwähnt nach einem Überblick über die älteste Geschichte Frankreichs von Francus bis 1350 noch kurz die Ereignisse von 1350 bis zum Tode Karls V. (1380) und führt dann tagebuchartig die wichtigeren politischen Vorfälle bis zur Befreiung Orléans' von den Engländern (1429) in den Hauptzügen vor. Sein Neffe, G u i l l a u m e C o u s i n o t , H e r r v o n M o n t r e u i l (Dép. Seine), 1438 Sekretär des Königs Karls VII., der ihn häufig als Botschafter verwendete,
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Gouverneur von Montpellier und ebenfalls als Diplomat tätig, gest. 1484, wird als Verfasser der Chronique dite de la Pucelle genannt, welche mit dem Regierungsantritt Karls VII. beginnt, jedoch die Geschichte der Jeane d'Arc unter Benützung der betreffenden Kapitel der Geste des nobles in den Mittelpunkt stellt. Das Werk bricht 1429 ab, wurde jedoch von einem gut unterrichteten Zeitgenossen in der Darstellung der früheren und späteren Ereignisse ergänzt. Zwischen 1477 und 1479 schrieb der in Diensten der Grafen von Foix stehende G u i l l a u m e L e s e u r die Histoire de Gaston IV, comte de Foix, die von 1442 bis 1472 geht und, auf persönlichen Erinnerungen beruhend, die Taten des Grafen Gaston IV. v. Foix berichtet. Der Stil der Darstellung ist anschaulich, verrät des Autors Anteil an den erzählten Ereignissen, die oft aus der Einstellung des Chronisten einseitig beurteilt wurden. Das Werk ist eine wichtige Quelle für die Geschichte der Eroberung der Guyenne unter Karl VII., über den Feldzug in Katalonien (1462) und die inneren Wirren in Frankreich. Die Familiengeschichte der Herzoge von Alen?on schreibt um 1437 P e r c e v a l de C a g n y in seinen Chroniques, welche nach genealogischen Mitteilungen über das Haus Alencjon mit dem Jahre 1239 (der Übertragung der Dornenkrone durch den hl. Ludwig) einsetzen und in kürzeren oder längeren Kapiteln bis zum Jahre 1436 gehen. Die Darstellung der älteren Zeit fußt auf heute unbekannten Quellen, der dem Verfasser zukommende Teil beginnt mit dem Jahre 1393. Die Chronik berichtet einfach, in manchmal schwerfälliger Weise, die für den älteren Teil nur kurz erwähnten Ereignisse, geht aber dann ausführlicher auf die Zeitgeschichte, insbesondere auf die den H«rzog von Alen^on, den Begleiter Jeanne's, betreffenden Vorkommnisse ein und ist dadurch für den Jeanne d'Arc betreffenden Abschnitt eine wertvolle Ergänzung der bereits vorliegenden Berichte. Dem Hause Alen^on sind außerdem die in den Hss. Bibl. nat. 5790, 5942, 19866 aufgezeichneten anonymen Chroniques gewidmet, die von 1227—1431 bzw. 1475 reichen. In Paris entstanden mehrere Geschichtswerke, welche Zeitereignisse und Vorfälle außerhalb und in der Hauptstatdt berichten. Tagebuchartig angelegt sind die Erinnerungen, die J e a n de R o y e , Sekretär des Herzogs Johanns II. (1456—88) und Verwalter des Palais Bourbon in Paris, seit seinem 36. Lebensjahre
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von 1460—79 (bis 1483) in einem Journal, der sog. Chronique scandaleuse festhielt. In gewöhnlichem Chronikenstil, ohne für das Erzählte persönliche Teilnahme zu bekunden, bringt er eigene oder ihm überbrachte Nachrichten über Wetter, Ernte, Ereignisse im öffentlichen und Privatleben, vor allem in Paris, über Prozesse, Vergehen und Verbrechen, Hinrichtungen, Gewalttaten, über Einfälle der Burgundertruppen in Paris (1465), über Feuersbrunst und Wassernot, Todesfälle in bekannten Häusern, über Ludwigs Krönungsfest, seine Reisen, Auszüge in Verkleidungen und nächtliche Wanderungen und andere Vorfälle der unruhigen Zeit. Eine gewisse Bevorzugung des Hauses Bourbon erklärt sich aus dem Dienstverhältnis des Autors. A m längsten verweilt er bei dem Jahre 1465; von 1462 und 1463 weiß er keine denkwürdigen Ereignisse mitzuteilen. Der geschichtliche Blick ging ihm ab, er folgt persönlicher Eingebung, ohne Auswahl zu treffen. — In Tagebuchform ist auch die Sammlung von Aufzeichnungen angelegt, welche unter dem Namen Journal d'un bourgeois (1405—49) bekannt sind. Als Verfasser werden J e a n C h u f f a r t , Rektor der Pariser Universität und Kanzler von Notre-Dame de Paris, oder J e a n B e a u r i g o u t , Pfarrer von St. Nicolas - des - Champs (1440) genannt. Der Autor verzeichnet mit ernstem, oft versteckten Tadel andeutendem Tone alles, was sich in Paris an Kämpfen, Aufständen, Zwistigkeiten unter den politischen Parteien, bzw. zur Zeit der englisch-burgundischen Herrschaft an Willkürakten von Bandenführern, Hinrichtungen, Todes- und Unglücksfällen, Prozessionen, Festen, Wettererscheinungen und anderen Vorfällen zugetragen hat. Der Bericht erfolgt immer unter dem frischen Eindruck der Geschehnisse, so daß auch Dinge, die später ihre Bedeutung verloren haben, mit der Unmittelbarkeit erlebter Wahrnehmungen dem Leser vor Augen treten. Der Wert der bedeutsamen Geschichtsquelle für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts ist jedoch lediglich ein stofflicher, Sympathie für das Königshaus bekunden die ohne Zusammenhang miteinander stehenden Tagebuchstücke nicht, eher für das burgundische Haus, um so häufiger nehmen sie für das unter den unaufhörlichen Wirnissen leidende, auch sittlich herabgekommene Pariser Volk Partei. — Das dritte, in der Hauptstadt entstandene Quellenwerk sind die Chroniques ou gestes advenues au royaulme de France du temps de Charles VI des J e a n J u v e n a l (Jouvenel) des U r s i n s (geb. 1388 in Paris,
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Bischof v. Beauvais 1432, v. Laon 1444, Erzbischof v. Reims 1449, gest. 1473). Sie sind im wesentlichen eine Bearbeitung der nicht mehr im lateinischen Original erhaltenen offiziellen Geschichte der Zeit Karls VI. von einem ungenannten Geistlichen aus S. Denis, die im 17. Jahrhundert Ludwig dem XIV. ein Gelehrter, Le L a b o u r e u r , durch eine Übertragung bekannt machte. Dazu treten Erinnerungen an den Vater Juvenals, den verdienten Pariser Magistrat, Kanzler des Dauphins Karl und Parlamentspräsidenten J. Juvenal des Ursins (gest. 1431), der mit der Geschichte der Zeit Karls VI. in Beziehung gebracht ist. Die nach dem Tode des Vaters geschriebenen Chroniques wurden von Juvenal über die Jahre 1380—1416 bis zum Tode Karls VI. (1422) fortgeführt und setzen an Stelle der bis 1416 beobachteten Jahrbuchform gleichfalls die des Tagebuchs. Die selbständigen Nachrichten dieses Teiles ergänzen die geschichtlichen Berichte über die letzten Regierungsjähre Karls VI., die Darstellung nähert sich der mündlichen Rede. Von Juvenal des Ursins sind außerdem eine Anzahl politischer Kundgebungen in französischer Sprache aus der Zeit seines Archiepiskopats erhalten. Den Abschluß der mittelalterlichen Geschichtsschreibung bildet, auch für die in Betracht kommende Zeit, das Memoirenwerk des als Diplomat und Hofbeamter wohlinformierten P h i l i p p e d e C o m m y n e s . Er wurde vor 1447 in Flandern geboren, kam in den Dienst des burgundischen Hofes und folgte dem Grafen von Charolais, Philipps Sohn und Nachfolger, auf seinen Kriegszügen nach Flandern und gegen Ludwig XI., dem er bei der Zusammenkunft von Péronne wertvolle Ratschläge für sein Verhalten geben konnte. 1472 trat er in den Dienst des Königs von Frankreich, der ihn mit Gütern und Ehrenstellen reich belohnte und ihn als Vertrauten in verschiedenen diplomatischen Missionen verwendete. Nach dem Tode Ludwigs fiel er in Ungnade, blieb zweieinhalb Jahre in Haft und bot dann seine Dienste verschiedenen Höfen an. Seine verdächtig erscheinende Tätigkeit führte ihn auch nach Loches in den Kerker und zog ihm eine vom Parlament verhängte zehnjährige Verbannung zu. Karl VIII. verwendete ihn später wieder zu diplomatischen Missionen, deren letzte Venedig für die französischen Interessen gewinnen sollte. Commynes verbrachte die letzten zehn Jahre seines Lebens in seinem Schloß Argenton, wo er 1509 starb. Seine Aufzeichnungen, die von ihm hinterlassenen Mémoires, umfassen acht Bücher und
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berichten in den ersten sechs die Ereignisse vom Jahre 1464 bis zum Tode Ludwigs XI., 1483, die letzten zwei beschränken sich auf die Jahre 1494 bis 1495 und enthalten die Vorfälle des Zuges Karls VIII. nach Italien. Buch I (1464—65) erzählt den Eintritt des jungen Commynes in den Dienst des Herzogs, den Beginn der Kämpfe der Liga, die verschiedenen Phasen des Feldzuges, berührt die Ereignisse in England, verweilt bei den Friedensverhandlungen zwischen Karl und Ludwig und schließt mit dem Vertrage von Conflans. Buch II (1466—1469) beschreibt die Kämpfe um Lüttich, widmet dem Andenken Philipps ehrende Worte, berichtet die Zusammenkunft in Péronne und gibt ein anschauliches Bild von den Schreckenstagen der Zerstörung Lüttichs. Buch III (1470—1474) bringt Ereignisse aus der französischen und englischen Geschichte in den Kämpfen um den englischen Thron, den Intriguen des Herzogs von Burgund gegen den französischen König und dessen Gegenmaßnahmen und erwähnt den Übertritt Commynes* in französische Dienste. Buch IV (1473— 1475) beginnt mit dem drohenden Angriff der Engländer, geht dann auf den neuen Krieg zwischen Burgund und Frankreich über, der schließlich, ebenso wie die Feindseligkeiten gegen die Engländer, durch einen Waffenstillstand beendet wird. Buch V (1475—1477), die Geschichte der letzten Jahre Karls des Kühnen mit seinen Kriegszügen gegen die Schweiz, den Niederlagen bei Grandson, Murten und Nancy, wo Karl den Tod fand, bietet Gelegenheit zu eingehender Darstellung von politischen Verhältnissen und Ereignissen in Frankreich und Burgund. Buch VI (1477—1483) erwähnt die Verhandlung mit den Engländern, die Vermählung Marias von Burgund mit Maximilian von Österreich, die Gesandtschaft Commynes' nach England, die Schlacht von Guinegate, hebt Ludwigs Bemühungen zur Vergrößerung seines Reiches und Sicherung des Friedens hervor und schließt mit dem Tode des Königs, ein Ereignis, das den Autor zu nachdenklichen Erwägungen über die Nichtigkeit des menschlichen Lebens veranlaßt. Buch VII (1484—1494) beginnt mit den Vorbereitungen des Zuges Karls VIII. nach Italien, beschreibt den Übergang über die Alpen, den Einzug der Franzosen in Florenz* Siena, Viterbo, Rom und Neapel, die Verhandlungen mit Venedig* Spanien und Mailand bis zur Bildung der Liga von Venedig. Buch VIII (1495—1498) setzt die Aufzählung der Ereignisse, Kämpfe und Verhandlungen in Italien bis zum Tode Karls VIII.
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fort, erwähnt die Hinrichtung Savonarolas und gibt nach dem Bericht über die Salbung Ludwigs X I . in Reims als Abschluß der Chronique eine Aufzählung der französischen Herrscher. Commynes' Memoiren sind nicht, wie er übrigens selbst hervorhebt, eine chronologisch geordnete Übersicht über die von ihm beschriebenen Zeiträume, er gibt nur einige Daten und stellt jene Ereignisse in den Vordergrund, welche den von ihm beabsichtigten Eindruck am besten hervorrufen. Er verweilt weniger bei Äußerlichkeiten, sondern geht der Genesis der Ereignisse nach und versucht, die Hintergründe der Zeitgeschichte zu erfassen, um an ihnen eine Art Handbuch der Politik zu schreiben, in welchem die persönlichen Erwägungen des Autors nicht fehlen. Diese kommen in Zusätzen und erklärenden Bemerkungen zum Ausdruck. Obgleich er an eine Vorsehimg glaubt, legt er Wert darauf, allgemein gültige Grundsätze, die sich unter gleichen Bedingungen wiederholen und dasselbe Ergebnis zeitigen, hervortreten zu lassen, er weist persönlichen Einflüssen die ihnen gebührende Rolle zu und versteht es aus diesem Grunde, scharf umrissene, oft psychologisch erfaßte Bilder seiner Personen zu zeichnen, sie in ihren Erwägungen, Handlungen vorzuführen und ein vorsichtig gehaltenes Urteil über ihren Charakter zu geben. Die allgemeinen Betrachtungen, die er an Personen oder Ereignisse knüpft, schöpft er aus seiner eigenen Erfahrung, daher die Bemerkung j'ay veu, mit der diese Wahrnehmungen festgehalten werden. Persönliche, durch Hinweis auf geschichtliche Beispiele gestützte Betrachtungen über die Wandelbarkeit des Geschickes und der menschlichen Verhältnisse resümieren oft Kapitel oder längere Darstellungen, sie sollen manche Warnungen an Fürsten und den König verkleiden, den Tadel, der sich übrigens weniger gegen einzelne als gegen ein System richtet, abschwächen. Als Zeichen seiner Zeit ist die Wertschätzung des Wissens zu betrachten, da er den seigneurs ignorans, welche sich bei Clers Belehrung holen, tadelnde Worte zuruft, einen Prittce peu entendu aber als Unglück für sein Land betrachtet. Vom Volk hat er keine besondere Meinung, hier geht er mit seinen Vorgängern (Christine), wenn er ihm Wankelmut vorwirft und eine feste Herrscherhand fordert (S. 165). Beachtenswert ist sein Freimut, mit dem er hochstehende Personen charakterisiert, er scheut sich nicht, seine persönliche Meinung über die Vorzüge und Fehler Ludwigs XI. auszusprechen (S. 73—75), seine mißtrauische Natur Gröber-Hofer, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II,
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hervorzuheben, welche ihm zum amy de gens de moyen estai machte. Zurückhaltend und ohne Groll ist die Charakteristik des Herzogs Karl von Burgund gehalten, sie läßt die Eigenschaften dieses stolzen, prachtliebenden Fürsten in einer Menge von Einzelheiten hervortreten. Seine zahlreichen Ermahnungen an die herrschenden Kreise über Steuern, Kriegslasten, das Verhalten dem Volke gegenüber, seine Ansichten über gegenseitige Pflichten und Rechte zeigen in manchen Einzelheiten bereits einen weiteren Blick, der aber den Kausalnexus der Ereignisse noch bei Gott sucht, der Kriege und Unstimmigkeiten in der Welt aus dem Grunde zulasse pour le (den Menschen) tenir en humilité et en crainte. Commynes' Ausdruck ist leicht verständlich, trotz mancher Längen in seinen Beschreibungen. Seine Zurückhaltung läßt ihn volkstümlichen Redewendungen aus dem Wege gehen, der vorsichtig abwägende Hofmann verleugnet sich auch in dieser Hinsicht nicht. II. B i o g r a p h i e n bekannter Zeitgenossen finden wie im 14. Jahrhundert das Interesse der Leser. Unbekannt ist der Verfasser einer Prosabiographie über Jean le Maingre dit Bouciquaut, geb. 1365 zu Tours, 1391 Marschall von Frankreich, gegen 1400 Gouverneur von Genua, gest. 1421 in England, der noch bei seinen Lebzeiten in einem Livre des faicts du bon mess. Jean le Maingre dit B. verherrlicht wird. Die eingehende Biographie und Charakterschilderung ist wahrscheinlich durch die über B e r t r a n d du Guesclin gehenden Lebensgeschichten in Versen und in Prosa angeregt worden, da sie für entsprechende Mitteilungen von kleinen Zügen aus der Kindheit und Jugendzeit Bouciquauts das Vorbild abgab; Chevalerie und Courtoisie des Marschalls, der sich im Turnier, durch Balladen, Rondeaux usw. bei Frauen und Männern Ansehen erwarb, in allen europäischen Staaten und wiederholt im Orient die Waffen führte, wird vom Dichter als nachahmungswürdig hingestellt und er selbst mit historischen Gestalten des Altertums verglichen. Der nur in einer Hs. erhaltene livre schließt mit dem Datum vom 9. April 1409. Nach den Zitaten zu urteilen, dürfte Bouciquaut das wichtigste Material selbst beigestellt haben. Zwei biographische Werke, die Chronique de Gilles de Chin und der livre des faits de Jacques de Lalaing sind dem unbekannten Dichter des Prosaromans Gillion de T r a z e g n i e s (s. S. 160) zuzuweisen. Die Chronique ist die Prosafassung des von G a u t i e r l i Cordiers begonnenen und von G a u t i e r de T o u r n a i
ALLGEMEINE U N D FRANZÖSISCHE
GESCHICHTE.
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fortgesetzten Gedichtes, das der Überarbeiter dem Geschmacke der Zeit entsprechend modernisiert, indem er seinen Helden in den Mittelpunkt von Turnieren und höfischen Abenteuern stellt. Die Übereinstimmungen der Chronique mit dem Roman de Trazegnies einerseits und dem livre des faits de J. de Lalaing andererseits weisen die Chronique in die Zeit nach 1458. In der Weise der Artusromane und ihrer Vorliebe für höfischen Prunk sowie mit offensichtlicher Betonung der chevalerie schildert der Livre des faits de Jacques de Lalaing die Taten seines Helden. Der unbekannte Autor, dessen Buch Chastellain, Jean Lefevre und Antoine de la Sale zugeschrieben wurde, benützt neben der Chronique de Gilles de Chin noch die Epttre Lefevre's über die Waffentaten des Jacques de L. an dessen Vater und Teile von Chastellains Chronik. Dieser Umstand rückt die Kompilation gegen 1470. Sie erzählt die Kindheit des Helden, der einer der berühmtesten Ritter seiner Zeit war und am Hofe von Burgund lebte, beschreibt seine Taten als Kämpfer, rühmt seine Kenntnis höfischer Sitten und berichtet seinen Tod im Kampf gegen die Bürger von Gent. Lebensschicksale auf dem Hintergrunde der Zeit berichtet auch die Chronique d' Arthur de Richmont (1383—1458) des G u i l l a u m e G r u e l (gest. zw. 1474 und 1482). Er erzählt die politische Tätigkeit seines Herrn Arthur, Grafen von Richmond, Dreux, Montfort, Herzog von Touraine und der Bretagne (1393—1458). Arthur, der Sohn Johanns V. von Bretagne, nahm an vielen Kämpfen der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts teil, wurde bei Azincourt gefangen genommen (1415), war seit 1424 Connétable de France und trat unter Karl VII. auch politisch stark hervor. Der nicht näher bekannte Gruel bespricht diese politische Tätigkeit, ohne jedoch eine vollständige Biographie zu geben, da er mehr Kriegsgeschichte als den Lebensbericht seines Helden bietet. Bis 1425 folgt er mündlichen Berichten, von da an Aufzeichnungen. Die oft einseitig zu Gunsten seines Herrn gehaltene Darstellung ist lebendig, direkte Reden und Gespräche erhöhen den Eindruck. — Gleiche Erwägungen leiten J e a n de C h a s t e a u m o r a n d , der während der Gefangenschaft Johanns I. von Bourbon für dessen Sohn Karl 1429 die Chronique du bon duc Loys (II) de Bourbon (1337—1410), von Karls Großvater, einem J e a n d ' O r e v i l l e (pas-de-Cal.), d i t C a b a r e t , diktierte, der, ohne schriftliche Quellen heranzuziehen, die Louis und seine Zeit beIO*
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treffenden Mitteilungen nacherzählte, wie sie ihm sein Gewährsmann in den 7oger Jahren seines Alters noch angeben konnte. Das Bild des Helden ist geschmeichelt. Irrtümer verschiedener Art sind bei der Niederschrift unterlaufen, aber des Autors staatsmännische Stellung im bourboni§chen Dienste, in welchem er sich auch in den Vordergrund zu stellen weiß, verleiht der dem mündlichen Vortrag sich nähernden, durch Reden und Dialoge belebten Darstellung, welche wertvolle kulturhistorische Nachrichten über das Leben der Adeligen im 15. Jahrhundert gibt, eine besondere Bedeutung. III. PROVINZIALGE SCHICHTE
In Lüttich setzt J e a n de S t a v e l o t das Geschichtswerk seines Vorgängers Jean des Preis fort (S. Band 1, S. 151 ff.). Er war seit 1413 Mönch im Kloster St. Laurent in Lüttich und hinterließ demselben eine große Bibliothek von Abschriften meist gelehrter Werke, die er innerhalb 33 Jahren fertiggestellt hatte, darunter neben lateinischen theologischen und geschichtlichen Büchern auch solche in französischer Sprache wie die Dichtungen des R e c l u s de M o l l i e n s , den Tresor des B r u n e t t o L a t i n i , den Myreur des J e h a n d e s P r e i s u. a. Seine Fortsetzung zum Myreur Chronique du pays de Liege, umfaßt die Jahre 1400—47 und erzählt ohne kritische Sonderung weitläufig und unpersönlich die Geschichte Lüttichs. Seine Darstellung ist oft tagebuchartig angelegt mit Abschweifungen in die politische und Kirchengeschichte. Er legt Wert auf Einzelheiten, hat aber nicht die Gabe wie Froissart, daraus farbenprächtige Bilder zu gestalten. Sein Ausdruck ist oft nachlässiger als bei Jean, dem er im übrigen in der Darstellungsweise folgt. Er steht auf Seite des Adels und wendet sich gegen die aufständigen Städte. Bescheidene Proben in der Kunst gereimter Rede bietet er in dem S. 368 eingelegten Gedicht, das die Belagerung der in die Enge getriebenen widerspenstigen, von den Lüttichern zuvor bestraften Söldner berichtet (300 8Silb.), und auf S. 384 in der Ermahnung eines Engels und des Teufels an die Menschen (g. 200 8 Silb.), worin 10 Geboten des Engels 10 widersprechende des Teufels entgegengestellt werden. — Von 1118 bis 1430 erzählt P i e r r e C o c h o n , erzbischöflicher Notar zu Rouen (geb. 1390 in Fontaine-le Dun, gest. 1456) in seiner Chronique normande die hierfür in Betracht kommenden Zeitereignisse, die er für die Ver-
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gangenheit dem Bericht des Menestrel von Reims entnimmt. Erst für seine Zeit, in der ab 1377 a u c h die Geschichte der Normandie eingehender zur Darstellung kommt, tritt der Autor persönlich hervor, wenn er, als getreuer Anhänger Burgunds, alle Nachrichten, Gerüchte und politischen Kämpfe erzählt und aus seiner Einstellung auch die Verteidigungsrede des Jean le Petit für Johann von Burgund im Auszug mitteilt. Als Ergänzung der Chronique dienten Cochons Memoires avenuez a Rouen über das Stadtgebiet von Rouen und die Jahre 1371—1434, worin die Stimmung der bürgerlichen Kreise über die Zeitereignisse noch deutlicher hervorgehoben ist. — In französischer Übertragung liegen die lateinisch geschriebenen Schriften des einer alten normannischen Familie angehörigen R o b e r t B l o n d e l (gest. nach 1461) vor, der an den Höfen von Bretagne, Aragon und Anjou Ämter bekleidete. Seine lateinische Staatsschrift O r a t i o h i s t o r i a l i s (1449), eine historische Darstellung des zwischen England und Frankreich bestehenden Erbstreites mit der Widerlegung der englischen Ansprüche, wurde 1450 von einem clerc als Drotz de la couronne de France ins Französiche übertragen. Der Herold B e r r y ist der Übersetzer von Blondeis Darstellung der Wiedergewinnung derNormandie (1449—50) durch Frankreich, der Reductio Normanniae, Recouvrement de Normandie, die in vier Büchern die Feldzüge der Jahre 1449—1450 berichtet. Sein Gedicht von den 'Douze Penis d'Enfer' und der lateinische 'Complanctus bonorum Gallicorum' wurden bereits erwähnt (S. 102, 124). Auf Seite Englands steht die Geschichtskompilation des B a s t a r d d e W a v r i n , Jean, Seigneur de Forestel, der seiner Zeitgeschichte eine Darstellung der Vergangenheit Englands, Frankreichs und der Normandie voranstellt. Er kann, da er bei englischen und burgundischen Truppen gedient hatte, die von ihm mitgefochtenen Kämpfe und Schlachten genau beschreiben, seine Tätigkeit als Rat, Kammerherr und Gesandter Philipps des Guten gewährte ihm Einblick in manche diplomatische Aktionen, die er nicht ungern berichtet. Seine 1445 begonnenen Chroniques et anciennes isioires de la Grant Bretagne sind in dem älteren Teil wertlos, gewinnen aber dort, wo sie sich auf Originaldokumente des 15. Jahrhunderts stützen können, deren Einsichtnahme ihm Karl von Burgund gestattete, geschichtlichen Wert. Jeans Neffe W a l e r a n d d e W a v r i n , auf dessen Anregung das Werk begonnen wurde, steuerte den Anteil über die Ereignisse im Orient und die Belagerung von Varna bei.
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Die Bretagne fand ihren Historiographen im 'orateur' Margarethens von Bretagne P i e r r e le B a u d , Kanonikus von S. Tugal. Er verfaßte ein Breviaire breton in Versen, in Hs. Bibl. nat. 25211, 25212; für Margarete selbst, als Begründung des weiblichen Erbfolgerechtes, eine Genealogie der bretagnischen Fürsten bis zum Jahre i486 (Hs. Bibl. nat. 6011, Genf, Ms. fr. 131) und für einen Herrn von Derval die Chroniques des Bretons (Hss. Bibl. nat. 1605, 8266, 24041; Nouv. acq. 2615), welche er später in einer zweiten 1505 vollendeten Redaktion überarbeitete. Er ist vollständig unkritisch, verwertet außer Galfried von Monmouth und den Turpin die antiken Romane über Troja, Eneas und die auf Merlin, Artus bezüglichen Erzählungen. Erst vom III. Buch an folgt der Bericht geschichtlichen Quellen. Die S t a d t g e s c h i c h t e ist durch den Schöffen der Stadt Metz, J a c q u e s D e x (d' Esch), gest. 1455, vertreten. Er schreibt eine Prosachronik, welche durch Verwertung urkundlicher Quellen genaue Nachrichten über die Geschichte der Luxemburger (—1434) gibt und durch Übernahme der früheren Metzer Chroniken über den Römerzug Heinrichs VII. und den Vier-Herrenkrieg einen Überblick über die Geschichte der Stadt innerhalb 100 Jahre ermöglichen will. Ein zweitesmal wird die Geschichte von Metz in Verbindimg mit der Vergangenheit Lothringens von P h i l i p p e de V i g n e u l l e s , geb. 1471 in Metz, gest. 1527 daselbst, erzählt. Seine Memoires und seine Chroniques de Metz et de la Lorraine sind in seiner Heimatstadt verfaßt und verwerten Chroniken und Geschichtsquellen, die heute verloren sind. Die S t a d t b e s c h r e i b u n g von Paris, welche der aus Metz stammende Schreiber G i l e b e r t de Metz auf Grund seines von 1407 bis 1434 währenden Aufenthaltes in der Hauptstadt über deren Gebäude, Einrichtungen des öffentlichen und privaten Lebens geben konnte, verwertet anfänglich bis zum 19. Kapitel die Erläuterungen des Raoul de Praelles zu dessen Übersetzimg der Civitas dei, die Chroniques von St. Denis und andere Quellen über Paris, geht aber mit dem 20. Kapitel zu selbständiger und anschaulich geschriebener Darstellung über. Historischen Inhalt bieten noch einige Werke, welche dem Interesse der Zeit für geschichtliche Belehrung auf ferner liegenden Gebieten entgegenkommen. Der auch als Übersetzer tätige S e b a s t i a n M a m e r o t bearbeitet 1458 in seinen Chroniques
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martiniennes die Weltchronik des Martin von Troppau und schrieb außerdem ein heute verlorenes L e b e n des B e r t r a n d d u G u e s c l i n , das in seiner für Louis de Laval, Herrn von Chastellain, verfaßten Histoire des Neuf Preux et des Neuf Preues (1471) erwähnt wird, eine in Prosa geschriebene Geschichte der neun berühmtesten Männer und Frauen, zu welchen er auch Jeanne d'Arc zählt, deren Leben er noch schreiben wollte. Unbekannt ist die Abfassungszeit seiner historischen Kompilation Eloges d'Alexandre, de Pompee, de Charlemagne, suite des six âges du monde et des rois de France, in Hs. Bibl. nat. 5594, worin sich auch seine Darstellung der Kreuzzüge Traité des passages d'outre mer faits par les Français contre les Turcs depuis Charlemagne jusqu'à. 1462 (1454) für Louis von Laval befindet. Die französische Wappenlehre und Wappenkunst, Blason des Couleurs, eines Herolds S i c i l e , der als Waffenherold von Anjou und Rat des Königs René von Sizilien 1447 erscheint, in Möns geboren wurde und auch Waffenmarschall von Hennegau heißt, ist dem Gegner des aus Sizilien und Neapel verdrängten René von Anjou, dem König Alphons von Aragon, gewidmet. Alphons wurde 1447 in den Orden vom Goldenen Vließ aufgenommen und aus diesem Anlaß augenscheinlich von dem ehemaligen Herold Renés, der den Namen Sicile vom Königreich seines neuen Herrn, Sizilien, annahm, in der Bedeutung der Wappenmetalle, der Farben, Formen, Teilungen und Figuren der Wappen, sowie über die Adelsfamilien und ihre Wappenzeichen unterrichtet. Sicile gilt als der erste Theoretiker der Wappenkunst. Seine weiteren Traktate beschäftigten sich mit den Kampfweisen der Alten, der Begründung des Rittertums in der Römerzeit, den Aufgaben des Herolds, mit Turnierordnungen usw. Hier wäre auch G i l l e s le B o u v i e r dit Berry mit seinem Livre de la description des pays zu nennen (s. S. 138). In einer Ordonnance et maniérés des chevalieres errants gibt H u g u e s d i t M e r l i n de C o r d e b u e Mitteilungen über die Bewaffnung, Lebensführung, Kampfregeln und das gesellschaftliche Verhalten der Chevaliers errans (dazu Rom. 1906, 36, S. 92 ff. 604). Neben dieser großen Zahl von geschichtlichen Werken treten die Schriften geographischen Inhaltes, R e i s e b e r i c h t e über ferne Länder und ihre Völker zurück. Als Augenzeugen erzählen der Mönch P i e r r e B o u t i e r und der Priester J e a n le V e r r i e r die Eroberungszüge des normannischen Edelmannes J e a n de
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B é t h e n c o u r t (gest. 1425) zu den kanarischen Inseln im Livre de la conqueste des isles canariennes oder le Canarien. Der Text, der ausführlich über die Abschnitte und Wechselfälle des Unternehmens berichtet, liegt in zwei Fassungen vor, von denen die erste sich an die Tatsachen hält, die zweite jedoch im Interesse Béthencourt's überarbeitet ist. Die im hl. Lande gesammelten Eindrücke und Erfahrungen hält S e b a s t i a n M a m e r o t in seiner Compendieuse description de la terre de promission fest (1488).
DER PROSAROMAN Die erzählende Prosadichtung ist durch den Roman und die kürzere Novelle vertreten. Die französischen Prosaromane des 15. Jahrhunderts gehen fast alle auf die ältere nationale Heldendichtung oder auf die höfische Epik zurück, deren zyklische Tendenzen die Vereinigung zu großen, genealogischen Romanen erleichterten. Von der alten Größe und dem Geist, der sie früher beseelte, ist in den jüngsten Prosaredaktionen des 15. Jahrhunderts nichts mehr zu ersehen. Durchgreifende Umarbeitungen suchen die Ansprüche der moderneren Zeit im alten Gefüge zur Geltung zu bringen, daher die Veränderungen im Ausdruck und in der Konzeption. Erstere unterdrücken alle Wendungen der älteren epischen Sprache und setzen moderne an ihre Stelle, sie bringen statt des gedrungenen epischen Stils die breiten, ausführlichen Erörterungen, wie sie das 15. Jahrhundert bevorzugte, und ändern auch den als unzeitgemäß empfundenen Satzbau um (Suppressions, Additions, Changements, Interversion bei Gautier II. S. 566). Zusätze ergehen sich in längeren oder kürzeren Erklärungen, moralisierenden Betrachtungen oder Vergleichen, die den Überarbeiter gewöhnlich veranlassen, seine Kenntnisse zu Nutzen seiner Leser zu verwerten. Und nach Wauquelins Worten in der Belle Helaine besteht die Arbeit der Prosakompilatoren in folgenden Punkten:,,Retranchier et sincoper les prolongacions et mots inutiles qui souvent sont mis et boutez en telles rimes". Schon früh wurden die auf Wilhelm und seine Geste bezüglichen Lieder in den Hss. zu einer zusammenhängenden Familiengeschichte aneinandergereiht, deren Prosafassungen im 15. Jahrhundert der älteren Reihimg folgen. Die Hs. Bibl. nat. 1497 und Hs. 796, die dem 1477 enthaupteten Jacques von Armagnac,
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Herzog von Nemours, gehört hatte, schließt folgende Heldenlieder in Prosa aneinander: Aimeri de Narbonne, Departement Aimeri, Siege de Narbonne, Enfances Guillaume, Couronnement Louis, Charroi de Nismes, Prise d'Orange, Siege de Barbastre, Enfances Vivien, Covenant Vivien, Aliscans, Rainouart, Bataille Loquifer, Moniage Rainouart, Moniage Guillaume. Die Ereignisse sind darin auf Guillaume, der den Mittelpunkt der Geste bildet, bezogen, die für das Verständnis erforderlichen Zusammenhänge werden hergestellt. Nebensächliches fällt weg. Daneben wurden Guillaumepen mit Karlsepen zu einer ganzen Geste vereinigt, wie dies der Roman von Galien le restore in den Hss. Bibl. nat. 1470 und Arsenal 3351 versucht, der dem Galien Teile von Hernaut de Beaulande, Renier de Gennes, Girart de Viane vorausschickt, Aimeri de Narbonne folgen und Sebile den Schluß bilden läßt; das Verhältnis dieser Hss. zu den Drucken und Vorlagen in Prosa oder Versen ist noch nicht völlig klar. Spät erst wurde (in Paris im Jahre 1518) der in diesen Zyklus fallende Prosaroman von Guerin de Montglane gedruckt, welcher die Heldenlieder von Girart de Vienne, Garin de Montglane und Galien zu einem Ganzen vereinigte und die Geschichte von Guerins 4 Söhnen Ernaut de Beaulande, Milon de Puille, Girard de Viane und Regnier de Genes erzählt. Bekannte Figuren und Episoden erinnern an frühere Chansons de Geste und führen die Stammsage der Wilhelmslieder, die Brautwerbung um eine schöne heidnische Prinzessin, weiter zum Kampfe gegen Karl, der die Brüder in Vienne belagert. Die Versöhnung Rolands und Oliviers, des Sohnes Regniers von Genes, bildet den Abschluß des Romans, der auf den kommenden Feldzug gegen die Sarazenen hindeutet. Für die Fais d'Espaigne qui se firent par Charlemaine in der Hs. Arsenal 3324, Ende 15. Jahrhundert, bildet das Epos von Anseis de Cartage den Eingang, die Fortsetzung verwertet außer dem Pseudoturpin angeblich noch weitere Chroniken. Einzeln erscheint als Umarbeitung für eine Dame von Ecueille et Avan, Gemahlin des Etienne Bernard, maitre d'hötel des französischen Königs, noch Berte aus grands pies, Berl. Hs. I. H. 15. Jahrhundert, nach Adenets Dichtung unter Benutzung einiger historischer Daten und Reminiszenzen aus anderen Epen. Der 1478 als erster Prosaroman gedruckte Fierabras (Hss. Genf und Didot) ist von Jean B a i g n o n aus Savoyen verfaßt, der nur mangelhaft französisch kann und sein Buch für den Kanonikus von Lausanne Henri Bol-
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mier schrieb. Der Roman hat drei Bücher, deren erstes das Speculimi historiale des Vinzenz voll Beauvais als Quelle angibt, das zweite, kombiniert Teile des Aiquin mit der Geschichte von Fierabras und seiner Bekehrung, das dritte enthält den Zug Karls nach Spanien. Ein Prosaroman von Mallart, dem Sohne Galiens, und seinem Freunde Lohier geht noch in das Jahr 1405 als Auflösung einer Chanson de geste zurück. Sie wird durch eine niederländische Versredaktion und den 1407 geschriebenen deutschen Prosaroman Loher und Maller bezeugt. Von den späteren großen Königsepen ist Florent et Octavian für Jean de Créquy überarbeitet, Theseus de Cotogne 1473 beendet. Der Prosaroman von Florent et Octavien, dessen Geschichte als gleichnamige Chanson de geste des ausgehenden 13. oder beginnenden 14. Jahrhunderts, als Versroman Octavian des frühen 14. Jahrhunderts und als M i r a k e l vorliegt, erzählt die Schicksale der von Kaiser Oktavian unschuldig verstoßenen Kaiserin Florimonde und ihrer beiden im Titel des Romans genannten Söhne, welche sich Erbinnen und Reiche erkämpfen. Theseus von Cotogne, ein Verwandter Dagoberts, wächst als Findling heran, kommt nach Rom und wird durch die Hilfe der Kaiserstochter Flore, die ihn liebt, Kaiser von Rom. Valentin et Orson, gedr. 1489, ist die Prosaauflösung einer heute verlorenen französischen Chanson de geste aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, die durch eine mittelniederländische Übersetzimg aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts erhalten blieb. Die Söhne der schuldlos von ihrem Gemahl, dem König von Konstantinopel, verstoßenen Königin wurden in einem Walde geboren und getrennt, Valentin kommt an den Hof seines Oheims Pipin, findet später seinen Bruder, der von einer Bärin gesäugt wurde, als wilden Mann und zieht mit ihm, nachdem Orson Sprache und gesittetes Wesen angenommen hat, aus, seine Eltern zu suchen. Kämpfe mit Riesen und Ungetümen, ferner Liebesgeschichten füllen diese Queste aus, die schließlich zur Heirat mit Erbinnen führt. Das Moniage der beiden Helden, bei Valentin durch den Totschlag an seinem ihm imbekannten Vater begründet, beschließt den Roman. Ciperis ist in Paris gegen Ende des Jahrhunderts erschienen. Eine der Hs. Arsenal 3324 ähnliche francoital. Prosakompilation aus Karls-DoonGuillaumeepen liegt im Roman von Aquilon de Bavière des Raphael Marmora (1379—z4°7) v o r - Der Roman erzählt in sieben Büchern die Abenteuer des als Kind von den Sarazenen nach ihrer
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Niederlage bei Aspremont geraubten Sohnes des Baiernherzogs, berichtet von dem Zug der Christen unter Roland und Karl gegen Carthago, das nach wechselvollen Kämpfen, in denen Karl und Roland gefangen und befreit wurden, in die Hände der Christen fällt. Auch die Verrätersippe unter Ganelon spielt ihre traditionelle Rolle, da sie Paris belagern und Marsilie aus Spanien zu Hilfe rufen. Der Sieg Karls über seine Feinde und der Eintritt des dem Christentum zurückgewonnenen Aquilon in das Kloster von St. Denis beenden den Roman, der geschickt französische Chansons de geste mit franko-italienischen Neudichtungen vereinigt. Der Autor versteht es mit Erfolg, seine Helden durch entsprechende Charakterzeichnung aus ihrer Umgebung hervortreten zu lassen. In der Gruppe der Doonepen folgt der Prosaroman von Doon de Mayence (1501 gedruckt) dem gleichnamigen Gedicht, nach welchem der Held zunächst Rache für die seiner Mutter zugefügten Leiden nimmt und sein Erbe zurückgewinnt. Er berichtet dann i'en Kampf mit Karl, die Eroberung von Vauclere und seine Vermäl lung mit der Tochter des Sachsenkönigs und führt den Helden schließlich nach Dänemark, dessen König er wird. Die Epen von den Haimonskindern, Renaut von Montaüban mit Maugis und einer Fortsetzung über Renauts Enkel Mabrian, wurden zu einer Geschlechtsgeschichte vereinigt, wovon ein Exemplar von 1462 dem Herzog Philipp von Burgund überreicht wurde, während eine andere Redaktion, die sich auf das Stammepos von Renaut von Montaüban beschränkt, in einer ihrer Hss. sogar noch Verse führt und in einer zweiten das Datum 1447 trägt. Drucke des Haimonskinderromans, der eine Erweiterung durch eine Episode, Conqueste de Trebisonde, erhält, reichen bis 1480 zurück. Der Roman Renaut de Montaüban übernimmt den in der Chanson de geste Les quatre fils d'Aymon erzählten Inhalt, der die Kämpfe der 4 Söhne Aymon's de Dordogne gegen K a r l berichtet. Auch der Roman von Maugis d'Aigremont (1518 gedruckt) weicht von der Heldendichtung nicht ab, erzählt die Kindheit des Helden, der von einer Fee in der Zauberei unterrichtet wird, das Schwert Froberge und das Roß Bayard gewinnt, nach mannigfaltigen Zauber- und Kriegsabenteuern wegen seiner Beziehungen zur Königin von Spanien fliehen muß und nun zu Renaut kommt, dem er Bayart und Froberge gibt. Die Conqueste de Trebisonde (1517 gedruckt) ist Karl VIII. gewidmet und dürfte eine Bear-
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beitung des in Bologna 1483 gedruckten italienischen Gedichtes Trabisonda sein. Mabrian schließt die Geschichte der Haymonskinder ab, welche alle im Kampfe gegen Karl den Tod finden. Maugis ist Einsiedler geworden, wurde zum Papst gewählt, zieht sich jedoch wieder in die Einsamkeit zurück. Richardet, der jüngste Bruder, erliegt der Tücke Ganelons, als aber Alard und Guischard Karl die Schuld an diesem Morde vorwerfen, entbrennt der alte Kampf wieder. Die beiden werden bis zu Maugis' Höhle verfolgt und die drei finden im Rauche des Reisigs, das Karl vor der Grotte anzünden läßt, den Tod. Der Roman bezeichnet sich als Überarbeitimg einer altfranzösischen Fassung, die bereits einen zur Zeit Renés von Anjou lebenden Maistre Guy Bonnay als zweiten Redaktor gefunden hatte, dem Jean le Cueur, escuyer, seigneur de Uailly en Puysaye, im Abschluß der Geschichte folgte. Auch Huon von Bordeaux mit den Fortsetzungen ist in der Prosa von 1454, die den Drucken des Huonromans seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts zugrunde liegt, im Livre du duc Huon de Bordeaulx et de ceulx qui de luy yssirent, auf Wunsch von Charles, seigneur de Rochefort, Hues de Longueval, seigneur de Veaulx und Pierre Ruotte, als Familiengeschichte angelegt. Dem Heldenroman von Ogier, 1498 gedruckt, liegen die Enfances Ogier des Adenet le Roi, die Chevalerie Ogier und die Alexandrinerfassimg des Jean des Preis zugrunde, welche in der Orientfahrt Ogiers Motive der Artusund Oberondichtung vereinigen. Aus Garin, der vielleicht schon 1467 in einer Prosafassimg der burgundischen Bibliothek erscheint (Doutrepont 1. c. S. 36 Anm. 1), Girbert und Anseis ist der Lothringerroman des 15. Jahrhunderts in der Hs. Arsenal 3346 zusammengefügt, während gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein zweiter Bearbeiter, P h i l i p p e de V i g n e u l l e s aus Metz, den Garin und Girbert mit Herviz einführte. Die Geste von Blaye ist im Prosaroman mit einem Amis et Amiles, Hs. Lille, und mit einem Jourdain dt Blaies, in einer Hs. von 1456, vertreten. Der Prosaroman Milles et Amys, der die Alexandrinerversion übernimmt, hält sich an die bekannte Vorlage, nur fallen die beiden Freunde von der Hand Ogiers des Dänen. Im Anschluß an die Alexandrinerversion folgen auch die Schicksale von Milles' ausgesetzter. Söhnen Anceaume und Florisset, welche durch die Treue der sie begleitenden Tiere (Affe und Löwe) aus gefährlichen Lagen gerettet wurden und nach langer Trennung die Heimat wieder-
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sehen. Der Jourdain de Blaies geht auf die im 15. Jahrhundert in Alexandriner umgearbeitete Chanson de geste zurück und knüpft an die Dichtung von Amis und Amiles an, da der Vater Jourdains ein Sohn des Amis ist. Der Inhalt des Romans folgt in seiner Disposition, Kindheit des Helden in der Fremde, Flucht vor Karl wegen des Totschlages an dessen Sohn Lohier, Liebesgeschichte mit Driabelle, der Tochter des Königs von Marcasile, ihrer Trennung und Vereinigung, schließlich im versöhnlichen Ausgang, der im Liede vorgezeichneten Handlung. Zum Epos von Beuve d'Hanstone kennt man eine Prosaauflösung in zwei Hss. des 15. Jahrhunderts. Die Kreuzzugsepen in der Fassung des Chevalier au cygne werden, nachdem schon Ende des 13. Jahrhunderts eine kürzere Prosafassung nur die Hauptereignisse festgehalten hatte (ms. Bibl. nat. 784) gegen 1460 noch einmal von B e r t h a u l t de V i l l e b r e s m e für Marie von C16ve in Prosa umgeschrieben. Im Druck aus dem Jahre 1504 wird ein P i e r r e D e s r e y aus Troyes als Verfasser genannt. Von den alten A r t u s e p e n werden im Jahre 1454 in Flandern Crestiens Cliges und Erec in Prosa bei engem Anschluß an den Versroman umgearbeitet. Unsicher sind die Unterlagen der Histoire de St. Graal ou de la Table ronde des Guillaume de le P i e r r e in Hs. Brüssel 9246 von 1480 und des Graalbuches in Hs. Brüssel 11145 aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, wahrscheinlich der 1516 gedruckte St. Graal. Der in Machauts Voir Dit erwähnte Roman d'Artus de Bretagne mit den in der Gralsgeschichte ungewohnten, augenscheinlich von Machaut gewählten Namen wie Florence, Peronne u. dgl. dürfte wahrscheinlich den Livre d'Artus vorstellen. Frühestens der Zeit Froissarts läßt sich der episodenreiche, aber rasch ablaufende Conte du pa-pegaulx, Hs. 15. Jahrhundert, zuweisen, der Artus eine Abenteuerfahrt unternehmen läßt, wie sie sonst seine Ritter bestanden, bei der ein Papagei neben anderen Rollen auch die Rolle des Sperbers als Schönheitspreis spielt, wie im Erec und anderwärts; einzelne Kämpfe des Conte, bei denen Ungetüme, Riesen, verwandelbare Menschen, Ritter von wunderlichem Charakter oder geheimnisvoller Vergangenheit und Geisterspuk mitwirken, gleichen Episoden des Wigalois in Wirnts von Grafenberg Dichtung, so daß der Papageiroman in Wirnts französischer Vorlage seine letzte Quelle haben wird. Die Höflichkeitsformen, die Grand-
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seigneurart, die Artus mitgeteilt ist, die Spitzfindigkeit der Auseinandersetzungen im Gespräch, der Versuch, geistreiche Aussprüche in drei Sätze zu schließen, und viele dem Wigalois fremde Episoden verraten, daß der Verfasser nicht bloß kopierte, sondern sich der Richtung seiner Zeit anpassen wollte und die bekannten Motive der Abenteuerepik kompilierte; auch Merlins Prophezeiungen hat er herangezogen. Artus- und Abenteuerdichtung vermischt sich wahrscheinlich in einem Roman von Cleriadus et Meliadice, Hs. 15. Jahrhundert, gedr. 1495, dessen Held, ein Graf von Asturien, mit Artus in Verbindung gebracht wird und dessen Heldin eine englische Fürstin ist, deren durch Verläumdung und Verbannung verursachten Schicksale bis zur späteren Vereinigung mit Cleriadus den Inhalt des Romans bilden. Zu Abenteuer- oder Schicksalsromanen des 15. Jahrhunderts aus älteren Epen gehören der von P h i l i p p C a m u s für Jean de Croy überarbeitete Roman von Cleomades et Clarmondine in Hs. Bibl. nat. 12561 nach Adenets gleichnamiger Dichtung und die gleichfalls von Camus verfaßte Histoire d'Olivier de Castille et d'Artus d'Algarbe. Die Prosa des anglonormannischen Gui von Warwick übernimmt die Vorlage des in England gedichteten Versromans, der Roman von Blancandin et l'Orgueilleuse d'amours, für Jehan de Crequy aufgelöst, erzählt nach dem Gedicht, wie sich der Haß der schönen Orgueilleuse in Liebe wandelt. Der Uberarbeiter erweitert mit besonderer Vorliebe Gesellschaftsszenen und höfische Dialoge. Der Roman von Girard de Nevers, von Guyot d'Angerans überarbeitet (Hss. Bib. nat. 24, 378; Brüssel 9631), enthält eine Erweiterung aus dem heute verlorenen Roman de Gavain (erhalten in dem niederländischen Roman von Walevein), dem Gerards Abenteuer an der Quelle nachgebildet ist. Eine Familiensage scheint der C l e r c G i l e t festzuhalten, wenn er in seinem Livre de Baudouin de Flandres, das er 1474 im Kerker von Troyes schrieb, die Geschichte des genannten Grafen erzählt, dessen Frau, die er während einer Jagd kennen gelernt hatte, sich als Sukkube enthüllte. Als er nach langer Bußfahrt heimkehrt, läßt ihn seine Tochter Johanna, die Frau des portugiesischen Prinzen Ferrand, hinrichten. Der Livre du roy Flourimont in Hs. Bibl. nat. 12566 (nach 1418) erzählt die Geschichte von Alexanders Großvater Florimond und seiner Gemahlin Romanadaple, deren Sohn Philipp von Maze-
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donien Alexanders Vater ist. Alexanders Vorfahren gehen bis auf Romulus zurück, Mazedonien wird aus dem Namen des Königs Philipp Macenus hergeleitet, Feen, Zauberei und Ungetüme ermöglichen die weiteren Begebenheiten des Romans, welcher mit einer auch für das Mittelalter bemerkenswerten Kühnheit die heterogensten Voraussetzungen aneinanderreiht. Der Roman de Philippe de Madien, dessen Verfasser P e r r i n e t de P i n aus La Rochelle das Buch 1448 der Herzogin von Savoyen, Anne de Luzignan, widmete, bringt gleichfalls Fabelberichte über einen Vorfahren des Geschlechtes. Die in den höheren Kreisen im 15. Jahrhundert gern zu Schau gestellte Sentimentalität macht es begreiflich, daß der Leiden und Prüfungen darstellende Schicksalsroman auch selbständig weitergebildet wurde und daß die Verfasser die Personen dafür in diesen Kreisen und besonders in bekannten Fürstenhäusern suchten. Für die Familie La Tour Landry, der der Schriftsteller entstammte und der ein Ponthus de Latour Landry, gest. 1425 angehörte, erzählte nach dem Vorbilde der Chanson de geste Horn und Rimenhild der Verfasser T h o m a s des beliebten Roman du roy Ponthus, fils du roy de Galice, et de la belle Sidoine, fille du roy de Bretagne, in der verlorenen Versredaktion, der die Prosaerzählung folgt, die Geschichte ihrer Vorfahren. Ponthus, ein galizischer Königssohn, wird auf dem Meer ausgesetzt, kommt nach England, wo er die Liebe der Prinzessin Sidonie erwirbt. Nach langer Trennung kehrt er an dem Tage ihrer erzwungenen Hochzeit mit Gendellet, dem Verleumder, zurück, der entlarvt wird und die Vereinigung der beiden nicht hindern kann. — Einen mit der Dichtung L'Escoufle verwandten Stoff behandelt der in 2 Redaktionen (Ms. von Coburg und Editio princeps von Lyon 1480) vorliegende Livre de Pierre, filz du conte de Provence et de la belle Maguelone, fille du roy de Naples aus dem Jahre 1457, dessen südfranzösischer Verfasser darin um die Mitte des 15. Jahrhunderts am Hofe Philipps von Burgund ein provenzalisches Buch übersetzt haben will und der außerdem den Roman von Paris et Vienne verwertet. Die beiden Liebenden wurden durch einen Raubvogel getrennt, der Magelonens Ringe entriß und Pierre von seiner Geliebten wegführte. Er wird in den Orient verschlagen, muß dort als Sklave des Sultans lange Jahre dienen und kann sich erst später mit Magelone vermählen, die inzwischen auf einer Insel in der Provence, die von ihr den Namen erhielt, Kranken-
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pflege verrichtete; beide wurden auf der Insel begraben. Der Roman, welcher im 15. Jahrhundert ins Griechische übersetzt wurde (Bees N. A. in: Texte u. Forschungen zur byzant.-neugriechischen Phil. IV), betont die ritterlich-höfischen Ideale des späteren 15. Jahrhunderts und zeichnet sich durch Erfassimg der Charaktere, scharfe Beobachtung, realistische Züge und einheitliche Konzeption aus. Der Stil ist einfach, natürlich und vermeidet Längen, so daß die Erzählung rasch fortschreiten kann. Das Burgunderhaus wird in dem Livre du tres chevalereux comte d'Artois et de sa fetnme, fille au comte de Bourgogne in einen Roman verflochten. Philippe Graf von Artois (gest. 1346) verläßt seine Gattin, da sie ihm keinen Erben gebar, zieht in den Orient, wohin ihm seine Frau als Mann verkleidet folgt. Bei einem Stelldichein, das der Graf mit der von ihm geliebten Prinzessin von Kastilien vereinbart hatte, tritt sie an deren Stelle und wird Mutter eines Sohnes, worauf der Graf sie wieder zu sich nimmt. Ungenannt blieb der Verfasser eines kurzen, Philipp dem Guten gewidmeten und vor 1450 verfaßten Romans von Gillion de Trazegnies, der mit dem am Ende des 14. Jahrhunderts ausgestorbenen Geschlecht der Trasignies verknüpft ist und auf ein im Jahre 1375 verfaßtes Gedicht zurückgeht, das gegen 1450 in Prosa umgeschrieben wurde. Der Roman ist im Hennegau lokalisiert und erzählt die Geschichte Gilions und seiner beiden Frauen in Anknüpfung an das Grabmal von Herlaimont, wo der Dichter das Schicksal Gilions vernommen haben will, der, im Orient gefangen, durch Vermählung mit der Tochter eines Sultans die Freiheit gewinnt, aber, heimgekehrt, wider Erwarten, seine erste Frau am Leben findet. Obwohl die getaufte Türkin bereit ist, sich mit der Stelle einer Dienerin im Hause Gilions zu begnügen, verzichtet seine erste Gemahlin auf ihre Rechte, geht ins Kloster, wohin ihr Gilions zweite Frau folgt, und Gilion selbst beschließt als Mönch sein Leben. Die um 1450 geschriebene erste Prosafassung wurde vor 1458 mit Kapiteln versehen und gegen 1458 im Schlußteil erweitert. Der Livre du roy Rambeaux de Frise et du roy Brunor de Datnpnemarche in Hs. Arsenal 3150, erzählt, wie Othon das Friesenland gegen Brunor verteidigt und Gemahl von Rambeaux' Tochter und Erbe seines Reiches wird. Kämpfe um Reich und Erben enthält auch der Livre de Charles de Hongrie in Hs. Bibl. nat. 1467. In Spanien wird schon früher (1412)
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auf die Helden des Livre de Paris et Vienne angespielt, bevor noch der südfranzösische Verfasser P i e r r e de la S e p p a d e , der ein katal. und provenz. Buch als die Vorläufer seines Werkes angibt, seinen Liebesroman über P a r i s u n d V i e n n e am 3. September 1432 begann. Er erzählt die Liebe und Treue der beiden durch Standesunterschiede getrennten Helden, welche erst nach langen Jahren, als Paris im Orient den Vater Vianens aus dem Kerker befreite und die Treue seiner Geliebten unerkannt auf die Probe gestellt hat, vereinigt werden. Die Erzählung, welche wahrscheinlich auf das Jahr 1364 zurückgeht, zeigt in der Beobachtung der Charaktere und Situationen Einfluß der späteren, auf Realistik Wert legenden Romane, weist aber in der Vorliebe für Turniere und Abenteuerliches noch auf die ältere Zeit zurück. Die Histoire des deux tres ardens et parfaits amants Eurial et Lucresse ist die Wiedergabe der Novelle des Äneas Sylvius Piccolomini. Zeitereignisse verwertet in durchsichtiger Anlage um 1495 der unbekannte Verfasser des Romans Jehan de Paris, indem er die Heirat Karls VIII. mit Anne de Bretagne und seinen Einzug in Florenz als Werbungsfahrt des französischen Königs nach Spanien übernimmt, seinem Helden einen Rivalen in der Person des englischen Königs gibt, den Jehan in der Verkleidung eines Bürgers von Paris durch seinen Aufwand und sein gewinnendes Auftreten leicht aus dem Felde schlagen kann. Der Roman, welcher mit Jehan et Blonde des Philippe de Beaumanoir Berührung zeigt, ist durch rasche Handlung, gut geführte Steigerung des Interesses, Sinn für Humor und Treue charakterisiert. Gleiche Tendenzen bringt der Prosaroman von Artus de Bretagne zum Ausdruck, indem er die zwischen 1489 und 1491 stattgefundenen Ereignisse (Aufhebung der Verlobung Karls VIII. mit Margarethe von Österreich, Verlobung des Königs mit Anne de Bretagne und Vermählung mit ihr im Jahre 1491) in leicht erkennbarer Weise zur Fabel der Erzählung nimmt, welche im übrigen mit den beliebten' aus Volks- und Artusepik bekannten Motiven die Abenteuer des Artus von Bretagne, eines Nachkommen Lanzelots, berichtet. Der Held muß aus Staatsraison Peronne, die Tochter des Herzogs von Österreich freien, obgleich er Jeanette liebt. Peronne, welche nicht mehr Jungfrau ist, läßt Jeanette ihre Stelle in der Brautnacht einnehmen, doch wird die Täuschung durch Jeanette mit Hilfe der von Artus seiner angeblichen Frau geGrOber-HoOr, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II.
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schenkten Gaben erwiesen. Peronne muß den Hof verlassen und stirbt in Scham und Reue. Die weiteren Abenteuer, welche Artus mit Hilfe des Zauberers Stefan glücklich überwindet, führen dann zur Vermählung mit Florence, der Tochter des Königs Emendus von Sorolois, die er dem Kaiser von Indien abgewinnen muß. Die Geschichte von Jean d'Avesnes, de son fils le conte Jean et de son beaufils Thibaut et de Saladin (Hss. Paris, Bibl. nat. 12572; Ars. 5208) erzählt in drei lose aneinandergefügten Teilen zunächst die Abenteuer des Jehan d'Avesnes, Sohnes des Gautier d'Avesnes, der an den Hof der Gräfin von Artois, Erbin von Ponthieu, kommt, welche ihn zum Pagen nimmt. Er verliebt sich in sie und heiratet sie nach dem Tode ihres Gemahls, nachdem er als Einsiedler gelebt hatte. Der zweite Teil ist die Geschichte der Tochter des Grafen von Ponthieu, welcher wieder der Sohn des Jehan d'Avesnes ist, wodurch dieser Teil an den ersten gefügt wird. Die Tochter des Grafen von Ponthieu wird auf einer Pilgerfahrt vor ihrem Manne von Räubern vergewaltigt und versucht, ihn deshalb zu töten. Ihre Schicksale in der Fremde als Frau des Sultans füllen die Erzählung, w.elche schließlich die beiden Gatten wieder vereinigt. Die Tochter der Gräfin aus der Ehe mit dem Sultan heiratet Malaquin von Bagdad, ihre Tochter wird die Mutter Saladins. Der dritte Teil erzählt dann die Abenteuer Saladins im Orient und in Frankreich selbst. Dieser Teil ist die Prosauflösung eines Gedichtes, das um 1350 im N. O. Frankreichs entstand und von dem Chev. au Cygne, Baudouin de Sebourc und Bastart de Bouillon Fragmente bewahren. Dieser Abschnitt erzählt fesselnd das Leben des Sultans und seine Kämpfe, in denen er den Grafen von Ponthieu Jean, seinen Verwandten, gefangen nimmt und Jerusalem erobert. Er kommt unerkannt nach Frankreich, verrichtet daselbst eine Anzahl von Heldentaten und rettet die Schwester Jeans vor einer erzwungenen Hochzeit. Der Graf von Ponthieu wird später König von Acre, Saladin fällt im Kampfe gegen die Christen. Die aus dieser Kompilation herausgenommene Geschichte über la filie du comte de Ponthieu, die im 15. Jahrhundert auf Grund der älteren Fassimg aus dem 13. Jahrhundert geschrieben ist, verfeinert und modernisiert die frühere Redaktion in jenen Zügen, welche den Anschauungen der aristokratischen Leser entsprachen.
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Auf fremde Quellen beruft sich der unbekannte Verfasser der Histoire des sires de Gavre aus dem Jahre 1456, der die romanhaften Abenteuer eines Louis de Gavre in bunter, des Zusammenhanges entbehrender Reihenfolge erzählt. Dem Ende des 15. Jahrhunderts gehört der Roman von Palanus, comte de Lyon an, der in Lyon geschrieben wurde. Er erzählt die Schicksale der ungerecht angeklagten Königin, die von einem Ritter verteidigt wird. Der Roman ist dadurch eigenartig, daß er trotz der späten Abfassung die reine, idealistische Auffassimg der höfischen Minne, die hier der Königin gilt, verherrlicht. Der a n t i k e Roman liegt vor in einer Histoire du siege et de la prise de Troie in Hs. Bibl. nat. 12602, welche über Dictys und Dares, die im 15. Jahrhundert auch noch versifiziert werden (Hss. Bibl. nat. 1671, 2861 usw.), nicht hinausgehen. Der Livre de la deslruction de Troie la grant (Hs. nat. 785 und 1631 von 1485) ist dagegen eine Prosaauflösung von Benoits Trojadichtung. Ein Romant d'Edipus, der den Thebenroman in Prosa wiedergibt, wird Raoul Lefevre zugeschrieben. Als Niederschlag der im Mittelalter über V i r g i l erzählten Wundergeschichten ist der Roman Les faits merveilleux de Virgile zu betrachten, der gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden ist und gegen Ende des Jahrhunderts im Druck erschien. Zu den in verschiedenen Sammlungen (Sept sages, Gesta Romanorum u. a.) enthaltenen Erzählungen, welche Virgil als Weisen und Zauberer hinstellen, treten schließlich auch Liebesabenteuer, in denen die Gestalt des großen Dichters jeder Glorie entkleidet ist. — Die unkritische Beurteilung der Vergangenheit, wie sie das Mittelalter charakterisiert, ermöglicht die Zusammenstellung über die Taten der neun größten Helden der biblischen, antiken und mittelalterlichen Zeit, Le Triumphe des neuf preux, welche schon 1313 von Jacques de Longuyon in dem Voeux du paon genannt werden. Zu den Helden der Bibel (Josua, David, Judas Makkabäus), des Altertums (Hektor, Alexander, Cäsar), des Mittelalters (Artus, Karl der Große, Gottfried von Bouillon), tritt im 'Triumphe' noch der Connetable Bertrand du Guesclin (gest. 1380). Auf drei Helden beschränkt sich die Erzählung Les trois grands, savoir Alexandre, Pompee et Charlemagne (o. J.), wo die Liebesgeschichte zwischen Pompejus und Flora den größten Raum einnimmt. Als Einzelgestalt wählt Charles de S a i n t - G e l a i s , Archidiakon zu Lu-
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con (Vendée), Judas Makkabäus zum Helden seines Romans (gedr. 1514), wobei er sich an die von Gautier de Belleperche nach 1250 geschriebene Dichtung der ersten 7 Kapitel des Makkabäerbuches hielt, die von Pierrot du Ries um 1280 vollendet wurde. Die Bearbeitimg des ApoUoniusromans, in der ältesten Hs. mit dem Datum 1432 versehen, bezeichnet sich selbst als Übersetzung. Der aus dem 14. Jahrhundert stammende Roman von Berinus et son fils Aigres ist in Mss. des 15. Jahrhunderts und in einem Druck aus dem Jahre 1526 erhalten (S. Rom. 44, 1915—17, S. 427, Anm. 3). Dagegen dient der Roman de Turnus in Hs. Bibl. nat. 9343 nur dazu, um mit einer Darstellung der römischen Geschichte die Gründung von Tournai in Zusammenhang zu bringen, wie dies schon Jean de Preis versucht hatte. Nur dem Titel nach bekannt ist der im Inventar der burgundischen Bibliothek verzeichnete Roman de Pharaon et Arihemole und der Livre des Eages de Rome (Doutrepont, 1. c. S. 177). Der Geist einer neuen, regeren Zeit, welche langsam Interesse an realer Umgebung und psychologischer Entwicklung nimmt und dementsprechend auch ihre literarische Einstellung ändert, tritt in den Erzählungen hervor, welche A n t o i n e de la Sale zum Verfasser haben. Er ist als der uneheliche Sohn des von Froissart als 'fort et subtil eschelleur' bezeichneten Condottiere Bernard de la Sale 1388 bei Arles in der Provence geboren. Er genoß eine sorgfältige Erziehung, trat 1402 als Page in den Dienst Ludwigs XII. von Anjou, den er 1407 nach Sizilien und Italien begleitet. In den folgenden Jahren ist er in den Niederlanden, wo er in die Liste der Mitglieder der Cour amoureuse Karls VI. eingetragen wird, und nimmt 1415 an dem Feldzug Johanns I. von Portugal gegen die Mauren teil. Er bleibt im Dienste des Hauses Anjou auch unter Louis XIII., macht zwischen 1422 und 1427 mehrere Reisen nach Italien, die er in seinen Werken erwähnt. 1429 wird er Landvogt bei Arles und 1432 überträgt ihm der Bruder Ludwigs XIII., René, der 1434 die Nachfolge übernahm, die Erziehung seines ältesten Sohnes Jean d'Anjou. 1438—14440 nimmt er an dem Zuge Renés nach Italien teil und kehrte 1440 mit dem königlichen Hause in die Provence zurück. Um diese Zeit wird er seine erste Erziehungsschrift, La Salade, geschrieben haben (1440—1442). Er blieb im Dienste des Hauses Anjou bis zum Juni des Jahres 1448 und übernimmt dann die
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Erziehung der drei Söhne von Renés Schwager, des Grafen von Saint-Pol. Die nächsten Jahre verbringt er in dem Schlosse Chalet-sur-Oise, wo er mehrere-Schriften verfaßte, La Sale (1451), le petit Jehan de Saintré (1456), le Reconfort de Madame de Fresne, der am 14. Dezember 1457 in Vendeuil-sur-Oise beendet wurde, Des anciens tournois (1459). Ob er nur in losen Beziehungen zum Hofe von Burgund oder tatsächlich im Dienste Philipps des Guten stand, als dessen premier maistre d'hostel er in der 50. Geschichte der Cent Nouvelles Nouvelles bezeichnet wird, muß offen bleiben, da die Aufzeichnungen der herzoglichen Hofhaltungen gerade über die Jahre 1459—64 keine la Sale betreffenden Mitteilungen enthalten. Die vom ersten Juni 1461 datierte, an den Herzog von Burgund gerichtete Widmimg eines Ms. seines 'La Sale' ist die letzte Nachricht von dem Schriftsteller, der bald nachher gestorben sein dürfte. Wie R a s s e de B r u n h a m e l , der Verfasser der Geschichte von Floridan et Elvide in seiner Widmung an La Sale und dieser selbst in seinem Réconfort, wo er sich als Autor einer Biographie des Erzbischofs von Angers, Jean Michel, nennt, bezeugen, dürften seinem Erziehungswerk la Salade schon frühere Versuche vorangegangen sein. Offen bleibt auch die Frage, ob die im Ms. 10057 der Bibl. nat. gemachte Erklärung la Sales, eine Bearbeitung der Erzählung von Paris et Viane ausführen zu wollen, verwirklicht wurde. Sein erstes erhaltenes Werk, la Salade, einziges vollständiges Ms. Brüssel, no 18210, Jean de Calabre gewidmet, ist, ohne Beeinflussung durch die früheren mittelalterlichen Erziehungstraktate zu zeigen, zwischen 1440 und 1442 entstanden. Wie der Name des Buches andeuten soll, will der Autor hier für die spätere Laufbahn seines Schülers eine Sammlung nützlicher Dinge zusammenstellen 'par ce que en la Salade se met plusieurs bonnes herbes'. Nach einer Reihe von Kapiteln, welche über die Eigenschaften eines Herrschers und die Kunst zu regieren handeln, gibt er eine Liste der antiken Schriftsteller, welche sein Schüler lesen soll, er nennt hier Livius, Sallust, Lukan, Polybius, Suetonius, Orosius, Valerius Maximus, Herodot, Josephus, Dares Phrygius, Methodius, Pompeius Trogus. Historische Beispiele, hauptsächlich aus Valerius Maximus nach der Übersetzung des Simon v. Hesdin, ergänzen diesen Teil, auf den der lebhaft erzählte Bericht von seinem Besuch in der Grotte der Königin Sybilla, ferner Mitteilungen über seinen Aufenthalt
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auf den liparischen Inseln und die Besteigung des Stromboli folgt. Die Beschreibung der drei Weltteile mit dem Purgatorium des hl. Patrick, eine Genealogie des Hauses Sizilien und Aragon schließt mit einem Kapitel von Waffenfragen das Buch, dessen oft disparate Stücke und trockener Stil, bedingt durch die moralischen und geschichtlichen Erörterungen, nur spärliche Ansätze zu leichter, ironischer Beobachtimg zeigen. Erzieherische Zwecke verfolgt er in seinem zweiten, für die Kinder des Grafen von Saint-Pol bestimmten Schrift, La Salle, in der er sich nur auf Auszüge aus anderen Autoren beschränkt, von denen besonders Theophrastus das Kapitel über die Ehe inspirierte. Der Großteil besteht aus Kapiteln der facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus in der Übertragung des Simon v. Hesdin samt dessen Kommentar, dazu kommen Zitate aus Kirchenvätern. Auch hier gibt ihm sein Name und der des Werkes Anlaß zu Wortspielen und Vergleichen, indem er erklärt, wie ein Architekt ein Gebäude aufführen zu wollen, dessen Grund auf Prudence, Devotion, Moderation, Justice, Piété, Humanité beruhe, während Mauern und übrige Bestandteile aus anderen Tugenden bestehen. Eigene Gedanken und die la Sale später charakterisierende realistische Beobachtung der Wirklichkeit läßt diese Kompilation nirgends erkennen, wohl aber den Umfang der Bildung, welche das 15. Jahrhundert aufweisen konnte. Kritische Einstellung gegenüber den von ihm benützten Texten ist vielleicht daraus zu ersehen, daß er sich über ihren Inhalt äußert und die moralische Nutzanwendimg auf seine Zeit zieht, die hinter der von ihm bewunderten Vergangenheit zurücktreten muß. Der Grundton der Schrift ist Gottergebenheit und Gottesvertrauen. Erst in seinem Erziehungsroman le petit Jehan de Saintré, nach der Widmung an Jean d'Anjou am 6. März 1456 vollendet, gibt la Sale in Ausführung und Anlage ein ihm allein zugehöriges Werk, das in zwei voneinander sich abhebenden Teilen die Liebesund Entwicklungsgeschichte des Helden Jean de Saintré erzählt. Dieser ist eine historische Persönlichkeit, der 1350/51 gegen die Engländer kämpfte und in der Schlacht bei Poitiers gefangen genommen wurde. La Sale dürfte wahrscheinlich nach einer Vorlage geschrieben haben, zu der dann noch der Livre des faits de Jacques de Laling (ed. Kervyn de Lettenhove) und Entlehnungen aus dem Livre des Faits de Boucicaut kommen. Jehan de Saintré, ein junger Page am Hofe des Königs von Frankreich, hat, ohne
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es zu wissen, die Zuneigung einer jungen Witwe gewonnen, die es so einzurichten weiß, daß der unerfahrene Jüngling sie zu seiner Dame erwählt. Der Roman schildert nun die ritterliche Erziehung Jeans durch seine Belle Cousine, die ihn auch mit Geld unterstützt, ihn dann mit seinem 21. Jahre auf Turnierfahrten schickt, die Anlaß geben, 5 Turniere, von denen die am Hofe von Arragon und Paris die prächtigsten sind, zu beschreiben. Nachdem sich Saintré noch im Kampfe gegen die Preußen mit Ruhm bedeckt hat, verpflichtet er sich, ohne vorher die Einwilligung der Belle Cousine zu erhalten, an einem Turniere in Deutschland teilzunehmen. Gekränkt über diese Eigenmächtigkeit ihres Ritters, dem sie die Zustimmung nicht versagen kann, sucht seine Dame Erholung auf dem Lande, wo sie die Bekanntschaft des Abtes eines benachbarten Klosters macht, dessen Geliebte sie bald wird. Als nun Saintré zurückkommt, wird er kühl empfangen. Bei einem Souper, das der Abt Saintré gibt, kommt es infolge einer Äußerung des Abtes über die Ritterschaft zu einem Ringkampf, in dem Saintré geworfen wird. Er rächt sich, indem er später den A b t zwingt, in Ritterrüstung mit ihm zu kämpfen. Er besiegt ihn, durchsticht ihm Zunge und Wange, um ihn zu bestrafen, tadelt das Verhalten seiner Dame in scharfen Worten und nimmt ihr den blauen Gürtel, da sie das Recht verwirkt habe, die Farbe der Treue zu tragen. Der Schluß des Romans spielt am Königshofe, wo Saintré seine eigene Liebesgeschichte erzählt und die Zuhörer auffordert, ihr Urteil über das Verhalten der Dame abzugeben. Alle sprechen ihre Mißbilligung aus, nur Belle Cousine tadelt den Ritter, der den Gürtel der Dame raubte. Daraufhin überreicht ihr Saintré den Gürtel und entlarvt sie vor der ganzen Gesellschaft. Der Jehan de Saintré folgt in der Anlage den früheren Werken La Sales, vor allem in den zahlreichen moralischen Exkursen, den Zitaten aus alten Autoren und der Bibel, den Beschreibungen von Schlachten und Turnieren, die an den Traité des tournois erinnern. In dieser Hinsicht ist La Sale seiner früheren Methode, entlehntes Gut zu kompilieren, treu geblieben, sie ist die didaktische Seite des Romans, der hier älteren Tendenzen folgt. Neu und als Vorzug des Petit Jehan ist aber der lebhafte, wechselnde, mit der Handlung und den Personen gehende Stil, der in der Erzählung und im Dialog schnell, ohne zu stocken, weiter eilt, der feine Spott und die Satire, vor allem aber die Kunst, die Charaktere seiner
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Personen psychologisch zu erfassen, ihr Verhalten aus ihren Stimmungen logisch resultieren zu lassen. Der Gegensatz zwischen dem ersten und zweiten Teile des 'I. de S.' hat wiederholt die Aufmerksamkeit der Kritiker auf sich gezogen und zur Meinung Anlaß gegeben, daß La Sale den ursprünglich ernsten Ton unter dem Einfluß der burlesken, derben Erzählungsliteratur vergröbert habe. Trotz der vielfachen Retardierungen, Abschwenkungen und scheinbaren Änderung im Gange der Erzählung ist aber die Einheitlichkeit des Ganzen schon dadurch gegeben, daß La Sale im ersten Teile das Erwachen und die Förderung einer zunächst idealen Liebe beschreibt, vielleicht in der Absicht, seine pädagogischen Erfahrungen auf eine Romanfigur zu übertragen, während der zweite Teil den Bruch dieses Bundes erzählt. Hand in Hand damit geht die Entwicklung der Charaktere in der Erzählung. Die kokette, sinnlich gezeichnete Frau, welche den Jüngling leitet, ihn ihren Absichten gefügig macht, wird selbstverständlich gekränkt und verletzt, als ihr Schützling sich ihrem Einfluß entzieht, sie sucht und findet schnell Ersatz. So bereitet La Sale den Bruch vor, der sich psychologisch aus frauenhafter Eigenliebe und Flatterhaftigkeit erklärt. Einfacher ist die Charaktereigenschaft Saintrds, der als treuer und offener Held geschildert erscheint. Am immittelbarsten wirkt die Zeichnung des Mönches mit seiner Ausgelassenheit und Sinnlichkeit, welche traditionelle Züge verwenden kann. Eine neue Rolle ist in dem Roman der Gesellschaft zugewiesen, sie tritt in ihren geselligfeines Betragen und Lebensfreude bejahenden Betätigungen in den Vordergrund und bietet die Möglichkeit zu eingehenden, lebenswahren Beschreibungen verschiedener Szenen ständischen Lebens, über das sich der Autor manchmal mit versteckter Ironie ergeht. Kleinere Abhandlungen La Sales sind Gelegenheitsschriften zu besonderen Anlässen. Le Reconfort de Madame de Fresne, am 14. Dezember 1457 in Vendeuil-sur-Oise geschrieben, will die über den Tod ihres Sohnes trauernde Frau von Fresne durch den Hinweis auf gleiches oder größeres Leid anderer Mütter trösten. Der erste Bericht greift eine Episode des 100jährigen Krieges heraus, in welcher die Heldin, die Frau des in Brest von den Engländern belagerten Du Chastel, lieber ihren als Geisel gefangenen Sohn enthaupten läßt, als daß sie ihrem Gatten den Rat gibt, die ihm anvertraute Festung zu übergeben und so das
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Leben ihres Kindes durch eine unritterliche Handlung zu retten. Die zweite Erzählung berichtet, wie die Mutter des portugiesischen Ritters Vasco Fernandez de Tayde den Tod ihres Sohnes vernimmt. La Sale schreibt in eindringlichem Tone, er versteht es, den Schmerz der Mutter zum Ausdruck zu bringen und weibliches Empfinden zu analysieren. Des anciens tournois et faictz d'armes (1459), auf Wunsch seines früheren Zöglings Jacques de Luxembourg, Sohn des Grafen von Saint Pol, verfaßt, enthält neben Beschreibungen von Turnieren und Wappen auch persönliche Erinnerungen, welche in lebhafter Schilderung und lebendig erfaßten Bildern die Vergangenheit, in der ritterliche Betätigung in Ehren gehalten wurde und sich in Veranstaltungen von Turnieren, Festlichkeiten äußerte, der Gegenwart gegenüberstellt. Das in derselben Hs. stehende Gedicht, La Journée d'Onneur et de Prouesce (503, 8Silb.), aus dem Jahre 1547, ist eine Traumallegorie, in der Dame H o n n e u r die Klagen von Prouesse und anderen ritterlichen Eigenschaften darüber entgegennimmt, daß heute die wackeren Ritter vergeblich im Dienste von Honneur ihre Taten verrichten. Nach längerer Wechselrede mit den verschiedenen Allegorien verspricht Honneur, eine Untersuchung anzustellen und das Urteil nach einem Jahre bekannt zu geben. Auch hier ist der Grundgedanke derselbe, daß Tapferkeit und Rittertum nicht mehr dieselbe Würdigung wie früher finden. — La Sale ist in seinen Anschauungen und auch in der Art seines literarischen Schaffens in der Tradition des Mittelalters befangen, sein Aufenthalt in Italien hat ihn weder den dortigen Schriftstellern noch dem Altertum näher gebracht. Er steht in philosophischen und moralischen Anschauungen auf dem Boden der Kirche, deren Autorität er anerkennt und welche ihm als Vorbild dient. Der Geist der Antike macht sich nirgends bemerkbar, die lateinischen Schriftsteller sind nur Autoritäten, die als Anführungen dienen. Er ist in seinen moralischen und pädagogischen Schriften ein Vertreter der aristokratischen Bildung und Ideen, er bleibt impersönlich und zurückhaltend. Nur dort, wo er Selbsterlebtes wiedergibt, macht sich schon in seinen Kompilationen der Blick für die Realität bemerkbar. Erst im Petit Jehan de Saintré zeigt er scharfe Beobachtungsgabe und die Fähigkeit individueller Charakterzeichnimg, Sinn für Humor und gehaltvolle Satire. Durch diese Eigenschaften bereitet er die moderne Novelle mit ihren neuen Forderungen,
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Beachtung der Wirklichkeit in Charakteren und Schilderung der Umgebung, fortschreitende Handlung und lebendiger Stil, vor. In Zusammenhang mit den Prosaromanen des 15. Jahrhunderts, von denen sie sich jedoch durch ihren allegorisch zu deutenden Inhalt und mystischen Einschlag unterscheiden, stehen die Romane, welche der Herzog René der Gute von Anjou, Graf von Provence (1434), König von Neapel und Sizilien, verfaßte. René von Anjou wurde 1409 geboren und suchte nach unglücklichen Kriegen, welche ihn fast aller seiner Besitzungen beraubten und ihn selbst lange Zeit in der Gefangenschaft des Herzogs von Burgund den politischen Ereignissen der Zeit fern hielten, Trost in der Beschäftigung mit Poesie und Kunst, denen er bis zu seinem Tode im Jahre 1480 ein stets gewogener Freund blieb, so daß er von manchen als ein Vorläufer der Renaissance betrachtet wird. Seine stille, in sich gekehrte Natur machte ihn auch für andere Künste empfänglich, er beschäftigte Maler und bildende Künstler an seinem Hofe, förderte das geistliche Drama und die Bühnenspiele, korrespondierte mit Gelehrten im Ausland, die ihm, wie Antonio Marcello aus Venedig, lateinische Handschriften für seine Bibliothek übersandten, in der sich auch eine griechische Bibel befand. In seiner Dichtung macht sich ein reflektierender oft melancholischer Zug der Ergebung bemerkbar, der manchmal mystischen Einschlag zeigt und ihn dazu führt, die Kunst der Allegorie bis zur äußersten Grenze derVerständlichkeit zu vertiefen. Als früheste Dichtungen sind die in der Handschrift seines Vetters Charles enthaltenen Rondeaux zu betrachten (Champion II, S. 293, 296, 297, 297—98, 299), die ihn unter dem Namen Sicile einführen und welche die am Hofe von Blois vertrauten Themen der klagenden, bittenden und nachgrübelnden Minne in teils unabhängigen, teil als Antwort gegebenen Rondeaux behandeln. Renés erstes Prosawerk ist der seinem Bruder Charles d'Anjou, compte du Maine, gewidmete Traictid de la forme et devis comme on fait les tournois, 1451—52 geschrieben (Ms. B. N. fr. 2692), als nach einer Reihe von glänzenden Turnieren der Pas de Tarascon diese Festlichkeiten abschloß. Er beschreibt hierin die Einladung und Herausforderung an den Herzog von Burgund, gibt eine genaue Schilderung des Turnieres mit seinen verschiedenen Einzelheiten in Vorbereitimg, Verlauf und Verteilung der Preise. Die langatmige, umständliche Darstellung, welche allen Einzelheiten gerecht werden will, deutet schon auf die in den späteren
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Werken hervortretende Eigenart Renés als Schriftsteller hin, in weitausholenden, oft gezwungenen Sätzen, in Häufungen von Worten seine Gedanken in allen Einzelheiten auszudrücken. Seine Hauptwerke aber sind zwei allegorische, die Voraussetzungen des Rosenromans und der höfischen Epik verbindende Erzählungen, deren Grundgedanke infolge der weitgeführten Allegorien von Personen, Orten, Geräten und Handlungen, ferner infolge ihrer breiten, epische Aktivität nachahmenden Handlung, schwer in einheitlichem Sinne herauszuheben ist. Das frühere Buch, Mortifiement de vaine plaisance, 1454 geschrieben und demErzbischof Jean Bernard von Tour s gewidmet, verarbeitet die religiösen Anschauungen über die Nichtigkeit des Irdischen, Reue und Weltflucht, von Gottes Barmherzigkeit und seiner Gnade in gedrängter, durch den Stoff oft absichtlich schwer gehaltener Prosa, in welche sich Versstellen mischen. Die Seele des Menschen bangt vor dem jüngsten Gericht und erhebt schwere Anklagen gegen das Herz, dessen Streben nur auf irdische Freuden gerichtet ist. Zwei Frauen nahen sich ihr in dieser Verzweiflung, die eine heißt Gottesfurcht, das Schwert der göttlichen Gerechtigkeit schwebt über ihrem Haupte, die zweite, die Reue, hält in der einen Hand eine Geißel, während sie mit der anderen mea culpa an ihrer Brust bekennt. Nach langen Reden, die sich oft in gekünstelten Gleichnissen ergehen, übergibt die Seele den beiden Frauen das Herz zur weiteren Läuterung. Ihre Wanderung führt sie zu einem hohen Berg, auf welchem der Garten der frommen Gedanken mit blühenden oder schon Früchte tragenden Bäumen liegt. In diesem Garten stehen vier Frauen mit verschiedenen Attributen als Verkörperungen christlicher Tugenden um ein am Boden liegendes Kreuz. Der Glaube hält einen schweren eisernen Nagel in der einen und den Hammer der Erkenntnis in der anderen Hand, die Hoffnung einen silbernen Nagel und den Hammer der Barmherzigkeit, die Liebe einen goldenen Nagel und den Hammer des Gehorsams. Die vornehmste der vier Frauen, die göttliche Gnade, ist an den Symbolen der Allmacht, der Allwissenheit und der Allgüte kenntlich und erfaßt mit der rechten Hand eine Lanze, deren Teile allegorisch gedeutet werden, indem der Lanzenschaft die Betrachtung der vergänglichen irdischen Güter vorstellen, die Lanzenspitze dagegen die Erkenntnis des ewigen Lebens bedeuten soll. Gottesfurcht und Reue bitten die vier Frauen, das sündige Herz zu Gott zurück-
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zuführen und es von der irdischen Lust zu befreien. Dies soll dadurch geschehen, daß das Herz auf dem Kreuze büßen soll. Jeder Blutstropfen, der unter den Schlägen von Glauben, Hoffnung und Liebe dem Herzen entquillt, ist die Sühne für ein früher begangenes Vergehen. Der Lanzenstich der göttlichen Gnade läßt dem Herzen dann alle eitle, irdische Lust entfließen. Gottesfurcht und Reue geleiten das entsündigte Herz der Seele zurück, welche Gott in einem Dankgebete preist. Abwechslungsreicher ist die Handlung im Livre du Cuer d'amours esj>ris (1457), worin der Dichter unter dem Bilde einer epischen Abenteuerfahrt, welche von den allegorischen Gestalten personifizierter Eigenschaften ausgeführt wird, den Werdegang und das Ende einer im höfischen Sinne gedachten reinen Liebe beschreiben will. Ritter Cuer, vom Knappen Desir begleitet, zieht aus, um die Dame Doulce-Mercy aufzusuchen, welche in der Gewalt von Reffus, Honte und Crainte schmachtet. Cuer reitet auf dem Rosse Franc-Vouloir, er begegnet Dame Esperance und kommt zur einsamen Hütte der Zwergin Jalousie, welche sie auf einen falschen Weg weist, der sie in den Wald der Longue Attente führt. Hier rasten sie an einem Zauberbrunnen, dessen auf dem Brunenrand verschüttetes Wasser ein heftiges Gewitter entfesselt. Es ist der Brunnen des Unglücks, den der Riese Desespoir von Vergil ausheben ließ. Sein Wasser bringt den Dürstenden Unglück und Mißgeschick, da es sich aus dem Brunnen in immer breiterem Strome als Fluß der Tränen in die Welt ergießt. Die weitere Fahrt führt Cuer durch verlassene einsame Gebiete in ein Tal, wo Melancholie lebt, die ihnen Brot, aus dem Mehle der Qualen und dem Wasser des Tränenflusses bereitet, vorsetzt. Dann geht es weiter zu einer Brücke, wo Cuer von Souci im Zweikampf in den Fluß gestürzt, jedoch von Esperance gerettet wird. Er gelangt dann in das Schloß von Tristesse und Courroux, den er besiegt. Die Hinterlist von Tristesse lockt ihn in ein Verließ, Desir jedoch entkommt und eilt zum Liebesgott, der gerade zu einem Kriegszug gegen Malle - Bouche rüstet, welcher mit seinen Freunden Crainte und Reffus die Dame Doulce-Mercy gefangen hält. Renaud erhält den Auftrag, Cuer zu befreien, mit Hilfe von Plaisir und Deduit erobert er das Schloß von Tristesse und zerstört es. Cuer und Desir setzen ihre Fahrt fort und kommen nach weiteren, allegorich zu deutenden Retardierungen zum Meer der Liebe, auf das sie sich in der Begleitung von Fiance und Entente
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hinauswagen. Nach einem schweren Sturme landen sie an der Insel von Compagnier und Amitié und erreichen nach kurzen Halten die Insel des Liebesgottes, auf der sich das Hospital d'Amours erhebt, an dessen Pforten Courtoisie sie begrüßt und zu Pitié, der Äbtissin des Klosters, geleitet. Das Schloß enthält den Friedhof der treuen Liebhaber und gibt Anlaß zu ausführlicher Beschreibung seiner Wunder. Cuer erhält endlich von Amor die Erlaubnis, die Dame Doulce-Mercy aus der Gewalt von Reffus zu befreien, doch mußte er früher schwören, die Gebote der reinen Liebe, so wie sie im Rosenroman enthalten sind, zu beachten. Cuer erzwingt sich durch Largesse den Eintritt bei Reffus und Doulce-Mercy will ihn als Ami annehmen. Der Kuß, der dieses Bündnis besiegeln soll, wird jedoch von Reffus und den Mesdisans vereitelt, dann aber doch gewährt und die Dame zieht nun zum Schlosse Amors. Doch auf dem Wege dahin überfällt Reffus den Zug, Desir fällt, Cuer, schwer verwundet, muß seine Dame Crainte und Honte überlassen. Pitié ruft Cuer ins Leben zurück, doch als der Ritter das Schicksal seiner Dame erfährt, bittet er Pitié, ihn in das Hospital d'Amours zurückzuführen, wo er seine Tage beschließen will. Der Roman steht unter dem Einfluß der Dichtung Karls von Orléans, dessen Allegorien hier zu epischer Aktivität geführt werden. Unter Renés Namen gehen noch französiche und lateinische Briefe, ferner Gedichte auf seine Tochter Margarete sowie auf die Passion Christi (s. Chichmareff, Rom. 55, 1929, S. 214ff.). René bewegt sich in seinen Anschauungen durchaus in der Tradition des 13. und 14. Jahrhunderts, sucht aber deren Hauptgattungen und zwar die allegorische Dichtung in der Weise des Rosenromans und der höfischen Lyrik sowie die ritterliche Epik zu vereinigen. Er steigert die Eigenart dieser Gattungen, dadurch aber auch ihre Schwächen, welche in der Konzeption und Anlage seiner Dichtungen als eine auch für damalige Begriffe ungewöhnliche Klügelei oder künstlich gesteigerte epische Aktivität seiner Personifikationen hervortreten, ohne dabei sein Vorbild, den Rosenroman, zu erreichen. Antikes Wissen bleibt ihm, wenn nicht fremd, doch abseits seiner Anschauungen, welche ihn als Nachahmer der nationalen Literatur, unberührt von den neuen aus Italien kommenden Tendenzen, zeigen. Unter Renés Einfluß steht der imbekannte Verfasser des satirisch didaktischen Romans L'Abuzé en court, der in der Hs. B. nat.
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fr. 12. 775 einem C h a r l e s de R o c h e f o r t zugeschrieben wird. Es ist eine Warnung vor dem Hofdienst, in der bitteren Art von Deschamps, nur werden die Ausfälle dem Abuzé zugewiesen, der sie in seiner Unterredung mit dem Dichter vorbringt. Die Tendenz des Werkes tritt schon in der Allegorie hervor, die Unbeständigkeit höfischer Gunst durch das Verhalten von Dame Court zu charakterisieren, um welche Abuzé ungeachtet der Vorstellungen seines Freundes Temps wirbt, bis er nach Verlust seines Geldes von der Dame selbst hinausgestoßen wird und nun als Bettler durch die Welt ziehen muß. Das Werk, das in Stil und Ton von Renés Schriften abrückt, dürfte wahrscheinlich von den im Mortifiement ausgesprochenen Tendenzen beeinflußt worden sein, hebt aber den Gedanken der Weltunzufriedenheit oder Weltflucht ungleich schärfer hervor.
DIE NOVELLE Was dem Roman infolge seiner Einstellung versagt blieb, Leichtigkeit der Darstellung, Bedachtnahme auf Realistik und Charakterzeichnung der Personen, konnte in der kürzeren Novelle in rascher Entwicklung der angeführten Punkte bald zu einer neuen Erzählungskunst führen, die neben der Unterhaltung auch andere Ziele ins Auge fassen durfte. Der Name Nouvelle tritt erst nach der französischen, von Laurent de Premierfait 1414 abgeschlossenen Übersetzung des Decameron an Stelle der älteren Bezeichnung 'istoire' für eine kürzere Erzählung unterhaltenden oder belehrenden Inhalts. Aus dem Ende des 14. Jahrhunderts datiert die von einem Italiener herrührende Prosafassung der kurzen Verserzählung von der Chastellaine de Vergy. Der Redaktor deutete den Eigennamen Vergy als vergier und spricht von einem Garten, den die Chastelaine zum Geschenke erhalten hatte, während er den in der Dichtung erwähnten Tristan (V. 760) zu ihrem Geliebten macht. Auf Petrarcas lateinische Übersetzung von Boccaccios Griseldisnovelle geht die vor 1414 geschriebene französische Erzählung zurück, der bereits ein französisches Griseldis Drama voranging. Der lateinische Text der Historia Septem sapientium, die ihrerseits eine Übertragung der altfranzösischen Prosa des Roman des sept sages vorstellt, ist die Grundlage der Ystoire des Sept Sages, gedr. 1492, und ihr zur Seite tritt eine Prosabearbeitung des lateinischen Textes auch der
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Disciplina clericalis des Petrus Alfonsus in Hs. Brüssel 11043, Inc. Pierre Alfonsus, serf. Unbekannt sind die Grundlagen einer Nachahmung der Disciplina, des erzieherischen Exempelbuches Livre de merveilles in Hs. Bibl. nat. 189, Inc. En tristesse et en langueur, in 10 Büchern und 124 Kapiteln mit Erzählungen und Fabeln, die hier gleichfalls ein Vater seinem Sohn (Felix) vorträgt, der dann auf Reisen geht, um die Welt kennen zu lernen, aber nachher Mönch wird und im Kloster sein Leben beendet. Die Vielseitigkeit La Sales erklärt es, daß auch die als 'glorieuse et édifiant oeuvre' bezeichneten Cent nouvelles nouvelles lange Zeit La Sale zugeschrieben wurden. Sie sind eine Sammlung ausgelassener und meist obszöner Geschichten, welche vielleicht in Genappe während des Aufenthaltes Louis' XI., der als Dauphin die Gastfreundschaft Philipps des Guten von 1456—1461 in Anspruch nahm, entstanden sind und für welche man letzthin auch noch den Kämmerer des Herzogs von Burgund P h i l i p p P o t , seigneur de la Roche, der selbst 15 Erzählungen beisteuerte, als Redaktor in Vorschlag bringt. Die Zuweisung an la Sale stützt sich hauptsächlich auf den Umstand, daß er in der 50. Novelle als derjenige genannt wird, der diese Erzählung vorgetragen hätte, außerdem glaubte man, scheinbare stilistische Ähnlichkeiten zwischen seinen Werken und den Cent Nouvelles Nouvelles feststellen zu können. Dieser Annahme steht zunächst La Sales eigenes Bekenntnis aus dem Jahre 1459 in der Abhandlung über die A n c i e n s t o u r n o i s gegenüber, wo er sich als 'viel' bezeichnet, was ihn für die Zeit der Cent Nouvelles Nouvelles in ein Alter von 74 Jahren rücken müßte. Am schwerwiegendsten aber sind die inneren Gründe, welche gegen die Mitarbeiterschaft La Sales an dieser Sammlung sprechen. Er ist vornehmer, ein besserer Psychologe, der auf künstlerische Wirkung Wert legt, was gerade in der ihm zugeschriebenen 50. Geschichte, einer der gröbsten, nicht behauptet werden kann. Die in den Cent Nouvelles Nouvelles gezeichnete Gesellschaft ist La Sale fremd, sie selbst kennt die Forderungen der Courtoisie und des Anstandes, die er in seinen Werken vertritt, nicht und findet ihren eigenen Ausdruck in beißender Ironie und skeptischer Freude an den Schwächen der Umwelt. La Sale ist Aristokrat in seinen Anschauungen, der Redaktor der Cent Nouvelles Nouvelles folgt der Richtung der Fableaux und nimmt seine Personen aus den mittleren Ständen. Die Mehrzahl der Geschichten ist
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altes Erzählungsgut, das im Mittelalter allgemein verbreitet war. Der Redaktor übernimmt die bereits feststehenden Typen der in den fableaux auftretenden Personen, er zeigt dem Leser die sinnliche, verschlagene Frau mit ihrem Erfindungsreichtum an Einfällen, den tölpelhaften, leichtgläubigen Ehemann, den lüsternen Mönch, alle mit ihren Fehlern und anderen hervorstechenden Eigenschaften plastisch erfaßt, in knapper, oft zynischer Ausdrucksweise beschrieben, aus der nicht selten die Freude an Ausgelassenheit und an der Zote spricht. Unter den zahlreichen Personen ist die Hauptrolle der Frau zugedacht, welche, der Tradition entsprechend, mit allen bösen Eigenschaften der frauenfeindlichen Literatur auftritt. Ohne daß der Redaktor eine beabsichtigte Reihung seiner Themen geben wollte, lassen sich bestimmte Typen seiner Personen herausheben. Eine Anzahl von Geschichten stellt die wirkliche oder scheinbar dumme Frau in den Mittelpunkt der Erzählung (3, 14, 19, 44, 80), in anderen kommt die List, Verschlagenheit, Geschicklichkeit (16, 27, 61, 78), besonders aber gerne die Sinnlichkeit der Frauen zur Sprache (22, 48, 54, 82, 91, 92). Nur manchmal werden auch lobenswerte Eigenschaften wie Treue, Festigkeit gegenüber Verlockungen, Selbstbewußtsein, hervorgehoben (17, 24, 58, 59, 69). Der Ehemann spielt durchweg ein klägliche Rolle, er wird gewöhnlich noch verlacht, sein Schicksal als oft verdient hingestellt oder durch seine Dummheit erklärt. Seine Rolle tritt gegen die der Frau zurück. Die Liebhaber sind verschiedenen Ständen entnommen, wobei die Kleriker mit den gewöhnlichen Fehlern ihres Standes auftreten und wenig Sympathie finden. Die verschiedenen Figuren sind aber gut kontrastiert, die Exposition ist durchweg kurz und bereitet die Lösung derart vor, daß die Erzählung rasch weitergeht und der Bericht nicht selten anekdotenhafte Färbung annimmt. Fördernd ist in dieser Hinsicht der schnelle lebendige Dialog, der realistisch die Sprache des Alltags in Worten, Ausrufen, Fragen und bildhaften Redewendungen übernimmt. Literarische Ambitionen treten nirgends hervor, trotz des Hinweises auf Boccaccios Dekamerone und dessen 'subtil et tresorne langage' folgt der Franzose dem Italiener weder in der Kunst psychologischer Vertiefung noch in Anlehnung an die dort gegebenen Situationen. Der Sinn für Realistik offenbart sich in der Bedachtnahme auf Ort und Umstände, innerhalb deren die Personen handeln, der knappen Schilderung von Situationen, dem
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Eingehen auf Stimmungen, soweit sie andeutungsweise in die Handlung einbezogen werden. Psychologische Vertiefung oder Entwicklung von Charakteren wird nicht versucht, hier ist die Tradition wohl hindernd in den Weg getreten. Entsprechend der anekdotenhaften Fassung der Geschichten ist die Lösung mehr durch äußere Umstände als durch innere, logisch entwickelte oder psychologisch erklärte Begründung gegeben. Ein Fortschritt scheidet jedoch die Cent Nouvelles Nouvelles von den ähnlichen Erzählungen der Vergangenheit. Zum ersten Male macht die umständliche Erzählungsweise des Mittelalters raschem Flusse in Wort und Handlung, scharfer Beobachtung, Witz und gut angebrachter Ironie Platz, Eigenschaften, welche die Cent Nouvelles Nouvelles als die ersten modernen Novellen erscheinen lassen. Außer den Cent Nouvelles Nouvelles wurde noch eine zweite Sammlung von Erzählungen, die XV joyes de manage, la Sale zugeschrieben. Diese fallen aber, da sie in der 37. Novelle der Cent Nouvelles Nouvelles bereits als ein altes Buch erwähnt werden, nach Mitteilungen über Einzelheiten der Kleidung in die 20ger Jahre des Jahrhunderts und betonen ungleich schärfer als die jüngeren Cent Nouvelles Nouvelles den durch die Fableaux, Matheolus und vielleicht auch durch Deschamps' Miroir beeinflußten frauenfeindlichen Sinn des Verfassers, der nach den Worten des Prologs wahrscheinlich ein Geistlicher gewesen sein dürfte. Er will die verschiedenen Seiten des Ehelebens vorführen und die Leute warnen, den Ehestand auf sich zu nehmen. Daher schildert er die Nachteile des Ehestandes in den verschiedenen Typen der putzsüchtigen, koketten, falschen, sinnlichen Frau, die er in Anlehnung an die genannten Werke charakterisiert und in verschiedene, dem Alltag entnommene Situationen stellt. Er zeigt, wie es die Frau versteht, sich neue Kleider und Vergnügungen zu verschaffen (1, 2), führt die Sorgen der Ehe vor, in der die Kinder dem Manne Kummer, Geld und Mühe kosten und später auch noch den Eltern zur Last fallen (3, 4), kommt auf die Untreue der Frau, ihre Launen, Listen, Forderungen zu erreichen, zu sprechen (5, 6, 8), wobei Mutter und Tochter zusammenhalten, um den Mann zu täuschen (15), und gibt in einer Reihe von Bildern oder Reflexionen Einblick in das Eheleben, in welchem der Mann die Lasten und den Spott auf sich nehmen muß (9). In allen diesen Geschichten erscheint die Gröber-Hofer, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II.
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Frau (als Gattin, Dienerin oder Außenstehende) durchaus in der mittelalterlichen Auffassung als schlecht, berechnend und mit den gewöhnlichen Fehlern der Sinnlichkeit, Eitelkeit, Unverträglichkeit behaftet. Der Mann wird als geduldig, leichtgläubig hingestellt, ohne aber durch diese Eigenschaft in den Augen der Frau eine Anerkennung zu finden. Zu diesen realistischen Bildern treten nun die zahlreichen Zusätze, in denen der Verfasser seine Meinung über verschiedene Fragen zum Ausdruck bringt (14. Altersunterschied zwischen den Eheleuten). Rascher Dialog, lebhaft geführte Handlung, die sich nicht in Nebensächliches verliert, entsprechend gewählter, zutreffender Ausdruck in den erzählenden Partien, scharfe Beobachtung, die subjektives Urteil äußert, und gut gebrachte Vergleiche führen diese Geschichten in Form kurzer Szenen vor und geben diesem Beitrag zur frauenfeindlichen Literatur in Gegensatz zu den früheren gelehrten Abhandlungen den Eindruck gesehener, dem Leben entnommener Bilder. Das am Schluß der Hs. von Rouen stehende Rätsel, das den Anlaß bot, la Sale als Verfasser der X V Joyes zu betrachten, wäre nach einer neueren Erklärung auf Abbé de Saumur, Pierre II., zu deuten, der Ende des 14. Jahrhunderts gelebt hat. Ob die Ähnlichkeit der Übersetzung des hl. Hieronymus von Simon v. H e s d i n , der in der Art der X V Joyes gegen die Frauen loszieht, schon die Möglichkeit böte, Simon v. Hesdin als den Autor der X V joyes zu betrachten, muß dahingestellt bleiben. Die als NouveUes de Sens bezeichnete Sammlung von kurzen Geschichten, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts von einem Bürger aus Sens verfaßt, übertragen die frommen Erzählungen der Vie de peres in Prosa oder benützen bekannte Motive aus den Fableaux und der älteren Literatur als Anlaß zu moralisierenden Betrachtungen. Stil und Ausdruck dieser Erzählungen bleiben hinter den Cent Nouvelles Nouvelles und den X V joyes de mariage weit zurück. Als Novellen können infolge ihrer in sich abgeschlossenen Handlung, die für jede einzelne Geschichte neue Voraussetzungen und diesen angepaßte Charakteristik bringen, die von M a r t i a l d ' A u v e r g n e verfaßten Arrests d'Amour bezeichnet werden. Schon im 12. Jahrhundert hat A n d r e a s C a p e l l a n u s ein ähnliches Werk über Liebesfragen geschrieben, bei denen es zu Urteilssprüchen kommt, doch hat Martial die lateinische Schrift des Andreas nicht verwertet. Im 15. Jahrhundert hat dann der
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Streit um die Belle Dame sans mercy, der sich in ähnlichen Gerichtssitzungen über die Schuldigen gefiel (Baudet Herenc: Parlement d'Amour) die Anregungen zu den Arrests d'Amour geben können. Diese sind eine Sammlung von 51 fiktiven Prozessen, die über Liebesfragen gehen und vor einem (le Prevost de Deuil, le Baillif de Joye, le Vignier d'Amours) oder mehreren Richtern vor dem Parlement d'Amours (la court ou l'Eschiquier d'Amours) entschieden werden. Er urteilt unter Beibehaltung der feierlichen Diktion und der juristischen Formen des Palais über verschiedene Vorfälle, die ihren Inhalt den höfisch-galanten Sitten der Zeit entnehmen oder in den Gemeinplätzen der zeitgenössischen Liebesdichtung vorlagen. Als Vorläufer oder Anreger dieser eigenartigen Entscheidungen können Gedichte wie la Dame loyale en amour (Rom. X X X , 1901, S. 323/51) herangezogen werden, wo Desir mit einem Procureur auftritt, oder les Erreurs du jugement de la Belle Dame sans merci (Rom. X X X I I I , 1904, 183/99), i11 dem die Prozeßformen noch genauer beobachtet werden (vgl. außerdem noch: Jugement du triste povre amant banny, Rom. X X X I V , 1905, 379fr.). Der Jurist tritt bei Martial im Bericht der Anklage, dann in der Verteidigung und Beschreibung des betreffenden Falles hervor, auf welche in den Urteilen die Jurisdiktion der Gesetze des Royaulme d'amour angewendet werden. In streng gerichtlichem Verfahren wird daher ein Liebender verurteilt, der durch Täuschung das Mitleid der Geliebten erregte und sie veranlaßte, ihn zu küssen, und zwar hat er barfuß auf der Wallfahrt zu St. Valentin ein Weihgeschenk zu überbringen und sich diese Gabe bescheinigen zu lassen (1). Die Frau wird wegen Gefährdung ihres Liebhabers durch eine Hutnadel verurteilt (2). Ein ungestümer Liebhaber, der das Kleid seiner Dame küssen wollte und es so ungeschickt faßte, daß er ihr Hemd erblickte, wird aus ihrer Nähe verbannt und muß die Prozeßkosten bezahlen (4). Ähnlich ist die Anklage zu Nr. 11, wenn der ungeduldige Liebhaber seine Schöne, der er absichtlich ein Bein stellte, ungebührlich anfaßt. Ein anderer wird schuldig durch Abtretung eines Geschenkes seiner Dame (8). Ein Kuß wird reklamiert, den Verwandte von einer Dame übernommen haben (14), oder eingeklagt (21), oder es handelt sich um Kußraub (18) oder um eine verräterische Kammerfrau (19), einen falschen Freund (41), einen jähzornigen Liebhaber (49), einen groben Galan, der die Dame ohrfeigt (51), einen säumigen Freund
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(29), einen wortbrüchigen Galan, der auf Geschenke vergißt (46). Während viele Strafen mehr symbolischen Charakter haben, insbesondere dort, wo sie die Gefühllosigkeit der Frau treffen (9, 10, 12, 15, 25, 30, deren Angeklagte aus dem Reiche der Liebe verbannt werden), müssen manchmal auch wirkliche Bußen geleistet werden, Rückgabe von Geschenken, Gewährung von Gunstbezeugungen wie Kuß oder Umarmung; eine Kammerfrau wird an den Pranger gebunden, ein roher Liebhaber wird nackt in ein mit Ungeziefer durchsetztes Tuch eingenäht. Die in den Arrests auftretenden Personen sind teils Allegorien wie Faux Semblant, Malebouche, Dangier (49), teils wirkliche Personen, von denen die Frau als stolz und kalt, in der Art der Belle dame sans merci gezeichnet sind (9,10,30, 38), so daß der Liebhaber nicht selten zu Mißhandlungen sich fortreißen läßt, welche aber Geschenke annimmt (15,27,33), diese fordert (30), den Liebhaber hinhält (12, 44), ihm übel mitspielt (23), Ansprüche an Geselligkeit und Freude stellt (40) und ihre Entschlüsse und Handlungen als Ausfluß ihrer Laune verteidigt. In manchen Szenen zeigt sich scharfe Beobachtung, die sich in der Wiedergabe von Handlungen, Gebärden, Situationen und von Gegenständen, Kleidern usw. ausdrückt und im allgemeinen besser den Charakter der Frau als den des Mannes hervorhebt. Dieser ist noch oft in der Tradition des gefügigen Galans gezeichnet, während die Frauenrollen bestimmte Eigenarten durch Worte und Verhalten charakterisieren. Der Stil reproduziert die Amtssprache der Zeit, so daß das Buch sich schon dadurch der Kommentierung des Juristen B e n o i t de C o u r t empfehlen konnte, der seinen Komentar auf Grund der Äußerimg von 245 Autoren aller Zeiten herstellt. Martials Dance macabre des femmes wurde bereits früher erwähnt (S. 116).
BURGUND. An dem Hofe der Herzoge von Burgund, welche durch ihre kluge Politik und den Wohlstand des Landes bald mächtiger als die Könige von Frankreich werden konnten, hatte sich, begünstigt von den Fürsten, eine höfische Literatur entwickelt, die ihren Höhepunkt unter den beiden letzten Herrschern, Philipp dem Guten, von seinem Kaplan Raoul Lefevre 'pere des escripvains' genannt, und Karl dem Kühnen erreichte. Die Vertreter dieser
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rein höfischen Dichtling stehen zum Großteil im Dienste der Herzoge, denen sie huldigen, deren Ideen sie in Prosa und Vers verbreiten. Aus diesem Grunde faßt man alle für den burgundischen Hof tätigen Dichter, deren Aufgaben rein genealogische sind und welche in ihren Dichtungen politische Tendenzen verfolgen, unter dem Namen der burgundischen Schule oder Rhetoriqueurs zusammen. Ihre Eigenart ist ein pathetischer Stil, der von Zitaten durchsetzt ist, Sprachkünsteleien zum Besten gibt, schwer deutbare Allegorien enthält und schwierige Reimspielereien als Voraussetzung einer höheren Dichtkunst betrachtet. Als Vertreter dieser Richtung werden C h a s t e l l a i n , O l i v i e r de la M a r c h e , M o l i n e t , M e s c h i n o t , G u i l l a u m e C r e t i n , J e a n B o u c h e t genannt, denen sich dann noch O c t o v i e n de S a i n t - G e l a i s , J e a n M a r o t und J e a n L e m a i r e in ihren ersten Schriften anschließen und welche so in das nächste Jahrhundert überleiten. Die Tätigkeit dieser Schule ist auch eine humanistische insofern, als die rege Beschäftigung mit der Dichtung sich auf die Pflege der alten Schriftsteller ausdehnte und dadurch nicht nur eine lebhafte Übersetzungstätigkeit, sondern auch ein erhöhtes Interesse an den Werken der eigenen Literatur nach sich zog. Die Herzoge fördern dieses Interesse durch Kauf von Handschriften, welche geschickte Miniaturenmaler mit Meisterwerken ihres Pinsels ausschmücken, sie stehen mit allen bedeutenden Dichtern der Zeit in Verbindung und suchen deren Werke in ihre Bibliothek aufzunehmen. In dieser Hinsicht schließt diese burgundische Literatur an die von Karl V. geförderten Bestrebungen an, indem sie hier auf Vorarbeiten zurückgreifen kann, welche durch die Übersetzungen dieser Periode vorlagen. Bis zur Ermordung des Herzogs Johann in Monterau (1419) ist in den literarischen Beziehungen Burgunds und Frankreichs kein Gegensatz zu bemerken, erst nach dieser Tat geht das burgundische Haus auch in der Literatur seine eigenen Wege und erstrebt die Schaffung eines Unabhängigkeitsgefühles, das sich bei den Schriftstellern dieses Kreises deutlich zeigt. Die burgundische Literatur vertritt mit der politischen Strömung, in der sie ihre Eigenart entwickelt, bald Ideen, die sie im Dienst des Herrscherhauses nicht selten die eigentliche Aufgabe der Dichtung, Unabhängigkeit und Wahrheit in der Konzeption, Natürlichkeit und Verständlichkeit in Stil und Sprache, vergessen läßt. An der Pflege der Literatur sind von den burgundi-
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sehen Herzogen P h i l i p p der K ü h n e (1363—1404), J o h a n n o h n e F u r c h t (—1419), P h i l i p p der G u t e (—1467), der Balladen mit Charles d'Orléans wechselte, und K a r l d e r K ü h n e (—1477) beteiligt. Sie alle sorgen für die Erhaltung und Vergrößerung der burgundischen Hausbibliothek, deren Bestände durch 9 aufeinander folgende, von 1404—1504 reichende Inventare bekannt sind, aus denen gegen 900 Werke bestimmt werden können, welche das gesamte Schaffen auf dem Gebiete der religiösen, gelehrten und unterhaltenden Literatur umfassen. I. GESCHICHTLICHE DICHTUNG IN VERSEN
Die frühesten Dichtungen, welche burgundischen Geist atmen, sind anonyme Darstellungen der Zeitgeschichte. In die Kämpfe der flandrischen Städte gegen Louis de Male führt die Chronique rimée des Troubles de Fiandre (1280 8Silb.). Der unbekannte Verfasser, vermutlich ein Flame, schrieb wahrscheinlich während der Kriegsereignisse nach der Eroberung von Audenarde am 25. Mai 1384 und vor dem Frieden von Tournai am 18. Dezember 1385. Er steht auf der Seite des Adels und widmet seinen Bericht Philipp dem Kühnen. Die nur teilweise erhaltene Chronik, welche zeitgenössische Dokumente verwertet, erzählt einfach, im Stile der Chansons de geste, jedoch in schwerer und oft gesuchter Sprache, die das Französische für den Verfasser als ein erlerntes Idiom erkennen läßt. Johanns ohne Furcht Tod infolge des Attentats zu Montereau (1419) veranlaßte den allegorischen Panegyrikus eines Verfechters der burgundischen Politik im Streit um die Regentschaft in Frankreich nach dem Ausbruch des Wahnsinns bei Karl VI. Er nennt sich Bucarius (Bouchier) und seinGedicht Pastoralet (9141 8 Silb.) wird nach schriftlichen Vorlagen nicht vor 1422 verfaßt sein. Er klagt über den Zwiespalt der Fürsten, welche als Schäfer im Garten der Venus lustwandeln, und führt sie in die Provinzen und Städte Frankreichs, die als Gärten, Wiesen, Wälder usw. dargestellt sind. Eingelegte lyrische Stücke zeigen nicht selten didaktische Tendenzen. Die Lebensgeschichte Philipps und Johanns v. Burgund erzählt der unbekannte Verfasser (Pikarde) der im Ton der Heldenlieder gehaltenen Geste des ducs de Bourgoqne (10. 540 Alex.), die von 1389—1412 reicht, ursprünglich aber bis 1420 ging und besonders eingehend die Taten Johanns ohne Furcht erzählt. Die zwischen 1462 und 1463 entstandene Reimchronik von Floreffe, welche burgundische Partei-
LYRIK, DIDAKTIK
UND M O R A L IN
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nähme verrät, ist von einem sonst unbekannten S i m o n verfaßt. Kleinere geschichtliche Dichtungen s. Bibliographie. II. LYRIK, DIDAKTIK UND MORAL IN VERSEN
Die im Dienste des burgundischen Hauses stehenden Dichter sind in ihren Themen, sofern diese nicht bestimmte Interessen der Herzöge betrafen, der Zeitströmung gefolgt. In ihren lyrischen Dichtungen erörtern sie Fragen der Liebesdichtung in gezierter Sprache und übertriebenen Allegorien. In ihren lehrhaften und moralisierenden Gedichten äußern sie sich zu den damals üblichen Fragen, wenn sie über die Unbeständigkeit menschlicher Verhältnisse Erwägungen anstellen, an eigenes oder fremdes Schicksal Betrachtungen anknüpfen und, dem Pessimismus der Zeit folgend, im Bild des Todes oder der Verwesung den Abschluß alles irdischen Strebens sehen, wenn sie nicht Fortuna für den Wechsel auf dieser Welt verantwortlich machen. Moral und Belehrung schöpfen ihre Gedanken aus religiösen Vorstellungen oder mit größerer Vorliebe aus gelehrtem Wissen, das allegorisch-symbolisch verwertet wird. Aus dem Dienstverhältnis zum Hause Burgund entstanden zahlreiche Gelegenheitsgedichte, die politische Ereignisse oder gesellschaftliche Veranstaltungen zum Inhalt haben und so die direkte oder fernere Zugehörigkeit zum burgundischen Hofe bekunden. Gerade in diesen offiziellen Werken tritt die Eigenart der burgundischen Schule, der schwulstige, zu Übertreibungen neigende Stil, die Sucht nach ungewöhnlichen Ausdrücken, kühnen Allegorien und Wortspielereien, am deutlichsten hervor, die großen Rhetoriker George Chastellain, Olivier de la Marche und Jean Molinet, die an der Vers- und Prosadichtung gleich regen Anteil nehmen, haben ihr ganzes Leben der poetischen Verherrlichung des Hauses Burgund gewidmet und in dieser offiziellen Dichtersprache ihre Werke geschrieben. Die Tätigkeit dieser drei Dichter und Geschichtsschreiber, die einander ablösen oder ergänzen, wird in einem eigenen Abschnitt zur Darstellung gelangen, die folgenden Ausführungen befassen sich mit den Dichtern vor und neben den großen orateurs. Als Valet de Chambre Philipps des Guten und joueur de farces an seinem Hofe wird M i c h a u l t L e C a r o n , d i t T a i l l e v e n t (1426—47) erwähnt, dessen Name wiederholt in den Akten erscheint und der oft mit Pierre Michault verwechselt wird. Lehrhaft ist der Inhalt seines Regime de fortune, der unter dem Bilde
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des sich drehenden Rades von Fortune, das die Ursache des Wechsels in der Welt und Gesellschaft ist, die Unbeständigkeit der Verhältnisse zeigt, manche zutreffende, aus der Erfahrung geschöpfte Reflexion enthält und den Rat gibt, autant priser le pou que l'abondance, sich mit Gegebenem zu bescheiden, denn Ruhm und Reichtum seien vergänglich und von der Laune des Zufalles abhängig. Das gleiche Thema behandelt, vielleicht angeregt von Michault le Caron, der unbekannte Verfasser des Regne de Fortune (gegen 200 10 Silb. aa), das zwar Fortuna das Recht gibt, nach eigenem Ermessen zu handeln, jedoch Heimsuchungen aus Gottes Ratschluß erklärt. In Nachahmung von C h a r t i e r s B r e v i a i r e des nobles will der Psaultter des vilains (13 Balladen) sich gegen 'villenie' wenden, weshalb Michault die Personifikationen von Gentillesse, Sens, Franchise usw. mit moralisierenden Erörterungen vorführt. Elegisch ist der Abschied des Dichters von der Liebe, der Congié d'amours in 6 Balladen (Ms. Ars. 3521, fol. 255™—258), in dem er das Leid von Liebespaaren des Altertums und Mittelalters mit dem eigenen vergleicht, mit ihm steht wahrscheinlich der in gleicher Strophe geschriebene anonyme Congié d'amours (66 Str.) der Hs. Arsenal 3523, Inc. En ce temps de joyeulx esté, in Zusammenhang. Dieselbe Form wie der Congié weist La bien allee auf (Ms. Ars. 3521, fol. 249), deren 7 Balladen das Thema von Liebesleid fortsetzen, im Schluß jedoch einen Becher Weins, beim warmen Ofen getrunken, als Tröster vorziehen. Lebhaft und anschaulich erzählt er in der Destrousse M. T. dem Herzog von Burgund, wie er eine Nacht im Freien verbringen mußte und in die Hände von Wegelagerern fiel; ein gereimter Dialog beschreibt einen Ritt nach St. Claude im Jura und verrät scharfe Beobachtungsgabe. Der Rhetoriker zeigt sich in Ediffice de l'ostel dolloureux d'amours (6 Balladen), indem er Melancholie, Deuil, Detresse durch Male Saison ein Gebäude aufführen läßt, das von der Freude durch den Graben der Seufzer abgesperrt ist und worin er wohnen muß, während das Gegenstück, La ressource et reliefment de l'ostel dolloureux (Ms. Ars. 3521, fol. 255™—258) in 6 Balladen, das Walten von Bon Avis, Bon Gouvernement u. a. zeigt, welche das mit allem Luxus erfüllte Schloß zu einem Aufenthalt der Freuden machen. Der nach 1445 verfaßte Débat du coeur et de l'oeil ist der Traum eines Ritters, dem, als er auf einer Jagd die von ihm bewunderte Schöne verloren hatte, infolge seiner Er-
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müdung und trüben Stimmung die Augen zugefallen waren. Das Gedicht ( 1 1 3 8zeil. Str.) führt das alte Thema von Auge und Herz weiter, indem die beiden Gegner vor Amour ihren Streitfall mit den Waffen austragen wollen; der Zweikampf folgt den Phasen eines wirklichen Turniers und wird von Amor auf die Bitte von Pitié abgebrochen, Venus entscheidet, daß beide sich vertragen sollen, da das Herz ohne Auge nicht lieben könne, und ordnet an, daß der Vorgang durch ein Edikt bekannt gemacht werde. Sein gelesenstes Werk ist der Passetemps um 1450 (93 7zeil. Str.), der Pierre Chastelain zu seinem Gedicht Temps perdu veranlaßte, mit Sentenz am Ende jeder Strophe. Es ist die vom alternden Dichter ausgesprochene, oft tief empfundene Klage über die sorglos verbrachte schöne Jugendzeit, in der er über der Freude an der Natur und am Dichten vergaß, für die späteren Jahre zu sorgen. Plötzlich überfiel ihn Vieillesse, welche die Bäche der Freude versiegen ließ, er fühlt die Bürde der Jahre und ergeht sich in trüben Reflexionen über die Beschwerden des Alters und die hilflose Lage des Armen, dem oft der Tod ausweicht, um ihn Povreté zu überlassen. Demgegenüber zeigt er das behagliche Dasein des Reichen, der in geordneten Verhältnissen lebt und sich auch nach dem Tode Messen lesen läßt. Auch derbere Bilder fehlen nicht, wenn der Dichter die Freuden der Liebe der senilen Begierde und Schwäche des angehenden Alters entgegenstellt. Als Tendenz der Gedichte tritt in wiederholten Hinweisen die Mahnung hervor, die Jugend und Männerjahre zu nutzbringender Arbeit zu verwenden, um im Alter versorgt zu sein, denn 'vieulx homme ne peut rajouvenir'. — Gelegenheitgedichte verwerten Anregungen der Zeit. Das Festgedicht Songe de la Toison d'or (88 8zeil. Str. und Ballade), anläßlich der Gründung des Ordens vom Goldenen Vließ durch Philipp den Guten kurz nach der ersten Sitzung des Ordenskapitels 1431 verfaßt, erzählt in der üblichen Frühlingseinkleidung einen Traum, der den Dichter in einen Palast versetzt, wo er Bonne Renomee und andere Allegorien antrifft, welche ihm die gefeiertesten Kämpfer des Altertums und Mittelalters vorführen, die den Toisonorden mit seinen Würden und Abzeichen gründen. Der Traictiét über die Einnahme von Luxemburg 1443 erzählt den Zug Philipps gegen Luxemburg und die Einnahme der Stadt, die Pronostication de Luxemburg und ein zweites Gedicht ohne Titel (Ms. v. Valenciennes 776, fol. 129V0) behandeln mit Hinweis auf antike Parallelen dasselbe
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Ereignis. Ein Lay bringt Betrachtungen über die Macht des Todes in den Anschauungen der Danse macabre. Die einzige handschriftlich erhaltene Moralité (Bibl. v. Valenciennes, Ms. 776, fol. 113V0), dürfte für den Araser Frieden (1435) entworfen worden sein. Schon die Personen Povre Commun, Guerre, Pouvoir Papal, Envoyé du Concile, lassen den Inhalt erkennen, der eine Verherrlichung des Friedens in Frankreich, eine Aufforderung zur Eintracht und die Verurteilung des Krieges darstellt. Taillevents dichterische Themen folgen den Anregungen der Zeit. Er ist ein geschickter Reimer, doch mangelt ihm der hohe Gedankenflug, der durch Bedachtnahme auf die Wirklichkeit gehemmt wird. Ausdruck, Darstellung und Ideen verraten den Hofmann, der sich auf die Interessen seiner Umgebimg einzustellen versteht. Vielseitigere Erfahrung und tiefere Kenntnisse als Taillevent bringt der in Charles' Rondeauxsammlung vertretene, aus der Normandie gebürtige maistre Martin le F r a n c , geb. g. 1410, in seinen Dichtungen zur Geltung, die er für Philipp den Guten schrieb, obwohl er in Savoyen seit dem Ende der dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts lebte. Nach gelehrten Studien in Paris und ausgedehnten Reisen wurde er Sekretär des 1439 zum Papst (Felix V., — 1449) erwählten Herzogs Amadeus VIII. von Savoyen, der ihn 1443 zum Probst des Kapitels zu Lausanne und päpstlichen Protonotar machte. Er behielt diese Stellung auch unter Papst Nikolaus V. (seit 1449), und Herzog Louis von Savoyen, dem Nachfolger des Amadeus von Savoyen. Seit 1459 verwaltete er noch die Abtei Novalese bei Susa. Er starb 1461. Seine vielseitige amtliche Tätigkeit dürfte ihm kaum eine fortdauernde Pflege der Dichtimg erlaubt haben, allein seine einkömmliche, unabhängige Stellung gewährte ihm die Möglichkeit, vielfach die freieren Ideen der beginnenden neuen Zeit zur Sprache zu bringen. Diese persönliche Stellungnahme und sein scharfes Urteil treten in seinem großen Hauptwerke hervor, das die von Christine de Pisan eingeleitete Bewegung zugunsten der Frauen für das 15. Jahrhundert dem Abschluß nahe brachte, im Livre du champion des dames (g. 3000 8zeil. Str.), einer umfassenden, Zeit- und Wissensfragen behandelnden allegorischen Traumdichtung, die er 1440 begann und 1442 Philipp von Burgund sandte. Er sieht in Amors Schlosse, wo gerade ein Fest mit Tanz gefeiert wird, den Kampf zwischen Franc Vouloir und Streitern der Malebouche, erblickt Venus in ihrer Schönheit und Häßlich-
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keit, kommt zum Friedhof der Liebenden mit den Gräbern geschichtlicher Personen, der Dame sans merci und Gestalten, die, wie bei Dante, von Teufeln gequält werden, und vernimmt in Amors Kapelle die Botschaft von der Versöhnung Philipps und Karls VII. von Frankreich. Den Hauptteil des Werkes bildet jedoch der in oft kräftigen Ausdrücken geführte Redekampf zwischen Franc Vouloir und Malebouche, welche die Macht Amors, die Schönheit der Frauen und ihre Tugenden aufzählen, sich über die Nachteile, die allzuschnelle Liebe den Männern verursacht, äußern, die Fehler der Frauen als Folge der Verführung und Täuschung von Seiten der Männer erklären, ruhmwürdige Eigenschaften der Frauen, die der Rosenroman und der Matheolus verschwiegen, berichten, wofür Gewährsmänner wie A. Chartier, Augustinus, Ambrosius, die Bibel und eine außerordentliche Fülle historischer und literarischer Beispiele (Artusromane, Schwänke) angeführt werden. Franc Vouloir, der Sieger im Streit, der auch politische Fragen aufgreift und sie in zahlreichen Exkursen behandelt, erhält von Vérité den Lorbeer. Der Versuch, die Vorurteile gegen die Frauen auch auf Grund der von ihm zitierten Autoritäten und durch seine Gegenargumente abzuschwächen, gelang le Franc nicht. Selbst die Huldigungen, die er einer großen Zahl bekannter zeitgenössischer Damen spendete, machten keinen Eindruck, da die von dem Dichter gegebene, Vilain Penser in den Mund gelegte Aufzählung der von den Frauen begangenen bösen Taten die Argumentation für die Frauen abschwächte. Das Buch selbst beklagt sich in einem Epilog Complainte du Livre du Champion des Dames (60 8zeil. Str.) darüber und le Franc fand den Grund hauptsächlich in der scharfen Kritik, die er, außer an den Anschauungen der Zeit in seinen Ausfällen gegen Aberglauben, Astrologie und Hexenwahn, auch an Personen, Ereignissen und Zuständen in Staat und Kirche, vor allem aber an dem Adel und dessen Parteinahme zugunsten der Engländer geübt hatte, woraus sich auch das Mißfallen des Herzogs Philipps erklärte, der das Buch giftig nannte. Die Schwäche des Werkes liegt in dessen wechselndem Eindruck, der infolge der Gegensätze zwischen mystischer Frömmigkeit und beißender Ironie, ja nicht selten freier Auffassungen, ferner infolge des Übergewichts gelehrter Zugaben und der Ungleichmäßigkeit des Tones kein abgeschlossenes Urteil erlaubt. Für die Einschätzung des weiblichen Geschlechtes und der Liebe sind
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le Franc die Ansichten von Froissart, Christine de Pisan, Alain Chartier und Charles d'Orléans maßgebend. Auf Philipps Wunsch ging er an die Aufgabe, die zweite, im Mittelalter gerne behandelte Frage von der Macht des Glücks zu erörtern. Sein aus Prosa und Stücken in verschiedenen Strophenarten bestehender Estri/ de Fortune et de Vertu, g. 1448, wendet sich gegen die Ansicht der Zeit vom blinden Walten des Glückes, indem die Tugend vor dem Richterstuhle der Vernunft an zahlreichen geschichtlichen Beispielen und unter Berufung auf die an Höfen herrschenden Zustände nachweist, daß Charaktereigenschaften, Vorzüge und Fehler, aber nicht Glück oder Zufall bestimmenden Einfluß auf das Los von Menschen und Staaten in der Vergangenheit und Gegenwart nahmen. Der Streit geht zwar zugunsten von Vertu aus, doch Fortune entfernt sich, um zu beweisen, daß sie imstande ist 'l'empire troubler, changer et remuer la paix de plusieurs royaumes et contrées, et mesmement partir et diviser l'Eglise en unité et sur ferme pierre com l'on dit fondée'. Mit diesem Urteil vertritt demnach Le Franc eine ungleich höhere Auffassung über die Verantwortlichkeit des Menschen seinem Schicksal gegenüber als T a i l l e v e n t in dem ziemlich gleichzeitigen Regime de Fortune. — In der Darstellung greift Le Franc gerne über sein Thema hinaus und beschäftigt sich mit allen Fragen, welche der Umschwung der Anschauungen nahe legt. Er wendet sich gegen den Hexenwahn, gegen Aberglauben, Astrologie und tadelt oft das Verhalten von Klerus und Adel. Seine Satire und Allegorie wird schwer und umständlich, ist weniger persönlich als intellektuell erfaßt, ohne aber die im Rosenroman gegebenen Vorbilder zu erreichen. Nur manchmal erhebt er sich zu wirklicher Beredsamkeit, wenn er einzelne ihm nahe gelegene Fragen erörtert (das Bild politischer Verhältnisse in Frankreich, Klagen über soziale Mißstände, Mahnungen an die Stände und Kritik an ihrem Verhalten). Seine Ansichten stützt er außer durch persönliche Erfahrung noch durch gelehrte, auf antiken und mittelalterlichen Autoren fußende Beweisführung. Ausdruck und Reim ist fließend und ungezwungen auch in längeren Perioden, poetische Bilder und Vergleiche ergeben sich leicht und zeigen ausgedehnte Belesenheit in alter und neuerer Literatur. Seine Rondeaubergerette, die in einem Rondeau Antoines de Loraine, Graf von Guise, ihr Vorbild gehabt zu haben scheint, Inc. Le jour m'est nuit, folgt den Anschauungen der höfischen Lyrik.
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Auf andere Weise als Le Franc versucht P h i l i p p B o u t o n , ein Vetter Oliviers de la Marche, Ecuyer am Hofe von Burgund, und ein Freund des Grand Bâtard de Bourgogne, die Verteidigung der Frauen in seinem Miroir des dames (54 7zeil. Str., 8Silb. a b a b b c c) Inc. Ce livret a l'honneur des famés. Die Schrift ist ein Lobpreis zu Ehren der Jungfrau Maria, aller dem Dichter bekannten edlen Frauen bis auf seine Zeit, darunter mancher Berühmtheiten aus Boccaccio, die in einem gleichartigen anonymen Gedicht Mors pour les mal embouchiez ebenfalls wiederkehren. Er betont die Tugenden der Frauen, Demut, Geduld, nebst den anderen Vorzügen, die sie den Fehlern der Männer gegenüber aufweisen, und besingt die Sibillen und 9 preuses. Bouton verfaßte außerdem ein derbes Gedicht (134 Str. a 6 v), deren Strophen bis auf die letzte mit dem Worte 'Gouge' beginnen, und 'Dictz', darunter ein Regime pour longuement vivre (Ms. 3 3 9 1 , Wien, fol. 5 1 0 V . ) . Dem gleichen Kreise um Bouton gehören noch zwei anonyme Gedichte an, Les Coquards (44 Str.) und les Serviteurs, von denen das erste 20 Arten der Gecken aufzählt, sie entschuldigt und verteidigt, während das zweite Gedicht die verschiedenen Arten schlechter Diener nach ihren charakteristischen Eigenschaften bespricht (v. Piaget, Rom, 47, 1921, S. 170, 179). Im Dienste Philipps stand Jean R e g n i e r , Herr von Guerchy, geb. um 1390, gest. 1467, der weit in der Welt herumgekommen war, Palästina, Jerusalem, Alexandrien, Kairo, Venedig, die Inseln des mittelländischen Meeres gesehen hatte und nach seiner Rückkehr die Stelle eines Amtsmannes von Auxere bekleidete. Als er im Jänner 1432 auf einer Fahrt nach Rouen von den Franzosen in Beauvais gefangen gehalten und erst nach 17 Monaten freigelassen wurde, schreibt er im Kerker sein Gedicht, Fortunes (Faitz) et adversités, worin er seine Gefangennahme erzählt, gegen das hohe Lösegeld protestiert, sich in langen Reflexionen über sein früheres Leben ergeht und seinen Aufenthalt im Kerker schildert, wo er sich mit Dichten die Zeit vertreibt, Besuche empfängt und Balladen für andere schreibt, dabei aber nicht vergißt, die Leiden des Gefangenen zu Tages- und Nachtzeit aufzuzählen. Er entwirft ein BUd der Kriegsgreuel, äußert empfundene Klagen über Frankreichs Erniedrigung (V. 1639) und preist in einem Lay die Segnungen des Friedens, den zu verwirklichen er verschiedene Ratschläge gibt (S. 75). Philosophische
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Betrachtungen über den Wechsel von Glück und Unglück, über seine vergeblichen Befreiungsversuche kommen in verschiedenem Zusammenhang zum Ausdruck, ein kurzer Prosabericht, der erzählt, wie er infolge einer Verleumdung bald hingerichtet worden wäre, unterbricht das Gedicht, welches Selbsterlebtes und Erinnerungen aus seiner Lektüre (S. 77) miteinander verbindet und durch die Unmittelbarkeit der Mitteilungen, welche vielfach Einblick in die Zeit Verhältnisse gewähren, fesselt. Eingestreut sind Lais, Virelais, Chansons, Balades, Rondeaux, Complaintes, Gebete an die Heiligen, Briefe an seine Familie und ein Testament, das allem Anschein nach ernst gemeint war und einen Epilog als Grabschrift bringt. Gelegenheitsgedichte aus späterer Zeit behandeln Ereignisse aus dem Hofleben oder erörtern persönliche Angelegenheiten. So zählt eine Requeste an den Herzog seine im Gefängnis erduldeten Leiden auf und bittet um Beistand, eine Complainte über den Tod der Anne de Chameigny (V), eine Ballade anläßlich eines Hoffestes in Chalons-s.-Marne (1445), eine Ballade für die Herzogin von Burgund und ihre Damen in Reims (VIII), eine A n t w o r t an den Grafen von Nevers (X), ein Rondel sind seine den Hof betreffenden Dichtungen. Eigene Ansicht über Neid und Mißgunst in der Welt, deren Vergänglichkeit, äußert er in der Balade morale (IV) mit der bezeichnenden Frage: Ou est Artus, ou est Hector de Troye, Ou sont les preux qui crierent Montjoye?, während Nr. VI und IX gegen den Statthalter des Gebietes von Auxerre, Philippe de Jancourt, gerichtet sind. Trübe melancholische Stimmung kommt in der 1460 für seine Frau geschriebene Ballade (XII) zum Ausdruck, die auf seine Jugendzeit zurückblickt und nur den Wunsch nach Ruhe, Frieden erkennen läßt. Aus Regniers Dichtungen spricht eine gedämpfte Melancholie, die in manchen Zügen zum Pessimismus wird, wenn der Dichter seine Urteile über menschliche Verhältnisse abgibt, sich Todesgedanken überläßt oder Vergleiche mit der Vergangenheit anstellt, die er der Gegenwart vorzieht. Er findet leicht den Reim und gebraucht die seiner Zeit bekannten poetischen Bilder und Vergleiche, ohne eigene Wege zu gehen. Am besten gelingt ihm die Wiedergabe persönlicher Stimmung, die er in kurzen, treffenden, oft schlagwortähnlichen Ausdrücken verständlich machen kann. Didaktisch-moralisierende Themen erörtern die Dichtungen des Pierre Michault. Er war Priester, wurde am 11.November 1466
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Sekretär Karls von Charolais, des späteren Herzogs von Burgund, September 1468 ist er Kaplan im Dienste des Artus de Bourbon, dessen Name zwischen 1464 und 1473 in Urkunden belegt ist. Michault's Gedichte fallen in einen Zeitraum von sechs Jahren. Der Proces d'Honneur feminin ist vor 1461 geschrieben, la Danse aux aveugles fällt vor 1465, die Complainte, Inc. En ung pays loingtainement distant über den Tod der Isabella von Bourbon, Gemahlin Karls von Burgund, ist nach dem 26. September 1465 verfaßt. Der Doctrinal de court (rural; du temps present) gehört in das Jahr 1466. Michault abzusprechen sind zwei Gedichte, die ihm zugeschrieben wurden, und zwar eine zweite Complainte, Inc. Maudicte mort, über den Tod Isabellas von Bourbon, und der Pas de la mort, Inc. N'a pas long temps que je vivoye (81 Str.), als deren Autor A m é de M o n t g e s o y e bestimmt wurde. Michault's Doctrinal de court (1466), der für Philipp von Burgund verfaßt ist, bringt in einer Traumallegorie (Prosa und Verse) eine herbe Kritik über den moralischen Niedergang der Zeit, welche Vertu aus ihren Schulen vertrieb, so daß sie in einem Walde Zuflucht suchte. Hier trifft sie der Dichter und wird von ihr zu den Lastern der Zeit, Hochmut, Habsucht, Schwelgerei, Schmeichelei usw. geführt, die unter den Großen und auch im Volke herrschen, in den Schulen selbst Unterricht über das ihrer Natur entsprechende Verhalten nach dem grammatischen Doctrínale puerorum des Alexander von Villedieu erteilen und nach abgelegtem Examen den Schülern akademische Grade zuerkennen. Dann kommt der Dichter in die Schulen der Tugenden (Gerechtigkeit, Mäßigung, Überlegung usw.),welche früher die großen Männer der Vergangenheit unterrichtet und herangezogen hatten, jetzt aber zur Untätigkeit verurteilt sind, da sie keine Schüler mehr finden. Die durch Häufung der grammatischen Ausdrücke oft schwer erkenntliche Kritik soll durch das als Charakteristik vorgeführte Verhalten der Lasterhaften verständlicher und durch das einfache, oft rauhe Wesen der Tugenden kontrastiert werden. Unter dem Einfluß von le Francs Champion des dames steht Michaults Beitrag zum Kampfe für die Frauen l'advocat des dames oder Proces d'honneur feminin (Bibl. Ars. ms. fr. 3521, fo. 195., Jardin de Plaisance, s. C X C I I ) , eine Vision, in welcher ein von Malebouche und ihren Gefährtinnen überfallener und arg zugerichteter Ritter seine Klage vor Raison bringt. Sein Anwalt ist Vray
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rapport, der, von Alain Chartier, Le Franc, Boccaccio unterstützt, lange Reden mit dem Advokaten Malebouches, Faux parler, wechselt, dem wieder die Frauenfeinde Jehan de Meun, Matheolus und Juvenal zur Seite stehen. Der Prozeß, in dem beide Teile in ihren Plädoyers die bekannten Gründe für und gegen die Frauen anführen, wird von Raison zugunsten der weiblichen Ehre entschieden. Den Titel von Michaults Dichtung übernahm noch am Ende des 15. Jahrhunderts ein M a x i m i e n für seine satirische gegen die Frauen gerichtete Schrift l'advocat des dames de Paris. Die Traumeinkleidung eröffnet, hier ungleich glaubwürdiger gestaltet, auch Michaults bekanntestes Werk, la danse aux aveugles (Prosa und stroph. Abschnitte; vollendet nach Hs. Bibl. nat. n. acq. fr. 10722 am 15. März 1564), das den Tanz der Menschen um den Thron der drei blinden Mächte beschreibt, die sie 'par accordance' beherrschen. Es sind dies Amour, Fortune und der Tod, de nature ennemye (S. 67). Entendement belehrt den Dichter, der mit Trauer die Reden der blinden Mächte vernommen hat, daß ernste Beschäftigung, Beherrschung der Begierden und der Gedanke an den Tod imstande sind, die Menschen von der Herrschaft dieser drei Tyrannen zu befreien. Packender Realismus und lebendige Darstellung, welche epischen Fluß mit reflektierendem, lehrhaftem und moralisierendem Inhalt verbindet, sind die Vorzüge dieses Gedichtes, das nur gegen Ende durch zu starke Betonung der didaktischen Tendenz abfällt. Michault ist belesen, er kennt die Kirchenväter und die antiken profanen Autoren, er entnimmt Petrarcas De vita solitaria. Boccaccios De claris mulieribus und auch den Quinze joyes de mariage manche Gedanken und Anregungen. Er zeigt Vorliebe für die Ausdrücke der Umgangssprache und für volkstümliche Wendungen, neben denen oft eigene Einfälle und ein gewisser Schwung der Sprache nicht unangebracht erscheinen. Unbekannt ist der Verfasser eines Karl des Kühnen gewidmeter Lyon coronné (Verse und Prosa), einer Traumallegorie, in welcher Envie und Loyale Entreprise sich bemühen, einen jungen Löwen an sich zu locken. Loyale Entreprise wird von Diligente Poursuite, Ample Faculté, Perseverance und Glorieuse Fin unterstützt und Envie muß ihr Vorhaben aufgeben (Doutrepont 1. c. S. 324/25).
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III. DIE GROSSEN R H E T O R I K E R : GEORGE CHASTELLAIN, OLIVIER DE LA MARCHE UND JEAN MOLINET
Als Dichter und Geschichtsschreiber des burgundischen Hauses ist G e o r g e C h a s t e l l a i n , was Zahl und Eigenart der Werke betrifft, wohl der bedeutendste. Gegen 1405 bei Gent in Flandern geboren, studierte er in Loewen (1430), nahm dann an den burgundischen Kriegszügen teil und konnte sich infolge seiner weiten Reisen, die ihn nach dem Frieden von Arras 1448 unter anderem auch an den Hof Karls von Orléans führten, in dessen Manuskript er unter dem Namen 'George' auftritt, als 'Abenteurer (l'aventurier)' bezeichnen. Er kam zuerst durch Pierre de Brézé in französische Dienste, aus denen er 1446 schied, um an den burgundischen Hof zu gehen, wo ihn Herzog Philipp der Gute in verschiedenen diplomatischen Missionen, die ihn nach Frankreich, Deutschland und in die Bretagne führten, verwendet. Um 1456 ließ er sich in Valenciennes nieder, wo ihm der Herzog Philipp ein Haus überlassen hatte; als offizieller Geschichtsschreiber des burgundischen Hauses lebte er hier, mit einer Pension bedacht, der Ausarbeitung seiner Chroniques. Er starb 1475, zwei Jahre vor seinem Tode noch durch die Erhebung in den Ritterstand von Karl dem Kühnen geehrt. Chastellain ist in erster Linie Hofdichter, der die politischen Ereignisse und die den Hof interessierenden Fragen für seine Dichtung verwertet. Außerhalb dieser Gruppe stehen zwei Gedichte, die literarische Anregungen der Zeit, Totentanzdichtung und Liebeskasuistik, aufgreifen. Le pas de la mort, auch Miroir de la mort, der das Motiv der Vision des Todes mit der Ars moriendi verbindet, bringt in den Betrachtungen über den Tod seiner Geliebten, die sich vor ihrem Hinscheiden über die Nichtigkeit der irdischen Güter, die Vergänglichkeit des Ruhmes belehren ließ, den Gedanken zum Ausdruck, daß alle Menschen vor dem Tode gleich seien, was an Vertretern der Stände (Hofmann, Ritter, Bürger) gezeigt wird. Das zweite Gedicht L'oultrée d'amour (214 meist 8zeil. Str.) wirft in schwer verständlicher Allegorie die Frage auf, ob man zweimal lieben dürfe ohne aufzuhören, ein vollkommener Amant zu sein. Chastellain sieht im Traum einen Tempel mit dem Standbild des Gottes Amor, ihm zu Füßen ein Grab. Ein Ritter ergeht sich in heftigen Ausfällen gegen den Gott, dem er die Schuld am Tode seiner Herrin vorwirft, die hier begraben liegt. Doch sein Knappe zeigt ihm die Gröber-Hofer, Gesch. d. mittelfrz. Lit. II.
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Grundlosigkeit seiner Anklagen, der Ritter kehrt in die Welt zurück, wo er, nachdem er vom Knappen gefragt wurde, ob sein Leben nur mehr der Trauer gewidmet sein soll, erklärt, bloß der Ehre wegen an seine frühere Dame gefesselt zu bleiben. Chastellain, der auf Wunsch des Knappen diese Erzählung festhält, überläßt die Entscheidung des Streitfalles seinen Lesern. Fraglich ist es, ob 24 Rondeaux, darunter 23 gleichgebaute, zur Unterweisung höfisch Liebender, zu denen sich der Dichter gleichfalls zählt, ihm angehören. In der Mehrzahl seiner Gedichte behandelt Chastelain jedoch Zeitereignisse oder Angelegenheiten, welche in den Interessenkreis des burgundischen Hofes fallen. Die Vertreibung der Engländer aus der Normandie durch König Karl VII. besingt er im Thrône azuré (21 8zeil. Str.), in welchen er die Leiden Frankreichs als eine Folge früherer Verfehlungen hinstellt, dabei aber auch Gelegenheit zu heftigen Ausfällen gegen die Engländer findet. Dem Herzog Philipp ist ein B r i e f aus dem Jahre 1456 gewidmet (69 8zeil. Str.), der Chastellain in seinen Huldigungen, welche Eigenschaften des Herzogs rühmen, als geschickten Hofmann erkennen läßt. Ein zweites Schreiben an Christinens Enkel Jean Castel (11 8zeil. Str.) ist ein Lob auf den Genannten, der in gleicher gezierter Weise antwortete. Den Tod als Sprecher führt die Gedenkrede (20 8zeil. Str. und Balladen) auf den Seneschall von Anjou und Normandie P i e r r e de B r e z é (gest. 1465) ein. Philipp von Burgund wird in einer B a l l a d e als zweiter Hektor und letzter Alexander gepriesen, die das burgundische Wappen betreffende Interpretation von dem Löwen (lion rampant) gab Anlaß zu ähnlichen Gedichten, in denen Molinet in der Ballade Souffle Triton, Gilles d'Ormes mit Changez propos, Petit Darc von Rouen mit Souffle Vulcan, ferner die anonyme Ballade Souffle Ethna die von Chastellain gegebenen Anregungen weiter führen. Auf Herzog Karl beziehen sich die Souhaits au duc Charles de B. (1468), dem hier Adel, Geistlichkeit, Klerus und Kaufleute nebst Glückwünschen für das Gedeihen seines Hauses und Reiches auch Ratschläge für seine Regierung aussprechen. Doch läßt er Karl in einer dialogischen Erwiderung (Soubs forme de dyalogue) die ihm ausgesprochenen Lobsprüche, die nur dem König bzw. Philipp gebühren, zurückweisen. Die politischen Gedichte Chastellains beginnen mit den im Jahre 1446 an König Karl VII. gerichteten M a h n u n g e n vor
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dem Kriege (36 8Silb) und einem G e s p r ä c h (6 4zeil. Str.), in welchem Heinrich VI. von England seinen Partnern Karl und Philipp von Burgund erklärt, daß er aus ihrer Feindschaft Gewinn ziehe. Als dramatisches Gedicht läßt sich nach der Anlage und den Bemerkungen des Dichters über die Haltung der Personen die Complainte d'Hector bezeichnen (Prosa und strophische Abschnitte), in welcher Alexander am Grabe Achills vor Troja die Versöhnung Hektors mit Achilles bewirkt, nachdem beide Helden in längerer Wechselrede sich über ihren Vorrang in Vorwürfen und Entgegnungen, welche bekannte Tatsachen der Sage wiederholen, ausgesprochen hatten. Die Tendenz des Gedichtes scheint dahin zu gehen, Achilles, der Hektor gegenüber die Schuld, seinen Feind durch einen Hinterhalt erlegt zu haben, eingesteht, den Fürsten als ein Beispiel edler Selbstüberwindung vorzuhalten, wobei auch auf andere Herrscherpflichten in versteckter Form hingewiesen wird. Deutlich tritt diese Absicht im Miroer des nobles hommes de France (26 I5zeil. Str.) hervor, in welchem dem Adel die Mahnung gegeben wird, vertus und 'honnesté publique' zu achten, den Wechsel im Leben nicht zu vergessen und den anderen Ständen ein Vorbild in allen guten Eigenschaften zu sein. Er findet starke Worte für diese Forderungen, wenn er erklärt, die Macht des Adelsstandes beruhe nicht auf seinem Schwerte, sondern auf seinen sittlichen und gesellschaftlichen Vorzügen. Als Richter fühlt sich Chastellain im Dit de vérité (70 8zeil. Str.), einer scharfen Antwort auf die Angriffe der Franzosen gegen Philipp, der damals dem Dauphin Ludwig Gastfreundschaft gewährt hatte, worin er den Franzosen wegen ihres Stolzes und ihrer Anmaßung Vorwürfe macht und sie daran erinnert, daß sie nur durch 'douceur' Vorteile erreichen werden. Der schlechte Eindruck dieses Dit, der das Nationalgefühl der Franzosen verletzt hatte, soll in der Exposition sur Vérité mal prise, in der die allegorischen Gestalten Réprobation, Accusation, Vindication, Dame Paix mit Paix de coeur, Paix de bouche usw. auftreten, abgeschwächt werden (s. später). Die warnenden Ausführungen eines als Fürstenspiegel zu betrachtenden Gedichtes, les princes aus dem Jahre 1453 (25 6zeil. Str.), dessen Strophen je eine schlechte, dem Fürsten abträgliche Eigenschaft unter Hinweis auf bekannte Vorbilder besprechen (zum Thema s. Rom. 47. S. 170,179), übernimmt Meschinot als envois für sein bald darauf verfaßtes Gedicht Balades de princes (1454). Gelesenes •3'
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und Selbsterlebtes berichtet Chastellain in seiner Recollection de merveilUs advenues en nostre temps (43 8zeil. Str.), eine Sammlung von Berichten über Zeitereignisse, welche mit dem Auftreten der Jungfrau von Orléans beginnt und teils Charakteristiken von historischen Persönlichkeiten oder die Darstellung von bemerkenswerten Vorfällen enthält. Die Sammlung, deren Strophen oft mit den Worten J'ai vu eingeleitet werden, hatte wegen ihrer einfachen, ungezwungenen Darstellung großen Erfolg und wurde später von Molinet fortgesetzt. Zweifelhaft ist die Urheberschaft Chastellains an der Complainte de fortune (91 7zeil. Str.), welche das Thema von der Unbeständigkeit des Glückes in zahlreichen aus der Gegenwart entnommenen Beispielen erörtert und Stetigkeit nur in Gott erblickt. Das von Antoine de Vergy nach 1461 angelegte Sammelwerk Les douze dames de rhetorique enthält von Chastellain Prosabriefe und ein Antwortschreiben (in 50 8zeil. Str.) mit einigen Sprüchen der Alten, in denen Chastellain sich als Mensch und Schriftsteller charakterisiert, jedoch Philipp von Burgund dankbar das zuerkennt, was er bisher geleistet hat. Religiöse Themen behandeln die Louange de la Vierge, ein beredter Ausdruck der Verehrung der Jungfrau, und der Chastellain zugeschriebene Lai de nostre dame de Boulogne, ferner 5 Balladen, welche Mahnungen über die Nichtigkeit der Welt und den Hinweis auf den Tod enthalten. In Versen schrieb Chastellain noch zwei politische und zwei Exequialmysterien, die letzteren gewissermaßen dialogisierte Leichenreden, die jedenfalls im engeren Kreise anläßlich der Ereignisse, die sie behandeln, aufgeführt wurden. Bezweifelt kann werden, ob das schon ins Jahr 1431 fallende, wahrscheinlich bald nach der Eröffnung des Basler Konzils geschriebene allegorische Concile de Basle (Schluß fehlt; g. 1200 8- und 4Silb.) von Chastellain herrührt, ein dramatisches Spiel zwischen Konzil Reformation, Paix, Häresie, Eglise und France, von denen die letzteren, die ihren Krankheitszustand beklagen, durch Reformation (Gerechtigkeit) und Paix getröstet werden, die ihre Pflichten besser zu erfüllen versprechen. Häresie soll aus den Städtei gewiesen, jedoch von der Kirche nicht ausgeschlossen werden Chastellains Namen trägt das Mystere la paix de Peronne (g. 700 V. in 8 verschied. Str.), das den Frieden zwischen Ludwig den XI. und Karl den Kühnen behandelt (1468). Coeur uni Bouche, Avis und Sens huldigen den beiden als weisesten Fürsten
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welche durch ihre Versöhnung das Lob der Geschichte verdienten. König Karl VII. ist Mort du roi Charles VII (60 8zeil. Str.) gewidmet. Er läßt den verstorbenen König Karl von Frankreich von seinen treuen Dienern Abschied nehmen, sie alle rühmen die im Dienste des Staates geleistete Pflichterfüllung und erklären den Tod für das Vaterland als patriotische Pflicht, welche der Acteur in einer Schlußrede an die Zurückgebliebenen und an Frankreich betont. Eine Klage über den Tod Herzog Philipps von Burgund ist das Mystere par maniéré de lamentations (über 1000 8Silb.) aus dem Jahre 1468. Die Erde muß vom Menschen den Vorwurf hören, gegen ihn grausamer zu sein als zu anderen Geschöpfen, die Erde verteidigt sich mit dem Hinweis auf die Anmaßung des Menschen und Gottes Entschließung, ihr verbleibe der Körper, der Himmel kann die Seele, die Engel die Tugenden, der Mensch das Vorbild des Verstorbenen für sich in Anspruch nehmen. Der Himmel erklärt sich bereit, die Gebete der im Stücke auftretenden Allegorien zu erhören, mit der Begrüßung an Karl schließt das Stück. Aus dem Amte Chastellains als Historiograph ergeben sich mehrere Dichtungen, in denen er sich über politische Fragen oder historische Ereignisse äußert und seine Stellungnahme zu den von ihm behandelten Fragen kundgibt. Die Exposition sur Vérité mal prise (vor 1461) ist eine Begründung des hier wiederholten Dit de Vérité, worin er den Franzosen wegen ihrer Überhebung und ihres Stolzes unangenehme Wahrheiten gesagt hatte. Indignation, Réprobation, Accusation und Vindication, die in der Gestalt alter Frauen mit entsprechenden Attributen erscheinen, überhäufen ihn mit Vorwürfen, unterstützt von Imagination française, welche die Ausfälle des Dit gegen Frankreich Strophe für Strophe aufgreift und erklärt. Für den Dichter spricht die eigene Seele in den drei Gestalten von Entendement, Memoire und Volonté, welche im Dialog mit Imagination française die erhobenen Behauptungen durch Hinweis auf geschichtliche Ereignisse verteidigen oder die Gründe für seine Anklagen erhärten. Das Gedicht schließt mit der Erklärung Chastellains vor dem König, sein Dit sei nur ein Versuch gewesen, Frankreich und Burgund zu versöhnen. Trotz der Allegorie entwickeln sich die Gedanken ungezwungen, die Reden zwischen den einzelnen Personen verlaufen schnell und ohne den Schwulst der Rhetoriqueurs: Neben dem König Karl VII. und dem Herzog von Burgund ge-
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spendeten Lob kommt Chastellain auch auf seine moralischen und politischen Ansichten, ferner auf seine literarischen Arbeiten zu sprechen. Ludwig X I . begrüßt bei seiner Thronbesteigung 1461 der Traité sur l'entree du rot Loys en nouveau regne. Die an die Spitze des Gedichtes gestellte Vision, in der Chastellain die Wallfahrt der Hirten nach Bethlehem sieht, gibt die Möglichkeit allegorischer Deutung der Personen, sie läßt ihn den neuen König als Friedensfürst begrüßen, der, wie der Dichter hofft, den Herzog von Burgund den ihm gebührenden Platz zuerkennen wird. Dabei äußert er sich auch über öffentliche Zustände, Fragen des Rechtes und der Politik, deren Lösung er vom König erwartet, dessen Wirken im Sinne einer nationalen Einigung und Versöhnung erfolgen möge. An Ludwig wendet er sich in einer zweiten Schrift Deprecation pour messire Pierre de Brezd, Seneschall von Anjou und Normandie, den der König ungerechterweise ins Gefängnis geworfen hatte. Ein Traum führt den Dichter in einen Wald, wo er in einem früher reichen, jetzt aber verfallenen Hause Noble Sang, mit seiner Frau Noblesse humaine und ihrer Tochter Vertu findet. Noble Sang, der Sohn des Seneschalls, beklagt den Wechsel des Schicksals und bittet zahlreiche Adelige, unter ihnen auch den verstorbenen König Karl VII., bei Ludwig Fürsprache für seinen Vater einzulegen. An Karl den Kühnen richtet er sein Avertissement au duc Charles sous fiction de son propre entendement parlant à lui-même, eine Fürsprache für die Stadt Gent. In einer Vision werden dem Herzog durch Clair Entendement und Connoissance de Toi-mesme, welche dem Fürsten einen Spiegel vorhält, Belehrungen gegeben, welche außerdem durch andere allegorische Gestalten wie Peur, AigreDesir, Vergogne, Convoitise d'honneur, Ardeur de bien faire, Nécessité publique usw. ergänzt werden und dahin gehen, die Erbschaft seiner Vorgänger zu wahren, gutes Beispiel zu geben, gerecht zu regieren und dadurch die Liebe seiner Provinzen zu erwerben. Auch hier wendet sich der Dichter gegen die Franzosen, Ludwig XI. tritt in der Zeichnung hinter Karl zurück. Zusammenfassend wiederholt Chastellain im Livre de Paix seine Ansichten über die Pflichten der Regierenden, wobei jedoch die Allegorie die klare Deutung oft erschwert. Ein Traum zeigt ihm ein Zelt, dessen Säulen und Mast die Deutung von Cremeur de Dieu, Connoissance de soi-mesme, Considération juste et Conclusion nécessaire ergeben. Im Zelt ermahnt Paix Ludwig X I . und Karl
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den Kühnen, dem Dichter erscheint sein eigener Geist unter der Gestalt von Sens superficiel und Entendement pénétrant, welche die Aussichten des Friedens miteinander besprechen und so Gelegenheit haben, ihren pathetischen Dialog mit historischen und moralischen Exkursen zu versehen, welche aus Sallust und Livius die zur Belehrung der Fürsten geeigneten Stellen herausheben. Als Trostschrift für die 1461 entthronte Königin Margarete von England, Renés von Anjou Tochter, ist der Temple de Boccace gedacht, zu welchem Boccaccios Schrift de casibus virorum et feminarum illustrium den Stoff und die Voraussetzung bieten. Die Bitte der Königin, ihr eine Abhandlung über fortune zu schreiben, erklärt die Vision des Dichters, der sich plötzlich innerhalb eines Friedhofes mit reichgeschmückten Gräbern sieht, in denen Tote verschiedener Völker aller Zeiten ruhen. In der Mitte dieser kreuzförmigen Begräbnisstätte erhebt sich ein runder Tempel mit Bildern, welche auf die Vergangenheit der Toten Bezug haben. Im Tempel war ein Grab, das niemand öffnen kann und welchem Boccacio auf den Ruf Margaretens entstieg, um die den Tod ihres Gemahls betrauernde Königin zu trösten. Vier Tugenden und zwar Prudence, begleitet von Memoire, Intelligence mit Prévoyance, Justice mit Droit naturel, Force mit Temperance, Foi mit Asperance und Dame Charité erscheinen, um mit ihren Worten Christine Linderung in ihrem Schmerz zu spenden, indem auf das Loos anderer Verstorbener hingewiesen wird, die größeres Leid erdulden mußten. Nach einer Ermahnung an die Königin, den Frieden des Herzens zu suchen und in tugendhaften Werken nach Vollkommenheit zu streben, versinkt Boccacio in das Grab, das sich über ihn wieder schließt. Trotz der moralisierenden Tendenz fehlt die eigene Stellungnahme des Dichters nicht, indem Chastellain über die Persönlichkeiten seiner Zeit, ihre Vorzüge und Fehler urteilt, Vergleiche mit der Vergangenheit zieht, allgemeine Erörterungen an geeigneten Stellen anschließt und so eine Nutzanwendung für die Gegenwart gewinnen will. Sentenzen und allgemeine Erörterungen sind absichtlich in die an Margarete gerichteten Tröstungen eingeflochten und entsprechen dem auf Belehrung und Bildung bedachten Zuge der Zeit. Unvollständig ist Chastellains großes Geschichtswerk Livre de tous les haülz et gratis faits de la crestienté, souverainement de ce noble royaume de France et de ses dépendances depuis l'an vingt
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jusqu'a maintenant. Die Chronique umfaßt 54 Jahre, doch weisen sowohl die einzelnen Bücher als auch der Zusammenhang unter ihnen Lücken auf. Das erste Buch geht von 1419 bis 1422 und wurde gegen 1454 geschrieben, das zweite reicht von 1430—1432, wurde 1461 verfaßt und 1465 umgearbeitet. Am dritten, das die Ereignisse der Jahre 1452 bis 1453 berichtet, dürfte bereits Molinet mitbeteiligt sein. Buch IV erzählt die Vorfälle von 1454 bis 1458, das V. Buch, die Fortsetzung bis 1460, ging verloren. Das VI. Buch, 1461 bis 1466, ist in Bruchstücken erhalten und V I I reicht von 1467 bis 1470. In Buch I steht eine auf das Jahr 1471 bezügliche Eintragung. Als Gewährsmänner kamen für die Frankreich, England und Deutschland betreffenden Zeitereignisse Augenzeugen und Teilnehmer, daneben auch offizielle Dokumente in Betracht, ferner frühere Chroniken oder eigene Wahrnehmungen. Daher sind Chastellains Zeitangaben oft ungenau, während der Bericht außer Tatsächlichem gerne auch unwahrscheinliche, legendenhafte Züge übernimmt. Was er vom Hörensagen kennt, bezeichnet er als solches, Gewährsmänner werden öfters namentlich eingeführt, er selbst tritt dagegen in den Berichten zurück. Den von ihm verzeichneten Ereignissen will er unparteiisch gegenüberstehen und Freund und Feind gerecht werden. Aus diesem Grunde verschließt er sich auch nicht den Fehlern hochstehender Personen, obgleich er weiß, wie gefährlich ein solcher Freimut ist, er kritisiert das Verhalten Ludwigs X I . und Karls des Kühnen, weiß aber den Tadel klug zu mildern. Als Aufgabe schwebt ihm nicht allein die Nacherzählung von 'aucunes choses par mattiere de croniques, fais notables dignes de memoire' (I, S. X X V I I I ) vor, er bemüht sich vielmehr, aus dem Erzählten Schlüsse zu ziehen, Vergangenes mit den Ereignissen der Gegenwart in Parallele zu stellen und die sich ergebende Nutzanwendung festzuhalten. Seine Gedanken beruhen auf sittlichen Anschauungen, die ihm auch Großen gegenüber freimütige Worte erlauben. Er predigt Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Bedachtnahme auf das allgemeine Wohl, Erhaltung des Friedens, Schutz des Rechtes auch den niederen Ständen gegenüber. Fehlen diese Voraussetzungen in der Geschichte der Völker, herrschen vielmehr Ehrgeiz und Stolz, so sind die sich daraus ergebenden Wirren als Strafgericht Gottes hinzunehmen, wie denn überhaupt als Grundgedanke seiner Geschichtsphilosophie das Rechtsprinzip, auf christlicher Anschauimg beruhend, zu betrachten
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ist. Daher warnt er Fürsten und Adelige, diese Standespfiichten zu vergessen, ihre Aufgabe ist es vielmehr, eigene Interessen dem allgemeinen Wohle hintanzustellen. Im einzelnen zeigt Chastellain Vorliebe für eingehende Charakteristik der von ihm genannten Personen, er entwirft seine Portraits in kurzen Worten, ergänzt sie manchmal durch Anekdoten, gebraucht auch Vergleiche, von denen der auf Ludwig X I . bezogene bis heute fortlebt: 'La grande araignée tissant sa toile au centre du monde chrétien', führt die Personen reflektierend oder im Gespräch vor, läßt sie von Zeitgenossen beurteilen, analysiert ihre Neigungen und Gewohnheiten und sucht die im Hintergrunde wirkenden Kräfte anschaulich zu machen. Als Beispiel für diese Kleinarbeit kann das von Philipp und Karl entworfene Portrait Déclaration de tous les hauts faits et glorieuses aventures du duc Philippe de Bourgogne gelten, das in der Chronik den Übergang von Philipp zu Karl bilden sollte. In diesem Sinne bemüht er sich, objektiv zu bleiben, immerhin macht es seine Einstellung erklärlich, daß er manchmal über historische Persönlichkeiten, wie z. B. Johanna, zu falschen Ansichten kommt oder die Herzoge von Burgund mit offenkundiger Nachsicht beurteilt. Sein Bericht verweilt gerne bei der Schilderung prunkvoller Feste und bei Einzelheiten der herzoglichen Hofhaltung, er sucht das Lokalkolorit zu wahren, wie überhaupt Chastellains Bestreben, dem Leser alles verständlich zu machen, ihn in der Detailmalerei zurückhält und den Blick von größeren Zusammenhängen ablenkt. Doch gerade aus diesem Grunde ist seine Chronik wertvoll für das Verständnis einer Epoche am Ausgang des Mittelalters, deren Anschauungen uns heute schon fremd geworden sind. Er bemüht sich, den Leser durch die Fülle der Ereignisse zu jenem Urteil zu führen, das er nahelegen will. Während Froissart das Pittoreske in den Vordergrund rückt und von diesem Standpunkt aus seine Urteile begründet, zeichnet Chastellain alles auf, bemüht sich aber, die Tatsachen in den von ihm gewollten Ideengang einzuordnen, um dem Leser das erstrebte Urteil nahe zu legen. Daraus erklärt sich die oft absichtliche Ungenauigkeit mancher Angaben. In den Reimdichtungen zeigt sich Chastellain festem Rahmen abgeneigt, Balladen und Rondeaux sind nur spärlich vertreten (10 Balladen). Die Reime sind einfach, reicher Reim ist selten. Seine Gedichte sind in ihrem Umfange frei, auch innerhalb der
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Strophen hat er die Verszahl oft gewechselt. Im gleichen Gedichte wendet er fast immer dieselbe Strophe, eine Ausnahme von dieser Regel ist das Gedicht La faix de Peronne, in welchem 8 verschiedene Rhythmen vorkommen. Als Vers nimmt er fast nur den 8Silbner, der Alexandriner fehlt vollständig, den 6Silbner verwendet er in der Recollection des merveilles. Chastellain ahmt oft A. Chartier nach, weshalb seine Sprache gekünstelt wirkt und das bewußte Streben nach höherem Fluge verrät. Dagegen fehlt ihm vollständig das Gefühl für die Natur. In seinen Lebensanschauungen steht er der von Seneca übernommenen Lehre der Stoiker, wie sie später dann von den Scholastikern christianisiert wurde, nahe. Vom Rosenroman hält er sich frei, indem er im Streite für oder gegen die Frauen keine Partei ergreift. Er ist zwar der Ansicht, daß das christliche Dogma ein Heilmittel gegen alles Böse sei, doch treten seine Ansichten über den Glauben nicht gar zu stark in den Vordergrund. Fast vollständig fehlt das Thema der Liebe, sein in diesen Rahmen fallendes Gedicht L'oultree d'amour ist mehr eine selbstgestellte Lösung einer in der Zeit beliebten Streitfrage. Sein eigentliches Gebiet ist die Politik und die Erörterung von Fragen der Staatsraison an der Hand von Ereignissen, die er verteidigt oder angreift. Chastellains Prosa ist schwer, von gewollter Eindringlichkeit, welche die langen Sätze, die Häufungen von Synonymen, Neubildungen, manchmal auch gezwungene Umschreibungen bedingt, wodurch nicht selten die Schärfe der von ihm gezeichneten Bilder beeinträchtigt wird. Doch verfolgt er hierbei künstlerische Absichten, indem er den trockenen Chronikenstil seiner Vorgänger vermeiden, seine Darstellung auf ein höheres Niveau heben und daher auch die Sprache in den Dienst dieser Absicht stellen will. Sein Ton ist ernst, und paßt sich dem Stoffe an, den er wiedergibt. Nicht selten ahmt er den ernsten getragenen Stil der lateinischen Geschichtsschreiber nach (Livius, Sallust). Er betrachtet die Ereignisse vom Standpunkte eines Geschichtsphilosophen, der die Beweggründe der Handlungen suchen und die Absichten seiner Personen klarlegen will. Dies führt ihn einerseits oft zu lebhafter Erzählung und persönlichen Bemerkungen, veranlaßt ihn aber andererseits zu Weitschweifigkeit und Häufung von Ereignissen. Gerade dieses Bemühen, alles zu sagen, zwingt ihn, gewunden und gekünstelt zu schreiben und schon Molinet
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hat diesen Nachteil erkannt, wenn er erklärt: 'Grand -planté de ses oeuvres sont demeurées imparfaites qui donneront labeur intolerable à ceux qui voudront paratteindre à la finde ses conceptions'. Und Jean Robertet hat Chastellain als 'cette grosse cloche si haut sonnant' bezeichnet (vgl. Chastellain, vol. V I I p. 182). Als poetischer Schriftwechsel zwischen Chastellain und Rhetorikern am bourbonischen Hofe kann das von dem seigneur de Montferrant A n t o i n e de V e r g y verfaßte Gedicht les douze dames de rhetorique gelten, dem als Ergänzung auch Prosa-Briefe beigeschlossen sind. Antoine hatte Jean Robertet, der in der Hs. des Herzogs Karls von Orléans mit dem Thema vertreten ist 'Je meurs de soif auprès de la fontaine', veranlaßt, an Georges Chastellain ein Huldigungsgedicht (20 8zeil. Str.) zu senden, in welchem der burgundische Rhetoriker in schwülstiger Sprache über Robertet erhoben und mit den größten Geschichtsschreibern, Dichtern und Rednern des Altertums verglichen wurde. Da die auf dieses Gedicht sowie auf französische und lateinische Briefe erteilte Antwort nur sehr zurückhaltend ausfiel, erlangt Montferrant dadurch eine weitere Epistel Chastellains, daß er diesem die Äußerungen der douze Dames de Rhetorique (Science, Eloquence, Profondité, Gravité de sens, Vieille acquisition, Multiforme richesse, Flourie memoire, Noble nature, Claire invention, Precieuse possession, Déduction louable, Glorieuse achevissance) übermittelt, welche während eines Gespräches in einem Garten Robertet über Chastellain stellten, was Montferrant in seiner gleichfalls übersandten Erwiderung entkräftet. Chastellains Antwort an Robertet ergeht sich in ähnlichen schwülstigen Redewendungen, weist das Lob Robertets als unberechtigt zurück und erwähnt dafür des anderen dichterische Vorzüge. Mit einem nochmaligen Austausch von Zuschrift und Antwort schließt diese Korrespondenz, die in der Anlage und vor allem in ihrem Ausdruck das Bestreben aller Beteiligten erkennen läßt, in Erfindung und Rhetorik eigene Wege zu gehen. Als Hofdichter und Geschichtsschreiber setzt O l i v i e r , s e i g n e u r de l a M a r c h e die Richtung Chastellains fort. 1422 in Brüssel geboren, wird er nach kurzen Studien 1439 Page und 1447 Escuyer panetier des Herzogs Philipp, zog 1452 mit Karl dem Kühnen gegen Gent, wurde von ihm 1465 nach der Schlacht von Monthéry in den Ritterstand erhoben, 1468 Amtsmann in der Franche-Comté und ging nach Karls Tod (1477) in den
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Dienst seiner mit dem Erzherzog Maximilian, dem späteren Kaiser Maximilian, vermählten Tochter Marie als Grandmaitre d'hôtel über, als welcher er 1502 starb. Karl verwendete ihn zu diplomatischen Missionen nach England und Österreich, außerdem war er, wie Chastellain, bei der Aufführung dramatischer Festspiele (1454 Voeu de faisan) für Philipp tätig, und schon 1448 bei einer Begegnung mit Charles d'Orléans ausgezeichnet, dessen Liederbuch eines seiner Rondeaux enthält. Einige seiner Werke fanden holländische und spanische Ubersetzer. Chastellain rühmt ihn auch als Diplomaten (Chron. 5, S. 86) und nennt ihn einen homme bien emparlé et tout propre a ce faire. Doch ist seine Dichtung oft durch Übertreibung beeinträchtigt. Eine 8zeil. Strophe (Huitain) unter seinen kleinen Gedichten ergeht sich über seinen Wahlspruch Tant a souffert; eine Priere a la Vierge (13 8zeil. Str.) huldigt Maria mit fürstlichen Bezeichnungen; der Débat de cuidier et de fortune über den Wankelmut des Geschickes entstand 1477 im Gefängnis von Foug; rätselartige Fragen über die Liebe mit Antworten unter dem Titel Les adeveneaux amoureux in Prosa und in Versen hat er wohl nur vermehrt herausgegeben, da sie z. T. schon in einer Hs. 1373 stehen. Aberkannt wird ihm Le droit atour des dames, Inc. Dames de tres plaisant atour, abweichend im Ausdruck ist auch La source d'honneur pour maintenir la corporelle elegance des dames en vigueur florissant, satirische Verse in Hs. Brüssel 11029, 11030. Der ihm beigelegte Mirouer de la Mort ist ein Werk George Chastellains. In Prosa und Versen (181 8zeil. Str.), Prolog und Epilog entwirft Le triomphe oder le parement des dames, gegen 1492 für eine von Olivier geliebte Dame ausgeführt, das Bild der idealen Frau in und außer der Ehe mit Hilfe der 25 Kapitel, welche den Teilen der weiblichen Bekleidung, die beschrieben wird, entsprechen. Im Prosatext, der oft kulturhistorisch wichtige Einzelheiten gibt, folgt die allegorische Deutung, welche den Pantoffel mit Humilité, la bourse mit Libéralité, la chemise mit Honnesteté gleichsetzt, während der Spiegel, in dem sich die Frau beschauen soll, den Tod bedeutet. Biblische, legendarische und geschichtliche Beispiele aus alter und neuer Zeit in Prosa (dabei Griseldis, Frauenbilder aus Christinens von Pisan Cité des dames u. a.) stützen Oliviers Lehren, die, obwohl ernsthaft gemeint, oft den Eindruck des Komischen und Gekünstelten hervorrufen. Am Ende folgen Betrachtungen über die Hinfälligkeit aller Dinge, am
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Schicksal der heimgegangenen Fürstinnen des Jahrhunderts gezeigt. Der mehrfach bekannte Übersetzer P i e r r e D e s r e y versah eine Ausgabe des Parement mit Zusätzen und mit Quellenangaben zu den Beispielen. Dem Pas de la Mort des Aymé de Montgesoye entnimmt Olivier die Personen seines 1553 von Ferando de Acuña spanisch bearbeiteten und weit verbreiteten Chevalier deliberé (gegen 340 8zeil. Str.) (1483) mit Prosaangaben für die Illustrierung des Werkes, ein allegorisierendes Leben seines Herrn, des letzten Herzogs von Burgund, Karls des Kühnen (gest. 1477), der als Chevalier errant zu dem Eremiten Entendement im Hause Raison kommt, wo ihm Waffen der berühmtesten Kämpfer gezeigt werden. Er kämpft darauf mit Accident (Unfall), den er nicht besiegen kann, verirrt sich, gelangt endlich zum Hause Fraiche Memoire mit den Grabmälern von 28 Fürsten und Helden, die durch Debile (natürlicher Tod) oder Accident das Leben verloren, darunter Krieger der nächsten Vergangenheit aus allen Ländern, und erliegt darauf selbst im Hause Atropos Debile und Accident zugleich. Daran schließen sich noch Belehrungen über die Waffenführung. Als Hofdichter erscheint er in einer Reihe von Gedichten, welche Angelegenheiten des herzoglichen Hauses zum Inhalt haben. Vie de Philippe le hardi (73 4zeil. Stroph.) ist ein Überblick über die burgundische Geschichte von 1342—1473 in schneller Aufzählung, der Dialogue de l'ame et de l'oeil et complainte sur la Mort de Marie de Bourgogne führt die Seele als Trösterin des über den Tod der Herzogin weinenden Auges ein, Doctrine et loz pour Me. Alienor d'Autriche (43 8zeil. Str.), für des Erzherzogs Philipp des Schönen Tochter, enthält moralische Ratschläge an die fünf Sinne. Der in Prosa und Versen (8 Silb.) abgefaßte Brief aus dem Jahre 1453, Saint voyaige de Turquie adveissant a la tres crestienne et tres heureuse maison de Bourgogne, geht auf die Kreuzzugspläne Philipps zurück. Die Nouvelles prophecies enthalten Prophezeiungen von Unglück und Kummer für gefallsüchtige Frauen. In seinem Gedichte 'Dames' wendet er sich, in Nachahmung von Chastellains 'Princes', gegen neun Vertreter von Frauen, die der Liebe spotten und denen er spätere Strafe in Aussicht stellt. Die letzte Strophe dagegen preist die edle Dame, so wie Olivier sie sich wünscht. Prédestination des sept fees (86 8- und iozeil. Str.), um 1500 verfaßt, führt sieben Feen, darunter Proserpina, vor, welche dem späteren Kaiser Karl V. bei seiner Geburt ihre Wünsche darbringen und ihm ihre Tugenden emp-
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fehlen. Vers donnés a Monseign. l'archiduc (6 4zeil. Str.) enthalten Mahnungen an Philipp den Schönen vom Jahre 1488, mit einer Fortsetzung für sein 15. Lebensjahr 1493, ihnen schließen sich die Vers dorez (42 4zeil. Str), zu seinem 18. (92 iozeil. Str.) und ein W e i h n a c h t s g e d i c h t zu seinem 20. Lebensjahre an (16 Str.). Über einiges Ungedruckte der Art siehe Beaune 1. c. S. 144. 151. In Prosaschriften kürzeren Umfanges gibt Olivier Instruktionen, Äußerungen und Berichte zu Fragen, denen gegenüber er sich in seiner Eigenschaft als Hofmarschall äußern mußte. Genauen Einblick in den Haushalt des burgundischen Fürstenhofes, in die Verwaltung der verschiedensten Zweige der Heeresleitung, des Beamtenstandes bis zur Dienerschaft in Küche und Stall herab, gewährt der Etat de la maison de Charles de Bourgogne, 1474, mit einem Begleitbrief an den Kaiser Maximilian vom Jahre 1500, und die Maniere de celebrer la noble feste de la Toison d'or von 1501 ; der Traictiê des nofces enthält den Bericht über die Festlichkeiten, Banquettes, Turniere, Schaustellungen in den Straßen und dergleichen bei der Vermählungsfeier Karls des Kühnen von Burgund im Jahre 1468; Hoffeste kommen zur Darstellung im Traictiê d'ung tournoi tenu a G and, 1470, an den Grafen P h i l i p p v o n Bresse gerichtet, und in einem Bericht über eine Feier des F e s t e s des goldenen V l i e ß e s von 1480; der Livre des duels oder Les gages de bataille nach 1494, erörtert in Anlehnung an früher verfaßte ähnliche Abhandlungen die den ritterlichen Zweikampf betreffenden Fragen. Eine Anzahl politischer Briefe und Promemoria an Fürsten mit Schriften ähnlicher Art vereinigt, die nur dem Titel nach bekannt sind, wären der Vollständigkeit halber zu erwähnen. Für seinen Schüler, den Erzherzog Philipp den Schönen von Österreich (1478—1506), verfaßte Olivier seine 1473 begonnenen Memoires, deren drei Bücher die Geschichte der österreichischen Herrschaft erzählen und auch zeitgenössische Ereignisse berücksichtigen wollen. Das erste Buch geht daher auf die Vergangenheit ein, führt das Haus Österreich auf Priamus zurück und stellt das französische Herrscherhaus als Seitenlinie des österreichischen dar. Das zweite Buch erzählt die Ereignisse seit Oliviers Jugend bis 1445, das dritte umfaßt die Jahre 1445—88, weist jedoch Lücken im Zusammenhang des Berichtes auf. Obwohl Olivier auf geschriebenen Quellen fußen kann, geht er nur selten den tieferen Ursachen oder dem Zusammenhang der Ereignisse
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nach, er legt vielmehr Wert auf Ausführlichkeit, er verweilt, wie Froissart, bei der Beschreibung feudaler Feste und Schilderungen des Hoflebens, das er in allen Einzelheiten kennt, die er gerne durch Anekdoten illustriert. Seine Urteile gibt er als ergebener, auf die eigene Stellung und den Ruf seiner Herren bedachter Hofmann, nicht aber als objektiv beurteilender Geschichtsschreiber ab. Sein politischer Horizont ist nicht weit, für soziale Verhältnisse seiner Zeit hat er kein Verständnis, noch weniger Interesse, er bleibt dem Volke fern, dessen Bedrückung und Not ihn teilnahmslos läßt. Seine Prosa ist stark periodisiert, umständlich, aber klar, bei guter Ordnung des Stoffes. Molinet nennt ihn riche en eloquence (Chron. I. S. 55). Er ist in keiner dichterischen Leistung original, die Form seiner Prosaschriften diktierte ihm der gegebene Stoff. Die literarische Arbeit war für ihn höfische Dienstleistung, doch entledigte er sich seiner Aufgaben stets in gewissenhafter Weise. Der letzte in der Reihe der Rhetoriker ist der von Olivier de la Marche als 'homme venerable' bezeichnete J e a n M o l i n e t , der sich in jeder Art Dichtung versuchte, bei dem aber Formenkunst und Reflexion den Inhalt ertöten. Da er und die Jüngeren unter seinen Zeitgenossen nicht mehr imstande waren, neue Formen zu schaffen oder die bisher behandelten Stoffe durch geeignetere zu ersetzen, so geht mit ihnen die mittelalterliche Darstellungskunst zu Ende. Molinet wurde 1435 in Desvres bei Boulogne-s.-m. geboren, studierte in Paris und dürfte hier Lehrer im Collège des Kardinals Lemoine gewesen sein und vielleicht auch dramatische Stücke für die Studenten des Collège geschrieben haben. Nachdem er Paris um 1461 verlassen hatte, dürfte er eine Zeitlang ein Wanderleben geführt haben. Zwischen 1467 und 1472 stand er im Dienste des Herzogs Amadeus IX. von Savoyen, 1473 ist er in Valenciennes, wo er beim Orden vom Goldenen Vließ eine Anstellung fand, die Gunst Chastellains errang und an dessen Chronik mitarbeitete, die er nach dem Tode seines Vorgängers als offizieller Geschichtsschreiber ('Indiciarius') des Herzogs weiterführte. Er blieb in Diensten Marias v. Burgund, wurde Kanonikus in Valenciennes an N. Dame de la Salle, später Bibliothekar Philipps, nach dessen Tode 1506 Margarethens von Österreich, der Tochter Kaiser Maximilians, und starb 1507. Auch er schreibt politische und höfische Gedichte oder verwertet Anregungen aus seiner Umgebung. Die erste Gruppe ist durch zahlreiche Ge-
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dichte vertreten. Die Complainte de Grece entstand anläßlich der Kreuzfahrt gegen die Türken, die bei Marseille endete (Mai 1464). Aus dem Jahre 1465 stammt der Dit des quatre vins françois, in dem sich die Weine von Paris, Lyon, Vertus und Reims unter Hinweis auf die allegorische Deutung ihrer Eigenschaften, wobei manche Anspielungen auf die Zeitereignisse fallen, um den Vorrang streiten, der dann von Ludwig XI. entschieden wird. Nach 1468 entstand das Gedicht (mit Prosa) zum Lobe des Herzogs Philipps und seines Nachfolgers Karls Le Throsne d'honneur, in welchem Dame Noblesse den Tod Philipps beklagt, der zum Throne von Honneur gelangt und in die Schar antiker, biblischer und sagenhafter Heroen aufgenommen wird (Hs. Bibl. nat. n. acq. fr. 21.532). L'Epitaphe du duc Philippe de Bourgogne (ms. fr. 2375, fol. 81) läßt Philipp selbst den Rückblick auf seine Regierung halten. Im Trespas du duc Charles erhebt er die Klage über den Niedergang des Hauses Burgund, das hier mit einem Baume verglichen wird, den nur ein Blitzstrahl niederstrecken konnte. Molinet angehören dürfte das die Belagerung von Neuß betreffende Gedicht De nuz de Nuz (Von einigen aus Neuß) des ms fr. 2375, fol. 46, das in. hochtönenden Worten die Schrekken der Belagerung aufzählt, die Bewohner zur Übergabe auffordert und das Haus Burgund verherrlicht. Stärker tritt diese Stellungnahme für den Herzog in einer retrograden Ballade: France est gracieuse — Non, fiere hervor, feindselig tadelt er in Les sept rondeaux sur ung rondeau die Franzosen als falsch, während er Ludwig XI. als 'araignee universelle' bezeichnet (Le Roux de Lincy, Recueil de chants hist. fr. I. p. 371—372). Bald nach 1477 feierte er die Hochzeit Maximilians mit Marie v. Burgund im Naufrage de la Pucelle (Prosa und Verse), wo die Allegorie bereits die Lächerlichkeit streift. In das Jahr 1479 fällt das Gedicht Journee de Therouenne auf den Sieg Maximilians bei Guinegate, das die mythologischen und musikalischen Kenntnisse Molinets zeigt (30 achtzeilige Strophen). Mehrere Gedichte Molinets lassen sich aus Einzelheiten nur annähernd datieren. Für Marie v.Burgund verfaßte er vor 1482 die allegorischen Aages du Monde, über die Unbeständigkeit der Dinge und den Einfluß des Bösen, ebenso den Chapelet des dames (Verse und Prosa), worin die Anfangsbuchstaben von fünf Tugenden den Namen Marie ergeben, deren Vorzüge Molinet unter Hinweis auf berühmte Männer und Frauen der Vergangenheit aufzählt. Nach
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1482 datiert der Didier que Vertus présenta a maistre Nicolle Ramberc (28 sechszeilige Strophen), worin Molinet scherzend einen Verwandten um eine Präbende in Cambrai bittet. Unter dem Eindruck der Kriegswirren entstanden mehrere Gedichte, welche zu Versöhnimg und Frieden auffordern. Le Temple de Mars, nach 1475, beschreibt den Kult im Tempel des Mars sowie die dem Gott dargebrachten Opfer und fordert die Fürsten auf, den Frieden zu erhalten. Ähnliche Tendenz verfolgt le testament de la guerre nach 1478, in welchem der sterbende Mars die Könige und Machthaber zu Erben aller Kriegsgreuel einsetzt. Das Gedicht ist eine bittere Satire auf die Machtgier und den Ehrgeiz der hohen Adeligen und Fürsten. La resource du petit peuple, Anfang 1481, Verse und Prosa, beschreibt die Schrecken des Krieges in einer Vision, führt Justice und das Volk in ihrer Not vor und läßt Vérité und Justice in einer Mahnung zum Frieden enden. Ähnlichen Inhalt hat das Gedicht la Letanie (1482), das als Parodie einer Litanei ein Bild der Kriegsschrecken entrollt. Das Confiteor (1482) feiert den Frieden und den Abzug der Bewaffneten. Gleichen Inhalt bringt in mythologisierender Weise L'A BC sauvaige (54 fünf- und zehnzeilige Strophen) und Les faits et dits mit Gebet und Chants royaux. 1482 folgt eine Complainte pour le Trespas de Marie de Bourgogne, worin er autobiographische Mitteilungen besonders über sein Wanderleben gibt, das ihn an verschiedene Höfe brachte, und worin er auch auf Zeitereignisse zu sprechen kommt. L'arbre de Bourgogne sur la mort du duc Charles ist nach der Krönung Maximilians als römischer König in Aachen am 9. April i486 geschrieben. Die Unbotmäßigkeit der Stadt Gent gab Anlaß zu mehreren zeitlich getrennten Gedichten, la reconciliation de la ville de G and, Ung dictier sur ceux de Gand 1485 und le Jeu de Palme, das die Unterwerfung der Stadt behandelt (1492). Ende 1489 verfaßte er den Dictier présenté a Monseigneur de Nasso, in welchem er den kommenden Frieden begrüßt und ein abschreckendes Bild der Kriegsgreuel entwirft. Le er y des monnoies (1489) gibt Einblick in die Schwierigkeiten, die durch Geldknappheit bedingt waren. Le voyage du roi Charles VIII ist eine rhetorische Verherrlichung des Alpenüberganges, der ihm Gelegenheit gibt, seine klassische Bildung in Reminiszenzen und Vergleichen zu beweisen. Als Hofdichter der Habsburger erscheint er in mehreren Gedichten, welche zu verschiedenen Anlässen Gröber-Hof er, Gesch. d . mittelfrz. Lit. I I .
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verfaßt wurden. Maximilian ist der Didier de Renomée, Vertus et Victoire (1483) gewidmet, la mort de Fredericq empereur fiere de Maximilian enthält unter anderen auch ein Charakterbild des letzten Ritters. In das Jahr 1496 gehört das Gedicht über la très illustre et très noble alliance de messeigneurs les enfans d'Autriche a ceux d'Espagne, anläßlich der Vermählung Margarethens von Österreich mit dem spanischen Thronfolger. La robe de l'archeduc bezieht sich auf die Rückerstattung abgetrennter Gebiete durch den Frieden von Senlis (23. Mai 1493). Das Lob des Kaisers Friedrich und seines Sohnes Maximilian enthält die Louange de l'empereur et de ses enjans. Ereignisse bei Hofe werden in mehreren Gedichten erwähnt: La nativité de Madame Lienor (1498), La naissance de Charles d'Austrice (1500), l'arche ducalle (1501). In diese Zeit gehören auch die Vers en l'honneur de Maximilien et de la maison d'Austrice, wahrscheinlich der Dank für die 1504 erfolgte Nobilitierung. Nach 1504 ist die Grabschrift auf die Herzogin von Burgund Isabella von Castilien (gest. 1504) gedichtet, Epitaphe de Madame Isabeau royne de Castille, im Jahre 1505 begrüßt er Philipp den Schönen: Au roy de Castille, er beklagt seinen Tod 1506 in den Regrets et lamentations du très haut et puissant roy de Castille. In seiner, auch sprachliche Neubildung bezweckenden, auf Wunsch eines hohen Adeligen unternommenen P r o s a b e a r b e i t u n g des R o s e n r o m a n s Roman de la rose moralisé, folgt Molinet dem schon von Christine mit Erfolg versuchten Vorgang, dem in Prosa aufgelösten Text weitere moralisierende und symbolische Auslegungen anzuschließen. Daher ist der Liebesgott die Allegorie für den heiligen Geist, die Quelle der Liebe wird zum Born der Weisheit und die Rose selbst mit der Rose in eine Parallele gebracht, welche Josef von Arimathäa bei der Kreuzabnahme empfing. Als Fortsetzer führt er Chastelains Recollection de merveilles, zu welchen er auch die Erfindung der Buchdruckerkunst zählt, in den Versen des Originals weiter. Mit anderem Ausdruck tritt uns Molinet in einer Reihe von Gedichten entgegen, deren Inhalt ausgelassen, burlesk, ja sehr oft obszön ist. Die Ballade de la maladie de Naples und die Complainte d'ung gentil homme a sa dame agsreffé de la maladie de Naples ou de pocques enthalten heftige Vorwürfe und Klagen über die Folgen einer Krankheit, vor welcher er eindringlich warnt (Ms. v. Tournai 105, fol. 403, ro) und die auch Rabelais öfter erwähnt, der Sermon de S. Billouart (membrum virile) gegen
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1460 ist vielleicht eine Erinnerung an das freie Leben seiner Vagantenzeit, welche wahrscheinlich auch die Aufzählung im Mandement de froidure veranlaßt. Auch in anderen Stücken zeigt sich das Behagen an Derbheiten in Worten und Situationen aller Art, sei es, daß sie sich als kürzere Balladen oder Rondeaux über den Liebesgenuß, die Schönheit oder Häßlichkeit von Frauen in der Art der im 'Parnasse satirique du quinzième siecle' (hsg. von M. Schwöb, P. 1902, S. 165—172) ergehen oder in längeren Ausführungen bestimmte Themen behandeln. Zu letzteren gehören der Debat du viel gendarme et du vieil amoureux, in welchem sich die beiden Sprecher ihre Liebesabenteuer in unverblümter Weise unter allen möglichen Wortspielen erzählen. Andere Débats enthalten scherzhafte Erörterungen, die sich aber schon aus dem Titel ergeben, wie der Debat de la chair et du poisson, der debat d'Avril et de mai, debat de l'aigle, debat du hareng et du lion, dialogue du loup et du mouton. Die Aufzählung der Neuf preux de gourmandise erinnert an alle biblischen Personen, welche seit Noe dem Weine ergeben waren. Bacchisch klingt der Chant de la pie (Parnasse sat. S. 169) ein Loblied auf den Weingenuß (pier = trinken), dem der Mandement de froidure (ms. de Tournai 105, fol. 240 vo) in seinen ausgelassenen Schilderungen zügelloser Genießer an die Seite tritt. Scherz, Spott und Ironie kommen in zahlreichen Gelegenheitsgedichten zum Ausdruck. Le Calendrier glossiert die Kalenderjahre, die grâces sans villenie (1479) sind eine Sammlung von Verheißungen, die verkehrt ausgelegt werden müssen, ihnen schließt sich eine Pronostication, welche Molinet abgibt, an. Ähnlich sind Gedichte wie Confiteor, Autres grâces (ms. Tournai 105, fol. 284, ro), les douzes abusions des cloistres (ms. Tournai 105, fol. 32—33). Als Selbstverspottung im Kreise von Schicksalsgenossen, als deren 'maire' er sich bezeichnet, erscheint das eigene Portrait in der Aufzählung aller häßlichen Männer und Frauen von Valenciennes im Gedicht : Ceulx qui sont dignes d'estre aux nopces de la fille de Laidin. Abseits steht Le siege d'Amour (44 Strophen), der Bericht über die von Doux Regard unternommene Belagerung des Liebeshofes Amors, der sich mit seinen Freunden gegen die Angreifer verteidigt. Zahlreiche kleinere Gelegenheitsgedichte, auch in lateinischer Sprache, sind Äußerungen zu verschiedenen Anlässen in und außerhalb seines Hauses bei geselligen Zusammentreffen mit u*
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Freunden oder Würdenträgern, weltlichen Veranstaltungen, sie bringen Beobachtungen aus näherer oder weiterer Umgebung, enthalten Reflexionen über verschiedene Fragen und erörtern eigene Angelegenheiten teils in kurzen Bemerkungen oder in Erwiderungen an Freunde. Hier tritt die persönliche Note des Dichters oft unmittelbarer hervor, wenn er z. B. über sein Alter und die damit verbundenen Beschwerden klagt, Einblick in sein Heim gewährt, die ferne Jugendzeit bedauert, sich an manche Fehler erinnert, Freunde oder Gegner verspottet, Bitten um Unterstützung an Gönner richtet oder Mahnungen meistens in eigener Sache vorbringt, über die Vergänglichkeit der weltlichen Macht nachdenkt (Les aages du monde), Todesgedanken oder Todesfurcht äußert (Didier pour penser a la mort, Advocat des ames du purgatoire) und Freunden gegenüber seine Vereinsamung beklagt. Dazu kommen die im Ausdrucke der höfischen Lyrik gehaltenen Gebete und Gedichte an die Jungfrau, welche er mit Edelsteinen oder einer Schwalbe vergleicht, oder an verschiedene Heilige in mannigfachen Anliegen, unter denen Bitten um Gesundheit und um Hilfe gegen die Erscheinungen des Alters oder von Krankheiten öfters wiederkehren. In Form einer Klage geben die regres des peres et meres pour la mort de leur filz incongneu en leur hostel die Alexiuslegende wieder, eine Paraphrase des pater noster führt die Worte des Gebetes weiter aus, in gleicher Weise ist auch ein Ave gehalten. (Hss. Geneviève 2712. 2734.) Nach dem Wortspiel: Se je n'ay lit mol, dürfte Molinet auch der Verfasser des Donet, au roy Louis douziesme sein, einer Sprachlehre in Versen mit belustigenden Beispielen. Der von Ant. Verard herausgegebene Jardin de plaisance bringt das Gedicht anonym mit der Widmung an Karl VIII. Zwei dramatische Spiele, Histoire du rondet et du carré mit 5 Personen und Les vigiles des morts, sind nur den Bibliographen bekannt. Zugeschrieben wird ihm ferner die Bearbeitung des Miracle de S. Quentin, endlich soll er auch an der Passion von Valenciennes (Hs. 560) mitgearbeitet haben. An seinen Freund Guillaume Crétin sind zwei Briefe in Prosa und Versen gerichtet. Als Lehrmeister der Dichtkunst schreibt er unter Benutzung der vor ihm verfaßten Abhandlungen für den Herrn v. Croy ein Lehrbuch Art et sciences de rhétorique, worin er den Bau von Versen und Strophen und die lyrischen Gattungen erklärt. Seine Chroniques, 1474—1506, wurden durch Karl den Kühnen
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veranlaßt und erzählen die Ereignisse in Burgund, Österreich und Frankreich. Sie setzen nicht unmittelbar nach Chastellains Abschluß ein, sondern beginnen bei der episch erzählten Belagerung von Neuß und schließen mit dem Tode Philipps des Schönen von Österreich. Die Berichte über die letzten 10 Jahre rücken die Ereignisse bei Hofe in den Vordergrund, beschreiben die verschiedenen Festlichkeiten, Empfänge und öffentlichen Veranstaltungen in den großen Städten oder verzeichnen Naturereignisse, Krankheiten, seltsame Vorfälle. Die früheren Teile gehen dagegen genauer auf die Darstellung der Kriegsereignisse ein, heben Übereinstimmungen mit Vorgängen im Altertum hervor und setzen durch persönliche Betrachtungen und Urteile über Ereignisse oder Personen den von Chastellain geübten Vorgang der Berichterstattung fort. In Gegensatz zu Chastellain vermeidet es Molinet im allgemeinen, seine Personen redend vorzuführen, er greift lieber zu Akten, schriftlichen Vorlagen und Berichten, aus denen er gerne außergewöhnliche Begebenheiten übernimmt, ohne hierbei allzu kritisch zu sichten. Das Streben nach gelehrtem Beiwerk tritt in der Verwendung von Fremdwörtern und bildhafter Ausdrucksweise hervor. Seine Darstellung ist, obwohl unterwürfig, hofmännisch und ergeben, doch den Ereignissen entsprechend, seine offizielle Stellung, welche ihm Einblick in die diplomatische Korrespondenz der Herzoge erlaubte, verschaffte ihm eine genaue Kenntnis der Geschichte der Zeit. Mit Molinet erreicht die Kunst der Rhetoriqueurs den Höhepunkt und Abschluß, er gilt als Vertreter einer Kunstrichtung, welcher Form alles, Inhalt dagegen nichts mehr bedeutete. Er sieht die Aufgabe der Dichtung in der Häufung von Wort- und Reimschwierigkeiten, welche durch Verwendung seltener Ausdrücke, von Neubildungen, ungewohnten, nur durch antikes Wissen verständlichen Allegorien den Eindruck schwerer, bloß von Eingeweihten lösbarer Aufgaben erwecken sollen. Natürlichkeit ist Molinet dort fremd, wo er als offizieller, gelehrter Dichter vor die Öffentlichkeit tritt, welche er durch das Beiwerk der Gelehrsamkeit zur Anerkennung seines dichterischen Könnens zwingen will. In den Gedichten mit derbem, satirischem oder persönlichem Inhalt macht sich dagegen oft eigene Auffassung, Sinn für Humor in Situationen und Wortwirkungen bemerkbar, hier reihen sich die Gedanken in raschem Flusse ungezwungen aneinander, der Dichter weiß durch seine Sprache, die auch
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vor derben, ja obszönen Bezeichnungen nicht zurückschreckt, den Eindruck Villonischer Verve und Ausgelassenheit zu erwecken. Molinets Beurteilung oder Verurteilung als Dichter erfolgte auf Grund jener Werke, die er in der Tradition einer höfischen Schule verfaßte, als deren letzten Vertreter um die Jahrhundertwende er sich betrachtete. IV. KOMPILATOREN UND KOPISTEN
Neben den großen orateurs, die ihre selbständigen Dichtungen im Dienste Philipps verfaßten, beschäftigte der Herzog auch eine Menge von bücherkundigen Beamten, Gelehrten, Schreibern und Miniaturenmalern, die zur Bereicherung seiner Bibliothek französische Prosawerke belehrenden, religiösen und unterhaltenden Inhaltes anzulegen hatten. Es sind dies die 'gratis clers, orateurs, translateurs et escripvains' wie sie D. Aubert nennt. Die Hss., die diese Prosawerke enthalten, wurden von Kalligraphen und Zeichnern wahrscheinlich in herzoglichen Schreibschulen hergestellt und gehören zu den kostbarsten Manuskripten, die aus dem Mittelalter überliefert sind. Viele Bände füllen die erzählenden und geschichtlichen Arbeiten des J e a n W a u q u e l i n , der sich selbst translateur et escripvaing de livres nennt, Pikarde von Geburt war, zuletzt in Möns lebte und 1453 starb. Er verband die kalligraphische Beschäftigung mit der Tätigkeit des Kompilators und Übersetzers. Für Philipps Enkel J e a n d e C r o y , der sich im Besitze der Dichtungen Philipps von Beaumanoir befand, stellt er eine Prosaauflösung der Manekine Beaumanoirs her, wobei er sich ziemlich genau an den Text hält. Für seinen Girart de Roussillon (1447), dessen Sprache Philipp im Konzept überprüfte, benutzte er außer der früheren Alexandrinerdichtung vom Burgunderhelden G i r a r t auch die lat. V i t a G i r a r d i und u. a. den Chronisten J a c q u e s v. G u i s e (gest. 1399), von dessen A n n a l e s H a n n o n i a e , die ebenfalls den Roman de Girart übernehmen, er zwischen 1446—1448 noch die beiden ersten Teile ins Französische übertrug. Einen Auszug aus seinem G i r a r t drängte er in 27 Kapitel zusammen und diese verkürzte Form kam auch in die Fleur des Histoires von J e a n Mansel. Ebenso übersetzte er das Geschichtswerk des als Sekretär in Diensten Philipps beschäftigten Kanonikus E d m u n d v. D y n t e r (gest. 1448), die C h r o n i c a d u c u m L o t h a r i n g i a e e t B r a b a n t i a e , von Trojas
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Fall bis 1438 (42). Voran ging von geschichtlichen Arbeiten die Bearbeitung von G a l f r i d s v. M o n m o u t h Historia regum Britanniae (1445) und der Livre des conquestes et faits d'Alexandre le grand, für den Enkel Philipps des Kühnen, Johann von Burgund, Graf von Estampes (1445—1491) ausgeführt, worin die alten, französischen Alexanderdichtungen seit Lambert le Tort, und die Fortsetzungen (z. B. des Jehan le Nevelois u. a.) mit Auszügen aus Vincenz' von Beauvais Spéculum historiale, Jaques de Guise, der Historia de Preliis, die alle schon ins Französische übersetzt worden waren, und mit den Dits des sages verschmolzen wurden. Der Roman wird in dieser Bearbeitimg zu einem Spiegelbild fürstlichen Hoflebens des 15. Jahrhunderts. 1450 fällt Wauquelins Neubearbeitimg der Regierungslehre des A e g i d i u s R o m a n u s De regimine principum unter dem Titel: Le livre du gouvernetnent des princes für Philipp den Guten, der Wauquelin auch zur Nacherzählung des romantisch historischen Versromans von der Belle Helene aus dem Stoffkreise der Manekine veranlaßte (1448), den er erläuternd mit zahlreichen, den Ideenkreis der höfischen Gesellschaft entsprechenden Zusätzen wiedergibt. Der Roman erzählt die Schicksale der schönen Helene, welche von ihrem Vater, dem Kaiser von Konstantinopel, zur Frau begehrt wird, jedoch entflieht und Königin von England wird. Wauquelins Kenntnisse im Lateinischen waren nicht so ausgebreitet, daß er Übersetzungsfehler vermieden hätte, Knappheit erreicht bzw. erstrebt er bei der Übersetzung nicht; er hat Vorliebe für belehrende, moralisierende Exkurse, sein Ausdruck ist breit, selbst in den Bearbeitungen der französischen Texte, die er paraphrasierend erneuert. An Umfang der Leistung steht hinter ihm D a v i d A u b e r t aus Hesdin (Pas de Cal.) nicht zurück, der seit 1458 als herzoglicher Bücherschreiber (s. Doutrepont S. 31) und Verfasser von Büchern, die er in 'cler françois' schreibt, den Bestand der Burgunderbibliotheken mehrte. Im Jahre 1458 zeichnet er selbst einen Band seiner epischen Conquestes de Charlemagne, einer Prosaauflösung zahlreicher altfranzösischer Königsepen, die mit einigen geschichtlichen Daten eingeleitet wird und Karl den Großen in den Mittelpunkt der epischen Ereignisse stellt, wobei er sich bemüht, den Zusammenhang der Ereignisse übersichtlich zu gestalten und den Ton der Erzählung den Ansprüchen seiner Leser entsprechend zu verfeinern. Für Antoine gr. bâtard de
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Bourgogne, überarbeitet er den bereits gekürzten Text des Romanes Gilles de Trazegnies, dem er einen Prolog voransetzt. Diese Fassung wurde später für J e a n de W a v r i n seigneur de Forestel noch einmal mit Verbesserungen redigiert. 1459—60 hat er den Perceforest überschrieben (Doutrepont, 1. c. S. 48—50). Von seiner Hand wird eine vierbändige Histoire de Charles Martel et de ses successeurs überliefert, in dem er sich zwar nicht als Verfasser nennt, wohl aber als Schreibcr. Der Roman erscheint als eine Fortsetzung zu den Conquestes und benützt von epischen Stoffen ebenfalls den Girart von Roussillon. Der erste Band erzählt die Taten von Karls Vater Gloriant de Berry, die Jugend und Regierung Karls und seinen Kampf mit Girart von Roussillon, der auch im zweiten Band erscheint, der die Ereignisse unter Pipin, Karl dem Kahlen und den Beginn der Kämpfe gegen die Lothringer berichtet, deren Taten den dritten und vierten Band füllen. Ebenso fehlt eine Angabe über den Verfasser bei der von ihm 1463 in Hesdin beendeten Istoire royale ou livre traittant comment par la vaiUance de trois jeunes -princes le royaulme de Naples fut délivré du povoir des Sarrasins, in der ein König Philipp von Frankreich, ein Hektor von England und ein Arthus von Schottland die Helden einer abenteuerlichen, wohl nicht aus älterer Tradition, jedoch aus den literarischen Erinnerungen des 15. Jahrhunderts geschöpften Geschichte sind, die wahrscheinlich den Kreuzzugsplänen des Herzogs ihre Entstehung verdankte. Die mit Auberts Namen in einer Hs. verknüpfte, aber auf demselben Boden erwachsene Histoire d'Olivier de Castille et d'Artus d'Algarbe, mise en clair franç. par David Aubert, welche das Motiv vom Kinderopfer aus Amis undAmiles und vom toten Ritter und der Teilung aus Richard le biau wiederholt, wird in anderen Hss. aber P h i l i p p C a m u s zugeteilt, der auch den Cleomades überarbeitete. Aubert konnte von Margarete von York, Karls des Kühnen Gemahlin, auch den Auftrag entgegennehmen, die unter dem Namen Somme le roi bekannte Christenlehre des L a u r e n t du B o i s in französischer Prosa für sie zu bearbeiten (1475) ; doch standen dafür schon alte französische Übertragungen zur Verfügung. Auch für die von ihm herrührende Hs. Brüssel 9017 mit Büchern des Alten und Neuen Testaments, Väterleben und dem Dialog des Papstes Gregor in französischer Sprache: Composition de la Sainte Escriture, brauchte er gleichfalls nicht auf die lateinischen Texte zurückzu-
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greifen. Ob er auch Urheber einer Chronique de France (bis 1401), die er geschrieben hat, und noch anderer Handschriften ist, muß dahingestellt bleiben (Doutrepont, 1. c. S. 419/20). Seine Romane nach Karlsepen werden abgeschlossen durch den anonymen, für Philipp wohl selbst hergestellten Roman von Regnaut de Montauban in der Arsenalhandschrift 5072—75, dem die alten Epen über die Haimonskinder als Quelle dienten (s. Doutrepont S. 50). Noch vielseitiger war jedoch der im kleinen Dorf Gueschard bei Crécy geborene Sekretär Philipps von Burgund, Jean Mielot, 1455 Kanonikus in Lille, später Kaplan Louis' von Luxemburg, Grafen von S. Pol. Mielots Name erscheint wiederholt in den Rechnungen des herzoglichen Hofhaltes (s. Doutrepont, 1. c. S. 139). Er trat als Kalligraph hinter Aubert zurück, der Mielots Übersetzung von Robertos della Porta aus Bologna Römischer Geschichte, Romuleon ou faits des Romains, von der Ankunft Äneas' in Italien bis auf Konstantin den Großen, 1465 niederschrieb. Den gleichen Autor übertrug auch S e b a s t i a n Mamerot im Jahre 1466. Mielot lieferte als Geistlicher hauptsächlich religiös belehrende und erbauliche Bücher. Da sie meist datiert sind, kann man die Richtung seiner Arbeit verfolgen. Sie beginnt nach Hs. Brüssel 9249 im Jahr 1448 mit der Übersetzimg der lateinischen, vielleicht von Ludolph von Sachsen verfaßten Schrift Speculum humanae salvationis (vgl. Hs. S. Omer 182), dem Miroir
de l'umaine
salvación über den Sündenfall und die Er-
lösung des Menschengeschlechtes, und dieses Werk dürfte Mielot in Berührung mit dem Herzog gebracht haben, 1449 folgte in Hs. Brüssel 9279 für Philipp die Überarbeitung der Orationes de vera ndbilitate des 'notable docteur en loix et grant orateur'
B u o n a c c o r s o da P i s t o j a , aus dem 15. Jahrhundert, als Controversie de noblesse, das ist eine Auseinandersetzung zwischen Scipio und Flaminius über den wahren Adel. Der in mehreren Hss. anschließende Desbat de honneur entre trois chevalereux princes
(Alexander, Hannibal und Scipio), enthält Dialoge lehrhaften Inhaltes (n. acq. fr. 10054). I n Hs. Brüssel 10958, vom selben Jahre (1449), steht eine Vie de S. Josse, die nach einer bekannten Vorlage das Leben in Prosa, die Mirakies in Versen bringt und eigene Zusätze aufweist. Aus dem Jahre 1450 stammt die Übersetzimg aus dem Lateinischen der Faits et miracles de S. Thomas l'apostre des
Indes. Hs. Brüssel 3827/28 von 1451 enthält eine Sammlung erbaulicher Schriften in lateinischer und französischer Sprache:
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Unes heures de la passion N. S. Jesu Christ; la révélation du nombre des plaies de N. S. Jesu Chr; Priere à dire apres XV Pater noster et XV Ave Maria; l'opinion des VI maistres qui parlèrent jadis de tribulation; La vertu et Jorce contre tribulation et adversité; Ung petit traictié appelé la consolation des desolez (Doutrepont, 1. c. S. 215). In dasselbe Jahr wird außer dieser Sammlung erbaulicher Abhandlungen noch der Miroir del'ame pecherese in Hs.Brüssel 11120 (von 1455) und 11123 gesetzt, dessen lateinisches Original einem Kartäuser beigelegt ist. In das Morgenland führen zwei andere Übertragungen, nämlich die im Auftrage Philipps vorgenommene Bearbeitung des Directorium ad passagium faciendum des Dominikaners Guillaume Adam unter dem Titel Avis directif pour faire le voyage d'outre mer (1455), der für den von Philipp gelobten Zug nach dem Orient die Anleitung geben sollte, und die Description de la Terre Sainte nach der gleichnamigen Schrift des Dominikaners B u r c h a r d de Monte Sion (1456). In die gleiche Gruppe gehört die Bearbeitung der über den Orient unterrichtenden Voyage des B e r t r a n d o n de la B r o q u i e r e (1455). Die Hs. Brüssel 11 X2o enthält die Bearbeitung des Werkes De q u a t t u o r u l t i m i s rebus eines zeitgenössischen Kartäusers, des Doctor extaticus Dionysius de Leewis von Rickel (Lüttich gest. 1471), das unter dem Titel Des quatre dernieres choses qui sont en avenir aus dem Jahre 1455 und noch sonst ohne Angabe des Übersetzers handschriftlich vorhegt. Die Hs. Bibl. nat. 12 441 (Doutrepont 1. c. S. 141, 215) vereinigt unter dem Namen Moralités Übersetzungen Mielots aus dem Jahre 1456 und zwar einen Traité de morale extrait de Ciceron, Horace, Virgile et Seneque; les proverbes procédant selon l'ordre de l'A B C; Contemplations sur les sept heures de la Passion; la briefve doctrine donnée par s. Bernard, einen Traité de l'art de bien mourir und l'Oraison que fist s. Thomas d' A quin en parlant a N.-Seigneur. Die Hss. Bibl. nat. 9188—89 enthalten eine im selben Jahre (1456) von Mielot beendete Darstellung von Vie et miracles de Nostre Dame für den Herzog Philipp. In das Jahr 1456 fallen noch die Sermons sur l'oraison dominicale in Hs. Brüssel 9092, nach Sermones eines ungenannten Franziskaners ausgeführt. Mielots Leben (Hs. Brüssel 6449 aus dem Jahre 1457) der hl. Catherine von Siena, das in 47 Kapitel der Nova legenda eines Bruders Petrus folgt, der selbst wieder die Vulgata benützt, will eine auf allen Quellen beruhende Geschichte der Heiligen geben, er beginnt deshalb mit der Vermählung von
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Katharinens Eltern und erzählt ausführlich, in Einzelheiten die Vorlage ändernd, die Schicksale der Heiligen. In Hs. Brüssel 9270 von 1458 findet sich von Mielot ein Tratte de la salutation evangelique, aus dem gleichen Jahre (1458) stammt die Übertragimg der lateinischen Passion des hl. Adrian, 1462 folgt das Testament de sainte Adelgunde, Äbtissin von Maubeuge (gest. g. 681). 1463 beendet er die Kompilation der Histoires de toute la bible ou Histoires scolastiques des Johannes von Udine, zu der eine Genealogie der französischen, römischen und deutschen Kaiser nebst der aller Päpste und englischen Könige bis 1462 als Ergänzung tritt; in dasselbe Jahr (1462) fällt die Bearbeitung des großen M a r t y r o l o g i u m r o m a n u m in den Hss. Brüssel 9945—46 (Doutrepont, 1. c. S. 216/17), der Bearbeitungen von lateinischen Martyrologien vorausgingen. Ein Recueil de Proverbes (1456) enthält 351 Sprichwörter (Doutrepont S. 308). 1460 macht er aus Boccaccio, Vergil, Ovid u. a. Zusätze zu den Erläuterungen, die Christine von Pisan ihrer Epistre d'Othea beigefügt hatte. 1468 wendet er sich weltlichen Fragen zu und schreibt, wohl schon für den neuen Herrn von Luxemburg, eine Übersetzung des bekannten Briefes des hl. Bernard De la regle et maniere comment le mesnage d'un bon hostet doit estre gouverne (Doutrepont 1. c. S. 218), in den Hss. Bibl. nat. 1154, 1551, 1973, Brüssel 10495, Metz 855 erhalten. Es folgte die Bearbeitung eines Briefes Ciceros an seinen Bruder Quintus (Bch. I, 1), dem darin Ratschläge für die Verwaltung seiner Provinz gegeben werden, überliefert in Hs. Bibl. nat. 17 001 vom Jahre 1468, und der für den Grafen von St. Pol in zeitgemäße Sprache übertragene Abschnitt über das Alter und die Jugend aus den Eschez amoureux. Aus dem gleichen Jahre stammt der von ihm geschriebene, einem Anonymus gehörige Mors de la pomme, der in mehreren Gesprächen Angehörige aller Stände dem Tode gegenüberstellt, dem sie folgen (E. Schneegans in Rom. 46, S. 537/70, ms. Bibl. nat. fr. 17001). Einfluß auf den französischen Prosastil hat Mielot nicht genommen, er ist in erster Linie Übersetzer, der seinen Text durch Inhaltsangaben und Zusätze erläutert und en cler francpis überträgt. Aus Hesdin war auch J e a n M a n s e l gebürtig, der, wenn mit einem gleichnamigen Einnehmer von Hesdin identisch, bis 1449 zurückzuverfolgen wäre. Er ist der Verfasser einer umfassenden, häufig abgeschriebenen Weltgeschichte La fleur des hystoires in vier Büchern, die von der Weltschöpfung bis Karl VI. und in den
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vollständigsten Exemplaren bis 1400 reicht, die Historia scholastica neben Valerius Maximus und anderen weltlichen Büchern benutzt und ihr Vorbild in Jeans du Vignay Übersetzung des Speculum historíale des Vincenz von Beauvais hat. Sie trägt in einer Handschrift (Bibl. nat. 20316) schon das Datum 1448. Die Arbeit wurde für Herzog Philipp ausgeführt; verwendet wurde darin neben zahlreichen Legenden auch Wauquelins Abkürzung des Romans von Girart von Roussillon. Mansel ist ferner der Verfasser der auf Livius, Sallust, Sueton, Lukian, Orosius beruhenden Histoires romaines, einer 1454 vollendeten Kompilation, welche die Geschichte Roms bis zur Abtretung der Stadt durch Konstantin an den Papst Silvester erzählt (Doutrepont 1. c. S. 137). Der Autor wollte bis Karl den Großen kommen, hat aber seinen Plan nicht ausgeführt. Nach den Hss. Arsenal 5205, 6 und Bibl. nat. 407, 8 hätte Mansel noch einen mehrbändigen Livre de la Vita Christi nach des Kartäuserpriors Ludolf von Sachsen Meditationes vitae verfaßt. Danach würde er den Geistlichen in höheren Ämtern an die Seite zu stellen sein, die Phillip und seinem Sohn Karl Werke nicht mehr bloß kompilatorischen Charakters verfaßten. Für den Grafen von Nevers und Rethel Karl I. schrieb der als e s c r i p v a i n de l i v r e s sich bezeichnende G u y o t d ' A n g e r a n s die Histoire de Gérard de Nevers et la belle Euryant sa mie, eine Auflösung des Roman de la Violette des G e r b e r t de M o n t r e u i l (Hs. Brüssel 9631; Doutrepont, 1. c. S. 56). V. GELEHRTE
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(GESCHICHTE UND ÜBERSETZUNGEN)
Unter den burgundischen Haushistoriographen findet man auch Übersetzer geschichtlicher Werke und Bearbeiter der Z e i t g e s c h i c h t e . Gleichzeitig mit Wauquelin übertrug in den Jahren 1446—49 S i m o n N o k a r t die Hennegauische Chronik des Jacques de Guise, die am eingehendsten über die Geschichte des Landes unterrichtet, das Philipp 1433 von Jakobäa von Baiern an sich gebracht hatte, und daneben die Chroniques des comtes de Flandre bis 1383 nach unbekannter Vorlage. Eine umfangreiche Fortsetzung und Ergänzung zu Jacques' Chronik soll, was wenig wahrscheinlich ist, Philipps Waffenkönig J e a n L e f e v r e , Herr von St. Remy, d i t C h a r o l a i s (von Karl v. Charolais) und roi d'armes de la Toison d'or, seit 1431, als Herold des Vließordens gewöhnlich Toison d'armes genannt, geb. 1395, gest. 1468, verfaßt haben. Im hohen Alter, 1465, begann er erst eine Histoire de
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Charles VI (1408—1435), die bei Louis' von Orléans Tode einsetzt. Er wollte darin das Jahr 1460 erreichen, brach aber seine tagebuchartigen vielfach selbständigen, auf eigener eingehender Wahrnehmung beruhenden Nachrichten über politische, diplomatische, militärische Ereignisse und persönliche Vorfälle aus dem Leben der Herzoge von Burgund und anderer Adeliger mit 1435 ab. Er folgt besonders im Anfang Monstrelet, gewährte George Chastellain Einblick in sein Werk und überließ seine Hs. dem Historiker Wavrin. Er fühlte sich insofern als Schriftsteller, daß er seine reichen Erinnerungen andern nicht vorenthalten will. Als Waffenherold verfaßte er noch einige auf das Turnier bezügliche technische Belehrungen. Seine E-pistre sur les faits d'armes de Jacques de Lalaing ist in der Biographie des J. de L. verwertet worden (siehe das Résumé der Streitfrage über die Zuweisung an La Sale bei Doutrepont S. 99 s. Bibliographie). Über die Geschichte von Holland, Seeland und Friesland, die als Erbe Jakobäas Philipp zufielen, unterrichtete die Übersetzung einer einheimischen Landesgeschichte, welche von dem Utrechter Kanonikus Johann de Beka auf dem Chronicon de episcopis Ultrajectinis, von dem ersten Bischof von Utrecht, Willebrod (690), bis zum Jahre 1346 geführt wurde. Bekas Aufzeichnungen setzte ein Unbekannter bis 1393 fort. Auch der französische Übersetzer des Ganzen, der seine Übertragung im 15. Jahrhundert anfertigte und Philipp widmete, hat sich nicht genannt. Der älteste unter den Zeitchronisten des burgundischen Hauses E n g u e r r a n d de M o n s t r e l e t (Somme), 1400 geboren, Verwalter des Kapitels (1436) und dann Probst der Stadt Cambrai (1440), gest. 1453, beginnt seine Chroniques bei 1400 und will für die burgundischen Länder Froissart fortsetzen. Er gelangte bis 1444. In seinen Mitteilungen beruft er sich gerne auf Gewährsmänner, denen er sein reiches Material verdankt. Er benützt die Chrottographia regum Francorum von 1401—05 und hat auch Aktenstücke verwertet; gleichwohl zeigt er Unkenntnis in geographischen Angaben und historischen Namen. Sein Urteil reicht zwar weiter als bei den in französischer Sprache schreibenden und auf ihm fußenden Chronisten seiner Zeit, doch bringt er es ungeachtet aller detaillierter Darlegung nicht zu Froissarts lebendiger und farbenprächtiger Anschaulichkeit. Trotz seiner betonten Unparteilichkeit steht er auf burgundischer Seite und geht über manche, Philipp nicht vorteilhaften Ereignisse geschickt
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hinweg. Monstrelets Grundsätzen in der Sammlung, Verwertung und Darstellung des Stoffes schloß sich der Fortsetzer seiner Chroniques von 1444—61, M a t t h i e u d'Escouchi an, ein aus dem Département Somme gebürtiger Adeliger, geb. g. 1420, gest. nach 1482, der seine C h r o n i k , in welcher er gerne bei dem Prunk des burgundischen Hofes verweilt, um 1465 verfaßte und ritterlichen Sinn und Interesse auch für Vorgänge in Italien und England sowie für die Ritterspiele kundgibt. Auf Monstrelets Chronik scheint auch P i e r r e Fenin aus Arras zurückzugreifen, dessen Memoires, unparteiisch und zurückhaltend im Ton, die Ereignisse der Jahre 1407—1427, bes. die Kämpfe zwischen den Häusern Orléans und Burgund berichten. Mit Philipps Tode (1467) endigen die tagebuchartigen, 1448 aufgenommenen Memoires des J a c q u e s du Clercq, Herrn von Beauvoir (Pas de-Cal.), eines der Räte Philipps (geb. 1420, gest. 1501), der sich zu imbedingter Wahrhaftigkeit auch zuungunsten des Herzogs und seiner Beamten verpflichtet hält, objektiv berichtet, das Elend dem Prunk des herzoglichen Hauses gegenüberstellt, vielerlei über Arras, auch Intimes aus fürstlichen Häusern mitzuteilen weiß, sich aber begnügt, die Einzelheiten, die er vorführt, äußerlich und in trockener Darstellung aufzureihen. Ein leidenschaftlicher Parteimann der Burgunder spricht dagegen aus dem anonymen Livre des trahisons de France envers la maison de Bourgogne (nach 1467), welches offen auf Beeinflussung der öffentlichen Meinung hinarbeitet. Der unbekannte Verfasser der bereits erwähnten Chronique des Cordeliers, dessen Aufzeichnungen über die Jahre 1400—22 gedruckt sind, ist gleichfalls Parteigänger Burgunds. Als Augenzeuge der von ihm berichteten Ereignisse erzählt J e a n , sire de H a y n i n et de L o u v i g n i e s (1423—95) in seinen auch lyrische Gedichte enthaltenden Memoires die Geschichte der Jahre 1465—70 in ausführlicher Darstellung, während die folgenden Jahre bis zum Tode Karls des Kühnen nur in kurzen Notizen festgehalten werden. Er gibt interessante Einzelheiten aus dem intimeren Kreise des herzoglichen Hofes, schildert lebhaft, bringt auch gerne Anekdoten und streut auch Lieder oder Balladen in seinen Bericht ein. Auf 5 Bücher, von der Weltschöpfung bis zur Zeit Karls des Kühnen reichend, wollte Jean d'Enghien, seigneur de Kestergat, seine Chroniques de Brabant bringen, kommt aber nur bis 1288. Er verwertet Jean Wauquelins französische Übersetzung der lateinischen Chronik
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des De Dynter, übernimmt in den ersten drei Büchern Fabeln und Legenden, im 4. bereits bekannte Chroniken, ohne aber originelle Darstellung zu versuchen. Belehrung in staatsrechtlichen und politischen Fragen erteilt der durch lateinische Schriften für seinen Orden bekannte Dominikanerprior und spätere Bischof von Auxerre (1422; gest. 1449) L a u r e n t Pignon (Pinon), wenn er Philipp, dessen Kaplan er war, in einem französischen Traité du commencement des seigneuries et diversité des estais über die Rechte und Beziehungen der Stände in einem Staate vom christlichen Standpunkte aus Unterweisung gibt. Die Schrift geht auf die lateinische Abhandlung De origine jurisdictionum des Bischofs von Meaux, F. Durand de S. Poursain, zurück. Philipps Interesse am Orient wurde durch Berichte wach erhalten, wie sie einer seiner Beamten, B e r t r a n d o n de la B r o q u i e r e in seiner stilistisch oft schwerfälligen, jedoch auf eingehender Beobachtung fußenden Voyage d'Outremer niederschrieb, die das Tagebuch des 1432—1433 in den heiligen Stätten verbrachten Aufenthaltes darstellt. Später, gegen 1450, schreibt G u i l l e b e r t de L a n n o y (Nord), Herr von Sanctes, Willerval usw., Ritter des Vliessordens und Rat Philipps, geb. 1386, gest. 1462, einen ähnlichen Bericht über seine Reisen, die ihn nach Preußen und 1421 auf Philipps Wunsch in den Orient geführt hatten, um die für den beabsichtigten Kreuzzug in Betracht kommenden Gebiete zu erforschen. Er hält seine Beobachtungen über die Länder und Städte an den östlichen Küsten des Mittelmeers und die heiligen Orte in Palästina in seinen Voyages et ambassades de G. de L. unter Berücksichtigung militärischer Gesichtspunkte fest. Dem Chronisten Jean Lefevre hatte Guillebert über die Schlacht von Azincourt (1415), in der er gefangen worden war, eingehende Mitteilungen gemacht. In seinen mit Jean d e W e r c h i n gewechselten B a l l a d e n aus dem Jahre 1404 äußert er sich in den Anschauungen der höfischen Dichtung über Minnedienst und Treue seiner Dame gegenüber, deren Eigenschaften er rühmt, ohne irgendeine persönliche Note hervortreten zu lassen (Piaget, Rom. 1910, S. 324—68). Zugeschrieben wird Guillebert noch die Instruction d'un jeune prince, welche man auch Chastellain zuweist und die in einem angeblich während einer Reise in Norwegen gefundene Pergament Verhaltungsmaßregeln für Herrscher gibt (Ausg. Potvin.). Fraglich ist, ob der Verfasser des Enseignement de vraye noblesse, worin Imagination in einer Botschaft an
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den Adel ein Zeitbild entwirft, mit Guillebert zu identifizieren ist (Doutrepont 1. c. S. 317/18). Die Gründung des Ordens vom Goldenen Vlies durch Philipp, 1430, gab den Anstoß zu einem genaueren Studium der Sage von J a s o n u n d M e d e a und damit der Geschichte Trojas, die in der burgundischen Bibliothek mit 17 Hss. vertreten war (Doutrepont 1. c. 176). Die Verbreitung der trojanischen Sage ist das Werk von Philipps Kaplan R a o u l L e f e v r e (gest. nach 1467) und des Kanzlers des Vliesordens G u i l l a u m e F i l l a s t r e , Bischofs von Verdun (1433), von Toul (1449) und vonTournai (gest. 1473), der in politischem Verkehr mit dem König René von Anjou begegnet. L e f e v r e s Roman de Jason et Medee, der neben den Göttergenealogien Boccaccios u. a. auch Guido delle Colonne verwertet und als Abenteuerroman für Philippe geschrieben wurde, läßt die Erzählung auf Wunsch Jasons verfassen, um diesen vor der Nachwelt wegen seiner Haltung Medea gegenüber zu rechtfertigen. Der Roman fand weniger Anklang als sein Recueil des hystoires de Troye, der 1463 volllendet und später (1469) nach Guido d. Colonne erweitert wurde. Nach dem Prolog hat Philipp selbst den Plan des Werkes entworfen, das die gesamte Geschichte Trojas in drei Abschnitten noch über die Gedichte Homers hinaus erzählt. Der erste Teil enthält außer Mythen von Saturn, Jupiter, Perseus u. a. die Erbauung Trojas, der zweite berichtet von Herkules, der ersten Zerstörung Trojas, dem Raub der Helena, der dritte enthält die bekannten Ereignisse vor Troja und die späteren Schicksale der Helden. Auch hier trägt der Autor kein Bedenken, Götter und antike Helden als Gestalten seiner Zeit vorzuführen. Das Werk hatte sehr großen Erfolg und wurde auch von Caxton ins Englische übersetzt. Fillastre beabsichtigte wieder, in seiner unvollendeten Abhandlung La Thoison d'or, die das Thema einer 1468 im Ordenskapitel zu Brügge gehaltenen Predigt aufnimmt, den 6 Vliesen des Jason, Jakob, Gideon, Mesa, Königs von Moab, Job und David ebenso viele Bücher zu widmen, von denen jedes über eine ritterliche Tugend (Großmut, Gerechtigkeit, Klugheit, Treue, Geduld, Milde) handeln sollte. Fertig wurden nur die ersten drei als Sammlung moralischer und allegorischer Interpretationen antiker Erzählungen über Rittertugenden und geschichtliche Ereignisse. Sie wurden 1468 dem Herzog Karl dem Kühnen gewidmet. Von 6 Toisons hatte übrigens schon Guillaumes Vor-
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gänger im Amte eines Kanzlers des Ordens des Goldenen Vlieses, der erste Kanzler des Ordens (1431) J e a n G e r m a i n gesprochen, der, zu Cluny geboren, in Paris Doktor der Theologie, 1422 Kaplan des Bischofs von Tournai, 1429 Rat Philipps und Beichtvater seiner Gemahlin, 1432 Bischof von Nevers, 1436 Bischof von Châlon s. Saône wurde, 1460 starb und wiederholt von Philipp als Gesandter verwendet worden war. Sein 1450 für Philipp geschriebener Debat du chrestien et du sarazin (5 Bücher), auch traité de la fausseté de la loi sarrasine et la vérité de la sainte foi chrétienne, der vielleicht auf Denis von Leewis Schrift Contra Alcoranam et sectam Mahometicam und auf Bertrandons Voyage zurückgeht, legt in ausführlicher Wechselrede die Haltlosigkeit des muselmannischen Glaubens und die Göttlichkeit des Christentums dar. Die Mappemonde espirtuelle (vor 1457) ist eine Art Reallexikon aller in der Bibel und den Heiligengeschichten enthaltenen örtlichkeiten und geographischen Namen, in Illustrations de six sortes de toisons gibt er Beispiele weltlicher Tugenden in verschiedenen Zeiten und Ländern, 1452 datiert sein Bericht Discours du voyage d'oultremer au très victorieux roi Charles VII über die Lage der Kirche im Orient mit der Aufforderung zu einem Kreuzzug. Im Jahre 1457 setzte er Philipps Sohn Karl von Charolais in Les deus pans de la tapisserie chrestienne, einem vielleicht für bildliche Darstellungen berechneten Text, auseinander, wie der wahre Christ in Kampf und Demut zum Sieg gelangen könne. In lateinischer Sprache huldigte er Philipp 1453 in einer längeren Lobpreisung ,De virtutibus Ducis Philippi, zu seinem Kreuzzugsplan. An weiteren theologischen Schriften nennt er, als vor 1457 von ihm veröffentlicht, in der Tapisserie chrestienne: Quatre livres de sentences; Cinq livres contre la secte de Mahomet, eine andere Bezeichnung für den Debat zwischen dem Christen und Sarazenen; einen livre contre la doctrine de maistre Augustin dit de Romme, gegen den auf dem Basier Konzil als Ketzer erklärten Augustinergeneral Favaroni (gest. 1443) ; eine Abhandlung De la purgation des atnes und eine andere De la conception de la glorieuse vierge Marie. Sie sind handschriftlich nicht bekannt und dürften nur für gelehrte Leser berechnet gewesen sein. Auf Wunsch des Herzogs Philipp redigiert ferner ein m a i s t r e A l a r d , Kanonikus von Leuze, die Reparation du pecheur nach einem lateinischen Text, während frère P i e r r e C r a p i l l e t aus Dijon dem Herzog die Ubersetzung der Schrift De a r r h a a n i m a e Gröber-Hofer, Gesch. d. mittelfri. Lit. II.
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des Hugo v. S.Victor und desCur deus homo nebst drei Predigten des hl. Anselm anbot. Unbekannt ist der Übersetzer der Homilien des hl. Bernhard über den Text Missus est (Doutrepont 1. c. 229) und der Schrift des Aegidius von Rom de regimine principum unter dem Titel: Livre du gouvernement des princes (Handschrift Brüssel 9043, s. Doutrepont, S. 310). Die Übersetzungsliteratur verzeichnet unter Karl dem Kühnen noch weitere Erstbearbeitungen lateinischer und spanischer Werke. V a s q u e de Lucene (Vasco, conde de Lucena, 1410—99), der mit Philipps Gemahlin (1430) Isabella von Portugal nach Frankreich gekommen war und 1459 oder 1460 Philipp die Ubersetzimg des Trionfo de las donas seines Landsmannes Juan R o d r í g u e z de la Cámara (v. 1445) gewidmet hatte, in dem der Wert der Frau mit fünfzig Gründen, darunter einigen recht bedenklichen, bewiesen wird, vollendet i. J. 1468 bei Kassel für Karl die erste französische Übertragung von Curtius Rufus' Alexandergeschichte, Faitz et gestes d'Alexandre le Grand und er erweiterte sie durch Zusätze aus Justin und Orosius in der ausgesprochenen Absicht, die Fabeln und Fabelbücher über Alexander den Großen durch die vollständige authentische Geschichte Alexanders nach glaubwürdigen Autoren (acteurs authentiques) zu ersetzen. Auch die erste französische Ubersetzung von Xenophons Kyropaedia unter dem Titel Traité des faitz et haultes prouesses de Cyrus rührt von ihm her (nach ms. Bibl. nat. 9736 aus dem Jahre 1470), für welche er Poggios lateinische Übertragung verwendet. Von unbekannter Hand, als Autor wird Jean du Chesne genannt (Doutrepont, 1. c. 180), wurde für Karl noch eine neue Übersetzung von Caesars C o m m e n t a r i i hergestellt, die sich im Eingang über die ältere römische Geschichte verbreitet (Hs. v. 1474). Aus dem Lateinischen übersetzt Charles Soillot, Sekretär Karls des Kühnen, Xenophons Hieron (1468). Er ist auch der Verfasser eines Debat de felicité in Prosa und Versen, in welchem allegorische Gestalten erklären, das Glück nur im Himmel finden zu können. Die im Dienste der Herzoge von Burgund stehenden Dichter werden mit jenen Schriftstellern, die außerhalb Burgunds die gleichen Anschauungen und Bestrebungen vertraten, nach ihrer eigenen Bezeichnung Rhetoriqueurs genannt. Es sind Hofdichter, welche sich gleichzeitig auch als Geschichtsschreiber betätigen. Der Name Rhetoriker bezeichnete schon in der Auffassung des 14. Jahrhunderts einen Dichter, der es verstand, seine Wort-
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und Formenkunst vor allem in der Versdichtung zur Geltung zu bringen. Daher nennt Eustache Deschamps in einer Ballade Machault le n o b l e r h e t o r i q u e . Am burgundischen Hofe tragen diesen Namen Georges Chastellain, Pierre Michault, Olivier de la Marche, Jean Molinet, in Frankreich, am Hofe der Herzogin von Bretagne, schreiben Jean Meschinot, Guillaume Cretin, André de la Vigne, von denen Cretin mit Molinet korrespondiert, Meschinot ein Freund Chastellains ist. Neues haben die Rhetoriker nicht gebracht, sie setzen die bürgerliche Dichtung des 14. Jahrhunderts fort, von der sie zunächst die Themen der Liebeslyrik übernehmen. Inneres Mitempfinden ist hierbei völlig außer acht gelassen, ein fester Formalismus, der mit den bekannten Voraussetzungen der höfischen Modedichtung verbunden ist, erfüllt diese Liebeslyrik, zu der noch Gelegenheitsdichtungen über politisch-historische Stoffe, die sie infolge ihrer amtlichen Stellung erörtern mußten, und endlich religiöse, moralische Abhandlungen traten, in denen Glaubenswahrheiten und Legenden aufgegriffen oder ernste Lehren, meist in versteckter Weise, erteilt werden. In all diesen Werken steht die Gelehrsamkeit im Vordergrund und ergeht sich in langen Erörterungen. Als Geschichtsschreiber ahmen sie das Vorbild der lateinischen Chronisten, besonders aber des Livius nach, dessen oratorischen, ernsten Stil sie übernehmen, wobei manche Neubildung versucht wird,um einen ungelenken oder unzutreffendenAusdruck zu ersetzen. Kennzeichnend für die Dichtung der Rhetoriqueurs ist nicht die Sorge um den Inhalt, ihr Streben geht nach Virtuosität im Ausdruck und in der metrischen Form. Schwer verständliche Allegorien setzen nicht nur die Tradition des Rosenromans fort, das Streben, Wissen und Gelehrsamkeit zu zeigen, führt die antike Mythologie in die Dichtimg, die Sucht nach Originalität erklärt die Wortspielereien aller Art, die besonders gerne an Eigennamen haften. Im Streben, die Poesie als eine Kunst auch rein äußerlich erkennen zu lassen, legen sie den größten Wert auf Form und Rhythmus, sie bauen komplizierte Strophen, die sie mit reichen und seltenen Reimen ausstatten. Die Bedeutung dieser Männer liegt in dem Versuche, die Dichtkunst mit dem hohen Ernste wissenschaftlicher Aspirationen erfüllt zu haben, indem sie außer Talent für den Dichter auch ein ziemliches Maß von Bildung forderten, wodurch sie auf das IS«
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Altertum als Quelle der Inspiration hinwiesen. Indem sie die Verskunst durch genaue Regeln definieren (Molinet) und festlegen wollten, haben sie der späteren Zeit die Wertschätzung für Reimtechnik und Strophenbau erhalten. Noch 1521 fußt Fabri in seiner Rhetorik auf den von den Rhetorikern gepflegten Dichtungsarten, die Plejade hat in den Rhetorikern ihre Vorläufer gefunden.
DER HUMANISMUS IN FRANKREICH. Humanistische Bestrebungen reichen, wenn man unter diesem Ausdruck im allgemeinen die Beschäftigung mit klassischen oder orientalischen Sprachen bezeichnen will, weit in das Mittelalter zurück, doch verfolgten sie damals andere Ziele, als man heute darunter versteht. Schon Franziskaner und Dominikaner erkannten den Wert hellenistischer und orientalischer Studien, welche sie aber nur in den Dienst religiöser Propaganda stellen wollen. R o g e r B a c o n weist das erstemal auf die Wichtigkeit des Griechischen, Arabischen und Hebräischen für das Studium der Philosophie hin und seine Ansicht teilt der Jurist P i e r r e D u b o i s in seiner Schrift: De recuperatione terrae sanctae. 1300 bat die Pariser Universität den Papst um die Erlaubnis, ein Collège errichten zu dürfen, in welchem Griechisch, Arabisch und tartarische Sprachen gelehrt werden sollten, 1312 ordnete ein Statut des Konzils von Vienne die Errichtung von Lehrstühlen für Arabisch, Griechisch, Hebräisch, Chaldäisch in Paris, Bologna, Rom, Oxford und Salamanca an. Trotz dieser Bestrebungen, die Kenntnis antiker Sprachen zu verbreiten, war Frankreich, was Kenntnis des klassischen Lateins, seine Pflege und den Gebrauch im Schulwesen betraf, noch weit hinter Italien zurückgeblieben. Im 14. Jahrhundert haben nun politische Verhältnisse dazu beigetragen, Frankreich in Verbindung mit Italien zu bringen und dadurch einen Aufschwung der humanistischen Studien in die Wege zu leiten. Der Hof in Avignon hielt die Verbindung mit Italien aufrecht und konnte die Humanisten des 14. Jahrhunderts, Dante, Boccaccio, Petrarca, in Frankreich bekannt machen. Verwandtschaftliche Beziehungen und politische Bündnisse brachten den französischen Hof mit Mailand, Genua, Venedig, Pisa, Florenz, Neapel in Berührung, Theologen, Juristen und Staatsmänner halten durch ihre Reisen
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und Briefe, in denen sie sich über gelehrte Themen und Schriftsteller aussprechen, die Beziehungen zu diesen Höfen aufrecht und erweitern ihren Horizont. Philippe de Mezières, Jean de Montreuil, Guillaume Fillastre begeben sich nach Italien, Nie. Oresme, Gontier Col, Gerson suchen Avignon auf und müssen die Überlegenheit der italienischen Gelehrten, was Kenntnis der antiken Welt und ihrer Sprache betrifft, anerkennen. Von den italienischen Humanisten stand Petrarca in hohem Ansehen, er ist nach Jean de Montreuil der 'philosophe moral très devot catholique et très célébré', Boccaccio galt dem Mittelalter vor allem als Autor der lateinischen Schriften De casibus virorum illustrium und De claris mulieribus. Das Interesse für das lateinische Altertum zeigte sich in den zahlreichen Übersetzungen, welche, von dem französischen Hofe und den Mitgliedern des Hochadels gefördert, die Kenntnis antiker Autoren und neuer Ideen verbreiteten. Doch führten diese Studien trotz der Bewunderung für die antiken Autoren nicht dazu, in den Geist des Altertums und seine Lebensauffassung einzudringen oder eine geistige Unabhängigkeit von den Anschauungen der eigenen Zeit zu erringen, sie wollen vielmehr Belegstellen über Moral, Politik, Rhetorik, Logik und andere Wissensgebiete zusammentragen und in mehr oder weniger handlichen Kompendien der Umwelt vermitteln. Dies erklärt auch den Umstand, daß der Rosenroman infolge seiner enzyklopädischen Gelehrsamkeit noch immer im Vordergrund des Interesses blieb. Auch Reformbestrebungen zur Hebung des Unterrichts fehlen nicht, haben aber, wie der Versuch des Nicolas von Clamanges, wenig Erfolg. Denn auch der Universitätsunterricht bleibt starr in den Methoden, die seit dem 13. Jahrhundert festgelegt waren. Noch 1452 schrieb die weitere Kenntnis vermittelnde Fakultät der Artes für das Lateinische das D o c t r i n a l e , eine Grammatik des Lateinischen nebst Anleitungen zum Gebrauch der rhetorischen Figuren, des Alexander von Villedieu (1209—1240) und den Graecismus, ein Lehrbuch der Rhetorik und Metrik mit Beispielen, des Evrard von Béthune (um 1212 verfaßt) vor. 1338 besitzt die Sorbonne von lateinischen Schriftstellern Ovid, Virgil, Horaz, Lukian, Terenz, Juvenal, Statius, den Lehrgang in Logik, Physik, Psychologie, Moral und Mathematik beherrscht Aristoteles, dessen Schriften als Canon obligatorisch waren. Die Kenntnisse in der Mathematik wurde durch die Arithmetica des
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Boethius, den tractatus de sphaera und andere mathematische Schriften des Johann von Holywood (gest. 1256) und die Sphaera des Pierre d'Ailly (1350—1420) gelehrt. Probleme der Metaphysik und der Moral kamen an der Hand der Texte des Aristoteles zur Erläuterung, wobei es seit 1475 Lehrern und Schülern freistand, die Erklärungen nach der Philosophie des hl. Thomas, des Duns Sc., Ockam oder Buridan zu geben (s. u.) Die theologische Fakultät erkannte als Autorität nur die Bibel an. Doch waren die Theologen nicht imstande, den griechischen oder hebräischen Text zu lesen, die Bibelexegese bestand in allegorischer und symbolischer Auslegung, in moralischer und geschichtlicher Belehrung, ihr Programm ist in den beiden Hexametern gegeben: Littera gesta docet, quid credas allegoria, Moralis quid agas, quod tendas anagogia. Eine reiche Literatur von Glossen zog den Blick von jeder philologischen Interpretation ab. Die verbreitetsten waren außer dem Glossarium vetus des 9. Jahrhunderts die Historia scholastica des Petrus Comestor (gest. 1179), die als Bible historiale Ende des 13. Jahrhunderts von Guiars des Moulins mit Zusätzen in französischer Fassung allgemein zugänglich wird (gedruckt 1476 in Lyon), und der liber sententiarum des Petrus Lombardus (gest. 1160), der die von der Kirche gebilligten Interpretationen enthielt. Dazu traten als Ergänzung die Specula (Vincenz von Beauvais) und die Summae (Thomas von Aquin). Die offenkundigen Mängel im Text der Vulgata hatten zwar im Laufe der Zeit verschiedene Verbesserungen notwendig gemacht, doch waren diese im 15. Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Innerhalb der Theologie konnten sich nun, vielfach beeinflußt durch die aristotelischen Lehren über Logik, Psychologie und Metaphysik, Systeme entwickeln, welche die Fragen nach dem Zwecke der Welt, dem Wesen Gottes, der Erkenntnis und dem Verhältnis des Menschen zur Welt mit den von der Kirche vertretenen Anschauungen beantworteten. Nach Thomas von Aquin, der den Gegensatz von Vernunft, Glauben und Dogma mittels aristotelischer und einiger neuplatonischer Ideen überbrückte und lehrte, daß die Vernunft, wenn sie schon das Dogma nicht beweisen, doch dessen Wahrscheinlichkeit darlegen und so Metaphysik und Erkenntnis durch den Glauben verbinden könne, und Duns Scotus, der die religiöse Erkenntnis nicht auf die Vernunft, sondern auf die Autorität der Bibel, der Kirche und des Glaubens
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gründete, gewann die Lehre des Wilhelm von Ockam, der in Paris um 1320 lebte, den größten Einfluß. Wilhelm von Ockam lehrt, daß die Erkenntnis des Menschen sich darauf beschränke, was ihm die Erfahrung vermittle. Er lehnt daher jede transzendentale Spekulation als unmöglich ab, da die menschliche Vernunft, die ihre Eindrücke über die Außenwelt durch die Sinne erhält, über ihre Grenzen nicht hinausgehen könne, doch beugt er sich vor den Offenbarungen, die man als gegeben hinnehmen müsse. Die Theologie ist nach ihm keine Wissenschaft, da sie Glaubensartikel zum Inhalt hat, die man als enthüllt annehmen muß, ohne sie durch Verstandestätigkeit erklären zu wollen. Diese Lehre, der Nominalismus, konnte um 1350 in der Fakultät der Artes Fuß fassen und binnen kurzem die scholastische Lehrmethode bestimmend beeinflussen. Denn die Philosophie des Wilhelm von Ockam legte, da sie den Blick vom Transzendentalen abwandte, ihr Hauptaugenmerk auf die kunstvolle Dialektik und Logik, die sie zur Verteidigung oder Entwicklung ihrer Thesen benötigte. Diese lateinische Dialektik schuf sich ihre feststehenden Formeln und Redewendungen, die später den Spott der Humanisten auf sich zogen. Der Nominalismus, dem die Theologen zunächst abweisend gegenüberstanden, gewann später auch die theologische Fakultät, wo sich der Unterricht, erleichtert durch eine Menge von Handbüchern, nun auf Diskussionen beschränkte, die nicht die Bibelstellen selbst, sondern die im über sententiarum enthaltenen Glossen zum Gegenstand nahmen. Der Rationalismus dieser Lehre führte dann nach der Mitte des Jahrhunderts zu einer Neubelebung des Mystizismus der thomistischen und skotistischen Lehren, indem jene wieder metaphysische Probleme in den Vordergrund rückten, letztere dem Willen des Gläubigen, der durch die Autorität des Glaubens und der Kirche geleitet wurde, einen größeren Anteil gaben. Doch hat dieser Kampf weder zu einer Erneuerung philosophischen Denkens noch zu einer Umbildung der Dialektik bzw. Verbesserung des Lateinischen geführt, das im barbarischen Pariser Stil gesprochen wurde (A. Renaudet, 1. c. S. 99, Anm. 1). Der Niedergang Frankreichs infolge des 100jährigen Krieges hat selbstverständlich dazu beigetragen, daß Unterricht und Wissenschaft fast jeden Zusammenhang mit der Antike verloren hatten. In der Literatur des 15. Jahrhunderts machen sich zwar Bestrebungen geltend, den Anschluß an das Lateinische zu be-
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tonen, doch gingen diese Bestrebungen mehr auf Äußerlichkeiten als auf den Inhalt. Die Schriftsteller dieser Periode glauben nämlich, durch Latinismen und Verwendung der Mythologie den lateinischen Autoren nahe zu kommen, doch können die Rhetoriker nicht als Humanisten bezeichnet werden, da sie im Geist des Mittelalters und seiner Formen befangen bleiben. Was der Literatur versagt blieb, war den Gelehrten vorbehalten, die mit wissenschaftlichem Rüstzeug an die Aufgabe herantraten, das klassische Altertum in Sprache und Geist neu erstehen zu lassen. Als treuester Helfer in diesem Bestreben erwies sich das gedruckte Buch. 1470 waren auf Veranlassung von Johann Heynlin, dem früheren Rektor der Pariser Universität, die ersten Buchdrucker, Michael Friburger aus Kolmar, Ulrich Gering aus Konstanz, und Martin Crantz, nach Paris gekommen, wo sie ihre Druckerei, die erste in Paris, in der Sorbonne einrichteten und von 1470—72 neben Büchern italienischer Humanisten auch Ausgaben von Sallust, Florus, Valerius Maximus und von Ciceros De officiis veranstalteten. Nach 1472 brachten sie Autoren des Mittelalters, den Rosenroman, Villon, die Bibel (1476) heraus. Bis 1500 hatte diese Druckerei, die inzwischen die Sorbonne verlassen hatte, Virgil, Horaz, Terenz, Cicero, Aristoteles und eine Anzahl lateinischer Autoren des Mittelalters, Theologen und Philosophen, veröffentlicht. Nachahmer folgten, Peter Kayser und Johann Stoll, welche von 1474—79 arbeiteten und 1475 Gaguins Metrik herausgaben, und 1475 zählte man in Paris schon vier Druckereien, welche außer den klassischen Autoren auch französische Werke, die gelehrten Schriftsteller des Mittelalters, Ritterromane, Prosaerzählungen, erbauliche Literatur den Lesern zugänglich machten. Durch Luxusausgaben, die mit prächtigen Holzschnitten ausgestattet sind, ist Antoine Verard bekannt. Der berühmteste Buchdrucker der Zeit, der auch über philologische Kenntnisse verfügte, war aber Josse Bade Ascensius (Jodocus Badius), der in Löwen studiert und in Italien die Kurse von Grammatikern und Philologen gehört hatte. In Lyon überließ ihm Jean Trechsel die literarische Leitung seiner Druckerei, die unter anderen Werken auch einen von ihm kommentierten Terenz veröffentlichte. Gaguin übergab ihm das Manuskript seines Compendium Historiae Francorum, das Juni 1497 bei Trechsel erschien. Nach dessen Tode (Mai 1498) kam J . B. im Sommer 1499 nach Paris, wo er bereits durch seine Kommentare zu den Klassikern den Ruf eines ausgezeichneten
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Grammatikers besaß. E r trat hier beim Drucker Jean Petit als Leiter ein, veröffentlichte zunächst die Werke italienischer Humanisten und wandte sich dann den Klassikern zu, die er in kommentierten Ausgaben herausbrachte (Horaz, Virgil). 1506 eröffnete er seine eigene Druckerei Praelum Ascensianum, aus der nun seine Ausgaben christlicher Theologen, italienischer Humanisten und antiker Autoren, alle von Kommentaren begleitet, den Weg in die Öffentlichkeit nahmen. 1510 erschienen Theokrit und die Iliade, 1 5 1 1 Livius, Ovid, die Briefe und Reden Ciceros, Horaz; 1 5 1 2 Polybius in der Übersetzung des Leon. Bruni, Juvenal, Seneca; 1 5 1 3 Valerius Maximus, Thukydides, von Lor. Valla übersetzt; Sallust, Livius; 1 5 1 4 die Opuscula des Plutarch. Mit Henri Estienne gibt er die Werke Lefèvres und Erasmus' heraus. Josse Bade hat an der Verbreitung der neuen Ideen den tätigsten Anteil genommen. Neben Paris gewann Lyon, wo das erste Buch 1473 erschien, als Zentrum humanistischer Bildung und des Buchdruckes bald die größte Bedeutung. Erst durch die neue Kunst war es möglich geworden, die humanistischen Bestrebungen in weite Kreise zu tragen und auf Grund der billigeren, schnell gedruckten Ausgaben das Studium der alten Sprachen allen Lernbegierigen zu erschließen. Dieser Einflußnahme des Buchdruckes auf die Verbreitung humanistischer Bestrebungen war aber eine Reform des Unterrichts vorangegangen, die nach 1450 einsetzte, als Griechen und Italiener nach Frankreich kamen und hier die antiken Sprachen lehrten. Als erster erschien J o h a n n A r g y r o p u l o s in Frankreich, blieb aber nur kurze Zeit (1455). Im nächsten Jahre lehrte G r e g o r i o da Città di Castello, T i f e r n a t e genannt, Griechisch in Paris, wo man ihm 1458 eine Lehrkanzel an der Sorbonne anbot, doch hatte er Frankreich 1459 wieder verlassen. Er interpretierte auch lateinische Autoren nach der in Italien geübten Methode, welche grammatische und stilistische Übungen verband. Sein Schüler war Gaguin. 1473 lernt Reuchlin von Schülern Tifernates Griechisch in Paris. Der bedeutendste Lehrer für Griechisch war Georg H e r m o n y m o s aus Sparta, seit 1476 in Paris, er unterrichtete Reuchlin, Budé und Erasmus, der sich aber nicht sehr lobend über seine Kenntnis ausspricht. Erst mit François Tissard, der 1507 aus Italien nach Paris kam, erhielt der Unterricht im Griechischen neue Anregungen durch Lehrbücher und Vorlesungen Tissards. Zahlreich kamen Italiener
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und lehrten das elegante Latein der Humanisten jenseits der Alpen. F i l i p p o B e r o a l d i aus Bologna ließ sich 1476 in Paris nieder, wo er Kurse hält und 1476 Sallust, 1477 Virgil herausgibt. Für ihn ist Plato schon 'ille deus philosophorum'. Der Italiener G i r o l a m o B a l b i aus Venedig kommt 1484 nach Paris, er ist als Autor lateinischer Epigramme bekannt und veröffentlicht außer Tragödien des Seneca auch das Somnium Scipionis. Er muß 1491 wegen literarischer Fehden Paris verlassen. 1488 folgen ihm Cornelio V i t e l l i , der 1489 Frankreich wieder verließ, und F a u s t o A n d r e i i n i , der Livius und Suetonius interpretierte, eine Livia, lateinische Elegien sowie Gelegenheitsdichtungen verfaßte und Vorlesungen über lateinische Redner hielt. Er lehrte auch einige Monate in Poitiers und in Toulouse. D o m e n i c o Manzini aus Rom hatte 1482 in Paris die Lectura sententiarum des Gregor von Rimini, 1484 den Libellus de quattuor virtutibus und verschiedene lateinische Gedichte veröffentlicht. Durch diese Gelehrten waren die Studenten mit den Lehrbüchern der italienischen Humanisten über Stilistik und Rhetorik vertraut geworden (Agostini Dati, Elegantiae, um 1475; Nie. Perotto, Opus utilissimum grammaticale, 1477; opusculum grammaticae et artis metricae, 1494; Lorenzo Valla, Elegantiae, 1471 in der Sorbonne gedruckt). Die Universität wurde aber erst durch G u i l l a u m e F i c h e t (1433—1490), der selbst als Interpret klassischer Autoren an der Sorbonne wirkte, dem Humanismus gewonnen, dem er durch seinen Aufenthalt in Mailand näher getreten war (1469—70). Er setzte es 1470 durch, daß den deutschen Buchdruckern Ulrich Gering, Michael Friburger und Martin Crantz das Privileg zur Eröffnung ihrer Druckerei in der Sorbonne erteilt wurde, er selbst besorgte die Ausgabe von Ciceros De offieiis und verfaßte eine Rhetorik für seine Schüler, die er in seinen Übungen mit den grammatischen und philologischen Arbeiten der Italiener vertraut machte. Ihm ist auch die Verbreitung platonischer Ideen zu verdanken und im Kampf, den Georg von Trapezunt 1464 durch seine Comparatio Piatonis et Aristotelis, eine Herabsetzung Piatons, entfesselt hatte, stand Fichet auf der Seite des Patriarchen von Nicea Bessarion, der 1469 seine Antwort in der Schrift In calumniatorem Piatonis veröffentlicht hatte. Fichets Bedeutung, der in Rom gegen 1490 gestorben ist, liegt darin, daß er als Lehrer die Schönheit und Eleganz des Lateinischen verbreitet und seine Zeitgenossen mit den Ideen
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der italienischen Humanisten sowie mit ihrer Arbeitsweise bekannt machte. Seine Verteidigung Piatos trug zur Verbreitung der Ideen des attischen Philosophen bei, dessen apokryphe Epistulae in der Übersetzung des Leonardo Bruni 1472, wahrscheinlich von ihm gefördert, von der Druckerei der Sorbonne veröffentlicht wurden. Neben Fichet ist R o b e r t G a g u i n (1433—1501) als Vorkämpfer für die humanistischen Bestrebungen in Frankreich zu nennen. Er hatte bei Tifernate Griechisch gelernt und wurde durch Fichet in die lateinische Literatur eingeführt. Auf seinen Reisen in Deutschland, Spanien, England und Italien sucht er nach alten Handschriften, die er kopiert, in Paris verbindet er sich 1470 mit Fichet und Heynlin, um die erste Druckerei in der Sorbonne einzurichten. Er war mit Guillaume Tardif und Jehan Heynlin der Träger der neuen wissenschaftlichen Bestrebungen, welche ihn später in innigen Verkehr mit Reuchlin treten ließen. Er kennt bereits die Gefahr, die der Kirche aus der Beschäftigung mit der antiken Literatur zu erwachsen droht, weshalb er in seiner lateinischen Verslehre De arte metrificandi (1498) auch die Lektüre der christlichen Dichter empfiehlt. 1485 übersetzt er die Commentarii Caesars, 1495 erschien seine Abhandlung über die Geschichte Frankreichs De origine et gestis Francorum Compendium, wo sich das erste Mal eine moderne, kritische Beurteilung der Quellen und eine persönliche Geschichtsauffassung bemerkbar macht. Hervorzuheben ist sein starkes Nationalgefühl, das hier zutage tritt. Seine Epistulae, die gesammelt 1498 erschienen, dienten Humanisten und Studenten als Anleitung in der Erlernung des eleganten Briefstiels. Sein französisches Gedicht L e d é b a t du l a b o u r e u r , du p r e s t r e et du gend a r m e , vielleicht von Quadrilogue invectif des A. Chartier beeinflußt, dessen Curial er ins Lateinische übersetzt hatte, läßt die drei Personen die Mühen und Leiden ihres Standes aufzählen und sich gegenseitig manche bittere Wahrheit sagen. Sein Conseil p r o u f f i t a b l e c o n t r e les e n n u i s et t r i b u l a t i o n s du monde (1498) ist die Übersetzung des lateinischen Briefes vom Jahre 1492, in dem Pic de la Mirandola sich über die Nichtigkeiten der irdischen Dinge geäußert hatte. In dem Bestreben, Kritik zu üben und die Herrschaft der Dialektik zu brechen, als Vorkämpfer einer modernen Pädagogik, die sich an Überlegung und Ehrgefühl wendet, in der Hand-
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habung der lateinischen Sprache, für die er außer den alten Klassikern auch die italienischen Humanisten als Vorbilder empfiehlt, steht Gaguin in den Reihen der jungen Generation. Mittelalterlich dagegen ist er noch in seiner Überzeugung, daß die Dichtkunst der Moral und Religion unterstellt werden müsse, während Philosophie und Beredsamkeit nur der Theologie dienen sollten. Um Gaguin gruppieren sich andere Humanisten, die unter seiner Leitung oder Anregung das Studium der alten Sprachen betreiben. An erster Stelle wäre E r a s m u s von R o t t e r d a m zu nennen, dessen erster lateinischer Brief mit dem Compendium Gaguins erscheint, dessen Vorzüge er hervorhebt. Seine wissenschaftliche Tätigkeit als Philologe und Herausgeber gehört jedoch bereits dem 16. Jahrhundert an, geht aber in ihren Anfängen auf die in Paris erhaltenen Eindrücke zurück. L e f i v r e d ' E t a p l e s hält die Verbindung mit Deutschland und Flandern aufrecht. Guillaume T a r d i f ist der Verfasser einer lateinischen Rhetorik und Übersetzer der Facetien des Poggio. Im November 1484 erhielt er von der Sorbonne einen Lehrauftrag für Rhetorik. Reuchlin hatte im Jahre 1473 seine Vorlesungen 'in vico Sanctae Genofevae* gehört.- Der Prior Jean H e y n l i n de S t e y n (Joh. Lapidanus), dessen Schüler Reuchlin war, lehrte Grammatik und stand seinen Freunden als Editor und Korrektor zur Seite. Er verließ später Paris und unterrichtete als Professor an den Universitäten von Tübingen und Basel. Pierre de C o u t h a r d y , Parlamentsrat von Paris, stand mit Fausto Andreiini, der ihm die Pariser Ausgabe seiner Bucolica und die Abhandlung De moralibus et intellectualibus virtutibus widmete, ferner mit Bud6, dessen Übersetzung von Plutarchs De fortuna Romanorum ihm zugeeignet ist, in Verbindung. Martin von D e l f t , Rektor der Fakultät der Artes 1479, veröffentlicht 1492 eine Rhetorik. A e g i d i u s von D e l f t ist ein Kenner des Aristoteles und der lateinischen Dichter. Die beiden Brüder Charles und Jean F e r n a n d erklären Terenz. Arnold de B o s c h , ein Freund Gaguins, steht mit den Humanisten seiner Zeit in Briefwechsel. Ermolao Barbaro widmet ihm seine Übersetzung des Themistius. Pierre B u r y (gest. 1504), ein Studienfreund Gaguins, weilte von 1468—75 in Italien und schrieb im Stil der italienischen Humanisten lateinische Gedichte und Hymnen, die von Josse Bade Ascensius veröffentlicht wurden. Der
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Briefwechsel dieser Humanisten, welche Ciceros Stil nachzuahmen suchen, beweist ihr Interesse an Fragen der Literatur und Moral. Mit diesen philologischen Studien geht auch die Erneuerung der Philosophie Hand in Hand. Aristoteles und Plato wurden in neuen, besseren lateinischen Übersetzungen den Wißbegierigen zugänglich gemacht. 1470 erschienen aus der Druckerei der Sorbonne die apokryphen Epistulae Piatoms in der Übersetzung des Leonardo Bruni, 1474 gab Georg von Trapezunt die Rhetorik des Aristoteles heraus, 1478 folgt Georg Hermonymos mit den pseudo-aristotelischen Schriften De virtutibus und Dicta mirabilia Septem sapientium. Aegidius von Delft, ein Freund Gaguins, veröffentlichte 1489 die Übersetzung der Ethik des Aristoteles, welche Johann Argyropulos verfaßt hatte, im gleichen Jahr folgten die Quaestiones.. super X libros Ethicorum Aristotelis des Jean Buridan von Bithune (gest. 1358) und Jänner 1490 die Politica des Aristoteles in der lateinischen Übertragung des Leonardo Bruni. 1493 gibt er die zweite Ausgabe der Ethik des Argyropulos heraus. Doch erst Jacques L e f i v r e (geb. um 1450 in Etaples, gest. 1536) ist es zu danken, daß die Werke und Ideen des griechischen Philosophen in ihrer ursprünglichen Fassung Gemeingut der Zeit werden konnten. Er war weniger Humanist im Sinne der Zeit, die auf elegantes Latein und auf Beherrschung der Stilkunst Wert legte, sein Latein blieb schwer und wenig korrekt, doch wandte er seinen Eifer und sein Interesse der Erneuerung der Philosophie auf Grund besserer Kenntnis ihrer Vertreter zu. Er lernte wahrscheinlich unter Georg Hermonymos 1491—92 die ersten Kenntnisse des Griechischen. Er schreibt 1490 eine Introductio zur Metaphysik des Aristoteles, läßt hierin alle Kommentare weg und macht die Thesen des Philosophen durch dessen eigene Anschauungen verständlich. Eine Reise nach Italien (1492) vermittelt ihm nicht nur die Ideen der italienischen Humanisten, sondern auch eine genaue Kenntnis über Aristoteles und Plato. In Paris widmet sich Lefövre der Verbreitung aristotelischer Philosophie, über welche er Vorlesungen hält, 1492 veröffentlicht er: In Aristotelis octo physicos libros paraphrasis, deren Einleitung in einfacher, leicht verständlicher Sprache die Hauptpunkte aristotelischen Denkens hervorhebt. Er zeigt bereits eine genaue Kenntnis der griechischen Philosophie und der alten Interpreten des Aristoteles. 1494 er-
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schien die Ars Moralis, die eine Art Handbuch der theoretischen und praktischen Moral darstellt und neben Aristoteles auch Plato zitiert. Kleinere Schriften Lefövres aus diesen Jahren beschäftigen sich mit Fragen der Magie, Arithmetik, Astronomie und Astrologie, in denen er nicht selten von den Anschauungen seiner Zeit abweicht und platonische Ideen zum Ausdruck bringt, Oktober 1496 erscheint seine Einführung in die Logik für Studenten, denen er, außer einer Sammlung von Erklärungen, den Hinweis auf die wahre, von Glossen freie Logik und Philosophie gibt. Dieser dienen die im April 1497 erschienenen Opera moralia des Aristoteles, eine lateinische Sammelausgabe verschiedener schon erschienener Schriften des griechischen Philosophen mit Erklärungen schwieriger Stellen. Eine Ausgabe der Werke des Dionysius Areopagitus, deren Authentizität bereits damals angezweifelt wurden, folgt 1499 unter dem Titel Theologia vivificans. Kleinere theologische Schriften und Werke füllen die Zeit bis zu seiner zweiten Reise nach Italien aus (1499—1500), wo er über Venedig nach Rom ging. Nach seiner Rückkehr widmet er sich wieder seiner kritisch-philologischen Editionsarbeit, deren Ergebnis 1503 die Ausgabe des 'Organon', der Logik des Aristoteles war: Libri logicorum ad archetypos recogniti, cum novis ad litteram commentariis. Der 1501 veröffentlichte erste Teil hatte bereits einen heftigen Angriff gegen die Scholastik gebracht. 1504 hielt Lefövre Vorlesungen über die Logik des Aristoteles, die in den Aufzeichnungen seines Schülers Beatus Rhenanus erhalten sind (Bibl. von Schlettstadt, ms. 435). 1509 folgt, nachdem die Zwischenzeit mit reger Editorentätigkeit ausgefüllt war, die erste kritische Ausgabe des Psalters auf Grundlage des hebräischen Textes und der lateinischen Versionen, dem sich andere theologische Werke des Mittelalters, in denen die Mystik hervortrat, anschlössen. 1510 erschien die Iliade, 1512 die Ausgabe der Briefe des hl. Paulus, die mit Zuhilfenahme des griechischen Textes offenkundige Verstöße der Vulgata korrigiert, jedoch auch apokryphe Schriften übernimmt. Ein Kommentar erklärt verständlich die Gedanken des Apostels, in dessen Mystik sich Letevre gern versenkt. Diese Neigimg bestimmt Lefövre, die Werke des Nicolas de Cusa herauszugeben, der die Anschauungen des Aristoteles mit christlichem Mystizismus vereinigte. Die Herausgabe theologischer und gelehrter Schriften beschäftigte Leffevre bis an sein Lebensende, doch hatten in den letzten Jahren
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die philologischen Publikationen der jüngeren Humanisten, insbesondere aber der Ruhm des Erasmus, seine Tätigkeit etwas zurückgedrängt. Lefevre hat den humanistischen Studien unschätzbare Dienste erwiesen, die auch von seinen Zeitgenossen anerkannt wurden. Sie verdanken ihm als Herausgeber nicht allein die Kenntnis der Aristotelischen Schriften mit ihren Theorien über die Welt, den Menschen und die Gesellschaft, er arbeitet auch mit an der Wiedererweckung der Mystik durch Veröffentlichung der Werke des Raymond Lulle, des Dionysius und des Nicolas de Cusa. Dem Gelehrten ist die Erneuerung des philosophischen Unterrichts zu danken, er hat durch die Herausgabe biblischer Schriften und deren Kommentierung der Kritik und Forschung den Weg gewiesen, den später Erasmus mit größerem Erfolg gegangen ist. Trotz ihrer Verehrung und Bewunderung, welche die Humanisten Frankreichs den antiken Dichtern, Philosophen und Rednern entgegenbringen, bleiben diese Männer dem christlichen Glauben ergeben, sie setzen den Strömungen, welche in Italien die Wiederherstellung der heidnisch-antiken Geisteswelt verlangen, den schärfsten Widerstand entgegen. Die französischen Humanisten, von denen viele Theologen sind, suchen vielmehr eine Vereinigung der Antike mit dem Christentum, wobei aber die Kultur der Moral untergeordnet sein sollte. Aus dieser Auffassung wird der Streit verständlich, den Balbi und Tardif 1488 vor der Öffentlichkeit miteinander austrugen, da der Italiener das ganze Leben auf die Anschauungen der Antike einstellen wollte, während der Franzose nur Belehrung in Fragen der Kunst oder Wissenschaft verlangte. Daher wirft Tardif in den 'Antibalbica' den italienischen Humanisten ihre schlechten Sitten, ihre freie Lebensauffassung vor, die mit dem christlichen Glauben in offenem Widerspruch ständen. Doch trotz dieses Festhaltens an den religiösen Anschauungen des Mittelalters haben diese Männer neue Keime in das Geistesleben des ausgehenden 15. Jahrhunderts gebracht. Sie haben durch das Studium der klassischen Autoren, durch die Veröffentlichung kritischer Ausgaben die Glossen überflüssig gemacht und Irrtümer der scholastischen Methode aufgedeckt. Sie schlugen Bresche in den Wall, der den Zugang zu den Denkern des Altertums verwehrte, und regten zu eigener kritischer Tätigkeit an. Noch als gute Christen arbeiten sie an der zweifachen Aufgabe: Das klassische Latein wieder herzustellen, die naturwissen-
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schaftlichen und philosophischen Erkenntnisse der Alten, ihre Ansichten über die Welt und den Menschen, dessen Staat und Gesellschaft, ohne das Beiwerk späterer Zusätze und verfehlter Erklärungen der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Daß aber der Geist kühl abwägender Kritik, geschult durch philologische Arbeit, bald das enge Betätigungsfeld, das ihm die ersten Humanisten zugewiesen hatten, verlassen und sich Fragen zuwenden könnte, denen jene Männer noch geflissentlich aus dem Wege gegangen waren, hat vielleicht nur Gaguin vorausgesehen. Zwischen Lei6vre, dem gläubigen, mystisch empfindenden Humanisten und seinem Freundeskreis, und Erasmus, dem kühnen Kritiker, der auch vor den Büchern der Kirche nicht halt macht, ist der Übergang anzusetzen, der den Humanismus hineinführt in die Verwirklichung der Ideen, die unausgesprochen in jeder Beschäftigung mit den geistigen Werken einer freieren Weltauffassung und in dem Wunsche ihrer Betätigung ruhen. Dieses Wiedererwachen nach dem langen Schlummer im Mittelalter ist die neue Epoche im Geistesleben Frankreichs, die Renaissance.
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BÜCHERVERZEICHNIS.
BÜCHERVERZEICHNIS. Zur
Literaturgeschichte:
G. Paris, Esquisse hist, de la litt, iranç. S. 207 ff. ; Pierre Champion, Hist, poétique du quinzième siècle, P. 1923, 2 vol.; Band I enthält: Maitre Alain Chartier, Secrétaire du roi; Pierre de Nesson; Noble homme Jean Régnier; Michault Taillevent; Pierre Chastellain dit Vaillant; Band I I : Charles d'Orléans; Le pauvre Villon; Arnoul Greban; Jean Meschinot; Maître Henri Baude; Jean Molinet Rhétoriqueur. — G. Michaut, L'évolution littéraire du moyen âge franç., P. 1931. — Italo Siciliano, Fr. Villon, S. 115 ff. (die Literatur des 14. und 15. Jahrhunderts). Über die in Amerika erschienene Lit. s. L. S. Tucker and A. R. Benham. Bibl. of X V t h centuryLiterature (Mod. Lang. Notes X L V I , 5 (1931). Nachdrücklich sei auf Huizinga J., Herbst des Mittelalters3, französischer Titel: Le déclin du moyen âge, für die Kultur- und Geistesgeschichte des ausgehenden Mittelalters verwiesen. Zur Geschichte : Hist, du moyen âge, t. V i l i : La civilisation occidentale au m. âge du X I e au milieu du X V e siècle, p. H. Pirenne, G. Cohen, H. Focillon, P. 1923 (Hist. gen. pubi, sous la direction de Gust. Glotz II, V I I I ) ; P. Champion, Louis X I , Bibl. du XV 1 ' siècle 1933, 2 vol. — La formation du génie moderne dans l'art de l'occident. Arts plastiques. Art littéraire p. René Schneider et Gust. Cohen. X I V e et X V e siècles. Bibl. de synthèse histor., P. 1936. S. 14. C h r i s t i n e v o n P i s a n . Molinier, Sources IV, 3327 (s. Index VI, 48). Thomassy, Essai sur les écrits politiques de Chr. de P., 1838; Koch, Leben u. Werke der Christ, v. Pisan 1885; Müller, Zur Syntax der Ch. de P., 1886; Petit de Julleville in Revue des cours et conf. 1895—96; Ders. in Hist, de la langue et de la litt. fr. 2, 357®.; G. Paris, Rom. 16, 416; Piaget, Rom. 27, 598, 603; Stein in Annales de la soc. hist, du Gâtinais 1893; Farinelli, Dante nell' opere di Chr. de P., Festschr. f. H. Morf (1908); Lucy M. Gay, On the language of Chr. de P., Mod. Philology VI, 1908; Baerwolfï, Ch. v. P., ihre Auflösung u. Weiterbildung d. Zeitkultur, Archiv 141 (1921), S. 93 ff.; Jeanroy, Boccace et Ch. de P., Rom. 48 (1922) S. 93 ff.; Richardson L. McDowell, The Forerunners of Feminisme in French Literature of the Renaissance. Part I. From Chr. de P . to Marie de Gournay, Baltimore 1929; Pinet M. J., Chr. d. P., Bibl. du X V e siècle, vol. 35; (v. S. Solente, Rev. Belge de Philologie et d' Hist. V i l i , 1929, p. 350—59); Ph. A. Becker, Chr.v. P., G r ö b e r - H o f j r , G c s t h , d . mittelfrz. L i t . II.
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BÜCHERVERZEICHNIS.
Zeitschr. frz. Spr. Lit. 54, 1935, S. 129 ff. Ausgabe: M. Roy, Oeuvres poétiques. Soc. anc. Textes fr., 1886—1896, 3 Bde. Hss. das. S. 21. A . R . Pugh, Le jugement du roy de Behaigne de Guillaume de Machaut et le dit de Poissy de Ch. de P., Rom. X X I I I , 551 ff. S. 23. E p i s t r e q u e O t h e a usw. P. G. Campbell, L'Epitre d'Othea, étude sur les sources de Chr. de P., (1924) mss. das. Engl. Übersetzung The Epistle of Othea, hgg. v. G. F. Warner 1904 (Roxburghe Club) ; Pinet, 1. c. X V I I , 272. Hss. noch bei P. Paris, Mss f r . 6 , 359; Langlois Not. Extr. 33, 2, 112; ferner B i b l . n a t . n 8 6 . , 12438. 15 214. 22986. 25559. S. 24. L i v r e d u c h e m i n d e l o n g u e e s t u d e . Ausg. Pliischel 1881; Hss. das. Einl. S. 3. Drucke s. Brunet, Manuel I ; Pinet, 1. c. S. X I I u. S. 281 ff. S. 27. L i v r e d e l a m u t a c i ó n . S. Koch, 1. c. S. 63, Pinet, 1. c. S. 306. Hss. P . Paris, Mss. fr. 5, 133, dazu Ars. 3172; Pinet, 1. c. Ms. Bibl. nat. f. fr. 604. S. 29. C o m p l a i n t e , gedr. bei Le Roux de Lincy, Chants hist., I, S. 289; J e a n n e d ' A r c . Gedr. bei Jubinal, Rapport (1888), S. 75. S. 29. Q u e r e l l e du R o m a n d e l a R o s e . Petit de Julleville, la querelle à propos du Rom. de la Rose, Rev. des cours et conf. 1896, 4. juin; Piaget, Martin le Franc, S. 60; Ch. Ward, The Epistles on the Romance of the Rose, Univ. of Chicago, 1911; Beck, Ausg. v. Briefen Chr. 1887; Pinet, 1. c. S. 64 ff. Zu J e a n d e M o n t r e u i l , s. Piaget in Etudes rom. déd. à G. Paris, (1891) S. 113. G e r s o n ' s Traictié, hgg. v. Langlois, Rom. 45, S. 22. Die lat. Fassung ist nicht das Original. Zu G o n t i e r d e C o l vgl. Alma de L e Duc, Gontier Col and the French Pre-Renaissance, Romanic Rev. 1916, 5. 414, 1917, S. 145, 290; A. Coville, Gontier et Pierre Col et l'humanisme en France au temps de Charles V I . P . 1934. S. 31. L i v r e d e P r u d e n c e . P. Paris, Mss. fr. 5, 181; dazu Bibl. nat. 605, 2240. Brüssel 11072. 11076. Vatican 1238 unter dem Titel Prodhomie. Pinet, 1. c. S. X V . S. 32. L i v r e d e s f a i s e t b o n n e s m e u r s d u s a g e r o i C h a r l e s . Gedr. in Petitot, Collection des mémoires rel. à l'hist. de France, 5, 6 (1819); Bch. 2.3 in Michaud et Poujoulat, Nouv. Coli, des mém. I, 222 ff., 2 (1840) S. 1 ff.; Duchemin, les sources du livre des fais et bonnes meurs, P. 1891. Mlle Solente, Introduction hist. à l'édition du livre des fais et bonnes meurs, P . 1920. Molinier, Sources de l'hist. de France IV, 69. S. 33. C i t é d e s D a m e s . Thomassy, 1. c. S. 76; Jeanroy, Boccace et Christine de Pisan. Le 'De claris mulieribus' principale source du livre de la cité des Dames. Rom. 48, 93 ff. Pinet, 1. c. S. X I I I . Hss. P. Paris, Mss. fr. 5, 183 ff.; Koch, 1. c. S. 59; ferner Bibl. nat.
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607. 608. 609. 826. 1171. 1178. 1179. 1182. 24292. 24293. 24794. 25294. Ars. 2686. 3182. Vatican. Pal. Iat. 1966. Zu Genf Ms. fr. 180 s. Bibl. Ec. Ch. 72 (1911) S. 566. S. 33. E p i s t r e a I s a b e l l e . Gedr. bei Thomassy, S. 133; Hs. Bibl. nat. 580, 604, 605. S. 34. A v i s i o n C h r i s t i n e . S. Thomassy, 1. c. S. 124; Koch, 1. c. S. 73. Pinet, 1. c. S. XIV, 326. S. 35. L i v r e du c o r p s de P o l i c i e . S. Thomassy, 1. c. S. 127; Pinet, 1. c. S. X V u. 357. S. 35. L i v r e des t r o i s v e r t u s . M. Laigle, Le livre des trois vertus, Bibl. du X V e siècle. No. 16, P. 1912; s. Langlois in Bibl. Ec. Ch. 74 (1913) S. 142—144; A. Hentsch, De la littérature didactique etc. S. 155. Kastenberg M., Die Stellung d. Frau i. d. Dichtungen der Chr. de P., Diss. Heidelb. 1909. Pinet, 1. c. XIV. (Neue Hss. Cod. palat. Vindob. 2604, 2605.) Drucke bei Brunet, Manuel 1, 1856. Portugies. Übertr. 1518. S. 36. P s a u m e s a l l e g o r i s é s . Delisle in Notices et extraits 35, 2, 511; Berger, la Bible franç. S. 296, 415. Pinet, 1. c. S. X V I . S. 36. L a m e n t a t i o n , gedr. bei Thomassy, S. 141; Hs. Bibl. nat. 24864. S. 36. L i v r e des f a i s d ' a r m e s e t de c h e v a l e r i e . S. Thomassy, 1. c. S. 125; Pinet, 1. c. S. 358. P. Meyer, Rom. 25, 423. Hss. P. Paris, Mss. fr. 5, 94. 133; ferner Bibl. nat. 585. 603. 1183. 1241. 1242. 1243; Brüssel 9010. 10205. 10476. Druck 1488. Engl. Übersetzung 1489. Pinet, 1. c. X V I . S. 37. L i v r e de la P a i x . S. Thomassy, Einl. S. 31, 150. Pinet, S. XVI, 152; Hss., Bibl. nat. 1182. Brüssel 10366. S. 37. E p i s t r e de l a p r i s o n de v i e h u m a i n e . Vergl. S. Solente, Un traité inédit de Chr. de P., l'Epistre de la Prison de Vie Humaine. Bibl. Ec. Chartes 1924 (85) S. 261 fi.;Heures de c o n t e m p l a t i o n , s. das. (Hs. Bibl. nat. fr. n. acq. 10059.) S. 38. H e u r e s de la C o n t e m p l a t i o n . Ms. n. acq. fr. 10059. Pinet 1. c. XVII. S. 40. A l a i n C h a r t i e r . Ausgabe sämtl. Dichtungen v. Duchesne, 1617; ältere bei Brunet Manuel 1, 1814. Zur Ausgabe Duchesne s. die Liste der Chartier abzusprechenden Werke bei Piaget, Miroir des Dames, S. 22ff., in Ree. de travaux p. p. la faculté des lettres de Neuchâtel, 1902. fasc. II. — Hss. S. P. Paris, Mss fr. 6, 386; Piaget, Rom. 23, 195 (Bibl. nat. 1727) ; Langlois in Notices et extraits 33, 2, 272; ferner Bibl. nat. 833; 924 (s. Rom. 25, 312); 1127. 1128. 1130. 1131. 1642. 2230. 2264. 24440. 24441; Ars. 3521. 3523; Aix 168, Grenoble 874; Bern 473; Brüssel 10961—69; Douai 767. — Drucke s. Joret-Descloisières, Un écrivain normand. Al. Ch., 4 e éd. (1899) S. 141; die weitere Lit. über die einzelnen Werke A. Ch.'s
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BÜCHERVERZEICHNIS.
siehe bei P . Champion. Hist. poét. du X V e siècle, I. S. i f f . Das. a u c h Hss. S. 41. L i v r e
Molinier, Sources I V , 4159.
des
quatre
dames.
H g g . v . Vallet de Viriville,
1858.
Hss. B i b l . nat. 1507. 2234. 2235. 20826. 25435; Ars. 2940. ruhe 410.
Karls-
K u ß m a n n , L., Beiträge zur Überlieferung des Livres; Hirschel, Grete, L e livre
des 4 d a m e s v . Chartier, Grfsw. 1904. des quatre dames, A r c h i v , 159, S. 185. S. 42. D é b a t .
Hgg. v . L e m m , A u s einer Chartier-Hs. des K g l . K u p f e r -
stichkabinetts zu Berlin. S. 42. L a i d e l a P a i x .
Archiv 132 (1914) S. 131/38.
Hss. s. noch bei Langlois in Notices et extraits,
33, 2, 119. 211. 240; Bull, de la Soc. anc. textes 1887, S. 81 ; 1889, S. 104;
ferner
B i b l . nat. 1563.
2263;
Clennont-Ferrand
1249;
Poitiers 214. S. 43. B r e v i a i r e
des
nobles.
Hss. s. noch bei Langlois in Notices et
e x t r . 33, 2, 120; Bull. Soc. anc. textes 1887, S. 1 8 1 ; 1889, S. 103; ferner
Bibl. nat. 2206
Nr. 162.
2263.
25434;
1249; Coutances 8; Poitiers 214; Valenciennes
Clermont-Ferrand 417.
Druck
s.
B r u n e t , Manuel 1. c. S. 44. D é b a t
du
R e v e i l l e - m a t i n . — Hs. noch Valenciennes 417 mit
T r e n n u n g der Gespräche des A m o u r e u x und Dormeur b z w . Acteur a m Schlüsse; Karlsruhe 410. S. 44. B e l l e d a m e s a n s m e r c i . sans m e r c y
Hgg. auch v . Wahlund, la belle dame
(mit der Nachbildung A n n a s v . Graville,
Hss. noch Bibl. nat. 15219. 25435. —
1525).
—
D r u c k e bei Brunet, Manuel
i , 1814; Suppl. i , S. 250. •— Lit. s. G. Paris, R o m . 16, 4 1 1 .
Piaget,
R o m . 30, 31, 33, 34. Zu Ach. Caulier s. J. Seronde in T h e Romanic R e v . V 1777.
Ital. Bearbeitung s. Söderhjelm in R e v . des langues
rom. 35, 95. S. 45. R o n d e a u x
et
ballades
p. d'après
un manuscrit
de la
Bibl.
Méjanes à A i x p. Phil, de Chennevières, Caen 1846. S. 46. C o m p l a i n t e c o n t r e l a m o r t . 33, 2, 138. S. 46. D é b a t
des
Hs. s. Langlois, Notices et extraits
D r u c k bei Brunet, Manuel 1, 1814. deux
fortunés
d'amour.
Hss. Bibl. nat. 1 1 3 1 ,
fol. 68 v o . 1 7 2 7 ; 2262; 19139. fol. 318. Ars. 3521, fol. 170. S. 47. L a y hgg. v . L. E . K a s t n e r in Modern L a n g u a g e R e v . X I I S. 4 5 — 5 8 , A n unknown manuscript of Alains Chartier's
(1917) Works.
Ms. das. S. 47. Q u a d r i l o g u e i n v e c t i f . 1923.
Ausg. E . Droz, Classiques fr. d u m. âge,
Hss. u. A u s g . das.
S. 49. E s p e r a n c e
ou
consolation
des trois
vertus.
Hss. s. noch
Langlois, Notices e t extraits 33, 2, S. 133; ferner Bibl. nat. 832. 1123. 1124. 1125. 1132. 1133. 1549. 2265. 12435. 12436. Valenciennes 652. —
Moldenhauer Karl,
L i y r e de l'Esperance usw.
12437.
Zur Überlieferung
Diss. Grfsw. 1904.
des
BÜCHERVERZEICHNIS.
245
S. j o . D i a l o g u s f a m i l i a r i s , hgg. v. G. R o s e n t h a l , H a 1 9 0 1 . Ders., Die frz. Version v. A. Ch.'s Dialogus f a m . m i t Einl. u. Glossar. P r o g r . Roßleben 1 9 1 2 . S. 50. C u r i a l , hgg. v. F. H e u c k e n k a m p (mit lat. T e x t ) 1899; Hss. u. Ausg. das. ; H s . noch Moulins 26 ; D r u c k e bei B r u n e t , Manuel 1, 1 8 1 5 . Lit. u. Ausg. Einl. S. 30. Z u r F r a g e s. P . C h a m p i o n , H i s t . poétique, I. S. 52, A n m . 3. S. 5 1 . E p i s t o l a e S. Du Chesne S. 488®.; P . C h a m p i o n , H i s t . p o é t i q u e I , S. 19, 24, 57—58. Zu den R e d e n vergl. P . Champion, 1. c. S. 98ff. S. 5 3 . Die N a c h d i c h t u n g e n der Belle D a m e sans Merci s. in d e n U n t e r suchungen Piagets, R o m . 30 (1901) S. 23ff.; 31 (1902) 7 f i . ; 33 (1904) S. I 7 9 f i . ; 34 (1905) S. 421, 560, 575, 579, 581—88. L ' A m a n t rendu cordelier. Ausg. Montaiglon, 1 8 8 1 ; in der Ausg. der A r r ê t s d ' a m o u r s v. 1 7 7 3 ; Hss. s. Montaiglon, Ausg. S. 13; Langlois in N o t . et e x t r . 33, 2, 1 4 1 . 231. 236; A. Piaget, R o m . 1905, S. 4 1 6 ; D r u c k e bei Montaiglon u. B r u n e t , M a n u e l ; Suppl. I, S. 971. S. 53. B a u d e t H ä r e n e : corrig. B. H e r e n c ; Achille G a u l i e r : corrig. A. Caulier. S. 55- J e a n d e W e r c h i n . S. A. Piaget, R o m . 38 (1909) S. 7 1 , Songe; R o m . 39 (1910) S. 324—368, Balladen. S. 56. J e a n d e C a s t e l . Le Pin, hgg. v . P i a g e t in R o m . 23, 197 (Teile); H s . das. ; T h o m a s , R o m . 2 1 2 7 1 . S. 56. A m é M a l i n g r e , Epistre, gedr. bei R i t t e r , Poésies des 14 e e t 1 5 e s. S. 143; Hs. s. R i t t e r , Bull. Soc. anc. t e x t e s 1877, S. 94. — Lit., Mém. et doc. p. p. la Soc. savois. d ' h i s t . B d . 15, Einl. S. 68; Piaget, R o m . 20449. S. 56. J e h a n P a n i e r , gedr. bei Keller, R o m v a r t , S. 153. Langlois in Notices et E x t r . 33, 2, 1 1 3 . S. 56. C h a r l e s d ' O r l é a n s u n d s e i n H o f . Ausg. der Gedichte v. Guic h a r d (1842); Champollion-Figeac (1842); H é r i c a u l t (1874), 2 B d e ; P . Champion in Classiques fr. du m . âge, 34, 56 (1923, 1927). Hss. u. Drucke das. Lit., P. Champion, Le m a n u s c r i t a u t o g r a p h e des poésies de Charles d'Orléans, P. 1907; Bibl. d u X V e s. I I I ; ders., L a librairie d e Ch. d'O., P . 1 9 1 0 ; Bibl. XV« s. X I ; ders.. Vie de Ch. d'O., Bibl. d u X V e siècle, 13, P . 1 9 1 1 ; ders., D u succès d e l ' œ u v r e de Ch. d'O., in Mél. Picot I, 409; ders. in R o m . 48 (1922) S. 106, R e m a r q u e s sur u n recueil d e poésies; R o m . 49 (1923) A propos d e Ch. d'O. ; ders. in H i s t . p o é t i q u e d u X V e siècle, I I , S. iff., Charles d'Orléans, Prince d e Lis e t d e la poésie; P e t i t de Julleville in Bull. hebd. des cours e t confér. 1895, N r . 8. 9 — 1 2 . 1 4 ; A . T h o m a s in R o m . 22, 1 2 8 ; R o m . 27, 599; zur lat. Übers, von Antonio d ' A s t i s. Ausg. Champollion-F., Einl. S. 22. Champion, Hist. poét. I I , S. 46—48; Engl., ed. T a y l o r , 1 8 2 7 ; Bullerich, Ü b e r Ch. d'O. und die ihm zugeschriebene Übers, seiner Gedichte, 1893.
246
BÜCHERVERZEICHNIS.
S. 6 1 . Text des Briefes bei Champollion-F., S. 41 ; vergl. auch P . Champion, la librairie de Ch. d'O., album, pl. I I I ; Rede Karls hgg. v. Raynaud, Rondeaux et autres poésies du X V e s. Soc. anc. Textes 1879; Hss. das. Einl. S. 60, 63. S. ö i f f . D e r D i c h t e r h o f C h a r l e s ' d ' O r l é a n s . S. 62. P h i l i p p d e r G u t e . Gedr. bei Champion, Ausg. I I , S. 139, 142; Guichard, S. 1 5 2 ; Champollion-F., S. 435; vergl. hierzu die Anm. in Champions Ausgabe. Ders. in Vie de Ch. d'Orl. S. 294—95. S. 62. C h a r l e s I. v. B u r g u n d . Champion, 1. c. II, S. 2 9 1 ; Vie de Ch. d'Orl. S. 6 1 1 ; Guichard, S. 243, 3 1 9 ; Champollion-F. S. 439. S. 62. J o h a n n I I . der Gute v. C l e r m o n t u. B o u r b o n . Gedr. bei Champion, I I , S. 346, 407, 4 1 1 , 427, 480, 495, 500, 506, 595; Vie de Ch. d'O., S. 6 1 7 ; Guichard S. 235, 303, 309, 310, 334, 354, 383, 386, 391, 425; Champollion-F. S. 425f., 426; Raynaud, Rondeaux S. 5. S. 62. H u g o v . B l o s s e v i l l e : corrige V i c o m t e v. Blosseville. S. 62. J e a n v. A n j o u . Gedr. bei Champion I I , S. 357, 360, 362, 363, 489, 597, 598, 600, 601; Vie de Ch. d'O., S. 624; Guichard S. 342, 344. 345. 346, 372> 415. 416: R a y n a u d S. 45, 53, 149, 1 5 1 , 152. S. 63. A n t o i n e d e L o r r a i n e . Gedr. bei Champion I I , S. 530—532; Vie de Ch. d'O., S. 634; Guichard S. 4 0 8 ! ; R a y n a u d S. 6, 17, 20, 53. 57. 81, 86, 104. S. 63. J e a n II., der Gute, v. A l e n ç o n . Gedr. bei Champion I I , S. 303; Vie de Ch. d'O., S. 616; Guichard S. 271. S. 63. J a q u e s , B â t a r d d e T r e m o i l l e . Gedr. bei Champion I I , S. 170; Vie de Ch. d'O., S. 627; Guichard S. 110, 3 5 1 ; Champollion-F. S. 441; R a y n a u d S. 114—119, 121—23, 154—62. Jacques, Möns, de Savoie, s. Champion, Charles d'Orléans S. 640. S. 63. J a c q u e s , M ö n s , d e S a v o i e , s. P . Champion, Charles d'Orléans S. 640. S. 63. L e C a d e t d ' A l b r e t . Gedr. bei Champion I I , S. 370, 431 ; Ch. d'O., S. 627; Guichard S. 352, 356. S. 63. J e a n d e S . - M a a r d , V i c o m t e d e B l o s s e v i l l e . Champion II, S. 499. (Zum N a m e n s. P. Champion, Ch. d'O., S. 629; Rom. 48,106. Außerdem die Anmerkung s. v. im zweiten B a n d der Ausgabe der Gedichte Charles d'Orléans.) Guichard S. 385; R a y n a u d S. 1—3, 22, 26—27, 30, 50—51, 54—55, 61—62, 64, 65, 67—73, 91—92, 94—95. 97. 106, 108, 109; G. Paris, Journ. des Sav. 1888, S. 734; D é b a t de la demoiselle, gedr. bei Montaiglon, Ree. de poésies I, 227; 5, 5 ; 9, 216. 220; D é b a t du viel, gedr. das. Bd. 9, 2 2 1 ; Lit. das.; Débat de la vie, s. R a y n a u d , Einl. S. 10. S. 64. G i l e s d ' O r m e s . Gedr. bei Champion I, S. 202, I I , S. 371, 468, 5 r 4 . 539; Vie de Ch. d'Orl. S. 600—01; Guichard S. 137, 210, 349, 353. 396, 4 1 4 ; Champollion-F. S. 433; R a y n a u d S. 32; Kervyn de Lettenhove, Œuvres de G. Chastellain 7, S. 210.
BÜCHERVERZEICHNIS.
247
S. 64. P h i l i p p e de B o u l a i n v i l l i e r s . Gedr. bei Champion I I , S. 427, 468; Vie de Ch. d'O., S. 607; Guichard S. 209, 353. S. 64. J e a n d ' E s t o u t e v i l l e . Gedr. bei Champion I I , S. 345; Vie de Ch. d'O., S. 628; Guichard S. 3 3 3 ; Raynaud S. 23. 77. S. 65. S e n e s c h a l l . Ist Pierre de Brezé. Gedr. bei Champion I I , S. 498; Guichard S. 385; Raynaud S. 80, m , 1 1 2 . S. 65. P i e r r e d e B r e z é . Gedr. bei Champion I I , S. 5 2 5 ; Vie de Ch. d'O. S. 632; Guichard S. 405. S. 65. A n t o i n e de L u s s a y . Gedr. bei Champion I I , S. 365; Vie de Ch. d'O. S. 604; Guichard S. 348; Raynaud S. 114—116, 120, 124, 133. 137. 139. 141. 143. "47—50, 152S. 65. B e n o i s t d ' A m i e n s .
Gedr. bei Champion I I , 433—35, 450, 505,
5!5» 54°. 5 4 1 ; Vie de Ch. d'O. S. 602; Guichard S. 358—59, 3 7 1 , 390, 397. 4 i 8 S. 65. M a i s t r e B e r t h o l d d e V i l l e b r e s m e . Gedr. bei Champion I, S. 127; I I , S. 502, 506; Vie de Ch. d'O. S . 598; Guichard S. 135, 168. 387, 390. S. 65. P i e r r e C h e v a l i e r . Gedr. bei Champion I I , S. 562; Vie de Ch. d'O. S. 598; Guichard S. 167. S. 65. J e a n n e t de M o n t e n a y . Gedr. bei Champion I, S. 1 2 7 ; Vie de Ch. d'O. S. 245; Guichard S. 1 4 2 ; Champollion-F. S. 428. S. 66. B o u c i c a u t , s. de Breuil-doré. S. Champion I I , S. 353, 3 5 5 ; Vie de Ch. d'O. S. 628; Guichard S. 339, 340; Raynaud S. 47. S. 66. F r e d e t . Gedr. bei Champion I I , S. 300, 348, 356, 368, 390, 420, 422 ; I, S. 163, 268—272, 276—282 ; Vie de Ch. d'O. S. 6 1 2 ; Guichard S. 169, 176, 2 5 1 , 279, 322, 325, 335, 341, 350; Raynaud S. 4, 24, 31. 33. 35. 39. 41S. 66. V a i l l a n t . Gedr. bei Champion I, S. 1 5 9 ; I I S. 3 5 1 , 352; Vie de Ch. d'O. S. 6 2 5 ; Guichard S. 102, 337, 338; Raynaud S. 7, 8, 1 0 — 1 6 , 18, 19, 49. — Piaget, Rom. 23, 257; E . Winkler, Franz. Dichter des Mittelalters, I. Vaillant. Akad. der Wissensch. 1 9 1 8 . Phil.-hist. Klasse, Bd. 186. Ballade an Jacques Cœur gedr. bei Le Roux de Lincy, Chants hist. I, S. 345. S. 66. O l i v i e r de l a M a r c h e . Gedr. bei Champion I I , S. 350; Vie de Ch. d'O. S. 632 ; Guichard S. 337. S. 67. V a i l l a n t , Débat des deux sœurs, gedr. bei Montaiglon, Ree. de poésies 9, 94; Novelle e poesie inedite del sec. X I V (1888; s. P . Meyer in Rom. 19, 340) Winkler 1. c. Hss. s. P . Meyer; ferner Bibl. nat. 1642. 2264. 2 5 5 3 ; Ars. 3523. Cornerie in ms. Bibl. nat. 2230, hgg. v. E . Winkler, 1. c. Der Prosabrief das. ; s. auch Champion, Hist. poétique I , S. 339ff., Pierre Chastellain dit Vaillant, wo der auf Vaillant bezgl. Teil S. 362 fr. von Chastelain zu trennen ist. S. 67. J e a n C a i l l a u . Gedr. bei Champion I I , S. 305, 413, 492, 494; Vie de Ch. d'O. S. 604; Guichard S. 104, 136, 278, 3 1 2 , 380, 381.
248
BÜCHERVERZEICHNIS.
S. 67. S i m o n e t C a i l l a u . Gedr. bei Champion II, S. 449, 513, 537; Vie de Ch. d'O. S. 606; Guichard S. 138, 341, 370, 395. 413. S. 67. F r a n ç o i s F a r e t . Champion II, S. 450; Vie de Ch. d'O. S. 603; Guichard S. 371 ; Champollion-F. S. 362. S. 68. G u i l l a u m e de T i g n o n v i l l e . Gedr. bei Champion II, S. 436, 513, 582, 587; Vie de Ch. d'O. S. 607; Guichard S. 360. 396. S. 68. G u y o t P o t . Gedr. bei Champion II, S. 364. 366; Vie de Ch. d'O. S. 597; Guichard S. 348, 349. P h i l i p p e P o t . Gedr. bei Champion II, S. 365; Vie de Ch. d'O. S. 597; Guichard S. 348. S. 68. F r a i g n e . Gedr. bei Champion II, S. 486, 504, 527—28; Vie de Ch. d'O. S. 623 ; Guichard S. 238, 389, 405, 406. S. 68. E s t i e n n e le G o u t . Gedr. bei Champion II, S. 301; Vie de Ch. d'O. S. 599; Guichard S. 269. S. 68. H u g u e s le V o y s . Gedr. bei Champion II, S. 516, 518, 521; Vie de Ch. d'O. S. 599; Guichard S. 397, 400, 401. S. 68. G u i l l a u m e C a d i e r . Gedr. bei Champion I, S. 134, II, S. 603; Vie de Ch. d'O. S. 621 ; Guichard S. 424; Champollion-F. S. 450. S. 68. M o n t b e t o n . Gedr. bei Champion I, S. 197; Guichard S. 133; Raynaud S. 58, 63, 65, 75. S. 68. J e u c o u r t . Gedr. bei Raynaud S. 7 8 s . S. 68. J e a n R o b e r t e t . Gedr. bei Champion I, S. 198, II, S. 603; Vie de Ch. d'O. S. 621 ; Guichard S. 134, 424; Champollion-F. S. 449; Raynaud S. 56; Hss. seiner Lieder Bibl. nat. 1104. 1717. 1721. — Rondeau auf einen Maler, S. Bibl. Ec. Chartes. 2. sér. 3 (1846) S. 69; C o m p l a i n t e gedr. bei Kervyn v. Lettenhove, Œuvres de G. Chast. 8, S. 347; D i t s p r o p h é t i q u e s , Druck 1531; s. Keralio in Notices et extraits 5 (L'an 7), S. 167; Antwort zur L o a n g e etc. Gedr. bei Pichon, Livre de la chasse du Grandsénéchal (1858), S. 52. D o u z e d a m e s de r h e t o r i q u e , Ausg. Batissier, 1837; Œuvres de Georges Chastellain, éd. Kervyn de Lettenhove, Bd. VII, p. 145—186. Champion, Hist. po6t. II, S. 288—296. Hss. daselbst. Guy, Rhétoriqueurs S. 24. S. 70. C h a r l e s B i o s s e t . Gedr. bei Raynaud S. 82—85, 87—90, 92—93, 96. S. 70. I t a s s e L e s p i n a y . 138—141.
Gedr.
das. S. 1 1 7 — 1 1 8 ,
129, 134,
136,
S. 70. H u e t d e V i g n e . Gedr. das. S. 135, 142. S. 70. A n t o i n e B u s n o i s . Gedr. das. S. 153. S. 70. T a n n e g u i du C h a s t e l . Gedr. bei Raynaud S. 3, 49, 60; S. Delisle, Cabinet des mss. 2, 353. S. 70. J a m e t t e N e s s o n . Gedr. bei Raynaud S. 59; S. A. Thomas, Rom. 35. S. 70. F o u l l e e . Gedr. bei Raynaud S. 145, 146. S. 70. R é g n é d ' O r a n g e . Gedr. bei Raynaud S. 74.
BÜCHERVERZEICHNIS.
249
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Bücherverzeichn I s.
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P. m .
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B ü c h e r v e r z e i c h n IS.
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S. 116.
S. 116. S. 117. S. 117.
S. 117. S. 117. S. 117. S. 117. S. 118. S. 118. S. 118.
S. S. S. S.
118. 118. 118. 119.
S. 119. S. 119.
BÜCHERVERZEICHNIS.
s. Seelmann, 1. c.; Brunei, Manuel I, 490; Suppl. 1, S. 343; Catal. gén. des mss. des Biblioth. publ. Dép., Bd. 26 (1897), Lille, S. 109; Peignot, 1. c. S. 93; F r a n z ö s i s c h e r D r u c k , i486: Ausg. bei Silvestre, Coll. de poésies etc. 25. Liefg. (1858) A. I I . La grande danse macabre des hommes et des femmes (1860, Baillieu); Frochot in Bibliophile franç. 2 (1868); Hss. s. Jubinal, 1. c. S. 17; Bibl. n a t . 995; i o 5 5 ) 1181; 1186 (von 1482); 14989; 25. 434; Tours 907. — Drucke s. Anmerkung 5. C o m p l a i n t e d e l ' a m e d a m p n e e , gedr. bei Silvestre, Collection de poésies, Q. I I ; E n s e i g n e m e n t p o u r b i e n v i v r e e t b i e n m o u r i r , s. das. Q. I I I ; Hs. Bibl. nat. 983. Le Mors de la pomme, hgg. v. F. E. Schneegans, Rom. 1920, p. 537—70; s. Monteverdi, Archivum Romanicum V, 109. E x c l a m a c i ó n d e s os S. I n n o c e n t . Gedr. bei Montaiglon, Recueil I X , S. 59. R e m e m b r a n c e d e la m o r t . , gedr. bei Montaiglon, Ree. de poés. 2, 204. R e m e m b r a n c e d u m a u v a i s r i c h e , gedr. das. 13, 225. M i r o i r d e s d a m e s . Ausg. Söderhjelm, Neuphil. Mittigen 1904, Nr. 2. M i r o i r a u x d a m e s . Hgg. v. Piaget, Ree. de trav. de l'université de Neuchâtel, 1908. Nef d e vie. Gedr. v. Langlois in Mél. d'archéol. et d'hist. (Ec. de Rome) 5, S. 49. D i s p u t o i s o n d e D i e u e t d e s a m e r e . Gedr. das. S. 54. D o c t r i n e d e p a r l e r e t d e t a i r e . Gedr. bei Montaiglon, Ree. de poés. 10, 351; Hss. u. Drucke das. P r i s o n n i e r d e s c o n f o r t é de Loche. Ausg. v. P. Champion, Bibl. du X V ' siècle, Bd. VII. A i n s n e e f i l l e de f o r t u n e . Gedr. Mém. de l'Ac. des inscript. 8 (1733), S. 59. — Goujet, Bibl. fr. 9, 390. Ducatiana (Le D u c h a t ; 1738), S. 442. D i t d ' a m o u r s , hgg. v. Langfors, Neuphil. Mittlg. 1907 (IX). F o n t a i n e p e r i l l e u s e . S. Goujat, Bibl.fr. 10, 181. V e r g i e r d ' a m o u r . Gedr. bei Montaiglon, Ree. de poésies 8, 281. C o n f e s s e d e l a b e l l e f i l l e . Gedr. bei Doux fils, La dance aux aveugles, S. 345; v. Hasselt, Mém. cour, de l'Ac. de Bruxelles, 13. Bd., S. 229; Söderhjelm, Anteckningar om Martial d'Auv., in Finska Vet. Soc.'s. Förhandl., 31. Bd., S. 52. — Hs. Brüssel 11020—24. P o u r t r a i c t e de m'amie. S. v. Hasselt 1. c. 237. L e s o n g e d o r é d e l a p u c e l l e . Gedr. bei Montaiglon, Ree. de poés. 3, 204; Poésies gothiques fr. (1832) Nr. 10; Hss. Bibl. nat. 1661. 25553; Ars. 3523; Langlois in Notices et extr. 33, 2, 117.
Bücherverzeichnis.
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S. 119. D é b a t d e l ' h o m m e m o n d a i n e t d u r e l i g i e u x . Gedr. bei Doux fils, 1. c. S. 299; Montaiglon, Ree. de poés. 13, 193. — Hs. auch Bibl. nat. 25434; Drucke s. Montaiglon, 1. c. S. 119. M o n d a i n e t c e l e s t i n . Gedr. bei Montaiglon 13, 219. S. 119. L e n o u v e a u m a r i é . Gedr. das. 9, 148; Hss. Bibl. nat. 166; Ars. 3523. S. 119. C l e f S. 119. S. 119. S. 119. S. 120.
S. 120. S. 120.
d'amours,
gedr. bei Doutrepont,
Clef d'amours
(1890)
S. 127. Drucke s. das. S. 32. S e p t a r s l i b é r a u x . S. Doutrepont, 1. c. S. 141. L e s a m o u r s d e P a m p h i l e e t d e G a l a t é . S. Goujet, Bibl. fr. 10, 152; Drucke bei Brunet, Manuel 4, 338; Suppl. 2, 141. Resolucion d'amours. Gedr. bei Montaiglon, R e c . d e poés. 12, 307. Chevalier a u x dames. S. Piaget, Martin le Franc, S. 127; Goujet, 10, 139; Hss. s. das.; Heyse, Roman. Inedita, S. 123; Bibl. nat. 1692. 2229. 20028; Druck s. Piaget, I.e. G a r a n t d e s d a m e s . S. Piaget, I . e . S. 128. Louenges des dames. Gedr. bei Montaiglon, Ree. de poés. 7,
287; v. Hasselt, 1. c. S. 241. Druck s. Piaget, 1. c. S. 129. S. 120. B a l l a d e n und e i n G e b e t , gedr. bei Doux fils, I.e. S. 285; v . Hasselt, 1. c. S. 239. — S. Piaget, 1. c. S. 129. S. 120. P r o c è s etc. S. Piaget, 1. c. S. 139. S. 120. M o r s p o u r l e s m a l e m b r o n e h i e z , gedr. bei Heyse, 1. c. S. 79; Keller, Romvart, S. 690. — S. Piaget, 1. c. 142. S. 120. E p i s t o l a V a l e r i i a d R u f i n u m , S. Teuffei, Gesch. der röm. Lit. (1890) S. 1229. S. 120. F a u l s e t é , t r a h y s o n etc. S. Piaget, Martin le Franc S. 143. S. 121. D i t der Genfer Hs. i79bis, s. Ritter, Bull, de la Soc. Ane. Textes 3. 93S. 121. E n s e i g n e m e n t s n o t a b l e s , s. Langlois in Mélanges d'archéol., 1. c. S. 74. S. 121. D o c t r i n e d u p e r e a u f i l s . Gedr. bei Montaiglon 2, 238. S. i 2 i . C o n t e n a n c e de t a b l e . Gedr. das. I, 37; M e Saint-Saurin. L'hôtel de Cluny au m. âge (1835) S. 73; Hs. Bibl. nat. 1181 ; A u t r e c o n t e n a n c e d e t a b l e , gedr. bei M e Saint-S., 1. c. S. 67. Hs. auch Bern 205. Dictié, s. Saint-Saurin, S. 87. S. 1 2 1 . D o c t r i n a l d e b o n s e r v i t e u r s , gedr. bei Montaiglon, 2, 140. S. 1 2 1 . R e g i m e p o u r t o u s s e r v i t e u r s . Gedr. bei M e Saint-S., S. 95. S. 1 2 1 . C o m p l a i n t e du n o u v e a u m a r i é . Gedr. bei Montaiglon, 1 , 2 1 8 . S. 1 2 1 . F a c e t u s . Ausg. Morawski, Le Facet en François, Poznan, 1923; Frz. Hss. B. N . 14921, 12478, 25434 a u s dem 15. Jh. S. 1 2 1 . F e m i n a , Ausg. W. A. Wright, Cambridge 1909 (Roxburghe Club). S. 121. Zur H s . E p i n a l 189, s. Bonnardot in Bull. Soc. anc. Text. 2 (1876) S. 64, Nr. 70, 102. Gröber-Hofer, Gesch. d. mittelfrz. Lit. I I .
i;
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S. m . Sprichwörter. S. J.Morawski in Rom. 1922, S. 486. Les recueils d'anciens proverbes franç. analysés et classés; ders. Les Diz et Proverbes des Sages. Université de Paris, Bibl. de la Fac. des Lettres, II e sér., II. S. 121. J e u x à vendre. S. Bull. Soc. Ane. Textes fr. 1 (1875) S. 25, Nr. 63; 2, 64, Nr. 70. 102. — D i t s et v e n t e s d ' a m o u r s , 1831 (Pinard, Paris). Drucke bei Brunet, Manuel 5, 1123. Suppl. 2, 858. S. 121. Hs. Aumale. S. Ausg. der Gedichte Christinens v. Roy, I, Einl. 34. S. 121. D e m a n d e s d'amour. Gedr. bei Montaiglon, 7, 18; 5, 204; zu Hs. Epinal s. Bull. Soc. Anc. Textes 2, 117. 121. S. 121. Debat. Gedr. bei Montaiglon, 10, 41. Zu den Hss. s. Ritter in Bull. Soc. Anc. Textes 3, 89. S. 122. D i x souhaits. Gedr. bei Langlois in Mélanges, S. 69; Ritter, 1. c. S. 104. S. 122. S o u h a i t s des hommes. Gedr. bei Montaiglon 3, 138. S. 122. S o u h a i t s des femmes. Gedr. das. S. 147. S. 122. S o u h a i t s du monde. Gedr. I, 304. S. 122. Menuz souhaits. Gedr. bei Ritter, I.e. 109. S. 122. Le b a n q u e t du bois. Gedr. bei Montaiglon 10, 193. — Hs. das. Ars. 3523. S. 122. D i t de chascun. Gedr. bei Montaiglon, I, 223; Ritter, Poés. du 14 e et 15e s. (1880) S. 10. — Hs. s. Ritter in Bull. Soc. Anc. Text. 3, 90 S. 122. Chascun souloit etc. Gedr. bei Montaiglon, 10, 156 (vergl. 152). S. 122. C h a s t o i e m e n t pour un chascun. Gedr. bei P.Paris, Mss. S. S. S. S.
122. 122. 122. 123.
S. 123.
S. 124.
S. 124.
S. 124.
fr- 7. 335L o y a u t é des femmes. Gedr. bei Montaiglon 2, 35. D r o i t s n o u v e a u x sur les femmes. Gedr. das. 2, 123. C o m p l a i n t e du n o u v e a u marié. Gedr. das. 4, 5. Geschichte (Verse). S. Mobilier Auguste, Les sources de l'hist. de France des origines aux guerres d'Italie (1494) P. 1901—04. (Abgekürzt als Mol. angeführt). Jehan Creton. Livre de la prinse du roy Richart, gedr. v. Webb in Archaeologia (Soc. of Antiq. of London), Bd. 20 (1824), S. 295. — Hss. das., S. 293; dazu Bibl. nat. 1441. — Lit. bei Webb, Einl.; Dillon etc. in Archaeologia Bd. 28, 75 s . Mol. IV, 3987. L o y s de B e a u v a u . Le pas d'armes gedr. in der Ausg. der Werke Renés v. Anjou, hgg. v. Quatrebarbes 2, 43 ; dazu noch Crapelet, 1828. R o b e r t Blondel. Ausg. Héron (1893), 2 Bde.; Hss. u. Lit. das. Einl. Bd. 1 ; Complanctus, lat. u. frz. s. Bd. 2. S. Grande Encyclop. VI, S. 1168. Mol. IV, 4135. Martial d ' A u v e r g n e . S. Söderhjelm in Finska Vct. Soc.'s
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Förhandl., Bd. 31 (1889), S. 52 (s. G. Paris in Rom. 18, 512); Petit de Juleville, Hist. de la langue et de la litt. 2, 384; Rom. 27, 600; Goujet, Bibl. fr. 10. 39. A.Thomas in Mél. Chabanneau. V i g i l l e s , gedr. bei Coustellier, Bd. 7. 8; Hs. Bibl. nat. 14547. Drucke bei Brunet, Manuel 3, 1482; Suppl. I, S. 971 ; Mol. IV, 4138. S. 125. J e a n du Perier. Songe du Pastourel, gedr. v. Chmelarz in Jahrb. der kunsthist. Samml. des ah. Kaiserhauses, 13. Bd. (1892), S. 226. Hs. das. 265. S. 125. A n d r é de la Vigne. S. Guy, Rhétoriqueurs, S. 207£E.; Hss. u. Bibl. das. E. L. de Kerdaniel, Un auteur dramatique du quinzième siècle. André de la Vigne, P. 1923. Das. ältere Bibl. ; E. R. Wickersheimer. Deux imitations de la Ressource de la Crestienté. Mél. Picot II, S. 543—546. Ph. A. Becker, Andry de la Vigne, Abhdlg. d. sächs. Akad. d. Wissenschaften. Phil. Hist. Kl. 80. Bd. 22. H. S. 126. Jean Panier. Gedr. bei Keller, Romvart, S. 153; Hs. das. S. S. 245 zu S. 56. S. 126. Adam. Hgg. v. G. R a y n a u d , Bullet. Soc. de l'hist. de Paris X X V I (1900) S. 36—41. S. 126. E p i k in Versen. G a r i n de Monglane. S. Gautier, Ep. fr. IV, io6ff. ; K. Rudolph, Das Verhältnis der beiden Fassungen des G. d. M., Diss. Marb. 1890, ferner die Diss. mit Textproben von M. Müller (1913), H. Meun (1913), Schuppe (1914), Olschenka (1914). H u o n g e s t e : C. Voretzsch, Epische Studien I. Ha. 1900. H. Schäfer, Über die Pariser Hs. 1451 und 22555 der H. v. B.-Sage, Ausg. u. Abh. 90. G. Doutrepont, L'extension de la S. 127. P r o s a d i c h t u n g : Didaktik. prose au X V e siècle, Mél. de litt., d'hist. et de philologie. P. Laumonier, P. 1934. S. 127. P i e r r e , le f r u i t i e r , s. Geschichte. S. 127. J a c q u e s le G r a n t . S. Langlois in Recueil d'Arts de seconde Rhetorique, P. 1902; A. Coville, De Jacobi Magni vita et operibus, P. 1889. A r c h i l o g e : P. Paris. Mss. fr. I, 279; 2, 213; Bibl. nat. 1508; L i v r e de bonnes mœurs, S.P.Paris, Mss. fr. 4, 187; 7, 246. 315. 316. Ferner Bibl. nat. 1023. 1024. 1025. 1050. 1114. 1119. 1144. 1145. 1182. 1798. 1799. 15097. 17116. 17117. 19416. 24296. 24783. 24784; Ars. 2317. 2674; Tours 755; Bern 274. Genf, Ms. fr. 164 (Petau 41), s. Bibl. Ec. Chartes 72 (1911) S. 294; Vatican, Pal. lat. 1961, 1995, geschr. 1467 v. David Aubert. Drucke bei Brunet, Manuel 3, 1300. S. 128. Pierre des Gros. S.P.Paris, Mss. fr. 2, 1448.; dazu Hs. Bibl. nat. 22939. S. 128. Jehan de B r i z a y . L'esquillon d'amour, s. Hss. Bibl. nat. 2442. 2443; Agen 10; eine andere Übers, in Bibl. nat. 25547; Ars. 2122. —
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S. 128. S i m o n v. C o u r c y . Hs. Bibl. nat. 926; s. P. Paris, Mss. fr. 7, 256; Hss. ferner Bibl. nat. 927; s. P. Paris, 1. c. S. 269; ferner Bibl. nat. 1801. 1 8 5 1 . 9623. 19367. S. 128. G e o r g e d ' E s c l a v o n i e , Traicté de la virginité. Druck s. Brunet, Manuel 2, 1054. S. 129. J e a n d e B u e i l . Ausg. Favre et Lecestre, 1887, 2 Bde.; Hss. u. Bibl. s. das. ; Molinier, Sources de l'hist. de France IV, Nr. 4136; zum Commentaire des Guillaume Tringant s. Ausg. Bd. 1, 1 ; Bd. 2, 265. S. 129. R o b e r t du H e r l i n . S. Piaget, Martin le Franc S. 150. Werth in ZRPh. 13, 22. Le compte des 64 points in Hs. Bibl. nat. 2000 (Autograph). S. 130. R e i m l e h r e n . Ausg. v. Langlois E . in Recueil d'art de seconde rhetorique, Docum. inédits sur l'hist. de France, P., 1902. S. 130. J e a n G a l o p e s d i t le G a l o i s . S . P . P a r i s , Mss. fr. 7, 2 4 7 s . ; Senebier, Cat. des mss. de Genève S. 438. S. 130. J e a n le Conte. Marienwunder, Hss. Bern 82; Bibl. nat. 1805. 1806. S. 1 3 1 . M a i s t r e J e a n S a u l n i e r . S . P . P a r i s , Mss. fr. 4, 144. S. 1 3 1 . T r e s o r de l ' a m e . Bibl. nat. 1005. 1006. 9616: Drucke bei Brunet, Manuel 4, 1325. S. 1 3 1 . R o b e r t C i b o u l e . S . P . P a r i s , Mss. fr. 4, 162; Maud E . Temple in Romanic Rev. VI, S. 87, 402 ; Sainte meditacion noch Bibl. nat. 999. 1 3 2 7 7 ; New-York, Public Library ms. 58. S. 1 3 1 . C h a s t e a u p e r i l l e u x . Hss. s. P. Paris, Mss. fr. 4, S. 146; ferner Bibl. nat. 1009. 1033. 1162. 1879. 1880. 1881. 1882; Metz 534. S. 1 3 1 . C o l a r d M a n s i o n , van Praet, Colart Mansion, 1829; Nouv. biogr. gén. i l , 93. Penitance Adam, Hss. Bibl. nat. 1837, Nouv. acq. 156; Ars. 5092; Dialogue des creatures. Hs. Bibl. nat. Nouv. acq. 151 ; ferner die im Kapitel : »Der Humanismus in Frankreich« zum Buchdruck angeführten Werke. S. 1 3 2 . U b e r s e t z u n g e n in P r o s a . S. 1 3 2 . L a u r e n t de P r e m i e r f a i t . S. Henri Hauvette, De Laurentio de Primofatio (Laurent de Premierfait) qui primus Joannis Boccacii opera quaedam gallice transtulit ineunte seculo X V . P., 1903; dazu Rom. 1904 (33), S. 105 ; H. Hauvette, les plus anc. traduct. franç. de Boccace, Bullet, italien 1907—1909; Florence Nightingale Yones, Boccaccio and his imitators in german, english, french, spanish and ital. litt., Chicago 1 9 1 0 ; Longnon J . , Boccace en France, Rev. crit. des idees et des livres, 10, nov. 1 9 1 3 ; Comte Paul Durrien, le plus anc. ms. de la traduct. fr. du Décaméron, P. 1909 (S. A. aus Comptesrendus des séances de l'Acad. des Inscript, et belles lettres, 1909, S. 342—50); ders. in Bibl. Ec. Chartes 71 (1910), S. 64£f.; D e s c l e r c s et n o b l e s f e m m e s . P. Paris, Mss. fr. I 258 (133); 5, 120.
BÜCHERVERZEICHNIS.
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122 ( 5 9 8 . 5 9 9 ) ; ferner Bibl. nat. 1 1 2 0 . 1 2 4 2 0 ; Brüssel 9 5 0 9 ; Genf, Ms. fr. 1 9 0 (Petau 1 8 7 ) , 1 9 1 ( 1 8 8 ) , s. Bibl. Ec. Ch. 7 2 ( 1 9 1 1 ) , S. 581—91; Druck bei Brunet, Manuel. — De c a s i b u s v i r o r u m (et f e m i n a r u m ) i l l u s t r i u m . Gedr. Stück bei Hortis, Studi sulle opere lat. di Boccaccio ( 1 8 7 9 ) S. 7 3 1 . — Hss. das. S. 9 3 3 , P. Paris, Mss. fr. Bd. I, 2; Ars. 5281, 5193; S. Gen. 1128. 1129; Albi 76; Bergues 63; Cambrai 261; Rouen 1440. 1. Red. s. P. Paris I.e. i, 2 5 2 ( 1 3 2 ) ; 5, 1 1 9 ( 5 9 7 ) ; ferner Bibl. nat. 1 5 . 2 1 9 ; 2 4 2 8 9 . — Lit. Hortis, 1. c. S. 654 ; P. Paris, 1. c. Koeppel, L. de Pr. u. Lydgates Bearb. v. Bocc. De cas. virorum, 1885. D e c a m e r o n e . Stück gedr. bei Hortis, 1. c. 743. Hss. Bibl. nat. 129. 239. 240. 1122. 12421 ; Ars. 5 0 7 0 . 5 1 9 3 ; Vatican, Pal. 1 9 8 9 . Drucke bei Brunet, Manuell, 1 0 0 . De s e n e c t u t e . Hss. s. P. Paris, Mss. fr. I, 223; ferner Bibl. nat. 1009. 1020. 1187. 9186. 24284. 24285; Ars. 2 6 7 2 ; S.Omer 3 6 8 ; Bern 246; L a e l i u s . Hss. s. P. Paris, Mss. fr. I, 227; Langlois in Notices et extr. 3 3 , 2 , 8 7 ; ferner Bibl. nat. 1 0 2 0 . 2 0 0 1 6 . 2 4 2 8 3 ; S. Orner 368.
S. 133. J e a n le Besgue. P. Paris, Mss. fr. I, 35; 7, 4190.; ferner Hs. Bibl. nat. 1 3 8 8 . 1 3 8 9 . 1 5 4 7 0 . 1 7 2 1 5 . 2 3 0 8 5 . 2 3 0 8 6 . —>