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German Pages 697 [698] Year 2008
Festschrift für Hansjörg Otto zum 70. Geburtstag
Festschrift für
HANSJÖRG OTTO zum 70. Geburtstag am 23. Mai 2008 herausgegeben von
Rüdiger Krause Roland Schwarze
De Gruyter Recht · Berlin
Der Druck dieser Festschrift wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Hans Böckler Stiftung, des Verbandes der Metallindustriellen Niedersachsens und der Volkswagen Aktiengesellschaft.
' Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-89949-315-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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Hansjörg Otto zum 23. Mai 2008 Martina Benecke Rolf Birk Carsten Brodersen Thomas Dieterich Hans-Jürgen Dörner Martin Franzen Franz Gamillscheg Thomas Griese Peter Hanau Matthias Jacobs Abbo Junker Dagmar Kaiser Sudabeh Kamanabrou Otto Rudolf Kissel Horst Konzen Rüdiger Krause Gert-Albert Lipke
Volker Lipp Manfred Löwisch Joachim Münch Hartmut Oetker Harro Plander Ulrich Preis und Daniel Ulber Thomas Raab Reinhard Richardi Volker Rieble Roland Schwarze Wolfgang Sellert Gerald Spindler Gregor Thüsing und Indra Burg Barbara Veit Herbert Wiedemann Günther Wiese Albrecht Zeuner
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Martina Benecke Arbeitnehmerhaftung und Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . .
1
Rolf Birk Die Zielvereinbarung – ein arbeitsrechtlicher Problemfall . . . . . .
17
Carsten Brodersen Zur Stellung des Arbeitgebers beim Lohnsteuerabzug . . . . . . . .
29
Thomas Dieterich Kontrollpflicht und Zensurverbot im Arbeitskampf . . . . . . . . .
45
Hans-Jürgen Dörner Die Haushaltsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG . . .
55
Martin Franzen Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers als Grundlage des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Franz Gamillscheg Zur Haftung des Betriebsrats
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Thomas Griese Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Schutz arbeitnehmerähnlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
Peter Hanau Altersquoten
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
Matthias Jacobs Erfüllungsverlangen und Erfüllbarkeit nach Ablauf der Nachfrist .
137
Abbo Junker Arbeitsrecht zwischen Europäisierung und Amerikanisierung . . .
157
VIII
Inhalt
Dagmar Kaiser Verschuldensunabhängige verhaltensbedingte Kündigung
. . . . .
173
Sudabeh Kamanabrou Private Internetnutzung am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . .
209
Otto Rudolf Kissel Individuelle Vertragsfreiheit und Arbeitslohn – Eine Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
Horst Konzen Streik und Gleitzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
Rüdiger Krause Standortbezogene Arbeitskämpfe und betriebliche Mitbestimmung
267
Gert-Albert Lipke Offene Fragen zur Neuregelung der sachgrundlosen Befristung älterer Arbeitnehmer (§ 14 Abs. 3 TzBfG) . . . . . . . . . . . . . .
289
Volker Lipp Verfahrensgrundrechte und Rechtsmittelsystem im Arbeitsgerichtsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299
Manfred Löwisch Föderalismusreform: Neue Gestaltungsspielräume der Länder mit Auswirkungen auf das Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
317
Joachim Münch Schiedsgerichte in Arbeitssachen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327
Hartmut Oetker Voraussetzungen und Grenzen des Diskriminierungsschutzes für Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
361
Harro Plander Unsachliches über Sachliches – oder anders herum? . . . . . . . . .
381
Ulrich Preis und Daniel Ulber Risiken im Wissenschaftszeitvertragsrecht im Kontext der Föderalismusreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
391
Thomas Raab Streikaufruf und Streikteilnahme als Voraussetzungen für die Suspendierung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten . .
405
IX
Inhalt
Reinhard Richardi Der Arbeitsvertrag im Spannungsfeld von Tarif- und Betriebsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
451
Volker Rieble Tarifkoordinierung durch Spitzenverbände . . . . . . . . . . . . . .
471
Roland Schwarze Die beiderseits zu vertretende Unerbringbarkeit der synallagmatischen Leistung – Ein Konvergenzversuch . . . . . . . . . . . .
501
Wolfgang Sellert Urlaub, Ferien und Arbeitsbelastung an den Höchstgerichten des Heiligen Römischen Reichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
519
Gerald Spindler Die Haftung der Arbeitnehmer gegenüber Dritten
. . . . . . . . .
537
Gregor Thüsing und Indra Burg Grenzen der Bestreikbarkeit – Tariffreiheit zwischen Meistbegünstigungsklauseln und Spartentarifverträgen . . . . . . . . . .
555
Barbara Veit Taschengeld für Minderjährige – Reichweite der elterlichen Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
589
Herbert Wiedemann Sachgrundlos befristete Arbeitsverträge – Eine Rechtsfigur zum Abbau des Arbeitnehmerschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
609
Günther Wiese Zur innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Kommunikation von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
621
Albrecht Zeuner Die Behandlung mehrfacher Kündigungen im Kündigungsrechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
647
Verzeichnis der Schriften von Hansjörg Otto . . . . . . . . . . . . . .
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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort Am 23. Mai 2008 vollendet Hansjörg Otto sein siebzigstes Lebensjahr. Aus diesem Anlass wollen ihn Freunde, Kollegen und Schüler mit dieser Festschrift ehren. Hansjörg Otto wurde 1938 in Oldenburg (in Oldenburg) geboren und absolvierte nach dem 1958 aufgenommenen Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Hamburg 1962 die Erste juristische Staatsprüfung und 1967 die Zweite juristische Staatsprüfung, jeweils mit herausragendem Ergebnis. Nach einer Tätigkeit als Assistent seines ersten akademischen Lehrers Eduard Bötticher wurde er 1970 mit der zivilprozessualen Arbeit „Die Präklusion“ und einem wiederum hervorragenden Ergebnis promoviert. Der Assistentenzeit bei seinem zweiten akademischen Lehrer Albrecht Zeuner folgte 1977 die Habilitation über das gleichermaßen arbeitsrechtliche wie allgemeinprivatrechtliche Thema „Personale Freiheit und soziale Bindung“ und die Verleihung der venia legendi für die Fächer Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Arbeitsrecht. Nach einer Lehrstuhlvertretung an der Georg-August-Universität Göttingen wurde Hansjörg Otto 1977 zum Professor an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität in Bonn ernannt, kehrte aber schon 1978 an die Georgia Augusta zurück als Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht und Mit-Direktor des Instituts für Arbeitsrecht neben Franz Gamillscheg (ab 1993 neben Abbo Junker). Trotz eines ehrenvollen Rufes an die Philipps-Universität Marburg im Jahre 1986 blieb Hansjörg Otto Göttingen bis zum Ende seiner aktiven Dienstzeit im Jahre 2006 treu. Sein wissenschaftliches Werk hat Hansjörg Otto allen von seiner venia umfassten Rechtsgebieten gewidmet. Das Zivilprozessrecht steht am Anfang seines wissenschaftlichen Wirkens, zu ihm kehrt er immer wieder gerne zurück, so in seinem grundlegenden Beitrag zur Entscheidungsharmonie und Verfahrensökonomie bei Streitigkeiten mit kollektivem Bezug (RdA 1989, S. 247ff.), in seinen Aufsätzen zur Präklusion in der Festschrift für Wolfram Henckel (1995) und der Festgabe aus der Wissenschaft zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofes (2000) oder in seinem Beitrag zur Zustellung im internationalen Rechtshilfeverkehr in der Festschrift für Rolf Birk (2008). Im Zentrum seiner Beschäftigung mit dem Bürgerlichen Recht steht die Kommentierung der Vorschriften über den gegenseitigen Vertrag im Staudinger, zu denen sich als Folge der Schuldrechtsmodernisierung noch die zentralen Normen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts gesellt haben. Wer sich selbst einmal der mühevollen Arbeit einer umfassenden Kommen-
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Vorwort
tierung unterzogen hat, kann ermessen, welche gedankliche Leistung es erfordert, diese zum Kernbestand des Schuldrechts gehörenden Regelungen durch eine filigrane Dogmatik zu bändigen. Die Leidenschaft des verehrten Jubilars aber gehört dem Arbeitsrecht. Mit dogmatischer Klarsicht und Sinn für die Wirklichkeit des Arbeitslebens hat er die arbeitsrechtliche Diskussion der letzten Jahrzehnte mit zahlreichen Beiträgen zu den unterschiedlichsten Themen bereichert. Die Habilitationsschrift nimmt die spätere Ausformung eines arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes um drei Jahrzehnte vorweg. Nicht minder bedeutend sind die Beiträge des Jubilars zum Arbeitskampfrecht, vorweg seine systematische Darstellung des Arbeitskampfrechts, zunächst erschienen in den ersten beiden Auflagen des Münchener Handbuchs zum Arbeitsrecht (1993 und 2000) und nunmehr als eigenständige Monographie (2006). Dass Hansjörg Otto für dieses Werk zu einer arbeitsrechtlichen Thematik, die wie kaum eine zweite im Spannungsfeld der Interessen steht, von allen Seiten Anerkennung erfahren hat, belegt seinen Sinn für ausgewogene und auf gesicherten rechtlichen Fundamenten stehende Lösungen. Ein weiterer Schwerpunkt im arbeitsrechtlichen Schaffen ist schon seit langem die Haftung des Arbeitnehmers. Diesem Thema im Grenzgebiet von Arbeitsrecht und allgemeinem Haftungsrecht ist Hansjörg Otto insbesondere durch sein Gutachten „Ist es erforderlich, die Verteilung des Schadensrisikos bei unselbständiger Arbeit neu zu ordnen?“ für den 56. Deutschen Juristentag (1986) sowie die umfassende Monografie „Die Haftung des Arbeitnehmers“ (1998) verbunden, einer Neubearbeitung des Vorläuferwerkes zur Arbeitnehmerhaftung aus der Feder von Franz Gamillscheg und Peter Hanau. Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich das Lehrbuch des Jubilars zum Arbeitsrecht, bald in vierter Auflage erscheinend. Seine Begeisterung für die Rechtswissenschaft hat Hansjörg Otto zahllosen Studenten im akademischen Unterricht vermittelt, vor allem aber seinen Habilitanden und Doktoranden, deren Talente er durch behutsame Anleitung zur Entfaltung brachte. Von nachhaltiger Wirkung waren seine Seminare, die Wissenschaft und Praxis vorbildlich vereinten und mehrere Generationen arbeitsrechtlichen Nachwuchses hervorbrachten. Über die Tätigkeit als Wissenschaftler und Lehrer hinaus hat sich Hansjörg Otto vielfältig in der akademischen Selbstverwaltung engagiert. Von 1987 bis 1988 war er ein umsichtiger Dekan in unruhiger Zeit. Die damaligen Planungen zur Einführung von Studienbeiträgen lösten erhebliche Turbulenzen aus, die in einem Vorlesungsboykott und in der Verhinderung der Jubiläumsfeier zum 250-jährigen Bestehen der Georgia Augusta gipfelten. Von 1995 bis 2005 war der Jubilar Mitglied des Senats der Universität Göttingen und förderte in dieser Funktion den mühevollen und nicht unumstrittenen Prozess der Umwandlung der Georgia Augusta in die erste deutsche Stiftungsuniversität zum 1. Januar 2003. Der damit verbundene Autonomiegewinn schuf die organisa-
Vorwort
XIII
torischen Voraussetzungen für die letztlich erfolgreiche Teilnahme der Universität Göttingen an der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen im Jahr 2007, so dass man Hansjörg Otto als einen der „Geburtshelfer“ dieser Entwicklung bezeichnen darf. Dem internationalen Austausch hat Hansjörg Otto durch seine langjährige Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Vereins Afrikanisch-Asiatische Studentenförderung e. V. sowie durch die Unterstützung beim Aufbau des deutsch-chinesischen Instituts für Rechtswissenschaft, einem Gemeinschaftsprojekt der Universitäten in Göttingen und Nanjing, gedient. Die Anerkennung im Kreise der Fakultätskollegen findet ihren Ausdruck auch darin, dass er seit dem Jahr 2000 den Vorsitz der Göttinger Rechtswissenschaftlichen Gesellschaft inne hat. Die Beschreibung des Lebenswerkes von Hansjörg Otto wäre unvollständig, würde sie die Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit aussparen, die den Jubilar auszeichnen. Die heitere Gelassenheit, mit der er über Jahre hinweg eine angenehme Atmosphäre im „Blauen Turm“, dem Sitz des Göttinger Instituts für Arbeitsrecht, verbreitete, ist allen seinen Schülern in bester Erinnerung geblieben. Dass hinter dem Wissenschaftler und Hochschullehrer Hansjörg Otto stets der Mensch sichtbar bleibt, dürfte nicht zuletzt an seiner Frau Karin liegen, mit der er seit über vierzig Jahren glücklich verheiratet ist und mit der er zwei Söhne hat. Beiden wünschen Freunde, Kollegen und Schüler von ganzem Herzen noch viele erfüllte gemeinsame Jahre! Januar 2008
Rüdiger Krause Roland Schwarze
Arbeitnehmerhaftung und Gruppenarbeit Martina Benecke I. Einführung Die juristische Sonderstellung des Arbeitsrechts folgt zu einem guten Teil daraus, Zivilrecht zu sein und dennoch in weiten Teilen unbekümmert von eigentlich zwingenden Regeln des BGB abzuweichen. In diesen Bereichen, die oft gerade von besonderer praktischer Bedeutung sind, gilt ein changierender Flickenteppich von BGB-Regeln, Richter- und Gewohnheitsrecht, an dem der Student verzweifeln kann, der aber für den Wissenschaftler von besonderem Reiz ist. Es kennzeichnet das Werk des Jubilars, sich diesen Themenbereichen wiederholt gewidmet zu haben und sie mit juristischer Kreativität und profunder Kenntnis sowohl des Arbeitsrechts als auch des BGB durchdrungen und weiterentwickelt zu haben. Ein besonders umfangreiches Gebiet zwischen Arbeitsrecht und BGB ist die Arbeitnehmerhaftung. Das Werk „Die Haftung des Arbeitnehmers“ von Otto/Schwarze in Weiterführung von Gamillscheg/ Hanau bildet auf diesem Gebiet auch zehn Jahre nach seinem Erscheinen den Standard und hat die Rechtsprechung umfassend beeinflußt.1 Wie alle Bereiche zwischen Arbeitsrecht und BGB ist die Arbeitnehmerhaftung in besonderer Weise den Entwicklungen beider Rechtsgebiete und der Praxis ausgesetzt. Solange kein aktuelles höchstrichterliches Urteil vorliegt, kann trotz praktischer Bedeutung die Rechtsunsicherheit groß sein. Zu diesen Gebieten gehört die Arbeitnehmerhaftung bei Gruppenarbeit. Gruppenarbeit gewinnt als Element der „lean production“ immer größere Bedeutung und ist aus der modernen Arbeitsorganisation nicht mehr wegzudenken 2. Schwierigkeiten gibt es aber, wenn die Gruppe durch mangelhafte Arbeit oder andere Pflichtverletzungen den Arbeitgeber schädigt: Wie und wem gegenüber soll ein Schadensersatzanspruch durchgesetzt werden, wenn der einzelne Arbeitnehmer in der Gruppe „aufgeht“? Zu dieser Frage gelten in der Praxis bis heute die Grundsätze einer umstrittenen Entscheidung des
1 Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl. 1998; Vorläufer Gamillscheg/Hanau 2. Aufl. 1974. 2 Zu Erscheinungsformen in der Praxis Hunold AR-Blattei SD, 2003, Nr. 43 (Gruppenarbeit) Rn. 2 ff.
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Martina Benecke
BAG aus dem Jahr 1974.3 Die Monographie von Otto/Schwarze enthält eine der umfassendsten Würdigungen dieses Urteils.4 Ungeklärt bleibt aber, wie sich die Reformen des Schuldrechts von 2001, des Schadensrechts von 2002 und des Betriebsverfassungsgesetzes von 2001 (§ 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG) auf diese Problematik auswirken.
II. Grundlagen der Gruppenarbeit Gruppenarbeit liegt vor, wenn die Tätigkeit mehrerer Arbeitnehmer in bestimmter Weise koordiniert ist, ihnen also insbesondere eine gemeinsame Aufgabe mit einer gewissen Eigenverantwortung zugewiesen ist.5 Traditionell werden Betriebsgruppe und Eigengruppe unterschieden.6 Betriebsgruppen bestehen aus Mitgliedern, die einzeln und unabhängig voneinander Arbeitsverträge mit dem Arbeitgeber geschlossen haben und von diesem zusammengefaßt werden. Eine Eigengruppe liegt dagegen vor, wenn sich die Mitglieder in eigener Initiative zusammengefunden haben und dem Arbeitgeber ihre Dienste als Gruppe anbieten. Die Eigengruppe ist von erheblich geringerer Bedeutung, wie die Schulbeispiele Musikkapelle und Hausmeisterehepaar zeigen. Ihre Mitglieder sind nicht zwingend Arbeitnehmer, sondern können auch Selbständige sein oder sogar einen Werkvertrag schließen. Entsprechend richten sich die gegenseitigen Ansprüche vor allem nach der zugrundeliegenden Vereinbarung; so kann die Eigengruppe BGB-Gesellschaft oder Verein sein, sie kann als solche mit dem Arbeitgeber einen Vertrag schließen oder ihre Mitglieder aufeinander abgestimmte Verträge 7. Ebenfalls eine Frage der vertraglichen Gestaltung ist die Entlohnung der in Gruppenarbeit arbeitenden Arbeitnehmer. Im Regelfall wirken sich schwache Leistungen oder Pflichtverletzungen nicht auf den Entgeltanspruch aus, da die Gruppenarbeit aus einem Dienstvertrag keinen Werkvertrag macht. Anders ist es bei Vereinbarung leistungsbezogener Entgelte 8; so arbeiten Gruppen 3
BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130. Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 307ff.; außerdem dazu Hanau Anm. BAG EzA § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr. 24; Kniffka BB 1976, 274; Lieb Anm. BAG AP BGB § 611 Akkordkolonne Nr. 4; Rüthers ZfA 1977, 1 (18 ff.). 5 Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 307; BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (135 f.); s. auch den Wortlaut § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG. 6 Zu den Definitionen Fitting BetrVG 23. Aufl. 2006, § 87 Rn. 565 ff.; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 308 ff.; Rüthers ZfA 1977, 1 (4 f.); Wiese BB 2002, 198 (198 f.); Staudinger/Richardi BGB, 2005, Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 373 f. 7 Zu den möglichen vertraglichen Gestaltungen Kittner/Zwanziger/Kittner 3. Aufl. 2005, § 7 Rn. 7 ff.; Staudinger/Richardi (oben Fn. 6) Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 380 ff. 8 Solche Vereinbarungen sind unter den Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nrn. 10, 11 BetrVG mitbestimmungspflichtig. 4
Arbeitnehmerhaftung und Gruppenarbeit
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oft auf Grundlage eines sog. Gruppenakkords. Wird in solchen Fällen nicht die geforderte Leistung erbracht, ist entsprechend der Vereinbarung ein geringeres Entgelt geschuldet.
III. Materiellrechtliche Voraussetzungen der Haftung in der Gruppe Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen seine Arbeitnehmer ist vor allem die vertragliche Haftung, also § 280 Abs. 1 BGB, die frühere pVV. Deliktische Ansprüche haben engere Voraussetzungen, insbesondere erfaßt § 823 Abs. 1 BGB keine reine Schädigung des Vermögens. Im Rahmen der vertraglichen Haftung stellt sich bei Gruppenarbeit vor allem die Frage, ob und inwieweit Mitglieder einer Betriebsgruppe auch dann haften, wenn ihnen selbst kein schuldhafter Pflichtverstoß nachgewiesen werden kann. Das erwähnte Urteil des BAG aus dem Jahr 1974 hilft dazu kaum weiter: Hier findet sich nur die Feststellung, die gemeinsame Verantwortung für das Arbeitsergebnis der gesamten Gruppe wirke sich auf den Inhalt der vertraglichen Arbeitspflicht der Arbeitnehmer aus. Die Konsequenzen dieser Feststellung bleiben indes offen.9 1. Erfordernis einer entsprechenden Vereinbarung Es stellt sich daher die Frage, ob bereits die Tatsache der Gruppenarbeit als solche so zu verstehen ist, daß Mitglieder einer Arbeitsgruppe für alle Pflichtverstöße haften, gleichgültig, wer sie begangen hat. Damit würde die Gruppenarbeit aber zu einer Haftungsfalle, da eine Betriebsgruppe auch ohne den Willen der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber allein im Rahmen seines Direktionsrechts zusammengestellt werden kann.10 Dem Arbeitgeber würde damit das Recht eingeräumt, die Pflichten aus dem gegenseitigen Arbeitsvertrag einseitig auszuweiten.11 9 BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (136); kritisch dazu auch Lieb (oben Fn. 4). 10 Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 308; Rüthers ZfA 1977, 1 (9 f.); Schwab NZA-RR 2006, 449 (452); ausführlich Hunold (oben Fn. 2); anders gerade wegen des Haftungsrisikos ErfK/Preis 7. Aufl. 2006, § 611 BGB Rn. 194; HWK/Thüsing 2. Aufl. 2006, vor § 611 BGB Rn. 122; differenzierend Staudinger/Richardi (oben Fn. 6) vor § 611 BGB Rn. 376; Kittner/ Zwanziger/Kittner (oben Fn. 7) § 7 Rn. 16ff. Als unternehmerische Frage ist die Einführung von Gruppenarbeit auch mitbestimmungsfrei nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG; Fitting (oben Fn. 6) § 87 Rn. 572; Richardi/Richardi BetrVG, 10. Aufl. 2006, § 87 Rn. 954; Wiese BB 2002, 198 (199); dazu im einzelnen unten III.3. 11 Eine einseitige Änderung der gegenseitigen Verpflichtungen ist allenfalls möglich, wenn vertraglich ein entsprechender Vorbehalt vereinbart worden ist. Soweit ein solcher Vorbehalt in einem Formulararbeitsvertrag niedergelegt worden ist, unterliegt er allerdings der AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB; vgl. BAG 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, AP BGB § 307 Nr. 17 zu Versetzungsklauseln.
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Martina Benecke
Es ist daher zu differenzieren: Wie jeden Arbeitnehmer trifft auch den in Gruppenarbeit tätigen die Pflicht aus der allgemeinen Treuepflicht, den Arbeitgeber vor Schäden – auch durch Kollegen – zu bewahren.12 Für diese Pflicht gelten allerdings enge Grenzen, die bei Gruppenarbeit durch die enge Zusammenarbeit allenfalls tatsächlich erweitert werden können. Darüber hinaus kann eine Haftung nur durch eine Vereinbarung begründet werden, mit der die Arbeitnehmer eine besondere Verantwortung für das Ergebnis der Gruppenarbeit und die Leistungen ihrer Gruppenkollegen übernehmen.13 Die Vereinbarung kann in Ergänzung oder Modifikation der bestehenden Arbeitsverträge entweder von jedem einzelnen Arbeitnehmer oder von der Gruppe über einen Vertreter mit Vollmacht für seine Kollegen geschlossen werden. Nach den allgemeinen Regeln ist sie auch konkludent möglich. Es fragt sich aber, ob dafür die Vereinbarung eines Gruppenakkordes genügt. Das BAG geht offenbar davon aus; ihm folgt auch ein Teil der Literatur.14 Gegen diese Interpretation bestehen aber durchgreifende Bedenken 15: Eine Akkordvereinbarung ist eine reine Entgeltvereinbarung; d.h. die einzelnen Arbeitnehmer werden nicht nach ihrer jeweiligen Leistung bezahlt, sondern nach der Leistung der Gruppe. Eine besondere Übernahme von Verantwortung liegt darin nicht. Im Gegenteil hat die Akkordvereinbarung bei Schlechtleistung anderer Gruppenmitglieder auch für die Korrekten bereits eine Einkommensminderung zur Folge, eine Schadensersatzverpflichtung würde also eine „doppelte Sanktion“ in den Akkord hineininterpretieren. Erforderlich ist also, daß sich die zugrundeliegende Vereinbarung ausdrücklich oder konkludent auf die Verantwortung für Pflichtverstöße innerhalb der Arbeitsgruppe bezieht. 2. Anforderungen an die Gestaltung der Vereinbarung im einzelnen Im einzelnen ist die Gestaltung einer Vereinbarung zur Übernahme von Verantwortung für die Arbeit der gesamten Gruppe aber umstritten. So verlangt ein Teil der Literatur entsprechend den Grundsätzen zur Manko-
12 Umfassend auch zu den Grenzen dieser vertraglichen Nebenpflichten Beckscher OK – Joussen Stand 1.3.2007, § 611 BGB Rn. 387 ff.; zur Gruppenarbeit Kniffka BB 1976, 274 (276). 13 So auch die ganz herrschende Lehre: ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 611 BGB Rn. 192; Hanau (oben Fn. 4) S. 86d f.; Kniffka BB 1976, 274 (276); Küttner/Kreitner Personalbuch, 13. Aufl. 2006, Gruppenarbeitsverhältnis, Rn. 14; MünchHdbArbR/Marschall 2. Aufl. 2000, § 171 Rn. 7; Otto Gutachten E für den 56. DJT, 1986, S. E 78; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 316. 14 BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (135 f.); Rüthers ZfA 1977, 1 (18 ff.); zweifelnd dagegen Lieb (oben Fn. 4). 15 Dazu Kniffka BB 1976, 274 (276); Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 316; HWK/Krause (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 45.
Arbeitnehmerhaftung und Gruppenarbeit
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haftung einen finanziellen Ausgleich für die Übernahme eines erhöhten Risikos.16 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da in beiden Fällen die Situation des Arbeitnehmers vergleichbar ist: Er übernimmt das Risiko für einen Schaden, den eigentlich der Arbeitgeber zu tragen hätte und dessen Eintreten er nur bedingt verhindern kann. Allerdings muß die Vereinbarung zur Gruppenarbeit dann auch zu einem vergleichbaren Risiko wie die Mankoabrede führen. Da es bei der Mankoabrede vor allem um eine Beweiserleichterung für den Arbeitgeber geht, muß also die Gruppenabrede neben dem materiellrechtlichen Eintreten für andere auch eine Beweiserleichterung vorsehen, um eine finanzielle Gegenleistung erforderlich zu machen.17 Bei der Höhe der erforderlichen Gegenleistung können die Grundsätze zur Mankohaftung Anwendung finden, d.h. es kommt auf die zu erwartende Inanspruchnahme an18. 3. Einfluß des Betriebsrats Der Einfluß der gesetzlichen Neuregelung des § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG auf die Haftung bei Gruppenarbeit wird bislang kaum diskutiert; Stellungnahmen beschränken sich darauf, die umstrittenen Probleme der Haftung seien durch die Neuregelung des BetrVG von 2001 nicht geklärt.19 Daran ist zutreffend, daß die Mitbestimmung nicht die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen einzelne Arbeitnehmer als individuellen Tatbestand erfaßt.20 Das bedeutet aber nicht, daß der Betriebsrat keinen Einfluß hat. Der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG ist rechtspolitisch umstritten, da sein tatsächlicher Anwendungsbereich wesentlich geringer ist, als es seine weite Formulierung vermuten läßt.21 Aber auch für den tatsächlichen Anwendungsbereich gibt es noch keine festen Konturen. So sind einige Autoren der Ansicht, „Ziele und Verantwortung“ der Gruppe
16 Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 313; wohl auch Kniffka BB 1976, 274 (276); s. auch Hanau (oben Fn. 4) S. 86b f. Zu den Voraussetzungen der Mankohaftung MünchHdbArbR/ Blomeyer (oben Fn. 13) § 59 Rn. 74 ff.; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 271 ff.; ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 36 ff. und unten V.2.a. 17 Dazu im einzelnen unten V.2. auch zur AGB-Problematik derartiger Klauseln. 18 MünchHdbArbR/Blomeyer (oben Fn. 13) § 59 Rn. 77; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 299 ff.; im einzelnen unten V.2.a. 19 Küttner/Kreitner (oben Fn. 13) Gruppenarbeitsverhältnis, Rn. 20; Preis/Elert NZA 2001, 371 (374). 20 Richardi/Richardi (oben Fn. 10) § 87 Rn. 956. Anders ist es bei einigen Landespersonalvertretungsgesetzen, z.B. §§ 63 Abs. 1 Nr. 23 Brandenburg, 75 Abs. 1 Nr. 5 Niedersachsen, 78 Abs. 2 Nr. 14, 79 Abs. 2 Nr. 13 Rheinland-Pfalz, 78 Abs. 1 Nr. 17 Saarland, 81 Abs. 3 Nr. 9 Sachsen, 75a Abs. 1 Nr. 3 Thüringen. 21 Preis/Elert NZA 2001, 371 (373); Richardi/Richardi (oben Fn. 10) § 87 Rn. 949 ff.
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unterlägen der Mitbestimmung,22 während nach einer anderen Stimme über die „Eigenverantwortung der Gruppe“ allein der Arbeitgeber entscheide.23 Zur Abgrenzung gibt es wenig Anhaltspunkte. Die in der Gesetzesbegründung angeführten „Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit“ betreffen vor allem rein gruppeninterne Vorgänge wie die Wahl eines Gruppensprechers und Konfliktlösungen in der Gruppe.24 Hinsichtlich des Verhältnisses zum Arbeitgeber besteht in der Literatur zumindest insoweit Einigkeit, als „unternehmerische Entscheidungen“ entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungsfrei sind; dazu gehört vor allem das „Ob“ der Gruppenarbeit, also ihre Einführung und Beendigung.25 Nach der Gesetzesbegründung dient die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG einem doppelten Zweck: Sie soll Gruppenarbeit fördern, aber auch eine sog. „Selbstausbeutung“ der Gruppenmitglieder durch Gruppenzwang oder die Ausgrenzung leistungsschwächerer Arbeitnehmer verhindern.26 Daraus läßt sich beispielsweise für die Frage des Gruppenziels ableiten: Das wirtschaftliche oder arbeitsorganisatorische Ziel der Gruppenarbeit muß vom Arbeitgeber allein bestimmt werden, da anderenfalls der Betriebsrat – sogar mit Initiativrecht – durchsetzen könnte, daß eine Gruppe nicht mauert, sondern verputzt oder ein anderes Haus baut als geplant. Für die Ziele des § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG ist es nur erforderlich, die Modalitäten der Gruppenarbeit der Mitbestimmung zu unterwerfen. Aus diesen Überlegungen lassen sich auch nachvollziehbare Abgrenzungskriterien ableiten. Mitbestimmungsfrei bleiben danach diejenigen Angelegenheiten, die der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts bestimmen kann. Mitbestimmungspflichtig sind neben den in der Gesetzesbegründung genannten gruppeninternen Angelegenheiten solche Auswirkungen der Gruppenarbeit, die zu einer Abänderung der vertraglichen Arbeitspflicht der betroffenen Arbeitnehmer führen. Dieser Abgrenzung entspricht auch die in der Literatur geäußerten Feststellung, wonach die Beziehung der Gruppenmitglieder zum Arbeitgeber durch die Gruppenarbeit mediatisiert würde.27 Insbesondere entspricht sie aber dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts: „Selbstausbeutung“ droht bei Gruppenarbeit vor allem dann, wenn sie zu einer Abänderung, vor allem einer Ausweitung der vom Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag übernom22 So BeckOK BetrVG – Werner Stand 1.3.2007, § 87 Rn. 204; Fitting (oben Fn. 6) § 87 Rn. 575. 23 Wiese BB 2002, 198 (200). 24 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/5741, S. 47. 25 So BeckOK BetrVG – Werner (oben Fn. 12) § 87 Rn. 204; Fitting (oben Fn. 6) § 87 Rn. 572 ff.; Richardi/Richardi (oben Fn. 10) § 87 Rn. 954; Wiese BB 2002, 198 (199); s. auch Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/5741, S. 47 f. 26 BT-Drucks. 14/5741, S. 47. 27 Richardi/Richardi (oben Fn. 10) § 87 Rn. 948; s. auch Wiese BB 2002, 198 (198).
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menen Pflichten führt. Gleichzeitig wird die Mitbestimmung aber so nicht übermäßig ausgeweitet, da solche Modifikationen der arbeitsvertraglichen Pflichten meist ohnehin mitbestimmungspflichtig sind.28 Daraus folgt auch für die Haftung ein sinnvolles Ergebnis: Wenn Gruppenarbeit zu einer Haftung für Pflichtverletzungen auch der anderen Gruppenmitglieder führt, ist damit eine erhebliche Ausweitung der vom Arbeitnehmer zu tragenden Risiken verbunden: Das Risiko bezieht sich nicht nur auf Schäden durch mangelhafte Arbeit, sondern beispielsweise auch auf Beschädigung von Arbeitsgeräten und ist für den Arbeitnehmer kaum kalkulierbar 29. Vereinbarungen zur Gruppenarbeit, die hinsichtlich der „Verantwortlichkeit“ das vom Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag übernommene Risiko modifizieren, unterliegen somit nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats. Das heißt im Ergebnis: Fehlt es am Einverständnis des Betriebsrats, sind entsprechende – auch konkludent – getroffene Vereinbarungen unwirksam und der Arbeitnehmer kann nur für Schäden herangezogen werden, die er selbst schuldhaft verursacht hat.
IV. Haftungsumfang Das Urteil von 1974 bezog in einem vorher in der Literatur geführten Streit Stellung: Bei einer Betriebsgruppe scheidet grundsätzlich eine gesamtschuldnerische Haftung aus, d.h. die einzelnen Gruppenmitglieder haben den Schaden allenfalls anteilig zu tragen.30 Bei einer Eigengruppe kann das allerdings anders sein, wie die Rechtsprechung schon mehrfach angedeutet hat.31 Offen bleibt aber, wie und wonach bei anteiliger Haftung der Anteil des einzelnen Arbeitnehmers zu berechnen ist.
28 So fällt die Einführung von Gruppenakkord statt Zeitlohn beispielsweise bereits unter § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG. Diese Regelung geht dann vor, Wiese BB 2002, 198 (200, 202). 29 Kniffka BB 1976, 274 (276). 30 BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (139 f.); ebenso – sogar entgegen dem Wortlaut des einschlägigen Tarifvertrages BAG 18.5.1983 – 4 AZR 456/80, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 51 und mit Nachweisen zur damals vertretenen Gegenmeinung LAG Bremen 12.11.1969 – 1 Sa 61/69, DB 1970, 1696 sowie LAG Berlin 30.10.1989 – 9 Sa 66/89, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr. 13 und zuletzt LAG Sachsen-Anhalt 26.2.2004 – 6 Sa 474/03, juris, Rn. 30. Aus der Literatur ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 611 BGB Rn. 192 m.w.N.; Hanau (oben Fn. 4) S. 86e f.; MünchHdbArbR – Marschall (oben Fn. 13) § 171 Rn. 8; Otto/Schwarze (oben Fn. 10) Rn. 313; Rüthers ZfA 1977, 1 (25 ff.); Schwab NZA-RR 2006, 449 (452); Wiese BB 2002, 198 (202 f.). 31 BAG 30.5.1972 – 1 AZR 427/71, AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 50; BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (139); ebenso aus der Literatur Hanau (oben Fn. 4) S. 86 h; Kniffka BB 1976, 274 (277); MünchHdbArbR – Marschall (oben Fn. 13) § 171 Rn. 8; Schwab NZA-RR 2006, 449 (452).
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1. Gesamtschuldnerische Haftung a) Gesamtschuldnerische Haftung ist nach den allgemeinen Regeln möglich, wenn eine entsprechende Vereinbarung besteht. Das wird bei Betriebsgruppen eher selten der Fall sein; dennoch geschlossene Vereinbarungen unterliegen – wie dargelegt – der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG.32 Bei der Eigengruppe kommt es darauf an, ob die Mitglieder sich nur gesamtschuldnerisch zur Erfüllung oder auch zur Haftung verpflichtet haben.33 Schließlich kann eine Gesamtschuld auch aus § 830 BGB folgen. Das ist bei einem deliktischen Anspruch des Arbeitgebers möglich, wenn jeder einzelne eine gefährliche Handlung vorgenommen hat, die grundsätzlich geeignet war, den Schaden herbeizuführen – wie im Schulfall der Schlägerei. Größere praktische Bedeutung im Arbeitsrecht haben Fälle, in denen die Gruppenmitglieder bewußt und gemeinsam gegen Pflichten verstoßen, indem sie sich beispielsweise darauf einigen, Sicherheitsregeln nicht einzuhalten. Auf solche Fälle ist § 830 Abs. 1 BGB nach wohl allgemeiner Ansicht unmittelbar oder zumindest analog anwendbar. Für den Arbeitgeber hat das den Vorteil, daß die Norm nicht nur über Verursachungs-, sondern auch über Anteilszweifel hinweghilft.34 b) Nimmt der Arbeitgeber nur einen einzigen Arbeitnehmer auf den gesamten Schaden in Anspruch, muß das nicht zwangsläufig die Folge einer Gesamtschuld sein. Eine solche Konstellation kann sich auch ergeben, wenn dieser Arbeitnehmer der einzige ist, dem eine schuldhafte Schadensverursachung bewiesen werden konnte.35 In diesem Fall ist er der einzige Haftende, hat also selbstverständlich keinen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB. Entsprechendes gilt, wenn einem aufsichtspflichtigen Arbeitnehmer eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht vorzuwerfen ist, der gegenüber das Eigenverschulden der Kollegen zurücktritt. Voraussetzung sind dann allerdings auch Weisungsbefugnisse des vorgesetzten Arbeitnehmers gegenüber den Kollegen.36 2. Kriterien anteiliger Haftung Auch wenn der Grundsatz der anteiligen Haftung für die Mitglieder von Betriebsgruppen weitgehend unstreitig ist, ist die Quotelung der einzelnen Haftungsanteile noch weitgehend ungeklärt. Während die Rechtsprechung 32
Oben III.3. Ausführlich Rüthers ZfA 1977, 1 (33 ff.); s. auch Hanau (oben Fn. 4) S. 86h; Kniffka BB 1976, 274 (277); MünchHdbArbR – Marschall (oben Fn. 13) § 171 Rn. 8; Schwab NZA-RR 2006, 449 (452). 34 Zur Anwendung von § 830 BGB Hanau (oben Fn. 4), S. 86g; Lieb (oben Fn. 4); Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 320, 325, 327; Rüthers ZfA 1977, 1 (29). 35 Zu Beweisfragen unten V. Zu dieser Konstellation Hanau (oben Fn. 4), S. 86g; Rüthers ZfA 1977, 1 (29). 36 Rüthers ZfA 1977, 1 (29). 33
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offenbar von einer Teilung nach Köpfen ausgeht, wollen Stimmen in der Literatur das Einkommen bzw. Einkommen und Status der Arbeitnehmer berücksichtigen.37 Problematisch an diesen Kriterien ist, daß sie wenig mit dem tatsächlichen Schadensanteil der Betroffenen zu tun haben.38 Zu einem differenzierteren Ergebnis führt die Anwendung der allgemeinen Regeln des Verschuldens, insbesondere §§ 254, 278 BGB. Sie präzisieren den Grundsatz der anteiligen Haftung: Dem Arbeitgeber als Gläubiger des Schadensersatzanspruchs gegen die Arbeitnehmer ist über §§ 278, 254 BGB das (Mit-)verschulden seiner übrigen Arbeitnehmer zuzurechnen. Bei einer Gruppe mit gleichen Anteilen am Schaden und gleichem Status kommt man dabei tatsächlich zu einer Haftung nach Kopfteilen. Allerdings wird selten eine derart homogene Struktur vorliegen. So ist selbstverständlich im Rahmen von §§ 254, 278 BGB zu berücksichtigen, wenn einem Arbeitnehmer ein höherer oder niedrigerer Verursachungsanteil oder Verschulden als den anderen Gruppenmitgliedern nachgewiesen werden kann 39. Praktisch wichtiger ist aber eine andere Überlegung: Soweit ein Arbeitnehmer eine herausgehobene Stellung hat, kann er auch über eigenes Verschulden für fremde Fehler haften, die er nicht verhindert hat. Voraussetzung ist allerdings – wie bereits erwähnt – eine entsprechende Stellung in der Gruppe: Anders als in der Entscheidung des BAG von 1974 angedeutet, führt die Tatsache der Gruppenarbeit noch nicht dazu, daß ein Arbeitnehmer einen Kollegen daran hindern kann, Fehler zu machen.40 Möglich ist das nur bei entsprechender Weisungsbefugnis – Disziplinarbefugnis ist allerdings nicht erforderlich, da sie vom Arbeitgeber ausgeübt werden kann.41 Einkommen und Status können für diese herausgehobene Stellung als Indizien mittelbar herangezogen werden.
V. Beweislastverteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber Im Haftungsrecht sind für die Praxis Fragen der Beweislast und Beweisbarkeit oft wichtiger als materiellrechtliche Probleme. Das gilt für Haftung bei Gruppenarbeit sogar noch verstärkt, da hier der Anteil des einzelnen Arbeitnehmers oft in der Gruppenleistung „aufgeht“ und der Arbeitgeber daher besondere Schwierigkeiten hat, nachzuweisen, wer für einen konkreten Schaden verantwortlich ist. 37
Otto (oben Fn. 13) S. E 78; Hanau (oben Fn. 4) S. 86 f. So jetzt auch Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 326. 39 Lassen sich Verursachungsanteile dagegen nicht ermitteln, muß man als Notlösung von einer Haftung nach Kopfteilen ausgehen; so Otto Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 330. 40 BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (136 f.); dazu bereits oben III.1. 41 Rüthers ZfA 1977, 1 (29); Wiese BB 2002, 198 (202) zu den Disziplinarbefugnissen eines sog. Gruppensprechers. 38
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1. Entscheidung des BAG von 1974 a) Argumente der Urteilsbegründung In der Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1974 ist sogar von „unüberwindbaren Beweisschwierigkeiten“ die Rede. Obwohl in der Urteilsbegründung betont wird, es bleibe bei dem Grundsatz, wonach Schadensersatz nur dann geschuldet sei, wenn der Schuldner eine Vertragspflicht selbst schuldhaft verletzt habe, wird daher für die Beweislast eine „Aufteilung nach Gefahrenund Verantwortungsbereichen“ entwickelt. Danach gilt: Der Arbeitgeber muß beweisen, daß der Schaden durch vertragswidrige Schlechtleistung der Gruppe verursacht wurde. Gelingt das, müssen sich die Arbeitnehmer entlasten, indem sie darlegen und beweisen, daß sie einwandfreie Arbeit geleistet und auch keine Nebenpflichten verletzt haben. Auch hinsichtlich der „Verschuldensfragen“ obliegt die Entlastung den Arbeitnehmern.42 Die Begründung stützt sich auf mehrere Argumente.43 Die „Aufteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen“ wird der Rechtsprechung zur Produzentenhaftung 44 und zur Mankohaftung entnommen. Die Umkehr der Beweislast bei der Verschuldensfrage wird mit einer analogen Anwendung von § 282 a.F. BGB 45 begründet. Nur indirekt erwähnt wird aber der möglicherweise ausschlaggebende Grund: Die Regelung in § 7 Nr. 1 des Bundesrahmentarifvertrages für Leistungslohn im Baugewerbe vom 1.7.1971 war zwar auf den Entscheidungsfall aus dem Jahr 1968 nicht anwendbar, sah aber genau die in der Entscheidung niedergelegte Verteilung der Beweislast für Akkordgruppen vor.46 Heute findet sich eine nahezu gleichlautende Formulierung in § 8 des Nachfolgetarifvertrages vom 29.7.2005. b) Stellungnahme zur Urteilsbegründung aa) Die Literatur hat sich in den wenigen Stellungnahmen seit 1974 von dieser Argumentation wenig überzeugt gezeigt.47 Das gilt bereits für den Ausgangspunkt der Entscheidung, die „unüberwindbaren Beweisschwierig42
BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130. BAG 24.4.1974 – 5 AZR 480/73, BAGE 26, 130 (137 ff.). 44 Hier verweist die Urteilsbegründung vor allem auf den bekannten „Hühnerpestfall“, BGH 26.11.1968 – VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91. Das ProdHaftG war zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht in Kraft. 45 Der Wortlaut lautete: „Ist streitig, ob die Unmöglichkeit der Leistung die Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes ist, so trifft die Beweislast den Schuldner“. Entsprechendes folgt heute aus dem Wortlaut (doppelte Verneinung) des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB für alle Leistungsstörungen. 46 Dazu Hanau (oben Fn. 4) S. 86a. 47 Zustimmend Hanau (oben Fn. 4) kritisch bis ablehnend dagegen Däubler NJW 1986, 867 (873); ErfKomm – Preis (oben Fn. 10) § 611 BGB Rn. 192; Kniffka BB 1976, 274; Küttner/Kreitner (oben Fn. 13) Gruppenarbeitsverhältnis, Rn. 14; Lieb (oben Fn. 4); 43
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keiten“: Wie bei der Einzelarbeit hat der Arbeitgeber auch bei der Gruppenarbeit die Möglichkeit der Aufsicht über die Gruppe – selbst oder durch vorgesetzte Arbeitnehmer, die auch Gruppenmitglieder sein können.48 In einer früheren Entscheidung hatte das BAG es sogar für möglich gehalten, daß mangelnde Aufsicht einen Schaden mit verursachen kann.49 Das ist auch keineswegs abwegig, da die Aufsicht mit dem Direktionsrecht dem Arbeitgeber obliegt und mangelnde Aufsicht Organisationsverschulden begründet. Wenn Gruppenarbeit dagegen automatisch zu einer Beweislastumkehr führt, wird übersehen, daß ein Arbeitgeber, der das Beweisrisiko vermeiden möchte, im Rahmen seines Direktionsrechts ohne weiteres auf Gruppenarbeit verzichten kann, während der Arbeitnehmer entsprechenden Weisungen grundsätzlich Folge leisten muß. bb) Diese Überlegung zeigt bereits, daß weder aus den Grundsätzen der Produzentenhaftung noch aus denjenigen der Mankohaftung eine Aufteilung der Beweislast „nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen“ verallgemeinert werden kann.50 Darüber hinaus hinken die Vergleiche in mehrfacher Hinsicht. Das betrifft bereits die Produzentenhaftung: Der einzelne Arbeitnehmer hat weitaus weniger Einfluß als der Produzent auf die Organisation der betrieblichen Abläufe und Mechanismen zur Vermeidung von Fehlern. Darüber hinaus kann der Produzent sein Risiko kalkulieren und die Gefahr einer Haftung betriebswirtschaftlich – z.B. bei der Preisgestaltung – berücksichtigen.51 Der Vergleich mit der Mankohaftung übersieht ebenfalls, daß das Mankorisiko nur eigenes Verhalten betrifft und nicht das von Kollegen. Insbesondere aber sind der Mankohaftung durch die Rechtsprechung enge Grenzen gesetzt.52 Mankohaftung setzt ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers voraus und ist außerdem nur bei einem finanziellen Ausgleich des Arbeitnehmers möglich.53 cc) Die Argumentation der Urteilsbegründung zum Verschulden stützt sich auf § 282 a.F. BGB; die Beweislastumkehr bei Unmöglichkeit. Die
MünchHdbArbR – Marschall (oben Fn. 13) § 171 Rn. 7; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 317 ff.; Rüthers ZfA 1977, 1 (18 ff.); Schaub Arbeitrecht von A–Z, 17. Aufl. 2004, Gruppenarbeitsverhältnis; aus der Rechtsprechung abweichend LAG Berlin 30.10.1989 – 9 Sa 66/89, LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerhaftung Nr. 13 und LAG Sachsen-Anhalt 26.2.2004 – 6 Sa 474/03, juris, Rn. 31. 48 Kniffka BB 1976, 274 (276); Lieb (oben Fn. 4). 49 BAG 21.6.1966 – 1 AZR 271/65, BAGE 19, 1. 50 Kritisch zu der dogmatischen Unsicherheit auch Lieb (oben Fn. 4). 51 Kniffka BB 1976, 274 (276). 52 Zu den Voraussetzungen der Mankohaftung MünchHdbArbR – Blomeyer (oben Fn. 13) § 59 Rn. 74 ff.; HWK/Krause (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 47 ff.; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 271 ff.; ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 36 ff., jeweils m.w.N. 53 Im einzelnen unten V.2.a.
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Schuldrechtsreform hat diese Regelung in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB sogar auf alle Leistungsstörungen ausgedehnt. Allerdings hat sie auch eine spezielle Beweislastregel für das Arbeitsrecht in § 619a BGB geschaffen. Diese Regelung kehrt die Beweislast des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB um und überbürdet sie dem Arbeitgeber; 54 so daß die Vereinbarkeit der früheren Rechtsprechung zur Gruppenarbeit mit § 619a BGB bezweifelt wird.55 Allerdings ist die Geltung des § 619a BGB nicht ausnahmslos, so will die Literatur auch hier Ausnahmen aus „Sphärenerwägungen“ machen; als Beispiel wird ausdrücklich die Mankohaftung genannt.56 c) Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen? Daher stellt sich die Frage, ob unabhängig von der konkreten Begründung der BAG-Entscheidung eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen interessengerecht ist. Dafür könnte die entsprechende tarifvertragliche Regelung sprechen, die in ähnlicher Form bis heute in Kraft ist. Dabei ist aber zu beachten, daß sich Tarifverträge nur eingeschränkt dafür eignen, „in geglückter Auswertung und Verallgemeinerung“ 57 zu allgemeinen Prinzipien erhoben zu werden. Das folgt bereits daraus, daß andere Branchen andere Formen und Aufgaben der Gruppenarbeit und auch andere Haftungsrisiken haben. Insbesondere ist aber auch der normative Teil eines Tarifvertrages kein ausgewogenes Gesetzeswerk, sondern – wie ein schuldrechtlicher Vertrag – das Ergebnis einer Verhandlung; so kann die erwähnte Beweislastumkehr mit einem Zugeständnis der Arbeitgeber an anderer Stelle „erkauft“ worden sein. Somit ist die „Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen“ eine Abkehr von den allgemeinen gesetzlichen Regeln. Dafür ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit ein extremer Ausnahme- und Sonderfall erforderlich. Das zeigen auch die in der Urteilsbegründung herangezogenen Beispiele. Die Produzentenhaftung folgt aus der besonderen Situation, in der der Verbraucher dem Produzenten gewissermaßen „ausgeliefert“ ist, ohne Einfluß oder auch nur Einblick in dessen Bereich zu haben. Die Situation der Mankohaftung ist ähnlich: Auch hier ist es dem Arbeitgeber kaum möglich, die Kasse des betroffenen Arbeitnehmers zu kontrollieren, wenn er gleichzeitig dessen Persönlichkeitsrechte wahren muß. Bei der Gruppenarbeit stehen die Arbeitgeber – wie dargelegt – keineswegs vor entsprechend „unüberwindbaren Beweisschwierigkeiten“.58
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So zur Gruppenarbeit LAG Sachsen-Anhalt 26.2.2004 – 6 Sa 474/03, juris, Rn. 31. ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 611 BGB Rn. 192; vorsichtiger HWK/Krause (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 45. 56 MünchKomm BGB/Henssler 4. Aufl. 2005, § 619a Rn. 42. 57 So Hanau (oben Fn. 4). 58 Dazu oben V.1.a. 55
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Hinzu kommt eine weitere Rechtsentwicklung, die bislang kaum beachtet wurde. Im Entscheidungsjahr 1974 galten die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung – also die Einschränkungen bei einfacher und mittlerer Fahrlässigkeit – nur für die sog. gefahrgeneigte Arbeit.59 Diese Einschränkung hat der Große Senat des BAG in Übereinstimmung mit der überwiegenden Literatur 1994 aufgegeben; die Regeln der Arbeitnehmerhaftung erfassen nunmehr jegliche „betrieblich veranlaßte Tätigkeit“.60 Anders als bei der Mankohaftung, die nur einen kleinen Kreis von Arbeitnehmern mit spezieller Tätigkeit betrifft, ist Gruppenarbeit verbreitet und bei nahezu jeder Tätigkeit möglich. Die Beweislastumkehr bei Gruppenarbeit würde also die Regeln der Arbeitnehmerhaftung für einen weiten Bereich aushebeln,61 was nach heutiger Rechtslage zu einem grundlegenden Wertungswiderspruch führen würde. d) Zwischenergebnis Auch für die Beweislastverteilung bei Gruppenarbeit gelten die allgemeinen Regeln: Der Arbeitgeber muß als Gläubiger eines Schadensersatzanspruchs dem einzelnen Arbeitnehmer pflichtwidrige Handlung und Verschulden nachweisen. Damit steigen vor allem die Anforderungen an die Aufsicht über Gruppenarbeit, was indes zumutbar ist, da die Aufsichtsaufgabe auch an vorgesetzte Gruppenmitglieder delegiert werden kann. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht bei der Aufsicht als Frage des Direktionsrechts grundsätzlich nicht.62 Insgesamt wiegen die Anforderungen an den Arbeitgeber, der Gruppenarbeit freiwillig einsetzt, geringer als die Gefahr für Arbeitnehmer, ohne eigenes Verschulden für Schäden herangezogen zu werden. Schließlich ist eine Erleichterung der Beweislast auch nach den allgemeinen Regeln möglich. So wird bei Gruppenarbeit oft der Anscheinsbeweis eingreifen. Regelmäßig besteht die Möglichkeit der richterlichen Schadensschätzung nach § 287 ZPO.63 Besteht dennoch das Bedürfnis für eine weitere Beweisregelung, kann diese außer im Tarifvertrag auch in einer einzelvertraglichen Vereinbarung getroffen werden. Dabei sind allerdings gesetzliche Einschränkungen zu beachten. 2. Vereinbarungen zur Beweislast Der Tarifvertrag im Baugewerbe zeigt, daß im Zusammenhang mit Gruppenarbeit das Bedürfnis nach einer Erleichterung der Beweislast für den Arbeitgeber bestehen kann. Daher stellt sich die Frage, unter welchen Vor59 60 61 62 63
Überlegungen zur damaligen Rechtslage bei Rüthers ZfA 1977, 1 (23 ff.). BAG 27.9.1994 – GS 1/89, BAGE 78, 56. So schon zur früheren Rechtslage Rüthers ZfA 1977, 1 (24). Zur Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG oben III.3. Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 318, 329.
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aussetzungen derartige Regeln auch einzelvertraglich geschlossen werden können. Grundsätzlich sind Vereinbarungen zur Beweislast – ähnlich wie Vereinbarungen zur Haftung 64 – in einem Vertrag möglich. Einschränkungen können sich jedoch aus den Grundsätzen über die Haftungsbeschränkung ergeben und bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen aus dem AGBRecht. a) Haftungsbeschränkung Vertragsvereinbarungen, die für Gruppenarbeit Haftung und Beweislast zuungunsten der Arbeitnehmer abändern, müssen für den Arbeitnehmer einen finanziellen Ausgleich vorsehen.65 Wegen der Parallelen der Interessenlage können die Regeln zur Mankohaftung als Vorbild herangezogen werden. Mankoklauseln wurden früher auf Grundlage der §§ 138, 242 BGB beurteilt, heute nach den allgemeinen Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung. Danach sind sie zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers besteht und der Arbeitnehmer für seine Haftung eine angemessene Entschädigung erhält.66 Das berechtigte Interesse soll dann vorliegen, wenn der betroffene Arbeitnehmer alleinigen Zugriff auf die betroffenen Gegenstände hat.67 Bei der Gruppenarbeit ist es umgekehrt: Hier ergibt sich das berechtige Interesse gerade aus dem Zusammenwirken der Gruppe. Beiden Fällen ist gemeinsam, daß der Arbeitgeber nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten hat. Bei der angemessenen Entschädigung ist stärker zu differenzieren als in den Fällen der Mankohaftung. Wie bereits erwähnt, muß sie dort in ihrer Höhe dem Durchschnitt der zu erwartenden Fehlbeiträge entsprechen und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geben, auch einen Überschuß zu erwirtschaften.68 Bei der Gruppenarbeit ist eine entsprechende Prognose schwieriger. Die Haftungsrisiken sind vielgestaltig, da Schäden ganz unterschiedlichen Ausmaßes an Rechtsgütern des Arbeitgebers und an Rechtsgütern Dritter auftreten können. Auf der anderen Seite besteht aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß der einzelne sich in der Gruppe „verstecken“ und deshalb für Schäden nicht herangezogen werden kann. Daher muß bei der 64
Dazu oben III.1. So zur Haftung schon oben III.2.; s. Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 313; Kniffka BB 1976, 274 (276); Hanau (oben Fn. 4) S. 86b f. 66 MünchHdbArbR – Blomeyer (oben Fn. 13) § 59 Rn. 75; HWK/Krause (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 51 ff.; Otto/Schwarze (oben Fn. 1) Rn. 271 ff.; ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 36 ff.; Staudinger/Richardi (oben Fn. 6) § 611 Rn. 200, 561 ff. 67 MünchHdbArbR – Blomeyer (oben Fn. 13) § 59 Rn. 74 zu früheren Entwürfen für ein Arbeitsvertragsgesetz. Der aktuelle Entwurf von Henssler/Preis, abrufbar unter www.ArbVG.de, enthält keine entsprechende Klausel. 68 BAG 17.9.1998 – 8 AZR 175/97, BAGE 90, 9; MünchHdbArbR – Blomeyer (oben Fn. 13) § 59 Rn. 77; Staudinger/Richardi (oben Fn. 6) § 611 Rn. 561; Stoffels AR-Blattei SD 1999, Nr. 870.2 (Haftung des Arbeitnehmers/Mankohaftung), Rn. 125a ff. 65
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Gruppenarbeit eine stärkere Pauschalisierung möglich sein. Dabei wird es neben dem konkreten Haftungsrisiko auch darauf ankommen, ob und inwieweit jeder einzelne für Fehler seiner Kollegen herangezogen werden kann. b) AGB-Recht Seit der Schuldrechtsreform unterliegen auch Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich der AGB-Kontrolle, § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB. Da Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung als Verbraucher anzusehen sind,69 gilt das nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch bei nur einmaliger Verwendung eines Formularvertrages. Daher wird in der Literatur die Auffassung vertreten, eine vorformulierte Beweislastumkehr, die eine Erleichterung für den Arbeitgeber vorsieht, scheitere an § 309 Nr. 12 BGB.70 § 309 Nr. 12 BGB verbietet jegliche Änderung der Beweislast zum Nachteil des Kunden/Arbeitnehmers, wobei es nicht darauf ankommt, ob es sich um gesetzliche oder richterrechtliche Beweislastregeln handelt.71 Dabei stellt sich die Frage, ob hier auf die Rechtsprechung von 1974 oder auf die heutige herrschende Meinung abzustellen ist. Für ersteres spricht, daß die Rechtsprechung von 1974 nie höchstrichterlich geändert wurde.72 Andererseits kann man in Anbetracht der berechtigten und fast einmütigen Kritik in der Literatur nicht von Richter- oder gar Gewohnheitsrecht sprechen. Insbesondere trifft aber § 619a BGB seit 2002 eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Beweislastverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung, die entsprechendem Richterrecht ohnehin widerspräche.73 Verträge, die bei Gruppenarbeit die Beweislast zuungunsten der Arbeitnehmer abweichen, sind aber trotz § 309 Nr. 12 BGB nicht grundsätzlich unzulässig. Zu beachten bleiben die Einschränkungen im Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle. So gelten die §§ 305 ff. BGB nach § 310 Abs. 4 Sätze 1, 3 BGB nicht für Tarifverträge 74. Insbesondere findet aber keine AGB-Kontrolle statt, wenn die Vertragsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 3 ausgehandelt werden, wenn also mit Verhandlungsbereitschaft auf beiden Seiten über die Klausel gesprochen wurde.75 Beweislaständerungen sind damit nur in individuell ausgehandelten Verträgen oder in ausgehandelten Klauseln in Formularverträgen möglich. Das 69
BAG 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, AP BGB § 310 Nr. 1. ErfK/Preis (oben Fn. 10) § 611 BGB Rn. 192; anders zu Mankohaftung HWK/Krause (oben Fn. 10) § 619a BGB Rn. 53. 71 Palandt/Heinrichs BGB, 66. Aufl. 2007, § 309 Rn. 99 f.; Prütting/Wegen/Weinreich/ Berger BGB, 2006, § 309 Rn. 94. 72 Anders aber LAG Sachsen-Anhalt 26.2.2004 – 6 Sa 474/03, juris, Rn. 31. 73 Dazu bereits oben V.1.b.cc. 74 In Tarifverträgen sind Beweislaständerungen auch ohne finanziellen Ausgleich möglich; die Regeln der Haftungsbeschränkung gelten hier nicht. 75 Palandt/Heinrichs (oben Fn. 71) § 305 Rn. 18 ff. 70
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ist auch sachgerecht, da den betroffenen Arbeitnehmern durch derartige Klauseln umfangreiche Gefahren drohen, obwohl sie in einem Formularvertrag kaum auffallen. Auf der anderen Seite wird auch dem Arbeitgeber nichts Unzumutbares aufgebürdet. Gerade dann, wenn sie eine finanzielle Gegenleistung erhalten, werden sich Arbeitnehmer regelmäßig auf entsprechende Klauseln einlassen. Der Arbeitgeber muß auch nicht mit sämtlichen Mitgliedern einer Gruppe verhandeln, sondern Stellvertretung bleibt nach den allgemeinen Regeln möglich.
VI. Fazit Die Arbeitnehmerhaftung bei Gruppenarbeit kann nicht mehr nach den Regeln des Urteils von 1974 beurteilt werden. Das betrifft vor allem die Beweislast, aber auch die materiellrechtlichen Grundsätze. So kann weder aus der Gruppenarbeit als solcher noch aus der Vereinbarung eines Gruppenakkordes eine Haftung für Pflichtverletzungen der anderen Gruppenmitglieder abgeleitet werden, sondern nur eine Haftung für eigene (auch Aufsichts-) Pflichtverletzungen. Allerdings sind entsprechende Vereinbarungen möglich, die jedoch nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Zum Haftungsumfang entspricht der Grundsatz der anteiligen Haftung allgemeiner Meinung. Die Haftungsanteile richten sich aber in der Regel nicht nach Kopfteilen, sondern nach den allgemeinen Regeln der §§ 254, 278 BGB. Zur Beweislastverteilung kann die Begründung des Urteils von 1974 bereits nach damaliger Rechtslage nicht überzeugen: Eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen ist nicht sachgerecht. Unter Geltung des § 619a BGB ist eine Modifikation der allgemeinen Beweislast zu Lasten der Arbeitnehmer spätestens nicht mehr haltbar. Auch hier bleiben abweichende Vereinbarungen möglich. In Tarifverträgen gilt das uneingeschränkt. Arbeitsvertragliche Vereinbarungen müssen gemäß den Regeln der Mankohaftung zur Haftungsbeschränkung einen finanziellen Ausgleich vorsehen. Darüber hinaus sind sie in AGB wegen § 309 Nr. 12 BGB nicht möglich, sondern müssen ausgehandelt werden.
Die Zielvereinbarung – ein arbeitsrechtlicher Problemfall Rolf Birk I. Einleitung Im Zeichen der Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen,1 insbesondere der Entgeltflexibilisierung 2 durch die Einführung variabler Vergütungsbestandteile, gewinnt das Instrument der Zielvereinbarung immer stärkere praktische und rechtliche, d.h. vor allem arbeitsrechtliche Bedeutung. Zunächst galt dies vor allem für den außertariflichen Bereich, jedoch beschränkt sich diese Entwicklung schon seit einiger Zeit nicht mehr auf diesen allein, sondern hat auch die tariflichen Regeln unterliegenden Arbeitsverhältnisse erfasst.3 Die Zielvereinbarung kommt freilich nicht nur bei der Flexibilisierung des Entgelts in Betracht, sie soll auch den Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers wie dessen Arbeitszeit an veränderte Umstände anpassen helfen.4 Ihrem Grundgedanken nach ist die Zielvereinbarung jedoch in den Arbeitsbeziehungen universell anwendbar. Ihre verstärkte Bedeutung verdankt sie aber in den letzten Jahren vor allem dem Umstand, dass mit den üblichen arbeitsrechtlichen Instrumenten die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen nicht oder nur sehr schwierig zu erreichen ist, zumal sie sich in aller Regel ausschließlich auf das gesamte Arbeitsverhältnis und den Bestand beziehen und nicht auf einzelne Arbeitsbedingungen. Historisch gesehen kann es indes nicht wundern, dass das Arbeitsrecht seiner Flexibilisierung gegenüber nicht besonders entgegen kommend und offen ist, widerspricht dies letztlich doch der Schutzfunktion und damit einer seiner wesentlichen Grundstrukturen. Die literarische Aufbereitung der arbeitsrechtlichen Problematik der Zielvereinbarung liegt zwar nicht mehr im Argen wie noch manche Autoren vor wenigen Jahren beklagten, mittlerweile hat die Zielvereinbarung bereits Eingang in einige Hand-
1 Dazu Rieble NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 3, S. 33 ff.; Lindemann Flexible Gestaltung von Arbeitsbedingungen nach der Schuldrechtsreform, 2003. 2 Ausführlich hierzu Lindemann Flexible Gestaltung, S. 313 ff. 3 Vgl. Benrath Tarifvertragliche Öffnungsklauseln zur Einführung variabler Entgeltbestandteile durch Betriebsvereinbarung, 2007, S. 18 f., 158 (tarifvertragliches Beispiel). 4 Vgl. Lindemann Flexible Gestaltung, S. 253 ff., 340 ff.
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bücher für die arbeitsrechtliche Praxis 5 gefunden, zahlreiche Aufsätze, ja Dissertationen 6 befassen sich mit ihr. Es gibt bislang jedoch noch keine konsolidierte Lehre der Zielvereinbarung im Arbeitsrecht. Sie hat auch keinen Eingang in den Entwurf eines Arbeitsgesetzbuches gefunden. Bei kritischer Durchsicht des Schrifttums und der (noch) spärlichen einschlägigen Rechtsprechung kommen einem zahlreiche Bedenken über die dort zu findenden arbeitsrechtlichen Aussagen. Mit ihnen werde ich mich hier im Einzelnen nicht intensiv auseinandersetzen. Ob die Zielvereinbarung arbeitsrechtlich als besonders problematisch zu gelten hat, ist zwischen Praktikern umstritten.7 Während teilweise behauptet wird, dass sie weitgehend unbeanstandet nach dem geltenden Recht funktioniere,8 betonen andere das genaue Gegenteil: 9 Die Zielvereinbarung werde immer mehr wegen ihrer zahlreichen mit ihr verbundenen Unklarheiten zum arbeitsrechtlichen Zankapfel. Für die zweite Auffassung spricht nicht zuletzt das juristische Towubawohu unter den einschlägigen Autoren, die sich mit Problemen der Zielvereinbarung im Arbeitsrecht auseinandersetzen. Ein interessantes Phänomen sei nur am Rande erwähnt. Obwohl die Zielvereinbarung weitgehend ein Import aus der US-amerikanischen Betriebswirtschaftslehre (personal administration, personal management, human resource management) darstellt, finden sich im Ursprungsland keine arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen mit ihr. Dies gilt im Übrigen weitgehend auch für andere Länder (z.B. Italien, Vereinigtes Königreich); ich werde darauf noch etwas später eingehen. Die Thematik Zielvereinbarung/Arbeitsrecht bildet eine Schnittstelle zwischen Betriebswirtschaftslehre (Personalökonomie, Personalmanagement) und Recht. Wie normativ ist die Betriebswirtschaftslehre für beide Bereiche? Wie geht das Arbeitsrecht damit um, welche Schlussfolgerungen zieht es daraus? Geht es nur um die arbeitsrechtliche Umsetzung personalökonomischer Erkenntnisse? Es liegt auf der Hand, dass die Zielvereinbarung in unserem 5 Preis in: Preis (Hrsg.), Der Arbeitsvertrag, 2. Aufl., 2005, II Z5 (S. 1569 ff.); Diller in: Dörner/Luczak/Wildschütz (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 6. Aufl., 2007, S. 493 ff. 6 Schau Corporate Identity durch die Einbeziehung von Zielvereinbarungen im Rahmen der Personalentwicklung, 1998; Kohnke Effektivität von Zielvereinbarungen mit teilautonomen Gruppen, 2002; Schang Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei neuen Formen der Leistungsvergütung, 2002, S. 99 ff.; U. H. Krause Zielvereinbarung und leistungsorientierte Vergütung, 2003; Deich Die rechtliche Beurteilung von Zielvereinbarungen im Arbeitsverhältnis – Schwerpunkt Individualarbeitsrecht –, Diss. Köln 2004; Mohnke Zielvereinbarungen im Arbeitsverhältnis, 2006. 7 Diller in: Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, Rn. 821b (S. 494); Röder Fallstricke bei der Gestaltung zielvereinbarungsgestützter Vergütungssysteme, in: Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht – Festschrift zum 25jährigen Bestehen, 2006, S. 139. 8 So Röder (vorige Fn.). 9 Diller in: Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, Rn. 821b (S. 494: „streitanfällig“).
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Zusammenhang nicht auf ihre ausreichende theoretische Begründung in der Betriebswirtschaftslehre diskutiert werden kann – daran bestehen nämlich nicht unerhebliche Zweifel.10 Arbeitsrechtlich geht es nur darum zu überprüfen, ob die in der Lehre von der Zielvereinbarung aufgestellten normativen Empfehlungen einen arbeitsrechtlich zulässigen Inhalt besitzen und damit zum Gegenstand rechtlichen Verhaltens gemacht werden können. Die Zielvereinbarung soll ja das Verhalten des Arbeitnehmers im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses steuern, damit dieser die vereinbarten Ziele realisiert. Allein dies ist allenfalls die äußere, also ein Teil der Wahrheit. Denn wesentlich erscheint die Frage, weshalb es einer zusätzlichen Vereinbarung neben dem ursprünglich nicht über die Festlegung der vom Arbeitnehmer zu erbringenden vertraglichen Tätigkeit hinausgehenden Vertrag bedarf. Denn jeder Vertrag, so auch der Arbeitsvertrag, verfolgt bestimmte Zwecke. Der Arbeitnehmer hat im Rahmen des Vereinbarten und Üblichen seine Arbeitsleistung zu erbringen, die der Arbeitgeber im Übrigen durch sein Direktionsrecht (ius variandi) konkretisieren kann.11 Soweit demnach Ziele über das Übliche bzw. über den Vertragsrahmen hinausgehen, werden diese für den Arbeitnehmer nur verbindlich, wenn er ihnen zustimmt, was immer der Arbeitgeber mit ihnen verbindet und beabsichtigt. Die Zielvereinbarung ändert mithin den bisherigen Vertragsinhalt, will sie doch die Erfüllung von Zielen zur Leistungspflicht des Arbeitnehmers machen, die von sich aus nicht unter die vertragsübliche Leistungspflicht (Arbeitspflicht) fallen. Die Pflichtenstruktur des Arbeitsvertrages wird mithin durch die Zielvereinbarung verändert.12 Sie verändert damit unter Umständen nachträglich dessen Risikostruktur,13 je nach dem, was mit der Zielvereinbarung beabsichtigt ist. Es wird somit klar, dass die Zielvereinbarung die gesamte Struktur des Arbeitsvertrages ändert und nicht bloß als nebensächliche Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag begriffen werden kann, auch wenn man diesen Eindruck bisweilen aus der arbeitsrechtlichen Diskussion gewinnen kann. Praktischer Ausgangspunkt für Zielvereinbarungen ist heutzutage die Absicht des Arbeitgebers, etwa das Entgelt durch Einführung variabler Vergütungsbestandteile flexibilisieren zu können,14 um damit auch die Lohnkosten zu senken oder zumindest nicht auszuweiten.15 Zielvereinbarungen 10 Vgl. Weibler Führungsmodelle, in: Gaugler/Oechsler/Weber, Handwörterbuch des Personalwesens, 3. Aufl., 2004, Sp. 801 (807 ff.). 11 Vgl. Birk Die arbeitsrechtliche Leistungsmacht, 1973, S. 69 ff. 12 Dies wird von den meisten Autoren zur Zielvereinbarung nicht richtig gesehen. S. etwa die sonst durchaus verdienstvolle Arbeit von Deich Die rechtliche Beurteilung von Zielvereinbarungen im Arbeitsverhältnis, S. 91 ff. 13 Preis Der Arbeitsvertrag, II Z5 Rn. 15. 14 Allgemein hierzu Rieble NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 3, S. 34 ff. 15 Rieble (vorige Fn.), S. 35.
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können deshalb ein mehr oder weniger offenes bzw. verkapptes Lohnsenkungsprogramm enthalten und in die Nähe der Risikoverlagerung im Arbeitsverhältnis zu Lasten des Arbeitnehmers geraten,16 wenn sich die Flexibilität hier zugunsten des Arbeitgebers auswirkt, was ja meist ihr angestrebtes Ziel ist. Zielvereinbarungen sind mithin ambivalent. Die Initiative zur Einführung von Zielvereinbarungen geht auch angesichts der mit ihnen zu verfolgenden Zwecke so gut wie stets vom Arbeitgeber aus. Die mit Zielvereinbarungen verbundenen arbeitsrechtlichen Probleme können bislang allenfalls im Hinblick auf bestimmte Aspekte als erkannt und thematisiert, aber nicht als rechtlich ausgelotet gelten.
II. Das Arbeitsverhältnis an der Schnittstelle von Betriebswirtschaft und Arbeitsrecht Zielvereinbarungen liegen an der Schnittstelle von Betriebswirtschaft und Arbeitsrecht. Personalwirtschaftliche normative Vorstellungen werden dem Arbeitsrecht zur Durchsetzung im Arbeitsverhältnis vorangehen, es dient gleichsam als Scharnier zur Verbindlichmachung wirtschaftlicher Normen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der Arbeitgeber will den Arbeitnehmer zu einem bestimmten Verhalten, nämlich Erreichung eines vor allem für ihn relevanten Zieles verpflichten. Würde sich diese Verpflichtung bereits aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis ergeben, wäre der Abschluss einer solchen Zielvereinbarung überflüssig. Die Zielvereinbarung soll mithin die bisherige Pflichtenstruktur des Arbeitsverhältnisses, insbesondere die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, verändern. Sie greift deshalb nachträglich in den Arbeitsvertrag ein. Für die Zielvereinbarung ist es ja typisch, dass sie nicht bei Begründung des Arbeitsverhältnisses, sondern erst danach zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen wird. Wie ist die Zielvereinbarung vertragsrechtlich einzuordnen? 17 Die Zielvereinbarung selbst stellt keine isolierte Einzelvereinbarung dar, sie ist Teil eines wie auch immer gearteten konkreten betriebswirtschaftlichen „Konzeptes“, das seinerseits auf einer aus normativen betriebswirtschaftlichen Rahmenvorstellungen abgeleiteten Entscheidung beruht. Ob diese Vorstellungen und Grundsätze ihrerseits wissenschaftlich begründet bzw. überhaupt begründbar sind, spielt insoweit keine Rolle. Man kann darüber durchaus geteilter Meinung sein, ob die auf dem Hintergrund der vor allem von 16 Dies ist ein häufig verwendetes Argument in der französischen Diskussion um die „clause d’objectifs“. 17 Dazu Deich Die rechtliche Beurteilung von Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht, S. 91 ff.; Preis Der Arbeitsvertrag, II Z5 Rn. 6 f.
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Drucker 18 und Odiorne 19 propagierten Lehren des management by objectives diese Kriterien erfüllen, oder ob es sich nicht um mehr oder weniger plausible Ratschläge zur Unternehmens- bzw. Betriebsführung handelt. Ihr normativer Charakter wird dadurch freilich nicht berührt. Dies gilt auch in der für ihre Popularisierung erfolgten Konkretisierung zu Verhaltensmaximen, die nicht selten Rezepten gleichen. Gerade das praktische Schrifttum über Zielvereinbarungen 20 vermittelt oft den Eindruck von bloßen Rezeptsanwendungen und damit von „Kochbüchern“ zweifelhafter Güte, gleichwohl lässt sich ihr Nutzen nicht generell bezweifeln. Fraglich kann aus rechtlicher Sicht allerdings sein, ob die vorgeschlagenen „Systeme“, „Konzepte“ oder „Modelle“ arbeitsrechtlich zulässige Verhaltensforderungen formulieren, deren Vollziehung vom Arbeitnehmer verlangt werden darf. Dies hängt davon ab, ob die damit verfolgten Zwecke – hier hauptsächlich die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen – auf diesem vertraglichen Wege verfolgt werden dürfen. Unsinnig sind indes die Vorstellungen einiger wohl nichtjuristischer Autoren, die Zielvereinbarung habe werkvertragsrechtlichen und nicht arbeitsrechtlichen Charakter.21
III. Die rechtliche Zuordnung der Zielvereinbarung Die Zuordnung der Zielvereinbarung zum Arbeitsrecht lässt sich ernsthaft nicht bezweifeln; daran ändert sich nichts, auch wenn sie – was heute die Regel ist – dazu eingesetzt wird, bei Entlohnung leistungs- oder erfolgsabhängige Bestandteile einzuführen.22 Leistungslohn oder leistungsabhängige Entgeltbestandteile machen den Arbeitsvertrag nicht zum Werkvertrag. Soweit Zielvereinbarungen sich ohnehin nicht mit der Entlohnung beschäftigen, wäre deren Zuordnung zum Werkvertrag sowieso abwegig; auf der anderen Seite würde eine unterschiedliche Qualifikation je nach Art der zu flexibilisierenden Arbeitsbedingungen ebenso wenig überzeugend sein. Entscheidende Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass mit der Zielvereinbarung eine Gestaltung bzw. Umgestaltung des Arbeitsvertrages/Arbeitsverhältnisses erfolgen soll. Die nach seiner Begründung vorgenommene Umgestaltung des Arbeitsverhältnisses kann nur im Wege der Vertragsänderung geschehen, soweit es sich dabei um die Veränderung von Arbeitsbedingungen handelt, welche zu den essentialia negotii zählen. Bei einem gegenseitigen Vertrag wie dem 18
Praxis des Managements, 6. Aufl., 1998. Management by Objectives, 1980. 20 Als Beispiel sei etwa auf Breisig Entlohnen und Führen mit Zielvereinbarungen, 2000, verwiesen. 21 Zu diesen Deich Die rechtliche Beurteilung von Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht, S. 91 ff. 22 Breisig Entlohnen und Führen mit Zielvereinbarungen, S. 18 f. 19
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Arbeitsvertrag entscheidet also die synallagmatische Verknüpfung der Arbeitsbedingungen darüber, dass diese nicht der einseitigen Abänderung oder Konkretisierung durch den Arbeitgeber mittels Ausübung seines Direktionsrechts bzw. seines ius variandi unterliegen. Wo eine solche fehlt, kann ein Ziel einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden, es handelt sich dann um die Ausübung des Direktionsrechts. Dieses Vorgehen bedarf mithin keiner besonderen vertraglichen Grundlage. Eine Flexibilisierung von unter das Synallagma fallenden Verpflichtungen wie etwa die Vergütungspflicht des Arbeitgebers bedarf der Vertragsveränderung. Der Arbeitgeber kann nicht einseitig seine Hauptleistungspflicht verändern. Mit ihr steht in funktionellem Zusammenhang die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers, nämlich die Arbeitspflicht, die durch die Zielvereinbarung umgestaltet wird, es muss sich also der Gegenstand der Arbeitspflicht verändern. Durch die Vereinbarung von Zielen, die bisher nicht ihren Gegenstand bildeten, wird sie erweitert. Wäre dies nicht der Fall, entfiele die Notwendigkeit einer Vereinbarung. Soweit demnach das Direktionsrecht die Anordnung von Zielen erlaubt, hat dies auch keine Auswirkungen auf die Veränderungspflicht des Arbeitgebers. Wenn die Zielvereinbarung als Gestaltungsmittel des Arbeitsverhältnisses rechtlich einen Sinn haben soll, dann kann sie konsequenterweise sich nicht auf solche Sachverhalte beziehen, die einseitiger Regelung durch den Arbeitgeber offenstehen.23 Dies würde gerade zum Gegenteil dessen führen, was mit einer stärkeren Flexibilisierung angestrebt wird, das können Arbeitgeber letztlich nicht wollen. Warum sollten diese sie eher einschränkende Vereinbarungen abschließen? Und warum sollten sie eine finanzielle Zusatzleistung für eine Leistung erbringen, die ohnehin zum Inhalt der normalen geschuldeten Arbeitsleistung gehört, denn bei dem variablen Vergütungsbestandteil handelt es sich ja eher ihrer Idee nach um eine Geldleistung, die eine zusätzliche, ohne Vereinbarung nicht verlangbare Leistung vergütet. Es bedürfte hier im Übrigen auch nicht der Aufspaltung der ursprünglichen Vergütung in einen festen, sich nicht verändernden, weitgehend leistungsunabhängigen Teil und in einen variablen, leistungsabhängigen Teil. Obwohl die Zielvereinbarung – ob entgeltbezogen oder nicht – als solche arbeitsrechtlichen Charakter hat, so bleibt ihr genauerer vertraglicher Status nach wie vor unklar. Die Zielvereinbarung soll den bisherigen Arbeitsvertrag ändern: einerseits wird die vertragliche Arbeitspflicht verändert und zwar erweitert, der Arbeitnehmer wird zu einem Verhalten verpflichtet, durch welches das vereinbarte Ziel bzw. die vereinbarten Ziele erreicht werden. Für die Erreichung des Zieles bzw. der Ziele verspricht ihm der Arbeitgeber über die fixe Vergütung hinaus die Zahlung eines leistungsbezogenen Entgelts. 23
Unklar und widersprüchlich Deich Die rechtliche Beurteilung von Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht, S. 99 ff.
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Erbringt der Arbeitnehmer nicht die vereinbarte (Zusatz-)Leistung, entfällt entweder die Zusatzvergütung ganz oder sie entsteht bei nur teilweiser Leistungserbringung nicht in vollem Umfange; in diesem Falle führt sonach die Zielvereinbarung zu geringeren Vergütungsaufwendungen des Arbeitgebers. Die Veränderung des Leistungs- und Vergütungssystems besteht auf einer Änderung des einzelnen Arbeitsvertrages. Sie bildet in aller Regel aber insofern Teil eines mehrere oder alle Arbeitnehmer umfassenden betrieblichen Führungs- bzw. Regelungskonzeptes, das seinerseits unternehmerische Vorgaben realisieren will. Die für die Zielvereinbarung maßgeblichen Ziele können demnach nur im Ausnahmefall autonom von den Parteien des individuellen Arbeitsvertrages festgelegt werden. Das Zielvereinbarungssystem wird also in die Unternehmensführung integriert. Nur als isolierte Einzelziele für ein bestimmtes Arbeitsverhältnis können sie außerhalb komplexer Führungszusammenhänge vereinbart werden, was aber nicht ausschließt, dass die rechtlichen Vorgaben solche des Arbeitgebers sind, denen der Arbeitnehmer im „Normalfall“ lediglich zustimmt. Letztlich wäre es nicht praktikabel, wenn die zu verfolgenden unternehmerischen bzw. betrieblichen Ziele der materiellen Gestaltungsfreiheit der Parteien des individuellen Arbeitsvertrages unterworfen würden. Wie auch sonst im Arbeitsrecht gehen Initiative und Gestaltung der Flexibilisierung durch Änderungsvertrag vom Arbeitgeber aus. Angesichts des typischen Kräfteverhältnisses zugunsten des Arbeitgebers bei Abschluss und Änderung des Arbeitsvertrages greifen die entsprechenden Kontrollmechanismen zugunsten des sozialen Schutzes des Arbeitnehmers ein, insbesondere dann, wenn es sich um durch den Arbeitgeber vorformulierte oder ihm zurechenbare allgemeine Vertragsbedingungen handelt.24 Nach Abschluss des Änderungsvertrages bleiben aber die neuen Arbeitsbedingungen nicht völlig selbständig gegenüber dem bisherigen Vertragsinhalt, bilden also keinen rechtlich völlig unabhängigen, abtrennbaren Teil des Arbeitsvertrages, zumal sie ja Einfluss auf die Hauptpflichten der Vertragsparteien nehmen; die kollektivrechtliche Gestaltung bleibt hier außen vor. Insofern liegen die Dinge bei der Zielvereinbarung anders als etwa bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot oder der vertraglichen Zusage einer betrieblichen Altersversorgung. Die einzelnen Bedingungen des Arbeitsvertrages dürfen sonach nicht nur isoliert analysiert und bewertet werden; das Gleiche gilt für die neuen Bedingungen im Verhältnis zum gesamten übrigen Arbeitsvertrag. Es kommt also darauf an, „ob kein unzulässiger Eingriff in das Ordnungs- und Äquivalenzgefüge des Gesamtvertrages zu befürchten ist.“ 25 24 Entsprechend hierzu Däubler/Dorndorf AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 2004; Preis Der Arbeitsvertrag, I C Rn. 47 ff. 25 Preis Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993, S. 121 f.
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Für unseren Zusammenhang erscheint es indes schon aus Raumgründen nicht möglich, die Kontrolle problematischer Vertragsbedingungen wie etwa die Befristung oder den Widerruf 26 der variablen Vergütung zu diskutieren. Es handelt sich hierbei um die Flexibilisierung der zweiten Stufe, der Arbeitgeber will sich bei für ihn negativ veränderten Umständen nicht mehr an seinen Zahlungsverpflichtungen aus der Zielvereinbarung festhalten lassen. Dies ist rechtlich zulässig, soweit der variable Vergütungsbestandteil mit einem Änderungsvorbehalt (Teilbefristung/Widerruf/Teilkündigung) verbunden wird und dann ohne Zustimmung des Arbeitnehmers umgestaltet werden kann.
IV. Schlecht- und Nichterfüllung der Zielvereinbarung Im Allgemeinen schuldet der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung, die er vertraglich versprochen hat. Soweit diese aber nicht näher im Arbeitsvertrag umschrieben ist, heißt dies, dass eine Leistung erwartet werden darf, die der Arbeitnehmer unter dem durchschnittlichen Einsatz seiner körperlichen und geistigen Kräfte auf Dauer ohne Gefährdung seiner Gesundheit erbringen kann.27 Bei mangelhafter Leistung, also im Falle der Minderleistung haftet der Arbeitnehmer mangels Gewährleistungsvorschriften nicht; eine Lohnminderung ist nicht zulässig. Bei Nichterfüllung entfällt der Anspruch auf Vergütung, soweit nicht Ausnahmen (z.B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, § 616 BGB usw.) eingreifen. Gelten diese Grundsätze auch für die Schlecht- bzw. Nichterfüllung der Zielvereinbarung? 28 Dies ist für die Schlechterfüllung zu bejahen. Durch die Zielvereinbarung wird die Arbeitspflicht näher ausgestaltet. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Frage der Rechtsfolgen einer Schlechtleistung. Denn es geht um die Erfüllung der Arbeitspflicht (einschließlich der Zielerreichung); wird diese nur mangelhaft erfüllt, erbringt der Arbeitnehmer trotzdem seine Arbeitsleistung. Insofern trifft es auch zu, wenn etwa gefragt wird,29 dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich um die Verwirklichung der vereinbarten Ziele zu bemühen. Der Arbeitnehmer erfüllt seine Arbeitspflicht auch dann, wenn die Ziele nicht in vollem Umfang erreicht werden. Er hat für deren Schlechterfüllung nicht einzustehen, er erhält allenfalls ein geringeres variables Entgelt, da dieses nach dem Sinn der Zielvereinbarung und meistens auch nach deren Wortlaut anders als beim fixen Bestandteil der Vergütung am Grad der Zielvereinbarung ausgerichtet werden kann. Ob und 26
Näheres bei Preis Der Arbeitsvertrag, II V70. Vgl. Maschmann NZA 2000, Beilage 1, 13 (15). 28 Näheres bei Deich Die rechtliche Beurteilung von Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht, S. 278 ff. 29 Deich (vorige Fn.), S. 155 ff.; Preis Der Arbeitsvertrag, II Z5 Rn. 12. 27
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unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf die leistungsabhängige Vergütung völlig ausgeschlossen werden darf, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden soll. Der Arbeitnehmer übernimmt mit dem Abschluss der Zielvereinbarung keine Pflicht, für die Zielerreichung einzustehen, noch weniger eine verschuldensunabhängige Garantie. Er verpflichtet sich allein zur Arbeitsleistung. Für den Arbeitgeber entfällt hingegen bei Schlechterfüllung je nach Vertragsgestaltung die Verpflichtung zur Zahlung der variablen Vergütung ganz oder teilweise. Erreicht der Arbeitnehmer das vereinbarte Ziel überhaupt nicht, so entsteht kein Anspruch auf die variable Vergütung.30 Gesetzliche Ausnahmen greifen, auch wenn Arbeit geleistet wird, hier nicht ein. Würde nach Lage des Sachverhalts ohnehin der Anspruch auf Lohn wegen fehlender Arbeitsleistung entfallen, entstünde erst recht kein Anspruch auf die Zusatz- bzw. Sondervergütung.
V. Einige rechtsvergleichende Bemerkungen zur Problematik der Zielvereinbarung Obwohl die Zielvereinbarung als Ausformung der aus den USA importierten Führungsvorstellungen gilt, wie sie vor allem im „management by objectives“ ihren Niederschlag gefunden haben, spielt die gerade in Deutschland im Gang befindliche Diskussion keinen auch nur annähernd so intensiven Widerpart im US-amerikanischen Arbeitsrecht. Es gibt hierfür sicherlich eine Reihe von Gründen, über die aber bislang nur spekuliert werden kann. Ein kleiner Streifzug durch einige Länder (USA, Frankreich) zeigt im Spiegel der Literatur und Rechtsprechung, wo für diese die sie interessierenden Probleme liegen. 1. USA Wie bereits bemerkt, spielt in den USA die Durchsetzung von Managementmodellen oder -konzepten im Arbeitsverhältnis jedenfalls in der arbeitsrechtlichen Diskussion keine, zumindest keine primäre Rolle. Die Flexibilisierung der vertraglichen Arbeitsbedingungen im Bereich der – unbefristeten – employment-at-will-Verträge stellt angesichts der jederzeitigen Möglichkeit des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist oder anderer Kautelen zu beenden, kein wirkliches Problem dar, wenn der Arbeitgeber auf den betreffenden Arbeitnehmer verzichten kann.
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Deich (vorige Fn.), S. 279.
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„Where the employment is on an at-will-basis […] the commonly applied rule is that either party is free to demand a change in terms or conditions of employment on pain of summary discharge for an immediate quit.” 31 Für Arbeitsbedingungen in befristeten Arbeitsverträgen, die insoweit besser in ihrem Bestand geschützt sind als die unbefristeten, gilt andererseits: “Where there is a contract of express duration starting terms and conditions of employment, the parties may agree to modify these terms; but if no agreement is reached, the prior terms remain in effect, and unilateral by the employer would work a breach.” 32 Diese allgemeinen Grundsätze finden auch auf die zahlreichen Fälle in der amerikanischen Praxis Anwendung, wo es um vom Arbeitgeber vorformulierte Arbeitsbedingungen und “policy statements” in sog. employer policy manuals oder employee handbooks geht, die den Arbeitnehmern bei Vertragsschluss oder später in die Hand gedrückt werden.33 Solche Handbooks oder Manuals enthalten z.T. längere Abschnitte über die Unternehmensphilosophie und damit auch über den maßgeblichen Führungsstil. Eine andere, die in den USA hauptsächlich interessierende Frage ist, ob und inwieweit diese den Arbeitgeber binden, sei es dass sie Vertragsbestandteil geworden sind, sei es aus anderen Gründen (z.B. wegen promissory estoppel).34 Die Änderung der Mittel der Unternehmensführung liegt dabei unstreitig in den Händen des Arbeitgebers, sie gehört zu den management prerogatives. 2. Frankreich Ähnlich wie in Deutschland findet sich in der französischen Praxis die besondere Vereinbarung von Zielen (clause d’objectifs) zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das Hauptinteresse galt dabei bislang der Frage, welche Rechtsfolgen die mangelhafte Erfüllung solcher Ziele auslöst bzw. auslösen kann. Sowohl Literatur wie Rechtsprechung haben sich dieser Thematik, wenn auch nicht in breitem Umfang in den letzten Jahren angenommen.35 31 Finkin/Goldman/Summers/Dau-Schmidt Legal Protection for the Individual Employee, 3rd ed., 2002, S. 101. 32 Vgl. vorige Fn. 33 Zu verweisen ist insbesondere auf: Note Employee Handbooks and Employment-atwill Contracts, Duke University Law Journal 1985, 196 ff.; Finkin Burreaucratization of Work: Employer Policies and Contract Law, Wisconsin Law Review 1986, 733 ff.; Befort Employee Handbooks and the Legal Effect of Disclaimers, Industrial Relations Law Journal 13 (1991/1992), 326 ff. 34 Finkin/Goldman/Summers/Dau-Schmidt Legal Protection for the Individual Employee, 3rd ed., 2002, S. 101. 35 Vgl. etwa Ray, „Qui dit contractuel dit juste“? La contractualisation des objectifs, Liaisons sociales – Magazine-Septembre 1998, S. 64; ders. Droit du travail – Droit vivant,
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Im Vordergrund stehen in Frankreich meist die gleichen Probleme wie in Deutschland, wenn auch der vertragsrechtliche Hintergrund sich vom deutschen unterscheidet. Anlass ist dabei wie hier zu einem nicht unerheblichen Teil die Flexibilisierung eines Teils der Vergütung durch die Einführung eines variablen Bestandteils, dessen Zahlung von der Erreichung bestimmter Ziele abhängig gemacht wird. Wohl als einer der ersten hat Antoine Lyon-Caen auf die „clauses d’objectifs“ aufmerksam gemacht und herausgestellt, dass mit solchen vertraglichen Zielfestlegungen dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet wird, deren Nichterreichung dem Arbeitnehmer entgegenzuhalten; dadurch werde auch die Überwälzung des Unternehmerrisikos auf diesen stärker sichtbar – „lorsque le contrat habilite l’employeur à fixer et à modifier les objectifs.“ 36 Das französische Schrifttum diskutiert in Anlehnung an eine Reihe von Entscheidungen der Cour de cassation (Chambre sociale), ob die fehlende Zielerreichung eine Kündigung durch den Arbeitgeber (licenciement) rechtfertigt, ob etwa durch vertragliche Vereinbarung die fehlende Zielerreichung als ausreichender Kündigungsgrund (cause réelle et sérieuse) bereits vorher festgelegt werden kann. Dies wird indes von der Cour de cassation verneint.37 Die Rechtsprechung der Chambre sociale der Cour de cassation – im Übrigen umfangreicher als diejenige des BAG – wird im Großen und Ganzen vom Schrifttum geteilt.38 Sie hat etwa folgende Regeln über Zielvereinbarungen aufgestellt: der Arbeitgeber kann sich nicht vorbehalten, die Ziele einseitig zu verändern, wenn sich diese Änderung direkt auf die Vergütung auswirkt (20.10.1998 39); die einseitige Kürzung eines Zielbonusses wegen vom Arbeitgeber als schuldhaft eingestufter Störung der Kundenbeziehung durch den Arbeitnehmer ist eine unzulässige sanction pécuniaire (4.6.1998 40); die Möglichkeit des Arbeitgebers auf Grund einer Vertragsklausel den variablen Teil der Vergütung 41 der Marktentwicklung anzupassen, ermächtigt den Arbeitgeber nicht, nach eigenem Ermessen die Grundlagen der Vergütung zu ändern (30.5.2000 42); gibt der Arbeitgeber Ziele einseitig vor
12me éd., 2005, S. 277; Gasser Insuffisance de resultats, in: Marraud/Kessler/Géa (en collaboration avec R. Birk), La rupture du contrat de travail en droits français et allemande, 2000, S. 83 (89 ff.); Waquet Les objectifs, Droit social 2001, 121 ff.; Mazeaud Droit du travail, 4me éd., 2004, no. 417 (S. 235 f.); Pélissier/Supiot/Jeammaud Droit du travail, 23me éd., 2006, no. 1000 (S. 1147 m. Fn. 5). 36 Actualité du contrat de travail, Droit social 1988, 540 (542). 37 Unter Hinweis auf eine hierzu veröffentlichte Entscheidung der Chambre sociale der Cour de cassation. 38 Vgl. auch Ray Droit du travail – Droit vivant, 2005, S. 277. 39 14.11.2000 – Droit social 2001, 100 m. Anm. v. Waquet. 40 Siehe Fn. 35. 41 Vgl. dazu auch Waquet Droit social 2001, 121. 42 Bulletin civile 2000 V no. 206 (zwei Urteile).
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oder vereinbart er diese mit dem Arbeitnehmer, so hat im Streitfall der Richter zu untersuchen, ob diese realistisch sind und ob der Arbeitnehmer fehlerhaft (fautif) handelt, wenn er sie nicht erreicht (14.11.2000 43). Der Ausgangspunkt ist in Frankreich, wie unser kurzer Blick zeigt, technisch der gleiche, die ins Auge gefassten Probleme weichen jedoch zum Teil ab, was nicht zuletzt an den unterschiedlichen vertragsrechtlichen Grundsätzen liegt. Im Einzelnen müsste dies freilich noch durch eine umfassende Analyse aufgearbeitet werden. 3. Andere Länder In vielen anderen Ländern spielt die Frage der Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen, insbesondere von beruflichen Anforderungen, Arbeitszeit und Entlohnung natürlich ebenfalls eine Rolle. Gleichwohl finden sich nur wenige tiefergehende arbeitsrechtliche Interessen. Dies gilt selbst für Länder wie Italien 44 oder das Vereinigte Königreich 45. Die wenigen rechtsvergleichenden Hinweise erlauben es nicht, daraus allgemeinere Schlussfolgerungen zu ziehen. Hier bleibt nur der Hinweis, die weitere Entwicklung abzuwarten.
VI. Schluss Die Zielvereinbarung war hier nur Gegenstand allgemeiner Betrachtung. Aber es hat sich gezeigt, dass dann, wenn man dieses Instrument ernst nimmt und nicht nur als modisches Accessoire aus dem Fundus der Managementlehre verwendet, dessen rechtliche Durchdringung noch erheblich vorangetrieben werden muss. Der gegenwärtigen Aktivität fehlen häufig die klaren Grundlinien, sie verliert sich zu sehr in den Einzelheiten. Sie spiegelt dabei vor, dass die normativen Konzepte selbst stimmig und rational sind. Ob dem wirklich so ist, erscheint zweifelhaft. Es ist daher Vorsicht angesagt, solchen Vorstellungen die arbeitsrechtliche Hand zu ihrer Durchsetzung zu reichen. Das Schicksal des einst so gelobten „Harzburger Modells“ sollte eine Warnung sein. Sollte der äußere Erfolg der Zielvereinbarung ein Krisensymptom sein, wäre zu fragen, was am Arbeitsrecht reformiert werden müsste und ob und welche Alternativen sich hierfür anböten. Leider kann die Rechtsvergleichung dazu gegenwärtig keinen Beitrag leisten.
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Droit social 2001, 99 m. Anm. v. Waquet. Eine gewisse Ausnahme bildet Ichino Il contrato di lavoro, vol. I, 2000, S. 56; vol. II, 2003, S. 194. 45 Selbst in dem umfangreichen Buch von Deakin/Morris Labour Law, 4th ed., 2005 findet sich kaum Verwertbares. 44
Zur Stellung des Arbeitgebers beim Lohnsteuerabzug 1 Carsten Brodersen
Im „Dreiecksverhältnis“ zwischen Finanzamt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber wirft das Lohnsteuerrecht viele strittige Rechtsfragen auf, wie die finanzgerichtliche Praxis bestätigt. Dabei geht es allerdings gegenwärtig selten um den Quellenabzug als solchen. Demgegenüber ist die Frage, unter welchen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Arbeitgeber in die Steuererhebung eingeschaltet werden kann, in den letzten Jahren vermehrt im Schrifttum behandelt worden. Sie verdient Beachtung nicht zuletzt auch, weil das BVerfG 2 von einem anderen Zusammenhang her, nämlich der Sicherung eines auch faktisch gleichen Steuervollzugs, gerade die Steuererhebungsform des Quellenabzugs ins Spiel gebracht hat. Aus diesem weitgespannten Problemfeld kann hier nur ein Aspekt angesprochen werden: Da die verfassungsrechtlichen, insbesondere grundrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Lohnsteuereinbehalts wesentlich bestimmt werden durch die Rechtsstellung, die der Arbeitgeber dabei innehat, sollen einige dazu bestehende kontroverse Positionen der Literatur diskutiert werden (unter II). Zuvor sollen einleitend das Lohnsteuerverfahren, seine Entwicklung und sein Umfeld skizziert werden (sogleich unter I).
I. 1. Der Steuerabzug vom Arbeitslohn hat in Deutschland eine lange Tradition. Er hat vermutlich auch eine Zukunft: In der gegenwärtigen Diskussion um eine grundlegende Neuorientierung des Einkommensteuerrechts will selbst der Vorschlag 3, der auf die bisherige Umschreibung des sachlichen Gegenstands der Einkommensteuer durch die sieben Einkunftsarten verzichtet, für den Arbeitslohn an der Quellenbesteuerung festhalten; auch 1
In Erinnerung an die gemeinsame Assistentenzeit in Hamburg, als wir ins Gespräch vertieft das damals neue Rechtshaus viele Diskussionsrunden lang umkreisten. 2 BVerfGE 84, 239 (281); 110, 94 (113 f.). Allg. zur Quellensteuer auch Hey in: FS Kruse, 2001, S. 269 ff. 3 P. Kirchhof Einkommensteuergesetzbuch, 2003, § 17, S. 258 ff.
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andere Reformvorschläge 4 gehen davon aus, z.T. allerdings mit Modifikationen der gegenwärtigen Rechtslage, wie sie oft schon durch die Entwicklung der Technik nahegelegt werden mögen. Hier ist indes auf derartige Reformpläne nicht weiter einzugehen; vielmehr soll als Grundlage der weiteren Betrachtung zunächst – gleichsam als Momentaufnahme – das derzeitige Lohnsteuerabzugsverfahren in seinen Kernelementen überblicksartig umrissen werden: Die auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfallende Einkommensteuer wird unter den Vorgaben des § 38 I 1 EStG als Lohnsteuer durch Steuerabzug vom Arbeitslohn erhoben. Ob es sich um derartige Einkünfte handelt, wird dabei nur durch § 19 EStG entschieden und in §§ 38ff. EStG vorausgesetzt. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer, der Arbeitgeber hat sie bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten, § 38 II 1, III 1 EStG. Die Lohnsteuer ist nur eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer; sie wird gemäß § 38a II EStG nach dem Jahresarbeitslohn so bemessen, dass sie der Einkommensteuer entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Ihrer materiellrechtlichen Qualifikation nach ist sie eine Vorauszahlung 5 auf die Jahreseinkommensteuer des Arbeitnehmers. Für die Arbeitnehmer erfolgt die in § 36 II Nr. 2 EStG vorgesehene Anrechnung der Lohnauf die Einkommensteuer inzwischen als Regelfall in einer Veranlagung (§ 46 EStG), bei der nicht die Rechtmäßigkeit des Steuereinbehalts geprüft, vielmehr die Jahressteuerschuld selbständig ermittelt wird. Als besondere Erscheinungsform der Lohnsteuer kann der Arbeitgeber in vom Gesetz in §§ 40, 40a und 40b enumerativ aufgezählten Fällen und Voraussetzungen die Lohnsteuer pauschalieren. Er hat dann gemäß § 40 III EStG die pauschale Lohnsteuer zu übernehmen und ist selbst ihr Schuldner; die pauschal besteuerten Bezüge des Arbeitnehmers sind wie die pauschale Steuer bei dessen Veranlagung außer Ansatz zu lassen. Da der Arbeitgeber nach § 41a I 1 EStG zu einer Lohnsteueranmeldung verpflichtet ist, hat er die Steuer gemäß § 150 I 3 AO selbst zu berechnen. Bei dieser Berechnung hat er auch die materiellrechtlichen (Vor-)Fragen gemäß § 19 EStG zu entscheiden, wer (sein) Arbeitnehmer und was (steuerbarer) Arbeitslohn 6 ist. Bei der Ermittlung der Lohnsteuer für den einzelnen Arbeitnehmer hat er gemäß § 38a IV EStG die Besteuerungsgrundlagen zugrundezulegen, die sich aus den – für den Arbeitgeber verbindlichen – Angaben der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers gemäß §§ 39, 39a EStG ergeben, und 4 Dazu Seer in: ders. (Hrsg.), Bochumer Lohnsteuertag, 2005, S. 159 ff. – Vgl. etwa den Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 (Stand Juni 2007) zur Einführung elektronischer Lohnsteuerabzugsmerkmale, § 39f EStG-E. 5 BFH BStBl II 1991, 752 (753). 6 Problematisch kann das namentlich bei Sachbezügen sein.
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den Steuerabzug dann nach den Vorgaben des Gesetzes durchzuführen. Dementsprechende Aufzeichnungspflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus § 41 EStG hinsichtlich des für jeden Arbeitnehmer und jedes Kalenderjahr zu führenden Lohnkontos. Gemäß § 41a I 1 Nr. 1 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des jeweiligen Anmeldungszeitraums dem Betriebstättenfinanzamt eine Lohnsteuer-Anmeldung einzureichen, eine Steuererklärung, in der er die Summen der jeweils einzubehaltenden (bzw. in den Pauschalierungsfällen zu übernehmenden) Lohnsteuer angibt. Diese insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer hat er gemäß § 41a I 1 Nr. 2 EStG an das Betriebstättenfinanzamt abzuführen. Bei Anmeldung und Abführung geht es also um den in einer Summe ausgewiesenen „kumulierten“ Betrag für alle jeweiligen Arbeitnehmer des Arbeitgebers; Rückschlüsse auf die Verhältnisse des einzelnen Arbeitnehmers sind daraus nicht möglich. Bei derartigen Steueranmeldungen ist gemäß § 167 I 1 AO eine Steuerfestsetzung nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer von der Anmeldung abweichenden Steuer führt. § 168 S. 1 AO ordnet aber ausdrücklich an, dass die Steueranmeldung verfahrensrechtlich einer Steuerfestsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt gleichsteht, also jederzeit gemäß § 164 II AO geändert werden kann. Die Eintragungen im Lohnkonto des einzelnen Arbeitnehmers bilden die Grundlage für die – inzwischen elektronische – Lohnsteuerbescheinigung, die der Arbeitgeber am Ende des Kalenderjahrs oder bei Beendigung des Dienstverhältnisses der Finanzverwaltung zu übermitteln hat und deren Ausdruck er auch dem Arbeitnehmer für die Veranlagung 7 auszuhändigen hat. Ein wesentliches Element des Steuerabzugsverfahrens ist schließlich, dass der Arbeitgeber bei Fehlern für die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer gemäß § 42d EStG haftet, wobei seine Inanspruchnahme nach dem Gesetzeswortlaut kein Verschulden erfordert, was aber nach der Rechtsprechung des BFH 8 im Rahmen des Entschließungsermessens der Behörde zu berücksichtigen ist. „Flankiert“ wird diese Haftungsregelung einerseits durch die dem Arbeitgeber in § 42e EStG eingeräumte Möglichkeit einer sog. Anrufungsauskunft des Finanzamts, andererseits durch die in § 42f EStG vorgesehene Lohnsteuer-Außenprüfung beim Arbeitgeber. 2. Bis zur heutigen Gestalt des Lohnsteuerabzugs war es ein weiter Weg. Lässt man landesrechtliche Vorläufer außer Betracht, wurde nach dem Übergang der Gesetzgebungszuständigkeit für die Einkommensteuer auf das
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Dann besteht aber ebenfalls keine Bindung an den Inhalt der Bescheinigung. BFH BStBl II 1992, 696 (698). Zur Kritik Trzaskalik in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (K/S/M), Einkommensteuergesetz, § 42d (Stand 2002), Rn. A 39, B 7 ff.; Drüen in: Seer (Fn. 4), S. 59 (80 f.). 8
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Reich bereits mit dem ersten Reichseinkommensteuergesetz 1920 9 diese Erhebungsform als Lohnsteuer – auch schon mit der Haftung des Arbeitgebers – eingeführt. Es war auch sachlich 10 ein weiter Weg von der für die Mehrzahl der „Nichtveranlagten“ faktischen und zeitweilig wohl auch rechtlichen Wirkung dieser Steuer als (zehnprozentiger) Abgeltungssteuer 11 bis hin zur heutigen Ausgestaltung als Vorauszahlung – ein Weg, der auch den sozialen Wandel seit 1920 und dann insbesondere nach 1949 widerspiegelt. Das „Modell“ des Quellenabzugs findet sich im Einkommensteuerrecht verschiedentlich; neben dem Steuerabzug vom Kapitalertrag gemäß §§ 43ff. EStG sind vor allem die Fälle zu nennen, in denen bei der Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger deren inländischer „Geschäftspartner“ die Steuer einzubehalten und abzuführen hat, § 50a EStG. Eine Tendenz zur Ausweitung des Modells wird deutlich, wenn der Gesetzgeber für Sachprämien aus Kundenbindungsprogrammen i.S. des § 3 Nr. 38 EStG, soweit sie nicht steuerfrei sind, seit einiger Zeit gemäß § 37a EStG die Pauschalierung darauf entfallender Einkommensteuer durch das die Sachprämien gewährende Unternehmen unabhängig von der Stellung der Kunden ermöglicht und anordnet, diese pauschale Einkommensteuer gelte als Lohnsteuer mit den entsprechenden verfahrensrechtlichen Folgerungen. Seit 2007 gibt es eine derartige Möglichkeit gemäß § 37b EStG auch für bestimmte Sachzuwendungen, wobei die pauschale Einkommensteuer wiederum – ungeachtet des betroffenen Personenkreises – „als Lohnsteuer gilt“. Die Tendenz zur Ausweitung des Modells zeigte aber vor allem auch das Vorgehen des Gesetzgebers, den Arbeitgeber 1996 bei der Neuorientierung des Kindergeldrechts auf diese Weise in dessen Auszahlung einzubeziehen, § 73 EStG 1996. Diese viel kritisierte Lösung wurde allerdings 1999 wieder abgeschafft, nicht zuletzt wohl auch unter dem Eindruck, dass der BFH 12 in einem einschlägigen Verfahren das Bundesfinanzministerium zum Verfahrensbeitritt aufgefordert und kritische Fragen gestellt hatte. 3. Trotz des damit doch vergleichsweise breiten Anwendungsfelds des Quellenabzugs gibt es keine einheitliche Verfahrensregelung dafür. Die Vorschriften der §§ 38 ff. EStG zum Lohnsteuerverfahren sind zwar detailreich, doch in mancher Hinsicht unvollständig, lassen wichtige Fragen etwa zum Verhältnis des Arbeitgebers zum Finanzamt, aber auch zum Arbeitnehmer offen; das gilt auch, zumindest soweit es um die Haftung des Arbeitgebers geht, für das Verhältnis von Steuerabzug und Veranlagung des Arbeitneh-
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Vom 23.3.1920 RGBl 359, ergänzt durch Gesetz v. 11.7.1921 RGBl 845. Ihre heute maßgebliche formale Ausgestaltung erhielten die §§ 38 ff. EStG 1975. 11 Vgl. Hensel Steuerrecht, 3. Aufl. 1933, S. 78 Fn. 1, 179 Fn. 5, 206, 259; ferner Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe BMF Heft 17, 1971, S. 239. 12 BFH BStBl II 1998, 517. 10
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mers. Unklar ist überdies im Gesamtbereich die Rechtsschutzsituation 13. Gleichwohl wird der Lohnsteuerabzug verbreitet als im wesentlichen unproblematisch angesehen und nur in Detailfragen „Bedarf“ gesehen. Eine wichtige Rolle für diese Bewertung spielt zunächst die Rechtsprechung des BFH und vor allem des BVerfG. Zur Grundsatzfrage der Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung des Arbeitgebers in die Lohnsteuererhebung nahm der BFH 14 bereits 1963 in einer bis heute viel zitierten Entscheidung Stellung: Am Maßstab des Art. 12 II GG (Verbot des Arbeitszwangs) verneint der BFH verfassungsrechtliche Bedenken: Die Pflicht des Arbeitgebers wird verstanden als „auf dem öffentlichen Recht beruhende Reflexwirkung“ der Begründung von Dienstverhältnissen. Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Steuererhebung für ihre Arbeitnehmer gehe zwar über den Umfang der Mitwirkungspflichten aller Steuerpflichtigen in eigenen Angelegenheiten hinaus und sei von besonderer Art, weil die Arbeitgeber hier „gewissermaßen als Beauftragte des Steuerfiskus und als Steuererheber gegenüber ihren Arbeitnehmern auftreten müssen“. Ein Verstoß gegen Art. 12 II GG liege aber nicht vor, da der Gesetzgeber die Arbeitgeber heranziehe, „um dadurch in möglichst einfacher Form einen möglichst vollständigen und schnellen Eingang der Lohnsteuer sicherzustellen“. Auch darin, dass diese Sonderleistungen kraft Gesetzes ohne Entgelt zu erbringen sind, sieht das Gericht keinen Verfassungsverstoß; das Gesetz könne verlangen, dass „die Bürger in dem allgemein üblichen, herkömmlichen und notwendigen Umfang bei der Steuererhebung in eigenen und fremden Angelegenheiten ohne besondere Vergütung mitwirken“. Die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde von einem Dreier-Ausschuss des BVerfG 15 nicht angenommen. Seit dieser Zeit kam es dann zu verschiedenen Senatsentscheidungen des BVerfG zum Lohnsteuerabzug. Hier finden sich zunächst 16 die vielzitierten, z.T. aus dem Urteil des BFH übernommenen Kennzeichnungen des Arbeitgebers als „Beauftragter des Steuerfiskus und als Steuererheber gegenüber Arbeitnehmern“, als „gleichsam Hilfsorgan der staatlichen Finanzverwaltung“. Es kommt indes nicht zu einer vertiefenden Auseinandersetzung damit, ob und welche Konsequenzen daraus ggf. zu ziehen wären. Da das Gericht im Ergebnis durchweg verfassungsrechtliche Bedenken verneint, mag der gelegentlich anzufindende Gesamteindruck einer umfassenden verfassungsrechtlichen Billigung des Lohnsteuerabzugs entstanden sein. Namentlich Drüen hat in sorgfältiger Analyse der einschlägigen Entscheidungen 13 Nachw. bei Drüen Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen (Manuskript 2005). 14 BFH BStBl III 1963, 468. 15 Hinw. in DB 1964, 205 f. 16 BVerfGE 19, 226 (240); Bezugnahme darauf in E 44, 103 (104).
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herausgearbeitet, dass davon kaum die Rede sein kann. Soweit sie nicht von vornherein nur Teilaspekte bzw. Sonderfragen betreffen, stellen die Ausführungen des Gerichts 17 jeweils auf die Binnenperspektive des Arbeitnehmers ab, wenn sie etwa geltend gemachte Nachteile des Arbeitnehmers im Vergleich zu anderen Einkunftsarten behandeln; in diesen Fällen kommt die Position des Arbeitgebers, kommen dessen „Nachteile“ nicht ins Blickfeld. Soweit Arbeitgeber demgegenüber Verfassungsverstöße geltend machen, geht es um spezielle Aspekte wie die Einbehaltung der Kirchenlohnsteuer oder Verstöße von Steuervorschriften gegen Art. 3 I GG, die der Arbeitgeber als Haftender 18 rügt. Man wird sich deshalb der Folgerung von Drüen 19 anzuschließen haben, dass das BVerfG bislang zur Frage, ob und inwieweit die derzeitige Ausgestaltung der Position des Arbeitgebers im Einklang mit der Verfassung steht, noch nicht abschließend entschieden hat. Maßgeblich auch dafür wird aber die Aussage des Gerichts 20 sein, das Lohnsteuerabzugsverfahren sei nur in dem Umfang verfassungsgemäß, in dem nicht Einzelheiten seiner Ausgestaltung ihrerseits gegen Verfassungsrecht verstießen; diese Feststellung betraf die Position des Arbeitnehmers, gilt aber auch für die des Arbeitgebers. 4. Diese Ausgestaltung des Abzugsverfahrens ist allerdings, was schon die grundsätzliche Stellung des Arbeitgebers angeht, in der Literatur sehr umstritten. Insgesamt bietet die langjährige Diskussion mit ihrer Vielfalt von Lösungsansätzen ein unübersichtliches Bild, auch wenn es hier regelmäßig nur um das „Wie“ der Ausgestaltung geht, namentlich um die Unentgeltlichkeit der Heranziehung des Arbeitgebers, aber auch um die Berücksichtigung des Verschuldens bei seiner Haftung. Zurückzuführen ist dies oft schon auf die recht uneinheitliche Terminologie; darüber hinaus sind aber auch ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Problematik zu beobachten, die dann aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu Akzentverschiebungen führen können: So gibt es Stellungnahmen, die das Steuerrecht in den Mittelpunkt stellen und sich dabei ausschließlich auf den Lohnsteuerabzug konzentrieren, neben solchen, die übergreifend auf den Quellenabzug abstellen, also auch die Kapitalertragsbesteuerung einbeziehen, ferner solche, die unter dem Aspekt der „Steuererhebungspflichten Privater“ auch die Umsatzsteuer berücksichtigen. Einen wichtigen anderen Ausgangspunkt bildet die – hier zunächst untechnisch verstandene – „Indienstnahme“, die dann z.T. in den Gesamtzusammenhang der Vielfalt derartiger Erscheinungen im Verwaltungsrecht gebracht wird. Als Erscheinungsform der Privatisierung verstanden, wird die Frage nach der Würdigung des Lohnsteuerabzugs als Indienst17 18 19 20
So etwa BVerfGE 43, 231; 84, 348 und 96, 1. So etwa BVerfGE 25, 101; 44, 103. Drüen in: Seer (Fn. 8), S. 59 ff.; ders. (Fn. 13), S. 153 ff. BVerfGE 84, 348 (363).
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nahme auch in den großen Zusammenhang der Privatisierungsdiskussion gestellt. Es prallen hier also ganz unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Das wird eindrucksvoll entfaltet in der breit angelegten neuen Untersuchung von Drüen 21 zur „Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen“.
II. Das Vorhaben, die Rechtsstellung des Arbeitgebers als Voraussetzung für die Ermittlung verfassungsrechtlicher Anforderungen an seine Einbeziehung in die Lohnsteuererhebung zu klären, zwingt angesichts des eben umrissenen Standes der Diskussion zur Beschränkung. Es können hier nur drei „Varianten“ angesprochen werden, nämlich zunächst die Annahme, der Arbeitgeber werde beim Lohnsteuerabzug hoheitlich tätig (1). Im weiteren Verlauf wird der Position, der Arbeitgeber werde als Sachwalter des Steuerschuldners privatrechtlich tätig (2), schließlich die Gegenposition gegenübergestellt, es handele sich zwar nicht um hoheitliche, aber doch durch öffentlichrechtliche Pflichten geprägte Tätigkeit des Arbeitgebers (3). Angesichts der verbreitet uneinheitlichen Terminologie soll hier also nicht zum Ausgangspunkt genommen werden, ob es sich um einen Fall der „Beleihung“ oder der „Indienstnahme“ usw. handelt, sondern wie die Stellung des Arbeitgebers im Verhältnis zum Finanzamt und zum Arbeitnehmer verstanden wird. 1. Jedenfalls auf den ersten Blick scheint es ein relevantes Kriterium für die Rechtsstellung des Arbeitgebers als „Entrichtungspflichtigem“ (so § 222 AO) zu sein, dass er bei seiner Einschaltung in den Steuervollzug hoheitlich tätig wird. Diese Auffassung vertritt namentlich Trzaskalik 22. Als „Steuererhebung durch Private“ sieht er in seinem gleichnamigen Vortrag das Quellenabzugsverfahren an. In Art. 108 GG sei den Finanzbehörden der Vollzug der Steuergesetze überantwortet, die Steuererhebung als staatliche Aufgabe ausgewiesen; beim Quellenabzug werde diese staatliche Aufgabe von Privatpersonen (unfreiwillig) erledigt, würden die Steuergesetze insoweit durch die Steuerentrichtungspflichtigen vollzogen. Dabei geht es Trzaskalik aber vor allem darum, die Begründungsbedürftigkeit der Staatsentlastung durch Verwaltungshilfe zu betonen und aufzuzeigen, dass den sich daraus ergebenden Anforderungen bislang zu wenig Rechnung getragen werde, namentlich auch für die Kostenlast des Privaten 23. De lege lata räumt er ein, der Gesetzgeber habe sich für die Lösung entschieden, den Entrichtungspflichtigen als eine außerhalb der Verwaltung stehende Privatperson zu behandeln. 21 22 23
Vgl. Fn. 13. Trzaskalik in: DStJG 12 (1989), S. 157 ff. AaO S. 162, 171 ff., 177 ff.
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Diesen bereits im Vortrag angelegten Ansatz führt Trzaskalik 24 dann in seiner großen Kommentierung der §§ 38ff. EStG bei Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff weiter. Ausgangspunkt ist, dass dem Arbeitgeber in § 38 EStG eine Dienstleistungspflicht aufgebürdet wird. Welche Rechtsstellung er bei deren Erfüllung habe, sei im Gesetz nicht eindeutig geregelt. Für das Verhältnis zum Finanzamt ließen eine Reihe von Vorschriften erkennen, dass der Einbehaltungspflichtige nicht Behörde i.S. von § 6 I, II AO sei. Für das Verhältnis zum Arbeitnehmer sei zwischen seiner Rolle als Partei des Dienstverhältnisses und als Beteiligter am Steuererhebungsverfahren zu trennen. Mit dem Steuereinbehalt vollziehe der Arbeitgeber die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und übe insoweit hoheitliche Gewalt aus. Der Steuereinbehalt sei Realakt, nicht Verwaltungsakt. Aus dieser Ausübung hoheitlicher Gewalt werden dann allerdings, soweit es um die verfassungsrechtliche Beurteilung des Lohnsteuerverfahrens geht, keine näheren Konsequenzen gezogen.25 Aus der Sicht des Arbeitnehmers bestünden gegen die Einschaltung des Arbeitgebers keine prinzipiellen Bedenken, wenn man die Rollen des Arbeitgebers deutlich trenne und die Ausübung öffentlicher Gewalt beim Lohnsteuereinbehalt erkennbar bleibe. Die Einschaltung des Arbeitgebers sei auch deshalb nicht zu beanstanden, weil die verbindlichen Entscheidungen letztlich stets bei der Finanzbehörde verblieben. Für die Sicht des Arbeitgebers vermisst Trzaskalik wie im vorangegangenen Vortrag schon die hinreichende Begründung, warum der Staat die Steuererhebung nicht in eigener Regie durchführe, dann aber vor allem die für die Unentgeltlichkeit dieser Dienstleistungspflicht. Die eigentliche verfassungsrechtliche Aufgabe einer Gesamtbetrachtung des Lohnsteuerverfahrens sei bislang noch nicht gelöst. Nicht nur bleibt damit letztlich offen, welche weiteren Folgen sich aus der Ausübung hoheitlicher Gewalt ergeben sollen; schon diese Aussage selbst ist zweifelhaft: Grundlage dafür könnte die Konstruktion eines durch § 38 III EStG begründeten steuergesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen Arbeitgeber und -nehmer sein. Dieser von Stolterfoht 26 vertretenen Ansicht scheint Trzaskalik 27 skeptisch gegenüberzustehen. Aus seinem Ausgangspunkt, der Arbeitgeber vollziehe beim Lohnsteuereinbehalt öffentlichrechtliche Vorschriften, folgt jedenfalls aber nicht ohne weiteres die Ausübung hoheitlicher Gewalt gegenüber dem Arbeitnehmer, denn die Handlungspflicht des Arbeit-
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Trzaskalik in: K/S/M (Fn. 8), § 38 (Stand 2003), Rn. A 10–12, D 5, 6. AaO Rn A 92–97. 26 Stolterfoht in: DStJG 9 (1986), S. 175 (191ff.). Grundlage dieses steuergesetzlichen Schuldverhältnisses soll sein, dass der Arbeitgeber hoheitliche Gewalt ausübe, was beim Lohnsteuerabzug in seinem „selbständigen hoheitlichen Auftreten nach außen“ (S. 193) zum Ausdruck komme. Zur Kritik vgl. oben im Text. 27 Trzaskalik (Fn. 24) § 38 Rn. A 14. 25
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gebers und die ihr korrespondierende Duldungspflicht des Arbeitnehmers sind zunächst Pflichten gegenüber dem Finanzamt. Insbesondere hat der Arbeitnehmer deshalb gegen den Arbeitgeber keinen Anspruch auf Auszahlung des Brutto-, sondern nur des nach Maßgabe des Steuerrechts verbliebenen Nettolohns. Auch sonstige hoheitliche Befugnisse des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer sind den §§ 38ff. EStG nicht zu entnehmen. Selbst in den Fällen, in denen das Gesetz lohnsteuerliche Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber vorsieht 28, kann der Arbeitgeber deren Erfüllung nicht eigenständig durchsetzen, ist vielmehr zur Anzeige an das Finanzamt verpflichtet, das dann das weitere veranlasst. Es bleibt allerdings der Problemfall, dass der Arbeitgeber bei der Lohnsteuererhebung seine Pflichten gegenüber dem Finanzamt aus der Sicht des Arbeitnehmers falsch erfüllt, etwa zuviel Lohnsteuer einbehält oder eine unzutreffende Lohnsteuerbescheinigung gemäß § 41b EStG ausstellt. Bei sich daraus ergebenden Rechtsstreitigkeiten mag es Schwierigkeiten machen, den richtigen Rechtsweg zu bestimmen, wenn der Arbeitnehmer etwa meint, wegen falscher Berechnung der Lohnsteuer einen zu geringen Nettolohn erhalten zu haben. Der Rechtsweg bestimmt sich nach der streitentscheidenden Norm; wie man sich aber auch in dieser Frage entscheidet, es ändert sich dadurch nicht die Qualifikation des Arbeitgebers. Jedenfalls lässt sich aus der etwa fehlerhaften Erfüllung steuerlicher Pflichten des Arbeitgebers und deren prozessualer „Bewältigung“ nicht folgern, der Arbeitgeber übe gegenüber dem Arbeitnehmer hoheitliche Gewalt aus. 2. Liefern also die bisher angesprochenen Vorschläge, die dem Arbeitgeber beim Lohnsteuereinbehalt die Ausübung hoheitlicher Gewalt gegenüber dem Arbeitnehmer zusprechen, keinen hinreichenden Ansatz zur Bestimmung seiner Rechtsstellung, so ist als Alternative unlängst nachdrücklich die These vertreten worden, der Arbeitgeber sei insoweit Erfüllungshelfer des Arbeitnehmers, die Aufgabe des Arbeitgebers sei eine originär private. Die Annahme, der Arbeitgeber handele beim Steuereinbehalt in privatrechtlichen Formen, ist bereits früher gelegentlich vertreten worden; die Aufgabe des Arbeitgebers wurde dann etwa gedeutet 29 als die „eines staatlich berufenen Sachwalters des Steuerschuldners, der eine diesem obliegende Verrichtung versieht“. Dass der Lohnsteuerabzug eine „originär private Aufgabe“ sei, der Arbeitgeber dabei „in seinem originär privaten Tätigkeitsbereich“ bleibe und deshalb „Erfüllungshelfer“ des Arbeitnehmers sei, ist
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Etwa bei der Pflicht des Arbeitnehmers zur Meldung von einem Dritten gewährter Bezüge (§ 38 IV 3 EStG) oder für Fälle, in denen der Barlohn, z.B. wegen Sachbezügen, zur Deckung der Lohnsteuer nicht ausreicht (§ 38 IV 1, 2 EStG). 29 Krohn BB 1969, 1233.
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jetzt die weichenstellende Annahme von G. Kirchhof 30. Es handelt sich um eine eindrucksvolle Untersuchung, deren Ziel es auch ist, über die Verpflichtung des Arbeitgebers zum Lohnsteuerabzug hinaus „die kumulative Belastung durch die zahlreichen an das Arbeitsverhältnis anknüpfenden Indienstnahmen als Rechtsproblem zu erfassen und zu beurteilen“ 31. Die Auseinandersetzung mit dieser Arbeit muss sich hier allerdings beschränken auf deren Aussagen zur Stellung des Arbeitgebers beim Lohnsteuerabzug. Als maßgeblich für die verfassungsrechtliche Prüfung des Abzugsverfahrens sieht auch G. Kirchhof 32 die Analyse des Standorts des Arbeitgebers beim Lohnsteuerabzug. Unter der Alternative „Mitwirkung an der Staatsverwaltung oder privatwirtschaftliches Handeln“ hänge dies davon ab, ob durch das Lohnsteuerabzugsverfahren staatliche Steuerverwaltung privatisiert werde. Bei aller fehlenden Eindeutigkeit des Rechtsbegriffs „Privatisierung“ umschreibe er (jedenfalls) jede Verschiebung vom staatlichen in den privaten Bereich, vom öffentlichen Recht in das Privatrecht. Das ist der Blickwinkel, unter dem dann im Weiteren diskutiert wird, ob der Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber als eine Form der Privatisierung zu deuten sei. Der Autor präsentiert zu diesem Zweck die Vielfalt der Privatisierungstypologien und entscheidet sich dann selbst für eine fünfteilige rechtsfolgenkonzentrierte Typologie 33, anhand derer festzustellen sei, ob das Lohnsteuerrecht eine Privatisierung bewirke. Die danach für die Beurteilung relevanten Privatisierungsformen können hier im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden. Zustimmung verdient er, wenn er im Lohnsteuerabzug weder eine Privatisierung der Handlungsform noch der Organisationsform sieht. Auch einen Fall der Beleihung lehnt er mit überzeugenden Gründen ab: Als Spiegelbild der Privatisierung der Organisationsform werde bei der Beleihung der Private in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts tätig; der Arbeitgeber dagegen konkretisiere nicht das Gesetz hoheitlich gegenüber dem Arbeitnehmer, er sei Verpflichteter, ohne selbst verpflichten zu können. Dem Arbeitgeber würden über die Lohnsteuerkarte konkrete Vorgaben für den Steuerabzug gemacht, an die er gebunden sei; er müsse sie befolgen, ohne selbst einseitig verbindlich über die Steuerschuld des Arbeitnehmers zu entscheiden. Dieses Zwischenergebnis, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht hoheitlich einbehält und abführt, wird allerdings verbreitet im Schrifttum vertreten. Entscheidend ist daher erst der weitere Schritt, den Lohnsteuerabzug als „originär private Aufgabe“ und den Arbeitgeber deshalb als „Erfül30 G. Kirchhof Die Erfüllungspflichten des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren, 2005, S. 58, 63. 31 AaO S. 18 ff. 32 AaO S. 24, 25. 33 AaO S. 34 ff.
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lungshelfer des Arbeitnehmers“ zu verstehen. Diesen weiteren Schritt erörtert G. Kirchhof 34 unter den Aspekten der von ihm sogenannten „Privatisierung der ausführenden Hand“, der „Privatisierung der Aufgabe“ und der „Privatisierung der Verantwortung“. Letztere stelle sich im Lohnsteuerverfahren nicht; die maßgebliche Rechtsverantwortlichkeit bleibe beim Staat. Auch soweit er eine Privatisierung der Aufgabe verneint, wird ihm zuzustimmen sein, wenn er feststellt, der Arbeitgeber erfülle beim Lohnsteuerabzug eine gesetzliche Pflicht, verändere aber nicht die Gewährleistungsverantwortlichkeit des Staates; denn der Staat erhebe die Steuer, deshalb sei es auch ausgeschlossen, im Lohnsteuerabzug die Ausführung einer öffentlichen Aufgabe durch Private zu sehen. – Betrachtet man die Privatisierungsfrage unter diesen beiden Aspekten der „Aufgabe“ bzw. der „Verantwortung“, so lässt sich daraus allerdings ebenfalls noch nicht zwingend folgern, der Arbeitgeber bleibe beim Lohnsteuerabzug in seinem originär privaten Tätigkeitsbereich. Maßgebend dafür 35 bleibt deshalb der Aspekt der „Privatisierung der ausführenden Hand“: Es gehe dabei um „privates Handeln im staatlichen Rahmen“. Der Staat könne auch Private für sich handeln lassen, ohne dass diese – wie Beliehene – öffentlichrechtlich tätig würden; lasse der Staat in diesem Sinne Private für sich handeln, privatisiere er die ausführende Hand. In den Mittelpunkt dieser so verstandenen Privatisierungsform stellt G. Kirchhof das Handeln des Privaten für den Staat als – selbständiger – Beauftragter oder als – unselbständiger – Verwaltungshelfer. Da der Arbeitgeber das Abzugsverfahren selbständig und nicht weisungsgebunden durchzuführen habe, sei er kein Verwaltungshelfer. Der Beauftragte dagegen handele für den Staat ohne öffentlichrechtliche Befugnisse, wirke aber in einer gewissen Selbständigkeit bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben mit. Sieht man den Arbeitgeber nicht als derartigen „Beauftragten“, so bleibt für G. Kirchhof nur die Alternative, ihn als Erfüllungshelfer des Arbeitnehmers zu verstehen. Vor diesem Hintergrund vermag die Begründung dafür, warum der Arbeitgeber in diesem Sinne kein „Beauftragter“ sei, indes nicht zu überzeugen, bleibt sie letztlich formalistisch. Wenn es bei ihm einleitend 36 heißt, der Arbeitgeber behalte die Lohnsteuer nicht für den Staat, sondern für den Arbeitnehmer ein, liegt dem ein Verständnis dieser Alternative zugrunde, das der Stellung des Arbeitgebers beim Steuereinbehalt nicht gerecht werden dürfte. Wenn § 38 III 1 EStG den Arbeitgeber verpflichtet, die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten, so begleicht allerdings der Arbeitgeber die Lohnsteuerschuld „für den Arbeitnehmer“ und nicht „für den Staat“. Wenn daraus anschließend die Folgerung
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AaO S. 51 ff., 59 ff., 66 f. AaO S. 51 ff. AaO S. 57 ff.
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gezogen wird, der Arbeitgeber sei „nicht Teil der Steuerverwaltung, sondern ein verpflichteter Erfüllungshelfer im Dienste des Arbeitnehmers“, so ist diese Distanz zur Steuerverwaltung doch gerade Voraussetzung einer so verstandenen „Beauftragung“, liefert aber für sich genommen noch keine Begründung dafür, dass sie hier nicht vorliege. Das gilt entsprechend, wenn im Hinblick auf die zahlreichen Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen bei der steuerlichen Sachverhaltsaufklärung betont wird, der mitwirkungspflichtige Steuerschuldner werde deshalb nicht Teil der Sphäre des Steuergläubigers; das trifft zwar zu, liefert aber gleichfalls noch keine Begründung für die in Parallele dazu gezogene Folgerung, bei Einschaltung des Arbeitgebers bleibe dieser, wenn er die Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers erfülle, in der Sphäre des privat Erwerbstätigen. Zu kritisieren ist ferner die unmittelbar folgende Erwägung: Der Steuerschuldner, der dafür Sorge zu tragen habe, dass die Steuerschuld erfüllt werde, könne sich dafür nach privatvertraglicher Vereinbarung eines Dritten, z.B. eines Steuerberaters, bedienen; wenn dieser Dritte dann die Steuerschuld begleiche, werde er zwar im Interesse des Steuergläubigers, aber nicht für diesen, sondern für den Steuerschuldner tätig. Das gelte auch für den – als Dritter durch Gesetz verpflichteten – Arbeitgeber. Eine derartige Gleichsetzung der gewillkürten Einschaltung eines Steuerberaters mit dem gesetzlich angeordneten Steuereinbehalt durch den Arbeitgeber überzeugt nicht, weil sie die gesetzliche Verpflichtung bagatellisiert. Umgekehrt wird das enge Verständnis der „Beauftragung“ nochmals klar herausgestellt, wenn G. Kirchhof 37 sein Ergebnis, der Arbeitgeber sei kein Beauftragter i.S. einer „Privatisierung der ausführenden Hand“, schließlich auch durch das Einkommensteuergesetz und die Abgabenordnung bestätigt sieht, der Arbeitgeber sei nicht Steuergläubiger, stehe auch im Steuerschuldverhältnis nicht auf der Seite des Staates, werde nicht für die Steuerverwaltung tätig. Damit werden wieder Voraussetzungen einer Beauftragung des Arbeitgebers genannt, angesichts seines Vollzugs gesetzlicher Pflichten die geltend gemachte „originär private Aufgabe“ des Arbeitgebers aber noch nicht überzeugend begründet. Unabhängig von einer Einordnung in die Privatisierungsdiskussion ist damit der Auffassung, die Aufgabe des Arbeitgebers beim Lohnsteuereinbehalt sei eine originär private, der Arbeitgeber bleibe beim Lohnsteuerabzug in seinem originär privaten Tätigkeitsbereich, jedenfalls nicht zu folgen. 3. Wenn der Arbeitgeber damit beim Lohnsteuerabzug einerseits nicht hoheitlich handelt, er andererseits auch nicht Erfüllungshelfer des Arbeitnehmers ist, bleibt als letzte Variante anzusprechen, dass seine Rechtsstellung durch den Vollzug ihm als Privatem auferlegter Pflichten geprägt wird, ohne
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AaO S. 59.
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dass er dabei zum Einsatz öffentlichrechtlicher Mittel berechtigt ist. In ähnlicher Weise hat unlängst Drüen 38 die Indienstnahme Privater definiert, mit der weiteren Präzisierung, dass die (Naturalleistungs-)Pflichten nicht allein eigene Angelegenheiten betreffen. Seine weitausholende Untersuchung beleuchtet, ausgehend von der Tradition bis zu aktuellen Problemen, die zahlreichen Anwendungsfelder sowie die terminologischen und sachlichen Abgrenzungsfragen. Hier ist wesentlich, dass er dann die Indienstnahme für den Vollzug von Steuergesetzen als Referenzmaterie 39 der Indienstnahme Privater versteht und dafür die Vielfalt der Erscheinungsformen derartiger steuerrechtlicher Indienstnahmen – von den Mitwirkungs- bis hin zu den Entrichtungspflichten 40 – darlegt. Als Referenztypus 41 der Indienstnahme wählt er im Weiteren gerade den Lohnsteuerabzug. Er bestätigt insgesamt in grundlegender Weise, dass dieser Lohnsteuerabzug verfassungsrechtlich als Indienstnahme 42 zu qualifizieren ist. Auf die vielfältigen Folgerungen, die sich daraus ergeben, kann hier nicht näher eingegangen werden; Drüen setzt sich angesichts gegenwärtiger Mängel und Defizite ausführlich mit den Anforderungen an die Ausgestaltung dieser Indienstnahme des Arbeitgebers und deren möglicher verfassungsrechtlicher Fundierung auseinander 43. Insgesamt legt er überzeugend dar, dass hier für den Gesetzgeber Handlungsbedarf besteht 44. Grenzen der Indienstnahme, so das BVerfG 45, ergeben sich in erster Linie aus den Grundrechten. Auch dabei muss es um die Entwicklung bereichsund problemspezifischer Lösungen gehen, dürfte es keine „Einheitslösung“ geben. Das macht allerdings eine neuere Untersuchung von Schirra 46 geltend, die von einem weitgefassten Begriff und Anwendungsfeld derartiger Indienstnahmen ausgeht und gerade auch den Steuerabzug vom Arbeitslohn umfasst. Auf sie ist hier abschließend einzugehen: Sie will nach allgemeingültigen Kriterien 47 für deren verfassungsrechtliche Beurteilung suchen. Ansatzpunkt dafür ist die vom BVerfG herausgearbeitete eingeschränkte Zulässigkeit von Sonderabgaben. Der Verfasser sieht darin den Ausdruck eines „Steuerstaatsprinzips“, das er als normatives Prinzip mit Verfassungsrang 48 verstanden wissen will. Wegen der Strukturgleichheit von
38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48
Drüen (Fn. 13) S. 96. AaO S. 109 ff. AaO S. 113 ff., 129 ff. AaO S. 136 ff. AaO S. 153. AaO S. 319 ff., 375 ff. AaO S. 389. Grundlegend BVerfGE 30, 292 (311). Schirra Die Indienstnahme Privater im Lichte des Steuerstaatsprinzips, 2002. AaO S. 3. AaO S. 40, 148 Nr. 13.
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nichtsteuerlichen Abgaben und Indienstnahmen sollen die Restriktionen für nichtsteuerliche Abgaben (wenigstens partiell) auf die Indienstnahmen zu übertragen sein 49. Mit diesem Steuerstaats-Ansatz scheint Schirra einen Lösungsweg anzubieten, der auf in Rechtsprechung und Literatur erprobte Abwägungen zurückgreifen kann. Doch sein Vorschlag ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Schon der Nachweis eines „Steuerstaatsprinzips mit Verfassungsrang“ gelingt nicht. Der Begriff „Steuerstaat“ hat im Schrifttum in der letzten Zeit eine gewisse „Konjunktur“, wird aber vielfach rein deskriptiv verstanden 50. In zwei Entscheidungen des BVerfG 51 wird das „Prinzip des Steuerstaats“ ausdrücklich angeführt, und zwar (als Klammerzusatz) im Anschluss an die Feststellung, der Finanzverfassung liege die Vorstellung zugrunde, dass die Finanzierung staatlicher Aufgaben „aus dem Ertrag der in Art. 105ff. GG geregelten Einnahmequellen erfolgt“ und nur ausnahmsweise 52, d.h. unter besonderen Voraussetzungen, Einnahmen außerhalb des von der Finanzverfassung erfassten Bereichs erschlossen werden dürfen. Später ist das Gericht, soweit ersichtlich, in Senatsentscheidungen nicht wieder darauf zurückgekommen, vielmehr beruft es sich für die Voraussetzungen, unter denen die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben zulässig ist, in inzwischen st. Rspr.53 auf „drei grundlegende Prinzipien der Finanzverfassung“, nämlich den Schutz der bundesstaatlichen Finanzverfassung, der Budgethoheit des Parlaments vor Störungen und den Schutz des Steuerpflichtigen mit Blick auf die Belastungsgleichheit. Die später nicht wiederholte Berufung auf ein „Steuerstaatsprinzip“ mag deshalb als griffige, knappe, aber auch missverständliche Kennzeichnung dieser drei Prinzipien zu verstehen sein. Inhalt dieses „Steuerstaatsprinzips“ bliebe also, dass die Steuer der verfassungsrechtliche Regeltypus der Geldlasten ist und nichtsteuerliche Abgaben besondere Rechtfertigungsanforderungen zu erfüllen haben. Welchen darüber hinausgehenden eigenständigen Inhalt als „normatives Prinzip mit Verfassungsrang“ ihm beizumessen sein soll 54, ist bei Schirra nicht zu erkennen. Seine weitere, wohl zentrale These ist, die von der Rechtsprechung für nichtsteuerliche Abgaben entwickelten Voraussetzungen auf Indienstnahmen
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AaO S. 79 f., 149 Nr. 15. Vgl. Heun in: Sacksofsky/Wieland (Hrsg.), Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, 2000, S. 10 (21); Drüen (Fn. 13) S. 224 ff. 51 BVerfGE 78, 249 (267); 93, 319 (342, 345). 52 BVerfGE 93, 319 (342) ersetzt das durch „in erster Linie“. 53 So schon BVerfGE 91, 186 (202) und 93, 319 (342); aus neuerer Zeit E 108, 1 (16); 108, 186 (215). 54 Zu einem derartigen, hier allerdings nicht weiterführenden Ansatz vgl. Drömann Nichtsteuerliche Abgaben im Steuerstaat, 2000, S. 114 ff., 141 ff. 50
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zu übertragen 55. Es bleibt deshalb zu prüfen, ob diese drei grundlegenden Prinzipien der Finanzverfassung – auch unabhängig von einem Steuerstaatsprinzip – ein Argumentationsgerüst liefern, innerhalb dessen jedenfalls auch die Einschaltung des Arbeitgebers in den Lohnsteuerabzug zu diskutieren ist. Die dafür vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Schirra beruft sich auf die „Strukturgleichheit von nichtsteuerlichen Abgaben und Indienstnahmen“, beide führten „jenseits der Finanzverfassung und damit unter Umgehung der sich aus dieser ergebenden Kompetenzverteilung dem Staat Vermögenswerte zu“.56 Dabei berücksichtigt er indes nicht hinreichend, dass die Zulässigkeitsanforderungen an nichtsteuerliche Abgaben vom BVerfG zur Begrenzung des sich für nichtsteuerliche Abgaben auf die Sachkompetenzen der Art. 70ff. GG berufenden Gesetzgebers entwickelt worden sind, es also um die „Konkurrenz“ verschiedener Abgabeformen geht; nichtsteuerliche Abgaben bedürfen (nur) deshalb „einer besonderen Rechtfertigung aus Sachgründen“. Zudem sind auch die Gründe für eine Indienstnahme Privater so vielfältig, dass es keine sachangemessene Lösung wäre, ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit unmittelbar an den drei grundlegenden Prinzipien der Finanzverfassung auszurichten.57 Soweit es um steuerliche Indienstnahmen geht, werden überdies auch nicht „jenseits der Finanzverfassung“ Pflichten begründet: Wenn Art. 107 I 2 GG die Lohnsteuerzerlegung vorsieht, so ist Grund dafür gerade der Steuerabzug durch den Arbeitgeber und das Auseinanderfallen von Betriebstätten- und Wohnsitzfinanzamt. Es kommt hinzu, dass jedenfalls bei der dem Leistungsfähigkeitsgedanken verpflichteten Einkommensteuer (Mitwirkungs-)Pflichten schon steuersystembedingt sind. Was die Indienstnahme Dritter angeht, so mag im Extremfall die Rechtsprechung des BVerfG 58 zum Erfordernis eines auch faktisch gleichen Steuervollzugs angesichts der andernfalls drohenden Alternative zur Sicherung der Steuererhebung eine Quellensteuer fordern. Schon weit im Vorfeld eines derartigen Extremfalls verlangen aber die Zusammenhänge zwischen materiellem Steuerrecht und Verfahrensrecht jedenfalls so differenzierende Abwägungen und Lösungen, dass hier von einer Strukturgleichheit derartiger Pflichten mit der Auferlegung nichtsteuerlicher Abgaben nicht die Rede sein kann. Die Indienstnahme des Arbeitgebers an den Zulässigkeitsvoraussetzungen nichtsteuerlicher Abgaben zu messen, ist also kein erfolgversprechender Weg. Es bleibt damit die Aufgabe differenzierender Problemaufbereitung und -lösung; dafür hat die Arbeit von Drüen wichtige Grundlagen gelegt. 55 BVerfGE 77, 308 (339) hatte das – im Zusammenhang des Bildungsurlaubs – ausdrücklich abgelehnt; die Auseinandersetzung damit bei Schirra (S. 50 ff.) überzeugt nicht. 56 Schirra (Fn. 46) S. 79 f., 149 Nr. 15. 57 Dazu auch Drüen (Fn. 13), S. 232 ff. 58 BVerfGE 84, 239 (281); 110, 94 (113 f.).
Kontrollpflicht und Zensurverbot im Arbeitskampf Thomas Dieterich Einleitung: Ottos Arbeitskampfrecht Das „Opus Magnum“ des Jubilars ist sicher sein Lehrbuch des Arbeitskampf- und Schlichtungsrechts.1 Mit bewundernswerter Sorgfalt und Akribie wird darin das weite und höchst umstrittene Rechtsgebiet bis in seine komplizierten Ausläufer erfasst und systematisiert; die unübersichtliche Entwicklung der Rechtsprechung und die vielfältigen Kontroversen des wissenschaftlichen Schrifttums werden nachvollzogen und gewürdigt; das Ganze erhält eine stringente Struktur. Ganz unversehens wie von Zauberhand scheinen die heftigen Emotionen und Turbulenzen, die das Arbeitskampfgeschehen kennzeichnen, abzuklingen, die Wogen sich zu glätten und in einen ruhigen, rein wissenschaftlichen Diskurs einzumünden. Wer sich mit dem Arbeitskampfrecht wissenschaftlich auseinandersetzen will, kann ohne das Lehrbuch Ottos nicht auskommen. Andererseits lässt die wissenschaftliche Akribie und Detailfreude eine Besonderheit des deutschen Arbeitskampfrechts, die die Beobachter in anderen Ländern mit freiheitlicher Wirtschaftsordnung irritieren wird,2 besonders scharf hervortreten: die zunehmende Verrechtlichung des Arbeitskampfes, die diesen tendenziell in die Nähe eines rechtsgeschäftlichen Verfahrens zu rücken scheint. Von der Rechtsprechung wird im Grunde erwartet, dass sie die Spannungen und Kräfte heftiger Verteilungskämpfe bändigen kann. Sie soll die gegensätzlichen Positionen abwägen und ausgleichen, sowie verhaltenssteuernde Grundsätze entwickeln, kontrollieren und auch durchsetzen. Solche Erwartungen werden jedoch der emotionalen Vehemenz und Eigendynamik typischer Arbeitskämpfe nicht gerecht. Der schmerz- und schadensfreie Arbeitskampf ist mit den Mitteln der Rechtspre-
1 Verlag CH Beck, München, 2006; Vorläufer: Münchener Handbuch des Arbeitsrechts, 2. Aufl. 2000, Bd. 3, Fünfter Abschnitt. 2 Symptomatisch das Impulsreferat Kahn-Freunds zur Podiumsdiskussion über das Thema „Kodifizierung des Arbeitskampfrechts“ beim 51. DJT 1976 (Sitzungsbericht R S. 6 ff.).
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chung unerreichbar.3 Dennoch müssen die Gerichte weiterhin intervenieren, wo sich Rechtsmissbrauch und Fehlentwicklungen zeigen. Solche Fehlentwicklungen sieht Otto neuerdings verstärkt, und sie veranlassen ihn, in der Festschrift für Horst Konzen 4 unter dem Titel „Tarifzensur und Arbeitskampf“ eine weitgehende Restriktion der Streikfreiheit zu fordern. Bisher habe er die Auffassung der herrschenden Lehre geteilt, dass die Rechtmäßigkeit eines Streiks nicht von der Höhe der gewerkschaftlichen Forderung abhänge, und zwar auch dann nicht, wenn deren Tarifierung zur Existenzvernichtung führen würde. Eine so weitgehende Vermeidung von Tarifzensur halte er jedoch nicht mehr für gerechtfertigt angesichts extrem hoher Tarifforderungen durch Spezialgewerkschaften und bei Tarifsozialplänen einerseits, sowie Lohndumpings andererseits.5 Die Tarifvertragsparteien müssten sich generell am Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) messen lassen. Wenn eine Gewerkschaft versuche, „exorbitante“ Forderungen mit Streikdruck durchzusetzen, sei der Arbeitskampf wegen Rechtsmissbrauchs rechtswidrig und könne u.U. durch einstweilige Verfügung unterbunden werden. Komme der Tarifvertrag dennoch zustande, sei er wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) anfechtbar.6 Otto gesteht offen, sich mit Zweifeln herumzuschlagen und eine Gratwanderung zu unternehmen. Ich verstehe das als Aufforderung, seine Überlegungen kritisch zu überprüfen. Das soll im Folgenden geschehen.
I. Arbeitsverfassung In Übereinstimmung mit Otto ist davon auszugehen, dass die Koalitionen des Arbeitsrechts nur innerhalb rechtlicher Grenzen agieren dürfen und dabei gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Bei der Frage des Grenzverlaufs kann jedoch das Arbeitskampfrecht nicht isoliert betrachtet werden. Bei tarifbezogenen Arbeitskämpfen 7 kommt es hier zunächst und vor allem auf die Grenzen tarifvertraglicher Gestaltungsmacht an. Folgerichtig prüft Otto deshalb vor den arbeitskampfrechtlichen Grundsätzen die Möglichkeiten und Grenzen einer Tarifzensur. Hier sucht er sowohl nach einer Untergrenze zulässiger Tariflöhne (Stichwort „Hungerlohn“), wie auch nach einer Obergrenze, die die Arbeitgeberseite vor „Über-
3 Realitätsnah und historisch fundiert Kittner „Arbeitskampf – Geschichte, Recht, Gegenwart“, München, 2005. 4 Mohr Siebeck, Tübingen 2006, S. 663 ff. 5 AaO, S. 682 f. 6 AaO, S. 683 ff., vgl. auch Zusammenfassung Thesen 7 und 9. 7 Ob auch andere Kampfziele zulässig sind, ist streitig (vgl. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht (Fn. 1) Rn. 26 ff.), interessiert hier aber nicht.
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forderung“ 8 bewahren soll. Das Tarifvertragsgesetz kennt solche Grenzen bekanntlich nicht, sie müssen also aus allgemeineren Rechtsprinzipien abzuleiten sein. Denkbar wären natürlich auch spezielle gesetzliche Vorgaben, wie sie zurzeit rechtspolitisch diskutiert werden (gesetzlicher Mindestlohn oder Erweiterung des Arbeitnehmerentsendegesetzes). Aber auch diese müssten mit der Verfassung vereinbar sein.9 Man kann also die Grenzen tarifvertraglicher Gestaltungsmacht nicht diskutieren, ohne sich zuvor Klarheit über die grundrechtliche Gewährleistung der Tarifautonomie verschafft zu haben. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet den Koalitionen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 10 als wesentlichen Teil ihrer Betätigungsfreiheit einen Freiraum autonomer Rechtsgestaltung. Die Verfassung erwartet von ihnen, dass sie „in dem von staatlicher Rechtssetzung freigelassenen Raum das Arbeitsleben im Einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigkeiten festlegen und so letztlich die Gemeinschaft sozial befrieden“ 11. Ausgestaltet ist dieses Vertragsmodell als kollektive Privatautonomie. Das entsprechende Schutzkonzept geht davon aus, dass auf der arbeitsvertraglichen Ebene die Verhandlungsstärke der Arbeitnehmer nicht ausreicht, um einen fairen Interessenausgleich zu gewährleisten. Dem entsprechend ist die „Tarifautonomie darauf ausgelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.“ 12 Auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hat damit „der Staat seine Regelungszuständigkeit weit zurückgenommen“.13 Hier haben die Tarifparteien zwar kein Regelungsmonopol, ihnen gebührt aber ein Regelungsvorrang mit der Konsequenz, dass der Gesetzgeber nur zum Schutze Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Gemeinwohlbelange und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit korrigierend eingreifen darf.14
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AaO, S. 675 ff. Dazu eingehend Bieback, Dieterich, Hanau, Kocher, Schäfer „Tarifgestützte Mindestlöhne“, 2007. 10 Knappe Übersichten bei Sachs/Höfling GG, Art. 9, Rn. 83 ff.; ErfK/Dieterich GG Art. 9 Rn. 50 ff. 11 BVerfG 6.5.1964 E 18, 18, 28 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG unter B II 1. 12 BVerfG 26.6.1991 E 84, 212, 229 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter B I 3b aa). 13 BVerfG 24.5.1977 E 44, 322, Leitsatz 2 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG. 14 BVerfG 24.4.1996 E 94, 368 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG; BVerfG 3.4.2001, E 103, 294 = AP Nr. 2 zu § 10 BUrlG Kur; eingehend Dieterich Tarifautonomie und Gesetzgebung, 2003, S. 13 ff. 9
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II. Billigkeitskontrolle der Tariflöhne? 1. Otto zitiert diese Rechtsprechung zutreffend und erwähnt auch aus der Fülle der einschränkenden Schutzgesetze 15 einige wenige (§ 10 Abs. 1 BUrlG, AÜG und AEntG), allerdings ohne deren höchst unterschiedliche Problematik zu registrieren, nur um stattdessen schnell zu den ihn allein interessierenden §§ 138 und 242 BGB zu gelangen. Hier stelle sich den Gerichten die gleiche Aufgabe wie dem Gesetzgeber, weil sie bei der Anwendung der Generalklauseln zugleich den tarifautonomen Gestaltungsspielraum „konkretisierten“.16 Selbstverständlich könne die gebotene Inhaltskontrolle unmittelbar und ohne den Rückgriff auf höherrangiges Recht auch die in Tarifverträgen geregelten Hauptleistungspflichten erfassen. Schließlich lasse sich nicht vertreten, dass die Tarifautonomie sittenwidrige Rechtsgeschäfte erlaube.17 Zwar fehle ein Maßstab für den gerechten Lohn, so dass der Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit bei einer Kontrolle der Hauptleistungen ausscheide,18 dennoch müsse sowohl bei „wirtschaftlichem Untermaß“, wie auch bei „wirtschaftlichem Übermaß“ eingegriffen werden,19 wo Tariflöhne offensichtlich dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden“ widersprechen.20 Diese Überlegungen verkennen m.E. grundlegend die Voraussetzungen und Grenzen richterlicher Rechtsgewinnung. Während Otto die Reichweite und Leistungsfähigkeit der zivilrechtlichen Generalklauseln erheblich überschätzt, unterschätzt er die Vorgaben der Verfassung, insbesondere des Art. 9 Abs. 3 GG. 2. Den Gerichten stellen sich bei der Konkretisierung der Generalklauseln keineswegs die gleichen oder auch nur vergleichbare Aufgaben wie dem Gesetzgeber. Während dieser auf der Grundlage seiner demokratischen Legitimation und im Rahmen seiner „Einschätzungsprärogative“ die jeweils mehrheitsfähigen Vorstellungen von Sozialstaatlichkeit weitestgehend frei gestalten kann 21 und nur bei Grundrechtseingriffen einer großzügigen Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegt, ist die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Bei jeder Entscheidung müssen Kompetenz, Verfahren und Ergebnis normativ ableitbar und belegbar sein. Das gilt auch für rechtsfortbildendes oder gar gesetzesvertretendes Richterrecht. Dieses ist zwar im kollektiven Arbeitsrecht wegen der anhaltenden Untätig-
15 16 17 18 19 20 21
Dazu eingehend Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I § 16 II 2 S. 688 ff. AaO, S. 674. AaO, S. 675 f., 677. AaO, S. 681. AaO, S. 670. AaO, S. 877. Dazu zuletzt Dieterich AuR 2007, 65 f.
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keit des Gesetzgebers ungewöhnlich verbreitet, an der der prinzipiellen Rechtsgebundenheit der Rechtsprechung ändert das aber nichts. Die klaffenden Gesetzeslücken zwingen sie lediglich dazu, die maßgebenden Normen auf einer ranghöheren Ebene zu suchen. Hier muss das Schutzkonzept der kollektiven Koalitionsfreiheit die richtunggebende Funktion übernehmen 22 und dabei zugleich den Gestaltungsfreiraum der Koalitionen markieren.23 Die Generalklauseln des BGB bieten solcher konkretisierenden Rechtsprechung eine wichtige Rechtsgrundlage. Obwohl sie unmittelbar nur die individualrechtliche Privatautonomie zu betreffen scheinen, hat die Rechtsprechung sie von Anfang an als Auftrag verstanden, allgemeine Grundsätze für die Funktionsbedingungen des Zivilrechtsverkehrs herauszuarbeiten. Im Laufe von mehr als 100 Jahren ist auf diese Weise eine Fülle von selbständigen Rechtsfiguren dem normierten Recht hinzugefügt worden, stets mit dem Ziel, zum Schutze der Privatautonomie anstößiges, missbräuchliches, irreführendes und widersprüchliches Verhalten zu sanktionieren, sowie Zweckverfehlungen zu verhindern. Für die kollektive Privatautonomie des Tarifvertragsrechts kann im Prinzip nichts anderes gelten; insoweit ist Otto beizupflichten. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erhielt die bereits fest gefügte Rechtsprechung zu den zivilrechtlichen Generalklauseln ein neues grundlegendes Fundament. Die Privatautonomie, zu deren Funktionsfähigkeit sie entwickelt wurde, ist seither auch grundrechtlich gewährleistet. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf in einer Reihe von Entscheidungen aufmerksam gemacht und zugleich den Zivilgerichten die Grenzen ihrer Gestaltungsmacht aufgezeigt.24 Während sie auf der einen Seite nicht völlig untätig bleiben dürften, wo Funktionsdefizite unübersehbar erscheinen, müssten sie auf der anderen Seite die Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger als Leitidee respektieren. Der Einzelne soll seine Rechte und Pflichten im Privatrechtsverkehr grundsätzlich frei gestalten können. Insbesondere dürfen sich die Gerichte nicht in die Frage der Austauschgerechtigkeit einmischen, solange keine Zweifel an den Bedingungen des Zustandekommens eines Rechtsgeschäftes bestehen. Ungleiche Belastungen eines Vertragspartners können nur dann Anlass zum Eingreifen sein, wenn sie auf Störungen des Vertragsmechanismus schließen lassen, insbesondere das Ergebnis un22 Nachdrücklich die Präsidentin des BAG Schmidt in: FS-Richardi, 2007, S. 765 ff.; vgl. zu Einzelheiten auch ErfK/Dieterich GG Art. 9 Rn. 15 ff. 23 So zutreffend die von Otto ablehnend zitierte Rechtsprechung zu „Hungerlöhnen“ und Rückzahlungsklauseln. Otto spricht von nicht haltbarer „Großzügigkeit“ (aaO S. 622), ohne über deren grundrechtliche Begründung ein Wort zu verlieren. 24 BVerfGE 89, 214 – AP Nr. 35 zu Art. 2 GG (Bürgschaft), BVerfGE 103,89 (Ehevertrag); BVerfGE 114,1 und 114,73 (Lebensversicherung). Dazu eingehend Di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 105 ff.; Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, Tübingen 2001.
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gleicher Verhandlungsstärke sind.25 Im Arbeitsvertragsrecht liegt das in der Tat auf der Hand, wenn Arbeitnehmer eine Vergütung akzeptieren, die weit unter den ortsüblichen und den tariflichen Löhnen liegt. Nur deshalb stellt sich der Rechtsprechung die Frage nach einem typisierbaren Maßstab für die Sittenwidrigkeit bei Armutslöhnen.26 3. Genau hier liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsrecht. Der Sinn der kollektiven Vertragsautonomie besteht ja gerade darin, die strukturelle Verhandlungsschwäche der einzelnen Arbeitnehmer zu kompensieren und damit die erforderliche Richtigkeitschance für die ausgehandelten Arbeitsbedingungen herzustellen.27 Von der Höhe einzelner Tariflöhne allein lässt sich also noch nicht auf eine Störung des Vertragsmechanismus schließen. Die Tarifvertragsparteien müssen sich insoweit auch keine Vorschriften machen lassen. Davor schützt sie die Gewährleistung ihrer Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG. Das ist der Grund, warum das BAG einige richterrechtliche Beschränkungen des Arbeitsvertrages als tarifdispositiv ansieht.28 Auch die Ausnahmeregelung in § 310 BGB, wonach die Vertragsinhaltskontrolle gem. §§ 305ff. BGB bei Tarifverträgen ausgeschlossen ist, erklärt sich nur auf diese Weise.29 Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Tarifpartner tun und lassen könnten, was immer sie wollen. Sie unterliegen einer intensiven Rechtskontrolle, wie auch Otto betont. Maßstäbe dafür ergeben sich schon auf der Ebene der Verfassung. Tarifvertragliche Kompetenzüberschreitungen, Gleichheitsverstöße und Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips können vor jedem Arbeitsgericht gerügt werden. Vor allem aber sind die meisten arbeitsrechtlichen Schutzgesetze nicht tarifdispositiv, begrenzen also auch tarifvertragliche Regelungsmacht. Und schließlich sind Störungen des kollektiven Vertragsmechanismus denkbar, die ein korrigierendes Eingreifen des Staates erforderlich machen können. Der von Otto beklagte Unterbietungswettbewerb in der Zeitarbeitsbranche ist dafür ein Beispiel.30 Wichtig und festzuhal-
25
Vgl. den Leitsatz von BVerfG 19.10.1993 E 89, 214 = AP Nr. 35 zu Art. 2 GG. Übersicht bei ErfK/Preis BGB § 612 Rn. 3ff.; zuletzt BAG 24.3.2004 AP Nr. 59 zu § 138 BGB. Das „Anstandsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden“, auf das Otto hier verweist (aaO S. 677) ist nicht mehr als eine rhetorische Formel, die der Rechtsprechung nur zur Plausibilisierung anderweit gefundener Ergebnisse dient. 27 Vgl. vorstehend bei Fn. 11. 28 Darüber besteht im Ansatz Einigkeit. Umstritten ist lediglich, inwieweit die Gerichte verpflichtet sind, tarifvertragliche Abweichungen von richterrechtlichen Vorgaben zuzulassen (für generelle Pflicht: Löwisch/Rieble TVG, § 1 Rn. 342; ErfK/Franzen TVG § 1 Rn. 15; nur ausnahmsweise: Wiedemann Einl. Rn. 402 ff.; sachbezogendifferenziert: Däubler/ Schiek TVG, Einl. Rn. 222; Kempen/Zachert, TVG, Gründl. Rn. 295 f.). 29 Däubler/Dorndorf AGB Kontrolle im Arbeitsrecht, § 310 BGB Rn. 25; ErfK/Preis BGB § 310 Rn. 11. 30 Zur Begründung vgl. Dieterich in: Bieback u.a. (Fn. 9) S. 103, 122. 26
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ten bleibt jedoch: Entgegen der Ansicht Ottos bietet allein das Niveau tariflicher Sozialstandards, insbesondere der Lohnhöhe, dem Staat keinen Anlass zum Eingreifen. Die Gerichte verfügen insoweit nicht einmal über einen geeigneten Kontrollmaßstab. Der Appell an das Anstandsgefühl aller Billigund Gerechtdenkenden wirkt in diesem Zusammenhang unergiebig und lebensfremd.
III. Überforderungsschutz im Arbeitskampfrecht? 1. Armutslöhne sind eigentlich kein Problem des Arbeitskampfrechts. Sie sind niemals Streikziel, sondern allenfalls das Produkt einer tarifpolitischen Notlösung und das offene Eingeständnis gewerkschaftlicher Kampfunfähigkeit. Otto behandelt sie nur deshalb so eingehend, weil er sie für Symptome eines „wachsenden staatlichen Gestaltungsbedarfs“ 31 hält, der – gleichsam als Kehrseite der Medaille – auch einen Überforderungsschutz der Arbeitgeber bei exorbitanten Tarifforderungen gebiete. Wenn die Tarifpraxis sowohl am unteren, wie auch am oberen Rand der Lohnskala Extreme aufweise, die die Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge insgesamt in Zweifel zögen, werde eine Rechtsmissbrauchskontrolle unterlässlich. Das strikte Verbot einer Tarifzensur sei nicht mehr gerechtfertigt. Zu erwarten wäre danach ein neues Kontrollkonzept, das sich zunächst mit den Vorgaben ders Art. 9 Abs. 3 GG befassen müsste. Diese Hürde meint Otto mit einer beiläufigen Bemerkung erledigen zu können: Nicht jede Rechtsmissbrauchskontrolle ausgeübter Tarifautonomie sei ein Verfassungsverstoß 32. Etwas derartig Sinnloses hatte allerdings niemand behauptet. Entscheidend sind vielmehr die Gründe und die Intensität der geforderten Kontrolle, um die Verhältnismäßigkeit ihres Eingriffs in die Koalitionsfreiheit beurteilen zu können. Die Begründung seines Vorschlags sieht Otto nicht, wie bei den Armutslöhnen, in den tariflichen Regelungen selbst, sondern in den Umständen ihres Zustandekommens. Da ein Maßstab für gerechte Löhne fehle und die autonomen Entscheidungen der Tarifpartner von der Rechtsordnung respektiert werden müssten, könne aus dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit keine Obergrenze abgeleitet werden. Hingegen bedürften die Arbeitgeber des Schutzes im Verhandlungsstadium, wenn ihnen gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen angedroht werden.33 Die Arbeitnehmer verfügten nämlich mit dem Streik über ein besonderes Druckmittel. Dessen Einsatz könne (bei
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AaO S. 684. AaO S. 683 oben. AaO S. 681 ff.
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Berücksichtigung auch des Verhaltens der Arbeitgeberseite) als Rechtsmissbrauch gewertet werden, wenn das Kampfziel mit unverhältnismäßig kostenträchtigen Forderungen verbunden sei und deren Tarifierung die wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens bedrohen würde.34 2. Der Ansatz dieser Begründung klingt viel versprechend, weil er das Kontrollprogramm des Bundesverfassungsgerichts zu übernehmen scheint. In der Tat: privatautonome Verhandlungsergebnisse verdienen ihre Anerkennung und Sanktionierung durch den Staat nur, wenn und soweit sie nicht auf Störungen des Vertrags- oder Marktmechanismusses beruhen. Wenn also belegbar wäre, dass die Kampfparität bei einer bestimmten Streiktaktik grundlegend zu Gunsten der Gewerkschaft verschoben wird und als Missbrauch des Streikrechts zu werten ist, müsste dem mit rechtsstaatlichen Mitteln ein Riegel vorgeschoben werden können. Eine solche Störung kann Otto jedoch nicht dartun. Weder lässt sich das angenommene Streikziel beanstanden, noch ist die Durchführung eines Arbeitskampfes je nach der Höhe der Streikforderung für die Arbeitgeberseite besonders belastend und schon dadurch allein eine Störung der Kampfparität. a) Otto legt Wert auf die Feststellung, dass der Streik ein „nicht vergleichbares Druckmittel“ darstelle, weil die Arbeitnehmer damit bestehende Arbeitspflichten zum Ruhen bringen können.35 Mit dieser Betonung des zivilrechtlichen Ausnahmecharakters begründet er seinen Appell zu einer restriktiven Begrenzung legitimer Streikziele. Allerdings hätte hier der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden müssen, dass die Besonderheit des Arbeitskampfrechts der Besonderheit des Arbeitsmarktes geschuldet ist und insoweit als Funktionsbedingung der Tarifautonomie grundrechtlichen Schutz genießt. Die Suche nach den Grenzen des Streikrechts hat sich daher an den Funktionsbedingungen des kollektiven Vertragsmechanismus zu orientieren. Das betrifft selbstverständlich auch die Streikziele, denen Otto in seinem Lehrbuch 36 eine sorgfältige Untersuchung widmet. Wichtig ist ihm im vorliegenden Zusammenhang die allgemein anerkannte These des Großen Senats des BAG 37, dass die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Gegenseite nicht das Ziel eines Streiks sein darf. Andererseits kennt die Rechtsprechung aber keinen Grundsatz, wonach ein Streik nicht einmal unbeabsichtigt zum Zusammenbruch eines Unternehmens führen dürfe. Ein so weit reichender Überforderungsschutz, der jedes Unternehmen unter allen Umständen am Leben erhalten will, wäre ja geradezu wettbewerbswidrig, wie Otto zutreffend einräumt.38 Aber woraus soll sich dann die quantitative 34 35 36 37 38
AaO S. 683. AaO S. 681. Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht (Fn. 1), S. 90 ff. 21.4.1971 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (unter III A 2 b). AaO S. 682.
Kontrollpflicht und Zensurverbot im Arbeitskampf
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Grenze zulässiger Streikziele ergeben? Woran erkennt man, dass ein Streikziel, obwohl es thematisch den Rahmen des Zulässigen nicht überschreitet, rein quantitativ zu weit geht? b) Otto bleibt hier eine klare Auskunft schuldig und flüchtet in wechselnde Adjektive, die keine Maßstäbe ergeben: Forderungen, die „im internen Vergleich unverhältnismäßig“ also „egoistisch“ erschienen, oder die „unverhältnismäßig kostenträchtig“ wirkten oder einfach „exorbitant hoch“ seien, dürften nicht als Streikziel dienen. Im Ergebnis fordert er damit nichts anderes als eine schlichte Angemessenheitskontrolle. Das ist eindeutig Tarifzensur, die dem Staat durch Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich verboten ist, und für die den Gerichten auch jegliche Kontrollkriterien fehlen.39 Die besonderen Belastungen eines Streiks können einen solchen Eingriff in die Tarifautonomie nicht rechtfertigen. Sie werden nämlich durch die Höhe der Streikforderung gar nicht nennenswert beeinflusst. Kampftaktisch hat die Forderungshöhe lediglich psychologische Bedeutung. Sie dient vor allem der Mobilisierung der Basis auf beiden Seiten. Sowohl die betroffenen Arbeitnehmer, wie umgekehrt auch die Arbeitgeber müssen davon überzeugt werden, dass der Aufwand lohnt. Auf beiden Seiten gibt es Solidaritätsprobleme, die umso größer sind, je mehr Opfer ein Ausstand von den Beteiligten fordert. Dabei hat auch die öffentliche Meinung eine zunehmende Bedeutung; auch sie muss beeinflusst werden, wobei das veröffentlichte Streikziel eine gewisse Rolle spielt. Dass es in dieser Höhe zu einem Abschluss kommen könnte, glaubt allerdings niemand ernsthaft. Was wirklich gewollt ist, erschließt sich ohnehin nur Insidern, die über zusätzliche Informationen verfügen. Aber selbst diese kalkulieren allenfalls innerhalb von „Bandbreiten“. Die Schadenswirkung eines Streiks, also sein eigentliches Druckpotential, hängt von ganz anderen Faktoren ab: vor allem von der (u.U. wechselnden) Benennung und Begrenzung des Kampfgebietes sowie von der Streikdauer, darüber hinaus auch von der Intensität einzelner Kampfmaßnahmen sowie den Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite. Zu diesen Problemen gibt es umfangreiche Rechtsprechung, die sich am Maßstab der Verhältnismäßigkeit orientieren kann und muss.40 Aber selbst in diesen Zusammenhängen kommt es nie auf die Höhe der Streikforderung an, wie Otto selbst in seinem Lehrbuch zutreffend hervorhebt.41 Was sich an dieser realitätsnahen Einschätzung geändert haben soll, kann ich nicht erkennen.
39 Speziell zu den umstrittenen Tarifsozialplänen sehr dezidiert zuletzt BAG 24.4.2007 – NZA 2007, 987 – Bestätigung des Hessischen LAG 2.2.2006 – 9 Sa 915/05. 40 Gedrängte Übersicht bei ErfK/Dieterich GG Art. 9 Rn. 129 ff. 41 Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht (Fn. 1) § 8 Rn. 7 mwN aus der Rechtsprechung.
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Resümee Tariflöhne, die systemkonform zustande gekommen sind, unterliegen keiner Angemessenheitskontrolle. Es gibt insoweit weder ein wirtschaftliches Untermaßverbot zugunsten der Arbeitnehmer, noch ein Überforderungsverbot zugunsten der Arbeitgeber. Das gilt auch während eines Arbeitskampfes für entsprechende Streikforderungen.
Die Haushaltsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG Hans-Jürgen Dörner A. Einleitung Wer die Veröffentlichungsliste des Jubilars betrachtet, wird feststellen, dass sich auch das Recht des befristeten Arbeitsvertrags in seinem Themenspektrum befindet,1 wenn auch nicht zu übersehen ist, dass die Interessenschwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit in anderen Bereichen festzumachen sind. Ich bitte den Jubilar dennoch, mir bei meinen Überlegungen zu einem Teilrechtsgebiet zu folgen, dessen Bedeutung erst in jüngster Zeit entdeckt worden ist und zu dem bei weitem noch nicht alle Facetten durch die Rechtsprechung ausgeleuchtet sind, nämlich bei Überlegungen zum Recht der sog. Haushaltsbefristung.
B. Die Haushaltsbefristung vor Inkrafttreten des Teilzeitund Befristungsgesetzes I. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze 1. Aussagen des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts Das Recht des befristeten Arbeitsvertrags hatte lange Jahre seine alleinige Grundlage in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 620 BGB in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung. Basis der Rechtsprechung waren die Grundsätze aus dem Beschluss des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Oktober 1960.2 Ausgehend von der These der objektiven Gesetzesumgehung von Kündigungsschutz durch befristete Arbeits-
1 Z.B. Otto Anm. zu BAG 29.6.1988 – 7 AZR 552/86 – AP HRG § 25 Nr. 1 mit kritischer Analyse der damaligen Gesetzeslage; Otto Anm. zu BAG 13.6.1986 – 7 AZR 650/84 – EzA § 620 BGB Nr. 85; Otto Erleichterte Zulassung befristeter Arbeitsverträge, NJW 1985, 1807. 2 BAG 12.10.1960 AP BGB § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 16 = NJW 1961, 798.
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verträge entwickelte der Große Senat seine Forderung von der sachlichen Rechtfertigung des befristeten Arbeitsvertrags. Die befristeten Arbeitsverträge mussten danach „im Gefüge der Grundprinzipien des deutschen Arbeitsrechts einen verständigen, die Befristung sachlich gerechtfertigten Grund haben“. Das formelle Recht, einen Arbeitsvertrag befristen zu können, musste seine innere Schranke darin finden, von ihm nur einen vernünftigen, sachlichen, den allgemeine Zwecken der Rechtsordnung entsprechenden Gebrauch zu machen. Als sachliche Gründe, die eine Befristung rechtfertigen könnten, führte der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts beispielhaft an Arbeitsverträge zur Probe, Aushilfsarbeitsverträge, Arbeitsverträge im Saisongewerbe, Verträge im Baugewerbe, Verträge mit Künstlern und Verträge, in denen auf besonderen Wunsch des Arbeitnehmers eine Befristung vereinbart. Weiter stellte der Große Senat auf die Frage der Üblichkeit im Arbeitsleben ab und legte darauf Gewicht, was verständige und verantwortungsbewusste Parteien zu vereinbaren pflegen. Haushaltsmittel oder andere auf die Eigenarten des öffentlichen Dienstes zugeschnittene Formulierungen finden sich in der Basisentscheidung nicht. 2. Die Entscheidungen der Fachsenate zur sog. Haushaltsbefristung Die Fachsenate des Bundesarbeitsgerichts bekamen – von einer Entscheidung zu einem Sachverhalt aus der Zeit vor der Entscheidung des Großen Senats abgesehen3 – erst etwa 20 Jahre später Gelegenheit, sich mit den Vorgaben des normativen Haushaltsrechts als Sachgrund ausführlich zu beschäftigen.4 Zu dieser Zeit entstanden die Rechtssätze, die für mehrere Jahre Gültigkeit hatten und dem öffentlichen Dienst nur in geringem Umfang erlaubten, sich auf haushaltsrechtliche Vorgaben zu berufen. Die Rechtssätze lauteten zunächst zusammengefasst, dass haushaltsrechtliche Erwägungen keinen sachlichen Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses abgäben, soweit die Begrenzung des Haushalts durch das Haushaltsjahr zu erwarten stehe, oder wenn eine allgemeine Mittelkürzung zu erwarten sei oder lediglich allgemeine Einsparungen haushaltsrechtlich angeordnet worden seien. Werde in einem Haushaltsplan allerdings eine bestimmte Personalstelle gestrichen, so sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber des Haushalts sich selbst mit den Verhältnissen gerade dieser Stelle befasst und aus sachlichen Erwägungen festgelegt habe, dass dieser konkrete Arbeitsplatz nicht mehr auf Dauer bestehen und deshalb nur noch vorübergehend besetzt werden solle. Abgesehen davon, dass die Durchführung dieser haushaltsrechtlichen Maßnahmen nur unter Beachtung der bestehenden arbeitsrechtlichen Ge-
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BAG 5.5.1961 – 1 AZR 65/56 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 17. BAG 25.1.1980 – 7 AZR 69/78 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 52; 29.8.1979 – 4 AZR 863/77 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50. 4
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setze und tarifvertraglichen Bestimmungen möglich sei, werde in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass diese haushaltsrechtliche Entscheidung ohne weitere Prüfung hinzunehmen sei. In diesem Falle zeitige das Haushaltsrecht, wenn auch nur im begrenzten Umfange, unmittelbare Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. Später wurde hinzugefügt, die Ungewissheit, ob ein künftiger Haushaltsplan noch Mittel für eine bestimmte Stelle vorsehe, könne keinen sachlichen Grund für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses abgeben. Ob entsprechende Mittel in Zukunft zur Verfügung ständen, sei auch in der Privatwirtschaft nicht gesichert. Da das Haushaltsrecht des öffentlichen Dienstes aber der unternehmerischen Entscheidung in der Privatwirtschaft entspreche, müssten beide auch in den arbeitsrechtlichen Konsequenzen gleichbehandelt werden. Ebenso wenig wie in der Privatwirtschaft allein die Unsicherheit der Entwicklung des künftigen Bedarfs oder der finanziellen Lage des Unternehmens die Befristung eines Arbeitsvertrages zu rechtfertigen vermöge, könnten derartige Unsicherheiten im Bereich des öffentlichen Dienstes als Befristungsgründe anerkannt werden.5 Ein sachlicher Befristungsgrund läge nur dann vor, wenn eine Haushaltsstelle von vornherein nur für eine genau bestimmte Zeitdauer bewilligt sei und anschließend fortfallen solle, weil dann davon auszugehen sei, dass der Haushaltsgeber sich selbst mit den Verhältnissen gerade dieser Stelle befasst und aus sachlichen Erwägungen festgelegt habe, dass sie nicht mehr bestehen solle. Die vorgegebene und hinzunehmende haushaltsrechtliche Entscheidung über den nur zeitlich begrenzten Bestand einer Stelle könne dann die nur vorübergehende Beschäftigung des Stelleninhabers zur Folge haben. Damit war anerkannt, dass die begrenzte sachliche Zielsetzung, die der Haushaltsgeber mit der zeitlich begrenzten Finanzierung eines Arbeitsplatzes verfolgt, auch für das Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem von der haushaltsrechtlichen Entscheidung abhängigen Arbeitgeber erheblich wurde und geeignet war, eine entsprechende Befristung sachlich zu rechtfertigen. Im Ergebnis führten diese Rechtssätze allerdings auch in der erweiterten Fassung zu einer restriktiven Beurteilung von Befristungstatbeständen, in denen sich der öffentliche Dienst auf haushaltsrechtliche Vorgaben berief,6 sofern nicht konkrete haushaltsrechtliche Entscheidungen für eine oder mehrere Stellen vorlagen.7
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BAG 16.1.1987 – 7 AZR 487/85 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 111. BAG 27.1.1988 – 7 AZR 292/87 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 116; 24.1.1996 – 7 AZR 496/95 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 179; 7.7.1999 – 7 AZR 609/97 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 215; 22.3.2000 – 7 AZR 758/98 – BAGE 94, 130 = AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 221; 24.10.2001 – 7 AZR 542/00 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 229. 7 BAG 27.2.1987 – 7 AZR 376/85 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 112. 6
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II. Erste normative Regelung zum Sachgrund der für befristete Beschäftigung bestimmten Haushaltsmittel in § 57b Abs. 2 Nr. 2 HRG Eine erste normative Erwähnung der Haushaltsmittel als möglichen Sachgrund fand sich im mit Wirkung vom 26.6.1985 8 eingefügten § 57b des Hochschulrahmengesetzes (HRG). Danach lag u.a. ein Sachgrund vor, wenn der (wissenschaftliche) Mitarbeiter aus Haushaltsmitteln vergütet wurde, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt waren, und er entsprechend beschäftigt wurde. 1. Die haushaltsrechtliche Bestimmung für eine befristete Beschäftigung Mit der Formulierung in der ersten Satzhälfte einschließlich des Nebensatzes in § 57b Abs. 2 Nr. 2 HRG wich der Gesetzgeber von den engen Voraussetzungen der Rechtsprechung bewusst ab. Er wollte die Befristung von Arbeitsverhältnissen in Hochschulen aufgrund haushaltsrechtlicher Erwägungen erleichtern und erweitern.9 Es sollte genügen, dass der für die Hochschulen zuständige Haushaltsgesetzgeber kumulativ Mittel für befristete Beschäftigungen zur Verfügung stellte und der Beschäftigte aus diesen Mitteln vergütet und entsprechend beschäftigt wurde. Der Haushaltsgesetzgeber musste sich nicht wie im öffentlichen Dienst außerhalb der Hochschulen (und Forschungseinrichtungen) mit den einzelnen Stellen beschäftigt haben oder solche konkreten Stellen einrichten und bewilligen. Allerdings musste er nach Auffassung des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts mit der Anordnung der Mittelverwendung nur für befristete Beschäftigungen eine konkrete Sachregelung auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Zwecksetzung treffen.10 Die an keine inhaltlichen Voraussetzungen geknüpfte Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Beschäftigung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen konnte auch im Hochschul- und Forschungsbereich die Befristung nicht rechtfertigen.11 2. Die entsprechende Beschäftigung Der zweite Satzteil des § 57b Abs. 2 Nr. 2 HRG über die entsprechende Beschäftigung erwies sich alsbald als Fremdkörper im System des Befristungsrechts. Denn die Befristungskontrolle ging und geht bei der Prüfung der Rechtsmäßigkeit einer Befristungsabrede vom Sachverhalt im Zeitpunkt 8 Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen v. 14.6.1985 (BGBl. I S. 1065). 9 BT-Drucks. 10/2283 S. 6. 10 BAG 24.1.1996 – 7 AZR 342/95 – AP HRG § 57b Nr. 7. 11 Ähnlich BVerfG 24.4.1996 AP HRG § 57a Nr. 2 unter C II 2b letzter Absatz, wenn dort – zwar in anderem Zusammenhang – von der konkreten und nachvollziehbaren Zweckbindung der Mittel für die befristete Beschäftigung gesprochen wird.
Die Haushaltsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG
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der Vereinbarung aus. Nachträgliche Tatbestände bleiben außer Betracht. Nunmehr verlangte der Gesetzgeber jedoch auch die Prüfung der entsprechenden Beschäftigung und damit zwingend Einbeziehung von nachträglichem Sachverhalt. Der Siebte Senat versuchte den vom Gesetzgeber verursachten Systembruch dadurch zu vermeiden, dass er einer späteren abweichenden Handhabung nur indizielle Bedeutung dafür beimaß, dass die Voraussetzungen einer wirksamen Befristung bei Vertragsabschluss in Wahrheit nicht vorlagen. Die Voraussetzung des zweiten Halbsatzes war danach bereits dann gegeben, wenn bei Vertragsabschluss mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass die Vergütung des wissenschaftlichen Mitarbeiters jedenfalls aus den zur Verfügung gestellten Haushaltsmitten erfolgte.12 Da das Bundesarbeitsgericht in den nachfolgenden Streitfällen der Prüfung über die tatsächliche Entwicklung breiten Raum gab und sich nicht nur auf die Überprüfung einer Prognoseentscheidung beschränkte, musste es sich dem Vorwurf gefallen lassen, inkonsequent zu handeln und dadurch für Hochschulen und Mitarbeiter beträchtliche Unsicherheit zu produzieren.13 3. Die Aufhebung des Tatbestands Da die Kritik des Schrifttums wenigstens das Dilemma zutreffend beschrieb, in dem sich die Rechtsprechung angesichts der Fassung des Gesetzes befand, begrüßten insbesondere die Richter die Ablösung der seit 1985 im HRG bestehenden Befristungsbestimmungen durch das gänzlich anders strukturierte Befristungsrecht im 5. und 6. HRGÄndG (Aufgabe der Sachgrundbefristung zugunsten einer durch Zeitvorschriften limitierten Möglichkeit, sachgrundlos befristete Arbeitsverträge zu schließen).14 Es schien die Befristungsstreitigkeiten im Hochschul- und Forschungsbereich weitgehend befriedet zu haben. Streitigkeiten zu diesen Ursprungsfassungen erreichten jedenfalls die dritte Instanz in den Folgejahren nicht. Auch deswegen wurde die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des 5. HRGÄndG 15 nicht begrüßt. Aus Sicht der berufsrichterlichen Mitglieder des Siebten Senats des BAG ist die These des BVerfG, die Neuordnung befristeter Beschäftigungsverhältnisse in den §§ 57a ff. HRG stehe (ebenfalls) in engem Zusammenhang
12 BAG 22.11.1995 – 7 AZR 248/95 – AP HRG § 57b Nr. 8 zum insoweit gleich lautenden § 57b Abs. 2 Nr. 4 HRG. 13 Preis in Dieterich/Preis, Befristete Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung, 2001, B IV 2; ErfK/Müller-Glöge 2. Aufl. § 57a HRG Rn. 18. 14 Fünftes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften vom 16.2.2002 (BGBl. I. S. 693) und Sechstes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 8.8.2002 (BGBl. I S. 3138). 15 BVerfG 27.7.2004 – 2 BvF 2/02 – BVerfGE 111, 226.
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mit der Einführung der Juniorprofessur, sie bildeten eine „teleologische Sinneinheit“ mit der neuen Personalkategorie des Juniorprofessors und seien deshalb ebenso wie die Vorschriften zur Juniorprofessur (diese wegen Überschreitung der Normsetzungskompetenz) nichtig, nicht überzeugend.16 Der Karlsruher Spruch hätte dem Senat erneut Judikate zur überwunden geglaubten Haushaltsbestimmung des HRG beschert, hätte der Gesetzgeber nicht mit dem Gesetz zur Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich vom 27.12.2004 reagiert,17 mit dem die Befristungsbestimmungen des 5. HRGÄndG für Altverträge zur Anwendung gebracht wurden.18 Inzwischen sind diese Bestimmungen durch die Normen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 19 abgelöst worden, die keinen haushaltsrechtlichen Sachgrund enthalten, wohl aber den davon zu unterscheidenden Sachgrund der Drittmittelfinanzierung.20
C. Die Haushaltsbefristung nach dem Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes Mit der Verabschiedung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vom 21.12. 2000 21 wurde der Sachgrund „Haushalt“ allgemein normativ geregelt. Er war alsbald Gegenstand theoretischer Erörterungen, insbesondere zur Vereinbarung der Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz. Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen blieben Mangelware, u.a. wohl deswegen, weil der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG zunächst nicht entdeckt oder als brüchiges Eis bewertet wurde. Es kam erst 2006 und vermehrt Anfang 2007 zu Revisionsverfahren, die die Problematik dieser Vorschrift zum Inhalt hatten. I. Die Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 Mit dem Verfahren nach Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG (Zuleitung einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung an den Bundesrat) begann am 28.9.2000 das Gesetzgebungsverfahren für das TzBfG.22 In dem Gesetzentwurf der 16 Vgl. Minderheitsvotum der Richterinnen Osterloh, Lübbe-Wolf und des Richters Gerhardt BVerfGE 111, 274 ff.; Dieterich/Preis NZA 2004, 1241. 17 BGBl. I S. 3835. 18 Dazu ausführlich BAG 21.6.2006 – 7 AZR 234/05 – AP HRG § 57a Nr. 5 = NZA 2007, 209. 19 Art. 1 des Gesetzes zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissenschaft vom 12.4.2007 (BGBl. I S. 506). 20 Unglücklicherweise wieder mit der Zusatzvoraussetzung der entsprechenden Beschäftigung. 21 BGBl. I S. 1966. 22 Eilbedürftig nach Art. 76 Abs. 2 Satz 4 GG wegen Auslaufen des BeschFG zum 31.12.2000 und Ablaufens der Umsetzungsfrist der Teilzeitrichtlinie.
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Bundesregierung 23 heißt es im Allgemeinen Teil Abschnitt II (Befristete Arbeitsverträge) bei den Befristungen mit Sachgrund, das Gesetz knüpfe an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht an. Durch die Nennung typischer, von der Rechtsprechung anerkannter Befristungsgründe im Gesetz werde der Praxis und den Gerichten eine Orientierung gegeben.24 In der Einzelbegründung heißt es zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG knapp, die Befristung eines Arbeitsvertrages auf Grund zeitlich begrenzter Haushaltsmittel, z.B. für bestimmte Forschungsprojekte, sei sachlich gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung sei Voraussetzung, dass die Mittel haushaltsrechtlich für die befristete Beschäftigung bestimmt seien und der Arbeitnehmer zu Lasten der Mittel eingestellt und beschäftigte werde.25 In der Sachverständigenanhörung vor dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung wiesen Perreng als Vertreterin des DGB und Preis darauf hin, dass der geplante Text mit den Vorgaben aus der Rechtsprechung zur Haushaltsbefristung nicht übereinstimme und „offen“ sei.26 Zu einer Veränderung des Textes kam es im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr. II. Die Stellungnahmen im Schrifttum Das Schrifttum artikulierte nach Inkrafttreten des Gesetzes teilweise ähnlich Bedenken wie die Sachverständigen in der Anhörung, dass der Tatbestand zu offen formuliert sei. Anders als in der Gesetzesbegründung genannt enthalte der Text keinen Hinweis auf zeitlich begrenzte Haushaltsmittel als Rechtfertigung für eine befristete Beschäftigung. Wörtlich genommen entspreche das Gesetz weder verfassungsrechtlichen noch gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.27 Mehrheitlich wurde für eine Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung plädiert, wobei auf die Entscheidungen des Siebten Senats zu der fast wortgleichen Vorschrift des § 57b Abs. 2 Nr. 2 HRG in der bis zu Februar 2002 geltenden Fassung verwiesen wurde.
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BR-Drucks. 591/00. BR-Drucks. 591/00 S. 18. 25 Wortgleich die Begründung zum Gesetzesentwurf, der an den deutschen Bundestag übersandt wurde: BT-Drucks. 14/4374 S. 19. 26 Protokoll 13/63 des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 8. November 2000 S. 6 und S. 22. 27 Staudinger/Preis BGB (2002) § 620 Rn. 137; Dörner Der befristete Arbeitsvertrag, 2004, Rn. 211; Lakies Der befristete Arbeitsvertrag, 2. Aufl. 2007, Rn. 372; Preis/Gotthardt DB 2000, 2065, 2071. 24
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III. Die bisherigen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte erstmals 2006 28 und dann wiederholt in der ersten Jahreshälfte 2007 29 Gelegenheit, über die theoretischen Überlegungen hinaus konkret Fälle zu entscheiden.30 Er konnte damit die erste Struktur zum neuen Tatbestand entwickeln. Es sind folgende allgemeinen Regeln aus den Entscheidungen festzuhalten: 1. Die entsprechende Beschäftigung (Zweiter Satzteil) Der Senat verwendet den Relativsatz in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG zunächst für die Wortlautauslegung bei der Konkretisierung des Sachgrunds (sieh unten III 3). Ferner wiederholt und vertieft er seine früheren Aussagen zum § 57b HRG über die Bedeutung des erneut in das Gesetz aufgenommenen zweiten Satzteils (Relativsatz) in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG folgendermaßen: Bei der Sachgrundprüfung sind die Umstände bei Vertragsschluss maßgeblich. Dies gilt auch für die Frage, ob der Arbeitnehmer aus den Haushaltsmitteln vergütet worden ist. Zwar ist auch eine Auslegung des Gesetzeswortlauts denkbar, wonach das Vorliegen des Sachgrunds sowohl von dem Bestreiten der Vergütung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers aus einem bestimmten Haushaltstitel als auch von der Ausgestaltung seiner tatsächlichen Beschäftigung während der Vertragslaufzeit abhängt. Eine Prüfung der sachlichen Rechtfertigung einer vereinbarten Befristung anhand nach Vertragsschluss liegender Tatsachen ist aber systemwidrig, weil im Befristungsrecht nur maßgeblich ist, ob der Arbeitgeber bei Vertragsschluss einen von der Rechtsordnung anzuerkennenden Grund für einen nicht auf Dauer angelegten Arbeitsvertrag hatte oder nicht. Mit diesem Grundgedanken ist es unvereinbar, die Wirksamkeit der bei Vertragsschluss vereinbarten Befristung auf Grund von nach Vertragsschluss eintretenden Umständen zu beurteilen.31 Wird später festgestellt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht aus den bei Vertragsschluss verfügbaren Haushaltsmitteln vergütet oder entsprechend der Zwecksetzung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel beschäftigt wird, kann dies daher nur ein Indiz dafür sein, dass der Befristungsgrund in Wirklichkeit nicht gegeben, sondern nur vorgeschoben ist. Es obliegt in diesem Fall dem Arbeitgeber, die vom Vertrag abweichende Handhabung zu erklären. Der Senat ist gewillt, diesen Ansatz nunmehr einschränkungslos durchzuhalten und seine Prüfung zu diesem Tatbestandsmerkmal allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beschränken und später auftretende Tatsachen nur noch im Hinblick auf die eingeschränkte Bedeutung zu prüfen. 28 29 30 31
BAG 18.10.2006 – 7 AZR 419/05 – NZA 2007, 332. BAG 14.2.2007 – 7 AZR 193/06 – NZA 2007, 871; 18.4.2007 – 7 AZR 316/06 – zVb. Alle bisherigen Fälle betrafen das Haushaltsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. BAG 27. Juli 2005 – 7 AZR 443/04 – Rn. 29, AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 27.
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Damit wird die oben 32 genannte Kritik bedeutungslos. Diese Aussage dürfte gleichermaßen für die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Satz WissZeitVG 33 gelten, die unglückseligerweise erneut (zusätzlich) auf die „entsprechende Beschäftigung“ abstellt. 2. Keine Fortsetzung der Rechtsprechung zur Haushaltsbefristung nach § 620 BGB Als nächstes Zwischenergebnis dieser Judikate lässt sich festhalten, dass der Senat dem Willen des Gesetzgebers, befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst nicht mehr an die Voraussetzungen der Altrechtsprechung zu § 620 BGB zu binden, Rechnung trägt. Er erkennt an, dass der befristete Arbeitsvertrag im öffentlichen Dienst wegen seiner Besonderheiten im Vergleich zur Privatwirtschaft anderen, im Ergebnis erleichterten Grundsätzen unterliegen soll, die über die vormaligen Voraussetzungen hinaus gehen. Der Senat kommt damit auf die oben genannten Einschränkungen bei der Kontrolle haushaltsrechtlicher Befristungen nicht mehr zurück.34 3. Keine Beschränkung der Befristungskontrolle auf Einhaltung der Formalien Ferner versteht der Senat den Gesetzgeber nicht so, dass die Befristungskontrolle inhaltlich beim Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG nicht statt zu finden hat und nur eine Kontrolle zu den formellen Voraussetzungen verbleibt. Das könnte zwar der Wortlaut der Vorschrift suggerieren, der die Bereitstellung von Haushaltsmittel für befristete Beschäftigungen genügen lässt und der nicht auf die befristete Arbeitsaufgabe abstellt. Aber: Der Gesetzestext ist nicht eindeutig. Der Wortlaut lässt zwar eine Deutung im vorgenannten Sinn zu. Ein Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses läge dann bereits vor, wenn in allgemeiner Form für den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen Haushaltsmittel bereitgestellt werden und der befristet beschäftigte Arbeitnehmer aus diesen Haushaltsmitteln vergütet wird. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG wären schon dann erfüllt, wenn die Rechtsvorschriften über die Ausbringung der Haushaltsmittel allgemein ihre Verwendung für die Vergütung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern anordnen würden. Weitere Vorgaben hinsichtlich der im Rahmen der befristeten Arbeitsverhältnisse
32 Preis in Dieterich/Preis, Befristete Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung, 2001, B IV 2; ErfK/Müller-Glöge 2. Aufl. § 57a HRG Rn. 18. 33 Art. 1 des Gesetzes zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissenschaft vom 12.4.2007 (BGBl. I S. 506). 34 Ob damit eine Verschärfung gegenüber der Altrechtsprechung vorgenommen worden ist, wie Greiner Anm. in EzA § 14 TzBfG Nr. 34 meint, soll dahingestellt bleiben.
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auszuübenden Tätigkeiten wären entbehrlich. Der befristet beschäftigte Arbeitnehmer könnte mit sämtlichen im Bereich der öffentlichen Verwaltung anfallenden Tätigkeiten betraut werden. Der Senat versteht das Merkmal der befristeten Beschäftigung aber nicht nur als Beschreibung der zeitbestimmten Vertragsform des Arbeitsverhältnisses, sondern er meint, dass damit die Arbeitsaufgabe des Arbeitnehmers als befristet bezeichnet wird. Deshalb muss die der Ausbringung der Haushaltsmittel zugrunde liegende Rechtsvorschrift eine konkrete Zweckbestimmung enthalten, in der die dem befristetet beschäftigten Arbeitnehmer zu übertragenden Aufgaben bezeichnet werden. Da für den Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG nur Haushaltsmittel für die „befristete“ Beschäftigung von Bedeutung sind, muss es sich bei den in der Zweckbestimmung genannten Tätigkeiten um solche handeln, die befristet sind, d.h. ihrer Art nach nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend anfallen. Mit dieser dem Wortlaut der Vorschrift entnommenen Voraussetzung bleibt den Gerichten für Arbeitssachen eine inhaltlich-materielle Prüfungskompetenz, der allerdings noch näher zu bestimmen sein wird (s. unten). Der Senat knüpft damit an seine Rechtsprechung zum § 57b Abs. 2 Nr. 2 HRG in der bis zum Februar 2002 geltenden Fassung an.35 Zu der mit § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG fast wortgleichen Bestimmung hatte er entschieden, dass nach dem Sinn und Zweck der Regelung eine haushaltsrechtliche Bestimmung vorliegt, wenn der Haushaltsgesetzgeber mit der Anordnung der Mittelverwendung eine konkrete Sachregelung auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Zwecksetzung trifft. Neben diesem teleologischen Ansatz, der nicht ausdrücklich erwähnt wird, der aber durch den vielfältigen Verweis auf die Rechtsprechung zu § 57b HRG wenigstens mittelbar zur Begründung der Gesetzesauslegung beiträgt, greift der Senat auf den in den dazwischen liegenden Jahren entwickelten verfassungsrechtlichen Ansatz der Befristungskontrolle zurück. Der Senat hatte unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Mindestkündigungsschutz 36 und zur Schutzpflicht des Staates (in Form staatlicher Gerichte) 37 vor Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes seine Rolle im Rahmen der Befristungskontrolle als von Verfassungs wegen nach Art. 12 Abs. 1 GG geboten definiert.38 Die Schutzpflicht, die auch den Gerichten für Arbeitssachen bei der Gewährleistung der Freiheitsrechte aus Art. 12 GG obliegt, verlangt eine
35
BAG 24.1.1996 – 7 AZR 342/95 – AP HRG § 57b Nr. 7. BVerfG 27.1.1998 – 1 BvL 15/87 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 17. 37 BVerfG 24.4.1996 – 1 BvR 712/86 – AP HRG § 57a Nr. 2 zu C II 2b der Gründe. 38 BAG 11.3.1998 – 7 AZR 700/96 – = AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 12; wiederholt in BAG 31.7.2002 – 7 AZR 140/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 14; kritisch zu dem verfassungsrechtlichen Begründungsteil Maschner Anm. zu BAG Rn. 39 in EzTöD 100 § 30 Abs. 1 TVöD-AT Sachgrundbefristung Nr. 3. 36
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Mindestkontrolle der oben definierten Art. Anders ausgedrückt: Die vom Senat entwickelten Mindestvoraussetzungen zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG folgen aus der verfassungskonformen Auslegung. Zusätzlich zu den bisherigen Ansätzen weist der Senat auch darauf hin, dass eine Auslegung, die die Ausbringung von Haushaltsmitteln ohne eine tätigkeitsbezogene Zwecksetzung ausreichen lassen würde, nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts an eine sachlich gerechtfertigte Befristung genügen würde.39 4. Form der Haushaltsmittel Als nächste Erkenntnis lässt sich den bisherigen Entscheidungen entnehmen, dass es grundsätzlich unerheblich ist, ob die Mittel für die befristete Beschäftigung summenmäßig, durch Freigabe ersparter Mittel oder in Form befristeter Planstellen/Stellen ausgewiesen werden. Der erste Fall zur Deutschen Zentralbibliothek für Medizin in Köln betraf die Verwendung von summenmäßig zur Verfügung stehenden Mittel aus der durch Fehlen von Mitarbeitern ersparter Vergütung. Die Befristungen beruhten in den anderen Fällen auf der summenmäßig in den Landeshaushalt eingestellten Beträge für befristete Tätigkeiten, ohne befristete Stellen im eigentlichen Sinn zu schaffen. Auch insoweit wird an die Ausführungen des Senats zu § 57b Abs. 2 Nr. 2 HRG angeknüpft.40 5. Anforderungen an Inhalt und Bestimmtheit der Rechtsgrundlagen Mit den bisher vorliegenden Entscheidungen noch nicht abschließend geklärt sind die Anforderungen an den Inhalt und die Bestimmtheit der haushaltsrechtlichen Vorschriften.41 Hier sind durch den Senat nur erste Grenzen bestimmt. a) Im ersten Fall 42 betreffend die haushaltsrechtlichen Bestimmungen für die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin in Köln zum Haushaltsjahr 2004 43 lagen recht genaue Anweisungen vor. Es wurden für diese Behörde nicht nur 552.500 € im mit Vergütungen und Löhne für Aushilfen beschrie-
39 BAG 18.10.2006 – 7 AZR 419/05 – NZA 2007, 332, 334 f. Rn. 20 ff.; auch hierzu kritisch Maschner Fn. 38 und Greiner Anm. EzA § 14 TzBfG Nr. 34, der eine Vorlage an den EuGH bevorzugt hätte. 40 Eine Fall der Schaffung befristeter Stellen (im engen haushaltsrechtlichen Sinn, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. LHO NW) ist dem Senat noch nicht zur Entscheidung vorgelegt worden. 41 Das wird zutreffend erkannt von Maschner Anm. in EzTöD 100 § 30 Abs. 1 TVöD-AT Sachgrundbefristung Nr. 3. 42 BAG 18.10.2006 – 7 AZR 419/05 – NZA 2007, 332. 43 Das Haushaltsgesetz 2004 war allerdings noch nicht verabschiedet. Grundlage der Entscheidung war das Haushaltsgesetz 2003 in Verbindung mit allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Finanzministeriums zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung.
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benen Titel zur Verfügung gestellt. Der Titel wurde auch näher erläutert. Danach waren die Mittel bestimmt zur Bewältigung von Nachfragespitzen im Direktleihverkehr und für Vertretungsfälle. Der Senat hat diese haushaltsrechtlichen Grundlagen für geeignet und ausreichend gehalten, um einen Arbeitnehmer mit den in der Begründung genannten Aufgaben nur in einem befristeten Arbeitsverhältnis zu beschäftigen. Im konkreten Fall konnte sich das beklagte Land allerdings auf den Sachgrund nicht mit Erfolg berufen, weil die klagende Arbeitnehmerin unstreitig nicht so wie im Haushaltsplan beschrieben beschäftigt wurde, eine derartige Beschäftigung nicht einmal bei Vertragsschluss vorgesehen war. Der Sachgrund war vorgeschoben. b) In den folgenden Fällen aus dem Februar 2007 44 und April 2007 45 fehlte sowohl ein eigenständiger Titel als auch eine konkrete, genau bezeichnete Zweckbestimmung wie im vorhergehenden Fall. Haushaltsrechtliche Grundlage war allein § 7 Abs. 3 Satz 1 HaushaltsG 2004/2005 NW, der folgenden Wortlaut hat. „Planstellen oder Stellen können für Zeiträume, in denen Stelleninhaberinnen und Stelleninhaber vorübergehend keine oder keine vollen Dienstbezüge zu gewähren sind, im Umfang der nicht in Anspruch genommenen Planstellen- oder Stellenanteile für die Beschäftigung von beamteten Hilfskräften und Aushilfskräften in Anspruch genommen.“ Zu wortgleichen Vorschriften aus den Haushaltsgesetzen dieses Bundeslandes in früheren Jahren hatte der Senat bereits mehrfach im Rahmen der Befristungskontrolle nach § 620 BGB zugunsten des öffentlichen Dienstes entschieden.46 Daran hat der Senat angeschlossen und die auf die Haushaltsnorm gestützten Befristungen in den Arbeitsverträgen der Parteien für rechtens gehalten. Er hat seine früheren Aussagen jedoch noch einmal ergänzend präzisiert. Das betrifft zwei Bereiche, nämlich die haushaltsrechtliche und die arbeitsrechtliche Bestimmtheit, Anforderungen, die der Senat dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal der entsprechenden Beschäftigung entnimmt. aa) Der Senat verlangt nicht, dass der Haushalt selbst Haushaltsmittel oder Planstellen/Stellen bereit stellt bzw. benennt. Er lässt eine an die Verwaltung (hier: Landesverwaltung) gerichtete Ermächtigung genügen mit der Folge, dass sich der Betrag oder die Summe der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel erst nach der verwaltungsmäßigen Feststellung von unbesetzten oder teilzeitbesetzten Stellen ergibt. Die damit verbundene Gefahr, dass Arbeit-
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BAG 14.2.2007 – 7 AZR 193/06 – NZA 2007, 871. BAG 18.4.2007 – 7 AZR 316/06 – zVb. 46 BAG 27.2.1987 – 7 AZR 376/85 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 112 mvN aus der Rspr.; 21.6.1989 – 7 AZR 119/88 – n.v.; 13.3.1991 – 7 AZR 37/90 – n.v.; im Ergebnis auch 12.2.1997 – 7 AZR 317/96 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 187. 45
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nehmer, Personalräte (im geltenden Personalvertretungsrecht NW besteht ein Mitbestimmungsrecht der Personalräte bei der Befristung von Arbeitsverträgen) und Gerichte nicht ohne weiteres überprüfen können, ob nicht eine größere Anzahl befristeter Verträge als Mittel zur Verfügung stehen abgeschlossen wird, begegnet der Senat mit der Forderung, dass die Verwaltung die Kausalität zwischen vorübergehend frei werdenden Mitteln und befristetem Einzelvertrag herstellen muss. Den Weg zur Darlegung der Kausalität schreibt der Senat nicht vor; er geht idealiter von einer namentlichen Benennung des fehlenden Stelleninhabers und damit der Planstelle/Stelle im Vertrag mit dem befristet Beschäftigten aus, doch kann auch ein weniger transparentes Mittel wie ein Aktenvermerk aus der Zeit des Vertragsschlusses ausreichen. Wegen der gebotenen Kontrollmöglichkeiten verlangt der Senat ferner Transparenz in der Durchführung der gesetzlichen Ermächtigung durch die Verwaltung. Es muss verwaltungsmäßig gesichert sein, dass die jeweilige die freien Planstellen und Stellen haushaltbewirtschaftende Behörde auch über die Verwendung der dort frei werdenden Mittel in Form befristeter Arbeitsverträge entscheidet. Anderenfalls lässt sich eine Überprüfung dahin, dass vorübergehend frei gewordenen Mittel nicht mehrfach verwendet werden, nicht oder nur unvollkommen vornehmen. bb) Neben der Ergänzung der bisherigen Rechtsprechung im technischen Bereich hat der Senat auch seine Anforderungen an die arbeitsrechtliche Zwecksetzung des Haushaltsverantwortlichen präzisiert. Er verlangt bei der haushaltsrechtlichen Beschreibung dessen, wozu die Mittel für befristete Beschäftigungen verwendet werden dürfen (Zwecksetzung), eine Orientierung an den Wertungsmaßstäben des Befristungsrechts. Es muss sicher gestellt werden, dass die Arbeitnehmer vorübergehend benötigt werden. Der Senat lässt den Haushaltsgebern im Rahmen dieser Vorgabe freie Hand und schreibt nicht etwa einen Tatbestand vor. So hat er die Zwecksetzung „Aushilfskräfte“ in § 7 Abs. 3 Satz 1 HaushaltsG NW für ausreichend gehalten, weil damit die Bewertungsmaßstäbe angesprochen worden sind, die den Gesetzgeber zur Kodifizierung der Sachgrundtatbestände des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG (vorübergehender betrieblicher Bedarf) und des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG (Vertretung) veranlasst haben. Folglich ist die Befristung eines Arbeitsvertrags nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitnehmer für Aufgaben eingesetzt wird, die mit dem vorhandenen Personal auf Planstellen und Stellen nicht oder nicht zeitgerecht erledigt werden können. Der Einsatz kann in dem engen Bereich erfolgen, dem derjenige Planstelleninhaber angehört, dessen frei gewordene Mittel eingesetzt werden (vertretungsähnliche Beschäftigung), aber auch anderenorts im Bereich des für die Haushaltsbewirtschaftung Verantwortlichen, wenn dieser meint, dort gebiete die öffentlich-rechtliche Verantwortung den Einsatz einer zusätzlichen Arbeitskraft (bedarfsähnliche Beschäftigung).
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Die entsprechenden Ausführungen des Senats dürfen nicht dazu verleiten, bei der Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG die Maßstäbe der Vorschriften des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und/oder Nr. 3 TzBfG anzulegen. Wer so verfährt, verkennt die Eigenständigkeit des Sachgrunds nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG 47 und missachtet den Willen des Gesetzgebers, erleichterte Befristungsmöglichkeiten für den an das Haushaltsrecht gebundenen öffentlichen Dienst zu schaffen.48 Das bedeutet im Ergebnis, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei einer auf § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG gestützten Befristungsvereinbarung nicht zu prüfen haben, ob und in welcher Form es in der Einsatzdienststelle des befristet beschäftigten Arbeitnehmers einen Mehrbedarf gegeben hat und/oder ob und welche Prognose des Dienstherrn zum Abbau des Mehrbedarfs für die Befristung des Vertrags maßgeblich war. Ebenso wenig bedarf es der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer unmittelbaren oder mittelbaren Vertretung einschließlich der dazu (ohnehin nur noch minimal erforderlichen) Rückkehrprognose vorliegen. c) Schließlich findet auch keine gerichtliche Kontrolle zur Dauer des befristeten Arbeitsvertrags im Sinne einer Übereinstimmung von Vertragsdauer und Dauer der zur Verfügung stehenden Mittel statt, sofern die Vertragsdauer hinter dem Zeitraum zurück bleibt, in dem Haushaltsmittel für den Stelleninhaber nicht benötigt werden. Die gegenteilige Auffassung lässt sich weder mit den Wertungsmaßstäben des Befristungsrecht noch mit haushaltsrechtlichen Grundsätzen begründen. Der Gleichlauf ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen oder gemeinschaftsrechtlichen Gründen geboten. 6. Offene Fragen Auch wenn der Senat meint, mit den dargestellten Urteilen hilfreiche Entscheidungshinweise für die Praxis entwickelt zu haben, ist er sich dessen bewusst, dass damit nicht alle Fragen zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG beantwortet sind. Jedenfalls zwei Problemkreise sind wohl noch nicht (abschließend) geklärt. a) Zwecksetzungsformulierungen. Nach wie vor stellt sich die Frage, wann eine haushaltsrechtliche Zwecksetzung den befristungsrechtlichen Wertmaßstäben genügt und wann Beschreibungen der Haushaltsgeber so beliebig sind, dass sie den Anforderungen nicht genügen mit der Folge, dass darauf gestützte Befristungsabreden nicht rechtens sind.49 Es dürfte aus den Entscheidungen zu § 7 Abs. 3 HaushaltsG NW erkennbar sein, dass der Senat 47 Das wurde früher auch an den unterschiedlichen Befristungsgrundformen der SR 2y deutlich: vgl. dazu BAG 16.11.2005 – 7 AZR 81/05 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 264 Rn. 33 m.w.N. 48 Dörner NZA 2007, 57, 63; Maschner Anm. in EzTöD 100 § 30 Abs. 1 TVöD-AT Sachgrundbefristung Nr. 3. 49 Darauf weist Laber ArbRB 2007, 77 zu Recht hin.
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mit der Formulierung „Aushilfskräfte“ allein keine hinreichende Zwecksetzung angenommen hat, sondern erst mittels Auslegung der landesrechtlichen Norm zu seinem Ergebnis gekommen ist. Diese Erkenntnis beschreibt zugleich die Grenze der Umsetzung bundesrechtlicher Vorgaben im Haushaltsrecht. Es muss ein Normtext gewählt werden, der wenigstens mittels Auslegung die Verknüpfung der Haushaltsmittel mit einer zeitlich beschränkten Tätigkeit erkennen lässt. Formulierungen ohne diesen Bezug sind befristungsrechtlich ohne rechtliche Wirkung. Konkretere Hinweise verbieten sich an dieser Stelle, weil nicht abzusehen ist, welche Formulierungen die Haushaltsgeber künftig wählen werden. Je näher die Wortwahl an die bekannten Sachverhalte rückt und die zeitliche Beschränkung der mit den frei werdenden Mitteln zu erledigenden Aufgaben deutlich wird, desto sicherer die Rechtfertigung der Befristungsabrede. b) Haushaltsgeber. Zum alten Recht der Befristungskontrolle (§ 620 BGB und § 57b HRG) standen stets Regelungen auf dem Prüfstand, die von einem Landesgesetzgeber erlassen waren. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG kennt den Begriff nicht, sondern verwendet den Begriff der haushaltsrechtlichen Bestimmung. Das wirft die Frage auf, ob sich auf die Vorschrift nicht nur Verwaltungen berufen können, die ein förmliches Haushaltsgesetz als Grundlage für die Befristungsabrede zur Verfügung haben, sondern auch Verwaltungen, die auf andere Weise zustande gekommene Haushaltsvorschriften nutzen wollen. In Betracht kommen alle nach dem öffentlichen Haushaltsrecht aufgestellten Haushaltspläne z.B. der Gebietskörperschaften, der Sozialversicherungsträger oder anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Die Rechtsfrage wird im Schrifttum uneinheitlich beantwortet 50 und ist von den Gerichten bisher mangels entsprechender Vorlage nicht entschieden. Der Wortlaut des Gesetzes ist wohl auslegungsbedürftig, weil er auch insofern „offen“ ist und die Einschränkung auf den Haushaltsgesetzgeber nicht enthält. Da der Gesetzgeber aber an die Rechtssprechung des BAG anknüpft und das Gericht stets nur über Haushalte des Bundes und der Länder entschieden hat, ist denkbar, dass der Gesetzgeber nur die durch die demokratisch legitimierten Parlamente zustande gekommenen Haushalte privilegieren wollte, nicht aber die „Haushalte“ aller Körperschaften des öffentlichen Rechts. Aus dieser Überlegung könnten zum Kreis der Haushaltsgeber Gebietskörperschaften gehören, deren Räte nach dem jeweiligen Kommunalrecht Etats in Form von Satzungen verabschieden, nicht aber Körperschaften, die allein aufgrund Selbstverwaltungsrechts Haushaltsbestimmungen
50 Für einen weiten Anwendungsbereich MünchKommBGB/Hesse 4. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 67; ErfK/Müller-Glöge 8. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 72; aA APS/Backhaus 3. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 103; Dörner Der befristete Arbeitsvertrag, 2004, Rn. 219.
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verabschieden. Mit dieser Abgrenzung ist auch erklärbar, warum nach einhelliger Meinung die Kirchen § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG nicht nutzen können sollen.51
D. Fazit Der Gesetzgeber hat den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes mit § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG ein bisher wohl nicht ausreichend bekanntes Instrument zur Verfügung gestellt, das es den Verwaltungen des Bundes, der Länder und der Gebietskörperschaften erlaubt, auf Personalmehrbedarf bei der Erfüllung ihrer Aufgaben flexibel durch Einstellung von vorübergehend Beschäftigten zu reagieren. Die Flexibilität führt allerdings nicht dazu, dass die nach dieser Vorschrift verabredeten Befristungen in den Arbeitsverträgen keiner oder einer nur auf Formalien beschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Es findet eine befristungsrechtliche Inhaltskontrolle statt, die nicht nur den Haushaltsgeber, sondern auch die ermächtigte Verwaltung zwingt, die Einstellung von befristet Beschäftigten an eine vorübergehende Überlastung in einer Dienstelle oder Behörde nachweislich zu knüpfen.
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Für alle ErfK/Müller-Glöge 8. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 72.
Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers als Grundlage des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes Martin Franzen I. Einleitung Die arbeitsrechtliche und arbeitsrechtspolitische Diskussion der letzten Jahre war beherrscht von Überlegungen zur Reform des Kündigungsschutzes 1. Erstaunlich wenig Beachtung wurde dabei der Frage geschenkt, welchem Zweck der arbeitsvertragliche Kündigungsschutz eigentlich dienen soll 2. Möglicherweise wird dies allgemein nicht mehr hinterfragt, weil man dies als geklärt betrachtet. Es dürfte gefestigter Auffassung entsprechen, daß der arbeitsvertragliche Kündigungsschutz zugunsten des Arbeitnehmers dem Schutz und der Erhaltung seines Arbeitsplatzes dient, weil der Arbeitnehmer zur Bestreitung seines Lebensunterhalts existentiell auf diesen angewiesen ist 3. Eng damit verbunden ist bei fortschreitender Dauer des Arbeitsverhältnisses der Umstand, daß der Arbeitsplatz auf die persönlichen Lebensumstände des Arbeitnehmers ausstrahlt und persönliche Lebensentscheidungen bis hin zur Wahl des Wohnsitzes beeinflußt. Das Bundesverfassungsgericht sieht im Arbeitsplatz die wirtschaftliche Existenzgrundlage für den Arbeitnehmer und seine Familie; mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde das ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht, das sich um den Arbeitsplatz rankt, in Frage gestellt 4. Das BAG spricht von einem auf Dauer angelegten Besitzstand, der dem Arbeitnehmer durch die Kündigung eines unbefristeten Arbeitshältnisses entzogen werde 5. Die ganz herrschende Auf-
1 Aus der nahezu unüberschaubaren Diskussion siehe etwa Bauer NZA 2002, 529 ff.; Buchner NZA 2002, 533 ff.; Dorndorf BB 2000, 1938 ff.; von Hoyningen-Huene FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, 1999, S. 215 ff.; Hromadka ZfA 2002, 383 ff.; Preis RdA 2003, 65 ff.; Rebhahn RdA 2002, 272 ff.; Willemsen NJW 2000, 2779 ff. 2 Siehe aber die ausführliche Untersuchung von Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002. 3 Siehe etwa von Hoyningen-Huene/Linck KSchG, 14. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 4; Rüthers NJW 1998, 1433, 1434. 4 BVerfG vom 27.1.1998 – JZ 1998, 848 mit Anm. Otto. 5 BAG vom 20.2.2002 – SAE 2003, 59, 62 mit Anm. Rebhahn.
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fassung verortet dieses Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers verfassungsrechtlich in Art. 12 GG 6. Der vorliegende Beitrag möchte demgegenüber die These begründen, daß der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers in erster Linie der Sicherung der Freiheit des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis dient 7 und daher eher im Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers und damit verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG verankert ist.
II. Art. 12 GG als verfassungsrechtliche Grundlage des Kündigungsschutzes in der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Auffassung 1. Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht und die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur verorten den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers verfassungsrechtlich in Art. 12 GG. Art. 12 GG schützt die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Daher müsse dies die Freiheit einschließen, den einmal gewählten Arbeitsplatz nicht ohne Grund zu verlieren 8. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen „einfachen Gedanken“ 9 zuerst in der „Warteschleifen-Entscheidung“ 10 zu den Auflösungstatbeständen des Einigungsvertrags entwickelt und dann in den Entscheidungen zur Kleinbetriebsklausel des § 23 KSchG 11 ausgebaut. Das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes ist demnach nach Art. 12 GG verfassungsrechtlich geschützt. Allerdings gewährt Art. 12 GG nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Dogmatik keinen unmittelbaren Schutz des Arbeitnehmers gegen den Verlust seines Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition. Dem Staat obliege
6 Zuletzt BVerfG vom 21.6.2006 – NZA 2006, 913; Gamillscheg Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, S. 58ff.; von Hoyningen-Huene KSchG, 14. Aufl. 2007, § 1 KSchG Rn. 5; Hergenröder ZfA 2002, 355, 359 ff.; Oetker RdA 1997, 9, 14ff.; Wolter NZA 2003, 1068, 1070. 7 In dieser Richtung bereits mit Nuancierungen im einzelnen: Dorndorf ZfA 1989, 345: Schutz der Vertragsdurchsetzung; Herschel BB 1977, 708, 709: Schutz der Betriebszugehörigkeit; Reuter FS Dieterich, 1999, S. 473, 483; ders. FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 405, 424ff.; ihm folgend Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 28f., 263f.: Kündigungsschutz als „Flankenschutz“ für die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Freiheiten der Arbeitnehmer. Näher zu diesen Ansätzen unten IV 1. 8 BVerfG vom 24.4.1991 – AP Nr. 70 zu Art. 12 GG. 9 So Hanau FS Dieterich, 1999, S. 201. 10 BVerfG vom 24.4.1991 – AP Nr. 70 zu Art. 12 GG. 11 BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 = JZ 1998, 848 mit Anm. Otto.
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aber eine aus Art. 12 GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsschutzvorschriften Rechnung trügen 12. Dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes steht nach dieser Sichtweise das ebenfalls durch Art. 12 GG geschützte Interesse des Arbeitgebers gegenüber, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen, und ihre Anzahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken. Die kollidierenden Grundrechtspositionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern müssen danach in ihrer Wechselwirkung erfaßt und begrenzt werden, daß sie möglichst für alle Beteiligten wirksam werden 13. Die herrschende Auffassung, insbesondere im Arbeitsrecht, vollzieht diese Herleitung ohne weitere Problematisierung nach 14. 2. Die unterschiedlichen Anforderungen im bestehenden und (noch) nicht bestehenden Arbeitsverhältnis Diese Herleitung wird allerdings in jüngerer Zeit aus öffentlich-rechtlicher Perspektive als nicht kohärent kritisiert 15: Auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Auffassung gewährt Art. 12 Abs. 1 GG dem Einzelnen keinen Anspruch gegen den Staat auf Einräumung eines Arbeitsplatzes bzw. einen Anspruch gegen einen privaten Arbeitgeber auf Einstellung 16. Dies rührt daher, daß die Schutzpflichtdimension der Grundrechte regelmäßig nicht in Stellung gebracht werden kann, um grundrechtlich geschützte Interessen eines Grundrechtsträgers gegenüber einem anderen Grundrechtsträger zu erleichtern oder zu ermöglichen. Damit kontrastiert die soeben referierte Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Staat für den bestehenden Arbeitvertrag aufgrund einer aus Art. 12 GG fließenden Schutzpflicht verpflichtet sein soll, ein Mindestmaß an Kündigungsschutz bereitzuhalten 17. Wenn das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes aber durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist, fragt sich doch, wieso dieses Interesse erst beim Wegfall des Arbeitsplatzes grundrechtlich relevant sein soll und nicht bereits bei der Schaffung des Arbeitsplatzes. Daher erscheint es durchaus folgerichtig, wenn gefragt wird, ob der in Art. 12 12 Zuletzt BVerfG vom 21.6.2006 – NZA 2006, 913 zur Verfassungsmäßigkeit der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG. 13 Zuletzt BVerfG vom 21.6.2006 – NZA 2006, 913. 14 Vgl. etwa Dieterich in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2007, Art. 12 GG Rn. 34 ff.; Hanau, FS Dieterich, 1999, S. 201 ff.; Hergenröder ZfA 2002, 355 ff.; Oetker, RdA 1997, 9 ff.; Otto FS Wiese, 1998, S. 353, 358 ff.; kritisch aber beispielsweise Mohr ZfA 2006, 547, 564. 15 Siehe Lindner RdA 2005, 166, 167 ff. 16 BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969. 17 Lindner RdA 2005, 166, 167 f.
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GG verankerte Schutz des Arbeitsplatzes nicht auch bereits für die Einstellung eines Arbeitnehmers gilt 18. Es kommt hinzu, daß die Berufsfreiheit des Art. 12 GG auch der Arbeitssuchende in Anspruch nehmen kann 19. Für diesen kann sich ein ausgebauter Bestandsschutz zugunsten der Inhaber von Arbeitsplätzen als Marktzugangshindernis darstellen, weil Regelungen zum arbeitsvertraglichen Bestandsschutz die Anzahl frei verfügbarer Arbeitsplätze limitieren können 20. Die herrschende Auffassung und das Bundesverfassungsgericht billigen aber dem Arbeitssuchenden keinen Anspruch gegen einen Privaten auf Schaffung eines Arbeitsplatzes zur Verwirklichung des grundrechtlich in Art. 12 GG geschützten Interesses zu 21. Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist also das Interesse des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz zu erhalten, stärker geschützt als im (noch) nicht bestehenden, obwohl die verfassungsrechtliche Gewährleistung der freien Wahl des Arbeitsplatzes aus Art. 12 GG grundsätzlich auch dem Arbeitssuchenden offensteht. 3. Der vorgängige Konsens der Arbeitsvertragsparteien über die Einrichtung des Arbeitsplatzes als Voraussetzung des grundrechtlich geschützten Betätigungsbereichs nach Art. 12 GG Die unterschiedliche Behandlung des Arbeitsplatzinhabers und des Arbeitsplatzsuchenden kann man zunächst mit folgender Überlegung zu rechtfertigen suchen: Im bestehenden Arbeitsverhältnis besteht ein Konsens zweier Privater darüber, daß einer der Vertragspartner dem anderen einen Arbeitsplatz und damit die Chance eröffnet, die durch Art. 12 GG geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit überhaupt erst wahrzunehmen. Diese Handlung eines Privaten, die einem anderen Privaten erst dessen grundrechtlich geschützte Betätigung ermöglicht, fehlt in den Konstellationen des Arbeitssuchenden und im Stadium der Einstellung. Rechtfertigt dies eine unterschiedliche Beurteilung der grundrechtlichen Ausgangslage bezüglich Art. 12 GG? Diejenigen Grundrechtsträger, die sich wirtschaftlich auf dem Arbeitsmarkt und nicht auf dem Güter- oder Dienstleistungsmarkt betätigen wollen, benötigen für die Realisierung dieser grundrechtlich geschützten Verhaltensweise stets die Mitwirkung eines Dritten,
18 Vgl. etwa Hanau FS Dieterich, 1999, S. 201, 211 f.; ähnliche Argumentation bei Gamillscheg Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, S. 65 f. 19 Vgl. Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 12 Rn. 92 f. 20 Siehe hierzu BVerfG vom 13.1.1982 – NJW 1982, 1447, 1449; Papier RdA 2000, 1, 4; Reuter FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 405, 410 ff.; Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 435, 471 ff. 21 BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 = JZ 1998, 848; Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 439 ff. m.w.N.
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des Arbeitgebers. Nur der Konsens mit diesem eröffnet den Arbeitsplatz und damit den Zugang zur nach Art. 12 GG geschützten Betätigung. Die Rückgängigmachung des Konsens über die Einräumung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgebers ist ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt: Art. 12 GG schützt auch das Recht, eine wirtschaftliche Betätigung aufzugeben und einzuschränken 22 und damit auch den Rückzug von der Nachfrageseite des Arbeitsmarkts. Der Arbeitnehmer kann den Arbeitsplatz frei wählen nur, wenn ein anderer Privater dies konsentiert und die Leistung des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt nachfragt. Dieser Konsens ist gedanklich der Grundrechtsausübung aus Art. 12 GG auf Seiten des Arbeitnehmers im Verhältnis zum Arbeitgeber vorgelagert. Damit kann aber Art. 12 GG nicht diejenige Person verpflichten, deren stete Mitwirkung erforderlich ist, um überhaupt in den Schutzbereich der grundrechtlichen Betätigungsfreiheit zu gelangen. Der Gedanke, Art. 12 GG schütze die freie Wahl des Arbeitsplatzes, ist zwar richtig; die Folgerung aber, damit müsse auch die Freiheit, den gewählten Arbeitsplatz nicht ohne Grund wieder zu verlieren, geschützt sein, ist nicht einfach 23, sondern zu schlicht: Sie berücksichtigt nicht hinreichend, daß der Arbeitnehmer sein nach Art. 12 GG verbürgtes Interesse am Bestand des Arbeitsplatzes vom Arbeitgeber herleitet und dieser daher nicht Adressat einer aus dieser Vorschrift entspringenden staatlichen Schutzpflicht sein kann 24. Die hier vorgetragene Argumentation beruht auf dem Gedanken, daß der Arbeitsplatz, das Schutzgut von Art. 12 GG, erst durch Konsens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hergestellt wird, und daher der Arbeitgeber unter dem Aspekt von Art. 12 GG nicht verpflichtet sein kann, einen derartigen Arbeitsplatz gegen seinen Willen aufrechtzuerhalten. Gegen diese Betrachtungsweise kann nun eingewandt werden, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei unbefristeten Arbeitsverträgen stets eine grundsätzlich unbeschränkte Dauer des Arbeitsverhältnisses zusagt. Deren Beendigung durch Kündigung kann daher per se begründungsbedürftig und unter grundrechtlichen Aspekten von der Schutzpflichtdimension des Art. 12 GG erfaßt sein. Diese Argumentation gleicht allerdings einem Zirkelschluß, weil sie eine gesetzgeberische Schutzpflicht hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsvertrags voraussetzt, welche aber erst begründet werden müßte 25. Inhaltlich spricht gegen diese Argumentation, daß der Arbeitgeber bei dieser Prämisse mit dem Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrags seine Vertragsfreiheit ganz erheblich eingeschränkt hätte. Es entspricht aber ganz herrschender 22 BVerfG vom 21.10.1981 – BVerfGE 58, 358, 364; Manssen in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum GG, 5. Aufl. 2005, Art. 12 Rn. 55. 23 So aber Hanau FS Dieterich, 1999, S. 201. 24 Ebenso Lindner RdA 2005, 167, 169. 25 Lindner RdA 2005, 166, 169 Fn. 38.
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Dogmatik, daß unbefristete Dauerschuldverhältnisse auch ohne besondere Regelung ordentlich gekündigt werden können müssen, weil anderenfalls die Vertragsparteien unter Umständen bis zu ihrem Ende als natürliche oder juristische Person an den Vertrag gebunden wären. Eine solche „Ewigkeitsbindung“ würde die Vertragsfreiheit ganz erheblich beschränken. Diese Überlegung kommt beispielsweise in § 624 BGB zum Ausdruck 26. Daraus ergibt sich die Wertung, daß eine lebenslange Bindung der Vertragsparteien deren Vertragsfreiheit unzumutbar einschränken würde. Die grundsätzliche Kündigungsfreiheit von auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Dauerschuldverhältnissen ist somit gerade Ausfluß der Vertragsfreiheit 27. Unter dem Aspekt der Schutzpflichtdimension von Art. 12 GG ist begründungsbedürftig nicht die Freiheit zur ordentlichen Kündigung eines auf unbestimmte Zeit eingegangenen Dauerschuldverhältnisses, sondern die Einschränkung der Kündigungsfreiheit. 4. Der Unterschied von Arbeitnehmern und Selbständigen unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Schutzes der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit Man kann sich der Problematik auch dadurch nähern, daß man den Unterschied von Arbeitnehmern und Selbständigen in den Blick nimmt. Der Selbständige verwirklicht seine grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, indem er sich mit seinem Angebot auf den Güter- oder Dienstleistungsmarkt begibt. Damit hat der Selbständige seine Berufswahlbzw. ausbildungsentscheidung getroffen. Den entsprechenden Marktzugang darf der Staat wegen Art. 12 GG nicht unverhältnismäßig einschränken und muß dies auch in Regelungen zur Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen gleichgeordneter Grundrechtsträger beachten. Für die Ausübung dieses Freiheitsrechts der wirtschaftlichen Betätigung ist der Selbständige anders als der Arbeitnehmer aber nicht auf vorgängigen Konsens mit einem anderen Privaten angewiesen. Erst für den Erfolg am Markt benötigt der Selbständige den Leistungsaustausch und damit vertraglichen Konsens mit anderen Marktteilnehmern. Erfolg im Wettbewerb gehört aber nicht zur Grundrechtsgewährleistung aus Art. 12 GG 28. Demgegenüber trägt das Risiko des Markterfolgs – das Risiko der wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Arbeitskraft des Arbeitnehmers – im Arbeitsvertrag für dessen Dauer der Arbeitgeber.
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Siehe zu den Wertungsgrundlagen der Vorschrift RGZ 80, 277, 279; BGHZ 83, 313,
318. 27 Vgl. dazu ausführlich Oetker Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 248 ff.; dens. RdA 1997, 9, 11. 28 BVerfG vom 13.6.2006 – NJW 2006, 3701, 3702.
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5. Fazit Als vorläufiges Fazit kann man festhalten: Art. 12 GG schützt das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes gegenüber dem Staat. Die Existenz eines Arbeitsplatzes setzt aber Konsens zwischen dem Arbeitnehmer und einem anderen Privaten, dem Arbeitgeber, voraus. Ohne diesen fortbestehenden Konsens gibt es keinen Arbeitsplatz und kein Substrat einer wirtschaftlichen nach Art. 12 GG geschützten Betätigung für den Arbeitnehmer. Eine staatliche Schutzpflicht zum Erhalt des Arbeitsplatzes gegenüber dem Privaten, der dem Arbeitnehmer die wirtschaftliche Betätigung erst ermöglicht, scheidet daher aus. Damit ist nicht gesagt, daß ein arbeitsvertraglicher Kündigungsschutz nicht aus anderen Gründen grundrechtlich geboten erscheint 29.
III. Die Sicherung der Existenzgrundlage des Arbeitnehmers als Zweck des arbeitsvertraglichen Kündigungsschutzes nach der Konzeption der herrschenden Auffassung Vielfach wird als Grund für den Kündigungsschutz die Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Arbeitnehmers genannt 30. Der Arbeitnehmer sei in den meisten Fällen typischerweise auf den Arbeitsverdienst als alleinige oder doch wesentliche Lebensgrundlage angewiesen 31. 1. Kein Bezug zum persönlichen Anwendungsbereich des KSchG Diese These, wonach der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers der Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz diene, ist allerdings zahlreichen Einwänden ausgesetzt. Zunächst stellt diese These keinen Bezug her zu den Merkmalen der Personengruppe, die überhaupt Kündigungsschutz genießt, zum Arbeitnehmerbegriff. Der Arbeitnehmer zeichnet sich nach der Rechtsprechung und herrschender Meinung durch persönliche Abhängigkeit von seinem Auftraggeber und Weisungsunterworfenheit aus 32. Diese Merkmale dienen übrigens auch in den anderen Mitgliedstaaten der EU bei allen Unterschieden in Details als wesentliche Abgrenzungskriterien und als An-
29
Siehe dazu unten IV 3. Siehe oben I. 31 Siehe etwa von Hoyningen-Huene/Linck KSchG, 14. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 4. 32 Siehe nur Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2007, § 611 BGB Rn. 60 ff. m.w.N. 30
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knüpfungspunkt für das Eingreifen des Kündigungsschutzes 33. Die Rechtsvergleichung zeigt also, daß diesen Kriterien durchaus Plausibilität zukommt34. Demgegenüber wird die wirtschaftliche Abhängigkeit einer Person von einer anderen mit Recht nicht als Charakteristikum des Arbeitnehmerbegriffs angesehen 35. Erklärt man den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers primär mit dem Erfordernis der Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz, müßte man auch andere Personengruppen – etwa arbeitnehmerähnliche Personen – in den Kündigungsschutz einbeziehen, weil diese Personen wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig sind und daher auch bei ihnen ein Bedürfnis nach wirtschaftlicher Existenzsicherung besteht.36 Dies aber lehnt die herrschende Auffassung – im Ergebnis zu Recht – ab. Zwecksetzung des KSchG – Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der geschützten Personengruppe – und die Rechtsfolgenanordnungen – Kündigungsschutz nur für Arbeitnehmer – entsprechen sich dann aber offenkundig nicht. Dieser Befund wird teilweise argumentativ dafür genutzt, für den Begriff des Arbeitnehmers nicht an die persönliche Abhängigkeit anzuknüpfen, sondern wirtschaftliche Kriterien wie die „freiwillige Übernahme des Unternehmerrisikos“ zu verwenden 37. Dies würde die Personengruppe der „Arbeitnehmerähnlichen“ stärker in den Arbeitnehmerbegriff und damit in den Kündigungsschutz einbeziehen, weil auch bei dieser Personengruppe das Bedürfnis der wirtschaftlichen Existenzsicherung bestehen würde. Diese Argumentation ist in sich schlüssig, geht allerdings m.E. von der unzutreffenden Prämisse aus: Weil der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer gerade nicht ihrer wirtschaftlichen Existenzsicherung dient, ist es folgerichtig, wenn sich der Gesetzgeber des KSchG auf den Schutz der Arbeitnehmer beschränkt und nicht weitere Personengruppen einbezieht 38. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Arbeitsverhältnisse, die unstreitig als Arbeitsverträge unter das KSchG fallen, und in deren Rahmen die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der betreffenden Arbeitnehmer überhaupt nicht geleistet werden kann. Es sind dies insbesondere Teilzeitarbeitsverhältnisse von geringem Umfang, die teilweise als Nebentätigkeiten zu
33
Vgl. Rebhahn ZfA 2002, 163, 190 m.w.N. Zur Bedeutung rechtsvergleichend gewonnener Auslegungsargumente Rebhahn ZEuP 2002, 436, 456 f.; Schlachter RdA 1999, 118, 120. 35 Siehe nur Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2007, § 611 BGB Rn. 72. 36 Argument von Reuter FS Dieterich, 1999, S. 473, 483; ebenso Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 143 f. 37 So insbesondere Wank Arbeitnehmer und Selbständige, 1988, S. 50 ff., S. 122 ff. 38 Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 173, 179 f. 34
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einem Hauptberuf hinzutreten 39, oder Tätigkeiten, bei denen die betroffenen Personen nur einen sehr geringen markträumenden Preis erzielen können, der für die wirtschaftliche Existenzsicherung nicht ausreicht. Solche Arbeitsverhältnisse werden vielfach mit dem schillernden Begriff der „prekären Arbeitsverhältnisse“ belegt. Die EU-Kommission hat in ihrem Grünbuch Arbeitsrecht darauf hingewiesen, daß die Anzahl solcher Arbeitsverhältnisse im Bereich der EU zunimmt; so habe die Teilzeitbeschäftigung seit 2000 mehr zur Arbeitsplatzbeschaffung beigetragen als die Standard-Vollzeitbeschäftigung 40. Die Standard-Vollzeitbeschäftigung befindet sich als Paradigma des Arbeitsvertrags auf dem Rückzug; daher kann diese auch nicht mehr Maß geben für Erklärungsmodelle gesetzlicher Zwecksetzungen. 2. Die historische Entwicklung des Kündigungsschutzes Die These vom Zweck des Kündigungsschutzes als Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers widerspricht überdies der historischen Entwicklung des Kündigungsschutzes in Deutschland. Die Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts herrschende weitgehende Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers wurde vor allem unter dem Aspekt kritisiert, daß die Furcht vor jederzeitiger Entlassung den Arbeitnehmer an der Ausübung seiner Rechte hinderte 41. Erste Ansätze eines Kündigungsschutzes in Deutschland zielten gerade auf eine dementsprechende Abhilfe. So wurde in den Jahren 1909 und 1910 in Preußen und Sachsen ein Kündigungsschutz zugunsten der Sicherheitsmänner im Bergbau eingeführt. Diese waren gewählte und vom Unternehmen bezahlte Arbeitnehmer, die im Interesse von Arbeitnehmern und Unternehmen darauf achten sollten, daß die Arbeit im Bergbau Leben und Gesundheit der dort Tätigen nicht gefährdete. Diese Sicherheitsbeauftragten sollten ihrer Aufgabe ohne Furcht vor Entlassung nachgehen können und waren daher vor willkürlichen Kündigungen während ihrer Amtszeit geschützt 42. Ein weiteres Beispiel für diese Tendenz stellte etwa die
39 Zur Anwendung des KSchG auf solche Nebentätigkeiten siehe BAG vom 13.3.1987 – AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 40 Siehe EU-Kommission, Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ KOM (2006) 708 endgültig vom 22.11.2006, S. 8. 41 Siehe Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis in Deutschland: vom Beginn der Industrialisierung bis zum Ende des Kaiserreichs, 1995, S. 246 ff.; Göller Die Entwicklung des Kündigungsschutzrechts in Deutschland, 1974, S. 50; Repgen Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2001, S. 215; Wüllenweber Die Entwicklung des Kündigungsschutzrechts seit dem ersten Weltkrieg, 1965, S. 37 ff. 42 Vgl. Göller Die Entwicklung des Kündigungsschutzrechts in Deutschland, 1974, S. 32; Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 13f.; Wüllenweber Die Entwicklung des Kündigungsschutzrechts seit dem ersten Weltkrieg, 1965, S. 36.
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Kündigungsbeschränkung der Preußischen Eisenbahnverwaltung für bestimmte langjährig beschäftigte Arbeitnehmer aus dem Jahr 1911 dar; diese konnten nicht mehr von ihren unmittelbaren Vorgesetzten, sondern nur noch von der Eisenbahndirektion gekündigt werden 43. Hierdurch wurde verhindert, daß langjährig Beschäftigte ihren Arbeitsplatz nur wegen Auseinandersetzungen mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten verloren. Diese Tendenzen setzten sich 1920 mit dem Betriebsrätegesetz fort. Der Arbeitnehmer konnte nach § 84 Abs. 1 BRG 1920 gegen eine Kündigung durch Anrufung des Arbeiter- oder Angestelltenrats Einspruch einlegen. Solche Einspruchsgründe waren der begründete Verdacht, daß die Kündigung wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht, wegen politischer, militärischer, konfessioneller oder gewerkschaftlicher Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem politischen Verband oder einem militärischen Verband ausgesprochen wurde. Weitere Einspruchsgründe waren der Ausspruch einer Kündigung ohne Angabe von Gründen oder wegen der Weigerung, dauerhaft andere Arbeiten zu verrichten, als bei der Einstellung vereinbart. Schließlich war ein Einspruch zulässig, wenn sich die Kündigung als unbillige, nicht durch das Verhalten des Arbeitnehmers oder durch die Verhältnisse des Betriebs bedingte Härte darstellte. Hielt der Arbeiter- oder Angestelltenrat die Anrufung für begründet, mußte er versuchen, durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber binnen einer Woche eine Einigung herbeizuführen. Scheiterte dies, konnte der Arbeiter- bzw. Angestelltenrat oder der betroffene Arbeitnehmer das Arbeitsgericht anrufen (§ 86 BRG 1920). Hielt das Arbeitsgericht den Einspruch für gerechtfertigt, konnte es die Weiterbeschäftigung anordnen oder für den Fall, daß der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung ablehnt, eine Entschädigung festsetzen; hierbei war auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen (§ 87 BRG 1920) 44. Diese historische Entwicklung zeigt folgendes: Der Kündigungsschutz war mit der Betriebsverfassung und der Einräumung betrieblicher, gewerkschaftlicher und staatsbürgerlicher Rechte verzahnt. Dieses Regelungsgeflecht war nicht geeignet, die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Arbeitnehmer zu sichern. Es ging in erster Linie darum zu verhindern, daß Arbeitnehmer aus willkürlichen Gründen entlassen wurden. Die Betroffenen sollten nicht fürchten müssen, wegen der Geltendmachung von Rechten und der Einforderung respektvoller Behandlung ihrer Person den Arbeitsplatz verlieren zu müssen. Diese Gefahr war in der autoritär und hierarchisch strukturierten Fabrik Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhundert durchaus an der Tagesord-
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Vgl. Göller Die Entwicklung des Kündigungsschutzrechts in Deutschland, 1974, S. 49. Siehe zum Kündigungsschutz nach dem BRG 1920 näher Wüllenweber Die Entwicklung des Kündigungsschutzrechts seit dem ersten Weltkrieg, 1965, S. 56 ff. 44
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nung. Im historischen Ausgangspunkt diente der Kündigungsschutz demnach primär der individuellen Freiheit und Würde im Betrieb 45. Das KSchG aus dem Jahr 1951 hat zwar den kollektiv-rechtlichen Ausgangspunkt des BRG 1920 abgelöst und Kündigungsschutz allen Arbeitnehmern in Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern zukommen lassen, unabhängig davon, ob in diesen Betrieben ein Betriebsrat besteht und dieser den Einspruch des Arbeitnehmers gegen die Kündigung befürwortet. Geblieben ist bis heute der Anknüpfungspunkt an das betriebliche Arbeitsverhältnis (§ 23 Abs. 1 S. 1 KSchG). Trotz diesem individualrechtlichen Ausgangspunkt bezweckte der Kündigungsschutz nach wie vor, Kündigungen durch den Arbeitgeber zu verhindern, um die betrieblichen Rechte der Arbeitnehmer zu sichern – oder in den Worten von Herschel, einem der „Väter“ des KSchG 1951: „im Betrieb sind die besten Rechtspositionen prekär, wenn sie jederzeit ohne weiteres entzogen werden können. Dies führt geradlinig zum Verlangen einer Sicherung des Bestands der Betriebszugehörigkeit“ 46. 3. Mangelnde Eignung des Kündigungsschutzes zur Sicherung der Existenzgrundlage der Arbeitnehmer Ein weiteres kommt hinzu: Das KSchG hat noch keinen Arbeitsplatz gerettet, den der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen entfallen lassen wollte. Selbst ein relativ ausgebauter Kündigungsschutz wie der in Deutschland bestehende 47 ist nicht in der Lage, Arbeitsplätze zu erhalten, die der Nachfrager der Arbeitsleistung nicht mehr benötigt 48. Daher wurde teilweise das Wort vom KSchG als „Schön-Wetter-Gesetz“ 49 geprägt, das nur in wirtschaftlich günstigen Zeiten segensreiche Wirkungen verbreite. Wenn dahinter die Vorstellung stehen sollte, daß ein ausgebauter Kündigungsschutz Arbeitsplätze und damit die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Arbeitnehmer sichern könnte, beruht dies ohnehin auf einer Fehlvorstellung. Der Kündigungsschutz kann dies gar nicht leisten und wäre damit überfordert. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz Privater in einer freiheitlichen Ordnung nicht die Aufgabe anderer
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Vgl. Reuter FS Dieterich, 1999, S. 473, 489. Herschel BB 1977, 708, 709; s.a. ders. RdA 1975, 28, 31; ebenso die Begründung des Regierungsentwurfs eines Kündigungsschutzgesetzes, abgedruckt in: RdA 1951, 58, 63: „Der Entwurf sieht als dieses Rechtsgut den Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an“. 47 Siehe als Ergebnis dieser Einschätzung die rechtsvergleichende Umschau von Rebhahn ZfA 2002, 164, 180 f. 48 Vgl. Preis, NZA 1995, 241 m.w.N. 49 Bezeichnung von Hillebrecht nach Angaben von Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 24; dems. NZA 1995, 241; kritisch Bitter DB 1999, 1214, 1217. 46
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Privater sein kann, soweit zwischen diesen nicht ein besonderes persönliches Näheverhältnis besteht, welches weitergehende Pflichten begründen kann. Zunächst ist die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz grundsätzlich die Angelegenheit jedes Einzelnen selbst. In Fällen, in denen dies nicht gelingt, muß für die entsprechende Existenzsicherung die staatliche Gemeinschaft sorgen, die dem auch durch die umfangreichen sozialen Sicherungssysteme nachzukommen versucht. 4. Zwischenergebnis Der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers dient nicht der Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Begünstigten. Die These, wonach die Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers dem Schutz des Arbeitsplatzes als wirtschaftliche Existenzgrundlage des Arbeitnehmers dient, kann die einschränkenden Anwendungsvoraussetzungen des KSchG (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG) nicht hinreichend erklären. Außerdem kann der Kündigungsschutz das Ziel, Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers, nicht erreichen. Vielmehr zeigt insbesondere die historische Entwicklung des Kündigungsschutzes, daß die Begrenzung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers dazu dient, den begünstigten Arbeitnehmer die Wahrnehmung der ihnen eingeräumten Rechte zu ermöglichen. Der Kündigungsschutz hat also primär freiheits- und nicht existenzsichernde Funktion.
IV. Freiheitssicherung im bestehenden Arbeitsverhältnis als Zweck des Kündigungsschutzes 1. Bisherige Ansätze in der Literatur Der Gedanke, daß die Freiheitssicherung im bestehenden Arbeitsverhältnisses Grund des Kündigungsschutzes sei, ist nicht neu. Mit Nuancierungen im einzelnen wurde dieses Konzept bereits von einigen Autoren vertreten 50. Hierher kann man bereits Herschels Verständnis vom Arbeitnehmer als „Betriebsbürger“ 51 rechnen. Herschel vergleicht die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb mit derjenigen des Staatsbürgers: „Dem Arbeitnehmer ist mit einem noch so sozial ausgestatteten Betrieb nicht vollkommen gedient, wenn er nicht jederzeit aus unzulänglichen, ja willkürlichen Gründen gegen seinen Willen entfernt werden kann – genau wie alle Segnungen eines Staates für die Bürger zweifelhaft würden, wenn sie von heute auf morgen 50 Siehe die Darstellung bei Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 26 ff., der die Unterschiede der hier zusammengefaßten Ansätze aber m.E. zu stark betont. 51 Herschel BB 1977, 708, 709.
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ausgewiesen werden könnten“ 52. Der Schutz der Betriebszugehörigkeit wird bei diesem Verständnis zum entscheidenden Anliegen des Kündigungsschutzes 53. Der Vergleich von „Arbeitnehmer“ und „Staatsbürger“ dürfte heute mit einer privatautonomen und privatrechtlichen Sicht der Arbeitsverhältnisse im Betrieb zwar überholt sein. Hinter diesen Äußerungen steht aber der richtige Kerngedanke, daß die Erhaltung betrieblicher den Arbeitnehmern eingeräumten Rechte der Absicherung durch einen wie auch immer gearteten Kündigungsschutz bedarf. Diesen Gedanken hat Reuter in zahlreichen Arbeiten ausgebaut und die These aufgestellt, daß der Kündigungsschutz „Flankenschutz“ der betrieblichen und betriebverfassungsrechtlichen Rechte der Arbeitnehmer sei 54: Der Arbeitnehmer werde vor willkürlichen Kündigungen durch den Arbeitgeber geschützt, weil der Arbeitnehmer anderenfalls Gefahr laufe, wegen der Geltendmachung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Rechte seinen Arbeitsplatz zu verlieren 55. Hieraus leitet Reuter Grenzen des Kündigungsschutzes ab: Kündigungsschutzregeln, die über ein derartiges „Willkürverbot“ hinausreichten, seien nicht mehr gerechtfertigt und verschlechterten die Chancen Arbeitssuchender, Zugang zu einem Arbeitsplatz zu finden 56. So zutreffend der Ausgangspunkt der These Reuters erscheint, der Kündigungsschutz fungiere als „Flankenschutz“ der betrieblichen Rechte der Arbeitnehmer, so zweifelhaft bleiben seine Folgerungen im Hinblick auf die Intensität des Kündigungsschutzes und dessen Wirkung zu Lasten der Arbeitssuchenden 57. So erscheint die unterschiedliche Behandlung von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitssuchenden ungereimt 58: Während Reuter das wirtschaftliche Interesse der Arbeitsplatzinhaber am Erhalt des Arbeitsplätze als für den Bestandsschutz irrelevant wertet 59, gewichtet er die wirtschaftlichen Interessen der Arbeitssuchenden wesentlich stärker, weil dieses Interesse grundrechtliche Rechtspositionen der Arbeitssuchenden aus Art. 12 GG 52
Herschel RdA 1975, 28, 31. Herschel BB 1977, 708, 709; Benda Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, 1966, S. 531 f.; ebenso bereits Herschel RdA 1960, 121 ff.; sowie die Begründung des Regierungsentwurfs eines Kündigungsschutzgesetzes, abgedruckt in: RdA 1951, 58, 63: Schutz vor „willkürlicher Durchschneidung des Bandes der Betriebszugehörigkeit“. 54 Siehe etwa Reuter FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 405 ff.; ders. FS Dieterich, 1999, S. 473, 483. 55 Reuter FS Dieterich, 1999, S. 473, 483. 56 Vgl. Reuter RdA 1973, 345, 353; ders. RdA 1978, 344, 349; ausführlich Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 55 ff. 57 Ausführliche Auseinandersetzung bei Zöllner Gutachten zum 52. Deutschen Juristentag, 1978, D 115ff.; Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 119 f. 58 Kritisch insoweit mit Recht Preis Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 125 f. und Fn. 62. 59 Vgl. Reuter Ordo 1982, 165, 180 ff. 53
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begründen soll. Für den vorliegenden Kontext spielen diese Gesichtspunkte keine Rolle, weshalb ihnen nicht weiter nachgegangen werden soll 60. Dorndorf sieht die Grundlage des Kündigungsschutzes in der Durchsetzung des Arbeitsvertrags, also aller Rechte und Pflichten, die das Arbeitsrecht den Arbeitsvertragsparteien auferlegt 61. Ohne Kündigungsschutz würde der Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz behalten wolle, genötigt, den Interessen des Arbeitgebers weiter und gewissermaßen „vorauseilend“ entgegenzukommen, als er nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet sei. Zwingende arbeitsrechtliche Schutznormen, die dem entgegenwirkten, könnten ihren Zweck nur erreichen, wenn der Arbeitgeber die Geltendmachung von arbeitsrechtlichen Rechten nicht als Anknüpfungspunkt für die Beendigung des Arbeitsvertrags benutzen könne. Das KSchG schützt somit vom Ende her 62 die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Gesetze, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses im Interesse des Arbeitnehmerschutzes zwingend regeln 63. Die skizzierten Ansätze haben folgendes gemeinsam: Sie begreifen das im Arbeitsverhältnis zugunsten des Arbeitgebers bestehende Disziplinierungspotential und die den Arbeitnehmern deshalb eingeräumten Rechte als den eigentlichen Grund des Kündigungsschutzes. Die Sicherung der Freiheit der Rechtsausübung zugunsten der Arbeitnehmer ist somit der Zweck und Grund für die Begrenzung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers. Ohne Kündigungsschutz wären die gesamten Rechte, die das Arbeitsrecht den Arbeitnehmern gewährt, wertlos. Arbeitnehmer, die befürchten müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, werden kaum die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Schutzregeln einfordern 64. 2. Vorteile dieses Erklärungsansatzes: Der Bezug zu den Anwendungsvoraussetzungen des KSchG Das hier zugrundegelegte Erklärungsmodell des Kündigungsschutzes ist leistungsfähiger, weil es einen Bezug zu den Anwendungsvoraussetzungen des KSchG herstellt. Es kann daher besser erklären, wieso gerade unter den Anwendungsvoraussetzungen des KSchG ein recht ausgebauter Kündigungsschutz Platz greifen soll. 60 Zur Problematik aus verfassungsrechtlicher Sicht instruktiv Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 471 ff. 61 Dorndorf ZfA 1989, 345, 350. 62 So plastisch Hromadka ZfA 2002, 383, 393. 63 Dorndorf ZfA 1989, 345, 360. 64 Ebenso im Ergebnis Gamillscheg RdA 2005, 79, 82 f.; Ehmann FS Wiese, 1998, 99, 119; Hromadka ZfA 2002, 383, 393; Rebhahn ZfA 2002, 163, 186 f.; ders. SAE 2003, 62, 64; ähnlich Rieble Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 1996, Rn. 960: „gewisser Schutz vor der Machtwillkür des Arbeitgebers“; Wank NZA 2003, Sonderbeilage zu Heft 21, S. 3, 4 bezogen auf die betriebsbedingte Kündigung.
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a) Betrieb (§ 23 Abs. 1 S. 1 KSchG) Dies zeigt zunächst die Beschränkung des KSchG auf betriebliche Arbeitsverhältnisse. Die Freiheit der Arbeitnehmer ist dort am stärksten gefährdet, wo sich Arbeitnehmer in einen fremden Organisationsbereich eingliedern müssen. In dieser von einem anderen beherrschten Organisation müssen sich die Arbeitnehmer nicht nur mit ihrem Vertragspartner, sondern auch mit anderen Arbeitnehmern auseinandersetzen und arrangieren. Gefährdungen der Freiheitssphäre des einzelnen rühren dabei nicht nur vom eigenen Vertragspartner, dem Arbeitgeber, sondern auch den „Mitarbeitern“. Diese fremde Organisationssphäre ist der Betrieb. Es ist daher gesetzgeberisch folgerichtig, daß das KSchG nach § 23 Abs. 1 S. 1 KSchG nur betriebliche Arbeitsverhältnisse erfaßt. b) Arbeitnehmer (§ 1 Abs. 1 KSchG) Die hier vertretene Konzeption des Kündigungsschutzes als Freiheitssicherung im bestehenden Arbeitsverhältnis kann die Beschränkung des Anwendungsbereichs des KSchG auf Arbeitnehmer erklären. Nur Arbeitnehmer unterliegen per definitionem einem umfassenden Weisungsrecht, welches geeignet ist, Gefährdungen für die Persönlichkeit des einzelnen Betroffenen hervor zu rufen. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, etwa Heimarbeitnehmern nach § 29 HAG keinen inhaltlichen Kündigungsschutz, wohl aber Kündigungsfristenschutz einzuräumen 65. Die verfassungsrechtliche Verortung des Kündigungsschutzes des Arbeitnehmers in Art. 12 Abs. 1 GG kann nicht hinreichend erklären 66, wieso wirtschaftlich abhängigen Selbständigen wie Heimarbeitern oder anderen arbeitnehmerähnlichen Personen ein solcher inhaltlicher Kündigungsschutz nicht gewährt wird 67. Deren Berufsausübungsfreiheit ist ebenfalls betroffen, wenn der einzige Auftraggeber den Auftrag beendet. Auch für solche arbeitnehmerähnlichen Personen kann die These gelten, Art. 12 GG schütze die freie Wahl des Berufs und damit auch das Interesse des wirtschaftlich abhängigen Selbständigen, nicht ohne rechtfertigenden Grund den Auftrag und damit die Grundlage der Berufsausübung wieder zu verlieren 68. Vor diesem Hintergrund ist es durch65 A.A. trotz ähnlichem Ausgangspunkt wie hier Reuter FS Dieterich, 1999, S. 473, 493 wegen der von ihm betonten Parallele zur Betriebsverfassung. 66 Ebenso Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 146 ff. 67 Nach BAG vom 24.6.1986 – NZA 1987, 275; BAG vom 24.3.1998 – AP Nr. 178 zu § 613a BGB mit zust. Anm. Hromadka verstößt die unterschiedliche Behandlung von Heimarbeitern und Arbeitnehmern beim Kündigungsschutz nicht gegen den Gleichheitssatz. 68 Vgl. BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 = JZ 1998, 848 mit Anm. Otto.
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aus folgerichtig, wenn Überlegungen angestellt werden, den Bestandsschutz unter dem Aspekt verfassungsrechtlicher, aus Art. 12 GG fließender Schutzpflichten auch auf arbeitnehmerähnliche Personen auszudehnen 69. Nach der hier vertretenen Konzeption kann der Arbeitnehmer seine Berufsausübungsfreiheit ohne Mitwirkung des Arbeitgebers überhaupt nicht realisieren. Erst die Einräumung des Arbeitsplatzes und Konsens mit diesem eröffnet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich als Arbeitnehmer wirtschaftlich zu betätigen und somit sein Grundrecht aus Art. 12 GG zu gebrauchen 70. Demgegenüber begibt sich der Selbständige – auch der „wirtschaftlich abhängige“ Selbständige – mit seinem Leistungsangebot auf den Güter- und Dienstleistungsmarkt und ist damit für die Grundrechtsausübung als solche nicht auf vorgängigen Konsens mit seinem Vertragspartner angewiesen – für seinen Markterfolg schon; dieser ist freilich nicht Bestandteil der Grundrechtsverwirklichung 71. Nach der hier vertretenen Konzeption ist es daher vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes folgerichtig, Arbeitnehmern einen inhaltlichen gesetzlichen Bestandsschutz ihres Arbeitsverhältnisses zu gewähren, wirtschaftlich abhängigen Selbständigen dagegen nicht. c) Betrieb mit einer bestimmten Arbeitnehmerzahl (§ 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG) Zugunsten des Aufgreifkriteriums „Betrieb mit einer bestimmten Arbeitnehmerzahl“ nach § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG kann man nach der hier vertretenen Konzeption des Kündigungsschutzes folgendes vorbringen: In sehr kleinen Betrieben ist die betriebliche Organisation nicht sehr ausgeprägt. Die Hierarchien sind flacher; die Zusammenarbeit mit anderen Arbeitnehmern spielt eine womöglich geringere, die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber eine umso größere Rolle. In kleinen arbeitsorganisatorischen Einheiten überwiegt der individuelle Charakter des Arbeitsverhältnisses, ist die Selbstorganisations- und regulationsfähigkeit der Akteure stärker ausgeprägt 72. Daher mögen auch die Gefährdungen für die Freiheitsrechte des einzelnen Arbeitnehmers in einem Kleinbetrieb insoweit geringer sein. Dies kann insbesondere dort gelten, wo der Arbeitgeber persönlich mitarbeitet. Dieser mag sich einem kleinen Kreis von Arbeitnehmern eher persönlich verbunden fühlen, was ihn vom Ausspruch willkürlicher oder sachwidriger Kündigungen ab-
69 Tendenzen in dieser Richtung bei Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz, 1999, S. 311, 325 ff.; ihm folgend Schubert Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, 2004, S. 464 ff. 70 Siehe oben II 3. 71 BVerfG vom 13.6.2006 – NJW 2006, 3701, 3702. 72 So dezidiert Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 238 ff.
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halten kann 73. Dieser Aspekt spricht allerdings dafür, der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu folgen, und das Tatbestandsmerkmal „Betrieb“ im Zusammenhang mit dem Schwellenwerten des § 23 Abs. 1 S. 2–4 KSchG im Sinne von „Unternehmen“ zu verstehen 74. Die enge persönliche Beziehung des Arbeitgebers zu seinen wenigen Arbeitnehmern würde bei dieser Betrachtung den institutionalisierten Schutz vor Freiheitsgefährdungen der Arbeitnehmer mittels Kündigungsschutzes ersetzen. Dies kann aber nur für Kleinunternehmen gelten und nicht für Kleinbetriebe größerer Unternehmen. Indes ist dies alles nicht gesichert. Man könnte im Gegenteil ebenso annehmen, daß die Arbeitnehmer in sehr kleinen organisatorischen Einheiten stärker von der Person eines unter Umständen sogar mitarbeitenden Arbeitgebers abhängig sind, was ihre Bereitschaft verringern mag, ihnen zustehende Rechte auch einzufordern. Beide Hypothesen entbehren nicht von vornherein einer gewissen Plausibilität. Die hier vertretene These, der Kündigungsschutz beruhe auf dem Gedanken der Freiheitssicherung zugunsten der Arbeitnehmer, vermag daher die Unanwendbarkeit des KSchG in Kleinbetrieben allein nicht ausreichend zu begründen 75. Man wird dies daher zusätzlich auf das Interesse des Arbeitgebers stützen müssen: die Unanwendbarkeit von §§ 1ff. KSchG in Kleinbetrieben garantiert das Kündigungsrecht des Arbeitgebers, das in Kleinbetrieben in hohem Maße schutzwürdig ist 76. Das Bundesverfassungsgericht hat hierbei zu Recht auf die hohe finanzielle Belastung von Kleinunternehmen durch Kündigungsschutz und auf die besondere Bedeutung von engen persönlichen Beziehungen in Kleinbetrieben abgestellt 77. d) Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) Die sechsmonatige Wartezeit für das Eingreifen des KSchG kann unproblematisch mit dem Gedanken der Sicherung der Ausübung von Rechten der Arbeitnehmer erklärt werden: Zahlreiche dem Arbeitnehmer eingeräumte 73 Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 240. 74 BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 = JZ 1998, 848, 851 mit Anm. Otto; ebenso Hergenröder in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. 2005, § 23 KSchG Rn. 7; Weigand in: Gemeinschaftskommentar zum KSchG und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 8. Aufl. 2007, § 23 Rn. 46, jeweils m.w.N.; a.A. von Hoyningen-Huene/Linck KSchG, 14. Aufl. 2007, § 23 Rn. 36; Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 237 f. 75 A.A. Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 251 ff. auf der Basis der von ihm sogenannten „Flankenschutztheorie“. 76 Ebenso BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 = JZ 1998, 848, 851 mit Anm. Otto. 77 Vgl. BVerfG vom 27.1.1998 – AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969.
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Rechte entstehen erst nach Ablauf einer gewissen Zeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses (etwa § 4 BUrlG, § 8 Abs. 1 TzBfG). Im übrigen hat der Arbeitgeber zu Beginn der Beschäftigung ein in hohem Maße schutzwürdiges Interesse daran festzustellen, ob der Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entspricht und für die Tätigkeit befähigt ist 78. Dies steht im Einklang mit dem Erwartungshorizont neu eingestellter Arbeitnehmer. 3. Die verfassungsrechtliche Einordnung des arbeitnehmerseitigen Kündigungsschutzes in Art. 2 Abs. 1 GG Nach der hier vertretenen Konzeption kann Art. 12 GG nicht die Grundlage für einen verfassungsrechtlichen Kündigungsschutz bilden, weil der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers als bei Art. 12 GG maßgeblicher Gesichtspunkt erst nachkonsensual eingerichtet wird und vom andauernden Konsens der Arbeitsvertragsparteien abhängig bleibt 79. Stellt man auf den Gedanken der Freiheitssicherung zugunsten des Arbeitnehmers als Grund des Kündigungsschutzes ab, liegt es nahe, den Kündigungsschutz im Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu verorten und damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG als das insoweit einschlägige Grundrecht zu betrachten. Nun hat allerdings auch Art. 12 GG eine eindeutig persönlichkeitsrechtliche Dimension. Das Bundesverfassungsgericht hat für den Beruf allgemein und auch für die Arbeit den Bezug zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen betont 80. Die Berufsfreiheit ist wirtschaftliche und soziale Funktionsgewährleistung, soweit dem Einzelnen durch das Recht der freien Berufswahl und -ausübung die Grundlagen der eigenen und autonomen Existenzsicherung, der selbstverantwortlichen wirtschaftlichen Entfaltung sowie die Basis des eigenen wirtschaftlichen Status garantiert wird 81. Damit korrespondiert, daß Art. 12 GG im Verhältnis zum Hauptfreiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG als das Spezialgrundrecht angesehen wird 82. Daher könnte man annehmen, daß die geschilderten persönlichkeitsrechtlichen Aspekte, die den Kündigungsschutz aus sich heraus legitimieren, ebenfalls in Art. 12 GG verortet sind, so daß sich insoweit die hier vertretene Konzeption und diejenige der herrschenden Meinung nicht unterscheiden. Dies ist allerdings nicht der
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BVerfG vom 21.6.2006 – NZA 2996, 913, 914. Siehe oben II 3 und 4. 80 Siehe BVerfG vom 11.6.1958 – BVerfGE 7, 377, 397; BVerfG vom 1.3.1979 – BVerGE 50, 290, 362. 81 Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblatt, 47. Lieferung, Juni 2006, Art. 12 Rn. 20. 82 Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblatt, 47. Lieferung, Juni 2006, Art. 12 Rn. 122. 79
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Fall. Der Gedanke der Freiheitssicherung im Arbeitsverhältnis, welcher dem Kündigungsschutz des Arbeitnehmers zugrundeliegt, hat eine eigenständige Bedeutung, die nicht nur berufsrechtlich relevant ist. Für solche Fälle ist anerkannt, daß neben Art. 12 GG auch das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG selbständig anwendbar ist und mit jenem ideal konkurriert; dies gilt beispielsweise für das Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen 83. Nach der hier vertretenen Konzeption hat daher der Staat aufgrund der aus Art. 2 Abs. 1 GG – allgemeines Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers – resultierenden Schutzpflicht für ein Mindestmaß an Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis zu sorgen, damit die Arbeitnehmer nicht Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz aus sachwidrigen Gründen zu verlieren, wenn sie arbeitsrechtlich eingeräumte Rechte geltend machen. 4. Die Rechtsfolgen für die Ausgestaltung des Beendigungsschutzes im Arbeitsverhältnis Die Rechtsordnung muß also sicherstellen, daß das Arbeitsverhältnis nicht aus willkürlichen und sachwidrigen Gründen gekündigt werden kann. Dem tragen die gesetzlichen Regeln des KSchG ebenso Rechnung wie die Rechtsprechung des BAG zum Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 84. Für Kündigungen in Kleinunternehmen hat die Rechtsprechung des BAG aufgrund der zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB den Obersatz gebildet, daß hier ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu beachten ist 85. Außerdem gilt für Kündigungen in Kleinunternehmen und im Rahmen der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG das Maßregelungsverbot des § 612a BGB 86. Im Ergebnis ebenso unproblematisch erscheint die Stellung des gekündigten Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozeß. Er muß die realistische Möglichkeit haben, im Betrieb verbleiben zu können, was durch die Rechtsprechung des BAG zum Weiterbeschäftigungsanspruch grundsätzlich gewährleistet erscheint 87. Anderenfalls wäre der Arbeitnehmer unter Umständen daran gehindert, seine arbeitsrechtlichen Rechte im Betrieb einzufordern, wenn er befürchten müßte, den Betrieb gegen eine recht geringe Abfindung in jedem Fall verlassen zu müssen 88. 83 Tettinger in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 12 Rn. 163; Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblatt, 47. Lieferung, Juni 2006, Art. 12 Rn. 124. 84 Dazu Otto FS für Wiese, 1998, S. 353 ff.; Preis NZA 1997, 1256 ff. 85 Vgl. BAG vom 21.2.2001 – EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung; BAG vom 25.4.2001 – EzA Nr. 4 zu § 242 BGB Kündigung. 86 Stelljes Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, 2002, S. 267 ff., will den Kündigungsschutz außerhalb des KSchG im wesentlichen über § 612a BGB verwirklichen. 87 BAG GS vom 27.2.1985 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 88 Kritisch daher auch Reuter FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 405, 425.
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Aus diesem Grund wäre eine in der Reformdebatte um den Kündigungsschutz vielfach befürwortete partielle oder vollständige Umstellung des Bestandsschutzes auf einen Abfindungsschutz 89 nicht unproblematisch. Die Abfindung für sachwidrige oder willkürliche Kündigungen müßte jedenfalls so hoch ausfallen, daß der Arbeitgeber vom Ausspruch solcher Kündigungen abgeschreckt wird. Ob dies der Fall sein würde, bestimmte sich in erster Linie nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers und könnte daher nicht durchgängig gewährleistet sein 90. Die grundrechtlichen Anforderungen des Schutzes des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers müssen auch im befristeten Arbeitsvertrag beachtet werden. Dabei erscheint es völlig unbedenklich, wenn der Arbeitgeber einen befristeten Arbeitsvertrag bei der erstmaligen Beendigungsmöglichkeit nicht fortsetzt, weil sich insoweit nur das vertraglich Vereinbarte realisiert. Verlängert allerdings der Arbeitgeber wiederholt einen befristeten Arbeitsvertrag, müßte der Aspekt der Freiheitssicherung im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls dann zugunsten einer Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers ins Feld geführt werden können, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsplatz erneut besetzt. Nicht unproblematisch ist es daher, wenn das BAG einen Weiterbeschäftigungsanspruch eines 12 Jahre lang befristet beschäftigten Arbeitnehmers ablehnt, obwohl der Befristungsgrund, die Vertretung eines freigestellten Personalratsmitglieds, fortbestand und der Arbeitgeber einen anderen Arbeitnehmer befristet neu einstellte 91. Das BAG hat dieses Urteil in erster Linie mit dem unterschiedlichen Bestandsschutz von befristetem und unbefristetem Arbeitsverhältnis und mit den grundrechtlichen Anforderungen des Schutzes des Arbeitsplatzes aus Art. 12 GG begründet 92. Wäre der Senat dem hier befürworteten Grund für den Beendigungsschutz im Arbeitsverhältnis, der Freiheitssicherung im Arbeitsverhältnis, näher getreten, hätte das Ergebnis m. E. anders ausfallen müssen 93.
V. Zusammenfassung 1. Der Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis dient nicht der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers, sondern der Sicherung der durch das Arbeitsrecht eingeräumten Rechte und Freiheiten. 89 In dieser Richtung etwa Hromadka ZfA 2002, 383 ff.; Kamanabrou in: Rieble (Hrsg.), Transparenz und Reform im Arbeitsrecht, ZAAR-Schriftenreihe, Bd. 5, 2006, S. 78 ff.; Rühle DB 1991, 1378; Willemsen NJW 2000, 2779. 90 Kritisch insoweit auch Griebeling in: Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 8. Aufl. 2006, § 1 KSchG Rn. 27a. 91 BAG vom 20.2.2002 – SAE 2003, 59 mit instruktiver Anm. Rebhahn. 92 BAG vom 20.2.2002 – SAE 2003, 59, 62. 93 Kritisch auch Rebhahn SAE 2003, 62, 65.
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2. Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz ist grundrechtlich nicht in Art. 12 GG verankert. Das in Art. 12 GG gewährleistete Schutzgut „Arbeitsplatz“ setzt vorgängigen und anhaltenden Konsens der Arbeitsvertragsparteien über diese Gewährleistung voraus. Daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsplatz „auflöst“ und das Arbeitsverhältnis beendet. 3. Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes ist das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 Abs. 1 GG) im bestehenden Arbeitsverhältnis. 4. Die Rechtsordnung hält den aus Art. 2 Abs. 1 GG resultierenden Anforderungen zur Ausgestaltung des Beendigungsschutzes im Arbeitsverhältnis derzeit grundsätzlich stand.
Zur Haftung des Betriebsrats Franz Gamillscheg
In dem Gestrüpp von Gesetzgebung und Richterrecht zur Haftung des Arbeitnehmers hält sich die Haftung des Betriebsrats in einer Nische verborgen, eine Insel der Ruhe in stürmischer Landschaft. Die Zahl der Monographien zum Thema hält sich in (angenehmen) Grenzen, die Entscheidungen bleiben überschaubar. Die Dissertationen versuchen natürlich, entsprechend den Anweisungen der jeweiligen Doktorväter und -mütter, dem BGB die wahren Lösungen zu entnehmen, und es ist zu erwarten, dass mit der erneuten und verstärkten Rückführung des Arbeitsvertrags in das BGB durch die Schuldrechtsmodernisierung auch die Zahl dieser Versuche steigen wird, aber die Praxis wird auch in Zukunft davon keine Kenntnis nehmen. Das Problem ist indessen da, und man kann ihm nicht deshalb ausweichen, weil die gängigen Vorstellungen von den Quellen des Arbeitsrechts uns oft im Stich lassen. Es ist auch nie verkehrt, einen solchen Bereich einmal juristisch durchzukonjugieren.
I. Haftung des Betriebsrats 1. Allgemeines Der Betriebsrat als Gremium haftet nicht, so die allgemeine Aussage. Er ist keine juristische Person und hat deshalb kein eigenes Vermögen, zumindest kein Geldvermögen, in das vollstreckt werden könnte. Vorschüsse oder ein Budget bleiben Eigentum des Arbeitgebers, Wechselgeld wird dazu durch dingliche Surrogation. § 85 II ArbGG bekräftigt das durch Ausschluss der Haftung aus § 745 ZPO.
Dass es schwarze Kassen gibt, aus denen auch einmal die eine oder andere Rechnung bezahlt wird, ist anzunehmen, hat die Rechtsprechung aber, soweit ersichtlich, nicht beschäftigt 1. Wem dieses Geld gehört (der Betriebsrat wurde aufgelöst, das Geld liegt da) wäre zu erforschen: sicherlich nicht
1 Vgl. aber Sachverhalt in AP Nr. 42 zu § 15 KSchG = BAGE 91, 30 (Betriebsratsvorsitzender füllt „Sozialkasse“ mit Geld auf, das er durch den Schwarzverkauf von Betriebseigentum erworben hat).
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dem Arbeitgeber, auch nicht dem Vorsitzenden, wahrscheinlich den Mitgliedern zur gesamten Hand, oder wie immer. Man kann sich am Vereinsrecht orientieren. Dass der Betriebsrat keine juristische Person ist, macht ihn rechtlich nicht inexistent. Schadensersatz durch Herstellung des rechtmäßigen Zustands, etwa Herausgabe eines Gegenstandes oder Widerruf einer Ehrenkränkung o.ä., kann von ihm verlangt werden. 2. Ein Blick über die Grenze In Frankreich ist der Betriebsrat (comité d’entreprise) juristische Person und damit vermögensfähig. Er kann Halter eines Kraftfahrzeugs sein, eigene Arbeitnehmer beschäftigen, Versicherungsverträge abschließen und haftet für Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen wie für eigene Misswirtschaft; er kann sogar in Insolvenz geraten. Als juristische Person unterliegt er auch Geldstrafen (etwa wegen Diskriminierung), die in Frankreich auch über juristische Personen verhängt werden können. Der Betriebsrat verwaltet die Sozialeinrichtungen 2 (genannt: soziale und kulturelle Tätigkeiten 3). Vor allem in dieser Eigenschaft ist er nicht selten Eigentümer auch von Grundstücken (Erholungsheim, Sporteinrichtung usw.), hier begründet er auch am häufigsten eigene Haftung. Der Arbeitgeber sitzt als Vorsitzender des Betriebsrats auch den Beratungen über die Sozialeinrichtungen vor 4, hat aber bei den Entscheidungen über die Verwendung der Gelder kein Stimmrecht. Die Finanzierung erfolgt nicht über das allgemeine Budget, sondern auf der Grundlage komplizierter Vorgaben im Wesentlichen durch eine Zuwendung des Arbeitgebers. Schätzungen besagen, dass die Zuwendung bei mehr als der Hälfte der comités unter 1 % der Bruttolohnsumme liegt. Für die Zeit vor 1995 wird der Aufwand für die Sozialwerke immerhin mit ffr 9,7 bis 12 Mia jährlich beziffert. Die Betriebsräte großer Unternehmen können damit auch große Summen bewegen 5. Die Leistungen der Sozialeinrichtung (Kantine, Essensmarken, Urlaubsgeld, Familienzulage, Kranken- oder Mutterschaftszulage, Ferienaufenthalt 6, sportliche Tätigkeiten und Sportgelegenheit, Schachklub, Theaterzirkel usw.) 2
Cohen Le droit des comités d’entreprise et des comités de groupe (7. Aufl. 2002) 765 ff. Die Bezeichnung „oeuvres sociales“ wurde 1982 durch den heutigen Namen ersetzt; damit sollte klargestellt werden, dass es sich nicht um Wohltätigkeit des Arbeitgebers handelt. 4 Sehr viel mehr als die Verantwortung für die Sitzungen ist ihm nicht verblieben. 5 So musste das Gericht in Montbéliard dagegen einschreiten, dass der Betriebsrat von Peugeot dem örtlichen Theater ffs. 210.000 gespendet hatte; zulässig wurde die Unterstützung erst nach einem Abkommen, das den Arbeitnehmern von Peugeot verbilligte Karten zugesichert hat, Cohen 781 Anm. 45. 6 Touristische Aktivitäten nehmen 24 % der Ausgaben des Betriebsrats in Anspruch, Cohen 784 Anm. 53. 3
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müssen (in erster Linie) der Belegschaft zur Verbesserung der kollektiven Arbeits- und Lebensbedingungen zugute kommen. Geldleistungen sind keine sozialen Tätigkeiten, wenn sie allgemein (Beispiel: Stipendien auf allgemeiner Grundlage), sie sind es dann, wenn sie als Einzelfall/Einzelmaßnahme (Stipendium auf Grund eigener Prüfung) gewährt werden; auch Vereine mit humanitärer Zielsetzung können unterstützt werden. Welche sozialen und kulturellen Belange es (auch gegen den Willen des Arbeitgebers) fördern will, ist das comité frei. Bei den Empfängern der Leistungen darf freilich nicht nach unzulässigen, etwa gewerkschaftlichen oder politischen, Merkmalen unterschieden werden. Die soziale Tätigkeit muss im Rahmen, „au sein“, des Unternehmens erfolgen: Keine Unterstützung etwa eines allgemeinen Sportclubs, an dessen Siegen das nationale Herz hängt, im Gegensatz zu einem unternehmenseigenen Club. Unzulässig ist die Finanzierung oder anderweitige Unterstützung (rein) politischer oder gewerkschaftlicher Zwecke, Beispiele etwa Zahlungen an die Familien Streikender, Demonstration in Paris gegen die Arbeitslosigkeit oder aus anderem Grund, die Verwendung der Kantine zur Verteilung gewerkschaftlichen Materials usw.; auch ist die „Verteidigung der Beschäftigung“ kein tauglicher Gegenstand des Sozialbudgets. So fehlt es nicht an Gelegenheiten, den Betriebsrat zur Haftung heranzuziehen. Er haftet dem Arbeitnehmer, Stichworte etwa Misswirtschaft bei der Verwaltung der Sozialeinrichtung, Verletzung der Aufsichtspflicht, mangelhafte Überwachung von Gehilfen (Unfall eines Kindes in einem Ferienlager), Betriebsrat als unbrauchbarer Vermittler zwischen Arbeitnehmer und Reisebüro); – den vom comité beschäftigten Arbeitnehmern, rechtswidrige Entlassung, Nichtabführung der Sozialbeiträge; – dem Arbeitgeber, erhöhte Aufwendungen für die Verköstigung der Arbeitnehmer, weil Betriebsrat die Kantine zur Unterstützung eines Streiks stillgelegt hatte; dritten Personen, Beispiel Bestellungen für eine Kantine; usw. Probleme bereitet es, wenn der Arbeitgeber Gelder zurückerhalten will, die der Betriebsrat für politische oder gewerkschaftliche Ziele oder zur Unterstützung eines Streiks usw. unzulässig ausgegeben hat. Das Nächstliegende: mit der jetzt geschuldeten Zuwendung gegen die missbrauchte Summe aufzurechnen, ist ihm verwehrt. Ist das Geld einem Dritten zugeflossen, kann er es auch nicht unmittelbar vom Empfänger zurückverlangen, sondern muss vor Gericht ziehen und den Betriebsrat (dessen Vorsitzender er, wie erwähnt, ist, der im Prozess aber von dem Mitglied vertreten wird, das dazu durch Beschluss bestimmt wird) mit dem Antrag verklagen, dem Betriebsrat die Rückforderung zur Pflicht zu machen, so etwa in dem Fall Kassationshof (Sozialkammer) 18.5.1983, Bulletin des Arrêts de la Cour de Cassation Bd. V Nr. 266, als eine Abordnung Streikender auf Kosten der Sozialeinrichtung nach Paris gereist war.
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Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Störung der Betriebsratstätigkeit (sog. entrave 7) trifft dagegen nicht das Gremium, sondern das einzelne Mitglied.
II. Haftung des Betriebsratsmitglieds So bleibt die Haftung, wo sie unverzichtbar ist, auf dem Mitglied lasten. 1. Haftung aus Vertrag Das Betriebsratsmitglied kommt immer wieder in die Verlegenheit, mit dritten Personen einen Vertrag zu schließen. Bestellungen für die Kantine, Beauftragung eines Sachverständigen oder Rechtsanwalts, Einstellung einer Schreibkraft, Vereinbarung mit dem Gewerkschaftssekretär über ein Honorar usw. a) Verträge, die der Betriebsrat in erforderlicher Betriebsratstätigkeit schließt, sind entsprechend der allgemeinen Anschauung dem Arbeitgeber zuzurechnen. Sie werden häufig auf (ausdrücklicher oder stillschweigender) Vollmacht, § 164 BGB, beruhen; bevollmächtigt ist das Mitglied, das jeweils für diesen Bereich verantwortlich ist, also der Vorsitzende oder Vorsitzende des Ausschusses; diese mögen dann Untervollmacht erteilen. Wo der Arbeitgeber eine solche Vollmacht verweigert hat, ändert sich jedoch nichts. Es ist davon auszugehen, dass § 40 BetrVG dem Betriebsrat insoweit eine entsprechende Verpflichtungsermächtigung erteilt. Geht es etwa um die Bereitstellung sachlicher Mittel und ist der Arbeitgeber dazu nicht bereit, kann der Betriebsrat gleich bestellen und muss nicht erst den Arbeitgeber auf Bestellung verklagen. Diesem entsteht dadurch kein Nachteil. Der Betriebsrat trägt das Risiko, dass sein Handeln im Rahmen des Erforderlichen bleibt. Das Risiko der Insolvenz des Arbeitgebers liegt insoweit beim Dritten, nicht anders, als wenn der Arbeitgeber die Bestellung für den Betriebsrat und an seiner Stelle aufgegeben hätte. A.A. eine verbreitete Meinung 8 mit dem Hinweis, es gebe keinen Vertrag zulasten Dritter. Das ist für unser Problem indessen unerheblich, der Arbeitgeber ist insoweit kein „Dritter“, seine „Last“ wird durch § 40 begründet. Im Rahmen des Erforderlichen hat der Betriebsrat keine andere Stellung, als sie etwa der gesetzliche Vertreter im Verhältnis zum Vertretenen besitzt. Gegen die Verpflichtungsermächtigung wird eingewandt, der Arbeitgeber könne dem Betriebsrat entsprechende Mittel bereits vorgeschossen haben, so dass er 7 Zu diesem Allheilmittel aller Gebrechen der französischen Betriebsverfassung, ihrer zweiten Säule, Cohen 1075 ff. 8 Rosset Rechtssubjektivität des Betriebsrats und Haftung seiner Mitglieder (1985) 31.
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nicht auch noch dem Dritten unmittelbar haften könne, doch liegt auch hier näher, dass der Arbeitgeber die Mittel, die ohnehin in seinem Eigentum verblieben waren, zurückfordert. Eine andere Meinung nimmt an, dass das handelnde Mitglied dem Dritten haftet (bei Handeln auf Grund eines Beschlusses alle an ihm beteiligten Mitglieder), vom Arbeitgeber aber Befreiung verlangen kann. Damit würde jedoch dem Mitglied das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers aufgebürdet, das zu tragen der Geschäftsgegner näher dran ist; dieser kann wissen, dass die Lieferung für die Bedürfnisse des Betriebs erfolgt. b) Höchst unbefriedigend ist die Lage des Mitglieds des Betriebsrats, wenn der Vertrag, wie sich vielfach erst nach langem Prozess herausstellt, nicht erforderlich war. Die Erforderlichkeit „durchzieht das gesamte Betriebsverfassungsrecht als Grundsatz“, BAG, AP Nr. 1 zu § 76a BetrVG 1972, jede Fehleinschätzung kann infolgedessen die Haftung begründen. Beispiele sind rasch gefunden: der Betriebsrat bestellt Kabelfernsehen für das Betriebsratsbüro, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt war unnötig, ein Sachverständiger wurde beauftragt, ohne dies mit dem Arbeitgeber abzusprechen, einem Einigungsstellenbeisitzer wurde ein übergroßes Honorar versprochen 9, ein Politiker unter Übernahme der Kosten in eine Betriebsversammlung eingeladen, der Betriebsrat beschließt ohne Beratung mit dem Arbeitgeber die Freistellung des X, dieser legt die Arbeit nieder, wer zahlt den Lohn?; eine Schulung wird storniert, Kosten Euro 12000. – Ob der Betriebsrat das „Handelsblatt“ für sich bestellen darf, wurde so und anders entschieden und mag ja auch von seiner Größe abhängen. Sicherlich mutet der Betriebsrat in einem mittleren Betrieb, der einen Dienstwagen anmietet, dem Arbeitgeber zuviel zu, und entschieden zu weit geht es, für die 11 Mitglieder des Betriebsrats 11 Textausgaben der Sammlung der Arbeitsgesetze von Kittner, so verdienstvoll sie ist, anzuschaffen 10. – Auch bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Beisitzers der Einigungsstelle kann der Betriebsrat daneben greifen, von der Erforderlichkeit einer Schulung nicht zu reden. Über was alles zu § 40 gestritten wird, zeigt im Übrigen jeder Blick in die Kommentare.
9 Warnung, nicht ohne Anlass, durch LAG Hamm 20.2.1975, DB 1975, 985, die Einigungsstelle dürfe nicht für „Verbandsvertreter beider Seiten zu einer Nebenerwerbsquelle umfunktioniert werden“. (Mit „beiden Seiten“ wahrt das Gericht den Abstand nach beiden Seiten, gemeint ist freilich die spendable Haltung gegenüber der Gewerkschaft). 10 Nichts gegen Michael Kittner, dem ich mich aus der gemeinsamen Arbeit in der Arbeitsgesetzbuchkommission verbunden fühle; „der Kittner“ steht auch in nunmehr 32. Auflage auf meinem Schreibtisch. Trotzdem bin ich sicher, dass auch Kittner im genannten Fall das Verlangen des Betriebsrats übertrieben finden wird. Jährlich drei Textausgaben für 11 Leute tun es auch. Anders BAG, AP Nr. 52 zu § 40 BetrVG 1972, das offenbar der Ansicht war, von diesem Buch könne man gar nicht genug anschaffen (wenn man konsequent ist, in 32 Jahren 352 Stück).
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Es geht um eine gerechte Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber, Betriebsratsmitglied und Drittem. Dass der Arbeitgeber nicht blindlings alles bezahlen muss, ergibt sich aus der Beschränkung seiner Einstandspflicht auf das für die Betriebsratsarbeit Erforderliche. Ihn darüber hinaus haftbar zu machen, wäre auch nur scheinbar arbeitnehmerfreundlich und müsste gerade im Klein- und Mittelbetrieb die Mitbestimmung in Verruf bringen. Der Dritte steht außerhalb, er kann für seine Leistung die Gegenleistung verlangen. Bis zu einer gesetzlichen Neuordnung hat mithin das Betriebsratsmitglied die schwächste Stellung. Er/Sie wird von der h.M. herangezogen, ungeachtet des Umstands, dass solche Verpflichtungen die Neigung, sich für die Betriebsratsarbeit und die konkrete Aufgabe, etwa die Kantinenverwaltung, zur Verfügung zu stellen, nur noch weiter vermindern müssen. Ein Beispiel für den Verdruss, den das bereiten kann, BAG, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Sozialeinrichtungen = E 52, 1 (Mitglieder verklagen früheren Vorsitzenden auf DM 35.000).
Die h.M. greift wie immer zum BGB und beruft sich auf § 179 BGB, Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht; das Mitglied muss zahlen. Immerhin gilt auch § 179 II. Nach dieser Vorschrift ist dem Vertragspartner nur das negative Interesse (= der tatsächlich erwachsene Schaden) zu ersetzen, wenn das Betriebsratsmitglied seine Zuständigkeit nur fahrlässig überschritten hatte. Das entlastet etwa, wo dem Beisitzer der Einigungsstelle ein überhöhtes Entgelt versprochen wurde. Bei Lieferungen von Waren, die nicht zurückgenommen werden können, oder Beauftragung eines Anwalts, der stattdessen ein anderes Mandat ausgeschlagen hat, hilft § 179 II dagegen nicht. In vielen Fällen hilft dem Mitglied dagegen § 179 III BGB. Danach entfällt die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht, wenn der Vertragspartner das Fehlen der Vollmacht – hier: die Überschreitung der Zuständigkeit des Betriebsrats – kannte oder erkennen konnte. Viele Honorarforderungen eines Rechtsanwalts oder gewerkschaftlichen Beisitzers würden daran scheitern, ist doch der rechtskundige Vertragspartner oft eher in der Lage, das Richtige zu erkennen, als das ungeschulte Betriebsratsmitglied. Im Übrigen muss man sich wundern, dass nicht mehr solcher Fälle vor die Gerichte kommen. Der Grund dürfte sein, dass Gewerkschaft oder betriebsratsnaher Anwalt usw. einen Anspruch, der gegen den Arbeitgeber nicht durchzusetzen ist, gegen das Mitglied auch nicht weiter verfolgen. An der Misslichkeit von dessen Lage ändert das nichts (schon die Drohung mit der Haftung erschreckt ihn/sie). c) Deshalb ist das alles unbefriedigend. Es könnte Anlass sein, § 40 BetrVG insgesamt zu überdenken. Für eine künftige Regelung wäre zu überlegen, für die Ausgaben des Betriebsrats einen Fonds zu schaffen, den der Arbeitgeber finanziert oder (noch besser) der aus einer in der Betriebsversammlung zu
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beschließenden Umlage gespeist wird. Die Lösung des § 40 ist nur scheinbar die betriebsratsfreundlichste. In Wahrheit scheitert eine unbekannte Vielzahl notwendiger Ausgaben und damit erforderlicher Tätigkeiten daran, dass der Betriebsrat aus mancherlei Gründen, auch mangelhafter Abschätzung seiner Rechte, dem Arbeitgeber die Kosten nicht ansinnen will. Demgegenüber hat die Lösung mit einem Betriebsratsfonds (Dispositionsfonds, Budget), wie sie in vielen großen Unternehmen ohnehin praktiziert wird, unübersehbare Vorzüge 11. Sie vermeidet, sofern das Budget nicht unzumutbar niedrig ist, viel Streit, wenn in der breiten Grauzone des „Erforderlichen“ einmal eine Ausgabe darüber hinaus getätigt, dafür dann aber an anderer Stelle gespart wird. Der Betriebsrat weiß, mit welchen Beträgen er wirtschaften kann (unvorhergesehene erhebliche Mehrausgaben sind dabei vorzubehalten). Der Gang zum Arbeitgeber ist ihm erspart; ob er sich durch einen Sachverständigen beraten lassen will, entscheidet er in aller Freiheit. Vorbehaltlich einer Verwendung des Geldes, die unter keinen Umständen als vertretbar angesehen werden kann, sieht sich das Mitglied nicht durch Haftung bedroht. Eine Fondslösung erzieht von vornherein zum sparsamen Umgang mit dem Geld. Niemand käme auf die Idee, für die Bahnfahrt des Jugendvertreters zum Schulungsort Kosten der 1. Klasse zu veranschlagen. Schließlich entfiele auch die Versuchung, den Betriebsrat durch allzu großzügige Ausstattung – Schulungen in angenehmen Hotels, Dienstwagen usw. – geneigt stimmen zu wollen. d) Wieder hilft ein Blick über die Grenzen. In Frankreich gilt die Fondslösung zulasten des Arbeitgebers. Für seine notwendigen Ausgaben hat der Betriebsrat Anspruch auf ein Budget von mindestens 0,2 % der Bruttolohnsumme 12. Man schätzt die Gesamtsumme der den comités zur Verfügung stehenden Mittel auf 10 Mrd. Euro, („mit gewaltigen Unterschieden von einem Unternehmen zum andern“) 13. Aus der Zuwendung sind die laufenden Bedürfnisse, Schulungskosten, Fahrtkosten (mit Ausnahmen zulasten des Arbeitgebers) und Kosten der Rechtsverfolgung zu bestreiten; günstigere Vereinbarungen oder Gebräuche sind natürlich möglich. Auch die Kosten der Sachverständigen sind (mit Ausnahmen) aus dem Budget zu decken. Oesterreich 14 ist das Vorbild einer Fondslösung zulasten der Arbeitnehmer. Mit Ausnahme einiger besonderer Aufwendungen deckt der Fonds die Kosten der Geschäftsführung des Betriebsrats. Voraussetzung ist in der Regel eine Umlage; es können aber auch andere Vermögenswerte und Zuwendungen von dritter Seite, namentlich des Arbeitgebers, den Fonds bilden oder ihn auffüllen. Die Höhe der Umlage darf 0,5 % der laufenden Bruttoentgeltsumme (unter Ausschluss einmaliger Leistungen) nicht übersteigen; sie wird in der 11 12 13 14
Vgl. etwa Löwisch DB 1999, 2209 ff. (2212). Budget de fonctionnement, dazu Cohen 425 ff. Supiot Le Droit du travail (2004) 93. Priewasser Der Betriebsratsfonds (4. Aufl. 1996).
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Betriebsversammlung (Arbeiterversammlung, Angestelltenversammlung) beschlossen. Nötig ist die einfache Mehrheit bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der stimmberechtigten Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber behält die Umlage ein und führt sie an den Betriebsrat ab. Lehnt die Versammlung den Antrag des Betriebsrats ab, so ist dieser allerdings insoweit ohne Mittel. Priewasser berichtet, dass zuweilen Seelenmassage nötig ist, um die Arbeitnehmer zur Bewilligung der Umlage zu veranlassen. Der Fonds genießt Rechtspersönlichkeit. Seine Verwaltung obliegt dem Betriebsrat bzw. einem dafür eingerichteten Ausschuss; Organe des Fonds sind der Vorsitzende bzw. sein Stellvertreter. Die Zweckmäßigkeit der Verwaltung durch den Betriebsrat unterliegt der Prüfung durch einen von den Arbeitnehmern gewählten Rechnungsprüfer. – Das Betriebsratsmitglied hat Recht auf Einblick in die Verwaltung. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verwendung der Gelder obliegt der zuständigen Kammer für Arbeiter und Angestellte; im Verfahren wegen ungetreuer Verwaltung ist der Fonds parteifähig. Der Fonds dient in erster Linie der Deckung der Kosten der Geschäftsführung des Betriebsrats. Aus ihm sind auch die Barauslagen (Aufwendungen) des Mitglieds zu ersetzen. Reicht der Fonds zur Deckung der Schulden nicht aus, so ist freilich guter Rat teuer; ob der Gläubiger dann auf den für den Fonds handelnden Arbeitnehmer unmittelbar durchgreifen kann, scheint noch nicht entschieden zu sein. War die obere Grenze der Umlage noch nicht ausgeschöpft, so wird ihre auch nachträgliche Erhöhung wohl möglich sein. Der Fonds haftet für Verbindlichkeiten, die im Rahmen der Aufgaben des Betriebsrats eingegangen wurden, für zweckwidrig eingegangene Verpflichtungen das Mitglied zwar persönlich, doch kann man das für die breite Grauzone des Ungewissen ausschließen. e) Angesichts der Notwendigkeit für das in die Haftung geschlitterte Mitglied Schutz bereit zu stellen, bietet die oesterreichische Lösung den gebotenen Ausweg. Dass mit dem Vorhandensein einer solchen Deckung auch manche Begehrlichkeit geweckt werden kann, ist im Vergleich zum jetzigen Zustand das geringere Übel. Das Verbot der Umlage, § 41 BetrVG, fällt weg, es spielt ohnehin keine Rolle. Die Vorschrift entstammt § 37 des Betriebsrätegesetzes von 1920. Den Hintergrund bildete in der Zeit des Umbruchs 1918/1919 der Wunsch, freiwilligen Vereinigungen radikaler, „auf revolutionärem Boden stehender“ Betriebsräte, die sich neben den Gewerkschaften entwickelt und sie bedroht hatten – vgl. den Abgeordneten der USPD Geyer 15 mit dem Appell zur Schaffung „schlagfertiger Arbeiterbataillone“, einer „Machtorganisation“, die „der Unternehmerherrlichkeit ein Ende machen
15
Nationalversammlung, Stenographische Berichte S. 4331 ff.
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wird“ – den finanziellen Boden zu entziehen. Von der Gefährdung der Gewerkschaften „insb. durch Stärkung des betriebsweisen Zusammenschlusses der Arbeitnehmer in Werkvereinen“ vgl. auch Flatow/Kahn-Freund Betriebsrätegesetz, (13. Aufl. 1931) 308. Heute ist das alles ferne Vergangenheit.
2. Haftung auf Schadenersatz a) Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Überlegung, dass eine Handlungsmacht, wie sie der Betriebsrat gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmer besitzt, nicht ohne entsprechende Verantwortung übertragen werden darf, die Drohung mit der Haftung mithin nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Dass das BetrVG darüber schweigt, wäre für das Gegenteil keine glaubwürdige Begründung. Verfassungsrechtlich geboten ist die Haftung allerdings nicht 16, dies sollte man dem Gesetzgeber zu entscheiden überlassen.
Das Interesse an der Haftung muss sich gegen die Folgen abwägen lassen, die die Haftung für die Tätigkeit des Betriebsrats und die Bereitschaft, sich für dieses Amt zur Verfügung zu stellen, haben müsste. Wie im folgenden darzulegen sein wird, wäre die Betriebsverfassung insgesamt gefährdet, wollte man die Schadenersatznormen des BGB anwenden, wie sie dort immer noch (und nunmehr erneut) unverändert da stehen 17. Dass das Problem der Haftung des Betriebsrats gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmer tatsächlich kaum eine Rolle spielt, ist ein weiteres Argument. Es sei daran erinnert, dass das BGB selbst im Interesse der freien Entfaltung des Einzelnen abgelehnt hat, wie der Code civil jede rechtswidrige Handlung ersatzpflichtig zu machen. Der Schutz der Betriebsverfassung kann sich mithin auch auf dieses Beispiel eines Verzichts auf Haftung stützen. Dieser Vorbehalt entbindet indessen nicht von der Pflicht, die einzelnen Aspekte der Haftung zu durchleuchten. Wo auch das allgemeine Schadensrecht die Haftung verneint, bleibt das Betriebsverfassungsrecht mit ihm im Einklang. b) Voraussetzung einer Haftung des Mitglieds für eine schadenstiftende Handlung ist zunächst, dass es sie selbst begangen hat. Die Beweislast obliegt dem Kläger. Ist der Schaden aus einem Beschluss erwachsen, so kann das Mitglied nur in Anspruch genommen werden, wenn sein Abstimmungsverhalten – er hat den Antrag im Betriebsrat gestellt – offenliegt. Fehlt es daran, wie etwa bei Mehrheitsentscheidungen in geheimer Abstimmung,
16 So aber Belling Die Haftung des Betriebsrats und seiner Mitglieder für Pflichtverletzungen (1990) 367. 17 Gegen die Anwendung des BGB heftig, aber begründet, Derleder AuR 1980, 365.
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scheitert die Haftung; eine Beweisaufnahme etwa durch Einvernahme anderer Betriebsratsmitglieder über ihr Abstimmungsverhalten würde das Vertrauen in die Geheimhaltung der Abstimmung zerstören und scheidet deshalb aus. A.A. Belling aaO 233ff., 376, der vom Mitglied verlangt sich zu entlasten; deshalb soll schon das Protokoll der Sitzung detailliert genug gehalten sein, „um eine Grundlage für den später zu führenden Entlastungsbeweis zu führen“ (S. 239). Die Vorstellung ist gewagt: was von einer Beratung zu halten ist, in der sich jeder vor allem mit Beweisen gegenüber irgendwelchen späteren Verdächtigungen enttäuschter Arbeitnehmer (oder auch im Streit rivalisierender Richtungen) wappnet, kann sich jeder selbst ausmalen. – Auch eine unmittelbare oder auch nur entsprechende Anwendung von § 830 I S. 2 BGB – Haftung eines jeden, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer den Schaden verursacht hat – kommt nicht in Betracht.
c) Eine amtswidrige Tätigkeit des Betriebsrats und seiner Mitglieder kann in vielfältiger Weise Schaden zufügen: eine Betriebsversammlung wird absichtlich zu einer Zeit anberaumt, in der alle Kräfte gebraucht werden, gewerkschaftliche oder politische Einseitigkeit führt zu Unruhe in der Belegschaft, wichtige Fachkräfte kündigen, der Betriebsrat widersetzt sich der zulässigen Anordnung von Überstunden, auf seinen Aufruf hin verlassen die Arbeitnehmer den Betrieb zu einer politischen Demonstration usw. Die Fälle, in denen der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer, so wie er sie versteht und verstehen darf, energisch und unter Inkaufnahme von Nachteilen für die Produktion vertritt, gehören nicht hierher. Hat er mit vertretbaren Gründen der Einführung von Überstunden widersprochen, gibt die Einigungsstelle dagegen dem Arbeitgeber Recht, so sind weder die Kosten der Einigungsstelle noch etwaige Einbußen wegen der Verzögerung Schadensposten, die die Frage der Haftung aufwerfen würden. Im Übrigen ist die Verlegenheit groß, wo die Abgrenzungen schwierig sind. Das Betriebsratsamt ist zwar gewiss kein Freibrief für Unrecht, doch hat alles auch hier seine zwei Seiten. Mit der Drohung der Haftung kann ein unsicherer Betriebsrat eingeschüchtert, „gezähmt 18“ werden; die Neigung, das undankbare Amt zu übernehmen, wird, wie gar nicht oft genug zu betonen ist, noch geringer werden, als sie ohnehin schon ist. Ein anderer schließlich, der gesehen hat, dass eine solche Drohung ohne Folgen bleibt, wird sich daran gewöhnen, das Recht selbst zu verachten. Der Gedanke, eine Versicherung zu schaffen, die die Fälle abdeckt 19, ist nicht aufgegriffen worden. Die Prämien hierfür müsste der Arbeitgeber tragen, die Gefahr, dass nun einvernehmlich Allerlei der Versicherung unterbreitet wird, ist nicht gering.
18 19
Spielbüchler Festschrift Strasser (1983) 613 ff. Weiß RdA 1974, 279.
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3. Haftung gegenüber dem Arbeitgeber Da es an einer eigenen Regelung fehlt, sind die allgemeinen Normen auf ihre Vereinbarkeit mit den zwingenden Erfordernissen des Betriebsratsamtes hin zu überprüfen. a) Eine ordnungsgemäße Amtsführung als solche kann vom Arbeitgeber nicht eingeklagt werden, Amtspflichtverletzung ist mithin keine taugliche Anspruchsgrundlage 20. Liegt in der Amtspflichtverletzung des Betriebsratsmitglieds auch eine Verletzung seines Arbeitsvertrags, so kann sich daraus gegenüber dem Arbeitgeber eine vertragliche Haftung ergeben. Dabei ist jedoch wie bei der Kündigung ein „strenger Maßstab“ anzulegen. Der Sache nach läuft dies insoweit auf eine Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit hinaus, wie auch die Analogie zu § 23 nahelegt. b) Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber besteht ein eigenständiges betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, „Dauerverhältnis“ 21, das zeigen die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und Unterlassung von Störungen der Betriebsratsarbeit, und viele weitere Bestimmungen (Anspruch auf Durchführung der Wahl, auf Freistellung, Lohnzahlung, Schulung, Kostentragung, Durchführung der Betriebsvereinbarung usw.). All das ist mehr als bloßer Reflex der Mitwirkungs- und Kontrollrechte des Betriebsrats, der Ausdruck selbst Kurzbezeichnung für die Summe der bestehenden gesetzlichen Pflichten. Das ist allerdings umstritten, viele lehnen ein eigenständiges Sozialrechtsverhältnis ab. Das kann indessen auf sich beruhen. Auch das Sozialrechtsverhältnis darf nicht so missverstanden werden, als wären daraus Haftung und Ersatzpflicht abzuleiten 22. c) Die Schadenszufügung kann eine unerlaubte Handlung darstellen. Unproblematisch sind Verletzung des Eigentums des Arbeitgebers, § 823 I BGB, etwa Beschädigung eines dem Betriebsrat überlassenen Kraftwagens, unkorrekte Abrechnung von Geldern usw. Es gelten die gleichen Grundsätze wie bei den anderen Arbeitnehmern 23. § 823 I BGB wird gewohnheitsrechtlich auf den Fall ausgedehnt, dass ein unmittelbarer und gezielter Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einen (nicht unerheblichen) Schaden verursacht. Die Vor-
20 Anders für die grob pflichtwidrige Ausübung von Befugnissen und Mitbestimmungsrechten Hanau RdA 1979, 324 ff. (372). 21 BAG, AP Nr. 3 zu § 118 BetrVG 1972 = BAGE 27, 301 (307). BAG, AP Nr. 139 zu § 37 BetrVG 1972, wendet ohne Begründung § 325 BGB a.F. (Schadenersatz wegen Nichterfüllung) auf das Verhältnis zum freigestellten Mitglied an, dem der Dienstwagen vorenthalten wurde und der deshalb mit der Bahn fahren mußte. 22 A.A. Belling 355 ff. 23 Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers (1999).
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schrift wird auch in unserem Zusammenhang beschworen. Zu Unrecht: in den Fällen, die bisher den Vorrat an Beispielen für den Gewerbebetrieb als Schutzgegenstand gespeist haben, wurde stets von außen in den Betrieb eingegriffen, die Betriebsratstätigkeit ist indessen ein Teil der Unternehmensverfassung. Die Rechtslage ist mit der Stellung des Arbeitnehmers im wilden Streik vergleichbar, der seinen Arbeitsvertrag verletzt, nicht aber eine unerlaubte Handlung begeht 24. Schadenersatz schließlich bei Verletzung eines zugunsten des Arbeitgebers bestehenden Schutzgesetzes, § 823 II BGB. Was hierzu zu zählen ist, ist ebenso unklar wie das meiste in diesem Zusammenhang und jeweils Gegenstand unterschiedlicher Wertungen. Auch hier ist im Interesse der Institution insgesamt vor einer unbesehenen Ausdehnung der Haftung zu warnen. Kein Schutzgesetz ist § 2 I BetrVG: Vertrauensvolle Zusammenarbeit ist kein Begriff, auf den eine Haftung gestützt werden könnte. Auch § 30 S. 2 scheidet aus: mehrere Arbeitnehmer zu einer Sitzung zusammen zu rufen wird stets irgendwelche Störungen verursachen; dies unter Haftungsdrohung zu stellen, wäre ein Verstoß gegen § 78. Wird einmal mutwillig eine Sitzung anberaumt, obwohl der Arbeitgeber glaubhaft auf einen drohenden erheblichen Schaden hingewiesen hat, so greift die Haftung über § 826 BGB ein (davon sogleich); dabei wird aber stets zu fragen sein, ob die Sitzung durch eine einstweilige Verfügung hätte verhindert werden können. Praktische Fälle sind nicht bekannt geworden. – Auch § 75 BetrVG ist keine Haftungsgrundlage. Schutzgesetze sind dagegen das Verbot des Arbeitskampfs, § 74 II 1 BetrVG, und das Gebot der Verschwiegenheit, § 79 BetrVG. Gegen eine Drohung mit der Haftung ist hier nichts einzuwenden, beide Vorschriften sind den Mitgliedern bekannt und können von ihnen ohne weiteres eingehalten werden. Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht führen freilich ebenfalls nur bei grober Fahrlässigkeit zur Haftung. Im Übrigen sind die Folgen einer Amtspflichtverletzung in § 23 BetrVG abschließend geregelt. § 826 BGB, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Arbeitgebers, bleibt stets anwendbar. Fälle sind freilich nicht bekannt geworden. Dem Vorsatz steht gleich, wenn das Betriebsratsmitglied in besonderer Weise uneinsichtig ist und einen Schaden in Kauf nimmt, der ohne weiteres hätte abgewandt werden können. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber. d) Die Haftung setzt Verschulden voraus. Die Verschuldensformen sind wie immer Vorsatz und Fahrlässigkeit. Wo Haftung bejaht wird, gilt dies jedoch nur für grobe Fahrlässigkeit.
24
Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I (1997) 1208 f.
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Rechtsirrtum ist gegeben und Fahrlässigkeit zu verneinen, wenn die Ansichten über die Rechtswidrigkeit des Handelns in ernst zu nehmender Weise auseinandergehen; das hat das BAG beim Streik erkannt 25 und gilt auch in der Betriebsverfassung. Ein Rechtsirrtum kann nur in den „allergröbsten Fällen“ als fahrlässig angesehen werden, so auch Flatow/Kahn-Freund 520. 4. Haftung gegenüber dem Arbeitnehmer a) § 75 BetrVG verpflichtet den Betriebsrat zur Behandlung des Arbeitnehmers nach Recht und Billigkeit und zur Gleichbehandlung. Das steht dort nicht ohne Grund, kann der Betriebsrat doch auf sein berufliches Schicksal vielfältigen Einfluss nehmen. Das beginnt bei der Einstellung; zahllos sind die (unbekannten) Fälle, in denen ein Arbeitnehmer nicht eingestellt wird, weil der Betriebsrat ihn aus diesem oder jenen Grund, insb. weil er Außenseiter ist, nicht will und der Arbeitgeber dem nachgibt, so wenig das mit unserer Vorstellung von der negativen Koalitions- und der Berufsfreiheit vereinbar ist. Weitere Fehlleistungen, die dem Arbeitnehmer schaden können, sind etwa falsche Auskunft in der Sprechstunde, Versäumung einer Frist, Behandlung sachfremder Themen in der Betriebsversammlung oder anderweitige Veranlassung der Einstellung der Arbeit und damit verbundener Lohnverlust, Ablehnung der Unterstützung einer Beschwerde oder nachlässiger Umgang mit ihr Versäumung des Widerspruchs gem. § 102 III BetrVG, Ausplaudern von Geheimnissen, bis hin zu vorsätzlicher Schädigung aus persönlichen, politischen oder gewerkschaftlichen Gründen. In der Mitbestimmung über Betriebsbußen oder die Torkontrolle und der Mitwirkung bei der sozialen Auswahl zeigt sich die Macht des Betriebsrats besonders augenfällig. In allen Fällen fragt sich, ob und wieweit die an der schädigenden Handlung beteiligten Mitglieder des Betriebsrats Schadenersatz schulden. Die Antwort muss die rechte Mitte halten zwischen einer Bändigung der sozialen Macht, hier des Betriebsrats, und dem Interesse an der Arbeit des Betriebsrats, der nicht bei allem und jedem danach schielen soll, ob ihm eine (berechtigte oder meist unberechtigte) Klage droht. Die Haftung setzt auch voraus, dass der Arbeitnehmer den Schaden nicht durch andere Behelfe abwenden konnte. b) Auch zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsrat kann man als Ausdruck der vielfachen Pflichten des Mitglieds das Bestehen eines Sozialrechtsverhältnisses bejahen. Das mag jedoch auch hier auf sich beruhen. Keineswegs darf man darauf die Folge einer vertragsgleichen Haftung stützen, von der das Gesetz nichts sagt.
25
BAG, AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = E 30, 189 (201).
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Auch eine entsprechende Anwendung von § 839 BGB, Amtspflichtverletzung, oder eine Gesamtanalogie zur Haftung von Vormund, Betreuer oder Testamentsvollstrecker usw.26 scheidet aus. c) Es bleibt die Haftung aus unerlaubter Handlung. Das Recht am Arbeitsplatz wird vielfach als durch § 823 I BGB geschütztes absolutes Recht, zuweilen auch als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, angesehen. Die Umrisse dieses absoluten Rechts sind jedoch zu unsicher, als dass sich auf es eine Haftung gründen ließe; vor allem fehlt jede Auseinandersetzung damit, wieweit fahrlässige Schädigung genügen soll. Verletzung der Gesundheit könnte als Anspruchsgrundlage dienen, wo das Betriebsratsmitglied eine seiner Überwachung unterliegende Gesundheitsgefahr, etwa aus Gefälligkeit gegenüber dem Arbeitgeber, missachtet und daraus ein Schaden entsteht. So wichtig die Aufgaben des Betriebsrats gerade bei der Gefahrenabwehr sind, so sollte doch daran eine Haftung nicht geknüpft werden: ein berechtigter solcher Rückgriff auf das Mitglied würde eine Lawine weiterer, auch unbegründeter Klagen auslösen, für den Betriebsrat eine unzumutbare Aussicht. Verantwortlich für die Gefahrenabwehr ist der Arbeitgeber, und dies kann auch dann nicht verwischt werden, wenn ausnahmsweise der Zugriff auf das Vermögen eines Betriebsratsmitglieds verlockend erscheint (man denke auch an den Forderungsübergang auf die Berufsgenossenschaft). Haftungsgrundlage kann auch die Verletzung eines Schutzgesetzes, § 823 II BGB, sein. Schutzgesetze sind die Vorschriften über die Verschwiegenheit, §§ 79, 99 I S. 3, 102 II S. 5. Das kann auch bleiben: die Betriebsratsarbeit wird dadurch nicht gestört, niemand zwingt das Mitglied zum Plaudern 27. Im Übrigen sollte man bei der Bewertung einer Norm als Schutzgesetz Zurückhaltung üben. Kein Schutzgesetz ist das BetrVG insgesamt, trotz des Schutzauftrags des Gesetzes, ebenso wenig § 75. Gleiches gilt von § 102 III; die Interessen des Arbeitnehmers werden durch die Möglichkeit der Kündigungsschutzklage und des Anspruchs auf Weiterbeschäftigung hinreichend gewahrt. Müsste der Betriebsrat mit einer Inanspruchnahme durch jeden unzufriedenen Arbeitnehmer rechnen, der, weil aus dem Betrieb ausgeschieden und möglicherweise rechtsschutzversichert, auch keine Hemmungen mehr hätte, würde der Betriebsrat alsbald jeder Kündigung widersprechen und damit seine Stellungnahme in den begründeten Fällen entwerten.
26 A.A. Belling 222 ff., der aus der treuhänderischen Interessenwahrungspflicht eine entsprechende Anspruchsgrundlage bei Schäden durch (grob fahrlässige oder vorsätzliche) Verletzung der Amtspflicht ableitet. 27 Dennoch: oft genug sind die Grenzen der Verschwiegenheitspflicht unscharf, dazu BAG, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat = BAGE 26, 116.
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d) Wiederum in Anlehnung an § 23 BetrVG setzt der Schadenersatzanspruch grobes Verschulden voraus. Dass einmal ein Schreiben mit einer vertraulichen Mitteilung versehentlich offen herumliegt, begründet noch keine Haftung. e) § 826 BGB ist dagegen stets anwendbar, auch wenn es an Beispielen hierfür bisher zu fehlen scheint 28. Gezielte und bewusste Zurücksetzung, insb. Hinausdrängung aus dem Betrieb in Verletzung von Art. 3 III, 9 III GG und ein Verhalten, das auch bei weitherziger Berücksichtigung der Umstände der Amtsführung nicht mehr als hinnehmbar erscheint, gehören hierher, auch willkürliche Ungleichbehandlung u.ä. Auch BAG, AP Nr. 3 zu § 84 ArbGG 1979 = E 83, 266 (275) nennt nur § 826 als mögliche Anspruchsgrundlage.
5. Blick über die Grenzen Eine Vorstellung, wie sich die Haftung der Vertretung des Arbeitnehmers auf deren Arbeit auswirken kann, bietet das amerikanische Bundesrecht 29. Vertreter ist nur die Gewerkschaft, der (wenn sie nicht ohnehin vom Arbeitgeber anerkannt wird) von der Mehrheit der Arbeitnehmer innerhalb der sog. Verhandlungseinheit hierzu der Auftrag erteilt wurde; in Gegenleistung zum Gewerkschaftsbeitrag schuldet sie ordnungsgemäße Vertretung, fair representation, und dazu gehört im allgemeinen die Geltendmachung aller der unerfüllten Ansprüche des Arbeitnehmers, die im Tarifvertrag vereinbart worden waren, es sind das die meisten Ansprüche, die bei uns auch auf Gesetz beruhen (z.B. auch Kündigung nur mit Grund, for cause), im innerbetrieblichen Schiedsverfahren. Verletzt die Gewerkschaft diese Pflicht, so kann sie der Arbeitnehmer verklagen, im Fall Bowen v. US Postal Services, 495 US 212 (1983), ein Beispiel von vielen, erhielt er 30000 $ Nachzahlung des Lohns für die Zeit, die er arbeitslos war, weil die Gewerkschaft sich seines Falls nicht angenommen hatte. Voraussetzung ist ein Verschulden zwischen grober Fahrlässigkeit und krasser Nachlässigkeit, die Gewerkschaft „must have acted arbitrarily or perfunctorily“, so die ständige Formel, sie muss mit „discriminatory or invidious intent“ gehandelt haben, Ford Motor Co. v. Huffman, 345 US 330 (1953). Versagen minderer Schwere (Versäumung einer Frist) oder wenn etwa ein unerfahrener Gewerkschaftssekretär einem gewitzten Unternehmeranwalt gegenüber steht, reicht nicht aus. Beurteilt wird das Ganze aus der Sicht eines ordentlichen Vertreters vor Ort, shop steward, ex ante. Die Berechtigung der Maßnahme des Arbeitgebers (etwa seiner Kündigung) ist in diesem Verfahren Vorfrage für die Verletzung der
28 29
Für die Weimarer Zeit vgl. Flatow/Kahn-Freund 338 ff. Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I (1997) 26 f., 457 f. u.ö.; Belling 44 f.
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fair representation, ein versäumtes Kündigungsschutzverfahren wird mithin hypothetisch durchgespielt. Der Arbeitnehmer muss jedoch vorher die anderen Möglichkeiten, zu seinem Recht zu kommen, ausgeschöpft haben. Dennoch ist die Verunsicherung durch einen oft erheblichen Schadenersatz groß. Um sich dem nicht auszusetzen, werden vielfach auch hoffnungslose Fälle in das Schiedsverfahren eingebracht, zum Schaden der wirklich begründeten Anliegen. – Hybrid cases werden die Fälle genannt, in denen der Arbeitnehmer ebenso die Gewerkschaft wegen Verletzung ihrer Pflicht zur fair representation wie den Arbeitgeber wegen der von ihm begangenen vertragswidrigen Handlung belangt. *
* * Soweit ein (flüchtiger) Blick auf einen Teilbereich eines Gegenstandes, dem stets das besondere Interesse Hansjörg Ottos gegolten hat, dem diese Zeilen in Erinnerung an zwanzig Jahre freundschaftlicher Zusammenarbeit gewidmet sind. Gewiss ist vieles unsicher, weil die Grundlagen unsicher sind, auf denen die Lösungen ruhen sollen. Letzten Endes entscheidet die Überlegung, wie sich ja oder nein zur Haftung (in Auslegung dieses oder jenes Paragraphen) auf die Betriebsverfassung insgesamt auswirken müsste. Wollen wir Betriebsverfassung, ist sie uns Abstriche auch an den allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen wert, denen wir sonst verbunden sind? Wenn wir dies bejahen, müssen wir dieser Überlegung dann aber auch den ersten Platz im Werkzeugkasten der Auslegungslehre einräumen, was immer Wortlaut und Gesamtzusammenhang usw. sonst anordnen würden.
Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Schutz arbeitnehmerähnlicher Personen Thomas Griese
I. Einleitung Gibt es eine Renaissance der arbeitnehmerähnlichen Person? Vieles spricht dafür. Der Jubilar Hansjörg Otto – dem ich als sein erster Doktorand persönlich eng verbunden geblieben bin – hatte sich frühzeitig in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit dem arbeitsrechtlichen Schutz solcher Beschäftigtengruppen, z.B. Rundfunkmitarbeitern intensiv befasst.1 Im Arbeitsrecht hat die Rechtsfigur jedoch lange Zeit keine Rolle gespielt. Es handelte sich um eine literarisch vernachlässigte Figur, wie Preis 2 mit Recht festgestellt hat. In einer Dissertation aus dem Jahr 2002 wird die arbeitnehmerähnliche Person als Tatbestand ohne Rechtsfolge bezeichnet.3 Es mehren sich aber die Anzeichen, dass arbeitnehmerähnliche Personen stärker in den Blickpunkt des arbeitsrechtlichen Interesses rücken werden. Indiz dafür sind nicht nur die in jüngster Vergangenheit erschienenen Dissertationen 4 und Veröffentlichungen 5, sondern auch aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts 6 zu dieser Thematik. Der Bedeutungszuwachs resultiert aus einer Veränderung der Arbeitswelt. Weil immer mehr Tätigkeiten, die früher durch abhängig beschäftigte Arbeit-
1 Otto Der Handlungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der Regelung der Vertragsverhältnisse zwischen den Rundfunkanstalten und ihren programmgestaltenden Mitarbeitern nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Januar 1982, RdA 1984, S. 261 ff.; Otto Rundfunkspezifischer Arbeitnehmerschutz?, ArbuR 1983, S. 1 ff. 2 Preis RdA 2004, S. 191. 3 Neuvians Die arbeitnehmerähnliche Person, Berlin 2002, S. 172. 4 Schubert Der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen, München 2004; Neuvians Die arbeitnehmerähnliche Person, Berlin 2002. 5 Oetker Arbeitnehmerähnliche Personen und Kündigungsschutz, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz 1999, S. 311 ff. 6 Zuletzt BAG, Urteil vom 21.2.2007 – 5 AZB 52/06, ArbuR 2007, 182 (Beleghebamme keine arbeitnehmerähnliche Person); BAG, Urteil vom 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821.
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nehmer erledigt wurden, auf arbeitnehmerähnliche Selbständige verlagert werden, und dies der Gesetzgeber, etwa im Rentenversicherungsrecht durch § 2 Nr. 9 SGB VI, nachvollzogen hat, wird die Frage immer drängender, welchen Schutzstatus diese arbeitnehmerähnlichen Personen haben. Nicht zuletzt ist die wachsende europäische Dimension zu beachten. Als gutachterliche Basis für das EU-Grünbuch 7 zum Arbeitsrecht hat die EUKommission einen von Adalberto Perulli erstellten Bericht8 über „Wirtschaftlich abhängige Beschäftigungsverhältnisse/arbeitnehmerähnliche Selbständige: wirtschaftliche, rechtliche und soziale Aspekte“ in den Mitgliedsländern der EU erstellen lassen. Das Grünbuch macht deutlich, dass die EU-Kommission in diesem Bereich Handlungsbedarf sieht.9 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung lohnt es sich, der Frage nachzugehen, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz arbeitnehmerähnlicher Personen zu stellen sind.
II. Gesetzliche Regelungen für arbeitnehmerähnliche Personen 1. § 12a TVG Arbeitnehmerähnliche Person kann nach der Grundsatznorm des § 12a TVG zunächst nur sein, wer nicht Arbeitnehmer ist. Kraft Definition ist die arbeitnehmerähnliche Person damit Selbständiger.10 Nur bei fehlender persönlicher Abhängigkeit, die sich insbesondere darin äußert, dass der Betroffene nicht in eine betriebliche Organisation eingegliedert ist und hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsinhalt nicht einem persönlichen Weisungsrecht unterliegt, kann von einer arbeitnehmerähnlichen Person ausgegangen werden. Auch wenn die Rechtsprechung § 12a TVG nicht als allein bestimmende, gesetzliche Definitionsnorm für arbeitnehmerähnliche Personen anerkennt, werden die darin enthaltenen Zeit- und Vergütungsrelationen als Abgrenzungskriterien verwendet.11 Voraussetzung ist, dass der Betreffende die geschuldeten Leistungen persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von anderen Arbeitnehmern erbringt. Anders als bei der Arbeitnehmereigenschaft kommt es hier nicht darauf an, ob der Betreffende nach dem Vertrag die Möglichkeit haben 7 Grünbuch der europäischen Kommission, Kom(2006) 708 endg., abrufbar unter http://ec.europa.eu/employment:social/labour_law/docs/2006/green_paper_de.pdf. 8 Vgl. dazu Junker RdA 2007, S. 61 ff., 62. 9 Bayreuther Das Grünbuch der europäischen Kommission zum Arbeitsrecht, NZA 2007, S. 371 ff., 374; Wank Das Grünbuch Arbeitsrecht, ArbeiR 2007, 244 ff. 10 BAG, Urteil vom 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821. 11 BAG, Urteil vom 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821.
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würde, anderweitig tätig zu sein, sondern allein darauf, in welchem Umfang tatsächlich Beschäftigung für einen Auftraggeber geleistet wird.12 Maßgebend sind damit die tatsächlichen Verhältnisse und nicht die theoretischen Möglichkeiten, die eine Vertragspartei nach dem Vertrag eventuell noch gehabt hätte. Des Weiteren muss wirtschaftliche Abhängigkeit gegeben sein. Dies ist der Fall, wenn die Leistungen ganz überwiegend für einen einzigen Auftraggeber erbracht werden. Denn darin liegt gerade die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmereigenschaft und der Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Person, dass der Arbeitnehmer über die wirtschaftliche Abhängigkeit hinaus auch persönlich abhängig ist. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Betreffende auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die daraus resultierenden Einkünfte als Existenzgrundlage angewiesen ist.13 Etwas anderes könnte nach § 12a Absatz 1 Nr. 1b TVG nur gelten, wenn der Betreffende weniger als die Hälfte seines Einkommens von einem Auftraggeber bezieht. Schließlich muss die vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit gegeben sein. Eine solche kann insbesondere aus dem zeitlichen Umfang der Tätigkeit folgen, wenn diese eine anderweitige Arbeitstätigkeit nicht mehr möglich macht. Weitere Elemente der Vertragsgestaltung, insbesondere die Anzeigepflicht für den Einsatz von Hilfskräften und ein vereinbartes Wettbewerbsverbot bilden gewichtige Anhaltspunkte für eine vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit. So ist ein aufgrund solcher Umstände wirtschaftlich abhängiger Frachtführer als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen.14 2. § 2 Satz 2 BUrlG Eine seit langem geltende gesetzliche Regelung für arbeitnehmerähnliche Personen enthält § 2 Satz 2 BUrlG. Der Status als arbeitnehmerähnliche Person führt hier zu gesetzlichen Rechtsansprüchen, nämlich zu dem gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Urlaub gemäß § 2 Satz 2 i.V.m. §§ 1 und 3 BUrlG. Nach dieser Norm gelten als Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes auch Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.
12 BAG, Urteil vom 15.11.2005 – 9 AZR 626/04 – AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit. 13 BAG, Urteil vom 21.2.2007 – 5 AZB 52/06, ArbuR 2007, 182; Germelmann/ Matthes/Prütting/Müller-Glöge Arbeitsgerichtsgesetz, 5. Aufl. § 5 Rn. 20a. 14 So in einem solchen Fall LAG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.1995 – 14 Ta 330/94, BB 1995, S. 2275.
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Aufgrund dieser seit mehr als 40 Jahren, nämlich seit 1963 unverändert gebliebenen Vorschrift haben arbeitnehmerähnliche Personen in gleicher Weise wie Arbeitnehmer einen gesetzlicher Anspruch auf bezahlten Urlaub.15 Erstaunlich ist, dass diese Norm trotz ihrer jahrzehntelangen Geltung kaum zu Rechtsstreitigkeiten geführt hat. Es mag in nicht wenigen Fällen daran liegen, dass arbeitnehmerähnliche Personen vielfach diesen Urlaubsanspruch gar nicht kennen und ihn deshalb nicht geltend machen, oder daran, dass die Geltendmachung aus Angst vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterbleibt. Immerhin haben zwei neuere BAG-Entscheidungen die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit auf diesen Anspruch gelenkt.16 Höchstrichterlich festgehalten ist darin, dass die Ansprüche der arbeitnehmerähnlichen Personen auf bezahlten Erholungsurlaub und auf Urlaubsabgeltung denselben Regeln folgen, die für Arbeitnehmer gelten. 3. § 5 ArbGG § 5 Absatz 1 Satz 2 ArbGG enthält nur eine gerichtliche Zuständigkeitsnorm. Interessant ist, dass hier wie in § 2 Satz 2 BUrlG in der Formulierung des Geltungsbereichs mit einer Fiktion gearbeitet wird. Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind, gelten als Arbeitnehmer. Unter den Anwendungsbereich der Zuständigkeitsnorm fallen nach § 5 Absatz 3 ArbGG auch die sog. Einfirmenvertreter, also Handels- und Versicherungsvertreter gemäß § 92a Absatz 1 und Absatz 2 HGB, die vertraglich nicht für weitere Unternehmen tätig werden dürfen, soweit sie im Durchschnitt nicht mehr als 1.000 Euro pro Monat beziehen. 4. Bestimmungen des HAG Heimarbeiter und ihnen Gleichgestellte können als arbeitnehmerähnliche Personen eingestuft werden. Zwar erfolgt die Regelung der Rechtsverhältnisse der Heimarbeiter und der ihnen Gleichgestellten durch ein eigenes Gesetz, das HAG. Auch wenn sie dort nicht ausdrücklich als arbeitnehmerähnliche Personen bezeichnet sind, ist die wirtschaftliche Abhängigkeit und die einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit jedoch kennzeichnend für das Beschäftigungsverhältnis.17 Einigkeit besteht 15 Siehe hierzu und zur Gesetzgebungsgeschichte Erfurter Kommentar-Dörner 7. Aufl., § 2 BUrlG Rn. 1 ff. 16 BAG, Urteil vom 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821; BAG, Urteil vom 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit. 17 Wank in: Wiedemann, Tarifvertragsgesetz, 7. Aufl. § 12a TVG Rn. 6.
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daher, dass Heimarbeiter und ihnen Gleichgestelle als Teilgruppe der arbeitnehmerähnlichen Personen einzustufen sind.18 Dem entspricht es auch, dass jetzt § 6 Absatz 1 Nr. 3 AGG arbeitnehmerähnliche Personen als Beschäftigte im Sinne des AGG ansieht und festhält, dass zu diesen auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die diesen Gleichgestellten gehören.
III. Begriff der arbeitnehmerähnlichen Personen nach der Rechtsprechung und aktuelle Anwendungsbeispiele Die aktuelle Rechtsprechung liefert einiges Anschauungsmaterial darüber, in welchen Bereichen Normalarbeitsverhältnisse zurückgedrängt worden sind. In der Entscheidung des BAG vom 15.11.2005 19 ging es um eine Beschäftigte, die in einer Privatklinik als Nachtwache beschäftigt war. Sie verrichtete 10 bis 18 Nachtdienste pro Monat und erreichte dadurch eine Stundenzahl zwischen 120 und 216 Stunden pro Monat. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine Dauerrechtsbeziehung handelte und die Vergütung für die Beschäftigte die Existenzgrundlage darstellte, hat das BAG die Beschäftigte als arbeitnehmerähnliche Person eingestuft. Volkshochschuldozenten sollen nach der nachdrücklich kritisierten 20 Auffassung des BAG 21 keine Arbeitnehmer sein. Ihnen kann aber nach der Entscheidung des BAG von 17.01.2006 22 der Status als arbeitnehmerähnliche Person zukommen. Dies hängt allerdings davon ab, ob die Vergütung die überwiegende Existenzgrundlage darstellt. Ein Rentenbezug, der hinter dem Honorar der Volkshochschule zurückbleibt, stellt die Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Person nicht in Frage. Anders soll es aber möglicherweise bei überwiegenden Renten- oder Vermögenseinkünften sein.23 Letzteres begegnet Bedenken, weil auch der Arbeitnehmerstatus allein von den Umständen der Tätigkeit abhängt, nicht aber davon, ob der Arbeitnehmer zusätzliche Renten- oder Vermögenseinkünfte hat.
18 Buchner Das Recht der Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerähnlichen und der Selbständigen – jedem das Gleiche oder jedem das Seine, NZA 1998, S. 1144 ff.; Hromadka Arbeitnehmerähnliche Personen, NZA 1997, S. 1249 ff. 19 BAG, Urteil vom 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitnehmerähnlichkeit; weitere Beispiele in Küttner/Röller Personalbuch, 14. Aufl. 2007, Arbeitnehmerähnliche Personen, Rn. 21. 20 Wank in: Personalrecht im Wandel, FS Wolfdieter Küttner, S. 1 ff., 13 f. 21 BAG, Urteil vom 9.3.2005 – 5 AZR 493/04, AP Nr. 167 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten. 22 BAG, Urteil vom 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821. 23 BAG, Urteil vom 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NJOZ 2006, 3821.
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Frachtführer, die im Wesentlichen oder ausschließlich nur für einen Auftraggeber arbeiten und zudem Vorgaben des Auftraggebers in Bezug auf die Beschriftung des Fahrzeugs und die Arbeitszeiten beachten müssen, sind ebenfalls als arbeitnehmerähnliche Personen einzustufen.24 Von erheblicher praktischer Bedeutung sind zudem Rundfunkgebührenbeauftragte. Während das BAG die Einstufung als arbeitnehmerähnliche Personen noch 1990 abgelehnt und eine entsprechende Einstufung durch die Tarifvertragsparteien in einen Tarifvertrag für unwirksam erklärt hatte 25, ist durch die Entscheidung vom 15.02.2005 eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung erfolgt.26 Es wird anerkannt, dass der Gesetzgeber bei der Definition des § 12a TVG unbestimmte Rechtsbegriffe verwandt hat, die die Tarifvertragsparteien ausfüllen können. Im Ergebnis bedeutet dies einen erheblichen Zuwachs an Gestaltungsmöglichkeiten für die Tarifvertragsparteien. Insbesondere können sie im Rahmen des gesetzlichen Leitbildes Grenzen festlegen, in welchen Einkommensbereichen und bei welchen Vertragsgestaltungen die wirtschaftliche Unselbständigkeit und die einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit gegeben ist. Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen unter Zugrundlegung der gesetzlichen Bestimmungen sehr beschränkt ist. Selbst wenn man nicht soweit gehen will, das Ganze als Tatbestand ohne Rechtsfolgen anzusehen, bleiben doch als wesentliche materielle gesetzliche Rechte nur der Anspruch auf bezahlten Urlaub und die Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen und durchzusetzen.
IV. Die Grundrechte aus Art. 9 Absatz 3 GG Arbeitgeber wie Arbeitnehmer können sich auf die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Absatz 3 GG berufen. Es ist ein jedem Bürger und allen Berufsgruppen zustehendes Grundrecht, das arbeitnehmerähnlichen Personen hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen ebenfalls zur Verfügung steht. Insoweit hat § 12 a TVG eine verfassungsrechtliche Absicherung in Art. 9 Absatz 3 GG. Ein gravierendes verfassungsrechtliches Defizit gibt es vor allem bei Einfirmenvertretern im Sinne des § 92a HGB, die § 12a Absatz 4 TVG von der Geltung des Tarifvertragsgesetzes ausschließen will. Einerseits erfüllen sie geradezu klassisch die Kriterien der arbeitnehmerähnlichen Personen, weil sie gemäß § 92a HGB aufgrund vertraglicher Bin24 LAG Köln, Urteil vom 29.5.2006 – 14 (5) Sa 1343/05, BB 2006, 2312; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.1995 – 14 Ta 330/94, BB 1995, S. 2275. 25 BAG, Urteil vom 2.10.1990 – 4 AZR 106/90, NZA 1991, 239 26 BAG, Urteil vom 15.2.2005 – 9 AZR 51/04, NZA 2006, 223.
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dung nicht für weitere Unternehmen tätig werden dürfen; soweit sie im Durchschnitt nicht mehr als monatlich 1.000 Euro Vergütung und Aufwendungsersatz beziehen, wird nach § 5 Absatz 3 ArbGG zudem die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet. Sie befinden sich damit in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit, die für arbeitnehmerähnliche Personen geradezu typisch ist. Auf die daraus resultierenden Einkünfte sind sie regelmäßig zur Existenzsicherung angewiesen. Ihre Schutzbedürftigkeit hat der Gesetzgeber in § 92a HGB dadurch unterstrichen, dass für sie Mindestarbeitsbedingungen festgesetzt werden können. Andererseits wird gerade dieser Gruppe von arbeitnehmerähnlichen Personen der Schutz tarifvertraglicher Rechtsdurchsetzung und damit die Möglichkeit kollektiver Gegenwehr durch § 12a Absatz 4 TVG entzogen. Mit Recht wird dieser gesetzliche Ausschluss als verfassungswidrig gerügt.27 Dagegen wird eingewandt, der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, allen als schutzbedürftig erkannten Gruppen das Mittel der kollektiven Interessenwahrnehmung zur Verfügung zu stellen; er könne statt dessen andere Schutzmechanismen installieren.28 Damit wird dem verfassungsrechtlichen Freiheits- und Anspruchscharakter des Art. 9 Absatz 3 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Art. 9 Absatz 3 GG gibt allen Beschäftigtengruppen das Koalitionsgrundrecht. Daher muss die Frage umgekehrt lauten, welchen Rechtfertigungsgrund es geben kann, einer bestimmten Beschäftigtengruppe, nämlich den Einfirmenvertretern, diesen grundrechtlichen Anspruch – jedenfalls in Bezug auf die Möglichkeit, Tarifverträge zu erkämpfen und abzuschließen – durch einfachgesetzliche Regelung entziehen zu wollen. Wenn es richtigerweise als Schutzbereich des Art. 9 Absatz 3 GG angesehen wird, denjenigen, die persönlich und in wirtschaftlicher Abhängigkeit Arbeitsbedingungen erbringen, die individuelle Verhandlungsschwäche durch kollektive Interessenvertretung auszugleichen 29 und wenn so die Grundlage der Tarifautonomie beschrieben wird 30, gibt es keinen rechtfertigenden Grund für die Beschneidung dieses Grundrechts für Einfirmenvertreter.
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Wank in: Wiedemann, Tarifvertragsgesetz, 7. Auflage, § 12a Rn. 53 ff. Reinecke in: Däubler, Tarifvertragsgesetz, 2. Auflage 2006; § 12a TVG Rn. 17 f. 29 Dieterich in: Erfurter Kommentar, 7. Auflage Art. 9 GG Rn. 28; Stein in: Kempen/ Zachert, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2006, § 12a TVG Rn. 29. 30 Jarass/Pieroth Grundgesetz, 8. Auflage 2006, Art. 9 GG Rn. 39; s. auch Otto Tarifzensur und Arbeitskampf, Festschrift für Horst Konzen zum 70. Geburtstag 2006, S. 663 ff. 28
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V. Verfassungsrechtlicher Mindestschutz nach Art. 12 GG 1. Schutzumfang des Art. 12 GG Art. 12 GG ist nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Das BVerfG hat in langjähriger Rechtsprechung die Erkenntnis durchgesetzt, dass aus Art. 12 GG staatliche Schutzpflichten folgen.31 Die grundrechtlich geschützte freie Arbeitsplatzwahl umschließt das Interesse, einen gewählten Arbeitsplatz behalten zu wollen. Demgegenüber steht das ebenfalls grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitgebers, über Arbeitsplätze und Beschäftigung möglichst ungehindert disponieren zu können. Der Interessenausgleich ist die staatliche Aufgabe, die aus Art. 12 GG folgt. 2. Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1998 Besonders deutlich wird die staatliche Schutzaufgabe in der Entscheidung des BVerfG vom 27.01.1998 32 zur Kleinbetriebsklausel herausgearbeitet. Der Gesetzgeber habe die Schutzaufgabe, die widerstreitenden jeweils grundrechtlich verankerten Interessen im Sinne praktischer Konkordanz auszugleichen. Das setze eine angemessene Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen voraus, von denen das eine nicht dem anderen untergeordnet werden dürfe. Dabei geht das BVerfG davon aus, dass das Schutzniveau durch das KSchG ausreichend ist und hat vor diesem Hintergrund sowohl die Kleinbetriebsklausel als auch die Wartezeitenregelung 33 akzeptiert, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG durch die Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln zum Schutz vor sittenoder treuwidrigen Kündigungen zu gewährleisten sei. Manifestiert wird dieser Schutzauftrag in der Entscheidung des BVerfG vom 11.07.2006 34 zu gesetzlichen Tariftreueregelungen. Diese werden als verfassungsrechtlich zulässig beurteilt, weil sie geeignet und erforderlich sind, neben anderen Gesichtspunkten auch das Grundrecht der Arbeitnehmerseite aus Art. 12 GG zu verwirklichen. 3. Arbeitnehmerähnliche Personen als Teil des Schutzauftrages aus Art. 12 GG Der Schutzumfang des Art. 12 GG reicht über Arbeitsverhältnisse hinaus. Geschützt sind nicht nur Arbeitnehmer. Art. 12 GG knüpft an die Begriffe Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte an. Deshalb fällt jede berufliche 31
BVerfG, Beschluss vom 21.2.1995 – 1 BvR 1397/93, NZA 1995, 619 f.; BVerfG, Beschluss vom 24.4.91 – 1 BvR 1341/90, NJW 1991, 1667 ff. 32 BVerfG, Beschluss vom 27.1.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 ff.; dazu ausführlich und instruktiv Hanau Verfassungsrechtlicher Kündigungsschutz, Festschrift für Thomas Dieterich zum 65. Geburtstag, München 1999, S. 201 ff. 33 BVerfG, Beschluss vom 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913. 34 BVerfG, Beschluss vom 11.7.2006 – 1 BvL 4/00, NZA 2007, 42.
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Betätigung unter den Schutzbereich des Art. 12 GG. Damit ist auch die selbständige Beschäftigung mit ihrem Beschäftigungsinteresse durch Art. 12 GG geschützt. Der Schutzauftrag, der aus dem Bestandsschutzinteresse resultiert, gilt daher auch für arbeitnehmerähnliche Personen.35 Der Gesetzgeber hat daher auch bei arbeitnehmerähnlichen Personen das Interesse am Bestandsschutz mit dem gegenläufigen Interesse der freien Dispositionsmöglichkeit zum Ausgleich zu bringen. Diesem Grundrechtsverständnis entspricht es auch, dass das BAG die grundrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit ebenfalls auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendet.36 4. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Vertragsparität als Maßstab Die Maßstäbe, die für einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz gelten müssen, lassen sich der Rechtsprechung des BVerfG entnehmen. In kollektivrechtlicher Hinsicht wird der Schutzauftrag durch die Möglichkeit, Tarifverträge zu schließen und durchzusetzen erfüllt. In individualrechtlicher Hinsicht lassen sich die Schutzkriterien aus den vom BVerfG gesetzten Maßstäben ableiten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG geht es darum, vor Kündigungen, die auf sachfremden oder willkürlichen Gründen beruhen, geschützt zu sein, ferner um ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme bei sozialer Auswahl und schließlich um den durch langjährige Tätigkeit erdienten Vertrauensschutz auf den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses.37
VI. Konsequenzen des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages 1. Kündigungsschutz nach dem KSchG Nach allgemeiner Meinung findet der Kündigungsschutz des KSchG auf arbeitnehmähnliche Personen keine Anwendung.38 Angesichts des klaren Wortlauts und fehlender Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke wird man dieses Ergebnis einfachgesetzlich nicht in Frage stellen können.
35 Dieterich in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2008, Art. 12 GG Rn. 21; Oetker Arbeitnehmerähnliche Personen und Kündigungsschutz, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz 1999, S. 311 f., 320 f.; KR/Rost Arbeitnehmerähnliche Personen Rn. 69. 36 BAG, Urteil vom 15.2.2005 – 9 AZR 51/04, NZA 2006, 223. 37 BVerfG, Beschluss vom 27.1.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 f., 1476 unter B I 3b cc) der Gründe. 38 Buchner Das Recht der Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerähnlichen und der Selbständigen – jedem das Gleiche oder jedem das Seine, NZA 1998, S. 1144 f.; Hromadka Arbeitnehmerähnliche Personen, NZA 1997, S. 1249 ff.
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Wendet man sich der Frage zu, ob der Ausschluss vom allgemeinen Kündigungsschutz verfassungsgemäß ist, fallen zwei widerstreitende Gesichtspunkte ins Auge: Einerseits die kraft Definition bestehende vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit, anderseits die Parallelen zur Kleinbetriebsentscheidung des BVerfG 39, in der der Schutz der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gerade für Kleinbetriebe hervorgehoben wird. Freilich trägt die Kleinbetriebsentscheidung nur soweit, wie der Auftraggeber selbst ebenfalls nur Kleinunternehmer oder jedenfalls kleinerer Unternehmer ist. Was aber, wenn Auftraggeber ein international tätiger Großkonzern ist, der seine Distribution mit Hilfe einer Vielzahl von arbeitnehmerähnlichen Personen erfüllt? Der Schutz über den allgemeinen Kündigungsschutz ist für arbeitnehmerähnliche Personen allerdings nicht die einzige Möglichkeit, dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag gerecht zu werden. Richtet man den Blick darauf, mit welchen Mechanismen Personen, die nicht als Arbeitnehmer tätig sind, ihr Bestandsschutzinteresse durchzusetzen vermögen, so treten eine Vielfalt von Schutzmechanismen zutage. So werden Vorstandsmitglieder und GmbH – Geschäftsführer durch längerfristige, oft auf 5 Jahre geschlossene Anstellungsverträge, die während der Vertragslaufzeit nicht ordentlich kündbar sind, geschützt. Damit wird eine Mindestvertraglaufzeit etabliert. Aufschlussreich sind auch Tarifverträge, die für die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse mit arbeitnehmerähnlichen Personen längere Ankündigungsfristen vorsehen, die die Funktion von verlängerten Kündigungsfristen haben. Beispielhaft sei hier die Fallgestaltung im Urteil des BAG vom 27.10.1998 40 genannt, in dem nach zehnjähriger Beschäftigungszeit eine Ankündigungsfrist von zwölf Monaten einzuhalten war, so dass der Beendigungsschutz damit erheblich länger war als die maximale siebenmonatige Kündigungsfrist für Arbeitnehmer in § 622 Absatz 1 Nr. 7 BGB. Zum Teil wird dieser Mechanismus kombiniert mit Abstandszahlungen, die bei Vertragsbeendigung fällig werden, und die Abfindungsfunktion haben. Die Abfindungslösung wird der Sache nach auch für Handelsvertreter in § 89b HGB in Gestalt eines Ausgleichsanspruchs realisiert. Die Höhe dieses Ausgleichsanspruchs ist in § 89b Absatz 2 HGB auf eine Jahresprovision begrenzt und erreicht damit die Größenordnung der §§ 9, 10 KSchG. Es drängt sich insoweit der Eindruck auf, dass sowohl Arbeitnehmer als auch wichtige Gruppen, die nicht Arbeitnehmer sind, vor Kündigungen besser geschützt sind als arbeitnehmerähnliche Personen.
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BVerfG, Beschluss vom 27.1.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 ff. BAG, Urteil vom 27.10.1998 – 9 AZR 726/97, NZA 1999, 777.
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Verfassungsrechtlich wird das nur haltbar sein, wenn den arbeitnehmerähnlichen Personen zumindest der aufgeschobene Kündigungsschutz in Gestalt verlängerter Kündigungsfristen zugebilligt wird (dazu unter V 4.). Denkbar ist darüber hinaus die Schaffung eines gesetzlichen Ausgleichsanspruchs nach dem Vorbild des § 89b HGB. 2. Kündigungsschutz außerhalb des KSchG Nach der Entscheidung des BAG vom 14.12.2004 41 sollte das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, das auch ein Kündigungsverbot beinhaltet, auf arbeitnehmerähnliche Personen nicht anwendbar sein. Begründet wurde dies mit dem Wortlaut des § 612a BGB, der auf den Begriff des Arbeitnehmers abstelle. Aufschlussreich ist allerdings, dass das AGG die arbeitnehmerähnlichen Personen in § 6 Abs. 1 Nr. 3 ausdrücklich in den Diskriminierungsschutz einbezieht. Verfassungsrechtlich reibt sich der Ausschluss dieses Sonderkündigungsschutzes an dem Gebot des BVerfG 42, Kündigungen aus sachfremden und willkürlichen Motiven zu verhindern. Eine verfassungsrechtlich akzeptable Lage lässt sich nur herstellen, wenn man einen gleichwertigen Kündigungsschutz über die Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln herstellt.43 Dann muss eine Kündigung, die deshalb erfolgt, weil eine arbeitnehmerähnliche Person ihre Rechte geltend macht, als sittenwidrig gemäß § 138 BGB eingestuft werden.44 Das muss insbesondere für den Fall gelten, dass eine arbeitnehmerähnliche Person von dem einzigen gesetzlich festgeschriebenen Individualrecht Gebrauch macht und bezahlten Urlaub verlangt. Ansonsten würde dieser Anspruch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, weil immer dann, wenn ein Beschäftigter sich hierauf berufen würde, die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vollzogen und der Anspruch damit für die Zukunft beseitigt werden könnte. Und für die Vergangenheit, also die rückwirkende Geltendmachung, sind dem Urlaubsanspruch wegen der grundsätzlichen Bindung des Urlaubs an das Kalenderjahr gemäß § 7 Absatz 3 BUrlG enge Grenzen gesetzt. Im Ergebnis hieße das, dass der Anspruch auf bezahlten Urlaub weitgehend leer liefe und nur bei Strafe der Beendigung des Vertragsverhältnisses für ein oder zwei Urlaubsjahre, nämlich das laufende Kalenderjahr und ggf. das vorangegangene Kalenderjahr, geltend gemacht werden könnte. 41
BAG, Urteil vom 14.12.2004 – 9 AZR 23/04, NZA 2005, 637 ff. BVerfG, Beschluss vom 27.1.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 ff. 43 Anknüpfend an BVerfG, Beschluss vom 21.6.2006 – 1 BvR 1659/04, NZA 2006, 913. 44 Diesen Prüfungsmaßstab befürwortet das BAG in dem Urteil vom 14.12.2004 – 9 AZR 23/04, NZA 2005, 637 ff. 42
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In diesem Zusammenhang müssen auch Beweiserleichterungen für die arbeitnehmerähnliche Person greifen. Das BVerfG betont zu Recht die Wichtigkeit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.45 Für die arbeitnehmerähnliche Person muss es als Darlegung im Kündigungsschutzprozess ausreichen, wenn diese einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Geltendmachung des Anspruchs auf bezahlten Urlaub und dem Ausspruch einer Kündigung darlegen kann. Alsdann muss es Sache des Auftraggebers sein, darzulegen und zu beweisen, dass die Kündigung aus anderen, nicht sachfremden oder willkürlichen Gründen erfolgt ist. 3. Sonderkündigungsschutz für Funktionsträger Soweit arbeitnehmerähnliche Personen als Heimarbeiter tätig sind, können sie in den Betriebsrat gewählt werden. Dies folgt aus § 5 Absatz 1 Satz 2 BetrVG, der festlegt, dass Heimarbeiter, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten, betriebsverfassungsrechtlich als Arbeitnehmer gelten und damit das aktive und das passive Wahlrecht haben. Werden sie deshalb in den Betriebsrat gewählt, besteht der Sonderkündigungsschutz gemäß § 29a HAG. Dieser ist parallel zum Sonderkündigungsschutz in § 15 KSchG, § 103 BetrVG ausgestaltet.46 Er erfasst Wahlbewerber und Mitglieder des Wahlvorstandes und ist mit Nachwirkung ausgestattet. Andere arbeitnehmerähnliche Personen genießen diesen besonderen Kündigungsschutz nicht. Selbst wenn sie – was aufgrund landesgesetzlicher Bestimmungen 47 im Einzelfall möglich ist – Mitglied einer Betriebs- oder Personalvertretung werden können, kommt der Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG nicht zur Anwendung, weil das Kündigungsschutzgesetz nur für Arbeitnehmer gilt und das BAG eine analoge Anwendung ablehnt.48 Das verursacht Unbehagen, weil eine ohne Angst vor Kündigung durchgeführte Amtsausübung damit nicht garantiert ist. Aus diesem rechtspolitischen Argument gegen die gegenwärtige gesetzliche Lösung wird man aber nicht ohne weiteres ein verfassungsrechtliches Argument machen können. Denn der in der Betriebsverfassung gewählte Weg des Sonderkündigungsschutzes ist nicht der einzig Denkbare. Ein Mindestschutz ist unabhängig hiervon durch § 612a BGB bzw. die zivilrechtlichen Generalklauseln gewährleistet, weil damit Kündigungen, die wegen zulässiger Rechtsausübung ausgesprochen werden, geahndet werden können. Dies wird auch auf Kündi45
BVerfG, Beschluss vom 27.1.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 ff. Rost Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche Personen im Betriebsverfassungsrecht, NZA 1999, S. 113 ff. 47 Z.B. § 112 LPersVG Rheinland-Pfalz. 48 BAG, Urteil vom 20.1.2004 – 9 AZR 291/02, NZA 2004, 1058 ff. 46
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gungen wegen zulässiger Amtsausübung anzuwenden sein, so dass sich aus dem Fehlen eines eigenständigen Kündigungsschutzes für Funktionsträger kein verfassungsrechtliches Manko herleiten lassen wird. 4. Verlängerte Kündigungsfristen Ob die Regelungen über die verlängerten Kündigungsfristen nach langjähriger Vertragsdauer auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden sind, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden. In der Rechtswissenschaft ist die Frage umstritten. Zum Teil wird vertreten, eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über verlängerte Kündigungsfristen auf arbeitnehmerähnliche Personen komme nicht in Betracht.49 Dem gegenüber wird eine entsprechende Anwendung der Bestimmungen über die verlängerten Kündigungsfristen explizit befürwortet.50 Die überwiegenden Gründe sprechen dafür, die verlängerten Kündigungsfristen bei langjähriger Beschäftigung auch auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden.51 Für einen Hauptanwendungsfall der arbeitnehmerähnlichen Personen, nämlich die Heimarbeiter, hat der Gesetzgeber verlängerte Kündigungsfristen in § 29 Absatz 4 HAG parallel zu den verlängerten Kündigungsfristen in § 622 Absatz 2 BGB festgelegt. Damit wurde dem in gleicher Weise vorhandenen Schutzbedürfnis Rechnung getragen. Eine langjährig als Heimarbeiter beschäftigte arbeitnehmerähnliche Person ist in gleicher Weise wie ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer darauf angewiesen, bei einer Beendigung der Vertragsbeziehung ausreichend Zeit zu haben, sich neu zu orientieren. Hromadka 52 weist mit Recht darauf hin, dass wegen vergleichbarer Schutzbedürftigkeit zumindest die Schutzvorschriften, die für die Heimarbeit geschaffen worden sind, auf andere arbeitnehmerähnliche Personen anwendbar sein sollten, da insoweit eine Analogiefähigkeit der Schutzvor49 So beispielsweise von Bittner in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 621 BGB, Rn. 7 und von Schwerdtner in: Münchner Kommentar, § 621 BGB, Rn. 8 sowie von Preis in: Staudinger, § 621 BGB, Rn. 10. 50 Z.B. von Oetker Arbeitnehmerähnliche Personen und Kündigungsschutz, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz 1999, S. 311f., 324, von Rost in: Becker/Etzel u.a., Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 7. Auflage 2004, Arbeitnehmerähnliche Personen, Rn. 67 ff., 69, 71 ff., ferner von Wank in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl., Band 2, § 116, Rn. 24 und unter Berufung auf Wank Dörner in: Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2004, Rn. 212 sowie von Hromadka NZA 1997, S. 1256. 51 LAG Köln, Urteil vom 29.5.2006 – 14 (5) Sa 1343/05, BB 2006, 2312; a.A. BAG, Urteil vom 8.5.2007 – 9 AZR 777/06. 52 NZA 1997, S. 1256.
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schriften bestehe und dass es in jedem Fall sachgerechter sei, die für die Heimarbeit geltenden Schutzvorschriften auf alle arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden, statt den Schutz über eine nicht angemessene Ausdehnung des Arbeitnehmerbegriffs bewerkstelligen zu wollen. Nicht ausgeblendet werden kann ferner der Umstand, dass die Rechtsprechung auch in anderen Fällen die analoge Anwendung der verlängerten Kündigungsfristen befürwortet. So ist es anerkannt, dass die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Absatz 2 BGB auf Dienstverhältnisse von GmbH-Geschäftsführern Anwendung finden, die ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst ihrer Gesellschaft stellen müssen und keinen beherrschenden Einfluss auf die GmbH haben.53 Diese analoge Anwendung gilt trotz der Tatsache, dass das Kündigungsfristengesetz vom 15.10.1993 die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeitnehmer neu geregelt und dabei die Erstreckung der verlängerten Kündigungsfristen auf die GmbH-Geschäftsführer nicht gesetzlich fixiert hat. Entscheidend ist hier, dass die Schutzfunktion des Art. 12 GG hier zugunsten der arbeitnehmerähnlichen Personen eingreift. Der Begriff Arbeitsplatz in Art. 12 GG erfasst nicht nur die Beschäftigung als Arbeitnehmer. Arbeitnehmerähnliche Personen dürfen deshalb bei der Kündigung ihres Vertrages aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht völlig schutzlos sein.54 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kündigungsschutz wie auch die Kündigungsfristen eine verfassungsrechtliche Absicherung in Art. 12 des Grundgesetzes haben.55 Angesichts der vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit einerseits, der grundlegenden strukturellen Unterschiede zwischen Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Personen andererseits ist es sachgerecht, den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen so umzusetzen, dass sie zwar keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz in Anspruch nehmen können, wohl aber die verlängerten Kündigungsfristen nach langjähriger Beschäftigung, die gleichermaßen aus § 622 Absatz 2 BGB wie aus § 29 Absatz 4 HAG folgen. Damit wird eine völlige Schutzlosigkeit gegenüber Kündigungen vermieden, die verfassungsrechtlich nicht haltbar wäre, andererseits der strukturelle Unterschied zur Gruppe der Arbeitnehmer gewahrt.
53 LAG Köln, Urteil vom 18.11.1998 – 2 Sa 1063/98 –, NZA-RR 1999, S. 300; siehe dazu ferner Schwerdtner in: Münchener Kommentar, 3. Aufl., § 622 Rn. 5 ff. 54 Zutreffend Dieterich in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2006, Art. 12 GG Rn. 20; Oetker Arbeitnehmerähnliche Personen und Kündigungsschutz, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz 1999, S. 311ff., 320. 55 Siehe BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 ff.
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Der strukturelle Unterschied zwischen Arbeitnehmern, die kraft Definition abhängig beschäftigt sind, und arbeitnehmerähnlichen Personen, die kraft Definition selbständig sind, lässt eine Anwendung des gesetzlichen Kündigungsschutzes nach dem KSchG nicht zu. Auf der anderen Seite entspricht die Staffelung von Beendigungsfristen nach der Dauer der Tätigkeit der tariflichen Praxis für arbeitnehmerähnliche Personen: Hierbei werden zum Teil tariflich erheblich längere Ankündigungsfristen, die die Wirkung von Kündigungsfristen haben, vereinbart, als diejenigen, die sich aus der Anwendung der verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Absatz 2 BGB ergeben würden.56 Auch im Übrigen Zivilrecht ist der Gedanke verbreitet, dass bei Dauerrechtsverhältnissen der im Zeitlauf steigenden sozialen Schutzbedürftigkeit durch verlängerte Kündigungsfristen Rechnung zu tragen ist, so abzulesen an den verlängerten Kündigungsfristen für selbständige Handelsvertreter nach § 89 Absatz 1 HGB, die schon im zweiten Beschäftigungsjahr zwei Monate betragen und bereits nach fünfjähriger Vertragsdauer auf sechs Monate steigen, oder den verlängerten Kündigungsfristen für Mieter nach § 573c BGB. Mit der entsprechenden Anwendung verlängerter Kündigungsfristen aus § 622 Absatz 2 BGB und § 29 Absatz 4 HAG wird daher ein systemgerechter Mindestschutz, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, gewährt. Dies entspricht auch der Anforderung des BVerfG, das durch langjährige Tätigkeit erdiente Vertrauen auf den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses zu schützen.57 Daher sind die Kündigungsfristen des § 622 Absatz 2 BGB, § 29 Absatz 4 HAG auf die Vertragsverhältnisse der arbeitnehmerähnlichen Personen anwendbar. 5. Entgeltschutz während der Kündigungsfrist Der Kündigungsschutz, der in Kündigungsfristen, Ankündigungsfristen und verlängerten Kündigungsfristen liegt, wird nur wirksam, wenn in dieser Zeit das Auftragsvolumen und damit die Vergütung der arbeitnehmerähnlichen Person nicht einseitig durch den Auftraggeber reduziert werden kann. Für die Heimarbeiter sichert § 29 Absatz 7 HAG diesen Anspruch dadurch, dass dort festgelegt ist, dass auch bei Verringerung der Auftragsmenge in der Kündigungsfrist ein an dem Durchschnitt der in der Vergangenheit erzielten Vergütung orientierter Entgeltanspruch besteht. Im Rahmen
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Siehe BAG, Urteil vom 27.10.1998 – 9 AZR 726/97, NZA 1999, 777. BVerfG, Beschluss vom 27.1.1998 – 1 BvR 15/87, NJW 1998, 1475 ff.
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dieser Verdienstsicherung sind beispielsweise das Stückentgelt, der Unkostenzuschlag, der Krankengeldzuschlag und Urlaubszahlungen, nicht aber Feiertagsgelder in Ansatz zu bringen.58 Anerkannt ist zudem, dass die Regeln des Annahmeverzugs gemäß § 615 BGB auf arbeitnehmerähnliche Personen Anwendung finden.59 Damit können die Grundsätze über den Annahmeverzug bei leistungsbezogenen Entgelten herangezogen werden. Danach ist ggf. eine Durchschnittsberechnung oder Schätzung auf der Basis der in der Vergangenheit erzielten Verdienste durchzuführen.60 Eine einseitige Reduzierung des Auftragvolumens wird im Übrigen vielfach an den Vorschriften zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen in §§ 305–310 BGB scheitern, die auch für Verträge mit arbeitnehmerähnlichen Personen gelten. Hier ist die Rechtsprechung zur vereinbarten Widerruflichkeit von Entgeltbestandteilen heranzuziehen, wonach eine Widerruflichkeit nicht zu einer Reduktion des Entgelts um mehr als etwa 25 % führen darf.61 Anknüpfend an das Urteil des BAG vom 7.12.2005 62 zur zulässigen Schwankungsbreite bei vereinbarter Arbeit auf Abruf wird die vertraglich mögliche Reduzierung des Tätigkeitsumfangs und des Entgelts 25 % des Entgelts nicht überschreiten können. Denn die Parallelen zur Arbeit auf Abruf sind offenkundig. Hier wie da geht es um eine Verlagerung des Wirtschaftsrisikos, das grundsätzlich nach § 615 BGB der Auftraggeber bzw. Arbeitgeber trägt, auf den Arbeitnehmer bzw. die arbeitnehmerähnliche Person. Dies ist bei Überschreiten der Grenze von 25 % eine nicht zulässige unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Absatz 1 BGB, weil damit von dem gesetzgeberischen Grundgedanken der Verteilung des Wirtschaftsrisikos in § 615 BGB entgegen § 307 Absatz 2 Nr. 1 BGB abgewichen würde.63 Auf diese Weise wird einseitigen Vertragsänderungen eine Grenze gesetzt und zugleich ein Inhalts- und Aushöhlungsschutz des Vertragsverhältnisses der arbeitnehmerähnlichen Person bewirkt. Dies entspricht dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag.
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BAG, Urteil vom 11.7.2006 – 9 AZR 516/05, DB 2007, 806 ff. Buchner Das Recht der Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerähnlichen und der Selbständigen – jedem das Gleiche oder jedem das Seine, NZA 1998, S. 1144 ff. 60 Preis in: Erfurter Kommentar, 8. Aufl., § 615 BGB Rn. 77; Küttner/Griese Personalbuch 14. Aufl. 2007, Annahmeverzug Rn. 15; BAG, Urteil vom 11.8.1998 – 9 AZR 410/97, BB 98, 1796. 61 BAG, Urteil vom 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465. 62 BAG, Urteil vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423 ff. 63 BAG, Urteil vom 7.12.2005 – 5 AZR 535/04, NZA 2006, 423 f., 426 f.; zur Anwendung von § 307 BGB auf selbständige Handelsvertreter s. zuletzt BGH, Urteil vom 18.4.2007 – VIII ZR 117/06, NJW-RR 2007, S. 1286 ff. 59
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VII. Zusammenfassung In den folgenden Thesen lässt sich das Ergebnis zusammenfassen: a. Angesichts der wachsenden Bedeutung der arbeitnehmerähnlichen Personen rücken die verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen, die der Gesetzgeber auch für diesen Personenkreis zu realisieren hat, ins Blickfeld. Die Schutzrechte ergeben sich insbesondere aus Art. 9 Absatz 3 GG, aus Art. 12 GG und der Rechtsprechung des BVerfG zur Vertragsparität. b. Unter dem Blickwinkel des Art. 9 Absatz 3 GG ist es nicht haltbar, arbeitnehmerähnliche Personen, die als Einfirmenvertreter gemäß § 92a HGB arbeiten, von der Möglichkeit, Tarifverträge durchzusetzen, auszuschließen. Die entgegenstehende Vorschrift des § 12a Absatz 4 TVG ist verfassungswidrig und kann nicht aufrechterhalten werden. c. Arbeitnehmerähnliche Personen haben keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG. Außerhalb des KSchG ist ein Kündigungsschutz aber geboten, soweit die Kündigung wegen der zulässigen Geltendmachung von Rechten, insbesondere der Geltendmachung der gesetzlichen Urlaubsansprüche nach § 2 BUrlG i.V.m. §§ 1 und 3 BUrlG erfolgt. d. Dieser Kündigungsschutz ist über § 612a BGB oder die zivilrechtlichen Generalklauseln, insbesondere § 138 BGB zu gewährleisten, andernfalls liefe der gesetzliche Urlaubsanspruch für arbeitnehmerähnliche Personen weitgehend leer. Erfolgt eine Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit der Geltendmachung von Urlaubsansprüchen, müssen Beweiserleichterungen für die arbeitnehmerähnliche Person greifen. e. Verfassungsrechtlich geboten ist ferner die Anwendung der verlängerten Kündigungsfristen nach langjähriger Beschäftigung, die für Arbeitnehmer gemäß § 622 Absatz 2 BGB und für Heimarbeiter gemäß § 29 Absatz 4 HAG gelten, auf alle arbeitnehmerähnliche Personen. f. Der Inhalts- und Aushöhlungsschutz während der Kündigungsfrist vollzieht sich insbesondere durch die Kontrolle der Verträge nach §§ 305–310 BGB und der dazu ergangen Rechtsprechung des BAG zur zulässigen Schwankungsbreite des Entgelts.
Altersquoten Peter Hanau
Da Hansjörg Otto keine wissenschaftlichen Alterserscheinungen erkennen lässt, könnte ein Beitrag über Altersfragen in der ihm gewidmeten Festschrift deplaziert erscheinen. Es geht hier aber nicht nur um das alte Alter, sondern um jedes Alter, so dass das Thema geeignet sein mag, meinen großen Respekt für das wissenschaftliche Werk des Jubilars auszudrücken.
I. Gleichbehandlung durch Ignorieren oder Quotieren? Eine Ungleichbehandlung im Arbeitsverhältnis oder bei seiner Begründung wegen eines nach dem AGG geschützten Merkmals kann auf zweierlei Weise verhindert oder gemildert werden: Durch Ignorierung des Merkmals oder durch Quotierung der Merkmalsträger. So kann eine Ungleichbehandlung wegen des Alters ausgeschlossen werden, indem das Alter ignoriert wird oder indem alle Jahrgänge gleichmäßig berücksichtigt werden. Bei Nichtbeachtung wird die Vertretung der verschiedenen Gruppen im Betrieb anderen Kriterien oder dem Zufall überlassen, während die Beachtung des Merkmals die Gleichbehandlung aktiv steuert. Im Vordergrund steht heute die negative Variante, das Ignorieren der geschützten Merkmale, besonders deutlich in dem grundsätzlichen Verbot, nach einem solchen Merkmal zu fragen. Daneben gibt es aber auch die positive Variante, besonders deutlich in der Berücksichtigung der Frauenquote bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen nach dem Frauengleichstellungsgesetz des Bundes und der Länder und der Geschlechterquote bei der Betriebsratswahl (§ 15 II BetrVG). Im Schrifttum ist schon die Auffassung vertreten worden, dass Quotenregelungen bei der Einstellung älterer Arbeitnehmer unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der Einstellung von Frauen zulässig sein müssten 1. Es fragt sich aber, und dem soll hier nachgegangen werden, ob die Parallele sogar weiter gezogen werden kann, von der Einstellung zur Kündigung und von der Quotierung zugunsten älterer Arbeitnehmer zur Quotierung zugunsten aller Altersgruppen. 1 Däubler/Bertzbach – Hinrichs AGG, 2007, § 5 Rn. 52; Rolfs Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 2, demnächst in NZA.
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II. Kündigungsquoten 1. Der Paradigmenwechsel bei den Altersquoten Bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen sind Altersquoten verbreitet, gestützt auf §§ 1 III S. 2 KSchG, 125 InsO. Diese Bestimmungen dienen nach dem bisherigen Verständnis allerdings nicht der Gleichbehandlung wegen des Alters, sondern dem Interesse des Arbeitgebers, den Vorrang älterer Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl gem. § 1 III S. 1 KSchG zu beseitigen. Die damit verbundene Besserstellung jüngerer Arbeitnehmer war bisher nur ein Nebeneffekt, ein Kollateralvorteil für sie. Seit der Geltung des AGG wird hier aber auch ein Gleichbehandlungsproblem gesehen, insbesondere seit den Urteilen des Arbeitsgerichtes Osnabrück vom 5.2.2007 2. Hier wiederholt sich der Paradigmenwechsel, der die Rechtsprechung zu den Altersgrenzen kennzeichnet. Auch diese wurden bisher nur als Ergebnis einer Abwägung zwischen den Grundrechten und Interessen des Arbeitgebers und der älteren Arbeitnehmer angesehen 3, während jetzt die Ungleichbehandlung wegen des Alters stärker in den Vordergrund tritt 4. Es muss sich zeigen, ob dies ein Wechsel nur in der Begründung oder auch im Ergebnis ist. 2. Die traditionelle Sicht der Altersquoten Nach § 1 III S. 2 KSchG sind Arbeitnehmer in die Sozialauswahl nicht mit einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung im Betrieb zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt 5. Mit der Personalstruktur ist vor allem die Altersstruktur gemeint. Ziel der Vorschrift ist nur die Erhaltung der bestehenden Altersstruktur, während § 125 InsO auch die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur zulässt 6. Beidem dient die Bildung von Altersgruppen, die zum gleichen Prozentsatz, im Fall des § 125 InsO auch zu einem unterschiedlichen Prozentsatz, von Kündigungen betroffen werden. Ist die Personalstruktur bereits unausgewogen, weil alterslastig, darf die Sozialauswahl 2 3 Ca 716/06, LAGE § 2 AGG Nr. 1; 3 Ca 778/06, BB 2007, 1504 aufgehoben vom LAG Niedersachsen 19.7.2007, LAGE Nr. 3 zu § 2 AGG. 3 So zuletzt noch BVerfG 16.1.2007, 2 BvR 2408/06; BAG 27.7.2005, 7 AZR 443/04, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Altersgrenze; BVerfG 29.10.1992, NJW 1993, 1575 und 30.3.1999, NZA 1999, 816, rechtfertigt Eingriffe in die Berufsfreiheit durch Altersgrenzen mit dem Erfordernis einer ausgewogenen Altersstruktur. 4 Insbesondere in der Vorlage eines spanischen Gerichts an den EuGH in der Rechtssache C 411/05 (Palacios de la Villa), Urteil des EuGH vom 16.10.2007, NZA 2007, 1219, Anm. Bayreuther DB 2007, 2425. 5 Gesamtdarstellung bei Bütefisch Die Sozialauswahl, 2000, 331 ff. 6 Anschauliches Beispiel für den Unterschied LAG Brandenburg 24.4.2004, 2 Sa 51/04, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 44.
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außerhalb des Insolvenzverfahrens nur der Erhaltung dieser unausgewogenen Personalstruktur dienen. Beruht die Unausgewogenheit dagegen auf einer überdurchschnittlichen Vertretung junger Arbeitnehmer, sind gar keine Altersquoten zulässig, da diese nur den Zweck haben, den Vorrang älterer Arbeitnehmer nach § 1 III S. 2 KSchG abzumildern 7. Nicht ganz klar ist bisher, ob eine Altersgruppenbildung zur Erhaltung (oder Schaffung) einer ausgewogenen bzw. einer unausgewogenen Altersstruktur in allen Betrieben zulässig ist oder nur, wenn dafür ein besonderes Bedürfnis besteht. Damit ist die Grundsatzfrage gestellt, ob ältere Arbeitnehmer in jeder Hinsicht wie jüngere zu behandeln sind. Eindeutig ist ein Urteil des LAG Köln vom 2.2.2006, nach dem das berechtigte betriebliche Interesse im Sinne des § 1 III S. 2 KSchG regelmäßig zu bejahen ist, wenn die altersgruppenbezogene Sozialauswahl die bisherige Altersstruktur des Betriebes erhalten und Überalterung vermeiden soll 8. Allerdings begnügt sich die Entscheidung nicht damit, sondern reicht eine spezielle Begründung nach: der konkrete Arbeitgeber benötige Mitarbeiter verschiedener Altersstufen, um die Kunden altersgerecht ansprechen zu können. Der Leitsatz der ersten Grundsatzentscheidung des BAG vom 23.11.2000 9 könnte für eine engere Sicht sprechen. Denn dort wird die Sozialauswahl nach Altersgruppen mit den Erfordernissen von Kinderbetreuungseinrichtungen gerechtfertigt. Weiter heißt es in dem Urteil, die Erhaltung einer angemessenen Altersstruktur könne „je nach den Umständen“ einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen. Fraglich ist, ob damit nur auf verschiedene Altersstrukturen angespielt wird oder auch auf verschiedene betriebliche Bedürfnisse. Für ersteres spricht der Hinweis der Entscheidung auf den Kommentar zum KSchG von von Hoyningen–Huene/Linck 10, wo es heißt, das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an einer ausgewogenen Altersstruktur beruhe nicht allein auf einem befürchteten Anstieg krankheitsbedingter Fehlzeiten und der Besorgnis eines Absinkens der Leistungsfähigkeit der Gesamtbelegschaft bei Erhöhung des Altersdurchschnitts. Hinzu komme vielmehr, dass nur bei einer ausgewogenen Altersstruktur betriebliche Aufstiegsmöglichkeiten bestünden. Schließlich könnten für den Arbeitgeber nachhaltige Probleme bei der qualifizierten Besetzung freier Arbeitsplätze entstehen, wenn zahlreiche Arbeitnehmer kurz hintereinander alters-
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Bütefisch a.a.O. S. 333. 6 Sa 1287/05, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 51a unter Berufung auf Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl. 2005, 1141; HWK/Quecke (jetzt 2. Aufl. 2006), § 1 KSchG Rn. 402, 404, ebenso im Ergebnis LAG Hamm 5.4.2003, 4 Sa 1976/02, LAGE § 125 InsO Nr. 4. 9 2 AZR 533/99, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 46. 10 12. Aufl., § 1 Rn. 479b. 8
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bedingt ausscheiden 11. Im weiteren Verlauf stellt die Entscheidung aber nicht auf solche allgemeinen Aspekte, sondern auf die pädagogische Notwendigkeit ab, in Kinderbetreuungseinrichtungen nicht nur die „Großmüttergeneration“ zu beschäftigen. Eindeutigeres lässt sich auch einer Entscheidung des BAG vom 20.4.2005 nicht entnehmen 12. Im Leitsatz wird vom Arbeitgeber die Darlegung verlangt, welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn ausschließlich der Maßstab des § 1 III S. 1 KSchG angewandt würde. Aus den Gründen ergibt sich aber, dass es dem BAG nicht um den Nachweis besonderer betrieblicher Interessen an der Erhaltung der Altersstruktur geht, sondern darum, dass eine reguläre Sozialauswahl zur Erhaltung der Altersstruktur nicht ausreicht. Das neueste einschlägige Urteil vom 6.7.2006 13 stellt wieder auf den pädagogischen Bedarf von Kinderbetreuungseinrichtungen ab. In der Instanzrechtsprechung 14 und im Schrifttum 15 wird die Rechtsprechung des BAG durchweg so verstanden, dass die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur in allen Betrieben eine Abweichung von der alterslastigen Sozialauswahl gem. § 1 II S. 2 KSchG rechtfertigt, eine weitergehende Überalterung also stets zu vermeiden ist. Altersquoten haben damit einen festen Platz im Kündigungsrecht. 3. Altersquoten – eine Benachteiligung wegen des Alters? Die altersgruppenbezogene Sozialauswahl wird in Entscheidungen des ArbG Osnabrück vom 29.1.2007 und 5.2.2007 16 in Frage gestellt. In einem der Fälle (3 Ca 721/06) war das Durchschnittsalter im Betrieb durch mehrere Entlassungsaktionen seit 2004 von 37 auf 43 Jahre gestiegen. Ohne altersgruppenbezogene Sozialauswahl hätte sich der Altersdurchschnitt um weitere vier Jahre verschlechtert. Das Urteil übernimmt sogar den Vortrag des Arbeitgebers, bei regulärer Sozialauswahl „hätte sich die Altersstruktur dramatisch weiter verschlechtert, mit der Folge, dass fast nur noch ältere Arbeitnehmer im Betrieb gewesen wären“. Trotzdem verstoße die altersbezogene Sozialauswahl gegen § 7 I AGG und sei deshalb unwirksam. Obwohl § 2 IV AGG die Geltung des Gesetzes für Kündigungen ausschließe, sei es wegen vorrangigen
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Bütefisch a.a.O. S. 327. 2 AZR 201/04, AP Nr. 60 a.a.O. 13 2 AZR 442/05, AP Nr. 69 a.a.O. Ohne Bezug auf spezielle betriebliche Bedürfnisse jetzt BAG 19.6.2007, 2 AZR 304/6. 14 LAG Berlin Brandenburg 13.4.2007, 13 Sa 22/08/06; ArbG Osnabrück 5.2.2007 a.a.O. 15 Neben den bereits zitierten Autoren Backmeister/Trittin/Mayer KSchG, 3. Aufl., § 1 Rn. 412; Berkowsky Die betriebsbedingte Kündigung, 5. Aufl. 2002, S. 252; HaKo/Gallner 2. Aufl. 2004, § 1 Rn. 767. 16 A.a.O. (Fn. 2); ebenso schon die Kammervorsitzende Brors in Däubler/Bertzbach a.a.O. § 10 Rn. 109 ff.; anders Däubler im gleichen Kommentar § 7 Rn. 253. 12
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Europarechts doch anzuwenden 17. Durch die Anknüpfung an Altergruppen seien mehr ältere Arbeitnehmer gekündigt worden, als dies bei regulärer Sozialauswahl der Fall gewesen wäre. Allerdings sei die Differenzierung wegen des Alters nach § 10 S. 1 AGG zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. In § 1 III S. 1 KSchG komme das legitime Ziel zum Ausdruck, ältere Arbeitnehmer wegen ihrer schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber jüngeren in der Sozialauswahl zu bevorzugen. Trotzdem könne der Arbeitgeber seiner Sozialauswahl grundsätzlich Altersgruppen zugrunde legen, wenn er ein an den Zwecken des Diskriminierungsschutzes gemessenes berechtigtes betriebliches Interesse an der Alterszusammensetzung konkret darlege. Dabei reiche nicht jegliches Interesse aus, selbst wenn darauf abgestellt werde, dass es sich um die Rücknahme des nach § 1 III S. 1 KSchG gewährten Schutzes handele. Der gewährte Schutz dürfe nicht willkürlich, sondern nur berechtigt zurückgenommen werden, da die verschlechternde Anknüpfung an das Alter nach § 7 Abs. 1 AGG stets eine Diskriminierung sei. Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung könne der Schutz vor Überalterung nicht generell als berechtigtes betriebliches Interesse anerkannt werden. Eine § 7 AGG widersprechende Diskriminierung sei nur dann gerechtfertigt, wenn ein Rechtfertigungsgrund der §§ 5, 8 oder 10 AGG vorliege. Diese Argumentation ist ungenau, da § 7 AGG nur die Rechtsfolge, nicht aber die Voraussetzungen einer unzulässigen Diskriminierung regelt; diese sind vielmehr, soweit hier einschlägig, in § 3 I AGG geregelt. Danach kommt es darauf an, ob eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, hier wegen des Alters, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine Person in einer vergleichbaren Situation erfahren hat. Freilich kommt das Urteil im Rahmen des § 7 AGG auf dieselbe Fragestellung und bejaht die ungünstigere Behandlung, da die Altersgruppenbildung dazu führe, dass mehr ältere Arbeitnehmer gekündigt werden als ohne sie. Dies trifft zwar zu, ist aber die falsche Fragestellung. Denn die Altersgruppenbildung kann eine Ungleichbehandlung zu Lasten älterer Arbeitnehmer nur zur Folge haben, wenn sich dies aus ihr selbst und ihrer Anwendung ergibt. Die Abweichung von der ältere Arbeitnehmer bevorzugenden regulären Sozialauswahl könnte nur dann die Vergleichsgrundlage bilden, wenn sie der Grundtyp der Gleichbehandlung wäre, so dass jede Abweichung zu einer Ungleichbehandlung führen würde. Die reguläre Sozialauswahl stellt aber im Gegenteil eine Bevorzugung älterer Arbeitnehmer dar, zu der der Gesetzgeber nach §§ 5, 10 AGG zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist. Die Altersgruppenbildung 17 Das Arbeitsgericht beruft sich dazu auf die Mangold – Entscheidung des EuGH vom 22.11.2005, NZA 2005, 1355 und die Anschlussentscheidung des BAG vom 26.4.2006, DB 2006, 1734. Das Verhältnis des § 2 IV AGG zum europarechtlichen Diskriminierungsverbot kann hier offen bleiben.
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enthält deshalb keinen gleichheitswidrigen Vorteil für jüngere Arbeitnehmer, sondern versucht, die Gleichheit der Altersgruppen erst einmal herzustellen 18. In nicht vom KSchG erfassten Betrieben ist ohnehin klar, dass allein die Altersgruppenbildung im Hinblick auf die Altersdiskriminierung zu prüfen ist. Das ArbG Osnabrück will von der ganz herrschenden Meinung abweichen, die ein generelles Erfordernis der Erhaltung der Altersstruktur annimmt. Das Argument, mittelfristig sei die Produktion mit älteren Arbeitnehmern nicht mehr aufrechtzuerhalten, greife ein Vorurteil auf, dem das AGG gerade entgegengesetzt sei. Es bestünden keine empirischen Belege, dass die Leistungsfähigkeit mit steigendem Alter sinke 19. Anders wird diese Frage unter dem Aspekt des § 7 AGG von der Entscheidung des ArbG Bielefeld 20 beurteilt. Das BAG habe mit überzeugender Begründung dargestellt, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes betriebliches Interesse daran haben könne, eine ausgewogene Altersstruktur im Betrieb zu haben und auch zu erhalten. Insbesondere im gewerblichen Bereich sei dies nachvollziehbar, da die Lebenserfahrung zeige, dass die körperliche Leistungsfähigkeit und die Anfälligkeit für Krankheiten mit steigendem Alter wachsen. Ohne dem Kläger konkrete Defizite vorwerfen zu wollen, zeige die tägliche Erfahrung im Gerichtssaal, dass ältere Arbeitnehmer in der Regel mit zunehmendem Alter an Leistungsfähigkeit einbüßten. Darüber hinaus sei ein anerkennenswertes Interesse des Arbeitgebers gegeben, eine gemischte Altersstruktur im Betrieb zu haben, damit das betrieblich erworbene Erfahrungswissen durch die Generationen der Arbeitnehmer tradiert werden könne. Anderenfalls würde es dazu führen, dass aufgrund von Kündigungsmaßnahmen die Belegschaft überaltere und durch Eintritt der Arbeitnehmer in den Ruhestand innerhalb eines kurzen Zeitraumes ein Großteil der Belegschaft ausgetauscht würde. Dass ein massiver Umbruch der Belegschaft größere Schwierigkeiten in der betrieblichen Organisation hervorriefe als ein kontinuierlicher Alterungs- und Austauschprozess, liege für die Kammer auf der Hand. Ebenso wertet das Urteil des LAG Berlin- Brandenburg vom 13.04.2007 21, dass die Rechtsprechung des BAG, nach der die Bildung von Altersgruppen 18 ArbG Bielefeld 25.4.2007, 6 Ca 2886/06, BB 2007, 1961; HWK/Quecke a.a.O. Rn. 402; MünchKommBGB/Thüsing 2007, § 10 AGG Rn. 50. 19 Dazu Hinweis auf Hahn Auswirkungen der europäischen Regelung zur Altersdiskriminierung im deutschen Arbeitsrecht, 2006, 25. Ebenso KR – Griebeling 8. Aufl. 2007, § 1 KSchG Rn. 645a; Sprenger Das arbeitsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/EG, 2006, 274: Nur wenn ein abrupter Wechsel des größeren Teils der Belegschaft vermieden werden soll. In diese Richtung auch Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657, 662; Thüsing BB 2007, 1506. 20 ArbG Bielefeld 25.4.2007, 6 Ca 2886/06, BB 2007, 1961. 21 LAG Berlin Brandenburg 13.4.2007, 13 Sa 22/08/06.
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im Rahmen des § 1 III S. 2 KSchG bei der Kündigung eines erheblichen Teils der Arbeitnehmer generell durch die Gefahr einer Überalterung gerechtfertigt ist, auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung nach Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG (= § 10 I S. 1 AGG) gerechtfertigt sei. 4. Ergebnis Nach alledem dürfte eines klar sein: Stellt man die allein maßgebliche Frage, ob die älteren Arbeitnehmer durch die Altersgruppenbildung selbst benachteiligt werden, kommt es darauf an, ob Gleichbehandlung nur durch Ignorierung oder auch durch Quotierung möglich ist. Vielleicht schwingt bei dem ArbG Osnabrück die Vorstellung mit, dass die geschützten Merkmale grundsätzlich zu ignorieren seien und merkmalsbezogene Quoten nur ausnahmsweise bei Ungleichbehandlungen im Rahmen der §§ 5, 10 I 1 AGG zulässig seien. Selbst das ArbG Bielefeld und das LAG Berlin-Brandenburg, die die Altersquoten auch im Hinblick auf das AGG rechtfertigen, legen den Schwerpunkt auf die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung aufgrund des § 10 AGG. Die Antwort ist in der Grundsatznorm des § 3 I AGG zu suchen. Diese verbietet nicht jede Berücksichtigung eines geschützten Merkmales, sondern nur die ungünstigere Behandlung wegen eines solchen Merkmales. Eine gleich günstige Behandlung wegen geschützter Merkmale ist also nicht ausgeschlossen, nicht nach dem Wortlaut und schon gar nicht nach dem Sinn der Vorschrift. Deshalb spitzt sich alles auf die Frage zu, ob die Bildung von Altersgruppen im Rahmen des § 1 III S. 2 KSchG eine gleich günstige Behandlung aller Altersgruppen mit sich bringt, da hier die Altersgruppen prozentual gleich betroffen werden. Anders liegt es, wenn ältere Arbeitnehmergruppen zur Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur überproportional gekündigt werden, wie dies im Rahmen des § 125 InsO möglich ist. Dies ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 5, 10 AGG als gerechtfertigte Ungleichbehandlung möglich. Selbst das ArbG Osnabrück hat nicht geltend gemacht, dass die Altersgruppenbildung als solche diskriminierend sei. Im Gegenteil sichert die gleichmäßige Quotierung der Altersgruppen die Gleichbehandlung wegen des Alters in größerem Maße als ihre Ignorierung, die nach dem Zufallsprinzip dazu führen kann, dass Angehörige verschiedener Altersgruppen verschieden betroffen werden. Die gleichmäßige Quotierung im Hinblick auf bestimmte Merkmale ist daher die größtmögliche Annäherung an das Ziel der Gleichbehandlung 22.
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Ebenso Bauer/Krieger NZA 2007, 674.
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Anders zu beurteilen ist die ungleichmäßige Quotierung von Kündigungen zu Lasten älterer Arbeitnehmer, um in einer überalterten Belegschaft eine ausgewogenere Altersstruktur erst einmal zu schaffen. Will man eine solche Regelung mit dem Arbeitgeberinteresse an einer Verjüngung der Belegschaft rechtfertigen, kann dies auf § 10 AGG gestützt werden, falls es objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Das Interesse einer Minderheit jüngerer Arbeitnehmer, bei Kündigungsaktionen vorgezogen zu werden, ist dagegen nach § 5 AGG zu beurteilen, der eine unterschiedliche Behandlung zulässt, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen eventuelle Nachteile wegen eines in § 1 AGG geschützten Grundes verhindert oder ausgeschlossen werden sollen. Zu beidem liegt in § 125 InsO mit § 1 III S. 2 KSchG eine klare und spezielle gesetzliche Wertung vor: die nachteilige Behandlung älterer Arbeitnehmer bei Kündigungen ist (nur) in der Insolvenz zur Verbesserung der Personalstruktur zulässig. Dies dürfte auch im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG angemessen und legitim sein. Bei Kündigungen in Kleinbetrieben, die nicht dem KSchG unterliegen, werden Kündigungen in so großem Umfang, dass sie die Altersstruktur gefährden, selten sein. Angesichts der hier bestehenden grundsätzlichen Kündigungsfreiheit werden im Übrigen dieselben Erwägungen gelten müssen wie für Altersquoten bei den grundsätzlich freien Einstellungen. Dazu das Folgende.
III. Einstellungsquoten 1. Rechtsgrundlagen Einstellungsquoten sind als Frauenquoten bekannt und durch die Rechtsprechung anerkannt. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH 23 ist die Bevorzugung von Frauen in Bereichen, in denen sie unterrepräsentiert sind, bei gleicher Qualifikation zulässig, wenn sie Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei denen die besondere persönliche Lage aller Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt wird. Zu fragen ist, ob dies auf die Einstellung jüngerer bzw. älterer Arbeitnehmer in Bereichen übertragen werden kann, in denen sie unterrepräsentiert sind. Beurteilungsgrundlage ist heute § 5 AGG, der eine unterschiedliche Behandlung zulässt, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen Nachteile wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Dies ist nach anscheinend allgemeiner Auffassung nicht so zu verstehen, dass die Unterrepräsentation einer geschützten Merkmalsgruppe auf einer bewussten Benachteiligung beruhen muss; auch die Rechtsprechung des EuGH zu den 23
Zuletzt Urteil vom 28.3.2000, C 158/97, Slg. 2000, 1875 = NZA 2000, 473.
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Frauenquoten verlangt dies nicht. Als weitere Grundlage für eine Ungleichbehandlung wegen des Alters bei Einstellungen kommt wiederum § 10 AGG in Betracht. Wie oben schon dargelegt wurde, rechtfertigt sich die Ungleichbehandlung im Fall des § 5 AGG durch das Interesse der unterrepräsentierten Personengruppe, im Fall des § 10 durch das Arbeitgeberinteresse 24. Im Schrifttum sind beide Aspekte zur Rechtfertigung altersbezogener Einstellungsquoten herangezogen worden. Zu § 5 AGG bemerkt Thüsing 25, da es kein Mindestalter des Schutzes gebe, seien positive Maßnahmen nicht nur für ältere Arbeitnehmer denkbar, sondern auch für jüngere. In der Praxis werde es allerdings regelmäßig um Vorteile älterer Arbeitnehmer gehen. Unter dem Aspekt des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG (= § 10 AGG) hat Linsenmaier erörtert, ob das Verbot der Altersdiskriminierung den Arbeitgeber daran hindere, durch seine Auswahlentscheidung bei der Einstellung für eine ausgewogene Altersstruktur in seinem Betrieb zu sorgen. Dies sei zu verneinen, zumal das BVerfG 26 eine ausgewogene Altersstruktur als Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der Freiheit der Berufswahl anerkannt habe. Dies müsse auch im Rahmen des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG gelten und entspreche der Begründungserwägung, nach der ein Ziel des Verbots der Altersdiskriminierung die „Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung“ sei. Außerdem komme eine ausgewogene Altersstruktur in den Betrieben letztlich auch dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugute, würde doch dadurch der Entstehung von Problemgruppen entgegengewirkt. Ein entsprechender gesetzlicher Vorbehalt könnte sinngemäß dahin lauten, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters bei der Einstellung gerechtfertigt sei, wenn sie zur Erhaltung oder evtl. auch zur Herstellung – dies wäre freilich zu diskutieren – einer ausgewogenen Altersstruktur im Betrieb erforderlich sei. 2. Folgerungen Auch bei den Einstellungen ist zu fragen, ob die gebotene grundsätzliche Gleichbehandlung wegen des Alters durch seine Ignorierung oder seine bewusst gleichmäßige Berücksichtigung zu erreichen ist. Wie bei den Kündigungen müssen beide Methoden als gleichwertig gelten, da sie beide der Gleichbehandlung wegen des Alters dienen. Eine bevorzugte Einstellung
24 Freilich kann das Arbeitgeberinteresse mit einem öffentlichen Interesse zusammenfallen. So liegt es z.B. wenn ein Arbeitgeber ältere Arbeitnehmer einstellt, um von den Fördermaßnahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen vom 19.3.2007, BGBl. S. 538, Gebrauch zu machen. Dies dürfte stets angemessen und legitim im Sinne des § 10 I S. 1 AGG sein. 25 A.a.O. § 5 AGG Rn. 22. 26 Nachweise oben Fn. 3.
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jüngerer Arbeitnehmer zur Herstellung einer ausgewogenen (bisher alterslastigen) Personalstruktur bedarf dagegen einer besonderen Begründung nach §§ 5, 10 AGG. In dieser Situation sind beide Rechtsgrundlagen für die bevorzugte Einstellung bestimmter Merkmalsträger, hier Altersgruppen, vom Ansatz her anwendbar. Denn die Einstellung jüngerer Arbeitnehmer in eine Belegschaft mehrheitlich älterer Arbeitnehmer dient sowohl dem durch § 5 AGG geschützten Interesse dieser Arbeitnehmer als auch dem von Höchstgerichten vielfach anerkannten Arbeitgeberinteresse an einer ausgewogenen Personalstruktur. Beides zusammen dürfte die Ungleichbehandlung rechtfertigen.
Erfüllungsverlangen und Erfüllbarkeit nach Ablauf der Nachfrist Matthias Jacobs A. Einführung Nach Abschluss eines Kaufvertrags über eine Spezialmaschine kann der Verkäufer (Schuldner) die vereinbarte Lieferfrist nicht einhalten. Der Käufer (Gläubiger) setzt ihm daraufhin eine weitere Frist, innerhalb derer der Schuldner die Maschine zu liefern hat. Der erfolglose Ablauf einer solchen Nachfrist ist nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich erforderlich, damit der Gläubiger seine Sekundärrechte geltend machen kann: den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung und den Rücktritt vom Vertrag. Dem Schuldner gelingt es nicht, die Nachfrist einzuhalten. Dieser einfache Fall wirft verschiedene Fragen auf, deren Beantwortung schwieriger ist, als es der erste Blick erkennen lässt. Erstens: Kann der Gläubiger nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist weiterhin Lieferung der Maschine verlangen oder ist er auf die Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung und den Rücktritt vom Vertrag beschränkt? Zweitens: Kann der Gläubiger weiterhin Erfüllung vom Schuldner verlangen, entsteht für diesen die missliche Situation, dass er mit einem Erfüllungsbegehren und der Ausübung der Sekundärrechte rechnen muss. Kann er sich aus dieser Situation befreien, indem er die Leistung dem Gläubiger trotz des Ablaufs der Nachfrist ordnungsgemäß anbietet, oder hat der Gläubiger – vielleicht mit Blick auf ein zwischenzeitlich getätigtes Deckungsgeschäft – ein Zurückweisungsrecht? Wenn der Schuldner zur Erfüllung noch nicht in der Lage ist, kann er den Gläubiger wenigstens zur Ausübung seines Wahlrechts zwingen, um herauszufinden, ob es sich noch lohnt, die Leistung vorzubereiten? Möglicherweise ist er sogar zu Leistungsanstrengungen auch noch nach Ablauf der Frist gezwungen, um (weitere) Verspätungsschäden zu vermeiden. Nach einer im Schrifttum geäußerten Einschätzung handelt es sich bei diesen Fragestellungen um eine der „gravierendsten rechtspolitischen Schwachstellen des reformierten Leistungsstörungsrechts“ 1. Drittens: Wie ist die Rechtslage, 1 Ernst in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, 5. Aufl. 2007, § 281 Rn. 70a, § 323 Rn. 147; siehe ferner Marotzke KTS 63 (2002), 35; Kaiser JZ 2001, 1069; S. Lorenz in: Karlsruher Forum 2005: Schuldrechtsmodernisierung – Erfahrungen seit dem 1. Januar 2002 (Hrsg.: E. Lorenz), 2006, S. 86.
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wenn der Gläubiger nach Ablauf der Nachfrist – etwa durch Klage gegen den Schuldner auf Vertragserfüllung – weiter Erfüllung verlangt? Kann der Gläubiger auch dann noch seine Sekundärrechte ausüben, ohne dem Schuldner nochmals erfolglos eine Nachfrist setzen zu müssen, oder ist er an sein erneutes Erfüllungsverlangen (zunächst) gebunden? Immerhin hat er durch die Klageerhebung erkennen lassen, dass er auch noch nach Fristablauf an einer Vertragsdurchführung interessiert ist. Der Schuldner hat möglicherweise gerade deshalb weitere Aufwendungen gemacht, um die Leistung vorzubereiten, und wird nun durch die Ausübung der Sekundärrechte „überrascht“. Wenn eine erneute Nachfristsetzung entbehrlich sein sollte: Wie kann man den möglicherweise berechtigten Schutzinteressen des Schuldners anders Rechnung tragen? Eine erste Teilantwort auf diese Fragen hat nunmehr der BGH in einem Urteil vom 20. Januar 2006 gegeben: Ein einmal begründetes Rücktrittsrecht gehe nicht dadurch unter, dass der Gläubiger nach Ablauf der Nachfrist zunächst weiterhin Erfüllung verlange 2. Alle anderen Fragen, die der BGH zum Teil ausdrücklich offen gelassen hat, werden im Schrifttum hingegen (weiterhin) sehr kontrovers diskutiert, sind höchstrichterlich noch nicht geklärt, und auch instanzgerichtliche Urteile liegen – soweit ersichtlich – bislang nicht vor 3. Hansjörg Otto, dessen beeindruckendes wissenschaftliches Werk sich nicht nur auf das Arbeitsrecht, sondern auch auf das Verfahrensrecht und das Bürgerliche Recht erstreckt, hat sich mit den skizzierten Problemen in seiner großen Kommentierung der zentralen Vorschriften des Leistungsstörungsrechts des BGB im „Staudinger“ ebenfalls schon befasst 4. Es ist deshalb zu hoffen, dass die nachfolgenden Überlegungen zum Erfüllungsverlangen und zur Erfüllbarkeit nach Ablauf der Nachfrist auf sein geschätztes Interesse stoßen.
B. Erfüllungsanspruch und Erfüllbarkeit nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist I. Fortbestand des Primäranspruchs nach Fristablauf 1. Abschied von der Frist mit Ablehnungsandrohung Die erste Frage ist relativ einfach zu beantworten. Nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist oder dem Eintritt solcher Tatbestände, die dem Fristablauf gleichstehen (§ 281 Abs. 2 BGB), steht es dem Gläubiger nicht nur frei, 2 BGH 20.1.2006 NJW 2006, 1198; dazu zust. Althammer NJW 2006, 1179 ff.; Gsell Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271; abl. Schwab Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1030 ff. 3 Siehe aber als Vorinstanz des BGH: OLG Celle 17.5.2005 NJW 2005, 2094. 4 Otto in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 281 Rn. D 8, § 323 Rn. D 3 f.
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Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen – der Anspruch entsteht mit Fristablauf als sog. verhaltener Anspruch 5 – oder vom Kaufvertrag zurückzutreten (oder beides zusammen, § 325 BGB). Er kann zunächst auch weiterhin Erfüllung seines Primäranspruchs verlangen, da der bloße Fristablauf auf den Fortbestand des Erfüllungsanspruchs keinen Einfluss hat 6. Im Erfüllungsbegehren, selbst in Form einer Klageerhebung, liegt auch kein Verzicht auf den Schadensersatzanspruch 7 oder das Rücktrittsrecht 8. Lediglich bei erheblichem Zeitablauf könnte das Erfüllungsverlangen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen 9. Der Grund für das fortbestehende Recht des Gläubigers, zwischen Erfüllung und Sekundärrechten wählen zu können, ist einfach: Es fehlt gemäß dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers eine entsprechende Vorschrift im Gesetz, die das Wahlrecht nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist beschränkt. Darin unterscheidet sich das modernisierte Schuldrecht von der früheren Regelung in § 326 Abs. 1 BGB a.F. Danach musste der Gläubiger, der wegen Nichtleistung Sekundärrechte geltend machen wollte, dem Schuldner eine Frist setzen und erklären, dass er die Leistung nach Ablauf der Frist ablehnen werde (§ 326 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.). Das hatte zur Folge, dass der Primäranspruch mit erfolglosem Ablauf der Nachfrist ohne weiteres automatisch erlosch (§ 326 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BGB a.F.) 10. Der Gesetzgeber hielt – wie ein Blick in die Materialien zur Schuldrechtsreform belegt 11 – die geschilderte Regelung für unzweckmäßig, weil sich der Gläubiger schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt zwischen Primäranspruch und Sekundärrechten entscheiden musste. Diese Entscheidung ist ihm heute abgenommen. Für den Schadensersatz statt der Leistung bestimmt § 281 Abs. 4 BGB, dass erst das „Verlangen“ danach endgültig zum Untergang des Leistungsanspruchs führt 12. Nicht erforderlich ist es für den Untergang des Erfüllungs5 Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 108; zum Begriff Krüger in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, 5. Aufl. 2007, § 271 Rn. 4 m.w.N. 6 Im Grunde unstreitig, vgl. nur OLG Celle 17.5.2005 NJW 2005, 2094; Althammer NJW 2006, 1179; Emmerich Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005, § 18 Rn. 51; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 68, § 323 Rn. 145 f.; Faust FS Huber, 2006, S. 239 f.; Grüneberg in: Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 323 Rn. 33; Gsell Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271; S. Lorenz NJW 2005, 1892; Medicus in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB, 2. Aufl. 2007, § 323 Rn. 43; Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 8, jew. m.w.N. 7 Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 75, 170. 8 Ernst (Fn. 1) § 323 Rn. 161, 270. 9 Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 8. 10 Siehe dazu z.B. Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 52; Wiedemann in: Soergel, BGB, Band 2, 12. Aufl. 1990, § 326 Rn. 69, jew. m.w.N. 11 BT-Drs. 14/6040, S. 139 f., 184 f. 12 Das „Verlangen“ ist eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Gläubigers, die an keine Form gebunden ist, Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 2 und D 4; es handelt sich um eine geschäftsähnliche Handlung mit Gestaltungswirkung wie die Mahnung, Otto a.a.O. § 281
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anspruchs entgegen dem Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts von 1992 13, dass der Gläubiger den Schadensersatz tatsächlich erhalten hat 14, oder dass der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung rechtshängig geworden ist 15. Beim Rücktritt ergibt sich die gleiche Rechtsfolge aus § 346 BGB: Mit der Rücktrittserklärung (§ 349 BGB) erlischt der Primäranspruch, das ursprüngliche Schuldverhältnis wandelt sich in ein Rückgewährschuldverhältnis um. 2. Rückkehr zur alten Rechtslage durch Allgemeine Geschäftsbedingungen? Noch ungeklärt ist, ob die Vertragspraxis bei entsprechendem Interesse rechtswirksam mit Hilfe von AGB zur früheren Rechtslage – Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung, danach Erlöschen des Primäranspruchs (§ 326 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BGB a.F.) – zurückkehren kann, um den Gläubiger zu zwingen, sich frühzeitig zwischen Primäranspruch und Sekundärrechten zu entscheiden. Der Kern der neuen Regelung, der dem Gerechtigkeitsgebot und nicht bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen Rechnung trägt, zielt darauf, den Primäranspruch auch noch nach Ablauf der Nachfrist fortbestehen zu lassen und die Rechte des Gläubigers zu stärken. Eine entsprechende formularvertragliche Vereinbarung widerspricht damit dem gesetzlichen Leitbild des § 281 Abs. 4 BGB und ist folglich gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam 16. Eine andere Frage ist, ob die Parteien den Untergang des Erfüllungsanspruchs nach § 281 Abs. 4 BGB ausschließen und damit die Wahlfreiheit des Gläubigers verlängern können. Eine solche Verlängerung weicht nicht vom gesetzlichen Leitbild des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ab, denn § 281 Abs. 4 BGB beschränkt die Möglichkeit, dass der Gläubiger die Geltendmachung des Anspruchs beliebig lange hinauszögert, nicht 17. Dass der Abschluss-
Rn. D 3; Stadler in: Jauernig, BGB, 12. Aufl. 2007, § 281 Rn. 14; der Begriff des „Verlangens“ ist im Übrigen zurückhaltend zu interpretieren, um zu vermeiden, dass der Gläubiger durch vorschnelle Äußerungen seinen Erfüllungsanspruch verliert, dazu etwa Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 57; der Gläubiger kann die Erklärung, Schadensersatz zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten, bereits mit der Nachfristsetzung verbinden, Emmerich a.a.O. § 18 Rn. 58; der Gegenleistungsanspruch des Schuldners erlischt, obwohl § 281 Abs. 4 BGB dazu keine Regelung enthält, ebenfalls, näher Otto a.a.O. § 281 Rn. D 12; ferner Emmerich a.a.O. § 18 Rn. 56. 13 § 283 Abs. 4 Satz 1 BGB-KE. 14 Ebenso Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 2. 15 Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 2; dafür de lege ferenda Canaris ZRP 2001, 334; zu einer entsprechenden Vertragsgestaltung ders. FS Ulmer, 2003, S. 1095. 16 So auch Pfeiffer in: Das neue Schuldrecht in der Praxis (Hrsg.: Dauner-Lieb/ Konzen/Schmidt), 2003, S. 244; Schulze/Ebers JuS 2004, 271; Schwab JR 2003, 138 f.; Stadler (Fn. 12) § 281 Rn. 6. 17 Canaris FS Ulmer, 2003, S. 1096; i.E. ebenso Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 14.
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bericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts von 1992 eine entsprechende Regelung in § 283 Abs. 4 Satz 1 BGB-KE ausdrücklich vorsah, bestätigt diese Einschätzung. 3. Prozessuale Konsequenzen des erweiterten Wahlrechts Der Gläubiger hat das Recht, nach fruchtlosem Fristablauf Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten (§§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 BGB). Er kann bei einer Erfüllungsklage gegen den Schuldner – das sei nur am Rande bemerkt – nach § 255 Abs. 1 ZPO beantragen, dass die Nachfrist im Urteil bestimmt wird. Zugleich kann er für den Fall, dass die im Urteil gesetzte Frist fruchtlos abläuft, hilfsweise nach § 259 ZPO beantragen, dass der Schuldner zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wird 18. Mit der Klage auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß §§ 731, 726 Abs. 1 ZPO können die Parteien den Streit darüber austragen, ob die Bedingung eingetreten ist. II. Wahlrecht des Gläubigers wegen des Nebeneinanders von Primäranspruch und Sekundärrechten 1. Auswege aus der „Hängepartie“ des Schuldners Da der Gläubiger auch noch nach Ablauf der Nachfrist Erfüllung verlangen kann, ist der Schuldner in der eingangs beschriebenen misslichen Situation, gleichzeitig dem Erfüllungsanspruch und Sekundärrechten des Gläubigers ausgesetzt zu sein. Er muss sich einerseits leistungsbereit halten, kann sich aber andererseits nicht sicher sein, dass er seine Leistung tatsächlich noch erbringen kann. Diese Situation wird im Schrifttum plastisch als „Hängepartie“ des Schuldners beschrieben 19. Wie kann sich der Schuldner – so lautet die zweite Frage – aus dieser Lage befreien? Am nächsten liegt es, ihn einfach auf die Erfüllung des Anspruchs zu verweisen. Nimmt der Gläubiger die Leistung an, entfallen der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung und das Rücktrittsrecht 20. In der Literatur 18
Dazu Wieser NJW 2003, 3458 f.; Heinrichs FS Derleder, 2005, S. 106 f. S. Lorenz NJW 2005, 1895; ders. (Fn. 1) S. 86; ähnl. Althammer NJW 2006, 1179: „Schuldnerdilemma nach Fristablauf“; Dauner-Lieb in: Anwaltkommentar BGB, Band 2, 2005, § 281 Rn. 50: „äußerst unangenehmer Schwebezustand“; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 70, § 323 Rn. 147: „äußerst missliche Lage“. 20 Unstr., siehe etwa Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 51; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 78 ff., § 323 Rn. 165 ff.; Faust FS Huber, 2006, S. 241 f., 242 f.; Gsell in: Soergel, BGB, Band 5/2, 13. Aufl. 2005, § 323 Rn. 144; dies. FS Huber, 2006, S. 305; dies. Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271; Grüneberg (Fn. 6) § 323 Rn. 33; Heinrichs FS Derleder, 2005, S. 107; S. Lorenz NJW 2005, 1892 Fn. 28; ders. (Fn. 1) S. 76; Westermann in Erman, BGB, Band 1, 11. Aufl. 2004, § 281 Rn. 20. 19
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wird allerdings die Auffassung vertreten, nach Fristablauf bestehe grundsätzlich keine Verpflichtung des Gläubigers mehr, die Leistung anzunehmen. Ihm stehe vielmehr – so heißt es im Schrifttum in unterschiedlicher Ausprägung – ein „Recht zur Leistungszurückweisung“ zu 21, er sei nicht verpflichtet, die Leistung anzunehmen 22, oder mindestens könne er das Leistungsangebot des Schuldners mit dem Verlangen nach Schadensersatz abwehren 23. Andernfalls könne ihm der Schuldner nämlich das Recht auf freie Wahl zwischen Primäranspruch und Sekundärrechten durch Erfüllung „aus der Hand schlagen“. Dieser Standpunkt wird vor allem mit einer Abwägung der Interessen der Vertragsparteien in der Schwebelage nach Fristablauf begründet: Der Schuldner habe sich immerhin zweifach vertragswidrig verhalten (Nichtleistung zum Fälligkeitszeitpunkt und Verstreichenlassen der Nachfrist). Demgegenüber stehe die Dispositionsmöglichkeit des „unschuldigen“ Gläubigers, die durch eine Erfüllungsmöglichkeit unangemessen eingeschränkt werde. Ob das Ergebnis dieser Interessenabwägung gegen eine Erfüllbarkeit spricht, ist allerdings zweifelhaft. Darauf ist gleich zurückzukommen. a) Bestimmung einer angemessenen Frist zur Ausübung des Wahlrechts? Zunächst ist auf die Folgen dieser Sichtweise einzugehen: Auf ihrer Grundlage ist die Situation des Schuldners nämlich noch komplizierter. Er kann sich aus der beschriebenen „Hängepartie“ nicht einmal mehr durch Erfüllung befreien. Im Schrifttum schlägt man deshalb vor, dem Schuldner das Recht einzuräumen, dem Gläubiger seinerseits eine Frist zu setzen, innerhalb derer sich dieser für den Primäranspruch oder für ein Sekundärrecht entscheiden müsse. Ein solches Fristsetzungsrecht des Schuldners mag de lege ferenda im Interesse einer zügigen Klärung der Auseinandersetzung wünschenswert sein 24. aa) Fristsetzung bei der Wahlschuld De lege lata gibt es ein solches Recht indessen nicht. Vorgeschlagen wird aus diesem Grund eine Anwendung von § 264 Abs. 2 BGB 25. Danach kann der Schuldner bei der Wahlschuld dem wahlberechtigten Gläubiger, der sich 21
Finn ZGS 2004, 36. Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 8. 23 Heinrichs in: Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 281 Rn. 49; Canaris in: Karlsruher Forum 2002: Schuldrechtsmodernisierung (Hrsg.: E. Lorenz), 2003, S. 50. 24 So Gsell FS Huber, 2006, S. 301; ferner Marotzke KTS 63 (2002), 34ff., 41 (mit Gesetzgebungsvorschlag). 25 Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 51 (analoge Anwendung, aber Ausprägung von § 242 BGB, der deshalb u.U. auch bei einer elektiven Konkurrenz herangezogen werden könne); ders. FS Derleder, 2005, S. 107 f. (Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben); Schwab JR 2003, 135f. (direkte Anwendung); ferner Derleder/Hoolmanns NJW 2004, 2790. 22
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mit der Ausübung seines Wahlrechts in Verzug befindet, eine angemessene Frist zur Vornahme der Wahl setzen. Nimmt er sie nicht rechtzeitig vor, geht das Wahlrecht auf den Schuldner über. Eine unmittelbare Anwendung von § 264 Abs. 2 BGB scheidet indessen aus. Beim Verhältnis von Erfüllungsanspruch einerseits und Sekundärrechten andererseits handelt es sich nicht um eine Wahlschuld nach §§ 262 ff. BGB 26. Von einer Wahlschuld spricht man, wenn ein einheitlicher Anspruch mit alternativem Inhalt geschuldet wird, etwa die Erbringung des geschuldeten Pachtzinses wahlweise in Geld oder in Naturalien 27. Mit einer Wahlschuld unvereinbar ist, dass sich das Erfüllungsverlangen – ein Anspruch – und der Rücktritt – ein Gestaltungsrecht – nicht als „einheitlicher Anspruch“ verstehen lassen 28. Überdies kann der eine Leistungsinhalt – die Leistung als solche – dem Gläubiger ohne dessen Verlangen erbracht werden, während der andere Leistungsinhalt – Schadensersatz statt der Leistung – das Verlangen des Gläubigers voraussetzt 29. Das spricht ebenfalls gegen die Annahme einer Wahlschuld. Außerdem würde es sich bei Annahme einer Wahlschuld bei § 281 Abs. 4 BGB entgegen der offensichtlichen Absicht des Gesetzgebers dann lediglich um eine deklaratorische Regelung handeln. Schließlich hat die Ausübung des Wahlrechts bei der Wahlschuld gestaltende Wirkung (§ 263 Abs. 2 BGB) 30. Davon kann man aber gerade nicht sprechen, wenn der Gläubiger nach Ablauf der Nachfrist seinen Primäranspruch weiterverfolgt 31. Das alles passt nicht zu einer Wahlschuld und spricht dafür, dass Erfüllungsanspruch und Sekundärrechte in einem Verhältnis elektiver Konkurrenz zueinander stehen 32, die allerdings beim Fixhandelskauf durch § 376 Abs. 1 Satz 2 HGB beschränkt wird. Bei der elektiven Konkurrenz stehen wahlweise zwei oder mehrere Ansprüche oder Gestaltungsrechte mit unterschiedlichem Inhalt zur Verfügung, endgültig kann aber nur der oder das eine oder der oder das andere verwirklicht werden 33. 26 Dafür aber Schwab JR 2003, 134 (für das Verhältnis zwischen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung und Erfüllungsanspruch). 27 Dazu Krüger (Fn. 5) § 262 Rn. 2 ff. m.w.N. 28 Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 53; Ernst (Fn. 1) § 323 Rn. 147. 29 Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 69. 30 Krüger (Fn. 5) § 263 Rn. 2, 7. 31 Näher Althammer ZGS 2005, 375; Bressler NJW 2004, 3383; S. Lorenz (Fn. 1) S. 87 Fn. 295. 32 BGH 20.1.2006 NJW 2006, 1198; ebenso Althammer ZGS 2005, 376 f.; Bressler NJW 2004, 3382 f.; Canaris (Fn. 23) S. 49; ders. NJW 2006, 1080; Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 53; Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 51; Faust FS Huber, 2006, S. 240; Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 49; ders. FS Derleder, 2005, S. 105; S. Lorenz (Fn. 1) S. 88; Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 19; krit. dagegen Gsell Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271 (das Konkurrenzverhältnis ähnele einer facultas alternativa [Ersetzungsbefugnis], wobei jedoch nicht Leistungen, sondern Rechte miteinander konkurrierten); dies. FS Huber, 2006, S. 312 ff.; i.E. ebenso, aber aus einer anderen Warte, Schwab Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1031. 33 Zur elektiven Konkurrenz grundlegend Weitnauer FS Hefermehl, 1976, S. 467 ff.; ferner Krüger (Fn. 5) § 262 Rn. 11 ff. m.w.N.
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Gegen eine Analogie 34 zu § 264 Abs. 2 BGB spricht vor allem der Normzweck des § 281 Abs. 4 BGB: Der Gesetzgeber hat sich bewusst und ausdrücklich gegen eine Möglichkeit des Schuldners entschieden, den Gläubiger zur Ausübung seiner Rechte durch Setzung einer Frist zwingen zu können. Eine entsprechende Regelung war zwar noch in §§ 281 Abs. 3, 323 Abs. 5 der Konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes enthalten: Der Schuldner konnte dem Gläubiger nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist seinerseits eine Frist setzen, um ihn zu einer Entscheidung zwischen dem Erfüllungsverlangen und der Ausübung von Sekundärrechten zu zwingen; die Nichtausübung des Wahlrechts hatte zur Folge, dass vor Ausübung der Sekundärrechtsbehelfe eine erneute Fristsetzung erforderlich wurde. Dieser Gesetzgebungsvorschlag ist aber gerade nicht Gesetz geworden. Auch die Begründung des Gesetzgebers dafür überzeugt: Es sei nicht gerechtfertigt, dass ausgerechnet der vertragsbrüchige Schuldner dem vertragstreuen Gläubiger eine ihm ungünstige Entscheidung aufzwingen könne 35. bb) Erlöschen des Rücktrittsrechts nach Fristsetzung Eine im Schrifttum ebenfalls vorgeschlagene analoge Anwendung von § 350 BGB 36 passt ebenfalls nicht 37. Danach kann der Rücktrittsgegner dem Rücktrittsberechtigten beim vertraglichen Rücktrittsrecht eine angemessene Frist zu dessen Ausübung bestimmen; übt er das Rücktrittsrecht nicht aus, erlischt es. Um ein vertragliches Rücktrittsrecht geht es indessen nicht. Und für eine Analogie ist – wie eben geschildert – schon im Grundsatz kein Raum. Ein weiteres kommt hinzu: Früher konnte der Gläubiger dem Schuldner wegen der Verweisung in § 327 Satz 1 BGB a.F. auf § 355 BGB a.F. auch beim gesetzlichen Rücktrittsrecht eine solche Frist setzen. Diese Möglichkeit ist durch die Schuldrechtsmodernisierung aber ausdrücklich entfallen. Sie besteht heute wegen § 350 BGB nur noch für den vertraglichen Rücktritt. 34 Wie hier BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198, 1199; Althammer NJW 2006, 1181; ders. ZGS 2005, 376; Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 53; Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 55; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 69, 70a, § 323 Rn. 147; Faust FS Huber, 2006, S. 245; Grüneberg (Fn. 6) § 323 Rn. 33; S. Lorenz (Fn. 1) S. 87 f.; Medicus (Fn. 6) § 323 Rn. 43. 35 BT-Drs. 14/6040, S. 140, 185. 36 Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 8; Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 51 („vielleicht“); anders Otto a.a.O. § 323 Rn. D 3 für das gesetzliche Rücktrittsrecht („angesichts der Entstehungsgeschichte“). 37 Wie hier Althammer ZGS 2005, 376; ders. NJW 2006, 1181; Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 53; Ernst (Fn. 1) § 323 Rn. 147; Gsell FS Huber, 2006, S. 301; S. Lorenz NJW 2005, 1892; ders. (Fn. 1) S. 87; Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 19; anders Schwab JR 2003, 136 f.: § 350 BGB sei kein Hinderungsgrund; Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 51 (da „völlig unzumutbare Situation“ für den Schuldner); ferner Marotzke KTS 63 (2002), 35: (de lege lata) fragwürdig, für das Insolvenzverfahren sogar „völlig inakzeptabel“; in diese Richtung auch Ernst a.a.O. § 323 Rn. 147 Fn. 248.
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b) „Abwendungsrecht durch verspätete Leistung“ Der Schuldner hat im Beispielsfall also keine Möglichkeit, dem Gläubiger eine Frist zu setzen, dass er sein Wahlrecht ausübe. Damit ist auf die schon angesprochene Möglichkeit des Schuldners zurückzukommen, sich aus der beschriebenen „Hängepartie“ zu befreien: das ordnungsgemäße Angebot an den Gläubiger, den Primäranspruch zu erfüllen; im Schrifttum treffend als „Abwendungsrecht durch verspätete Leistung“ bezeichnet 38. Der BGH hat zu dieser Möglichkeit im Urteil vom 20. Januar 2006 ausdrücklich keine Festlegung getroffen: Es könne dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen das Rücktrittsrecht des Gläubigers erlösche, wenn der Schuldner zwar nach dem Ablauf der Nachfrist, aber noch vor der Erklärung des Rücktritts die geschuldete Leistung nachhole 39. aa) Zurückweisungsrecht des Gläubigers Zum Teil wird dem Gläubiger in der Literatur – wie bereits erwähnt – das Recht zugesprochen, die angebotene Leistung zurückzuweisen, ohne dadurch in Annahmeverzug nach §§ 293 ff. BGB zu geraten 40. Nach dieser Meinung ist der Primäranspruch gegen den Willen des Gläubigers nicht mehr erfüllbar. Der Schuldner hat kein „Abwendungsrecht durch verspätete Leistung“, während dem Gläubiger umgekehrt ein „Recht zur Leistungszurückweisung“ zusteht 41. Dabei werden zwei modifizierende Betrachtungsweisen vertreten. Nach einer Sichtweise kann der Schuldner den Gläubiger durch das Angebot immerhin zur Ausübung des Wahlrechts zwingen, weil dieser – wenn er es zurückweise – rechtsmissbräuchlich handele und gemäß § 242 BGB daran gehindert sei, später doch noch Erfüllung zu verlangen 42. Danach kann sich der Gläubiger im Moment des Angebots noch dazu entschließen, ein Sekundärrecht auszuüben 43. Bisweilen wird sogar verlangt, dem Gläubiger müsse eine (angemessene) Überlegungsfrist eingeräumt werden, wie er auf das Angebot reagieren wolle 44. Das gelte jedenfalls dann, wenn das Leis38
Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 51. BGH 20.1.2006 NJW 2006, 1098. 40 Vgl. Finn ZGS 2004, 37; Schwab JR 2003, 134; grds. auch Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 49; Otto (Fn. 4) § 323 Rn. D 8; wohl auch Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 51. 41 Ausführl. Finn ZGS 2004, 33 ff. (dogmatisch wenig überzeugende Begründung mit „dem ihm wahlweise eingeräumten Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung“, S. 36 Fn. 35); ferner Gsell (Fn. 21) S. 115. 42 Canaris (Fn. 23) S. 49; Finn ZGS 2004, 37; Otto (Fn. 4) § 323 Rn. D 3; dagegen i.E. zu Recht Faust FS Huber, 2006, S. 245; Gsell FS Huber, 2006, S. 301. 43 Dafür Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 55; Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 49; ders. FS Derleder, 2005, S. 107; dagegen Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 85, § 323 Rn. 175; Faust FS Huber, 2006, S. 250. 44 Dafür Derleder/Hoolmanns NJW 2004, 2789; Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 20; dagegen Heinrichs FS Derleder, 2005, S. 107 (allenfalls in „besonders liegenden Ausnahmefällen“). 39
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tungsangebot so kurzfristig nach Ablauf der Nachfrist erfolge, dass nicht zu erwarten sei, der Gläubiger habe sich bereits zwischen Erfüllung und Schadensersatz entschieden 45. In diese Richtung zielen auch Art. 49 Abs. 2 lit. a CISG, wonach der Käufer (Gläubiger) auch dann noch zur Vertragsauflösung binnen angemessener Frist berechtigt ist, wenn er erfährt, dass der Verkäufer (Schuldner) die verzögerte Leistung nachgeholt hat, sowie Art. 9.303 Abs. 3 lit. a Satz 2 Principles of European Contract Law (LandoPrinciples) und Art. 7.3.2 Abs. 2 Unidroit Principles of International Commercial Contracts, wonach der Gläubiger sein Vertragsaufhebungsrecht erst dann verliert, wenn er auf ein nachträgliches Leistungsangebot nicht binnen angemessener Frist reagiert 46. Zusätzlich kann sich dieser Ansatz auf ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2003 stützen, in dem entschieden wurde, dass nach erfolglosem Fristablauf grundsätzlich keine Verpflichtung des Gläubigers mehr bestehe, die Leistung anzunehmen 47. Als dogmatische Konstruktion wäre schließlich auch die Annahme eines „verhaltenen Anspruchs“ denkbar, bei dem der Schuldner die Leistung nicht erbringen darf, bevor der Gläubiger sie einfordert48. bb) Abwendungsrecht des Schuldners durch Annahmeverzug des Gläubigers Andere meinen umgekehrt, der Gläubiger gerate grundsätzlich in Annahmeverzug, wenn er die durch den Schuldner ordnungsgemäß angebotene Leistung zurückweise, wodurch er seine Sekundärrechte verliere 49. Zum Teil soll der Gläubiger in Anlehnung an § 299 BGB allerdings nur dann in Annahmeverzug geraten können, wenn der Schuldner die Leistung angemessene Zeit vorher angekündigt und dem Gläubiger auf diese Weise hinreichend Zeit gewährt habe, sich Klarheit zu verschaffen, ob er am Vertrag festhalten wolle (Überlegungsfrist) 50. Dieser Sichtweise ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Die erwähnte Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2003, welche die Gegenauffassung anführt, betraf lediglich das Werkvertragsrecht in seiner Fassung vor der Schuldrechtsmodernisierung sowie die VOB. Außerdem entschied der BGH über eine Frist zur Nachbesserung von Mängeln, nicht über eine solche zur
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Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 86, § 323 Rn. 176: „kurze Überlegungsfrist“. Dazu Gsell (Fn. 20) § 323 Rn. 145. 47 BGH 27.2.2003 NJW 2003, 1526 f. 48 Vgl. Faust FS Huber, 2006, S. 243. 49 Derleder/Hoolmanns NJW 2004, 2787; Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 55; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 85, § 323 Rn. 175; Stadler (Fn. 12) § 281 Rn. 15; dagegen Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 19 (Widerspruch zu § 281 Abs. 4 BGB). 50 Gsell (Fn. 20) § 323 Rn. 146 f.; dies. FS Huber, 2006, S. 305 ff.; dies. Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271; Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 20. 46
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Erfüllung. Die Aussagekraft des Urteils für die Frage, ob nach Fristablauf eine Verpflichtung des Gläubigers besteht, die Leistung anzunehmen, ist folglich begrenzt. Auch für die Konstruktion eines verhaltenen Anspruchs gibt es keine Anhaltspunkte: Vertraglich ist ein solcher Anspruch nicht begründet worden; ein gesetzlicher Fall – zum Beispiel § 285 BGB oder § 368 BGB – liegt nicht vor, und auch für eine Analogie fehlt jede Basis. Entscheidend sind umgekehrt folgende Überlegungen: Durch das Angebot der Leistung in einer Weise, die den Annahmeverzug begründet, endet der Schuldnerverzug 51. Da der Schuldner die Leistungshandlung vornimmt, die zur Erfüllung des Anspruchs erforderlich ist 52, müssen gleichzeitig die Voraussetzungen des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung und des Rücktrittsrechts entfallen, die beide materiell Verzugsfolgen sind 53. Damit verliert der Gläubiger das auf die bisherige Leistungsverzögerung und den Fristablauf gestützte Rücktrittsrecht und die Befugnis, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen 54. Damit hat er auch kein Wahlrecht mehr, sondern nur noch den Erfüllungsanspruch. Eine Kontrollüberlegung bestätigt dieses Ergebnis: Der Primäranspruch des Gläubigers besteht gegen den Schuldner auch nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist fort. Deshalb muss es als notwendiges Gegenstück zum Erfüllungsanspruch des Gläubigers grundsätzlich auch ein Befriedigungsrecht des Schuldners geben; andernfalls wäre der Erfüllungsanspruch sinnentleert 55. Der Einwand, man schlage dem Gläubiger auf diese Weise das Wahlrecht „aus der Hand“, überzeugt nicht: Schließlich bekommt der Gläubiger mit der Erfüllung genau das, was er gerade fordert. Auch der Gesetzgeber sieht das so: Er hat die Unsicherheit des Schuldners, der nicht weiß, was der Gläubiger letztlich tun wird, eingehend diskutiert und sie dann in Kauf genommen, unter anderem mit der Begründung, der Schuldner könne die Ungewissheit jederzeit dadurch beenden, dass er die geschuldete Leistung erbringe 56. Dem ist nichts hinzuzufügen. Gegen eine zusätzliche (angemessene) Überlegungsfrist spricht, dass der Gläubiger bereits genügend Zeit hatte, über sein Wahlrecht nachzudenken 57. Es besteht keine Veranlassung, ihn zusätzlich auf Kosten des Schuldners zu schützen, der seinerseits nichts Verbotenes tut, wenn er versucht, den Primäranspruch
51 OLG Düsseldorf 15.1.1999 NJW-RR 1999, 1396, 1397; Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 55; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 85, § 323 Rn. 175; krit. Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 20. 52 Dazu Faust FS Huber, 2006, S. 249. 53 Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 85, § 323 Rn. 175; Emmerich (Fn. 6) § 18 Rn. 55 (für § 281 BGB); Faust FS Huber, 2006, S. 249 f., 251 f. 54 Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 85, § 323 Rn. 175. 55 Für Erfüllbarkeit z.B. auch Althammer NJW 2006, 1181; Faust in: Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, 3 Rn. 155; ders. FS Huber, 2006, S. 243, 246ff.; S. Lorenz NJW 2005, 1889; ders. (Fn. 1) S. 88, jew. m.w.N. 56 BT-Drs. 14/6040, S. 140, 185. 57 Vgl. Faust FS Huber, 2006, S. 248 f.
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zu erfüllen. Für die Frage, ob der Gläubiger sein Wahlrecht verliert, kommt es mithin darauf an, wer von beiden schneller ist: Der Schuldner mit der Vornahme der Leistungshandlung oder der Gläubiger mit der Ausübung der Sekundärrechte 58. Damit ist als weiteres Zwischenergebnis festzuhalten: Der Schuldner kann seine „Hängepartie“ durch ein ordnungsgemäßes Leistungsangebot beenden. Der Gläubiger hat das Wahlrecht zwischen Primäranspruch und Sekundärrechten nur bis zu diesem Zeitpunkt. 2. Treuwidriges Verhalten als Grenze des Gläubigerwahlrechts Bei der Ausübung seines Wahlrechts sind allerdings zum Schutz des Schuldners die allgemeinen Grenzen zu beachten, die sich aus § 242 BGB ergeben. Denkbar sind vor allem zwei Konstellationen eines treuwidrigen Gläubigerverhaltens. a) Fehlende Kundmachung der Abstandnahme vom Erfüllungsanspruch In der ersten Variante lässt der Gläubiger den Schuldner „sehenden Auges“ Aufwendungen zur Erbringung der Leistung tätigen, obwohl er sich bereits dazu entschlossen hat, vom Erfüllungsanspruch Abstand zu nehmen, diese Entscheidung aber noch nicht nach außen kund getan hat. In diesem Fall muss die Geltendmachung der Sekundärrechte nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein 59. Das ist mindestens „bei augenscheinlich spekulativem Gläubigerverhalten“ 60 zweifelsfrei. In einer Entscheidung von 2001 hatte der BGH zwar eine Verwirkung des gesetzlichen Rücktrittsrechts unter Hinweis auf die Möglichkeit der Fristsetzung nach § 355 BGB a.F. abgelehnt 61. Für das heutige Recht kann ein solcher Ausschluss jedoch keine Rolle mehr spielen, da eine Frist nach dem gleichlautenden § 350 BGB – wie schon erwähnt – nur noch beim vertraglichen Rücktrittsrecht gesetzt werden kann 62. b) Verzögerte Ausübung des Wahlrechts Fraglich ist daneben in der zweiten Variante, ob neben der sehr weiten Grenze der allgemeinen Verwirkung, die natürlich ebenfalls gegeben sein kann, auch eine treuwidrige Verzögerung bei der Ausübung des Wahlrechts sanktioniert werden kann (§ 242 BGB) 63. Konsequenz wäre ebenfalls, dass 58 Zum diesem „Wettlauf“ zwischen Gläubiger und Schuldner näher Faust FS Huber, 2006, S. 249. 59 Althammer ZGS 2005, 376; S. Lorenz NJW 2005, 1892; ders. (Fn. 1) S. 87 f. 60 Althammer NJW 2006, 1181. 61 BGH 18.10.2001 NJW 2002, 669, 670. 62 S. Lorenz NJW 2005, 1892; ders. (Fn. 1) S. 87 f. 63 Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 51; Emmerich (Fn. 6) § 12 Rn. 17 (§§ 241 Abs. 2, 242 BGB); Grüneberg (Fn. 6) § 323 Rn. 33; Westermann (Fn. 20) § 281 Rn. 19.
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der Gläubiger auf den Erfüllungsanspruch beschränkt bliebe. Besser noch als der allgemeine Hinweis auf § 242 BGB passt der Rechtsgedanke des § 314 Abs. 3 BGB 64. Danach kann der Berechtigte bei der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund nur innerhalb einer angemessen Frist ab Kenntnis des Kündigungsgrundes kündigen; die Frist ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Der Hauptzweck der Regelung, möglichst rasch klare Verhältnisse herbeizuführen, passt für die „Hängepartie“ des Schuldners ebenfalls, auch wenn insoweit ein Dauerschuldverhältnis nicht vorliegt. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dann nicht die Kenntnis vom Kündigungsgrund, sondern der Fristablauf. Wenn dabei nicht auf starre Fristen wie die Zwei-Wochen-Frist in § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bei der außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses zurückgegriffen, sondern die Länge der Frist einzelfallbezogen bestimmt wird, können auch die Interessen des Gläubigers ausreichend berücksichtigt werden. Der Gläubiger darf mit der Ausübung seines Wahlrechts mithin nicht allzu lange warten, sondern muss sich im Regelfall binnen einer angemessenen Frist entscheiden. Das gilt insbesondere dann, wenn sich der Gläubiger trotz der nach Sachlage verständlichen Aufforderung des Schuldners, sich zu entscheiden, nicht entscheidet und ihm somit sinnvolle Dispositionen erschwert 65. Dass der Gläubiger andernfalls seine Rechte völlig verliert, wie man zum Teil lesen kann 66, überzeugt auf der Rechtsfolgenseite indessen nicht. Für einen Verlust des Primäranspruchs gibt es keine Grundlage. Vor allem hilft § 314 Abs. 3 BGB nicht weiter. Die Vorschrift kann zum Verlust des materiellen Kündigungsrechts führen, die treuwidrige Ausübung des Wahlrechts durch den Gläubiger kann dagegen unmittelbar lediglich dessen Verlust bewirken, nicht aber denjenigen der vom Wahlrecht betroffenen materiellen Rechte. Der Primäranspruch ist dem Gläubiger auf diese Weise folglich nicht zu nehmen. Er kann nur sein Wahlrecht nicht mehr geltend machen. Das bedeutet weiter, dass die Ausübung der Sekundärrechte durch den Gläubiger eine erneute Nachfristsetzung erfordert. 3. Besonderheiten in der Insolvenz des Schuldners? Die „Hängepartie“ des Schuldners ist besonders misslich für dessen Insolvenzverwalter. Sie kann – wie im Schrifttum eindringlich dargelegt worden ist 67 – zur Vernichtung von noch vorhandenen Vermögenswerten führen, etwa wenn entschieden werden muss, ob das überwiegend fertig gestellte 64 Grüneberg (Fn. 6) § 323 Rn. 33; Medicus (Fn. 6) § 323 Rn. 43; ebenso allgemein im Rahmen des Rücktritts Ernst (Fn. 1) § 323 Rn. 150; dagegen Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 53. 65 Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D 8, § 323 Rn. D 3. 66 Emmerich (Fn. 6) § 12 Rn. 17. 67 Marotzke KTS 63 (2002), 34 ff., insb. 39.
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Werk anderweitig verwertet werden kann oder ob die mit erheblichen Aufwendungen verbundenen Restarbeiten wegen eines möglichen Erfüllungsverlangens des Gläubigers ausgeführt werden sollen. Im bereits eröffneten Insolvenzverfahren kann dem Insolvenzverwalter des Schuldners zusätzlich zur skizzierten Hilfe durch § 242 BGB insolvenzrechtlich geholfen werden. § 103 Abs. 2 Sätze 2 und 3 InsO sind insoweit analog anzuwenden. Nicht nur darf der Vertragspartner (Gläubiger) den Insolvenzverwalter (Schuldner) zur Ausübung seines Wahlrechts auffordern, sondern umgekehrt auch der Insolvenzverwalter den Vertragspartner; außerdem verliert der Vertragspartner sein Wahlrecht (wie der Insolvenzverwalter), wenn er die Aufforderung nicht unverzüglich beantwortet 68. Dieser Weg ist einem vorläufigen Insolvenzverwalter freilich versperrt, und eine Hilfe bietet die skizzierte Analogie auch dann nicht, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wie bei einer „stillen Sanierung“ noch nicht einmal beantragt wurde. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis zur zweiten Frage ist zusammenfassend festzuhalten: Der Schuldner kann die „Hängepartie“ außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht dadurch beenden, dass er dem Gläubiger eine Frist zur Ausübung des Wahlrechts setzt. Er kann aber die geschuldete Leistungshandlung ordnungsgemäß vornehmen, denn der Primäranspruch ist auch nach Ablauf der Nachfrist noch erfüllbar. Erst dann verliert der Gläubiger sein Wahlrecht. III. Bindungswirkung einer erneuten Geltendmachung des Primäranspruchs? Was gilt nun für den umgekehrten Fall, wenn der Gläubiger nach erfolglosem Fristablauf erneut den Primäranspruch – etwa im Wege der Klageerhebung – geltend macht? Aus dem Fehlen einer § 281 Abs. 4 BGB entsprechenden Vorschrift ist – wie eingangs geschildert – zu schließen, dass in diesem Fall weder der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung noch das Rücktrittsrecht erlischt. Beide bestehen trotz erneuten Erfüllungsverlangens, wie der BGH im Urteil vom 20. Januar 2006 ausdrücklich und zu Recht entschieden hat, fort 69, eine erneute Nachfristsetzung ist für ihre Ausübung nicht erforderlich.
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Marotzke KTS 63 (2002), 36; ebenso Althammer NJW 2006, 1181. BGH 20.1.2006 NJW 2006, 1198 f.; ebenso Althammer ZGS 2005, 375 ff.; ders. NJW 2006, 1179 f.; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 75, 101 ff., § 323 Rn. 155 f., 161; Faust FS Huber, 2006, S. 241, 245; Gsell Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271; Heinrichs (Fn. 23) § 281 Rn. 49; Otto (Fn. 4) § 281 Rn. D4; in diesem Sinne schon RG 10.6.1921 RGZ 102, 262, 264 f. 69
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1. Erlöschen der Sekundärrechte? Im Schrifttum und in der Instanzjudikatur wird allerdings vereinzelt trotz dieser eindeutigen Gesetzeslage mit unterschiedlichen Begründungen das Gegenteil vertreten. a) Erlöschen des Primäranspruchs wie beim Verlangen nach Schadensersatz statt der Leistung? Dabei stützt man sich zum Teil auf eine „reziproke“ Anwendung des § 281 Abs. 4 BGB 70. Dessen Existenz ist freilich gerade im Umkehrschluss zu entnehmen, dass das Erfüllungsverlangen des Gläubigers nach Fristablauf keine Bindungswirkung hat 71. Außerdem sind der Primäranspruch und die Sekundärrechte insoweit nicht miteinander vergleichbar; insbesondere beruhen sie auf verschiedenartigen Grundlagen und haben unterschiedliche Voraussetzungen. Die weitere Verfolgung des vertraglichen Erfüllungsanspruchs kann daher – wie der BGH richtig festgestellt hat 72 – der Ausübung der gesetzlichen Rechte aufgrund von Nicht- oder Schlechterfüllung durch den Schuldner nicht gleichgestellt werden 73. Gegen eine Analogie spricht ferner, dass der Gesetzgeber dem Gläubiger – wie schon erwähnt – den Primäranspruch nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist gerade nicht nehmen wollte, um seine Position zu stärken. Nach alledem überzeugt dieser Standpunkt nicht. b) Anwendung der Regelung zur Wahlschuld? Vertreten wird daneben noch eine Analogie 74 zu oder eine unmittelbare Anwendung 75 von § 263 Abs. 2 BGB, wonach bei einer Wahlschuld die gewählte Leistung als die von Anfang an geschuldete gilt. Die gewählte Leistung wäre durch das erneute Erfüllungsverlangen der Primäranspruch. Die Sekundärrechte wären dann erst einmal ausgeschlossen, eine neue Nachfristsetzung erforderlich 76. Unmittelbar ist § 263 Abs. 2 BGB aber nicht anwendbar, da Erfüllungsanspruch und Sekundärrechte – wie dargelegt – nicht im Verhältnis der Wahlschuld zueinander stehen 77. Gegen eine analoge 70
Stadler (Fn. 12) § 281 Rn. 15. BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198, 1199; Althammer NJW 2006, 1180. 72 BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198, 1199. 73 S. auch RG 10.6.1921 RGZ 102, 262, 264. 74 OLG Celle 17.5.2005 NJW 2005, 2094. 75 Schwab JR 2003, 135; abrückend ders. Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1032. 76 Ähnl. (aber unpräzise) OLG Celle 17.5.2005 NJW 2005, 2094, 2095: „§ 262 BGB analog“. 77 Anders – wie erwähnt – Schwab Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1031, der dem BGH – im Ton unsachlich und auch inhaltlich nicht überzeugend – eine „geradezu eklatant mangelhafte Gesetzeslektüre“ vorwirft. 71
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Anwendung sprechen die gleichen Erwägungen wie bei der reziproken Anwendung von § 281 Abs. 4 BGB 78. Auch diese Ansicht ist deshalb abzulehnen. 2. Treuwidriges Verhalten des Gläubigers als einzige Grenze Ein weiteres Zwischenergebnis ist zu notieren: Die Sekundärrechte des Gläubigers erlöschen durch das erneute Erfüllungsverlangen nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist nicht. Der BGH hat in dem eingangs erwähnten Urteil vom 20. Januar 2006 richtig entschieden: Ein einmal begründetes Rücktrittsrecht geht nicht dadurch unter, dass der Gläubiger nach Ablauf der Nachfrist zunächst weiterhin Erfüllung verlangt. Eine erneute Nachfristsetzung ist nicht erforderlich. Kann sich der Schuldner, der die Leistung mit Blick auf das erneute Erfüllungsverlangen des Gläubigers möglicherweise gerade aufwendig vorbereitet, vor einer Ausübung von Sekundärrechten ohne erneute Nachfristsetzung schützen? Der BGH hat die Frage unbeantwortet lassen können 79. a) Ausübung von Sekundärrechten als unzulässige Rechtsausübung? Denkbar ist es, in einer solchen Ausübung von Sekundärrechten zunächst eine gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung durch den Gläubiger zu erblicken: Verlange er unmissverständlich Erfüllung, habe er kein anerkennenswertes Interesse daran, die Annahme der angebotenen Erfüllung zu verweigern; er setze sich damit vielmehr zu seinem vorangegangenen Verhalten in Widerspruch 80. Es bleibe ihm unbenommen, eine zweite angemessene Nachfrist zu setzen und deren fruchtlosen Ablauf abzuwarten. Dass ein solches Verhalten gegen Treu und Glauben verstoßen soll, überzeugt indessen nicht 81. Schließlich handelt der Gläubiger genau so, wie er es durch die Nachfristsetzung angekündigt hat. Auch eine Passage im Regierungsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes deutet in diese Richtung 82: Nach den Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren sind die Sekundärrechte zwar ausgeschlossen, soweit der Schuldner trotz Fristsetzung mit ihrer Ausübung nicht rechnen musste 83. Die Überlegungen sind aber nicht Gesetz geworden. Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es dazu treffend,
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Althammer NJW 2006, 1180. BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198. 80 OLG Celle 17.5.2005 NJW 2005, 2094, 2095; ähnl. Schwab Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1031 f. 81 Ebenso BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198, 1199; Althammer NJW 2006, 1180 f. 82 Vgl. BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198, 1199. 83 §§ 281 Abs. 1 Satz 2, 323 Abs. 1 RegE, BT-Drs. 14/6040, S. 7, 15. 79
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der Schuldner müsse sich nach dem Ablauf der Nachfrist eben darauf einrichten, dass der Gläubiger zu seinen Sekundärrechten übergehe 84. Das bedeutet zusammenfassend, dass der Gläubiger, der nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist zunächst noch einmal Erfüllung verlangt und erst dann Schadensersatz statt der Leistung fordert oder vom Vertrag zurücktritt, nicht rechtsmissbräuchlich handelt. b) Zeitliche Suspendierung der Sekundärrechte („Gnadenfrist“) aa) Treu und Glauben Ein Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB könnte im Einzelfall allerdings vorliegen, wenn der Gläubiger ein Sekundärrecht unmittelbar nach seinem erneuten Erfüllungsverlangen ausübte 85. Dahin deutet die Beschlussfassung des Rechtsausschusses, welche die Streichung der erwähnten Regelungen damit begründet, entsprechende Fälle könnten mit § 242 BGB angemessen gelöst werden 86. Und auch das Urteil des BGH vom vorvergangenen Januar verweist auf den Rücktritt zur Unzeit, der im Einzelfall mit § 242 BGB nicht zu vereinbaren sein könnte 87, und deutet damit jedenfalls in die richtige Richtung. Auch wenn eine erneute Nachfristsetzung durch den Gläubiger nicht erforderlich ist, muss der Schuldner wenigstens die Möglichkeit haben, auf das erneute Erfüllungsverlangen reagieren zu können. Dazu bedarf es eines bestimmten Zeitraums. In der Literatur stellt man zu Recht auf die Zeit ab, die der Schuldner „üblicherweise benötigt“, um die Leistungserbringung vorzubereiten und die Leistung zu erbringen 88. Die Länge dieser letzten „Gnadenfrist“ ist sogar noch konkretisierbar. In Betracht kommt zunächst ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 121 BGB: Der Schuldner müsste die Leistung dann „unverzüglich“ – das heißt ohne schuldhaftes Zögern – erbringen. Im Rahmen der Nachfristsetzung gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB hält man diese Zeitspanne indessen jedenfalls im Grundsatz zu Recht für zu knapp 89. Nichts anderes kann dann für den Fall gelten, dass der Gläubiger ein Sekundärrecht unmittelbar nach seinem erneuten Erfüllungsverlangen aus-
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Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/7052, S. 185, 192. Althammer NJW 2006, 1181; Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 52; S. Lorenz (Fn. 1) S. 88; in diese Richtung jetzt auch Schwab Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1032. 86 BT-Drs. 14/7052, S. 185. 87 BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198, 1199 (Verbot widersprüchlichen Verhaltens); zustimmend Gsell Anm. BGH 20.1.2006 LMK 2006, 193271; vorher schon Dauner-Lieb (Fn. 19) § 281 Rn. 52. 88 Althammer ZGS 2005, 377; ders. NJW 2006, 1181; Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 101, § 323 Rn. 155; Faust FS Huber, 2006, S. 241; S. Lorenz (Fn. 1) S. 88. 89 Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 74 (nur in besonders dringlichen Fällen). 85
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übt, wenn die Suspendierung der Sekundärrechte einen Sinn haben soll. Die Dauer einer „angemessenen Nachfrist“ gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB ist umgekehrt zu lang, denn dann könnte man gleich auf einer erneuten Nachfristsetzung bestehen. Als Richtschnur – mehr Präzision ist nicht erreichbar – ist deshalb festzuhalten: Die „Gnadenfrist“ darf deutlich kürzer sein, als es eine erneute Nachfrist sein müsste; deutlich kürzer, weil es die allerletzte Gelegenheit für den Schuldner ist, zu erfüllen. Im Übrigen kommt es natürlich auf den Einzelfall an. bb) Besonderheiten bei der Klage auf Erfüllung Zum Teil möchte man dem Schuldner, jedenfalls wenn gegen ihn Klage auf Erfüllung erhoben wird, mithin ein „Dauerzustand“ 90 in Bezug auf das Erfüllungsverlangen vorliegt, noch ermöglichen, dem Gläubiger seine Leistungsbereitschaft anzuzeigen. Der Gläubiger habe dann nach § 242 BGB bis zum Ablauf der für die Erbringung der Leistung erforderlichen Zeit abzuwarten, bevor er seine Sekundärrechte ausüben dürfe 91. Der BGH hat auch diese Frage in der Entscheidung vom 20. Januar 2006 ausdrücklich offen gelassen 92. Gegen den skizzierten Standpunkt spricht, dass der Gläubiger seine Klage jedenfalls unter den Voraussetzungen des § 269 ZPO jederzeit wieder zurücknehmen kann. Außerdem genügt die erwähnte „Gnadenfrist“ als Schutz für den Schuldner. Damit ist als letztes Zwischenergebnis festzuhalten: Die Sekundärrechte können nach Ablauf der Nachfrist nach einem erneuten Erfüllungsverlangen ohne erneute Fristsetzung geltend gemacht werden. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ist, wenn der Gläubiger ein Sekundärrecht unmittelbar nach seinem erneuten Erfüllungsverlangen ausübt, lediglich eine „Gnadenfrist“ für den Schuldner abzuleiten, deren Länge einzelfallbezogen zu bestimmen ist, die aber deutlich kürzer sein darf, als es eine erneute Nachfrist sein müsste.
C. Zusammenfassung Damit ist folgendes Ergebnis zusammenfassend festzuhalten. Erstens: Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers besteht auch nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist fort. Der Gläubiger hat ein Wahlrecht, ob er auf Erfüllung besteht oder stattdessen Schadensersatz statt der Leistung verlangt oder vom Vertrag zurücktritt. Zweitens: Die damit verbundene „Hängepartie“ kann 90
Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 102, § 323 Rn. 156. Ernst (Fn. 1) § 281 Rn. 75, 102, § 323 Rn. 156, 161; in diese Richtung auch Schwab Anm. BGH 20.1.2006 JZ 2006, 1032. 92 BGH 16.1.2006 NJW 2006, 1198. 91
Erfüllungsverlangen und Erfüllbarkeit nach Ablauf der Nachfrist
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der Schuldner nicht dadurch beenden, dass er dem Gläubiger eine Frist zur Ausübung seines Wahlrechts setzt. Er kann ihr aber dadurch entgehen, dass er die geschuldete Leistungshandlung vornimmt. Der Primäranspruch ist nämlich auch noch nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist erfüllbar. Im Übrigen darf der Gläubiger die Ausübung seines Wahlrechts allerdings nicht treuwidrig verzögern. Drittens: Macht der Gläubiger nach Ablauf der Nachfrist erneut Erfüllung geltend, erlöschen die Sekundärrechte nicht. Eine erneute Nachfristsetzung und ihr erfolgloser Ablauf sind für deren Ausübung nicht erforderlich. Allerdings sind sie gemäß § 242 BGB nach einem erneuten Erfüllungsverlangen für einen gewissen Zeitraum suspendiert.
Arbeitsrecht zwischen Europäisierung und Amerikanisierung Abbo Junker I. Einleitung Das Thema setzt sich aus drei Schlüsselworten zusammen: Arbeitsrecht, Europäisierung und Amerikanisierung. Beginnen möchte ich mit dem ersten Schlüsselbegriff, dem Arbeitsrecht. Das Arbeitsrecht ist ein relativ junges Rechtsgebiet – nicht so jung wie zum Beispiel das Medienrecht, aber gewiß jünger als das Handels- und Gesellschaftsrecht, das Zivilverfahrensrecht oder das Internationale Privatrecht.1 Zwar gab es schon in der Antike nicht nur Sklavenarbeit, sondern auch Lohnarbeit freier Personen; die Zunftordnungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit enthielten Vorschriften für Gesellen und Lehrlinge. Aber die Rechtsregeln für fremdbestimmte Arbeit, die vor der Epoche der Industrialisierung galten, haben mit dem Arbeitsrecht im heutigen Sinne nichts oder nur sehr wenig zu tun:2 Gesellen und Lehrlinge des Mittelalters waren in den Haushalt des Meisters aufgenommen und gehörten zur Familie. Hinter den mittelalterlichen, vom Lehnsrecht geprägten Maximen der Gefolgschaft, Treue und Fürsorge stand das Konzept einer persönlichen Bindung auf Lebenszeit, die heute weder erstrebenswert noch rechtlich zulässig ist.3
II. Deutsches Arbeitsrecht und Kodifikationsbewegung Selbst in der Zeit der beginnenden Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts schlug noch nicht die Geburtsstunde des privaten Arbeitsrechts: Noch das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 kannte praktisch keine Spezialregeln für unselbständige Dienstleistungen. Das Arbeitsrecht des 19. Jahrhunderts war im Kern kein Privatrecht, sondern öffentliches Recht. Das erste 1
Zu letzterem von Bar/Mankowski IPR, Bd. I, 2. Aufl. (2003), § 2 Rn. 7 f., § 6 Rn. 1–29. Siehe aber Cosima Möller Freiheit und Schutz im Arbeitsrecht – Das Fortwirken des Römischen Rechts in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (1990, zugleich Diss. Göttingen 1989). 3 Söllner/Waltermann Grundriss des Arbeitsrechts, 14. Aufl. (2007), Rn. 25. 2
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Arbeiterschutzgesetz von 1839 4 ging auf eine Initiative des preußischen Kriegsministeriums zurück, weil die Rekruten infolge übermäßiger Kinderarbeit immer weniger dem Ideal des preußischen Grenadiers entsprachen. Es verbot die Beschäftigung von Kindern unter neun Jahren und beschränkte die Arbeit von Jugendlichen unter 16 Jahren auf zehn Stunden täglich.5 Man kann sich in etwa vorstellen, wie die Verhältnisse vorher waren. 1. Anfang und Höhepunkte in Deutschland Das moderne deutsche Arbeitsvertragsrecht entstand in Auseinandersetzung mit dem BGB, das „sich in sozialer Hinsicht stark zurückhielt.“ 6 Als erste arbeitsrechtliche Monographie gilt das 1902 erschienene Werk „Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches“ von Philipp Lotmar.7 1907 erörterte Hugo Sinzheimer unter dem Titel „Der korporative Arbeitsnormenvertrag“ erstmals das Tarifvertragsrecht.8 Im Dezember 1918 wurde das Tarifvertragsrecht normiert, 1920 das Betriebsrätegesetz verabschiedet und 1926 durch das Arbeitsgerichtsgesetz eine einheitliche Arbeitsgerichtsbarkeit geschaffen.9 Da schon zwei Jahre später die Weimarer Republik handlungsunfähig war, kann an dieser Stelle ein Zeitsprung in das aktuelle Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Das heute geltende Tarifvertragsgesetz von 1949 ist noch alliiertes Besatzungsrecht.10 Die beiden anderen herausragenden Teilmaterien des Arbeitsrechts – der Allgemeine Kündigungsschutz und die Betriebsverfassung – wurden auf Vorlage des Kabinetts Adenauer vom 1. Deutschen Bundestag 1951 und 1952 geregelt. Die Blütezeit des autonomen deutschen Arbeitsrechts waren jedoch die späten sechziger und frühen siebziger Jahre. Noch unter der ersten Großen Koalition – und gewiß auch unter dem Eindruck des Wirtschaftswunders – wurde im Sommer 1969 das heute geltende Kündigungsschutzgesetz verabschiedet.11 Die Ankündigung „mehr Demokratie wagen“ in der Regierungs-
4 Preußisches Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 9.3.1839, abgedruckt bei Ebel Quellen zur Geschichte des deutschen Arbeitsrechts bis 1849 (1964), S. 277–279. 5 Einzelheiten bei Mayer-Maly FS für Schmelzeisen (1980), S. 227, 231. 6 Söllner/Waltermann (Fn. 3), Rn. 31. 7 Lotmar Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1 (1902), Bd. 2 (1908). 8 Sinzheimer Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. 1 (1907), Bd. 2 (1908). 9 Einzelheiten und Nachweise bei Söllner/Waltermann (Fn. 3), Rn. 38. 10 Einzelheiten und Nachweise zur Entstehung des TVG: Wiedemann/Oetker TVG, 7. Aufl. (2007), Geschichte Rn. 19–46. 11 Siehe dazu von Hoyningen-Huene/Linck KSchG, 14. Aufl. (2007), Einleitung Rn. 39– 43.
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erklärung von Willy Brandt (Oktober 1969) fand für das Arbeitsrecht ihren Niederschlag im Betriebsverfassungsgesetz 1972.12 Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 markiert den Höhepunkt der Gesetzgebung zur Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat von Unternehmen. 2. Einfluß des Europäischen Arbeitsrechts Es ist für das Thema von besonderer Bedeutung, daß die Hoch- und Blütezeit des deutschen Arbeitsrechts mit den Anfängen eines Europäischen Arbeitsrechts zusammenfällt. Das Pariser Gipfeltreffen der damals noch sechs Mitgliedstaaten entdeckte 1972 die „soziale Dimension“ der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Das führte in den Jahren 1975 bis 1977 zur Verabschiedung der ersten drei arbeitsrechtlichen Richtlinien, und zwar zu den Themen Arbeitgeberpflichten bei Massenentlassung, Arbeitnehmerrechte bei Betriebsübergang und Gleichbehandlung der Geschlechter im Arbeitsverhältnis.13 Konnte man damals noch von „punktueller Rechtsangleichung“ und von „Inseln des europäischen Rechts in einem Meer nationaler Arbeitsrechtsvorschriften“ sprechen,14 haben in den seither vergangenen drei Jahrzehnten die harmonisierten Vorschriften des Europäischen Gemeinschaftsrechts so viel Land gewonnen, daß heute von der „Austrocknung“ des nationalen Arbeitsrechts die Rede ist.15 Der berühmte Satz von Roman Herzog, daß 80 % der im Bundestag verabschiedeten Gesetze durch Vorgaben aus Brüssel und Luxemburg zumindest beeinflußt, zu erheblichen Teilen sogar vorbestimmt seien, gilt uneingeschränkt auch für das Arbeitsrecht. Das läßt sich exemplarisch an den beiden wichtigsten arbeitsrechtlichen Gesetzen der letzten Jahre zeigen: Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wurde durch europäische Richtlinien erheblich beeinflußt;16 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (im Volksmund „Antidiskriminierungsgesetz“ genannt) wird durch solche Vorgaben vollständig determiniert.17 Seit der „Blütezeit“ autonomer deutscher Arbeitsgesetzgebung hat der Bundestag seine Aktivitäten auf arbeitsrechtlichem Gebiet keineswegs eingestellt. Er ist aber, anders als damals, heute nicht mehr frei; das deutsche Arbeitsrecht ist insoweit nicht mehr autonom. Wollte der deutsche Gesetz-
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Zur Entstehungsgeschichte Richardi/Richardi BetrVG, 10. Aufl. (2006), Rn. 18, 19. Einzelheiten und Nachweise bei Junker JZ 1994, 277, 278–279. 14 Siehe dazu im Rückblick Junker Europäisches individuelles Arbeitsrecht, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 357, 362–369. 15 Waas RdA 2007, 76. 16 ErfK/Müller-Glöge 7. Aufl. (2007), § 1 TzBfG Rn. 1 17 Däubler in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), AGG (2007), Einleitung Rn. 3–7. 13
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geber heute erstmals ein Betriebsverfassungsgesetz schaffen, hätte er – wie es das englische Parlament kürzlich tun mußte – zunächst einmal eine europäische Rahmenrichtlinie zu beachten.18 Die Möglichkeit, die Arbeitnehmer quasi-paritätisch im Aufsichtsrat zu beteiligen, hätte der deutsche Gesetzgeber heute nicht mehr, weil das zugehörige Gesellschaftsrecht inzwischen weitgehend europäisiert ist. Die Bundesregierung mußte erhebliche Klimmzüge veranstalten, um wenigstens einen Minimalstandard der Mitbestimmung in die Europäische Aktiengesellschaft zu retten.19 Ebensosehr wie der Gesetzgeber muß sich auch der Richter, der überkommenes deutsches Arbeitsrecht anwendet, mit europäischen Vorgaben beschäftigen: Das gesetzliche Gebot einer Sozialauswahl auch nach Altersgesichtspunkten (§ 1 Abs. 3 KSchG) steht in einem evidenten Spannungsverhältnis zum neuen europarechtlichen Verbot der Benachteiligung aus Altersgründen.20 Ohne die legislative Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft würde – um ein zweites Beispiel zu nennen – der deutsche Rechtsanwender schwerlich auf den Gedanken kommen, daß die Ausschreibung einer Stelle „nur für Berufsanfänger“ verboten sein könnte, weil darin – wie manche meinen – eine mittelbare Diskriminierung älterer Bewerber zu erblicken ist.21 Um die rasante Entwicklung des europäischen Arbeitsrechts zu beschreiben, wollen manche eine Anleihe bei der Geschichtswissenschaft aufnehmen. Sie teilt eine bestimmte historische Periode in frühes Mittelalter, hohes Mittelalter und spätes Mittelalter. Das Spätmittelalter ist eine Epoche an der Schwelle zur Neuzeit, in der man anachronistische, einem längst überholten Ideal verpflichtete Ritterspiele veranstaltet hat, während nebenan bereits die ersten Kanonen abgefeuert wurden. In diesem Sinne könnte das Spätmittelalter des nationalen Arbeitsrechts angebrochen sein, und wir stünden an der Schwelle zu einer Epoche, die künftige Generationen als aufgeklärte Neuzeit apostrophieren werden. 3. Nationale Kodifikationsbewegungen Angesichts der Qualität europäischer Rechtsetzung ist es allerdings unwahrscheinlich, daß eine solche Neuzeit des europäischen Arbeitsrechts – wie die historische Neuzeit – in die Wiedergeburt antiker Gelehrsamkeit einmünden wird. Das Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten erlebt jedoch eine 18 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABlEG Nr. L 80 vom 23.3.2002, S. 29. 19 Statt vieler: Fleischer AcP 204 (2004), 502, 533 ff.; Henssler FS für Ulmer (2003), S. 193; Kleinsorge RdA 2002, 343; Lutter BB 2002, 1, 5 f.; Rehberg ZGR 2005, 859. 20 EuGH vom 22.11.2005 – Rs. C-144/04, NZA 2005, 1345 – Mangold/Helm. 21 Umfassend Wichert/Zange DB 2007, 970 (auch zur Rechtfertigung nach § 3 Abs. 2 AGG).
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Renaissance ganz anderer Art: Mit dem beginnenden 21. Jahrhundert hat geradezu eine Kodifikationswelle eingesetzt. Das ist wenig überraschend, soweit es – wie in den Beitrittsstaaten Polen, der Tschechischen Republik und zuletzt in Rumänien – in erster Linie darum geht, den arbeitsrechtlichen acquis communitaire zusammenhängend und verknüpft mit den nationalen Regelungen zu übernehmen. Diesem Konsolidierungsziel ist auch das portugiesische Arbeitsgesetzbuch (Codigo do Trabalho) verpflichtet, das 2003 inkraftgetreten ist.22 In anderen Mitgliedstaaten steht jedoch der Impuls im Vordergrund, durch eine Neukodifikation das gewachsene nationale Recht – unbeschadet seiner harmonisierten Teile – zu sammeln, zu sichten und neu zu ordnen, um ihm neue Kraft zu geben. Dieses Ziel verfolgt die „mission de recodification“ des französischen Arbeitsgesetzbuchs (Code du travail), die mit großem Pomp ins Werk gesetzt wurde und die französische Fachpresse beherrscht.23 Das neue Regierungsprogramm in Österreich enthält an prominenter Stelle den Programmpunkt „Neukodifizierung des Arbeitsrechts“ mit dem Ziel, die bestehende Rechtszersplitterung zu beseitigen und ein einheitliches Arbeitsverhältnisgesetz zu schaffen.24 Schließlich wird auch in Deutschland auf der Grundlage des sog. Bertelsmann-Entwurfes intensiv über die Zusammenfassung des individual-arbeitsrechtlichen Normenbestandes in einem Arbeitsvertragsgesetz diskutiert.25 Die Frage, ob die erstrebte „in sich geschlossene Konzeption“ 26 binnen weniger Jahre durch die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft – Stichwort: Grünbuch Arbeitsrecht 27 – durcheinandergewürfelt werden könnte, wird von den Entwurfsverfassern nicht aufgeworfen. Vielmehr lautet eines der Oberziele der Neukodifikation, die „Durchsetzbarkeit der deutschen Arbeitsrechtsstandards in der europäischen Rechtssetzung“ zu verbessern.28 Ein Autor versteht sich sogar zu der Bemerkung, Deutschland werde künftig „im Weltmaßstab als Ideenlieferant und Exporteur einer zukunftsfähigen Arbeitsrechtsordnung“ auftreten.29 Was immer man von solchen Vorstellungen halten mag: Um Anhänger der „Spätmittelalter-Theorie“ des nationalen Arbeitsrechts handelt es sich bei den Entwurfsverfassern wohl 22
Einzelheiten bei Fedtke/Fedtke RIW 2004, 434. Siehe z.B. Combrexelle/Lanouzière Les enjeux de la recodification du Code du travail, Droit Social 2007, 517; Dockès La décodification du droit du travail, Droit Social 2007, 388. 24 Siehe z.B. Risak ZAS 2007, 49. 25 Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, NZA 2006, Beilage zu Heft 23. 26 Frick in: Henssler/Preis, Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, 2. Fassung (2006), S. 3. 27 „Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, KOM(2006) 708 endg. vom 22.11.2006. Siehe dazu Bayreuther NZA 2007, 371. 28 Frick a.a.O. (Fn. 26), S. 3. 29 Fischer NZA 2006, 1395. 23
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nicht. Auch sie kommen freilich nicht an der Erkenntnis vorbei, daß die EGKommission gerade jetzt mit ihrem „Grünbuch Arbeitsrecht“ einen neuen Vorstoß in Richtung auf weitere Arbeitsrechtsangleichung unternimmt.
III. Pro und Contra Europäisches Arbeitsrecht Das leitet über zu der Frage nach dem Für und Wider einer solchen Harmonisierung. Die kürzeste Antwort auf diese Frage gab Anfang Mai 2007 auf dem Europäischen Juristentag in Wien ein englischer Kollege – übrigens der einzige Privatrechtler aus Großbritannien unter 1.200 Teilnehmern aus 32 Nationen, was einiges über das britische Interesse an dieser Veranstaltung sagt. Auf die Frage nach den „Pros and Cons“ vertrat Stephen Weatherill von der Oxford-Universität die Kontraposition in sieben Worten: „What the EC does, it does badly.“30 Zur Illustration des Satzes „Was die Gemeinschaft unternimmt, verwirklicht sie schlecht“ könnte aus arbeitsrechtlicher Sicht einiges gesagt werden. Im folgenden soll es aber nicht um das kleinteilige Thema „Better Regulation“ gehen,31 sondern um drei grundsätzlichere Fragen. 1. Legitimations- und Demokratiedefizit? Die erste Frage betrifft die Legitimation europäischer Rechtsetzung. Häufiger wird der Einwand erhoben, einem Europäischen Arbeitsrecht fehle es an hinreichender demokratischer Legitimation. Abhilfe sei allenfalls zu erwarten, wenn es gelinge, das Europäische Parlament zu stärken. Dagegen wird jedoch nicht ohne Grund vorgebracht, die Diagnose sei verkürzt, die Therapie untauglich: „Die Straßburger Versammlung“ – so stellte Isensee kürzlich fest – „ist keine europäische Volksvertretung, weil es kein europäisches Volk gibt, sondern nur die Völker der europäischen Staaten. Das Parlament setzt sich nach föderativer Parität der Mitgliedstaaten zusammen, nicht nach demokratischer Egalität der Unionsbürger. Die gemeinsame Unionsbürgerschaft, die durch die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten vermittelt wird, ändert daran nichts. Sie schafft kein Unionsvolk als Demos einer europäischen Demokratie.“ 32 30 Handschriftliche Aufzeichnung von mir; der Diskussionsbeitrag ist meines Wissens nicht veröffentlicht. 31 Näheres zum Stichwort „Better Regulation“ unter http://ec.europa.eu/enterprise/ regulation/better_regulation/index_de.htm. Siehe auch das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2007, KOM(2006) 629 endg. vom 24.10.2006. 32 Isensee Zweckverband oder Wertegemeinschaft, FAZ vom 15.1.2007, Nr. 12, S. 8 (Hervorhebung von mir).
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Dennoch fehle der Rechtsetzung der Gemeinschaft nicht die demokratische Legitimation, weil sie ihr von den Völkern der Mitgliedstaaten zufließe, „unmittelbar durch die Wahl des Parlaments, mittelbar über die nationalen Regierungen, die durch eine Legitimationskette mit dem Volk als Ursprung der nationalen Staatsgewalt verbunden sind.“ 33 Folgt man dieser Argumentation, bleibt das Unbehagen, daß auch und gerade auf arbeitsrechtlichem Gebiet die Regierungen der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene Regelungen durchzusetzen suchen, die ihre nationalen Parlamente mehrheitlich ablehnen. Dieses Unbehagen ist allerdings rechtlich schwer faßbar. 2. Problemfall Europäischer Gerichtshof Eine zweite grundsätzliche Erwägung betrifft den Gerichtshof, der das koordinierende, harmonisierende oder vereinheitlichte europäische Recht auszulegen hat.34 1994 habe ich mich unter der Überschrift „Der EuGH im Arbeitsrecht – Die schwarze Serie geht weiter“ 35 des Themas angenommen. Auch heute noch fehlt es den relevanten Entscheidungen an substantieller Begründung und vor allem an Methodenehrlichkeit. Man kann über dieses Thema im Jahr 2007 nicht sprechen, ohne die Entscheidung Mangold/Helm zu erwähnen, die das Verbot der Altersdiskriminierung zu einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts erklärt.36 Eine zustimmende Besprechung ist unter den zahlreichen Rezensionen des Urteils 37 kaum zu finden. Ein ansonsten zurückhaltend argumentierender Kollege formuliert stellvertretend für viele: „The European Court of Justice does not even try to create the illusion that it will disclose the reasons for its decision. In Mangold the Court does not make any effort to convince. It imposes its view through its power as the competent court. An explanation of this – even by its own standards – blatant lack of argument is that the grounds referred to by the Court do not convince on the merits.“ 38 Ich möchte an dieser Stelle die These wagen, daß ein nationales Obergericht sich solche Entscheidungen allenfalls als Ausreißer, nicht aber in Serie leisten 33
Isensee a.a.O. (Fn. 32). Dazu grundsätzlich R. Müller Der Europäische Gerichtshof in der Verfassungskrise der Gemeinschaft, FAZ vom 29.3.2007, Nr. 75, S. 10. 35 Junker NJW 1994, 2527. 36 EuGH vom 22.11.2005 – Rs. C-144/04, NZA 2005, 1345 – Mangold/Helm. 37 Holwe/Kerschbaumer AiB 2006, 198. Ablehnend Bauer/Arnold NJW 2006, 6; Giesen SAE 2006, 45; Mohr SAE 2007, 16; Preis NZA 2006, 401; Reichold ZESAR 2006, 55; Thüsing ZIP 2005, 2149. Differenzierend Schiek AuR 2006, 45; Kamanabrou EzA § 14 TzBfG Nr. 21. 38 Krebber Comparative Labor Law and Policy Journal 27 (2006), 377, 383. 34
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könnte. Denn seine Mitglieder, mit der Rechtskultur des Landes und seiner legal community institutionell und personell verbunden, würden wahrscheinlich der Ächtung durch die Standesgenossen anheimfallen. Die Mitglieder des Europäischen Gerichtshofs – mit ihrem höchst unterschiedlichen edukativen und rechtskulturellen Hintergrund – sind dagegen nur der Europäischen Gemeinschaft in ihrer ganzen Heterogenität und damit letztlich niemandem Rechenschaft schuldig. Die konkreten Folgen einer Entscheidung, die irgendwo in einem Mitgliedstaat eintreten, müssen die Richter nicht kümmern. Verknüpft mit diesem institutionellen Problem ist ein strukturelles Defizit der EuGH-Rechtsprechung: Der Gerichtshof entscheidet über die Europarechtskonformität nationaler Umsetzungsakte, ohne sich über die Abhilfemöglichkeiten des Mitgliedstaates Gedanken machen zu müssen. In dem Mitgliedstaat, der das Urteil umzusetzen hat, tritt Unsicherheit ein. Unter Handlungsdruck entstehen Regelungen, die alles, was bisher galt, an Kompliziertheit überbieten. Damit stellt sich dann erneut die Frage nach der EGRechtskonformität. Im Arbeitsrecht ist die Genese des früheren § 611a BGB eines von vielen Beispielen für diesen Regelkreis. Es handelt sich jedoch um ein generelles Problem. Zu einer steuerrechtlichen Problematik, der Änderung der Wegzugsbesteuerung nach einem EuGH-Urteil,39 schrieb kürzlich ein Autor: „Herausgekommen ist ein Monstrum, das von Widersprüchen nur so strotzt. Die Neuregelung ist sehr viel komplizierter als die Altregelung. Sie lädt zu Umgehungsgestaltungen ein.“ 40 3. Wettbewerb der Arbeitsrechtsordnungen Die institutionellen und strukturellen Defizite der europäischen Judikative sind freilich, wenn überhaupt, nur ein relativ schwaches Argument gegen eine fortschreitende Harmonisierung des Arbeitsrechts in der Gemeinschaft. Ich möchte an dieser Stelle nicht das Konzept der Subsidiarität vertiefen, sondern einen rechtspolitischen Gedanken entwickeln, der mit dem Subsidiaritätsprinzip korrespondiert. Die historische Einführung in das deutsche Arbeitsrecht [am Anfang meines Vortrages] war auch deshalb so ausführlich, weil sie die These untermauern soll, daß das Arbeitsrecht eines Mitgliedstaates seine gegenwärtige Gestalt nicht Zufällen und Launen der Evolution verdankt, sondern organisch gewachsen ist. Es ist insofern Teil der Rechtskultur und damit – wenn man
39 EuGH vom 11.3.2004 – Rs. C-9/02, Slg. 2004, I-2431 = RIW 2004, 392 – Hughes de Lasteyrie du Saillant/Ministère des Finances. 40 Wassermeyer EuZW 2007, 1.
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diese Überhöhung auf so profane Dinge anwenden will – ein Teil der kulturellen Identität.41 Dagegen erleben wir im europäischen Arbeitsrecht seit 30 Jahren eine eklektische Form der Rechtspolitik, die sich in fragmentarischen, mehr oder weniger zufälligen Einschnitten in gewachsene Strukturen vollzieht. Das nationale Arbeitsrecht verliert seine Identität und innere Geschlossenheit, ohne daß ein neues, überzeugendes Gesamtkonzept an seine Stelle tritt. Das bedeutet nicht, daß alle Maßnahmen der Europäischen Union, die auf das Arbeitsverhältnis zielen, von Übel sind: Die Koordinierung des – auf dem Arbeitsverhältnis aufbauenden – Sozialversicherungsrechts in der Gemeinschaft ist im großen und ganzen als Erfolg zu werten. Für grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse gibt es einheitliches Kollisionsrecht (in Gestalt des Römischen Übereinkommens von 1980,42 das demnächst durch eine Verordnung abgelöst wird 43) und einheitliche Regelungen über die Gerichtszuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in der sog. Brüssel I-Verordnung.44 Wenn es um grenzüberschreitende Sachverhalte geht, wie z.B. um die Arbeitnehmervertretung in europaweit tätigen Unternehmensgruppen, kann nicht nur einheitliches Internationales Privatund Prozeßrecht sinnvoll sein, sondern auch einheitliches europäisches materielles Recht. Jenseits dieser Regelungsbereiche sollte sich die Europäische Gemeinschaft jedoch stärker an der Aufgabenverteilung in den Vereinigten Staaten orientieren: Die USA haben, anders als die Europäische Union, zweifellos ein einheitliches Staatsvolk und nicht die Staatsvölker der 50 Einzelstaaten. Dennoch ist nur ein Teil des Arbeitsrechts durch Bundesgesetze vereinheitlicht 45 und das Arbeitsrecht der Einzelstaaten nur insoweit harmonisiert, als sich diese Harmonisierung im Wege gewachsener Konvergenz ergeben hat, wie zum Beispiel bei der „Whistleblower Exception“ von der Kündigungs41 Siehe zu dem Konzept der kulturellen Identität Jayme Identié culturelle et intégration, Recueil des Cours 251 (1995), 9; Ian Ward In Search of a European Identity, Modern Law Review 57 (1994), 315. 42 Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 9.10.1980, ABlEG Nr. 27 vom 26.1.1998, S. 34 (konsolidierte Fassung). 43 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. Dazu Junker RIW 2006, 401; Leible EuZ 2006, 78; Mankowski IPRax 2006, 101. 44 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABlEG Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1. 45 Zum Kündigungsrecht: Ballam Berkeley Journal of Employment and Labor Law 17 (1996), 91. Siehe zur gesetzgeberischen Zuständigkeit im kollektiven Arbeitsrecht Westfall/ Thüsing RdA 1999, 251, 252–254; Däubler ZIAS 1995, 279, 281 f., 289–296; Hirte/Otte NZA 1996, 514, 515.
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freiheit des Arbeitgebers (dazu später). Nicht nur im Gesellschaftsrecht oder im Zivilprozeßrecht, sondern auch im Arbeitsrecht sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein „gigantisches rechtspolitisches Experimentierfeld.“ 46 Die Europäische Union könnte von einem Wettbewerb der nationalen Arbeitsrechtssysteme nur profitieren. Es besteht – unabhängig von der hier ausgeklammerten Frage nach den Grenzen der Gemeinschaftskompetenz – überhaupt kein Grund, das Befristungs- oder das Kündigungsrecht, um nur zwei Beispiele zu nennen, in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren oder gar europaweit zu vereinheitlichen. So mag in Frankreich künftig der befristete Arbeitsvertrag komplett abgeschafft und im Gegenzug die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers erweitert werden,47 während in Deutschland relativ liberale Befristungsregeln mit einem strengeren Kündigungsschutz bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen einhergehen. In der hier propagierten Form eines „europäischen Wettbewerbsföderalismus“ kann sich, beflügelt durch die Rechtsvergleichung und den grenzüberschreitenden Erfahrungsaustausch, vielleicht eine Lösung als die bessere durchsetzen; wenn nicht, ist es auch kein Nachteil, zumal – schon wegen der Sprachbarriere – auch in den nächsten zehn, 20 oder 30 Jahren die meisten Arbeitsverhältnisse nur eine Verbindung zu einem Mitgliedstaat haben werden.
IV. Wege und Symptome der Amerikanisierung Wenn soeben die Vereinigten Staaten von Amerika als Beleg für die These herangezogen wurden, daß selbst in einem Bundesstaat, wenn er nur groß genug ist, kein einheitliches Arbeitsrecht gelten muß, folgt daraus noch nicht, daß auch materielle Anleihen im amerikanischen Recht dankbar zu begrüßen wären. Damit sind wir bei der „Amerikanisierung“ des deutschen Arbeitsrechts. Sie ist in ihrer Intensität mit der Europäisierung nicht zu vergleichen: Daß die „Ausbreitung angelsächsischen Rechtsdenkens“ 48 bereits nachhaltigen Einfluß auf das deutsche Arbeitsrecht habe, wie bisweilen behauptet wird, gehört in das Reich der Fabel.49 Es gibt jedoch einige US-amerikanische Einflüsse, und sie kommen auf verschiedenen Wegen. Relativ harmlos ist der Gebrauch von Rechtsenglisch als bloße Worthülse ohne den zugehörigen Inhalt. Er nimmt auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit 46 Großfeld RabelsZ 39 (1975), 5, 16. Darauf aufbauend Junker Discovery im deutschamerikanischen Rechtsverkehr (1987), S. 73; ders. ZZP 101 (1988), 241. 47 Siehe dazu Waas RdA 2007, 76, 80. 48 Fischer NZA 2006, 1395. 49 Vgl. Honsell FS für Roger Zäch (1999), S. 39, 40: „So groß der amerikanische Beitrag zum technischen Fortschritt dieses Jahrhunderts war, so wenig läßt sich im amerikanischen Denken eine juristische Begabung feststellen. Von einem weltweiten Vorbild – wie immer behauptet wird – kann überhaupt keine Rede sein.“
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zu. Obwohl § 184 GVG bestimmt „Die Gerichtssprache ist Deutsch“ (mit einer wenig beachteten Ausnahme für die sorbische Bevölkerung), spricht das Bundesarbeitsgericht in Leitsatz und Entscheidungsgründen beispielsweise von „Equal Pay“, wenn es um die Bezahlung von Leiharbeitern geht,50 und verwendet einen „Blue Pencil Test“ im Zusammenhang mit der AGBKontrolle von Arbeitsbedingungen,51 der mit seinem US-amerikanischen Vorbild freilich wenig gemein hat.52 Die unbefangene Verwendung derartiger Sprachversatzstücke hat Franz Gamillscheg einmal als „Micky Maus-Englisch“ bezeichnet; Heinrich Honsell hält sie für ein Symptom der „Coca Cola-Kolonisierung.“ 53 Andere sehen in dem Bestreben, auch arbeitsrechtliche Gedankengänge durch die Verwendung der englischen Sprache upzugraden, eine harmlose Anpassung an den Geist einer Zeit, in der ein Eintrittskartenknipser als admissions operator bezeichnet wird, abgestandenes Haarwasser als hair energizer und das Gewerbegebiet von Klein-Blittersdorf als business improvement district.54 Bedenklich wird es erst, wenn solche Sprachregelung nicht nur dem Imponiergehabe dient, sondern – wie beim „Whistleblowing“ – ein abzulehnendes Konzept bezeichnet. Darauf ist zurückzukommen. 1. „Export of American Lawyering Styles“ Wenden wir uns von der sprachlichen zur inhaltlich-konzeptionellen Amerikanisierung des Rechts, so führt gewöhnlich der erste Weg in diese Richtung über den Gruppenegoismus der US-amerikanischen Rechtsanwälte. Sie stellen einen großen Wirtschaftsfaktor dar, der sich in seinem Expansionsdrang, wie zuletzt in den Zwangsarbeiter- und den Kunstraubfällen, immer neue Märkte erschließt. Amerikanische Anwaltsfirmen sind gewöhnlich die Pfadfinder der „US-amerikanischen Rechtshegemonie.“ 55 Erste, wenn auch zaghafte Schritte in diese Richtung lassen sich seit einigen Jahren im Arbeitsrecht beobachten.56 Konferenzen der American Bar Association befassen sich mit transnationaler Rechtsberatung,57 und ein vielbeachteter Zeitschriftenbeitrag trägt den programmatischen Titel: 50 BAG vom 12.1.2006 – 2 AZR 126/05, NZA 2006, 557. Siehe auch Grobys/Schmidt/ Brocker NZA 2003, 777; Röder/Krieger DB 2006, 2122. 51 BAG vom 21.4.2005 – 8 AZR 425/04, NZA 2005, 1053, 1055. 52 Thüsing BB 2006, 661. 53 Honsell FS für Roger Zäch (1999), S. 39, 40. 54 Kuntze-Kaufhold/Schläwe BB 2007, 949. 55 Stürner FS für Kurt Rebmann (1989), S. 839, 842. 56 Siehe allgemein Arthurs Reinventing Labor Law for the Global Economy, Berkeley Journal of Employment and Labor Law 22 (2001), 271; Wiegand The Reception of American Law in Europe, American Journal of Comparative Law 39 (1991), 229. 57 Abel Symposium: The Future of the Legal Profession: Transnational Law Practice, Case Western Reserve Law Review 44 (1994), 737.
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„Exceeding our Boundaries: Transnational Employment Law Practice and the Export of American Lawyering Styles to the Global Worksite.“ 58 Der praktische Ertrag dieser Bemühungen ist jedoch eher gering, vor allem weil die durchwegs zwingenden nationalen Arbeitsrechtsordnungen grenzüberschreitender Standardisierung entgegenstehen. So hatte schon vor 15 Jahren der niedersächsische Ableger eines amerikanischen Nahrungsmittelkonzerns ein „Employee Handbook“, das in seinem äußeren Erscheinungsbild der amerikanischen Ausgabe entsprach. Der Inhalt war jedoch nicht die in den USA übliche, vom Arbeitgeber vorgegebene Arbeitsordnung, sondern eine schlichte, wenn auch zweisprachige Betriebsvereinbarung, die unter der Geltung des deutschen Rechts zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ausgehandelt war. Einflüsse des amerikanischen Rechts über die Anwaltschaft kommen eher aus anderen Rechtsgebieten, etwa wenn in eine Due Diligence, also der Prüfung einer Unternehmensübernahme nach amerikanischem Vorbild, auch arbeits- und sozialrechtliche Fragen des Unternehmers einbezogen werden.59 2. Extraterritorialer Geltungsanspruch Der zweite Weg zur Amerikanisierung führt über den extraterritorialen Geltungsanspruch US-amerikanischer Gesetze, ein Phänomen, das nicht nur dem Kartellrechtler, sondern auch dem Prozeßrechtler – aus dem sog. Justizkonflikt über Zuständigkeiten, Zustellungen und Beweisaufnahmen 60 – geläufig ist. Von arbeitsrechtlicher Relevanz ist der Sarbanes-Oxley Act aus dem Jahr 2003.61 Er richtet sich auch an deutsche Tochterunternehmen von Gesellschaften, die an US-Börsen notiert sind. Das Gesetz verpflichtet sie zur Einführung von sog. „Ethikrichtlinien,“ die das Verhalten der deutschen Mitarbeiter nach US-amerikanischen Vorgaben regeln.62 US-Konzerne haben jedoch bei der Umsetzung dieser Vorgaben nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Frankreich insoweit Schiffbruch erlitten, als die örtlichen Arbeitnehmervertreter zu beteiligen und die lokalen
58 Bisom-Rapp Comparative Labor Law and Policy Journal 25 (2004), 257. Siehe auch Flood Megalawyering in the Global Order: The Cultural, Social and Economic Transformation of Global Legal Practice, International Journal of the Legal Profession 3 (1996), 169. 59 Siehe zur arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen „Due Diligence“ Grimm/Böker NZA 2002, 193. 60 Siehe dazu Junker BB 1987, 1752; ders. RIW 1987, 1; Schütze Prozeßführung und Risiken im deutsch-amerikanischen Rechtsverkehr (2004). 61 Siehe dazu Altmeppen ZGR 2004, 390, 401, 410; Krause AG 2003, 762. 62 Einzelheiten bei Junker BB 2005, 602; Schlachter FS für Richardi (2007), S. 1067; Schuster/Darsow NZA 2005, 273; Wisskirchen/Jordan/Bissels DB 2005, 2190.
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Gesetze zu beachten sind. Der Streit der Supermarktkette „Wal-Mart“ mit dem Gesamtbetriebsrat 63 hat nicht nur die Fachpresse,64 sondern unter der Überschrift „Liebe ist Privatsache“ auch die Bildzeitung beschäftigt.65 In Frankreich haben mehrere Gerichte 66 die Einführung der „harten“ Bestimmungen der Ethikrichtlinien der Mitwirkung des Comité d’entreprise und der Arbeitsverwaltung unterworfen.67 Allerdings dürfen die Erfolge im Kampf gegen die „harten“ Verhaltensregeln von Ethikkodices nicht darüber hinwegtäuschen, daß – gerade auch über die rechtlich nicht faßbaren „weichen“ Bestimmungen dieser Kodices – ein Trend zu appellativen Regelungen und symbolischen Ersatzhandlungen nach Europa gekommen ist, der die Unternehmenskultur in den USA seit längerem kennzeichnet. Für diesen Trend steht die – auch von deutschen Verbänden aufgegriffene – Bezeichnung Corporate Social Responsibility (CSR),68 die anstelle realer Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Illusion solcher Verbesserungen zu schaffen sucht.69 3. Amerikanisierung via Gemeinschaftsrecht Während die ersten beiden Wege zur Amerikanisierung irgendwo im Dickicht des zwingenden nationalen Arbeitsrechts enden, kann der dritte Weg wesentlich weiter führen: die Amerikanisierung via Gemeinschaftsrecht. Als wolle sie das abgestandene Konzept „Die Vereinigten Staaten überholen, ohne sie einzuholen“ verwirklichen, zeigt die EG-Kommission auch im Arbeitsrecht häufiger die Tendenz, US-amerikanische Vorbilder nachzuäffen. Ob das durch vier EG-Richtlinien ausgestaltete Antidiskriminierungsrecht
63 LAG Düsseldorf vom 14.11.2005 – 10 TaBV 46/05, NZA-RR 2006, 81. Vorinstanz: ArbG Wuppertal vom 15.6.2005 – 5 BV 20/05, NZA-RR 2005, 476. 64 Kolle/Deinert AuR 2006, 177; Mengel/Hagemeister BB 2006, 2466. 65 Siehe auch Budras Privat bleibt Privat, FAZ vom 15.11.2005, Nr. 266, S. 19: „Alles hat seine Grenzen … Die Verhaltensrichtlinien amerikanischer Unternehmen mögen zwar nach dortigem Recht nicht nur zulässig, sondern geradezu Pflicht sein. Was in Amerika Pflicht ist, sollte in Deutschland nicht ungeprüft übernommen werden. Das ArbG Wuppertal hat dem Kontrollwahn des Handelskonzerns Wal-Mart einen Riegel vorgeschoben. Auch so kann Globalisierung funktionieren: Statt einer Gleichmacherei auf allen Ebenen und in allen Ländern haben die Richter die Grenzen des deutschen Rechts gezeigt.“ 66 Nanterre 15.7.2005, Droit Ouvrier 2006, 593 (CCE Sigma/SA Sigma); Nanterre 6.10. 2004, Droit Ouvrier 2005, 219 (CE Novartis/Sté Novartis); Versailles 17.6.2004, Droit Ouvrier 2004, 473 note Bied-Charreton (CCE Schindler/Schindler SA). 67 Umfassend Antonmattei/Vivien/Larcher Droit Social 2007, 522. 68 Umfassend Habisch/Jonker/Wegner/Schmidpeter (Hrsg.), Corporate Social Responsibility Across Europe (2005). 69 Nöcker Tue Gutes, und schweige darüber, FAZ vom 25.11.2006, Nr. 275, S. 13.
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originärer Teil des europäischen Sozialmodells ist,70 oder ob die Konvergenz zum amerikanischen Vorbild den Stil prägt,71 wäre Gegenstand eines eigenen Beitrages. An dieser Stelle soll abschließend ein anderes Thema angesprochen werden, das die Organe der Gemeinschaft – inspiriert auch durch US-amerikanische Ethikrichtlinien – als möglichen Regelungsgegenstand entdeckt haben. Es geht um die Frage, inwieweit die vertragliche Rücksichtnahmepflicht den Arbeitnehmer daran hindert, ein Fehlverhalten des Arbeitgebers bei Behörden oder Gerichten anzuzeigen. In den USA wird diese Frage unter dem Stichwort Whistleblowing (Verpfeifen) erörtert und der Arbeitnehmer weitgehend vor Sanktionen des Arbeitgebers geschützt. In Deutschland, aber auch in Frankreich72 ist die Rechtsprechung wesentlich zurückhaltender, indem sie nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die Möglichkeit innerbetrieblicher Abhilfe und vor allem auch die Motivation des Anzeigenden in Rechnung stellt.73 Demgegenüber wird es auf Gemeinschaftsebene – unter Verweis auf das US-amerikanische Privileg des Whistleblowing – neuerdings als geradezu rückständig empfunden, daß der Denunziant nicht umfassend von allen arbeitsrechtlichen Sanktionen freigestellt ist. In Deutschland kämpft das Whistleblower-Netzwerk e.V. für europäische Rechtsvorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern, die ihre innerbetrieblichen Erkenntnisse – aus welchen Motiven auch immer – sogleich nach außen tragen.74 Dieser Ansatz steht nicht nur in einem diametralen Gegensatz zur Datenschutzpolitik der Europäischen Gemeinschaft,75 die gerade gegenüber den Vereinigten Staaten an Rigorosität kaum zu überbieten ist.76 Sie verkennt vor allem den völlig unterschiedlichen rechtskulturellen Hintergrund in den USA und Europa. Die Vereinigten Staaten sind in vieler Hinsicht eine „offene“ Gesellschaft. Im privaten Bereich geben die meisten US-Amerikaner auch im Gespräch mit Fremden unbefangen bekannt, wie hoch ihr Einkommen ist. Im politischen Bereich hat sich in der Lewinsky-Affäre mit Ausnahme des Kinderschutzbundes niemand daran gestört, daß intimste Details aus dem Leben des Präsidenten pressemäßig publiziert wurden.77
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So Blanke NZA 2006, 1304. Siehe dazu Vos Americanization of the EU Social Model?, International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 2005, 355. 72 Antonmattei/Vivien/Larcher Droit Social 2007, 522. Siehe ferner Wisskirchen/Körber/Bissels BB 2006, 1567. 73 BAG vom 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, BAGE 107, 36 = AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung m. Anm. Otto = NZA 2004, 427. 74 www.whistleblower.netzwerk.de. Siehe auch Weber-Rey AG 2006, 406. 75 Mengel/Hagemeister BB 2006, 2466, 2469. 76 Simitis in: ders. (Hrsg.), BDSG-Kommentar, 6. Aufl. (2006), § 36 Rn. 38–40. 77 Siehe dazu – auch unter dem Stichwort „Defizite an Rechtskultur“ – Honsell FS für Roger Zäch (1999), S. 39, 43. 71
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Politiker sind in den USA öffentliche Menschen, und alles, was man über sie wissen kann, verdient Publikation. Das ist, wenn man so will, auch eine Form von „Whistleblowing“. Als kürzlich in Deutschland wesentlich weniger Brisantes aus dem Berliner Privatleben eines bayerischen Politikers öffentlich gemacht wurde, gab es einhellige Empörung: nicht gegen den Politiker, sondern gegen die „Whistleblower“ von der Presse. Gerichtsakten in den USA sind mit allen pikanten Details für jedermann zugänglich; daß Namen verschleiert werden, kommt im Zivilprozeß praktisch nicht vor. Dagegen erhielt das ArbG München kürzlich eine Rüge des Datenschutzbeauftragten: Es hatte in einem an die Fachpresse gegebenen Urteil die Parteinamen geschwärzt, nicht aber die Höhe der Klageforderung; der Kläger, ein weithin unbekannter Filmschaffender, brachte mit Erfolg vor, daß die eher theoretische Möglichkeit, ihn mit dieser Forderung in Verbindung zu bringen, seine Persönlichkeitsrechte verletze. Vor diesem unterschiedlichen rechtskulturellen Hintergrund wäre es systemfremd, Arbeitnehmer dafür zu belohnen, daß sie – ohne Rücksicht auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip – alles, was sie über den Arbeitgeber wissen, ausplaudern dürfen. Das wird nicht nur in Deutschland von vielen so gesehen (übrigens auch in Erinnerung an historische Erfahrungen mit der Stasi und der Gestapo), sondern auch in Frankreich, wo die Zeitschrift Le Droit Ouvrier unter der Überschrift „Die Rückkehr der Denunzianten?“ 78 eine Kampagne gegen diese Form der Übernahme US-amerikanischer Vorstellungen gestartet hat.
V. Schluß Das letzte Beispiel zeigt, daß es verfehlt wäre, holterdiepolter fremde Rechtsvorstellungen zu übernehmen, ohne das unterschiedliche rechtskulturelle Umfeld zu berücksichtigen. Das gilt nicht nur im Verhältnis zu den USA, sondern auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Europäischen Gemeinschaft. Hierzu möchte ich abschließend noch einmal an meine These erinnern, daß die Mitgliedstaaten – aller Harmonisierung zum Trotz – über einen wertvollen Vorrat von Lösungen verfügen, und daß der Wettbewerb dieser Arbeitsrechtsordnungen in jedem Fall einer erzwungenen Harmonisierung vorzuziehen ist.
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Patrice Adam Droit Ouvrier 2006, 281.
Verschuldensunabhängige verhaltensbedingte Kündigung Dagmar Kaiser A. Problem Mit der verhaltensbedingten Kündigung reagiert der Arbeitgeber auf eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer. Da das Arbeitsverhältnis für die Zukunft beendet wird, zielt die Kündigung nicht darauf, ein in der Vergangenheit liegendes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zu sanktionieren, sondern soll künftigen Störungen vorbeugen: Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung ist die Prognose, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten auch in Zukunft verletzen wird; diese Wiederholungsgefahr rechtfertigt die Kündigung.1 In der Vergangenheit liegende Vertragsverletzungen sind nur ein Indiz für die Prognose künftiger Pflichtverletzungen. Die herrschende Meinung steht auf dem Standpunkt, dass „in der Regel“ nur schuldhafte Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers die verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen; 2 teilweise wird ein Verschulden des Arbeitnehmers als zwingende Kündigungsvoraussetzung angesehen.3 Unterscheiden muss man insoweit zwischen der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung: Bei der ordentlichen Kündigung nach § 1 KSchG verlangt die herrschende Meinung schon für die Pflichtverletzung, an die die Kündigung anknüpft, ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers, um dessen
1 BAG 26.1.1995, 2 AZR 649/94 und 12.1.2006, 2 AZR 21/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 46 und 67. 2 BAG 21.1.1999, 2 AZR 665/98, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 178; zuletzt 24.6.2004, 2 AZR 63/03, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; Bitter/Kiel RdA 1995, 26, 33; von Hoyningen-Huene Anm. zu BAG 21.1.1999, AP BGB § 626 Nr. 151; von HoyningenHuene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 475; ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 Rn. 286, 291; APS/ Dörner 2 2004 § 1 KSchG Rn. 275 f.; Preis DB 1990, 630, 631; auch Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1168a; MünchKomm/Hergenröder 4 2005 § 1 KSchG Rn. 205. Gegen das Verschulden als Tatbestandsmerkmal Büdenbender SAE 2000, 89, 91 f.; MünchArbR/Berkowsky 2 2000 § 137 Rn. 32 ff. und ders., Personen- und verhaltensbedingte Kündigung4 2005 § 6 Rn. 71 ff. 3 Löwisch/Spinner § 1 KSchG9 2004 § 1 Rn. 96; KR/Griebeling8 2007 § 1 Rn. 395 f.; HK/Dorndorf KSchG4 2001 § 1 Rn. 531, 536 f.; DKZ/Kittner6 2004 § 1 KSchG Rn. 156.
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Verschulden gegebenenfalls noch einmal im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung zu würdigen. Demgegenüber fließen bei der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB Verschulden und Grad des Verschuldens richtigerweise ausschließlich in die Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein – als wichtiges, häufig als wichtigstes Abwägungskriterium.4 Ich möchte mich auf die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung beschränken. Für die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung wird selten ausdrücklich gesagt, auf welches Fehlverhalten sich das Verschulden des Arbeitnehmers beziehen muss: auf die vergangene, dann abgemahnte Pflichtverletzung oder auf die Pflichtverletzungen, die der Arbeitnehmer nach und trotz der Abmahnung begeht, oder auf die vom Arbeitnehmer künftig zu erwartenden Pflichtverletzungen. Die herrschende Meinung scheint aber selbstverständlich davon auszugehen, dass dem Arbeitnehmer hinsichtlich der vergangenen, später abgemahnten Pflichtverletzung ein Verschulden vorzuwerfen ist.5 Dies ist angesichts des Zwecks der verhaltensbedingten Kündigung, dem Arbeitgeber wegen der Gefahr künftiger Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers die Möglichkeit zu geben, sich vom Vertrag zu lösen, zumindest zweifelhaft. Die Zweifel werden verstärkt durch einen Blick auf das BGB: Die Kündigung ersetzt im Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis den Rücktritt nach §§ 323, 324 BGB. Anders als die §§ 325, 326 BGB a.F. verlangen die §§ 323, 324 BGB n.F. seit der Schuldrechtsreform für den Rücktritt vom Austauschvertrag kein Vertretenmüssen des Schuldners, sondern erlauben den Rücktritt als Reaktion auf jede Pflichtverletzung im Gegenseitigkeitsverhältnis, sofern der Gläubiger dem Schuldner zuvor vergeblich eine Nachfrist zur Erfüllung gesetzt hat, also eine zweite Chance zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten gegeben hat. Dass die herrschende Meinung im Arbeitsrecht trotz der Änderungen des BGB an der Auffassung festhält, die verhaltensbedingte Kündigung setze eine vom Arbeitnehmer verschuldete Pflichtverletzung voraus, bedarf der Überprüfung.
4 BAG 21.1.1999, 2 AZR 665/98, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 178 m.w.N.; ErfK/MüllerGlöge7 2007 § 626 BGB Rn. 42 f.; abw. für das Verschulden schon als Voraussetzung des wichtigen Grundes KR/Fischermeier 8 2007 § 626 BGB Rn. 139; AnwKomm/Franzen 2005 § 626 BGB Rn. 43; APS/Dörner 2 2004 § 626 BGB Rn. 73. 5 Deutlich Preis Prinzipien des Arbeitsrechts (1978), S. 336; ders. DB 1990, 630, 634 und Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1168a; auch Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 96.
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B. Für und Wider das Verschuldenserfordernis I. Verschulden Das BAG definiert nicht, was es unter „Verschulden“ versteht; die Literatur verweist – wenn überhaupt – auf § 276 BGB.6 Ausdrücklich auf das Eigenverschulden im Sinne einer persönlichen Vorwerfbarkeit wird nur selten abgestellt.7 Das BGB spricht grundsätzlich nicht von Verschulden, sondern von Vertretenmüssen in §§ 276, 278, 280 Abs. 1 S. 2, 286 Abs. 4, 287 Abs. 1, 311a Abs. 2 S. 2 BGB, von Einstehenmüssen in § 277 BGB und von Haftung in §§ 277, 287 Abs. 1 BGB. Die amtliche Überschrift des § 276 BGB verwendet seit der Schuldrechtsreform den Begriff „Verantwortlichkeit“, ebenso formulieren §§ 827, 828 BGB für die Verschuldensfähigkeit. Nur in § 278 BGB sagt das Gesetz, der Schuldner habe ein Verschulden seines Erfüllungsgehilfen in gleichem Umfang „zu vertreten wie eigenes Verschulden“. „Verschulden“ heißt damit nach § 276 BGB „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“.8 Zwar meint Verschulden im engeren Sinne, dass das Verhalten dem Handelnden persönlich zum Vorwurf gemacht werden kann.9 Das ist schuldnerfreundlich, weil vom Schuldner nicht mehr verlangt wird als er bei zumutbarer Anstrengung seiner Kräfte zu leisten vermag.10 Die persönliche Verantwortung des Schuldners im Sinne eines Andershandelnkönnens wird in § 276 Abs. 2 BGB aber durch eine Objektivierung und Typisierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes abgeschwächt: 11 § 276 Abs. 2 BGB knüpft nicht daran an, dass sich der Schuldner persönlich falsch verhält, sondern lässt den Schuldner dafür haften, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht einhält. Maßgeblich sind nicht die subjektiven Kenntnisse und Fähigkeiten des Schuldners, sondern die typischen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Angehörigen dieses Berufs oder dieses Verkehrskreises. Einziges subjektives Erfordernis ist die Verschuldensfähigkeit nach §§ 827, 828 BGB (dazu unten C III). Nach § 276 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit allerdings nur dann zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt ist noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses folgt. Als
6 Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 97; ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 292; KR/Griebeling8 2007 § 1 Rn. 400; HK/Dorndorf 4 2001 § 1 KSchG Rn. 529; MünchKomm/Hergenröder 4 2005 § 1 KSchG Rn. 205; auch APS/Dörner2 2004 § 1 KSchG Rn. 275 und § 626 BGB Rn. 73. 7 So LAG Düsseldorf 29.8.2001, 12 Sa 827/01, AnwBl 2002, 607. 8 Laren Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, § 20 I S. 279. 9 Deutsch AcP 202 (2002) S. 889, 898 f.; Larenz a.a.O. S. 279; Staudinger/Löwisch 2004 § 276 Rn. 3. 10 Larenz a.a.O. S. 276. 11 Krit. Larenz a.a.O. S. 276 ff.
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eine solche Modifikation der Haftung nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses wird seit der Schuldrechtsreform die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung nach dem Grad des Verschuldens gesehen, wenn der Arbeitnehmer betrieblich veranlasste Tätigkeiten ausführt.12 Ob die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung auf das Verschulden des Arbeitnehmers zumindest bei arbeitsplatzbezogenen Kündigungsgründen zu übertragen sind, überlegt die herrschende Meinung nicht.13 II. Arbeitnehmerschutz 1. Bestandsschutzinteresse Begründet wird das Verschuldenserfordernis selten. Löwisch meint, man werde „annehmen müssen, dass das Gesetz das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers hinter das Auflösungsinteresse des Arbeitgebers nur dann zurücktreten lassen will, wenn dem Arbeitnehmer sein vertragswidriges Verhalten auch als Verschulden zur Last gelegt werden kann“.14 In die gleiche Richtung geht eine ältere Aussage des BAG, angesichts des sozialen Charakters des Kündigungsschutzgesetzes genüge eine objektive, aber schuldlose Verletzung von Dienstpflichten für eine Kündigung nicht.15 2. Entwicklung des Rücktrittsrechts a) „Pacta sunt servanda“ Dass das Verschuldenserfordernis aus dem sozialen Charakter des Kündigungsschutzgesetzes folgt, ist keine Begründung, sondern eine bloße These.16 § 1 KSchG verlangt kein Verschulden oder Vertretenmüssen des Arbeitnehmers als Kündigungsvoraussetzung.17 Auch für den Rücktritt hat sich aufgrund einer langen Rechtsentwicklung die richtige Auffassung Bahn gebrochen, dass der Gläubiger im gegenseitigen Vertrag unabhängig vom Vertretenmüssen des Schuldners vom Vertrag zurücktreten darf, sobald der Schuldner seine Vertragspflichten verletzt und die Pflichtverletzung trotz Abmahnung (Nachfristsetzung) nicht abstellt. 12 Zuerst BAG (GS) 25.9.1957, GS 4/56, AP RVO §§ 898, 899 Nr. 4; später BAG (GS) 27.9.1994, GS 1/89, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 103. 13 Ausdrücklich abl. nur Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 98. 14 Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 96. 15 BAG 16.3.1961, 2 AZR 539/59, AP KSchG Verhaltensbedingte Kündigung § 1 Nr. 2 gegen eine „Erfolgshaftung“ eines Straßenbahnschaffners dafür, dass keine Schwarzfahrer mitfahren. 16 Büdenbender Anm. zu BAG 17.6.1999, SAE 2000, 88, 90 (auch zu § 626 BGB); ebenso zu § 626 BGB von Hoyningen-Huene Anm. zu BAG 21.1.1999, AP BGB § 626 Nr. 151. 17 Auch Büdenbender SAE 2000, 89, 91; von Hoyningen-Huene Anm. zu BAG 21.1. 1999 AP Nr. 151 zu § 626 BGB.
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Das Verschuldenserfordernis ist ein Relikt einer Rechtstradition, die dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ Rechnung trug: Weil Verträge einzuhalten sind, war die Möglichkeit eines Vertragspartners, sich durch einseitige Gestaltungserklärung vom Vertrag zu lösen, alles andere als selbstverständlich; nur tastend ist im Laufe der Jahrhunderte das Recht zum Rücktritt vom Vertrag entwickelt worden.18 Das römische Recht und in dessen Folge das gemeine Recht kannten kein allgemeines Rücktrittsrecht; den Quellen wurde vielmehr ein Rücktrittsverbot entnommen.19 Eine Lösung vom Vertrag konnten die Vertragspartner nur durch mit dem Hauptvertrag verbundene Aufhebungsverträge erreichen, die durch Potestativbedingung aufschiebend bedingt waren.20 Gegen starken Widerstand wurde im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 mit Art. 354–356 ADHGB ein gesetzliches Rücktrittsrecht eingeführt, das auf den Bereich des Handelskaufs und auf beiderseits noch nicht erfüllte Verträge beschränkt blieb: Im Schuldnerverzug sollte jeder Vertragspartner nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist berechtigt sein, entweder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu fordern oder vom Vertrag zurückzutreten. Weil das Rücktrittsrecht im Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung wurzelte, war es ebenfalls verschuldensabhängig.21 Im BGB wurde 1900 neben der Wandelung und der Möglichkeit vertraglicher Rücktrittsrechte erstmals ein gesetzliches Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung anerkannt und die Rückabwicklung bereits erfüllter Verträge ermöglicht.22 Das Recht des Gläubigers, sich wegen Nichterfüllung vom Vertrag zu lösen und seine Leistung zurückfordern zu können, war aber so neu, dass die Gesetzesverfasser das Lösungsrecht beschränkten: Zum einen schloss man die Kombination von Rückforderung und Schadensersatz aus.23 Zum anderen sollte der Gläubiger nur dann vom Vertrag zurücktreten können, wenn der Schuldner die Leistungsstörung zu vertreten hatte.24 Diese Beschränkung meinte man dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ schuldig zu sein, der in E I § 360 noch enthalten war; sie lag zudem in der Tradition des Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung, der für das Rücktrittsrecht 18 Zur Entstehungsgeschichte Scherner Rücktrittsrecht; Jakobs Leistungsstörungsrecht, S. 55 ff.; Leser Rücktritt (1975) S. 1 ff. 19 Leser a.a.O. S. 2 f. 20 Zur lex commissoria, die den Verkäufer berechtigte, sich unabhängig vom Verschulden des Käufers vom Vertrag zu lösen, wenn dieser den Kaufpreis nicht rechtzeitig gezahlt hatte: Leser a.a.O. S. 16 ff. Zur actio redhibetoria, also der Wandelung von Kaufverträgen wegen verborgener Sachmängel: Leser a.a.O. S. 39 ff. 21 Leser a.a.O. S. 10 ff. 22 Leser a.a.O. S. 29 ff., 60 ff.; auch Beinert Wesentliche Vertragsverletzung und Rücktritt, 1979, S. 181 ff.; Jakobs Leistungsstörungsrecht 1985, S. 55 ff.; Muscheler AcP 187 (1987), 343, 347 ff. 23 Mot. II S. 210 f. 24 Vgl. Mot. II S. 210; Prot. I S. 643 ff.
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Pate gestanden hatte.25 Der in der Zweiten Kommission gemachte Vorschlag, dem Gläubiger den Rücktritt nach erfolgloser Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung auch dann zu erlauben, wenn der Schuldner die Nichterfüllung nicht zu vertreten hatte,26 wurde unter anderem deswegen abgelehnt, weil man sich dadurch „allzuweit von dem in Deutschland geltenden Rechte entferne“.27 b) Synallagmatischer Rechtsbehelf Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 hat sich die schon vorher de lege ferenda vorgeschlagene 28 Lösung durchgesetzt, dass im gegenseitigen Vertrag der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten darf, wenn der Schuldner nicht oder nicht vertragsgemäß leistet, sofern ihm zuvor durch eine Nachfrist eine letzte Chance zur ordnungsgemäßen Leistung eingeräumt worden ist; ob der Schuldner die Leistungsstörung im Sinne des § 276 BGB zu vertreten hat, ist unerheblich. Das verschuldensunabhängige Recht zum Rücktritt vom Vertrag folgt aus der synallagmatischen Verknüpfung der beiderseitigen Leistungspflichten: 29 Erbringt der Schuldner die geschuldete Leistung nicht oder nicht wie geschuldet, gibt es keinen Grund, den Gläubiger an den Vertrag und an seine Gegenleistungspflicht zu binden. Wer nicht leistet, hat kein schützenswertes Interesse daran, am Vertrag festzuhalten; er muss damit rechnen, dass sich der Gläubiger wegen der Nichterfüllung vom Vertrag lossagt. Vor den mit der Vertragsbeendigung verbundenen Nachteilen ist der Schuldner hinreichend dadurch geschützt, dass ihm über die nach § 323 Abs. 1 BGB zu setzende Nachfrist eine letzte Chance zur vertragsgemäßen Leistung eingeräumt wird. Dass der Schuldner die Nichtleistung oder nicht vertragsgemäße Leistung im Sinne des § 276 BGB zu verantworten hat, ist nur notwendig, soweit er dem Gläubiger wegen der Pflichtverletzung Schadensersatz leisten, also Nachteile ausgleichen muss, die dem Gläubiger durch die nicht vertrags-
25 Beinert S. 176 ff., 181 ff., Jakobs Leistungsstörungsrecht, S. 55 ff. und ders. in: FS Mann (1977) S. 33, 51 ff. 26 Prot. I S. 645 f. 27 Prot. I S. 647; Beinert S. 183 ff.; Jakobs Leistungsstörungsrecht, S. 56 f. 28 Schuldrechtskommission in § 323 KE-BGB, dazu Abschlußbericht (1992) S. 162 ff.; auch Rabel in: FS Dolenc u.a. (1937) S. 703, 709 = Gesammelte Aufsätze III (1967) S. 138, 144; Huber Leistungsstörungen, in Schuldrechtsreform I (1981) S. 647, 702 ff., 763, 832 ff.; Schlechtriem in: FS Müller-Freienfels (1986) S. 525, 541 und ders. Schuldrechtsreform (1987) S. 30; auch Jakobs in: FS Mann (1977) S. 35 ff.; Kaiser Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB, 2000, S. 519 f.; krit. Wiedemann in FS Köln (1988) S. 367, 376 ff. 29 Van den Daele Gegenseitiger Vertrag (1968) S. 89 f.; Gillig Nichterfüllung (1984) S. 251; vgl. auch Huber Leistungsstörungen, in Schuldrechtsreform I (1981) S. 647, 763.
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gemäße Leistung entstehen. Der Rücktritt erlegt dem Schuldner anders als der Schadensersatzanspruch hingegen keine Nachteile wegen der Nichterfüllung vertraglicher Pflichten auf, sondern gibt dem Gläubiger, der nicht erhält, worauf er vertraglich Anspruch hat, lediglich die Dispositionsfreiheit zurück, damit er eine entsprechende Leistung anderweitig einkaufen kann.30 3. Arbeitsverhältnis Auch der Arbeitgeber, der nicht erhält, was der Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB schuldet, muss unabhängig vom Verschulden des Arbeitnehmers seine Dispositionsfreiheit zurück erlangen können. Ebenso wenig wie das BGB für den Rücktritt (und für die außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses in §§ 314, 626) verlangt das KSchG für die Kündigung des Arbeitgebers ein Verschulden des Arbeitnehmers. Aus den Besonderheiten des Kündigungsschutzes, insbesondere aus dem „sozialen“ Charakter des Kündigungsschutzgesetzes, folgt ebenfalls nichts für ein Verschuldenserfordernis: Der Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsvorwurf ist kein Kriterium des Bestandsschutzes. Stört der Arbeitnehmer das Synallagma, muss der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis als Reaktion auf die Pflichtverletzung kündigen können.31 Das zeigt die Möglichkeit der personenbedingten Kündigung: Wird der Arbeitnehmer wegen Krankheit dauerhaft arbeitsunfähig, kann der Arbeitgeber kündigen.32 Begrenzt das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers das Recht des Arbeitgebers, durch Kündigung das Arbeitsverhältnis aufzulösen, aber nicht generell, bedarf es eines besonderen Grundes, um mit dem Verschulden gerade das Recht des Arbeitgebers zur verhaltensbedingten Kündigung zu beschränken. Ein solcher Grund ist nicht erkennbar: Die verhaltensbedingte Kündigung unterscheidet sich von der personenbedingten nicht dadurch, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit vorsätzlich oder unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen hat, sondern dadurch, dass bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen die grundsätzliche Möglichkeit besteht, der Arbeitnehmer werde entsprechende Pflichtverletzungen künftig abstellen oder nicht wiederholen, während er die zur personenbedingten Kündigung führenden Gründe nicht beeinflussen kann. Auch das BAG hat in seiner viel
30
Deswegen ordnet §§ 346 Abs. 1, 348 BGB an, dass bereits erbrachte Leistungen Zug um Zug zurückzugewähren, um – gleichsam „rückwärts gerichtet“ – den Zustand wiederherzustellen, wie er vor dem Leistungsaustausch bestand, Staudinger/Kaiser 2004 Rn. 3 vor § 346. 31 Berkowsky Personen- und verhaltensbedingte Kündigung 4 2005, § 6 Rn. 86. 32 Ganz herrschende Meinung, statt aller ErfK/Ascheid/Oetker 7 2007 § 1 KSchG Rn. 171, 188 ff.
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diskutierten Entscheidung zum schuldunfähigen Betriebsschlosser erkannt: „Gerade die Erkenntnis, dass auch der verhaltensbedingte Kündigungsgrund zukunftsgerichtet ist und deshalb die verhaltensbedingte Kündigung keinen Sanktionscharakter hat, legt es schließlich nahe, bei der Abgrenzung, ob zu erwartende Arbeitspflichtverletzungen des Arbeitnehmers seine Weiterbeschäftigung unzumutbar machen, von dem eher systemfremden Erfordernis abzusehen, es müsse ohne jede Einschränkung stets ein Verschulden des Arbeitnehmers vorliegen.“ 33 III. Negativprognose Preis versucht das Verschuldenserfordernis mit dem Prognoseprinzip zu verbinden: Das Verschuldensprinzip ergänze das Prognoseprinzip sinnvoll, weil eine vergangene, schuldhafte Vertragsverletzung die Gefahr künftiger Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses indiziere: Je stärker das Verschulden des Arbeitnehmers wiege, desto eher sei eine Negativprognose gerechtfertigt. Wegen der lediglich ergänzenden Wirkung des Verschuldensprinzips schränkt Preis diese Indizwirkung jedoch dahin ein, dass das Verschuldensprinzip niemals das Übergewicht über das Prognoseprinzip gewinnen dürfe.34 Auch nach Linck sprechen für eine negative Prognose insbesondere die Beharrlichkeit vergangener Vertragsverletzungen und das Maß des Verschuldens.35 Ähnlich formuliert das BAG in neueren Entscheidungen, dass sich die vergangene Pflichtverletzung noch in der Zukunft belastend auswirken müsse.36 Dieser Ansatz übergeht für den Regelfall der verhaltensbedingten Kündigung aber das Abmahnungserfordernis als wesentlichen Zwischenschritt: Nicht die in der Vergangenheit liegende, abgemahnte Pflichtverletzung ist Grundlage für die Prognose, dass der Arbeitnehmer auch künftig arbeitsvertragliche Pflichten verletzen wird, sondern die Tatsache, dass der Arbeitnehmer trotz Abmahnung Pflichtverletzungen fortsetzt oder wiederholt, die dem abgemahnten Fehlverhalten entsprechen.37
33 BAG 21.1.1999, 2 AZR 665/98, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 178; ebenso von HoyningenHuene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 475. 34 Preis Prinzipien des Arbeitsrechts (1987), S. 336; ders., DB 1990, 630, 632 und 634 und ders. in Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1168a; deutlich auch LAG Hamm 30.5.1996, 4 Sa 2342/95, NZA 1997, 1056 (LS). 35 von Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 468; auch KR/Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 405. 36 BAG 12.1.2006, 2 AZR 21/05 und 2 AZR 179/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67 und 68. 37 BAG 26.1.1995, 2 AZR 649/94 und 12.1.1006, 2 AZR 179/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 46 und 68.
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Allerdings kann der Arbeitgeber ausnahmsweise ohne vorherige Abmahnung kündigen – wenn die Abmahnung von vornherein keinen Erfolg verspricht. Nicht erfolgversprechend ist die Abmahnung zum einen dann, wenn der Arbeitnehmer erklärt, er werde das vertragswidrige Verhalten fortsetzen.38 Das entspricht § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB, nach dem der Gläubiger ohne vorherige Nachfrist vom Vertrag zurücktreten kann, wenn der Schuldner die Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten endgültig und ernsthaft verweigert.39 Kündigt der Arbeitnehmer an, seine Pflichtverletzungen fortzusetzen, rechtfertigt – ebensowenig wie im Regelfall der Kündigung nach Abmahnung – nicht die in der Vergangenheit liegende, gegebenenfalls schuldhafte Pflichtverletzung die Prognose künftiger Vertragsverletzungen, sondern stützt sich diese Prognose auf die Ankündigung des Arbeitnehmers.40 Zum anderen ist eine Abmahnung dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten so schwer verletzt, dass auch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB gerechtfertigt wäre.41 Das entspricht § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, nach dem der Gläubiger ohne Nachfrist vom Vertrag zurücktreten kann, wenn besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Nur in diesen Fällen kann im Sinne von Preis das Verschulden des Arbeitnehmers an der vergangenen Pflichtverletzung eine Rolle spielen. Handelt der Arbeitnehmer vorsätzlich, begeht er etwa Straftaten gegen den Arbeitgeber, erlaubt dies in der Regel die Prognose künftigen Fehlverhaltens ohne vorherige Abmahnung: Der Arbeitnehmer, der den Arbeitgeber bewusst schädigt, braucht weder auf die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens noch darauf hingewiesen zu werden, dass sein Fehlverhalten einschneidende Konsequenzen haben werde. Insoweit lässt sich mit Preis sagen, dass eine Negativprognose um so eher gerechtfertigt ist, je größer das Verschulden des Arbeitnehmers an der Pflicht-
38 BAG 18.5.1994, 2 AZR 626/93, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 31 bejaht bei hartnäckiger Weigerung des Arbeitnehmers für fast ein Jahr, der Anordnung des Arbeitgebers zur Übernahme einer Vertretungsaufgabe nachzukommen. 39 Auf § 323 Abs. 2 BGB – allerdings über § 314 Abs. 2 S. 2 BGB – weist auch BAG 12.1.2006, 2 AZR 179/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68 hin. 40 Ob der Arbeitnehmer die Weigerung, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen, im Sinne des § 276 BGB zu vertreten hat, ist ebenfalls unerheblich: Selbst wenn der Arbeitnehmer unter Anspannung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen kann, dass er sich vertragswidrig verhält, rechtfertigt die objektive Gefahr künftiger Pflichtverletzungen den Arbeitgeber wegen der synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung zur Kündigung. Noch unten C. 41 BAG 6.10.2005, 2 AZR 280/04, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 66 zum Ohrfeigen einer Arbeitskollegin; 7.12.2006, 2 AZR 162/06, NZA 2007, 617 – zum häufigen vorzeitigen Verlassen des Arbeitsplatzes durch alle Schichtarbeitnehmer im Zusammenwirken mit dem Vorarbeiter; 12.1.2006, 2 AZR 179/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68 zur unerlaubten Installation von Anonymisierungssoftware auf einem dienstlichen Rechner.
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verletzung wiegt. Zwingende Voraussetzung für die verhaltensbedingte Kündigung ist das Verschulden des Arbeitnehmers aber auch in diesem Fall nicht – entgegen der Rechtsprechung, die eine Abmahnung nur dann für entbehrlich hält, wenn für den Arbeitnehmer erkennbar sei, dass er seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwer verletzt, und er mit einer Hinnahme seines Handelns durch den Arbeitgeber offensichtlich nicht rechnen könne.42 Auch ein schuldloses gravierendes Fehlverhalten kann die Prognose rechtfertigen, dass es künftig zu entsprechenden Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers kommen wird, etwa wenn der Arbeitnehmer unverschuldet ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt oder im Zustand der Verschuldensunfähigkeit Kollegen beleidigt.43 IV. Abgrenzung zur personenbedingten Kündigung 1. Herrschende Meinung Häufig wird für das Verschulden als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung angeführt, dass nur mit Hilfe des Verschuldenserfordernisses die verhaltens- von der personenbedingten Kündigung abgegrenzt werden könne.44 Personenbedingte Gründe für die Kündigung sind Umstände, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden „Störquelle“ beruhen: Der Arbeitnehmer ist aus von ihm nicht beeinflussbaren, in seiner Person liegenden Gründen außerstande, die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt oder zumindest vertragsgemäß zu erbringen.45 Der Arbeitnehmer leistet also nicht oder nicht wie geschuldet und verstößt damit – wie bei der verhaltensbedingten Kündigung – gegen seine vertraglichen Pflichten. Einziger Unterschied zwischen personen- und verhaltensbedingter Kündigung scheint zu sein, dass der Arbeitnehmer für den in seiner Person liegenden Grund der Nicht- oder Schlechtleistung nichts kann, während ihm sein zur verhaltensbedingten Kündigung führendes Fehlverhalten vorwerfbar ist. Damit scheint im Sinne der herrschenden Meinung alles für das Erfordernis einer vom Arbeitnehmer verschuldeten Pflichtverletzung als Voraussetzung für die verhaltensbedingte Kündigung zu sprechen.
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Nachweise in der vorhergehenden Fn. BAG 21.1.1999, 2 AZR 665/98, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 178; 10.10.2002, 2 AZR 472/01, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 58 unter B II 2a; noch unten C III. 44 Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 94; Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1168a, 1189; MünchKomm/Hergenröder4 2005 § 1 KSchG Rn. 205; HK-Dorndorf § 1 KSchG Rn. 530; zu 626 BGB APS/Dörner2 2004 § 1 KSchG Rn. 265 und § 626 BGB Rn. 75. 45 BAG 11.12.2003, 2 AZR 667/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62. 43
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2. Personenbedingter Grund als Leistungsstörung a) Verletzung der Hauptleistungspflicht Auch insoweit trügt der erste Schein: Bei den Gründen für die personenbedingte Kündigung handelt es sich zivilrechtlich um Fälle der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 1 BGB und um Fälle eines Leistungsverweigerungsrechts nach § 275 Abs. 3 BGB: 46 Beim Austauschvertrag enden mit der Unmöglichkeit der Leistung automatisch Leistungspflicht und Gegenleistungspflicht, §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB (bei § 275 Abs. 3 BGB nach Berufung des Schuldners auf das Leistungsverweigerungsrecht). Demgegenüber verlangt § 1 Abs. 2 KSchG mit der Kündigung eine schriftliche (§ 623 BGB) Gestaltungserklärung des Arbeitgebers, die das Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf der Kündigungsfrist des § 622 BGB beendet. Dass die personenbedingte Kündigung auf die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung reagiert, kennzeichnet den ersten wesentlichen, in der Qualität der Pflichtverletzung liegenden Unterschied zwischen verhaltens- und personenbedingter Kündigung: Während die personenbedingte Kündigung nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB verletzt, hat die verhaltensbedingte Kündigung neben der Verletzung der Hauptleistungspflicht einen Schwerpunkt bei der Verletzung von Nebenleistungspflichten. So genügt es für die verhaltensbedingte Kündigung, wenn der Arbeitnehmer leistungsbegleitende Nebenpflichten verletzt, etwa Alkoholverbote oder Sicherheitsvorschriften missachtet 47 oder gegen Rücksichtnahmepflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB verstößt, etwa Arbeitskollegen beleidigt und bedroht,48 gegenüber diesen tätlich wird 49 oder diese sexuell belästigt 50, oder wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber schädigt, etwa durch den Diebstahl von Betriebseigentum (auch geringwertiger Sachen) 51 oder den Missbrauch von Betriebsmitteln zu privaten Zwecken52. 46 Vgl. auch BAG 28.1.1990, 2 AZR 401/89, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5 unter II 1b bb. 47 BAG 22.7.1982, 2 AZR 30/81 und 26.1.1995, 2 AZR 649/94, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10 und 46. 48 Vgl. nur BAG 21.1.1999, 2 AZR 665/98, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 178; 30.9.1993, 2 AZR 188/93, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 152. Zu ausländerfeindlicher Äußerungen BAG 1.7.1999, 2 AZR 676/98, EzA § 1 KSchG 5 BBiG Nr. 13; zu beachten sind jetzt §§ 3 Abs. 3 mit §§ 1, 7 Abs. 4 AGG. 49 BAG 30.9.1993, 2 AZR 188/93, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 152; 6.10.2005, 2 AZR 280/04, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 66. 50 BAG 9.1.1986, 2 ABR 24/85, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 98; auch 25.3.2004, 2 AZR 341/03, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6; jetzt auch §§ 3 Abs. 4 mit 7 Abs. 3 AGG. 51 BAG 11.12.2003, 2 AZR 36/03, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 5 (Flachmänner); 17.5.1984, 2 AZR 3/83 und 20.9.1984, 2 AZR 633/82, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 90 (Bienenstich) und Nr. 91 (Kiwi-Früchte). 52 BAG 9.3.1961, 2 AZR 129/60, EzA § 1 KSchG 23 GewO Nr. 5 (Schwarzfahrten mit firmeneigenen Fahrzeugen); 7.7.2005, 2 AZR 581/04, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 10 und
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Demgegenüber kann der Arbeitgeber mit der personenbedingten Kündigung allein auf die Nichterfüllung der Hauptleistungspflicht reagieren: Der Arbeitgeber darf kündigen, wenn der Arbeitnehmer – wegen Krankheit, Strafhaft oder rechtlicher Beschäftigungshindernisse wie dem Fehlen einer ausländerrechtlichen (§§ 18 ff. ZuwanderungsG/AufenthaltsG, § 284 SGB III) oder einer tätigkeitsspezifischen Arbeitsberechtigung (Fahrerlaubnis, Fluglizenz)53 – gar nicht arbeiten kann. Ebenso kann derArbeitgeber eine personenbedingte Kündigung auf Straftaten stützen, die der Arbeitnehmer während seiner Freizeit begeht und die ihn für seine berufliche Tätigkeit ungeeignet machen, etwa auf Vermögensdelikte eines Buchhalters oder auf die fortgesetzte private Steuerhinterziehung eines Finanzamtsangestellten 54 oder auf die hochgradige Alkoholisierung eines Berufskraftfahrers bei Privatfahrten 55. Personenbedingt kündigen kann der Arbeitgeber auch dann, wenn der Arbeitnehmer ein Sicherheitsrisiko für die Betriebsanlagen oder für zentrale Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist: So wie der Verkäufer nicht vertragsgemäß leistet, der Ware liefert, die zwar funktioniert, aber eine Gefahr für Leib und Leben des Käufers bedeutet (etwa durch einen leicht entflammbaren Fön), so erbringt auch der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung nicht vertragsgemäß, wenn er zwar arbeitet, aber – etwa wegen krankheitsbedingten Alkoholkonsums – die Betriebsanlagen oder Kollegen oder Kunden gefährdet.56 Nicht in das System passt allein die Verdachtskündigung, da der bloße Verdacht einer strafbaren Handlung dem Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht unmöglich macht und diesen auch nicht dauerhaft für die Arbeitsleistung ungeeignet erscheinen lässt. Das spricht aber weniger gegen die Einordnung der personenbedingten Kündigung als Unterfall der Unmöglichkeit der Leistung als gegen die Verdachtskündigung überhaupt.57
27.4.2006, 2 AZR 386/05, EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 11 (beide zur privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit). Zur Entgegennahme von Schmiergeldern BAG 15.11.1995, 2 AZR 974/94, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 89; 21.6.2001, 2 AZR 30/00, EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 7. 53 Statt aller ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 208 ff.; Kompaktkommentar/ Kaiser 2007 § 1 KSchG Rn. 75 ff. jeweils m.w.N. 54 LAG Düsseldorf 20.5.1980, 19 Sa 624/79, LAGE § 626 BGB Nr. 7. 55 Abw. BAG 4.6.1997, 2 AZR 526/96, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 168 wegen der Einmaligkeit des Vorfalls gegen die Kündigung eines U-Bahn-Fahrers bei einem durch BAK von 2,73‰ verursachten Kraftfahrzeugunfall. 56 BAG 9.4.1987, 2 AZR 210/86, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 18; 16.9.1999, 2 AZR 123/99, EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 2. 57 Krit. zur Verdachtskündigung Schütte NZA 1991, Beil. 2, 17 ff.; Dörner NZA 1992, 865 ff. und 1993, 872, 873; DKZ/Däubler6 2004 § 626 BGB Rn. 152 ff.; KR/Fischermeier8 2007 § 1 KSchG Rn. 221 ff. Zur Kündigung wegen Schlechtleitung gleich unter c.
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b) Unmöglichkeit der Arbeitsleistung Mit der Schuldrechtsreform hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch der Schuldner, dem die Leistung unmöglich wird, seine Hauptleistungspflicht verletzt, weil er die vertraglich geschuldete Leistung nicht erbringt. Ob der Schuldner nicht leistet, weil er nicht leisten will (Nichtleistung trotz Möglichkeit der Leistung) oder weil er nicht leisten kann (Unmöglichkeit der Leistung), ist unerheblich. Nur denjenigen, die für eine Pflichtverletzung den Verstoß gegen Verhaltenspflichten verlangen, bereitet es Schwierigkeiten, die Unmöglichkeit der Leistung als Pflichtverletzung einzuordnen.58 Der Verweis in § 275 Abs. 4 BGB auf § 280 BGB und der Verweis in § 283 BGB auf § 280 Abs. 1 BGB machen aber deutlich, dass die Unmöglichkeit der Leistung selbst die Pflichtverletzung ist: Erbringt der Schuldner die vertraglich geschuldete Leistung nicht, verstößt er gegen seine Leistungspflicht, weil der geschuldete Erfolg ausbleibt.59 Auch der Arbeitnehmer, der nicht arbeitet, verletzt seine Leistungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB, etwa weil er arbeitsunfähig erkrankt ist oder als Ausländer wegen Wehrdienstes in seinem Heimatland ausfällt 60 oder weil er gem. § 275 Abs. 3 BGB aus Gewissensgründen die Arbeitsleistung verweigert 61 oder diese verweigert, um sich bei fehlenden Fremdbetreuungsmöglichkeiten um sein krankes Kind kümmern zu können. Ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen dieser Nichtleistung kündigen darf, ist damit aber noch nicht geklärt. Dass der Arbeitsvertrag trotz Unmöglichkeit der Leistung fortbesteht und dem Arbeitgeber die Gestaltungslast auferlegt wird, den Vertrag durch Kündigung zu beenden, trägt dem Charakter des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis Rechnung: Weil im Dauerschuldverhältnis jede Nichtleistung zunächst nur eine zeitweilige oder vorübergehende Unmöglichkeit begründet, beendet sie – wie die zeitweilige Unmöglichkeit im Austauschvertrag 62 – nicht den Vertrag insgesamt, sondern hindert lediglich den Schuldner daran zu leisten, soweit und solange das Leistungshindernis besteht. So wird etwa dem erkrankten Arbeitnehmer die Erfüllung seiner Leistungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB unmöglich, solange die Krankheit andauert. Trotz Unmöglichkeit der Arbeits-
58 Harke JbJZivRWiss 2001, 29, 58 f.; Ehmann/Sutschet Modernisiertes Schuldrecht 2002, S 64 ff., 83 f.; Erman/H. P. Westermann11 2004 § 283 BGB Rn. 1. 59 Wilhelm JZ 2004, 1055, 1057; BT-Drucks. 14/6040 S. 135 f. 60 BAG 20.5.1988, 2 AZR 682/87, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 3; 7.9.1983, 7 AZR 433/82, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 87. 61 BAG 24.5.1989, 2 AZR 285/88, EzA § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 3 (Arzt), da aber schon das Direktionsrecht des Arbeitgebers aus § 106 GewO, § 315 BGB einschränkt und so den Umfang der vom Arbeitnehmer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung beschränkt. 62 Dazu Kaiser Zeitweilige Unmöglichkeit, in: FS Hadding, 2004, S. 121 ff.
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leistung entfällt die Gegenleistungspflicht des Arbeitgebers nicht sofort, da § 3 Abs. 1 EFZG den Arbeitgeber als Ausnahmeregelung zu § 326 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet, dem erkrankten Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt für die ersten sechs Wochen der Krankheit fortzuzahlen. Um den Vertrag zu beenden, muss der Arbeitgeber gestaltend auf das Arbeitsverhältnis einwirken – wegen der Prognoseschwierigkeiten auch dann, wenn sich im Krankheitsverlauf herausstellt, dass der Arbeitnehmer dauerhaft krank ist.63 Anders als im Austauschvertrag genügt im Dauerschuldverhältnis damit nicht jede punktuelle Nichtleistung, um das Synallagma so grundlegend zu zerstören, dass die Lösung des Gläubigers vom Vertrag gerechtfertigt ist: Eine Kündigung ist nur dann berechtigt, wenn das Ausmaß und die voraussichtliche Dauer der Nichtleistung des Arbeitnehmers eine Unmöglichkeit der Dauerleistung „Arbeit“ begründen 64 und die Interessen des Arbeitgebers durch besondere betriebliche oder wirtschaftliche Beeinträchtigungen unzumutbar beeinträchtigen.65 Weil der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts aus § 106 GewO und durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in seine betriebliche Organisation die Umstände der Arbeitsleistung und damit auch deren Möglichkeit und Unmöglichkeit maßgeblich beeinflussen kann – während der Arbeitnehmer die personenbedingten Kündigungsgründe gerade nicht steuern kann –, darf der Arbeitgeber zudem erst dann kündigen, wenn er keine arbeitsorganisatorischen Maßnahmen ergreifen kann, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ermöglichen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers so verändern, dass sich dessen eingeschränkte Leistungsfähigkeit nicht auswirkt,66 insbesondere die Arbeitsabläufe ändern und Arbeitsaufgaben umverteilen, etwa einen Arbeitnehmer, der krankheitsbedingt nur noch halbtags arbeiten kann, unter Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigen.67 Ebenso muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf einen freien Schonarbeitsplatz im Unternehmen versetzen 68. Kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner Leistungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB möglich machen, indem er ihm einen anderen Arbeitsplatz zuweist oder die Bedingungen am bisherigen Arbeitsplatz verändert, fehlt es schon an der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung.
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Herschel BB 1982, 253 f. Vgl. BAG 11.12.2003, 2 AZR 667/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62. 65 BAG 15.2.1984, 2 AZR 573/82, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 15. 66 BAG 12.7.1995, 2 AZR 762/94, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 156. 67 BAG 12.7.1995 a.a.O. 68 BAG 28.2.1990, 2 AZR 401/89, EzA § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 5; 24.11. 2005, 2 AZR 514/04, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 51; gegebenenfalls nach einer Umschulung oder Fortbildung BAG 7.2.1991, 2 AZR 205/90, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9. 64
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Ist absehbar, dass die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers wiederhergestellt werden wird, muss der Arbeitgeber zudem Überbrückungsmaßnahmen ergreifen, bevor er kündigen darf, etwa Aushilfskräfte einstellen oder Überstunden anordnen, damit andere Mitarbeiter die Aufgaben des ausgefallenen Arbeitnehmers übernehmen.69 Kann der Arbeitgeber den vorübergehenden Ausfall des Arbeitnehmers durch solche Überbrückungsmaßnahmen auffangen, ist das Ausmaß der Unmöglichkeit nicht schwerwiegend genug, um kündigungsrelevant eine Unmöglichkeit der Dauerleistung „Arbeit“ zu begründen.70 Demgegenüber zwingt der ultima-ratio-Grundsatz den Arbeitgeber entgegen der herrschenden Meinung 71 nicht dazu, eine verhaltensbedingte Kündigung dadurch zu verhindern, dass er den Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt oder ihn zu geänderten Arbeitsbedingungen beschäftigt: Ist ein Arbeitnehmer massiv oder trotz Abmahnung wiederholt ausfällig oder tätlich gegen Arbeitskollegen geworden, rechtfertigt dies in jedem Fall die Prognose, dass es zu entsprechenden Verhaltensweisen auch gegenüber Kollegen an einem anderen Arbeitsplatz kommen wird.72 Auch eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Schlechtleistung kann nicht durch die Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz verhindert werden: Eine Prognose, dass der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz williger tätig sein wird, ist nicht gerechtfertigt.73 c) Kündigung wegen Schlechtleistung Nur gestreift werden soll das m.E. nicht hinreichend geklärte Problem der personenbedingten Kündigung wegen Schlechtleistung. Unstreitig kann der Arbeitgeber kündigen, wenn der Arbeitnehmer nicht fähig ist, die geschuldete Arbeitsleistung einwandfrei zu erbringen, weil seine Körperkraft, Geschicklichkeit oder Konzentrationsfähigkeit nachlässt. Hier liegt es nahe, die Kündigung wegen der in der Schlechtleistung liegenden teilweisen Nichterfüllung der Arbeitsleistung, also wegen Teilunmöglichkeit zu erlauben. Das allgemeine Schuldrecht bereitet insoweit keine Schwierigkeiten: Bei teilweiser Unmöglichkeit fällt die Leistungspflicht teilweise unter Minderung der Gegen69
BAG 12.4.2002, 2 AZR 148/01, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 46 und 49. Vgl. BAG 11.12.2003, 2 AZR 667/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62. 71 BAG 22.7.1982, 2 AZR 30/81, EzA § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10 bei Alkoholmissbrauch; 31.3.1993, 2 AZR 492/92, EzA § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 5 bei Tätlichkeiten gegen Arbeitskollegen; auch 4.6.1997, 2 AZR 526/96, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 168 bei privater Trunkenheitsfahrt eines U-Bahn-Fahrers; Preis DB 1990, 685; KR/ Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 406 f.; DKZ/Kittner 6 2004 § 1 KSchG Rn. 163; einschränkend auch ErfK/Ascheid/Oetker 7 2007 § 1 KschG Rn. 295; Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1182; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 470. 72 Auch BAG 6.10.2005 a.a.O. 73 So auch Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 120. 70
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leistungspflicht weg, §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz BGB. Dass die §§ 611 ff. BGB dem Dienstgeber – anders als §§ 433 Abs. 1 S. 2, 437 ff. BGB dem Käufer und §§ 633 Abs. 1, 634 ff. BGB dem Werkbesteller – keine Rechte wegen Schlechtleistung des Arbeitnehmers einräumen, hindert die Anwendung der Unmöglichkeitsregeln nicht, da §§ 434 ff. und 633 ff. BGB dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht keine Haftungsgrundlagen hinzufügen, sondern das allgemeine Leistungsstörungsrecht lediglich modifizieren. Grundvoraussetzung für die Annahme einer Teilunmöglichkeit ist aber, dass man den Arbeitnehmer für verpflichtet hält, eine Arbeitsleistung „mittlerer Art und Güte“ im Sinne des § 243 Abs. 2 BGB zu erbringen.74 Genau dies verneint die herrschende Meinung dezidiert und stützt sich hierfür darauf, dass der Arbeitnehmer anders als der Werkunternehmer nach § 631 Abs. 2 BGB nicht zu einem Leistungserfolg, sondern nur zur „Leistung der versprochenen Dienste“ verpflichtet sei; der Inhalt des Leistungsversprechens richte sich dynamisch nach der subjektiven Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers.75 Der Arbeitnehmer, der trotz angemessener Bemühung nicht die Normalleistung erbringe, verletze damit seine Pflicht zur Arbeitsleistung nicht, sondern enttäusche lediglich die berechtigte Erwartung des Arbeitgebers, dass Leistung und Gegenleistung annähernd gleichwertig (äquivalent) seien; die Kündigung wird damit zu einer Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.76 Das ist kaum überzeugend, soll an dieser Stelle aber nicht vertieft werden, da die Einordnung für die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingter Kündigung allenfalls am Rande interessiert. d) Abmahnungserfordernis Nur hinsichtlich des Verstoßes gegen Hauptleistungspflichten und bei Schlechtleistungen kann es zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen verhaltens- und personenbedingter Kündigung kommen (nicht bei Nebenpflichtverletzungen, gerade unter B IV 2a). So ist etwa der Arbeitgeber zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigt, wenn der Arbeitnehmer der Arbeit
74 Hunold BB 2003, 2345, 2346; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 424 ff., 427; MünchArbR/Berkowsky2 2000 § 137 Rn. 18 f.; MünchKomm/Hergenröder 4 2005 § 1 KSchG Rn. 294. 75 BAG 11.12.2003, 2 AZR 667/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 unter B I 2b; KR/Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 384 f.; ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 261; Staudinger/Richardi 2005 § 611 BGB Rn. 402 f.; MünchArbR/Blomeyer2 2000 § 48 Rn. 70 f. 76 BAG a.a.O. unter B III 2, das fern liegend auch die Fälle unverschuldeter krankheitsbedingter Kündigungen, des wehrdienstbedingten Ausfalls eines türkischen Arbeitnehmers oder die durch Gewissensnot verursachte Unfähigkeit zur Arbeit, der unverschuldet fehlenden Arbeitserlaubnis und der Kündigung wegen Sicherheitsbedenken nicht als Vertragspflichtverletzungen einordnen will.
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über längere Zeit unentschuldigt fernbleibt 77 oder eigenmächtig Urlaub nimmt oder diesen eigenmächtig verlängert 78 oder eine Krankheit nur vortäuscht 79 oder trotz Abmahnung wiederholt unpünktlich zur Arbeit erscheint 80 oder sich weigert, Tätigkeiten auszuführen, zu denen er kraft Tarifvertrags, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag verpflichtet ist.81 Das BGB stellt die Nichtleistung wegen Unmöglichkeit (also wegen „Nichtkönnens“) und die Nichtleistung im Übrigen (also wegen „Nichtwollens“) hinsichtlich der Voraussetzungen grundsätzlich gleich und macht in §§ 323 Abs. 1, 326 Abs. 5 BGB nur einen Unterschied: Ist der Schuldner grundsätzlich im Stande zu leisten, leistet er aber gleichwohl nicht, muss ihn der Gläubiger mit Hilfe einer angemessenen Nachfrist gem. § 323 Abs. 1 BGB noch einmal zur Leistung auffordern, bevor er vom Vertrag zurücktreten darf; ist die Leistung unmöglich, bedarf es einer solchen Nachfrist gem. § 326 Abs. 5 BGB nicht. Dem entspricht für die verhaltensbedingte Kündigung das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung, das für die personenbedingte Kündigung nicht besteht.82 Das Abmahnungserfordernis folgt nicht allein aus dem ultima-ratio-Prinzip 83 und dem Prognoseprinzip 84, sondern insbesondere aus der entsprechenden Anwendung von §§ 323 Abs. 2, 314 Abs. 2 S. 1 BGB: Das im Erfordernis der Nachfristsetzung vor einem Rücktritt vom Vertrag in § 323 Abs. 1 BGB und im Erfordernis der Abmahnung vor einer Kündigung aus wichtigem Grund in § 314 Abs. 2 S. 1 BGB zum Ausdruck kommende Prinzip, dem Schuldner müsse eine zweite Chance eingeräumt werden, bevor der Gläubiger auf eine Pflichtverletzung mit der Beendigung des Vertrages reagieren darf, gilt auch für die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung.85
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BAG 15.3.2001, 2 AZR 147/00, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 185. BAG 20.1.1994, 2 AZR 521/93, und 16.3.2000, 2 AZR 75/99 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 153 und 179. 79 BAG 26.8.1993, 2 AZR 154/93, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 148; 16.3.2000, 2 AZR 75/99, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 179 (zum Verschweigen der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und Nichtantritt der Arbeit nach Genesung). 80 BAG 27.2.1997, 2 AZR 302/96 und 15.11.2001, 2 AZR 609/00, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51 und 56. 81 BAG 21.11.1985, 2 AZR 21/85, EzA § 1 KSchG Nr. 42; 18.5.1994, 2 AZR 626/93, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 31; 21.11.1996, 2 AZR 357/95, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50. 82 Ständige Rechtsprechung BAG 26.1.1995, 2 AZR 649/94, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 46. 83 Zur Abmahnung als gegenüber der Kündigung mildere Maßnahme zuletzt BAG 12.1. 2006, 2 AZR 21/05 und 12.1.1006, 2 AZR 179/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67 und 68. 84 BAG 12.1.1006, 2 AZR 179/05 a.a.O. 85 Vgl. BAG 12.1.2006, 2 AZR 179/05, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; auch Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 102; APS/Dörner2 2004 § 1 KSchG 78
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Der Unterschied zwischen verhaltensbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen ist damit nicht, dass dem verhaltensbedingt gekündigten Arbeitnehmer ein Verschuldensvorwurf für vergangenes Fehlverhalten gemacht wird, sondern die Möglichkeit des Arbeitnehmers, sein künftiges Verhalten steuern und damit künftige Pflichtverletzungen unterlassen zu können. Bei steuerbarem Verhalten muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit Hilfe der Abmahnung noch eine letzte Chance zur vertragsgemäßen Leistung geben, bevor er das Arbeitsverhältnis kündigen darf.86 Ob der Arbeitnehmer in der Vergangenheit vorsätzlich oder fahrlässig gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen hat, ist hingegen irrelevant, da es für den Erfüllungsanspruch des Arbeitgebers aus § 611 Abs. 1 BGB und für dessen Kündigungsmöglichkeit allein auf das künftige Verhalten des Arbeitnehmers ankommt. Kommt der Arbeitnehmer etwa wiederholt unpünktlich zur Arbeit, ist unerheblich, ob er diese Unpünktlichkeit fahrlässig herbeigeführt hat: Stand er einmal unverschuldet im Stau, überhört er am nächsten Tag wegen nächtlichen Kindergeschreis den Wecker und verschläft deswegen und kommt er am übernächsten Tag wegen eines den Berufsverkehr lahm legenden S-Bahn-Streiks zu spät zur Arbeit, erfüllt er durch das Nichterscheinen zur Arbeit seine vertraglichen Pflichten nicht; dass ihn daran kein Verschulden trifft, ändert daran nichts. Für die verhaltensbedingte Kündigung ist nicht maßgeblich, ob dem Arbeitnehmer der Pflichtverstoß vorgeworfen werden kann, sondern ob er durch sein Verhalten dazu beitragen kann, entsprechende Pflichtverletzungen künftig abzustellen. Da der Arbeitnehmer in der Lage ist, sich auf erkannte Pünktlichkeitshindernisse einzustellen und diesen vorzubeugen, indem er etwa früher zur Arbeit losfährt, sich bei Krankheit des Kindes einen zweiten Wecker stellt oder für ein Aufwecken durch zuverlässige Dritte sorgt und bei angekündigten S-Bahn-Streiks sein Auto benutzt,87 muss der Arbeitgeber ihn zunächst abmahnen und kann verhaltensbedingt kündigen, wenn der Arbeitnehmer trotz Abmahnung erneut zu spät zu Arbeit erscheint.
Rn. 343. Gegen eine Anlehnung an § 326 Abs. 1 BGB a.F., da die Verletzung von Nebenpflichten nicht erfassend, noch Preis DB 1990, 685, 687, der sich in Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1172 aber auf § 314 Abs. 2 BGB zur Bestätigung der Rechtsentwicklung im Arbeitsrecht beruft; Oetker Anm. zu BAG 20.9.1984, SAE 1985, 175, 176. 86 Auf die Steuerbarkeit stellen auch ab von Hoyningen-Huene Anm. zu BAG 21.1.1999 AP BGB § 626 Nr. 151; MünchArbR/Berkowsky 2 2000 § 137 Rn. 33 f. und ders. Personenund verhaltensbedingte Kündigung4 (2005), § 6 Rn. 14 und Rn. 73; noch Fn. 88. 87 Vgl. BAG 27.2.1997, 2 AZR 302/96, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51.
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C. Verschulden nach Abmahnung? I. Problem Möglicherweise ist aber die Steuerbarkeit des Arbeitnehmerverhaltens mit dem Verschulden im Sinne des § 276 BGB gleichzusetzen,88 so dass die Prognose künftiger Pflichtverletzungen nur gerechtfertigt wäre, wenn der Arbeitnehmer bei der der Abmahnung nachfolgenden Pflichtverletzung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. In die Richtung, dass die der Abmahnung nachfolgende Pflichtverletzung verschuldet sei, weist auch die Aussage des BAG, dass mit dem Erfordernis einer vergeblichen Abmahnung der Einwand des Arbeitnehmers ausgeräumt werden solle, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht gekannt oder jedenfalls nicht damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber dieses Verhalten zum Anlass für eine Kündigung nehmen werde.89 Praktisch relevant würde das Verschuldenserfordernis insoweit kaum: Der Arbeitnehmer, der Pflichtverletzungen fortsetzt oder wiederholt, die der abgemahnten Pflichtverletzung entsprechen, verstößt gegen den typisierenden Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB. Schon die fehlende praktische Relevanz spricht gegen das weder von § 323 Abs. 1 BGB für den Rücktritt noch von § 1 KSchG für die ordentliche Kündigung geforderte Verschuldenserfordernis: Gibt es kaum Fälle, in denen eine verhaltensbedingte Kündigung am fehlenden Verschulden des Arbeitnehmers scheitern kann, bedeutet es einen unnötigen Aufwand, das Verschulden feststellen zu müssen. Gleichwohl sollen die Fälle, in denen das Verschulden des Arbeitnehmers zweifelhaft sein kann, untersucht werden. Sie sind nicht einmal an einer Hand abzuzählen: der unverschuldete Rechtsirrtum des Arbeitnehmers (unter II) und das Fehlen der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit (unter III). Daneben gibt es Fälle, in denen das Verschulden schwer feststellbar ist, wie bei Schlechtleistungen oder bei alkoholbedingtem Fehlverhalten (unter IV). II. Rechtsirrtum 1. Maßstab Ein Verschulden kann wegen entschuldbaren Rechtsirrtums ausgeschlossen sein. Insoweit ist schon unklar, wann ein Arbeitnehmer sich unverschuldet für berechtigt halten darf, seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag zu 88 So ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 286, 291; auch Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1168a; APS/Dörner2 2004 § 1 KSchG Rn. 265; ausdrücklich abl. von Hoyningen-Huene Anm. zu BAG 21.1.1999, AP BGB § 626 Nr. 151. 89 BAG 18.11.1986, 7 AZR 674/84, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 4.
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verletzen. Einen entschuldbaren Rechtsirrtum nimmt das BAG an, wenn der Arbeitnehmer trotz sorgfältiger Würdigung und Prüfung der Rechtslage überzeugt sein darf, dass er die ihm zugewiesene Arbeit nicht oder nicht in der gewünschten Form verrichten muss. Hierfür reiche die bloße Rechtsüberzeugung des Arbeitnehmers nicht aus, vielmehr müsse dessen Rechtsansicht auf einer bestimmten Gesetzeslage oder auf der bisherigen Rechtsprechung oder bei einer zweifelhaften Rechtsfrage auf einer Rechtsauskunft einer geeigneten neutralen Stelle beruhen.90 Das LAG Hamm hat einen unverschuldeten Rechtsirrtum schon dann bejaht, wenn die zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber streitige Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist und die vom Arbeitnehmer vertretene Rechtsauffassung vertretbar erscheint.91 Ausdrücklich gegen die Zurechnung einer Falschauskunft durch einen Rechtsanwalt haben sich das LAG Düsseldorf und das LAG Köln gewandt; maßgeblich sei allein das Eigenverschulden des Arbeitnehmers.92 Allerdings muss der Arbeitnehmer die tatsächlichen Umstände, aus denen er den Entschuldigungsgrund herleitet, substantiiert darlegen und konkret vortragen, wie und bei wem er sich nach der Rechtslage erkundigt und welche Auskünfte er erhalten hat.93 Die Anforderungen des BAG bleiben hinter denen des BGH zurück, der der Berufung des Schuldners auf den Rechtsirrtum beim Schuldnerverzug 90
BAG 23.11.1988, 7 AZR 121/88, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 72; ErfK/Müller-Glöge7 2007 § 626 BGB Rn. 107; KR/Fischermeier8 2007 § 626 BGB Rn. 144. Ein Rechtsirrtum über Mitwirkungspflichten (etwa zur Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht) soll dann entschuldbar sein, wenn der Arbeitnehmer vertretbare Gründe für seine Weigerung hat und diese dem Arbeitgeber vor oder bei der Weigerung mitteilt, BAG 6.11.1997, 2 AZR 801/96, EzA § 626 n.F. BGB Nr. 171; auch 7.11.2002, 2 AZR 475/01, EzA § 130 BGB 2002 Nr. 1. 91 LAG Hamm 9.2.2007, 10 TaBV 54/06, juris unter II 1 a cc; ähnlich BAG 4.4.1974, 2 AZR 452/73, EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 1 zu einer nur objektiven Verletzung der Schweigepflicht eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat, solange der Umfang dieser Schweigepflicht rechtlich ungeklärt und in der Rechtsprechung noch nicht behandelt worden sei. 92 LAG Düsseldorf 29.8.2001, 12 Sa 827/01, AnwBl 2002, 607 (anders LAG Düsseldorf 25.1.1993, 19 Sa 1360/92, LAGE § 626 BGB Nr. 70); LAG Köln 29.06.2001, 11 Sa 143/01, NZA-RR 2002, 356. 93 LAG Düsseldorf 29.8.2001 a.a.O.; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 583. Der großzügige Maßstab entspricht der Messlatte, die das BAG an den Rechtsirrtum des kündigenden Arbeitgebers anlegt: Ein Vertretenmüssen des Arbeitgebers sei zu verneinen, wenn er unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit vertretbaren Gründen zu der Annahme gelangen durfte, die Kündigung werde sich als rechtsbeständig erweisen; beruhe die Kündigung bei nicht eindeutiger Rechtslage auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt, handele der Arbeitgeber nicht fahrlässig, BAG 22.3.2001, 8 AZR 536/00, EzBAT § 8 Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers Nr. 31; 13.6.2002, 2 AZR 391/01, AP BGB § 615 Nr. 97. Ähnlich die Rechtsprechung zur Widerrechtlichkeit der Drohung mit einer Kündigung gem. § 123 BGB bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages: BAG 12.8.1999, 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27, 28; 27.11.2003, 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597, 599 m.w.N.
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und bei der positiven Forderungsverletzung enge Grenzen setzt und ausdrücklich „strenge Maßstäbe“ 94 anlegt: 95 Der Schuldner müsse die Rechtslage genau prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung einschließlich bloßer Hinweise 96 beachten.97 Ein Verschulden eines Erfüllungsgehilfen, etwa eines Notars, Rechtsanwalts oder des Mieterschutzvereins, müsse sich der Schuldner nach § 278 BGB zurechnen lassen.98 Entschuldigt sei ein Rechtsirrtum nur dann, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.99 Dass die Maßstäbe für einen Rechtsirrtum nicht hinreichend klar sind, erschwert die Rechtsanwendung. Dies zeigen exemplarisch die Fälle, in denen der Arbeitnehmer das mit der Änderungskündigung ausgesprochenen Änderungsangebot des Arbeitgebers unter Vorbehalt annimmt, anschließend aber die Arbeitsleistung zu den geänderten Bedingungen verweigert: Während das LAG Köln angesichts der schwierigen und komplizierten und nur wenigen Laien bekannten Rechtslage zur Vorbehaltserklärung im Sinne von § 2 Satz 2 KSchG trotz einer Abmahnung jedenfalls dann einen entschuldbaren Rechtsirrtum des Arbeitnehmers bejaht hat, wenn dieser anwaltlichen Rat eingeholt und sich entsprechend verhalten hat 100, verwehrt das LAG Hamm dem Arbeitnehmer die Berufung auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum ausdrücklich: Der Standpunkt des Arbeitnehmers, er könne unbeschadet der Vorbehaltserklärung verlangen, bis zur endgültigen rechtlichen Klärung zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten, finde in der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur keine Grundlage; beharre der Arbeitnehmer auf seinem abweichenden Rechtsstandpunkt, handele er auf eigenes Risiko.101
94 BGH 11.1.1984, VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296, 303; 14.6.1994, XI ZR 210/93, NJW 1994, 2754; 12.7.2006, X ZR 157/05, NJW 2006, 3271; MünchKomm/Ernst 5 2007 § 286 BGB Rn. 108; Jauernig/Stadler11 2004 § 276 BGB Rn. 30; Palandt/Heinrichs 66 2007 § 286 BGB Rn. 41, § 276 BGB Rn. 22 ff. m.w.N.; Staudinger/Löwisch, 2004, § 286 BGB Rn. 152 ff. 95 Für einen weniger strengen Maßstab Kaiser Schadensersatz wegen fahrlässiger Rechtsanmaßung, in Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 531, 545 ff. 96 BGH 14.6.1994, XI ZR 210/93, NJW 1994, 2754, 2755. 97 BGH 4.7.2001, VIII ZR 279/00, NJW 2001, 3114; 25.10.2006, VIII UR 102/06, NSW BGB § 278 (BGH-intern) und juris. 98 BGH 12.7.2006, X ZR 157/05, NJW 2006, 3271 (Prozessbevollmächtigter); 25.10. 2006, VIII ZR 102/06, NSW BGB § 278 (BGH-intern) und juris (Mieterschutzverein). 99 BGH 4.1974, KZR 6/73, NJW 1974, 1903, 1905; 12.7.2006, X ZR 157/05, NJW 2006, 3271. 100 LAG Köln 29.06.2001, 11 Sa 143/01, NZA-RR 2002, 356. 101 LAG Hamm 12.12.2005, 8 Sa 1700/05, juris.
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2. Rechtsfolgen Dass kaum vorhersehbar ist, ob die Arbeitsgerichte einen Rechtsirrtum des Arbeitnehmers bejahen oder verneinen werden, ist aber nur ein Kritikpunkt. Schwerer wiegt, dass es für die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung auf einen Rechtsirrtum des Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung des BAG nicht ankommt: In Fällen beharrlicher Arbeitsverweigerung hat das BAG trotz entschuldbaren Rechtsirrtums die Kündigung zugelassen,102 die Kündigung in anderen Fällen aber für unwirksam erklärt, obwohl der Rechtsirrtum des Arbeitnehmers nicht entschuldigt war.103 Nur vereinzelt hat es die Kündigung wegen unverschuldeten Rechtsirrtums ausgeschlossen.104 Schwierigkeiten bereitet insofern, dass das BAG zwischen kollektiven und individuellen Sachverhalten unterscheidet.105 Bei kollektiven, durch eine Gewerkschaft oder den Betriebsrat unterstützten oder initiierten Arbeitsniederlegungen spricht das BAG dem Arbeitgeber in der Regel die Möglichkeit einer (außerordentlichen) Kündigung ab – sei es wegen unverschuldeten Rechtsirrtums des Arbeitnehmers 106, sei es trotz eines nicht entschuldbaren Rechtsirrtums 107 – und stellt dafür häufig ergänzend auf den Gruppendruck und die Solidarität der Arbeitnehmer ab.108 Bei einer individuellen Arbeitsverweigerung urteilt das BAG ungleich strenger109 und verneint in der Regel den unverschuldeten Rechtsirrtum des Arbeitnehmers, weswegen der Arbeitgeber verhaltensbedingt kündigen dürfe.110 102 BAG 23.11.1988, 7 AZR 121/88, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 72 in einem Hinweis an das LAG bei der Zurückverweisung; 29.11.1983, 1 AZR 469/82, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 89 obiter dictum. 103 BAG 29.11.1983 a.a.O. 104 BAG 4.4.1974, 2 AZR 452/73, EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 1; gegen den Ausschluss der verhaltensbedingten Kündigung wegen Rechtsirrtums ErfK/Ascheid/Oetker 7 2007 § 1 KSchG Rn. 292. 105 Kliemt/Vollstädt NZA 2003, 357, 360 ff. 106 BAG 14.2.1978, 1 AZR 76/76, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 22 unter 8 zur kollektiven Arbeitsniederlegung, die von der zuständigen Gewerkschaft unterstützt wurde und zu der der Arbeitgeber durch eigenes vorwerfbares Verhalten entscheidend beigetragen hatte; 14.10.1960, 1 AZR 254/58, EzA § 123 GewO Nr. 2 zur Teilnahme an einer vom Betriebsrat ohne Einvernehmen des Arbeitgebers während der Arbeitszeit abgehaltenen Betriebsversammlung. 107 BAG 29.11.1983, 1 AZR 469/82, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 89 zur Teilnahme an einem durch eine unzuständige Gewerkschaft geführten und deswegen rechtswidrigen Streik. 108 BAG 14.2.1978 und 29.11.1983 a.a.O. 109 Kliemt/Vollstädt NZA 2003, 357, 362. 110 BAG 23.1.1964, 2 AZR 289/63, AP SchwBeschG § 12 Nr. 2 zur Arbeitsverweigerung eines schwerbeschädigten Arbeitnehmers; 12.4.1974, 2 AZR 291/72 EzA § 611 BGB Nr. 12 zur Arbeitsverweigerung eines Hafenlotsen; 31.1.1985, 2 AZR 486/83, EzA § 8a MuSchG Nr. 5 zur eigenmächtigen Inanspruchnahme des nur der Mutter zustehenden Mutterschaftsurlaubs nach § 8a MuSchG a.F. durch einen Seemann.
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Nur in zwei Fällen, in denen sich Arbeitnehmer geweigert hatten, Anordnungen des Arbeitgebers nachzukommen, kam nach BAG ein fehlendes Verschulden am Rechtsirrtum überhaupt in Betracht.111 Gleichzeitig hat das BAG darauf hingewiesen, dass eine ordentliche (verhaltensbedingte) Arbeitgeberkündigung auch dann möglich sei, wenn dem Arbeitnehmer lediglich ein objektiver Pflichtverstoß nachgewiesen werden könne, sofern aufgrund objektiver Umstände mit wiederholten Arbeitspflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu rechnen sei.112 In einer früheren Entscheidung hatte das BAG obiter dictum ausdrücklich festgehalten, das LAG habe „auch nicht berücksichtigt, dass eine verhaltensbedingte fristgemäße Kündigung nicht unbedingt voraussetzt, dass der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat. Selbst bei Annahme eines entschuldbaren Rechtsirrtums auf Seiten der Arbeitnehmer wäre daher eine fristgemäße Kündigung nicht unbedingt sozialwidrig.“ 113 3. Steuerbarkeit nach Abmahnung Insoweit kann man festhalten: Weder lässt sich nach der Rechtsprechung hinreichend sicher vorhersagen, ob ein Rechtsirrtum des Arbeitnehmers entschuldigt ist, noch hängt nach der Rechtsprechung die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung davon ab, ob der Rechtsirrtum des Arbeitnehmers entschuldigt oder nicht entschuldigt ist. Das Verschulden des Arbeitnehmers ist insoweit eine überflüssige, da für die Rechtsanwendung nicht ausschlaggebende Einschränkung der Kündigungsvoraussetzungen. Richtigerweise kommt es für die Möglichkeit der Arbeitgeberkündigung – anders als für einen etwaigen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers – nicht nur ausnahmsweise, sondern gar nicht auf das Verschulden des Arbeitnehmers und damit auch nicht auf dessen unverschuldeten Rechtsirrtum an. Maßgeblich ist insoweit allein, ob der Arbeitnehmer das vertragswidrige Verhalten abstellen, also objektiv steuern kann: Der Arbeitgeber darf kündigen, wenn der Arbeitnehmer durch die Abmahnung davor gewarnt wird, dass er eine Pflichtverletzung begeht, sofern er sein pflichtwidriges Verhalten fortsetzt oder wiederholt. Der Arbeitnehmer, der sich anders verhalten kann, handelt auf eigenes Risiko, wenn er trotz Abmahnung auf seinem pflichtwidrigen Tun beharrt.114 111 BAG 23.11.1988, 7 AZR 121/88, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 72 zur Anordnung von Überstunden; auch BAG 6.11.1997, 2 AZR 801/96, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 171 unter II 4c zur Anordnung, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien – jeweils unter Zurückverweisung an das LAG. 112 BAG 6.11.1997 a.a.O. unter II 3. 113 BAG 29.11.1983, 1 AZR 469/82, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 89 unter IV 2a; ebenso deutlich LAG Düsseldorf 29.8.2001, 12 Sa 827/01, AnwBl 2002, 607. 114 Vgl. auch BAG 7.10.1993, 2 AZR 226/93, EzA § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 40; 7.11.2002, 2 AZR 475/01, EzA § 130 BGB 2002 Nr. 1 unter B I 4b aa; LAG
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Entgegen einer häufigen Behauptung 115 ist bei einem Irrtum des Arbeitnehmers über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns auch die Negativprognose selten zweifelhaft: Zwar scheitert die Prognose künftigen pflichtwidrigen Verhaltens, wenn zu erwarten ist, dass sich der Arbeitnehmer, sobald er über seinen Irrtum abschließend aufgeklärt worden ist, nicht mehr vertragswidrig verhalten wird. Grundsätzlich genügt aber die Abmahnung durch den Arbeitgeber, um den Arbeitnehmer deutlich zu machen, dass er bei Fortsetzung oder Wiederholung des abgemahnten Verhaltens gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstößt; mehr muss der Arbeitgeber nicht tun. III. Einsichts- und Steuerungsfähigkeit Das Verschulden des Arbeitnehmers fehlt, wenn es ihm an der Einsichtsund/oder Steuerungsfähigkeit mangelt. In einem vieldiskutierten Fall des BAG 116 hatte ein Betriebsschlosser in mehreren Schreiben Vorgesetzte und Kollegen unter Aufstellung unwahrer Behauptungen übel beschimpft und beleidigt. Nachdem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Androhung der fristlosen Kündigung abgemahnt hatte, kam es zu erneuten Beschimpfungen und Beleidigungen in einem mehrseitigen Schreiben, die der Arbeitnehmer mit der Androhung verband, den Brief an obere Organe, die Presse usw. weiterzuleiten. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber. Das LAG machte sich das Sachverständigengutachten zu eigen, nach dem eine psychische Erkrankung Zweifel an der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Arbeitnehmers begründete, und ließ die außerordentliche Kündigung am fehlenden Verschulden des Arbeitnehmers scheitern. Angesichts der nicht korrigierbaren Neigung des Arbeitnehmers, vollkommen unangemessen auf von ihm angenommene Ungerechtigkeiten von Vorgesetzten und Kollegen zu reagieren, war aber mit künftigen schwerwiegenden Vertragsverletzungen zu rechnen. Deswegen hat das BAG die Kündigung zugelassen: Die verhaltensbedingte Kündigung sei ausnahmsweise ohne Verschulden möglich; für den Arbeitgeber bliebe in gravierenden Fällen keine Zeit, durch Sachverständigengutachten die Frage klären zu lassen, ob der Arbeitnehmer für sein Fehlverhalten voll verantwortlich sei. Eine personenbedingte Kündigung scheide hingegen aus, da das Schwergewicht der Störung nicht in einer fehlenden Eignung des Arbeitnehmers, sondern allein darin liege, dass für die Zukunft weitere schwerwiegende Pflichtverstöße zu erwarten seien.117 Hamm 12.12.2005, 8 Sa 1700/05, juris; ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 347; obiter dictum auch LAG Niedersachsen 13.11.2006, 5 Sa 402/06, juris unter I 1c aa. 115 ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 292; von Hoyningen-Huene/Linck14 2007 KSchG § 1 Rn. 476; APS/Dörner 2 2004 § 1 KSchG Rn. 277, 399; MünchKomm/Hergenröder 4 2005 § 1 KSchG Rn. 206. 116 BAG 21.1.1999, 2 AZR 665/98, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 178. 117 BAG a.a.O. unter II 4c.
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Nach den Feststellungen des BAG fehlte dem Arbeitnehmer die erforderliche Einsichtsfähigkeit aber gar nicht. Maßgeblich ist insoweit § 827 BGB, der das typisierende Verschulden des § 276 BGB durch eine individuelle Verschuldensfähigkeit begrenzt und die Verantwortlichkeit für solche Schäden ausschließt, die ein Schädiger einem anderen im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zufügt. Zu berücksichtigen ist dabei nur ein die freie Willensbetätigung ausschließender, nicht aber ein sie lediglich beeinträchtigender Umstand: § 827 S. 1 BGB kennt – wie § 104 Nr. 2 BGB für die Geschäftsfähigkeit und anders als § 21 StGB – keine verminderte Zurechnungsfähigkeit.118 Nur derjenige, der vollständig außerstande ist, das Unerlaubte seines Verhaltens zu erkennen, oder der vollkommen unfähig ist, sein Verhalten entsprechend dieser Erkenntnis zu steuern, ist schuldunfähig im Sinne des § 827 S. 1 BGB.119 Da eine bloße Minderung der Verstandesoder Willenskraft nicht genügt, reicht der Vortrag des Arbeitnehmers, er sei spielsüchtig, für § 827 BGB ebenso wenig aus 120 wie eine bloße Willensschwäche und leichte Beeinflussbarkeit durch andere 121 oder eine „hochgradige“ alkoholbedingte Störung 122 oder eine „akute psychische Dekompensation“123. Bei alkoholbedingten Pflichtverletzungen ist zudem § 827 S. 2 BGB zu beachten, nach dem derjenige, der sich durch Alkohol schuldhaft in einen vorübergehenden Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 827 S. 1 BGB versetzt hat, für einen in diesem Zustand widerrechtlich verursachten Schaden in gleicher Weise verantwortlich ist, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele. Problematisch kann das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers nur bei Nebenpflichtverletzungen werden, da der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, der schuldlos gar nicht oder schlecht arbeitet, personenbedingt kündigen kann. Angesichts des strengen Maßstabs, den § 827 BGB für die Verschuldensunfähigkeit aufstellt, kommt ein fehlendes Verschulden des Arbeitnehmers an Nebenpflichtverletzungen aber praktisch nie in Betracht, da eine Reststeuerbarkeit bei Arbeitnehmern, die ihre Arbeitsleistung im Übrigen ordnungsgemäß erbringen, praktisch immer zu bejahen sein wird.124 In den 118 Staudinger/Oechsler 2003 § 827 BGB Rn. 1 m.w.N.; MünchKomm/Wagner4 2004 § 827 BGB Rn. 2; zu §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB bei Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages BAG 14.2.1996, 2 AZR 234/95, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 21. 119 Staudinger/Oechsler 2003 § 827 BGB Rn. 16. 120 LAG Hamm 14.5.1998, 8 Sa 2098/97, EzBAT § 54 BAT Unkündbare Angestellte Nr. 5 zur außerordentlichen Kündigung einer Sparkassenangestellten wegen wiederholter Computermanipulationen zur Aufstockung des Kreditrahmens eines ihr eingeräumten Dispositionskredits. 121 BAG 14.2.1996, 2 AZR 234/95, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 21 zu §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB; LAG Düsseldorf 15.2.1994, 3 Sa 1725/93, Kurztext juris. 122 BAG 14.2.1996 a.a.O. 123 LAG Düsseldorf 15.2.1994 a.a.O. 124 Auch Arbeitnehmer, die wegen des Tourette-Syndroms Arbeitskollegen und Vorge-
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wenigen Fällen, in denen ein Arbeitnehmer sein Verhalten in Teilbereichen mangels Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gar nicht beeinflussen kann, wird dadurch in der Regel seine Eignung zur Arbeitsleistung überhaupt entfallen: entweder, weil er zu einem unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko für sich selbst, für Kollegen und für die Betriebsanlagen wird, oder weil er den Betriebsfrieden so nachhaltig stört, dass seine Arbeitsleistung für den Arbeitgeber wertlos wird; in diesen Fällen ist eine personenbedingte Kündigung möglich.125 Da sie bei bloßen Nebenpflichtverletzungen praktisch nie verneint werden kann, schützt die Voraussetzung der Verschuldensfähigkeit den Arbeitnehmer nicht vor einer verhaltensbedingten Kündigung – zumal die Darlegungsund Beweislast für die fehlende Verschuldensfähigkeit beim Arbeitnehmer liegt.126 Bezeichnenderweise ist die Entscheidung des BAG zur Schuldunfähigkeit ein Einzelfall geblieben. IV. Vermutetes Verschulden Schwierigkeiten bei der Verschuldensfeststellung bereiten die Fälle, in denen eine Verletzung der Hauptleistungspflicht sowohl verhaltens- als auch personenbedingt sein kann, etwa bei einer Schlechtleistung des Arbeitnehmers. Die herrschende Meinung versucht zwischen verhaltens- und personenbedingter Kündigung mit Hilfe des Verschuldenserfordernisses abzugrenzen (oben B IV), erlaubt aber in der Regel eine verhaltensbedingte Kündigung,127 etwa wenn einem Vorgesetzten die notwendigen Führungseigenschaften fehlen.128 Wegen Schlechtleistung personenbedingt gekündigt werden kann nur wegen nicht behebbarer veranlagungsbedingter Mängel, etwa bei Ansatzschwierigkeiten einer Hornistin.129
setzte durch „unwillkürlich“ ausgestoßene Beleidigungen vor den Kopf stoßen, haben in der Regel einen Rest von Eigenkontrolle über ihre Symptome: Sie können ihre Tics zwar nicht unterdrücken, aber zeitlich hinausschieben. Näher unter www.tourette.de. 125 Davon scheint im konkreten Fall Berkowsky Anm. zu BAG vom 21.1.1999, RdA 2000, 112, 114 auszugehen. 126 BAG 14.2.1996, 2 AZR 234/95, EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 21 zu §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB; Staudinger/Oechsler 2003 § 827 BGB Rn. 19. 127 BAG 21.5.1992, 2 AZR 551/91, und 11.12.2003, 2 AZR 667/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 42 und 62. 128 BAG 29.7.1976, 3 AZR 50/75, EzA § 1 KSchG Nr. 34 zur Kündigung eines Konzertmeisters; LAG Köln 23.5.2002, 7 Sa 71/02, NZA-RR 2003, 305 zur Kündigung des Leiters des Gebrauchtwagenmanagements; für eine personenbedingte Kündigung wegen Eignungsmängeln aber BAG 31.1.1996, 2 AZR 158/95, EzA § 626 BGB Druckkündigung Nr. 3 wegen autoritären Führungsstils und mangelnder Fähigkeit zur Menschenführung. 129 LAG Brandenburg 21.3.1994, 4 [5/4] Sa 369/92, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 12.
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Wie der letzte zur Kündigung wegen Schlechtleistungen des Arbeitnehmers entschiedene Fall zum Kommissionierer eines Frischecenters deutlich macht, ist das Verschuldenserfordernis aber lediglich ein Lippenbekenntnis. Das BAG hilft dem Arbeitgeber mit der abgestuften Beweislast: Der Arbeitgeber müsse die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse vortragen, aus denen ersichtlich sei, dass die Leistungen des Arbeitnehmers deutlich und langfristig hinter der Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer zurückblieben; anschließend sei es Sache des Arbeitnehmers, das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit zu bestreiten oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe (zum Leistungsmaßstab der Rechtsprechung oben B IV 2c). Trage der Arbeitnehmer nicht entsprechend vor, gelte das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und sei davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht ausschöpfe.130 Damit stünde in der Regel fest, dass der Arbeitnehmer die übliche Sorgfalt im Sinne des § 276 BGB außer Acht gelassen habe, so dass der Arbeitgeber verhaltensbedingt kündigen könne.131 Im Ergebnis kommt das BAG damit zu einer Verschuldensvermutung zu Lasten des Arbeitnehmers: Nicht der Arbeitgeber muss nachweisen, dass der Arbeitnehmer die Schlechtleistung verschuldet hat, sondern der Arbeitnehmer muss Gründe anführen, die gegen sein Verschulden sprechen. Das widerspricht der ausdrücklichen Regel des § 619a BGB, der – für Schadensersatzpflichten des Arbeitnehmers – eine Ausnahme von der Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB macht und dem Arbeitgeber die Beweislast für das Vertretenmüssen auferlegt. Die Auffassung des BAG ist nicht haltbar. Das von der herrschenden Meinung postulierte Verschuldenserfordernis nutzt dem Arbeitnehmer auch insoweit nicht. Als Kriterium ohne sachlichen Nutzen, das § 1 KSchG nicht zu entnehmen ist und der Parallelnorm des § 323 BGB für Austauschverträge widerspricht, ist das Verschuldenserfordernis als Voraussetzung für die verhaltensbedingte Kündigung aufzugeben. V. Kein Verschulden erforderlich Die Analyse der Rechtsprechung hat gezeigt, dass das BAG dem Verschulden des Arbeitnehmers in den Fällen, in denen es – sei es wegen verschuldeten Rechtsirrtums oder wegen vermeintlicher Schuldunfähigkeit – fehlt, keine Bedeutung für die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung 130 BAG 11.12.2003, 2 AZR 667/02, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 unter B I 2d. 131 BAG 11.12.2003 a.a.O. unter B II 2; so auch KR/Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 401.
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beimisst: Sind künftig gravierende Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu befürchten, lässt das BAG die verhaltensbedingte Kündigung unabhängig vom Verschulden des Arbeitnehmers zu. Zudem lässt das BAG den Arbeitnehmer – entgegen der ausdrücklichen Sonderregelung des § 619a BGB – im Ergebnis für vermutetes Verschulden haften. Kommt es aber für die verhaltensbedingte Kündigung in den kritischen Fällen auf das Verschulden des Arbeitnehmers nicht an, sollte man das Verschuldenserfordernis fallen lassen. Allein dies entspricht auch der Parallelregelung des § 323 BGB für den Rücktritt vom Vertrag (oben B I) und § 1 KSchG, der ein Verschulden des Arbeitnehmers für die verhaltensbedingte Kündigung nicht verlangt. Arbeitet der Arbeitnehmer ganz oder teilweise nicht oder arbeitet er schlecht, steht die vom Arbeitgeber als Kündigungsvoraussetzung darzulegende und zu beweisende Verletzung der Hauptleistungspflicht fest. Ob der Arbeitgeber arbeitsorganisatorische Maßnahmen ergreifen muss, um dem Arbeitnehmer eine Arbeitstätigkeit zu ermöglichen oder Schlechtleistungen aufzufangen, bemisst sich nicht danach, ob dem Arbeitnehmer ein Vorwurf hinsichtlich seiner Pflichtverletzung gemacht werden kann, sondern danach, ob er die Fortsetzung oder Wiederholung der Pflichtverletzung grundsätzlich vermeiden, sein Verhalten also steuern kann. Die Abmahnung nimmt den Arbeitnehmer in die Pflicht: Kann er sein Verhalten steuern, muss er die Pflichtverletzungen abstellen. Kann er sein Verhalten – etwa krankheitsbedingte Fehlzeiten oder anlagebedingte Schlechtleistungen – nicht steuern, muss er auf die Abmahnung zumindest reagieren, etwa ärztliche Atteste vorlegen.
D. Verschuldenserfordernis in der Interessenabwägung? I. Interessenabwägung? Denkbar ist es, das Verschulden des Arbeitnehmers in einer abschließenden Interessenabwägung zu berücksichtigen: Ist wegen der Prognose künftiger Pflichtverletzungen die verhaltensbedingte Kündigung „an sich“ gerechtfertigt, darf der Arbeitgeber nach herrschender Meinung das Arbeitsverhältnis gleichwohl nur dann beenden, wenn eine abschließende und umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses billigenswert und angemessen erscheinen lässt und damit die Kündigung als ultima ratio erlaubt.132 Zu berücksichtigen seien auf Seiten des Arbeitnehmers dessen früheres Verhalten, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, eine etwaige Schwerbehinderung und die Lage auf dem 132 Ständige Rechtsprechung seit BAG 20.10.1954, 1 AZR 193/54, SAE 1955, 78; 7.12. 2006, 2 AZR 182/06, NZA 2007, 617.
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Arbeitsmarkt sowie das Verschulden des Arbeitnehmers an der Pflichtverletzung,133 nach BAG auch Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers.134 Das Erfordernis einer gesonderten Interessenabwägung lässt sich ohne gesetzlichen Anhaltspunkt kaum begründen;135 eine Interessenabwägung verlangt lediglich § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung. Insbesondere kann dem Arbeitgeber die Sorge für das Privatleben seiner Arbeitnehmer nur durch eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift auferlegt werden, wie dies § 1 Abs. 3 KSchG für die Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung tut. Da die Kündigung ultima ratio ist, sind die beiderseitigen Interessen schon zwingender Bestandteil der Kündigungsprüfung und nicht erst im Rahmen einer von der Rechtfertigung der Kündigung zu trennenden Abwägung als abschließende Richtigkeitsgewähr zu berücksichtigen: Es geht um die Grundfrage, ob ein Verhalten des Arbeitnehmers trotz lang währender Betriebszugehörigkeit oder einer Schwerbehinderung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt rechtfertigt. So ist es denkbar, dass der Arbeitgeber Verspätungen eines Arbeitnehmers, der 20 Jahre beanstandungsfrei gearbeitet hat, eher hinnehmen muss als Verspätungen eines von Anfang an unzuverlässigen Arbeitnehmers. Ebenso sind einem Arbeitnehmer, der jahrelang zur Zufriedenheit des Arbeitgebers gearbeitet hat, kleinere Pflichtverletzungen eher nachzusehen und rechtfertigen die Kündigung erst nach weiteren Abmahnungen; bei gravierenden Pflichtverletzungen, etwa einem Diebstahl zu Lasten des Arbeitgebers, hilft dem Arbeitnehmer sein bisheriges Wohlverhalten hingegen nicht.136 Das Verschulden, insbesondere der Vorsatz des Arbeitnehmers, kann das Gewicht der Pflichtverletzung erhöhen und eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers erlauben (oben B III). Eine zwingende Voraussetzung für die verhaltensbedingte Kündigung ist das Verschulden des Arbeitnehmers aber nicht, wie unter B und C dargelegt. 133 Zur Berücksichtigung des Arbeitnehmerverschuldens Preis DB 1990, 630, 632 und 685, 688; Stahlhacke/Preis/Vossen9 2005 Rn. 1168a; KR/Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 41; DKZ/Kittner6 2004 § 1 KSchG Rn. 170. Zu § 626 BGB BAG 14.2.1996, 2 AZR 274/95, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 160; Büdenbender SAE 2000, 89, 91; AnwKomm/Franzen 2005 § 626 BGB Rn. 43; ErfK/Müller-Glöge7 2007 § 626 BGB Rn. 43; KR/Fischermeier8 2007 § 626 BGB Rn. 139; APS/Dörner2 2004 § 1 KSchG Rn. 277 und § 626 BGB Rn. 73. 134 BAG 20.1.2000, 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47; einschränkend 27.2.1997, 2 AZR 302/96, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51; Lingemann BB 2000, 1835 f.; KR/Griebeling8 2007 § 1 KSchG Rn. 411; abl. Preis DB 1990, 685, 688; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG14 2007 § 1 Rn. 474; Kompaktkommentar/Kaiser 2007 § 1 KSchG Rn. 26; ausdrücklich abw. BAG 20.1.2000, 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47; 27.2.1997, 2 AZR 302/96, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 51. 135 Auch LAG Düsseldorf 2.12.1983, 9 Sa 1197/83, DB 1984, 618; Bitter/Kiel RdA 1994, 333, 336 ff.; Löwisch/Spinner KSchG9 2004 § 1 Rn. 63; ErfK/Ascheid/Oetker7 2007 § 1 KSchG Rn. 391 ff. 136 Näher Kompaktkommentar/Kaiser 2007 § 1 KSchG Rn. 26.
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II. Anlehnung an §§ 323 Abs. 1 und 5, 324 BGB 1. Rücktrittsvoraussetzungen Auch für weitere Anforderungen an die Kündigung hilft ein Blick in das BGB: Erbringt der Schuldner seine Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, formuliert § 323 BGB für den Rücktritt vom Vertrag lediglich das Erfordernis einer Nachfristsetzung. § 324 BGB bindet den Rücktritt wegen der Verletzung von Nebenpflichten an die zusätzliche Voraussetzung, dass dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist; § 323 Abs. 5 S. 1 BGB verlangt für den Rücktritt wegen offener Teilleistung, dass der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse hat, und § 323 Abs. 5 S. 2 BGB für den Rücktritt wegen Schlechtleistung, dass die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist. 2. Nachfrist-/Abmahnungserfordernis Für die Verletzung der Hauptleistungspflicht genügt es, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine Nachfrist zur Leistung setzt bzw. der Arbeitgeber den Arbeitnehmer abmahnt und dieser entsprechende Pflichtverletzungen anschließend nicht abstellt. An weitere Voraussetzungen ist die Beendigung des Vertrages nicht gebunden: Durch die Nachfrist und die Abmahnung ist der Schuldner hinreichend davor gewarnt, dass die Fortsetzung oder Wiederholung von Pflichtverletzungen zur Auflösung des Vertrages führen kann. Wie für den Rücktritt vom Vertrag nach §§ 323, 324 BGB ist für die verhaltensbedingte Kündigung daher nicht maßgeblich, aus welchen Gründen der Schuldner in der Vergangenheit nicht oder nicht ordnungsgemäß geleistet hat, ob er die vergangene Pflichtverletzung insbesondere nach § 276 Abs. 2 BGB verschuldet hat, sondern allein, ob er sich trotz Abmahnung weiterhin pflichtwidrig verhält. Insoweit bestehen nur zwei Unterschiede: Wegen des Austauschcharakters des Vertrages muss dem Schuldner nach § 323 BGB eine Nachfrist zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung gesetzt werden, während eine solche Frist im Dauerschuldverhältnis entbehrlich ist (obwohl § 314 Abs. 2 S. 1 BGB den erfolglosen Ablauf einer Nachfrist neben der erfolglosen Abmahnung nennt). Der zweite Unterschied ist eher technisch: Während der Schuldner nach § 323 Abs. 1 BGB positiv aufgefordert werden muss, innerhalb der Nachfrist die nach dem Vertrag geschuldete Leistung zu erbringen, wird der Arbeitnehmer mit der Abmahnung negativ ermahnt, künftige Pflichtverletzungen zu unterlassen. Zwingend ist diese Unterscheidung nicht, etwa könnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, künftig pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, anstelle ihn zu ermahnen, künftig nicht mehr zu spät zu kommen. Die Abmahnung erfasst aber alle Arten von Pflichtverletzungen, insbesondere auch die Verletzung von Unterlassungspflichten (weswegen sie auch in § 323 Abs. 3 BGB für den
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Rücktritt besonders genannt ist) 137, und passt deshalb auf das Arbeitsverhältnis mit seiner Vielfalt denkbarer Pflichtverletzungen besser. Voraussetzung für den Rücktritt wegen der Verletzung von Nebenpflichten ist nach § 324 BGB allein, dass dem Gläubiger das Festhalten am Vertrag wegen der Pflichtverletzung des Schuldners unzumutbar wird. Dabei erfasst § 324 BGB entgegen der herrschenden Meinung 138 auch den Verstoß gegen leistungsbezogene Nebenpflichten;139 jedenfalls ist das Zumutbarkeitserfordernis des § 324 BGB auf die Verletzung leistungsbezogener Nebenpflichten zu übertragen. Obwohl § 324 BGB ein Abmahnungserfordernis nicht ausdrücklich aufstellt, ist dieses in der Voraussetzung der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag enthalten: Dem Gläubiger wird das Festhalten am Vertrag in der Regel erst dann unzumutbar, wenn er den Schuldner vergeblich abgemahnt hat. Nur wenn die Pflichtverletzung nicht abgestellt werden kann oder so schwerwiegend ist, dass sie die sofortige Lösung vom Vertrag rechtfertigt, darf der Gläubiger ohne weiteres zurücktreten.140 Dem entspricht – bei umgekehrten Regel-Ausnahme-Verhältnis – die Rechtsprechung des BAG, nach dem eine Abmahnung bei der Verletzung von Nebenpflichten, etwa bei Beleidigungen und Tätlichkeiten des Arbeitnehmers, nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur ausnahmsweise erforderlich ist, nämlich dann, wenn die Pflichtverletzung das Arbeitsverhältnis noch nicht zu stark belastet und der Arbeitgeber damit rechnen kann, die Abmahnung werde zu einem vertragsgemäßen Verhalten des Arbeitnehmers in der Zukunft führen.141 3. Interessenabwägung Während § 323 BGB für die Lösung vom Vertrag bei Verletzung der Hauptleistungspflicht lediglich eine erfolglose Nachfristsetzung voraussetzt, wird der Rücktritt bei Nebenpflichtverletzungen nach § 324 BGB und bei Teil- und Schlechtleistungen nach § 323 Abs. 5 BGB an weitere Voraussetzungen gebunden (schon unter 1). Ob das Festhalten am Vertrag für den
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Statt aller Palandt/Grüneberg66 2007 § 323 BGB Rn. 17. BT-Drucks 14/6040 S 183; Staudinger/Otto 2004 § 323 BGB Rn. A 7, B 12 und 14; Palandt/Grüneberg66 2007 § 323 BGB Rn. 10; Grothe in: Bamberger/Roth 2007 § 323 BGB Rn. 4; Erman/H.P. Westermann10 2004 § 323 BGB Rn. 5, § 324 Rn. 1; AnwKomm/DaunerLieb 2005 § 323 BGB Rn. 7 f. und § 324 BGB Rn. 5. 139 Ausführlich Staudinger/Kaiser 2004 § 346 BGB Rn. 11 ff. 140 MünchKomm/Ernst5 2007 § 324 BGB Rn. 8; Erman/H.P. Westermann10 2004 § 324 BGB Rn. 7; Palandt/Grüneberg 66 2007 § 324 BGB Rn. 4; AnwKomm/Dauner-Lieb 2005 § 324 BGB Rn. 13; auch Grothe in: Bamberger/Roth 2007 § 324 BGB Rn. 8; Staudinger/ Otto 2004 § 324 BGB Rn. 14, 60. 141 BAG 12.7.1984, 2 AZR 320/83, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 57, 13.3.1997, 2 AZR 506/96, RzK I 5h Nr. 39 138
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Gläubiger wegen der Verletzung von Nebenpflichten nach § 324 BGB unzumutbar ist, erfordert nach überwiegender Meinung eine Abwägung der beiderseitigen Interessen142 – allerdings nur der leistungsbezogenen Interessen.143 Teilweise wird eine Interessenabwägung auch für die Bewertung gefordert, ob eine Schlechtleistung im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB erheblich ist.144 Für das fehlende Interesse des Gläubigers an einer Teilleistung im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB wird eine Interessenabwägung hingegen von niemandem verlangt. Zu § 324 BGB ist herrschende Meinung, dass dem Gläubiger das Festhalten am Vertrag in der Regel nur bei schuldhaftem Fehlverhalten des Schuldners unzumutbar sei.145 Ähnlich hat der BGH eine unerhebliche Schlechtleistung im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB in einem Fall verneint, in dem der Verkäufer das Fehlen eines Mangels arglistig vorgetäuscht hat – das Vertrauen des arglistig Handelnden in den Bestand des Rechtsgeschäfts verdiene keinen Schutz.146 Demgegenüber stellt die Literatur bei § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB allein auf die Erheblichkeit der Schlechtleistung selbst ab;147 den Interessewegfall nach § 323 Abs. 5 S. 1 BGB bindet niemand an ein Verschulden des Schuldners. Richtigerweise kann ein Vertretenmüssen des Schuldners nur bei Nebenpflichtverletzungen im Sinne des § 324 BGB berücksichtigt werden: § 323 Abs. 5 S. 1 BGB knüpft für den Rücktritt als synallagmatischen Rechtsbehelf allein an die Erheblichkeit der Pflichtverletzung, § 323 Abs. 5 S. 2 BGB allein an das Interesse des Gläubigers an der Teilleistung an. Nur weil Nebenpflichten nicht im Synallagma stehen, stellt § 324 BGB mit der Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag eine zusätzliche Voraussetzung auf, um dem Gläubiger die Lösung vom Vertrag zu erlauben. Dies lässt Raum dafür, ein Vertretenmüssen des Schuldners zu berücksichtigen. Zur zwingenden Voraussetzung für den Rücktritt wird das Verschulden damit aber nicht.
142 MünchKomm/Ernst5 2007 § 324 BGB Rn. 7; Grothe in: Bamberger/Roth 2007 § 324 BGB Rn. 6; Staudinger/Otto 2004 § 324 BGB Rn. 53; auch AnwKomm/Dauner-Lieb 2005 § 324 BGB Rn. 12; Erman/H.P. Westermann10 2004 § 324 BGB Rn. 6. 143 MünchKomm/Ernst5 2007 § 324 BGB Rn. 9. 144 BGH 24.03.2006, V ZR 173/05, BGHZ 167, 19; Staudinger/Otto 2004 § 323 BGB Rn. C 30; Palandt/Grüneberg66 2007 § 323 BGB Rn. 32. 145 Staudinger/Otto 2004 § 324 BGB Rn. 55; Erman/H.P. Westermann10 2004 § 324 BGB Rn. 6; AnwKomm/Dauner-Lieb 2005 § 324 BGB Rn. 12; MünchKomm/Ernst5 2007 § 324 BGB Rn. 10; Grothe in: Bamberger/Roth 2007 § 324 BGB Rn. 7. 146 BGH 24.03.2006 a.a.O.; zust. Palandt/Grüneberg66 2007 § 323 BGB Rn. 32; für eine Berücksichtigung des Schuldnerverschuldens auch Staudinger/Otto 2004 § 323 BGB Rn. C 30. 147 St. Lorenz NJW 2006, 1925, 1926f.; AnwKomm/Dauner-Lieb 2005 § 323 BGB Rn. 36; Faust in: Bamberger/Roth, 2007 § 437 BGB 2007 Rn. 27; MünchKomm/Ernst5 2007 § 323 BGB Rn. 243; Soergel/Gsell 13 2005 § 323 BGB Rn. 216.
Verschuldensunabhängige verhaltensbedingte Kündigung
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Für das Arbeitsrecht kann man die Grundsätze des BGB bedingt fruchtbar machen: Arbeitet der Arbeitnehmer gar nicht, erbringt er also die geschuldete Hauptleistung überhaupt nicht, kann der Arbeitgeber in Anlehnung an § 323 BGB nach Abmahnung und erneuten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ohne weiteres kündigen. Erbringt der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nur teilweise nicht, kommt er etwa wiederholt zu spät zur Arbeit, ist in Anlehnung an § 323 Abs. 5 S. 1 BGB die Kündigung nur möglich, wenn der Arbeitgeber an der erlangten Teilleistung kein Interesse hat; bei steuerbaren Schlechtleistungen kann der Arbeitgeber in Anlehnung an § 325 Abs. 5 S. 2 BGB nur kündigen, wenn die Schlechtleistung nicht unerheblich ist. Lediglich bei Nebenpflichtverletzungen ist in Anlehnung an § 324 BGB Voraussetzung, dass das Festhalten am Vertrag für den Arbeitgeber wegen der Pflichtverletzung unzumutbar wird, so dass eine abschließende Interessenabwägung erfolgen muss. In der Interessenabwägung ist ein etwaiges Verschulden des Arbeitnehmers zu berücksichtigen; zur Kündigungsvoraussetzung wird es dadurch nicht. Nebenpflichtverletzungen ermöglichen im Dauerschuldverhältnis die Beendigung des Vertrages aber eher als in einem sich im Leistungsaustausch erschöpfenden Vertrag: Verletzt der Werkunternehmer beim Leistungsaustausch Nebenpflichten, indem er den Vertragspartner beleidigt, rechtfertigt das den Rücktritt vom Werkvertrag nur ausnahmsweise. Beleidigt der Arbeitnehmer während der Arbeit fortgesetzt Kollegen und Vorgesetzte, muss dem Arbeitgeber die Kündigung leichter möglich sein, da die Beleidigungen die Durchführung des Vertrages insgesamt stören. Insofern spielt die Abmahnung entgegen der Auffassung des BAG (gerade unter 2 a.E.) bei Nebenpflichtverletzungen eine größere Rolle als die Nachfrist oder Abmahnung im Austauschvertrag: Die Kündigung stützt sich nicht darauf, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit schuldhaft Nebenpflichten verletzt hat, sondern auf die Prognose, dass er solche Pflichtverletzungen künftig fortsetzen oder wiederholen wird. Diese Prognose ist in der Regel gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer abgemahnt worden ist und sich gleichwohl weiterhin pflichtwidrig verhält. Ein Verschulden des Arbeitnehmers ist keine Kündigungsvoraussetzung, es kann die Berechtigung des Arbeitgebers zur verhaltensbedingten Kündigung allenfalls verstärken.
E. Ergebnisse 1. Das Verschuldenserfordernis ist als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung aufzugeben. 2. Mit der verhaltens- und der personenbedingten Kündigung reagiert der Arbeitgeber – wie der Gläubiger im Austauschvertrag mit dem Rücktritt nach §§ 323, 324 BGB – auf eine Störung des Synallagma: Der Arbeitgeber
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darf kündigen, weil der Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem gegenseitigen Arbeitsvertrag nicht oder nicht wie geschuldet erfüllt. 3. Die personenbedingte Kündigung reagiert auf Unmöglichkeit der Arbeitsleistung und damit lediglich auf die Verletzung der Hauptleistungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB; die verhaltensbedingte Kündigung ermöglicht demgegenüber auch die Kündigung wegen der Verletzung von Nebenpflichten. a) Während beim Austauschvertrag mit der Unmöglichkeit der Leistung Leistungspflicht und Gegenleistungspflicht gem. §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 S. 1 BGB automatisch enden, verlangt § 1 Abs. 2 KSchG mit der Kündigung eine Gestaltungserklärung des Arbeitgebers: Anders als im Austauschvertrag genügt im Dauerschuldverhältnis nicht jede punktuelle Nichtleistung, um das Synallagma so grundlegend zu zerstören, dass die Lösung des Gläubigers vom Vertrag gerechtfertigt ist. Die Kündigung ist nur berechtigt, wenn das Ausmaß und die voraussichtlicher Dauer der Nichtleistung des Arbeitnehmers eine (Teil-)Unmöglichkeit der Dauerleistung „Arbeit“ begründen und zusätzlich die betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers unzumutbar beeinträchtigen. b) Weil der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts und durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in seine betriebliche Organisation die Umstände der Arbeitsleistung und damit auch deren Möglichkeit und Unmöglichkeit maßgeblich beeinflusst – während der Arbeitnehmer die personenbedingten Kündigungsgründe gerade nicht steuern kann –, darf der Arbeitgeber erst dann kündigen, wenn er keine arbeitsorganisatorischen Maßnahmen ergreifen kann, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ermöglichen: Kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner Leistungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB möglich machen, indem er ihm einen Schonarbeitsplatz zuweist oder die Bedingungen am bisherigen Arbeitsplatz verändert, fehlt es schon an der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung. Kann der Arbeitgeber den vorübergehenden Ausfall des Arbeitnehmers durch Überbrückungsmaßnahmen auffangen, ist das Ausmaß der Unmöglichkeit nicht schwerwiegend genug, um die Unmöglichkeit der Dauerleistung „Arbeit“ kündigungsrelevant zu begründen. 4. Der Unterschied zwischen verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung ist beim Verstoß gegen Hauptleistungspflichten nicht, dass dem verhaltensbedingt gekündigten Arbeitnehmer ein Verschuldensvorwurf für vergangenes Fehlverhalten gemacht werden kann, sondern die Möglichkeit des Arbeitnehmers, sein künftiges Verhalten zu steuern und damit künftige Pflichtverletzungen zu unterlassen. Bei Pflichtverletzungen, die der Arbeitnehmer steuern kann, muss der Arbeitgeber ihm mit Hilfe der Abmahnung noch eine letzte Chance zur vertragsgemäßen Leis-
Verschuldensunabhängige verhaltensbedingte Kündigung
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tung geben, bevor er das Arbeitsverhältnis kündigen darf; das entspricht §§ 323 Abs. 1, 326 Abs. 5 BGB für den Rücktritt vom Vertrag. 5. Die Steuerbarkeit des Arbeitnehmerverhaltens ist nicht mit dem Verschulden im Sinne des § 276 BGB gleichzusetzen: Die Prognose künftiger Pflichtverletzungen erfordert es nicht, dass der Arbeitnehmer die der Abmahnung nachfolgende Pflichtverletzung verschuldet haben muss. a) Praktisch relevant wird das Verschuldenserfordernis insoweit kaum, da der Arbeitnehmer, der trotz Abmahnung Pflichtverletzungen fortsetzt oder wiederholt, die der abgemahnten Pflichtverletzung entsprechen, gegen den typisierenden Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sine des § 276 Abs. 2 BGB verstößt. b) Ein entschuldbarer Rechtsirrtum hindert eine verhaltensbedingte Kündigung auch nach der Rechtsprechung nicht; es genügt, dass aufgrund objektiver Umstände mit wiederholten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu rechnen ist. Richtigerweise darf der Arbeitgeber kündigen, wenn der Arbeitnehmer durch eine Abmahnung darauf hingewiesen worden ist, dass er seine vertraglichen Pflichten verletzt, wenn er sein Verhalten fortsetzt oder wiederholt. Der Arbeitnehmer, der sich anders verhalten kann, handelt auf eigenes Risiko, wenn er trotz Abmahnung auf seinem pflichtwidrigen Tun beharrt. c) Das Verschulden des Arbeitnehmers fehlt, wenn es ihm an der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit mangelt. Nach der Rechtsprechung ist eine verhaltensbedingte Kündigung gleichwohl möglich. Problematisch kann das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers nur bei Nebenpflichtverletzungen werden, da der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, der schuldlos gar nicht oder schlecht arbeitet, personenbedingt kündigen kann. § 827 BGB kennt nur die vollständige Verschuldensunfähigkeit, hingegen keine verminderte Zurechnungsfähigkeit. Angesichts dieses strengen Maßstabs kommt ein fehlendes Verschulden des Arbeitnehmers an Nebenpflichtverletzungen praktisch nie in Betracht, da eine Reststeuerbarkeit bei Arbeitnehmern, die ihre Arbeitsleistung im Übrigen ordnungsgemäß erbringen, im Regelfall zu bejahen sein wird. d) Indem das BAG dem Arbeitnehmer die Darlegungslast dafür auferlegt, dass er seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft, und bei nicht hinreichendem Vortrag davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer die übliche Sorgfalt im Sinne des § 276 BGB außer Acht gelassen hat, kommt es zu einer Verschuldensvermutung zu Lasten des Arbeitnehmers – entgegen der ausdrücklichen Regel des § 619a BGB als Ausnahmevorschrift zu § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Das ist nicht haltbar. 6. Das Erfordernis einer gesonderten Interessenabwägung – unter Berücksichtigung des Arbeitnehmerverschuldens – lässt sich ohne gesetzlichen Anhaltspunkt kaum begründen. Anknüpfen lässt sich für eine Interessenabwägung lediglich an § 324 BGB, der den Rücktritt wegen der Verlet-
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zung – nur – von Nebenpflichten an die zusätzliche Voraussetzung bindet, dass dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Richtigerweise setzt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Nebenpflichtverletzungen auch in Anlehnung an § 324 BGB nicht voraus, dass der Arbeitnehmer in der Vergangenheit schuldhaft Nebenpflichten verletzt hat, sondern ist die Kündigung allein aufgrund der Prognose gerechtfertigt, dass er künftig Nebenpflichten verletzen wird. Eine solche Prognose kann in der Regel darauf gestützt werden, dass der Arbeitnehmer abgemahnt worden ist und sich gleichwohl weiterhin pflichtwidrig verhalten hat.
Private Internetnutzung am Arbeitsplatz Sudabeh Kamanabrou
Die Verbreitung und Bedeutung elektronischer Kommunikationsmittel nimmt nicht nur im privaten Bereich ständig zu. Auch eine stetig anwachsende Zahl von Unternehmen greift inzwischen auf moderne elektronische Kommunikationsmittel wie Internet, Intranet und E-Mail zurück. So setzten im Jahr 2006 laut statistischem Bundesamt 84 % aller Unternehmen in Deutschland Computer im Arbeitsablauf ein.1 Rund 79 % der Unternehmen und fast jeder zweite Beschäftigte hatten Zugriff auf das Internet. Darüber hinaus verfügten 25 % der Unternehmen über ein betriebsinternes elektronisches Netzwerk, ein sog. Intranet. Begrifflich ist zwischen Internet, Intranet und dem World Wide Web (www) zu differenzieren. Der Begriff „Internet“ meint zunächst nicht mehr als ein Netzwerk von über Leitungen verbundenen Computern.2 Über dieses Netzwerk sind verschiedene Dienste nutzbar, unter anderem das World Wide Web und E-Mail-Dienste. Das www ermöglicht es dem Nutzer, Internetpräsenzen einzurichten und aufzurufen; über E-Mail-Dienste können Nachrichten in elektronischer Form versandt werden.3 Mit „Intranet“ ist demgegenüber ein betriebs- oder unternehmensinternes Netzwerk von Computern gemeint, auf das von außen grundsätzlich nicht zugegriffen werden kann.4 Neben den gewünschten Effekten wie Effizienzsteigerung, Verbesserungen im Servicebereich und der Erschließung neuer Informationsquellen und Absatzmöglichkeiten bringt die Einrichtung von Computerarbeitsplätzen sowie insbesondere die Bereitstellung von Internetzugängen am Arbeitsplatz eine Vielzahl rechtlicher Probleme mit sich. Aus arbeitsrechtlicher Sicht stellt sich u.a. die Frage, inwieweit die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten elektronischen Kommunikationsmittel von den Arbeitnehmern während der
1 Informationen aus der Studie: Informations- und Kommunikationstechnologie in Unternehmen 2006 des Statistischen Bundesamts in Zusammenarbeit mit den Statistischen Ämtern der Länder und mit Unterstützung des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften, abrufbar auf der Internetseite des statistischen Bundesamtes http://www.destatis.de/themen/d/thm_infogesell.php, zuletzt abgerufen am 11.6.2007. 2 Lelley Internet am Arbeitsplatz, 2006, Rn. 8. 3 Lelley (Fn. 2), Rn. 12 ff. 4 Lelley (Fn. 2), Rn. 10.
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Arbeitszeit für private Zwecke genutzt werden dürfen und welche rechtlichen Folgen eine unzulässige Nutzung gegebenenfalls haben kann. Dabei steht vor allem die Möglichkeit der (außerordentlichen) Kündigung im Mittelpunkt der Diskussion. Im Folgenden werden Rechtsgrundlagen der Privatnutzung, die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung bei unbefugter oder nicht ordnungsgemäßer Privatnutzung des Internets sowie datenschutzrechtliche Fragen behandelt. Aus Raumgründen ausgeklammert bleiben mitbestimmungsrechtliche Fragen.
I. Dienstliche und private Nutzung Die Internetnutzung am Arbeitsplatz wirft bei dienstlicher Nutzung einerseits und privater Nutzung andererseits unterschiedliche Rechtsfragen auf. 1. Dienstliche Nutzung Eine dienstliche Nutzung ist dann gegeben, wenn die Nutzung eines elektronischen Kommunikationsmittels einen spezifischen Bezug zu der Erfüllung dienstlicher Aufgaben aufweist.5 Insofern genügt die Absicht des Arbeitnehmers, durch die Nutzung zur Erfüllung seiner Arbeitspflicht beizutragen.6 Um eine dienstliche Nutzung handelt es sich z.B., wenn ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung einen bestimmten Gesetzestext in einer OnlineDatenbank sucht, um eine vom Arbeitgeber vorgelegte Rechtsfrage zu beantworten. Der dienstlichen Nutzung steht die Privatnutzung aus dienstlichem Anlass gleich.7 Eine Privatnutzung aus dienstlichem Anlass ist gegeben, wenn die Notwendigkeit der Nutzung aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt, insofern also ein dienstlicher Zusammenhang besteht.8 Das ist z.B. der Fall, wenn eine Arbeitnehmerin ihren Ehemann per E-Mail darüber informiert, dass sie aus dienstlichen Gründen erst später nach Hause kommen wird.9 Ordnet der Arbeitgeber die dienstliche Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel an, so hat der Arbeitnehmer dieser Weisung Folge zu
5 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz, Neue Medien und Arbeitsrecht, 2006, § 1 Rn. 4; Däubler Internet und Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 177; Hanau/Hoeren Private Internetnutzung durch Arbeitnehmer, 2003, S. 19; Lelley (Fn. 2), Rn. 34. 6 Däubler (Fn. 5), Rn. 177; Dickmann NZA 2003, 1009 (1010); Ernst NZA 2002, 585 (588). 7 Däubler (Fn. 5), Rn. 178; Lelley (Fn. 2), Rn. 35. 8 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 4; Lelley (Fn. 2), Rn. 35. 9 Beispiel nach: Däubler (Fn. 5), Rn. 178; Lelley (Fn. 2), Rn. 35.
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leisten, wenn ihr kein höherrangiges Recht, entgegensteht.10 Die Weisung hat sich – wie stets – nach § 106 I GewO in den Grenzen billigen Ermessens zu halten.11 2. Private Nutzung Aus dem bisher Gesagten ergibt sich im Umkehrschluss, dass jegliche Nutzung, die keinen spezifischen Bezug zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben aufweist, als private Nutzung einzustufen ist.12 Eine private Nutzung findet z.B. statt, wenn der Arbeitnehmer private E-Mails abruft oder Kinokarten über das www reserviert. Denkbar sind auch Fallkonstellationen, in denen die Nutzung des Internets sowohl dienstlichen als auch privaten Charakter aufweist.13 So enthalten E-Mails oft nicht nur rein dienstliche Aspekte, sondern werden mit persönlichen Informationen verbunden. In einem solchen Fall ist zu bestimmen, ob der Schwerpunkt der Nutzung dem dienstlichen oder dem privaten Bereich zuzuordnen ist.14 Unter Umständen kann das Aufrufen von Internetseiten, die lediglich von privatem Interesse für den Arbeitnehmer sind, als dienstlich zu qualifizieren sein. Eine solche Zuordnung zum dienstlichen Bereich hat das ArbG Wesel beim Aufrufen von privat interessierenden Internetseiten während einer Eingewöhnungsphase nach Neueinführung eines Internetzugangs angenommen.15 Abgesehen von solchen Konstellationen, in denen die „private“ Nutzung im Interesse des Arbeitgebers liegt, ist die private Nutzung insofern problematisch, als der Arbeitnehmer während der privaten Nutzung innerhalb seiner Arbeitszeit seiner vertraglichen Arbeitspflicht nicht nachkommt. Außerdem besteht die Gefahr, dass betriebseigene Computer mit Viren infiziert werden oder der Arbeitgeber durch die Art und Weise der Internetnutzung durch den Arbeitnehmer diskreditiert wird. Es stellt sich daher die Frage, ob bzw. inwieweit die private Nutzung elektronischer Kommunikationseinrichtungen während der Arbeitszeit zulässig ist.
10 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 1; Küttner/Kreitner Personalbuch 2006, 13. Aufl. 2006, Telefon-/Internetnutzung, Rn. 3. 11 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 1; Küttner/Kreitner (Fn. 10), Telefon-/Internetnutzung, Rn. 3. 12 Dickmann NZA 2003, 1009 (1010); Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 19; Lelley (Fn. 2), Rn. 26. 13 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), Rn. 4; Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 20; Lelley (Fn. 2), Rn. 24. 14 Lelley (Fn. 2), Rn. 27. 15 ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, NZA 2001, 786 (787); zustimmend: Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 4; Dickmann NZA 2003, 1009 (1010); Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 20.
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II. Befugnis zur privaten Nutzung Ausgangspunkt der Überlegungen zur privaten Nutzungsbefugnis des Arbeitnehmers ist, dass der den Zugang zum Internet vermittelnde Computer im Eigentum des Arbeitgebers steht.16 Somit steht dem Arbeitgeber gemäß und im Rahmen des § 903 BGB die Verfügungsgewalt über den Computer zu. Es steht ihm grundsätzlich frei zu entscheiden, ob und in welchem Umfang das Gerät vom Arbeitnehmer privat genutzt werden darf.17 In der Regel wird es ferner so sein, dass der Arbeitgeber derjenige ist, der einen Nutzungsvertrag mit dem Internetprovider geschlossen hat. Auch insofern kann er bestimmen, ob und inwieweit er anderen die Internetnutzung gestatten möchte. 1. Mögliche Rechtsgrundlagen einer privaten Nutzungsbefugnis Der Arbeitgeber kann eine Erlaubnis zur privaten Nutzung erteilen. Dies kann ausdrücklich oder konkludent geschehen. Ferner kann möglicherweise eine betriebliche Übung zu einer Nutzungsbefugnis der Arbeitnehmer führen. a) Ausdrückliche oder konkludente Erlaubnis Eine ausdrückliche Erlaubnis des Arbeitgebers kann im Arbeitsvertrag enthalten sein, mündlich erfolgen, oder durch Aushänge oder Hinweise erteilt werden.18 Soweit eine ausdrückliche Erlaubnis besteht, richtet sich der Umfang der zulässigen privaten Nutzung in erster Linie nach dem Inhalt der ausdrücklichen Erlaubnis.19 Der Arbeitgeber hat so z.B. die Möglichkeit, die Privatnutzung auf Pausenzeiten zu beschränken. Die Erlaubnis kann auch auf bestimmte Arten der privaten Nutzung beschränkt sein, beispielsweise durch ein Verbot, bestimmte Internetseiten aufzurufen. Wenn die Privatnutzung grundsätzlich erlaubt, der Umfang aber nicht geregelt ist, ist die Erlaubnis vom objektiven Empfängerhorizont her auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Dabei wird in der Regel davon auszugehen sein, dass der Arbeitgeber mit der Erlaubnis den Umfang der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers nicht schmälern will, die Nutzung sich dem Umfang nach also auf Pausenzeiten zu beschränken hat.20
16
Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 5; Däubler (Fn. 5), Rn. 180. Däubler (Fn. 5), Rn. 180; Dickmann NZA 2003, 1009 (1010); Ernst NZA 2002, 585 (585). 18 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 6. 19 Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 23. 20 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 20; Ernst NZA 2002, 585 (586); Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 24. 17
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Eine konkludente Einwilligung kann vorliegen, wenn der Arbeitgeber in Pausenräumen Computer mit Internetzugang zur Verfügung stellt 21 oder die Privatnutzung des Internets mit den Arbeitnehmern abrechnet.22 Ob sich in diesen Fällen die Erlaubnis auch auf die Privatnutzung während der Arbeitszeit bezieht, ist jedoch zweifelhaft. Fraglich ist ferner, ob durch die Erlaubnis, während der Arbeitszeit in gewissem Umfang Privattelefonate zu führen, konkludent die private Nutzung des Internets in gleichem Umfang erlaubt wird. Teilweise wird dies bejaht.23 Die Gegenansicht lehnt eine konkludente Einwilligung in solchen Fällen jedoch zu Recht mit dem Hinweis ab, dass die Nutzung des Internets die Gefahr eines Virusbefalls des unternehmerischen Computersystems mit sich bringen könne und außerdem ein im Vergleich zum Gebrauch des Telefons erhöhtes Missbrauchspotential aufweise.24 b) Betriebliche Übung Streitig ist, ob sich die Zulässigkeit der Privatnutzung aus einer betrieblichen Übung ergeben kann. Die Befürworter verlangen für das Entstehen einer entsprechenden betrieblichen Übung, dass der Arbeitgeber Kenntnis von der privaten Nutzung hat, sie über einen gewissen längeren Zeitraum geduldet hat und die Arbeitnehmer darauf vertrauen durften, dass sie auch in Zukunft zur Privatnutzung berechtigt sein sollten.25 Wann eine ausreichend lang andauernde Duldung vorliegt, ist bisher obergerichtlich noch nicht entschieden. Das ArbG Wesel hat in einer Entscheidung die insofern für Telefongespräche geltenden Grundsätze auf die Internetnutzung übertragen.26 Danach wäre eine betriebliche Übung bereits nach sechs Monaten anzunehmen.27 Diskutiert werden aber auch Zeitspannen von bis zu zwölf Monaten.28 Wichtig ist, dass sich bei der Privatnutzung aufgrund betrieblicher Übung der Umfang der Befugnis nach der Kenntnis des Arbeitgebers bestimmt, denn nur soweit seine Kenntnis reicht, kann von einer Duldung gesprochen werden.29
21
Däubler (Fn. 5), Rn. 184; Dickmann NZA 2003, 1009 (1010). Däubler (Fn. 5), Rn. 184; Kramer NZA 2004, 457 (459). 23 Däubler (Fn. 5), Rn. 184; Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 21. 24 Dickmann NZA 2003, 1009 (1010); Ernst NZA 2002, 585 (586); Kramer NZA 2004, 457 (459); Lelley (Fn. 2), Rn. 30. Siehe auch die Argumentation des ArbG Frankfurt a.M. v. 2.1.2002 – 2 Ca 5340/01, NZA 2002, 1093 (1095), das allerdings über die Frage nach der konkludenten Einwilligung nicht entscheiden musste. 25 Barton NZA 2006, 640 (641); Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 9; Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 22. 26 ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, NZA 2001, 786 (787). 27 Barton NZA 2006, 460 (461). 28 Däubler (Fn. 5), Rn. 185; Ernst NZA 2002, 585 (586). 29 Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 9. 22
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Teilweise stößt die Annahme einer betriebliche Übung zur privaten Nutzung elektronischer Kommunikationseinrichtungen auf generelle Bedenken.30 So wird argumentiert, dass ein Dulden des Arbeitgebers keinen ausreichenden Anknüpfungspunkt für die Begründung eines vertraglichen Anspruchs darstellt.31 Kritisch wird die betriebliche Übung auch unter dem Aspekt der Erforderlichkeit des Schutzes des Arbeitnehmers betrachtet. Zu berücksichtigen sei, wie sehr die Vergünstigung mit dem Austauschverhältnis zusammenhänge und welche Bedeutung sie für den Arbeitnehmer habe.32 Ferner wird darauf hingewiesen, dass mangels einer Erlaubnis der Internetnutzung das Verhalten des Arbeitnehmers eine Vertragsverletzung darstelle. Selbst wenn man u.U. das Geschehenlassen als Erlaubnis der gegenwärtigen Nutzung deuten könne, lasse sich ein bloßes Nichteinschreiten hinsichtlich zukünftiger Rechte des Arbeitnehmers nur so verstehen, dass der Arbeitgeber sich die Entscheidung über die Nutzungsbefugnis offen halten wolle.33 2. Nutzungsbefugnis bei Fehlen einer Regelung Oftmals besteht in Unternehmen weder eine ausdrückliche oder konkludente Erlaubnis noch eine betriebliche Übung zur Frage der privaten Nutzung des Internets. In diesen Fällen verletzt der Arbeitnehmer mit einer privaten Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine Hauptleistungspflicht.34 Allerdings kann der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung der Instanzgerichte grundsätzlich von einer Duldung der privaten Nutzung auch während der Arbeitszeit ausgehen. Es handele sich bei der Privatnutzung des Internets um ein sozialtypisches Verhalten, wenn die Nutzung sich ihrem Umfang nach weder auf die Arbeitsleistung erheblich auswirkt noch zu einer spürbaren Kostenbelastung des Arbeitgebers führt.35 Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass die Kommunikationshandlungen oft termingebunden sind und die Nutzung privater Kommunikationsmittel am Arbeitsplatz oft eingeschränkt ist.36 Während das BAG offen gelassen hat, ob der Arbeitnehmer bei zeitlich hinnehmbarer Nutzung grundsätzlich von einer Duldung ausgehen kann,37 lehnt die Literatur eine grundsätzliche Duldung eher
30
Beckschulze DB 2003, 2777 (2778); Waltermann NZA 2007, 529 (530 ff.). Mengel BB 2004, 2014 (2015) unter Verweis auf Mengel BB 2004, 1445 (1446 f.). 32 Bepler RdA 2004, 226 (237); Fischer ArbuR 2005, 91 (94). 33 Waltermann NZA 2007, 529 (531). 34 Kramer NZA 2004, 457 (460 f.). 35 LAG Köln v. 11.2.2005 – 4 Sa 1018/04, MDR 2006, 36; ArbG Frankfurt a.M. v. 2.1.2002 – 2 Ca 5340/01, NZA 2002, 1093 (1095). 36 LAG Köln v. 11.2.2005 – 4 Sa 1018/04, MDR 2006, 36; ArbG Frankfurt a.M. v. 2.1.2002 – 2 Ca 5340/01, NZA 2002, 1093 (1095). 37 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (99 f.). 31
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ab.38 Gegen die Zulässigkeit einer geringfügigen Privatnutzung des Internets während der Arbeitszeit spricht, dass mangels Gestattung jede private Betätigung während der Arbeitszeit eine Pflichtverletzung ist. Zwar mag es nicht angemessen sein, an kleinere Verstöße (erhebliche) arbeitsrechtliche Sanktionen zu knüpfen. Daraus aber auf die rechtliche Zulässigkeit des Verhaltens zu schließen, ist nicht angebracht. Es ist nicht ersichtlich, warum das Interesse des Arbeitgebers an der Erfüllung des Arbeitsvertrags nur eingeschränkt zur Geltung kommen soll. Selbst bei termingebundener Kommunikation wird es dem Arbeitnehmer i.d.R. möglich sein, die private Internetnutzung auf die Pausenzeiten zu beschränken.
III. Außerordentliche Kündigung bei unzulässiger privater Nutzung Überschreitet die private Nutzung des Internets den durch Erlaubnis oder betriebliche Übung gestatteten zeitlichen Rahmen, so verletzt der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht, weil er keine Arbeitsleistung erbringt.39 Überschreitet die private Nutzung dagegen allein ihrer Art nach das Erlaubte, so liegt eine Verletzung von Nebenleistungspflichten vor.40 Als Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei einer unerlaubten Privatnutzung durch den Arbeitnehmer kommen insbesondere Ermahnung, Abmahnung, ordentliche und außerordentliche Kündigung in Betracht. Diskutiert wird dabei vor allem die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung. 1. Erforderlichkeit einer Abmahnung Bei unbefugter Nutzung des Internets kann der Arbeitgeber im Regelfall nicht unmittelbar kündigen. Nach Rechtsprechung 41 und Literatur 42 ist vielmehr wie auch sonst bei verhaltensbedingten Kündigungen grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich. Nur in Ausnahmefällen kann eine Abmahnung entbehrlich sein, es gelten auch insoweit die allgemeinen Grundsätze. Danach ist eine Abmahnung u.a. nicht erforderlich, wenn eine beson38
Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 7; Kramer NZA 2004, 457 (463). BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98; Dickmann NZA 2003, 1009 (1012); Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 34; Kramer NZA 2004, 457 (461). 40 Dickmann NZA 2003, 1009 (1012); Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 34; Kramer NZA 2004, 457 (461). 41 LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634 (635); ArbG Düsseldorf v. 1.8.2001 – 4 Ca 3437/01, NZA 2001, 1386 (1387); ArbG Frankfurt a.M. v. 2.1.2002 – 2 Ca 5340/01, NZA 2002, 1093 (1094); ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, NZA 2001, 786 (786 f.). 42 Kramer NZA 2004, 457 (462). 39
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ders schwere Pflichtverletzung vorliegt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen kann, dass der Arbeitgeber sie hinnehmen würde.43 Die Instanzgerichte haben eine Abmahnung bei unbefugter Internetnutzung bereits mehrfach für entbehrlich gehalten. In einem Fall ging es um eine zeitlich exzessive Nutzung, während der u.a. pornografische Seiten aufgerufen wurden. Die damit verbundene Störung im Vertrauensbereich wurde als so schwerwiegend eingestuft, dass eine Abmahnung entbehrlich war.44 Ähnlich argumentierte das ArbG Frankfurt a.M. in einem Fall, in dem pornografische Dateien in erheblichem Umfang über das Internet bezogen und gespeichert wurden.45 Auch bei hartnäckigen Verstößen gegen ein ausdrückliches Verbot der Privatnutzung wurde eine Abmahnung als entbehrlich angesehen.46 2. Zeitliches Überschreiten der Nutzungsbefugnis Die unerlaubte Privatnutzung des Internets kann in verschiedener Hinsicht ein Fehlverhalten im Arbeitsverhältnis darstellen. So verstößt der Arbeitnehmer u.a. dann gegen seine Vertragspflichten, wenn er bei der privaten Internetnutzung in zeitlicher Hinsicht das erlaubte oder das hinnehmbare Maß überschreitet (zeitlich exzessive Nutzung).47 Wenn keine eindeutige Regelung der privaten Nutzungsbefugnis von Arbeitgeberseite besteht, ist grundsätzlich jede private Nutzung während der Arbeitszeit eine Verletzung der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers. Allerdings haben die Instanzgerichte die Privatnutzung in geringem Umfang bei Fehlen einer klaren Regelung – zu Unrecht – als sozialtypisches und damit hinzunehmendes Verhalten eingestuft.48 Problematisch ist die Bestimmung der Zeitspanne, ab der die Nutzung als so ausschweifend anzusehen ist, dass ein wichtiger Grund für eine Kündigung gegeben sein kann. Die Instanzrechtsprechung war zunächst zurückhaltend. Im Jahr nach der Einführung des Internets im Betrieb hat das ArbG Wesel eine Privatnutzung von 80–100 Stunden als nicht ausreichend angesehen.49 Eine tägliche Privatnutzung von 14 Minuten bis zu zwei Stunden 43 BAG v. 12.01.2006 – 2 AZR 179/05, AP Nr. 54 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 44 ArbG Düsseldorf v. 1.8.2001 – 4 Ca 3437/01, NZA 2001, 1386 (1387). 45 ArbG Frankfurt a.M. v. 2.1.2002 – 2 Ca 5340/01, NZA 2002, 1093 (1094 f.). 46 LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634 (636). 47 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (99); LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634 (635). 48 Sieh oben II. 2. 49 ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, NZA 2001, 786. In Anlehnung an dieses Urteil hat das LAG Köln eine tägliche Privatnutzung von zehn Minuten als hinnehmbar eingestuft, LAG Köln v. 11.2.2005 – 4 Sa 1018/04, MDR 2006, 36.
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und 40 Minuten trotz ausdrücklichen Verbots wurde allerdings als hartnäckiger, uneinsichtiger Verstoß eingestuft.50 Und in seinem grundlegenden Urteil vom 7.7.2005 hat der zweite Senat des BAG die zweimalige Privatnutzung während der Arbeitszeit im Umfang von einmal 27 und einmal 74 Minuten als exzessiv eingeordnet.51 Dieser Maßstab wird in Zukunft für die Praxis maßgeblich sein. Ein Aspekt, den das BAG eher beiläufig erwähnt hat, mag in zukünftigen Verfahren eine größere Rolle spielen: Das BAG deutet an, dass eine übermäßige Nutzung u.U. keinen Kündigungsgrund abgibt, wenn der Arbeitnehmer in dem Zeitraum, in dem er das Internet privat nutzte, ohnehin nichts zu tun gehabt hätte. Die Darlegungs- und Beweiselast trüge insoweit allerdings der Arbeitnehmer.52 Auf der anderen Seite will das BAG berücksichtigt wissen, ob ein übermäßig das Internet nutzender Arbeitnehmer, der u.a. Überwachungs- und Kontrollaufgaben hat, während der Privatnutzung des Internets seine Aufsichtsfunktion verletzt.53 Der Pflichtverstoß, der in der Nichterbringung der Arbeitsleistung liegt, kann also je nach dem Inhalt der Arbeitspflicht unterschiedliches Gewicht haben. 3. Verstoß gegen Strafvorschriften und Aufruf pornografischer Inhalte Eine außerordentliche Kündigung kann in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer durch die Nutzung des Internets gegen Strafvorschriften verstößt.54 Denkbar ist insofern z.B. die Verbreitung gewaltverherrlichender (§§ 130, 131 StGB) oder bestimmter pornografischer Inhalte (z.B. §§ 184a, 184b StGB). Weiterhin stellt sich die Frage, inwiefern der Abruf strafrechtlich nicht relevanter sexueller Inhalte Einfluss auf die rechtliche Würdigung einer privaten Nutzung haben kann. Das BAG stuft den Zugriff auf pornografische Inhalte als einen über die Privatnutzung hinausgehenden, eigenständigen Pflichtverstoß ein, der bei der Frage, ob ein Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vorliegt, zu berücksichtigen sei. Zur Begründung stellt das BAG in erster Linie auf die Gefahr einer Rufschädigung des Arbeitgebers ab.55 Dagegen wird in der Literatur vorgebracht, dass der Inhalt der aufgeru50
LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634 (636). BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (100). 52 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (100); Mengel NZA 2005, 752 (753). 53 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (101). 54 LAG Nürnberg v. 26.10.2004 – 6 Sa 348/03, LAGReport 2005, 176; Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 2 Rn. 123; Dickmann NZA 2003, 1009 (1012); Mengel NZA 2005, 752 (753). Siehe auch ArbG Hannover v. 28.4.2005 – 10 Ca 791/04, NZA-RR 2005, 420. 55 BAG v. 27.04.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977 (979); BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (100 f.). 51
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fenen Internetseiten – soweit strafrechtlich nicht relevant – im Bezug auf die Pflichtverletzung, die allein in der Nichterbringung der geschuldeten Leistung zu sehen sei, keine Bedeutung habe.56 Dieser Auffassung ist zu folgen. Der Besuch pornografischer Internetseiten steht der sonstigen Internetnutzung im Grundsatz gleich,57 der Arbeitgeber ist nicht zum Sittenwächter über seine Arbeitnehmer berufen.58 Eine konkrete Gefahr einer Rufschädigung ist jedenfalls allein durch den Zugriff auf pornografische Internetseiten regelmäßig nicht gegeben.59 4. Download und Speicherung von Daten Eine dritte Fallgruppe der unerlaubten Privatnutzung, die eine außerordentliche Kündigung nach sich ziehen kann, bildet der Download von Daten aus dem Internet und ihre Speicherung auf dem unternehmenseigenen Computer. Oftmals wird das Herunterladen von Dateien mit einer zeitlich exzessiven Nutzung verbunden sein.60 Das BAG verweist außerdem auf die Gefahr eines Virenbefalls und anderer Störungen des betrieblichen Betriebssystems.61 Auch gehen das BAG und das LAG Rheinland-Pfalz davon aus, dass nicht nur beim Aufruf von Websites mit pornografischen Inhalten, sondern auch beim Download von Daten mit sexuellem Inhalt bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung die Gefahr einer Rufschädigung des Arbeitgebers zu berücksichtigen ist, da jede Nutzung des Internets Spuren hinterlässt und somit eventuell ein Rückschluss auf den Arbeitgeber möglich ist.62 Während das BAG seine Aussage dazu nicht näher konkretisiert hat, hat das LAG Rheinland-Pfalz eine Rufschädigung als bloß abstrakte Gefahr angesehen, die lediglich darin besteht, dass theoretisch festgestellt werden kann, dass die Internetnutzung aus dem Betrieb des Arbeitgebers erfolgte. Es hat diesen Umstand daher in der Interessenabwägung im Rahmen der außerordentlichen Kündigung nicht maßgeblich zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt.63 Wenn man der hier vertretenen Lösung folgt und eine konkrete Gefahr der Rufschädigung beim Aufruf von Websites mit pornografischem Inhalt ablehnt, ist eine solche kon-
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Besgen/Prinz in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 1 Rn. 121; Mengel NZA 2005, 752 (753). LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634, (636). 58 BAG v. 23.6.1994 – 2 AZR 617/93, NZA 1994, 1080 (1082); Besgen SAE 2006, 117 (119 f.). 59 Besgen SAE 2006, 117 (119). 60 Dazu III. 2. 61 BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (99). 62 BAG v. 27.04.2006 – 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977 (979); BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (99); LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634 (635). 63 LAG Rheinland-Pfalz v. 9.5.2005 – 7 Sa 68/05, NZA-RR 2005, 634 (635). 57
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krete Gefahr auch beim Download zu verneinen. Zwar ist der Download gegenüber dem bloßen Aufruf der Website die intensivere Handlung. Für die – eher theoretische – Möglichkeit, die Nutzung der Website zum Arbeitgeber zurückzuverfolgen und so seinen Ruf zu gefährden, ergibt sich aber kein Unterschied. 5. Verbotswidriges Verhalten und Kosten Ein weiterer Aspekt, den das BAG aufgeführt hat, ist die unberechtigte Nutzung der Arbeitsmittel selbst und die durch die Internetnutzung u.U. anfallenden Kosten.64 Wie das LAG Rheinland-Pfalz aber zu Recht feststellt, führt die Privatnutzung des Arbeitnehmers nicht zu höheren Verbindungskosten, wenn der Arbeitgeber einen Pauschalpreis mit seinem Provider vereinbart hat.65 Mit der zunehmenden Verbreitung solcher Pauschalabreden verliert dieser Aspekt der unzulässigen Privatnutzung also an Gewicht.
IV. Missbrauchskontrolle und Datenschutz Ein weiterer Diskussionspunkt im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets am Arbeitsplatz ist die Frage, inwiefern es dem Arbeitgeber erlaubt ist, den Arbeitnehmer dabei zu kontrollieren. Die technischen Möglichkeiten sind quasi unbegrenzt: So kann durch spezielle Konfigurationen oder die Installation von Spezialsoftware jeder Aufruf einer Internetseite in puncto Datum, Uhrzeit, Dauer und Datenmenge computerbezogen protokolliert und der gesamte E-Mail-Verkehr überwacht werden. Allerdings ist nicht alles, was technisch möglich ist, auch rechtlich zulässig.66 Ausgangspunkt für die Bestimmung des zulässigen Umfangs der Überwachung ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 GG und dabei vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.67 Außerdem ist das in Art. 10 GG verankerte Fernmeldegeheimnis von Bedeutung. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht der Einfluss datenschutzrechtlicher Gesetze auf die Kontrolle einer Privatnutzung des Internets durch den Arbeitnehmer. 1. Datenschutzrechtliche Bestimmungen Ein bereichsspezifisches Arbeitnehmerdatenschutzgesetz besteht noch nicht. Es steht zu vermuten, dass die Bundesregierung zunächst den Erlass der angekündigten EU-Richtlinie zum Arbeitnehmerdatenschutz abwarten 64
BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 (99). LAG Rheinland-Pfalz v. 18.1.2006 – 10 Sa 328/05, zitiert nach juris. 66 Besgen/Busse in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 4 f. 67 Vgl. dazu das „Volkszählungsurteil“ des BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, NJW 1984, 419. 65
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wird.68 Datenschutzrechtliche Bestimmungen zur Wahrung der Rechte des Arbeitnehmers finden sich vor allem im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Telekommunikationsgesetz (TKG) und Telemediengesetz (TMG). Die Datenschutzgesetze der Länder gelten hingegen nur für öffentliche Stellen, so dass diese hier nicht von großer Bedeutung sind. a) Die Gesetze im Überblick Das BDSG ist ein Auffanggesetz. Es ist stets dann im Arbeitsverhältnis anwendbar, wenn personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Es tritt jedoch zurück, wenn andere Rechtsvorschriften – z.B. Betriebsvereinbarungen – den Sachverhalt schon abschließend regeln, vgl. § 1 III und § 4 I BDSG. Das TKG befasst sich mit der Regulierung der Telekommunikation, der Wahrung des Fernmeldegeheimnisses und dem Datenschutz bei der Nutzung von Telekommunikationsdiensten, vgl. §§ 1ff., 88ff., 91ff. TKG. Dabei erfasst das TKG auch solche Unternehmen, die nicht der Telekommunikationsbranche angehören; ausreichend ist jedes Anbieten von Telekommunikation, auch wenn es ohne Gewinnerzielungsabsicht erfolgt.69 Somit fallen auch Unternehmen, die ihren Beschäftigten telekommunikative Infrastruktur zur privaten Nutzung zur Verfügung stellen, als Telekommunikationsanbieter i.S.d. TKG in dessen Anwendungsbereich.70 Das TMG regelt den Schutz personenbezogener Daten bei der Nutzung von Telemedien i.S.v. § 1 I TMG, z.B. Dienste zur Nutzung von Telebanking, Internet, Daten- und Informationsdiensten. b) Gegenstand der Kontrolle: unterschiedliche Datentypen Der Datenschutz knüpft an verschiedene Arten von Daten an. So ist technisch zu unterscheiden zwischen Stamm- bzw. Bestandsdaten (notwendige Informationen über natürliche Personen), Nutzungsdaten (Informationen über den Nutzer, die bei Nutzung der Dienste entstehen) und Inhaltsdaten (Inhalte der Nutzung der Dienste). Entscheidend für den Datenschutz in der Personalpraxis ist der auf dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufbauende Begriff der personenbezogenen Daten. Das BDSG sieht in § 3 I eine weite Begriffsbestimmung vor, indem es alle Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person mit einbezieht.
68
Besgen/Busse in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 3. § 3 Nrn. 6 u. 10 TKG. 70 So die hM; vgl. Weißnicht MMR 2003, 448 (449) m.w.N.; a.A. Haussmann/Krets NZA 2005, 259 (260). 69
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2. Grenzen der Missbrauchskontrolle bei privater Nutzung Bei (zumindest auch) privater Nutzung durch den Arbeitnehmer ist das TKG vorrangig anwendbar, denn erlaubt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Nutzung von E-Mail und Internet, so bietet er einem Dritten die Nutzung von Telekommunikationsdiensten i.S.d. Gesetzes an. In erster Linie sind die §§ 88ff. TKG von Bedeutung, die sämtliche personenbezogenen Daten (also neben Inhaltsdaten auch Stamm- und Nutzungsdaten, vgl. § 88 I TKG), die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind,71 dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses unterstellen. Besondere Datenschutzregelungen befinden sich in den §§ 91 ff. TKG, die im Gegensatz zu § 28 BDSG keine generelle Kontrollmöglichkeit vorsehen, so dass die Möglichkeiten der Missbrauchskontrolle dementsprechend eingeschränkt sind. Daten dürfen nur erhoben und genutzt werden, wenn und soweit es für die Erbringung der Telekommunikation und den Schutz ihrer technischen Einrichtungen erforderlich ist und die Tatbestände es zulassen. Eingriffe, die zu anderen Zwecken erfolgen (z.B. zur Leistungskontrolle des Arbeitnehmers) sind unzulässig.72 Des Weiteren erfassen die §§ 88ff. TKG bei dienstlicher und privater (Misch-)Nutzung auch die Daten aus der dienstlichen Kommunikation, um einen Schutz der privaten Nutzungsdaten zu gewährleisten.73 Der Arbeitgeber kann dem nur entgehen, indem er z.B. für beide Nutzungsarten getrennte E-MailAccounts anlegt.74 Im Einzelnen ergeben die Regelungen des TKG, dass grundsätzlich keinerlei personenbezogene Daten Gegenstand einer Missbrauchskontrolle sein dürfen. Eine Ausnahme besteht beispielsweise für die Erfassung und Auswertung von Verbindungsdaten, wenn dem Arbeitnehmer die Nutzung der betriebseigenen Kommunikationsdienste nur gegen Entgelt gestattet wird, vgl. dazu § 97 TKG. Hier überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an einer genauen Abrechnung (Kostenkontrolle). Eine weitere Ausnahme ergibt sich aus § 100 I TKG, wonach der Arbeitgeber Bestands- und Verbindungsdaten auch erheben darf, soweit sie zur Erkennung und Beseitigung von Störungen an den Telekommunikationsanlagen erforderlich sind, z.B. zur Durchsuchung auf Viren.75 Eine davon unabhängige Missbrauchskontrolle ist nur bei begründetem Verdacht 76 und in den Grenzen des § 100 III TKG zulässig. Im Gegensatz zur Abrechnung kann bei der Missbrauchskontrolle dann u.U. auch eine Erfassung der E-Mail- oder der Internetadresse erforderlich und gerechtfertigt sein.77 71 72 73 74 75 76 77
Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 46 m.w.N. Besgen/Busse in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 85. Kliemt AuA 2001, 532 (535 f.); Kutzki/Hackemann ZTR 2003, 375 (377). Besgen/Busse in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 97 f. m.w.N. Nägele/Meyer K&R 2004, 312 (313 f.) m.w.N. Dazu im Einzelnen Besgen/Busse in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 102 f. Vgl. Mengel BB 2004, 2014 (2018 u. 2020 f.).
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Eine Erfassung der Inhaltsdaten bei privater Nutzung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Allein für den konkreten Verdacht von Straftaten aus dem Katalog des § 138 StGB sieht das TKG in § 88 III S. 4 eine Ausnahme vor. In der Literatur wird die Erfassung teilweise in weiteren Fällen als zulässig angesehen, z.B. beim Verrat von Geschäftsgeheimnissen, anderen Straftaten oder Mobbing bzw. sexueller Belästigung von Kollegen.78 Insbesondere ist aber stets der konkrete Missbrauchsverdacht erforderlich, so dass eine allgemeine und unspezifische Dauerüberwachung keinesfalls zulässig ist.79 Ob neben dem TKG noch das TMG anwendbar ist, wird vermutlich ebenso umstritten sein wie die Anwendung des TDG und TDDSG neben dem TKG. Während ein Teil der Literatur den Arbeitnehmer, dem die Privatnutzung gestattet ist, als Nutzer i.S.d. TDG und TDDSG Gesetze ansah,80 reichte es nach anderer Ansicht nicht aus, wenn sich das Bereitstellen der Dienste lediglich auf den Zugang zum Internet (und der damit verbundenen E-MailNutzung) beschränkt. Erforderlich sei vielmehr daher eine inhaltlich qualifizierte Nutzungsmöglichkeit, z.B. in Form eines eigenen Internetportals, einer eigenen Suchmaschine oder eines eigenen Datendienstes.81 3. Einwilligung des Arbeitnehmers Eine Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist, wenn die dargestellten Voraussetzungen nicht vorliegen, dennoch zulässig, wenn der Arbeitnehmer eingewilligt hat. Die einschlägigen Gesetze sprechen allesamt von einer Einwilligung, worunter die vorherige Zustimmung i.S.d. § 183 BGB zu verstehen ist. Außerdem sind die Formvorschriften in § 4a BDSG, § 94 TKG und § 12 TMG zu beachten. Danach bedarf die Einwilligung grundsätzlich der Schriftform, kann aber auch in elektronischer Form abgegeben werden. Wird sie zusammen mit anderen Erklärungen erteilt, ist sie typografisch besonders hervorzuheben. Schließlich ist besonders auf die Freiwilligkeit der Einwilligung zu achten.82 Insbesondere darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht unter Ausnutzung des sozialen Abhängigkeitsverhältnisses oder durch Abhängigmachen des Dienstzugangs von der Einwilligung über die Datenverwendung zu anderen Zwecken (z.B. Marketing) zur Abgabe nötigen.83 Die Einwilligung wäre dann i.d.R. unwirksam.84 78 Besgen/Busse in: Besgen/Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 107; Mengel BB 2004, 2014 (2019), jeweils m.w.N. 79 Lelley (Fn. 2), Rn. 75. 80 Däubler (Fn. 5), Rn. 241 m.w.N., 280; nur i.E. auch Besgen/Busse in: Besgen/ Prinz (Fn. 5), § 10, Rn. 129. 81 Hanau/Hoeren (Fn. 5), S. 43 f. 82 So ausdrücklich § 4a I S. 1 BDSG. 83 Zu letzterem s. § 95 V TKG und § 3 IV TDDSG. 84 Zscherpe MMR 2004, 723 (726 f.); Däubler (Fn. 5), Rn. 331 ff.
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Bei allen Formen der Einwilligung ist ferner zu beachten, dass ein Kernbereich des Persönlichkeits- und Datenschutzrechts nicht abbedungen werden kann, so dass z.B. eine inhaltliche Dauerüberwachung in jedem Fall unzulässig wäre.85
V. Ausblick Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die Privatnutzung des Internets am Arbeitsplatz einige arbeitsrechtliche Fragestellungen aufwirft. Arbeitgeber sind gut beraten, die Privatnutzung zu regeln, um Unklarheiten und vor allem auch ungewollte Verpflichtungen zu vermeiden. Durch das Zusammenspiel von individualarbeitsrechtlichen Aspekten, Datenschutzproblemen und Mitbestimmungsfragen sind je nach den Verhältnissen des betroffenen Betriebs u.U. recht komplexe Regelungen erforderlich, um die Rechtslage klar und interessengerecht zu gestalten.
85 Dazu u. zur Reichweite einer Absenkung durch Betriebsvereinbarung (str.): Mengel BB 2004, 1445 (1452).
Individuelle Vertragsfreiheit und Arbeitslohn Eine Zwischenbilanz * Otto Rudolf Kissel
Der Arbeitslohn, wesentlicher Bestandteil eines jeden Arbeitsvertrages, unterliegt der Vereinbarung durch die Vertragsparteien (§§ 611, 612 BGB) auf der Grundlage der Vertragsfreiheit, einem allgemeinen Prinzip unserer Verfassungsordnung.
I. Vertragsfreiheit Vertragsfreiheit ist per definitionem das Recht Jedermanns, mit wem er/sie in freier Entscheidung eine Vereinbarung mit welchem Inhalt schließen will: „Auf der Grundlage der Privatautonomie, die Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung ist, gestalten die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich. Sie bestimmen selbst, wie ihre gegenläufigen Interessen angemessen auszugleichen sind, und verfügen damit zugleich über ihre grundrechtlich geschützten Positionen ohne staatlichen Zwang. Der Staat hat die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen grundsätzlich zu respektieren“ 1. Diese Vertragsfreiheit wird ganz allgemein aus der Freiheitsgarantie des Grundgesetzes abgeleitet, wird als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit verstanden, als wichtigste Ausdrucksform der Privatautonomie 2. Die Vertragsfreiheit ist, wie vom Bundesverfassungsgericht betont, das Betätigungsfeld des eigenverantwortlich handelnden, also des mündigen Bürgers. Von ihm geht unsere Verfassung aus, dem informierten, verständig abwägenden und in Freiheit und damit notwendigerweise auch in Selbstverantwortung handelnden Individuum, eine Prämisse, auf der unser gesamtes freiheitliches System beruht, auch das allgemeine Wahlrecht. Und umgekehrt gesagt: In dem Maße, in dem wir dann diesen mündigen *
Das Manuskript ist am 1.7.2007 abgeschlossen. BVerfG 7.2.1990 – Handelsvertreter – unter C I 2: BVerfGE 81, 242, 254 = NJW 1990, 1469; BVerfG 19.10.1993 – Bürgschaft – unter C II 2a: BVerfGE 89, 214, 231 = AP GG Art. 2 Nr. 35. 2 BVerfG 19.10.1993 – Bürgschaft – unter C II 2a: BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 16; BAG GS 12.6.1992 unter III 3: BAGE 70, 337, 344 = NZA 1993, 547. 1
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Otto Rudolf Kissel
Bürger vor einer eigenen Schwäche schützen, auch vor einer Selbstüberforderung und damit vor den Folgen der Selbstverantwortung als zwingender Konsequenz der Freiheit zur privatautonomen Gestaltung, stellen wir eben diese Mündigkeit in Frage mit allen längerfristigen Konsequenzen 3. Aber nicht jede individuelle Torheit ist rechtlich relevant für die Frage nach der Geltung eines Vertrags, sondern nur bei Überschreiten gewisser Grenzen. Die zu bestimmen, ist ein schwieriges Problem, orientiert am Sozialstaatsprinzip. Denn: Es geht neben der möglichst optimalen Gewährleistung der Vertragsfreiheit eines jeden Staatsbürgers auf der einen Seite, andererseits aber auch – individuell und gesamtgesellschaftlich – um die Fürsorge – und Schutzpflicht des Staates gegenüber einzelnen Staatsbürgern im Allgemeininteresse, wie weit und zu wessen Lasten sie inhaltlich auch immer verstanden und definiert wird - z.B. Verbraucherschutz, Machtmissbrauch. Das alles deutet schon an, dass die Vertragsfreiheit im Rahmen der gesamten Rechts(Wert-)ordnung 4 steht, dem Wortlaut wie dem Geiste nach, letzteres auch unter dem Zeitgeist, wie immer das und wie weit das billigenswert sein mag. 1. Vertragsparität Alle diese Überlegungen müssen beginnen mit der Frage nach der zwischen den Vertragsparteien bestehenden realen Vertragsparität, nur so kann von einem in Mündigkeit handelnden Staatsbürger gesprochen werden. „Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. Wenn bei einer solchen Sachlage über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt wird, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern. Gesetzliche Vorschriften, die sozialem, und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, verwirklichen hier die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip“ 5. – Bei fehlenden entsprechenden Gesetzen gilt: „Der entsprechende Schutzauftrag der Verfassung richtet sich hier an den Richter, 3
Kissel FS Söllner, 2000, S. 498 ff. Grundlegend BVerfG – Lüth – 15.1.1958 unter C I 4a: BVerfGE 7, 198, 207 = NJW 1958, 257; BVerfG 7.2.1990 – Handelsvertreter – unter I 3: BVerfGE 81, 242 = NZA 1990, 389; BVerfG – K – 30.07.2003 NJW 2003, 1815 unter B II 1a; BAG GS E 48, 122, 139 = NZA 1985, 702; BAG 27.2.1996 unter III 3b: BAGE 82, 193, 198 = AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 28; BAG 28.5.1996 NZA 1997, 101. 5 BVerfG 7.2.1990 – Handelsvertreter – unter I 3: BVerfGE 81, 242 = NZA 1990, 389. 4
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der den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen hat“ 6. Die Wahrung der Vertragsparität und des Sozialstaatsprinzips ist im Arbeitsrecht von ausschlaggebender Bedeutung, im Besonderen unter dem (allerdings umstrittenen 7) Paradigma der ‚strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers‘ 8. Die gesetzgeberische Konkretisierung dieser Prinzipen im Arbeitsrecht spiegelt zugleich die jeweilige wirtschaftliche Gesamtsituation und das soziale Gegenwartsverständnis der für die Gesetzgebung Maßgebenden wider, erlangt dann aber zumeist Dauercharakter und schlägt sich auch in der Rechtsprechung in Arbeitssachen nieder vom Individualvertrag bis zu kollektivem Geschehen wie dem Arbeitskampf 9. Hier ist auch der Kern der Diskussion zur Angemessenheit von Vertragsinhalten unter dem Blickwinkel allgemeiner verfassungsrechtlicher Wertungen und der Gesamtheit der Rechtsordnung 10. 2. Vertragsfreiheit beim Lohn? In dieser Gesamtsituation ist die Frage der Vertragsfreiheit und ihrer Schranken 11 bei individuellen Vereinbarungen zum Lohn zu sehen, wesentlich belastet durch die erhebliche Gegenseitigkeit der Auffassungen darüber, inwieweit die jeweilige wirtschaftliche Lage des Unternehmens auf die Lohnhöhe Einfluss haben kann, neuestens vor allem aber, ob und inwieweit Lohnhöhe und Arbeitslosigkeit in wechselseitiger Abhängigkeit stehen, vergleichbar auch der Situation im Kündigungsschutz. Trotz aller dieser Einflüsse ist der individuell ausgehandelte Arbeitsvertrag zwischen jeweils dem einzelnen Arbeitnehmer und dem einzelnen Arbeitgeber das dogmatische und gesetzliche Grundmodell der rechtsverbindlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. „Der Arbeitsvertrag bildet den rechtlichen Mittelpunkt des Arbeitslebens“ 12. Das gilt auch für die Lohnhöhe in ihrer Gesamtheit (Grundlohn, Zuschläge, Prämien usw.). Der 6 BVerfG – Handelsvertreterentscheidung – 7.2.1990 unter C I 3: E 81, 242 = NJW 1990, 1469 = NZA 1990, 389. 7 Zöllner DB 1969, 40; Adomeit NJW 2003, 2358; vgl. Nachweise bei Kissel Arbeitskampfrecht S. 379 Rn. 64. 8 BVerfGE 84, 219, 229 = NZA 1991, 809 = AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 117; BVerfG – K – 23.11.2006: NJW 2007, 286 = NZA 2007, 85; BAG 28.3.2006 Tz. 45: NZA 2006, 1112. – Vgl. Dieterich RdA 2002, 1, 9; Bepler RdA 2005, 323, 329; Zöllner, Kempen, Herrmann, Reinicke in: NZA 2000 Heft 3 Sonderbeilage S. 1, 7, 15, 23. 9 BVerfG zur Zulässigkeit des ArbK: 26.6.1991 unter C I 3b aa der Gründe: BVerfGE 84, 212, 229 = AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 117. 10 Vgl. oben Fn. 4. 11 Vgl. zuletzt Hromadka NJW 2007, 1777, 1779 unter III. 12 Richardi FS 50 Jahre BAG, 2004 S. 1046.
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Gesetzgeber geht primär davon aus, dass der Lohn zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags privatautonom ausgehandelt wird 13 und regelt nur hilfsweise Auffangtatbestände bei Fehlen einer vertraglichen Einigung 14. Die Rechtswirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus: Es dominieren, mit ganz unterschiedlichem Horizont, Gesetze und das kollektive Arbeitsrecht, letzteres geprägt durch Tarifverträge mit Verbindlichkeit für alle Mitglieder, aber weit darüber hinaus, daneben treten betriebliche Regelungen mit Verbindlichkeit für alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer. Der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer privatautonom und umfassend ausgehandelte Individualarbeitsvertrag ist die extreme, fast theoretische Ausnahme unterhalb der Führungsebenen, dennoch: Er ist die Grundlage für jede Betrachtung einer arbeitsrechtlichen Beziehung, alles andere sind Ausnahmen, so ungewöhnlich das für die Alltagspraxis auch klingen mag. Jede Ausnahme hiervon bedarf einer besonderen Grundlage, weil sie eben rechtlich eine Beschränkung der Vertragsfreiheit auf beiden Seiten darstellt. Die nachstehend versuchte Zwischenbilanz, die nicht mehr als eine kursorische grobe Übersicht sein kann, soll zur Prüfung aufzeigen, ob wir noch von einer Vertragsfreiheit bei Lohnvereinbarungen in nennenswertem Umfang und als ernstem Handlungsprinzip sprechen können, oder ob eine Verkümmerung eingetreten ist, unter welcher Motivation auch immer, zu einem theoretischen Denkgebäude als längst verblassende Richtschnur.
II. Der Gleichheitssatz als Schranke Die sich aus der Verfassung ergebende Vertragsfreiheit ist nicht isoliert und absolut zu sehen, sondern ist, wie schon ausgeführt 15, in die Gesamtheit der verfassungsmäßigen Ordnung eingebunden. Für die hier zu erörternden Lohnvereinbarungen ist dabei von entscheidender Bedeutung der Gleichheitssatz, ein die Vertragsfreiheit im Ergebnis einschränkendes bedeutungsvolles ‚Gesetz‘, nach Art. 3 GG (vgl. Art. 119 EGV). Dieser Gleichheitssatz des Art. 3 GG ist ein tragendes Prinzip des gesamten Arbeitsrechts und demgemäß auch für die Bewertung der Höhe des Arbeitslohnes von erheblicher Bedeutung. Er verbietet die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer auch bei den sonst unter der Vertragsfreiheit stehenden Arbeitsverträgen, dabei ist aber ein allgemein gängiges Schlagwort „Gleicher Lohn für Alle“ nirgends normativ festgelegt. 13 Z.B. §§ 311 ff., 611 BGB, ebenso §§ 305, 310 Abs. 4 und allgemeines Vertragsrecht nach §§ 113 ff. BGB; § 105 GewO. 14 § 612 BGB mit der sich sofort anschließenden Frage, was ‚übliche‘ Vergütung ist, und nähert sich der aktuell umstrittenen Bestimmung nach einer ‚sittenwidrigen‘ Vergütung. 15 Oben Fn. 4.
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Zu Art. 3 GG hat die Rechtsprechung in Erfüllung dieses Verfassungsgebots in einer langen Entwicklung Grundsätze entwickelt, die einer Ungleichbehandlung bei Vertragsabschluss entgegenstehen: Ergänzend tritt hinzu der dazu besonders entwickelte allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz16: Er ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonst wie einleuchtender Grund für eine Differenzierung nicht finden lässt 17. Er verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern einer bestimmten Ordnung. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn also für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist. Denn in Art. 3 Abs. 1 GG kommt das Willkürverbot als fundamentales Rechtsprinzip zum Ausdruck. Die Grenze zur Willkür wird jedoch durch eine Regelung nicht schon dann überschritten, wenn die gefundene Lösung nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste ist, sondern erst dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für die Regelung nicht finden lässt 18. Der Gleichheitssatz wird durch die Tarifvertragsparteien deshalb nur dann verletzt, wenn sie es versäumen, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen19. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt: Von einer solchen Regelung darf er Arbeitnehmer nur aus sachlichen Gründen ausschließen. Als von besonderer Tragweite hat sich der Gleichheitssatz des Art. 3 GG in Verbindung mit Art. 119 EGV erwiesen, wonach der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden ist; diese Vorschrift über die Lohngleichheit gehört zu den tragenden Grundsätzen des europäischen Gemeinschaftsrechts 20. In einer Vielzahl von Entscheidungen hat der EuGH hier in vielen einzelnen Sachgebieten diesem Grundsatz eine sehr weitgehende Bedeutung beigelegt. Hierher gehört auch die vom EuGH entwickelte Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung,
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BAG 11.4.2006 Tz.18: NJW 2006, 2875 = NZA 2006, 1218. BAGE 69, 257, 263 = AP BGB § 622 Nr. 37; BAGE 74, 167, 175 = AP BGB § 622 Nr. 42. 18 BAGE 92, 303, 309 = AP TVG § 1 Tarifverträge Einzelhandel Nr. 70. 19 BAG 28.5.1996 AP TVG § 1 Tarifverträge Metallindustrie Nr. 143 = NZA 1997, 101. 20 EuGH 28.9.1994 – C 200/91 – NZA 1994, 1073. Herausragend jetzt die Entscheidung des EuGH – Mangold – vom 22.11.2005 unter Tz. 75: NZA 2005, 1345, dazu eingehend Preis NZA 2006, 401 ff. 17
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vor allem bei Teilzeitbeschäftigten 21, auch bei versteckten Formen 22: Unzulässig ist jede Diskriminierung zwischen Mann und Frau hinsichtlich des Entgelts, gleichgültig aus welchem System sich diese ergibt. Der in Art. 3 GG niedergelegte Verfassungsgrundsatz und die daraus in der Rechtsprechung abgeleiteten Grundsätze haben neuerdings eine weitere ausdrückliche gesetzliche Konkretisierung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 23 erfahren, das u.a. Benachteiligungen der Beschäftigten (§ 6 aaO) aus den Tatbeständen seines § 1 verbietet, und zwar nicht nur einen Vertrag im Ganzen, sondern auch einzelne Vertragsabreden, hier insbesondere Arbeitsentgelt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2). Die Folgen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz sind Nichtigkeit. Im Zusammenhang mit den Lohnvereinbarungen mag sich dieses Gesetz noch in den längst ‚vertrauten‘ Denkkategorien bewegen. Die darüber hinausgehenden Vorschriften wie etwa zur prozessualen Beweislastverteilung (§ 22) und die Beteiligung von neu entstehenden Interessenverbänden und auch Behörden (§§ 23ff.) sind mit der Grundregelung insgesamt Gegenstand eingehender Kritik bis hin zum „Ende der Vertragsfreiheit“, das ‚Tugendprojekt‘ werde Verheerungen im Arbeitsrecht anrichten 24.
III. Die Vertragsfreiheit beschränkende Gesetze Gesetze als die dogmatisch primäre rechtliche Regelungsmöglichkeit für Beschränkungen bürgerlicher Freiheiten sind trotz ihrer oft beklagten Zahl in allen Lebensbereichen jedoch zu Lohnfragen traditionell selten. Wenn der Staat auch durch Gesetze vielfältig zur Steuerung des Wirtschaftslebens eingreift, fördernd oder dämpfend, vollzieht sich das für den Arbeitslohn höchst selten. Meist ergehen sie, für den vom Arbeitgeber geschuldeten Arbeitslohn nur mittelbar wirkend, in zahlreichen anderen Sachbereichen wie Abgaben, Sozialversicherungen, allgemeinwirtschaftlichen Subventionen, gezielten Steuererleichterungen, staatlichen Lohnzuschüssen, Kombilohn, Handelsbeschränkungen usw. Die nationale Regelung der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht wie auch ihrer Beschränkungen hat jedoch, wie ausgewogen auch immer, durch die grenzüberschreitende gesamtwirtschaftliche Entwicklung, sei es nun die Europäische Einigung oder die vieldiskutierte ‚Globalisierung‘, vielfältige Einflüsse
21 Grundlegend EuGH – bilka – 13.5.1986: NJW 1986, 3020 = NZA 1986, 599; EuGH 13.7.1989 NZA 1990, 437. 22 Vgl. EuGH 14.2.1995 – Rs. 279/93 – NJW 1995, 1207. 23 Vom 14.8.2006 BGBl. I S. 1897. 24 F.A.Z. vom 15.5.2006.
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und Änderungen erfahren. Das gilt auch im Zusammenhang mit zwei einander gegenüber stehenden Komplexen: Einerseits das Einströmen ausländischer Arbeitnehmer angesichts der hier günstigeren als den heimatlichen Löhnen und/oder dem Vorhandensein offener Arbeitsplätze, teilweise gefördert durch EG-Normen zur Dienstleistungsfreiheit – und andererseits nationale Bemühungen um Erhalt von innerstaatlichen Arbeitsplätzen für die eigenen Staatsbürger. Das aber stößt sich mit zunächst isoliert zu sehenden Möglichkeiten der hereindrängenden Arbeitnehmer und ihrer Möglichkeit einer individuellen ‚billigeren‘ Lohnvereinbarung mit dem inländischen Arbeitgeber oder der Bemühung ausländischer Firmen mit ihrer hinsichtlich ihrer Arbeitnehmer billigeren Lohnstruktur. Die so skizzierte Situation hat zunehmend zu Verwerfungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt geführt, vor allem im Zusammenhang mit dem Lohn für die dem deutschen Recht unterliegenden Arbeitsverträge. Dem entgegen zu steuern ist Aufgabe der sozialen Schutzpflichten und des der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung unterliegenden Staates in mehrfacher Hinsicht – eine in ihrer Brisanz neue Situation. Denn die wenigen innerstaatlichen gesetzlichen Regelungen zu Lohnfragen haben ihre Ursache in der unter dem Schutz der Vertragsfreiheit stehenden Tarifautonomie und einem weitgehend „dichten“ innerstaatlichen Arbeitsmarkt: Die Tarifverträge gelten für die ganz überwiegende Zahl aller Arbeitnehmer, wenn auch auf ganz unterschiedlichen Rechtsgrundlagen; sie führen zu angemessenen, wenn auch sozialpolitisch oft umstrittenen Lohnvereinbarungen, wenn auch oft unter erheblichem Aufwand bis hin zum Arbeitskampf. Vier staatlicher (Mit-)Entscheidung eingeräumte, schon klassisch zu nennende Ausnahmen stellen wenig spektakuläre Ausnahmen dar: a) Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (§ 5 TVG); b) die Sicherung der Heimarbeiter vor ‚unzulänglichem Entgelt‘ (§ 17 HeimArbG); c) die Nichtigkeit bei Missbrauch (§ 138 Abs. 2 BGB); d) das strafbewehrte Verbot des Lohnwuchers (§ 291 StGB). Gerade letzteres wird in seiner Effektivität angezweifelt, so dass die gesetzliche numerische Konkretisierung dieses Begriffs rechtspolitisch erwogen wird. Aber die neu auftretenden Gefahren durch den Zustrom ausländischer Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit den Löhnen ihrer heimatlichen Billiglohnländer gehen über unmittelbare Lohnfragen einzelner Arbeitnehmergruppen weit hinaus und betreffen den gesamten Arbeitsmarkt und die hohe Arbeitslosigkeit der allein innerdeutschem Recht unterliegenden Arbeitnehmer, vornehmlich in den so genannten ‚unteren‘ Lohngruppen. Eine dem (erhofft) entgegenwirkende innerstaatlich bindende hoheitliche Regelung der Lohnhöhe wird deshalb angestrebt unter dem Aspekt der Arbeitslosigkeitsbekämpfung und der Bekämpfung von wettbewerbsverzerrenden DumpingLöhnen, wenn die rechtspolitisch primär erwünschten Mindestlohn-Tarifverträge nicht erreicht oder auch nicht effektiv werden sollten.
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Im Vordergrund steht, entsprechend den aktuellen faktischen Gegebenheiten, eine gesetzliche Regelung über Mindestlöhne für die unteren Lohngruppen. Hier hat der Gesetzgeber die Wahl: Einmal kann er selbst die ziffernmäßige Festlegung vornehmen, entscheidungspolitisch, inhaltlich wie gesetzestechnisch wohl mit mancherlei Problemen behaftet. Die andere Möglichkeit ist ein ‚Sich-Anhängen‘ des Gesetzgebers an innerstaatlich schon privatautonom gefundene, dem angestrebten Zweck entsprechende Regelungen. Letzteres hätte für den Gesetzgeber den Vorteil, befreit zu sein von der absoluten Zahlenfestlegung, gestützt allein auf eigene Ermittlungen und Bewertungen, enthielte rechtspolitisch die Respektierung autonom gefundener Regelungen, vornehmlich im Zusammenhang mit Art. 9 GG. Den ersteren Weg ermöglicht das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen 25, es wurde aber noch nicht praktiziert 26; ein Gesetz über fixierte Mindestlöhne für Extremfälle wird rechtspolitisch diskutiert. – Den zweiten Weg geht das Arbeitnehmer-Entsendegesetz 27: Es erstreckt zwingend die Anwendung der in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen enthaltenen Bestimmungen über Mindestentgelte, Überstundensätze und Urlaubsgeld auf alle Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmern. Die Vorschrift dient so dem Schutz inländischer Unternehmen vor Wettbewerbsnachteilen, die dadurch entstehen, dass ausländische Unternehmen mit Sitz in Billiglohnländern Lohn-Kostenvorteile haben, was damit den Arbeitsmarkt für tarifgebundene deutsche Unternehmen und deren Personalpolitik, aber erst recht deutsche Arbeitnehmer benachteiligt. Für hier bleibt festzuhalten, dass es sich um eine Beschränkung der Vertragsfreiheit handelt, aber wohl zulässig als sozialstaatlich wie gesamtwirtschaftlich im überwiegenden öffentlichen Interesse liegend. Dieses Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist nach und nach schon für verschiedene Wirtschaftsbereiche eingeführt worden 28, im Übrigen wird in der politischen Diskussion erwogen, die sittenwidrigen Löhne zu präzisieren 29, ein Mindestlohnniveau vorzugeben, tariftreue Entlohnung als Bestandteil einer Auftragsvergabe verbindlich zu machen, einen bestimmten Lohnanteil vorzugeben für den Fall von staatlichen Zuschüssen oder Sozialtransfers oder doch noch generell einen ziffernmäßigen Mindestlohn einzuführen.
25
Vom 11.1.1952 BGBl. I S. 17. Vgl. Schaub Arbeitsrechtshandbuch § 31 Rn. 64; § 162 Rn. 3. 27 BGBl. 1996 I S. 227 idF BGBl. 2004 I S. 1842. 28 Bauhauptgewerbe, Maler- und Lackiererhandwerk, Dachdeckerhandwerk, Abbruchund Abwrackgewerbe, Gebäudereiniger. 29 F.A.Z. vom 10.3.2007. 26
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Ein Bedenken bleibt beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz: Es führt auf einem rechtsförmlich eigentümlichen und ungewöhnlichen Weg Mindestlöhne ein: Durch Gesetz selbst wird der Lohn nicht ziffernmäßig festgesetzt, sondern zur verbindlichen Konkretisierung auf eine Regelung verwiesen, die zwischen privaten Vereinigungen im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit abgeschlossen worden ist und dann durch Staatshoheitsakt für weitere Personengruppen als verbindlich erklärt worden ist. Der Gesetzgeber begibt sich damit, wohl unter der Auffassung von der Richtigkeitsvermutung von Tarifverträgen 30 seiner Gesetzgebungskompetenz durch Verweisung auf privatrechtliche Vereinbarungen. Ein weiteres Problem tritt hinzu: Das Gesetz geht von einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag aus. Das kann zu erheblichen Komplikationen dann führen, wenn die zu Grunde liegende Allgemeinverbindlichkeit mehrere anwendbare Tarifverträge vorfindet (Tarifpluralität). Diese Frage kann aber, weil die hier erörterte Frage nicht unmittelbar betreffend, ausgeklammert werden 31 – wie auch die höchst streitige Frage nach der Effektivität solcher Regelungen und vor allem den arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen. Das angeführte Problemdreieck ist derzeit politisch unverändert umstritten: Gesetzlicher Mindestlohn total; gesetzliche Erstreckung eines schon für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags; gesetzliches Inkraftsetzen eines Tarifvertrags – flankiert von rechtspolitischen Überlegungen zur gesetzlichen Definition der Sittenwidrigkeit eines vereinbarten Lohnes, und dann auch noch die Forderung nach einem Höchstbetrag bei Entlohnungen, und von Offenlegungspflichten für Entgelte.
IV. Die individuelle Vertragsfreiheit beschränkende Tarifverträge Die individuelle Vertragsfreiheit wird im Arbeitsrecht auch überlagert durch das Tarifvertragssystem. Diesem System zu Grunde liegt das Rechtsinstitut des Tarifvertrags, ein privatautonom geschlossener Vertrag zwischen Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, vornehmlich über den Inhalt der Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder. Dieser Tarifvertrag wird geschlossen in Ausübung der verfassungsrechtlich verbürgten Tarifautonomie, die in Art. 9 Abs. 3 GG ihre Grundlage hat. Letztere Vorschrift beinhaltet u.a. auch das Recht der Koalitionen, durch spezifische koalitionsmäßige Betätigung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (vor allem ihrer Mitglieder) zu wahren
30 BAG 7.6.1984 BAGE 46, 206, 214 = NZA 1985, 121; vgl. Kissel Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 47. 31 Vgl. zuletzt Bayreuther NZA 2007, 187.
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und zu fördern, und zwar in weitgehender inhaltlicher Gestaltungsfreiheit, vornehmlich durch eben diese Tarifverträge 32: „Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können“. Die Tarifvertragsparteien haben somit eine bedeutungsvolle wirtschaftliche Ordnungsfunktion 33. Jedoch ändert diese Bedeutung nichts an der privatrechtlichen Qualifikation ihrer Tätigkeit 34 sowie an der Beschränkung ihrer Regelungskompetenz auf ihre Mitglieder und der aus der negativen Koalitionsfreiheit folgenden Unzulässigkeit verbindlicher Regelungen für die Nichtmitglieder der vertragsschließenden Tarifvertragsparteien35. Tarifverträge stehen aber trotz ihrer Gewährleistung in Art. 9 GG unter den allgemeinen staatlichen Gesetzen. Dennoch ist es zwar für Tarifverträge umstritten, ob für sie auch die Grundrechte unmittelbar gelten, aber für den Gleichheitssatz ist das allgemein anerkannt 36: „Der allgemeine Gleichheitssatz ist auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten, denn er ist eine zentrale Gerechtigkeitsnorm und Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht“ 37. Entsprechend der privatrechtlichen Qualität der Tarifverträge unterliegen sie wegen ihres rechtsförmlichen Zustandekommens einer gerichtlichen Kontrolle, wenn auch inhaltlich für diese gerichtliche Kontrolle Grenzen gezogen sind: Das gilt einmal für die sich aus der Verfassung ergebenden Grundwerte, weiter für die Einhaltung zwingenden Gesetzesrechts und allgemeiner Rechtsgrundsätze 38. Aber angesichts der den Tarifverträgen beigemessenen Richtigkeitsvermutung 39 ist es nicht Aufgabe der Gerichte zu überprüfen, ob die
32 BVerfG 1.3.1979 – Montanmitbestimmung – BVerfGE 50, 290 = AP MitbestG § 1 Nr. 1; BAG 2.4.1985 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 113 = BAGE 62, 171, 184 = NZA 1989, 969. 33 BVerfG 24.5.1977 BVerfGE 44, 322 = AP TVG § 5 Nr. 15; BVerfG 1.3.1979 – Montanmitbestimmung – unter C IV: BVerfGE 50, 290 = AP MitbestG § 1 Nr. 1. 34 BAGE 70, 165, 172 = NZA 1992, 846; Richardi Gutachten zum DJT 1996 B 26; Kissel Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 24. 35 BAG GS E 20, 175 = AP GG Art. 9 Nr. 13; BAG 21.1.1987: BAGE 54, 113, 129 = NZA 1987, 233 = AP GG Art. 9 Nr. 47. 36 St.Rspr., vgl. BAG 13.3.1997 unter II 1b: BAGE 85, 257, 260 = AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 54; BAG 18.9.1997 unter II 1b: BAGE 86, 291, 294 = AP BAT § 53 Nr. 5; BAG 4.4.2000 unter III 2: AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 2 = RdA 2001, 110. 37 BVerfG 2.5.1967: BVerfGE 21, 362, 372 = AP RVO § 1542 Nr. 9; BAG 27.2.1996 unter III 3b: BAGE 82, 193, 198 = AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 28; BAG 28.5.1996: AP TVG § 1 Tarifverträge Metallindustrie Nr. 143 = NZA 1997, 101. 38 Kissel Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 51. 39 BAGE 81, 5, 13 = NZA 1996, 437; Löwisch/Rieble Tarifvertragsgesetz § 1 Rn. 2; Wiedemann TVG § 1 Rn. 217 ff.; Kissel Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 47 ff.
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Tarifvertragsparteien die vernünftigste, sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden haben 40. Insgesamt besteht für die tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien kraft Gesetzes (§ 4 TVG) keine Vertragsfreiheit, das ist dadurch gerechtfertigt, dass die Mitglieder im Rahmen ihrer Koalitionsfreiheit selbst diese Folge durch ihren Beitritt zu einer Tarifvertragspartei und damit der dieser verliehenen Kompetenz herbeigeführt haben. Die angeführten Schranken der Tarifautonomie und damit der Vertragsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur Begrenzung der Vertragsfreiheit ihrer Mitglieder enthalten zugleich den Schutz der Vertragsfreiheit ebendieser Koalitionsmitglieder. 1. Günstigkeitsprinzip Diese ihre Vertragsfreiheit einschränkende Tarifbindung der Koalitionsmitglieder besteht indessen aus sozialpolitischen Gründen nur für die Unterschreitung der für den Arbeitnehmer als günstig anzusehenden Regeln: § 4 Abs. 3 TVG erklärt demgegenüber im Rahmen der allgemeinen Grenzen der Vertragsfreiheit Abmachungen für zulässig, wenn sie eine Änderung des Tarifvertrags zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Für die Lohnhöhe bedeutet das, dass im umgekehrten Fall eine Verringerung des Lohnes im Zusammenhang mit einer ungünstigen wirtschaftlichen Situation zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen, weil nach der Rechtsprechung 41 für den Arbeitnehmer als ungünstig angesehen, auch bei Einverständnis des Arbeitnehmers unzulässig ist. Das ist allerdings für die Lohnminderung zur Vermeidung einer Kündigung, also zur Arbeitsplatzgarantie, nicht unumstritten 42. 2. Arbeitsverhältnisse ohne Tarifbindung Wenn einer der Vertragspartner nicht tarifgebunden ist, gilt ein fachlich und räumlich einschlägiger Tarifvertrag nicht für das Arbeitsverhältnis. Es steht dann dem Arbeitgeber „grundsätzlich frei, mit nichtorganisierten Arbeitnehmern vom Tarifvertrag abweichende Arbeitsbedingungen zu vereinbaren“ 43, auch über die Lohnhöhe, insoweit besteht hier allein aus tarifvertraglicher Sicht kein Hindernis. Hier liegt der Grund für eine auf Arbeit-
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BAGE 82, 193 = NZA 1996, 992 = AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 28. BAG 20.4.1999 unter B III 1 2b: BAGE 91, 210, 233 = NZA 1999, 887. 42 Zur streitigen Diskussion in der Literatur vgl. Kissel Arbeitskampfrecht S. 275; neuestens BAG 17.6.2003 unter 3b bb: NZA 2004, 1110; Kempen NZA 2003, 415; Bayreuther NZA 2006, 642; Hümmerich/Holthausen NZA 2006, 1077 unter VI. 43 BAG 20.4.1999 unter B III 1 2b: BAGE 91, 210, 233 = NZA 1999, 887. 41
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geberseite festzustellende ‚Tarifflucht‘, sei es durch Nichteintritt in einen oder Austritt aus einem Arbeitgeberverband oder durch eine Mitgliedschaft „ohne Tarifbindung“ 44. Im gleichen Zusammenhang zu sehen sind Überlegungen zur Schaffung einer Öffnungsklausel für den Abschluss von vom Tarifvertrag abweichenden Vereinbarungen zwischen Tarifgebundenen unterhalb der Ebene der Tarifvertragsparteien selbst, unter welchen Kautelen auch immer. Diese Vorgänge führen zur Wiederherstellung, gegebenenfalls Wahrung der individuellen Vertragsfreiheit der Verbandsmitglieder, das gilt auch für den in diesem Zusammenhang allgemein kaum erwähnten Arbeitnehmer. Die Vereinbarung einer solchen Öffnungsklausel zwischen den Tarifvertragsparteien selbst liegt im Rahmen ihrer Tarifautonomie, wenn das auch höchst selten gehandhabt wird. Die Zulässigkeit einer demgegenüber gesetzlichen Öffnungsklausel ist jedoch höchst umstritten, weil sie in den Geltungsbereich des verfassungsrechtlich gewährleisteten Tarifvertrags eingreift. Die hierzu geäußerten wirtschaftspolitischen und ordnungspolitischen Folgen sind hier nicht zu erörtern. 3. Erstreckung der Tarifverträge auf Nicht-Koalitionsmitglieder Tarifverträge gelten unmittelbar nur für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien, das sind rund 20 % von insgesamt 39 Mio Arbeitnehmern 45. Die für diese Mehrzahl der Arbeitnehmer insoweit als nicht-tarifgebunden bestehende Vertragsfreiheit bei Lohnvereinbarungen kann jedoch aus vielfältigen Überlegungen, von der Firmenpolitik bis zu gesamtwirtschaftlichen Überlegungen, aufgehoben und an die bestehenden tariflichen Regelungen angepasst werden. Das kann einmal geschehen durch privatautonome Verweisung der Parteien eines individuellen Arbeitsvertrags auf einen fremden Tarifvertrag zur Bestimmung auch ihres eigenen Vertragsinhalts. Diese förmliche Verweisung auf einen fremden Tarifvertrag ist ein Vorgang, allein gegründet auf die für beide Vertragsparteien bestehende individuelle Vertragsfreiheit. Entsprechendes gilt, wenn Tarifvertragsparteien in ihrem eigenen Tarifvertrag auf einen fremden Tarifvertrag zur Inhaltsbestimmung ihres eigenen Tarifvertrags verweisen. Demgegenüber kann ein ‚fremder‘ Tarifvertrag für die Parteien eines Arbeitsvertrages nicht nur durch ihre Vereinbarung im Rahmen ihrer individuellen Vertragsfreiheit zum Inhalt ihres Arbeitsvertrages werden, sondern er kann vielmehr auch durch Staatshoheitsakt für sie als verbindlich erklärt werden (§ 5 TVG) – hier liegt eine unmittelbare Beschränkung der Vertragsfreiheit vor, sie wird vermittelt durch einen auf Gesetz beruhenden Hoheits44 45
Zu deren Zulässigkeit und Wirkung vgl. BAG 18.7.2006: NZA 2006, 1377. F.A.Z. vom 3.1.2007 S. 9.
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akt 46, denn: Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit kann einen Tarifvertrag unter gesetzlich näher formulierten Voraussetzungen im öffentlichen Interesse oder zur Behebung eines sozialen Notstandes für allgemeinverbindlich erklären. Dieser Tarifvertrag gilt dann für seinen Geltungsbereich für alle bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ist also eine staatliche Beschränkung der individuellen Vertragsfreiheit. Sie unterliegt den gleichen Bedenken und Grenzen, die jede staatliche Beschränkung der Vertragsfreiheit unterliegt. Insoweit sind die Grenzen für diese Form der Fremdgeltung eines Tarifvertrags enger gezogen als bei der tarifvertraglichen Übernahme eines fremden Tarifvertrags, denn es geht inhaltlich um eine staatliche Anordnung zur Beschränkung der Vertragsfreiheit.
V. Betriebsverfassung als Schranke der Vertragsfreiheit 1. Mitbestimmung des Betriebsrats Die Betriebsverfassung ist vom Ansatz her, ähnlich wie das Tarifvertragssystem, kollektiv orientiert, nämlich am Verhältnis der Belegschaft, in ihrer Gesamtheit verbunden, gegenüber dem Arbeitgeber in dem sich aus dem BetrVG ergebenden Umfang. Die Lohnbestimmung nimmt dabei eine Sonderstellung ein, denn es ist Grundsatz der Regelung hinsichtlich des Arbeitslohnes des einzelnen Arbeitnehmers, dass für diese Vereinbarung die individuelle Vertragsfreiheit besteht, „ein Mitbestimmungsrecht zur Höhe des Lohnes besteht nicht“ 47. „Die individuelle Lohngestaltung, Regelungen mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers, bei denen ein innerer Zusammenhang zu ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht besteht, unterliegen also nicht dem Mitbestimmungsrecht“ 48. In einer Vielzahl von Fällen, die für die konkrete Lohnhöhe erheblich sein können, ist dem Betriebsrat jedoch gesetzlich ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt – in Bereichen, in denen individuelle und kollektive Interessen leicht ineinander, auch gegeneinander, greifen, ebenso die Interessen und Intentionen des Arbeitgebers und der Belegschaft. Hier bedarf es der normativen Entscheidung. Leitlinie des Gesetzgebers ist dabei, dass sich „die Mitbestimmung des Betriebsrats grundsätzlich nur auf generelle Tatbestände und nicht auf die Regelungen von Einzelfällen“ beziehen soll 49. Angesichts der erwähnten Gegensätze und auch der Differenziertheit schon des vielfältig auf46 Die Rechtsnatur ist umstritten, das BVerfG spricht von einem staatlichen Normsetzungsakt eigener Art (15.7.1980 AP TVG § 5 Nr. 15, 17). 47 BAG 30.10.2001: BAGE 99, 258, 262 = NZA 2002, 920. 48 BAG GS 3.12.1991: BAGE 69, 134, 162; st.RSpr. vgl. BAG 28.2.2006 Tz. 15: NZA 2006, 1426. 49 BTDrucks. VI/2729 S. 4.
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gegliederten Gesetzestextes hat die Rechtsprechung in einer langen, noch andauernden Entscheidungsserie zwei Grundaussagen herausgearbeitet, ohne schon letztliche Klarheit schaffen zu können 50: Charakteristikum für das Mitbestimmungsrecht ist stets der kollektive Bezug einer freiwilligen Maßnahme des Arbeitgebers, ohne dass es auf die Zahl der konkret betroffenen Arbeitnehmer ankommt 51, diese aber ein Indiz dafür sein können, ob ein kollektiver Tatbestand vorliegt oder nicht 52; andererseits sind aber Maßnahmen, die nur den individuellen Besonderheiten einzelner Arbeitsverhältnisse Rechnung tragen, deren Auswirkungen sich auch nur darauf beschränken, mitbestimmungsfrei 53. Eine Grenze der Mitbestimmung besteht bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers insoweit, als es um seine Freiheit geht zu entscheiden, in welchem Umfang er finanzielle Mittel einsetzen (Dotierungsrahmen 54), welchen Zweck er mit der Leistung verfolgen, und welchen Personenkreis er begünstigen will 55. Auf eine nähere Darstellung der zahlreichen und oft umfangreichen Rechtsprechung zu den einzelnen Mitbestimmungsfällen, die in allen Erläuterungswerken in Darstellung und wissenschaftlicher, oft weiterführender Durchdringung viele Seiten füllen, muss im Rahmen der hier vorgelegten Untersuchung verzichtet werden. Es scheint in der Rechtsprechung die Tendenz zu einer nicht allzu engen Annahme eines kollektiven Bezugs zu bestehen 56, dies eingebettet in einen allgemeinen Trend zur Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Hinzu tritt möglicherweise die unveränderte Auffassung von der ‚strukturellen Unterlegenheit’ der Arbeitnehmer 57, auch angesichts der modernen technologischen Entwicklung und der tiefgreifenden Umstrukturierung der Wirtschaft unter dem Eindruck der vielzitierten Globalisierung. 2. Die Vertragsfreiheit beschränkende Verträge auf Betriebsebene a) Betriebsvereinbarung Neben der Zustimmung des Betriebsrats kennt das BetrVG die Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die normative Wirkung hat, also für alle Arbeitnehmer des Betriebs gilt (§ 77 Abs. 4 BetrVG) und über den Individualverträgen steht (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Aber diese norma50
BAG 24.1.2006 Tz. 52: NZA 2007, 278. BAG 18.4.1985: NZA 1985, 783, 785; BAG 10.6.1986 – 1 ABR 61/84 – NZA 1986, 840, 841. 52 BAG GS unter III 3b bb: BAGE 69, 134, 162 = NZA 1992, 749. 53 BAG GS 3.12.1991 unter III 3b: BAGE 69, 134, 160 = NZA 1992, 749. 54 BAG 24.1.2006 Tz. 51: NZA 2007, 278. 55 BAG 8.12.1981: BAGE 37, 206, 209. 56 Vgl. die an die Stelle der Zahl tretende Qualifizierung als Maßnahme aus betrieblichen Gründen BAG GS E 134, 163 unter C III 3b cc. 57 Vgl. oben Rn. 8. 51
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tive Wirkung ist gesetzlich ausgeschlossen für Betriebsvereinbarungen über Arbeitsentgelte (§ 77 Abs. 3 BetrVG), um die es vorliegend geht. Anders ist es bei anderen, nur mittelbar die Lohnhöhe betreffenden Vereinbarungen wie auch die Zustimmungen des Betriebsrats zu Arbeitgeberentscheidungen. Hier kann gegebenenfalls die Anwendung des Günstigkeitsprinzips aktuell werden: Individualrechtliche Vereinbarungen haben gegenüber verschlechternden Betriebsvereinbarungen Vorrang, wenn und soweit sie eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthalten 58 – hier treffen wir wieder auf das umstrittene Günstigkeitsprinzip. b) Regelungsabreden Die neben Betriebsvereinbarungen als Rechtsinstitut anerkannte Regelungsabrede zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber hat lediglich schuldrechtliche Abreden zwischen diesen zum Inhalt über die einvernehmliche Handhabung einer (nicht zwingend mitbestimmungspflichtigen) Angelegenheit 59. Sie erweitert nicht die Kompetenz der Vertragsschließenden zu Regelungen mit unmittelbar normativem Inhalt 60 des Einzelarbeitsverhältnisses. Herausragend ist in der derzeitigen Praxis ein angestrebter Verzicht von Arbeitnehmern, erfahrungsgemäß zum Erhalt des Arbeitsplatzes, und zwar auf ausschließlich individualrechtlicher Grundlage, allerdings im Umfeld einer gemeinschaftlichen (betrieblichen) Ebene 61. Die Vertragsfreiheit bleibt insoweit gewahrt mit den möglichen negativen Folgen für den abweichenden Arbeitnehmer. c) Betriebliche Bündnisse Ein betriebliches Bündnis, ein dem Gesetz fremder Begriff, beinhaltet derzeit einerseits einen kollektiv erklärten Verzicht der Arbeitnehmer auf vor allem tarifliche Leistungen und andererseits des Arbeitgebers als Gegenleistung vornehmlich auf eine betriebsbedingte Kündigung. Diese Bündnisse sind in ihrer rechtlichen Zulässigkeit und ebenso in ihrer Form umstritten, als Betriebsvereinbarung nach § 77 BetrVG mit unmittelbarer Wirkung auf die Einzelarbeitsverträge scheiden sie insoweit aus 62. Das Bündnis kann als Rahmen für einen jeweiligen Individualvertrag zulässig sein, wenn keine Tarifbindung besteht, denn dann besteht Vertragsfreiheit. Bei Tarifgebunde58 BAG GS 8.12.1986: BAGE 53, 42 = NZA 1987, 168; BAG 28.3.2000: NZA 2001, 49, 51. 59 BAG 14.8.2001 – 1 AZR 744 – NZA 2002, 342, 344. 60 BAG 20.4.1999 – burda – unter B II 1I 1a aa: BAGE 91, 210, 222 = NZA 1999, 887. 61 Grundlegend BAG 20.4.1999 – burda – unter B II 1b bb a.E.: BAGE 91, 210, 224 oben = NZA 1999, 887. 62 BAG zum Sachgruppenvergleich (Äpfel/Birnen) 20.4.1999 – burda – unter III 1a aa: BAGE 91, 210, 231 = NZA 1999, 887. Vgl. Federlin 25 Jahre BAG S. 649 m.w.N. Fn. 7.
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nen kann ein solcher Vertrag nur anerkannt werden, wenn der Günstigkeitsvergleich nach § 77 Abs. 4 BetrVG für den Arbeitnehmer spricht: Die umfangreiche und heftige Diskussion um die hier anzuwendenden Vergleichsobjekte und -maßstäbe 63 bis in die parlamentarischen Auseinandersetzungen hinein kann hier auf sich beruhen, da privatautonome Verträge hier durch den Abschluss einer ebenfalls individuell auszuhandelnden Beteiligung am Bündnis für Arbeit (unter lediglich einer Sammelbezeichnung zu verstehen) allein Ausübung der Vertragsfreiheit (als actus contrarius) sind. d) Sozialpläne Aufgabe des Sozialplans ist der Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Betriebsrat über die Nachteile, die durch eine geplante Betriebsänderung für die Arbeitnehmer entstehen. Inhaltliche Schwerpunkte sind in der Regel die Nachteile durch Verlust des Arbeitsplatzes oder dessen Umstrukturierung, im Vordergrund steht der Ausgleich eines Lohnverlustes. Der Sozialplan hat die rechtliche Wirkung einer Betriebsvereinbarung (§ 112 Abs. 1 S. 3, 4 BetrVG). Es bestehen damit inhaltlich auch deren Grenzen, so für Lohnfragen nach § 77 Abs. 3 BetrVG. Hinsichtlich der in einem Sozialplan ‚vereinbarten‘ Kündigung bleibt es bis zum Zeitpunkt der Beendigung bei den allgemeinen Vorschriften über Lohn nach Kündigung im Individualarbeitsverhältnis. Vereinbarte Abfindungen setzen beim Verlust des Arbeitsplatzes erst bei dessen Wirksamkeit ein, sind also nicht Fragen des Arbeitslohnes entsprechend dem nunmehr beendeten Arbeitsverhältnis, sondern Ersatz für den aufgrund des Verlustes des Arbeitsplatzes wegfallenden Vertragslohn, wenn auch zumeist berechnet in Anlehnung an den bisher gezahlten Lohn – unbeschadet mancher sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Besonderheiten. Der durch den Sozialplan entstehende individuelle Anspruch auf eine Abfindung hat seine Rechtsgrundlage lediglich in der Betriebsvereinbarung, abgeschlossen auf Arbeitnehmerseite vom Betriebsrat, ist, das sei erneut betont, keine auf dem Arbeitsverhältnis beruhende Lohnzahlung für den einzelnen Arbeitnehmer, sondern selbständige Ersatzleistung für Entgangenes. e) Betriebliche Übung Unter diesem Begriff ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden 64. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden 63
Federlin aaO S. 647 ff. m.w.N.; Heise aaO S. 657 ff. So durchgehend die Definition in der RSpr.: Vgl. BAG zusammenfassend: 28.7.2004: BAGE 106, 345 = NJW 2004, 3652 = NZA 2003, 1145. – Mit Recht erweitert Walker (JuS 2007, 1) diese Definition: „die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis auf Dauer abgeändert oder ergänzt werden“. 64
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Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordene Leistung 65, auch was das weitere Schicksal der so entstandenen Ansprüche angeht 66. Diese Ansprüche sind individualrechtlicher Art, auch in ihrem weiteren Schicksal, und mit Rücksicht auf das (wenn auch ungewöhnliche) individuelle Ablehnungsrecht des Arbeitnehmers und seiner im Streitfalle Geltendmachung der Vertragsfreiheit zuzurechnen.
VI. Schlussbetrachtung Die angeführten Beispiele für Beschränkungen der individuellen Vertragsfreiheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Lohnhöhe mögen für den Versuch einer Beantwortung der Frage nach der Effektivität der individuellen Vertragsfreiheit bei Lohnvereinbarungen im Arbeitsrecht genügen. Man ist geneigt, für die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse von einer über die hier bereichsspezifischen allgemeinen Schranken gegen Übervorteilung durch individuelle, vor allem wirtschaftliche Unterlegenheit einer Vertragsseite („strukturelle Unterlegenheit“) hinausgehenden erheblichen Beschränkung zu sprechen mit steigender Tendenz –„Das Terrain der Vertragsfreiheit schmilzt zwar ab wie Gletschereis“ 67. Dies ist zudem, generell betrachtet, kein Spezifikum des Arbeitsrechts. Dieser Situation der Beschränkung der Vertragsfreiheit beim Arbeitsverhältnis liegt indessen keine einheitliche Basisüberlegung zu Grunde: Einmal geht es für das Individualarbeitsverhältnis um eine Sicherung für den als strukturell unterlegen angesehenen Arbeitnehmer, wie in der historischen Entwicklung ursprünglich angelegt, auch um den Schutz vor Selbstüberforderung. Es mag zwar sein, dass durch die langjährig fortschreitende Arbeitsgesetzgebung 68 und auch Rechtsprechung 69 diese Grundannahme in Frage gestellt werden kann, wenn auch je nach Interessenlage überzeugend oder nicht. Andererseits lässt die neueste Entwicklung im Zusammenhang mit der vielfältig und unterschiedlich sich entwickelnden weltweiten Globalisierung und der daraus folgenden Möglichkeit der grenzüberschreitenden Betriebsverlagerung und auch der möglichen grenzüberschreitenden Verkäufe und
65
BAG 16.1.2002: NZA 2002, 632 – st. RSpr. Vgl. dazu BAG 14.9.1985: BAGE 49, 290 = NZA 1986, 521 = NJW 1987, 2101; BAG 16.1.2002: NZA 2002, 632. 67 Adomeit/Mohr NZA 2007, 178, 182. 68 Z.B. Kündigungsschutz, betriebliche und Unternehmensmitbestimmung. 69 Z.B. Fortentwicklung des Arbeitskampfrechts, Beschäftigungsanspruch, eingeschränkte Haftung des Arbeitnehmers. 66
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Kapitalverlagerungen in einem für den Außenstehenden immer weniger transparent werdenden Kapitalmarkt, auch manche finanzielle Transaktion, nicht ohne jedenfalls psychologischen Grund, Bedenken wieder wachsen. Jedoch soll eine in diesem gesamten sozialen Schutzdenken liegende Gefahr 70 nicht unerwähnt bleiben: Unsere Verfassung geht vom „mündigen“ Bürger aus 71, dem informierten, verständig abwägenden und in Freiheit und damit notwendigerweise auch in Selbstverantwortung 72 handelnden Individuum, eine Prämisse, auf der unser gesamtes freiheitliches System beruht. In dem Maße, in dem wir diesen mündigen Bürger vor angenommener eigener Schwäche schützen, besonders intellektueller Art, aber auch der der Selbstüberforderung, ebenso auch vor den Folgen der Selbstverantwortung als zwingender Konsequenz der Freiheit zur privatautonomen Gestaltung, stellen wir leicht jene Mündigkeit als Basis freiheitlicher Verfassung in Frage. Wir müssen deshalb Sorge tragen, dass wir den mündigen Bürger nicht im Schutz vor sich selbst in eine Unmündigkeit hineinschützen. Es gilt, ein Bewertungssystem zu finden, mit dem die Faktoren Mündigkeit mit zumutbarer Selbstverantwortung, historisch bedingte und soziologisch vorgegebene soziale Unterlegenheit, aber auch Unüberlegtheit, Leichtsinn oder Dummheit in Beziehung zueinander gesetzt und gemeinverträglich gewichtet werden, nicht statisch, sondern unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten und Entwicklungen 73. Das ganze Arbeitsrecht könnte man sonst als „Kontrollsystem gegenüber der Vertragsfreiheit“ bezeichnen 74. Diese mit Schwerpunkt auf das Einzelarbeitsverhältnis bezogenen Überlegungen sind jedoch nur die eine Betrachtungsebene: Bei der hoheitlichen Regelung gegenüber privatautonomen arbeitsrechtlichen Regelungen durch Beschränkung der individuellen Vertragsfreiheit treten, zusätzlich zum auf das Individualarbeitsverhältnis bezogenen sozialen Schutzgedanken, oft hinzu auch arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen, nämlich Erhalt bestehender inländischer Arbeitsplätze wie auch Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Draußenhalten von Billigarbeitskräften oder der Unterwerfung dieser Arbeitsverhältnisse unter innerstaatliche Lohnverhältnisse – aller Globalisierungsakzeptanz und internationaler Dienstleistungsfreiheit (EG) zum Trotz.
70
Adomeit FS Kissel, 1994 S. 1; Kissel FS Söllner, 2000 S. 497 ff. BGH 24.2.1994 unter II: NJW 1994, 1341; vgl. zu der Gegenposition des BVerfG in BVerfG – Bürgschaft – (E 89, 214 = NJW 1994, 36): Kissel FS Söllner, 2000 S. 497. Lit.: Dorndorf FS Kissel 1994, S. 139; Gamillscheg FS Kissel, 1994 S. 239; Preis FS Kissel, 1994 S. 879. 72 Adomeit, FS Kissel, 1994 S. 1; Blomeyer (allgemeines Lebensrisiko), FS Kissel, 1994 S. 91; Fastrich FS Kissel, 1994 S. 193; Picker FS Kissel, 1994 S. 813. 73 Fastrich FS Kissel, 1994 S. 293 ff.; vgl. Kissel Standortfaktor Arbeitsrecht, 1999 S. 101, 102; zur mangelnden Symmetrie zwischen dem Staatsbürger im öffentlichen Recht und im Privatrecht vgl. Kissel FS Söllner, 2000 S. 496, 497. 74 Hanau/Adomeit Arbeitsrecht, 13. Aufl. B I 4 Rn. 60; Zöllner NZA Beilage 3/2006 S. 100. 71
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Die rechtliche Bewertung dieser zweiten Motivationsebene kann deshalb nicht bei der oben gestellten Frage nach den Grenzen des Schutzes für den mündigen Arbeitnehmer in seiner Individualität Halt machen: Sie kann die Zulässigkeit einer Beschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigen sowohl aus der zwischenstaatlichen Sphäre als auch mit den Erfolgsaussichten von z.B. Mindestlohn-Maßnahmen für den angestrebten Zweck. Hier geraten wir im Ganzen in eine erheblich kontroverse wirtschafts- und gesellschaftspolitische Diskussion. Die hier dem Gesetzgeber gezogenen rechtlichen Grenzen dürften jedoch derzeit noch nicht überschritten sein: Denn der Gesetzgeber verfügt bei der Einschätzung der Erforderlichkeit gesetzlicher Regelungen über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum 75. Daher können Maßnahmen, die der Gesetzgeber zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts für erforderlich hält, verfassungsrechtlich nur dann beanstandet werden, wenn nach den ihm bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass Regelungen, die als Alternativen in Betracht kommen, die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen indessen weniger belasten 76.
75 76
BVerfGE 102, 197, 218 = NVwZ 2001, 790. BVerfG 11.7.2006 unter Tz. 95: NJW 2007, 51, 55 = NZA 2007, 42, 46.
Streik und Gleitzeit Horst Konzen I. Probleme der Streikteilnahme bei Gleitzeit Das Arbeitskampfrecht, das den Jubilar und den Gratulanten seit vielen Jahren fachlich eng verbindet und das im Jahr 1973 auch zur ersten persönlichen Begegnung geführt hat,1 wird durch das Spannungsverhältnis zwischen individuellem und kollektivem Arbeitsrecht geprägt. Beim Streik trifft die individuelle Teilnahme des Arbeitnehmers auf die kollektive gewerkschaftliche Streikorganisation. Der grundlegende Beschluss des Großen Senats des BAG vom 28.1.1955 hat zwar die vorhergehende, ganz realitätsferne getrennte Bewertung des Streikverhaltens, die den gewerkschaftlichen Streik prinzipiell als rechtmäßig anerkannte, aber die individuelle Streikbeteiligung bei sofortiger Arbeitsniederlegung als Vertragsbruch ansah,2 beseitigt und die Beurteilung der Streikbeteiligung an die Rechtmäßigkeit des kollektiven Geschehens gekoppelt.3 Dessen Rechtmäßigkeit bewirkt die Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, zumindest der Arbeitspflicht.4 Der einheitliche Bewertungsmaßstab besagt freilich nur, dass mit ihm auch die individuelle Streikbeteiligung beurteilt wird. Diese muss dem Arbeitgeber beispielsweise durch Vorenthaltung der Arbeitsleistung oder durch Mitwirkung an der gewerkschaftlichen Streikorganisation vom Arbeitnehmer wenigstens konkludent erklärt worden sein. Dies auch in Fällen, in denen der Arbeitnehmer während des Streiks beispielsweise wegen Krankheit, Mutterschutz, Betriebsratstätigkeit etc. gegen Vergütung von der Arbeitspflicht befreit war.5 Verweigern die Arbeitnehmer die Arbeit, indem sie lediglich ihre Vertragsrechte gebündelt ausüben, beispielsweise durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts 6 oder nach einer Massenänderungskündigung 7, bildet umgekehrt das Arbeitsvertragsrecht die Grundlage der Beurtei-
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. dazu Otto FS Konzen, 2006, S. 663. Näher Konzen AcP (1977), 475 f., ders. FS 50 Jahre BAG, 2004, S. 515 f. BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 6 ff. Vgl. anschließend IV, 1. Näher IV, 2. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 2006, § 11 Rn. 36 ff. mwN. Otto (Fn. 6), § 11 Rn. 50 ff. mwN.
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lung.8 Ob im Einzelfall eine Teilnahme an einem gewerkschaftlichen Streik vorliegt, ist durch Auslegung des Arbeitnehmerverhaltens zu ermitteln. Eine neue Variante, bei der die Beurteilung des Individualverhaltens bei einem legitimen gewerkschaftlichen Streik nicht vollends geklärt ist, liegt in der Streikteilnahme eines Arbeitnehmers, der im Rahmen einer durch Betriebsvereinbarung geregelten Gleitzeit im Betrieb seine Arbeitsverpflichtung für eine knappe Stunde „ausgestempelt“ hatte. Über einen solchen Fall hatte der 1. Senat des BAG mit Urteil vom 26.7.2005 9 zu befinden. Der Arbeitnehmer, der auf Grund der Gleitzeitvereinbarung für die regelmäßig geschuldete Sollarbeitszeit vergütet wurde und ohne Streikteilnahme die ausgestempelte Zeit in den vereinbarten Grenzen hätte „stehen lassen“, nachholen oder mit einem Zeitguthaben verrechnen können, hatte den anteiligen Betrag an der Vergütung der Sollarbeitszeit in Höhe von 14,06 Euro verlangt. Der beklagte Arbeitgeber hatte diesen Betrag unter Hinweis auf eine Beteiligung des Arbeitnehmers an dem suspendierenden Streik verweigert. Das BAG spricht dem Arbeitnehmer die 14,06 Euro zu, da er auf Grund der Gleitzeitvereinbarung von der Möglichkeit der Abmeldung aus dem Zeiterfassungssystem Gebrauch gemacht und sich während des Streiks in seiner Freizeit befunden habe.10 Ein Arbeitnehmer, der außerhalb der für ihn geltenden Arbeitszeit an einer Streikkundgebung teilnehme, enthalte dem Arbeitgeber keine geschuldete Arbeitsleistung vor und streike daher im Rechtssinn nicht. Das Urteil spricht von einer nur faktischen Teilnahme am Streik.11 Maßgeblich dafür ist offenbar das „Ausstempeln“, das nach Ansicht des 1. Senats der Erklärung einer Streikteilnahme im Rechtssinn entgegensteht. Das zeigen zwei Entscheidungen des Senats vom 30.8.1994,12 von denen eine denselben Arbeitgeber wie das Urteil vom 26.7.2005 betraf.13 In diesen Fällen hatten sich Arbeitnehmer bzw. eine diesen insoweit gleichzustellende Auszubildende ohne vorhergehendes Ausstempeln an einem Streik beteiligt. Diesmal hatten der Arbeitgeber der Auszubildenden und im anderen Fall der Betriebsrat im Beschlussverfahren die Verrechnung auf dem Gleitzeitkonto verlangt. Das BAG lehnt jeweils die Verrechnung ab. Es hält die Gleitzeit-
8 Systematische Grundlegung bei Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 387 ff., 426, 429 ff.; dazu Konzen AcP 177 (1977), 482 ff., 489 ff., 521 f. 9 BAG AP Nr. 170 zu Art 9 GG Arbeitskampf; dazu Bengelsdorf NZA 2006, 825; Boemke JuS 2006, 191; Plöhn SAE 2006, 196; Wolff/Degenhardt BB 2006, 1965; Mohnke AuA 2006, 118; Oetter ArbRB 2006, 41. 10 BAG (Fn. 9), Bl. 2 f. 11 BAG (Fn. 9), Bl. 3. 12 BAG AP Nr. 131 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; dazu Buschmann AuR 1995, 50; Hergenröder SAE 1996, 326; BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; dazu Hergenröder SAE 1996, 326; Löwisch AR Blattei, ES Arbeitskampf II, § 170.2 Nr. 40. 13 Plöhn SAE 2006, 196.
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vereinbarungen mangels einer ausdrücklichen Regelung von Streiks nicht für einschlägig 14 und wertet die Streikteilnahme auch nicht als konkludentes Ausstempeln. Darauf geht das Urteil vom 26.7.2005, obwohl das Ausstempeln zum Zweck der Streikteilnahme erfolgt war, nicht ein. Die Entscheidungen vom 30.8.1994 erwägen in obiter dicta aber immerhin Betriebsvereinbarungen, die eine Streikteilnahme mit der Folge einer Anrechnung auf das Gleitzeitkonto einbeziehen, werfen allerdings mit Blick auf die Chancengleichheit der Tarifparteien die Frage nach der Zulässigkeit derartiger Betriebsvereinbarungen auf, die anschließend tendenziell bejaht wird.15 Auch das Urteil vom 26.7.2005 prüft am Ende, ob ein Ausstempeln durch einen Großteil der Belegschaft die Arbeitskampfparität zu Lasten der Arbeitgeber beeinträchtigen könnte, und lehnt das für den konkreten Fall ab.16 Streiks bei Gleitzeit erfordern ersichtlich nicht nur eine exakte rechtliche Würdigung der Streikbeteiligung und des zulässigen Inhalts der Gleitzeitvereinbarung. Sie betreffen mit dem Umfang der suspendierenden Wirkung und dem Wegfall der Vergütung beim Streik sowie mit der Parität und der Bedeutung betrieblicher Regelungen für diese auch Grundfragen des Arbeitskampfrechts. Solche Fälle, vor allem das Urteil vom 26.7.2005, sind bislang nur sporadisch und mit unterschiedlichen Ergebnissen gewürdigt worden. Ihre nachfolgende Analyse, die zunächst eine geordnete Auflistung der Probleme und des Meinungsspektrums erfordert, mag sich daher als geeignete Festtagsgabe erweisen, die das Fachgespräch mit Hansjörg Otto fortsetzen und das beiderseits empfundene Vertrauensverhältnis 17 vertiefen soll.
II. Streik und Gleitzeit in Rechtsprechung und Schrifttum 1. Gleitzeit, Sollarbeitszeit und Streikteilnahme a) Gleitzeitvereinbarung und Sollarbeitszeit Die gemeinsamen Grundlagen der erwähnten Entscheidungen sind Gleitzeitvereinbarungen, die den Arbeitnehmern erlauben, die geschuldete Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Grenzen flexibel zu erbringen. Fixiert ist nur die meist wöchentliche „Sollarbeitszeit“, nach der unter regelmäßig monatlicher Abrechnung die Vergütung erfolgt. Dagegen sind die Betriebszeit und die individuelle Arbeitszeit entkoppelt. Der Arbeitnehmer kann die geschuldete Arbeit in einem zeitlich konkret festgelegten Umfang – bezogen auf einen bestimmten Zeitraum, beispielsweise einen Monat, ein Jahr oder 14 15 16 17
BAG AP Nr. 131 (Bl. 2 R), AP Nr. 132 (Bl. 3), jeweils zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG AP Nr. 131 (Bl. 4), AP Nr. 131 (Bl. 2 f.), jeweils zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG (Fn. 9), Bl. 5. Vgl. bereits Otto (Fn. 1), S. 663.
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auch ohne zeitliche Begrenzung – flexibel erfüllen. Der Arbeitnehmer kann später anfangen, früher aufhören, zwischendrin unterbrechen („ausstempeln“) oder „vorarbeiten“. Festgelegt sind nur die maximalen Zeitrückstände und Zeitguthaben, die während des bezeichneten Zeitraums bestehen dürfen. Um die maximalen Zeitrückstände oder -guthaben nicht zu überschreiten, hat der Arbeitnehmer – bezogen auf die Sollarbeitszeit – nur die Möglichkeiten, die Arbeit nachzuholen oder das Zeitguthaben durch arbeitsfreie Zeiten auszugleichen. Auch bei Überschreitung des Zeitguthabens entsteht kein Entgeltanspruch, vergütet wird allein die Sollarbeitszeit.18 Die Gleitzeitregelungen betreffen die Lage der Arbeitszeit. Sie enthalten regelmäßig Bestimmungen über den Beginn und das Ende der täglichen (betrieblichen) Arbeitszeit, die Kernarbeitszeit und die Gleitspannen, die Zulässigkeit von Zeitrückständen sowie Zeitguthaben und deren Begrenzung auf einen bestimmten Zeitraum sowie schließlich deren Kontrolle und Ausgleich und das Verhältnis zu Mehrarbeit und Überstunden. Sie sind daher bereits nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig.19 Das erklärt, dass Gleitzeitvereinbarungen regelmäßig in Betriebsvereinbarungen enthalten sind, die ohne die partiell mögliche Einschaltung der Einigungsstelle nahezu stets freiwillig abgeschlossen werden. Die Gleitzeitvereinbarungen sind, wie auch die Entscheidungen des BAG belegen, inhaltlich durchaus unterschiedlich. Für das Verhältnis von Streik und Gleitzeit genügt aber eine pauschale Beschreibung. Gemeinsam ist den Vereinbarungen der Rahmen der wöchentlichen Sollarbeitszeit, nach der vergütet wird, und negativ, dass die Anzahl der individuellen Arbeitsstunden, die in der Woche, im Monat oder im Jahr zu erbringen sind, nicht exakt geregelt sind. Deren Konkretisierung obliegt im Unterschied zu anderen Modellen einer flexiblen Arbeitszeit 20 nicht dem Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers. Beim Gleitzeitmodell hat vielmehr der einzelne Arbeitnehmer, nicht selten in Absprache mit anderen und unter Wahrung der betrieblich vorgegebenen Ziele,21 die individuelle Arbeitszeit eigenverantwortlich zu gestalten. Freilich ist diese Gestaltungsbefugnis begrenzt: Sie ist auf die Lage der Arbeitszeit beschränkt, erfasst also nicht deren geschuldete Dauer. Der Arbeitnehmer schuldet dem Arbeitgeber die Erbringung der Sollarbeitszeit, dieser umgekehrt die dafür festgelegte Vergütung. Dies auch, wenn die individuelle Arbeitsleistung im Vergütungszeitraum hinter der Sollarbeitszeit zurückbleibt. In diesem Fall ist der Zeitrückstand, dessen Zulässigkeit innerhalb eines fixierten Zeitraums begrenzt ist, ebenso wie im umgekehrten Fall der zulässige Umfang eines Zeitguthabens allein durch 18 19 20 21
Vgl. etwa BAG AP Nr. 131 in Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1 R. Wiese GK-BetrVG, Bd. II, 8. Aufl. 2005, § 87 Rn. 334 f. Näher Wisskirchen/Bissels NZA-Beilage 2006 Nr. 1, S. 24 ff. Vgl. BAG (Fn. 9), Bl. 1 R.
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Erbringung von Arbeit bzw. durch arbeitsfreie Zeit auszugleichen, aber für die Vergütung bedeutungslos. Wirtschaftlich gesehen gewähren die Vertragsparteien einander wechselseitig Darlehen, der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Zeitrückständen, dieser jenem bei Zeitguthaben.22 Außerdem ist die Gestaltung der individuellen Arbeitszeit insofern begrenzt, als die maximalen Zeitrückstände oder Zeitguthaben, die in elektronischen Zeitkonten erfasst werden, für einen bestimmten Zeitraum jeweils limitiert sind. Die Ausgangsentscheidungen des BAG dokumentieren hier eine beträchtliche Bandbreite: das Urteil vom 30.8.1994 ein maximales Zeitguthaben von 15 Stunden und ein Zeitminus von zehn Stunden, die als Zeitvortrag jeweils auf den nächsten Monat übertragen werden dürfen,23 das Urteil vom 26.7.2005 ohne zeitliche Begrenzung des Übertragungszeitraums ein Maximum und ein Minimum von jeweils 150 Stunden.24 Die Diskrepanz zwischen Vergütungswegfall und einer möglichen zeitlichen Verrechnung der Streikzeit bestimmt die rechtliche Problematik des legitimen Streiks bei Gleitzeitvereinbarungen. Grundsätzlich führen Streiks zur Suspendierung der Arbeitspflicht und zum Wegfall der Vergütung. Die suspendierte Arbeitszeit ist nicht nachzuholen. Die Vergütung entfällt. Der Arbeitnehmer erleidet, gemildert durch die gewerkschaftliche Streikunterstützung für Mitglieder, einen finanziellen Nachteil. Das bedeutet bei Anwendbarkeit der Suspendierung auf eine Gleitzeitregelung folgerichtig die Reduzierung der Sollarbeitszeit und einen anteiligen Vergütungsverlust.25 Wird dagegen die Gleitzeitvereinbarung auf einen streikbedingten Arbeitsausfall angewendet, beispielsweise auch bei Zulässigkeit des Ausstempelns zum Zweck der Streikteilnahme, so ist als Variante ein Zeitausgleich denkbar: innerhalb des zulässigen Maximums eine Erhöhung des Zeitminus um die Streikzeit oder einen entsprechenden Abbau des Zeitguthabens. Auch in diesem Fall hätte der Arbeitgeber letztlich nur die erbrachte Arbeitsleistung zu vergüten. Aber der Arbeitnehmer, dessen Sollarbeitszeit dann nicht reduziert wird, behält, wenn er die Ausfallzeiten vollständig nachholt, die volle Vergütung. Er hat jedenfalls zunächst am Monatsende kein Defizit. Der Arbeitgeber muss auch bei Verrechnung durch die Anbindung an die Sollarbeitszeit die Vergütung für den streikbedingten Arbeitsausfall, da der Ausgleich ausschließlich über die zeitliche Verrechnung erfolgt, zunächst zahlen. Das kann die Streikbereitschaft erhöhen, vor allem für den Außenseiter,26 aber, soweit generell die gewerkschaftliche Streikunterstützung hinter dem Arbeitsentgelt zurückbleibt, auch für die Gewerkschaftsmitglieder. Beide Gruppen vermei22 23 24 25 26
Schaub Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Aufl. 2007, § 160 V, Rn. 58. BAG (Fn. 18), Bl. 1 R. BAG (Fn. 9), Bl. 1 R. Vgl. BAG AP Nr. 131, 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, jeweils Bl. 3. Vgl. Hergenröder SAE 1996, 328.
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den, auch wenn sie den Arbeitsausfall letztlich ausgleichen müssen, am Ende des Monats trotz des Streiks eine Schmälerung der Vergütung. Außerdem spart die Gewerkschaft bei ihren streikenden Mitgliedern, soweit diese im Ergebnis nur in ihrer „Freizeit“ streiken und keinen Vergütungsverlust erleiden, die Streikunterstützung,27 auch wenn die „Opfergrenze“ eines Freizeitverlusts sich vermutlich in der Praxis allenfalls auf Kurzstreiks beschränken wird. Schließlich ist je nach Gleitzeitvereinbarung zu bedenken, dass die Beteiligung an Kurzstreiks eine größere Anzahl von Arbeitnehmern erfassen 28 und bei einem Zeitspeicher von jeweils 150 Stunden 29 auch ein längerer Ausstand durchgeführt werden kann. Das ermöglicht der Gewerkschaft mit Hilfe der individuellen Entscheidung des Arbeitnehmers in einem „Gleitzeitbetrieb“ auch einen geplanten Einsatz eines Ausstempelns. Vor allem bei ausdrücklicher Einbeziehung des Streiks in die Gleitzeitvereinbarung sowie beim Ausstempeln zum Zweck des Streiks ist daher von durchaus praktischem Interesse, ob die zeitliche Verrechnung als Alternative der Suspendierung oder als deren zusätzliche Variante in Betracht kommt. b) Streikteilnahme und Inhalt der Gleitzeitvereinbarung aa) Vereinbarung ohne Einbeziehung von Streiks Die Entscheidungen vom 30.8.1994 lehnen demgegenüber die Einbeziehung von Streiks in die jeweiligen Gleitzeitvereinbarungen ab. Sie entnehmen das einer Auslegung der Betriebsvereinbarungen und speziell daraus, dass diese über die Einbeziehung des Streiks keine ausdrückliche Regelung enthalten.30 Entscheidend dafür ist der Gedanke, dass mit dem Streik die Vorstellung der suspendierenden Wirkung und des Wegfalls der Vergütung verbunden ist und aus der Streikbeteiligung auf diese Wirkungen geschlossen wird. Dieses Ergebnis und, soweit eine solche gegeben wird, auch die Begründung 31 werden im Schrifttum überwiegend geteilt.32 Der Streik bleibe Streik und mutiere nicht zu einem temporären Rechnungsposten.33 Die Arbeitnehmer müssten nicht vorher ausstempeln. Die Gegenposition 34 wird an einer Stelle damit begründet, dass der Arbeitnehmer eine Verrechnung
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Hergenröder SAE, 1996, 328. BAG AP Nr. 132 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 1. 29 BAG (Fn. 9), Bl. 1 R. 30 BAG AP Nr. 131 (Bl. 2 R) Nr. 132 (Bl. 3), jeweils zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 31 Hergenröder SAE 1996, 326; Löwisch (Fn. 12) 170.2 Nr. 40. 32 Buschmann AuR 1995, 40; ErfK/Dietrich 8. Aufl. 2008, Art. 9 GG, Rn. 194; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1190; Hergenröder SAE 1996, 326; Löwisch (Fn. 12), § 170.2 Nr. 40; MünchHdb/Otto Arbeitsrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 2000, § 288 Rn. 14. 33 Buschmann AuR 1995, 40. 34 Glaubitz in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 5. Aufl. 1997, § 87 Rn. 176; Kissel Arbeitskampfrecht, 2002, § 46 Rn. 12. 28
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durch Erklärung erreichen könne, die den Verlust des Vergütungsanspruchs des streikenden Arbeitnehmers nur auf eine andere Ebene verlagere.35 Damit wird freilich von der Auslegung der Gleitzeitvereinbarung, die die Grundlage für die Verrechnungserklärung bilden müsste, abstrahiert und nichts über die Unterlassung einer solchen Erklärung gesagt. Die Konsequenz der Entscheidungen des BAG ist dagegen die Reduzierung der Sollarbeitszeit und der anteilige Vergütungswegfall für die Streikdauer. Die Arbeitspflicht entfällt dann mangels Einbeziehung von Streiks in die Gleitzeitregelung nicht mit der Folge einer Berücksichtigung im Zeitkonto, sondern unter Vergütungswegfall durch den suspendierenden Streik. bb) Einbeziehung streikbedingter Ausfallzeiten Gerade umgekehrt ist es bei Gleitzeitvereinbarungen, die streikbedingte Ausfallzeiten einbeziehen. Soweit solche Betriebsvereinbarungen zulässig sind, bewirkt die Streikteilnahme bereits nach dem Sinn der Gleitzeitvereinbarung die Befreiung von der Arbeitspflicht. Folgerichtig bleibt die Sollarbeitszeit unverändert, die Vergütungspflicht für diese besteht weiter. Der streikbedingte Arbeitsausfall ist über den Zeitspeicher zu verrechnen, die Ausfallzeit bei einem Zeitrückstand praktisch zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Die suspendierende Wirkung des Streiks, die Reduzierung der Sollarbeitszeit und der Wegfall der Vergütung werden dann verdrängt. Zur gewerkschaftlichen Streikunterstützung besteht jedenfalls unmittelbar kein Anlass. Ob eine solche Regelung jenseits eines Wahlrechts, das praktisch durch die Möglichkeit eines Ausstempelns vor Streikteilnahme entsteht,36 im Interesse der Arbeitnehmer läge, muss zumindest bei einem längeren Streik bezweifelt werden. Das BAG blickt freilich mehr auf die Belastung des Arbeitgebers, die es für tragbar hält. Es hält die Einbeziehung der Streikteilnahme in Gleitzeitvereinbarungen für zulässig und – ersichtlich wegen der Verrechnung im Zeitspeicher – eine Betriebsvereinbarung, die eine Streikteilnahme ohne unmittelbaren Vergütungsverlust ermöglicht, auch nicht für eine Verletzung der Chancengleichheit 37 bzw. – so im Urteil vom 26.7.2005 – der Arbeitskampfparität.38 Allerdings hält das Urteil vom 26.7.2005 bei Streikbeteiligung eines erheblichen Teils der Belegschaft und einem durch die Gleitzeitvereinbarung großen Spielraum der Arbeitnehmer zur individuellen Arbeitszeitgestaltung und einer dadurch gewährten längeren Streikdauer eine Beeinträchtigung der Kampfparität für möglich, verneint diese aber im beurteilten Fall unter Hinweis auf den Inhalt der dortigen Gleitzeitvereinbarung.39 35 36 37 38 39
Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 13. Wolff /Degenhardt BB 2006, 1968. BAG (Fn. 28), Bl. 3 R. BAG (Fn. 9), Bl. 5. BAG (Fn. 9), Bl. 5.
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Zur Begründung streift der Beschluss vom 30.8.1994 immerhin die – bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen nicht unmittelbar einschlägige – Judikatur zur Einschränkung von Beteiligungsrechten im Arbeitskampf,40 zieht aber die dazu entwickelten Grundsätze nicht wertend heran. Er nennt keine Kriterien, mit denen die Beeinträchtigung der Parität festgestellt werden kann und formuliert nur konkret für den Streik bei Gleitzeit. Die Verrechnung sei für die Arbeitnehmer keine geringere Belastung.41 An einer Stelle folgert der Senat, Abzüge von Gleitzeitguthaben seien „kaum“ geeignet, generell die Wirkung eines Streiks zu erhöhen,42 an einer anderen hält er dies für eine Frage des Einzelfalls,43 verneint aber die Paritätsbeeinträchtigung. Das Schrifttum zitiert weithin nur das BAG.44 Auch skeptische oder ablehnende Stimmen 45 verzichten – wie sich zeigen wird, notgedrungen – auf exakte Maßstäbe, die eine Paritätsbeeinträchtigung begründen können, gelangen aber wie Hergenröder unter Hinweis auf die Außenseiterstellung und die mögliche Einsparung der gewerkschaftlichen Streikunterstützung 46 zu einem gegenteiligen Standpunkt. Einen Schritt weiter geht Maulshagen, die sich um solche Maßstäbe bemüht, in Doktrin und Praxis aber nur vage Ansätze vorfindet,47 auf die zurückzukommen ist. Zu diesen Ansätzen gehört allerdings der wichtige Befund, dass der Paritätsgedanke auf die Verhandlungen der Tarifparteien zugeschnitten ist und es bei betrieblichen Maßnahmen und Regelungen nur um eine mittelbare Paritätsbeeinträchtigung gehen kann.48 Insoweit zeigt sich, dass die Resultate zumindest systematisch möglichst stimmig abgesichert werden müssen. Eine schärfere Ablehnung erfährt das BAG – freilich erst aus Anlass des Urteils vom 26.7.2005 – durch Bengelsdorf und Plöhn. Sie gehen vom generell unbestrittenen Vergütungsverlust der unmittelbar Streikenden aus und leiten diesen aus Art. 9 Abs. 3 GG ab.49 Sie verweisen dabei nicht zufällig auf Fundstellen, die den Vergütungswegfall auf Grund der Arbeitskampfrisikolehre betreffen.50 Nach dieser kann in der Vergütung von Arbeitnehmern, die
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BAG (Fn. 18), Bl. 2 R. BAG (Fn. 18), Bl. 4. 42 BAG (Fn. 18), Bl. 4. 43 BAG (Fn. 28), Bl. 2 R. 44 ErfK/Dietrich (Fn. 32), Art. 9 GG Rn. 194, Gamillscheg (Fn. 12), S. 1190; Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 14; MünchArbR/Otto (Fn. 32), § 288 Rn. 14. 45 Hergenröder SAE 1996, 328; Löwisch (Fn. 12), § 170.2 Nr. 40; Wolff/Degenhardt BB 2006, 1967. 46 Hergenröder SAE 1996, 328; vgl. bereits oben II.1.a). 47 Maulshagen Betriebliche Arbeitskampfregelungen, 2003, S. 169 ff., 172, 175, 190 f. 48 Maulshagen (Fn. 47), S. 190 f. 49 Bengelsdorf NZA 2006, 825 f.; Plöhn SAE 2006, 199. 50 Gamillscheg (Fn. 32), S. 1253; Konzen FS 50 Jahre BAG (Fn. 2), S. 553; MünchArbR/Otto (Fn. 32), § 290 Rn. 29; Zöllner/Loritz Arbeitsrecht, 5. Aufl. 1998, §§ 18 V 2, 41 II. 41
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wegen eines Arbeitskampfes anderer nicht arbeiten können, eine Beeinträchtigung der Parität der Tarifparteien liegen.51 Daraus folgt, dass man den Vergütungswegfall der unmittelbar Streikenden erst Recht mit dem Paritätsgrundsatz begründen könnte. Das bestätigen weitere zitierte Autoren, die den Vergütungswegfall als Abwehrmittel gegen den Streik verstehen.52 Die kollektivrechtliche Begründung, die Plöhn gleichwohl dogmatisch mit dem Modell des § 326 Abs. 1 BGB umsetzen will,53 findet freilich bei Streiks im Rahmen von Gleitzeitvereinbarungen zumindest nicht in allen Fällen eine Parallele. Sie passt allenfalls auf solche Betriebsvereinbarungen, die einen Streik nicht erfassen und einen Streik nach Ausstempeln nur dann, wenn man dem Ausstempeln keine eigenständige rechtliche Bedeutung zumisst. Sie ist aber anzweifelbar, wenn der Streik durch eindeutige Vereinbarungen in das Zeitverrechnungssystem bei Gleitzeit einbezogen ist. Überdies zeigt die Arbeitskampfrisikolehre, dass auch bei Kampfbetroffenheit nicht jeder Vergütungsanspruch eine Paritätsbeeinträchtigung darstellt. Das BAG macht insoweit den Vergütungswegfall auf Grund der Parität davon abhängig, ob ein mittelbar kampfbetroffenes Unternehmen durch seine Verbandszugehörigkeit oder in Folge wirtschaftlicher Verflechtung den Hauptkampf beeinflussen kann.54 Ersichtlich ist nicht jede Kampffolge in einem Unternehmen paritätsrelevant. Das legt die Frage nahe, ob betriebliche Maßnahmen oder Regelungen die Parität, die dem Gleichgewicht der Tarifparteien dienen soll, beeinträchtigen können. Das Paritätsproblem ist fraglos nicht umfassend gelöst. Das legt als Aufgabe den Versuch nahe, den Paritätsgrundsatz beim Vergütungswegfall, insbesondere bei betrieblichen Regelungen, zu präzisieren (IV. 1.) und daraus später Folgerungen für den Streik im Rahmen von Gleitzeitvereinbarungen zu ziehen (V.). 2. Streik nach Ausstempeln Weitere Probleme ergeben sich bei einer Streikteilnahme nach Ausstempeln. Das BAG erblickt, wie dargelegt, im Ausstempeln, auch wenn es zum Zweck der Streikteilnahme erfolgt, einen eigenständigen Befreiungsgrund mit den Rechtsfolgen, die sich auf Grund der Gleitzeitvereinbarung außerhalb von Streiks ergeben. In diesen Fällen bleiben die Sollarbeitszeit und die daran orientierte Vergütung unberührt, der Arbeitsausfall wird lediglich auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen. Daraus folgert das BAG, dass der Streik
51 BAG AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 5; vgl. bereits Scholz/Konzen Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980, S. 218 (Binnendruck). 52 Seiter (Fn. 8), S. 295; vgl. auch Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 8 f. 53 Plöhn SAE 2006, 201 f. 54 BAG (Fn. 51), Bl. 5, 6 f.
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nicht anders als die Teilnahme an einer Streikkundgebung nach Beendigung einer Schicht in der Freizeit des ausgestempelten Arbeitnehmers stattfindet. Deshalb wird die Streikteilnahme nicht als konkludente Streikerklärung verstanden, sondern nur als faktische Streikteilnahme. Es gibt dann im Rechtssinn keinen Streik, daher keine Suspendierung der Arbeitspflicht und keinen Vergütungswegfall. Die Bedeutung dieser Konstruktion ist beträchtlich. Der Arbeitnehmer erhält praktisch ein Wahlrecht,55 wie es das BAG im Beschluss vom 30.8.1994 bereits erwogen 56 und Kissel 57 befürwortet hat. Entweder der Arbeitnehmer stempelt vor dem Streik aus und gleicht die Fehlzeit über das Arbeitszeitkonto aus, oder er unterlässt das Ausstempeln und gibt durch seine Teilnahme am Ausstand eine Streikerklärung ab. Das Standardschrifttum 58, darunter der Jubilar,59 billigt diesen Standpunkt. Einige Autoren ziehen demgegenüber eine Parallele zur Streikteilnahme während einer vergüteten Arbeitsbefreiung von Arbeitnehmern (Krankheit, Betriebsräteschulung etc.),60 bei denen der Streik die vergütete arbeitsfreie Zeit unterbricht. Der Ansatz des BAG erscheint insoweit plausibel, als der Arbeitnehmer im Rahmen der Gleitzeitvereinbarung ganz willkürlich über seine Freizeit entscheiden darf. Er realisiert die mit der Gleitzeit intendierte Wahrnehmung von Freizeit-, Fortbildung- und Kommunikationsinteressen 61 durch seine freie Entscheidung. Was er in der Freizeit tut, ist seine Sache. Andererseits sind Streiks auch nach Ansicht des BAG, soweit sie in der Gleitzeitvereinbarung nicht ausdrücklich angeführt sind, von der Regelung nicht gedeckt. Da die Betriebsparteien regelmäßig von der Suspendierungswirkung eines Streiks ausgehen, ergibt die Auslegung der Betriebsvereinbarung ohne eindeutige Formulierung keine Einbeziehung von Streiks. Daher entsteht die Frage, ob die Regelung nach ihrem Sinn ein Ausstempeln zum Zweck der Streikteilnahme überhaupt erfasst und eine rechtlich relevante Streikerklärung wirklich verhindert. Das BAG und das Schrifttum sind darauf nicht eingegangen. Weiterhin ergibt sich andererseits das von den erwähnten 62 Autoren angestoßene Problem, ob die Streikteilnahme nach Ausstempeln anders zu behandeln ist als die Streikteilnahme von Arbeitnehmern während einer vergüteten
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Wolff/Degenhardt BB 2006, 1967. BAG (Fn. 28), Bl. 3. 57 Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 13. 58 ErfK/Dietrich (Fn. 32), Art. 9 GG Rn. 194; weiterhin Boemke JuS 2006, 192, der aber eine Gefährdung der Kampfparität bei einer großen Belegschaftsbeteiligung am Streik befürchtet. 59 Otto (Fn. 6), § 14 Rn. 14. 60 Bengelsdorf NZA 2006, 826 f.; Plöhn SAE 2006, 202 ff.; Wolff/Degenhardt BB 2006, 1967. 61 Reichold NZA 1998, 394. 62 Vgl. Fn. 60. 56
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Arbeitsbefreiung. Das Urteil vom 26.7.2005 sieht das Problem und stellt fest, dass die Streikteilnahme von Arbeitnehmern, die sich auf einer Betriebsräteschulung befinden oder arbeitsunfähig erkrankt seien, für die Dauer der Streikteilnahme zum Verlust des „Entgeltfortzahlungsanspruchs“ führe.63 Es erklärt das mit den Besonderheiten des jeweiligen Entgeltanspruchs oder damit, dass die Streikteilnahme die Beendigung des besonderen Befreiungstatbestands bewirkt habe.64 Die Abgrenzung zur Streikteilnahme nach Ausstempeln wird unter Hinweis auf die tatsächlich nicht erklärte Streikteilnahme vorgenommen, ohne die Wertungsunterschiede herauszuarbeiten. Die Abgrenzung mag im Ergebnis richtig sein, bedarf aber einer Vertiefung. Der Senat sieht in diesem Kontext im Streik während eines Erholungsurlaubs übrigens eine mögliche Parallele zur Streikteilnahme nach Ausstempeln während der Gleitzeit. Er zweifelt nicht erstmals, ob im Streik während des Urlaubs ein Widerruf des Urlaubstatbestandes liegen könne und meint wohl – möglicherweise in Ankündigung eines Judikaturwandels –, in diesem Fall könne der Arbeitnehmer (ebenfalls) im Rechtssinn nicht streiken,65 also gleichfalls nur faktisch am Streik teilnehmen. Ob darin eine Absicherung der faktischen Streikteilnahme nach einem Ausstempeln liegen kann, wird noch zu prüfen sein. Insgesamt reichert der vorstehende Problemaufriss die Wertungsgrundlagen für die Streikteilnahme im Rahmen von Gleitzeitvereinbarungen um die Analyse von Streiks bei vergüteter Arbeitsbefreiung an. Damit ist die weitere Aufgabenstellung umrissen: Nach einem kurzen Abschnitt über das Streikrecht und die Streikteilnahme (III.) ist auf die Grundlagen der Suspendierungswirkung bei Streiks einzugehen (IV.). Dabei ist die Bedeutung des Paritätsgrundsatzes für den Vergütungswegfall beim suspendierenden Streik zu erörtern, dies insbesondere bei einer betrieblichen Regelung (IV. 1.). Sodann geht es um die Gründe für die Suspendierung bei vergüteter Arbeitsbefreiung (IV. 2.). Schließlich sind Folgerungen für Streiks bei Gleitzeit zu ziehen (V.).
III. Streikrecht und Streikteilnahme Beim legitimen Streik sind die gewerkschaftliche Organisation und die individuelle Streikbeteiligung zu unterscheiden. Das Streikrecht samt seinen Prämissen ist aus heutiger Sicht durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt.66 Dieser Schutz, den das BVerfG auch auf die suspendierende Abwehraussperrung 63
BAG (Fn. 9), Bl. 4. BAG (Fn. 9), Bl. 4. 65 BAG (Fn. 9), Bl. 5. 66 BAG AP Nr. 64, 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BVerfGE 84, 212, 225; 88, 103, 114; 92, 365, 393 f. 64
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nach Teil- und Schwerpunktstreiks bezieht,67 beruht auf einer funktionalen Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG. Seine Herleitung, die von der Koalitionsfreiheit über den Koalitionszweck und die Koalitionsbetätigung, konkreter: über die Tarifautonomie führt, muss nicht erneut dargestellt werden. Der Streik ist ein notwendiges Mittel zur Realisierung der Tarifautonomie und damit auch des Grundrechts der Koalitionsfreiheit. Deshalb sind seine Organisation und die Beteiligung an ihm ein Bestandteil der Grundrechtsgarantie.68 Das Streikrecht steht – im Ergebnis unstreitig – den Mitgliedern der Gewerkschaft 69 zu und darüber hinaus der Gewerkschaft selbst. Dabei ist praktisch belanglos, ob man von einem Doppelgrundrecht ausgeht,70 die Koalitionsbetätigung als summiert-individuale Grundrechtsausübung versteht 71 oder mit dem Ziel der Einbeziehung von Außenseitern eine Kombination von Art. 9 Abs. 3 und Art 2 Abs. 1 GG zu Grunde legt.72 Erst die kollektive und die individuale Befugnis zusammen tragen die einheitliche Streikbewertung und damit die Suspendierungswirkung des legitimen Streiks. Diese erfordert neben der Streikorganisation die individuelle Beteiligung am Streik. Die Streikteilnahme ist als Grundrechtsausübung kein Vollzug eines gewerkschaftlichen Gestaltungsrechts durch Realakt, sondern nach den grundlegenden Überlegungen von Seiter selbst ein Gestaltungsrecht.73 Es steht – wie das BAG spiegelbildlich auch bei der Aussperrung annimmt 74 – unter dem Vorbehalt der kollektiven Geltendmachung.75 Die Gewerkschaft und der Einzelne üben jeweils ein Gestaltungsrecht aus. Dagegen wird es der Dominanz der Gewerkschaft beim Streik nicht gerecht, ein Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers unter Zustimmung der Gewerkschaft anzunehmen.76 Mit dem Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers stimmt überein, dass die Streikteilnahme und deren Beendigung erklärt werden muss; regelmäßig konkludent durch Vorenthaltung der Arbeit. Soweit der Arbeitnehmer unter Vergütung von der Arbeit befreit war, ist eine eindeutige Erklärung nötig. Das zeigt sich in einem Fall, in dem die Gewerkschaft einen Streik durch Beschluss vor einem Feiertag beendet hatte, dies dem Arbeitgeber aber nicht erkennbar
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BVerfGE 84, 212, 225. Otto (Fn. 6), § 4 Rn. 33. 69 Damit wird die Zulässigkeit der Außenseiterbeteiligung nicht bestritten. Auf die Begründung dafür kommt es an dieser Stelle nicht an. 70 Vgl. allgemein zur Koalitionsbetätigung BVerfE 4, 96, 101 ff.; 17, 34, 333; 19, 309, 312; 28, 295, 304; 50, 290, 367; im Schrifttum nachdrücklich Säcker Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 64 ff.; zum Streikrecht Otto (Fn. 6), § 4 Rn 41. 71 Scholz Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 150 f. 72 Seiter (Fn. 8), S. 92. 73 Seiter (Fn. 8), S. 241 ff. 74 BAG AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 2 75 Otto (Fn. 6), § 4 Rn. 41. 76 Seiter (Fn. 8), S. 252 ff. 68
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war. Dieser musste keinen Feiertagslohn zahlen.77 Der Erklärungswert der Streikbeteiligung bedarf daher in Zweifelsfällen einer subtilen Prüfung. Das gilt auch für einen Streik nach vorherigem Ausstempeln auf Grund einer Gleitzeitvereinbarung.
IV. Streikerklärung und Grundlagen der Suspendierungswirkung 1. Streik, Vergütungsanspruch und Paritätsgrundsatz a) Suspendierungswirkung und Vergütungswegfall Der Paritätsgedanke, den bei Gleitzeitvereinbarungen vor allem das Urteil vom 26.7.2005 aufgreift 78 und den einige Kritiker für ausschlaggebend halten, wird für den Vergütungswegfall bei streikenden Arbeitnehmern im Allgemeinen nicht bemüht. Dieser Wegfall wird nicht nur im deutschen Recht als selbstverständlich empfunden.79 Das Urteil vom 26.7.2005 verwendet erneut die überkommene Formel, die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis würden suspendiert.80 Auch wenn man die Suspendierungswirkung auf die Arbeitspflicht beschränkt,81 knüpft man meist an den Rechtsgedanken des heutigen § 326 Abs. 1 BGB an,82 der freilich auf die kampfrechtlichen Besonderheiten zugeschnitten werden muss 83: ohne Arbeit, kein Lohn. Das Ergebnis steht auch ohne Paritätserörterung fest. Andererseits gebietet die Arbeitskampfrisikolehre die Anknüpfung an die Parität. Bei mittelbarer Streikbetroffenheit passen die §§ 275, 326 Abs. 1 BGB nicht. Das Betriebsrisiko hat grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen. Das ändert bei arbeitskampfbedingtem Arbeitsausfall erst die Arbeitskampfrisikolehre, die einen Vergütungsanspruch bei einer in typisierter Betrachtungsweise vorausgesetzten Beeinflussung des Hauptkampfs als Paritätsverletzung wertet. Wie dargelegt, lässt sich der Vergütungswegfall des streikenden Arbeitnehmers erst recht auf den Paritätsgedanken zurückführen.84 Anders als bei mittelbarer Kampfbetroffenheit läge in einem Vergütungsanspruch des streikenden Arbeitnehmers stets ein Eingriff in die Streikabwehr des Arbeitgebers im Hauptkampf. Der Paritätsverstoß ist dann eindeutig und bedarf keines Hinweises. Damit stimmt freilich die Verlagerung des streikbedingten Arbeitsausfalls von der Vergütungsebene auf die Berechnung des Arbeitszeitkontos durch 77 78 79 80 81 82 83 84
BAG AP Nr. 56 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; dazu Reichold JuS 1996, 1050. BAG (Fn. 9), Bl. 5. Vgl. etwa EuGH 18.3.1975 – Rs. 44, 46 und 49/74, Slg. 1975, 323. BAG (Fn. 9), Bl. 3. Seiter (Fn. 8), S. 234. Gamillscheg (Fn. 32), S. 1189. Seiter (Fn. 8), S. 234, 292 ff.; dazu Reichold JuS 1996, 1053. Vgl. oben II. 1. b) bb).
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eine Gleitzeitvereinbarung aus einer Reihe von Gründen nicht überein: Der Streik wird durch die Veränderung des Zeitkontos als solcher nicht vergütet, auch wenn die Gleitzeitregelung die Streikbereitschaft durchaus erhöhen kann. Der Arbeitgeber ist an der freiwilligen Betriebsvereinbarung beteiligt. Die Parität bezieht sich auf die Tarifparteien, so dass der Einfluss betrieblicher Maßnahmen und Regelungen nicht selbstverständlich ist. Schließlich ist von vornherein zweifelhaft, dass jeder Streik im Rahmen von Gleitzeitvereinbarungen, auch ein geringfügiger kurzer Ausstand in allenfalls wenigen Unternehmen, die Parität der Tarifparteien beeinträchtigen kann. Überdies führt der Paritätsgrundsatz selbst, wie beispielsweise die typisierte Betrachtungsweise des BAG in den Urteilen über die Aussperrungsquoten erweist,85 bei der Umsetzung zu erheblichen Schwierigkeiten. b) Paritätsgrundsatz und Vergütungsanspruch Die Parität im Arbeitskampf wird seit dem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 21.4.1971 als materielle Parität verstanden. Der Paritätsbegriff beschreibt die Verhandlungsparität der Tarifparteien, auf die die Kampfmittel auszurichten sind. Das Ziel sind prinzipiell gleiche Verhandlungschancen der Tarifparteien.86 In diesem Sinn ist die Parität, auch wenn im rauhen Klima von Sozialkonflikten Kritiker nicht fehlen, in das Tarif- und Kampfsystem fest integriert. Der 1. Senat bezieht sie seit langem auf Art. 9 Abs. 3 GG 87 und billigt ihr verfassungsrechtlichen Rang zu. Auch das BVerfG bekennt sich zu einer Arbeitskampfordnung, die am Verhandlungsgleichgewicht der Tarifparteien orientiert ist.88 Die Parität ist tarifbezogen. Die Kampfmittel sollen einen annähernd gleichgewichtigen Einfluss auf die Gestaltung des Tarifvertrags erreichen. Das Gewicht der beiderseitigen Kampfmaßnahmen wird von den Chancen und Risiken bestimmt, die bei Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen bedeutsam sind: Lohneinbußen, ausnahmsweise Arbeitsplatzverluste, Einkommensverluste, Generalunkosten, Marktanteilsverluste, das finanzielle Kampfpotential der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Konjunktur und die Lebenshaltungskosten.89 Diese Risiken sind über ein grobes Maß hinaus nicht vergleichbar und vor allem in den einzelnen Verhandlungs- und Kampfsituationen verschieden. Die Zulassung von Kampfmitteln durch den Staat basiert demgegenüber auf abstrakten Maßstäben. Die Parität ist – bezogen auf den Tarifsektor – materiell-abstrakt. 85 BAG Nr. 64, 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; dazu nur Konzen AfP 1984, 1 ff.; ders. FS 50 Jahre BAG (Fn. 2), S. 537. 86 BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 7 R. 87 BAG AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 4 R. 88 BVerfGE 84, 212, 229 f. 89 Dazu näher Konzen FS 50 Jahre BAG (Fn. 2), S. 532.
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Exakte Kriterien, mit denen im konkreten Fall ein Verstoß gegen den Paritätsgrundsatz festgestellt werden könnte, existieren nicht. Die Verhandlungskraft der Tarifparteien und ihre Gleichgewichtigkeit können nicht empirisch gemessen werden.90 Das BAG hat sich beim Verhältnis der Kampfmittel der Tarifverbände um den Paritätsgrundsatz allein bei der Aussperrung gekümmert. Der 1. Senat hat den Streik vorab außer Streit gestellt.91 Bei der Aussperrung behilft sich der Senat in der unglücklichen Quotenrechtsprechung bei der Prüfung der Parität mit „groben Erfahrungswerten“.92 Die Kritik daran bezieht sich konkret auf die Verkürzung und die einseitige Gewichtung der Paritätsfaktoren.93 Es ist aber an sich unvermeidlich, dass die Judikatur angesichts der gesetzgeberischen Enthaltsamkeit, aber auch der praktischen Aussichtslosigkeit, abstrakte Kriterien zu fixieren, die Maßstäbe in ihren Entscheidungen durch Konkretisierung des Paritätsgrundsatzes formulieren muss und sich dabei einer typisierenden Betrachtungsweise 94 bedient. Das BAG weigert sich – durchaus realistisch –, Grundsätze aufzustellen,95 erkennt aber an, dass sich der Richter der Sicherung des Verhandlungsgleichgewichts im konkreten Fall nicht entziehen könne.96 Es lehnt sich dabei jeweils eng an den beurteilten Sachverhalt an. Daraus resultiert, dass allgemeine, weiterführende Kriterien in der Judikatur rar sind. Maulshagen 97 hat nach deren Durchsicht hauptsächlich vermerkt, dass nicht jede beliebige Beeinflussung des Verhandlungsgleichgewichts ein Paritätsverstoß sei. Es muss sich um erhebliche Beeinflussungen handeln. Maulshagen ist außerdem sporadisch auf eine quantitative Betrachtungsweise gestoßen, die auch für Vergütungsansprüche bei Streiks innerhalb von Gleitzeitvereinbarungen interessant werden kann. Es geht dabei um Ansprüche nach § 44 Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG auf Zahlung für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung während eines Streiks. Der Beschluss vom 5.5.1987 hält die Betriebsversammlung, auf der man immerhin „Stimmung machen kann“, für zulässig und verneint eine Störung der Kampfparität, da die geringfügige Höhe der Zahlungen den Streikanreiz nicht nennenswert erhöhe.98 Immerhin ist daraus erkennbar, dass nicht jeder Vergütungsanspruch beim Streik die Parität stört. Fraglos sind die bezeichneten Kriterien spärlich. Für betriebliche Rechtsakte kann man zusätzlich an einen wertenden Vergleich mit der vorhandenen
90 91 92 93 94 95 96 97 98
Besonders pointiert Zöllner DB 1985, 2453. BAG (Fn. 87), Bl. 4 R. BAG (Fn. 87), Bl. 13 R. Vgl. näher Konzen AfP 1984, 4 f. Dazu auch Otto (Fn. 6), § 2 Rn. 71. BAG (Fn. 87), Bl. 14 R. Vgl. BAG AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 3. Maulshagen (Fn. 47), S. 171, 172 f. BAG AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, Bl. 4.
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Kasuistik zu Paritätsbeeinträchtigungen denken. Im Übrigen ist den Gerichten bei der Konkretisierung der Parität ein beträchtlicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Bei einschlägigen Präjudizien ist auf dem betrieblichen Sektor in erster Linie an die Einschränkung betrieblicher Beteiligungsrechte im Arbeitskampf zu denken, die das BAG im Beschluss über die Gleitzeit erwähnt, aber wegen der vorliegenden freiwilligen Betriebsvereinbarung nicht heranzieht.99 Diese Judikatur, die das BVerfG bei einer Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht beanstandet 100 und die der 1. Senat im neuesten Beschluss vom 10.12.2002 noch einmal zusammenfasst,101 erfasst arbeitskampfrelevante Einstellungen, Versetzungen und Kündigungen sowie die Anordnung von Überstunden und Eintragungen in Werksausweise zur Sicherung einer Aussperrung.102 Maßgeblich für diese Judikatur ist, dass wegen der streikbedingten Konfrontation zwischen Belegschaft und Arbeitgeber der Betriebsrat eine mögliche Abwehrmaßnahme vereiteln und zum Nachteil des Arbeitgebers in das Kampfgeschehen eingreifen könne.103 Darin erblickt das BAG, dem das Schrifttum im Ergebnis und in der Begründung 104 weithin folgt, einen Paritätsverstoß. Der erwähnte Beschluss vom 10.12.2002 nimmt allerdings Unterrichtungsansprüche des Betriebsrats über geplante Überstunden, Schichtverschiebungen, Einstellungen und Versetzungen sowie Fremdfirmeneinsätze aus. Nicht bei jeder Berührung einer Kampfmaßnahme mit betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten müssten letztere zurücktreten.105 Das BAG wägt zwischen der Koalitätsbetätigung und betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen ab. Grundsätzlich liegt sogar bei personellen Einzelmaßnahmen in der Vereitelung einer Streikabwehr durch die Ausübung betrieblicher Beteiligungsrechte ein Paritätsverstoß, nicht anders als bei der Zubilligung von Vergütungsansprüchen für den Streik schlechthin. Ausgenommen aber sind weniger „spürbare“ Beeinträchtigungen,106 die unter der Erheblichkeitsgrenze bleiben. Man fühlt sich auf dem Vergütungssektor an die „geringfügige“ Höhe der Vergütung für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Beschluss vom 5.5.1987 107 erinnert, die von der Vergütung für die ganze Belegschaft oder einen relevanten Teil von ihr während des
99
BAG (Fn. 28), Bl. 2, 2 R. BVerfG AP Nr. 11 zu Art. 100 GG. 101 BAG zu AP Nr. 59 zu § 80 BetrVG 1972, Bl. 3 R, 4. 102 BAG AP Nr. 13 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebs. 103 BAG (Fn. 101), Bl. 3. 104 Abweichend vor allem die Begründung mit der Neutralitätspflicht des Betriebsrats (§ 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG), die an dieser Stelle nicht diskutiert werden kann; dazu näher Kreutz GK-BetrVG, 8. Aufl. 2005, § 74 Rn. 32 mwN. 105 BAG (Fn. 101), Bl. 5; dazu kritisch Reichold NZA 2004, 247. 106 BAG (Fn. 101), Bl. 5 R, 6. 107 Fn. 98. 100
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gesamten Streiks unterschieden werden muss. Mit dieser Differenzierung liegen, da sich aus den von Maulshagen untersuchten Betriebsvereinbarungen über Notdienst- und Erhaltungsarbeiten, Anwesenheitsprämien und Maßregelungsverbote insoweit keine zusätzlichen Anhaltspunkte ergeben,108 zugleich die Wertungsgrundlagen für die Paritätsbeurteilung von Gleitzeitvereinbarungen fest. 2. Suspendierungswirkung und vergütete Arbeitsbefreiung Das Ausstempeln im Rahmen der Gleitzeitregelung, das nach dem Urteil des BAG vom 26.7.2005 eine Streikerklärung des Arbeitnehmers im Rechtssinne und damit eine suspendierende Wirkung des Streiks samt Vergütungswegfall verhindert und allein die Verrechnung der streikbedingten Ausfallzeit auf dem Zeitkonto bewirken soll, kontrastiert mit der Wirkung von Streiks, die regelmäßig in Fällen vergüteter Arbeitsbefreiung eintritt; beispielsweise bei einer Streikteilnahme während einer Erkrankung oder Betriebsräteschulung oder an Feiertagen. In solchen Fällen ist als gesicherte arbeitsrechtliche Erkenntnis davon auszugehen, dass die Vergütung auf Grund des „Befreiungstatbestands“ wegfällt, wenn der Arbeitnehmer während der vergüteten Arbeitsbefreiung an einem Streik teilnimmt.109 Nur wenn der Tatbestand der beschriebenen Arbeitsbefreiung die alleinige Ursache für das Entfallen der Arbeitsleistung, also „monokausal“ ist,110 besteht der Vergütungsanspruch. Deshalb führt die Beteiligung an einem legitimen Streik während dieser Phase zur Suspendierung der Arbeitspflicht und zum Vergütungswegfall. Nach dem Verständnis des BAG hat andererseits auch die Streikteilnahme nach einem Ausstempeln, auch wenn die Arbeit bei einem Zeitminus des Arbeitnehmers letztlich nachgeholt werden muss, zur Folge, dass der Ausfall auf Grund der Sollarbeitszeit zunächst vergütet wird. Der Streik ändert dann an der Vergütung und der Nachholbarkeit der Arbeit, die (auch) ein Recht des Arbeitnehmers und eine Obliegenheit des Arbeitgebers ist, die nachzuholende Arbeit zu ermöglichen, nichts. Darin liegt eine Wertungsdiskrepanz, die nur akzeptabel ist, wenn die Wertungen bei der vergüteten Arbeitsbefreiung auf die angeblich nur faktische Streikteilnahme nach einem Ausstempeln nicht übertragbar sind. Damit hat sich das Urteil vom 26.7.2005, das nur begrifflich die Streikerklärung am vorhergehenden Ausstempeln scheitern lässt, nicht befasst. Deshalb sind zunächst die erwähnten Befreiungstatbestände zu untersuchen, um abschließend Folgerungen für das Ausstempeln zu ziehen.
108 109 110
Maulshagen (Fn. 47), S. 34 ff., 205, 313 ff. Näher im nachfolgenden Text. Vorerst nur Belling/Hartmann ZfA 1994, 521.
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a) Zwecke vergüteter Arbeitsbefreiung und Streikteilnahme Die Fälle sind nicht einheitlich. Den Ausgangspunkt bilden objektive Leistungshindernisse wie die Entgeltfortzahlung bei Erkrankungen (§ 3 EFZG), bei der Zahlung an werdende Mütter wegen Beschäftigungsverboten (§ 11 MuSchG) und den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (§ 14 MuSchG) sowie bei arbeitsfreien Feiertagen (§§ 9 ArbZG, 2 EFZG). Dem Arbeitgeber wird in diesen Fällen das Vergütungsrisiko für eine objektive Leistungsstörung auferlegt. Das ist im Arbeitsvertragsrecht der Normalfall (§ 615 S. 3 BGB). Daneben tritt das Urlaubsentgelt (§§ 1, 11 BurlG). Es bildet mit dem Erholungsurlaub, der dem Gesundheitsschutz, der Leistungsfähigkeit und der Lebensfreude des Arbeitnehmers dient, eine untrennbare Einheit. Wieder einen anderen Zweck verfolgt die Entgeltfortzahlung für die an sich ehrenamtliche Wahrnehmung der Betriebsratsfunktionen (§ 37 Abs. 2, 3 sowie Abs. 6 und 7 BetrVG) und das Arbeitsentgelt des freigestellten Betriebsratsmitglieds (§§ 38, 37 Abs. 4 BetrVG). Vor allem § 37 Abs. 3 BetrVG, auf den bei Schulungsveranstaltungen in § 37 Abs. 6 BetrVG verwiesen wird, verdeutlicht die Anbindung der Zahlung an das Arbeitsentgelt. In diesen Fällen können die Arbeitnehmer regelmäßig am Streik teilnehmen. Das folgt, wie Seiter früh erkannt hat,111 aus ihrem individuellen Streikrecht. Skrupel hat das BAG nur beim Erholungsurlaub, bei dem es die einseitige Widerrufbarkeit des Urlaubs anzweifelt, ohne die Konsequenzen einer gleichwohl erfolgten Streikteilnahme deutlich zu nennen.112 Der Arbeitnehmer ist in solchen Fällen nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet. Er kann daher nicht durch die Vorenthaltung der Arbeitsleistung streiken, wohl aber aus Solidarität teilnehmen oder als Streikposten, Verteiler von Flugblättern oder im Streikbüro in der Streikorganisation tätig werden.113 Erforderlich ist jedoch eine eindeutige, mindestens konkludente Streikerklärung. Auch durch die Teilnahme an einem legitimen Streik tritt eine Befreiung von der Arbeitspflicht ein, allerdings durch Suspendierung und vor allem unter Wegfall der Vergütung. Daraus resultiert die Anschlussfrage nach den Folgen des Zusammentreffens („Doppelkausalität“) der Befreiungstatbestände mit dem Streik und der Konsequenz für die Vergütung. Das BAG und das Schrifttum beantworten sie, auch wenn vor allem das Verhältnis von Krankheits- bzw. Urlaubsrecht und Streik sonst manche Unstimmigkeit aufweist,114 ziemlich einhellig in der Weise, dass eine vergütete Arbeitsbefreiung nur eintrete, soweit deren Grund die alleinige Ursache
111
Seiter (Fn. 8), S. 300. BAG (Fn. 9), Bl. 4 R, 5. 113 Bengeldorf NZA 2006, 828; Kissel (Fn. 34), 46 Rn. 46; Plöhn SAE 2006, 202; Seiter (Fn. 8), S. 300. 114 Näher Seiter (Fn. 8), S. 300. 112
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(„monokausal“) für die Befreiung sei. Das gilt für Erkrankungen 115, die Beschäftigungsverbote werdender Mütter 116, den Feiertagslohn 117 und die Ausübung des Betriebsratsamtes 118, nach einem Teil des Schrifttums auch beim Erholungsurlaub.119 Die Streikerklärung führt dann zur Suspendierung des Arbeitsverhältnisses und zum Vergütungsverlust. Grundsätzlich ist auch eine Aussperrung dieses Personenkreises zulässig.120 Bisweilen ergibt sich das Postulat der alleinigen Ursache bereits aus der Interpretation von Vorschriften, beispielsweise bei Betriebsratsmitgliedern durch die Anbindung der Entgeltfortzahlung an das Arbeitsentgelt in § 37 Abs. 3 BetrVG. Wer als Arbeitnehmer streikt, verliert den Vergütungsanspruch, folgerichtig dann auch das streikende Betriebsratsmitglied. Es darf nicht besser und nicht schlechter gestellt werden als ein sonstiger Arbeitnehmer (§ 78 S. 2 BetrVG). Im Übrigen zeigt der Zweck der einschlägigen Vorschriften, dass der Arbeitgeber das Vergütungsrisiko grundsätzlich nur wegen der objektiven, vom Arbeitnehmer nicht herbeigeführten Leistungshindernisse tragen soll. Dass die Arbeitnehmer ein Streikrecht haben, ändert nichts. Denn dieses Recht ist gerade mit einem Vergütungswegfall gekoppelt. b) Erholungsurlaub und Streikteilnahme Das BAG bezweifelt allerdings im Urteil vom 26.7.2005 unter Hinweis auf Vorgängerentscheidungen im Ergebnis, dass der Vergütungswegfall auch bei einer Streikteilnahme während eines Erholungsurlaubs eintritt 121. Fraglos kann ein Arbeitnehmer auch im Urlaub an einer Streikkundgebung oder an der Streikorganisation teilnehmen. Die Bedenken des BAG richten sich nur darauf, ob darin im Rechtssinn eine Streikerklärung liegen und eine Suspendierung der Arbeits- und der Vergütungspflicht ausgelöst werden kann. Die entscheidende Frage ist, ob und mit welchen Folgen ein Streik, aber auch eine Aussperrung einen Urlaub unterbrechen kann. Das BAG hat zu Recht mehr-
115 BAG AP Nr. 114, 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Belling/Hartmann ZfA 1994, 520 ff.; Gamillscheg (Fn. 32), S. 1194; Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 17; Otto (Fn. 6), § 14 Rn. 16. 116 Belling/Hartmann ZfA 1994, 520 ff.; Gamillscheg (Fn. 32), S. 1194; Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 40; Otto (Fn. 6), § 14 Rn. 16. 117 BAG AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; AP Nr. 56, 57, 63 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Belling/Hartmann ZfA 1994, 520 ff.; Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 22 f. 118 BAG AP 114, 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Belling/Hartmann ZfA 1994, 520 ff.; Otto (Fn. 6) § 14 Rn. 18. 119 Vgl. vor allem Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 46 ff.; wie das BAG ErfK/Dieterich (Fn. 32), Art. 9 GG Rn. 210. 120 Zweifelhaft ist das wegen des Zwecks des Mutterschutzes bei der Aussperrung werdender Mütter, dazu Otto (Fn. 6), § 14, Rn. 17; anders BAG AP Nr. 14 zu § 14 MuSchG 1968; nicht gesichert auch bei Betriebsratsmitgliedern, die ihr Amt ausüben, also nicht streiken. Immerhin soll das Betriebsratsamt während eines Arbeitskampfs nicht ruhen. 121 BAG (Fn. 9), Bl. 4 R, 5.
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fach festgestellt, dass ein Arbeitskampf als solcher ohne individuelle Kampfteilnahme eine Beurlaubung nicht unterbricht,122 und bei einer Aussperrung bezweifelt, dass diese während des Urlaubs zur Suspendierung der Vergütungspflicht führe.123 Zumindest müsse dann der Urlaub nachgeholt werden können. Es hat in obiter dicta zugleich angezweifelt, dass ein Arbeitnehmer, um zu streiken, den Urlaub widerrufen und dessen spätere Gewährung verlangen könne.124 Das BAG hat aber nicht gefragt, ob der Urlaub zu vergüten oder nachzuholen ist, wenn der Arbeitnehmer gleichwohl am Streik teilnimmt. Auch dann ist die Streikbeteiligung vorrangig (Art. 9 Abs. 3 GG). Insoweit ist die Vergütung die Vorfrage, die Nachholbarkeit das Folgeproblem. Anders als bei der Aussperrung während des Urlaubs, bei der manches für eine Fortzahlung der Vergütung spricht, ist die Teilnahme am Streik freiwillig. Das spricht sowohl gegen die Vergütung als auch gegen die Nachholbarkeit. Der streikende Arbeitnehmer verwendet seinen Urlaub zum Streik. Wer den Urlaubszweck nicht wahrnimmt, hat auch in sonstigen Fällen kein Recht auf zusätzlichen Urlaub, und er ist bei der Vergütung nicht anders zu stellen als ein arbeitspflichtiger Arbeitnehmer, der durch den Streik den Nachteil eines Vergütungsverlustes erleidet.125 Die Streikbeteiligung während des Urlaubs ist daher kein Sonderfall. Sie ist nicht nur faktisch und kein Modell für eine nach Ansicht des BAG nur faktische Streikteilnahme nach einem Ausstempeln im Rahmen einer Gleitzeitvereinbarung.
V. Suspendierung und Vergütung bei Gleitzeitvereinbarungen 1. Gleitzeitvereinbarungen ohne Einbeziehung des Streiks Gleitzeitvereinbarungen, die Streiks nicht einbeziehen, sind von den zuvor ermittelten kampfrechtlichen Grundlagen nicht betroffen. In der Streikteilnahme liegt – jedenfalls wenn nicht vorher ausgestempelt worden ist – eine Streikerklärung. Die Wirkung des legitimen Streiks in Gleitzeitbetrieben unterscheidet sich nicht von der bei starrer Arbeitszeit: Suspendierung der Arbeitspflicht und Wegfall der Vergütung. So wie bei starrer Arbeitszeit die Arbeit während des Streiks ausfällt, reduziert sich bei Gleitzeit die Sollarbeitszeit, nach der zu vergüten ist. Auch die Auslegung der Gleitzeitvereinbarung durch die eingangs zitierten Entscheidungen des 1. Senats überzeugt. Der Zweck der Gleitzeit liegt in der Ermöglichung der Freizeit-, Fortbildungs122
BAG AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG, Bl. 1; AP Nr. 58 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG,
Bl. 2. 123
BAG AP Nr. 58 (Fn. 122), Bl. 2. BAG AP Nr. 58 (Fn. 122), Bl. 2; AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 3 R; offen gelassen in AP Nr. 16 (Fn. 122), Bl. 1. 125 Näher Kissel (Fn. 34), § 46 Rn. 47. 124
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und Kommunikationsinteressen.126 Diesen Interessen entspricht der typische Inhalt einer Gleitzeitvereinbarung. Der Streik, dessen Folgen die Interpretation staatlicher Normen ergibt, ist regelmäßig weder bedacht worden, noch einer zweckgerechten Auslegung zu entnehmen. Dass der Arbeitgeber, den als Vertragspartei bei Zeitrückständen die Obliegenheit trifft, die Arbeit zu ermöglichen, eine Flexibilisierung auch für den Streik gewähren will, lässt sich nicht unterstellen. Eine Einbeziehung des Streiks müsste daher eindeutig sein. 2. Einbeziehung des Streiks und Paritätsgrundsatz Bei der Einbeziehung von Streiks kommt es entscheidend auf den Paritätsgrundsatz an. Dieser hat Verfassungsrang. Eine Betriebsvereinbarung beruht auf nachgeordnetem Recht und ist deshalb am Paritätsgrundsatz zu messen, der allerdings konkretisierungsbedürftig ist. Das BAG hat daher in anderen Fällen eine Abwägung vorgenommen und zwischen einer geringeren und einer größeren Belastung unterschieden.127 Dasselbe schwebt dem Urteil vom 26.7.2005 vor, das nach der Zahl der streikenden Arbeitnehmer und der Dauer des Streiks differenzieren möchte.128 Der Maßstab, der den Paritätsgrundsatz konkretisiert, überzeugt. Die Arbeit ist grundsätzlich nachzuholen oder zu verrechnen. § 326 Abs. 1 BGB passt nicht völlig. Bei einer hohen und dauerhaften Streikbeteiligung werden aber trotz des Verrechnungsmodells die paritätsrelevanten Kampfrisiken des Arbeitgebers nicht geringer. Je größer die Belastung durch den Streik ist, desto größer ist ohne die Suspendierungswirkung die Beeinträchtigung der Kampffreiheit des Arbeitgebers. Umso mehr nähert sich der Streiktatbestand § 326 Abs. 1 BGB an, aus dem prinzipiell der Wegfall der Vergütung der streikenden Belegschaftsmitglieder abgeleitet wird. Mehr als diese vage Aussage ist indessen abstrakt nicht möglich. Dennoch ist der Standpunkt des BAG ungenau. Es geht nämlich nicht um die Durchführung des Streiks,129 sondern um die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Sie ist unwirksam, wenn sie eine höhere Streikbeteiligung und eine längere Dauer ermöglicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die Gleitzeitvereinbarung sonstige einschränkende Kriterien bei der freien Gestaltung der Arbeitszeit enthält. Die Unwirksamkeit verhindert dann bei einer Streikteilnahme die Verrechnung auf dem Zeitkonto. 3. Streikteilnahme nach Ausstempeln Soweit durch das vorherige Ausstempeln eine – dann faktische – Streikteilnahme wirklich in eine Gleitzeitvereinbarung einbezogen werden kann, ist ganz wie bei der eindeutigen Einbeziehung des Streiks die Beeinträchtigung 126 127 128 129
Vgl. oben II. 2. Vgl. oben IV. 1. b. BAG (Fn. 9), Bl. 5. Vgl. aber BAG (Fn. 9), Bl. 5.
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der Parität zu prüfen. Vorab ist aber kritisch zu fragen, ob das Ausstempeln auch beim nachfolgenden Streik die Verlagerung von der Vergütungs- auf die Verrechnungsebene bewirken kann. a) Vergütete Arbeitsbefreiung und Ausstempeln Dabei ist der Vergleich mit den Fällen der vergüteten Arbeitsbefreiung weniger ertragreich, als es einem Teil des Schrifttums erscheint. In diesen Fällen bezweckt das Gesetz, den Arbeitgeber das Vergütungsrisiko für den Arbeitsausfall wegen objektiver Leistungshindernisse, Erholungsurlaubs, oder Ausübung des Betriebsratsamts tragen zu lassen. Beruht der Arbeitsausfall nicht auf diesen Gründen, sondern wird gestreikt, so besteht kein Grund, das Vergütungsrisiko beim Arbeitgeber zu belassen. Das Ausstempeln auf Grund einer Gleitzeitvereinbarung unterscheidet sich davon in einigen Punkten. Insofern ist allerdings nicht bedeutsam, dass das Ausstempeln die Folgen des Ausfalls nur auf die Verrechnungsebene verlagert. Es wäre durchaus denkbar, diese Verlagerung wegen des Streiks zu korrigieren. Zu beachten ist aber, dass der Arbeitgeber eine Partei der Betriebsvereinbarung ist und der Arbeitnehmer die Arbeitsbefreiung zum Zweck des Streiks selbst herbeiführt. Dabei ist der erste Punkt ausschlaggebend. Soweit der Sinn der Betriebsvereinbarung – wie bei einer eindeutigen Einbeziehung – wirklich die Streikteilnahme durch Ausstempeln ermöglichen soll, ist die Verlagerung auf die Verrechnungsebene auch beim Streik vom Willen des Arbeitgebers gedeckt. b) Ausstempeln und Zweck der Gleitzeitvereinbarung Der entscheidende Punkt liegt indessen in der bislang übersehenen Vorfrage, ob eine Gleitzeitvereinbarung ein Ausstempeln zum Zweck der Streikbeteiligung überhaupt deckt. Nach dem Wortlaut der Vereinbarungen ist der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Arbeitszeit in den geregelten Grenzen schlechthin frei. Das hat freilich dazu beigetragen, die inhaltliche Begrenzung beim Zweck der Gleitzeitregelung nicht zu beachten: Wenn auch nach Ansicht des 1. Senats die Gleitzeitvereinbarung den Streik nicht einbezieht,130 dann kann ein auf diese gestütztes Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers auch keine Erweiterung vornehmen. Der Zweck der Regelung begrenzt stets das vom Wortlaut gedeckte Recht. Deshalb kann das Ausstempeln nicht zur Einbeziehung des Streiks in die Gleitzeitvereinbarung führen. Ein Streik hat daher suspendierende Wirkung mit der Konsequenz des Vergütungsverlustes. Es gibt bei Gleitzeitvereinbarungen keine nur faktische Streikteilnahme. Streik ist Streik.
130
Näher dazu II. 1. b) aa).
Standortbezogene Arbeitskämpfe und betriebliche Mitbestimmung Rüdiger Krause I. Einführung Der Arbeitskampf, vor einigen Jahren bereits voreilig zum Auslaufmodell erklärt,1 hat sich lautstark zurückgemeldet. Ärzte, Metaller, Lokführer: In einer Reihe von Branchen nutzt die Arbeitnehmerseite nach wie vor den Streik als Instrument zur Lösung von Tarifkonflikten. Es verwundert daher nicht, dass auch das Arbeitskampfrecht als klassische Domäne des Richterrechts keine absterbende Materie ist, sondern sich im Gegenteil höchster Vitalität erfreut. War im Anschluss an die beiden Urteile des BAG aus den Jahren 2002 und 2003 zum Verhältnis zwischen Tarifträgerschaft auf Arbeitgeberseite und Streikrecht 2 zumindest auf der höchstrichterlichen Ebene vorübergehend eine gewisse Ruhe eingekehrt,3 hat der Erste Senat das Arbeitskampfrecht im Jahr 2007 durch zwei wuchtige Paukenschläge im Abstand von nur wenigen Wochen wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Nachdem zunächst Streiks zur Durchsetzung von Tarifverträgen mit sozialplanähnlichen Inhalten ungeachtet der Forderungshöhe für grundsätzlich zulässig erklärt worden sind,4 wurde schon kurze Zeit später die Statthaftigkeit von Unterstützungsarbeitskämpfen gegenüber der früheren Judikatur deutlich erweitert 5.
1 Heinze NZA 2001, 1, 5. In diesem Sinne auch Loritz FS 50 Jahre BAG (2004), S. 557, 575: „ungeeignetes Instrumentarium“, „anachronistisch“. 2 Vgl. BAG 10.12.2002, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 134 (Streik um Firmentarifvertrag gegen verbandsangehörigen Arbeitgeber); BAG 18.2.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135 (Streik um Anschlusstarifvertrag gegen nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber), verfassungsrechtlich gebilligt durch BVerfG 10.9.2004, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 136. 3 BAG 26.7.2005, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 170 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137, betraf nur die untergeordnete Frage der Qualifikation von Warnstreikzeiten im Rahmen eines betrieblichen Zeiterfassungssystems. 4 BAG 24.4.2007, AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 139. 5 BAG 19.6.2007, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 173 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 140.
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Beide neueren Urteile des BAG lassen die Tendenz erkennen, den für das deutsche Arbeitskampfrecht charakteristischen hohen Grad an Verrechtlichung 6 zurückzuschrauben und die durch eine Fülle subtiler Rechtssätze 7 aufgestellten erheblichen Hürden für die Zulässigkeit von Kampfmaßnahmen im Namen der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG zu verringern.8 Dass dieser an sich liberale Ansatz, der durch einen Rückzug richterlicher Intervention auf das freie Spiel der Kräfte baut, nicht allseits goutiert wird, versteht sich von selbst. Dabei gehört es zu den Eigentümlichkeiten der Debatte, dass in der generellen Frage, ob dem Arbeitsrecht mehr oder weniger Regulierung gut tut, viele Diskussionsteilnehmer eilends die Fronten wechseln, sobald es um das Arbeitskampfrecht geht. Wer den Rückbau der richterrechtlichen Einhegung industrieller Beziehungen aus freiheitsrechtlichen Gründen befürwortet und sich hierfür auf ausländische Arbeitsrechtsordnungen berufen kann, die dem Arbeitskampf traditionell weniger enge Fesseln anlegen,9 muss sich freilich vor Augen führen, dass Tarifautonomie und Arbeitskampf nur die eine Säule der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen bilden, neben die schon seit über einhundert Jahren die ebenfalls hochgradig verrechtlichte betriebliche Mitbestimmung als zweite Säule tritt. Wer in einem Teilbereich das Verrechtlichungsniveau vermindert und damit vor allem den Freiraum der Gewerkschaften zur autonomen Kraftentfaltung erweitert, legt sicher nicht gleich die Axt an das gesamte System. Rückwirkungen auf andere Bereiche des kollektiven Arbeitsrechts sind aber nicht auszuschließen und müssen zumindest mitbedacht werden. Hierzu gehört die Frage, wie sich die Rechtsregeln für standortbezogene Arbeitskämpfe auf die betriebliche Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten auswirken, ob also beide Subsysteme völlig getrennt nebeneinander stehen oder ob und welche Interferenzen es gibt. Der Erste Senat hat sich in seinem Urteil zu „Tarifsozialplänen“ bekanntlich dagegen ausgesprochen, aus den §§ 111 ff. BetrVG eine wie auch immer geartete Einschränkung gewerkschaftlicher Kampfbefugnisse zu folgern.10 Da der grundsätzliche 6 Zur Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen umfassend Simitis in: Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 73ff.; zu den bereits im Kaiserreich gelegten Wurzeln des Verrechtlichungsprozesses Ramm FS Mallmann, 1978, S. 191, 211; Reichold ZfA 1990, 5, 25 f.; siehe auch Voigt in: ders. (Hrsg.), Verrechtlichung, 1980, S. 13 ff.; Moritz ebenda, S. 170 ff. 7 So die Charakterisierung durch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, § 20 I 1, S. 912. Siehe auch Säcker GMH 1972, 277, 278: „engmaschige Spielregeln“; ebenso Konzen AcP 177 (1977), 473, 480 f. 8 Dagegen hält sich die Anwendung einer Maßregelungsklausel auf eine tarifliche Sonderzahlung in BAG 13.2.2007, AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 18 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 138, in konventionellen Bahnen. 9 Rechtsvergleichende Umschau bei Jeschke Der europäische Streik, 2006, S. 77 ff. 10 Vgl. Fn. 4. Zur nicht beschränkten Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zuvor bereits BAG 6.12.2006, AP TVG § 4 Sozialplan Nr. 1 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 21.
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Vorrang der Tarifautonomie vor der Betriebsautonomie oder doch zumindest das Nebeneinander beider Autonomien eindeutig sowohl verfassungsrechtlich garantiert (Art. 9 Abs. 3 GG) als auch einfachgesetzlich normiert (§§ 2 Abs. 3, 74 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 2, 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Einleitungssatz, 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG) ist, konnte das BAG insoweit schlechterdings nicht anders entscheiden. Verwundern kann im Nachhinein lediglich, dass eine nicht geringe Zahl an Arbeitsrechtlern 11 diesen simplen Befund verkannt hat. Dieser Vorrang wirft indes die Frage auf, ob nicht umgekehrt die betriebliche Mitbestimmung zurückzutreten hat, wenn und soweit sie die tarifautonome Steuerung standortbezogener Fragen stören sollte.12 Der Erste Senat hat insoweit unterschiedliche Signale ausgesandt: Einerseits heißt es in der Entscheidung unvermittelt, dass es bei den Befugnissen des Betriebsrats nach §§ 111, 112 BetrVG und der Erzwingbarkeit betrieblicher Sozialpläne verbleibe.13 Andererseits verweist er auf seine ständige Rechtsprechung, nach der die Kampfparität durch Einschränkungen der Beteiligungsrechte des Betriebsrats gewahrt werde.14 In diesem Sinne ist im Anschluss an das Urteil des Ersten Senats sogleich die These aufgestellt worden, dass die §§ 111 ff. BetrVG während eines Streiks um einen Sozial(plan)tarifvertrag umfassend suspendiert würden.15 Ob und inwieweit diese Ansicht zutrifft, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen, die ich dem Jubilar als einem großen Kenner des Arbeitskampfrechts,16 der vom akademischen Lehrer zum älteren Freund geworden ist, in herzlicher Verbundenheit und in Dankbarkeit für die stets wohlwollende Förderung widme.
II. Dogmatische Grundlagen Zwei Eckpunkte stehen nach einhelliger oder doch überwiegender Ansicht fest: Auf der einen Seite wird der Betriebsrat während der „kritischen Zeitspanne“ eines Arbeitskampfes nicht „funktionsunfähig“.17 Die in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zur herrschenden Lehre 11
Z.B. Lobinger in: Rieble (Hrsg.), Zukunft des Arbeitskampfes, 2005, Rn. 46ff.; Nicolai RdA 2006, 33, 35 ff.; Reichold BB 2004, 2814, 2817 f.; Rolfs/Clemens NZA 2004, 410, 416; Schiefer/Worzalla DB 2006, 46, 47; ebenso immer noch Melot de Beauregard NZA-RR 2007, 393 f.; Säcker AG 2008, 17, 23 ff. 12 Hierfür spielt es keine Rolle, ob dieser Vorgang als Entrechtlichung oder als Bildung einer Zusatzregel und damit letztlich als (weitere) Verrechtlichung anzusehen ist. 13 Vgl. Fn. 4 (Rn. 84). 14 Vgl. Fn. 4 (Rn. 89). 15 Willemsen/Stamer NZA 2007, 413 ff.; ansatzweise auch Bayreuther NZA 2007, 1017, 1020 f.; Gaul RdA 2008, 13, 22; Henssler FS Richardi, 2007, S. 553, 557; Kappenhagen/ Lambrich BB 2007, 2238, 2240; Lipinski/Ferme DB 2007, 1250, 1252; Löwisch, DB 2005, 554, 559; Säcker AG 2008, 17, 25; Schneider/Sittard ZTR 2007, 590, 595 f. 16 Vgl. nur Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 2006. 17 Grdl. BAG (GS) 21.4.1971, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43 = EzA Art. 9 GG Nr. 6.
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aufgerückte These von der Suspendierung sämtlicher Beteiligungsrechte des Betriebsrats 18 wird schon seit längerem nicht mehr vertreten. Auf der anderen Seite muss sich die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf nach ständiger Rechtsprechung 19 und mehrheitlicher Auffassung im Schrifttum 20 Einschränkungen gefallen lassen. Dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, diese Frage ausdrücklich zu regeln, ist der grundsätzlichen Abstinenz gegenüber einer Regelung des Arbeitskampfrechts geschuldet, stellt aber entgegen einer starken Mindermeinung 21 keine gesetzgeberische Entscheidung dar, die Beteiligungsrechte des Betriebsrat während eines Arbeitskampfes unberührt zu lassen. Verfassungsrechtlich bestehen gegen eine richterrechtlich verfügte Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung deshalb unter dem Aspekt der Gesetzesbindung der Judikative keine Bedenken.22 Das BVerfG hat der herrschenden Ansicht daher zu Recht verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit attestiert.23 In methodischer Hinsicht handelt es sich um eine teleologische Reduktion, wobei die Limitierung allerdings nicht durch das Telos der Beteiligungsrechte selbst, sondern durch arbeitskampfrechtliche Prinzipien und damit durch externe Wertungen gerechtfertigt ist.24 Dass die Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG keinen Anspruch darauf haben, dass der Gesetzgeber zu ihrer Unterstützung dem Arbeitgeber durch die Bindung von Kampfmaßnahmen an die Mitwirkung des Betriebsrats in den Arm fällt, ist schließlich so selbstverständlich, dass das BVerfG hierzu mit Recht kein Wort verloren hat. Soweit es um die Begründung und Umsetzung der Einschränkung der Beteiligungsrechte geht, konkurrieren ernsthaft nur der betriebsverfassungsrechtliche und der arbeitskampfrechtliche Erklärungsansatz, während die
18 Vgl. etwa Dietz, BetrVG, 4. Aufl., 1967, § 22 Rn. 32a, § 24 Rn. 15; E. Molitor BB 1955, 454, 455; Neumann-Duesberg Betriebsverfassungsrecht, 1960, S. 146 f. 19 Siehe vorerst nur BAG 10.12.2002, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 59 = EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 1 m.w.N. 20 Statt vieler siehe zunächst nur Kissel Arbeitskampfrecht, 2002, § 36 Rn. 54 f. m.w.N. in Fn. 113 u. 114. 21 Berg in: Däubler/Kittner/Klebe (Hrsg.), BetrVG, 11. Aufl., 2008, § 74 Rn. 20; Colneric in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1987, Rn. 664 ff.; U. Mayer BB 1990, 2482, 2488; Weiss AuR 1982, 265, 266 ff.; Wolter AuR 1979, 333, 335 ff.; ausführlich Jahn Die Beteiligung des Betriebsrats bei arbeitskampfbedingten Maßnahmen des Arbeitgebers, 1993, S. 165 ff. 22 Eingehend Jansen Die betriebliche Mitbestimmung im Arbeitskampf, 1999, S. 113 ff.; a.A. Bieback/Mayer AuR 1982, 169, 170 ff.; Bobke BlStSozArbR 1980, 127, 132 f. 23 BVerfG 7.4.1997, AP GG Art. 100 Nr. 11 = EzA § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 2. 24 Näher Jansen (Fn. 22), S. 123 ff.; zur Zulässigkeit einer teleologischen Reduktion aufgrund des Zwecks einer anderen Norm bzw. eines anderen Rechtsgebiets Canaris Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl., 1983, S. 155; Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., 1995, S. 210 ff.; Pawlowski Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl., 1999, Rn. 493 ff.
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Hinweise auf mögliche Interessenkollisionen 25 sowie eine mögliche „Überforderung“ des Betriebsrats 26 zu unspezifisch sind, um daraus Begrenzungen der betrieblichen Mitbestimmung ableiten zu können. Der von einer Reihe von Autoren vertretene betriebsverfassungsrechtliche Ansatz sieht das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG als sedes materiae an.27 Das Spannungsverhältnis zwischen betrieblicher Mitbestimmung und Arbeitskampfrecht soll also gleichsam betriebsverfassungsrechtsendogen aufgelöst werden. Hiergegen spricht indes dreierlei: Erstens lässt sich die Ausübung von Beteiligungsrechten nicht als (verbotene) unzulässige Kampfmaßnahme qualifizieren. Zweitens enthält § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG hinsichtlich der Wahrnehmung von betrieblichen Mitbestimmungsrechten nur eine Ausübungsschranke, indem sie eine neutrale Haltung des Betriebsrats verlangt, so dass die Vorschrift keine Grundlage für einen Fortfall von Beteiligungsrechten liefert. Drittens geht es bei Abstimmung von Betriebsverfassungsrecht und Arbeitskampfrecht nicht darum, die Binnenbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat arbeitskampffrei zu halten. Vielmehr steht die Frage zur Debatte, ob Beteiligungsrechte deshalb weichen müssen, um den Arbeitgeber in seinem Verhältnis zur streikführenden Gewerkschaft nicht in einer paritätsstörenden Weise zu behindern.28 Überzeugend ist daher allein der arbeitskampfrechtliche Ansatz, den das BAG im Anschluss an Reuter 29 schon in den siebziger Jahren entwickelt hat und den es seither in ständiger Rechtsprechung 30 unter Zustimmung der
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Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 371; ders. RdA 1979, 393, 397. Brill DB 1979, 403, 404. 27 Fitting BetrVG, 24. Aufl., 2008, § 74 Rn. 20 ff.; Heinze DB 1982, Beilage Nr. 23, S. 5 ff.; v. Hoyningen-Huene Betriebsverfassungsrecht, 5. Aufl., 2002, S. 215 f.; Jahnke ZfA 1984, 69, 87ff.; Kraft, FS G. Müller, 1981, S. 265, 270ff.; GK-BetrVG/Kreutz Bd. II, 8. Aufl., 2005 § 74 Rn. 72 ff.; Wiese NZA 1984, 378, 380 f.; ausführlich Hässler Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Arbeitskampf, 1992, S. 53 ff. 28 Näher bereits Krause Anm. zu BAG, EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 1 (unter II). 29 AuR 1973, 1, 5 ff. 30 BAG 14.2.1978, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 57 = EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 19; BAG 14.2.1978, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 58 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 22; BAG 6.3.1979, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 20 = EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 40; BAG 24.4.1979 AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 63 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 34; BAG 22.12.1980, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 70 = EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 7; BAG 22.12.1980, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 71 = EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 8; BAG 16.12.1986, AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 13 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 64; BAG 26.1.1988, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 31 = EzA § 80 BetrVG 1972 Nr. 32; BAG 10.2.1988, AP BetrVG 1972 § 98 Nr. 5 = EzA § 98 BetrVG 1972 Nr. 4; BAG 19.2.1991, AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 26 = EzA § 95 BetrVG 1972 Nr. 24; BAG 30.8.1994, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 132 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 116; BAG 10.12.2002, AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 59 = EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 1. 26
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überwiegenden Lehre 31 vertritt. Ausgangspunkt dieser Konzeption ist der das gesamte Arbeitskampfrecht überwölbende Grundsatz der Kampfparität, die für eine funktionierende Tarifautonomie als Kern der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG von elementarer Bedeutung ist, weil nur bei einem annähernden Gleichgewicht der Verhandlungsparteien ein ausgewogener Tarifinhalt zu erwarten ist.32 Die Koordinierung von betrieblicher Mitbestimmung auf der einen und Arbeitskampfrecht auf der anderen Seite ist somit im Ansatz in der Weise vorzunehmen, dass die Beteiligungsrechte zurückzuweichen haben, wenn und soweit sie die Kampfparität beeinträchtigen. Freilich ist schon an dieser Stelle zu betonen, dass die Wahrung der Kampfparität kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel ist, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern. Sofern die Tarifautonomie durch die betriebliche Mitbestimmung in Mitleidenschaft gezogen wird, wäre deshalb auch dann eine Begrenzung von Beteiligungsrechten in Betracht zu ziehen, wenn dies nicht durch spezifisch paritätsbezogene Aspekte geboten ist.
III. Tatbestandliche Restriktionen? Zu einem Konflikt zwischen Arbeitskampfrecht und betrieblicher Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten kann es nur dann kommen, wenn die Maßnahmen des Arbeitgebers als Betriebsänderungen im Sinne der §§ 111ff. BetrVG zu qualifizieren sind. Daher ist zunächst denjenigen Ansätzen Aufmerksamkeit zu schenken, die das Spannungsverhältnis von vornherein dadurch zu entschärfen versuchen, dass sie bereits den Tatbestand einer Betriebsänderung verneinen. So soll nach Ansicht von Colneric kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats bestehen, wenn der Arbeitgeber die Betriebsänderung auf die Dauer des Arbeitskampfes beschränke.33 In einer solchen Situation entfalle nämlich die 31 Brox in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982, Rn. 441; Eich DB 1979, Beilage Nr. 9, S. 2; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, § 28, 1 d (1), S. 1278; Kissel (Fn. 20), § 36 Rn. 56; Krummel BB 2002, 1418 f.; Lieb NZA 1990, 377, 383; Reichold NZA 2004, 247, 250; Richardi FS 10 Jahre Deutsche Richterakademie, 1983, S. 111, 115 f.; für eine Kumulation von arbeitskampfrechtlicher Kampfparität und betriebsverfassungsrechtlicher Friedenspflicht als Grundlagen für eine Einschränkung von Mitwirkungsbefugnissen MayerMaly BB 1979, 1305, 1312; im Erg. ähnlich MünchArbR/Matthes Bd. 3, 2. Aufl., 2000, § 331 Rn. 15 ff., der zwar den Paritätsgedanken für unerheblich hält, aber alle arbeitskampfrelevanten Entscheidungen des Arbeitgebers mitbestimmungsfrei halten will. 32 Siehe dazu nur BVerfG 26.6.1991, BVerfGE 84, 212, 229 f. = AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 117 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97; ferner Kissel (Fn. 20), § 32 Rn. 1 ff.; Otto (Fn. 16), § 2 Rn. 60 ff. jeweils m.w.N.; zum Zusammenhang zwischen Paritätsprinzip und tarifvertraglicher Richtigkeitsgewähr auch Enderlein RdA 1995, 264, 266 ff., 273 f.; abl. aber Däubler (Fn. 21), Rn. 105l ff. 33 Colneric, in: Däubler (Fn. 21), Rn. 743.
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an sich eingreifende unwiderlegliche Vermutung, dass eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 3 BetrVG wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer zur Folge habe.34 Die von Colneric ins Auge gefassten Konstellationen stellen indes von vornherein keine Betriebsänderung dar. Sowohl eine Stilllegung als auch eine Einschränkung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen liegen nämlich nur dann vor, wenn die Maßnahme auf Dauer oder zumindest auf nicht absehbare Zeit angelegt ist.35 Eine vorübergehende Produktionsunterbrechung ist dagegen ohne Rücksicht auf ihre Ursache bereits begrifflich keine Betriebsänderung,36 so dass eine auf spezifisch arbeitskampfrechtliche Aspekte gestützte Einschränkung des Tatbestandes entbehrlich ist.37 Es ist daher schon fast abenteuerlich, aus der vom BAG 38 gegen den nahezu einhelligen Widerstand der Literatur 39 entwickelten Rechtsfigur der – selbstverständlich mitbestimmungsfreien 40 – Betriebsstilllegung als Reaktion auf einen Streikaufruf zu schließen, dass auch eine dauerhafte Betriebsschließung mitbestimmungsfrei zu bleiben hat.41 Die „kleine Schwester“ der Aussperrung stellt offenkundig keine Betriebsänderung dar, so dass etwaige Parallelen jeglicher Grundlage entbehren.42 Fabricius hatte die Beteiligungsrechte des Betriebsrats seinerzeit mit der Begründung in Abrede gestellt, dass es an einer Planung der Betriebsänderung seitens des Unternehmers fehle, wenn die Betriebsänderung durch die Arbeitnehmer erzwungen werde.43 In den hier interessierenden Fällen standortbezogener Arbeitskämpfe kommt dieser Gedanke allerdings von vornherein nicht zum Tragen, weil gerade die unternehmerischen Planungen erst den Auslöser für die gewerkschaftlichen Maßnahmen bilden. Darüber hinaus dürfte es auch sonst ausgeschlossen sein, dass es auf der Unternehmerseite an jeglichen Planungen über das künftige Schicksal des Betriebs fehlt.44 Im
34 Zur Vermutungswirkung grdl. BAG 17.8.1982, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 11 = EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 14; ausführlich ferner GK-BetrVG/Oetker Bd. II, § 111 Rn. 38 ff. 35 GK-BetrVG/Oetker Bd. II, § 111 Rn. 59. 36 Däubler in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 111 Rn. 41; Fitting BetrVG, § 111 Rn. 72; GK-BetrVG/Oetker Bd. II, § 111 Rn. 60. 37 Jahn (Fn. 21), S. 120 f. 38 Vgl. BAG 22.3.1994, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 130 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 115. 39 Siehe nur Otto (Fn. 16), § 11 Rn. 20 ff. m.w.N.; zust. jedoch Gamillscheg FS Blanpain, 1998, S. 735, 741 ff.; tendenziell auch Hanau DB 1998, 69, 78. 40 Caspers AR-Blattei SD 170.4, 2005, Rn. 53; Otto (Fn. 16), § 16 Rn. 76; Richardi BetrVG, 10. Aufl., 2006, § 87 Rn. 380. 41 So aber Willemsen/Stamer NZA 2007, 413, 415. 42 Wäre das Bild nicht mittlerweile so abgedroschen, würde man wieder von Äpfeln und Birnen sprechen wollen. 43 GK-BetrVG/Fabricius Bd. II, 6. Aufl., 1998, § 111 Rn. 349; in diese Richtung offenbar ferner Richardi/Annuß BetrVG, § 111 Rn. 31. 44 In diesem Sinne auch Kissel (Fn. 20), § 36 Rn. 87.
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Übrigen haften dieser Sichtweise noch die Eierschalen der schon lange überwundenen Sphärentheorie an, nach der sich sämtliche Arbeitnehmer alle Umstände zurechnen lassen müssen, sofern diese auf das Handeln von Arbeitnehmern zurückzuführen sind.45 Daher können auch diejenigen Stimmen nicht überzeugen, die zwar nicht formal bereits am Tatbestand anknüpfen, die Sozialplanpflichtigkeit im Ergebnis aber ebenfalls pauschal einfach deshalb verneinen wollen, weil die Betriebsstilllegung ursächlich auf einem Streik beruht.46 In diesem Sinne ist das BAG wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die §§ 111ff. BetrVG anwendbar bleiben, wenn bei einem Betriebsübergang eine Vielzahl von Arbeitnehmern von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch macht und der Betriebsveräußerer deshalb einen Personalabbau durchführen muss, der die maßgeblichen Schwellenwerte des § 112a BetrVG erreicht.47 Sollte es tatsächlich einmal dazu kommen, dass ein Streik zur Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen führt, den bzw. die der Unternehmer an sich hätte fortführen wollen, bleibt immer noch die Möglichkeit, diesen Umstand bei der Bemessung der Sozialplanleistungen zu berücksichtigen und Abfindungen gegebenenfalls sogar auf Null zu reduzieren.48 Mit einer Restriktion des Tatbestandes ist dem Spannungsverhältnis zwischen Arbeitskampfrecht und betrieblicher Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten somit nicht beizukommen.
IV. Interessenausgleich und Nachteilsausgleich Eine im Schrifttum verbreitete Auffassung nimmt an, dass bei kampfbedingten Betriebsänderungen, zu denen wohl nur Stilllegungen bzw. Einschränkungen des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen gehören dürften, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 111ff. BetrVG entfallen.49 Der Betriebsrat habe also keinen Anspruch auf Unterrichtung und Beratung, so dass der Unternehmer die Betriebsänderung ohne
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Ebenso in der Einschätzung Jahn (Fn. 21), S. 120. So etwa Brox (Fn. 31), Rn. 462; Eich DB 1979, Beilage Nr. 9, S. 4; wohl auch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, § 28, 2e, S. 1286. Diese Fallgruppe der Betriebsänderung als bloße Folge eines Arbeitskampfes ist nicht zu verwechseln mit der sogleich anzusprechenden Fallgruppe der Betriebsänderung als Arbeitskampfmaßnahme selbst. 47 BAG 13.7.2006, AP BGB § 613a Nr. 311 (Rn. 25); ebenso Gaul/Otto DB 2005, 2465, 2466. 48 So auch Colneric in: Däubler (Fn. 21), Rn. 743; Hässler (Fn. 27), S. 173 f.; Heinze DB 1982, Beilage Nr. 23, S. 20; Jahn (Fn. 21), S. 127; Jansen (Fn. 22), S. 240. 49 Richardi/Annuß BetrVG, § 111 Rn. 31; Brox (Fn. 31), Rn. 462; Caspers, AR-Blattei SD 170.4, 2005, Rn. 58; Eich DB 1979, Beilage Nr. 9, S. 4; Kissel (Fn. 20), § 36 Rn. 88; Kraft FS G. Müller (1981), S. 265, 278 f.; Reuter, AuR 1973, 1, 7 f. 46
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Mitwirkung des Betriebsrats durchführen könne, ohne einem Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG ausgesetzt zu sein. Allerdings soll das Unternehmen nach einem Teil der Literatur nach dem Ende des Arbeitskampfes verpflichtet sein, die Beteiligung des Betriebsrats nachzuholen.50 1. Betriebsänderungen als Kampfmaßnahmen? Insoweit ist zunächst hervorzuheben, dass sich die These von der Einschränkung der Mitwirkungsrechte nur auf arbeitskampfbedingte Maßnahmen des Unternehmers bezieht.51 Bei den standortbezogenen Arbeitskämpfen der letzten Jahre ging es dagegen durchgängig um Fallgestaltungen, in denen die Unternehmensseite die Betriebsstilllegung bzw. Standortverlagerung aus wirtschaftlichen Gründen und nicht als Reaktion auf Streikmaßnahmen der Gewerkschaften geplant und in die Wege geleitet hatte. Bei nichtarbeitskampfbedingten („normalen“) Betriebsstilllegungen hat man indes bislang keinen Anlass für eine Reduktion von Beteiligungsrechten gesehen.52 Es wäre in der Tat auch erstaunlich, wenn eine schon lange geplante Betriebsstilllegung allein deshalb dem Anwendungsbereich der §§ 111ff. BetrVG entzogen sein sollte, weil sie zeitlich zufälligerweise in eine Arbeitskampfphase fällt. In diesem Sinne differenzieren Rechtsprechung und Literatur in der Frage der Einschränkung von Mitbestimmungsrechten auch sonst zwischen kampfbedingten und nichtkampfbedingten Maßnahmen des Arbeitgebers.53 Eine Arbeitskampfbedingtheit der Betriebsänderung ist zwar auch in den Fällen denkbar, in denen es erst als Reaktion auf unternehmerische Planungen zu Streikaktionen kommt. Wenn der Unternehmer die Aktivitäten der Arbeitnehmerseite nämlich seinerseits zum Anlass nimmt, seine Planungen zu ändern, also etwa eine Betriebsstilllegung vorzuverlegen, kommt durchaus in Betracht, dies als Kampfmaßnahme zu qualifizieren. Allerdings müsste man in einer solchen Konstellation streng genommen zwischen der nichtkampfbedingten Betriebsstilllegung als solcher und dem kampfbedingten Vorziehen der Maßnahme unterscheiden, wobei etwaige Einschränkungen von Mitwirkungsrechten sich nur auf die Vorverlagerung beziehen dürften. Abgesehen von der Unpraktikabilität einer derartigen Differenzierung, die im Übrigen für die Sozialplanmitbestimmung von noch größerer Bedeutung als für das Interessenausgleichsverfahren wäre, würde man mit dieser gegen
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Caspers AR-Blattei SD 170.4, 2005, Rn. 59 f.; Mayer-Maly BB 1979, 1305, 1312; a.A. Kraft, FS G. Müller (1981), S. 265, 284. 51 Siehe die Nachweise in Fn. 49. 52 Vgl. bereits BAG 14.2.1978, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 59 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 24: Beteiligungsverfahren nach den §§ 111 ff. BetrVG bleibt von späteren wilden Streiks gegen die Betriebsänderung durch Personalabbau unberührt. 53 Siehe die Nachweise in den Fn. 30 u. 31.
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die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gerichteten Sichtweise, wenn auch wohl ungewollt, die Büchse der Pandora öffnen. Bislang galt es für die h.M. nämlich als ausgemacht, Standortschließungen und Standortverlagerungen als kampffreie unternehmerische Entscheidungen zu deklarieren.54 Wenn auch vieles dafür spricht, von diesem Grundsatz bestimmte Ausnahmen anzuerkennen,55 sollte er doch nicht auf breiter Front preisgegeben werden. Sofern die Unternehmerseite Betriebsstilllegungen gezielt als Arbeitskampfinstrument zur Durchsetzung oder auch Abwehr tariflicher Forderungen einsetzt, würde indes kein Weg daran vorbeiführen, der Gewerkschaft aus Paritätsgründen die unmittelbare Bekämpfung dieser Strategie generell zu erlauben. 2. Einschränkung von Beteiligungsrechten aus Paritätsgründen? Sind geplante Betriebsänderungen somit nur höchst ausnahmsweise selbst als Kampfmittel der Arbeitgeberseite einzuordnen, folgt daraus freilich noch nicht zwingend, dass eine Einschränkung von Beteiligungsrechten nicht in Betracht kommt. Die Qualifikation der konkreten Maßnahme des Arbeitgebers als Kampfmaßnahme ist nämlich kein Selbstzweck, sondern hat nur die Funktion, die Paritätsstörung als ausschlaggebendes Kriterium operabel zu machen. Lässt sich die Störung der Kampfparität durch die Mitbestimmung des Betriebsrats auf anderem Wege in nachvollziehbarer Weise begründen, kommt es nicht darauf an, ob das Arbeitgeberhandeln seinerseits unmittelbaren Kampfcharakter hat.56 Betrachtet man das Geschehen unter diesen Vorzeichen näher, empfiehlt es sich, danach zu unterscheiden, ob sich ein Streik gegen die Betriebsänderung als solche wendet oder ob es „nur“ um einen Sozialtarifvertrag geht. a) Streiks gegen Betriebsänderungen Richtet sich der Arbeitskampf (zulässigerweise) 57 direkt gegen die Standortschließung bzw. Standortverlagerung, soll nach dem Willen der Gewerkschaft die Kampfstärke der Belegschaft den Ausschlag dafür geben, ob der Unternehmensseite die Durchführung der Betriebsänderung gelingt oder nicht. Lässt es die Gewerkschaft hinsichtlich der Betriebsänderung als solcher somit auf eine Kraftprobe ankommen, darf der Staat in dieser Auseinandersetzung nicht Partei ergreifen, sondern muss sich zurückziehen. Sowenig wie der Staat selbst anordnen dürfte, dass der Arbeitgeber der gewerkschaftlichen 54 Dazu Krause Standortsicherung und Arbeitsrecht, 2007, S. 93 ff. mit Nachweisen in Fn. 356. 55 Vgl. Krause (Fn. 54), S. 99 ff. 56 Insoweit auch Heinze DB 1982, Beilage Nr. 23, S. 3. 57 Vgl. Krause (Fn. 54), S. 99 ff.
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Forderung nachzugeben hat, sowenig darf er einem Arbeitnehmervertretungsorgan die Rechtsmacht verleihen, die Forderung gleich selbst zu erfüllen. Es mag aus der Sicht der Gewerkschaften auf den ersten Blick verführerisch sein, wenn es der Betriebsrat für den Fall, dass der Streik erfolglos bleibt, in der Hand hätte, die Betriebsänderung doch noch zu verhindern. Eine Streikunterstützung qua Staatshilfe ist gleichwohl ein süßes Gift, das auf Dauer die eigene Durchsetzungsstärke untergräbt, die sich zumindest zu einem großen Teil auf die potentielle Kampfkraft stützt.58 Somit ist danach zu fragen, ob und in welchem Umfang die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats die Fähigkeit der Arbeitgeberseite aushöhlen, der gewerkschaftlichen Forderung standzuhalten. Insoweit kann zunächst festgehalten werden, dass die Unterrichtung des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung die Streikabwehr nicht beeinträchtigt.59 Sofern die Information zu einem Zeitpunkt zu erfolgen hat, zu dem sich noch kein gewerkschaftlicher Widerstand formiert hat, folgt dies schlicht daraus, dass noch keine Auseinandersetzung besteht, die eine Einschränkung von Beteiligungsrechten legitimieren würde. Ein prophylaktisches Unterlassen der nach § 111 S. 1 BetrVG an sich erforderlichen Unterrichtung allein deshalb, weil sich die Gewerkschaft möglicherweise zu Kampfmaßnahmen entschließen könnte, kann nicht ernsthaft angenommen werden. Etwas anders scheint dies auszusehen, wenn die Gewerkschaft bereits entsprechende Forderungen erhoben hat. Insoweit könnte man an eine Beeinträchtigung der Kampfparität denken, sofern der Arbeitgeberseite angesonnen wird, den Betriebsrat umfassend über die sich möglicherweise laufend ändernden unternehmerischen Planungen zu informieren. Überzeugen kann auch dieses Argument indes nicht. Sofern die Belegschaft dem gewerkschaftlichen Aufruf bereits in vollem Umfang gefolgt und in den Ausstand getreten ist, kann diese maximale Druckentfaltung durch eine Unterrichtung des Betriebsrats nicht mehr gesteigert werden, so dass es in diesem Fall für die Arbeitgeberseite keinen hinreichenden Grund gibt, mit den entsprechenden Informationen hinter dem Berg zu halten. Zu einer Steigerung des gewerkschaftlichen Drucks könnte es daher allenfalls kommen, wenn man annähme, dass die Arbeitnehmer sich erst dann zum Streik entschließen bzw. einen Streik fortsetzen, wenn sie über die wahren Motive bzw. das wahre Ausmaß der geplanten Betriebsänderung Kenntnis erlangen. Als Argument für eine Einschränkung der Unterrichtung des Betriebsrats ließe sich dieser Aspekt aber nur dann verwerten, wenn man ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers bejahen würde, die eigene Belegschaft durch unzureichende bzw. fehlerhafte Informationen hinzuhalten. 58
Siehe in diesem Zusammenhang auch Rieble ZfA 2005, 245, 262 ff. Ebenso Brox (Fn. 31), Rn. 462; Heinze DB 1982, Beilage Nr. 23, S. 19; ferner Schoof AiB 2007, 736, 738. 59
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Diesen Gedanken aufzuwerfen, heißt ihn zu verwerfen. Während es zur Kampffreiheit der Arbeitgeberseite gehört, diejenigen Informationen zurückzuhalten, die Aufschluss über die eigene Taktik, über die Verhandlungs- und Kampfstärke geben,60 zählt es nicht zu den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Befugnissen, die von einer geplanten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer über das ihnen drohende Schicksal möglichst im Unklaren zu lassen. Wollte man dagegen den gegenständlichen Schutzbereich der Arbeitskampffreiheit extrem weit verstehen, wäre die Pflicht zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats als Repräsentant aller und gerade nicht nur der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer über eine geplante Standortschließung oder -verlagerung trotz einer andauernden Tarifauseinandersetzung zumindest eine verfassungsrechtlich ohne weiteres zulässige Ausgestaltung der Tarifautonomie. Eine Einschränkung des Informationsrechts müsste sich zudem an der Vereinbarkeit mit Art. 4 der Rahmenrichtlinie 2002/14/EG messen lassen, der insbesondere bei solchen Maßnahmen, die sich bedrohlich auf die Beschäftigung auswirken, eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter anordnet, ohne für den Bereich des Arbeitskampfes ausdrücklich Ausnahmen vorzusehen.61 Auch wenn die Gemeinschaft gemäß Art. 137 Abs. 5 EG keine Kompetenz für das Arbeitskampfrecht hat, könnte man sich ohne Anrufung des EuGH über die Richtlinienvorgabe nicht einfach hinwegsetzen und jegliche Information der Arbeitnehmerseite kategorisch verneinen. Bleibt der Informationsanspruch des Betriebsrats somit unberührt, gilt dies doch nicht gleichermaßen für das Recht auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Dabei steht für eine Einschränkung des Beteiligungsrechts weniger der Grundsatz der Kampfparität Pate als vielmehr die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie im Allgemeinen. Insoweit kann schwerlich bestritten werden, dass zwei parallel geführte Verhandlungen des Arbeitgebers mit der Gewerkschaft einerseits und dem Betriebsrat über das „Ob“ und das „Wie“ derselben Betriebsänderung zu erheblichen Friktionen führen kann. Wenn etwa aus wirtschaftlichen Gründen nur eine von zwei Produktionslinien fortgeführt werden kann, muss für den Fall, dass die Gewerkschaft für die eine und der Betriebsrat für die andere Linie votiert, eine Kollisionsregel gelten. Da Gewerkschaft und Betriebsrat von Rechts wegen befugt sind, ganz unterschiedliche Ordnungsvorstellungen
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So bereits Krause Anm. zu BAG, EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 1 (unter III 2b). Vgl. Blanpain European Labour Law, 10th Ed., 2006, Rn. 1603 ff.; Fuchs in: Fuchs/ Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Aufl., 2006, S. 223 ff.; Hanau in: Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, 2002, § 19 Rn. 130 ff.; Reichold, NZA 2003, 289 ff.; Schiek Europäisches Arbeitsrecht, 3. Aufl., 2007, Teil 2 D Rn. 31, S. 317; Weber FS Konzen, 2006, S. 921, 930 ff. 61
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zu entwickeln, kann man sich nicht damit beruhigen, dass sie sich tatsächlich schon auf eine einheitliche Strategie gegenüber der Arbeitgeberseite einigen werden. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit muss einer Verhandlungsschiene der Vorrang eingeräumt werden. Dies können angesichts der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Tarifautonomie nur die Tarifvertragsverhandlungen sein. Auch ordnungspolitisch überzeugt es, die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt durch organisierte Kooperationsverweigerung mit dem Ziel, den künftigen Inhalt von Arbeitsverträgen tariflich zu regeln, der betrieblichen Mitbestimmung als gesetzlich vorgeschriebene „Vertragshilfe“ 62 bei der Umsetzung bestehender Arbeitsverträge vorzuziehen.63 Mit Art. 4 der RL 2002/14/EG ist ein solches Ergebnis durchaus kompatibel, weil die Richtlinie nicht zwingend die Anhörung des Betriebsrats vorschreibt, sondern in Art. 2 lit. e RL 2002/14/EG angesichts der sehr unterschiedlichen Arbeitsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten nur ganz allgemein von den nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten vorgesehenen Vertretern der Arbeitnehmer spricht. Dies können ohne weiteres auch die Gewerkschaften sein. Wenn das mitgliedstaatliche Recht so zu interpretieren ist, dass es in bestimmten Fällen der gewerkschaftlichen Vertretung den Vorrang vor der betrieblichen Vertretung von Arbeitnehmerinteressen einräumt, ist dies gemeinschaftsrechtlich als unbedenklich anzusehen. Aus der Perspektive des Europarechts dürfte es sogar genügen, wenn die Arbeitgeberseite in den hier fraglichen Gestaltungen den Betriebsrat übergeht und – horribile dictu – die Gewerkschaften unmittelbar über die geplante Betriebsänderung informiert. Mit dem deutschen Recht vereinbar wäre ein solches Vorgehen allerdings nicht. Zudem kommt man an einer Vorlage an den EuGH zur Auslegung der RL 2002/14/EG kaum vorbei. Mangels einer gegenüber dem Betriebsrat bestehenden Verhandlungspflicht fehlt es auch an einer Grundlage für einen Unterlassungsanspruch, dessen Existenz ohnehin umstritten ist.64 Es würde auch vom Ergebnis her kaum einleuchten, wenn der Betriebsrat das Recht hätte, der gewerkschaftlichen Tarifforderung nach Aufrechterhaltung des Standorts durch eine Unterlassungsverfügung nachzuhelfen. Schließlich bleibt auch kein Raum für einen Nachteilsausgleich, wenn der Arbeitgeber die Betriebsänderung umsetzt, ohne zuvor alles versucht zu haben, um einen Interessenausgleich mit dem
62 Vgl. Reichold Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, 1995, S. 549; Rieble Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 1996, Rn. 1418 ff. 63 Zum Konkurrenzschutz der Koalitionen vor den Betriebsparteien treffend Kempen NZA 2005, 185, 186f., unter zusätzlichem Hinweis auf Art. 5 ILO-Übereinkommen Nr. 135 (BGBl. 1973 II, S. 953), der die Gewerkschaften vor den betrieblichen Arbeitnehmervertretern schützt. 64 Dazu eingehend GK-BetrVG/Oetker Bd. II, § 111 Rn. 189 ff.
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Betriebsrat zustande zu bringen. Auch insoweit muss der Tarifauseinandersetzung der Vorrang gegenüber der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene eingeräumt werden. Dies gilt vor allem dann, wenn es zu einer tariflichen Einigung kommt, die inhaltlich einem Interessenausgleich entspricht. Zwar wäre ein anschließender betrieblicher Interessenausgleich über dieselbe Frage rechtlich nicht ausgeschlossen. Da der Interessenausgleich grundsätzlich keine Betriebsvereinbarung, sondern ein Kollektivvertrag eigener Art ist, welcher eher einer Regelungsabrede ähnelt, findet § 77 Abs. 3 BetrVG keine Anwendung.65 Eine Kollision von Tarifvertrag und Interessenausgleich kann aber sinnvoll nicht nach dem Günstigkeitsprinzip aufgelöst werden. So ist es im Beispielsfall der Aufrechterhaltung nur einer Produktionslinie regelmäßig nicht möglich, die für die Arbeitnehmer günstigere Variante eindeutig zu bestimmen, zumal man darauf verzichten sollte, die Günstigkeit kollektiv zu ermitteln und somit einen weiteren Anwendungsfall dieser umstrittenen Rechtsfigur 66 aus der Taufe zu heben. Entsprechend dem Vorrangprinzip würde sich deshalb ein tariflicher gegenüber einem betrieblichen Interessenausgleich durchsetzen. Da dieses Ergebnis von vornherein feststeht, ist ein Interessenausgleichsverfahren überflüssig. Liegt ein tarifvertraglicher Interessenausgleich vor, hat der Arbeitgeber den Tarifvertrag einzuhalten und nicht mit dem Betriebsrat über Abweichungen zu debattieren. Kommt der Arbeitgeber seinen tarifvertraglichen Pflichten nach, schuldet er folglich keinen Nachteilsausgleich, auch wenn er sich nicht um den Abschluss eines betrieblichen Interessenausgleichs bemüht.67 Zweifelhaft kann allenfalls die Frage sein, ob die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats wiederaufleben, wenn kein Tarifvertrag über die Standortschließung bzw. Standortverlagerung zustande kommt. Dies ist dann zu bejahen, wenn der Unternehmer in diesem Stadium noch substantielle Planungen durchführt, so dass es Sinn macht, den Betriebsrat daran zu beteiligen. Hat der Unternehmer mit der Durchführung der bereits abschließend konzipierten Betriebsänderung bereits begonnen, gilt dagegen nichts anderes, als wenn jetzt erstmals ein Betriebsrat in sein Amt gelangt.68 Die Maßnahmen
65 Zur Unanwendbarkeit des Tarifvorbehalts gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG auf Regelungsabreden siehe nur BAG 20.4.1999, AP GG Art. 9 Nr. 89 = EzA Art. 9 GG Nr. 65 m.w.N. 66 Siehe hierzu umfassend Otto Anm. zu BAG, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17. 67 Missachtet der Arbeitgeber den Tarifvertrag, besteht die richtige Antwort in der Durchführungsklage, die bei einem Firmentarifvertrag durchaus effektiv ist. Eine analoge Anwendung von § 113 BetrVG ist kaum begründbar. 68 Vgl. BAG 20.4.1982, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 15 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 25; BAG 28.10.1992, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 63 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 60; BAG 18.11.2003, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 162 = EzA § 113 BetrVG 2001 Nr. 2.
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können dann ohne Beratung und ohne drohenden Nachteilsausgleich erfolgen. Die Tarifautonomie hat die betriebliche Mitbestimmung in dieser Gestaltung endgültig konsumiert. b) Streiks um Sozialtarifverträge Sofern die Gewerkschaft nur für den Abschluss eines Sozialtarifvertrages kämpft, der lediglich die Folgen der geplanten Betriebsänderung sozial abfedern soll, ändert sich das Bild. Sozialtarifvertrag und betrieblicher Interessenausgleich betreffen unterschiedliche Verhandlungsgegenstände, so dass eine Inkompatibilität jedenfalls nicht ohne weiteres bejaht werden kann. Für eine Einschränkung von Beteiligungsrechten ist deshalb nur dann Raum, wenn Interessenausgleichsverhandlungen die Parität bei einer gleichzeitig stattfindenden Auseinandersetzung über einen Sozialtarifvertrag zu Lasten des Arbeitgebers verschieben würde. Dies ist dann, aber auch nur dann der Fall, wenn der Betriebsrat die Verhandlungen über einen Interessenausgleich künstlich verlängert, um die Durchführung des Betriebsänderung hinauszuzögern und damit den streikbedingten Druck auf den Arbeitgeber möglichst lange aufrechtzuerhalten. Je später die Betriebsänderung vollzogen werden kann, ohne dass der Arbeitgeber einen Nachteilsausgleich oder gegebenenfalls sogar eine Unterlassungsverfügung zu befürchten hat, desto länger währt der Arbeitskampfdruck und desto eher wird die Arbeitgeberseite geneigt sein, den gewerkschaftlichen Forderungen zum Inhalt eines Sozialtarifvertrages nachzukommen. Der Tarifinhalt wäre dann nicht mehr Ausdruck der autonomen Kampfstärke beider Seiten, sondern durch die Instrumentalisierung der gesetzlichen Mitbestimmungsordnung seitens des Betriebsrats mit beeinflusst. Aus diesem Befund darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass die auf den Abschluss eines Interessenausgleichs bezogene Mitwirkung des Betriebsrats automatisch zu entfallen hätte, wenn zugleich um einen Sozialtarifvertrag gekämpft wird.69 Vielmehr wird die Kampfparität nur durch eine Verzögerungsstrategie beeinträchtigt. Wenn also beispielsweise der Betriebsrat im Januar eines Jahres über eine geplante Betriebsschließung zum Ende des Jahres informiert wird und die Interessenausgleichsverhandlungen einschließlich des Verfahrens vor der Einigungsstelle von Februar bis November stattfinden, ohne zu einem Ergebnis zu führen, kann der Unternehmer die Betriebsänderung entsprechend seinen ursprünglichen Planungen durchführen. Warum die Verhandlungen über einen Interessenausgleich in diesem Fall zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse in einem Arbeitskampf über einen Sozialtarifvertrag führen sollen, ist nicht erkennbar. Legt es der Betriebsrat dagegen darauf an, die Umsetzung der Betriebsänderung über die 69
So aber offenbar Willemsen/Stamer NZA 2007, 413, 417.
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Jahreswende hinaus zu verhindern, um die Druckwirkung des Streiks zugunsten der Gewerkschaft möglichst lange anhalten zu lassen, ist dies paritätsrelevant. Eine praktische Schwierigkeit besteht allerdings darin, die berechtigte Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen durch den Betriebsrat von der unzulässigen Streikunterstützung zu scheiden. Hierbei muss verhindert werden, dass es der Unternehmer in der Hand hat, jede gründliche Auseinandersetzung des Betriebsrats mit den unternehmerischen Planungen als unzulässige Schützenhilfe für die Gewerkschaften erscheinen zu lassen, indem er eine äußerst ehrgeizige Terminierung für die Durchführung der Betriebsänderung vorgibt. Es bleibt ungeachtet aller Probleme bei der Konkretisierung daher kaum etwas anderes übrig, als darauf abzustellen, in welcher Zeit ein „verständiger“ Betriebsrat die Interessenausgleichsverhandlungen in Anbetracht des Umfanges und der Komplexität der geplanten Betriebsänderung abgeschlossen hätte. Weicht der Betriebsrat durch ein zögerliches Verhalten hiervon ab, ist zu vermuten, dass dies mit Rücksicht auf den gleichzeitig stattfindenden Arbeitskampf über den Sozialtarifvertrag erfolgt. Die Beteiligungsrechte werden dann suspendiert bzw. entfallen nach Maßgabe der obigen Ausführungen endgültig. Der Unternehmer kann die Betriebsänderung dann wiederum ohne weitere Beratung sowie ohne einen drohenden Nachteilsausgleich umsetzen. Letztlich geht es insoweit um nicht mehr und nicht weniger als darum, von beiden Betriebsparteien Fairness einzufordern.
V. Sozialplanmitbestimmung Eine eigenständige Problematik stellt die Sozialplanmitbestimmung dar. Ihre Eigenheit besteht bekanntlich darin, dass der Betriebsrat mit Hilfe der Einigungsstelle vorbehaltlich der Sonderfälle des § 112a BetrVG einen Sozialplan erzwingen kann. Damit wird auch insoweit die Frage virulent, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Mitbestimmung bei standortbezogenen Arbeitskämpfen aus Paritätsgründen bzw. um der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie willen zu weichen hat. 1. Streiks gegen Betriebsänderungen Sofern das Streikziel ausschließlich in der Verhinderung der Betriebsänderung besteht, ist im Allgemeinen nicht zu befürchten, dass die Sozialplanmitbestimmung zu Störungen führt. Die Tarifauseinandersetzung betrifft in diesem Fall nämlich nur eine Vorfrage des Sozialplans. Paritätsrelevant ist die Sozialplanmitbestimmung deshalb lediglich dann, wenn sich der Arbeitgeber bei der Abwehr der tariflichen Forderungen in irgendeiner Weise von der
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Erzwingbarkeit der Regelung einer an sich nachgelagerten Problematik beeinflussen lässt. Denkbar wäre dies nur in dem Fall, dass die Mehrheit der Einigungsstelle zu erkennen gibt, das Beharren des Arbeitgebers auf seinen ursprünglichen Vorstellungen durch einen besonders kostspieligen Sozialplan „bestrafen“, das Einlenken auf den gewerkschaftlichen Kurs dagegen mit einem besonders günstigen Sozialplan „belohnen“ zu wollen. Hiermit würde sie ihr Mandat eindeutig überschreiten. Zur Abwehr dieser Gefahr könnte man es beim Neutralitätsgebot des § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG bewenden lassen. Es spricht jedoch nichts dagegen, die Sozialplanmitbestimmung aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu suspendieren, solange ein Arbeitskampf über die Frage tobt, ob und wie die Betriebsänderung überhaupt erfolgen soll. Die betriebliche Mitbestimmung wird hierdurch nicht nennenswert beeinträchtigt. Die Regelung eines Ausgleichs bzw. einer Milderung der wirtschaftlichen Nachteile hat nämlich ohnehin nur dann einen Sinn, wenn zuvor Klarheit darüber hergestellt worden ist, ob und auf welche Weise die Betriebsänderung durchgeführt werden soll. Solange dies nicht feststeht, wird ein „verständiger“ Einigungsstellenvorsitzender das Verfahren ohnehin tunlichst aussetzen,70 damit der Einigungsstellenspruch auf der endgültigen Planung aufbaut und nicht einerseits Fragen regelt, die sich als gegenstandslos herausstellen, während er andererseits Aspekte ungeregelt lässt, deren Klärung erforderlich ist. Eine arbeitskampfkonforme Auslegung des § 112 BetrVG beschränkt sich im Grunde darauf, dieses einzig vernünftige Verhalten gleichsam vorwegzunehmen. Die Anpassung eines bereits in Kraft befindlichen Sozialplans an eine spätere Veränderung der unternehmerischen Planungen ist zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, sondern nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage durchaus möglich,71 führt aber doch zu einer ganz erheblichen Rechtsunsicherheit, die nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Zu betonen bleibt, dass die Sozialplanmitbestimmung nicht aufgehoben, sondern nur suspendiert wird. Sobald feststeht, dass und wie die Betriebsänderung umgesetzt werden soll, lebt dieses Beteiligungsrecht wieder auf. Es gibt keinen Grund, den Folgenschutz deshalb zu beseitigen, weil sich in der konkreten Betriebsänderung streikbedingt unter Umständen auch gewerk70 Vgl. Friedemann Das Verfahren der Einigungsstelle für Interessenausgleich und Sozialplan, 1997, Rn. 316; Heinze RdA 1990, 262, 273; GK-BetrVG/Kreutz Bd. II, § 76 Rn. 125; Pünnel/Isenhardt Die Einigungsstelle des BetrVG 1972, 4. Aufl., 1997, Rn. 83; Richardi BetrVG, § 76 Rn. 105; gegen die Möglichkeit zur Aussetzung aber BAG 17.9.1991, AP BetrVG 1972 § 106 Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 106 Nr. 17; Fitting BetrVG, § 76 Rn. 84; Hennige Das Verfahrensrecht der Einigungsstelle, 1996, S. 222 f. 71 BAG 28.8.1996, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 104 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 87; Däubler in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 137; GK-BetrVG/Oetker Bd. II, § 112, 112a Rn. 181.
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schaftliche Vorstellungen niedergeschlagen haben. Sollten einzelne Nachteile für die Arbeitnehmer nur deshalb auftreten, weil sich die Gewerkschaft partout für eine bestimmte Form der Betriebsänderung ausgesprochen hat und der Arbeitgeber zum Nachgeben gezwungen wurde, ist dies bei der Bemessung der Sozialplanleistungen zu berücksichtigen.72 Die Funktion der Sozialplanmitbestimmung, unternehmerische Entscheidungen über die Durchführung von Betriebsänderungen dadurch zu steuern, dass die sozialen Folgekosten mit berücksichtigt werden müssen und die Entscheidung nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien getroffen wird,73 greift ins Leere, wenn die Arbeitnehmerseite die auf sie zukommenden Belastungen selbst verursacht. 2. Streiks um Sozialtarifverträge Die letzte und zugleich bedeutsamste Frage betrifft das Verhältnis zwischen dem Kampf um einen Sozialtarifvertrag und der Sozialplanmitbestimmung. Die Verfechter eines Entfallens des Beteiligungsrechts berufen sich darauf, dass der Staat bei einer ausnahmslos vorgeschriebenen Sozialplanmitbestimmung massiv in das Arbeitskampfgeschehen eingreifen würde. Es stelle nämlich eine partielle Zwangsschlichtung dar, wenn der Arbeitgeber einen Teil der gewerkschaftlichen Forderungen auf jeden Fall qua Sozialplan befriedigen müsste.74 Das schlichte Nebeneinander von Sozialtarifvertrag und Sozialplan ist für sich genommen freilich unbedenklich, weil § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG für den sozialpolitischen „Notstand“ 75 der Betriebsänderung ausdrücklich ausschließt, um betriebsnahe Lösungen zu ermöglichen.76 Insoweit gilt im Grundsatz anerkanntermaßen das Günstigkeitsprinzip.77 Ferner schließt das bloße Vorhandensein 72
In diesem Sinne auch die in Fn. 48 nachgewiesenen Autoren. BAG 20.4.1982, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 15 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 25. Umfassend zur Steuerungstheorie Reuter Der Sozialplan, S. 17 ff. 74 Willemsen/Stamer NZA 2007, 413, 414 f. 75 So Säcker ZfA-Sonderheft 1972, S. 43 Fn. 8. 76 Vgl. etwa BAG 24.11.1993, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 116 = EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 96; BAG 13.4.1994, AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 119 = EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 98; ferner bereits BAG 6.12.1983, AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 7 = EzA § 87 BetrVG 1972 Bildschirmarbeitsplatz Nr. 1 (unter B VI 4b). 77 BAG 27.8.1975, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 2 = EzA § 4 TVG Bergbau Nr. 4; BAG 6.12.2006, TVG § 4 Sozialplan Nr. 1 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 21; Richardi/Annuss BetrVG, § 112 Rn. 181; Däubler in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 54; Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 213; MünchArbR/Matthes Bd. 3, § 362 Rn. 22; GKBetrVG/Oetker Bd. II, § 112, 112a Rn. 127; Ohl Der Sozialplan, 1977, S. 168 f.; siehe auch BAG 11.7.1995, AP TVG § 1 Tarifverträge: Versicherungsgewerbe Nr. 10 = EzA § 4 TVG Öffnungsklausel Nr. 1. 73
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eines entsprechenden Tarifvertrages die Mitbestimmung nicht aus. Der Vorschlag von Hanau, § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG analog auf den Sozialplan anzuwenden und bei einer abschließenden tariflichen Regelung über die sozialen Folgen einer Betriebsänderung die Sozialplanmitbestimmung entfallen zu lassen,78 hat sich nicht durchsetzen können.79 Zudem steht diesem Ansatz entgegen, dass § 112 BetrVG gerade keine § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG entsprechende Bestimmung des Verhältnisses zu Tarifverträgen enthält. Im Übrigen ist der These von der Einschränkung der Sozialplanmitbestimmung zuzugeben, dass die Existenz dieses Beteiligungsrechts bei der Beurteilung der Parität nicht außer Acht gelassen werden darf. Dennoch ist in Abrede zu stellen, dass allein das Vorhandensein eines zwingenden Mitbestimmungsrechts die Gewichte in einer paritätsrelevanten Weise verschiebt. Hierfür muss man sich vor Augen halten, dass es beim Kampf um einen Sozialtarifvertrag praktisch ausschließlich darum geht, bessere Leistungen für die Arbeitnehmer durchzusetzen, als sie durch einen Einigungsstellenspruch erhalten würden. Die tarifliche Auseinandersetzung bezieht sich in ihrem Kern also gerade nicht auf das Sozialplanvolumen, das die Arbeitnehmerseite auch über § 112 BetrVG erlangen könnte, sondern auf zusätzliche Leistungen. Rechtlich besteht keine andere Situation, als wenn der Gesetzgeber für den Fall einer Betriebsschließung eine fest fixierte wirtschaftliche Abfederung der betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen hätte. Auch in diesem Fall gäbe es zwar eine Art Auffangbecken. Dass der Arbeitgeber kraft Sozialplanmitbestimmung gezwungen sein soll, höhere tarifliche Forderungen allein deshalb zu erfüllen, weil er gegebenenfalls zur Leistung niedrigerer Beträge verpflichtet ist, leuchtet indes nicht ein. Insoweit gilt nichts anderes als bei einem Streik um zusätzliche Urlaubstage oder eine umfangreiche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auch in einem solchen Arbeitskampf ist die Parität nicht deshalb in unzulässiger Weise verschoben, weil der Gesetzgeber mit dem BUrlG oder dem EFZG einen Basisschutz geschaffen hat. Dementsprechend ist die Schaffung einseitig zwingenden Gesetzesrechts auch lediglich unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Konkurrenzschutzes für die tarifliche Normsetzung angezweifelt worden,80 nicht aber deshalb, weil auf diese Weise die Kampfparität zum Nachteil der Arbeitgeberseite verändert würde. Richtig ist nur, dass der Arbeitgeber an den üblichen Sozialplankosten nicht vorbeikommt und sie deshalb von vornherein einkalkulieren
78
RdA 1973, 281, 285; ders. ZfA 1974, 89, 106 f. Abl. etwa Richardi/Annuss BetrVG, § 112 Rn. 178; Galperin/Löwisch BetrVG, Bd. II, 6. Aufl., 1982, § 112 Rn. 52; Ohl (Fn. 77), S. 70. 80 Dazu näher Biedenkopf Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 152 ff., 209 ff.; ferner Dieterich Tarifautonomie und Gesetzgebung, 2003, S. 13, 16 ff.; Herschel RdA 1967, 71, 72; Wiedemann FS Stahlhacke, 1995, S. 675, 685 ff. 79
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muss. Reagiert der Arbeitgeber auf die gewerkschaftlichen Forderungen umgehend mit einem Angebot in Höhe der bei einem Einigungsstellenverfahren zu erwartenden Kosten, wird deutlich, dass sich der gesamte weitere Arbeitskampf nur um das Zusatzvolumen dreht. Die Sozialplanmitbestimmung wird hierdurch gleichsam neutralisiert und kann die Kampfparität deshalb nicht mehr beeinflussen. Wie bei jedem anderen Arbeitskampf auch geht es dann nur noch um die Einschätzung des Forderungsvolumens einerseits und des Druckpotentials der Arbeitnehmerseite andererseits. Die Gegenansicht übergeht den Umstand, dass die Einigungsstelle nicht die gewerkschaftlichen Forderungen exekutiert, sondern regelmäßig ein sehr viel niedrigeres Leistungsspektrum schafft. Oberhalb dieses Niveaus und damit im Hinblick auf den eigentlichen Kern der Tarifauseinandersetzung spielt die Sozialplanmitbestimmung keine Rolle. Problematisch ist allerdings die Doppelung der Verhandlungen über die sozialen Folgen einer Betriebsänderung, die zu einer Störung der Tarifauseinandersetzung führen können. Wenn der Arbeitgeber parallel mit zwei auf verschiedene Weise legitimierten Arbeitnehmervertretern verhandeln muss, die unter Umständen ganz unterschiedliche Ordnungsvorstellungen über die soziale Abwicklung der Betriebsstilllegung haben, kann es zu Friktionen kommen. Da die Finanzmasse, die für soziale Leistungen an die von einer geplanten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer zur Verfügung steht, letztlich immer begrenzt ist, muss geregelt werden, nach welchen Maßstäben sie verteilt werden soll. Nicht anders als beim Interessenausgleich ist dem tariflichen Gestaltungswillen der Vorrang vor dem betrieblichen Gestaltungswillen einzuräumen. Dieser Vorrang ist dadurch zu verwirklichen, dass der Arbeitgeber während der Dauer eines Arbeitskampfes die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan einstellen kann, ohne dass ihm ein Einigungsstellenverfahren droht. Sofern ein solches Verfahren bereits in Gang gesetzt worden ist, ist es mit dem Beginn von Arbeitskampfmaßnahmen auszusetzen, um zu verhindern, dass der Arbeitgeber in der Tat zeitgleich an zwei Fronten kämpfen bzw. verhandeln muss.81 Hierdurch wird zugleich vermieden, dass durch den Arbeitskampf auf das Einigungsstellenverfahren selbst Einfluss genommen werden soll, was unzulässig wäre, weil Kampfgegner nur der Arbeitgeber, nicht aber der Einigungsstellenvorsitzende sein darf.82 Im Übrigen gilt für die erforderliche Koordination von Tarifautonomie und Sozialplanmitbestimmung die „Rosinentheorie“. Unabweisbare Kehrseite des Schutzes des Arbeitgebers vor einem „Zweifrontenkrieg“ ist näm-
81 Für eine Parallelität von Tarifverhandlungen und Einigungsstellenverfahren dagegen Bauer/Krieger NZA 2004, 1019, 1023; Schoof AiB 2007, 736, 738. 82 Insoweit zutreffend Henssler FS Richardi (2007), S. 553, 557.
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lich, dass es ihm nicht möglich ist, den Arbeitskampf gegen den Willen des Betriebsrats durch einen frühen Einigungsstellenspruch mit einem moderaten Volumen auszutrocknen. Sowenig die betriebliche Mitbestimmung dazu eingesetzt werden darf, die Kampfparität zulasten des Arbeitgebers zu verschieben, sowenig kann sie dazu benutzt werden, die Kampfkraft der Gewerkschaft zu schwächen. Dass eine freiwillige Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat dieselben Folgen nach sich ziehen kann, ist freilich nicht zu vermeiden, sondern wegen der Aufhebung des Tarifvorbehalts durch § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG systemimmanent. Wird ein Sozialtarifvertrag vereinbart, endet die Suspendierung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats, so dass theoretisch noch ein betrieblicher Sozialplan verlangt werden kann. Sofern der Sozialtarifvertrag den für entsprechende Leistungen an die Arbeitnehmer zur Verfügung stehenden finanziellen Rahmen bereits ausgeschöpft hat, dürfte eine Einigungsstelle dem Arbeitgeber aber keine zusätzlichen Lasten aufbürden (vgl. § 112 Abs. 5 BetrVG). Sollte die Tarifauseinandersetzung ausnahmsweise enden, ohne dass ein Sozialtarifvertrag zustande kommt, weil etwa die Streikfront zusammenbricht, greift die Sozialplanmitbestimmung dagegen wieder in vollem Umfang ein. Dass die Arbeitnehmerseite daher letztlich in einem gewissen Sinn mit doppeltem Netz agieren kann, beruht auf dem Dualismus des deutschen kollektiven Arbeitsrechts mit seinen beiden Formen der Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen sowie der konkreten Ausgestaltung der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Dabei genießt die Tarifautonomie Vorrang vor der betrieblichen Mitbestimmung. Die Mitbestimmung auf Dauer beseitigen kann die Tarifautonomie demgegenüber in jedem Fall nur durch eine eigene abschließende Regelung. Soweit es um soziale Leistungen an Arbeitnehmer geht, die von einer geplanten Betriebsänderung betroffen sind, ist dies darüber hinaus wegen § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG überhaupt nicht möglich. Selbst wenn man diese „Meistbegünstigung“ rechtspolitisch kritisieren sollte, entspricht sie der geltenden Gesetzeslage und ist mit der Verfassung vereinbar, so dass es außerhalb der hier umrissenen Grenzen keinen rechtlichen Grund für eine Reduzierung von Beteiligungsrechten gibt.
VI. Fazit Standortbezogene Arbeitskämpfe werfen neue und bislang nicht abschließend geklärte Fragen zur Reichweite der betrieblichen Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten auf. Leitgedanke muss sein, einerseits den Vorrang der Tarifautonomie zu gewährleisten und andererseits die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nur insoweit zurücktreten zu lassen, wie es der Grundsatz der Kampfparität sowie die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erfordern.
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Eine in sich konsistente Lösung hat nach dem jeweiligen Beteiligungsrecht sowie nach dem konkreten Gegenstand der Tarifauseinandersetzung zu differenzieren: Richtet sich der Streik zulässigerweise unmittelbar gegen die Betriebsänderung, wird zwar nicht das Unterrichtungsrecht des Betriebsrats, wohl aber das sonstige Interessenausgleichsverfahren suspendiert. Soll durch den Streik nur ein Sozialtarifvertrag erzwungen werden, bleiben die auf den Interessenausgleich bezogenen Vorschriften unberührt, solange der Betriebsrat das Verfahren nicht verzögert, um den gewerkschaftlichen Druck zu erhöhen. Dreht sich der Arbeitskampf um die tarifliche Regelung der Betriebsänderung als solche, wird die Sozialplanmitbestimmung für die Dauer der Auseinandersetzung suspendiert. Dasselbe gilt bei einem Streik für einen Sozialtarifvertrag. Nach dem Ende des Arbeitskampfs lebt das Beteiligungsrecht grundsätzlich wieder auf, weil dann weder eine Beeinträchtigung der Kampfparität noch der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie mehr zu befürchten ist. Auch wenn sich die negativen Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten in Grenzen halten, sollte es sich jede Gewerkschaft nicht zuletzt aus diesem Grund gut überlegen, standortbezogene Fragen zum Gegenstand eines Arbeitskampfes zu machen.
Offene Fragen zur Neuregelung der sachgrundlosen Befristung älterer Arbeitnehmer (§ 14 Abs. 3 TzBfG) Gert-Albert Lipke I. Einführung 1. „Baustelle“ Befristungsrecht Eine der größten Baustellen des Arbeitsrechts ist seit dem Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985 das Befristungsrecht. Dabei steht immer wieder die Reichweite der zulässigen sachgrundlosen Befristungen im Vordergrund. Dies führte bereits zu zahlreichen Änderungen in den Regelungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes.1 Nachdem das Befristungsrecht mit dem Inkrafttreten des TzBfG zum 01.01.2001 auf eine neue rechtsdogmatische Basis gestellt worden ist, schien eine Stabilisierung der Rechtslage und damit der Rechtssicherheit eingetreten zu sein. Doch bald setzte erneute gesetzgeberische „Bautätigkeit“ ein. So fand § 14 Abs. 2a TzBfG Eingang in das Gesetz, das als „Seitenstück“ zu § 112a Abs. 2 BetrVG eine befristungsmäßige Privilegierung für Existenzneugründer mit nahezu unbeschränkten sachgrundlosen Befristungen während der ersten vier Jahre nach Gründung des Unternehmens vorsah.2 2. Ältere Langzeitarbeitslose Um die Einstellungschancen insbesondere von Langzeitarbeitslosen im höheren Lebensalter zu verbessern, waren bereits unter der Geltung des § 1 BeschFG 1996 die Befristungsvoraussetzungen für diesen Personenkreis aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gelockert worden. Dieses Muster wurde in § 14 Abs. 3 TzBfG übernommen; allerdings unter Absenkung der Altersgrenze vom 60. Lebensjahr auf das vollendete 58. Lebensjahr. Durch Artikel 7
1 2
Vgl. KR/Lipke 8. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 250 ff. KR/Lipke 8. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 316 ff.
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des Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das insbesondere die Verknüpfung von Befristung und Leiharbeit arbeitgeberfreundlich flexibler gestaltete, kam es dann noch einmal – wenngleich nur für die Zeitspanne zwischen dem 01.01.2003 bis zum 31.12.2006 – zur befristeten Herabsetzung des Eintrittsalters für die privilegierte sachgrundlose Befristung älterer Arbeitnehmer und zwar auf die Vollendung des 52. Lebensjahres.3 Die alsbald gegen diese gesetzliche Regelung einer sachgrundlosen Befristung für ältere Arbeitnehmer erhobene Kritik, die sowohl die Nichtbeachtung europarechtlicher Vorgaben (Befristungsrichtlinie 1999/70/EG und Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG) sowie die Nichteinhaltung verfassungsrechtlicher Grundlagen (Artikel 12 Abs. 1 GG) zum Inhalt hatte 4, wurde vom Bundesgesetzgeber nicht angenommen. Erst eine Vorlage des ArbG München hierzu 5 an den EuGH brachte Bewegung in die Sache.
II. Die Mangold-Entscheidung 1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der Europäische Gerichtshof folgte auf die vorgenannte Vorlage in seiner Mangold-Entscheidung vom 22.11.2005 6 den geäußerten gemeinschaftsrechtlichen Bedenken im Ergebnis, nicht aber in der Begründung. Der EuGH billigt die nationale gesetzgeberische Zielsetzung zu § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG, ältere arbeitslose Arbeitnehmer wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, verneint indessen die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Regelung. Die Ausformung der Bestimmung lasse es nämlich zu, allen Arbeitnehmern ab einem gewissen Alter nur noch sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse anzubieten. Diese Arbeitnehmergruppe müsse deshalb befürchten, dauerhaft von unbefristeten (oder mit Sachgrund befristeten) Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen zu werden. Ohne weiteren Nachweis könne mithin eine pauschale Regelung, wie sie in § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. getroffen wurde, nicht als objektiv erforderlich angesehen werden, wenn diese weder die Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes noch die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtige. Es fehle deshalb an der Verhältnismäßigkeit der Regelung.7
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Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 – BGBl. I S. 4607 –. 4 Vgl. KR/Lipke 7. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 339 ff.; ErfK/Müller-Glöge 7. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 133 f.; APS/Backhaus 2. Aufl. § 14 Rn. 417 ff.; Däubler ZIP 2001, 217, 224; Gräfe/Arnold/Gräfe TzBfG § 14 Rn. 272; Sievers RdA 2004, 291, 303; Dörner Befristeter Arbeitsvertrag Rn. 613 ff. 5 EuGH-Vorlage vom 26.02.2004 – 26 Ca 14314/03 –. 6 Rs C-144/04 = EzA § 14 TzBfG Nr. 21 mit Anm. Kamanabrou. 7 Ähnlich bereits Schlachter RdA 2004, 352, 356.
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2. Weitergehende Erkenntnisse? Abschließende Fingerzeige zu den hier für das Befristungsrecht älterer Arbeitnehmer zugrunde liegenden Richtlinien 1999/70/EG (Befristung) und 2000/78/ EG (Antidiskriminierung) hat der Europäische Gerichtshof ausgespart. Aus den teilweise rätselhaften Formulierungen in den Entscheidungserwägungen ist nur abzuleiten, dass der EuGH seine Entscheidung – im Blick auf die zu grobe gesetzliche Typisierung – in einem Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 EG und ferner in einer Verletzung des aus verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen abzuleitenden Grundsatzes der Gleichbehandlung sehen will.8 Allerdings hat der EuGH die Stellung des nationalen Richters gestärkt. Dieser sei unabhängig von Umsetzungsfristen von Richtlinien generell verpflichtet, gemeinschaftswidriges nationales Recht aus eigener Zuständigkeit unangewendet zu lassen. Dieser Aufforderung ist das Arbeitsgericht Berlin mit seiner Entscheidung vom 30.03.2006 9 gefolgt und hat die zu Satz 3 angestellten Erwägungen des EuGH auf § 14 Abs. 3 Satz 1 TzBfG a.F. übertragen und dessen Gemeinschaftswidrigkeit festgestellt.10 Danach ist selbst diese bisher grundlegende Bestimmung europarechtswidrig, wonach jedenfalls ab Vollendung des 58. Lebensjahres nahezu grenzenlos ohne Sachgrund befristet werden durfte. Für die Gemeinschaftskonformität dieser Regelung hatten sich bis zuletzt gewichtige Stimmen im Schrifttum stark gemacht und dabei auf die ohnehin zeitliche Begrenzung der sachgrundlosen Befristung („materielle“ Sachgrundbefristung) über das allgemeine Ruhestandsalter mit dem vollendeten 65. Lebensjahr hingewiesen.11
III. Neuer Normansatz 1. Initiative „50 Plus“ Zum 01. Mai 2007 ist Artikel 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen in Kraft getreten,12 der eine neue Altersbefristungsregelung in § 14 Abs. 3 TzBfG enthält. Sie ist Bestandteil des Pakets der Initiative „50 Plus“, die neben arbeitsmarkpolitischen Instrumenten wie neugestalteten Eingliederungszuschüssen und einzuführenden Kom-
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Körner NZA 2005, 1395, 1397; Annuß BB 2006, 325; Junker EuZW 2006, 524, 528 f.; HWK/Schmalenberg 2. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 126; Bader NZA 2007, 713. 9 – 81 Ca 1543/06 – = LAGE § 14 TzBfG Nr. 27. 10 KR/Lipke 8. Aufl, § 620 BGB Rn. 99a ff.; derselbe § 14 TzBfG Rn. 344. 11 Preis/Gotthardt DB 2000, 2072; Thüsing/Lambrich BB 2002, 832; Koberski NZA 2005, 79, 82. 12 BGBl. I 2007 S. 538.
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bilöhnen für Ältere auch die neue Befristungsregelung in § 14 Abs. 3 TzBfG bereit hält. Die gesetzlichen Regelungen sollen insgesamt – vor dem Hintergrund des demografischen Wandels unserer Gesellschaft – zu einer Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und der Beschäftigungschancen älterer Menschen beitragen. Es gelte ferner Fehlanreize zur Frühverrentung zu beseitigen und gleichzeitig das Renteneintrittsalter schrittweise zu erhöhen. Die präventive Weiterbildungsförderung älterer Arbeitnehmer im Sinne lebenslangen Lernens werde erweitert und attraktiver gestaltet; sie setzt nun bereits ab dem 45. Lebensjahr ein. Diese maßgebenden gesetzgeberischen Beweggründe für die neue Regelung in § 14 Abs. 3 TzBfG sind dem Gesetzentwurf zur „Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen aus November 2006“ 13 zu entnehmen. § 14 Abs. 3 TzBfG lautet nunmehr wie folgt: „Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gewesen ist, Transferkurzarbeitergeld bezogen oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch teilgenommen hat. Bis zu der Gesamtdauer von fünf Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung des Arbeitsvertrages zulässig.“ 2. Kernelemente der neuen Bestimmung Neu an dieser ersetzenden Regelung ist, dass die Altersgrenze für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge ohne sachlichen Befristungsgrund nun dauerhaft auf das 52. Lebensjahr festgelegt ist. Um den Anforderungen des EuGH in der Entscheidung Mangold zu genügen, setzt eine sachgrundlose Befristung zusätzlich voraus, dass der ältere Arbeitnehmer vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos war oder als Bezieher von Transferkurzarbeitergeld oder als Teilnehmer an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme nach dem SGB II oder SGB III vergleichbare Schwierigkeiten hat, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen neuen Arbeitsplatz zu erhalten. Mehrfache Verlängerungen des Ausgangsarbeitsvertrags sind zulässig; allerdings darf die Höchstbefristungsdauer von fünf Jahren bei einem Arbeitgeber nicht überschritten werden. Das frühere Abstandsgebot von sechs Monaten zur unbefristeten Vorbeschäftigung vor Neubegründung eines sachgrundlosen neuen befristeten Arbeits13
BT-Drucksache 16/3793 S. 7.
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vertrages bei demselben Arbeitgeber (§ 14 Abs. 3 Satz 2 TzBfG a.F.) ist mithin durch eine viermonatige Beschäftigungslosigkeit oder einen insoweit gleichwertigen Sachverhalt ersetzt worden.
IV. Einzelfragen 1. Vollendung des 52. Lebensjahres Bei Beginn der befristeten Beschäftigung muss der ältere Arbeitnehmer das 52. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzung tritt ein mit dem 52. Geburtstag. Ab diesem Zeitpunkt kann die Befristung auf § 14 Abs. 3 TzBfG gestützt werden. Allerdings ist es zulässig, den befristeten Arbeitsvertrag schon vor Beschäftigungsaufnahme und vor Vollendung des 52. Lebensjahres abzuschließen. Daher kann noch im bestehenden Arbeitsverhältnis mit einem anderen, unter Umständen sogar mit demselben Arbeitgeber wegen einer zukünftigen Beschäftigungslosigkeit eine Altersbefristung für den Tag nach Erreichen des 52. Lebensjahres vereinbart werden, soweit der Arbeitnehmer vor Beginn der Arbeitsaufnahme mindestens vier Monate beschäftigungslos war. Die Sperre in § 14 Abs. 2 und 2a TzBfG, wonach eine sachgrundlose Befristung des Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber bei einer sogenannten Vorbeschäftigung unzulässig ist, kommt hier nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zum Tragen.14 Allerdings bleibt bei späterer befristeter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu prüfen, ob ein Umgehungstatbestand gegeben ist. Davon dürfte auszugehen sein, wenn der ältere Arbeitnehmer nach viermonatiger Unterbrechung auf einem Dauerarbeitsplatz eingesetzt wird, den er bereits vorher schon innehatte. 2. Vier Monate Beschäftigungslosigkeit (a) Die Berechnung der Mindestfrist von vier Monaten richtet sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. § 191 BGB kommt nicht zur Anwendung, da der Gesetzgeber – aus arbeitsmarktpolitischen Gründen – kurzzeitige Beschäftigungen während der viermonatigen Beschäftigungslosigkeit für unschädlich hält. Unproblematisch ist die Erfüllung dieser Voraussetzung nur dann, wenn eine sachgrundlose Befristung nach viermonatiger „klassischer“ Arbeitslosigkeit vereinbart wird, da sich diese anhand von Bescheiden der Agentur für Arbeit problemlos nachweisen lässt. Da nun aber hierzu ebenso die Beschäftigungslosigkeit im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (nicht § 119 Abs. 3 SGB III), der Bezug 14 KR/Lipke 8. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 351; Schiefer/Köster/Korte DB 2007, 1081, 1083; Bauer NZA 2007, 544; Grimm/Brock ArbRB 2007, 154, 156 f.
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von Transferkurzarbeitergeld (§ 216 Abs. 2 SGB III) und die Teilnahme an öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahmen (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Arbeitsgelegenheiten) nach dem SGB II und SGB III zählen, tun sich bei der sachgrundlos befristeten Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zugleich Chancen und Risiken auf. So will der Gesetzgeber mit seinem bewussten Setzen auf Beschäftigungs- und nicht allein auf Arbeitslosigkeit diejenigen älteren Arbeitnehmer zusätzlich berücksichtigen, die aus persönlichen Gründen daran gehindert waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder dem Arbeitsmarkt nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung stehen.15 (b) Demnach wäre schon ein Arbeitnehmer, der nach den Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, ebenfalls beschäftigungslos im Sinne von § 14 Abs. 3 TzBfG. Das soll aber nicht gelten bei der Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger, selbst wenn die Arbeitsoder Tätigkeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst. § 119 Abs. 3 SGB III ist insoweit nicht anzuwenden.16 Diese Differenzierung, die sich im Wortlaut des Gesetzestextes nicht wiederfindet, ist schwer verständlich. In beiden Fällen steht der Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt nicht voll umfänglich zur Verfügung und hat ggf. sogar Anspruch auf parallelen Bezug von Arbeitslosengeld. Wenn es dann an anderer Stelle in der Gesetzesbegründung noch heißt, dass kurzzeitige Beschäftigungen während der viermonatigen Beschäftigungslosigkeit als unschädlich angesehen werden 17, fehlt es vollends an einer gesetzgeberisch klar nachvollziehbaren Zielsetzung. Schließlich geht es doch jedes Mal darum, eine Benachteiligung derjenigen Arbeitssuchenden zu vermeiden, die alle Möglichkeiten nutzen, ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden und deshalb auch kurzzeitige Arbeitseinsätze wahrnehmen18. Die Klärung dieser Zweifelsfrage wird wohl die Rechtsprechung vornehmen müssen. (c) Der Begriff der „Beschäftigungslosigkeit“ könnte dazu verführen, die unwiderrufliche Freistellung im bestehenden Arbeitsverhältnis zu nutzen, um nach Ablauf von vier Monaten eine weitere oder neue Altersbefristung ohne Sachgrund abzuschließen.19 Abgestellt wird dabei auf die im Sozialrecht anerkannte Beschäftigungslosigkeit, die unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts durch tatsächliche Nichtbeschäftigung des Versicherten ge15
BT-Drucksache 16/3793, S. 7 f. BT-Drucksache 16/3793 S. 9; ebenso Schiefer/Köster/Korte DB 2007, 1085; Grimm/ Brock ArbRB 2007, 156; anders ohne Begründung HK-TzBfG/Boecken 2007 § 14 TzBfG Rn. 146. 17 BT-Drucksache 16/3793, S. 8. 18 KR/Lipke 8. Aufl, § 14 TzBfG Rn. 352; Bauer NZA 2007, 544; a.A. Bader NZA 2007, 715 f.; Laux/Schlachter TzBfG § 14 Rn. 127. 19 So Schiefer/Köster/Korte DB 2007, 1083 f., 1085. 16
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kennzeichnet ist.20 Dies würde erlauben, im rechtlich-formal fortbestehenden Arbeitsverhältnis bereits die Viermonatsfrist für eine der sachgrundlosen Befristungen vorausgehende Beschäftigungslosigkeit im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, 14 Abs. 3 TzBfG zu erfüllen. Die Beschäftigungslosigkeit soll dann nur im Fall der widerruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung scheitern.21 (d) Dem ist zu widersprechen. Freistellungen im bestehenden Arbeitsverhältnis sind keine Beschäftigungslosigkeit im Sinne der Regelung in § 14 Abs. 3 TzBfG. Das Gesetz stellt Zeiten der Beschäftigungslosigkeit, Zeiten des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld und Zeiten der Teilnahme an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme nach SGB II oder III ausdrücklich gleich. Vorliegen muss die Beschäftigungslosigkeit nach dem Wortlaut der Norm erst zum Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses und nicht schon bei Vertragsschluss.22 Wenn der Gesetzgeber mit dem Begriff „Beschäftigungslosigkeit“ über den Eintritt der klassischen Arbeitslosigkeit hinaus die „drohende Arbeitslosigkeit“ vermeiden helfen will, so kann diese Ausweitung im Ergebnis nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, sich selbst durch einseitige unwiderrufliche Freistellung älterer Arbeitnehmer im befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis die Voraussetzungen für einen unmittelbaren Anschluss einer sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 3 TzBfG zu schaffen. Diese Sachlage ist nicht der bei Bezug von Transferkurzarbeitergeld vergleichbar, da dem in der Regel eine Betriebsänderung in Form einer Betriebseinschränkung vorangegangen ist und deshalb die Beschäftigungslosigkeit auf schwerwiegende betriebliche Gründe zurückzuführen ist. Das Transferkurzarbeitergeld soll gerade den direkten Übergang in eine neue Beschäftigung („Job to Job“) ermöglichen. Es ist deshalb arbeitsmarktpolitisch durchaus sinnvoll, hier eine direkte Brücke zu schaffen und zusätzliche Anreize für den einstellenden Arbeitgeber zu bieten.23 Ähnliches gilt für die Teilnahme an öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahmen nach dem SGB II und SGB III. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um eine Hilfe, die gegenüber jeder anderen arbeitsmarktpolitischen Förderung nachrangig und ohne die Arbeitslosigkeit unausweichlich ist.24 Auch hier macht die Gleichsetzung von Arbeitslosigkeit und Beschäftigungslosigkeit Sinn, da sie nicht in der Hand eines einzelnen Arbeitgebers liegt. 20 BSG vom 28.09.1993 – 11 Rar 69/92 – = NZS 1994, 140; Schlegel NZA 2005, 972; Bauer NZA 2007, 409. 21 Schiefer/Köster/Korte DB 2007, 1085. 22 Zutreffend Grimm/Brock ArbRB 2007, 157; i.E. ebenso Laux/Schlachter TzBfG § 14 Rn. 127; Bader NZA 2007, 715. 23 Bauer NZA 2007, 544. 24 Schiefer/Köster/Korte DB 2007, 1085 f. unter Aufzählung der arbeitsförderungsrechtlichen Einzelmaßnahmen.
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3. Höchstbefristung (a) Im „Reich der sachgrundlosen Befristung“ tritt nun neben die zweijährige und vierjährige Höchstbefristung (Abs. 2 und Abs. 2 a) die fünfjährige sachgrundlose Befristung für ältere Arbeitnehmer. Eine Unterbrechung des Fünfjahreszeitraums ist nicht statthaft, da der arbeitsvertragliche Rahmen fünf Jahre nicht überschreiten soll. Offen ist, ob ein und derselbe Arbeitgeber nach einer mindestens viermonatigen Beschäftigungslosigkeit den Arbeitnehmer erneut für fünf Jahre sachgrundlos befristet beschäftigen darf. Da der Gesetzgeber auf die persönliche Lage des Arbeitnehmers am Arbeitsmarkt abstellt und sich die Situation nach Ablauf der Fünfjahresfrist wieder einstellen kann, wäre jedenfalls eine erneute sachgrundlose Einstellung bei einem anderen Arbeitgeber vom Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung her unproblematisch. (b) Schwierig verhält es sich allerdings dagegen, wenn derselbe Arbeitgeber nach zwischengeschalteter viermonatiger Beschäftigungslosigkeit den älteren Arbeitnehmer erneut für fünf Jahre sachgrundlos befristet beschäftigen möchte. Hier steht zu vermuten, dass eine dauerhafte Beschäftigung möglich ist und deshalb an sich eine unbefristete Beschäftigung geboten wäre. Insoweit ist zu erinnern, dass die zugrunde liegende Befristungsrichtlinie 1999/70/EG mit ihren begrenzenden Voraussetzungen für eine zulässige Befristung vornehmlich der Sicherung des regelmäßig unbefristeten Arbeitsverhältnisses dienen soll.25 Die mögliche Ausnutzung der persönlichen Notlage des älteren Arbeitnehmers wäre bei einem solchen Sachverhalt in jedem Fall an den Vorgaben des § 10 AGG zu überprüfen. (c) Dem wird entgegengehalten, dass die eintretende viermonatige Beschäftigungslosigkeit die Berechtigung der erneuten Befristung mit demselben Vertragsarbeitgeber zulässig macht.26 Damit würde indessen die fünfjährige Höchstbefristung leicht zu umgehen sein. Bei gewillkürter Beschäftigungslosigkeit lässt sich der Gesetzeszweck dann nicht mehr erfüllen. Insoweit kann hierzu auf die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2006 27 in Sachen Adeneler und vom 07.09.2006 28 in Sachen Marruso, Sardino hingewiesen werden. Danach würden die mit der Richtlinie 1999/70/EG angestrebten Begrenzungen von Befristungen unterlaufen, wenn sie mit kurzer zeitlicher Unterbrechung erneut wieder aufgenommen werden können.29 Diese Gefahr tritt auch hier ein, wenn derselbe Arbeitgeber nach Unterbrechung wiederum fünf Jahre lang sachgrundlos das Arbeits25
Vgl. KR/Lipke 8. Aufl., § 620 BGB Rn. 94. Grimm/Brock ArbRB 2007, 157; HK-TzBfG/Boecken, 2007 § 14 TzBfG Rn. 150. 27 – C 212/04 – = NJW 2006, 2465. 28 – C 53/04 – = NZA 2006, 1265. 29 KR/Lipke 8. Aufl., § 620 BGB Rn. 99d; ebenso Bader NZA 2007, 716; Laux/ Schlachter TzBfG § 14 Rn. 130; APS/Backhaus 3. Aufl./14 TzBfG Rn. 425, 435 f.; kritisch auch Bayreuther BB 2007, 1113, 1115. 26
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verhältnis befristen kann. Selbst wenn der Begriff desselben Arbeitgebers und die nur einmalige Beschäftigung nach § 14 Abs. 3 TzBfG dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen ist, würde eine großzügige Handhabung erneut europarechtliche Probleme aufwerfen und ebenso nach deutschem Verfassungsrecht mehr als zweifelhaft sein. Ein als Mittel beruflicher Eingliederung geschaffener attraktiver Einstieg in ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis darf nicht zu einem Instrument werden, ältere Arbeitnehmer dauerhaft in ungesicherten Arbeitsverhältnissen zu halten. Es ist dann das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verletzt, das ein Absinken unter den grundrechtlich geforderten Mindestbestandsschutz aus Artikel 12 GG zu verhindern hat.30 Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, da dem Arbeitgeber neben der Befristung nach § 14 Abs. 3 TzBfG Befristungen mit Sachgrund nach § 14 Abs. 1 und erstmalige sachgrundlose Befristungen nach § 14 Abs. 2 und Abs. 2a TzBfG erlaubt bleiben. Schließlich hat der Gesetzgeber – anders als nach Abs. 2 und Abs. 2a – für die sachgrundlose Befristung älterer Arbeitnehmer keine tarifdispositiven Regelungen zugelassen. Das spricht für eine bewusste Begrenzung des Anwendungskreises. Von daher ist hier eine teleologische Reduktion der Gesetzesbestimmung unumgänglich.
V. Fazit Die Neuregelung in § 14 Abs. 3 TzBfG ist ein Zugewinn an Rechtssicherheit und kann – bei dem anspringenden Arbeitsmarkt – die befristete Beschäftigung älterer Arbeitnehmer erheblich steigern. Versuche, der zulässigen ausgedehnten sachgrundlosen Befristung durch am Wortlaut der Bestimmung klebende Auslegungskniffe zusätzliche Türen zu öffnen, müssen die Arbeitsgerichte mit Blick auf die Kernziele der einschlägigen Vorschriften im Europarecht und Verfassungsrecht begegnen. Auch bei Zunahme befristeter Beschäftigung muss das unbefristete Arbeitsverhältnis die Regel bleiben.
30 ErfK/Dieterich 7. Aufl., Art. 12 GG Rn. 34 ff.; KR/Lipke 8. Aufl., § 14 TzBfG Rn. 366.
Verfahrensgrundrechte und Rechtsmittelsystem im Arbeitsgerichtsprozess Volker Lipp I. Einleitung Das BVerfG sieht es seit langem als Aufgabe der Fachgerichte an, dem Verstoß eines Gerichts gegen ein Verfahrensgrundrecht einer Partei innerhalb der jeweiligen Gerichtsbarkeit abzuhelfen.1 Dementsprechend haben die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit im Einklang mit den Zivilgerichten früher insbesondere bei Verletzungen von Verfahrensgrundrechten eine „außerordentliche“, d.h. gesetzlich nicht vorgesehene Beschwerde bzw. eine Gegenvorstellung gegen die an sich unanfechtbare Entscheidung zugelassen.2 Im Beschluss vom 30.4.2003 ging das Plenum des BVerfG 3 noch einen Schritt weiter: Aus dem Justizgewährungsanspruch der Parteien folge, dass ihnen ein Rechtsbehelf zustehen müsse, wenn das Gericht gegen das Gebot rechtlichen Gehörs in Art. 103 I GG verstoße. Anderseits müsse auch ein derartiger Rechtsbehelf wegen der rechtsstaatlich gebotenen Rechtsmittelklarheit im Gesetz geregelt und in seinen Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein. Die von der Rechtsprechung entwickelten „außerordentlichen Rechtsbehelfe“ genügten diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Ansicht des BVerfG nicht. Daraus wird vielfach der Schluss gezogen, im heutigen Arbeitsgerichtsprozess sei die Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen wegen der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das entscheidende Gericht nur insoweit möglich, als die Entscheidung entweder nach allgemeinem Rechtsmittelrecht anfechtbar sei oder die besonderen Rechtsbehelfe der Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) bzw. der sofortigen Beschwerde wegen verspäteter Absetzung der Entscheidung (§§ 72b, 92b ArbGG) eingriffen. Die „außerordentliche“, d.h. gesetzlich nicht vorgesehene Beschwerde sei demnach
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Vgl. nur BVerfGE 55, 1, 5; BVerfGE 63, 77, 79; BVerfGE 73, 322, 327 ff. Überblick bei Müller-Glöge in: Germelmann/Matthes/Müller-Glöge/Prütting, ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 78 ArbGG Rn. 8; Schwarze ZZP 115 (2002), 25 ff. 3 BVerfGE 107, 395, 407 ff., 416 f. 2
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ebenso ausgeschlossen wie die Gegenvorstellung.4 So kann nach der Rechtsprechung des BAG zwar die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht, nicht aber die objektive Willkürlichkeit des Berufungsurteils oder ein sonstiger, nicht im Katalog der Zulassungsgründe enthaltener Verfahrensverstoß mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden (§§ 72 II, 72a ArbGG),5 was auch für das Beschlussverfahren gilt (§§ 92 I, 92a ArbGG). Gegen andere Entscheidungen des LAG ist die Rechtsbeschwerde nur eröffnet, wenn sie entweder kraft Gesetzes statthaft oder vom LAG zugelassen worden ist (§§ 78 ArbGG, 574 I ZPO). Hier könne nur die Verletzung rechtlichen Gehörs mit der Anhörungsrüge des § 78a ArbGG gerügt werden.6 Für Verletzungen anderer Verfahrensgrundrechte oder des Willkürverbots scheint es danach keine Abhilfemöglichkeit innerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit zu geben.7 Demgegenüber ging der Gesetzgeber des Anhörungsrügengesetzes 2004 8 davon aus, dass Verletzungen anderer Verfahrensgrundrechte auch weiterhin mit der außerordentlichen Beschwerde oder der Gegenvorstellung gerügt werden könnten.9 Dem sind einige Landesarbeitsgerichte ebenso wie Gerichte anderer Gerichtsbarkeiten gefolgt und haben eine gesetzlich nicht vorgesehene Beschwerde weiterhin als „außerordentliche“ zugelassen, wenn ein gravierender Verfahrensverstoß vorliegt 10 oder die Entscheidung objektiv willkürlich ist.11 Auch in der Literatur gewinnen die „außerordentliche Beschwerde“ und die Gegenvorstellung ungeachtet des Verdikts des BVerfG wieder an Zustimmung.12 Das wirft die Frage auf, ob der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz bei der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das Gericht de lege lata nur dadurch zu erreichen ist, dass man die ebenfalls verfassungs-
4 BAG AP Nr. 1 zu § 78a ArbGG = BAGE 115, 330 (außerordentliche Beschwerde); Düwell/Lipke/Treber ArbGG, 2. Aufl. 2005, § 78 ArbGG Rn. 62 f. 5 BAG NZA 2007, 581; zur Rechtslage vor dem Inkraftreten des Anhörungsrügengesetzes zum 1.1.2005 vgl. Müller-Glöge in: Germelmann (Fn. 2), § 72a ArbGG Rn. 2. 6 BAG AP Nr. 1 zu § 78a ArbGG = BAGE 115, 330. 7 Vgl. dazu kritisch GK-ArbGG/Dörner § 78a ArbGG (Stand 9/2005) Rn. 8. 8 Gesetz über die Rechtsbehelfe bei der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004, BGBl. I S. 3220. Das Gesetz trat zum 1. Januar 2005 in Kraft. 9 BT-Drucks. 15/3706, S. 14. 10 LAG Hamm AE 2007, 94 (Untätigkeitsbeschwerde). 11 LAG Rheinland-Pfalz ArbuR 2006, 335 (obiter dictum); BFH NJW 2004, 2854; BFH NJW 2005, 3374; OLG München FGPrax 2005, 278 ff. 12 Für die außerordentliche Beschwerde z.B. Henssler/Willemsen/Kalb ArbGG, 2. Aufl. 2006, § 78 ArbGG Rn. 32 ff.; Thomas/Putzo/Reichold ZPO, 28. Aufl. 2007, § 567 ZPO Rn. 9; Bloching/Kettinger NJW 2005, 860, 863; für die Gegenvorstellung als Instrument fachgerichtlicher Selbstkorrektur z.B. Germelmann FS Schwerdtner, 2003, S. 671, 679ff.; Oberthür ArbRB 2005, 25, 27.
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rechtlich gebotene Rechtsmittelklarheit opfert,13 bzw. ob das gesetzliche Rechtsbehelfssystem diesen Rechtsschutz de lege lata nicht gewährleisten kann.14 Diese Frage ist umso drängender geworden, da auch der EGMR 15 aus Art. 13 EMRK das Recht der Prozessparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf ableitet, wenn das Gericht durch seine Untätigkeit Art. 6 I EMRK verletzt. In seiner Entscheidung vom 8.6.2006 befand der EGMR, dass ein solcher wirksamer Rechtsbehelf im deutschen Recht derzeit nicht vorhanden sei, da insbesondere die „Untätigkeitsbeschwerde“ sehr umstritten und nicht höchstrichterlich gebilligt sei.16 Der nachfolgende, dem Prozess- und Arbeitsrechtler Hansjörg Otto gewidmete Beitrag untersucht diese Frage für den Arbeitsgerichtsprozess. Dafür sind zunächst die Vorgaben herauszuarbeiten, die sich aus dem Grundgesetz und der EMRK für die Rechtsbehelfe wegen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das Gericht ergeben (dazu II.). Auf dieser Grundlage ist dann zu klären, ob der Arbeitsgerichtsprozess heute noch „außerordentliche Rechtsbehelfe“ kennt (dazu III.), um dann die Möglichkeiten innerhalb des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems zu untersuchen (dazu IV.). Abschließend sei ein Blick auf die – hier nicht näher untersuchte – Problematik bei Verletzungen materieller Grundrechte geworfen (V.).
II. Anforderungen an das Rechtsmittelsystem aus Verfassung und EMRK Das Grundgesetz enthält in Art. 19 IV GG eine ausdrückliche Garantie des Rechtsschutzes gegen Akte der vollziehenden Gewalt.17 Die allgemeine Garantie eines wirksamen und effektiven Rechtsschutzes, d.h. der Justizgewährungsanspruch folgt dagegen aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG.18 Hierin finden der Arbeitsgerichtsprozess und der Zivilprozess ihre verfassungsrechtliche Grundlage.19 Der Justizgewährungsanspruch sichert den Zugang zu Gericht und fordert ein faires Verfahren.20 Das Grundgesetz sucht ein solches faires Verfahren durch institutionelle Vorkehrungen wie die
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So z.B. Bloching/Kettinger NJW 2005, 860, 863. So z.B. Rensen MDR 2005, 181, 182, 185. 15 EGMR NJW 2006, 2389 (Sürmeli); vgl. schon EGMR NJW 2001, 2694 (Kudla). 16 EGMR NJW 2006, 2389, 2392 (Sürmeli). 17 BVerfGE 107, 395, 403 ff.; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann Kommentar zum Grundgesetz (Stand November 2006), Art. 19 IV GG Rn. 45 ff. 18 BVerfGE 93, 99, 107; BVerfGE 107, 395, 406 f.; Maunz/Dürig/Grzeszick (Fn. 17), Art. 20 GG VII. Rn. 132 f. 19 Prütting in: Germelmann (Fn. 2), Einleitung Rn. 36. 20 BVerfGE 107, 395, 401; BVerfGE 70, 297, 308; Maunz/Dürig/Grzeszick (Fn. 17), Art. 20 GG VII. Rn. 135. 14
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Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 I GG) und durch Verfahrensgarantien wie das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) und das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) zu sichern.21 Effektiv und wirksam ist der Rechtsschutz jedoch nur, wenn der Rechtsstreit in angemessener Zeit entschieden wird und damit endgültig beendet ist.22 Eröffnung und Abschluss des Rechtswegs sind daher keine Gegensätze, sondern nur zwei verschiedene Aspekte des Gebots des effektiven Rechtsschutzes.23 Das ist gerade im Arbeitsgerichtsprozess von besonderer Bedeutung, wie § 9 I ArbGG zeigt.24 Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, den Rechtsweg und den Instanzenzug auszugestalten. Ein Instanzenzug ist von der Verfassung nicht garantiert. Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Entscheidung angefochten und ggf. von einer höheren Instanz überprüft werden kann.25 Entscheidet er sich dafür, den Zugang zu einem Rechtsbehelf zu eröffnen, muss er dabei wiederum das Gebot des effektiven Rechtsschutzes beachten.26 Den Verfahrensgrundrechten kommt in diesem Zusammenhang eine zweifache Bedeutung zu. Sie sind zum einen konstitutiv für das faire Verfahren und enthalten zum anderen ein subjektives grundrechtsgleiches Recht der Partei.27 In dieser zweiten Funktion richtet sich das Verfahrensgrundrecht an das Gericht, das über den Rechtsstreit entscheidet. Verletzt das Gericht ein solches Verfahrensgrundrecht, ist die Urteilsverfassungsbeschwerde erst eröffnet, wenn der Rechtsweg erschöpft ist (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 II 1 BVerfGG). Vorrang hat daher die Korrektur solcher Verstöße innerhalb der Fachgerichtsbarkeit, sei es im Wege des Rechtsmittels durch ein höheres Gericht oder in Form einer „Selbstkorrektur“ durch das entscheidende Gericht.28 Das entspricht sowohl der Subsidiariät der Verfassungsbeschwerde als auch dem Gebot effektiven Rechtsschutzes.29 Die Verfassung vertraut
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BVerfGE 107, 395, 402 f. BVerfGE 107, 395, 401 f.; Maunz/Dürig/Grzeszick (Fn. 17), Art. 20 GG VII. Rn. 139; vgl. auch BVerfGE 88, 118, 123 f.; BVerfGE 60, 253, 269; BVerfGE 55, 349, 369; und schon BVerfGE 1, 433, 437. 23 BVerfGE 88, 118, 123 f. 24 Dazu sowie zur Frage, ob die Norm darüber hinaus einen selbständigen Regelungsgehalt hat, vgl. Prütting in: Germelmann (Fn. 2), § 9 ArbGG Rn. 2 ff. 25 BVerfGE 107, 395, 402 f., 408; BVerfGE 54, 277, 291; Huber in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. Aufl. 2005, Art. 19 GG Rn. 471. 26 BVerfGE 107, 395, 405; BVerfGE 96, 29, 39; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 25), Art. 19 GG Rn. 453, 471; Dreier/Schultze-Fielitz Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 19 GG Rn. 94 f. Dasselbe gilt für die Garantien des Art. 6 I EMRK, vgl. EGMR NJW 2001, 2694, 2697 (Kudla) m.w.N. 27 BVerfGE 107, 395, 407 (allgemein), 408 (rechtliches Gehör). 28 BVerfGE 55, 1, 5; BVerfGE 63, 77, 79; BVerfGE 73, 322, 327 ff.; Arens Anhörungsrüge und Gegenvorstellung, 1987, S. 30 f. 29 BVerfGE 107, 395, 410, 413 ff. 22
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demnach die Abhilfe bei Verstößen eines Gerichts gegen Verfahrensgrundrechte dem Rechtsbehelfssystem der jeweiligen Gerichtsbarkeit an. Damit werden allerdings die verschiedenen prozessualen Beschränkungen der Anfechtbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung bis hin zu ihrer generellen Unanfechtbarkeit verfassungsrechtlich problematisch. Sie sind zwar einerseits hinsichtlich des Ausgangsrechtsstreits im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes rechtsstaatlich geboten,30 schließen aber andererseits zugleich die Überprüfung und Korrektur eines gerichtlichen Verstoßes gegen ein Verfahrensgrundrecht aus. Der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Justizgewährungsanspruch gewährleistet jedoch auch Rechtsschutz gegen die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das entscheidende Gericht. Den Parteien muss daher ein entsprechender Rechtsbehelf zur Verfügung stehen, mit dem sie sich gegen die erstmalige Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das entscheidende Gericht wenden können.31 Für diesen Rechtsbehelf gelten dann die bereits dargestellten Grundsätze:32 Er muss effektiven Rechtsschutz gewähren, d.h. eine wirksame Abhilfe in angemessener Zeit ermöglichen und die mögliche Fehlerhaftigkeit endgültig klären. Die Ausgestaltung obliegt auch hier dem Gesetzgeber. Er kann die Überprüfung entweder im Rahmen des allgemeinen Rechtsmittelsystems oder durch einen besonderen Rechtsbehelf vorsehen, der auch an den iudex a quo gehen kann.33 Letzteres wird in der Literatur kritisiert, weil die Selbstkontrolle durch den entscheidenden Richter nur in „Pannenfällen“ effektiven Rechtsschutz gewähren könne, nicht aber in allen anderen Fällen. Aus dieser Sicht ist der Rechtsschutz nur effektiv, wenn der Rechtsbehelf wegen einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten entweder zu einem höheren Gericht oder jedenfalls zu einem anderen Spruchkörper desselben Gerichts führt.34 Das mag rechtspolitisch sinnvoll sein, verfassungsrechtlich geht es jedoch ausschließlich darum, ob das Grundgesetz den Gesetzgeber dazu verpflichtet bzw. einen Anspruch der Parteien darauf begründet. Das hat das BVerfG ausdrücklich verneint und als Vorbild für eine gesetzliche Regelung auf die Gehörsrügen der §§ 321a ZPO, 33a, 311a StPO verwiesen, die eine Abhilfe durch den iudex a quo vorsehen.35 Ein Rechtsbehelf an den iudex a quo ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wie alle Rechtsmittel und Rechtsbehelfe muss auch der Rechtsbehelf gegen eine gerichtliche Verletzung von Verfahrensgrundrechten dem Gebot
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Oben im Text bei Fn. 22. BVerfGE 107, 395, 407 ff. 32 BVerfGE 107, 395, 411 ff.; vgl. auch Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2197. 33 BVerfGE 107, 395, 411 f. 34 So z.B. Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2196 f.; Vollkommer NJW-Sonderheft BayObLG 2005, S. 68 f.; ders. FS Beys, 2003, S. 1697, 1711 f. 35 BVerfGE 107, 395, 412, 416. 31
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der Rechtsmittelklarheit genügen. Die Rechtsbehelfe, ihre Voraussetzungen und ihr Verfahren müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und für den Bürger erkennbar sein.36 Verletzungen von Verfahrensgrundrechten sind daher im Rahmen des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems zu korrigieren.37 Das BVerfG hatte zwar nur über das rechtliche Gehör zu entscheiden, weil sich die Vorlage des 1. Senats darauf beschränkte. Es stellte aber ausdrücklich fest, dass der Justizgewährungsanspruch auch bei der erstmaligen Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte durch ein Gericht einen entsprechenden Rechtsschutz gebiete.38 Auch sachlich spricht alles für eine Gleichbehandlung der Verfahrensgrundrechte.39 Hierzu muss man seit der Entscheidung des EGMR vom 8.6.2006 (Sürmeli) 40 auch die Verfahrensgrundrechte der EMRK und hier insbesondere diejenigen des Art. 6 I EMRK 41 zählen. Wie die Verfassungsbeschwerde ist die Beschwerde zum EGMR wegen der Verletzung eines Konventionsgrundrechts gegenüber den innerstaatlichen Rechtsbehelfen subsidiär (Art. 13, 35 I EMRK). Art. 13 EMRK flankiert die Grundrechte der EMRK, indem er eine Beschwerde im innerstaatlichen Recht zu ihrer Durchsetzung garantiert. Lange Zeit hatte diese Garantie jedoch keine eigenständige Bedeutung im Rahmen der EMRK. In der Entscheidung Kudla aus dem Jahre 2000 leitete der EGMR aus Art. 13 EMRK erstmals einen eigenständigen Anspruch auf eine innerstaatliche Beschwerde ab, die der Verletzung des Art. 6 I EMRK durch eine überlange Verfahrensdauer wirksam abhelfen kann.42 Der EGMR hatte demnach für die EMRK bereits den Anspruch einer Partei auf einen wirksamen prozessualen Rechtsbehelf gegen die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das Gericht anerkannt, als das BVerfG im Jahre 2003 diesen Schritt für die Verfahrensgrundrechte des Grundgesetzes vollzog.
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BVerfGE 107, 395, 416 f.; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2198. Zöller/Gummer ZPO, 26. Aufl. 2007, § 567 ZPO Rn. 25; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2198 ff. 38 BVerfGE 107, 395, 407 f. = NJW 2003, 1924; vgl. auch BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) NJW 2004, 1371. 39 Vgl. dazu BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 2005, 3059 f.; HessStGH NJW 2005, 2217, 2218 und NJW 2005, 2219, 2220; sowie Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2197; Kroppenberg ZZP 116 (2003) 421, 434 f.; Scheuch/Lindner ZIP 2004, 973, 976; Bloching/Kettinger NJW 2005, 860, 862; Gehb DÖV 2005, 683, 685; Treber NJW 2005, 97, 100; und schon S. Pawlowski Zum außerordentlichen Rechtsschutz gegen Urteile und Beschlüsse bei Verletzung des Rechts auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG durch die Zivilgerichtsbarkeit, 1994, S. 177; H.-M. Pawlowski FS E. Schneider, 1997, S. 39, 44 ff., 60 ff. 40 EGMR NJW 2006, 2389 (Sürmeli); vgl. schon EGMR NJW 2001, 2694 (Kudla). 41 Auf Art. 6 I EMRK hatte schon das BVerfG in seinem Plenarbeschluss ergänzend hingewiesen, vgl. BVerfGE 107, 395, 408 f. 42 EGMR NJW 2001, 2694, 2698 ff. (Kudla). 37
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Im Verfahren Sürmeli ging es dann darum, ob das deutsche Verfahrensrecht einen derartigen Rechtsbehelf enthält.43 Dienstaufsichtsbeschwerde und Verfassungsbeschwerde hielt der EGMR für nicht effektiv, weil sie keine direkte Abhilfe herbeiführten. Die Amtshaftung ersetze nur den Vermögensschaden und bleibe daher hinter den Erfordernissen der EMRK zurück. Die „außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde“ habe keine gesetzliche Grundlage. Sie sei umstritten, höchstrichterlich nicht anerkannt und im Übrigen als ungeschriebener Rechtsbehelf angesichts der Plenarentscheidung des BVerfG verfassungsrechtlich problematisch. Daher fehle es im deutschen Recht an dem von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelf. Deutschland sei deshalb nach Art. 41 EMRK verpflichtet, einen solchen effektiven Rechtsbehelf zu schaffen.44 Seine prozessuale Ausgestaltung überlässt die EKMR den Mitgliedsstaaten. Sie stellt insoweit keine weitergehenden Anforderungen als das Grundgesetz. Ein Rechtsbehelf an den iudex a quo entspricht deshalb auch den Anforderungen der EKMR. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass den Parteien eines gerichtlichen Verfahrens sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der EMRK ein prozessualer Rechtsbehelf zustehen muss, wenn das Gericht in diesem Verfahren erstmalig ein Verfahrensgrundrecht verletzt. Dieser Rechtsbehelf muss der Verletzung effektiv abhelfen. Die Abhilfe kann entweder im Rahmen des allgemeinen Rechtsmittelsystems oder durch besondere Rechtsbehelfe erfolgen, die auch an den iudex a quo gerichtet sein können. Wegen der rechtsstaatlich gebotenen Rechtsmittelklarheit müssen die Rechtsbehelfe, ihre Voraussetzungen und ihr Verfahren in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt sein.
III. „Außerordentliche Rechtsbehelfe“ im Arbeitsgerichtsprozess? Der Gesetzgeber des Anhörungsrügengesetzes wollte die Vorgaben des Plenarbeschlusses des BVerfG umsetzen und umfassende Abhilfemöglichkeiten bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs schaffen. Die Frage nach den Rechtsbehelfen bei der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte hat er ausdrücklich nicht regeln wollen. Sie sollten nach seiner Vorstellung auch weiterhin mit der außerordentlichen Beschwerde oder der Gegenvorstellung gerügt werden können.45 Allerdings gilt auch für andere Verfahrensgrund43
Zum Nachfolgenden EGMR NJW 2006, 2389, 2391 ff. (Sürmeli). Zum Referentenentwurf eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren (Untätigkeitsbeschwerdengesetz) vom 22.8. 2005 vgl. Kroppenberg ZZP 119 (2006), 177, 189 ff.; Jakob ZZP 119 (2006), 303, 327 ff. 45 BT-Drucks. 15/3706, S. 14 („Damit trifft der Entwurf keine Aussage zu der Frage, wie die Gerichte künftig mit Verletzungen etwa des Willkürverbots umgehen sollten; …“); Vollkommer NJW-Sonderheft (Fn. 34), S. 64, 67; unzutreffend daher Rensen MDR 2005, 181, 182, 185; Zöller/Gummer (Fn. 37), § 567 ZPO Rn. 25. 44
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rechte dasselbe wie für den Anspruch auf rechtliches Gehör: Wegen der rechtsstaatlich gebotenen Rechtsmittelklarheit sind Verletzungen von Verfahrensgrundrechten im Rahmen des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems zu korrigieren. Das BVerfG 46 sah diese Anforderung bei den so genannten „außerordentlichen Rechtsbehelfen“ als nicht erfüllt an. Gegenüber diesem Verdikt des BVerfG reicht ein Hinweis auf die Vorstellungen des Gesetzgebers nicht aus.47 Es ist daher notwendig, die genannten Abhilfemöglichkeiten daraufhin zu überprüfen, ob sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. 1. Gegenvorstellung Die Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, den eine von einer Entscheidung beschwerte Partei einlegt, um eine Abänderung der Entscheidung durch die gleiche Instanz zu erreichen.48 Ihr eigentlicher Zweck besteht darin, der Partei auch da noch einen „Rechtsbehelf“ zu verschaffen, wo die beschwerende Entscheidung keinem Rechtsbehelf (mehr) unterliegt, also unanfechtbar ist.49 Sie setzt daher voraus, dass die Sache überhaupt noch der Entscheidungsbefugnis des Gerichts unterliegt und dieses seine Entscheidung auch von Amts wegen ändern könnte.50 Die Frage nach dem Anwendungsbereich der Gegenvorstellung ist daher keine andere als die, welche Entscheidungen für die Parteien unanfechtbar, für das Gericht aber gleichwohl nicht bindend sind.51 Bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten hatte das BAG eine Abänderungsbefugnis des entscheidenden Gerichts im Wege der Gegenvorstellung bejaht.52 Seit der Plenarentscheidung des BVerfG hält man dies mit der gebotenen Rechtsmittelklarheit für unvereinbar, da die Gegenvorstellung kein gesetzlicher Rechtsbehelf sei.53 Die Gegenvorstellung hat, was freilich meist übersehen wird, seit dem ZPO-Reformgesetz 2001 ihre gesetzliche Grundlage in § 572 I 1 ZPO ge-
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BVerfGE 107, 395, 416 f. (mit Verweis auf S. 396 f.). So aber z.B. BFH NJW 2004, 2854; BFH NJW 2005, 3374; OLG München FGPrax 2005, 278 ff. 48 Schwab/Weth ArbGG, 2004, § 78 ArbGG Rn. 106 ff.; MünchKomm/Lipp ZPO, 3. Aufl. 2007, Vor § 567 ZPO Rn. 7 ff. 49 BGH NJW-RR 2001, 279f.; Schwab/Weth (Fn. 48), § 78 ArbGG Rn. 106; Zöller/ Gummer (Fn. 37), § 567 Rn. 23. 50 Düwell/Lipke/Treber (Fn. 4), § 78 ArbGG Rn. 60; Schwab/Weth (Fn. 48), § 78 ArbGG Rn. 107, 110; Musielak/Ball ZPO, 5. Aufl. 2007, § 567 ZPO Rn. 27. 51 Vgl. dazu MünchKomm/Lipp (Fn. 48), § 567 ZPO Rn. 8ff.; Wieczorek/Schütze/ Peters/Jänich ZPO, 3. Aufl. 2005, Vor § 567 ZPO Rn. 35 ff. 52 BAG AP Nr. 4 zu § 577 ZPO; Schwab/Weth (Fn. 48), § 78 ArbGG Rn. 111 ff.; vgl. auch BGHZ 130, 97; BGH NJW 2002, 754; Kreft Festgabe K. Graßhof, 1998, S. 190 ff. 53 Düwell/Lipke/Treber (Fn. 4), § 78 ArbGG Rn. 62; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2198 ff. 47
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funden,54 der über § 78 S. 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren anwendbar ist. Danach ist das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, generell abhilfebefugt und zwar richtigerweise auch dann, wenn die Beschwerde unzulässig ist. Abhilfebefugt sind deshalb auch die Gerichte 2. und 3. Instanz, gegen deren Entscheidung eine sofortige Beschwerde nicht statthaft ist.55 Das Gericht trifft dann zwar keine prozessuale Pflicht zur Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, da sonst die unzulässige Beschwerde über diesen Umweg zulässig würde. Es hat jedoch die Befugnis, einer unzulässigen, nach seiner Ansicht aber begründeten Beschwerde abzuhelfen, falls es den gerügten Mangel auch von Amts wegen beseitigen darf, d.h. die Entscheidung nicht bindend ist.56 In der Sache ist daher die Gegenvorstellung von der sofortigen Beschwerde mit umfasst; sie geht im Abhilfeverfahren des § 572 I ZPO auf.57 Als gesetzlich geregelter Rechtsbehelf genügt die auf § 572 I ZPO gestützte Gegenvorstellung durchaus dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der Rechtsmittelklarheit. Der Rechtsbehelf bei Verletzungen von Verfahrensgrundrechten muss jedoch nicht nur dem Gebot der Rechtsmittelklarheit genügen, sondern auch den Justizgewährungsanspruch der Partei effektiv schützen. Der Partei muss daher ein prozessualer Rechtsbehelf zustehen, über den das Gericht zu entscheiden verpflichtet ist. Die Gegenvorstellung vermittelt jedoch gerade kein prozessuales Recht auf eine gerichtliche Entscheidung, weil die Entscheidung unanfechtbar ist.58 Der entscheidende verfassungsrechtliche Mangel der Gegenvorstellung liegt daher nicht in ihrer fehlenden gesetzlichen Grundlage, sondern darin, dass sie der Partei kein Recht auf eine gerichtliche Überprüfung verschafft und deshalb dem Justizgewährungsanspruch nicht genügt. 2. „Außerordentliche Beschwerden“ Die Zulassung von gesetzlich nicht eröffneten Beschwerden wegen „greifbarer Gesetzeswidrigkeit“ der angefochtenen Entscheidung durchbricht das formalisierte Rechtsmittelsystem 59 und bringt damit zwangsläufig Rechts54 Vgl. Wieczorek/Schütze/Peters/Jänich (Fn. 51), Vor § 567 ZPO Rn. 80 Fn. 130; MünchKomm/Lipp (Fn. 48), Vor § 567 ZPO Rn. 7; ähnlich Germelmann FS Schwerdtner (Fn. 12), S. 679. 55 MünchKomm/Lipp (Fn. 48), § 572 ZPO Rn. 3 m.w.N.; a.M. (Abhilfebefugnis nur bei Statthaftigkeit der Beschwerde) Germelmann, FS Schwerdtner (Fn. 12), S. 679. 56 Musielak/Ball (Fn. 50), § 567 ZPO Rn. 27, § 572 ZPO Rn. 4; Germelmann FS Schwerdtner (Fn. 12), S. 679 f. 57 MünchKomm/Lipp (Fn. 48), § 572 ZPO Rn. 4 ff.; vgl. schon Hahn/Stegemann Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 2, Materialien zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1883, S. 375. 58 Schwab/Weth (Fn. 48), § 78 ArbGG Rn. 109; MünchKomm/Lipp (Fn. 48), § 572 ZPO Rn. 6; aA Wieczorek/Schütze/Peters/Jänich (Fn. 51), Vor § 567 ZPO Rn. 87. 59 BGH LM Nr. 26 zu § 51 ZPO m. Anm. Pape; Schwarze ZZP 115 (2002), 25 ff.
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unsicherheit mit sich.60 Die „außerordentlichen Beschwerden“ entsprechen deshalb nicht dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit, wonach die Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und ihre Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein müssen.61 Nach der Neufassung des Rechtsmittelrechts und der Einführung der Anhörungsrüge durch das ZPO-RG 2001 62 und das Anhörungsrügengesetz 2004 63 hat das BAG in Übereinstimmung mit anderen obersten Bundesgerichten 64 die Möglichkeit einer außerordentlichen Beschwerde wegen „greifbarer Gesetzwidrigkeit“ generell verneint. Für sie sei im neuen Recht kein Platz mehr. Verstöße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör seien mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 II Nr. 3 ArbGG) oder mit der Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) zu rügen. Verletzungen anderer Verfahrensgrundrechte sollen nach dieser Rechtsprechung ebenfalls nicht mit der außerordentlichen Beschwerde angegriffen werden können, sondern sind nach dem Vorbild der Anhörungsrüge auf Gegenvorstellung durch das entscheidende Gericht im Wege der Selbstkorrektur zu beheben.65 Die Gegenvorstellung ist jedoch aus den oben 66 dargestellten Gründen kein verfassungsrechtlich adäquater Rechtsbehelf. Wenn andererseits die „außerordentlichen Beschwerden“ mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht vereinbar sind, müssen Verletzungen von Verfahrensgrundrechten im Rahmen des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems korrigiert werden.67
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Zöller/Gummer (Fn. 37), Vor § 567 ZPO Rn. 7. BVerfGE 107, 395, 416 f.; BAG NZA 2007, 581; BGH NJW-RR 2004, 1654; BGH NJW-RR 2005, 294; vgl. GK-ArbGG/Dörner (Fn. 7), § 78a ArbGG Rn. 8; Düwell/Lipke/ Treber (Fn. 4), § 78 ArbGG Rn. 62; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2298; Seidel Außerordentliche Rechtsbehelfe, 2004, S. 210 ff.; Zöller/Gummer (Fn. 37), Vor § 567 ZPO Rn. 8; a.M. Musielak/Ball (Fn. 50), § 567 ZPO Rn. 17. 62 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-RG) vom 27. Juli 2001, BGBl. I S. 1887. 63 Oben Fn. 8. 64 BAG BAGE 115, 330 = AP Nr. 1 zu § 78a ArbGG 1979; BAG NZA 2007, 581; ebenso BGHZ 150, 133; BGHZ 159, 14; BGH NJW 2005, 143; BGH NJW-RR 2005, 294; BVerwG NJW 2002, 2657 und NJW 2005, 232; BFH NJW 2003, 919; anders aber BFH NJW 2004, 2854; BFG NJW 2005, 3374. 65 Vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 577 ZPO = BAGE 92, 326; Müller-Glöge in: Germelmann (Fn. 2), § 78 ArbGG Rn. 8; Germelmann FS Schwerdtner (Fn. 12), S. 679 ff.; vgl. auch BGHZ 150, 133; BGHZ 159, 14; BGH NJW 2005, 143; BGH NJW-RR 2005, 294; BVerwG NJW 2002, 2657 und NJW 2005, 232; BFH NJW 2003, 919; Schindler Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen nach der ZPO-Reform, 2006, S. 79 ff., 288 ff., 307ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2007, § 145 Rn. 12; Musielak/Ball (Fn. 50), § 567 ZPO Rn. 15a; 18; Zöller/Gummer (Fn. 37), Vor § 567 ZPO Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Peters/Jänich (Fn. 51), Vor § 567 ZPO Rn. 66 ff., 78 ff. 66 Oben III.1. 67 Zöller/Gummer (Fn. 37), § 567 ZPO Rn. 25; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2198 ff. 61
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IV. Gesetzliches Rechtsbehelfssystem und Verfahrensgrundrechte 1. Grundsatz Für die Abhilfe bei Verletzungen anderer Verfahrensgrundrechte ist daher auf die in der jeweiligen Prozessordnung vorhandenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zurückzugreifen. Daraus wird vielfach der Schluss gezogen, dass es nunmehr allein Aufgabe des Gesetzgebers sei, Abhilfe bei Verletzungen von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht zu schaffen.68 Der Gesetzgeber ist allerdings bislang nur punktuell tätig geworden und wird diese Vorgehensweise auch in Zukunft voraussichtlich nicht ändern. Das Anhörungsrügengesetz 69 schuf im Kern die vom BVerfG geforderte Regelung zur Korrektur von Gehörsverletzungen (§§ 72 II Nr. 3, 78a ArbGG). Für den Arbeitsgerichtsprozess brachte es darüber hinaus die Erweiterung der Revisionszulassungsgründe um die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nr. 1–5 ZPO (§ 72 II Nr. 3 ArbGG) und die sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung der Entscheidung (§§ 72b, 92b ArbGG).70 Im Übrigen sah der Gesetzgeber ausdrücklich von einer Regelung ab, wie bei der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte zu verfahren ist.71 Auch der Entwurf eines Untätigkeitsbeschwerdengesetzes72 enthielt nur eine Regelung für die vom EGMR gerügte Verletzung des Rechts auf ein Verfahren in angemessener Zeit aus Art. 6 I EMRK. Eine allgemeine Regelung ist daher aus der Feder des Gesetzgebers nicht zu erwarten. Gleichwohl lässt sich die Frage, welche Rechtsbehelfe das gesetzliche Rechtsbehelfssystem im Arbeitsgerichtsprozess bei Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das erkennende Gericht enthalte, nicht durch den bloßen Verweis auf die allgemeinen Rechtsmittel und die §§ 78a, 72b, 92b ArbGG beantworten. Denn sowohl der Justizgewährungsanspruch des Grundgesetzes als auch Art. 13 EMRK gebieten, die einschlägigen Zugangsvoraussetzungen für die gesetzlichen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel erforderlichenfalls verfassungs- und konventionskonform auszulegen, um den gebotenen Rechtsschutz gegen die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch das erkennende Gericht zu gewährleisten.73 Die Rechtsmittelklarheit 68
GK-ArbGG/Dörner (Fn. 7), § 78a ArbGG Rn. 8; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2298. Oben Fn. 8. 70 Überblick bei Bepler RdA 2005, 65 ff.; Treber NJW 2005, 97 ff. 71 Oben im Text bei Fn. 45. 72 Vgl. Fn. 44. 73 Für den Justizgewährungsanspruch des GG ebenso Vollkommer NJW-Sonderheft (Fn. 34), S. 64, 69; zum Gebot der verfassungskonformen Interpretation und Rechtsanwendung vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 25), Art. 1 GG Rn. 326 ff.; Dreier/ Dreier (Fn. 26), Art. 1 III GG Rn. 84 f.; zum Gebot der konventionskonformen Interpretation und Anwendung vgl. Giegerich in: Grothe/Maraun, Konkordanzkommentar EMRK/ GG, 2006, Kap. 2 Rn. 19 ff., 45. 69
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steht dem nicht entgegen. Sie verlangt, dass der Rechtsbehelf gesetzlich geregelt sein muss.74 Das schließt die Entwicklung neuer Rechtsbehelfe praeter legem aus, nicht aber die Erweiterung vorhandener, gesetzlich ausgeformter Rechtsmittel und Rechtsbehelfe im Wege der extensiven Auslegung oder Analogie.75 Sie findet ihre Grenze – wie immer – erst dort, wo ihr der klare und ausdrückliche Wille des Gesetzgebers entgegensteht.76 Des Weiteren kommt eine Einschränkung der Bindungswirkung in Betracht mit der Folge, dass das später mit der Sache befasste Gericht die Frage neu zu prüfen hat. Dies ist beispielsweise für Entscheidungen über die örtliche Zuständigkeit nach § 48 ArbGG anerkannt,77 gilt aber auch für zahlreiche andere Verfahrens- oder Zwischenentscheidungen.78 Im Zentrum der Diskussion stehen freilich die Endentscheidungen und ihre Anfechtbarkeit mittels der allgemeinen Rechtsmittel oder der besonderen Rechtsbehelfe der §§ 78a, 72b, 92b ArbGG. Zunächst ist daher zu klären, inwieweit das allgemeine Rechtsmittelrecht eine Korrektur der Verletzung von Verfahrensgrundrechten ermöglicht. 2. Verletzung eines Verfahrensgrundrechts im allgemeinen Rechtsmittelrecht Das arbeitsgerichtliche Rechtsmittelsystem ist in den letzten Jahren mehrfach erheblich geändert worden,79 zuletzt durch das ZPO-RG 80 und das Anhörungsrügengesetz 81. Heute ist die Berufung gegen Urteile des Arbeitsgerichts statthaft, wenn der Beschwerdewert 600 € übersteigt, es um den Bestand bzw. die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder um die Berufung gegen ein 2. Versäumnisurteil geht.82 Im Übrigen bedarf sie der Zulassung durch das Arbeitsgericht.83 Einen Rechtsbehelf gegen die Nichtzulassung der Berufung gibt es nicht; es kann lediglich die Nachholung einer unterbliebenen Entscheidung über die Zulassung beantragt werden.84 Die Revision ist stets an die Zu-
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BVerfGE 107, 395, 416 f. BGHZ 151, 221, 226 f.; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2199; Vollkommer NJW-Sonderheft (Fn. 34), S. 69 f. 76 BVerfGE 18, 97, 111; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 25), Art. 1 GG Rn. 328 f.; Dreier/Dreier (Fn. 26), Art. 1 III GG Rn. 84. 77 Germelmann in: Germelmann (Fn. 2), § 48 ArbGG Rn. 66 ff. m.w.N. 78 Germelmann FS Schwerdtner (Fn. 12), S. 674 ff. 79 Vgl. den Überblick bei Prütting in: Germelmann (Fn. 2), Einleitung Rn. 22 ff. 80 Oben Fn. 62. 81 Oben Fn. 8. 82 §§ 64 II lit. b)–d) ArbGG. 83 § 64 II lit. a) ArbGG. 84 § 64 IIIa ArbGG. 75
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lassung durch das LAG gebunden. Gegen die Nichtzulassung kann Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG eingelegt werden.85 Entsprechendes gilt für Beschwerde und Rechtsbeschwerde im Beschlussverfahren.86 Die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Arbeitsgerichts oder seines Vorsitzenden ist statthaft, wenn sie vom Gesetz zugelassen ist. Darüber hinaus findet sie gegen solche Entscheidungen statt, die eine mündliche Verhandlung nicht erfordern, sofern dadurch ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen ist.87 Die Rechtsbeschwerde zum BAG gegen Entscheidungen des LAG ist demgegenüber entweder von Gesetzes wegen oder auf Grund der Zulassung durch das LAG eröffnet.88 Ein Rechtsbehelf gegen die Nichtzulassung sieht das Gesetz nicht vor.89 Sieht das ArbGG gegen eine Entscheidung ein Rechtsmittel entweder überhaupt nicht vor oder eröffnet es jedenfalls keinen Rechtsbehelf gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels, kann wegen des Gebots der Rechtsmittelklarheit auch die behauptete Verletzung eines Verfahrensgrundrechts der Partei keinen Zugang zur höheren Instanz verschaffen. Das gilt für alle Rechtsmittel mit Ausnahme der Revision bzw. der Rechtsbeschwerde im Beschlussverfahren, weil hier die Nichtzulassungsbeschwerde den Zugang zum BAG prinzipiell eröffnet. Allerdings kann sie gem. §§ 72 II, 92 I 2 ArbGG nur auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache, auf die Divergenz der angefochtenen Entscheidung, auf die Fälle des § 547 Nr. 1–5 ZPO oder auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt werden. Eine Erweiterung auf andere Verfahrensgrundrechte oder das Willkürverbot hat das BAG abgelehnt.90 Sie ist jedoch aus den oben unter II. dargelegten Gründen sowohl wegen des Justizgewährungsanspruchs der Partei aus Art. 20 III GG als auch wegen Art. 13 EMRK verfassungsrechtlich geboten, wenn die vom Grundgesetz oder von der EMRK gewährleisteten Verfahrensgrundrechte durch das entscheidende Gericht verletzt werden. Dies entspricht im Übrigen dem erklärten Willen des Gesetzgebers, der mit § 72 II ArbGG die Revision nach dem Vorbild des § 543 II 1 ZPO auch dann ermöglichen wollte, „wenn Verfahrensgrundrechte … verletzt sind“.91 Dass dies im Wortlaut des § 72 II ArbGG nur unvollkommen Ausdruck gefunden hat, steht dem ebenso wenig entgegen wie bei § 543 II 1 ZPO. Dort entspricht es mittlerweile gefestigter Rechtsprechung, dass die Revision in diesen Fällen zugelassen werden
85 86 87 88 89 90 91
§§ 72 I, 72a ArbGG. §§ 87 II 1, 92, 92a ArbGG. §§ 78 S. 1 ArbGG, 567 ZPO. §§ 78 S. 1 und 2, 72 II ArbGG, 574 Abs. 1 ZPO. BAGE 104, 239 = NJW 2003, 1069; Düwell/Lipke/Treber (Fn. 4), § 78 ArbGG Rn. 46. BAG NZA 2007, 581, 584. BT-Drucks. 15/3706, S. 20 (Anhörungsrügengesetz).
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muss.92 Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem Anhörungsrügengesetz die verspätete Abfassung des Berufungsurteils aus der Revision herausgenommen und hierfür eine Sonderregelung in § 72b ArbGG geschaffen.93 In allen anderen Fällen ist jedoch die Revision im Arbeitsgerichtsprozess bei Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots im selben Umfang zuzulassen wie im Zivilprozess.94 Der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kommt insofern die Funktion einer Grundrechtsbeschwerde zu.95 Gleiches gilt für die gesetzlich statthafte Rechtsbeschwerde nach §§ 78 S. 1 und 2, 72 II ArbGG, 574 I 1 Nr. 1 und II ZPO.96 3. Rüge wegen der Verletzung eines Verfahrensgrundrechts analog § 78a ArbGG Soweit die Entscheidungen keinem Rechtsmittel unterliegen, wird eine Anfechtungsmöglichkeit verneint, weil das Gesetz mit § 78a ArbGG ein besonderes Verfahren zur Korrektur von Grundrechtsverstößen vorsieht, das eine „außerordentliche Beschwerde“ entbehrlich macht.97 Es steht seit dem Anhörungsrügengesetz außer Zweifel, dass dies jedenfalls für Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör zutrifft. Umstritten ist dagegen, ob § 78a ArbGG auch bei der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte oder des Willkürverbots Anwendung findet 98 oder jedenfalls in diesen
92 Vgl. BGHZ 154, 288, 296 ff.; vgl. auch BT-Drucks. 14/4722, S. 67, 104 (ZPO-RG); BT-Drucks. 15/3706, S. 16 f. (Anhörungsrügengesetz). 93 BT-Drucks. 15/3706, S. 20 f. (Anhörungsrügengesetz); für das Beschlussverfahren vgl. § 92b ArbGG. 94 Ebenso Gravenhorst NZA 2005, 24, 26; Bepler RdA 2005, 65, 72. 95 Vollkommer NJW-Sonderheft (Fn. 34), S. 64, 68. 96 Vgl. BT-Drucks. 15/3706, S. 16 f.; ebenso schon BT-Drucks. 14/4722, S. 67, 104 (ZPORG); MünchKomm/Lipp (Fn. 48), § 574 ZPO Rn. 9. 97 BAG AP Nr. 1 zu § 78a ArbGG 1979 = BAGE 115, 330; vgl. auch BGHZ 150, 133; BGH NJW 2005, 143; BVerwG NJW 2002, 2657 und NJW 2005, 232; BFH NJW 2003, 919; aus der Literatur Gravenhorst NZA 2005, 24, 27; Düwell/Lipke/Treber (Fn. 4), § 78 ArbGG Rn. 63; GK-ArbGG/Dörner (Fn. 7), § 78a ArbGG Rn. 8; Schwab/Weth (Fn. 48), § 78 ArbGG Rn. 101 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 65), § 145 Rn. 12; Musielak/Ball (Fn. 50), § 567 ZPO Rn. 15a, 18; Zöller/Gummer (Fn. 37), Vor § 567 ZPO Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Peters/Jänich (Fn. 51), Vor § 567 ZPO Rn. 66 ff., 78 ff. 98 Gravenhorst NZA 2005, 24, 27; Natter JbArbR 42 (2005), 95, 105; Düwell/Lipke/ Treber (Fn. 4), § 78a ArbGG Rn. 27 f. (bejahend für Verfahrensgrundrechte, ablehnend für Willkürfälle); für § 321a ZPO vgl. BGHZ 150, 133, 136 f. m. Anm. Braun LM H. 8/2002 § 574 ZPO Nr. 1 und Lipp NJW 2002, 1700; BGH NJW 2004, 2529; OLG Köln FamRZ 2005, 2075 f. (jeweils zu § 321a aF); MünchKomm/Lipp (Fn. 48) Vor § 567 ZPO Rn. 12 ff.; Zöller/Vollkommer (Fn. 37), § 321a ZPO Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Peters/Jänich (Fn. 51), Vor § 567 ZPO Rn. 63, 80.
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Fällen eine „außerordentliche“ Beschwerde 99 oder die Gegenvorstellung 100 eröffnet sind. Angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben scheiden sowohl die Gegenvorstellung als auch die Eröffnung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsmittels („außerordentliches Rechtsmittel“) aus. Es bleibt daher nur die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 78a ArbGG („Grundrechtsrüge“). Der Gesetzgeber des Anhörungsrügengesetzes ließ die Frage nach den Rechtsbehelfen bei der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte bewusst ungeregelt.101 Für das Grundrecht auf rechtliches Gehör gab er mit § 78a ArbGG der Abhilfe in derselben Instanz den Vorzug vor der Eröffnung eines Rechtsmittels an das übergeordnete Gericht. Er entschied sich darüber hinaus gegen eine Erweiterung der Wiederaufnahme 102 und schuf mit § 78a ArbGG ein spezielles Verfahren zur Korrektur derartiger Grundrechtsverstöße.103 Es entspricht daher der Systematik des heutigen Rechtsmittelrechts, dass die Korrektur bei Verletzungen anderer Verfahrensgrundrechte in der Arbeitsgerichtsbarkeit entsprechend § 78a ArbGG erfolgt. Bei erstmaliger Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte ist deshalb der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch bzw. Art. 13 EMRK durch eine entsprechende Anwendung des § 78a ArbGG zu verwirklichen („Verfahrensgrundrechtsrüge“).104 Dieser Rechtsbehelf ist Teil des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems und entspricht damit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit.105
99 LAG Hamm AE 2007, 94 (Untätigkeitsbeschwerde); LAG Rheinland-Pfalz ArbuR 2006, 335 (obiter dictum); wohl auch Henssler/Willemsen/Kalb (Fn. 12), § 78 ArbGG Rn. 32 f.; vgl. auch BFH NJW 2004, 2854; BFH NJW 2005, 3374; OLG München FGPrax 2005, 278 ff.; Bloching/Kettinger NJW 2005, 860, 863; Vollkommer FS Schlosser 2005, S. 1009, 1018 ff.; Thomas/Putzo/Reichold (Fn. 12) § 567 ZPO Rn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers ZPO, 65. Aufl. 2007, § 567 ZPO Rn. 10. 100 Schwab/Weth (Fn. 48), § 78 ArbGG Rn. 104, 111; Germelmann FS Schwerdtner (Fn. 12), S. 678 ff. 101 Oben im Text bei Fn. 45. 102 Dafür mit beachtlichen Gründen Braun JR 2005, 1, 5 f. 103 BT-Drucks. 15/3706, S. 16f., 21f. (Anhörungsrügengesetz); vgl. auch BT-Drucks. 14/4722, S. 85 (zu § 321a ZPO aF). 104 BGHZ 150, 133; BGH NJW 2004, 2529; OLG Köln FamRZ 2005, 2075 f. (jeweils zu § 321a ZPO aF); MünchKomm/Lipp (Fn. 48), Vor § 567 ZPO Rn. 16, § 567 ZPO Rn. 23 f.; Zöller/Vollkommer (Fn. 37), § 321a ZPO Rn. 3; Thomas/Putzo/Reichold (Fn. 12), § 321a ZPO Rn. 18; Wieczorek/Schütze/Peters/Jänich (Fn. 51), Vor § 567 ZPO Rn. 63, 80; Seidel (Fn. 61), S. 186 ff., 202 ff.; Scheuch/Lindner ZIP 2004, 973, 979; Müller NJW 2002, 2743, 2747; Lipp NJW 2002, 1700, 1702. 105 Anders (für § 321a ZPO) Gaul DGVZ 2005, 113, 116 f.
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4. Richterliche Untätigkeit Eine verzögerliche Erledigung des Verfahrens kann mit der Dienstaufsichtsbeschwerde (§ 26 DRiG) gerügt werden 106 oder die Ablehnung des Richters wegen Befangenheit (§ 42 II ZPO) 107 begründen. Die sofortige Beschwerde setzt jedoch eine Entscheidung voraus, an der es in solchen Fällen regelmäßig fehlt.108 Dieses Ergebnis hat man stets als unbefriedigend empfunden.109 Es ist zudem weder mit dem Grundgesetz noch mit der EMRK vereinbar: Sowohl das Grundgesetz 110 als auch Art. 6 I EMRK garantieren den Parteien ein Verfahren in angemessener Zeit. Gegen eine Verletzung dieser Verfahrensgarantie müssen sich die Parteien sowohl wegen Art. 13 EMRK als auch wegen des Justizgewährungsanspruchs des Grundgesetzes mit einem wirksamen Rechtsbehelf wehren können.111 Diesen Anforderungen entsprechen weder die Dienstaufsichtsbeschwerde noch die Richterablehnung, weil sie dem Grundrechtsverstoß nicht abhelfen.112 Die von manchen Gerichten zugelassene „außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde“ 113 ist umstritten und stellt deshalb nach Ansicht des EGMR keinen wirksamen Rechtsbehelf i.S.d. Art. 13 EMRK dar.114 Vor allem aber genügt sie dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit ebenso wenig wie andere „außerordentliche“ Beschwerden.115 Ein Grundrechtsverstoß durch richterliche Untätigkeit muss deshalb im Rahmen des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems korrigiert werden, dessen Vorschriften dazu entsprechend den Vorgaben des GG und der EMRK auszulegen sind.116 Da es an einer Entscheidung fehlt, wird eine etwaige
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Musielak/Ball (Fn. 50), § 567 ZPO Rn. 14 m.w.N. Musielak/Smid (Fn. 50), § 42 Rn. 10 m.w.N. 108 Vgl. BGH NJW-RR 1995, 887 f.; Musielak/Ball (Fn. 50), § 567 ZPO Rn. 14. 109 Vgl. nur Häsemeyer FS Michaelis, 1972, 134 ff.; Peters FS Schütze, 1999, 661 ff.; für die freiwillige Gerichtsbarkeit auch Kissel ZZP 69 (1956), 3 ff., alle m.w.N. 110 Das folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 88, 118; BVerfGE 55, 349; BVerfGE 60, 253. 111 Zu Art. 13 EMRK vgl. EGMR NJW 2006, 2389 (Sürmeli); EGMR NJW 2001, 2694 (Kudla); zum GG vgl. Jakob ZZP 119 (2006), 303, 308; zurückhaltend noch BVerfG NJW 2005, 3488. 112 EGMR NJW 2006, 2389, 2392 (Sürmeli); KG NJW-RR 2005, 374; Zöller/Gummer (Fn. 37), § 567 ZPO Rn. 21. 113 Kroppenberg ZZP 119 (2006), 177, 183 ff.; Jakob ZZP 119 (2006), 303, 310 ff. 114 EGMR NJW 2006, 2389, 2392 (Sürmeli). 115 OLG München OLGR 2007, 149. 116 BSG SGb 2006, 553, 556 = NZS 2006, 560; Meyer-Ladewig SGb 2006, 559 ff.; Peters (Fn. 109), S. 661, 664 ff.; grds. ebenso Jakob ZZP 119 (2006), 303, 313 ff., der aber eine – mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht vereinbare – außerordentliche Beschwerde sui generis annimmt. 107
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Rechtsbehelfsfrist nicht in Gang gesetzt.117 Im Übrigen ist wie folgt zu differenzieren:118 Wird das Recht auf ein Verfahren in angemessener Zeit verletzt, weil das Gericht das Verfahren nicht wie geboten betreibt, kommt die Untätigkeit im Ergebnis einer – fehlerhaften – Aussetzung des Verfahrens (§ 252 ZPO) gleich und kann wie diese mit der Beschwerde angefochten werden.119 Gegen Entscheidungen des Arbeitsgerichts ist demnach die sofortige Beschwerde statthaft, im Übrigen die Rechtsbeschwerde, sofern sie zugelassen ist.120 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die (faktische) Aussetzung des Verfahrens. Die Befugnis des Beschwerdegerichts ist deshalb darauf beschränkt, einen Fortgang des Verfahrens anzuordnen; eine Sachentscheidung ist ihm verwehrt.121 Wird dagegen der Partei aufgrund der Verfahrensdauer das Recht verweigert, das Gegenstand des Verfahrens bildet, stellt die Untätigkeit im Ergebnis eine Sachentscheidung gegen die betreffende Partei dar und kann mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln angefochten werden.122 Damit fällt der Verfahrensgegenstand beim Rechtsmittelgericht an, das nach Maßgabe des jeweiligen Rechtsmittelrechts auch die Kompetenz hat, eine Sachentscheidung zu treffen,123 – was freilich leicht übersehen wird, wenn man die „Untätigkeitsbeschwerde“ als eine einheitliche Erscheinung ansieht.124 Aller117 OLG Jena FamRZ 2003, 1673, 1674; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1653, 1654; MünchKomm/Lipp (Fn. 48), § 569 ZPO Rn. 5. Die Fristlosigkeit ergibt sich aus dem gesetzlichen Rechtsmittelrecht und zwingt entgegen Jakob ZZP 119 (2006), 303, 316 f., nicht zur Entwicklung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs sui generis. 118 Vgl. MünchKomm/Lipp (Fn. 48) § 567 ZPO Rn. 25; Jakob ZZP 119 (2006), 303, 320 ff.; Wieczorek/Schütze/Jänich (Fn. 51), § 567 ZPO Rn. 15; zum verfassungsrechtlichen Hintergrund vgl. BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; BVerfG NJW 2001, 961 f.; BVerfG NJW 2004, 835, 836. 119 KG ZIP 2004, 479; OLG Köln NJW-RR 1999, 290 f.; vgl. auch OLG Hamburg NJW-RR 1989, 1022; OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1531, 1532; Wieczorek/Schütze/ Jänich (Fn. 51), § 567 ZPO Rn. 15; Musielak/Stadler (Fn. 50), § 252 ZPO Rn. 2. 120 Vgl. Stein/Jonas/Roth ZPO, Bd. 3, 22. Aufl. 2005, § 252 ZPO Rn. 7. 121 BVerfG NJW 2005, 2685, 2687; BVerfG NJW 2005, 1105, 1106; OLG Frankfurt NJOZ 2006, 3646; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1999, 1290 f.; OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 1531, 1532; OLG Hamburg NJW-RR 1989, 1022, 1023; Zöller/Gummer (Fn. 37), § 567 ZPO Rn. 21a. 122 KG NJW-RR 2005, 374, OLG Naumburg FGPrax 2005, 26; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 53, 54; OLG Jena FamRZ 2003, 1673, 1674; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1653, 1654; Peters (Fn. 109), S. 661, 667 f.; Wieczorek/Schütze/Jänich (Fn. 51), § 567 ZPO Rn. 15; Zöller/Philippi (Fn. 37), § 127 ZPO Rn. 11. 123 OLG Naumburg FGPrax 2005, 26; OLG Jena FamRZ 2003, 1673, 1674; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1653, 1654; unklar Jakob, ZZP 119 (2006), 303, 324 f. (in Notfällen Sachentscheidung). 124 So z.B. von OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 53, 54; vgl. auch BVerfG NJW 2005, 2685, 2687; BVerfG NJW 2005, 1105, 1106; Zöller/Gummer (Fn. 37), § 567 ZPO Rn. 21, 21a; Thomas/Putzo/Reichold (Fn. 12), § 567 ZPO Rn. 10.
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dings kann die Untätigkeit hier nur dann zu einem Rechtsbehelf führen, wenn die Endentscheidung des Gerichts ihrerseits einem Rechtsbehelf unterliegt.125 Soweit die Aussetzung bzw. die Sachentscheidung unfechtbar ist, bleibt de lege lata 126 nur die Grundrechtsrüge entsprechend § 78a ArbGG.127
V. Schlussbemerkung Die Diskussion hat sich bislang auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten konzentriert. Dies ist aus der Perspektive des Prozessrechts zwar nahe liegend, schöpft aber die Problematik nicht aus. Insbesondere der vom BVerfG betonte Gesichtspunkt, die Fachgerichte seien aufgrund des Justizgewährungsanspruchs verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, richterliche Grundrechtsverletzungen im Wege der Selbstkorrektur zu beheben, lässt sich nicht auf Verfahrensgrundrechte beschränken, sondern gilt in gleicher Weise, wenn das Gericht erstmals ein materielles Grundrecht verletzt.128 Derartige Grundrechtsverletzungen können daher ebenfalls entsprechend § 78a ArbGG beseitigt werden („Grundrechtsrüge“). Die Verfassungsgerichte haben darauf mit Blick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bereits hingewiesen.129 Es ist an der Zeit, auch diesen Hinweis aufzugreifen und in der Arbeitsgerichtsbarkeit mit adäquaten prozessualen Mitteln umzusetzen.
125 OLG Naumburg FamRZ 2006, 1286; vgl. auch BVerfG NJW 2005, 1105, 1106; Jakob ZZP 119 (2006), 303, 324. 126 Zum Referentenentwurf für ein Untätigkeitsbeschwerdengesetz siehe oben Fn. 44. 127 Ebenso für den Verwaltungsprozess Schenke NVwZ 2005, 732, 737 f.; a.M. Jakob ZZP 119 (2006), 303, 326 („außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde“). 128 Vgl. S. Pawlowski (Fn. 39), S. 177; Buchheister NVwZ 2000, 1356, 1359; H.-M. Pawlowski (Fn. 39), S. 39, 44 ff., 60 ff.; Seidel (Fn. 61), S. 189. 129 Vgl. nur BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) NJW 2005, 3059 f.; HessStGH NJW 2005, 2217, 2218 und NJW 2005, 2219, 2220.
Föderalismusreform: Neue Gestaltungsspielräume der Länder mit Auswirkungen auf das Arbeitsrecht Manfred Löwisch I. Einleitung Die Frage nach arbeitsrechtlichen Auswirkungen der Föderalismusreform mag auf den ersten Blick verwundern, ist doch Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG mit der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes für das Arbeitsrecht unberührt geblieben. Sieht man näher zu, zeigen sich indessen auch hier Folgen der Neuabgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Drei Konstellationen sind zu nennen: – Regelungsgegenstände mit arbeitsrechtlichem Bezug waren zuvor in mehrere konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten gefallen, von denen die eine gestrichen worden ist. Das trifft auf die Gaststätten zu, wo mit der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Zuständigkeit des Bundes für das Gaststättenrecht entfallen, diejenige für das Arbeitsschutzrecht aber bestehen geblieben ist. Das Gleiche gilt für den Ladenschluss: Das Ladenschlussrecht ist einerseits Teil des Rechts der Wirtschaft im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, dort aber seit der Föderalismusreform ebenfalls ausdrücklich ausgenommen. Andererseits betrifft das Ladenschlussrecht als Teil des Arbeitszeitrechts wiederum die arbeitsrechtliche Zuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. – Arbeitsrechtliche Regelungen können an Sachverhalte anknüpfen, deren Ausgestaltung in die Kompetenz der Länder fällt. Hierher gehört die Regelung der Zeitverträge in der Wissenschaft. Sie betrifft mit dem Befristungsrecht einerseits eine arbeitsrechtliche Materie. Andererseits fällt die Ausgestaltung der Personalstruktur der Hochschulen nach Abschaffung der Rahmenkompetenz des Bundes für das Hochschulrecht nunmehr ausschließlich in die Zuständigkeit der Länder. – Mit der Aufgabe der Rahmenkompetenz des Bundes für den öffentlichen Dienst der Länder (bisher Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG) ist auch die Möglichkeit bundesrechtlicher Vorgaben für das Personalvertretungsrecht der Länder entfallen. Diese können das Personalvertretungsrecht nunmehr selbst vollständig regeln. Einer Reihe dieser Auswirkungen nachzugehen, mag das Interesse des Jubilars finden, hat er doch ebenso wie ich bei unserem gemeinsamen Lehrer
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Eduard Bötticher gelernt, dass auf den Schnittstellen mehrerer Rechtsgebiete spannende Herausforderungen für den wissenschaftlich interessierten Juristen liegen.
II. Gaststättenrecht: Das Problem der Rauchverbote Nachdem das Recht der Gaststätten aus der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) ausdrücklich ausgenommen worden ist, hat der Bund auch nicht mehr die Möglichkeit, zum Schutz des Publikums vor Passivrauchen in Gaststätten ein gesetzliches Rauchverbot zu erlassen. Es ist Sache der Länder, zu entscheiden, ob und in welcher Form sie insoweit tätig werden. Rauchverbote haben aber auch eine arbeitsschutzrechtliche Seite, nämlich insoweit, als es um den Schutz der Arbeitnehmer vor Passivrauchen am Arbeitsplatz geht. Hierfür besteht nach wie vor die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Von dieser hat der Bund mit der auf der Ermächtigung des § 18 Arbeitsschutzgesetz basierenden Arbeitsstättenverordnung schon bisher Gebrauch gemacht: Nach deren § 5 Abs. 1 hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten – und damit auch in Gaststätten – wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind. Allerdings enthält Absatz 2 der Vorschrift eine Einschränkung für Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr. Dort ist der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen gegen Tabakrauch nur insoweit verpflichtet, als die Natur des Betriebes und die Art der Beschäftigung es zulassen. Diese Einschränkung zielt gerade auch auf Gaststätten. Vom Gaststätteninhaber zu verlangen, dass er seinen Gästen das Rauchen verbietet, überdehnt nach bisherigem Verständnis die konditionierte Pflicht des § 5 Abs. 2 ArbeitsstättenVO.1 Die sich in der Rauchverbotsdiskussion des letzten Jahres stellende Frage an den Bund war, ob er von seiner arbeitsschutzrechtlichen Kompetenz Gebrauch machen und die in § 5 Abs. 2 ArbeitsstättenVO enthaltene Beschränkung fallen lassen solle. Der Bund hat sich dagegen entschieden, wie mir scheint aus zwei Gründen zu Recht: Einmal hätte ein solches striktes Rauchverbot nur Gaststätten treffen können, in denen Arbeitnehmer und andere Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 2 ArbeitsschutzG tätig sind. Die nicht wenigen Gaststätten, in denen nur der Inhaber selbst und seine Familienangehörigen tätig sind, hätten nicht erfasst werden können. Zum anderen hätte
1 ErfKomm/Wank 7. Aufl. 2007, § 618 BGB Rn. 23; gegen einen Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz in Passagierflugzeugen auch BAG 9.5.1996, EzA § 618 BGB Nr. 11.
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man schon wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht über die Verpflichtung des § 5 Abs. 1 ArbeitsstättenVO hinausgehen können, der sich mit der Verpflichtung des Arbeitgebers zu einem wirksamen Schutz der nicht rauchenden Beschäftigten vor Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch begnügt. Damit aber wäre das Feld für Auseinandersetzungen darüber eröffnet, ob Klimaanlagen, abgetrennte Räume für das rauchende Publikum mit Selbstbedienung und ähnlichen Maßnahmen ausreichen, um den notwendigen Schutz zu gewährleisten. Was bleibt, ist eine indirekte Folge landesrechtlicher Rauchverbote für Gaststätten auf den Arbeitsschutz: Soweit ein generelles Rauchverbot für Gaststätten eingeführt wird, steht auch die Natur des Betriebes als Arbeitsstätte mit Publikumsverkehr einer Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitnehmer vor Tabakrauch zu schützen, nicht mehr entgegen. Verstöße gegen das gaststättenrechtliche Rauchverbot sind damit zugleich Verstöße gegen die arbeitsschutzrechtliche Pflicht zum Schutz der Arbeitnehmer in den Gaststätten vor Tabakrauch und geben den Arbeitnehmern einen entsprechenden arbeitsvertraglichen Anspruch, den sie im Wege des Zurückbehaltungsrechts geltend machen können.
III. Ladenschlussrecht: Sonn- und Feiertagsarbeit § 3 Abs. 1 Satz 1 Ladenschlussgesetz bestimmt bislang, dass Ladengeschäfte und andere Verkaufsstellen zum Schutz der dort beschäftigten Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen vollständig und montags bis samstags von 20.00 Uhr bis früh 6.00 Uhr geschlossen bleiben müssen. Dass mit der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Gesetzgebungskompetenz für den Ladenschluss auf die Länder übergegangen ist, hat zwar die Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes nicht ersatzlos entfallen lassen. Vielmehr gelten diese nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG solange fort, wie die Länder nicht eigene Ladenschlussgesetze erlassen haben. Dies ist freilich zunehmend der Fall – mit der Folge, dass auch die Frage virulent wird, wie es künftig mit dem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit steht.2 Indem die Föderalismusreform den Ladenschluss in den Zusammenhang des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestellt hat, hat sie zugleich dessen auch gegebenen arbeitsschutzrechtlichen Gehalt hintan gestellt. Sie hat es damit den Ländern überantwortet, im Rahmen ihrer nunmehr gegebenen Kompetenz für das Recht des Ladenschlusses auch arbeitsschutzrechtlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Auch Tarifvertrags-
2 Dazu Tegebauer Die Entwicklung des Ladenschlussrechts seit dem Jahr 2004, GewArch 2007, 49 ff.
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parteien und Betriebsparteien sind im Rahmen ihrer Kompetenz zur Regelung der Lage der Arbeitszeit (betriebliche Norm im Sinne des § 1 Abs. 1 TVG, Mitbestimmungsrecht über die Lage der Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) berufen, diese Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Davon unabhängig ergibt eine nähere Betrachtung, dass der Bund mit der Formulierung „ohne das Recht des Ladenschlusses …“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auf seine Kompetenz zur Regelung der arbeitsschutzrechtlichen Seite des Ladenschlusses nicht ganz verzichtet hat: Das Gesetz über den Ladenschluss unterscheidet in seinen materiellen Regelungen „Ladenschlusszeiten“ (zweiter Abschnitt), „Besonderer Schutz der Arbeitnehmer“ (dritter Abschnitt) und „Bestimmungen für einzelne Gewerbezweige und für den Marktverkehr“ (vierter Abschnitt). Der dritte Abschnitt über den besonderen Schutz der Arbeitnehmer betrifft mit seinem (einzigen) § 17 die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen. Die Arbeitnehmer dürfen danach nur während der ausnahmsweise zugelassenen Öffnungszeiten beschäftigt werden. Es besteht eine Höchstarbeitszeit von acht Stunden und von vier Stunden an höchstens 22 Sonn- und Feiertagen im Jahr in Verkaufsstellen in Kur- und Erholungsorten. Auch können die Arbeitnehmer verlangen, in jedem Kalendermonat an einem Samstag von der Beschäftigung freigestellt zu werden. Diese Vorschriften tragen der grundgesetzlichen Verpflichtung Rechnung, den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe gesetzlich zu schützen (Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV). Man kann nicht annehmen, der Grundgesetzgeber habe auch diesen im besonderen Maße arbeitsschutzrechtlich geprägten Bereich vollständig in die Kompetenz der Länder geben wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er zwar die Festlegung der Ladenschlusszeiten auch insoweit den Ländern überantwortet hat, als in besonderen Verkaufsstellen wie Apotheken, Zeitungskiosken, Tankstellen, Bahnhöfen, Flughäfen, Kur- und Erholungsorten und ländlichen Gebieten sowie Verkaufsstellen für Bäcker- und Konditorwaren, frischen Früchten, Blumen und Zeitungen ausnahmsweise eine Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen zulässig sein soll. Eine allgemeine Freigabe des Verkaufs an Sonn- und Feiertagen steht aber nach wie vor § 17 Abs. 1 Ladenschlussgesetz entgegen. Vor allem sind die besonderen Schutzvorschriften, welche in § 17 Abs. 2 bis 9 Ladenschlussgesetz enthalten sind, nach wie vor in Geltung.3
3 Im Prinzip ebenso Kämmerer/Thüsing Ladenschlussrecht und Arbeitszeitrecht – Zur Gesetzgebungshoheit für die Materien des Ladenschlussgesetzes nach der Föderalismusreform, GewArch 2006, 266 und Tegebauer aaO unter VI 1 und 2; siehe auch Kingreen/ Pieroth Verfassungsrechtliche Grenzen einer Aufhebung von Ladenschlusszeiten, NVwZ 2006, 1221 ff., die aus der Pflicht des Staates, Sonn- und Feiertage zu schützen, Grenzen der Kompetenz des Landesgesetzgebers ableiten.
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IV. Befristungsrecht: Ländereinfluss auf Zeitverträge in der Wissenschaft 1. Wissenschaftliches Personal Nachdem die Föderalismusreform die bisher in Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG enthaltene Rahmenkompetenz des Bundes für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens aufgehoben hat, war das HRG ein Gesetz auf Abbruch. Die in ihm enthaltenen Rahmenregelungen galten zwar nach Art. 125a GG als Bundesrecht fort, konnten aber durch Landesrecht ersetzt werden. Der Bundesgesetzgeber hat dies nicht nur zum Anlass genommen, das HRG zum 1. Oktober 2008 4 gänzlich aufzuheben. Vielmehr hat er schon zuvor die in ihrem Kern auf der Kompetenz des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung für das Arbeitsrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG basierenden Befristungsregelungen der §§ 57a ff. HRG durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz vom 12.4.2007 abgelöst. Dabei hat sich, bedingt durch die Föderalismusreform, eine bedeutende Änderung im persönlichen Anwendungsbereich der Befristungsregelungen ergeben: Während nämlich die §§ 57a ff. HRG lediglich für wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter sowie wissenschaftliche und künstlerische Hilfskräfte galten, erstreckt § 1 Abs. 1 WissZeitVG seinen persönlichen Anwendungsbereich auf das gesamte wissenschaftliche und künstlerische Personal mit Ausnahme der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an Einrichtungen des Bildungswesens, die nach Landesrecht staatlicher Hochschulen sind. Der Bundesgesetzgeber trägt damit der veränderten Kompetenz für die Personalstruktur der Hochschulen Rechnung: Nachdem die Rahmenkompetenz des Bundes für das Hochschulrecht (bisher Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG) entfallen ist, liegt die Regelung der Personalstruktur der Hochschulen allein in der Kompetenz der Länder. Diese durch eine selektiv nur für bestimmte Mitarbeitergruppen geltende besondere Befristungsbestimmungen mittelbar zu beeinflussen, wäre ein Eingriff in die Länderkompetenz. Der Bundestag hat daher auf Empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 5 mit Recht in der endgültigen Fassung des Gesetzes den Regierungsentwurf dahin geändert, dass an die Stelle der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter das wissenschaftliche Personal gesetzt worden ist. Inkonsequent ist freilich, dass der Bundesgesetzgeber mit § 1 Abs. 1 Sätze 3 und 4 WissZeitVG die Befugnis der Tarifvertragsparteien aufrecht erhalten hat, für bestimmte Fachrichtungen und Forschungsbereiche von den vorge-
4 Siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes vom 25.05.2007, BR-Drucksache 352/07. 5 BT-Drucksache 16/4043 S. 8 f.
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sehenen Befristungsfristen abzuweichen und die Anzahl der zulässigen Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge festzulegen. Fachrichtungen und Forschungsbereiche zu bestimmen, in denen ein anderes Bedürfnis für Befristungsregelungen besteht als sie in § 2 Abs. 1 WissZeitVG vorgesehen sind, ist eine genuin hochschulrechtliche Frage, so dass der Bereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG verlassen ist. Die Kompetenz, über den Gebrauch der grundsätzlich gegebenen Befristungsmöglichkeiten differenziert nach Fachrichtungen und Forschungsbereichen zu entscheiden, liegt bei den für das Hochschulrecht nunmehr allein zuständigen Ländern.6 Überhaupt kann das Wissenschaftszeitvertragsgesetz die organisationsrechtliche Zuständigkeit der Länder für ihre Hochschulen nicht überspielen. Inwieweit die Länder den Hochschulen gestatten, die mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz gegebenen Befristungsmöglichkeiten für ihr wissenschaftliches Personal zu nutzen, ist ihre Entscheidung. Praktisch wird dies etwa für die Beschäftigung studentischer Hilfskräfte. Eine Reihe von Landeshochschulgesetzen, etwa § 57 BadWürttHG, § 121 Abs. 3 BerlHochschulG und § 87 Abs. 3 HessHochschulG, begrenzen die Beschäftigung studentischer Hilfskräfte auf vier oder zwei Jahre. Diese Vorschriften können zwar die bundesrechtlichen Regelungen des WissZeitVG auf dem Gebiet des Arbeitsrechts nicht derogieren, so dass gleichwohl abgeschlossene längere Zeitverträge wirksam sind. Sie stellen aber von der Landeskompetenz für das Hochschulrecht gedeckte Organisationsvorschriften dar, an die sich die Hochschulen im Verhältnis zum betreffenden Land halten müssen. 2. Hochschullehrer § 1 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG nimmt Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer von seinem Anwendungsbereich ausdrücklich aus. Nach dem Ausschussbericht soll die Regelung klarstellen, dass die Gesetzgebungszuständigkeit für die Regelung der befristeten Beschäftigung von Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren nach einer Aufhebung des HRG und damit auch der Sonderregelung des § 48 Abs. 1 HRG bei den Ländern liegen wird, solange der Bund nicht eine neue gesetzliche Befristungsregelung für Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren schafft.7 Damit wird zutreffend ausgedrückt, dass die Befristung der Beschäftigungsverhältnisse von Juniorprofessoren nicht § 14 TzBfG unterliegt, sondern eine eigene Materie darstellt, die von den Ländern selbstständig geregelt werden kann, solange der Bund nicht eine neue gesetzliche Befristungsregelung für Hochschullehrer schafft. Bis dahin steht es den Ländern also frei, für angestellte Hochschullehrer
6 7
Vgl. zu § 57a HRG schon Löwisch NZA 2005, 321, 322. BT-Drucksache 16/4043, S. 16.
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eigene Befristungstatbestände zu schaffen, etwa wie bisher in § 48 Abs. 3 Satz 2 HRG vorgesehen die Vorschriften über die Befristung des Beamtenverhältnisses von Juniorprofessoren für entsprechend anwendbar zu erklären, oder auch befristete Probearbeitsverhältnisse für Hochschullehrer einzuführen.
V. Personalvertretungsrecht: Wegfall der Verpflichtung zur Tarifsperre Mit der Föderalismusreform ist die Rahmenkompetenz des Bundes für das Personalvertretungsrecht der Länder entfallen. Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die Personalvertretungen der Länder reduzieren sich damit auf die der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Arbeitsrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zuzurechnenden Gegenstände. Etwa wird man die Bestimmung des § 108 Abs. 2 BPersVG, nach der eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam ist, wenn die Personalvertretung nicht beteiligt worden ist, als fortgeltendes Bundesrecht ansehen müssen. Auch gelten die Benachteiligungsverbote des AGG in gleicher Weise wie gegenüber Betriebsratsmitgliedern gegenüber Mitgliedern der Personalvertretung. Man wird sogar die nicht im AGG, wohl aber in § 105 Satz 1 BPersVG enthaltenen Verbote, einen Beschäftigten wegen seiner politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen seiner persönlichen Beziehungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen, als durch die Kompetenz für das Arbeitsrecht gedeckt ansehen können. Im Wesentlichen aber stehen die bislang in den §§ 94 ff. BPersVG enthaltenen Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgebung zur Disposition der Landesgesetzgeber. Diese können ihr jeweiliges Landespersonalvertretungsrecht grundsätzlich so gestalten, wie sie das für richtig halten. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Zulassung abweichender Regelungen durch Tarifvertrag und Dienstvereinbarung. § 97 BPersVG bestimmt insoweit bislang, dass „durch Tarifvertrag oder Dienstvereinbarungen … eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Regelung des Personalvertretungsrechts nicht zugelassen werden“ darf. Diese Vorschrift brauchen die Länder kraft ihrer neu gewonnenen eigenen ausschließlichen Kompetenz für das Personalvertretungsrecht in den Ländern nicht mehr einzuhalten. Vielmehr können sie, etwa nach dem Vorbild von § 3 BetrVG, den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit eröffnen, ihrerseits personalvertretungsrechtliche Regelungen zu treffen. Bei näherer Betrachtung muss man sogar davon ausgehen, dass eine solche Befugnis auch ohne Tätigwerden der Landesgesetzgeber besteht. Zwar haben die Länder in die Landespersonalvertretungsgesetze durchweg Bestimmungen des Inhalts aufgenommen, dass durch Tarifvertrag das Personalvertre-
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tungsrecht nicht abweichend von dem betreffenden Landespersonalvertretungsgesetz geregelt werden kann.8 Aber man muss sich klar machen, dass die Landesgesetzgeber mit diesen Bestimmungen keinen eigenen konstitutiven Zweck verfolgt haben. Ihnen ging es nur darum, das Gebot des infolge der Föderalismusreform inzwischen wirkungslosen § 97 BPersVG umzusetzen, keine abweichenden Tarifverträge zuzulassen. Sie sprechen deshalb durchweg auch davon, dass das Personalvertretungsrecht durch Tarifvertrag nicht abweichend geregelt werden „kann“, was darauf hinweist, dass sie nur das Gebot der Rahmenvorschrift weiterreichen wollten. Mit dem Wegfall dieses Gebots ist dieser Umsetzungszweck entfallen und sind die entsprechenden Regelungen damit obsolet. Freilich können auch die Bäume einer solchen tariflichen Regelung des Personalvertretungsrechts nicht in den Himmel wachsen. Einmal steht es den Ländern frei, ihrerseits ein konstitutives Verbot abweichender Regelung durch Tarifvertrag wieder einzuführen. Zum anderen müssen auch Tarifverträge beachten, dass jegliche Beteiligung von Arbeitnehmervertretungen an für den öffentlichen Dienst zu treffenden Entscheidungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ihre Grenze am Erfordernis demokratischer Legitimation findet, welche ein weit reichendes Letztentscheidungsrecht des der jeweiligen Volksvertretung verantwortlichen Verwaltungsträgers verlangt.9 Danach ist nur bei sozialen Angelegenheiten, zu denen die Aufstellung von Sozialplänen gehört – eine weitreichende Mitwirkung der Beschäftigten zulässig, wobei allerdings auch dort bei Entscheidungen, die im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwohl wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt sind, ein Letztentscheidungsrecht des verantwortlichen Amtsträgers, etwa in Gestalt eines Evokationsrechts, gesichert sein muss. Bei Maßnahmen, welche die Wahrnehmung des Amtsauftrags typischerweise nicht unerheblich berühren, wie das auch auf Verwaltungsanordnungen in den innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten und auch auf technische Überwachungseinrichtungen zutrifft, muss stets das Letztentscheidungsrecht des Amtsträgers, auch gegenüber den Entscheidungen einer Einigungsstelle, gewahrt sein. Bei Maßnahmen der Personalpolitik, also allen Maßnahmen, die den Rechtsstatus von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes betreffen – wozu ausdrücklich auch die Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen oder wesentlichen Teilen von ihnen gehören – ist von vornherein nur eine eingeschränkte Mitbestimmung zulässig, mit der Folge, dass Entscheidungen
8 Vgl. etwa § 3 LPVG Baden-Württemberg, § 113 HessPersVG, § 3 ThürPersVG, Art. 3 BayPVG, § 3 LPersVG Rheinland-Pfalz, § 4 LPVG Nordrhein-Westfalen. 9 BVerfG 24.5.1995, BVerfGE 93, 37.
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der Einigungsstelle nur den Charakter einer Empfehlung an die zuständige Dienstbehörde haben dürfen.10
VI. Fazit Die Föderalismusreform hat den Ländern Gestaltungsspielräume eröffnet, deren Nutzung erhebliche Auswirkungen auf das Arbeitsrecht haben kann. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Arbeitsrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gibt dem Bund nur beschränkte Möglichkeiten zur Eingrenzung dieser Gestaltungsspielräume. Ob die neuen Spielräume tatsächlich zu einer flexibleren Ausgestaltung des Arbeitsrechts in den betreffenden Bereichen führen werden, hängt von der Gestaltungskraft der Landesgesetzgeber ab. Sie sollten die Mahnung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Papier, ernst nehmen, das in der Föderalismusreform liegende Angebot zur Vielfalt nicht gleich wieder durch auf Konferenzen herbeigeführtes gleichförmiges Verhalten auszuschlagen.11
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Zu allem BVerfG aaO, Rn 143 ff. Vgl. Papier bei der Festveranstaltung zum 70. Geburtstag von Rupert Scholz am 23. Mai 2007 in Berlin. 11
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Hansjörg Otto, dem dieser Beitrag gewidmet ist, ist ein vielseitig interessierter und ausgewiesener Wissenschaftler. Er hat die Breite seiner venia legendi immer voll ausgeschöpft und dabei mit Freude die recht schwierigen Schnittstellen bearbeitet, um die sich die Spezialisten der einen oder anderen Seite oft gerne drücken, vielleicht in der Furcht, die nötige Sicherheit des vertrauten Faches zu verlieren. Zum Beleg sei dafür nur seine renommierte Arbeitnehmerhaftung herangezogen, die sich einer Nahtstelle von Bürgerlichem Recht und Arbeitsrecht widmet. Die Beispiele ließen sich beinahe ad libitum ohne Mühsal vermehren. Jenes besondere Interesse begründet meine Hoffnung, einen bescheidenen Beitrag beizusteuern, der Hansjörg Ottos Gefallen findet, zumal er auf einen anderen Grenzbereich abzielt, welcher ebenfalls seinen Neigungen folgt: die Schnittstelle von Prozeßrecht und Arbeitsrecht. Ich hoffe, er sieht es dabei dem reinen Prozessualisten ohne Erfahrungen im Arbeitsrecht sehr gütig nach, wenn er sich ein arbeitsgerichtlichen Thema wählt, das zudem Bezug zu seinem eigenen, vertrauten Terrain bietet – womit wir wieder bei unser Eingangsfeststellung wären: es ist eben recht schwer, in fremden Gewässern sicher zu navigieren … Es geht um die weitestgehende Schiedsunfähigkeit arbeitsrechtlicher Rechtsstreitigkeiten, wie sie der heutige Betrachter – Zivilprozessualist wie Arbeitsrechtler – als gegeben akzeptiert (§ 1030 Abs. 3 ZPO einerseits; § 4 i.V. mit § 101 ArbGG andererseits), und das Nebeneinander von unterschiedlichen Schiedsverfahrensrechten (§§ 1025 ff. ZPO „versus“ §§ 101 ff. ArbGG). Dabei wird die genaue historische Betrachtung1 zeigen, daß dies erst das Ergebnis einer diffusen Entwicklung darstellt, die seit über einem halben Jahrhundert zwar stillsteht, aber bis dato weitaus stürmischer verlief und zwischen höchsten Extremen pendelte.
1 Allgemeine Überblicke: GVG-Motive S. 38 f. = Hahn S. 52 f. = RT-Verh. II/2 [3] (1874/75) ASt Nr. 4, Bd. 40 (1875) S. 28; RT-Verh. VII/4 [1] (1888/1889), Bd. 118 (1889) S. 397 f. [Abg. Baumbach] u. RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065 S. 19–21 [A I], Bd. 407 (1926) [Amtl. Begr. zum ArbGG]; Lachner, Der Schiedsvertrag in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten (1933), S. 1–4; Suhr, Das Schiedsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten (1997), S. 5–9.
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I. Gewerbegerichte als Schiedsgerichte Die Reichsjustizverfassung ließ Gewerbegerichte als „besondere Gerichte“ zu (§ 14 Nr. 4 GVG), wie sie beispielsweise Elsaß-Lothringen und die Preußische Rheinprovinz 2 aufgrund französischen Vorbilds („Conseils de Prud’hommes“) kannten, wobei Preußen alsbald indes die Ausdehnung auf die übrigen Landesteile erlaubte 3. Auf der Gerichtsbank war die Arbeitgeberseite meist etwas überrepräsentiert, die Arbeiterseite immerhin aber beteiligt. Das galt schon als recht fortschrittlich. Da hier durchweg Privatpersonen Rechtsprechung ausübten, lag eigentlich der Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit regulären prozessualen Zuschnitts zwar auf der Hand, zumal mit §§ 851 ff. CPO (§§ 1025 ff. ZPO) seit 01.10.1879 dafür ein eigenes Reichsrecht bestand, die gerichtsverfassungsrechtliche Kategorisierung als „Sondergericht“ begünstigte aber schließlich wohl die Einordnung als eine prozessual eigenständige Institution. Der Grund für diese reichsrechtliche Zurückhaltung lag freilich ganz woanders – man wollte nicht weiter ins bestehende Landesrecht übergreifen und hierdurch womöglich die anstehende Justizverfassungsreform gefährden 4. Parallel dazu gilt es, eine polizeirechtlich motivierte Sonderregelung der Gewerbeordnung 5 näher zu betrachten: durch § 108 GewO (später: § 120a GewO) nämlich waren gewisse „Streitigkeiten der selbständigen Gewerbetreibenden mit ihren Gesellen, Gehülfen oder Lehrlingen“ durch speziell eingerichtete (Gemeinde-) Behörden (Abs. 1) bzw. die allgemeine OrtspolizeiBehörde (Abs. 2) mit anschließender „Berufung auf den [ordentlichen] Rechtsweg binnen zehn Tagen präclusivischer Frist“ (Abs. 3) zu entscheiden. Alternativ war allerdings die Anordnung (!) vollparitätisch besetzter Schiedsgerichte statthaft (Abs. 4) 6: 2 Verordnung [Nr. 2752], die Gewerbegerichte in der Rheinprovinz betreffend vom 07.08.1846, PrGS S. 403. 3 Verordnung [Nr. 3103] über die Errichtung von Gewerbegerichten vom 09.02.1849, PrGS S. 110. 4 GVG-Motive S. 41 = Hahn S. 54 = RT-Verh. II/2 [3] (1874/75) ASt Nr. 4, Bd. 40 (1875) S. 29. 5 Gewerbeordnung [Nr. 312] für den Norddeutschen Bund vom 21.06.1869, BBl S. 245, die dann zur Gewerbeordnung für das Deutsche Reich wird. 6 Eingefügt im Parlament: RT-Verh. 1869/3 ASt. Nr. 124, Bd. 11 (1869) S. 446 mit RTVerh. 1869/1, Bd. 9 (1869) S. 547 ff. (553) – bei besonderer Hervorhebung einer Entscheidung durch fachkundige Laienrichter: S. 548/549 [Abg. Lasker]. – Ausgeklammert verbleibt im folgenden die „zunftmäßige“ Innungs(schieds)gerichtsbarkeit, dazu siehe Gesetz [Nr. 1439], betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 18.07.1881, RGBl 1881 S. 233: § 97 Abs. 2 Nr. 4 (Innungsgerichte) iVm. § 100e Nr. 1 GewO (Außenseiterbindung) bzw. § 97a Nr. 6 (Innungsschiedsgerichte) iVm. § 100d GewO (Besetzungsparität und Verfahrensregelungen), vgl. dazu erg. RT-Verh. IV/4 [4] (1881) ASt. Nr. 128, Bd. 69 (1881) S. 750, 757. Heute gilt hier noch die Sonderregel des § 111 Abs. 2 ArbGG, näher dazu siehe Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 111 ArbGG Rn. 6–10.
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Durch Ortsstatut (§ 142.) können an Stelle der gegenwärtig hierfür bestimmten Behörden Schiedsgerichte mit der Entscheidung betraut werden. Dieselben sind durch die Gemeindebehörde unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu bilden.
Der Kampf ging daher alsdann gezielt um das Schiedsgericht als Instrument zur Erreichung der Ebenbürtigkeit von Arbeitern mit Arbeitgebern: das „klassische“ Gewerbegericht hatte noch immer ein kleines Übergewicht für die Arbeitgeber, und die behördliche „Vorschaltinstanz“ war formell zwar neutral, im Grunde allerdings arbeitgeberfreundlich „vorgeprägt“; der Weg zum „normalen“ Zivilgericht hingegen stand nicht sogleich immer offen. Zur Errichtung von Schiedsgerichten war allerdings die gemeindliche Mitwirkung erforderlich, die schwierig zu erreichen war, auch fehlten gesetzliche (Gestaltungs-) Vorgaben. Bei dieser Ausgangslage nimmt es nicht Wunder, daß zunächst die Begriffe Gewerbegericht und Schiedsgericht häufig synonym verwendet wurden. Es ging um eine Einführung von Gewerbegerichten mit Beseitigung der auf Ortsstatut beruhenden Schiedsgerichte („gewerbliche Schiedsgerichte“), wobei aber die ersteren die Funktion der letzteren hernach innehaben sollten: paritiätische Besetzung, Beweiserhebungsbefugnisse, Verbindlichkeit und Zwangsvollstreckung etc.7, das waren jetzt die Leitvorstellungen der Arbeiterbewegung – freilich überwog zunächst Skepsis 8. Dazu kommt eine weitere begriffliche Vagheit, die zusätzlich die darauffolgende Diskussion verkomplizierte, und zwar die Vermengung von gerichtlicher Streitentscheidung (zur Lösung von „Rechtsstreitigkeiten“ nach vorgegebenen Rechtsregeln – als Aufgabe der Gewerbegerichte) mit vermittelter Streitschlichtung (zur Lösung von „Regelungsstreitigkeiten“ entsprechend der Interessenlage – als Aufgabe
7 Fünfter Bericht der Kommission für Petitionen vom 28.04.1873, RT-Verh. I/4 [3] ASt. Nr. 67, Bd. 33 (1873) S. 370, 371/372. 8 Fünfter Bericht der Kommission für Petitionen vom 28.04.1873, RT-Verh. I/4 [3] (1873) ASt. Nr. 67, Bd. 33 (1873) S. 370, 373/374 mit S. 374 – dazu: ASt. Nr. 83 vom 04.05.1873 einerseits (ebd. S. 424, 425: Antrag, „zur Tagesordnung überzugehen, weil ausreichende Erfahrungen zu einem Einschreiten der Reichsgesetzgebung zur Zeit nicht vorliegen“), ASt. Nr. 93 vom 05.05.1873 andererseits (ebd. S. 432, 433: Antrag, „in Erwägung zu nehmen, ob und in wie weit auf eine Regelung der angeregten Fragen im Wege der Gesetzgebung hinzuwirken sei“). Achter Bericht der Kommission für Petitionen vom 20.03.1874, RT-Verh. II/1 [3] (1874) ASt. Nr. 104, Bd. 37 (1874) S. 320, 324. Eher aufgeschlossen dann Dreizehnter Bericht der Kommission für Petitionen vom 15.01.1875, RT-Verh. II/2 [4] (1874/75) ASt. Nr. 190, Bd. 41 (1875) S. 1142, 1143–1146 – und auch der Regierungskommissar (S. 1144): „soviel nicht verkennen, daß es sich nicht lediglich um künstlich gemachte Agitationen, sondern um die wirkliche Meinung großer Kreise des gewerblichen Lebens handle. Möchten dieser Meinung nun richtige oder unrichtige Anschauungen zu Grunde liegen, in jedem Falle fühle das Reichskanzleramt sich verpflichtet, die Sache mit Aufmerksamkeit zu verfolgen.“
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der Schiedsgerichte)9. Dieser besondere Dualismus sollte fortwirken in der Doppelfunktion des späteren Gewerbegerichts als gerichtlicher Spruchkörper und zugleich als schlichtendes Einigungsamt.
II. Das Gewerbe- und das Kaufmannsgerichtsgesetz 1. Das Gewerbegerichtsgesetz (1890) Nach mehreren erfolglosen Anläufen10 kam es zum reichseinheitlichen Gewerbegerichtsgesetz (GGG) vom 29.01.1890 mit Inkrafttreten zum 01.04. 189111. Es sah für alle „gewerblichen Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits, sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers“ die Möglichkeit zur Einrichtung von Gewerbegerichten (§ 1 Abs. 1 GGG/aF) als „besondere Gerichte“ iSv. § 14 Nr. 4 GVG vor, die anstelle der ordentlichen Zivilgerichte die „arbeits“-rechtliche Streitigkeit entschieden (§ 5 GGG/aF): Durch die Zuständigkeit eines Gewerbegerichts wird die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeschlossen.
Die Errichtung (§ 1 Abs. 2 S. 1 GGG/aF: „durch Ortsstatut nach Maßgabe des § 142 der Gewerbeordnung“; zeitgleich wurde § 120a GewO aufgehoben [§ 78 Abs. 1 GGG]) blieb weitgehend jedoch fakultativ; insoweit sie erfolgte, hatte dann aber das Gewerbegericht eine festumrissene gesetzliche Zuständigkeit (§§ 3 f. GGG/aF). Es war auch – den historischen Vorbildern entsprechend – paritätisch mit Beisitzern „beider Lager“ (§ 12 Abs. 1 GGG/aF) unter einem neutralen Vorsitzenden (§ 11 Abs. 1 GGG/aF) zu besetzen (§ 9 Abs. 1 GGG/aF). 9 Dazu etwa RT-Verh. VII/4 [1] (1888/89), Bd. 118 (1889) S. 397 ff., insbes. S. 399D– 400A [Abg. Baumbach]; S. 408A [Abg. Hitze]; S. 412D [Abg. Bebel]; S. 415C/D [Abg. Klemm]; S. 419B/C [Abg. Meyer]. RT-Verh. VI/2 [4] (1885/86) ASt. Nr. 10, Bd. 98 (1886) S. 63, 67 f.: „Behufs Schlichtung und erstinstanzlicher Entscheidung von Streitigkeiten … bildet die [Arbeits-] Kammer aus ihrer Mitte Schiedsgerichte …“ (§ 136 Abs. 1, 1. Halbs.), vgl. dazu erg. RT-Verh. VI/2 [5] (1885/86) ASt. Nr. 122, Bd. 99 (1886) S. 614, 618 f. Aber auch RT-Verh. I/4 [3] (1873) ASt. Nr. 67, Bd. 33 (1873) S. 370, 373/374: „Der Referent war der Ansicht, … daß Schiedsgerichte den guten Willen zur Verständigung voraussetzten“ [Zitat S. 373 aE]. 10 [Erster] RegE zur Umgestaltung des § 108 GewO vom 18.06.1873, RT-Verh. I/4 [4] (1873) ASt. Nr. 198, Bd. 34 (1873) S. 1000. [Zweiter] RegE zur Umgestaltung des § 108 GewO vom 10.02.1874, RT-Verh. II/1 [3] (1874) ASt. Nr. 21, Bd. 37 (1874) S. 130. [Erster] RegE für ein Gesetz betreffend die Gewerbegerichte vom 23.02.1878, RT-Verh. III/2 [2] (1878) ASt. Nr. 41, Bd. 52 (1878) S. 496, 513 ff. 11 Gesetz [Nr. 1913], betreffend die Gewerbegerichte vom 29.07.1890, RGBl S. 141.
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Viererlei erscheint vorliegend besonders bedeutsam: (1) Die Abgrenzung der Terminologie. Bereits beim Versuch, § 108 GewO zu novellieren, wurde die Frage der genauen Bezeichnung erkannt: Die Umschreibung als Gewerbegericht, so hieß es, „entspricht der Natur der neu zu schaffenden Organe mehr als die Bezeichnung ,gewerbliche Schiedsgerichte‘, welche schon für die in Al. 4 des bisherigen § 108 vorgesehenen Organe nicht ganz zutreffend war und vielfach zu irrigen Auffassungen von der rechtlichen Natur derselben geführt hat.“12 Aus Schiedsgerichten wurden – in Anlehnung an § 14 Nr. 4 GVG13 – danach Gewerbegerichte (und zwar als Regeltatbestand), welche man trotz allem jedoch als letztlich Schiedsgerichten funktionsähnlich erachtete (arg. § 81 Abs. 1 GGG/aF). (2) Die Ausklammerung prozessualer Schiedsgerichte. Während indes die frühere Debatte en passant Fühlung mit den – verkündeten, indes noch nicht anwendbaren – Reichsjustizgesetzen hielt, fehlt jetzt offenbar insoweit jeder Bezug zu der dann schon mehr als 10 Jahren geltenden CPO. Man kann das durchaus plausibel erklären, zumal doch die Schiedsgerichte als „Surrogat ordentlicher Gerichte“ nun prozessualer Sonderregelung (§§ 851 ff. CPO bzw. §§ 1025 ff. ZPO) unterstanden. Die Neuregelung hätte gleichzeitig bewirkt, zwischen spezialgesetzlichen (staatlichen) Gewerbegerichten und regulär-prozessualen (privaten) Schiedsgerichten zu differenzieren. Die geforderte Vergleichsfähigkeit (§ 851, 2. Halbs. CPO bzw. § 1025, 2. Halbs. ZPO/aF) war problemlos hierfür zu bejahen. Daher hält das Gesetzesschweigen der Schiedsgerichtsbarkeit die Türe offen – Arbeitssachen waren seit dem 01.10.1877 schiedsfähig und sollten nach dem 01.04.1891 das auch bleiben14. (3) Die Absicherung der Zuständigkeit. Demzufolge ist lediglich die Abgrenzung von allgemeiner (ordentlicher) und besonderer (gewerbegerichtlicher) Zuständigkeit der konkreten Regelung bedürftig. Das Gesetz bleibe hier kurzerhand beim ersten Anlauf bzw. dem dort schon erreichten Stand, so jedenfalls die Begründung15. Hatte dort die Regierung den Grundsatz zuerst allein implizit regeln wollen, sah dies indes die Ausschußberatung explizit festlegungsbedürftig 16 (§ 2: „Die Gewerbegerichte sind … aus-
12 RT-Verh. I/4 (1873) ASt. Nr. 198, Bd. 34 (1873) S. 1000, 1003 li. Sp. bzw. RT-Verh. II/1 (1874) ASt. Nr. 21, Bd. 37 (1874) S. 130, 134 li. Sp. 13 RT-Verh. III/2 [2] (1878) ASt. Nr. 41, Bd. 52 (1878) S. 513 ff., 516 li. Sp. aE.; vgl. auch erg. RT-Verh. VI/2 [5] (1885/86) ASt. Nr. 122, Bd. 99 (1886) S. 614, 618/619. 14 RT-Verh. X/1 [3] (1898–1900) ASt. Nr. 286, Bd. 174 (1899) S. 1999, 2006 li. Sp.: „Diesbezüglich hat das Gesetz … nichts geändert“ (aber vgl. auch S. 2007 li. Sp. [oben]). Dies bestätigt implizit auch RAGE 1, 243, 247 f. 15 RT-Verh. VIII/1 [1] (1890/91) ASt. Nr. 5, Bd. 136 (1890) S. 31, 40 li. Sp. [Amtl. Begr.] mit RT-Verh. VIII/1 [1] (1890/91) ASt. Nr. 51, Bd. 136 (1890) S. 504, 506 re. Sp. [Mitte]. 16 RT-Verh. III/2 [2] (1878) ASt. Nr. 41, Bd. 52 (1878) S. 513 ff., 517 li./re. Sp. mit S. 519 re. Sp. [Amtl. Begr.] – dazu klarstellend dann Kommissionsbericht vom 25.03.1878,
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schließlich zuständig.“). Jene harte (Ausschließlichkeits-) Formel fehlt aber, man hätte sie einer schiedsrichterlichen Entscheidungskompetenz u.U. ebenso entgegengehalten können (dies wenigstens in der damaligen Zeit 17). So wie dann indes gefaßt, geht es bloß um die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, nicht aber die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt die „Hintertüre Schiedsgericht“ ohne weiteres offensteht. (4) Die Miteinbeziehung von Regelungsstreitigkeiten. Eine größere Neuerung stellte noch die Zuständigkeit des Gewerbegerichts als Einigungsamt dar (§§ 61–69 GGG/aF), die in den ersten Vorlagen fehlte. Man verstellt sich leider aber hierdurch die dogmatisch richtige Einordnung, indem letztlich die Instanz als Zwitter erscheint: als Schlichtungsstelle einerseits, als Rechtssprechungsorgan andererseits. So heißt es recht widersprüchlich18: das Gericht sei berufen, „die Leitung solcher [Einigungs-] Verhandlungen und die Vermittlung zwischen den streitenden Parteien in die Hand zu nehmen“ bzw. „durch eine auf Sachkunde beruhende unparteiische Rechtsprechung das Vertrauen der Arbeitgeber und Arbeiter zu gewinnen“. 2. Die Novellierung des Gewerbegerichtsgesetzes (1901) a) Erster Anlauf Ein erster Vorstoß zur GGG-Änderung 19, getragen vor allem vom Anliegen der obligatorischen Einführung von Gewerbegerichten, führte in der Kommissionsdebatte zur breiteren Thematisierung gewerbegerichtlicher Zuständigkeit insgesamt, inbegriffen ihres Ausschlusses durch Schiedsvertrag 20. Und hier wird dann das „Mißbrauchsargument“ wohl parlamentarisch zum allerersten Mal eingesetzt: „Mit Rücksicht auf die Zwangslage, in welcher sich der Arbeiter vielfach beim Engagement befinde, könne eine derartige Praxis nur als ein schwerer Mißbrauch bezeichnet werden.“ Dem korrespondieren zwei Änderungsanträge für entsprechende Verbotszusätze bei § 55 GGG (gemeint wohl § 5 GGG, denn § 55 GGG regelte Rechtsmittel). Der Antrag erster Lesung Die Vereinbarung der Parteien, daß eine an sich der Zuständigkeit des Gewerbegerichts unterliegende Streitigkeit diesem Gericht entzogen werde, ist nichtig.
RT-Verh. III/2 [3] (1878) ASt. Nr. 110, Bd. 53 (1878) S. 876 li. Sp. [§ 2] einerseits, S. 879 re. Sp. [§ 13 Nr. 1] andererseits. 17 Wegen heute siehe V 1 [2] mit III 1 bei Fn. 47. 18 RT-Verh. VIII/1 [1] (1890/91) ASt. Nr. 5, Bd. 136 (1890) S. 31, 38/39 [erstes Zitat: S. 38; zweites Zitat: S. 39]. 19 RT-Verh. X/1 [1] (1898–1900) ASt. Nr. 36 u. ASt. Nr. 85, Bd. 172 (1899) S. 182 u. S. 581. 20 RT-Verh. X/1 [3] (1898–1900) ASt. Nr. 286, Bd. 174 (1899) S. 1999, 2006.
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war umfassend und allgemein als gesetzliches Verbot ausgestaltet, das über den (künftigen) § 134 BGB die Rechtswirksamkeit des Schiedsvertrages total beseitigt hätte. Die Kommission sah die Konfliktlage, erachtete aber den Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze insoweit für genügend, verschob somit den Fokus von § 134 BGB auf § 138 BGB und die Beurteilung des Einzelfalls. Die Begründung ist beachtlich: „… so weit könne man unmöglich gehen, den Schiedsvertrag, wie der Antrag wolle, in Bausch und Bogen zu verbieten. Warum soll es denn, wie sonst im geschäftlichen Leben, nicht auch im gewerblichen Arbeitsverhältnis vernünftig und dem Frieden förderlich sein, statt vor Gericht zu streiten, irgend eine andere Person oder Instanz, die sich des beiderseitigen Vertrauens erfreue, entscheiden zu lassen? Eine dahin gehende Abmachung erscheine jedenfalls dann völlig einwandsfrei, wenn in dem vereinbarten Schiedsgericht Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Zahl vertreten seien.“
Es ist eine prozessual orientierte Sichtweise, die hier am Ende relativ deutlich die Oberhand gewinnt und sich mit wenigen materiellen Korrekturen begnügt. Das mag auch mit der allemal doch rigiden wilhelminischen Arbeitergesetzgebung zusammenhängen, der zweifellos jegliche Abänderung des status quo recht fragwürdig erscheinen mußte. Der Antrag zweiter Lesung war infolgedessen stark abgeschwächt: Bestimmungen in Arbeitsordnungen (§ 134a der Gewerbeordnung), nach welchen an sich der Zuständigkeit des Gewerbegerichts unterliegende Streitigkeit diesem Gericht entzogen werden, sind nichtig.
Er resultierte aus dem Kritikpunkt, der erste Antrag ginge zu weit, weil er „den Parteien auch verwehre, sich für einen bestimmten einzelnen Fall aus freier Entschließung auf den Mann [sic!] ihres beiderseitigen Vertrauens zu verständigen“ – gedacht war hierbei an den Widerstreit von konkreter und abstrakter Beschreibung der Streitigkeit oder an eine Differenzierung zwischen bereits entstandener und künftig entstehender Streitigkeit. Diesen Wink nahm jedoch der zweite Antrag gerade nicht mehr auf, sondern führte als eine Art dritte Ordnung die Unterscheidung von (verbotener) normativer und (erlaubter) individueller Schiedsbindung ein. Hiermit hatte die Kritik leichtes Spiel (Gerichtsparität; Bagatellstreite): „So gehe auch der neue Antrag zu weit“ – denn: „Je nachdem die in der Arbeitsordnung vorgesehene schiedsrichterliche Instanz gestaltet sei, z.B., wenn gleiche Vertretung der Arbeitgeber und der Arbeiter vorgesehen sei, ferner für die Fälle, wo es sich um untergeordnete Differenzen handle, wie sie der Betrieb tagtäglich mich sich bringe, – könne die Bestimmung einer schiedsrichterlichen Instanz in der Arbeitsordnung sehr verständig erscheinen.“
Prozessual läßt sich allerdings diese dritte Ordnung nicht wirklich überzeugend erklären, zumal sie den Fokus nun von § 1029 ZPO (§§ 851/852 CPO)
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auf § 1066 ZPO (§ 872 CPO) verschiebt 21: geht es hier um „nicht auf Vereinbarung beruhende Verfügungen“? Das überforderte offenkundig die früheren Möglichkeiten prozessualer Dogmatik zur (rechtsgeschäftlichen) Erklärung wechselseitiger Bindungen 22. Der letzte Antrag 23, den die Zuständigkeit des Gewerbegerichts ausschließenden Schiedsvertrag dann für nichtig zu erklären, wenn er auf bloß mündlicher Vereinbarung beruhe,
scheiterte aber desgleichen. Das Institut sei generell „zweckmäßig und dem Frieden förderlich“, eine Schriftform deshalb unnötig erschwerend. So blieb es beim damals noch formfrei möglichen (Schieds-) Vertrag mit nur dem prozessualen Anspruch auf jeweilige Dokumentation (§ 853 CPO). Wieder war Ausweg die materielle Beurteilung, wobei sich die Nichtigkeitsfolge schon bald aus § 125 S. 1 BGB ergeben hätte. b) Zweiter Anlauf Dieser erste Anlauf einer Novellierung verlief infolge Sessionsendes am Ende im Sand, jedoch folgte ihm sofort danach ein zweiter Anlauf, der nun wiederum startete mit der Maximalforderung, Schiedsvereinbarungen gesetzlich für unzulässig zu erklären. Er entsprach dem Sinn (nicht auch dem Wortlaut) nach dem in erster Lesung gestellten Änderungsantrag, war jetzt dagegen – systematisch korrekt – als zusätzliche Kompetenz-Schranke bei § 5 GGG ausgestaltet 24: (2) Vereinbarungen, durch welche der Zuständigkeit des Gewerbegerichts unterliegende Streitigkeiten der Entscheidung dieses Gerichts entzogen werden, sind nichtig.
Die Ausschußdiskussion verlief dieses Mal jedoch weniger restriktiv 25, zumal sich wohl die vormals angeprangerten Rechtsmißbräuche häuften. Sowohl die mittels Arbeitsordnung normierte Schiedsbindung als auch die Besetzung der Richterbank mit Gewährsleuten des Arbeitgebers, wäre heute zwar prozessual ohnedies nichts wert (mangelnde Vertragsbindung; fehlende Gerichtsqualität), doch maß die damalige Zeit noch nicht mit der gleichen Elle. Von daher scheint letztlich naheliegend, auf Abhilfe „von außen“ zu sinnen, wenn man nur den Fall „als zulässig berücksichtigt …, daß beide Parteien sich dem 21 Vgl. RT-Verh. X/1 [3] (1898–1900) ASt. Nr. 286, Bd. 174 (1899) S. 1999, S. 2006 li. Sp. einerseits, S. 2007 li. Sp. andererseits. 22 Wegen arbeitsrechtlicher – späterer – Erkärungsversuche siehe RGZ 114, 194, 195 (U.v. 02.07.1926) sowie z.B. Lachner a.a.O. (Fn. 1) S. 41 ff. mit S. 71 gegen Kahn-Freund, Umfang der normativen Wirkung des Tarifvertrages … (1928), S. 39 ff., außerdem die Beiträge im „Gewerbe- und Kaufmannsgericht“ [GuKG] 18 (1913/14), 463 ff. 23 RT-Verh. X/1 [3] (1898–1900) ASt. Nr. 286, Bd. 174 (1899) S. 1999, 2007. 24 RT-Verh. X/2 [1] (1900–1902) ASt. Nr. 74, Bd. 189 (1901) S. 362, 363. 25 RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2066.
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Schiedsspruche einer Persönlichkeit unterwerfen [demnach vertragliche Bindung!], der beide besonderes Vertrauen entgegenbringen [Neutralitätsgedanke!].“26 Das führte zum Antrag, die Verbotsregelung sachlich einzuschränken 27: (2) Schiedsverträge, durch welche die Zuständigkeit der Gewerbegerichte [für künftige Streitigkeiten 28] ausgeschlossen wird, sind nur dann rechtswirksam, wenn [nach dem Schiedsvertrage 29] bei dem Schiedsgericht Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Zahl mitwirken und der Vorsitzende weder Arbeitgeber [oder Angestellter eines betheiligten Arbeitgebers 30] noch Arbeiter ist.
Die Begrenzung ist eine dreifache: es geht bloß noch um Schiedsvereinbarungen im Unterschied zu sonstigen (Güte-) Verabredungen; die Schiedsbindung existenter Streitigkeiten bleibt weiterhin unbeschränkt, d.h. die Schranke gilt alleinig den zukünftigen Streitfällen; schlußendlich muß der Schiedsvertrag bereits als solcher die paritätische Besetzung des Gerichtes sicherstellen, so wie im staatlichen Gewerbegerichtsverfahren gesetzlich immer schon angeordnet (oben II 1). Diese Fassung wurde – marginal (allerdings nur sprachlich) geändert – am Ende auch Gesetz 31. Versuche, dies zu verschärfen 32, abzumildern 33 oder weitergehend zu modifizieren 34, erhielten keinerlei Mehrheiten. Wichtig war demnach namentlich, künftighin Parität bzw. Neutralität im Vorhinein zu garantieren. Die Gesetzesfassung lautete dementsprechend (§ 6 Abs. 2 GGG/nF 35): Schiedsverträge, durch welche die Zuständigkeit der Gewerbegerichte für künftige Streitigkeiten ausgeschlossen wird, sind nur dann rechtswirksam, wenn nach dem Schiedsvertrage bei der Entscheidung von Streitigkeiten Arbeitgeber und Arbeiter
26
RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2066 li./re. Sp. RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2066 re. Sp. 28 Ergänzung erster Lesung: S. 2066 re. Sp. 29 Ergänzung zweiter Lesung: S. 2085 re. Sp. 30 Ergänzung im Reichstag: RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 332, Bd. 191 (1901) S. 2204. 31 RT-Verh. [3] X/2 (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2093 ff. (2087); RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902), Bd. 181 (1901) S. 2646, 2664C–2665A; RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 362, Bd. 191 (1901) S. 2303 ff. (2307); RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902), Bd. 181 (1901) S. 2729, 2730B; RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 367, Bd. 191 (1901) S. 2326; Gesetz [Nr. 2780] zur Abänderung des Gesetzes, betreffend die Gewerbegerichte, vom 29. Juli 1890, vom 30.06.1901, RGBl S. 249. 32 RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2067 li. Sp. (Antrag Nr. 22): Verbot für Vereinbarungen „im Voraus“. 33 RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2067 li. Sp. (Antrag Nr. 21): Berufungsrecht ans Gewerbegericht. 34 RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2067 li. Sp. (Antrag Nr. 20): Ausschluß der Arbeiter des „in den Streit verwickelten Arbeitgebers“ von der Richterbank. 35 Gewerbegerichtsgesetz [Nr. 2801] idF vom 29.09.1901, RGBl S. 353. 27
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in gleicher Zahl unter einem Vorsitzenden mitzuwirken haben, welcher weder Arbeitgeber oder Angestellter eines betheiligten Arbeitgebers, noch Arbeiter ist.
Man verband hiermit die Erwartung, „daß die Abneigung gegen Gewerbegerichte schwinde und Schiedsverträge, welche die Gewerbegerichte ausschließen sollen, tunlichst nicht mehr zu Stande kämen.“ 36 Wenn man also die Besetzungsmodalitäten für Gewerbegerichte nun auch den Schiedsgerichten vorschreibt, so ist dies die komplette Umkehrung der gewohnten Erwartung besonderer Sachkunde der Richtenden, welche man gerade den Schiedsgerichten als Vorzug zurechnet. 3. Das Kaufmannsgerichtsgesetz (1904) Das Gewerbegerichtsgesetz war zugeschnitten auf gewerbliche Arbeitnehmer. Gemäß seinem Muster wurde bald danach der Wunsch nach dementsprechenden Kaufmannsgerichten laut für die Streitigkeiten aus dem kaufmännischen Dienst- und Lehrverhältnis mit Handlungsgehilfen und Handlungslehrlingen. Die Frage, ob dabei ein „Hinausoptieren“ ans Schiedsgericht gemäß allgemeiner prozessualer Regel (§§ 1025 ff. ZPO) rechtens bleiben sollte, stellte sich damit von neuem – und neuerlich prallten dieselben Vorstellungen und Bewertungen aufeinander. Während der „Parlamentsentwurf“ 37 für das Kaufmannsgerichtsgesetz (KGG) mit rigidem Verbot vorging und hierbei die Parlamentsvorstöße zur GGG-Änderung als (Ideal-) Vorbild erneuerte (§ 4 Abs. 2), Vereinbarungen, durch die der Entscheidung des Kaufmannsgericht[e]s [künftige 38] Streitigkeiten, die seiner Zuständigkeit unterliegen, entzogen werden, sind nichtig.
bemühte der Regierungsentwurf 39 die GGG-Fassung, welche gültiges Gesetz geworden war, als simple Schablone (§ 6 Abs. 2): Schiedsverträge, durch welche die Zuständigkeit der Kaufmannsgerichte für künftige Streitigkeiten ausgeschlossen wird, sind nur dann rechtswirksam, wenn nach dem Schiedsvertrage bei der Entscheidung von Streitigkeiten Kaufleute und Handlungsgehilfen in gleicher Zahl unter einem Vorsitzenden mitzuwirken haben, welcher weder Kaufmann noch Handlungsgehilfe oder Handlungslehrling ist.
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RT-Verh. X/2 [3] (1900–1902) ASt. Nr. 299, Bd. 191 (1901) S. 2055, 2066 re. Sp. aE. RT-Verh. XI/1 [1] (1903/1904) ASt. Nr. 114, Bd. 205 (1904) S. 490, 491. 38 Änderung nach Beratung: RT-Verh. XI/1 [3] (1903/1904) ASt. Nr. 340, Bd. 207 (1904) S. 1923, 1931 li. Sp. [Mitte]. 39 RT-Verh. XI/1 [1] (1903/1904) ASt. Nr. 143, Bd. 205 (1904) S. 718, 719 mit amtl. Begr. S. 723 li. Sp.: „Die Vorschrift des § 6 [KGG] entspricht dem § 6 Gewerbegerichtsgesetz. … Schiedsverträge über den Ausschluß der Zuständigkeit der Kaufmannsgerichte werden nur unter denselben Voraussetzungen wie nach § 6 a.a.O. zuzulassen sein.“ 37
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Wider Erwarten verlief freilich jetzt die (Ausschuß-) Diskussion nun umgekehrt, offenbar eine Folge großen Argwohns: „Manche Unternehmer wollen durch systematische Agitation alle Vergünstigungen, die das Gesetz den Gehilfen bringe, wieder beseitigen. … Die Riesenbetriebe der Warenhäuser entfalten eine große Macht und könnten leicht tendenziös zusammengesetzte Schiedsgerichte konstruieren.“ Der eigentlich naheliegende Vergleich mit dem wenige Jahre vorher eingeführten § 6 Abs. 2 GGG, wie er von Regierungsseite vorgetragen wurde 40, vermochte nichts zu ändern. Eine knappe Mehrheit votierte für ein Komplettverbot betreffend zukünftige Streitigkeiten, und der Reichstag folgte dem, ohne indes die Frage noch eingehender zu diskutieren 41. 4. Die Novellierung des Kaufmannsgerichtsgesetzes (1922) Seit dem 01.01.1905 (KGG-Inkrafttreten) existierte nun also erstmalig eine partielle Schiedsgerichtsbeschränkung, und zwar in Form eines spezialgesetzlich eingeführten Verbotstatbestandes mit expliziter Nichtigkeitsfolge. Sie blieb bezogen auf den KGG-Bereich, eine „Gleichschaltung“ des GGGBereiches fand nicht mehr statt, obwohl das Argument paralleler Regelung eigentlich doch auf der Hand liegen sollte – so oder so. Dies bewirkte eine eigenartig zweigeteilte Rechtslage mit KGG-Totalverbot einerseits (§ 6 Abs. 2 KGG) und begrenzter GGG-Verbotsnorm andererseits (§ 6 Abs. 2 GGG/ nF), welche im Grunde genommen jedoch (inhaltlich quasi anders herum verstanden) „Erlaubnisnorm mit Paritätsvorbehalt“ war. Ebenso verblüfft später die insgesamt unerwartete Rücknahme des Totalverbotes, recht beiläufig anläßlich einer inflationsbedingten Wertgrenzenanpassung in KGG und GGG mit Wirkung zum 08.12.1922 42. Es gehe um eine „dringende Änderung“, weil „Schiedsverträge vielfach von den Beteiligten gewünscht werden. Bedenken gegen eine schiedsgerichtliche Entscheidung dieser Streitigkeiten bestehen bei der Ausdehnung insbesondere des tarifvertraglichen Schiedsgerichtswesens nicht mehr. Das Verbot der Schiedsge-
40 RT-Verh. XI/1 [3] (1903/1904) ASt. Nr. 340, Bd. 207 (1904) S. 1923, 1930/1931 mit S. 1931 li. Sp. 41 RT-Verh. XI/1 [3] (1903/1904) ASt. Nr. 340, Bd. 207 (1904) S. 1923, 1951 ff. (1953); RT-Verh. XI/1 [4] (1903/1904), Bd. 200 (1904) S. 3045D; RT-Verh. XI/1 [3] (1903/1904) ASt. Nr. 468, Bd. 207 (1904) S. 2528; RT-Verh. XI/1 [4] (1903/1904), Bd. 201 (1904) S. 3227, 3234D; RT-Verh. XI/1 [4] (1903/1904) ASt. Nr. 497, Bd. 208 (1904) S. 2552, 2553; Kaufmannsgerichtsgesetz [Nr. 3059] vom 06.07.1904, RGBl S. 266. 42 RT-Drs. I (1920–1924) Nr. 5235, Bd. 375 (1924) S. 5662, 5663 li. Sp. (Art. II Nr. 2: „Im § 6 fällt der zweite Absatz fort.“); RT-Prot. I (1920–1924), Bd. 357 (1923) S. 9043, 9044C u. 9045A/B; ÄndG vom 27.11.1922, RGBl I 887 = Zeitschrift „Gewerbe- und Kaufmannsgericht“ [GuKG], Bd. 28 (1922/23), 66 f.
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richtsbarkeit soll deshalb aufgehoben werden.“ Diese amtliche Begründung 43 erscheint vor allem deshalb beachtlich, weil parallel die Arbeiten zum späteren Arbeitsgerichtsgesetz anlaufen – und dies bereits eine relativ schiedsfreundliche Grundeinstellung dort vermuten läßt. Hiermit mußte nämlich die andauernde GGG-Begrenzung als überflüssig einengende Sonderregel erscheinen 44. Während im GGG zunächst völlige Freiheit herrschte, Schiedsgerichte zu vereinbaren (1890–1901), bevor dann mit § 6 Abs. 2 GGG/nF von Gesetzes wegen die nötige Neutralität abgesichert wurde (1901–1927), herrschte im KGG hier genau umgekehrt zuerst mit § 6 Abs. 2 KGG ein Verbot (1904– 1922) und dann die absolute Freigabe der (Partei-) Vereinbarung schiedsgerichtlicher Entscheidung (1922–1927); der gegenwärtige Rechtsstreit blieb immer aber schiedsfähig. Das Klima für Schiedsgerichte sollte insgesamt mithin wieder günstiger werden und wohl auch die Rückbesinnung auf ureigen prozessuale Grenzen stattfinden. Deshalb rückt zwangsläufig jetzt die ArbGG-Diskussion ins Zentrum des Interesses.
III. Das „Weimarer“ Arbeitsgerichtsgesetz (1926) 1. Entwurfsvorlage Der zweite Vorentwurf des sog. Arbeitsrechtsausschusses 45 normierte die allgemeine Ausschließung ordentlicher Gerichtsbarkeit durch Zuständigkeit eines Arbeitsgerichts (§ 2), ließ dabei bewußt indes eine schiedsrichterliche Eigengestaltung für arbeitsrechtliche Streitigkeiten gemäß §§ 1025 ff. ZPO offen (§ 116 Abs. 1 iVm. § 4) – mit freilich der nachfolgenden wichtigen Einschränkung in Anlehnung an § 6 Abs. 2 GGG/aF (§ 116 Abs. 2): Jedoch sind Schiedsverträge, welche die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für künftige Streitigkeiten ausschließen, nur dann rechtswirksam, wenn nach dem Schiedsvertrag bei der Entscheidung von Streitigkeiten Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Zahl unter einem unparteiischen Vorsitzenden mitzuwirken haben.
Bedeutsam erscheint folgendes: das Herausoptieren untersteht den üblichen zivilprozessualen Vorgaben, dem Vorentwurf fehlt noch das arbeitsrechtliche „Eigenregime“ – mit der einen Ausnahme gemäß § 116 Abs. 2, der dieselbe Besetzungsparität verlangt, wie der Entwurf sie für normale staatliche Arbeitsgerichte fordert (§ 13). Wichtig ist dazuhin festzuhalten, daß diese Neutralitätsklausel nicht gegenwärtig geführte Streitigkeiten betrifft. 43
RT-Drs. I (1920–1924) Nr. 5235, Bd. 375 (1924) S. 5662, 5663 re. Sp. Dazu die Kritik von Sell GuKG 28 (1922/23), 66, 68 [8]. 45 Veröffentlicht als Beilage 2 zur Zeitschrift „Gewerbe- und Kaufmannsgericht“ [GuKG], Bd. 27 (1921/22). Der erste Vorentwurf ist nicht publiziert. 44
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Anders der Ansatz des ersten Regierungsentwurfs aus dem Arbeitsministerium46. Darin wird die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte letztlich systemkonform als ausschließliche deklariert (§ 2 Abs. 1 RegE I), die Befugnis zum Abschluß von Schiedsverträgen bleibt dabei „nach Maßgabe der §§ 105 bis 124“ aber vorbehalten (aus der Ausschließlichkeit eines Gerichtsstandes folgt eben keine Schiedsunfähigkeit des Streitgegenstandes! 47). An die Stelle der ZPO-Regeln tritt also ein eigenständig arbeitsrechtliches Regelwerk 48. Dieses sieht hier als Eingangsvoraussetzung folgendes Reglement vor (§ 105 RegE I): Die Arbeitsgerichtsbarkeit kann für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus dem Arbeits- oder Lehrverhältnis und für Rechtsstreitigkeiten aus Tarifverträgen von den Parteien des streitigen Rechtsverhältnisses allgemein oder für den Einzelfall, auch im voraus, durch die ausdrückliche Vereinbarung ausgeschlossen werden, daß die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll. Für Streitigkeiten aus einem Arbeits- oder Lehrverhältnisse, das sich nach einem Tarifvertrage bestimmt, können auch die Parteien des Tarifvertrags eine derartige Vereinbarung schließen; ihre Wirkung erstreckt sich nicht auf solche Parteien eines Arbeits- oder Lehrverhältnisses, die dem Tarifvertrage nur durch die Erklärung seiner allgemeinen Verbindlichkeit unterworfen sind.
Offen sind jetzt drei Fälle unterschieden: Individualschiedsvereinbarungen im Einzelarbeitsverhältnis (S. 1, 1. Var. [Fallgruppe 1]), Individualschiedsvereinbarungen zwischen Tarifvertragsparteien (S. 1, 2. Var. [Fallgruppe 2]) und – konstruktiv besonders kompliziert – Gesamtschiedsvereinbarungen von Tarifvertragsparteien für tarifgebundene individuelle Arbeitsverträge (S. 2, 1. Halbs. [Fallgruppe 3]) 49. Verlangt wird insoweit – strenger als das damalige Prozeßrecht – eine ausdrückliche (aber nicht auch schriftliche!) Schiedsvereinbarung (§ 105 RegE I) und ferner – wie früher – ebenfalls paritätische Besetzung (§ 107 Abs. 1 RegE I) 50. Die Entwurfsbegründung ist frei von jedem Mißtrauen gegenüber einer ersatzweisen schiedsgerichtlichen Entscheidung, sie wird – genau anders herum – sehr vom Ziel getragen, existierende „zivilprozessuale Fesseln“ abzustreifen. Hierher zählt vor allem die Ermöglichung der Schiedsbindung einzelner Arbeitsverträge per Tarifvertrag, wie sie die Praxis offenbar immens wünschte 51; überhaupt baut man ganz besonders auf die Verdrängung einzel46
RArbBl 1923 S. 385. Siehe dazu unten V 1 [2]. 48 RArbBl 1923 S. 415 [amtl. Begr. zu § 105]: „Das zehnte Buch der Zivilprozeßordnung gilt daneben nicht.“ 49 RArbBl 1923 S. 406 li. Sp. [amtl. Begr. V 1]. 50 RArbBl 1923 S. 406/407 [amtl. Begr. V 1]. 51 RArbBl 1923 S. 405 re. Sp. mit S. 405/406 [amtl. Begr. V 1], ganz ähnlich dann RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065 S. 51 f., Bd. 407 (1926). Siehe auch Riese GuKG 28 (1922/23), 2 ff. einerseits, RAG 1, 297, 300 andererseits; gleichfalls so im Nachhinein BAGE 15, 87, 93. 47
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vertraglicher Verabredung, die vielleicht (Paritäts-) Restriktionen erforderte – im Unterschied zu kollektiver Verabredung: „Für ein Verbot des vertraglichen Ausschlusses der Arbeitsgerichtsbarkeit liegen mithin die ursprünglichen Gründe nicht mehr vor.“52 Die Aufstellung eigener Vorschriften soll paßgenau die „Bedürfnisse des Arbeitswesens“ abbilden, während die ZPOVorgabe als eindeutig handelsorientiertes Verfahrensrecht erscheint. Die Schutzregel zur Parität der Richterbank (§ 107 Abs. 1) zeigt bloß einen Teil; ihr tritt zur Seite die tunlichste Erleichterung des Verfahrens: „Es entspricht dem Wesen des schiedsgerichtlichen Verfahrens in Arbeitsstreitigkeiten, daß dieses soweit irgendmöglich auch von den letzten Förmlichkeiten befreit wird, die etwa in dem Verfahren vor den Arbeitsgerichten noch notwendig sind.“ 53 So wird am Ende die Schiedsvereinbarung zum Ausfluß des Mitbestimmungsrechts: „Insofern stellen deshalb die Bestimmungen des dritten Teiles des Entwurfes nicht einen Ausbau des zehnten Buches der Zivilprozeßordnung, sondern etwas Neues, dem Arbeitsrecht Eigentümliches dar.“ 54 Im Ansatz war mithin kein restriktives (Schieds-) Sonderrecht geplant! Der zweite 55 und dritte 56 Regierungsentwurf folgen dann dieser Spur, mag sie sich auch nicht mehr ganz so deutlich in Text bzw. Motiven abzeichnen. Freilich gibt es eine Erhöhung der „Prüfungstiefe“ bei Aufhebungsklagen, die recht wichtig erscheint: Nicht mehr bloß die Verurteilung zu verbotenen Handlungen (§ 115 Nr. 2. RegE I), sondern jeder Verstoß gegen zwingende gesetzliche Vorschriften (§ 98 Abs. 1 Nr. 2 RegE II bzw. § 97 Abs. 1 Nr. 2 RegE III) ist jetzt als Aufhebungsgrund anerkannt. Dies könnte eine staatliche Inhaltskontrolle ermöglichen, die über eine bloße ordre-public-Prüfung hinausgeht und eine révision au fond teilweise jedenfalls gestattet. Freilich ist die scharfe Unterscheidung von zwingenden Rechtsvorschriften einerseits und unverzichtbarem Rechtsbestand andererseits allemal erst eine jüngere Erkenntnis 57. Der zweite Regierungsentwurf bringt hinsichtlich der Zulässigkeit des Abschlusses von Schiedsvereinbarungen marginale Textänderungen, ohne Veränderung der Intentionen. Dabei wird die Statthaftigkeit des Ausschlusses arbeitsgerichtlicher Entscheidung verselbständigt (§ 4 RegE II/III [§ 2 Abs. 2 RegE I]: Ausschluß der Arbeitsgerichtsbarkeit 58) und umfassend tatbestandsbezogen formuliert – wobei dies die meisten Streitigkeiten abdeckt. Die Ein-
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RArbBl 1923 S. 405 re. Sp. [amtl. Begr. V 1]. RArbBl 1923 S. 407 li. Sp. [amtl. Begr. V 1]. 54 RArbBl 1923 S. 406 re. Sp. aE [amtl. Begr. V 1]. 55 RArbBl 1925 S. 309. 56 RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065, Bd. 407 (1926). 57 Wegweisend insofern namentlich RGZ 169, 240, 245 u. BGHZ 54, 123, 132 – jüngst zusf. ebenso OLG Frankfurt/Main SchiedsVZ 2006, 219, 223 [II 3]. 58 Siehe Text unten III 2. 53
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zelregelung (§ 89 RegE II bzw. § 88 RegE III [§ 105 RegE I]) ist wiederum dreiteilig angelegt, knüpft allerdings jetzt gleichfalls tatbestandlich an und wird darum kürzer. Hinsichtlich der Erfordernisse (S. 1 aE: „allgemein oder für den Einzelfall, auch im voraus, durch ausdrückliche Vereinbarung“) bleibt sie gleich. – Der dritte Regierungsentwurf untermauert die Textierung mit relativ ausführlichen Motiven, welche bei Inhalt wie Duktus weitgehend dem ersten Regierungsentwurf folgen, aber auffallend abschwächend formuliert sind. Vor allem fehlt die – letztendlich recht fragwürdige – Zurückführung auf die Mitbestimmung, der Wunsch der Praxis dominiert. So heißt es jetzt: der Entwurf „beschränkt sich darauf, eine Regelung vorzuschlagen, die die Erfüllung dieser Bedürfnisse rechtlich zweifelsfrei ermöglicht. Dazu war es nötig, den Boden des zehnten Buches der Zivilprozeßordnung zu verlassen und diese Gegenstände hier selbständig und erschöpfend zu regeln.“59 Auch der Gesichtspunkt möglichst formloser Ausgestaltung kommt – zumindest doch beiläufig – dabei gleichfalls wieder zum Tragen 60. Indes wird die Kontraposition zur ZPO-Gestaltung letztendlich nicht so stark akzentuiert. Bei der Vorberatung des zweiten Entwurfs im Sozialpolitischen Ausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates wurde freilich schon von Arbeitnehmer- bzw. Gewerkschaftsseite die schiedsgerichtliche Entscheidung jeglicher Individualstreitigkeiten abgelehnt: Es sei „vielmehr vorzuschreiben, daß Schiedsverträge nur zwischen tariffähigen Parteien und nur für Streitigkeiten, die aus einem Tarifvertrag entstehen, vereinbart werden können.“61 Der dritte Entwurf erhielt aber ohne weitere Begründung die bisher erstrebte Dreiteilung der Tatbestände: „Die … geltend gemachten Bedenken gegen die Zulässigkeit von Einzelvereinbarungen teilen Reichsregierung und Reichsrat nicht.“62 Hier zeigt sich schon der Sprengsatz, welcher im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Umkehrung der explizit schiedsfreundlich intendierten Gesetzesregelung führte. 2. Ausschußberatung Die einleitende allgemeine Gestattung des Ausschlusses der Arbeitsgerichtsbarkeit durch Schiedsvereinbarung (§ 4 RegE III) übersteht die beiden Beratungen im Ausschuß für Sozialpolitik (sic!) unverändert: 59
RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065 S. 52 re. Sp. aE, Bd. 407 (1926) [amtl. Begr. VII 1]. RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065 S. 54 li./re. Sp., Bd. 407 (1926) [amtl. Begr. VII 2]. Anders schon dann die Deutung bei RAGE 1, 243, 249/250: „größere Sicherungen für eine sachgemäße Erledigung“. 61 RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065 S. 71 re. Sp. [Mehrheitsvotum IV 2] bzw. S. 77 re. Sp. [Gesamtvotum IV 2], Bd. 407 (1926). 62 RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2065 S. 52/53, Bd. 407 (1926) [amtl. Begr. VII 1 – Zitat S. 52 aE]. 60
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In den Fällen des § 2 Nr. 1 bis 4 kann die Arbeitsgerichtsbarkeit durch Schiedsvertrag und Vereinbarung nach den §§ 88 bis 104 ganz oder teilweise ausgeschlossen werden.
Es gab dazu nicht einmal näheren Beratungsbedarf 63. Von daher scheint die Einzelgestaltung nurmehr Detailarbeit gewesen – doch trügt jene erste Vermutung gründlich: die Modalitäten des Ausschlusses (§ 88 RegE III) werden nämlich in zweiter Lesung grundlegend umgestaltet. Anträge erster Lesung, die restriktivere Einschätzung des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates durchzusetzen64, scheiterten zwar noch durchgängig. Doch spürt man schon eine regierungsseitige grundlegende Stimmungsänderung hin zur schiedsskeptischen Betrachtungsweise, zumal „die Frage der Schiedsgerichtsbarkeit ein allgemeines Problem darstelle und … man ein Überhandnehmen dieser Gerichtsbarkeit am besten dadurch verhindere, daß man die Tätigkeit der staatlichen [Arbeits-] Gerichte möglichst gut gestalte“65. Anders hernach in zweiter Lesung, die eine vollkommen neue Konzeption66 brachte. Auslöser war der folgende SPD-Antrag zu § 88 RegE III 67: (1) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeits- oder Lehrverhältnis, das sich nach einem Tarifvertrage bestimmt, können die Parteien des Tarifvertrages die Arbeitsgerichtsbarkeit durch die ausdrückliche Vereinbarung im Tarifvertrag [§ 91 ArbGG 1926: „im Tarifvertrage durch die ausdrückliche Vereinbarung“] ausschließen, daß die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll. Die Wirkung dieser Vereinbarung erstreckt sich nicht auf solche Parteien eines Arbeitsoder Lehrverhältnisses, die dem Tarifvertrage nur durch die Erklärung seiner allgemeinen Verbindlichkeit unterworfen sind. (2) Die Parteien des streitigen Rechtsverhältnisses können eine derartige Vereinbarung für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nach § 2 Nr. 1 schließen.
Er will jegliche Individualschiedsvereinbarung im Einzelarbeitsverhältnis verhindern, benennt dies aber positiv und erlaubt deshalb nur Gesamtschiedsvereinbarungen von Tarifvertragsparteien (Abs. 1 = Fallgruppe 3) und Individualschiedsabreden derselben Parteien bezüglich Tarifvertragsproblemen (Abs. 2 mit § 2 Nr. 1 = Fallgruppe 2) – die Fallgruppe 1 bleibt unerwähnt 63 RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 3019 S. 9 li. Sp. bzw. S. 29 re. Sp., Bd. 414 (1927) – aber vgl. doch Antrag Nr. 669 Nr. 4 [erste Lesung] bzw. Nr. 852 Nr. 4 [zweite Lesung], RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 91 bzw. S. 109, Bd. 411 (1926); siehe noch unten Fn. 71. Dies trotz Kritik: Bewer LZ 20 (1926), 64, 65: „leere Ankündigung“, die hernach „nicht erfüllt“ ist. 64 Einerseits Antrag Nr. 812 Nr. 15 [SPD], RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 106, Bd. 411 (1926), andererseits Antrag Nr. 816 Nr. 1 [DD], RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 107, Bd. 411 (1926) – aber: Ausnahme fürs Handwerk (?): RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 3019 S. 25 re. Sp. [Mitte], Bd. 414 (1927). 65 RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 3019 S. 25 re. Sp., Bd. 414 (1927). 66 Ähnlich die Wertung bei Lachner a.a.O. (Fn. 1) S. 71 f. mit S. 64 f., 87. 67 Antrag Nr. 862 Nr. 8, RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 115, Bd. 411 (1926).
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(mithin: unerlaubt), und auch die Abfolge wurde bezeichnenderweise genau gekehrt. Jener Antrag erhielt Zustimmung. Und daraus folgte als reichlich eigenartiger Kompromiß die Annahme des ersten Absatzes mit Umgestaltung des zweiten Absatzes auf Eventualanträge 68 hin: Präzisierung des Tatbestandes in Anlehnung an den Regierungsentwurf (pr.: „allgemein oder für den Einzelfall, auch im voraus“ – indes ohne das Ausdrücklichkeitsgebot!) und partielle Erweiterung zugunsten der Fallgruppe 1 für anscheinend sozialpolitisch unbedenkliche Fälle (Nr. 2) 69: (2) Die Parteien des streitigen Rechtsverhältnisses können, allgemein oder für den Einzelfall, auch im voraus, eine derartige Vereinbarung treffen: 1. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nach § 2 Nr. 1; 2. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nach § 2 Nr. 2, wenn der beteiligte Arbeitnehmer ein Angestellter ist und sein Jahreseinkommen die im Angestelltenversicherungsgesetz[e] vorgesehene Grenze für die Versicherungspflicht überschreitet.
Letztlich bleibt von Fallgruppe 1 (Abs. 2 mit § 2 Nr. 2) nicht mehr viel übrig, ausschließlich „leitenden Angestellten“ wird zugetraut, sich (eigen-) verantwortlich zu entscheiden – das widerspricht dem § 4. 3. Plenumsbeschluß Diese Formel wurde Gesetz70. Das Reichstagsplenum hat den auffälligen Widerspruch zwischen allgemeiner Gestattung (§ 4 nennt § 2 Nr. 1 bis 4) und spezieller Gestaltung (§ 91 [Abs. 2] nennt § 2 Nr. 1 und 2) stehengelassen. Er erklärt sich daraus, daß § 4 nur objektiv anknüpft, d.h. die Art der Streitigkeit als sachliches Kriterium heranzieht, während bei § 91 die Debatte in eine subjektive Differenzierung einmündete, welche sich an die alte Dreiteilung hält, die Reihenfolge aber andersherum nimmt und dabei ergänzende objektive Schranken setzt. So verheißt § 4 mehr als dann § 91 eröffnet – (Individual-) Streitigkeiten nach § 2 Nr. 3 und 4 einem Schiedsgericht zu unterbreiten, geht nur über die (kollektive) Tarifvereinbarung (§ 91 Abs. 1). Der radikale Gegenentwurf mit § 4 als eine Art „symbolische Sperrklausel“, Der Aussch[l]uß der Arbeitsgerichtsbarkeit durch Schiedsvertrag oder Vereinbarung ist nicht zulässig. Entgegenstehende Vereinbarungen sind nichtig.
68 Antrag Nr. 874, RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 116/117, Bd. 411 (1926); vgl. auch erg. Antrag Nr. 871, RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 116, Bd. 411 (1926). 69 Mißverständlich der Kommisionsbericht, RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 3019 S. 34 li. Sp., Bd. 414 (1927). Sehr deutlich aber RAG ARS 9 (1930), 559, 560. 70 RT-Prot. III S. 8492 ff., S. 8500D (2. Beratung), S. 8502C (3. Beratung), S. 8503/8504 (Schlußabstimmung) mit RGBl 1926 I S. 507, 508 u. 520.
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wie er zur zweiten Reichstagslesung von der Kommunistischen Partei verselbständigt erhoben wurde 71, fand auch jetzt wiederum keine Mehrheit 72. Gegenstand lebhafter Diskussion war letztlich nur das Schicksal der Innungsschiedsgerichte als Handwerkerprivilegium. Die einzig artikulierte Kritik an der Statthaftigkeit partieller Schiedsbindung kam konsequenterweise von Seiten der KP – „Sie [die Sozialdemokraten] reden im Entwurf von der Vereinheitlichung des Arbeitsrechts, und am Schluß dieses Gesetzes zerreißen Sie das Wenige, was Sie angeblich in der Frage eines einheitlichen Arbeitsrechts geschaffen haben.“ –, verhallte aber ganz ohne Beachtung 73. Die KP war ja bereits zu § 4 mit demselben Anliegen erfolglos geblieben. Die Chance, zumindest das Zusammenspiel von § 4 mit § 91 abzustimmen, blieb ungenutzt74.
IV. Das „Bonner“ Arbeitsgerichtsgesetz (1953) 1. Regierungsvorlage Nach Kriegsende galt zunächst das alte ArbGG in seiner Ursprungsfassung weiter, bevor man ein neues ArbGG erarbeitet hatte. Der Entwurf von 1951 änderte, was das Schiedsverfahren angeht, am Kurs nichts, sondern verharrte bei der offenbar bewährten Doppelung. Die Ausschlußklausel (§ 4) bleibt sachlich gleich, wurde jedoch formell leicht den jetzigen (Kompetenz-) Gegebenheiten angepaßt und etwas gekürzt 75: In den Fällen des § 2 kann die Arbeitsgerichtsbarkeit nach Maßgabe der §§ 91 bis 107a ganz oder teilweise ausgeschlossen werden.
71 RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2804 Ziff. 4, Bd. 412 (1927) – im Anschluß an den Alternativentwurf (§ 2 Abs. 1 S. 1 mit Abs. 3) vom 27.05.1926, RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2327, Bd. 408 (1926) und die wortgleichen, aber abgelehnten, Kommissionsanträge Nr. 669 Nr. 4 [erste Lesung] bzw. Nr. 852 Nr. 4 [zweite Lesung], RT-Drs. III (1924–1928) Nr. 2795 S. 91 bzw. S. 109, Bd. 411 (1926), dazu schon oben Fn. 63. 72 RT-Prot. III S. 8472 ff., 8484B/C. 73 Anders bald danach aber die Verfahrenshinweise „Schlichtung und Rechtsprechung“ des Reichsarbeitsministeriums (RArbBl 1928 I S. 100 [VII a]): „Die Vereinbarung von Schiedsgerichten usw. ist im allgemeinen nicht erwünscht, da durch sie die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit … ausgeschlossen wird und dadurch die Rechtseinheit im Arbeitsrecht gefährdet werden kann.“ 74 Im Unterschied zu der Fassung vom 10.04.1934, RGBl I S. 319, 320 u. 330 (§ 4: „Die Arbeitsgerichtsbarkeit kann nach den §§ 91 bis 107 ganz oder teilweise ausgeschlossen werden.“), die aber einen völlig anderen Ansatz befolgt (inklusive ZPO-Verweisung!). Versuch zur Glättung bei Lachner a.a.O. (Fn. 1) S. 30 f. mit S. 36 (§ 4 als generelle, § 91 als spezielle Schrankenregelung); vgl. auch erg. Dersch/Volkmar (19314) § 4 ArbGG Bem. 1 aE: „allg. Grundsatz …, der seinen Inhalt erst durch §§ 91 ff. im einzelnen erhält.“ 75 BT-Drs. 1/3516 S. 3 – im vorhinein in RdA 1951, 456 publiziert.
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Die amtliche Begründung vermerkt zutreffend nur ganz knapp: „Materiell unverändert.“ 76 – das sagt alles! Interessant ist dann aber die abweichende Formulierung der Grundsatzregel (§ 91): (1) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, das sich nach einem Tarifvertrage bestimmt, können die Parteien des Tarifvertrages die Arbeitsgerichtsbarkeit im Tarifvertrage durch die ausdrückliche Vereinbarung ausschließen, daß die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll. Die Vereinbarung gilt nur für tarifgebundene Personen. Sie erstreckt sich auf Parteien, deren Verhältnisse sich aus anderen Gründen nach dem Tarifvertrag regeln, nur dann, wenn hierüber ein Schiedsvertrag ausdrücklich und schriftlich abgeschlossen ist; der Mangel der Form wird durch Einlassung auf die schiedsgerichtliche Verhandlung zur Hauptsache geheilt. (2) Die Tarifvertragsparteien, die Parteien des streitigen Rechtsverhältnisses sind, können allgemein oder für den Einzelfall, auch im voraus, eine derartige Abrede für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 treffen.
Daran schließt sich wiederum ein eigenständig arbeitsrechtlich ausgestaltetes Schiedsverfahren. Letztlich findet sich vieles vom alten Text darin. Das gilt auch für § 91, trotz anderer Abfolge und eigener Fassung sowie vor allem des völligen Verzichts auf Möglichkeiten individueller Verabredung schiedsgerichtlicher Entscheidung selbst für die besser verdienenden, leitenden Angestellten (Fallgruppe 1). Im einzelnen: Abs. 1 S. 1 RegE entspricht der alten Regelung von 192677 und erfaßt wieder die Fallgruppe 3 (Gesamtschiedsvereinbarungen von Tarifvertragsparteien für tarifgebundene [Abs. 1 S. 2 RegE!] individuelle Arbeitsverträge); Abs. 1 S. 3 RegE eröffnet neu insoweit die Befugnis für tarifungebundene Individualparteien zum „opting-in“, wenn und weil materiell ihr Arbeitsvertrag „tariforientiert“ ist (nach staatlicher Allgemeinverbindlicherklärung bzw. infolge privatautonomer Bezugnahmevereinbarung) und prozessual ein ausdrücklicher und schriftlicher Schiedsvertrag dies manifestiert. Die Regelung folgte demgemäß im wesentlichen dem damaligen § 1027 Abs. 1 ZPO/ aF 78. – Abs. 2 RegE gibt den Tarifvertragsparteien die alte, als „durchaus zweckmäßig“ angesehene 79 Gestaltungsfreiheit für deren kollektivrechtliche 76
BT-Drs. 1/3516 S. 25 re. Sp. Einzige, und nur formale Wortlautabweichung: das Lehrverhältnis wird nicht mehr separat genannt, „sondern der Einfachheit halber auch das Lehrverhältnis unter den Begriff des Arbeitsverhältnisses einbezogen“ (BT-Drs. 1/3516 S. 22 ff., 24 re. Sp. (zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 RegE); RA-Prot. 1/225 (08.01.1953) S. 2 [Mitte] – so heute h.M.: Grunsky § 101 ArbGG Rn. 8; GK-ArbGG/Mikosch § 101 ArbGG Rn. 15; Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 30; Stein/Jonas/Schlosser 21 § 1025 aF Rn. 48 [4. Abs.]; Dietz/Nikisch (1954) § 101 ArbGG Rn. 10 aE („wohl auch“). 78 Recht ähnlich heute § 1031 Abs. 5 S. 1 ZPO/nF (S. 3, 1. Halbs. – kein Ausdrücklichkeitsgebot mehr!) bzw. § 1031 Abs. 6 ZPO/nF (S. 3, 2. Halbs. – der half aber auch bloß bei Formmangel!). 79 BT-Drs. 1/3516 S. 22 ff., 34 re. Sp. 77
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Rechtsstreitigkeiten durch Fortführung der Fallgruppe 2 (Individualschiedsvereinbarungen zwischen Tarifvertragsparteien), mit leicht anderem Wortlaut, sachlich aber parallel mit Abs. 2 Nr. 1 des Vorläufers, dies insbes. auch betreffs der Umschreibung der Kautelen („allgemein oder für den Einzelfall, auch im voraus“). Demgegenüber entfällt aber das alte „Sonderrecht“ der leitenden Angestellten (Abs. 2 Nr. 2) ersatzlos und mithin das letzte Überbleibsel der Fallgruppe 1 (Individualschiedsvereinbarungen im Einzelarbeitsverhältnis). Jene Gruppe verdiene den gleichen Schutz – denn: „Es muß davon ausgegangen werden, daß das Arbeitsgerichtsgesetz im Gegensatz zur ZPO den Einzelschiedsvertrag im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer grundsätzlich ablehnt.“ 80 Dies erscheint eine erstaunlich unhistorische Behauptung, die sich vielleicht über die vorangegangene Phase einer weitestgehenden Bedeutungslosigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit erklärt 81, nicht aber die Wirklichkeit der Weimarer Intentionen einfängt – der Impetus dort war doch allemal ein schiedsfreundlicher, zugegeben um einiges im Verlauf der parlamentarischen Beratung zurückgenommen, aber allemal noch spürbar. Erinnert man die amtliche Regierungsbegründung für das Arbeitsgerichtsgesetz, kann keine Rede davon sein, dieses lehne etwa den (Einzel-) Schiedsvertrag ganz grundsätzlich ab. Es gab eher umgekehrt eine bewußte Entscheidung für ein eigenes Schiedsrecht. Die amtliche Begründung erweckt demzufolge insoweit einen falschen Anschein; es dürfte nur sie selbst sein, welche diese – letztendlich durchaus verständliche – Sorge hegt, die Arbeitnehmer würden „hintergangen“, und dies erklärt auch die spätere, noch stärker schiedsfeindliche Fassung. 2. Ausschußvorlage a) Ausschlußklausel Die Ausschlußklausel (§ 4) wird zunächst sprachlich angepaßt, bleibt im Grunde genommen aber dieselbe 82: In den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 kann die Arbeitsgerichtsbarkeit nach Maßgabe der §§ 102 bis 110 ausgeschlossen werden.
Die beiden Abänderungen erklären sich ohne weiteres aus dem veränderten systematischen Zusammenhang. 80 BT-Drs. 1/3516 S. 22 ff., 34 re. Sp. Vgl. dazu erg. RA-Prot. 1/230 [16.01.1953] S. 14 [RD Fitting]: „Schiedgerichtsverfahren [der Fallgruppe 1], das von den Tarifvertragsparteien mit hineingenommen sei, abgeschafft“. 81 So der Deutungsversuch von Schreiber ZfA 1983, 31, 35 f. [I 2b]. 82 Vom Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht werden „ebenfalls keine Bedenken geltend gemacht“ (RA-Prot. 1/225 [08.01.1953] S. 4 [erste Lesung/Zitat] mit RAProt. 1/232 [23.01.1953] S. 2 [zweite Lesung]).
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Einerseits ergibt sich eine andere Verweisung (statt § 2 jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) – bloße Konsequenz eines geänderten Zuständigkeitskataloges, ohne daß eine zusätzliche Beschränkung eingeführt würde. Lediglich die bisherige Miteinbeziehung der – rechtlichen oder faktischen – Rechtsnachfolge (§ 2 Abs. 2 RegE) ist scheinbar „auf der Strecke“ geblieben – sie kommt jetzt bei § 2 Abs. 4 (und heute § 3 ArbGG) zu stehen, wäre damit also nicht mehr mitinbegriffen. Dennoch macht die Herausnahme einen ganz guten Sinn: Der Sonderregelung für Rechtsnachfolger bedarf es allein zur Bestimmung der Zuständigkeit staatlicher Arbeitsgerichte. Sie erweitert die einzelnen persönlichen Anknüpfungen (Tarifvertragspartei, tariffähige Partei, Arbeitnehmer/Arbeitgeber etc.) bei § 2 ArbGG auf Rechtsnachfolger, die diese Qualität nicht besitzen – ohne diese Regel wäre das Arbeitsgericht später für den Streit unzuständig! Anders die Kompetenz des einmal statthafterweise vereinbarten Schiedsgerichts: kraft bereits eingegangener vertraglicher Bindung, gelten die allgemeinen Regeln der (Einzel- wie Gesamt-) Rechtsnachfolge 83. Anders gesagt: kein Rechtsnachfolger kann zwar für sich noch die autonome Schiedsvereinbarung eingehen (das entspricht der restriktiven Gesetzgebertendenz), muß aber trotz allem jene des jeweiligen Rechtsvorgängers gegen sich gelten lassen. Andererseits mangelt der Hinweis, die Arbeitsgerichtsbarkeit sei „ganz oder teilweise“ auszuschließen – und zwar mit insoweit geänderter Maßgabe: aus früher „§§ 91 bis 107a“ wird jetzt „§§ 102 bis 110“. Doch bleibt die alte Regelungsdichte für den Schiedsvertrag völlig gleich; entfallen ist lediglich die partielle Ausschließung der (Arbeits-) Gerichtsbarkeit durch Güte- oder Schiedsgutachtenvertrag (§§ 101–105 RegE bzw. §§ 106–107a RegE) 84, so daß darauf nun in § 4 keine nähere Rücksicht mehr genommen werden mußte. Daraus folgt heute eine merkwürdig verdrehte Konsequenz. Die Deduktion scheint logisch begründet ein argumentum a majore ad minus: einen Ausschluß gibt es lediglich „nach Maßgabe der §§ 102 bis 110“, die aber bloß einen gänzlichen Ausschluß vorsehen – und ein teilweiser Ausschluß als das Mindere bliebe mangels konkreter Maßgabe unmöglich. Jene Beurteilung ist inzwischen aber zweifelhaft, man billigt zumindest bürgerlich-rechtlich ein83 Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 54 mit Rn. 7; Dietz/Nikisch (1954) § 101 ArbGG Rn. 12; Gramm RdA 1967, 41, 42/43; Suhr a.a.O. (Fn. 1) S. 37 mit S. 37/38; Stein/Jonas/Schlosser 21 § 1025 aF Rn. 47 aE – a.A. Dersch/Volkmar (19556) § 101 ArbGG Rn. 3c aE. Vgl. auch erg. RAGE 6, 237, 238 f. (betr. ArbGG 1926). Unklar Insoweit Germelmann NZA 1994, 12, 13 [I 1b aE]: konkrete Bezugnahmeklausel in Schiedsordnung erforderlich? 84 BT-Drs. 1/4372 S. 4/5: „da diese in der Praxis häufig zu einer Verzögerung des Verfahrens führen und eine unerwünschte Beeinträchtigung der staatlichen Gerichtsbarkeit durch Parteivereinbarung, die nicht mit rechtlichen Garantien versehen sind, zur Folge haben könnten.“ (Zitat S. 5).
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geordnete Schiedsgutachten 85 sowie z.T. sogar vorgeschaltete (prozessuale) Güteverfahren86. Jene bewegen sich jenseits der Schutzklausel, die dann nur noch die staatliche (End-) Entscheidung garantiert. Dieser „Rückzug“ auf „normale“ Regeln ist jedoch gerade bei den Schiedsverfahren infolge § 101 Abs. 3 ArbGG („… finden in Arbeitssachen keine Anwendung.“) gezielt damals versperrt worden. b) Grundsatzregel Eine grundlegende Veränderung erfährt dann die ergänzende Grundsatzregel (§ 91) zum Arbeitsgerichtsausschluß durch Schiedsvereinbarung: (1) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen können die Parteien des Tarifvertrags die Arbeitsgerichtsbarkeit allgemein oder für den Einzelfall durch die ausdrückliche Vereinbarung ausschließen, daß die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll. (2) Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, das sich nach einem Tarifvertrag bestimmt, können die Parteien des Tarifvertrags die Arbeitsgerichtsbarkeit im Tarifvertrag durch die ausdrückliche Vereinbarung ausschließen, daß die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll, wenn der persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrags überwiegend Bühnenkünstler, Filmschaffende, Artisten oder nach § 481 HGB zur Schiffsbesatzung gehörende Personen umfaßt. Die Vereinbarung gilt nur für tarifgebundene Personen. Sie erstreckt sich auf Parteien, deren Verhältnisse sich aus anderen Gründen nach dem Tarifvertrag regeln,
85 BAGE 5, 38, 40 ff.; 31, 283, 285–287; NZA 1997, 837, 838 [III 2e] m.w.N. – hier zweifelnd aber BAG AP § 112 BetrVerfG Nr. 3 m. zust. Anm. Wiedemann/Willemsen. Aus der Lit.: Hauck/Helml § 4 ArbGG Rn. 6 mit § 101 ArbGG Rn. 4 aE; Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 14, 22; Bader/Creutzfeldt/Friedrich § 4 ArbGG Rn. 3; ErfK/Koch § 4 ArbGG Rn. 4; Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 6 ff. (10 f.); MünchArbR/Brehm § 383 Rn. 1; Schwab/Walter (20057) Rn. 36.3 f. – a.A. Grunsky § 4 ArbGG Rn. 4; GKArbGG/Wenzel § 4 ArbGG Rn. 24; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 4 ArbGG Rn. 4–6; Dütz FS G. Müller (1981) S. 129, 142 ff.; Stein/Jonas/Schlosser (199421) vor §§ 1025 ff. ZPO/aF Rn. 18 [2. Abs.]; Suhr a.a.O. (Fn. 1) S. 23 f. mit S. 24/25. 86 Dütz FS G. Müller (1981) S. 129, 144 ff. mit RdA 1978, 291, 297; Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 12; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 4 ArbGG Rn. 7; Grunsky § 4 ArbGG Rn. 2; Bader/Creutzfeldt/Friedrich § 4 ArbGG Rn. 2 mit Rn. 4; MünchArbR/Brehm § 383 Rn. 1; wohl auch ErfK/Koch § 4 ArbGG Rn. 3 (Abreden nur „von anderen als den Tarifvertragsparteien“). Ferner: BAG 66, 243, 257 [II 3]; NZA 1999, 1350, 1351/1352 mit S. 1352 [III 1 mit 2b/c]; wohl auch BAGE 73, 191, 194/195 [I 1] mit U.v. 07.02.1996 – 10 AZR 225/95 [I 1] (zumindest bei Wahlrecht) bzw. U. v. 08.06.1994 – 10 AZR 341/93 [II 1] (Einrede nicht erhoben). Allein darum können trotz § 101 Abs. 3 ArbGG übrigens im Einigungsverfahren die Schranken prozessualer Befangenheit sinngemäß gelten: BAGE 99, 42, 50 [II 3] mit LAG Köln NZA-RR 2002, 270, 272 [I 2a]; BAGE 100, 239, 247 [B I 2b bb] (§§ 1036/1037 ZPO/nF) bzw. BAGE 80, 104, 113 f. [B II] (§ 1032 ZPO/aF); vgl. Schwab/Walter (20057) Rn. 36.1a. A.A. insbes. GK-ArbGG/Wenzel § 4 ArbGG Rn. 19.
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wenn die Parteien dies ausdrücklich und schriftlich vereinbart haben; der Mangel der Form wird durch Einlassung auf die schiedsgerichtliche Verhandlung zur Hauptsache geheilt.
Das kommentiert der Arbeitsausschuß so: „Die Vorschriften über den Schiedsvertrag wurden zwar beibehalten, jedoch wesentlich eingeschränkt.“87 Zunächst sticht die andere Reihung der Absätze hervor: die Fallgruppen 3 und 2 tauschen die Stellung. Die Vorschrift beginnt nun mit der Individualschiedsvereinbarung der Tarifvertragsparteien (Abs. 1 [Fallgruppe 2]) und betont dadurch, daß sie die individuelle Beitrittsmöglichkeit für nichttarifgebundene Außenseiter (Abs. 2 S. 3) jetzt ganz ans Ende setzt, deren besondere Gestaltungsmacht; für Gesamtschiedsvereinbarungen von Tarifvertragsparteien für tarifgebundene individuelle Arbeitsverträge (Abs. 2 S. 1 [Fallgruppe 3]) verbleibt nurmehr ein minimaler Bereich, der dann gewiß zu Recht wohl „ins zweite Glied“ rücken muß. So kommt es zur mittlerweile durchaus eingeführten Aufeinanderfolge von sog. Gesamtschiedsvereinbarung (§ 91 Abs. 1 ArbGG) und sog. Einzelschiedsvereinbarung (§ 91 Abs. 2 ArbGG) 88. Diese Benennung scheint mir wenig glücklich. Sieht man von § 91 Abs. 2 S. 3 ArbGG ab, dann geht es beide Male um Schiedsvereinbarungen zwischen den Tarifvertragsparteien; dabei kann die sog. „Gesamtschiedsvereinbarung“ explizit „allgemein oder für den Einzelfall“ abgeschlossen werden, umgekehrt erfaßt die sog. „Einzelschiedsvereinbarung“ die gesamte Fülle der zugehörigen Einzelverträge und demgemäß sämtliche Streitigkeiten aufgrund dieser Verträge, also nicht etwa einen singulären Einzelfall. Nur ganz vereinzelt wird die mißverständliche Ungenauigkeit dieser Bezeichnungen wahrgenommen 89. Richtigerweise muß man nach Art des vorliegenden Rechtsstreites differenzieren (Streitigkeiten des kollektiven Arbeitsrechts und Streitigkeiten aus Einzelarbeitsverhältnissen 90 bzw. Streitigkeiten „aus dem“ und „in dem“ Tarifvertrag 91) oder aber besser wohl nach der Wirkungsweise der Schiedsbindung (vertragliche und norma87 BT-Drs. 1/4372 S. 5 li. Sp. Beschönigend der Berichterstatter im Rechtsausschuß [Abg. Jaeger]: „einige Abweichungen […, die aber zu keinerlei Bedenken Anlaß geben“]; § 91 bleibt daraufhin „ohne Erinnerung“, RA-Prot. 1/230 (16.01.1953) S. 12. 88 Dietz/Nikisch (1954) § 101 ArbGG Rn. 8 f.; Hauck/Helml § 101 ArbGG Rn. 5; Bader/Creutzfeldt/Friedrich § 4 ArbGG Rn. 1 u. §§ 101–103 ArbGG Rn. 2/3; Schwab/ Weth/Zimmerling § 101 ArbGG Rn. 21 ff., 27 ff.; GK-ArbGG/Mikosch § 101 ArbGG Rn. 6; Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 2–4, 15 ff.; Germelmann/Matthes/ Prütting/Müller-Glöge § 101 ArbGG Rn. 7 ff. mit Germelmann NZA 1994, 12 [I vor 1]; Schütze (20074) Rn. 317; Schwab/Walter (20057) Rn. 36.4 ff.; Schreiber ZfA 1983, 31, 37 [II 2a]; Dütz RdA 1978, 291, 294 re. Sp. [IV 1b]; Gramm RdA 1967, 41 li. Sp.; Kirchner RdA 1966, 1, 4 [II 1b aa/bb]; Suhr a.a.O. (Fn. 1) S. 9/10 mit S. 26–29, 31 f., 35 f. 89 Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 2. 90 Grüll Bl. für StRSozArbR 1954, 173 [I 1/2]; ganz ähnlich Butz BB-Beilage Nr. 4/1954 S. 1 [II]: Gesamt- und Einzel(rechts)streigkeiten. 91 Dersch/Volkmar (19556) § 101 ArbGG Rn. 4.
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tive Schiedsbindungen 92). Gerade die letzte Differenzierung paßt gut zu der auch zivilprozessual angelegten Unterscheidung von autonom vereinbarten (§ 1029 ZPO) und quasi „von außen“ herangetragenen Schiedsbindungen (§ 1066 ZPO); sie fängt zudem die arbeitsrechtlich gewohnte Unterscheidung von obligatorisch (§ 91 Abs. 1 ArbGG) und normativ (§ 91 Abs. 2 ArbGG) wirkenden Klauseln des Tarifvertrages ein. Die RegE-Änderung wird lediglich als Einschränkung deklariert, aber nicht auch motiviert. Es heißt in Bezug zu § 91 Abs. 2 S. 1 ArbGG nur: „Diesen Personengruppen mußte die Möglichkeit eines Schiedsvertrages auch für die Zukunft zugestanden [sic] werden, weil die Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses eine sachkundige Entscheidung des Arbeitsgerichts erschweren würde.“ 93 Dahinter steckt wohl, daß man die traditionelle Bühnenschiedsgerichtsbarkeit unangetastet lassen und für die Schiffsbesatzungen eine rasche Entscheidung „vor Ort“ ermöglichen wollte. Damit „soll den jeweiligen Besonderheiten dieser Gruppen Rechnung getragen werden“ 94 – aber ist dies ein wirklich überzeugendes Differenzierungskriterium? Eher scheint eine – herrschend abgelehnte 95 – Ausdehnung auf andere Berufe bei dieser völlig offenen Prämisse denkbar.
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Dietz (1948) § 91 Bem. 5, 14 (beachte noch die alte Zählung!). BT-Drs. 1/4372 S. 5 li. Sp., erg. dazu vgl. RA-Prot. 1/249 [27.03.1953] S. 16 f. 94 BAGE 86, 190, 193 [I 2b], zust. Grunsky § 101 ArbGG Rn. 6; ebenso erst jüngst noch LAG Köln, U.v. 24.05.2007 – 10 Sa 593/06 [I 3a]. Die Formel läßt vieles indes unbeantwortet. Ganz ähnlich die Wertung nach ArbGG-Verkündung: Fitting BABl 1953, 572, 579 li. Sp. [V]; Butz BB-Beilage Nr. 4/1954 S. 1 [II 2]; Grüll Bl. für StRSozArbR 1954, 173/174 [I 2]; Dietz/Nikisch (1954) § 101 Rn. 9 (S. 688/689); Opolony FS Leinemann (2006) S. 607, 609 [II 1a]. Diverse andere Zwecke werden genannt: So wird erwogen, „daß der Rechtsstreit bei den einschlägigen Arbeitsverhältnissen, die häufig kurzfristig abgewickelt werden müssen, schnell entschieden werden kann“: Grunsky NJW 1978, 1832, 1834 re. Sp. [II 3a] – wozu dient dann § 110 ArbGG? Auch der Erhalt der seit 1919 volletablierten ständigen Schiedsgerichte (vgl. Rehbinder UFITA 41 [1964], 291, 294 bzw. Gramm Hansa 1966, 1674) mag eine Rolle gespielt haben. Anders im Ansatz BAGE 15, 87, 94: „Bedürfnis …, die Entscheidung einer mit den Verhältnissen in dem betreffenden Wirtschaftszweig besonders vertrauten Stelle zu gestatten“, ähnlich BAG 82, 370, 379 [II 3e] – aber das gilt für jede Art Schiedsgericht! 95 Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 101 ArbGG Rn. 20; Düwell/Lipke/ Schunck § 101 ArbGG Rn. 38; Bader/Creutzfeldt/Friedrich §§ 101–103 ArbGG Rn. 3; Opolony FS Leinemann (2006) S. 607, 609 [II 1a] (dazuhin noch de lege ferenda: S. 616 ff. [IV] mit S. 623 [V]); ganz genauso auch BAGE 109, 153, 159/160 [A 1b ee] (explizit/Flugbegleiterin); BAGE 86, 190, 194 [I 2b–d] (explizit/Tontechniker – abgrenzend: LAG Köln, U.v. 24.05.2007 – 10 Sa 593/06 [I 3b]) bzw. BAGE 63, 232, 237 [I 1] (implizit/Eishockeyspieler). Kritik an dieser Beengung bei Poelmann AuR 1963, 289, 293; Grunsky NJW 1978, 1832, 1833 [II 2a] u. 1835 re. Sp. [II 3b bb]; Vogel NZA 1999, 26, 28 f. [II/III]; sehr dezidiert auch Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 3 mit Rn. 21 ff. (31–37, insbes. Rn. 37 – Postulat: „vom Grundsatz her zulässig“) bzw. § 101 ArbGG Rn. 43 ff. (46). Vgl. auch erg. noch Hentzen FG Sandrock I (1995) S. 181, 191 f. [A III]. 93
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Die Fallgruppe 3 wird beschränkt auf Künstler und Seeleute (§ 91 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. ArbGG) – sonst bleibt zwar alles gleich 96, aber doch nicht mehr viel übrig von den ursprünglichen legislativen Vorstellungen. Durch eben diese personelle Begrenzung ist die „Normativbindung“ völlig marginalisiert worden. Anders in Fällen der „Vertragsbindung“ bzw. Fallgruppe 2, wo eine sachliche Begrenzung errichtet wird (§ 91 Abs. 1 ArbGG): aus der Verweisung auf den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 wird nun eine gleichsam eigene Benennung, welche kollektivrechtliche Haftungsprobleme („… aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um … handelt“ – heute Abs. 1 Nr. 2) aus der gestatteten Verfügbarkeit ausklammert. Das paßt zur Beschränkung auf Verfahren vertraglichen Ursprungs, die auch für alle „normativgebundenen“ Individualprozesse gilt. Ansonsten ist die Formulierung zwar sehr geändert, aber ohne Auswirkungen 97. Das gilt auch für eine scheinbar weitere Einengung wegen der neuen – verweisungsfreien – Beschreibung des Tatbestandes: die Ausklammerung der Drittbeziehung. Jene war aber schon bislang Stand („Tarifvertragsparteien, die Parteien des streitigen Rechtsverhältnisses sind“), zumal doch die notwendige Schiedsbindung nur obligatorisch begründet ist, somit auch nur inter partes wirken würde. 3. Gesetzesfassung Das Plenum hat jene Vorlage dann zum Gesetz erhoben98, das noch heute – kaum verändert 99 – gilt. So haben §§ 4, 101–110 ArbGG sogar die große Schiedsverfahrensreform100 gänzlich unbeschadet überlebt, was schon ein wenig verwundert und einige Verwerfungen ergibt. Die jetzige zivilprozessuale Ausgangssituation ist folgende (§ 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO): „Jeder vermögensrechtliche Anspruch kann Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein.“ Nur für die Berechtigung, nichtvermögensrecht96 Mit einer kleinen Ausnahme: für eine „Außenseiterbindung“ (§ 91 Abs. 2 S. 3 ArbGG) wird statt „Schiedsvertrag“ nur – eindeutig neutraler – ein Vereinbaren verlangt. Das macht Sinn, wird doch dabei die eigentliche Schiedsvereinbarung vorweg von Seiten der Tarifvertragsparteien abgeschlossen. 97 Der Einschub „auch im voraus“ konnte entfallen, war schon von jeher überzählige Tautologie – er steckte bereits im „allgemein“ (einen Einzelfall gibt’s eben nur im Nachhinein!). Die „derartige Abrede“ bezog sich von Abs. 2 auf Abs. 1 mit gleich lautendem Inhalt („ausdrückliche Vereinbarung … daß die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen soll“). 98 Arbeitsgerichtsgesetz vom 03.09.1953 (BGBl. I S. 1267) – zwischenzeitlich idF vom 02.07.1979 (BGBl. I S. 853, ber. S. 1036). 99 Das SeemannsG vom 26.07.1957 (BGBl. II S. 713 – § 146 Abs. 5) bzw. die ArbGGNovelle vom 21.05.1979 (BGBl. I S. 545 – Art. 1 Nr. 5) bringen später keine substantiellen Veränderungen mehr! Wie hier auch die Einschätzung von GK-ArbGG/Wenzel § 4 ArbGG Rn. 7. 100 Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG) vom 22.12.1997 (BGBl. I S. 3224).
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liche Streitigkeiten einem Schiedsgericht zu unterbreiten, kommt es heute noch auf die Vergleichsfähigkeit des Streitgegenstandes an (§ 1030 Abs. 1 S. 2 ZPO). Es gibt jedoch einzelne sonstige Grenzen, nicht allein mangels Vergleichsverfügbarkeit, sondern auch verstreut noch darüber hinaus, so daß es zur Schiedsunfähigkeit vermögensrechtlicher Streitigkeiten jetzt doch noch bei einem positiven gesetzlichen Ausschluß kommt (§ 1030 Abs. 2 bzw. Abs. 3, 1. Var. ZPO); und ganz dasselbe gilt für eine inhaltlich motivierte Begrenzung (§ 1030 Abs. 3, 2. Var. ZPO). Eine solche (Spezial-) Regelung könnte also demnach § 4 ArbGG liefern101, zumal doch der Novellengesetzgeber im Schiedsverfahrensrecht den Fall einer besonderen Rechtswegkompetenz mitbedachte102: „Während sich nämlich „Zuständigkeitsnormen in der Regel nur auf die Zuständigkeit unter den staatlichen Gerichten innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit beziehen und folglich nichts darüber aussagen, ob der Rechtsstreit auch von einem Schiedsgericht entschieden werden kann … gilt [anderes] dann, wenn der Gesetzgeber besondere Gerichte für bestimmte Streitigkeiten … eingerichtet hat.“ 101
Die Ausschlußgrundlage ist durchaus aber streitig: § 4 ArbGG: BAGE 66, 243, 257 [II 2f]; 86, 190, 192 [I 2b]; 109, 153, 159 [1b ee]; LAG Köln, U.v. 24.05.2007 – 10 Sa 593/06 [I 3a]; Düwell/Lipke/Krasshöfer Bem. zu § 4 ArbGG; GK-ArbG/Wenzel § 4 ArbGG Rn. 8–10 (Umkehrschluß) bzw. Rn. 14 („Schiedsgerichtsverbot“); Kirchner RdA 1966, 1, 4 [II 1b vor aa]; Schulze, Grenzen der objektiven Schiedsfähigkeit … (2003), S. 185 mit Fn. 912. § 4 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1/2 ArbGG: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 4 ArbGG Rn. 1. § 4 ArbGG iVm. § 101 Abs. 3 ArbGG: Hauck/Helml § 101 ArbGG Rn. 5; Grunsky § 101 ArbGG Rn. 2, 6, 10, wohl auch NJW 1978, 1832, 1833 li. Sp. [II 2a] u. 1834 re. Sp. [II 3a]; Löwisch ZZP 103 (1990), 22 [I 1]; Hentzen FG Sandrock I (1995) S. 181, 182 mit S. 184 [A I vor 1]; Baumbach/Lauterbach/Hartmann vor § 1025 ZPO Rn. 5. § 4 ArbGG iVm. § 101 Abs. 1/2 ArbGG: MünchKommZPO3/Münch § 1030 nF Rn. 33 [2]; Germelmann NZA 1994, 12 [I vor 1] („im Grundsatz eine Alleinzuständigkeit“ [der – staatlichen – Arbeitsgerichtsbarkeit]); Schwab/Weth/Zimmerling § 101 ArbGG Rn. 2. § 4 ArbGG iVm. §§ 101–110 ArbGG: Grüll Bl. für StRSozArbR 1954, 173 [vor I]; Stein/Jonas/Schlosser (200222) vor § 1025 ZPO/nF Rn. 18 mit § 1030 ZPO Rn. 18. § 101 Abs. 3 ArbGG: Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 6 mit Rn. 8 f.; Musielak/ Voit § 1030 ZPO Rn. 8; Opolony FS Leinemann (2006) S. 607/608 [I]; auch u.U. BAGE 63, 232, 237 [I 1 aE]. §§ 101 ff. ArbGG: Zöller/Geimer vor § 1025 ZPO Rn. 8; Thomas/Putzo/Reichold vor § 1029 ZPO Rn. 3 mit § 1030 ZPO Rn. 5; MünchKommZPO1/Maier vor § 1025 aF Rn. 11; wohl auch Bader/Creutzfeldt/Friedrich § 4 ArbGG Rn. 1 (wenn und weil § 4 ArbGG als originäre Verbotsbeschränkung begreifen [?]). Klar ist dann die Verstoßfolge: Nichtigkeit der Vereinbarung (BAG EzA § 101 ArbGG Nr. 1 [1c]; BAGE 60, 94, 100 [II 2d]), streitig hingegen wiederum, ob das dann sogar auf einen verbotswidrig ergangenen Schiedsspruch übergreift (BAG ZIP 1988, 185, 186 [II 2]; BAGE 59, 351, 355; zust. Löwisch ZZP 103 [1990], 22, 32 f. [VI 2]; krit. Schwab/Weth/Zimmerling § 110 ArbGG Rn. 8 – aber verneinend wohl BAG EzA § 101 ArbGG Nr. 1 [1c]: Aufhebungsklage, § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG!). 102 BT-Drs. 13/5274 S. 35 li. Sp. (amtl. Begr. zu § 1030 ZPO/nF aE) – hier umfassender noch der Bericht zum DiskE (1994) S. 92.
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Von daher verblüfft die etwas andere Lesart von Seiten der Gesetzesverfasser mit Blick auf „Arbeitssachen“ 103: „Hinsichtlich der eingeschränkten Schiedsgerichtsbarkeit bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten enthalten die §§ 101 bis 110 ArbGG eine abschließende Regelung, die an keiner Stelle auf das 10. Buch der ZPO Bezug nimmt und für welche dessen Vorschriften auch nicht entsprechend anwendbar sind. Eine Änderung der §§ 101 bis 110 ArbGG erschien nicht veranlaßt.“
Die Kodifikationsgeschichte zeigt jedoch ein anderes Bild. Die ursprüngliche, von 1879 (§ 851 CPO) bis 1997 (§ 1025 Abs. 1 ZPO/aF) geltende Regelung band prozessual die Schiedsfähigkeit durchgängig an die Berechtigung der Beteiligten, „über den Gegenstand des Streites einen Vergleich zu schließen.“ Man setzte dabei bewußt auf eine Generalklausel und wollte keinerlei Enumeration einzelner Tatbestände104. Die Deutung jener Formel wurde später ungewiß, was die „Hindernisse im Objektiven“ angeht 105; sie zielte aber ebenso von vornherein auf subjektive Beschränkungen106. Diese waren jedoch nicht extra erfaßt, sondern gingen nur mittelbar ein über die Befähigung zu zivilprozessual bzw. rechtsgeschäftlich bindendem Handeln überhaupt (§§ 50 ff. ZPO iVm. §§ 1 ff., 104 ff. BGB). Anfangs fehlte zudem eine besondere Rechtsprechung in Arbeitssachen. Ihre „Herausnahme“ folgt – wie gezeigt – keiner stringenten Zielplanung, ist vielmehr das Ergebnis von allmählich „einschleichender“ Restriktion. Es hat vielmehr den Anschein, als wollte der zivilprozessuale Gesetzgeber nicht ohne Not in ein nunmehr „befriedetes“, sozialpolitisch schwieriges Terrain übergreifen, so daß er das gesonderte Schiedsverfahren in Arbeitssachen notgedrungen als weitere Separatordnung duldete.
V. Schieds(un)fähigkeit arbeitsrechtlicher Rechtsstreitigkeiten 1. Sperrklausel de lege lata: § 1030 Abs. 3 ZPO i.V. mit § 4 ArbGG! Das geltende Arbeitsgerichtsgesetz von 1953 gestattet zunächst vollmundig den Ausschluß der Arbeitsgerichtsbarkeit per Schiedsvereinbarung bei 103 BT-Drs. 13/5274 S. 36 li. Sp. (amtl. Begr. zu § 1030 ZPO/nF aE) – hier vorsichtiger noch der Bericht zum DiskE (1994) S. 96. 104 ZPO-Motive S. 472 = Hahn S. 490: „Eine Aufzählung der Fälle, in denen der Schiedsvertrag ausgeschlossen ist …, erschien daher weder nothwendig, noch ausführbar.“ Das gegen die Badische PO von 1864 (§§ 1063/1064: Familienrecht) und die Bayerische PO von 1869 (Art. 1320: Familien- und Prozeßrecht). 105 MünchKommZPO3/Münch § 1030 nF Rn. 5 ff. m.w.N.; näher vor allem Kornmeier, Die Schiedsfähigkeit GmbH-rechtlicher Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen … (1980), S. 51 ff. mit ZZP 94 (1981), 27 u. Bork ZZP 100 (1987), 249 mit Bork/Stöve DIS X (1992) S. 31 f.; dazu zusf. etwa Schulze a.a.O. (Fn. 101) S. 23 ff. 106 ZPO-Motive S. 472 = Hahn S. 490: „Die Fähigkeit der Parteien, einen Vergleich abzuschließen, begreift die Fähigkeit in sich, einen Schiedsvertrag abzuschließen.“
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Urteilsverfahren iSv. § 2 Abs. 1 u. 2 ArbGG (§ 4 ArbGG). Die Vorschrift besagt zweierlei. (1) Arbeitsgerichtliche Zuständigkeiten im Beschlußverfahren (§ 2a ArbGG) sind einem parteiautonom gebildeten Schiedsgericht entzogen107, dafür gilt unbestrittenermaßen dann der Umkehrschluß aus § 4 ArbGG: „die Arbeitsgerichtsbarkeit [kann nicht] nach Maßgabe der §§ 101 bis 110 ausgeschlossen werden.“ Damit will man verhindern, daß die BetrVG-Regelungen irgendwie umgangen werden bzw. sicherstellen, daß gegen die Entscheidung betrieblicher Einigungsstellen immer die anschließende „Appellation“ ans Arbeitsgericht offensteht108. Schon der Ausschluß dieser Möglichkeit wurde vom BAG109 als unstatthafte (Schieds-) Vereinbarung eingeordnet. (2) Die ausschließlichen Zuständigkeiten im Urteilsverfahren (§ 2 Abs. 1 ArbGG) erscheinen demgegenüber verfügbar, nicht zwar im Wege einer Gerichtsstandsvereinbarung (arg. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO – etwa durch eine Prorogation ordentlicher Zivilgerichte110), indes mittels einer Schiedsvereinbarung. Das bestätigt gleichzeitig mittelbar die zivilprozessuale Zubilligung objektiver Schiedsfähigkeit für vermögensrechtliche Ansprüche (§ 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO) auch wo eine ausschließliche (Staats-) Kompetenz vorgeschrieben wird – sogar dann, wenn diese offenbar Unterlegenen- bzw. Verbraucherschutz bezweckt 111 (z.B. § 29c Abs. 1 S. 2 ZPO, § 26 FernUSG). 107 BAGE 66, 243, 257 [II 2f]; Dietz/Nikisch (1954) § 4 ArbGG Rn. 10; GKArbGG/Wenzel § 4 ArbGG Rn. 12 bzw. GK-ArbGG/Mikosch § 101 ArbGG Rn. 1; Bader/Creutzfeldt/Friedrich § 4 ArbGG Rn. 4 bzw. §§ 101–103 ArbGG Rn. 1; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 4 ArbGG Rn. 2 bzw. § 101 ArbGG Rn. 1; Düwell/Lipke/Krasshöfer Bem. zu § 4 ArbGG bzw. Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 19; Schütze (20074) Rn. 315; Schulze a.a.O. (Fn. 101) S. 185; Gramm RdA 1967, 41, 42 li./re. Sp.; Kirchner RdA 1966, 1, 4 [II 1b vor aa]. Hierzu krit. jüngst Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 35. 108 Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 4 ArbGG Rn. 2. 109 Das folgt aus BAGE 66, 243, 257 [II 2f/3] = AP BetrVG 1972 § 76 Nr. 43 (Vorschaltinstanz) „versus“ BAG ZIP 1988, 185, 186 [II 2]. 110 Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 2 ArbGG Rn. 2 – in Abgrenzung zu Rn. 4. 111 BT-Drs. 13/5274 S. 34/35; Schütze (20074) Rn. 117; Schwab/Walter (20057) Rn. 4.6; Lachmann (20083) Rn. 283; Zöller/Geimer Rn. 22; Mäsch FS Schlosser (2005) S. 529, 537/538; Stein/Jonas/Schlosser § 1030 nF Rn. 2 [2. Abs.]; MünchKommZPO/Münch3 § 1030 nF Rn. 15; Schulze a.a.O. (Fn. 101) S. 45 f. Schon unter altem Recht (§ 1025a aF) h.M.: Zöller/Geimer Rn. 2; Musielak/Voit1 § 1025 aF Rn. 4; Schlosser RIPS Rn. 308; Wieczorek/Schütze § 1025 aF Rn. 1; Stangier/Bork GmbHR 1982, 169, 170 [I 2 b aa]; BGHZ 132, 278, 281 [II 1] = NJW 1996, 1753 m. weit. Nachw. (zu § 246 Abs. 3 S. 1 AktG) = ZIP 1996, 830, 831; BGHZ 6, 248, 256/257 (zu § 3 LVO) – aber anders noch BGH MDR 1951, 674; NJW 1979, 2567, 2569; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1319 [II 1]; OLG Stuttgart JW 1927, 1111, 1112 und offengelassen von BGHZ 77, 33, 40 (zu § 53 Abs. 3 KWG). Dies zeigt sich unter neuem Recht nicht zuletzt besonders bereits daran, daß dem ausschließlichen örtlichen Gerichtsstand bei Miet- und Pachträumen (§ 29a ZPO) eine – frei
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Dieser Schluß erscheint jedoch angesichts § 101 Abs. 1/2 ArbGG ein Trugschluß: danach gibt es nur Ausschlußmöglichkeiten für engbegrenzte Teilbereiche, betreffend den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 (§ 101 Abs. 1 ArbGG112) und jenen des § 2 Abs. 1 Nr. 3a/b ArbGG (§ 101 Abs. 2 ArbGG113) – der riesige Restbereich bleibt dagegen „schiedsfrei“114. § 4 ArbGG läßt somit manches auch einfach offen, was besser zu klären ist, bevor man jenen Maßgaben („der §§ 101 bis 110“) näher nachgeht, welche er selbst bloß „leichter Hand“ andeutet. Dazu kommen zwei weitere Probleme: (3) Ebenfalls als verfügbar geben sich die Vergütungsansprüche bei Arbeitnehmererfindungen (§ 2 Abs. 2 lit. a ArbGG) und bei Urheberrechtsstreitsachen (§ 2 Abs. 2 lit. b ArbGG) – trotz fehlender ausschließlicher (Arbeitsgerichts-) Kompetenz dafür! Die Regelung 115 wiederholt insoweit nur § 39 Abs. 2 ArbNErfG und § 104 S. 2 UrhG für (Spezial-) Streitigkeiten im ordentlichen Gerichtsweg, was eigentlich dann allerdings zur ZPO und zum regulären Schiedsverfahren hinführen sollte. Die Arbeitsgerichte können (und eben nicht: müssen) angerufen werden; die Zuständigkeit bleibt parteiautonom abdingbar116. Soll das sein? So gefragt erhält die Regelung unversehens eher eine negative Stoßrichtung, vor allem infolge § 104 S. 2 UrhG, der seinerseits den Arbeitsrechtsweg „unberührt“ läßt, was § 4 ArbGG zur weiteren Anwendung verhilft. Das Ergebnis paßt durchaus, geht es eigentlich doch um Spezialfälle zu § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG, d.h. individuelle bürgerlich-rechtliche Rechtsstreite „aus dem Arbeitsverhältnis“.
lich inhaltlich modifizierte – Vorschrift über die Schiedsunfähigkeit bei Mietverhältnissen (§ 1030 Abs. 2 ZPO) an der Seite steht. Sie wäre sonst unnötig gewesen. 112 Dietz/Nikisch (1954) § 101 ArbGG Rn. 8; Hueck/Nipperdey ArbR I (19637) § 104 I 1 Fn. 2; Löwisch ZZP 103 (1990), 22/23 [I 1]; Hauck/Helml § 101 ArbGG Rn. 6; Bader/ Creutzfeldt/Friedrich §§ 101–103 ArbGG Rn. 2; Grunsky § 101 ArbGG Rn. 3; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 101 ArbGG Rn. 7; Schwab/Weth/Zimmerling § 101 ArbGG Rn. 21 mit § 4 ArbGG Rn. 16; GK-ArbGG/Mikosch § 101 ArbGG Rn. 6; Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 23. 113 Wegen Nr. 3b siehe Schwab/Weth/Zimmerling § 101 ArbGG Rn. 27–30 mit § 4 ArbGG Rn. 20; unklar insoweit allerdings BAG ZIP 1988, 185–187 [II 2] („Sozialplanklausel“ betr. „Nr. 3a oder c“). 114 Das galt namentlich auch für § 4 ArbGG/aF, der hier explizit noch auf „§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3“ (heute: § 2 Abs. 1 Nr. 1–3, 9 ArbGG/nF) verwiesen hatte. Dazu vgl. etwa Dietz/Nikisch (1954) § 101 ArbGG Rn. 11 (Nr. 3 aF) bzw. Rn. 13 (Nr. 4 u. 5 aF), Hueck/ Nipperdey ArbR I (19637) § 104 I vor 1 (Nr. 3 aF); Kirchner RdA 1966, 1, 4 [II 1b vor aa] (Nr. 3 aF); Gramm RdA 1967, 41, 42 re. Sp. (Nr. 3 aF) bzw. Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 18–20 (Nr. 4–10 nF – „Redaktionsfehler“!) mit § 101 ArbGG Rn. 31 (Nr. 3c, 9 nF); Düwell/Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 55 (Nr. 9 nF). 115 Eingefügt durch die ArbGG-Novelle vom 23.05.1979, BGBl. I S. 545. 116 Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 2 ArbGG Rn. 116; Dreier/Schulze (20062) § 104 UrhG Rn. 15; wohl auch Schricker/Wild (20063) § 104 UrhG Rn. 2 – hier a.A. aber Bartenbach/Volz (20024) § 39 ArbNErfG Rn. 36 (arg. 22 ArbNErfG).
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(4) So wie die Nichtnennung des § 2a ArbGG zu einem Umkehrschluß führt, müßte dasselbe wegen der sog. Zusammenhangsklagen (§ 2 Abs. 3 ArbGG) gelten. Gibt das Sinn? Hier wird ja bloß eine ansonsten bestehende – bürgerlich-rechtliche – Kompetenz im Interesse einheitlicher Entscheidung erweitert, ohne daß aber insoweit Ausschließlichkeit bestünde. Daher wird konsequent auch die anderweit gegebene Ausschließlichkeit geachtet. Dies führt zu einem doch unerwartet positiven Sinngehalt, läßt nämlich trotz allem die Möglichkeit zur parteiautomen Abbedingung der Zusatzkompetenz kraft Zusammenhangs 117 und eröffnet gar insoweit die Zulässigkeit der Vereinbarung von Schiedsgerichten118. Als Fazit bleibt insoweit: trotz scheinbar klaren Wortlauts halten die Normen einige Überraschungen bereit, die man auf den ersten Blick sicher nicht so erwartet. Überhaupt bleibt die Frage nach der Berechtigung dieses „Sonderrechts“. 2. Öffnung de lege ferenda: §§ 1025 ff. ZPO statt §§ 101 ff. ArbGG? Es wäre sicher reizvoll, einen eingehenden Rechtsvergleich beider Normengruppen anzustellen, zumal auch die Bewertungen darüber differieren119, aber das muß hier auf sich beruhen bleiben. De lege lata kann nichts die tradierte ArbGG-Sonderrechtsordung umstürzen. Dennoch fällt auf, daß der (ZPO-) Gesetzgeber bei der Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts das auf internationale Handelsstreitigkeiten zugeschnittene UNCITRAL-Modellgesetz (Art. 1 Abs. 1, 1. Halbs. ModG mit Fn. ** [Handel] u. Abs. 3/4 [international]) leichten Herzens geöffnet hat für jeglichen bürgerlich-rechtlichen Streitfall 120, also auf eine Parallelrechtsordnung für Kauf- und Privatleute bzw. internationale und Binnensachverhalte verzichtete (Grundsatz universeller Anwendung). Herausgekommen ist zivilprozessual ein Einheitsrecht mit kleineren nationalen Rücksichten im jeweiligen Sachzusammen117
Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 2 ArbGG Rn. 130. Dietz/Nikisch (1954) § 4 ArbGG Rn. 13; Hueck/Nipperdey ArbR I (19637) § 104 I vor 1 Fn. 1a; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 4 ArbGG Rn. 8; Düwell/ Lipke/Schunck § 101 ArbGG Rn. 7; GK-ArbGG/Wenzel § 4 ArbGG Rn. 17; Grunsky § 4 ArbGG Rn. 5; Bader/Creutzfeldt/Friedrich § 4 ArbGG Rn. 1; Musielak/Voit § 1030 ZPO Rn. 8; Stein/Jonas/Schlosser (199421) vor § 1025 ZPO/aF Rn. 18 [3. Abs.]; Schütze (20074) Rn. 315; Schulze a.a.O. (Fn. 101) S. 185; Kirchner RdA 1966, 1, 4/5 [II 1c]; Lachner a.a.O. (Fn. 1) S. 32 f. A.A. Fitting (19492) § 67 ArbGG Bem. 2; Gramm RdA 1967, 41, 42 re. Sp.; Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 4 119 Vgl. Stein/Jonas/Schlosser vor § 1025 ZPO/aF Rn. 18 [1. Abs.] bzw. vor § 1025 ZPO/nF Rn. 18 (erhebliche Abweichungen), ferner Suhr a.a.O. (Fn. 1) S. 1 („nur vordergründig ähnelt“) gegen Wieczorek/Schütze § 1025 aF Rn. 5 mit Schütze (20074) Rn. 316 (weitgehende Entsprechung) bzw. Schwab/Walter (20057) Rn. 26.1 („dienen … als Anhalt“; „viele Ähnlichkeiten“). 120 BT-Drucks. 13/5274 S. 25. Dazu engagiert etwa Schumacher FS Glossner (1994) S. 341, 343–346 – a.A. Lionnet, DIS-Entwurf (1989), S. 11, 14. 118
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hang, nur unter unkritischer Beibehaltung der alten Restriktionen in Arbeitssachen. Die Rückschau zeigt letztlich einen ganz allmählich immer strengeren Kurs wider eine Schiedsbindung in Arbeitssachen. Neben der Etablierung und Behauptung der neuen Gewerbe- bzw. Arbeitsgerichte, welche heute nicht mehr besonders erforderlich erscheint, sind es wohl insbesondere drei Sachprobleme, welche eigens jeweils gelöst werden mußten: (1) Die Sicherstellung freiwilliger Unterwerfung. Sie scheint anfangs das Zentralproblem, zumal erst im Jahr 1933 prozessual eine allgemeine Schutzvorschrift gegen Übervorteilung (§ 1025 Abs. 2 ZPO/aF 121) eingeführt wurde. Aber ist denn das totale Verbot das rechte Mittel, die Freiheit zu bewahren? Naheliegender könnte man hierzu unterscheiden, ob die Kontroverse schon entstanden ist (arg. § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO)122 und ob die Tarifvertragsparteien über Gesamtstreitigkeiten befinden oder aber Einzelne über ihre Streitigkeiten aus dem Arbeitsvertrag. Im letzteren Fall mag u.U. ein „Verhandlungsgefälle“ auch heutzutage noch naheliegen123. Freilich muß man bedenken, daß sich der ZPO-Gesetzgeber hier zwischenzeitlich sehr zurückgenommen hat; außer einer qualifizierten, verbraucherschützenden Formvorschrift (§ 1031 Abs. 5 ZPO/nF) gibt er bloß einen – präklusionsbedrohten – Sonderrechtsbehelf gemäß § 1034 Abs. 2 ZPO/nF und beläßt es im übrigen bei „regulären“ – zivilrechtlichen – Maßstäben mit präventiver (§ 1032 Abs. 2 ZPO/nF) wie repressiver (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO/nF) Kontrolle. (2) Die Verbürgung paritiätischer Besetzung. Dieser Punkt fand schon 1901 seine Lösung in der glücklichen Formulierung des § 6 Abs. 2 GGG/nF, der das Gleichgewicht auf der Gerichtsbank zu einem eigenen Wirksamkeitserfordernis erhob. Mittlerweile sind hohe Anforderungen an die Neutraliät prozessual verfestigt124 – man kann nicht Richter in eigener Sache sein! Denn
121 Art. 1 Nr. 32 des Gesetzes zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten 27.10.1933 (RGBl. I S. 780): „Der Schiedsvertrag ist unwirksam, wenn eine Partei ihre wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit dazu ausgenutzt hat, den anderen Teil zu seinem Abschluß oder zur Annahme von Bestimmungen zu nötigen, die ihr im Verfahren, insbesondere hinsichtlich der Ernennung oder Ablehnung der Schiedsrichter, ein Übergewicht über den anderen Teil einräumen.“ 122 In diesem Sinne etwa Grunsky NJW 1978, 1832, 1833 [II 2a] – zugunsten Individualvereinbarungen allgemein; zust. Schwab/Weth/Zimmerling § 4 ArbGG Rn. 36 f. 123 In diesem Sinne etwa Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 101 ArbGG Rn. 31; GK-ArbGG/Mikosch § 101 ArbGG Rn. 2 – aber vgl. auch Grunsky NJW 1978, 1832, 1835 [II 3a bb]: „Gleichschaltung“ materieller und prozessualer Regelungsbefugnis bzw. Dietz/Nikisch (1954) § 4 ArbGG Rn. 11: „Ob ein leitender Angestellter dieses Schutzes bedarf?“ 124 BGHZ 94, 92, 98 [5b] („gehört zu den unverzichtbaren Grundsätzen jedes justizförmigen Verfahrens“); BGHZ 51, 255, 258/259; RGZ 152, 375, 377 (obiter: „allgemein anerkannte Grundsätze“). Vgl. aus der Lit. beispielhaft Kornblum, Probleme der schiedsrichterlichen Unabhängigkeit (1968), S. 6 ff. m.w.N. u. S. 132–135.
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sonst könnte kein Schiedsgericht materielle Rechtsprechung üben (vgl. § 1055 ZPO/nF bzw. § 108 Abs. 4 ArbGG). Deshalb wirkt der Wortlaut des § 103 Abs. 1 S. 1 ArbGG überholt: Richter müssen immer alle „unparteiisch“ sein125 – Vorsitzer wie Beisitzer, seien jene von Arbeitnehmerseite oder aber Arbeitgeberseite gestellt, dies bleibt sich gleich. Die Konstituierung der Gerichtsbank könnte sich allemal ohne weiteres am klassischen Regeltatbestand des Dreiergerichtes (§ 1035 Abs. 2 ZPO/nF) orientieren. Eine intensivere (spezialgesetzlichen) Absicherung erscheint überflüssig. (3) Die Gewährleistung korrekter Entscheidung. Die paritätische Besetzung unter einem „neutralen“ Vorsitzenden, dessen Stimme in der Pattsituation die entscheidende ist, verbürgt vielleicht formell die Richtigkeit der Entscheidung. Das heute gültige ArbGG geht jedoch noch weiter und ersetzt die übliche staatliche ordre-public-Kontrolle von Schiedssprüchen mit Verbot jeden Hauchs von révision au fond (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO) durch eine Art „staatsseitige Folgeinstanz“ mit revisionsanalogen Charakterzügen126 (bei staatsseitig vollem Instanzenzug 127) und gibt darum noch die Möglichkeit materieller Überprüfung, ob „der Schiedsspruch auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht“ (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG). „Hierdurch soll erreicht werden, daß durch die Entscheidungen der Schiedsgerichte Ansprüche der Streitparteien in ihrem rechtlichen Gehalt nicht verletzt werden können.“128 125 MünchKommZPO3/Münch § 1036 nF Rn. 31 m.w.N., lediglich etwas gemildert Musielak/Voit § 1036 ZPO Rn. 7 – a.A. indes z.T. die anglo-amerikanische Betrachtungsweise, vgl. Stein/Jonas/Schlosser § 1036 ZPO Rn. 16 mit RIPS (19892) Rn. 519 ff. u. ZZP 93 (1980), 121, 135 ff. m.w.N. 126 Ebenso im Grunde die herrschende Terminologie: Fitting BABl 1953, 572, 579 re. Sp. [V] bzw. RA-Prot. 1/249 [27.03.1953] S. 17 (revisionsartig) bzw. Germelmann NZA 1994, 17 [IV 1] (revisionsähnlich). Ferner: BAGE 4, 156, 160; 15, 87, 95–97; 22, 356, 358; 38, 383, 387; 51, 374, 382/383; 64, 348, 353; NZA 2000, 1345, 1346 [B I]; LAG Köln, U.v. 24.05.2007 – 10 Sa 593/06 [I 3b]; Hueck/Nipperdey ArbR I (19637) § 104 VI 2 Fn. 19; Schwab/Weth/Zimmerling § 110 ArbGG Rn. 9, 12, 20; GK-ArbGG/Mikosch § 110 ArbGG Rn. 5; Germelmann/Matthes/ Prütting/Müller-Glöge § 110 ArbGG Rn. 2; Grunsky § 110 ArbGG Rn. 3; Stein/Jonas/ Schlosser21 § 1041 aF Rn. 42 mit Rn. 44 (aber vgl. auch Rn. 47 aE!); Schwab/Walter (20057) Rn. 40.19 f. Irreführend insoweit darum Düwell/Lipke/Schunck § 110 ArbGG Rn. 1 („entspricht § 1059 ZPO“) – aber richtig dann § 110 ArbGG Rn. 2 mit § 101 ArbGG Rn. 17 aE. Leicht anders Grüll Bl. für StRSozArbR 1954, 173, 175 [II 3f]: enthält „verfahrensmäßige Bestandteile der Revision ebenso wie der Wiederaufnahme des Verfahrens“. Dies geht freilich wohl kaum zusammen. 127 GK-ArbGG/Mikosch § 110 ArbGG Rn. 5 – immerhin insoweit skeptisch Vogel NZA 1999, 26, 28 Fn. 17. 128 BT-Drs. 1/3516 S. 35 li. Sp. Falsch im Ansatz BAGE 109, 153, 159 [A 1b ee], aber z.B. auch Grunsky § 4 ArbGG Rn. 2: jenes sei schon der Zweck von § 4 ArbGG [?]. Der Rechtsausschuß wollte anfangs die Fassung von 1926 („wenn der Schiedsspruch gegen zwingende gesetzliche Vorschriften [bzw. Rechtsnormen] verstößt“) wiederhergestellt wissen (RA-Prot. 1/230 [16.01.1953] S. 14 [erste Lesung]), fand später jedoch dann wieder zurück zur Regierungsvorlage (RA-Prot. 1/249 [27.03.1953] S. 17 f.).
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Das zeigt tiefste Skepsis gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit in Arbeitssachen, die gegenwärtig durchaus überholt wirkt und kaum mehr in eine Zeit hineinpaßt, die ernsthafte Möglichkeiten zur Justizentlastung sucht. Jener recht strengen Linie steht entgegen ein zwischenzeitlich noch einmal deutlich liberalisiertes Schiedsverfahrensrecht der Zivilprozeßordnung, welches die Schiedsfähigkeit ausnahmsweise nur versagt und auch den Prozeßablauf freizügig ausgestaltet. Das kann man kritisieren129, es ist im Verhältnis zum ArbGG jedoch ein höchst auffälliger Befund. Vor allem fällt auf, daß namentlich den Verbrauchern allgemein-prozessual weitgehend Freiraum eingeräumt ist, parteiautonom Schiedsvereinbarungen abzuschließen130, während Arbeitnehmern derartige Befugnisse abgehen. Das möchte die Genese des allgemeinen Schiedsverfahrensrechts begünstigen131, begründet aber kaum schlüssig jene Zurückhaltung entgegen üblichen Gewohnheiten beim Verbraucherschutz, paßt somit nicht bündig. Man kann entweder dann den Anwendungsbereich von §§ 101 ff. ArbGG für einzelne Arbeitnehmerstreitigkeiten eröffnen oder aber das Schutzniveau von §§ 1025 ff. ZPO/nF für Verbraucherstreitigkeiten steigern. (Noch) mangelt bislang eine selbständig prozessual ausgeformte Verbraucherschiedsgerichtsbarkeit 132, es gibt hingegen eine gefestigte Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit – nur fehlen ihr leider rechtspraktisch die Anwendungsfälle (§ 4 iVm. § 101 Abs. 1/2 ArbGG!). Das rechte Maß findet sich am Ende mutmaßlich wohl dazwischen.
Plastisch der Vertreter der Regierung [RD Fitting S. 17]: „Die Regierungsvorlage wolle sicherstellen, daß durch die Schiedsgerichtsbarkeit nicht Recht verletzt werden könne.“ 129 Einfachprozessual (Voit JZ 1997, 120), aber u.U. auch verfassungsrechtlich (Hesselbarth Schiedsgerichtsbarkeit und Grundgesetz … [2004], S. 57 ff. mit S. 240 ff. – mit Kritik von Prütting FS Schlosser [2005] S. 705 im Anschluß an BGHZ 144, 146, 148; 77, 65, 69; 65, 59, 61 sowie ferner BVerfGE 22, 49, 73 mit BVerfGE 6, 45, 50 ff.; 17, 292, 298 f. [Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) bzw. BVerfGE 26, 186, 194 ff. [Art. 92 GG]). Zur Verfassungsmäßigkeit von §§ 101 ff. ArbGG siehe sehr früh schon BAG NJW 1964, 268 f., zust. BAG, U.v. 10.12.1992 – 2 AZR 340/92 [II 3 / JURIS-Rn. 20], zust. Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz … (1970), S. 246 f.; Suhr a.a.O. (Fn. 1) S. 15 ff. – krit. Stein/Jonas/Schlosser21 § 1025 aF Rn. 48 [2. Abs.]; Schwab/Weth/Zimmerling § 101 ArbGG Rn. 75 ff. (77, 81, 85, 92, 96) mit Rn. 107 f. – alle m.w.N. 130 Lediglich bei Formgebot: § 1031 Abs. 5 ZPO/nF (BT-Drs. 13/5274 S. 37 re. Sp.) – übrigens auch im Unterschied zu § 38 ZPO! Eine ebensosehr auffällige Diskrepanz (MünchKommZPO3/Münch § 1031 nF Rn. 4 f.). 131 Vgl. einerseits Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 101 ArbGG Rn. 32, andererseits Schulze a.a.O. (Fn. 101) S. 188 [III]. 132 Jüngste erste Ansätze bei Quinke, Börsenschiedsvereinbarungen und prozessualer Anlegerschutz (2005), S. 185 ff. mit S. 260 ff. bzw. Wagner/Quinke JZ 2005, 932, 936–938 [III 2/3] mit S. 938/939 [IV 3].
Voraussetzungen und Grenzen des Diskriminierungsschutzes für Organmitglieder Hartmut Oetker A. Einleitung Aus dem reichhaltigen wissenschaftlichen Œuvre des Jubilars ragt vor allem seine dem Spannungsverhältnis von personaler Freiheit und sozialer Bindung gewidmete Habilitationsschrift heraus, in der er mit Nachdruck dafür plädierte, den Diskriminierungsverboten in § 75 Abs. 1 BetrVG einen individualrechtlichen Geltungsanspruch beizumessen und diese auch auf das Verhältnis des Arbeitgebers zu den noch nicht im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern zu erstrecken,1 um diesem zu verwehren, die Ablehnung eines Bewerbers auf die in § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aufgezählten personenbezogenen Merkmale zu stützen. Seiner mutigen These blieb indes die Zustimmung im Schrifttum bis in die jüngste Vergangenheit weitgehend versagt.2 Gleichwohl war die Pionierarbeit des Jubilars im Ergebnis letztlich von Erfolg gekrönt, wenngleich hierfür die Impulse durch das Recht der Europäischen Gemeinschaft unverzichtbar waren. Insbesondere mit den Richtlinien 2000/43/EG 3 sowie 2000/78/EG 4 und deren Überlagerung durch Art. 13 EG haben die Rechtsetzungsorgane der Europäischen Gemeinschaft dem Grundsatz der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten zum Durch-
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Otto Personale Freiheit und soziale Bindung, 1978, S. 28 ff. Ausdrücklich ablehnend z.B. Kreutz GK-BetrVG Bd. II, 8. Aufl. 2005, § 75 Rn. 44; Zöllner AcP Bd. 176 (1976), 221 (224); zustimmend im Ansatz jedoch Richardi in: Richardi, BetrVG, 10. Aufl. 2006, § 75 Rn. 7 sowie ders. in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2005, § 611 Rn. 67 ff. 3 Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft vom 29. Juni 2000, ABl. EG Nr. L 180 vom 19.7.2000, S. 22 = Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (EAS), A 3630. Dazu z.B. Nickel NJW 2001, 2668 ff.; Schiek ArbuR 2003, 44 ff.; Waas ZIP 2000, 2151 ff. 4 Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000, ABl. EG Nr. L 303 vom 2.12.2000, S. 21 = Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (EAS), A 3650. Ausführlich dazu z.B. Mohr Schutz vor Diskriminierungen im Europäischen Arbeitsrecht, 2004. 2
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bruch verholfen. Dieser verbietet es, auf bestimmte Merkmale einer Person zurückzugreifen, um an diese eine unterschiedliche Behandlung anzuknüpfen. Geschieht dies dennoch, so liegt der Tatbestand einer Diskriminierung vor und soll entsprechende Sanktionen nach sich ziehen.5 Allerdings haben die vorgenannten Richtlinien – nicht anders als Art. 13 EG sowie Art. 3 Abs. 3 GG – davon abgesehen, das Verbot der Benachteiligung auf alle denkbaren personenbezogenen Merkmale zu erstrecken. Während sich das Diskriminierungsverbot der Richtlinie 2000/43/EG auf die Rasse sowie die ethnische Herkunft beschränkt, erfasst die Richtlinie 2000/78/EG neben diesen Merkmalen zusätzlich die Behinderung, das Alter, die sexuelle Ausrichtung sowie die Religion und die Weltanschauung. Die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bezüglich des Geschlechts ist demgegenüber Gegenstand der kürzlich neu gefassten arbeitsrechtlichen Richtlinie 2006/54/ EG 6 sowie im Hinblick auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in der Richtlinie 2004/113/EG 7 geregelt. In das Recht der Bundesrepublik Deutschland werden die vorgenannten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben durch das nach langen und komplikationsbehafteten Geburtswehen 8 verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) transformiert,9 das bereits während seiner Entstehung vor allem bezüglich des allgemeinen Zivilrechts kontrovers diskutiert wurde.10 Für das Gesellschaftsrecht scheint das Gesetz hingegen – legt man die bisherigen Publikationen zugrunde – nicht die im Übrigen befürchtete Sprengkraft zu entfalten. Indes deutet sich für das Gesellschaftsrecht zumindest im Hinblick auf die Organmitglieder ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel an.11 Ursächlich hierfür ist § 6 Abs. 3 AGG, der die Vorschriften 5
Siehe Art. 15 der Richtlinie 2000/43/EG und Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG. Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen vom 5. Juli 2006, ABl. EU Nr. L 204 vom 26.7.2006, S. 23 = Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (EAS), A 3840. 7 Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen vom 13. Dezember 2004, ABl. EU Nr. L 373 vom 21.12.2004, S. 37. 8 Näher zur Entstehungsgeschichte z. B. Rühl/Schmid/Viethen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, S. 4 ff.; Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 18 ff.; ders. MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, Einl. AGG Rn. 20 ff. 9 Für Österreich siehe das Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GlBG) aus dem Jahre 2005; dazu umfassend Rebhahn (Hrsg.), Kommentar zum Gleichbehandlungsgesetz, 2005. 10 Aus dieser Diskussion z.B. Baer ZRP 2002, 290 ff.; Britz VVDStRL Bd. 64 (2005), 355 ff.; Eichenhofer DVBl. 2004, 1078 ff.; Jestaedt VVDStRL Bd. 64 (2005), 298 ff.; Leible/ Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2005; Neuner JZ 2003, 57 ff.; Picker JZ 2002, 57 f.; ders. JZ 2003, 540 ff.; ders. ZfA 2005, 167 ff.; Säcker ZRP 2002, 286 ff.; Wiedemann/Thüsing DB 2002, 463 ff. 11 Im Hinblick auf das Gesellschaftsrecht jüngst Bauer/Göpfert/Krieger DB 2005, 6
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zum Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen in den §§ 7 bis 17 AGG im Hinblick auf die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg bezüglich der Mitglieder von Organen für entsprechend anwendbar erklärt. Innerhalb des so eingegrenzten Rahmens gilt damit auch für diesen Personenkreis insbesondere das arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG und der bei einem Verstoß eingreifende Entschädigungsanspruch (§ 15 AGG). Demgegenüber waren die Diskussionen zu den normativen Schranken für die personelle Auswahl von Organmitgliedern bislang vor allem an den Aufgaben des jeweiligen Amtes orientiert und insbesondere in neuerer Zeit von dem Bestreben geleitet, die Bestellung ungeeigneter Organwalter zu verhindern.12 Eindrucksvoll zeigen dies die Überlegungen, die sich auf der Suche nach einer Best-Corporate-Governance insbesondere auf die persönlichen Eignungsvoraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder fokussiert haben.13 Die apodiktische Erstreckung des Benachteiligungsverbots in § 7 Abs. 1 AGG auf Organmitglieder durch § 6 Abs. 3 AGG kann allenfalls an sehr zurückhaltend und nur partiell geäußerte Stellungnahmen im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum anknüpfen, die darauf abzielten, den Spielraum des Satzungsorgans für persönliche Bestellungs- bzw. Wählbarkeitsvoraussetzungen einzuschränken. Besonders anschaulich zeigt sich dies im Aktienrecht hinsichtlich der statutarischen Festlegung von persönlichen Voraussetzungen für die Bestellung zum Vorstand. Unabhängig von den Einwänden, die diesbezüglich im Schrifttum wegen der Auswahlfreiheit des Bestellungsorgans (Aufsichtsrat) sowie der Unternehmensmitbestimmung artikuliert werden,14 hat eine im Vordringen befasste Strömung im Schrifttum bereits vor in Kraft treten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – im Gegensatz zur vorherrschenden Ansicht – die Aufnahme diskriminierender Voraussetzungen in der Satzung der Aktiengesellschaft als unzulässig angesehen.15 In vergleichbarer 595 ff.; Eßer/Baluch NZG 2007, 321 ff.; Horstmeier GmbHR 2007, 125 ff.; Krause AG 2007, 392 ff.; Schroeder/Diller NZG 2006, 728 ff. sowie speziell zur Problematik der Altersgrenzen Lutter BB 2007, 725 ff. 12 Siehe z.B. für Mitglieder des Aufsichtsrates Hopt/Roth Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 100 Rn. 20 ff. 13 Dazu Nr. 5.4.1 des Deutschen Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 12. Juni 2006 (www.corporate-governance-code.de/ger/kodex); zu diesem Thema ferner Dreher Festschrift für Boujong, 1996, S. 71 ff.; Oechsler in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2003, S. 305 ff.; Säcker Festschrift für Richardi, 2007, S. 711 (723 ff.). 14 Siehe dazu z.B. Hommelhoff DB 1977, 322 (324 ff.); Mertens Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 76 Rn. 116 ff. 15 So Hefermehl/Spindler MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 76 Rn. 89; Kort Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2002, § 76 Rn. 222; ausdrücklich auf die Richtlinien 2000/43/EG sowie 2000/78/EG abstellend Thüsing in: Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 4 Rn. 15. Offener demgegenüber die bislang vorherrschende Ansicht; siehe z.B.
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Weise gilt dies für Regelungen in der Satzung, die in den durch § 100 Abs. 4 AktG gezogenen Grenzen persönliche Voraussetzungen für die Wählbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern festlegen. Insbesondere die Vorgabe eines bestimmten Höchst- bzw. Mindestalters wurde indes bislang ohne nähere Begründung akzeptiert,16 leichte Vorbehalte sind lediglich für das Erfordernis eines bestimmten Geschlechts erkennbar.17 Ebenso beherrschte im GmbH-Recht traditionell der Grundsatz der Satzungsfreiheit die Diskussion, so dass statutarische Eignungsvoraussetzungen für die Bestellung zum Geschäftsführer allgemein als zulässig angesehen wurden,18 was insbesondere auch im Hinblick auf das Alter und die Religionszugehörigkeit gelten sollte.19 Die von Lutter/Hommelhoff angemeldeten und auf § 611a BGB a.F. gestützten Bedenken bei einer Anknüpfung an das Geschlecht 20 blieben vereinzelt.21 Damit vergleichbar ist das Meinungsspektrum im Genossenschaftsrecht: Die Etablierung statutarischer Voraussetzungen für die Wählbarkeit zum Vorstandsmitglied soll auch im Hinblick auf ein bestimmtes Lebensalter zulässig sein, wenngleich einschränkend verlangt wird, dass die in der Satzung niedergelegte Voraussetzung sachgerecht sein muss.22 Ein entsprechender Diskussionsstand ist für das Vereinsrecht zu
Hüffer AktG, 7. Aufl. 2006, § 76 Rn. 26; Lutter BB 2007, 725 (729); Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 14 Rn. 32; Wiesner Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 2. Aufl. 1999, § 20 Rn. 7. 16 Siehe Hopt/Roth Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 100 Rn. 104; Mertens Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. 1986, § 100 Rn. 28; Semler MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 100 Rn. 64. 17 Siehe Hopt/Roth Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 100 Rn. 104: „nicht ohne weiteres“. 18 So noch Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbH-Gesetz, 5. Aufl. 2005, § 6 Rn. 17; Heyder in: Michalski, GmbH-Gesetz, 2002, § 6 Rn. 34; Hommelhoff/Kleindiek in: Lutter/ Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 16. Aufl. 2004, § 6 Rn. 20; Hueck/Fastrich in: Baumbach/ Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2006, § 6 Rn. 8; Lutter BB 2007, 725 (726); Mertens in: Hachenburg, GmbH-Gesetz, 8. Aufl. 1996, § 35 Rn. 20; Schmidt-Leithoff in: Rowedder/ Schmidt-Leithoff, GmbH-Gesetz, 4. Aufl. 2002, § 6 Rn. 22; U. H. Schneider in: Scholz, GmbH-Gesetz, 9. Aufl. 2000, § 6 Rn. 24; Ulmer in: Hachenburg, GmbH-Gesetz, 8. Aufl. 1989, § 6 Rn. 15; ders. Großkomm. GmbH-Gesetz, 2005, § 6 Rn. 22. 19 So Achilles in: Achilles/Ensthaler/Schmidt, GmbH-Gesetz, 2005, § 6 Rn. 12; Heyder in: Michalski, GmbH-Gesetz, 2002, § 6 Rn. 34; Hommelhoff/Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 16. Aufl. 2004, § 6 Rn. 20; Lutter BB 2007, 725 (726); Mertens in: Hachenburg, GmbH-Gesetz, 8. Aufl. 1996, § 35 Rn. 20; Schmidt-Leithoff in: Rohwedder/ Schmidt-Leithoff, GmbH-Gesetz, 4. Aufl. 2002, § 6 Rn. 22. 20 Lutter/Hommelhoff GmbH-Gesetz, 15. Aufl. 2000, § 6 Rn. 20; aufgegeben von Hommelhoff/Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 16. Aufl. 2004, § 6 Rn. 20. 21 Ausdrücklich ablehnend Heyder in: Michalski, GmbH-Gesetz, 2002, § 6 Rn. 34; Schmidt-Leithoff in: Rohwedder/Schmidt-Leithoff, GmbH-Gesetz, 4. Aufl. 2002, § 6 Rn. 22. 22 Beuthien GenG, 14. Aufl. 2004, § 24 Rn. 7; Müller GenG, 2. Aufl. 1991, § 24 Rn. 31; Schaffland in: Lang/Weidmüller, GenG, 35. Aufl. 2006, § 24 Rn. 26.
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verzeichnen: Die Aufstellung besonderer persönlicher Voraussetzungen für die Vorstandsfähigkeit in der Satzung wird in allgemeiner Form als rechtlich unbedenklich angesehen 23 und exemplarisch hierfür das Lebensalter genannt.24 Nur vereinzelt wird ohne weitere Problemvertiefung angeführt, dass die Satzungsautonomie diesbezüglich in dem Verbot einer Diskriminierung und einer Ungleichbehandlung eine Schranke findet.25
B. Tätigkeit in Organen als Erwerbstätigkeit Auslöser für die in § 6 Abs. 3 AGG angeordnete entsprechende Anwendung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf Organmitglieder ist sowohl die Richtlinie 2000/78/EG als auch die Richtlinie 2000/43/EG, die jeweils in ihrem Art. 3 den Geltungsbereich der Richtlinie konkretisieren und diesen mit identischen Formulierungen u.a. auf die Bedingungen „für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“ erstrecken.26 Um den Anwendungsbereich des Gesetzes zu konkretisieren, hat dies das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für die Konkretisierung des sachlichen Anwendungsbereiches in § 2 Abs. 1 Nr. 1 mit identischem Wortlaut nachvollzogen. Damit ist vorrangig die auch im Hinblick auf die Reichweite des § 6 Abs. 3 AGG 27 relevante Frage zu beantworten, ob es sich bei der Mitgliedschaft in einem Organ um eine Erwerbstätigkeit im Sinne der vorgenannten Richtlinien bzw. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG handelt. Hierfür sehen indes sowohl die vorgenannten Richtlinien als auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von einer näheren Konkretisierung ab.
23 Siehe Hadding in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 27 Rn. 3; Reuter MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2006, § 26 Rn. 7; Sauter/Schweyer/Waldner Der eingetragene Verein, 18.Aufl. 2006, Rn. 254; Schwarz/Schöpflin in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2007, § 27 Rn. 3; Weick in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2005, § 27 Rn. 7; Stöber Handbuch zum Vereinsrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 249. 24 So Hadding in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 27 Rn. 3; Reichert Handbuch Vereinsund Verbandsrecht, 10. Aufl. 2005, Rn. 1929; Reuter MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2006, Rn. 7; Sauter/Schweyer/Waldner Der eingetragene Verein, 18. Aufl. 2006, Rn. 254; Schwarz/ Schöpflin in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2007, § 27 Rn. 3; Stöber Handbuch zum Vereinsrecht, 9. Aufl. 2004, Rn. 249. 25 So Reichert Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 10. Aufl. 2005, Rn. 1929; ebenfalls Oetker Die Bündelung von Interessen der Belegschaftsaktionäre als Rechtsproblem, 2002, S. 61. 26 Ebenso im Hinblick auf das Geschlecht Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2006/ 54/EG. 27 Diese Vorschrift beschränkt die entsprechende Anwendung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen neben dem beruflichen Aufstieg ausdrücklich auf den „Zugang zur Erwerbstätigkeit“.
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Dementsprechend vage und tastend sind die ersten literarischen Stellungnahmen, die jedoch deutlich eine extensive Auslegung favorisieren und jede Tätigkeit erfassen, die zum Lebensunterhalt beiträgt.28 Bei diesem Ansatz ist die Abgrenzung danach vorzunehmen, ob für die Tätigkeit ein Entgelt gewährt wird,29 was es denknotwendig ausschließt, einzelne Tätigkeiten allein im Hinblick auf deren Umfang oder die Höhe der Gegenleistung auszuklammern. Auch nach Zeit und/oder Entgelt geringfügige Tätigkeiten fallen deshalb unter die genannten Richtlinien bzw. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.30 Wegen der notwendigen Entgeltlichkeit gilt dies umgekehrt nicht für solche Tätigkeiten, bei denen ein Erwerbszweck fehlt,31 insbesondere sind unbezahlte Tätigkeiten keine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG,32 was vor allem für zahlreiche Vereine, aber auch für Stiftungen bedeutsam ist.33 Sofern z.B. die Mitglieder des Vorstandes eines Vereins oder einer Stiftung ihr Amt ohne Entgelt, also ehrenamtlich wahrnehmen, unterliegt die Aufnahme ihrer Tätigkeit nicht den Schranken des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.34 In dieser Konstellation verlagert sich das entscheidende Problem deshalb auf die Frage, ob jede geldwerte Leistung, die das Mitglied eines Organs erhält, den sachlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eröffnet. Da für die Erwerbstätigkeit auf das Vorliegen einer Gegenleistung abzustellen ist, ist präzise zwischen der Leistung als Äquivalent für die Tätigkeit und dem reinen Aufwendungsersatz zu unterscheiden, da dieser nicht zum Lebensunterhalt beiträgt, sondern den Organwalter lediglich von den finanziellen Lasten des Amtes freistellt.35 Während sich bezüglich dieses Ausgangspunktes noch relativ leicht Einvernehmen erzielen
28
So Bauer/Göpfert/Krieger Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 12. In diesem Sinne auch Däubler in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 4; Meinel/Heyn/Herms Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 6; Schlachter ErfKomm., 8. Aufl. 2008, § 2 AGG Rn. 5, die ausschließlich eine „Gegenleistung“ fordern. 30 Treffend Bauer/Göpfert/Krieger Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 13; ebenso Däubler in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 10; Meinel/Heyn/Herms Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 6. 31 Schlachter ErfKomm., 8. Aufl. 2008, § 2 AGG Rn. 5. 32 Schlachter ErfKomm., 8. Aufl. 2008, § 2 AGG Rn. 5. 33 Im Hinblick auf die Notwendigkeit einer entgeltlichen Tätigkeit des Stiftungsvorstandes siehe jedoch treffend Lunk/Rawert in: Non Profit Law Yearbook 2001, 2002, S. 91 (92 f.). 34 So im Ansatz auch für das Vereinsrecht Däubler in: Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 8. 35 Siehe z.B. Martinek in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2006, § 670 Rn. 1 f. 29
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lässt,36 tritt in der praktischen Umsetzung das allgemeine Problem des Aufwendungsersatzes auf, der aus Gründen der verwaltungstechnischen Vereinfachung pauschaliert gezahlt wird. In diesem Fall bedarf es stets der präzisen Prüfung, ob sich der als Pauschale gewährte Betrag darauf beschränkt, die typischerweise anfallenden Aufwendungen abzudecken oder darüber hinausgeht und ein verstecktes Entgelt für die Tätigkeit enthält.37 Ungeachtet dieser von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Abgrenzung schränkt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz die Auswahlfreiheit bezüglich der Organmitglieder jedenfalls dann nicht ein, wenn diese für ihre Tätigkeit keine Leistungen erhalten, die über einen gegebenenfalls pauschaliert ausgezahlten Aufwendungsersatz hinausgehen.
C. Kreis der von § 6 Abs. 3 AGG erfassten Organmitglieder I. Der Organbegriff als Anknüpfungspunkt Die entsprechende Anwendung der Vorschriften zum Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen (§§ 7 bis 17 AGG) ordnet § 6 Abs. 3 AGG neben den Selbständigen für Organmitglieder an, ohne diesen Personenkreis jedoch präzise zu definieren. Vielmehr beschränkt sich die Vorschrift mit der Benennung der „Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände“ ausweislich des Wortlauts („insbesondere“) auf eine exemplarische Aufzählung. Dies zwingt dazu, dem Kreis der von § 6 Abs. 3 AGG erfassten Organmitglieder klare Konturen zu verleihen. Eine Umschreibung, die hierzu alle Personen zählt, die „kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrages einem Gesellschaftsorgan angehören“ 38, ist nur wenig ergiebig, da diese das Abgrenzungsproblem lediglich gegen die Frage austauscht, was unter einem „Gesellschaftsorgan“ zu verstehen ist. Substantielle Eingrenzungen des von § 6 Abs. 3 AGG erfassten Personenkreises lassen sich aus dem Organbegriff indes nicht ableiten. Unabhängig davon, dass der jeweilige normative Kontext, in den der Organbegriff eingestellt ist, dessen Bedeutungsgehalt determiniert,39 legitimiert die exemplarische Aufzählung allenfalls einen Rückgriff auf das im allgemeinen Ver36 Ebenfalls für die Unbeachtlichkeit eines Aufwendungsersatzes Däubler in: Däubler/ Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 8; Meinel/Heyn/ Herms Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 6. 37 Exemplarisch BGH, WM 1988, 531 (533 f.). Zur vergleichbaren Problematik bei der Anwendung des § 113 Abs. 1 AktG siehe Hopt/Roth Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 113 Rn. 29; Hüffer AktG, 7. Aufl. 2006, § 113 Rn. 2b; Mertens Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 113 Rn. 10; Semler MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 113 Rn. 78. 38 So Schmidt in: Schiek (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 AGG Rn. 14. 39 Wiedemann Gesellschaftsrecht Bd. I, 1980, § 4 II 3a, S. 212; siehe auch Lunk Die Betriebsversammlung – das Mitgliedsorgan des Belegschaftsverbandes, 1991, S. 42 ff.
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bandsrecht herausgebildete Verständnis. Organe sind danach Personen oder Gruppen, deren Willensbildung für den Verband maßgebend ist.40 Bei dieser Weite des Organbegriffes kommen nicht nur Organe juristischer Personen in Betracht, sondern gleichermaßen auch solche, die in Personengesellschaften gebildet werden, unabhängig davon, ob die Rechtsordnung diese mit Rechtsfähigkeit ausgestattet hat.41 Zu erwägen ist allenfalls ein Rückgriff auf den namentlich von Hans Julius Wolff geprägten Organbegriff der juristischen Person, der die Organschaft als eigenständige Vertretungsmacht neben diejenige kraft Rechtsgeschäftes oder Gesetzes gestellt hat.42 Nur auf den ersten Blick lässt sich hierfür die exemplarische Aufzählung in § 6 Abs. 3 AGG anführen. Selbst wenn sich der Gesetzgeber mit der exemplarischen Aufzählung vor allem an dem Geschäftsführer der GmbH bzw. dem Vorstand der AG orientiert hat,43 zeigt gerade der Begriff des Geschäftsführers, dass sich dieser als Argument für eine Eingrenzung auf juristische Personen nicht eignet, da das Recht der Personengesellschaften auf diesen in gleicher Weise (siehe § 709 BGB, § 115 HGB) wie das Recht der GmbH (siehe § 35 GmbHG) zurückgreift. Gestützt wird die Maßgeblichkeit des weiten Organbegriffs des Verbandsrechts im Rahmen des § 6 Abs. 3 AGG auch durch dessen Zweck. Da die Norm sicherstellen soll, dass die Diskriminierungsverbote generell für den Zugang zur Erwerbstätigkeit gelten, fehlen tragfähige Gründe, Organmitglieder von Personengesellschaften hiervon auszunehmen, sofern diese für ihre Tätigkeit als Geschäftsführer eine gesonderte Vergütung erhalten.44 Selbst eine Verengung des Organbegriffs in § 6 Abs. 3 AGG auf „Gesellschaftsorgane“ ist letztlich verfehlt, weil dies streng genommen dazu führen würde, Stiftungen aus dem Anwendungsbereich der Norm auszuklammern. Dem steht jedoch entgegen, dass jedenfalls die in den §§ 80 bis 86 BGB geregelte Stiftung als eine rechtsfähige Organisation zu verstehen ist,45 die für die notwendige Handlungsfähigkeit einer Organisation bedarf.46 Dementsprechend sind auch der Vorstand einer rechtsfähigen Stiftung als deren Organ und die ihm angehörenden Personen als Organmitglieder zu qualifizieren.47 Wie bei Personengesellschaften wäre es im Hinblick auf den Zweck des § 6 40
So Wiedemann Gesellschaftsrecht Bd. I, 1980, § 4 II 3a, S. 212. Treffend hervorgehoben von Wiedemann Gesellschaftsrecht Bd. I, 1980, § 4 II 3a, S. 213. 42 Siehe H. J. Wolff Organschaft und Juristische Person Bd. II, 1934, S. 236 f. und zuvor v. Thur Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd. I, 1910, S. 459 ff. sowie aus neuerer Zeit K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, § 10 I 2, S. 258 ff. 43 Siehe auch nachfolgend C III. 44 Siehe dazu auch unten C II. 45 Rawert in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 1995, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 4, m.w.N. 46 Rawert in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 1995, Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 25; Reuter MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2006, Vor § 80 Rn. 54. 47 So z.B. Rawert in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 1995, § 86 Rn. 2 ff.; Reuter MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2006, § 85 Rn. 10. 41
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Abs. 3 AGG auch bei Vorstandsmitgliedern einer Stiftung sinnwidrig, diese von dem Anwendungsbereich der Norm auszunehmen.47a II. Ausklammerung gesellschaftsvertraglich fundierter Organtätigkeit Gerade bei Geschäftsführern von Personengesellschaften, aber auch bei GmbH-Geschäftsführern ist indes eine teleologische Reduktion des § 6 Abs. 3 AGG zu erwägen, wenn das Organmitglied zugleich Gesellschafter ist und die Gesellschafterstellung über eine untergeordnete Rolle hinausgeht. Umgekehrt wäre der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG bei diesem Ansatz auf solche Organmitglieder beschränkt, die ihre Tätigkeit im Organ aufgrund eines von der Gesellschafterstellung unabhängigen bzw. selbständigen Dienstvertrages erbringen.48 Regelmäßig dürfte es sich bei dieser Fragestellung jedenfalls im Rahmen von § 6 Abs. 3 AGG um ein Scheinproblem handeln. Wird der Gesellschafter einer Personengesellschaft als Geschäftsführer tätig, so übt er seine mitgliedschaftsrechtlichen Befugnisse aus,49 wobei seine Tätigkeit als Teil der Beitragsleistung im Rahmen der Gewinnverteilung zu berücksichtigen ist.50 Beanspruchen kann er lediglich den Ersatz der ihm entstandenen Aufwendungen (§ 713 BGB i.V. mit § 670 BGB), was jedoch nach den obigen Resultaten nicht für die Einbeziehung in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG ausreicht.51 Eine abweichende Würdigung ist allenfalls in Betracht zu ziehen, wenn im Hinblick auf den Umfang der Geschäftsführertätigkeit eine gesonderte Vergütungsabrede getroffen wird,52 die ggf. auch in dem Gesellschaftsvertrag enthalten sein kann. Selbst in der letztgenannten Konstellation qualifiziert der Bundesgerichtshof diese jedenfalls noch als eine solche dienstvertragsähnlicher Art und bejaht die entsprechende Anwendung der dienstvertraglichen Vorschriften.53 Entgegengesetzt ist die Rechtslage bei juristischen Personen. Treffen insbesondere bei einer GmbH, Geschäftsführertätigkeit und Gesellschafterstellung zusammen, so ist eine hieraus folgende Verpflichtung zur Vertretung der 47a Wie hier auch Meinel/Heyn/Herms Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 32. 48 So Schroeder/Diller NZG 2006, 728 (730), ohne jedoch auf die gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen einzugehen; siehe auch Adomeit/Mohr Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 26. 49 Ulmer MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 713 Rn. 1. 50 BGHZ 40, 44 (45); Rawert MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2006, § 114 Rn. 77; Ulmer MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 709 Rn. 32. 51 Siehe oben B I. 52 Zur Rechtmäßigkeit derartiger Vereinbarungen BGH, NJW 1963, 1051 (1052); siehe ferner Rawert MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2006, § 114 Rn. 78. 53 BGH, NJW 1963, 1051 (1052); a.A. Ulmer MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 709 Rn. 32: „Gewinnverteilungsabrede“.
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Gesellschaft bereits im Ansatz zu verneinen, sofern diese nicht in dem Gesellschaftsvertrag begründet worden ist.54 Abgesehen von diesem Sonderfall, in dem der Geschäftsführer seine Tätigkeit in Erfüllung einer mitgliedschaftlichen Nebenpflicht erbringt,55 ist deshalb auch der Gesellschafter – Geschäftsführer unabhängig von dem Umfang seiner Beteiligung ein Organmitglied im Sinne des § 6 Abs. 3 AGG.56 III. Beschränkung auf Mitglieder vertretungsberechtigter Organe Gleichwohl könnten es die in § 6 Abs. 3 AGG genannten und an das Recht der GmbH bzw. der AG angelehnten Beispiele nahe legen, § 6 Abs. 3 AGG auf diejenigen Mitglieder zu beschränken, die dem zur Vertretung berufenen Organ angehören.57 Mitglieder eines Aufsichtsrates oder Beirates, die dem Vorstand zwecks Beratung und Überwachung an die Seite gestellt sind, wären bei dieser Sichtweise – unabhängig von einem etwaigen Entgelt für die Tätigkeit – aus der Gleichstellung mit den Beschäftigten ausgeklammert und nicht in die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes einbezogen. Ungeachtet des Umstandes, dass der Gesetzgeber selbst – wie die §§ 8 Abs. 1 MitbestG, 5 Montan-MitbestG zeigen – den Organbegriff nicht auf die vertretungsberechtigten Gesellschaftsorgane beschränkt, sprechen vor allem der Zweck der Vorschrift sowie die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts gegen eine derartige Verknüpfung mit der Vertretungsmacht des jeweiligen Organmitgliedes. Mit § 6 Abs. 3 AGG soll der durch § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG vorgegebenen Erweiterung des Anwendungsbereichs des Gesetzes auf die selbständige Erwerbstätigkeit Rechnung getragen werden. Hierfür ist die Kompetenz des Organs jedoch ohne Bedeutung, solange das jeweilige Mitglied für die Tätigkeit im Organ ein Entgelt erhält. Deshalb erfasst § 6 Abs. 3 AGG die Mitglieder von Organen unabhängig davon, ob diese als Vertreter agieren. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrates oder eines ergänzend zum Vorstand gebildeten Beirates unterfallen deshalb § 6 Abs. 3 AGG,58 sofern 54 BGH, NJW 1985, 637; U. H. Schneider in: Scholz, GmbH-Gesetz, 9. Aufl. 2000, § 6 Rn. 38 f. 55 Siehe Hueck/Fastrich in: GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2006, § 3 Rn. 42, § 6 Rn. 16. 56 Wie hier im Ergebnis auch Thüsing MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 6 AGG Rn. 11, jedoch ebenfalls ohne Vertiefung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen. 57 So in der Tat Falke in: Rust/Falke (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 25; Nollert-Borasio/Perreng Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2006, § 6 Rn. 18. 58 Treffend für Mitglieder des Aufsichtsrates auch Eßer/Baluch NZG 2007, 321 (322); Krause AG 2007, 392 (393); Lutter BB 2007, 725 (730); Meinel/Heyn/Herms Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 29; ebenso im Ergebnis Schmidt in: Schiek (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 AGG Rn. 14, die – unter Verzicht auf jegliche Problematisierung – die Mitglieder des Aufsichtsrates einbezieht.
Voraussetzungen und Grenzen des Diskriminierungsschutzes für Organmitglieder 371
diese für ihre Tätigkeit Leistungen erhalten, die über einen gegebenenfalls pauschaliert gezahlten Ersatz von Aufwendungen hinausgehen.
IV. Beschränkung auf weisungsgebundene Organmitglieder Schließlich ist eine teleologische Reduktion der Norm auf weisungsgebundene Organwalter in Betracht zu ziehen. Ausgangspunkt für einen derartigen Ansatz ist der Umstand, dass die Einbeziehung der Organmitglieder in § 6 Abs. 3 AGG nicht zwingend auf der Notwendigkeit beruht, für selbständig Erwerbstätige den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes zu eröffnen. Diese aus den Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG folgende Vorgabe setzt § 6 Abs. 3 AGG bereits durch die Benennung der „Selbständigen“ hinreichend um. Der Hinweis in der Regierungsbegründung auf Geschäftsführer (und Geschäftsführerinnen) 59 verdeutlicht vielmehr, dass vor allem GmbH-Geschäftsführer in den Genuss der arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen gelangen sollten; gerade bei GmbH-Fremdgeschäftsführern ist deren vollständige oder partielle Einbeziehung in das arbeitsrechtliche Schutzinstrumentarium ein bekanntes Problem,60 wobei insbesondere ihre Weisungsgebundenheit im Verhältnis zu den Gesellschaftern eine teleologische Legitimation für derartige Überlegungen liefert. In diesem Sinne misst die Begründung des Gesetzesentwurfs § 6 Abs. 3 AGG jedenfalls bezüglich der Geschäftsführer lediglich klarstellende Bedeutung bei 61 und reagiert damit augenscheinlich auf literarische Vorhaltungen während der Entstehung des Gesetzes, wonach der gemeinschaftsrechtliche Arbeitnehmerbegriff jedenfalls auch GmbH-Geschäftsführer erfassen soll.62 Angesichts dessen scheinen gute Gründe dafür zu sprechen, § 6 Abs. 3 AGG auf Organmitglieder zu beschränken, die vergleichbar einem GmbH-Geschäftsführer weisungsgebunden sind.63 Selbst wenn die besondere Situation des GmbH-Geschäftsführers den historischen Gesetzgeber zur Einbeziehung der Organmitglieder in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG motiviert haben sollte, fehlt für eine auf die Weisungsgebundenheit bezogene teleologische Reduktion der Norm 59
BT-Drucks. 16/1780, S. 34. Stellvertretend im Überblick Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2006, § 35 Rn. 172 ff., m.w.N. sowie näher z.B. Goette Festschrift für Wiedemann, 2002, S. 873 ff.; Wank Festschrift für Wiedemann, 2002, S. 587 ff. 61 Siehe Reg. Begr., BT-Drucks. 16/1780, S. 34: „Absatz 3 stellt klar …“. 62 Siehe insoweit Bauer/Göpfert/Krieger DB 2005, 595 (596 f.), im Anschluss an Thüsing NZA 2004, Sonderbeilage zu Heft 24, S. 3 (3 f.); ferner ders. Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 97. 63 In diesem Sinne könnten Nollert-Borasio/Perreng Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2006, § 6 Rn. 18, verstanden werden, die darauf abstellen, ob die Organmitglieder „ohne ihre organschaftliche Stellung zu den Beschäftigten des Abs. 1 zählen würden“. 60
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eine tragfähige methodische Grundlage. Die Andeutungen in der Gesetzesbegründung sind bereits mit dem Makel behaftet, dass diese nur unvollständig dem Wortlaut der Norm Rechnung tragen, da für die gleichfalls vorgenommene Einbeziehung der „Selbständigen“ eine Begründung fehlt. Zudem löst sich der Gesetzeswortlaut mit den gleichfalls exemplarisch genannten „Vorständen“ von den Materialien, was der Zusatz „insbesondere“ und der hierdurch verdeutlichte beispielhafte Charakter der Aufzählung noch verstärkt. Gerade die ausdrückliche Benennung der „Vorstände“ in § 6 Abs. 3 AGG, bei denen der Gesetzgeber den Vorstand der Aktiengesellschaft im Blick gehabt haben dürfte,64 lässt sich genau umgekehrt für die These anführen, dass das Gesetz auch eigenverantwortlich und damit „selbständig“ agierende Organmitglieder erfassen will.65 Damit fehlt eine hinreichend tragfähige methodische Basis, um die Norm auf weisungsgebundene bzw. unselbständige Organmitglieder zu begrenzen.
V. Zwischenergebnis Damit ist festzuhalten, dass § 6 Abs. 3 AGG sämtliche Mitglieder von Organen erfasst, die nach Maßgabe des allgemeinen Verbandsrechts für die Willensbildung innerhalb eines Verbandes geschaffen worden sind. Voraussetzung ist jedoch stets, dass diese die Gegenleistung für die Tätigkeit unabhängig von ihrer Stellung als Gesellschafter erhalten. Unter dieser Voraussetzung erfasst § 6 Abs. 3 AGG nicht nur die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs, sondern auch diejenigen solcher Organe, die zur Beratung und Überwachung in das Organisationsgefüge integriert sind, wie dies z.B. bei Mitgliedern des Aufsichtsrates einer AG oder ggf. GmbH der Fall ist. Für eine teleologische Reduktion des § 6 Abs. 3 AGG auf weisungsgebundene Organmitglieder fehlt eine tragfähige methodische Grundlage.
D. Der „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ als Grenze für die entsprechende Anwendung I. Beschränkung des „Zugangs“ auf Anstellungsverträge Die entsprechende Anwendung der §§ 7 bis 17 AGG ordnet § 6 Abs. 3 AGG nicht generell an, sondern beschränkt sich im Gleichklang mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG – neben dem beruflichen Aufstieg – auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit. Gestützt auf diese inhaltliche Eingrenzung der entspre64 Siehe insoweit zu dem in der 15. Legislaturperiode eingebrachten Gesetzesentwurf Bauer/Göpfert/Krieger DB 2005, 595 (597); Thüsing NZA 2004, Sonderbeilage zu Heft 22, S. 3 (3). 65 Thüsing NZA 2004, Sonderbeilage zu Heft 22, S. 3 (3).
Voraussetzungen und Grenzen des Diskriminierungsschutzes für Organmitglieder 373
chenden Anwendung wird im Schrifttum die im Gesellschaftsrecht beheimatete Differenzierung zwischen Anstellungs- bzw. Dienstvertrag auf der einen und körperschaftsrechtlichem Bestellungsakt auf der anderen Seite herangezogen 66 und teilweise die Ansicht geäußert, der Begriff der Erwerbstätigkeit umfasse nach dessen Wortsinn nicht den gesellschaftsrechtlichen Akt der Bestellung.67 Anzuwenden wären die arbeitsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen deshalb ausschließlich im Hinblick auf den schuldrechtlichen Anstellungsvertrag, nicht hingegen auf den körperschaftsrechtlichen Akt der Bestellung. Überzeugend ist diese Differenzierung im Hinblick auf den Zweck des § 6 Abs. 3 AGG sowie die ansonsten anerkannte Verknüpfung von Bestellung und Anstellung 68 jedoch nicht. Wenn der Zugang zu einer Erwerbstätigkeit ausweislich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG generell in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen werden soll, dann muss sich dies im Hinblick auf die Tätigkeit als Organwalter auch auf den körperschaftsrechtlichen Akt der Bestellung beziehen.69 Dieser ist zwar keine zwingende rechtliche, wohl aber eine sachnotwendige Voraussetzung für den Abschluss des Anstellungsvertrages. Ohne vorherige Bestellung wird dieser typischerweise nicht abgeschlossen, so dass eine Ausklammerung der körperschaftsrechtlichen Bestellung die ansonsten befürwortete Erfassung des Dienstvertrages wegen deren präjudizierender Bedeutung faktisch leer laufen lassen würde.70 Die Notwendigkeit, auch die Bestellung zum Organwalter in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG einzubeziehen, zeigt sich besonders anschaulich, wenn es keines von der Bestellung zu unterscheidenden Anstellungsvertrages bedarf, sondern die Bestellung ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet. So entspricht es für die Mitglieder des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft einer im Vordringen befassten Strömung im Schrifttum, dass diese zu der Aktiengesellschaft ausschließlich in ein korporationsrechtliches Rechtsverhältnis treten. Erhalten sie in diesem Rahmen eine Vergütung (§ 113 AktG), so soll diese nicht auf einem parallel abgeschlossenen Anstel66 Angesprochen wird die Unterscheidung auch von Schrader/Schubert in: Däubler/ Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 30, ohne hieraus jedoch rechtliche Konsequenzen zu ziehen. 67 So Bauer/Göpfert/Krieger Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 16, § 6 Rn. 2. 68 Dazu insbesondere BGHZ 89, 48 (52 ff.). 69 Treffend Eßer/Baluch NZG 2007, 321 (328 f.); Krause AG 2007, 392 (394); Lutter BB 2007, 725 (726); Mansel Festschrift für Canaris Bd. I, 2007, S. 809 (815 f.); ebenso – wenn auch ohne Problematisierung und Begründung – Schmidt in: Schiek (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 AGG Rn. 13. Wie hier wohl auch Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 95, der zum „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ nicht nur die Gestaltung des Anstellungsvertrages, sondern auch die Frage rechnet, ob ein Bewerber Vorstand einer Gesellschaft wird. 70 Ebenso Eßer/Baluch NZG 2007, 321 (328); Lutter BB 2007, 725 (726).
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lungsverhältnis, sondern auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruhen, das durch Wahl und Annahme derselben begründet wird.71 Würde auch in diesem Fall bereits der fehlende Abschluss eines Anstellungsvertrages ausreichen, um die Anwendung des § 6 Abs. 3 AGG zu verneinen, so kann dies im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes, den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit vor Diskriminierungen zu schützen, nicht überzeugen.72 II. Erweiterung der entsprechenden Anwendung auf die Fortsetzung der Tätigkeit Darüber hinaus leiten Teile des Schrifttums aus der Beschränkung der entsprechenden Anwendung auf den „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ ab, dass § 6 Abs. 3 AGG weder die Beendigung noch die Entscheidung über die Nichtverlängerung erfasst.73 Demgegenüber ist jedoch auch ein extensives Verständnis im Sinne eines fortgesetzten Zugangs zur Erwerbstätigkeit anzutreffen, das hierdurch den actus contrarius, also die Abberufung bzw. die Kündigung, insbesondere aber auch Altersgrenzen ebenfalls in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG einbezieht.74 Gegen diese Deutung spricht allerdings § 2 Abs. 1 AGG, der ausdrücklich zwischen den „Bedingungen für den Zugang“ (Nr. 1) und den „Entlassungsbedingungen“ (Nr. 2) unterscheidet. Dies legt es aus systematischer Sicht nahe, für den „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ in § 6 Abs. 3 AGG das engere Verständnis in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG zugrunde zu legen.75 Gerade die als persönliche Voraussetzungen für Organmitglieder oftmals exemplarisch genannten Altersgrenzen 76 weisen indes einen ambivalenten Charakter auf; 77 für bereits bestellte Organmitglieder stehen diese einer Fortsetzung der Tätigkeit entgegen, andererseits verhindern diese für Nichtmitglieder den Zugang zu der Organmitgliedschaft. Einem deshalb befürchteten „widersinnigen Hin-und-Her“ 78 sollte jedoch nicht mittels einer Abwägung 71 So z.B. Hopt/Roth Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 113 Rn. 16, mit zahlreichen Nachweisen zum Meinungsstand. 72 Zur Einbeziehung der Aufsichtsratsmitglieder in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG siehe oben C III. 73 So Willemsen/Schweibert NJW 2006, 2583 (2584) sowie im Anschluss Bauer/Göpfert/ Krieger Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 31; Eßer/Baluch NZG 2007, 321 (329); Falke in: Rust/Falke (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 26; Krause AG 2007, 392 (394 f.). 74 Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 96; ders. MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 2 Rn. 7. 75 Wie hier Eßer/Baluch NZG 2007, 321 (329); Krause AG 2007, 392 (394 f.); Lutter BB 2007, 725 (728). 76 Siehe oben A. 77 Siehe auch Lutter BB 2007, 725 (728). 78 So Lutter BB 2007, 725 (728).
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Rechnung getragen werden.79 Liegt in derartigen Sachverhalten eine Umgehung des für den Zugang zur Erwerbstätigkeit geltenden Benachteiligungsverbots nahe, dann strahlt dies im Wege der Analogie auch auf die Beendigung der Organmitgliedschaft aus. Ggf. kommt auch ein Rückgriff auf § 138 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die in § 1 AGG genannten Merkmale als legislative Konkretisierung der guten Sitten verstanden werden.80
E. Anwendung des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots (§ 7 Abs. 1 AGG) Die durch § 6 Abs. 3 AGG angeordnete entsprechende Anwendung erfasst nach dem eindeutigen Wortlaut nicht das gesamte arbeitsrechtliche Normenprogramm des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, sondern beschränkt sich auf diejenigen Vorschriften, die die Bedingungen für den Zugang zur Organtätigkeit sowie den hiermit im Zusammenhang stehenden beruflichen Aufstieg betreffen. Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG ist deshalb insbesondere bei der Übertragung der Organstellung zu beachten, setzt dabei allerdings stets eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung i.S. von § 3 Abs. 1 oder 2 AGG voraus. Während dies im Arbeitsrecht bei offenen Ausschreibungen für freie Arbeitsplätze vergleichsweise leicht zu handhaben ist, gilt dies für den Zugang zur Organwalterstellung nur mit Einschränkungen, da das Bestellungs- bzw. Anstellungsorgan nicht stets eine vergleichbare Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Bewerbern zu treffen hat. Regelmäßig wird die Zugehörigkeit zum Vorstand nicht im Anschluss an eine offene Ausschreibung begründet, so dass ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung aus den in § 1 AGG genannten Gründen bei der Begründung der Organmitgliedschaft allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Soweit bei der Auswahl der zum Organmitglied zu bestellenden Personen wegen § 6 Abs. 3 AGG das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG zu beachten ist und eine zulässige Ungleichbehandlung nach Maßgabe der §§ 8 bis 10 AGG nicht in Betracht kommt, steht nach den bisherigen Ergebnissen allerdings lediglich fest, dass die Abweisung eines Bewerbers aus den in § 1 AGG aufgezählten Gründen rechtswidrig ist. Die Rechtswirksamkeit der unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG vorgenommenen Bestellung bzw. der vereinbarte Anstellungsvertrag bleibt hiervon jedoch unberührt. Indirekt bestätigt dies § 15 Abs. 6 AGG, da der dort zu Lasten des Benachteiligten ange79
Hierfür aber Lutter BB 2007, 725 (728 f.). So Thüsing MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 19 AGG Rn. 95. Exemplarisch ist auf die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB im Hinblick auf Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft hinzuweisen; siehe dazu Bezzenberger AcP Bd. 196 (1996), 355 ff. 80
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ordnete Ausschluss eines Kontrahierungszwanges sowie dessen Verweisung auf Ersatzansprüche nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG nur vor diesem Hintergrund verständlich ist. Nicht die Anstellung eines Bewerbers, sondern die Ablehnung eines anderen Bewerbers aus den in § 1 AGG genannten Gründen verstößt gegen das Benachteiligungsverbot, verbunden mit der Gefahr, dass der benachteiligte Bewerber einen Anspruch auf Schadensersatz bzw. Entschädigung geltend macht (§ 15 Abs. 1 und 2 AGG). Die Anwendung des Benachteiligungsverbots in § 7 Abs. 1 AGG auf Organmitglieder führt allerdings nicht dazu, dass jede Verknüpfung der Organmitgliedschaft mit den in § 1 AGG aufgezählten Merkmalen untersagt ist. Erstens hat der Gesetzgeber Organmitglieder nicht in den Kreis der Beschäftigten (§ 6 Abs. 1 AGG) aufgenommen, sondern für diese lediglich eine „entsprechende“ Anwendung der für die Beschäftigten geltenden Vorschriften festgelegt. Dies eröffnet den methodischen Spielraum, die §§ 7 bis 17 AGG im Hinblick auf die besondere Situation bei Organmitgliedern modifiziert anzuwenden; 81 anderenfalls hätte der Gesetzgeber zur Regelungstechnik der Fiktion („gelten als Beschäftigte“) greifen müssen. Wenngleich bezüglich der Reichweite dieser Öffnung derzeit noch keine Klarheit herrscht,82 ginge es jedoch zu weit, der Autonomie der Gesellschafterversammlung generell den Vorrang gegenüber den Benachteiligungsverboten zuzubilligen.83 Berücksichtigung findet der Vorbehalt zugunsten einer „entsprechenden“ Anwendung vielmehr bei der Anwendung der §§ 8 bis 10 AGG, da diese nicht die spezifischen Besonderheiten bei Selbständigen sowie Organmitgliedern in den Blick genommen haben. Soweit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion zur persönlichen Voraussetzung für die Organmitgliedschaft erhoben wird, gilt es zu beachten, dass der insoweit allein maßgebliche § 9 Abs. 1 AGG die Privilegierung auf Religionsgemeinschaften sowie ihnen zuzuordnende Einrichtungen beschränkt. Größere praktische Bedeutung hat in dem hiesigen Kontext § 10 AGG im Hinblick auf Regelungen, die an das Lebensalter anknüpfen. Unter dem Vorbehalt der Angemessenheit und der Erforderlichkeit (§ 10 Satz 2 AGG) ist dadurch insbesondere der Spielraum eröffnet, für die Organmitgliedschaft ein bestimmtes Mindestalter festzulegen (§ 10 Satz 3 Nr. 2 AGG). Während hierfür die spezifischen Anforderungen an die Tätigkeit im Organ eine differenzierende Betrachtung erfordern, drängt sich bei auf das Lebens81 Dagegen jedoch Schmidt in: Schiek (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 AGG Rn. 17, die sich damit jedoch im Widerspruch zu den allgemein anerkannten Grundsätzen der Methodenlehre befindet (siehe dazu Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 458 f.; Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 261). 82 Siehe dazu näher z.B. Bauer/Göpfert/Krieger Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 6 Rn. 36. 83 Treffend Lutter BB 2007, 725 (727).
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alter bezogenen starren Höchstgrenzen § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG auf, der die Zulässigkeit einer ipso iure eintretenden Beendigung der Organmitgliedschaft ermöglicht, dies aber mit dem Bezug eines Altersruhegeldes im Anschluss an die Organmitgliedschaft verknüpft.84
F. Auswirkungen des Benachteiligungsverbots in § 7 Abs. 1 AGG auf die statutarische Fixierung persönlicher Bestellungsvoraussetzungen Angesichts der eingangs aufgeworfenen Fragestellungen bleibt abschließend zu klären, ob das für Organmitglieder über § 6 Abs. 3 AGG entsprechend geltende Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG auch auf etwaige persönliche Bestellungsvoraussetzungen in der Satzung ausstrahlt bzw. zur Unwirksamkeit entsprechender Satzungsbestimmungen führt, wenn diese an die in § 1 AGG aufgezählten Merkmale, namentlich das Lebensalter, anknüpfen.85 Hierfür ließe sich immerhin anführen, dass § 7 Abs. 1 AGG eine ungleiche Behandlung bei der Bestellung zum Organmitglied aus den in § 1 AGG aufgezählten Gründen untersagt und § 7 Abs. 2 AGG ausdrücklich die Unwirksamkeit von Bestimmungen in Vereinbarungen anordnet, die im Widerspruch zu dem Benachteiligungsverbot stehen. Andererseits führt allein die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in der Satzung noch nicht dazu, dass § 7 Abs. 1 AGG im Sinne eines Verbotsgesetzes verletzt ist. Dies ist vielmehr erst der Fall, wenn es im Zusammenhang mit einer konkreten Entscheidung über den Zugang zur Organtätigkeit zu einer Ungleichbehandlung kommt, was wiederum voraussetzt, dass für die Organtätigkeit mehrere Personen in Betracht kommen sowie wenigstens eine von ihnen aus den in § 1 AGG genannten Gründen abgelehnt und damit benachteiligt wird. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 AGG aktualisieren sich deshalb erst in der konkreten Entscheidungssituation und hängen von den dann jeweils maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen ab, so dass sich auch die Rechtsfolgen eines Verstoßes an sich auf das konkrete Entscheidungsverhalten beschränken müssen. Mit anderen Worten: Ohne Nachteil kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot und damit auch keine Unwirksamkeit. Für eine Ausstrahlung von § 7 Abs. 1 AGG in Verbindung mit § 1 AGG auf zuwiderlaufende Satzungsbestimmungen lässt sich jedoch anführen, dass bereits die Satzung das für die Bestellung bzw. Anstellung zuständige Organ zu einem Verhalten verpflichtet, das mit den Vorgaben des § 7 Abs. 1 AGG
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Siehe insoweit auch Lutter BB 2007, 725 (727). So im Ergebnis – wenn auch ohne Problemvertiefung – Seibt in: K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), Aktiengesetz, 2008, § 76 Rn. 25. 85
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unvereinbar ist. Bliebe die ggf. zur Diskriminierung verpflichtende Satzungsregelung wirksam, so geriete das Bestellungs- bzw. Anstellungsorgan im Entscheidungsfall unter Umständen in eine unauflösliche Kollisionslage: Befolgt es die Vorgaben der Satzung, so verstößt es gegen § 7 Abs. 1 AGG; beachtet es hingegen die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, so ist es zu einem satzungswidrigen Verhalten gezwungen. Deshalb sprechen gute Gründe dafür, dass der Verbotsbefehl des § 7 Abs. 1 AGG auch auf solche Rechtsgeschäfte ausstrahlt, die den jeweiligen Normadressaten in der konkreten Situation zu einem verbotswidrigen Verhalten verpflichten.86 Als Alternative käme allenfalls eine situative Unwirksamkeit der Satzungsbestimmung in Betracht; mit dem Gebot der Rechtssicherheit ist eine derartige Rechtsfolge jedoch nur schwer in Einklang zu bringen.
G. Zusammenfassung 1. Organmitglieder sind in den Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbotes in § 7 Abs. 1 AGG einbezogen, wenn diese für ihre Tätigkeit ein Entgelt erhalten. In diesem Fall darf ein „Bewerber“ nicht aus den in § 1 AGG genannten Gründen abgewiesen werden und auch die Satzung darf die Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht mit Voraussetzungen verknüpfen, wegen denen § 7 Abs. 1 AGG eine unterschiedliche Behandlung untersagt. Gehen Geldleistungen im Hinblick auf die Tätigkeit in dem Organ nicht über einen gegebenenfalls pauschalierten Ersatz von Aufwendungen hinaus, so sind die Mitglieder des Organs nicht von § 6 Abs. 3 AGG erfasst. 2. Durch § 6 Abs. 3 AGG werden sämtliche Mitglieder von Organen erfasst, die nach Maßgabe des allgemeinen Verbandsrechts für die Willensbildung innerhalb eines Verbandes geschaffen worden sind. Voraussetzung ist jedoch stets, dass diese die Gegenleistung für die Tätigkeit unabhängig von ihrer Stellung als Gesellschafter erhält. Unter dieser Voraussetzung erfasst § 6 Abs. 3 AGG nicht nur die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs, sondern auch diejenigen solcher Organe, die zur Beratung und Überwachung in das Organisationsgefüge integriert sind, wie z.B. Mitglieder des Aufsichtsrates einer AG oder ggf. GmbH. Für eine teleologische Reduktion des § 6 Abs. 3 AGG auf weisungsgebundene Organmitglieder fehlt eine tragfähige methodische Grundlage. 3. Im Hinblick auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit gilt das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG auch für den körperschaftsrechtlichen Akt 86 Im Ergebnis ebenso Lutter BB 2007, 725 (727). In diesem Sinne bezieht auch Schmidt in: Schiek (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 7 AGG Rn. 3, kollektivvertragliche Bestimmungen in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 2 AGG ein.
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der Bestellung, nicht aber für die Beendigung der Organmitgliedschaft, ohne jedoch auszuschließen, hierauf die Grundsätze der Gesetzesumgehung sowie des § 138 Abs. 1 BGB anzuwenden. 4. Das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG begrenzt wegen seines Zwecks auch die Satzungsautonomie und steht persönlichen Voraussetzungen für die Bestellung zum Organmitglied in der Satzung entgegen.
Unsachliches über Sachliches – oder anders herum ? Harro Plander
Lieber Hansjörg! Kennen gelernt haben wir uns während unseres Jurastudiums an der Universität Hamburg zu Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Du warst mir während einer zivilrechtlichen Übung für Fortgeschrittene aufgefallen, in der Du Dich selbstbewusster und also häufiger als andere zu Wort meldetest und auffällig oft Kluges zu sagen hattest – bisweilen nicht ohne eine gewisse liebenswerte, die Dinge noch beim Aussprechen abwägende Umständlichkeit. Soviel Talent machte mich neugierig, und ich suchte Deine Bekanntschaft. Wir entschlossen uns bald, uns unter Verzicht auf den Besuch von Repetitoren gemeinsam auf unsere Staatsexamina vorzubereiten, und fanden schnell zu einer, wie sich zeigen sollte, fruchtbaren Mischung aus ernster Arbeit und gelassener Heiterkeit. Dazu trug wesentlich bei, dass wir so manchen sonnigen Nachmittag in einem Gartenrestaurant im HamburgRissener Forst Klövensteen verbrachten, ausgestattet mit dem Schönfelder oder Sartorius, mit dem Staudinger, der damals auf Deine Kommentierungen noch wartete, sowie mit weiterer juristischer Kiloware. Hier besprachen wir juristische Probleme und Fälle und labten uns begleitend mit an Aurich erinnerndem ostfriesischem Tee oder an hanseatischem Kaffee sowie meterhohen Tortenstücken; bezahlt haben wir diese Dopingmittel mit den eingesparten Honoraren des Repetitors. So entwickelte sich unsere Freundschaft auf kulinarischer, ökonomischer und juristischer Grundlage, und sie dauert seither über viele Jahre fort – auch nachdem sich unsere beruflichen Wege wegen Deines unverzeihlichen Weggangs nach Göttingen räumlich getrennt hatten. Dass Du spätestens mit Erreichen des 70. Lebensjahrs summa summarum festschriftreif geforscht und gelehrt haben würdest, habe ich schon früh für sicher gehalten, weniger hingegen, dass ich in die Lage geraten könnte, zu Deiner Festschrift meinerseits etwas beizutragen. Dies macht mich durchaus verlegen; denn wie ehre ich auf wenigen Seiten einen Hochschullehrer, der mir weit mehr ist als ein geschätzter Kollege? Schließlich fand ich eine – mir vertretbar erscheinende – Lösung: Ich begab mich jetzt noch einmal in das – dank unserer damaligen Investitionen immer noch bestehende – Gartenrestaurant im Klövensteen, bestellte erst ein Kännchen hanseatischen Kaffee, dann einen Bottich ostfriesischen Tee sowie je ein meterhohes Stück Torte und wartete auf eine erneut Ernst und Heiterkeit verbindende Eingebung
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durch den genius loci. Kaum dass ich den ersten Meter Torte abgetragen hatte, wurde mir eine solche in der Tat zuteil: „Erstelle eine gaudatio zugunsten Deines Freundes, und zwar, mit wenigen Fußnoten angereichert, in Briefform“, flüsterte mir der genius ins Ohr. „Umkreise dabei von ihm gern benutzte Ausdrücke; ich helfe Dir. Wie wär’s mit Worten wie „Sache“, „sachlich“ und „sachlicher Grund“? Die Grundidee überzeugte mich sofort – ebenso wie die elektrisierenden Wortbeispiele, und ich begann gleich, mir Notizen zu machen – zu einem Thema con variationi, wie sich bei der Reinschrift ergeben sollte.
I. Mit dem vom genius loci angesprochenen Mutterbegriff „Sache“ hatte man uns gleich am Anfang unseres Jurastudiums konfrontiert, nachdem uns unsere Deutschlehrer kurz zuvor noch für die überwältigende Schönheit von Gedichten wie „Lieblich war die Maiennacht …“ und „Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst …“ sensibilisiert hatten. Dazu war der § 90 BGB – „Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände“ – ein klarer Kontrast. Er legte dem Studienanfänger auch die Frage nahe, ob er sich wirklich einem Beruf widmen wolle, der sich mit derart banalen Gesetzesbestimmungen zu befassen haben werde. Du, lieber Hansjörg, wirst allerdings, wie ich Dich kenne, der Versuchung zu vorzeitiger Berufsabkehr dadurch entgegengewirkt haben, dass Du die Frage stelltest, ob sich hinter dem Wortlaut nicht vielleicht doch ein Sinn verberge, ein Sinn, der einem weniger neugierigen Studienanfänger wie mir verborgen geblieben war. Du wirst Dich also in die Motive und Protokolle zum BGB vertieft haben – und siehe da, Du wurdest fündig! Das PrALR, das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, hatte Bestimmungen enthalten,1 nach welchen unter „Sachen“ i.S. des Gesetzes alles zu verstehen war, „was der Gegenstand eines Rechtes oder einer Verbindlichkeit sein kann“, auch etwa, wie das Gesetz eigens hervorhob, die Handlungen eines Menschen. Neben diesen Sachen im weiten Sinne kannte das PrALR auch Sachen im engeren Sinne. Es verstand darunter „nur dasjenige …, was entweder von Natur oder durch die Übereinkunft der Menschen eine Selbständigkeit hat, vermöge deren es der Gegenstand eines dauernden Rechtes sein kann.“ Die dem BGB zugedachte „Wortdefinition“ des Begriffs „Sache“ sollte vor diesem Hintergrund der Klarstellung dienen; sie habe „den Nutzen, dass sie einer doppelsinnigen Auslegung des Wortes ,Sache‘ vorbeugt, ohne dass es nöthig wäre, jedes Mal das Eigenschaftswort ,körperlich‘ hinzufügen“. Damit hatte sich erwiesen,
1
Vgl. PrALR I 2 §§ 1–3.
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dass § 90 BGB sehr wohl eine gewisse Plausibilität für sich in Anspruch nehmen kann – mit der einschränkenden Maßgabe allerdings, dass die Norm nur denjenigen Lesern eine Sicherheit des Verständnisses verschafft, die die entsprechenden Regelungen des PrALR kennen und damit überhaupt einen Anlass für den entsprechenden Zweifel sehen können. Die Zahl dieser Leser war um 1900 herum sicher groß, dürfte heute trotz aller Ausbildungsreformen aber eher überschaubar sein. Dir, lieber Freund, mag § 90 BGB allerdings einen beträchtlichen Zusatznutzen gebracht haben, gab die Bestimmung Dir doch frühzeitig Anlass für erste – prägende – Forschungsbemühungen. Dein Interesse daran, etwas auszubaldowern, war jetzt ein für alle Mal geweckt, was im Hebräischen soviel bedeutet wie „Herr der Sache (!) sein“, weil man sich sachkundig (!) gemacht hat. (Wir bleiben aber besser beim Wort „Forschung“; denn „Baldowern“ ist der Gaunersprache entlehnt). Hochschullehrer, welche die Norm des § 90 BGB heutzutage Ihren Studierenden vorstellen, fügen regelmäßíg hinzu, sie enthalte eine Legaldefinition. Dies bedürfte wohl der Ergänzung dahin, dass die Vorschrift gerade denjenigen Ausdruck nicht definiert, auf welchen sie für den Sachbegriff abstellt und welcher uns bei der Rechtsanwendung am meisten interessiert: „Körperliche Gegenstände.“ Die Legaldefinition bleibt also bei Lichte besehen eher unbestimmt, und so müssen wir uns der Kommentare oder unseres eigenen Auslegungsvermögens bedienen, wenn etwa zu entscheiden ist, ob nur eine Sachbeschädigung oder aber eine nach § 253 Abs. 2 BGB schmerzensgeldträchtige Körperverletzung begeht, wer einem anderen die dritten Zähne einschlägt oder wer als enttäuschter Fan dem unter Haarausfall leidenden Filmstar die kunstvoll verklebte Perücke vom Kopf reißt und sie dann anzündet. – Lebewesen können sehr wohl „körperliche Gegenstände“ sein; denn nur so erklärt sich die später hinzugefügte einschränkende Aussage des § 90a Satz 1 BGB: „Tiere sind keine Sachen.“ Im Palandt lesen wir dazu zwar in ungewohnt blumigem Ton, es handle sich – so wörtlich – um „eine gefühlige Deklamation ohne wirkl rechtl Inh.“ 2 Immerhin dürfen wir aus der Vorschrift folgern, dass Pflanzen sehr wohl „Sachen“ (oder doch Teile von Sachen) sind, mag Albert Schweitzer auch gelehrt haben, außer dem menschlichen und tierischen sei auch dem pflanzlichen Leben in Ehrfurcht zu begegnen.
2
Palandt-Heinrichs BGB, 66. Aufl., 2007, § 90a Rn. 1 (Abkürzungen selbstverständlich bereits im Original).
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II. Lieber Hansjörg, da Du Dich in und seit Deiner Dissertation auch dem Prozessrecht intensiv gewidmet hast, will ich nur daran erinnern, dass wir uns bezüglich gerichtlicher Verfahren abweichender Sachbegriffe befleißigen, von denen sicher ist, dass sie nicht auf körperliche Gegenstände abstellen. Vor allem verwenden wir den Ausdruck „Sache“ als Synomym für „Angelegenheit“. In diesem Sinne unterscheiden wir z.B. Zivil- von Strafsachen; zu den Zivilsachen gehören etwa Ehesachen, Vormundschaftssachen und Mietsachen.3 Es wird die Strafsache Paradin oder die Familiensache Müller gegen Müller verhandelt. Es ergeht ein Aufruf der Sache. Angeklagte bzw. die Parteien eines Zivilprozesses äußern sich zur Sache, und dann ergeht ggf. ein Sachurteil. Der Ausdruck „Sache“ ist in diesen und ähnlichen Zusammenhängen Bestandteil einer Art sprachlicher Verdinglichung von Menschen, die es mit der Justiz zu tun haben, ebenso wie wir die Herren Schrottorf und von Mottweil als Verfahrensbeteiligte alsbald mit Bezeichnungen wie Kläger, Beklagter, Angeklagter und Nebenkläger belegen – und sie sodann entsprechend anreden. So hilft uns unsere Sprache zum einen, einen womöglich emotionsgeladenen Lebenskonflikt in einen nüchternen Rechtsfall zu überführen, und zum anderen, dem Grundsatz Tribut zu zollen, dass vor Gericht alle gleich sind. Letzteres zwingt dazu, zunächst einmal die Bezeichnungen der Beteiligten egalitär zuzurichten – nichts für ungut!
III. „Du versteigst Dich“, raunte mir der genius loci des Gartenlokals an dieser Stelle zu. „Halt’ endlich auf mit der Definiererei. Iss noch ein Stück Torte, und mach Dich dann über das vorhin erwähnte Adjektiv her. Was bedeutet der Ausdruck „sachlich“ Deiner Ansicht nach? Meinst Du, dass Du ihm bisher gerecht geworden bist?“ Mit dem ersten Bissen zusätzlicher Torte noch im Mund begann ich mit der entsprechenden Subsumtion. „Körperliche Gegenstände betreffend“ schien mir dem Wortsinn ebenso wenig gerecht zu werden wie „eine Angelegenheit betreffend“. Das Adjektiv musste sich gegenüber diesen beiden Inhalten des Substantivs „Sache“ verselbständigt haben – aber wie? Was bedeutete es, so fragte ich mich, wenn ich meinen bisherigen Überlegungen, der Überschrift dieses Beitrags zuwider, probehalber einmal das Prädikat zuerkannte, sie seien durchgängig sachlich? Offenbar doch: Ich hätte meine Gedanken ohne emotionale oder beleidigende Beize
3 Vgl. etwa das gerade erschienene Buch von Axel Wetekamp Mietsachen – Handbuch zur Wohnungsmiete, 2007.
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zum Ausdruck gebracht, ich sei nicht offen oder unter der Hand auf andere Themen ausgewichen und ich hätte – dies vor allem – dem Gegenstand meines Themas angemessene, plausible und also einleuchtende Erwägungen gewidmet. Kurz: Ich hätte mich geäußert, wie es zwar in televisionären Talkund Gerichtsshows nicht vorkommt, wie es der juristisch gebildete Ehemann aber zweifellos erreichen wird, der seiner ebenfalls juristisch geschulten Gattin auf dem Höhepunkt eines ehelichen Streits zuruft: „Bleib sachlich, Erna!“ Ob die nachfolgenden Äußerungen Ernas dann in der Tat angemessen, plausibel und also einleuchtend wären, hinge freilich von einer Bewertung ihrer Äußerungen ab – so wie auch die Annahme, meine hier vorgetragenen eigenen Äußerungen seien sachlich, Ergebnis einer Wertung wäre. Als „sachlich“ können Äußerungen dabei nicht schon dann gelten, wenn deren Verfasser sie dafür hält, und auch das Urteil des streitenden Ehemanns, der sich die Entscheidung vorbehält, Frau Ernas nachfolgende Äußerungen als wiederum unsachlich abzuqualifizieren, wird man nicht für ausreichend erachten dürfen. Geht es um Bewertungen, so muss man nämlich, wie wir bereits bald nach unseren Studiensemestern im Klövensteen lernen durften 4, bedenken, dass in diese die Wertmaßstäbe einschließlich der Vorurteile der Wertenden einfließen und dass dabei selbst deren psychische Dispositionen wie z.B. die Befangenheit eines Autors gegenüber seinem eigenem Text und die Voreingenommenheit eines Ehemannes gegenüber Äußerungen seiner mit ihm streitenden Gattin wirksam werden können. Um als sachlich gelten zu können, muss eine Äußerung offenbar auf das breitere Fundament eines entsprechenden Urteils „aller sachlich und gerecht Denkenden“ gestellt werden können – und wie diese werten bzw. zu werten haben, entscheiden in Rechtsfällen bekanntlich die (dafür) in letzter Instanz zuständigen Gerichte. Eine absolute Richtigkeitsgewähr bietet freilich weder eine Mehrheitsentscheidung sachlich Denkender noch das Urteil von sich darauf verbal stützenden letztinstanzlichen Gerichten. Den Untertan Diederich Heßling hat Heinrich Mann sagen lassen: „Sachlich sein heißt deutsch sein“. Der Satz entsprach den Wertmaßstäben dieses Spießers ebenso wie seiner psychischen Disposition. Unsere nachfolgende Geschichte sollte auf schaurige Weise lehren, dass die Romanfigur weder mit dieser Wertung noch mit der entsprechenden psychischen Disposition alleine stand.
IV. Ich weiß, lieber Hansjörg, diese Erinnerung taugt nicht recht als Beitrag zu Deinem durch diese Festgabe zu würdigenden Jubiläum. Es ist jedenfalls an der Zeit, wieder in ein erfreulicheres Fahrwasser hinüber zu wechseln. Von 4
Esser Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 2. Aufl., 1972.
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den allgemeinen Überlegungen zum Thema Sachlichkeit lässt sich denn auch unschwer ein Bogen schlagen zum juristischen Erfordernis des sachlichen Grundes, dem Du Dich, lieber Freund, in so manchen Beiträgen 5 gewidmet hast, mögen diese sich mit den Anforderungen an die Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Befristungsabreden oder mit der Vereinbarkeit von Maßnahmen des Arbeitgebers mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz befasst haben. „Sachlich“ muss der Grund in beiden Fällen sein. Das heißt zum einen, dass es überhaupt einen Grund für die Befristungsabrede bzw. die Differenzierung gegeben haben muss; „Grund“ dürfte dabei hier nicht mit „Beweggrund“ gleichzusetzen sein, sondern soviel bedeuten wie „inhaltliche Begründung“, „Grundlage“. Auf einem sachlichen Grund beruht eine Befristungsabrede oder eine Differenzierung zum anderen dann, wenn es angemessen, plausibel und also einleuchtend erscheint, sie auf diese inhaltliche Begründung bzw. Grundlage zu stützen. Dies ist erneut eine Frage der Bewertung, und dafür kommt es auch hier auf das wertende Urteil derer, die es angeht, also letztlich der zuständigen Gerichte, an. Für die Bewertung der Sachlichkeit von Befristungsabreden, auf die ich mich im Folgenden beschränken will, erweckt das BAG immer wieder den Eindruck, es wolle stattdessen auf die Bewertung der beteiligten Vertragspartner bzw. – nur – des beteiligten Arbeitgebers rekurrieren: Sachlich sei eine Befristungsabrede, wenn verständige und verantwortungsbewusste Parteien bzw. Arbeitgeber sie zu vereinbaren pflegten 6. Diese „Patriarchenformel“ hat das BAG aber nie so ernst genommen, dass es im Falle einer von ihm rechtlich nicht anerkannten Befristungsabrede ausgeführt hätte, diese habe nur ein unverständiger und verantwortungsloser Arbeitgeber vereinbaren können.
V. So sehr sich das BAG in dieser Hinsicht sprachlich und sachlich – sachlich! – zurückgehalten hat, so sehr hat es in einer anderen Hinsicht Klartext gesprochen: Befristungsabreden beruhten nicht auf einem sachlichen Grund, wenn Arbeitgeber sie vereinbarten, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Zukunft ungewiss ist, insbesondere dass unsicher ist, ob ein zur Zeit bestehender Arbeitsbedarf über den vereinbarten Beendigungszeitpunkt hin-
5
Ich verweise auf das dieser Festschrift beigefügte eindrucksvolle Schriftenverzeichnis. Auf die Bewertung beider Partner stellt das BAG seit der bekannten Ausgangsentscheidung des Großen Senats AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag ab; vgl. etwa die Entscheidungen AP Nr. 60, 61 und 136 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. In anderen Entscheidungen spricht das Gericht – manchmal daneben, manchmal stattdessen – vom „verständig denkenden Arbeitgeber“. So etwa BAG AP Nr. 17, 50, 52 und 59 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag sowie BAG AP Nr. 1 zu § 620 BGB Saisonarbeit. 6
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aus auch künftig bestehen oder ob es dann weiterhin Haushaltsmittel zur Bezahlung der Beschäftigten geben werde. Diese Risiken müsse der Arbeitgeber tragen; er dürfe sie nicht mit Hilfe von Befristungsklauseln auf die Arbeitnehmer abwälzen.7 Dem ist bezüglich des Ergebnisses zwar nicht zu widersprechen. Arbeitgebern dürfte die Aussage aber schrill in den Ohren klingen, dass es nach Ansicht von Juristen keinen sachlichen Grund hergebe, wenn sie sich auf die bezeichnete Weise beizeiten auf Imponderabilien der Zukunft einzustellen suchten. Erlaubt man ihnen nicht sonst durchaus, vorsorgliche Maßnahmen zur Zukunftssicherung zu treffen – z.B. Rücklagen zu bilden, Kreditsicherheiten zu vereinbaren, Versicherungsverträge zu schließen, gewisse Haftungsausschlüsse zu vereinbaren, Wachpersonal einzusetzen etc.? Macht die Rechtsordnung ihnen manche dieser Maßnahmen nicht sogar zur Pflicht? In der Tat: Hier ist nun wirklich ein verständig (mit-)denkender Arbeitgeber gefragt. Ein solcher muss nämlich nicht nur verstehen wollen, dass die Rechtsordnung die Wirksamkeit von Befristungsklauseln inhaltlich und sprachlich vom Erfordernis eines sachlichen Grundes abhängig macht, sondern muss auch bereit sein nachzuvollziehen, dass dieser verbale Ausgangspunkt bisweilen zu unerwünschten sprachlichen Folgerungen zwingt, z.B. zu der Aussage, dass allen nicht anzuerkennenden Gründen die Sachlichkeit abgesprochen werden muss – nichts für ungut!
VI. Sprachliche Konsequenzen zeitigt die Wahl jener Wirksamkeitsvoraussetzung noch in anderer Hinsicht. So lässt sich das Adjektiv „sachlich“ nicht steigern – vom sachlichen Grund führt bekanntlich keine sprachliche Schneise über den (noch) sachlicheren hin zum sachlichsten Grund; auch vom „besonders sachlichen Grund“ kann nicht die Rede sein. Soweit es angezeigt scheint, für gewisse Fallgestaltungen von Rechts wegen erhöhte Anforderungen zu stellen, muss man folglich sprachlich andere Wege beschreiten. Man kann z.B., sprachlich geradezu raffiniert, postulieren, in diesem oder jenem Fall – etwa bei Kettenbefristungen – seien an den sachlichen Grund „besondere“ bzw. „erhöhte Anforderungen“ zu stellen,8 oder man kann das Erfordernis einer „zwingenden Voraussetzung“ oder eines „unverzichtbaren“ Merkmals 9 statuieren. In sprachliche Untiefen kann das Merkmal „sachlich“ auch führen, weil es geradezu davon lebt, dass es sich von seinem Gegenteil abhebt – und dafür 7 Vgl. BAG AP Nr. 145, 146, 162, 182, 221 und 227 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 8 Vgl. BAG AP Nr. 44, 141, 149, 178 und 204 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 9 Vgl. etwa die – inzwischen aufgehobene – Bestimmung des § 611a Abs. 1 (Satz 2) BGB.
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kennt unsere Sprache bekanntlich den oben bereits einmal erwähnten Ausdruck „unsachlich“. Es macht freilich keinen Sinn und widerspricht zudem unserem Sprachgefühl, in einschlägigen Fällen davon zu sprechen, dass diese oder jene Befristungsabrede auf einem „unsachlichen Grund“ beruhe – in einem solchen Fall „beruht“ sie überhaupt nicht! Gerichte und Rechtswissenschaft weichen stattdessen auf die altbackenen Formulierungen aus, es „fehle“ „am“ sachlichen Grund bzw. es „ermangele“ eines solchen. Will der Gesetzgeber das Befristungsrecht aus Arbeitsmarkt- oder anderen Gründen liberalisieren und auf dieses Erfordernis für gewisse Fälle allgemein verzichten, so erklärt er, wie in § 14 Abs. 2 TzBfG geschehen, Befristungen „ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes“ für zulässig. Jedenfalls dies ist freilich eine sprachliche Verharmlosung; denn es lässt sich schwerlich leugnen, dass der Gesetzgeber mit einer solchen Regelung auch sachlich nicht gerechtfertigten – unsachlich begründeten – Befristungsklauseln seinen Segen erteilt. Das wirft ein schlechtes Licht – entweder auf den Gesetzgeber oder aber auf den (von ihm nicht in Frage gestellten, sondern sogar noch bekräftigten) sprachlichen Ausgangspunkt „sachlicher Grund“. Das viel gescholtene AGG verzichtet übrigens auf diesen Ausdruck, soweit es Benachteiligungen, die es grundsätzlich verbietet, ausnahmsweise für zulässig erklärt; es statuiert dafür präzisere und zudem auch in sprachlicher Hinsicht überzeugendere Voraussetzungen.10
VII. Wie dem auch sei: Unsere Kommentare pflegen ihre Erläuterungen zum Befristungsrecht inzwischen an dem Dualismus zwischen Befristungsklauseln mit und ohne sachlichem Grund zu orientieren – dass es beide „Arten“ gibt, geht spätestens damit in die Normalität arbeitsrechtlichen Denkens und Argumentierens ein. Die neue Redensart wird uns damit ähnlich geläufig, wie ich meinen friesischen Tee und den hanseatischen Kaffee im Klövensteen jeweils „mit“ oder „ohne“ Zucker habe ordern können – die Zeiten, lieber Hansjörg, haben sich in dieser Hinsicht nicht geändert. Den Zucker kann man jetzt allerdings an Pferde weiterreichen, die das Gartenlokal inzwischen für Ausritte von Kindern bereithält. Diese Kinder erzeugen zwar einen meine sachbezogenen Gedanken unsachlich störenden Lärm, sie gleichen dies aber immerhin dadurch aus, dass sie sich im Übrigen normgerecht und stilvoll verhalten. So versagen sie es sich erkennbar, bei den sie behäbig durch den Forst tragenden Pferden den Eindruck zu erwecken,
10
Vgl. §§ 8 bis 10 AGG.
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sie hielten diese nur für körperliche Gegenstände. Im Lichte des § 90a BGB betrachtet ist unsere Jugend offenbar doch nicht so schlecht, wie manch Älterer annimmt …
VIII. Den zweigliedrigen Ausdruck „sachlicher Grund“ hat man unter Verzicht auf die Silbe „-lich“ inzwischen bekanntlich zum eingliedrigen Wort „Sachgrund“ zusammengefasst. Das ist durchaus schöpferisch und sollte Schule machen. Beispiele dafür wachsen im Klövensteen auf jedem Baum: Aus „kindlichem Lärm“ werde „Kindlärm“, aus „herrlichem Sommerwetter“ „Herrsommerwetter“, aus dem wörtlichen Zitat das „Wörtzitat“ – und aus „Herzliche Grüße“: „Herzgrüße“! Eben solche entrichtet Dir hiermit, lieber Hansjörg, aus dem besonderen Sachgrund Deines 70. Geburtstags Dein Freund Harro.
Risiken im Wissenschaftszeitvertragsrecht im Kontext der Föderalismusreform Ulrich Preis und Daniel Ulber
I. Einleitung Der Jubilar hat das Recht befristeter Arbeitsverträge in den Hochschulen seit der Schöpfung spezifischer Befristungstatbestände im HRG begleitet.1 Dabei haben ihn auch die grundsätzlichen Fragen nach dem verfassungsrechtlichen Rahmen des Bestandsschutzes, die auch für das Hochschulbefristungsrecht erhebliche Bedeutung haben, stets beschäftigt.2 Das gibt Veranlassung, in dem vorliegenden Beitrag die Neuregelung dieses Bereichs im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) aufzugreifen. Dieses neuerliche Produkt hat mehrere Anlässe: Erstens: die – auch vom Jubilar geäußerte 3 – Kritik der Wissenschaft an den eingeschränkten Möglichkeiten zur Drittmittelbefristung, zweitens: die nicht enden wollenden Klagen der Hochschulverwaltungen über ein vermeintlich zu rigides Befristungsrecht und drittens: die notwendigen Verschiebungen in der Definitionskompetenz der Personalstatute. Nachdem das HRG im Jahr 2002 den Systemwechsel vom unpraktikablen sachgrundorientierten Befristungsmodell hin zu einem durch zeitliche Obergrenzen bestimmten Befristungskonzept vollzogen hatte 4, mehrten sich Forderungen, auch noch die Drittmittelbefristung rechtssicherer zu gestalten. Die Hochschulverwaltungen vermissten einen gesetzlich kodifizierten Drittmitteltatbestand und griffen aus Furcht vor Entfristungsklagen nur zurückhaltend auf die nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG mögliche und durch die Rechtsprechung präzisierte Befristungsmöglichkeit bei Drittmittelprojekten zurück. Der Gesetzgeber, der sich ohnehin durch die Föderalismusreform gezwungen sah, die Regelungen über das Hochschulbefristungsrecht aus dem HRG (bevor dieses Gesetz vollständig aufgehoben wird) herauszulösen, griff die 1
Otto NJW 1985, 1807; ders. Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 25 HRG. Otto in: FS Wiese 1998, 353 ff.; ders. JZ 1998, 852 ff. 3 Otto Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 25 HRG. 4 Preis/Hausch NJW 2002, 927 (930); Dieterich/Preis Befristete Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung, Konzept einer Neuregelung im HRG, 2001, S. 52 f. 2
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Bedenken auf. Im neu geschaffenen WissZeitVG 5 ist nunmehr in § 2 Abs. 2 ein Drittmitteltatbestand verankert. Dieser gilt auch für das nichtwissenschaftliche Personal (§ 2 Abs. 2 S. 2 WissZeitVG). Bei dieser Gelegenheit hat der Gesetzgeber im laufenden Gesetzgebungsverfahren freilich einige folgenreiche Modifikationen der bisherigen Gesetzeskonzeption beschlossen.6 So wurde zum einen die bisherige Beschränkung des personellen Anwendungsbereichs auf konkrete Personalkategorien aufgegeben. Nunmehr sind befristete Verträge mit dem wissenschaftlichen und künstlerischen Personal mit Ausnahme der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer möglich (§ 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG). Zum anderen wurde der bisherige Sonderbefristungstatbestand für studentische Hilfskräfte aufgehoben, was zu der Problematik führt, ob auch studentische Hilfskräfte „wissenschaftliches“ Personal sind und diese Beschäftigung auf die Befristungshöchstgrenzen des § 2 Abs. 1 WissZeitVG angerechnet werden (was kontraproduktiv wäre). In diesem Beitrag soll nur die erstgenannte Modifikation des personellen Anwendungsbereichs untersucht werden, die mehr Probleme schafft als löst. Insbesondere ziehen einige falsche Propheten durchs Land, die im Kontext des § 1 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG ein entfesseltes Hochschulbefristungsrecht propagieren. Davor soll an dieser Stelle gewarnt werden.
II. Personeller Anwendungsbereich des WissZeitVG Die Ausweitung des personellen Anwendungsbereichs des Gesetzes ist weitreichend. Waren noch nach §§ 57a HRG a.F. die Befristungsregeln auf bestimmte Mitarbeitertypen (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Wissenschaftliche Hilfskraft, Studentische Hilfskraft) begrenzt, so kann nunmehr das gesamte wissenschaftliche Personal mit Ausnahme der Hochschullehrer nach dem WissZeitVG befristet beschäftigt werden. Offen bleibt, was unter „wissenschaftlichem Personal“ zu verstehen ist. Die Gesetzesbegründung ist insoweit unergiebig, weil der ursprüngliche Gesetzentwurf noch an den alten Personalkategorien festhielt.7 Jedoch findet sich in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung folgender Hinweis: „Mit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform ist die Gesetzgebungsbefugnis zur Gestaltung der Personalstruktur der Hochschulen vollständig auf die Länder übergegangen. In diesem Bereich können die Länder uneingeschränkt von dem fort geltenden Hochschulrahmengesetz (HRG) des Bundes abweichen. Das „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ soll daher unter 5
BGBl. I 2007, 506 ff. Kritisch auch Schmidt in: Ascheid/Preis/Schmidt, Großkommentar zum Kündigungsrecht, 3. Aufl. 2007, § 1 WissZeitVG Rn. 3. 7 BT-Drs. 16/3438. 6
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Vermeidung von Begrifflichkeiten formuliert werden, die zwar der derzeit vorhandenen Personalstruktur der Hochschulen Rechnung tragen, jedoch einer zukünftigen Fortentwicklung in den Ländern entgegenstehen könnten. Dieser Vorgabe dienen daher zum einen die Ersetzung der Begriffe „wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ sowie „wissenschaftliche und künstlerische Hilfskräfte“ durch den Begriff „wissenschaftliches und künstlerisches Personal“ sowie zum anderen der Verzicht auf den Begriff „studentische Hilfskraft.“ 8 Der Gesetzgeber wollte mithin bereits bestehende Inkongruenzen zwischen der Terminologie des Hochschulbefristungsrechts und der Landeshochschulgesetze beseitigen. Diese Inkongruenzen – eine der zweifelhaften Segnungen der föderalen Struktur im Bildungswesen – waren bereits unter dem Regime des HRG aufgetreten. Waldeyer entdeckte folgendes absurdes Beispiel 9: Der Freistaat Bayern hatte in Art. 25 BayHSchLG, wie sich im Umkehrschluss aus Art. 37 BayHSchLG ergab, die wissenschaftlichen Hilfskräfte im Sinne des Landesrechts als hauptberuflich tätiges Personal qualifiziert. Damit waren die wissenschaftlichen Hilfskräfte in Bayern im Sinne des HRG keine wissenschaftlichen Hilfskräfte, sondern wissenschaftliche Mitarbeiter i.S.d. §§ 53, 57a Abs. 1 S. 1 HRG.10 Deshalb war die Sonderregelung über wissenschaftliche Hilfskräfte nach § 57 b Abs. 1 Satz 3 HRG a.F. wohl nicht anwendbar. Es ist ein ehrenhaftes Unterfangen, solche Diskrepanzen zu beseitigen. Freilich scheint der methodische Weg des Gesetzgebers nunmehr, falsche Signale zu setzen. Denn aus der erst im Gesetzgebungsverfahren zum WissZeitVG vollzogenen Auflösung der Personalkategorien werden teilweise viel zu weit gehende Folgerungen gezogen. So meint etwa Löwisch, „wissenschaftliches Personal und künstlerisches Personal“ sei nunmehr das Personal, das nach dem jeweiligen Landesrecht zum wissenschaftlichen und künstlerischen Personal zählt.11 Vereinfacht gesprochen: Die Länder können den personellen Anwendungsbereich ausweiten, indem sie beliebig Personal unter die Überschrift „wissenschaftliches Personal“ fassen können. Diese Schlussfolgerung ist freilich im Bereich des Arbeitsrechts unzutreffend 12. Wie weit die Kompetenz der Länder geht, weitere Kategorien befristeter Beamtenverhältnisse zu schaffen, ist nicht Gegenstand dieses Beitrages. 8
BT-Drs. 16/4043 S. 16. Waldeyer in: Hailbronner/Geis, Kommentar zum Hochschulrahmengesetz, Loseblatt Stand 12/2005, § 57a Rn. 11. 10 Waldeyer in: Hailbronner/Geis (Fn. 9), § 57a Rn. 11. 11 Löwisch NZA 2007, 479 f. 12 So auch: Schmidt (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 5; Müller-Glöge in: Dieterich/MüllerGlöge/Preis/Schaub (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Aufl., 2008, § 1 WZVG Rn. 10; Preis WissZeitVG, 2008, § 1 Rn. 7 f. 9
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1. Gesetzgebungskompetenz für das Hochschulbefristungsrecht nach der Föderalismusreform Auch nach der Föderalismusreform ist das Befristungsrecht und damit auch das Hochschulbefristungsrecht als Teil des Arbeitsrechts Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.13 Darüber hinaus ist das Arbeitsrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 72 Abs. 1 GG Gegenstand der neuen Vorranggesetzgebung, für die eine Erforderlichkeitsprüfung nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht stattfindet.14 Der Verfassungsgesetzgeber geht damit zutreffend davon aus, dass gerade im Arbeitsrecht eine bundesgesetzliche Regelung stets erforderlich ist.15 Mit Blick auf das Hochschulbefristungsrecht ist damit festzuhalten, dass es vom Bund vollständig und abschließend geregelt werden kann, ohne dass darin eine Kompetenzüberschreitung zu sehen ist. Dies gilt auch und gerade mit Blick auf die durch die Föderalismusreform erfolgte Beseitigung der Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 GG. Auch nach der Föderalismusreform findet das Hochschulbefristungsrecht seine alleinige kompetenzielle Grundlage in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.16 Es bleibt damit verbindliches Bundesrecht ohne jede Abweichungs- oder Ersetzungskompetenz der Länder.17 Auch der Anwendungsbereich des WissZeitVG kann damit abschließend vom Bund geregelt werden. Dies bezieht sich insbesondere auf den personellen Anwendungsbereich. Wer unter arbeitsrechtliche Regelungen fällt, mithin wer Arbeitnehmer ist, unterliegt der Bundeskompetenz. Zwar werden den Ländern durch den Bund keine verbindlichen Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Personalstruktur gemacht. Ob dieses Personal nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen auch befristet beschäftigt werden kann, ist eine Frage, die der Bundesgesetzgeber auch für die Angestellten im öffentlichen Dienst vollständig regeln kann. Die Interpretation, der Gesetzgeber habe sich verfassungsrechtlich verpflichtet gefühlt, den Bundesländern die Regelung des personellen Anwendungsbereichs des WissZeitVG zu gestatten, unterstellt dem Gesetzgeber, er habe in Unkenntnis der Verfassungslage gehandelt. Soweit im Schrifttum, insbesondere im Gefolge der Entscheidung des BVerfG zur Juniorprofessur, behauptet wurde, aus dieser ergäben sich Beschränkungen für die Gesetz-
13 Ausführlich: Preis/Dieterich NZA 2004, 1241 ff.; vgl. Ennuschat/Ulrich VBlBW 2007, 121 (125); Lindner NVwZ 2007, 180; Kortstock ZTR 2007, 2 (4); Müller-Glöge (Fn. 13) § 1 WZVG Rn. 2; BAG 21.6.2006, NZA 2007, 209 (210). 14 Degenhardt in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 72 Rn. 2. 15 BT-Drs. 15/813, S. 9. 16 Ennuschat/Ulrich VBlBW 2007, 121 (125); Lindner NVwZ 2007, 180; Schmidt in: APS (Fn. 6), § 1 WissZeitVG Rn. 5. 17 Ennuschat/Ulrich VBlBW 2007, 121 (125).
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gebungskompetenz,18 sind diese bereits an anderer Stelle widerlegt worden.19 Nunmehr feiert die widerlegte Position „fröhlich Urständ“. Im Kontext der Föderalismusreform stehen Befürworter weitergehender gesetzlicher Landeskompetenzen in der Gefahr, nach dem undogmatischen Motto: „Ich mach mir die Welt, so wie sie mir gefällt“, zu verfahren.20 2. Keine Regelungsbefugnisse für die Länder hinsichtlich des personellen Anwendungsbereichs des WissZeitVG Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, (auch) für den personellen Anwendungsbereich des WissZeitVG, ist zu bejahen. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob der Bund von dieser auch Gebrauch gemacht hat. Nach Art. 72 Abs. 1 GG tritt im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Sperrwirkung ein, solange und soweit der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht hat.21 Erforderlich hierzu ist, dass der Bund eine erschöpfende Regelung getroffen hat.22 Dabei liegt eine erschöpfende Regelung nicht erst dann vor, wenn der Bundesgesetzgeber die gesamte Materie positiv geregelt hat, sondern auch dann, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung des Regelungszusammenhangs ergibt, dass die gesamte Materie abschließend geregelt werden sollte.23 Dabei ist in erster Linie auf das Gesetz selbst, sodann auf den Regelungszweck und die Entstehungsgeschichte abzustellen.24 Damit folgt die Auslegung hier primär einem objektivierten normorientierten Maßstab.25 Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG gibt keinerlei Anhaltspunkte für eine irgend geartete Regelungsbefugnis der Länder, den personellen Anwendungsbereich des WissZeitVG zu regeln.26 Nach diesem richtet sich der Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen mit „wissenschaftlichem und künstlerischen Personal“ mit Ausnahme der Hochschullehrer nach den §§ 2 und 3 WissZeitVG. Der Begriff des wissenschaftlichen Personals wird vom 18
Löwisch NZA 2004, 1065 (1070). Preis/Dieterich NZA 2004, 1241 ff. 20 Lindgren Das große Astrid Lindgren Liederbuch, Hej, Pippi Langstrumpf, 2007. 21 Vgl. dazu BVerfG vom 10.2.2004, NJW 2004, 750 (755); BVerfG vom 9.2.1972, NJW 1972, 859; Degenhardt in: Sachs, GG (Fn. 14), Art. 72 Rn. 27. 22 Degenhart in: Sachs, GG (Fn. 14), Art. 72 Rn. 27. 23 BVerfG vom 10.2.2004 NJW 2004, 750 (755); Degenhart in: Sachs (Fn. 14) GG, Art. 72 Rn. 27; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band II, 2005 (5. Aufl.), Art. 72 Rn. 65. 24 BVerfG vom 10.2.2004 NJW 2004, 750 (755); BVerfG vom 27.10.1998 NJW 1999, 841 (842 f.). 25 Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 23), Art. 72 Rn. 65. 26 Preis WissZeitVG (Fn. 12), § 1 Rn. 7; Großzügiger Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 11, die meint, dies könne man zumindest „vordergründig“ noch annehmen. 19
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Gesetz nicht definiert.27 Es handelt sich um einen auslegungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff. Nun geht Löwisch so weit, den Begriff des „wissenschaftlichen und künstlerischen Personals“ nur als formale Weiterverweisung auf das in den jeweiligen Landesgesetzen als wissenschaftlich bezeichnete Personal zu interpretieren.28 Zugespitzt: Wenn die Länder Personal als wissenschaftliches Personal bezeichnen, finden die (liberalen) bundesrechtlichen Regeln des WissZeitVG Anwendung. Richtig dürfte demgegenüber sein, die Anwendbarkeit des WissZeitVG materiell zu bestimmen.29 Dies ergibt sich aus der Gesamtsystematik des Gesetzes. Der Gesetzgeber legt zunächst fest, dass die §§ 2 und 3 WissZeitVG auf Hochschullehrer keine Anwendung finden. Wäre er ernsthaft von einer formalen (dynamischen) Verweisung auf die Personalkategorien der Länder ausgegangen, wäre diese Einschränkung unsinnig. Auch zeigt die Einschränkung, dass der Bundesgesetzgeber gerade nicht darauf verzichten wollte, den personellen Anwendungsbereich des Gesetzes – jedenfalls im groben Rahmen – zu regeln und abzugrenzen. Aber auch die sonstigen Regelungen sprechen gegen einen bloßen Blankettverweis auf das Landesrecht. So hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 S. 2 WissZeitVG die Anwendbarkeit des Drittmitteltatbestandes auch für das akzessorische Personal eröffnet. Mit anderen Worten: Er hat zwei Typen von Personal definiert, die nach dem WissZeitVG voneinander abgegrenzt werden. Gerade diese Regelung zeigt, dass der Bundesgesetzgeber sich eben durchaus eigenständige Gedanken zur Abgrenzung des personellen Anwendungsbereichs gemacht hat und ihn damit „geregelt“ hat. Würde man den Begriff des „wissenschaftlichen oder künstlerischen Personals“ als formale Blankettverweisung verstehen, könnte es im Extremfall zulässig sein, in Landeshochschulgesetzen unter die Kategorie „wissenschaftliches Personal“ auch „Hausmeister“ zu fassen. Hausmeister dürften wohl kaum dem Zweck des WissZeitVG entsprechend beschäftigt werden können, geht es doch darum, Befristungszeiträume für eine wissenschaftliche Qualifizierung zu schaffen. Wer also diese Möglichkeit (richtigerweise) verneint, der muss eine materielle Interpretation des Begriffes wissenschaftliches Personal bejahen. Die feinsinnige Abgrenzung des WissZeitVG erschließt sich auch daraus, dass § 5 Satz 1 WissZeitVG auch auf das wissenschaftliche Leitungspersonal (also Professorinnen und Professoren) anwendbar ist. Der Gesetzgeber hat also erkennbar für unterschiedliche Sachverhalte (hier: Forschungseinrichtungen) verschiedene Personalkategorien das WissZeitVG für anwendbar erklärt. Ihm gleichzeitig zu attestieren, er habe die Frage, welches Personal in den 27
Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 11. Löwisch NZA 2007, 479 f. 29 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 11; Preis WissZeitVG (Fn. 12), § 1 Rn. 7. 28
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personellen Anwendungsbereich des WissZeitVG fallen soll, nicht regeln wollen, sondern vollends auf Landesrecht verwiesen, scheint deshalb nicht haltbar. Auch der Titel des Gesetzes ist durchaus aufschlussreich. Er lautet: „Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft“. Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine bloße Rahmen- oder Rumpfkodifikation. Vielmehr wird der abschließende Charakter des Gesetzes deutlich zum Ausdruck gebracht. Auch die Gesetzesbegründung spricht für die hier vertretene Position. Der Gesetzgeber wollte nämlich die Begriffe „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ und „wissenschaftliche Hilfskraft“ lediglich ersetzen, um den personellen Anwendungsbereich zukunftsoffen zu gestalten.30 Dass die qualifizierte rechtliche Anforderung an solches Personal, nämlich die Erbringung wissenschaftlicher Dienstleistungen, aufgegeben werden sollte, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Führt man sich schließlich den Sinn und Zweck des WissZeitVG vor Augen, ist eine freie Bestimmbarkeit des Begriffs des wissenschaftlichen Personals durch die Bundesländer fernliegend. Denn das WissZeitVG soll die Pflege der freien Wissenschaft und ihre Vermittlung an die nachfolgende Generation durch die Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln ermöglichen und fördern sowie die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses gewährleisten.31 Die Bundesländer haben indes trotz ihrer Kompetenz in Sachen Hochschule und Bildung keine vorrangige Kompetenz für die Beurteilung des arbeitsrechtlichen Konflikts zwischen vermindertem Bestandsschutz einerseits und Kompensation durch wissenschaftliche Qualifikation andererseits. Die Föderalismusreform hat den Ländern keine Befugnis gegeben, über die Zuständigkeit für Bildung und Hochschule hinaus den Befristungsfreiraum im Arbeitsrecht auszuweiten. Die gegenwärtige Diskussion um die sog. „Lecturer“ ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass es manchen Ländern bei Gestaltung ihres Hochschulrechts um die kostengünstige und risikogeminderte Erledigung von Dienstleistungen jeglicher Art geht. Der wohlgemeinte Zweck des WissZeitVG steht damit in der Gefahr, durch Ausweitungen konterkariert zu werden. Hier bedarf es dringend einer vernünftigen Diskussion und Abgrenzung der Begriffe.32 Nach hier vertretener Auffassung ist der Begriff des wissenschaftlichen Personals im Sinne des WissZeitVG materiell zu bestimmen und durch den Bund abschließend geregelt.33 Die Bundesländer haben keine eigenständige Regelungsbefugnis zur Bestimmung des personellen Anwendungsbereichs 30
BT-Drs. 16/4043 S. 16. BT-Drs. 16/3438, S. 10. 32 Hierzu: http://www.bundestag.de/bic/analysen/2007/Lecturer_und_Lehrprofessur.pdf 33 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 5. 31
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des WissZeitVG.34 Insbesondere sind sie nicht frei darin, weitergehende Befristungsmöglichkeiten zu schaffen.35 Landesrechtliche Regelungen, die den Kreis der Personen weiter fassen, als dies nach Subsumtion unter den bundesrechtlichen Begriff des wissenschaftlichen Personals der Fall ist, erweitern nicht den persönlichen Anwendungsbereich des WissZeitVG.36 Das WissZeitVG kann mithin nicht für Befristungen von „nichtwissenschaftlichem“ Personal genutzt werden, auch wenn das Landesrecht diese als wissenschaftliches Personal bezeichnet. Der Drittmitteltatbestand des § 2 Abs. 2 Satz 2 WissZeitVG ist die (begründete) Ausnahme, die die Regel bestätigt. Der Anwendungsbereich des WissZeitVG richtet sich mithin auch künftig nicht nach einer (möglicherweise falschen) Begriffsbezeichnung im Landesrecht, sondern nach der Tätigkeit des Arbeitnehmers.37 Wird dieser mit wissenschaftlichen Dienstleistungen betraut, kann er nach §§ 1ff. WissZeitVG befristet beschäftigt werden.38 Damit sind die Landesgesetzgeber aufgerufen, bei der Schaffung von Personalkategorien dafür zu sorgen, dass das der Kategorie zugeordnete Personal tatsächlich mit wissenschaftlichen Dienstleistungen betraut ist.39 Die Länder haben keine Möglichkeit, durch Umgestaltung der Personalstrukturen bisherige wissenschaftsferne Daueraufgaben in befristete Beschäftigungsverhältnisse zu überführen. Für das Personal hingegen, das überwiegend wissenschaftliche Dienstleistungen erbringt, wird die Anwendbarkeit der Befristungsregeln unabhängig von seiner Bezeichnung im Landesrecht eröffnet. Damit wird auch das Ziel der Reform erreicht. Die Länder können ihre Personalstruktur frei gestalten, ohne dass es zu begrifflichen Inkongruenzen mit dem WissZeitVG kommt. 3. Landeskompetenz für Befristungsregeln für die Hochschullehrer? Ein Kompetenzkonflikt unter anderen Vorzeichen macht ebenfalls die durch die Föderalismusreform entstandene Verwirrung deutlich. Auch der Bundesgesetzgeber selbst äußert sich missverständlich. So wird in einem Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des HRG ein neuer § 6 WissZeitVG 34 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 5. 35 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Schmidt in: APS (Fn. § 6) § 1 WissZeitVG Rn. 5. 36 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Preis WissZeitVG (Fn. 12), § 1 Rn. 8; vgl. dazu auch BAG 28.1.1998, NZA 1998, 1120 (1122). 37 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 11. 38 Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 11 f.; ausführlich dazu Preis WissZeitVG (Fn. 12), § 1 Rn. 12 ff. 39 Müller-Glöge in: ErfK (Fn. 12), § 1 WZVG Rn. 10; Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 5.
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vorgeschlagen. Dieser sieht für Arbeitsverträge für Juniorprofessoren an Hochschulen des Bundes (und nur für diese!), einen eigenen Befristungstatbestand vor. Dieser soll die (partielle) Nachfolge des bisherigen § 48 HRG antreten. Man fragt sich unwillkürlich, was denn mit der Regelung befristeter Arbeitsverhältnisse für die Juniorprofessoren in den Ländern geschieht. In der Begründung dieses Regierungsentwurfes wird nunmehr die Auffassung vertreten, dass durch § 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG die Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen aus dem Anwendungsbereich des WissZeitVG heraus genommen worden seien. Es solle damit nochmals „klargestellt“ werden, „dass die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für die Regelung der befristeten Beschäftigung dieser Personengruppe nunmehr bei den Ländern liegt“.40 Doch trifft das zu? Haben die Länder jetzt die Befugnis, arbeitsrechtliche Befristungsregeln für Hochschullehrer zu schaffen, die (angeblich) vom WissZeitVG nicht erfasst sind? Wie oben gezeigt, hat der Bundesgesetzgeber sich nicht allein mit der Regelung des § 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG beschränkt. Kann, so lautet die zugespitzte Frage, die Norm so interpretiert werden, dass sie den Ländern nach Aufhebung des HRG die Befugnis verschafft, eigenständige arbeitsrechtliche Befristungsregeln für Hochschulprofessoren einschließlich der Juniorprofessoren zu schaffen? 41 Hier ist zu differenzieren: Soweit das Beamtenrecht betroffen ist, können die Länder eigenständige Beamtenverhältnisse auf Zeit schaffen. Die Erweiterungen der föderalen Kompetenzen im Bereich der Hochschule und des Beamtenrechts erstrecken sich aber nicht ohne weiteres auf das Arbeitsrecht. Insoweit ist der Bundesgesetzgeber stets differenziert vorgegangen. Im bisherigen HRG konnte zwar aus § 46 und § 50 Abs. 4 HRG geschlossen werden, dass auch Hochschullehrer (ausnahmsweise) außerhalb des Beamtenverhältnisses, also in einem Arbeitsverhältnis, beschäftigt werden konnten. Die rechtliche Abwicklung richtete sich in diesem Fall jedoch allein nach bundesstaatlichem Arbeitsrecht. Das galt insbesondere auch für den Fall befristeter Arbeitsverhältnisse. Hierzu gibt es Anschauungsmaterial in der Rechtsprechung, die insbesondere zu der Abgrenzungsfrage erging, ob sich der Hochschullehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis sui generis oder in einem Arbeitsverhältnis befunden habe.42 Schon nach bisherigem Recht waren auf befristete Arbeitsverhältnisse mit Hochschullehrern die Befristungsregeln des § 14 TzBfG uneingeschränkt anwendbar.43 40 Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes, http://www. bmbf.de/pub/Regierungsentwurf_HRGAG.pdf (zuletzt abgerufen am 30.6.2007). 41 Löwisch NZA 2007, 479 (480). 42 Siehe etwa BAG 13.7.2005 EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 5; BAG 25.2.2004 AP Nr. 1 zu § 36 HRG; BAG 19.1.2005 AP Nr. 260 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 43 Lipke in: Etzel u.a., Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 8. Aufl. 2007, § 57a Rn. 29; HG/Waldeyer (Fn. 9), § 57a HRG Rn. 21.
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Dies wurde auch von Löwisch selbst, der nunmehr ohne weitere Begründung anderer Auffassung ist 44, angenommen.45 Der Anwendungsbereich des § 14 TzBfG erstreckt sich – unabhängig von der Rechtsform des Arbeitgebers – auf alle Arbeitsverhältnisse. Damit sind auch die Arbeitsverhältnisse angestellter Hochschullehrer erfasst. Das TzBfG stellt damit eine abschließende bundesrechtliche Regelung dar, die keine Abweichung durch Landesrecht zulässt.46 Durch die Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 72 GG hat der Bund das Recht der befristeten Arbeitsverhältnisse abschließend geregelt.47 Daran hat auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Juniorprofessur 48 nichts geändert.49 Das Gleiche gilt für die Föderalismusreform. Denn auch weiterhin ist die Regelung der Arbeitsverhältnisse im Hochschulbereich Arbeitsrecht und damit vollständig von der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes erfasst.50 Damit lässt das TzBfG keinen Raum für abweichendes Landesrecht.51 Denn jede Befristungsregelung für Arbeitsverhältnisse auf Landesebene wäre vollumfänglich Gegenstand der im TzBfG geregelten Materie. Damit wäre jede betreffende landesrechtliche Regelung wegen der Sperrwirkung des TzBfG nach Art. 72 Abs. 1 GG nichtig. Fraglich ist allein, ob sich daran durch das WissZeitVG oder die anstehende Aufhebung des HRG etwas ändert. Eine Öffnungsklausel für die Befugnis zu abweichenden Regelungsmöglichkeiten der Länder findet sich weder im TzBfG noch im WissZeitVG. Die Annahme einer Regelungskompetenz der Länder bestünde nur, wenn man unterstellte, durch das WissZeitVG sei der personelle Anwendungsbereich des TzBfG eingeschränkt worden. Oder man konstruiert eine implizite Ermächtigungsgrundlage für landesrechtliche Regelungen durch das WissZeitVG. Beides scheint nicht vertretbar. Denn eine derartige Interpretation steht im Widerspruch zu Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck sowohl des TzBfG wie des WissZeitVG. Das TzBfG ist als allgemeines bundesrechtliches Befristungsgesetz konzipiert, das immer dann zur Anwendung kommt, wenn bundesrechtliche Spe-
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Löwisch NZA 2007, 479 (480). Löwisch/Wertheimer in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 2004, VII. Rn. 142; Löwisch NZA 2005, 321 (323). 46 KR/Lipke (Fn. 41) § 620 BGB Rn. 86 ff. 47 Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 5. 48 BVerfG 27.7.2004 NJW 2004, 2803. 49 KR/Lipke (Fn. 41) § 620 BGB Rn. 87. 50 Ennuschat/Ulrich VBlBW 2007, 121 (125); Lindner NVwZ 2007, 180; Schmidt in: APS (Fn. 6), § 1 WissZeitVG Rn. 5; KR/Lipke (Fn. 41) § 57a HRG, Rn. 17. 51 KR/Lipke (Fn. 41) § 620 BGB Rn. 89. 45
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zialgesetze wie das WissZeitVG 52 nichts Abweichendes regeln.53 Bezogen auf Hochschullehrer hat das WissZeitVG aber nichts Abweichendes geregelt. Im Übrigen hat der Gesetzgeber in der Begründung zum TzBfG ausdrücklich erklärt, dass das Gesetz der Vermeidung eines regional unterschiedlichen Schutzniveaus und der Wahrung der Rechtseinheit im Bundesgebiet dient.54 Damit wäre an sich jede weitere Diskussion über landesrechtliche Befugnisse obsolet. Allerdings wurde aus der Gesetzesbegründung zum WissZeitVG gefolgert, nach Aufhebung der Sonderbefristungstatbestände des § 48 Abs. 1 HRG liege die Kompetenz für die Regelung der befristeten Beschäftigung von Juniorprofessoren bei den Ländern.55 Schon die Grundannahme, dass der personelle Anwendungsbereich des TzBfG durch die Gesetzesbegründung eines anderen Gesetzes (hier des WissZeitVG) erfolgt, erscheint kühn. Weder lässt der Wortlaut des TzBfG eine derartige Auslegung zu, noch ist irgendwo erkennbar, dass das allgemeine Befristungsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs des WissZeitVG bundesrechtlich modifiziert werden sollte. Es bestünden überdies durchgreifende rechtsstaatliche Bedenken gegen die Änderung des personellen Anwendungsbereichs eines vom Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht erfassten Gesetzes durch Gesetzesbegründung. Auch Sinn und Zweck des TzBfG, das im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben ein angemessenes einheitliches Schutzniveau für die Arbeitnehmer gewährleisten muss 56, spricht gegen die Annahme, das Befristungsrecht für Hochschullehrer sei nicht durch das TzBfG abschließend geregelt. Auch und gerade § 23 TzBfG bringt zum Ausdruck, dass das Hochschulbefristungsrecht ein unselbstständiger Bestandteil des allgemeinen Befristungsrechts ist, der abgesehen von spezifischen Sonderregeln abschließend vom TzBfG erfasst wird. Auch nach Wortlaut und Systematik des WissZeitVG finden sich keine Anhaltspunkte für Befugnisse der Länder, Befristungsregelungen für Hochschullehrer zu schaffen. Denn nach § 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG gelten die §§ 2 und 3 WissZeitVG nicht für die Befristung von Hochschullehrern an Einrichtungen des Bildungswesens, die nach Landesrecht staatliche Hochschulen sind.57 Daraus folgt zweierlei. Zunächst hat der Bundesgesetzgeber ausdrücklich im Wortlaut des § 1 WissZeitVG auf Landesrecht Bezug genommen, was für die restlichen Regelungsbereiche eine Sperrwirkung für
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Kortstock ZTR 2007, 2. BT-Drs. 14/4374, S. 22; Maschmann in: Annuß/Thüsing Teilzeit- und Befristungsgesetz, 2. Aufl., 2006, § 23 TzBfG Rn. 1. 54 BT-Drs. 14/4374, S. 22. 55 Löwisch NZA 2007, 479 (480); BT-Drs. 16/4043 S. 16. 56 BT-Drs. 14/4374 S. 22. 57 Schmidt in: APS (Fn. 6) § 1 WissZeitVG Rn. 17. 53
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Landesrecht bewirkt. Des Weiteren – und dies ist der gewichtigere Gesichtspunkt – hat er in §§ 4 und 5 WissZeitVG, den Rückgriff auf die §§ 2 und 3 für das gesamte wissenschaftliche Personal, also auch die Hochschullehrer gestattet. Aus dem gesamten Regelungsgefüge des WissZeitVG ergibt sich damit, dass dieses sehr wohl tatbestandlich auch Hochschullehrer erfasst und diese lediglich ausdrücklich an solchen Einrichtungen, die nach Landesrecht staatliche Hochschulen sind, nicht nach den §§ 2 und 3 WissZeitVG befristet beschäftigt werden dürfen. Auch dies ist eine materielle bundesrechtliche Regelung, der die Entscheidung zugrunde liegt, dass Hochschullehrer an bestimmten Einrichtungen eben nicht befristet beschäftigt werden können. Damit hat der Gesetzgeber die Hochschullehrer in zwei Gruppen geteilt und zwar eine, die befristet beschäftigt werden kann und eine, bei der dies nach WissZeitVG nicht möglich sein soll. Damit liegt keine bewusste Nichtregelung, sondern eine bewusste Regelung mit dem Inhalt der prinzipiellen Nichtzulassung der Befristung von Hochschullehren nach dem WissZeitVG vor. Das Ganze hat auch seinen übergreifenden Zweck: Nach der langen Befristungszeit unterhalb des Professorenstatus soll die unbefristete Beschäftigung als Hochschullehrer der Regelfall sein. Von einer ungeschriebenen Ermächtigung der Länder, abweichend vom TzBfG und WissZeitVG für Hochschullehrer Befristungsregeln zu schaffen, kann also weder nach der Gesetzessystematik noch nach Sinn und Zweck der Konzeption des WissZeitVG die Rede sein. Dies gilt zumal deshalb, weil das WissZeitVG als „Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft“ bereits nach seiner Überschrift Geltungsanspruch für den gesamten Wissenschaftsbereich erhebt. Das hat folgende Konsequenz: Arbeitsrechtliche Regelungen in Landeshochschulgesetzen, die Befristungsmöglichkeiten für Hochschullehrer schaffen, sind mangels Gesetzgebungskompetenz nichtig. Soweit sie von anwendbarem Bundesrecht (WissZeitVG, TzBfG) abweichen, sind entsprechende landesrechtliche Regelungen bereits nach Art. 72 Abs. 1 nichtig.58 In der Praxis gilt folglich (weiterhin) zu beachten, dass befristete Arbeitsverträge mit Hochschullehrern nur nach Maßgabe des TzBfG zulässig sind und ggf. entstehende landesrechtliche Vorschriften nichtig sind. Denn es fehlt der Gesetzesbefehl, dass das TzBfG als allgemeines Bundesrecht insoweit nicht mehr gelten soll. Die Länder haben zwar insoweit die Gesetzeskompetenz im Beamtenrecht, nicht aber im Arbeitsrecht. Sollten die Bundesländer gleichwohl arbeitsrechtliche Befristungsregeln schaffen, könnte dieses weitere Geschenk an die Hochschulen vergiftet sein. Denn eine Gesetzgebungskompetenz der Länder für arbeitsrechtliche Befristungsregelungen besteht auch nach Aufhebung des HRG nicht.
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Zum Verhältnis von Art. 72, 31 GG vgl. Degenhart in: Sachs, GG (Fn. 22), Art. 72 Rn. 38.
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III. Fazit Die Rechtszersplitterung im deutschen Arbeitsrecht ruft nach dessen einheitlicher Kodifizierung. Dass der Gesetzgeber mit dem WissZeitVG nicht nur eine Vertiefung des ohnehin inkonsistenten Befristungsrechts, sondern auch noch den Weg zu kleinstaaterischen Verhältnissen im Hochschulbereich bereitet, ist zu bedauern. Dass die Föderalismusreform zu Rechtsunsicherheit, Zersplitterung und bürokratischer Fehlregelung führt, lässt sich bereits an dem Streit um den persönlichen Anwendungsbereich des WissZeitVG und die Regelungswut der Länder im Bereich der Personalkategorien ablesen. Dass beim Verfassungsgeber zumindest die Einsicht bestand, arbeitsrechtliche Vorschriften nicht der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterwerfen, lässt wenigstens für das Arbeitsrecht hoffen, dass ein Rückmarsch in das 19. Jahrhundert, wie er in anderen Rechtsgebieten zu erwarten steht, ausbleibt. Den Ländern und den Hochschulen ist zu raten, sich dem neuen Befristungsrecht verantwortungsvoll zu nähern.
Streikaufruf und Streikteilnahme als Voraussetzungen für die Suspendierung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten Thomas Raab I. Einleitung Unter einem Streik versteht man üblicherweise die planmäßige und gemeinschaftliche (kollektive) Verweigerung der Arbeitsleistung durch eine größere Zahl von Arbeitnehmern mit dem Ziel, durch die Zufügung von wirtschaftlichen Nachteilen Druck gegenüber den Arbeitgebern auszuüben.1 Der rechtmäßige Streik führt – ebenso wie die rechtmäßige Aussperrung als Kampfmaßnahme der Arbeitgeber – zur Suspendierung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten.2 Damit es zur Suspendierung der Hauptleistungspflichten kommt, bedarf es zweier verschiedener Erklärungen. Zum einen muss die (zuständige) Gewerkschaft die Arbeitnehmer aufrufen, zur Durchsetzung einer konkreten Tarifforderung in den Streik zu treten, d.h. die Arbeit niederzulegen. Zum anderen muss der einzelne Arbeitnehmer zu erkennen geben, dass er sich an dem Streik beteiligen will. Nur wenn beide Voraussetzungen vorliegen, werden die Arbeits- und die Entgeltzahlungspflicht für die Dauer der konkreten Kampfmaßnahme ausgesetzt.3
1 BAG 25.1.1963 – 1 AZR 288/62 – AP Nr. 24 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 1; BAG 22.3.1994 – 1 AZR 622/93 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 115 unter II 3a; Dieterich in: Dieterich/Müller-Glöge/Preis/Schaub, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (ErfK), 7. Aufl. (2007), Art. 9 GG Rn. 155; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I (1997) § 21 II 1a, S. 985; Hergenröder in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar (HWK), 2. Aufl. (2006), Art. 9 GG Rn. 190; Kissel Arbeitskampfrecht (2002), § 14 Rn. 1; Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht (2006), § 1 Rn. 2. 2 BAG (GS) 28.1.1955 – GS 1/54 – AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68 – AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Kissel (Fn. 1) § 46 Rn. 1; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 2. 3 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 1; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 3d; BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118 unter I 3a; BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 17; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 165; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 64; Otto (Fn. 1) § 7 Rn. 38, § 14 Rn. 3.
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Problematisch ist, ob es als Beteiligung des Arbeitnehmers am Streik zu werten ist, wenn ein Arbeitnehmer, der während eines von der Gewerkschaft ausgerufenen Arbeitskampfes aus anderen Gründen nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, sich an Streikmaßnahmen beteiligt. Zu denken ist vor allem an die Fälle, in denen der Streik in einen Zeitraum fällt, in dem der Arbeitnehmer wegen der Gewährung von Erholungsurlaub, wegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit oder wegen einer Schulungsmaßnahme, für die der Arbeitnehmer freigestellt worden ist, (vorübergehend) von der Arbeitspflicht befreit ist. In neuerer Zeit hat vor allem die Frage der Abgrenzung der Streikbeteiligung von der Inanspruchnahme von Gleitzeit die Gemüter erhitzt. Das BAG hat einem Arbeitnehmer, der sich unter Verwendung eines elektronischen Zeiterfassungssystems vom Arbeitsplatz abgemeldet und an einer Kundgebung anlässlich eines von der Gewerkschaft ausgerufenen „Warnstreiks“ teilgenommen hatte, einen Anspruch auf die volle Vergütung zugesprochen und den vom Arbeitgeber vorgenommenen Abzug für unwirksam erachtet, weil der Arbeitnehmer nicht während, sondern außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an der Kundgebung teilgenommen habe.4 Dies hat dem Gericht herbe Kritik eingetragen, die in dem Vorwurf gipfelt, dass sich das BAG in Widerspruch zu der bislang einhelligen Auffassung von Rechtsprechung und Schrifttum gesetzt und elementare Grundsätze des Arbeitskampfrechts missachtet habe.5 Die Kritik ist mindestens in ihrer vorgetragenen Schärfe überzogen, meines Erachtens sogar in der Sache unberechtigt. Die Beiträge offenbaren jedoch – ebenso wie manche Passagen der genannten Entscheidungen –, dass hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des Streikgeschehens noch ein nicht unerheblicher Klärungsbedarf besteht. Dies gilt vor allem für die Bedeutung der sowohl vom Verband als auch vom einzelnen Arbeitnehmer abzugebenden Erklärungen, deren inhaltliche Anforderungen und die Voraussetzungen ihres Wirksamwerdens. Zwar hat der verehrte Jubilar bereits wesentliche Beiträge zur Klärung geleistet.6 Doch soll mit der vorliegenden, ihm gewidmeten Untersuchung der Versuch gewagt werden, die Lösung der Probleme ein weiteres Stück voranzubringen.
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BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 16 ff. Bengelsdorf NZA 2006, 825; Plöhn SAE 2006, 196; ebenfalls kritisch, wenngleich deutlich zurückhaltender in der Diktion Wolff/Degenhardt BB 2006, 1965. 6 Vgl. nur die Anmerkung in EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 sowie Otto (Fn. 1) § 7 Rn. 38 f., § 14 Rn. 3 ff. 5
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II. Kollektives und individuelles Streikrecht 1. Die kollektivrechtliche Beurteilung des Arbeitskampfes Seit der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats des BAG aus dem Jahre 1955 7 wird das arbeitskampfrechtliche Geschehen einheitlich nach den Grundsätzen des kollektiven Rechts, also nach den Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien der Tarifauseinandersetzung beurteilt.8 Ist eine der Tarifparteien berechtigt, zur Durchsetzung oder zur Abwehr von Tarifforderungen zu den Mitteln des Arbeitskampfes zu greifen, so handeln auch die Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechtmäßig, wenn sie dem Aufruf zur Beteiligung an den Kampfmaßnahmen nachkommen, unabhängig davon, ob sie bei rein individualrechtlicher Betrachtung zur Verweigerung der Arbeitsleistung bzw. zur Verweigerung von Beschäftigung und Vergütung befugt wären. Mit dieser neuen sog. Einheitslehre lehnte der Große Senat des BAG die in der Zeit der Weimarer Republik und auch in den ersten Jahren der Nachkriegszeit vorherrschende Ansicht ab, wonach ein Arbeitskampf sich nur in den durch das Vertragsrecht gezogenen Grenzen bewegen dürfe, eine Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an Streik oder Aussperrung also nicht zur Verletzung vertraglicher Pflichten führen dürfe. Diese Ansicht unterschied also zwischen der kollektivrechtlichen und der individualrechtlichen Ebene und sah Arbeitskampfmaßnahmen nur dann als rechtmäßig an, wenn diese sowohl nach den Maßstäben des kollektiven Rechts als auch nach den Regeln des Vertragsrechts zulässig waren. Streik oder Aussperrung waren folglich erst nach wirksamer Kündigung des Arbeitsverhältnisses und nach Ablauf der Kündigungsfrist zulässig.9 Solange das Arbeitsverhältnis bestand, stellten sie eine (vorsätzliche) Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten und damit einen Vertragsbruch dar. Die von der Rechtsprechung aufgestellten besonderen kollektivrechtlichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen hatten demnach die Funktion, die Instrumentalisierung der individualrechtlich zur Verfügung stehenden Mittel gerade zu dem Zweck der Durchsetzung der Tarifforderungen zu legitimieren. Dass sich Arbeitnehmer des Mittels der Kündigung bedienen dürfen, um die Arbeitgeberseite bei Tarifverhandlungen unter Druck zu setzen, war folglich nicht selbstverständlich. Die Anforderungen an einen rechtmäßigen Streik stellten sich als zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzung für Kündigungen im Rahmen eines Arbeitskampfes dar. Lagen sie nicht vor, so konnte die Kündigung,
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BAG (GS) 28.1.1955 – GS 1/54 – AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. hierzu sowie zum Folgenden die umfassende Darstellung bei Kissel (Fn. 1) § 23 Rn. 1 ff. m.w.N. 9 Vgl. hierzu die Nachweise bei Kissel (Fn. 1) § 2 Rn. 25, § 23 Rn. 5–7; vgl. auch Otto (Fn. 1) § 2 Rn. 11. 8
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selbst wenn sie bei rein individualrechtlicher Betrachtung rechtmäßig war, wegen ihrer speziellen Wirkung und Zielsetzung rechtswidrig sein und eine unerlaubte Handlung (§ 823 Abs. 1 bzw. § 826 BGB) darstellen.10 Nach der heute herrschenden Ansicht ist die Arbeitsverweigerung durch die Arbeitnehmer – ebenso wie die Aussperrung durch die Arbeitgeber – stets zulässig und rechtmäßig, wenn der Aufruf zum Arbeitskampf durch den jeweiligen Verband rechtmäßig ist. Die Rechtmäßigkeit des Handelns auf der individualrechtlichen und auf der kollektivrechtlichen Ebene beurteilt sich also nach denselben Grundsätzen. Damit ist die Zulässigkeit des Arbeitskampfes auf der kollektivrechtlichen Ebene keine zusätzliche, sondern die alleinige Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Arbeitskampf. Streik und Aussperrung stellen auch dann keinen Vertragsbruch dar, wenn bei rein individualrechtlicher Betrachtung eine Pflicht zur Arbeitsleistung bzw. zur Beschäftigung und Entgeltzahlung bestünde. Das Recht der Koalitionen, sich zur Durchsetzung ihrer tarifpolitischen Vorstellungen der Instrumente des Arbeitskampfes zu bedienen, verleiht den organisierten Arbeitnehmern und Arbeitgebern folglich zusätzliche Rechte im Rahmen des Vertragsverhältnisses, die sie ohne den Arbeitskampf nicht hätten. Dem kollektiven Streikrecht der Koalition korrespondiert ein individuelles Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers, nämlich das Recht, gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber die geschuldete Arbeitsleistung zu verweigern. Die frühere Auffassung, die die Arbeitnehmer beim Streik auf ihr ohnehin bestehendes Kündigungsrecht verwies, leugnete demgegenüber im Grunde ein besonderes (individuelles) Streikrecht der Arbeitnehmer.11 Nach Ablauf der Kündigungsfrist besteht schließlich gar keine Arbeitspflicht mehr, deren Erfüllung der Arbeitnehmer verweigern könnte. 2. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Arbeitskampfes Das Recht, zur Durchsetzung von Forderungen in der Tarifauseinandersetzung zu dem Instrument des Arbeitskampfes zu greifen, ist verfassungsrechtlich gewährleistet.12 Der Arbeitskampf nimmt als „Hilfsinstrument der 10 Eine ähnliche Frage stellt sich etwa in den Fällen des Boykotts bzw. Boykottaufrufs. Obwohl der Entschluss, mit bestimmten Unternehmen keine Geschäftsbeziehungen einzugehen, von der Vertragsfreiheit gedeckt und damit rechtmäßig ist, kann das massenweise und abgestimmte Vorgehen dazu führen, dass der hierdurch ausgeübte Druck auf Marktteilnehmer bzw. die Zufügung von wirtschaftlichen Nachteilen als rechtswidrig anzusehen ist. Ein vergleichbares Problem im Arbeitsrecht ergibt sich im Zusammenhang mit der kollektiven Ausübung des Widerspruchsrechts beim Betriebsübergang nach § 613a Abs. 6 BGB, vgl. hierzu Rieble NZA 2005, 1 ff.; Raab ZfA 2006, 3, 58. 11 Zutr. Reichold JuS 1996, 1049, 1050 m.w.N. 12 BVerfG 26.6.1991 – 1 BvL 779/85 – BVerfGE 84, 212, 224 f. unter C I 1a; BVerfG 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103, 114 unter II 1; BVerfG 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u.a. – BVerfGE 92, 365, 393 f. unter C I 1a.
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Tarifautonomie“ 13 an der Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG teil. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit gewährleistet nicht nur die Bildung von Vereinigungen zur Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, sondern auch das Recht dieser Vereinigungen auf spezifisch koalitionsmäßige Betätigung durch Abschluss von Tarifverträgen. Ebenso gewährleistet werden die Mittel, die erforderlich sind, um eine funktionsfähige Tarifautonomie sicherzustellen.14 Zu diesen Mitteln zählt jedenfalls der Arbeitskampf in Gestalt von Streik und Aussperrung, da in einem System freier Verhandlungen unter Verzicht auf eine staatliche Zwangsschlichtung ohne solche Druckmittel weder gesichert ist, dass am Ende eine Vereinbarung über die Arbeitsbedingungen zustande kommt, noch dass diese einen angemessenen Ausgleich der beiderseitigen Interessen darstellt.15 Notwendige Voraussetzung eines solchen Druckmittels ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich an dem vom Verband initiierten Arbeitskampf beteiligen können, ohne dass es auf die konkrete vertragsrechtliche Situation ankommt. Wie der Große Senat des BAG zutreffend festgestellt hat, wäre der Arbeitskampf seiner Effektivität weitgehend beraubt, wenn Streik und Aussperrung erst die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Kündigung voraussetzen würden.16 Aus der grundrechtlichen Gewährleistung des Arbeitskampfes ergibt sich folglich die Befugnis zum Eingriff in vertragliche Rechtspositionen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass der Arbeitskampf nur als ultima ratio zulässig ist und auch in seiner Durchführung den Schranken des Verhältnismäßigkeitsprinzips unterliegt. Nur wenn und soweit der Arbeitskampf notwendig ist, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu gewährleisten, kann den Vertragspartnern die Einschränkung oder der Verlust vertraglicher Rechte zugemutet werden. Andererseits erlangt die Arbeitskampfgarantie ihren spezifischen Sinn aus dem Umstand, dass sie Arbeitnehmern und Arbeitgebern den Bruch des vertraglichen Leistungsversprechens zum Zwecke der Durchsetzung oder der Abwehr von Tarifforderungen gestattet. Wäre der Arbeitskampf nur mit Instrumenten möglich, die den Arbeitnehmern und Arbeitgebern ohnehin schon individualrechtlich zur Verfügung stehen, so hätte die verfassungsrechtliche Arbeitskampfgarantie ausschließlich Bedeutung im Rahmen der Abwehrfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG gegen staatliche Maßnahmen oder Regelungen, welche die Ausübung des Streikrechts beschränken. Dagegen wäre die Arbeitskampfgarantie für den einzelnen Arbeitnehmer „völlig überflüssig und sinnlos“ 17. Dies entspräche nicht der Kon-
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BAG 7.6.1988 – 1 AZR 372/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 80 unter A I 1. BVerfG 26.6.1991 – 1 BvL 779/85 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97 unter C I 1a; BVerfG 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 u.a. – EzA § 116 AFG Nr. 5 unter C I 1a. 15 BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 36 unter A I 1. 16 BAG (GS) 28.1.1955 – GS 1/54 – AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter I 6. 17 Hessel RdA 1952, 48, 49. 14
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zeption des Grundgesetzes. Dieses geht vielmehr davon aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG den Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Rahmen des Arbeitskampfes besondere, ansonsten nicht bestehende Befugnisse verleiht.
III. Rechtliche Bedeutung und Rechtsfolgen von Streikaufruf und Streikteilnahme 1. Der Streikaufruf a) Der Streikaufruf als Ausübung des kollektiven Streikrechts Der Streikaufruf der Gewerkschaft ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Arbeitsniederlegung durch die Arbeitnehmer. Wenn der Arbeitskampf nur zulässig ist, wenn er als Instrument im Rahmen der Tarifauseinandersetzung dient, so folgt hieraus zwingend, dass er von einer tariffähigen Partei getragen sein muss. Erforderlich ist daher ein wirksamer Beschluss der nach der Satzung des Verbands zuständigen Organe. Mit diesem Beschluss macht der Verband von der Möglichkeit Gebrauch, durch die kollektive Verweigerung der Arbeitsleistung Druck auf die Arbeitgeberseite als Gegenspieler in der Tarifauseinandersetzung auszuüben. Es handelt sich folglich um ein Recht, das der Gewerkschaft als tariffähiger Vereinigung von Arbeitnehmern zusteht, mithin um eine Ausprägung des kollektiven Streikrechts. b) Rechtsfolgen des Streikaufrufs Streikbeschluss und Streikaufruf haben einmal zur Folge, dass die Arbeitnehmer nunmehr berechtigt sind, die geschuldete Arbeitsleistung zu verweigern. Sie haben aber zugleich selbst den Charakter von Kampfhandlungen, dürfen folglich erst vorgenommen werden, wenn die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Arbeitskampf vorliegen, insbesondere die Friedenspflicht abgelaufen ist.18 Da mit dem Streikaufruf der Arbeitskampf eröffnet wird, ist die Arbeitgeberseite zugleich ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich zu Gegenmaßnahmen berechtigt. Streikbeschluss und Streikaufruf entfalten also konkrete Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen den Parteien der Tarifauseinandersetzung und sind gleichzeitig Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Streikbeteiligung des einzelnen Arbeitnehmers.
18 BAG GS 28.1.1955 – GS 1/54 – AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter I 4; BAG 12.3.1982 – 1 AZR 636/82 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 58 unter II 3.
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2. Die Streikteilnahme a) Die Streikteilnahme als Ausübung des individuellen Streikrechts Nach heute ganz h.M. suspendiert alleine der Streikaufruf noch nicht die Hauptleistungspflichten in den Arbeitsverhältnissen der vom Streikaufruf erfassten Arbeitnehmer. Vielmehr bedarf es hierfür einer besonderen Erklärung des einzelnen Arbeitnehmers.19 Eine unmittelbare Wirkung des Streikbeschlusses für die vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wäre schon wegen der hiermit verbundenen Unterscheidung zwischen organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmern problematisch. Eine unmittelbare Suspendierung käme nämlich von vornherein nur für die organisierten Arbeitnehmer in Betracht.20 Gewährt man mit der h.M. auch den nichtorganisierten Arbeitnehmern das Recht, sich am Streik zu beteiligen und die Arbeitsleistung zu verweigern 21, käme man folglich zu unterschiedlichen Zeitpunkten hinsichtlich des Eintritts der Suspensivwirkung. Vor allem aber widerspräche eine solche unmittelbare Einwirkung auf die Vertragsverhältnisse dem Charakter des Streikrechts als subjektives Recht des einzelnen Arbeitnehmers.22 Art. 9 Abs. 3 GG ist im Ausgangspunkt ein Individualgrundrecht, auch wenn sich die Koalition selbst ebenfalls auf das Grundrecht berufen kann 23 und der Arbeitskampf seine Legitimation aus dem System frei ausgehandelter Tarifverträge ableitet, deren Abschluss gem. § 2 Abs. 1 TVG auf Arbeitnehmerseite der Gewerkschaft, also dem Verband, vorbehalten ist. Der Freiheitsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG, der den Arbeitnehmern ermöglichen soll, in kollektiver Wahrnehmung ihrer Interessen die
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BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 1; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 4; BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter II; BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118 unter I 3a; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 12; Otto (Fn. 1) § 7 Rn. 38, § 14 Rn. 3 ff.; Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht (1975), S. 29 ff., S. 227 ff. 20 Dies wäre etwa anzunehmen, wenn man der früher von Brandner BB 1957, 1281 ff. vertretenen Ansicht folgen würde, wonach der Streikbeschluss ähnliche Wirkungen entfaltet wie die Tarifnormen. 21 BAG 22.3.1994 – 1 AZR 622/93 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 115 unter II 3a; Brox in Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht, 2. Aufl. (1982) Rn. 289; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 160; Gamillscheg (Fn. 1) S. 994; Kissel (Fn. 1) § 38 Rn. 10 ff., § 48 Rn. 4 ff.; Löwisch/Rieble in: Löwisch, Arbeitskampf– und Schlichtungsrecht, Schriften zur Arbeitsrecht–Blattei Band 4 (1997), 170.1 Rn. 15, 170.2 Rn. 85 ff.; Otto (Fn. 1) § 6 Rn. 11 ff. 22 Grundlegend zum Streikrecht als einem subjektiv–privaten Recht des einzelnen Arbeitnehmers Seiter (Fn. 19) S. 182 ff. 23 Zu der streitigen Frage, ob es sich dabei um ein Doppelgrundrecht handelt oder ob sich der Schutz der Koalition lediglich aus Art. 19 Abs. 3 GG ergibt, vgl. nur Otto (Fn. 1) § 4 Rn. 35 ff.
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Arbeitsbedingungen selbstbestimmt zu gestalten, spricht jedenfalls dafür, dass der Arbeitnehmer nicht nur über die Frage des Beitritts zu der Koalition, sondern auch darüber frei entscheiden kann, ob und inwieweit er sich an Kampfmaßnahmen beteiligt.24 Zwar mag der Arbeitnehmer verbandsrechtlich verpflichtet sein, an einem satzungsgemäß beschlossenen Streik teilzunehmen.25 Eine unmittelbare Suspensivwirkung des Streikbeschlusses lässt sich hieraus aber zumindest de lege lata nicht ableiten. Insbesondere kann man hierfür nicht darauf verweisen, dass die Tarifparteien durch die Tarifnormen unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis einwirken können (§ 4 Abs. 1 TVG). Die Tarifnormen dienen der Gewährleistung eines Mindestschutzes für die Arbeitnehmer, weswegen Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 3 TVG ohne Weiteres zulässig sind. Eine unmittelbare Suspensivwirkung des Streikaufrufes hingegen könnte allenfalls den Zweck haben, die Verbandssolidarität zu erzwingen. Da es sich bei den mitgliedschaftlichen Pflichten um relative Pflichten im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Verband handelt, können diese aber einen unmittelbaren Eingriff in Rechtsbeziehungen des Arbeitnehmers zu Dritten kaum rechtfertigen.26 Im Übrigen müsste bei Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung des Streikaufrufes dasselbe für die Arbeitgeberseite gelten. Der Beschluss des Arbeitgeberverbandes müsste dann unmittelbar zur Suspendierung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten führen. Abgesehen davon, dass dies ohnehin graue Theorie bliebe, weil eine Aussperrung gegen den Willen des Arbeitgebers praktisch kaum möglich ist, wäre dies ein massiver Eingriff in die Unternehmensführung, der kaum zu rechtfertigen ist und daher auch allgemein abgelehnt wird.27 Dann kann für die Arbeitnehmerseite nichts Anderes gelten.28 Der Streikbeschluss sowie der entsprechende Streikaufruf schaffen folglich lediglich die Voraussetzungen für die Ausübung des individuellen Streikrechts durch die einzelnen Arbeitnehmer, führen aber nicht selbst zur Suspendierung der vertraglichen Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis. Diese tritt vielmehr erst dadurch ein, dass sich der Arbeitnehmer am Streik be-
24 Ebenso wohl Otto (Fn. 1) § 4 Rn. 41: „Das Recht des Einzelnen zum Arbeitskampf ist indessen nicht nur eine sekundäre Folge des kollektiven Betätigungsrechts, sondern ist Bestandteil der Individualgarantie.“ Ähnlich Reichold JuS 1996, 1049, 1050 f. 25 Vgl. etwa Schlüter in: Brox/Rüthers (Fn. 21) Rn. 476; Gamillscheg (Fn. 1) S. 1013; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 10, jeweils unter Hinweis auf entsprechende Bestimmungen in den gewerkschaftlichen Satzungen. 26 Ähnlich Seiter (Fn. 19) S. 37: Die Streikbeteiligung bringe für den Arbeitnehmer zunächst allein Opfer und Gefährdungen mit sich. 27 Ramm Das Koalitions- und Streikrecht der Beamten (1970), S. 167; Seiter (Fn. 19) S. 37; vgl. aus der aktuellen Literatur, die diese Frage gar nicht mehr diskutiert, Kissel (Fn. 1) § 56 Rn. 1; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 3. 28 Seiter (Fn. 19) S. 37.
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teiligt. Andererseits ist der Arbeitnehmer ohne entsprechenden Verbandsbeschluss nicht zum Streik berechtigt. Bei dem Streikrecht handelt es sich also – nach der vom Jubilar geprägten treffenden Umschreibung – um ein Individualgrundrecht unter kollektivem Vorbehalt.29 b) Die suspendierende Wirkung der Streikteilnahme Die Teilnahme am Streik besteht in der Verweigerung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung.30 Der Arbeitnehmer erklärt dem Arbeitgeber gegenüber, seiner Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag nicht nachkommen zu wollen, um damit den Tarifforderungen Nachdruck zu verleihen. Da der Arbeitnehmer dabei von einem Recht Gebrauch machen, sich also rechtmäßig verhalten und nicht etwa vertragsbrüchig werden will, ist sein Wille darauf gerichtet, seine Arbeitspflicht für die Dauer des Streiks zu suspendieren. Folglich handelt es sich bei der Erklärung des Arbeitnehmers um eine Willenserklärung und um ein einseitiges Rechtsgeschäft, ein Gestaltungsrecht.31 Die mit der Erklärung verbundene Rechtsfolge, nämlich die Suspendierung der Vertragspflichten, tritt gerade deshalb ein, weil sie gewollt ist. Einigkeit besteht darüber, dass während des Streiks beide Hauptleistungspflichten, also auch die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung des Arbeitsentgelts, suspendiert sind.32 Woraus sich die Suspendierung der Gegenleistungspflicht ergibt, wird freilich nur selten dargelegt. In der Rechtsprechung findet sich sogar die apodiktische Feststellung, dass der Wegfall des Entgeltanspruches der streikenden Arbeitnehmer keiner Begründung bedürfe.33 Auch wenn an dem Ergebnis kein Zweifel bestehen kann, fällt es schwer, die Rechtsgrundlage hierfür ebenfalls in der Erklärung des Arbeitnehmers zu sehen. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Wegfall der Vergütung vom Arbeitnehmer intendiert ist. Nun mag es sein, dass der Arbeitnehmer den Verlust des Vergütungsanspruches als (unvermeidliche) Begleiterscheinung in Kauf nimmt. Doch genügt dies wohl nicht, um diese Rechtsfolge als
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Otto (Fn. 1) § 4 Rn. 43; zust. Kissel (Fn. 1) § 17 Rn. 17. BAG 21.6.1988 – 1 AZR 651/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 75 unter A II 2; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 168; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 61. 31 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 1; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 4; BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118 unter I 3a; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 5; wohl auch Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 64 f.; a.M. Gamillscheg (Fn. 1) S. 994: Berufung auf einen Rechtfertigungsgrund; anders auch Löwisch/Krauß (Fn. 21) 170.3.1 Rn. 5, die zwar ebenfalls eine Erklärung des Arbeitnehmers für erforderlich halten, diese aber als rechtsgeschäftsähnliche Handlung einordnen. 32 BAG 22.3.1994 – 1 AZR 622/93 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 115 unter II 3a; Brox in: Brox/Rüthers (Fn. 21) Rn. 294; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 187; Kissel (Fn. 1) § 46 Rn. 8 ff.; Löwisch/Krauß (Fn. 21) 170.3.1 Rn. 14 ff.; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 2. 33 BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 3 vor a. 30
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Inhalt seines rechtsgeschäftlichen Willens anzusehen. Manche stützen den Wegfall des Vergütungsanspruches daher auf § 326 Abs. 1 BGB.34 Diese Vorschrift ist jedoch zumindest nicht unmittelbar anwendbar, weil sie voraussetzt, dass es sich um eine Gegenleistung für eine an sich bestehende Schuld handelt, deren Erfüllung unmöglich oder aus anderen Gründen auf Dauer ausgeschlossen ist. Die Pflicht zur Arbeitsleistung, die mit der Vergütung abgegolten werden soll, besteht aber gerade nicht, weil sie während des Streiks suspendiert ist.35 Man wird allerdings die Suspendierung der Entgeltzahlungspflicht zumindest auf den Rechtsgedanken stützen können, der den §§ 320ff. BGB und vor allem dem § 326 Abs. 1 BGB zugrunde liegt.36 Danach kann der Vergütungsanspruch aufgrund seiner synallagmatischen Verknüpfung mit der Arbeitspflicht nicht alleine bestehen, sondern teilt deren Schicksal. Wenn die Pflicht zur Arbeitsleistung während des Streiks suspendiert ist, die Leistungspflicht also – zumindest für die Dauer des Arbeitskampfes – endgültig entfällt, so entfällt damit auch die vom Arbeitgeber geschuldete Gegenleistung kraft Gesetzes. Es kommt folglich nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer mit seiner Erklärung, am Streik teilnehmen zu wollen, auch die Vergütungspflicht beseitigen will. c) Unterstützung des Streiks als Streikteilnahme? In der Rechtsprechung wird mitunter unter der Streikteilnahme nicht nur die Verweigerung der Arbeitsleistung, sondern auch ein sonstiges, rein tatsächliches Verhalten verstanden, das dazu beiträgt, den von dem Streik ausgehenden wirtschaftlichen Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen. So sei vom Streikrecht auch der Versuch mit umfasst, neue, dem bestreikten Betrieb bisher nicht zugehörige Arbeitskräfte mit Mitteln des gütlichen Zuredens und des Appells an die Solidarität von der Aufnahme der Arbeit im bestreikten Betrieb abzuhalten oder Arbeitnehmer des bestreikten Betriebes, die sich dem Streik bislang noch nicht angeschlossen haben, zur Teilnahme am Streik zu bewegen.37 34
So etwa Gamillscheg (Fn. 1) S. 1189 (§ 323 BGB a.F.). So zu Recht Seiter (Fn. 19) S. 295 f. 36 Reichold JuS 1996, 1049, 1053; wohl auch Brox in: Brox/Rüthers (Fn. 21) Rn. 294 (arg. e § 323 BGB a.F.); nicht ganz klar Bengelsdorf NZA 2006, 825, 826 und Plöhn SAE 2006, 196, 201, die sich einerseits auf die „in §§ 275, 326 BGB normierte Grundregel“ beziehen, was auf eine unmittelbare Anwendung hindeutet, andererseits aber von dem „Rechtsgedanken des § 326 BGB“ sprechen; a.M. Seiter (Fn. 19) S. 296: spezielles arbeitskampfrechtliches Lohnverweigerungsrecht des Arbeitgebers. 37 BAG 21.6.1988 – 1 AZR 651/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 75 unter A II 2; ähnlich BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 5: im Falle der Erkrankung des Arbeitnehmers könne die konkludente Erklärung der Beteiligung am Streik auch dadurch erfolgen, dass sich der Arbeitnehmer tatsächlich (etwa als Streikposten) am Streik beteilige; anders offenbar nunmehr BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – 35
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Diese Ausweitung des Begriffes der Streikbeteiligung erscheint problematisch. Das individuelle Streikrecht erlangt seine Bedeutung daraus, dass es dem Arbeitnehmer die Befugnis verleiht, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu verweigern. Das Streikrecht verleiht ihm also eine Rechtsposition im Verhältnis zu seinem Vertragsarbeitgeber. Die Ausübung dieses Rechtes setzt dann aber andererseits das Bestehen der Arbeitspflicht voraus.38 Eine nicht geschuldete Leistung kann auch nicht verweigert werden. Hiervon zu unterscheiden sind Betätigungen des Arbeitnehmers, die darauf abzielen, den Streik als Maßnahme im Rahmen des Arbeitskampfes rein tatsächlich zu unterstützen, etwa durch Mithilfe bei der Organisation des Streiks, Beteiligung an Kundgebungen zur Bekräftigung der Streikforderungen oder auch durch die Tätigkeit als Streikposten, um andere Arbeitnehmer von der Arbeitsaufnahme abzuhalten. Nicht bestritten werden soll damit, dass solche Tätigkeiten geeignet sind, die Wirksamkeit des Streiks zu gewährleisten und damit den Druck auf die Arbeitgeberseite aufrechtzuerhalten oder zu verstärken.39 Es handelt sich somit um Handlungen, die von der Arbeitskampfgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst sind. Dennoch sollten sie nicht mit einer Ausübung des individuellen Streikrechts gleichgesetzt werden. Das Recht des Arbeitnehmers, den Arbeitskampf der Gewerkschaft auf diese Weise zu unterstützen, verleiht ihm keine besonderen Eingriffsbefugnisse gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber. Insbesondere wird er hierdurch nicht etwa zu Handlungen berechtigt, die ohne den entsprechenden Streikaufruf der Gewerkschaft rechtswidrig wären. So sind etwa Blockaden des Betriebs durch Streikposten eine Verletzung des Rechts des Arbeitgebers auf ungestörte Nutzung seines Eigentums sowie seines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.40 Andererseits ist die Befugnis zur tatsächlichen Unterstützung der Kampfmaßnahmen völlig losgelöst von der Stellung als Partner des Arbeitsverhältnisses. So können sich an der Organisation von Streikmaßnahmen gegenüber
EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 21. Auf der Gleichsetzung von Streikunterstützung und Streikteilnahme beruht die Kritik von Bengelsdorf NZA 2006, 825 ff. und Plöhn SAE 2006, 196 ff., an der oben (Fn. 4) angeführten Entscheidung, die in dem Vorwurf gipfelt, dass das Gericht den allgemein anerkannten Grundsatz, wonach der Arbeitnehmer für die Zeiten der Streikteilnahme auch keine Vergütung erhalte, aufgegeben habe. 38 Ebenso BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 21. 39 Hierauf stellt das BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 7 im Anschluss an Löwisch/Rieble (früher Löwisch/Krauß) (Fn. 21) 170.2 Rn. 284 sowie Däubler/Colneric Arbeitskampfrecht, 2. Aufl. (1987) Rn. 561 maßgeblich ab; ebenso zuletzt Bengelsdorf NZA 2006, 825, 828. 40 BAG 21.6.1988 – 1 AZR 653/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 76 unter B II 2; BAG – 8.11.1988 – 1 AZR 417/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 91 unter A III 3a; Kissel (Fn. 1) § 61 Rn. 104; Otto (Fn. 1) § 11 Rn. 5, § 15 Rn. 6 f.
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einzelnen Arbeitgebern auch Arbeitnehmer beteiligen, die gar nicht bei diesem Unternehmen beschäftigt sind, ohne dass es sich deswegen um einen Sympathiestreik handeln würde. Dies zeigt, dass die Betätigungen im Rahmen der tatsächlichen Durchführung des Streiks allein als Ausfluss des kollektiven Streikrechts der Gewerkschaft geschützt sind, da sie der Durchsetzung der erhobenen Forderungen im Rahmen der Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern dienen. Wenn von dem individuellen Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers die Rede ist, so ist hingegen ausschließlich die Befugnis des einzelnen Arbeitnehmers gemeint, die geschuldete Arbeitsleistung zu verweigern. Das individuelle Streikrecht beinhaltet also nicht nur das Recht, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu verweigern 41, sondern es ist mit diesem identisch, erschöpft sich darin. d) Streikteilnahme erkrankter Arbeitnehmer Besteht das individuelle Streikrecht darin, die geschuldete Arbeitsleistung verweigern zu können, so stellt sich die Frage, ob auch Arbeitnehmer streiken können, die aus anderen Gründen, etwa wegen Krankheit oder wegen eines gewährten Erholungsurlaubs bzw. einer sonstigen Beurlaubung, nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sind. Arbeitnehmer, die infolge Krankheit arbeitsunfähig sind, können sich nach überwiegender Ansicht dennoch am Streik beteiligen.42 Dies wird zumeist damit begründet, dass sie den Streik auf andere Weise, etwa durch die Teilnahme an Streikkundgebungen, unterstützen und damit ihren Willen zur Arbeitsverweigerung zum Ausdruck bringen könnten. Versteht man unter dem individuellen Streikrecht mit der hier vertretenen Ansicht allein das Recht, die geschuldete Arbeitsleistung zu verweigern, stellt sich dagegen zunächst die Frage, wie sich die Krankheit auf das Bestehen der Arbeitspflicht auswirkt. Würde diese kraft Gesetzes für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit entfallen, wäre eine Streikbeteiligung im Sinne einer einseitigen Suspendierung der Arbeitspflicht ausgeschlossen. Die entsprechende Gestaltungserklärung des Arbeitnehmers ginge genauso
41 So die Formulierung im Warnstreikurteil des BAG vom 21.6.1988 – 1 AZR 651/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 75 unter A II 2. 42 Brox in Brox/Rüthers (Fn. 21) Rn. 660; Buchner DB 1966, 110, 111; Däubler/Colneric (Fn. 39) Rn. 561; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 190; Gamillscheg (Fn. 1) S. 997; HWK/Hergenröder (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 197; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 49; Löwisch/Rieble (Fn. 21) 170.2 Rn. 284; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 5; Seiter (Fn. 19) S. 300; wohl auch BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 7; eindeutig bejahend BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter I 2; anders noch BAG 24.2.1961 – 1 AZR 17/59 – AP Nr. 31 zu § 1 ArbKrankhG; offen gelassen nunmehr wiederum von BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 27.
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ins Leere wie eine Aufrechnung bei Nichtbestehen der Gegenforderung oder wie die Kündigung eines nicht wirksam zustande gekommenen Vertrages.43 Die Auswirkungen der Arbeitsunfähigkeit auf die Arbeitspflicht sind gerade nach Inkrafttreten des reformierten Schuldrechts kontrovers beurteilt worden. Manche nehmen an, dass dem Arbeitnehmer die Leistung infolge der Krankheit unmöglich werde, so dass die Arbeitspflicht gem. § 275 Abs. 1 BGB ipso iure entfalle.44 Andere halten dagegen ausschließlich den neu eingeführten § 275 Abs. 3 BGB für einschlägig und geben dem Arbeitnehmer lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht.45 Überzeugender erscheint es, nach den konkreten Auswirkungen der Krankheit zu differenzieren.46 Ist der Arbeitnehmer tatsächlich selbst bei größter Anstrengung außerstande, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, so liegt in der Tat Unmöglichkeit i.S. des § 275 Abs. 1 BGB vor, so dass die Leistungspflicht kraft Gesetzes entfällt. In diesem Falle ist für eine Verweigerung der Arbeitsleistung in Ausübung des individuellen Streikrechts kein Raum. Der Arbeitnehmer mag sich hier an Streikaktionen beteiligen können. Die Entbindung von der Arbeitspflicht ist jedoch nicht die Folge einer rechtsgestaltenden Willenserklärung des Arbeitnehmers, sondern ergibt sich unmittelbar aus § 275 Abs. 1 BGB. Hinsichtlich des Vergütungsanspruches findet § 326 Abs. 1 BGB ebenfalls unmittelbare Anwendung. Die entscheidende Frage ist dann, ob im Falle einer Streikunterstützung die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EntFG vorliegen.47 Ist der Arbeitnehmer dagegen in der Lage, die Arbeitsleistung (wenn auch vielleicht mit Einschränkungen) zu erbringen, wäre dies aber mit erheblichen Anstrengungen und Belastungen, unter Umständen sogar mit einer Gefähr-
43 Der Hinweis von Däubler/Colneric (Fn. 39) Rn. 561, dass die Aufhebung der Arbeitspflicht infolge der Krankheit einer Streikerklärung ebenso wenig entgegenstehe wie die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dessen Anfechtung ausschließe, übersieht einen wesentlichen Unterschied. Die Anfechtung eines nichtigen Rechtsgeschäfts bewirkt ebenfalls dessen Unwirksamkeit, entfaltet also gleichberechtigt neben dem Nichtigkeitsgrund Rechtswirkungen. Die Kumulation mehrerer Unwirksamkeitsgründe kann durchaus sinnvoll sein, etwa dann, wenn der Anfechtungsgegner zwar die Anfechtbarkeit, aber nicht die Nichtigkeit kannte (§ 142 Abs. 2 BGB; vgl. etwa Bork (Fn. 77) Rn. 927). Ein Gestaltungsrecht, das auf die Aufhebung eines Rechts zielt, entfaltet dagegen keinerlei Rechtsfolgen, wenn das Recht nicht existiert. 44 Canaris JZ 2001, 499, 501 Fn. 33; Däubler NZA 2001, 1329, 1332; Joussen in Rolfs/ Giesen/Kreikebohm/Udsching Beck’scher Online-Kommentar (Stand 1.6.2007), § 611 BGB Rn. 354. 45 Huber/Faust Schuldrechtsmodernisierung (2002) Rn. 2/13 Fn. 11; Löwisch NZA 2001, 465 f. (noch zu § 275 Abs. 2 BGB der konsolidierten Fassung des Gesetzentwurfs). 46 Zutr. Gotthardt Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform (2002), Rn. 84; ErfK/Preis (Fn. 1) § 611 BGB Rn. 847; Henssler/Muthers ZGS 2002, 219, 223. 47 Hierzu unten bei Fn. 50.
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dung seiner Gesundheit verbunden, so würde eine Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB der Sachlage kaum gerecht. Erscheint der Arbeitnehmer etwa trotz der Krankheit am Arbeitsplatz und verrichtet zumindest vorübergehend seine normale Arbeitsleistung, so liegt zumindest eine Teilerfüllung vor, selbst wenn er die Arbeit aufgrund der Krankheit später wieder abbrechen muss. Man stünde dann vor dem unauflöslichen Widerspruch, dass eine unmögliche Leistung erbracht worden ist. Im Übrigen stünde dem Arbeitnehmer für die Dauer der erbrachten Arbeitsleitung ein Anspruch auf die Vergütung aus § 611 Abs. 1 BGB zu, nicht etwa aus § 3 Abs. 1 EntFG. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, dem Arbeitnehmer in solchen Fällen lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 275 Abs. 3 BGB zuzugestehen und ihm die Entscheidung zu überlassen, ob er sich auf die Unzumutbarkeit beruft oder ob er die zusätzlichen Anstrengungen auf sich nimmt, um seine Verpflichtung zu erfüllen. Nur wenn der Arbeitnehmer das ihm zustehende Leistungsverweigerungsrecht geltend macht, indem er dem Arbeitgeber unter Berufung auf die Krankheit mitteilt, dass er nicht am Arbeitsplatz erscheinen könne, entfällt die Arbeitspflicht und damit zugleich der Anspruch auf die Vergütung nach § 326 Abs. 1 BGB. Hat der Arbeitnehmer infolge der Krankheit nur ein Leistungsverweigerungsrecht, so ist zugleich Raum für die Ausübung des individuellen Streikrechts. Der Arbeitnehmer kann schließlich auch während einer Krankheit auf sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB verzichten und seine Arbeitsbereitschaft bekunden mit der Folge, dass seine Arbeitspflicht wieder auflebt. Würde anschließend die Gewerkschaft zu einem Streik aufrufen, könnte der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht durch die Teilnahme am Streik suspendieren. Dann muss es aber genauso möglich sein, den Verzicht auf das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB mit der Erklärung der Streikteilnahme zu verbinden. Am Wegfall der Arbeitspflicht würde sich nichts ändern, lediglich der rechtliche Grund würde ausgetauscht. Die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Streikbeteiligung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer ist freilich weniger die der Arbeitspflicht, sondern die der Entgeltfortzahlung. Zur Arbeitsleistung verpflichtet ist der Arbeitnehmer in keinem Fall, da die Leistungspflicht zumindest nach § 275 Abs. 1 oder Abs. 3 BGB entfällt, auch wenn man eine Streikteilnahme für ausgeschlossen hält. Hinsichtlich des Arbeitsentgelts scheinen sich dagegen nach der hier vertretenen Ansicht Unterschiede zur h.M. zu ergeben. Diese versagt dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, der sich auf sonstige Weise als durch Arbeitsverweigerung mit den streikenden Arbeitnehmern solidarisch erklärt, den Anspruch auf das Arbeitsentgelt.48 Dies ist konse48 BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter I 2; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 189; HWK/Hergenröder (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 197; Kissel (Fn. 1) § 46 Rn. 17; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 16.
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quent, wenn man annimmt, dass der arbeitsunfähige Arbeitnehmer am Streik teilnehmen kann. Auch für den streikenden arbeitsunfähigen Arbeitnehmer muss dann gelten, dass der Streik zur Suspendierung beider Hauptleistungspflichten führt.49 Doch auch wenn man bei Nichtbestehen der Arbeitspflicht wegen der Arbeitsunfähigkeit eine Streikbeteiligung für ausgeschlossen hält, ist es nicht zwingend, den Arbeitgeber zur Fortzahlung des Arbeitsentgeltes für verpflichtet zu erachten. Zwar liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EntFG an sich vor, wenn der Streik erst nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit beginnt. Doch setzen die Vorschriften über die Entgeltfortzahlung nach ihrem Sinn und Zweck voraus, dass der Arbeitnehmer allein durch Krankheit an der Arbeit gehindert wird, also zumindest arbeitswillig ist. Beteiligt sich der arbeitsunfähige Arbeitnehmer an dem Arbeitskampf der Gewerkschaft durch Unterstützungsmaßnahmen, so gibt er aber regelmäßig zu erkennen, dass er unabhängig von seiner Erkrankung nicht gewillt ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Dies rechtfertigt es, § 3 Abs. 1 EntFG im Wege der teleologischen Reduktion außer Anwendung zu lassen und dem Arbeitnehmer den Anspruch auf das Arbeitsentgelt zu versagen.50 Die Ergebnisse dürften sich kaum von denen der h.M. unterscheiden. Der Arbeitnehmer, der bereits vor Beginn des Streiks arbeitsunfähig erkrankt war, verliert den Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er den Streik in sonstiger Weise als durch Fernbleiben von der Arbeit unterstützt. Sofern das Verhalten des Arbeitnehmer (aus der Sicht eines verständigen Empfängers) so zu verstehen ist, dass er auf sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB verzichtet und stattdessen von seinem Streikrecht Gebrauch machen will, so ergibt sich der Wegfall des Vergütungsanspruches wie bei den übrigen Streikenden aus dem Rechtsgedanken des § 326 Abs. 1 BGB. Ist dies nicht der Fall, sei es, weil die Arbeitsleistung unmöglich ist, sei es, weil das Verhalten des Arbeitnehmers nicht eindeutig als Verzicht auf sein Leistungsverweigerungsrecht wegen der Krankheit zu deuten ist, so entfällt der Vergütungsanspruch, wenn und weil der Arbeitnehmer zu erkennen gibt, dass es an der vom Gesetz von § 3 Abs. 1 EntFG vorausgesetzten Arbeitswilligkeit fehlt. Damit wird zugleich vermieden, dass der Entgeltanspruch in den Fällen des § 275 Abs. 3 BGB davon abhängt, ob die Mitwirkung bei Unterstützungsmaßnahmen als (konkludenter) Verzicht auf das Leistungsverweigerungs49 BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter I 2; Kissel (Fn. 1) § 46 Rn. 17; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 16. 50 Das BAG verwendet zum Teil eine ähnliche Begründung, wenn es die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 EntFG verneint, weil der Arbeitnehmer sich bei fortbestehender Arbeitsfähigkeit an dem Streik beteiligt hätte, es also an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitsausfall fehle; vgl. BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 27. Eine solche hypothetische Kausalitätsbetrachtung wird freilich vom Gericht an anderer Stelle mit Recht abgelehnt, vgl. BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter I 1.
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recht und als Ausübung des individuellen Streikrechts anzusehen ist. Dies wäre etwa dann zweifelhaft, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gleichzeitig weiterhin ärztliche Bescheinigungen über die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit zusenden würde.51 Der Vorzug der hier vorgeschlagenen Lösung besteht darin, dass das Problem dort behandelt wird, wo es hingehört, nämlich im Zusammenhang mit dem Anspruch auf die Fortzahlung des Entgelts. Anders als nach dem Ansatz der h.M. bedarf es also keiner Modifizierung des Begriffes der Streikteilnahme, die deren Rechtscharakter eher verschleiert und zu Unklarheiten führt. Einfacher zu beantworten sind die rechtlichen Fragen, die sich ergeben, wenn ein Arbeitnehmer nach Beginn des Streiks infolge Krankheit arbeitsunfähig wird. Hat sich der Arbeitnehmer vor der Erkrankung am Streik beteiligt, so ist seine Arbeitspflicht suspendiert. Damit fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Nach § 3 Abs. 1 EntFG besteht dieser nämlich nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall ist. Erkrankt ein streikender Arbeitnehmer, beruht die Nichtleistung aber nicht auf der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, sondern auf der Beteiligung des Arbeitnehmers am Streik.52 Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung käme mithin nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer seine Streikbeteiligung wieder beenden könnte. Hierzu bedarf es – gleichsam als actus contrarius zu der Erklärung der Streikteilnahme – einer Erklärung, mit der der Arbeitnehmer zu erkennen gibt, „aus dem Streikgeschehen auszuscheiden“.53 Im Normalfall geschieht dies dadurch, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung wieder anbietet. Dies wäre bei einer Erkrankung aber nur möglich, wenn der Arbeitnehmer grundsätzlich zur Arbeitsleistung imstande wäre, ihm also nach § 275 Abs. 3 BGB lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht zustünde. Dann müsste er sich beim Wort nehmen lassen und bei Annahme des Arbeitsangebotes seiner Arbeitspflicht auch wieder nachkommen. Ist der Arbeitnehmer dagegen zur Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 1 BGB außerstande, so fragt
51 Vgl. auch BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter II 2 b, wo das Gericht die fehlende Streikbeteiligung darauf stützt, dass der Arbeitnehmer nicht „mitgestreikt“, sich insbesondere nicht als Streikposten betätigt, sondern weiterhin regelmäßig die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen übersandt habe. 52 Boecken in: Richardi/Wlotzke, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht (MünchArbR), Band 2, 2. Aufl. (2000) § 83 Rn. 77; ErfK/Dörner (Fn. 1) § 3 EFZG Rn. 33; Schmitt Entgeltfortzahlungsgesetz, 5. Aufl. (2005), § 3 Rn. 82, 86; Staudinger/Oetker (2002), § 616 Rn. 232. 53 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 2; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 4; ebenso ErfK/Dörner (Fn. 1) § 3 EFZG Rn. 33; Kissel (Fn. 1) § 46 Rn. 19; Löwisch/Krauß (Fn. 21) 170.3.1 Rn. 19; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 8.
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sich, ob eine Erklärung, wonach er den Streik beende, ernst genommen werden kann, weil sie im Hinblick auf die Arbeitspflicht ohne Folgen bliebe, vielmehr allein dazu dienen würde, den Entgeltfortzahlungsanspruch zu begründen, mithin – anders als im Normalfalle der Streikbeendigung – den wirtschaftlichen Druck auf den Arbeitgeber nicht mildern, sondern verschärfen würde.54 Aus diesem Grunde ist besonders sorgfältig nach Anhaltspunkten außerhalb der Erklärung zu suchen, die Aufschluss darüber geben können, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht – die Arbeitsfähigkeit unterstellt – wiederherstellen will. Hierfür können auch spätere Umstände eine Rolle spielen, etwa wenn der Arbeitnehmer nach seiner Genesung wieder seine Streikteilnahme erklärt. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine Aussperrung arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer auch nach dem hier vertretenen Ansatz ohne weiteres möglich und zulässig ist.55 Die Aussperrung ist das Kampfmittel der Arbeitgeberseite. Mit ihr soll Druck auf die Arbeitnehmerseite ausgeübt werden, indem den Arbeitnehmern ein wirtschaftlicher Schaden in Gestalt des Verlustes des Entgeltanspruches zugefügt wird. Die Aussperrungserklärung zielt daher in erster Linie darauf ab, den Entgeltanspruch zu suspendieren. Zwar wird stets betont, dass die Aussperrung zugleich die Beschäftigungspflicht suspendiere.56 Dies ist aber im Normalfall zwingende Voraussetzung für den Wegfall der Vergütungspflicht. Bestünde die Beschäftigungspflicht fort, so müsste der Arbeitgeber auch die Vergütung zahlen, da das Aussperrungsrecht nicht die Befugnis begründet, die Arbeitsleistung ohne Vergütung zu erhalten. Deshalb steht es der Aussperrung nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer Anspruch auf das Arbeitsentgelt hat, ohne zur Arbeitsleistung verpflichtet zu sein. Zwar kann die Arbeitsleistung in diesem Falle – zumindest für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit – nicht mehr suspendiert werden. Das entscheidende Ziel der Aussperrung, nämlich die Druckausübung durch Suspendierung des Entgeltanspruches, kann aber in gleicher Weise erreicht werden.57 Das Aussperrungsrecht erstreckt sich daher grundsätz-
54 Aus diesem Grunde wird eine Beendigung der Streikteilnahme bei einer nach Streikbeginn eintretenden Arbeitsunfähigkeit von einem Teil der Literatur abgelehnt; vgl. Buchner DB 1966, 110, 111; Schmitt § 3 Rn. 65 (Arbeitgeber kann Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben); MünchArbR/Boecken (Fn. 52) § 83 Rn. 77 (sofern der Arbeitnehmer keinen sachlichen Grund für die Beendigung der Streikteilnahme nachweist). 55 Ebenso die ganz h.M.; BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 79; Gamillscheg (Fn. 1) S. 1050; Kissel (Fn. 1) § 55 Rn. 14 f.; Löwisch/Rieble (Fn. 21) 170.2 Rn. 284; Otto (Fn. 1) § 8 Rn. 20; a.M. Brox in: Brox/Rüthers (Fn. 21) Rn. 661. 56 Vgl. nur BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 79 unter III 2a; Kissel (Fn. 1) § 57 Rn. 2. 57 Zutr. BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 79 unter III 2b.
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lich 58 auf Arbeitnehmer, die vom Arbeitgeber Lohnersatzleistungen für Zeiten ohne Arbeitsleistung erhalten. Zulässig ist folglich auch die Aussperrung an Feiertagen.59 e) Streikteilnahme beurlaubter Arbeitnehmer Kontrovers beurteilt wird, ob ein im Urlaub befindlicher Arbeitnehmer sich an einem Streik beteiligen kann. Problematisch ist dabei aus Sicht der h.M. weniger, dass während des Erholungsurlaubs keine Arbeitspflicht besteht, sondern der Umstand, dass etwaige Streiktage nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet werden dürfen, so dass diese zu einem späteren Zeitpunkt gewährt werden müssen. Dies kann den Interessen des Arbeitgebers durchaus zuwiderlaufen, der sich darauf eingestellt hat, nur für den Zeitraum des geplanten Urlaubs auf den Arbeitnehmer verzichten zu müssen. Dennoch wird in der Literatur verbreitet die Ansicht vertreten, dass es dem Arbeitnehmer frei stehe, den Urlaub durch einseitige Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber zu unterbrechen, um an dem Streik teilzunehmen.60 Versteht man unter der Streikteilnahme die Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung, stellt sich letztlich dieselbe Frage. Eine Teilnahme an einem Streik während des Erholungsurlaubs ist ausgeschlossen, da in diesem Zeitraum gerade keine Arbeitspflicht besteht. Es kommt daher darauf an, ob der Arbeitnehmer den Erholungsurlaub einseitig beenden kann.61 Nach der heute herrschenden Ansicht handelt es sich bei dem Urlaubsanspruch um einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Befreiung von der mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Arbeitspflicht unter Weiterzahlung des aus § 611 BGB geschuldeten Arbeitsentgelts.62 Da der Urlaub vom Arbeitgeber „gewährt“ werden muss (vgl. § 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BUrlG), steht dem Arbeitgeber als Schuldner der Urlaubsforderung das Recht zu, die Art und Weise der Erfüllung, insbesondere den Zeitraum der Urlaubsgewährung, zu bestimmen. Es handelt sich dabei um eine einseitige 58 Ausnahmen sind denkbar, wenn ein Wegfall der Ersatzleistung während des Arbeitskampfes mit der Schutzintention der gesetzlichen Regelung unvereinbar wäre. Hierzu etwa die Überlegungen bei Otto (Fn. 1) § 8 Rn. 20. 59 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 192/87 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 77. 60 Brox in Brox/Rüthers (Fn. 21) Rn. 304; Däubler/Colneric (Fn. 39) Rn. 560; ErfK/ Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 201; Gamillscheg (Fn. 1) S. 1193; HWK/Hergenröder (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 195; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 5; Seiter (Fn. 19) S. 302; das BAG hat die Frage noch nicht entschieden, jedoch erhebliche Vorbehalte gegenüber einem einseitigen Widerruf des Urlaubs durch den Arbeitnehmer zum Zwecke der Streikteilnahme geltend gemacht; vgl. BAG 31.5.1988 – 1 AZR 200/87 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 78 unter 4; BAG 15.1.1991 – 1 AZR178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 5. 61 Ebenso – wenn auch etwas vorsichtiger formulierend – BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 28 f. 62 BAG 13.5.1982 – 6 AZR 360/80 – EzA § 7 BUrlG Nr. 25 unter II 4e; BAG 22.2.2000 – 9 AZR 107/99 – EzA § 11 BUrlG Nr. 46 unter I 2a.
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Leistungsbestimmung i.S. von § 315 Abs. 1 BGB mit dem Unterschied, dass die Bestimmung nicht nach billigem Ermessen, sondern nach den Grundsätzen des § 7 Abs. 1 BUrlG zu erfolgen, insbesondere also die Wünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat.63 Ist die Bestimmung der Erfüllungsmodalitäten einmal erfolgt, so ist der Arbeitgeber daran gebunden. Er kann die Urlaubsgewährung also nicht einseitig widerrufen.64 Andererseits kann aber auch der Arbeitnehmer den Urlaub nicht einseitig beenden. Er würde damit in das dem Arbeitgeber gesetzlich gewährte Recht eingreifen, die Erfüllungsmodalitäten selbst bestimmen zu können. Dass eine „Selbstbeurlaubung“ des Arbeitnehmers ausgeschlossen ist, ist allgemein anerkannt.65 Für die Unterbrechung eines einmal gewährten Urlaubs durch den Arbeitnehmer kann nichts Anderes gelten, weil es in beiden Fällen um die Frage der Festlegung des Zeitpunktes der Erfüllung des Urlaubsanspruches geht.66 Eine Unterbrechung des Urlaubs setzt folglich eine neue, abweichende Bestimmung des Arbeitgebers über den Urlaubszeitraum voraus, kann daher nur mit dessen Zustimmung erfolgen. Freilich ist der Arbeitgeber auch hier bei seiner Entscheidung an die Grundsätze des § 7 Abs. 1 BUrlG gebunden. Sofern dem Wunsch des Arbeitnehmers keine betrieblichen oder sonstigen Gründe entgegenstehen, hat er diesem zu entsprechen. Anders als bei der erstmaligen Festlegung des Urlaubs treffen die geänderten Urlaubswünsche des Arbeitnehmers aber auf eine bereits bestehende betriebliche Urlaubsplanung, die der Arbeitgeber seinen weiteren Dispositionen zugrunde gelegt hat. Hier kann es häufiger der Fall sein, dass betriebliche Gründe einer Verlegung des Urlaubs entgegenstehen. Diese Grundsätze gelten auch im Arbeitskampf. Insbesondere lässt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG keine besondere Befugnis des Arbeitnehmers ableiten, den Urlaub zum Zwecke der Streikteilnahme zu unterbrechen.67 Das indivi-
63 ErfK/Dörner (Fn. 1) § 7 BUrlG Rn. 4ff., der mit Recht darauf hinweist, dass diese Leistungsbestimmung nicht mit der Ausübung des Direktionsrecht gleichgesetzt werden dürfe. Das Direktionsrecht betrifft die Art und Weise der Erfüllung der Arbeitspflicht und steht dem Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zu. Bei der Urlaubsgewährung geht es hingegen darum, die Art und Weise der Erfüllung der Freistellungspflicht als einer vertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers festzulegen. 64 BAG 20.6.2000 – 9 AZR 405/99 – EzA § 1 BUrlG Nr. 23 unter II 2b bb (1). 65 Vgl. nur ErfK/Dörner (Fn. 1) § 7 BUrlG Rn. 12 m.w.N. 66 Vgl. auch BAG 9.8.1994 – 9 AZR 384/92 – EzA § 7 BUrlG Nr. 97, wo eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neufestsetzung des Urlaubs wegen einer nach Urlaubsfestsetzung eintretenden Unmöglichkeit der Freistellung abgelehnt wird. 67 AM offenbar Seiter (Fn. 19) S. 302. Sein Argument, wonach an der Urlaubsunterbrechung ein Interesse bestehen könne, weil der Arbeitnehmer bei der Streikorganisation eine wichtige Rolle spiele, geht m.E. am Problem vorbei. Schließlich kann der Arbeitnehmer durchaus bei der Organisation des Streiks mitwirken. Nur tut er dies eben während seines Urlaubs, so dass die entsprechende Zeit auch auf den Urlaubanspruch anzurechnen ist. Ob er bereit ist, seinen Urlaub hierfür zu opfern, muss er selbst entscheiden.
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duelle Streikrecht begründet lediglich die Befugnis, die Erfüllung einer bestehenden Arbeitspflicht zu verweigern. Sie gibt dem Arbeitnehmer aber nicht das Recht, eine zuvor individualrechtlich wirksam erfolgte Suspendierung der Arbeitspflicht einseitig rückgängig zu machen, um anschließend die nunmehr wieder geschuldete Arbeitsleistung verweigern zu können.
IV. Kundgabe von Streikaufruf und Streikteilnahme 1. Streikaufruf a) Kundgabeerfordernis Nach allgemeiner Ansicht genügt es für den Beginn eines Arbeitskampfes nicht, dass der kampfführende Verband die Kampfmaßnahme beschließt. Vielmehr bedarf es zusätzlich der Verlautbarung dieses Beschlusses gegenüber dem Kampfgegner.68 Dies gilt für den Streik in gleicher Weise wie für die Aussperrung.69 Der sachliche Grund hierfür ist, dass die andere Tarifpartei ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis des Beschlusses und vor allen Dingen auch an der Kenntnis von dessen Inhalt hat. Ohne eine solche Information ist der Kampfgegner weder in der Lage zu beurteilen, ob die Kampfmaßnahme rechtmäßig ist, noch welchen Umfang sie hat, insbesondere welche Arbeitnehmer oder Arbeitgeber nunmehr zur Arbeitsverweigerung bzw. zur Aussperrung berechtigt sind.70 Außerdem kann die Zulässigkeit von Gegenmaßnahmen wesentlich davon abhängen, ob und wenn ja welche Kampfmaßnahmen beabsichtigt sind oder durchgeführt werden. Erinnert sei insoweit nur an die Rechtsprechung des BAG zur Verhältnismäßigkeit der Aussperrung und die von dem Gericht entwickelte „Arbeitskampfarithmetik“.71 b) Die Mitteilung des Streikbeschlusses – Rechtsgeschäft oder rechtsgeschäftsähnliche Handlung? Umstritten ist, ob der Streikaufruf als Willenserklärung, mithin als Rechtsgeschäft 72, oder lediglich als eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung 73 anzusehen ist. Für eine Einordnung als Rechtsgeschäft ließe sich anführen, dass 68
Gamillscheg (Fn. 1) S. 1013; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 15; Otto (Fn. 1) § 7 Rn. 38 f. BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 123 unter I 2; BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 1; Gamillscheg (Fn. 1) S. 1013; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 15; Otto (Fn. 1) § 7 Rn. 38 f. 70 BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 1; ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 129; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 15. 71 BAG 10.8.1980 – 1 AZR 822/79 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37. 72 Seiter (Fn. 19) S. 249 ff. 73 Otto (Fn. 1) § 7 Rn. 38; zust. ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 132; ohne klare Festlegung Löwisch/Rieble (Fn. 21) 170.2 Rn. 67: „zumindest rechtsgeschäftsähnliche Handlung“. 69
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der Streikaufruf Wirksamkeitsvoraussetzung für die Arbeitsverweigerung durch den Arbeitnehmer ist. Da letztere ein einseitiges Rechtsgeschäft ist, ließe sich der Streikaufruf als Zustimmungserklärung i.S. des § 182 BGB und somit als Willenserklärung verstehen.74 Die Kontroverse entzündete sich in der Vergangenheit vor allem an der Frage, ob § 184 Abs. 1 BGB bei nachträglicher Übernahme eines wilden Streiks durch die Gewerkschaft Anwendung finden, die Übernahme also Rückwirkung entfalten und die Arbeitsniederlegung durch die Arbeitnehmer rechtfertigen kann.75 Eine rückwirkende „Heilung“ der Rechtswidrigkeit des Streiks erscheint in der Tat problematisch. Das Verbot wilder Streiks beruht auf der Überlegung, dass der Arbeitskampf seine Rechtfertigung als Instrument in der Tarifauseinandersetzung erfährt und daher nur zulässig ist, wenn er von einer tariffähigen Partei zur Durchsetzung eines tariflich regelbaren Zieles eingesetzt wird. Eine solche finale Verknüpfung lässt sich aber nachträglich nicht herstellen, weil sie für den Kampfgegner zu dem Zeitpunkt, in dem die Druckausübung erfolgt, erkennbar sein muss. Das Motiv für die „Übernahme“ eines wilden Streiks dürfte daher auch weniger die Erwägung sein, den bereits entstandenen Schaden als Druckmittel im Rahmen der Tarifauseinandersetzung verwerten zu können, sondern die Absicht, der Arbeitsverweigerung nachträglich eine Legitimation zu verleihen und damit die Arbeitnehmer vor den nachteiligen Folgen einer rechtswidrigen Arbeitsverweigerung zu schützen.76 Der Ausschluss einer rückwirkenden Übernahme des Streiks würde freilich einer Anwendung der §§ 182 ff. BGB auf den Streikaufruf nicht generell entgegenstehen. Schließlich wirkt die Genehmigung gem. § 184 Abs. 1 BGB nur zurück, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist“. Bei der Übernahme des Streiks sind es gerade die Besonderheiten des Arbeitskampfrechts, die gegen eine solche Rückwirkung sprechen. Im vorliegenden Zusammenhang scheint die Einordnung als Willenserklärung oder als rechtsgeschäftsähnliche Handlung deshalb nur von untergeordneter Bedeutung zu sein, weil auch auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften im Grundsatz
74 Seiter (Fn. 19) S. 253; für (analoge) Anwendung der §§ 182ff. BGB auch Löwisch/ Hartje RdA 1970, 321, 328; Löwisch/Rieble (Fn. 21) 170.2 Rn. 71 ff.; HWK/Hergenröder (Fn. 1) Rn. 186 (für § 184 Abs. 1 BGB). 75 Für die Rückwirkung einer solchen Übernahme BAG 20.12.1963 – 1 AZR 428/62 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 7 unter B II 2c; Däubler/Däubler (Fn. 39) Rn. 116; Gamillscheg (Fn. 1) S. 1092 (der die Begründung über eine Anwendung des § 184 BGB allerdings ablehnt); HWK/Hergenröder (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 186 („entsprechend § 184 Abs. 1 BGB“); Löwisch/Rieble (Fn. 21) 170.2 Rn. 75 ff.; Seiter (Fn. 19) S. 255 f.; a.M. Konzen ZfA 1970, 159, 181 f.; Lieb Arbeitsrecht, 8. Aufl. (2003) Rn. 582; Otto (Fn. 1) § 6 Rn. 30; Zöllner/Loritz Arbeitsrecht, 5. Aufl. (1998) § 40 VI 1; kritisch auch Kissel (Fn. 1) § 25 Rn. 19f. 76 Konzen ZfA 1970, 159, 182.
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Anwendung finden.77 Dies gilt insbesondere für die Bestimmungen über das Wirksamwerden von Willenserklärungen (z.B. § 130 BGB). Diese sind folglich nach beiden Ansichten maßgeblich dafür, ob die mit dem Streikaufruf verbundenen Rechtsfolgen eintreten. Die Einordnung des Streikbeschlusses als Zustimmungserklärung i.S. der §§ 182 ff. BGB wirft allerdings Probleme im Zusammenhang mit dem Adressaten der Erklärung auf. Sieht man den Streikaufruf als Zustimmung zur Verweigerung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer, also einem dem Arbeitgeber gegenüber vorzunehmenden einseitigen Rechtsgeschäft an, so müsste die Erklärung gem. § 182 Abs. 1 BGB entweder gegenüber dem Arbeitnehmer oder gegenüber dem Arbeitgeber erfolgen. Dies würde jedoch dem kollektiven Charakter des Streikaufrufs kaum gerecht.78 Außerdem geht es den Kampfparteien bei dem Aufruf zu Kampfmaßnahmen weniger darum, das einzelne Arbeitsverhältnis zu gestalten, sondern die kollektiven, verbandsrechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung des Arbeitskampfes zu schaffen. Dies ist mit der Zustimmung zu einem konkreten, im einzelnen Arbeitsverhältnis vorzunehmenden Rechtsgeschäft kaum vergleichbar. Aus diesem Grunde wäre es wohl verfehlt, in dem Streikaufruf eine Zustimmung i.S. des § 182 Abs. 1 BGB zu sehen. Für die verbandsrechtlichen Rechtsfolgen wiederum ist es unerheblich, ob diese von der Gewerkschaft intendiert sind oder nicht. Die besseren Gründe sprechen deshalb dafür, in dem Streikaufruf lediglich eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung zu sehen. c) Rechtsgrundlage für die Kundgabepflicht Die Rechtsgrundlage für die Pflicht zur Kundgabe des Streik- und Aussperrungsbeschlusses erblickt das BAG in dem Gebot der fairen Kampfführung. Der Gegner im Arbeitskampf müsse wissen, ob er es mit einem Alleingang der Arbeitnehmer oder des Arbeitgebers zu tun habe oder ob die Kampfmaßnahme vom Verband getragen sei, weil hiervon auch seine Reaktionsmöglichkeiten abhingen.79 Dieser Begründungsansatz weckt Zweifel. Das Gebot der fairen Kampfführung entfaltet seine Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit der Art und Weise der Durchführung des Arbeitskampfes als Grenze zulässiger konkreter Kampfmaßnahmen, etwa in Gestalt des Verbots der Existenzvernichtung.80 Letztlich handelt es sich um eine Ausprägung des das gesamte Arbeitskampfrecht beherrschenden Verhältnis-
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Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. (2006), Rn. 416 ff. Vgl. unten IV 1d bb. 79 BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 123 unter I 2b aa; BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 3a. 80 BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45 unter II 1 und 2; Kissel (Fn. 1) § 31 Rn. 5. 78
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mäßigkeitsprinzips.81 Bei der Kundgabe des Streik- oder Aussperrungsbeschlusses geht es aber weniger darum, welche konkreten Kampfmaßnahmen angemessen sind, sondern welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit überhaupt Kampfmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Deutlich überzeugender ist es deshalb, die Rechtswidrigkeit von Kampfmaßnahmen, die vor der Mitteilung gegenüber dem Kampfgegner ergriffen werden, damit zu begründen, dass es sich bei dem Streik- bzw. Aussperrungsbeschluss zumindest um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung in Gestalt einer empfangsbedürftigen Erklärung handelt, die gem. § 130 Abs. 1 BGB (analog) erst mit Zugang beim Adressaten wirksam wird. Vor Zugang entfaltet der Streikaufruf nicht die mit ihm ansonsten verbundenen Rechtsfolgen. Etwaige Arbeitsniederlegungen der Arbeitnehmer sind daher schon deshalb unzulässig, weil es an der entscheidenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Streik fehlt. d) Wirksamkeitsvoraussetzungen Im Zusammenhang mit dem Streikaufruf (ebenso wie mit dem Aussperrungsbeschluss) stellen sich hinsichtlich der Wirksamkeitsvoraussetzungen im Wesentlichen drei Fragen: wer ist für die Mitteilung an den Kampfgegner zuständig, wem gegenüber muss die Verlautbarung erfolgen und auf welche Weise kann diese geschehen. Oder kürzer: es geht um die Person von Erklärendem und Erklärungsempfänger sowie um die Anforderungen an Inhalt und Form der Erklärung. aa) Zuständigkeit für die Mitteilung Die erste Frage nach der Zuständigkeit für die Mitteilung des Streikbeschlusses scheint vergleichsweise leicht zu beantworten zu sein. Da auf Arbeitnehmerseite nur der Verband, also die Gewerkschaft, Tarifpartei werden kann und daher nur die Gewerkschaft berechtigt ist, zum Mittel des Arbeitkampfes zu greifen, muss nicht nur der Streikbeschluss von den innerhalb der Gewerkschaft zuständigen Organen gefasst werden, sondern auch die Kundgabe durch die vertretungsberechtigten Personen erfolgen, d.h. durch die Organe der Gewerkschaft oder durch Bevollmächtigte. Gleiches gilt beim Verbandsarbeitskampf für den Aussperrungsbeschluss der Arbeitgeber. Nur im Rahmen eines Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag ist der einzelne Arbeitgeber zuständig. Dies ist aber keine sachliche Abweichung, weil hier der Arbeitgeber selbst Tarifpartei ist oder werden soll. Demgegenüber sind die Äußerungen des BAG in diesem Punkt alles andere als klar. In einer Entscheidung, in der das Gericht die Aussperrung des Arbeitgebers im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfes für rechtswidrig 81 BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45 unter II 1, wobei das BAG hier zusätzlich den Gedanken des Rechtsmissbrauchs anführt.
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(und damit für unwirksam) hielt, weil es an einer Unterrichtung der Arbeitnehmerseite über den Aussperrungsbeschluss gefehlt habe, lässt das Gericht erkennen, dass es auch eine Unterrichtung durch den einzelnen Arbeitgeber gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern für ausreichend erachtet.82 Vollends unklar sind die Ausführungen in einer Entscheidung, die sich primär mit den Anforderungen an eine Beendigung der Kampfmaßnahme befasst und in der das Gericht zumindest nicht deutlich genug zwischen dem Streikaufruf und der Erklärung der Streikteilnahme durch den einzelnen Arbeitnehmer unterscheidet.83 Dies ist aber zwingend erforderlich. Der Streikaufruf bzw. die Aufforderung zur Aussperrung sind Kampfhandlungen und beziehen sich auf das Rechtsverhältnis zwischen den Tarifparteien. Lediglich mittelbar entfalten sie Wirkungen im einzelnen Arbeitsverhältnis, nämlich soweit sie objektive Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für Streik und Aussperrung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind. Man sollte die Trennung zwischen den beiden Ebenen, die das BAG in anderen Entscheidungen völlig zutreffend vornimmt, nicht wieder dadurch in Frage stellen, dass man sie im Rahmen der Zuständigkeit für die Kundgabe der jeweiligen Willensäußerungen wieder vermischt. bb) Adressat der Mitteilung Nach Ansicht des BAG kann die Mitteilung des Streikbeschlusses sowohl gegenüber dem von der Kampfmaßnahme betroffenen Arbeitgeber als auch (im Falle des Verbandsarbeitskampfes) gegenüber dem Arbeitgeberverband 82 BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 123 unter I 2b: „Die Aussperrungserklärung reichte aber im vorliegenden Fall nicht aus. Es fehlte jeder Hinweis der Beklagten (Anm. des Verf.: also des Arbeitgebers) oder des Arbeitgeberverbandes, aus dem für die Arbeitnehmerseite erkennbar gewesen wäre, daß es sich nicht um eine wilde Aussperrung handelte, sondern daß die Kampfmaßnahme vom Arbeitgeberverband getragen war.“ 83 BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 1–3: „Allerdings hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß es für die Beendigung einer streikbedingten Arbeitsunterbrechung nicht genügt, daß die streikführende Gewerkschaft einen entsprechenden Beschluß faßt und den Streikenden mitteilt. Vielmehr bedarf es, um die streikbedingte Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis rückgängig zu machen, einer entsprechenden Erklärung der Gewerkschaft oder der Streikenden. Insoweit gilt für die Beendigung eines Arbeitskampfs nichts anderes als für dessen Beginn. Die jeweilige Gegenseite muß wissen, ob sie einer Kampfmaßnahme (noch) ausgesetzt ist, damit sie ihr eigenes Verhalten entsprechend einrichten und beispielsweise von ihren arbeitskampfrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten Gebrauch machen kann. So hat der Senat erst kürzlich darauf hingewiesen, daß der Arbeitgeber, wenn er die Arbeitnehmer zum Verlassen ihrer Arbeitsplätze auffordere, zum Ausdruck bringen müsse, ob er damit zum Kampfmittel der Aussperrung greifen oder nur auf eine streikbedingte Betriebsstörung reagieren wolle; ebenso müsse der von einer Arbeitskampfmaßnahme Betroffene darüber in Kenntnis gesetzt werden, ob die Maßnahme vom kampfführenden Verband getragen sei oder nicht.“
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erfolgen. Wörtlich heißt es: „Hierbei ist von der Regel auszugehen, daß die erforderliche Mitteilung ihren Zweck immer dann erfüllt, wenn sie unmittelbar an den Kampfgegner, also an den von einem Streik betroffenen Arbeitgeber oder an die von einer Aussperrung betroffenen Arbeitnehmer gerichtet ist. Eine Erklärung, die stattdessen den zuständigen Arbeitgeberverband oder die Gewerkschaft zum Adressaten hat, genügt dem Unterrichtungserfordernis freilich ebenso.“ 84 Dies bedeutet umgekehrt, dass die Mitteilung gegenüber dem Verband, also der Partei des angestrebten Tarifvertrages, als entbehrlich angesehen wird, sofern die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von der Kampfmaßnahme unterrichtet worden sind. Erblickt man in der Erklärung über die Durchführung einer Kampfmaßnahme eine Willenserklärung oder zumindest eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, so ist die Ansicht des BAG alles andere als selbstverständlich. Erklärungsempfänger i.S. des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB ist diejenige Person, der gegenüber die intendierten oder kraft Gesetzes mit der Erklärung verbundenen Rechtsfolgen eintreten sollen. Die Mitteilung über den Aufruf zum Streik oder zur Aussperrung entfaltet aber zunächst nur Rechtsfolgen im Verhältnis der Kampfparteien untereinander. Sie markiert den Übergang von der (reinen) Verhandlungsphase in die Phase des Arbeitskampfes und berechtigt den Gegner seinerseits zu Abwehrmaßnahmen. Unmittelbare Rechtsfolgen für das einzelne Arbeitsverhältnis ergeben sich dagegen nicht. Diese hängen vielmehr davon ab, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber sich an der Kampfmaßnahme beteiligen. Hieraus folgt, dass Erklärungsempfänger der Kampfgegner, d.h. derjenige ist, mit dem der angestrebte Tarifvertrag geschlossen werden soll. Dies ist auf Seiten der Arbeitnehmer stets die Gewerkschaft, auf Seiten der Arbeitgeber zumindest beim Verbandsarbeitskampf der jeweilige Arbeitgeberverband. Nur beim Firmenarbeitskampf ist die Erklärung an den einzelnen Arbeitgeber zu richten, freilich in seiner Eigenschaft als (potentieller) Tarifvertragspartei, nicht dagegen als von der Kampfmaßnahme unmittelbar Betroffener. Aber auch unter spezifisch arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten leuchtet es nicht ein, dass eine Mitteilung gegenüber der anderen Tarifpartei entbehrlich sein soll. Ziel der Kampfmaßnahme ist es schließlich, Druck auf den jeweiligen Verhandlungspartner in der Tarifauseinandersetzung auszuüben und diesen zum Einlenken zu zwingen. Dass es in dem Streit um einen Verbandstarifvertrag entscheidend auf den auf den Verband wirkenden Druck ankommt, ist etwa im Rahmen der Überlegungen zur Arbeitskampfrisiko-
84 BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 3; in der Entscheidung BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 123 unter I 2b cc war die Frage, wem gegenüber die Mitteilung des Aussperrungsbeschlusses erfolgen müsse, noch offen gelassen worden.
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lehre stets betont worden.85 Dort wurde maßgeblich darauf abgestellt, ob durch die Pflicht des (mittelbar) betroffenen Arbeitgebers zur Fortzahlung der Vergütung der „Binnendruck“ 86 auf Arbeitgeberseite, also der Druck auf den verhandlungsführenden Verband, verstärkt würde. Dann muss auch gerade dem Verband als Gegner in den Tarifverhandlungen mitgeteilt werden, in welchem Umfange er mit Kampfmaßnahmen zu rechnen hat. Hierauf kann nicht verzichtet werden. Fehlt es an der Kundgabe gegenüber dem Verhandlungsgegner, so ist der Aufruf nicht wirksam geworden, die Kampfmaßnahme mithin rechtswidrig. Die Vertragspflichten werden in diesem Fall durch eine Kampfbeteiligung von Arbeitnehmer oder Arbeitgeber nicht suspendiert. Fraglich ist, ob es neben der Kundgabe gegenüber dem Verband zusätzlich einer Mitteilung gegenüber den konkret betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bedarf. Nicht zu verwechseln ist dies mit der – zusätzlich zur Mitteilung des Verbandsbeschlusses erforderlichen – Erklärung des einzelnen Arbeitnehmers über die Teilnahme am Streik bzw. der Aussperrungserklärung des Arbeitgebers. Die Frage ist vielmehr, ob der Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer durch den kampfführenden Verband unterrichtet werden müssen. Grundsätzlich dürfte eine solche Information Aufgabe des gegnerischen Verbandes sein, dem die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber angehören. Der Arbeitgeberverband ist also verpflichtet, seine Mitgliedsunternehmen über den Streikaufruf der Gewerkschaft und dessen Umfang in Kenntnis zu setzen. Dieselbe Pflicht trifft die Gewerkschaft im Verhältnis zu ihren Mitgliedern, sobald ihr der Aussperrungsbeschluss mitgeteilt worden ist. Das Erfordernis einer besonderen Mitteilung des kampfführenden Verbandes gegenüber den Mitgliedern des Kampfgegners als Voraussetzung für die Zulässigkeit von Kampfmaßnahmen lässt sich hingegen systematisch kaum begründen. Die Eröffnung des Arbeitskampfes berührt – wie dargelegt – zunächst allein die kollektive Ebene, also das Verhältnis der Tarifparteien. Allenfalls könnte sich eine eigenständige Informationsverpflichtung des Verbandes aus einer Art Schutzpflicht ergeben, weil die schuldrechtliche Beziehung zwischen den Tarifvertragsparteien insoweit Schutzwirkung zugunsten der tarifgebundenen Mitglieder entfaltet. Eine solche Schutzpflicht kann sich vor allem dann ergeben, wenn die Rücksichtnahme auf die Interessen der betroffenen Arbeitgeber eine besondere Mitteilung erfordert, damit dem Arbeitgeber die Chance gegeben wird, sich auf den Arbeitsausfall einzu-
85 BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79 – EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 7 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter C I 2 a (3); noch deutlicher BAG 12.11.1996 – 1 AZR 364/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 127 unter II 2a: „Dabei ist der Druck entscheidend, der durch die Kampffolgen auf den jeweiligen Verhandlungsgegner ausgeübt wird.“ 86 So die treffende Umschreibung von Konzen SAE 1981, 209, 210; ebenso Otto (Fn. 1) § 16 Rn. 13.
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stellen. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen auch Außenseiterarbeitgeber bestreikt werden sollen (sofern man eine solche Einbeziehung von Außenseitern für zulässig erachtet 87). Hier ließe sich die Mitteilungspflicht auch auf das bereits angesprochene Gebot der fairen Kampfführung stützen, weil ansonsten die Gefahr der Überrumpelung bestünde. Wenn und soweit man eine solche Schutzpflicht bejaht, wäre es aber verfehlt, bei Verletzung der Informationspflicht die Kampfmaßnahme insgesamt als rechtswidrig anzusehen. Ansonsten ergäbe sich die eigentümliche Konsequenz, dass die Verletzung einer schuldrechtlichen, also relativen, Pflicht Rechtsfolgen für das Rechtsverhältnis zu Dritten entfalten würde. Wäre nämlich die Kampfmaßnahme wegen der unterbliebenen Mitteilung der Gewerkschaft rechtswidrig, so wäre eine Arbeitsniederlegung durch die Arbeitnehmer – zumindest objektiv – eine Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten im Verhältnis zum Arbeitgeber. Systematisch konsistenter ist es daher, im Falle der Pflichtverletzung Rechtsfolgen lediglich im Verhältnis zwischen dem Verband und dem betroffenen Arbeitgeber anzunehmen. So könnte das Unterbleiben der Mitteilung (bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen) einen Schadensersatzanspruch des einzelnen Arbeitgebers gegenüber dem kampfführenden Verband aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB zur Folge haben. cc) Inhalt und Form der Mitteilung Der notwendige Inhalt der Mitteilung ergibt sich aus dem Zweck des Kundgabeerfordernisses. Der Kampfgegner muss aufgrund der Mitteilung erkennen können, ob es sich um eine rechtmäßige Kampfmaßnahme handelt und ob und inwieweit Gegenmaßnahmen zulässig bzw. sinnvoll sind. Die Erklärung muss daher den Träger sowie die Art und den Umfang der Kampfmaßnahme, insbesondere den Beginn (oder das Ende) und den Kreis der betroffenen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer erkennen lassen.88 Sofern sich dies nicht bereits aus dem Zusammenhang, insbesondere den vorangegangenen Verhandlungen, ergibt, müsste zudem klargestellt werden, welche Tarifforderung mit dem Arbeitskampf durchgesetzt werden soll. Für die Art und Weise der Kundgabe gelten, sofern man die Erklärung wenigstens als rechtsgeschäftsähnliche Handlung ansieht, die allgemeinen Regeln. Wird die Erklärung – wie meist – unter Abwesenden abgegeben, wird sie gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB mit Zugang beim Empfänger wirksam, hier also grundsätzlich beim Verband oder (im Falle des Firmenarbeitskampfes) beim Arbeitgeber. Es genügt, dass die Erklärung so in den Macht-
87 Vgl. etwa BAG 18.2.2003 – 1 AZR 142/03 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135; näher zu der Problematik Otto (Fn. 1) § 6 Rn. 21 m.w.N. 88 BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126; Otto Anm. zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter I 2a.
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bereich des Empfängers gelangt ist, dass unter regelmäßigen Umständen mit einer Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Eine tatsächliche Kenntnisnahme ist dagegen nicht erforderlich.89 Das BAG hält daneben auch eine öffentliche Verlautbarung, etwa in Form einer Presseerklärung oder einer Äußerung in den Medien, für ausreichend, sofern diese tatsächlich zur Kenntnis des Arbeitgebers gelangt.90 Dies bedeutet im Vergleich zu den allgemeinen Vorschriften eine Lockerung. Das Wirksamwerden einer Willenserklärung setzt nämlich voraus, dass diese gezielt mit Richtung auf den Erklärungsempfänger abgegeben wird.91 Eine an die Öffentlichkeit gerichtete Äußerung genügt hierfür grundsätzlich nicht. Jedoch lässt das richterrechtlich entwickelte Arbeitskampfrecht durchaus Spielraum für Abweichungen gegenüber der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, sofern diese den Besonderheiten des Arbeitskampfes Rechnung tragen. Eine Besonderheit besteht sicherlich darin, dass sich die Tarifparteien häufig der Medien bedienen, um wechselseitige Argumente auszutauschen und gleichzeitig die öffentliche Meinung für ihren Standpunkt einzunehmen. Dies könnte dafür sprechen, die Anforderungen an die Kundgabe des Kampfaufrufes zu modifizieren und öffentliche Aufrufe genügen zu lassen.92 Andererseits soll die Erklärung dem Kampfgegner Klarheit über Beginn und Ende des Arbeitkampfes verschaffen. Sie bindet daher den Erklärenden im Verhältnis zum Gegner in der Tarifauseinandersetzung. Ob eine in der Presse lancierte Erklärung, die sich in erster Linie an die Öffentlichkeit wendet, aus der Sicht eines verständigen Empfängers den erforderlichen Bindungswillen erkennen lassen kann, erscheint durchaus zweifelhaft.93 Der Weg über die Öffentlichkeit entbindet freilich die kampfführende Partei zumindest nicht von den skizzierten inhaltlichen Anforderungen. Eine öffentliche Verlautbarung genügt daher den Erfordernissen an die Kundgabe des Streikbeschlusses nur, wenn sie die notwendigen Angaben insbesondere über die Art sowie über den zeitlichen und gegenständlichen Umfang der Kampfmaßnahme enthält.94 Hieran dürfte ein Ausweichen auf Presseerklärungen 89 Otto Anm. zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter I 2b. 90 BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 3b. 91 Hierauf weist Otto Anm. zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter I 2b zutreffend hin; allgemein zum Erfordernis der Abgabe von Willenserklärungen etwa Bork (Fn. 77) Rn. 612. 92 Otto Anm. zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter I 2b; a.M. Mayer-Maly in seiner Anmerkung zu derselben Entscheidung in AR-Blattei ES 170.1 Nr. 44. 93 Bejahend Otto Anm. zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter I 2b mit dem Argument, dass Presseerklärungen über konkrete Beschlüsse hinsichtlich des Kampfverhaltens bereits eine erhebliche Selbstbindung begründeten. 94 Hierauf weist das BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 3b zutreffend hin.
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oder Medienäußerungen zumeist in der Praxis scheitern. Zum einen werden die Kampfparteien die Einzelheiten ihrer Planung kaum in der Öffentlichkeit ausbreiten wollen. Selbst wenn sie dazu bereit sind, tragen sie aber das Risiko, dass die Angaben in den Medien unvollständig oder unzutreffend wiedergegeben werden. Etwaige Übermittlungsfehler fallen nach den allgemeinen Grundsätzen über die Risikoverteilung bei der Abgabe von Erklärungen demjenigen zur Last, der sich für einen bestimmten Übermittlungsweg entschieden hat und können nicht dem Empfänger zum Nachteil gereichen.95 Will der kampfführende Verband solche Fehler vermeiden, so muss er den unmittelbaren Weg gehen und die Erklärung direkt an den Kampfgegner richten. Widersprüchlich erscheint es, dass das BAG bei öffentlicher Verlautbarung einerseits die Anforderungen an die Abgabe der Erklärung lockert, andererseits aber diejenigen an das Wirksamwerden des Streikaufrufs dadurch verschärft, dass es die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Arbeitgeber 96 verlangt. Dem Arbeitgeber könne nicht zugemutet werden, alle am Ort verfügbaren Medien ständig daraufhin zu verfolgen, ob sie eine Erklärung der Gegenseite über Kampfmaßnahmen enthielten. Bediene sich eine Kampfpartei der Medien, um den Gegner von ihren Maßnahmen in Kenntnis zu setzen, so trage sie auch das Risiko, dass ihn die Information nicht erreiche.97 Das Risiko, dass der Empfänger von der Erklärung keine Kenntnis erlangt, bürdet das Gesetz dem Erklärenden aber nicht einmal beim üblichen Übermittlungsweg auf. Es genügt vielmehr, dass der Empfänger in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen kann. Überträgt man diese Wertung auf die Übermittlung im Wege der öffentlichen Verlautbarung, so müsste es genügen, dass die Mitteilung in einem Medium erfolgt, von dem verständigerweise erwartet werden kann, dass der Kampfgegner dessen Veröffentlichungen zur Kenntnis nimmt. Verzichtet würde dann allein darauf, dass die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt, weil die Nachricht öffentlich und damit zugleich für den Empfänger zugänglich ist. Dies wäre aber letztlich nur die logische Konsequenz aus dem Umstand, dass man überhaupt öffentliche Verlautbarungen als ausreichend anerkennt. Hat man insoweit – nicht völlig unbegründete 98 – Bedenken, so muss man an den allgemeinen, für Willenserklärungen geltenden Regeln festhalten. Die vom BAG vorgenommene Einschränkung ist dagegen nicht überzeugend.
95 Im Grundsatz ebenso Otto Anm. zu BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter I 2b, der allerdings der Gewerkschaft einen Streikaufruf, den die Presse fälschlich auf einen anderen Betrieb bezieht, nicht zurechnen will. 96 Nach der hier vertretenen Ansicht müsste auch insoweit auf die Kenntnisnahme durch die Tarifpartei, beim Verbandsarbeitskampf also durch den Arbeitgeberverband, abgestellt werden. 97 BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126 unter II 3b. 98 Vgl. oben bei Fn. 93.
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2. Streikteilnahme a) Erklärender und Erklärungsempfänger Die Teilnahme des Arbeitnehmers am Streik erfolgt durch die Verweigerung der Arbeitsleistung gegenüber dem Arbeitgeber. Dabei handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft in Gestalt einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, mit der der Arbeitnehmer von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch macht. Da das Streikrecht ein Individualrecht des Arbeitnehmers ist, steht an sich zugleich fest, dass die Erklärung nur von dem Arbeitnehmer selbst als Inhaber des Rechts abgegeben werden kann. In der Rechtsprechung findet sich dagegen häufiger die Formulierung, dass die Streikleitung der Gewerkschaft befugt sei, für alle Streikteilnehmer verbindliche Erklärungen abzugeben.99 Diese Aussagen beziehen sich zwar jeweils auf die Erklärung über die Beendigung des Streiks. Trotzdem sind sie zumindest ungenau.100 Die Erklärung der Streikleitung, den Streik zu beenden, wirkt zunächst auf der kollektiven Ebene und beendet die Kampfmaßnahme im Verhältnis zum Kampfgegner. Richtig ist, dass mit Zugang dieser Erklärung die Legitimation für die Arbeitsniederlegung der Arbeitnehmer entfallen ist. Eine Arbeitsverweigerung wäre nunmehr rechtswidrig und eine Verletzung der vertraglichen Leistungspflicht. Aus diesem Grunde führt die Beendigungserklärung der Streikleitung gleichzeitig zum Erlöschen des individuellen Streikrechts. In diesem Sinne gibt die Streikleitung zugleich eine für die Arbeitnehmer verbindliche Erklärung ab. Dies bedeutet aber nicht, dass die Gewerkschaft gleichsam als rechtsgeschäftlicher Vertreter für die einzelnen Arbeitnehmer handelt und nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB eine Willenserklärung mit Wirkung für und gegen die Arbeitnehmer abgibt. Dass man nicht generell von einer Befugnis der Streikleitung zur Abgabe von Erklärungen für die einzelnen Arbeitnehmer sprechen kann, zeigt sich etwa daran, dass die Gewerkschaft nicht mit Wirkung für einzelne Arbeitnehmer die Beendigung der Streikteilnahme erklären kann, wenn der Streik ansonsten fortgesetzt wird. Sie kann allenfalls den Streikaufruf persönlich eingrenzen mit der Folge, dass nur für bestimmte Arbeitnehmer das individuelle Streikrecht entfällt. Dies stellt aber ebenfalls lediglich eine Entscheidung über Art und Umfang der Kampfmaßnahme dar, betrifft also die kollektive Ebene und ist keine Ausübung des individuellen Streikrechts mit Wirkung für und gegen die Arbeitnehmer. Empfänger der Erklärung über die Streikteilnahme ist der Arbeitgeber als Vertragspartner des Arbeitnehmers. Das Streikrecht ist ein Gestaltungsrecht, 99
BAG 26.10.1971 – 1 AZR 113/68 – EzA Art. 9 GG Nr. 7; BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 2; BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45 unter I 2. 100 Kritisch auch Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 3.
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mit dem der Arbeitnehmer die vertraglichen Hauptpflichten suspendieren kann. Adressat der Erklärung muss daher der Gläubiger der Arbeitsleistung sein. Gleiches gilt für die Beendigung der Streikbeteiligung. Auch diese ist gegenüber dem Arbeitgeber, nicht etwa gegenüber der Gewerkschaft oder dem Arbeitgeberverband zu erklären. b) Inhalt und Form der Erklärung Ein Formzwang für die Erklärung des Arbeitnehmers besteht nicht. Fraglich ist jedoch, welche inhaltlichen Anforderungen die Kundgabe der Streikbeteiligung erfüllen muss. Bei der Ausübung von Gestaltungsrechten verlangt man üblicherweise, dass diese eindeutig und unbedingt sein müsse, damit der Empfänger den Willen des Erklärenden zweifelsfrei aus der Erklärung erkennen könne. Dies bedeutet freilich nicht, dass für die Streikteilnahme stets eine ausdrückliche Erklärung jedes einzelnen Arbeitnehmers erforderlich wäre. Ein solcher Formalismus wäre weder praktikabel, noch würde er den Besonderheiten des Arbeitskampfes als eines kollektiven Geschehens gerecht und wird wohl auch vom Arbeitgeber kaum erwartet. Vielmehr genügt es, wenn der Wille des Arbeitnehmers zur Suspendierung der Arbeitspflicht sich aus den Umständen entnehmen lässt.101 Von einer solchen konkludenten Willenserklärung ist regelmäßig auszugehen, wenn der Arbeitnehmer im Anschluss an einen Streikaufruf der Gewerkschaft nicht am Arbeitsplatz erscheint oder sich vom Arbeitsplatz entfernt.102 Aus Sicht eines objektiven, verständigen Empfängers kann dies nur als Streikbeteiligung verstanden werden, weil der Arbeitnehmer ansonsten seine Arbeitspflicht verletzen würde und ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der Arbeitnehmer rechtswidrig verhalten will. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von dem Streikaufruf hat, dieser vielmehr nur dem Verband mitgeteilt worden ist. Bei dem im Rahmen der Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen anzulegenden normativen Maßstab kommt es darauf an, wie der Empfänger die Erklärung aufgrund der für ihn erkennbaren Umstände verstehen durfte. Sobald der Arbeitgeberverband informiert ist, ist der Streikaufruf auch für den einzelnen Arbeitgeber in diesem Sinne (objektiv) erkennbar. Etwaige Übermittlungspannen muss sich der Arbeitgeber zurechnen lassen.
101 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 1 im Anschluss an Seiter (Fn. 19) S. 241 ff.; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 4; BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter II 1. 102 Seiter (Fn. 19) S. 241 f.; ebenso BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 1; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 96 unter II 4; BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 99 unter II 1; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 65; Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 5.
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Das Nichterscheinen am Arbeitsplatz kann allerdings nur dann als Streikteilnahme gewertet werden, wenn der Arbeitnehmer ansonsten zur Arbeitsleistung verpflichtet wäre, nicht dagegen, wenn er bereits zuvor aus anderen Gründen von der Arbeitspflicht befreit war.103 Dies betrifft etwa Arbeitnehmer, die bei Beginn des Streiks arbeitsunfähig erkrankt sind oder sich im Erholungsurlaub befinden. In diesen Fällen ist bereits zweifelhaft, ob die Arbeitnehmer sich überhaupt am Streik beteiligen können 104. Selbst wenn dies möglich ist, kann in dem bloßen Nichterscheinen am Arbeitsplatz nach Streikaufruf keine konkludente Erklärung der Streikteilnahme gesehen werden. Hierzu bedürfte es vielmehr besonderer, zusätzlicher Anhaltspunkte. Vielfach wird die notwendige Klarheit nur durch eine ausdrückliche Erklärung des Arbeitnehmers geschaffen werden können, mit der er sich dem Streik anschließt.105 c) Streikteilnahme und Gleitzeitregelung Ein besonderes Problem stellt sich bei zeitlich begrenzten, kurzfristigen Streiks etwa in Form der sog. Warnstreiks, wenn in dem bestreikten Betrieb eine Gleitzeitregelung gilt. So hatte das BAG 106 in einem Fall über den Vergütungsanspruch eines Arbeitnehmers zu entscheiden, der zunächst am Arbeitsplatz erschienen war, sich dann aber vom Arbeitsplatz entfernte, um an einer Kundgebung anlässlich eines von der Gewerkschaft ausgerufenen einstündigen Warnstreiks teilzunehmen. Dabei betätigte er sowohl beim Verlassen des Arbeitsplatzes als auch bei Wiederaufnahme der Arbeit das Zeiterfassungssystem, mit dem die An- und Abwesenheitszeiten im Rahmen der Gleitzeitregelung dokumentiert werden sollten. Das BAG sprach dem Arbeitnehmer für die Dauer der Teilnahme am Warnstreik einen Vergütungsanspruch zu. Der Arbeitnehmer habe nicht am Streik teilgenommen, sondern lediglich von der nach der Gleitzeitregelung bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich zu bestimmen. Die Teilnahme an der Kundgebung sei daher nicht während, sondern außerhalb der Arbeitszeit, also während der Freizeit des Arbeitnehmers erfolgt. Darin liege keine Streikteilnahme im Rechtssinne, weil der Arbeitnehmer nicht seine geschuldete Arbeitsleistung verweigere.107 Die Entscheidung hat heftige Kritik erfahren.108 Ihr ist aber im Ansatz uneingeschränkt zuzustimmen. Wenn der Arbeitnehmer tatsächlich von der 103 104 105
BAG 7.4.1992 – 1 AZR 377/91 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 104 unter II 1. Hierzu oben III 1d. ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 167; Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 65; Otto (Fn. 1) § 14
Rn. 5. 106 107 108
BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137. BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 21 ff. Bengelsdorf NZA 2006, 825; Plöhn SAE 2006, 196.
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Möglichkeit Gebrauch machen wollte, seine Arbeitszeit im Rahmen der Gleitzeit individuell zu gestalten, so ist die Abwesenheit vom Arbeitsplatz auch dann nicht als Streikteilnahme zu werten, wenn er während dieses Zeitraumes an einer Streikkundgebung teilnimmt oder in sonstiger Weise den Streik organisatorisch unterstützt. Das individuelle Streikrecht ist – wie ausgeführt – ein Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers. Es gibt ihm die Befugnis, durch eine Willenserklärung gegenüber dem Arbeitgeber seine Arbeitspflicht zu suspendieren. Der Arbeitnehmer, der von der Gleitzeitregelung Gebrauch macht, gibt eine solche Erklärung aber nicht ab. Er entzieht dem Arbeitgeber nicht den Anspruch auf die Arbeitsleistung, sondern bestimmt lediglich über den Zeitpunkt der Erfüllung der Arbeitspflicht.109 Die ausgefallene Arbeitszeit ist dann zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Nimmt der Arbeitnehmer an dem Streik teil, verringert sich hingegen die Soll-Arbeitszeit des Arbeitnehmers um die Dauer des Streiks.110 Der Arbeitgeber kann auch nach Beendigung des Streiks nicht verlangen, dass der Arbeitnehmer die ausgefallene Zeit nacharbeitet. Nur dies rechtfertigt im Übrigen auch den Wegfall des Vergütungsanspruches.111 Ist hingegen der Arbeitnehmer im Rahmen der Gleitzeit berechtigt und verpflichtet, die Arbeitsleistung zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen, so gibt es keinen Grund, ihm für diese Arbeitsstunden die vereinbarte Vergütung vorzuenthalten.112 Das Recht zur individuellen Verteilung der Arbeitszeit entfällt auch nicht automatisch während des Arbeitskampfes. Hierfür bedürfte es vielmehr einer ausdrücklichen Bestimmung in der entsprechenden Arbeitszeitregelung.
109 Aus diesem Grunde geht die Kritik von Plöhn SAE 2006, 196, 202 ff. an den Problemen vorbei. Insbesondere liegt, anders als in den von ihr angesprochenen Fällen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit oder der Beurlaubung, keine „Doppelkausalität“ vor. Die Arbeitspflicht wird für die Dauer der Kundgebung allein aufgrund der Inanspruchnahme von Gleitzeit suspendiert. Sie entfällt damit aber nicht endgültig. 110 BAG 30.8.1994 – 1 AZR 765/93 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 114 unter B II 1c cc; BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 14. 111 AA Bengelsdorf NZA 2006, 825, 828 f.; Plöhn SAE 2006, 196 ff. Der von diesen postulierte Rechtssatz, dass der Arbeitnehmer „das Opfer des Vergütungsverlustes zu leisten habe, sobald er sich am Streikgeschehen beteiligt und damit das Arbeitskampfrisiko auf sich nimmt“ (vgl. Plöhn SAE 2006, 196, 199), ist in dieser Form weder der Rechtsprechung noch den Stellungnahmen in der Literatur zu entnehmen. 112 Unverständlich ist, wenn Plöhn SAE 2006, 196, 202 davon spricht, dass der Arbeitnehmer mit der Abmeldung ein „Leistungshindernis“ schaffe und der Vergütungsanspruch dann nach dem Rechtsgedanken des § 326 Abs. 1 BGB als „automatische Folge der Streikbeteiligung“ untergehen müsse. Die Abmeldung begründet nur dann ein Leistungshindernis, wenn hierdurch ein Arbeitszeitsoll entsteht und dieses auch am Ende des für die Gleitzeit maßgeblichen Zeitraumes noch nicht ausgeglichen worden ist. Da eine Nachholung zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen ist, wird die Leistung dann – aber auch nur dann – gem. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich mit der Folge, dass auch der (anteilige) Vergütungsanspruch gem. § 326 Abs. 1 BGB entfällt.
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Andererseits ist der Arbeitnehmer aber auch nicht verpflichtet, von der Gleitzeitregelung Gebrauch zu machen, wenn er an Streikkundgebungen aus Anlass von Warnstreiks teilnehmen will. Er hat vielmehr das Recht, am Streik teilzunehmen und seine Arbeitsleistung für die Dauer des Streiks zu suspendieren. Entfernt sich der Arbeitnehmer vom Arbeitsplatz, ohne das Zeiterfassungssystem zu betätigen, so wird dies in der Regel als konkludente Streikerklärung zu verstehen sein, weil der Arbeitnehmer außerhalb der Gleitzeitregelung nur aufgrund des Streikrechts seine Arbeitsleistung verweigern darf und anzunehmen ist, dass der Arbeitnehmer sich rechtmäßig verhalten will. In dem vom BAG entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer hingegen das Zeiterfassungssystem betätigt. Dies ist, sofern keine sonstigen Anhaltspunkte vorliegen, als Bestimmung des Arbeitnehmers über die Lage seiner Arbeitszeit, nicht dagegen als endgültige Verweigerung der Arbeitsleistung zu verstehen. Das kommentarlose Entfernen oder Fernbleiben vom Arbeitsplatz kann jedoch, auch wenn es eindeutig als konkludente Erklärung der Streikteilnahme zu verstehen ist, Probleme bei der Arbeitsorganisation oder bei der Zeiterfassung hervorrufen. Der Arbeitgeber kann daher ein berechtigtes Interesse daran haben, dass der Arbeitnehmer sich auch im Falle der Streikteilnahme ausdrücklich abmeldet. Soweit es um die Berücksichtigung der Abwesenheit des Arbeitnehmers im Rahmen der Arbeitsorganisation geht, könnte dem Interesse des Arbeitgebers durch eine Mitteilung gegenüber dem Vorgesetzten Rechnung getragen werden. Hierbei könnte der Arbeitnehmer auch den Grund seiner Abwesenheit angeben, womit zugleich Klarheit hinsichtlich der Streikteilnahme geschaffen würde. Eine Registrierung der streikbedingten Ausfallzeiten könnte etwa über das betriebliche Zeiterfassungssystem erfolgen. Eine solche Abmeldung bei Beginn des Streiks kann vom Arbeitnehmer durchaus verlangt werden und stellt keine unzulässige Beeinträchtigung des Streikrechts dar, sofern sie ohne unzumutbaren Aufwand erfolgen kann.113 Rechtsgrundlage ist – sofern es keine ausdrückliche Regelung gibt – die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die (berechtigten) Interessen des Partners des Schuldverhältnisses (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese besteht auch während des Arbeitskampfes fort. 113 Vgl. hierzu auch OVG Münster 25.8.2005 – 1 A 4725/03.PVL – jurisPR-ArbR 44/2005 m. Anm. Matthes. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Dienststellenleiter angeordnet, dass die Arbeitnehmer, die sich an einem Warnstreik beteiligen wollten, ihr Kommen und Gehen durch Buchungen am Gleitzeitterminal kenntlich machen. Das OVG hatte lediglich darüber zu entscheiden, ob dem Personalrat ein Mitbestimmungsrecht zustand. Dies hat das OVG mit der Begründung verneint, dass der entsprechende Aushang des Dienststellenleiters keine Regelung darstelle, sondern lediglich dessen Rechtsansicht zum Ausdruck bringe, wonach die Arbeitnehmer aufgrund der geltenden Gleitzeitvereinbarung auch bei Beteiligung am Warnstreik verpflichtet seien, die Zeiterfassung zu bedienen.
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Sollen durch die Betätigung des Zeiterfassungssystems sowohl die Arbeitszeit im Rahmen der Gleitzeit als auch die streikbedingten Ausfallzeiten erfasst werden, so hat allerdings das reine „Ausstempeln“ keinen eindeutigen Erklärungsgehalt. Vielmehr muss der Arbeitnehmer auf andere Weise deutlich machen, ob er am Streik teilnehmen oder lediglich Gleitzeit in Anspruch nehmen will. Dies ist zum einen wiederum durch schlüssiges Verhalten möglich. Nimmt der Arbeitnehmer, nachdem er sich ordnungsgemäß abgemeldet hat, an einer Streikkundgebung teil, so ist dies aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers als Ausübung des individuellen Streikrechts zu verstehen. Will der Arbeitnehmer dies vermeiden, so muss er bei Entfernung vom Arbeitsplatz klarstellen, dass er Gleitzeit in Anspruch nehmen will. Andererseits ist es für den Arbeitgeber nur schwer erkennbar, ob der Arbeitnehmer sich nach der Abmeldung an Streikaktionen beteiligt. Aufgrund der Gestaltungswirkung der Streikerklärung besteht aber ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, dem der Arbeitnehmer Rechnung tragen kann und muss. Der Arbeitgeber kann daher verlangen, dass der Arbeitnehmer – etwa durch einen Vermerk auf dem Zeiterfassungsbeleg – eindeutig erklärt, ob er von seinem Streikrecht Gebrauch machen will oder nicht. Ähnliche Probleme ergeben sich, wenn sog. Warnstreiks zu Beginn der Arbeitszeit stattfinden, aber bereits zu einem Zeitpunkt beendet werden, der noch innerhalb der variablen Gleitzeit liegt.114 Erscheinen die Arbeitnehmer nach dem Ende des Warnstreiks am Arbeitsplatz, bestehen ebenfalls Zweifel, ob sie zuvor von ihrem Streikrecht Gebrauch gemacht oder die Gleitzeitregelung in Anspruch genommen haben. Grundsätzlich gelten die für das Entfernen vom Arbeitsplatz entwickelten Auslegungsregeln entsprechend. Beteiligen sich die Arbeitnehmer vor Arbeitsantritt an einer Streikkundgebung oder an sonstigen Kampfmaßnahmen, so ist das spätere Erscheinen am Arbeitsplatz – mangels sonstiger Anhaltspunkte – als konkludente Erklärung der Streikteilnahme und damit als Arbeitsverweigerung anzusehen. Da es sich bei der Streikerklärung um ein Gestaltungsrecht handelt, kann sich der Arbeitnehmer auch nicht nachträglich darauf berufen, nur einen späteren Arbeitsbeginn gewählt zu haben. Die Streikerklärung wird mit Zugang beim Arbeitgeber wirksam. Bei einer konkludenten Erklärung ist dies spätestens dann der Fall, wenn der Arbeitgeber von den Umständen Kenntnis erlangt, welche auf eine Ausübung des Streikrechts hindeuten (hier also die Teilnahme an der Kundgebung). Will der Arbeitnehmer dies verhindern, muss er vorher deutlich machen, dass er von der Gleitzeit Gebrauch machen will, die Teilnahme an der Kundgebung also während der Freizeit erfolgt. Zu beachten ist, dass es auch für den Arbeitnehmer selbst von erheblicher Bedeutung sein kann, dem Arbeitgeber seinen Willen zur Teilnahme am
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Beispiel: Warnstreik von 8 bis 9 Uhr; gleitender Arbeitsbeginn von 7 bis 9.30 Uhr.
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Streik deutlich zu machen, um die Arbeitspflicht zu suspendieren. Fehlt es insoweit an den Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung, so stellt das Fernbleiben vom Arbeitsplatz während der Arbeitszeit eine Vertragsverletzung dar. Dies ist selbst dann zu beachten, wenn es sich nur um eine kurzfristige Arbeitsniederlegung handelt und im Betrieb eine Gleitzeitregelung existiert. Will der Arbeitnehmer seine Abwesenheit durch die Inanspruchnahme von Gleitzeit rechtfertigen, muss er die durch die Gleitzeitregelung gezogenen Grenzen beachten. Besteht etwa eine feste Kernzeit, während der alle Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, und reicht der Streik in diese Kernzeit hinein, so begeht der Arbeitnehmer zumindest eine objektive Pflichtverletzung, wenn er dem Arbeitgeber gegenüber nicht deutlich genug erklärt hat, dass er am Streik teilnehmen werde, und erst nach Beendigung des Streiks seine Arbeit aufnimmt. Der Wille zur streikbedingten Suspendierung der Arbeitspflicht muss zudem möglichst klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht werden. Das Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gilt für die Erklärung der Streikteilnahme im Prinzip in gleicher Weise wie für andere Gestaltungserklärungen. Zwar dürfen – wie immer betont wird – an die Ausübung des Streikrechts keine praxisfernen Anforderungen gestellt werden,115 weil zu hohe formale Hürden sich als materielle Einschränkung des Streikrechts auswirken können.116 Auf eine besondere Erklärung des Arbeitnehmers kann aber nur dann verzichtet werden, wenn die rechtliche Bedeutung seines Verhaltens aufgrund der sonstigen Umstände für den Arbeitgeber eindeutig und zweifelsfrei ist. Ist dies – wie manchmal bei Bestehen einer Gleitzeitregelung – nicht der Fall, kann von ihm eine Klarstellung erwartet werden.117 Auch vom Arbeitgeber verlangt die Rechtsprechung, dass er gegenüber den Arbeitnehmern eindeutig zu erkennen gibt, wenn er von seinem Aussperrungsrecht Gebrauch machen will, sofern ihm auch andere Möglichkeiten –
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Vgl. etwa Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 5. Dass es sich dabei um eine äußerst sensible Frage handelt, die an die Wurzeln des Streikrechts rührt, zeigt auch die in Frankreich geführte Diskussion um die Einführung einer Pflicht der Streikenden, sich 48 Stunden vor Streikbeginn beim Arbeitgeber zu melden, die durch die Loi sur le dialogue social et le service minimum eingeführt werden soll (in letzter Lesung von der Nationalversammlung am 2.8.2007 beschlossen). Vgl. hierzu den Gang des Gesetzgebungsverfahrens, abrufbar unter http://www.assemblee-nationale.fr/13/ dossiers/service_public_transports_terrestres.asp (Stand: 14.8.2007) sowie stellvertretend für die hierdurch hervorgerufenen Proteste die Erklärung der Gewerkschaft CGT unter http://www.cgt.fr/internet/html/lire/?id_doc=5301 (Stand: 14.8.2007). 117 Ähnlich Kissel (Fn. 1) § 42 Rn. 66 f. für die Arbeitsverhältnisse, in denen die Arbeitsleistung nicht ständig „unter den Augen des Arbeitgebers“ zu erbringen sei, wie etwa bei LKW-Fahrern oder Lok-Führern; ebenso ErfK/Dieterich (Fn. 1) Art. 9 GG Rn. 167. 116
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etwa die der Betriebsstilllegung – zu Gebote stehen.118 Wie der Arbeitnehmer die notwendige Klarheit schafft, bleibt im Grundsatz ihm selbst überlassen. So ist der Arbeitnehmer nicht ohne weiteres zur Eintragung in vom Arbeitgeber ausgelegte Streiklisten verpflichtet, wenn er auch auf andere Weise hinreichend deutlich macht, dass er am Streik teilnimmt. Der Arbeitnehmer trägt insoweit das Risiko, dass sein Verhalten bei normativer Auslegung nicht als streikbedingte Arbeitsverweigerung zu verstehen ist. Im Falle der Gleitzeitregelung stellt sich bei einem Streik vor Arbeitsbeginn das zusätzliche Problem, dass der Arbeitgeber Kenntnis von der Dauer des Streiks haben muss, damit er ersehen kann, welcher Zeitraum im Hinblick auf den Streik bei der Soll-Arbeitszeit (und dann auch bei der Vergütung) in Abzug zu bringen ist. Bei festen Arbeitszeiten ergibt sich dieser Zeitraum bei einem Streik vor Arbeitsaufnahme aus der Zeitspanne zwischen dem vereinbarten und dem tatsächlichen Arbeitsbeginn. In den Fällen der Gleitzeit kommt es dagegen auf die Dauer des Streiks an. Der Arbeitnehmer, der am Streik teilnimmt, legt damit konkludent den Beginn seiner Arbeitszeit auf den Beginn des Streiks, weil er nur dann streiken, nämlich die geschuldete Arbeitsleistung verweigern kann. Im Regelfall werden sich Beginn und Ende des Streiks aus dem Streikaufruf ergeben. Sollten Unklarheiten verbleiben, können die streikenden Arbeitnehmer aber auch zu (ergänzenden) Auskünften verpflichtet sein.
V. Beeinträchtigung der Kampfparität als Folge der rechtsgeschäftlichen Erklärungen über Streikdauer und Streikteilnahme 1. Problematik Kontrovers diskutiert wurden Fragen des Streikaufrufs und der Streikteilnahme in der Vergangenheit vor allem dann, wenn diese geeignet waren, das Kräftegleichgewicht zwischen den Gegnern im Arbeitskampf zu beeinflussen. Eine Paritätsstörung kommt immer dann in Betracht, wenn die Gewerkschaft die entsprechenden Erklärungen so steuern kann, dass der Arbeitgeber
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BAG 27.6.1995 1 AZR 1016/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 120 unter I 3; BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 123 unter I 2a; vgl. aber auch Otto (Fn. 1) § 14 Rn. 5, der meint, dass diese Grundsätze nicht auf die Streikerklärung übertragbar seien, weil sie nur vor dem Hintergrund der – umstrittenen – Befugnis des Arbeitgebers zur suspendierenden Betriebsstilllegung verständlich seien. Letzteres ist sicher richtig. Der Grundgedanke, dass eine eindeutige Erklärung erforderlich ist, wenn dem einen Partner mehrere Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und diese sich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht unterscheiden, muss aber für die Kampfbeteiligung des Arbeitnehmers in gleicher Weise gelten.
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für Zeiten des Arbeitsausfalles während des Arbeitskampfes zur Zahlung der Vergütung verpflichtet bleibt. Dies verstärkt naturgemäß den Druck auf die Arbeitgeberseite erheblich, weil sie – anders als im Falle des Streiks – nicht nur den mit dem (teilweisen) Stillstand des Betriebes verbundenen Verlust, sondern zusätzlich die Lohnkosten für die Arbeitnehmer zu tragen hat. Der höheren Belastung der Arbeitgeber korrespondiert eine Entlastung der Gewerkschaft, die ihren Mitgliedern für Zeiten, in denen sie Arbeitsentgelt erhalten, keine Streikunterstützung zahlen muss. Die „Paritätsrelevanz“ einer solchen Situation ist offenkundig und war der Anlass für die Entwicklung der Arbeitskampfrisikolehre durch das BAG.119 2. Streikaussetzung an Feiertagen Erprobt wurde eine solche Strategie von den Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Aussetzung des Streiks an Feiertagen, wobei sich die Pfingstfeiertage offenbar als besonders „beliebt“ erwiesen.120 Die Streiks wurden jeweils am Freitag vor Pfingsten ausgesetzt und überwiegend nach Pfingsten wieder aufgenommen. In diesen Rechtsstreitigkeiten ging es um die Frage, ob den Arbeitnehmern für die Pfingstfeiertage ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 2 Abs. 1 EntFG (früher § 1 Abs. 1 FeiertagslohnzahlungsG) zustand. In der ersten Entscheidung scheiterte die Klage daran, dass die Gewerkschaft den Beschluss über die Aussetzung des Streiks der Arbeitgeberseite nicht bekanntgegeben hatte, so dass der Streik rechtlich über die Feiertage fortdauerte.121 Diese „Panne“ wurde in dem zweiten, vom BAG entschiedenen Fall vermieden.122 Die Gewerkschaft hatte hier dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass der Streik zunächst befristet bis zum Freitag vor Pfingsten dauere. Am Dienstag nach Pfingsten erschienen die Arbeitnehmer normal zur Arbeit. Am Folgetag, dem Mittwoch, teilte die Streikleitung dann mit, dass sie zu einem unbefristeten Streik aufgerufen habe. Das BAG gab der Klage auf Vergütung für die Feiertage statt. Als daraufhin in einem weiteren Arbeitskampf eine andere Gewerkschaft den Streik ausschließlich für die Pfingstfeiertage aussetzte, der Streik also schon am Dienstag nach Pfingsten fortgesetzt wurde, verwehrte das BAG den Arbeitnehmern den Anspruch auf Feiertagsvergütung.123 Die Abweisung
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BAG 22.12.2980 – 1 ABR 2/79 – EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 7. Vgl. hierzu die Entscheidungen BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81; BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45; BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118; BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 126. 121 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 81 unter II 3. 122 BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45. 123 BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118. 120
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der Klage begründete das BAG zu Recht damit, dass in einer Mitteilung, wonach der Streik nur für die Dauer der Feiertage ausgesetzt werde, gar keine Streikbeendigungserklärung zu sehen sei.124 Eine Streikbeendigungserklärung sei nur beachtlich, wenn sie sich auf die suspendierte Arbeitspflicht tatsächlich auswirke, also zu einem Wiederaufleben der Arbeitspflicht führe. Dies sei aber nicht der Fall, wenn der Streik nur für Zeiten ausgesetzt werde, in denen ohnehin keine Arbeitspflicht bestehe. Der Sinn der Erklärung erschöpfe sich in diesem Fall darin, das objektiv unveränderte Streikgeschehen lediglich anders zu benennen, um den Entgeltfortzahlungsanspruch zu begründen.125 Anders ausgedrückt: Im Regelfall bringt die Gewerkschaft mit der Erklärung der (vorübergehenden) Streikbeendigung den Willen zum Ausdruck, den mit der Arbeitsverweigerung verbundenen wirtschaftlichen Druck nicht mehr auszuüben. Die Erklärung der Streikaussetzung über die Feiertage hat hingegen zum Ziel, den von dem Streik ausgehenden Druck zu verstärken. Nun liegt es nahe einzuwenden, dass das taktische „Einschieben“ eines Arbeitstages zwischen den Feiertagen und der Wiederaufnahme des Streiks an der rechtlichen Beurteilung nichts ändern könne, vielmehr auch in diesem Falle der Anspruch auf Entgeltzahlung für die Feiertage streikbedingt entfallen müsse.126 Doch kann man der Erklärung über die Streikbeendigung in diesem Falle die Ernsthaftigkeit nicht absprechen. Schließlich ergeben sich hieraus konkrete Rechtsfolgen für die Arbeitnehmer, da sie – zumindest vorübergehend – wieder zur Arbeitsleistung verpflichtet sind.127 Es fällt auch schwer, in dem Verhalten der Gewerkschaft einen Rechtsmissbrauch oder einen sonstigen Verstoß gegen Treu und Glauben zu erblicken.128 Der taktische Einsatz der Kampfmittel mit dem Ziel, der Gegenseite einen möglichst großen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, gehört zum legitimen Instrumentarium der Kampfparteien in der Tarifauseinandersetzung. Wenn hierdurch übermäßige Nachteile drohen, so muss dem dadurch Rechnung getragen werden, dass auch die Gegenseite die Möglichkeit erhält, hierauf taktisch, also mit einer Kampfmaßnahme, zu antworten. Das BAG hat denn auch in der Entscheidung, in der es einen Anspruch auf die Feiertagsvergütung bejaht hat, weil die Aussetzung des Streiks bis zum 124 So bereits zuvor Richardi in seiner Anmerkung zu BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – SAE 1994, 304, 305: die entsprechende Willenserklärung zur Beendigung der Streikbeteiligung sei „Schall und Rauch“ und der Fall daher nicht anders zu beurteilen, als wenn die Erklärung gar nicht abgegeben worden wäre; zust. auch Walker SAE 1996, 92, 93. 125 BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118 unter I 3a. 126 So Richardi SAE 1994, 304, 305 f.; Walker SAE 1996, 92, 93 f. 127 Zutr. Löwisch Anm. AR-Blattei ES Arbeitskampf II Nr. 37. 128 Hierauf stützen sich Richardi SAE 1994, 304, 305 f. und Walker SAE 1996, 92, 93 f. (Rechtsgedanke des § 162 BGB, weil die Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung treuwidrig herbeigeführt worden seien).
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Dienstag nach Pfingsten dauerte, darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberseite mit einer Aussperrung reagieren könne, wenn die Aussetzung des Streiks zu einer Verschiebung der Kampfparität führe.129 Die Arbeitnehmer könnten dann gerade für die Tage ausgesperrt werden, die die Gewerkschaft von dem Streik ausgenommen habe. Das Gericht hat freilich in einer späteren Entscheidung – angestoßen durch Bedenken in der Literatur 130 – diese Aussage wieder relativiert und die Möglichkeit einer Aussperrung letztlich offen gelassen.131 Die Bedenken gegen eine solche Aussperrung sind jedoch unbegründet. Soweit sie sich auf die Rechtsprechung des BAG zur Verhältnismäßigkeit der Aussperrung 132 und die dort entwickelte „Aussperrungsarithmetik“ stützen 133, erscheinen sie schon deshalb wenig überzeugend, weil das BAG die Zahlengrenzen vor dem Hintergrund eines konkreten Kampfgeschehens entwickelt hat und kurze Zeit später selbst hat erkennen lassen, dass diese Maßstäbe nicht für sämtliche Arbeitskämpfe gelten könnten.134 Entscheidendes Kriterium ist vielmehr, ob die Aussperrung verhältnismäßig im weiteren Sinne, insbesondere erforderlich ist, um das Kräftegleichgewicht wiederherzustellen. Wenn aber durch die Aussetzung des Streiks über die Feiertage und die hiermit verbundene Verpflichtung der Arbeitgeberseite zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts eine Verschiebung des Kräftegleichgewichts eintritt, so dient eine Aussperrung für die Dauer der von der Gewerkschaft ausgenommenen Tage nur der Vermeidung dieses (zusätzlichen) wirtschaftlichen Drucks und ist hierzu auch erforderlich, weil keine andere Möglichkeit zur Vermeidung der Entgeltfortzahlung besteht. Sofern die Aussperrung sich auf die Arbeitnehmer beschränkt, die sich vorher am Streik beteiligt hatten, wird der Arbeitskampf der Sache nach auch nicht oder zumindest nicht wesentlich ausgeweitet.135 Schließlich kann die Aussperrung keineswegs als Angriffsaussperrung eingestuft werden, weil sie nur der Abwehr der Folgen einer von der Gewerkschaft ausgehenden taktischen Maßnahme dient.
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BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45 unter II 3. Löwisch Anm. AR–Blattei ES Arbeitskampf II Nr. 37; Richardi SAE 1994, 304, 305 f. 131 BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118 unter I 4. 132 BAG 10.8.1980 – 1 AZR 822/79 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37. 133 Vgl. Richardi SAE 1994, 304, 306. 134 BAG 12.3.1985 – 1 AZR 636/82 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 58. 135 Eine Ausweitung könnte allenfalls darin gesehen werden, dass die Aussperrung sich auch auf die vor oder nach den Feiertagen liegenden Arbeitstage erstreckt, für die der Streik ausgesetzt wurde, um die Vergütung für die Feiertage zu gewährleisten. Hinsichtlich der Feiertage selbst handelt es sich praktisch um keine Ausweitung, weil die Aussperrung nicht die Arbeitspflicht beseitigt, sondern nur die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches verhindern soll. Insoweit unterschiedet sich eine solche Aussperrung auch von derjenigen, über die das BAG in seiner Entscheidung vom 11.8.1992 – 1 AZR 103/92 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 105 zu befinden hatte. 130
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Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen man eine rein „taktische“ Streikaussetzung annehmen kann, auf die die Arbeitgeberseite mit einer Aussperrung reagieren darf. Kaum bestreitbar dürfte nämlich sein, dass eine Aussperrung über die Feiertage kaum zulässig wäre, wenn die Gewerkschaft den Arbeitskampf vor den Feiertagen endgültig beendet. Sofern die Gewerkschaft dies eindeutig erklärt, wäre eine Aussperrung zumindest als Abwehrmaßnahme nicht zu rechtfertigen. Eindeutig zulässig ist eine Aussperrung umgekehrt in den Fällen, in denen die Gewerkschaft von vornherein selbst zu erkennen gibt, dass der Streik nach den Feiertagen fortgesetzt werden soll.136 Zweifelhaft ist hingegen, wie eine Aussperrung zu beurteilen wäre, wenn die Gewerkschaft den Streik vor den Feiertagen nur vorläufig einstellt, also unsicher ist, ob und wann dieser fortgesetzt wird.137 Meines Erachtens muss auch hier eine Aussperrung als Abwehrmaßnahme möglich sein, weil die Arbeitgeberseite nur so die Instrumentalisierung der Feiertagsregelung verhindern kann. Sind die Feiertage erst vorüber und wird der Streik dann – nach kurzfristiger Wiederaufnahme der Arbeit – fortgesetzt, so ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entstanden. Eine rückwirkende Aussperrung für den Zwischenzeitraum ist nicht möglich. Deshalb bleibt nur die „vorsorgliche“ Aussperrung vor den Feiertagen, um Vergütungsansprüche auszuschließen. Will die Gewerkschaft dies vermeiden, so muss sie mit der Streikaussetzung unmissverständlich deutlich machen, ob und wenn ja wann der Streik fortgesetzt werden soll. An diese Erklärung wäre sie dann aber auch gebunden. Eine vorzeitige Fortsetzung des Streiks müsste als rechtswidrig angesehen werden. 3. Inanspruchnahme von Gleitzeit Ob auch die Inanspruchnahme einer betrieblichen Gleitzeitregelung eine Störung der Kampfparität zur Folge haben kann, wenn die Arbeitnehmer sich nach der Abmeldung vom Arbeitsplatz an Streikaktionen beteiligen, also ihre „Freizeit“ zur Unterstützung des Arbeitskampfes verwenden, ist vom BAG ebenfalls angesprochen, für den Regelfall aber verneint worden.138 Die Situation ist zunächst nicht vergleichbar mit einer weitgehend auf die Feier136 Etwa wenn am Freitag vor Pfingsten von der Streikleitung mitgeteilt wird, dass der Arbeitskampf bis einschließlich Dienstag nach Pfingsten ausgesetzt und anschließend wieder aufgenommen wird. Eine solche Erklärung – freilich mit der Modifikation, dass der Streik unmittelbar nach den Feiertagen fortgesetzt werden sollte – hatte die Streikleitung der Gewerkschaft in dem der Entscheidung BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 118 zugrunde liegenden Sachverhalt abgegeben. 137 Vgl. hierzu den Fall in BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92 – EzA § 1 FeiertagslohnzG Nr. 45. 138 BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 30 f.; vgl. hierzu auch Wolff/Degenhardt BB 2006, 1965, 1967.
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tage beschränkten Aussetzung des Streiks. Zwar ist auch hier der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer das regelmäßige Arbeitsentgelt zu zahlen, auch wenn er nicht die volle geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Der durch die Beteiligung an den Streikaktionen entstehende Negativsaldo ist aber später auszugleichen, so dass auf lange Sicht kein (zusätzlicher) wirtschaftlicher Schaden entsteht. Nicht zu verkennen ist freilich, dass ein gezielter Einsatz der durch die Gleitzeitregelungen eröffneten Spielräume den Druck, der von dem streikbedingten Arbeitsausfall und den hierdurch verursachten Betriebsstörungen ausgeht, verstärken kann. Streikt ein Teil der Arbeitnehmer, so ist der Arbeitgeber auf die übrigen Arbeitnehmer umso stärker angewiesen, wenn er den Betrieb aufrechterhalten will. Bleiben diese dem Arbeitsplatz dann unter Berufung auf die Gleitzeitregelung ebenfalls (vorübergehend) fern, so verschärft sich die Situation deutlich. Wenn es dann zu einem Stillstand des Arbeitsablaufes kommt, hilft dem Arbeitgeber die Aussicht, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung später erbringen werden, nicht weiter. Man kann auch nicht einwenden, dass damit nur dasselbe Ergebnis herbeigeführt würde als wenn die aufgrund der Gleitzeitregelung fehlenden Arbeitnehmer ebenfalls streiken würden. Der entscheidende Unterschied besteht nämlich darin, dass diese Arbeitnehmer auch für die Dauer ihrer Abwesenheit das volle Entgelt erhalten. Der durch die Störung des Betriebs entstehende Schaden wäre zwar derselbe. Der mit dem Streik verbundene Entgeltverlust entfiele hingegen, was den Druck auf die Arbeitnehmerseite verringern und deshalb das Gleichgewicht zwischen den Gegnern des Arbeitskampfes beeinträchtigen würde. Nun ist es sicher richtig, wenn das BAG davon ausgeht, dass nicht jede Inanspruchnahme der Gleitzeitregelung während des Arbeitskampfes – und sei es auch zum Zwecke der Teilnahme an einer Streikkundgebung – eine Störung der Kampfparität darstellt. Voraussetzung dürfte sein, dass eine nennenswerte Zahl von Arbeitnehmern die Gleitzeitregelung instrumentalisiert, um den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Ist dies der Fall, kann freilich ein solches Verhalten durchaus streikähnliche Wirkung entfalten, insbesondere wenn die Gleitzeitregelung einen hohen Negativsaldo vorsieht, der es den Arbeitnehmern erlaubt, sogar für mehrere Tage der Arbeit fernzubleiben.139 Das BAG hat in der konkreten Entscheidung nicht zu der Frage Stellung genommen, welche Folgen eine Störung der Kampfparität hätte. Es hat vielmehr eine Paritätsstörung verneint, weil der Arbeitgeber individual-
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In der konkreten Entscheidung betrug das zulässige Minus 150 Stunden, so dass nach der Berechnung des BAG ein Fernbleiben von der Arbeit für die Dauer von bis zu sieben Wochen ohne Folgen für den Vergütungsanspruch möglich gewesen wäre. Vgl. BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 31.
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rechtlich gegensteuern könne.140 Ein solches individualrechtliches Instrument stünde sicher zur Verfügung, wenn in der Gleitzeitregelung selbst vorgesehen wäre, dass der Arbeitgeber im Falle des Arbeitkampfes den Spielraum für die individuelle Gestaltung der Arbeitszeit (etwa durch Anordnung fester Arbeitszeiten oder durch die Festlegung einer täglichen oder wöchentlichen Mindestarbeitszeit) einschränken kann.141 Besteht ein solches Recht nicht, muss man aber der Arbeitgeberseite notfalls das Recht geben, auf den „taktischen“ Einsatz der Gleitzeit mit Aussperrungen zu reagieren und den Arbeitnehmern den Vorteil, den die Inanspruchnahme der Gleitzeit gegenüber der Streikbeteiligung bietet, nämlich den ungeschmälerten Vergütungsanspruch, zu nehmen.
VI. Zusammenfassung 1. Voraussetzung für die Suspendierung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten sind im Falle des Streiks der Streikaufruf durch die Gewerkschaft sowie die Erklärung des Arbeitnehmers, am Streik teilnehmen zu wollen. Der Streikaufruf stellt eine Kampfmaßnahme der Gewerkschaft dar, mit der diese im Rahmen der Tarifauseinandersetzung Druck auf die Arbeitgeberseite ausüben will. Er ist Ausfluss des kollektiven Streikrechts. Der Streikaufruf schafft daneben die Voraussetzungen für die Arbeitsniederlegung durch die Arbeitnehmer, ohne die der Streik keine Wirkung entfalten könnte. Er begründet zugunsten der Arbeitnehmer ein individualrechtliches Gestaltungsrecht, mit dem sie ihre vertraglich geschuldete Leistungspflicht für die Dauer des Arbeitskampfes beseitigen können. Das individuelle Streikrecht besteht in dem Recht, die ansonsten bestehende Arbeitsleistung aussetzen zu können. 2. Eine Ausübung des individuellen Streikrechts ist daher davon abhängig, dass an sich eine Arbeitspflicht besteht. Arbeitnehmer, die auch ohne den 140 BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 137 Rn. 31; mit Recht kritisch hierzu Wolff/Degenhardt BB 2006, 1965, 1967. In dem zu entscheidenden Sachverhalt enthielt die Gleitzeitregelung einen Passus, wonach die Arbeitnehmer die Arbeitszeit eigenverantwortlich so steuern sollen, dass die betrieblich vorgegebenen Ziele erreicht werden und die individuellen Bedürfnisse dabei Berücksichtigung finden. Das BAG war der Ansicht, dass die Erreichung der betrieblichen Ziele nicht mehr gesichert sei, wenn die Arbeitnehmer während des Streiks massenhaft im Rahmen der Gleitzeitregelung fernblieben. Ob freilich der genannte Passus dem Arbeitgeber tatsächlich eine effektive Handhabe gibt, die Inanspruchnahme von Gleitzeit zu untersagen, erscheint zweifelhaft, da sich aus der Regelung ein unbedingter Vorrang der betrieblichen Interessen vor den individuellen Bedürfnissen der Arbeitnehmer, die gleichberechtigt genannt werden, nicht ablesen lässt. Wie wäre etwa zu entscheiden, wenn der Arbeitnehmer für seine Arbeitszeitgestaltung dringende private Gründe angibt? 141 Ähnliche Vorschläge bei Wolff/Degenhardt BB 2006, 1965, 1967.
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Arbeitskampf nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet wären, können den Streik allenfalls tatsächlich unterstützen. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Streikteilnahme in Form der Ausübung eines Gestaltungsrechts. Eine Streikteilnahme erkrankter, in Erholungsurlaub befindlicher oder in sonstiger Weise beurlaubter Arbeitnehmer ist daher nur möglich, wenn zuvor die Arbeitspflicht (durch Verzicht auf das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB bei Krankheit oder durch Aufhebung der Beurlaubung) wiederhergestellt worden ist. 3. Der Streikaufruf ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die grundsätzlich die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung finden. Deshalb bedarf der Streikaufruf der Bekanntgabe gegenüber der Arbeitgeberseite, um seine Rechtswirkungen entfalten zu können. In entsprechender Anwendung des § 130 Abs. 1 BGB genügt der Zugang. Der Streikaufruf muss von der Gewerkschaft ausgehen, da auf Seiten der Arbeitnehmer nur der Verband berechtigt ist, das Mittel des Arbeitskampfes zur Durchsetzung der tarifpolitischen Ziele einzusetzen. Adressat der Erklärung ist der Gegner in der Tarifauseinandersetzung, beim Verbandsarbeitskampf also der zuständige Arbeitgeberverband, bei einem Streit um einen Firmentarifvertrag der einzelne Arbeitgeber. Der Streikaufruf muss den Träger, Art und Umfang und den Beginn der Kampfmaßnahme sowie den Kreis der betroffenen Arbeitnehmer klar und eindeutig erkennen lassen. Hierfür bedarf es im Regelfall einer besonderen Erklärung gegenüber dem Kampfgegner. 4. Die suspendierende Wirkung tritt erst mit der Erklärung des Arbeitnehmers über die Streikteilnahme ein. Es handelt sich dabei um ein einseitiges Rechtsgeschäft in Gestalt einer empfangsbedürftigen Willenserklärung. Die Erklärung muss von dem Arbeitnehmer selbst abgegeben werden. Die Streikleitung ist hingegen ohne besondere Bevollmächtigung nicht befugt, als Vertreter Erklärungen mit Wirkung für und gegen den Arbeitnehmer abzugeben. Für die Ausübung des Gestaltungsrechts bedarf es häufig keiner ausdrücklichen Erklärung des Arbeitnehmers. Vielmehr kann der Wille zur Streikteilnahme konkludent zum Ausdruck kommen, etwa durch Nichterscheinen am Arbeitsplatz nach Streikaufruf. Besteht für den Arbeitnehmer auch ohne die Streikteilnahme die Möglichkeit, vom Arbeitsplatz fernzubleiben, ist hingegen im Regelfall eine klarstellende Erklärung des Arbeitnehmers erforderlich, um von einer Streikteilnahme ausgehen zu können. Dies ergibt sich aus dem Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, das allgemein für Gestaltungserklärungen gilt. So kann der Arbeitgeber insbesondere bei Gleitzeitregelungen verlangen, dass der Arbeitnehmer zu erkennen gibt, ob er von seinem Streikrecht oder von seinem Recht zur individuellen Arbeitszeitgestaltung Gebrauch machen will. 5. Auch wenn Erklärungen der Gewerkschaft über Beginn und Ende des Streiks oder Erklärungen der Arbeitnehmer über eine Streikteilnahme dazu
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führen, dass der Druck auf die Arbeitgeberseite verstärkt wird, weil für Zeiten des Arbeitsausfalles eine Vergütung zu zahlen ist, kann diesen Erklärungen nicht einfach jede rechtliche Bedeutung abgesprochen werden, wenn die hiermit intendierten Rechtsfolgen tatsächlich – und sei es auch nur vorübergehend – eintreten. Dem taktischen Einsatz solcher rechtsgeschäftlicher Instrumente muss vielmehr mit den Mitteln des Arbeitskampfes begegnet werden. Sofern eine Paritätsstörung vorliegt, muss die Arbeitgeberseite die Möglichkeit haben, etwaige Vergütungsansprüche im Wege der Abwehraussperrung auszuschließen.
Der Arbeitsvertrag im Spannungsfeld von Tarif- und Betriebsautonomie Reinhard Richardi Inhaltsübersicht I. Rechtsstaat und Freiheitsgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Privatautonomie und Staatsmandatierung der Tarifvertragsparteien . . . . . . . . 1. Funktionsdefizit des individuellen Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweckverfehlung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie durch untergesetzliches Tarifrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bereichsausnahme aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . 1. Tarifnormen als vorformulierte Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderregelung für die arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachwidrigkeit der Bereichsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ersetzung des Arbeitsvertrags durch Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . 1. Betriebsvereinbarung als Rechtsquelle des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . 2. Umdeutung von unwirksamen Betriebs- oder Dienstvereinbarungen in Arbeitsvertragsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ablösung einer Arbeitsvertragsregelung durch Betriebsvereinbarung . . . . . V. Kollektiv- oder individualrechtliche Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei Betriebsinhaberwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschiedenheit des Rechtsgrunds für einen Betriebsinhaberwechsel . . . . . 2. Individualrechtliche Transformation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Betriebsvereinbarung versus Arbeitsvertrag bei „betrieblichen Bündnissen für Arbeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
451 452 452 453 456 456 457 458 459 459 460 462 465 465 466 467 468
I. Rechtsstaat und Freiheitsgewährleistung In seinem 90. Lebensjahr legte der weltberühmte Philosoph Sir Karl Popper die letzte von ihm selbst bearbeitete Auflage seines Buches „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ vor.1 In seinem Vorwort zu dieser Auflage wird von ihm nach seinen eigenen Worten „eine der wichtigsten Grundlagen einer offenen Gesellschaft besprochen: die Rechtsordnung, der sich alle fügen, kurz, der Rechtsstaat“. Die Marktwirtschaft hat nach ihm „bei weitem die 1
Karl R. Popper Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 7. Aufl., 1992.
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beste, die freieste, die fairste und die gerechteste Gesellschaft, die es jemals in der Geschichte der Menschheit gegeben hat“, hervorgebracht. Umso bedrohlicher ist für ihn als „eines der ernsthaften Übel unserer westlichen Gesellschaften … die Kriminalität, in ihren vielen Formen, zum Beispiel auch die großen und kleinen betrügerischen Mißbräuche der Freiheit des Marktes“. Wörtlich heißt es: „Die Kriminalität hat alarmierend zugenommen seit dem Zweiten Weltkrieg und sie ist nun ein ernsthaftes Problem in unserer offenen Gesellschaft.“ Deshalb brauchten wir ein Strafrecht. Etwas ganz anderes als das Strafrecht sei aber das Zivilrecht, das in bestimmten Teilen von größter Bedeutung für das Funktionieren eines freien Marktes sei. Es folgt der Satz: „Im Gegensatz zum Strafrecht, das ein notwendiges Übel ist, ist das Zivilrecht ein wichtiges Gut.“ Sein Ziel sei „die Verwirklichung der persönlichen Freiheit und ein menschliches Zusammenleben ohne Gewalt“. Zivilisierte Gesellschaften hätten dieses maßvolle Ziel hochgehalten seit den großen Zeiten Roms. Es sei maßvoll, aber es sei schwer zu erreichen. Der freie Markt benötige „den Schutz eines rechtlichen Rahmens, eines Rechtsstaats“.
II. Privatautonomie und Staatsmandatierung der Tarifvertragsparteien 1. Funktionsdefizit des individuellen Vertrags Dem Arbeitsrechtler klingen die Ohren beim Hören dieser Worte. Längst ist er gewohnt, dass die Freiheitsrechte an die Repräsentanten einer Gruppenautonomie im Tarifvertragswesen und der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung abgetreten sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu seinen Segen erteilt. In seiner Aussperrungsentscheidung vom 26. Juni 1991 bleibt zwar gewährleistet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Begründung des Arbeitsverhältnisses einen Vertrag schließen; es wird aber seine beschränkte Bedeutung für den Inhalt der Rechtsbeziehungen hervorgehoben, weil nur die Tarifautonomie mit der Möglichkeit des Einsatzes von Arbeitskampfmaßnahmen ein Verhandlungsgleichgewicht gewährleiste; sie sei, wie es wörtlich heißt, „darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen“.2 Daran ist richtig, dass historisch an der realen Imparität die Funktionsfähigkeit des individuellen Vertrags scheiterte. Überwunden wurde diese ungleiche Ausgangslage durch den freiwilligen Zusammenschluss in Gewerkschaften, die in Tarifverträgen die Löhne und Arbeitsbedingungen aushan2
BVerfGE 84, 212 (229).
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delten. Die Einordnung der Arbeitnehmer in eine arbeitsteilige Organisation, die sich am Markt nur zu behaupten weiß, wenn sie einheitlich geplant, organisiert und geleitet wird, bewirkt für den individuellen Vertrag einen weiteren Funktionsverlust, der durch die gesetzliche Einräumung von Beteiligungsrechten an gewählte Arbeitnehmerrepräsentanten in der Betriebsverfassung ausgeglichen wird. Damit nicht einzelvertraglich untergraben werden kann, was kollektivvertraglich festgelegt ist, wurde der Tarifvertrag zur Rechtsquelle für die unter seinen Geltungsbereich fallenden Arbeitsverhältnisse erhoben. Zu ihm gesellte sich die Betriebsvereinbarung als kleine Schwester, und die Mitbestimmung erhielt den Rang einer Wirksamkeitsvoraussetzung nicht nur für einseitige Gestaltungsakte des Arbeitgebers, sondern auch für Vertragsabreden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern. 2. Zweckverfehlung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie durch untergesetzliches Tarifrecht Die Besonderheit einer freiheitlichen Arbeitsverfassung erblickt man parteiübergreifend vor allem in der Selbstgesetzgebung durch Tarifvertrag und der sie ergänzenden Mitbestimmung. In diesem Modell erscheint der Arbeitsvertrag nur am Rand. Von dieser Sicht lässt sich eine Gesetzgebung leiten, die Flexibilität in den Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen erstrebt, sie aber zugleich durch Realisierung sozialpolitischer Schutzpostulate in einer Vielzahl von Einzelregelungen kanalisiert und damit zugleich wegen des Verfehlens einer systemgerechten Ordnung die freiheitsrechtlichen Grundlagen untergräbt. Nach dem gesetzlichen Regelfall gelten Tarifnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Nur unter dieser Voraussetzung ist der Tarifvertrag Rechtsquelle. Wenn die Tarifgebundenheit nicht durch die staatliche Allgemeinverbindlicherklärung oder sogar nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz durch Rechtsverordnung erweitert wird, finden Tarifnormen auf ein Arbeitsverhältnis nur Anwendung, wenn auf sie im Arbeitsvertrag Bezug genommen wird. Sie sind damit nichts anderes als Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S. der Legaldefinition des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Wenn sie gleichwohl als Rechtsquelle in Erscheinung treten, beruht dies zum einen auf der Überhöhung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht und zum anderen auf der Zuweisung der Erfüllung von Schutzpostulaten durch eine Einzelfallgesetzgebung. Das Bundesverfassungsgericht sieht bekanntlich in der Tariffähigkeit die Verleihung eines Normsetzungsrechts zur sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens in einem von der staatlichen Rechtsetzung freigelassenen Raum.3 Darüber
3
BVerfGE 4, 96 (108); 18, 18 (28); 34, 308 (317).
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gerät leicht in Vergessenheit, dass es den verfassungsrechtlichen Schutz einer Rechtsetzung durch die Tarifvertragsparteien grundsätzlich nur gegenüber deren Verbandsmitgliedern anerkennt, also eine mitgliedschaftliche Legitimation verlangt.4 Die Gesetzgebung hat durch Öffnungsklauseln für die Tarifvertragsparteien die Geltung ihrer Regelung eingeschränkt. Was für die Arbeitsvertragsparteien zwingend gilt, findet keine Anwendung, wenn ein Tarifvertrag eine abweichende Regelung trifft. Dabei geht es nicht nur um Grenzziehungen, wie für das Urlaubsrecht nach § 13 BUrlG oder die Festlegung der Kündigungsfristen nach § 622 BGB, sondern der Gesetzgeber hat zunehmend auch die Regelung selbst den Tarifvertragsparteien übertragen, wobei die gesetzestechnische Gestaltung als Tariföffnungsklausel einen Schleier über die staatliche Mandatierung legt. Da die gesetzlichen Grenzen der Arbeitszeit in vielen Bereichen verfehlt sind, gestattet der Gesetzgeber in § 7 ArbZG, abweichende Regelungen in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu treffen. Er behandelt die Tarifvertragsparteien so, als hätte er sie zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt, wie § 7 Abs. 6 ArbZG verdeutlicht, wenn er bestimmt, dass die Bundesregierung durch Rechtsverordnung Ausnahmen im Rahmen der für die Tarifvertragsparteien vorgesehenen Regelung zulassen kann. Da die Tarifgeltung auf die beiderseits tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien beschränkt ist, eröffnet der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Abweichung im Arbeitsvertrag, indem auf den einschlägigen Tarifvertrag Bezug genommen wird. Es genügt nicht, dass eine wortgleiche Bestimmung im Arbeitsvertrag vereinbart wird. Mittelbar wird eine Anwendung des Tarifvertrags auch dadurch erzwungen, dass der Betriebsrat nach § 99 BetrVG über die Eingruppierung in das vom Arbeitgeber zugrunde gelegte Vergütungssystem mitzubestimmen hat, auch wenn der Arbeitnehmer nicht tarifgebunden ist. Eine weitere Absicherung ergibt sich schließlich aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach dem Eingangshalbsatz des § 87 Abs. 1 BetrVG besteht es nicht, soweit eine tarifliche Regelung gilt. Aber auch nach dem Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers hat dieser die bisher im Betrieb geltende tarifliche Vergütungsregelung in ihrer Struktur weiter anzuwenden, solange der Betriebsrat einer Änderung nicht zugestimmt hat.5 Lassen sich die bisher vorgestellten Regelungen noch unter dem Blickwinkel einer Absicherung kollektiver Privatautonomie der organisierten Arbeitsvertragsparteien interpretieren, so versagt dieser Erklärungsversuch für die Einschaltung der Tarifvertragsparteien in der sozialen Gesetzgebung
4 5
BVerfGE 44, 322 (347 f.); 64, 208 (214 f.). BAG 2.3.2004 AP Nr. 31 zu § 3 TVG.
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aus letzter Zeit. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz übertrug ihnen die Festlegung von Mindestentgelten für Arbeitnehmer, obwohl im Regelfall weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer ihnen angehören. Die Erstreckung erfolgt deshalb durch Rückgriff auf die Allgemeinverbindlicherklärung, um Mindestlohntarifverträge auch für Arbeitnehmer verbindlich zu machen, auf deren Arbeitsverhältnis deutsches Recht keine Anwendung findet. Da sich die Arbeitgeberseite dem kondominialen Rechtsetzungsverfahren zwischen Staat und Tarifvertragsparteien verweigerte, hat der Gesetzgeber dem Staat durch eine Rechtsverordnungsermächtigung die Befugnis eingeräumt, die Geltung der Tarifnormen auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erstrecken (§ 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG). Mit anderem Rechtsinstrumentarium sicherten Landesgesetzgeber bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Tariftreue von Unternehmen ohne Rücksicht auf die Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien. Bei der Umsetzung der von der Hartz-Kommission gemachten Vorschläge wurde durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die Regelung eingefügt, dass der Verleiher als Partei des Arbeitsvertrags verpflichtet ist, die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren. Damit eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung überhaupt noch in Betracht kommt, hat der Gesetzgeber nach dem Vorbild der Tariföffnungsklauseln in anderen Gesetzen den Tarifvertragsparteien gestattet, abweichende Regelungen zu treffen, wobei es auch hier vor allem um Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht, die nicht den Tarifvertragsparteien angehören. Gesetzestechnisch wird dies dadurch erreicht, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die nicht tarifgebunden sind, die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren können (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2, § 9 Nr. 2 Halbsatz 3 AÜG). Es liegt hier auf der Hand, dass die Privatautonomie völlig ausgeschaltet ist, und zwar auch in der für die Tarifautonomie maßgeblichen Gestaltungsformen kollektiver Privatautonomie für die organisierten Arbeitsvertragsparteien. Trotz Abschluss eines Arbeitsvertrags zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer beruht sein Inhalt nicht auf einer privatautonomen Gestaltung, sondern auf einem Gesetzesbefehl, bei dem nur noch zur Wahl steht, ob die Arbeits- und Entgeltbedingungen des Entleiherbetriebs oder ein Tarifvertrag Anwendung finden, für den die mitgliedschaftliche Legitimation der Tarifunterworfenen völlig unerheblich ist, wobei der Gesetzgeber sogar offen lässt, ob die Tarifvertragsparteien einen der gesetzlichen Regelung insgesamt gleichwertigen Schutz herbeiführen.6
6
Vgl. zur Problematik auch Buschmann FS Richardi, 2007, S. 93 ff.
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Vollends nicht mehr als privatrechtlich begründete Gestaltungsmacht kann man die tarifvertragliche Normsetzung begreifen, soweit das Betriebsverfassungs-Reformgesetz 2001 durch die Neufassung des § 3 BetrVG den Tarifvertragsparteien die Aufgabe zugewiesen hat, die gesetzlich festgelegte Repräsentationsstruktur der Betriebsverfassung zu ändern.
III. Bereichsausnahme aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1. Tarifnormen als vorformulierte Vertragsbedingungen Mit der Staatsmandatierung der Tarifvertragsparteien zur Erfüllung von Schutzpostulaten steht in einem merkwürdigen Kontrast, dass der Tarifvertrag für die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse rechtsdogmatisch keine Rechtsquelle ist, sondern auf Grund einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag Anwendung findet. Selbst wenn die Voraussetzungen für eine unmittelbare und zwingende Geltung der Tarifnormen erfüllt sind, hat das Bundesarbeitsgericht, da der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrags nicht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers fragen darf, der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag eine konstitutive Bedeutung beigelegt. Die Tarifnormen werden deshalb als vorformulierte Vertragsbedingungen Bestandteil des Arbeitsvertrags. Das Bundesarbeitsgericht mildert diese Konsequenz dadurch, dass es bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede interpretiert, den Arbeitnehmer also so stellt, als wäre er tarifgebunden.7 Bei fehlender Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ist jedoch dieser Ausweg versperrt. Aber auch wenn man die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede interpretieren kann, wirkt sich verschieden aus, ob nur ein bereits bestehender Tarifvertrag einbezogen werden soll (statische Verweisung) oder ob die jeweils gültige Fassung eines bestimmten Tarifvertrags den Inhalt des Arbeitsvertrags bestimmen soll, wobei sich ein weiterer Unterschied daraus ergibt, ob auf den Tarifvertrag, in dessen Geltungsbereich der Arbeitnehmer bei Begründung des Arbeitsverhältnisses fällt, Bezug genommen wird (kleine dynamische Bezugnahmeklausel), oder ob der für den Betrieb jeweils einschlägige Tarifvertrag für anwendbar erklärt wird (große dynamische Bezugnahmeklausel). Von diesem Unterschied hängt insbesondere ab, ob bei einem Betriebsinhaberwechsel ein Tarifwechsel eintritt. Die insoweit einschlägigen Bestimmungen in § 613a Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB regeln nur den Fall, dass ein Tarifvertrag normativ wirkt, während
7 BAG 26.9.2001 AP Nr. 21 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; 24.11.2004 AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; s. aber nunmehr BAG 14.12.2005 NZA 2006, 607 ff.
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für die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB einschlägig bleibt, nach dem der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen eintritt. Ein Tarifvertrag bleibt deshalb anwendbar, soweit er nach der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmt. 2. Sonderregelung für die arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Die hier herausgestellte Bedeutung des Arbeitsvertrags steht diametral im Gegensatz zum Modell der Arbeitsverfassung, wie man es dem geltenden Recht unterstellt. Nach ihm ist den Tarifvertragsparteien übertragen, das Arbeitsleben „sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigkeiten festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden“.8 Entsprechend ist den Betriebspartnern eine davon verschiedene Funktion und Wirkungsmöglichkeit zugewiesen, und dem Arbeitsvertrag fällt nur noch die Funktion zu, individuelle Momente bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zur Geltung zu bringen. Entsprechend hat die Rechtsprechung bis zum Beschluss des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. September 1986 9 anerkannt, dass ein funktionswidriger Einsatz des Arbeitsvertrags im Verhältnis zu den kollektivrechtlichen Gestaltungsmitteln keinen Bestandsschutz genießt. Damit hat man aber letztlich den Arbeitsvertrag als Gestaltungsinstrument des Arbeitsverhältnisses eliminiert; denn die im Arbeitsrecht anerkannte Pflicht des Arbeitgebers zur Gleichbehandlung macht zum Regeltatbestand, dass der Einsatz des Arbeitsvertrags nicht darauf beschränkt ist, individuelle Momente bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zur Geltung zu bringen. Warum der Arbeitsvertrag gleichwohl unvollkommen wahrgenommen wird, beruht, wenn man von der ideologischen Variante absieht, dass man in mystischer Verklärung der Unterordnung des Einzelwillens unter dem Gruppenwillen den Vorrang gibt,10 ausschließlich auf der chaotischen Gestaltung der Gesetzgebung für den Arbeitsvertrag. Das Bemühen, hier und dort einen Sonderwinkel auszuleuchten, um Flexibilität zu schaffen, hat schon 1992 auf dem 59. Deutschen Juristentag zur Begründung der Notwendigkeit eines Arbeitsvertragsgesetzes zu der Feststellung Veranlassung gegeben, das deutsche Individualarbeitsvertragsrecht lasse sich mit den Worten Pufendorfs als „aliquid monstro simile“, als ein kunstvoll geordnetes Chaos oder ein Irrgarten des Rechts charakterisieren, in dem sich nicht einmal ein Durchschnittsjurist auskenne. Seit dieser Zeit hat der Gesetzgeber alles unternom8 9 10
BVerfGE 18, 18 (28). AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. Vgl. Picker FS Wiegand, 2005, S. 1065 ff.
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men, um den Irrgarten weiter auszubauen, so dass nicht einmal mehr von einem kunstvoll geordneten Chaos gesprochen werden kann. Für den durchschnittlichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist die Rechtsmaterie, die vor allem für den Arbeitnehmer die Grundlage seiner ökonomischen Existenz bildet, ein Buch mit sieben Siegeln. Im Streitfall erfährt er nicht aus dem Gesetz, sondern erst durch den Mund des Richters, was für ihn gilt. Hier sei an die Mahnungen Sir Karl Poppers erinnert, der die Freiheitsgewährleistung an die Verwirklichung eines Rechtsstaats bindet. Er fordert „Juristen, die die geschriebenen Gesetze auch ernst nehmen“; aber bei einer Gesetzgebung ohne übergreifende Rechtskonzeption greift die Forderung ins Leere. So hat sich schon längst neben dem geltenden, aber kaum noch handhabbaren Arbeitsrecht unter dessen Ablösung in der Rechtswirklichkeit ein apokryphes Arbeitsrecht entwickelt. In welche Tiefen man gesunken ist, hat sehr deutlich die Schuldrechtsmodernisierung 2001 gezeigt, die den Arbeitsvertrag trotz des Kodifizierungsbedarfs erst in letzter Minute und auch nur am Rand berücksichtigt hat. Seine Einbeziehung in das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB), verdankt er der Feststellung, dass eine Anpassung an das sonst im Zivilrecht geltende Schutzniveau geboten sei. Gleichwohl hat man es dabei belassen, Tarifverträge sowie Betriebs- und Dienstvereinbarungen auch weiterhin aus dem Anwendungsbereich der gesetzlichen Regelung auszuklammern (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB). Diese Konzeption ist nicht zukunftsfähig; denn was der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien verbietet, kann schwerlich erlaubt bleiben, wenn sie die Bestimmung einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung entnehmen. 3. Sachwidrigkeit der Bereichsausnahme Die folgenden Beispiele mögen dies verdeutlichen: Vertragsstrafenabreden in Formularverträgen sind nach § 309 Nr. 6 BGB unzulässig; in formularmäßigen Arbeitsverträgen soll dagegen aus der angemessenen Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB ihre grundsätzliche Zulässigkeit zur Sanktion eines Vertragsbruchs folgen.11 Die Unwirksamkeit einer formularmäßigen Vertragsstrafenabrede entnimmt das Bundesarbeitsgericht aber § 307 Abs. 1 BGB, soweit sie den Arbeitnehmer entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, z.B. bei einer Vertragsstrafe von einem Monatsgehalt, wenn die Kündigungsfrist nur zwei Wochen beträgt. § 307 Abs. 1 BGB findet aber auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen keine Anwendung (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB). Es wäre aber gleichheitswidrig, würde man dieselbe Vertragsstrafenabrede nur
11
BAG 4.3.2004 AP Nr. 3 zu § 309 BGB.
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deshalb als wirksam anerkennen, weil ein Arbeitgeber sie einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung entnommen hat. Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts in einem Formulararbeitsvertrags für Entgeltleistungen des Arbeitgebers ist nach § 308 Nr. 4 BGB nur wirksam, wenn der widerrufliche Anteil nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts unter 25 bis 30 Prozent der Gesamtvergütung liegt und der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll.12 Enthielte ein Tarifvertrag einen derartigen Widerrufsvorbehalt, so findet bei seiner Übernahme in einen Formulararbeitsvertrag § 308 Nr. 4 BGB keine Anwendung, wenn man, wie nahezu einhellig vertreten wird, § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB auch bei fehlender Tarifgeltung für einschlägig hält. Sind in einem Formulararbeitsvertrag Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen festgelegt, so entnimmt man dem § 307 Abs. 1 BGB die Unwirksamkeit der Verfallklausel, wenn sie drei Monate beträgt; sie sei eine unangemessene Benachteiligung, da das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz die gesetzliche Verjährungsfrist verlängert habe.13 Derart kurze Ausschlussfristen sind aber in Tarifverträgen enthalten. Bei deren Übernahme in einen Formulararbeitsvertrag findet § 307 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Folglich wird man als wirksam ansehen, was man bei fehlender Absicherung in einem Tarifvertrag als unangemessene Benachteiligung zu beurteilen hat. Die Rechtfertigung für das Tarifprivileg erblickt man im tatsächlichen Verhandlungsgleichgewicht der Tarifvertragsparteien. Der Gesetzgeber hat aber die Freistellung von seiner Regelung auch für eine Betriebsvereinbarung festgelegt, obwohl das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung ein Verhandlungsgleichgewicht der Betriebspartner abgelehnt hat und deshalb die Betriebsvereinbarung einer Billigkeitskontrolle unterzog.
IV. Ersetzung des Arbeitsvertrags durch Betriebsvereinbarung 1. Betriebsvereinbarung als Rechtsquelle des Arbeitsverhältnisses Gerechtigkeitspostulate erfordern betriebseinheitliche Regelungen. Es liegt deshalb nahe, an ihnen den Betriebsrat zu beteiligen und eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Soweit der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen hat, kann über den Regelungsgegenstand eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden. Aber wie sich aus § 88 BetrVG ergibt, kann auch in anderen Angelegenheiten eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden. Eine Grenze zieht der Betriebsvereinbarungsautonomie nach herrschendem 12 13
BAG 12.1.2005 AP Nr. 1 zu § 308 BGB. Singer RdA 2003, 194 (201); Krause, RdA 2004, 36, 106 (111).
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Verständnis nur der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG.14 Ihm entnimmt man im Umkehrschluss, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können, wenn sie nicht durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Diese Reichweite der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsbefugnis stößt zwar im Schrifttum auf erhebliche Bedenken,15 wird aber trotz der zweifelhaften Gesetzesgrundlage vom Bundesarbeitsgericht anerkannt.16 Fällt aber ein Betrieb nicht unter den Geltungsbereich des BetrVG, sondern unter das Personalvertretungsrecht oder das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht, so besteht nach insoweit einschlägigen Gesetzen keine entsprechende Regelungsbefugnis. So sind nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BPersVG Dienstvereinbarungen nur zulässig, soweit sie dieses Gesetz ausdrücklich vorsieht. Eine entsprechende Bestimmung enthält Art. 73 BayPVG, so dass nach diesem Gesetz nicht einmal eine Dienstvereinbarung über Rauchverbote geschlossen werden kann.17 Auch das Mitarbeitervertretungsrecht der katholischen Kirche kennt keine Dienstvereinbarungsautonomie.18 2. Umdeutung von unwirksamen Betriebs- oder Dienstvereinbarungen in Arbeitsvertragsabreden Wenn eine Betriebsvereinbarung gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG verstößt, ist sie unwirksam. Ebenfalls unwirksam ist eine Dienstvereinbarung, soweit die einschlägigen Gesetze keine kollektivrechtliche Regelungsbefugnis anerkennen. Es stellt sich daher die Frage der Umdeutung in eine vertragliche Einheitsregelung. § 140 BGB findet unmittelbar keine Anwendung; denn diese Bestimmung enthält zwei Voraussetzungen: Das nichtige Rechtsgeschäft muss den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entsprechen, und es muss anzunehmen sein, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt wäre. Hier geht es aber um die Umdeutung einer Kollektivvereinbarung in eine Individualvereinbarung mit Parteiwechsel. Gleichwohl hat das Bundesarbeitsgericht anerkannt, dass eine entsprechende Anwendung des § 140 BGB in Betracht kommt.19 14
Vgl. zuletzt BAG 12.12.2006 AP Nr. 94 zu § 77 BetrVG 1972 (Rn. 13 f.). Richardi ZfA 1990, 211 (235 f.); ders. in: Verhandlungen des 61. DJT, Bd. I/B, 1996, S. 49ff.; Rieble Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 1996, S. 426; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, 1996, S. 17ff.; Veit, Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrats, 1998, S. 101ff.; Bayreuther Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 2005, S. 534 ff. 16 BAG (Fn. 14), dort Rn. 14; bereits BAG (GS) 16.3.1956 AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG (1952); s. auch Richardi BetrVG, 10. Aufl., 2006, § 77 Rn. 66 ff. 17 Richardi/Vogel PersV 1998, 81 ff. 18 Kirchl. Arbeitsgerichtshof 26.4.2007 – M 04/06, veröffentlicht in www.dbk.de. 19 So bereits BAG 23.8.1989 AP Nr. 42 zu § 77 BetrVG 1972; 24.1.1996 und 5.3.1997 AP Nr. 8 und 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt. 15
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Im Schrifttum werden dagegen gewichtige Bedenken erhoben.20 Sieht man im Antrag des Arbeitgebers zum Abschluss einer fehlgeschlagenen Betriebsoder Dienstvereinbarung bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen für eine Umdeutung ein gebündeltes Vertragsangebot an die Arbeitnehmer, so fehlt es an einem rechtsgeschäftlichen Annahmewillen, wenn die Arbeitnehmer glauben, sie erhielten die Leistungen auf Grund der Betriebs- oder Dienstvereinbarung.21 Die Betriebs- oder Dienstvereinbarung verschafft den Arbeitnehmern Ansprüche, ohne dass es eines Annahmewillens bedarf. Probleme ergeben sich weiterhin daraus, dass bei einer Betriebsvereinbarung die Kündigung keines Grundes bedarf und für die Gewährung von Entgeltleistungen keine Nachwirkung eintritt. Die Betriebsvereinbarung erweist sich daher für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen als höchstflexibles Gestaltungsmittel, während für den Arbeitsvertrag der gesetzliche Kündigungsschutz nicht nur den Bestand, sondern auch den Vertragsinhalt eines Arbeitsverhältnisses gewährleistet. Wegen des Fehlens einer Kodifikation ist daher für ihn das Regelungsproblem nicht gelöst, das ohne entsprechende Vorkehrungen im Arbeitsvertrag eine flexible Gestaltung ausscheidet. Das Bundesarbeitsgericht hat sich aus diesem Grund in der Anerkennung einer Umdeutung deutlich zurückgehalten.22 Es lässt sie nur zu, wenn der Erklärung des Arbeitgebers der hypothetische Wille entnommen werden kann, sich für den Fall des Scheiterns der an sich gewollten betriebsverfassungsrechtlichen Regelung vertraglich gegenüber den begünstigten Arbeitnehmern zu binden. Sei dies zu bejahen, so könne die Erklärung unter Umständen in ein entsprechend gebündeltes Angebot umgedeutet werden, dessen Annahme regelmäßig keiner besonderen Erklärung der Arbeitnehmer bedürfe (§ 151 BGB). Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich vertraglich gegenüber den begünstigten Arbeitnehmern zu binden, sei nur ausnahmsweise anzunehmen, weil eine Betriebsvereinbarung durch ordentliche und keiner Begründung bedürftigen Kündigung beendet oder durch eine neue Betriebsvereinbarung abgelöst werden könne, während dies bei arbeitsvertraglichen Regelungen nur möglich sei, wenn entweder Änderungskündigungen der Arbeitsverhältnisse Erfolg hätten oder entsprechende Abänderungsverträge mit allen Arbeitnehmern zustande kämen. Schließlich setze eine Umdeutung typischerweise Fallgestaltungen voraus, in denen die Beteiligten die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zunächst nicht kennen. Sei nämlich den Beteiligten die Unwirksamkeit bekannt, gehe es nicht um eine Umdeutung, sondern um die Auslegung ihrer Willenserklärungen. Für den Fall, dass der Arbeitgeber die Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung 20
Vgl. Hromadka Anm. zu BAG AP Nr. 42 zu § 77 BetrVG 1972; Veit/Waas BB 1991, 1329 ff.; Herbert Roth in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, § 140 Rn. 13. 21 So zutreffend Hromadka aaO. 22 Vgl. BAG 5.3.1997 AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt.
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kenne und trotzdem die darin geregelten Leistungen erbringe, werde daher in der Regel eine einzelvertragliche Verpflichtung auch von denjenigen angenommen, die die Möglichkeit einer Umdeutung überhaupt ablehnten oder ihr jedenfalls grundsätzlich ablehnend gegenüberstünden. Folgt man dieser Rechtsprechung, so besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, ob und wieweit eine unwirksame Betriebs- oder Dienstvereinbarung in eine arbeitsvertragliche Regelung umgedeutet werden kann. Wenn wie im Regelfall eine Umdeutung ausscheidet, steht man vor dem Scherbenhaufen, dass eine Betriebsvereinbarung, die gegen den Tarifvorbehalt verstößt, nicht durch die Umdeutung in eine Arbeitsvertragsregelung aufrechterhalten werden kann, sondern schlechthin unwirksam ist. Die Risiken sind nicht nur für den Arbeitnehmer, sondern vor allem auch für den Arbeitgeber erheblich; denn eine dadurch entstehende Regelungslücke wird durch die Rechtsbindung auf Grund der Vertrauenshaftung geschlossen, also möglicherweise durch Rückgriff auf eine Tarifvertragsregelung, der man zu entkommen sucht, und zwar auch bei Fehlen einer Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien. 3. Ablösung einer Arbeitsvertragsregelung durch Betriebsvereinbarung Eine Wohltat, die der Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung gewährt, kann er durch deren Kündigung einseitig kassieren. Hat er sie allerdings auf Grund einer arbeitsvertraglichen Einheitsregelung, Gesamtzusage oder betrieblichen Übung erbracht, so entfällt diese Möglichkeit. Obwohl die Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend gilt, kann er die individualrechtlich begründete Verbindlichkeit durch sie nicht ablösen. Das Günstigkeitsprinzip beschränkt die Unabdingbarkeitswirkung: Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung sind nur einseitig zwingend und haben zugunsten der Arbeitnehmer stets dispositiven Charakter. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dies im Beschluss vom 16. September 1986 auch für eine bestehende Arbeitsvertragsregelung anerkannt.23 Er hat dieses Ergebnis jedoch durch einen kollektiven Günstigkeitsvergleich abgemildert. Damit hat er aber den Regelungsinhalt des Günstigkeitsprinzips als Kollisionsnorm verkannt, wie in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sehr bald klar zutage trat. Zunächst bemerkte man, dass der Große Senat seine Entscheidung für Sozialleistungen getroffen hatte. Der Erste Senat gelangte daher zu dem Ergebnis, dass der kollektive Günstigkeitsvergleich nicht für Ansprüche auf das eigentliche Arbeitsentgelt als Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung und andere Fragen gilt, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses
23
AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972.
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bestimmen.24 Für die Notwendigkeit eines kollektiven Günstigkeitsvergleichs war als entscheidend angesehen worden, dass die den einzelnen Arbeitnehmern zukommenden Leistungen untereinander ein Bezugssystem bilden, das auf zwei Grundentscheidungen beruht, die der Einzelregelung vorangehen: der Entscheidung über die Höhe der insgesamt einzusetzenden finanziellen Mittel und der Bestimmung der Verteilungsgrundsätze.25 Daraus folgt eine weitere Einschränkung: Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts scheidet der kollektive Günstigkeitsvergleich auch bei Sozialleistungen aus, wenn deren Regelung in einem nicht trennbaren Zusammenhang mit den in der Betriebsvereinbarung geregelten übrigen Arbeitsbedingungen steht.26 Nicht als entscheidend wird angesehen, dass die Sozialleistung in einem Bezugssystem zu gleichartigen Ansprüchen anderer Arbeitnehmer steht und aus einer vorgegebenen Finanzierungsmasse befriedigt wird, wenn die Betriebsvereinbarung nicht auf die Neuregelung bzw. Umstrukturierung der vertraglichen Regelung über die Sozialleistung beschränkt, sondern auf eine Neuregelung der Arbeitsbedingungen insgesamt gerichtet ist. Damit hat das Bundesarbeitsgericht seiner Lehre vom kollektiven Günstigkeitsvergleich die praktische Bedeutung genommen und damit sichtbar gemacht, wie unzureichend ihr rechtsdogmatisches Fundament ist. Der Lehre vom kollektiven Günstigkeitsvergleich hängt aber nach wie vor der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts zur betrieblichen Altersversorgung an.27 Eine vertragliche Einheitsregelung soll daher durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden können, wenn die Neuregelung insgesamt bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger ist. Legitimiert wird der Eingriff durch den Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit. Der Senat hat aber Grenzen errichtet, insbesondere die Wirksamkeit der Ablösung inhaltlich davon abhängig gemacht, dass der Eingriff der ablösenden Betriebsvereinbarung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.28 Daraus leitet er ab, dass individualvertragliche Rechtspositionen grundsätzlich nicht durch kollektivvertragliche Regelungen verschlechtert werden können. Von der sich hieraus ergebenden Unwirksamkeit verschlechternder Kollektivregelungen gegenüber vertraglichen Ansprüchen aus betrieblicher Übung oder Gesamtzusage lässt der Senat nur drei Ausnahmen zu:
24 BAG 21.9.1989 AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972; bestätigt BAG 28.3.2000 AP Nr. 83 zu § 77 BetrVG 1972; für die Festlegung einer Altersgrenze BAG (GS) 7.11.1989 AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972. 25 Vgl. BAG 28.3.2000 AP Nr. 83 zu § 77 BetrVG 1972. 26 BAG 28.3.2000 AP Nr. 83 zu § 77 BetrVG 1972. 27 BAG 23.10.2001, 18.3.2003 und 17.6.2003 AP Nr. 33, 41 und 44 zu § 1 BetrAVG Ablösung. 28 BAG 23.10.2001 AP Nr. 33 zu § 1 BetrAVG Ablösung.
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– Verschlechternde Ablösungen seien möglich, wenn in der einzelvertraglichen Rechtsgrundlage selbst eine Möglichkeit für eine kollektivrechtliche Verschlechterung eröffnet worden sei, – dasselbe gelte, wenn die kollektivvertragliche Neuregelung sich bei kollektiver Gesamtbetrachtung als nicht ungünstiger darstelle als das aus gebündeltem Individualverhalten erwachsene betriebliche Recht, – und schließlich sei eine verschlechternde Ablösung möglich, wenn Gesamtzusage, vertragliche Einheitsregelung oder betriebliche Übung auf Grund einer wesentlichen Störung in ihrer Geschäftsgrundlage ihre Verbindlichkeit verloren hätten und hierdurch der Bedarf für eine betriebliche Neuregelung begründet worden sei.29 Damit steht zugleich fest, dass der Arbeitgeber auf der Ebene des Arbeitsvertrags die Möglichkeit einer Ablösung durch Betriebsvereinbarung sicherstellen kann. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die wegen des Beschlusses des Großen Senats zum Günstigkeitsprinzip bei Betriebsvereinbarungen in Vergessenheit geriet, sei in Erinnerung gerufen. Nach dem Urteil des Sechsten Senats vom 12. August 1982 30 bestimmt im Bereich freiwilliger Mitwirkung der Inhalt des Arbeitsvertrags den „Umfang der Kompetenz des Betriebsrats zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen, mit denen zu Lasten der Arbeitnehmer in ihre Arbeitsverträge eingegriffen werden soll“. Für freiwillige Betriebsvereinbarung entnimmt der Senat die Regelungskompetenz für den Arbeitgeber aus der Privatautonomie. Er könne eine für ihn belastende Regelung auch durch Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat festlegen. Gehe es dagegen um eine für die Arbeitnehmer belastende Regelung, so soll dazu die Kompetenz zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung fehlen. Wesentlich anders sei dagegen die Rechtslage im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats; denn hier habe § 87 BetrVG die Kompetenz geschaffen, „Regelungen für den Betrieb zu treffen, die auch Einzelarbeitsverträge zu Lasten der Arbeitnehmer ändern können“. Hier soll nicht vertieft werden, ob und inwieweit das Mitbestimmungsrecht der Vertragsfreiheit Schranken setzt. Wäre die These richtig, so hätte ein Ausbau der Mitbestimmung die Entmündigung der Arbeitnehmer zur Folge. Die Unterscheidung stößt auf die Schwierigkeit, dass der mitbestimmungsfreie und der mitbestimmungspflichtige Bereich sich überlagern. Mitbestimmungsfrei ist der zeitliche Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung, mitbestimmungspflichtig dagegen die Lage der Arbeitszeit. Mitbestimmungsfrei ist die Erbringung von Entgeltleistungen, mitbestimmungspflichtig deren Gestaltung. Daraus muss man die Konsequenzen ziehen, soweit es um Inhalt und Umfang der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsbefugnis geht. Sie 29 30
BAG 18.3.2003 AP Nr. 41 zu § 1 BetrAVG. AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972.
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führen zu dem Ergebnis, dass nur bei entsprechender Verankerung im Arbeitsvertrag die Betriebsvereinbarung Arbeitszeiterhöhungen und Entgeltminderungen ermöglicht, und zwar auch im Rahmen betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Das gilt völlig unabhängig davon, ob der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG eingreift. Diese Beurteilung findet ihre Bestätigung in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur zwingenden Geltung einer Betriebsvereinbarung. Deren Anordnung gibt den Betriebspartnern nicht die Befugnis, ein Regelungsverbot festzulegen, sondern hat nur die Bedeutung einer Kollisionsnorm. Wegen ihrer zwingenden Geltung verdrängt die Betriebsvereinbarung eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, soweit diese keine Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers enthält. Dadurch wird aber nicht der Inhalt des Arbeitsvertrags geändert. Die zwingende Geltung führt vielmehr nur für die Dauer ihrer Wirkung zur Verdrängung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung, macht diese aber nicht nichtig.31 Die Anordnung der zwingenden Geltung hat weder zur Folge, dass die Betriebsvereinbarung in die Einzelarbeitsverträge eingeht, noch begründet sie ein Verbot rechtsgeschäftlicher Gestaltung für die Arbeitsvertragsparteien. Sie führt daher nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Nichtanwendbarkeit der arbeitsvertraglichen Abrede. Selbst dort, wo wegen der gesetzlich eingeräumten Mitbestimmung des Betriebsrats das Günstigkeitsprinzip begrenzt ist, genießt die Betriebsvereinbarung nur einen Anwendungsvorrang, so dass ihre Normen für die Dauer ihres Bestandes die individualrechtlichen Vereinbarungen verdrängen.32
V. Kollektiv- oder individualrechtliche Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen bei Betriebsinhaberwechsel 1. Verschiedenheit des Rechtsgrunds für einen Betriebsinhaberwechsel Der Wechsel des Betriebsinhabers kann einen verschiedenen Rechtsgrund haben. Entsprechend unterschiedlich kann er sich auf die Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung auswirken. Beim Tod eines Betriebsinhabers tritt sein Erbe nach § 1922 BGB in die Betriebsvereinbarung ein. Der Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen hat ebenfalls, sofern der Betrieb als solcher bestehen bleibt, auf den Bestand einer Betriebsvereinbarung keinen Einfluss. Gleiches gilt für den Fall einer Spaltung des Rechtsträgers, wenn, wie nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG vermutet wird, der Betrieb von den an der
31 Ebenso BAG 21.9.1989 und 28.3.2000 AP Nr. 43 und 83 zu § 77 BetrVG 1972; ablehnend Kreutz FS Konzen, 2006, S. 461 ff. 32 Ebenso Annuß NZA 2001, 756 (763).
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Spaltung beteiligten Rechtsträgern gemeinsam geführt wird. Dasselbe gilt bei rechtsgeschäftlicher Betriebsübernahme. Sowohl bei der Spaltung des Rechtsträgers als auch bei der rechtsgeschäftlichen Betriebsübernahme stellt sich allerdings die Frage, ob die Betriebsvereinbarung kollektiv- oder individualrechtlich fortgilt. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt, und regelt in den folgenden Sätzen 2 bis 4 die Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung. Bereits vor Inkrafttreten des § 613a BGB war aber anerkannt, dass bei einem Betriebsinhaberwechsel die Betriebsvereinbarungen normativ weitergelten, sofern die Identität des Betriebs gewahrt bleibt.33 Die Anordnung der Fortgeltung in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB hat deshalb nur Auffangcharakter, wenn, wie es in der Gesetzesbegründung heißt, nicht „die kollektivrechtlichen Verpflichtungen wie üblich vorgehen“.34 2. Individualrechtliche Transformation? Bleibt beim Betriebsinhaberwechsel die Betriebsidentität gewahrt oder wird bei Übernahme eines Betriebsteils dieser als Betrieb fortgeführt, so bedarf es keines Rückgriffs auf § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass eine für den Betrieb oder Betriebsteil geltende Betriebsvereinbarung weitergilt. Nur wenn der Betrieb oder Betriebsteil in einen anderen Betrieb eingegliedert wird, findet § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Anwendung, aus dem sich ergibt, dass die Rechte und Pflichten, die durch Betriebsvereinbarung geregelt sind, wie es höchst missglückt formuliert ist, „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer werden; sie dürfen für diesen Fall nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Daraus hat man abgeleitet, § 613a Abs. 1 Satz 2 bewirke eine „individualrechtliche Fortgeltung“.35 Doch ebenso wenig wie die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung den Inhalt des Arbeitsvertrags ändert, kommt es hier zu einer Transformation der Betriebsvereinbarung auf die arbeitsvertragliche Ebene.36 § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ändert nicht den kollektivrechtlichen Charakter einer Betriebsvereinbarung; er trifft nur eine normative Fortgeltungsanordnung.37 Für die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeits-
33
BAG 19.7.1957 AP Nr. 1 zu § 52 BetrVG (1952). BT-Drucks. 8/3317, S. 11. 35 Hanau/Vossen FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 271 (272); im Begründungsansatz auch noch BAG 14.8.2001 AP Nr. 85 zu § 77 BetrVG 1972. 36 So aber Henssler FS Schaub, 1998, S. 311 (317). 37 Vgl. Annuß in: Staudinger, BGB (Neubearbeitung 2005), § 613a Rn. 250; Richardi GedS Blomeyer, 2003, S. 299 (314). 34
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verhältnisse wird eine dem § 4 Abs. 5 TVG entsprechende Nachwirkung angeordnet, wobei im Unterschied zu dieser Bestimmung festgelegt ist, dass die Regelung nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden darf. Das gilt aber nur für die Parteien des Arbeitsvertrags. Ihnen gegenüber bleibt die zwingende Geltung für die Dauer eines Jahres aufrechterhalten, so dass erst danach die durch Betriebsvereinbarung getroffene Regelung dispositiv ist. Den hier vertretenen Standpunkt folgt im Ergebnis das Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 14. August 2001.38 Zutreffend nimmt es an, dass eine Betriebsvereinbarung auch dann, wenn sie nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden ist, nicht weiter geschützt ist, als bei Fortbestehen der Betriebsidentität. Der Klarheit dient es allerdings nicht, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner Begründung von einer individualrechtlichen Transformation spricht und nur wegen des kollektivrechtlichen Ursprungs das eigentlich im Verhältnis zu Arbeitsverträgen geltende Günstigkeitsprinzip durch das Ablösungsprinzip ersetzt. Durch § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfolgt keine, wie es meint, „Beibehaltung der bisherigen Kollektivverträge auf individualvertraglicher Basis“, sondern es ist die „individualvertragliche Basis“ nicht vorhanden. Basis ist vielmehr trotz des Betriebsübergangs und des Verlusts der betrieblichen Identität die Betriebsvereinbarung, für die der Gesetzgeber in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGG eine normative Fortgeltungsanordnung getroffen hat, ohne mit ihr einen weitergehenden Bestandsschutz zu verbinden, wie er ohne den Betriebsinhaberwechsel der Betriebsvereinbarung zugekommen wäre. 3. Fortgeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen Beachtet man die Wesensverschiedenheit von Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung, so kommt man auch für die Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung bei einem Betriebsinhaberwechsel zu einem richtigen Ergebnis. Maßgebend kann nicht sein, dass die Unternehmensidentität gewahrt bleibt.39 Wird nur ein Betrieb übernommen, so wird die Gesamtbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung fortgeführt.40 Für die Beurteilung ist maßgebend, dass mit den Begriffen von Betrieb und Unternehmen im BetrVG eine betriebsverfassungsrechtliche Zuständigkeit festgelegt wird, die nicht den Geltungsinhalt einer Betriebsvereinbarung ändert, wie er auch nicht geändert wird, wenn die Fortgeltungsanordnung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eingreift. Für die Nichtanwendung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist allein ausschlaggebend, ob nach dem Wechsel des Rechtsträgers im Betrieb mit dem 38 39 40
AP Nr. 85 zu § 77 BetrVG 1972. Ebenso Kreft FS Wissmann, 2005, S. 347 (357). Ebenso BAG 18.9.2002 AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung.
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Betriebsrat eine Organisationseinheit erhalten bleibt, die betriebsverfassungsrechtlich funktionsfähig ist, um die auf die Betriebsvereinbarung bezogenen Rechte auszuüben.
VI. Betriebsvereinbarung versus Arbeitsvertrag bei „betrieblichen Bündnissen für Arbeit“ In „betrieblichen Bündnissen für Arbeit“ haben Unternehmen unter der Drohung einer Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland, mit Betriebsräten eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich gegen eine Beschäftigungssicherung ausgehandelt. Stand hinter den Betriebsräten die tarifzuständige Gewerkschaft, so treten Rechtsprobleme kaum in Erscheinung. Der Tarifvorbehalt hat allerdings zur Folge, dass der Weg über eine Betriebsvereinbarung nur mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien möglich ist. In der letzten Legislaturperiode hat deshalb die CDU/CSU-Fraktion in den Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Arbeitsrechts (ArbRModG) eingebracht, um „betriebliche Bündnisse für Arbeit“ zu erleichtern. In das BetrVG sollte ein § 88a eingefügt werden, der den Betriebsräten ermöglicht hätte, mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung für Beschäftigung zu treffen und dabei von einem für das Unternehmen geltenden Tarifvertrag abzuweichen. Die Vereinbarung sollte wirksam sein, wenn – „mindestens zwei Drittel der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zustimmen, – die Vereinbarung jeder Tarifvertragspartei angezeigt wurde, – keine Tarifvertragspartei der Vereinbarung innerhalb von vier Wochen, nachdem die Mitteilung gemäß Spiegelstrich zwei zugegangen ist, unter Nennung von Gründen widerspricht“. Die Entwurfsverfasser gingen fehlerhaft von der Annahme aus, der Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung sei auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkt. Mit dieser Zielsetzung hätte es sich um eine Bestimmung gehandelt, die mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht vereinbar ist.41 Wenn man von den verfassungsrechtlichen Bedenken absieht, hätte der Entwurf, wäre er Gesetz geworden, nicht das in ihn gesetzte Ziel erreichen können, weil er die für das Arbeitsverhältnis geltenden Gestaltungsfaktoren vermischt. Er hätte nicht nur eine Durchbrechung der Tarifvertragsregelung zur Folge gehabt, sondern wäre im Regelfall am Arbeitsvertrag gescheitert.
41 Vgl. Richardi FS Küttner, 2006, S. 453, 459 ff.; allgemein Maschmann Tarifautonomie im Zugriff des Gesetzgebers, 2007, S. 194 ff.
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Zu einem anderen Ergebnis kann man nur gelangen, wenn man die Macht der Tatsachen in den Mittelpunkt rückt. Aber hier geht es nicht um das apokryphe, sondern das geltende Arbeitsrecht. Wie bereits ausgeführt, wird im Regelfall im Arbeitsvertrag auf den einschlägigen Tarifvertrag Bezug genommen. Auch wenn die Tarifnormen bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers für die tarifgebundenen Arbeitnehmer normative Wirkung entfalten, also unmittelbar und zwingend gelten (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG), hat die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts gleichwohl eine rechtsbegründende (konstitutive) Bedeutung.42 Für den Fall einer Abweichung durch Betriebsvereinbarung kann die Verankerung auf der Arbeitsvertragsebene nicht unbeachtet bleiben; denn soweit die Betriebsvereinbarung zu Lasten der Arbeitnehmer von einem für das Unternehmen geltenden Tarifvertrag abweicht, hat eine Einschränkung des Tarifvorbehalts nicht zur Folge, dass den Betriebspartnern gestattet ist, den Arbeitsvertrag zu Lasten des Arbeitnehmers durch Betriebsvereinbarung zu ändern. Es ist deshalb ausschließlich der Interpretation des Arbeitsvertrags zu entnehmen, ob die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag auch eine Abweichung von ihm durch Betriebsvereinbarung deckt. Keineswegs kann man wie in der Begründung des Gesetzentwurfs unterstellen, dass bei Arbeitnehmern, in deren Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag Bezug genommen worden sei, im Regelfall auch von einer Erfassung durch die Betriebsvereinbarung auszugehen sei. Dazu bedarf es vielmehr einer entsprechenden Vorschrift. Der Gesetzentwurf hätte deshalb zumindest eine Auslegungsregel für den Arbeitsvertrag aufnehmen müssen.
42
So vor allem BAG 19.3.2003 AP Nr. 33 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag.
Tarifkoordinierung durch Spitzenverbände Volker Rieble
Inhaltsübersicht I.
II.
III.
IV.
V.
Tarifautonomie als Unabhängigkeitsgebot – und tarifpolitisches Koordinierungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unabhängigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insbesondere: OT-Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedürfnis nach Tarifkoordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Unter Tarifparteien derselben Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Sonderfall: Einbindung tariffremder Dritter . . . . . . . . . . . . . 4. Regelung für den Spitzenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einheitlicher Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spitzenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freie Wahl des Tarifpartners durch den sozialen Gegenspieler . . . . a. Fortbestehende Tariffähigkeit der Mitgliedsverbände . . . . . . . . b. Kein Verhandlungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Keine Erzwingbarkeit des Einheitstarifvertrags . . . . . . . . . . . 4. Einheitstarif oder Rahmenregelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interne Verhaltensabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tarifautonomie und Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tarifkoordinierung im Spitzenverband . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerung über den Kampffonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellvertretung als Koordinierungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellvertretungsrecht des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschlußvorbehalt zugunsten der Tarifpartei? . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretungsprivileg für Spitzenverbände? . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
471 471 472 474 474 477 477 479 479 480 483 483 484 485 487 488 488 490 494 494 494 495 498 499
I. Tarifautonomie als Unabhängigkeitsgebot – und tarifpolitisches Koordinierungsbedürfnis 1. Unabhängigkeitsgebot Tarifautonomie bedeutet kollektiv-selbstverantwortete Regelung der Arbeitsbedingungen – also autonome Entscheidung der Tarifverbände über ihre Tarifpolitik – sei es langfristig, sei es bezogen auf einen punktuellen Abschluß – und den Einsatz ihrer Kampfmittel. Diese Autonomie wird von der Rechtsordnung besonders geschützt: Zu den (ungeschriebenen) Voraus-
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setzungen schon des Koalitionsstatus des Art. 9 Abs. 3 GG rechnet, daß die Willensbildung des Verbandes über den Koalitionszweck – Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – weder vom sozialen Gegenspieler 1 noch von Staat, Kirchen und Parteien 2 beeinflußt werden darf. Das Tarifrecht verlangt mit der gleichfalls ungeschriebenen „demokratischen Organisation“ als Voraussetzung der Tariffähigkeit angemessene Möglichkeiten der (tarifgebundenen) Mitglieder, an der tariflichen Willensbildung teilzuhaben 3 – hierunter läßt sich auch und gerade die Urabstimmung fassen 4. Das BAG deutet in der jüngsten Tariffähigkeitsentscheidung „CGM“ an, den Kontrollzugriff mildern zu wollen 5 – indes nicht, weil die Anforderungen an die innerverbandliche Willensbildung insgesamt abgesenkt werden sollen, sondern weil der Entzug der Tariffähigkeit eine scharfe Sanktion ist, die nur bei krasser Verfehlung dieser Teilhabeanforderung und nicht schon bei jedem Mitwirkungsdefizit gerechtfertigt ist 6. Indes hat dieser „Rückzug“ eine fatale Folge: Ist „nur“ die Satzungsbestimmung unwirksam, so ist der „undemokratische“ Umgang mit den Teilhaberechten der Mitglieder risikolos – weil stets nur geltungserhaltende Reduktion erfolgt. Zudem müßte sich ein Kläger finden, der die Unwirksamkeit der Satzungsregelung geltend macht – also ein Mitglied, das mit dem Verband unzufrieden ist, aber gleichwohl nicht austritt, sondern den eigenen Verband verklagt. Das darf als unwahrscheinlich angesehen werden. So gesehen hat die überschießende Sanktion des Tariffähigkeitsverlustes durchaus etwas für sich. 2. Insbesondere: OT-Mitgliedschaft Bedeutsam ist das Erfordernis tariflicher Selbstbestimmung in Verbänden mit OT-Mitgliedschaft. Das BAG konnte in der Entscheidung vom 18.7. 2006 7 offen lassen, „ob und ggf. in welchem Umfang die OT-Mitglieder von
1 Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit, dazu nur Wiedemann/Oetker TVG, 7. Auflage (2007) § 2 Rn. 298 ff. 2 Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 330 ff. 3 Statt aller Löwisch/Rieble TVG, 2. Auflage (2004) § 2 Rn. 30 ff.; Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 341 ff.; grundlegend Schüren Die Legitimation tariflicher Normsetzung (1990) S. 230 ff. 4 Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 32; klar schon Schüren (Fn. 3) S. 276 ff.; jetzt Rieble Urabstimmung als Streikvoraussetzung, FS Canaris (2007) Bd. I S. 1439 ff. 5 BAG vom 28.3.2006 – 1 ABR 58/04 – NZA 2006, 1112 unter B III 1c cc der Gründe. Ganz gegen eine gestufte Mitgliedschaft Kempen/Zachert TVG 4. Auflage (2006), § 2 Rn. 118. 6 Wiedemann/Oetker (Fn. 1) TVG § 2 Rn. 344; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 78. 7 BAG vom 18.7.2006 – 1 ABR 36/05 – AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = NZA 2006, 1225 = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 10.
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der tarifpolitischen Willensbildung des Verbands ausgeschlossen sein müssen“. Dort hat das BAG im Verfahren nach § 97 ArbGG nur (und richtig) entschieden, daß die OT-Mitgliedschaft keine Frage der Tarifzuständigkeit ist. In der Literatur wird ganz überwiegend die Ansicht vertreten, daß zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie den OT-Mitgliedern in tarifpolitischen Fragen kein Mitspracherecht eingeräumt werden darf – weil die Tarifautonomie als kollektive Privatautonomie auf die Selbstregelung eigener Arbeitsbedingungen zielt. Die Mitwirkung der OT-Mitglieder an der Tarifpolitik läuft auf eine Fremdbestimmung im Tarifwillen hinaus. Die Einschränkung der Tarifbindung müsse außerdem aus der Gestaltung der Mitgliedschaftsrechte erkennbar werden 8. Lediglich Thüsing/Stelljes wollen tarifgebundenen Mitgliedern erlauben, nicht-tarifgebundene Mitglieder an der tarifpolitischen Willensbildung zu beteiligen. Der Schutz vor Einmischung durch Dritte stehe zur Disposition der geschützten tarifgebundenen Mitglieder, jedenfalls soweit sich diese Mitglieder ihrer Entscheidungskompetenz nicht völlig entäußerten 9. Letzteres überzeugt nicht: Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie mit den besonderen Anforderungen an die Tariffähigkeit als besonderer tarifvertragsfunktionaler Geschäftsfähigkeit 10 erlaubt den Tarifverbänden gerade nicht, die intensive Tarifmacht mit ihrer Befugnis zu normativ wirkenden Arbeitsbedingungen zur Fremdherrschaft umzugestalten. Richtigerweise dürfen deswegen OT-Mitglieder an Abstimmungen in der Mitgliederversammlung, in Ausschüssen und im Vorstand nicht teilnehmen, soweit es sich um eine tarifpolitische oder kampftaktische Frage handelt. Sie dürfen nicht Mitglied der Tarifkommission sein und diese auch nicht wählen. Sie dürfen den Verband nach außen nicht in Angelegenheiten der Tarifpolitik vertreten 11. Zudem muß die Satzung vorsehen, daß ein Wechsel in die OTMitgliedschaft zum Verlust entsprechender Ämter führt 12. Haushaltsangelegenheiten indes dürfen von beitragspflichtigen OT-Mitgliedern mitverantwortet werden – auch wenn es um die Rücklagen in den Arbeitskampffonds
8 Bayreuther OT-Mitgliedschaft, Tarifzuständigkeit und Tarifbindung, BB 2007, 325, 327; Buchner Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung, NZA 1995, 761, 766; Junker Anm. zu BAG 23.10.1996 – 4 AZR 409/95 – SAE 1997, 172; Konzen Die Tarifzuständigkeit im Tarif- und Arbeitskampfrecht, FS Kraft (1998) S. 291, 318; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 34, allgemein § 1 Rn. 169 ff.; Ostrop Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (1997) S. 109 f.; S.-J. Otto Zulässigkeit einer tarifbindungsfreien Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden, NZA 1996, 624, 628; Wilhelm/Dannhorn Die „OT-Mitgliedschaft“ – neue Tore für die Tarifflucht? NZA 2006, 466, 471; Wiedemann/Oetker (Fn. 1) § 3 Rn. 137. 9 Thüsing/Stelljes Verbandsmitgliedschaft und Tarifgebundenheit, ZfA 2005, 527, 552. 10 Dazu Rieble Relativität der Tariffähigkeit, FS Wiedemann (2002), S. 519 ff., 523. 11 Zentral: Buchner (Fn. 8) NZA 1995, 761, 765 ff.; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 34; S.-J. Otto (Fn. 8) NZA 1996, 624, 627 f. 12 Bayreuther (Fn. 8) BB 2007, 325, 327; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 34.
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geht 13. Noch nicht gelöst ist das Sonderproblem, ob die T-Mitglieder in einem solchen Verband ganz allgemein die Mehrheit stellen müssen, damit sie in der Mitgliederversammlung eine „strukturelle Mehrheit“ stellen14. Nimmt man diese Restriktionen zum Schutz der tariflichen Selbstbestimmung ernst, so darf dieser Schutz nicht nur verbandsintern gegenüber OTMitgliedern greifen, sondern muß gerade die Fremdeinwirkung von außen hindern. Einflußnahmen durch tarifrechtlich nicht-legitimierte Dritte sind besonders kritisch zu sehen. Betriebsräte dürfen mit Blick auf § 77 Abs. 3 BetrVG keine tarifpolitische Rolle spielen 15; staatlichen Gebietskörperschaften ist die Parteinahme in Tarifverhandlungen nicht nur wegen der Neutralitätspflicht verboten, sondern gerade auch, weil Gewerkschaften nicht unter staatlichen Einfluß geraten dürfen 16. Für die Verhaltensabstimmung unter tarifpolitisch legitimierten Verbänden stellt sich die Frage anders. Ihr soll hier nachgegangen werden. 3. Bedürfnis nach Tarifkoordination a. Unter Tarifparteien derselben Seite Dem Unabhängigkeitsgebot zu Trotz streben Tarifverbände nach Verhaltensabstimmung in der Tarifpolitik – und zwar in drei typischen Fällen: • im Spitzenverband, • in der Tarifgemeinschaft • und in Tarifkooperationsabkommen. Insoweit geht es um die Verhaltensabstimmung zwischen tariffähigen Verbänden – auf einer Seite. Spitzenverbände haben ein Interesse, Einfluß auf die Tarifpolitik ihrer Mitglieder zu nehmen: Das leuchtet unmittelbar ein für tariffähige Spitzenverbände, die es in der Bundesrepublik nur auf Arbeitgeberseite gibt (BAVC, Metall Nordrhein-Westfalen, nicht aber Gesamtmetall), weil sie anders als Gewerkschaften nicht zentralistisch organisiert sind. Kann also ein tarif-
13 Bayreuther (Fn. 8) BB 2007, 325, 327; S.-J. Otto (Fn. 8) NZA 1996, 624, 630; aA Röckl Zulässigkeit einer Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung? DB 1993, 2382, 2384. 14 Bayreuther (Fn. 8) BB 2007, 325, 328; Wilhelm/Dannhorn (Fn. 8); Berger-Delhey „Alles rennet, rettet, flüchtet“ – Überlegungen zur OT-Verbandsmitgliedschaft, ZTR 2006, 531, 532. 15 Zur Funktionenmischung Rieble Tarifautonomie und Unternehmensmitbestimmung, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik (Hg.), Bitburger Gespräche – Jahrbuch 2006/I, S. 41 ff. 16 Dazu Rieble Staatshilfe für Gewerkschaften, ZfA 2005, 245 ff.
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fähiger Arbeitgeberverband in seinem autonomen Tarifabschlußverhalten von seinem Spitzenverband maßgeblich beeinflußt werden? Kann ihm gar ein Tarifabschluß, der nicht in die bundestarifpolitische Landschaft paßt, untersagt werden? Und – eine Frage, die den Arbeitskampfrechtler Otto interessiert – kann der Spitzenverband die Kampftaktik des Mitgliedsverbands steuern? Auf der Gewerkschaftsseite stellt sich die Frage so nicht: Tariffähig sind hier neben den bundesweit organisierten Gewerkschaften allenfalls noch deren Untergliederungen17. Daß deren tarifrechtliche Selbständigkeit durch „Zentralorgane“ wie den Vorstand gemindert ist, liegt in der autonomen Grundstruktur des Gesamtverbandes begründet. Sensibler noch wird die Frage, wenn der Spitzenverband seinerseits nicht tariffähig ist: Können DGB oder bda oder Gesamtmetall tarifpolitische Leitlinien für die Mitgliedsgewerkschaften oder -verbände formulieren und so verbindlichem Einfluß auf die Branchentarifpolitik nehmen? Eine mindere Intensitätsstufe sind Tarifgemeinschaften, also Zusammenschlüsse von tariffähigen Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden, die einen gemeinschaftlich-mehrgliedrigen Tarifvertrag abschließen. Die Besonderheit liegt darin, daß die Tarifgemeinschaft keine eigene korporative Tariffähigkeit erlangt, sondern Tarifverträge auf der Basis der „zusammengelegten“ Einzeltariffähigkeiten abschließt 18. Die Terminologie ist freilich nicht einheitlich. So ist die Tarifgemeinschaft Zeitarbeit der Christen eine Spitzenorganisation, wohingegen diejenige des DGB eine echte Tarifgemeinschaft ist. Auf dritter Ebene schließlich stehen Tarifkooperationen: Hier wirkt ein Verband an der tariflichen Willensbildung eines anderen mit – die Tarifpolitik wird zwar abgestimmt, mündet aber nicht notwendigerweise in einen gemeinsamen Tarifabschluß. Nach außen können gemeinsame Kampagnen, aber uU auch eine gemeinsame Kampftaktik im „Kampfbündnis“ 19 Gegenstand der Kooperation sein. So dürften wohl die Ankündigungen eine Kooperation zwischen ver.di und Beamtenbund zu verstehen sein, die gemeinsam für Entgelterhöhungen im öffentlichen Dienst eintreten wollen. Sonderfall der Tarifkooperation sind jene Fälle, in denen ein (meist kleiner) Verband, intern an der tariflichen Willensbildung des anderen mitwirkt – und nur jener Verband den Tarifabschluß vornimmt. Die Tarifgeltung für die Mitglieder des Kooperationsverbandes fußt dann entweder auf einer Doppelmitgliedschaft oder auf arbeitsvertraglicher Bezugnahme. Muster hierfür ist ein 17 Eingehend Oetker Untergliederungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und ihre Tariffähigkeit, ArbuR 2001, 82 ff. 18 Eingehend Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 165 ff. 19 BVerfG 26.6.1991 – 1 BvL 779/85 – BVerfGE 84, 212 = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 97 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1991, 809.
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Kooperationsvertrag zwischen der damaligen DAG und dem (nicht-tariffähigen) Verband Deutscher Fluglotseningenieure (FTI, inzwischen aufgegangen in der Fluglotsengewerkschaft) vom 12.10.1993, indem der FTI der DAG die tarifpolitische Interessenvertretung für die eigenen Mitglieder „überträgt“, die eigenen Mitglieder gegen Zahlung eines Beitrages von 60% des DAG-Beitrages zugleich zu DAG-Mitgliedern machte und dafür Konsultationsrechte bei Kampfmaßnahmen erwarb sowie Sitzrechte in der Tarifkommission. Die DAG hat so über den FTI und die Doppelmitgliedschaft von deren Mitgliedern eine teiltariffähige Unterorganisation außerhalb der Satzung geschaffen, diesen Funktionseliten Beitragsnachlaß entgegen dem vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gewährt und sich einem nicht durch eigene Mitgliedschaft und Wahlakte legitimierten Fremdeinfluß ausgeliefert – kurz: es handelte sich bei diesem inzwischen abgeschlossenen Vorgang um eine Perversion der Tarifautonomie. Sonderformen der tarifpolitischen Kooperation finden statt im Vorfeld von Gewerkschaftszusammenschlüssen (Hauptfall: ver.di) – um im Vorgriff auf die Fusion schon früh eine abgestimmte Tarifpolitik zu erreichen. Davon abgesehen lassen sich zwei Grundtypen der Kooperation feststellen: • Einmal geht es um die Abstimmung der Tarifpolitik in getrennten Tarifbereichen, vor allem unterschiedlicher Regionen aber auch verwandter Branchen – um eine die regionalen oder branchenbezogenen Grenzen übersteigende Tarifpolitik zu gestalten. Das geschieht typischerweise mit Blick auf die faktischen Prägewirkungen eines Erst-Tarifabschlusses auf andere Tarifverträge („Pilotwirkung“). Das ist in der Lebenswirklichkeit typischerweise ein Interesse der Arbeitgeberverbände, kommt aber auch bei Gewerkschaften vor, man denke an die Zeitarbeit, die tarifpolitisch nicht als einheitliche Dienstleistungsbranche gesehen wird, sondern als Annex der aufnehmenden Stammbranchen, weswegen in der DGB-Tarifgemeinschaft alle Mitgliedsgewerkschaften vereinigt sind, überraschenderweise sogar die der Polizei (wegen der Schreibkräfteüberlassung). Hier kann man von additiver Tarifabstimmung sprechen: Es geht um eine Verbreiterung des Regelungsanspruchs. • Zum anderen geht es um die Abstimmung im gleichen Tarifgebiet – durch konkurrierende Tarifparteien, die durch eine einheitliche Tarifpolitik im gemeinsamen Interesse Tarifpluralität 20 vermeiden wollen. Solche Tarifkoordinierung ist die Alternative zum Anschlußtarifvertrag, der der kleineren Tarifpartei keine eigenständige Position beläßt. Dieses Interesse findet sich typischerweise bei konkurrierenden Gewerkschaften. So fordern transnet und GDBA die Gewerkschaft der Lokomotivführer zur Tarifein-
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Zu ihr nur Jacobs Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz (1999) S. 246 ff.
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heit auf – freilich zu spät. Solche „kumulative“ Tarifabstimmung intensiviert die Tarifgebundenheit im selben Tarifbereich. b. Sonderfall: Einbindung tariffremder Dritter Daneben stehen die praktisch ebenfalls bedeutsamen Fälle, in denen nichttariffähige Dritte Einfluß auf Tarifabschlüsse nehmen. Das können Betriebsräte sein, die an dreiseitigen Standortsicherungsvereinbarungen mitwirken 21 aber auch staatliche Gebietskörperschaften, insbesondere im Zuge von Privatisierungsvereinbarungen. Jene Fremdeinflüsse sollen hier nicht behandelt werden. Sie sind im Tarifrecht von vornherein ein Fremdkörper – weil nichttariffähige Interessenvertreter systemwidrig an der tariflichen Entscheidungsfindung mitwirken. Einen Berührungspunkt gibt es: Wirkt ein tarifunfähiger Verband an einem Spitzentarifvertrag oder in einer Tarifgemeinschaft mit – so etwa die rechtskräftig als tarifunfähig festgestellte CGD in der christlichen Tarifgemeinschaft Zeitarbeit – so fehlt diesem Mitwirken jede tarifrechtliche Legitimation. Das hat das BAG in der Entscheidung vom 15.11.2006 nicht weiter problematisiert 22. Die CGD hatte gemeinsam mit dem als tariffähig festgestellten DHV einen Tarifvertrag abgeschlossen, der einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag verdrängen sollte. Das BAG meinte hierzu: „Soweit der MTV CGD/DHV von der nicht tariffähigen CGD abgeschlossen wurde, ist dieser Tarifvertrag nichtig, so dass eine normative Bindung des Beklagten an diesen Tarifvertrag von vornherein ausscheidet“. Die Frage, ob nicht der Tarifvertrag insgesamt unwirksam ist, weil eine nicht-tariffähige Partei an der tariflichen Willensbildung mitgewirkt hat, hat das BAG nicht erwogen. Angesprochen und offen gelassen wurde lediglich die Frage, ob im Fall eines als einheitlich gewollten mehrgliedrigen Tarifvertrags die fehlende Tariffähigkeit auch nur einer Partei den Tarifvertrag insgesamt zu Fall bringt 23. Das konnte das BAG hier offen lassen, weil der betroffene Arbeitnehmer von vornherein nur von der Tarifzuständigkeit der – eben tarifunfähigen – CGD erfaßt werden konnte. 4. Regelung für den Spitzenverband Insoweit ist eine Grundfrage des Tarif- und Arbeitskampfrechts aufgeworfen: Inwieweit dürfen tariffähige Verbände ihre kollektive Tarifautonomie bestimmendem Fremdeinfluß ausliefern? 21 Vgl. BAG vom 7.11.2000 – 1 AZR 175/00 – EzA § 1 TVG Nr. 43 = AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = NZA 2001, 727, das aber diese Frage überhaupt nicht anspricht. 22 BAG vom 15.11.2006 – 10 AZR 665/05 – NZA 2007, 448 = EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 131 = AP Nr. 34 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 23 Dafür insbesondere Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 17.
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Das TVG selbst liefert eine beschränkte Antwort für den Spitzenverband des § 2: Der Spitzenverband kann eigene Tarifverträge abschließen (Abs. 3) oder als Stellvertreter der Mitgliedsverbände agieren (Abs. 2). Für den ersten Fall kommt dem Spitzenverband ein Recht zu eigener Tarifpolitik zu, weil er kraft eigener Tarifmacht handelt. Die Interessen der Mitgliedsverbände und ihrer Mitglieder werden durch die Teilhabe an der Willensbildung im Spitzenverband gewahrt. Insofern stellt sich der Spitzenverband aus Sicht der tarifgebundenen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber als gestufte Organisationsform dar. Insofern kann und muß die Teilhabe der Tarifgebundenen an der sie betreffenden Tarifpolitik über die jeweiligen Stufen hinweg gesichert werden. Insofern weisen Spitzenverbände von ihrer Konstruktion her ein spezifisches Teilhabedefizit auf: Dort entscheiden „Funktionäre“, die aus den Spitzen der Mitgliedsverbände in den Spitzenverband entsandt sind. Auch wenn mitgliedschaftliche Teilhabe und staatsverfassungsrechtliches Demokratieprinzip nicht deckungsgleich sind, fühlt man sich doch an die Demokratiedefizite der EU erinnert. Freilich: Mehrstufige Teilhabesysteme gibt es auch schon innerhalb der Koalitionen, vor allem in den Gewerkschaften, die keine Mitgliederversammlung kennen, sondern mit Delegiertenversammlungen arbeiten müssen. Für Spitzenverbände ist es auch schwer vorstellbar, wie dort ein tarifpolitischer Einfluß „von unten“ stattfinden soll. Insofern geht § 2 Abs. 3 TVG offenbar davon aus, daß die mitgliedschaftliche Legitimationskette – vom Mitglied über den Verband in den Spitzenverband auch ohne konkrete Teilhabe an der Willensbildung die Tarifgeltung trägt. Immerhin bleibt eine doppelte Exit-Option: Das Mitglied kann wegen seiner Unzufriedenheit mit dem Spitzentarif austreten; immerhin theoretisch möglich ist es auch, daß der Verband aus dem Spitzenverband austritt. Insofern gilt es zu bedenken: Eine „freie“ Tarifpolitik kann es nicht geben. Nicht nur die Einwirkung des sozialen Gegenspielers findet frei von der „eigenen“ Mitgliedermeinung statt, auch tarifpolitische Umfeldwirkungen, insbesondere durch Pilotabschlüsse müssen von den Mitgliedern hingenommen werden. Ein Spitzentarifvertrag kann auf diese Weise sogar ein mehr an Mitwirkung bedeuten. Bei der zweiten Variante des § 2 TVG, der Vertreterrolle des Spitzenverbandes folgt aus dem TVG zunächst nichts. Denn ein Stellvertreter ist nach dem Leitbild des BGB weisungsgebunden und in seinem Geschäftsverhalten gerade nicht unabhängig vom Geschäftsherrn, § 166 Abs. 2 BGB; dazu weiter unter IV.
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II. Einheitlicher Tarifvertrag 1. Spitzenverband Ein Spitzenverband kann Tarifverträge in eigenem Namen gemäß § 2 Abs. 3 TVG von vornherein nur abschließen, wenn seine Satzung das vorsieht – statutarische Tarifwilligkeit 24. Daß Spitzenverbände „Tariffragen“ in der Satzung erwähnen 25, genügt dafür nicht. Denn ein Spitzenverband kann auch ohne eigene Tariffähigkeit in Tarifangelegenheiten tätig werden: als Stellvertreter nach § 2 Abs. 2 TVG, als interner Koordinator und Berater seiner Mitgliedsverbände. Erforderlich ist eine eindeutige und ausdrückliche Satzungsregelung, mit der sich der Spitzenverband zum Abschluß von Tarifverträgen in eigenem Namen bekennt – und damit eigene Tariffähigkeit in Anspruch nimmt. Mit dieser Satzungsentscheidung beansprucht ein Spitzenverband nicht nur die Fähigkeit zum Tarifabschluß, er liefert sich auch Tarifforderungen der Gegenseite und damit dem Arbeitskampf aus. Das bedarf entsprechender Legitimation, die eindeutig vorliegen muß. Eine ergänzende Satzungsauslegung kann nicht zur Tariffähigkeit führen. Fehlt dem Spitzenverband die eigene Tariffähigkeit, kann er aus eigener Kraft keine einheitliche Tarifpolitik betreiben. Die fehlende Tariffähigkeit schließt von vornherein normativ wirkende Tarifverträge aus. Richtiger Auffassung nach sind auch schuldrechtliche Tarifverträge nur möglich, wenn und soweit die Partei selbst tariffähig ist 26. Möglich ist dann nur noch die Koordination des Tarifverhaltens der Mitglieder – sei es intern durch Verhaltensabstimmung, sei es nach außen über eine Tarifgemeinschaft oder im Wege der Stellvertretung. Das Ausweichen auf rein schuldrechtliche Normenverträge, wie sie nicht-tariffähigen Verbänden offenstehen 27 führt nicht weiter: Mit ihnen kann zwar durchaus Arbeitsvertragsgestaltung betrieben werden, nie aber Tarifgestaltung: Wer verbindlichen Einfluß auf Tarifverträge nehmen will – und sei es durch einen Rahmen- oder Vorvertrag mit schuldrechtlicher Um24 Zur Tarifwilligkeit als Voraussetzung der (eigenen) Tariffähigkeit von Spitzenverbänden Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 108 ff., für einen Sonderfall BAG 22.3.2000 – 4 ABR 79/98 – EzA § 2 TVG Nr. 22 = AP Nr. 49 zu § 2 TVG = NZA 2000, 893; zum Sonderproblem der Tarifzuständigkeit von Spitzenverbänden Rieble Die Tarifzuständigkeit von Spitzenverbänden, DB 2001, 2194. Allgemein zur Tarifwilligkeit von Tarifverbänden BAG 15.3. 1977 – 1 ABR 16/75 – EzA § 2 TVG Nr. 12 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG. 25 Vgl. den Fall BAG vom 29.6.2004 – 1 AZR 143/03 – AP Nr. 36 zu § 1 TVG = EzA § 1 TVG Nr. 46 = NZA 2005, 600 (nur LS): Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt nennt „Tariffragen“ als Zuständigkeit eines Organs. 26 Das wird im Schrifttum durchweg vorausgesetzt; explizit Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 422. 27 Wiedemann/Thüsing TVG (Fn. 1) § 1 Rn. 20 ff.; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 421 ff.; § 2 Rn. 1.
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setzung – der muß selbst tariffähig sein. Das folgt unmittelbar aus § 2 Abs. 1 TVG. Nichttariffähige Parteien können an diejenigen, denen die Tarifautonomie kraft ihrer Tariffähigkeit vorbehalten ist, allenfalls unverbindliche Empfehlungen richten. 2. Tarifgemeinschaft Ist der Spitzenverband selbst nicht tariffähig, so kann eine Vereinheitlichung der Tarifpolitik nur über die tariffähigen Mitgliedsverbände erfolgen. Diese können durch „mehrgliedrige Tarifverträge“ ihre Tarifmacht zusammenlegen. Dieser Weg ist insbesondere dann angezeigt, wenn ein Spitzenverband seinerseits nicht tariffähig ist oder dessen Tariffähigkeit bestritten ist 28 – und die Mitglieder gleichwohl eine einheitliche Tarifpolitik wünschen 29. Insofern sind drei tarif- und vertragsrechtliche Wege möglich: • Der mehrgliedrige Tarifvertrag kann rechtlich selbständige Tarifverträge in einer Tarifurkunde nach § 1 Abs. 2 TVG zusammenfassen. Diese bleiben getrennte Tarifverträge, die insbesondere isoliert aufgehoben und gekündigt werden können, weil die Vertragsherrschaft den jeweiligen Vertragsparteien zukommt 30. • Eine „mittlere Lösung“ beläßt es zwar bei der isolierten Vertragsparteienstellung, verbindet aber die Tarifverträge inhaltlich zu einer Geschäftseinheit 31, so daß die Beendigung oder Änderung des einen Tarifvertrags – nur durch dessen Tarifparteien – auflösende Bedingung für alle anderen ist 32. • Ebenso kann ein einheitlicher Tarifvertrag gewollt sein, der alle Parteien verbindet. Ein solcher „Einheitstarifvertrag“ mit mehreren Parteien auf einer Seite kann gerade auch durch einen Spitzenverband als Stellvertreter zustandekommen – der dann gerade nicht tariffähig sein muß 33. Treffen die Tarifparteien keine ausdrückliche Regel zur Intensität der Verknüpfung, bleibt es nach dem BAG bei der losen Verbindung selbständiger Tarifverträge in einer Tarifurkunde 34 – die gemeinsame Vertragsherrschaft,
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Vgl. den Fall BAG vom 29.6.2004 – 1 AZR 143/03 – (Fn. 25). Zum mehrgliedrigen Tarifvertrag Dymke Tarifgemeinschaft und mehrgliedriger Tarifvertrag (2002) S. 13; Wiedemann/Thüsing TVG (Fn. 1) § 1 Rn. 209 ff.; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 472 ff. sowie jüngst BAG vom 8.11.2006 – 4 AZR 590/05 – NZA 2007, 576. 30 Wiedemann/Thüsing TVG (Fn. 1) § 1 Rn. 211; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 473; Däubler/Reim TVG 2. Auflage (2006) § 1 Rn. 73; BAG vom 8.11.2006 – 4 AZR 590/05 – (Fn. 29). 31 Allgemein zur Geschäftseinheit BGH vom 30.4.1976 – V ZR 143/74 – NJW 1976, 1931; Staudinger/H. Roth (2003) § 139 Rn. 36 ff. 32 Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 474. 33 BAG vom 29.6.2004 – 1 AZR 143/03 – (Fn. 25). 34 BAG vom 8.11.2006 – 4 AZR 590/05 – (Fn. 29). 29
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insbesondere die Beschränkung auf gemeinschaftliche Kündbarkeit, muß ausdrücklich vereinbart sein. Damit wird die Tarifautonomie der beteiligten Verbände geschützt: Eine derartige Selbstbindung und Selbstbeschränkung in der Tarifherrschaft muß der Tarifträger bewußt und eindeutig eingehen. Freilich leitet der BGH aus der urkundlichen Einheit grundsätzlich auch einen Geschäftseinheitswillen ab 35; deswegen wird man sich in der Tat fragen müssen, welchen Sinn eine einheitliche Tarifurkunde bei rechtlich selbständigen Rechtsgeschäften, die auch ohne weiteres getrennt hätten beurkundet werden können, dann noch haben soll. Im Ergebnis liegt mir die Auffassung des BGH näher. Das TVG sagt nichts zur Tarifgemeinschaft und auch nicht, ob ein solches Vorgehen eine Satzungsregelung braucht. Indes: Die satzungsgemäße Tarifwilligkeit des § 2 Abs. 3 TVG ist vorausgesetzt nur für die eigene korporative Tariffähigkeit. Die Tarifgemeinschaft fußt nicht auf eigener Tariffähigkeit, sondern auf derjenigen ihrer „Mitglieder“. Für diese eigene Tariffähigkeit müssen die Mitgliedsverbände in ihrer Satzung die eigene Tarifwilligkeit vorweisen 36. Mehr als diese Tarifwilligkeit als Voraussetzung für den Status der Tariffähigkeit regelt das TVG nicht. Daß für Tarifkooperationen zum Schutz der tariflichen Selbstbestimmung der Verbandsmitglieder eine Satzungsregelung erforderlich sei, sagt das Gesetz nicht. Insofern geht es auch nicht um das „Ob“ von Tarifvertrag und Arbeitskampf, das mit der Satzungsentscheidung zur Tarifwilligkeit gerade im Interesse der Mitglieder transparent sein muß 37, sondern um das „Wie“ der Ausübung der Tarifautonomie – eben durch Tarifabstimmung durch Partner „auf derselben Seite“. Konsequenz des einheitlichen Mehrparteientarifvertrages ist dann, daß die beteiligten Tarifparteien als Einheit agieren müssen: Sie müssen zu einer gemeinschaftlichen tariflichen Willensbildung, insbesondere zu gemeinsamen Verhandlungspositionen finden, einen gemeinschaftlichen Abschlußwillen bilden und auch über die Ausübung von Kündigungsrechten kraft gemeinschaftlichen Willensbeschlusses entscheiden. Deswegen bilden sie in diesem Fall notwendig eine BGB-Gesellschaft 38, nämlich eine Tarifgemeinschaft, die als einheitliche und gesamthänderische Verbindung der Arbeitgeberverbände Partei des Tarifvertrages wird 39. Deren Bedeutung liegt darin,
35 BGH vom 22.5.1970 – V ZR 130/67 – BGHZ 54, 71; Staudinger/H. Roth (2003) § 139 Rn. 40. 36 Ganz hM, statt aller: Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 366 ff. 37 Löwisch Die Voraussetzungen der Tariffähigkeit, ZfA 1970, 295, 304. 38 Wiedemann/Thüsing TVG (Fn. 1) § 1 Rn. 212; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 475. 39 Eingehend Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 166 ff.; Dymke (Fn. 29) S. 5 ff.; auch schon Meves Zur rechtlichen Natur des mehrgliedrigen Tarifvertrages, NZfA 1930, Sp. 215 und RG vom 22.3.1911 – Rep. I 64/10 – RGZ 76, 25.
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daß die Tarifgemeinschaft nicht über eine eigene kollektive Tariffähigkeit verfügt, sondern die Tarifmacht ihrer Mitglieder zusammenlegt. Eben deshalb sind auch die Mitglieder selbst Tarifpartei – in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit – und müssen in der Tarifurkunde des § 1 Abs. 2 TVG einzeln namentlich genannt sein 40. Für die betroffenen Verbände heißt das: Sie müssen eine solche Gesellschaft bürgerlichen Rechts errichten – und sich im Gesellschaftsvertrag darüber klar werden, wie die tariflich-einheitliche Willensbildung erreicht wird – insbesondere ob Entscheidungen einstimmig oder mit einer (qualifizierten?) Mehrheit getroffen werden. An die Stelle eines nur intern koordinierenden Gremiums träte dann die Gesellschafterversammlung bzw. ein nach dem Gesellschaftsvertrag für Geschäftsführung und Vertretung konstituiertes Gremium – mit entsprechenden Außenbefugnissen gegenüber dem Tarifpartner. Dabei läßt sich die Struktur eines nicht-tariffähigen Spitzenverbandes nutzen: Insbesondere eines seiner Gremien kann in „Personalunion“ zugleich das Geschäftsführungsgremium der Tarifgemeinschaft sein – ohne daß hierzu eine eigenständige Vollmacht der Tarifgemeinschaft an den Spitzenverband vorzuliegen bräuchte. So könnte die DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit auf DGB-Organe zurückgreifen. Die GbR kann formlos errichtet werden – auch ohne eigenständig ausformulierten Gesellschaftsvertrag. Dann gelten die Regeln der §§ 705 ff. BGB. Insofern muß sich die Tarifgemeinschaft darüber schlüssig werden, ob dieses Modell für die Entwicklung einer einheitlichen Tarifpolitik brauchbar ist. Für den Fall, daß dieses Modell mit einer Vertretungsmacht des Spitzenverbandes kombiniert werden sollte (unten IV), ist darauf hinzuweisen, daß eine tarifliche Vertretungsmacht nicht notwendig zugleich die Errichtung der GbR deckt. Das hat das BAG in seiner Entscheidung vom 29.6.2004 übersehen 41. Dort hat es gemeint, der von einem bevollmächtigten Spitzenverband abgeschlossene mehrgliedrige Tarifvertrag könne im Wege der Auslegung als einheitlicher Tarifvertrag verstanden werden (was eine einheitliche Kündigung erforderlich mache). Insofern verkennt das Gericht, daß die Einheitlichkeit des Tarifvertrags nicht nur aus dem Tarifabschluß selbst folgt, sondern die zuvorige (wirksame) Errichtung der GbR verlangt, die als bloßes Internum der Arbeitgeberseite nicht im Tarifvertrag geregelt werden kann. Fehlt diese Vollmacht zur Errichtung der Tarifgemeinschaft als Gesellschaft, kann ein Spitzenverband qua Stellvertretung keine fehlerhafte Gesellschaft begründen – aus zwei Gründen: Einmal fehlt es an der Willenseinigung
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Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 165 und schon Meves (Fn. 39) NZfA 1930, Sp. 216. BAG vom 29.6.2004 – 1 AZR 143/03 – (Fn. 25).
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der Gesellschafter 42; zweitens wird eine Gesellschaft erst in Vollzug gesetzt, wenn alle Gesellschafter damit einverstanden sind (arg § 123 Abs. 2 HGB 43). Andernfalls nämlich könnte jeder vollmachtlose Vertreter nach Belieben fehlerhafte Gesellschaften unbeteiligter Dritter erzeugen – ein abseitiges Ergebnis. Den Gesellschaftern muß Entstehung und Vollzug der Gesellschaft zugerechnet werden können. Tarifrechtlich tritt eine solche Tarifgemeinschaft als und wie eine einzige Tarifpartei auf. Dementsprechend könnte sie einen Tarifrahmen auf schuldrechtlicher Ebene vereinbaren, der von den Einzeltarifparteien zu konkretisieren ist – auf regionaler Ebene oder in unterschiedlichen Branchensegmenten. Denkbar ist es auch, daß die Tarifgemeinschaft selbst schon eine derartige Differenzierung vornimmt, in einem notwendig normativ geltenden Tarifvertrag. Das zentrale Folgeproblem eines solchen Tarifabschlusses liegt in der Frage, ob ein konkretisierungsbedürftiger Tarifrahmen Friedenspflicht auslöst – so daß die Konkretisierungsverhandlungen ohne Streikdruck stattfänden. Das BAG hat das Gegenteil gemeint – freilich in einem obiter dictum, ohne nähere Problematisierung und ohne die für die Friedenspflicht erforderliche Tarifauslegung 44. Insofern liegt es nahe, sich mit einer ausdrücklichen Regelung der Friedenspflicht zu behelfen. Dazu wird sich der soziale Gegenspieler auf Arbeitnehmerseite nur bereit finden, wenn ein Konfliktlösungsmechanismus für die Konkretisierung des Pilotabschlusses auf die konkreten Tarifsegmente gefunden wird – sei es durch Schlichtung, sei es durch eine Übernahmevorgabe im Nichteinigungsfall. 3. Freie Wahl des Tarifpartners durch den sozialen Gegenspieler a. Fortbestehende Tariffähigkeit der Mitgliedsverbände Auch wenn Tarifverbände einen besonderen Verhandlungspartner auf „Spitzenebene“ schaffen – sei es ein Spitzenverband, sei es eine Tarifgemeinschaft –, besteht die eigene Tariffähigkeit der Mitgliedsverbände fort 45. Entgegen Oetker 46 wird diese durch den Spitzentarifabschluß auch nicht ver42
Carsten Schäfer Die Lehre vom fehlerhaften Verband (2002) S. 208 ff. Auch dazu Carsten Schäfer (Fn. 42) S. 253. 44 BAG vom 25.1.2006 – 4 AZR 552/04 – AP Nr. 6 zu § 1 TVG Durchführungspflicht = NZA 2006, 1008 (nur LS) = DB 2006, 2017. 45 HM: BAG vom 28.6.2001 – 6 AZR 114/00 – EzA § 4 TVG Beschäftigungssicherung Nr. 7 = NZA 2002, 331 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit setzt das unter B II selbstverständlich voraus; BAG vom 22.2.1957 – 1 AZR 426/56 – AP Nr. 2 zu § 2 TVG mit zustimmender Anm. Tophoven; Gamillscheg S. 525; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 114 mit Hinweis auf entgegengesetzte Bestimmungen nur in der HandwO. 46 Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 442. 43
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braucht – wofür auch schon jeder Anhaltspunkt im Gesetz fehlt. Abgesehen davon gibt es keine nur punktuelle Tarifunfähigkeit als „Verbrauch der Rechtsetzungsbefugnis“. Das gilt erst recht, wenn man die Tarifautonomie mit der inzwischen hM als kollektive Privatautonomie begreift. Gerade das ist im Interesse der Mitglieder (Arbeitnehmer oder Arbeitgeber) des Mitgliedsverbandes an der sachnahen Regelung der Arbeitsbedingungen erforderlich. Hat der Spitzenverband einen Tarifvertrag geschlossen, löst dieser über § 2 Abs. 4 TVG Friedenspflicht auch für die Mitgliedsverbände aus. Weswegen man freiwillige Abweichungen vom Spitzentarifvertrag durch einen Tarifvertrag auf Mitgliedsverbandsebene sperren sollte, ist mir unerfindlich. Es liegt keinen Deut anders, als bei der Mitgliedschaft eines Arbeitgebers im Arbeitgeberverband oder dessen Bindung an einen konkreten Verbandstarifvertrag, die dessen „Tariffähigkeit“ nicht auch nur punktuell verbrauchen kann 47. Kommt es zu einer freiwilligen Einigung auf der Mitgliedsverbandsebene, so geht dieser regionale oder branchenspezifische Tarifvertrag dem des Spitzenverbandes in der Tarifkonkurrenz als speziellerer vor 48. So gesehen büßt also der Verband durch die Mitgliedschaft in einem Spitzenverband oder einer Tarifgemeinschaft seine Tariffähigkeit gerade nicht ein; er verliert nur – und immerhin – das Recht, eine eigenständige Tariflösung durch Arbeitskampf herbeizuführen. b. Kein Verhandlungsanspruch Das aber heißt: Der soziale Gegenspieler hat zunächst die freie Wahl, wem gegenüber er eine Tarifforderung erhebt – sei es gegenüber dem Spitzentarifträger, sei es gegenüber den regionalen oder branchenspezifischen Tarifparteien. Die herrschende Meinung verweigert jeden tariflichen Verhandlungs-
47 BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art 9 GG Arbeitskampf Nr. 134 = NZA 2003, 734; BAG vom 22.2.2002 – 4 AZR 22/01 – n.v.; BAG vom 4.4.2001 – 4 AZR 237/00 – AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz = EzA § 3 TVG Nr. 22 = NZA 2001, 1085; BAG vom 24.1.2001 – 4 AZR 655/99 – AP Nr. 173 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 14 = NZA 2001, 788; BAG vom 25.9.1996 – 1 ABR 4/96 – AP Nr. 10 TVG § 2 Tarifzuständigkeit = EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 5 = NZA 1997, 613; BAG vom 4.5.1955 – 1 AZR 493/54 – AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 1; Buchner Unternehmensbezogene Tarifverträge – tarif-, verbands- und arbeitskampfrechtlicher Spielraum, DB 2001, Beilage 9, 1; Jacobs Die Erkämpfbarkeit von firmenbezogenen Tarifverträgen mit verbandsangehörigen Arbeitgebern, ZTR 2001, 249; von Hoyningen-Huene Die Rolle der Verbände bei Firmentarifverträgen, ZfA 1980, 453, 463; Rieble Der Fall Holzmann und seine Lehren, NZA 2000, 225, 229; anders nur Matthes Der Arbeitgeber als Tarifvertragspartei, FS Schaub (1994), 477, 479. 48 BAG vom 28.6.2001 – 6 AZR 114/00 – (Fn. 45) unter B II; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 4 Rn. 154.
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anspruch, sofern dieser nicht durch Tarif(vor)vertrag autonom begründet ist 49. Weder die Aufnahme von Verhandlungen überhaupt, noch das Gespräch über bestimmte vom Gegenspieler tabuisierte Themen kann verlangt werden. Müßte der Richter das Ablehnungsverhalten und damit die Angemessenheit des Vertragsangebots beurteilen, liefe das auf eine vorweggenommene Tarifzensur hinaus. Mittel zur Überwindung der Sprach- und Einigungslosigkeit zwischen Tarifvertragsparteien ist nicht der Verhandlungsanspruch, sondern der Arbeitskampf. Allerdings darf das Arbeitskampfrecht im Interesse der Allgemeinheit und Dritter unnötige Arbeitskämpfe und ihre schädlichen Folgen zu verhindern suchen und Arbeitskampfmaßnahmen von einem vorherigen Verhandlungsversuch, ja sogar von einem Schlichtungsversuch, abhängig machen50. c. Keine Erzwingbarkeit des Einheitstarifvertrags Wollen also die Arbeitgeber eine einheitliche, vom Spitzenverband oder einer Tarifgemeinschaft getragene Tarifpolitik erreichen, müssen sie entweder das Einvernehmen der Gewerkschaft erreichen – oder aber deren Streik gegen einzelne Mitglieder durchstehen. Auf der anderen Seite kann auch jede Einzelgewerkschaft das Interesse anderer Gewerkschaften an einer Tarifgemeinschaft ignorieren – sei es durch einvernehmlichen Abschluß mit der Arbeitgeberseite, sei es durch einen Streik. Das müssen die Bahngewerkschaften mit Blick auf die Lokführer ebenso zur Kenntnis nehmen wie solche Gewerkschaften (etwa IG Metall und ver.di), die sich für manche Unternehmen auf eine Tarifgemeinschaft verständigt haben oder gar vom DGBSchiedsgericht zu einer solchen „verurteilt“ worden sind, sodann aber zur Kenntnis nehmen müssen, daß sich die andere Gewerkschaft durch „eigenmächtigen“ Tarifabschluß mit dem Arbeitgeber darüber hinwegsetzt. Die
49
BAG ständig, etwa vom 14.2.1989 – 1 AZR 142/88 – EzA Art 9 GG Nr. 44 = NZA 1989, 601 = AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 55; Kempen/Zachert (Fn. 5) § 2 Rn. 32; eingehend Coester Zur Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien ZfA 1977, 87 ff.; zur grundsätzlichen Verneinung einer Regelungspflicht der Tarifparteien (die die Ablehnung eines gesetzlichen Verhandlungsanspruchs impliziert): Dieterich Flexibilisiertes Tarifrecht und Grundgesetz, RdA 2002, 1, 10 f.; Baumann Die Rechtsfolge eines Grundrechtsverstoßes der Tarifparteien, RdA 1994, 272, 276 ff.; Säcker/Oetker Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie (1992) S. 93 f.; für die einen Verhandlungsanspruch bejahende Gegenmeinung Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I (1997) S. 275 ff.; Mikosch Vertrauensvolle Zusammenarbeit der Tarifvertragsparteien, FS Dieterich (1999) S. 365, 379 ff.; Wiedemann/Thüsing TVG (Fn. 1) § 1 Rn 218 ff.; Arnold Die tarifrechtliche Dauerrechtsbeziehung (1996). 50 BAG vom 21.4.1971 – GS 1/68 – AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Nr. 6 = NJW 1971, 1668 unter Teil III A 2a; darauf weist Gamillscheg (Fn. 49) S. 277 zu recht hin; weiter Rieble Modernisierung des Arbeitskampfrecht zu einem Tarifverhandlungsrecht, Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung [ZAF] 38 (2005), 218.
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Verabredung einer Tarifgemeinschaft ist tarifrechtlich nicht durchsetzbar: Weil im Außenverhältnis die Tariffähigkeit unberührt bleibt, ist der isolierte Tarifabschluß wirksam. Es verhält sich nicht anders als beim Einzelarbeitgeber, der mit der Gewerkschaft einen Haustarif abschließt und damit gegen die Solidarität im Arbeitgeberverband verstößt. Durch Arbeitskampf erzwingbar ist ein solcher Einheitstarifvertrag nur in sehr engen Grenzen: Besteht ein Spitzenverband oder eine Tarifgemeinschaft, so kann die Gewerkschaft streiken und die Arbeitgeberseite theoretisch zur Angriffsaussperrung greifen – weil der Einheitstarifvertrag ein eigenständiges Tarifziel ist 51. Indes: Ob eine Gewerkschaft oder ein Arbeitgeberverband Mitglied eines Spitzenverbandes oder der der Tarifgemeinschaft zugrundeliegenden BGB-Gesellschaft ist, ist eine freie Entscheidung, die nicht erkämpft werden darf. Denn damit mischte sich der soziale Gegenspieler in die innere Organisation einer Koalition ein – das ist mit der Organisationsautonomie und der kollektiven Betätigungsfreiheit 52 nicht vereinbar. Also: Das Ob der Bildung des Spitzenverbandes oder einer Tarifgemeinschaft ist notwendig frei. Nicht nur der Beitritt sondern auch das Fernbleiben und der Austritt muß von der Koalition autonom entschieden werden. Erst recht darf ein Verband keinen Druck auf Geschwisterverbände ausüben, die Tarifpolitik zu kollektivieren. Direkte Druckmaßnahmen gegen Verbände der eigenen Seite kennt das Arbeitskampfrecht ohnehin nicht. Tarifpolitisch wird mitunter Druck „über die Bande“ dadurch ausgeübt, daß der Tarifpartner eines Erstabschlusses gezwungen werden soll, mit einem Konkurrenten entweder gar nicht oder nicht zu abweichenden Bedingungen abzuschließen – vor allem über Meistbegünstigungsklauseln. Diese sind unzulässig, weil sie letztlich die eigenständige Tarifpolitik des drittbelastenden Verbandes vereiteln wollen 53. Zulässig bleibt allein eine Klausel, die vor Tarifpluralität dadurch schützt, daß ein abweichender Abschluß eines Tarifpartners mit einem Dritten Verband den eigenen Tarifvertrag beendet, sei es qua auflösender Bedingung, sei es durch ein Sonderkündigungsrecht. So sollen transnet und die Deutsche Bahn mit Blick auf die Sondertarifforderungen der Lokomotivführergewerkschaft verfahren haben.
51
Dazu Lessner Zulässigkeit der Angriffsaussperrung, FA 2003, 233. MünchArbR/Löwisch/Rieble 2. Auflage (2000) § 246 Rn. 34 f. 53 Eingehend und mit Beispielen Rieble/Klebeck Tarifvertragliche Meistbegünstigung, RdA 2006, 65; weiter Söllner Tarifmacht – Grenzen und Grenzverschiebungen, Sonderbeilage zu NZA Heft 24/2000, 33, 39; Bonin Standortsicherung versus Tarifbindung (2003) S. 318 ff.; Rieble Der Fall Holzmann und seine Lehren, NZA 2000, 225, 231. 52
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4. Einheitstarif oder Rahmenregelung? Der Weg einer einheitlichen Tarifvertragspartei muß nicht notwendig zu einem Einheitstarifvertrag führen – der angesichts höchst unterschiedlicher Entgeltniveaus und gewachsener unterschiedlicher Regelungsstrukturen ohnehin nicht mit einem „Urknall“ eingeführt werden könnte. Denkbar ist es ohne weiteres, die bundeseinheitlichen oder branchenübergreifenden Tarifverhandlungen auf Rahmenvorgaben zu beschränken – die dann regional oder branchenspezifisch (wie bisher) konkretisiert werden müßten. Ein solcher Tarifrahmen hätte grundsätzlich nur schuldrechtliche Geltungskraft (also beschränkt zwischen den Tarifparteien, mit einer Ausdehnung über die Haftung des § 2 Abs. 4 TVG). Die normative Konkretisierung gegenüber den tarifgebundenen Unternehmen erfolgte nach wie vor durch die regionalen Arbeitgeberverbände mit regionalen Tarifverträgen. Der einheitliche Tarifrahmen gäbe nur diejenige Leitlinie vor, die bislang von einem Pilotabschluß ausgeht – hätte praktisch also die Wirkung eines schuldrechtlichen Vorvertrags zum Tarifvertrag 54. Für einen Sonderfall zeigt das eine neue BAG-Entscheidung: Die IG BAU hatte mit den Spitzenverbänden von Bauindustrie und Baugewerbe einen „Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin“ geschlossen, der noch regional umgesetzt werden muß. Das BAG hat erstens entschieden, daß trotz dieser Unbestimmtheit eine entsprechende Einwirkungs-Durchführungspflicht des Spitzenverbandes auf die Mitglieder möglich ist, daß zweitens den regionalen Tarifvertragsparteien ein so weitreichender Gestaltungsspielraum eröffnet ist, daß keine Friedenspflicht greift, so daß die regionale Anpassung auch vor dem Hintergrund von Arbeitskämpfen erfolgen kann 55. Insofern aber besteht ein wesentlicher Unterschied zur nur faktischen Pilotwirkung: Der Tarifrahmen ist als Vertrag verbindlich und vermittelt dem Tarifpartner einen Anspruch auf entsprechende Konkretisierung. Dieser Rechtsanspruch steht unter dem Vorbehalt, daß die im Tarifrahmen festgelegten Inhalte hinreichend bestimmt auf die regionale Tarifsystematik „heruntergebrochen“ werden kann. Den einzelnen Arbeitgeberverbänden steht es mithin nicht mehr offen, den Piloten zu ignorieren und ihr Glück auf eigene Faust zu versuchen. Die bloß interne Koordinierung der tariflichen Willensbildung hat von vornherein keine Außenwirkung. Auch die Stellvertretung des betroffenen regionalen Tarifverbandes durch einen Spitzenverband löst für diesen als Verhandlungsführer keine unmittelbare Außenwirkung aus. Tarifpartei ist 54 55
Zum Tarifvorvertrag: Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 374 f. BAG vom 25.1.2006 – 4 AZR 552/04 – (Fn. 44).
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der vertretene Mitgliedsverband; nur er wird durch den Tarifabschluß unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Der Spitzenverband wird nicht Tarifpartei, hat also keine Vertragsrechte, kann den regionalen Tarifvertrag nicht kündigen oder durch Aufhebungsvertrag beenden 56. Lediglich mittelbar ist der Spitzenverband als Stellvertreter an den Tarifvertrag gebunden – durch die Haftungserstreckung hinsichtlich der schuldrechtlichen Pflichten nach § 2 Abs. 4 TVG. Dabei handelt es sich – für diese Fallgruppe – um eine Art Sachwalterhaftung des besonderes Vertrauen in Anspruch nehmenden Stellvertreters nach dem Grundsatz des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB 57.
III. Interne Verhaltensabstimmung 1. Tarifautonomie und Fremdbestimmung Tarifautonomie als kollektive Privatautonomie 58 schließt tarifliche Fremdbestimmung durch Verpflichtung auf fremde Tarifziele grundsätzlich aus: Es geht um die tarifliche Selbstregelung kollektiv-eigener Angelegenheiten. Würde sich ein Tarifverband gegenüber einem Dritten dazu verpflichten, seine Tarifpolitik an dessen Interessen auszurichten, wäre der Vertragsmechanismus der Tarifautonomie gestört und das Richtigkeitsvertrauen in den Tarifvertrag erschüttert – weil das Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegende Gegenmachtprinzip auf den wechselseitigen Ausgleich der gegenläufigen Interessen baut. Mit der Tarifautonomie verträgt sich keine vorgreifliche Selbstbindung der Tarifpartei, Tarifverträge nur mit bestimmten Tarifpartnern oder nur mit bestimmten Inhalten abzuschließen. Nach herrschender Meinung können solche Selbstbindungen (Tabuzonen) schon nicht autonom in der Satzung der Koalition verankert werden – weil das die tarifliche Konfliktlösung vereitelte 59. Deswegen kann das auch in einem Vertrag mit einem Dritten nicht geschehen.
56 BAG vom 26.4.2000 – 4 AZR 170/99 – EzA § 1 TVG Nr. 42 = AP Nr. 4 zu § 1 TVG Kündigung = NZA 2000, 1010. 57 Auch dazu Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 119 ff. 58 Zu dieser Qualifizierung nur Picker Die Tarifautonomie in der deutschen Arbeitsverfassung (2000) S. 39 ff.; Rieble Der Tarifvertrag als kollektiv-privatautonomer Vertrag, ZfA 2000, 5 ff.; Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie (2005) S. 55 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 59 Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 61; Wiedemann/Oetker (Fn. 1) § 2 Rn. 81 f., 370 f.; Löwisch Gewollte Tarifunfähigkeit im modernen Kollektivarbeitsrecht, ZfA 1974, 29, 34 ff.; Martens Anmerkung zu BAG 19.11.1985 – 1 ABR 37/83 – SAE 1987, 1 ff., 9; Däubler/Peter (Fn. 30) § 2 Rn. 48; Kempen/Zachert (Fn. 5) § 2 Rn. 32.
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Daß Privatrechtssubjekte nach allgemeinen Grundsätzen ihr rechtsgeschäftliches Verhalten gegenüber Dritten durch Vertrag binden können (arg. § 137 S. 2 BGB) und im Privatrecht lediglich das auf Tarifverträge nicht anwendbare Kartellrecht solche Vereinbarungen beschränkt, hat nichts zu sagen. Tariffähigkeit kommt nicht jedem zu – es handelt sich um eine besondere tarifvertragsfunktionale Geschäftsfähigkeit, die auf den bipolaren Ausgleich der kollektivierten Mitgliederinteressen zielt. Das schließt nicht nur die vertragliche Bindung des Tarifverhaltens gegenüber nicht tariffähigen Dritten aus, die von vornherein kein Recht haben dürfen, Tarifnormen inhaltlich mitzugestalten. Auch fremde Tarifparteien sind ausgeschlossen, weil sie nicht das Interesse der normunterworfenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten, sondern das hiervon verschiedene Interesse ihrer Mitglieder 60. Dementsprechend agieren Tarifparteien außerhalb ihrer Tariffähigkeit, wenn sie fremde Tarifparteien in ihrem Abschlußverhalten für deren Mitglieder vorbestimmen. Das Tarifvertragsverhalten einer Koalition muß notwendig frei sein – auch von rechtsgeschäftlichen Bindungen. Von vornherein unproblematisch sind unverbindliche Empfehlungen, wie sie Spitzenverbände immer wieder vornehmen. Eine spezielle Satzungsermächtigung braucht es hierfür nicht. Eine Empfehlung mag lästig sein, die Tarifautonomie beeinträchtigen kann sie nicht. Von jedem tariffähigen Verband kann erwartet werden, daß er unverbindliche Empfehlungen kraft eigener Einsicht gegebenenfalls ignoriert. Problematisch würde es erst, wenn der Empfehlende Druckmittel einsetzt, um die rechtlich unverbindliche Empfehlung mit faktischer Macht durchzusetzen. Unproblematisch sind auch Abstimmungs- und Konsultationsverfahren, wie sie etwa der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) mit seinen „Grundsätzen für die tarifpolitische Koordinierung in der Fassung vom 15. Mai 1998“ als Bestandteil der BAVC-Satzung geregelt hat. Hier ist ein spezieller Koordinierungsrat institutionalisiert, der einen möglichst frühzeitigen und effektiven Informationsaustausch in allen tarifrechtlich bedeutsamen Fragen sichern soll. Zugleich wird dem BAVC als Spitzenverband die Möglichkeit eingeräumt, die überregionale Sicht des BAVC zu jedem Zeitpunkt regionaler Tarifverhandlungen in die Beratung einzubringen. Der Koordinierungsrat wirkt intern auf die Willensbildung der BAVC-Mitgliedsverbände ein – eine eigenständige Rolle nach außen, also gegenüber dem Tarifpartner IG BCE kommt ihm nicht zu.
60 Eingehend Rieble/Klebeck (Fn. 53) RdA 2006, 65, 68 ff.; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 195; Löwisch Besprechung von Nicklisch Die Koppelung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgeberverbänden (1972), JZ 1975, 37; Klebeck Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß (2004) S. 85.
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2. Tarifkoordinierung im Spitzenverband Auf Spitzenverbände (und eigenständige Untergliederungen) läßt sich dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt übertragen: Schließen sich mehrere tariffähige Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften zu einem Spitzenverband zusammen, ist der Spitzenverband einerseits selbst Koalition und hat am Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG teil; zum anderen ist der Beitritt zum Spitzenverband aus Sicht der beitretenden Koalition selbst koalitionsgemäße Betätigung. Insgesamt betrachtet ist es eine Frage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Organisationsautonomie, wie sich Verbände gliedern und auf welcher Ebene sie welche Funktionen ausüben 61. Die Selbständigkeit der Mitgliedsverbände kann der Spitzenverband nicht hintertreiben. Die autonome Entscheidung über die Mitgliedschaft ist tragende Legitimationsquelle des Spitzenverbandes selbst. Ein „Aufgehen der Mitglieder“ im Spitzenverband ist nicht möglich: Dazu müßten die Mitgliedsverbände im Wege der Vereinsverschmelzung einen einheitlichen Verband bilden – mit einem einheitlichen Mitgliedschaftsverhältnis zum Einheitsverband. Die ehemaligen Mitgliedsverbände könnten dann nur als dessen Untergliederungen relative Eigenständigkeit aber unter zentraler Führung bewahren. Daß die Satzung von Gesamtmetall in § 6 Nr. 3 Satz 1 die „Selbständigkeit der dem Verband als Mitglieder angehörenden Verbände“ betont, ist deshalb nur deklaratorisch. Fragen kann man insofern nur, welche Anforderungen an eine solche Zustimmung zur Selbstbindung aus den Satzungen der Mitgliedsverbände resultieren; insofern liegt es nahe, daß solche Beschlüsse, die unmittelbar bestimmte Tarifabschlüsse verbieten, auch den für Tarifverträgen zuständigen Verbandsgremien vorzulegen sind. Zu fragen wäre auch nach dem zulässigen zeitlichen Ausmaß der Selbstbindung: Ein Verband darf sich nicht auf längere Zeit tarifpolitisch festlegen, sondern muß seine Tarifpolitik von Zeit zu Zeit neu bestimmen können. Hinsichtlich der Organisationsautonomie macht es zunächst keinen Unterschied, ob eine Koalition (wie manche Gewerkschaften) als einheitlicher Bundesverband auftritt, aber seinen Untergliederungen soviel Selbständigkeit beläßt, daß diese selbst Koalition sind – oder ob regionale und eigenständige Verbände sich zu einem bundesweiten Spitzenverband zusammenschließen. Dementsprechend ist die eigene Tariffähigkeit des Spitzenverbandes nach § 2 Abs. 3 TVG auch keine unzulässige tarifliche Fremdbestimmung der Mitgliedsverbände – sondern Konsequenz von deren Selbstbindung kraft Mitgliedschaft im Spitzenverband.
61 Eingehend MünchArbR/Löwisch/Rieble (Fn. 52) § 246 Rn. 31 f., § 249 Rn. 6 f.; Oetker Die Beendigung der Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden als tarifrechtliche Vorfrage, ZfA 1998, 41, 72 f.
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In der Rechtsprechung hat es – soweit ich sehe – keine Fälle zur Fremdbestimmung der Tarifpolitik durch einen Dach- oder Spitzenverband gegeben. Dort spielt die Musik bei der Abgrenzung der Tarifzuständigkeiten durch Gewerkschaften innerhalb des DGB – die einerseits konkurrieren aber andererseits einen gewissen DGB-internen „Burgfrieden“ wahren müssen. Das BAG respektiert die Befugnis des DGB zur Abgrenzung von Tarifzuständigkeiten seit längerem. Zuerst akzeptierte es im Allfloor-Fall eine Demarkationsabrede zwischen der IG Chemie und der GTB, mit der ein an sich zur Tarifzuständigkeit der GTB rechnender Teppichbodenhersteller wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Chemiekonzern der IG Chemie unterstellt wurde, was von dieser durch satzungsändernden Beiratsbeschluß vollzogen worden ist 62. Später dann hat daß BAG (gegen intensive Kritik der Literatur) insbesondere das DGB-Schiedsgericht gebilligt, das nach § 16 der DGB-Satzung in der Lage sein soll, die Satzungen der Mitgliedsgewerkschaften authentisch zu interpretieren – und dadurch eine Revierabgrenzung nach dem DGB-Organisationsprinzip „ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ durchzusetzen 63. Insbesondere in der letzten Entscheidung meint das BAG nach wie vor: „Den Gewerkschaften ist es grundsätzlich nicht verwehrt, sich in ihrer Satzungskompetenz zu beschränken und Änderungen der Satzung von der Zustimmung Dritter abhängig zu machen.“ 64 Richtig ist mit Blick auf die unveräußerliche Tarifautonomie der Einzelgewerkschaft eine Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1964 – mit dem Leitsatz: „Ob der DGB als Dachorganisation eine reinliche Scheidung hinsichtlich der Zuständigkeit der in ihm zusammengeschlossenen Gewerkschaften herbeiführen kann, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls könnte er es nur durch Anregung, daß die DGB-Gewerkschaften ihre Satzungen entsprechend gestalten. Stets bleibt also auch dann die Satzung für die KompetenzAbgrenzung maßgeblich. Auf die Gestaltung der Satzung darf kein Druck von außen ausgeübt werden, ohne daß gegen Art. 9 GG verstoßen wird.“ 65
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BAG vom 19.11.1985 – 1 ABR 37/83 – EzA § 2 TVG Nr. 15 = AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit mit zu Recht kritischer Anm. Reuter = NZA 1986, 480. Dazu auch Ricken Autonomie und tarifliche Rechtsetzung (2006) S. 60 ff. 63 BAG vom 12.11.1996 – 1 ABR 33/96 – EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 6 = AP Nr. 11 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = NZA 1997, 609; BAG vom 14.12.1999 – 1 ABR 74/98 – EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit Nr. 7 = AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit mit kritischer Anm. Rieble = NZA 2000, 949, etwas zurückhaltender die jüngste Entscheidung BAG vom 27.9.2005 – 1 ABR 41/04 – EzA § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 9 = NZA 2006, 273 = AP Nr. 18 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 64 BAG vom 27.9.2005 – 1 ABR 41/04 – (Fn. 63). 65 BAG vom 27.11.1964 – 1 ABR 13/63 – AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. Zur Kritik an der BAG-Rechtsprechung Ricken (Fn. 62) S. 175 ff.; Konzen (Fn. 8) FS Kraft (1998) S. 291, 314; Jacobs (Fn. 20) S. 209 ff.; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 95 ff.; Rieble Anm. zu BAG vom 14.12.1999, AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit.
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Wie das BAG zur inhaltlichen Fremdbestimmung der Tarifpolitik entschiede, ist nicht ohne weiteres zu sagen. Aus der Entscheidungsserie zum DGB-Schiedsgericht läßt sich kein „Erst-recht-Schluß“ ziehen, nach dem Motto: Wenn der DGB einer Einzelgewerkschaft bereits Betriebe aus der Tarifzuständigkeit entziehen kann, dann müsse doch auch eine gewisse Einwirkung auf die Tarifinhalte zulässig sein. Der Erst-recht-Schluß verbietet sich deswegen, weil die inhaltliche Fremdbestimmung etwas anderes ist, als die Revierabgrenzung konkurrierender Gewerkschaften. Immerhin kann Art 9 Abs. 3 GG eine Grundwertung entnommen werden – die auch das BAG letztlich mit Blick auf das DGB-Schiedsgericht schon getroffen hat: In einem Spitzenverband muß eine einheitliche Willensbildung auch und gerade in Tarifangelegenheiten möglich sein, die für die Mitgliedsverbände verbindlich ist. Sonst löste die Mitgliedschaft nichts außer Beitragspflichten aus. Gerade die „Ausstrahlungswirkung“ von Pilotabschlüssen auf die Tarifpolitik anderer Verbände löst jedenfalls eine Rücksichtnahmepflicht aus. Wenn es faktisch unvermeidbar ist, daß der erste Tarifabschluß einer Branche eine Anschlußwirkung zeitigt, dann darf dieser faktischen Fremdwirkung mit einer verbandsrechtlichen Koordinierungspflicht begegnet werden. Insofern ist die Autonomie der Mitgliedsverbände durch die faktische Pilotwirkung des Erstabschlusses bereits „vorbelastet“. Die innerverbandliche Koordinierung sorgt nur dafür, daß das „tarifpolitische Initiativrecht“ der Gewerkschaft gegenüber einem Regionalverband keine tarifliche Dominanz einiger weniger Verbände auslöst. So gesehen ist diese Form von Koordinierung ein Akt der Mitbestimmung unter Gleichberechtigten. Deshalb dürfen tariffähige Verbände sich in einem Spitzenverband weitreichenden Koordinierungspflichten hinsichtlich der Tarifpolitik unterwerfen – soweit das tarifliche Abschlußverhalten in Wechselwirkung zueinander steht. Eine – unzulässige – Preisgabe der Tarifautonomie ist erst erreicht, wenn der Spitzenverband das letzte Wort über die Tarifpolitik des Mitgliedsverbandes hat. Die tarifpolitische Letztverantwortung muß bei demjenigen Verband liegen, der als Tarifpartei fungiert. Solange der Mitgliedsverband die Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler eigenverantwortlich abschließen kann, bleibt seine tarifliche Eigenständigkeit gewahrt. Hat der Verband sich im Wege der Selbstbindung durch einstimmigen Beschluß zu einer bestimmten Tarifpolitik verpflichtet, so nimmt ihm selbst das nicht die Letztverantwortung. Dem Verband bleibt es nämlich tarifrechtlich möglich, sich über beschlossene Vorgaben hinwegzusetzen. Er verletzte zwar seine Mitgliedschaftspflichten. Doch hat die verbandsinterne Bindung keine Außenwirkung auf den Tarifabschluß, noch kann dies die Gewerkschaft daran hindern, einen folgepflichtwidrigen Abschluß zu erstreiken 66. 66
Vergleiche die hM zum verbandswidrigen Haustarifvertrag, Fn. 47.
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Hinsichtlich der Legitimation zur Tarifkoordinierung wird man unterschiedliche Spitzenverbandsebenen auch unterschiedlich behandeln müssen: Eine Befugnis von bda oder DGB, den angeschlossenen Verbänden und Gewerkschaften Lohnleitlinien oder ähnliches vorzugeben, läßt sich meines Erachtens nicht begründen 67. Hier fehlt es offenkundig an einer hinreichend konkreten Wechselwirkung der Tarifpolitik: Die „Tarifführerschaft“ einer bestimmten Branche, etwa der chemischen Industrie, belastet andere Branchen in ihren Tarifverhandlungen nicht so stark, als daß dies eine branchenübergreifend-verbindliche Festlegung des Tarifverhaltens rechtfertigte. Mehr als eine unverbindliche Empfehlung kann es hier nicht geben. Auch das BAG hat in der Entscheidung vom 29.6.2004 detailliert von einem spitzenverbandlichen Koordinierungsausschuß berichtet, ohne dies auch nur ansatzweise kritisch zu sehen 68. Daß das BVerfG für Religionsgemeinschaften eine Herrschaft des übergeordneten Verbandes aus Gründen der religiösen Einheit auch auf Kosten der Autonomie einer Mitgliedsorganisation zuläßt 69, was der Erste Senat mit seinem spezifischen Humor für das DGB-Schiedsgericht fruchtbar gemacht hat 70, läßt sich auf Spitzenverbände gleichwohl nicht übertragen: Die richtige Tarifpolitik muß in einem Spitzenverband nicht notwendig einheitlich sein – anders als der Glaube in einer Religionsgemeinschaft. Daß der Spitzenverband – so er selbst tariffähig, insbesondere tarifwillig ist – mit Wirkung auch für den Mitgliedsverband und dessen Mitglieder Spitzentarifverträge in eigenem Namen abschließen kann (§ 2 Abs. 3 TVG) ist kein eigenständiges Argument für eine weiterreichende interne Einwirkungsbefugnis: In diesem Fall nimmt der Spitzenverband seine eigene (von den Mitgliedern abgeleitete) Tarifmacht wahr – und übt keinen Einfluß auf fremde Tarifmacht aus. Er selbst trägt nach außen die Verantwortung für den Tarifabschluß. Auf der anderen Seite schließt eine etwaige Tarifmacht des Spitzenverbandes nach außen interne Absprachen nicht aus. Der Spitzentarifvertrag nach § 2 Abs. 3 TVG bestärkt dieses Ergebnis: Auch diese intensivste Form der Tarifpolitik „von oben“ kann die Eigenständigkeit des Mitgliedsverbandes nicht beseitigen: Dessen Tarifmacht wird weder durch die Existenz des tariffähigen Spitzenverbandes noch durch den Spitzentarifabschluß verbraucht (oben II.3.a). Im Gegenteil geht in der Tarifkonkurrenz der regionale dem Spitzentarifvertrag gerade vor. Damit sorgt die Tarifkonkurrenz dafür, daß der Mitgliedsverband seine eigene originäre Tarifautonomie auch nach dem Spitzentarifabschluß noch effektiv ausüben kann. 67
Kritisch schon Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 199. – 1 AZR 143/03 – (Fn. 25). 69 BVerfG vom 5.2.1991 – 2 BvR 263/86 „Baha’i“ – BVerfGE 83, 341 = JZ 1992, 248 mit Anmerkung Flume = NJW 1991, 2623. 70 Nachweise Fn. 63. 68
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3. Steuerung über den Kampffonds Arbeitgeberverbände unterhalten wie die Gewerkschaften Kampfkassen. Während aber Gewerkschaften typischerweise die Kampfkasse auf der Tarifträgerebene unterhalten, weswegen insoweit eine Fremdbestimmung ausscheidet, finden sich auf Arbeitgeberseite mitunter Kampfkassen auf Spitzenverbandsebene, auf deren Unterstützung jedenfalls die „armen“ Mitgliedsverbände angewiesen sein können. Da solche Gefahrengemeinschaften jedenfalls in der Praxis nach eigenem Belieben entscheiden können, ob sie einen Mitgliedsverband in seinem Arbeitskampf unterstützen, haben sie mittelbar Einfluß auf die Tarifpolitik: Der Arbeitgeberverband kann eine eigenständige, von der Spitzenverbandslinie abweichende Tarifpolitik nicht durchsetzen, wenn ihm eigene Ressourcen fehlen – und der Gegenspieler kampfstark ist.
IV. Stellvertretung als Koordinierungsmodell 1. Stellvertretungsrecht des BGB Verbände als Tarifparteien werden in Tarifverhandlungen grundsätzlich durch ihre satzungsgemäßen Vertreter vertreten, § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB, wobei – je nach Ausgestaltung der Satzung – besondere Organe den Mitgliederwillen repräsentieren (Tarifkommissionen). Deren Zustimmung kann von der Satzung (ausnahmsweise) für den Vertretungsakt vorausgesetzt sein, idR handelt es sich nur um eine Frage der Geschäftsführung, so daß die fehlende Zustimmung nicht schadet 71. Tarifverträge sind Verträge. Für sie gilt das Stellvertretungsrecht des BGB: Jede Tarifpartei kann sich also durch einen gewillkürten Stellvertreter vertreten lassen 72. Und jede Tarifpartei kann das Handeln eines vollmachtlosen Vertreters (etwa eines Gewerkschaftssekretärs) nach § 177 BGB genehmigen; dies kann auch konkludent durch Tarifanwendung geschehen 73. Daß die Vertretungsbefugnis des Spitzenverbandes in § 2 Abs. 2 TVG besonders genannt ist, hat (zunächst) nichts zu sagen: Der Sinn der Vorschrift liegt in der Vergangenheit. Früher war die rechtliche Handlungsfähigkeit
71 BAG vom 16.5.1995 – 3 AZR 535/94 – EzA § 613a BGB Nr. 127 = AP Nr. 15 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip = NZA 1995, 2074; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 485 f. 72 BAG vom 12.2.1997 – 4 AZR 419/95 – EzA § 2 TVG Nr. 21 = AP Nr. 46 zu § 2 TVG = NZA 1997, 1064. Gerade für mehrgliedrige Tarifverträge Dymke Tarifgemeinschaft und mehrgliedriger Tarifvertrag (2003) S. 11 f. – ohne nähere Problematisierung. 73 BAG vom 18.12.1996 – 4 AZR 129/96 – EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung Nr. 2 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung = NZA 1997, 830; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 492; Löwisch Tarifvertragsschluß ohne Vertretungsmacht, BB 1997, 2161.
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nicht rechtsfähiger Spitzenorganisationen ungeklärt 74. Heute hat die Vorschrift keinen eigenständigen Gehalt mehr, allenfalls klarstellende Funktion, weil auch nicht-rechtsfähige Vereine wie BGB-Gesellschaften funktional teilrechtsfähig sind und schon deswegen als Vertreter agieren können 75. Rechtsfähigkeit ist für die aktive Stellvertretung ohnehin nicht erforderlich, nur Rechtsgeschäftsfähigkeit (arg § 165 BGB), also die Fähigkeit zur Willensbildung. Die Vollmacht als solche ist kein (subjektives) Recht, sondern eine bloße Rechtsmacht. § 2 Abs. 2 TVG verschafft den Spitzenverbänden nicht die erforderliche Vollmacht für die Vertretung der Mitgliedsverbände – und für den Tarifabschluß in deren Namen. Die eigene Tariffähigkeit des Spitzenverbandes deckt nur dessen Handeln in eigenem Namen. Die Vollmacht muß vielmehr von den Mitgliedsverbänden eigens erteilt werden. Die Vollmachterteilung als solche kann auch nicht durch eine Satzungsbestimmung des Spitzenverbandes ersetzt werden; dort kann nur als Mitgliedspflicht eine Verpflichtung zur Vollmachterteilung vorgesehen werden. Auch wenn die Vollmacht einmal erteilt ist, kann sie vom Mitgliedsverband frei widerrufen werden, §§ 168 Satz 2, 167 BGB. Damit verhielte sich der Mitgliedsverband womöglich folgepflichtwidrig, doch schlägt dies auf das Außenverhältnis nicht durch. Eine unwiderrufliche Vollmacht oder eine Verpflichtung hierzu ist ausgeschlossen (sogleich 2 und 3). 2. Abschlußvorbehalt zugunsten der Tarifpartei? Die „echte“ Tarifvollmacht führt dazu, daß der Verhandlungsführer als Vertreter im Tarifwillen agiert. Das ist insofern problematisch, als die Tariffähigkeit als besondere Form der Geschäftsfähigkeit 76 oder als „Regelungsbefugnis mit Außenwirkung“ 77 doch den vertretenen Verbänden vorbehalten ist. Eine unbegrenzte zivilrechtliche Vertretungsbefugnis bedeutet nun, daß ein Vertreter tarifliche Entscheidungen trifft, der typischerweise selbst nicht tariffähig ist und der seine Willensbildung nicht notwendig am Interesse der Mitglieder ausrichtet. Das tritt klar zutage, wenn man sich vorstellte, die IG Metall würde einen Rechtsanwalt mit den Tarifverhandlungen bis hin zum Tarifabschluß betrauen: Kann der Tarifverband durch schlichte Vollmachterteilung seine Tarifmacht delegieren? Auch auf Arbeitgeberseite läßt sich das Problem veranschaulichen: Soll ein Metallarbeitgeberverband den 74 Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 443 f.; vgl. auch BAG vom 12.2.1997 – 4 AZR 419/95 – (Fn. 72) unter 1.4.1. 75 BGH vom 29.1.2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 314 = NJW 2001, 1056 = JZ 2001, 655 mit Anm. Wiedemann; auch BGH vom 18.2.2002 – II ZR 331/00 – NJW 2002, 1207; K. Schmidt Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993. 76 Rieble Relativität der Tariffähigkeit, FS Wiedemann (2002), S. 519 ff., 523 ff.; Löwisch/ Rieble (Fn. 3) § 2 Rn. 1 ff. 77 Wiedemann/Oetker TVG (Fn. 1) § 2 Rn. 7 ff.
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VDMA zu Tarifverhandlungen bevollmächtigen können – der dann womöglich wirtschaftsverbandlichen Interessen folgt? Diese Frage wird explizit für die Vollmacht bislang nur vereinzelt problematisiert 78. Indes hat das BAG das Grundproblem der Tarifverantwortung als Selbstregelungsverantwortung anhand der dynamischen Verweisung in einem Tarifvertrag auf fremde Regelungswerke (Gesetze, Tarifverträge anderer Tarifparteien) ausführlich entwickelt: Zu Anfang betonte das BAG, daß solche Verweisungen grundsätzlich unwirksam sind, weil sie die Gefahr der – schlechthin unzulässigen – Delegation tariflicher Regelungsmacht bergen 79. Inzwischen ist die Rechtsprechung ausdifferenziert: Die Delegation von Tarifmacht ist als solche immer noch stets unzulässig, doch ist erkannt, daß eine dynamische Bezugnahme nicht notwendig eine Delegation bedeutet. In der zentralen Entscheidung vom 9.7.1980 80 hat das BAG diese Kehrtwende vollzogen und in Leitsatz 2 klargestellt: „Die Tarifvertragsparteien können die ihnen zugewiesene Rechtsetzungsbefugnis nicht auf Dritte übertragen. Hierdurch werden jedoch Verweisungen auf andere Tarifverträge nicht ausgeschlossen. Danach umfaßt die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien grundsätzlich auch das Recht, auf jeweils geltende andere tarifliche Vorschriften zu verweisen, sofern deren Geltungsbereich mit dem Geltungsbereich der verweisenden Tarifnormen in einem engen sachlichen Zusammenhang steht. …“ Das BAG läßt dynamische Verweisungen eines Tarifvertrages auf einen anderen also nur dann zu, wenn die Verweisung als „sachgerechte“ oder „sachnahe“ Regelung erscheint, insbesondere dann, wenn der bezogene Tarifvertrag vergleichbare Arbeitsbedingungen regelt – insbesondere beim Anschlußtarifvertrag 81. In diesem Sinne hat sich inzwischen die ganz herrschende Meinung auf ein Prinzip der Tarifverantwortung und ein Verbot der Selbstentäußerung von Tarifmacht verständigt 82. Dahinter steht ein einfacher Gedanke: Die
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Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 185 ff. BAG vom 27.7.1956 – 1 AZR 430/54 – AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich = BAGE 3, 303 ff.; vom 16.2.1962 – 1 AZR 167/61 – AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; ebenso Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts, II/1, 7. Aufl. (1967), S. 454; Gumpert Bezugnahme auf Tarifverträge in Arbeitsverträgen und Tarifverträgen, BB 1961, 1276, 1277. 80 BAG vom 9.7.1980 – 4 AZR 564/78 – EzA § 1 TVG Nr. 13 = AP Nr. 7 zu § 1 TVG Form m. Anm. Wiedemann = NJW 1981, 1574. 81 BAG vom 10.11.1982 – 4 AZR 1203/79 – EzA § 1 TVG Nr. 16 = AP Nr. 8 zu § 1 TVG Form = DB 1983, 717; vom 8.3.1995 – 10 AZR 27/95 – EzA § 1 TVG Nr. 40 = AP Nr. 5 zu § 1 TVG Verweisungstarifvertrag = NZA 1995, 947; vom 18.12.1996 – 4 AZR 129/96 – (Fn. 73). 82 Etwa Däubler/Däubler (Fn. 30) Einleitung Rn 144; Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 169 ff., 176 ff.; zurückhaltender Kempen/Zachert (Fn. 5) § 1 Rn. 795 ff.; Däubler/Reim 79
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Tarifautonomie ist den (Verbands-)Tarifparteien im Interesse ihrer Mitglieder anvertraut. Ihre Tarifmacht kann schon deshalb nicht auf Außenstehende übertragen werden, weil diese sich nicht in gleicher Weise auf dieses Mitgliederinteresse verpflichtet fühlen (können) und weil die Mitglieder an der tariflichen Willensbildung nicht mehr teilnehmen können. Sieht man die Tariffähigkeit als besondere tariffunktionale Geschäftsfähigkeit, so folgt dies schon aus dem Rechtsgedanken des § 165 BGB: Stellvertreter im Willen kann nur derjenige sein, der selbst befähigt ist, einen Tarifwillen zu bilden. Bestätigt wird dies durch die im Koalitions- und Tarifrechtssystem vorgeschalteten Sicherungen der Verbandsautonomie (oben I.1). Das aber hat entscheidende Folgen für Schlichtung und Stellvertretung: Weder dem Schlichter noch dem gewillkürten Verhandlungsführer kann es gestattet sein, eine „eigene Tarifpolitik“ zu betreiben und damit Tarifmacht zu beanspruchen. Die tarifrechtliche Letztverantwortung muß bei demjenigen Tarifträger verbleiben, in dessen Namen der Tarifvertrag abgeschlossen wird. Das verbietet von vornherein jede unwiderrufliche Vollmacht in Tarifsachen, weil damit der Vollmachtswiderruf als Korrekturinstrument ausschiede und dem Verhandlungsführer eine carte blanche ausgestellt wäre 83. Auch eine freie Abschlußvollmacht für den externen Verhandlungsführer eines Verbandes ist grundsätzlich ausgeschlossen 84. Das zeigt wiederum der Vergleich mit einer (unzulässigen) dynamischen Verweisung auf irgendeinen beliebigen Tarifvertrag: Wenn die Tarifregelung jener Tarifparteien nicht Gegenstand der Bezugnahme sein darf, dann können jene Tarifparteien ebensowenig durch Vollmachterteilung ermächtigt werden, ihre Regelung sachwidrig zur Geltung zu bringen. Immerhin läßt sich daran denken, die kollektive Selbstbestimmung dadurch zu sichern, daß der Verhandlungsführer auf die Weisungen der vertretenen Tarifpartei verpflichtet wird (§ 164 Abs. 2 BGB: sog. „gebundene Marschroute“) – um so sicherzustellen, daß die tarifpolitischen Grundentscheidungen beachtet werden 85. Dann könnte der Verhandlungsführer auch zum Abschluß nach Weisung berechtigt sein – weil er dann kein Vertreter im Tarifwillen, sondern ein solcher in der Tariferklärung ist. Unproblematisch ist eine bloße vorbereitende Verhandlungsführerschaft ohne Abschlußvollmacht: Sie ist keine Stellvertretung, weil der Verhandlungsführer die Tarifpartei nicht binden kann; deren Zustimmung zum Verhandlungsergebnis wird von den satzungsgemäßen Organen vollzogen. (Fn. 30) § 1 Rn. 184. Weiter Baumann Die Delegation tariflicher Rechtssetzungsbefugnisse (1992), S. 136 ff.; Reinermann Verweisungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen (1997), S. 82 ff. 83 Allgemein Staudinger/Schilken (2004) § 168 Rn. 8 ff. zum Ausschluß der unwiderruflichen Vollmacht. 84 Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 186. 85 Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 490.
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Die tarifpolitische Letztverantwortung bleibt gewahrt. Solange also der Verhandlungsführer nur paraphiert und damit keine wirksame Tarifurkunde unterzeichnet oder aber offen als Vertreter ohne Vertretungsmacht agiert, so daß die Genehmigung der Tarifpartei nach § 177 BGB erforderlich ist, liegt keine Fremdbestimmung im Tarifwillen vor. Für eine solche Verhandlungsführerschaft braucht es demgemäß aus rechtlicher Sicht keine Vollmacht, ja nicht einmal eines förmlichen Auftrages zur Verhandlungsführung. Tarifpolitisch sieht das anders aus. 3. Vertretungsprivileg für Spitzenverbände? Daß Spitzenorganisationen als Vertreter nach § 2 Abs. 2 TVG besonders genannt sind, kann auch den Sinn haben, ihnen einen gewissen Entscheidungsspielraum gegenüber den Mitgliedsverbänden einzuräumen – um widerstreitende Interessen bei einem für mehrere Mitgliedsverbände abgeschlossenen Tarifvertrag auszugleichen 86. Insofern ist diese Interessenausgleichsfunktion des Verhandlungsführers bei einem mehrgliedrig-einheitlichen Tarifvertrag unabweislich – und kann auch von einem Spitzenverband wahrgenommen werden. Der Gedanke trägt nicht für eine „Einzelvertretung“ nur eines Verbandes – hier gibt es keine unmittelbare Notwendigkeit für eine tarifliche Koordination. Indes kann der Gedanke einer kompensatorischen Tarifkoordinierung – die letztlich nur die Pilotwirkung eines Abschlusses in einer Branche auf die anderen Tarifgebiete aufnimmt, auf die Ebene der Stellvertretung gehoben werden: Soweit die Koordinierung autonomer Tarifpolitik zulässig ist, kann dies grundsätzlich auch im Wege der Stellvertretung „exekutiert“ werden. Die gewillkürte Vertretungsmacht ist zwar rechtstechnisch abstrakt, aber doch an das Grundverhältnis gebunden, wie § 168 Satz 1 BGB zeigt. Das eigentliche Problem liegt darin, wie dem Gebot der tariflichen Letztverantwortung des tarifschließenden Mitgliedsverbandes Rechnung getragen werden kann. Dieses gilt sowohl für die Koordinierungsbefugnis wie für die Stellvertretung – solange nicht der Spitzenverband selbst Tarifpartei ist oder aber in einem mehrgliedrigen Tarifvertrag denknotwendig ein interner Interessenausgleich erfolgen muß. Insofern bleibt gewiß das Verbot der unwiderruflichen Vollmacht bestehen – also das Gebot der gesetzesentsprechenden Widerruflichkeit: Auch gegenüber dem eigenen Spitzenverband darf der Mitgliedsverband sich seiner Tarifautonomie nicht begeben. Die autonome Entscheidung über den Vollmachtwiderruf sichert die Letztverantwortung des vollmachtgebenden Mitgliedsverbandes – der dann, wenn sich die vom Spitzenverband als Vertreter
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Löwisch/Rieble (Fn. 3) § 1 Rn. 197.
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verantwortete Tarifpolitik als nicht im Interesse des Mitglieder darstellt, dieser Tarifpolitik ein Ende setzen kann. Insofern ist der Vollmachtwiderruf das Analogon zum gleichfalls unabdingbaren Austrittsrecht des Verbandes aus dem Spitzenverband. Die bloße Widerruflichkeit sichert die Letztverantwortung des Mitgliedsverbandes nicht ausreichend. Denn sie kann nicht verhindern, daß der Spitzenverband mit einem fehlerhaften Abschluß das Interesse der Mitglieder des bevollmächtigenden Verbandes verletzt oder andere spitzenverbandliche Erwägungen vorgehen läßt. Insofern kann man erwägen, präventiv schon die Bevollmächtigung des Spitzenverbandes durch den Mitgliedsverband auf eine möglichst breite Legitimationsgrundlage zu stellen – insbesondere die Tarifkommission oder ein vergleichbares Verbandsorgan mit der Entscheidung über die Bevollmächtigung zu versehen. Auch könnte der Mitgliedsverband dem Spitzenverband eine gebundene Marschroute als Weisung mitgeben. Indes erscheint dies für die Tarifpraxis als zu unflexibel, weil jede unvorhersehbare Entwicklung der Verhandlungen dann die Rückkoppelung zu den Verbandsorganen im vertretenen Mitgliedsverband erforderte. Mir erscheint es plausibler, durch ein entsprechendes Verfahren sicherzustellen, daß der vertretene Mitgliedsverband notwendig in dem Verhandlungsgremium des Spitzenverbandes repräsentiert ist, so daß eine aus Sicht des Mitgliedsverbandes eintretende Fehlentwicklung jederzeit mit der „Reißleine“ des Vollmachtwiderrufs oder aber mit einer konkreten Weisung i.S.v. § 164 Abs. 2 BGB beantwortet werden kann. Damit ist einerseits sichergestellt, daß der Spitzenverband handlungsfähig ist; andererseits kommt ihm aber nicht das Recht zum unkontrollierten Tarifabschluß zu.
V. Ergebnisse 1. Tarifverbände haben ein Bedürfnis nach verbandsübersteigender Vereinheitlichung der Tarifpolitik, vor allem wenn regionale oder branchenspezifische Tarifverhandlungen einen „Pilotdruck“ auf andere Regionen oder verwandte Branchen erzeugen. 2. Instrument zur Vereinheitlichung der Tarifpolitik ist die einheitliche Tarifverhandlung, sei es durch einen Spitzenverband als Tarifpartei, sei es durch eine Tarifgemeinschaft der betroffenen Verbände. Daneben steht die nur interne Verhandlungskoordinierung. 3. Eine einheitliche Verhandlung muß nicht zu einem Einheitstarif führen. Denkbar ist auch der Abschluß eines schuldrechtlichen Tarifrahmens, der auf regionaler Ebene „konkretisiert“ wird, also die bestehenden Unterschiede in den Tarifniveaus und Tarifregelungen erhält und die im Tarifrahmen enthaltenen Regelungen als Änderungen in die regionalen Tarifsy-
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steme einpaßt. Nach dem BAG bedeutet dieser Anpassungsspielraum zugleich, daß der Arbeitskampf als Konfliktlösungsinstrument erhalten bleibt. 4. Den sozialen Gegenspieler bindet dies nicht; er wählt seinen Verhandlungspartner und Kampfgegner frei. 5. Jede Form der verbandsübersteigenden Tarifpolitik muß das Prinzip der tarifpolitischen Letztverantwortung des Einzelverbandes beachten; nur der Spitzenverband als eigenständige Tarifpartei hat ein eigenes tarifpolitisches Mandat. Hier bleibt die Selbständigkeit des Mitgliedsverbandes durch sein Austrittsrecht und seine Befugnis, abweichende und in der Tarifkonkurrenz vorrangige Tarifverträge abzuschließen, gewahrt. 6. Anstelle einheitlicher Verhandlungsführung nach außen ist eine koordinierte Tarifpolitik denkbar: Der Einzelverband verhandelt selbständig, stimmt aber seine Positionen mit den von der Pilotwirkung mittelbar betroffenen anderen Verbänden ab. Auch hier muß dem Verband die tarifpolitische Letztverantwortung im Mitgliederinteresse verbleiben; das Koordinierungsverfahren darf nicht zu einer Bevormundung führen. 7. Beide Wege – einheitlicher Tarifvertrag „nach außen“ oder Tarifkoordinierung „nach innen“ lassen sich mit einer Verhandlungsvollmacht verbinden – auch zugunsten eines Spitzenverbandes (§ 2 Abs. 2 TVG). Die zivilrechtliche Stellvertretung darf nicht in eine Delegation von Tarifmacht umschlagen. Unwiderrufliche und ungebundene Abschlußvollmachten sind unzulässig. 8. Unverbindliche tarifpolitische Beeinflussungen sind unproblematisch: Sowohl tarifpolitische Empfehlungen des Spitzenverbandes als auch eine bloße Verhandlungsführerschaft ohne Abschlußbefugnis beeinträchtigen die Tarifautonomie nicht. 9. In der Rechtsprechung des BAG ist das Prinzip der Letztverantwortung der Tarifpolitik bislang anhand der dynamischen Verweisung auf fremde Regelwerke entwickelt. Für verbandsübersteigende Koordinierungsbemühungen in der Tarifpolitik einer Branche hat das BAG bislang keine Einschränkungen formuliert. Die Fälle gaben hierzu keinen Anlaß.
Die beiderseits zu vertretende Unerbringbarkeit der synallagmatischen Leistung – Ein Konvergenzversuch Roland Schwarze I. Die These Nein, es soll hier keine neue Theorie zu diesem „Klassiker“ des Leistungsstörungsrechts vorgestellt werden. Ich will eine Art Konvergenz zwischen den beiden heute im Vordergrund stehenden Lösungsvorschlägen versuchen. Es wird das Interesse fördern, wenn ich mit einer These beginne, die einem Kenner wie dem verehrten Jubilar gewagt erscheinen mag. Meine These lautet: Es haben die heute vertretenen zwei „Haupttheorien“ mit ihren Aussagen zur Gegenleistungspflicht des Gläubigers beide Recht. Es stimmt die Aussage, dass der Gläubiger in vollem Umfang zur Gegenleistung verpflichtet bleibt. Und es stimmt die Aussage, die Gegenleistungspflicht mindere sich um das Mitverschulden des Schuldners. Es kommt nur auf die Situation an, auf die man diese Aussagen münzt. Ob das eine oder andere zutrifft, hängt davon ab, ob der Gläubiger von seinem Recht Gebrauch macht, Schadensersatz zu verlangen oder ob er es bei der bloßen „Abstandnahme“ vom Vertrag belässt. Und in diesem Sinne lässt sich die Rechtsprechung deuten. Wenn ich damit der vom Jubilar vertretenen Ansicht zum Teil (aber nur zum Teil) widerspreche, so tue ich dies in dem beruhigenden Bewusstsein seiner unvoreingenommenen Diskussionsbereitschaft, die ihn nicht nur als Wissenschaftler auszeichnet.
II. Die Ausgangspositionen 1. Ein Beispielsfall Vorweg ein Beispielsfall zur Anschauung:1 S habe dem G ein Kfz (Wert: 2100 €) verkauft. Es sei weiter verabredet worden, dass G vor der zu einem späteren Termin angesetzten Übergabe und Übereignung eine Probefahrt machen darf. Bei dieser Probefahrt fährt G das Fahrzeug zu Bruch (Totalschaden). Dabei sei neben der unvorsichtigen Fahrweise des G die von S fahrlässigerweise unrepariert gelassene 1
Fall in der Variante a) nach Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 75.
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defekte Bremse mitursächlich gewesen. Der Verschuldensanteil des Käufers G sei mit (1/3), der des Verkäufers S mit (2/3) angesetzt. Der vereinbarte Preis liege a) bei 1500 € (also unter dem Wert von 2100 €); b) bei 2400 € (also über dem Wert von 2100 €).
Wenn wir uns aus der Vielfalt der Meinungen 2 auf diejenigen konzentrieren, gegen die nicht von vornherein durchgreifende strukturelle 3 oder sachliche 4 Bedenken bestehen,5 können wir uns auf die eingangs erwähnten zwei Theorien beschränken.
2
Instruktive und eingehende Darstellung bei Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 65 ff.; Soergel/Gsell BGB, 13. Aufl., § 326 Rn. 84 ff.; ferner Baumann/Hauth JuS 1983, 273 ff. 3 Nicht überzeugen kann der unter Geltung des neuen Rechts erneut (zuvor Hadding AcP 168, 150, 166 ff.) unternommene Versuch, einen (um das Mitverschulden geminderten) Schadensersatzanspruch des Schuldners zu konstruieren, Rauscher ZGS 2002, 333, 335 f., Meier Jura 2002, 118, 128, z.T. Stoppel Jura 2003, 224 ff., Canaris FS W. Lorenz, 2004, S. 147, 158 ff. Es kann echte Pflichten des Gläubigers bezüglich der Ermöglichung der Leistung geben, doch lässt sich das ganze Spektrum der Gläubiger-Verantwortung nicht in einer „Pflicht, die Leistungskapazität des Schuldners nicht zu beeinträchtigen“ (so Canaris a.a.O., S. 160) erfassen. So bleiben solche Fälle der Unmöglichkeit unerfasst, in denen die Unmöglichkeit der Leistung darauf beruht, dass eine vom Gläubiger geschuldete Mitwirkung infolge beiderseitigen Mitverschuldens unmöglich wird (zB der Tennislehrer/Schuldner verletzt beim Unterricht fahrlässig den sich seinerseits regelwidrig verhaltenden Schüler/Gläubiger schwer, der auf ein Jahr angelegte Vertrag kann wegen bleibender Behinderung des Schülers nicht mehr durchgeführt werden). Zudem reicht die „Verantwortung“ des Gläubigers iSv § 326 Abs. 2 BGB weiter als das „Vertretenmüssen“ i.S.v. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB (zutr. Soergel/Gsell BGB, 13. Aufl., § 326 Rn. 91 ff.), hier müsste ad hoc gedehnt werden. Vor allem aber wird man die Frage stellen dürfen, warum der Gesetzgeber nicht auch im Falle des alleinigen Verschuldens des Gläubigers („erst recht“) die schadensersatzrechtliche Lösung wählt, sondern die vor dem Hintergrund einer solchen Lösung systembrechende und völlig überflüssige Norm des § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB schafft. Im Übrigen ist der von dieser Ansicht gezogene „Gegenschluss“ zu § 326 Abs. 2 BGB (Canaris a.a.O., S. 159) verfehlt, s. noch Fn. 25. Abl. dazu auch Staudinger/Otto BGB (2004) Rn. C 77 m.w.N. Vor allem aber ist das Ergebnis – Minderung des Anspruchs des Schuldners – unzutreffend, s. noch folgend im Text. 4 Zu holzschnittartig die „Theorie des überwiegenden Verschuldens“ von Th. Honsell (JuS 1979, 81 ff.), gegen sie überzeugend Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 70. Für eine gerechte Lösung nicht erforderlich, die Wahlbefugnis des Gläubigers (dazu im Folgenden) missachtend, in der Durchführung unnötig kompliziert und neue Probleme (Teilbarkeit!) aufwerfend die Aufspaltung des Vertrages in je einen „Block“ der Schuldner- und der Gläubigerverantwortung (dafür Faust JuS 2001, 133, 135, und dessen Selbsteinschätzung a.a.O., S. 140; ähnlich Stoppel Jura 2003, 224, 227; Rüssmann Liber amicorum E. Schmidt, 2005, S. 79 ff.). 5 Auf die überzeugend ablehnende Diskussion dieser Theorien bei Staudinger/Otto BGB (2004) Rn. C 70 ff. sei insoweit verwiesen.
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2. Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht Die bislang wohl in der Literatur überwiegend vertretene, auf Teubner zurückgeführte und nunmehr vom verehrten Jubilar 6 repräsentativ ausformulierte Theorie löst den Fall im Kern wie folgt: Der Gläubiger der zerstörten Leistung (G) erhält einen um sein Mitverschulden geminderten Schadensersatz statt der Leistung nach Maßgabe der Surrogationstheorie; umgekehrt steht dem Schuldner der zerstörten Leistung (S) der volle Gegenleistungsanspruch zu. Für die Fallvariante a) heißt dies: G erhält einen Schadensersatz in Höhe von 2100 € abzgl. 1/3 Mitverschulden = 1400 €, S erhält den vollen Kaufpreis in Höhe von 1500 €. Für die Fallvariante b) heißt dies: G erhält wiederum einen Schadensersatz in Höhe von 1400 € und zahlt einen Kaufpreis von 2400 €.7 Das Verschulden beider Parteien wird nach dieser Theorie also nur beim Schadensersatz berücksichtigt: das Verschulden des Schuldners begründet seine Schadensersatzpflicht, das Mitverschulden des Gläubigers mindert dieselbe. Die Gegenleistungspflicht des Gläubigers bleibt dagegen von Verschulden und Mitverschulden unbehelligt, sie bleibt in vollem Umfang bestehen. Nennen wir diese Lösung daher im Folgenden die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht. Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht ist entgegen einem ersten Eindruck nicht zwingend an die Schadensberechnung nach der Surrogationstheorie gebunden.8 Sie lässt sich durchaus auf der Basis der Differenztheorie realisieren,9 wenn auch nicht so elegant.10 Wenn man bei der Ermittlung des Schadens das Mitverschulden des Gläubigers nur auf das Interesse des Gläubigers (= Wert der Leistung) beschränkt und die Gegenleistung in voller Höhe abzieht, kommt man wirtschaftlich zum selben Ergebnis wie die 6
Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 73 ff. Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 75 f. 8 Auch unter Geltung des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB neigt die wohl h.M. zu der Annahme, der Gläubiger könne seinen Schadensersatz, wo sachlich geboten, nach der Surrogationstheorie abrechnen (Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. B 5 m.w.N.). Da dies sachlich einer reinen Anwendung der Differenztheorie überlegen war und ist und § 326 Abs. 1 S. 1 BGB in dieser Hinsicht wohl ein geringeres Maß an konzeptioneller Entscheidung zugrunde liegt, als man bei Inkrafttreten der Schuldrechtsreform annehmen konnte, gebe ich meine seinerzeit geäußerte Auffassung (Jura 2002, 73, 82) auf, mit § 326 Abs. 1 S. 1 BGB sei die Differenztheorie im Falle eines Leistungshindernisses die allein mögliche Form der Schadensberechnung. 9 Vgl. Teubner Gegenseitige Vertragsuntreue, 1975, S. 67 Fn. 127; Seichter Beiderseits zu vertretende Unmöglichkeit beim gegenseitigen Vertrag, Diss. Hamburg 1971, S. 44 ff., 60 ff. Ablehnend zur Möglichkeit dieser Schadensberechnung allerdings Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 73. Es ist zuzugeben, dass es sich um eine der Besonderheit der Fallkonstellation Rechnung tragende Modifizierung der Differenztheorie handelt. 10 Weshalb manches dafür spricht, den Gläubiger im Regelfall auf die Schadensberechnung nach der Surrogationstheorie zu beschränken. 7
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Surrogationstheorie:11 In der Fallvariante a) ergäbe sich aus 2100 € (Wert) – 1/3 (Mitverschulden des Käufers/Gläubigers) ein Betrag von 1400 € – abzüglich 1500 € (volle Gegenleistung) = – 100 € (Überschuss zu Gunsten des S). In der Fallvariante b) aus 2100 € – 1/3 = 1400 € – 2400 € = – 1000 € (= saldierter Überschuss zu Gunsten des S). Folgt man der Rechtsprechung des BGH darin, dass ein Überschuss zu Gunsten des Schuldners bei der Schadensberechnung nach der Differenztheorie auszukehren ist,12 stimmt das Ergebnis mit der Surrogationstheorie überein. 3. Die Theorie der geminderten Gegenleistungspflicht Die Gegenansicht, leidenschaftlich und vehement von Huber formuliert,13 widerspricht der Behauptung, die Gegenleistungspflicht des Gläubigers müsse – rechtlich oder zumindest rechnerisch – in voller Höhe zum Tragen kommen, vielmehr müsse sich der Schuldner sein (Mit-)Verschulden auf den ihm zustehenden Gegenleistungsanspruch genauso anrechnen lassen wie der Gläubiger zuvor sein (Mit-)Verschulden auf den ihm zustehenden Schadensersatzanspruch. Das führt in jedem Fall zu einem für den Schuldner (S) schlechteren Ergebnis. Um wie viel schlechter das Ergebnis ausfällt, hängt davon ab, welche Methode der Schadensberechnung man anwendet: Bei Anwendung der Surrogationstheorie ergäbe sich in Fallvariante a): G erhielte – wie bei der Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht – aus 2100 € (Wert) – 1/3 (Mitverschulden des Käufers/Gläubigers) einen Schadensersatz in Höhe von 1400 €; S erhielte – anders als bei der Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht – nicht den vollen Kaufpreis in Höhe von 1.500 €, sondern (abzüglich 2/3 Mitverschulden) nur in Höhe von 500 €. Es ergibt sich ein Saldo zugunsten des G in Höhe von 900 €. Bei Anwendung der Differenztheorie sind zwei Berechnungen denkbar, von denen hier die von Huber für richtig befundene wiedergegeben sei. Danach erhält G einen auf die Differenz gehenden Schadensersatzanspruch, der um seinen Mitverschuldensanteil zu mindern ist. Für Fallvariante a) ergäbe sich: G erhielte einen Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB: 2100 € – 1500 € = 600 € abzügl. des Mitverschuldens des G (1/3) = 400 €. Der
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Vgl. Seichter (Fn. 9), S. 44 ff., 60 ff.; Teubner (Fn. 9), S. 67. Allgemein BGH NJW 2001, 278, 279; zu einem solchen Ausgleichsanspruch im vorliegenden Kontext Teubner (Fn. 9), 1975, S. 67. 13 Huber Leistungsstörungen II, S. 738 ff.; insbes. S. 749 ff. Hubers Ausführungen beziehen sich auf das alte Recht, sind aber cum grano salis auf das neue übertragbar. Für das neue Recht nunmehr Soergel/Gsell § 326 Rn. 94 ff. Im Ergebnis übereinstimmend die schadensersatzrechtliche Lösung (Fn. 3), da sie den Schadensersatzanspruch des Schuldners wegen der entgegangenen Gegenleistung gem. § 254 BGB mindert (Canaris Fn. 3, S. 161). 12
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Verkäufer hätte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises entspr. § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB in Höhe von 1500 € abzüglich des Mitverschuldens des Verkäufers (2/3) = 500 €. Die Ansprüche sind ohne Aufrechnung zu verrechnen, woraus sich letztlich ein Anspruch des S auf Zahlung von 100 € ergibt. Diese Übereinstimmung mit der Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht ist eher ein „Zufallstreffer“, wie die Berechnung für die Fallvariante b) ergibt: Danach ergäbe sich mangels Schadens kein Schadensersatzanspruch für den G und ein um 2/3 Mitverschuldensanteil des Verkäufers/Schuldners geminderter Kaufpreisanspruch in Höhe von (2400 € – 2/3 =) 800 €, also ein um 200 € schlechteres Ergebnis für den Schuldner S. Charakteristisch für diese Berechnung der Ansprüche ist die doppelte Berücksichtigung der Gegenleistung, einmal (in voller Höhe) als Abzugsposten bei Berechnung des Schadensersatzes, sodann ein zweites Mal, indem dem Schuldner ein Anspruch auf die (geminderte) Gegenleistung aus § 326 Abs. 2 BGB zugestanden wird.14 Sie ist eine konsequent gezogene Folgerung aus der kumulativen Anwendung der §§ 280, 283 BGB und des § 326 Abs. 2 BGB.15 Im Ergebnis bestätigt die Fallanwendung, dass der Schuldner – es kann nicht anders sein – schlechter steht, wenn sein Verschulden sich mindernd auf den ihm zustehenden Gegenleistungsanspruch auswirkt. Je nach Schadensberechnungsmethode („Differenztheorie“, „Surrogationstheorie“) fällt dieser Unterschied größer oder kleiner aus.
III. Die gegenleistungsmindernde Wirkung des Schuldner-Verschuldens als Kern des Streits Versuchen wir, wie es sich für einen Konvergenzversuch gehört, Gemeinsames und Trennendes beider Positionen zu sichten, so ist festzuhalten: Beide Theorien stimmen darin überein, dass das Verschulden sowohl des Schuldners wie des Gläubigers von Bedeutung für die gegenseitigen Ansprüche sein muss. Beide Theorien stimmen ferner darin überein, dass das (Mit-)Verschulden des Gläubigers bei der Berechnung des ihm zustehenden Schadensersatzanspruchs mindernd zu berücksichtigen ist. Beide Theorien stimmen auch 14 Huber Leistungsstörungen II, S. 755 f., bestreitet das, doch zu Unrecht. Er behauptet, die Gegenleistung werde, solange sie nicht erbracht worden sei, überhaupt nicht „angesetzt“. Nun berechnet Huber – in Anlehnung an eine von Teubner besprochene Fallgestaltung – den Schaden des Käufers eines Pkw (der vor der Lieferung durch Verschulden beider Seiten zerstört wurde) wie folgt: Der Wert des Fahrzeugs belaufe sich auf 3000, der – noch nicht gezahlte – Kaufpreis betrage 3000, folglich belaufe sich der Schaden nach der Differenztheorie auf 0. Eben damit – indem er den Kaufpreis vom Wert abzieht – berücksichtigt Huber rechnerisch die Gegenleistung (das wird deutlicher, wenn man den Wert mit 5000 ansetzt und somit zu einem Schaden von 2000 kommt). Und er berücksichtigt sie in der anschließenden Anwendung des § 326 Abs. 2 BGB ein zweites Mal. 15 Näher dazu unter VI.
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darin überein, dass das Verschulden des Schuldners von Bedeutung sein muss. Sie stimmen nicht darin überein, wie („an welcher Stelle“) das Verschulden des Schuldners zu berücksichtigen ist. Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht sieht das Verschulden des Schuldners durch die Begründung des Schadensersatzanspruchs „konsumiert“, so dass es bei der Gegenleistungspflicht nicht ein weiteres Mal – anspruchsmindernd – berücksichtigt werden kann. Deshalb bleibt es bei der ungeminderten Gegenleistungspflicht. Die Theorie der geminderten Gegenleistungspflicht will das Verschulden des Schuldners dagegen anspruchsmindernd beim Gegenleistungsanspruch des Gläubigers berücksichtigen und gelangt so zu einem für den Schuldner ungünstigeren Ergebnis.
IV. Die rechtliche Grundlage für die Gegenleistungspflicht als Kern des Problems Was führen beide Theorien für ihren Standpunkt an? Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht meint – es wurde schon gesagt – das Verschulden des Schuldners dürfe nicht doppelt berücksichtigt werden. Diesem Argument liegt eine einleuchtende Gerechtigkeitsvorstellung zugrunde, die Gleichbehandlung beider Seiten. Gegen diese Forderung wird man nichts sagen können, aber doch die Frage stellen müssen, worin hier eine „gleiche“ Behandlung zu sehen ist. Ob sie wirklich darin besteht, das Verschulden auf jeder Seite nur einmal zu berücksichtigen. Es könnte eine ausreichende Begründung für die „doppelte“ Berücksichtigung des Schuldner-Verschuldens geben und gerade darin die „gleiche“ Behandlung liegen. Damit sind wir bei der Begründung, die die Theorie der geminderten Gegenleistungspflicht uns liefert: Die Gegenleistungspflicht stütze sich, wie auch die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht annehme, auf § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB, beruhe also normativ auf der Verantwortung (dem „Verschulden“) des Gläubigers. Wenn aber der Gläubiger wegen seines „Verschuldens“ zur Gegenleistung verpflichtet sei, müsse er mindernd auf das Mitverschulden des Schuldners verweisen dürfen (wie der Schuldner dies gegenüber der an sein Verschulden anknüpfenden Schadensersatzpflicht dürfe).16 In der Tat wäre diese Begründung kaum von der Hand zu weisen, träfe es zu, dass der Gegenleistungsanspruch in der vorliegenden Konstellation auf § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB (analog), also normativ auf der Verantwortung des Gläubigers beruhte. Das aber ist nicht der Fall. 16 Huber Leistungsstörungen II, S. 749 ff. In der Sache genauso die schadensersatzrechtliche Lösung (Fn. 3), die den Schuldner über einen Schadensersatzanspruch gegen den Gläubiger schützt, also auf das „Verschulden“ des Gläubigers abstellt und diesen Anspruch gem. § 254 BGB kürzt.
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V. Die Abhängigkeit der Anspruchsgrundlage für die Gegenleistungspflicht von der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs Beide der zuvor skizzierten Theorien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Vergütungsanspruch des Schuldners im Falle beiderseitiger Verantwortlichkeit auf einer (analogen) Anwendung des § 326 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. BGB beruhe.17 In der Tat steht der Erbringung der Leistung ein Leistungshindernis (§ 275 BGB) entgegen und hat der Gläubiger dieses Leistungshindernis (mit) zu vertreten. Diese Betrachtung übersieht indessen einen entscheidenden Punkt. Es sollte unstreitig sein, dass der Gläubiger aus dem vertraglichen Synallagma zur Gegenleistung verpflichtet ist, wenn er die Leistung erhält. Erhält er nun statt der Leistung Schadensersatz (für die unterbliebene Leistung), bleibt es bei dieser Gegenleistungspflicht aus dem Synallagma. Der Gläubiger erhält – wenn auch nur in Gestalt eines Ersatzes – das, was ihm zusteht,18 also muss er die Gegenleistung erbringen. So verhält es sich unstreitig, wenn der Schuldner allein das Leistungshindernis verschuldet: Dann tritt an Stelle der untergegangenen Leistung deren Wert (sei es nur rechnerisch, sei es in Gestalt eines Ersatzanspruchs), ihr gegenüber tritt der volle Gegenleistungsanspruch. An der ungeminderten Gegenleistungspflicht kann sich nun nichts ändern, wenn den Gläubiger ein Mitverschulden trifft.19 Wenn selbst der „allein schuldige“ Schuldner den vollen Gegenleistungsanspruch hat, muss er erst recht dem nur „mitschuldigen“ Schuldner zustehen.20 Konstruktiv ergibt sich dies unter Geltung des neuen Rechts wie folgt: 17
Für die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 73, der die kumulative Anwendung zudem als einmütigen Ausgangspunkt charakterisiert (Rn C 70 m.w.N. für die alte Rechtslage, von der sich die neue aber letztlich nicht unterscheidet); für die Theorie der geminderten Gegenleistungspflicht Huber Leistungsstörungen II, S. 749 ff. 18 Canaris (Fn. 3), S. 171, meint, Leistung in natura und Geldersatz seien „nicht miteinander vergleichbar“. Indessen: Canaris wird nicht bestreiten wollen, dass bei alleinigem Verschulden des Schuldners der Gläubiger zur Gegenleistung in vollem Umfang verpflichtet bleibt, wenn er sich für den Schadensersatz entscheidet und damit anstelle der Leistung in natura einen entsprechenden Geldersatz erhält. Ist der Geldersatz hier kein Grund zur Minderung der Gegenleistung, kann er es bei beiderseitigem Verschulden genauso wenig sein! Das entscheidende Argument für die volle Gegenleistungspflicht – der Gläubiger erhält in Form des Geldersatzes das, was ihm zusteht – wird von Canaris also nicht entkräftet. 19 Abl. zu diesem Argument unter Geltung des neuen Rechts Canaris (Fn. 3), S. 170: § 326 Abs. 1 BGB lasse den Anspruch auf die Gegenleistung entfallen. Canaris selbst geht aber davon aus, dass die Schadensberechnung auch nach der Surrogationsmethode erfolgen könne (S. 179), womit der Anspruch der Gegenleistung im Rahmen der Schadensberechnung wieder in voller Höhe entsteht. § 326 Abs. 1 BGB ist daher kein hinreichendes Gegenargument. 20 Damit wird das von den Parteien vereinbarte Synallagma gewahrt.
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Mit Eintritt des Leistungshindernisses entfällt nach der Leistungspflicht (§ 275 BGB) gem. § 326 Abs. 1 BGB ipso iure auch die Gegenleistungspflicht.21 Sobald der Gläubiger vom Schuldner Schadensersatz statt der Leistung verlangt,22 entsteht die Gegenleistungspflicht wieder, entweder als richtiger Anspruch nach Maßgabe der Surrogationstheorie 23 oder zumindest als Rechnungsposten im Rahmen der Schadensberechnung nach Maßgabe der Differenztheorie.24 Der „Aufrechterhaltung“ des Anspruchs aus § 326 Abs. 2 BGB bedarf es also nicht, wenn der Gläubiger Schadensersatz fordert, ebenso wenig des Rückgriffs auf die Verantwortung des Gläubigers. Dies lässt sich ebenso gut von der anderen Seite her, von § 326 Abs. 2 BGB aus, begründen: § 326 Abs. 2 BGB verpflichtet den Gläubiger zur Leistung, obwohl er keine Leistung erhält, ist also tatbestandlich und der Sache nach nicht anwendbar, wenn der Gläubiger das ihm Zustehende (in Natur oder als Geldersatz) bekommt.25 Beruht die Gegenleistungspflicht auf dem vertraglichen Austauschverhältnis und nicht auf § 326 Abs. 2 BGB, entfällt die normative Grundlage für eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB auf die Gegenleistungspflicht, die ja darin bestand, dass sich die Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht in § 326 Abs. 2 BGB auf das „Verschulden“ des Gläubigers stützt. Das Verschulden des Gläubigers ändert nichts am vertraglichen Synallagma und an der synallagmatischen Natur der ausgetauschten Leistungen. Deshalb ist nichts Unrechtes daran, den Gläubiger zur vollen Gegenleistung zu verpflichten, dies ergibt sich aus dem vertraglichen Synallagma.26 Nur wenn der 21 Näher Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. B 10. Es ist dabei letztlich zweitrangig, ob man vom Fortbestand des ursprünglichen Leistungsanspruchs ausgeht oder von dessen Wiederherstellung zum Zwecke der Schadensabwicklung. 22 Dies kann der Gläubiger auch dann noch, wenn er sich gegenüber dem Schuldner bereits auf die Befreiung von der Gegenleistungspflicht berufen hat, Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. B 10 aE. 23 Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. B 5, B 8. 24 Staudinger/Otto BGB (2004) § 280 Rn. E 54. 25 Deshalb kann man für den Fall beiderseitigen Verschuldens aus § 326 Abs. 2 BGB keinen „Gegenschluss“ dahingehend ziehen, dass der Anspruch auf die Gegenleistung entfalle, da nicht ein „weit überwiegendes“ Verschulden des Gläubigers vorliege (so die in Fn. 3 angeführten Autoren, die daraus die weitere systemwidrige Folgerung ziehen, dem Schuldner sei ein Schadensersatzanspruch gegen den Gläubiger zu gewähren). § 326 Abs. 2 BGB sagt von vornherein nichts – auch nichts Negatives – über die Situation, in der dem Gläubiger ein Schadensersatzanspruch zusteht. Ein „Gegenschluss“ zu § 326 Abs. 2 BGB lässt sich nur dahin ziehen, dass die Vorschrift bei nicht weit überwiegendem Verschulden des Gläubigers nicht anwendbar ist und dass es bei nicht weit überwiegendem Verschulden des Gläubigers keine volle Gegenleistung gibt. 26 A.A. freilich (auf Grundlage der schadensersatzrechtlichen Lösung, vgl. Fn. 3) Canaris (Fn. 3), S. 151, der darin eine Verschiebung der vertraglich vereinbarten Wertrelation sieht. Es gehen aber doch beide Posten – Leistung und Gegenleistung – mit dem von den Parteien veranschlagten Wert ein und die Berücksichtigung des Mitverschuldens nur bei der Leistung erklärt sich damit, dass es nur dort zum Schadensfall gekommen ist.
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Kaufpreis verdeckter Schadensersatz wäre, wäre die von Huber ausgegebene Leitlinie richtig, dass die Gegenleistung stets um das Mitverschulden des Schuldners gekürzt werden müsse.27 Das aber ist nicht der Fall. Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht hat daher Recht, wenn sie den Gläubiger zur vollen Gegenleistung verpflichtet, wenn und soweit dieser Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Sie enthält sich allerdings ihr entscheidendes Argument selbst vor, indem auch sie in § 326 Abs. 2 BGB die normative Grundlage für die Gegenleistungspflicht sieht.28 Und sie handelt sich mit der Anwendung des § 326 Abs. 2 BGB das weitere Problem ein, den Vergütungsanspruch um ersparte Aufwendungen mindern zu müssen,29 was der synallagmatischen Betrachtung widerspricht.30
VI. Die Wahlbefugnis des Gläubigers Die tiefere Ursache dafür, dass beide Theorien, auch die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht, die Gegenleistungspflicht im Fall des beiderseitigen Verschuldens auf § 326 Abs. 2 BGB stützen, liegt in einer bestimmten Beschreibung des Rechtsfortbildungsbedarfs. Übereinstimmend geht man davon aus, das BGB habe das Problem des beiderseitigen Vertretenmüssens nicht geregelt.31 Die Regelungslücke wird nun darin gesehen, dass beide Normen – §§ 280, 283 BGB32 und § 326 Abs. 2 BGB – kumulativ
27 Huber Leistungsstörungen II, S. 756. Zu der schroffen Ablehnung der vollen Gegenleistungspflicht durch Huber („absurd“) will nicht recht passen, dass Huber selbst (a.a.O., S. 757 f.) den Anspruch auf ungeminderte Gegenleistung in dem Fall bejaht, in dem nach seiner Ansicht allein die Surrogationstheorie anwendbar ist, nämlich bei beiderseitigen Sach- bzw. Dienstleistungen (z.B. beim Tauschvertrag). Es kann doch keinen Unterschied machen, dass es in dem einen Fall um einen Kauf, im anderen um einen Tausch geht. 28 Teubner Gegenseitige Vertragstreue, S. 66; ders. NJW 1975, 2295, 2296. 29 Vgl. das anschauliche Beispiel bei Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 79. 30 Die dadurch entstehenden Wertungswidersprüche müssen wiederum korrigiert werden, vgl. Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 79. 31 Anders für das neue Recht Gruber JuS 2002, 1066, 1067, der in der kumulativen Anwendbarkeit der §§ 280, 283 BGB und des § 326 Abs. 2 BGB gerade die gesetzliche Lösung sieht, dabei aber übersieht, dass der Schadensersatzanspruch nur bei Geltendmachung durch den Gläubiger entsteht, dass ferner mit Entstehung des Schadensersatzanspruchs § 326 Abs. 2 BGB nicht anwendbar ist. S. ferner die Kritik von v. Olshausen JuS 2003, 312. Canaris (Fn. 3, S. 156 f.) sieht zwar keine besondere Regelung der Problematik im neuen Recht, betrachtet aber die schadensersatzrechtliche Lösung (Fn. 3) als die dem Gesetz gemäße, d.h. die aus der Anwendung der allgemeinen Regeln sich ergebende Lösung. 32 Bei anfänglichem Leistungshindernis wäre § 311a Abs. 2 BGB heranzuziehen, die Problemstellung bleibt im Wesentlichen dieselbe (näher Staudinger/Otto BGB (2004) Rn. C 83 ff.).
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anwendbar seien, da sie jeweils isoliert an das Verschulden der einen oder anderen Seite anknüpften. Folgt man dem, dann besteht die Rechtsfortbildungsaufgabe darin, unter kumulativer Anwendung beider Normen deren Rechtsfolgen jeweils an die besondere Situation (Mitverschulden des Anspruchstellers) anzupassen. Macht man damit Ernst, löst man den Fall gewissermaßen zweimal: Einmal nach §§ 280, 283 BGB, zum zweiten nach § 326 Abs. 2 BGB unter jeweiliger Kürzung des Anspruchs wegen Mitverschuldens, man gibt also jeder Partei das, was ihr nach „ihrer“ Norm (unter Abrechnung ihres Mitverschuldens) zusteht.33 Es wäre daher durchaus die Theorie der geminderten Gegenleistungspflicht im Recht, träfe die Annahme zu, dass beide Normen kumulativ anzuwenden seien.34 Indessen: § 326 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der Leistungsaustausch nicht stattfindet. § 326 Abs. 2 BGB ist nicht anwendbar, wenn dem Schuldner die Gegenleistung bereits aus dem vertraglichen Austauschverhältnis zusteht, was der Fall ist, wenn der Gläubiger sich für den Schadensersatz entscheidet. Die beiden Normen – §§ 280, 283 BGB und § 326 Abs. 2 BGB – sind daher nicht kumulativ, sondern alternativ anwendbar. Sie konkurrieren nicht miteinander, sondern kommen alternativ zur Anwendung je nachdem, ob der Gläubiger Schadensersatz verlangt oder nicht. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur gelangen, wenn man die Wahlbefugnis des Gläubigers für die vorliegende Fallkonstellation von vornherein in Abrede stellen wollte, also die Wahlbefugnis zwischen Schadensersatz oder bloßer „Abstandnahme“ 35 wegen des Verschuldens des Gläubigers als ausgeschlossen ansähe. Aber das tut niemand und es gibt auch keinen vernünftigen Grund dafür, den Gläubiger zu seinem Glück zu zwingen und ihm den Schadensersatzanspruch gegen seinen Willen aufzudrängen. Denn die Interessen des Schuldners sind in beiden Konstellationen gewahrt (s. unter VII). Schließlich spricht § 323 Abs. 6 BGB ein klares Wort: Wenn selbst das schärfste Recht des Gläubigers (der Rücktritt) erst bei praktisch alleinigem Verschulden des Gläubigers entfällt, können ihm minder einschneidende Rechte nicht wegen eines geringeren (Mit-)Verschuldens genommen werden.
33 Repräsentativ Huber Leistungsstörungen II S. 752 f. und passim. Zur daraus resultierenden zweimaligen Anrechnung der Gegenleistung s. oben Fn. 14. Der Sache nach ebenso die schadensersatzrechtliche Lösung (Fn. 3). 34 Anders gesagt: Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht macht mit der kumulativen Anwendung beider Normen in der Falllösung nicht wirklich Ernst. 35 Nach neuem Recht muss der Gläubiger die Abstandnahme nicht besonders erklären, der Gegenleistungsanspruch entfällt auch bei Vertretenmüssen des Schuldners ipso iure, vgl. Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. B 5, B 10. Zum Fortfall des Gegenleistungsanspruchs führt also bereits die bloße Untätigkeit des Gläubigers.
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VII. Bedeutung der Wahl für die Gegenleistungspflicht Der Rechtsfortbildungsbedarf beschränkt sich folglich darauf, die nach der Entscheidung des Gläubigers jeweils anwendbare Norm (§§ 280, 283 BGB, § 311a BGB oder § 326 Abs. 2 BGB) so anzupassen, dass die Verantwortung beider Seiten bei der Verteilung der Folgen zum Tragen kommt. 1. Die ungeminderte vertragliche Gegenleistungspflicht bei Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs Entscheidet sich der Gläubiger für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs aus §§ 280, 283 BGB, entsteht die Gegenleistungspflicht in voller Höhe, je nach Situation und Präferenz für Surrogations- oder Differenztheorie als echter Anspruch oder zumindest als Rechnungsposten. Die Begründung dafür wurde oben (unter V.) bereits gegeben. Der gesetzlich vorgegebene und sachlich richtige Weg, das Verschulden des Gläubigers „einzuspeisen“, ist die Regelung in § 254 BGB. Dies entspricht der – in sich völlig überzeugenden – Lösung, die die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht vorschlägt. 2. Die geminderte Vergütungspflicht aus § 326 Abs. 2 BGB bei Nichtgeltendmachung des Schadensersatzanspruchs Sieht der Gläubiger von der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs ab (wozu er bei einem für ihn sehr ungünstigen Austauschverhältnis allen Anlass haben kann 36), kann der Vergütungsanspruch des Schuldners nicht unmittelbar aus dem vertraglichen Austauschverhältnis kommen. Vielmehr wird der Fortfall des Gegenleistungsanspruchs nach § 326 Abs. 1 BGB hier nur durch § 326 Abs. 2 BGB verhindert, ruht also auf der Verantwortung des Gläubigers. Zwar handelt es sich nur um eine Mitverantwortung, aber das rechtfertigt zumindest die analoge Anwendung des § 326 Abs. 2 BGB. Stützt sich die Gegenleistungspflicht nun aber einzig auf die Verantwortung („Verschulden“) des Gläubigers, kann das (Mit-)Verschulden des Schuldners nicht außer Acht bleiben. Alles andere wäre wertungswidrig. Das kann auch die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht nicht anders sehen, denn ihr Hauptargument – das Verschulden des Schuldners dürfe nicht zweimal verwertet werden – trifft hier nicht zu. Da der Schuldner nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, wird ihm sein Verschulden insoweit nicht angelastet. Das von der Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht aufgestellte Verbot der doppelten Anrechnung des
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Beispiel im Text unter VIII.
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Schuldner-Verschuldens wird also nicht verletzt. Die Theorie der ungeminderten Gegenleistungspflicht sieht dies der Sache nach nicht anders, da auch sie die Gegenleistungspflicht des Schuldners mindert, freilich auf anderem Wege: So soll sich der Schuldner, der die Gegenleistung einklagt, vom Gegenleistungsanspruch den (nach der Surrogationstheorie berechneten) Schadensersatzanspruch des Gläubigers aus §§ 280, 283 BGB abziehen lassen müssen.37 Das ist allerdings eine zweifelhafte Methode: Denn es muss erstens ein Schadensersatzanspruch ohne oder gegen den Willen des Gläubigers und damit im Widerspruch zu einer leistungsstörungsrechtlichen Grundwertung konstruiert werden. Zweitens kann sich dies zum Nachteil des Gläubigers auswirken, denn bei einem für ihn sehr ungünstigen Vertrag ist die Nichtgeltendmachung des Schadensersatzes unter Aufrechterhaltung eines gekürzten Gegenleistungsanspruchs für den Gläubiger günstiger.38 Das für ihn nach Lage der Dinge günstigere Recht geltend zu machen ist aber eine Befugnis, die dem Gläubiger vom Gesetz eingeräumt wird und von der abzusehen auch im Falle beiderseitigen Verschuldens kein Grund besteht (arg. § 323 Abs. 6 BGB), solange die Interessen des Schuldners auch bei der für den Gläubiger günstigeren Lösung ausreichend gewahrt sind. Der systemkonforme Weg liegt in der Minderung der Gegenleistungspflicht analog § 254 BGB. Abgesichert werden muss der Anspruch des Schuldners aus § 326 Abs. 2 BGB (analog) gegen die Befugnis des Gläubigers zum Rücktritt, die ihm nach § 326 Abs. 5 BGB grundsätzlich zusteht. Einigkeit sollte erzielbar sein darüber, dass der Gläubiger sich nicht durch Rücktritt seiner (Teil-)Vergütungspflicht nach § 326 Abs. 2 BGB entziehen darf, auch wenn § 323 Abs. 6 BGB das Rücktrittsrecht nur bei „weit überwiegendem“ Verschulden ausschließt. Hier besteht der gangbare Weg darin, die Folgen des Rücktritts auf jenen Teil des Synallagmas zu beschränken, der dem Verschuldensanteil des Schuldners entspricht, der ihm also nicht zusteht.39 3. Die Ausübung der Wahlbefugnis Es gibt keine strenge zeitliche Vorgabe für die Entscheidung des Gläubigers darüber, ob er den Schadensersatzanspruch geltend machen will oder nicht. Wenn und solange eine derartige Entscheidung nicht vorliegt, hat der Schuldner analog § 326 Abs. 2 BGB Anspruch auf die geminderte Gegenleistung. Entscheidet sich der Gläubiger für den Schadensersatzanspruch, ist § 326 Abs. 2 BGB nicht mehr anwendbar, sondern allein die §§ 280, 283 BGB. Es dürfte sinnvoll sein, die Befugnis, vom einen zum anderen zu wech37
Staudinger/Otto BGB (2004) Rn. C 73. Näher im Text unter VIII. 39 Staudinger/Otto BGB (2004) Rn. C 81, 2. Absatz, dort auch näher zur Lösung bei unteilbaren Leistungen. 38
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seln, gewissen zeitlichen Grenzen zu unterwerfen, insbesondere den Schuldner gegen überraschende Änderungen, die seine Dispositionen (insbes. Klageerhebung) zunichte machen, abzusichern. Das gehört indessen in den Zusammenhang des ius variandi und kann hier nicht weiter verfolgt werden.40
VIII. Erprobung Vergewissern wir uns der Richtigkeit unserer Analyse anhand des eingangs geschilderten Beispielfalles. 1. Gläubiger macht Schadensersatzanspruch geltend a) Schadensberechnung nach der Surrogationstheorie In der Fallvariante a) kann der Gläubiger nach der Surrogationstheorie einen Schadensersatz in Höhe von 2.100 € abzüglich 1/3 Mitverschulden, also 1.400 € geltend machen. Er erhält damit das, was ihm nach dem Synallagma zusteht (eingedenk seines Mitverschuldens). Daher muss er aufgrund des Austauschverhältnisses des Kaufvertrages (nicht aus § 326 Abs. 2 BGB) den Kaufpreis in voller Höhe zahlen, also 1.500 €. Das ergibt einen Saldo zugunsten des Schuldners (Verkäufers) von 100 €.41 In der Fallvariante b) kann der Gläubiger nach der Surrogationstheorie einen Schadensersatz in Höhe von 2.100 € abzügl. 1/3 Mitverschuldensanteil, also 1.400 € verlangen, hat aber anderseits die ungeminderte Gegenleistung in Höhe von 2.400 € zu erbringen. Das ergibt einen Saldo zugunsten des Schuldners in Höhe von 1000 €, worin sich der für den Schuldner/Verkäufer günstigere, weil höhere Preis abbildet. b) Schadensberechnung nach der Differenztheorie Dasselbe Ergebnis lässt sich auch auf der Grundlage der Differenztheorie erzielen. Macht der Gläubiger den Schadensersatzanspruch geltend, so berechnet sich der Schaden wie unter II.2. ausgeführt und führt zum selben Ergebnis wie die Berechnung nach der Surrogationstheorie.42
40
Dazu Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. B 11. Vgl. Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 75. 42 Die von Huber vorgeschlagene Schadensberechnung nach der Differenzmethode (oben unter II.3.) wäre nur richtig, wenn der Vergütungsanspruch des Gläubigers der Minderung um sein Mitverschulden unterworfen würde, was aus den erwähnten Gründen unzutreffend ist. 41
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2. Gläubiger macht Schadensersatzanspruch nicht geltend Macht der Gläubiger in der Fallvariante a) keinen Schadensersatzanspruch geltend, kann der Schuldner seinen Vergütungsanspruch nur auf § 326 Abs. 2 BGB stützen; dieser ist um das Mitverschulden des Schuldners zu kürzen. Der Schuldner könnte demnach 1.500 € abzügl. 2/3 Mitverschuldensanteil, also 500 € fordern. Für den Gläubiger ist demnach die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs in der Fallvariante a) günstiger, da er günstig, nämlich weit unter Wert eingekauft hat. In der Fallvariante b) würde der Gläubiger den Kaufpreis (2.400 €) abzüglich 2/3 Mitverschulden des Schuldners, also 800 € zu zahlen haben, also wirtschaftlich besser stehen als bei Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs (wo sich der Saldo zu Gunsten des Schuldners auf 1.000 € beläuft, s.o.). Darin drückt sich das für den Gläubiger ungünstigere Wertverhältnis aus: Je höher die Gegenleistung über dem Wert der Leistung liegt, desto dringlicher wird es für den Gläubiger, den Gegenleistungsanspruch nicht voll zu Buche schlagen zu lassen, sondern ihn um das Mitverschulden des Schuldners zu mindern. Um so eher lohnt es sich für den Gläubiger, von der Geltendmachung des Schadensersatzes abzusehen und den Schuldner nach § 326 Abs. 2 BGB vorgehen zu lassen.
IX. Abgleich mit der Rechtsprechung Es bleibt zu zeigen, dass die Rechtsprechung sich auf der vorstehend gezeichneten Linie bewegt, dass sie also dann, wenn der Gläubiger Schadensersatz verlangt (und typischerweise der Kläger ist), von einer ungeminderten Gegenleistungspflicht ausgeht und dann, wenn der Gläubiger keinen Schadensersatz verlangt und allein der Schuldner (typischerweise als Kläger) die Gegenleistung fordert, den Anspruch auf die Gegenleistung um das Mitverschulden des Schuldners mindert. Huber hat die über lange Zeit ganz verbreitete, ja allgemeine Ansicht 43 widerlegt, die Rechtsprechung wähle je nach dem, ob der Schwerpunkt des Verschuldens beim Schuldner oder beim Gläubiger liegt, die eine (§§ 280, 283 BGB) oder andere (§ 326 Abs. 2 BGB) Norm als Ausgangspunkt ihrer Lösung.44 In Wahrheit, so Huber, beruhe die Entscheidung über die zur Lösung heranzuziehende Norm auf der prozessualen Konstellation, in der der Streit ausgetragen werde – ob der Gläubiger – Schadensersatz fordernd – als Kläger auftrete (dann §§ 280, 283 BGB) oder ob der Schuldner – die Gegenleistung einfordernd – der Kläger sei (dann § 326 Abs. 2 BGB).45 So überzeugend die Widerlegung jener Rezeption der 43 44 45
Dokumentiert bei Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 71. Zu dieser Annahme gab RGZ 71, 187, 192 allen Anlass. Huber Leistungsstörungen II, S. 743 ff.
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Rechtsprechung ist, so wenig mag man glauben, dass der Zufall der prozessualen Rollenverteilung darüber entscheidet, nach welchen Normen die Rechtsprechung materiell entscheidet. Indessen ist die Verteilung der prozessualen Rollen – wer ist Kläger, wer ist Beklagter – nur scheinbar ohne Bedeutung für die Anspruchsgrundlage. Typischerweise bildet sich in der prozessualen Rollenverteilung das nach der hier vertretenen Auffassung materiellrechtlich entscheidende Datum ab: ob nämlich der Gläubiger Schadensersatz verlangt (dann wird typischerweise er der Kläger sein und dann ist es materiellrechtlich richtig, mit §§ 280, 283 BGB anzusetzen) oder ob er es nicht tut (dann wird typischerweise der Schuldner – auf die Gegenleistung – klagen und dann ist es richtig, mit § 326 Abs. 2 BGB anzusetzen). Insoweit kann man die Rechtsprechung durchaus im Sinne einer alternativen Heranziehung der §§ 280, 283 BGB bzw. § 326 Abs. 2 BGB verstehen – nicht orientiert am Schwerpunkt des Verschuldens, sondern daran, welche Rechte geltend gemacht werden. Lässt sich die Rechtsprechung also dahin deuten, dass bei der zur Lösung heranzuziehenden Norm danach zu differenzieren ist, ob der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung fordert oder nicht, bleibt noch zu zeigen, dass die Rechtsprechung entlang dieser Linie entscheidet, ob die Gegenleistungspflicht in voller oder in geminderter Höhe besteht. Eine Bestätigung für die erste Konstellation, in der der Gläubiger keinen Schadensersatz verlangt und der Schuldner auf Zahlung der Gegenleistung klagt, lässt sich der Rechtsprechung ohne weiteres entnehmen. So spricht das RG 46 dem auf die Gegenleistung klagenden, nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Schuldner nur einen um seinen Mitverschuldensanteil (5/6) gekürzten Teil der Vergütung (also 1/6) zu. Schwieriger ist die Beweisführung für den anderen Teil der Fälle, in denen der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung fordert und der Schuldner deshalb einen Anspruch auf die ungeminderte Gegenleistung haben müsste, da einschlägige Entscheidungen rar sind.47 Zur Veranschaulichung sei ein von Huber zitierter und als Beleg angeführter Fall des BGH herangezogen: 48 Der Schuldner vermietet eine Fähre, die der Gläubiger als Arbeitsplattform benutzen will. Der Schuldner übergibt die Fähre freitags an den Gläubiger. Dieser befestigt die Fähre unzulänglich, was der Schuldner hätte bemerken müssen. Der Gläubiger lässt die Fähre am Wochenende zudem unbeaufsichtigt. Die Fähre löst sich und sinkt. Der Gläubiger lässt die Fähre bergen, was über einen Monat dauert. Der Gläubiger verlangt Schadensersatz für die Kosten der Bergung. Der Schuldner verlangt die Gegenleistung. Der BGH bewertet die Verschuldensanteile mit 1:4 zu Lasten des Gläubigers. Er spricht auf dieser Basis dem Gläubiger 1/5 seines Schadens, dem Schuldner 4/5 seiner Vergütung zu.
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RG WarnR 1926, 265, 267. Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 71. BGH VersR 1981, 426.
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Nur scheinbar folgt der BGH hier der Theorie der geminderten Gegenleistungspflicht. Denn der Schaden, den der Gläubiger geltend macht, ist nicht der Ersatz für die über einen Monat ausgebliebene Leistung,49 d.h. mit Ersatz dieses Schadens hat der Gläubiger nicht einen Ersatz für die ihm zustehende Leistung erhalten, so dass der Gegenleistungsanspruch hier auf § 326 Abs. 2 BGB analog ruht und die Minderung des Vergütungsanspruchs daher richtig ist. Man wandle den Fall dahin ab, dass der Gläubiger während des einen Monats der Bergung anderweitig eine Ersatzfähre gemietet hätte und diesen Betrag als Schadensersatz forderte. Dann wäre ihm dieser Betrag als Schadensersatz aus §§ 280, 283 BGB gemindert um 4/5 Mitverschulden zuzusprechen. Da er nun aber – in Gestalt des Ersatzes – das erhielte, was ihm synallagmatisch zustünde (unter Anrechnung seines Mitverschuldens), müsste er die ungeminderte Gegenleistung erbringen (realiter oder als Anrechnungsposten bei der Schadensberechnung). Kontrollüberlegung: Es habe ceteris paribus der Schuldner das Kentern der Fähre allein zu vertreten (weil er etwa die Vertäuung und Beaufsichtigung vertraglich gegenüber dem Gläubiger übernommen hat). Würde der Gläubiger hier Ersatz der für die Ersatzfähre aufgewandten Kosten fordern, müsste er dem Schuldner die ungeminderte Gegenleistung erbringen (real oder rechnerisch). Wenn aber bei alleinigem Verschulden des Schuldners der Gläubiger die ungeminderte Gegenleistung schuldet, kann ein Mitverschulden des Gläubigers daran nichts ändern, vielmehr muss der Gläubiger dann „erst recht“ zur vollen Gegenleistung verpflichtet sein. Man wird schwerlich annehmen können, der BGH würde in diesem Fall den Gegenleistungsanspruch des Schuldners kürzen.
X. Zusammenfassung 1. Sind für die Unerbringbarkeit der Leistung nach § 275 BGB beide Parteien verantwortlich, sind entgegen einer ganz verbreiteten Ansicht die Vorschriften der §§ 280, 283 BGB (§ 311a BGB) und des § 326 Abs. 2 BGB nicht kumulativ anwendbar. Nach welcher Norm die eingetretene Störung abgewickelt wird, liegt in der Wahlbefugnis des Gläubigers. Der Rechtsfortbildungsbedarf beschränkt sich folglich darauf, den vom Gläubiger gewählten Weg der Störungsabwicklung an die Besonderheit des beiderseitigen Verschuldens anzupassen. 2. Entscheidet sich der Gläubiger für den Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280, 283 BGB (§ 311a BGB), mindert sich dessen Anspruch auf den Schadensersatz statt der Leistung um dessen Mitverschulden (§ 254 BGB). Der Gläubiger bleibt aus dem vertraglichen Synallagma zur vollen Gegen-
49
Zutr. Staudinger/Otto BGB (2004) § 326 Rn. C 71.
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leistung verpflichtet (je nach Schadensberechnungsmethode real oder rechnerisch), da er mit dem Schadensersatz statt der Leistung erhält, was ihm nach dem Synallagma zusteht. Des § 326 Abs. 2 BGB bedarf es zur Stützung des Gegenleistungsanspruchs nicht. 3. Macht der Gläubiger den Schadensersatzanspruch nicht geltend, sondern belässt er es bei einer „Abstandnahme“ vom Vertrag, kann sich der Gegenleistungsanspruch des Schuldners wegen § 326 Abs. 1 BGB nur aus § 326 Abs. 2 BGB (analog) ergeben. Da die Gegenleistung hier nicht auf dem vertraglichen Synallagma, sondern auf der Verantwortung des Gläubigers beruht, ist sie um das Mitverschulden des Schuldners analog § 254 BGB zu kürzen. 4. Der Gläubiger kann den für ihn jeweils günstigeren Weg wählen, da die Interessen des Schuldners stets ausreichend geschützt sind.
Urlaub, Ferien und Arbeitsbelastung an den Höchstgerichten des Heiligen Römischen Reichs Wolfgang Sellert I. Vorbemerkung Der bezahlte Urlaub ist ein von den Berufs- und Arbeitspflichten freier Zeitraum. Er steht grundsätzlich zur individuellen Disposition eines jeden Urlaubnehmers. Hauptsächlich dient er jedoch „zur Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft“ 1. Er kann daher weder veräußert noch vererbt werden. Jeder Angestellte, Arbeitnehmer und Beamte hat heute einen Rechtsanspruch auf bezahlten Urlaub.2 Die Urlaubsansprüche und ihre Voraussetzungen sind nicht nur Gegenstand des Dienst- bzw. Tarifrechts, sondern auch im Bundesurlaubsgesetz 3 sowie in der „Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamtinnen, Beamten und Richterinnen und Richter des Bundes“ 4 detailliert geregelt worden. Vorbilder hierzu scheint es in der deutschen Rechtsgeschichte nicht zu geben. Zwar ist uns seit dem Mittelalter bis tief in die Neuzeit hinein eine Fülle rechtlicher Regelungen des Arbeitslebens überliefert.5 Dazu gehören 1 W. Leinemann u. R. Linck Urlaubsrecht, 2. Auflage, München 2001, § 1 BUrlG, Rn. 4, S. 46. 2 Für Hochschulprofessorinnen und Hochschulprofessoren wird der Anspruch auf Erholungsurlaub allerdings durch die vorlesungs- oder unterrichtsfreie Zeit abgegolten, vgl. § 5 Abs. 7 Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamtinnen, Beamten und Richterinnen und Richter des Bundes (BUrlV) v. 6. August 1954 i.d.F. v. 11.11.2004 (BGBl. I S. 2831). 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) v. 8.1.1963 (BGBl. I S. 2) i.d.F. v. 27.7.1969 (BGBl. I S. 946), zuletzt geändert durch Gesetz v. 7.5.2002 (BGBl. I S. 1529). 4 BUrlV (wie Fn. 2). 5 W. Ebel (Hg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Arbeitsrechts bis 1849 (= Quellensammlung zur Kulturgeschichte, hg. v. W. Treue, Bd. 16), Göttingen, Berlin u. Frankfurt 1964; W. Ebel Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht im deutschen Mittelalter, Weimar 1934; W. Ogris Arbeit, IV. Arbeit im Recht des Mittelalters, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München und Zürich 1980, Sp. 875 f.; ders. Geschichte des Arbeitsrechts vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert, Recht der Arbeit, 20. Jg., Heft 8/9, München 1967, S. 286–297; H. Hon-Firnberg Lohnarbeiter und freie Lohnarbeit im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (= Veröffentlichungen des Seminars für Wirtschafts- und Kulturgeschichte an der Universität Wien 11), 1935; E. Schmieder Geschichte des Arbeitsrechts im deutschen
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u.a. Vorschriften zur Arbeitszeit, zum Lohn und zum Schutz des Gesindes, der Tagelöhner, der Seeleute, der Kaufmannsgehilfen, der Schuhmacher, der Land- und Bergarbeiter, der Steinmetze, der Weber-, Zimmer- und Maurergesellen, der Papiermühlenarbeiter sowie vieler anderer, meist genossenschaftlich in Zünften organisierter Handwerker 6. Von einem bezahlten Urlaub ist jedoch nirgends die Rede. Auch als im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und ihren einschneidenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen die deutschen Staaten zum Wohle der zum Teil schrankenlos ausgebeuteten Arbeiter Schutzbestimmungen für Kinder, Jugendliche und Frauen erließen, darunter Höchstarbeitszeiten und Kündigungsfristen festlegten sowie Beschränkungen der Nacht- und Feiertagsarbeit bestimmten 7, lag die Gewährung eines bezahlten Urlaubs noch in weiter Ferne. Selbst mit der Wende zur Epoche des kollektiven Arbeitsrechts am Ende des 19. Jahrhunderts spielte der Erholungsurlaub für Arbeiter und Angestellte keine Rolle. Anfänge eines bezahlten Urlaubs lassen sich daher erst, so heißt es jedenfalls uni sono in der modernen Arbeitsrechtsliteratur, in § 14 des Reichsbeamtengesetzes v. 31.3.1873 finden.8 Letztlich habe sich seine Anerkennung im Arbeitsrecht, so auch Hansjörg Otto, erst nach 1945 gesetzlich durchgesetzt.9 Diese hier nur grob angedeutete Entwicklung scheint im ersten Moment erstaunlich, weil der Begriff des Urlaubs in der alt- und mittelhochdeutschen Sprachwelt als „urloup“ sehr häufig belegt ist.10 Mit ihm wurden jedoch noch keine arbeitsfreien Zeiten bezeichnet, wie sie im Mittelalter beispielsweise durch den kirchlichen Festkalender sowie durch Gewohnheit und Herkommen vorgegeben waren.11 Vorherrschend war vielmehr die Grundbedeutung des Wortes i.S. von Erlaubnis. So bezeichnete das Wort meist eine obrigkeitliche Genehmigung, wie beispielsweise zum Verkauf einer Ware außerhalb der üblichen Marktzeit oder die Erlaubnis zur Einreise in ein fremdes Land.12
Mittelalter, Bd. I , Leipzig 1939; G. Neusser Arbeitsrecht, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 2. Auflage, hg. v. A. Cordes, H. Lück u. D. Werkmüller, 2. Lieferung, Berlin 2005, Sp. 279–285. 6 W. Ebel (Hg.), Quellen (wie Fn. 5). 7 Dazu im Überblick G. Neusser (wie Fn. 5), Sp. 206 f. 8 Danach wurde Erholungsurlaub nur auf Antrag bewilligt. Einen Rechtsanspruch auf Urlaubsgewährung hatte der Beamte allerdings nicht; vgl. beispielsweise W. Leinemann u. R. Linck Urlaubsrecht (wie Fn. 1), Einleitung, Rn. 7, S. 9; H. Dersch u. D. Neumann Bundesurlaubsgesetz, 8. Auflage, München 1997, Einleitung, S. 21, Rn. 1; H. Otto Arbeitsrecht, 3. Auflage, Berlin 2003, S. 209. 9 H. Otto Arbeitsrecht (wie Fn. 8), S. 209. 10 Vgl. die zahlreichen Belege bei J. und W. Grimm Deutsches Wörterbuch (DWB), 11. Band, III. Abteilung bearb. v. K. Euling Leipzig 1936, Sp. 2466–2477. 11 U. Mattejiet Urlaub, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München u. Zürich 1997, Sp. 1325 f. 12 Eodem.
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Nicht selten wurde der Begriff auch für einen ehrenvollen und vorzeitigen Abschied aus einem Lehens- oder soldatischen Dienstverhältnis gebraucht.13 Der Abschied wurde in der Regel auf Dauer oder zeitlich begrenzt zur Erledigung dringender persönlicher Angelegenheiten gewährt. Wer seinen Abschied ohne die Einholung der erforderlichen Genehmigung beim König oder seinem Dienstherrn nahm, hatte mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen.14 Insgesamt hat es also in der älteren Zeit einen Urlaub im heutigen Sinne nicht gegeben.15 Dazu bestand neben den grundsätzlich arbeitsfreien Sonnund zahlreichen kirchlichen Festtagen 16 keine Veranlassung. Dies gilt um so mehr, als nach christlich-theologischer Auffassung die Arbeit nicht zuletzt als Mittel gegen den Müßiggang und die „Unordnung der menschlichen Triebe“ angesehen wurde.17 Jede über die herkömmlichen Fest- und Feiertage hinausgehende Freizeit hätte daher einen guten christlichen Lebenswandel gefährdet. Und was die Juristen betrifft, so hatte der Eisenacher Gerichtssekretär Spathen (1632–1707) noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts geschrieben, sie sollten sich nicht nur des „Sauffens“, sondern auch des „Spielens, Spazierengehens und anderer Zeit raubenden Kurzweil“ enthalten.18
II. Urlaub der Richter an den höchsten Reichsgerichten Eine bemerkenswerte Ausnahme gab es für die Urlaubsverhältnisse der Richter am Reichskammergericht (RKG) und am Reichshofrat (RHR). Denn „unstreitig könne man“, so B. F. Mohl, „Männern von so wichtigen und anhaltenden Arbeiten nicht zumuthen, das ganze Jahr unausgesezt in gleicher Thätigkeit fortzuarbeiten“.19
13
Eodem. Eodem. 15 E. Döhring Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, Berlin 1953, S. 69. 16 Vgl. unten S. 522 f. u. 525 f. 17 A. Hertz Arbeit, II. Theologische Vorstellungen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München und Zürich 1980. Sp. 870 f. 18 Spathen (Caspar v. Stieler), Der Teutsche Advokat, Teil 1, 2. Auflage, Nürnberg 1695, S. 52, Sp. 1; E. Döhring Geschichte (wie Fn. 15), S. 69 und S. 448 mit biographischem Nachweis. 19 B. F. Mohl Historisch-politische Vergleichung der beyden höchsten Reichsgerichte in ihren wichtigsten Verhältnissen, Ulm 1789, S. 192. 14
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1. Reichshofrat Auffallend ist zunächst die Urlaubsregelung in Tit. I § 21 der kaiserlichen Reichshofratsordnung (RHRO) vom 16. März 1654 20, die mit nahezu gleichlautendem Text bereits in den RHROen von 1559 21 und 1617 22 enthalten war. Es sei „billich“, so heißt es dort, „daß einem ieden von unßerem reichshoffratspräsidenten und räthen im jahr ein gebührliche zeith zu verrichtung ihrer selbst sachen oder auch recreation zugelassen werd“.23 Deswegen solle „altem gebrauch nach dem präsidenten und räthen, so verehelicht, acht und den andern, so lediges stands, sechs wochen [Urlaub] unbenohmen sein […]“.24 Die Reichshofräte sollten also eine „gesetzmäßige Urlaubszeit […] genießen, die sie zur Besorgung ihrer eigenen Sachen“, zur Erholung und zu „ihrem Vergnügen verwenden“ konnten.25 Vom Urlaub zu unterscheiden sind die in den RHROen nicht erwähnten Ferienzeiten des Gerichts, in denen grundsätzlich keine ordentlichen Sitzungen stattfanden.26 Dazu gehörten die Zeit von „Christus Geburt bis auf die heiligen drei Könige“ 27, die „Osterferien vom grünen Donnerstag an bis
20 W. Sellert (Hg.), Die Ordnungen des Reichshofrats 1550–1766, 2. Halbband bis 1766 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, hg. v. F. Battenberg, B. Diestelkamp, U. Eisenhardt, G. Gudian, A. Laufs u. W. Sellert), Bd. 8/II, Köln, Wien 1990, S. 95 f. 21 § 5 RHRO v. 1559, abgedr. bei W. Sellert (Hg.), Die Ordnungen (wie Fn. 20), 1. Halbband (8/I), Köln, Wien 1980 , S. 29 f. 22 Tit. I § 15 der RHRO vom 3. Juli 1617, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 21), S. 170. 23 Die RHRO v. 1559 (wie Fn. 21) und Tit. VIII § 1 des sog. Mainzer Konzepts, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 21), enthielten allerdings noch nicht den Urlaubszweck der „recreation“. Dazu paßt es, daß nach Tit. VIII § 3 Mainzer Konzept, aaO., einem Reichshofrat, wenn er wegen „leibschwachheit nit erscheinen“ konnte, die betreffenden Tage auf seinen Urlaub angerechnet werden sollten. 24 Der Urlaub wurde allerdings erst ab dem zweiten Dienstjahr gewährt, vgl. dazu D. Danz Grundsätze des Reichsgerichts-Prozesses, Stuttgart 1995, S. 259 Fn. a.; C. Hartmann-Polomski Die Regelung der gerichtsinternen Organisation und des Geschäftsgangs der Akten als Maßnahmen der Prozeßbeschleunigung am Reichshofrat, jur. Diss. Göttingen, Göttingen 2000, S. 88. 25 J. F. Malblank Anleitung zur Kenntnis der deutschen Reichs- und Provinzial-, Gerichts- und Kanzleyverfassung und Praxis, 5 Bände, Nürnberg und Altdorf 1791–1805, Teil 3, Anleitung zur Kenntnis der Verfassung des Höchstpreißlichen Kaiserlichen und Reichshofraths, 1792, S. 205. 26 J. Ch. Herchenhahn Geschichte der Entstehung, Bildung und gegenwärtigen Verfassung des kaiserlichen Reichshofraths nebst der Behandlungsart der bei demselben vorkommenden Geschäfte, 3 Teile, Mannheim 1792–1793, Teil 2, Darstellung der gegenwärtigen Verfassung des kaiserlichen Reichshofraths und der allgemeinen Behandlungsart der reichshofräthlichen Geschäfte, 1793, S. 213. 27 J. Ch. Herchenhahn Darstellung (wie Fn. 26), S. 212; D. Danz Grundsätze (wie Fn. 24), S. 266. Es waren mit 14 Tagen die längsten Ferien am RHR.
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zum ersten Sonntag nach Ostern“ 28, die Pfingstwoche von Pfingstsonntag „bis zum nächsten künftigen Sonntag“ 29, die Fastnachtsferien mit dem Rosenmontag und Faschingsdienstag.30 Die Marientage, die Feste verschiedener Heiliger und weitere in der katholischen Kirche üblichen Feiertage wurden „in die Zahl der Ferien nicht gerechnet“; dafür wurde an den sitzungsfreien Tagen mittwochs und sonnabends auf Anordnung des Präsidenten gearbeitet.31 Was nun den acht- bzw. sechswöchigen Urlaubsanspruch betrifft, so wäre die Arbeitsfähigkeit des RHR erheblich behindert worden, wenn die Beisitzer von ihm unkontrolliert Gebrauch gemacht hätten. Modern gesprochen sollte daher der Urlaub „so zu gewähren sein, dass die ordnungsmäßige Erledigung der Dienstgeschäfte“ gesichert war.32 Insoweit waren abgestimmte Urlaubsregelungen wichtig, um das Tempo der Aktenbearbeitung zu beschleunigen.33 Die RHRO v. 1654 bestimmte daher, daß jeder Urlaub nur mit „zeittlichem vorwissen“ des „obristen hoffmeisters“ 34 und des Reichshofratspräsidenten angetreten werden dürfe.35 Dieser sollte zwar „kheinen“ der Räte an seiner Urlaubsplanung „leichtlich verhindern“, aber „in fleißiger obacht halten“, daß „das collegium nach notthurft besetzt“ bleibe und „die erlaubnußen“ nur dementsprechend erteilt würden.36 Er hatte folglich dafür zu sorgen, daß „die absenz nit zugleich von vielen [sc. Räten] vorgenommen“ werde 37, weil sonst die Beschlußfähigkeit des Reichshofratskollegiums bei weniger als 8 Räten nicht gegeben gewesen wäre.38 Für die Urlaubsbewilligung spielten aber nicht nur „die gelegenheit der zeit“ und „die anzahl gegenwärtiger räthe“ 39 eine Rolle, sondern es kam 28
D. Danz Grundsätze (wie Fn. 24), S. 266. J. Ch. Herchenhahn Darstellung (wie Fn. 26), S. 212; D. Danz Grundsätze (wie Fn. 24), S. 266. 30 J. Ch. Herchenhahn Darstellung (wie Fn. 26), S. 212; D. Danz Grundsätze (wie Fn. 24), S. 266. Nach V. Hanzely Anleitung zur neuesten Reichshofrathspraxis, Bd. 1, Frankfurt und Leipzig, 1784, S. 21, sollen die „Faßnachtsferien“ 14 Tage gedauert haben; ebenso J. F. Malblank Anleitung, Teil 3 (wie Fn. 25), S. 205. 31 Ch. Herchenhahn Darstellung (wie Fn. 26), S. 212. 32 So beispielsweise § 3 Thüringer Verordnung über den Urlaub der Beamten und Richter (ThüUrlV) v. 30.9.1994 (GVBl 32/1994 v. 11.10.1994), zuletzt geändert durch Thüringer Urlaubsverordnung v. 29.6.2002 (GVBl S. 293). 33 Vgl. im einzelnen dazu W. Sellert Beschleunigung des Verfahrens am Reichshofrat durch Gerichtsorganisation, in: C. H. van Rhee (ed.), The Law’s Delay. Essays on Undue Delay in Civil Litigation, Antwerpen, Oxford u. New York, S. 257 ff. (265); C. HartmannPolomski Regelung (wie Fn. 24). 34 Der Obersthofmeister war der Inhaber des höchsten Hofamts am Kaiserhof und seit 1654 für Personalangelegenheiten der Reichshofräte zuständig; vgl. St. Ehrenpreis Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt, Göttingen 2006, S. 80 f. 35 Tit. I § 21 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 96. 36 Eodem. 37 Eodem. 38 Tit. I § 16 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 85 ff. 39 § 5 RHRO v. 1559, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 21), S. 29 f. 29
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auch darauf an, „ob die sachen, so selbiger zeit zu erledigen seyen, solch der hofräth abrraysen erleiden mögen oder nitt“ 40, m.a.W., Urlaub sollte nur bewilligt werden, wenn dadurch die Bearbeitung der Akten nicht wesentlich verzögert wurde. Ebenso sollte verfahren werden, „wann ein rath nur einen tag, zween oder drey seiner ehehafften oder anderer vorfallenheit von der stell verraißen“ wolle.41 Eilige Sachen, die nicht verschoben werden konnten und bei denen „vielleicht periculum in mora“ war, sollten bis zur Rückkunft des Beurlaubten von einem Stellvertreter bearbeitet werden.42 Vorgesehen war außerdem ein Urlaub „extra ordinem“, ein Sonderurlaub also, der es einem Reichshofrat gestattete, sich „mehrere zeith“, d.h. länger als die üblichen 8 bzw. 6 Wochen vom RHR zu entfernen.43 „Solches“ sollte wiederum „ohne unßere erlaubnuß nit beschehen“.44 Wer jedoch unerlaubt oder „ohne ehehaffte verhinderung den rath nit besuchen“ würde, dem sollte „dieselbe versaumbte zeith […] abgezogen“ oder er sollte sogar „je nach beschaffenheit der sach“ seiner „stell gantz verlüstig werden“.45 Diese schon in der RHRO v. 1617 enthaltene Regelung hielten die Kurfürsten in einem Konklusum vom 20. Juni 1644 für unzureichend. Sie verlangten, daß es am RHR wie am RKG gehalten werde und denjenigen Räten, die sich „ohne erhebliche vrsach uber die […] zeit vom rath absent befinden“, die „salaria eingezogen und unter die anwesenden Räte distribuirt und außgetheilt werden, dieweil dann hierdurch die praesenz nit wenig animiert und einen alß den andern weeg die justiz gepürend administriert würdt.“ 46 Auch wenn diese Forderung in keiner RHRO Beachtung fand, zeigt doch ein Fall aus der Praxis, daß Reichshofräte, die über den genehmigten bzw. gesetzlichen Urlaub hinaus abwesend waren, Gehaltsabzüge hinnehmen mußten. So erhielt beispielsweise der Reichshofrat Ludwig Graf von Löwenstein ausweislich der Abrechnung des Hofzahlamtsmeisters sein Gehalt vom 1.1.1563 bis 30.6.1564 nur abzüglich der Zeit, in der er „vber die Ordinary Erlaubnus der Hof Ordnung nach, Acht Monat vnd Neun täg von seinem dienst Abweßig gewest“.47
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Eodem. Tit. I § 21 RHR v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 96 f. 42 Tit. VIII § 2 Mainzer Konzept, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 21), S. 120. Warum diese Regelung in den RHROen v. 1617 und v. 1654 nicht mehr auftaucht, ist bisher noch nicht ermittelt. 43 Tit. I § 22 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 97. 44 Eodem. 45 Eodem. 46 Vgl. Fn. m) zu Tit. I § 22 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 97. 47 Hofkammerarchiv Wien (HKA), Hofzahlamtsbücher (HZAB) 18, fol. 448r; vgl. im übrigen D. Danz Grundsätze (wie Fn. 24), 258 f.; J. F. Malblank Anleitung, Teil 3 (wie Fn. 25), S. 119. 41
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2. Reichskammergericht Nicht ohne Grund hatten die deutschen Kurfürsten dem RHR die Urlaubsbestimmungen des RKG als Vorbild empfohlen. Denn dort war der Urlaub für Kammerrichter und Assessoren schon sehr früh und detailliert geregelt worden. So enthält bereits die Reichskammergerichtsordnung (RKGO) von 1555 ein Kapitel mit dem Titel „Von urlaubnehmung deß cammerrichters und der beisitzer“.48 Obwohl dort der Urlaub Kammerrichtern und Beisitzern nur „ihrer gescheft halben“ 49, d.h. zur Erledigung ihrer persönlichen Bedürfnisse und nicht wie am RHR auch zur „recreation“ 50 bewilligt werden sollte, dürfte auch die Erholungsbedürftigkeit der Richter eine Rolle gespielt haben.51 Zum Verständnis der reichskammergerichtlichen Urlaubsregelungen ist wie am RHR zunächst zwischen dem Urlaub und der „vacantz“, d.h. zwischen den Feiertagen und „ferien“ zu unterscheiden, die in der RKGO von 1555 im einzelnen aufgezählt worden sind 52. Genannt werden die Weihnachtszeit vom 24. Dezember bis 6. Januar 53, die Fastnachtszeit von „Sontag Esto mihi“ 54 bis „Sontag Invocavit“ 55, die Osterzeit vom „Palmtag“ 56 bis „Quasi 48 Teil I Tit. VII RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs (Hg.), Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, hg. v. B. Diestelkamp, U. Eisenhardt, G. Gudian, A. Laufs u. W. Sellert), Bd. 3, Köln und Wien 1976, S. 80 f.; E. Döhring Geschichte (wie Fn.15), S. 69, zitiert für den Urlaub am RKG nur den hierfür weniger bedeutenden § 8 Visitationsabschied von 1564 (vgl. unten Fn. 78). 49 Teil I Tit. VII § 1, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 80. 50 Vgl. oben S. 522. 51 Vgl. dazu die Beschwerden des Reichskammergerichtsassessors F. D. v. Ditfurth (unten S. 533 f.). 52 Teil II Tit. XXXIII §§ 1–10 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 215 f.; vgl. dazu auch J. F. Malblank Anleitung zur Kenntnis der deutschen Reichs- und Provinzial-, Gerichts- und Kanzleyverfassung und Praxis, 5 Bände, Nürnberg und Altdorf 1791–1805, Teil 1, Anleitung zur Kenntnis der Verfassung des Höchstpreißlichen Kaiserlichen und Reichskammergerichts, Nürnberg und Altdorf 1791, S. 368 ff. 53 Nach J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 368, sollen die Weihnachtsferien vom 24. Dezember bis zum 7. Januar gedauert haben. 54 Auch „Estomihi“ genannt. Es handelt sich um die Anfangsworte der Messe: „Esto mihi in Deum protectorem et in locum refugii […]“ . Gemeint ist nach dem kirchlichen Festkalender im Osterfestkreis der 7. Sonntag vor Ostern; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 1, Glossar und Tafeln, Hannover 1891 (Neudruck 1984), S. 52, 98. 55 Auch „Invocabit“ genannt. Es handelt sich um die Anfangsworte der Messe: „Invocabit me et ego exaudiam eum, […]“ . Gemeint ist der erste Fastensonntag; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 98 f. 56 Dominica in Palmis. Psalmsonntag. Sonntag vor Ostern; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 98, 149.
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modo geniti“ 57, die Kreuzwoche vom „Sontag Vocem iocunditatis“ 58 bis „Sontag Exaudi“ 59, allerdings „vormittag allein, so anderst gerichtstag weren“, die Pfingstzeit vom „Pfingstag abent biß an den Sontag Trinitatis“ 60, die sog. Hundstage 61 vom 6. Juli bis zum 14. August 62 und schließlich „alle feirtäg, in Gottes und der heyligen ehr gebannet, durch das gantze jar“.63 Mit den letzteren waren also die „ubrigen Fest- und Feyertage“ gemeint, „zu welchen nach dem Herkommen zum Theil noch Postfeste gefeyert“ wurden, „so daß in solchen Fällen bey dem Fest- oder Feyertag zween Täge von den gerichtlichen geschäften frey“ waren.64 Für Kammerrichter und Beisitzer sollte allerdings die „vacantz“ nicht arbeitsfrei sein. Denn sie sollten in dieser Zeit – „außerhalb des sontags und anderer hohen fest – […] nit allein im rath referiren und urtheyl fassen, sonder auch supplicationes annehmen, ladung und proceß erkennen und außgehen lassen, damit die partheien und ire sachen jederzeit gefürdert“ werden.65 57 Auch Quasimodogeniti genannt. Es handelt sich um die Anfangsworte der Messe: Quasi modo geniti infantes […]“. Gemeint ist der sog. Weiße Sonntag; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 98, 160. 58 Auch „Rogate“ genannt. Es handelt sich um die Anfangsworte der Messe: „Vocem iocunditatis annuntiate et audiatur […]“. Gemeint ist der 5. Sonntag nach Ostern; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 98, 202. 59 Es handelt sich um die Anfangsworte der Messe: „Exaudi, domine, vocem meam […]“. Gemeint ist der 6. Sonntag nach Ostern bzw. der letzte Sonntag vor Pfingsten; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 54, 98 f., 202. 60 Es handelt sich um die Anfangsworte der Messe: „Benedicta sir sancta Trinitas atque indivisa unitas […]“. Gemeint ist der erste Sonntag nach Pfingsten; vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 63, 99, 195. 61 Mit den Hundstagen ist die regelmäßig eintretende Hitzeperiode im Juli und August gemeint. Sie wurde zunächst vom 6. Juli bis 17. August, später vom 10. Juli bis 20. August oder 14. Juli bis 15. August und wird jetzt vom 22. Juli bis 22. August gerechnet, vgl. H. Grotefend Zeitrechnung (wie Fn. 54), S. 86 f. 62 Nach J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 369, sollen am RHR die Hundstage v. 18. Juli bis 25. August gedauert haben. 63 Teil II Tit. XXXIII § 8 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 216. 64 J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 369 ff. Im übrigen gab es wegen des 1581 eingeführten Gregorianischen Kalenders, der den bisherigen Julianischen Kalender ablösen sollte, was von den Protestanten nicht akzeptiert wurde, einige von Malblank aaO. geschilderte Probleme. 65 Teil II Tit. XXXIII § 10 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 216. Demgegenüber vertrat J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 368, die Auffassung: „Die ordentlichen Sitzungen hören unter den Ferien größtenteils auf“. Andererseits sollen nach J. F. Malblank aaO. die Beisitzer während der Hundstage zur „Beförderung der Extrajudizialsachen in jeder Woche Montags, Mittwochs und Freytags von 10–12 zu Rath“ gehen. Auch Teil I Tit. 21 § 6 Conceptum Ordinationis Cameralis (COC), hg. v. J. J. Zwirlein Concept der auf kayserlichen und des reichs befehl im jahr 1613 verbesserten Cammergerichts-Ordnung, Frankfurt a. M. 1783, S. 52, besagt,
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Neben der „vacantz“ war ursprünglich für Kammerrichter und Assessoren ein jährlicher Urlaub von sechs Wochen vorgesehen. Dieser sollte jedoch nach der RKGO v. 1555 „gefallen und absein“ 66. War damit der Urlaub völlig gestrichen worden? Offenbar nicht. Gemeint war vielmehr, daß „cammerrichter und beisitzer“ Urlaub nur noch erhalten sollten, wenn sie einen Antrag gestellt und diesen mit „redlich ursachen“ begründet hatten. Die Antragsbewilligung war für den Kammerrichter von den Assessoren und für die Assessoren von dem Kammerrichter zu erteilen.67 Die genehmigte Urlaubszeit sollte von einem Protonotar beurkundet und wegen möglicher Besoldungsabzüge 68 dem „pfennigmeister“ 69 angezeigt werden.70 Urlaub durfte nicht mehr als zwei, drei oder gar vier Assessoren zu gleicher Zeit gewährt werden.71 Urlaubsgesuche von Assessoren, die sich auch während der „vacantz“ mit der Abfassung von Urteilen beschäftigten, wozu offenbar nicht alle Beisitzer trotz entsprechender Verpflichtung nach der RKGO 72 bereit waren, sollten bevorzugt behandelt werden.73 Wurde einem Assessor gestattet, „uber die zeit seiner erlaubnuß“ auszubleiben, sollte „ihme die ubrig zeit nach anzall [der Tage] an seiner besoldung abgetzogen und derselbig abzug under die gegenwürtigen cammergerichtsassessoren, dieweil sie in seinem abweßen die arbeyt thun und die last tragen müssen, getheylt“ werden.74 Hier wird zunächst deutlich, daß es sich daß die „assessores in der großen vaccantz, alle woche drey tage, wie von alters beschehen, den rathe besuchen, und die geschäfte desselben verrichten“. Diese Neuerung geht zurück auf § 13 Visitationsabschied v. 18. Mai 1556, abgedr. im sog. Corpus iuris Cameralis, Wetzlar 1717, Anhang „Visitationsabschiede und Memorialien“, S. 23; vgl. ferner § 88 des sog. Jüngsten Reichsabschieds (Recessus Imperii Novissimus) v. 17. Mai 1654, abgedr. in: A. Buschmann Kaiser und Reich, München 1984, S. 88, wo die Verhandlungstage am RKG wegen der Aufgabe der Unterscheidung „der ordinari und extraordinari Präfix-Ordnungen“ neu bestimmt wurden. 66 Teil I Tit. VII § 1 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 80. 67 Eodem. 68 Für den RHR vgl. oben S. 524. 69 Der Pfennigmeister war zuständig für die Verwaltung der Finanzen am RKG, insbesondere für die ständischen Kammerzieler; vgl. A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 309. 70 Teil I Tit. VII § 2 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 81. 71 Teil I Tit. VII § 3 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 81; ebenso § 8 Visitationsabschied v. 13. Juni 1564, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 74. 72 Teil II Tit. XXXIII § 10 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 215. 73 Teil I Tit. VII § 1 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 80. 74 Teil I Tit. VII §§ 1, 2 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 80 f.; vgl. auch oben S. 524.
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grundsätzlich um bezahlten Urlaub handelte, was auch für den Urlaub der Reichshofräte galt. Dementsprechend wurde nach einer zeitgenössischen Definition unter einem „gesetzmäßigen“ Urlaub diejenige Zeit verstanden, „welche eine Gerichtsperson abwesend seyn darf, während […] die Besoldung ohne Abzug“ weiterläuft.75 Außerdem ist aus der Formulierung „uber die zeit seiner erlaubnuß“ zu schließen, daß für die Assessoren offenbar doch eine in der RKGO nicht fest bestimmte Urlaubszeit vorgesehen war. Denn nur der über einen nicht genannten Zeitraum hinausgehende Urlaub 76 sollte sich auf die Besoldung auswirken. Demgegenüber wird der Urlaub für den „cammerrichter“ festgelegt. Ihm sollte als „haupt“ des Gerichts „neben und zu der großen vacantz im jar vier wochen […] auß ehehafften ursachen“ zustehen und mit dem „wissen und willen“ der Assessoren bewilligt werden.77 Diese insgesamt strengen Regelungen waren getroffen worden, weil Kammerrichter und Assessoren ihren Urlaub bisher „ohne erlaubniß“ und Kontrolle nach Gutdünken genommen hatten.78 Das hatte aus naheliegenden Gründen zu einer „große[n] unordnung und verhinderung“ der Tätigkeit des Gerichts geführt.79 So war „durch solche absentierung und lang aussenbleiben“ nicht nur die Beschlußfähigkeit der Senate gefährdet 80, sondern es blieben auch begonnene Aktenbearbeitungen für längere Zeit liegen. Immerhin sollten Akten, „so die eil erforderten“ und „während eines Urlaubs nicht wohl unerörtert liegen bleiben“ konnten, vom Kammerrichter oder seinem Stellvertreter – wie am RHR 81 – einem anderen Referenten zur Bearbeitung übertragen werden.82 Während am RHR nach 1654 keine neuen Urlaubsregelungen bekannt geworden sind, wurde das Urlaubsrecht am RKG wiederholt durch Reichs-, Deputations- und Visitationsabschiede sowie durch kaiserliche Memoriale an das RKG und Gemeine Bescheide überarbeitet. Das hängt damit zusammen,
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J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 194. Vermutlich handelte es sich um die bisher schon üblichen sechs Wochen im Jahr; vgl. oben S. 527. 77 Teil I Tit. VII § 5 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 81. 78 Vgl. auch Teil I Tit. VIII Einleitung des COC, abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 17. Nach § 8 Visitationsabschied v. 1564, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 74, sollen es zeitweise 6–7 Beisitzer gewesen sein, die gleichzeitig Urlaub genommen hatten. 79 Teil I Tit. VII § 1 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 81. 80 § 8 Visitationsabschied v. 1564, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 74. 81 Vgl. oben S. 524. 82 Teil I Tit. VII § 4 RKGO v. 1555, abgedr. bei A. Laufs Reichskammergerichtsordnung (wie Fn. 48), S. 81; § 42 Visitationsabschied v. 1713, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 225 f. 76
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daß der RHR mit prozeß- und gerichtsverfassungsrechtlichen Regelungen erheblich sparsamer verfuhr als das RKG.83 Obwohl der Westfälische Friedensvertrag von 1648 bestimmte, daß die Ordnungen des RKG auch am RHR gelten sollten 84, folgte letzterer in der Praxis dieser Bestimmung nicht. Denn jeder Versuch, von außen auf die Verfassung des RHR einwirken zu wollen, wurde vom Kaiser und vom RHR als Eingriff in die „plenipotestas iurisdictionis caesaris“ gewertet 85. Daraus darf freilich nicht geschlossen werden, das Urlaubsrecht sei am RHR seit 1654 nicht mehr verändert worden. Vermutlich hat es stillschweigende Angleichungen gegeben, so daß sich das Urlaubsrecht beider Gerichte in seinen Grundsätzen nicht erheblich voneinander unterschieden haben dürfte. Am RKG spiegeln sich die Änderungen, Konkretisierungen und Bekräftigungen in dem mehrfach herausgegebenen und mit zahlreichen Anmerkungen versehenen Conceptum Ordinationis Cameralis (COC) von 1613 wider.86 Daraus ergibt sich, daß das reichskammergerichtliche Urlaubsrecht nach 1555 keine grundlegenden Veränderungen erfuhr. Neu war jedoch die Festlegung des Urlaubs der Beisitzer, die im Jahr nicht mehr als „sechs wochen inclusis feriis“ erhalten sollten.87 Die Urlaubszeit für den Kammerrichter mit 4 Wochen im Jahr und zusätzlich „der grossen vacantz“ blieb unverändert.88 Jeder darüber hinaus gehende Urlaub konnte, wie schon zuvor, bei „ehehaften und unvermeidliche[n] ursachen“ beantragt und bewilligt werden 89, blieb aber ohne Besoldung.90 Im COC 91, im Reichs-
83 Vgl. W. Sellert Prozeß des Reichshofrats, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hg. v. A. Erler u. E. Kaufmann, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 22–29. 84 Art. V § 55 Instrumentum pacis Osnabrugense, abgedr. bei K. Zeumer (Hg.), Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Auflage, Tübingen 1913, Nr. 197, S. 414: „Quoad Processum iudiciarium Ordinatio Camerae Imperialis etiam in Iudicio Aulico servabitur per omnia.“ 85 Vgl. z.B. W. Sellert Prozeß des Reichshofrats (wie Fn. 83), Sp. 22. 86 J. J. Zwirlein Concept (wie Fn. 65). 87 Teil I Tit. VIII § 1 COC, abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 17; § 12 Visitationsabschied v. 1556, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 22; nach J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 194, standen den Assessoren jährlich sechs Wochen Urlaub zu, die sie, wenn sie diese „am Ende des Kameraljahrs“ genommen hatten, mit denen vom „folgenden Jahr combiniren“ konnten. 88 Vgl. oben Fn. 77; Teil I Tit. VIII § 13 COC, abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 20. Nach J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 194, hatten die Präsidenten einen Urlaubsanspruch auf sechs Wochen und der Kammerrichter auf 14 Wochen im Jahr. 89 Teil I Tit. VIII § 1 COC, abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 17. 90 Teil I Tit. VIII § 4, 12 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 18f.; J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 197. 91 Teil I Tit. VIII § 4, 12 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 18 f.
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abschied von 1654 92 und sodann im Visitationsabschied von 1713 93 wurde nochmals bekräftigt, daß die auf diese Weise eingesparten Besoldungsgelder – sie gehörten zu den sog. „Neglecten“ 94 – an diejenigen Assessoren distribuiert werden sollten, „so nicht abwesend der zeit gewesen“. Über Neglektengelder des Kammerrichters sollte nicht „ohne vorwissen und befehl der stände“ verfügt werden dürfen.95 Im übrigen ging es im COC und in allen nachfolgenden Bestimmungen nach wie vor darum, die Urlaubspläne des Kammerrichters und der Beisitzer so zu organisieren, daß die laufenden Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt und vor allem Verzögerungen vermieden wurden. Jeder Beisitzer mußte daher, auch wenn es nur um zwei oder drei Urlaubstage ging 96, diese beim Kammerrichter beantragen und genehmigen lassen.97 Hinzukam, daß sich jetzt die Urlaubnehmer bei einem vom Kammerrichter zu bestimmenden Deputierten an- und abmelden mußten.98 Erst wenn ein Beisitzer seine begonnenen Relationen zu Ende geführt hatte, sollte ihm Urlaub gewährt werden können.99 Blieben wegen des Urlaubs die Akten „zu beschwernuß und
92 § 11 Reichsabschied von 1654, abgedr. bei A. Buschmann Kaiser und Reich (wie Fn. 65), S. 463f. Dort wurde auch die Höhe der Besoldung des Kammerrichters, der 4 Senatspräsidenten und der Beisitzer festgelegt. Danach sollten der Kammerrichter 4400 Reichstaler, die Präsidenten je 1371 Reichstaler und die Assessoren jährlich 1000 Reichstaler erhalten. Die Besoldung der Reichshofräte schwankte zwischen jährlich 1000 und 3000 Gulden. Die Besoldungsfragen spielten an beiden Gerichte wiederholt eine beachtliche Rolle. Dabei wurden erwartungsgemäß Forderungen auf eine höhere und vor allem pünktliche Besoldung gestellt und die Gehälter der Richter beider Gerichte miteinander verglichen. Zur Besoldung der Reichshofräte W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn 20), S. 93 ff. Fn. 443; G. P. Obersteiner Das Reichshoffiskalat 1596–1806, in: A. Baumann, P. Oestmann, St. Wendehorst u. S. Westphal (Hg.), Reichspersonal. Funktionsträger für Kaiser und Reich (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, hg. v. F. Battenberg, A. Cordes, B. Diestelkamp, U. Eisenhardt, A. Laufs u. W. Sellert), Bd. 46, Köln, Weimar, Wien 2003, 123. Zur Besoldung der Kammergerichtspersonen vgl. J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 192 f.; R. Smend Das Reichskammergericht, Weimar 1911 (Neudruck Aalen 1965), S. 398 ff. 93 § 43 Visitationsabschied v. 1713, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 226. 94 Vgl. auch dazu §§ 11–13 Reichsabschied von 1654, abgedr. bei A. Buschmann Kaiser und Reich (wie Fn. 65), S. 463–465. Zur Berechnung der Neglektengelder vgl. J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 198. 95 Teil I Tit. VIII § 14 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 20. 96 Teil I Tit. VIII § 12 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 19; § 6 Memorial v. 1575, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 116. Nach § 2 Memorial v. 1586, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 188, sollten diese Sonder- oder Kurzurlaube den Assessoren nur zweimal im Jahr gestattet werden. 97 Teil I Tit. VIII § 2 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 17 98 Teil I Tit. VIII § 4 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 18. 99 Teil I Tit. VIII § 7 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 18; J. F. Malblank Anleitung, Teil 1 (wie Fn. 52), S. 197.
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nachtheil“ der Parteien unbearbeitet, drohte dem betreffenden Assessor sogar die „dimission“ 100. Verboten wurde, daß die Akten während der Urlaubszeit mit nach Hause genommen wurden.101 Wer unerlaubt ausblieb, sollte bestraft und, wenn er nach mehrfachen Aufforderungen nicht erschien, dem Kreis oder Stand, der ihn präsentiert hatte, gemeldet und dort zur Verantwortung gezogen werden.102 Abgesehen von einigen hier nicht weiter zu verfolgenden Neuerungen blieben die Grundregeln des Urlaubrechts an beiden höchsten Reichsgerichten bis zu ihrer Auflösung mit der Erklärung Kaiser Franz II. vom 6. August 1806 103 bestehen.
III. Arbeitsbelastung Waren die auch nach heutigen Maßstäben nicht gering bemessenen Urlaubszeiten und Ferien im Verhältnis zu den Arbeitsbelastungen der Richter gerechtfertigt? Darüber, was die Richter am RKG zu leisten hatten, dürfte es, auch wenn uns nur wenige Eingangs- und Erledigungsziffern bekannt sind, keine Zweifel geben. Ihre Belastung muß angesichts der unerledigten Aktenberge erheblich gewesen sein. Bekannt ist Goethes Schilderung, wonach am RKG in Wetzlar „ein ungeheurer Wust von Akten lag“, der jährlich wuchs, weil „die siebzehn Assessoren nicht einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend Prozesse hatten sich aufgehäuft, jährlich konnten sechzig abgetan werden, und das Doppelte kam hinzu“.104 Nach Angaben der „Kammergerichts-Leserey“ im Jahre 1769 soll „die Zahl aller von 1700 bis ult. Sept. 1769 eingeführter Prozesse […] 14416 und alle Kammergerichtlichen Aktenstücke […] 61233“ betragen haben.105 Auch am RHR hatte man mit Aktenbergen zu kämpfen,106 weswegen die Reichshofräte immer wieder ermahnt wurden, ihre Arbeiten „mit höchstem 100 Teil I Tit. VIII § 9 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 19; § 8 Memorial v. 1595, abgedr. in: Corpus iuris Cameralis (wie Fn. 65), S. 199. 101 Teil I Tit. VIII § 10 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 19. 102 Teil I Tit. VIII § 6 COC abgedr. in: Zwirlein Concept (wie Fn. 65), S. 18. 103 Abgedr. bei K. Zeumer Quellensammlung (wie Fn. 84), Nr. 217, S. 538 f. 104 J. W. v. Goethe Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 12. Buch. 105 Anonymus, Privat-Gedanken über die Eintheilung der Senate bey dem Kaiserl. und des Reichs-Kammergericht, Stadtamhof 1788, S. 11. Von den ca. 70.000 hinterlassenen Akten des RKG sind nach dem letzten Stand aus dem Jahre 2005 ca. 95 % der Akten erschlossen und verzeichnet worden, vgl. R. J. Weber (Bearb.), Akten des Reichskammergerichts im Staatsarchiv Sigmaringen (= Veröffentlichungen der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Bd. 57), Stuttgart 2004, S. 521–528. 106 Von den ca. 70.000 im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv aufbewahrten Akten des RHR konnten bisher nur 2500 des Bestandes der sog. Alten Prager Akten erfaßt werden. Die finanzielle Förderung eines größeren – von der Göttinger Akademie der Wissenschaf-
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fleiß“ zu erledigen.107 Aus einem reichshofrätlichen Protokoll von 1583 ergibt sich, daß in jenem Jahr 1291 Rechtssachen und Suppliken in 115 Sitzungen erledigt wurden.108 Nach einem reichshofrätlichen Dekret v. 15. April 1637 sollen wöchentlich 50 und mehr neue Sachen eingegangen sein.109 Im allgemeinen wurden in den vier bis fünf Sitzungen pro Woche jeweils zehn bis zwanzig Fälle erörtert.110 Zuverlässigere Zahlen gibt es jedoch erst für die Zeit Josephs II., der sich vorgenommen hatte, mit allen Mitteln „den ungehemmten richtigen und schleunigen lauf der unpartheyischen justitz zu“ befördern.111 Damit „ein neuer ruckstand nicht wiederum erwachse“, sollten „neue sachen“, beginnend mit dem Regierungsantritt des Kaisers, „so viel möglich, wo nicht in dem ersten, doch in dem darauf folgenden jar abgeurtheilet, mithin sothane sachen über das zweyte jahr ohne erhebliche ursachen […]“ nicht unerledigt gelassen werden.112 Um dieses Ziel zu erreichen, verlangte er 1766, daß die regulären Vormittagssitzungen 113 von vier auf wöchentlich fünf erhöht werden und bei Bedarf zusätzlich noch zwei Nachmittagssitzungen jeweils von 5 bis 7 Uhr hinzukommen sollten.114 Als sich die Reichshofräte gegen diese zusätzliche Arbeitsbelastung wehrten, ließ Joseph II. bei den Räten auf der Gelehrtenbank anfragen, ob sie fünf Vormittagssitzun-
ten, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie dem Wiener Haus-, Hofund Staatsarchiv geplanten – Erschließungsprojekts ist am 23. Oktober 2006 von der wissenschaftlichen Kommission der Union der Deutschen Akademien beschlossen worden. Mit der Realisierung dieses über 18 Jahre laufenden Langzeitprojekts unter dem Dach der Göttinger Akademie der Wissenschaften können jetzt weitere ca. 19.000 Einzelakten verzeichnet werden; vgl. W. Sellert Projekt einer Erschließung der Akten des Reichshofrats, in: W. Sellert (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, hg. v. F. Battenberg, B. Diestelkamp, U. Eisenhardt, G. Gudian, A. Laufs u. W. Sellert), Bd. 34, Köln, Weimar, Wien 1999, S. 199–210; L. Auer Such- und Erschließungsstrategien für die Prozeßakten des Reichshofrats, ebendort, S. 211–219; F. Battenberg Reichshofratsakten in den deutschen Staatsarchiven, ebendort, S. 221–251. 107 Vgl. beispielsweise Tit. I § 16 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 85 f. 108 Resolutionsprotokoll 16. Jahrhundert, Bd. 52a, S. 228. 109 RHR Verfassungsakten, Faszikel 2 und 11. 110 O. v. Gschließer Der Reichshofrat (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Rechtsgeschichte des ehemaligen Österreichs, Bd. 33), Wien 1942 (Nachdruck mit einer Vorbemerkung zur Neuausgabe v. W. Sellert sowie mit zahlreichen Korrekturen des Verf., Nendeln/Lichtenstein 1970), S. 38 f. 111 Einleitung zu dem Dekret vom 5. April 1766, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 309. 112 § 13 Dekret von 5.4.1766, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 321ff. 113 Die Sitzungen am RHR fanden montags, dienstags, donnerstags und freitags von 9–13 Uhr statt; vgl. dazu J. Ch. Herchenhahn Darstellung (wie Fn. 26), S. 212. 114 W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 296 ff.; O. von Gschließer Der Reichshofrat (wie Fn. 110), S. 471 ff. Zu den Sitzungsbelastungen am RHR vgl. im einzelnen W. Sellert Beschleunigung (wie Fn. 33), S. 267ff.
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gen in der Woche und 5000 fl. oder nur vier Sitzungen und 4000 fl. Jahresgehalt bevorzugten.115 Offenbar fühlten sich die Reichshofräte überlastet, denn sie entschieden sich für vier Sitzungen. Der Kaiser stimmte zwar trotz Verärgerung über den mangelnden Arbeitseifer zu, setzte aber durch, daß sich die Vormittagssitzungen statt der „anher üblich gewesenen dreyen auf vier stunden erstrecken“ sollten.116 Immerhin stieg jetzt die Zahl der jährlich erledigten Sachen in der Zeit von 1767 bis 1779 von 2088 auf 3388 „und betrug auch in den nächsten fünf Jahren durchschnittlich 2800 Stück“.117 Aktenrückstände und Überbelastung mögen am RKG mit seiner oft genug beklagten Unterbesetzung zu erklären sein. Über viele Jahrzehnte mußte es sich mit 12 oder weniger Assessoren begnügen, bis es endlich 1782 mit 25 ordentlichen Beisitzern dauerhaft besetzt werden konnte.118 Am RHR scheint demgegenüber die Besetzung des Richterkollegiums für die Arbeitsbelastung der Richter weniger Bedeutung gehabt zu haben. Denn nicht sie, sondern die Reichsstände forderten wiederholt, der Kaiser möge für den RHR nach dem Vorbild des RKG eine bestimmte Anzahl von Räten festsetzen.119 Doch erst in der RHRO v. 1654 wurden einschließlich des Präsidenten 18 Räte vorgesehen.120 Mehr sollten es auf keinen Fall sein, weil „die allzugrosse menge der räthe nur zu mehrer verlengerung der rathsgeschäfften geraich[e] 121. Gemeint war die sog. „umbfrag“ im reichshofrätlichen Plenum, wo die Relationen und Voten vorgetragen wurden 122, die, wenn es viele Räte waren, viel Zeit in Anspruch nahm.123 Über die Frage, ob die Richter an beiden Gerichten trotz Fleiß derart überlastet waren, daß sie die Urlaubszeiten und Ferien verdient hätten, gehen die Meinungen allerdings auseinander. So hat sich der Reichskammergerichts-
115 W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. S. 297 ff.; O. von Gschließer Der Reichshofrat (wie Fn. 110), S. 471 ff. 116 § 14 Dekret v. 5. April 1766, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 322 ff.; O. von Gschließer Der Reichshofrat (wie Fn. 110), S. 471 ff. 117 O. v. Gschließer Der Reichshofrat (wie Fn. 110), S. 38 f. 118 R. Smend Reichskammergericht (wie Fn. 92), S. 264 ff.; Kommentar zum Reichsgutachten von 1788 in: J. J. Schmauß, Corpus juris publici, Leipzig 1794 (hg. v. G. Schumann u. H. G. Franken; Nachdruck Hildesheim, New York 1973), S. 1554 f. 119 Tit. I § 2 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 54 Fn. 363. 120 Tit. I § 2 RHRO v. 1654, abgedr. bei W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 54. 121 Eodem. 122 W. Sellert Prozeßgrundsätze und Stilus Curie am Reichshofrat (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte Neue Folge, hg. v. A. Erler, W. Schlesinger und W. Wegener, Bd. 18), Aalen 1973, S. 339 ff. 123 W. Sellert Die Ordnungen (wie Fn. 20), S. 55 Fn. 363.
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assessor Franz Diedrich v. Ditfurth 124, als die Beisitzer angewiesen wurden, wichtige und eilige Extrajudizialangelegenheiten 125 in zusätzlichen Sitzungen zu erledigen, vehement dagegen gewehrt.126 Zum einen, so argumentierte er, sei schwer zu entscheiden, was überhaupt eilig und wichtig sei, zumal es nach dem „Geschrey der Procuratoren“ keine einzige Sache gäbe, die nicht eilig wäre.127 Zum anderen sei es angesichts der enormen Arbeitsbelastung der Assessoren unmöglich, in der vorgeschriebenen Weise zu verfahren. So habe er die größte Mühe, seine Akten zu bewältigen, obwohl er „des Morgens schon um 4 Uhr“ an seinem „Schreibpult sitze“ und nicht nur „die Ferien, festa, postfesta, und selbst die Sonntage […] zu Hülfe“ nähme.128 Auf diese Weise würden die Assessoren in kurzer Zeit um ihre Gesundheit gebracht. Es sei nicht ausgeschlossen, daß das „Collegium in drey bis vier Jahren mit sechs oder mehreren Invaliden beladen seyn“ würde, die nicht mehr arbeiten können. Vermutlich hätten sie „die Präsentation zu Assessorats-Stellen gar nicht angenommen, […] wenn sie hätten voraussehen können, daß ihre Dienstverrichtung mit Verlust ihres Lebens und Gesundheit verbunden werden könnte“.129 Entsprechende Klagen von Reichshofräten sind dagegen bisher nicht bekannt.130 Andere Zeitgenossen Ditfurths haben die Arbeitsbelastung, Urlaubszeiten und Ferien der Richter am RHR und am RKG etwas anders beurteilt. So war beispielsweise B. F. Mohl der Meinung, daß das RKG weit mehr „Ferien als 124 Ditfurth war von 1773–1806 als Assessor des Niedersächsischen Kreises am kaiserlichen Reichskammergericht tätig. Zu seiner Person vgl. S. Jahns Das Reichskammergericht und seine Richter (= Quellen u. Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, hg. v. F. Battenberg, B. Diestelkamp, U. Eisenhardt, A. Laufs u. W. Sellert), Bd. 26, Teil II, 2, Köln, Weimar, Wien 2003, S. 1389 ff. 125 Zuständig waren für diese Angelegenheiten die Extrajudizialsenate. Sie sollten, modern gesprochen, die Prozeßvoraussetzungen, darunter vor allem die Zuständigkeit des RKG, prüfen. Ihre Entscheidungen hießen Dekrete und waren Zwischenurteile, gegen die sich eine abgewiesene Partei mit dem Vorbringen neuer Gründe wehren konnte; vgl. dazu J. F. Seyfarts Teutscher Reichs-Proceß, Halle 1738, S. 144; H. Wiggenhorn Der Reichskammergerichtsprozeß am Ende des alten Reiches, jur. Diss. Münster 1966, S. 105 f. 126 F. D. v. Ditfurth Zwey Abstimmungen des Kayserlichen Kammergerichts Beysitzers Franz Diedrich von Ditfurth, deren Eine über die in den verflossenem Jahre im Druck erschienene Vorträge an den vollen Rath, des Kayserl. Herrn Kammergerichts – Assessoris Freyhern von Riedesel zu Eisenach, die Zweyte aber über einige nichtige Kammergerichtliche Einrichtungen, insbesondere die Referirart abgegeben worden, Jena 1792. 127 F. D. v. Ditfurth Abstimmungen (wie Fn. 126), S. 90. 128 F. D. v. Ditfurth Abstimmungen (wie Fn. 126), S. 86. 129 F. D. v. Ditfurth Abstimmungen (wie Fn. 126), S. 90. 130 1615 beklagte sich allerdings der nicht zu den Reichshofräten zählende Reichshoffiskal Dr. Johann Wentzel bei der Hofkammer darüber, dass die ihm zustehende Besoldung nicht ausgezahlt würde, obwohl er am RHR die Arbeit eines Hercules und Atlas zu leisten gehabt hätte und seine Sehkraft unter der Lektüre der Akten derart gelitten habe, dass er am gesicht über zwo klaffter niemenden auf der gassen mehr [er]kennen könne, vgl. dazu G. P. Obersteiner Reichshoffiskalat (wie Fn. 92), S. 89, 122.
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der Reichshofrath habe“.131 Denn am RHR gäbe es „weder Feyertage noch Postfeste, weder Canicular 132 noch alle sonstige grosse Ferien“ 133. Demgegenüber würden am RKG „nicht nur alle mögliche[n] Feyertage gefeyert und zu diesen nicht nur immer noch ein Postfest hinzugefüget“, sondern das Gericht stünde auch „durch seine Canicularferien […] alle Jahre für die Judicialien sechs Wochen völlig und für die Exztajudicialien fast ganz still“. Hierbei „seien „überdis die Ostern, die Pfingsten, die Weyhnachten und noch andere Ferien, die jedoch […] bald 8, bald 10–14 Tage und meistens länger als bey dem Reichshofrath dauern, nicht mitgerechnet“.134 Insgesamt seien diese Ferien „wie der Reichshofrath selbst beweise […] zu viele“ und nicht notwendig. Denn auch „die Reichshofräthe“ seien „zufrieden; auch sie“ hätten „gleichgewichtige Geschäfte, auch sie arbeiteten sich nicht zu Tode, vielmehr“ nähmen „sie, je nachdem ihr Alter und die äußerlichen Umstände es erlauben, an den täglichen Vergnügen der großen Kayserstadt den vollsten Antheil“.135 Hier dürften gesetzliche Lage und Praxis auseinanderfallen. Denn nach der RKGO v. 1555 sollte, wie oben ausgeführt 136, die „vacantz“ mit Ausnahme der Sonntage und anderen „hohen“ Festen nicht arbeitsfrei sein.
IV. Ergebnisse So unterschiedlich die Urlaubs- und Ferienzeiten am RKG und RHR auch geregelt gewesen sind, hätten sie doch ein Vorbild zunächst einmal für die Territorialgerichte im Heiligen Römischen Reich und sodann für die weitere Entwicklung des Arbeitsrechts sein können. Obwohl die Landesfürsten ihre Gerichtsverfassungen und Prozeßordnungen wiederholt nach dem Muster der Reichsgerichtsbarkeit gestalteten, dachten sie hier anders. Nur wegen „ehehaffte[r] redlicher[r] sachen“ wie „Leibschwachheit oder dergleichen verhindernussen“, also wegen schwerer Krankheiten sollte es ihren Richtern erlaubt sein, von den Gerichtssitzungen fernzubleiben. Für die Freistellung bedurfte es außerdem der Zustimmung des jeweiligen Gerichtspräsidenten, der damit „nit mild“ sein sollte.137 Eine der wenigen Ausnahmen enthielt die bayerische „Hofraths-Ordnung Ferdinand Maria’s“ v. 9. Oktober 1677. Sie 131
B. F. Mohl Vergleichung (wie Fn. 19), S. 192. Gemeint sind die sog. Hundstage (Canicular steht für das lat. canicula, das Hündchen), vgl. oben S. 526. 133 B. F. Mohl Vergleichung (wie Fn. 19), S. 193. 134 B. F. Mohl Vergleichung (wie Fn. 19), S. 193 f. 135 B. F. Mohl Vergleichung (wie Fn. 19), S. 194. 136 Vgl. oben S. 526. 137 Wilhelm V. Hofraths-Ordnung v. 20. August 1590, abgedr. bei M. Mayer Quellen zur Behörden-Geschichte Bayerns, Bamberg 1890, S. 159 ff. (163); ebenso Hofraths-Ordnung Herzog Albrechts V. v. 13. Juli 1573, abgedr. bei M. Mayer a.a.O. S. 246 ff. (248). 132
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bestimmte, daß „denen Hofräthen […] in eigenen sachen 6 Wochen, doch zu vnderschiedlicher zeit zu 14 Tägen oder 3 Wochen 138, von dem Rath abwesent zu seyn verstattet“ sein sollte.139 Verlangt wurde aber auch hier die Erlaubnis des Präsidenten, der zudem darauf zu achten hatte, daß der Urlaub „ohnne versaumnis der Churf. Diensten geschehe“.140 Im übrigen blieb das Verständnis für eine Erholungsbedürftigkeit der Richter gering.141 Das galt auch noch nach dem Untergang des Alten Reichs. So hieß es 1835 in einer Instruktion an die Richter des sächsischen Oberappellationsgericht in Dresden: „Ferien finden nicht statt“. Zwar solle „jedem Rate […] auf sein Verlangen jährlich eine vierwöchentliche Befreiung von Geschäften im Kollegium zu gestatten“ sein, nicht aber zur Erholung, sondern „um ihm namentlich auch die Muße zur Bearbeitung weitläufiger Rechtssachen zu verschaffen“.142 Nach alledem ist die Fortschrittlichkeit der Urlaubsregelungen an den Höchstgerichten des Heiligen Römischen Reichs beeindruckend. Das gilt insbesondere für den RHR, wo der Urlaub nicht nur zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten, sondern auch zur recreation gewährt wurde. Deswegen sollte die bisher im modernen Arbeitsrecht weit verbreitete Ansicht korrigiert werden, daß die Anfänge des bezahlten Erholungsurlaubs im Beamtenrecht des 19. Jahrhunderts zu suchen seien.143
138 Mit dieser Aufteilung des Urlaubs sollte, wie schon am RKG und am RHR, Vorsorge getroffen werden, daß der Geschäftsgang nicht beeinträchtigt wurde. Vgl. auch E. Döhring Geschichte (wie Fn. 15), S. 69, mit entsprechenden Nachweisen für die preußische Gerichtsbarkeit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 139 Hofraths-Ordnung Nr. 32, abgedr. bei M. Mayer Quellen (wie Fn. 136), S. 231; E. Rosenthal Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Baierns, Bd. 2, Würzburg 1906 (Neudruck Aalen 1968), S. 479. 140 Eodem. 141 Vgl. E. Döhring Geschichte (wie Fn. 15), S. 69. 142 § 7 der vom Justizministerium angeordneten Instruktion v. 18. April 1835, abgedr. bei A. Lobe Ursprung und Entwicklung der höchsten sächsischen Gerichte, Leipzig 1905, S. 107. 143 Vgl. oben S. 519 f.
Die Haftung der Arbeitnehmer gegenüber Dritten Gerald Spindler A. Einleitung Die Haftungsverhältnisse zwischen Juristischer Person, ihren Arbeitnehmern einerseits und Dritten andererseits bilden einen der Themenkreise, die den Jubilar intensiv beschäftigt haben,1 gehören sie doch zu einem der Grundprobleme im Schnittfeld zwischen allgemeinem Haftungs-, Arbeitsund Gesellschaftsrecht. Die Thematik hat allerdings in den letzten Jahrzehnten weniger im Bereich des Arbeitsrechts, als vielmehr im Gesellschaftsrecht an Brisanz gewonnen, seit der VI. Zivilsenat in einem vielbeachteten Urteil den Geschäftsführer einer GmbH als persönlich haftbar für Eigentumsverletzungen Dritter erklärte, die auf Verletzungen seiner Überwachungspflicht zurückzuführen waren.2 Seit diesem Paukenschlag gehört die Frage, inwieweit Organmitglieder persönlich für Delikte ihrer juristischen Person in Anspruch genommen werden können, zu einem der meist diskutierten Themen – jüngste Ausprägungen sind etwa die kapitalmarktrechtliche Informationshaftung 3 oder die Inanspruchnahme von Vorstandssprechern für kreditschädigende Äußerungen.4 Auch wenn die Haftung der Arbeitnehmer damit eher in den Hintergrund gedrängt wurde, zumal die meisten Haftungsfälle heute Arbeiten auf gemeinsamen Betriebsstätten betreffen – und damit
1 S. dazu schon Otto Ist es erforderlich, die Verteilung des Schadensrisikos bei unselbständiger Arbeit neu zu ordnen?, Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986; Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl. 1998; Otto Neujustierung der Risikoverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung – Insbesondere Arbeitnehmerverschulden und Versicherung, FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, 2004, S. 97. 2 BGHZ 109, 297 – Baustoff-Fall; bestätigt in BGH NJW 1996, 1535; dem folgend, aber die Haftung im konkreten Falle ablehnend OLGR Rostock 2007, 486; bezogen auf die Produkthaftung in der Tendenz ähnlich bereits BGH NJW 1975, 1827, 1828 f.; NJW 1987, 372, 374. 3 BGHZ 160, 149 = NJW 2004, 2971 – Infomatec; BGHZ 160, 134 = NJW 2004, 2664; BGH NJW 2005, 2450 – EM.TV; OLG Frankfurt AG 2006, 162, 163 f. – EM.TV; LG Hamburg AG 2001, 141, 144; Fleischer in Fleischer Hdb VorstR § 14 Rn 10 ff.; zur konzernrechtlichen Marktvertrauenshaftung (bezogen auf die Muttergesellschaft) Stein FS Pelzer, 2001 S. 557 ff.; Rieckers Konzernvertrauen und Konzernrecht, 2004, S. 75 ff. 4 BGHZ 166, 84 – Kirch./.Breuer; dazu Spindler JZ 2006, 741; Höpfner/Seibel BB 2006, 673, 678; s. ferner OLG München NJW 2004, 224, 226 ff.
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die Reichweite des Privilegs nach § 106 III SGB VII 5 – bleibt das Thema gerade im Hinblick auf die nicht abreißenden Skandale um Schmiergeldzahlungen an Dritte, Produkt- oder Umwelthaftungsfälle oder kapitalmarktrechtliche Delikte auch im Arbeitsrecht virulent. Dabei stehen weniger die Delikte im Vordergrund, die der Arbeitnehmer eigenhändig wie jedermann begeht. So besteht kaum Streit darüber, dass der Arbeitnehmer, der etwa einen Fußgänger gelegentlich einer Dienstfahrt überfährt, genauso persönlich haften muss wie ein Fahrer, der nur zur Erledigung privater Zwecke unterwegs ist. Problematisch sind dagegen die Fälle, in denen der Arbeitnehmer erst aufgrund seiner dienstlichen Tätigkeit überhaupt eine Gefahrenquelle beherrschen konnte, die die juristische Person (bzw. der Arbeitgeber) zuvor eröffnet hat – und dies im Zweifel auch nicht allein, sondern eingebettet in eine organisatorische Hierarchie. Dies gilt vor allem dann, wenn interne Organisationspflichten als haftungsbegründend im Außenverhältnis herangezogen werden, wie dies für geschäftsführende Organmitglieder mitunter der Fall ist.6 Gezeigt hat sich dies etwa an Fällen wie dem berühmten Wachmann-Fall, in welchem der IX. Zivilsenat des BGH dem angestellten Wachmann keine Haftung gegenüber den Eigentümern für die Verletzung von arbeitsvertraglich festgelegten Überwachungspflichten auferlegte, infolge derer Diebe das zu bewachende Gut der Eigentümer entwendeten,7 aber auch weiteren Konstellationen, etwa aus der Produkthaftung,8 der Übertragung von Verkehrspflichten auf Arbeitnehmer z.B. zur Sicherung von Baustellen 9 oder der Überprüfung der Verkehrssicherheit von Kinderspielplätzen oder von Spielautomaten.10 Das Problem hinter diesen Fällen betrifft letztlich immer die Inkongruenz zwischen dem Haftungsrisiko der Arbeitnehmer und dem von ihnen gezogenen Nutzen aus der Arbeitstätigkeit: Obschon sie im Innenverhältnis zum Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Gefahrgeneigtheit ihrer Arbeit bis auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des BAG von Haftungs-
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Dazu unten D. S. Fn. 2. 7 BGH NJW 1987, 2510, 2510 f. 8 Haftung eines leitenden Mitarbeiters für eine falsch hergestellte Kupplung BGH NJW 1975, 1827, 1828 f.; wohl auch BGH NJW 1987, 372 – Zinkspray – (obiter dictum); v. Westphalen BB 1975, 1033 f.; ProdHdb./Foerste § 25 Rn. 242. 9 BGH VersR 1964, 942, 943 f. – Bauleiter –; BGH VersR 1973, 836, 838 – Polier –; BGH VersR 1982, 576, 577 – Bauführer –; BGHZ 136, 69, 76 f. – Bauführer –; RGZ 156, 193, 198 – Lanzschlepper –; OLG Düsseldorf BauR 1993, 617, 618 mit Besprechung von Rogge JuS 1995, 581; grds. auch OLG Hamm NJW-RR 1999, 1324 f., wenngleich in concreto abgelehnt; ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Rogge Selbständige Verkehrspflichten, 1997, S. 79 ff. m.w.N. 10 BGH NJW 1988, 48, 49: Gärtnermeister zur Überwachung eines Spielplatzes; BGH VersR 1993, 198, 199. 6
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risiken freigestellt sind 11 und auch bei Ansprüchen Dritter gegen sie einen entsprechenden Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber besitzen,12 bleibt ihr Haftungsrisiko unverändert, wenn der Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber aufgrund dessen Insolvenz ins Leere geht. Eine Begrenzung der Haftung der Arbeitnehmer im Außenverhältnis kommt auf verschiedenen Ebenen in Betracht:
B. Vertragliche Haftungsbeschränkungen und Außenhaftung Bestehen zwischen dem Arbeitgeber und dem geschädigten Dritten Vertragsbeziehungen, liegt es nahe etwaige Haftungsfreizeichnungen und -begrenzungen, die zwischen Arbeitgeber und geschädigtem Dritten vereinbart wurden, auch für die Außenhaftung des Arbeitnehmers fruchtbar zu machen. I. Transportrecht In einem – in der Praxis allerdings durchaus wichtigen – Sonderbereich waren schon frühzeitig Versuche zu verzeichnen, vertragliche Haftungsfreizeichnungen auf Arbeitnehmer zu erstrecken: So wirkten die früheren vertraglichen Haftungsbeschränkungen der ADSp zwischen Eigentümer und Vertragspartner im Wege ergänzender Vertragsauslegung auch für den SpeditionsSubunternehmer, der im Innenverhältnis als Frachtführer die Stellung eines Erfüllungsgehilfen besaß und in eine besondere Nähe zum Vertrag zwischen Eigentümer und Spediteur rückte, da der Eigentümer mit einer Vereinbarung der ADSp gegenüber dem Frachtführer rechnen musste.13 Entsprechend gal11 BAG AP Nr. 103 zu § 611 BGB = NJW 1995, 210; BAG NZV 1995, 396: Quotelung selbst bei grober Fahrlässigkeit, aber ohne summenmäßige Beschränkung; bestätigt in BAG NZA 1998, 140, 141; zust. BGH ZIP 1996, 763, der aber keine generelle Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf grobe Fahrlässigkeit annimmt; zur Rechtsprechungsentwicklung umfassend Otto/Schwarze, Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 163 ff., 182 ff.; Peifer ZfA 1996, 69, 70 ff.; Schaub ZRP 1995, 447, 447; S. Edenfeld in: Erman, 11. Aufl., 2004, § 611 BGB Rn. 338 ff.; Hanau/Rolfs NJW 1994, 1439; Ahrens DB 1996, 934, je m.w.N. 12 Vgl. BAG AP Nr. 45 zu § 611 Haftung des Arbeitnehmers; Blomeyer in: MünchHdbArbR, 2. Aufl., 2000, I, § 60 Rn. 14; Richardi in: Staudinger (2005), § 611 Rn. 619; S. Edenfeld in: Erman, 11. Aufl. 2004, § 611 BGB Rn. 344. 13 S. BGH WM 1995, 1818 (1820 f.); BGH NJW 1994, 852, 855; OLG Düsseldorf TranspR 1996, 38 (39 f.); s. bereits RGZ 70, 174, 176 f.; RGZ 75, 169, 172; Koller Transportrecht, 3. Aufl., 1995, Vor § 1 ADSp Rn. 4; Helm Großkommentar, HGB, 4. Aufl., § 63 ADSp Rn. 6 in Anh I § 415; im Ergebnis ebenso Hübsch Haftung des Güterbeförderers, 1997, S. 186 ff., 219 f. alle m.w.N. Dies galt wegen § 52 ADSp aber nur für die genannten Ausnahmefälle der quasi-unselbständigen Subunternehmer, da der Spediteur sonst dem Auftraggeber die Ansprüche gegenüber dem Dritten zu verschaffen hat, vgl. BGH NJW 1994, 852, 855; Koller Transportrecht, 3. Aufl., 1995, § 407 HGB Rn. 4; Otto Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986, S. E 20.
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ten die Haftungsbeschränkungen der ADSp und KVO auch zugunsten der Arbeitnehmer des Spediteurs.14 Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung letztlich in §§ 436, 437 HGB kodifiziert,15 indem die Leute des Frachtführers bzw. Spediteurs sich auf für den Spediteur geltende Haftungsbegrenzungen berufen können. Dabei reichte der auf diese Art und Weise gewährte Schutz deutlich weiter als derjenige, welchen die Rechtssprechung zur alten Rechtslage entwickelt hatte, da diese Regelung die Leute des Frachtführers selbst dann von der Haftung freistellte, wenn dieser selbst eine strengere als die gesetzliche Haftung akzeptiert hatte 16, während die Haftungsbefreiung aufgrund eines Vertrags zugunsten Dritter auf die Reichweite des Vertrags selbst beschränkt war.17 Wenngleich Zweifel bestehen, ob die angeführte transportrechtliche Rechtsprechung verallgemeinert werden kann, gibt es auch in der Judikatur des BGH zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Anzeichen, die Haftungsfreizeichnungen des Hauptvertrages auf Erfüllungsgehilfen zu erstrecken.18 Beispielsweise hat der BGH eine solche Wirkung im Falle der Verursachung eines Brandes bei der Durchführung von Montagearbeiten durch die Mitarbeiter der beauftragten Firma angenommen.19 Dabei wird in der Regel im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt, ob sich die im Hauptvertrag eingeräumte Haftungsfreizeichnung zugunsten des Geschäftsherrn auch auf die persönliche Haftung des Erfüllungsgehilfen erstrecken soll.20 Ein wesentliches Kriterium hierbei ist das Bestehen eines
14 Vgl. OLG Celle VersR 1983, 683; LG Darmstadt TranspR 1991, 380, 383f.; Koller Transportrecht, 3. Aufl., 1995, Vor § 1 ADSp Rn. 4, § 30 KVO Rn. 10; Baumann FS E. Lorenz 1994, S. 105, 114; Hübsch Haftung des Güterbeförderers, 1997, S. 198 ff., 219 f. 15 Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BR-Drucksache 368/97, S. 72. 16 Koller Transportrecht, 5. Aufl. 2004, § 436 HGB Rn. 8; Merkt in: Baumbach/Hopt, § 436 HGB Rn. 1; Gass in: Ebenroth/Boujong/Joost, § 436 HGB Rn. 7. 17 Vgl. OLG Celle VersR 1983, 683; LG Darmstadt TranspR 1991, 380, 383f.; Koller Transportrecht, 3. Aufl. 1995, Vor § 1 ADSp Rn. 4, § 30 KVO Rn. 10; Baumann FS E. Lorenz 1994, S. 105, 114; Hübsch Haftung des Güterbeförderers, 1997, S. 198 ff., 219 f. 18 S. schon BGHZ 108, 305, 318 f.; BGH NJW 1994, 852, 855 f.; BGH VersR 1985, 595 f.; Hadding in: Soergel, 12. Aufl., 1990, Anh. § 328 Rn. 45; Gottwald in: MünchKomm, 5. Aufl., 2007, § 328 BGB Rn. 184 ff.; Jagmann in: Staudinger (2004), § 328 BGB Rn. 117 ff.; s. dagegen v. Westphalen in: ProdHdb, 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 16 Rn. 11 ff., der danach differenzieren will, ob der Gläubiger erkennen konnte, dass der Verwender Arbeitnehmer oder selbständige Dritte als Erfüllungsgehilfen einschaltet; wesentlich weitergehender Räcke Haftungsbeschränkungen, 1995, S. 72–114, der rechtsfortbildend auf der Grundlage des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritten immer Haftungsprivilegierungen für den Arbeitnehmer anwenden will, damit aber auch nur den kleinen Ausschnitt der tatsächlich bestehenden Haftungserleichterungen erfassen kann. 19 BGH VersR 1985, 595. 20 BGHZ 130, 223, 228; BGH VersR 60, 727; Taupitz VersR 1982, 315, 319; Jagmann in: Staudinger (2004), § 328 Rn. 117 ff.; Gottwald in MünchKomm, 5. Aufl. 2007, § 328 BGB Rn. 184a; H. P. Westermann in: Erman, 11. Aufl. 2004, § 328 BGB; anders noch BGH VersR 1959, 1000, 1002.
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Freistellungsanspruchs des Erfüllungsgehilfen gegenüber dem Geschäftsherrn, da sonst die Haftungsfreistellung im Falle des Regresses leer liefe.21 Insoweit entsprechen die an dieser Stelle angestellten Erwägungen dem, was auch für das Transportrecht gilt. Teilweise wird dieser Anknüpfung an einen Freistellungsanspruch für eine Ausweitung der Haftungsfreistellung entgegengehalten, dass hierdurch eine unzulässige Vermischung von Innen- und Außenverhältnis stattfinden würde und in der Regel ein solch altruistischer Wille des Arbeitgebers nicht anzunehmen sei.22 Diese Kritik lässt aber unberücksichtigt, dass es aus Sicht des Arbeitgebers weniger um ein altruistisches Interesse zum Schutz seines Arbeitnehmers geht, als vielmehr um die effektive Wirksamkeit seiner eigenen Freizeichnung.23 Doch stellen sich schon zahlreiche Detailprobleme, die aus der Anknüpfung an die vertragliche Beziehung resultieren, beispielsweise welche Haftungsfreizeichnung bei Kettenverträgen oder mehrstufigen Vertragsbeziehungen zugunsten des Schädigers heranzuziehen ist.24 Auch hilft das Kriterium der Vorhersehbarkeit einer Haftungsbeschränkung nur in den Fällen weiter, in denen es sich um allgemein bekannte Klauselwerke, wie die ADSp, handelt.25 Jeder Rekurs auf Haftungsfreizeichnungen des Arbeitgebers gegenüber Dritten bedingt jedoch, dass überhaupt solche Beschränkungen bestehen – was nicht immer der Fall sein wird. Hinzu kommt, dass gerade Haftungsfreizeichnungsklauseln immer kritischer von der Rechtsprechung beurteilt werden, angefangen bei der Unzulässigkeit jedweder Freizeichnung bei Kardinalpflichten 26 bis hin zu Beschränkungen auf vorhersehbare Schäden 27. 21 Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl. 1998, Rn. 503; Gottwald in MünchKomm, 5. Aufl., 2007, § 328 Rn. 185; Sandmann Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, 2001, S. 163 f.; Medicus Bürgerliches Recht, 20. Aufl., 2004, Rn. 937; Krause VersR 1995, 752, 753. 22 Gerhard VersR 1971, 381, 388 ff.; Helm AcP 161 (1962), 516, 534 ff.; Schmidt-Salzer BB 1969, 297, 298. 23 Gottwald in MünchKomm, 5. Aufl. 2007, § 328 Rn. 185; Sandmann Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, 2001, S. 163 f.; ErfK/Preis § 619a BGB Rn. 27. 24 Ausführlich dazu Krause VersR 1995, 752, 753 f.; Hübsch Haftung des Güterbeförderers, 1997, S. 246 ff.; zur Wirkung von Haftungsbeschränkungen im Straßengütertransportbereich, offen BGHZ 130, 223, 227; für eine Drittwirkung Grundmann in: MünchKomm, 5. Aufl. 2007 § 276 Rn. 183; Blaurock ZHR 146 (1982), 238, 253; Helm in: Großkommentar, HGB, 4. Aufl, Vor § 1 ADSp Rn. 26 in Anh I § 415; Meyer Der Schutz von Erfüllungsgehilfen, 1994, S. 120; anders Koller Transportrecht, 5. Aufl., 2004, Vor Ziff. 1 ADSp Rn. 7, der eine Wirkung für Subunternehmer im Regelfall ablehnt; anders im Schifffahrtsbereich, wo der BGH generell eine Auswirkung annimmt, vgl. BGH VersR 1960, 727, 729; BGH VersR 1977, 717, 718; dazu Kronke TranspR 1988, 89 f. 25 Zweifel auch bei Räcke Haftungsbeschränkungen, 1995, S. 38 f. m.w.N. 26 BGHZ 49, 356; 89, 363, 367 f.; 93, 48; 103, 316, 324; 149, 89; MDR 2001, 346; MDR 2002, 330; NJW-RR 2005, 1496, 1505. 27 BGH NJW 1993, 335; BGHZ 145, 203; BGH NJW-RR 2006, 267, 269.
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II. Überlassung von Betriebsmitteln (Leasing-Fälle) Eine andere wesentliche Fallgruppe betrifft die Überlassung von Betriebsmitteln an den Arbeitgeber durch einen Dritten aufgrund von Leasingverträgen oder aufgrund einer Betriebsaufspaltung. Hier scheint die Lösung in einer entsprechenden Anwendung des § 991 II BGB zu liegen, durch den eine Haftungsbegrenzung für Arbeitnehmer, die das Eigentum des Dritten an den Betriebsmitteln beschädigt haben, erreicht werden kann. Denn der Arbeitnehmer sei nicht schlechter als ein gutgläubiger, unrechtmäßiger, unmittelbarer Besitzer zu behandeln, da er in der Regel weder in die Eigentumsverhältnisse noch in das Risikopotential Einblick besitze.28 Dem ist die Rechtsprechung jedoch zu Recht entgegen getreten, da es sich beim Arbeitnehmer in der Regel um einen Besitzdiener und nicht um einen unmittelbaren Besitzer handelt, so dass die Bestimmungen des EigentümerBesitzer-Verhältnisses ausscheiden.29 Zweifelhaft ist auch, ob das für das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis notwendige Herrschaftsverhältnis des Arbeitnehmers gegenüber dem Betriebsmittel vorliegt,30 zumal der Arbeitgeber durch entsprechende Hinweise an die Belegschaft oder auf den Betriebsmitteln der Anwendung der §§ 987 ff. BGB den Boden entziehen könnte. III. Analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegierung? Schließlich wurde versucht, die vom Großen Senat des BAG formulierten Grundsätze zur arbeitsrechtlichen Haftungsbegrenzung des Arbeitnehmers auch gegenüber Dritten zur Geltung zu bringen. Da das BAG zur Begründung nicht mehr das arbeitsrechtliche Treue- und Fürsorgepflichtenkonzept heranzieht, sondern auf das nur vom Arbeitgeber zu steuernde und daher zu tragende Betriebs- und Unternehmensorganisationsrisiko abstellt, das verschuldensunabhängig nach § 254 BGB (!) den Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer ausschließen oder mildern soll,31 28 So vor allem Baumann BB 1990, 1833, 1834 ff.; Baumann BB 1994, 1300, 1302, 1305; Baumann FS E. Lorenz 1994, S. 105, 106; ähnlich Wohlgemuth DB 1991, 910, 912. 29 BGH NJW 1994, 852, 854; ähnlich Räcke Haftungsbeschränkungen, 1995, S. 196ff.; weitere dogmatische Einwände bei Annuß Die Haftung des Arbeitnehmers, 1998, S. 36f.; Sandmann Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, 2001, S. 179 ff.; im Ergebnis ebenfalls ablehnend Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 494. 30 Vgl. Krause VersR 1995, 752, 757; Otten DB 1997, 1618, 1620; kategorisch ablehnend auch Blomeyer in: MünchHdbArbR, 2. Aufl., 2000, Bd. I, § 60 Rn. 4; Meyer Der Schutz von Erfüllungsgehilfen, 1994, S. 154 f. 31 BAG AP Nr. 103 zu § 611 BGB = NJW 1995, 210; s. bereits BAG AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers Nr. 98; BAG NZA 1993, 547 = ZIP 1993, 699; BAG NZA 1994, 270; zust. BGH NJW 1994, 852, 854; zust. Ahrens DB 1996, 934, 936; Otten DB 1997, 1618 (1620); krit. zur Begründung des BAG Richardi NZA 1994, 241.
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müsse zumindest auch demjenigen, der sich etwa wie ein Betriebsmittelgeber mittelbar den Einsatz und die Effizienz der Arbeitsorganisation zunutze mache, das Risiko der Schädigung der Betriebsmittel zugerechnet werden.32 Zwar ist der Gedanke der Zurechnung des Organisationsrisikos zum eigentlichen Nutznießer zutreffend, doch werden damit die rechtlichen Einflussmöglichkeiten eines Betriebsmittelgebers außerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen, wie sie bei der Betriebsaufspaltung naheliegen mögen, verkannt. Der Betriebsmittelgeber hat in der Regel keine rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, die Organisation und den Einsatz des von ihm überlassenen Eigentums zu steuern und zu beeinflussen, gerade bei Eigentumsvorbehalt oder Sicherungseigentum, so dass die Zuweisung des Organisationsrisikos, das den zentralen Grund für das BAG zur Ausweitung der Haftungsbegrenzung darstellte, an den Betriebsmittelgeber nicht gerechtfertigt ist.33 Dies gilt erst recht für Dritte, die ohne jeglichen Einblick oder Einflussnahme auf die Verhältnisse im Betrieb sind. IV. Zwischenergebnis Allen vertraglichen oder auf vertragsähnlichen Kontakten basierenden Ansätzen ist gemein, dass sie dort nicht weiter führen können, wo keinerlei entsprechende Beziehungen zwischen Unternehmer und Geschädigten bestehen, insbesondere nicht für die risikoträchtigen Bereiche der Produktund Umwelthaftung. Zwar erkennen sowohl Rechtsprechung als auch die überwiegende Meinung in der Literatur die vertragliche Erstreckung von Haftungsbeschränkungen auf die Arbeitnehmer an, da sonst der Arbeitgeber aufgrund des arbeitsvertraglichen Freistellungsanspruchs vom Arbeitnehmer in Regress genommen werden könnte und die Haftungsbeschränkung für den Arbeitgeber ihren Sinn verlöre,34 ohne sich indes über die dogmatische 32
So Krause VersR 1995, 752, 758; Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl. 1998, Rn. 493, 495; ähnlich Räcke Haftungsbeschränkungen, 1995, S. 205 ff., 218 f.; Baumann FS E. Lorenz 1994, S. 105, 123 ff.; ebenso im Ansatz Schaub ZRP 1995, 447, 449; wohl auch Hanau Karlsruher Forum 1993, S. 24, 25, aber mit offener Begründung. 33 BGH NJW 1994, 852; NJW 2003, 578; ähnlich Annuß Die Haftung des Arbeitnehmers, 1998, S. 39 und Katzenstein RdA 2003, 346, 355; dies verkennen Krause und Räcke Haftungsbeschränkungen, 1995, S. 205 ff., 218 f., wenn sie den Geschädigten allein aufgrund des Vertrages mit dem Arbeitgeber am Organisationsrisiko partizipieren lassen wollen; klarer noch Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl. 1998, Rn. 493, die dies offen als Rechtsfortbildung (zu Lasten der Interessen des Betriebsmittelgebers) deklarieren. 34 BGHZ 130, 223, 228 f. für den transportrechtlichen Bereich; BGH VersR 1985, 595, 596; Gottwald in: MünchKomm, 5. Aufl. 2007, § 328 BGB Rn. 185; H. P. Westermann in: Erman, 11. Aufl. 2004, § 328 BGB Rn. 18; S. Edenfeld, in: Erman, 11. Aufl. 2004, § 611 BGB Rn. 345; Denck JZ 1990, 175, 176; ders. Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 130 ff.; Schmid TranspR 1986, 49, 53; offen Schlosser in: Staudinger (2006), § 305 BGB Rn. 170; im
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Konstruktion einig zu sein.35 Doch hängt der Schutz des Arbeitnehmers von der Existenz und Zulässigkeit einer solchen Haftungsbeschränkung ab.36 Selbst bei einer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vorgenommenen Beschränkung für Erfüllungsgehilfen 37 konterkariert jede explizite Vertragsklausel, die die Haftung für den Unternehmer und dessen Erfüllungsgehilfen auch für leichte Fahrlässigkeit eröffnet, das Bemühen um Haftungsbegrenzung für den Arbeitnehmer.38 Ebensowenig hilft der Verweis auf bestehende Haftpflichtversicherungen, in deren Schutz Erfüllungsgehilfen und Arbeitnehmer einbezogen werden, wenn zum einen Risikoausschlüsse sowohl aufgrund der jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen, wie § 4 I AHB,39 als auch des jeweiligen Einzelvertrages gelten, zum anderen es dem Arbeitgeber außerhalb einiger Gefährdungshaftungsgesetze frei steht, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen und deren Bestand zudem von der rechtzeitigen Zahlung der Versicherungsprämien abhängt, was gerade in dem relevanten Fall der Insolvenz zum Ausfall des Versicherungsschutzes führen kann.40 In den Mittelpunkt der Überlegungen rücken daher vertragsunabhängige Begrenzungen der Außenhaftung des Arbeitnehmers:
C. Deliktische Außenhaftung ohne vertragliche Beziehungen I. Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung aufgrund des Sozialstaatsprinzips? Eine Begrenzung der deliktischen Außenhaftung des Arbeitnehmers ist verschiedentlich mit verfassungsrechtlichen Erwägungen begründet worden,41 insbesondere aufgrund des Sozialstaatsprinzips und unter Bezugnahme auf Ergebnis zust., aber auf der Grundlage der Zusammenfassung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu einer Haftungspartei Krause VersR 1995, 752, 753 im Anschluss an Gernhuber Das Schuldverhältnis, 1989, § 22 II 9, S. 549. 35 Ausführlich zu den verschiedenen dogmatischen Konstruktionsversuchen Blaurock ZHR 146 (1982), 238, 240 ff.; Meyer Der Schutz von Erfüllungsgehilfen, 1994, S. 38 ff.; Hübsch Haftung des Güterbeförderers, 1997, S. 219 ff. je m.w.N. 36 Zu Recht daher die Kritik bei Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 493. 37 So Denck JZ 1990, 175, 177; ders. Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 130 ff.; ähnlich Annuß Die Haftung des Arbeitnehmers, 1998, S. 64 ff., 68 f.; s. auch Wohlgemuth DB 1991, 910, 912; durchaus offen: BGHZ 108, 305, 318 f. 38 Darauf weisen zu Recht Krause VersR 1995, 752, 757 und Räcke Haftungsbeschränkungen, 1995, S. 43 f. hin; ebenso Otten DB 1997, 1618, 1619. 39 S. dazu Krause VersR 1995, 752, 755 f.; Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 228 ff. m.w.N. 40 Vgl. zum Prämienverzug des Arbeitgebers schon Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 203 ff., 241 ff. 41 Vgl. OLG Celle VersR 1993, 1026, 1027; Baumann BB 1994, 1300, 1304; ähnlich Däubler NJW 1986, 867, 872.
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die entsprechende grundrechtliche Begründung des BAG zur Haftungseinschränkung im Arbeitsverhältnis.42 Eine derartige Haftungsbeschränkung stünde jedoch auf tönernen Füßen. Denn gegen eine Ableitung von zwingenden Haftungsbegrenzungen aus verfassungsrechtlichen Überlegungen spricht bereits die relative Offenheit der auch im Deliktsrecht miteinander kollidierenden Grundrechte der Betroffenen.43 So kann kaum angenommen werden, dass das Integritätsinteresse eines Geschädigten, erst recht bei Körper- oder Gesundheitsschäden, dem Interesse des Arbeitnehmers an seinem Vermögen und seiner beruflichen Existenz unterzuordnen wäre, etwa bei Produkt- oder Umweltgefahren. Zudem kann auf den sozialen Schutz von Schuldnern durch das Vollstreckungsrecht verwiesen werden.44 Demgemäß hat die Rechtsprechung eine Rechtsfortbildung im Deliktsrecht bislang strikt abgelehnt.45 II. Verkehrspflichten von Arbeitnehmern Ausgangspunkt ist daher zunächst die unbeschränkte Außenhaftung des Arbeitnehmers nach § 823 Abs. 1 BGB, wenn er selbst ein Delikt begeht.46 Dies schließt aber nicht aus, dass danach differenziert wird, ob der Arbeitnehmer die jedermann obliegenden Verkehrspflichten oder nur solche verletzt hat, die ihm nur durch die Delegation der Pflichten seitens des Arbeitgebers obliegen.47 Vor allem bei komplexen Schadensverläufen, zu denen der Arbeitnehmer im Unternehmen selbst einen Ursachenbeitrag leistet, indem er nicht ordnungsgemäß einen Bereich organisiert, überwacht oder leitet oder eine vom Geschäftsherrn übertragene Verkehrspflicht verletzt, ist diese Frage relevant. 42
BAG AP Nr. 103 zu § 611 BGB = NJW 1995, 210. Ablehnend gegenüber der verfassungsrechtlichen Begründung des BAG Otto AuR 1995, 72, 73 f.; Richardi NZA 1994, 241, 244; Krause VersR 1995, 752, 756; Krause JR 1994, 494, 499, alle m.w.N. 44 BGH NJW 1994, 852, 855. 45 BGHZ 108, 305, 307 ff.; bestätigt in BGH NJW 1994, 852, 855 sowie in BGH NJW 1995, 1150; Lepa NZV 1997, 137, 140; zust. Richardi NZA 1994, 241, 244; Katzenstein RdA 2003, 346, 351 f.; Krause, in: Soergel, 13. Aufl., 2005, § 823 Anh II Rn. 72; Hager in: Staudinger (1999), § 823 BGB Rn. E 68, F 34; Sandmann Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, 2001, S. 175 ff.; H. Schmidt Die Umwelthaftung der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften, 1996, S. 44 ff., 46; abl., aber wohl nur bezüglich der konkreten Fallkonstellation Baumann BB 1994, 1300, dort 1302 ff.; Baumann FS E. Lorenz 1994, S. 105, 106; krit. auch Schaub ZRP 1995, 447, 449, der allerdings einseitig auf Vertragsgläubiger des Arbeitgebers abstellt. 46 Vgl. BGH VersR 1988, 1166: LKW-Fahrer, der fremden Baustellenarbeiter überrollt; BGH VersR 1989, 1187: LKW-Fahrer, der dem Empfänger einer Chemikalienlieferung fahrlässig Verletzungen zufügt; BGH NJW 1995, 1150: Tankwagenfahrer, der Ölunfall verschuldet; OLG Karlsruhe NJW 1996, 200, 201: Haftung eines Mitarbeiters wegen Zerstörung von Computerdaten auf einer Kunden-Festplatte. 47 Zutr. Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 461 f. 43
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Die Rechtsprechung bietet hierzu ein uneinheitliches Bild. Während der IX. Zivilsenat des BGH einem angestellten Wachmann keine Haftung gegenüber den Eigentümern für die Verletzung von arbeitsvertraglich festgelegten Überwachungspflichten auferlegte, infolge derer Diebe das zu bewachende Gut der Eigentümer entwendeten,48 unterwarf der VI. Zivilsenat insbesondere in der Spannkupplungs-Entscheidung einen leitenden Mitarbeiter der Haftung für eine falsch hergestellte Kupplung.49 Ebenso haften Arbeitnehmer für Verkehrspflichten, die ihnen vom Arbeitgeber im Rahmen ihres Aufgabenkreises übertragen werden, z.B. zur Sicherung von Baustellen 50 oder der Persönlichkeitsrechte Dritter im Pressewesen,51 oder zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Kinderspielplätzen oder von Spielautomaten.52 Allerdings greift zugunsten der Arbeitnehmer außerhalb ihres Aufgabenkreises der Vertrauensgrundsatz ein, so dass sie sich auf ein Eingreifen übergeordneter Instanzen verlassen dürfen.53 Auch im Schrifttum herrscht keineswegs Einigkeit: So wird einerseits die Ausdehnung der Haftung auf Arbeitnehmer für verfehlt gehalten, da angesichts der Haftung des Betriebsinhabers kein Bedürfnis für die Ausdehnung der Haftung auf Arbeitnehmer bestehe, die Verkehrspflichten unternehmensbezogen seien und ein Mitarbeiter die Kosten nicht wie das Unternehmen auf andere abwälzen könne.54 Andere dagegen belassen es bei der Haftung des Arbeitnehmers, weil diese letztlich aufgrund ihrer Stellung im
48 Vgl. BGH NJW 1987, 2510, 2510 f. – Wachmann –; s. aber den I. Zivilsenat in BGHZ 9, 301, 307 zur Berufshaftung bzw. vertraglich begründeten, auf die deliktische Haftung gegenüber am Vertrag nicht beteiligten Dritten überwirkende Pflicht des Spediteurs zur Fürsorge für fremdes Eigentum. 49 BGH NJW 1975, 1827, 1828 f. – Spannkupplung –; wohl auch BGH NJW 1987, 372 – Zinkspray – (VI. Zivilsenat), allerdings als obiter dictum; zust. v. Westphalen BB 1975, 1033 f.; Foerste in: ProdHdb. 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 25 Rn. 242. 50 BGH VersR 1964, 942 (943 f.) – Bauleiter –; BGH VersR 1973, 836, 838 – Polier –; BGH VersR 1982, 576, 577 – Bauführer –; BGHZ 136, 69, 76 f. – Bauführer –; RGZ 156, 193, 198 – Lanzschlepper –; OLG Düsseldorf BauR 1993, 617, 618 mit Besprechung von Rogge JuS 1995, 581; grundsätzlich auch OLG Hamm NJW-RR 1999, 1324 f., wenngleich in concreto abgelehnt; OLG Köln NJW-RR 2000, 1554 (Haftung eines angestellten Monteurs wegen unterlassener Aufklärung des Auftraggebers); ausführliche Rechtsprechungsanalyse bei Rogge Selbständige Verkehrspflichten, 1997, S. 79 ff. m.w.N. 51 Vgl. KG NJW 1991, 1490, 1491, in casu Haftung aber mangels entsprechender Enscheidungsbefugnisse abgelehnt. 52 BGH NJW 1988, 48, 49, in casu Haftung jedoch wegen gerechtfertigten Vertrauens auf fehlerhafte Dienstanweisung abgelehnt; BGH VersR 1993, 198, 199 – Spielautomat. 53 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 1999, 1324, 1325. 54 So bereits Lieb JZ 1976, 526, 527; Diederichsen NJW 1978, 1281, 1287; Marschall v. Bieberstein VersR 1976, 411, 414; Hanau Karlsruher Forum 1993, S. 24, 26, der die arbeitsrechtlichen Maßstäbe im Außenverhältnis anwenden will; Mertens VersR 1980, 397, 407 f.; Mertens AcP 178 (1978), 227, 236; Wagner in: MünchKomm, 4. Aufl. 2004, § 823, Rn. 402 AcP 176, 1976, 145, 170; Leßmann JuS 1979, 853, 856; Denck Der Schutz des
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Betrieb Pflichten auch nach außen zum Schutz Dritter übernommen haben,55 der Sphärengedanke keine Berücksichtigung im BGB gefunden habe 56 und eine Präventionswirkung durch Haftung sowohl gegenüber dem Arbeitnehmer als auch dem Organisationsträger erforderlich sei,57 teilweise gestützt auch auf § 831 II BGB, da Arbeitnehmer vertraglich Gefahrabwehrpflichten übernähmen.58 Die Zuweisung von Verkehrspflichten und damit der Anknüpfungspunkt für eine Haftung bei mittelbaren Rechtsgutsverletzungen stehen jedoch nicht a priori fest: Ausgangspunkt sollte sowohl die Zuweisung des Organisationsrisikos auf den Unternehmensträger, das nur der Arbeitgeber insgesamt steuern kann,59 als auch die Frage der Korrelation zwischen Nutzen und Risiko des Pflichtenträgers sein. Sieht man die Übernahme der Verkehrspflichten durch die Arbeitnehmer gegenüber Dritten als maßgeblich an,60 würde stillschweigend vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber überhaupt die betroffenen Verkehrspflichten delegieren kann 61 oder die Verkehrspflichten des Arbeitnehmers durch seine Stellung im Unternehmen feststehen – gerade dies ist aber die offene Frage. Die Verkehrspflichten und ihre Zuordnung sind nicht von vornherein derart konturiert, dass sie nicht Argumenten der
Arbeitnehmers vor der Außenhaftung, 1980, S. 63 ff.; Brüggemeier Haftungsrecht, 2006, S. 181; Brüggemeier DeliktsR, 1986, Tz. 531; Brüggemeier WM 1982, 1294, 1297; Larenz/ Canaris SchuldR, 13. Aufl., 1994, Bd. II/2, § 76 III 5d). 55 So Schlechtriem FS Heiermann 1995, S. 281, 288; Brüggemeier AcP 191 (1991), 33, 57; Christensen Verkehrspflichten in arbeitsteiligen Prozessen, 1995, S. 156 ff.; Foerste in: ProdHdb., 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 25 Rn. 242; J. Hager in: Staudinger (1999), § 823 BGB F Rn. 46; H. Schmidt Die Umwelthaftung der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften, 1996, S. 44 ff., 46; Rottkemper Deliktische Außenhaftung der Leitungsorganmitglieder, 1996, S. 36 f.; v. Westphalen FS Felix 1989, S. 559, 572 ff. 56 Annuß Die Haftung des Arbeitnehmers, 1998, S. 28 f. 57 Brüggemeier AcP 191 (1991), 33, 55 f.; ebenso, aber ohne nähere Begründung Möllers Rechtsgüterschutz, 1996, S. 232 f.; anders noch Brüggemeier DeliktsR, 1986, Tz. 129 ff., 511 f., 880 ff.; inzwischen wieder auf Sanktionen im Innenverhältnis verweisend Brüggemeier Haftungsrecht, 2006, S. 182. 58 S. Foerste in: ProdHdb., 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 25 Rn. 243 f.; Möllers Rechtsgüterschutz, 1996, S. 232 f.; in diese Richtung wohl auch v. Bar FS Kitagawa 1992, S. 279, 293 f. für „Manager“; auch U. Haas Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 227, der S. 292 aber andererseits für eine am Arbeitgeber ausgerichtete Bestimmung der Verkehrspflichten plädiert. 59 BAG AP Nr. 103 zu § 611 BGB = NJW 1995, 210; s. bereits s. bereits BAG AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers Nr. 98; BAG NZA 1993, 547 = ZIP 1993, 699; BAG NZA 1994, 270; zust. BGH NJW 1994, 852, 854. 60 Vgl. Schlechtriem FS Heiermann 1995, S. 281, 288; Foerste in: ProdHdb., 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 25 Rn. 242, 247; Annuß Die Haftung des Arbeitnehmers, 1998, S. 25 ff.; letztlich auch Brüggemeier AcP 191 (1991), 33, 58 f.; wohl auch U. Haas Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 227; Möllers, Rechtsgüterschutz, 1996, S. 232 f., allerdings ohne nähere Begründung. 61 Anders U. Haas Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 227.
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Risikoverteilung und Kostentragung zugänglich wären.62 Die Annahme einer deliktischen Pflicht wegen Beteiligung am Produktionsprozess 63 begründet und erklärt weder Reichweite noch Grundlage einer Verkehrspflicht. Auf die Betriebshaftpflicht kann hier nicht abgestellt werden, da der Mitarbeiter keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Betriebshaftpflicht, deren Abschluss und deren Aufrechterhaltung hat.64 Maßgeblich sollte daher sein, wer den konkreten Nutzen aus einer gefährlichen Tätigkeit zieht und am ehesten geeignet ist, (komplexe) Risiken und Gefahren zu beherrschen. So sollte primär der Geschäftsherr die Risiken aus der arbeitsteiligen Organisation tragen, während der Arbeitnehmer selbst bei Leitungsfunktionen keinen Ertrag aus dem Produktionsprozess erzielen kann.65 Auch die Anwendung von § 831 II BGB auf Arbeitnehmer ist daher abzulehnen, da der Geschäftsherr bzw. Arbeitgeber seine Zuständigkeit für das Organisationsrisiko nicht auf die Angestellten überträgt.66 Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass der Arbeitnehmer letztlich durch seinen Lohn auch einen Nutzen aus der arbeitsteiligen Produktion ziehe oder mitunter Unternehmer- und Mitarbeiterstellung miteinander austauschbar seien.67 Denn der Lohn entspricht in Unternehmen nicht dem Gewinn, der der Übernahme des Risikos gegenübersteht. Zudem handelt es sich bei der Delegation von Verkehrspflichten auf Arbeitnehmer regelmäßig nicht um den Fall der vollständigen Delegation, sondern der Aufspaltung von Verkehrspflichten, insbesondere bei arbeitsteiligem Zusammenwirken.68 Schließlich sind für die Bestimmung von Verkehrspflichten auch die Sicherheitserwartungen des Verkehrs maßgeblich, für die das Unternehmen bzw. der Arbeitgeber im Vordergrund steht, selten hingegen die Erfüllung der Verkehrspflicht durch einen (leitenden) Angestellten.69 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der
62 Insofern im Ansatz auch Brüggemeier AcP 191 (1991), 33, 54; ebenso Schiemann in: Erman, 11. Aufl., 2004, § 823 BGB Rn. 81. 63 So Kullmann in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kz. 3210 S. 2 f. 64 Vgl. Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 64 f.; dies räumt auch Annuß Die Haftung des Arbeitnehmers, 1998, S. 25 ff. ein. 65 Ebenso Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 447 f.; Schiemann in: Erman, 11. Aufl., 2004, § 823 BGB Rn. 123; im Ansatz ebenso v. Bar FS Kitagawa 1992, S. 279, 292; U. Haas Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 292; Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 19 f.; Taupitz IUTR 1997, 237, 265; aA Brüggemeier FS Jahr 1993, S. 223, 243, 249. 66 Larenz/Canaris SchuldR, 13. Aufl. 1994, Bd. II/2, § 79 III 7. 67 So aber Christensen Verkehrspflichten in arbeitsteiligen Prozessen, 1995, S. 165 f. 68 Zur „Mit-“übernahme von Verkehrspflichten Sandmann Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten, 2001, S. 220 ff. 69 So auch Krause VersR 1995, 752, 759; Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 461 ff.; Rogge JuS 1995, 581, 583 f.; s. schon Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 64; Leßmann JuS 1979, 853, 856; fragwürdig J. Hager in: Staudinger (1999), § 823 BGB E Rn. 65: Vertrauen des Verkehrs auf die Erfüllung der Verkehrs-
Die Haftung der Arbeitnehmer gegenüber Dritten
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Arbeitnehmer explizit eigene Pflichten gegenüber Dritten übernommen hat oder kraft seiner besonderen Fachkunde Vertrauen oder Erwartungen des Verkehrs hervorgerufen hat,70 etwa durch entsprechende Erklärungen gegenüber der Öffentlichkeit. Nur wenn dem Arbeitnehmer derart weitgehende Befugnisse eingeräumt wurden, dass er wie ein selbständiger Unternehmer im Rahmen der vertraglichen Arbeitsteilung über Personal und Sachmittel disponieren kann, mag eine Haftung gerechtfertigt erscheinen.71 Ebenso wenig kommt eine Haftung aus § 831 BGB für den leitenden Arbeitnehmer in Betracht, da er nicht für sich, sondern für das Unternehmen handelt und keine Geschäftsherreneigenschaft aufweist.72 Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass nicht einsichtig sei, warum Arbeitnehmer haftungsrechtlich unterschiedlich behandelt würden, je nachdem, ob sie unmittelbar oder lediglich mittelbar einen Dritten geschädigt haben.73 Denn nach der hier vertretenen Auffassung haftet der Arbeitnehmer nur für Risiken und deren Folgen, die er selbst steuern und überblicken kann, während er bei „zusammengesetzten“ Risiken, aus denen er keinen äquivalenten Nutzen zieht und die er nicht vollständig allein beherrschen kann, nicht haftet. So kann die Kinderkrankenschwester, die ein Neugeborenes fallen lässt, sehr wohl die Folgen ihres Handelns überblicken und sich danach ausrichten, ohne dass es auf Koordinationsfragen ankäme,74 während dies bei einem Montagearbeiter am Fließband oder einem Meister mehr als zweifelhaft erscheint. Auch bei Mitarbeitern, die aufgrund überlegenen Wissens nicht mehr von der Unternehmensleitung oder anderen Vorgesetzten kontrolliert werden können und von deren Entscheidung unmittelbar die Eröffnung oder der Betrieb einer Gefahrenquelle abhängt, wird man ein deliktisches Gefahrsteuerungsgebot annehmen müssen,75 wie etwa Bauleiter oder
pflicht durch die Arbeitnehmer – obwohl der Verkehr keine Kenntnis davon hat, ob überhaupt eine Delegation stattgefunden hat: gänzlich abl. Christensen Verkehrspflichten in arbeitsteiligen Prozessen, 1995, S. 167 f. 70 Ähnlich im Ergebnis Larenz/Canaris SchuldR, 13. Aufl., 1994, Bd. II/2, § 76 III 5d); mit anderer Begründung Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 448 f. 71 Ähnlich Leßmann JuS 1979, 853, 856; darauf deutet auch die Begründung des IX. Zivilsenates in BGHNJW 1987, 2510, 2511 – Wachmann; weitergehend dagegen Krause VersR 1995, 752, 759: schon bei eigenständiger Risikosteuerung; Larenz/Canaris SchuldR, 13. Aufl., 1994, Bd. II/2, § 76 III 5d): schon bei Übernahme von Aufgaben. 72 Vgl Schiemann in: Erman, 11. Aufl., 2004, § 831 Rn. 27; Krause in: Soergel, 13. Aufl., 2005, § 831 Rn. 61; Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 70 f. 73 So aber Brüggemeier AcP 191 (1991), 33, 56; ders BB 1995, 2489, 2490 f.; ders. DeliktsR, 1986, Tz. 885; ebenso Nölle Die Eigenhaftung, 1995, S. 19 f.; inzwischen für einen durchgängigen Schutz des Arbeitnehmers bei direkter und Indirekter Verletzung Brüggemeier Haftungsrecht, 2006, S. 152 f. 74 Anders Brüggemeier DeliktsR, 1986, Tz. 885. 75 Insoweit zutr. Rogge Selbständige Verkehrspflichten, 1997, S. 228 f.
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Architekten,76 nicht jedoch wenn der Schaden auf einer mangelnden Koordination oder fehlenden Ressourcen beruht. Anders ausgedrückt: Das Risiko, für das gehaftet wird, realisiert sich unmittelbar in dem entsprechenden Schaden, es kann in vollem Umfang vom Arbeitnehmer wie von jedermann gesteuert werden; demgegenüber trägt der Arbeitnehmer in einem arbeitsteiligen Prozess, deren Risiken er insgesamt nicht beherrschen oder überblicken kann, nicht die Haftung für das Gesamtrisiko, das sich später in einem Schaden realisiert, etwa bei einem schadhaften Produkt.77 Die Rechtsprechung trägt diesem Gedanken der Risikosteuerung und dem gezogenen Nutzen zumindest im Bereich der Beweislastumkehr Rechnung, etwa in der Hochzeitsessen-Entscheidung des BGH, in der das Gericht die Beweislastumkehr nur für denjenigen eingreifen lässt, der der Herr des Organisationsbereiches sei, nicht also für Betriebsangehörige oder selbst leitende Mitarbeiter.78 Gegen eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers spricht damit vor allem, dass Mitarbeiter des Herstellers regelmäßig keinen dem Hersteller vergleichbaren, eigenständigen Einfluss auf die Gestaltung und Organisation der Produktion haben und von der Gewinnchance als Korrelat zum Haftungsrisiko ausgeschlossen sind.79 Mit dieser Differenzierung stehen auch nicht die Entscheidungen des BGH zur persönlichen Haftung von angestellten Bademeistern,80 Ärzten,81
76 Zu deren persönlicher Haftung BGH VersR 1964, 942; BGH NJW-RR 1989, 918; OLG Stuttgart NJW-RR 2000, 752, 753 f.; zweifelhaft dagegen OLG Frankfurt BauR 1991, 377 für Haftung von Bauleiter wegen Organisationsverschuldens. 77 Ähnliche Erwägungen bei Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 464 f. 78 BGHZ 116, 104, 113 f. – Hochzeitsessen –; s. aber Foerste in: ProdHdb., 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 30 Rn. 116 ff., J. Hager in: Staudinger (1999), § 823 BGB F Rn. 46, SchmidtSalzer NJW 1992, 2871, 2872, die die Spannkupplungs-Entscheidung weiterhin als Leading Case heranziehen, beide m.w.N. 79 Krause in: Soergel, 13. Aufl., 2005, § 823 BGB Anh III Rn. 42; ebenso Wagner in: MünchKommBGB, 4. Aufl., 2004, § 823 Rn. 405; Lieb JZ 1976, 526, 527; Baumgärtel JA 1984, 660, 666; Leßmann JuS 1979, 853, 856 ff.; Marschall v. Bieberstein VersR 1976, 411, 414; Schiemann in: Erman, 11. Aufl., 2004, § 823 BGB Rn. 123; H. Schmidt Die Umwelthaftung der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften, 1996, S. 254 ff.; Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 70 f.; Otto/Schwarze Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 2004, Rn. 470; einschränkend Kullmann in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kz. 3210 S. 2 Fn. 7, der die Spannkupplungs-Entscheidung als Sonderfall qualifiziert; insoweit zust. Brüggemeier Haftungsrecht, 2006, S. 181; ders. BB 1995, 2489, 2490; ders. AcP 191 (1991), 33, 54 ff.; anders Foerste in: ProdHdb., 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 30 Rn. 118 ff. 80 BGH NJW 1962, 959 – Schwimmeister –; s. auch BGH NJW-RR 1990, 1245 – Schwimmeister II –; zusammenfassend Scheffen NJW 1990, 2658, 2660 f. m.w.N. 81 BGHZ 1, 383, 386; BGHZ 88, 248, 258 ff. – Anfängeroperation –; BGH NJW 1988, 2298, 2299 f.: Berufsanfängerin; BGH NJW 1992, 1560, 1561 – Facharzt –; BGH NJW 1991, 2960, 2961; BGH NJW 2000, 2741, 2742; s. aber auch OLG Düsseldorf NJW 1986, 790, 791: Kausalität des Übernahmeverschuldens für Schaden erforderlich.
Die Haftung der Arbeitnehmer gegenüber Dritten
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Kindergärtnerinnen,82 Sprengmeistern 83 oder LKW-Fahrern 84 in Widerspruch, da die Entscheidungen entweder die Verletzung einer den jeweiligen Arbeitnehmern wie jedermann obliegenden Verkehrspflicht 85 oder von Berufspflichten 86 betrafen. So muss ein Fahrer eines Gefahrguttransports trotz der enormen Haftungsrisiken den gleichen Sorgfaltsmaßstäben mit der Konsequenz der persönlichen Haftung genügen wie andere Straßenverkehrsteilnehmer auch. Zwar trifft den Gefahrgutfahrer ein höheres Haftungsrisiko als den durchschnittlichen Straßenverkehrsteilnehmer, da die Wahrscheinlichkeit eines höheren Schadens infolge des höheren Schadenspotentials ungleich größer ist,87 doch ist der Gefahrgutfahrer in der Lage das Risiko durch Beachtung der Sorgfaltspflichten, die ihm nach den allgemeinen Straßenverkehrsvorschriften und den besonderen Gefahrguttransportvorschriften obliegen, zu steuern. Gleichzeitig wird ihm aufgrund besonderer Berufspflichten, die ihn kraft Gesetzes persönlich treffen, ein besonderes Vertrauen durch den Verkehr entgegengebracht.88 Hat sich dagegen in dem Schaden ein spezifisches Organisationsrisiko realisiert, etwa durch fehlende Aufklärung über Gefahrenpotentiale, und hat sich der Fahrer den allgemeinen Regeln entsprechend verhalten, so fehlt es bereits an der Verletzung einer Verkehrspflicht. III. Arbeitnehmerhaftung und Schutzgesetzverletzung Ein weiteres Einfallstor der persönlichen Haftung von Arbeitnehmern ergibt sich vor allem aus § 823 II BGB, wenn das jeweilige Schutzgesetz dem Arbeitnehmer selbst Pflichten auferlegt. Hinzu kommen die allgemeinen Aufsichtspflichttatbestände, die sich nach §§ 130, 9 II OWiG ergäben, wenn
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BGH VersR 1956, 520 f. BGH VersR 1973, 1069 f. 84 BGH VersR 1988, 516; BGH VersR 1988, 1166: LKW-Fahrer, der fremden Baustellenarbeiter überrollt; BGH VersR 1989, 1187: LKW-Fahrer, der dem Empfänger einer Chemikalienlieferung fahrlässig Verletzungen zufügt; BGH NJW 1995, 1150: Tankwagenfahrer, der Ölunfall verschuldet; s. auch BGHZ 9, 301, 307 zur Berufshaftung von Spediteuren. 85 Vgl. BGH NJW 1987, 2510, 2511 – Wachmann –; insoweit wie hier Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 449 f., 453 ff., 457 ff.; enger noch Denck Der Schutz des Arbeitnehmers, 1980, S. 75 f., der nur Unfallverhütungsvorschriften und gesetzliche, den Arbeitnehmer persönlich treffende Pflichten für die Außenhaftung heranziehen will. 86 Zurückhaltender BGH NJW 1987, 2510, 2511 – Wachmann –: nur bei „gewisser Selbständigkeit“; abl. bezüglich der Berufshaftung und nur auf Bewahrungsgaranten abstellend Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 462 ff. 87 Eingehend Bremer Die Haftung beim Gefahrguttransport, 1992, passim. 88 Ebenso aufgrund einer Analyse der Rechtsprechung im Ergebnis Rogge Selbständige Verkehrspflichten, 1997, S. 186 ff., 189 f., 204 ff.; für Transportpersonen ähnlich Hübsch Haftung des Güterbeförderers, 1997, S. 149 ff. 83
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§ 130 OWiG als Schutzgesetz anzusehen wäre.89 Vor allem durch die Ausweitung der Aufsichtspflicht auf letztlich alle mit einer Leitung beauftragten Arbeitnehmer nach § 9 II OWiG im Gegensatz zur früheren Begrenzung der Aufsichtspflicht auf die Leitungsorgane nach § 130 II OWiG a.F. 90 erhöht sich deren Haftungsrisiko. Für die persönliche Haftung der Arbeitnehmer, die mit der Aufsichtspflicht gem. § 130 I OWiG beauftragt worden sind, kann indes nichts anderes als für die Haftung des Geschäftsführers nach §§ 9 I, 130 OWiG gelten:91 Da das Unternehmen bis zum Eintritt der Insolvenz selbst haftet und bei verspäteter Insolvenzeröffnung die Geschäftsführer in vollem Umfang persönlich haften, besteht kein Grund, § 130 OWiG iVm § 9 II Nr. 2 OWiG als Schutzgesetz nach § 823 II BGB zu Lasten von leitenden Arbeitnehmern anzusehen. Bedenken rufen in diesem Zusammenhang auch Tendenzen zur Ausweitung der strafrechtlichen Produkthaftung auf sämtliche am Herstellungsprozess beteiligten Mitarbeiter hervor, indem je nach ihrem Zuständigkeitsbereich Garantenpflichten begründet werden.92 Auch hier gilt, dass zivilrechtliche Verkehrspflichten von Arbeitnehmern, deren Begründung selbst bereits erheblichen Zweifeln unterliegt, nicht ohne weiteres auf strafrechtliche Zusammenhänge übertragen werden können, indem einfach auf die „Verantwortung“ der jeweils Tätigen abgestellt wird.93 Ebensowenig können Handlungen der Arbeitnehmer, die die Haupttat des Arbeitgebers fördern, als Beihilfe qualifiziert werden, wenn sie notwendigerweise in ihrer Funktion anfallen.94
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So Mertens VersR 1980, 397, 407 f. Vgl. die Begründung zum RegE in BT-Drucks. 12/192, S. 32; zum Kreis der von § 9 II OWiG erfassten Personen Göhler OWiG, 14. Aufl., 2006, § 9 Rn. 17 ff., insbes. Rn. 21 m.w.N. 91 BGHZ 125, 366. 92 So wohl BGH NJW 1995, 2933, 2934 – Glykol-Skandal –; deutlich für die strafrechtliche Arzthaftung (Blutkonserven) auch BGH NJW 2000, 2754, 2756. Schmidt-Salzer NJW 1996, 1, 1 f.; ebenso bereits grundsätzlich eine Strafbarkeit annehmend BGHSt 37, 106, 109, 111 – Lederspray – für den Leiter des Zentrallabors; LG Kleve NStZ 1981, 266 – Glyzerin – für den Produktionsleiter; OLG Frankfurt NJW 1987, 2753, 2754 für einen Werkleiter mit rein auf § 21e WHG abstellenden Begründung; s. auch Der Generalstaatsanwalt Celle, Beschwerdeentscheidung vom 27.4.1987 Zs 1773/86, NJW 1988, 2394, 2395 zur grundsätzlich angenommenen Garantenpflicht von Bediensteten einer Bauverwaltung sowie einer Autobahnmeisterei; Goll/Winkelbauer in: ProdHdb., 2. Aufl., 1997, Bd. I, § 47 Rn. 29, § 48 Rn. 14 ff. 93 So aber wohl BGH NJW 2000, 2754, 2758: Aufgaben und Funktion einer Leiterin einer Blutbank; Schmidt-Salzer NJW 1996, 1, 2; ders. NJW 1988, 1937, 1939 ff.; Goll/Winkelbauer in: ProdHdb., 2. Auf., 1997, Bd. I, § 47 Rn. 18, 29; restriktiv dagegen zu Recht Kuhlen FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. IV, S. 647, 667; Ransiek ZGR 1999, 613, 635. 94 Ausführlich zur sog. neutralen Beihilfe Ransiek in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortlichkeit, 2000, S. 95, 103 der zu Recht darauf abstellt, ob der Tatbeitrag ausschließlich zu deliktischen Zwecken verwandt werden kann. 90
Die Haftung der Arbeitnehmer gegenüber Dritten
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D. Haftungsprivilegierungen bei gemeinsamer Betriebsstätte Für zahlreiche Fälle gemildert wird die Außenhaftung des Arbeitnehmers jedoch durch die sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierungen, insbesondere durch §§ 104–106 SGB VII.95 Hier spielt vor allem die Haftungsprivilegierung der Tätigkeit auf einer „gemeinsamen Betriebsstätte“ eine wichtige Rolle in der Praxis. Da die Haftungsprivilegierung bei weiter Auslegung des Tatbestandsmerkmals „gemeinsame Betriebsstätte“ indes ausufern würde,96 erfasst § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII kein rein zufälliges Zusammenwirken an derselben Betriebsstätte, sondern nur ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt.97 Das Tatbestandsmerkmal der „gemeinsamen Betriebsstätte“ setzt ein notwendiges Miteinander der Versicherten mehrerer Unternehmen im Arbeitsablauf voraus, wodurch die typische Gefahr entsteht, dass sich die Beteiligten bei den versicherten Tätigkeiten ablaufbedingt „in die Quere kommen“ und daher eine Gefahrengemeinschaft bilden.98 Dementsprechend wurde die „gemeinsame Betriebsstätte“ von der Rechtsprechung abgelehnt, wenn der Mitarbeiter eines Unternehmens, das zur Reinigung von Zügen der Deutschen Bahn AG beauftragt ist, während der Reinigung von einer rangierenden Lok erfasst wird,99 oder wenn ein Dachdecker das bereits vor dem Beginn seiner Arbeiten von einem anderen Unternehmen erstellte Baugerüst benutzt.100 Eine derartig enge Auslegung des Merkmals der „gemeinsamen Betriebsstätte“ läuft indes Gefahr, einen einheitlichen Arbeitsvorgang unnatürlich aufzuspalten; ob die zahlreichen neuen Formen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens auf diese Art und Weise tatsächlich adäquat auch im Haftungsrecht abgebildet werden können, erscheint nach wie vor zweifelhaft.
95 Umfassend dazu Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 519 ff.; Rolfs DB 2001, 2294 ff.; Schmidt BB 2002, 1859 ff.; Tischendorf VersR 2002, 1188 ff.; Ricke VersR 2002, 413 f. 96 So zu Recht die Kritik in BGHZ 145, 331 = NJW 2001, 443, 444; BGH NJW-RR 2001, 741; wenig überzeugend die Differenzierungsversuche von Jahnke NJW 2000, 265 f. 97 BGHZ 145, 331 = NJW 2001, 443, 444; BGH NJW-RR 2001, 741; BGHZ 155, 205 = NJW 2003, 2984 m.w.N.; BGH VersR 2003, 904; BGHZ 157, 213 = NJW 2004, 947 = NZV 2004, 191, 192; BGH NJW 2005, 3144, 3145; BGH VersR 2005, 1397 (Tz. 17); ebenso BAG NJW 2003, 1891; KG NZV 2002, 33 f.; zust. Freyberger MDR 2001, 541; Waltermann NJW 2002, 1227, 1228 f.; s. auch Otto/Schwarze Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Aufl., 1998, Rn. 592; Schmidt BB 2002, 1859, 1860 f. 98 BGHZ 157, 213 = NJW 2004, 947 = NZV 2004, 191, 192; BGH NJW 2005, 3144, 3145. 99 BGHZ 145, 331 = NJW 2001, 443. 100 BGHZ 157, 213 = NJW 2004, 947 = NZV 2004, 191, 192 f.
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E. Schluss Die Haftung der Arbeitnehmer gegenüber Dritten bleibt nach wie vor eine „Baustelle“ des Haftungsrechts. Die vom Jubilar eingeschlagenen Wege in Fortführung des von Gamillschegg begründeten Werkes bedürfen des weiteren Ausbaus und der Festigung, um eine sinnvolle und effiziente Zuweisung der Risiken zu erreichen. Flankiert werden müssen diese Bemühungen indes durch Änderungen im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht, etwa durch Ausdehnung der Insolvenzantragspflichten und der Haftung für einflussnehmende Gesellschafter (und Dritte), damit der Schutz der Verletzten nicht auf der Strecke bleibt.101 Man darf gespannt sein, wie der Jubilar diese Diskussion weiter beeinflussen wird – ad multos annos!
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Zu den unterschiedlichen Gläubigerschutzkonzepten Spindler JZ 2006, 839.
Grenzen der Bestreikbarkeit – Tariffreiheit zwischen Meistbegünstigungsklauseln und Spartentarifverträgen – Gregor Thüsing und Indra Burg Inhaltsübersicht I. Arbeitskampfrecht als Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einbeziehung andersorganisierter Arbeitgeber in einen Arbeitskampf aufgrund Vereinbarung einer tarifvertraglichen Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des BAG zum Sympathiestreik . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen nach der älteren Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Urteil des BAG vom 18.02.2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einbeziehung als Streik für ein unzulässiges Kampfziel . . . . . . . . . . . . . a) Kritik des Schrifttums am Partizipationsgedanken . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Partizipation durch Meistbegünstigungsvereinbarung . . . . . . . . . aa) Wirksamkeit der Meistbegünstigungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . (1) Kein Eingriff in die Tarifautonomie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kein Eingriff in die Personal- und Finanzhoheit der Länder . . . . (3) Keine unzulässige Übertragung der Normsetzungsbefugnis . . . . . bb) Meistbegünstigung als ungewollte, unvollkommene und hinkende Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ungewollte Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unvollkommene Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Hinkende Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Potenzierung des Arbeitskampfrisikos des Außenseiters . . . . . . . 3. Einbeziehung als Verstoß gegen die Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine absolute Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstoß gegen eine relative Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Friedenspflicht aus dem TV-Meistbegünstigung . . . . . . . . . . . . . bb) Friedenspflicht aus dem TVöD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arbeitskampf um einen Spartentarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Begrenzung des Streikrechts durch den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung zu vergleichbaren Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Rechtswidrigkeit eines Streiks wegen angenommener Unanwendbarkeit des erstreikten Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tariflich regelbares Ziel als Voraussetzung eines Arbeitskampfes . . . . bb) Verhältnismäßigkeit als Maß des Mittels, nicht des Ziels . . . . . . . . . cc) Tarifeinheit als Begrenzung des Tarifrechts, nicht des Arbeitskampfrechts 2. Der Tarifvertrag für das Fahrpersonal als der speziellere Tarifvertrag . . . . . IV. Summa und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Arbeitskampfrecht als Richterrecht Was ist der Grund und was sind die Grenzen der Bestreikbarkeit? Diese Frage zielt in den Kernbereich des Arbeitskampfrechts und damit in ein Rechtsgebiet, zu dessen Entwicklung der Jubilar hilfreich beigetragen hat und noch beiträgt.1 Gesetzliche Vorgaben bestehen nicht, denn Arbeitskampfrecht ist Richterrecht reinsten Wassers. Die maßgeblichen Regelungen werden durch die Rechtsprechung entwickelt, durch wegweisende Judikate des BAG, das die gesetzgeberischen Lücken versucht durch einen angemessenen Interessenausgleich zu füllen und „nach der Regel [zu] entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde“ (Art. 1 Abs. 2 ZGB Schweiz). Nicht alle Lücken sind bisher gefüllt. Im letzten Jahr gab es zahlreiche neue Anstöße im Arbeitskampfrecht. Das BAG entschied etwa über die Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen2 und die Rechtmäßigkeit eines Unterstützungsstreiks in einem anderen Tarifgebiet.3 Die Diskussion nicht nur in der juristischen Öffentlichkeit kreiste daneben um zwei, bisher noch nicht entschiedene Fragen, mit denen sich dieser Beitrag beschäftigt. Erstens geht es um Streikmaßnahmen der Gewerkschaft ver.di gegen kommunale Arbeitgeber, um Druck auf die Länder auszuüben. Handelt es sich dabei um ein zulässiges Arbeitskampfziel? Welche Rolle spielen Friedenspflichten? Zweitens – in der Öffentlichkeit noch aufmerksamer verfolgt – stellt sich die Frage, ob die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die Deutsche Bahn AG und die mit ihr verflochtenen Unternehmen mit dem Ziel eines Spartentarifvertrags bestreiken darf. Steht der vom BAG entwickelte und – zu Recht – umstrittene Grundsatz der Tarifeinheit einem solchen Streik entgegen? Ist der Spartentarifvertrag spezieller? Diese zwei Problembereiche sollen ausgehend von und auf dem Boden der Rechtsprechung des BAG untersucht werden.
II. Einbeziehung andersorganisierter Arbeitgeber in einen Arbeitskampf aufgrund Vereinbarung einer tarifvertraglichen Meistbegünstigung Im Jahr 2004 ist die Verhandlungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen durch den Ausstieg der Länder aus den Tarifverhandlungen zur Schaffung eines neuen Tarifrechts für den öffentlichen Dienst (TVöD) aus1 Siehe Gesamtdarstellung bei Otto Arbeitskampf und Schlichtungsrecht, 2006; zuvor Otto in MünchHandbArbR, §§ 281–296; zuletzt außerdem „Tarifzensur und Arbeitskampf“, in FS Konzen, S. 663; „Zur Einbeziehung des Außenseiter-Arbeitgebers in den Arbeitskampf“, EWiR 2003, 1241; „Relative Friedenspflicht, tariflicher Regelungsgegenstand und Geschäftsgrundlage“, in FS Wiedemann, S. 401. 2 BAG 24.04.2007, DB 2007, 1924. 3 BAG 19.06.2007, SAE 2007, 182.
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einander gebrochen. Nachdem der Bund und die kommunalen Arbeitgeber den TVöD im September 2005 abgeschlossen hatten, gab es tarifrechtliche Auseinandersetzungen zwischen der Gewerkschaft ver.di und den Ländern, die noch in der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) organisiert waren, bei denen u.a. die Länge der wöchentlichen Arbeitszeit besonders umstritten war. Im Zuge der Tarifauseinandersetzung kam es im Frühjahr 2006 zu den von der Gewerkschaft ver.di getragenen lang andauernden Streikmaßnahmen, die sich einerseits gegen Einrichtungen der Länder richteten, andererseits aber auch kommunale Arbeitgeber betrafen. Die Gewerkschaft ver.di versuchte durch die Einbeziehung auch der nicht die Arbeitszeittarifverträge kündigenden Arbeitgeber den Druck auf die Länder zu erhöhen. Man stritt, ob dieser Streik denn rechtmäßig war und die instanzgerichtliche Rechtsprechung bejahte dies überwiegend.4 Wesentliches Argument zur Rechtfertigung der Streikmaßnahmen war der zwischen ver.di und u.a. der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände abgeschlossene TVMeistbegünstigung vom 09.02.2005, wonach die kommunalen Arbeitgeber die Ergebnisse der Tarifverhandlungen auf Länderebene übernehmen könnten. Die Gerichte knüpften hierbei insbesondere an das Urteil vom BAG vom 18.02.2003 5 an. Hatten sie Recht? Höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt bisher. Es gibt Entscheidungen zu vergleichbaren, aber doch letztlich in wichtigen Punkten unterschiedlichen Sachverhalten. Ausgehend von diesen Eckpunkten wird im Folgenden versucht werden, die Rechtsprechung weiterzudenken. Startpunkt ist dabei die Entscheidungslinie zu den Grenzen des Sympathiestreiks (1.), bevor darauf aufbauend die Tragfähigkeit des Partizipationsgedankens als Grundlage für die Einbeziehung in den Arbeitskampf ausgelotet wird (2.). Schließlich werden die Bindungen tarifvertraglicher Friedenspflicht untersucht (3.). 1. Die Rechtsprechung des BAG zum Sympathiestreik Unter einem Sympathiestreik versteht das BAG einen Arbeitskampf, mit dem ein anderer rechtmäßiger Streik (Hauptstreik) unterstützt werden soll, wobei auf Seiten der Gewerkschaften und/oder auf Seiten der betroffenen Arbeitgeber andere Parteien beteiligt sind als im Hauptkampf.6
4 ArbG Dortmund 28.04.2006 – 1 Ga 33/06; LAG Hamm 24.07.2006 – 8 Sa 741/06; LAG Köln 19.03.2007 – 12 Ta 41/07; aA ArbG Köln 08.03.2006 – 6 Ga 22/06. 5 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163. 6 BAG 05.03.1985, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85; BAG 12.01.1988, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 90; BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163; Otto in: MünchHandbArbR, § 286 Rn. 40.
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a) Grundsätzliche Unzulässigkeit Solche Streiks sind nach der Rechtsprechung des BAG wegen der Funktion des Streikrechts grundsätzlich rechtswidrig.7 Das Streikrecht ist Ausfluss der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten und durch das TVG konkretisierten Tarifautonomie. Nach dem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 21.04.1971 dürfen Arbeitskämpfe nur insoweit eingeleitet und durchgeführt werden, als sie zur Erreichung rechtmäßiger Kampfziele und des nachfolgenden Arbeitsfriedens geeignet und sachlich erforderlich sind.8 Arbeitskämpfe müssen nach dem Tarifvertragssystem möglich sein, um Interessenkonflikte über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im äußersten Fall austragen und ausgleichen zu können. Daran knüpfte der Erste Senat im Urteil vom 10.06.1980 an: „Der Arbeitskampf muss in unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem als ultima ratio zum Ausgleich sonst nicht lösbarer tariflicher Interessenkonflikte möglich sein.“ 9 Nach diesem Verständnis sind Arbeitskämpfe ein Hilfsinstrument zur Sicherung der Tarifautonomie. Diese Funktion bestimmt nach dem BAG die Grenzen der Zulässigkeit des Arbeitskampfes. Der Sympathiestreik nun dient nicht unmittelbar der Durchsetzung der Tarifautonomie. Er richtet sich nicht gegen den Tarifpartner, mit dem ein Tarifvertrag abgeschlossen werden soll. Der von dem Sympathiestreik betroffene Unternehmer kann die Forderungen, die von den Gewerkschaften erhoben werden, nicht erfüllen. Er kann den Arbeitskampf nicht durch Nachgeben vermeiden oder zwischen Kampf und Nachgeben wählen. Er bedarf deshalb eines größeren Schutzes als der unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffene Arbeitgeber. Otto spricht plastisch von der „wirtschaftlichen Geiselnahme“, die grundsätzlich unzulässig sein muss.10 Das rechtfertigt es, das Streikrecht der Gewerkschaften für den Regelfall auf den Streik gegen den unmittelbaren Tarifpartner zu beschränken. Durch eine solche Beschränkung wird das Streikrecht der Gewerkschaften in seinem Kerngehalt nicht angetastet.11 Das BAG betont, dass die lediglich mittelbaren Einwirkungen auf den Haupttarifvertrag nicht ausreichten, um den erforderlichen Zusammenhang herzustellen und damit den Sympathiearbeitskampf zu rechtfertigen. Sympathiearbeitskämpfe seien grundsätzlich auch zur Herstellung der Parität nicht erforderlich. Diese werde nicht dadurch gestört, dass eine Partei mäch-
7 BAG 05.03.1985, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85; BAG 12.01.1988, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 90; BAG 07.06.1988, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 106; BAG 09.04.1991, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 116; BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163. 8 BAG GS 21.04.1971, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43. 9 BAG 10.06.1980, AP GG Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 64. 10 Otto in: MünchHandbArbR, § 286 Rn. 44. 11 BAG 05.03.1985, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85.
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tiger als die andere sei, solange beide die gleichen Möglichkeiten hätten, mächtig zu werden. Der Sympathiearbeitskampf sei kein zulässiges Mittel dafür. Schließlich lasse auch die mögliche Betroffenheit von nichtorganisierten Arbeitnehmern durch Aussperrungen nicht den Rückschluss zu, dass auch Außenseiter-Arbeitgeber bestreikt werden dürften. Es sei ein Unterschied, ob Dritte durch einen von Tarifvertragsparteien im Tarifgebiet um den Abschluss eines Tarifvertrags geführten Arbeitskampf notwendigerweise beeinträchtigt würden oder ob eine Arbeitskampfmaßnahme wie der Sympathie- oder Solidaritätsstreik gerade darauf gerichtet sei, Dritte in ihren Rechten zu beeinträchtigen.12 Damit weicht das BAG grundlegend von der Betrachtung in der Weimarer Republik ab. Dort war die Unterstützung eines fremden Streiks zur Bedrängung des sozialen Gegenspielers neben der Durchsetzung eigener Tarifforderungen ein gleichwertiges Ziel des Arbeitskampfes.13 Das hieß aber nicht, dass der Arbeitnehmerseite damit größere Handlungsspielräume eingeräumt waren. Denn jegliche Streikmaßnahme ohne vorherige Kündigung des Arbeitsvertrags wurde als Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag betrachtet.14 Die in der Folge vollzogene erhebliche Erweiterung des Streikrechts auf der einen Seite ist also mit einer – sehr viel geringfügigeren – Beschränkung auf der anderen Seite verbunden worden. Der deutsche Ansatz spiegelt sich im Ausland wider. Auch hier gibt es vergleichbare Beschränkungen. So ist nach französischem Recht ein grève de la solidarité externe ebenso grundsätzlich unzulässig wie im deutschen Recht. Wie weit die Ausnahmen reichen, ist freilich auch hier umstritten.15 b) Ausnahmen nach der älteren Rechtsprechung Ausnahmen vom Verbot des Sympathiestreiks wurden nach der älteren Rechtsprechung des BAG 16 zunächst in Fällen anerkannt, in denen der Arbeitgeber nicht „neutral“ gegenüber dem Arbeitskampfgeschehen ist: Erstens, wenn der vom Hauptarbeitskampf nicht betroffene Arbeitgeber etwa durch Übernahme der Produktion der bestreikten Arbeitgeber in das Verhandlungsgleichgewicht eingreift,17 zweitens, wenn der Arbeitgeber trotz rechtlicher Selbstständigkeit wirtschaftlich ein Bestandteil des im Haupt-
12
BAG 12.01.1988, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 90. Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts II (1. und 2. Auflage 1930), S. 570 f. 14 Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts II (1. und 2. Auflage 1930), S. 579 f. 15 S. Pélissier/Supiot/Jamamoud Droit du travail, 22. Aufl. Rn. 1119 m.w.N. 16 Nicht ohne Widerspruch des Schrifttums, s. etwa Thüsing Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1996, S. 134 mit zahlreichen Nachweisen. 17 BAG 05.03.1985, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85; Otto in: MünchHandbArbR, § 286 Rn. 51. 13
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arbeitskampf stehenden Arbeitgebers ist.18 Im ersten Fall habe der Arbeitgeber bereits im Vorfeld seine Neutralität im Hauptarbeitskampf verletzt.19 Im zweiten Fall ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass der Arbeitskampf eine Auseinandersetzung auf wirtschaftlicher Ebene mit wirtschaftlichen Mitteln und Zielen ist. Dementsprechend sei auch eine wirtschaftliche Betrachtung des Arbeitgebers erforderlich. Sei ein Unternehmen zwar rechtlich selbstständig, wirtschaftlich aber lediglich eine Abteilung des am Hauptarbeitskampf beteiligten Arbeitgebers, könne es daher auch bestreikt werden.20 Kein rechtswidriger Sympathiearbeitskampf liegt nach der älteren Rechtsprechung ferner in einem dritten – noch umstritteneren – Fall vor: Es sei zulässig, den nicht verbandsangehörigen Arbeitgeber mit dem Ziel zu bestreiken, dass die im Verbandsarbeitskampf geforderten Arbeitsbedingungen auch im Unternehmen des Arbeitgebers gelten sollten. Denn der Außenseiter-Arbeitgeber könne diese Forderung durch Abschluss eines Firmentarifvertrags oder Erklärung seines Anschlusswillens erfüllen.21 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein Streik gegen den Außenseiter unzulässig ist, wenn an ihn Forderungen gestellt werden, die nicht er selbst, sondern nur der Verband erfüllen kann. Missverständlich hieß es noch im Urteil des BGH vom 19.01.1978, dass es für die Rechtmäßigkeit ausreiche, wenn der „verbandszugehörige Arbeitgeber nur bestreikt wird, um auch hierdurch wirtschaftlichen Druck auf die Branche und ihren Arbeitgeberverband auszuüben, möglicherweise in der Erwartung, dass die Außenseiter einem dann mit dem Verband abgeschlossenen Tarifvertrag folgen würden“.22 Zu Recht betonte das BAG bei der Bestätigung dieses Urteils, dass auch in diesem Fall die Gewerkschaft stets miterreichen wolle, dass die im Verbandsarbeitskampf erhobenen Forderungen Arbeitsbedingungen bei den Außenseitern werden sollen. Allein das Ziel, mit dem Streik gegen Außenseiter Druck auf die Branche und ihren Arbeitgeberverband auszuüben, reiche dagegen nicht aus.23 Bei genauer Betrachtung liegt in diesem Fall also gar kein Sympathiearbeitskampf vor, sondern ein Streik gegen den Außenseiter mit dem Ziel, einen Firmentarifvertrag zu erreichen. Dementsprechend müssen nach der Rechtsprechung des BAG zur Wahrung des ultima ratio-Prinzips vorher die Verhandlungen zwischen dem Außenseiter und der Gewerkschaft über einen Firmentarifvertrag gescheitert sein.24 18
BAG 20.12.1963, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 34; BAG 05.03.1985, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85; Otto in: MünchHandbArbR, § 286 Rn. 50. 19 BAG 05.03.1985, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85. 20 BAG 20.12.1963, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 34. 21 BGH 19.01.1978, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 56; BAG 09.04.1991, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 116. 22 BGH 19.01.1978, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 56. 23 BAG 09.04.1991, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 116. 24 BAG 09.04.1991, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 116.
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c) Urteil des BAG vom 18.02.2003 Eine Neuerung erfuhr die Rechtsprechung des BAG durch das – höchst umstrittene – Urteil vom 18.02.2003.25 In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war der nicht verbandsangehörige Arbeitgeber bestreikt worden, der in seinem Firmentarifvertrag dynamisch auf den Verbandstarifvertrag verwies. Die bisher anerkannten Ausnahmen griffen in diesem Fall nicht ein. Denn durch den Streik war weder ein Firmentarifvertrag angestrebt noch beeinträchtigte der Außenseiter die Neutralität. Das BAG kehrte hier von seiner bisher sehr restriktiven Zulassung von Sympathiestreiks ab und ließ als neuen Gesichtspunkt die Partizipation zu, die in den früheren Entscheidungen keine Rolle gespielt hatte. Der Außenseiter dürfe bestreikt werden, weil er am Ergebnis des Verbandsarbeitskampfes teilhabe. Er sei zwar formal Außenseiter, aber bei einer dynamischen Verweisung im Firmentarifvertrag kein unbeteiligter Dritter. Maßgeblich für die Einbeziehung wegen der Partizipation waren nach dem BAG zwei Erwägungen. Erstens werde so eine Einheit von Lasten und Nutzen hergestellt: Der Arbeitgeber mache sich, indem er die Arbeitsverhältnisse der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer den Verbandstarifverträgen unterstelle, die Betätigung der Verbände zunutze und profitiere von der Stärke des am Kampf um den Verbandstarifvertrag beteiligten Arbeitgeberverbands.26 Zweitens sei es gegenüber nichtorganisierten Arbeitnehmern genauso: Ebenso, wie der Arbeitgeber wegen deren Partizipation nichtorganisierte Arbeitnehmer aussperren dürfte und diese nach § 146 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III das Lohnausfallrisiko tragen müssten, könne auch der partizipierende Arbeitgeber in den Arbeitskampf einbezogen werden.27 Auch die anderen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen seien erfüllt. Die Bestreikung des Außenseiters sei als Mittel des Verbandsarbeitskampfes geeignet, da der Außenseiter zwar keinen mitgliedschaftsrechtlich begründeten Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgeberverbands, aber zahlreiche und unterschiedliche faktische Einfluss- und Reaktionsmöglichkeiten habe.28 Ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers liege nicht vor, da für ihn nur ein Anreiz, aber kein Zwang zum Verbandsbeitritt gesetzt werde.29 Schließlich werde die firmentarifvertragliche Friedenspflicht nicht verletzt. Durch den Verweis auf den Verbandstarifvertrag reiche diese Pflicht nämlich nur so weit, wie die verbandstarifliche Friedens-
25 26 27 28 29
BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163. BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (A III 4 der Gründe). BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (A III 2 und 3 der Gründe). BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (B II 1 der Gründe). BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (C II der Gründe).
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pflicht. Wirke der Verbandstarifvertrag lediglich noch nach § 4 Abs. 5 TVG nach, bestehe auch aus dem Firmentarifvertrag keine Friedenspflicht mehr.30 2. Einbeziehung als Streik für ein unzulässiges Kampfziel Der Ausgangspunkt zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts ist damit klar: Die Gewerkschaft ver.di bestreikte die kommunalen Arbeitgeber, um den Hauptstreik gegenüber der TdL zu unterstützen. Wenn nicht eine der Ausnahmen des BAG eingreift, handelt es sich um einen unzulässigen Sympathiestreik, also einen Streik für ein unzulässiges Kampfziel. Die drei Ausnahmen der älteren Rechtsprechung sind offensichtlich nicht einschlägig. Auch der in der neueren Rechtsprechung entwickelte Partizipationsgedanke vermag den Sympathiestreik nicht zu rechtfertigen. Denn erstens ist der Partizipationsgedanke abzulehnen und zweitens fehlt es bei der Meistbegünstigungsvereinbarung an der vom BAG entwickelten Partizipation. Ihn auch auf den vorliegenden Sachverhalt zu erstrecken wäre eine sinnwidrige Erweiterung der ersichtlich als Ausnahme gedachten Rechtsprechung. Exceptio stricta interpretanda est. Auch bei Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung wäre der Streik daher rechtswidrig. a) Kritik des Schrifttums am Partizipationsgedanken Während die restriktiven Ausnahmen der älteren Rechtsprechung noch Zustimmung erfahren haben, wird die Rechtsprechungswandlung durch das Urteil vom 18.02.2003 in der Mehrheit der Stellungnahmen und auch vom Jubilar abgelehnt.31 Der Partizipationsgedanke reicht demnach schon beim Anschlusstarifvertrag nicht aus, um eine Einbeziehung des Außenseiters in den Streik zu rechtfertigen. In der Literatur wird zu Recht argumentiert, dass die beiden Erwägungen des BAG eine Einbeziehung aufgrund bloßer Partizipation nicht rechtfertigen. Ein Vorteil des nicht organisierten Arbeitgebers, der die Zuordnung gleicher Lasten rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Der Außenseiter hat nicht am Rechtsgrund des Verbandstarifvertrags teil, sondern der Tarifvertrag liefert nur die sozialen Daten, die für den Außenseiterarbeitgeber erst durch inhaltsgleiche Übernahme verbindlich werden. Selbst wenn man 30 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (D II der Gründe). Dazu ausführlich unten III. 31 Otto EWiR 2003, 1241; außerdem ablehnend: Thüsing Anm. AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 163; Rieble EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135; Löwisch AR-Blattei ES 170.1 Nr. 49; Rolfs/Clemens NZA 2004, 410; Hohenstatt/Schramm DB 2005, 774; Konzen FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (2004), S. 515; ders. GS Heinze (2005), S. 515; zustimmend: Reim AiB 2004, 246; Blanke AuR 2004, 130.
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beides gleichsetzen wollte: Der Anschlusstarifvertrag ist nicht das Benefizium des Arbeitgebers, das der Kompensation bedarf, sondern es ist das Ergebnis seiner Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Ob dieses Ergebnis für ihn „vorteilhaft“ ist, ist offen. Der Anschlusstarifvertrag kann ihm abgerungen worden sein, unter Umständen unter erheblichem Streikdruck und gegen seinen Willen und seine wirtschaftliche Vernunft, er kann eingeknickt sein nach zähem Bemühen, einen anderen Vertrag durchzusetzen. Die bei ihm geltenden Arbeitsbedingungen sind also nicht Vorteile, die ihm von fremder Seite in den Schoß gelegt wurden, sondern Verhandlungsergebnis, das seine Rechtfertigung in der Verhandlung selber trägt. Gerade dadurch, dass er nicht dem Verband beigetreten ist und einen eigenen Tarifvertrag abschließt, nimmt er auch in der Übernahme des fremden Tarifvertrags das Recht eigener Tarifhoheit und damit Arbeitskampfhoheit in Anspruch.32 Auch ein Symmetrieschluss von der Arbeitnehmer- auf die Arbeitgeberseite überzeugt nicht. Die Symmetrie ist eine ästhetische Kategorie, und beschreibt kein rechtliches, sondern ein geometrisches Phänomen. Als juristische Argumentationsform ist sie nur tauglich, wenn die gleichen Wertungen auf der einen oder anderen Seite die Begründung tragen können, wenn es sich also auch um einen symmetrischen Sachverhalt handelt. Im vom BAG entschiedenen Fall sind die grundlegenden Unterschiede zwischen Aussperrungsbefugnis und Streikbetroffenheit zu vergegenwärtigen: Bei der Teilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers am Streik handelt es sich um die aktive Ausübung eines Arbeitskampfmittels. Bei seiner Bestreikung ist der nicht organisierte Arbeitgeber demgegenüber nicht aktiv beteiligt, sondern lediglich passiv betroffen von den Auswirkungen eines Arbeitskampfmittels, das die Gewerkschaft ausübt, nicht aber er selbst. Das eine Mal wird er mit seinem Willen am Arbeitskampf beteiligt, das andere Mal gegen seinen Willen. Rückschlüsse von der einen wie der anderen Seite sind daher nicht möglich. Dies gilt auch für den Vergleich der Streikbetroffenheit des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers: Der eine profitiert tatsächlich vom Arbeitskampf, der im Interesse des Arbeitnehmers geführt wird, der andere lässt sich diesen Profit abringen. Die Wertungen sind entgegengesetzt.33 b) Keine Partizipation durch Meistbegünstigungsvereinbarung Die Entscheidung des BAG selbst stand also auf unsicherem argumentativem Boden. Doch selbst wenn der vom BAG entwickelte Partizipationsgedanke entgegen der daran geäußerten Kritik zugrunde gelegt wird, ergibt sich daraus nicht, dass der Außenseiter auch aufgrund einer Meistbegünsti32
Thüsing, Anm. AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 163 (IV 2a). Thüsing, Anm. AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 163 (IV 2b); Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410, 416 f.; Hohenstatt/Schramm, NZA 2005, 774, 777 f.; Konzen, GS Heinze (2005), S. 515, 521 ff. 33
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gungsvereinbarung bestreikt werden dürfte. Zweifel bestehen bereits an der Wirksamkeit der Meistbegünstigungsvereinbarung.34 Diese Bedenken sind letztlich unbegründet (aa), sie würden aber bei entgegen gesetzter Wertung eine Partizipation und damit die Zulässigkeit des Streiks bereits ausschließen. Ausschlaggebend ist etwas anderes: Die Meistbegünstigungsvereinbarung unterscheidet sich entscheidend von einem Anschlusstarifvertrag. Bei der Meistbegünstigungsvereinbarung kann allenfalls noch von einer ungewollten, unvollkommenen und hinkenden Partizipation geredet werden, die auch nach der neueren Rechtsprechung des BAG nicht ausreicht (bb). aa) Wirksamkeit der Meistbegünstigungsvereinbarung Die Meistbegünstigungsvereinbarung ist trotz Zweifeln der Literatur wirksam. Denn durch die Vereinbarung wird weder in die einfachrechtlich gewährleistete Tarifautonomie der TdL noch in die verfassungsrechtlich garantierte Personal- und Finanzhoheit der Länder unzulässigerweise eingegriffen. Eine unzulässige Übertragung der Normsetzungsbefugnis auf Dritte liegt mit der Meistbegünstigungsvereinbarung ebenfalls nicht vor. (1) Kein Eingriff in die Tarifautonomie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder Allerdings ist in der Analyse der Ausgangslage denjenigen, die die Wirksamkeit der Meistbegünstigungsvereinbarung anzweifeln, zuzustimmen: Die TdL kann sich als Zusammenschluss der nicht grundrechtsfähigen Länder nicht auf den Schutz der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Die Länder genießen aber nach § 2 Abs. 1 TVG volle Haustariffähigkeit. Das TVG spricht also einfachrechtlich den Ländern als öffentlichen Arbeitgebern dieselbe Tarifautonomie zu wie privaten Arbeitgebern. Diese einfachrechtliche Garantie kann damit auch die TdL geltend machen.35 Die Meistbegünstigungsvereinbarung verfolgt das Ziel, die TdL zum Abschluss eines Tarifvertrages zu zwingen, der dem TVöD entspricht.36 Die Gewerkschaft ver.di wird mit der TdL keinen für die Arbeitgeber günstigeren Tarifvertrag abschließen, da sich dieser nach Ausübung des durch die Meistbegünstigungsvereinbarung gewährten Optionsrechts auch negativ für die beim Bund und den kommunalen Arbeitgebern Beschäftigten auswirken würde. Falsch ist aber der Schluss der Sittenwidrigkeit, der aus dieser Analyse gezogen wird. Denn das mittelbare Einwirken auf das Vertragsverhalten Dritter ist nur in eng begrenzten Fallgruppen sittenwidrig.37 Insbesondere 34
Rieble, NZA 2005, 225; Rieble/Klebeck, RdA 2006, 65. Rieble/Klebeck RdA 2006, 65, 73 f.; Wiedemann/Oetker TVG, § 2 TVG Rn. 99. 36 Rieble/Klebeck RdA 2006, 65, 67. 37 MünchKomm/Mayer-Maly/Armbrüster § 138 BGB Rn. 96 ff.; Erman/Palm § 138 BGB Rn. 50. 35
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der Zwang zum Abschluss eines Tarifvertrags mit ver.di, der zur Begründung der Sittenwidrigkeit angeführt wird,38 besteht nicht. Denn die Bundesländer sind frei, mit einer anderen Gewerkschaft einen Tarifvertrag abzuschließen oder ganz auf einen Tarifvertrag zu verzichten. Bei Abschluss mit einer im Unternehmen kaum vertretenen Gewerkschaft oder bei Verzicht auf einen Tarifvertrag haben die Regelungen keine normative Wirkung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Das ist für den Arbeitgeber irrelevant, darauf kann ein Zwang zum Abschluss mit ver.di nicht gestützt werden. Der mittelbare Eingriff in das Vertragsverhalten der Bundesländer überschreitet daher nicht die Schwelle der Sittenwidrigkeit. (2) Kein Eingriff in die Personal- und Finanzhoheit der Länder Aus diesem Grund liegt auch kein unzulässiger Eingriff in die Personalund Finanzhoheit der Länder vor. Der Bundesgesetzgeber setzt sich nämlich nicht über seine fehlende Gesetzgebungskompetenz hinweg, sondern übt lediglich mittelbar einen gewissen Einfluss auf die Tarifverhandlungen zwischen ver.di und den Ländern aus. Da die Länder aber darin frei sind, einen Tarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft einzugehen oder auf einen Tarifvertrag zu verzichten, wird in die eigenverantwortliche Regelung der Arbeitsbedingungen nicht eingegriffen.39 (3) Keine unzulässige Übertragung der Normsetzungsbefugnis Entgegen entsprechenden Stellungnahmen in der Literatur stellt die Meistbegünstigungsvereinbarung auch keine unzulässige Übertragung der Normsetzungsbefugnis dar. Die Vertreter jener Ansicht ziehen eine Parallele zur dynamischen Verweisung in Tarifverträgen,40 die nach der Rechtsprechung des BAG nur zulässig ist, wenn ein besonders enger Sachzusammenhang besteht.41 Dieser Vergleich ist unstimmig.42 Denn anders als bei der Verweisungsklausel sind beide Parteien an der fremden Regelung beteiligt. Ein Anspruch der Arbeitgeberseite aus der Meistbegünstigungsklausel entsteht nur dann, wenn ver.di mit der TdL andere tarifliche Vereinbarungen trifft. Zweitens wird dieser Anspruch nur relevant, wenn ihn die kommunalen Arbeitgeber geltend machen. Damit tritt die fremde Regelung nur nach Beteiligung beider Seiten und nicht automatisch wie bei der dynamischen Verweisung in Kraft. Beide Seiten können daher auch nach Abschluss der Meistbegünstigungsvereinbarung auf den Tarifinhalt Einfluss nehmen.43 38 39 40 41 42 43
Rieble/Klebeck RdA 2006, 65, 71 f. AA Rieble/Klebeck RdA 2006, 65, 74. Rieble NZA 2005, 225, 230 f.; Rieble/Klebeck RdA 2006, 65, 69 f. BAG 09.07.1980, AP § 1 TVG Form Nr. 7. S. auch Waas ZTR 2000, 341, 346. Witt Der Firmentarifvertrag (2004), S. 307.
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bb) Meistbegünstigung als ungewollte, unvollkommene und hinkende Partizipation Die Meistbegünstigungsvereinbarung ist demnach wirksam. Und dennoch kann sie keine Einbeziehung in den Arbeitskampf rechtfertigen. Der Gedanke der Partizipation in der neueren Rechtsprechung des BAG rechtfertigt nicht, dass der Außenseiter bestreikt werden darf. Das BAG beschränkte sich im Urteil vom 18.02.2003 ausdrücklich auf die ihm dort vorgelegte Fallgestaltung.44 Es ist eine Entscheidung, die ersichtlich gegen eine Verallgemeinerung formuliert wurde: „Die vorliegende Fallgestaltung verlangt keine generelle Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Maßgaben der Streik gegen einen Außenseiter-Arbeitgeber im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs zulässig ist …“. Die aus einer Meistbegünstigungsklausel folgende Partizipation ist aus mindestens vier Gründen nicht mit der Partizipation durch einen Anschlusstarifvertrag vergleichbar. Erstens ist die Partizipation ungewollt. Ziel der Meistbegünstigungsklausel ist nicht die Partizipation, sondern die Herbeiführung von Tarifeinheit. Zweitens ist die Partizipation unvollkommen. Sie wirkt nur halbseitig, lediglich der Arbeitgeber, nicht aber die Arbeitnehmer können an einem Tarifabschluss partizipieren. Drittens ist die Partizipation hinkend. Die Regelungen des anderen Tarifvertrags wirken anders als bei der Verweisung nicht automatisch, sondern es bedarf des Abschlusses eines erneuten Tarifvertrags, auf den lediglich ein Anspruch des Außenseiters besteht. Viertens führt die Meistbegünstigungsvereinbarung dazu, dass nicht nur ein fremder Tarifvertrag für den Außenseiter relevant wird, sondern es können potentiell 16 relevante Tarifverträge abgeschlossen werden. Damit würde sich bei einer Erstreckung des Partizipationsgedankens auf Meistbegünstigungsvereinbarungen das Arbeitskampfrisiko des Außenseiters potenzieren. (1) Ungewollte Partizipation Die dynamische Verweisung in einem Firmentarifvertrag auf einen Verbandstarifvertrag ist unmittelbar darauf gerichtet, einen zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband ausgehandelten Kompromiss zu übernehmen. Dem Arbeitgeber geht es dabei darum, sich die Betätigung der Verbände zunutze zu machen und von der Stärke des am Kampf um den Verbandstarifvertrag beteiligten Arbeitgeberverbands zu profitieren. Mit diesem Ziel begründete das BAG den Partizipationsgedanken in seinem Urteil vom 18.02.2003.45
44 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (A III und A III 4 der Gründe). 45 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (A III 4 der Gründe).
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Mit der Meistbegünstigungsvereinbarung verfolgen der Bund sowie die kommunalen Arbeitgeber einen anderen Zweck. Auch wenn die Meistbegünstigungsvereinbarung im Einzelfall zu einer Partizipation führen mag, zielt sie doch vorrangig darauf, Tarifeinheit herzustellen und die TdL zum Abschluss eines identischen Tarifvertrags zu zwingen. Die TdL wird vor die Wahl gestellt, einen identischen oder gar keinen Tarifvertrag abzuschließen, weil die ver.di zur Vereinbarung günstigerer Klauseln nicht bereit sein wird.46 Die Klausel des TV-Meistbegünstigung vom 09.02.2005 wird daher in der Literatur zu Recht als aggressive Variante einer Meistbegünstigungsvereinbarung bezeichnet, die auf eine Ausdehnung der Tarifinhalte ziele.47 Der Außenseiter-Arbeitgeber will damit gar nicht von der Stärke der am Arbeitskampf beteiligten Arbeitgeber profitieren. Ihm geht es – wenn überhaupt – eher darum, jene Arbeitgeber zu schwächen, indem er der Gewerkschaft Zugeständnisse erschwert. Damit ist die Zielrichtung genau umgekehrt wie bei der dynamischen Verweisung. Der Partizipationsgedanke, den das BAG in seiner Entscheidung vom 18.02.2003 entwickelte, ist auf diese Konstellation nicht übertragbar. Dies wird auch deutlich im Blick auf die Arbeitnehmerseite: Auch sie streikt nicht, damit sie vom Tarifvertrag, der abgeschlossen wird, profitiert – sondern sie streikt gerade, dass dieser Tarifvertrag nicht für sie gelten soll. Es geht ihr nicht um die Partizipation, sondern sie will sie verhindern. Die tragende Erwägung des BAG in seinem Urteil vom 18.2.2003 („Die Arbeitnehmer partizipieren … an dem zwischen den organisierten Arbeitnehmern und Arbeitgebern erzielten Tarifergebnis“) greift also nicht. (2) Unvollkommene Partizipation Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass die Meistbegünstigungsvereinbarung nur zu einer Partizipation des Arbeitgebers, nicht aber zu einer Partizipation der Arbeitnehmer führen kann. Nur der Außenseiter-Arbeitgeber erhält durch sie einen Anspruch. Werden günstige Vereinbarungen für die Arbeitnehmer in dem umkämpften Tarifvertrag getroffen, können sie davon nicht profitieren. Das hat Auswirkungen auf das Arbeitskampfziel der beim AußenseiterArbeitgeber Beschäftigten in Bezug auf den umkämpften Tarifvertrag. Für diese Arbeitnehmer ist unerheblich, was in jenem Tarifvertrag geregelt wird und ob er überhaupt zustande kommt, solange die Arbeitsbedingungen nicht für die Arbeitgeberseite günstiger sind. Denn nur dann haben sie eine Änderung ihrer Arbeitsbedingungen aufgrund der Meistbegünstigungsvereinbarung zu fürchten. Damit ist das Ziel des Arbeitskampfes mangels Tarifbezo46 47
Dazu bereits oben aa (1). Rieble/Klebeck RdA 2006, 65, 67.
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genheit des Streiks unzulässig. Der Streik ist nur zur Durchsetzung tariflicher Regelungen zulässig. Durch ihren Streik aber kämpfen die Arbeitnehmer des Außenseiters nicht um die Vereinbarung bestimmter Arbeitsbedingungen, die in der Folge auf sie anwendbar sind. Es geht ihnen vielmehr darum, dass die zu treffenden Regelungen nicht für sie gelten sollen. Für sie ist damit sogar unerheblich, ob überhaupt ein Tarifvertrag zwischen ver.di und der TdL zustande kommt. Wird kein Tarifvertrag abgeschlossen, haben sie ihr Ziel ebenfalls erreicht, nämlich auch dann bleiben die bisherigen Regelungen des TVöD anwendbar. Damit streiken sie nicht zur Durchsetzung tariflicher Regelungen, sondern lediglich mit dem Ziel der Verhinderung tariflicher Regelungen. Ihr Streik ist daher wegen fehlender Tarifbezogenheit unzulässig. (3) Hinkende Partizipation Drittens kann im Vergleich zur dynamischen Verweisung allenfalls von einer hinkenden Partizipation gesprochen werden. Anders als bei der Verweisung erfolgt die Übernahme der Tarifvertragsbedingungen nicht automatisch und ohne weitere Umsetzungsakte. Aus dem TV-Meistbegünstigung folgt lediglich ein Anspruch der Arbeitgeber, Regelungen in ihren Tarifvertrag zu übernehmen. Die Übernahme der Tarifvertragsbedingungen bedarf also zunächst der Geltendmachung dieses Anspruchs und sodann einer Änderung des Tarifvertrags. Das BAG hatte seine Rechtsprechung zur Partizipation im Urteil vom 18.02.2003 ausdrücklich auf den Fall der automatischen Übernahme beschränkt. Es komme darauf an, dass die Regelungen „unverzüglich übernommen“ werden sollten, ihre Geltung also keiner weiteren Umsetzungsakte bedürften.48 Auch die Befürworter dieser Rechtsprechung in der Literatur betonen, dass es einer automatischen Übernahme bedürfe.49 Schon wegen dieser verfahrensrechtlichen Ungleichheit kann der Partizipationsgedanke nicht auf die Meistbegünstigungsvereinbarung übertragen werden. Daneben ist als materieller Unterschied zu beachten, dass mit den kommunalen Arbeitgebern neben dem TV-Meistbegünstigung bereits ein vollständig ausformulierter Tarifvertrag, der TVöD, vereinbart wurde, während im Anschlusstarifvertrag keine Arbeitsbedingungen formuliert sind. Verlangt der aus der Meistbegünstigungsvereinbarung berechtigte Arbeitgeber, Regelungen aus einem Tarifvertrag zwischen ver.di und einem Bundesland zu übernehmen, müssen diese also in ein bereits bestehendes Vertragsgefüge eingepasst werden. Eine Übernahme der identischen Klausel wird dabei nicht möglich sein, weil sie nicht unverändert in eine ganz andere Struktur über-
48 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (A III 4 und A III 5a der Gründe). 49 Reim AiB 2004, 247, 248; Blanke AuR 2004, 130, 131.
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nommen werden kann. Deshalb wird eine günstigere Regelung in einem Tarifvertrag eines Bundeslandes nicht zur einfachen Übernahme führen, sondern lediglich zu Neuverhandlungen über eine in diese Richtung gehende Anpassung des Tarifvertrags. Im Ergebnis ist also der Anspruch der Arbeitgeber aus der Meistbegünstigungsvereinbarung nicht ein Anspruch auf Übernahme einer Regelung, sondern auf Neuverhandlung mit einem bestimmten Ziel. Resultat dieser Verhandlungen wird keine wörtliche Übernahme sein, sondern eine Anlehnung an den umkämpften Tarifvertrag. Würde die Rechtsprechung des BAG auf solche Fälle der bloßen Anlehnung erweitert, hätte dies untragbare Folgen. Auch Außenseiter-Arbeitgeber, die sich bei der Formulierung ihres Firmentarifvertrags an verbandstariflichen Wendungen lediglich orientieren, riskierten dann, beim Kampf um den Verbandstarifvertrag bestreikt zu werden. Und das wäre noch nicht das Ende. Sogar Außenseiter, die ganz auf einen Tarifvertrag verzichten und sich in ihren individualvertraglichen Formulierungen an einen Verbandstarifvertrag anlehnen, müssten befürchten, in einen Arbeitskampf um den Verbandstarifvertrag einbezogen zu werden. Dies würde dann nicht nur bei einer dynamischen individualvertraglichen Verweisung gelten,50 sondern auch bei einer statischen Verweisung, bei der erfahrungsgemäß eine Anpassung erfolgt. Besonders absurd werden die Folgen, wenn ein Außenseiter sich an Formulierungen unterschiedlicher Tarifverträge orientiert und diese in seinen firmentarifvertraglichen oder individualvertraglichen Vereinbarungen kombiniert. Denn dann könnte er nicht nur in einen Arbeitskampf einbezogen werden, sondern in mehrere. Auch wenn die Formulierungen sich in mehreren Tarifverträgen finden, ihre Quelle also nicht eindeutig zu bestimmen ist, könnte dem Außenseiter dieses Risiko drohen. Diese Konsequenzen machen offensichtlich, dass sich das BAG in seiner Entscheidung vom 18.02.2003 zu Recht und begründet auf den Fall beschränkt hat, dass Regelungen automatisch und ohne weitere Zwischenschritte übernommen werden.51 Eine Ausdehnung des Partizipationsgedankens auf den Fall der Meistbegünstigungsvereinbarung ist wegen der bestehenden Unterschiede weder in der bisherigen Rechtsprechung angelegt noch sinnvoll. (4) Potenzierung des Arbeitskampfrisikos des Außenseiters Viertens ist für die Meistbegünstigungsvereinbarung eine Vielzahl von Tarifverträgen maßgeblich, während die Verweisung auf den Verbandstarifvertrag nur einen Tarifvertrag einbezieht. Denn der TV-Meistbegünstigung
50 Dies leitet Rieble EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135, S. 33 ff., bereits aus dem Urteil des BAG vom 18.02.2003 ab. 51 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (A III 4 und A III 5a der Gründe).
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ist für den Fall geschlossen, dass ver.di für ein oder mehrere Bundesländer einen abweichenden Tarifvertrag abschließt. Theoretisch ist also denkbar, dass sich ver.di mit jedem Bundesland einzeln auf einen abweichenden Tarifvertrag einigt, so dass 16 Tarifverträge für die Meistbegünstigungsvereinbarung relevant werden. Dementsprechend könnten auch 16 Arbeitskämpfe um diese Tarifverträge geführt werden. Anders als beim Anschlusstarifvertrag verdoppelt sich das Arbeitskampfrisiko für den Außenseiter also nicht nur, es vervielfacht sich. Selbst wenn man eine Verdoppelung entgegen berechtigter Kritik in der Literatur 52 noch für zumutbar hielte, kann man bei einer Versechzehnfachung so nicht mehr argumentieren. Auch dieser Unterschied führt daher zu der Beurteilung des Streiks als unzulässig. 3. Einbeziehung als Verstoß gegen die Friedenspflicht Auch bei Anerkennung der jüngsten Rechtsprechung des BAG und bei Unterstellung der Wirksamkeit der Meistbegünstigungsvereinbarung ist die Einbeziehung des Außenseiters in den Arbeitskampf also unzulässig, weil der vom BAG entwickelte Partizipationsgedanke dessen Bestreikung nicht zu rechtfertigen mag. Doch die Unzulässigkeit des Streiks ist damit noch nicht abschließend dargelegt. Selbst wenn man die Zulässigkeit des Sympathiearbeitskampfes mit dem Partizipationsgedanken begründete,53 verstößt die Bestreikung des Außenseiters gegen eine aus dem TV-Meistbegünstigung folgende relative Friedenspflicht. a) Keine absolute Friedenspflicht Unter einer absoluten Friedenspflicht versteht man eine Vereinbarung, die jeden Arbeitskampf zwischen den Tarifparteien ausschließt ohne Rücksicht darauf, ob zwischen ihnen ein Tarifvertrag besteht und mit welchem Inhalt ein Tarifvertrag angestrebt wird. Eine absolute Friedenspflicht bedarf der Vereinbarung zwischen den Tarifparteien.54 Eine solche Vereinbarung haben ver.di und die kommunalen Arbeitgeber nicht geschlossen. Eine absolute Friedenspflicht besteht zwischen ihnen daher nicht. b) Verstoß gegen eine relative Friedenspflicht Jeder Tarifvertrag begründet nach der Rechtsprechung des BAG dagegen eine relative Friedenspflicht, die nicht besonders vereinbart werden muss, sondern dem Tarifvertrag als einer Friedensordnung immanent 52
Rieble EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135, S. 31. Darum noch anders zur Friedenspflicht Thüsing Anm. AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 163 (IV 4). 54 Kissel Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 2; Wiedemann/Thüsing TVG, § 1 TVG Rn. 906. 53
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ist.55 Wie Otto betont, „besteht sie kraft Gesetzes.“ 56 Diese jedem Tarifvertrag innewohnende Friedenspflicht war bereits in der Weimarer Republik anerkannt, ohne Friedenspflicht lag demnach kein gültiger Tarifvertrag vor.57 Die relative Friedenspflicht bezieht sich nur auf die tarifvertraglich geregelten Gegenstände. Ihre sachliche Reichweite ist durch Auslegung der tariflichen Regelungen zu ermitteln.58 Haben die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Sachmaterie erkennbar umfassend geregelt, ist davon auszugehen, dass sie diesen Bereich der Friedenspflicht unterwerfen und für die Laufzeit des Tarifvertrags die kampfweise Durchsetzung weiterer Regelungen unterbinden wollten, die in einem sachlichen inneren Zusammenhang mit dem befriedeten Bereich stehen.59 aa) Friedenspflicht aus dem TV-Meistbegünstigung Der TV-Meistbegünstigung enthält als einzige Regelung, dass der Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände beim Abschluss günstigerer Bedingungen mit den Ländern einen Anspruch auf Übernahme dieser Bedingungen haben. Eine denkbare, im Ergebnis aber unzutreffende Möglichkeit wäre es, eine Parallele zur dynamischen Verweisung im Firmentarifvertrag zu ziehen. Für den Anschlusstarifvertrag hat das BAG in seinem Urteil vom 18.02.2003 entschieden, dass die sachliche Reichweite dessen Friedenspflicht sich nicht losgelöst vom Inhalt und Zustand der Verbandstarifverträge bestimmen lässt, weil der Anschlusstarifvertrag keine eigenständigen Sachregelungen enthält. Werde in einem Tarifvertrag dynamisch auf die Bestimmungen eines anderen Tarifvertrags verwiesen, so spreche dies dafür, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag nicht nur hinsichtlich seines Inhalts, sondern auch hinsichtlich seiner Geltungsweise immer so anwendbar sein solle, wie er dies für die ihm unmittelbar unterstellten Personen sei. Zum Beleg für diese Auslegung verweist das BAG auf sein Urteil vom 13.08.1986 60.61 Nach dem BAG besteht eine Friedenspflicht aus dem Anschlusstarifvertrag also nur, solange auch der in Bezug genommene Tarifvertrag normativ gilt. Die Geltungsweise des Anschlusstarifvertrags selbst spielt keine Rolle. 55 BAG 10.12.2002, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 (B I 2a der Gründe) m.w.N.; BAG 21.12.1982, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 76 (A II 1a der Gründe); BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (D I der Gründe). 56 Otto FS Wiedemann, S. 401, 408. 57 Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts II (1. und 2. Auflage 1930), S. 97 f. 58 BAG 10.12.2002, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 m.w.N.; Löwisch/Rieble in: MünchHandbArbR, § 277 Rn. 5; Wiedemann/Thüsing TVG, § 1 TVG Rn. 885. 59 BAG 10.12.2002, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 162 m.w.N.; BAG 27.06.1989, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 113 (II 2a der Gründe). 60 BAG 13.08.1986, AP MTVAng-DFVLR § 2 Nr. 1. 61 BAG 18.02.2003, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (D II der Gründe).
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Diese Rechtsprechung wurde bereits für den Anschlusstarifvertrag zu Recht kritisiert. Denn die Bezugnahme macht die in Bezug genommene Regelung zum Inhalt der verweisenden, so dass die normative Kraft nicht vom Bezugsobjekt, sondern vom verweisenden Tarifvertrag bestimmt wird. Dementsprechend hatte das BAG 1990 entschieden, dass im Geltungsbereich eines ungekündigten Tarifvertrags eine in Bezug genommene Tarifvorschrift eines anderen Tarifvertrags auch dann noch unmittelbar und zwingend gelte, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag gekündigt ist und in seinem Geltungsbereich nur noch nachwirkt.62 Das vom BAG zitierte Urteil vom 13.08.1986 ergibt zwar eine entgegengesetzte Auslegung, aber nur für einen atypischen, nicht verallgemeinerungsfähigen Sonderfall, in dem die Arbeitgeberseite Vergütungseinheit und daher zum Vollzug einer Vergütungsabsenkung für neu eingestellte Arbeitnehmer auch die gleiche lediglich nachwirkende Geltungsform anstrebte.63 Im Regelfall hat der Arbeitgeber aber ein größeres Interesse an einer Friedenspflicht der Gewerkschaft als an der Herstellung der Tarifeinheit. Darum gilt für den Regelfall, dass die Parteien die in Bezug genommenen Normen der Wirkungskraft des Anschlusstarifvertrags unterstellen wollen.64 Folgt man dieser Kritik und überträgt diese Wertungen auf den TV-Meistbegünstigung, enthält er also im Hinblick auf die unter Umständen zu übernehmenden Regelungen eine Friedenspflicht. Dementsprechend verstößt die Bestreikung der kommunalen Arbeitgeber gegen diese Friedenspflicht und ist unzulässig. Selbst wenn man mit dem BAG für den Fall des Anschlusstarifvertrags annimmt, dass die Friedenspflicht des verweisenden nicht weiter als die des in Bezug genommenen Tarifvertrags reicht, ist dies nicht auf die Meistbegünstigungsvereinbarung zu übertragen. Denn dies würde anders als beim Anschlusstarifvertrag dem bereits in der Weimarer Republik anerkannten Prinzip widersprechen, dass jeder Tarifvertrag eine innewohnende Friedenspflicht hat. Im Unterschied zum Anschlusstarifvertrag sind für den TVMeistbegünstigung potentiell 16 Tarifverträge relevant, nämlich zwischen ver.di und jedem einzelnen Bundesland. Es ist kaum denkbar, dass zu irgendeinem Zeitpunkt alle 16 Tarifverträge normativ gelten. Wenn nur in diesem Fall die Meistbegünstigungsvereinbarung eine Friedenspflicht enthielte, käme sie praktisch nie zum Tragen. Wird in der Literatur bereits bei einem Anschlusstarifvertrag an dessen substantieller Friedenspflicht gezweifelt,65 so entfiele diese bei der Meistbegünstigungsvereinbarung ganz. Selbst bei Hin-
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BAG 30.01.1990, AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 78. BAG 13.08.1986, AP MTVAng-DFVLR § 2 Nr. 1. 64 Thüsing Anm. AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 163 (IV 4); Rieble EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135, S. 30 f.; Löwisch AR-Blattei ES 170.1 Nr. 49, S. 15; Konzen FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (2004), S. 515, 543; ders. GS Heinze (2005), S. 515, 526. 65 Rieble EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 135, S. 31. 63
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nahme der Rechtsprechung des BAG zum verweisenden Tarifvertrag muss der Meistbegünstigungsvereinbarung also eine Friedenspflicht auch dann entnommen werden, wenn nicht alle 16 potentiell relevanten Tarifverträge normativ gelten. bb) Friedenspflicht aus dem TVöD Der Streik verstieß außerdem gegen eine aus dem TVöD folgende Friedenspflicht. Anders als ein Anschlusstarifvertrag enthält der TVöD eigene materielle Regelungen. Die Gewerkschaft durfte daher keine Arbeitskampfmaßnahmen um im TVöD bereits geregelte Arbeitsbedingungen ergreifen. Würde ein Streik durch ver.di zugelassen, würde die Kampfparität zwischen den Tarifparteien empfindlich beeinträchtigt. Nach dem Grundsatz der Kampfparität muss zwischen den Tarifpartnern ein annäherndes Verhandlungsgleichgewicht bestehen, so dass keine Seite in der Lage ist, der anderen den Inhalt von Tarifverträgen zu diktieren. Daraus folgt, dass beiden Seiten ähnlich wirksame Instrumente zur Durchsetzung ihrer Forderungen zur Verfügung stehen müssen.66 Die kommunalen Arbeitgeber sind wegen ihrer Friedenspflicht aus dem TVöD daran gehindert, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Dürfte die Gewerkschaft trotzdem streiken, wären die möglichen Maßnahmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern also ungleich verteilt, die Kampfparität beeinträchtigt. Diese Ungleichheiten können auch nicht mit der Außenseiterstellung des Arbeitgebers begründet werden. Zwar hat der Arbeitnehmer-Außenseiter keine Möglichkeit, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, obwohl er von ihnen betroffen sein kann. Dies hängt aber nicht mit seiner Außenseiterstellung, sondern mit seiner fehlenden Tariffähigkeit zusammen. Der Außenseiter-Arbeitgeber ist ebenso wie eine nicht am Tarifvertrag beteiligte Gewerkschaft tariffähig nach § 2 Abs. 1 TVG und muss daher die gleichen Möglichkeiten wie die Gegenseite haben. Ist also den kommunalen Arbeitgebern die Möglichkeit des Arbeitskampfes durch die aus dem TVöD folgende Friedenspflicht genommen, muss das gleiche für die Gewerkschaft ver.di gelten: Auch sie darf wegen der Friedenspflicht aus dem TVöD keine Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen.
III. Arbeitskampf um einen Spartentarifvertrag Gehen wir weiter zu unserem zweiten Schlaglicht: Im Mai 2006 beschloss die GDL auf ihrer Generalversammlung, in der kommenden Tarifrunde einen speziellen Tarifvertrag für die rund 30.000 Lokomotivführer, Zugbegleiter und Gastronomiearbeiter bei der Deutschen Bahn AG und den mit ihr verflochtenen Unternehmen abzuschließen. Bis dahin hatte die GDL stets 66 BAG GS 21.04.1971, AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43; BAG 12.03.1985, AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 84.
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zusammen mit den beiden größeren Gewerkschaften Transnet und GdBA einen gemeinsamen Tarifvertrag ausgehandelt, der für alle Beschäftigten der Bahn galt und dessen Friedenspflicht am 01.07.2007 endete. In Reaktion auf die Ankündigung der GDL reichte die Arbeitgeberseite, die DB Regio AG sowie der Arbeitgeberverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V., am 06.12.2006 beim ArbG Mainz eine Feststellungsklage gegen die GDL ein, die allerdings am 27.07.2007 wegen örtlicher Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen wurde.67 Sie war darauf gerichtet, etwaige Streiks der GDL zur Durchsetzung eines Spartentarifvertrages für das Fahrpersonal vorsorglich für unzulässig zu erklären. Die Arbeitgeberseite weigerte sich, Tarifverträge abzuschließen, die für einzelne Mitarbeitergruppen zu unterschiedlichen Tarifregelungen führen könnten. Der Konflikt zwischen GDL und der Deutschen Bahn kulminierte schließlich im Sommer 2007, als die GDL Streikmaßnahmen ankündigte und durchführte und die Deutsche Bahn mit Anträgen auf einstweilige Verfügungen reagierte. Während das ArbG Mainz am 31.07.2007 die Streikmaßnahmen für zulässig hielt,68 wurden sie vom ArbG Düsseldorf am 01.08.2007,69 vom ArbG Chemnitz am 06.08.2007 70 und vom ArbG Nürnberg am 08.08.2007 71 per einstweiliger Verfügung verboten. Nach Scheitern des daraufhin vor dem ArbG Nürnberg vereinbarten Moderatorenverfahrens drohte die GDL erneut mit Streikmaßnahmen, die die Arbeitgeberseite durch einstweilige Verfügung des ArbG Chemnitz untersagen lassen wollte. Während das ArbG Chemnitz Streikmaßnahmen nur im Nahverkehr für zulässig hielt,72 erkannte das LAG Sachsen auf die Berufung beider Parteien zu Recht, dass die angekündigten Maßnahmen der GDL insgesamt zulässig und verhältnismäßig seien.73 Auch wenn nach Abschluss der Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz momentan keine weiteren Entscheidungen ausstehen, stellen sich in dieser Konstellation doch ganz grundlegende und deshalb zu beantwortende Fragen des Arbeitskampfrechts: Wo muss der Koalitionspluralismus, der Ausfluss grundrechtlicher Freiheitsrechte ist, zurücktreten im Hinblick auf die übermäßige Belastung der Gegenseite und mögliche Einbußen an Praktikabilität? Unter welchen Voraussetzungen muss der gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmer auf die Früchte seiner Koalitionsbetätigung verzichten, weil ein anderer Tarifvertrag vorrangig ist, und weitergehend: Kann ihm deshalb bereits verwehrt werden, überhaupt zur Durchsetzung seiner eigenen Interessen aktiv zu werden? 67 68 69 70 71 72 73
ArbG Mainz 27.07.2007 – 4 Ca 2476/06. ArbG Mainz 31.07.2007 – 4 Ga 24/07. ArbG Düsseldorf 01.08.2007 – 11 Ga 64/07. ArbG Chemnitz 06.08.2007 – 7 Ga 16/07. ArbG Nürnberg 08.08.2007 – 13 Ga 65/07. ArbG Chemnitz 05.10.2007 – 7 Ga 26/07. LAG Sachsen 02.11.2007 – 7 SaGa 19/07.
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Die Fragen sind alt,74 doch sichere Antworten fehlen bis heute. Die Arbeitgeberseite geht in Antwort auf diese Fragen von einem relativ jungen Argumentationsansatz aus, der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur vereinzelt vertreten wird.75 Ein Streik um einen Tarifvertrag, der nach dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb hinter einem anderen im Betrieb geltenden Tarifvertrag zurücktreten müsste, sei unverhältnismäßig und daher rechtswidrig. Der von der beklagten GDL erstrebte Tarifvertrag für das Fahrpersonal trete nach dem Grundsatz der Tarifeinheit hinter das mit den Gewerkschaften Transnet und GdBA vereinbarte Tarifwerk zurück, weil letzteres Geltung für alle Beschäftigten bei der DB beansprucht, während ersterer sich als sogenannter Spartentarifvertrag auf Regelungen für das Fahrpersonal beschränken würde. Dieser Rechtsansicht ist aus mehreren Gründen nicht zu folgen. Erstens ist der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb prinzipiell verfehlt und daher, soweit er überhaupt noch in der Rechtsprechung angewandt wird, aufzugeben. Er stellt eine methodisch und im Hinblick auf die grundrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG verbürgte Koalitionsfreiheit unzulässige Rechtsfortbildung dar. Eine Anwendung des Grundsatzes in der von der Arbeitgeberseite gewünschten Form würde der GDL eine effektive eigenständige Tarifpolitik verwehren und damit ihre Gewerkschaftseigenschaft ihres maßgeblichen Sinnes berauben. Zu Recht lehnt die Literatur daher den Grundsatz von der Tarifeinheit im Betrieb fast einhellig ab.76 Eine Auseinandersetzung mit diesem Grundsatz soll an dieser Stelle unterbleiben. Denn selbst bei prinzipieller Anerkennung der Tarifeinheit im Betrieb kann dieser Grundsatz nicht dazu führen, dass ein Arbeitskampf um einen Spartentarifvertrag rechtswidrig ist (1.). Der Grundsatz der Tarifeinheit ist vom BAG immer als Instrument zur Bewältigung vermeintlich nicht anders lösbarer praktischer Schwierigkeiten bei der Anwendung mehrerer Tarifverträge verstanden worden, aber niemals als Mittel zur Verhinderung von Tarifabschlüssen und ihrer gegebenenfalls notwendigen kampfweisen Durchsetzung. Schließlich würde die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit in der vorliegenden
74 Vgl. zur Forderung nach Tarifeinheit im Betrieb schon Nipperdey Anm. zu RAG 03.05.1930, ARS 9, 268. 75 LAG Rheinland-Pfalz 22.6.2004, AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: Der Ansatz kam allerdings nur als zusätzliche Begründung zum Tragen, da das LAG schon die Gewerkschaftseigenschaft der mit Streik drohenden „Gewerkschaft der Flugsicherung“ verneinte. Aus der Literatur siehe Buchner BB 2003, 2121, 2125 f.; ders. FS 50 Jahre BAG, S. 631, 640 ff.; Löwisch/Rieble Zulässigkeit von Arbeitskämpfen, AR-Blattei SD 170.2 Rn. 44 (wobei Löwisch/Rieble in ihrem neueren TVG-Kommentar den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb ablehnen, § 4 TVG Rn. 132 ff.); Rolfs/Clemens NZA 2004, 410, 414. 76 Siehe nur Thüsing/von Medem ZIP 2007, 510 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
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Konstellation nicht zur Unanwendbarkeit des erstrebten Tarifvertrags für das Fahrpersonal führen, sondern im Gegenteil zur Verdrängung anderer Tarifwerke (2.). 1. Keine Begrenzung des Streikrechts durch den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb Selbst wenn man davon ausgeht, dass auch eine tarifautonom herbeigeführte, gewillkürte Tarifpluralität im Sinne eines Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb aufzulösen ist, stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass der Abschluss eines konkurrierenden Tarifvertrages zu einer auflösungsbedürftigen Tarifpluralität führt, einen Arbeitskampf um diesen Abschluss rechtswidrig macht. a) Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung zu vergleichbaren Konstellationen In der Rechtsprechung des BAG ist die Fragestellung bislang nicht ausführlich behandelt worden. Hinzuweisen ist aber auf Entscheidung des Ersten Senates zu einem Streik in der Spielbank Bad Neuenahr. Der Senat wies das Argument, für einen Streik der Gewerkschaft HBV um einen eigenen Tarifvertrag fehle es an einem Bedürfnis, da schon ein Tarifvertrag mit der DAG vorliege, zurück, da die HBV im Gegenteil daran interessiert sein musste, ihrerseits für ihre Mitglieder eine tarifliche Absicherung zu erreichen.77 Die Situation, dass eine Spartengewerkschaft für einen eigenen Tarifvertrag streiken will, ist in der Rechtsprechung des BAG soweit ersichtlich noch nicht aufgetreten. Das LAG Rheinland-Pfalz hat den Streik einer Spartengewerkschaft um einen eigenen Tarifvertrag für rechtswidrig gehalten, da dieser nach dem Grundsatz der Tarifeinheit ohnehin nicht zur Anwendung komme und ein Streik damit unverhältnismäßig sei.78 Hingegen lehnten das LAG Hessen 79 und das ArbG Kiel 80 eine Begrenzung des Streikrechts durch den Grundsatz der Tarifeinheit ab. Auch in der Literatur ist die Frage umstritten: Teilweise werden Streiks um Tarifverträge, die verdrängt würden, insbesondere von Spartengewerkschaften, für rechtswidrig gehalten.81 Andere lehnen es ab, aus 77
BAG 26.10.1971, AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. LAG Rheinland-Pfalz 22.06.2004, AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 79 LAG Hessen 02.05.2003, NZA 2003, 679; 22.07.2004, AP Nr. 168 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 80 ArbG Kiel 30.6.2006 – 1 Ga 11 b/06. 81 Buchner BB 2003, 2121, 2126; ders. Anm. in AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Rolfs/Clemens NZA 2004, 410, 413 f. Vgl. auch Bürger Das Kollisionsverhältnis von Fachtarifvertrag und Branchentarifvertrag, 2005, S. 195ff., der zwar den Grundsatz der Tarif78
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dem Grundsatz der Tarifeinheit Aussagen über das Streikrecht zu treffen.82 Für die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum stellt sich die Frage wegen grundsätzlicher Ablehnung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb nicht. b) Keine Rechtswidrigkeit eines Streiks wegen angenommener Unanwendbarkeit des erstreikten Tarifvertrages Selbst wenn man das Prinzip der Tarifeinheit bei Tarifpluralität anerkennen wollte, ist es kein Grund, das Streikrecht einzuschränken. Die Wertungen des Tarifrechts können nicht auf das Arbeitskampfrecht übertragen werden. aa) Tariflich regelbares Ziel als Voraussetzung eines Arbeitskampfes Notwendige Bedingung für die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes ist das Vorliegen eines tariflich regelbaren Kampfziels.83 Dass dies bei einem Tarifvertrag, auch wenn er letztlich nach dem Grundsatz der Tarifeinheit nicht angewandt würde, der Fall ist, wird auch von denjenigen, die einem verdrängten (Sparten-)Tarifvertrag die Erstreikbarkeit absprechen, nicht bestritten.84 Dies ergibt sich bereits daraus, dass, selbst wenn der Grundsatz der Tarifeinheit dazu führt, dass ein Tarifvertrag nicht angewandt wird, dieser Tarifvertrag lediglich verdrängt, nicht aber unwirksam wird.85 Die Existenz des verdrängten Tarifvertrags bleibt unangetastet.86 Rechtsfolge der Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit ist also nur die temporäre Suspendierung der normativen Wirkung des zurücktretenden Tarifvertrages für die Phase in der der anwendbare Tarifvertrag gilt.87 Nach allgemeiner Ansicht können unterschiedliche Tarifpartner zwar eine Situation herstellen oder sie kann sich sonst ergeben, dass tarifrechtlich für ein Arbeitsverhältnis einheit im Betrieb jedenfalls bei einem Nebeneinander von Fach- und Branchentarifvertrag ablehnt (S. 177), aber bei Unterstellung der Richtigkeit des Grundsatzes von einer Unverhältnismäßigkeit eines Streiks ausgeht. 82 Bayreuther NZA 2006, 642, 646. Siehe auch Heß ZfA 1976, 45, 77, der einen Streik grundsätzlich auch dann für zulässig hält, wenn der Tarifabschluss zu Tarifpluralität führt, Unzulässigkeit aber bei Existenzgefährdung annimmt. 83 St. Rspr., vgl. BAG 05.03.1985, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 111; Otto in: MünchHandbArbR, § 285 Rn. 2. 84 Buchner BB 2003, 2121, 2125. 85 LAG Rheinland-Pfalz 22.06.2004 – 11 Sa 2069/03; Kissel Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 78; Jacobs Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, S. 346; Däubler/Zwanziger § 4 TVG Rn. 937 für Tarifkonkurrenz. Darauf, dass der Grundsatz der Tarifeinheit nur einen temporären Anwendungsvorrang begründet, weist – zu dessen Verteidigung! – auch Meyer NZA 2006, 1387, hin. 86 Kissel Arbeitskampfrecht, § 26 Rn. 78. 87 Bayreuther NZA 2006, 642, 646.
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unterschiedliche Tarifverträge gelten. Unstreitig können sie aber nicht Tarifverträge anderer Tarifpartner aufheben.88 Der Spartentarifvertrag kann daher sehr wohl wirksam werden. Er lebt etwa auf, sobald der „verdrängende“ Tarifvertrag endet, ohne dass ein Nachfolgetarifvertrag geschlossen wird. Umstritten ist allerdings, ob die tarifliche Regelbarkeit hinreichende Bedingung für die Zulässigkeit des Kampfziels ist. Das BAG steht auf dem Standpunkt, dass alles, was tariflich regelbar ist, letztlich auch durch einen Arbeitskampf durchgesetzt werden können muss.89 Der Grundsatz der Tarifeinheit wäre damit für die Zulässigkeit des Kampfziels irrelevant. In der Literatur wird die pauschale Feststellung des BAG allerdings kritisiert.90 Es gebe Tarifinhalte, die zwar freiwillig geregelt werden könnten, aber nicht mittels eines Arbeitskampfes erkämpfbar seien.91 Als einen solchen Fall sieht insbesondere Buchner den Abschluss eines verdrängten Tarifvertrages an. Ein solcher könne ohne weiteres vereinbart aber nicht erstreikt werden.92 Diese Auffassung ist abzulehnen. Ob die Kritik an der weiten Formulierung des BAG grundsätzlich zutrifft, kann dahinstehen. Die These des BAG hat jedenfalls einiges für sich, denn die Richtigkeitsgewähr und die entsprechende Zurückhaltung in der gerichtlichen Kontrolle tariflicher Regelungen basieren auf der Annahme von Verhandlungsparität, die auf Arbeitnehmerseite aber erst durch die Möglichkeit zum Arbeitskampf hergestellt wird. Ein „freiwillig“, d.h. ohne Druck durch die Möglichkeit eines Arbeitskampfes, vereinbarter Tarifvertrag, stellt daher nicht viel mehr als eine einseitige Gewährung durch die Arbeitgeberseite dar, der die Gewerkschaft womöglich nur deswegen zugestimmt hat, weil sie ansonsten gänzlich auf einen Tarifabschluss hätte verzichten müssen. Ein solchermaßen zustande gekommener Tarifvertrag dürfte folgerichtig nicht als vollwertig anerkannt werden. Einschränkungen des Grundsatzes, dass alles, was tariflich regelbar ist, auch erkämpfbar sein muss, können sich daher allenfalls auf eng definierte einzelne Regelungsbereiche beziehen.93 Der Abschluss eines Tarifvertrages als solcher, unabhängig von den Regelungsinhalten, darf daher nicht nur auf „freiwilliger“ Basis erfolgen. Da nun aber auch ein verdrängter Tarifvertrag ein vollwertiger Tarifvertrag ist, der etwa im Falle der Beendigung des vorrangigen Tarifvertrags uneingeschränkt zur Anwendung kommt, muss dieser auch unter den gleichen Verhandlungsbedingungen, einschließlich der Durchführung und zumindest Drohung mit einem Arbeitskampf, zustande gekommen sein.
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Däubler/Zwanziger § 4 TVG Rn. 937. BAG 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 90 Vgl. Otto in MünchHandbArbR, § 285 Rn. 12. 91 Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, § 22 I 3 (S. 1069); Otto in MünchHandbArbR, § 285 Rn. 16. 92 Buchner BB 2003, 2121, 2125 f. 93 Vgl. die bei Otto in MünchHandbArbR, § 285 Rn. 14 genannten Beispiele. 89
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bb) Verhältnismäßigkeit als Maß des Mittels, nicht des Ziels Die eine Erkämpfbarkeit ablehnenden Stimmen argumentieren weiterhin, ein Streik zur Erzwingung eines verdrängten Tarifvertrages verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.94 Das LAG Rheinland-Pfalz führt hierzu aus: 95 „Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts werden Arbeitskämpfe an dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne gemessen. Danach sind nur Arbeitskämpfe zulässig, die zur Erreichung eines rechtmäßigen Kampfzieles geeignet, erforderlich und nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen. (BAG 13.7.1993 – 1 AZR 676/92 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 127). Nach Auffassung der Kammer wären vorliegend Arbeitskampfmaßnahmen unverhältnismäßig im engeren Sinne, ein Streik stünde außer Verhältnis zum erstrebten Ziel. Zwar wäre ein Tarifvertrag zwischen dem Flughafen Hahn und der GdF wirksam, andernfalls könnte ja nicht von einer Normenkollision gesprochen werden. Aber er käme während des Bestehens eines i.S.d. oben dargestellten Rechtsprechung spezielleren Tarifvertrages nicht zur Anwendung, sondern würde verdrängt (BAG 20.3.1991 aaO). Die Mitglieder der GdF kämen nicht in den Genuss der erstrebten Regelung. Anwendung fänden die Tarifvorschriften nur im Falle einer Änderung des Geltungsbereichs der bestehenden Haustarifverträge bei dem Flughafen Hahn in Form einer Herausnahme der Fluglotsen oder für die Dauer eines Zeitraums, in dem die bestehenden Haustarifverträge mit ver.di nur noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG Geltung beanspruchen könnten (vgl. Buchner S. 2125). Es ginge also um einen Arbeitskampf wegen eines Tarifvertrages, der den für ihn allgemein vorgesehenen Zweck der normativen Regelung der von ihm erfassten Arbeitsverhältnisse grundsätzlich nicht, sondern nur unter gewissen, von der GdF nicht beeinflussbaren Umständen erzielen würde. Es steht deshalb das Mittel des Arbeitskampfes außer Verhältnis zum Kampfziel (Buchner aaO; Rolfs/Clemens aaO; Rieble aaO S. 1228; Löwisch/ Rieble, aaO), was nichts mit verbotener Tarifzensur zu tun hat, da es nicht um die Beurteilung des Inhalts der Forderung geht, sondern ausschließlich um die Frage ihrer normativen Wirkung.“ Diese Erwägungen können nicht überzeugen. Die Verhältnismäßigkeit als Schranke des Streikrechts ist allgemein anerkannt in der Literatur und insbe-
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Buchner BB 2003, 2121, 2126. LAG Rheinland-Pfalz 22.06.2004, AP Nr. 169 zu Art 9 GG Arbeitskampf.
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sondere in der Rechtsprechung des BAG und des BVerfG.96 Nicht anerkannt durch die Rechtsprechung des BAG und des BVerfG ist aber eine Bestimmung der Verhältnismäßigkeit, die an der Streikforderung ansetzt. Freilich ist eine solche Eingrenzung nicht undenkbar. Das bestätigt sich im Hinblick auf die Rechtsprechung der Weimarer Zeit. Das Reichsarbeitsgericht überprüfte durchaus Arbeitskampfmittel im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit einer Rechtsausübung im Sinne des § 826 BGB, ob der dem Gegner zugefügte Nachteil „zu dem erstrebten Vorteil in keinem Verhältnis steht“.97 Inhaltlich wurde also damals eine Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation zwischen Kampfziel und dem durch die Kampfmittel zugefügten Nachteil vorgenommen, wenn auch in einer Abgrenzung eher nach unten, nicht nach oben: Der Blick ging auf die relative Geringfügigkeit der Streikforderung, nicht auf das übergroße Ausmaß des streikbedingt zugefügten Schadens.98 Dieser Gedanke einer angemessenen Zweck-Mittel-Relation ist auch außerhalb des Arbeitskampfrechts bekannt und schon deshalb nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen: „Streik ist sittlich berechtigt, wenn er ein unvermeidliches, ja notwendiges Mittel zu einem angemessenen Nutzen darstellt.“ 99 Trotz dieser Hinweise ist eine Tarifzensur abzulehnen, nicht nur weil es das BVerfG ausdrücklich so gesagt hat: „Eine gerichtliche Kontrolle der Tarifziele [...] widerspräche dem Grundgedanken der Tarifautonomie.“ 100 Das ist schon deshalb richtig, weil es ein iustum pretium, einen gerechten Preis, an dem sich das Gericht zur Bewertung der Arbeitskampfforderung orientieren könnte, nicht gibt. Wichtiger noch ist, dass ein funktionierendes Arbeitskampfrecht diese Kontrolle überflüssig macht. Eine Angemessenheitskontrolle nach oben hin (sind die Forderungen zu niedrig für das Ausmaß des Arbeitskampfes?) erübrigt sich schon deshalb, weil ein Streik erhebliche Lasten auch für die Arbeitnehmerseite mit sich bringt. Glaubt sie nicht, dass der Aufwand lohnt, werden die Arbeitnehmer nicht zum Entgeltverzicht durch streikbedingten Lohnausfall bereit sein und die Gewerkschaft die Zahlung von Arbeitskampfunterstützung nicht für sinnvoll halten. Allenfalls
96 Grundlegend BAG GS 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BVerfG 26.06.1991, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zur Literatur vgl. Kissel Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 11 mit weiteren Nachweisen. 97 RAG 06.04.1922, RGZ 104, 327, 330; 20.12.1927, RGZ 119, 291, 294; 05.02.1930, ARS 8, 266; siehe auch Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 151; Peters Das Scheitern der Tarifverhandlungen als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für Arbeitskampfmaßnahmen, S. 23. 98 Siehe auch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht, S. 1067 f.; Seiter Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 538 ff., dort auch mit Nachweisen zum älteren Schrifttum. 99 Katechismus der katholischen Kirche, Abschnitt 2534. 100 BVerfG 26.06.1991, BVerfGE 84, 212; siehe auch BAG 30.03.1982, AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: Auf die Höhe des der Gegenseite zugefügten Schadens „kommt es grundsätzlich nicht an“.
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in „besonders krassen Fällen“, wenn die Tarifforderungen „exorbitant“ sind, wird von Otto jüngst eine Kontrolle ihres Umfangs vertreten.101 Bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist also Zurückhaltung geboten. Insbesondere darf diese nicht in eine Bewertung der kampfweise angestrebten Tarifforderung umschlagen. Das BVerfG führt zu Recht aus:102 „Bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, die schon bei den Angriffsmitteln ansetzte, wäre eine gerichtliche Kontrolle der Tarifziele kaum zu vermeiden. Eine solche Kontrolle widerspräche aber dem Grundgedanken der Tarifautonomie.“ Bei der Bestimmung des „Ziels“ und seinem Verhältnis zum dafür eingesetzten Mittel und seinen Folgen darf daher nicht auf den Inhalt der Forderung abgestellt werden. Inhaltliche Tarifkontrolle und Kontrolle des Inhalts der Tarifforderung, und damit auch deren Bewertung und Gewichtung im Proportionalvergleich, sind unzulässig. Andernfalls bestünde die Gefahr, über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine der Tarifautonomie widersprechende Tarifzensur auszuüben.103 Die Kompetenz der Gerichte beschränkt sich daher auf die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Mittels und erstreckt sich nicht auf die Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen angestrebtem Ziel und durch den Arbeitskampf zugefügtem Nachteil. Der Grundsatz der Angemessenheit fordert lediglich die Vermeidung von Exzessen.104 Er bezieht sich nur auf den Arbeitskampf als Verfahren, nicht auf Art und Umfang der Tarifforderungen.105 Andernfalls müsste das Gericht beurteilen, für welche Tarifziele gekämpft werden darf und für welche nicht. Es gäbe danach also nicht nur zulässige und unzulässige Ziele, sondern auch bessere und schlechtere. Eine derartige Tarifzensur ist aber mit der Tarifautonomie nicht zu vereinbaren. Die Entscheidung, für welche Ziele es sich zu kämpfen lohnt und für welche nicht, muss vielmehr den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben. Entscheidend kann daher nur sein, dass mit der Forderung nach einem Spartentarifvertrag für das Fahrpersonal ein rechtmäßiges Ziel angestrebt wird, und nicht, wann und wo ein solcher Tarifvertrag wirken würde. All dies wurde jüngst noch einmal eindrucksvoll bestätigt durch die Entscheidung des BAG zur Zulässigkeit eines Streiks um einen Firmentarifsozialplan. Wörtlich führte es in seinem Urteil vom 24.04.2007 aus:106
101 Otto FS Konzen, S. 663; stärker einschränkend noch ders. in MünchHandbArbR, § 282 Rn. 93. 102 BVerfG 26.06.1991, BVerfGE 84, 212. 103 Kissel Arbeitskampfrecht, § 29 Rn. 34. 104 Junker Arbeitsrecht, Rn. 617. 105 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht, Band 2, § 14 Rn. 60. 106 BAG 24.04.2007, DB 2007, 1924.
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„Grundsätzlich überlässt Art. 9 Abs. 3 GG die Wahl der Mittel, mit denen die Koalitionen die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erreichen wollen, ihnen selbst. Eine gerichtliche Kontrolle des Umfangs von Streikforderungen, die auf tariflich regelbare Ziele gerichtet sind, beschränkt die Koalitionsbetätigungsfreiheit von Gewerkschaften unverhältnismäßig.“ Die Anhänger der Gegenmeinung befinden sich hingegen in einem Dilemma: Argumentieren sie, ein Arbeitskampf zur Erzwingung eines Spartentarifvertrages sei unverhältnismäßig, wenn ein solcher nach dem Prinzip der Tarifeinheit nicht zur Anwendung käme, so drängt sich sogleich die Frage auf, warum der Arbeitgeber den Abschluss eines solchen Tarifvertrages verhindern sollte. Entfaltet der Tarifvertrag keinerlei Wirkungen auf die Arbeitsverhältnisse, könnte er gefahrlos den Forderungen der Gewerkschaft nachgeben. Argumentieren sie hingegen, dass ein Spartentarifvertrag unter Umständen doch zur Anwendung kommen könnte, so müssten sie konsequenterweise konzedieren, dass es auch zulässig sein muss, für einen solchen Tarifvertrag zu kämpfen. Die Argumentation des LAG Rheinland-Pfalz bleibt hingegen irgendwo in der Mitte stehen und ist gerade deshalb nicht überzeugend. Einerseits erkennt es an, dass der erstrebte Tarifvertrag möglicherweise zur Anwendung kommen würde, andererseits sieht es diese potentielle Anwendung nicht als hinreichend gewichtiges Kampfziel an. Das ist zwar keine Tarifzensur in dem Sinne, dass der Tarifvertrag inhaltlich überprüft würde – aber es ist eine Zensur der gewerkschaftspolitischen Entscheidungen und Kampfforderungen, die genauso unzulässig ist. cc) Tarifeinheit als Begrenzung des Tarifrechts, nicht des Arbeitskampfrechts Gegen eine Beschränkung des Arbeitskampfrechts durch den Grundsatz der Tarifeinheit spricht zudem, dass dieses Prinzip schon von seiner Konzeption her nicht geeignet ist, zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen herangezogen zu werden.107 Es wurde vielmehr entwickelt, um im Falle einer Normenkollision festzustellen, welche Regelungen anwendbar sind. Benutzt man es nun, um Arbeitskampfmaßnahmen für unzulässig zu erklären, so wird eine Normenkollision nicht aufgelöst, sondern prophylaktisch verhindert. Die Beeinträchtigung, die das Prinzip der Tarifeinheit für die „unterliegende“ Koalition mit sich bringt, würde durch eine Übertragung auf das Arbeitskampfrecht noch erheblich verstärkt. Der Grundsatz der Tarifeinheit lässt immerhin noch die Chance bestehen,
107
LAG Hessen 02.05.2003, BB 2003, 1229; ArbG Kiel 30.06.2006 – 1 Ga 11b/06; Bayreuther NZA 2006, 642, 646.
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dass der verdrängte Tarifvertrag nach Ablauf des vorrangig anwendbaren oder in einzelnen Betrieben, in denen es nicht zu einem Nebeneinander von Tarifverträgen kommt, Anwendung findet. Verhindert man aber faktisch das Zustandekommen des Tarifvertrages dadurch, dass man einen Arbeitskampf für rechtswidrig erklärt, wird der Koalition selbst diese Restbetätigungsmöglichkeit genommen. Ihr wird jede Möglichkeit genommen, sich mit ihren tarifpolitischen Vorstellungen Gehör zu verschaffen.108 Mit einer solchen Interpretation geht man weit über das hinaus, was vom BAG seinerzeit intendiert wurde. Dem Tarifeinheitsprinzip kommt eine völlig andere Bedeutung zu, wenn man es nicht nur zur Auflösung von Normenkollisionen heranzieht, sondern darüber hinaus auch zur Rechtfertigung schwerwiegender Eingriffe in das Arbeitskampfrecht. Hinzu kommt der Einwand des LAG Hessen, die Frage, ob der erstrebte Tarifvertrag sich durchsetzen oder verdrängt wird, könne nicht im Vorhinein beantwortet werden. Welcher Tarifvertrag spezieller ist oder sich nach sonstigen Kriterien durchsetzt, könne vor Abschluss des Tarifvertrages nicht sachgerecht beurteilt werden.109 Rieble – ein Gegner des Prinzips der Tarifeinheit im Betrieb – wendet dagegen ein, die Frage, welcher Tarifvertrag Anwendungsvorrang haben wird, dürfe nicht anhand des konkreten Inhalts des Tarifvertrags beantwortet werden, da dies verbotene Tarifzensur sei, sondern nur abstrakt anhand des Geltungsbereichs. Dieser stehe aber schon vor Abschluss des Tarifvertrages fest, so dass die Frage der Verdrängung ebenfalls vorher beurteilt werden könne.110 Dieser Einwand trifft allenfalls bei eindeutigen Fallkonstellationen zu, etwa dem Verhältnis vom Verbands- zum Firmentarifvertrag. Das Spezialitätsverhältnis zweier Verbandstarifverträge hängt hingegen von den besonderen Verhältnissen in den betroffenen Betrieben ab, so dass die Frage der Spezialität keinesfalls abstrakt und eindeutig entschieden werden kann. Das Verhältnis von Branchen- zu Spartentarifverträgen ist nur dann abstrakt im Vorhinein zu klären, wenn man entweder den Spartentarifvertrag für spezieller hält oder im Anschluss an Buchner immer den die gesamte Belegschaft erfassenden Branchentarifvertrag. Aber selbst dann erscheint ein präventives Verbot eines Streiks, mit dem das Zustandekommen eines Tarifvertrags faktisch unterbunden wird, nicht angebracht. Denn die Frage, ob überhaupt eine auflösungsbedürftige Tarifpluralität entsteht, hängt u.a. auch vom Verhalten der konkurrierenden Gewerkschaft ab. Sollte diese sich entscheiden, die Berufsgruppe, die einen besonderen Tarifvertrag erstrebt, vom Geltungsbereich ihres Tarifvertrages auszunehmen, wäre für die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit kein Raum, weil ein Kollisionsverhältnis, das möglicherweise auflösungsbedürftig ist, 108 109 110
Bayreuther NZA 2006, 642, 646. LAG Hessen 22.07.2004, AP Nr. 168 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Rieble BB 2003, 1221, 1228.
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von den Tarifpartnern von vornherein verhindert wird. All diese Umstände entwickeln sich aber erst im Laufe der tarifpolitischen Auseinandersetzungen und können vom entscheidenden Gericht nicht im Vorhinein beurteilt werden. Das LAG Hessen hat somit Recht: Ein prophylaktisches Eingreifen der staatlichen Rechtsordnung verbietet sich, solange die Entwicklung noch im Fluss ist, mithin bis zum Abschluss der Tarifverträge. 2. Der Tarifvertrag für das Fahrpersonal als der speziellere Tarifvertrag Sofern man entgegen der hier vertretenen Auffassung den Grundsatz der Tarifeinheit anerkennt und ihm sogar arbeitskampfrechtliche Bedeutung zumisst, ist weiterhin zu klären, ob der von der GDL erstrebte Tarifvertrag für das Fahrpersonal tatsächlich von dem mit den Gewerkschaften Transnet und GdBA abgeschlossenen Tarifwerk verdrängt würde. Die Frage der Spezialität im Fall einer Kollision eines Spartentarifvertrags mit einem Tarifvertrag, der Geltung für die gesamte Belegschaft inklusive der vom Spartentarifvertrag erfassten Arbeitnehmer hat, ist umstritten. In der Literatur wird teilweise vertreten, auch bei Anwendung der Grundsätze des BAG zur Tarifeinheit sei ein Spartentarifvertrag neben einem umfassenden Tarifvertrag anwendbar. Der nur speziell für eine Berufsgruppe geltende Tarifvertrag sei spezieller im Sinne des Grundsatzes der Tarifeinheit.111 Nach dieser Auffassung wäre also der von der GDL erstrebte Tarifvertrag für das Fahrpersonal spezieller. Im Hinblick auf den Ende 2006 abgeschlossenen Tarifvertrag für Krankenhausärzte, der zwischen dem Marburger Bund in Konkurrenz zum TVöD mit den öffentlichen Arbeitgeberverbänden abgeschlossen wurde, argumentiert Bayreuther, der Grundsatz der Tarifeinheit stehe einer Anwendung neben dem TVöD nicht entgegen.112 Das BAG habe zwar immer vom „Betrieb“ als Bezugspunkt der Tarifeinheit gesprochen. Letztlich gehe es aber nicht um die Durchsetzung abstrakter Rechtslehren, sondern um die Herstellung handhabbarer tarifrechtlicher Strukturen in der jeweiligen Organisationseinheit. Da die Ärzte eine in sich homogene, zahlenmäßig beacht111
Vgl. Däubler Anm. zu LAG Rheinland-Pfalz, AP Nr. 169 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; eindeutig auch Rieble BB 2003, 1227, 1228: „Der umkämpfte Tarifvertrag nur für die Lokführer der Deutschen Bahn (…) ist wegen seines engeren Geltungsbereichs spezieller als die von den übrigen Bahngewerkschaften für das gesamte Personal der Deutschen Bahn AG vereinbarten Tarifverträge. Weil sich also selbst nach der Tarifeinheit der Lokführertarifvertrag durchsetzen würde, kann die Tarifeinheit im konkreten Fall weder den Tarifvertrag noch den Streik um ihn verbieten.“ Ebenso Henssler/Willemsen/Kalb/Hergenröder Art. 9 GG, Rn. 284: „Soweit freilich nur für ausgesuchte ArbN-Gruppen Tarifziele durchgesetzt werden sollen („Funktionseliten“), stellt sich das Problem der Tarifeinheit wegen des Spezialitätsgrundsatzes regelmäßig ohnedies nicht.“ 112 Bayreuther NZA 2006, 642, 643.
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liche Beschäftigtengruppe darstellten, die sich nach Funktion, Tätigkeit und Ausbildung signifikant von den übrigen Krankenhausbeschäftigten unterscheide, sei eine Tarifeinheit jedenfalls im Verhältnis zwischen Ärzten und sonstigen Beschäftigten nicht notwendig. Soweit es innerhalb der Ärzteschaft wegen unterschiedlicher Gewerkschaftszugehörigkeit zu einem Nebeneinander verschiedener Tarifverträge komme und man diese Tarifpluralität auflösen wolle, sei das Spezialitätsprinzip ungeeignet, weil beide Tarifverträge arztspezifische Regeln enthalten. Bayreuther plädiert dann für das Mehrheitsprinzip, das dann für die Anwendung des ArztTV spreche, weil offenbar mehr Ärzte im Marburger Bund als bei ver.di organisiert seien. Überträgt man diese Argumentation auf den geplanten FahrpersonalTV dürfte man zu folgendem Ergebnis kommen: Das Fahrpersonal ist eine klar abgrenzbare, zahlenmäßig relevante Arbeitnehmergruppe. Tarifeinheit zwischen dieser Gruppe und den übrigen Bahnbeschäftigten ist daher nicht notwendig. Will man innerhalb des Fahrpersonals die Anwendung konkurrierender Tarifverträge vermeiden, müsste man das Mehrheitsprinzip anwenden. Es kommt dann darauf an, ob innerhalb des Fahrpersonals die Mehrheit der organisierten Arbeitnehmer bei der GDL oder Transnet/GdBA organisiert ist. Andere Stimmen in der Literatur sprechen sich hingegen für eine Verdrängung von Spartentarifverträgen aus.113 Nach Auffassung Buchners muss Spezialität im Hinblick auf den Betrieb als Gesamtheit bestimmt werden. Spezieller ist demnach der Tarifvertrag, der die umfassendere Regelung für den Betrieb und die Belegschaft bietet, mithin nicht der Spartentarifvertrag. Demnach würde der Transnet/GdBA-Tarifvertrag den erstrebten Tarifvertrag für das Fahrpersonal verdrängen. Das BAG hat sich zu der Frage der Spezialität im Falle des Zusammentreffens eines umfassenden mit einem Spartentarifvertrag kaum geäußert. Der 4. Senat hat in einer Entscheidung zum MTV Buchhandel eine Tarifpluralität zwischen einem nur für Redakteure geltenden Tarifvertrag und einem Tarifvertrag, der alle Arbeitnehmer erfasst, zugunsten des umfassenderen aufgelöst:114 „Der MTV Buchhandel erfasst nach seinem persönlichen Geltungsbereich alle Arbeitnehmer der Kl. und damit auch die für die Fachzeitschriften der Kl. tätigen Arbeitnehmer, darunter die Redakteure H., Dr. K. und Dr. R. Demgegenüber erfasst der TV Altersversorgung 1986 nur einen kleinen Teil des Betriebs der Kl. (Redaktion der Fachzeitschriften), so dass der MTV Buchhandel für den Betrieb der Kl. der sachnähere TV ist.“
113 Allgemein Buchner BB 2003, 2121; ders. ZfA 2004, 229, 248 f. Speziell bezogen auf das Verhältnis von TVöD und Arzttarifvertrag: Bohle Das Krankenhaus, 565, 569. 114 BAG 05.09.1990, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
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Der 10. Senat hat in der schon oben erwähnten Entscheidung vom 26.01.1994 die Frage der Tarifpluralität nicht auf den gesamten Betrieb bezogen, sondern eine getrennte Betrachtung der Gruppen der Arbeiter und der Angestellten vorgenommen.115 Ein für Arbeiter und Angestellte geltender allgemeinverbindlicher Sozialkassentarifvertrag wurde hinsichtlich der Gruppe der Arbeiter von einem fachlich spezielleren Verbandstarifvertrag verdrängt. Da dieser Tarifvertrag nicht für Angestellte galt, wurde der Sozialkassentarifvertrag allerdings hinsichtlich der Angestellten nicht verdrängt. Die Konstellation ist mit der Konstellation bei Klinikärzten und Fahrpersonal nur bedingt vergleichbar, da der in persönlicher Hinsicht umfassende Sozialkassentarifvertrag sachlich keine umfassende Tarifordnung bot. Die Entscheidung zeigt aber, dass der Ansatz, dass Tarifeinheit auch nach der Rechtsprechung des BAG nicht zwingend am Betrieb insgesamt zu beurteilen ist, sondern eine an klar abgrenzbaren Beschäftigtengruppen orientierte Betrachtungsweise möglich ist. Unzutreffend wäre es allerdings wohl, schlicht den Tarifvertrag mit dem engeren fachlich-persönlichen Anwendungsbereich als spezieller anzusehen. Denn auch umfassende Tarifverträge enthalten oftmals besondere Regelungen für verschiedene Beschäftigtengruppen, die inhaltlich genauso an deren spezielle Bedürfnisse angepasst sind wie ein eigenständiger Spezialtarifvertrag. Dass diese Regelungen in einen einheitlichen Tarifvertrag integriert sind und nicht formal in einem eigenen Tarifvertrag abgetrennt werden, kann für die Frage der Spezialität keinen Unterschied machen. Dem Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb entspricht im Wortsinne wohl am ehesten das Konzept Buchners. Allerdings ist höchst fraglich, ob das BAG selbst bei einem grundsätzlichen Festhalten am Prinzip der Tarifeinheit dieses derart streng verstehen wird. Vieles spricht dafür, dass es den Grundsatz der Tarifeinheit – sofern es ihn nicht ganz aufgibt, was ohnehin vorzugswürdig wäre – eher im Sinne der Konzeption Bayreuthers und des 10. Senates verstehen wird. Die praktischen Schwierigkeiten, namentlich die Unsicherheit über die Gewerkschaftszugehörigkeit, reduzieren sich nämlich, wenn man zwar eine Pluralität innerhalb des Betriebes zulässt, aber innerhalb abgrenzbarer Beschäftigtengruppen Tarifeinheit herstellt. Vor allem aber werden auf diese Weise schwer auflösbare Wertungswidersprüche im Verhältnis zu den Konstellationen, in denen mehrere sich personell nicht überschneidende Tarifverträge im Betrieb Anwendung finden, vermieden. Denn dort liegt keine aufzulösende Tarifpluralität vor. Es ist schwer begründbar, warum etwa das Nebeneinander von UFO- und Cockpit-Tarifverträgen plötzlich aufgelöst und die Tarifverträge verdrängt werden sollten, wenn z.B. ver.di – mit geringerer
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BAG 26.01.1994, AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz.
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mitgliedschaftlicher Legitimation – sich dazu entschließt, einen die gesamte Belegschaft umfassenden Tarifvertrag abzuschließen.116
IV. Summa und Ausblick Beide aktuellen Fragen weisen auf ein viel grundsätzlicheres Problem: Überall, wo der Gesetzgeber schweigt, entsteht die Unsicherheit, dass sich die Gerichte tastend vorwärts bewegen müssen, die vorhandenen Lücken zu schließen. Oftmals tun sie dies richtig und gut, doch zuweilen fehlt das Bewusstsein für die Verschiedenheit der Fälle. Diese zu sondern und klare Hinweise zu geben, ist Aufgabe des Gesetzgebers. In der Kodifikation des Arbeitsrechts hinken wir hinterher. Die optimistische Prognose des Art. 157 Weimarer Reichsverfassung, das Reich schaffe ein einheitliches Arbeitsrecht, blieb unerfüllt bis heute. Blickt man über die Grenze und blickt man zurück wird man dies als einen deutschen Sonderweg empfinden. Bereits seit 20 Jahren existiert der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte.117 Bislang hatte die Politik nie den Mut, diesen Entwurf zu wägen und zu prüfen – und Gesetz werden zu lassen. Man fürchtete Streit mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Alles sei doch gut, so wie es ist. Ein neues Gesetz bringe neue Unklarheit. Die Familie des Arbeitsrechts sollte sich durch solch Zauder nicht beeindrucken lassen. Auch als das BGB geschaffen wurde, unkte man, ein solches „in Paragraphen gegossenes Pandektenkompendium“ (v. Gierke) würde keinen Fortschritt bringen und die Unklarheiten nur vergrößern. Wollten wir heute zurück zu Digesten und Institutiones? Unbestritten: „Codifier est un art difficile“.118 Der bequemere Weg ist es, alles dabei zu belassen wie es ist. Der Aufwand eines solchen Vorhabens wird sich nur langfristig lohnen, kurzfristig mag es Klippen geben, die im alten Trott umschifft werden könnten. Der jetzige Zustand jedoch ist pfadbedingt, und wer voraussetzungslos etwas Neues zu schaffen hätte, der würde sicherlich nicht das Sammelsurium an Einzelgesetzen schaffen, das wir heute haben. Wohlan: Wenn der Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes nun scheitert, so mag es einen Versuch wert sein, wenigstens das Arbeitskampfrecht ein wenig klarer zu machen. Vielleicht stellt der Jubilar ja seinen großen arbeitskampfrechtlichen Sachverstand in den Dienst dieser Sache. In seinem großen Schatten könnte dann auch der ein oder andere Zauderer mutig werden.
116 Vgl. auch ArbG Kiel 30.06.2006, ZTR 2006, 488 mit dem Hinweise auf die der Luftfahrtbranche offenbar vergleichbare Lage im Theater- und Musikbereich. 117 Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter Entwurf eines Gesetzes zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, 1988. 118 Terre/Qutin-Adam D. 1999 chr. S. 99.
Taschengeld für Minderjährige – Reichweite der elterlichen Zustimmung Barbara Veit I. Problemstellung Aufhorchen ließ vor einiger Zeit die KidsVerbraucherAnalyse 2007 des Egmont Ehapa Verlags in Berlin. Danach sind die Kinder in Deutschland so reich wie nie zuvor; die 6–13jährigen haben pro Person 692 € Sparguthaben, damit fast 80 € mehr als im Vorjahr). Allein an Taschengeld konnte diese Gruppe im laufenden Jahr 1,53 Milliarden € ausgeben. Hinzu kamen 0,97 Milliarden € aus Geldgeschenken zu Weihnachten und zum Geburtstag. Auf die insgesamt 5,76 Millionen Kinder der untersuchten Altersgruppe hochgerechnet ergab sich der Studie zufolge ein Vermögen von mehreren Milliarden €.1 Die Frage nach dem Ob, Wann und Wieviel an Taschengeld beschäftigt die Eltern regelmäßig. Sie tangiert ihr Erziehungsrecht ebenso wie ihre Unterhaltspflicht, umfaßt doch nach § 1610 Abs. 2 BGB der Unterhalt des Kindes den gesamten Lebensbedarf und dazu gehört auch das Taschengeld 2. Das Schicksal der Verträge, die ein Minderjähriger mit seinem Taschengeld abschließt, bestimmt sich maßgeblich nach § 110 BGB, dem sog. Taschengeldparagraphen 3; danach gilt ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag als von Anfang an wirksam, wenn er die vertragsgemäße Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zur freien Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind. Inhalt, Wirkungen und dogmatische Einordnung dieser Vorschrift sind seit jeher Gegenstand von
1
KidsVerbraucherAnalyse, Berichtsband (2007), S. 19–23. Palandt/Diederichsen Bürgerliches Gesetzbuch (67. Aufl. 2008), § 1610 Rn. 10; Giesen Familienrecht (2. Aufl. 1997), Rn. 576 Fn. 21; Moritz DB 1979, 1165, 1167; Haberl Kinderrechte – eine zivilrechtliche Analyse (2007), S. 141. 3 Kritik an diesem Begriff üben Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. 2. Band. Das Rechtsgeschäft (3. Aufl. 1979), § 13, 7c, cc; Medicus Allgemeiner Teil des BGB (9. Aufl. 2006), Rn. 579; Faltermeier Konstruktion und Problematik des § 110 BGB (1978), S. 3; Weimar MDR 1962, 273. 2
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gerichtlichen Entscheidungen4 und wissenschaftlichen Abhandlungen 5 gewesen und werden auch aktuell immer wieder behandelt, so etwa im Rahmen der Auseinandersetzung mit der in der Struktur ähnlichen Vorschrift des sog. „Taschengeldparagraphen für Betreute“ 6 in § 105a BGB 7. Wie das Spannungsverhältnis zwischen dem Streben des Minderjährigen nach Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr, Verkehrsschutzinteressen und elterlicher Verantwortung bei Hingabe von Taschengeld gelöst werden kann, soll Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein. Dazu ist zunächst der Schutzzweck der §§ 107ff. BGB, namentlich des § 110 BGB herauszuarbeiten (unter II.), bevor die Frage im Fokus stehen wird, auf welches Rechtsgeschäft sich die in der Hingabe von Taschengeld liegende Zustimmung bezieht; damit ist zugleich die Frage nach der dogmatischen Einordnung von § 110 BGB aufgeworfen (unter III.). Sieht man in § 110 BGB einen Sonderfall von § 107 BGB, bleibt die Frage, ob § 110 BGB überhaupt noch einen eigenen, von § 107 BGB gesonderten Anwendungsbereich hat oder ob die Fälle alle über § 107 BGB (Zustimmung in Form eines Generalkonsenses) gelöst werden können (unter IV.); diese Frage ist um so aktueller, als in jüngerer Zeit die Grenzen für einen Generalkonsens der Eltern nach § 107 BGB mit Blick auf pädagogische und praktische Notwendigkeiten immer weiter gezogen werden.8 Soweit ein Anwendungsbereich für § 110 BGB neben § 107 BGB bleibt, gilt es abschließend das Problem zu klären, ob die Hingabe von Mitteln zur freien Verfügung volle Dispositionsfreiheit für den Minderjährigen bedeutet oder nicht (unter V.).
4 RGZ 74, 234 ff. (Lottogewinn); AG Freiburg NJW-RR 1999, 637 f. (Kauf einer Spielzeugpistole nebst Munition); AG Jena NJW-RR 2001, 1469; AG Bergheim, NJW-RR 2000, 202 f.; AG Hamburg NJW 1987, 448; AG Köln NJW 1987, 447 f. (Schwarzfahren); AG Pinneberg RRa 2003, 126 (Reisevertrag); OLG Hamm VersR 1954, 218 (Mietvertrag über Motorrad); LG Bochum VersR 1970, 25 f. (§ 110 BGB); AG Waldshut-Tiengen VersR 1985, 937ff.; LG Koblenz VersR 1956, 314 ff. (§ 107 BGB) (Versicherungsvertrag in allen drei Fällen); LG Mannheim ZMR 1977, 145 (Mietvertrag über Wohnung). 5 Duvernell Die Probleme des § 110 BGB (1936); Schenk Die rechtliche Fähigkeit Minderjähriger zum selbständigen Abschluß schuldrechtlicher Verträge. Eine rechtsvergleichende Darstellung unter Berücksichtigung der Rechtslage in Frankreich, England, der Bundesrepublik und der Harmonisierungsbestrebungen des Europarates (1976); Faltermeier (Fn. 3); Knothe Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung (1983); Schulz DB 1963, 407 f.; Weimar MDR 1962, 273 f.; Safferling RPfl 1972, 124ff.; Wieser FamRZ 1973, 434 ff.; Lindacher FS für Bosch (1976), 533 ff.; Scherner FamRZ 1976, 673 ff.; Leenen FamRZ 2000, 863 ff.; Schilken FamRZ 1978, 642 ff.; Nierwetberg Jura 1984, 127 ff.; Hofmann RPfl 1986, 5 ff.; Winkler v. Mohrenfels JuS 1987, 692 ff.; Harder NJW 1990, 857 ff.; Klees CR 2005, 626 ff.; Goerth VuR 2004, 277 ff. 6 Pawlowski JZ 2003, 66, 68 ff. 7 Löhnig/Schärtl AcP 204 (2004), 25, 53 ff.; Ludyga FPR 2007, 3,5; Heim JuS 2003, 141, 142 f.; Franzen JR 2004, 221, 223; Ulrici Jura 2003, 520, 521; Lipp FamRZ 2003, 721 ff.; Casper NJW 2002, 3425 ff. 8 S. Bork Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (2. Aufl. 2006), Rn. 1015.
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II. Der Schutzzweck der §§ 107 ff., vor allem von § 110 BGB 1. Schutz des Minderjährigen vor Vermögensgefährdung und Ermöglichung von wirtschaftlicher Betätigung Die §§ 107 ff. BGB dienen in erster Linie dem Schutz des nur beschränkt Geschäftsfähigen vor den möglicherweise nachteiligen Folgen seiner Willenserklärungen, deren Auswirkungen er infolge mangelnden Alters und damit mangelnder Erfahrung noch nicht hinreichend erfassen kann.9 Er wird durch die Zustimmungspflichtigkeit von Rechtsgeschäften, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, vor einer Gefährdung seines Vermögens geschützt.10 Diese Gefährdungen sind gerade im modernen Wirtschaftsleben mit ihren an das Konsum- und Prestigebedürfnis der jungen Menschen appellierenden subtilen Werbepraktiken besonders virulent.11 Zugleich wird dem Minderjährigen die aktive und selbständige Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht.12 § 107 BGB sieht vor, daß er Rechtsgeschäfte, die lediglich rechtlich vorteilhaft sind, selbst wirksam tätigen kann, er insoweit also wie ein voll Geschäftsfähiger zu behandeln ist. Das gleiche gilt für „gefährliche“, weil für den Minderjährigen nachteilige Rechtsgeschäfte, soweit die Eltern ihre Zustimmung erteilt haben und der Minderjährige sich im Rahmen der Zustimmung hält.13 Damit soll der Minderjährige stufenweise in die volle Zuständigkeit zur eigenen Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse hineinwachsen, wodurch vermieden wird, daß der Minderjährige bei Volljährigkeit unvorbereitet von einem Tag auf den anderen vor eine ganz neue Situation gestellt wird.14 2. Schutz der elterlichen Sorge Eng mit diesem Zweck verknüpft ist der, die elterliche Sorge zu schützen. Die Anerkennung der Elternverantwortung und der damit verbundenen Rechte findet ihre Rechtfertigung darin, daß das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, wie sie dem Menschenbild des GG entspricht.15 Die elterliche Sorge kann ihre Funktion aber nur erfüllen, wenn der Minderjährige sich ihr nicht durch wirksame rechtsgeschäftliche 9
MünchKomm/Schmitt Bürgerliches Gesetzbuch (5. Aufl. 2006), vor § 104 BGB Rn. 2. BGHZ 161, 170, 178. 11 Staudinger/Knothe BGB (Bearbeitung 2004), vor §§ 104 ff. BGB Rn. 20. 12 Köhler JZ 1983, 225, 226; Staudinger/Knothe (Fn. 11), § 110 Rn. 1; Erman/Westermann BGB (6. Aufl. 1975), § 110 Rn. 1. 13 Köhler JZ 1983, 225, 226. 14 Müller-Freienfels Die Vertretung beim Rechtsgeschäft (1955), S. 373. 15 BVerfG FamRZ 1968, 578, 584. 10
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Bindungen entziehen kann; das gilt in personen- wie in vermögensrechtlicher Hinsicht.16 Das Zustimmungserfordernis ist damit eine Form der Ausübung der elterlichen Sorge.17 Da die Zustimmung in erster Linie den Minderjährigen vor Gefahren für sein Vermögen schützen will, ist sie vornehmlich Ausdruck der Vermögenssorge (§§ 1638 ff. BGB). Sie ist aber auch zugleich Ausdruck der Personensorge (§ 1631 Abs. 1 Alt. 2 BGB), weil mit der Erklärung, Einschränkung oder Verweigerung der Zustimmung der gesetzliche Vertreter auch zum Ausdruck bringt, welche Rechtsgeschäfte er unter erzieherischen Aspekten für sinnvoll hält.18 § 110 BGB eröffnet den Eltern die Möglichkeit, dem Minderjährigen eine gewisse wirtschaftliche Bewegungsfreiheit einzuräumen 19 und damit ihrer Aufgabe nachzukommen, das Kind zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu erziehen (§ 1 Abs. 1 SGB VIII); dazu gehört auch, den Umgang mit Geld und „das Haushalten“ zu erlernen.20 3. Schutz der Verkehrssicherheit Alle am Rechtsverkehr Beteiligten haben ein Interesses an einer raschen Feststellung, ob ein vom Minderjährigen vorgenommenes Rechtsgeschäft wirksam ist. Diesem Interesse an Rechtssicherheit und -klarheit dienen nicht nur die Altersgrenzen in den §§ 104 ff. BGB.21 Vielmehr knüpft das Gesetz die Genehmigungsbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts in § 107 BGB nicht an die Bestimmung eines wirtschaftlichen Vor- oder Nachteils, sondern an das formale Kriterium des rechtlichen Nachteils an, das im Regelfall eine Vermögensgefährdung indiziert 22. § 110 BGB erleichtert den Rechtsverkehr mit dem Minderjährigen, indem er bestimmt, daß alle von dem Minderjährigen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte, zu denen eine ausdrückliche oder dem Vertragsgegner bekannte Einwilligung oder Genehmigung des gesetzlichen 16
Stürner AcP 173 (1973), 402, 418; Köhler JZ 1983, 225, 226. Müller-Freienfels (Fn. 14), S. 375; Münch/Stadler JuS 1983, 933, 934; Scherner FamRZ 1976, 673, 676. 18 MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), vor § 104 Rn. 4. 19 MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), § 110 Rn. 1; Staudinger/Knothe (Fn. 11), vor § 104 ff. Rn. 22. 20 Lindacher (Fn. 8), S. 543; zu den verschiedenen Motiven der Eltern, ihrem Kind Taschengeld zu geben Rosendorfer Kinder und Geld. Gelderziehung in der Familie (2000), S. 55ff. In einer empirischen Untersuchung in Nordwestdeutschland zum Thema „Taschengeld und Sparverhalten bei Grundschulkindern von Dubbert/Hufnagel an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Institut für Ökonomische Bildung aus dem Jahre 2006 konnte ein positiver Zusammenhang zwischen dem „Selbstwirksamkeitsempfinden“ der Kinder und ihrer Fähigkeit, mit dem Taschengeld auszukommen, nachgewiesen werden (www.wiwi.uni-muenster.de/ioeb/forschen/IOEB-DP-03-2006.html). 21 Staudinger/Knothe (Fn. 11), vor §§ 104 ff. BGB Rn. 19. 22 BGHZ 161, 170, 178. 17
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Vertreters fehlt, mit Bewirken der Gegenleistung mit Mitteln, die ihm vom gesetzlichen Vertreter oder mit seiner Zustimmung von einem Dritten zu diesem Zweck oder zur freien Verfügung gestellt wurden, wirksam werden.23 Dieser Zweck der Verkehrssicherheit ist solange uneingeschränkt zu berücksichtigen, als er den beiden zuvor genannten nicht entgegensteht.24 Kommt es aber zu Kollisionen, so hat der Minderjährigenschutz Vorrang 25, wie sich nicht zuletzt etwa an der Regelung des § 179 Abs. 3 S. 2 BGB zeigt 26. Zudem kennt das BGB keinen Schutz des guten Glaubens an die Geschäftsfähigkeit.27 Fraglich ist, ob darin auch eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Rechtssicherheit und elterlicher Sorge liegt. Diese Konkurrenz stellt sich besonders bei Übergabe von Mitteln zur freien Verfügung. Je weiter der Minderjährige in diesem Fall auch nach Übergabe der Mittel Grenzen beachten muß, die vom gesetzlichen Vertreter, nicht zuletzt durch den Widerruf der Zustimmung, gesetzt werden, desto eher wird die Rechtssicherheit tangiert, da diese Grenzen dem Vertragspartner oft nicht bekannt sind.28 Zur Lösung des Problems könnte man darauf verweisen, daß die Erziehungsfunktion nur das Verhältnis des Minderjährigen zum gesetzlichen Vertreter betrifft und deshalb nicht mit den im Verhältnis zum Vertragspartner maßgeblichen Gedanken der Rechtssicherheit kollidieren und schon gar nicht ihm vorgehen kann.29 Wenn aber der Minderjährigenschutz Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit genießt, dann kann an sich nichts anderes für den Erziehungszweck gelten, der letztlich die Reichweite des Schutzes des beschränkt Geschäftsfähigen vor rechtlichen Nachteilen bestimmt 30 und von den Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge wahrgenommen wird.
III. Gegenstand der in der Mittelhingabe liegenden Zustimmung des gesetzlichen Vertreters Die Hingabe von Geld zu einem bestimmten Zweck oder zur freien Verfügung stellt nicht nur eine Tathandlung dar, sondern birgt, allein oder in Verbindung mit der Zweckbestimmung, eine konkludente Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nach § 107 BGB zum Verfügungsgeschäft des Min-
23 24 25 26 27 28 29 30
Duvernell (Fn. 5), S. 37. Moritz DB 1979, 1165, 1167. BGHZ 17, 160, 168; BGHZ 161, 170, 178: „§ 107 BGB bezweckt in erster Linie (…)“. MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), vor § 104 Rn. 7. MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), vor § 104 Rn. 7; Mankowski/Schreier VuR 2007, 1, 6. Dazu RGZ 74, 234, 236; näher dazu unter V. In diese Richtung Staudinger/Knothe (Fn. 11), vor §§ 104 ff. BGB Rn. 22. So wohl auch Staudinger/Knothe (Fn. 11), vor §§ 104 ff. BGB Rn. 22.
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derjährigen über die zur Verfügung gestellten Mittel 31 und ggf. auch zu dem schuldrechtlichen Vertrag, zu dessen Erfüllung der Minderjährige die vertragsgemäße Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm vom gesetzlichen Vertreter zur Verfügung gestellt wurden.32 1. Verfügungsgeschäft Die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts wird überwiegend bereits aus der Überlassung der Mittel (§ 107 BGB) abgeleitet.33 Demgegenüber stützen andere die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts auf § 110 BGB selbst; so betont etwa das RG, § 110 BGB lasse „das vom Minderjährigen geschlossene Geschäft auch ohne besondere Zustimmung sowohl nach der dinglichen wie nach der schuldrechtlichen Seite von Anfang an wirksam werden, wenn es demnächst vom Minderjährigen aus überlassenen Mitteln erfüllt wird“.34 Einen Unterschied zur erstgenannten Ansicht ist darin nicht zu sehen, wenn man in § 110 BGB nur einen Sonderfall des § 107 BGB sieht.35 2. Verpflichtungsgeschäft Nach überwiegender Ansicht stellt § 110 BGB nur einen besonderen Anwendungsfall des § 107 BGB dar, d.h. der Grund auch für die Wirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrags liegt in der in der Mittelüberlassung dokumentierten Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.36 Demgegenüber entnehmen andere dem § 110 BGB, daß aus der bloßen Mittelüberlassung gerade nicht auf eine Einwilligung in das Verpflichtungsgeschäft geschlossen werden könne.37 Die zentrale Bedeutung des § 110 BGB liege darin, daß der Leistungsakt, die Erfüllung, heilend auf das Kausalgeschäft wirkt.38 Darin
31 Leenen FamRZ 2000, 863, 869; Planck/Flad Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (4. Aufl. 1913), § 110 Anm. 1; Soergel/Hefermehl Bürgerliches Gesetzbuch (13. Aufl. 1999), § 110 Rn. 1 32 RGZ 74, 234, 235; Safferling RPfl 1972, 124, 125. 33 Soergel/Hefermehl (Fn. 31), § 110 Rn. 1; Faust, Bürgerliches Gesetzbuch. Allgemeiner Teil (2. Aufl. 2007), § 18 Rn. 34; Nierwetberg Jura 1984, 127, 131; Leenen FamRZ 2000, 863; Wieser FamRZ 1973, 434 m.w.N. 34 RGZ 74, 234, 235. 35 So RGZ 74, 234, 235. 36 OLG Stuttgart FamRZ 1969, 39f.; Soergel/Hefermehl (Fn. 31), § 110 Rn. 1; Erman/ Palm, BGB (11. Aufl. 2004), § 110 Rn. 1; Lindacher (Fn. 8), S. 545 f. Palandt/Heinrichs/ Ellenberger (Fn. 2), § 110 Rn. 1; Faust (Fn. 33), § 18 Rn. 30.; Moritz DB 1979, 1165, 1167. 37 Nierwetberg Jura 1984, 127, 131 („Hauptaussage der Regelung des § 110 BGB“); ungenau derselbe auf S. 132; Löhnig/Schärtl AcP 204 (2004), 25, 54 f.; Staudinger/Knothe (Fn. 11), § 110 Rn. 6. 38 Oertmann Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Teil (3. Aufl. 1927), § 110 Anm. 1.
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stimme diese Vorschrift überein mit der Schutzrichtung der §§ 311b Abs. 1 S. 2, 518 Abs. 2 und 766 S. 3 BGB.39 Gegen die Einordnung der Mittelhingabe als Zustimmung zum Verpflichtungsgeschäft spricht zwar prima facie der Wortlaut von § 110 BGB, der voraussetzt, daß der Minderjährige einen Vertrag „ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters“ geschlossen hat.40 Jedoch ist das Tatbestandsmerkmal i.S.v. „ohne ausdrückliche Zustimmung“ bzw. ohne „besondere Zustimmung“ zu interpretieren.41 Darin liegt auch kein „interpretative(r) Kunstgriff“,42 vielmehr ist diese Sicht notwendige Folge des Schutzzwecks von § 110 BGB. Jede andere Sicht würde zu dem problematischen Ergebnis führen, daß das Gesetz zugleich voraussetzt, daß der gesetzliche Vertreter dem Minderjährigen Mittel zu einem bestimmten Zweck oder zur freien Verfügung überlassen hat, sich der Minderjährige aber zugleich zur Verwendung dieser Mittel ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters verpflichtet.43 Auch der systematische Zusammenhang zu den §§ 107 ff. spricht für die Einordnung von § 110 BGB als Sonderfall von § 107 BGB. Zwar steht § 110 BGB auch im Zusammenhang mit den §§ 112 und 113 BGB. Trotz dieses Zusammenhangs ging der historische Gesetzgeber aber nicht davon aus, daß der Minderjährige bei Mittelüberlassung zur freien Verfügung teilgeschäftsfähig wurde.44 Vielmehr spricht die geschichtliche Entwicklung von § 110 BGB für die Sicht der h.M. Schon der von Gebhard für die erste Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgelegte Teilentwurf zum Allgemeinen Teil (TE) wollte mit Schaffung von § 86 TE (Vorläufer von § 110 BGB) erreichen, daß die vollständige Erfüllung dieselbe Wirkung wie die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters hat.45 Bei der Diskussion um diesen Entwurf wurden zum Teil Bedenken gegen die Aufnahme dieser Vorschrift geäußert. So wurde eingewandt, es werde z.T. etwas Selbstverständliches formuliert, nämlich, daß mit der Hingabe der Mittel die Verfügung und nicht zugleich der schuldrechtliche Vertrag im Voraus genehmigt
39 Leenen FamRZ 2000, 863, 868; v. Tuhr Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 2. Band, Erste Hälfte (1957), § 59 VII Fn. 118; s. auch Oertmann (Fn. 38), § 110 Anm. 1, 5. 40 Leenen FamRZ 2000, 863, 865. 41 RGZ 74, 234, 235; AG Waldshut-Tiengen VersR 1985, 958, 859; Duvernell (Fn. 5), S. 36 m.w.N.; MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), § 110 Rn. 5; Bamberger/Roth/Wendtland BGB (2. Aufl. 2007), § 110 Rn. 4. 42 So Leenen FamRZ 2000, 863, 865. 43 Riezler DJZ 1903, 566; Duvernell (Fn. 5), S. 37. 44 So aber Safferling RPfl 1972, 124, 125 f. 45 Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Allgemeiner Teil, Teil 1, Verfasser: Gebhard (1981), S. 74 unten.
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werde. Zudem finde sich die Vorschrift in keinem deutschen Gesetz.46 Letztlich entschied man sich in der 1. Kommission jedoch für diesen Vorschlag 47; der Sinn der beschlossenen Regelung liege darin, daß der obligatorische Vertrag voll und ganz unter der für Verträge von Minderjährigen geltenden Regel stehe; trete aber Erfüllung des Minderjährigen hinzu, „so wirke dieselbe gerade so, wie die Genehmigung des Vertreters oder des Minderjährigen nach Erlangung der vollen Geschäftsfähigkeit“.48 Auch die Schutzrichtung des § 110 BGB wird von der M.M. zu Unrecht auf den Verpflichtungsschutz des Minderjährigen (Schutz vor Rückabwicklungsansprüchen nach Bereicherungsrecht) verkürzt.49 Diese Verkürzung führt zu der bedenklichen Konsequenz, daß ein Minderjähriger, der mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters außerhalb des Elternhauses einer Berufsausbildung nachgeht, nicht wirksam ein Zimmer anmieten kann, soweit man nicht von dem unwahrscheinlichen Fall ausgeht, daß die Miete von vornherein für die gesamte Zeit des Mietverhältnisses vorausgezahlt wird. Der Vermieter könnte den Minderjährigen mangels Rechtswirksamkeit der Mietvereinbarung ohne jedes Risiko vor die Tür setzen.50 Um dieses Ergebnis zu vermeiden, bejaht selbst die M.M. ausnahmsweise die Wirksamkeit des Mietvertrags in diesem Fall mit dem Hinweis, das Interesse des Minderjährigen, mit Abschluß des Vertrags einen Anspruch auf die Gegenleistung zu erlangen, sei ausnahmsweise höher zu bewerten als dessen Interesse, selbst nicht verpflichtet zu werden.51 Nach der M.M. ist damit die Wirksamkeit des Verpflichtungsvertrags grundsätzlich gesetzliche Folge der Erfüllungshandlung und nur ausnahmsweise Folge eines Rechtsgeschäfts kraft Aufsichtsrechts, d.h. einer Zustimmung.52 Darin liegt aber ein erheblicher Eingriff in das Sorgerecht der Eltern, die selbst entscheiden wollen, welche Verpflichtungen durch den Minderjährigen begründet werden oder nicht. Diesen Eingriff versucht die Gegenmeinung mit dem Hinweis zu relativieren, daß auch die Überlassung von Mitteln zur freien Verfügung in aller Regel keine grenzenlose Freiheit bedeute.53 Berücksichtigt man aber, daß der gesetzliche Vertreter mit der Verfügung nur mit Blick auf das Verpflichtungsgeschäft einverstanden ist, zu 46 Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Allgemeiner Teil (§§ 1–240), 1. Teilband (1985), S. 532. 47 Er wurde mit gewissen inhaltlichen Änderungen zu § 68 Kommissionsentwurf und § 69 des dem Bundesrat vorgelegten ersten Entwurfs, zum Wortlaut Jakobs/Schubert (Fn. 46), S. 544. 48 Jakobs/Schubert (Fn. 46), S. 532; Motive I zu § 69. 49 Leenen FamRZ 2000, 863, 867. 50 Lindacher (Fn. 8), S. 537. 51 Leenen FamRZ 2000, 863, 869 f. 52 So zu Recht Lindacher (Fn. 8), S. 544. 53 Leenen FamRZ 2000, 863, 869.
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dessen Erfüllung die überlassenen Mittel eingesetzt werden sollen,54 er also selbst mit der Mittelhingabe den Kontext zum schuldrechtlichen Rechtsgeschäft herstellt, so bleibt die Begrenzung der Zustimmung auf das Verfügungsgeschäft unklar. Soweit die Gegenmeinung eine Parallele zwischen den gesetzlichen Heilungsvorschriften bei Formmängeln und § 110 BGB erkennt, so ist diese nur bei einem Gleichlauf der Schutzzwecke gerechtfertigt. Ein wesentlicher Schutzzweck von § 311b Abs. 1 S. 2 BGB etwa liegt in der Gewährung von Rechtssicherheit, um zu vermeiden, daß die Beteiligten trotz Auflassung und Eigentumsumschreibung noch bis zum Ablauf der Verjährungsfrist gegenseitigen Bereicherungsansprüchen ausgesetzt sind.55 Dieser Normzweck deckt sich mit dem des § 110 BGB; außer Betracht bleibt aber der vorrangige Zweck des Schutzes der elterlichen Sorge, der über eine gesetzlich angeordnete Wirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrags nicht erreicht würde.
IV. Der Inhalt der Zustimmung zum Verpflichtungsgeschäft bei Zurverfügungstellen von Mitteln Sprechen danach die besseren Gründe dafür, in § 110 BGB einen Sonderfall des § 107 BGB zu sehen, bleibt die Frage, ob § 110 BGB überhaupt noch einen eigenen Anwendungsbereich hat oder nicht alle Fälle über § 107 BGB gelöst werden können. Die Antwort auf diese Frage hängt vom Inhalt der elterlichen Zustimmung zum Verpflichtungsgeschäft im einzelnen ab. 1. Zustimmung zum Schuldenmachen ohne Rücksicht auf Erfüllung Nach Ansicht von Wieser willigt der gesetzliche Vertreter, der dem Minderjährigen Mittel für eine mehr oder weniger beliebige Verwendung oder zur Erfüllung eines konkreten Vertrags gewährt oder beläßt, in alle Schuldverträge ein, die sich in dem mehr oder weniger weiten Rahmen der freien Verfügung bewegen.56 Maßgebend sei allein, ob bei Vertragsschluß noch Mittel vorhanden sind. Schließe der Minderjährige nacheinander mehrere Verträge, obwohl seine Mittel nur für einen gedacht sind, dann sei eben nur der erste Vertrag wirksam, durch ihn werde die Zustimmung verbraucht.57 Weiter führe der Verlust des Geldes zum Wegfall der Einwilligung (Wegfall der Mittel als auflösende Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB).58 In der nachträglichen Mittelzuweisung liege eine Genehmigung.59 54 55 56 57 58 59
Faust (Fn. 33), § 18 Rn. 34. MünchKomm/Kanzleiter BGB (5. Aufl. 2007), § 311b Rn. 74. Wieser FamRZ 1973, 434, 435. Wieser FamRZ 1973, 434, 435. Wieser FamRZ 1973, 434, 435. Wieser FamRZ 1973, 434, 435.
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Folgt man diesem Ansatz, so bleibt für § 110 BGB nur noch in zwei Fällen Raum: Beim Ratenkauf, der erst mit Zahlung der letzten Rate wirksam wird, und in dem Fall, daß der gesetzliche Vertreter trotz Kenntnis des Vertrags dem Minderjährigen freistellt, wie er die Mittel verwenden will oder wenn er vom Vertrag des Minderjährigen gar nichts weiß.60 Gegen diese Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 110 BGB sprechen aber mehrere Gründe: Eine Widersprüchlichkeit zeigt sich etwa im bereits genannten Mietvertragsfall: insoweit geht Wieser einerseits davon aus, daß die Eltern mit Hingabe des monatlichen Wechsels in alle Verträge einwilligen, die sich in dem mehr oder weniger weiten Rahmen der freien Verfügung bewegen; andererseits fordert er aber, daß die Mittel zur Erfüllung schon vor Vertragsschluß zur Verfügung stehen. Da im genannten Beispiel nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Minderjährige bei Mietvertragsschluß schon über die Mittel für die gesamte Zeit des Mietvertrags verfügt, wäre nach diesem Ansatz der Mietvertrag schwebend unwirksam; der Schwebezustand könnte vom Vermieter nach § 109 Abs. 1 S. 1 BGB beendet werden,61 ein Ergebnis, das schon dem objektiven Minderjährigeninteresse zuwiderläuft. Zwar ist Wieser zuzugeben, daß die Mittelüberlassung einen zentralen Fall der elterlichen Zustimmung darstellt und in § 110 Alt. 2 BGB sogar im Vordergrund steht. Dies kann aber nicht dazu führen, daß es deshalb auf die Erfüllung des Vertrags nicht mehr ankommt. Vielmehr fordert § 110 BGB gerade die Rückbindung der Vertragswirksamkeit des Minderjährigen an die Erfüllung und dient damit dem Schutz des Minderjährigen vor voreiligen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen, die dem Gläubiger einen in das ganze Vermögen des Minderjährigen vollstreckbaren Leistungsanspruch geben.62 Die Gefahr einer solchen Haftung ist nur dann mit dem Minderjährigenschutz vereinbar, wenn es um Rechtsgeschäfte geht, die „vom objektiven Minderjährigenbesten“ her geboten sind 63 oder wenn, wie noch näher dargelegt wird (dazu nachfolgend unter 2.b.), das Rechtsgeschäft Ausdruck der elterlichen Verantwortung ist, zu dessen Abschluß die Eltern, wenn es nicht der Minderjährige getätigt hätte, aufgrund ihrer Unterhaltspflicht selbst verpflichtet gewesen wären. 2. Zustimmung unter dem Vorbehalt der Erfüllung Damit bleibt die Frage, ob die in der Mittelhingabe liegende Zustimmung zum Verpflichtungsgeschäft immer unter dem Vorbehalt der Erfüllung steht oder ob die Zustimmung auch den Abschluß von Nichtbargeschäften deckt. 60 61 62 63
Wieser FamRZ 1973, 434, 435. So zu Recht die Kritik von Lindacher (Fn. 8), S. 538 f. S. Leenen FamRZ 2000, 863, 867. Lindacher (Fn. 8), S. 539; Leenen FamRZ 2000, 863, 869.
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Sind die Rechtsgeschäfte eines Minderjährigen während einer längeren Radtour in den Ferien oder während einer Ausbildung an einem anderen Wohnort als dem der Eltern bereits mit ihrem Abschluß wirksam oder erst mit Bewirken der vertragsgemäßen Leistung? Damit ist die Frage verknüpft, ob es nur im Rahmen von § 110 Alt. 2 BGB oder auch außerhalb, d.h. im Rahmen von § 107 BGB einen Generalkonsens gibt. Folgt man letzterem Ansatz, so ist der Anwendungsbereich des § 110 BGB auch nach diesem Ansatz beschränkt, weil die Fälle auch über § 107 BGB gelöst werden könnten. Umgekehrt hat die Ablehnung eines Generalkonsenses außerhalb des § 110 BGB zur Folge, daß der Minderjährige, der außerhalb des Elternhauses eine Wohnung anmietet, nach Ablauf eines Monats, wenn er nicht bereits Vorleistungen in Höhe der Miete für die gesamte Mietzeit geleistet hat, ohne jedes Risiko vom Vermieter vor die Tür gesetzt werden könnte.64 a) Meinungsstand Nach einer M.M. ergibt sich aus dem Zusammenhang der §§ 107–109, 111 BGB einerseits und der §§ 110, 112, 113 BGB andererseits, daß der Gesetzgeber nur in den letztgenannten Fällen die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu „ganzen Klassen“ von Rechtsgeschäften für zulässig und wirksam erklärt hat, d.h. nur in diesen Fällen eine generelle Einwilligung des gesetzlichen Vertreters hat zulassen wollen.65 Demgegenüber sieht die überwiegende Ansicht, wie dargelegt, in § 110 BGB nur einen besonderen Anwendungsfall von § 107 BGB; in der Überlassung der Mittel liege eine konkludente Einwilligung des gesetzlichen Vertreters mit der Einschränkung, daß der Vertrag nicht bereits mit Abschluß, sondern erst dann (rückwirkend) wirksam ist, wenn er erfüllt wird.66 Der gesetzliche Vertreter könne seiner Einwilligung aber einen weitergehenden Inhalt geben und bestimmen, daß der Vertrag bereits vor Erfüllung mit seinem Abschluß wirksam werde (sog. Generaleinwilligung).67 Während eine umfassende Generaleinwilligung wegen Unvereinbarkeit mit der elterlichen Verantwortung allgemein abgelehnt wird,68 gibt es Unterschiede bei der Bestimmung des beschränkten Generalkonsenses: z.T. wird die Konkretisierung begrenzt auf einen „Komplex von Geschäften im verkehrsüblichen 64
Lindacher (Fn. 8), S. 537. Planck/Flad (Fn. 31), § 110 Anm. 6; Ramm Einführung in das Privatrecht/Allgemeiner Teil des BGB, Band III (2. Aufl. 1974), § 69 IV.3.; Schulz DB 1963, 407, 408; grundsätzlich auch Scherner FamRZ 1976, 673, 675; Pawlowski JuS 1967, 302, 304 f. 66 Bork (Fn. 8), Rn. 1020; Harder NJW 1990, 857, 859. 67 Palandt/Heinrichs/Ellenberger (Fn. 2), § 110 Rn. 1. 68 Staudinger/Coing BGB (11. Aufl. 1957), § 107 Rn. 3; Staudinger/Knothe (Fn. 11), § 107 Rn. 36; MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), § 107 Rn. 14; Köhler JZ 1983, 225, 226; so erst Recht von seinem Standpunkt Planck/Flad (Fn. 31), § 107 Anm. II.2; unklar Moritz DB 1979, 1165, 1166. 65
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Laufe der Verfolgung bestimmter konkreter Zwecke“.69 Andere sprechen allgemein von einer „klar (von den Eltern) definierte(n) Gruppe von Rechtsgeschäften“,70 noch weiter geht es, wenn von einem „ganzen Kreis von Rechtsgeschäften“,71 von Geschäften, die „üblicherweise mit dem Vorhaben des Minderjährigen verbunden sind“ 72 oder davon die Rede ist, daß „ein Bedürfnis“ zu einer solchen generellen Einwilligung besteht.73 b) Stellungnahme Der Wortlaut des § 107 BGB spricht nur allgemein von „Einwilligung“ des gesetzlichen Vertreters, deckt also nicht nur die Zustimmung zum konkreten Rechtsgeschäft, sondern auch den unbeschränkten und verschiedene Abstufungen des beschränkten Generalkonsenses.74 Auch die systematische Auslegung führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Soweit darauf hingewiesen wird, das Gesetz denke in den §§ 107–109, 111 BGB nur an die Einwilligung oder Genehmigung des gesetzlichen Vertreters zu einzelnen bestimmten Rechtsgeschäften, wogegen in den §§ 110, 112, 113 BGB Fälle bestimmt würden, in welchen die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu ganzen Klassen von Rechtsgeschäften für zulässig und wirksam erklärt werde,75 unterstellt diese Sicht die Unzulässigkeit des Generalkonsenses in § 107 BGB, ohne dies nachzuweisen 76. Fraglich ist, ob ein Blick in die Entstehungsgeschichte weiterhilft: Die Vorlage von Gebhard für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs sah neben § 83 TE (= heutiger § 112 BGB), § 84 TE (= heutiger § 113) und § 86 TE (= heutiger § 110 BGB) einen § 85 TE vor, der lautete: „Minderjährige, welche sich ihrer Ausbildung oder ihres Berufes wegen mit Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter außerhalb des Wohn- und Aufenthaltsortes derselben aufhalten, bedürfen, sofern sie nicht der besonderen Fürsorge einer Anstalt oder Person unterstellt sind, der Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters nicht zu der Eingehung von Verträgen, welche dem Gegenstande nach entweder die Beschaffung an69
Staudinger/Coing (Fn. 68), § 107 Rn. 3. Bork (Fn. 8), Rn. 1015. 71 Von Tuhr (Fn. 39), S. 346. 72 MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), § 107 Rn. 14; in diese Richtung auch Erman/Palm (Fn. 36). 73 BGH FamRZ 1967, 389, 391. 74 Scherner FamRZ 1976, 673, 674; zu den verschiedenen Formen Bork (Fn. 8), Rn. 1014 f.; Staudinger/Knothe (Fn. 11), § 110 Rn. 5 spricht von einer „gleitenden Skala nach dem Grad der Zweckbindung“. 75 So Planck/Flad (Fn. 31), § 110 Anm. 6. 76 Lindacher (Fn. 8), S. 536 „petitio principii“. 70
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gemessenen Unterhalts betreffen, oder für den Beruf bzw. die Ausbildung, behufs deren ihnen der Aufenthalt gestattet ist, dienlich und angemessen sind“.77 Diese Bestimmung wurde von der ersten Kommission aber mit dem Hinweis abgelehnt, sie sei nicht nur entbehrlich, sondern auch bedenklich, indem sie das Interesse des Minderjährigen gefährde und geeignet erscheine, ein leichtsinniges Verhalten desselben zu fördern78. Diese Sicht findet sich auch in den Motiven zu § 69 (heutiger § 110 BGB) wieder, wenn dort festgestellt wird: „Eine Ermächtigung dieser Personen zur selbständigen Vornahme derjenigen Rechtsgeschäfte, welche die Beschaffung ihres Unterhalts und die Erledigung der ihnen gestellten Aufgabe mit sich bringt (…) ist weder notwendig noch ohne Bedenken“.79 Dennoch bleibt diese Aussage nicht so eindeutig, weil es kurz danach heißt: „Minderjährige, welche in der fraglichen Lage sich befinden, können aufgrund des § 69 die zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse erforderlichen Rechtsgeschäfte im Wege der Baarzahlung wirksam vornehmen. Ist nach der Natur des einzelnen Rechtsgeschäfts (…) Baarzahlung (…) nicht angängig, oder gebricht es dem Minderjährigen an bereiten Mitteln, so stehen (…) dem Dritten, welcher mit dem Minderjährigen in Verkehr tritt, genügende Rechtsbehelfe zur Seite. Vielfach wird die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu unterstellen sein“.80 Darin liegt ein deutlicher Hinweis auf die Zulässigkeit eines Generalkonsenses außerhalb des § 110 BGB. Umgekehrt ist zu berücksichtigen daß in der zweiten Kommission ein Antrag auf Aufnahme einer ähnlichen Vorschrift wie § 85 TE abgelehnt wurde.81 Eine eindeutige Sicht des Gesetzgebers für oder gegen den Generalkonsens läßt sich mithin nicht ausmachen.82 Es bleibt die Frage, ob ein Generalkonsens außerhalb des § 110 BGB mit Sinn und Zweck der §§ 107ff. BGB vereinbar ist. Wie dargelegt ist die Zustimmung nach § 107 BGB Ausdruck der elterlichen Sorge (oben unter II.2); damit steht der Wertungsrahmen fest, an dem die Zulässigkeit des
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Schubert (Fn. 45), S. 16. Jakobs/Schubert (Fn. 46), S. 531. 79 Motive I S. 146. 80 Motive I S. 146. 81 Jakobs/Schubert (Fn. 46), S. 566; die Vorschrift sollte lauten: „Ein Minderjähriger, der mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters sich in einer Stellung befindet, in der er das zu seinem Lebensunterhalt und seiner Ausbildung erforderliche selbst zu beschaffen hat, bedarf nicht der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu Rechtsgeschäften, welche sich als zu solcher Beschaffung dienliche darstellen“. 82 So zu Recht Lindacher (Fn. 8), S. 536. 78
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Generalkonsenses gemessen werden muß.83 Zur allmählichen Hinführung des Minderjährigen zur Selbständigkeit kann aber nicht nur das Einüben von Selbständigkeit durch Bargeschäfte, sondern auch von Nichtbargeschäften gehören. Zwar hat das Gesetz in § 110 BGB ein besonderes Instrument vorgesehen, das im Regelfall geeignet ist, die wirtschaftliche Selbständigkeit zu testen. Dies kann aber nicht bedeuten, daß ein Generalkonsens außerhalb des § 110 BGB nicht zulässig ist. Als wichtigen Beispielsfall sei der Mietvertragsfall genannt, der von § 85 TE erfaßt wurde und den der historische Gesetzgeber unter § 110 BGB verortet hat.84 Die Notwendigkeit einer Ausnahme vom Regelfall des § 110 BGB in dieser Fallgestaltung wird in der Literatur entweder mit einem höheren Interesse des Minderjährigen,85 seinem objektiven Interesse 86 oder mit einem Vertretungsnotstand begründet, der immer dann vorliegen soll, wenn der Minderjährige faktisch der gesetzlichen Vertretung durch Aufenthalt an einem anderen Ort als dem der Eltern entbehrt.87 In jedem Fall stellt sich bei Anwendung von § 107 BGB die Frage, ob die Eltern uneingeschränkt zum Schuldenmachen ihre Zustimmung erteilen wollten, also auch für den Fall, daß der Minderjährige die überlassenen Mittel inzwischen verloren oder anderweit ausgegeben hat. Das würde in der letzteren Variante bedeuten, daß sie den Bereicherungsanspruch des Minderjährigen durchsetzen müßten, um die Mittel für das konkrete Rechtsgeschäft wieder zur Verfügung zu haben oder eigene Mittel aufwenden müssten.88 Von beidem kann mit Blick auf das Erziehungsrecht der Eltern in der Regel aber nicht ausgegangen werden.89 Die Mittelhingabe ist also nur dann als Einwilligung i.S.v. § 107 BGB zu verstehen, wenn es den Eltern entscheidend um eine bestimmte Zweckerreichung geht und weniger darum, keine Schulden zu machen, wenn die Eltern also im Ernstfall auch eigene Mittel aufwenden müssen, um die Verpflichtung des Minderjährigen zu erfüllen. Dies wird dann der Fall sein, wenn die Ausgabe, zu der sich der Minderjährige verpflichtet, zu dem Lebensbedarf gehört, den die Eltern aufgrund ihrer Unterhaltspflicht (§§ 1601ff. BGB) abdecken müssen. Der dem Minderjährigen zu gewährende Unterhalt umfaßt nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten der Erziehung bei einem Minderjährigen. Zum Lebensbedarf gehört aber neben dem eingangs genannten Taschengeld der gesamte Grundbedarf, wie Nahrung, Kleidung, Reinigung, Unterkunft,
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Scherner FamRZ 1976, 673, 676. Motive I S. 146. Leenen FamRZ 2000, 863, 869. Lindacher (Fn. 8), S. 537. Scherner FamRZ 1976, 673, 677. Lindacher (Fn. 8), S. 540. Lindacher (Fn. 8), S. 540.
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Hausrat, Schulbedarf oder Aufwendungen für Mobilität z.B. öffentliche Verkehrsmittel.90 Wenn die Eltern dem Kind also z.B. Geld geben, damit es davon Schulbücher kauft, so kommt es ihnen maßgebend auf die Erreichung des Zwecks an, weil sie selbst im Rahmen ihrer Erziehungsaufgabe zur Vornahme des Rechtsgeschäfts verpflichtet wären. Der Kaufvertrag über die Schulbücher ist damit auf jeden Fall wirksam, also auch dann, wenn die überlassenen Mittel inzwischen verloren gegangen sind oder anderweit ausgegeben wurden. Ist dagegen ein gleichrangiger oder gar vorrangiger Zweck der Mittelhingabe, daß der Minderjährige keine Schulden macht, also die vertragsmäßige Leistung mit den überlassenen Mitteln bewirkt, so ist die Zustimmung in Form der Mittelhingabe im Sinn einer Zustimmung unter dem Vorbehalt der Erfüllung auszulegen. Es kommt den Eltern dann weniger auf die Zweckerreichung, als vielmehr auf die Erfüllung an. Sie wollen mit der Mittelhingabe dem Minderjährigen eine wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit einräumen; um das wirtschaftliche Risiko für das Kind und die Eltern (Einstandspflicht) dabei zu minimieren, steht die Zustimmung unter dem Vorbehalt der Erfüllung. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß bei Rechtsgeschäften, zu denen die Eltern im Rahmen ihrer Aufgabe nach §§ 1601, 1610 BGB ohnehin verpflichtet sind, in der Regel ein Fall des § 107 BGB vorliegen wird.91 Demnach fällt auch der Fall der Zimmermiete eines Minderjährigen, der außerhalb des Elternhauses einer Ausbildung nachgeht, unter § 107 BGB. Wenn dagegen die Gewährung von rechtsgeschäftlicher und wirtschaftlicher Handlungsspielräume mit der damit verbundenen Möglichkeit eines dem Minderjährigen „verantwortlichen Umgang(s) mit Privatautonomie „zur Einübung“ im Vordergrund steht,92 also in der Regel in den Fällen des § 110 Alt. 2 BGB, wird das Verpflichtungsgeschäft unter dem Vorbehalt der Erfüllung stehen. Es bleibt die Frage, wie der Anwendungsbereich von § 107 BGB von dem des § 110 BGB im Fall einer Spezialeinwilligung abzugrenzen ist. Werden die Mittel dem Minderjährigen zur Erfüllung eines bestimmten Vertrags überlassen, bei dem Vertragsgegenstand und Vertragspartner feststehen, so liegt es nahe, hierin nur einen Fall des § 107 BGB und nicht des § 110 Alt. 1 BGB zu sehen.93 Um zu vermeiden, daß für § 110 Alt. 1 BGB kein Spielraum bleibt, wird auch hier maßgebend sein, ob die Eltern mit der Mittelhingabe einen
90 BGH FamRZ 1984, 769, 772; Palandt/Diederichsen (Fn. 2), § 1610 Rn. 10; Erman/ Hammermann (Fn. 36), § 1610 Rn. 4; zum Taschengeld s. oben Nachweise in Fn. 2. 91 Im Ergebnis wie hier Lindacher (Fn. 8), S. 538 („das objektive Minderjährigenbeste“); zur Monatsfahrkarte AG Bergheim NJW-RR 2000, 202, 203; Winkler v. Mohrenfels JuS 1987, 692, 693; Harder NJW 1990, 857, 858. 92 Insoweit zutreffend zur Schutzrichtung des § 110 BGB Leenen FamRZ 2000, 863, 867. 93 V. Tuhr (Fn. 39), § 59 VIII.
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Zweck verfolgen, der ihrer Unterhaltspflicht unterliegt, dann greift § 107 BGB ein. In allen anderen Fallgestaltungen wird der Wille der Eltern nur auf den Abschluß von Bargeschäften zielen,94 mag auch im Fall von § 110 Alt. 1 BGB der Entscheidungsspielraum des Minderjährigen z.T. nur darin liegen, die Vorgaben der Eltern in bezug auf Vertragsgegenstand und -partner zu konkretisieren. Bleiben Zweifel bei der Interpretation der Mittelhingabe im konkreten Fall, so ist in die Auslegung der Willenserklärung die gesetzliche Wertung des § 110 BGB einzubeziehen,95 der den Fall der Mittelhingabe als besondere Form der Zustimmung ausdrücklich regelt; danach steht die Zustimmung zum Verpflichtungsgeschäft unter dem Vorbehalt der Erfüllung. Hieraus läßt sich schlußfolgern, daß bei Überlassung von Mitteln an einen Minderjährigen zu einem bestimmten Zweck oder zur freien Verfügung die Wirksamkeit des vom Minderjährigen getätigten Geschäfts im Zweifel an die Erfüllung mit diesen Mitteln gebunden ist.96
V. Umfang der Zustimmung im Rahmen von § 110 BGB Es bleibt die Frage, wieweit der Entscheidungsspielraum des Minderjährigen im Anwendungsbereich des § 110 BGB reicht. Diese Frage stellt sich weniger im Bereich von § 110 Alt. 1 BGB, da dort der Entscheidungsspielraum des Minderjährigen von vorneherein begrenzt ist, als vielmehr im Bereich von § 110 Alt. 2 BGB. 1. Die Grenzen der Verfügbarkeit im Bereich von § 110 Alt. 2 BGB Nach einer M.M. führt das Überlassen oder Belassen von Mitteln durch den gesetzlichen Vertreter oder mit seiner Zustimmung zu einer Erweiterung der Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen mit der Folge, daß dieser auch Verträge gegen dessen hypothetischen Willen abschließen kann.97 Der Kauf einer Spielzeugpistole wäre danach ebenso von der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters gedeckt wie die Luxusausgabe. Von diesem Ausgangspunkt ist die Zustimmung durch Überlassung der Mittel ausschließlich durch den Umfang der überlassenen Mittel begrenzt.98 94
I. E. auch Lindacher (Fn. 8), S. 540. Zur Bedeutung der gesetzlichen Auslegungsregeln bei der Auslegung von Willenserklärungen Palandt/Heinrichs/Ellenberger (Fn. 2), § 133 Rn. 22. 96 Lindacher (Fn. 8), S. 541; Soergel/Hefermehl (Fn. 31), § 110 Rn. 1; Harder NJW 1990, 857, 859. 97 Safferling RPfl 1972, 124, 125; Oertmann (Fn. 38), § 110 Anm. 4b; v. Tuhr (Fn. 39), § 59 VII Fn. 116. 98 Soergel/Hefermehl (Fn. 31), § 110 Rn. 4. 95
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Dabei wird aber übersehen, daß das Verfahren zur Ermittlung des Willens den Wortlaut der Erklärung nur als eines von mehreren Elementen kennt. Weiter zu berücksichtigen sind die Umstände, die zur Hingabe der Mittel führten und vor allem der mit dem Rechtsgeschäft, hier der Mittelhingabe, verfolgte Zweck.99 Jedes andere Ergebnis würde den Zweck des § 110 BGB unterhöhlen, die elterliche Sorge zu schützen.100 Da die Mittelhingabe eine konkludente Einwilligung der Eltern beinhaltet und diese Ausdruck der elterlichen Sorge ist, kommt es zunächst auf den allgemeinen mit der Mittelhingabe verfolgten Erziehungszweck i.S.v. Erlernen des Umgangs mit Geld an. Von dieser weiten Zwecksetzung wären zwar sowohl der Pistolenkauf als auch die Luxusausgabe gedeckt. Wichtige Begrenzungen ergeben sich aber weiter aus den gesetzlichen Vorgaben. Von vorneherein auszuscheiden sind Rechtsgeschäfte, die der gesetzliche Vertreter selbst im Rahmen seines Sorgerechts nicht vornehmen dürfte.101 Dazu gehört ein Verstoß gegen § 1666 BGB ebenso wie ein Verstoß gegen die §§ 1641 S. 1, 1804 BGB; wenn danach den Eltern Schenkungen in Vertretung des Minderjährigen grundsätzlich untersagt sind, können sie auch nicht dem Kind die Mittel für eine von ihm vorzunehmende Schenkung überlassen, es sei denn, daß es sich um eine Pflicht- oder Anstandsschenkung handelt (§ 1641 S. 2 BGB). Darüber hinaus muß es den Eltern möglich sein, die Verwendungsart der freien Mittel weiter zu begrenzen. Die Möglichkeit der Koppelung von Mittelhingabe und Zweckbestimmung ist bereits in § 110 Alt. 1 BGB angelegt. Schon das RG stellte fest: „Keinesfalls läßt sich sagen, daß der gesetzliche Vertreter nur die Wahl habe, entweder es bei der gesetzlichen Regel des § 107 BGB zu belassen oder mit Einräumung der freien Verfügungsgewalt nun alles und jedes gutzuheißen, was der Minderjährige mit den ihm überlassenen Mittel anzufangen für gut findet“.102 Maßgebend sind dabei nicht nur die Beschränkungen, die ausdrücklich oder konkludent mit der Mittelhingabe verbunden werden. Vielmehr sind alle Umstände bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts mit zu berücksichtigen 103 und zu fragen, ob sich daraus eine Beschränkung ergibt, das konkrete Rechtsgeschäft also nicht mehr vom Willen des gesetzlichen Vertreters gedeckt angesehen werden kann. Dafür ist auf den hypothetischen Willen des99 Allg. zum Verfahren bei der Auslegung Palandt/Heinrichs/Ellenberger (Fn. 2), § 133 Rn. 14 ff. 100 MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), § 110 Rn. 26; Lindacher (Fn. 8), S. 542. 101 RGZ 74, 234, 236; Staudinger/Knothe (Fn. 11), § 110 Rn. 14. 102 RGZ 74, 234, 236. 103 Daß dies der maßgebende Zeitpunkt ist, ergibt sich bereits daraus, daß bis dahin die Zustimmung von den Eltern widerrufen werden kann (§ 183 Abs. 1 S. 1 BGB). OLG Celle NJW 1970, 1850, 1851; Staudinger/Knothe (Fn. 11) § 110 Rn. 14. Daß entgegen § 131 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 BGB der Widerruf bereits mit Zugang beim Minderjährigen wirksam wird, wird man aus der Zustimmung als Ausdruck der elterlichen Sorge ableiten können.
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selben im Zeitpunkt des Bargeschäfts abzustellen.104 Das RG hat im sog. Lotterielosfall die Sicht des Berufungsgerichts gestützt, wonach „der in einfachen Verhältnissen lebende Vater (…) niemals damit einverstanden gewesen (wäre), daß der 17jährige, eine Unterrichtsanstalt besuchende Kläger den durch Ankauf eines Lotterieloses aus seinem geringen Taschengelde ihm zugefallenen großen Gewinn zum Ankaufe eines Kraftfahrzeuges und zum Betriebe eines kostspieligen, auch sittliche Gefahren aller Art mit sich bringenden Sports verwende“.105 In die Prüfung des hypothetischen Willens einzubeziehen ist der allgemeine Erziehungszweck, der mit der Hingabe von Taschengeld verbunden wird, was zur Folge haben kann, daß im Einzelfall auch Luxusausgaben als von der Zustimmung der Eltern gedeckt angesehen werden können, denn die Hingabe von Geld für unnütze Dinge bedeutet einen Verzicht auf nützliche und diese Erfahrung gehört zum Haushalten und dem Umgang mit Geld dazu.106 2. Die Bestimmung der Grenzen aus der Perspektive des Erklärungsempfängers Fraglich bleibt, auf wen zur Bestimmung der Reichweite der elterlichen Zustimmung im Einzelfall abzustellen ist. Das RG stellte in der besagten Entscheidung darauf ab, ob der Vertragspartner die beschränkte Tragweite der väterlichen Zustimmung erkannt hat oder hätte erkennen müssen.107 Damit hebt es aber das Interesse der Verkehrssicherheit in den Vordergrund, obwohl, wie dargelegt (unter II.3.), das Vertrauen des Dritten darauf, daß die Mittelverwendung durch den Minderjährigen vom Willen des gesetzlichen Vertreters gedeckt ist, nur schutzwürdig ist, wenn es nicht mit dem vorrangigen Minderjährigenschutz- und Erziehungszweck kollidiert (oben unter II.). Da in der Mittelhingabe eine konkludente Zustimmung gegenüber dem Minderjährigen liegt, ist auf den objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) des Minderjährigen abzustellen.108 Damit fließen in die Auslegung der Zustimmung auch die Erziehungsziele und Wertvorstellungen der Eltern hinein, die dem Minderjährigen bekannt sind oder die er hätte kennen müssen.109 Nur in diesem Rahmen ist er in seinem Bestreben nach wirtschaftlicher Entfaltungsfreiheit schutzwürdig. Je nach dem Einzelfall kann also alles von Zigaretten bis zum Playboy erfaßt oder umgekehrt schon eine Hip-
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Lindacher (Fn. 8), S. 543. RGZ 74, 234, 236. 106 Lindacher (Fn. 8), S. 543. 107 RGZ 74, 234, 236; so auch OLG Hamm VersR 1954, 218, 219. 108 Faust (Fn. 33), § 18 Rn. 31; MünchKomm/Busse (Fn. 9), § 133 Rn. 12. 109 MünchKomm/Schmitt (Fn. 9), § 110 Rn. 27; Faust (Fn. 33), § 18 Rn. 32; Lindacher (Fn. 8), S. 542; Erman/Palm (Fn. 36), § 110 Rn. 3; Staudinger/Knothe (Fn. 11), § 110 Rn. 14. 105
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Hop-CD als Schundmusik ausgeschlossen sein.110 Dementsprechend hat das AG Freiburg den Spielzeugpistolenkauf nicht unter § 110 BGB subsumiert, weil dem Minderjährigen von vorneherein klar war, daß sich die Überlassung des Taschengeldes nicht auf den Kauf einer solchen Spielzeugwaffe erstreckte; gerade deshalb hatte er den Kauf auch insgeheim getätigt.111
VI. Fazit Das Taschengeld gibt dem Minderjährigen eine wichtige Möglichkeit, sich im selbstbestimmten und selbst verantworteten Handeln zu üben. Zugleich haben die Eltern mit der Mittelhingabe die Möglichkeit, Erziehungsziele zu erreichen. Den Spagat zwischen dem mit zunehmendem Alter wachsenden Autonomiebestreben des Minderjährigen (vgl. nur § 1626 Abs. 2 BGB) und dem Erziehungsrecht der Eltern hat der Gesetzgeber in § 110 BGB dahingehend entschieden, daß im Regelfall die Zustimmung zum Verpflichtungsgeschäft unter dem Vorbehalt der Erfüllung steht. Eine darüber hinausgehende Zustimmung der Eltern zum Abschluß von Kreditgeschäften wird man in der Regel nur annehmen können, wenn es um Rechtsgeschäfte des Minderjährigen geht, die die Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht auch selbst hätten vornehmen müssen.
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Faust (Fn. 33), § 18 Rn. 32. AG Freiburg NJW-RR 1999, 637 f.
Sachgrundlos befristete Arbeitsverträge – Eine Rechtsfigur zum Abbau des Arbeitnehmerschutzes? Herbert Wiedemann I. Thema Die deutsche Rechtswissenschaft ist vornehmlich eine Wissenschaft der Rechtsanwendung.1 Sie beschäftigt sich mit den geltenden Rechtsnormen, mit dem Inhalt, den sie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfahren hat oder erfahren sollte. Zustimmung und Ablehnung, Analyse und Kritik knüpfen an „große“ Einzelentscheidungen oder an eine ständige Rechtsprechung an, in denen das Tatsachenmaterial und die jetzt maßgebliche rechtliche Beurteilung aufbereitet sind. Da es traditionell zu einem Meinungsaustausch zwischen den Fachsenaten der Revisionsgerichte und den Fachvertretern in den Universitäten kommt, bleibt die wissenschaftliche Arbeit praxisbezogen – der Vorwurf der Lebensfremdheit ist selbst lebensfremd – und die Rechtsprechung system- und prinzipiengebunden.2 Die traditionelle Symbiose zeigt sich auch in der Ausrichtung der klassischen Methodenlehre.3 Eine Rechtsanwendungslehre stößt an ihre Grenzen, wenn es gilt, Rechtsvergleichung als Erkenntnisquelle zu erschließen und erst recht, wenn es gilt, die Nachbarwissenschaften für die Rechtsfindung fruchtbar zu machen. Wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Gesetzesvorhaben, zur Gesetzesentstehung oder zu der Abfolge immer häufiger werdender Gesetzesreformen sind verhältnismäßig rar. Freilich wurden und werden die Kodifikationen und andere grundsätzliche Regelungswerke in der Öffentlichkeit, insbesondere bei den Deutschen Juristentagen, diskutiert und zusätzlich in wissenschaftlichen Tagungen und Symposien zur Kritik gestellt. Manche für das Arbeits- und
1 Vgl. zur Rechtsfindung als Aufgabe der Rechtswissenschaft neben der Rechtsanwendung Dreier Zum Selbstverständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft (1971), 2. Abschnitt in: Recht Moral Ideologie; Larenz Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1966), S. 22. 2 Vgl. zuletzt Fleischer in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft (im Erscheinen). 3 Vgl. Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991); Larenz/Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl. 1995).
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Wirtschaftsrecht bedeutsame Neuigkeit erscheint allerdings unvermutet in einem Artikelgesetz. Vor allem aber setzt sich der politische Einfluß schon bei der Vorbereitung der Gesetze in den Ministerien durch, so daß sachlich vielleicht angemessenere Alternativen die parlamentarische Ebene nicht mehr erreichen. Ein späterer Streit um die Vereinbarkeit mit dem Verfassungs- und dem Gemeinschaftsrecht kann den Sachdialog nicht ersetzen. Als Beispiel soll hier die Entwicklung der Gesetzgebung zu den sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen aufgegriffen werden. Sie beinhaltet eine Korrektur des mit dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts eingeführten Richterrechts, wonach die wirksame Begründung eines befristeten Arbeitsverhältnisses einen in § 620 BGB (a.F.) nicht aufgeführten sachlichen Grund voraussetzt. Der Große Senat begründete seine Entscheidung zur Eingrenzung befristeter Verträge bekanntlich mit der sonst drohenden Gefahr der Umgehung des Kündigungsschutzes: der Zeitvertrag sollte objektiv im Interesse des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers erforderlich sein. Die Betrachtung des Rechtsinstituts als Komplementärfigur zum Kündigungsschutz brachte es mit sich, eine Gerichtskontrolle auch bei einmaliger Befristung durchzuführen; sie beschränkte andererseits den personellen Geltungsbereich auf das jeweils geltende Kündigungsschutzrecht. In der Folge wurden viele Sachgründe im begrenzten Arbeitsbedarf, in der Tätigkeit des Mitarbeiters oder in seiner Person als für die Befristung tragend anerkannt und systematisiert und die Rechtssicherheit in diesem Sachbereich hergestellt. Die Zeit der bloßen Mißbrauchskontrolle von „Kettenarbeitsverträgen“ schien ganz überwunden zu sein. 1985, also noch vor der Zeit der großen Arbeitslosigkeit, hob der Gesetzgeber das entstandene Richterrecht teilweise auf und führte im ersten Beschäftigungsförderungsgesetz die berechtigte sachgrundlose Befristung (wieder) ein. Das geschah zunächst zögernd und zeitlich auf fünf Jahre beschränkt, wurde dann aber erst zeitlich und später auch sachlich erweitert und im Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 31. Dezember 2000 seinerseits von der Befristung befreit. Die weitere Entwicklung enthielt einen neuen Akzent als der Europäische Gerichtshof die Zulässigkeit der generell grundlosen Altersbefristung für gemeinschaftsrechtswidrig erklärte.4 Das Bundesarbeitsgericht schloß sich dem Verdikt an 5 und der Gesetzgeber mußte § 14 Abs. 3 TzBfG neu fassen.6
4 EuGH 22.11.2005, Slg. 2005 I, S. 9981 (Mangold) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 2000/78/EG (Wiedemann). 5 BAG 26.4.2006 AP Nr. 23 zu § 14 TzBfG. 6 BGBl. I, 538 v. 19.4.2007.
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II. Begründung der sachgrundlosen Befristungsverträge 1. Entwicklungsstufen Mit der Kehrtwende im BeschFG 1985 wollte der Gesetzgeber den Abschluß befristeter Arbeitsverträge mit arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmern und mit Jugendlichen unmittelbar nach Beendigung ihrer Ausbildung erleichtern. Die Sonderform sollte als „Überbrückungshilfe“ dienen und nach Möglichkeit in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einmünden – ein Gesetzeszweck, der sich allerdings im Gesetz selbst nicht niedergeschlagen hat. Einleitung BT-Drucks. 10/2102, S. 16: „Die Regelung dient dazu, zusätzliche Beschäftigungschancen zu schaffen. Für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1991 wird der Abschluß befristeter Arbeitsverträge erleichtert. Dies soll die Arbeitgeber zum Angebot befristeter Arbeitsverträge an zur Zeit arbeitslose Arbeitnehmer auch in solchen Fällen veranlassen, in denen sie heute Überstunden vereinbaren oder sonstige Maßnahmen treffen, die keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen.“ Bemerkenswert zu dieser Begründung ist zunächst, welche rechtspolitischen Anliegen und methodischen Konsequenzen sie anspricht und welche nicht. Im BeschFG wird ja nicht nur dem Interesse der Arbeitslosen an einem Arbeitsplatz Rechnung getragen, sondern auch das Interesse der Arbeitgeber an der vorübergehenden Nutzung von Arbeitskräften ohne Bestandsschutz als berechtigt anerkannt. Da dem deutschen Kündigungsschutzrecht vorgeworfen wird, es sei (zu) belastend, erschien es dem Gesetzgeber angezeigt, den Arbeitsmarkt im allgemeinen Interesse zu liberalisieren. Methodisch ist hervorzuheben, daß der Gesetzgeber schon mit dem BeschFG 1985 das Richterrecht, das er korrigierte, im Übrigen in seinen Willen aufnahm und bestätigte.7 Diese Anerkennung wurde später ausdrücklich in § 14 Abs. 1 TzBfG wiederholt. Das BeschFG wurde 1991 und 1996 8 jeweils um weitere fünf Jahre verlängert. Die Regierung berief sich auf den Erfolg der bisherigen Regelungen und attestierte den Unternehmen einen sozialverträglichen Einsatz der neu eröffneten Abschlußfreiheit. Sie stützte sich dabei auf ein ihr im Jahre 1992 von der Infratest-Sozialforschung, München, erstelltes Gutachten. Die Reform von 1996 brachte inhaltlich eine drastische Änderung und verzichtete für den Hauptfall der sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge auf die bisher benutzten objektiven Anknüpfungen der Arbeitslosigkeit oder Neueinstellung; gleichzeitig wurde der Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers auf zwei Jahre und dreimalige Verlängerung erweitert. Für ältere Arbeitnehmer sah 7 8
Ebenso Dörner Der befristete Arbeitsvertrag (3. Aufl. 2004), Rn. 21 f. Vgl. BT-Drucks. 12/6719, S. 11 v. 1.2.1994.
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das BeschFG erstmals von weiteren Tatbestandsmerkmalen neben dem Alter von zunächst 60 Jahren ganz ab. Als das letzte BeschFG im Jahr 2000 auslief, waren die rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Umstände verändert. Es gab eine neu zusammengesetzte Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit war in bedrohlicher Weise weiter gestiegen und der europäische Gesetzgeber hatte – auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung der Sozialpartner – die Richtlinie 1999/70/EG über befristete Arbeitsverhältnisse erlassen. Letztere enthält eine bindende Rangordnung zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverhältnissen: Erwägungsgrund 6: „Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Sie tragen zur Lebensqualität der betreffenden Arbeitsnehmer und zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit bei“. § 5 Rahmenvereinbarung der Sozialpartner: „Um Mißbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedsstaaten … eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen: a) sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen; b) die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder -verhältnisse; c) die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.“ Aus Anlaß der Umsetzung von Richtlinien schuf der nationale Gesetzgeber im TzBfG ein legislatives Revier für die Teilzeitarbeit und für befristete Arbeitsverträge, dem das Regel-Ausnahme-Verhältnis von unbefristeten und befristeten Arbeitsverhältnissen gedanklich zugrunde liegt. Im Gesetz selbst kommt dies allerdings nur mittelbar in § 16 S. 1 TzBfG zum Ausdruck.9 Die Einstufung der sachgrundlosen Befristung als (Unter)ausnahme wird von vornherein abgelehnt. Die sachgrundlose Befristung wird vielmehr im Text und in den Materialien der sachlich begründeten Befristung formal gleichwertig an die Seite gestellt 10 und der Charakter der Regelung als Maßnahmegesetz wird ganz fallen gelassen. Solange man sich der Herkunft der sachgrundlosen Befristungsverträge aus einer zeit- und zweckgebundenen Ausnahmeregel bei der Anwendung des § 14 Abs. 2 TzBfG bewußt bleibt, ist das nicht bedenklich. 9 Vorbildlich in der Systematik Henssler/Preis Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes und NZA 2007 Beilage zu Heft 21, § 22. 10 Vgl. § 14 TzBfG und dazu die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/4374, S. 14 v. 24.10.2000.
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Für einige Zeit schien das Rechtsgebiet mit dem Erlaß des TzBfG befriedet zu sein – bis zwei Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit zeigten, daß die wirtschaftlichen und politischen Spannungen weiterleben. Das wurde blitzartig durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2005 erhellt, in dem er die deutsche Regelung der freien Altersbefristung als mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärte. Das Urteil stieß in- und außerhalb des Gerichtshofs auf zum Teil heftige Kritik.11 Auch wenn der Widerspruch vordringlich der Inanspruchnahme der Zuständigkeit galt,12 ist das Grollen über die Ausdehnung der Diskriminierungsverbote nicht zu überhören. Auf die Entscheidung ist später nochmals zurückzukommen. Ein zweites Mal wurde die Brüchigkeit der sachgrundlosen Befristungsregeln im Zusammenhang mit den Vereinbarungen der Großen Koalition ebenfalls im November 2005 offenkundig, als man sich darauf verständigte, den § 14 Abs. 2 TzBfG abzuschaffen. „CDU, CSU und SPD werden das Kündigungsschutzrecht mit dem Ziel weiterentwickeln, zum einen mehr Beschäftigung zu ermöglichen und zum anderen die Schutzfunktion des Kündigungsschutzes für bestehende Arbeitsverhältnisse nachhaltig zu sichern. Zugleich wollen wir mehr Transparenz und mehr Rechtssicherheit für Beschäftigte und Arbeitgeber schaffen. Wir werden daher auf der einen Seite die Möglichkeit streichen, Arbeitsverträge in den ersten 24 Monaten sachgrundlos zu befristen. Gleichzeitig geben wir dem Arbeitgeber bei der Neueinstellung die Option an die Hand, anstelle der gesetzlichen Regelwartezeit von sechs Monaten bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses für den Einzustellenden eine Wartezeit von bis zu 24 Monaten zu vereinbaren …“ Der Vorschlag fand wenig Zustimmung; 13 die Regierung hat ihn deshalb bis heute nicht weiter verfolgt. Die Koalitionsvereinbarung zeigt, daß gegen den Grundfall der ohne Sachgrund befristeten Arbeitsverträge rechtspolitische Bedenken bestehen, daß eine Gesetzesänderung jedoch mit erheblichem Widerstand rechnen muß. 2. Sachgrundlose Verträge Die Bezeichnung der vereinfacht abgeschlossenen Befristungsverträge als „sachgrundlos“ sollte nicht mißverstanden werden. Die Arbeitsverträge werden auch hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung nicht ohne sachlichen Anlaß 11 Vgl. die Schlußanträge des Generalanwalts Mazák in der Rs C-411/05 (Palacios de la Villa); Kuras RdA 2007, S. 169; Preis NZA 2006, S. 401, 407; Streinz/Herrmann RdA 2007, S. 165; vgl. jetzt EuGH v. 16.10.2007, NZA 2007, S. 1219 und dazu Bauer/Krieger NJW 2007, S. 3672; Temming NZA 2007, S. 1193. 12 Zu den Wirkungen von Richtlinien in der Rechtsprechung des EuGH von Danwitz JZ 2007, S. 697, 700, 703 ff. 13 Eingehend kritisch dazu Hanau ZIP 2006, S. 153, 154 ff.
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oder gar willkürlich eingegangen – ebensowenig wie es sachgrundlose Hauptversammlungsbeschlüsse einer börsennotierten Aktiengesellschaft gibt.14 Mit diesem Begriff soll zum Ausdruck gebracht werden, daß bei einem Streit über die Wirksamkeit die für das Rechtsgeschäft maßgebenden Sachgründe nicht vorgetragen werden müssen und vom Gericht nicht auf ihre Angemessenheit überprüft werden können. „Ohne Vorliegen eines Sachgrundes“ heißt also, ohne Nachweis einer sachlichen Rechtfertigung. Die Rechtsfigur des sachlichen Grundes taucht weit über den Gleichheitssatz und den Diskriminierungsschutz hinausgehend überall dort auf, wo die Rechtsordnung einzelne Personen oder Personengruppen besonderen Schutz gewährt; sie ist daher nicht zufällig im Arbeitsrecht 15 wie im Gesellschaftsrecht 16 beheimatet. Der Sachgrund erfüllt in diesem Zusammenhang zwei Aufgaben: der belastete Vertragspartner erhält die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung und die Inhaltskontrolle ist in einem breiten – aber durch den Sachzusammenhang begrenzten – Spielfeld zwischen Gesetz und Sittenwidrigkeit einerseits und dem Erfordernis eines wichtigen Grundes andererseits möglich. Der häufig gegen die sachliche Rechtfertigung erhobene Einwand, es genüge im Privatrecht, auf die Generalklauseln der §§ 134, 138, 242 BGB zurückzugreifen, überzeugt mich nicht, weil er entweder bewußt oder unbewußt das Schutzbedürfnis zurückdrängen möchte oder die schärfsten Waffen der Rechtsordnung verwässert – im übrigen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kein denknotwendiger Bestandteil einer gerichtlichen Inhaltskontrolle. Die Ausnahme von der Voraussetzung eines Sachgrundes entzieht dem Arbeitnehmer die Chance gerichtlichen Rechtsschutz zu finden und auf diesem Weg seinen Arbeitsplatz auf Zeit zu sichern. Ob das in dem vom geltenden § 14 Abs. 2 TzBfG vorgezeichneten Umfang auf Dauer zu vertreten ist, läßt sich, wie die Koalitionsvereinbarung zeigt, überdenken. Der Gesetzgeber ging in seinen Begründungen davon aus, die Beschäftigungsschancen von arbeitslosen Personen ließen sich durch Freigabe unkontrollierter Befristungsverträge in bestimmtem Umfang nachhaltig verbessern, ein in der Zeit der großen Arbeitslosigkeit gerechtfertigtes Unterfangen. Die geänderte Wirtschaftslage erfordert indes eine Neueinschätzung, ob sich ein beschäftigungspolitischer Anreiz heute nicht auch mit milderen Mitteln herbeiführen läßt. Es genügt Sachgründe geringeren Gewichts oder spezifischer Ausrichtung einzuführen, um Arbeitslose wieder in „Lohn und Brot“ zu bringen. Ein gutes Beispiel für die Anerkennung von Sondersituationen geben die 14 Vgl. BGHZ 138, S. 71, 76 AG: Sachsenmilch; BGHZ 153, S. 47 AG: Macroton. In jüngster Zeit fordert der II. Zivilsenat das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Anerkennung einer Hinauskündigungsklausel; vgl. BGH ZIP 2007, 1309 (GbR). 15 Vgl. dazu ausführlich Feuerborn Sachliche Gründe im Arbeitsrecht. Konkretisierung des normativen Rechtsbegriffs zwischen Vertragsfreiheit und Arbeitsnehmerschutz (2003), S. 539 ff. 16 BGHZ 71, S. 40, 44, 45 AG: Kali + Salz.
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gesetzlich geregelten Arbeitsverträge mit wissenschaftlichen Mitarbeitern und Hilfskräften in den Universitäten und Wissenschaftsorganisationen (früher nach § 57a/b HRG, heute nach § 2 WissZeitVG). Die für Ausbildung und Qualifizierung geeigneten Arbeitsplätze sind knapp und sollen im Interesse der akademischen Berufe möglichst vielen jüngeren Kollegen und Kolleginnen zur Verfügung gestellt werden. Von sachgrundlosen Befristungen kann man daher nicht sprechen. Nach diesem Modell lassen sich auch andere Fälle behandeln. Als Befristungsgrund kommt etwa die besonders hohe Arbeitslosigkeit in einer Gemeinde oder in einer Region in Betracht oder die Schieflage eines Unternehmens vor und in der Insolvenz. Schließlich muß die Ausgestaltung der sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge mit den allgemeinen, insbesondere den verfassungsrechtlichen Wertungen übereinstimmen. Wenn das Bundesverfassungsgericht 17 in seiner neueren Rechtsprechung den Schutzauftrag aus Art. 12 Abs. 1 GG und aus dem Sozialstaatsprinzip ableitet, allen Arbeitnehmern ein Mindestmaß an Bestandsschutz zu gewähren, und wenn dieser Auftrag in § 1 KSchG und in § 14 Abs. 2 TzBfG vom Gesetzgeber ausgeführt wurde, muß die Ausnahme vom arbeitsrechtlichen Schutzprinzip, wenn überhaupt, nur streng nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz möglich sein. Dem entspricht es, den Nachweis konkreter Sachgründe zu verlangen, weil sie mit der Rechtsschutzgewährung das mildere Mittel darstellen und den Belangen des Arbeitgebers und seines Unternehmens nicht wesentlich geringer Rechnung tragen. Die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liegende Wertung wird von der revidierten Europäischen Sozialcharta, wenn sie von der Bundesrepublik ratifiziert sein wird, zusätzlich unterstützt. Nach Art. 24 der rev. ESC verpflichten sich die Vertragspartner, in ihrer Rechtsordnung den Kündigungsschutz entweder dadurch zu gewährleisten, daß die Kündigung „nicht ohne triftigen Grund“ wirksam erklärt werden kann, oder dadurch, daß eine (sachgrundlose) Kündigung des Arbeitsvertrages mit einer angemessenen Entschädigung oder einem anderen zweckmäßigen Ausgleich sanktioniert wird.18
III. Sonderformen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge 1. Benachteiligung älterer Arbeitnehmer Da der Europäische Gerichtshof die frühere Fassung des § 14 Abs. 3 TzBfG für mit der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar erklärte 19, hat der deutsche Gesetzgeber die Ausnahmevorschrift für ältere Arbeitnehmer neu 17 BVerfGE 77, S. 84, 116; BVerfGE 84, S. 133, 146 f.; BVerfGE 97, S. 169, 179; zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Dieterich AuR 2007, S. 65, 67. 18 Vgl. zur Begründung aus den Erläuterungen des Europarates (Explanatory Report) zu Art. 24 rev. ESC Rn. 86: „The provision has been inspired by ILO Convention No. 158 (Termination of Employment) of 1982“, Art. 8. 19 EuGH 22.11.2005, Slg. 2005 I, S. 9981.
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gefaßt und am 1. März 2007 in Kraft gesetzt. Dabei hält er an seinem Grundsatz fest: mit 52 beginnt das Alter(n). Um die Bedenken der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit auszuräumen, wird die Zulässigkeit jetzt von zwei weiteren Tatbestandsvoraussetzungen neben dem Alter abhängig gemacht: die kalendermäßige Befristung setzt voraus, daß der Arbeitnehmer vor Beginn des Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos war und der Vertrag eine Laufzeit von fünf Jahren nicht überschreitet.20 Die Neuaufnahme der persönlichen und zeitlichen Zusatzmerkmale wird wie folgt begründet: RegE BT-Drucks. 16/3793, S. 19: „Die Neuregelung erfüllt diese Anforderungen. Die besonders schwierige Arbeitsmarktsituation der von der Regelung erfaßten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab dem 52. Lebensjahr rechtfertigt die Zulassung befristeter Arbeitsverträge als Mittel der beruflichen Eingliederung in Abweichung vom Regelfall der unbefristeten Beschäftigung. (…) Ausschlaggebend für die gewählte Grenze ist vielmehr, daß die Beschäftigungssituation der Jüngeren im Allgemeinen weniger schwierig ist als die der Älteren. Ausgehend davon kann der Gesetzgeber aufgrund der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative typisierend den persönlichen Geltungsbereich der Regelung festlegen.“ Ob sich die Neuregelung in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2000/78/ EG und deren Art. 6 befindet, ist offen. Die strengen Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs in der Entscheidung vom 22. November 2005 21 erfüllen sie nicht.22 Das Urteil sagt ausdrücklich: EuGH 22.11.2005, Slg. 2005 I, S. 9981, Rz. 65: „Solche Rechtsvorschriften gehen insofern, als sie das Alter des betroffenen Arbeitnehmers als einziges Kriterium für die Befristung des Arbeitsvertrags festlegen, ohne daß nachgewiesen wäre, daß die Festlegung einer Altersgrenze als solche unabhängig von anderen Erwägungen im Zusammenhang mit der Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes und der persönlichen Situation des Betroffenen zur Erreichung des Zieles der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer objektiv erforderlich ist, über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist. Die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bedeutet nämlich, daß bei Ausnahmen von einem Individualrecht die Erfordernisse des Gleichbehandlungsgrundsatzes so weit wie möglich mit denen des angestrebten Zieles in Einklang gebracht werden müssen.“ 20 Dazu ausführlich Bader Sachgrundlose Befristungen mit älteren Arbeitnehmer/innen neu geregelt, NZA 2007, S. 713; Schiefer/Köster/Korte Betrieb 2007, S. 1081. 21 EuGH 22.11.2005, Slg. 2005 I, S. 9981 (Mangold) = AP Nr. 1 zu Richtlinie 2000/ 78/EG. 22 Zurückhaltend auch Bayreuther BB 2007, S. 1113; Kast/Herrmann BB 2007, S. 1841, 1843.
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Die Einschätzung der Rechtsfigur der sachgrundlosen Befristung durch den Gerichtshof ist eindeutig mißbilligend. In der Begründung werden die Elemente aufgezeigt, die für eine „Typisierung“ angemessen sind, nämlich ein sachliches und ein persönliches Kriterium, die beide jeweils der Kontrolle des nationalen Gerichts unterliegen können. Ist regional eine besonders hohe Arbeitslosigkeit festzustellen oder gehört der Arbeitnehmer zur Gruppe von Langzeitarbeitslosen oder schwer zu vermittelnden Personen, so soll bei älteren Arbeitnehmern vom Vorliegen eines Sachgrundes im übrigen abgesehen werden. Nach meinem Eindruck klingt in der Begründung des Europäischen Gerichtshofes eine Überlegung an, die bisher wenig bedacht wurde, daß nämlich eine sachgrundlose Altersbefristung die Position aller älteren Arbeitnehmer, auch der Inhaber von Arbeitsplätzen, erschüttert. Das früher geltende deutsche Recht nährte das Vorurteil, alte Leute seien nur noch begrenzt einsatzfähig – ein jetzt langsam überwundener Standpunkt.23 Folgt man dem, so liegt es nahe, auf das Tatbestandsmerkmal des Alters in diesem Zusammenhang ganz zu verzichten. Die beiden Sachgründe: regionale und branchenspezifische Arbeitsmarktlage sowie die persönlichen Umstände: schwere Vermittelbarkeit oder langdauernde Arbeitslosigkeit finden sich gehäuft nicht nur bei älteren, sondern auch bei jüngeren – gerade die Ausbildung beendenden – Personen. Der Gesetzgeber betont mit Recht, daß es gilt, ihre Beschäftigungschancen nach Möglichkeit zu verbessern, die aber durch eine Gerichtskontrolle der genannten objektiven Merkmale nicht stärker beeinträchtigt werden, als durch die zur Zeit allgemein geltenden gesetzlichen Vorschriften zur Befristung von Arbeitsverträgen. 2. Sonderstellung wissenschaftlicher und künstlerischer Tätigkeit Das Recht der Zeitverträge für wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter und Hilfskräfte in Hochschulen und Forschungsorganisationen entwickelte sich aus einer einfachen tarifvertraglichen Ausnahmebestimmung zu einem kleinen Sonderarbeitsrecht, dem der Bundesgesetzgeber jetzt ein eigenes „Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft“ vom 12. April 2007 24 widmete.25 Mit der Neuregelung änderte sich auch die Zielrichtung etwas. Die §§ 57a/b HRG beruhten auf der Einsicht, daß die Mitarbeit in den Hochschulen und in den Forschungseinrichtungen der persönlichen Förderung einer möglichst großen Zahl jüngerer Akademiker – nach
23 Vgl. Fredman/Spencer (eds.), Age as an Equality Issue. Legal and Policy Perspectives (2003); Hendriks Legislation to Combat Age Discrimination in the Labour Market, ZIAS 2006, S. 146 ff. 24 BGBl. I, S. 506 v. 17.4.2007. 25 Eingehend dazu Kortstock ZTR 2007, S. 350; Löwisch NZA 2007, S. 478.
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Abschluß oder zur Vertiefung ihres Studiums – dienen sollte.26 Belange des wissenschaftlichen Mitarbeiters oder der wissenschaftlichen Hilfskraft decken sich mit dem Allgemeininteresse des Berufsstandes. Daß die Tätigkeit auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs und der Forschung selbst zugute kommt, ist nicht zu übersehen. Das Bundesverfassungsgericht betonte bei seiner Überprüfung der Vereinbarkeit des Hochschulrechts mit dem Grundgesetz diesen letzten Gesichtspunkt, um sich auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen zu können27, und der Bundesgesetzgeber hat diesen Gedanken dann bei seiner Neuregelung im WissZeitVG besonders in den Vordergrund gerückt. Im Ergebnis sind es jedenfalls mehrere triftige Gründe, die das wissenschaftliche proprium rechtfertigen. Derart bestätigt, erweiterte der Gesetzgeber den persönlichen Geltungsbereich der Zeitverträge in § 7 WissZeitVG nochmals auf Arbeitsverträge nicht wissenschaftlichen Personals, das im Rahmen eines drittmittelgeförderten Forschungsvorhabens tätig wird; das Schrifttum spricht sich darüber hinaus für eine Erstreckung auf Lehrbeauftragte mit besonderen Aufgaben aus.28 Es liegt auf der Hand, daß es sinnvoll ist, Verwaltungspersonal und technische Hilfskräfte in den Zeitrahmen eines Forschungsprojekts einzugliedern, wenn Drittmittel – was selten zutrifft – auch für diesen Zweck zur Verfügung stehen. Die Zuständigkeit des Gesetzgebers für solche Sonderkonditionen läßt sich als mittelbare Unterstützung der Wissenschaft und damit als durch Art. 5 Abs. 3 GG gerechtfertigt betrachten. Für die große Zahl der Sprach- und Musiklehrer und andere Lehrkräfte zur Vermittlung praktischer Kenntnisse und Erfahrungen in den Hochschulen gilt dies nicht. Ihre Tätigkeit stellt eine wertvolle und unentbehrliche Ergänzung zur Bewältigung der Lehr- und Prüfungsaufgaben in der Universität oder in einer Akademie dar – aber eben als Bestandteil des Lehrkörpers. Wenn das Gesetz im § 1 Abs. 1 WissZeitVG von „Personal“ und nicht mehr von wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern oder Hilfskräften spricht, wie noch der Regierungsentwurf, so sollte etwa abweichenden Bezeichnungen in späteren Hochschulgesetzen der Länder nicht vorgegriffen, aber die Zielsetzung des Gesetzes nicht erweitert werden. Für Lektoren wie für andere angestellte Lehrkräfte bleibt es bei der Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge nach § 14 Abs. 1 TzBfG, also auf der Basis eines die zeitliche Begrenzung tragenden Sachgrundes.
26 27 28
Ebenso Staudinger/Preis 2002, § 620 BGB, Rn. 244. BVerfG 24.4.1996 AP Nr. 2 zu § 57a HRG. Ebenso Kortstock ZTR 2007, S. 350, 352; abweichend Löwisch NZA 2007, S. 479 ff.
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IV. Künftige Entwicklung Die Zulässigkeit sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge kann anläßlich einer Überarbeitung des TzBfG oder im Zusammenhang mit dem Erlaß eines allgemeinen Arbeitsvertragsgesetzes überdacht und neu ausgestaltet werden. (1) Soweit möglich, sollte der Katalog der Sachgründe um weitere objektive Tatbestände ergänzt werden, die bei den sachgrundlosen Befristungen heute überwiegend schon vorliegen, um den betroffenen Arbeitnehmern einen Mindestschutz zu gewähren. Hierher rechnen namentlich persönliche Merkmale wie Langzeitarbeitslosigkeit oder Sondersituationen des Arbeitgebers, der Branche oder des regionalen Arbeitsmarktes. (2) Auf eine Unterscheidung nach dem Alter – für jugendliche Arbeitnehmer nach der Ausbildung und für ältere Arbeitnehmer vor dem Ruhestand – kann dann ganz verzichtet werden. Was schließlich den Grundtatbestand der kontrollfreien Arbeitsverträge anlangt, hängt alles davon ab, in welchem Umfang man es für angemessen hält, auf Mindestanforderungen des Bestandsschutzes zugunsten des Arbeitgeberinteresses an einem Freiraum zur Gestaltung der Personalstruktur zu verzichten. Vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen sind auf Kurzzeitverträge angewiesen, um Schwankungen in der Produktion oder bei den Dienstleistungen ausgleichen zu können. Unter diesem Blickwinkel sollte man § 14 Abs. 2 TzBfG nicht gänzlich streichen, wohl aber in seiner Höchstdauer etwa auf ein Jahr und auf eine einmalige Verlängerung während dieses Zeitraumes zurückführen.
Zur innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Kommunikation von Arbeitnehmern Günther Wiese I. Gegenstand der Untersuchung Betriebe sind soziale Gebilde; in ihnen spielt sich immer noch das Zusammenleben der meisten Menschen ab. Sie ermöglichen eine Kommunikation aller Beteiligten, d.h. der Arbeitnehmer, des Arbeitgebers und des Betriebsrats. Kommunikation 1 ist die wichtigste Form sozialer Interaktion; sie ist primär gekennzeichnet durch ihre Mitteilungsfunktion und vollzieht sich als interpersonale Kommunikation unmittelbar von Mensch zu Mensch.2 Sie kann sich unterschiedlichster Mittel (mündliche oder schriftliche Äußerung, Verwendung moderner Kommunikationsmittel wie des Internets) bedienen; hier interessiert vor allem die Sprache. Das gilt für verbale Äußerungen innerhalb, aber auch außerhalb des Betriebes. Damit stellt sich die Frage, ob hierfür rechtliche Grenzen bestehen, wie umgekehrt zweifelhaft sein kann, ob in bestimmtem Umfang auch eine Rechtspflicht zur Äußerung besteht. Nicht zu erörtern sind die bei der Vertragsanbahnung weithin ausdiskutierten gegenseitigen Auskunftspflichten.3 Hier geht es allein um das bestehende Arbeitsverhältnis. Dahingestellt bleiben können auch die Grenzen von Meinungsäußerungen des Betriebsrats im Außenverhältnis, wozu an anderer Stelle ausführlich Stellung genommen wurde.4 Nicht behandelt werden schließlich Fragen des öffentlichen Dienstes und der Kommunikation mit Gewerkschaften (Art. 9 Abs. 3 GG).
1
Von communicatio = Mitteilung. Vgl. Lukasczyk Stichwort Kommunikation, in: Bernsdorf (Hrsg.) Wörterbuch der Soziologie, 2. Auflage 1969, S. 577. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion vgl. Scherr Stichwort Kommunikation, in: Schäfers/Kopp (Hrsg.) Grundbegriffe der Soziologie, 9. Auflage 2006, S. 134 ff. 3 Vgl. neuerdings Kaehler Das Arbeitgeberfragerecht im Anbahnungsverhältnis: Kritische Analyse und dogmatische Grundlegung, ZfA 2006, 519 ff. 4 Vgl. Wiese Zur Freiheit der Meinungsäußerung des Betriebsrats und seiner Mitglieder im Außenverhältnis, 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, 2004, S. 1125 ff. 2
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Günther Wiese
II. Meinungsfreiheit Als Grundsatz ist für folgende Überlegungen von dem durch Art. 5 Abs. 1 GG als lex specialis gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG 5 gewährleisteten Grundrecht der Meinungsfreiheit auszugehen. Das BVerfG 6 bezeichnet es als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, das für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend sei; es ermögliche erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement sei. Seit dieser im Lüth-Urteil enthaltenen grundsätzlichen Aussage zur Bedeutung der Meinungsfreiheit für unsere Rechtsordnung ist anerkannt, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch im Zivilrecht zu beachten ist. Das folgert das BVerfG 7 aus der den Grundrechten zu entnehmenden objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelte und selbstverständlich auch das bürgerliche Recht beeinflusse; keine bürgerlichrechtliche Vorschrift dürfe in Widerspruch zu ihm stehen, jede müsse in seinem Geiste ausgelegt werden. Das gelte vor allem für die zwingenden Vorschriften des Privatrechts und dessen Generalklauseln als „Einbruchstellen“ der Grundrechte in das bürgerliche Recht. Das bedeutet die Anerkennung einer lediglich mittelbaren Grundrechtswirkung im Rahmen des Privatrechts und damit auch für die arbeitsrechtlichen Rechtsbeziehungen der beteiligten Privatpersonen. Unerheblich ist, dass die Vorschrift des Art. 118 Abs. 1 Satz 2 WV, nach der die Ausübung der Meinungsfreiheit durch kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis gehindert werden durfte, nicht in das Grundgesetz übernommen worden ist.8 In dem hier diskutierten Zusammenhang folgt daraus zunächst, dass die Kommunikation der Beteiligten im Arbeitsleben von deren Meinungsfreiheit getragen wird.9 Das betrifft ohne Rücksicht auf die Form, die Motive, den Wert und die inhaltliche Richtigkeit der Äußerung Meinungen, Werturteile bis zur Grenze der Formalbeleidigung oder Schmähkritik und selbst Tatsachenbehauptungen, soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen 5 Vgl. BVerfG v. 22.6.1960, BVerfGE 11, 234 (238); v. 14.1.1969, BVerfGE 25, 44 (62); v. 15.1.1969, BVerfGE 25, 88 (101); v. 3.10.1969, BVerfGE 27, 71 (88); v. 23.3.1971, BVerfGE 30, 336 (351); Maunz/Dürig/Herzog Grundgesetz (Stand: Januar 1987), Art. 5 Abs. I, II Rn. 32a. 6 Vgl. BVerfG v. 15.1.1958, BVerfGE 7, 198 (208), st. Rspr. Vgl. hierzu sowie zum folgenden Text die umfassenden Nachweise zur Rechtsprechung des BVerfG bei Wiese 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (Fn. 4), S. 1125 (1129 f.). Zu ergänzen sind BVerfG v. 11.3.2002, BVerfGE 107, 275 (280 ff.); v. 23.6.2004, BVerfGE 111, 147 (154 f.); v. 24.5.2005, BVerfGE 113, 63 (78); v. 25.10.2005, BVerfGE 114, 339 (347 ff.). 7 Vgl. BVerfG aaO, S. 205 f. 8 Vgl. BAG v. 3.12.1954, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG Bl. 3 R, 4. 9 Vgl. auch BAG v. 13.10.1977, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 4.
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sind.10 Das gilt auch für innerbetriebliche und außerbetriebliche politische Meinungsäußerungen; 11 mit der elementaren Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG wäre es ungeachtet der durch die allgemeinen Gesetze gezogenen Schranken unvereinbar, die Freiheit der politischen Meinungsäußerung dem Bereich der betrieblichen Arbeitswelt schlechthin fernzuhalten.12 Damit ist eine mögliche Kommunikation gekennzeichnet. Problematischer ist die Bestimmung der zulässigen Grenzen der Meinungsfreiheit. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet diese ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Allgemeine Gesetze sind alle Gesetze, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sondern dem Schutz eines Gemeinschaftswertes dienen, der gegenüber der Meinungsfreiheit den Vorrang hat.13 Dabei müssen jedoch die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben führen muss, auf jeden Fall gewahrt bleibt.14 Mithin findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die „allgemeinen Gesetze“ zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.15 Diese Wechselwirkung ist nicht unproblematisch, aber jedenfalls für die Praxis maßgebend. Sie bedingt eine Güterabwägung und lässt das Recht der Mei10 Vgl. die Nachweise bei Wiese 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (Fn. 4), S. 1125 (1129). Zur Streitfrage, ob und inwieweit Tatsachenbehauptungen von Art. 5 Abs. 1 GG erfasst werden und ob eine Abgrenzung von Meinung und Bericht überhaupt möglich ist, vgl. Maunz/ Dürig/Herzog Grundgesetz (Stand: Dezember 1992), Art. 5 Abs. I, II Rn. 49 ff. 11 Vgl. BAG v. 23.2.1959, AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit Bl. 3; BAG v. 15.7.1971, AP Nr. 83 zu § 1 KSchG Bl. 1 R; BAG v. 9.12.1982, AP Nr. 73 zu § 626 BGB Bl. 3 R; Blomeyer Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Auflage 2000, § 53 Rn. 86; Buchner Meinungsfreiheit im Arbeitsrecht, ZfA 1982, 49 ff.; Schaub-Linck ArbeitsrechtsHandbuch, 11. Auflage 2005, § 53 Rn 21; Söllner „Wes Brot ich eß’, des Lied ich sing’“, FS Herschel, 1982, S. 389 (393 ff., 399 f.), zu Aufklebern, Anstecknadeln usw. Wiese Zur Freiheit des Arbeitnehmers bei der Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung sowie zu deren persönlichen Nutzung, FS Konzen, 2006, S. 977 (987 ff.). Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 BetrVG gilt nur für den Arbeitgeber, den Betriebsrat und die Betriebsratsmitglieder, nicht aber für die anderen Belegschaftsmitglieder; vgl. Wiese 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (Fn. 4), S. 1125 (1142) m.w.N. 12 So mit Recht BVerfG v. 28.4.1976, AP Nr. 2 zu § 74 BetrVG 1972 Bl. 2. 13 Vgl. BVerfG v. 15.1.1958, BVerfGE 7, 198 (209 f.). 14 Vgl. BVerfG aaO, S. 208. 15 Vgl. BVerfG aaO, S. 209. Vgl. auch BAG v. 12.1.2006, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 7 R.
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nungsäußerung nur zurücktreten, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Zu den allgemeinen Gesetzen gehören nach der Rechtsprechung des BAG 16 die Grundregeln über das Arbeitsverhältnis. Dazu zählt unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers als Nebenpflicht auch die sog. Treuepflicht des Arbeitnehmers,17 selbst wenn der Begriff belastet ist und besser dahin umschrieben wird, dass der Arbeitnehmer zu einem Gesamtverhalten verpflichtet ist, das darauf gerichtet ist, nach Maßgabe der übernommenen Funktion die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht zu schädigen und im Rahmen des Zumutbaren wahrzunehmen.18 Entscheidend ist, dass es dabei um Vertragstreue geht, deren Rechtsgrund die §§ 241 Abs. 2, 242 BGB sind. Der Arbeitnehmer ist daher wie in jedem Schuldverhältnis zur Rücksichtnahme auf die „Rechte, Rechtsgüter und Interessen“ des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) sowie zur Förderung des Vertragszweckes verpflichtet. Das BAG 19 spricht von dem Pflichtengebot, sich so zu verhalten, dass der Betriebsfrieden nicht ernstlich und schwer gefährdet wird, und dass die Zusammenarbeit im Betrieb mit den übrigen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber für diese zumutbar bleibt. Durch eine politische Meinungsäußerung müsse das Arbeitsverhältnis kon-
16 Vgl. BAG v. 3.12 .1954, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG Bl. 4 R; BAG v. 13.1.1956, AP Nr. 4 zu § 13 KSchG Bl. 4 R f.; BAG v. 23.2.1959, AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit Bl. 3; BAG v. 28.9.1972, AP Nr. 2 zu § 134 BGB Bl. 3; BAG v. 26.5.1977, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht Bl. 2 R; BAG v. 13.10.1977, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 4; BAG v. 9.12.1982, AP Nr. 73 zu § 626 BGB Bl. 3 R.; Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn. 84; Kissel Arbeitsrecht und Meinungsfreiheit, NZA 1988, 145 (146); Söllner (Fn. 11), S. 389 (393). A. M. Buschmann/DKK, 10. Auflage 2006, § 84 Rn. 3c; Schaub-Linck (Fn. 11), § 53 Rn. 19, die aber auch auf §§ 241 Abs. 2, 242 BGB abstellen; Wendeling-Schröder Autonomie im Arbeitsrecht, 1994, S. 173 ff., 240 f. 17 Ebenso BAG v. 21.1.2006, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 7 zu § 241 Abs. 2 BGB; LAG Bremen v. 15.3.1968, AP Nr. 56 zu § 626 BGB Bl. 2 R; Söllner (Fn. 11), S. 389 (393, 396 f.); Zöllner/Loritz Arbeitsrecht, 5. Auflage 1998, § 7 II 6. 18 Vgl. Wiese GK-BetrVG, 8. Auflage 2005, vor § 81 Rn. 12; ebenso ohne Nachweis BAG v. 13.2.2003, EzA § 618 BGB 2002 Nr. 1 S. 5 f. = AP Nr. 1 zu § 21 AVR Caritas-Verband Bl. 2 R. Zur Rücksichtspflicht vgl. auch BAG v. 3.7.2003, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 3 R m.w.N. sowie Wiese Der personale Gehalt des Arbeitsverhältnisses, ZfA 1996, 439 (459 ff.), zum Begriff „Treuepflicht“ daselbst S. 465 ff. 19 Vgl. BAG v. 3.12.1954, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG Bl. 4 R. Zum grundrechtskonformen Ausgleich der Rüchsichtspflicht und grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers im Rahmen des § 242 BGB vgl. BAG v. 3.7.2003, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 4, zur Pflicht zur Rücksichtnahme und Förderung des Vertragszweckes BAG v. 26.4.2004, AP Nr. 49 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 3 R; BAG v. 12.1.2006, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 6.
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kret berührt werden.20 Die erforderliche Interessenabwägung mag im Einzelnen schwierig sein und kann nicht allgemein beantwortet werden, weil es auf sämtliche Umstände des Einzelfalles ankommt.21 Auch hier können daher nur typische Problemgruppen behandelt werden. Dogmatisch lässt sich die Meinungsfreiheit für den Bereich des Privatrechts als Konkretisierung der aktiven Komponente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Betätigungsfreiheit) 22 kennzeichnen. Bei der für die Ermittlung seines Inhalts erforderlichen Interessenabwägung zwischen Treuepflicht und Meinungsfreiheit ist die grundsätzliche Bedeutung letzterer zu beachten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wirkt daher in seiner Konkretisierung als Meinungsfreiheit in zweifacher Hinsicht. Es berechtigt einerseits zur Kommunikation und begrenzt diese zugleich im Rahmen der Rechtsordnung.
III. Petitionsrecht Zur außerbetrieblichen Kommunikation des Arbeitnehmers ist auch auf das Petitionsrecht des Art. 17 GG hinzuweisen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass für die Geltung dieses Grundrechts im Bereich des Privatrechts keine anderen Grundsätze gelten können, als sie vom Bundesverfassungsgericht allgemein für die Anwendung von Grundrechten im Privatrecht entwickelt worden sind. Es ist daher auch für Art. 17 GG von einer nur mittelbaren Grundrechtsanwendung auszugehen.23 Die Ausstrahlungswirkung dieses Grundrechts ist deshalb insbesondere bei der Auslegung der Generalklauseln – hier vor allem der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB – angemessen zu berücksichtigen.
20 Vgl. BAG v. 15.7.1971, AP Nr. 83 zu § 1 KSchG Bl. 1 R; BAG v. 28.9.1972, AP Nr. 2 zu § 134 BGB Bl. 3 R; BAG v. 26.5.1977, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht Bl. 2 R. 21 Kriterien für bestimmte Fallgruppen entwickelt Söllner (Fn. 11), S. 389 (397 ff.). 22 Vgl. hierzu Wiese Persönlichkeitsrechtliche Grenzen sozialpsychologischer Experimente, Festschrift für Duden, 1977, S. 719 (732 ff.). 23 Im Ergebnis ebenso Buschmann/DKK (Fn. 16), § 84 Rn. 3c; Deiseroth AuR 2002, 161 (166); Graser (Fn. 51), S. 127; Müller NZA 2002, 424 (430 f.); Otto Anm. AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 8 R; Stein BB 2004, 1961 (1963); ders. Petitionsrecht, AR-Blattei SD 830.1 Rn. 22; unentschieden BAG v. 18.6.1970, AP Nr. 82 zu § 1 KSchG Bl. 2 R (A. Hueck); BAG v. 3.7.2003, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 4 R; LAG Düsseldorf v. 21.2.1974, DB 1974, 2164; Sasse/Stelzer ArbRB 2003, 18 (19). Ohne auf das Problem der Drittwirkung einzugehen, verneint Colneric Anm. AiB 1987, 261 (264 f.) Einschränkungen des Art. 17 GG durch § 242 BGB; vgl. auch Hinrichs Das Beschwerde- und Anzeigerecht des Arbeitnehmers, JbArbR Bd. 18 (1980), 1981, S. 35 (40).
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IV. Allgemeine Grenzen jeglicher Kommunikation 1. Verschwiegenheitspflicht Einigkeit besteht darüber, dass Arbeitnehmer ungeachtet spezieller Vorschriften wie § 17 UWG und § 116 AktG in Verbindung mit § 93 AktG sowie ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarungen 24 zur Verschwiegenheit über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verpflichtet sind.25 Das folgt aus ihrer nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB bestehenden vertraglichen Nebenpflicht (Treuepflicht).26 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, Erkenntnisse und Unterlagen, die mit dem technischen Betrieb und seinen Abläufen oder mit der wirtschaftlichen Betätigung des Unternehmens im Zusammenhang stehen, nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich und bekannt, also nicht offenkundig sind, nach dem – auch konkludent – erklärten Willen des Arbeitgebers (Unternehmers ) geheim gehalten werden sollen und an denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht.27 Weitergehend gilt die Verschwiegenheitspflicht aber auch für sonstige Geheimnisse und vertrauliche Angelegenheiten, an denen ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse in betrieblichen oder persönlichen Angelegenheiten besteht.28 Inwieweit ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse besteht, bedarf bei allen Ableitungen aus der Treupflicht der Abwägung. Die Verschwiegenheitspflicht gilt gegenüber jedermann; sie ist auch keine unzulässige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit, da sie sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richtet. Einzelheiten müssen hier dahinstehen. Entscheidend ist, dass die Verschwiegenheitspflicht, soweit sie besteht, die Zulässigkeit einer Kommunikation begrenzt.29 Inwieweit das auch für bestimmte Sachverhalte im Außenverhältnis gilt, ist unten (s. VIII) zu erörtern.
24 Vgl. Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn. 55; Preis/Reinfeld Schweigepflicht und Anzeigerecht im Arbeitsverhältnis, AuR 1989, 361 (364 f.); Schaub-Linck (Fn. 11), § 54 Rn. 4; zu einer tariflichen Regelung vgl. den Sachverhalt der Entscheidung des BAG v. 3.7.2003, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 1. 25 Vgl. hierzu Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn. 55 ff.; Preis/Reinfeld AuR 1989, 361ff.; Schaub/Linck (Fn. 11), § 54; Taeger Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, 1988. 26 Vgl. Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn 55; Schaub-Linck (Fn. 11), § 54 Rn. 1; Zöllner/Loritz (Fn. 17), § 13 I 1. 27 Vgl. Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn. 56 ff.; Oetker GK-BetrVG (Fn. 18), § 79 Rn. 8; Wiese 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (Fn. 4), S. 1134, jeweils m.w.N. 28 Vgl. Oetker GK-BetrVG (Fn. 18), § 79 Rn. 53; Preis/Reinfeld AuR 1989, 361 (363 f.); Wiese 50 Jahre Bundesarbeitsgericht (Fn. 4), S. 1136 f. 29 Zu den Grenzen der Verschwiegenheitspflicht vgl. Gach/Rützel Verschwiegenheitspflicht und Behördenanzeigen von Arbeitnehmern, BB 1997, 1959 (1962).
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2. Sonstige generelle Grenzen der Kommunikation Wie jedes Handeln ist auch die Kommunikation den allgemeinen Schranken der Rechtsordnung unterworfen. Das gilt u.a. für die Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere der Ehre des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen. Auch sind die Vorschriften des Gleichbehandlungsgesetzes zu beachten, soweit neben dem Arbeitgeber Vorgesetzte einen entsprechenden Einfluss darauf haben.
V. Zur Kommunikation der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber Die Arbeitnehmer sind grundsätzlich allgemein berechtigt, mit dem Arbeitgeber zu kommunizieren. Für Beschwerden ist das nach § 84 BetrVG, § 112 SeemannsG, § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 13 AGG ausdrücklich geregelt. Weiter hat nach § 81 Abs. 3 BetrVG der Arbeitgeber in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, die Arbeitnehmer zu allen Maßnahmen zu hören, die Auswirkungen auf Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer haben können. Nach § 82 BetrVG hat der Arbeitnehmer ferner ein Anhörungs- und Erörterungsrecht in betrieblichen Angelegenheiten, die seine Person betreffen und kann verlangen, dass ihm die Berechnung und Zusammensetzung seines Arbeitsentgelts erläutert sowie mit ihm die Beurteilung seiner Leistungen sowie die Möglichkeiten seiner beruflichen Entwicklung im Betrieb erörtert werden. Nach § 17 Abs. 1 ArbSchG sind die Beschäftigten berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. Alle diese Vorschriften dienen indessen lediglich der Klarstellung. Schon nach Vertragsrecht ist der Arbeitgeber nicht nur verpflichtet, den Arbeitnehmer vor einer Gefährdung von Leben und Gesundheit zu schützen und Rücksicht auf dessen Vermögensinteressen zu nehmen, sondern auch, die mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängenden berechtigten ideellen Interessen des Arbeitnehmers zu achten, zu fördern und ihn vor vermeidbaren Nachteilen im Rahmen des Zumutbaren zu schützen.30 Dazu gehört, dass der Arbeitnehmer berechtigt ist, in allen mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängenden, ihn persönlich betreffenden Angelegenheiten mit dem Arbeitgeber zu kommunizieren, d.h. ihn ansprechen zu dürfen, von ihm angehört zu werden und mit ihm die jeweilige Angelegenheit zu erörtern.31 Ein abweichender patriarchalischer Standpunkt würde dem personalen Charakter des Arbeitsverhältnisses 32 und den Grundwertungen unserer Rechtsordnung widersprechen. Auch muss der Arbeit-
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Vgl. Wiese GK-BetrVG (Fn. 18), vor § 81 Rn. 12. Zum Beschwerderecht vgl. Wiese GK-BetrVG (Fn. 18), vor § 81 Rn. 16. Vgl. hierzu Wiese ZfA 1996, 439 ff.
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nehmer von sich aus den Arbeitgeber auf drohende Schäden im Betrieb hinweisen und allgemein bei berechtigtem Interesse des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis betreffende erforderliche Auskünfte geben.33
VI. Zur Kommunikation der Arbeitnehmer untereinander 1. Positive Kommunikation Hierbei ist zwischen dem dienstlichen und dem außerdienstlichen Bereich zu unterscheiden. Für ersteren gilt, dass der Arbeitnehmer entsprechend seiner arbeitsvertraglich übernommen Funktion mit anderen Betriebsangehörigen kommunizieren muss. Augenfällig ist das bei Gruppenarbeit, gilt aber ebenso für jede Tätigkeit, die eine Zusammenarbeit und eine hierauf gerichtete Kommunikation erfordert. Hierzu ist der Arbeitnehmer berechtigt und verpflichtet. Das gilt in tatsächlicher und verbaler Hinsicht. Er muss nicht nur die Zusammenarbeit ermöglichen, sondern auch Beeinträchtigungen verhindern, also etwa andere Arbeitskollegen auf Gefahren und sonstige Schwierigkeiten hinweisen.34 Problematisch sind private Gespräche während der Arbeitszeit. Grundsätzlich gibt es hierfür keine Schweigepflicht – der Betrieb ist kein Trappistenkloster –, noch wäre sie zulässig, soweit die jeweilige Tätigkeit sie nicht unabdingbar gebietet. Gewiss dürfen Orchestermusiker während eines Konzerts keine privaten Unterhaltungen führen, Bühnenarbeitnehmer während einer Aufführung nicht lautstark miteinander reden oder Arbeitnehmer sich von einer Kontrollfunktion ablenken lassen, wenn diese eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit erfordert. Das folgt schon aus ihrer Arbeitspflicht. Diese kann aber auch sonst privaten Unterhaltungen entgegenstehen. Maßstab ist dann weniger der Inhalt des Gesprächs als unter Umständen dessen Länge. Niemand kann gehindert sein, außer in den genannten und ähnlichen Situationen während der Arbeitszeit auch neben der Arbeitsleistung nicht dazu gehörende private Bemerkungen zu machen. Das beeinträchtigt nicht die Arbeitspflicht und muss als üblich („sozialadäquat“) angesehen werden und ist in der Regel nicht nur stillschweigend geduldet.35 Es stünde auch im Widerspruch zur Treue-(Fürsorge-)Pflicht des Arbeitgebers, würden jegliche nicht zur Arbeit gehörende Bemerkungen unzulässig sein; zu den vom Arbeitgeber zu achtenden ideellen Interessen des Arbeitnehmers gehört auch ein Mindestmaß menschlicher Kommunikation; das entspricht der Wertung des § 75 Abs. 2 BetrVG. 33
Vgl. Zöllner/Loritz Arbeitsrecht (Fn. 17), § 13 II 1, 2. Vgl. auch Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn. 1; Schaub-Linck (Fn. 11), § 53 Rn. 14. 35 Vgl. von Hoyningen-Huene Anm. AP Nr. 10 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes, Bl. 4; Wiese FS Konzen (Fn. 11), S. 977 (993). 34
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Abzulehnen ist die weithin verbreitete Ansicht, es gelte uneingeschränkt das Sprichwort: „Ein Schwätzchen in Ehren kann niemand verwehren.“ Nach einer europaweiten Umfrage des Internet-Stellenmarktes des globalen Karriere-Netzwerks Monster,36 die möglicherweise aber nicht repräsentativ ist, gaben 41,0 v.H. der europäischen und sogar 46,6 v.H. der deutschen Beschäftigten (8.203 Befragte) zu Protokoll, dass sie sich am ehesten durch den Plausch mit Kollegen von ihrer Arbeit abhalten ließen. Die Bewertung ist allerdings ambivalent. Für das Schwätzchen ließe sich anführen, dass dadurch die Stimmung der Betroffenen, die Arbeitsfreude und das Betriebsklima verbessert würden, was damit letztlich auch dem Betrieb zugute komme. Trotzdem ist als Grundsatz daran festzuhalten, dass die Unterbrechung der Arbeit zu privaten Gesprächen unzulässig ist. Das bedeutet keinen übertriebenen Rigorismus. Nur sind geringfügige Verstöße gegen die Arbeitspflicht vertragsrechtlich nach § 242 BGB hinzunehmen, weil andernfalls gegen das Übermaßverbot verstoßen würde; unzulässig ist eine Rechtsverfolgung, die geringfügige, dem Berechtigten im Einzelfall unschädlich gebliebene Verfehlungen zum Anlass nimmt, weitreichende Rechtsfolgen geltend zu machen.37 Dafür gilt: „minima non curat praetor.“ Diese sind daher allenfalls im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung zu gewichten, so dass geringfügige Unterbrechungen der Arbeit durch private Gespräche jedenfalls für sich allein keine Kündigung rechtfertigen. 2. Negative Kommunikation Mag auch die positive Kommunikation, sofern sie nicht für die Zusammenarbeit erforderlich ist, vom Arbeitgeber zuweilen als überflüssig, lästig oder gar als unzulässig angesehen werden, ist sie doch in der Regel für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf wenig gravierend. Anders verhält es sich mit der negativen Kommunikation, die darauf gerichtet ist, durch die Diskriminierung von Arbeitskollegen diese auszugrenzen. Dieses sog. Mobbing kann zu einer erheblichen Belastung des Betriebsklimas und der Zusammenarbeit führen. Rechtlich ist darin eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts an der Ehre des Gemobbten zu sehen; Schutzgut ist dessen soziale Geltung gegenüber vorsätzlichen, fortgesetzten, von der Rechtsordnung allgemein missbilligten Angriffen. Dazu wird an anderer Stelle umfassend Stellung genommen.38 Hier genügt der Hinweis, dass rechtswidriges Mobbing die Meinungsfreiheit und damit die zulässige Kommunikation zwischen Arbeitskollegen begrenzt.
36 37 38
Vgl. www.monster.de. Vgl. Jauernig/Mansel BGB, 11. Auflage 2004, § 242 Rn. 40. Vgl. Wiese Zur Dogmatik des Mobbing im Arbeitsverhältnis, FS Rolf Birk, 2008.
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VII. Zur Kommunikation der Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat In dem jährlich in Frankfurt tagenden Arbeitskreis Betriebsverfassungsrecht warf der Referent, Bundesrichter Koch, die Frage auf, ob Arbeitnehmer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 85 BetrVG gegenüber dem Betriebsrat zur Auskunft in betrieblichen Angelegenheiten verpflichtet seien oder jedenfalls entsprechende Auskünfte erteilen dürften. Als Beispiel wurde eine Beschwerde wegen Mobbings angeführt. Es liegt auf der Hand, dass das Mobbinggeschehen häufig so verworren und undurchsichtig ist, dass der Betriebsrat, soll er sich eine Meinung bilden, um gegebenenfalls beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken, auf zusätzliche Informationen aller Beteiligten und etwaiger Zeugen angewiesen ist. Das gilt indessen nicht nur in Mobbingfällen, sondern für sämtliche Beschwerden, sofern ein Sachverhalt der Aufklärung bedarf. Außerdem kann der Betriebsrat zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung sonstiger Angelegenheiten, die zu seiner Zuständigkeit gehören, auf Auskünfte von Arbeitnehmern angewiesen sein. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit der Betriebsrat hierzu befugt ist und Arbeitnehmer zur Antwort verpflichtet sind. Nicht zweifelhaft dürfte sein, dass der Betriebsrat berechtigt ist, entsprechende Auskünfte von Arbeitnehmern einzuholen. Das folgt für die bei ihm eingelegten Beschwerden unmittelbar aus § 85 Abs. 1 BetrVG. Ist der Betriebsrat nach dieser Vorschrift verpflichtet, nicht nur Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen, sondern, falls er sie für berechtigt erachtet, auch beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken, so wird vorausgesetzt, dass er auch imstande ist, sich eine eigene Meinung zu bilden. Er muss daher die hierfür notwendigen Informationen einholen dürfen. Das gehört zu seinen Amtspflichten und wird deshalb von § 37 Abs. 2 BetrVG erfasst. Außerhalb des Beschwerdeverfahrens folgt die Befugnis des Betriebsrats als Repräsentant der Belegschaft zu Fragen an Arbeitnehmer aus seinem Recht und seiner Pflicht zur allgemeinen Wahrnehmung von Interessen der Arbeitnehmer.39 Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, ob der jeweils angesprochene Arbeitnehmer zur Antwort verpflichtet ist. Das betrifft im Beschwerdeverfahren weniger den Beschwerdeführer, der schon im eigenen Interesse die erforderlichen Auskünfte erteilen wird, als vielmehr die sonstigen Beteiligten und Zeugen. Dass sie ungeachtet einer etwaigen Verschwiegenheitspflicht 40 und mangels entgegenstehender Vorschriften hierzu berechtigt sind, dürfte nicht zweifelhaft sein. Die Zulässigkeit einer Kommunikation zwischen 39 Zum Zugangsrecht von Gewerkschaftsbeauftragten zu einzelnen Arbeitnehmern zwecks Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse und damit verbundener zweiseitiger Kommunikation vgl. mit Nachweisen Kraft/Franzen GK-BetrVG (Fn. 18), § 2 Rn. 63 ff. 40 Vgl. oben IV 1.
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Betriebsrat und Arbeitnehmern wird als selbstverständlich in § 39 Abs. 1 BetrVG über die Einrichtung von Sprechstunden sowie in § 39 Abs. 3 BetrVG über die „sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats“ vorausgesetzt und folgt auch unmittelbar aus dem Vorschlagsrecht des Arbeitnehmers nach § 86a BetrVG. Zudem können sich die Arbeitnehmer auf ihre Meinungsäußerungsfreiheit berufen. Eine ausdrückliche Rechtspflicht zur Äußerung gegenüber dem Betriebsrat ist dem Betriebsverfassungsgesetz nicht zu entnehmen. Eine solche Rechtspflicht ist daher allenfalls aus allgemeinen Grundsätzen abzuleiten. Hierfür ist § 2 Abs. 1 BetrVG als Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) 41 nicht geeignet. Die Vorschrift gilt für den Arbeitgeber und die betriebsfassungsrechtlichen Vertretungen wie deren Mitglieder, vor allem für den Betriebsrat und die Betriebsratsmitglieder.42 Sie gilt dagegen nicht für die arbeitsvertragsrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern und nicht für die Beziehungen der Arbeitnehmer untereinander.43 Selbst wenn die Literatur, soweit ersichtlich, dazu schweigt, gilt das auch für das Verhältnis des Betriebsrats zu den Arbeitnehmern. Eine Äußerungspflicht der Arbeitnehmer könnte sich mithin allenfalls daraus ergeben, dass zwischen ihnen und dem Betriebsrat eine Rechtsbeziehung bestünde, der eine entsprechende Nebenpflicht nach Maßgabe der §§ 241 Abs. 2, 242 BGB zu entnehmen wäre. Das Betriebsverfassungsgesetz begründet zwar als Rahmenordnung ein Dauerrechtsverhältnis.44 Jedoch wäre es begriffsjuristisch, bereits daraus auf eine Verpflichtung aller an der Betriebsverfassung Beteiligten zu schließen. Die Dauerrechtsbeziehung besteht vielmehr nur in dem durch das Betriebsverfassungsgesetz gezogenen Rahmen, d.h. der insoweit normierten Rechte und Pflichten. Diese beziehen sich aber im Wesentlichen auf die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Im Verhältnis des Betriebsrats zur Belegschaft kann allerdings im Hinblick auf § 2 Abs. 1 BetrVG, § 23 Abs. 1 BetrVG und § 80 BetrVG wie auf eine Gesamtbetrachtung des Gesetzes von einer umfassenden Interessenwahrnehmungspflicht des Betriebsrats für die Belegschaft gesprochen werden, aber nicht umgekehrt von einer umfassenden Verpflichtung der Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsrat. Insoweit bestehen allein Rechtsbeziehungen im Rahmen einzelner konkreter Vorschriften. Man denke nur an die Durchführung von Wahlen, Sprechstunden oder die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten. Dabei wird § 242 BGB zu berücksichtigen sein, aber gerade nicht im Rahmen einer angeblich umfassenden Verpflichtung der Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsrat. 41 42 43 44
Vgl. Richardi Betriebsverfassungsgesetz, 10. Auflage 2006, § 2 Rn. 7. Vgl. Kraft/Franzen GK-BetrVG (Fn. 18), § 2 Rn. 7. Vgl. Kraft/Franzen GK-BetrVG (Fn. 18 ), § 2 Rn. 8. Vgl. Wiese GK-BetrVG (Fn. 18), vor § 1 Rn. 99.
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Eine Verpflichtung zu gegenseitiger Rücksichtnahme nach Treu und Glauben lässt sich auch nicht aus einem sozialen Kontakt ableiten, der als solcher ganz allgemein sicher zwischen Betriebsrat und Belegschaftsmitgliedern besteht. Der Ausdruck ist aber zu ungenau und deshalb zur Ableitung von Rechtsfolgen unbrauchbar. In Anknüpfung an die Schrift von Haupt „Über faktische Vertragsverhältnisse“ 45 sollten Vertragsverhältnisse nicht nur durch Vertragsschluss, sondern auch durch tatsächliche Vorgänge entstehen können. Damit sollten vertragliche Rücksichtspflichten auch ohne ein Rechtsgeschäft und den hierauf gerichteten rechtsgeschäftlichen Willen begründet werden, da die außervertraglichen Anspruchsgrundlagen nicht als ausreichend angesehen wurden. Das kann jedoch nicht für jeden beliebigen sozialen Kontakt gelten. Andernfalls würden die Grenzen zum Deliktsrecht, das gegen jedermann schützt, verwischt werden, weil es dann schon eine vertragsgleiche Haftung gegenüber Verkehrsteilnehmern im Straßenverkehr geben würde. Deshalb war auch bisher schon die Haftung auf Fälle zu beschränken, in denen der soziale Kontakt „auf der Ebene des Geschäftsverkehrs“ erfolgt und die Möglichkeit in sich schließt, dass es zu einem Vertragsschluss kommt.46 Damit handelte es sich bei diesen Fällen des „sozialen Kontakts“ um eine Haftung aus geschäftlichem Kontakt (culpa in contrahendo). Von einem „faktischen Vertragsverhältnis“ aufgrund eines ausschließlich tatsächlichen sozialen Kontakts konnte daher bisher schon keine Rede sein. Die Frage ist heute durch § 311 Abs. 2 BGB gesetzlich geregelt. Danach entsteht ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), die Anbahnung eines Vertrags nach Maßgabe der Nr. 2, aber auch durch ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). Im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Belegschaftsmitgliedern liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Zwischen ihnen geht es weder um Vertragsverhandlungen noch um die Anbahnung eines Vertrages und ebensowenig um ähnliche geschäftliche Kontakte. Nicht ausreichend nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist ein bloß soziales Näheverhältnis ohne Bezug zu einem rechtsgeschäftlichen Handeln.47 Der Betriebsrat ist Repräsentant der Arbeitnehmer des Betriebs und hat nach Maßgabe des Gesetzes deren Interessen wahrzunehmen. Daraus kann nicht auf eine Pflichtenbindung der Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsrat geschlossen werden und schon gar nicht in dem hier diskutierten Zusammenhang auf Auskunftspflichten der Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsrat. Dieser kann sich auch nicht auf die für den 45
1943, S. 9 ff.; vgl. hierzu Dölle Aussergesetzliche Schuldpflichten, ZGesStW 103, 67 ff. Vgl. Larenz Culpa in contrahendo, Verkehrssicherungspflicht und „sozialer Kontakt“, MDR 1954, 515 (518); ders. Lehrbuch des Schuldrechts, 14. Auflage 1987, § 9, insbesondere Fn. 11 zum sozialen Kontakt. Vgl. auch Dölle (Fn. 45), S. 67 (72 ff.). 47 Vgl. Jauernig/Stadler (Fn. 37), § 311 Rn. 45. 46
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Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Auskunftspflichten berufen; diese wirken nicht zugunsten des Betriebsrats. Schweigen die Arbeitnehmer, machen sie lediglich von ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit Gebrauch. Hier geht es um dessen passive Komponente, d.h. das Recht zum Nichtstun einschließlich des Rechts zu schweigen, soweit keine Rechtspflicht zur Antwort besteht.48
VIII. Zur Kommunikation der Arbeitnehmer im Außenverhältnis 1. Einführung Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer sein außerbetriebliches Verhalten frei gestalten, also mit beliebigen Dritten kommunizieren kann. Das gilt auch für den Inhalt von Gesprächen, selbst wenn sie betriebliche Angelegenheiten betreffen. Es gehört wohl unvermeidbar zur menschlichen Natur, Klatsch über Dritte und damit auch über betriebliche Vorgänge zu Hause oder im Freundeskreis zu verbreiten. Das mag der seelischen Hygiene dienen und ist jedenfalls als „sozialadäquat“ hinzunehmen. Trotzdem gibt es Grenzen. So gilt eine Schweigepflicht des Arbeitnehmers je nach deren – zulässigen – Inhalt nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Betriebes für den privaten Bereich. Auch darf der Arbeitnehmer Persönlichkeitsrechte nicht verletzen, was wie beim Recht an der Ehre zudem durch Strafvorschriften (§ 185ff. StGB) gesichert ist. Allgemein gilt, dass der Arbeitnehmer nach Maßgabe der übernommenen Funktion die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht schädigen darf und im Rahmen des Zumutbaren wahrzunehmen hat.49 Das verlangt eine Interessenabwägung 50 zwischen betrieblichen, öffentlichen und persönlichen Interessen des Arbeitnehmers und wirft vielfältige Probleme auf. Mit der beliebten Übernahme eines Anglizismus wird häufig von „Whistleblowing“ 51 gespro48 Zum Unterlassen von Handlungen als Gegenstand des Art. 2 Abs. 1 GG vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig Grundgesetz. Art 2 Abs. 1 (Stand: Juli 2001), Rn. 12, 13; Podlech Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage 1989, Art. 2 Abs. 1 Rn. 44; von Münch Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 5. Auflage 2000, Art. 2 Rn. 17; Wiese Gibt es ein Recht auf Nichtwissen?, FS Niederländer, 1991, S. 475 (476). 49 Vgl. oben zu und mit Fn. 18. 50 Zur Interessenlage vgl. auch Bürkle DB 2004, 2158 (2159). 51 Oxford Dictionary, 10th ed., 2000, Stichwort whistle-blower: informal a person who informs on someone engaged in an illicit activity. Vgl. hierzu Berndt/Hoppler Whistleblowing – ein integraler Bestandteil effektiver Corporate Governance, BB 2005, 2623 ff.; Bürkle Weitergabe von Informationen über Fehlverhalten im Unternehmen (Whistleblowing) und Steuerung auftretender Probleme durch ein Compliance-System, DB 2004, 2158ff.; Deiseroth Whistleblowing in Zeiten von BSE, 2001; Gänzle Verhaltensbedingte
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chen. In Betracht kommen ungeachtet spezifischer US-amerikanischer Sonderregelungen nach deutschem Recht jedoch wesensmäßig unterschiedliche Fallgruppen, weshalb keine Veranlassung besteht, diesen Begriff zu übernehmen. Dass die Diskussion auch ohne den modernistischen Begriff auskommt, beweist die ältere Literatur.52 2. Kommunikation mit Behörden Diese unterfällt als solche ebenso wie die sonstige Kommunikation dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.53 Das gilt allerdings nicht für anonym erstattete Anzeigen und Mitteilungen, weil diese keine persönliche Meinung kundtun, mithin nicht an der geistigen Auseinandersetzung teilnehmen.54 Auch soweit das Petitionsrecht einschlägig ist 55 und Art. 17 GG gegenüber Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG als lex specialis angesehen wird,56 ist die Ausstrahlungswirkung auch dieses Grundrechts im Rahmen der Interessenabwägung nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB zu beachten. a) Vermeidung eigener Strafbarkeit Nach § 138 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung im Einzelnen aufgeführter schwerer Straftaten zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubKündigung bei Whistleblowing, FA 2005, 66 ff.; Graser Whistleblowing. Arbeitnehmeranzeigen im US-amerikanischen und deutschen Recht (Diss. München), 2000, S. 14 ff.; Großbach/Born Die „whistleblowing“ Gesetzgebung in den USA, AuR 1989, 374 ff.; Maschmann, in: Dölling (Hrsg.) Handbuch der Korruptionsbekämpfung, 2007, S. 87 (138 ff.); Müller Whistleblowing – Ein Kündigungsgrund?, NZA 2002, 424 (426); Peter/RohdeLiebenau Whistleblowing – ein neues Thema für die Betriebsratsarbeit, AiB 2004, 615 ff.; Reiter Der Schutz des Whistleblowers nach dem Sarbanes-Oxley Act im Rechtsvergleich und im internationalen Arbeitsrecht, RIW 2005, 168 ff.; Rohde-Liebenau Whistleblowing, 2005; Sasse/Stelzer Kündigung wegen Arbeitnehmeranzeigen – whistleblowing, ArbRB 2003, 18 ff.; Sauer „Whistleblowing“ – notwendiger Bestandteil moderner Personalpolitik?, DÖD 2005, 121 ff.; ders. Regeln fürs Verpfeifen, Personal 2005, 56 ff.; Weber-Rey Whistleblowing zwischen Corporate Governance und Better Regulation, AG 2006, 406 ff.; Wisskirchen/Körber/Bissels „Whistleblowing“ und „Ethikhotlines“, BB 2006, 1567 ff. 52 Vgl. u.a. Simitis Die verordnete Sprachlosigkeit: Das Arbeitsverhältnis als Kommunikationsbarriere, FS Helmut Simon, 1987, S. 329 ff.; Söllner (Fn. 11), S. 389 ff. 53 Vgl. Dieterich/ErfK 6. Auflage 2006, Art 5 GG Rn. 37; Graser (Fn. 51), S. 109; Hinrichs (Fn. 23), S. 35 (39 ff.); Müller NZA 2002, 424, 429 f.; Wendeling-Schröder (Fn. 16), S. 156 ff., 211. 54 Vgl. BAG AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 4 R (zust. Otto Bl. 8 f.). 55 Vgl. oben III. 56 Vgl. Deiseroth AuR 2002, 161 (166); Stein AR-Blattei SD 830.1 Rn. 23; vgl. dazu Klein, in: Maunz-Dürig Grundgesetz, Art. 17 Rn. 135 (Stand: August 2005). Das BVerfG hat in einer Kammerentscheidung v. 12.12.1990 (NJW 1991, 1475 [1477]) beide Grundrechte nebeneinander angewandt.
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haft erfährt und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen. Ebenso wird nach § 138 Abs. 2 Satz 1 StGB bestraft, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Straftat nach § 129a StBG, auch in Verbindung mit § 129 Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, zu einer Zeit, zu der die Ausführung noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. Schließlich wird nach § 138 Abs. 3 StGB bestraft, wer die Anzeige leichtfertig unterlässt, obwohl er von dem Vorhaben oder der Ausführung der rechtswidrigen Tat glaubhaft erfahren hat. In allen diesen Fällen einer strafbewehrten rechtlichen Verpflichtung zur Anzeige handelt der Arbeitnehmer nicht vertragswidrig, wenn die Anzeige sich gegen den Arbeitgeber als Täter richtet.57 Seine Treuepflicht wird durch die vom Arbeitgeber begangene Straftat und die eigene Strafbarkeit insoweit eingeschränkt. Das muss auch gelten, wenn der Arbeitnehmer gutgläubig gehandelt hat, sich aber nachträglich die Anzeige als unbegründet herausstellt; es genügt, dass der Arbeitnehmer von dem strafbaren Vorhaben „glaubhaft erfahren“ und entsprechend gehandelt hat. Über § 138 StGB hinaus gibt es keine allgemeine strafbewehrte Verpflichtung des Bürgers, geplante Straftaten anzuzeigen 58; es besteht nur ein allgemeines Anzeigerecht (vgl. § 158 StPO). Insoweit gelten die unten 59 zu Strafanzeigen gemachten Ausführungen. b) Zeugenaussagen Arbeitnehmer können in Straf- oder Zivilverfahren gegen ihren Arbeitgeber als Zeugen geladen werden und sind, soweit sie kein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht haben, zum Erscheinen und zur Aussage verpflichtet. Andernfalls müssen sie mit Sanktionen rechnen (vgl. §§ 48, 51ff. StPO; §§ 380, 383ff. ZPO). Rechtsgrund ist die von ihnen zu beachtende staatsbürgerliche Verpflichtung,60 die Vorrang vor der Treuepflicht des Arbeitnehmers hat. Ihm kann daher kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er vor Gericht aussagt. Entsprechendes gilt für Ermittlungsverfahren. In diesem Zusammenhang ist auf eine Kammerentscheidung des BVerfG vom 2.7.2001 61 hinzuweisen. Sie betraf die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung,
57 Vgl. dazu Otto (Fn. 54), Bl. 9: auch wenn das Unterlassen der Anzeige als Beihilfe oder gar Mittäterschaft gewertet werden könnte. 58 Vgl. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Strafgesetzbuch, 27. Auflage 2006, § 138 Rn. 1. 59 Vgl. VIII 2c. 60 Vgl. unten zu und mit Fn. 63. 61 AP Nr. 170 zu § 626 BGB; hierzu Deiseroth AuR 2002, 161 ff.; vgl. auch HessLAG v. 27.11.2001, DB 2002, 1612 f.
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mit der eine fristlose Kündigung des Beschwerdeführers als wirksam angesehen wurde. Die Kündigung war ausgesprochen worden, weil der Beschwerdeführer im Rahmen eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gegen seine Arbeitgeberin bzw. deren Geschäftsführer als Zeuge ausgesagt und der Staatsanwaltschaft Unterlagen übergeben hatte, ohne den Arbeitgeber hierüber zu informieren. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht sie abgewiesen. Das BVerfG hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Rechtsstreit nach § 95 Abs. 2 BVerfGG zurück an das Landesarbeitsgericht. In Anknüpfung an die Entscheidung des BVerfG vom 25.2.1987 62 moniert das BVerfG, das Landesarbeitsgericht habe beachten müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinen Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und der Übergabe von Unterlagen von der Rechtsordnung aufgestellte Pflichten erfüllt habe; die Zeugenpflicht sei eine allgemeine Staatsbürgerpflicht,63 und die Staatsanwaltschaft könne die Herausgabe bestimmter Gegenstände verlangen.64 Mit diesen Pflichten im Rechtsstaat sei es nicht vereinbar, wenn derjenige, der diese Pflichten erfülle, dadurch zivilrechtliche Nachteile erleide. Dem ist zuzustimmen; es wäre sinnwidrig, würde die Beachtung der staatsbürgerlichen Pflicht zivilrechtlich als rechtswidrig angesehen werden und zu Nachteilen führen. Mit Recht macht das BVerfG aber die Einschränkung, dass der Anzeigende nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht haben dürfe.65 Das dient nicht mehr der Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten und ist zudem nach Maßgabe des § 164 StGB strafbar. Im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass im entschiedenen Rechtsstreit keine Strafanzeige vorgelegen, sondern dass es sich um ein von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen eingeleitetes Verfahren gehandelt habe und der Beschwerdeführer zum ersten Gespräch telefonisch von der Staatsanwaltschaft vorgeladen worden sei; insgesamt sei die Initiative von der Staatsanwaltschaft ausgegangen. Damit ist die Kommunikation des Arbeitnehmers mit Behörden in solchen Fällen eindeutig unbedenklich. Mit Recht weist das BVerfG aber hilfsweise darauf hin, selbst wenn der Beschwerdeführer „freiwillig“ zur Staatsanwaltschaft gegangen sei, dort Aussagen gemacht und aufgrund eigenen Antriebs Unterlagen übergeben habe, könne die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren außer bei wissentlich unwahren oder leichtfertig gemachten falschen Aussagen im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen keinen Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abgeben. Das entspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen. 62 BVerfGE v. 25.2.1987, BVerfGE 74, 257 ff. Vgl. auch LAG Düseldorf v. 17.1.2002, DB 2002, 1612. 63 Vgl. BVerfG v. 1.10.1987, BVerfGE 76, 363 (383). 64 Vgl. §§ 94 ff. StPO. 65 Vgl. auch BVerfG v. 25.2.1987, BVerfGE 74, 257 (261, 262).
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c) Strafanzeigen In der in Bezug genommenen Entscheidung vom 25.2.1987 66 erklärt das BVerfG, es sei mit rechtsstaatlichen Grundgeboten nicht vereinbar, wenn der in gutem Glauben eine Strafanzeige Erstattende dadurch Nachteile (hier: Risiko des Schadenersatzes) erleide, dass sich seine Behauptung nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder nicht aufklärbar erweise. Die Anzeige erfolgte allerdings nicht gegen einen Arbeitgeber. In Anknüpfung an die Rechtsprechung des BVerfG hat das BAG in seinem Urteil vom 3.7.2003 67 zu Anzeigen von Arbeitnehmern ausführlich Stellung genommen; der Jubilar spricht in seiner Anmerkung mit Recht von „grundsätzlichen und erfreulich strukturierten Maßgaben des BAG zum Informationsrecht des Arbeitnehmers“.68 Das BAG hat indessen nicht selbst in der Sache entschieden, sondern unter Aufhebung des Berufungsurteils die Sache zwecks weiterer Sachaufklärung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Kernsatz des Urteils ist die Aussage, eine „kündigungsrelevante“ Pflichtverletzung liege nicht nur bei einer auf wissentlich unwahren oder leichtfertig falschen Angaben beruhenden Strafanzeige des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder seinen Vorgesetzten vor; sie könne sich auch im Zusammenhang mit der Erstattung einer Strafanzeige im Einzelfall aus anderen Umständen ergeben.69 Damit übernimmt das BAG
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Vgl. BVerfGE 74, 257 (262). AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung (Otto) = AuR 2004, 427 (Peter/Rohde-Liebenau); eingehend hierzu Gänzle FA 2005, 66 ff.; Herbert/Overrath Schweigen ist Gold?, NZA 2005, 193 ff.; Stein BB 2004, 1961 ff.; Wendeling-Schröder Anm. RdA 2004, 374 ff. Vgl. ferner im Anschluss an das BAG v. 3.7.2003 LAG Berlin v. 28.3.2006, AuR 2007, 51, und dazu Deiseroth Kündigungsschutz bei Kritik an Missständen in der Altenpflege, AuR 2007, 34 ff., die Replik von Binkert Kündigungsrechtliche Aspekte bei Strafanzeigen gegenüber dem Arbeitgeber, AuR 2007, 195 ff., sowie die Duplik von Deiseroth Kündigungsschutz bei Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber, AuR 2007, 198 ff. Zur älteren Rechtsprechung vgl. Deiseroth AuR 2002, 161 f.; Gach/Rützel BB 1997, 1959 ff.; Maschmann (Fn. 51), S. 87 (140 ff.); Müller NZA 2002, 424 (432 ff.); Wendeling-Schröder Loyalitätskonflikte, Anzeigerechte und -pflichten von Arbeitnehmern bei Missständen im Betrieb, in: Ahrens/Donner/Simon (Hrsg.) Arbeit – Umwelt 2001, S. 9 (10 ff.), insbesondere BAG v. 5.2.1959, AP Nr. 2 zu § 70 HGB; ferner LAG Baden-Württemberg v. 3.2.1987 NZA 1987, 756 = AiB 1987, 260 (Colneric); LAG Frankfurt v. 12.2.1987, LAGE § 626 BGB Nr. 28; LAG Frankfurt v. 14.2.1991, NZA 1992, 124; LAG Köln v. 23.2.1996, BB 1996, 2411; ArbG Berlin v. 29.5.1990, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 31. 68 AaO (Fn. 57) Bl. 7 R. Mit Recht rügt er jedoch Bl. 7 R, 8 Aussagen wie, „dass von Verfassungs wegen weitere Ausnahmefälle denkbar“ sind, „dass den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers durch das Verfassungsrecht Grenzen gesetzt werden“ oder „Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht wird durch die Grundrechte näher ausgestaltet.“ Das deutet alles auf eine unzutreffende unmittelbare Wirkung der Grundrechte für das Privatrecht hin; vgl. zum Ganzen Wiese Adressaten und Rechtsgrundlagen des innerbetrieblichen Persönlichkeitsschutzes von Arbeitnehmern, ZfA 2006, 631 ff. 69 AaO Bl. 2 R, 3. 67
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einerseits die bereits dargelegte grundsätzliche Auffassung des BVerfG zur Zulässigkeit einer Strafanzeige und deren Grenzen, geht aber über diese hinaus. Dem BAG ist zuzustimmen, dass seine Auffassung nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG steht, das die Aussage über die Zulässigkeit von Anzeigen lediglich für den „Regelfall“ gemacht habe, was außer wissentlich oder leichtfertig gemachten falschen Angaben weitere Ausnahmen nicht ausschließe. Im Streitfall kam hinzu, dass sich die Anzeige nicht gegen den Arbeitgeber selbst, sondern gegen einen Vorgesetzten des Anzeigenden richtete und Verfehlungen zu Lasten des Arbeitgebers betraf. Jedoch sollte das kein Grund sein, notwendige Einschränkungen des Anzeigerechts auch bei Anzeigen gegen den Arbeitgeber zu begründen. Das BAG 70 stellt maßgebend auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab; die vertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme seien dahin zu konkretisieren, dass sich die Anzeige des Arbeitnehmers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellen dürfe. Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers könnten die Berechtigung der Anzeige, die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sein. Das sind brauchbare Kriterien. Insbesondere ist dem BAG zuzustimmen, dass die ausschließliche Absicht des Anzeigenden, den Arbeitgeber zu schädigen, als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Entsprechendes gilt und würde gegen das Übermaßverbot verstoßen, wenn der Anzeigende sich nicht oder nicht nur an die zuständige Behörde wenden, sondern die Angelegenheit in die Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) bringen würde.71 Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob vor der Anzeige eine innerbetriebliche Klärung versucht worden sein muss. Das BAG ist der Auffassung, jener gebühre nicht generell der Vorrang. Es sei vielmehr im Einzelfall zu bestimmen, wann dem Arbeitnehmer eine vorherige innerbetriebliche Anzeige ohne weiteres zumutbar sei und ein Unterlassen ein pflichtwidriges Verhalten darstelle.72 Richtig ist, dass einander entgegenstehende Interessen stets eine Abwägung erfordern. In diesem Sinne gibt es keinen absoluten Vorrang des Versuchs einer innerbetrieblichen Klärung. Andererseits spricht für diese schon im Tatsächlichen die Chance einer raschen ortsnahen Lösung 70
AaO Bl. 5. Vgl. Herbert/Oberrath NZA 2005, 193 (198 f.). 72 AaO Bl. 5 ff. m.w.N.; zust. Otto aaO (Fn. 57) Bl. 9. In dem während der Drucklegung dieses Beitrags erschienenen Urteil des BAG v. 7.12.2006 (AP Nr. 55 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung) geht das BAG von seiner Entscheidung v. 3.7.2003 (Fn. 67) aus, verneint aber die Notwendigkeit des Versuchs einer innerbetrieblichen Klärung vor Erstattung einer Strafanzeige, weil es sich bei den angezeigten Unregelmäßigkeiten um schwere und zahlreiche Straftaten gehandelt habe (Bl. 2 R). Dem ist für den entscheidenden Fall zuzustimmen. 71
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des Problems und rechtlich die Nebenpflicht (Treuepflicht) des Arbeitnehmers (§§ 241 Abs. 2, 242 BGB). Deshalb sollte als Grundsatz daran festgehalten werden, dass eine vorherige betriebliche Klärung zu versuchen und nur bei Unzumutbarkeit als überflüssig anzusehen ist.73 Soweit ein Arbeitnehmer nicht selbst in das Geschehen involviert ist und sich bei unterlassener Anzeige strafbar machen würde oder in anderer Weise in nicht abwendbare Schwierigkeiten geriete, ist es für ihn zumutbar, vor einer Anzeige eine innerbetriebliche Klärung anzustreben. Das gilt jedenfalls bei weniger gewichtigen rechtswidrigen Handlungen des Arbeitgebers (neben Straftaten auch Ordnungswidrigkeiten) oder wenn es sich um leichte Diebstähle oder Unterschlagungen durch Arbeitskollegen zu Lasten des Arbeitgebers oder anderer Arbeitskollegen handelt, die im Interesse der Täter besser betriebsintern – u.U. auch durch eine Betriebsbuße – bereinigt werden. Bei dem Arbeitgeber zuzurechnenden rechtswidrigen Handlungen wäre es außerdem leichtfertig, wenn auf Seiten des Arbeitgebers lediglich Unachtsamkeit vorläge oder eine innerbetriebliche Beseitigung sich als ohne weiteres möglich geradezu anbietet.74 Von dem Anzeigenden ist auch zu verlangen, dass er nicht aus einer verwerflichen Motivation heraus, also insbesondere nicht aus Rachsucht oder ausschließlich in Schädigungsabsicht handelt.75 Die hier vertretene Ansicht entspricht § 84 des Entwurfs des Arbeitskreises Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht, der dem Deutschen Juristentag 1992 in Hannover vorlag.76 Die dargelegte Auffassung bedeutet im Übrigen keine unzulässige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit, da sie sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richtet. Der durch die Treuepflicht des Arbeitnehmers gebotene vorherige Versuch einer innerbetrieblichen Klärung dient dem Betriebsfrieden und schränkt die Meinungsfreiheit nicht unangemessen ein; er verhindert nicht schlechthin die Anzeige bei einer Behörde, sondern gebietet lediglich, zuvor die zumutbaren betriebsinternen Möglichkeiten zur Beseitigung eines Missstandes auszuschöpfen. Soweit das geschehen und damit die Anzeige bei einer Behörde zulässig ist, wird auch die etwaige, durch Interessenabwägung inhaltlich zu bestimmende Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers eingeschränkt. 73 Im Ergebnis ebenso Herbert/Overrath NZA 2005, 193 (196), die auf die Verschwiegenheitspflicht abstellen; Marschmann (Fn. 51), S. 87 (147 ff.). Vgl. auch Leitsatz des Urteils v. 7.12.2006 (Fn. 72). 74 Ebenso Otto aaO (Fn. 54) Bl. 8 R. 75 Im Ergebnis auch Otto aaO (Fn. 54) Bl. 9; Stein BB 2004, 1961 (1962 f.). Zu Beleidigungen des Arbeitgebers vgl. auch BAG v. 12.1.2006, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Bl. 6 R, 7 R m.w.N. 76 Vgl. Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, 1992, Band I, Teil D. Vgl. auch § 79 Abs. 3 des Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches – Allgemeines Arbeitsvertragsrecht – der Arbeitsgesetzbuchkommission, 1977.
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Bejaht man im dargelegten Sinne den Vorrang des Versuchs einer innerbetrieblichen Regelung, so muss es dem Arbeitnehmer freistehen, sich entweder direkt an den Arbeitgeber bzw. die zuständigen betrieblichen Stellen 77 oder aber an den Betriebsrat als seinen Interessenvertreter zu wenden. Das entspricht dem Rechtsgedanken, der auch den §§ 84, 85 BetrVG zugrunde liegt.
d) Fragen des Arbeitsschutzes Auch in Angelegenheiten des Arbeitsschutzes stellt sich die Frage, ob bei Mängeln der Arbeitnehmer sich unmittelbar an außerbetriebliche Stellen (Aufsichtsbehörde, Gewerbeaufsichtsamt, Berufsgenossenschaft) wenden darf oder zunächst versuchen muss, innerbetrieblich Abhilfe zu erreichen. Eine Übernahme der zu Strafanzeigen maßgebenden Rechtsprechung verbietet sich schon deswegen, weil nicht jeder Mangel des Arbeitsschutzes bereits Gegenstand einer strafbaren Handlung ist, mithin auch weniger schwer wiegt. Auch ist die Ahndung strafbarer Handlungen in der Regel nicht eilig und zieht sich jedenfalls in der Regel länger hin, während es bei Mängeln des Arbeitsschutzes wegen des damit verbundenen Gefährdungspotentials zuvörderst darum geht, möglichst umgehend Abhilfe zu schaffen. Eine Übereinstimmung mit den bisher erörterten Fällen besteht jedoch insofern, als die Entscheidung der Streitfrage wiederum die Abwägung unterschiedlicher Interessen verlangt und es deshalb keinen generellen Vorrang der innerbetrieblichen vor der außerbetrieblichen Lösung gibt.78 Der Arbeitgeber wird schon aus Prestigegründen und um wirtschaftliche Nachteile für das Unternehmen zu vermeiden, eine innerbetriebliche Erledigung vorziehen. Unter Umständen ist ihm der Mangel nicht einmal bekannt, und jedenfalls wird er Ärger mit den Behörden vermeiden wollen. Das Interesse des Arbeitnehmers kann demgegenüber allgemeiner Art sein und lediglich der Verbesserung des Arbeitsschutzes dienen sollen. Etwaige Mängel können ihn aber auch unmittelbar persönlich betreffen und ihn gefährden. Dann hat er ein dringendes eigenes Interesse daran, dass der Mangel rasch beseitigt wird. Das ist aber in der Regel schneller betriebsintern möglich als durch die Einschaltung von Behörden.79 Deshalb ist jedenfalls als Grundsatz davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme (Treuepflicht) zunächst eine innerbetriebliche Regelung anstreben 77 Zum Vorschlag eigenständiger betrieblicher Beschwerdestellen zur Abwendung behördlicher Anzeigen vgl. Gach/Rützel BB 1997, 1959 (1962 f.). 78 Abzulehnen ist die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg v. 20.10.1976, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8 (abl. Weiss) = KJ 1979, 323 (abl. Janzen). 79 Vgl. Denck DB 1980, 2132.
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muss, bevor er sich an außerbetriebliche Stellen wendet und damit zugleich überflüssige Belastungen des Arbeitgebers vermeidet. Nur dann, wenn eine Selbsthilfe des Arbeitnehmers ausscheidet (s.u.), innerbetrieblich nicht oder nicht angemessen reagiert wird, eine Verzögerung den Arbeitnehmer zusätzlich gefährden würde oder die innerbetriebliche Regelung für den Arbeitnehmer besonderer Umstände wegen unzumutbar ist, verstößt der Arbeitnehmer nicht gegen seine Rücksichtspflicht (Treuepflicht), wenn er sich an außerbetriebliche Stellen wendet. Wenig hilfreich dürfte im Übrigen die Geltendmachung eines Erfüllungsanspruchs gegen den Arbeitgeber sein. Auch die Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts (vgl. auch § 9 Abs. 3 ArbSchG), soweit sie überhaupt zumutbar wäre, verhindert nur die akute Gefährdung des Arbeitnehmers und beseitigt nicht den Mangel. Der Arbeitnehmer ist daher nicht verpflichtet, vor einer Anzeige von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, selbst wenn er im Eigeninteresse dies vorübergehend zur sofortigen Gefahrenabwehr tun wird. In welcher Weise der Arbeitnehmer innerbetrieblich vorgeht, steht in seiner freien Entscheidung; eine Rangordnung der rechtlichen Möglichkeiten gibt es nicht. Der Arbeitnehmer wird daher den Weg wählen, der ihm am aussichtsreichsten erscheint. Bei leichteren Mängeln kann deren zumutbare Beseitigung sogar von seiner Arbeitspflicht erfasst sein (vgl. auch § 9 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG; § 16 Abs. 2, § 21 Abs. 1 Satz 2 BGV A 1). In diesem Falle hat die Selbsthilfe Vorrang.80 Andernfalls wird der Arbeitnehmer, um den Arbeitgeber zur Abhilfe zu veranlassen, vor allem den unmittelbaren Vorgesetzten ansprechen und auf den Mangel hinweisen. Er kann sich auch informell an den Arbeitgeber wenden oder nach § 84 BetrVG bei den zuständigen Stellen des Betriebs beschweren.81 Ferner kann er die Hilfe des Betriebsrats in Anspruch nehmen, sich auf Anregungen nach § 80 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG oder die Ausübung seines Vorschlagsrechts nach § 86a BetrVG beschränken oder sich nach § 85 BetrVG beim Betriebsrat beschweren. Wegen der Erhebung der Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile erwachsen (§ 84 Abs. 3 BetrVG).82 Dieser hat, wenn er die Beschwerde für berechtigt hält, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken.83 80 Vgl. Denck DB 1980, 2132 ff.; Herbert/Overrath NZA 2005, 193 (197); Wlotzke FS Hilger und Stumpf, S. 723 (751 f.). Zur Schadensbeseitigungspflicht des Arbeitnehmers und deren Grenzen vgl. Rehhahn Die Sicherungspflichten des Arbeitnehmers, RdA 1979, 216 (219 ff.). 81 Zu Sicherheitsbeschwerden nach § 84 BetrVG vgl. Rehhahn AuR 1981, 161 ff., zu weiteren Rechtsgrundlagen des Beschwerderechts oben V. 82 Das gilt auch für Beschwerden nach § 85 BetrVG; vgl. Wiese GK-BetrVG (Fn. 18), § 85 Rn. 30. Vgl. ferner § 612a BGB. 83 Zu den rechtlichen Möglichkeiten des Betriebsrats vgl. Denck DB 1980, 2132 (2133 ff.).
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Die dargelegte Auffassung entspricht im Ergebnis nicht nur der h.M.,84 sondern wird auch bestätigt durch § 17 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG. Danach können Beschäftigte, die auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, sich an die zuständigen Behörden wenden, wenn der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht abhilft. Nur unter diesen Voraussetzungen dürfen den Beschäftigten aus der Einschaltung der zuständigen Behörden keine Nachteile entstehen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG).85 Damit hat der Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung getroffen, die sowohl den berechtigten Interessen des Arbeitgebers als denen der Beschäftigten und ihrer Meinungsfreiheit gerecht wird. Letztlich handelt es sich um eine Konkretisierung des für die gesamte Rechtsordnung geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB), mithin um eine gesetzliche Klarstellung der ohnehin aufgrund der gegenseitigen Treuepflichten bestehenden Rechtslage. Entsprechende gesetzliche Sonderregelungen fanden sich in den bisherigen Fassungen des § 21 GefStoffV,86 § 30 StörfallV sowie noch in § 22 Satz 1 Nr. 2 ABBergV.87 84 Vgl. Buchner ZfA 1982, 49 (70 f.); Denck DB 1980, 2132 f.; Dieterich/ErfK (Fn. 53) Art. 5 GG Rn. 37; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier Betriebsverfassungsgesetz, 23. Auflage 2006, § 84 Rn. 1; Gach/Rützel BB 1997, 1959 (1961 f.); Galperin/ Löwisch Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 6. Auflage 1982, § 84 Rn. 3a; Hallmen Die Beschwerde des Arbeitnehmers als Instrument innerbetrieblicher Konfliktregelung (Diss. Köln), 1997, S. 167 ff.; Herbert/Overrath NZA 2005, 193 (197); Kania/ErfK (Fn. 53) § 84 BetrVG Rn. 2; Kollmer/Vogel Das Arbeitsschutzgesetz, 2. Auflage 1999, Rn. 238 ff.; MünchArbR/Blomeyer (Fn. 11), § 53 Rn. 70; Möx Arbeitnehmerrechte in der Gefahrstoffverordnung (Diss. Köln), 1992, S. 58 ff.; ders. Außerbetriebliche Beschwerde bei Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz, AiB 1992, 382 (386 ff.); Müller NZA 2002, 424 (436) bei Unkenntnis des Arbeitgebers von anzeigewürdigen Umständen; Preis/ErfK (Fn. 53) § 611 BGB Rn. 879; Preis/Reinfeld AuR 1989, 361 (371 ff.); Söllner (Fn. 11); S. 389 (404); Staudinger/Oetker BGB, 2002, § 618 Rn. 384 f.: ultima ratio; Wank Kommentar zum technischen Arbeitsschutz, 1999, § 17 Rn. 4 ff.; Wank/Börgmann Deutsches und europäisches Arbeitsschutzrecht, 1992, S. 142 f.; Wiese GK-BetrVG (Fn. 18), § 84 Rn. 9; Wisskirchen Außerdienstliches Verhalten von Arbeitnehmern (Diss. Bonn), 1999, S. 57 ff.: Wlotzke FS Hilger und Stumpf, S. 723 (751 f.); Wlotzke/Preis Betriebsverfassungsgesetz, 3. Auflage 2006, § 84 Rn. 3; a.M. Bücker/Feldhoff/Kohte Vom Arbeitsschutz zur Arbeitsumwelt, 1994, Rn. 614 ff.; Buschmann/DKK (Fn. 16), § 84 Rn. 3 ff.; Colneric Anm. AiB 1987, 261 allgemein bei gesetzwidrigen Handlungen des Arbeitgebers; Hinrichs (Fn. 23), S. 35 (45 ff.); Wendeling-Schröder (Fn. 16), S. 192 ff., 242 f.; vgl. auch Kittner/Piper Arbeitsschutzrecht, 1999, Rn. 4 ff.; differenzierend Simitis (Fn. 52), S. 329 ( 338 ff.). 85 Vgl. zum Ganzen Staudinger/Oetker BGB, 2002, § 618 Rn. 387ff.; Wlotzke/ MünchArbR (Fn. 11) § 209 Rn. 41 ff. Zu Art. 17 GG vgl. oben III. 86 Vgl. Preis/Reinfeld AuR 1989, 361 (371). 87 Vgl. hierzu Staudinger/Oetker (Fn. 85) § 618 Rn. 399 ff., 404; Wlotzke/MünchArbR (Fn. 11) § 209 Rn. 47 f. Vgl. auch Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 89/391/EWG, ABlEG Nr. L 183, S. 1, und neuerdings § 78 des Diskussionsentwurfs eines Arbeitsvertragsgesetzes von Henssler und Preis NZA 2006, Beilage zu Heft 23.
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Eine etwas weitergehende Regelung enthält die Sondervorschrift des § 113 SeemannsG. Danach kann ein Besatzungsmitglied sich bei dem Seemannsamt mündlich zur Niederschrift oder schriftlich darüber beschweren, dass das Schiff nicht seetüchtig ist, seine Sicherheitseinrichtungen nicht in ordnungsgemäßem Zustand oder die Verpflegungsvorräte ungenügend oder verdorben sind. Bevor das Besatzungsmitglied das Seemannsamt anruft, hat es den Kapitän jedoch davon in Kenntnis zu setzen. Wenn der Kapitän der Beschwerde nicht abhilft, hat das Seemannsamt unverzüglich, erforderlichenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigen, auf Kosten des Reeders eine Untersuchung des Schiffs oder der Vorräte zu veranlassen und das Ergebnis in das Schiffstagebuch einzutragen. Erweist sich die Beschwerde als begründet, so hat das Seemannsamt für geeignete Abhilfe zu sorgen. Diese gesetzliche Regelung unterscheidet sich von § 17 Abs. 2 ArbSchG und den dargelegten Grundsätzen insofern, als das Seemannsamt nach dem Wortlaut der Vorschrift sofort angerufen werden darf. Da der Kapitän aber zuvor davon zu unterrichten ist, wird ihm Gelegenheit gegeben, für Abhilfe zu sorgen. Sollte diese erfolgreich sein, erübrigt sich die Beschwerde an das Seemannsamt. Insofern besteht daher kein grundsätzlicher Unterschied gegenüber der Regelung des § 17 Abs. 2 ArbSchG.88 d) Sonstige Rechtsverstöße und Missstände Für Fragen des Umweltschutzes,89 soweit es sich nicht um Straftatbestände handelt,90 können die zum Arbeitsschutz entwickelten Grundsätze herangezogen werden; zu beachten ist jedoch, dass es dabei nicht primär oder jedenfalls nicht allein um Arbeitnehmerinteressen, sondern vor allem um Interessen der Allgemeinheit geht. Entsprechendes gilt für sonstige rechtswidrige Handlungen, die wie z.B. bei Manipulationen in Banken zu beträchtlichen Schäden der Anleger führen können. In allen Fällen, in denen es auch um Interessen der Allgemeinheit geht, ist deren Bedeutung daher gegenüber dem Interesse an innerbetrieblicher Aufklärung zu beachten. Der Gang an die Öffentlichkeit kann nach zumutbaren innerbetrieblichen Klärungsversuchen gegebenenfalls eine unvermeidbare Notbremse sein. Daneben sind andere Missstände denkbar, wie schlechtes Betriebsklima, unerträgliche Arbeitsbedingungen durch Mobbing und dergleichen mehr. Berücksichtigt man, dass selbst bei Strafanzeigen betriebliche Belange berücksichtigt werden müssen, so gilt das erst recht für Probleme, an deren
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Vgl. auch Bemm/Lindemann Seemannsgesetz, 4. Auflage 1999, § 113 Rn. 6. Vgl. hierzu Müller NZA 2002, 424 (431); Preis/Reinfeld AuR 1989, 361 (371); SchaubLinck (Fn. 11), § 53 Rn. 17. 90 Vgl. §§ 324 ff. StGB. 89
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innerbetrieblichen Lösung ein vorrangiges berechtigtes Interesse besteht.91 Maßgebend ist eine Abwägung aller relevanten Umstände. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Offenlegung von Missständen durchaus auch im betrieblichen Interesse sein kann. Das gilt um so mehr, als in Großbetrieben Missstände dem Arbeitgeber selbst keineswegs bekannt sein müssen. Das wirft die Frage auf, ob es nicht ratsam ist, ein innerbetriebliches „Frühwarnsystem“ zu etablieren, das letztlich auch dem Schutz der Arbeitnehmer dient, indem es ihnen die Furcht vor unliebsamen Folgen ihres Vorgehens nimmt.92 Berechtigt können nach vergeblicher innerbetrieblicher Abhilfe auch Hinweise an Behörden auf besondere Gefahrenlagen sein, die sich bei an sich rechtmäßigem Handeln unter besonderen Umständen ergeben und zu Katastrophen führen können. Man denke nur an das Fährunglück der „Herald of Free Enterprise“, das trotz geäußerter Bedenken von Arbeitnehmern mit offenen Bugklappen fuhr. 4. Kommunikation mit der Öffentlichkeit Fraglich ist weiter, ob sonstige betriebliche Angelegenheiten, die Arbeitnehmerinteressen berühren, wie Umstrukturierungen, Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen oder Betriebstilllegungen eine „Flucht in die Öffentlichkeit“ erlauben. Für manchen Arbeitnehmer haben derartige Vorhaben weittragende oder gar existentielle Bedeutung. Es ist daher verständlich, wenn sie sich dann auch an die Öffentlichkeit, die Gewerkschaften, die Medien wenden oder über das Internet um Unterstützung werben oder durch Demonstrationen 93 dem Anliegen Nachdruck verleihen. In diesen Fällen hat der gutgläubig handelnde Arbeitnehmer weder eine eigene Strafbarkeit zu befürchten noch staatsbürgerliche Pflichten zu beachten. Soweit ihn nicht persönlich eine Verschwiegenheitspflicht trifft,94 ergeben sich Grenzen seiner Kommunikation daher allein aus seiner Pflicht zur Rücksichtnahme (Treuepflicht). Dabei wird zu beachten sein, welches Gewicht die betriebliche Angelegenheit für ihn und die Belegschaft hat, aber auch, ob eine vorzeitige Bekanntgabe nachteilige Auswirkungen für das Unternehmen haben kann. Davon ist auch für die Anrufung der Antidiskriminierungsstelle nach § 27 Abs. 1 AGG auszugehen.
91 Zur Aufdeckung innerbetrieblicher Missstände, durch die die Öffentlichkeit betroffen ist, nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vgl. BGH v. 20.1.1981, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Schweigepflicht (Fall Wallraff); dazu BVerfG v. 25.1.1984, BVerfGE 66, 116 ff. 92 Vgl. auch unten IX. 93 Vgl. hierzu Söllner (Fn. 11), S. 389 (404 ff.). 94 Vgl. auch § 14 Wertpapierhandelsgesetz.
Zur innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Kommunikation
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IX. Schlussbemerkung Die innerbetriebliche und außerbetriebliche Kommunikation von Arbeitnehmern hat je nach den Adressaten unterschiedliche rechtliche Facetten. Problematisch ist vor allem die innerbetriebliche und außerbetriebliche Weitergabe von Informationen. Da ihre Rechtmäßigkeit von der Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalles abhängt, trägt der Arbeitnehmer ein gewisses Risiko seines Handelns. Davor schützt ihn auch § 612a BGB nur bedingt. Dennoch sollte de lege ferenda im Hinblick auf die unterschiedlichen Fallgruppen anders als im US-amerikanischen Recht von einer gesetzlichen Regelung abgesehen werden, zumal insbesondere das deutsche Kündigungsschutzrecht den erforderlichen Schutz gewährleisten kann. Zweckmäßiger erscheinen dagegen betriebliche Vereinbarungen, die im Interesse aller Beteiligten, d.h. des Schutzes von Unternehmensinteressen vor Schäden und des Schutzes der involvierten Arbeitnehmer die wesentlichen Regeln für eine innerbetriebliche und außerbetriebliche Kommunikation aufstellen.95 Eine solche Regelung ist mitbestimmungspflichtig.96 Der Betriebsrat kann deshalb von seinem Initiativrecht Gebrauch machen und eine Betriebsvereinbarung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG anstreben.
95 Vgl. Berndt/Hoppler BB 2005, 2623 (2627 ff.); Bürkle DB 2004, 2158 (2160 f.); Gänzle FA 2005, 66 (68 f.); Rohde-Liebenau Whistleblowing, S. 51 ff.; zu dem dabei zu beachtenden Datenschutz vgl. Wisskirchen/Körber/Bissels BB 2005, 1567 ff., zur Modifizierung der Treue- und Verschwiegenheitspflichten bei Einführung eines „Wistleblowersystems“ daselbst S. 1571. 96 Vgl. LAG Düsseldorf v. 14.11.2005, BB 2006, 335; ArbG Wuppertal v. 15.6.2005, DB 2005, 1800.
Die Behandlung mehrfacher Kündigungen im Kündigungsrechtsstreit Albrecht Zeuner I. Streitgegenstand und Folgekündigungen im Kündigungsrechtsstreit In seinem Buch Arbeitsrecht äußert sich Hansjörg Otto – der dem Älteren über Jahrzehnte persönlicher Verbundenheit hinweg nach wie vor jung erscheinende Jubilar – zu dem noch immer zentralen Problemkreis des gerichtlichen Verfahrens in Sachen des Kündigungsschutzes mit einigen Aussagen, die zum Anlass für die folgenden Überlegungen genommen werden sollen: Hansjörg Otto stellt zunächst zum Streitgegenstand der im KSchG vorgesehenen Klage im Einklang mit der seit langem h.M. ohne Wenn und Aber fest, dass sie sich nur (punktuell) gegen die genau bezeichnete Kündigung zu dem vorgesehenen Termin richte. Er fügt dem dann sogleich hinzu, es sei aber zweckmäßig, zusätzlich eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO mit dem Antrag zu erheben, es möge festgestellt werden, dass das Arbeitsverhältnis über den Kündigungstermin hinaus fortbestehe. Und er ergänzt dies schließlich durch die Bemerkung, das BAG wolle „bedauerlicherweise“ den globalen Antrag nur bei besonders begründetem Feststellungsinteresse zulassen 1. Auf dem Hintergrund der wissenschaftlichen Herkunft des Jubilars aus dem Kreis des unvergessenen akademischen Lehrers Eduard Bötticher (dem Otto seine wichtige prozessrechtliche Studie Die Präklusion gewidmet hat) ist diese knappe Stellungnahme in zweifacher Hinsicht von Interesse: Zum einen zeigt der Hinweis auf den punktuellen Charakter, der dem Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage beizumessen ist, dass Otto im systematischen Ansatz nicht die seinerzeit von Bötticher nachdrücklich vertretene weiter greifende Ansicht teilt, als Streitgegenstand dieser Klage sei das Fortbestehen des umstrittenen Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung anzusehen. Zum anderen nimmt er aber mit dem empfehlenden Hinweis auf die allgemeine Feststellungsklage und dem Ausdruck des Bedauerns, dass das BAG sie nur bei einem besonders begründeten
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Hansjörg Otto Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2003, Rn. 303.
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Feststellungsinteresse zulassen wolle, zugleich das für die Streitgegenstandsauffassung Böttichers bestimmende Bemühen auf, Sorge dafür zu tragen, dass dem von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren sicherer und unkompliziert erreichbarer Schutz auch gegenüber möglichen Folgekündigungen gewährt wird. Dass Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG vom Ansatz her punktuell die Frage ist, ob das Arbeitsverhältnis durch die in der Klage bezeichnete konkrete Kündigung aufgelöst worden ist, kann nach der von der Rechtsprechung geprägten Entwicklung, die das Kündigungsschutzrecht seit dem Inkrafttreten des zugrunde liegenden Gesetzes genommen hat, inzwischen als praktisch feststehend angesehen werden.2 So wenig aussagekräftig die Gesetzgebungsgeschichte des Kündigungsschutzgesetzes in verfahrensrechtlichen Einzelfragen sein mag, so unbestreitbar ist es, dass die heutige Regelung des § 4 KSchG mit ihrem Wortlaut in einer bei den §§ 84ff. des Betriebsrätegesetzes von 1920 beginnenden Entwicklungslinie steht, für die – über alle Zwischenstationen hinweg 3 – die Ausrichtung auf eine jeweils angegriffene einzelne Kündigung kennzeichnend ist. Und hieran auch in der Auslegung der Vorschrift festzuhalten liegt unter den gegebenen Umständen schon wegen des praxisbestimmenden Gewichtes der von Anfang an auf diese Sichtweise abstellenden höchstrichterlichen Rechtsprechung nahe. Von der Sache her lässt sich zudem darauf verweisen, dass der klagende Arbeitnehmer – wie in der Diskussion über die sachgerechte Deutung der Vorschriften des KSchG mit Recht hervorgehoben worden ist – ein beachtliches Interesse an der Feststellung, die angegriffene Kündigung sei unwirksam, durchaus auch in Fällen haben kann, in denen das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung infolge eines später eingreifenden anderen Beendigungsgrundes nicht mehr besteht.4 Mit einer Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung noch fortbesteht, wäre ihm unter solchen Umständen nicht gedient. Freilich hätte dem in derartigen Fällen bestehenden engeren Feststellungsinteresse des Arbeitnehmers unschwer auch vom Standpunkt der auf den
2 Klarstellend sei angemerkt, dass meine Ausführungen MDR 1956, 257, 259 ff., die verschiedentlich als grundsätzliche Stellungnahme im Sinne der Bötticher’schen Auffassung verstanden worden sind, nicht primär auf eine allgemeine Aussage zum Problem des Streitgegenstandes der Kündigungsschutzklage abzielten, sondern vielmehr auf die selbständige Frage nach der Tragweite der Rechtskraft, die bei allen der zur Erörterung stehenden Streitgegenstandskonzeptionen in vergleichbarer Weise auftritt; vgl. A. Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge, 1959, S. 116 ff., 132 f. S. im Übrigen auch unten IV. 3 Vgl. §§ 56 f. AOG; § 3 Hattenheimer Entwurf v. 13.1.1950, RdA 1950, 63 und dazu A. Hueck RdA 1950, 63, 66; s. ferner A. Hueck RdA 1949, 330, 334 zum Kündigungsschutzgesetz des Wirtschaftsrates v. 20.7.1949. 4 Vgl. BAG AP KSchG § 3 Nr. 17, unter II 3, mit Anm. Habscheid.
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Bestand des Arbeitsverhältnisses ausgerichteten Streitgegenstandsauffassung aus durch eine entsprechende Einschränkung des Klageantrages Rechnung getragen werden können.5 Wie sich in der Praxis vielfältig bestätigt hat, muss aber auf jeden Fall auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass nach einer ersten Kündigung, gegen die sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage zu wehren sucht, noch vor der letzten Tatsachenverhandlung von Seiten des Arbeitgebers weitere Kündigungen ausgesprochen werden.6 Dass dem Arbeitnehmer im Verfahren über die gegen die erste Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage ipso iure auch Schutz vor solchen Folgekündigungen zu gewähren sei, war seinerzeit einer der wesentlichen Gründe für die Annahme, die Kündigungsschutzklage habe generell den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung zum Gegenstand. Vom Standpunkt der herrschenden punktuellen Streitgegenstandsauffassung aus gesehen werden Folgekündigungen der bezeichneten Art von der gegen eine vorangehende Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage dagegen nicht erfasst. Für den Arbeitnehmer erhebt sich daher die Frage, wie er verhindern kann, dass sein Arbeitsverhältnis während des Prozesses über eine von ihm mit der Kündigungsschutzklage angegriffene erste Kündigung durch eine weitere Kündigung nach § 7 KSchG selbst dann aufgelöst wird, wenn diese Folgekündigung im Zeitpunkt ihrer Erklärung unwirksam ist. Das BAG hatte ursprünglich als Konsequenz der punktuellen Streitgegenstandsauffassung angenommen, um das Wirksamwerden der Folgekündigungen durch Versäumung der im Kündigungsschutzgesetz festgelegten dreiwöchigen Klagefrist zu verhindern, müsse jede neue Kündigung mit einer weiteren Kündigungsschutzklage bekämpft werden.7 Wie leicht zu erkennen ist, kann das Erfordernis einer solchen Häufung der Klagen um des letztlich einheitlichen Zieles willen, den Bestand des Arbeitsverhältnisses sicherzustellen, den Arbeitnehmer erheblich belasten. Zu denken ist nicht zuletzt auch an die Gefahr, dass im Rahmen des schwebenden Kündigungsschutzverfahrens oder im unmittelbaren Zusammenhang mit ihm von Seiten des Arbeitgebers Erklärungen abgegeben werden, denen die Bedeutung einer weiteren Kündigung beigemessen werden kann, ohne dass dies auf der Seite des Arbeitnehmers innerhalb der Frist des § 4 KSchG bemerkt wird. Mit Recht hat sich daher auch beim BAG seit langem die Auffassung durch-
5 S. zur Möglichkeit einer solchen Einschränkung bereits Bötticher FS Herschel, 1955, S. 181, 189; ebenso z.B. Dauner-Lieb Anm. zu BAG EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 57, S. 17 f. 6 Zu denken ist sowohl an Folgekündigungen während des Verfahrens als auch an solche, die – wie etwa im Falle der Entscheidung BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 53 – als Akt der Wiederholung vor der gegen die erste Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage ausgesprochen werden. 7 BAG AP KSchG § 3 Nr. 5, unter I, mit Anm. A. Hueck.
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gesetzt, dass der Arbeitnehmer eines griffigen Mittels bedürfe, um sich auch gegen Folgekündigungen umfassend zu wehren, und dass ein solches in der Verbindung der (punktuellen) Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG mit einer Feststellungsklage i.S. von § 256 ZPO zu sehen sei, mit der der Arbeitnehmer die allgemeine Feststellung begehrt, sein Arbeitsverhältnis bestehe über den Kündigungstermin der mit der Kündigungsschutzklage angegriffenen Kündigung hinaus fort. Auf diese Weise wird im Ansatz sowohl dem punktuellen Sinn und Gepräge der Kündigungsschutzklage Rechnung getragen als auch den besonderen Arbeitnehmerinteressen, die – wie erwähnt – der Auffassung zugrunde lagen, schon die Kündigungsschutzklage habe den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung zum (Streit-)Gegenstand.
II. Inhaltliche Erfordernisse der Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Das alles ist inzwischen weitgehend anerkannt und brauchte daher kaum erneut besprochen zu werden. Schaut man sich die Lage genauer an, so stößt man indessen noch immer auf mancherlei Unklarheiten. 1. Die Einbeziehung von Folgekündigungen in das Verfahren Eine erste betrifft die Frage, was im Falle einer Kündigungsschutzklage, die um einen allgemeinen Feststellungsantrag der bezeichneten Art erweitert ist, im Einzelnen zu geschehen hat, um Folgekündigungen, die der Arbeitgeber bis zur letzten Tatsachenverhandlung gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer ausspricht, wirksam und sicher in den Prozess einzubeziehen. a) Kennzeichnend hierfür sind etwa die Erwägungen, die man in einem Urteil des BAG vom 13.3.1997 8 findet: Durch eine allgemeine Feststellungsklage des Arbeitnehmers auf ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach § 256 ZPO – so führt das BAG dort aus – sei der Arbeitgeber auch nach Sinn und Zweck des § 4 KSchG hinreichend gewarnt, dass der Arbeitnehmer sich gegen alle weiteren Kündigungen wenden wolle; die Einhaltung der Dreiwochenfrist für die Einführung der konkreten Kündigung in den Prozess zu fordern wäre deshalb reine Förmelei.9 Und weiter heißt es dann: Werde durch eine solche allgemeine Feststellungsklage eine eventuell später ausgesprochene Kündigung mit erfasst, sei der beklagte Arbeitgeber gehalten, den ihm günstigen Beendigungstatbestand in den Prozess einzu8 BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 38 mit Anm. Diller = EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 57 mit Anm. Dauner-Lieb. 9 AaO unter II 1c.
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bringen, weil er sich auf ihn nach rechtskräftiger antragsgemäßer Feststellung nicht mehr berufen könnte. Der Arbeitnehmer müsse seinerseits nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung diese in den Prozess einführen und unter teilweiser Einschränkung des Feststellungsantrags (§ 264 Nr. 2 ZPO) einen dem Wortlaut des § 4 KSchG angepassten Antrag stellen.10 Im Folgenden wird zur Einführung einer weiteren Kündigung in den Prozess schließlich noch gesagt, dass die Klage nach § 4 KSchG umzustellen sei und dann von der allgemeinen Feststellungsklage nicht mehr erfasst werde.11 Der Eindruck, der sich hiernach aufdrängt, ist zunächst der, dass die Bedeutung der allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen darin gesehen wird, den Arbeitnehmer für die Bekämpfung der bis zur letzten Tatsachenverhandlung ausgesprochenen Folgekündigungen von dem Zwang der Klagefrist des § 4 KSchG zu befreien. Für erforderlich zu halten scheint das BAG dabei aber, dass die etwaigen Folgekündigungen in das Verfahren über die allgemeine Feststellungsklage besonders eingeführt werden, wobei nicht ganz klar wird, gegen wen sich dieses Erfordernis richtet. Denn – wie erwähnt – wird einerseits unter Hinweis auf die Rechtskraftwirkung einer der Feststellungsklage stattgebenden Entscheidung davon gesprochen, dass der Arbeitgeber gehalten sei, den ihm günstigen Beendigungstatbestand in den Prozess einzubringen, während andererseits vom Arbeitnehmer verlangt wird, etwaige Folgekündigungen seinerseits unter Umstellung seines Klageantrags in den Prozess einzuführen. b) Inzwischen hat sich das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2005 12 freilich noch mit anderen Wendungen zur fraglichen Situation geäußert. So wird nunmehr etwa gesagt, bei einer zulässigen allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO werde der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses unter Einbeziehung eventueller Kündigungen geprüft; es seien deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe zu erörtern. Die Rechtskraft eines positiven Feststellungsurteils erfasse alle diese Beendigungsgründe.13 Dazu heißt es des Weiteren, mit der Klageerhebung im Kündigungsschutzprozess brauche nicht der Wortlaut des § 4 S. 1 KSchG wiederholt zu werden, wenngleich dies zweckmäßigerweise geschehen sollte. Auch die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO, die auf Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, wahre die Frist des § 4 S. 1 KSchG, wenn sie dahin auszulegen sei, dass der Arbeitnehmer der Sache nach die von der Fiktionswirkung des § 7 KSchG 14 erfassten Unwirk-
10
AaO unter II 3a. AaO unter II 3b. 12 BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 53. 13 AaO unter B I 2. 14 In der Entscheidung wird an dieser Stelle – wohl versehentlich – von Fiktionswirkung des § 4 KSchG gesprochen. 11
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samkeitsgründe – also das Klageziel einer Klage nach §§ 4, 13 KSchG – geltend machen wolle.15 c) Was die Klagefrist des § 4 KSchG und die an ihre Versäumung geknüpfte materiellrechtliche Wirkung des § 7 KSchG anbetrifft, so ist danach auf jeden Fall davon auszugehen, dass sie – wenn die zur Bekämpfung einer ersten Kündigung nach § 4 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage um den allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erweitert wird – hinsichtlich etwaiger, der ersten Kündigung nachfolgender Kündigungen durch den zur Erörterung stehenden allgemeinen Feststellungsantrag grundsätzlich gewahrt werden kann. Und in der Tat ist gegenüber dem Arbeitgeber die Warnungs- und Klarstellungsfunktion des § 4 KSchG hinsichtlich der Folgekündigungen vollauf erfüllt, wenn – wie wohl in aller Regel angenommen werden kann – mit dem allgemeinen Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, unmissverständlich der Wille zum Ausdruck gebracht wird, am Arbeitsverhältnis auf jeden Fall festzuhalten. d) Zu fragen bleibt aber, inwieweit besondere sachliche Anforderungen für die (nicht der Frist des § 4 KSchG unterworfene) Einführung etwaiger Folgekündigungen in das Verfahren über die allgemeine Feststellungsklage zu gelten haben. Mit aller Deutlichkeit zeigt sich diese Seite des Problems der allgemeinen Feststellungsklage an der bereits erwähnten Entscheidung des BAG vom 13.3.1997. Wird – um es zu wiederholen – in dieser doch davon gesprochen, dass der beklagte Arbeitgeber gehalten sei, den ihm günstigen Beendigungstatbestand in den Prozess einzubringen, weil er sich auf ihn nach rechtskräftiger antragsgemäßer Feststellung nicht mehr berufen könne, und dass der Arbeitnehmer seinerseits nach Kenntnis von einer weiteren Kündigung diese in den Prozess einführen und unter teilweiser Einschränkung des Feststellungsantrags (§ 264 Nr. 2 ZPO) einen dem Wortlaut des § 4 KSchG angepassten Antrag stellen müsse.16 Die Auffassung, dass es von Seiten des Arbeitnehmers einer spezifischen Umstellung des allgemeinen Feststellungsantrages bedürfe, kann freilich nach den zitierten jüngeren Äußerungen des BAG zum Klageantrag im Kündigungsschutzverfahren 17 wohl als inzwischen aufgegeben gelten. Inwieweit es überhaupt auf eine besondere Einführung von Folgekündigungen in das allgemeine Feststellungsverfahren ankommt, ist damit aber noch nicht abschließend geklärt. Dies gilt umso mehr, als sich vor dem Hintergrund der früheren Entscheidung die Frage stellt, wie es genauer zu verstehen ist, wenn das BAG in der zitierten neueren Entscheidung davon spricht, es komme für
15 16 17
AaO unter B II 1b; s. auch B 2 1 5. S. oben Fn. 8, 10, 11. S. oben Fn. 12, 15.
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den Streitgegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO „auch auf den gestellten Antrag und/oder darauf an, was der Kläger erkennbar gewollt hat“, und es seien alle „nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe“ zu erörtern.18 aa) Betrachtet man die Lage unter allgemeinen prozessrechtlichen Aspekten, so besteht für den Kläger einer Klage auf Feststellung des Bestehens eines bestimmten Rechtsverhältnisses – im vorliegenden Zusammenhang des umstrittenen Arbeitsverhältnisses – bei unterstellter Zulässigkeit der Klage von der Sache her keine zwingende Notwendigkeit, gegebenenfalls von sich aus vorzubringen, dass sein Gegner eine Kündigungserklärung abgegeben habe. Die Kündigung hat im Streit um das Bestehen des Arbeitsverhältnisses die Bedeutung einer Einrede (im prozessrechtlichen Sinne), für die nach allgemeinen Regeln im Rahmen des vom Arbeitnehmer betriebenen Feststellungsverfahrens der beklagte Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast trägt. Und ist der Feststellungsklage stattgegeben worden, so schneidet die Rechtskraft eine nachfolgende Berufung auf eine das Arbeitsverhältnis vor der letzten Tatsachenverhandlung beendende Kündigung auf jeden Fall ab. Gehört es doch zu den anerkannten Regeln der Rechtskraft, dass Einwendungen und Einreden, deren begründende Tatsachen im Zeitpunkt der für die Entscheidung maßgeblichen mündlichen Verhandlung bereits vorlagen, in einem späteren Verfahren selbst dann nicht zu einer Abweichung von der rechtskräftig getroffenen Feststellung führen können, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen im vorangehenden Prozess nicht vorgetragen worden sind.19 Unter diesem Aspekt gesehen, ist es daher Sache des beklagten Arbeitgebers, im Feststellungsverfahren über den Bestand des umstrittenen Arbeitsverhältnisses eine etwaige Kündigung verteidigungsweise geltend zu machen.20 bb) Zu erwägen bleibt von diesem Ansatz aus, ob der besondere Regelungsgehalt der §§ 4, 7 KSchG Anlass zu einer abweichenden Problembehandlung gibt. Bedenkt man, welche Rechtsfolgen sinnvollerweise mit einem an den klagenden Arbeitnehmer gerichteten Gebot verbunden sein könnten, eine etwaige Folgekündigung des beklagten Arbeitgebers von sich aus in den Prozess einzuführen, so ergibt sich Folgendes: Da die im Zusammenhang mit der Kündigungsschutzklage erhobene allgemeine Feststellungsklage – wie nach dem Gesagten als gesichert gelten darf – für Folgekündigungen, die bis zum Schluss der mündlichen Tatsachenverhandlung ausgesprochen werden, die Klagefrist des § 4 KSchG grundsätzlich wahrt, kommt der materiellrechtliche Aspekt eines etwaigen Wirksamwerdens 18
BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 53, unter B I 2 (Hervorhebung vom Verf.). S. z.B. Stein/Jonas/Leipold ZPO, 21 Aufl. 1998, § 322 Rn. 229 m.w.N. Vgl. dazu auch Otto Die Präklusion, 1970, S. 80 ff. 20 So z.B. ausdrücklich auch Stahlhacke FS Wlotzke, 1996, S. 173, 187 f. 19
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einer solchen Kündigung wegen unterbliebener Einführung in das Verfahren praktisch nicht in Betracht. Denn ist der Ausspruch der Kündigung im Verfahren gar nicht vorgebracht worden, ist es von vornherein ausgeschlossen, dass das Gericht sie in seiner Entscheidung als wirksamen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ansieht. Und geht man dazu von den erwähnten allgemeinen Rechtskraftregeln aus, kann der Arbeitgeber nach seinem Unterliegen im Feststellungsverfahren auch nicht mehr in einem neuen Prozess gegenüber dem Arbeitnehmer geltend machen, dass das Arbeitsverhältnis durch eine in den Vorprozess nicht eingeführte, aber damals bereits vorliegende Kündigung vor der letzten Tatsachenverhandlung sein Ende gefunden habe. Fragen lässt sich danach nur noch, ob die Vorschriften der §§ 4, 7 KSchG einen von den allgemeinen Regeln abweichenden besonderen Zuschnitt von Streitgegenstand und Rechtskraft für die im Zusammenhang mit einer Kündigungsschutzklage erhobene allgemeine Feststellungsklage auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses erfordern. Konkreter gesprochen geht es um die Frage, ob im Falle der zur Erörterung stehenden allgemeinen Feststellungsklage Streitgegenstand und Rechtskraft als in der Weise eingeschränkt anzusehen sind, dass etwaige Folgekündigungen nur insoweit erfasst werden, als sie in das Verfahren eingeführt worden sind. Die Konsequenz einer solchen Einschränkung wäre dann insbesondere im Bereiche der Rechtskraft, dass der Arbeitgeber – entgegen den genannten allgemeinen Regeln – auch nach seinem Unterliegen im Feststellungsverfahren noch ungehindert geltend machen könnte, das Arbeitsverhältnis sei bereits vor der letzten Tatsachenverhandlung des Vorprozesses durch eine in diesen nicht eingeführte Kündigung beendet worden. In das zuvor ergangene Feststellungsurteil, dass das umstrittene Arbeitsverhältnis fortbesteht, müsste also gewissermaßen der stillschweigende Vorbehalt etwaiger nicht vorgebrachter Kündigungen hineingelesen werden. Dass Urteile, die die Entscheidung über bestimmte Teile des Streitstoffes offenlassen, im Rahmen des geltenden Verfahrensrechtes grundsätzlich denkbar sind, ist dabei nicht zu bezweifeln. Die Vorschriften der §§ 309, 599 ZPO für die Fälle der Haftungsbeschränkung des Erben und des Urkunden- und Wechselprozesses bieten geläufige Beispiele. Und auch außerhalb des Bereichs ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen sind Konstellationen zu finden, in denen in einem Urteil die Entscheidung über einzelne Teile oder Aspekte des Streites einem anderen Verfahren oder Verfahrensabschnitt vorbehalten bleibt. Hingewiesen sei etwa auf die Lage bei Erlass einer Vorabentscheidung gemäß § 304 ZPO über den Grund eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs: Wie allgemein anerkannt ist, gehört hier der Einwand des mitwirkenden Verschuldens zwar im Regelfall zum Gegenstand des Grundurteils und kann dementsprechend nach § 318 ZPO im nachfolgenden Betragsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden; sofern das Mitverschulden
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nicht zu einem vollen Ausschluss des Anspruchs führen kann, wird jedoch zugelassen, dass das über den Grund entscheidende Gericht die Behandlung dem Betragsverfahren vorbehält.21 Zu erwähnen ist schließlich auch eine spezielle Konstellation aus dem Bereich der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung: Folgt man der verschiedentlich vertretenen Auffassung, dass mit der Rechtskraft eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils zugleich für den Kündigungstermin das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien festgestellt werde, so ergibt sich die Frage, ob im Falle getrennter Kündigungsschutzklagen gegen aufeinander folgende Kündigungen die Rechtskraft der über eine von ihnen zugunsten des Arbeitnehmers ergehenden Entscheidung zugleich bewirkt, dass auch in dem noch anhängigen anderen Verfahren der Klage auf jeden Fall stattgegeben werden muss, wenn die in diesem umstrittene Kündigung denselben oder einen früheren Auflösungstermin betrifft. Das BAG verneint dies jedoch auf Grund der Annahme, dass in dem ersten Urteil eine etwaige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die noch nicht abschließend überprüfte andere Kündigung ausgeklammert werden könne.22 Auch insoweit wird es also unter bestimmten Umständen als zulässig angesehen, für einen Teil des Streitstoffes eine anderweitige Entscheidung vorzubehalten. Bei alledem handelt es sich jedoch um Sonderfälle, für deren spezielle Behandlung jeweils beachtliche eigene Gründe sprechen. Für den hier interessierenden Bereich der im Zusammenhang mit einer Kündigungsschutzklage erhobenen allgemeinen Feststellungsklage, die dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gilt, muss daher gefragt werden, ob Besonderheiten der Problemsituation vorliegen, die es gebieten könnten, Streitgegenstand und Rechtskraft der mit einer Kündigungsschutzklage zusammenhängenden allgemeinen Feststellungsklage der genannten Art entgegen den sonst geltenden Regeln in der zur Erörterung stehenden Weise einzuschränken. Und diese Frage ist eindeutig zu verneinen. Dass mit der auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung bezogenen Feststellung über das Bestehen des Arbeitsverhältnisses alle gegenläufigen Einwendungen erledigt werden, ist von der Funktion der allgemeinen Feststellungsklage aus gesehen in jeder Hinsicht sachgerecht. Dem Interesse des klagenden Arbeitnehmers entspricht dieses Ergebnis von vornherein, und für den beklagten Arbeitgeber kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass von ihm zu erwarten ist, eine von ihm selbst ausgesprochene Kündigung, die die vom Arbeitnehmer begehrte Feststellung ausschließen müsste, dem Gericht im Verfahren zur Kenntnis zu bringen. Sachliche Gründe, die es demgegenüber rechtfertigen könnten, dem im Feststellungsverfahren rechtskräftig unterlegenen Arbeitgeber gegenüber
21 22
S. z.B. BGHZ 110, 196, 202; BGH NJW 2000, 1572, 1573. S. BAG AP BMT-G II § 54 Nr. 5, unter B II 2.
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dem Arbeitnehmer die nachträgliche Berufung auf eine frühere, aber im Vorprozess nicht geltend gemachte Kündigung zu erlauben, bei deren Wirksamkeit sich die getroffene rechtskräftige Feststellung als unzutreffend erweisen würde, sind nicht zu erkennen. Es muss daher bei dem Ergebnis bleiben, dass sich der Arbeitgeber nach Eintritt der Rechtskraft eines im allgemeinen Feststellungsverfahren zugunsten des Arbeitnehmers ergangenen Urteils grundsätzlich nicht mehr auf eine im Prozess nicht geltend gemachte Kündigung berufen kann, kraft derer das Arbeitsverhältnis entgegen der getroffenen Feststellung im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung bereits beendet gewesen wäre. 2. Zum systematischen Verhältnis zwischen Kündigungsschutzklage und allgemeiner Feststellungsklage Bestätigen die vorgetragenen Überlegungen, dass die im Zusammenhang mit einer Kündigungsschutzklage erhobene allgemeine Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses den Erfordernissen der §§ 4, 7 KSchG genügt und für den Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung abschließende Klarheit über den Bestand des betreffenden Arbeitsverhältnisses zu schaffen vermag, so erscheint es des Weiteren von Interesse, in welchem systematischen Verhältnis – genauer besehen – die Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG und die bezeichnete allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO zueinander stehen. a) Das BAG geht zu dieser Thematik von der Auffassung aus, dass man es mit zwei verschiedenen Streitgegenständen zu tun hat, die nach § 260 ZPO im Wege der Klagenhäufung miteinander verbunden werden können. Im Schrifttum wird dem gelegentlich die Bemerkung hinzugefügt, die Kündigungsschutzklage sei hinsichtlich ihres Streitgegenstandes gegenüber der allgemeinen Feststellungsklage kein „Weniger“, sondern ein „aliud“.23 Für den Fall aber, dass eine Kündigungsschutzklage wegen einer Folgekündigung erhoben wird, während bereits ein Verfahren über eine auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtete allgemeine Feststellungsklage schwebt, wird auch davon gesprochen, dass unter diesen Umständen zwischen beiden Streitgegenständen ein Verhältnis der Teilidentität bestehe.24
23 S. z.B. APS/Ascheid/Hesse 3. Aufl. 2007, § 4 KSchG Rn. 138; ErfK/Kiel 8. Aufl. 2008, § 4 KSchG Rn. 53 – jeweils m.w.N. Ebenso, aber auf Grund der Annahme, dass durch eine zur Kündigungsschutzklage hinzutretende allgemeine Feststellungsklage die Klagefrist des § 4 KSchG nicht gewahrt werden könne, Boemke RdA 1995, 211, 214, 219 ff.; s. dazu auch ders. Anm. zu BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 33. 24 S. z.B. Boewer RdA 2001, 380, 388; Linck in: v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG, 14. Aufl. 2007, § 4 Rn. 135; Stahlhacke (Fn. 20) S. 173, 186.
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Betrachtet man die Lage unter dem Blickwinkel einer punktuellen Auffassung vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage, so kann sicher kein Zweifel daran bestehen, dass mit der allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ein Komplex zur Entscheidung gestellt werden soll, der über den Wirkungsbereich der Kündigungsschutzklage hinausgreift; und dies bedeutet prozessrechtlich gesehen, dass man es vom Ansatz her in der Tat mit einem anderen Streitgegenstand zu tun hat als dem der Kündigungsschutzklage. Wenn man mit dem BAG annimmt, das der Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil stelle zugleich fest, dass zumindest im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den streitenden Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe,25 lässt sich freilich erwägen, ob die beiden Gegenstände im Hinblick auf ihren einander ergänzenden jeweiligen Zeitbezug bei ihrer Verbindung in einem Verfahren zu einem einheitlichen Gesamtgegenstand verschmelzen. Zu denken wäre dabei etwa an einen Vergleich mit der Lage, die sich ergibt, wenn zur Klage wegen eines abgegrenzten Teilanspruches im selben Verfahren die klageweise Geltendmachung eines weiteren Teiles hinzutritt. Wesentliche Konsequenzen knüpfen sich hieran aber nicht, so dass die Frage nicht vertieft zu werden braucht. b) Aufmerksamkeit verdienen dagegen die beiden weiteren Punkte, ob die Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG durch die zur Erörterung stehende allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO beliebig ersetzt werden kann und wie zu verfahren ist, wenn ein Arbeitnehmer eine Folgekündigung mit einer (weiteren) Kündigungsschutzklage anficht, obwohl sie bereits von einer zuvor erhobenen allgemeinen Feststellungsklage erfasst wird. aa) Ist die allgemeine Feststellungsklage – wie sich gezeigt hat – sachlich geeignet, im Hinblick auf Folgekündigungen die besonderen Warnungs- und Rechtssicherheitsaufgaben der §§ 4, 7 KSchG zu erfüllen, und vermag sie darüber hinaus zu einer umfassenderen Streiterledigung zu führen als die Kündigungsschutzklage des § 4 KSchG, so drängt sich die Frage auf, ob es im Sinne effektiver Gestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes für den Arbeitnehmer nicht vielfach angezeigt sein könnte, sich gegen eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung von vornherein mit einer innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG zu erhebenden Klage auf Feststellung, dass das betreffende Arbeitsverhältnis ungekündigt bestehe, statt mit einer Kündigungsschutzklage i.S. des § 4 KSchG zu wehren. Wie nicht zu übersehen ist, liefe eine solche Austauschbarkeit der Klagen im Ergebnis freilich auf eine Problembehandlung hinaus, die weitgehend derjenigen der von der h.M. grundsätzlich abgelehnten, auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses ausgerichteten kündigungsschutzrechtlichen Streitgegen-
25 Vgl. BAG AP BMT-G II § 54 Nr. 5, Leits. 1 und B II 1; BAG AP BGB § 626 Nr. 196, unter B I 1b aa.
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standsauffassung entspräche. Dies wäre für sich allein indessen schwerlich ein überzeugender Sachgrund für eine Ablehnung a limine; ist doch den Gesetzesmaterialien nichts zu entnehmen, was dafür sprechen könnte, dass man bei der Konzeption der Vorgängerregelung des heutigen § 4 KSchG den Problemkomplex möglicher Folgekündigungen näher bedacht hat – und etwa der spezifische Kündigungsbezug der Klage dem Zweck hätte dienen sollen, dem Prozessrisiko des Arbeitgebers im Kündigungsrechtsstreit engere Grenzen zu setzen als die, die im Falle einer normalen Feststellungsklage gelten. Auch bliebe im Falle der bezeichneten Lösung die gesetzgeberische Absicht unangetastet, sozialwidrige Kündigungen als ipso iure unwirksam zu behandeln und nicht nur als im Klagewege anfechtbar.26 Eine Sachbehandlung dieser Art wäre indessen mit dem geltenden Kündigungsschutzrecht nicht mehr zu vereinbaren.27 Nach der gesetzlichen Regelung des § 4 KSchG ist als Ausgangspunkt des Kündigungsschutzverfahrens auf jeden Fall eine Klage erforderlich, die sich gegen eine konkrete Kündigung richtet. Diesen Ansatz hat übrigens auch die umfassende bestandsrechtliche Theorie vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nicht in Zweifel gezogen. Der allgemeinen Feststellungsklage in dem besprochenen Rahmen kündigungsschutzrechtliche Funktionen beizumessen hat demgegenüber lediglich die Bedeutung einer Ergänzung im Hinblick auf die besondere Problematik möglicher Folgekündigungen. Ein hinreichender Grund, wegen dieses Sachkomplexes eine generelle Ersetzung des besonders geregelten Instrumentariums der Kündigungsschutzklage mit ihrer materiellrechtlichen Wirkung nach § 7 KSchG durch die allgemeine Feststellungsklage zuzulassen, ist hierin nicht zu sehen. Und dies gilt kraft der Entscheidung des Kündigungsschutzgesetzes unabhängig davon, ob es möglich wäre, die von der gesetzlichen Regelung verfolgten Zwecke der Klarheit und Sicherheit generell auch mit Hilfe einer einfachen Feststellungsklage zu erreichen. Es muss insoweit mithin dabei bleiben, dass der Regelung des KSchG spezialgesetzliche Bedeutung zukommt. Für das Verhältnis zwischen Kündigungsschutzklage und allgemeiner Feststellungsklage ergibt sich aus dem Gesagten zugleich, dass die allgemeine Feststellungsklage die besprochene kündigungsschutzrechtliche Funktion gegenüber Folgekündigungen nur dann erfüllen kann, wenn sie im Zusammenhang mit einer gegen eine erste Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage erhoben wird. Womit man es insoweit zu tun hat, ist also gewissermaßen ein Ergänzungs- oder Auffangtatbestand. Wird einer Klage auf Feststellung des Bestehens eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses stattgegeben, ohne dass ein Zusammenhang der erwähnten Art mit einer Kündigungsschutzklage besteht, so würde zwar auch unter 26 27
Vgl. Herschel BB 1951, 61 f.; A. Hueck FS Nipperdey, 1955, S. 99, 101 f. S. ErfK/Ascheid 6. Aufl. 2006, § 4 KSchG Rn. 86.
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diesen Umständen die Rechtskraft den unterlegenen Arbeitgeber daran hindern, sich gegenüber dem Arbeitnehmer nachträglich mit Erfolg auf eine das Arbeitsverhältnis vor der letzten Tatsachenverhandlung beendende Kündigung zu berufen. Woran es fehlte, wäre aber die der Kündigungsschutzklage zukommende Wirkung des § 7 KSchG: Eine vom Arbeitgeber ausgesprochene unwirksame Kündigung könnte während des Feststellungsprozesses nach § 7 KSchG wirksam werden und damit zur Abweisung der Klage des Arbeitnehmers führen. bb) Das Verhältnis zwischen der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG und der bezeichneten allgemeinen Feststellungsklage steht schließlich auch dann in Frage, wenn während des Verfahrens über eine Kündigungsschutzklage und eine mit dieser verbundenen allgemeinen Feststellungsklage eine vom Arbeitgeber ausgesprochene weitere Kündigung vom betroffenen Arbeitnehmer mit einer zusätzlichen Kündigungsschutzklage angegriffen wird. Da nach den vorgetragenen Überlegungen diese neue Kündigung bereits von der zuvor erhobenen allgemeinen Feststellungsklage mit erfasst wird, liegt die Folgerung nahe, dass der neuen Kündigungsschutzklage und der mit ihr einhergehenden Gefahr einer Verfahrensdoppelung die Rechtshängigkeitssperre des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegenstehen müsse und diese Klage daher als unzulässig abzuweisen sei. Und in der Tat wird dies im Schrifttum verschiedentlich so vertreten 28 und entspricht in systematischer Hinsicht voll der Lösung, die sich nach allgemeinen Regeln im Falle der Teilidentität der Streitgegenstände aufeinander folgender Klagen zwischen denselben Parteien ergibt: Soweit sich die Streitgegenstände decken, ist während der Rechtshängigkeit des ersten die spätere Klage unzulässig. Bemerkenswerterweise beurteilt das BAG das Verhältnis der beiden Klagen zueinander aber anders. Nach seiner Ansicht muss nicht die später erhobene Kündigungsschutzklage der früheren allgemeinen Feststellungsklage weichen. Es nimmt vielmehr in umgekehrter Richtung an, dass mit der Erhebung der zusätzlichen Kündigungsschutzklage das Feststellungsinteresse für die allgemeine Feststellungsklage insoweit entfalle, als sie die neue Kündigung betreffe.29 Der Kündigungsschutzklage wird damit von der Sache her ein Vorrang vor der allgemeinen Feststellungsklage eingeräumt. Und in der Tat wäre ein solcher ohne weiteres dann anzunehmen, wenn die Kündigungsschutzklage ein Element des Rechtsschutzes enthielte, das mit der allgemeinen Feststellungsklage nicht zu erreichen wäre. Die Lage wäre dann etwa derjenigen vergleichbar, die entsteht, wenn während des Verfahrens über eine 28 S. z.B. Ascheid/Hesse (Fn. 23) § 4 KSchG Rn. 139; ErfK/Kiel (Fn. 23) § 4 KSchG Rn. 62; Linck (Fn. 24) § 4 Rn. 133 ff.; Vossen in: Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl. 2005, § 1 Rn. 1896 – jeweils m.w.N. 29 S. BAG AP BGB § 611 Treuepflicht Nr. 10; BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 33 mit Anm. Boemke.
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negative Feststellungsklage von Seiten des Beklagten der umstrittene Anspruch in umgekehrter Richtung mit einer Leistungsklage geltend gemacht wird. Geht die überwiegende Auffassung doch dahin, dass unter diesen Umständen das Feststellungsinteresse für die früher erhobene negative Feststellungsklage in der Regel entfalle (und die Hauptsache insoweit erledigt sei), weil auch die Leistungsklage zu einer Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des umstrittenen Rechtes führt und der Kläger in diesem Rahmen darüber hinaus einen Vollstreckungstitel erlangen kann, der im Verfahren über die gegen ihn gerichtete negative Feststellungsklage nicht erreichbar ist.30 Für das Verhältnis zwischen allgemeiner Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der gegen eine weitere Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage ließe sich auf diesem Hintergrund erwägen, ob gegenüber der früher erhobenen allgemeinen Feststellungsklage ein zusätzliches Element der Kündigungsschutzklage darin zu erblicken ist, dass sie für den Arbeitnehmer die Möglichkeit begründet, unter den Voraussetzungen des § 9 KSchG eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitiger Zuerkennung einer Abfindungszahlung zu erreichen. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil das BAG davon gesprochen hat, für einen Antrag nach §§ 9, 10 KSchG sei ein Übergang vom allgemeinen Feststellungsantrag zum engeren und spezielleren Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage geboten.31 Misst man der mit einer Kündigungsschutzklage verbundenen allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses die besprochene kündigungsschutzrechtliche Wirkung für Folgekündigungen bei, so liegt indessen die Frage nicht ganz fern, ob die Regelung der §§ 9, 10 KSchG nicht entsprechend auch dann anzuwenden ist, wenn sich die Unwirksamkeit einer Kündigung im Zusammenhang mit der Entscheidung über den allgemeinen Feststellungsantrag ergibt. Diese Seite des Problems braucht jedoch im vorliegenden Rahmen nicht vertieft zu werden. Denn entscheidend muss auf jeden Fall sein, dass § 4 KSchG generell die speziellere Regelung enthält und die Anerkennung der kündigungsschutzrechtlichen Wirkung der allgemeinen Feststellungsklage nur im Sinne eines Auffangtatbestandes ergänzend zu dieser hinzutritt. Diesem Grundverhältnis entspricht es, dass die allgemeine Feststellungsklage das speziellere Instrument der gegen eine bestimmte Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage nicht ausschließen kann, sondern – funktional gesehen – dieser Raum geben muss.32 Die Annahme, dass mit der gegen eine
30
Vgl. A. Zeuner FS G. Lüke, 1997, S. 1003, 1009 ff. S. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 38, unter II 1c. 32 Dass dies angemessen ist, wird besonders deutlich, wenn man die Situation bedenkt, die entsteht, wenn eine Folgekündigung im Zeitraum zwischen den Verfahren erster und zweiter Instanz und vor Einlegung einer Berufung ausgesprochen wird; vgl. dazu BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 49. 31
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Folgekündigung gerichteten Kündigungsschutzklage im selben Umfange das Feststellungsinteresse für eine zuvor erhobene allgemeine Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses entfällt, trägt dem in angemessener Weise Rechnung. Wie das BAG mit Recht bemerkt, kann der klagende Arbeitnehmer den allgemeinen Feststellungsantrag insoweit ohne weiteres einschränken (worin in der Regel zudem die Erklärung über eine entsprechende Erledigung der Hauptsache zu finden ist), und vielfach wird in der Geltendmachung des gegen die Folgekündigung gerichteten neuen Antrages nach § 4 KSchG zugleich eine solche Einschränkung des allgemeinen Feststellungsantrags zu erblicken sein.33
III. Der Feststellungsantrag und seine Zulässigkeit 1. Feststellungsinteresse und Feststellungsantrag und die Rechtsprechung des BAG Nach § 256 ZPO ist die Zulässigkeit der Feststellungsklage davon abhängig, dass der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des zur Entscheidung gestellten Rechtsverhältnisses hat. Für die Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG ergeben sich hieraus – unbeschadet ihrer Konzeption als Feststellungsklage – keine ernsthaften Probleme, weil sich in diesem Falle das rechtliche Interesse des Klägers ohne weiteres daraus ergibt, dass § 7 KSchG die Erhebung der Klage erfordert, um das Wirksamwerden der angegriffenen Kündigung im Falle einer zunächst bestehenden Unwirksamkeit zu verhindern. Wird mit der Kündigungsschutzklage eine allgemeine Feststellungsklage der zur Erörterung stehenden Art verbunden, so stellt sich für diese – wie allgemein mit Recht angenommen wird – die Frage des erforderlichen Feststellungsinteresses dagegen gesondert. Und in diesem Punkte ist in der Rechtsprechung des BAG, der die Literatur insoweit vielfach zustimmt, eine erhebliche Zurückhaltung zu spüren. So wird etwa davon gesprochen, das besondere Feststellungsinteresse für die allgemeine Feststellungsklage bestehe nicht schon deshalb, weil eine bestimmt bezeichnete Kündigung erklärt worden und wegen dieser ein Kündigungsrechtsstreit anhängig sei. Erforderlich sei vielmehr, dass der klagende Arbeitnehmer durch Tatsachenvortrag weitere streitige Beendigungstatbestände in den Prozess einführe oder wenigstens deren Möglichkeit darstelle und damit belege, warum dieser die Klage nach § 4 KSchG erweiternde Antrag zulässig sein, d.h. warum an der alsbaldigen Feststellung ein rechtliches Interesse bestehen solle.34 Und im Zusammen33
S. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 33, unter III 2b, mit Anm. Boemke. S. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 38, unter II 1b; vgl. auch aaO unter II 3b; BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 28, unter B II 2b (1). 34
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hang hiermit wird darüber hinaus angenommen, die Auslegung des im Kündigungsschutzverfahren zur Entscheidung gestellten Klagebegehrens könne u.U. sogar ergeben, dass mit dem einer Kündigungsschutzklage angefügten Zusatz, es möge das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den jeweiligen Kündigungstermin hinaus festgestellt werden, überhaupt kein selbständiger allgemeiner Feststellungsantrag i.S. von § 256 ZPO gestellt werde.35 2. Erfordernisse des Feststellungsantrags Überdenkt man die Situation vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen, so zeichnet sich dazu Folgendes ab: Unbestreitbar ist auch prozessuales Verhalten der Auslegung zugänglich; nach den jeweiligen Umständen des Falles kann daher hinsichtlich eines Zusatzes zu dem in § 4 KSchG vorgesehenen Kündigungsschutzantrag in der Tat zu fragen sein, ob der Kläger eine Entscheidung begehrt, die in ihrer Reichweite über den Gegenstand der Kündigungsschutzklage hinausgreift. Und mit Recht hebt das BAG auch hervor, dass das mit der Sache befasste Gericht gegebenenfalls nach § 139 ZPO auf eine Klarstellung hinzuwirken hat.36 Das alles kann jedoch nicht bedeuten, dass es an einem selbständigen Feststellungsantrag notwendigerweise schon dann fehlt, wenn der klagende Arbeitnehmer nichts Konkretes darüber vorträgt, dass weitere Kündigungen erklärt oder zu befürchten seien oder dass mit der Berufung des Arbeitgebers auf sonstige Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechnet werden müsse.37 Nach allgemeinen Regeln genügt es zur Begründung eines Antrags auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses von der Sache her, wenn Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich das Zustandekommen des Rechtsverhältnisses ergibt. Für die mit einer Kündigungsschutzklage verbundene allgemeine Feststellungsklage bliebe insoweit allenfalls zu überlegen, ob sich Besonderheiten daraus ergeben, dass nach der neueren Entwicklung mit ihr auch die Klagefrist des § 4 KSchG gewahrt werden soll. Mit der Frage, ob überhaupt ein selbständiger Feststellungsantrag vorliegt, hat dieser Aspekt jedoch nichts zu tun. Und was die Wahrung der Klagefrist anbetrifft, kann auf das dazu bereits Gesagte verwiesen werden: Wird eine allgemeine Feststellungsklage der zur Erörterung stehenden Art mit einer Kündigungsschutzklage verbunden, so besteht, wenn vor dem Schluss der letzten Tatsachenverhandlung eine weitere Kündigung ausgesprochen wird, für den Arbeitgeber, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat, im Allgemeinen keinerlei berechtigter Anlass, darauf zu vertrauen, diese
35 36 37
S. z.B. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 28, Nr. 29, Nr. 33. S. z.B. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 33. Vgl. Dütz/Singer Anm. zu BAG EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 49, S. 9 ff.
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Folgekündigung könne mangels einer zusätzlichen Gegenreaktion des Arbeitnehmers nach § 7 KSchG wirksam werden. Es bedarf daher in diesem Zusammenhang auch keiner grundsätzlichen Differenzierung zwischen allgemeinen Feststellungsklagen, die zur Wahrung der Frist nach § 4 KSchG geeignet sind, und solchen, für die dies nicht zuträfe. 3. Voraussetzungen des Interesses an alsbaldiger Feststellung Zu erörtern bleibt hiernach die Frage des Interesses an alsbaldiger Feststellung, von dem nach § 256 ZPO die Zulässigkeit der Feststellungsklage abhängt. Im Ausgangspunkt zuzustimmen ist dabei dem BAG, wenn es betont, dass für die mit einer Kündigungsschutzklage verbundene Fortbestands-Feststellungsklage keine geringeren Anforderungen zu stellen sind, als sie nach § 256 ZPO allgemein für Feststellungsklagen gelten.38 Nicht entschieden ist damit jedoch, in welcher Weise diese Anforderungen zu konkretisieren sind. Und in dieser Hinsicht gewinnt man den Eindruck, dass das BAG um eine deutlich einschränkende Linie bemüht ist. Hingewiesen sei dazu noch einmal auf Wendungen wie die, zur Begründung des Feststellungsinteresses i.S. von § 256 ZPO sei es erforderlich, dass der Arbeitnehmer durch Tatsachenvortrag weitere streitige Beendigungstatbestände in den Prozess einführe oder wenigstens deren Möglichkeit darstelle; dass eine bestimmt bezeichnete Kündigung ausgesprochen worden und wegen dieser ein Kündigungsrechtsstreit anhängig sei, genüge nicht.39 Eine durch die jeweilige Kündigung möglicherweise ausgelöste, aber über diese hinausreichende und u.U. durchaus verständliche generelle Beunruhigung des betroffenen Arbeitnehmers hinsichtlich des weiteren Bestandes seines Arbeitsverhältnisses soll danach – so ist anzunehmen – als Grundlage eines Feststellungsinteresses i.S. von § 256 ZPO wohl nicht ausreichen. Das führt zur Frage, ob § 256 ZPO eine solche enge Auslegung tatsächlich gebietet. Wirft man dazu zunächst einen Blick in die Gesetzesbegründung zur Vorschrift des früheren § 223 CPO, auf die der heutige § 256 ZPO zurückgeht, so findet man zum Zulässigkeitserfordernis des Interesses an alsbaldiger Feststellung lediglich den Hinweis, dass auf diese Weise eine Grenze gezogen werde, die den Beklagten vor zu großer Belästigung schütze.40 Man darf dem aus heutiger Sicht hinzufügen, dass sicher auch dem öffentlichen Interesse am Schutz der staatlichen Gerichtsbarkeit vor unnötiger, ineffektiver Inanspruchnahme wesentliche Bedeutung dafür beizumessen ist, welche Anforderungen an das Feststellungsinteresse i.S. von § 256 ZPO zu stellen 38
S. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 38, unter II 1a. S. BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 38, unter II 1b; BAG AP KSchG 1969 § 4 Nr. 28, unter B II 2 b(1). 40 S. Hahn Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung I, 1880, S. 257. 39
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sind. Und schließlich mag darin, dass das erforderliche Rechtsschutzinteresse auf eine alsbaldige Feststellung gerichtet sein muss, zudem eine Abwehrtendenz gegen die Gefahren verfrühter Sachentscheidungen zu finden sein, wie sie ähnlich auch in den Vorschriften der §§ 257ff. ZPO über die nur begrenzte Zulässigkeit von Klagen auf künftige Leistung zum Ausdruck kommt. Wendet man sich auf diesem Hintergrund der mit einer Kündigungsschutzklage verbundenen allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu, so ist unverkennbar, dass sich aus keinem der genannten Aspekte das Erfordernis ableiten lässt, ein Interesse an alsbaldiger Feststellung in diesem Falle nur in besonders engen Grenzen anzuerkennen: Weder wird der beklagte Arbeitgeber durch Zulassung des FortbestandsFeststellungsantrages in gravierender Weise über den ohnehin durchzuführenden Kündigungsschutzprozess hinaus zusätzlich belastet, noch führt die Zulassung in aller Regel zu einem wesentlichen Mehraufwand auf Seiten des mit der Sache befassten Gerichtes. Und auch für die Besorgnis, dass es zu einer unnötig verfrühten Entscheidung mit erhöhter Fehleranfälligkeit kommen könnte, besteht unter den gegebenen Umständen kein erkennbarer Anlass. All dies aber spricht dafür, den Umstand rechtlich ernst zu nehmen, dass eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung für den betroffenen Arbeitnehmer häufig die verständliche Besorgnis auslösen kann, sein Arbeitsverhältnis sei über die mit der Kündigungsschutzklage angegriffene Kündigung hinaus auch weiterhin gefährdet.41 Die Lage hat insoweit eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen, die sich ergibt, wenn nach einer Rechtsgutsverletzung auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens geklagt wird. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht in derartigen Fällen für das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse grundsätzlich bereits die Möglichkeit von Spätfolgen aus, die so lange gegeben sei, als der Eintritt derartiger Schäden nicht ausgeschlossen werden könne; das Feststellungsinteresse – so betont der BGH – dürfe dementsprechend nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund bestehe, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen.42 Bei alledem ist freilich eines nicht zu verkennen: Wird die zur Erörterung stehende Verbindung von Kündigungsschutzklage und allgemeiner Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses weitgehend zugelassen, so gelangt man in der Sache zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie die Auffassung, dass der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung grundsätzlich bereits den Streitgegenstand der
41
Vgl. auch Vollkommer/Weinland Anm. zu BAG EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 33, S. 19. S. BGH NJW 2001, 3414, 3415; vgl. auch BGH NJW 2001, 1431, 1432; BGHZ 116, 60, 75. 42
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Kündigungsschutzklage bilde. Dies kann jedoch keinesfalls rechtfertigen, die allgemeine Feststellungsklage nur in engeren Grenzen zuzulassen. Denn in der punktuellen Ausrichtung der Kündigungsschutzklage auf die angegriffene konkrete Kündigung ist – wie im Anschluss an bereits Gesagtes 43 ausdrücklich betont sei – keine gesetzgeberische Wertung zu erkennen, die es erfordern könnte, die sich mit der allgemeinen Feststellungsklage bietenden Möglichkeiten einer erweiterten zusätzlichen Schutzgewährung in besonderer Weise zu beschränken. Insgesamt gesehen erscheint es danach angebracht, in den zur Erörterung stehenden Fällen der mit einer Kündigungsschutzklage verbundenen allgemeinen Feststellungsklage entgegen den vielfach zu spürenden Tendenzen keine sehr hohen Anforderungen an das Feststellungsinteresse i.S. des § 256 ZPO zu stellen. Die eingangs erwähnte bedauernde Äußerung des Jubilars zu der diese Frage betreffenden Rechtsprechung des BAG 44 erweist sich somit als wohlbegründet.
IV. Zur Wiederholung der Kündigung nach Erfolg des Arbeitnehmers im Kündigungsrechtsstreit Ein kurzer Blick mag zuletzt noch der Situation gelten, dass nach rechtskräftigem Abschluss eines für den Arbeitnehmer erfolgreichen Kündigungsrechtsstreits die Wirksamkeit einer vom Arbeitgeber nunmehr ausgesprochenen weiteren Kündigung in Frage steht. Dass der Arbeitnehmer, der auch diese Kündigung nicht hinnehmen will, sie wiederum im Wege der Kündigungsschutzklage bekämpfen muss, bedarf keiner weiteren Begründung. Und ebenso liegt auf der Hand, dass die neue Kündigung in diesem Verfahren in einer vom Vorprozess rechtlich unabhängigen Weise zu prüfen ist, wenn sie auf Umstände gestützt wird, über die noch nicht zu befinden war. Wie an anderer Stelle als Folge allgemeiner Prinzipien bereits näher begründet wurde 45 und im Ergebnis inzwischen weithin anerkannt ist, muss eine Rechtskraftbindung dagegen insoweit eingreifen, als die erneute Kündi43
Vgl. oben II.2.b) aa). S. oben bei Fn. 1. 45 A. Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (Fn. 2), S. 116 ff., 132 f. Es trifft übrigens nicht zu, dass aaO nur die beiden Regelungsmöglichkeiten der umfassenden Klage auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses einerseits und einer verkappten Gestaltungsklage zur Beseitigung der Gültigkeit einer zunächst wirksamen Kündigung andererseits erörtert würden, wie Ascheid FS Stahlhacke, 1995, S. 1, 8 meint. Behandelt wird vielmehr ausdrücklich auch die Lage, die sich aus der Perspektive der Auffassung vom punktuellen Charakter des Streitgegenstandes der Kündigungsschutzklage ergibt. – Vgl. auch A. Zeuner MDR 1956, 257, 259 ff. 44
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gung bei im Übrigen unverändertem Sachverhalt die im Vorprozess für unwirksam erkannte lediglich wiederholt.46 Das über die neue Kündigung befindende Gericht hat unter diesen Umständen seinem Urteil die in der Vorentscheidung enthaltene Wirksamkeitsbeurteilung im Sinne einer gewissermaßen erweiterten Präjudizialwirkung zugrunde zu legen. Zurückzuführen ist dies darauf, dass eine abweichende Beurteilung der Wirksamkeitsfrage im Widerspruch zum negatorischen Ordnungsgehalt der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge stünde, die den Streitgegenstand des Vorprozesses gebildet hat. Die Lage ist insoweit ganz ähnlich wie etwa im Falle der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsaktes. Ist es doch anerkannt, dass das rechtskräftige Urteil der im Prozess unterlegenen Behörde verwehrt, den gleichen Verwaltungsakt gegenüber demselben Betroffenen bei unveränderter Lage erneut zu erlassen,47 und dass bei einem Verstoß hiergegen das mit der Anfechtung des neuen Verwaltungsaktes befasste Gericht an die in der rechtskräftigen Vorentscheidung enthaltene Beurteilung gebunden ist.48 Und all dies gilt gleichermaßen auch dann, wenn über die vorangehende Kündigung nicht auf Grund einer selbständigen Kündigungsschutzklage befunden worden ist, sondern im Rahmen der mit einer solchen verbundenen allgemeinen Feststellungsklage auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.49
V. Ausblick Es entspricht der Eigenart des Arbeitsverhältnisses als einer auf Dauer angelegten Rechtsbeziehung, die für den Arbeitnehmer zudem typischerweise von existentieller Bedeutung ist, dass ein erfolgloser Versuch des Arbeitgebers, diese Beziehung zu beenden, auf Seiten des Arbeitnehmers oft die Sorge vor weiteren ähnlichen Versuchen sowie den verständlichen Wunsch auslösen kann, hiervor rechtlich geschützt zu werden. Nachdem sich die auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses abstellende umfassende Auffassung vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nicht durchzusetzen vermochte, kann dieser Grundgegebenheit in angemessener Weise durch die Verbindung der im Rahmen der historischen Entwicklungslinie punktuell verstandenen Kündigungsschutzklage mit einer allgemeinen Feststellungs-
46 S. z.B. BAG AP BGB § 626 Nr. 113; BAG AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 76; BAG AP KSchG 1969 § 1 Nr. 71, Nr. 75. In diesem Sinne bereits Bötticher (Fn. 5) S. 181, 193 ff. 47 S. z.B. BVerwGE 14, 359, 362 f.; 29, 210, 213 f.; 91, 256. 48 S. z.B. BVerwGE 14, 359, 362 f.; 91, 256, 258. 49 Vgl. A. Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft (Fn. 2), S. 98 ff., 132; ders. MDR 1956, 257 f., 259.
Die Behandlung mehrfacher Kündigungen im Kündigungsrechtsstreit
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klage der besprochenen Art Rechnung getragen werden. Sowohl die dem Kündigungsschutzgesetz zugrunde liegenden Wertungen als auch diejenigen des allgemeinen Verfahrensrechts lassen sich auf diese Weise systematisch voll zur Geltung bringen. Enge Einschränkungen, die nichts zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden beitragen, sondern ihrerseits Anlass zu zusätzlichen Unsicherheiten geben können, sind dabei von keiner Seite her geboten.
Verzeichnis der Schriften von Hansjörg Otto I. Monographien 1. Die Präklusion. Ein Beitrag zum Prozessrecht, Schriften zum Prozeßrecht, Bd. 18, Berlin, 1970 (Dissertationsschrift). 2. Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Zugleich 6. erneuerte und erweiterte Auflage der bisher in der Schriftenfolge „Die Verwaltung“ erschienenen gleichnamigen Schrift von Gerhard Wacke, Berlin, 1973. 3. Personale Freiheit und soziale Bindung. Zur Kontrolle und Gewährleistung personalmotivierten Verhaltens im Privatrecht, Schriften des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln, Bd. 38, München, 1978 (Habilitationsschrift). 4. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der koalitionsspezifischen Betätigung, Stuttgart, 1982. 5. Ist es erforderlich, die Verteilung des Schadensrisikos bei unselbständiger Arbeit neu zu ordnen? in: Bd. I der Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages Berlin, Teil E, München, 1986. 6. Einführung in das Arbeitsrecht, Darmstadt, 1991. 7. Einführung in das Arbeitsrecht, 2. Auflage, Berlin, 1997. 8. Die Haftung des Arbeitnehmers, 3. Auflage, Karlsruhe, 1998 (gemeinsam mit Roland Schwarze). 9. Arbeitsrecht, 3. Auflage, Berlin, 2003. 10. Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, München, 2006.
II. Kommentierungen und Beiträge in Sammelwerken 1. Staudinger, BGB, 12. Auflage, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 320–327, 1979. 2. Eingriffe in die Organisationsgewalt und Personalhoheit des Arbeitgebers. Bürokratisierung und Verrechtlichung der Arbeitswelt? Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, Bd. 111, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, S. 227.
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3. Das Zurückbehaltungsrecht an Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis, AR-Blattei: Zurückbehaltungsrecht I, 1981 4. Funkkolleg Recht, Studienbegleitbrief, hrsgg. vom Deutschen Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen, Studienbegleitbrief 11, Studieneinheit 28 „Der Arbeitnehmer im Betrieb“, 1983, S. 34. 5. Die Problematik des befristeten Arbeitsvertrages, in: Protokolle der Evangelischen Akademie Hofgeismar zur Tagung „Der befristete Arbeitsvertrag“ vom 19.–21.11.1984, Bd. 221, 1985, S. 3. 6. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Gesetzgeber, Richter und Tarifvertragsparteien hinsichtlich befristeter Arbeitsverträge, in: Protokolle der Evangelischen Akademie Hofgeismar zur Tagung „Der befristete Arbeitsvertrag“ vom 19.–21.11.1984, Bd. 221, 1985, S. 116. 7. Der Arbeitnehmer im Betrieb, in: Funkkolleg Recht, 1985, Bd. 3, S. 264. 8. Der Arbeitnehmer im Betrieb, in: Einführung in das Wirtschafts-, Arbeitsund Sozialrecht, UTB-Taschenbuch, 1985, S. 92. 9. Arbeitsrecht, in: Fischer-Lexikon Recht, 1987, S. 19. 10. Arbeitsrecht und Kirche – Probleme und Meinungsstand –, Diakonie im sozialen Rechtsstaat, Schriftenreihe der Diakonie (Recht/Bd. 3), Stuttgart, 1990, S. 102. 11. Der Warnstreik, in: Arbeitskampfrecht, Symposion Hugo Seiter zum Gedächtnis, Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht, Bd. 103, Berlin, 1990, S. 49. 12. Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, Fünfter Abschnitt, §§ 274–288, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, Kollektives Arbeitsrecht, München, 1993. 13. Staudinger, BGB, 13. Auflage, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 320–327, 1995. 14. Die Neuordnung der Arbeitnehmerhaftung, in: Brennpunkte des Arbeitsrechts, Veröffentlichung des Deutschen Anwaltsinstituts, Bochum, 1995, S. 63. 15. Das Zurückbehaltungsrecht an Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis, AR-Blattei SD 1880, Zurückbehaltungsrecht, 1996. 16. Rechtswissenschaften im sozialwissenschaftlichen Studiengang, in: Sozialwissenschaften – wo, wie und was dann?, Neuwied, 1996, S. 64. 17. Die Neuerung der Haftung im Arbeitsverhältnis, Arbeitsgruppe 5 der Fachtagung: Arbeitsvertragsrecht – Arbeitsschutzrecht am 05.10.1995 in Dortmund, Dokumentation hrsgg. vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, 1996, S. 190.
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18. Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, Fünfter Abschnitt, §§ 281–296, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, Kollektives Arbeitsrecht, München, 2000. 19. Staudinger, BGB, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 320– 327, Neubearbeitung 2001. 20. Staudinger, BGB, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 255– 304 Leistungsstörungen I, Bearbeitung 2004, §§ Vor 280, 280–284. 21. Staudinger, BGB, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 315– 326, Leistungsstörungen II, Neubearbeitung 2004, Gegenseitiger Vertrag §§ Vor 320, 320–326.
III. Zeitschriftenaufsätze und Festschriftbeiträge 1. Wiederherstellungs- und Entschädigungsansprüche nach dem Wasserverbandsrecht im Licht des Art. 14 GG, DB 1973, S. 1785. 2. Der vorläufige Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses, RdA 1975, S. 68. 3. Kündigung Schwerbehinderter – aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle, DB 1975, S. 1554. 4. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1975, ZfA 1976, S. 369. 5. Toleranz in den Arbeitsbeziehungen, ArbuR 1980, S. 289. 6. Die Aussperrung im Licht der Urteile des BAG aus dem Jahre 1980, RdA 1981, S. 285. 7. Grundprobleme der Vollstreckungsgegenklage, JA 1981, S. 606, 649. 8. Personalvertretungsrechtlicher Tendenzschutz contra kollektiven Sozialschutz, in: Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf, München, 1983, S. 529. 9. Rundfunkspezifischer Arbeitnehmerstatus?, ArbuR 1983, S. 1. 10. Der Handlungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der Regelung der Vertragsverhältnisse zwischen den Rundfunkanstalten und ihren programmgestaltenden Mitarbeitern nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts v. 13.01.1982, RdA 1984, S. 261. 11. Ausgleichsansprüche des Geschäftsführers bei berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag, JuS 1984, S. 684. 12. Der Sozialplan als Gegenstand neuer gesetzgeberischer Initiativen, ZfA 1985, S. 71. 13. Erleichterte Zulassung befristeter Arbeitsverträge, NJW 1985, S. 1807.
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14. Die Verteilung des Arbeitskampfrisikos und § 116 AFG 1986, RdA 1987, S. 1. 15. Entscheidungsharmonie, Verfahrensökonomie und rechtliches Gehör bei Streitigkeiten mit kollektivem Bezug, RdA 1989, S. 247 . 16. Die Kündigung des Tarifvertrages aus wirtschaftlichen Gründen, in: Arbeitsrecht in der Bewährung, Festschrift für Otto Rudolf Kissel zum 65. Geburtstag, München, 1994, S. 787. 17. Tarifautonomie unter Gesetzes- oder Verfassungsvorbehalt – Gedanken zur Funktionsgarantie des Art. 9 III GG, in: Festschrift für Albrecht Zeuner zum 70. Geburtstag, Tübingen, 1994, S. 121. 18. Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Regelung von Dauer und Lage der Arbeitszeit, NZA 1992, S. 97. 19. Tarifnormen über Gemeinsame Einrichtungen und deren Allgemeinverbindlicherklärung – Dargestellt am Beispiel von „Innovationsstelle und Förderwerk für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk“, ZfA 1995, S. 639 (gemeinsam mit Roland Schwarze). 20. Die inner- und außerprozessuale Präklusion im Fall der Vollstreckungsgegenklage, in: Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag, Berlin, 1995, S. 615. 21. Die Änderung von Entlohnungssystemen – Kollektiv- und individualrechtliche Aspekte, in: Arbeitsgesetzgebung und Arbeitsrechtsprechung, Festschrift für Eugen Stahlhacke zum 70. Geburtstag, Neuwied, 1995, S. 395. 22. Probleme des Arbeitsmarkts in Deutschland, vorgetragen im Sept. 1996 in Nanjing, Nanjing University Law Review, 1997, S. 62. 23. Schranken der Kündigungsfreiheit außerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes, in: Festschrift für Günther Wiese zum 70. Geburtstag, Neuwied, 1998, S. 353. 24. Grünes Licht für die Wiedereinstellung bei betriebsbedingten Entlassungen?, in: Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, Neuwied, 1998, S. 451. 25. Zur Interaktion zwischen Bundesverfassungsgericht und Arbeitsgerichtsbarkeit – Erfahrungen und Erwartungen, in: Festschrift für Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag, Köln, 1998, S. 879. 26. Die BGH-Rechtsprechung zur Präklusion verspäteten Vorbringens, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. III, München, 2000, S. 161.
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27. Die Grundstrukturen des neuen Leistungsstörungsrechts, JURA 2002, S. 1. 28. Relative Friedenspflicht, tariflicher Regelungsgegenstand und Geschäftsgrundlage, in: Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, München, 2002, S. 401. 29. Neujustierung der Risikoverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung – Insbesondere Arbeitnehmerverschulden und Versicherung, in: Festschrift 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, München, 2004, S. 97. 30. Tarifzensur und Arbeitskampf, in: Festschrift für Horst Konzen zum 70. Geburtstag, Tübingen, 2006, S. 663. 31. „Betriebsübergang“ auf gesetzlicher Grundlage im Arbeits- und Beamtenrecht, in: Festschrift für Reinhard Richardi zum 70. Geburtstag, München, 2007, S. 317. 32. Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 2 und 3 BGB im Schwebezustand, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, München, 2007, S. 945. 33. Tücken der Zustellung im internationalen Rechtshilfeverkehr – Rechtsstaatlicher Schutz vor Schikane und Rechtsmissbrauch –, in: Festschrift für Rolf Birk zum 70. Geburtstag, Tübingen, 2008.
IV. Anmerkungen 1. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 18.02.1971 – 5 AZR 296/70 –, Lohnpfändung, SAE 1972, S. 117, 120. 2. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 25.11.1971 – 2 AZR 44/71 –, Kündigungsschutz, Dreiwochenfrist, SAE 1972, S. 223, 226. 3. Einschränkung des individuellen Kündigungsschutzes zugunsten der Mitwirkung des Betriebsrats? – Zugleich eine Anmerkung zu dem Urteil des LAG Hamm v. 08.11.1972 – 5 Sa 349/72 –, DB 1973, S. 582, 671. 4. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 14.09.1972 – 5 AZR 212/72 –, Prozessrecht, Auslegung von Willenserklärungen, SAE 1973, S. 219, 221. 5. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 23.05.1973 – 4 ZR 364/72 –, Prozeßrecht, SAE 1974, S. 57, 58. 6. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 13.09.1973 – 2 AZR 601/72 –, Betriebsbedingte Kündigung, Widerspruch des Betriebsrats, SAE 1975, S. 1, 5.
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7. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 17.09.1974 – 1 AZR 16/74 –, Mitwirkung des Betriebsrats im Konkurs, SAE 1976, S. 18, 22. 8. Anmerkung zu den Urteilen des BAG v. 19.08.1975 – 1 AZR 565/74 und 1 AZR 613/74 –, Leitende Angestellte, Anhörung des Betriebsrats bei Kündigung, Annahmeverzug, SAE 1976, S. 257 und 261, 267. 9. Gemeinsame Anmerkung zum Urteil des BAG v. 28.05.1976 – 1 AZR 116/74 – und zum Beschluß des BAG v. 15.06.1976 – 1 ABR 81/74 –, EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 49 und 50. 10. Anmerkung zum Beschluß des LAG Hamm v. 04.02.1977 – 3 TaBV 69/76 –, EzA § 40 BetrVG 1972 Nr. 33. 11. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 14.09.1976 – 1 AZR 784/75 –, Betriebsstillegung, SAE 1977, S. 282, 284. 12. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75 –, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 19. 13. Anmerkung zum Urteil des ArbG Hamburg v. 18.04.1978 – 14 Ca 157/78 –, EzA Art. 5 GG Nr. 3. 14. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 12.07.1977 – 1 AZR 336/75 –, Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anordnung von Feierschichten, SAE 1979, S. 145, 149. 15. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 13.07.1978 – 2 AZR 798/77 –, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 36. 16. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 15.10.1979 – 7 AZN 9/79 –, Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz, SAE 1980, S. 209, 210. 17. Anmerkung zum Urteil des ArbG Iserlohn v. 20.01.1980 – 1 Ca 901/79 –, EzA Art. 5 GG Nr. 4. 18. Anmerkung zu den Urteilen des BAG v. 23.04.1980 und 07.05.1980 – 5 AZR 426/79, 293/78, 593/78 –, AP Nr. 34–36 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 19. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 03.12.1980 – 5 AZR 477/78 –, Direktionsrecht des Arbeitgebers und Annahmeverzug, SAE 1982, S. 162, 164. 20. Anmerkung zum Beschluß des BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 –, EzA Art. 9 GG Nr. 32. 21. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 20.07.1982 – 1 ABR 19/81 –, Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat, SAE 1983, S. 334, 337 (gemeinsam mit Harald Bachmann).
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22. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 22.07.1982 – 2 AZR 30/81 –, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 23. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81 –, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 10. 24. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 14.10.1982 – 6 ABR 37/79 –, AP Nr. 19 zu § 40 BetrVG 1972. 25. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 20.10.1983 – 2 AZR 211/82 –, Soziale Auswahl bei betriebsbedingter Kündigung, Auswahlrichtlinien, SAE 1985, S. 215, 218. 26. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 28.04.1983 – 2 AZR 438/81 –, EzA § 5 KSchG 1969 Nr. 20. 27. Gewährleistungspflicht des Vermieters trotz anfänglicher objektiver Unmöglichkeit – BGH, NJW 1985, 1025, JuS 1985, S. 848. 28. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 26.10.1984 – 2 AZR 417/83 –, Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung, AR Blattei: Zurückbehaltungsrecht, Entscheidung 1, 1986. 29. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 13.03.1984 – 1 ABR 57/82 –, EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 10. 30. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 14.01.1986 – 2 AZR 473/84 –, Betriebliche Invaliditätsversorgung, Versicherungsfall/Ergänzende Auslegung, Erfüllung der Wartezeit trotz Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, EWiR 1986, S. 1169. 31. Anmerkung zum Urteil des LAG Hamm v. 18.11.1986 – 7 Sa 1680/85 –, Versorgungszusage, Bestandsschutz erdienter Anwartschaftsdynamik, Zeitfaktorberechnung, EWiR 1987, S. 331. 32. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 03.12.1985 – 1 ABR 29/84 –, AP Nr. 28 zu § 99 BetrVG 1972. 33. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 03.12.1985 – 1 ABR 58/83 –, Versetzung von Auszubildenden, Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, SAE 1987, S. 151, 154. 34. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 22.04.1986 – 3 AZR 100/83 –, Mitbestimmung bei Gruppen-Unterstützungskasse, Anrechnung von Abgeordnetenpension, AR-Blattei: Betriebliche Altersversorgung, Entscheidung 180, 1987. 35. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 13.06.1986 – 7 AZR 650/84 –, EzA § 620 BGB Nr. 85.
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36. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 16.06.1987 – 1 AZR 528/85 –, Kündigung bei Betriebsstillegung nach einem Brand, Restmandat des Betriebsrats, SAE 1988, S. 138, 141. 37. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 16.09.1986 – GS 1/82 –, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17. 38. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 26.04.1988 – 3 AZR 277/87 –, Widerruf von Versorgungsleistungen, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Wirtschaftliche Notlage, EWiR 1989, S. 225. 39. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 29.11.1988 – 2 AZR 184/87 –, Betriebliche Altersversorgung, Versicherungsmißbrauch, widerlegbare Vermutung, Anpassung von Betriebsrenten, EWiR 1989, S. 319. 40. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 26.07.1988 – 1 AZR 54/87 –, EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 16. 41. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 01.12.1988 – 8 AZR 65/84 –, Arbeitnehmer, Haftung für Arbeitsunfall, grobe Fahrlässigkeit, Betriebshaftpflicht, EWiR 1989, S. 767. 42. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 16.02.1989 – 2 AZR 299/88 –, Kündigung, häufige Kurzerkrankungen, Lohnfortzahlungskosten, Maßregelungsverbot, EWiR 1989, S. 1225. 43. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 18.04.1989 – 3 AZR 688/87 –, Kündigung einer Betriebsvereinbarung, Bestandsschutz der Versorgungsanwartschaften, AR-Blattei: Betriebliche Altersversorgung, Entscheidung 226, 1990. 44. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 09.05.1989 – 3 AZR 439/88 –, Ausfallhaftung des Arbeitgebers bei mitbestimmungswidrigem Verhalten in Gruppenunterstützungskasse, AR-Blattei: Betriebliche Altersversorgung, Entscheidung 227, 1990. 45. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 07.11.1989 – GS 3/85 –, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 34. 46. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 21.09.1989 – 1 AZR 454/88 –, EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 33. 47. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 10.05.1989 – 4 AZR 80/89 –, EzA § 256 ZPO Nr. 32. 48. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 26.04.1988 – 1 AZR 399/86 –, Zur Abwehr rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen durch die Verbände und zu den Rechtsgrundlagen der Abwehraussperrung, SAE 1991, S. 45, 56.
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49. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 29.06.1988 – 7 AZR 552/86 –, Privatarbeitsvertrag für Drittmittelprojekt, AP Nr. 1 zu § 25 HRG. 50. Anmerkung zum Urteil des LAG Hamm v. 19.03.1991 – 6 Sa 697/90 –, Anpassungsentscheidung, Mitteilungspflicht, Verjährung des Rentenanspruchs, EWiR 1991, S. 863. 51. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 11.09.1990 – 3 AZR 380/89 –, Kürzung dienstzeitunabhängiger Rentensteigerung, Beteiligung des Betriebsrats, AR-Blattei: Betriebliche Altersversorgung, Entscheidung 255, 1991. 52. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 26.06.1990 – 3 AZR 641/88 –, Gehaltsumwandlung, Beleihung, EWiR 1991, S. 1163. 53. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 20.11.1990 – 3 AZR 573/89 –, Ablösung, vertragliche Versorgung durch Betriebsvereinbarung, AR-Blattei: Betriebliche Altersversorgung, Entscheidung 261, 1992. 54. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 22.10.1991 – 3 AZR 1/91 –, Betriebliche Altersversorgung, Gruppenunterstützungskasse, Regreß des PSV, EWiR 1992, S. 637. 55. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 28.04.1992 – 1 ABR 68/91 –, Gesamtbetriebsrat, Erstreckung einer Gesamtbetriebsvereinbarung auf neue Betriebe in den neuen Bundesländern, EWiR 1993, S. 11. 56. Anmerkung zum Urteil des BayOblG v. 10.12.1992 – 3 Z BR 130/92 –, Mitbestimmung im faktischen GmbH-Konzern, Obligatorischer Aufsichtsrat, Zurechnung der Arbeitnehmer, EWiR 1993, S. 433. 57. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 12.06.1992 – GS 1/89 –, Haftung des Arbeitnehmers, gefahrgeneigte Arbeit, Rechtsfortbildung, Anrufung des Großen Senats, EWiR 1993, S. 559. 58. Anmerkung zum Beschluß des OLG Celle v. 22.03.1993 – 9 W 130/92 –, Aufrechterhaltung der Montanmitbestimmung, Eingangs- und Auslaufschwelle/„Salzgitter Preussag“, EWiR 1993, S. 705. 59. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 11.09.1991 – 4 AZR 71/91 –, Durchführung von Tarifverträgen im Ausland, Übertragung der Arbeitsverhältnisse auf rechtlich selbständige, nicht tarifgebundene Tochtergesellschaften, SAE 1993, S. 181, 185. 60. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 16.02.1993 – 3 ABR 29/92 –, Betriebliche Altersversorgung, Direktversicherung, Grenzen der Mitbestimmung, Vorrang des Tarifvertrages, EWiR 1993, S. 949.
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61. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 27.01.1993 – 7 ABR 37/92 –, Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat, Anfechtung durch Betriebsrat und Gewerkschaften, Gründe, Beteiligung im Anfechtungsverfahren, EWiR 1993, S. 1053. 62. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 11.08.1992 – 1 AZR 103/92 –, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 105. 63. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 18.02.1993 – 2 AZR 526/93 –, Betriebsratsmitglied, außerordentliche Kündigung wegen häufiger Krankheit, EWiR 1994, S. 177. 64. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 07.10.1993 – 2 AZR 226/93 –, Außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers im kirchlichen Dienst, Abmahnung, EWiR 1994, S. 463. 65. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 02.10.1990 – 4 AZR 106/90 –, Arbeitnehmerähnlichkeit eines Rundfunkgebührenbeauftragten, AP Nr. 1 zu § 12a TVG. 66. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 25.03.1992 – 7 ABR 52/91 –, Betriebsratswahl, Arbeitnehmer, Heimarbeit, AP Nr. 48 zu § 5 BetrVG 1972. 67. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 20.04.1994 – 10 AZR 323/93 –, Sozialplanabfindung, betrieblich veranlasster Aufhebungsvertrag, Gleichbehandlung, EWiR 1994, S. 953. 68. Anmerkung zum Vorlagebeschluß des BAG v. 20.10.1993 – 7 AZR 581/92 (A) –, Teilnahme eines teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung, Freizeitausgleich, mittelbare Diskriminierung, SAE 1994, 306, 310. 69. Anmerkung zum Beschluß des BAG v. 27.09.1994 – GS 1/89 (A) –, Haftung des Arbeitnehmers, ArbuR 1995, S. 70, 72. 70. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 09.11.1994 – 4 AZR 281/94 –, Sozialplanabfindung, Eigenkündigung des Arbeitnehmers, Gleichbehandlung, EWiR 1995, S. 333. 71. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94 –, Betriebsbedingte Kündigung, unternehmensbezogene soziale Auswahl, EWiR 1995, S. 695. 72. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 22.11.1994 – 3 AZR 767/93 –, Insolvenzschutz bei volldynamischer Versorgungszusage, AR-Blattei ES: Betriebliche Altersversorgung, Insolvenzsicherung, Entscheidung 80, 81, 1995.
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73. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 19.07.1995 – 10 AZR 885/94 –, Sozialplanansprüche, Eigenkündigung des Arbeitnehmers, Ausschluß, Steuerung des Vertragsendes nach Maßgabe des Arbeitgebers, EWiR 1996, S. 153. 75. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94 –, Betriebsübergang nach Konkurseröffnung, tarifliche Sonderzahlung, Entstehungszeitpunkt, EWiR 1996, S. 345. 76. Anmerkung zum Urteil des BGH v. 11.03.1995 – II ZR 230/94 –, Haftung des Arbeitnehmers, Einzelfallabwägung, EWiR 1996, S. 545. 77. Zur Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen – BVerfG v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86 und 1, 2, 3, 4/87 und 1 BvR 1421/86 –, JURA 1997, S. 18. 78. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 26.09.1996 – 8 AZR 126/95 –, Vorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts, AuR 1997, S. 125, 126. 79. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 12.03.1997 – 10 AZR 648/96 –, Sozialplanabfindung, Berücksichtigung ausländischer Kinder, Freizügigkeit, EWiR 1997, S. 733. 80. Anmerkung zum Urteil des BGH v. 06.06.1997 – V ZR 115/96 –, Nichterfüllungsschaden im Fall eines Deckungskaufs, Lindenmaier-Möhring § 326 (Eb) BGB Nr. 10, 1998. 81. Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 22.04.1997 – Rs C-180/95 –, Geschlechtsbezogene Diskriminierung, Schadensersatz, Höchstgrenzen/ „Draehmpaehl“, EWiR 1998, S. 79. 82. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 23.10.1996 – 1 AZR 269/96 –, GG Art. 9 Arbeitskampf, FeiertagslohnzahlungsG § 1, ZPO § 284, EzA Art. 9 Arbeitskampf Nr. 126, S. 1, 9. 83. Anmerkung zum Urteil des BGH v. 24.10.1997 – V ZR 187/96 –, § 434 BGB, Längere Vermietung als Rechtsmangel, Lindenmaier-Möhring § 434 BGB Nr. 14, Bl. 632, 1998. 84. Anmerkung zum Urteil des LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/ 97 –, Betriebsübergang, Widerspruch eines Betriebsratsmitglieds, „Verdrängungsanspruch“, vorrangige Weiterbeschäftigung, soziale Auswahl, EWiR 1998, S. 707. 85. Anmerkung zu den Beschlüssen des BVerfG v. 27.01.1998 – 1 BvL 15/87 –, 1 BvL 22/93 –, Zum verfassungskonformen Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen, JZ 1998, 848, 852.
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86. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 29.10.1997 – 5 AZR 508/96 –, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht. 87. Anmerkung zum Urteil des BGH v. 10.07.1998 – V ZR 360/96 –, § 286 BGB, Konsequenzen der Ausübung des Rücktrittsrechts für den Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens, Lindenmaier-Möring § 286 BGB Nr. 44 Bl. 24, 27. 88. Anmerkung zum Urteil des LG Köln v. 25.2.1999 – 24 O 87/98 –, Qualifiziert faktischer Konzern, keine Haftung des PSV bei Beherrschung durch solventen Schuldner (politische Partei)/„SPD/infas“, EWiR 1999, S. 1151. 89. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 08.06.1999 – 1 AZR 831/98 –, Interessenausgleich in Kleinbetrieben, Schutzzweck und Gleichheitssatz, Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, EWiR 2000, S. 113. 90. Anmerkung zu den Urteilen des BAG v. 15.12.1998 – 1 AZR 289/98 und v. 15.12.1998 – 1 AZR 216/98 –, Wellenstreik, AP Nr. 154 und 155 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (gemeinsam mit Daniela Stiegel). 91. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 27.04.2000 – 8 AZR 286/99 –, Globalbürgschaft für Arbeitgeberforderungen aus dem Arbeitsverhältnis, Inhaltskontrolle, EWiR 2000, S. 855. 92. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 11.07.2000 – 1 AZR 551/99 –, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Lohnverwendungsabrede, Sozialeinrichtung, EWiR 2001, S. 297. 93. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 20.2.2001 – 1 AZR 233/00 –, Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung, tarifvertragliche Öffnungsklausel, Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, EWiR 2001, S. 895. 94. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 28.06.2000 – 7 AZR 904/98 –, Wiedereinstellung, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung. 95. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 21.02.2001 – 2 AZR 15/00 –, Kündigungsschutz im Kleinbetrieb, RdA 2002, S. 99. 96. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 18.04.2002 – 8 AZR 348/01 –, Arbeitnehmerhaftung, betrieblich veranlasste Tätigkeit, Verschuldensgrad, Bezugspunkt des Verschuldens, EWiR 2002, S. 1073. 97. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 18.02.2003 – 1 AZR 142/02 –, Außenseiter-Arbeitgeber, Streik, Firmentarifvertrag, dynamische Blankettverweisung, Abmahnung, EWiR 2003, S. 1241. 98. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 03.07.2003 – 2 AZR 235/02 –, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung.
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99. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 27.03.2003 – 2 AZR 51/02 –, AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG Überwachung. 100. Anmerkung zum Urteil des BAG v. 22.01.2004 – 2 AZR 237/03 –, Die regelmäßige Beschäftigung i. S. von § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, RdA 2005, S. 185.
V. Buchbesprechungen 1. Besprechung von: Germelmann, Claas-Hinrich, Der Betriebsfrieden im Betriebsverfassungsrecht, 1972, in: RdA 1973, S. 332. 2. Besprechung von: Wagenitz, Thomas, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, 1972, in: RdA 1973, S. 398. 3. Besprechung von: Lämmerhirdt, Karl-Peter, Die auf Druck am Arbeitsverhältnis nichtbeteiligter Dritter erfolgende Kündigung seitens des Arbeitgebers, 1973, in: AcP 174 (1974), S. 505. 4. Besprechung von: Tomandl, Theodor, Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht, Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht, Bd. 5, 1975, in: RdA 1978, S. 260. 5. Besprechung von: Wagner, Klaus M., Wirtschaftliche Arbeitnehmermitbestimmung in einer europäischen Aktiengesellschaft, 1977, in: ZHR 1979, S. 575. 6. Besprechung von: Dietz/Richardi, Bundespersonalvertretungsgesetz, 2. Auflage, 1978, in: ZfA 1981, S. 241. 7. Besprechung von: Rideout, Principles of Labour Law, 1976, in: RdA 1981, S. 393. 8. Besprechung von: Rosenfelder, Ulrich, Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters, 1982, in: ArbuR 1983, S. 278. 9. Besprechung von: Schaub, Günter, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Auflage, 1987, in: RdA 1989, S. 193. 10. Besprechung von: Baumann, Horst, Arbeitskampf, Staatsneutralität und Arbeitslosenversicherung, 1986, in: RdA 1987, S. 306. 11. Besprechung von: Ostendorf, Heribert, Kriminalisierung des Streikrechts, 1987, in: RdA 1988, S. 377. 12. Besprechung von: Henniges, Rolf-Hermann, Einstweiliger Rechtsschutz gegen gewerkschaftliche Streiks?, 1987, in: RdA 1989, 370.
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13. Besprechung von: Ossenbühl, Fritz/Richardi, Reinhard, Neutralität im Arbeitskampf – Zur Neufassung des § 116 AFG, 1987, in: RdA 1990, S. 174. 14. Besprechung von: Preis, Ulrich, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, in: RdA 1991, S. 113. 15. Besprechung von: Beuthien, Volker, Der Arbeitskampf als Wirtschaftsstörung – Kampfrisiken teilen, aber wie?, 1990, in: RdA 1992, S. 214. 16. Besprechung von: Marré, Heiner/Stüting, Johannes (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Begr. von Joseph Krautscheidt und Heiner Marré, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 1994, S. 239. 17. Besprechung von: Jox, Rolf L., Die Bindung an Gerichtsentscheidungen über präjudizielle Rechtsverhältnisse. Dargestellt am Beispiel des § 116 AFG, 1991, in: RdA 1994, S. 313. 18. Besprechung von: Gehring, Heinrich, Anh. III § 630: Kirchenarbeitsrecht, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs, Zeitschrift für Evangelisches Kirchenrecht 1997, S. 92. 19. Besprechung von: Schaub, Günter, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Auflage, 1996, in: RdA 1997, S. 181.
VI. Sonstiges 1. Nochmals: Kündigungen nach dem neuen BetrVG, DB 1972, S. 731. 2. Eduard Bötticher zum 80. Geburtstag, RdA 1980, S. 48. 3. Albrecht Zeuner, 65 Jahre, ArbuR 1989, S. 377. 4. Eduard Bötticher zum Gedenken, RdA 1989, S. 352. 5. Zwischenprüfungsklausur ZR: Der neueste Stand der Technik und der enttäuschte Käufer, JURA 1990, S. 209 (gemeinsam mit Dirk Hesse). 6. Klausur: Der praktische Fall – Bürgerliches Recht: Der undichte Gastank, JuS 1992, S. 44 (gemeinsam mit Roland Schwarze). 7. Franz Gamillscheg zum 70. Geburtstag, NJW 1994, S. 1204.
Autorenverzeichnis Martina Benecke, Dr., Universitätsprofessorin an der Universität Augsburg, Professur für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Wirtschaftsrecht Rolf Birk, Dr. Dres. h.c., em. Universitätsprofessor an der Universität Trier, Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Gemeinschaft Carsten Brodersen, Dr., ehem. Universitätsprofessor an der HelmutSchmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, Institut für öffentliches Recht Indra Burg, LL.B., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherung Thomas Dieterich, Dr., Honorarprofessor an der Universität Göttingen, ehem. Richter des Bundesverfassungsgerichts, Präsident des Bundesarbeitsgerichts a.D., Kassel Hans-Jürgen Dörner, Vizepräsident des Bundesarbeitsgerichts, Erfurt Martin Franzen, Dr., Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, Institut für Privatrecht und Zivilverfahrensrecht Franz Gamillscheg, Dr. Dres. h.c., em. Universitätsprofessor an der GeorgAugust-Universität Göttingen, Institut für Arbeitsrecht Thomas Griese, Dr., Staatssekretär a.D., Stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs NRW Peter Hanau, Dr. Dres. h.c., em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Matthias Jacobs, Dr., Universitätsprofessor an der Bucerius Law School, Hamburg Abbo Junker, Dr., Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht Dagmar Kaiser, Dr., Universitätsprofessorin an der Johannes GutenbergUniversität Mainz Sudabeh Kamanabrou, Dr., Universitätsprofessorin an der Universität Bielefeld, Institut für Arbeit und sozialen Schutz Otto Rudolf Kissel, Dr., Professor, Präsident des Bundesarbeitsgerichts a.D., Frankfurt am Main Horst Konzen, Dr. Dres. h.c., em. Universitätsprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Rüdiger Krause, Dr., Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Arbeitsrecht
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Autorenverzeichnis
Gert-Albert Lipke, Dr., Professor, Präsident des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, Hannover, Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes Volker Lipp, Dr., Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Privat- und Prozessrecht Manfred Löwisch, Dr. Dr. h.c., em. Universitätsprofessor an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg, Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht Joachim Münch, Dr., Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Privat- und Prozessrecht Hartmut Oetker, Dr., Universitätsprofessor an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel, Richter am Thüringer Oberlandesgericht Harro Plander, Dr., em. Universitätsprofessor an der Helmut-SchmidtUniversität der Bundeswehr Hamburg, Institut für Privatrecht Ulrich Preis, Dr., Universitätsprofessor an der Universität zu Köln, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Thomas Raab, Dr., Universitätsprofessor an der Universität Trier Reinhard Richardi, Dr., em. Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Volker Rieble, Dr., Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht Roland Schwarze, Dr., Universitätsprofessor an der Leibniz Universität Hannover, Institut für Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht Wolfgang Sellert, Dr., em. Universitätsprofessor an der Georg-AugustUniversität Göttingen, Institut für Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung, Abt. für Deutsche Rechtsgeschichte Gerald Spindler, Dr., Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Wirtschaftsrecht Gregor Thüsing, Dr., LL.M. (Harvard), Universitätsprofessor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherung Daniel Ulber, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Barbara Veit, Dr., Universitätsprofessorin an der Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Privat- und Prozessrecht Herbert Wiedemann, Dr., em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln, Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht Günther Wiese, Dr., em. Universitätsprofessor an der Universität Mannheim Albrecht Zeuner, Dr. Dr. h.c., em. Universitätsprofessor an der Universität Hamburg